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Full text of "Historische Zeitschrift"

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Historische  Zeitschrift 


I 


Begründet  von  Heinrich  v.  Sybel 
HeriQsgtgeten  von 

FRIEDRICH  MEINECKE 

OrlUd  Fotge  —   I.Band   —   K  Haft 
Dttf  gioteti  Edlie  97,  Band 


MÜNCHEN  UND  BERLIN 
DRUCK  UND  VERLAG  VON  R.  OLDENBOURC 


ßllllllliiliülillli 


Die  Historische  Zeitsdirift 


tritt  vom  97.  Bande  ab  ihren  alten  Freunden  in  neuer  Gestalt 
entgegen  und  will  in  ihr  zugleich  um  neue  Freunde  werben. 

Sie  beginnt  mit  diesem  Bande  eine  neue  dritte  Folge» 
deren  Bände  bzw.  Hefte  sich  von  den  früheren  durch  einen 
um  25%  vermehrten  Umfang,  durch  besseres  Papier,  durch 
einen  geschmackvolleren  Umschlag  und  durch  die  Verwendung 
von  lateinischen  statt  deutschen  Lettern  äußerlich  unterscheiden. 
Sie  hofft,  daß  die  neue  Ausstattung  allgemein  Beifall  finde, 
sie  hofft  vor  allem,  daß  die  erhebliche  Vermehrung  des  Um- 
fanges  (von  12  auf  15  Bogen  im  Hefte,  36  auf  45  Bogen  im 
Bande,  72  auf  90  Bogen  im  Jahrgange)  sie  instand  setzen 
wird,  ihren  Lesern  sehr  viel  mehr  zu  bieten  als  bisher  und 
ihren  mannigfachen  Aufgaben,  die  durch  den  Raummangel 
zuweilen  erschwert  waren,  besser  gerecht  zu  werden. 

Ihre  Grundaufgabe,  zu  der  sich  ihre  Einzelaufgaben  wie 
Mittel  zum  Zweck  verhalten,  ist  es,  die  Geschichtsforschung 
so  zu  pflegen,  daß  sie  der  strengen  Wissenschaft  und  den 
großen  Bedürfnissen  menschlich -universaler  Bildung  zugleich 
genügt.  Sie  trat  von  vornherein  bei  ihrer  Gründung  durch 
Heinrich  von  Sybel  im  Jahre  1859  auf  diese  Linie.  Mannig- 
fach   haben    sich    seitdem    die    speziell    wissenschaftlichen, 


I 


i 


wie  die  allgemeinen,  geistigen  und  politischen  Tendenzen  ge- 
wandelt. Der  Wunsch  aber,  Forschung  und  Leben  zu  ver- 
binden, ist  immer  derselbe  geblieben.  Zu  dem  politischen 
Nationalleben,  aus  dem  die  Historische  Zeitschrift  zur  Zeit 
ihrer  Gründung  manche  starken  Impulse  empfing,  gesellen  sich 
heute  noch  andere  geistige  Richtungen  mannigfachster  Art, 
teils  auf  intensivere  Erkenntnis  der  realen  Zustände,  teils  auf 
Bewahrung  des  persönlichen  Eigenlebens  vor  Vergewaltigung 
durch  Umwelt  und  äußere  Kultur  gerichtet.  Sie  alle  spiegeln 
sich  in  den  Gegenständen  der  heutigen  Geschichtsforschung 
und  demnach  auch  in  dem  heutigen  Arbeitsgebiet  der  ^ Histo- 
rischen Zeitschrift*".  Sie  läßt  nicht  bloß  die  sogenannten 
eigentlichen  „Historiker**  zu  Worte  kommen,  sondern  die 
historisch  gerichteten  Vertreter  aller  Geisteswissenschaften 
überhaupt.  Sie  fiat  den  Ehrgeiz,  ein  universales  geschicht- 
liches Organ  zu  sein. 

Ein  Hauptmittel  dafür  ist  die  Pflege  des  geschichtlichen 
Essays,  der  selbständige  kritische  Arbeit  von  großen  Ge- 
Sichtspunkten  aus  in  küns tierischer  Form  bietet.  Die  Ver- 
mehrung des  Umfanges  ist  in  alJererster  Linie  dazu  bestimmt, 
mehr  soJcher  Aufsätze  als  bisher  zu  bringen.  Auch  die 
HMiszeHen'',  die  kleinere  Exkurse  über  erhebliche  Ei  nzeJf ragen 
und  interessante  Aktenstticke  namendich  zur  neueren  und 
neuesten  Geschichte  bringen  ^  werden  vieileicht  vermehrt 
werden  können. 

Sodann  kann  die  Zeitschrift  nun  auch  ihren  „Literatur- 
bericht**, der  Rezensionen  größeren  und  kleineren  Umfangs 
bringt,  etwas  erweitern.  Nach  äußerlicher  Vollständigkeit  kann 
und  will  sie  auch  jetzt  nicht  streben.  Sie  möchte  aber  an 
nichts  Wichtigem  vorij hergehen,  soweit  es  die  ßereitwilligkeit 
der  Verlagshandlungen  und  der  Mitarbeiter  irgend  zuläßt. 

Ihre  letzte,  1893  eingerichtete  Abteilung,  die  , Notizen  und 
Nachrichten*,  wird  dagegen  den  bisherigen  Umfang  nicht  über- 
schreiten. Sie  hat  sich  in  ihrer  bisherigen  Einrichtung,  wie 
uns  zu  unserer  Genugtuung  von  allen  Seiten  versichert  wird, 
vollkommen  bewährt  Keine  andere  historische  Zeitschrift 
bietet  eine  so  reiche  und  umfassende  und  zugleich  so  über- 


ir 


sichtliche  Rundschau  über  den  wichtigeren  Inhalt  der  in-  und 
ausländischen  Zeitschriftenliteratur. 

Der  immer  reger  sich  gestaltende  Verkehr  zwischen  den 
verschiedenen  Kulturstaaten  hat  auch  den  wissenschaftlichen 
Austausch  unter  ihnen  gesteigert  Um  die  Verbreitung  der 
Historischen  Zeitschrift  zu  erleichtern,  haben  wir  uns  ent- 
schlossen,  die  Bände  der  neuen  Folge  nicht  mehr  in  deutschen, 
sondern  in  lateinischen  Lettern  setzen  zu  lassen.  Wir  hoffen, 
daß  diejenigen  unserer  alten  Freunde,  die  aus  Gewöhnung 
oder  Grundsatz  der  deutschen  Schrift  den  Vorzug  vor  der 
lateinischen  geben,  unser  Motiv  würdigen  und  sich  mit  der 
neuen  Druckausstattung  aussöhnen  werden. 

Die  durch  die  Erweiterung  des  Umfanges  und  durch  die 
Steigerung  der  Herstellungskosten  nötig  gewordene  Preis- 
erhöhung ist  so  gering  bemessen  worden,  daß  nur  der,  wie 
wir  hoffen,  jetzt  schnell  wachsende  Absatz  die  Mehrlasten 
ganz  ausgleichen  kann. 

Der  Preis  eines  Bandes  beträgt  statt 

M.  11.50  fortan  M.  14.—. 


Redaktion  und  Verlag 
der  Historischen  Zeitschrift. 


i 


Histomche  Zeitschrift 

BesTfindet  von  HEINRICH  v.  SYBBL 


Unter  Mitwirkung  von 

Paul  Bailleu,  Louis  Erhardt,  Otto  Hintze, 

Otto  Krauske,  Max  Lenz,  Sigm.  Riezier,  Moriz  Ritter, 

Konrad  Varrentrapp,  Kar!  Zeumer 

lierau8gegeben  von 

FRIEDRICH  MBINBCKB 


Der  ganzen  Reihe  97.  Band:- 

.  - • •    •"  • 
Dritte  Folge  —  1.  Banü---    '•  • 


MÜNCHEN  UND  BERLIN* 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  R.  OLDENBOURG 
1906. 


0\^5^ 


Auföätze.  ^^ 

Dk  |t«detitaii^  des  Protestantitmu»  lür  die  EntBlehung  der  modeni«ii  Weit 

Vm  ernst  TroelUcb      ..................  1 

Die  Epoclieii   des    eiruig«Li«chen   fOrclieDTegimeati    in  Pr«ii0^.     Von   Otto 

Kintfe     .     , *T 

&ef  Untergang  WiJletistems.    Vod  Moiiz  RJtter .    .    .    .  2-17 

Leidei  oocbmals  die  Klstoire  de  moo  Temptl  Von  Alfred  Dove  .  ,  ,  ,  .  BH 
Die  Probleme  der  hLitoriuhea  Methodik  ynd  der  Ge«cfaicliUphilo&apttJe  l>ei 

VotUire.    VoQ  Paul  Smkni»iiii    .....,,, 327 

Tuf^ti  Sturz.    Von  Hiflt  Gttfau      . 473 

PreoAcd  ndd  DeuUchUod  ün  11  Jalirhttjidert.    Von  Frledrkti  Metneek«      ,  119 

Miszellen. 

Die  SchUebt  auf  dem  LecMdde.    Von  H    ßredUu ,    .    .    .    .  W 

Die  ÜKf aro*ch!*cht  von  %S  Von  Dietrich  Schlier  ,,...,...  538 
Eb  tkleniiilOiger  Beleg  lur  Zähtimg  dei  LOiegcJd«  für  Könl^  Richard  LdveO' 

ben  voo  Etigland.    Von  Georf  C>ro  .    ,     ...........  Ma 

Die  Rdeiwtsffsgoehidite  des  bfindenbargiicheD   Oes^odten  HennlgeB     Von 

R.  Köser lU 


Literaturtocricht. 


SeiM 
Wcltieuhicbte     ,     .    .    .    .  *(M-  »7 

GeiCbichtip!iilo«ophie  ,  .  .  SMfi- 
(kschichte  der  Gescbiebt^ehreihnliC  16 
Alte  Geschichte  .    .    .    .  tSJ.  JW   M#ff 

Altchristiiches      .     <    .    . 


liUm 

Minelalter: 
Siedelung    ,     .     ,     .     . 
HUtoritcbe  Geographie 
Verfassung  tind  Re^bt 
Politbche  Gcftchichle 
Kirche 
LJterarifches  Porträt 

Neuere  Zeil: 

RelormationiEcit 
Oroßer  Kurfürst      .     ■ 


IW   mi  1 


Seite 
ler  Erbfolgekrleg    .    . 

Bewegungen  des  TS,  Jahr^ 

.      b«2  1  r    592  fi 

ü 4oe.  &%  if. 

601 

dJe  Kurte  lui  H.  J&hr- 


t  lidscfasften 


lnb«1t 


Seite 

Mu-k  Brandenburg      ,    .     .     .    ,    621 
Tirol    ....,.,,.,,    425 

Steiermmrk  .........    «28 

Böhmen  ..........    6S1 

Frankreich  \ 

Miltelalter 189.  631 

16.  jAhrhuiidert  .,,....    63ft 

17.  jAbrbundert   .    .    ,    .  406.  fii7.  637 

RGTolutloD 601.  63^11. 

H.  Jabrhundert  .......    lao 

Belgien    , 642  IL 


Seite 

tUlien; 

Recht  ..........     163 

Franx  von  Asaisl     ......    5M 

Lb.  Jahrhundert 165 

Engl&nd : 

MJttelAlter  .......     167.  647 

17.  Jahrhundert    .......    406 

18.  und  1^.  Jahrhundert  ....  664 
Rußland  (IH.  Jahrhundert)  .  .  .  171 H, 
Amerika  (Vereinigte  Staaten) .  .  .  17£ 
Afrika  (Südafrika) .     179 


466 


69S 


431 


Alphabetisches  Verzeichnis  der  besprochenen 
Schriften, 

(Bnthilt  ai3ch  die  in  den  Aufsltscn  und  den  Notizen  und  Nachrichen  beisproebenen 
ftelbitlndigen  Schriften,) 

Seite 
Abhandlungen  zum  hiettorisehen  Atlas 

der  üE^tcrreichiiGhen  Alpen  linder 
Act«  Publica  (Schleiiacbe  Fflnten- 

ta^akten)  VIIl 

Annale«     Mett«naea     priores     rec. 

B.  de  Slinaon 

d'Arboii   de  Juhainville,    Lea 

Geltes  depulfl  ies  temps  les  plui 

anciena  jusqu'en   l'an    100  avaot 

DOtre  ftre S73 

Archiv  Ccsk^  XXII 644 

Areni,  Das  Tiroler  Volk  in  seinen 

WditUmcrn    . 6» 

Attl  del  congresso  Intemaxlonale  di 

acienze  itoriche.   lll   .    .         .    . 
Baumgarteo^      Poland      und 

Wagner«  Die  hellen ttche  K ultu r 
Barthf    Repertoriuin    über    die    in 

Zeit-   und    SammcUchriften    der 

Jabre  18^1  — ]%0  enthaltenen  Auf- 

sitae  und  Mitteilungen  scbwelxer* 

geschichtlichen  Inhalts 
Benrath,  Luther  im  Kloster.    .    . 
Bernhelm,   Einleitung  In  die  Oe- 

schlchtsurbsen  Schaft    ..... 


41!i 


153 


305 


194 


Betbe,  Mythus^  Sa^e  und  Märchen 

Boerner,  Die  Annale»  »od  Akten 
der  Brttder  d,  gern  einsamen  Lebena 
Im  Lüchtenbofe  xu  Hitdesheim   . 

Tftn  den  Bogaert^  Bruchstücke 
aus  der  litesten  Oeschlcbte  der 
Belgier    .,,,...,.. 

V.  Bredow- Wedel,  Historische 
Rang-  und  Stammliste  des  deut-^ 
sehen  Heeres 469 

B  rethol  Et  Zur  Lt^sung  der  Chri- 
stianirage    .........    432 

Breuer,  Der  Bemer  Kodem  149 b. 
Beitrl^e  sur  Biographie  dei  J, 
Bongars    .     .     .     .     .     .     .     *     .    447 


Seite 

Brie,  Geschichte  und  Quellen  der 
mitteleng  Lisch  en  Protachronlk 
The  fi rute  ol  England  etc.       .    . 

BrotheruSt Immanuel  Kants Phll<^ 
Sophie  der  Geschichte     ,    .    .     . 

Burckhardt,  Weltgeschichtliche 
Betraehtnngett     ....... 

Buason  et  Lcdru,  Archivea  histo- 
riqties  du  Maine,  Actus  Pont  Iß- 
cum  Cenomatinis  In  urbe  degen* 
tlum    ........... 

Caetaul,  Annati  dell' tslato.    I  .     . 

Cahn  s.  Lasker. 

Calvl,  Bibliografia  di  Roma.    1      . 

Caron,  Concordanee  des  c&len- 
driera  rfpublicain  et  gr^gorien  . 

Cartellieri  und  Rieder,  Re* 
geaten  der  Bischöfe  von  Konstant, 
«,  6-7    .........    . 

Clccaglione»  Manuale  di  storia 
del  diritto  Itallano.    2  Bde.    .     . 

C  r  i  B  t  e ,  Kriege  unter  Kaiser  Joseph  IL  601 

Dindilcker,  Schwekerische  Qe- 
scblchte  ..........    462 

E,  Daudetf  La  terreur  blanche      .    222 

Ocb^raln,  L*expanslon  des  Boera 
au  i%  ai^cle         .......     179 

Dehn,  Wilhelm  der  Erate  aia  Er^ 
cieher 22& 

Deutschland  in  seiner  tiefen  Ernie- 
drigung. Neudruck  (von  Oral 
Dumoulln-Eckart)     ....    221 

Dletf,  Das  Frankfurter  Attentat 
vom  5.  April  IB33  und  die  Heidel- 
berger Studentenschaft   ....    223 

Dubreuii»  Le  dlatrlct  de  Redon 
1790  etc 639 

Dubuc,  L^intendanee  de  Solsaons 
aoua  Louis  XtV  ...,,..    657 


19» 


564 


557 


631 
392 


1S4 


220 


464 


163 


Seite 
Engler.     Verwaltung     der     SUdt 

Mihwter  1 803— IS  13  ......    &91 

F.  ErhArdl,  Über  hlitorlscbeg  Ej- 

kennea  .....  h  ....  J83 
F  i  0  r  i  n  i ,  ArchiTio  Muratoriano.  1 — 3  4tO 
W.    A    Fischer,    Djw    VerhUtoU 

Ottos     des     Großen     zu     BeLnem 

Soboe  Liadolf  und  tu  selaer  Ge* 

nuhlin  Adelheid  US 

Fllcdner  ,  Dk  ronkjülscben  Felder 

in  d«r  deuUcbea  Kaberzeil  .  .  670 
FoJti,    Urkundenbuch    der    Stadt 

Ffiedberg.   I 613 

PorCeaene,  The  britUb  arni?  1783 

to  1802 ,         .    .    6M 

Fr^dtfrif^qr  M^iiugea 645 

Ointblex,  VmUt  du   U    tt^de. 

Loreiuaccio  (Lorenzino  de  M^dl" 

di)      .....     .  .165 

Geier,  Die  Durchlilbrung  der  kircfa* 

liehen  Relontien  Jcisepb«  IL  Im 

vorderöiterrekhiicben  BreingAu  40S 
Geflckcn,      Aua     der     Werdezeit 

de»  Christen tuma    ......    IfiS 

Gialebert  de  Mona,  Cfaronjque  fri2 
Geliert    Der   LIber  taxarum    der 

pip«ti]cfaen  Kammer  .....  303 
Gftuerti  Denlfle  ....,.«  209 
Of0Saiann,  Ist  der  PamlJieimame 

«BWtt»  iCaifterhauaes  ZoLlem  Oder 

HobfiflaoUern?     .......    200 

Grimme,    Die    weitgeachichUicbe 

Bedeutung  Arabien».  Moiiammed  39] 
Manqnet,   La  chronique   de  Saint 

Hubert     . .431 

Hardegen,     Die     Imp  erlalpoü  tlk 

König  Heinrich«  II.  von  England  670 
Ha^m,  Oesamroelte  Aufsitze  656 

Hell  m  an  n,       Konkurirecht      der 

ReichasUdt  Auj^abtirg  ....  691 
Hcrre,  Dai  Papittum  Piua' V.  und 

da«  ICon)£.lave  Gregors  XtU.  ,  ,  444 
Henberg-FTilnkel ,      Moderne 

GcKbicbtutitlMsung  .....  1§2 
Heaielmeyer,   HannibalH    Alpen- 

abergang .    ^    664 

A.  H  e  u  i  l  e  r ;,  Deutsehe  Ver1asaungi> 

gevthichte  ....         .     .     .     ,    574 

Hcjiicn»  Zur  Entstehung  dci  Xir 

pitaUamoa  in  Venedig  ,.    ,    «     671 

H  i &  11  e^  Staats verfutung  und  Hee- 

reaverfaaaung ........    6&7 

F  Hlrtcb^TifebucbD.  S.v,  Buch«. 

2  Bde*     .........    217 

P.  Hl  rieb,  Blbllographte  der  deut- 

•chai  Regiment»^  und  Batall  loa»- 


ttoc  r  n  c  t,  Urgeschichte  der  Mensch- 
heit      187 

H  Ho II in a DB,  Geachichtabüder 
«OS  L  V.  Kankca  Werken    .    .    ,    IB4 


Seite 

Hölmeiiter,  Rostocker  Universi* 
tltsmatrlkeln.    IV,  2 46« 

Holmes^  The  age  of  Justinian  and 
Theodora.    I 192 

H  o  1 1  h  a  u  s  e  n  f  Bonaparte»  Byron 
und  die  Briten 456 

Hub  rieh,  Deutsches  Fürstentum 
und  deutsches  Verfassungsvesen    226 

Judeich,  Topographie  von  Athen    3äO 

Kanter,  Die  Ermordunf  König  La- 
dlilawe  tl457)  .    . 43*J 

R  Kaufmann,  Aus  den  Tagen  des 
Kölner  Kurstuts     ......    693 

Kelter,  Ziebartfa  u.  Schullea, 
Beitrüge  mr  Gelebrtetigcschichie 
de«  17.  Jahrhunderts 446 

Kircbeisen,  Die  Geschichte  des 
literarischen  Portrits  in  Deutsch* 
land.   I ,     ,     S76 

Klimesch,  Urkunden-  uud  Re- 
gestenbuch des  ebem^igett  KU- 
rlssinnenklosters  zu  Krummau         69& 

K  n  U 1 1  p  Historische  Geographie 
Deutschlands  im  Mittelalter    .    .    394 

K  o  r  n ,  K  riegsbaume  Iste  r  Gral  Ro  cbits 
zu  Linar      .,....,..    679 

KÄsters,  Studien  zu  Mablllont 
rtfttnischen  ürdittes 19$ 

Konkordat,  bayerisches,  s.  Zusam- 
raensteliung. 

Kril  von  Dobri  Voda,  Der  Adel 
von  Böhmen,  Mähren  und  Sciile- 
aien     ,.,....,,..    69* 

Kreise famer^  Historische  Geogra- 
phie von  Mitteleuropa    ....    394 

Kriege  gegen  die  französische  RevO" 
lution.    I.  II     ........    AOl 

Künstle,  Die  deutsche  Pfarrei  und 
ihr  Recht  zu  Ausgang  des  Mittel- 
alters  20* 

V.  Laadmann,  Prinz  Eugen      .     ,    6S1 

Aus  Eduard  Laikera  Nachlaß.    I  .    610 

Lea^  Geschichte  der  Inquisition  Im 
Mittelalter.  Autorls.  Übersetzung, 
herauigeg.  von  J.  Hansen,  t    .     .     440 

Lecbner,  Relcbshofgericbt  und 
königliches  Kammergericht  Im 
15.  Jahrhundert 402 

Ledru  s.  Busson. 

G.  Lehmann,  Die  Mobilmachung 
von  lB7ü|f7l  .........    606 

R.  Lehmann,  Die  Angriffe  der 
drei  Bark I den  auf  Italien     .    .    .    &69 

Lindner,  Weltgesch lebte  seit  der 
Völkerwanderung.    IV.    .    .    .    ,    404 

Lombardo,  Bianca  Milesl     .     .     .    46fi 

Longnoii,  Documenta  retalifa  au 
comt^  de  Champagne  et  de 
Brie,     tl       .........     159 

The  eount  Lützov,  Leclures  on 
tbe  hislorlant  ol  Bobemia  .         .    b30 


^^^^^  m 

Inhalt 

^^H 

Seite 

^^^H             Mftriagf      Didzeutnsjmoden      uad 

^^^H                   Domberm  -  Gcnenlkapitel      des 

VU 619 

^^^H                    Sttfti  HlLdesbcirt!    . 

617 

S  c  b  a  u  m  k  e  L 1 ,  Gesehicfate  der  deut- 

^^^H             de  M^rtens,  Recuell  des  tri.it^6et 

schen  K  ultu  rgesehi  cfats  cfa  reib  ung 

^^^V                    con V  entions  con  cl  u  s  par  la  RtiSiie 

von  der  MUte  des  1i.  Jahrhunderts 

^^^H 

171 

bis  zur  Romantik     ...     ...     ^2 

Scheel,  Job.  Freiherr  v.  Scbwar- 

^^H              M  A  t  b  i  e  2 ,   Ua  orifflnca  dei  C  ulte» 

^^^^H                    Revolution  na  Lrci 

640 

zenberg  .    , §82 

^^H             — ,  La  Th^ophiianthrople  et  le  CuUe 

Sehermann,    Der  erste   puniscbe 

^^^B                    Di!cadaire 

MO 

Krieg  itji  Lkbte  der  livianUcben 

^^^B              £.  Mayer,    Die    angebt! eben    Fil* 
^^^H                   achungen  des  Dr^igonl 

Tradition                                                422 

427 

Sctairtner,  DleSehlacbt  beiLncka    435 

^^^H              M  e  1 1 1  e  r .  Grundriß  der  Geschicbta* 

Schlesisehe  Fürsten tagsakten  s.  Acta 

^^^H                  wlasetiscbift. 

ISI 

Publica. 

^^^H              Meyer   von  Knoaau,  Jabrbtlcber 

^^^H                   den     Deut  Beben     Reicbea     unter 

Josephs  lt.  mit  Graf  Trauttmans- 

^^H                   Kein  rieb    IV.    und    Heitirkb    V. 

dorft  1787— 17H9 5% 

^^H                                             ... 

399 

J.  Scbmld,   Die   Osterbereehnung 

^^^H              Mühlbacber,     Die     IJterarisehen 

aul   den    brltlscben   Inseln   vom 

^^^H                   Leistungen  de»  Stiftes  St  Florian 

Anfang  des  4.  bis  zum  Ende  des 

^^H                   bb  xur  Mitte  dei  19Jahrbunderta 

6% 

8.  Jahrhunderts   ......    425 

^^H              MUaebeek,  E.  M.  Arndt  uad  daa 

K.  Schneider,   Quellen  und  Bei- 

^^^H                   kircbUcb-rellglöse   Leben    setner 

trige  zur  Geschiebte  der  deutscb- 

^^^H 

222 

evaogeti sehen  MlHtärseelsorge    .    215 

^^^H              K  Neumanni    Jesus,    wie    er    ge- 
^^^H                    schtcbtllch  war 

155 

Scbndringp  Jobannes  Blankenleld    210 
S  cbnürer,  Franx  von  Assisi     .    .    580 
Schultefl  s.  Kelter 
Sehultheß  s.  ßoloft. 

^^H              Oroßfürst     Mikolal     Mlchano- 
^^^H                    «rltscbr  Gral  Pawel  Alexandro- 

^^^H                    WLtscb  Stroganow.     B6.  2  u.  3    h 
^^^H             — ,  Le  comte  Paul  Stroganow.  3  Bde. 

174 
176 

Scbwemer,  Die  Reaktion  und  die 
neue  Ära      ..,....,,     226 

— ,  Vom  Bund  jsutsi  Reich    ....    22& 

^^^H              W.  Otto,   Priester  und  Tempel  Im 
^^^H                  belleuistiscben  Ägypten.  [  .    .    . 

420 

Scott,     Hlstory     of    the    Moorlsh 
Empire  in  Euröpe.    3  vol».      .    .     157 

^^^H             Pag^a,     Le     grand     älectcur     et 

S  e  n  0 .  0  Iden  b  urgs  S  ee  schi  1  fahrt  in 

^^H                   Louis  XIV  I6W-1&S8  .    .    .    ,     . 

587 

alter  und  neuer  Zeit    .....    6^ 

^^^H             —,  Contributions  i  Tblstolre  de  la 

W.  Sharp    Mc  Kechnie,    Magna 

^^^^1                    polltlque  franfaise  en  Allemagne 

Carta.     A    commentarf    on    the 

^^H                     90UA  Ullis  XtV 

587 

Great  Charter  of  King  Jobn    .    .     167 

^^^^H              Parow,  Compotus  vicecomltls  .     . 

432 

V.  Simson  s.  Annale^  Mettenses. 

^^^H             V.  P 1  i  3 1  e  r ,  Die  amertkaoiscbc  Re- 

V.  Sommerfeld,  Beiträge  zur  Ver- 

^^H                    volutlon  1775^1783.    2  Bde.     .    . 

176 

fassungs-    und    Sttndege schichte 

^^^1             V.  Pillement,  Dslgotea    ... 

425 

der  Mark  Brandenburg  im  Mjttel- 

^^^^H              Poland  s.  Baumgarten. 

alter 621 

^^H              PreuH,  Wilhelm  HL  von  England 

Soranzo,  La  guerra  tra  Venezia  e 

^^^^1                     und    das    Haus    Wittelsbaeh     im 

la  S.  Sede  per  il  domlnio  dl  Fer^ 

^^^H                  Zei  tal  ter  der  üpan  ischeü  Er  blolge- 

rara  (1308^  !3l3) 435 

^^^H                   Irage.     L  Halbband     .     ,     .     .    . 

406 

Stammler,  Wirtschaft  und    Recht 

^^^^H              Rathgen,    Die    Japaner    und    ibr 

□acb    der    materlalistl  sehen    Gc- 

^^H                  Wlrtscbaftsleben                   ... 

226 

ichkbtsaulfassnng.    2.  Aufl.     .     ,    567 

^^^H              Les  T^gions  de  la  France.    11 -IV     . 

184 

Stangeland,  Fre-Maltbuslan  doe- 

^^^H               Reh  me,  Gescbicbte  des  München  er 

trlnea  of  pnpulation    .,    ...    592 

^^^H                   Gnindbttcbs     .,,...,. 

228 

Starker,      Die     1  an  des  fürst  liehen 

^^^H             — i  Die  Lübecker  Grundhauem   .    . 

231 

Lehen  in  Steiermark  1421—1546  .    628 

^^^H              Rennefahrt,     Die     Ailmend     im 

Stephan,  Herder  in  BUckeburg    .    5^ 

^^^H                   Hemer  Jura 

611 

Stülzle,  Ernst  V.  LasaulK      .    .    .    6fi7 

^^^H              Revolutionakriege  s.  Kriege. 

St rogano w  s .  G roßf Urst  M  l  k  o  l  a  1 . 

^^H              RoEo!f-SctauUbe0,     Gescbiehtaka- 

Stubbs,    Lectures    on    the    early 

^^H                    lender  1905 

22« 

Engtiih  hlstor;    .......    647 

^^^H              Rubel,    Die    Franken,    ihr    Erobe* 

Tachernoll,    Associations   et   so- 

Gi^t^  iecr^tea  «ons  la  deuKidme 

^^^^^B                   deutsche D  Volkslande      ,    ,    i.    , 

397 

r^pitblique  (1S46— 1851)    ....    160 

Inhalt 


vn 


Seite 

Vaoderkindere,  La  chronique 
de  Gislebert  de  Mona     ....    642 

Verdy  da  Vernois,  Der  Zog  nach 
BronxeU 224 

Vorberg,  Die  Kirchenbücher  im 
Bezirke  der  Generalanperinten- 
dentnr  Berlin  nsw 465 

Waddington,  Le  grand  ^lecteur 
Fr6d6ric  Guillaume  de  Brande- 
bourg.   i 

W.  Wagner,  Rom.  Geschichte  des 
römischen  Volkes  und  seiner  Kul- 
tur.   8.  Aufl.  von  O.  E.  Schmidt 

Wagner  s.  Baumgarten. 

V.  Wedel  s.  v.  Bredow. 

G.  Weill,  Histoire  du  mouvement 
social  en  France 160 

Weinel,  Die  Gleichnisse  Jesu   .    .    156 

Weingarten,  Zeittafeln  und  Ober- 
blicke der  Kirchengeschichte. 
6.  Aufl.  von  C.  F.  Arnold  ...    186 


590 


191 


Seite 

J.  Werner,  Beiträge  zur  Kunde 
der  lateinischen  Literatur  des 
Mittelalters.    2.  Ausgabe     ...    440 

Whitehead,  Gaspard  de  Coligny    635 

Wiederhold,  Papsturkunden  in 
Frankreich.  I 430 

Winter,  Die  PoUtik  Pisas  während 
der  Jahre  1268-1282 434 

Zeck,  De  recuperatione  Terre 
Sancte.  Ein  Traktat  des  Pierre 
Dubois.    II 435 

Ziebarth  s.  Kelter. 

Ziegler.  Winterthurs  Lage  im 
Winter  1799/1800 228 

Systematische  Zusammenstel- 
lung der  Verhandlungen  des 
bayerischen  Episkopates  mit  der 
KgL  Bayerischen  Staatsregierung 
von  1850  bis  1889  über  den  VoU- 
zug  des  Konkordates 604 


Notizen  und  Nachrichten.  g^.^^ 

Allgemeines 183.  410.  657 

Alte  Geschichte 187.  417.  660 

ROmisch-germanische  Zeit  und  frühes  Mittelalter  bis  1250     ....  193.  424.  666 

Späteres  Mittelalter  (1250—1500) 202.  434.  673 

Reformation  und  Gegenreformation  (1500—1648) 207.  442.  676 

1648—1789 216.  446.  681 

Neuere  Geschichte  seit  1789 220.  452.  684 

Deutsche  Landschaften 227.  4t2.  690 

Vermischtes 234.  469.  698 


Druckfehlerberichtigung  (von  H.  Oncken) 236 


Die  Bedeutung  des  Protestantismus  für 
die  Entstehung  der  modernen  Welt 

Vortrag '),  gehalten  auf  der  IX.  Versammlung  deutscher  Historiker 
zu  Stuttgart  am  21.  April  1906 

von 

Ernst  Troeltsdi. 


Alle  Wissenschaft  ist  an  die  Voraussetzungen  des 
denkenden  Geistes  gebunden,  der  sie  hervorbringt.  Auch 
die  Historie  ist  bei  allem  Streben  nach  Genauigkeit, 
Sachlichkeit  und  Einzelforschung  an  solche  Vorausset- 
zungen gebunden.  Sie  bestehen  darin,  daß  wir  überall 
an  das  gegenwärtige  Erleben  gewiesen  sind,  sei  es  daß 
wir  das  Kausalverständnis  vergangener  Ereignisse  aus  den 

*)  Der  Vortrag  über  dieses  Thema  sollte  ursprünglich  von 
Max  Weber  gehalten  werden,  der  in  jeder  Hinsicht  dazu  hervor- 
ragend berufen  gewesen  wäre.  Da  er  leider  durch  anderweitige 
Arbeiten  dann  an  der  Ausführung  dieses  Vorhabens  verhindert 
war,  bin  ich  für  ihn  eingetreten.  Das  hat  nun  die  Folge,  daß  die 
politisch-wirtschaftlich-sozialen  Partien  des  Themas  keine  fach- 
männische Erledigung  finden  können.  Ich  habe  mich  meinerseits 
nur  mit  der  Staats-,  Kirchen-  und  Kulturidee  des  Altprotestantis- 
mus selbständig  beschäftigt,  außerdem  mit  den  philosophisch- 
wissenschaftüchen  und  den  religiösen  Zusammenhängungen  und 
kann  nur  in  dieser  Hinsicht  das  Ergebnis  eigener  Forschungen 
geben.  Für  die  nähere  Ausführung  und  Begründung  muß  ich  auf 
meinen  Beitrag  zu  der  „Kultur  und  Gegenwart",  herausgegeben 
von  Hinneberg  (Abt.  1,  Bd.  4,  1.  Hälfte),  „Protestantisches  Christen- 
tum und  Kirche  der  Neuzeit**  verweisen,  wo  auch  meine  früheren 
Hittorische  Zeitschrift  (97.  Bd.)  3.  Folge  1.  Bd.  1 


Ernst  Troeltsch, 


Analogien  heutigen,  und  wäre  es  noch  so  minder  bewußt 
gewordenen,  Lebens  verstehen,  sei  es  daß  wir  den  Gang 
der  Dinge  in  Beziehung  setzen  zu  dem  in  der  Gegenwart 
vorliegenden  Wirkungsganzen^  sei  es  daß  wir  besondere 
oder  allgemeine  Schlüsse  ziehen  aus  dem  Vergangenen 
auf  unsere  zukünftige  Gestaltung  des  Gegenwärtigen. 
Auch  wo  wir  die  der  Gegenwart  so  geläufige  Kunst  der 
Anlegung  evolutionistischer  Reihen  vornehmen,  geschieht 
es  im  Grunde  doch  nur,  um  unsere  Gegenwart  selbst  in 
einer  solchen  Reihe  begreifen  zu  können;  und  wo  wir 
der  nicht  minder  geläufigen  Neigung  zur  Bildung  ge* 
schichtlicher  Gesetze  aus  diesen  Reihen  folgen,  da  steht 
der  Wunsch  im  Hintergrund,  das  Besondere  der  Gegen- 
wart dem  allgemeinen  des  Gesamtverlautes  einzuordnen^ 
um  Gegenwart  und  Zukunft  besser  zu  verstehen*  So 
ist  das  Verständnis  der  Gegenwart  immer  das  letzte 
Hauptziel  aller  Historie;  sie  ist  eben  die  Gesamtlebens- 
erlahrung  unseres  Geschlechtes,  so  gut  und  so  weit  wir 
uns  ihrer  zu  erinnern  und  so  gut  und  so  nah  wie  wir 
sie  auf  unser  eigenes  Dasein  zu  beziehen  vermögen. 
Stillschweigend  arbeitet  jede  Forschung  mit  diesem  Koef- 
fizienten, und  ausdrücklich  ist  es  das  höchste  Ziel  der 
Historie* 

Die   ausdrückliche  Stellung   einer   solchen   Aufgabe 
bedeutet  freilich   eine  konstruktive  Aufgabe:   die  Zusam- 


Einzelarbeiten   zu    dem    Thema    verzeichnet    sind.      Im    Vortrage 
waren  die  ersten  drei  Nummern  stark  verkürzt. 

Zur  Charakterisierung  unserer  gegenwärtigen  Verhältnisse 
möchte  ich  nicht  unterlassen,  die  Tatsaclie  zu  erwähnen^  daß  ich 
sofort  nach  Bekanntmachung  der  Rednerliste  für  den  IX.  Deutschen 
Historikertag  von  der  Redaktion  der  „Kölnischen  Volks- 
zeitung" Nr.  29  dieses  Blattes  vom  29.  Januar  1906  mit  der  blau 
angestrichenen  Notiz  zugesandt  erhielt:  «Die  IX.  Versammlung 
deutscher  Historiker  findet  in  Stuttgart  vom  17.  bis  21.  April  1906 
statt  Unter  den  zahlreichen  angemeldeten  Vorträgen  befindet 
sich  auch  einer  von  Professor  Dr.  Troeltsch  (Heidelberg):  Die 
Bedeutung  des  Protestantismus  für  die  Entstehung  der  modernen 
Welt  Hoffentlich  behandelt  Herr  Professor  Troeltsch  das  Thema 
in  einer  WeisCj  wie  sie  für  die  „Versammlung  deutscher  Historiker* 
angemessen  ist,  unter  denen  sich  bekanntlich  auch  katholische 
Gelehrte  befinden." 


I 

4 


Bedeytung  d.  Protestanthmtis  i  d»  Entstehung  d,  modernen  Welt  3 


menlassung  der  Gegenwart  zu  einem  ihr  Wesen  charak- 
terisierenden allgemeinen  Begriff  und  die  Beziehung  dieses 
Ganzen  auf  die  Vergangenheit  als  auf  eine  Gruppe  von 
geschichtlichen  Mächten  und  Tendenzen,  die  ebenfalls 
mit  allgemeinen  Begriffen  bezeichnet  und  charakterisiert 
werden  müssen.  Allein  ganz  kann  keine  historische  Unter- 
suchung, sie  sei  so  einzelsachlich  wie  möglich,  solcher 
Allgemeinbegriffe  entbehren;  sie  kann  sich  über  sie  nur 
dadurch  täuschen,  daß  sie  sie  für  selbstverständlich  hält 
Andererseits  ist  die  besondere  konstruktive  und  begriff- 
liche Art  auch  offen  zugegeben;  sie  setzt  die  Einzel- 
lorschung  voraus  und  bleibt  von  ihr  abhängig;  sie  hat 
ihre  besonderen  Gefahren  und  Abwege  der  falschen  Ver- 
allgemeinerung und  wird  sehr  bescheiden  sein  gegen- 
über der  eigentlich  fachlichen  Forschung.  Das  ändert 
aber  daran  nichts,  daS  sie  immer  wieder  unternommen 
werden  mu8,  und  daß  in  thr  das  eigentliche  Geschichts- 
denken seinen  Ausdruck  findet*  Sie  ermöglicht  allein^ 
das  verarbeitete  Material  für  weitere  Fortarbeit  zu  grup- 
pieren, die  Zusammenhänge  herauszuarbeiten  und  neue 
Fragestellungen  an  den  Stoff  heranzubringen;  sie  vor 
allem  ermöglicht  allein  das  stillschweigend  befolgte  Haupt- 
ziel aller  Historie,  das  Verständnis  der  Gegenwart»  zu 
erreichen.  Bei  allem  Bewußtsein  um  die  Masse  der  ihr 
drohenden  Fehlerquellen  darf  sie  daher  doch  sich  geltend 
machen.  Die  Konstruktion  will  Ja  nicht  in  der  Weise  der 
alten  theologischen  Lehren  den  Wegen  der  V^orsehung 
nachsinnen  oder  in  der  Weise  Hegels  die  notwendige 
Explikation  der  Idee  nachzeidnieii  oder  in  der  Weise 
des  psychologistischen  Povi&wmmtm  die  notwendige  Aul* 
etnanderfolge  gewisser  Hi  i  hniMillinli  konstruieren.  Sie 
will  rein  erfahrungsimmanent  mir  «fie  verschiedenen 
großen  Mächte  unseres 
gemeinbegrilfen  formulieren 
liehe  Verhältnis  dieser  die 
Mächte  aufhellen.  Alle  w 
sophische    Konstruktion    gehört 


Lebens  zu  Ail- 
m  kausale  tatsach- 
Wdt  begründenden 

geschtchtsphilcH 
ncht    mehr    der 


Historie,   sondern   der   Philosophi(v 
Ethik   oder    der    religiösen    C 


Melftphyiik,   der 
an.     kl   dem 
I* 


4  Ernst  Troeltsch» 

bescheidenen^  eben  angedeuteten  Sinne  aber  gehört  die 
Konstruktion  der  wirklichen  Historie  an,  und  nur  in  diesem 
bescheidenen  Sinne  ist  auch  der  folgende  Konstruktions- 
versuch gemeint. 

l 

Die  Stellung  der  Aufgabe  rechnet  von  vornherein 
mit  einem  als  selbstverständlich  behandelten  historischen 
Allgemeinbegrifl,  mit  dem  Begriff  der  modernen 
Welt  oder  dem  der  modernen  europäisch-amerikanischen 
Kultur.  Dieser  Begriff  bedarf  zu  allererst  einer  genaueren 
Bestimmung,  die  uns  dann  auch  die  Fragen  an  die  Hand 
geben  wird,  welche  wir  an  den  Protestantismus  als  an 
einen  der  Väter  der  modernen  Kultur  zu  stellen  haben. 
Diese  Kultur  umschließt  selbstverständlich  die  allerver- 
schiedenartigsten  Strebungen,  aber  sie  trägt  doch  ein 
gewisses  gemeinsames  Gepräge,  das  wir  alle  instinktiv 
empfinden.  Die  Bezeichnung  als  „modern^  ist  dabei  frei- 
lich nur  a  poiion  zu  verstehen,  da  sie  ja  einen  großen 
Teil  der  älteren  Mächte  fortsetzt;  aber  gerade  in  dem 
beständigen  Kampf  gegen  diese  älteren  Mächte  kommt 
ihre  Eigenart  zum  Bewußtsein.  Diese  Eigenart  selbst 
aber  ist  außerordentlich  schwer  zu  bestimmen,  teils  wegen 
der  Mannigfaltigkeit  und  Heterogenität  der  sie  bestimmen- 
den Mächte  und  BedingungeUt  teils  wegen  des  Mangels 
des  eigentlichen  Bestimmungsmittels,  das  in  der  Abhebung 
gegen  eine  nachfolgende  neue  Kultureinheit  bestände  und 
erst  die  im  Erleben  unübersehbaren  oder  unperspektivisch 
geordneten  Kräfte  erkennen  ließe.  So  haben  wir  als  Be- 
stimmungsmittel wesentlich  nur  die  Abhebung  gegen  die 
vorangehenden  Perioden,  vor  allem  gegen  die  unmittel- 
bar vorangehende  Kulturperiode,  Es  sind  wesentlich 
negative  Bestimmungen,  wie  denn  auch  die  beginnende 
moderne  Kultur  wesentlich  sich  durch  den  Gegensatz 
gegen  das  Bisherige  als  neu  empfand  und  in  den  positi- 
ven Neuschöpfungen  aufs  mannigfaltigste  experimentierte; 
und  bis  heute  ist  wenigstens  eine  allgemeine  Charak- 
teristik nur  in  solchen  negativen  Bestimmungen  zu  geben. 
Die  moderne  Kultur  ist  hervorgegangen  aus  dem  großen 


fieÄnitung  d*  Protestantismus  t  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt.  5 

Zeitalter  der  kirchliehen  KuUur,  die  auf  dem  Glauben 
an  eine  absolute  und  unmittelbare  gott liehe  Offenbarung 
und  auf  der  Organisation  dieser  Offenbarung  in  der  Er- 
lösungs-  und  Erziehungsanstalt  der  Kirehe  beruhte.  Nichts 
ist  mit  der  Macht  eines  solchen  Glaubens  zu  vergleichen, 
wenn  der  Glaube  wirklich  naturwüchsig  und  selbstver- 
ständlich ist.  Dann  ist  überall  Gott,  sein  unmittelbarer, 
genau  erkennbarer  und  von  einem  unfehlbaren  Institut 
getragener  Wille  gegenwärtig.  Dann  kommt  alle  Kraft 
zu  höherer  Leistung  und  alle  Sicherung  des  letzten 
Lebenszieles  aus  dieser  Offenbarung  und  aus  ihrer  Or- 
ganisation in  der  Kirche.  Mit  der  Schöpfung  dieses  ge- 
waltigen Baues  hat  die  Antike  unter  der  entscheidenden 
Einwirkung  des  Christentums  geendet,  und  dieser  Bau 
ist  das  Zentrum  der  ganzen  sog.  mittelalterlichen  Kultur. 
Das  unmittelbare,  genau  abgrenzbare  Hereinragen  des 
Göttlichen,  seiner  Gesetze,  seiner  Kräfte^  seiner  Ziele  in 
kdie  Welt  bestimmt  alles  und  erzeugt  ein  Kulturideal,  das 
iwenigstens  in  der  Theorie  eine  Leitung  der  einheitlichen 
iMenschheit  durch  die  Kirehe  und  ihre  Autorität  bedeutet 
und  das  die  Kombination  übernatürlich  göttlicher  Ziele 
mit  den  natürlich-weltlich-menschlichen  überall  maßgebend^ 
anordnet,  ^Xber  allem  herrscht  die  Lex  Dei,  die  aus  der 
Lex  Mo$is  oder  dem  Dekalog,  aus  der  Lex  Christi  und 
der  Lex  ecclesiae  sich  zusammensetzt,  die  aber  das  recht- 
lich*ethische  und  wissenschaftliche  Kulturerbe  der  Antike 
und  die  natürlichen  Anforderungen  des  Lebens  als  Lex 
naturae  sich  eingliedert.  Es  ist  die  für  alles  maßgebende 
Theorie:  im  Grunde  sind  beide  Leges,  das  biblisch-kirch- 
liche und  das  stoisch-natürliche,  eins,  da  beide  im  Ur- 
Stande  sich  deckten  und  nur  jetzt  in  der  sündigen 
Menschheit  auseinander  gehen,  um  von  der  Leitung  der 
Kirche  wieder  ins  richtige,  jetzt  freilich  durch  die  Fort- 
dauer der  Erbsünde  bedingte,  Gleichgewicht  gesetzt  zu 
werden.  Es  ist  eine  Autoritätskultur  im  höchsten  Grade» 
die  mit  ihrer  Autorität  die  höchsten  Aspirationen  auf  ein 
ewiges  Heil  und  die  stärksten  Tiefen  subjektiven  Seelen- 
lebens erregt,  die  das  Unveränderlich-Göttliche  und  das 
Veränderiich-Menschliche    in    einem   Kosmos    geordneter 


Ernst  Troeksch, 


^ 


Kulturfunktionen  ordnet.  In  diesem  Kosmos  lallt  die  volle 
asketische  Konsequenz  eines  solchen  Lebensstils  den 
berufsmäßigen  Vertretern  der  Kirche,  dem  Klerus,  und 
den  freiwillig  diesem  Ideal  sich  Widmenden,  dem  Mönch- 
tum,  zu,  während  die  von  ihnen  geleitete,  vertretene 
und  begeisterte  Masse  ihren  verschiedenen  sozialen  Funk- 
tionen nach  der  Lex  naiurae  nachgeht  und  nur  von  Fall 
zu  Fall  oder  nur  eingeschränkt  dem  asketischen  Ideal 
unterworfen  wird.  Wo  eine  absolut  göttliche  Autorität 
alles  Leben  auf  das  Göttliche  bezieht,  ist  die  Askese,  d.  h. 
die  Konzentration  alles  Handelns  auf  das  Leben  in  Gott 
und  die  Fernhaltung  alles  Störenden,  die  natürliche 
Konsequenz*  Aber  wie  die  Autorität  der  Kirche  die  natür- 
liehe  Vernunft  neben  sich  anzuerkennen  verstand,  so  hat 
die  Askese  das  natürliche  Leben  sich  einzugliedern  ver- 
mocht. Eine  überaus  biegsame  Vereinigung  des  autori- 
tativ-asketischen und  des  natürlich-innerweltlichen  Lebens 
charakterisiert  den  Katholizismus,  und  in  dieser  Vereini- 
gung ist  er  die  organisierende  Kulturidee  der  ganzen  Spät- 
antike und  noch  viel  mehr  des  romanisch-germanischen 
sog.  Mittelalters  geworden.  Sein  ganzes  Weltbild  und 
sein  ganzes  Dogma ^  seine  Wissenschaft,  seine  Ethik, 
seine  Staats-  und  Gesellschaftslehre,  seine  Rechts-  und 
Wirtschaftstheorie  und  seine  ganze  Praxis  sind  von  hier 
aus  konstruiert.  Natürlich  ist  das  nicht  die  einzige  be- 
stimmende Macht  des  Mittelalters;  es  kommen  davon 
ganz  unabhängige  und  zum  Teil  den  Sieg  der  kirch- 
lichen Kultur  erst  ermöglichende  Bedingungen  hinzu: 
die  politische  und  soziale  Lage  des  späten  AUertums, 
die  rechtlichen  und  wirtschaftlichen  Verhältnisse  des 
Germanentums,  die  Disposition  für  kirchliche  Leitung  in 
den  naturalwirtschaftlichen  Verhältnissen  des  Frühmittel- 
alters^  das  genossenschaftlich  gebundene  Leben  der  be- 
ginnenden städtischen  Geldwirtschaft,  die  dadurch  bedingte 
Schwäche  aller  Zentralgewalten.  Allein  daß  alte  diese 
Verhältnisse  zusammengingen  zu  dem  Effekt  der  kirch- 
lich geleiteten  Kultur^  das  ist  eben  doch  in  deren  geisti- 
gem Gehalt  und  Wesen  begründet,  und  darum  ist  das 
Ganze  die  Periode  der  wesentlich  kirchlichen  Kultur. 


Bedeutung  d.  Protestantismys  Ld.  Entstehung  d*  modernen  Welt.  7 

An  diesem  Gegen satze  erhellt  nun  das  Wesen  der 
modernen  Kultur  Sie  ist  überall  die  Bekämpfung  der 
kirchlichen  Kultur  und  deren  Ersetzung  durch  autonom 
erzeugte  Kulturideen,  deren  Geltung  aus  ihrer  über- 
zeugenden Kraft,  aus  ihrer  immanenten  und  persönlich 
wirkenden  Gindruckskraft  folgt*  Die  wie  immer  begründete 
Autonomie  im  Gegensatz  gegen  die  kirchliche  Autorität, 
gegen  rein  äußere  und  unmittelbare  göttliche  Normen, 
beherrscht  alles.  Auch  wo  man  neue  Autoritäten  prinzipiell 
aufrichtet  oder  tatsächlich  befolgt,  wird  doch  deren  Geltung 
selbst  auf  rein  autonome  und  rationale  Überzeugung  be- 
gründet, und  auch  wo  die  religiösen  Überzeugungen  be- 
stehen bleiben,  wird  doch  ihre  Wahrheit  und  verpflichtende 
Kräh  zuerst  auf  eine  innere  persönliche  Überzeugung  und 
nicht  auf  die  herrschende  Autorität  als  solche  begründet. 
Die  unmittelbare  Folge  einer  solchen  Autonomie  ist  aber 
notwendig  ein  immer  gesteigerter  Individualismus  der 
Überzeugungen,  Meinungen,  Theorien  und  praktischen 
Zielsetzungen,  Eine  absolut  überindividuelle  Bindung 
bringt  nur  eine  so  ungeheure  Macht  wie  der  Glaube 
an  eine  unmittelbare  supranaturale  göttliche  Offenbarung 
hervor,  wie  sie  der  Katholizismus  besaß  und  in  der 
Kirche  als  der  erweiterten  und  fortdauernden  Mensch* 
werdung  Gottes  organisiert  hat»  Fällt  diese  Bindung  weg, 
dann  ist  die  notwendige  Folge  die  Zersplitterung  in  aller- 
hand menschliche  Meinungen,  Sie  können  nicht  mit 
absoluter  göttlicher,  sondern  nur  mit  relativer  menschlicher 
Autorität  entscheiden;  und  diese  menschliche  Autorität 
mag  sich  noch  so  rationell  begründet  fühlen,  die  ver- 
schiedenartigen Fassungen  und  Äußerungen  der  Vernunft 
werden  stets  auseinandergehen.  An  Stelle  der  göttlichen 
Infallibilität  und  kirchlichen  Intoleranz  tritt  notwendig  die 
menschliche  Relativität  und  Toleranz.  Zwar  herrscht  die 
Gewöhnung  an  normatives  Denken  zunächst  noch  so  vor, 
daß  ein  natüHiches  rationales  System  der  Wissenschaften 
und  der  Lebensordnungen  im  sog.  Rationalismus  entsteht; 
aber  die  damit  eingeleitete  Autonomie  erkennt  schließlich 
die  historische  Bedingtheit  alles  scheinbar  Rationalen  und 
stößt  auf  die  Verschiedenartigkeit  der  angeblich  rationalen 


Ernst  Troeltsch, 


BegriHsbtldungen;  und  so  entsteht  ein  immer  weiter 
gehender  Relativismus  und  Individualismus,  dessen  zer» 
splitternde  und  atomisierende  Wirkungen  wir  nur  allzuwohl 
kennen.  Es  fehlt  natürlich  nicht  an  sozialisierenden  Gegen- 
wirkungen gegen  diese  Zersplitterung,  aber  auch  sie  begrün- 
den sich  schließlich  nur  rationell,  sei  es  auf  die  historisie- 
rende Oberzeugung,  daß  die  großen  gewordenen  geschicht- 
lichen Mächte  organisch  weiter  gebildet  werden  müssen, 
sei  es  auf  die  philosophische  Einsicht,  daß  die  Gesell- 
schaft zu  einer  den  Lebensdrang  aller  Individuen  gleich- 
mäßig befriedigenden  Ordnung  gebracht  werden  müsse. 
Die  religiösen  Überzeugungen  aber,  die  ein  dem  bloß 
individuellen  Leben  übergeordnetes  allgemeines  Ideal 
behaupten  und  es  doch  nicht  auf  die  Infallibilität  irgend- 
einer Offenbarung  und  Kirche  begründen  wollen,  befinden 
sich  eben  deshalb  in  der  schwierigsten  Lage  und  nach 
allen  Seiten  im  Gedränge,  Aus  alledem  ergibt  sich  dann 
aber  noch  ein  drittes  Charakteristikum  der  modernen 
Kultur,  die  Innerweltlichkeit  der  Lebensrichtung.  Ist 
die  absolute  Autorität  zerfallen,  die  den  Gegensatz  des 
Göttlichen  und  Menschlichen  absolut  machte,  und  ist  im 
Menschen  ein  autonomes,  Wahrheit  und  Moralität  hervor- 
bringendes Prinzip  anerkannt,  dann  fallen  auch  all  die 
Weltanschauungen,  welche  jene  Kluft  zu  befestigen  vor 
allem  bestimmt  waren.  Es  fällt  die  Lehre  von  der  ab- 
soluten erbsündigen  Verderbung  der  Menschheit  und  die 
Verlegung  des  Lebenszweckes  in  das  aus  diesem  Ver- 
derben erlösende  himmlische  Jenseits*  Dann  gewinnen 
alle  Mächte  des  Diesseits  einen  gesteigerten  Wert  und 
eine  erhöhte  Eindrucksfähigkeit  und  fällt  der  Lebenszweck 
in  steigendem  Maße  dem  Diesseits  und  seiner  idealen 
Gestaltung  zu.  Mag  diese  Tendenz  nun  in  die  reine 
Diesseitigkeit  und  Säkularisation  ausmünden  oder  mag  sie 
einen,  nun  freilich  innerlich  organischen  Zusammenhang 
von  Lebensleistung  und  jenseitiger  Lebensfortsetzung  be- 
haupten, unter  allen  Umständen  sind  damit  die  Voraus- 
setzungen der  kirchlichen  Askese  gefallen.  Man  kann, 
wie  Lessing  sagt,  das  zukünftige  Leben  erwarten  wie 
den   kommenden   Tag,   der   aus  dem  gestrigen  hervor- 


Bedeutung  d.  Protestantismus  f,  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt  9 


wächst.  Ist  es  nicht  mehr  möglich,  das  bloß  weltliche 
und  das  aus  Gottes  Kraft  geführte  Leben  voneinander 
zu  scheiden  und  gegeneinander  abzugrenzen,  so  erscheint 
das  Leben  entweder  als  rein  menschliches  oder  als  ein 
im  ganzen  Umfang  vom  Gottesgeist  erfülltes,  was  oft 
genug  auf  dasselbe  hinauskommt.  WeUleid  und  Sünden- 
gefühl haben  freilich  auch  in  der  modernen  Welt  auf  die 
Dauer  keinen  unbegrenzten  Optimismus  aufkommen  lassen» 
aber  der  moderne  Pessimismus  ist  überall  in  Form  und 
Sinn  etwas  anderes  als  die  kirchliche  Askese. 

Das  sind  nun  freilich  wesentlich  negative  und  tormale 
Charakteristika.  Eine  schärfere  inhaltliche  Charakteristik 
ergibt  sich  vielleicht,  wenn  wir  diese  autonom-individua- 
Itstisch-innerweltliche  Kulturidee  vergleichen  mit  dem- 
jenigen Zeitalter^  das  in  der  Entwicklung  unserer  abend- 
ländischen Kultur  dem  kirchlichen  Zeitalter  voraufging  und 
das  in  vieler  Hinsicht  mh  der  modernen  Welt  erstaunliche 
Ähnlichkeit  hat,  mit  der  römisch-hellenistische n  S  p  ä  t  a  n  t  i  k  e. 
Auch  das  ist  eine  universale  autonom-rationale  Kultur,  die 
die  alten  Autoritäten  der  Staatsreligionen  und  geschlosse- 
nen Nationalideen  aufgelöst  hat.  Im  Vergleich  zu  ihr  treten 
dann  aber  diejenigen  Unterschiede  der  modernen  Welt 
deutlich  hervor,  die  diese  positiver  zu  zeichnen  erlauben 
und  die  auf  die  geschichtlichen  Kräfte  hinweisen,  durch 
deren  besonderes  konkretes  Zusammenwirken  die  eigen- 
tümlich  moderne  Welt  aufgebaut  ist.  Da  zeigt  sich  in 
erster  Linie  an  Stelle  der  antiken  Universalmonarchie 
das  System  großer,  weiträumiger,  nationaler  Staaten,  die 
im  Gleichgewichte  stehen  oder  stehen  wollen;  ferner  ein 
politischer  Aufbau  dieser  Staaten,  der  die  Bürger  an  der 
Regierung  mitbeteiligt,  aber  nicht  direkt  durch  Urversamm- 
lungen,  sondern  durch  Repräsentationen;  weiter  eine 
rechtliche,  verwaltungstechnische  und  militärische  Organi- 
sation dieser  Staaten,  die  ihnen  eine  eigentümliche  Kon- 
sistenz gibt  und  die  Kulturzwecke  im  weitesten  Umfang 
in  den  Staatszweck  mit  hineinzieht;  schließlich  an  Stelle 
des  mittelmeerischen  der  ozeanische  Horizont,  der  un- 
gleich größere  und  verwickeitere  Probleme  der  Expansion 
und  Kolonisation  stellt.     In  zweiter  Linie  zeigt  sich  ein 


10 


Ernst  Troelt&ch, 


vötlig  andersartiges  Bild  des  wirtschaftlichen  Lebens^  das 
nicht  mehr  auf  der  Hauswirtschaft  und  dem  Sklaventum, 
sondern  auf  der  geschlossenen  Nationalwirtschaft,  auf 
einem  durch  Geld  und  Kredit  vermittelten  internationalen 
Austausch  und  vor  allem  auf  dem  Kapitalismus  beruht, 
das  eine  formal  und  rechtlich  freie  Bevölkerung  zu  einer 
rationellen  Ausnutzung  aller  wirtschaftlichen  Kräfte  erzieht* 
Auf  alledem  zusammen  beruht  eine  völlig  andersartige 
soziale  Schichtung,  die  neben  dem  politischen  und  mili- 
tärischen Beamtentum  die  ganz  neue  Erscheinung  des 
kapitalistischen  und  gebildeten  Bürgertums  hervorgebracht 
hat  und  die  freie  arbeitende  Bevölkerung  nicht  bloß  nach 
formaler  rechtlicher,  sondern  auch  nach  sachlicher  Gleich- 
beteiligung streben  läßt.  Insbesondere  bildet  den  Kern 
des  sozialen  Lebens  ein  Familienleben,  in  dem  die  Mono- 
gamie direkt  zum  ethischen  Prinzip  erhoben  ist^  die  Ge- 
schlechter gegeneinander  persönlich  und  rechtlich  ver- 
selbständigt, das  Liebesleben  romantisch  und  empfindsam 
verfeinert,  die  patria  poiesias  gegenüber  den  Kindern 
gelockert  und  der  Zusammenhang  des  Geschlechts  oder 
der  weiteren  Familie  sehr  eingeschränkt  ist.  Weiterhin 
besitzt  die  moderne  Welt  eine  Entfaltung  der  Wissenschaft, 
die  zwar  auf  der  Fortsetzung  des  antiken  Erbes  und 
vor  allem  auf  dessen  verstärkter  Betonung  in  der  sog. 
Renaissance  zurückgeht,  die  aber  doch  weit  über  dieses 
hinausgeht.  Als  Naturwissenschaft  hat  sie  die  Natur  in 
einem  Umfang  und  einer  tntensivitat  rationalisiert,  daß 
alle  Weltanschauung  aufs  tiefste  von  ihr  beeinflußt  werden 
muß,  und  daß  alle  Technik  von  der  empirischen  und  zu- 
fälligen Routine  betreit,  auf  gesetzlicher  Erkenntnis  be- 
ruhend immer  neu  erzeugt  und  immer  weiter  fortgebildet 
werden  kann.  Als  Geschichtswissenschaft  hat  sie  die 
Genesis  unserer  Kultur  so  reich  und  gründlich  durch- 
gearbeitet und  alle  gegenwärtigen  Verhalt nisse  so  stark 
statistisch  durchsichtig  gemacht,  daß  alles  Denken  in 
irgendeinem  Maß  ein  historisches  werden  mußte,  und  daß 
alle  Ordnung  menschlicher  Dinge  mit  diesen  Erkennt- 
nissen ausgerüstet  ist;  die  Folge  davon  ist  ein  Relativis- 
mus  und    eine   Reflektiertheit,    ein   alles    vergleichender 


Bedeutung  d. Protestantismus  f.  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt.   1 1 

Reichtum  an  Analogien,  wie  ihn  kein  Zeitalter  je  gekannt 
hat;  zugleich  hält  aber  doch  ein  starker  Kontinuitäts- 
sinn die  entnervenden  Wirkungen  ferne.  Weniger  weit 
als  die  Wissenschaft  hat  die  Kunst  sich  von  der  des 
Altertums  entfernt;  ja  die  künstlerische  Empfindung  des 
Altertums  hat  gerade  die  Entbindung  des  modernen  In- 
dividualismus aus  dem  mittelalterlichen  wesentlich  reli- 
giösen und  ethischen  außerordentliche  Dienste  geleistet, 
indem  sie  die  vom  Mittelalter  erworbene  künstlerische 
Kraft  durch  die  Antike  befruchtete  und  verwandelte.  Aber 
nicht  auf  die  Leistungen  und  ihren  nun  unendlich  man- 
nigfaltigen Inhalt  oder  ihre  neuen  Formen  kommt  es  vor 
allem  an,  sondern  auf  ein  prinzipielles  theoretisches  Mo- 
ment, das  sich  aus  der  modernen  Kunstübung  herausent- 
wickelt und  das  geistige  Leben  wesentlich  bestimmt.  Indem 
nämlich  die  Kunst  ein  unendlich  viel  reicheres  Seelenleben 
symbolisiert  und  sich  gegen  die  übrigen  Lebensinhalte 
viel  bewußter  differenziert,  entsteht  als  ein  spezifisch  mo- 
dernes Charakteristikum  die  ästhetische  Weltanschauung, 
die  allein  oder  mit  anderen  Motiven  der  Weltanschauung 
zusammen  das  Leben  bewußt  beherrscht.  Sie  entfaltet  die 
der  Antike  selbstverständliche  Naturverherrlichung  ge- 
radezu prinzipiell  und  polemisch  zu  einer  Macht  der  Dies- 
seitigkeit und  Innerweltlichkeit  oder  bringt  die  moderne 
sublime  Geistigkeit  mit  nicht  minder  bewußter  Gegensätz- 
lichkeit zum  Ausdruck;  so  oder  so  ist  sie  immer  ein  Prin- 
zip der  inneren  geistigen  Freiheit  und  der  restlosen  Indi- 
vidualisierung, wie  sie  das  nicht  einmal  für  die  spätere  hel- 
lenistische Kunst  gewesen  ist.  Zuletzt  und  vor  allem 
aber  charakterisiert  die  moderne  Welt  eine  viel  tiefere 
und  stärkere  Wurzel  des  Individualismus  selbst  in  seiner 
inneren  metaphysischen  Beschaffenheit.  Es  ist  nicht  nur 
Fortsetzung  und  Erweiterung  des  antiken  Rationalismus 
oder  der  antiken  Skepsis,  die  von  der  Renaissance  her 
mit  einer  erneuten  Kraft  auf  uns  wirken.  Es  ist  auch 
nicht  die  spiritualistische  Seelenverfassung  des  Platonis- 
mus  und  der  späteren  Stoa,  die,  mit  dem  Christentum 
eng  verschmolzen,  seinen  ganzen  Weg  begleitete  und  aus 
dieser  Verbindung  heraus  namentlich  seit  der  Renaissance 


12 


Ernst  Troeltsch, 


sich  stets  von  neuem  verselbständigte.  Es  ist  vielmehr 
die  christliche  Idee  selbst  von  der  Bestimmung  des 
Menschen  zur  vollendeten  seligen  Persönlichkeit  durch 
den  Aufschwung  zu  Gott  als  der  Quelle  alles  persönlichen 
Lebens  und  der  Welt  zugleich,  welcher  Aufschwung  eben- 
damit  ein  Ergriffen-  und  Gebildetwerden  durch  den 
göttlichen  Geist  ist.  Es  ist  die  hierin  enthaltene  Meta- 
physik des  absoluten  Personalismus,  die  die  ganze  Welt 
mittelbar  oder  unmittelbar  durchdringt,  und  die  dem  Ge- 
danken der  Freiheit,  der  Persönlichkeit,  des  autonomen 
Selbst  einen  metaphysischen  Untergrund  gibt,  der  auch 
da  nachwirkt,  wo  er  bestritten  und  geleugnet  wird»  Diese 
Seelenverfassung  hat  der  Katholizismus  in  steigendem 
Maße  den  die  mittelalterliche  Kultur  formenden  Barbaren 
anerzogen,  dabei  unterstützt  durch  deren  politisch-soziale 
Institutionen,  und  der  Protestantismus  hat  sie  geradezu 
bewußt  als  Prinzip  formuliert. 

Man  sieht  in  alledem  deutlich  die  Wirkung  und  die 
Beiträge  der  verschiedenen  konkreten  geschichtlichen 
Mächte  zur  Bildung  der  modernen  Kultur.  Man  erkennt 
Antike  und  Katholizismus,  die  sozialen  und  politischen 
Eigentümlichkeiten  der  romanisch-germanischen  Völker, 
die  Entstehung  der  modernen  Geldwirtschaft  und  des 
Kapitalismus,  die  spätmittelalteriiche  Differenzierung  der 
Nationen,  die  koloniale  und  maritime  Ausbreitung,  die 
Renaissance,  die  modernen  Wissenschaften,  die  moderne 
Kunst  und  Ästhetik,  den  Protestantismus,  fiieraus  stam- 
men die  Inhaltej  an  denen  der  moderne  Individualismus 
und  Rationalismus  arbeitet,  hieraus  auch  die  Vorausset- 
zungen, aus  denen  er  selbst  entstanden  ist  und  deren 
Farbe  er  trägt,  auch  wenn  er  nicht  daran  denkt. 

Es  ist  zweifellos,  daß  der  Protestantismus  in  dem 
ganzen  Kräftespiel  eine  hervorragend  wichtige  Rolle  spielt» 
Es  ist  auch  tadelnd  oder  preisend  stets  anerkannt  wor- 
den, abgesehen  von  denen,  welche  die  ganze  moderne 
Welt  nur  aus  der  Renaissance  oder  gar  erst  aus  dem  auf 
sie  folgenden  Zeitalter  der  positiven  Wissenschaften  ab- 
leiten wollen.  Und  es  darf  in  der  Tat  die  Bedeutung  des 
Protestantismus   nicht  einseitig  übertrieben  werden.     Ein 


Bedeutung  d.  Protestantismus  ff.  d.  Entstehung  d.modernen  Welt.   13 

großer  Teil  der  Grundlagen  der  modernen  Welt  in  Staat, 
Gesellschaft,  Wirtschaft,  Wissenschaft  und  Kunst  ist  völlig 
unabhängig  vom  Protestantismus  entstanden,  teils  einfach 
Fortsetzung  spätmittelalterlicher  Entwicklungen,  teils  Wir- 
kung der  Renaissance  und  besonders  auch  der  vom  Pro- 
testantismus angeeigneten  Renaissance,  teils  in  den  katho- 
lischen Nationen  wie  Spanien,  Osterreich,  Italien  und  be- 
sonders Frankreich  nach  Entstehung  des  Protestantismus 
und  neben  ihm  erworben  worden.  Gleichwohl  ist  seine 
große  Bedeutung  für  die  Entstehung  der  modernen  Welt 
ganz  offenbar  nicht  zu  bestreiten.  Die  große  Frage  ist 
nur,  worin  nun  im  einzelnen  wirklich  diese  Bedeutung 
besteht.  Hierüber  herrschen  in  der  Wissenschaft  und 
noch  mehr  in  der  populären  Literatur  sehr  bunte  und 
sehr  ungenaue  Vorstellungen.  Die  katholische  Literatur 
pflegt  in  ihm  die  Wurzel  des  revolutionären  Geistes  der 
modernen  Welt  zu  sehen,  und  v.  Treitschkes  berühmte 
Lutherrede  von  1883  sieht  in  ihm  geradezu  den  Grund 
alles  Großen  und  Edlen  in  der  modernen  Welt.  In  der 
Hegeischen  Schule  pflegt  er  als  Ethik  und  Religion 
der  Immanenz  gefeiert  zu  werden,  und  in  der  Schule 
Ritschis  erscheint  er  als  Schöpfer  von  Familie,  Staat, 
Gesellschaft  und  Berufsarbeit  im  modernen  Sinne.  So 
einfach  liegen  aber  die  Dinge  durchaus  nicht.  Es  ist 
ein  höchst  verwickeltes  Problem,  wo  die  Forschung  über- 
haupt erst  im  Begriffe  ist,  die  Einzelfragen  richtig  zu 
sehen  und  zu  stellen,  von  einer  eigentlichen  Beantwor- 
tung aber  oft  noch  weit  entfernt  ist.  Die  Übersicht,  die 
über  diese  Probleme  hier  im  folgenden  gegeben  werden 
soll,  kann  daher  oft  nicht  mehr  als  Vermutungen  und 
Anregungen  geben.  Nur  durch  Zusammenwirken  von 
Forschem  sehr  verschiedener  Gebiete  können  hier  die 
erschöpfenden  Antworten  gefunden  werden. 

II. 

Der    „Protestantismus"    ist  nun    freilich   wieder 

ein  historischer  Allgemeinbegriff,  der  sehr  dringend  einer 

genaueren  Bestimmung   bedarf.     Es  ist  die  herrschende 

Gewöhnung,   darunter  alle  Erscheinungen  des  protestan- 


14 


Ernst  TroeUsch, 


tischen  Religionsgebietes  bis  zum  heutigen  Tage  zu  be- 
lassen und  darauf  dann  einen  Allgemeinbegriff  zu  begrün- 
den, der  mehr  sagt,  was  der  Protestantismus  sein  oder 
werden  sollte»  als  das  was  er  wirklieh  ist.  So  pflegen 
in  diesen  Bestimmungen  entweder  die  Begriffe  einer  er- 
weichten und  prinziplos  gewordenen  Orthodoxie  oder  die 
einer  fort-  und  umbildenden  philosophischen  Auffassung 
zu  überwiegen.  In  beiden  Fällen  aber  handelt  es  sich 
nicht  mehr  um  historische  Allgemeinbegrifle,  die  die 
wirklichen  Tatbestände  als  Ganzes  erscheinen  lassen, 
sondern  um  Idealbegriffe,  die,  an  das  Wirkliche  anknüp- 
fend, das  eine  oder  andere  Element  in  ihm  beson- 
ders betonen  und  damit  ihrer  Formel  die]  Begrün- 
dung als  Wesen  oder  Grundtendenz  zu  geben  suchen. 
Solche  Idealbegrilfe  sind  für  das  Handeln  und  Wollen 
der  Gegenwart  freilich  unentbehrlich,  aber  sie  sind  keine 
historischen  Allgemeinbegriffe, ^)  Sucht  man  lediglich 
einen  solchen  für  den  Protestantismus,  so  erkennt  man 
leicht,  daß  ein  solcher  für  den  Gesamtprotestantismus 
überhaupt  gar  nicht  ohne  weiteres  zu  bilden  ist.  Denn 
der  gesamte  moderne  Protestantismus  ist  auch  da,  wo 
er  die  orthodoxen  Traditionen  des  Dogmas  fortsetzt, 
tatsächlich  ein  völlig  anderer  geworden.  Der  alte,  echte 
Protestantismus  des  Luthertums  und  des  Calvinismus  ist 
durchaus  im  Sinne  des  Mittelalters  kirchliche  Kultur,  will 
Staat  und  Gesellschaft,  Bildung  und  Wissenschaft,  Wirt- 
schaft und  Recht  nach  den  supranaturalen  Maßstäben  der 
Offenbarung  ordnen  und  gliedert  wie  das  Mittelalter  überall 
die  Lex  naturae  als  ursprünglich  mit  dem  Gottesgesetz 
identisch  sich  ein.  Der  moderne  Protestantismus  seit  dem 
Ende  des  17.  Jahrhunderts  ist  dagegen  überall  auf  den 
Boden  des  paritätischen  oder  gar  toleranten  Staates  über- 
getreten und  hat  die  religiöse  Organisation  und  Gemein- 
schaftsbildung im  Prinzip  auf  die  Freiwilligkeit  und  per- 
sönliche Überzeugung  übertragen  unter  grundsätzlicher 
Anerkennung  der  Mehrheit  und  Möglichkeit  verschiedener 

')  Über  das  Wesen  solcher  ^historischer  Allgemeinbegriffe*' 
vgl  meinen  Aufsatz:  Was  heißt  pWesen  des  Christentums*? 
Christliche  Welt  1903. 


Bedeutung  d.  Protestantismus  f.  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt.   1 5 

religiöser  Oberzeugungen  und  Gemeinschaften  neben- 
einander. Er  hat  femer  grundsätzlich  neben  sich  ein 
völlig  emanzipiertes  weltliches  Leben  anerkannt,  das  er 
weder  direkt  noch  indirekt  durch  Vermittelung  des  Staates 
mehr  beherrschen  will,  und  hat  seine  alte  Lehre  von  der 
diese  Beherrschung  ermöglichenden  und  fördernden 
Identität  der  Lex  Dei  und  Lex  naturae  bis  zum  völligen 
Unverständnis  vergessen.  Das  sind  fundamentale  Unter- 
schiede, die  dann  naturgemäß  auch  in  dogmatischen  Er- 
schütterungen und  Veränderungen  zutage  getreten  sind, 
vor  allem  in  Veränderungen  des  Kirchen-  und  Staats- 
begriffes und  in  Reduktionen  der  alten  absoluten  Autorität» 
der  rein  supranaturalen  Bibelgeltung,  die  bis  zur  völligen 
Umwandlung  seines  alten,  das  ganze  System  bestimmen- 
den ,  Offenbarungsglaubens  fortgeschritten  sind.  Wird 
aber  das  im  Auge  behalten,  so  ist  für  jede  rein  histo- 
rische Betrachtung  und  insbesondere  für  unsere  Frage- 
stellung Alt-  und  Neuprotestantismus  wohl  zu 
unterscheiden.  Der  Altprotestantismus  fällt  unter  den 
Begriff  der  streng  kirchlich  supranaturalen  Kultur,  die 
auf  einer  unmittelbaren  und  streng  abgrenzbaren,  vom 
Weltlichen  zu  unterscheidenden  Autorität  beruht,  und 
sucht  geradezu  mit  seinen  Methoden  diese  Tendenz  der 
mittelalterlichen  Kultur  strenger,  innerlicher,  persönlicher 
durchzusetzen,  als  dies  dem  hierarchischen  Institut  des 
Mittelalters  möglich  war.  Die  Autorität  und  Heiiskraft 
der  reinen  Bibel  soll  durchsetzen,  was  den  Bischöfen 
und  dem  Papste  bei  der  Außeriichkeit  ihrer  Mittel  und 
bei  der  starken  Verweltlichung  der  Institution  nicht  er- 
reichbar war. 

Wenn  nun  aber  das  deutlich  erkannt  ist,  dann  trennt 
sich  der  Altprotestantismus  auch  deutlich  von  denjenigen 
historischen  Gebilden,  die  neben  ihm  hergehen  und  die 
der  Neuprotestantismus  mehr  oder  minder  in  sich  auf- 
genommen hat,  oft  bis  zur  UnUnterscheidbarkeit,  die  aber 
von  jenem  innerlich  tief  unterschieden  waren  und  ihre 
eigene  historische  Wirkung  hatten,  nämlich  von  der 
humanistischen,  historisch-philologisch-philosophischen 
Theologie  und   dem  Täufertum  und  Spiritualismus. 


n 


Ernst  Troe lischt 


Der  Altprotestantismus  hat  sich  von  beiden  scharf  und 
mit  blutiger  Gewalttätigkeit  unterschieden,  nicht  aus  kurz- 
sichtiger Leidenschaft  oder  theologischer  Rechthaberei 
oder  aus  Opportunismus  oder  aus  epigonenhafter  Eng- 
herzigkeit Er  hat  sich  in  allen  Führern  wie  Luther, 
Zwingli  und  Calvin  von  Anfang  an  innerlich  und  wesent- 
lich von  ihnen  geschieden,  und  zwar  deshalb,  weil  von 
beiden  die  Idee  der  kirchlichen  Kultur  und  die  absolute 
Gegebenheit  der  Offenbarungsgrundlage  einer  solchen 
Kultur  trotz  aller  prinzipiellen  Christlichkeit  geleugnet 
wird.  Gerade  ihr  Rückzug  auf  kleine,  fromme  Kreise,  ihre 
Fernhaltung  vom  Staat  und  ihr  Verzicht  auf  religiösen 
Zwang  war  gegen  die  Idee  der  Reformatoren,  die  wie 
der  Katholizismus  eine  Offenbarung,  die  nicht  alles 
Menschliche  dem  Göttlichen  unterwirft,  für  keine  wahre 
Offenbarung  halten  konnten.  Die  Objektivität  des  Kirchen- 
instituts, die  Sicherheit  der  Bibel  und  die  klare  staatlich- 
kirchliche Leitung  der  Gesellschaft  oder  des  einheitlichen 
corpus  Christianum,  das  jede  Kirche  wenigstens  auf  dem 
ihr  durch  die  Landesregierung  erreichbaren  Gebiete  her- 
stellte, wurde  durch  jene  bedroht.  Erst  als  der  Neuprote- 
stantismus die  Idee  der  kirchlichen  Gesamtkultur  aus  den 
Augen  verioren  hatte,  konnte  er  die  Gewissensforderung 
der  historisch-philologischen  Kritik  und  die  Oltenbarungs- 
lehre  der  inneren  persönlichen  Überzeugung  und  Erleuch^ 
tung  als  genuin  protestantische  Prinzipien  bezeichnen, 
während  der  echte  Protestantismus  das  alles  mit  den 
Kategorien  des  ^Naturalismus"  einerseits  und  des  „Fana- 
tismus" oder  „Enthusiasmus*"  anderseits  belegte  und  heute 
noch  in  seinen  Resten  bei  teilweiser  Anerkennung  dieser 
Häresien  um  so  leidenschaltlicher  ihren  Geist  bekämpft. 
Diese  Unterscheidung  ist  aber  gerade  für  unser  Thema 
außerordentlich  wichtig.  Gerade  die  mit  dem  Protestan- 
tismus verwandten  und  doch  von  ihm  so  scharf  unter- 
schiedenen Mächte  der  humanistisch-philologischen  Theo- 
logie, die  in  Arminianismus  und  Sozinianismus  Son- 
derorganisationen erlangten,  und  die  täuferisch-enthusia- 
stischen und  spiritualistischen  Theorien ,  die  in  den 
Gemeinden  unter  dem   katholischen  und  unter  dem  pro- 


Bedeutung  d.  Protestantismus  f .  d.  Entstehung  d.  mod  ernen  Welt,   i  7 


testantischen  Kreuz  sich  organisierten,  haben  für  die 
Entstehung  der  modernen  Welt  eine  außerordentlich  hohe 
Bedeutung,  die  nicht  ohne  weiteres  dem  Protestantismus 
überhaupt  auf  das  Konto  geschrieben  werden  darf,  Sie 
haben  gegen  das  Ende  des  17.  Jahrhunderts  nach  langer 
und  grausamer  Unterdrückung  ihre  welthistorische  Stunde 
erlebt.  Von  ihnen  kann  mit  den  nötigen  Änderungen  das 
Wort  gelten :  Graecia  capia  ferum  vlciorem  ceptt  ei  artes 
Iniulii  agresH  Latia, 

Schließlich  ist  noch  nachdrücklich  hinzuweisen  auf 
den  Unterschied,  den  innerhalb  des  Altprotestantismus 
beide  Konfessionen,  das  Luthertum  und  der  Calvinis- 
mus, zeigen.  Er  liegt  keineswegs  bloß  in  dem  verschie- 
denen Kulturboden,  aus  dem  beide  entstehen  und  auf  dem 
sie  wirken,  sondern  liegt  trotz  der  im  wesentlichen  über* 
einstimmenden  dogmatischen  Basis  in  gewissen  Feinheiten 
des  religiösen  und  ethischen  Gedankens^  die  dem  Charakter 
und  Wesen  der  führenden  Persönlichkeiten  entstammen. 
Sie  erscheinen  zunächst  als  Nebendinge,  bringen  aber  doch 
so  weit  auseinandergehende  Entwicklungen  hervor,  daß 
für  beide  ein  gemeinsamer  Begriff  kaum  mehr  zu  formu- 
lieren ist,  daß  nicht  ein,  sondern  zwei  Protestantismen  für 
uns  in  Betracht  kommen.  Die  Bedeutung  des  Calvinismus 
für  unsere  Fragestellung  ist  eine  völlig  andere  als  die  des 
Luthertums,  und  es  erfordert  eine  sehr  feine  psycho- 
logische Einzelanalyse,  um  jedesmal  den  besonderen  Zu- 
sammenhang herauszufühlen. 

Alles  das  aber,  was  sich  so  bei  einem  solchen  Ver- 
such der  Bestimmung  des  Allgemeinbegrilfes  „Protestan- 
tismus*' ergibt,  ist  von  höchster  Bedeutung  für  die  richtige 
Beantwortung  unserer  Frage,  Denn  von  einer  Wirkung 
ies  Protestantismus  zur  Herbeiführung  der  modernen 
Kultur  kann  nur  in  bezug  auf  den  Altprotestantismus  die 
Rede  sein,  während  der  Neuprotestantismus  selbst  ein 
rBestandteil  der  modernen  Kultur  und  von  ihr  tiefgreifend 
^beeinflußt  ist.  Unsere  Antwort  wäre  von  Anfang  an 
falsch  orientiert,  wollten  wir  von  einem  Begriff  des  Pro- 
rtestantismus  ausgehen,  der  in  den  Altprotestantismus 
alle  oder  wesentliche  Kultureigenschaften   des  Neuprote- 

HlitDfi»che  Zcittetiritt  (97  Hd.j  j.  Polg«  l.  Bd,  ^ 


18 


Ernst  Troeltsch, 


stantismus  vorausdatierte  und  nun  von  einem  solchen 
Phantom  aus  die  Übergänge  zur  modernen  Kultur  uns 
leicht  und  einlach  finden  lassen  würde.  Nicht  minder 
wichtig  ist  die  Scheidung  der  beiden  Konfessionen, 
die  uns  überhaupt  verhindert,  den  Begriff  des  Protestan- 
tismus wie  ein  farbloses  Abstraktum  zu  behandein,  und 
uns  nötigt»  die  besonderen  konkreten  Eigentümlichkeiten 
innerhalb  seines  Bestandes  in  ihren  ganz  verschieden- 
artigen Wirkungen  zu  würdigen.  Und  ganz  besonders  be- 
deutsam ist  die  Sonderstellung  der  humanistischen  Theo- 
logie und  des  Täufertums,  wobei  in  dieses  der  Kürze 
halber  der  ganze  mystische  Spiritualismus  miteinbegriffen 
ist.  Beide  haben  trotz  anfänglicher  enger  Berührungen 
dem  Altprotestantismus  ebenso  ferne  gestanden,  als  sie 
dem  Neuprotestantismus  nahe  gerückt  sind,  und  man- 
würde  durchaus  irren,  wollte  man  den  von  ihnen  be- 
einflußten und  umgestalteten  Protestantismus  für  den 
eigenllichen  halten.  Man  würde  sich  das  Verständnis 
versperren  für  die  eigentlichen  Wirkungen  des  genuinen 
Protestantismus,  und  man  würde  insbesondere  diesem 
Wirkungen  in  der  Begründung  der  modernen  Welt  zu- 
schreiben, die  das  unbestreitbare  Verdienst  jener  Vielge- 
plagten und  Vielverlästerten  sind. 

III. 
Stehen  aber  die  Dinge  so,  dann  liegt  auf  der  Hand, 
daß  die  in  Frage  stehende  Bedeutung  des  Protestantismus 
überhaupt  nichts  Einfaches  ist.  Aus  der  kirchlichen 
Kultur  des  Protestantismus  kann  kein  direkter  Weg  in 
die  kirchenfreie  moderne  Kultur  führen.  Seine  im  all- 
gemeinen offenkundige  Bedeutung  hierfür  muß  vielfach 
eine  indirekte  oder  gar  eine  ungewollte  sein,  und  das 
Gemeinsame,  das  trotzdem  beide  verbindet,  muß  sehr 
tief  in  den  verborgenen  und  nicht  unmittelbar  bewußten 
Tiefen  seines  Gedankens  liegen.  Darin  liegt  geradezu  der 
eigentliche  Reiz  des  Problems,  und  um  diesen  verständ- 
lich zu  machen,  muß  zunächst  der  Gegensatz  des 
Protestantismus  gegen  die  moderne  Kultur  noch 
schärfer  bezeichnet  werden. 


I 

4 


Bedeutung  d.  Protestantismus  h  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt,    1^ 


Das  Wichtigste  ist,  daß  religions-  und  dogmengeschicht- 
lich angesehen  der  Protestantismus  nur  eine  Umbildung 
des  Katholizismus  ist,  eine  Fortsetzung  katholischer  Frage- 
stellungen, denen  nur  eine  neue  Antwort  zuteil  wird.  Erst 
nach  und  nach  haben  sich  aus  dieser  neuen  Antwort  die 
radikalen  religionsgeschichtlichen  Konsequenzen  entwickelt, 
erst  bei  einem  Bruch  mit  der  ersten  Gestalt  des  Pro- 
testantismus zeigte  sich  die  weit  über  eine  neue  Beant- 
wortung alter  Fragen  hinausgehende  Konsequenz,  Davon 
aber  kann  erst  später  die  Rede  sein.  Der  Protestantis- 
mus beantwortet  zunächst  nur  die  alte  Frage  nach  der 
Heilsgewißheit,  die  die  Existenz  Gottes  und  sein 
ethisch -persönliches  Wesen  überhaupt  voraussetzt  und 
nur  die  Not  zum  Problem  macht,  wie  angesichts  der  Ver- 
dammung aller  zur  Hölle  durch  die  Erbsünde  und  an- 
gesichts der  Schwäche  oder  Nichtigkeit  aller  menschlich- 
kreatüflichen  Kräfte  die  Rettung  aus  dem  Sündengericht, 
die  ewige  Seligkeit  und  ein  gleichmäßiger,  holfnungs- 
sicherer  Friede  des  Herzens  au!  Erden  erlangt  werden 
könne.  Es  ist  durch  und  durch  die  alte  Frage,  die  durch 
die  Erziehung  des  Katholizismus  immer  tiefer  und  ein- 
drucksvoller in  die  Herzen  geschrieben  worden  war.  Der 
Protestantismus  beantwortet  sie  statt  mit  dem  Hinweis 
auf  die  hierarchische  Erlösungsanstalt  der  Priesterkirche 
und  auf  das  vom  Willen  unterstützte  opus  operaium  des 
Sakraments  durch  den  Hinweis  auf  einen  persönlichen 
Glaubensentschluß,  der  ein  für  allemal  bei  wirklichem 
Ernst  aus  der  supranaturalen  Gottesoffenbarung  der  Bibef 
der  Rettung  sich  gewiß  machen  darf,  und  der  aus  dieser 
Gewißheit  alle  ethischen  Folgen  der  Gottversöhnung  und 
Gotteinigkeit  im  Gemüte  hervorbringt.  Der  Glaubens- 
entschluß empfängt  die  Rettung  rein  als  objektive  Heils- 
versicherung durch  die  Bibel  und  schließt  insofern  jedes 
menschliche  Wirken  aus,  macht  eben  damit  das  Heil  vom 
Menschen  unabhängig  und  allein  abhängig  von  Gott.  Die 
alleinige  Abhängigkeit  des  Heils  aber  von  Gott  macht  das 
Heil  eben  damit  absolut  gewiß  und  entnimmt  es  den 
Schwankungen  und  Endlichkeiten  alles  menschlichen  Tuns. 
Sofern  aber  in   dem  dies  Heil   empfangenden  Glaubens- 

2* 


30 


Ernst  Troeltschj 


entschluß  doch  noch  irgendwie  eine  menschliche  Tätig- 
keit und  Mitbedingung  enthalten  zu  sein  scheinen  könnte, 
wird  auch  dieser  Entschluß  auf  ein  unmittelbares  gött- 
liches Wirken  zurückgeführt.  Die  Prädestinationslehre 
wird  protestantische  Zentrallehre  im  Interesse  der  Heils- 
gewißheit,  bei  Luther,  Zwingli  und  Calvin  gleich  ursprüng- 
lich und  gleich  notwendig.  Der  Calvinismus  hat  dann 
allerdings  diese  Lehre  zunehmend  zum  Angelpunkt  seines 
Systems  gemacht  und  in  seinen  großen  Weltkämpfen 
daraus  die  feste  Kraft  des  Erwähtungsbewußtseins  ge- 
schöpft hat,  aber  dafür  freilich  auch  die  Rationalität  und 
universale  Güte  im  Gottesbegriff  geopfert,  während  das 
Luthertum  zum  Schutze  beider  Interessen  zunehmend  den 
Prädestinationsgedanken  abgeschwächt,  damit  seinem  Ge- 
danken aber  auch  das  Heroische  und  Eherne  genommen 
hat.  Der  Prädestinierte  fühlt  sich  als  der  berufene  Herr 
der  Welt,  der  in  der  Kraft  Gottes  zur  Ehre  Gottes  in  die 
Welt  eingreifen  und  sie  gestalten  soll.  Der  bloß  aus 
Gnaden  Gerechtfertigte  hat  sein  Heil  freilich  auch  nur 
aus  Gott,  aber  hütet  sich  in  der  Scheu  vor  prädesünati- 
nischen  Konsequenzen  überhaupt  vor  jeder  strengen  Ab- 
grenzung und  Beziehung  von  Gott  und  Welt  und  flüchtet 
sich  lieber  in  die  rein  religiöse  Sphäre  aus  der  Welt,  die, 
dazu  in  einem  unklaren  und  Gott  allein  bekannten  Ver- 
hältnis stehend,  lieber  nur  geduldet  und  ertragen  wird. 
Steht  derart  das  alte  Interesse  der  Heilsgewißheit 
im  Zentrum,  und  ist  die  Vergewisserung  nur  durch  eine 
einfachere  Fassung  der  Offenbarung  und  eine  innerlichere 
Aneignung  der  Offenbarung  erreicht,  dann  ist  ganz  selbst- 
verständüch  auch  die  alte  Grundidee  einer  durch  und 
durch  autoritativen  rein  göttlichen  H  eilsanstalt 
bewahrt.  Der  Protestantismus  wollte  die  Gesamtkirche 
reformieren  und  ist  nur  durch  Zwang  zur  Aufrichtung 
eigener  Kirchen  gekommen,  Sie  sind  Landeskirchen  nur 
geworden,  weil  der  Protestantismus  sein  Kirchenideal  bloß 
mit  Hilfe  der  Regierungen  durchsetzen  konnte  und  daher 
jenseits  der  Landesgrenzen  auf  sein  Ideal  verzichten 
mußte.  Den  Gedanken  der  Kirche  selbst  aber  als  der 
erlösenden    und   erziehenden   supranaturalen  Heilsanstalt 


Bedeutung  d.  Protestantismus  f.  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt.    21 

hat  er  nirgends  aufgegeben.  Er  verwirft  nur  das  jus 
dsvinum  der  Hierarcliie  und  die  Oberordnung  der  hierar- 
chischen über  die  Staatsgewalt;  er  verwirft  ferner  die-^^ 
Sakramente  als  dingliche,  nur  von  der  Kirche  zu  ver- 
waltende heilende  und  erlösende  Kräfte,  die  etwas  anderes 
zur  Heilsversicherung  und  Heilsbewirkung  enthielten  als 
auch  das  im  Glauben  erfaßte  Bibelwort  enthält;  er  ver- 
wirft die  Tradition,  die  die  besonderen  katholischen  kirch- 
lichen Institutionen  mit  ihrer  Autorität  deckte,  und  hält 
sich  an  die  Bibel,  die  allein  absolute  Offenbarung  ist  und 
allein  erlösende  und  heiligende  Kraft  hat.  Aber  er  hält 
an  der  Idee  der  Kirche  als  der  supranaturalen  Heilsanstalt  ^^ 
fest  und  konstruiert  sie  nur  rein  aus  der  Bibel.  Die  Bibel 
enthält  das  Dogma,  sie  trägt  in  sich  die  Bekehrungs-  und 
Heilskräfte,  sie  ist  das  Instrument  und  die  Quelle  des 
Kultus,  ihre  fachmäßige  Kenntnis  begründet  das  geist- 
liche Amt.  Die  Bibel  tritt  an  Stelle  der  Hierarchie  und 
des  wunderwirkenden  Sakraments,  und  die  zwei  oder  drei 
belassenen  Hauptsakramente  sind  nur  besondere  Ver- 
gewisserungsweisen  des  Bibelworts,  wobei  freilich  das 
Luthertum  im  Interesse  der  Objektivität  der  Kirche  auf 
die  Gegenwart  besonderer  supranaturaler  Faktoren  im 
Sakrament  drang,  denen  aber  dann  doch  sachlich  keine 
andere  Wirkung  zukam  als  auch  dem  Bibelwort.  Und 
auch  Calvins  Sakramentslehre  drängt  so  nahe,  als  das  bei 
der  Prädestinationslehre  und  der  Spiritualität  aller  Heils- 
vorgänge überhaupt  möglich  war,  in  die  Nähe  dieser 
sakramentalen  Objektivität.  Unter  diesen  Umständen  be- 
steht für  den  Protestantismus  auch  noch  gar  nicht  das 
moderne  Problem  des  Verhältnisses  von  Kirche  und  Staat.  ^ 
Er  sieht  darin  so  wenig  wie  der  Katholizismus  getrennte 
Organisationen,  er  sieht  darin  nur  zwei  verschiedene- 
Funktionen  innerhalb  des  untrennbar  einen  und  selbigen 
gesellschaftlichen  Körpers,  des  Corpus  Christlanum.  Die 
Geltung  der  religiösen  Maßstäbe  für  das  ganze  Corpus, 
die  Ausschließung  oder  mindestens  Entrechtung  der  Un- 
gläubigen und  Irrgläubigen,  die  Intoleranz  und  die  Infalli- 
bilität  sind  daher  auch  für  ihn  selbstverständlich.  Er 
ordnet  nur  das  Verhältnis  der  beiden   Funktionen   neu.  ^ 


n 


Ernst  Troeltseh, 


Er  kennt  keine  Überordnung  der  Hierarchie  über  die  welt- 
liche Obrigkeit  und  keine  prinzipielle  Uniformität  und  ver- 
fassungmäßige  Einheit  der  verschiedenen  Landeskirchen. 

t     Beide,  weltliche  und  geistliche  Gewalt»  sind  vielmehr  ge- 

I  meinsam  der  Bibel  Untertan.  Aus  christlicher  Bruderliebe 
dient  der  Staat  der  Kirche,  ordnet  und  überwacht  er  ihre 
Verhältnisse  zur  Ehre  Gottes,  und  aus  der  Kenntnis  des 
Gotteswortes  heraus  unterrichtet  der  geistliche  Stand  die 
Obrigkeit  über  die  Forderungen  der  Bibel.  Ein  einträch- 
tiges, freiwilliges  Zusammenwirken  beider  Funktionen  des 

,  Corpus  Christianum  und  der  Träger  dieser  Funktionen  ist 
%/  das  Ideal.  Zugleich  handhabt  die  Obrigkeit  kraft  göttlichen 
Auftrags  die  Verwaltung  der  Lex  naiurae,  der  weltlichen 
und  staatlichen  Ordnung,  und  befolgt  auch  darin  eine  reli- 
giöse Pflicht,  da  diese  Lex  naiurae  ja  nur  ein  Teil  der  im 
Dekalog  zusammengefaßten  und  von  Christus  wiederholten 
Lex  naiurae  ist.  In  diesem  einträchtigen  Zusammenwirken 
erstreckt  sich  die  geistliche  Ordnung   über  den  Gesamt- 

^  umfang  des  Lebens,  auch  über  die  ganz  weltlichen  Dinge, 
die  von  der  Obrigkeit  aus  Geist  und  Gesetz  des  gött- 
lichen Wortes  unter  dem  Beistand  der  Theologen  geordnet 
werden.  Dabei  ist  auch  in  allen  wesentlichen  Dingen, 
die  unmittelbar  aus  der  Offenbarung  folgen,  Uniformität 
unerläßlich;  nur  die  Adiaphora,  d.  h.  die  nicht  im  Wort 
Gottes  geordneten  Dinge  können  verschieden  sein,  wobei 
jedoch  die  beiden  Konfessionen  über  den  Umfang  dieser 
Adiaphora  verschieden  dachten.  Nur  soweit  es  Adiaphora 
waren,  hat  daher  auch  jede  Konfession  die  Verschieden- 
heiten ihrer  Landeskirchen  ertragen;  was  dagegen  gött- 
lich unmittelbar  verordnet  schien,  bei  den  Lutheranern 
vor  allem  Dogma  und  Sakrament,  bei  den  Calvinisten 
auch  Kirchenzucht  und  Ältestenamt,  das  mußte  überall 
gleich    sein    oder    gleich    gemacht   werden.     Es  ist  also 

^  durchaus  die  Idee  der  kirchlich  geleiteten  Kultur;  ja  sie 
ist  hier,  wo  es  keinen  Unterschied  höherer  oder  niedrigerer 
christlicher  Moral  gab,  noch  stärker  angezogen.  Es  ist 
die  Idee  der  Theokratie,  nur  die  Ausübung  der  Theokratie 
ist  verschieden;  es  ist  nicht  mehr  die  Hierarchie,  die  der 

j    Obrigkeit  befiehlt,  sondern  die  Bibliokratie,  die  von  geist- 


Bedeutung  d.  Protestantismus  i  d.  EnUtehung  d*  modernen  Welt,  2^ 

lieber  und  weltlicher  Obrigkeit  zusammen  in  freier  Ein* 
tracht  aus  gewirkt  wird.  In  dieser  Grundidee  sind  beide 
Konfessionen  durcfiaus  einig.  In  ihrer  Ausführung  gehen 
sie  freiUch  bedeutungsvoll  und  folgenreich  auseinander. 
Seelenvoller  und  idealistischer  denkt  das  Luthertum  an 
eine  rein  innerliche  und  geistüche  Wirkung  des  Gottes- 
wortes. Es  verzichtet  auf  alle  besondere  eigene  Kirchen- 
Verfassung,  die  seine  Betätigung  sicherstellte,  und  auf  alle 
Garantien,  mit  denen  die  Obrigkeit  zur  Befolgung  des 
Gotteswortes  angehalten  würde.  Es  will  nur  das  reine 
Cotteswort  auf  den  Leuchter  stellen,  zu  welchem  Zweck 
es  allerdings  vor  keiner  Gewalttat  zurückschreckt;  alles 
übrige  aber  überläßt  es  dem  automatisch  wirkenden,  vom 
Wort  ausstrahlenden  Geiste;  undj  wenn  die  weltliche 
Obrigkeit  ihm  sich  nicht  unterwerten  will,  dann  duldet 
es  gottergeben  die  bösen  Anläufe  des  Satans,  der  welt- 
liche Amtleute  und  Politiker  nur  allzu  gern  zu  Geiz  und 
Hochmut  oder  zur  Gleichgültigkeit  verführt.  Es  ist  ein  ,, 
Idealismus,  der  Luther  ganz  persönlich  charakterisiert  und 
von  ihm  aus  fortwirkt,  der  aber  freilich  auch  mit  Luthers 
konservativem  Respekt  vor  aller  Obrigkeit  und  mit  der 
ganzen  absolutistischen  Entwicklung  der  deutschen  Terri- 
torien zusammenhängt*  Im  Unterschiede  davon  ist  nun 
der  Calvinismus  viel  aktiver  und  agressiver,  aber  auch 
viel  planmäßiger  und  weltkluger.  Er  hat  sich  organisiert 
[in  einer  neuentstandenen,  ihr  Dasein  mit  dem  Calvinismus 
selbst  begründenden  Republik  und  ist  geistig  erfüllt  von 
dem  durchaus  planmäßigen  und  rationeilen  Wesen  des 
Juristen-  und  Humanistenzöglings  Calvin,  Er  gestaltet 
trotz  aller  Einbefassung  der  Kirche  in  das  gemeinsame 
Corpus  ChrisHanum  und  trotz  geflissentlicher  bürgerlicher 
LTnterordnung  der  Geistlichkeit  unter  die  Obrigkeit  doch 
eine  biblische,  von  der  Offenbarung  geforderte  Kirchen- ^^ 
Verfassung^  die  die  Kirche  sehr  viel  unabhängiger  macht 
von  der  fürsorgenden  christlichen  Liebe  der  Obrigkeit, 
und  stattet  sie  überdies  aus  mit  der  Stttenzucht,  die  im 
geordneten  Zusammenwirken  mit  der  Obrigkeit  die  Gel- 
tung der  christlich -ethischen  Maßstäbe  bis  ins  kleinste 
ausarbeitet  und  unter  Umständen  auch  gewaltsam  erzwingt. 


Ernst  Troeltsch, 


i 


In  einem  Fall  des  Versagens  der  rechtmäßigen  Obrigkeit 
haben  die  magisirais  inf/rieurs,  d.  h.  die  nächst  über- 
geordneten Glieder  des  Gemeinwesens,  die  Aufgabe»  von 
der  irrenden  Obrigkeit  die  Einhaltung  der  christlichen 
Maßstäbe  zu  erzwingen.  Der  Calvinismus,  der  im  Dogma 
spiritualistischer  ist  als  das  Luthertum,  ist  in  der  Praxis 
weniger  spiritualistisch  und  idealistisch,  sondern  organi- 
siert  sich  weltklug  lür  die  Kämpfe,  wobei  aber  auch  er 
alle  Regeln  aus  der  Bibel  holt.  So  hat  er  auch  die  ge- 
genügende innere  Festigkeit  besessen,  um  beim  Übergang 
in  die  moderne  Weh,  bei  der  Auflösung  des  Corpus 
Chrisiianum,  die  Kirche  zu  behaupten  und  zuerst  provi- 
sorisch dann  definitiv  zur  Freikirche  überzugehen,  wäh- 
rend das  Luthertum  einem  ungeistlichen  Territorialismus 
verfiel  und  sich  dann  vom  modernen  Staat  eine  in  ihren 
Rechtsbeziehungen  kunstreich  komplizierte,  zwischen  Ab- 
hängigkeit und  Selbständigkeit  schwankende  Kirche  er- 
bauen lassen  mußte. 

In  alledem  setzt  sich  die  katholische  Idee  der  supra- 
natural geleiteten  Kultur  fort.  Aber  auch  noch  ein  weiteres 
Hauptcharakteristikum  dieser  Kultur  dauert  fort,  die 
Askese.  Freilich  pflegt  man  es  als  einen  besonderen 
Vorzug  des  Protestantismus  zu  preisen,  daß  er  der  Askese 
ein  Ende  gemacht  und  das  Weltleben  wieder  zu  Ehren 
gebracht  habe.  Allein  man  braucht  nur  zu  bedenken, 
daß  der  Protestanlismus  die  jenseitige  Abzweckung  auf 
Himmel  und  Hölle  auls  strengste  beibehalten  hat,  daß  er 
beide  durch  die  Beseitigung  des  vermittelnden  und  auf- 
schiebenden Fegfetiers  nur  noch  eindrucksvoller  gemacht 
hatj  und  daß  seine  zentrale  Frage  nach  der  Heilsgewiß- 
heit gerade  aul  die  ewige  Rettung  aus  der  Erbsünde  sich 
bezieht;  man  braucht  ferner  nur  zu  beachten,  daß  der 
Protestantismus  die  augustinischen  Dogmen  von  der  ab- 
soluten Erbsündigkeit  und  der  völligen  natürlichen  Ver- 
dorbenheit aller  Kräfte  noch  gesteigert  hat;  und  man  w^ird 
sich  sagen  müssen,  daß  die  unausbleibliche  Konsequenz 
der  asketischen  Idee  hier  nicht  verschwunden  sein,  son- 
dern nur  die  Form  und  den  Sinn  gewechselt  haben  kann* 
Sa  ist  es  auch  in  der  Tat.     Der  Protestantismus  hat  die 


Bedeutung  d.  Protestantismus  f.  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt.  25 

Unterscheidung  der  beiden  Stufen  der  christlichen  Sitt- 
lichkeit beseitigt,  mit  der  schon  die  alte  Kirche  einen 
Kompromiß  zwischen  den  Forderungen  der  Weltmorai 
und  der  jenseitigen  weltindifferenten  altchristlichen  Moral 
geschlossen  hatte.  Er  hat  das  Mönchtum  und  die  Mo- 
nachisierung  des  Klerus  aufgehoben.  Aber  er  hat  es 
nicht  getan,  weil  er  die  innerweltlichen  Werte  und  Güter 
als  Selbstzwecke  in  irgendeinem  Sinne  anerkannt  hätte, 
sondern  weil  er  in  der  Absonderung  von  der  Welt  eine 
unerlaubte,  weil  selbstgewählte  und  äußerliche  Erleichte- 
rung der  Aufgabe  sah.  Er  betrachtet  die  Welt  und  ihre 
Ordnungen  als  durch  die  Schöpfung  gegeben  und  als 
natürlichen  Boden  und  Voraussetzung  des  christlichen 
Handelns.  Diesen  natürlichen  Voraussetzungen  soll  man 
sich  nicht  künstlich  entziehen  und  durch  selbstgemachte 
besondere  Bedingungen  sich  die  Aufgabe  scheinbar  er- 
schweren und  in  Wahrheit  erleichtern.  Das  fördert  nur 
den  Wahn  von  Verdiensten  und  menschlichem  Mitwirken 
mit  der  Gnade  und  verbirgt  das  eigentliche  Schwere  der 
Aufgabe,  die  Welt  zu  haben,  als  hätte  man  sie  nicht. 
Gewiß  liegt  darin  eine  stärkere  instinktive  Schätzung  der 
Schöpfungsordnung,  als  sie  der  Katholizismus  mit  seinem 
Gedanken  von  der  Überwelt  und  der  Übernatur  als  angeb- 
lich wertvollerer  höherer  Stufe  hatte,  ein  tieferes  Ineinander- 
schieben der  natürlichen  und  der  Erlösungsordnung,  als 
es  der  Katholizismus  mit  seinem  Nebeneinanderschieben 
konnte.  Allein  eine  Wertung  der  Welt  um  des  Reich- 
tums und  der  Schönheit  der  Welt  willen,  eine  Schätzung 
der  Kulturgüter  um  eines  in  ihnen  liegenden  selbständigen 
sittlichen  Wertes  willen,  ist  das  nicht.  Die  Welt  wird  immer 
nur  als  der  von  Gott  verordnete  Boden  unseres  Tuns  i 
hingenommen,  wie  wir  Wetter  und  Wind  hinzunehmen 
haben.  Wir  sollen  uns  gehorsam  in  sie  fügen  und  nicht 
über  sie  hinaus  wollen,  aber  wir  sollen  nirgends  unser 
Herz  an  sie  hängen  und  sie  nie  um  ihrer  selbst  willen 
wollen.  Sie  ist  in  keiner,  wenn  auch  noch  so  beschränkter 
Weise  etwas  Göttliches,  sondern  eine  Willenssetzung  Gottes, 
in  die  das  göttliche  Wesen  selbst  nicht  eingeht.  Nur  um 
Gottes  willen   und  aus  Gehorsam   sollen  wir  sie  wollen. 


4(  Ernst  TroeUsch, 

Kreuz  und  Leid  ist  der  Welt  Wesen,  und  in  Tod  und 
Krankheit,  Unglück  und  Beschränktheit  sind  wir  immer 
an  den  Fluch  der  Sünde  erinnert.  Wir  sollen  in  ihr  leben 
und  sie  bei  sich  selbst  überwinden^  alles  Heil  und  alle 
Seligkeit  nur  in  unsere  Rechttertigung  und  den  stell- 
vertretenden Tod  Christi  setzend;  nirgends  auf  sie  ver- 
trauen und  überall  auf  die  Strafe  der  Sünde  rechnen, 
aber  uns  ihr  und  ihren  Lauf  demütig  unterwerfen.  Demut, 
Gehorsam  und  Gottvertrauen,  das  ist  die  Stellung  zur 
Welt,  die  man  mit  allem  Leid  als  Strafe  unserer  Sünde 
und  als  Gottes  Ordnung  hinnimmt  und  deren  spärliche 
Freuden  nur  ein  flüchtiger  Nachglanz  der  ursprünglichen 
Güte  der  Schöpfung  sind*  Es  ist  das  eine  Askese,  die 
darum  nicht  minder  Askese  ist,  weil  sie  sich  nicht  als 
Mönchtum  äußert,  weil  sie  innerlich  und  von  innen 
heraus  die  Welt  verneint,  ohne  sie  äußerlich  zu  verlassen. 
Man  kann  sie  im  Unterschied  von  der  katholischen  As- 
kese, die  sich  in  einem  Leben  außer  und  neben  der 
Welt  äußert,  als  innerwettliche  Askese^)  bezeichnen,  und 
man  braucht  sich  nur  die  Geisteswelt  der  Renaissance 
oder  die  Weltverherrlichung  der  modernen  Poesie  ver- 
gegenwärtigen, um  zu  empfinden,  daß  auch  diese  inner- 
weltliche Askese  wahrhaft  Askese  ist,  wie  denn  ja  auch 
Askese  notwendig  aus  den  Grundlagen  des  ganzen  Er- 
Insungssystems  folgen  muß.  Supranaturale  Erlösung  aus 
der  verdorbenen  und  sich  selbst  überlassenen  Natur  ist 
ja  auch  der  Grundgedanke  des  Protestantismus.  Darin 
sind  denn  auch  beide  Konfessionen  einig,  aber  in  der 
Ausgestaltung  unterscheiden  sich  beide  auch  hier  in  der 
bedeutsamsten  Weise,  Die  Askese  des  Luthertums  ist 
auch  ihrerseits  getragen  von  dem  idealistischen  Geiste 
Luthers;  ohne  Regel  und  Zwang,  ohne  Plan  und  Gesetz 
bleibt  sie  dem  Gewissen  des  einzelnen  überlassen,  Sie 
wird  nicht  rationalisiert   und  diszipliniert,   sondern  bleibt 


*)  Der  Ausdruck  ist  geprägt  von  Max  Weber  in  seiner  später 
noch  genauer  zu  verwertenden  großen  Arbeit  über  „Die  proteslau- 
Ihchv  Ktlilk  und  der  , Geist'  des  Kapitalismus''  (Archiv  für  Sozial- 
wiiäsenE^chaften  und  Sozialpolitik  XX  u.  XXI).  Er  hat  die  besondere 
Art  der  reformierten  Askese  a^uerst  erschöpfend  erkannt. 


Bedeutung  d.  Protestantismus  f.  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt.  27 


ne  freie  Kraft  der  Stimmung,  weshalb  sie  auch  indivi- 
duell so  viel  Adiaphora  anerkennt.  So  bleibt  sie  freier 
und  innerlicher.  Andererseits  bleibt  sie  bei  der  Abneigung^ 
des  Luthertums,  aktiv  in  die  Welt  einzugreifen,  und  bei 
seinem  Zutrauen  zum  automatischen  Wirken  des  Geistes 
mehr  ein  bloßes  Leiden  und  Dulden  der  Welt,  das  ge- 
legentliche dankbare  und  gehorsame  Freude  nicht  aus- 
schließt; aber  sie  ist  doch  wesentlich  ein  Sichfügen  und 
Ergeben,  eine  Abstellung  aller  Hoffnung  auf  das  selige 
Jenseits  und  eine  Martyriumsfreudigkeit  in  der  Welt,  Ganz 
anders  ist  die  reformierte  Askese.  Sie  ist  wie  der  ganze 
Calvinisnius  aktiv  und  aggressiv,  sie  will  die  Welt  gestalten 
zur  Ehre  Gottes  und  die  Verworfenen  beugen  unter  die 
Anerkennung  des  göttlichen  Gesetzes,  sie  will  ein  christ- 
liches Gemeinwesen  mit  aller  Sorgfalt  erschaffen  und  er- 
halten* Zu  diesem  Zweck  rationalisiert  und  diszipliniert 
sie  in  ethischer  Theorie  und  kirchenzuchtlicher  Anweisung 
das  ganze  Handeln.  Sie  grenzt  die  Sphäre  der  von  Calvin 
noch  als  Erholungsmittel  belassenen  Adiaphora  immer 
enger  ein,  verfolgt  jede  Schätzung  weltlicher  Dinge  als 
Selbstzweck  mit  dem  Anathem  der  Kreaturvergötterung, 
verlangt  aber  doch  die  systematische  Ausnutzung  aller 
Handlungsmöglichkeitenj  die  zum  Fortschritt  und  Gedeihen 
des  christlichen  Gemeinwesens  beitragen  können.  Sie 
schmäht  jede  bloße  Gefühligkeit  und  Stimmung  als  Träg- 
heit und  Mangel  an  Ernst,  erfüllt  aber  mit  der  Grund- 
gesinnung der  Arbeit  zu  Gottes  und  seiner  Gemeinde 
Ehre*  So  wird  neben  der  ruhrigen  Aktivität  und  der 
harten  Strenge  eine  planmäßige  Vollständigkeit  und  christ- 
lich^soziale  Abzweckung  der  Geist  der  Calvinistischen 
Ethik.  Das  Luthertum  duldet  die  Welt  in  Kreuz  und 
Leid  und  Martyrium,  der  Calvinist  meistert  sie  zur  Ehre 
Gottes  in  rastloser  Arbeit  um  der  in  der  Arbeit  liegenden 
Selbstdisziplin  und  des  mit  ihr  erreichten  Gedeihens  der 
christlichen  Gemeinde  willen-  Beide  aber  betätigen  da- 
mit die  Askese  des  strengen  Erlösungsglaubens;  der  Luthe- 
raner meidet  den  „Naturalismus**  und  das  Vertrauen  zu 
natüriichen  Kräften  und  Regungen,  der  Calvinist  meidet 
.die  ^Kreaturvergötterung'S  die  in  jeder  Gestalt  der  Liebe 


Ernst  Traelt&ch, 


zur  Welt  um  der  Welt  willen  liegt.  Beide  ergeben  sich 
in  den  rein  und  unmittelbar  göttlichen  und  jenseitigen 
Zweck  der  Welt,  der  eine  leidend,  der  andere  handelnd. 

Unter  diesen  Umständen  liegt  es  auf  der  Hand,  da0 
der  Protestantismus  nicht  unmittelbar  die  Anbahnung  der 
modernen  Welt  bedeuten  kann.  Im  Gegenteil,  er  erscheint 
zunächst  als  Erneuerung  und  Verstärkung  des  Ideals  der 
kirchlichen  Zwangskultur,  als  volle  Reaktion  mittelalter- 
lichen Denkens,  die  die  bereits  errungenen  Ansätze  einer 
freien  und  weltlichen  Kultur  wieder  verschlingt.  Er  hat 
zudem  auch  den  Katholizismus  zu  einer  Neubelebung 
seiner  Idee  veranlaßt,  und  so  erlebt  Europa  wieder  zwei 
Jahrhunderte  mittelalterlichen  Geistes,  Wer  freilich  von 
der  Geschichte  des  Staatslebens  oder  der  Wirtschaft  her- 
kommt, wird  diesen  Eindruck  nicht  haben,  da  hier  die 
Ansätze  des  Spätmittelalters  sich  ungebrochen  weiter- 
entwickeln, ja  den  Protestantismus  zum  guten  Teil  in 
ihren  Dienst  nehmen.  Aber  wer  von  der  Geschichte  der 
Religion  und  der  Wissenschaft  herkommt,  wird  sich  dem 
Eindruck  nicht  entziehen  können,  daß  erst  der  große 
Befreiungskampf  des  endenden  17.  und  18.  Jahrhunderts 
das  Mittelalter  beendet. 

Nur  um  so  dringlicher  wird  aber  dann  die  Frage,  inwie- 
fern trotz  alledem  der  Protestantismus  hervorragend  mit- 
beteiligt ist  an  der  Hervorbringung  der  modernen  Welt.  Die 
Paradoxie  löst  sich  auf,  wenn  wir  dem  mit  dieser  Problem- 
stellung gegebenen  Fingerzeig  folgen  und  die  Wirkungen 
großenteils  in  indirekten  und  in  unbewußt  hervorgebrachten 
f^oigen,  ja  geradezu  in  zufälligen  Nebenwirkungen  oder 
auch  in  wider  Willen  hervorgebrachten  Wirkungen  suchen^ 
wenn  wir  insbesondere  auch  neben  dem  eigentlichen 
Protestantismus  auf  die  mit  ihm  sich  verschlingenden  Aus- 
wirkungen der  humanistischen  Kritik  und  des  täuferischen 
Subjektivismus  achten.  Um  so  klarer  wird  sich  dann 
auch  die  Stelle  zeigen,  an  der  ein  wirklich  direkter  und 
unmittelbarer  Zusammenhang  besteht*  Ich  versuche,  diese 
Wirkungen  auf  den  einzelnen  Kulturgebieten  kurz  zu 
skizzieren  und  zersplittere  sie  absichtlich  unter  diese  ver- 
schiedenen Gesichtspunkte.    Nur  wenn  man  aul  eine  ein- 


Bedeutung  d.  Protestantismus  f.  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt.  29 

heitliche  Konstruktion  aus  einer  leitenden  Idee  verzichtet 
und  die  Fülle  verschiedener  paralleler  und  unabhängiger, 
ja  etwa  auch  sich  kreuzender  Wirkungen  erwägt,  kommt 
man  zu  einem  Verständnis  des  wirklichen  Kausalzusammen- 
hanges. Der  Zufall,  d.  h.  die  Verbindung  mehrerer  von- 
einander unabhängiger  Kausalreihen  darf  in  solchen  Dingen 
nie  unterschätzt  werden.  Die  große  Hauptlinie  der  direkten 
Ideenentwicklung  wird  dadurch  ja  nicht  aufgehoben  und 
geleugnet,  sondern  nur  vor  Unklarheiten  und  Unord- 
rungen  geschützt.  Sie  wird  sich  dann  erst  recht  geltend 
machen,  wenn  anders  sie  überhaupt  vorhanden  ist. 

IV. 
Der  erste  und  am  meisten  in  die  Augen  fallende 
Umstand  ist  der,  daß  der  Protestantismus  durch  die  Zer- 
brechung  der  Alleinherrschaft  der  katholischen  Kirche 
die  Kraft  der  kirchlichen  Kultur  trotz  vorüber- 
gehender Wiederbelebung  überhaupt  bricht.  Drei 
einander  ausschließende  und  verdammende  infallible 
Kirchentümer  diskreditieren  das  Kirchentum  überhaupt, 
von  dem  es  keinen  Plural  gibt.  Das  16.  und  17.  Jahr- 
hundert sind  nicht  mehr  Mittelalter,  aber  sie  sind  auch 
nicht  Neuzeit;  sie  sind  das  konfessionelle  Zeitalter  der 
europäischen  Geschichte,  und  erst  aus  der  gegenseitigen, 
freilich  nur  relativen  Zerreibung  dieser  drei  Obernatür- 
lichkeiten ist  die  moderne  Welt  entstanden,  die  zwar 
wohl  das  Übersinnliche,  aber  nicht  mehr  das  mittel- 
alterlich Obernatürliche  kennt.  So  zersetzt  der  Protestan- 
tismus das  christliche  Kirchenwesen  und  seine  supra- 
naturalen Grundlagen  überhaupt,  ganz  gegen  seinen 
Willen,  aber  mit  tatsächlicher,  immer  deutlicher  hervor- 
tretender Wirkung.  Die  Vielheit  der  Kirchen  und  ihr 
erbitterter  Kampf  hat  mehr  als  alles  andere  die  „Liber- 
tinisten  und  Neutralisten''  großgezogen,  wie  in  Frankreich 
die  Politik  des  Kanzlers  L'Höpital  und  in  den  Nieder- 
landen die  der  Oranier  und  der  Genter  Pazifikation.  Diese 
Wirkung  und  Bedeutung  hat  mit  vollem  Recht  Richard 
Rothe  vor  allem  hervorgehoben.  Dazu  kommt  weiter, 
daß  die   innere   kirchliche   Struktur  der  protestantischen 


m 


Ernst  Troeltsch, 


Kirche  doch  bedeutend  schwächer  ist  als  die  des  Katho- 
lizismus und  daher  gegenüber  der  modernen  Ideenwelt 
weniger  dauernde  Widerstandskraft  besaß  als  der  Katho- 
hzismus.  Es  ist  das  der  Punkt,  auf  dem  Paul  de  La- 
garde  mit  grimmiger  Einseitigkeit  immer  wieder  hinge- 
wiesen hat.  Hat  man  schon  überhaupt  das  supranaturale 
Wunder  der  Menschwerdung  Gottes  in  Jesus  und  in  der 
Bibel,  so  ist  die  Fortsetzung  dieser  Menschwerdung  in 
Hierarchie  und  Sakrament  die  logische  Folge,  und  die  volle 
Vergöttlichung  des  Kircheninstituts  allein  kann  einer 
Vermenschlichung  der  Lehren  und  Wahrheiten  wirklich 
widerstehen»  Daher  hat  auch  von  den  protestantischen 
Kirchen  der  Calvinismus  bis  heute  in  Amerika  und  Groß- 
britannien der  modernen  Wissenschalt  stärker  widerstanden 
als  das  idealistische  Kirchentum  Luthers.  Als  der  Über- 
druß an  den  konfessionellen  Wirren  und  die  Reifung 
der  Renaissancewissenschaft  ihre  Angriffe  gegen  das 
Kirchentum  richteten,  hat  der  Protestantismus  nicht  wider- 
standen, ja  sogar  selbst  innere  Fühlung  mit  den  neuen 
Mächten  gesucht  und  damit  sein  inneres  religiöses  Wesen 
viellach  und  tiefgreifend  verändert**) 

Freilich  ist  das  nur  die  äußerlichste  Betrachtungs- 
weise. Die  geringere  Widerstandskraft  allein  hat  es  nicht 
getan,  er  besaß  vielfach  der  modernen  Welt  entgegen- 
kommende Strebungen,  die  ihn  befähigten,  im  Konflikt 
nicht  bloß  zu  unterliegen,  sondern  sich  mit  dem  neuen 
zu  amalgamieren,  und  zwar  viel  stärker  zu  amalgamieren, 
als  das  auf  seine  Weise  auch  der  Katholizismus  gekonnt 
hat.  Ich  zeige  das  zunächst  an  den  verschiedenen  ein- 
zelnen Kulturgebieten  und  gehe  dabei  auf  das  Wichtigste^ 
die  innere  Umbildung  des  religiösen  Gedankens  selbst, 
erst  zuletzt  ein. 

An  erster  Stelle  steht  das  Grundelement  aller  Ge- 
sittung, die  Familie,  Hier  hat  er  die  mönchische  und 
klerikale  Betrachtung  des  Geschlechtslebens  autgehoben, 
die  dem  entstehenden  modernen  Staat  so  wichtige  Popu- 


I 


^)  Vgl,  Rothe,  Vorlesungen  über  Kirchengeschichte.   Heraus- 
gegeben von  Weingarten,    Bd.  2,    Heidelberg  1875. 


Bedeutung  d*  Protestantismus  f.d.  Entstehung  d.  modernen  Welt.  31 


lation  gehoben,  im  Pfarrstande  einen  neuen  Stand  und 
einen  Typus  des  Familienlebens  geschaffen  wie  er  es 
verstand*  Durch  die  Aufhebung  des  Sakramentscharak- 
ters der  ehelichen  Begattung  hat  er  die  Ehe  mehr  in  das 
moralisch-persönliche  Verhältnis  verlegt,  die  Scheidung 
und  Wiederverheiratung  ermöglicht  und  damit  eine  freiere 
Bewegung  des  Individuums  angebahnt.  Im  übrigen  aber 
ist  der  Unterschied  von  dem  Familienideal  des  Kathoü- 
zismus,  die  Annäherung  an  moderne  Denkweise,  geringer, 
als  man  oft  meint.  Er  hat  durchaus  den  alten  Patriarcha- 
lismus mit  der  absoluten  Unterordnung  der  Frau  und  der 
Kinder  festgehalten^  und  auch  noch  seine  Erbsündenlehre 
hat  das  Geschlechtsleben  mit  dem  Makel  der  Sünden- 
strafe in  der  Konkupiszenz  und  die  Zeugung  mit  dem 
der  Fortpflanzung  der  Erbsünde  belastet.  Die  Ehe  bleibt 
auch  ihm  wesentlich  ein  Gegenmittel  gegen  sündige  Aus- 
artung der  Lust  und  eine  von  Gott  nun  einmal  verord- 
neter Beruf  und  Stand,  den  der  christliche  Gehorsam  auf 
sich  nimmt.  Der  moderne  Individualismus,  die  Huma- 
nität und  Freiheit  der  Erziehung,  die  Selbständigkeit  der 
Frau  fehlen  ihm;  ja  die  unverheiratete  Frau  wird  durch 
Beseitigung  des  Klosters  unter  die  Verheiratete  noch 
weiter  herabgedrückt*  Demgegenüber  steht  eine  geistige 
und  soziale  Selbständigkeit  der  Frau  bei  den  Huma- 
nisten und  der  Renaissance,  die  religiöse  Emanzipation 
der  Frau  bei  Wiedertäufern,  Independenten,  Quäkern  und 
Pietisten»  und  in  der  Kindererziehung  haben  erst  Rousseau 
und  Pestalozzi  neue  Bahnen  eingeschlagen.  Vollends 
die  gefühlsmäßige  Verfeinerung  des  Geschlechtslebens, 
die  Lösung  der  Geschlechtslust  von  allen  Erbsünde- 
gedanken hat  erst  die  moderne  Kunst  und  Poesie  gebracht^ 
vor  allem  die  Poesie  der  Empfindsamkeit,  die  nichts 
anderes  ist  als  die  Säkularisation  des  religiösen  Gefühls- 
[öberschwanges  und  seine  Richtung  auf  das  Natürliche.*) 
Ein  anderes  wichtiges  Grundelement  ist  das  Rechts- 
leben der  Gesellschaft.     Auch  hier  ist  der  Protestan- 


*)  Hierüber   höchst   interessante   Aufklärungen   bei  v.  Wald- 
berg, Der  empfindsame  Roman  in  Frankreich.    1906. 


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Ernst  Troeitsch, 


./ 


tismus  nicht  ohne  Einwirkung:  Freilich  auf  dem  Gebiete 
des  Strafrechts  hat  er  die  alte  barbarische  Justiz  fortgeführt 
und  sie  auch  seinerseits  mit  den  Gedanken  der  Erbsünde 
und  der  Stellvertretung  der  vergeltenden  Gottheit  durch 
die  Obrigkeit  begründet.  So  wie  er  das  Naturrecht  ver- 
stand, d,  h,  als  Bildung  der  irdischen  Gewalten  durch 
den  natürlichen  Lauf  der  Dinge  unter  Leitung  von  Gottes 
Vorsehung  und  als  seine  besondere  Gestalt  durch  die 
Einschränkung  der  Erbsünde  empfangend,  konnte  er 
dieses  Strafrecht  als  Ausfluß  des  Naturrechts  betrachten 
und  mit  den  biblisch-alttestamentlichen  Exempeln  des  ja 
auch  im  Alten  Testament  bezeugten  Naturrechts  belegen. 
Daß  dabei  auch  der  Hexen-  und  Zauberprozeß  fort- 
dauerte, ist  bekannt.  Im  Zivilrecht  dagegen  bedeutet  er 
überall,  wenigstens  auf  dem  Kontinent,  eine  bedeutende 
Veränderung,  eine  außerordentliche  Verstärkung  des 
römischen  Rechtes  und  die  Unterstützung  seiner  Rezep* 
tion.  Freilich  in  Luthers  Sinne,  der  ein  populäres  und 
billiges  Recht  verlangte,  war  das  nicht.  Allein  hier  griffen 
die  protestantischen  Humanisten  ein.  Sie  konstruierten 
die  L^x  naiurae  als  die  Grundlage  des  ganzen  natürlichen 
Lebens,  als  die  unter  Gottes  Leitung  aus  der  Vernunft 
und  dem  Gang  der  Dinge  hervorgehende  Ordnung,  und 
identifizierten  wiederum  diese  mit  dem  Dekalog.  Indem 
sie  aber  mit  echt  humanistischer  Schätzung  des  Alter- 
tums und  den  Winken  römischer  Juristen  folgend,  das 
römische  Recht  als  Vernunftrecht  und  ratio  scripta  be- 
trachteten, wurde  ihnen  dieses  zu  einem  Ausfluß  des 
Naturrechtes  und  damit  zu  einer  Form  der  Auswirkung 
des  Dekaloges.  Melanchthon  hat  das  römische  Recht 
geradezu  mit  dem  Dekalog  identifiziert,  ebenso  die  Genfer 
Theologie,  deren  Hauptanliegen  war,  neben  der  theologi- 
sehen  Fakultät  eine  juristische  aus  den  Zöglingen  der 
großen  französischen  Rechtsschule  zu  gewinnen.  In 
Deutschtand  haben  dann  die  Bedürfnisse  des  Territorial- 
staates und  des  Absolutismus,  in  den  calvinistischen 
Ländern  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  diese  huma- 
nistisch-theologische Theorie  unterstützt.  Wenn  das 
römische    Recht   sein  Teil  zu   der  Rationalisierung  und 


4 


Bcdetitting  d. Protestantismus  f.d.  Entstehung  d.  modernen  Welt,  33 


Individualisierurig  der  modernen  Welt  beigetragen  hat, 
so  kommt  davon  ein  Teil  der  Ursachen  auch  auf  Rech- 
nung des  Protestantismus  oder  vielmehr  seiner  humanisti- 
schen Theologie*  Die  angelsächsische  Theologie  frei- 
lich blieb  von  diesem  Gedanken  lern,  weil  hier  die  Re- 
zeption überhaupt  nicht  stattfand. 

Viel  tiefer  und  weit  mehr  aus  seinem  inneren  Wesen 
heraus  wirkt  der  Protestantismus  auf  das  Staatsleben 
und  das  öffentliche  Recht.  Zwar  muß  man  auch  hier 
vor  gangbaren  Übertreibungen  sich  hüten;  den  weltlichen 
Staat  und  die  moderne  Staatsidee^  eine  selbständige  Ethik 
der  Politik,  hat  der  Protestantismus  nicht  geschaffen.  Er 
hat  ihn  befreit  von  aller  und  jeder  rechtlichen  Überordnung 
der  Hierarchie^  und  er  hat  die  staatlichen  Berufe  als  un- 
mittelbaren Gottesdienst  betrachten  gelehrt,  die  nicht  erst 
auf  dem  Umweg  des  Dienstes  für  die  Kirche  Gott  dienen. 
Das  bedeutet  die  endgültige^  auch  formelle  und  prinzipielle, 
Verselbständigung  des  Staates,  aber  es  bedeutet  durch- 
aus noch  nicht  die  moderne  Staatsidee.  Er  hat  vielmehr 
den  Staat  durchaus  doch  als  eine  religiöse  Institution 
betrachtet  und  seinen  Zweck  in  der  Pflege  des  Christ* 
liehen  Gemeinwesens  und  Sittengesetzes  gesehen.  Da 
der  eigentliche  Zweck  des  Lebens  in  der  Erlösung  und 
der  religiösen  Sittlichkeit  liegt,  bleibt  dem  Staat  nur  der 
Charakter  des  Pflegers  der  externa  disciplina  und  der 
Jasiiiia  cmüs  samt  der  utilitari sehen  Sorge  für  die  mate- 
rielle Existenz  der  Untertanen,  womit  er  ja  nur  die  Funk- 
tionen der  dem  Dekalog  eingeordneten  Lex  naiurae 
ausübt.  Über  diese  äußeren  Vorbedingungen  christlichen 
Lebens  hinaus  ist  sein  höchster  Dienst  der  Liebes- 
dienst für  die  KirchCj  wozu  die  Obrigkeit  als  Schützerin 
des  das  Naturrecht  inkamierenden  Dekalogs  natur- 
rechtlich und  als  wichtigster  Bruder  in  der  christlichen 
Gemeinde  christlich  verpflichtet  ist.  Für  die  protestan- 
tische Staatslehre  beider  Konfessionen  gilt  eben  das 
christliche  Naturrecht,  das  schon  im  Mittelalter  Stoa, 
Aristoteles  und  Bibel  gemischt  hatte,  und  das  auch  die 
Protestanten  für  ihren  bibtisch-rationeUen  Staatsbegrifl 
sorgfältig  ausbauten.  Nur  tut  die  Obrigkeit  das  jetzt  alles  aus 

HiitoHicfac  ZdtichriH  <97.  Bd.)  ^  Folge  U  Bd.  3 


11 


M 


Ernst  Troeltsch, 


selbständiger  Einsicht  in  die  biblisch-rationelle  Forderung^ 
als  eigenen  gottverord neter  Berul  und  in  bloßem  freien 
Zusammenwirken  mit  den  fachmäßigen  Kennern  der  Bibel, 
den  Geistlichen,    Immerhin  bedeutet  das  eine  Steigerung 

"^  der  Souveränetät  und  Autarkie  der  Staatsidee.  Der  Pro- 
testantismus griff  in  die  zur  Souveränetät  aufsteigende 
Entwicklung  des  Staates  mit  ein  und  hat  sie  mächtig 
gefördert;  er  hat  insbesondere  das  sich  ausbildende  staat- 
liche Beamtentum  mit  dem  Charakter  eines  gottverord- 
neten Berufes  bekleidet^  der  teil  hat  an  der  Ausübung 
des  göttlichen  Willens^  und  hat  damit  der  neuen  zentra- 
lisierten Verwaltung  eine  ethische  Kräftigung  zuteil  werden 
lassen.  Auch  hat  er  durch  die  direkte  Heranziehung  des 
Staates  zu  geistlichen  und  kulturlichen  Leistungen  für 
das  christliche  Gemeinwesen  den  Staatszweck  mit  der 
breitesten  kulturlichen  Zwecksetzung  erfüllt,  hat  ihm  die 
Sorge  für  Unterricht,  Sittenordnung,  Nahrungsschutz  und 
geistig-ethisches  Gedeihen  übertragen.  Es  ist  noch  nicht 
der  moderne  Begriff  des  Kulturstaates;  denn  all  das  tut 
der  Staat  als  Mitinhaber  der  geistlichen  Gewalt  und  aus 
christlicher  Pflicht.    Aber   daraus  wird  bei  der  Ablösung 

'  der  Kultur  von  der  Kirche  und  Beibehaltung  der  kultur- 
liehen  Funktionen  durch  den  Staat  der  moderne  Kultur- 
staat, Der  aufgeklärte  bevormundende  Absolutismus 
wächst  aus  dem  protestantischen  Patriarchalismus  heraus. 
Das  letztere  ist  freilich  mehr  auf  dem  Boden  des  Luther- 
tums der  Fall  gewesen,  der  die  kirchlichen  Funktionen 
geradezu  dem  Staate  zuwies;  der  Calvinismus  hat  die 
kirchliche  Geistes-  und  Wohlfahrtspfege  von  der  staat- 
lichen schärfer  unterschieden  und  schon  in  Genf  die 
Akademie  unter  kirchlicher  Oberaufsicht  behalten;  immer* 
hin  hat  doch  auch  er  wenigstens  im  Sinne  des  Genfer 
Ideals  überall  den  Staat  an  der  geistig-ethischen  Hebung 
und  dem  Kulturzwecke  direkt  und  ausgiebig  beteiligt. 
Sobald  freilich  der  Staat  sich  dem  geistlichen  Sinn  dieser 
Pflichten  versagte,  hat  der  Calvinismus  sie  an  die  Kirche 
zurückgenommen  und  dem  Staat  wesentlich  nur  die  Rolle 
des  Wächters  über  Sicherheit  und  Disziplin  gelassen,  wo- 
durch er  der  Staatsidee  des  älteren  Liberalismus  vorge- 


Bedeutung  d.  Proteatantismus  Ld.  Entstehung  d.  modernen  Welt.  35 


arbeitet  hat;  in  Amerika  vertreten  noch  heute  gerade  die 
Kirchen  diese  Staatsidee,  und  der  hoEländische  theologische 
Minister  Kuyper  hat  daraus  geradezu  eine  reformierte 
Grundtheorie  gemacht. 

[n  alledem  verstärkt  der  Protestantismus  nur  schon 
vorhandene  Triebkräfte.  Stärker  ist  seine  Einwirkung 
auf  die  Staatsform,  und  hier  unterscheiden  sich  denn 
auch  die  beiden  Konfessionen  grundlegend.  Alles  tiegt  hier 
an  der  jeweiligen  Gestaltung  des  kirchlich  akzeptierten 
Naturrechts,  wie  das  ja  schon  im  katholischen  System 
der  entscheidende  Faktor  gewesen  ist.  Das  Naturrecht 
des  Luthertums  ist  von  Hause  aus  konservativ,  betrachtet 
in  seinem  ergebungsvollen  Vertrauen  zu  Gottes  Vor- 
sehung die  vom  natürlichen  Prozeß  hervorgebrachten 
Gewalten  als  von  Gott  eben  dadurch  eingesetzt  und  zu 
Hütern  der  jusiiHa  civilis  berufen*  Zugleich  bestätigt  das 
Alte  Testament  diese  Betrachtung,  das  die  Herrscher  als 
von  Gott  eingesetzt  betrachtet.  Gott  ist  die  caasa  remoia 
dieser  Hervorbringungen,  und  so  schuldet  man  ihnen 
als  direkt  oder  indirekt  von  Gott  in  die  Gewalt  gesetzten 
Mächten  unbedingten  Gehorsam.  Durch  diese  Auffassung 
wird  das  Luthertum  ein  Helfer  in  der  Umbildung  des 
ständischen  Staates  zum  territorialen  Absolutismus,  und, 
indem  es  ihm  vollends  noch  die  Kirchengewalt  in  die 
Hand  gibt,  steigert  es  die  Machtmittel  dieses  Absolutismus 
im  höchsten  Grade.  Immerhin  konserviert  es  dabei  auch 
den  ständischen  Geist,  indem  es  zwar  den  Ständen  die 
Unterordnung  unter  die  Zentralgewalt  zumutet,  dafür  aber 
auch  den  privilegierten  Ständen  in  ihrem  Herrschalts- 
bezirk  die  gleiche  Geltung  als  gottverordnete  Obrigkeit 
zuweist  und  ihnen  den  Anspruch  auf  leidenden  Gehor- 
sam zuerkennt.  Das  Luthertum  ist  dem  Absolutismus 
politisch  förderlich,  im  übrigen  aber  wesentlich  konserva- 
tiv und  politisch  apathisch;  die  ständischen  Rechte  bricht 
es  nach  oben,  aber  konserviert  es  nach  unten.  Die  Lehre 
Stahls  und  der  preußische  Konservatismus  drücken  heute 
noch  seinen  Geist  aus,  wobei  nur  nicht  zu  vergessen  ist, 
daß  das  von  „Gottes  Gnaden"  im  alten  Luthertum  wie 
von    den    Fürsten    so    auch    von    den    reichsstädtischen 

3» 


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Ernst  Troeltäch^ 


Magistraten  galt  und  nur  eine  religiöse  Deutung  natür- 
licher Vorgänge  ohne  alle  feudale  Romantik  war,^) 

Ganz  anders  entwickelt  sich  der  politische  Geist  des 
Calvinismus*  Im  allgemeinen  in  der  Grundtheorie  ist 
auch  sein  staatliches  Naturrecht  konservativ;  nur  wo  er 
die  Möglichkeit  freier  Wahl  und  Konstituierung  neuer 
Obrigkeiten  hat,  bevorzugt  er  eine  gemäßigte  Aristo- 
kratie, wie  das  bei  der  Herkunft  aus  der  Genfer  Repu- 
blik und  bei  der  Herrschaft  des  aristokratischen  Prädesti- 
nationsgedankens nicht  verwundern  kann.  In  den  großen 
Kämpfen  gegen  die  katholischen,  das  reine  Gotteswort 
nicht  zulassenden  Obrigkeiten,  d.  h.  in  den  hugenottischen, 
niederländischen,  schottischen  und  englischen  Kämpfen^ 
hat  jedoch  der  Calvinismus  sein  Naturrecht  sehr  viel 
radikaler  entwickeU;  Es  setzte  sich  der  Satz  von  dem 
Widerstandsrecht  durch,  das  um  des  Wortes  Gottes  willen 
gegenüber  gottlosen  Obrigkeiten  ausgeübt  werden  muß^ 
und  dessen  Ausübung  dann  den  magistrats  infeneurs 
als  den  Nächstberufenen  zufällt  und  im  Falle  des  Mangels 
solcher  auch  vom  einzelnen  betätigt  werden  kann;  ja  bei 
besonderer  individueller  Berufung  ist  auch  der  Tyrannen- 
mord erlaubt,  wie  der  Jael  im  Alten  Testament.  Das 
gibt  dem  calvinistischen  Naturrecht  einen  Zug  zum  Fort- 
schrittlichen, eine  Neigung  zur  Neuordnung  gottwidriger 
Staatsverhättnisse.  Aber  auch  in  dieser  Neuordnung  selbst 
tritt  ein  spezifisch  reformiertes  Staatsideal  zutage.  Bei  allen 
solchen  Neuordnungen  war  nämlich  die  Keimzeile  die  refor- 
mierte presbyteriale  und  synodale  Kirchenverfassung  mit 
ihrem  Repräsentativsystem,  So  färbte  naturgemäß  dieses 
System  auf  die  Theorie  vom  neu  zu  ordnenden  Staate 
ab^  auch  der  Staat  mußte  repräsentativ  aufgebaut  und 
kollegial  durch  die  Vereinigung  der  in  den  Wahlen  em- 
porgehobenen Besten  regiert  werden.  Unter  dem  Ein- 
druck dieser  fdeen  nahm,  worauf  insbesondere  Gierke 
hingewiesen  hat,  das  calvinistische  Naturrecht    die  Idee 

')  Vgl  R  Drews,  Einfluß  der  gesellschaftlichen  Zustände  auf 
das  kirchUche  Leben,  Tübingen  1906;  derselbe,  Der  evangelische 
Oeistliche  in  der  deutschen  Vergangenheit,  Jena  1906;  (Gebhardt) 
Zur  bäuerlichen  Glaubens-  und  Sittenlehre^  Gotha  1895. 


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Bedeutung  d>  Protestantismus  f.  d*  Entstehung  d.  modernen  Welt.  37 

vom  Staatsvertrage  auf.  Danach  führt  die  Lex  naturae 
durch  die  Logik  der  Dinge  zur  vertragsmäßigen  Konsti- 
tuierung und  Wahl  der  Obrigkeiten,  die  dann  als  von  der 
causa  remaia,  von  Gott,  herstammend  durchaus  religiös 
als  Beauftragte  Gottes  betrachtet  werden  können  und 
Anspruch  auf  absoluten  Gehorsam  haben,  solange  sie 
nicht  gegen  das  Wort  Gottes  sich  versündigen.  Die  alt- 
testamentliche  Bestätigung  dieser  Naturrechtslehre,  die 
der  Calvinismus  an  charakteristisch  anderer  Stelle  sucht 
als  das  Luthertum,  findet  er  in  den  Bundschließungen 
Israels,  aus  denen  seine  Könige  und  seine  Ordnungen 
hervorgehen.  Daher  stammen  die  covenants.  Es  ist 
mer  noch  eine  wesentlich  religiöse  und  aristokratische 
idee,  die  sich  von  dem  reinen  Rationalismus  des  Natur- 
:chts  der  Aufklärung  und  von  dem  Demokratismus  der 
Rousseauschen  Lehre  stark  unterscheidet.  Überall,  wo 
die  Theorie  zu  praktischer  Wirkung  gekommen  ist,  hat 
sie  zu  einer  auf  beschränktem  Wahlrecht  erbauten  Aristo- 
kratie geführt.  Die  eigentliche  Demokratie  ist  überall 
dem  calvinistischen  Geiste  fremd  und  hat  sich  aus  ihm 
nur  da  entwickeln  können,  wo,  wie  in  den  Neuengland- 
staaten, die  alten  ständischen  Elemente  Europas  fehlten 
und  die  politischen  Institutionen  aus  den  kirchlichen  her- 
vorwuchsen. Aber  auch  dort  ist  sie  zur  strengsten  Theo- 
kratie  geworden,  beschränkt  sich  die  Wählbarkeit  auf  die 
nach  der  Taufe  noch  besonders  zu  erklärende  und  an 
sittliche  Würdigkeit  gebundene  Kirchenzugehörigkeit  und 
betrachten  die  gewählten  Herrscher  sich  patriarchalisch 
als  zur  eingehendsten  religiös-ethischen  Erziehung  be- 
rechtigt. So  darf  die  Demokratisierung  der  modernen 
politischen  Welt  nicht  einseitig  und  nicht  direkt  auf  den 
Calvinismus  zurückgeführt  werden.  Der  reine  naturrecht- 
rtche*  von  religiösen  Rücksichten  befreite  Rationalismus 
hat  daran  einen  stärkeren  Anteil,  aber  allerdings  hat  der 
Calvinismus  einen  hervorragenden  Anteil  in  der  Herbei- 
fühnjng  der  Disposition  für  den  demokratischen  Geist.  ^) 

*)  Vgl  hierzu  Gierke,  AUhusius  \  Breslau  1902;  Cardauns, 
Lehre  vom  Widerstandsrecht  des  Volkes  im  Luthertum  und  Cal- 
trinUmus^  Bonn  1903;  Doyle,  Tht;  English  in  Americai  London  1887. 


Ernst 


Verschieden  von  dem  Ideal  der  demokfatischen  Stimts- 
torm  iit  eine  andere  Gniodidee  des  modemen  poiitischefi 
LebenSpdie  Idee  der  Menschenrechte  und  Gewjssens- 
freiheit;  d.  h.  der  prinzipiellen  Unantasttrarkdt  von  Leben» 
Freiheit,  Besitz  des  Individuums  au0er  auf  dem  Wege 
ordentlichen  Rechtes  und  der  Respektierung  des  indivi- 
duellen Religionsbekenntnisses  und  der  individuellen  Ober- 
xeu^ungsäußerung.  Diese  Rechte  sind  durch  die  (ran- 
zJiiiftche  Verlassung  in  alle  moderne  Verfassungen  über- 
gegangen und  sind  hierbei  überall  mit  demokratischen 
und  repräsentativen  Ideen  verbunden.  Doch  haben  die 
letjctcren  mit  den  ersteren  nicht  notwendigen  Zusammen- 
hing; die  bedeuten  nur  die  beste  Möglichkeit  ihrer  Garan- 
tierung, jene  sind  aber  an  sich  auch  ohne  Demokratie  sehr 
wohl  möglich,  wie  es  umgekehrt  Demokratie  ohne  Ge- 
wissensfreiheit geben  kann.  Das  englische  parlamen* 
tarische  Königtum  der  glorreichen  Revolution  kannte  prajt- 
tisch  Menschenrechte  und  Oewissenslreiheit  ohne  Demo- 
kratie, und  die  calvinistischen  Neu-Englandstaaten  oder 
luch  Rousseaus  Majoritatsstaat  kannten  Demokratie  ohne 
Gewisienstreiheit.  Beides  ist  zu  trennen  und  ilieät  nur 
da  ziiHummen^  wo  man  die  demokratische  Gestaltung 
des  StaatswiHens  selbst  für  ein  unveräußerliches  Menschen- 
recht hält,  was  aber  keineswegs  logisch  notwendig  war 
und  ist.  Hier  hat  nun  Jellinek  auf  diese  Verschiedenheit 
der  die  Freiheit  respektierenden  Staatseinsch rankung  und 
der  den  Staat  in  die  Hand  des  Volkes  legenden  radi- 
kilen  Demokratie  hingewiesen,  indem  er  diese  beiden 
Elemente  in  der  französischen  Verfassung  trennte  und 
als  streng  verschieden  aufzeigte.  Des  Näheren  hat  er  dann 
aber  insbesondere  die  erstere  Lehre  als  aus  den  Ver- 
fassungen der  nordamerikanischen  Staaten  herrührend, 
und  teilweise  wörtlich  aus  ihnen  übernommen  aufgezeigt* 
In  den  nordamerikanischen  Staaten  selbst  leitete  er 
diese  Deklarationen  aus  deren  puritanisch-religiösen  Prin- 
zipien ab,  die  sich  nicht  mit  einer  bloßen  praktischen 
Geltung  der  englischen  Freiheiten  begnügten,  sondern 
Freiheit  der  Person  und  vor  allem  der  religiösen  Über- 
zeugung   als   ein    von  Gott    und  Natur    prinzipiell    ver- 


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Bedeutung  d.  Protestantismus  f,  d>  Entstehung  d.  modernen  Welt.  39 

liehenes  Recht  betrachteten,  das  seinem  Wesen  nach  keine 
Staatsgewalt  antasten  darf.  Erst  mit  dieser  religiösen 
Fundamentiemng  sind  diese  Forderungen  absolut  und 
dadurch  einer  prinzipiellen  juristischen  Erklärung  fähig 
und  bedürftig  geworden.  Erst  so  gelangten  sie  in  das 
Staatsrecht  als  Grundlehre  und  nahmen  ihren  Weg  aus 
den  nordamerikanischen  Staatsveriassungen  in  die  franzö- 
sische und  aus  dieser  in  fast  alle  modernen  Verfassungen 
überhaupt.  Was  dem  bloßen  positiven  englischen  Recht, 
der  utilitarischan  und  skeptischen  Toleranz  und  den  ab- 
strakten literarischen  Erörterungen  nicht  gelang,  das 
gelang  der  Energie  der  prinzipiellen  religiösen  Ober- 
zeugung* Dabei  lag  es  an  den  Verhältnissen,  daß  der 
Durchbruch  dieser  religiösen  Freiheitslorderung  in  die 
jurasttsche  Formel  auch  die  demokratisch-verfassungs- 
rechtlichen Garantien  mit  hindurchriß,  die  zur  Sicher- 
stellung der  Grundforderungen  und  in  der  Eigenart 
amerikanisch-englischen  Lebens  sich  ausgebildet  hatten, 
so  daß  die  ofüzielle  Liste  der  Menschenrechte  auch  eine 
Reihegrundlegender  demokratisch-politischer  Forderungen 
mitenthält.  Damit  stünden  wir  allerdings  vor  einer  über- 
aus wichtigen  Wirkung  des  Protestantismus,  der  damit 
ein  Grundgesetz  und  ein  Grundideal  modernen  Wesens 
in  die  Wirklichkeit  geführt  hätte.  In  der  Tat  ist  im  all- 
gemeinen Jellineks  Darlegung  eine  wirkliche  erleuchtende 
Entdeckung,  Nur  in  einem  Punkte  bedarf  sie  einer 
näheren  Bestimmung^  die  für  unser  Thema  freilich  ent- 
scheidend ist,  nämlich  in  bezug  auf  den  Puritanismus, 
der  der  Vater  dieses  Gedankens  und  der  Schöpfer  dieser 
Rechtsformeln  gewesen  sein  soll.  Dieser  ^Puritanismus" 
nämlich  ist  nicht  calvinistisch,  sondern  täuferisch.  Die 
calvinistischen  nordamerikanischen  Puritanerstaaten  sind 
zwar  demokratisch  gewesen,  aber  sie  wußten  nicht  bloß 
nichts  von  Gewissensfreiheit,  sondern  haben  sie  geradezu 
als  eine  gottlose  Skepsis  verworfen.  Gewissensireiheit 
gab  es  nur  in  Rhode-Island,  aber  dieser  Staat  war  bap- 
tistisch und  war  darum  bei  allen  Nachbarstaaten  als  Sitz 
der  Anarchie  verhaßt;  sein  großer  Organisator  Roger 
Williams  ist  geradezu  zum  Baptismus  übergetreten.    Und 


40 


Ernst  Troeltsch, 


ebenso  ist  der  zweite  Herd  der  Gewissensfreiheit  in 
Nordamerika^  der  Quäkerstaat  Pennsylvaniens,  täuferischer 
Herkunft*  Wo  sonst  die  Forderung  der  Toleranz  und 
Gewissensfreiheit  sich  findet,  ist  sie  politisch  und  utili- 
tarisch  motiviert^  wie  ja  schließlich  auch  die  Kaufleute 
der  Massachusetts-Theocracy  diesem  Indifferentismus  er- 
fagen.  Der  Vater  der  Menschenrechte  ist  also  nicht  der 
eigenthche  Protestantismus,  sondern  das  von  ihm  gehaßte 
und  in  die  Neue  Welt  vertriebene  Täufertum,  worüber 
sich  auch  niemand  wundern  kann,  der  die  innere  Struktur 
des  protestantisch-kirchlichen  und  des  täuterisch-spiritua- 
listtschßn  Gedankens  verstanden  hat.  Aber  indem  wir 
so  an  diesem  Punkte  auf  das  Täufertum  gewiesen  werden, 
tut  sich  uns  eine  noch  viel  weitere  Perspektive  auf.  Das 
nordamerikanische  Täufer-  und  Quäkertum  entstammt  der 
großen  religiösen  Bewegung  der  englischen  Revolution, 
dem  tndependentismus.  Dieser  Independentismus  selbst 
aber  war  aufs  stärkste  mit  Einflüssen  des  Täufertums 
durchsetzt,  die  von  Holland,  dem  kontinentalen  Zufluchtsort 
der  Täufer,  und  von  den  anierikanischen  Flüchtlingen  her 
auf  England  wirkten.  Hier  hat  das  Täufertum  überhaupt 
endlich  seine  große  weltgeschichtliche  Stunde  erlebt,  indem 
es  seine  Apolitie  aufgab  und  gestaltend  eingriff  zur  Her- 
vorbringung eines  christlichen  Staates.  In  mancherlei 
Verschmelzungen  mit  dem  Calvinismus  wurde  es  aggressiv 
und  schöpferisch  und  verwirklichte  es  seine  Idee  von  dem 
christlichen  Staat,  in  welchem  Staat  und  religiöse  Gemeinde 
völlig  getrennt  sind,  jede  religiöse  Gemeinde  auf  sich 
'  selbst  und  ihren  engen  Bruderkreis  gestellt  ist  und  doch 
der  Staat  die  Grundgebote  christlicher  Sittenstrenge  und 
Lebensreinheit  strenge  überwacht  und  aufrecht  erhält. 
Der  Staat  Cromwells,  der  eben  damit  gerade  ein  christ- 
licher sein  wollte,  hat  diese  Idee  auf  kurze  Zeit  verwirk- 
lichtj  und,  so  kurze  Zeit  dieses  grandiose  Gebilde  dauerte, 
seine  weltgeschichtlichen  Wirkungen  sind  außerordent- 
lieh.  Denn  aus  dieser  gewaltigen  Episode  verblieben  die 
großen  Ideen  der  Trennung  von  Kirche  und  Staat,  der 
Duldung  verschiedener  Kirchengemeinschaften  nebenein- 
ander,   des    Freiwilligkeitsprinzips    in    der    Bildung    der 


Bedeutung  d.  Protestantismus  f.  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt  41 

Kirchenkörper,  der  (zunächst  freilich  relativen)  Oberzeu- 
gungs-  und  Meinungsfreiheit  in  allen  Dingen  der  Welt- 
anschauung und  der  Religion.  Hier  wurzelt  die  alt- 
liberale Theorie  von  der  Unantastbarkeit  des  persönlich- 
inneren Lebens  durch  den  Staat,  welche  dann  nur  weiter 
auch  auf  mehr  äußerliche  Dinge  ausgedehnt  wurde;  hier 
ist  das  Ende  der  mittelalterlichen  Kulturidee  bewirkt,  ist  an  ^ 
Stelle  der  staatlich-kirchlichen  Zwangskultur  die  moderne  jl 
freie  individuelle  Kultur  getreten.  Es  ist  zunächst  ein  ^ 
rein  religiöser  Gedanke,  der  nur  bald  säkularisiert  und 
von  der  rationalistischen,  skeptischen  und  utilitarischen 
Toleranzidee  überwuchert  wurde;  aber  er  allein  hat  mit 
seiner  religiösen  Wucht  der  modernen  Freiheit  die  Bahn 
bereitet.  Aber  das  ist  nicht  eigentlich  das  Werk  des 
Protestantismus,  sondern  ein  Werk  des  neubelebten  und 
mit  dem  radikalisierten  Calvinismus  verschmolzenen 
Täufertums,  das  damit  eine  verspätete  Genugtuung  er- 
fährt für  die  maßlosen  Leiden,  die  diese  Religion  der 
Duldung  und  der  Gewissensüberzeugung  von  allen  Kon- 
fessionen im  16.  Jahrhundert  hatte  erfahren  müssen.^) 

Weitere  politische  Folgen  wird  man  dem  Protestan- 
tismus schwerlich  zurechnen  dürfen.  Die  Sprengung  des 
katholisch-römisch-deutschen  Imperiums  und  die  Ver- 
wandlung der  abendländischen  Christenheit  in  ein  Gleich- 
gewichtssystem verschiedener  Großmächte  ist  von  ihm 
natürlich  befördert  und  befestigt,  aber  war  schon  vor  ihm 
im  Gange.  Vollends  mit  dem  Nationalitätsprinzip  hat  sein 
Landeskirchentum  keinerlei  Zusammenhang.  Dieses  hat 
nur  der  Festigung  und  Zentralisierung  der  Zentralgewalten  y 
gedient,  während  jenes  ein  Erzeugnis  völlig  moderner, 
wenn  auch  gegensätzlicher  Mächte,  der  demokratischen 
Aufweckung  der  Massen  und  der  romantischen  Idee  vom 
Volksgeist,  ist. 

Dagegen  zeigt  sich  uns  wieder  eine  mächtige  Wir- 
kung,   wenn    wir    uns    zu   der   Entwicklung   des  wirt- 


*)  Vgl.  Jellinek,  Die  Erklärung  der  Menschen-  und  Bürger- 
rechte, Leipzig  1904;  Doyle,  ThelEnglish  in  America;  L.W.  Bacon, 
A  history  of  American  Christianity,  New  York  1897. 


Ernst  Troeltsch, 


schaftlichen  Lebens  und  Denkens  wenden.  Allerdings 
sind  auch  hier  viele  Irrtümer  im  Schwange,  Man  preist 
Luthers  BerufssittÜchkeit  und  sieht  in  ihr  die  christliche 
Rechtfertigung  des  Erwerbslebens,  das  mit  dieser  Recht- 
fertigung einen  mächtigen  Aufschwung  genommen  habe. 
Allein  dabei  vergißt  man,  daß  diese  Berufslehre  als  Lehre 
von  dem  geordneten  Beitrage  jedes  Arbeitenden  zu  dem 
de  lege  naturae  gesetzten  Gesellschaftszweck  schon  lange 
katholische  Lehre  war,  und  daO  für  Luther  nur  die  mön- 
chiscfi-asketischen  Einschränkungen  wegfallen  und  die 
Säkularisationen  das  fürstliche  Vermögen^  damit  auch  die 
rationelle  Wirtschaftspolitik  der  Regierungen,  stärken. 
Man  vergißt  dabei  vor  allem,  daß  die  protestantische 
Berufsidee  im  lutherischen  Sinne  mit  der  konservativen, 
ständisch-gegliederten  Gesellschaft  zusammenhängt,  jeden 
in  seinem  Stande  konserviert  und  nur  Auskömmlich- 
keit der  Existenz  und  Nahrungsschutz  durch  die  Obrig- 
keit, im  übrigen  Dulden  und  Leiden  der  Ungerechtig- 
keiten der  Welt  fordert  Es  ist  dieselbe  traditionalistische 
Lebenshaltung,  wie  sie  der  Katholizismus  vorschrieb,  und 
nichts  weniger  als  ein  Stachel  zum  Eintritt  in  die  ge- 
waltige Aulwärtsbewegung  des  modernen  wirtschaftlichen 
Lebens.  Ganz  übereinstimmend  damit  ist  Luthers  öko- 
nomisches Ideal  vom  agrarischen  und  handwerklichen 
Standpunkt  aus  orientiert  und  setzt  er  das  kanonische 
Zinsverbot  fort.  Und  weiterhin  ist  das  Luthertum  bei 
der  Deutschland  beherrschenden  naturalwirtschaftlichen 
Reaktion  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  in  dieser  Idee 
nur  immer  enger  und  konservativer  geworden.  Die 
ökonomischen  Wirkungen  des  Luthertums  erstrecken 
sich  daher  nur  auf  die  Stärkung  der  Landesgewalt  und 
damit  indirekt  des  Merkantilismus,  sowie  auf  die  Erzie- 
hung einer  demütigen  und  geduldigen  Arbeiterschaft, 
die  bei  dem  Wiedervordringen  des  Kapitalismus  nach 
Deutschland  ihm  ein  widerstandsloses  Arbeitermaterial 
lieferte* 

Völlig  andere  Wege  geht  freilich  auch  hier  der  Cal- 
vinismus*  Hier  ist  denn  auch  stets  betont  worden,  daß 
Calvin  und  seine  Nachfolger  das  kanonische  Zinsverbot 


Bedeutung  d. Protestantismus  L  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt.  43 


und  die  umständlichen  Erschwerungen  des  Rentenwesens 
verwarfen,  daß  Gent  unter  Beistand  der  VenärabieCompagnie 
eine  Bank  einrichtete,  und  daß  die  calvinistischen  Länder 
und  Ansiedelungen  überall  die  Entfaltung  des  Industria- 
lismus  und  Kapitalismus  zeigen.  Allein  damit  ist  der 
Sachverhalt  noch  nicht  erschöpft,  die  eigentliche  Bedeutung 
des  Calvinismus  für  den  Aufschwung  des  modernen  Ka- 
pitalismus liegt  viel  tiefer.  Sie  ist  neuerdings  von  Max 
Weber  aufgezeigt  worden,  der  seinerseits  den  scharf- 
sinnigen Analysen  Sombarts  über  das  Wesen  des  kapita- 
listischen Geistes  nachging  und  nach  den  seelischen  Vor- 
bedingungen und  Ursachen  für  die  Entstehung  dieses 
Geistes  suchte.  Sombart  hatte  gezeigt,  wie  der  Geist 
des  Kopitalismus  eine  dem  natürlichen  Trieb  zum  Genuß 
und  zur  Ruhe,  zur  Erwerbung  der  bloßen  Existenzmittel 
ganz  entgegengesetzte  Rastlosigkeit  und  Grenzenlosigkeit 
zeigt,  wie  er  Arbeit  und  Erwerb  zum  Selbstzweck  und 
und  den  Menschen  zum  Sklaven  der  Arbeit  um  ihrer 
selbst  willen  macht,  wie  er  das  ganze  Leben  und  Handeln 
unter  eine  absolut  rationalistisch-systematische  Berechnung 
bringt,  die  alle  Mittel  kombiniert,  jede  Minute  ausnützt^ 
jede  Kraft  verwertet,  wie  er  im  Bunde  mit  der  wissen- 
schaftlichen Technik  und  dem  alles  verknüpfenden  Kal- 
kül dem  Leben  eine  durchsichtige  Rcehenhaftigkeit  und 
abstrakte  Genauigkeit  verleiht.  Dieser  Geist  aber,  sagte 
sich  Weber,  kam  nicht  von  selbst  mit  den  industriellen 
Erfindungen,  den  Entdeckungen  und  den  Handelsgewinnen; 
er  hat  sich  auch  in  der  spätmittelalterlichen  Geldwirtschaft, 
in  dem  Kapitalismus  der  Renaissance  und  in  der  spanischen 
Kolonisation  nicht  stark  entwickelt.  Er  ist  zu  sehr  gegen 
die  Natur  des  Menschen,  als  daß  er  ohne  eine  die  Natur 
gewaltsam  und  systematisch  unterdrückende  ungeheure 
Geistesmacht  sich  hätte  bilden  können.  So  kam  er  auf 
die  Vermutung,  aus  der  Tatsache  der  Blüte  des  Kapitalis- 
mus gerade  auf  calvinistischem  Boden  den  Schluß  auf 
eine  besondere  Bedeutung  des  calvinistischen  religiös- 
ethischen Geistes  für  die  Entstehung  dieses  kapitalistischen 
Geistes  zu  ziehen*  In  eingehender  Untersuchung  zeigte 
er,    wie    es   die    spezihsch  calvinistische  Askese  fist,  die 


44 


Ernst  Troeltsch, 


nicht  so  sehr  den  Kapitalismus  als  den  Geist  des  Kapi- 
talismus großgezogen  und  damit  die  seelische  Verfassung 
geschalten  hat,  auf  deren  Boden  die  gewaltige  und  im 
Grunde  so  naturwidrige  Entfaltung  des  Kapitalismus  erst 
stattfinden  konnte,  was  natürlich  nicht  hindert,  daß  diese 
,  Macht  sich  dann  auch  über  Menschen  ausbreitet,  die  mit 
l  dem  Calvinismus  gar  nichts  zu  tun  haben;  die  calvinistische 
Askese  hat  ihn  groß  werden  lassen,  und  dann  war  er 
stark  genug  seine  eigenen  Wege  zu  gehen  und  in  eigenem 
Namen  die  Welt  zu  erobern.  Die  nicht  über  die  Welt 
hinausgreifende,  sondern  in  der  Welt  ohne  Kreaturvergöt- 
terung, und  d.  h.  ohne  Liebe  zur  Welt^  arbeitende  As- 
kese erzieht  eine  rastlose,  systematisch  disziplinierte 
Arbeitsamkeit,  in  der  die  Arbeit  um  der  Arbeit  willen, 
um  der  Mortifikation  des  Fleisches  willen  gesucht  wird, 
und  in  der  der  Arbeitsertrag  nicht  zu  Genuß  und  Kon- 
sumtion sondern  zur  beständigen  Ausweitung  der  Arbeit, 
zum  immer  neuen  Umschlag  des  Kapitals,  dient.  Indem 
die  aggressiv  tätige  Ethik  der  Prädestinationslehre  den 
Berufenen  zur  vollen  Entfaltung  seiner  gottverliehenen 
Kräfte  nötigt,  wird  die  Arbeit  rationell  und  systematisch; 
indem  die  Askese  den  Trieb  zur  Ruhe  und  Genuß  bricht, 
wird  die  flerrschaft  der  Arbeit  über  den  Menschen  be- 
gründet; und  indem  der  Ertrag  dieser  Arbeit  in  keiner 
Form  ein  Selbstzweck  ist,  dem  Gemeinwohl  zugute  kommt 
und  aller  über  ein  gediegenes  Existenzminimum  hinaus- 
gehender Erwerb  nur  als  Aufforderung  zur  weiteren  Ver- 
wertung und  Verarbeitung  empfunden  wird,  ergibt  sich 
die  prinzipielle  Unbegrenztheit  und  Unendlichkeit  der 
Arbeit,  Auf  diesem  Boden  ist  denn  auch  der  hugenot- 
tische, holländische,  englische  und  amerikanische  Früh- 
kapitallsmus  entstanden,  und  mit  ihm  hängt  heute  noch 
in  dem  cafvinistischen  Amerika  und  Schottland  sowie  bei 
den  engliscfien  Dissenters  der  Hoehkapitalismus  ersicht- 
lich zusammen.  Eine  gleiche  Entwicklung  haben  aber 
auch  die  dem  Calvinismus  vielfach  verwandten  und  von 
ihm  beeinflußten  pietistischen  Gruppen  und  die  vom 
Kommunismus  zur  protestantischen  Berutsethik  sich  wen- 
denden   täuferischen   Gemeinden    erfahren,    die    sämtlich 


Bedeutung  d. Protestantismus  f.d.  Entstehung  d  modernen  Welt  45 


N 


bei  dem  Ausschluß  vom  öffentlichen  Leben  sich  der  wirt- 
schaftlichen Tätigkeit  zuwenden  und  bei  dem  Ausschluß 
des  Genußzweckes  die  Produktion  um  der  Produktion 
willen  für  ein  religiöses  Gebot  erklärten.  Der  Nachweis 
ist  Weber  m,  E.  vollständig  gelungen,  wenn  man  viel- 
leicht  auch  stärker  betonen  darf,  daß  diese  besondere 
Art  der  reformierten  Arbeitsaskese  doch  auch  durch  die 
besonderen  Bedingungen  der  westlichen  Geschäftslage 
und  besonders  durch  die  Zurückdrängung  des  Dissent 
vom  Staat  und  der  staatlichen  Kultur  mitbestimmt  wurden, 
wie  anderseits  das  Luthertum  seine  traditionalistische 
Haltung  in  dem  wirtschaftlichen  Niedergang  Deutschlands 
noch  verschärft  hat.  In  Ungarn  und  Ostfriesland,  auch 
in  den  bäuerlichen  Provinzialstaaten  der  Niederlande  hat 
der  Kapitalismus  m.  W.  eine  bedeutende  Entwicklung  nicht 
gefunden;  und  umgekehrt  hat  das  gut  lutherische  Ham- 
burg die  günstigen  Gelegenheiten  der  atlantischen  Ver- 
hältnisse eifrig  mitbenutzt,  hat  auch  der  mit  der  luthe- 
rischen und  katholischen  Ethik  vielfach  näher  verwandte 
Angltkanismus  sich  diesem  Geiste  geöffnet.  Vor  allem 
aber  ist  scharf  im  Auge  zu  behalten,  daß  damit  nur  Geist 
und  Voraussetzungen  des  Kapitalismus  geschaffen  sind^ 
daß  dieser  selbst  aber  mit  seiner  schließlichen  Wendung 
zum  Erwerb  um  des  Erwerbes  willen,  mit  seinem  harten 
und  brutalen  Konkurrenzkampf,  seinem  agonalen  Sieges- 
bedürfnis und  seiner  weltlich  triumphierenden  Freude  an 
des  Kaufmanns  Herrschgewalt  von  dem  ursprünglichen 
Boden  sich  völlig  gelöst  hat  und  zu  einer  dem  echten  Cal- 
vinismus und  Protestantismus  geradezu  entgegengesetzten 
Macht  geworden  ist  Seitdem  er  nicht  mehr  für  die  As- 
kese zur  Ehre  Gottes,  sondern  für  den  Machtgewinn  zur' 
Ehre  des  Menschen  arbeitet,  hat  er  mit  dem  Protestan- 
tismus nichts  mehr  gemein  als  den  stark  individualistischen 
Geist  ohne  das  Gegengewicht  des  altcalvinistischen,  so- 
zialen und  religiösen  Geistes.  Es  ist  eben  das  Los  der 
innerweltliehen  protestantischen  Askese,  daß  sie  Arbeit 
und  Leben  in  der  Welt  anerkennt,  ihnen  aber  doch  einen 
innerlich  wesentlichen  ethischen  Wert  nicht  zuerkennt 
und  dann  die  Geister  nicht  mehr  los  werden   kann,  die 


i 


46 


Ernst  Troeltscti, 


aus  der  so  zugleich  anerkannten  und  zugleich  ignorierten 
Welt  heraus  ihr  über  den  Kopf  wachsen,^) 

Von   den  bisher  bezeichneten  Größen    aus  ist  das- 
jenige bedingt,  was  man  das  soziale  Leben  und  die 
soziale    Schichtung    nennt.     So    ist    denn   auch   mit 
dem  Autweis  des  Einflusses  auf  jene  die  Bedeutung  des 
Protestantismus  für  diese  im  wesenthchen  charakterisiert. 
Im    einzelnen  ist  hier  die  Untersuchung   überall   erst  Im 
Werden^  und  ich  möchte  nicht  wagen  über  diese  schwie- 
rigen Fragen  schon  ein  Urteil  zu  fällen.    Nur  der  Haupt- 
gesichtspunkt für  die  Auffassung  dieser  Frage  überhaupt 
darf  vielleicht  hervorgehoben  werden.     Der  Protestantis- 
mus hat^  wie  die  ganze  christliche  Idee  überhaupt  einen 
direkten  sozialen  Einfluß  und  ein  direktes  soziales  Pro- 
gramm   nicht*     Die    christliche    Idee  ^ist    eine    aus    dem 
persönlichen  religiösen  Leben  heraus  geborene  und  richtet 
sich  auf  ein  Menschheitsziel,  das  sie  von  Anfang  an  nicht 
auf  dem  gewöhnlichen  Boden  menschlichen  Daseins  für 
verwirklichungstähig    hielt.      Wie    ihre    erste    Forderung 
durch    soziale    Verhältnisse    nur    mitbedingt    aber    nicht 
hervorgebracht  ist^  so  hat  auch  der  Protestantismus  als 
neuer  Trieb  dieser  Idee   in   Ursprung  und   Wirkung  nur 
einen  indirekten  Zusammenhang  mit   dem   sozialen  Pro- 
blem.    Er  beseitigt  die  Versuche  der  hierarchisch-sakra- 
mentalen Kirche,  die  bisherige  soziale  Schichtung  in  etwas 
zu  organisieren,  und  legt  damit  die  Wurzel  frei,  aus  der 
die  indirekten  Wirkungen  auf  das  soziale  Leben  wieder 
neu    und   frei    hervorgehen   können.     Dieses  selbst  hat 
wie  in  der  alten  und  dann  in  der  mittelalterlichen  Kirche 
seine    Haupttriebkräfte    in    allgemeinen,    nicht   von    der 
Religion  bestimmten  Verhältnissen,  und  so  hat  auch  der 
Protestantismus  den  Dingen  in  der  Hauptsache  nur  ihren 
Lauf  gelassen,  nachdem  er  die  Formen  zerbrochen  hatte, 
in  welche  die  mittelalterliche  Kirche  sie  —  übrigens  immer 
noch  vorsichtig  und  elastisch  genug  —  zu  bannen   ver- 


I 


I 


')  Vgl  die  schon  genannte  Abhandlung  Webers,  die  aber 
auch  über  dieses  Thema  hinaus  noch  viel  Wertvolks  (ür  den 
Theologen  und  Kulturhistoriker  enthält. 


Bedeutung  d*  Protestantismus  f.d,  Entstehung  d.  modernen  Welt.  47 


sucht  hatte.  In  seinen  Wirkungen  auf  Familie  und  Recht, 
auf  Staat  und  Wirtschaft,  in  seiner  Anerkennung  des 
neuen  selbständigen  Staates,  der  Berufsbeamtenschaft 
und  des  Kriegswesens  in  seinen  neuen  Formen  liegt 
auch  seine  Anerkennung  der  neu  sich  bildenden  sozialen 
Welt,  deren  beginnenden  Problemen  im  Luthertum  nur 
Hoffnung,  Geduld  und  Demut  und  im  Calvinismus  ein 
Iheokratisch-sozialer  Utilitarismus  gegenüberstanden.  Was 
er  tn  die  neu  sich  bildenden  Konstellationen  hineinbringt, 
ist  darüber  hinaus  nur  der  neu  verstärkte  ideelle  Doppel- 
einfluß der  christlichen  Idee  überhaupt,  der  unbegrenzte 
Indtvidualismus  des  christlichen  Persönlichkeitsideals  auf 
der  einen  Seite^  den  nun  nur  die  Autorität  der  Bibel 
und  keine  Priesteranstalt  mehr  regelt,  und  der  auf  Er- 
lösung und  Jenseits  gerichtete  Geist  der  Geduld  und 
Fügung  auf  der  anderen  Seite,  der  nicht  mehr  durch  eine 
hierarchische  Weltkirche  die  Welt  verbessern  will,  sondern 
sich  in  dem  Lauf  der  profanen  Dinge  fügt,  wie  Gott  sie 
ordnete  und  wie  sie  ein  Ausdruck  der  überall  zu  Recht 
bestehenden,  aber  von  der  Sünde  getrübten  Schöptungs- 
ordnimg  sind.  Der  Calvinismus  betont  mehr  die  erste 
Richtung,  das  Luthertum  mehr  die  zweite;  der  erste  wirkt 
mehr  sozial  nivellierend,  das  letztere  mehr  zur  Erhaltung 
ständischer  Scheidungen.  Aber  beide  haben  doch  zu- 
gleich teil  an  beiden  Gedanken;  das  eine  ist  nicht  kon- 
servativ um  jeden  Preis,  der  andere  nicht  prinzipiell 
demokratisch;  die  Idee  der  natürlichen  Gleichheit  liegt 
beiden  gleich  fern,  weil  sie  nur  im  Urständ  ohne  Sünde 
und  vor  der  Sünde  möglich  und  wirklich  war.  Das 
Luthertum  bewährt  im  passiven  Widerstand  einen  revo- 
lutionären Individualismus  und  erträgt  die  Junkerherrschaft 
nur  als  eine  Folge  und  Strafe  der  Erbsünde;  der  Cal- 
vinismus  ist  bei  allen  radikalen  Neuschöpfungen  doch 
wesentüch  aristokratisch  und  macht  die  Erwählten  nicht 
gemein  mit  den  Verworfenen.  Die  modernen  demo- 
kratischen Gleichheitsideen  und  ebenso  die  modernen 
innerweltlichen  Soziatideale  einer  gleichen  Beteiligung 
aller  an  den  Lebensgütern  nach  Würdigkeit  und  Arbeits- 
leistung sind  aus  anderen   Voraussetzungen    erwachsen, 


48 


Ernst  Troeltsch, 


geradeso  wie  der  feudal- romantische  Konservatisrnus  mit 
seinen  von  Gott  verordneten  Unterschieden  und  seiner 
Theorie  des  Gottesgnadentums  sehr  weltliche  klassen- 
kämpterische  und  sozialpolitische  Voraussetzungen  hat, 
Anknüpfungen  und  Überleitungen  vom  alten  Protestantis- 
mus zu  solchen  modernen  Theorien  gibt  es  natürlich 
überall^  aber  diese  Theorien  selbst  haben  andere  Wurzeln 
als  die  eines  religiösen  Systems,  Schon  innerhalb  der 
englischen  Revolution,  wo  zum  Schlüsse  rein  demokra- 
tische Gruppen  hervortraten,  löst  in  den  Levellern  die 
reine  Demokratie  bereits  sich  von  den  religiösen  Grund- 
lagen, und  anderseits  hat  ebenso  die  absolutistische  Theorie 
eines  Hobbes^  an  die  das  politische  Denken  überall  weiter 
anknüpit,  sich  deutlichst  außerhalb  des  Bodens  religiöser 
Voraussetzungen  gestellt.*) 

In  eine  etwas  engere  Verbindung  mit  dem  Prote- 
stantismus könnte  man  eine  andere  charakteristische 
Haupterscheinung  des  modernen  sozialen  Lebens  stellen, 
die  Entstehung  einer  Klasse  der  Gebildeten,  die 
durch  ein  gemeinsames  intellektuelles  Niveau,  gemein- 
same Schulbildung  und  gemeinsame  Bildungssprache  die 
verschiedensten  sonstigen  Unterschiede  überbrückt  und 
in  der  Begründung  einer  ganzen  Gruppe  auf  die  Gemein- 
samkeit des  intelektuellen  Vermögens  in  der  Tat  eine 
spezifisch  moderne  Erscheinung  bildet.  Eine  Glaubens- 
religion, die  nicht  im  Kultus,  sondern  in  klaren  Glaubens- 
gedanken ihren  Kern  hat,  muß  Wissen  und  Bildung  zu 
einer  allgemeinen  Menschheitsangelegenheit  machen  und 
durch  Gemeinsamkeit  in  diesem  Hauptinteresse  andere 
Unterschiede  überwinden.  In  diesem  Sinne  hat  in  der  Tat 
der  Protestantismus  sein  Bündnis  mit  einem  kirchlich  ge- 
wordenen Humanismus  geschlossen  und  eine  großartige 
Tätigkeit  der  Schulgründung  entfaltet,  hat  seine  Erziehung 
den  Völkern  eine  größere  und  individuellere  Regsamkeit 
des  Geistes  verliehen.  Allein  im  wesentlichen  kam  dies 
doch  nur  den  gelehrten  Berufsständen  zugute^  die  schon 


I 


■)  Vgl  Troeltsch,  Politische  Ethik  und  Christentum;   Ooochp 
History  ol  english  democraHc  ideas^  Cambridge  1S9S. 


Bedeutung  d.  Protestantismus  f.  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt.  49 

SO  wie  SO  sozial  abgegrenzt  waren,  und  die  ganze  Bil- 
dung hatte  wesentlich  nur  die  religiöse  Instruktion  und 
formale  Literaturfähigkeit  zum  Zweck.  Sie  ist  auch  über- 
wiegend lateinisch  und  unpopulär.  So  darf  auch  nach 
dieser  Seite  hin  seine  Wirkung  nicht  übertrieben  werden. 
Die  Verlegung  des  Menschheitsideals  in  den  aufgeklärten, 
mündigen,  wissenden  Menschen,  die  Oberbrückung  aller 
Unterschiede  durch  die  Gemeinsamkeit  des  Wissens,  die 
Emporhebung  des  Volkes  durch  Wissen  zum  Anteil  an 
der  Gesamtkultur,  ist  doch  erst  ein  Werk  der  Aufklärung, 
die  gerade  in  dieser  Ersetzung  der  bloß  religiösen  Ge- 
meinsamkeit durch  die  intellektuelle  von  Bildungsmitteln 
und  Bildungsbesitz  ihre  charakteristische  Eigentümlich- 
keit hat.  Freilich,  daß  dann  diese  Aufklärung  gerade  den 
schulmäßigen  und  klassenbildenden  Charakter  empfing, 
wird  insbesondere  in  Deutschland  mit  der  schul-  und 
gedankenmäßigen  Ausbildung  des  Protestantismus  zu- 
sammenhängen, während  auf  den  katholischen  Gebieten 
Aufklärung  und  Bildung  mehr  auf  Vermittlung  durch 
freie  Literatur  und  persönliche  Oberlieferung  angewiesen 
bleiben.  ^) 

Damit  ist  bereits  auch  schon  das  Verhältnis  des 
Protestantismus  zur  Wissenschaft  berührt.  Auf  diesem 
Gebiet  fast  mehr  noch  als  auf  jedem  anderen  pflegt  man 
ihn  als  Bahnbrecher  der  modernen  Welt  zu  betrachten. 
Allein  auch  hier  kommt  alles  an  auf  das  richtige  Ver- 
ständnis dessen,  worin  dieses  Bahnbrechen  bestanden  hat. 
Denn  davon  kann  keine  Rede  sein,  daß  er  dem  modernen 
Gedanken  der  Freiheit  der  Wissenschaft,  des  Denkens, 
der  Presse  offenen  Weg  bereitet  hätte;  und  auch  davon 
nicht,  daß  er  die  unter  seiner  Kontrolle  und  Zensur  ste- 
hende Wissenschaft  mit  neuen  einheitlichen  Antrieben  er- 
füllt und  zu  ursprünglichen  neuen  Entdeckungen  geführt 
hätte.  Das  Wichtigste  ist  vielmehr,  daß  er  die  bisherige 
kirchliche  Wissenschaft  gestürzt  und  die  Bildungsanstalten 
sämtlich,  wenigstens  rechtlich,  säkularisiert  hat,  auch  die 


*)  Vgl.  Wittich,   Deutsche  und  französische  Kultur  im  Elsaß, 
Straßburg  1900. 

tiistoritche  Zeitachrift  (97.  Bd.)  3.  Folge  1.  Bd.  4 


m 


Ernst  Trocltscti» 


Zensur  staatlichen  Behörden  überwiesen  hat  in  denen 
die  Theologen  nur  mitvertreten  waren.  Dadurch  ist  es 
dem  Staate  möglich  geworden,  die  Wissenschaft  von 
seinem  Interesse  aus  zu  pflegen  und  selbständig  vorzu- 
gehen, sobald  diese  sich  nicht  mehr  im  Geiste  des  kon- 
fessionellen Zeitalters  mit  den  kirchlichen  deckten.  Weiter 
hat  der  Protestantismus  einen  gewissen  Geist  der  histori- 
schen Kritik  großgezogen,  der  die  katholische  Kirchen- 
tradition und  das  übliche  Bild  der  Kirchengeschichte 
einer  strengen  und  mißtrauischen  Prüfung  unterzog  und 
damit  sowohl  den  Geist  individueller  Prüfung  überhaupt 
stärkte,  als  einen  großen  Teil  des  Geschehens  natürlich- 
psychologischen  Begriffen  unterwerfen  lernte.  Schließlich 
hat  er  in  dem  Bedürfnis  nach  Hilfsmitteln  für  diese  Kritik 
und  nach  wissenschaftlichen  Kräften  für  seine  neue  anti- 
scholastische»  biblische  Theologie  den  Humanismus  über- 
nommen und  damit  wenigstens  die  Keime  philologischer 
Kritik  und  Ehrlichkeit.  Er  hat  die  Religion  zweifellos 
intellektualisiert  und  das  schulmäßige  Erkennen  und  Lernen 
überall  befördert.  Allein  damit  ist  auch  seine  direkte 
Wirkung  erschöpft,  und  weitere  indirekte  Wirkungen 
waren  zunäch!^t  durch  den  strengen,  ja  gesteigerten 
Supranaturalismus  seiner  Autoritätslehre,  sowie  durch  die 
Streng  traditionalistische  und  formalistische  Ausbildung 
ieines  humanistischen  Elementes  verhindert.  Der  Pro- 
testantismus erst  hat  die  Bibel  völlig  aus  jeder  Tradition 
und  damit  aus  jeder  Analogie  zu  menschlichen  Produk- 
tionen herausgehoben;  erst  er  hat  den  Kanon  abge- 
schlossen und  scharf  gegen  die  bloß  menschliche  Literatur 
abgegrenzt;  er  hat  in  seiner  Bibellehre  das  Infallibilitäts- 
problem  früher  und  schroffer  gelöst  als  der  Katholizis- 
mus; er  hat  den  Humanismus  auf  Eleganz,  Stilistik, 
Poetik  und  auf  formalistische  Logik  und  Denkkunst  ein- 
geschränkt und  in  aller  Real  Wissenschaft  einen  ebenso 
sklavischen  Anschluß  an  die  profanen  Autoritäten  des 
Altertums  verlangt  wie  in  der  Theologie  an  die  sakrosankte 
Autorität  der  Bibel.  Die  große  Leydener  Philologen- 
schute hat  mit  ihm  in  mancherlei  Spannung  gelebt,  und 
die  Ideen  eines  Scaliger  haben  bei  ihm  wohl  Luft,  aber 


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Bedeutung  d,  Protestantismus  i  d.  Entstshung  d.  modernen  Welt*  51 

einen  Boden  gefunden.  Seine  Wissenschaft  war  fiuma- 
nistisch  aufgefrisctite  Scholastik;  seine  historische  Kritik 
war  Poiemik  der  absoluten  Wahrheit  gegen  teuflischen 
Betrug ;  sein  Wissensinhalt  war  eine  aus  der  Antike 
und  allerhand  Merkwürdigkeiten  zusammengestellte  Poty- 
historie  und  Enzyklopädie;  seine  Rechts-  und  Staatslehre 
war  ein  Umbau  der  alten  katholischen  Lehre  von  der 
Lex  naiurae  und  ihren  Beziehungen  auf  die  Lex  Maris^ 
die  ihm  ihrerseits  identisch  war  mit  der  Lex  ChristL 
Zwar  haben  auch  hier  die  reformierten  Schulen  einen 
größeren  und  weiteren  Geist  gezeigt,  aber  das  liegt  an  der 
westlichen  Kultur  und  an  dem  stärkeren  Herüberwirken  der 
französischen  und  italienischen  Renaissance.  Der  Pro- 
testantismus unterscheidet  sich  hier  nirgends  von  gleich- 
zeitigem Katholizismus,  der  vielmehr  bei  stärkeren  Re* 
naissancetraditionen  wissenschaftlich  teilweise  feiner  und 
erfolgreicher  arbeitet.  Die  großen  wissenschaftlichen 
Entdeckungen  des  Zeitalters^  die  neue  Mathematik  und 
Physik,  gehen  aus  der  Renaissance  hervor,  deren  Ptatonis- 
mus  auch  einen  Kepler  in  Konflikt  mit  der  kirchlichen  Be- 
hörde brachte;  die  Grundlinien  der  neuen  anti-aristoteli- 
schen Philosophie  sind  von  dem  Katholiken  Descartes  ge- 
zogen worden,  die  Neubildung  der  politischen  und  sozialen 
Wissenschaft  knüpft  an  Machiavelli,  Bodin  und  Hobbes 
an,  alles  lauter  konfessionslose  Geister.  Wenn  der  Pro- 
testantismus freilich  au!  seinen  Gebieten  und  Schulen,  vor 
allem  in  den  (übrigens  konfessionell  gemischten)  Nieder- 
landen und  in  dem  von  kirchlichen  Kämpfen  ermüdeten 
England,  diese  neue  Wissen  schalt  langsam  sich  akkli- 
matisierte und  schließlich  seit  Locke  und  Leibniz  seine 
innerste  Ideenwelt  mit  ihr  verbinden  und  amalgamieren 
lernte,  so  ist  das  freilich  ein  Vorgang  von  höchster  Be- 
deutung, der  dauernd  den  protestantischen  Völkern  ein 
wissenschaftliche  Übergewicht  gewährte  und  auch  von 
sich  aus  erst  der  kritischen  Entwicklung  des  französi- 
schen Geistes  die  starken  Impulse  gab*  Allein  es  ist  auch 
ein  nichts  weniger  als  einfacher  Vorgang,  der  unter  hef- 
tigstem Proteste  des  eigentlichen  alten  Protestantismus 
eriolgte,  und  der  nur  durch  das  Hervortreten  neuer  reit- 


12 


Emst  TrocHsch, 


giöser  Elemente  im  Protestantismus  möglich  war,  soweit 
er  nicht  geradezu  aut  dem  Erlahmen  des  religiösen 
Geistes  und  dem  Überdruß  an  dem  konlessionellen  Zeit- 
alter beruhte.  Von  diesem  verwickelten  Vorgang,  der 
heute  die  Vereinerleiung  wissenschaKlich-kritischen  und 
protestantisch- religiösen  Geistes  wie  selbstverständlich 
erscheinen  läßt,  der  aber  selbst  eine  entscheidende  Neu- 
bildung und  Umformung  des  ganzen  Begriffes  vom  Pro- 
testantismus ist,  kann  daher  erst  später  die  Rede  sein, 
wo  die  religiöse  Entwicklung  im  eigentlichen  Sinne  zu 
schildern  ist.  Hier  mag  nur  hinzugefügt  werden,  daß 
nach  Vollzug  dieses  Vorganges  natürlich  die  protestan-- 
tisch-religiösen  Elemente  in  dieser  Mischung  mannigfach 
durchleuchten  und  die  neue  Ideenweh  mitbestimmen,  daß 
insbesondere  auch  der  Unterschied  der  Konfessionen  in 
dem  Unterschied  der  angelsächsischen  und  der  deutschen 
wissenschaftlich -philosophischen  Entwicklung  wohl  zu 
empfinden  ist.  Die  Angelsachsen  nämlich  sind  von  Natur 
so  wenig  als  andere  Menschen  reine  Empiristen  und 
haben  in  ihrer  Renaissancepoesie  und  ihrem  theologi- 
schen Piatonismus  das  deutlich  genug  gezeigt.  Sie  sind 
dazu  erst  geworden  durch  Geschäft,  Politik  und  Cal- 
vinismus, die  ja  wiederum  untereinander  eng  zusammen- 
hängen. Der  Calvinismus  mit  seiner  Aufhebung  der 
absoluten  Güte  und  Vernünftigkeit  Gottes,  mit  seiner 
Zerlegung  des  göttlichen  Tuns  in  lauter  einzelne  Willens- 
akte, die  keine  innere  Notwendigkeit  und  keine  meta- 
physische Substanzeinheit  verbindet,  ist  von  Hause  das 
Prinzip  der  Betonung  des  Einzelnen  und  Tatsächlichen, 
der  Verzicht  auf  absolute  Kausalitäts-  und  Einheitsbegriffe, 
der  praktisch-freien  und  utilitariseh-spontanen  Beurteilung 
aller  Dinge.  Die  Einwirkung  dieses  Geistes  aber  ist 
ganz  unverkennbar  die  wichtigste  Ursache  der  empiri- 
stischen und  positivistischen  Neigungen  des  angelsächsi- 
schen Geistes,  die  sich  bei  ihm  mit  starker  Religiosität^ 
ethischer  Dispizpiinierung  und  scharfer  Intellektualität 
heute  noch  so  gut  vertragen  wie  einst  im  Calvinismus 
selbst  Anderseits  ist  in  der  Entwicklung  der  deutschen 
Metaphysik   von  Leibniz  und   Kant  bis  Fichte,  Schelling, 


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Bedeutung  d,  Protestantismus  f.  d.  Entstehung  d.  inodemen  Welt  55 

Hegel  und  Fechner  der  lutherische  Untergrund  erkenn- 
bar^ der  die  Spekulation  auf  Einheit  und  Zusammenhang 
der  Dinge,  auf  innere  Rationalität  und  Geschlossenheit 
des  Gottesbegrilfes,  auf  allgemeine  Prinzipien,  aul  ideelle 
Gestnnungsrichtungen  und  auf  getühlsmäßige  Präsenz 
des  Göttlichen  im  Gemüte  hinlenkt.  Ja  bis  in  die  den 
ganz  unprotestantischen  Neuhumanismus  aulnehmende 
Gedankenwelt  Goethes  und  auch  Schillers  hinein  wirkt 
deutlich  erkennbar  dieser  Untergrund,  der  hier  dann  frei- 
lich in  ganz  besonders  widerspruchsvolle  Verbindungen 
eingegangen  ist  und  in  diesen  Spannungen  und  Ver- 
schmelzungen noch  der  Gegenwart  die  schwersten  Pro- 
bleme des  inneren  Lebens  darbietet,  Schiller  hat  in 
seiner  ästhetischen  Ethik  nicht  mit  Unrecht  einen  Kern- 
;edanken  der  lutherischen  Rechtfertigungsiehre  zu  be- 
laupten  gemeint,  und  Goethe  hat  in  der  Religion  seiner 
rei  Ehrfurchten  der  Metaphysik  des  Leidens,  des  Sünden* 
getuhls,  des  Erlösungstrostes  und  der  gotterfüllten  Per- 
sönlichkeit den  Raum  neben  Naturpoesie  und  neben 
rationeller  Humanitätsethik  zu  geben  gesucht^  ein  Beweis, 
wie  tief  die  deutsche  Metaphysik  im  Luthertum  wurzelt, 
aber  auch  wie  schwer  dieses  Luthertum  mit  der  modernen 
Welt  sich  zusammenfügt,^) 

So  ergibt  sich  aus  der  Frage  nach  der  Wissenschaft 
des  Protestantismus  nun  auch  die  andere  nach  seiner 
Bedeutung  für  die  Entstehung  der  modernen  Kunst. 
Da  scheint  nun  allerdings  zunächst  der  Protestantismus 
lediglich  im  Gegensatze  zu  stehen,  Romantiker  und  Klas- 
siker haben  gleicherweise  den  Bildersturm  des  Calvinis- 
mus verdammt  und  auch  am  Luthertum  empfunden,  daß 
es  die  Kunst  nur  zur  Erholung,  zur  Unterhaltung,  zur 
Belehrung,  zur  Repräsentation  und  zum  Kultus  braucht, 
aber  kaum  einen  Wert  der  Kunst  um  ihrer  selbst  willen 
kennt.  Und  allerdings  ist  zweifellos  der  Katholizismus 
leichter  für  die  Kunst   veranlagt,  da  seine  Askese  dem 

*)  VgL  die  Charakteristik  des  angelsächsischen  Praktiiismus 
und  AnCirationatismus  bei  James,  Vaneiies  of  religlaus  experience ; 
P.  J.  Schmidt     KapHalismus    und    Protestantismus    (Preuß.  Jahrb. 


M 


Emst  TroeltBch^ 


Sinnlichen  neben 

weniger 


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Obersi 
den 


inn 


an 


zn  Raum 
Gedanken   als 


läSt  und  da 
an  das  Ge- 


fühl und  das  Auge  sich  wendet,  während  die  prote- 
stantische Askese  das  Sinnliche  Überali  unmittelbar  in  den 
Dienst  des  ewigen  Heils  nimmt  und  der  protestantische 
Kult  ein  Kult  der  Predigt  und  der  Lehre  ist  So  hat  sich 
auch  der  Katholizismus  viel  tiefer  und  innerlicher  mit 
der  Renaissancekunst  verschmolzen  als  der  Protestantis- 
mus. Allein  trotzdem  führen  vom  Protestantismus  wich- 
tige Fäden  hinüber  zur  modernen  Kunst,  Freilich  ist  das 
am  wenigsten  der  Fall  bei  dem  Calvinismus,  auf  dessen 
Rechnung  weder  die  holländische,  gänzlich  unpuritanische 
Malerei,  noch  die  poetischen  Elemente  in  der  Renais- 
sancedichtung Miltons,  noch  insbesondere  Rembrandt  ge- 
setzt werden  darf,  der  vielmehr  den  mystisch-spirituaUsti- 
schen  Kreisen  näher  stand.  Auch  Shakespeare  darf  trotz 
unzweifelhafter  starker  religiöser  Akzente  nicht  für  eine 
protestantische  Kunst  in  Anspruch  genommen  werden. 
Aber  seine  Gesamterscheinung  überhaupt,  insbesondere 
aber  die  lutherischen  und  die  mystisch-spiritualistischen 
Kreise  haben  auch  in  diesem  Zusammenhang  eine  wesent- 
liche Bedeutung.  Sie  haben  durch  den  Bruch  mit  dem 
Gnadenbild  und  dem  katholischen  Kultus  das  Stoffgebiet 
der  Kunst  total  verwandelt  und  ihr  die  Aulgabe  gestellt, 
neue  Gebiete  zu  erobern,  Sie  haben  auch  der  Kunst 
einen  neuen  Geist  eingeflößt,  der  sich  schließlich  gegen 
die  große  öffentliche  pathetische  Kunst  der  Renaissance 
wenden  und  das  Trautich-Persönlich-lndividuelle  oder  das 
Charaktervoll-Großartige  suchen  mußte,  Sie  haben  schließ- 
lich in  der  dem  Protestantismus  verbreitenden  Kultübung 
die  minder  sinnlichen  Künste,  die  religiöse  Lyrik  und 
Musikj  zu  einer  großartigen  Entfaltung  gerade  des  inner- 
lich-persönlichen Lebens  gebracht.  Und  höcht  charak- 
teristisch ist  insbesondere  bei  Rembrandt  der  Gegensatz 
einer  Kunst  der  Charakteristik  und  der  reinen  Licht- 
wirkung, aus  der  ein  völlig  neues  inneres  Leben  spricht, 
gegen  die  reine  und  gegen  die  katholisierende  Renaissance 
so  daß  K.  Neumann  es  geradezu  unternehmen  konnte^ 
in  der  Schilderung  Rembrandts  das  Prinzip  einer  neuen 


Bedeutung  d. Protestantismus  Uö.  Entstehung  d.  modernen  Welt«  55 

spezilisch  modernen  Kunst  zu  entwerfen.  Ebenso  pflegen 
die  Musiker  in  Bach  einen  Sammel-  und  Ausgangspunkt 
moderner  Kunst  zu  sehen,  an  dessen  Bildung  der  Prote- 
stantismus jedenfalls  keinen  geringen  Anteil  hat.  Nur  Eines 
hat  der  Protestantismus  nicht  getan  und  nicht  tun  können, 
und   dieses  Eine    ist   für   das   ganze  Verständnis  seines 

»Verhältnisses  zur  modernen  Welt  von   höchster  Wichtig- 
keit: er  hat  das  künstlerische  Empfinden  nicht  zu  einem   h 
Motiv  der  Weltanschauung,  der  Metaphysik  und  der  Ethik 

(erhoben.  Er  konnte  das  nicht,  weil  seine  Askese  und 
iein  absoluter  metaphysischer  Dualismus  das  unmöglich 
machten;  er  kannte  die  mit  diesem  Prinzip  notwendig 
irgendwie  verbundene  Erklärung  der  Kunst  zu  einem 
Selbstzweck,  zu  einem  eigenen  Weg  der  Gottes-  und 
Welterkenntnis,  und  die  nicht  minder  eng  damit  zusam- 
menhängende Verklärung  des  Sinnlichen  und  die  Emp- 
findung der  Welt  als  Harmonie  nicht  ertragen.  Daher 
ist  denn  auch  überall  die  moderne  Kunst  das  Ende  der 
protestantischen  Askese  und  damit  ein  seinem  Wesen 
entgegengesetztes  Prinzip.  Ein  Lessing,  der  für  die  künst- 

■lerische  Weltanschauung  und  Lebensführung  zum  ersten 
Male  einstand  in  Deutschland,  hat  den  Befreiungskampf 
gegen  die  Theologie  führen  müssen,  und  ein  Albrecht 
V,  Haller  hat  sein  Leben  zwischen  beiden  Motiven  schmerz- 
lich geteilt.  Deshalb  sind  Klassizismus  und  Romantik  dem 
Protestantismus  im  ganzen  fremd  und  vermögen  kein 
inneres  Verhältnis  zu  ihm  zu  gewinnen,  deshalb  sind 
Scheüing  und  Byron  ausgestoßen  aus  dem  englischen  Leben 
und  deshalb  bedeutet  erst  Ruskin  und  die  Asthetisierung 
des  modernen  England  das  Ende  des  Puritanismus.  Der 
Augustinismus  des  abendländischen  Systems,  zu  dem 
der  Protestantismus  wesentlich  gehört,  weicht  damit  einer 
neuen  Geistesmacht,  die  für  immer  die  moderne  Welt 
vom  Altprotestantismus  scheidetj  und  die  auch  die  wieder 
aultauchenden  Ideen  des  Erlösungsbedürfnisses,  der  Jen- 
scittgkeit  und  des  Übersinnlichen  doch  nicht  mehr  in 
dem  besonderen  Geiste  der  altprotestantischen  Askese 
gestalten  kann.  Hier  liegen  große,  völlig  neue  Aufgaben 
der  modernen   Welt,    die    das   künstlerische   Motiv   ver- 


Ernst  TroeHsdit 


arbeiten  und  ihm  zugleich  einen  religiösen  Geist  van 
hinreichender  Kraft  und  Tiefe  muß  einhauchen  können, 
wenn  sie  wirklich  ein  eigenes  und  echtes  Wesen  über- 
haupt hat,^) 


Familie  und  Recht,  dann  Staat,  Wirtschaft  und  Ge- 
sellschaft, schließlich  Wissenschaft  und  Kunst  waren  die 
Gebiete^  auf  denen  wir  bisher  die  Wirkungen  des  Pro- 
testantismus verfolgt  haben.  Überall  ergab  sich  unserer 
Untersuchung  das  Doppelergebnisi  daß  er  die  Entstehung 
der  modernen  Welt  teils  großartig  und  entscheidend  ge- 
fördert hat,  teils  aber  auch  ein  Hemmnis  für  sie  gebildet 
hat  und  noch  bildet.  Er  hat  sie  nirgends  auf  diesen  Ge- 
bieten geradezu  geschaffen,  er  hat  sie  überall  nur  be- 
fördert, befestigt,  gefärbt,  im  Laufe  ihrer  Richtung  mit- 
bedingt,  sofern  er  nicht  gegen  sie  die  Motive  des  älteren 
mittelalterlichen  Lebensstiles  geltend  gemacht  und  neu 
belebt  hat.  Der  moderne  Staat  und  seine  Freiheit  und 
Verlassung,  sein  Beamtenwesen  und  sein  Militärwesen, 
die  moderne  Wirtschaft  und  Ständeschichtung,  die  mo- 
derne Wissenschaft  und  Kunst  sind  überall  in  ihrem 
Laufe  schon  vor  ihm  und  ohne  ihn;  sie  wurzeln  in  der 
spätmittelalterlichen  Entwicklung  und  in  den  eigentüm- 
lichen Neubildungen  der  Ideen  und  Kräfte  in  den  frucht- 
baren Jahrhunderten  vom  f5,  bis  zum  17.;  die  eigent^ 
liehe  Kulturgroßmacht  des  konfessionellen  Zeitalters  ist 
der  zentralisierte  französische  Staat,  in  dem  Renaissance, 
Katholizismus  und  moderne  Politik  sich  vereinigen*  Der 
Protestantismus  hat  im  Grunde  auf  seinem  Gebiete  nur 
die  Hemmungen  beseitigt,  die  das  katholische  System 
trotz  allen  Glanzes  doch  wesensnotwendig  dem  Werden 
der  Neuen  Welt  entgegengesetzt  hat,  und  hat  der  neuen 
freien  wettlichen  Ideentülle  vor  allem  den  gesunden  Boden 


1 


»)  Kirl  Neumann,  Rembrandt,  1905;  WoHrum,  J.  S.  Bach 
<Mu>i[k,  hcrausge^*  von  R.  Strauß,  XIIl  u,  XIV);  Wittich,  Deutsche 
und   französische    Kultur   im    Elsaß,    Straßburg    1900  <S.  76^^!); 

J»  Ooidstein^   Ästhetische   Weltanschauung   (Deutsche   Rundschau 
1906). 


Bedeutung  d. Protestantismus  f.d.  Entstehung  d.  modernen  Welt.  57 

eines  guten  Gewissens  und  einer  aufstrebenden  Kraft 
gegeben.  Auch  auf  seinen  Gebieten  ist  die  Neue  Welt 
nicht  ohne  vielfache  Revolutionen  geworden,  aber  seine 
Revolutionen  sind  überall  anders  gewesen  als  die  große 
französische;  sie  brauchten  die  Kontinuität  nicht  zu  zer- 
stören und  die  Religion  nicht  zu  entthronen,  weil  die 
protestantische  Kultur  die  prinzipielle  Revolution  schon 
mit  der  religiösen  Umwälzung  von  innen  heraus  erledigt 
hatte.  Das  ist  die  Hauptsache  und  das  Wesentliche.  Im 
übrigen  aber  sind  die  grandiosen  politischen  und  wirt- 
schaftlichen Wirkungen  des  Calvinismus,  sofern  aus  ihnen 
die  moderne  Welt  hervorging,  im  Grunde  doch  nur  Wir- 
kungen wider  Willen.  Die  religiöse  Toleranz  und  Ge- 
wissensfreiheit ist  überwiegend  ein  Werk  des  Täufertums 
und  das  philologisch  historische  Verständnis  des  Christen- 
tums und  seiner  Urkunden  ist  ein  Werk  der  humanisti- 
schen Theologie. 

Wo  aber  liegen  nun  direkte  und  unmittelbare  Wir- 
kungen des  Protestantismus  zur  Hervorbringung  des 
modernen  Geistes?  Gibt  es  solche  überhaupt  oder  handelt 
es  sich  auch  hier  nur  um  Wirkungen  gegen  sein  eigenes 
Prinzip  und  wider  Willen?  Hierauf  kann  nach  der  bis- 
herigen Untersuchung  mit  Bestimmtheit  eines  geantwortet 
werden:  wenn  es  solche  gibt,  so  müssen  sie  auf  dem 
eigentlichen  Zentralgebiet  des  Protestantismus,  auf  dem 
des  religiösen  Denkens  und  Fühlens  selber  liegen, 
denn  auf  den  mehr  peripherischen  Kulturgebieten  liegen 
sie  sicherlich  nicht.  Und  alles  erwogen,  ist  es  doch  nur 
natürlich  und  wahrscheinlich,  daß  sie  nur  hier  in  Wirk- 
lichkeit liegen.  Der  Protestantismus  ist  doch  in  erster 
Linie  eine  religiöse  Potenz  und  erst  in  zweiter  und  dritter 
eine  Kulturpotenz  im  engeren  Sinne  des  Wortes.  So 
kann  es  gar  nicht  verwundern,  wenn  seine  eigentlich 
umwälzenden  Wirkungen  auch  wesentlich  auf  dem  reli- 
giösen Gebiete  liegen  sollten.  Es  gilt  nur  die  Binsen- 
wahrheit zn  begreifen,  daß  religiöse  Kräfte  nur  aus  reli- 
giösen Motiven  wirklich  hervorgehen,  und  daß  alle  eigent- 
lichen und  unmittelbaren  Wirkungen  religiöser  Neu- 
bildungen eben  auch  auf  religiösem  Gebiete  liegen.   Das 


Ernst  Troeltsch, 


kann  nur  eine  Apologetik  vergessen,  die  sich  keinen 
rechten  Mut  zum  religiösen  Gedanken  selbst  fassen  kann 
und  daher  erst  um  seiner  kulturlichen  Wirkungen  willen 
ihn  recht  zu  leiern  wagt,  oder  eine  religionslose  Geschichts- 
philosophie, die  nun  einmal  an  Spontaneität  und  Origi- 
nalität religiöser  Ideen  nicht  glauben  will  und  sie  erst  dann 
verstanden  zu  haben  meint,  wenn  sie  die  hinter  ihrer 
Maske  eigentlich  agierenden  profanen  Kräfte,  am  liebsten 
politische  und  wirtschaftliche,  aus  der  Verkleidung  her- 
vorgezogen hat*  Aber  für  jede  unbefangene  Betrachtung 
liegen  die  Dinge  wirklich  so,  wie  sie  immer  selbst  es 
von  sich  aussagen;  Die  Religion  kommt  wirklich  von 
Religion  und  ihre  Wirkungen  sind  wirklich  in  erster  Linie 
religiöse»    Das  gilt  auch  vom  Protestantismus. 

Aber  wenn  das  schon  gilt,  so  ist  doch  die  Frage,  ob 
nun  auch  zwischen  der  Religiosität  des  Protestantismus 
und  der  der  modernen  Welt  ein  innerer  und  wesentlicher 
Zusammenhang  besteht,  insbesondere,  ob  wir  hier  die 
entscheidende  und  durchschlagende  Zentralwirkung  er- 
blicken  können,  die  wir  auf  den  anderen  Gebieten  trotz 
bedeutsamster  Einflüsse  nicht  finden  konnten.  Es  ist  die 
Frage,  ob  wir  überhaupt  von  einer  spezifischen  modernen 
Religiosität  reden  können,  und  ob  dieses  Spezifische,  wenn 
es  vorhanden  ist,  mit  der  protestantischen  Idee  in  einem 
wesentlichen  Zusammenhange  steht.  Ich  glaube,  daß  man 
trotz  aller  Schwierigkeiten  eine  einfache  und  durchsichtige 
Antwort  geben  kann ,  daß  es  in  der  Tat  eine  spezifisch 
moderne  Religiosität  gibt,  und  daß  deren  Wurzeln  im 
Protestantismus  liegen. 

Um  das  zu  verdeutlichen,  knüpfe  ich  an  die  im  An- 
lang gegebene  Charakteristik  seiner  religiösen  Idee  wieder 
an.  Dasjenige,  worauf  es  für  ihn  wesentlich  ankam,  war 
die  Sicherung  des  alten  stets  erstrebten  Zieles,  die  Heils- 
gewißheit, die  völlige  Gewißheit  über  die  Rettung  aus  der 
Verdammung  der  Erbsünde  durch  die  in  Christus  offen- 
bare [und  von  Christus  bewirkte  Gnade.  Das  war  sein 
Hauptinteresse,  aber  dieses  Hauptinteresse  war  kein  neues, 
sondern  nur  die  kräftig  vereinfachende  und  leidenschaft- 
lich plastische  Herausarbeitung  des  alten.    Was  er  neu 


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Bedeutung  d.  Protestantismus  f.  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt.  59 

brachte,  war  ein  neues  Mittel  zur  Erreichung  dieses  Zieles, 
ein  Mittel,  das  von  den  Unsicherheiten  menschlicher  mit- 
wirkender Verdienste,  fremder  unverstandener  Autoritäten 
und  bloß  dinglicher,  sakramentaler  Einflößungen  frei  war, 
das  den  ganzen  inneren  Menschen  absolut  sicher  und 
fest  bis  ins  Zentrum  hinein  ergriff  und  ihn  in  innerlichste 
Berührung  mit  dem  göttlich-geistigen  Wirken  selber  bringen 
sollte.  Wenn  dem  Katholiken  gerade  die  äußere  Autorität 
und  die  Dinglichkeit  der  Gnade  das  Heil  zu  verbürgen 
schien,  so  war  für  Luthers  Gefühl  jene  Autorität  unsicher 
und  fremd,  und  diese  Dinglichkeit  unverständlich  und 
unergreifbar.  Er  brauchte  lür  -  das  persönliche  Leben 
etwas  jein  Persönliches.  Das  Mittel  war  daher  der  Glaube, 
die  sola  /ides,  die  Bejahung  eines  Gedankens  durch  völlige 
Hingabe  der  Seele  an  diesen  uns  verständlich  und  klar 
kundgemachten  Gedanken  Gottes.  Die  Heilsgewißheit 
mußte  auf  einem  Wunder  beruhen,  um  sicher  zu  sein; 
aber  dieses  Wunder  mußte  ein  im  innersten  Zentrum  der 
Person  sich  ereignendes  und  in  seiner  gedanklichen  Be- 
deutung durchsichtiges  sein,  wenn  es  ein  völlige  Sicher- 
heit gewährendes  Wunder  sein  sollte.  Die  ganze  Religion 
ist  aus  der  Sphäre  der  dinglichen  sakramentalen  Gnaden- 
einflößung  und  der  priesterlich-kirchlichen  Autorität  in  die 
psychologisch  durchsichtige  Sphäre  der  Bejahung  eines 
Gedankens  von  Gott  und  Gottes  Gnade  gezogen,  und 
alle  ethisch  -  religiösen  Wirkungen  ergeben  sich  psycho- 
logisch klar  und  durchsichtig  aus  diesem  bejahten  Zentral- 
gedanken. Melanchthon  rühmt  sich  daher  in  seiner  Apo- 
logie gegen  die  Pontificii,  daß  die  Protestanten  psycho- 
logisch durchsichtig  zeigen  könnten,  wie  gute  Werke  ent- 
stehen aus  der  Heilsgewißheit:  das  mit  Gott  durch  die 
Glaubenserkenntnis  versöhnte  Gemüt  bringt  die  Liebe  zu 
Gott  und  mit  dieser  Liebe  die  gute  Gesinnung  als  die 
Wurzel  und  den  Geist  der  guten  Werke  oder  der  gott- 
erfüllten Gesamtpersönlichkeit  hervor.  Das  sinnlich-sakra- 
mentale Wunder  ist  beseitigt,  und  an  seine  Stelle  tritt 
das  Wunder  des  Gedankens,  daß  der  Mensch  in  seiner 
Sünde  und  Schwachheit  einen  solchen  Gedanken  fassen 
und  vertrauensvoll  bejahen  könne.  Damit  fällt  das  Priester- 


Ernst  Troe tisch, 


tum  und  die  Hierarchie,  das  Sakrament  der  Einnößung 
religiös-ethischer  Kräfte  wie  einer  sinnlichen  Substanz,  die 
außerweltliche  Askese  mit  ihren  besonderen  Verdiensten. 
Alles  das  hat  Luther  nur  getan,  um  der  Gnade  völlig 
sicher  zu  werden,  die  ihm  auf  dem  Wege  der  Verdienste 
und  des  Möncfitums,  der  Sakramente  und  der  Priester- 
Autorität  immer  fremder  und  äußerlicher,  immer  mensch* 
licher  und  bedingter  und  damit  immer  unsicherer  zu 
werden  drohte.  Das  Ziel  war  das  alte,  aber  der  Weg 
war  ein  radikal  neuer*  Mit  diesem  Gedankengetüge  ist 
es  nun  aber  gegangen,  wie  es  oft  zu  gehen  pflegt:  der 
neue  Weg  zum  alten  Ziel  wird  wichtiger  als  dieses.  Ziel 
selbst;  aus  dem,  was  ein  neues  Mittel  w^ar,  entwickelt 
sich  selbst  ein  neues  Ziel  und  ein  neuer  Gehalt.  In  dem 
Maße,  als  der  konfessionelle  Hader  den  Druck  des  Dogma- 
tismus unerträglich  und  damit  das  Dogma  überhaupt  ver- 
dächtig machte,  rückte  der  Schwerpunkt  von  dem  mit 
allen  trinitarisch-christologischen  Hauptdogmen  eng  ver- 
bundene Heils-  und  Rechtfertigungsdogma  auf  die  per- 
sönliche subjektive  Überzeugung,  auf  das  stimmungs-  und 
gefühlsmäßige  Erleben  von  Sündenangst  und  Seelenfrieden, 
und  damit  war  der  Blick  frei  für  die  rein  subjektiv  inner- 
liche Begründung  der  Glaubensgedanken  und  damit  weiter 
für  ihre  individuell  verschiedene,  an  kein  offizielles  Dogma 
gebundene  Gestaltungsmöglichkeit  Die  Bibel  wurde  aus 
dem  infaUibeln  Glaubensgesetz  zu  einer  flüssig-geistigen 
Substanz  und  Kraft,  zu  einem  Zeugnis  von  geschicht- 
lichen Tatsachen,  von  denen  psychologisch  vermittelt  die 
religiösen  Kräfte  ausströmten;  und  man  berief  sich  auf 
die  lebendige  Bibelauffassung,  die  Luthers  religiöser  In- 
stinkt neben  der  gesetzlichen  immer  geltend  gemacht  hatte. 
Man  näherte  sich  wieder  den  Täufern  und  denSpiritualisten, 
die  diese  Konsequenz  von  Anfang  an  gezogen  hatten,  aber 
zugleich  auf  die  Apolitie  und  den  enthusiastischen  Kom- 
munismus mittelalterlicher  Sekten  zurückgegangen  waren 
oder  sich  in  einen  gestaltungsunkräftigen  Individualismus 
eingesponnen  hatten.  In  dieser  Krisis  des  kirchlichen 
Protestantismus,  in  seinen  Kämpfen  gegen  eine  vergewaU 
tigende  Regierung  und  in  seinem  Gegensatz  gegen  die 


I 
I 


Bedeutung  d.  Protestantismus  f.  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt.  61 

moderne  Verweltlichung  näherte  sich  nun  durch  Indepen- 
dentismus  und  durch  Pietismus  hindurch  der  kirchliche 
Protestantismus  diesen  Gruppen  wieder  an  und  wurde  er 
von  denen  wieder  beeinflußt,  die  er  zuerst  im  Interesse 
der  dogmatischen  Objektivität  und  der  kirchlich-staatlichen 
Zwangskultur  so  schroff  von  sich  gestoßen  hatte.  Jetzt 
vollzieht  sich  jene  Verschmelzung  des  Protestantismus  mit  i 
den  subjektivistisch-individualistischen,  dogmatisch  nicht 
autoritativ  gebundenen  Trägern  einer  Gefühls-  und  Ober- 
zeugungsreligion, die  den  ganzen  Protestantismus  nunmehr 
als  die  Religion  des  Gewissens  und  der  Oberzeugung  ohne 
dogmatischen  Zwang,  mit  freier  vom  Staat  unabhängiger 
Kirchenbildung  und  mit  einer  von  allen  rationellen  Beweisen 
unabhängigen  inneren  Gefühlsgewißheit  erscheinen  läßt. 
Wenn  Lessing  Luther,  „den  großen  verkannten  Mann", 
zum  Schutz  dieses  echten  Protestantismus  aufruft,  so  hat 
er  damit  in  einer  für  zahllose  Nachfolger  typischen  Weise 
den  Protestantismus  mit  der  alten  Sektenlehre  vom  inneren 
Licht  verschmolzen,  wie  Dilthey  mit  Recht  sagt,  und  hat 
er  doch  zugleich  einen  wesentlich  protestantischen  Ge- 
danken behauptet,  wie  er  selber  überzeugt  war.  Er  hat 
nur  den  Weg  Luthers  für  wichtiger  gehalten  als  das  Ziel. 
Ja  die  Konsequenz  der  Entwicklung  geht  noch  weiter. 
Für  Luther  war  das  Dasein  Gottes,  der  Sündenfluch  und 
die  Hölle  selbstverständlich.  Was  ihm  fraglich  war,  das 
war  nur  die  Anwendung  der  Gnade  und  Rettung  auf  die 
eigene  Person,  der  fiducia  specialis.  Für  die  moderne 
Welt  wurde  angesichts  des  neuen  naturwissenschaftlichen 
Weltbildes  und  der  neuen,  anti-anthropomorphen  Metaphysik 
gerade  das  Dasein  Gottes  der  fragliche  Punkt  und  wurde 
es  umgekehrt  selbstverständlich,  daß,  wenn  man  nur  erst 
jenes  Daseins  Gottes  gewiß  wäre,  man  überhaupt  Sinn 
und  Ziel  des  Lebens,  Rettung  und  Gnade  gewonnen  habe. 
Damit  wurde  nun  aber  das  allgemeine  Prinzip  des  neuen 
von  Luther  entdeckten  Weges  unendlich  viel  wichtiger 
als  sein  besonderer  dogmaiischer  Zweck.  Dieser  Weg 
enthielt  in  sich  selbst  schon  das  eigentliche  Ziel,  die  Ver- 
gewisserung vom  Göttlichen  überhaupt,  den  Weg  aus  der 
Endlichkeit  in  die  Unendlichkeit  und  das  Übermenschliche 


62 


Ernst  Troeltsch, 


V 


überhaupt,  und  den  Weg  haben  hieß  das  Ziel  haben,  bei 
dessen  Besitz  einem  alles  Übrige  von  selbst  zufällt  Alles 
Gewicht  fiel  nunmehr  auf  die  gefühlsmäßige  Glaubens- 
gewißheit, auf  den  inneren  Zug  und  Drang,  auf  die  not- 
wendige Erzeugung  des  Gedankens  von  Gott  überhaupt, 
auf  die  Erringung  einer  reinen  persönlichen  Überzeugung 
von  seiner  wahrhaftigen  Existenz,  wo  dann  alles  Weitere 
ihm  und  seiner  verborgenen  Weisheit  überlassen  bleiben 
mochte,  wenn  nur  diese  entscheidende  Hauptsache  ge- 
wonnen war*  So  wurde  der  Protestantismus  zu  der 
Religion  des  Gott-Suchens  im  eigenen  Fühlen,  Erleben, 
Denken  und  Wollen,  zu  einer  Sicherung  der  allgemeinsten 
Haupterkenntnis  durch  Zusammenfassung  aller  persön- 
lichsten Überzeugungen  und  einem  vertrauenden  Offen- 
lassen aller  weiteren  dunklen  Probleme,  über  die  die 
Dogmatik  des  Altprotestantismus  so  viel  zu  sagen  ge- 
wußt hatte.  Auch  hier  ist  es  Lessing,  der  in  seinem 
berühmten  Worte  von  dem  Vorzug  des  Suchens  nach  der 
Wahrheit  vor  dem  Besitz  der  fertigen  Wahrheit  die  mo- 
derne Religiosität  typisch  charakterisiert  und  der  damit 
aus  dem  Gewebe  des  Protestantismus  denjenigen  Faden 
hervorzieht,  an  dem  die  moderne  Welt  bis  heute  eifrig 
weiter  spinnt.  Eigenes  persönliches  Suchen  in  selbst- 
erlebter Gewissens-  und  Zweilelsnotj  Ergreifen  der  in  den 
geschichtlichen  Offenbarungen  sich  bietenden  Hand  Gottes, 
um  dann  doch  immer  weiter  aus  eigener  persönlicher 
Verantwortung  und  Entscheidung  die  endgültige  Über- 
zeugung zu  gewinnen,  und  ruhiges  Ertragen  all  der 
Rätsel,  die  auf  diesem  Wege  ungelöst  bleiben,  das  charak- 
terisiert die  moderne  Religiosität  und  hängt  in  seiner 
festen  Überzeugung^  daß  das  nicht  schwächliche  Skepsis, 
sondern  männlich -mutiger,  das  Leben  zu  tragen  ver- 
mögender Glaube  sei»  mit  Luthers  Lehre  vom  Glauben  eng 
zusammen.  Es  ist  nur  die  ßäes  qua  creditar^  als  in  welcher 
ja  Gott  jedenfalls  im  allgemeinen  erreicht  und  persönlich 
ergriffen  wird,  der  fiäes  quae  creäitur  übergeordnet,  als 
welche  Unerkennbares  erkennen  will  und  den  Lebens-  und 
Erkenntnisdrang  in  allzu  enge  Fesseln  bindet.  Nicht  ein- 
mal die  heutige  kirchliche  Gläubigkeit  ist  irgendwo  ganz 


i 


I 

4 


Bedeutung  d.  Protestantismus  f.  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt.  63 

frei  von  dieser  Verwandlung ;  ihr  Glaubensbegriff  verfügt 
nur  mehr  über  subjektive  Evidenzen  und  über  einen  sehr 
allgemeinen,   Unzähliges  offen  lassenden  Inhalt;  und  ich 
brauche  nicht  zu  reden  von  der  freieren  Gläubigkeit,  die 
sich  von  einer  allgemeinen  Christlichkeit  bis  in  eine  völlig 
unbestimmte   reine  Sehnsuchtsreligion  erstreckt;    überall  ' 
ist  es  der  Glaubensbegriff,   der  über  den  Glaubensinhalt 
triumphiert  hat.    Ob  das  ein  auf  die  Dauer  haltbarer  oder 
auch  nur  wünschenswerter  Zustand  ist,  ist  eine  Frage  für 
sich;  genug,  daß  er  das  moderne  religiöse  Leben  charak- 
terisiert, und  daß  er  nur  darum  nicht  einfach  Schwächlich- 
keit und  Sentimentalität  ist,  weil  in  ihm  das  Metall  des 
protestantischen   Glaubensbegriffes    letztlich  durchklingt. 
Und  dazu  kommt  noch  ein  Letztes.   Der  Protestantis- 
mus, der  diese  Veränderungen  durchgemacht  hat,  ge- 
winnt ein  neues  Verhältnis  zur  Wissenschaft.   Der  wich- 
tige und  verwickelte   historische  Vorgang,  von  dem  ich 
oben  gesprochen  habe,   die  innere  Verschmelzung  der 
individuellen  Oberzeugungsreligion  mit  wissenschaftlicher 
Wahrhaftigkeit  und  Kritik,   die  Konstituierung  des  Pro- 
testantismus als  einer  mit  der  Wissenschaft  und  Philo- 
sophie   verbündeten   Bildungsreligion,    erklärt   sich    von 
diesen  Entwicklungen  aus.     Es  ist  nicht  bloß  ein  Ober- 
wältigtwerden  der  kirchlich  schwächeren  Religion  durch 
eine  fremde  Macht,   nicht  bloß  eine  Selbstvergessenheit 
und  Selbsttäuschung,  wenn  der  Protestantismus  nunmehr 
sich  als  ein  Prinzip  religiöser  und  wissenschaftlich-philo- 
sophischer Wahrhaftigkeit  zugleich  fühlt.    Luther  freilich 
hat  von  alledem  nichts  gewußt  und  nichts  wissen  wollen, 
alle  Spekulation  von  der  religiösen  Wahrheit  fern  gehalten 
und   im   übrigen   im  Detail  seine   gesunde  Vernunft  ge- 
braucht.    Aber  nachdem   der  Punkt  in  der  Entwicklung 
des  Protestantismus  erreicht  war,   wo  der  Weg  der  per- 
sönlichen Überzeugung  wichtiger  wurde  als  das  Ziel  der 
persönlichen  Rettung,   da  konnte  die  religiöse  Überzeu- 
gung nicht  neutral  bleiben  gegen  die  wissenschaftliche 
und  mußte  die  erstere  den  Prüfungscharakter  des  letzteren 
und  die  letztere  den   heiligen  religiösen  Pflichtcharakter 
der  ersteren  annehmen.  Wie  der  Protestantismus  an  diesem 


u 


Ernst  TroeltscJi, 


Punkte  seine  schroff  abgestoßenen  Kinder»  den  täuleri- 
schen  und  mystischen  Enthusiasmus  wieder  an  sich  zog^ 
so  holte  er  nun  auch  wieder  seinen  zweiten  alten  Feind 
und  anfänglichen  Genossen,  die  humanistische  und  philo- 
logisch-philosophische Theologie  j  zu  sich  heran  und 
öffnete  ihr  die  Tore  zum  Commercium  und  Connubium. 
Semler,  der  Vater  und  Bahnbrecher  eines  historisch  kritisch 
denkenden  und  empfindenden  Protestantismus,  konnte  es 
als  eine  selbstverständliche  Wahrheit  aussprechen,  daß 
alles,  was  die  neue  Theologie  erobert  habe,  schon  alles 
bei  dem  großen  und  bewunderungswürdigen  Erasmus 
sich  finde.  Die  Dogmatik  der  Aufklärung  wurde  un- 
unterscheidbar  von  Sozinianismus  und  ArminianismuSp 
Kant,  Fichte  und  Hegel  konnten  der  Meinung  sein, 
daß  sie  nur  die  Grundidee  der  Reformation  philosophisch 
formulierten,  und  ein  Goethe  konnte  beim  Reformations- 
jubiläum mit  Luther  gegen  alles  finstere  und  pfäffische 
Wesen  zu  protestieren  meinen*  Ja  die  gesamte  Theologie, 
auch  gerade  die  konservative^  da  wo  sie  nicht  rein 
archaistisch  ist,  wie  bei  den  amerikanischen  und  schotti- 
schen Presbyterianern  oder  den  Lutheranern  von  Missouri^ 
ist  der  Meinung,  daß  Protestantismus  und  ^echte"  Wissen- 
schaft bluts-  und  wahlverwandt  seien.  Freilich  hat  diese 
Meinung  heute  vielfach  zu  Konsequenzen  geführt,  die 
jeden  Zusammenhang  der  wissenschaftlichen  Religion  mit 
dem  Christentum  aufgelöst  haben,  aber  die  Amalgamie- 
rung  von  religiösem  und  wissenschaftlichem  Geist  in  den 
religiösen  Kreisen  der  modernen  Welt  —  und  nur  um 
diese  handelt  es  sich  hier  —  ist  darum  doch  etwas  aus 
der  Entwicklung  des  Protestantismus  Hervorgewachsenes, 
So  unsäglich  schwere  Probleme  diese  Amalgamierung 
für  die  heutige  Menschheit  heraufgeführt  haben  mag,  so 
fern  eine  Lösung  dieser  Aufgabe  auch  vielen  erscheinen 
mag,  die  die  religiöse  Zerrissenheit  und  Mattigkeit  der 
Gegenwart  beklagen,  lediglich  in  Rucksicht  auf  den  be- 
wirkenden Kausalzusammenhang  ist  doch  der  Protestan- 
tismus eine  wesentliche  Ursache  in  dieser  Gestaltung  der 
modernen,  so  kämpf-  und  schmerzenreichen  Religiosität. 


4 

■ 


Bedeutung  d.  Protestantismus  f.  d.  Entstehung  d.  modernen  Welt  65 

Nur  auf  die  Darlegung  des  Kausalzusammenhanges 
kam  es  meiner  Untersuchung  an.  Sie  wollte  kein  Wert- 
urteil begründen  weder  über  die  moderne  Kultur  noch 
über  den  Protestantismus.  Es  handelt  sich  nur  um  die 
tatsächliche  Bedeutung  des  Protestantismus  für  die  Ent- 
stehung der  modernen  Kultur,  nicht  um  seine  normative 
für  deren  heutige  Existenz,  Behauptung  oder  Fortbil- 
dung. Ich  möchte  ein  solches  Urteil  auch  nicht  jetzt  am 
Schlüsse  nachholen.  Das  wäre  eine  sehr  weit  aus- 
holende Sache  und  gehörte  nicht  vor  diese  Versamm- 
lung. Nur  das  möchte  ich  hervorheben,  was  sich  in 
dieser  Hinsicht  mir  allerdings  unmittelbar  aus  unserer 
Untersuchung  zu  ergeben  scheint.  Die  moderne  Kultur 
ist  jedenfalls  durch  eine  ungeheure  Ausbreitung  und  Inten-  \ 
sität  des  Freiheits-  und  Persönlichkeitsgedankens  charak-  \ 
terisiert  und  wir  erblicken  darin  ihren  besten  Gehalt.  ' 
Dieser  Gedanke  ist  von  allen  Lebensgebieten  her  unter 
der  besonderen  Konstellation  der  Umstände  spontan  ent- 
wickelt worden  und  hat  vom  Protestantismus  nur  ein  ; 
überaus  mächtiges,  übrigens  für  sich  selbst  unabhängiges 
religiös-metaphysisches  Fundament  erhalten.  Es  ist  die 
Frage,  ob  diese  Konstellation  der  Umstände  und  damit 
der  von  ihnen  gegebene  fruchtbare  Boden  des  Freiheits- 
gedankens dauernd  sich  behaupten  wird.  Das  ist,  wie 
Max  Weber  in  seiner  Schrift  über  die  russische  Revolution 
treffend  ausführt^),  schwerlich  der  Fall.  Unsere  wirt- 
schaftliche Entwicklung  steuert  eher  einer  neuen  Hörig- 
keit zu,  und  unsere  großen  Militär-  und  Verwaltungs- 
staaten sind  trotz  aller  Parlamente  dem  Geist  der  Frei- 
heit nicht  lediglich  günstig.  Ob  unsere  dem  Spezia- 
listentum verfallende  Wissenschaft,  unsere  von  einer 
fieberhaften  Durchprobung  aller  Standpunkte  erschöpfte 
Philosophie  und  unsere  die  Überempfindlichkeit  züchtende 
Kunst  dem  günstiger  sind,  darf  man  billig  bezweifeln. 
Es  bleibt  in  kommenden  Zeiten  des  Druckes  und  des 
Rückganges  der  Freiheit  vor  allem  dasjenige,  was  dem 


*)  Zur   Beurteilung  der  gegenwärtigen   politischen  Entwick- 
lung Rußlands,  Tübingen  1906,  S.  1201. 

Historische  Zeitschrift  (97.  Bd.)  3.  Folge  1.  Bd.  & 


66        Ernst  Troelt8chy  Bedeutung  der  Protestantismus  etc. 

ganzen  Bau  von  sich  aus  einen  guten  Teil  seiner 
Kraft  gegeben  hat,  die  religiöse  Metaphysik  der  Frei- 
heit und  der  persönlichen  Glaubensüberzeugung ,  die 
die  Freiheit  aufbaut  auf  das,  was  keine  allzu  mensch- 
liche Menschlichkeit  verderben  kann,  auf  den  Glauben 
an  Gott  als  die  Kraft,  von  der  uns  Freiheit  und  Persön- 
lichkeit zukommt:  der  Protestantismus.  Ich  darf  daher 
—  wenigstens  nach  meiner  persönlichen  Auffassung  der 
Lage  —  mit  dem  Ergebnis  schließen :  Bewahren  wir  uns 
das  religiös-metaphysische  Prinzip  der  Freiheit,  sonst 
möchte  es  um  Freiheit  und  Persönlichkeit  in  dem  Augen- 
blick geschehen  sein,  wo  wir  uns  ihrer  und  des  Fort- 
schritts zu  ihr  am  lautesten  rühmen. 


Die  Epochen  des  evangelischen  Kirchen- 
regiments  in  Preußen. 


Von 

Otto  Hlntze. 


Die  Idee  der  Landeskirche  und  des  landesherrlichen 
Kirchenregiments  stammt  nicht  erst  aus  der  Reformation, 
in  Brandenburg  so  wenig  wie  in  anderen  Territorien  des 
Reiches.  Sie  tritt  schon  im  15.  Jahrhundert  hervor,  als 
eine  Folgeerscheinung  einerseits  des  Verfalls  der  römi- 
schen Hierarchie  und  anderseits  des  Erstarkens  der  landes- 
fürstlichen Gewalten,  die  damals  begannen,  ihre  Terri- 
torien zu  förmlichen  kleinen  Staatenbildungen  zusammen- 
zuschließen. 

Seit  dem  Basler  Konzil,  das  die  Reformunfähigkeit 
der  allgemeinen  Kirche  bewiesen  hatte,  tritt  überall  in 
der  abendländischen  Christenheit  eine  mehr  oder  minder 
starke  Tendenz  zur  Absonderung  von  Nationalkirchen 
hervor,  die  mehr  noch  von  dem  Klerus  als  von  den 
weltlichen  Gewalten  ausgeht  und  die  Einheit  der  Kirche 
oder  wenigstens  die  päpstliche  Autorität  in  ihr  zu  unter- 
graben droht.  England  hatte  sich  schon  während  des 
Exils  von  Avignon  aus  dem  hierarchischen  System  der 
römischen  Kirche  in  wesentlichen  Punkten  herausgelöst; 
Frankreich  nahm  durch  die  Pragmatische  Sanktion  von 
1438  eine  selbständige  Stellung  ein,  die  seinen  Episkopat 
ganz  unabhängig  von  Rom  machte,  und  in  Deutschland 


m 


Otto  Hintze, 


waren  ähnliche  Bestrebungen  im  Gange,  die  freilich  bei 
der  eigenartigen  Verfassung  des  Reiches  ihr  Ziel  nicht 
zu  erreichen  vermocht  haben.  Hier  hat  die  Kurie  ein- 
gesetzt, um  durch  einen  Pakt  mit  den  weltlichen  Ge- 
walten die  Gefahr  der  klerikalen  Opposition  zu  bekämp- 
fen, und  sie  hat  mit  richtigem  Blick  nicht  die  Reichs- 
gewalt, sondern  die  einzelnen  Landesfürsten,  auf  denen 
damals  schon  die  politische  Zukunft  beruhte,  durch  Kon- 
zessionen auf  dem  Gebiete  des  Kirchenregiments  für  die 
Sache  der  päpstlichen  Suprematie  gewonnen.  Dies 
System  der  Konkordate  ist  später  auch  in  Spanien  und 
in  Frankreich  durchgedrungen,  es  hat  auch  die  Stellung 
der  englischen  Kirche  beeinflußt:  überall  gewann  der 
päpstliche  Stuhl  den  Sieg  über  die  Selbständigkeits- 
bestrebungen der  Landesbischöfe  und  über  die  Idee  der 
Suprematie  eines  allgemeinen  Konzils»  aber  um  den  Preis 
der  Anerkennung  einer  mehr  oder  minder  umfassenden 
Kirchenhoheit  der  weltlichen  Gewalten,  die  nun  überall 
ein  wesentlicher  Bestandteil  der  in  der  Bildung  begriffenen 
souveränen  Staatsgewalt  geworden  ist. 

In  Brandenburg  fallt  der  entscheidende  Akt  in  das 
Jahr  1447,  wo  Kurfürst  Friedrich  IL  von  Papst  Nikolaus  V. 
das  Präsentationsrecht  für  die  Bistümer  seines  Landes 
zugestanden  erhielt,  ein  Recht,  das  sich  dann  in  der 
Praxis  zu  einer  ziemlich  unbeschränkten  landesherrlichen 
Verfügungsgewalt  ausbildete,  die  durch  die  Formalität 
der  päpstlichen  Institution  der  Bischöfe  nicht  wesentlich 
beeinträchtigt  worden  ist^)  In  Zusammenhang  damit 
standen  andere  Berechtigungen,  z.  B.  bei  der  Besetzung 
der  Kapitelspfründen,  und  vor  allem  eine  Regelung  der 
geistlichen  Gerichtsbarkeit,  die  die  Einwirkung  fremder 
Bischöfe     beschränkte     und     damit    die     staatliche    Ab- 


*)  über  diese  Dinge  handelt  au&führlich  eine  Arbeit  von 
Dr»  Hennig,  die  demnächBt  In  den  Schriften  des  Vereins  für  die 
GeBchichte  der  Mark  Brandenburg  veröffentlicht  werden  wird. 
Das  Urteil  von  Priebatsch  (Zeitschrift  für  Kirchengeschichte 
XIX^  XX,  XXI)  wird  dadurch  nicht  unwesentlich  modifiziert,  im 
Sinne  einer  stärkeren  Bedeutung  dieser  Abmachungen  mit  der 
Kurie. 


4 


Die  Epochen  des  evang.  iGrchenregiments  in  Preufien.      M 

Schließung  des  Territoriums  ermöglichte,  in  dem  nun 
überhaupt  die  übermäßig  ausgedehnte  geistliche  Ge- 
richtsbarkeit allmählich  in  ihre  Schranken  zurückgewiesen 
wurde. 

Ahnliches  vollzog  sich  auch  in  anderen  großen  Ter- 
ritorien, in  Jülich-Cleve,  in  Sachsen,  vor  allem  in  den 
kaiserlichen  Erblanden.  Auf  derselben  Linie  bew^ 
sich  das  spanische  Konkordat  von  1482  und  das  fran- 
zösische von  1516,  das  Franz  I.  zu  Bologna  mit  Papst 
Leo  X.  schloß  — :  die  Grundlage  der  Beziehungen  zur 
römischen  Kurie,  die  Frankreich  heute  aufzulösen  im 
Begriffe  ist. 

In  den  deutschen  Landesfürstentümem  ist  schon 
durch  diese  Abmachungen  mit  dem  päpstlichen  Stuhle 
der  Grund  gelegt  worden  für  ein  landesherrliches  Kirchen- 
regiment, wie  es  sich  dann  seit  der  Reformation  in  den 
protestantischen  Ländern  ausgebildet  hat  Es  galt  als 
das  Recht  und  die  Pflicht  christlicher  Obrigkeit,  nicht 
bloß  für  Rechts-  und  Friedensschutz,  sondern  auch  für 
die  geistliche  Wohlfahrt  der  Untertanen  zu  sorgen,  natür- 
lich in  enger  Verbindung  mit  den  kirchlichen  Organen, 
eben  vermittelst  der  vom  Landesherm  zu  berufenden 
Bischöfe.  Als  aber  mit  der  Reformation  die  Bischöfe 
fortfielen,  blieb  als  Inhaber  des  Kirchenregiments  nur 
der  Landesherr  übrig.  Die  Lage  war  nicht  so,  daß  es 
im  Belieben  der  Reformatoren  gestanden  hätte,  ob  sie  ein 
Kirchenregiment  in  der  Form  einer  monarchisch  gelei- 
teten Landeskirche  oder  in  der  einer  Autonomie  der  ein- 
zelnen Gemeinden  einführen  wollten;  sie  fanden  in  der 
christlichen  Gesellschaft,  in  der  sie  lebten  und  wirkten, 
eine  bestimmte  politische  Organisation  mit  kirchenregi- 
mentlichen  Befugnissen  vor,  an  die  sie  sich  anschließen 
mußten,  wenn  sie  nicht  eine  unabsehbare  politisch-soziale 
Umwälzung  herbeiführen  wollten,  in  der  die  kirchliche 
Reform  wahrscheinlich  untergegangen  wäre. 

Aber  standen  denn  die  Ideen,  die  die  Reformatoren 
selbst  von  der  kirchlichen  Verfassung  hatten,  im  Grunde 
wirklich  im  Gegensatz  zu  dieser  monarchischen,  landes- 
kirchlichen Organisationsform? 


70 


Otto  Hintie, 


Es  ist  die  Ansicht  aufgestellt  worden,  und  sie  ist» 
namentlich  wohl  durch  die  Autorität  Aemil  Richters  *),  lange 
Zeit  die  „herrschende  Meinung"  gewesen:  daß  Luther  und 
Melanchthon  ebenso  wie  die  Begründer  der  reformier- 
ten Lehre,  im  Gegensatz  zum  landesherrlichen  Kirchen- 
regiment die  Autonomie  der  kirchlichen  Einzelgemeinde 
als  das  natürliche  Fundament  einer  echt-evangelischen 
Kirchenverfassung  angesehen  hätten,  daß  also  die  von 
diesem  Ideal  abweichende  historische  Entwicklung  eigent- 
lich eine  große  Verirrung  gewesen  sei,  die  erst  die 
Gegenwart  einigermaßen  wieder  gutgemacht  habe,  indem 
sie  2U  der  ursprünglichen  ersten  Auffassung  der  Refor- 
matoren wieder  zurückkehrte  und  der  Gemeinde  wenig- 
stens einen  Anteil  an  den  kirchenregimentlichen  Befug- 
nissen einräumte. 

Mir  scheint,  daß  bei  dieser  Ansicht  der  Entwicklung 
des  evangelischen  Kirchenregiments  Ideale  der  Gegen- 
wart in  die  Vergangenheit  hineingetragen  werden,  daß 
in  dem  Bestreben,  die  modernen  Einrichtungen  in  der 
Verfassung  unserer  evangelischen  Kirche  lediglich  auf 
den  Geist  des  Urchristentums  und  der  Reformation  zu- 
rückzuführen, der  maßgebende  Einfluß  der  staatlichen 
Ordnungen,  insonderheit  auch  der  politischen  Selbstver- 
waltungsideen auf  die  Formen  der  kirchlichen  Verfassung 
unterschätzt  wird,  daß  dabei  für  die  evangelische  Kirche 
überhaupt  eine  Selbständigkeit  der  Verfassungsentwick- 
tung  angenommen  wird,  die  sie  tatsächlich  in  keiner 
Epoche  unserer  Geschichte  gehabt  hat. 

Daß  Luther  und  Melanchthon  im  Grunde  eigentlich 
Vertreter  der  Idee  der  Gemeindekirche  gewesen  seien, 
ist  neuerdings  von  Rieker^)  in  einer  mich  vollkommen 
überzeugenden  Weise  bestritten  worden.  Luther  hat 
wohl  einmal,  wie  von  einem  Zukunftstraum,  von  der 
Bildung  kleiner  autonomer  kirchlicher  Ortsgemeinden 
gesprochen,    die    aus  lauter    entschieden  Gläubigen,    zur 

^)  Geschichte  der  evangeU  Kirchen  Verfassung  in  Deutschland. 
Leipzig  I85L 

*)  Die  rechtliche  Stellung  der  evangelischen  Kirche  in 
Deutsch  iand.    Leipzig   1893. 


Die  Epochen  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.      71 

Heiligung  des  Lebens  Entschlossenen  bestehen  sollten; 
aber  er  betont  dabei  doch  sogleich,  daß  das  in  Wirklich- 
keit unausführbar  sei.  Er  hat  die  hessische  Kirchen- 
ordnung des  Franzosen  Lambert,  die  auf  einem  ähnlichen 
Grundgedanken  beruhte,  widerraten;  er  hat  das  Treiben 
der  wiedertäuferischen  Separatisten,  die  an  der  Spitze  der 
Gemeinde  gegen  die  Landeskirchen  auftraten,  mit  zweifel- 
loser Nachdrücklichkeit  verworfen,  und  er  hat  vor  allem 
in  seinen  eigentlich  maßgebenden  Äußerungen,  nament- 
lich in  der  Schrift  an  den  christlichen  Adel  deutscher 
Nation,  doch  wesentlich  andere  Grundlinien  für  die  kirch- 
liche Verfassung  gezogen. 

Luther  und  seine  Helfer  beabsichtigten  ja  keines- 
wegs von  vornherein  eine  Absonderung  von  der  allge- 
meinen Kirche;  sie  gingen  nicht  darauf  aus,  eine  neue 
Kirche  neben  der  alten  zu  stiften.  Sie  hielten  fest  an 
dem  Gedanken  der  allgemeinen  Kirche  und  ihres  Zu- 
sammenhangs mit  den  Völkern  und  Staaten  der  Christen- 
heit. Gedanken  über  das  Verhältnis  von  Staat  und  Kirche 
im  modernen  Sinne  haben  sie  sich  überhaupt  nicht  ge- 
macht, weil  diese  Begriffe,  die  erst  Abstraktionen  einer 
späteren  Zeit  sind,  ihnen  noch  fremd  waren.  Wenn 
Luther  von  der  Kirche  spricht,  so  meint  er  die  unsicht- 
bare Kirche,  die  Gemeinschaft  der  Heiligen,  von  der  im 
Glaubensbekenntnis  die  Rede  ist;  will  er  ihre  äußere 
Erscheinung  bezeichnen,  so  redet  er  von  dem  christlichen 
Körper  oder  von  der  Christenheit  schlechthin,  die  in 
ihren  mannigfaltigen  Gliederungen  mit  den  Völkern  und 
Staaten  zusammenfällt,  und  die  ihm  praktisch  namentlich 
in  der  besonderen  Form  des  heiligen  römischen  Reiches 
deutscher  Nation  vorschwebt.  Und  in  diesem  großen 
christlichen  Gemeinwesen  unterscheidet  er  (und  ebenso 
auch  Melanchthon)  weltliche  und  geistliche  Gewalt  noch 
ganz  in  mittelalterlicher  Weise.  Die  Landesfürsten  sind 
ihm  noch  nicht  die  Träger  einer  modernen,  von  der 
Kirche  abgesonderten  Staatsgewalt,  sondern  eine  „christ- 
liche Obrigkeit".  Ihre  Gesamtheit  ist  ihm  „der  christ- 
liche Adel  deutscher  Nation",  dem  er  „des  christlichen 
Standes  Besserung"  ans  Herz  legt.    Das  geistliche  Regi- 


n 


Otto  Hintze, 


ment  ist  für  ihn  so  gut  wie  das  weltliche  eine  Funktion 
des  christlichen  Gemeinwesens*  Freilich  sollen  beide 
nicht  miteinander  vermengt  werden  ^),  aber  bei  dieser 
Forderung  liegt  nicht  etwa  der  Gedanke  der  Trennung 
von  Kirche  und  Staat  zugrunde  —  das  ist  nicht  eine 
Idee  der  Reformation,  sondern  des  modernen  Liberalis- 
mus — ;  die  Meinung  der  Reformatoren  geht  vielmehr 
nur  dahin,  daß  das  geistliche  Regiment  durch  besondere 
Organe  ausgeübt  werden  soll.  Solche  Organe  waren 
bisher  die  Bischöfe  gewesen*  Die  Reformatoren,  nament- 
lich Melanchthon,  hätten  sie  gern  beibehalten,  wenn  sie 
nur  das  evangelische  Bekenntnis  angenommen  hätten. 
Wo  aber  diese  alten  Organe  des  Kirchenregiments  ver- 
sagten, da  war  die  Meinung,  daß  es  mehr  noch  eine 
Pflicht  als  ein  Recht  der  christlichen  Obrigkeit,  d,  h.  in 
erster  Linie  der  Landesfürsten  sei»  an  ihrer  Statt  ein 
neues  geistliches  Regiment  aufzurichten,  dessen  eigent- 
liche Handhabung  allerdings  den  verordneten  Dienern 
der  Kirche  überlassen  werden  sollte,  die  Gott  Rechen- 
schaft zu  geben  hätten.^) 

Das  sind  die  eigentlich  maßgebenden  Ansichten  der 
Reformatoren  von  der  Natur  des  Kirchenregiments;  und 
sie  entsprangen  nicht  einem  willkürlichen  Belieben,  son- 
dern den  allgemeinen  Anschauungen  der  Zeit  Die  Ein- 
richtungen, die  sie  getroffen  haben,  wurzelten  in  den 
besonderen  politischen  und  sozialen  Verhältnissen,  mit 
denen  sie  zu  tun  hatten.  Man  braucht  sich  nur  die  recht- 
liche Lage  und  den  Kulturzustand  der  brandenburgischen 
und  überhaupt  der  nordostdeutschen  Bauernschaften  des 
16,  Jahrhunderts  vorzustellen,  um  zu  der  Einsicht  zu  ge- 
langen, daß  eine  auf  dem  Gemeindeprinzip  aufgebaute 
Kirchenverfassung  damals  in  diesen  Landen  ein  Ding 
der  Unmöglichkeit  gewesen  wäre.  Tatsächlich  hat  sich 
ja  auch   das  Gemeindeprinzip  nur  in  den  fortgeschritte- 


I 


*)  Augsb.  Konf.  II,  7:  „von  der  Bischöfe  Gewalt*  (Darin  liegt 
zugleich  auch  wohl  die  Verwerfung  der  geisÜichen  Fürsten- 
tümer.) 

»)  Luthers  Werke,  ed.  de  Wette  V,  5%, 


I 

I 
I 


Die  Epochen  des  evang.  Kirchenrcgunents  in  Prcnften.      73 

neren  oder  freieren  Bevölkerungen  des  Westens  durch- 
gesetzt,  und  zwar  auch  nur  da,  wo  entweder  eine 
städtisch-republikanische  Obrigkeit  sich  der  Reformation 
annahm,  wie  in  Genf  und  in  den  schweizerischen  Ge- 
meinden überhaupt,  oder  wo  die  Bekenner  des  Evan- 
geliums im  Gegensatz  zu  den  staatlichen  Gewalten  standen, 
wie  in  Frankreich,  den  Niederlanden,  Schottland.  Oberaü 
aber  hat  dies  Gemeindeprinzip  damals  nicht  eine  demo- 
kratische, sondern  eine  entschieden  aristokratische  Fär- 
bung gehabt,  entsprechend  der  damaligen  Struktur  der 
Gesellschaft.  Die  Presbyterien  kooptieren  sich  in  allen 
reformierten  Kirchen  des  16.,  17.  und  18.  Jahrhunderts, 
nicht  anders  wie  die  oligarchischen  Stadträte  dieser  Zeit; 
sie  beruhen  nicht,  wie  unsere  modernen  Gemeindekirchen- 
räte, auf  wiederkehrender  freier  Wahl  durch  die  Gemeinde- 
glieder. 

So  sind  es  also  nicht  eigentlich  evangelische  Prin- 
zipien, sondern  politische  und  soziale  Verhältnisse,  die 
die  Formen  des  evangelischen  Kirchenregiments  bestimmt 
haben.  Die  historische  Lage  hat  einen  stärkeren  Einfluß 
geübt  als  die  Doktrinen;  ja  diese  selbst  zeigen  deutlich 
die  Einwirkung  der  realen  Verhältnisse,  unter  denen  die 
Ausbreitung  der  evangelischen  Lehre  stattfand.  Für 
Brandenburg  und  den  größten  Teil  des  protestantischen 
Deutschland  war  die  fürstliche  Landeskirche  die  gegebene 
Form  des  Kirchenregiments;  aber  es  war  von  großer 
Bedeutung,  daß  am  Niederrhein,  in  Gegenden,  die  später 
ein  Bestandteil  des  preußischen  Staates  geworden  sind, 
die  reformierte  Presbyterial-  und  Synodalverfassung  nach 
dem  Muster  der  benachbarten  Niederlande  sich  ausgebildet 
und  befestigt  hat.  Nicht  die  Wiederentdeckung  der  an- 
geblich ersten  und  ursprünglichen  Idee  der  Reformation 
vom  evangelischen  Kirchenregiment,  sondern  dieser,  wenn 
man  will,  zufällige  historische  Umstand  ist  die  Veran- 
lassung zu  der  modernen  Umbildung  der  Kirchenver- 
fassung im  19.  Jahrhundert  geworden. 


74 


Otto  Hintze, 


l 

Die  lutherische  Landeskirche  in  Brandenburg. 
(Episkopalismus*) 

Im  Sinne  der  allgemeinen  Anschauungen  seiner  Zeit 
hat  auch  Kurfürst  Joachim  II,  in  Brandenburg  das  Kirchen- 
regiment  übernommen.*)  Als  er  1539  seinen  ersten  Abend* 
mahlsgang  nach  evangelischer  Weise  tat,  konnte  er  sicher 
sein,  daß  die  große  Mehrzahl  seiner  Stände  und  Unter- 
tanen diesem  Beispiel  folgen  würden.  Von  den  Bischöfen 
des  Landes  aber  wandte  sich  nur  der  eine,  der  Bischof 
von  Brandenburg,  Matthias  v.  Jagow,  der  evangelischen 
Lehre  zu;  die  beiden  anderen  blieben  Anhänger  der 
Papstkirche*  So  sah  sich  denn  der  Kurfürst  als  christ- 
liche Obrigkeit  und  als  vornehmstes  Glied  der  evange- 
lisch-kirchlichen Gemeinschaft  seines  Landes  veranlaßt, 
die  Kirchenverfassung  zu  ordnen.  Das  geschah  zunächst 
durch  die  Kirchenverordnung  von  1540,  die  vom  Kur- 
fürsten erlassen  ist  unter  Approbation  des  Bischofs  von 
Brandenburg,  übrigens  auch  im  Einverständnis  mit  Luther 
und  anderen  evangelischen  Theologen;  die  Einleitung, 
die  namentlich  den  Grundsatz  der  Rechtfertigung  durch 
den  Glauben  allein  enthält,  hat  Joachim  IL,  wie  er  selbst 
später  einmal  gesagt  hat,  „mit  eigener  Faust**  geschrieben. 
Diese  Kirchenordnung  beruht  auf  einem  Kompromiß 
zwischen  den  evangelischen  Lehren  und  den  Erwägungen 
der  Politik.  Indem  der  Landesherr  die  Zügel  des  Kirchen- 
regiments  ergreift,  lenkt  er  die  kirchliche  Gemeinschaft 
seines  Landes  in  die  Bahn,  die  seiner  allgemeinen  poli- 
tischen Haltung  entspricht.    Der  Hauptgesichtspunkt  war 


^)  Ich  verweise  hier  im  allgemdnen  au!  des  späteren  Ministers 
v^  MUhLer  Geschichte  der  evangelischen  Kirchenverfassung  in  der 
Mark  Brandenburg  (1846)^  die  noch  nicht  durch  eine  neuere  Arbeit 
ersetzt  ist^  sowie  auf  die  neueren  Werke  von  Schön,  Das  evan- 
gelische Kirchenrecht  in  Preußen  (IW3),  Stutz  in  Holtzendorff- 
Kohlers  Jurist.  Enzyklopädie  (1904)  II,  SU  ff.  Die  im  Erscheinen 
begriffene^  für  die  märkische  Kirchengeschichte  grundlegende 
Arbeit  von  Nik*  Müller  über  die  Geschichte  des  Berliner  Domes 
(Jahrbuch  für  Kirchengeschichte  der  Mark  Brandenburg  L2)  habe 
ich  nur  erst  zum  Teil  benutzen  können. 


I 


Die  Epochen  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.      75 

dabei  die  Bewahrung  des  Friedens,  die  Vermeidung  eines 
Konflikts  mit  Kaiser  und  Reich.   Darum  wurden  nur  ge- 
wisse Hauptstücke  der  Reformation  übernommen,  in  Wort, 
Lehre  und  Sakrament;  in  allen  Mitteldingen  oder  Adia- 
phora  wollte  der  Kurfürst  sich  frei  halten.    Der  Kultus 
blieb  fast  ganz  katholisch;  die  Messe,  wenn  auch  in  ver- 
inderter  Gestalt,  wurde   noch  beibehalten,   samt   vielen 
anderen  Äußerlichkeiten  des  katholischen  Ritus;   es  ist 
bekannt,  wie  weitherzig  sich  Luther  darüber  in  seinem 
Briefe  an  den  Propst  Georg  Buchholzer  geäußert  hat.^) 
Joachim  II.  legte  großes  Gewicht  auf  die  Zustimmung 
Luthers;  er  hat  sie  bei  jeder  Gelegenheit  hervorgehoben. 
Aber  ebenso  wichtig  war  ihm  anderseits  die  Billigung 
des    Kaisers.     Karl   V.    und     König    Ferdinand    haben 
die  brandenburgische  Kirchenordnung  ausdrücklich  ge- 
billigt und  bestätigt,  und  es  ist  dem  Kurfürsten  ja  auch 
gelungen,  durch  seine  vermittelnde  Haltung  das  Elend 
des  Krieges,  das  über  die  Schmalkaldener  Verbündeten 
hereinbrach,   von   der   Mark  Brandenburg  abzuwenden. 
Er  befand   sich   dabei   keineswegs   in  Obereinstimmung 
mit   der  ganzen  Geistlichkeit  seines  Landes.    Noch  vor 
dem  Interim,  im  Jahre  1547,  beschwerten  sich  die  Geist- 
lichen  von    Brandenburg    über    die   katholischen    Zere- 
monien; sie  erklärten,  sie  seien  in  ihrem  Gewissen  be- 
drängt,  sie   müßten   ihre   Kirchen  verlassen,   auch    das 
gemeine  Volk  fühle  sich  durch  die  katholischen  Gebräuche 
beschwert.     Der   Kurfürst    aber   antwortete    ihnen,    sie 
sollten  ihre  Kirchen  nicht  um  geringer  äußerlicher  Dinge 
willen  in  Not  bringen.    Das  gemeine  Volk  würde   sich 
wohl  lenken  lassen:  „aber  an  euch,  an  euch  Prädicanten 
fehlet's,  die  ihr  eurem  starren  Kopf  folget  und  euch  weder 
sagen  noch  weisen  lassen  wollet;  da  fehlet  es.""    Er  hält 
fest  an  seiner  Kirchenordnung  und  Kirchenpolitik:  „ich 
muß  es  dennoch  so  machen  gegen  der  kais.  Majestät, 
daß  meine  Lande  und  Leute  nicht  verderbet  und  ver- 
störet werden.   Denn  man  hat  wohl  gesehen  vor  Witten- 


')  Bei  Schmidt,  Brandenburgische  Reformationshistorie  S.  190 
(Mühler  S.  47  f.). 


76 


Otto  Hintze, 


berg  (es  war  nach  der  Mühlberger  Schlacht)^  was  Elends 
und  Jammers  da  gewesen.  O  wie  gerne  wäre  man  mit 
Fahnen  und  Kerzen  gangen,  daß  man  der  Sache  mögen 
rathen  und  helfen I**  Auch  jetzt  beruft  er  sich  wieder  aut 
Luther  und  Melanchthon,  mit  denen  er  in  allen  Stücken 
^^sich  verglichen**  habe;  „aber,"  erklärt  er,  „so  wenig  ich 
an  die  Römische  Kirche  will  gebunden  sein,  so  wenig 
will  ich  auch  an  die  Wittenbergische  Kirche  gebunden 
sein;  denn  ich  nicht  spreche:  credo  sanciam  Romanam 
oder  Wiitenbergensem,  sondern  caiholkam  ecciesiam; 
und  meine  Kirche  allhier  zu  Berlin  und  Cöln  ist  eben 
eine  solche  rechte  christliche  Kirche,  wie  der  Wittenberger 
Kirche,  und  ist  uns  genug,  daß  wir  im  Wort,  in  der 
Lehre,  in  den  Sacramenten  und  in  den  Hauptstücken, 
daran  die  Seligkeit  gelegen,  einig  sein,"^)  Und  diese  vor- 
sichtig lavierende  Richtung  hat  Joachim  IL  innegehalten, 
bis  nach  dem  Religionsfrieden  von  Augsburg  andere  Zeiten 
kamen  und  die  Gefahr  eines  offenen  und  unumwundenen 
Eintretens  für  die  Sache  der  Reformation  verschwunden 
war  Im  Jahre  1562  hat  er  —  eben  von  schwerer  Krank- 
heit genesen,  in  dem  von  ihm  gestifteten  Dom  eine 
kleine  Kirchenversammlung  veranstaltet,  vor  der  er  sein 
Glaubensbekenntnis  und  seinen  letzten  Willen  kund- 
gab. Der  vor  kurzem  veröffentlichte  Bericht  eines  dabei 
anwesenden  Geistlichen,  des  Cölner  Propstes  König,  gibt 
ein  merkwürdiges  Zeugnis  von  der  impulsiven,  persön- 
liehen  Art,  in  der  Joachim  fL  sein  Kirchenregiment  ge- 
handhabt hat.^)  Im  Anschluß  an  die  Verlesung  seines 
Glaubensbekenntnisses  kanzelt  er  den  Berliner  Propst, 
Georg  Buchholzer,  lörmlich  ab,  weil  er  ihm  zu  stark  die 
Notwendigkeit  der  guten  Werke  betont  hatte  und  darüber 
mit  dem  Hofprediger  Agricola  in  offenen  Unfrieden  ge- 
raten war.  Der  Gegensat2  der  beiden  Geistlichen  ist 
charakteristisch;  Buchholzer  war  ein  ernster  strenger 
Christ  mit  einem  puritanischen  Anflug,  Agricola  ein 
leichter  Welt-  und   Hofmann,   der   über   die   anstößigen 

0  Bei  Schmidt,  Brandenburgische  Reformationshistorie  (Mühler 
S.  48  f.), 

«)  Forschungen  zur  brandenb.  u«  preuß.  Geschichte  17,  237  iL 


I 


Die  Epochen  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.      77 

persönlichen  Gründe,  die  bei  dem  Kurfürsten  eine  so 
starke  Abneigung  vor  der  Betonung  der  guten  Werke 
hervorgebracht  hatten,  mit  höfisch-iäßlicher  Nachsicht  hin- 
wegsah. Buchholzer  sucht  sich  nun  gegen  die  fürst- 
liche Strafpredigt  zu  verantworten;  es  entwickeU  sich 
ein  erregter  Dialog;  der  Propst  wirft  dem  Kurfürsten 
einmal  das  Wort  entgegen:  sollen  wir  denn  stumme 
Hunde  sein?  Er  beklagt  sich,  daß  Agricola  ihn  von  der 
Kanzel  einen  alten  Rotzlöffel  geheißen  habe,  was  der 
Kurfürst  gar  nicht  so  unberechtigt  findet.  So  ging  es 
hin  und  her,  bis  Joachim,  der  wohl  sah,  daß  er  den  Propst 
nicht  bekehren  werde,  die  Auseinandersetzung  schließt 
mit  den  Worten:  „Ich  befehle  mich  Gott  und  Euch,  Er 
Jörge,  dem  Teufel!"  —  „darauf  —  setzt  der  Bericht- 
erstatter hinzu  —  etliche  geantwortet:  Amen!"  Der  Kur- 
fürst aber  hob  dann  die  vierstündige  Sitzung  auf  —  sie 
hatte  von  morgens  ^2^  bis  gegen  1  Uhr  gedauert  —  mit 
den  Worten:  „Ich  will  hin  essen  gehen;  ist  mir  besser, 
denn  daß  ich  aus  Not  gute  Werke  thue.'' 

So  selbstherrlich  und  temperamentvoll  hat  sich 
Joachim  II.  in  den  Streit  der  Lehrmeinungen  gelegent- 
lich eingemischt,  wobei  indessen  zu  bemerken  ist,  daß 
seine  autoritative  Entscheidung  doch  keineswegs  die  Norm 
für  die  Lehre  in  der  Landeskirche  geworden  ist.  Die 
Leichenpredigt,  die  ihm  Andreas  Musculus  hielt  ^),  zeigt, 
daß  doch  der  strengere  Geist  die  Oberhand  behalten 
hatte,  und  unter  Johann  Georg  kam  er  vollends  zur 
Herrschaft.  Die  neue  Kirchenordnung  von  1572  ersetzte 
das  besondere  brandenburgische  Bekenntnis  durch  die 
Confessio  Augustana  und  den  Lutherischen  Katechismus, 
und  die  Konkordienformel  von  1577  unternahm  es,  das 
orthodoxe  lutherische  Bekenntnis  mit  allen  Details  der 
theologischen  Gelehrsamkeit  scharf  gegen  den  Calvinis- 
mus abzugrenzen  und  es  ein  für  allemal  als  eine  die 
Gewissen  bindende  und  verpflichtende  Norm  festzulegen. 
Der  Anstoß  dazu   kam  nicht  aus  den  Gemeinden,   son- 


*)  Spieker,   Lebensgeschichte  des  Andreas  Musculus  (1868) 
S.  144  H. 


n 


Otto  Hintze, 


dem  aus  den  Kreisen  des  Kirchenregiments  in  Sachsen 
und  Brandenburg:  es  war  ein  Werk  der  Fürsten  und 
ihrer  Hoftheologen,  Von  eigentlich  politischen  Motiven 
hört  man  dabei  nicht,  aber  man  dari  sie  wohl  ergänzen^ 
wenn  man  den  politischen  Hintergrund  betrachtet,  den 
der  ferne  Feuerschein  der  Hugenotten-  und  Geusenkriege 
beleuchtet.  In  diesen  Kämpfen  mit  der  vordringenden 
katholischen  Reaktion  offenbarte  sich  der  entschlossene 
kriegerisch-revolutionäre  Charakter  des  westeuropäischen 
Calvinismus,  vor  dem  die  friedfertigen,  loyalen  protestan- 
tischen Fürsten  Deutschlands  zurückscheuten.  Sie  wollten 
ihr  evangelisches  Bekenntnis  behaupten^  aber  ohne  Krieg 
und  Gewalt;  und  so  zog  man  eine  scharfe  Linie  zwischen 
dem  Luthertum  und  der  reformierten  Lehre:  in  dem  Be- 
wußtsein der  nächsten  Generation  stand  der  orthodoxe 
Lutheraner  dem  Katholiken  fast  näher  als  den  calvinisti- 
schen  „Sakramentsschändern". 

Von  Toleranz  war  dabei  so  wenig  die  Rede  wie  bei 
der  Einführung  der  Reformation.  Die  Kirchenordnung 
von  1540  hatte  bestimmt,  daß  keine  andere  Predigt  und 
kein  anderer  Gottesdienst  als  der  darin  verordnete  in 
den  kurfürstlichen  Landen  solle  geduldet  werden;  die  von 
1572  bedrohte  alle  Pfarrer^  die  sie  nicht  halten  würden, 
mit  der  Absetzung;  die  Konkordienformel  mußte  von 
allen  Geistlichen,  die  Amt  und  Pfründe  behalten  wollten, 
unterschrieben  werden.  Auch  in  bezug  auf  die  Schattie- 
rungen der  evangelischen  Lehre  galt  das  Jus  reformandi 
des  Landesherrn  und  der  Grundsatz:  cujus  regio  ejus 
religio. 

Toleranz  im  modernen  Sinne  lag  überhaupt  nicht  in 
dem  Gedankenkreise  der  Reformation:  auch  Luther  und 
Melanchthon  haben  sie  nicht  gekannt  Man  verlangte  wohl 
Freiheit  für  das  Evangelium;  aber  man  war  zu  fest  über- 
zeugt von  der  Wahrheit  der  eigenen  Erkenntnis,  die  doch 
aus  dem  Worte  Gottes  geschöpft  war,  als  daß  man  steh 
der  Folgerung  hätte  entziehen  können,  daß  es  die  heilige 
Pflicht  der  christlichen  Obrigkeit  sei,  die  reine  Lehre  in 
ihrem  Lande  zur  ausschließlichen  Anerkennung  zu  bringen; 
freilich  nicht  mit  Feuer  und  Schwert,  aber  etwa  so,  daß, 


I 


I 


Die  Epachcfi  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.      79 


wie  in  der  brandenburgischen  Kirchenordnung  von  1540, 
den  hartnäckigen  Gegnern  des  Evangeliums  die  Aus- 
wanderung freigestellt  wird.  Denn  das  muß  man  sich 
gegenwärtig  halten:  die  Einheit  von  Kirche  und  Staat 
blieb  auch  in  den  Territorien  der  Reformationszeit  durch- 
aus gewahrt.  Kann  man  sagen,  daß  das  landesherrliche 
Kirchenregiment  in  gewissem  Sinne  die  Kirche  in  den 
Staat  aufgelöst  habe,  so  ist  anderseits  ebenso  wahr,  daß 
der  Staat  als  ein  christliches  Gemeinwesen  angesehen 
wurde^  dessen  erster  und  oberster  Zweck  die  reine  Lehre 
und  die  Förderung  des  Reiches  Gottes  wan  Nur  von 
diesem  Standpunkt  aus  versteht  man  die  Geschichte  der 
protestantischen  Territorien  des  16,  und  17.  Jahrhunderts* 
Die  Religion  ist  durchaus  die  erste  und  vornehmste  poli- 
tische Angelegenheit.  Es  ist  die  große  Sache,  in  der 
Landesherr  und  Stände,  die  sonst  so  vielfach  entgegen- 
gesetzte Interessen  haben,  einander  mit  gleichem  Eifer 
begegnen.  In  allen  Ständereversen  und  Landtagsabschie- 
den steht  immer  an  erster  Stelle  die  Erhaltung  der  reinen 
Lehre,  die  Ordnung  des  Gottesdienstes;  dann  folgt  die 
.Hebe  Justiz",  und  endlich  in  breiter  Fülle  das  Heer  der 
wirtschaftlichen  und  polizeilichen  Anordnungen.  Das 
lutherische  Territorium  des  t6.  Jahrhunderts  ist  ein  halb 
geistlicher  Staat;  geistliches  und  weltliches  Regiment  in 
diesem  christlichen  Gemeinwesen  ist  in  den  ausübenden 
Organen  zwar  voneinander  geschieden:  aber  an  der  Spitze, 
in  der  Person  der  fürstlichen  Landesobrigkeit,  hängt  beides 
zusammen.  Die  brandenburgischen  Landesherren  haben 
zwar  allzeit  betont,  daß  sie  dabei  nicht  das  Ihre  suchten, 
sondern  die  Ehre  Gottes  und  das  Seelenheil  ihrer  Unter- 
tanen; aber  es  war  nur  menschlich,  daß  weltliche  und 
geistliche  Gewalt,  in  der  Hand  eines  Herrn  vereinigt, 
einander  stützten  und  förderten;  und  wenn  auch  in  den 
deutschen  Territorien  die  Kirchengewalt  niemals  so  kraß 
im  weltlich -absolutistischen  Sinne  aufgefaßt  worden  ist, 
wie  in  England  unter  Heinrich  VlIL,  der  nach  dem 
treiienden  Ausdruck  von  Gneist  als  Universalsukzessor 
die  Erbschaft  des  Papsttums  antrat,  so  war  doch  eine 
bedeutende    Machtsteigerung    auch    bei    den    deutschen 


I 


80 


Otto  Hintue, 


Fürsten  zweifellos  mit  der  Reformation  verbunden.  Der 
kircfilicfie  Organismus  unterstand  ilirer  Herrschergewalt 
docfi  noch  in  ganz  anderer  Weise  als  in  der  katfiolischen 
Zeit.  Freilich  waren  sie  in  der  Regierung  der  Kirche 
beschränkt  durch  das  Evangelium  und  die  symbolischen 
Bücher;  der  Stütze,  die  in  der  Autorität  angesehener 
Geistlichen  lag^  konnte  das  landesherrliche  Kirchen- 
regiment niemals  entbehren.  Aber  dem  Lande  gegen- 
über hatte  der  Fürst  in  seinem  Kirchenregiment  eine 
starke  Position;  von  den  Ständen  war  er  dabei  ebenso 
unabhängig  wie  der  englische  König  von  seinem  Par- 
lament. 

Die  Reformation  ist  ja  in  Brandenburg  von  Joachim  II. 
im  Einverständnis  mit  den  Ständen  eingeführt  worden; 
wir  hören  sogar  einmal,  daß  die  Stände  den  entscheiden- 
denden Anstoß  gegeben  hätten^);  und  die  Schuldenregu- 
lierung durch  den  Landtag  von  1540  wird  mit  der  Ein- 
führung der  Reformation  in  Brandenburg  wohl  in  einem 
ähnlichen  Zusammenhang  stehen  wie  in  Magdeburg  unter 
dem  Kardinal  Albrecht,  Aber  formell  war  die  Kirchen- 
ordnung von  1540  durchaus  ein  freies  Werk  der  landes- 
türstlichen  Gewalt,  und  das  landesherrliche  Kirchenregi- 
ment stützte  sich  nicht  auf  ein  Mandat  der  Stände,  sondern 
auf  das  Recht  der  christlichen  Obrigkeit  zur  Ordnung 
der  kirchlichen  Verhältnisse  und  auf  die  Tatsache  ^  daß 
der  Kurfürst  in  die  kirchenregimentlichen  Funktionen  der 
Bischöfe  eingetreten  war.  So  wird  es  ausgeführt  in  der 
Einleitung  zu  dem  Entwurf  einer  nicht  publizierten  Visi- 
tations-  und  Konsistorialordnung  von  1561  ^);  und  es  wird 
zugleich  daran  die  Bemerkung  geknüpft,  daß  der  Kur- 
fürst bei  der  Aufrichtung  geistlicher  Ordnungen  nicht 
verbunden  sei,  der  Landschaft  Bewilligung  dazu  zu  requi- 
rieren und  zu  erfordern ,  so  wenig  das  vordem  den  Bi- 
schöfen obgelegen  habe*  Diese  ganze  Einleitung  ist  zwar 
bei    der    Publikation    der    Visitations-    und    Konsistorial- 


')  In  den  von  G.  Winter  publizierten  Akten  zu  dem  Land- 
tage von  1540.  Zeitschrift  für  preuß,  Gesch.  u,  Landeskunde  19, 
306  (Artikel  der  Prälaten  und  Geistlichen). 

»)  Abgedruckt  bei  Mühler  S,  64-68, 


Die  Epochen  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.       81 


Ordnung  im  Jahre  1573^)  fortgeblieben,  aber  ich  möchte 
daraus  keineswegs  den  Schluß  ziehen^  daß  mit  Johann 
Georg  die  brandenburgische  Landeskirche  nun  unter  das 
Mitregiment  der  Stände  gekommen  sei.  Von  einer  Be- 
stätigung durch  die  Stände  findet  sich  auch  1573  nicht 
die  mindeste  Spur;  die  Konsistorialordnung  wird  viel- 
mehr geradezu  als  ein  Ausfluß  landesfürstlicher  Befugnis 
bezeichnet;  und  die  vorangehende  Visitationsordnung  ent- 
häh  zwar  einige  unbedeutende  Zugeständnisse  an  die 
adligen  Patrone^  aber  schlechthin  nichts,  was  uns  veran- 
lassen könnte^  einen  förmlichen  Systemwechsel  im  Kirchen- 
regiment anzunehmen*  Das  landesherrliche  Kirchenregi- 
ment ist  auch  späterhin  nicht  von  den  Landtagen  ab- 
hängig geworden;  aber  ein  starker  und  vielleicht  steigen- 
der Einfluß  der  adligen  Patrone,  die  die  Pfarrer  zu  be- 
rufen hatten,  ist  dabei  allerdings  nicht  ausgeschlosseup 
In  allen  Territorien  besteht  eine  merkwürdige  Verbindung 
zwischen  dem  orthodoxen  Luthertum  und  dem  Stände- 
tum,  die  ihre  Quelle  eben  in  den  Patronatsverhältnissen 
hat;  im  Herzogtum  Preußen  und  zeitweise  auch  in  Sachsen 
könnte  man  last  von  einer  Beherrschung  der  Kirche  durch 
die  ständischen  Gewalten  reden.  So  weit  ist  es  in  Branden- 
burg nicht  gekommen,  wenngleich  auch  hier  eine  mäch- 
tige Tendenz  am  Werke  war,  die  darauf  ausging,  die 
Landeskirche  zu  einer  Junker-  und  Pastorenkirche  zu 
machen.  Wie  sich  die  wirtschaitlich-soziale  Stellung  der 
Bauern  in  der  zweiten  Häute  des  16.  und  im  17,  Jahr- 
hundert erheblich  verschlechtert  hat,  so  ist  auch  die  be- 
scheidene Mitwirkung  der  Gemeinde  in  Kirchensachen, 
die  die  Visitationsordnung  von  1573  noch  kennt,  später- 
hin ganz  abgekommen,  und  der  Einfluß  der  adligen 
Patrone  auf  die  Pfarrer  wurde  allmählich  immer  größer, 
so  daß  im  17,  Jahrhundert  wohl  die  Klage  laut  wird,  die 
Gutsherren  wollten  die  Geistlichen  zu  ihren  Knechten 
machen.  Aber  das  landesherrliche  Konsistorium  hat  doch 
den   stärkeren  Naturen  immer  einen   genügenden  Riick- 

*)  Mylius  C  C.  M,  L  Nr.  7.  (Dort  auch  die  übrigen  weiter 
unten  zitierten  gesetzlichen  Bestimmungen  für  die  brandenbur- 
gisehe  Landeskirche.) 

HiJtoriiehe  ZeiUcbrlft  07.  B44  3.  Folg«  h  Bd.  6 


m 


OttD  Hintze, 


halt  dagegen  geboten.  Das  haben  die  Junker  nie  er- 
reicht, daß  sie  Plarrer  oder  Küster  nach  eigenem  Er- 
messen hätten  absetzen  dürfen;  über  den  Dienern  der 
Kirche  war  doch  immer  die  starke  Hand  des  Landes- 
herrn, 

Die  Organisation  des  landesherrlichen  Kirchenregi- 
ments ist  in  Brandenburg  nach  dem  sächsischen  Vorbilde 
erfolgt.  Die  Ordination  der  Geistlichen  samt  den  Auf- 
sjchts-  und  Leitungsbefugnissen,  die  damit  zusammen- 
hingen, wurde  zunächst  einem  allgemeinen  oder  Oeneral- 
superintendenten  übertragen,  der  anfänglich  in  Berlin, 
seit  dem  Tode  Agricotas  aber  in  Frankfurt  seinen  Wohn- 
sitz hatte,  wo  er  zugleich  Universitätsprofessor  war.  Zu- 
gleich wurde  1541  eine  Visitationskommission  gebildet, 
bestehend  aus  dem  Bischof  von  Brandenburg,  dem  Ge- 
neralsuperintendenten  (Stratner),  dem  späteren  Kanzler 
Weinleb  und  einigen  ständischen  Deputierten,  die  von 
Berlin  aus  die  Marken  bereiste  und  unter  Zuziehung 
der  lokalen  Obrigkeiten  in  Stadt  und  Land  die  neue 
Ordnung  des  Gottesdienstes  durchführte. 

Diese  Visitation  von  1541/42  hat  eigentlich  erst  die 
Reformation  in  der  Mark  zur  Durchführung  gebracht. 
Dabei  ergab  sich  nun  aber  ein  doppeltes  Bedürfnis: 
einmal  bedurfte  es  einer  Verstärkung  der  obersten  Auf- 
sichtsinstanz, des  Generalsuperintendenten,  durch  ein 
Kollegium,  wegen  der  vielen  Anfragen  und  Entschei- 
dungen, die  nötig  wurden,  und  namentlich  auch  zur  Aus- 
übung der  geistlichen  Gerichtsbarkeit,  die  die  Bisehöfe 
bisher  durch  ihre  Offiziale  und  ihre  Konsistorien  aus- 
geübt hatten;  denn  diese  geistliche  Gerichtsbarkeit, 
namentlich  in  Ehesachen,  in  Kirchen-  und  Pfründen- 
sachen, in  Disziplinarsachen  der  Geistlichen  und  bei 
offenkundigen  Sünden  und  Lastern  in  der  Gemeinde  — 
diese  geistliche  Gerichtsbarkeit  ist  mit  der  Reformation 
keineswegs  verschwunden,  sondern  in  ziemlich  demselben 
Umfange  wie  in  der  katholischen  Zeit,  beibehalten  wor- 
den. Zu  ihrer  Ausübung  und  zur  Unterstützung  des 
Generalsuperintendenten  in  den  Leitungs-  und  Aufsichts- 


I 


Die  Epochen  des  evang.  Kirchenregimeiits  in  Preußen.      8S 


befugnissen  wurde  ein  koUegialisches  Konsistorium  be- 
gründet, nach  dem  sächsischen  Vorbild,  bestehend  außer 
dem  Generalsuperintendenten  aus  drei  bis  vier  geistlichen 
Beisitzern,  zu  denen  noch  der  Kanzler  und  einige  Kam- 
me rgerichtsräte  traten.  Es  war  eine  besondere  geistliche 
Behörde  neben  der  kurfürstlichen  Ratsstube,  in  der  die 
weltlichen  Sachen  behandelt  wurden;  aber  sie  hing  mit 
Ratsstube  und  Kammergericht  durch  die  rechts  verständigen 
Mitglieder  zusammen;  es  kam  wohl  vor,  daß  einem  kur- 
fürstlichen „Rat  und  Diener",  wie  die  Bezeichnung  lautete, 
in  seiner  Bestallung  aufgegeben  wurde,  zugleich  als  Kon- 
sistorial-  und  Kammergerichtsrat  zu  dienen^  als  Ritt- 
meister eine  Schwadron  zu  beiehligen  und  als  Hofkavalier 
den  fürstlichen  Töchtern  aufzuwarten.  Neben  dieser  Auf- 
sichtsbehörde am  Hofe  bedurfte  es  aber  zugleich  auch 
noch  lokaler  ständiger  Aufsichtsorgane  ^  die  gewisser- 
maßen an  die  Stelle  der  Visitatoren  traten:  das  sind  die 
sog.  geistlichen  Inspektoren,  aus  denen  im  19,  Jahrhundert 
die  heutigen  Superintendenten  geworden  sind,  gewöhn- 
lich die  Pfarrer  der  vornehmsten  Städte,  die  die  Aufsicht 
über  die  Geistlichen  und  das  Kirchenwesen  des  umliegen- 
den Landkreises  führten.  Ihre  Bestallung  lag  in  den 
Händen  des  Kurfürsten  ebenso  wie  die  der  General- 
superintendenten und  der  Mitglieder  des  Konsistoriums, 
Die  Begründung  des  Konsistoriums  fällt  wahrscheinlich 
schon  in  das  Jahr  1542;  1543  erhielt  es  seine  erste  fnstruk- 
tion,  die  nach  längeren  Vorarbeiten,  nach  dem  Muster  der 
Wittenbergischen  Ordnung,  im  Jahre  1551  erneuert  und 
verbessert  worden  ist.^)  Ein  neuer  Entwurf  von  1561  ist 
nicht  publiziert  worden;  auf  ihm  beruht  die  dritte,  die  in 
manchen  Stücken  noch  heute  gültige  Visitations-  und  Kon- 
sistorialordnung  von  1573*  Die  Visitationen,  die  bisher 
nur  außerordentlicherweise  vorgenommen  worden  waren, 
sind  dadurch  zu  einer  bleibenden  Einrichtung  gemacht 
worden.    Kommissionen,   bestehend    aus    dem    General- 


')  Beide  Ordttungen  sind  bisher  noch  nicht  bekannt  ge- 
worden;  sie  tind  aber  erhalten  und  werden  demnächst  verdHent- 
licht  werden. 


Otto  Hmtze, 


Superintendenten,  einem  Konsistorialrat^  dem  Notarius 
des  Konsistoriums  als  Protokollführer  sollten  mit  Zu- 
ziehung eines  adligen  und  eines  städtischen  Deputierten 
und  unter  Beihilfe  der  weltlichen  Ortsobrigkeiten  in  zehn- 
jährigem Turnus  die  Kirchen  der  Mark  visitieren^  Miß- 
bräuche abstellen  oder  auch  zur  Anzeige  bringen»  um 
das  Leben  der  Gemeinden  wie  der  Geistlichen  in  Über- 
einstimmung zu  bringen  mit  dem  Ideal  eines  christlichen 
Gemeinwesens,  Die  Lokalverwaltung  des  Kirchenver* 
mögens  lag  dem  Patron  und  dem  Pfarrer  samt  einigen 
Kastenvorstehern  aus  der  Gemeinde  ob;  zur  Rechnungs- 
legung sollten  noch  etliche  Deputierte  von  der  Gemeinde 
hinzugezogen  werden. 

Alljährlich  zu  Pfingsten  sollten  die  Geistlichen  eines 
Inspektionskreises  sich  zu  einer  Synode  versammeln»  die 
aber  im  wesentlichen  nur  zu  gegenseitiger  Anregung  und 
Aussprache  bestimmt  war,  Ende  des  16,  und  Anfang 
des  17.  Jahrhunderts  sind  diese  Kreissynoden  auch  eine 
wirklich  lebendige  Einrichtung  gewesen.  Im  30jährigen 
Kriege  sind  sie  abgekommen;  und  abgesehen  von  einigen 
vereinzelten  Versuchen  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
sind  sie  erst  im  19.  Jahrhundert  wiederins  Leben  gerufen 
worden. 

Neben  den  Kreissynoden  kennt  die  Konsistorial- 
ordnung  von  1573  auch  eine  Landessynode,  zu  der,  auf 
Berufung  des  Landesherrnj  alle  Geistlichen  unter  dem 
Vorsitz  des  Generalsuperintendenten  zusammentreten 
sollen,  um  mit  Beistand  des  Konsistoriums  und  der  Uni- 
versität Frankfurt  zweifelhafte  Artikel  und  ernste»  wichtige 
Sachen  zu  erörtern  und  zu  entscheiden.  Solche  Landes- 
synoden^  freilich  mehr  für  einzelne  Landesteiie,  sind  auch 
während  des  16.  Jahrhunderts  mehrmals  einberufen  wor- 
den, namentlich  bei  der  Einführung  der  Konkordienformel 
1577;  aber  eine  eigentliche  gesetzgebende  Gewalt  haben 
sie  nicht  ausgeübt:  in  Glaubenssachen  wurde  eine  solche 
überhaupt  nicht  anerkannt,  und  was  die  Zeremonien  und 
die  Einrichtung  des  Gottesdienstes  betrifft,  so  sah  der 
Kurfürst  deren  Regelung  als  sein  Reservatrecht  an.  Es 
war    mehr    nur    eine    Institution    zur    Herstellung    einer 


Die  Epochen  des  evanji,  Kirchenregiments  in  Preußen.       85 

näheren  Fühlung  zwischen  den  kirchenregimentlichen 
Behörden  und  der  Geistlichkeit,  Die  letzte  Landessynode 
ist  1614  gehalten  worden  bei  Gelegenheit  des  Übertritts 
Johann  Sigismunds  zum  reformierten  Bekenntnis. 


Der  Absolutismus  im  Kirchenregiment  unddie 
Entstehung   einer   preußischen   Landeskirche. 


(Territ  orialismus.) 


Das  Syste 


der  Kirchen  Verfassung,  wie  es  sich  im 
16.  Jahrhundert  ausgebildet  hatte,  wurde  von  der  juri- 
stischen Theorie  als  das  episkopalistische  bezeichnet. 
Der  tatsächliche  Ausgangspunkt  der  Reformationszeit, 
das  Recht  und  die  Pflicht  der  christlichen  Obrigkeit  zum 
Schutz  und  zur  Beförderung  des  Evangeliums  und  zum 
Erlaß  der  darauf  gerichteten  Ordnungen  trat  zurück  vor 
der  kanonistischen  Doktrin  ^  die  das  landesherrliche 
Kirchenregiment  auf  das  jus  episcopaie  gründete  und  den 
Landesherrn  als  den  summus  eplscopus  seiner  Landes- 
kirche betrachtete.  Die  Voraussetzung  war  dabei  natür* 
lieh,  daß  der  Landesherr  selbst  Mitglied  der  Kirchen- 
gemeinschaft sei,  über  die  er  das  oberbischöfliche  Recht 
ausübte.  Eben  diese  Voraussetzung  traf  nun  aber  in  der 
brandenburgischen  Kirche  nicht  mehr  zu,  seit  Johann 
Sigismund  im  Jahre  1613  zum  reformierten  Bekenntnis 
übergetreten  war.  Das  war  ein  epochemachendes  Ereig- 
nis für  die  Geschichte  des  landesherrlichen  Kirchenregi- 
ments; wir  müssen  es  etwas  näher  ins  Auge  fassen,  um 
seine  eigentliche  Bedeutung  zu  verstehen* 

Man  wird  nicht  daran  zweitein  dürfen,  daß  dieser 
Konfessionswechsel  aus  tiefer  innerer  Überzeugung  erfolgt 
ist.  Aber  den  Zusammenhang  mit  politischen  Motiven 
braucht  man  darum  nicht  zu  leugnen,  Religion  und  Po- 
litik waren  damals  so  eng  miteinander  verknüpft,  daß  sie 
schwer  zu  trennen  sind,  Luthertum  und  Calvinismus 
bedeuteten  damals  nicht  bloß  verschiedene  religiöse  Be- 
kenntnisse,  sondern  ganz  entgegengesetzte  politische  Welt- 
anschauungen.   Das  Luthertum  hängt  damals  in  Deutsch- 


Otto  Hintze, 


land  untrennbar  zusammen  mit  dem  kleinstaatlichen  terri- 
torialen Stilleben,  mit  dem  landschaftlich  beschränkten 
Partikularismus,  in  dem  Stände  nnd  Fürsten  eins  sind, 
mit  der  Abneigung  gegen  alles,  was  zur  Störung  des 
Friedens  führen  könnte,  mit  der  ängstlichen  Vermeidung 
aller  Verwicklungen  in  die  Händel  und  geschwinden  Laufte 
der  Zeit.  Daß  dies  ängstliche,  kleinliche,  beschränkte, 
unpolitische  Wesen  nicht  an  dem  lutherischen  Bekenntnis 
als  solchem  haftet,  das  hat  spater  die  Heldengestalt  Gustav 
Adolfs  bewiesen*  Aber  auf  deutschem  Boden  war  dieser 
politische  Kleinmut  bei  den  lutherischen  Fürsten  infolge 
der  engen  und  unfertigen  deutschen  Verhältnisse  eine 
eingewurzelte  Eigenschaft,  und  sie  wurde  durch  die  miß- 
trauische Überwachung  der  fürstlichen  Politik  seitens  der 
Landstände  immerfort  bestärkt  und  erhalten«  Kurfürst 
Joachim  IL  hatte  in  dem  Revers  von  1540  seinem  Adel 
versprechen  müssen,  ihn  in  allem  zu  hören,  daran  der 
Lande  Gedeih  oder  Verderb  gelegen,  und  sich  nament- 
lich nicht  ohne  sein  Vorwissen  in  Bündnisse  einzulassen, 
aus  denen  dem  Lande  Lasten  erwachsen  könnten.  Das 
hatten  alle  seine  Nachfolger  wiederholen  müssen.  Dieser 
lutherische  Kleinstaat  hatte  sich  selbst  festgebannt  in  einer 
unpolitischen  Sphäre  der  Machtlosigkeit,  aus  der  es  ohne 
einen  Bruch  mit  der  Tradition  keinen  Ausgang  gab.  Er 
kannte  kein  anderes  Ideal  als  das  der  zeitlichen  und 
ewigen  Wohlfahrt.  Nichts  lag  ihm  ferner  als  der  Gedanke 
politischer  Machtentfaltung  mit  Truppenwerbungen  und 
Kriegssteuern.  Dergleichen,  wenn  es  sein  mußte,  schien 
noch  immer  Sache  des  Reichs  zu  sein,  obwohl  das  Reich 
längst  aufgehört  hatte,  eine  politische  Macht  zu  sein  und 
der  Kaiser  katholische  habsburgische  Politik  machte.  In 
den  Hugenottenkriegen  hatten  sich  auch  brandenburgische 
Edejleute,  in  denen  sich  das  alte  Ritterblut  regte,  auf- 
gemacht, um  in  Frankreich  mitzufechten;  aber  die  Wer- 
bung für  Heinrich  IV.  wurde  in  Brandenburg  —  bis  auf 
einen  kritischen  Moment  im  Jahre  1591  —  immer  ängst- 
lich verboten;  man  wollte  sich  nicht  hineinziehen  lassen 
in  den  gefährlichen  Strudel  der  Weltpolitik.  Unter  Johann 
Georg  hatte  sich  diese   bis  zur  Ängstlichkeit  vorsichtige 


I 


I 


Die  Epocben  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.       87 


Politik  mit  der  lutherischen  Orthodoxie  und  dem  agrari- 
schen Ständetum  zu  einer  festen  Tradition  verbunden, 
die  mit  den  Ausdehnungstendenzen  des  Hauses  Branden- 
burg in  oüenem  Mißverhältnis  stand.  Es  war  wie  ein 
Glaubenssatz,  daß  man  alles  Gott  anheimstellen  und  auch 
in  weltlichen  Dingen  es  nicht  au!  Macht  und  Gewalt  an- 
kommen lassen  müsse.  Mochte  in  der  Welt  da  draußen 
der  Brand  der  Religionskriege  wüten:  daheim  wollte 
man^  wie  es  in  dem  Kirchengebet  mit  den  Worten  des 
Apostels  heißt,  ein  geruhiges  und  stilles  Leben  führen  in 
alier  Gottseligkeit  und  Ehrbarkeit.  Das  war  die  Summe 
der  lutheranischen  Politik, 

Wäre  es  nach  dieser  Politik  gegangen,  so  wäre 
Brandenburg  niemals  zum  Großstaat  geworden,  so  hätte 
es  niemals  die  Positionen  gewonnen,  die  es  später  dazu 
instand  gesetzt  haben,  der  Hort  des  Protestantismus  zu 
werden  und  die  politische  Regeneration  Deutschlands  zu 
bewirken*  Die  ersten  Schritte  auf  dieser  Bahn  sind  unter 
Johann  Sigismund  getan  worden  mit  der  Behauptung  der 
clevischen  Erbschaft.  Es  ist  bekannt,  daß  es  darüber  fast 
zu  einem  europäischen  Kriege  gekommen  wäre;  und 
wenn  schließlich  auch  eine  friedliche  Einigung  gelungen 
ist,  so  war  doch  diese  Unternehmung  unmöglich  für  einen 
Fürsten,  der  erst  mit  seinen  lutherischen  Hofpredigern 
und  Landständen  darüber  zu  Rate  gegangen  wäre.  Den 
Bannkreis  dieser  Anschauungen  durchbrach  eben  Johann 
Sigismund,  indem  er  zu  dem  reformierten  Bekenntnis 
übertrat,  das  damals  die  Führung  in  dem  großen  Welt- 
kämpf  zwischen  Protestantismus  und  katholischer  Restau- 
ration übernommen  hatte.  Er  gewann  den  geistigen  An- 
schluß an  eine  Religionspartei ,  die  in  der  freien  Luft 
einer  großen  Politik  atmete;  in  diesem  Lager  leuchteten 
Namen  wie  der  Colignys  und  Wilhelms  von  Oranien;  hier 
war  ein  freierer  Weltblick;  hier  gab  es  große  politische 
Entwürfe,  die  in  der  dumpfen  Enge  des  kleinstaatlichen 
Luthertums  nimmermehr  gediehen  wären.  Es  ist  merk- 
würdig, daß  mit  der  Eröffnung  der  Aussicht  einer  Aus- 
dehnung nach  Westen,  schon  unter  Joachim  Friedrich, 
in  Brandenburg  eine   gewisse  Hinneigung  zu  dem  Cal- 


Otto  Hiiitace, 


vinismus  beginnt;  für  Johann  Sigismund  war  die  allge- 
meine geistige  und  politische  Anziehungskraft  des  refor- 
mierten Wesens  wohl  wichtiger  als  die  Rücksicht  auf  die 
Reformierten  in  den  clevischen  Landen.  Alle  seine  Nach- 
folger haben  mit  der  Politik  der  Ausdehnung  auch  das 
reformierte  Bekenntnis  beibehalten.  Das  Haus  Branden- 
burg hat  damit  den  großen  Schritt  getan  aus  dem  terri- 
torialen Stilleben  zum  Anschluß  an  die  Weltpolitik. 

Die  Folgen  dieses  Bekenntniswechsels  für  das  bran- 
denburgische Kirchenregiment  sind  von  unermeßlicher 
Bedeutung  gewesen.  Johann  Sigismund  hat  seine  branden- 
burgischen Untertanen  nicht  gezwungen,  das  Bekenntnis 
mit  ihm  zu  wechseln;  nur  der  Hof,  die  Domkirche,  die 
Landesuniversität  Frankfurt  wurden  reformiert;  im  übrigen 
hat  der  Kurtilrst  auf  sein  höchstes  Regale»  wie  er  sagte, 
auf  das  Jus  reformanäi,  verzichtet,  und  alle  seine  Nach- 
folger haben  das  Gleiche  getan.  Das  war  eine  Toleranz, 
die  nicht  eigentlich  aus  religiöser,  sondern  aus  politi- 
scher Quelle  stammte:  in  dem  konfessionell  so  stark  ge- 
spaltenen Deutschland  konnte  nur  ein  Fürstenhaus,  das 
religiöse  Duldung  übte,  sich  zu  einer  Großmacht  erweitern. 
Es  war  ein  neues  Prinzip,  das  damit  in  die  deutsche 
Staatenwelt  eintrat.  Der  in  sich  abgeschlossene  konfes- 
sionelle Kleinstaat  war  überwunden;  Kirche  und  Staat, 
die  bisher  zusammengefallen  waren,  begannen  sich  begriff- 
lich voneinander  zu  sondern.  Bei  der  weiteren  Ausdeh- 
nung der  brandenburgischen  Herrschaft,  wie  sie  nament- 
lich durch  den  Westfälischen  Frieden  sich  vollzog,  ver- 
einigte der  Kurfürst  von  Brandenburg  drei  Konfessionen 
unter  seinem  Szepter,  und  über  alle  nahm  er  eine  mehr 
oder  minder  ausgedehnte  Kirchengewalt  in  Anspruch. 
Man  half  sich  dabei  nach  wie  vor  mit  der  Fiktion  des 
bischöflichen  Rechtes:  der  Große  Kurfürst  hat  es,  wie 
wir  aus  seinem  politischen  Testament  von  1667  sehen, 
selbst  über  Katholiken  in  Anspruch  nehmen  wollen.  Auf 
die  Dauer  aber  erwies  sich  das  als  unausführbar;  und 
seit  dem  Ende  des  17.  Jahrhunderts  brach  sich  eine  neue 
Auffassung  Bahn,  deren  Begründer  Pufendorf  gewesen 
ist  in  seinem  Büchlein:  „Über  das  Verhältnis  der  Christ- 


Die  Epochen  des  evattg.  Klrchenregiments  in  Preußen,      9*> 


Uchen  Religion  zum  Staate",  das  er  dem  Kurfürsten  nach 
der  Aufnahme  der  französischen  Protestanten  1687  wid- 
mete,*)  Zwei  Grundgedanken  treten  in  dieser  Schrift 
besonders  hervor:  einmal,  daß  dem  einzelnen  GEaubens- 
und  Rehgionsfreiheit  gewährt  werden  müsse,  und  dann, 
daß  alle  Konfessionen  einer  staatlichen  Aufsicht  unter- 
liegen, die  aus  den  Hoheitsrechten  des  Fürsten,  aus  der 
Souveränität  des  Staates  abgeleitet  wird,  und  die  den 
Zweck  verfolgt,  die  öffentliche  Ordnung  und  den  Frieden 
der  Konfessionen  aufrechtzuerhalten,  fn  dieser  natur*- 
rechtlichen  Begründung  der  staatlichen  Kirchenhoheit  ist 
also  nicht  mehr  die  Rede  von  dem  Recht  der  christ- 
lichen Obrigkeit,  als  membrum  praecipuum  ecciesiae  das 
Kirchenregiment  zu  führen,  nicht  mehr  von  dem  bischöf- 
lichen Recht  des  Landesherrn,  nicht  mehr  von  der  Ein- 
heit von  Kirche  und  Staat  im  christlichen  Gemeinwesen. 
In  konsequenter  Anwendung  wäre  daraus  auch  nicht  ein 
Kirchenregiment,  sondern  nur  eine  äußerliche  Kirchen- 
hoheit abzuleiten  gewesen.  Aber  die  Regierungspraxis 
der  brandenburgischen  Herrscher  hat  sich  damit  keines- 
wegs begnügt.  Trotz  der  verschiedenen  Konfession  haben 
Johann  Sigismund  und  seine  Nachfolger  das  Regiment 
über  die  lutherische  Kirche  in  derselben  Weise  in  An- 
spruch genommen  und  geführt  wie  Joachim  IL  und  Jo- 
hann Georg,  Sie  hielten  fest  an  dem  bischöflichen  Recht 
auch  über  die  Lutherischen,  indem  sie  einen  gemein- 
schaftlichen evangelischen  Begriff  zugrunde  legten,  der 
praktisch  zu  dem  Gedanken  der  Union  führen  mußte. 
Trotzdem  man  also  jetzt  anfing,  Kirche  und  Staat 
begrifflich  voneinander  zu  sondern,  blieben  sie  praktisch 
doch  eng  verbunden.  Aber  die  Verbindung  trug  jetzt 
einen  anderen  Charakter  wie  früher.  Geistliches  und 
weltliches  Regiment  waren  jetzt  nicht  mehr  zwei  Funk- 
tionen ein-  und  desselben,  in  Glauben  und  Bekenntnis 
geeinten  christlichen  Körpers,  sondern  das  geistliche 
Regiment  erschien   nun   als   ein   Attribut   der  weltlichen 

*)  Gewissermaßen  wlederentdeckt  und  zuerst  in  seiner  Be- 
deutung gewürdigt  von  TreHschke  in  dem  Essay  über  Pufendorf, 
Hist-potiL  Aufsätze  4,  21%  \h 


90 


Otto  Hiiitze, 


Herrschaft,  als  ein  Zubehör  der  Staatsgewalt,  Erst  jetzt 
wurde  die  Kirche  Staatskirche,  dem  Staate  ein-  und  unter- 
geordnet. Der  größere,  aus  mehreren  Territorien  zu- 
sammengesetzte moderne  Staat,  der  sich  nun  allmählich 
ausbildete,  war  kein  konfessionell  gebundenes  christliches 
Gemeinwesen  mehr  wie  die  kleinen  lutherischen  Terri- 
torien der  Reformationszeit*  Der  Lebensgeist  dieses  neuen 
Staates  war  vielmehr  die  Staatsraison,  die  salus  publica, 
und  ihre  Voraussetzung  war  politisch-militärische  Macht. 
Die  Rangordnung  der  Staatszwecke  wandelte  sich  allmäh- 
lich: Militär  und  Finanzen  traten  beherrschend  in  den 
Vordergrund,  den  früher  das  kirchlich-konfessionelle  Inter- 
esse eingenommen  hatte.  Das  landesherrliche  Kirchen- 
regiment aber  wurde  beibehalten  als  ein  wichtiges  Stück 
der  Souveränität. 

Es  ist  den  Juristen  sehr  schwer  geworden,  ihre 
naturrechtliche  Theorie  mit  dieser  Praxis  einigermaßen  in 
Einklang  zu  bringen.  Thomasius  und  nach  ihm  just. 
Henning  Böhmer  haben  aus  den  Grundgedanken  Pufen- 
dorfs  die  Lehre  des  sog.  Territorialsystems  entwickelt, 
das  seinen  Namen  bekanntlich  davon  führt,  daß  es  im 
Umfang  des  ganzen  Staatsgebiets,  des  gesamtstaatlichen 
Territoriums,  dem  Landesherrn  kraft  seiner  Hoheitsrechte 
die  Aufsicht  über  alle  Religionsgemeinschaften  zuwies. 
Diese  Kirchenhoheit  sollte  sich  ja  nur  auf  das  Jas  circa 
Sacra  erstrecken;  aber  so  sehr  man  den  Bereich  dieses 
Begriffes  ausdehnte,  so  kam  man  doch  der  Praxis  damit 
niemals  nahe  genug;  denn  zweifellos  haben  die  branden- 
burgischen Herrscher  über  die  protestantischen  Kirchen 
auch  das  Jus  in  sacra  beansprucht  und  ausgeübt.  So 
kam  es,  daß  die  Doktrin  von  dem/ns  episcapaie  sich  neben 
der  territorialistischen  noch  immer  hielt  und  von  Samuel 
Stryk  in  Halle  sogar  zu  der  Annahme  eines  Jus  papaie 
gesteigert  wurde.  Auch  Friedrich  der  Große  hat  prak- 
tisch noch  daran  festgehalten.  In  einem  allerdings  stark 
ironisch-sarkastisch  gehaltenen  Marginal,  durch  das  er 
eine  Vorstellung  des  Magdeburgischen  Konsistoriums  in 
einer  Ehesache  abweist  —  es  handelt  sich  um  eine  Heirat 
zwischen  Oheim   und  Nichte  >  die   das  Konsistorium  be- 


4 


Die  Epochen  des  evang.  Kirch enregiments  in  PreuQen.      9t 


anstandete  ^  schrieb  er  zum  Schluß:  „Ich  als  vicarius 
Jesu  Christi  und  Erzbischof  von  Magdeburg  befehle,  daß 
sie  ehelich  zusammengegeben  werden.*"  Das  ist  die  Kom- 
bination von  jus  papale  und  jus  episcapale:  auch  der 
ungläubige  Monarch  hat  nicht  darauf  verzichten  wollen. 
Eine  theoretische  Vereinigung  des  Territorialprinzips  mit 
dem  episkopalistischen  hat  ja  bekanntlich  das  sog.  Kol- 
legialsystem des  Tübinger  Kanzlers  Pfaff  versucht,  das 
seinen  Namen  daher  führt,  daß  es  von  der  Kirche  als 
einem  „Kollegium*,  d*  h,  einer  Korporation,  ausgeht.  Es 
beruht  auf  der  Fiktion,  daß  die  Kirche  dem  Landesherrn 
sowohl  die  externa  wie  die  interna  übertragen  habe  — 
allerdings  eine  Annahme,  die  zu  der  historischen  Wirklich- 
keit sehr  wenig  paßte;  nur  die  Tatsache  der  Verbindung 
von  Kirchenhoheit  und  Kirchenregiment,  die  im  18.  Jahr- 
hundert  in  dem  protestantischen  Deutschland  ganz  all- 
gemein war,  wird  dadurch  zum  deutlichen  Ausdruck 
gebracht. 

Es  ist  also  eigentlich  ein  ungenauer  Sprachgebrauch^ 
wenn  man  schlechthin  von  einer  territorialistischen  Praxis 
des  Kirchenregiments  redet;  man  versteht  darunter  die 
Verbindung  der  äußeren  Kirchenhoheit  und  des  inneren 
Kirchenregiments  oder  kurzweg  die  Regierung  der  Kirche 
durch  die  Staatsgewalt,  wie  sie  die  protestantischen  Landes- 
fürsten in  Deutschland  und  auch  die  brandenburgisch- 
preußischen  Herrscher  bis  ins  19.  Jahrhundert  hinein  geübt 
haben.  Die  territorialistische  Theorie  der  Juristen  ging 
in  Hinsicht  aul  das  innere  Kirchenregiment  nicht  ganz 
so  weit  wie  diese  Praxis. 

Die  Auffassung,  von  der  die  reformierten  branden- 
burgischen Herrscher  ausgingen,  indem  sie  das  Kirchen- 
regiment über  die  lutherische  Landeskirche  beibehielten, 
nämlich  die  fundamentale  Einheit  der  beiden  evangeli- 
schen Bekenntnisse,  wurde  von  dem  lutherischen  Ortho- 
doxismus nicht  geteilt.  Es  hielt  sehr  schwer^  die  beiden 
evangelischen  Konfessionen  zu  einem  duldsamen,  fried- 
fertigen Zusammenleben  zu  bringen.  Für  die  Hohen- 
zollern  war  der  Gedanke  der  Union  von  vornherein  das 
Ziel   ihrer  Kirchenpolitik;    in    diesem   Gedanken   fand  ja 


« 


Otto  Hintze, 


ihr  Kirchenregiment  über  die  Lutheraner  allein  seifte 
innere  Berechtigung;  die  Unionspolitik  war  die  Kon- 
Sequenz  der  Tatsache^  daß  sie  dieses  wesentliche  Stück 
ihrer  landesfürstlichen  Autorität  nicht  aus  den  Händen 
gegeben  hatten*  Aber  die  Herstellung  einer  Union  der 
beiden  Bekenntnisse  gelang  nicht;  auch  der  Große  Kur- 
lürst  hat  nach  dem  Scheitern  des  Berliner  Religions- 
gesprächs von  1662/63  diesen  Plan  fahren  lassen  müssen. 
Um  so  strenger  hielt  er  darauf,  daß  das  Schmähen  und 
Lästern  von  den  Kanzeln  aufhörte,  das  schon  Johann 
Sigismund  1614  untersagt  hatte,  das  man  aber  noch  keines- 
wegs auszurotten  vermocht  hatte.  Zugleich  versuchte  er, 
die  Konkordienformel  bei  der  Ordination  auszuschließen 
und  besonders  stark  angefochtene  Gebräuche  der  Luthe- 
raner, wie  den  Exorzismus  bei  der  Taufe,  abzuschaffen. 
Es  ist  bekannt,  zu  welchen  Konflikten  es  darüber  in  den 
60er  Jahren,  namentlich  in  Berlin,  gekommen  ist*^)  Man 
kann  nicht  sagen,  daß  der  Kurfürst  hierbei  immer  formell 
im  Recht  gewesen  wäre,  wenn  er  auch  im  Grunde  einen 
großen  zukunftsreichen  Gedanken  vertrat.  Ein  Mann  wie 
Paul  Gerhardt  zog  es  doch  vor,  trotzdem  die  über  ihn 
verhängte  Absetzung  zurückgezogen  worden  war.  den 
brandenburgischen  Boden  zu  verlassen,  weil  er  sich  in 
seinem  Gewissen  bedrängt  fühlte;  er  wollte  an  der  Kon- 
kordienformel festhalten,  auf  die  er  bei  seiner  Ordination 
sich  verpflichtet  hatte* 

Der  fürstliche  Absolutismus  machte  sich  allmählich 
auch  in  der  Kirche  fühlbar  wie  im  Staate;  und  wenn  die 
Unionsversuche  auch  noch  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
scheiterten,  wo  sich  Männer  wie  Leibniz  und  Jablonski 
darum  bemühten,  so  wurde  doch  der  offene  Streit  der 
Konfessionen  durch  das  landesherrliche  Kirchenregiment 
allmählich  zum  Schweigen  gebracht,  und  die  lutherische 
Orthodoxie  verlor  mehr  und  mehr  an  Schärfe  und  Energie. 
Die  pietistische  Richtung  auf  der  einen  Seite,  der  Ratio- 
nalismus auf  der  andern  trugen  zu  ihrer  Auflösung  bei; 

')  Vgl.  hierüber  Landwehr,  Die  Kirchenpolitik  des  Großen 
KurfUreten^  der  sich  im  ganzen  mehr  auf  die  Seite  der  Lutheraner 
stellt,  ohne  aber  die  politischen  Motive  genügend  zu  würdigen. 


Die  Epochen  des  evang.  Kirehenregiments  in  Preußen.      93 


die  Universität  Wittenberg,  die  Hochburg  der  orthodoxen 
Lutheraner,  war  seit  dem  Jahre  1602  für  die  branden- 
burgischen Theologen  verboten  und  bheb  es  das  ganze 
18.  Jahrhundert  hindurch.  Halle  wurde  die  obligatorische 
Bildungsstätte  für  sie,  namentlich  unter  Friedrich  Wil- 
helm 1.,  und  hier  herrschte  erst  der  Pietismus,  dann  der 
Rationalismus,  Friedrich  Wilhelm  L  mit  seinem  schlichten^ 
einfachen  Bibelglauben  wollte  einen  Unterschied  der  bei- 
den evangelischen  Konfessionen  überhaupt  nicht  mehr 
anerkennen;  er  meinte,  das  rühre  nur  von  den  Prediger- 
zänkereien her  Dogmatische  Streitigkeiten  auf  den 
Kanzeln  wurden  untersagt  und  auch  die  kirchliche  Bücher- 
zensur wurde  in  diesem  Sinne  gehandhabt.  Die  halli- 
schen Pietisten  wurden  begünstigt  und  die  Prädestina- 
tionslehre, die  freilich  niemals  Eingang  in  das  Bekenntnis 
der  brandenburgischen  Reformierten  gefunden  hatte,  wurde 
nachdrücklich  verworfen  und  von  den  Kanzeln  verbannt* 
Anderseits  wurden  aber  auch  Gebräuche,  die  aus  der 
Kirchenzucht  der  Reformierten  stammten,  wie  17 Ib  die 
Kirchenbuße,  allgemein  eingeführt,  obwohl  der  Hintergrund 
solcher  Einrichtungen,  der  in  der  starken  Ausbildung  des 
reformierten  Gemeindelebens  bestand,  bei  den  Lutheranern 
vollkommen  fehlte;  Friedrich  II.  hat  ja  die  Kirchenbuße 
auch  bald  wieder  abgeschafft  (1748).  Selbst  die  Tracht 
der  Geistlichen  wollte  der  Soldatenkönig  uniformieren: 
in  den  lutherischen  Kirchen  Berlins  wurde  das  Tragen 
der  Chorröcke  und  Kasein  verboten;  auch  dieses  Verbot 
hat  König  Friedrich,  gleich  nach  seinem  Regierungsantritt, 
wieder  aufgehoben.^)  Der  Zwist  der  beiden  evangeli- 
schen Konfessionen  hatte  in  der  Hauptsache  aufgehört, 
als  er  zur  Regierung  kam;  die  um  sich  greifende  Herr- 
schaft des  Rationalismus  tat  das  übrige,  um  die  Unter- 
schiede der  beiden  Bekenntnisse  verblassen  zu  lassen. 
Auf  den  reformierten  Charakter  der  Universitäten  Frank- 
furt und  Duisburg  hat  Friedrich  der  Große  keinen  Wert 

^)  Das  Buch  von  Pariset ^  Uitat  et  ies  ^glises  sous  Frää^rk- 
Gailtaame  /'^  en  Prasse  hat  ein  stupendes  Material  mit  großem 
Fleiße  verarbeitet,  trifft  aber  in  Urteil  und  Charakteristik  nicht 
überall  die  Punkte,  die  uns  als  die  richtigen  erscheinen. 


Otto  Hintze, 


mehr  gelegt;  er  lieQ  durch  ein  Edikt  von  1752  verkünden^ 
daß  lutherische  Theologen  auch  dort  ihren  Studien  ob- 
liegen könnten,  daß  die  Zeugnisse  lutherischer  Professoren 
von  diesen  Universitäten  ebensoviel  gelten  sollten  wie 
die  von  Halle  und  Königsberg, 

Hand  in  Hand  mit  den  konfessionellen  Friedens- 
bestrebungen geht  das  Bestreben,  die  verschiedenen  Pro- 
vinzen zu  einer  Landeskirche  zu  verschmelzen.  Der 
koniessionelle  Partikularismus  der  einzelnen  Landeskirchen 
war  kein  geringeres  Hindernis  für  die  Herstellung  einer 
staatlichen  Einheit  wie  der  ständische  Partikularismus  der 
einzelnen  Landesverfassungen.  Wie  eng  das  orthodoxe 
Luthertum  mit  dem  ständischen  Sondergeist  zusammen- 
hing, sieht  man  namentlich  an  dem  Beispiel  von  Ost- 
preußen. Dort  waren  anfänglich  alle  Reformierten  von 
den  Landesämtern  ausgeschlossen,  und  es  kostete  viel 
Mühe,  bis  der  Große  Kurfürst  es  durchsetzte  (1663),  daß 
dieser  Bann  gebrochen  wurde.  In  Cleve-Mark  dominierte, 
auch  bei  den  Lutheranern,  die  reformierte  Presbyterial- 
und  Synodalverfassung,  die  kaum  eine  Einwirkung  des 
landesherrlichen  Kirchenregiments  zuließ ;  sie  wurde 
auch  von  den  Ständen  als  ein  Palladium  betrachtet  In 
der  Kurmark  haben  die  Stände  durch  den  Konfessions- 
wechsel Johann  Sigismunds  doch  nur  vorübergehend 
eine  Verstärkung  ihres  Einflusses  auf  das  Kirchenregiment 
gewonnen*  In  dem  Rezeß  von  1615  gab  ihnen  der  Kur- 
fürst Garantien  für  die  Erhaltung  des  Bekenntnisstandes, 
er  verzichtete  darauf,  in  seinen  Patronatsstellen  mißliebige 
Geistliche  den  Gemeinden  aufzuzwingen;  nötigenfalls 
sollten  ein  bis  zwei  Deputierte  der  Stände  zum  Konsisto^ 
rium  zugezogen  werden  —  eine  Bestimmung,  von  der 
aber  in  der  Praxis,  wie  es  scheint»  niemals  Gebrauch  ge- 
macht worden  ist.  Diese  Zugeständnisse  hat  der  Große 
Kurfürst  in  dem  abschließenden  Rezeß  von  1653  einfach 
wiederholt.  Als  er  1660  damit  umging,  eine  neue  Kon- 
sistorial-  und  Visitationsordnung  zu  erlassen^  da  hat  er 
den  Entwurf  dazu  zwar  den  Ständen  zur  Kenntnisnahme 
vorgelegt,  aber  zugleich  dabei  erklärt^  „daß  es  die  Mei- 
nung   nicht    habe,   als  wenn   der  Kurfürst    hierüber  der 


Die  Epachen  des  evang.  Kirchenreglments  in  Preußen.      95 


Stände  Konsens  zu  erfordern  gehalten  wäre,  weil  der- 
gleichen Ordnungen  auszufertigen  fhm,  dem  Landes- 
fürsten,  und  dem  die  jura  episcopalia  allein  zuständen, 
gebühre.** 

Eine  Zentralstelle  für  das  Kirchenregiment  außer  der 
Person  des  Kurfürsten  gab  es  anfangs  nicht  im  branden- 
burgisch-preußischen Staat,  Der  1604  begründete  Ge- 
heime Ratf  der  im  Lauf  der  Zeit  zu  der  Zentralbehörde 
des  Gesamtstaates  geworden  ist,  war  durch  seine  Stif- 
tungsurkunde ausdrücklich  von  der  Betätigung  auf  geist- 
lichem Gebiet  ausgeschlossen.  Das  wurde  aber  anders 
nach  dem  KonfessionswechseL  Zunächst  hat  Johann 
Sigismund  versucht,  einen  Kirchenrat  als  oberste  Kirchen- 
behörde dem  Geheimen  Rat  zur  Seite  zu  stellen.  Diesem 
Kirchenrat,  der  wohl  meist  aus  Anhängern  der  refor- 
mierten Lehre  bestand,  wurden  alle  eigentlichen  Kirchen- 
regimentssachen beigelegt,  so  daß  dem  Konsistorium 
eigentlich  nur  die  Ehesacfien  blieben.  Er  fand  aber  so 
viel  Widerstand,  daß  sich  der  Kurfürst  im  Jahre  1618 
entschloß,  ihn  aufzulösen.  Nun  kamen  aber  wichtige 
Angelegenheiten  des  Kirehenregiments,  wie  die  Bestellung 
der  Inspektoren  und  die  Besetzung  der  landesherrlichen 
Patronatsstellen,  nicht  mehr  an  das  Konsistorium  zurück, 
sondern  sie  gingen  auf  den  Geheimen  Rat  über;  und  es 
wurde  seitdem  üblich,  daß  die  Aufsicht  und  Leitung  des 
Kirchen regiments  in  allen  Provinzen  vom  Kurfürsten 
durch  besonders  damit  beauftragte  Geheime  Räte  geführt 
wurde*  Doch  lag  der  Schwerpunkt  der  geistlichen  Ver- 
waltung vorläufig  noch  in  den  Konsistorien. 

Mit  dem  Kurfürsten  Johann  Sigismund  war  der  bran- 
denburgische Generalsuperintendent  Pelargus,  ohne  ge- 
radezu zum  reformierten  Bekenntnis  überzutreten,  doch 
einig  gewesen  in  der  Betonung  der  fundamentalen  Ein- 
heit im  Evangelium  und  in  dem  Unionsgedanken,  sehr 
im  Gegensatz  zu  der  übrigen  Geistlichkeit.  Als  er  starb 
(1632),  wollte  Georg  Wilhelm  die  Stelle  anfangs  mit  einem 
reformierten  Hofprediger  besetzen;  aber  der  lehnte  ab, 
weil  er  sich  bei  der  Stimmung  der  Lutheraner  keine  gedeih* 
Hche  Wirksamkeit   versprechen  konnte.     Die  Stelle  blieb 


96 


Otto  Hintze, 


vorläufig  unbesetzt;  auch  das  Konsistorium  starb  allmäh- 
lich aus,  und  eine  Weile  stockte  das  ganze  Kirchen- 
regiment, 1637  wurde  das  Konsistorium  wieder  notdürftig 
hergestellt,  nun  aber  mit  einem  reformierten  und  einem 
lutherischen  Geistlichen  nebeneinander.  Das  widersprach 
vom  Standpunkt  der  Lutheraner,  die  ja  die  fundamentale 
Einheit  der  beiden  Bekenntnisse  nicht  zugestehen  wollten, 
dem  Grundgedanken  der  Konsistorialverfassung,  daß  das 
Kirchenregiment  durch  Personen  des  gleichen  Glaubens 
geführt  werden  müsse;  es  blieb  aber  seitdem  dabei,  daß 
immer  ein  reformierter  Geistlicher  Mitglied  des  lutheri- 
schen Konsistoriums  war;  als  unter  dem  Großen  Kur- 
fürsten der  Präsident  Kemnitz  wegen  seines  Festhaltens 
an  der  Konkordienformel  abgesetzt  wurde,  erhielt  das 
lutherische  Konsistorium  sogar  in  Lucius  von  Rahden 
einen  reformierten  Präsidenten, 

Die  Bedeutung  der  Konsistorien  trat  übrigens  seit 
Ende  des  17.  Jahrhunderts  schon  zurück  vor  der  Zentral- 
stelle im  Geheimen  Rat.  Paul  v.  Fuchs  scheint  der  erste 
Minister  gewesen  zu  sein,  der  die  geistlichen  Sachen 
dauernd  im  Geheimen  Rat  bearbeitete.  Die  Konsistorien 
wurden  allmählich  zu  ausführenden  Organen  ohne  selb- 
ständige Bedeutung.  Im  Geheimen  Rat  entwickelte  sich 
ein  ständiges  Dezernat  für  die  geistliehen  Sachen,  aus 
dem  unter  Friedrich  dem  Großen  ein  besonderes  Departe- 
ment der  geistlichen  Angelegenheiten  geworden  ist^  das 
gewöhnlich  mit  zwei  Ministern,  einem  lutherischen  und 
einem  reformierten,  besetzt  war.  Diese  Bildung  hat  aber 
zu  keiner  dauernden  Absonderung  der  geistlichen  Ange- 
legenheiten aus  dem  Geheimen  Rat  geführt,  wie  sie  für 
die  auswärtigen  Angelegenheiten  in  dem  sog,  Kabinetts- 
ministerium und  für  die  innere  und  Finanzverwaltung  in 
dem  sog*  Generaldirektorium  sich  vollzogen  hat.  Die 
geistlichen  Angelegenheiten  blieben  immer  in  enger  Ver- 
bindung mit  der  Justizverwaltung;  ein  besonderes  Kultus- 
ministerium hat  sich  im  IS,  Jahrhundert  nicht  aus  dem 
Geheimen  Rat  herausgelöst;  die  Justiz-  und  geistlichen 
Minister  bildeten  ein  einheitliches  Kollegium,  als  Rumpf 
des  alten  Geheimen  Rats.     Unter  Friedrich  dem  Großen 


Die  Epochen  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.      97 

fühlte  man  nun  aber  doch  das  Bedürfnis,  neben  dieser 
Zentralstelle  im  Geheimen  Rat  eine  besondere  oberste 
Kirchenbehörde  über  den  lutherischen  Konsistorien  der 
Provinzen  zu  haben.  Der  Geschäftskreis  der  Konsistorien 
war  zwar  dadurch  erheblich  eingeschränkt  worden,  daß 
ihnen  bei  der  Coccejischen  Justizreform  im  Jahre  1748  die 
(bereits  sehr  beschnittene)  geistliche  Gerichtsbarkeit  ent- 
zogen worden  war,  aber  die  Verstärkung  der  administra- 
tiven Tätigkeit  im  Kirchenwesen  und  die  Verringerung 
der  Selbständigkeit  der  Konsistorien  hatte  doch  eine 
starke  Überlastung  der  Zentralstelle  herbeigeführt,  so  daß 
man  die  Notwendigkeit  einer  obersten  Spezialbehörde 
für  die  Verwaltung  der.  lutherischen  Kirche  empfand, 
eines  Oberkonsistoriums,  wie  es  in  Sachsen  damals  schon 
bestand.  Zu  einem  solchen  Oberkonsistorium  ist  im 
Jahre  1750  das  Berliner  Konsistorium  ausgestaltet  wor- 
den.^) Es  sollte  zugleich  die  Geschäfte  eines  kurmärki- 
schen Provinzialkonsistoriums  und  einer  allgemeinen 
obersten  Aufsichtsbehörde  führen.  Es  stand  neben  dem 
geistlichen  Departement  des  Geheimen  Rates  nicht  wie 
heute  der  Evangelische  Oberkirchenrat  neben  dem  Kultus- 
ministerium, sondern  es  war  gewissermaßen  nur  ein  sub- 
delegiertes  Kollegium,  ein  technisches  Hilfsorgan  des 
geistlichen  Departements;  der  dirigierende  Minister  im 
geistlichen  Departement  wurde  auch  der  Chefpräsident 
des  Oberkonsistoriums,  in  dem  übrigens  der  reformierte 
Geistliche  nicht  fehlte.  Das  Interessanteste  an  dieser 
neuen  Behörde  ist  die  Tatsache,  daß  in  ihr  die  nunmehr 
ganz  in  der  Stille,  lediglich  durch  die  Praxis  der  kirch- 
lichen Verwaltung  hergestellte  Einheit  der  lutherischen 
Landeskirche  in  den  verschiedenen  Provinzen  des  preußi- 
schen Staates  einen  greifbaren  Ausdruck  fand.  Nur 
Schlesien  und  Cleve-Mark  waren  von  der  Wirksamkeit 
dieses  Oberkonsistoriums  ausgeschlossen.  Die  schlesi- 
schen  Konsistorien  standen  unter  einem  besonderen  geist- 
lichen Minister,  und  die  lutherischen  Kirchen   in  Cleve- 


^)  Materialien  dafür  in  Acta  Borussica,  Behördenorganisation 
Bd.  7,  8  u.  9. 

Hittoritche  ZeitMhrilt  (97.  Bd.)  3.  Folge  1.  Bd.  7 


Otto  Htnlze, 


Mark  scheint  man  sich  selbst  überlassen  2u  haben.  Das 
unilormierende  Kirchenregiment  des  18*  Jahrhunderts  hat 
hier  seine  Wirkungen  jedenfalls  nicht  in  dem  Maße  ge- 
übt wie  in  den  übrigen  Provinzen.  In  Cleve-Mark  blieb 
die  Presbyterial-  und  Synodalverlassung  erhalten;  und 
daß  in  Schlesien  das  konfessionelle,  lutheranische  Ele- 
ment eine  größere  Widerstandsfähigkeit  bewahrte,  als  in 
den  neuen  Provinzen  ^  zeigt  die  unionsleindliche  Bewe- 
gung des  19.  Jahrhunderts. 

Neben  dem  lutherischen  Oberkonsistorium  bestand 
—  im  wesentlichen  auch  nur  für  die  mittleren  und  öst- 
lichen Provinzen  —  ein  besonderes  reformiertes  Kirchen- 
direktorium, dem  die  deutschen  Reformierten  unterstan- 
den, seit  1715,  und  ein  französisches  Oberkonsistorium, 
das  die  Aufsicht  über  die  von  den  Refugi^s  begründeten 
Kirchen  führte.  Die  Presbyterial-  und  Synodalverfassung 
war  hier  bei  der  Einfügung  in  das  monarchische  Kirchen- 
regiment stark  beschränkt  worden,  namentlich  bei  den 
Franzosen.  Die  Synoden  waren  dort  ganz  fortgefallen, 
und  infolgedessen  verkümmerte  auch  das  Gemeindeleben 
allmählich.  Ahnlich  war  es  auch  bei  den  deutschen  refor- 
mierten Gemeinden,  obwohl  hier  die  synodalen  Einrich- 
tungen  nicht  gänzlich  abgekommen  sind.  So  lebendig 
wie  im  Westen  sind  also  die  reformierten  Kircheneinrich- 
tungen hier  im  Zentrum  der  Wirksamkeit  des  monarchi- 
schen Kirchenregiments  nicht  erhalten  geblieben.  Für 
die  organisierte  Verbindung  von  Konsistorial-  und  Synodal- 
vertassung  hatte  man  damals  gar  keinen  Sinn, 

Charakteristisch  für  den  preußischen  Militärstaat  war 
es,  daß  neben  der  lutherischen  Zivil-Landeskirche  noch 
eine  besondere  Militärkirche  mit  eigener  Verfassung 
bestand,  der  alle  Militärpersonen  lutherischen  Bekennt- 
nisses unterstanden  (bis  1811).  An  ihrer  Spitze  stand 
ein  Kriegskonsistorium;  in  dem  die  maßgebende  Persön- 
lichkeit der  Peldpropst  war,  der  ganz  allein  die  Exami- 
nierung,  Ordination  und  Einsetzung  der  Feldprediger  be- 
sorgte. Das  auf  dem  Gebiet  der  Staatsverwaltung  einge- 
führte Zivilversorgungssystem  fand  auch  auf  kirchlichem 
Gebiet  Anwendung,  und  die  Denkschriften,  die  bei  Gelegen- 


4 


Die  Epochen  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.      99 

heit  der  Begründung  des  Oberkonsistoriums  von  hohen 
Geistlichen,  vor  allem  dem  Propst  Süßmilch  ^)y  eingereicht 
wurden,  schildern  dies  System  als  ein  sehr  verhängnis- 
volles. Die  Feldprediger  waren  in  diesen  Kreisen  wenig 
beliebt;  man  warf  ihnen  Mangel  an  religiösem  Ernst  und 
weltliches  Wesen  vor.  Sollte  es  einem  von  ihnen  doch 
einmal  eingekommen  sein,  daß  er  eine  Taufe  im  Namen 
des  Königs  vollziehen  wollte!  Wer  aber  fünf  Jahre  als  Feld- 
prediger gedient  hatte,  erwarb  damit  einen  Anspruch  auf 
eine  königliche  Patronatspfarre,  und  die  Inhaber  dieser 
königlichen  Stellen  waren  in  der  Regel  auch  die,  aus 
aus  deren  Kreisen  man  die  geistlichen  Inspektoren  nahm. 
So  war  der  Feldpropst  eigentlich  der  Mann,  der  das 
höhere  kirchliche  Personal  in  der  Hand  hatte;  er  stand 
dabei  außer  aller  Verbindung  mit  den  Organen  der  Lan- 
deskirche und  genoß  in  der  Regel  wenig  Vertrauen  bei 
ihnen.  Die  schlimmsten  Schäden  der  Kirche  wurden  auf 
dies  System  zurückgeführt. 

Dem  Gebote  der  Staatsräson  mußte  sich  auch  die 
Kirche  fügen.  Friedrich  Wilhelm  I.  sah  es  als  einen 
charakteristischen  Unterschied  der  evangelischen  Länder 
gegenüber  den  katholischen  an,  daß  sie  ihre  Geistlich- 
keit besser  im  Zaume  halten  könnten.  „Beim  Papsttum 
—  erklärt  er  einmal  —  haben  die  Pfaffen  alles  zu  sagen ^ ; 
in  seinem  Lande  aber  war  er  dafür,  daß  man  die  Prediger 
„kurz  halten  müsse^,  damit  sie  sich  nicht  in  weltliche 
Affären  mischen  könnten:  „denn  die  Herren  Geistliche 
gerne  Päpste  in  unserm  Glauben  agieren  wollten.**  Die 
Konsistorien  und  alle  anderen  evangelischen  Kirchen- 
behörden sollten  darauf  achten,  daß  in  keiner  Predigt 
etwas  gegen  die  landesherrliche  Autorität  gesagt  werde: 
„wofern  ein  Prediger  direkte  oder  indirekte  was  gegen 
die  Regierungsart  predigen  sollte,^  soll  er  kassiert  werden; 
die  Fiskale  sollen  wohl  acht  darauf  haben.  Der  Punkt 
wird  in  der  Regierungsinstruktion  von  1722  dem  Nach- 
folger als  „einer  von  den  importanten^  eingeschärft.') 


<)  Es  ist  der  bekannte  Begründer  der  Bevölkerungsstatistik. 
*)  Ada  Borussiea,  Behördenorganisation  3, 457  f. 

7* 


(00 


Otto  Hmlze, 


König  Fnedrich  sah  in  seitiem  religiösen  Indifferen* 
tisinus  die  Kirche  überhaupt  nur  unter  dem  Gesichtspunkt 
der  Staatsräson  an.  Er  pflegte  die  Toleranz  nicht  bloß, 
weil  sie  seinen  philosophischen  Überzeugungen  entsprach, 
sondern  auch,  weil  sie  ein  Mittel  war,  gewerbfleißige  und 
kapitalkräftige  Ausländer  zur  Ansiedlung  in  seinem  Staate 
zu  veranlassen.  Dabei  hat  er  doch  den  protestantischen 
Charakter  des  Staates  keineswegs  verleugnet;  von  Parität 
zwischen  Protestanten  und  Katholiken  war  keine  Rede. 
In  Niederschlesien  wurde  darauf  gehalten^  daß  die  maß- 
gebenden Personen  in  den  Stadtverwaltungen  Protestan- 
ten sein  mußten^  und  bei  der  Erneuerung  der  Instruk* 
tion  für  das  Generaldirektorium  (1748)  hielt  man  an  der 
Forderung  „protestantischer  Religion"  für  alle  Minister 
und  vortragenden  Räte  fest*  Der  Protestantismus  war 
eben  zugleich  ein  politisches  Prinzip.  Sonst  hat  sich  der 
König  um  das  evangelische  Kirchenregiment  persönlich 
nicht  allzuviel  gekümmert*  Er  ließ  dem  geistlichen  De* 
partement  und  den  Konsistorien  im  allgemeinen  freie 
Hand;  nur  durlten  sie  sich  nicht  einfallen  lassen,  die 
Zirkel  seiner  Politik  zu  stören;  sonst  gab  es  wohl  Mar- 
ginalien, die  mit  dem  Satze  begannen:  ^Das  Konsistorium 
seind  Esels  — ."  Die  Geistlichen  wurden  immer  mehr 
als  Staatsbeamte  angesehen  und  behandelt.  Sie  mußten 
die  Populationslisten  fuhren,  Maulbeerbäume  pflanzen 
und  von  der  Kanzel  herab  die  polizeilichen  Verordnungen 
verkündigen.  Nicht  nur  der  Inhalt,  auch  die  Dauer  der 
Predigten  wurde  kontrolliert.  Die  Kirche  wurde  mehr 
und  mehr  dem  Staatsorganismus  einverleibt;  sie  wurde 
zu  einem  nützlichen  Instrument  zur  Beförderung  von  Ge- 
sittung und  Wohlfahrt;  das  innere  religiöse  Leben  aber 
verflachte  mehr  und  mehr  oder  es  zog  sich  in  die  Seelen 
der  Einzelnen  zurück,  die  als  Stille  im  Lande  lebten. 

Das  Kirchenregiment  war  zweifellos  eine  der  schwäch- 
sten Seiten  des  preußischen  Militärstaats;  was  wir  aus 
den  Denkschriften  des  Propstes  Süßmilch  darüber  er- 
fahren, gibt  ein  ziemlich  trübes  Bild :  schlechte  Pastoren 
haufenweis,  unfähige  Kandidaten^  feine  und  grobe  Simonie^ 
viele  Patronate^  namentlich  in  den  Städten,  in  schlechten 


4 

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Die  Epochen  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.     101 

Händen.  Die  Theologen  —  meint  Süßmilch  —  studieren 
kaum  noch  zwei  Jahre  auf  der  Universität ;  sie  üben  sich 
hauptsächlich  nur  im  Predigen,  und  wissen  wohl,  daß  es 
ihnen  trotz  ihrer  Unwissenheit  doch  nicht  an  Wegen  fehlen 
wird,  in  Amt  und  Brot  zu  kommen.  In  5^2  Jahren  hat 
er  bei  den  Prüfungen  kaum  sechs  recht  geschickte  Kan- 
didaten gefunden.  „Will  man  einen  abweisen,  so  erregt 
man  eine  Hölle.  Vor  14  Tagen  habe  ich  es  getan,  daß 
ich  einen  zurückgewiesen.  Da  die  Dukaten  nicht  fruchten 
wollen,  die  er  meiner  Frauen  insinuieren  lassen,  aber  auch 
gleich  zurücknehmen  müssen,  so  erwarte  nun  noch  einen 
Sturm:  er  hat  einen  Unteroffizier  in  Halle  zum  Bruder; 
ich  zweifle  nicht,  daß  er  sich  dessen  bedienen  werde. 
Vor  P/a  Jahren  ward  ein  recht  großer  Stümper  unter 
einem  Revers,  sich  nach  einem  Jahre  wieder  zum  examine 
zu  stellen,  durchgelassen,  weil  sein  Bruder  Unteroffizier 
bei  der  Garde,  daher  sich  ein  vornehmer  General  mit 
Nachdruck  seiner  annahm.  Dieser  elende  Mensch  be- 
kümmerte sich  jetzt  schon  um  die  besten  Pfarren."  Be- 
sonders scharf  urteilt  Süßmilch  über  die  Ausübung  des 
Patronatsrechts  durch  die  Stadtmagistrate.  „Selbige  be- 
stehen an  vielen  Orten  aus  schlechten  Leuten,  gewesenen 
Schreibern  und  Lakaien.  Die,  so  noch  studiert  haben  sollen, 
haben  auf  der  Universität  mehrenteils  nur  Wein,  Bier, 
Tabak  und  Huren  kennen  lernen  und  den  vorher  ge- 
habten Mutterwitz  versoffen  etc.  Ein  solch  Amalgama, 
das  aus  Unwissenheit,  ja  aus  Dummheit  und  lasterhaften 
Neigungen  und  Leidenschaften  zusammengesetzt,  exer- 
ziert eines  der  wichtigsten  Amter  des  Landes.  Das  Heft 
und  Ruder  von  einer  Sache,  die  man  als  die  Pflanzschule 
eines  Staates  ansehen  muß,  ist  in  ihren  Händen.  Sie 
regieren  Schulen  und  Kirchen  und  besetzen  sie  nach 
Willkür.  Es  ist  genug,  daß  einer  eines  stolzvollen  Rat- 
mannes Sohn  sei,  so  verschluckt  er  Stipendia,  studiert 
elendiglich  und  kommt  durch  Hilfe  deren  Herren  Patronen 
ins  Amt."  Aber  das  Übelste  bleibt  für  ihn,  daß  der  Feld- 
propst Decker,  den  er  einmal  einen  „jungen,  ausschwei- 
fenden Menschen"  nennt,  alle  Feldpredigerstellen  und 
damit  indirekt  alle  Inspektorate  besetzt.   „Was  hilft's,  wenn 


102 


Otto  Hintze, 


das  Haupttor  gegen  alle  Ignoranten  und  Sceleraten  ver- 
schlossen gehalten  wird,  und  es  können  durch  dies  Neben- 
pförtchen  selbige  für  ein  Dutzend  Dukaten  einkommen?" 
immer  wieder  kommt  er  auf  diese  „hierarchia  Deckeriana^ 
zurück,  „Bleibt  die  bestehen,  so  sehe  ich  das  übrige 
ganze  Gebäude  als  unbeständig  und  vergeblich  an.  Die 
Kirchen  und  Schulen  können  nicht  mit  guten  Leuten  ver- 
sorgt werden.  Das  Oberkonsistorium  würde  die  schlechten 
Pfarren,  Decker  aber  die  besten  zu  besetzen  haben.  Und 
es  ist  der  Einfluß  hiervon  in  den  Fleiß  und  Wandel  der 
Kandidaten  groß  und  deutlich." 

Vielleicht  hat  Süßmitch^  der  etwas  stark  aufzutragen 
liebt  und  dem,  was  ,,Pama  spricht",  sehr  bereitwillig  das 
Ohr  leiht,  dem  Feldpropst  unrecht  getan.  Das  „audiatur 
altera  pars"  kann  der  Historiker  leider  nicht  immer  ver- 
wirklichen. Jedenfalls  aber  hat  Cocceji,  der  anderswo 
einmal  in  seinen  Marginalien  zu  der  Denkschrift  einem 
mißgünstigen  Personalurteil  Süßmilchs  energisch  entgegen- 
tritt,  für  Decker  kein  Wort  der  Verteidigung  gefunden; 
er  bemerkt  kurz  und  trocken  am  Rande:  „In  des  Feld- 
propst  Departement  kann  ich  mich  nicht  melieren.  Der 
Herr  Propst  müssen  sich  dieserwegen  immediate  an  Seine 
Königliche  Majestät  wenden."  Das  hat  nun  Süßmilch  wohl- 
weislich unterlassen,  und  die  Dinge  blieben  wie  sie  waren. 

Der  Verfall  des  kirchlichen  Lebens,  wie  er  beim  Tode 
Friedrichs  des  Großen  vor  Augen  lag,  schien  seinem  Nach- 
folger oder  dessen  Beratern  hauptsächlich  eine  Folge  der 
unkirchlichen  Leitung  des  Kirchenregiments  zu  sein.  Eine 
begreifliche  Reaktion  dagegen  stellt  das  Wöllnersche  Reli- 
gionsedikt von  1788  dar.  Man  kann  von  diesem  Gesetz 
sagen,  daß  es  besser  ist  als  sein  Ruf.  Es  ist  in  seinem 
ersten  Teil  ein  Toleranzedikt,  das  —  zum  erstenmal  in 
gesetzlicher  Form  —  die  individuelle  Gewissensfreiheit 
und  die  Religionsfreiheit  aller  Konfessionen  und  geduldeten 
Sekten  sicherstellt;  in  seinem  zweiten  Teil  enthält  es 
Vorschriften  zu  einer  konfessionellen  Bindung  der  Geist- 
lichkeit, die  zwar  an  sich  nicht  unberechtigt  waren,  die 
aber  als  bloßes  obrigkeitliches  Gebot  und  wegen  ihrer 
dogmatischen  Engherzigkeit  zu  einer  Besserung  des  kirch- 


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Die  Epochen  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.     103 

liehen  Lebens  nicht  fuhren  konnten.  Das  Schlimmste  war 
dabei  der  Mangel  eines  sittlich-religiösen  Ernstes  in  den 
obersten  Regionen,  der  die  Maßregel  allein  hätte  legiti- 
mieren können,  und  daneben  die  kleinliche,  gehässige  Art 
der  Ausführung  durch  die  zu  diesem  Zweck  besonders  ge- 
bildete Ober-Examinationskommission.  Diese  Einrichtung 
ist  denn  auch  mit  dem  Regierungsantritt  Friedrich  Wil- 
helms III.  wieder  gefallen,  während  das  Edikt  selbst  nicht 
förmlich  aufgehoben  worden  ist.  Es  hinderte  nun  aber 
weiterhin  nicht,  daß  der  alte,  human-aufgeklärte,  rationa- 
listische Geist  wieder  seinen  Einzug  in  die  Kirche  hielt, 
oder  vielmehr  seine  alte  Herrschaft  behauptete.  Es  lag 
eben  nicht  bloß  an  der  Regierung;  der  ganze  Geist  der 
Zeit  war  dem  kirchlichen  Leben  nicht  günstig.  An  dem 
staatskirchlichen  Charakter  der  Verfassung  aber  ist  durch 
diese  ganze  Episode  nicht  das  mindeste  geändert  worden. 

IIL 

Die  Vollendung  der  Landeskirche  und  dieEin- 

führung   einer   freieren    Verfassung.    (Presby- 

terial-  und  Synodalverfassung.) 

Es  war  eine  Folge  der  engen  Verflechtung  von  Staat 
und  Kirche,  daß  bei  der  Katastrophe  von  1806  auch  der 
ganze  Bau  der  kirchlichen  Verwaltung  zusammenbrach. 
Der  Geist  der  Staatskirche  aber  blieb  lebendig,  und  bei 
dem  Neubau  der  Verwaltung  im  Jahre  1808  fand  nun 
vollends  eine  Verstaatlichung  der  Kirche  statt,  wie  sie 
radikaler  kaum  zu  denken  war.  Der  ganze  Apparat  der 
Konsistorien  und  der  kirchlichen  Oberbehörden  wurde 
beseitigt.  An  die  Stelle  traten  in  der  Provinzialinstanz 
die  Kirchen-  und  Schulabteilungen  der  neu  begründeten 
Regierungen  und  in  der  Zentraünstanz  die  Kultusabteilung 
des  Ministeriums  des  Innern.  Diese  neuen  Behörden 
waren  für  alle  Konfessionen  gleichmäßig  zuständig.  Sie 
wurden  auch  die  Organe  des  niemals  aufgegebenen  landes- 
herrlichen Kirchenregiments  für  die  evangelischen  Kirchen. 
Es  war  der  Höhepunkt  des  Staatskirchentums :  die  Kirche 
war  damit  völlig  im  Staate  aufgegangen  und  seiner  Glie- 


im 


Otto  Hintze, 


derung  eingefügt,  während  der  Staat  sein  konfessionelles 
Gepräge  längst  verloren  hatte. 

Aber  es  war  zugleich  der  Anfang  zur  Umkehr*  In 
Steins  politischem  Testament,  das  in  eben  diesen  Tagen 
geschrieben  wurde,  wird  auch  die  Forderung  erhoben,  daß 
der  religiöse  Sinn  im  Volke  wieder  belebt  werden  müsse. 
Daß  dies  nicht  durch  bureaukratische  Reglements  allein 
bewirkt  werden  könne,  war  klar.  Im  kirchlichen  Leben 
mußte  etwas  Ahnliches  eintreten  wie  das,  was  Stein  und 
seine  Mitarbeiter  im  politischen  Leben  durch  die  Städte- 
ordnung und  die  Pläne  zur  Herstellung  einer  Selbst- 
verwaltung zu  erreichen  gedachten*  Aus  den  Gemeinden 
heraus  mußte  die  Erneuerung  des  kirchlichen  und  reli- 
giösen Lebens  erfolgen. 

Niemand  hat  diesen  Gedanken  damals  mit  größerem 
Eifer  und  Verständnis  erfaßt  als  Schleiermacher,  der  relor* 
mierte  Prediger  an  der  Dreifaltigkeitskirche.  Sein  Ideal 
war  eigentlich  eine  ganz  freie  j  vom  Staate  losgelöste 
Kirche  wie  in  Amerika;  das  Sekten wesen  hätte  er  als 
alter  Herrnhuter  dabei  gern  mit  in  den  Kauf  genommen. 
In  seinen  praktischen  Reformvorschlägen  ist  er  freilich 
sehr  viel  maßvoller  gewesen^  namentlich  zu  Anfang.^) 
Aber  so  lange  der  Krieg  währte,  ist  es  zu  entscheidenden 
Schritten  auf  dem  Gebiete  der  Neuordnung  der  Kirchen- 
verfassung überhaupt  noch  nicht  gekommen»  Nach  dem 
Friedensschluß,  im  Juni  1814,  traten  dann  auf  Anregung 
der  Potsdamer  Regierung  22  Superintendanten  der  Kur- 
mark in  Berlin  zusammen,  um  über  die  künftige  Ver- 
fassung der  Kirche  ihre  Gedanken  auszutauschen.  Sie 
trafen  in  dem  Verlangen  nach  einer  freien  Synodalver- 
fassung zusammen  und  richteten  eine  Petition  an  den 
König j    eine   Kommission   niederzusetzen,    die   über  die 


')  Vgl  Dilthey,  Das  Leben  Scbleiermachers,  Berlin  1870,  und 
in  der  A,  D,  B*  31,  422  ff,  Dove,  Über  Synoden  in  der  evangelischen 
Landeskirche  Preußens,  in  Doves  Zeitschrifl  für  Kirchenrecht  2, 
laiff;  4,  131  (f.  Dazu  für  das  Folgende  überhaupt:  Treitschke, 
Deutsche  Geschichte  !,  205  f.;  2,  23"*  fL  Erich  Förster,  Die  Ent- 
stehung der  preußischen  Landeskirche  unter  der  Regierung  König 
Friedrich  Wilhelms  III.  nach  den  Quellen  erzählt  Bd.  I, Tübingen  1905. 


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Die  Epochen  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.     105 

Neuordnung  der  Kirchenverfassung  beraten  sollte.  Der 
König  willfahrte  diesem  Wunsche,  aber  er  wies  der  Kom- 
mission als  Hauptaufgabe  die  Ausarbeitung  einer  ver- 
besserten Liturgie  zu;  nur  nebenbei,  nicht  ohne  Einwir- 
kung Schleiermachers,  beschäftigte  sie  sich  auch  mit  dem 
Verfassungswerk,  das  nach  Schleiermachers  Auffassung 
die  Grundlage  für  die  liturgischen  und  alle  sonstigen 
Veränderungen  sein  mußte.  Die  Vorschläge,  die  diese 
großenteils  aus  Hofpredigern  gebildete  Kommission  hin- 
sichtlich der  Verfassung  machte,  1816,  befriedigten  Schleier- 
macher und  seine  Freunde  nicht.  Sie  liefen  auf  eine  Ver- 
bindung der  Konsistorialverfassung  mit  Elementen  der 
Presbyterial-  und  Synodalverfassung  hinaus,  doch  unter 
Wahrung  eines  rein  geistlichen  Charakters  der  Synode 
und  eines  ganz  unzweifelhaften  Obergewichts  des  landes- 
herrlichen Kirchenregiments  und  seiner  Organe.  Man 
wollte  auf  dem  Gebiet  der  Kirchenverfassung  in  ähnlich 
vorsichtiger  Weise  vorgehen  wie  bei  dem  ständischen  Ver- 
fassungswerk, das  man  damals  plante,  während  Schleier- 
macher und  seine  Freunde  geneigt  waren,  das  Werk  der 
kirchlichen  Reorganisation  mit  dem  Bestreben  nach  einer 
konstitutionellen  Verfassung  in  innerliche  Verbindung  zu 
bringen.  Daran  ist  der  ganze  Versuch  gescheitert.  Die 
Kirchenverfassungsbestrebungen  teilten  das  Schicksal  der 
staatlichen  Verfassungsentwürfe.  Der  König  nahm  die 
Vorschläge  der  Kommission  an  und  befahl  zunächst  die 
Wiederbelebung  der  Kreissynoden,  dann  im  Jahre  1819 
die  Zusammenberufung  von  Provinzialsynoden,  zu  denen 
in  der  Hauptsache  aber  nur  die  Superintendenten  zu- 
sammentraten. Die  brandenburgische  Provinzialsynode, 
zu  der  auch  Schleiermacher  mit  eingeladen  war,  faßte 
nun  aber  sehr  radikale  Beschlüsse :  man  wollte  die  Kirchen- 
verfassung von  unten  her  aufbauen;  an  die  Stelle  der 
Konsistorien  sollten  Ausschüsse  der  Provinzialsynode 
treten;  an  die  Stelle  dei  Ministerialinstanz  ein  Ausschuß 
der  Generalsynode.  Das  landesherrliche  Kirchenregiment 
wäre  dabei  zu  einem  bloßen  Schatten  geworden.  Für 
Friedrich  Wilhelm  III.  waren  diese  Beschlüsse  unannehm- 
bar. Von  diesem  Moment  an  stockte  das  kirchüche  Ver-: 


106 


Otto  Hintze, 


iassungswerk«  Der  Sy nodal apparat^  den  man  probeweise 
in  Bewegung  gesetzt  hatte,  versctiwand  wieder*  Die  Reor- 
ganisation der  Kirchenverwaltung  beschränkte  sich  schließ- 
lich aul  die  Wiederherstellung  von  Konsistorien  im  Jahre 
18)5  und  auf  die  Begründung  eines  besonderen  Kultus- 
ministeriums im  Jahre  18!7.  Die  Konsistorien  aber  waren 
damals  durchaus  nicht  das,  was  sie  früher  gewesen  waren 
und  was  sie  heute  wieder  sind.  Sie  mußten  die  Befug* 
nisse  der  Kirchenverwaltung  noch  mit  den  Regierungen 
teilen  nach  dem  doktrinären,  unklaren  und  praktisch  un- 
brauchbaren Gesichtspunkt  der  äußeren  und  inneren  An- 
gelegenheiten. Den  Regierungen  fiel  dabei  alles  wirklich 
Wichtige  zu,  wie  die  Stellenbesetzung,  die  Ordination  und 
Einführung  der  Geistlichen,  die  Amtsdisziplin  und  all- 
gemeine Aufsicht,  während  die  Konsistorien  gewisser- 
maßen nur  wissenschaftlich-religiöse  Deputationen  waren^ 
zur  Mitwirkung  bei  den  Prüfungen  und  sonst  in  den 
spezifisch  theologischen  Materien.  Außerdem  waren  diese 
Konsistorien  noch  keine  rein  evangelischen  Kirchen- 
behörden, sondern  hatten  auch  mit  den  katholischen 
Kirchensachen  und  mit  denen  der  Sekten  und  Juden  zu 
tun.  Die  nichtevangelischen  Geschäfte  sind  ihnen  erst 
1825  abgenommen  und  dem  Oberpräsidenten  übertragen 
worden;  aber  das  Verhältnis  zu  den  Regierungen  blieb 
bestehen  bis  1845,  1829  ist  übrigens  auch  das  Amt  des 
Generalsuperintendenten,  das  seit  1632  geruht  hatte,  wieder 
hergestellt  worden;  der  Generalsuperintendent  wurde  nun 
der  persönliche  Mittelpunkt  für  die  Geistlichkeit  der  Pro- 
vinz; er  übernahm  die  Ordinationen,  die  Einrichtung 
neuer  Kirchen,  machte  Visitationsreisen  und  hatte  Sitz 
und  Stimme  in  den  geistlichen  Regierungsabteilungen 
wie  in  den  Konsistorien*  Eine  Anzahl  von  Generalsuper- 
intendenten  haben  damals  den  bischöflichen  Titel  gelührt, 
einer  von  ihnen,  der  Ostpreuße  Borowski  in  Königsberg, 
später  sogar  den  eines  Erzbischofs* 

Neben  den  Verfassungsplänen  und  unabhängig  da- 
von hatte  König  Friedrich  Wilhelm  seine  beiden  kirch- 
lichen Lieblingspläne  inzwischen  ins  Werk  gesetzt,  die 
Union  und  die  neue  Agende.    Die  Union  war  im  wesent- 


I 


Die  Epochen  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.     107 

liehen  nur  als  eine  Kultus-  und  Sakramentsgemeinschaft 
gedacht,  nicht  als  eine  Vereinigung  der  Lehren  in  einer 
Bekenntnisformel  wie  früher;  der  König  ging  dabei  voran^ 
wie  einst  Joachim  II.  bei  der  Reformation,  und  sprach 
die  Hoffnung  aus,  daß  die  Gemeinden  ihm  folgen  wür- 
den. Die  Berliner  Kreissynode  unter  Schleiermachers 
Vorsitz,  konfessionell  gemischt,  wie  damals  die  Syno- 
den waren,  war  eine  der  ersten,  die  ihren  Beitritt  zur 
Union  erklärte,  und  es  ist  bekannt,  wie  dann  allmählich 
fast  das  ganze  Land  folgte,  namentlich  seit  dem  neuen 
Impuls  von  1830.  Es  war  die  Vollendung  der  im 
18.  Jahrhundert  angebahnten  evangelischen  Landeskirche 
in  Preußen.  Anders  aber  verhielt  es  sich  mit  der  Auf- 
nahme der  Agende.  Der  König  nahm  kraft  seines  lan- 
desherrlichen Kirchenregiments  ein  jus  Uturgicum  in 
Anspruch,  das  im  Lande  keine  allgemeine  Anerkennung 
fand;  er  interessierte  sich  persönlich  auf  das  lebhafteste 
für  die  Agende,  er  hat  sogar  eine  gedruckte  Schrift 
darüber  veröffentlicht.  Aber  die  Verbitterung,  die  nach 
dem  Scheitern  des  Verfassungswerkes  zurückgeblieben 
war,  drängte  alle  Freunde  einer  freien  Verfassung  der 
Kirche  auf  die  Seite  der  Gegner;  auch  Schleiermacher 
war  unter  ihnen ;  er  hat  amtliche  Gegenvorstellungen  gegen 
die  Agende  mitunterzeichnet  und  hat  eine  kühne  Kritik 
an  der  Schrift  des  Königs  geübt,  obwohl  ihm  der  ano- 
nyme Verfasser  nicht  unbekannt  war.  Treitschke  erzählt, 
der  Ministerialdirektor  Kamptz  habe  auf  seine  Absetzung 
gedrängt,  der  Minister  Altenstein  sei  einmal  nahe  daran 
gewesen,  dem  nachzugeben,  nur  der  König  habe  es  ge- 
hindert. 

Altenstein  repräsentierte  noch  ganz  die  alte  staats- 
kirchliche Auffassung.  Als  aufgeklärtes  Weltkind  hatte  er 
kein  Verständnis  für  die  Bewegungen,  die  auf  die  Her- 
stellung größerer  kirchlicher  Freiheit  ausgingen.  Und 
der  König  hat  trotz  seiner  edlen,  echt  evangelischen 
Frömmigkeit  doch  mit  großer  Zähigkeit  festgehalten  an 
der  Autorität  seiner  Stellung  als  Oberhaupt  der  Kirche. 
Es  kam  noch  zu  manchen  häßlichen  Vorfällen,  bis  der 
Agendenstreit  sich  beruhigte;  und  dann  trat  die  Oppo- 


106 


Otto  Hlntze, 


sition  der  schlesischen  Altlutheraner  gegen  die  Union 
hervor,  die  ebenfalls  zu  sehr  bedenklichen  und  beklagens- 
werten Maßregeln  geführt  hat  Szenen  wie  die  zu  Höni- 
gern  bei  Namslau,  wo  mit  militärischer  Gewalt  die  Kirche 
der  Lutheraner  erbrochen,  der  Pfarrer  vom  Altar  weg- 
geschleppt und  der  Bevölkerung  zur  Strafe  eine  Einquar- 
tierung von  500  Mann  auferlegt  wurde»  zeigten  doch,  daß 
man  mit  dem  alten  absolutistischen  Kirchenregiment  nicht 
auf  der  richtigen  Bahn  war.  Und  während  Hengstenbergs 
Kirchenzeitung  (seit  1827)  die  unbedingte  Autorität  in 
Staat  und  Kirche  verfocht,  bestärkte  sich  in  den  freieren 
Köpfen  die  Überzeugung,  daß  evangelische  Freiheit  nur 
noch  möglich  sei  bei  einer  gründlichen  Reform  der 
Kirchen  Verfassung, 

Diese  Oberzeugung  vertrat  auch  Friedrich  Wilhelm  IV, 
in  seiner  Weise.^)  Schon  als  Kronprinz  war  er  für  die 
schlesischen  Lutheraner  eingetreten;  für  die,  welche  nicht 
ausgewandert  waren,  hat  er  1845  die  Generalkonzession 
erlassen.  Sein  Ideal  war  eine  Kirche,  die  nur  aus  wirk* 
lieh  Gläubigen  bestehen  sollte;  außer  der  Kirche  sollte 
volle  Gewissensfreiheit  walten,  aber  in  der  kirchlichen 
Gemeinschaft  selbst  wollte  er  die  ungläubigen  Elemente^ 
zu  denen  natürlich  auch  die  Hallischen  Rationalisten, 
die  „Lichtfreunde",  gehörten,  nicht  dulden.  Das  landes- 
herrliche Kirchenregiment  betrachtete  er  mit  Mißtrauen; 
er  hat  einmal  den  Summepiskopat  „eine  bedenkliche 
Kreatur"  genannt.  Er  sehnte  sich  danach,  wie  er  sagte, 
die  Kirchengewatt  in  die  „rechten  Hände"  zurückzugeben; 
was  er  darunter  verstand,  hat  er  in  einem  seiner  Briefe 
an  Bunsen^)  ausgesprochen-  Er  wollte  zu  der  Verfassung 
der  christlichen  Urkirche  zurückkehren:  er  dachte  sich  das 
Kirchenregiment  in  den  Händen  einer  großen  Anzahl 
von  Bischöfen,  die  nicht  bloß  Leitungsbefugnisse  haben, 
sondern  auch  selbst  Seelsorge  ausüben  sollten,  entspre- 


')  E,  Fnedberg,  Die  Grundlagen  der  prcußlsclien  Kirchen- 
Politik  unter  König  Friedrich  Wiilielm  IV,  Leipzig  1882,  —  Treitschke, 
D.  G,  5,  349  H. 

■)  Ranke,  Aus  dem  Briefwechsel  Friedrich  Wilhelms  IV.  mit 
Bunsen  S.  47  ff. 


Die  Epochen  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.     109 

chend  etwa  den  preußischen  Superintendenten,  also  etwa 
350  an  der  Zahl.  Sie  sollten  durch  Handauflegung  die 
apostolische  Weihe  empfangen  von  englischen  oder 
schwedischen  Bischöfen,  und  sie  in  derselben  Weise  fort- 
pflanzen. Unter  ihnen  sollten  an  der  Spitze  der  Ge- 
meinde Presbyterien  stehen,  zusammengesetzt  aus 
Geistlichen  und  Laien,  die  aber  nicht  als  gewählte  Ver- 
treter der  Gemeinde,  sondern  als  bestellte  Kirchendiener 
anzusehen  sein  sollten,  ferner  Diakonen  für  Altardienst 
und  Armenpflege.  Ober  ihnen,  an  der  Spitze  der  Pro- 
vinzen oder  vielmehr  besonderer  Sprengel,  zehn  Metro- 
politane  mit  Kapiteln,  die  an  die  Stelle  der  Konsistorien 
treten  sollten;  als  erster  von  ihnen,  zugleich  als  evan- 
gelischer Primas  Germaniae,  der  Erzbischof  von  Magde- 
burg, dessen  Kapitel  an  die  Stelle  des  Kultusministeriums 
treten  sollte.  Damit  sollte  eine  Synodalverfassung  ver- 
bunden sein,  aber  ohne  modern-repräsentativen  Cha- 
rakter. Der  Landesherr  endlich  war  als  der  Advooatus 
ecclesiae  gedacht,  der  die  Beschlüsse  der  Landessynode 
bestätigt. 

Es  war  ein  Phantasiegebilde,  das  keine  Aussicht  auf 
Verwirklichung  hatte.  Friedrich  Wilhelm  IV.  hat  es  später 
selbst  einen  seiner  Sommernachtsträume  genannt.  Der 
Kultusminister  Eichhorn  schlug  andere  Wege  ein,  ähnliche 
wie  man  sie  1815  versucht  hatte;  und  der  König  folgte,  aber 
von  Anfang  an  nur  mit  halbem  Herzen.  1841  wurden  die 
Kreissynoden  wiederhergestellt,  1844  die  Provinzialsynoden 
berufen.  1845  fand  eine  grundlegende  Veränderung  in 
der  Abgrenzung  der  Befugnisse  von  Regierung  und  Kon- 
sistorien statt,  die  als  eine  Rückkehr  zu  den  alten  Ge- 
danken der  Konsistorialverfassung  bezeichnet  werden 
kann.  Noch  nicht  die  Gesamtheit,  aber  der  Hauptteil  der 
kirchlichen  Verwaltung  wurde  nun  wieder  den  geistlichen 
Behörden,  den  Konsistorien,  übertragen ;  die  Regierungen 
behielten  nur  eine  Reihe  festumschriebener  Befugnisse, 
in  Dingen,  bei  denen  die  Mitwirkung  der  weltlichen  Be- 
hörde wünschenswert  erschien.  Zugleich  erhielten  die 
Konsistorien  besondere  Präsidenten  und  eine  angesehenere 
Stellung    in    dem   Verwaltungsorganismus;    das   höhere 


110 


Otto  Hintue, 


Schulwesen,  das  früher  mit  ihnen  verbunden  war,  wurde 
abgetrennt  und  den  Provinzialschulkollegien  überwiesen* 
Den  Abschluß  und  die  Krönung  des  ganzen  Werkes  aber 
sollte  eine  Generalsynode  bringen.  Diese  ausgezeichnete 
Kirchenversammlung,  die  1846  in  Berlin  zusammentrat, 
hat  viele  bedeutende  Geister  und  große  organisatorische 
Talente  in  sich  vereinigt,^)  Vielleicht  der  bedeutendste 
darunter  war  Karl  Immanuel  Nitzsch,  der  Bonner  Pro- 
lessor,  gleich  ausgezeichnet  als  Gelehrter  und  als  prak- 
tischer Theologe*^)  Er  hat  hier  mit  Bethmann-Hollweg*) 
und  andern  zusammen  den  Gedanken  vertreten,  die 
Kirchenverfassung  auf  eine  organische  Verbindung  des 
Konsistorialprinzips  mit  dem  Presbyterial-  und  Synodal- 
prinzip zu  begründen.  Nitzsch  war  ein  Lutheraner,  aus 
dem  verrufenen  Wittenberg,  wo  sein  Vater  in  sächsischer 
Zeit  das  Haupt  des  Konsistoriums  gewesen  war.  Aber 
schon  der  Vater  hatte  dasselbe  Prinzip  der  Kirchenver- 
fassung vertreten,  im  Gegensatz  zu  der  brandenburgi- 
schen Provinzialsynode  von  1819,  die  die  Konsistorial- 
verfassung  ganz  in  die  Synodalverfassung  hatte  auflösen 
wollen.  Diese  Anschauungen  haben  offenbar  auch  den 
Sohn  beeinflußt;  aber  erst  die  Erfahrung  in  den  Rhein- 
landen hatte  ihm  einen  lebendigen  Eindruck  von  der  Be- 
deutung der  Gemeinde-  und  Synodalveriassung  gegeben. 
Die  rheinisch*westfälische  Kirchenordnung  von  1835 
hatte  für  die  Kirchen  dieser  westlichen  Gebiete,  die  im 
18.  Jahrhundert  so  ziemlich  sich  selbst  überlassen  gewesen 
waren,  endlich  eine  organische  Verbindung  gebracht  zwi- 
schen der  auf  der  Gemeinde  sich  aufbauenden  Verfassung 
und  dem  landesherriichen  Kirchenregiment  Auch  Beth- 
mann-Hollweg  hatte  dieses  Beispiel  in  Bonn  auf  sich 
wirken  lassen,  das  nun  jetzt  für  die  Kirche  der  östlichen 
Provinzen  fruchtbar  gemacht  werden  sollte.  Der  Entwurf, 
den  Nitzsch,  Bethmann-Hollweg  und  Landf ermann  ausge- 


^)  E.  Richter,  Die  Verhandlungen  der  preußischen  Geaerat- 
synode  (1847). 

*)  W.  ßeyschlagj  K.  J.  Nitzsch.  Eine  üchtgestalt  aus  der 
Geschichte  der  evangelischen  Kirche, 

•)  Wach  in  der  A.  D.  B.  12,  762  ff. 


I 
I 


Die  Epochen  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.     111 

arbeitet  hatten,  fand  auch  die  Mehrheit  der  Generalsynode. 
Er  beruhte  in  allen  wesentlichen  Stücken  auf  denselben 
Grundgedanken,  die  durch  die  Gesetzgebung  von  1873 
die  Grundlage  der  evangelischen  Landeskirche  der  öst- 
lichen Provinzen  geworden  sind.  Aber  —  in  diesem 
Moment,  wo  das  Ziel  erreicht  schien,  versagte  sich 
der  König.  Er  hatte  die  rheinisch-westfälische  Kirchen- 
verfassung nie  recht  leiden  mögen.  Und  auch  dieser 
Entwurf  hatte  ihm  zu  viel  Ähnlichkeit  mit  einer  modernen 
Repräsentatiwerfassung.  Wiederum  scheiterte  also  der 
Versuch  einer  Reform  der  Kirchenverfassung  wegen  der 
innerlichen  Verflechtung  mit  dem  politischen  Verfassungs- 
gedanken. Der  konstitutionelle  Staat  mußte  erst  zum 
Durchbruch  gelangt  sein,  ehe  eine  freiere  Kirchenverfas- 
sung möglich  wurde.  Friedrich  Wilhelm  IV.,  so  sehr  er 
sich  danach  gesehnt  hatte,  das  Kirchenregiment  in  die 
rechten  Hände  zurückzugeben,  war  doch  viel  zu  auto- 
kratisch, als  daß  er  sich  im  Ernst  dieser  Gewalt  hätte 
entäußern  mögen.  Nur  ein  Stück  aus  den  Vorschlägen 
der  Generalsynode  wurde  von  ihm  angenommen  und  zur 
Ausführung  gebracht:  das  evangelische  Oberkonsistorium 
als  höchste  Behörde  der  evangelischen  Landeskirche.  Es 
sollte  neben  dem  Kultusministerium  die  eigentliche  kirch- 
liche Verwaltung  führen.  1848  wurde  es  gebildet,  Nitzsch 
trat  selbst  als  Propst  zu  Berlin  in  die  neue  Behörde  ein. 
Aber  sie  ist  zu  keiner  praktischen  Wirksamkeit  gelangt. 
Bald  nach  der  ersten  Sitzung  ist  sie  infolge  der  März- 
revolution wieder  beseitigt  worden. 

Denn  nun,  in  der  Revolution,  brach  die  liberale  For- 
derung der  Trennung  von  Staat  und  Kirche  überall  un- 
aufhaltsam hervor.  Man  verstand  darunter  ein  ähnliches 
System  wie  in  Belgien,  das,  was  man  wohl  „die  freie 
Kirche  im  freien  Staat**  nannte,  d.  h.  Abschaffung  des 
landesherrlichen  Kirchenregiments  und  der  staatlichen 
Kirchenaufsicht  überhaupt,  volle  Selbständigkeit  und 
Selbstregierung  der  Kirche,  mit  dem  Recht,  sich  selbst  eine 
Organisation  zu  geben,  aber  Beibehaltung  des  Kultus- 
budgets und  der  mannigfachen  Unterstützungen,  die  die 
geistliche  Autorität  seitens  der  Staatsgewalt  bedurfte.  Das 


112 


Otto  Hintze, 


wurde  gefordert  in  der  kirchlichen  wie  in  der  politischen 
Presse,  in  Pastoren konlerenzen  wie  in  Volksversamm- 
lungen, in  der  Paulskirche  zu  Frankfurt  wie  in  dem 
Berliner  Abgeordnetenhause.  Die  oktroyierte  Verfassung 
von  1848  und  ebenso  die  revidierte  von  1850  hat  diesen 
Grundsatz  der  Trennung  von  Staat  und  Kirche  ausge- 
sprochen. Artikel  12  der  Verfassung  von  1848  lautet: 
Die  evangelische  und  die  römisch-katholische  Kirche  wie 
jede  andere  Religionsgesellschait  ordnet  und  verwaltet 
ihre  Angelegenheiten  selbständig  und  bleibt  im  Besitz 
und  Genuß  der  für  ihre  Kultus-,  Unterrichts-  und  Wohl- 
tätigkeitsz wecke  bestimmten  Anstalten,  Stiftungen  und 
Fonds.  Und  die  revidierte  Verfassung  von  1850  sagt 
wörtlich  dasselbe  in  Art.   15. 

Es  ist  kein  Zweifel,  die  Regierung  hatte  anfangs  die 
Auffassung  gehabt,  daß  das  landesherrliche  Kirchen- 
regiment in  der  alten  Form  mit  diesem  Artikel  nicht  ver- 
träglich sei;  sie  war  geneigt  gewesen,  es  preiszugeben 
und  der  evangelischen  Kirche  Raum  zu  lassen  für  eine 
selbständige  Organisation,  Aber  die  Notwendigkeit  drängte 
sich  auf,  daß  der  bisherige  Inhaber  des  Kirchenregiments 
die  Führung  bei  diesem  Neubau  der  Verfassung  über- 
nahm und  vorläufig  die  Geschäfte  in  der  Hand  behielt* 
Es  kam  bei  der  Reform  auf  zweierlei  an:  einmal  auf  die 
Abtrennung  der  kirchlichen  Verwaltung  von  der  allge- 
meinen Staatsverwaltung^  die  ja  nun  der  Kontrolle  des 
konfessionslosen  Parlaments  unterlag,  und  anderseits  auf 
die  Regelung  des  Verhältnisses,  das  der  Monarch  als 
vornehmstes  Glied  der  evangelischen  Landeskirche  in 
ihrer  Organisation  einnehmen  sollte.  Daß  die  Vertreter 
der  kirchlichen  Selbständigkeit  das  bisherige  monarchische 
Element  nicht  gänzlich  aus  der  Kirche  eliminieren  wollten, 
durfte  man  als  sicher  annehmen.  Nun  wurde  vorläufig 
im  Jahre  1849  die  evangelische  Abteilung  des  Kultus- 
ministeriums mit  der  Wahrnehmung  der  inneren  evan- 
gelischen Kirchensachen  beauftragt  und  zwar  in  der  Weise, 
daß  diese  Angelegenheiten  von  den  Mitgliedern  der  Ab- 
teilung unmittelbar,  ohne  Dazwischenkunft  des  politisch 
verantwortlichen  Kultusministers,  dem  König  als  Inhaber 


I 


Die  Epochen  des  evang.  Kirchenregiments  in  Preußen.     113 

der  kirchlichen  Regierungsgewalt  vorgetragen  und  dessen 
Anordnungen  für  die  Kirche  ohne  Gegenzeichnung  des 
Ministers  zur  Ausführung  gebracht  werden  sollten.  Aus 
dieser  Ministerialabteilung  wurde  dann  durch  königlichen 
Erlaß  vom  29.  Juli  1850  der  Evangelische  Oberkirchenrat, 
also  eine  besondere  kollegialische  Behörde,  die  ganz  aus 
dem  Zusammenhang  mit  den  Staatsbehörden  gelöst  war. 

Man  hatte  diese  Fortführung  des  landesherrlichen 
Kirch^nregiments  anfangs  als  etwas  Provisorisches  ange- 
sehen und  die  Berufung  einer  konstitutionierenden  Landes- 
synode ins  Auge  gefaßt,  durch  die  die  evangelische  Kirche 
sich '  eine  selbständige  Verfassung  geben  und  sich  mit 
dem  Staate  auseinandersetzen  sollte.  Seit  der  Errichtung 
des  Evangelischen  Oberkirchenrates  aber  ist  davon  nicht 
mehr  die  Rede  gewesen.  Die  Motive  zu  dem  Erlaß, 
durch  den  er  begründet  wird^),  stellen  die  Ansicht  auf, 
daß  die  Berufung  einer  konstituierenden  Generalsynode 
weder  angemessen  noch  rechtlich  notwendig  sei,  um  der 
Kirche  zu  ihrer  verfassungsmäßigen  Selbständigkeit  zu 
verhelfen,  daß  vielmehr  die  Fortführung  des  landesherr- 
lichen Kirchenregiments  mit  dem  Artikel  15  der  Ver- 
fassung vollkommen  vereinbar  sei.  Das  landesherrliche 
Kirchenregiment  sollte  nur,  unter  Abstreifung  aller  aus 
dem  territorialistischen  Prinzip  herrührenden  Beimisch- 
ungen, auf  die  Idee  der  Reformation  zurückgeführt  wer- 
den, wonach  es  nicht  ein  Herrscheramt,  sondern  ein 
Dienst  sei,  der  von  dem  vornehmsten  Gliede  der  Kirche 
zur  Ehre  Gottes  durch  Schutz  und  Fürsorge  geleistet 
werde. 

Eine  synodale  Verfassung  wäre  damit  wohl  vereinbar 
gewesen;  eine  solche  wollte  auch  Friedrich  Wilhelm  IV., 
aber  er  widerstrebte  auch  jetzt  noch  durchaus  einem 
repräsentativen  Charakter  der  Synoden;  er  blieb  dabei, 
daß  ihre  Mitglieder  sich  nicht  als  Vertreter  der  Kirche 
gegenüber  dem  Landesherrn,  sondern  als  Diener  der 
Kirche,  d.  h.  also  als  Hilfsorgane  des  monarchischen 
Kirchenregiments,  fühlen  müßten.     In  diesem  Sinne  war 


*)  Gesetzsammlung  1850  S.  343  ff. 
Hittoritcbe  Zeittchrilt  (97.  Bd.)  a.  Folge  1.  Bd. 


rt4 


Otto  Hintze, 


auch  die  Kirchengemeindeordnung  gehalten^  die  1850  er- 
lassen  wurde  und  die  zur  Grundlage  eines  Synodalsystems 
werden  sollte.  Sie  nahm  Kirchenvorstände  in  Aussicht, 
die  auf  Grund  einer  vom  Patron  und  vom  Pfarrer  aufzu- 
stellenden Vorschlagsliste  gewählt  werden  sollten;  übrigens 
stellte  man  die  Annahme  dieser  Ordnung  den  Gemein- 
den frei. 

Ende  Dezember  1850  trat  aus  politischen  Gründen 
der  Minister  v.  Ladenberg  zurück,  unter  dem  alle  diese 
Veränderungen  sich  vollzogen  hatten,  und  sein  Nach- 
folger im  Kultusministerium  wurde  Raumer;  der  aber 
lenkte  nun  bewußt  und  konsequent  in  die  frühere  absolu- 
tistische Bahn  wieder  zurück,^)  Er  unterließ  geflissentlich 
den  Ausbau  der  Synodalverfassung  und  suspendierte  auch 
die  Gemeindeordnung,  die  allerdings  schon  so  sehr  wenig 
Anklang  gefunden  hatte.  Die  Konservativen  fanden  Spuren 
des  verhaßten  Repräsentativsystems  darin,  und  die  Libe- 
ralen verzichteten  auf  Wahlen  nach  der  Vorschlagsliste 
von  Patron  und  Plarrer,  Von  einer  weiteren  Umformung 
der  Kirchenverfassung  war  nun  nicht  mehr  die  Rede, 
Man  legte  den  Artikel  15  der  Verfassung  nun  so  aus, 
als  ob  ihm  durch  die  Trennung  der  kirchlichen  Verwal- 
tung von  der  staatlichen  bereits  Genüge  getan  sei.  Der 
König  als  Haupt  des  Staates  und  der  Konig  als  Haupt 
der  Kirche  erschienen  als  zwei  verschiedene  Personen  j 
das  absolute  Kirchenregiment  des  Königs  erhielt  gerade 
durch  die  Trennung  von  dem  konstitutionellen  Staat 
eine  neue  feste  Grundlage. 

Die  Abgrenzung  der  Belugnisse  des  Oberktrchenrats 
gegenüber  dem  Kultusministerium  entsprach  ungefähr 
derjenigen  der  Konsistorien  gegenüber  den  Regierungen; 
der  Kultusminister  hatte  noch  einen  großen  Anteil  an  den 
„Externa*^j  namentlich  in  Personal-  und  Anstellungssachen, 
und  Raumer  war  darauf  bedacht,  die  Mitwirkung  des  Evan- 
gelischen Oberkirchenrats  in  diesen  Dingen  einzuschränken 


4 


4 


0  »Der  Staatsinmister  v.  Raumer  und  seine  Verwaltung  des 
Ministenums   der  geistlichen   etc»   Angelegenheiten  in   Preußen/ 

Berlin  I&60, 


Die  Epochen  des  evang.  KirchenregtmentB  in  Preußen.     115 

und  jede  weitere  Ausdehnung  seiner  Zuständigkeit  auf 
Kosten  des  Kultusministeriums  zu  verhindern.  Trotz  der 
Union  wurden  auch  die  konfessionellen  Verschiedenheiten 
jetzt  wieder  geflissentlich  betont.  Ein  königlicher  Befehl 
wies  die  Mitglieder  des  Evangelischen  Oberkirchenrats 
an,  sich  ausdrücklich  als  Reformierte  oder  als  Lutheraner 
zu  bekennen  (1852).  Die  Reaktion,  die  im  staatlichen 
Leben  herrschte,  hatte  sich  auch  des  kirchlichen  Gebiets 
bemächtigt. 

Die  neue  Ära  machte  diesem  System  ein  Ende.  Mit 
Bethmann-Hollweg  kam  1858  ein  Mann  an  die  Spitze  des 
Kultusministeriums,  der  von  jeher  die  Idee  einer  Fort- 
entwickelung der  evangelischen  Kirchenverfassung  auf  der 
presbyterial-synodalen  Grundlage  vertreten  hatte ,  und 
der  überhaupt  Freiheit  der  Kirche  wollte,  soweit  sie  ohne 
Gefährdung  des  Staates  möglich  war.  Aber  dieser  Kultus- 
minister hatte  nicht  einen  gleich  gestimmten  und  tatkräf- 
tigen Oberkirchenrat  zur  Seite,  und  so  ist  bei  den  Wider- 
ständen von  rechts  und  links  unter  seiner  kurzen  Amts- 
führung nichts  Erhebliches  zustande  gekommen.  Immerhin 
aber  wurde  mit  der  obligatorischen  Einführung  der  Ge- 
meindeordnung begonnen,  unter  Berücksichtigung  der 
Eigentümlichkeiten  der  einzelnen  Provinzen,  und  seit  1861 
wurde  auch  die  Bildung  von  Kreissynoden  wieder  an- 
geordnet. Unter  Mühlers  Ministerium  (seit  1862)  wurde 
diese  Politik  fortgesetzt,  freilich  in  langsamstem  Tempo; 
1869  traten  auch  Provinzialsynoden  zusammen.  Aber  erst 
durch  den  starken  Impuls,  den  der  Ausbruch  des  Kultur- 
kampfes gab,  sind  diese  Verfassungsbestrebungen  zum  Ziel 
gelangt.  Zwei  neue  Männer  sind  es  gewesen,  die  jetzt 
in  wenigen  Monaten  mehr  erreicht  haben,  als  vordem  in 
Jahrzehnten  geschehen  war:  der  Minister  Falk  und  der 
Präsident  Herrmann.  Emil  Herrmann  ^)  war  früher  Kirchen- 
rechtslehrer gewesen  und  hatte  1862  eine  Schrift  veröffent- 
licht, in  der  „die  notwendigen  Grundlagen  einer  die 
konsistoriale  und  synodale  Ordnung  vereinigenden  Kirchen- 
verfassung""  aufgewiesen  wurden.    Er  knüpfte  an  die  ge- 


>)  Stier-Somlo  in  der  A.  D.  B.  50,  248  ff. 

8» 


116 


Otto  Hintxe, 


Sunden  Gedanken  der  Generalsynode  von  1846  wieder 
an.^)  Er  legte  dabei  das  Gemeindeprinzip  zugrunde,  aber 
er  betonte  auch,  daß  die  Einzelgemeinde  nicht  genüge 
zur  Erfüllung  der  allgemeinen  landeskirchlichen  Aufgaben, 
daß  es  zu  diesem  Behuf  eines  selbständigen  Ktrchen- 
regiments  bedürfe,  das  nicht  bloß  als  Mandatar  der  unter 
ihm  verbundenen  Gemeinden  erscheine;  damit  begründete 
er  die  Notwendigkeit  des  konsistorialen  Elements,  Erst 
die  Verbindung  beider  Elemente  schafft  nach  seiner  An- 
sicht den  vollständigen^  dem  Prinzip  des  landeskirchlichen 
Verbandes  entsprechenden  Organismus. 

Dieser  Mann  wurde  1872  Präsident  des  Evangelischen 
Oberkirchenrates»  und  er  fand  in  Falk  einen  gleich  ge- 
richteten, gleich  tatkräftigen  Kultusministerj  dessen  Ver- 
dienst um  das  Zustandekommen  der  Gesetzgebung  von 
1873  bis  1875  nicht  zu  unterschätzen  ist.  Ob  die  Be- 
hauptung, daß  der  Hofprediger  W.  Hoffmann  diese  Ge- 
setzgebung in  allen  wesentlichen  Stücken  schon  vor- 
bereitet habe^  zutrifft^),  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden. 
Im  allgemeinen  gilt  doch  Herrmann  als  der  eigentliche 
Urheber  des  Werkes*  Den  wesentlichen  Inhalt  dieser 
Gesetzgebung  darf  ich  wohl  als  allbekannt  voraussetzen.*) 

Die  evangelische  Kirchengemeinde-  und  Synodalord- 
nung, die  durch  königlichen  Erlaß  vom  10.  September  1873 
verkündet  wurde,  betraf  aber  nur  die  sechs  östlichen 
Provinzen,  Die  1866  erworbenen  Gebiete  hatte  man,  in 
der  Hauptsache  aus  politischen  Gründen,  nicht  unter  den 
evangelischen  Oberkirchenrat  gestellt,  sondern  bei  ihren 
alten  besonderen  Verfassungen  gelassen«  Aber  eine  landes- 
kirchliche Gemeinschaft  wenigstens  mit  Rheinland  und 
Westfalen  wurde  jetzt  doch  als  wünschenswert  empfunden, 
und  eine  außerordentliche  Generalsynode  schuf  im  Jahre 
1875  eine  Generalsynodalordnung  für  die  acht  älteren  Pro- 
vinzen, die  am  20.  Januar   1876  vom  König  sanktioniert 


0  Nach  dem  Selbstzeugnis  bei  TreUschke  D,  G.  5,  568  Note  L 

*)  A.  D,  B,  50,  422  (O.  V.  Ranke). 

^)  Eine  gute  Zusammenfassung  bei  Niedner,  Grundzüge  der 
Verwaltungsorganisation  der  altpreußischen  Landeskirche.  BerUn 
1902. 


Die  Epochen  des  evang.  KirchenregimentB  in  Preußen.     117 

und  verkündet  wurde.  Es  bedurfte  nun  noch  einer  end- 
gültigen Auseinandersetzung  der  Landeskirche  mit  dem 
Staate,  dessen  Organe  ja  noch  wesentlichen  Anteil  an 
dem  äußeren  Kirchenregiment  hatten.  Durch  Staatsgesetz 
vom  3.  Juni  1876  und  entsprechende  königliche  Verord- 
nungen wurde  die  Verwaltung  aller  Angelegenheiten  der 
Evangelischen  Landeskirche,  die  bisher  noch  von  dem 
Kultusminister  und  den  Regierungen  wahrgenommen 
worden  waren,  auf  den  Evangelischen  Oberkirchenrat  und 
die  Konsistorien  übertragen.  Die  Staatsbehörden  behielten 
nur  das  allgemeine  staatliche  Aufsichtsrecht.  Damit  war 
die  Grenze  zwischen  Staat  und  Kirche  in  korrekter  Weise 
reguliert.  Das  territorialistische  Prinzip  war  auf  seinen 
berechtigten  Kern  zurückgeführt  und  das  episkopa- 
listische  war  durch  die  reformatorische  Idee  der  christ- 
lichen Obrigkeit  ersetzt  und  ergänzt  durch  das  Gemeinde- 
und  Synodalprinzip.  Die  Verbindung  der  Kirche  mit 
dem  Staat  ist  aber  durch  diese  Auseinandersetzung 
nicht  völlig  aufgelöst  worden;  sie  dauert  fort  auf  dem 
Gebiet  der  Finanzen  infolge  des  Fortbestandes  des 
Kultusbudgets ;  und  solange  jede  Konsistorialratsstelle 
vom  Landtag  bewilligt  werden  muß,  ist  doch  noch  eine 
gewisse  Abhängigkeit  der  Kirche  vom  Staate  vor- 
handen. Was  aber  die  Organisation  der  Kirche  selbst 
anbelangt,  so  wird  das  Verhältnis  des  Konsistorial-  und 
des  Gemeindefaktors  verschieden  aufgefaßt  je  nach  der 
Stellung  der  Parteien.  Die  einen  wollen  den  Schwer- 
punkt des  neuen  Systems  in  die  Gemeinde  verlegen, 
die  anderen  in  den  Oberkirchenrat.  Die  Jubiläum^denk- 
schrift  des  Evangelischen  Oberkirchenrats,  die  1900  er- 
schien^), vertritt  die  Auffassung,   daß  die  presbyterialen 

')  „Die  Entwicklung  der  evangelischen  Landeskirche  seit  der 
Errichtung  des  Evangelischen  Oberkirchenrats.*  Berlin  1900.  Vgl. 
dazu  die  scharfe  Kritik  von  W.  Beyschlag  in  den  Deutsch-evan- 
gelischen Blättern  1900  (14)  und  den  Artikel:  ,,Zuni  50jährigen 
Jubiläum  des  Evangelischen  Oberkirchenrats  in  Preußen*'  in  der 
Kirchlichen  Monatsschrift  19,  523  ff.  Die  Distanz  der  Auffassung 
ist  sehr  groß.  Die  Denkschrift  betrachtet  das  Verfassungswerk 
von  1873  als  die  langsam  reifende  Frucht  der  seit  Jahrzehnten 
eingeleiteten  Bestrebungen,  Beyschlag  als  das  Werk  Falks  und 


118    Otto  HinUej  Die  Epochen  des  evang.  KirchenregiTnents  etc. 

und  synodalen  Organe  der  Konsistorialverlassung  ein- 
gegliedert worden  seien,  und  zweifellos  nimmt  in  der 
Praxis  der  Konsistorialiaktor,  d.  h.  also  das  landesherr- 
liehe  Kirchenregiment  die  erste,  der  Synodaltaktor  die 
zweite  Stelle  ein.  Es  ist  auf  kirchlichem  Gebiet  ähnlich 
gegangen  wie  au!  dem  politischen  Gebiet  mit  der  Stel- 
lung der  Krone  zum  Parlament,  Und  ich  halte  das  für 
keine  bloß  zufällige  Analogie.  Die  geistigen  und  sitt- 
lichen Mächte,  die  das  neue  System  der  evangelischen 
Kirchenverfassung  hervorgebracht  haben,  sind  von  dem 
gleichen  Ursprung  wie  die,  die  auf  dem  Gebiet  von 
Staat  und  OeseUschaft  wirksam  gewesen  sind.  Es  ist 
nicht  der  Geist  des  Urchristentums  oder  der  Reformation, 
der  in  diesem  Verfassungswerk  sich  betätigt  hat,  sondern 
der  moderne  Geist  des  19*  Jahrhunderts,  der  unsere 
Selbstverwaltung  und  unsere  konstitutionellen  Verfas- 
sungen geschaffen  hat.  Ihm  gegenüber  hat  die  Krone 
in  Preußen  ihr  altes  Recht  des  Kirchenregiments  in  der 
Hauptsache  ebenso  behauptet  wie  ihre  Regierungsgewalt 
im  Staate.  In  der  Geistlichkeit  hat  sie  eine  ähnliche 
Stütze  gefunden  wie  im  Heere  und  im  Beamtentum» 
Aber  sie  hat  Konzessionen  gemacht,  in  der  Kirche  wie 
im  Staate,  Es  ist  kein  Zulall,  daß  der  Ausbau  des  kirch- 
lichen Selbstverwaltungssystems  in  demselben  Jahrzehnt 
erfolgt  ist  wie  der  Ausbau  der  Selbstverwaltung  auf  dem 
staatlichen  Gebiet.  Hier  wie  dort  haben  die  Anregungen 
der  Zeit  Steins  und  Schleiermachers  erst  nach  zwei 
Menschenaltern  zu  dem  relativen  Abschluß  einer  vielfach 
unterbrochenen  und  vom  Ziele  abgelenkten  Entwicklung 
geführt. 


Herrmanns  im  Gegensatz  zur  Reaktion.  Der  Einfluß  der  politi- 
schen Faktoren  kommt  m.  E.  in  keiner  von  beiden  Auffassungen 
zu  seinem  vollen  Recht. 


Preußen  und  Deutschland  im  19.  Jahr- 
hundert. 

Vortrag,  gehalten  auf  der  Stuttgarter  Versammlung  deutscher 
Historiker  am  19.  April  1906. 

von 

Friedrich  Meinecke. 


Das  weit  gesteckte  Thema  meines  Vortrages  bedari 
sofort  der  näheren  Begrenzung  und  damit  einer  Recht- 
fertigung und  Entschuldigung.  Es  ist  nicht  meine  Ab- 
sicht, Ihnen  die  Abwandlungen  in  dem  Verhältnis  Preußens 
zu  Deutschland  im  19.  Jahrhundert  überhaupt  in  großen 
Zügen  vorzuführen,  sondern  ich  möchte  ein  zentrales 
Problem  dieses  Verhältnisses  herausgreifen,  von  dem  dann 
allerdings  die  Wege  hinausführen  zu  allen  übrigen  Pro- 
blemen der  preußisch-deutschen  Entwicklung  im  19.  Jahr- 
hundert, das  Licht  auf  sie  wirft  und  Licht  von  ihnen 
empfängt.  Dennoch  ist  dies  zentrale  Problem  zugleich 
auch  ein  verstecktes  Problem,  —  wenigstens  heute  ver- 
steckt, weil  es  durch  das  Werk  Bismarcks  erledigt  zu 
sein  scheint.  Aber  auch  in  der  Zeit,  in  der  es  die  poli- 
tischen Köpfe  am  stärksten  beschäftigte  —  und  das 
war  die  Zeit  der  Frankfurter  Nationalversammlung  von 
1848/49  — ,  trat  es  nur  in  einzelnen  Momenten  ganz  scharf 
und  greifbar  hervor,  und  diejenigen,  denen  es  am  meisten 
am  Herzen  lag,  haben,  nachdem  sie  zeitweise  eine  laute 
Propaganda  damit  getrieben  hatten,  es  für  geraten  ge- 
halten, zunächst  wieder  etwas  Erde  darüber  zu  werfen,  — 


120 


Friedrich  Meinecke, 


so  daß  die  historische  Kunde  von  ihren  höchst  merk- 
würdigen Plänen  und  Bestrebungen  stark  verdunkelt 
worden  ist.  In  Sybels  Darstellung  der  Verfassungsver- 
handlungen von  1848/49  findet  man  überhaupt  nichts, 
bei  denen  von  1866/67  nur  eine  ganz  kurze  Andeutung 
darüber.  Heinrich  v.  Treitschke  würde,  wenn  es  ihm 
vergönnt  gewesen  wäre,  sein  herrliches  Werk  weiterzu- 
führen, gewiß  mehr  darüber  gesagt  haben,  denn  er  hat 
selbst  als  nationaler  Politiker  in  den  Jahren  um  f866  sich 
sehr  ernstlich  mit  diesem  Problem  auseinandergesetzt. 

Es  war,  man  möchte  sagen,  die  Fortsetzung  und 
der  zweite  Teil  der  einen  allbekannten  Hauptaufgabe^ 
Boden  zu  schaffen  für  die  Errichtung  des  nationalen 
Bundesstaates  durch  Verdrängung  Österreichs  aus  Deutsch- 
land. Dort  hatte  es  geheißen:  Ein  Bundesstaat  mit  zwei 
Großmächten  im  Bunde  ist  unmöglich.  Dahinter  aber  erhob 
sich  die  Frage;  Ist  denn  ein  Bundesstaat  mit  einer  Groß- 
macht im  Bunde  möglich,  und  unter  welchen  Kautelen 
ist  er  möglich,  wenn  nicht  die  übrigen  Bundesglieder 
und  das  nichtpreußische  Deutschland  erdrückt  und  ver- 
gewaltigt werden  sollen  durch  das  Übergewicht  des  mäch<^ 
tigsten  Staates?  Diese  ängstliche  Frage  stellte  das  nicht- 
preußische Deutschland  an  Preußen,  während  Preußen 
mit  der  Frage  antworten  konnte»  ob  man  denn  auch  ihm 
gerecht  werden  wolle,  ob  man  denn  auch  seinen  An- 
spruch auf  Bewahrung  seiner  eigenen  historischen  Indi- 
vidualität und  Staatspersönlichkeit  respektiere. 

Diese  Frage  und  Gegenfrage  kann  man  als  Angeln 
ansehen,  in  denen  sich  die  Geschichte  der  preußisch- 
deutschen Einigung  im  19.  Jahrhundert  —  mehr  oder 
minder  wahrnehmbar  —  bewegt  hat.  Sie  brauchten  aber 
erst  dann  ernstlich  gestellt  zu  werden,  wenn  der  Kon- 
trakt zwischen  Preußen  und  Deutschland  dem  Abschlüsse 
nahe  war.  Erst  mußte  überhaupt  das  innere  gemütliche 
Bedürfnis  und  das  gemeinsame  nationale  Ideal  die  Herzen 
in  und  außerhalb  Preußens  zueinander  führen,  dann  erst 
konnte  man  an  Stipulierungen  denken,  wie  man  sich  in 
der  neuen  Ehe  gegenseitig  vor  einander  sichere.  Des- 
wegen  ist  es  begreiflich,  daß   in   der  großen  Vorberei- 


4 


4 
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Preußen  und  Deutschland  im  19.  Jahrhundert. 


121 


tungszeit  der  preußisch-deutschen  Einigung,  im  Zeitalter 
der  Befreiungskriege  diese  Frage  noch  keine  besondere 
Rolle  gespielt  hat.  Nur  eben  die  ersten  Elemente  von 
ihr  tauchen  auf.  Bei  dem  energischesten  der  damaligen 
nationalen  Denker,  beim  Freiherrn  vom  Stein,  wird  man 
sie  deswegen  am  wenigsten  suchen,  weil  sein  deutsches 
Programm  nicht  kleindeutsch,  sondern  großdeutsch  im 
Kerne  war.  Und  doch  ist  schon  eine  gewisse  Grund- 
Stimmung  in  ihm  lebendig,  die  ihn,  wie  wir  bald  sehen 
werden,  den  Männern  der  Paulskirche  nahe  bringt. 
Das  Charakteristische  an  ihm  ist  vor  allem,  daß  er  von 
deutschem,  nicht  von  preußischem  Zentrum  aus  auf 
Preußen  wie  auf  Deutschland  schaute,  und  daß  er  keinen 
unbedingten  Respekt  vor  der  Erhaltung  der  preußischen 
Staatspersönlichkeit  empfand.  «Setzen  Sie  an  die  Stelle 
Preußens,  was  Sie  wollen,"  schrieb  er  am  I.  Dezember 
1812  dem  Grafen  Münster,  ^lösen  Sie  es  auf  .  ,  .  es  ist 
gut,  wenn  es  ausführbar  ist",  d.  h,  wenn  dadurch  das 
deutsche  Vaterland  geschaffen  werden  kann.  Man  hat 
gemeint,  das  sei  zum  guten  Teil  Hyperbel,  aber  es  steckt 
doch  eben  nicht  bloß  Hyperbel  in  diesem  Worte*  Man 
darf  sagen,  daß  er,  wenigstens  im  Prinzip,  nicht  vor  dem 
Gedanken  zurückschreckte,  Deutschlands  Einheit  durch 
Preußens  AuIlÖsung  zu  erkaufen. 

Merklich  fester  als  er  stand  Gneisenau  auf  preußi- 
schem Boden.  Man  kennt  das  große  Wort,  das  er  1814 
ausgesprochen  hat,  daß  Preußen  durch  den  dreifachen 
Primat  von  Kriegsruhm,  Verfassung  und  Gesetzen  und 
Pflege  von  Künsten  und  Wissenschaften  in  den  übrigen 
Staaten  den  Wunsch  erwecken  solle,  mit  Preußen  vereinigt 
zu  sein.  In  diesem  Gedanken  ist  ein  weiteres  Element 
unseres  Problems  enthalten.  Es  läuft  darauf  hinaus,  daß 
Preußen,  um  Deutschland  zu  gewinnen ,  nicht  in  seine 
alte  spröde  Abgeschlossenheit  zurückfallen  dürfe,  daß  es 
den  übrigen  Deutschen  als  werbendes  Geschenk  und  als 
sichernde  Bürgschaft  zugleich  freie  politische  Institutionen 
und  geistige  Regsamkeit  bieten  müsse.  Preußen  sollte 
liberal  werden,  um  Vormacht  Deutschlands  werden  zu 
können, 

HiitorUch«  EeiUchrilt  (47.  Bit)  S.  Fot^e  1.  fid.  9 


122  Friedrich  Memecke, 

Weiler  hat  Gneisenau  und  hat  auch  sein  Gesinnungs- 
genosse! der  noch  intensivere  Preuße  ßoyen,  nicht  ge- 
dacht und  auch  noch  nicht  denken  brauchen*  Auch  viele 
derer,  die  in  den  folgenden  Zeiten,  sei  es  von  preußi- 
schem, sei  es  von  deutschem  Boden  aus,  auf  Preußen 
ihre  deutsche  Hoffnung  setzten,  haben  nicht  weiter  ge- 
dacht, und  noch  in  der  heutigen  Geschichtsauffassung 
kommt  man  in  der  Regel  über  die  Erkenntnis  nicht  hin-  . 
aus,  daß  Preußens  deutschnationale  und  liberale  Entwicic-  f 
lung  sich  gegenseitig  bedingten,  daß  Preußen  Verfassungs- 
staat werden  mußte,  um  an  die  Spitze  der  deutschen 
Nation  treten  zu  können.  Diese  Erkenntnis  ist  rich- 
tig, aber  unvollständig.  Deutschland  durfte  zwar  von 
Preußen  die  Kautel  des  Liberalismus  fordern,  aber  mußte» 
um  es  spitz  2u  sagen,  gegen  die  Konsequenzen  dieses 
Liberalismus  wieder  neue  Kautelen  fordern.  Denn  diese 
Konsequenzen  richteten,  indem  sie  alte  Schranken  zwi- 
schen Preußen  und  Deutschland  beseitigten,  zugleich 
ganz  neue  Schranken  zwischen  ihnen  auf*  Indem  Preußen 
ein  konstitutioneller  Staat  wurde,  vollendete  es  zugleich 
das  Staatsbildungswerk  zweier  Jahrhunderte,  legte  es  die  ■ 
Fundamente  des  Einheitsstaates  tiefer  als  bisher,  fügte  es 
zu  den  alten  Stützen  der  Dynastie,  des  Heeres  und  des 
Beamtentums  auch  noch  die  neuen  eines  Zentralparla- 
mentes und  eines  älfentlichen  Lebens  auf  spezifisch 
preußischer  Basis,  Eine  Konstitution  bedeutete  für 
Preußen  etwas  wesentlich  anderes  als  etwa  für  die  deut- 
schen Mittelstaaten,  weil  das  preußische  Volk  als  Ganzes 
etwas  anderes  bedeutete  als  das  württembergische,  baye- 
rische und  badische  Volk.  Aus  dem  preußischen  Volk 
konnte  sich  dann  eine  preußische  Nation,  aus  dem  preußi- 
schen Staat  ein  Nationalstaat  entwickeln.  Die  Besorgnis 
konnte  erwachen,  daß  ein  solcher  zu  stark,  zu  geschlossen, 
zu  eigenwüchsig  und  eigenwillig  sein  würde,  um  noch 
in  den  Rahmen  eines  deutschen  Bundesstaates  hinein- 
zupassen. Vollends  als  Vormacht  Deutschlands  schuf  er 
ein  Dilemma,  das  ein  Preußen  ohne  einheitliche  Ver- 
fassung und  Zentralparlament  nicht  verursacht  haben 
würde.   Eine  bloße  Dynastie^  die  gemeinsam  über  Preußen 


i 


Preußen  und  DeutBchland  im  19.  Jahrhundert.  123 

und  Deutschland  stand,  wäre  durch  die  Natur  der  Dinge 
dazu  geführt  worden,  das  größere  deutsche  Interesse 
über  das  kleinere  preußische  zu  stellen.  Wenn  sie  aber 
zugleich  auf  die  im  preußischen  Parlamente  vertretenen 
politischen  Potenzen  ihres  Heimatstaates  Rücksicht  zu 
nehmen  hatte,  so  mußte  ihr  das  sehr  viel  schwerer  fallen. 
Zwei  große  Parlamente,  zwei  nationale  Staatswesen  in- 
und  miteinander  geschachtelt,  —  dies  Problem  konnte 
wohl  dem,  der  es  ernst  erwog,  unlösbar  scheinen,  —  oder 
doch  nur  dadurch  lösbar,  daß  Preußen  auf  sein  beson- 
deres Parlament  verzichtete,  daß  es  den  letzten  ihm  noch 
übrigen  Schritt  zur  Ausbildung  seiner  eigenen  Staats- 
persönlichkeit nicht  tat,  sondern  seine  Gesetze  sich  un- 
mittelbar von  den  Gewalten  des  deutschen  Bundesstaates 
geben  ließ.  Man  sieht  aber  leicht  ein,  daß  dieser  Ver- 
zicht zugleich  einen  Rückschritt  in  seiner  Staatsbildung 
bedeutete.  Er  wäre  in  gewissem  Sinne  wieder  zurück- 
gefallen auf  die  Stufe  eines  Nebeneinanders  von  Pro- 
vinzen, nur  daß  diese  wieder  anderseits  zu  unmittelbaren 
Reichsprovinzen  erhoben  worden  wären.  Aber  mit  dem 
preußischen  Staat  an  sich  wäre  es  aus  gewesen,  Preußen 
wäre,  im  strengsten  Sinne  des  berühmten  Wortes,  das 
Heinrich  v.  Arnim  am  21.  März  1848  den  König  Fried- 
rich Wilhelm  IV.  sprechen  ließ,  aufgegangen  in  Deutsch- 
land. 

Die  Geschichte  dieses  Gedankens  habe  ich  in  einer 
größeren  Untersuchung  verfolgt,  von  der  ich  hier  nur 
eben  die  wichtigsten  Resultate  vorlegen  kann.^)  Er  ist 
zuerst  gedacht  worden,  soweit  ich  sehe,  auf  dem  Boden, 
auf  dem  wir  hier  stehen,  von  Paul  Pfizer  in  der  zweiten 
Auflage  seines  Briefwechsels  zweier  Deutschen  von 
1832,  und  zwar  hier  in  vollster  Kraft  und  Deutlichkeit, 
und  wer  in  Pfizer  den  Herold  der  Einigung  Deutsch- 
lands durch  Preußen  verehrt,  darf  nicht  vergessen,  daß 
er  dem  preußischen  Staate  selbst  das  Opfer  seiner  kon- 

*)  Ich  hoffe,  das  Ganze  in  nicht  allzuferner  Zeit,  verbunden 
mit  einer,  auf  neue  Materialien  des  Hausarchivs  gestützten 
Darstellung  der  deutschen  Politik  Friedrich  Wilhelms  IV.  in  Buch- 
form vorlegen  zu  können. 

9» 


124 


Friedrich  Meinecke, 


stitutionellen  Einheit  zugemutet  hat.  Er  kämpfte  (ür  die 
nationale  Monarchie  der  Hohenzollern,  aber  nicht  für  die 
Hegemonie  des  preußischen  Staates.  Er  rief  den  Adler 
Friedrichs  des  Großen  an,  daß  er  die  Verlassenen  und 
Heimatlosen  decken  möge  mit  seiner  goldenen  Schwinge 
—  aber  er  war>  wie  Goethe,  mehr  fritzisch  als  preußisch 
gesinnt.  Wie  gut  versteht  man  das  aus  den  gesamten 
politischen  Zuständen  SUdwestdeutschlands,  aus  den  Tra- 
ditionen des  alten  Reichs,  aus  den  Nachwirkungen  dann 
vor  allem  auch  der  Rheinbundszeit,  Das  eigene  poli- 
tische Dasein,  das  man  hier  hatte,  war  neugeschaffen 
und  vielfach  künstlich.  Man  war  politisch  eklektisch^ 
und  die  alten  und  neuen  philosophischen  Strömungen 
beförderten  den  Hang,  die  Dinge  zu  trennen  von  ihren 
realen  Wurzeln  und  Fruchte  zu  pflücken  aus  allerlei 
Gärten.  So  glaubte  denn  Pfizer  die  Dynastie  der  Hohen- 
zollern  herausnehmen  zu  können  aus  ihrem  Mutterboden^ 
deswegen  auch^  weil  er  diesen  Boden  des  preußischen 
Staates  eben  auch  nur  für  einen  halbwegs  künstlichen 
hielt.  Preußen  sei  ein  künstlicher  Staat,  war  ja  das  alte 
Schlagwort.  Auch  Pfizer,  der  ihm  noch  am  meisten  das 
Wort  redete  unter  seinen  süddeutschen  Landsleuten,  ur* 
teilte,  daß  er  bisher  nur  ein  äußeres,  aber  kein  inneres 
Leben  geführt  habe.  So  ist  auch  dies  weitverbreitete 
Dogma  von  der  Künstlichkeit  des  preußischen  Staats- 
wesens eine  wesentliche  Voraussetzung  für  den  Glauben 
geworden,  daß  man  ihm  um  Deutschlands  willen  das 
Opfer  seiner  Auflösung  zumuten  könne. 

Nach  Pfizer  war  es  dann  Friedrich  v.  Gagern,  der 
ältere  Bruder  Heinrichs,  der  in  seiner  Denkschrift  vom 
Bundesstaate  1833  diese  Gedanken  weiterspann.  Auch 
ihn  erfüllte  die  Sorge  vor  einem  Übergewicht  des  mäch- 
tigsten Staates  in  dem  Bundesstaate  der  Zukunft ^  den 
er  ersehnte,  auch  er  verlangte  von  dem  Herrscher 
des  Gesamtstaates,  daß  er  aufgehe  in  dessen  Gesamt- 
interesse, und  die  Befürchtung  Pfizers  vor  einer  Ein- 
mischung der  preußischen  Reichsstände  in  die  deut- 
schen Dinge  wurde  von  ihm  noch  verallgemeinert  zu 
einer  Warnung  vor  dem  Antagonismus  von  Reichs-  und 


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Preufien  und  Deutschland  im  19.  Jahrhundert.  125 

Landständen  überhaupt.  Was  Pfizer  lebhaft  und  im- 
pulsiv empfand,  setzte  er  um  in  die  Formeln  und  Para- 
graphen eines  Systems,  und  so  tauchen  bei  ihm  schon 
die  Grundzüge  jener  von  Waitz  später  ausgebildeten 
Bundesstaatstheorie  auf,  wonach  Zentralgewalt  und  Einzel- 
staatsgewalten streng  zu  trennen  seien,  damit  eine  jede 
in  ihrer  eigentümlichen  Sphäre  ungestört  lebe.  Man  hat 
sich  den  Kopf  darüber  zerbrochen,  wie  er  seine  Über- 
zeugung von  Preußens  deutschem  Beruf  habe  vereinigen 
können  mit  seiner  Forderung,  daß  der  Kaiser  des  Bundes- 
staates nicht  zugleich  Regent  eines  Einzelstaates  sein 
dürfe.  Die  Lösung  des  Rätsels  ist  jetzt  sehr  einfach. 
Offenbar  hat  Friedrich  v.  Gagern  den  König  von  Preußen 
zum  Kaiser  des  Bundesstaates  machen,  ihn  aber  gleich- 
zeitig loslösen  wollen  von  seiner  preußischen  Grundlage 
und  Preußen  auflösen  in  eine  Reihe  ungefähr  gleich 
großer  Territorien. 

Man  darf  nun  mit  höchster  Wahrscheinlichkeit  an- 
nehmen, daß  Friedrich  v.  Gagerns  Gedanken  seinen 
Brüdern  Heinrich  und  Max  v.  Gagern  nicht  unbekannt 
geblieben  sind.  Heinrich  und  Max  standen  an  der  Spitze 
der  Bewegung  in  den  südwestdeutschen  Staaten,  die  in 
den  Märztagen  1848  zur  ersten  Werbung  des  außer- 
preußischen Deutschlands  um  Preußens  Initiative  zur 
Begründung  eines  Bundesstaates  führte.  Ob  schon  bei 
diesen  Verhandlungen  der  Gedanke  Pfizers  und  Fried- 
rich V.  Gagerns  eine  Rolle  gespielt  hat,  ist  mir  noch 
zweifelhaft.  Auch  das  ist  mir  zweifelhaft,  ob  jenes  Wort 
Heinrich  v.  Arnims  vom  21.  März  1848  „Preußen  geht 
fortan  in  Deutschland  auf'  damit  in  einem  direkten  Zu- 
sammenhang gestanden  hat.  Aus  einer  ganz  ähnlichen 
Denkweise  ist  es  —  das  kann  man  nachweisen  —  sicher- 
lich geboren,  nur  daß  Heinrich  v.  Arnim  den  Prozeß 
des  Aufgehens  Preußens  in  Deutschland  von  preußi- 
schem Zentrum  aus,  von  dem  zum  deutschen  Parla- 
ment erweiterten  Vereinigten  Landtage  aus  beginnen 
lassen  wollte.  Eine  solche  preußische  Nuance  des  Ge- 
dankens vertrat  dann  vor  allem  Joh.  Gustav  Droysen 
im   April  1848.     Zwei   Alternativen  stellte  er  mit  Geist 


I 


ia$  Frieärkli  Mdoeckc, 

und  Scharfe  aul.  Entweder:  Preußen  gehl  jetzt  in 
Deutschland  auf,  verzichtet  darauf,  sich  konstitotionell 
ahzu schließen  als  Staatsindiv^idualität  und  ermöglicht 
durch  Entwicklyng  der  provinzialstandischen  V^erfassung 
seine  Verghederung  mit  Deutschland,  —  oder  aber,  das 
jetzige  Werk  miSlingt  —  dann  müsse  allerdings  Preußen 
in  schärfster  Weise  konstitutionell  geschlossen  werden^ 
es  „muß  den  Kern,  sozusagen  das  unmittelbare  Reichs- 
land  bitden,  an  das  sich  nach  und  nach  anschließen  mag, 
was  deutsch  sein  will".  Das  Endergebnis  dieser  Entwick- 
lung hätte,  wie  man  leicht  einsieht^  dem  des  ersten 
Weges  ganz  ähnlich  werden  können.  Hier  wie  dort  hätten 
die  preußischen  Provinzen  schließlich  das  unmittelbare 
Reichsland  gebildet. 

Zunächst  setzte  aber  auch  er  seine  HoKnung  auf 
den  ersten  Weg,  und  das  zeigte  wie  stark  auch  die 
deutsche  Bewegung  in  Preußen  jetzt  von  jenen  Ideen 
gefärbt  wurdej  die  ihren  Ursprung  in  den  Landschaften 
des  alten  Reiches  hatten.  Mit  einem  gewissen  geschichts- 
philosophischen  Idealismus  und  Fatalismus  war  man  be- 
reitf  der  deutschen  Nation  das  Opfer  der  preußischen 
Staatseinheit  zu  bringen,  —  es  war  für  Droysen,  wie 
hernach  für  Duncker,  für  Haym  ein  Stück  angewandter 
Hegelscher  Pfiilosophie,  —  und  zugleich,  so  schien  es 
ihm  wie  den  nichtpreußischen  Politikern,  die  jetzt  das- 
selbe forderten,  eine  unentrinnbare  politische  Notwen- 
digkeit. Ich  nenne  den  Freiherrn  v.  Stockmar,  der  im 
Mai  1848  in  der  Deutschen  Zeitung  und  dann  auch  un- 
mittelbar  dem  Könige  von  Preußen  zumutete,  daß  er  als  I 
deutscher  Kaiser  seine  Hausmacht  in  eine  Reichsmacht, 
in  unmittelbare  Reichsprovinzen  verwandle,  die  unter 
Reichsministerium  und  Reichsparlament  zu  stehen  hätten.  ■ 
Ich  nenne  dann  vor  allem  den  Freund  Pfizers,  den  feinen 
Gustav  Rümelin,  der  seit  dem  Oktober  1848  im  Schwä- 
bischen  Merkur  iür  diese  Gedanken  warb  und  dadurch 
den  Süddeutschen  das  preußische  Erbkaisertum  schmack- 
haft zu  machen  suchte.  Und  da  Rümelin  hier  nicht  als 
Einzeldenker,  sondern  als  Parteipublizist  schrieb,  so  treten 
wir  nun  ein  in  die  Epoche,  wo  unser  Gedanke  ein  inte* 


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1 


Preufien  und  Deutschland  im  19.  Jahrhundert  127 

grierendes  Stück  des  Verfassungsprogramms  mindestens 
eines  Teiles  und  jedenfalls  einflußreicher  Führer  der  Erb- 
kaiserlichen  wurde.  Jetzt,  im  Herbst  1848,  war  der 
Augenblick  da,  den  Kontrakt  der  Ehe  zwischen  Preußen 
und  Deutschland  aufzusetzen,  jetzt  wurde  es  ernst  mit 
der  Garantieforderung,  nur  daß  man  sie  nicht  in  den 
Hauptkontrakt,  in  den  Verfassungsentwurf  der  National- 
versammlung brachte,  sondern  sozusagen  articles  s^pards 
et  secrets  daraus  machte.  Und  das  war  nun  ein,  wie  ich 
glaube,  bisher  verkannter  Hauptzweck  der  bekannten  Reise, 
die  Heinrich  v.  Oagern  in  den  letzten  Novembertagen 
1848  an  den  Hof  Friedrich  Wilhelms  IV.  unternahm.  Sie 
war  unmittelbar  veranlaßt  durch  die  Nachricht,  daß  das 
Ministerium  Brandenburg  die  Absicht  habe,  dem  preußi- 
schen Staate  eine  Verfassung  zu  oktroyieren.  Da  eilte 
Oagern  nach  Berlin  und  Potsdam,  nicht  nur,  um  das 
unliberale  Verfahren  des  Oktroyierens  an  sich  zu  ver- 
hindern, auch  nicht  nur,  um  dem  Könige  die  Kaiser- 
krone anzubieten,  sondern  auch,  um  dafür  zu  wirken, 
daß  Preußen  überhaupt  keine  konstitutionelle  Verfassung 
und  kein  Sonderparlament  erhalte.  In  den  Märztagen 
hatte  er  von  Preußen,  damit  es  bündnisfähig  für  die 
deutsche  Bewegung  würde,  verlangt,  daß  es  sich  dem 
konstitutionellen  System  nähere.  Nun  erfüllte  Preußen 
durch  die  oktroyierte  Verfassung  vom  5.  Dezember  1848 
diese  liberale  Forderung  durch  ein  Mittel,  das  Gagern 
und  die  Seinen  verwünschten.  Damit  fällt  nun  auch  auf 
diese  Tat  des  Ministeriums  Brandenburg  ein  besonderes 
Licht.  Sie  war  die  Antwort  Preußens  und  des  preußi- 
schen Staatsgedankens  auf  Gagerns  Werbung  und  die 
Bedingungen  seiner  Werbung.  Preußen  bekundete  durch 
die  Charte  vom  5.  Dezember  seine  feste  Absicht,  Staats- 
persönlichkeit zu  bleiben  und  eine  moderne  Staatsper- 
sönlichkeit eigentlich  erst  zu  werden.  Das  war  nicht 
etwa  das  Werk  des  Königs,  der  gegen  die  ganze  Oktro- 
yierungspolitik  der  Minister  lebhaften  Widerwillen  emp- 
fand, dessen  eigene  Verfassungspläne  für  Preußen  viel- 
mehr eben  damals  wieder  stark  zu  den  Provinzialständen 
zurückstrebten  und  dadurch,  man   möchte  doch  sagen. 


138  Prledrich  Mein  ecke, 

bündnisfähig  wurden  für  jene  Gedanken  Droyscns,  Rü- 
melins  und  Gagerns,  den  preußischen  Staat  in  seine 
Provinzen  aufzulösen.  Es  lag  ja  noch  sehr  viel  anderes 
zwischen  Frankfurt  und  Potsdam^  aber  ich  wage  es  auf 
Grund  der  mir  vorliegenden  Zeugnisse  zu  vermuten  — 
an  dieser  Forderung  wäre  die  Verständigung  zwischen 
Friedrich  Wilhelm  IV,  und  den  Frankfurtern  vieUeicht 
nicht  gescheitert,  Sie  hätte  ihm  die  Möglichkeit  gegeben,  j 
(ür  Preußen  selbst  den  widerwärtigen  Konstitutionalismus  ' 
los  zu  werden.  Er  hätte  ihn  allerdings  für  Deutschland 
sich  gefallen  lassen  müssen^  aber  für  Deutschland  war 
er  auch  zu  größeren  Zugeständnissen  an  den  liberalen 
Zeitgeschmack  bereit  als  für  Preußen, 

Die  Minister  also  waren  es^  welche  damals  das  kon- 
stitutionelle Prinzip  für  Preußen  durchsetzten  und  da- 
durch dem  Verfassungsprogramm  der  Erbkaiserlichen 
einen  ersten  schweren  Stoß  versetzten.  Aber  nun  ist 
das  Merkwürdige :  Mit  der  einen  Hand  wehrten  sie  die 
Zumutung  an  Preußen,  seine  Staatseinheit  aufzugeben^ 
ab,  die  andere  Hand  aber  streckten  sie  gleichzeitig  den 
Frankfurtern  entgegen  und  waren  bereit,  an  der  Schal- 
lung des  nationalen  Bundesstaates  unter  preußischer 
Führung  mitzuarbeiten,  —  aber  eben  eines  Bundesstaates, 
in  dem  Preußen  auch  Preußen  blieb*  Und  eben  mit  um 
dieses  hegemonischen  Motives  willen  haben  sie  —  so 
wunderbar  verschlungen  greift  hier  alles  durcheinander  — 
den  Inhalt  der  oktroyierten  Charte  so  ungemein  liberal 
ausgestaltet,  —  denn  nur  ein  liberales  Preußen  konnte 
ja  Deutschlands  Führung  übernehmen. 

Recht  verschieden  also  waren  die  Differenzpunkte, 
welche  den  König  und  welche  seine  Minister  von  dem 
Gesamtprogramm  der  Frankfurter  trennten.  Im  ganzen 
darf  man  aber  sagen,  daß  in  den  Adern  der  Minister 
nicht  nur  der  preußische  Staatsgedanke,  sondern  auch 
der  deutsche  Ehrgeiz  stärker  schlug,  und  daß  sie  zu- 
gleich die  Notwendigkeit  liberaler  Zugeständnisse  unbe* 
iangener  und  staatsmännischer  auffaßten  als  der  König, 
Es  ist  schon  etwas  vom  Bismarckschen  Geiste  in  dieser 
Poliük  des  5.  Dezember,     Sie  war  konservativ  und  vor- 


Preußen  und  Deutschland  im  19.  Jahrhundert 


129 


wärts  drängend  zugleich.  Sie  benutzte  die  Uberalen  und 
nationalen  Kräfte  und  hielt  sie  zugleich  in  den  Schranken, 
innerhalb  deren  sie  sich  mit  dem  geschichtlich  Erwach- 
senen und  noch  Lebendigen  vertragen  konnten.  Und 
hatten  die  Frankfurter  gemeint,  der  preußischen  Politik 
das  Gesetz  geben  zu  können,  so  geschah  nun  das  Um- 
gekehrte. Denn  die  Erbkaiserlichen  brauchten  nun  ein- 
mal Preußen  für  ihre  Ziele  und  mußten  wohl  oder  übel 
über  die  Schranke  hinwegsehen^  die  durch  die  Verfassung 
vom  5t  Dezember  aufgerichtet  war. 

Aber  sie  haben  allerdings  ihr  Endziel  deshalb  nicht 
autgegeben.  Sie  trösteten  sich  damit,  daß  die  oktroyierte 
Charte  über  kurz  oder  lang  schon  wieder  verschwinden 
werde,  daß  eine  preußische  Nationalversammlung,  wie 
Dahlmann  in  dem  Neujahrsartikel  der  Deutschen  Zeitung 
es  feierlich  aussprach^  gar  bald  zu  den  Undenkbarkeiten 
gehören  werde.  Dann  aber,  als  mit  dem  15,  Januar  1849 
der  Schlußakt  des  Verfassungswerkes,  die  Verhandlung  über 
das  Reichsoberhaupt  begann,  wandelte  sich  in  etwas  ihre 
Taktik.  Sie  hielten  jetzt  zurück  mit  ihrer  Forderung,  daß 
Preußen  unmittelbares  Reichsland  werden  müsse,  einmal, 
um  die  Verständigung  mit  der  preußischen  Regierung 
nicht  zu  erschweren,  dann  aber  auch,  weil  die  Gegner 
des  preußischen  Erbkaisertums  und  Preußens  überhaupt 
diese  Forderung  mit  einem  gewissen  neugierigen  Wohl- 
gelallen  zu  betasten  begannen.  Ihr  habt  uns,  so  sagten 
die  Linken  jetzt  zu  den  Erbkaiserlichen,  früher  erzählt, 
daß  der  preußische  Staat  aufgelöst  werden  würde*  Wenn 
Ihr  dabei  bliebet,  würde  mancher  von  uns  für  das  Erb- 
katsertum  sein,  aber  Ihr  wollt  das  nichts  Ihr  könnt  das 
nicht  Daraufhin  hat  denn  Heinrich  v.  Gagern  am  20;  März 
noch  einmal  Farbe  bekannt.  „Ich  gebe  mich  nicht  Illu- 
sionen hin,  ich  glaube  selbst,  daß  die  Dezentralisierung 
Preußens  in  der  Art,  daß  die  politische  Gesamtvertretung, 
wie  sie  jetzt  besteht,  gelöst  würde,  daß  das  nicht  die  un- 
mittelbare Folge  sein  wird,  wenn  der  Bundesstaat,  Preußen 
an  der  Spitze,  geschlossen  würde.  Daß  aber  ein  solches 
Dezentralisieren,  ein  Aufgehen  in  Deutschland^  die  not- 
wendige allmähliche  Folge  sein  würde,  das  kann  niemand 


130 


Friedrich  Meinecke, 


bezweifeln,  der  den  Analogien  in  der  Geschichte  Beach- 
tung zollt" 

So  haben  die  Erbkaiserlichen  seiner  Richtung  es  also 
gemeintj  so  muß  auch  ihr  Werk  von  den  Nachlebenden 
verstanden  werden.  Die  Annahme  der  Frankfurter  Krone 
durch  Friedrich  Wilhelm  IV.  sollte  nach  der  Absicht  eines 
großen  Teiles  derer^  die  sie  anboten,  über  kurz  oder 
lang  zur  Auflösung  der  preußischen  Staatseinheit  führen. 

Es  erhebt  sich  die  Frage,  ob  sie  auch  dazu  führen 
mußte  und  ob  und  wie  weit  die  Forderung  innerlich 
berechtigt  und  notwendig  war.  Es  spricht  zu  ihren 
Gunsten,  daß  gerade  die  prinzipiell  preußischen  Gegner  des 
Frankfurter  Verlassungswerkes  es  aus  demselben  Grunde 
mit  verwarfen,  der  Gagern  und  die  Seinen  zur  Aufstel- 
lung jener  Forderung  bestimmt  hatte.  Das  Gagernsche 
Deutschland  sagte  zu  Preußen:  Wenn  du  an  die  Spitze 
kommen  willst,  so  mußt  du  auf  deine  Verfassung  und 
dein  Sonderparlament  verzichten,  denn  zwei  große  Ver- 
fassungen nebeneinander  sind  auf  die  Dauer  unmöglich. 
Das  Bismarcksche  Preußen  antwortete:  Eben  aus  diesem 
Grunde  kann  ich  deine  Kaiserkrone  nicht  brauchen^ 
^denn/  so  sagte  Bismarck  im  preußischen  Landtage  am 
2h  April  1849,  „ich  kann  mir  nicht  denken  ^  daß  in 
Preußen  und  Deutschland  zwei  Verfassungen  nebenein- 
ander bestehen  können". 

Hatte  1848  Deutschland  um  Preußen  geworben,  so 
warb  dann  1866  Preußen  um  Deutschland.  Sofort  bei 
der  Gründung  des  Norddeutschen  Bundes  tauchte  die 
alte  Frage  wieder  auf.  „Es  bleibt  rätselhaft,"  sagte 
Treitschke  nach  den  Siegen  von  1866,  „wie  ein  deutsches 
und  ein  preußisches  Parlament  in  die  Länge  nebenein- 
ander bestehen  sollen,"  Oft  ist  ihm  das  verzwickte  Pro- 
blem noch  durch  den  Kopf  gegangen.  Schließlich  aber, 
nach  1870,  urteilte  er:  „Wer  den  Einheitsstaat  und  die 
Selbstverwaltung  starker  Provinzen  als  die  Staatsform 
der  Zukunft  ansieht,  der  muß  Preußens  monarchische 
und  militärische  Überlieferungen  schonen.**  Was  war 
aber  das,  im  Endziele,  viel  anderes  als  das,  was  die 
Gagern  und  Rümelin  auch  erstrebt  hatten.    Aber  während 


I 


Preußen  und  Deutschland  im  19.  Jahrhundert.  13t 

jene,  um  dahin  zu  gelangen,  Preußen  auflösen  wollten^ 
wollte  Treitschke  es  gerade  recht  sorgfältig  erhalten  als 
festen  Kern,  an  den  sich  die  übrigen  Staaten  künftig 
einmal  ankristallisieren  könnten.  Das  war  die  Lösung, 
die  der  geistreiche  Droysen  schon  im  April  1848  durch 
die  Aufstellung  seiner  Alternative  antizipiert  hatte. 

Alternative  über  Alternative.  Die  Droysen-Treitschke- 
sche  Alternative  war  eine  solche  der  Mittel  und  Wege 
bei  Identität  des  Zieles.  Die  Gagern-Bismarcksche  Alter- 
native von  1849  war  eine  solche  des  Zieles:  Deutsch- 
land oder  Preußen  hieß  sie,  und  Bismarck  entschied  sich 
damals  für  Preußen  und  ließ  das  Problem  Deutschland 
ungelöst.  Als  er  es  dann  1866  und  1871  löste,  hat  er 
es  auch  nicht  im  Sinne  einer  Alternative,  sondern  durch 
eine  Synthese  gelöst.  Die  alte  Zeit  der  Entweder-Oders, 
die  Zeit  des  dialektischen  Denkens  und  der  unbedingten 
Ideale  in  der  Politik  war  vorbei,  die  Zeit  des  modern- 
realistischen Sowohl-Als  auch  beginnt.  Die  Bismarcksche 
Synthese  preußischer  und  deutscher  Verfassung,  födera- 
listischer und  unitarischer  Prinzipien  war  kein  symme- 
trisches Kunstwerk,  aber  ein  lebensfähiges  Ding.  Preußen 
wie  Deutschland  haben  ihre  Verfassung  und  ihr  Eigen- 
parlament und  haben  sich  miteinander  eingeschüttelt.  Und 
das  ist  erreicht  durch  ein  paar  einfache,  aber  höchst 
geniale  Sicherungen,  die  Bismarck  zwischen  preußischem 
und  deutschem  Organismus  angebracht  hat. 

Zwei  nicht  zufällige,  sondern  geschichtlich  aufs 
stärkste  bedingte  Vorurteile,  welche  das  politische  Denken 
vor  1848  beherrscht  hatten,  mußte  Bismarck  dazu  brechen: 
das  parlamentarische  und  das  unitarische  Vorurteil.  Das 
parlamentarische  Vorurteil  sagte :  Da  die  Parlamentsmehr- 
heiten den  Kurs  der  Regierung  bestimmen,  so  sind  zwei 
große  regierende  Parlamente  nebeneinander  ein  Unding 
und  bringen  die  Maschine  zum  Stillstand.  Diese  Auf- 
fassung vom  Parlamentarismus,  die  um  1848  weithin 
herrschte,  war  nicht  nur  die  Wirkung  der  Doktrin,  son- 
dern auch  lebendiger  politischer  Erfahrung,  wie  man  sie 
vor*  allem  an  dem  süddeutschen  Veriassungsleben  bisher 
gemacht  hatte.    Zwar  hatte  man  hier  nichts  weniger  als 


112 


Friedrich  Meinecke, 


reinen  Parlamentarismus,  aber  eben  das  war  das  Ab- 
schreckende- Dieser  stark  eingeengte  Konstttutionalis- 
mus  der  süddeutschen  Staaten  beruhte  nicht  auf  der 
eigenen  Kratt  der  Regierungen,  sondern  war  nur  mög- 
lich durch  den  Rückhalt  des  reaktionären  Bundestages 
und  der  Wiener  Beschlüsse  von  1834,  Das  ganze  Elend 
des  vormärzlichen  Deutschlands  klebte  an  ihm  und  machte 
ihn  verhaßt.  Nur  große  positive  Leistungen  und  histo- 
rische Taten  konnten  ihn  wieder  zu  Ehren  bringen.  Durch 
seine  Leistungen  für  die  Nation  hat  Bismarck  die  diskre- 
titierte  Regierungsform  des  gemäßigten  Konstitutionalis- 
mus  wieder  zu  Ehren  gebracht  und  das  parlamentarische 
Vorurteil  gebrochen*  So  ist  es  möglich  geworden,  daß 
preußisches  und  deutsches  Parlament  nebeneinander 
existieren  können,  ohne  sich  allzustark  aneinander  zu 
reiben*  Wären  diese  beiden  Triebräder  größer,  so  wür- 
den sie  sich  berühren  und  hemmen. 

Das  zweite  Vorurteil,  das  Bismarck  zu  brechen  hatte, 
um  die  Erhaltung  der  preußischen  Staatseinheit  innerhalb 
des  deutschen  Bundesstaates  zu  ermöglichen,  war  das 
unitarische,  Pfizer,  die  Brüder  Gagernj  Rümelin  wollten 
einen  Bundesstaat,  dessen  Zentralgewalt  kein  anderes 
Interesse  kenne  als  das  des  Bundesstaates.  Sie  wollten 
wohl  die  preußische  Macht  als  wertvolles  Substrat  dafür 
benutzen,  aber  sie  wollten  nicht  die  Hegemonie  des  preußi- 
sehen  Staates  oder  des  Königs  von  Preußen  als  solchen. 
„Die  Hegemonie,"  sagte  noch  Treitschke  ganz  im  Geiste 
dieser  Lehre,  „widerspricht  dem  Wesen  desBundesstaates*** 
Im  innersten  Zusammenhang  damit  steht  die  Bundesstaats- 
theorie, welche  Waitz  in  den  fünfziger  Jahren  aufgestellt 
hat.  Sie  war  doch  nicht  bloß,  wie  man  gemeint  hat^  eine 
„rein  doktrinäre  Schablone"^  sondern  sie  ist  zum  guten 
Teile  erwachsen  aus  dem  praktischen  Problem,  wie  man 
den  preußischen  Staat  in  den  Bundesstaat  eingliedern 
könne,  ohne  diesen  durch  jenen  zu  erdrücken.  Die  Lö- 
sung, die  er  vorschlug,  war  unitarisch  wie  die  von  1849, 
bestand  in  der  Schaffung  einer  einheitlichen,  von  den 
Gliedstaatsgewalten  unabhängigen  Zentralgewalt.  Die 
Lösung,   die  Bismarck  gab,  war  föderalistisch,  bestand 


I 


I 


4 


I 


Preußen  und  Deutschland  im  19.  Jahrhundert 


13a 


in  der  Institution  des  Bundesrates.  Damit  waren  die 
Schwierigkeiten  gelöst,  mit  denen  die  Frankfurter  so 
schwer  gerungen  hatten.  Jetzt  konnte  der  Herrscher  des 
mächtigsten  Einzelstaates  zum  Träger  der  Exekutivgewalt 
des  Reiches  erhoben  werden,  ohne  daß  die  übrigen 
Staaten  fürchten  brauchten,  von  Preußen  erdrückt  zu 
werden,  und  ohne  daß  Preußen  das  Opfer  seiner  Auf- 
lösung zu  bringen  hatte. 

Weshalb  aber,  müssen  wir  fragen,  sind  nicht  schon 
die  Männer  von  1848  auf  diese  Lösung  gekommen? 
Weshalb  mühten  sie  sich  auf  dem  steilen  unitarischen 
Wege  ab,  statt  den  bequemeren  föderalistischen  Weg  zu 
beschreiten?  ;Weshalb  waren  sie  so  ängstlich  bemüht,  die 
Einzelstaaten  fernzuhalten  von  der  Teilnahme  an  der 
Reichsgewalt?  Wir  empfangen  aus  ihrem  Munde  selbst 
die  Antwort,  man  habe  befürchtet,  dadurch  nur  einen 
neuen  Bundestag  zu  schaffen,  „Wie  sollte/  sagte  Max 
Duncker,  „ein  solches  Kollegium  aus  instruierten  und  zu 
instruierenden  Gesandten  gebildet,  anders  regieren  als 
der  Bundestag,  langsam,  schleppend,  elend,  oder  viel- 
mehr gar  nicht**  So  steht  es  also  mit  diesem  Föderalis- 
mus genau  so  wie  mit  dem  gemäßigten  Konstitutionalis- 
mus. Sie  waren  beide  so  furchtbar  diskreditiert  durch 
die  Erfahrungen  der  letzten  Jahrzehnte,  daß  man  die 
Zukunft  der  Nation  ihnen  nicht  anzuvertrauen  wagte. 
Man  sieht,  wie  die  politischen  Irrtümer  dieser  Denker 
durch  und  durch  erwachsen  sind  aus  dem  ungesunden 
Boden  der  vormärzlichen  Zeit* 

Sollen  wir  uns  aber  mit  dem  Nachweis  der  geschicht- 
lichen Bedingtheit  ihres  Irrtums  beruhigen?  Wenn  wir  auf 
die  Entwicklung  des  Verhältnisses  Preußens  zu  Deutsch- 
land und  des  preußischen  Abgeordnetenhauses  zum 
deutschen  Reichstage  seit  1871  und  nun  erst  seit  1890 
einen  Blick  werfen,  so  haben  wir  das  unbehagliche  Ge- 
fühl, daß  die  Bismarckische  Lösung  des  Problems  einen 
Rest  noch  ungelöst  zurückgelassen  hat.  Die  Befürchtung 
Treitschkes  vor  einem  Übermaß  an  parlamentarischem 
Treiben  ist  doch  bestätigt  worden*  Unzweifelhaft  liegt 
hier  einer  der  Gründe,  weshalb  das  Niveau  und  das  An- 


134 


Friedrich  Meinecke, 


sehen  des  Parlamentarismus  in  Deutschland  gesunken  ist. 
Sollte  nicht  am  Ende  Bismarck  auch  das  vorausgesehen 
und  nicht  ungern,  vorausgesehen  haben?  Vielleicht  ist 
überhaupt  dies  Operieren  mit  zwei  Parlamenten,  dies 
Reiten  bald  auf  dem  preußischen,  bald  auf  dem  deutschen 
Pferde  ein  arcanum  imperii  Bismarcks  gewesen.  Denn 
ausgeschaltet  ist  die  tatsächliche  Macht  Preußens  im  Reiche 
durch  jene  Sicherungen,  die  Bismarck  zwischen  preußi- 
schem und  deutschem  Organismus  anbrachte,  keineswegs. 
Vieles  läßt  sich  mit  diesem  Benutzen  bald  der  deutschen, 
bald  der  preußischen  Kräfte  erreichen,  aber  Eines  nur 
schwer,  was  doch  das  Ziel  einer  wahrhaft  inneren  Politik 
sein  muß:  Einheitlichkeit  auf  allen  Gebieten  des  öffent- 
lichen Lebens»  Eine  beherrschende  Persönlichkeit  wie 
Bismarck  war  wohl  imstande,  für  die  größten  und  drän- 
gendsten Aufgaben  der  inneren  Politik  Reichsparlament 
und  Landesparlament,  deutsche  und  preußische  Tendenzen 
zusammenzuspannen,  aber  für  das,  was  weniger  drängte 
und  doch  in  Zukunft  einmal  wichtig  werden  konnte,  hat 
auch  er  oft  die  Dinge  gehen  lassen  müssen,  und  so  hat 
es  schon  unter  ihm  an  schneidenden  Dissonanzen  2wi- 
schen  innerer  preußischer  und  innerer  Reichspolitik  nicht 
gefehlt. 

Freilich  rufen  auch  noch  tiefere  Gründe  diese  Disso* 
nanzen  hervor  Es  ist  nicht  bloß  die  taktische  Klugheit 
des  divide  et  impera,  die  zum  Regieren  mit  zwei  ver- 
schiedenartigen Parlamenten  und  zwei  verschiedenartigen 
Systemen  rät,  sondern  die  innere  Genesis  und  Struktur 
der  deutsch-preußischen  Macht  zwingt  in  gewissem  Sinne 
dazu.  Das  deutsche  Reich  ist  geschaffen  worden  mit  den 
Kräften  der  altpreußischen  Militärmonarchie ,  und  die 
Kräfte  der  liberalen  und  nationalen  Bewegung  sind  wohl 
benutzt,  aber  nicht  als  schlechthin  leitend  anerkannt 
worden.  Und  das  Deutsche  Reich  ist  dann  im  großen 
und  ganzen  durch  dieselben  Mittel  erhalten  worden,  durch 
die  es  gegründet  worden  ist.  Immer  ist  der  preußische 
Militärstaat  mit  allem,  was  daran  hängt,  mit  seiner  Be- 
günstigung derjenigen  sozialen  Schichten,  die  den  Kern 
des  Offizierkorps  stellen,  der  festeste  Punkt  in  der  inneren 


I 


Preußen  und  Deutschland  im  19.  Jahrhundert.  135 

Politik  geblieben.  Und  die  Interessen  der  Übrigen  sozialen 
Schichten  hat  man  wohl  nicht  vernachlässigt,  aber  nie  so 
zur  Leitung  emporkommen  lassen  wie  jene.  Man  glaubt 
den  festen  Boden  der  Macht  zu  verlassen,  wenn  man  sich 
ihnen  anvertraut. 

Hier  greifen  die  allbekannten  Gedankengänge  ein, 
die  Friedrich  Naumann  aufgestellt  hat.  Hinter  dem  neuen 
Gegensatze  des  agrarischen  und  des  industriellen  Deutsch- 
lands wirkt  in  der  Tiefe  immer  noch  der  alte  Gegensatz 
zwischen  Preußen  und  dem  übrigen  Deutschland.  Pfizers 
Worte  von  1832  finden  noch  heute  ein  Echo.  Es  ist  ja 
nicht,  wie  er  meinte,  das  preußische  Volk  in  seiner  Ge- 
samtheit, das  durch  seine  Parlamentsherrschaft  das  übrige 
Deutschland  niederdrückt,  sondern  es  ist  der  Bund  der 
starken  preußisch-deutschen  Monarchie  mit  den  stärksten 
politischen  Kräften  ihres  Heimatstaates,  der  die  Lage  be- 
herrscht. Darin  aber,  daß  es  nur  ein  Bund,  eine  Inter- 
essengemeinschaft ist,  liegt  auch  die  Möglichkeit  ein- 
geschlossen, daß  dieser  Bund  sich  einmal  trennen  und 
die  Spannung  zwischen  Altpreußen  und  dem  übrigen 
Deutschland  sich  einmal  wieder  lösen  kann. 

Wir  wissen  uns  frei  von  der  an  sich  edlen  Leiden- 
schaft, mit  der  Naumann  diese  Frage  beantwortet  hat. 
Der  reine  Historiker  wird  vorsichtiger  als  er  über  den 
Spielraum  der  Möglichkeiten  urteilen,  wird  auch  die  un- 
vergleichliche Lebenskraft  des  altpreußischen  Geistes 
höher  einschätzen  als  er.  So  hat  also  die  geistvolle 
Naumannsche  Konstruktion  nur  den  Wert  einer  Möglichr 
keit,  aber  allerdings  einer  sehr  zu  erwägenden  und  ernst 
zu  nehmenden.  Wenn  sie  eintritt,  kann  auch  der  Ge- 
danke, dessen  Geschichte  ich  vorführte,  noch  einmal  eine 
Zukunft  wieder  haben.  In  einem  Deutschland,  das  seine 
Machtinteressen  dem  Bürgertum  und  der  Industriebevöl- 
kerung anvertrauen  kann,  wird  auch  der  preußische 
Staat  eine  andere  Stellung  einnehmen  als  im  Zeitalter 
Bismarcks  und  seiner  ersten  Nachfolger.  Er  wird  nicht 
aufgelöst  werden  brauchen,  aber  der  Reichsgedanke  wird 
den  Einzelstaatsgedanken  mehr  und  mehr  überwölben, 
die  Einzelstaaten,   große   und   kleine,  würden  dann  fak- 


136    Fr.  Meinecke,  Preußen  und  Deutschland  im  19.  Jahrhundert 

tisch  doch  in  das  Verhältnis  von  Reichsprovinzen  her- 
untersinken. 

Wir  wollen  nicht  prophezeien;  wohl  aber  darf  der 
Historiker  auch  die  lebendigen  Gewalten  der  Gegenwart  in 
geschichtliche  Perspektive  stellen  und  auf  die  Möglich- 
keiten ihrer  Weiterentwicklung  hinweisen.  Lebendige  Ge- 
walten aber  sind  heute  sowohl  das  alte  Preußen  wie  das 
neue  Deutschland.  Die  Formen ,  in  denen  sie  auf-  und 
miteinander  wirken,  sind  vergänglich;  auch  die  geistigen 
Mächte,  die  sie  in  sich  bergen,  sind  es.  Aber  sie  haben 
die  Kraft,  das  Neue  zu  zeugen  und  leben  dann  fort  in  ihm. 


Miszellen. 


Die  Schlacht  auf  dem  Lechfelde. 

Von 
tl.  BreBlan. 

Unter  den  Schlachten,  die  auf  deutschem  Boden  im 
10.  Jahrhundert  ausgefochten  worden  sind,  ist  für  die  euro- 
päische Geschichte  keine  folgenreicher  gewesen  als  der  Kampf 
Ottos  1.  gegen  die  Ungarn  im  Jahre  955.  Durch  den  Sieg 
Ottos  wurde  das  Deutsche  Reich  endgültig  von  dem  furcht- 
baren Feinde  befreit,  dessen  verheerende  Einfälle  viele  Jahr- 
zehnte hindurch  seine  Landschaften  heimgesucht  hatten.  Für 
Ungarn  aber  bedeutete  die  Schlacht  noch  mehr:  ihre  letzte 
Folge  war  der  Verzicht  auf  die  Fortsetzung  des  kriegeri- 
schen Räuberlebens,  das  die  Magyaren  bisher  zum  Schrecken 
Europas  geführt  hatten,  war  ihr  Übergang  zum  Christentum 
und  zur  Zivilisation,  ihr  Eintritt  in  die  europäische  Völker- 
familie. 

Von  dem  Verlauf  des  denkwürdigen  Kampfes  gibt  uns 
keine  völlig  gleichzeitige  Quelle  eingehende  Kunde,  und  aus 
der  Fülle  der  Nachrichten,  die  zuletzt  Dümmler^)  und 
V.  Ottenthai 2)  sorgsam  zusammengestellt  haben,  sind  nur 
zwei  Berichte  von  erheblicher  Bedeutung,  die  einige  Jahre 
nach  der  Schlacht  niedergeschrieben  sind:  die  Erzählung 
Widukinds  von  Corvei,  die  gegen   das   Ende    der   sechziger 

0  Kaiser  Otto  der  Große  S.  252  ff. 
*)  Regesta  imperii  II,  1 19  ff. 
Hittoritche  Zeitochrift  (97.  Bd.)  3.  Folge  1.  Bd.  10 


138 


H.  ßreßlau, 


Jahre  aulgezeichnet  sein  mag,  und  die  des  Augsburger  Mönches 
Gerhard,  dessen  Biographie  des  Bischofs  Udalnch  von  Augs- 
burg bald  nach  983  abgeschlossen  ist  Von  einem  anderen 
Gefechte,  vielleicht  einem  Verfolgungsgefechte  nach  der  Haupt- 
schlacht, erzählen  außerdem  die  St  Galler  Annalen ;  was  die 
übrigen  Quellen  des  10.  Jahrhunderts  melden^  ist  dürftig  und 
bietet  nur  wenige  Ergänzungen  zu  der  Darstellung  der  beiden 
Hauptberichterstatter;  spätere  zum  Teil  sagenhaft  entstellte, 
zum  Teil  auf  Mißverständnis  der  älteren  Quellen  beruhende 
Darstellungen  lehren  uns  nichts,  was  unsere  Kenntnis  wirk- 
lich bereicherte. 

Von  den  beiden  Hauptquellen  aber  schildert  nur  die  eine, 
die  Chronik  Widukinds,  die  Schlacht  selbst.  Gerhard  erzählt 
eingehend  die  Belagerung  Augsburgs,  die  der  Schlacht  voran- 
ging, gibt  aber  von  dieser  selbst  keinen  eigentlichen  Bericht; 
doch  sind  einzelne  Angaben ,  die  er  über  Vorgänge  vor  und 
nach  der  Schlacht  macht,  auch  für  unsere  Kenntnis  von  der 
Schlacht  selbst  von  großer  Wichtigkeit 

Auf  den  Berichten  Widukinds  und  Gerhards  hat  darum 
mit  Recht  D.  Schäfer  die  scharfsinnige  Untersuchung  aufgebaut, 
die  er  zuletzt  nach  zahlreichen  Vorgängern  der  Ungarnsclilacht 
von  955  gewidmet  hat»^)  Im  Anschluß  an  E.  F.  Wyneken^), 
aber  im  Gegensatz  zu  der  herrschenden  Meinung  und  in  ge- 
nauerer Begründung  der  Wy^nekenschen  Ansicht  gelangt  er  2U 
dem  Ergebnis,  daß  die  Schlacht  nicht  auf  dem  Lechfelde»  d.  h. 
der  Ebene  südlich  von  Augsburg  zwischen  Lech  und  Wertach'), 
stattgefunden  habe,  sondern  daß  das  Schlachtfeld  im  Norden 
oder  Nordwesten  von  Augsburg  gesucht  werden  müsse;  er 
ist  deshalb  geneigt,  einer  Notiz  der  späteren  Annales  Zwifal- 
tenses  eine  gewisse  Bedeutung  beizumessen,  die  die  Schlacht 
nach  Kolital,  d,  h.  wie  man  annimmt,  nach  dem  heutigen 
Kühlenthal,  einem  etwa  25  km  nord nordwestlich  von  Augs- 
burg zwischen  Schmutter  und  Lech  gelegenen  Orte,  benennen. 


I 

I 


I 


»)  Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie    1905,   Nr  XXVII. 

■)  Forschungen  zur  deutschen  Geschichte  21,  239  ff. 

*)  Diese  ist  das  sog,  schwäbische  Lechfetd.  Allerdings  gilt 
der  Name  auch  für  einen  Teil  des  am  rechten  (bayerischen)  Lech- 
ufer  üegenden  Landes,  s.  unten. 


Die  Schlacht  auf  dem  Lechfelde. 


L39 


Seine  Ausführungen  haben  in  der  Historischen  Zeitschrift 
(95,  529)  und  im  Neuen  Archiv  (31,  249)  Zustimmung  gefunden; 
ein  Widerspruch  dagegen  ist  bisher,  so  viel  ich  weiß^  noch 
nicht  erhoben  worden. 

Auf  den  ersten  Seiten  seiner  Abhandlung  hat  Schäfer  einen 
alten  und  eingewurzelten  Irrtum  fein  und  glücklich  berichtigt. 
Vor  der  Belagerung  Augsburgs  haben  nach  der  Vita  Udalricl 
die  Ungarn  das  Land  der  Bayern  von  der  Donau  ^usque  aä 
nigram  siivam,  quae  pertinei  ad  monlana'  verwüstet,  dann 
den  Lech  überschritten,  ALamannien  okkupiert,  die  Kirche  der 
[til  Afra  bei  Augsburg  verbrannt,  das  ganze  Gebiet  von  der 
[Donau  bis  zum  WaJde  ausgeplündert  und  den  größten  Teil 
des  Landes  bis  zur  liier  mit  Sengen  und  Brennen  heimgesucht 
Schlagend  weist  Schäfer  nach,  daß  unter  der  nigra  silva  hier 
^ nicht,  wie  man  bisher  allgemein  angenommen  hatte,  unser 
Schwarzwald  verstanden  werden  könne,  daß  vielmehr  notwendig 
die  nördlichen  Vorberge  der  Alpen  damit  gemeint  sein  müssen.^) 
Seine  Darlegungen  haben  seitdem  noch  eine  zwar  nicht  not* 
wendige,  aber  willkommene  Unterstützung  durch  den  von 
V*  Ernst  geführten  Beweis  erhalten^),  daß  noch  im  16.  Jahr- 
hundert das  Wald-  und  Berggebiet  zwischen  Tegernsee  und 
Achenbach  Scbwarzwald  genannt  worden  ist* 

So  dankenswert  nun  aber  dieser  Nachweis  auch  ist  — 
wenn  V*  Ernst  meint,  daß  Schäfer  gerade  durch  ihn  eine  klare 
Situation  für  seine  Untersuchung  über  die  Ungarnschlacht  am 
Lech  gewonnen  habe,  so  wird  man  dem  doch  nicht  zustimmen 
kennen*    Für  diese  ist  die  Situation  mit  völliger  Klarheit  durch 


0  Zu  S.  557  bemerke  ich^  daß  von  den  zwei  Belegen,  die 
Schäfer  für  die  Anwendung  des  Namens  Schwarzwald  auf  das 
heute  80  benannte  Gebirge  aus  der  Zeit  vor  dem  IL  Jahrhundert 
anführtj  der  zweite  zu  streichen  ist.  Die  Urkunde,  angeblich  von 
983  für  S,  Blasien  DO.  If.  297,  ist  eine  Fälschung  aus  dem  Ende 
des  IL  oder  dem  Anfang  des  12.  Jahrhunderts,  vgl,  Wibel  im 
N.  Archiv  30,  152  ff.  —  Wie  in  der  Wendung  ^nlgra  siiva  quae 
periinet  aä  montana*  das  letztere  Wort  die  Alpen  bedeutet,  so 
auch  'in  dem  letzten  Sat^e^[der  Vita  Udalrici,  demzufolge  der 
Leichnam  Herzog  Ottos  von  Lucca  über  die  ^montana*  nach 
Aschaffenburg  gebracht  wird. 

»)  N.  Archiv  3!,  249  L 

10* 


140 


H.  Breslau, 


die  ganz  feststehende  und  niemals  bestrittene  Tatsache  ge- 
geberif  daß  die  Ungarn  kurz  vor  der  Schlacht  ihr  Lager  in  der 
Nähe  von  Augsburg  aufgeschlagen  i)  und  die  Stadt  des 
hl.  Udalrich  angegriffen  haben.  Ob  ihre  plündernden  und  ver- 
wüstenden Scharen,  ehe  ihre  Hauptmacht  zur  Belagerung 
Augsburgs  zusammengezogen  wurde,  westlich  bis  an  den 
Schwarzwald ^  wie  man  früher  glaubte,  oder  nur  bis  an  die 
Hier,  wie  Schäler  nachgewiesen  hat,  vorgedrungen  sind,  und 
ob  sie  südlich  bis  an  jenen,  von  Ernst  nachgewiesenen 
bayerischen  Schwarzwald  oder  weiter  oder  weniger  weit  ge- 
kommen sind,  das  trägt  für  die  Frage  ^  wo  das  Schlachtfeld 
vom  10.  August  955  zu  suchen  ist,  so  viel  ich  wenigstens  zu 
sehen  vermag,  nicht  das  geringste  aus. 

Für  diese  Frage  entnehmen  wir  der  Vita  Udalrici,  daß  die 
Ungarn  an  zwei  aufeinander  folgenden  Tagen  —  wie  man  an- 
nimmt Bjn  8.  und  9*  August^)  —  Angriffe  gegen  die  Stadt 
unternahmen,  am  zweiten  Tage  aber,  d.  h.  also  nach  der 
herrschenden  Annahme  am  9,  August,  den  Angriff,  der  gleich 
nach  Sonnenaufgang  begonnen  war,  abbrachen,  ehe  noch  ein 
eigentlicher  Kampf  sich  entsponnen  hatte,  weil  ihr  König  die 
Nachricht  erhielt,  daß  das  Heer  Ottos  heranziehe.  Darauf 
hielt  der  Ungarnkönig  Kriegsrat  und  entschloß  sich,  Otto  ent- 
gegenzurücken, um  nach  seiner  Besiegung  zurückzukehren 
und  die  Stadt  und  das  Reich  in  seine  Gewalt  zu  bringen.  Die 


^)  Mit  Schäfer  S*  55S  nehme  ich  an,  daß  das  später  von  Otto 
eingenommene  Lager  sich  südlich  von  Augsburg  befunden  hat. 
Wenn  Grandaur  (in  der  Übersetzung  der  Vita  Udalrici  S.  97)  es 
östlich  von  der  Stadt,  zwischen  dieser  und  dem  Lech  sucht,  so 
scheint  mir  das  nicht  ausreichend  begründet  zu  sein.  Wenn  Ger- 
hard berichtet,  daß  bei  dem  ersten  Angriff  der  Ungarn  auf  die 
Stadt  ein  besonders  starker  Haufe  gegen  das  Osttor  angestürmt 
sei,  so  folgt  daraus  doch  keineswegs,  daß  hier  auch  das  Lager 
der  Feinde  gestanden  habe. 

>)  Ich  behalte  diese  Daten,  den  8.  und  9.  August,  hier  und 
im  folgenden  bei^  obwohl  ich  von  ihrer  [Richtigkeit  nicht  ganz 
sicher  überzeugt  bin.  Da  es  nicht  meine  Absicht  ist,  die  Ge- 
schichte der  Belagerung  von  Augsburg  hier  nachzuprüfen,  so  kann 
ich  es  unterlassen,  gewisse  Bedenken,  die  ich  gegen  die  herr- 
schende Ansicht  hege,  ausführlicher  zu  entwickeln. 


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4 


4 


Die  Schlacht  auf  dem  Lechfelde. 


141 


Nachricht  aber  überbrachte  den  Ungarn  der  bayerische  Graf 
Bertold,  der  Sohn  des  954  im  Kampfe  gegen  Otto  gefallenen 
Pfalzgrafen  Arnulf,  der  von  seiner  Burg  RisinesburCf  d,  h.  dem 
heutigen  etwa  2  km  östlich  von  CUnzburg  belegenen  Reisens- 
burg,  herbeigeeilt  war.  In  der  nächsten  Nacht,  d.  h.  also  in 
der  Nacht  vom  9.  auf  den  10.  August,  20g  der  Bruder  des 
Bischofs  Udalrich,  Graf  Diepold,  mit  einem  Teile  der  Besatzung 
aus  Augsburg  ab,  und  stieß  zum  Heere  des  heranziehenden 
Königs.  Nach  der  Schlacht,  die  am  10.  August  stattfand,  sah 
man  von  den  Augsburger  Festungswerken  aus  die  fliehenden 
Ungarn  an  der  Stadt  vorbeiziehen ,  um  eilig  das  jenseitige 
Ufer  des  Lech  zu  gewinnen»  Der  König  verfolgte  sie  und 
gelangte  am  Abend  des  10*  nach  Augsburg,  wo  er  über- 
nachtete. Am  IL  setzte  er  die  Verfolgung  fort  und  kam  an 
diesem  Tage  in  das  Land  der  Bayern,  d.  h.  ans  rechte 
Lechufer. 

Was  wir  aus  diesen  Angaben  Gerhards,  an  deren  Glaub- 
würdigkeit wir  durchaus  festhalten  dlirten^),  über  den  Verlaut 
und  die  Örtlichkeit  der  Schlacht  erschließen  können «  wird 
nachher  zu  erörtern  sein ;  zunächst  wenden  wir  uns  dem 
ausführlichen  Schlachtberichte  zu,  den  Widukind  gibt* 

Widukind  berichtet  im  44  Kapitel  des  dritten  Buches  seiner 
Chronik,  daß  Otto  um  den  L  Juli  955  aus  Bayern,  wo  er  den 
Aufstand  gegen  seinen  Bruder  Heinrich  niedergeworfen  hatte, 
zurückkehrend  in  Sachsen  eingetroffen  sei.  Hier  fanden  sich 
ungarische  Gesandte,  in  Wirklichkeit  Spione,  an  seinem  Hofe 
ein,  und  nach  deren  Entlassung  erhielt  der  König  von  Herzog 
Heinrich  die  Meldung,  daß  das  ungarische  Invasionsheer  die 
Reichsgrenze  überschritten  habe.  Er  entschloß  sich  sofort 
gegen  sie  zu  ziehen,  führte  aber  nur  eine  kleine  sächsische 
Schar  mit  sich,  da  ein  Kampf  gegen  die  Slaven  bevorstand. 
Im  Grenzgebiet  von  Augsburg  (in  confinlis  Aagasianuetirbis) 
schlug  er  sein  Lager  auf;  hier  stießen  das  bayerische  und 
das  fränkische  Aufgebot  zu  ihm;  auch  der  Schwiegersohn  des 


^)  Den  Versuch  Brückners,  Studien  zur  Geschichte  der  säch- 
sischen Kaiser  (Diss.  Basel  I8S4)  S.  17  ff.,  diese  Glaubwürdigkeit 
Gerhards  anzuzweifeln,  hat  Schäfer  S,  554  M.  1  mit  Recht  in  aller 
Schärfe  zurückgewiesen. 


142 


H.  Breßlau, 


Königs,  der  frühere  Herzog  Konrad  von  Lothringen,  fand  sich 
mit  einer  starken  Reiterschar  hier  ein.  Streif  scharen  meldeten 
die  Nähe  der  Ungarn;  der  König  ordnete  au!  ihre  Meldung 
ein  Fasten  in  seinem  Lager  an  und  befahl  am  folgenden  Tage, 
zur  Entscheidungsschlacht  bereit  zu  sein.  In  der  ersten 
Morgenfrühe  des  10.  August  zog  man  mit  fliegenden  Fahnen 
aus  dem  Lager.  Der  Marsch  des  Heeres  wurde  durch 
schwieriges  Gelände  (per  aspera  et  diffidlia  loca)  geleitet,  um 
den  Feinden  keine  Gelegenheit  zu  Angriffen  mit  Pfeil  und 
Bogen  zu  geben,  gegen  die  der  Wald  die  marschierenden 
Kolonnen  schützte  (arbusiis  ea,  sciL  agmina^  protegentibus)}) 
Das  Heer  war  auf  dem  Marsche  in  acht  Abteilungen  gegliedert* 
Die  ersten  drei  Abteilungen  bildeten  die  Bayern,  die  vierte 
die  Franken.  In  der  fünften  und  stärksten  Abteilung  befand 
sich  der  König  selbst;  wir  müssen  annehmen,  daß  die  Sachsen, 
die  sonst  nicht  erwähnt  werden,  zu  dieser  Abteilung  gehörten. 
Die  sechste  und  siebente  Abteilung  bestand  aus  dem 
schwäbischen  Aufgebot;  die  achte  und  letzte  aus  1000  Böhmen ; 
bei  dieser,  die  die  Nachhut  bildete,  befanden  sich  das  Gepäck 
und  der  Troß.  Gerade  gegen  diese  aber  richteten  unerwarteter- 
weise die  Ungarn  ihren  ersten  Angriff.  Sie  überschritten  den 
Lech,  umgingen  das  deutsche  Heer  und  griffen  die  achte  Ab* 
teiiung  mit  Pfeil  und  Bogen  an;  die  Böhmen  wurden  geworfen, 
das  ganze  Gepäck  fiel  in  die  Hände  der  Feinde.  Auch  die 
beiden  schwäbischen  Heerhaufen,  d.  h.  also  die  siebente  und 
sechste  Abteilung,  wurden  unter  großen  Verlusten  von  den 
Ungarn  in  die  Fluch!  geschlagen.  Da  nun  der  König  erkannte^ 
daß  der  Kampf  in  der  Front  zu  bestehen,  und  daß  zugleich 
hinter  seinem  Rücken  die  letzten  Abteilungen  in  Gefahr  seien, 
schickte  er  den  Herzog  Konrad  mit  der  vierten  Abteilung 
gegen  den  Feind,  dem  es  gelang,  die  Ungarn  zu  schlagen  und 
ihnen  die  Gefangenen  und  die  Beute  wieder  abzunehmen,  und 
der  danach  als  Sieger  zum  König  zurückkehrte. 

An  dieser  Stelle  unterbricht  Widukind  in  ungeschicktester 
Weise  seine  Schilderung  der  Schlacht.  Mit  den  Worten :  Dum 
ed  geraniur  in  Baioaria^  varie  pugnaium  est  a  preside  Thiadrim 


^)  Die  Stelle   ist  in  Schottin-Wattenbachs  Übersetzung   ganz 
miBv  er  standen. 


Die  Schlacht  auf  dem  Lechfelde. 


143 


aduersus  barbaros  teilet  er  das  45.  Kapitel  ein,  das  wie  der 
Anfang  des  46,  wahrscheinlich  einen  nachträglichen  Einschub 
darstellt^),  und  in  dem  ein  unglücklicher  Kampf  des  sächsischen 
Markgrafen  Dietrich  gegen  die  Slaven  erzählt  wird.  Mit  der 
Bemerkung,  daß  man  deswegen  und  wegen  ungewöhnlicher 
Naturereignisse  in  Sachsen  in  großer  Besorgnis  um  das 
Schicksal  des  Königs  und  seines  Heeres  gewesen  sei,  beginnt 
das  46.  Kapitel  und  eben  diese  Bemerkung  führt  uns  zu  Otto 
zurück.  Offenbar  da  wieder  anknüpfend,  wo  er  abgebrochen 
hatte,  erzählt  Widukind  den  weiteren  Verlauf  der  Schlacht 
folgendermaßen:  Als  nun  der  König  erkannte,  daß  jetzt  die 
ganze  Wucht  des  Kampfes  in  der  Front  zu  bestehen  sei,  hielt 
er  eine  Anrede  an  seine  Krieger  (die  ich  natürlich  nicht 
wiederhole,  obwohl  sie  ein  Prachtstück  Widukindscher  Rhetorik 
ist),  und  begann  dann  als  der  erste  den  Angriff  gegen  den 
Feind*  Die  Kühneren  unter  den  Ungarn  leisteten  anfangs 
Widerstand,  als  sie  aber  ihre  Kameraden  fliehen  sahen,  wurden 
sie  erschreckt,  gerieten  unter  die  Deutschen  und  wurden 
niedergemacht  Von  den  übrigen  erreichten  einige  die  nächsten 
Dörfer,  wurden  hier  von  Bewaffneten  umringt  und  mit  den 
Häusern  verbrannt;  andere  schwammen  durch  den  nahen 
Strom,  kamen  aber,  da  das  jenseitige  Ufer  keinen  Halt  zum 
Aufsteigen  bot,  in  den  Finten  um.  Das  Lager  der  Ungarn 
wurde  noch  an  diesem  Tage  genommen ,  am  nächsten  und 
übernächsten  Tage  wurde  die  Verfolgung  fortgesetzt* 

Wie  unklar  und  unvollständig  dieser  Bericht  ist^)  —  auch 
abgesehen  von  der  erwähnten  störenden  Einschiebung  —  be- 
darf kaum  einer  Auseinandersetzung,  Weder  über  die  Marsch- 
richtung des  Königs ^  ehe  er  sein  Lager  in  der  Nähe  von 
Augsburg  aufschlägt,  noch  darüber,  woher  Otto  erfahren  habe. 


^)  Diese  ungeschickte  Einschaltung  hat  bekanntlich  Thietmar 
veranlaßt,  die  Schlacht  auf  zwei  Tage,  den  9,  und  10,  August, 
2u  verteilen.  Da0  davon  keine  Rede  sein  darf,  Ist  jetzt  allgemein 
anerkannt,  und  ich  kann  ee  mir  daher  ersparen,  näher  darauf 
einzugehen, 

■)  Dem  Urteil  Schäfers  (S.  566),  daß  der  Bericht  Widukind» 
klar  und  deutlich  sei,  kann  ich  mich  auch  hinsichtlich  der  Schlacht 
selbst,  auf  die  sich  das  Urteil  wohl  beziehen  soll,  nicht  unbedingt 
anschließen. 


U4 


H.  Breslau, 


daß  er  den  Feind  gerade  hier  aufsuchen  müsse ,  sagt  der 
Corveier  Mönch  ein  Wort.  Daß  hier  die  Bayern  und  Franken 
zu  ihin  gestoßen  seien,  erzählt  er;  von  der  Vereinigung  mit 
den  Schwaben  und  Böhmen^  die  wir  während  der  Schlacht  im 
Heere  des  Königs  finden,  spricht  er  nicht.  Nach  dem  Wort- 
laut seines  Berichts  sollte  man  zunächst  annehmen,  daß  das 
ganze  Heer  der  Ungarn  die  Umgehungsbewegung  ausgeführt 
hätte,  während  wir  nachher  erfahren,  daß  die  Hauptmasse  der 
Ungarn  vor  der  Front  der  deutschen  Marschordnung  ge- 
standen habe^  so  daß  nur  ein  Teil  ihres  Heeres  jenes  Manöver 
ausgeführt  haben  kann.  Nach  dem  Wortlaut  seines  Berichtes 
müßte  man  weiter  annehmen  —  und  das  scheint  Schäfer  (S.  564) 
denn  auch  zu  tun^)  — ,  daß  der  König  die  vierte  Abteilung  unter 
Herzog  Konrad  zur  Abwehr  des  ersten  Angriffs  der  Ungarn 
erst  dann  herb  ei  beordert  habe,  aJs  diese  nach  der  Niederlage 
der  Schwaben  unmittelbar  hinter  der  fünften,  d.  h,  der  vom 
König  kommandierten  Abteilung  standen,  während  man  doch 
schwer  glauben  kann,  daß  die  Sache  sich  wirklich  so  verhalten 
habe.  Es  ist  kaum  denkbar,  daß  ein  Feldherr  wie  Otto  mit 
der  Herbeiberulung  der  Verstärkung  so  lange  gezögert  hätte, 
bis  die  Feinde  in  seinem  RUcken  standen,  und  ebenso  unwahr- 
scheinlich, daß  die  Ungarn,  wenn  sie  schon  vor  der  Erteilung 
des  Marschbefehles  an  den  Schwiegersohn  des  Königs  so  weit 
vorgedrungen  gewesen  wären,  den  Angriff  auf  Otto  selbst 
unterlassen  und  sich  ruhig  verhalten  hätten,  bis  die  Franken 
unter  Konrad  heransprengten*  Vielmehr  wird,  wenn  man  der 
Erzählung  Widukinds  überhaupt  glauben  will,  angenommen 
werden  müssen,  daß  der  König  den  Befehl  an  Herzog 
Konrad  ergehen  ließ,  sobald  er  die  Meldung  von  dem  Rücken- 
angrif!  der  Ungarn  auf  die  Böhmen,  oder  spätestens  sobald 
er  von  ihrer  Niederlage  und  der  Gelährdung  der  beiden 
schwäbischen  Abteilungen  erfuhr.  Schließlich  findet  sich  in 
Widukinds  Bericht  noch  eine  auffallende  Lücke.  Am  Schlüsse 
von  Kapitel  44  —  vor  der  Unterbrechung  der  Erzählung  — 
befindet  sich  das  deutsche  Heer  noch  in  der  Marschordnung, 
Otto  steht  hinter  den  drei  bayerischen  Abteilungen  und,  wenn 


I 
■ 


S.  257. 


^)    Ebenso    Giesebrecht   L,  422;    weniger    bestimmt    Dümmler 


Die  Schlacht  auf  dem  Lechfelde.  145 

Konrad  nach  der  siegreichen  Abwehr  des  ungarischen  RUcken- 
angriffes  seine  frühere  Stellung  wieder  eingenommen  hat,  auch 
hinter  diesem.  Als  die  Erzählung  wieder  aufgenommen  wird, 
greift  er  an  der  Spitze  des  Heeres  die  Ungarn  an  (primus 
equum  in  hosies  vertit).  Inzwischen  muß  also  eine  Änderung  in 
der  Formation  des  deutschen  Heeres  vor  sich  gegangen  sein ; 
es  ist  aus  der  Marschordnung  in  die  Schlachtordnung  über- 
gegangen, bei  der  Otto  mit  den  Seinen  vorn  steht  ^):  aber 
Widukind  sagt  davon  kein  Wort.  Und  wie  kurz  ist  endUch 
im  Vergleich  mit  der  SchUdening  des  ersten  Angriffes  der 
Bericht  über  die  eigentlich  entscheidende  Schlacht  gehalten: 
Otto  greift  an,  die  Feinde  widerstehen  und  werden  besiegt, 
das  ist  alles,  was  wir  erfahren. 

Doch  ich  halte  mit  diesen  Bemerkungen  inne,  wie  es 
denn  ja  nicht  meine  eigentliche  Absicht  ist,  den  taktischen 
Verlauf  der  Schlacht  zu  besprechen;  ich  wende  mich  nur  der 
Frage  zu:  wo  haben  nach  Widukinds  Meinung  die  von  ihm 
geschUderten  Kämpfe  sich  abgespielt  ?  Wohl  verstanden :  nach 
Widukinds  Meinung;  ich  frage  zunächst  noch  nicht,  wo  sie 
wirklich  stattgefunden  haben.  Dieses  zu  ermitteln  ist  Aufgabe 
der  Kritik,  jenes  festzustellen  ist  ausschließlich  Aufgabe  der 
Interpretation.  Die  Kritik  hat  Widukinds  Bericht  auf  seine 
Glaubwürdigkeit  zu  prüfen  und  zu  diesem  Behuf  seine  Angaben 
mit  denen  anderer  Quellen  zu  vergleichen;  die  Interpretation 
will  nur  klarlegen,  was  Widukind  gemeint  hat,  und  zwar  wenn 
möglich  aus  seinem  eigenen  Berichte.  Die  Interpretation  hat 
aber  der  Kritik  voranzugehen;  man  kann  den  Bericht  eines 
Schriftstellers  nicht  beurteUen,  ehe  man  ihn  erklärt  hat.  Daß 
diese  beiden  methodisch  verschiedenen  Operationen  —  Inter- 
pretation und  Kritik  —  nicht  genügend  auseinander  gehalten, 
sondern  miteinander  verbunden  worden  sind,  hat  m.  E.  die 
neueren  Untersuchungen  über  unsere  Frage  nicht  günstig  be- 
einflußt. 


0  Giesebrecht  1,  423  hat  die  Lücke  in  Widukinds  Bericht 
ausgefüllt  und  läßt  Otto,  als  der  Feind  im  Rücken  nicht  mehr 
zu  fürchten  war,  sein  Heer  „in  weitausgebreiteter  Schlachtord- 
nung* gegen  den  Feind  ordnen. 


146  ^^^  H.  Breßlau, 

Widukind  erzählt,  daß  die  Ungarn  vor  ihrem  AngriO  auf 
die  Deutschen  den  Lech  überschritten  haben.  Daraus  folgt 
für  jeden  unbefangenen  Leser,  der  Widukind  nur  aus  sich  selbst 
erklären  will,  daß  nach  der  Meinung  des  SchnftsteHers  — 
gleichviel,  ob  sie  richtig  oder  falsch  ist  —  die  Ungarn  und 
die  Deutschen  vor  der  Schlacht  durch  den  Fluß  getrennt 
waren;  entweder  muß  Widukind  geglaubt  haben,  daß  die 
Ungarn  vor  der  Schlacht  links  vom  Lech  gestanden  haben^ 
die  Deutschen  aber  auf  dem  rechten  Ufer  des  Stromes,  oder 
er  hat  sich  die  Stellung  der  beiden  Heere  umgekehrt  gedacht.*) 
Ganz  unzulässig  aber  ist  es  mit  Dümmler,  Wyneken,  Riezler, 
Grandaur,  Schäfer,  die  aus  anderen  Erwägungen  zu  der 
Überzeugung  gekommen  sind,  sowohl  die  Deutschen  wie  die 
Ungarn  hatten  sich  vor  der  Schlacht  auf  der  linken  Seite  des 
Lech  befunden  und  hier  sei  denn  auch  gekämpft  worden^ 
diese  Überzeugung  mit  dem  Berichte  Widukinds  dadurch  in 
Übereinstimmung  zu  bringen,  daß  ein  zweimaliger  Lechüber- 
gang  der  Ungarn  oder  wenigstens  des  zur  Umgehung  der 
Deutschen  detachierten  Teiles  der  Ungarn  angenommen  wird^), 
zuerst  vom  linken  Ufer  des  Lech  auf  das  rechte  und  dann 
vom  rechten  Ufer  auf  das  linke  zurück.  Auf  diesen  Gedanken 
konnte  schlechterdings  kein  Leser  von  Widukinds  Erzählung 
verfallen,  dem  nicht  andere  Schlachtberichte  zur  Kontrolle  zur 
Verfügung  standen;  und  wie  gering  man  auch  die  schrift- 
stellerische Befähigung  des  Corveier  Mönches  einschätzen 
mag,  für  so  gedankenlos,  wie  ihn  diese  Annahme  erscheinen 
lassen  würde,  darf  man  ihn  denn  doch  nicht  halten.  Zum 
Überfluß  aber  zeigen  auch  seine  eigenen  Worte  auf  das  klarste, 
daß  er  keineswegs  an  einen  zweimaligen  Lechühergang  gedacht 
zu  haben  braucht.  Indem  er  nämlich  nach  der  Erzählung  des 
zurückgewiesenen    Rückenangriffes    der    Ungarn    jenen    oben 


■)  Das  letztere  hat  Köstler,  Die  Ungarnschlacht  auf  dem 
Lechfeld,  München  18S4,  S.  IS.  23  IL  angenommen;  die  Ausfuh- 
rungen des  Textes  widerlegen  ihn  zur  Genüge. 

*)  Giesebrecht  hat  diese  Annahme  in  der  letzten  Ausgabe 
S.  832  fallen  lassen  und  deshalb  den  Lechühergang  aus  seinem 
Schlachtberichl  vöUtg  gestrichen^  wie  mir  scheint,  mit  vollem 
Recht*  Auch  v.  Ottenthai  S.  121  hat  die  Annahme  für  bedenklich 
erklärt. 


Die  Schlacht  auf  dem  Lechfelde. 


147 


erwähnten  Einschub  Ober  die  Kämpfe  Dietrichs  in  Sachsen 
macht,  fügt  er  diesen  mit  den  bereits  angeführten  Worten : 
äum  ea  geruniur  in  Baloana  an  die  vorangehende  Erzählung 
an.  Er  erklärt  also  mit  einem  Ausdruckf  der,  wenn  nicht  aof 
jede  Interpretation  seines  Berichtes  verzichtet  werden  soHj 
völlig  unzweideutig  und  gar  nicht  mißzuverstehen  ist,  daß  die 
Ungarnschlacht  in  Bayern,  also  am  rechten  Ufer  des  Lech 
stattgefunden  habe,  i)  Nun  isl  sein  Lechlibergang  vöHig  klar. 
Widukind  wird  gewußt  haben,  daß  die  Ungarn  vor  der  Schlacht 
Augsburg  angegriffen  haben,  und  daß  sie  von  dort  aus  dem 
heranrückenden  König  entgegengezogen  sind;  wenn  er  nun 
überzeugt  war,  das  Schlachtfeld  habe  in  Bayern  gelegen,  was 
er  ja  ausdrücklich  sagt,  so  mußte  er  die  Ungarn  natürlich  vor 
dem  Beginn  des  Kampfes  über  den  Lech  gehen  lassen,  den 
er  als  Grenzfluß  zwischen  Schwaben  und  Bayern  angesehen 
haben  wird-^)  Aber  selbstverständlich  nur  einmal,  und  nicht 
wie  die  Neueren  in  ihn  hineininterpretieren,  zweimal^  nämlich 
zuerst  von  links  nach  rechts  und  dann  wieder  von  rechts 
nach  links  zurück. 

Darin  bin  ich  nun  freilich  mit  eben  diesen  Neueren  durch- 
aus einverstanden,  daß  Widukinds  Voraussetzung  falsch  ist, 
und  daß  in  Wirklichkeit  das  Schlachtfeld  nicht  in  Bayern, 
sondern  in  Schwaben  und  nicht  am  rechten,  sondern  am 
linken  Lechufer  zu  suchen  ist.  Denn  das  Ist  nach  den  An- 
gaben des  Augsburgers  Gerhard»  die  in  dieser  Beziehung 
durchaus  den  Vorzug  verdienen^  ganz  unzweifelhaft.  Wenn 
die  Meldung  vom  Anmarsch  Ottos  dem  Ungarnkönig  durch 
Berthold  von  der  Reisensburg  aus  überbracht  wurde,  so  kann 
Otto  von  Nordwesten  oder  von  Westen,  keinesfalls  aber  von 
Osten  her  durch  Bayern  gegen  den  Lech  und  Augsburg  vor- 
gerückt sein. 3)    Wenn  die  fliehenden  Ungarn,  wie  man  von 

^)  Wyneken  ist  an  zwei  Stellen  (S.245  und  S.249)  dieser  Er- 
kenntnis ganz  nahe  gewesen,  hat  sie  dann  aber  fallen  lassen,  weil 

er  Interpretation  und  Kritik  nicht  auseinander  halt;  vgl,  auch 
Schäfer  S.  567. 

*)  Daß  ein  kleiner  Teil  des  schwäbischen  Augstgaues  noch 
rechts  vom  Lech  lag,  hat  Widukind  schwerlich  gewußt, 

')  Weshalb  der  König  nach  Westen  ausgebogen  ist,  statt  von 
Sachsen    aus    durch    Thüringen,   Franken   und    Bayern   zu   mar- 


118  ^^^  H.  Breßlau, 

den  Werken  der  Stadt  aus  beobachtete^  an  dieser  vorbei  dem 
Lech  zueilten,  und  wenn  Otto  am  Abend  des  ID.  August  nach 
der  Einnahme  des  ungarischen  Lagers  nach  Augsburg  kam 
und  die  Verfolgung  nach  Bayern  hinein  fortsetzend  am 
IL  August  den  Lech  überschritt,  so  beweist  das,  wie  SchMfer^) 
mit  Recht  bemerkt,  mit  voller  Sicherheit  (und  niemand  zweifelt 
ja  auch  daran),  daß  die  Ungarn  am  Schlachttage  Bayern  und 
nicht  Schwaben  im  RUcken  gehabt  haben,  d.  h.  daß  die  Schlacht 
am  Hnken  Lechufer  ausgefochten  ist» 

Daraus  folgt  denn  also,  daß  Widukind,  mag  er  auch  vom 
Verlauf  und  den  Polgen  des  Kampfes  eine  gewisse  Kunde  ge- 
habt haben ^)j  von  der  Lokalität  der  Schlacht  und  der  Richtung 
des  königlichen  Marsches  nicht  nur  nichts  Genaues,  sondern 
überhaupt  nichts  Zutreffendes  gewußt  hat.  Danach  aber 
werden  wir  weder,  wie  Wyneken  getan  hatj  die  Nachricht  vom 
Lechlibergang  der  Ungarn  benutzen  dürfen,  um  die  Möglich- 
keit, daß  Otto  von  Westen  her^)  auf  das  Lechfeld  vorgerückt 


schieren,  kann  man  wenigstens  vermuten.  Aus  der  Vita  Brunoms 
erfahren  wir,  daß  man  in  Lothringen  den  Einlall  der  Ungarn  be- 
fürchtete. Dies  unruhige  Grendand  zu  decken,  mag  die  erste 
Absicht  des  Königs  gewesen  sein,  die  er  aufgegeben  haben 
mag,  als  er  von^  ihrer  Konzentration  um  Augsburg  Nachricht 
erhielt* 

')  Schäfer  S.  559.  Aber  der  Umstand,  daß  Widukind  die 
Ungarn  auf  den  Lech  zu  fliehen  läßt,  darf  nicht  im  gleichen  Sinne 
verwertet  werden.  Nicht  die  Flucht  auf  den  Lech  zUi  sondern 
die  Flucht  an  der  Stadt  vorbei  auf  den  Lech  zu  ist  be- 
weisend. 

•)  Die  Angabe  von  dem  am  Tage  vor  der  Schlacht  ange- 
ordneten Fasten  und  von  dem  Beginn  des  Kampfes*  am  frühen 
Morgen  bestätigt  Ruotger,  Vita  ßrunonis  Kap.  35;  die  von  der 
Flucht  der  Ungarn  zum  Lech  Gerhard.  Die  Anwesenheit  der 
ßöhmen  erwähnen  Flodoard  und  die  Ann,  Sang,  matores;  die 
Nähe  des  Lech,  die  Größe  der  Verluste  auf  beiden  Seiten>  die 
Tapferkeit  und  den  Tod  Herzog  Konrads  zahlreiche  Quellen. 
Die  meisten  übrigen  Angaben  über  die  Schlacht  hat  Widukind 
allein. 

")  Auf  die  Nachricht  des  Simon  de  Keza,  daß  er  ^di  Ulmensi 
curia"  gekommen  sei^  würde  man  erst  Wert  legen  dürfen,  wenn 
ermittelt  wäre,  woher  sie  stammt. 


1 


Die  Schlacht  auf  dem  Lechfelde.  149 

sei,  zu  eliminieren,  noch  mit  Schäfer  aus  der  Angabe  Widu- 
kinds  über  die  Beschaffenheit  des  vom  König  beim  Marsch 
am  Morgen  des  10.  August  passierten  Geländes  bestimmtere 
Folgerungen  ziehen  dürfen. 

Die  sonstigen  Erörterungen  aber,  die  Wyneken  und  Schäfer 
über  die  Momente,  die  für  die  Ansetzung  des  Schlachtfeldes 
in  Betracht  kommen,  angestellt  haben,  scheinen  mir  über 
Möglichkeiten  und  Wahrscheinlichkeiten  nicht  hinauszu- 
kommen. Und  so  würden  wir  denn  wohl  in  der  Lage  sein, 
uns  mit  der  Feststellung,  daß  die  Schlacht  am  linken  Ufer  des 
Lech  unweit  Augsburg  stattgefunden  habe,  zu  begnügen  ^),  wenn 
wir  nicht  eine  positive  und  durchaus  glaubhafte  Angabe  be- 
säßen, die  uns  eine  genauere  Bestimmung  der  Schiachtfelder 
ermöglichte. 

Indem  DUmmler  das  Lechfeld  als  den  Ort  der  Schiacht 
betrachtet,  bezieht  er  sich  auf  das  dritte  Kapitel  der  Vita 
Udalrici^),  und  noch  bestimmter  hat  v.  Ottenthai  ^)  sich  aus- 
gedrückt, indem  er  schreibt,  daß  an  dieser  Stelle  der  Vita  das 
Schlachtfeld  am  genauesten  bezeichnet  sei.  Ottenthals  Regesten 
haben  Wyneken  noch  nicht  vorgelegen,  aber  DUmmiers  Jahr- 
bücher hat  er  gekannt,  und  er  muß  von  der  Art,  wie  Dümmler 
zu  arbeiten  pflegte,  doch  nicht  die  richtige  Vorstellung  gehabt 
haben,  wenn  er  nach  einem  Blicke  auf  den  Anfang  jenes 
Kapitels,  Dümmlers  Zitat  mit  der  Bemerkung  abweist^),  daß 
Gerhard  an  jener  Stelle  zwar  das  Lechfeld  erwähne,  aber 
nicht  in  Verbindung  mit  der  so  genannten  Schlacht.  Leider 
hat  sich  ihm  auch  Schäfer^)  angeschlossen,  der  sich  nun  auch 
gegen  Ottenthai  wendet  und  sich  nur  noch  viel  schärfer  aus- 


*)  Daß  Lampert  von  Hersfeld  (ed.  Holder-Egger  S.  36)  von 
einer  Schlacht  auf  dem  Lechfeldjspricht,  beweist,  da  seine  Quelle, 
die  verlorenen  Hersfelder  Annalen,  wahrscheinlich  nur  eine  Schlacht 
am  Lech  erwähnte,  höchstens  so  viel,  daß  es  im  11.  Jahrhundert 
eine  Tradition  von  der  Lechfeldschlacht  gab.  Daß  Lampert  die 
Stelle  der  Vita  Udalrici,  von  der  ich  gleich  rede,  im  Auge  gehabt 
habe,  ist  höchst  unwahrscheinlich. 

>)  Otto  der  Große  S.  256  N.  6. 

*)  Regesta  imp.  11,  121. 

*)  Wyneken  S.  239. 

•)  Schäfer  S.  552. 


tiO 


H.  Breslau, 


drückt,  indem  er  sagt,  daß  die  angeführte  Stelle  der  Vita  mit 
der  üngarnschlacht  schlechterdings  nichts  zu  tun  habe  und 
nur  eine  Für  die  Schlacht  ganz  bedeutungslose  Erwähnung 
des  Lechfeldes  sei.  In  Wirklichkeit  liegt  die  Sache  ganz 
anders,  und  OUmmler  und  OttenthaJ  haben  sich  mit  vollem 
Recht  auf  Gerhards  Schrift  berufen. 

In  Kapitel  J  der  Vita  wird  eine  Vision  Udalrichs  erzählt 
Eines  Nachts  erscheint  ihm  die  hl.  Afra  und  führt  ihn  auf  die 
Ebene,  die  man  zu  deutsch  Lechfeld  nennt  (Jn  campum  quem 
Lechfeiä  vuigQ  äicunt).  Hier  sieht  Udalrich  zuerst  den  hl.  Petrus, 
der  mit  Bischöfen  und  anderen  Heiligen  ein  Konzil  abhält^ 
auf  dem  Arnulf  von  Bayern  wegen  Verwüstung  vieler  Klöster 
verurteilt  wird;  Petrus  richtet  darauf  an  Udalrich  das  Wort 
und  gibt  unter  dem  Bilde  der  beiden  Schwerter,  deren  einem 
der  Griff  fehlt,  sein  oft  besprochenes  Urteil  über  die  Ablehnung 
der  Salbung  und  Krönung  durch  Heinrich  h  ab»  Nach  be- 
endetem Konzil  zeigt  die  hK  Afra  ihrem  Schützling  den  Platz 
des  Lagers,  wo  später  (im  Jahre  952,  füge  ich  hinzu)  Otto  l 
eine  königliche  Sprache  hielt  und  die  Huldigung  der  Könige 
Berengar  und  Adalhert  von  Italien  entgegennahm.  Und  nun 
heißt  es  weiter:  ^indicavUque  ei  veniuram  super^fressianem 
Ungromm  et  loca  belli  eij  quamvis  labari&se,  tarnen  nctorlam 
Christian is  concessam  esse  nunciavit^  Es  ist  also  gewiß  nicht 
richtig,  wenn  Schäfer  sagt,  daß  die  von  Diimmler  und  Otten- 
thal  angeführte  Stelle  mit  der  Ungarnschlacht  schlechterdings 
nichts  zu  tun  habe  und  für  sie  ganz  bedeutungslos  sei.  Viel- 
mehr ist  sie  für  unsere  Frage  geradezu  von  höchster  Bedeu- 
tung* Wenn  Gerhard,  der  in  Augsburg  lebende  Zeitgenosse 
Udalrichs^  die  hl*  Afra  seinem  Helden  eben  auf  dem  Lechfelde 
das  Schlachtfeld  (loca  belli)  von  955 1)  jjeigen  läßt»  so  ist 
das   ein  schlechthin   entscheidendes  Zeugnis  dafür,    daß  die 


*)  Die  Einrede,  daß  unter  Joca  beili*  nicht  das  Schlachtfeld, 
sondern  die  Stätte  der  Kämpfe  bei  der  Belagerung  von  Augs- 
burg zu  verstehen  sei,  glaube  ich  nicht  befürchten  zu  mUssen. 
Von  anderem  abgesehen  ~  um  ihm  diese  Ortüchkeit  zu  zeigen, 
brauchte  die  Heiüge  ihren  Schützling  nicht  aus  der  Stadt  heraus 
auf  das  Lechfeld  zu  führen. 


Die  Schlacht  auf  dem  Lechfelde. 


151 


Schlacht  dort  wirklich  stattgefunden  hatJ)  Und  wir  werden 
also  ruhig  fortfahren  können,  auch  in  Zukunft  von  der  üngarn- 
scblaeht  au!  dem  Lechfefde  zu  reden. 


^)  Danach  bedarf  die  Angabe  der  Ann.  Zwifaltenses,  daß  die 
Schlacht  bei  Kolital  stattgefunden  habCt  wenn  dies  auf  Kühienthai, 
25  km  nordnordwestlich  von  Augsburg,  also  eine  Ortüchkeit^  die 
man  vom  Lechfeld  aus  nicht  sehen  konnte,  belogen  werden  muß, 
jetzt  keiner  Widerlegung  mehr*  Was  der  Annalist  von  Zwiefalten 
sonst  von  der  Schlacht  weiß,  hat  er  aus  Hermann  von  Reichenau 
ausgeschrieben,  daher  denn  die  Richtigkeit  dieser  Angaben  nicht 
für  die  de»  Zusatzes  geltend  gemacht  werden  kann.  Woher  aber 
dieser  stammt,  wird  wohl  nicht  zu  ermitteln  sein,  Ist  übrigens 
die  Deutung  von  , Kolital**  auf  Kilhlenthal  ganz  sicher?  Förste- 
mann  stellt  den  Namen  zusammen  mit  Choletal,  das  in  dem 
falschen  Diplom  Heinrichs  IV.  von  1073  für  Kloster  Rott  (Stumpf 
2767)  erwähnt  wird.  Aber  diese  Zusammenstellung  ist  unrichtig; 
Choletal  steht  in  der  Güterliste  jener  Urkunde  zwischen  Walchsee 
und  PiUersee,  ist  also  sicher  das  heutige  Kohlenthal  im  tirolischen 
Bezirk  von  Kitzbuhel.  Das  heutige  Kühlenthal  scheint  im  14,  Jahr- 
hundert Kdllenthal  geheißen  zu  haben  (Mon.  Germ.  NecroL  1,501). 
—  Auch  auf  die  im  12,  Jahrhundert  zuerst  auftretende  Überliefe- 
rung, daß  das  Schlachtfeld  in  der  Nähe  des  „Gunzenl€*  gelegen 
habe,  braucht  nicht  näher  eingegangen  zu  werden.  Allerdings 
lag  dieser  heute  verschwundene  Hügel  nach  unzweifelhaften  ur- 
kundlichen Zeugnissen  auf  dem  Lechlelde,  Aber  er  befand  sich, 
wie  Steichele  gegen  Fr*  Pfeiffer  völlig  überzeugend  nachgewiesen 
hat,  auf  dem  bayerischen  Teil  des  Lechfeldes,  d.  h.  also  am  rechten 
Ufer  des  Flusses  unweit  Kissing:  und  wir  haben  gesehen,  daß 
die  Schlacht  auf  dem  schwäbischen  Lechfeld,  links  vom  Lech^ 
stattgefunden  haben  muß.  Die  Oberlieferung  könnte  vielleicht 
dadurch  entstanden  sein,  daß,  wenn  das  Reichsheer  von  Augs- 
burg aus  einen  Römerzug  antrat,  tür  den  ja  das  Lechfeld  so  oft 
der  Sammelplatz  war,  das  Hauptquartier  des  Herrschers  sich 
mehrfach  in  der  Nähe  des  Gunzenl^  befunden  haben  mag,  wie 
das  wenigstens  in  einem  Falle  ganz  sicher  nachweisbar  ist.  So 
mag  man  da,  wo  man  über  die  Ortlichkeiten  um  Augsburg  nicht 
näher  unterrichtet  war,  die  Gegend  um  den  Gunsenl^  mit  dem 
Lechfeld  schlechtweg  identifiziert  haben. 


152    R,  Koser,  Die  Reichstagageschichte  des  brand,  Oe sandten. 


Die  Reichstagsgeschichte  des  brandenburgischen 
Gesandten  Henniges. 

Zuutz  zur  Hi*i  ZeitKhrlH  %,  20ft  Anm.  2. 

Von 
R.  Koser. 

Die  Comitiologia  des  brandenburgischen  Reichstagsge- 
sandten Heinrich  v,  Henniges,  die  mir  im  Geheimen  Staats- 
archiv inzwischen  vorgelegt  worden  ist,  kennzeichnet  sich 
als  eine  streng  chronologisch  nach  Jahren  und  Monaten  ge- 
ordnete Darstellung  der  Vorgänge  und  Verhandlungen  auf 
dem  Reichstage,  für  die  Zeit  von  L662  bis  1711.  Das  umfang- 
reiche Manuskript  war  druckfertig  hergestellt.  An  eine  post- 
hume  Veröffentlichung  wird  heute  niemand  denken,  aber  der 
Spezialforscher  wird  diese  acht  handschrifthchen  Folianten  mit 
Gewinn  zu  Rate  ziehen  können  und  bei  der  Benutzung  sich 
durch  das  von  dem  Verfasser  ihnen  beigegebene  bequeme 
Sachregister  wesentlich  unterstützt  sehen.  Die  Beilagen  zu 
der  Comitiologia,  gleichfalls  nach  Jahren  geordnet,  geben 
zu  den  Reichstagsakten  des  Geheimen  Staatsarchivs  eine 
wichtige  Ergänzung.  Außerhalb  des  Rahmens  seiner  Comi- 
tiologia hat  Henniges  einzelne  Materien  (die  allgemeine  Reichs- 
verfassung 1663 — 1700,  die  Geschichte  der  neunten  Kur,  das 
Reichsmünüwesen  von  1665  bis  1692,  die  Legitimationsstreitig- 
keiten, die  Ryswicker  Klausel,  die  bayerischen  Wirren  und  die 
wittelsbachischen  Achtsprozesse  u.  a.)  in  besonderen  Schriften 
(«historischen  Berichten^)  behandelt. 


I 


Literaturbericht 


Die  hellenische  Kultur,  dargestellt  von  P.  Baamgarten«  P.  Poland« 
R.  Wagoer.  Mit  7  farbigen  Tafeln,  2  Karten  und  gegen 
400  Abbildungen  im  Text  und  auf  2  Doppeltafeln.  Berlin 
und  Leipzig,  B.  G.  Teubner.  1905.  474  S.  Geh.  8  M.,  geb. 
12  M. 

Unwillkürlich  muß  man  unsere  Jugend  beneiden,  wenn 
man  sieht,  in  welcher  Weise  ihr  heute  das  Altertum  durch 
Wort  und  Bild  nahe  gebracht  wird.  Die  vorliegende  Publi- 
kation richtet  sich  an  die  weiteren  gebildeten  Kreise  unter 
besonderer  Berücksichtigung  der  Bedürfnisse  der  oberen  Klassen 
unserer  höheren  Schulen;  unter  den  Werken,  welche  dem 
gleichen  Zwecke  dienen,  ist  das  vorliegende  zweifellos  inhalt- 
lich eines  der  gediegensten  und  äußerlich  vielleicht  das  am 
glänzendsten  ausgestattete.  Es  umfaßt  die  Zeit  bis  Alexander 
und  soll  in  einem  zweiten  Bande  die  Kultur  des  Hellenismus 
und  des  Römervolks  bringen ;  doch  erscheint  dieser  erste  Band 
zunächst  für  sich  allein  und  völlig  abgeschlossen.  Den  Text 
wird  auch  der  Fachmann  mit  Interesse  —  denn  er  hält  sich 
fast  ganz  von  Pedanterien  frei  —  und  nicht  ohne  mehrfache 
Anregung  lesen,  die  Fülle  der  Reproduktionen  in  ihrer  Ver- 
einigung (z.  B.  die  beiden  Dornauszieher)  wird  er  mit  Dank 
benutzen.  Bis  in  die  letzten  Zeiten  ist  das  Fundmaterial  aus- 
genutzt, auch  der  Hermes  des  Alkamenes  aus  Pergamon,  der 
jetzt  so  unglücklich  wie  möglich  im  Tschinili-Kiosk  aufgestellt 
ist,  hat  schon  Aufnahme  gefunden.  Das  Buch  wird  gewiß  bald 
eine  zweite  Auflage  erleben,  dafür  möchte  ich  ein  paar  Be- 
merkungen anfügen.   Die  Stellung  der  homerischen  Kultur  zur 

Hittorische  Zeittclirift  (97.  Bd.)  3.  Folge  1.  Bd.  10** 


I 


154  ^^^^F         Literaturben  cht, 

sog«  inykeniscben  scheint  mir  doch  zu  eng  angenommen ;  vor 
allem  soll  man  zwischen  Kreta  und  der  Argohs  scheiden;  der 
Differenzen  sind  zu  viele  und  zu  starke-  Man  kann  für  unsern 
Homer  sicher  nur  den  Beziehungen  zum  argolischen  Zweige  der 
alten  Mittelmeerkultur  nachgehen;  das  wird  sich  je  länger  je 
mehr  herausstellen.  Übrigens  ist  die  Behauptung,  daß  unsere  ■ 
Schrift  die  nur  wenig  von  den  Phönikem  verbesserte  Schrift 
der  mykentschen  Epoche  sei,  doch  sehr  gewagt;  zu  beweisen 
ist  sie  bis  jetzt  wenigstens  nicht*  Die  Diodorstetle  (V,  74), 
die  Evans  am  Schlüsse  seiner  Sonderausgabe  der  Cretan  Picto- 
graphes  (S,  10^)  nachträglich  anführte  —  denn  auf  sie  ist  doch 
wohl  S,  39  hingedeutet  —  sollte  aus  der  Diskussion  aus- 
scheiden; die  Quellen  sind  hier  doch  zu  bedenklich.  —  Für  eine  - 
Darstellung  einer  Kultur  treten  meines  Erachtens  die  Wirtschaft-  f 
liehen  Momente,  die  doch  zu  den  bestimmendsten  Kulturfaktoren 
'  gehören,  etwas  sehr  zurück;  und  dieser  Mangel  läßt  sich  nicht 

etwa  mit  pädagogischen  Rücksichten  entschuldigen^  welche  wohl 
'  in  der  Darstellung  der  Staatsverfassung  last  einzig  Athen  ins 

\  Gesichtsfeld   gezogen   hat     In  der  Literaturgeschichte   kommt 

I  Archilochos  in  seiner  Bedeutung  zu  kurz  gegen  Tyrtaios  oder     1 

Mimnermos  fort;  Kallinos  konnte  jenem  ganz  seinen  Platz  ein- 
I  räumen.     Die  Lyrikerzitate   sollten    mit  den   neuen,   besseren 

I  Texten  in  Übereinklang  gesetzt  sein*   Wenn  Isokrates'  Reden     1 

politische  Leitartikel  genannt  werden,   so  muß  ich  wohl  unter 
Leitartikel  etwas   anderes  verstehen   als  der  Bearbeiter  dieses 
Abschnittes.   Wozu  die  zehn  Redner  aufzählen,  wenn  man  von    ■ 
\  Andokides  z*  B.  nichts  Wirkliches  sagt?   Unrichtig  ist  es«  den 

bestialischen  Kerl  aus  dem  Thermenmuseum  wie  eine  Illustra- 
tion zu  Pindars  Faustkämpfern  unter  Pindar  einzurücken*  Da 
I  gehört   eine    polykletische   Gestalt    oder    ein    entsprechendes 

Vasen  bild  hin.  Das  Bild  von  Olympia  (Nr.  9)  ist  wenig  charak- 
teristisch; der  Kronoshügel  muß  in  den  Mittelpunkt,  dafür 
weniger  verschwimmendes  Vorfeld.  Die  Rekonstruktion  von 
Delphi  auf  dem  Beiblatt  macht  sich  ja  malerischer  und  voller 
als  die  bei  Luckenbach,  Olympia  und  Delphi,  ist  aber  lange 
nicht  so  klar  und  instruktiv  wie  diese.  Endlich  noch  einen 
Wunsch:  fort  mit  den  Feigenblättern,  Wahre  Ausrufungszeichen 
hat  man  hingemalt,  damit  die  Phantasie  der  Jugend  erst  recht 
auf  das  gelenkt  wird,  wovon   man   sie  ablenken  wüK     Weder 


1 


Alte  Geschichte;  Altchristliches» 


155 


der  Apoxyoinenos  aus  Ephesos  noch  der  Ephebe  von  Anti- 
kythera  trugen  in  diesem  Frühjahr  (1905)  diese  Schandmale: 
W02U  hier?  Das  Buch  ist  doch  für  junge  Leute  bestimmt^  die 
in  die  Museen  gehen  sollen  und  für  deren  Museumsbesuch 
die  antiken  Statuen  nicht  erst  jeweilig  mit  Badehosen  versehen 
werden.  Und  wenn  doch  noch  Konsequenz  herrschte;  aber 
Harmodios  und  Aristogeiton  und  der  Hermes  des  Praxiteles 
erscheinen,  wie  Gott  und  Künstler  den  Menschen  bilden»  Doch 
genug  der  Einzelheiten.  Ich  habe  nur  etwas  Staub  wischen 
wollen,  um  auf  Stellen  zu  deuten,  wo  vielleicht  auch  noch 
der  Besen  zu  tun  haben  könnte.  Dem  Gesamturteil  geschieht 
damit  kein  Abbruch:  das  Buch  ist  gut  und  ertreulich  und 
seinem  Zweck  entsprechend. 

Straßburg  i,  E,  ßruna  Keii. 


Jesus,  wer  er  geschichtlich  war.  Von  Arno  Neymafln.  Freiburg 
u  B.  und  Leipzig,  P.  Waetzel.     1904    3,20  M* 

Die  Giekhniase  Jesu,  Von  !!•  WeineL  —  Aus  der  Werdezeit  des 
Christentums.  Von  J.  GefiTcken*  Leipzig,  Teubner.  1901. 
(Aus  Natur  und  Geisteswelt    Bd.  46  u.  54.)    Je  1,25  M. 

Drei  lür  weitere  Kreise  berechnete  Darstellungen  aus  der 
Entstehungszeit  der  christlichen  Religion^  doch  alle  drei  keines- 
wegs bloße  Popularisierung  von  längst  Bekanntem  ;oder  gar 
Anerkanntem^  sondern  aus  griindlicher  Beschäftigung  mit  den 
Quellen  erwachsen  und  selbständig  nach  Form  wie  Inhalt. 
Neumann  bemüht  sich  um  eine  Zusammenschau  der  Ergeb- 
nisse aus  der  Leben -Jesu- Forschung  der  letzten  Generation, 
flicht  möglichst  vollständig,  um  die  Selbstprüfung  zu  ermög- 
lichen, das  biblische  Quellenmaterial  ein;  am  engsten  ange- 
schlossen hat  er  sich  an  P,  W.  Schmiedel.  Ohne  alles  dog- 
matische Vorurteil,  in  geschichtlicher  Kritik  gut  geschult,  dabei 
mit  liebevollem  Verständnis  für  den  Mann,  dessen  Lebens- 
morgen, Tagewerk  und  jähen  Abend  er  schildern  will,  aus- 
gerüstet, zeichnet  er  ein  Bild  der  evangelischen  Geschichte, 
in  dem  ich  nur  ein  paar  Züge  entschieden  beanstanden  wurde, 
weniges  vermisse  —  in  den  Abschnitten  über  Jesu  Verkündi- 
gung^, vieles  mit  Freuden  begrüße.  Selten  begegnen  Irrtumer, 
wie  S.  S3,  wo  Herodias  als  Weib  des  Philtppus  erscheint,  der 
doch  vielmehr  ihre  Tochter  geheiratet  hat,  oder  S.  78,  wonach 


156  Llteraturberfcht 

fast  alle  kritischen  Theologen  das  Messiasbewußtsein  in  Jesu 
schon  bei  seiner  Taufe  entstanden  sein  lassen.  Was  mir  in 
einigen  Partien  minder  gefällt,  hängt  von  Geschmtcksdifferenzen 
ab;  der  Vf.  reflektiert  etwas  reichlich  über  seine  schriftstelle* 
fischen  Hoffnungen,  Befürchtungen  und  Wünsche,  über  Mängel 
z,  B.  des  heutigen  Schulunterrichts  und  im  Betrieb  unserer 
inneren  Mission;  die  „Summa**  S.  193  bis  198  verläßt  ganz  den 
Boden  der  Geschichtschreibung  und  bietet  eine  pädagogische 
Predigt.  I 

Als  eine  feine  Ergänzung  zu  N.  könnte  Weinel  verwertet 

werden  mit  seiner  Darstellung  von  Jesu  Seelenleben,  denn  dazu 

weitet  sich  seine  Studie  aus,    nachdem   sie  Gleichnisse  und    ■ 

Bildreden   im  allgemeinen,   darauf  das  Wesen  der  Gleichnisse 

Jesu  und  ihre  Überlieferung  erörtert  hat.     fn  dem  Bilde,   das 

er  111,9  bis  IV,  3  (S.  61  bis  80)  von  Jesu  als  Gleichnisdichter 

zeichnet,  fehlen  überhaupt  keine  wesentlichen  2üge  Jesu;  und 

der  Hauch  halb  künstlerischen  halb  religiösen  Mitempfindens, 

der  über  dieser  Zeichnung  liegt,  hat  keine  Spur  von  Aufdring- 

j  lichkeit.     Die   Beigabe    der    korrekt    verdeutschten    Gleichnis- 

I  texte  wird  als  Hilfsmittel  zur  Nachprüfung  dem  Nichtf achmann 

wülkommen   sein ;    auf   das  dabei    befolgte  Einteilungsprinzip, 

nach  der  nachweisbaren  oder  vermuteten  ältesten  Übersetzung; 

I  würde  ich  weniger  Gewicht  legen. 

Den  mannigfaltigsten  Stoff  hat  Geffcken  verarbeitet.    Es 
fehlt  auch  bei   ihm  nicht  an  Beiträgen   zur  evangelischen  Ge- 
schichte, sein  Thema  ist  doch  aber  die  Werdezeit  des  Christen* 
tums.   So  schildert  er  die  religiöse  Prädisposition  der  antiken 
^  Welt  für  die  neue  Religion,  die  enthusiastischen  Erscheinungen 

I  (Apokalypsen,  Sibylle),  die  ihm  für  das  Christentum  und  nicht 

I  bloß  für  das  der  ältesten  Zeit   besonders   charakteristisch  er- 

scheinen ,   er  schildert  die  Verfolgungen   und  die  literarischen 
:  Kämpfe  zwischen  Christen  und  Heiden,  hier  bis  auf  Augustin 

'  herabgehend;   zum  Schluß  bietet   er  eine   religionsgeschicht- 

'  liehe  Skizze  im  großen  Stil    „Orient    und  Okzident   im   alten 

I  Christentum'',  wo   uns   das   letzte  Wort   dargereicht  wird:   es 

war  die  religiöse  Aktion  des  Orients,  die  den  ganzen  Westen 
bezwang,  die  auch  dem  Christentum  zu  seinen  ersten  Siegen 
verhaif,  gegen  die  sich  aber  bald  der  okzidentalische  Geist 
der  Kirchenväter   mit   aller  Energie   aufgelehnt  und  einen  ge- 


AltchristÜches;  Araber* 


!57 


wissen  griechischen  Rationalismus  durchgesetzt  hat.  Für  tSit 
Kirchengeschichtc  ist  diese  schlechthjnnige  Beifügung  des 
Griechentums  zum  Okzident  sehr  unbequem.  Der  Orient  erhalt 
last  die  Züg^  des  biblischen  Drachen.  Auch  sonst  werden 
die  Gegensätze  etwas  schroff  fixiert,  die  Striche  möglichst  dick 
gezogen  und  höchste  Skepsis  wechselt  mit  starker  Gläubigkeit 
ab.  Aber  der  Vf.  schreibt  in  der  glücklichen  Zuversicht,  es 
bei  der  Betrachtung  des  Christentums  leichter  zu  haben  als 
ein  Theolog,  der  meist  den  Ausgangspunkt  bei  Christus  nehme 
und  seine  Kreise  konzentrisch  ziehe. 

Das  Interesse  für  die  Jugendzeit  der  Kirche  zu  erwecken 
ist  G.s  Büchlein  vorzüglich  geeignet;  stimulierend,  bisweilen 
ecfiauffterend  wird  es  auf  die  Fertigen  wirken,  immer  aber  heil- 
sam, wofern  nur  der  Leser  nicht  vergißt,  daß  der  Vf.  das  Neue 
und  Hypothetische  kräftiger  herauszuheben  liebt  als  das  all- 
gemein oder  doch  mit  gutem  Grund  überwiegend  Anerkannte* 

Marburg.  A.  JiiUcker. 


Hisiary  of  the  Moorish  Empire  in  Ettrope  by  S*  /*♦  Scotts  author 
of ,  Traugh  Spain'.  Philadelphia j  London ,  J,  B.  LippincoH 
Company,  1904.  L  2  u,  761  S.;  IK  9  u.  686  S.;  III.  9  u.  6%  S. 
3  voL 

Obwohl  der  Vi  seine  PubUkatlon  an  dtn  älteren  Werken 
seiner  Landsleute  W*  Irving  und  W,  H*  Preseott  mißt  (I^  S.  Vt)» 
möchte  ich  sie  für  Europäer  lieber  mit  der  bekannten,  fmn- 
zösisch  und  deutsch  erschienenen  Geschichte  des  Niederländers 
R.  Dozy  vergleichen.  Umfänglich  geht  Scott  erheblich  über 
Dozy  hinaus.  Während  Dozy  uns  nur  bis  zum  Aufkommen 
der  Almoraviden  führt,  beschreibt  S.  von  Arabien  und  dem 
Islam  ausgehend  die  Eroberung  des  Maghrib,  in  Spanien  die 
Zeit  der  Westgoten,  der  arabischen  Emire,  das  Chalifat,  die 
Reyes  de  Taifas,  die  Almoraviden,  die  Almohaden  und  so  fort 
bis  zum  Falle  von  Granada,  ferner  Araber  und  Normannen  in 
Sizilien  und  die  Berührungen  der  Araber  mit  Frankreich,  end- 
lich (Bd.  3)  die  geistige  und  materielle  Kultur  jener  Epoche 
bis  auf  Ackerbau,  Handel «  Spiele,  Vergnügungen  und  die 
soziale  Lage  der  Juden,  Christen  und  Moriskos.  Anders  stellt 
sich  das  innere  Verhältnis  der  beiden  Autoren.  Dozy  geht 
Immer  auf  die  ersten  Quellen  zurück  und  sucht  den  höchsten 


158 


LHeraturbe  licht. 


Aufgaben  des  Historikers  gerecht  zu  werden.  S.  hält  sich, 
wenigstens  was  die  islamischen  Dinge  angeht,  Überwiegend 
an  abgeleitete,  zum  Teil  antiquierte  Darstellungen  und  glaubt 
sich  nicht  an  die  Taciteische  Forderung  gebunden.  Er  schreibt 
mit  Begeisterung,  ja  stellenweise  mit  Leidenschaft.  Zwei  Stim- 
mungen scheinen  ihn  durchweg  zu  beherrschen :  Bewunderung 
der  arabischen  Kultur  und  der  Ingrimm  des  aufgeklärten  Pro- 
testanten gegen  die  geistige  Macht,  der  Spanien  seit  Jahrhun- 
derten verfallen  ist  Man  darf  sich  nicht  wundern,  wenn  sich 
hieraus  Übertreibungen,  schiefe  und  einseitige  Urteile  ergeben. 
So  die  Sätze :  Modern  sciencB  unquesfionably  owes  everything  h 
Ar  ab  genius  (III,  532)  oder:  the  gen  ms  of  ihe  Mastern  supericr 
to  those  o/ all  kis preäecessors  (l\[,  blb)  oder:  ih(Arab)  civili- 
zation,  whick  surpasseä  the  spienäars  of  Imperial  Rome  (III,  683). 
Gerne  hebe  ich  hervor«  daß  S.,  dank  ethnographischer  Bildung, 
gewisse  auch  bei  uns  meist  verkannte  orientalische  Gepflogen- 
heiten verständig  beurteilt,  z.  B.  lllj  658*  Der  Islam  wird  im 
ganzen  richtig  und  nüchtern  beurteilt,  die  Geschichte  des 
Propheten  aber  mit  allen  Zutaten  der  Legende  kritiklos  weiter- 
erzählt. Das  Arabertum  wird  unrichtig  mit  Nomadentum  identi- 
fiziert und  komplizierte  Verhältnisse  späterer  Zeiten  einseitig 
aus  nomadischen  Verhältnissen  erklärt  (III,  676.  672.  647.  637; 
1,  201).  Verkehrt  ist  es  auch»  bei  einem  Manne  wie  Ihn  Tumart 
nur  von  Jmposture''  zu  sprechen  (11, 252).  Der  spanische  Dinar 
wird  III,  6 J6  treffend  mit  zwei  Dollars  angesetzt;  danach  sind 
aber  die  I,  614.  618  gemachten  Angaben  zu  berichtigen.  Die 
in  Skandinavien  und  Sarmatien  gemachten  Funde  spanisch- 
arabischer Münzen  sind  kein  schlagender  Beweis  für  direkte 
Handelsbeziehungen  jener  Länder  (zu  III,  620,  vgl,  II,  251).  Die 
Seife  ist  nicht  eine  Erfindung  der  Araber,  sondern  Sache  und 
Name  sind  aus  dem  Römerreiche  zu  den  Arabern  gedrungen 
(zu  III,  644).  Der  semitische  Ursprung  der  Berbern  (l,  136) 
ist  eine  von  den  Arabern  selbst  erkannte  Lüge.  Die  IIL  674.  106 
gemachten  Angaben  über  Zahl  der  Muslime  sind  zu  niedrig 
gegriffen.  Leider  wird  hier  auch  die  Verbrennung  der  alexandri- 
nischen  Bibliothek  durch  Amr  wiedererzählt  (III,  436.  439.  675), 
Jslam  bedeutet  nicht  „Friede"  (L  113),  sondern  Hingebung. 
I,  11  Z.  4  L  easiern  für  wesiern  1,  372  besser  Amana ;  L  ^^7 
1.  Najda;  II,  254-  257  L  Tinmelel;  II,  249  Alexandrien  für  Kairo; 


I 


Araber;  Frankreich. 


im 


111,  548  fusel/isa  für  soseißsa.  Aber  bei  den  Mängeln  und  Ver- 
sehen ist  das  Werk,  eine  Arbeit  von  20  Jahren,  eine  wertvolle 
Bereicherung  der  Literatur  dieses  Gebiets^  besonders  für  Leser 
englischer  Zunge. 

Jena.  /T,  Völlers. 


Documenta  relaiifs  au  comt^  de  Champagne  et  de  Brie  1172 — 1361, 

pubiUs  par  Aagaste  Loßgnoa*     Tarne  II:  Le  äomaine 

^^^  com  tat.    Paris,  Imprimerie  nationale,    1904.    L  u.  743  S,  4\ 

^^K^  (CoUection  de  doc.  in^dlts.) 

^^B  Die  hohe  Anerkennung,  die  dem  ersten  auf  die  Lehen 
^^niezUgltchen  Bande  dieser  Publikation  zu  zollen  war  (Histi 
^^f  Zeitschr,  Bd.  92,  S.  328),  verdient  der  zweite,  der  die  gleich- 
f  zeitigen  Aufzeichnungen  über  die  eigenen  Besitzungen  und 
^^L Einkünfte  des  Landesherm  umfaßt,  in  gleichem  Maße.  Das 
■«wichtigste  und  zugleich  umfangreichste  Stück,  das  er  enthält, 
ist  die  ^Ententa  {=  Aufnahme,  Wertfeststellung)  terre  comltaiiis 
Campanie  et  Brie',  die  nun  zuerst  in  trefflicher  Ausgabe  vor- 
liegt, nachdem  durch  Forscher  wie  Bourquelot,  Lef^vre  und 
d'Arbots  de  Jubainville  die  Aufmerksamkeit  der  gelehrten  Welt 
seit  langem  schon  auf  dies  wertvolle  Register  gelenkt  war 
(merkwürdigerweise  redet  der  Herausgeber  nur  von  der  Be- 
nutzung der  Enienia  in  Bourquelots  Nistoireäe  provins  und  laßt 
desselben  Vf.  Eiuäes  sur  les  faires  de  Champagne  unerwähnt). 
Die  Zeit,  in  der  diese  « Aufnahme'*  unter  Mitwirkung  der  an* 
gesehensten  Ortskundigen  für  die  50  Präposituren  der  4  Balleien 
der  Grafschaft,  Troyes,  Provins,  Vitry  und  Chaumont,  erfolgt 
ist»  läßt  sich  genau  auf  die  drei  ersten  Jahre  der  Regentschaft 
Edmunds  von  Lancaster,  des  zweiten  Gemahls  der  Bianca 
von  Artois,  Mutter  und  Vormunden n  der  Johanna  von  Navarra, 
bestimmen  (1276 — 1278).  Über  die  Provinzialgeschichte  hinaus- 
reichende Bedeutung  gewinnt  die  Ententa  besonders  dadurch, 
daß  sie  sich  auch  auf  die  drei  wichtigen  Meßplätze  der 
Champagne,  Provins,  Troyes  und  Bar  s.  A.,  erstreckt.  So  er- 
fahren wir  z.  B.  jetzt,  daß  der  Pachtertrag  aus  dem  ,äomu$ 
Altemanorum  in  qua  tele  vendunttir^  für  die  heiße  und  kalte 
Messe  von  Troyes  auf  Jährlich  300  Ib.  (rd.  6800  M,)  geschätzt 
wurde  (S.  II);  wir  hören  von  einem  Arnulf  und  einem  Coletus 
von   Mainz   (S.  1 1  u,  70)  und  begegnen   in  Bar  schon  jetzt 


t60 


Ltteraturbericht, 


dem  Hause  von  BaseH),  das  freilich  nur  1^/4  tb.  brachte, 
während  der  Graf  aus  dem  Hause  von  Marseille  daselbst  10  Ib. 
und  aus  dem  Hause  von  Cambrai  zu  Provins^  wenn  die  17  Städte 
der  flandrischen  Hansa  zur  Maimesse  kamen,  61b.  beBOg(S.  170 
und  70).  Die  Jahreseinnahme  aus  dem  Turm  von  Provins, 
der  als  Gefängnis  diente,  nahm  man  au!  durchschnittlich  100  Ib. 
an;  der  Gefangene  hatte  ein  Eintrittsgeld  von  2  den*  (etwa 
20  Pf.)  und  ebensoviel  täglich  für  Bewachung  zu  zahlen ;  Uefl 
er  sich  vom  Kastellan  ein  Bett  besorgen^  so  kostete  das  pro 
Tag  3  den*;  Diener  des  Gefangenen  waren  von  der  Entrichtung 
der  Bewachungsgebühr  frei,  auch,  wie  es  ganz  unbefangen 
heißt,  bei  den  Juden,  qui  capiuniur  non  causa  maie/lUi,  seä 
quia  daminas  vuU  exigere  pecuniam  ab  eis  (S*  68).  Doch  das 
sind  nur  Proben,  die  dartun  sollen,  welch  reicher  Gewinn  der 
Kulturgeschichte  auch  von   diesem  Bande   in  Aussicht  steht. 

Brieg.  Adolf  Schaute, 


Ge&rges  Weilt,  HUtoire  du  mouvemeni  social  en  France  (1832  ä 
1902),    Paris,  F.  Äican.     1905.    494  S. 

«/*  TschttBOffß  Associathns  et  socUtis  secrites  saus  la  deitxUme 
Ripublique  (1848— 1851),  d'apris  les  docaments  inidits. 
Paris,  F,  Alcan,    1905.    3%  S. 

Der  erstgenannte  Verfasser,  dem  wir  bereits  eine  Reihe  von 
tüchtigen  Beiträgen  zur  zeitgenössischen  Geschichte  Frank- 
reichs verdanken,  bat  in  gegenwärtiger  Schrift  die  Schilderung 
der  allmählichen  Entwicklung  der  sozialen  Frage,  nach  dem 
Staatsstreich  vom  2,  Dezember^  im  neuen  Kaiserreich  und 
unter  der  dritten  Republik,  bis  auf  die  Gegenwart  unternom- 
men. Bekanntlieh  hatte  schon  der  Gefangene  von  Harn,  nach 
dem  verunglückten  Putsch  von  Boulogne,  seine  Mußestunden 
mit  allerlei  Grübeleien  über  das  gesellschaftliche  Elend  be* 
schäftigt  und  schon  vor  1848  eine  besondere  Flugschrift»  de 


0  Vgl.  Schulte,  Geachichte  des  mitteblterlichen  Handels  und 
Verkehrs  1,  162.  Zu  S.  165  sei  bemerkt,  daß  sich  jetzt  aus  der 
Quelle  selbst  ergibt,  daß  die  heiße  Messe  in  Troyes  jährlich 
1000  Ib.  abwarf,  nicht  1300  Ib*,  wie  Bourquelot  irrtümlich  ange- 
geben hat. 


Frankreich.  161 

Vextinction  du  paupirisme  veröflentlicht.  Nach  der  politischen 
Knechtung  der  Republikaner  und  der  liberalen  Royalisten  hat 
dann  Napoleon  III.  in  der  Tat  durch  allerlei  neue  Gesetze, 
Gründung  von  Arbeiterkassen,  große  staatliche  Unterneh- 
mungen usw.  das  materielle  Los  der  arbeitenden  Klassen  zu 
verbessern  gesucht.  Die  Theoretiker  des  neuen  Cäsarismus 
haben  nicht  wenig  dazu  beigetragen,  die  städtische  classe  ouvrUre 
(denn  vom  konservativen  Bauern  erwartete  man  keine  Gefahr, 
zumal  solange  Kaisertum  und  Kirche  freundschaftlich  dieselben 
Wege  wandelten)  zu  immer  beträchtlicheren  Massen,  beson- 
ders in  der  Hauptstadt,  anschwellen  zu  lassen,  und  ihr  zu- 
gleich das  Bewußtsein  ihrer  Macht  im  Lande  des  allgemeinen 
Stimmrechts  allmählich  beizubringen.  Neben  ihnen  traten  dann 
die  liberalen  Vertreter  des  Staatsgedankens  und  der  Staats- 
hilfe, ein  Jules  Simon,  ein  Vacherot,  ein  Dupont-White  und 
andere,  in  die  Debatte  ein;  noch  später  meldet  sich  auch  der 
ältere  Sozialismus  wieder  mit  Proudhon  zum  Worte,  und 
schließlich  entwickeln  sich  auch  die  ersten  Anfänge  des  Kol- 
lektivismus. Nach  dem  italienischen  Feldzug  (ums  Jahr  1860) 
zeigen  sich  allenthalben  die  Symptome  einer  erwachenden, 
radikalen  Strömung  gegen  Staat,  Kirche  und  Kapital  Um  die 
Arbeiter  zurückzuhalten  oder  zurückzugewinnen,  entschließt 
sich  die  Regierung  im  Jahre  1864  zur  Gewährung  einer  aller- 
dings vielfach  verklausulierten  Freiheit  der  Ausstände,  ein 
erster  Schritt  zur  Emanzipation.  Trotzdem  schließen  sich  die 
Arbeitergruppen  überall  an  die  liberale  und  die  republikanische 
Opposition  an,  und  geraten  so  immer  mehr  in  Zwiespalt  mit 
dem  kaiserlichen  Regime.  Nach  dem  Krieg  und  der  Kommune 
haben  die  Arbeiter  dann  eine  Zeitlang  die  eigentliche  Politik 
satt;  die  Kirche  sucht  ihre  Anhänger  unter  denselben  in  den 
Cercles  catholiques  zu  vereinigen ;  die  anderen  werfen  sich  in 
die  neue  Bewegung  zur  Gründung  von  Arbeitersyndikaten 
hinein,  und  um  ihrer  Unterstützung  bei  den  Wahlen  nicht  zu 
entbehren,  läßt  Waldeck-Rousseau  in  den  Kammern  das  be- 
kannte Gesetz  von  1884  über  die  freie  Bildung  der  Syndikate 
beraten  und  trotz  des  Widerstandes  der  Konservativen  zur 
Annahme  gelangen.  Das  hilft  aber  nur  eine  Weile,  dann  be- 
ginnt der  Kampf  gegen  die  opportunistische  und  selbst  gegen 
die   radikale  Bourgeoisie  von  neuem.    Im  Schöße   der  sozia- 

HistoriBche  Zeitschrift  (97.  Bd.)  3.  Folge  1.  Bd.  11 


162 


.iferaturbencht 


tistischen  Partei  selber  kommt  es  zu  immer  häufigeren  und 
schrofferen  Spaltungen;  während  die  parlamentarischen  Sozia- 
listen (mit  Millerand  und  Jaur^s)  sich  zeitweilig  dazu  ver- 
stehen«  als  linker  Flüge!  der  Regierungspartei  zu  figurieren, 
ja  selbst  einen  Vertreter  ins  Ministerium  der  concentrathn 
r^pu tiicaine  ^^nden,  wenden  sich  die  revolutionären  Anarchisten 
immer  weiter  nach  Unks  ab,  um  die  i,Propaganda  der  Tat*  zu 
predigen  und  bei  Gelegenheit  auch  durchzuführen. i)  So  ziehen 
in  buntem  Wechsel  Theorien  und  Menschen  an  unserm  Auge 
vorüber»  wobei  der  VI,  mehr  referierend  als  kritisch  beurteitendt 
in  voller  Unparteilichkeit  den  streitenden  Parteiführern  gerecht 
zu  werden  sich  bestrebt  und  ihre  Tätigkeit  auf  parlamentari- 
schem Gebiet  und  in  der  Praxis  (da,  wo  bereits  Resultate  er- 
zielt worden  sind)  anerkennend  schildert.  Ohne  übertriebenen 
Optimismus,  zeigt  er  doch,  daß  durch  die  gemeinsame  Arbeit 
aller  Parteien  zur  Linderung  der  sozialen  Mißstände  gar 
manches  schon  geschehen,  daß  die  freiwillige  und  die 
staatlich  geforderte  Verbindung  der  Kräfte  der  Gesamtheit 
und  des  Individuums,  des  Parlaments,  der  Vereine,  der  Freien 
Presse  usw.  noch  gar  vieles  bessern  könnte  und  daß  voraus- 
sichtlich auch  durch  immer  zahlreicheren  Anschluß  der  Intelli- 
genz in  den  bürgerlichen  Klassen  an  eine  energische  Reform- 
partei neue  Erfolge  in  naher  Aussicht  stehen,  der  sicherste, 
ja  der  einzige  Weg  um  der  eigentlichen  Umsturzpartei  den 
Boden  unter  den  Füßen  zu  entziehen. 

Chronologisch  hätte  das  Werk  Tschernoffs  dem  Weillschen 
Buche  vorangesteüt  werden  sollen,  da  es  die  Geschichte  der 
Vereine  und  geheimen  Gesellschaften  unter  der  zweiten  Re- 
publik behandelt.  Aber  es  bietet  uns  eben  keine  Erzählung, 
keine  Schilderung  der  Ideen  und  Parteien,  die  diese  Verbände 
gestiftet,  sondern  mehr  nur  eine  Sammlung  von  Aktenstücken, 
allerdings  teilweise  recht  interessanten  Inhalts«  Es  ist  die 
Fortsetzung  einer  früheren  Arbeit  des  Verfassers  Le  parii  r4- 


*)  Das  Bucfi  W.s  reicht  bis  zum  Jahre  1902;  die  kaleido- 
skopischen Veränderungen  innerhalb  der  sozialistischen  Partei  in 
Frankreich  vollziehen  steh  aber  mit  einer  solchen  Schnelligkett, 
daß  bereits  wieder  einige  Kapitel  nötig  wä^ren,  ihre  Geschichte 
bis  zum  heutigen  Tage  fortzuführen. 


Frankreich ;  ntallen. 


163 


pubUcain  saus  la  monarckie  de  Juillei  (1901)  und  kann  zugleich 
auch  als  eine  Aktenbeilage  zu  W.s  Schrift  Misioin  du  parli 
räpubiicain  in  France  {\%\A—\%1Ü)  betrachtet  werden.  Es  ent- 
halt eine  Fülle  von  merkwürdigen  Belegen»  wie  eine  reak- 
tionäre Regierung  es  im  Beginn  der  fünfziger  Jahre  verstand, 
nicht  allein  die  Klubs  und  politischen  Vereine,  sondern  auch 
die  harmlosesten  Hilfsgesetlsc haften,  selbst  solche,  an  denen 
die  konservative  Bourgeoisie  beteiligt  war,  als  geheime  Gesell* 
Schäften  zu  verpönen  und  zu  schließen.  Das  Material  ist  dem 
Archiv  des  Justizministeriums  und  dem  Nationalarchiv  ent- 
nommeHj  meist  Berichte  der  Generalprokuratoren  an  den 
Appellhöfen,  aus  den  Jahren  1850 — 1851;  darunter  ist  beson- 
ders ein  aligemeinerv  im  Ministerium  am  L  Dezember  (dem 
Vorabend  des  Staatsstreichs)  aufgestellter  Bericht  zu  erwähnen, 
dessen  Ausführungen  uns  das  ganze  Land  wie  von  einem 
dichten  Netze  geheimer  Verbindungen  überspannt  zeigen, 
welche,  den  Zentralkomitees  von  Paris  und  London  gehorchend, 
bereit  stehen,  die  Regierung  und  die  bestehende  Gesellschalt 
nicht  allein  in  Frankreich,  sondern  in  ganz  Europa  zu  stürzen 
(S,  279 — 387)-  Offenbar  als  historisches  Dokument  mit  aller 
gehörigen  Skepsis  zn  benutzen,  aber  recht  belehrend  für  die 
Art  und  Weise,  wie  die  Regierung  Louis  ßonapartes  die 
besitzenden  Klassen  zu  erschrecken,  und  durch  diesen 
Schrecken  für  den  ihrerseits  geplanten  Umsturz  zu  gewinnen 
suchte.  R. 


Federico  Cic€mglioB€f  Manuale  äi  storia  dei  äiritto  itaUano, 
2  Bde,  Milano,  Dr.  Francesco  Vaiiardt,  s.o.  XII  u,  482S,; 
VIII  u*  512  S.    (Bibiloieca  giundica  contemporanea.) 

Der  Vf.,  der  um  die  italienische  Rechtsgeschichte  nicht 
ohne  Verdienste  ist,  hat  seinen  Stoff  in  vier  Bücher  gegliedert* 
tm  ersten  werden  einleitend:  /  faUori  ddla  cmliä  odierna 
(römisches,  christliches^  germanisches  Element)  in  Kürze  be- 
handelt; die  drei  folgenden  sind  den  drei  Hauptepochen  der 
Rechtsgeschichte  gewidmet,  die  der  Vf.  als  Epaca  det  dirilio 
volgare,  sdenii/ico  und  codificato  unterscheidet,  wobei  die 
Bildung  der  Kommunen  und  die  französische  Revofution  als 
Grenzpunkte  angenommen  werden.  Daß  es  ein  glücklicher 
Gedanke  war,  in  dieser  Weise  in  der  zweiten  Epoche  sieben 

II* 


i64 


Literahirbertcht 


Jahrhunderte  zusammenzufassen ^  daß  insbesondere  für  die 
Rechtsentwicklung  im  12.  und  13.  Jahrhundert  das  wissen- 
schaftliche Moment  irgendwie  als  kennzeichnend  angesehen 
werden  kann,  wird  billig  zu  bezweifeln  sein.  FUr  jede  der 
drei  Ejsochen,  von  denen  die  letzte  nur  als  kurzer  Anhang 
erscheint,  werden  in  fünf  Teilen:  Gestaltung  der  Staaten, 
Rechtsqueilen,  Rechtsschulen  und  Rechtsstudium,  öffentliches 
Recht  und  Privatrecht  behandelt 

Den  einzelnen  Kapiteln  oder  ihren  Unterabteilungen  ist 
eine  ziemlich  reichhaltige  Bibliographie  vorangeschickt,  deren 
Zusammenstellung  für  sich  allein  schon  sehr  verdienstlich  sein 
würde»  wenn  sie  nicht  an  erheblichen  Mängeln  litte.  Eine 
Einführung  in  die  wichtigsten  Quellen  erster  Hand  scheint  der 
Vf.  Überhaupt  nicht  als  Aufgabe  seines  Handbuchs  angesehen 
zu  haben ;  nur  gelegentlich  einmal  und  ohne  jedes  System 
werden  solche  erwähnt.  Aus  diesem  Handbuch  erfährt  der 
Leser  nichts  von  der  großen  Statutensammlung  der  Leges 
Municipales  in  den  Monumenia  Historiae  Patriae ^  nichts  von 
der  schönen  Ausgabe  der  venezianischen  CapHolan  durch 
MonticolOj  nichts  von  den  Statuten  der  bolognesischen  Korpora- 
tionen, die  Gaudenzi  dem  Studium  in  so  treffhcher  Weise  zu- 
gänglich gemacht  hat.  Aber  auch  die  Literaturnachweise,  die 
viel  unnützen  ßallast  mit  fortschleppen,  sind  nicht  immer  aus- 
reichend, den  Leser  in  den  Stand  der  Forschung  einzuführen; 
es  gtnngQy  zum  Belege  hierfür»  auf  die  Bibliographie  zur  Ge* 
schichte  des  Wechsel-  und  des  Versicherungsrechts  hinzu- 
weisen (11,  388),  Dazu  sind  die  Literaturangaben  häufig  un- 
genau; insbesondere  müssen  sich  die  deutschen  Werke,  die 
übrigens  in  ziemlich  großer  Zahl  angeführt  werden ,  die 
schlimmsten  Verballhornungen  gefallen  lassen*  Wir  begegnen 
als  ergötzlichen  Beispielen  einem  Buche  Theiners:  Über  Ivo's 
vermeith.  Dekret;  Simsons:  Die  Entstehung  des  Pseudo- 
isidors  Fälschungen  (!,  181)^  Lehmanns:  Die  Konigfriede,  Cohnst 
Justizverweiherung  (I,  44,  48),  Zeumers:  Beerbung  der  Frei- 
gellasung  durch  den  Fiskus  (1,  342)^  Renauds  Lehre  von  des 
Naherrecht  und  Heimbachs  Lehre  von  der  Fruchten  (1, 385, 389), 
Bruns:  Das  altere  Besitz  und  Neumanns  Geschichte  des 
Wuckers  (11,  360  und  379);  auch  Reumonts:  Orientalischen 
Scklavinen  In  Florenz  fehlen  nicht  (II,  143).    Daß   ein  biblio- 


I 


Italien.  165 

graphischer 'Abschnitt  einmal  völlige  Korrektheit  aufweist,  ist 
geradezu  eine  Ausnahme. 

Der  Text,  der  diesen  Abschnitten  folgt,  leidet  ebenfalls 
an  mancherlei  Mängeln.  Nur  sehen  macht  er  den  Eindruck 
des  aus  der  angeführten  Literatur  Zusammengedrängten,  zu- 
meist nur  den  des  Dürftigen,  zuweilen  auch  des  Oberflächlichen; 
man  sehe  z.  B.,  was  über  das  Konsularwesen  oder  die  Ent- 
stehung der  Kommune  gesagt  ist  (11,  310,  14  f.).  So  alte  Irr- 
tümer wie  die  Datierung  der  Ordinamenta  von  Trani  zu  1063 
(an  der  freilich  auch  Schupfer  festhält)  und  der  kaufmänni- 
schen Statuten  von  Piacenza  zu  1200,  finden  sich  auch  hier 
(II,  82,  85  f.),  neue  Aufschlüsse,  wie  sie  z.  B.  durch  Gaudenzis 
Ausgabe  der  ursprünglichen  Redaktion  des  Ryccardus  d§ 
S.  Germano  über  die  Assisen  von  Capua  und  Messina  ge- 
boten worden  sind,  werden  nicht  beachtet  (II,  43).  Und  was 
soll  man  zu  einer  italienischen  Rechtsgeschichte  sagen,  die  es 
unterläßt,  eine  Würdigung  der  Eigenart  und  Bedeutung  des 
großen  pisanischen  Gesetzbuches,  des  ConsUtatum  Legis  et 
Usus,  wenn  auch  mit  noch  so  wenig  Worten,  zu  geben;  die 
bloße  Erwähnung  des  Const.  Usus  in  dem  Abschnitt  über  die 
kaufmännischen  Statuten  (II,  82)  kann  doch  unmöglich  einen 
Ersatz  dafür  bieten.  Nach  der  Vorrede  hat  der  Vf.  ein  Hand- 
buch schaffen  wollen,  ,che  miri  principalmente  alla  scuola'; 
daß  es  die  vom  Vf.  erhofften  Dienste  wirklich  leisten  wird, 
glaube  ich  verneinen  zu  müssen. 

Brieg.  Adolf  Schaube. 

Pierre  GauthJez,  L'Italie  du  XVU  sikcle.  Lorenzaccio  (Lorenzino 
de  Moduls).    Paris,  A,  Fontemoing.    1904.    476  S. 

Das  neue  Buch,  das  Pierre  Gauthiez  seinen  früheren  histo- 
rischen Arbeiten  über  Aretino  und  Giovanni  delle  bände  nere 
folgen  läßt,  ist  in  seiner  Anlage,  der  Diktion  und  seinen  Be- 
strebungen eminent  französisch.  Es  ist  nicht,  wie  so  viele 
wissenschaftliche  Arbeiten  deutscher  Gelehrsamkeit,  ein  Buch 
für  Fachleute;  fesselnd  geschrieben  wie  ein  Roman,  wendet 
es  sich  an  den  großen  Kreis  derer,  die  die  Geschichte  der 
italienischen  Renaissance  als  etwas  Lebendiges  empfinden. 
Mit  all  dem  literarischen  Rüstzeug  modemer  psychologischer 
Bestrebungen  gewappnet,  geht  G.  an  sein  Thema  heran. 


166 


LiteraturberichL 


Wir  werden  mit  dem  Zweig  der  Familie  Medici  —  de 
Popoianenlinie  —  bekannt  gemacht,  aus  der  Lorenzino  her- 
vorging. Er  ist,  wie  man  heute  sagen  würden  erblich  belastet: 
auf  der  einen  Seite  hat  er  Lorenzo  Medici  zum  Großvater, 
der  in  einem  Stück,  das  er  verfaßte,  den  ungliicküch  nannte, 
der  unter  einem  Tyrannen  zu  leben  gezwungen  sei ;  mütter- 
licherseits stammte  er  von  der  Familie  Soderini  ab,  die  der 
Stadt  Florenz  den  letzten  Gonfaloniere  auf  Lebenszeit  ge- 
geben  hatte.  ■ 

Schon  in  früher  Jugend  lernt  er  die  Sorgen  kennen.  Der 
Vater  stirbt,  als  er  noch  ein  Kind  ist.  Die  Mutter  bleibt  in  _ 
einer  sehr  bedrängten  Lage  zurück.  Lorenzino  bekommt  eine  gute  I 
Erziehung;  frühzeitig  beherrscht  er  die  klassischen  Sprachen. 
In  den  Villen  der  Familie,  in  Venedig,  in  Rom  spielt  sich  seine 
Jugend  ab.  Hier,  im  Jahre  1534,  lenkt  er  zum  erstenmal  die 
öffentliche  Aufmerksamkeit  auf  sich,  indem  er  während  der 
Nacht  einigen  Statuen  am  Konstantinsbogen  die  Köpfe  herab- 
schlägt*     Das  trägt  ihm  die  Verbannung  ein.  ■ 

Der  zweite  Teil  behandelt  die  Phasen  des  Dramas,  durch 
welches  Lorenzino  berühmt  geworden  ist:  die  Ermordung 
Herzog  Alessand ros  de'  Medici,  des  letzten  Sprossen  der 
alten  Linie  des  Hauses.  G.  schildert  meisterhaft  die  Stadt 
un(er  der  Herrschaft  dieses  Tyrannen  und  seine  beginnende 
Intimität  mit  Lorenzino.  Dieser  schreibt  für  die  Hochzeit 
Alessandros  mit  der  Kaisertochter  Margareta  ein  Lustspiel  im 
antiken  Charakter,  die  „Aridosia^,  die,  in  feinsinniger  Über- 
setzung, vollständig  als  Intermezzo  eingeschoben  ist.  ■ 

Was  hat  Lorenzino  zur  Ermordung  des  Herzogs  ge- 
trieben? Persönliches  und  Fremdes  wirken  zusammen:  der 
Prozeß  gegen  Cosimo  de'  Medici,  den  er  durch  Alessandros 
Spruch  verliert,  wie  die  Lektüre  des  Ptutarch.  Das  Verbrechen 
wird  völlig  diabolisch  in  Szene  gesetzt  Lorenzino  begibt 
sich  nach  vollbrachter  Tat  über  Bologna  nach  Venedig  zu 
Filippo  Strozzi,  dem  Haupt  der  Florentiner  Fuorusciti. 

Es  ist  bekannt,  daß  das  Verbrechen  zu  nichts  diente  als 
dazu,  Florenz  in  der  Person  des  von  Lorenzino  gehaßten 
Cosimo  einen  neuen  Herzog  zu  geben.  Gegen  diesen  sucht 
er  im  großen  Stil  zu  agieren?  gegen  die  Kaisermacht,  die  ihn 


Italien;  England. 


167 


stützt,  Frankreich  und,  mit  diesem  verbunden,  die  Türkei  ins 
Feld  zu  werfen.  Daher  seine  raschen  Reisen  erst  nach  Kon- 
stantinopeK  dann  zu  König  Franz.  Während  seines  Aufenthalts 
in  Frankreich  verfaßt  er  die  Apologia,  die  iiterarische  Recht- 
fertigung seiner  Tat,  die  wiederum  in  der  Übersetzung  mit- 
geteilt ist. 

Von  Florenz  aus  wird  Lorenzino  nicht  aus  den  Augen  ge- 
lassen. Durch  Gesandte  und  Korrespondenten  ist  Cosimo  I. 
dauernd  über  ihn  unterrichtet.  Langsam  wird  die  Rache  vor- 
bereitet; eU  Jahre  nach  Alessandros  Tode  wird  Lorenzino  in 
Venedig  bei  der  Kirche  San  Polo  ermordet.  Auch  von  seinem 
Mörderf  dem  Hauptmann  Bibbona,  gibt  es  eine  eigene  Apologie: 
es  ist  eines  der  merkwürdigsten  Dokumente  der  Epoche.  Man 
sieht  daraus,  daö  diese  letzte  Phase  von  Lorenzinos  Leben 
wie  eine  Schachpartie  verläuft,  die  Lorenzino  verliert 

Der  letzte  Abschnitt  trägt  rein  literarischen  Charakter: 
man  kann  ihn  betiteln:  „Lorenzino  in  der  Literatur  bis  auf 
die  Gegenwart," 

G.  hat  einen  Vorgänger  in  Ferrai  gehabt,  dessen  1891  er- 
schienenes Buch  über  Lorenzino  bereits  in  umfassender  Weise 
das  archivalische  Material  herangezogen  hatte.  Aber  0.  selbst 
hat  dieses  auf  sehr  breiter  Grundlage  benutzt  und  erweitert, 
worüber  die  zahlreichen  Noten  am  Schluß  Auskunft  geben : 
und  an  Stelle  der  Materiatsammlung  Ferrais  hat  er  ein  leben- 
diges, höchst  anregendes  Buch  geschrieben,  das  niemand  ohne 
lebhaftes  Interesse  und  Nutzen  zur  Hand  nehmen  wird. 

Florenz,  Georg  Gronau, 


Magna  Carla.  Ä  Commeniary  on  the  Greai  Charter  of  King 
John,  Witk  an  historical  introducHon  by  WUlium  Shmtp 
Mc  Kec&ale,  M.  A,,  L  L  D.^  D.  PhiL  Glasgow,  James 
MacUhüse  4  Sons.     1905,    XIX  u,  607  S,    14  sh. 

Wie  Jenks  in  seinem  Essay  ,The  Myth  of  Magna  Carla* ^ 
so  tritt  auch  der  neueste  Kommentator  der  traditionellen  Auf* 
fassung  entgegen,  als  müßten  vor  dem  großen  Freibriefe  König 
Johanns  nicht  nur  alle  früheren,  sondern  auch  die  späteren 
Charten  in   den  Schatten   treten.     Nicht  einmal   als  ein  great 


168  Literaturbericht 

monument  of  con^trnciive  sfalesmanship  (p,  558)  will  er  sie 
gelten  lassen.  Cr  findet,  daß  die  siegreichen  Barone  doch  nur 
ihren  Standes  vorteil  und  ihre  persönlichen  Interessen  im  Auge 
hatten,  und  daß  viele  Paragraphen  (darunter  auch  die  viel- 
gerühmten  14  und  39)  eine  entschieden  reaktionäre  Bedeutung 
haben  (p.  289  und  449).  Eigentlich  nur  ganz  nebenbei  kun 
der  Freibrie!  auch  den  After vasallen»  Bauern,  Kaufleuten  und 
Fremden  zustatten.  Nicht  auf  diesen  Akzidenzien  kann  der 
Ruhm  der  Magna  Carla  beruhen,  sondern  auf  bloßem  ^Siftti- 
meni'f  auf  dem,  was  spätere  Generationen  irrtümfich  in  sie 
hineingelesen  haben,  und  auf  dem  ^halo^  von  Romantik,  die 
sich  um  diesen  Kern  allmählich  angesammelt  hat  Wieso 
gerade  um  den  doch  so  ^trockenen''  Text  dieses  Dokuments 
die  populäre  Phantasie  jahrhundertelang  ihre  Kreise  gezogen 
hat,  ist  nach  Mac  Kechnie  eine  schwierige  Frage,  deren  Lösung 
mehr  den  „Psychologen**  als  den  „Historiker  im  gewöhnlichen 
Sinne*  angehen  soll  (p.  146  f.).  Dabei  ist  unser  Autor  Theo- 
retiker auf  dem  Gebiet  des  Staatsrechts,  der  Politik  und  der 
Soziologie  I 

Sein  Mangel  an  historischem  Sinn  zeigt  sich  neben  der 
Abneigungj  dem  Geist  der  Zeit  gerecht  zu  werden,  auch  in 
den  Wendungen,  mit  denen  der  Umschwung  im  Gange  der 
Ereignisse  motiviert  wird.  ,Ai  the  cntical  and  appoinUd 
Urne'  (p.  7)  kam  die  Normannische  Eroberung  über  England. 
^Disiiny*  (p.  23)  berief  Heinrich  IL  zu  seinen  Reformen. 
Unter  Johann  wurden  seit  1206  die  kontinentalen  Besitzungen 
^rip«  für  hsing*  (p*  27).  Solche  Satzverbindungen  wie  p.  59: 
^Whiü  ike  haifie  af  oräer  had  been  finatly  wan  —  1173  — , 
ikf  tattle  of  liberiy  hady  aimasi  necessarifyj,  io  he  begun*  . . . 
^Evenis,  however,  were  noi  ripe  for  rebelHon  before  John's  ac- 
cession' . . ,  iseigen  diese  Schwäche  ebenso  deutlich  wie  der 
last  durchgehende  Mißbrauch  mit  dem  Begriffe  ^Naihnai 
Church'.  Rankes  schöne  Wahrnehmung:  ^die  erste  Grund- 
lage der  populären  Freiheit  atmete  einen  antirömischen  Geist* 
ist  diesem  Kommentator,  der  für  die  Titel  des  Königs  viel 
Interesse  hat,  beinahe  vollständig  entgangen:  nur  in  einer 
Anmerkung  auf  S.  224  findet  er  die  Ausdrücke,  in  denen  sich 
der  nationale  Geist  bezeugt,  ^perhaps  worihy  of  noie'.  Der 
Hauptwert  der  historischen  Einleitung,   die  212  Seiten  in  An- 


England. 


im 


Spruch  nimmt,  liegt  in  den  verfassungsrecKtiichen  Dartegungeti, 
die  aber  im  Kommentar  zu  den  entsprechenden  Artikeln  der 
Magna  Carta  wiederholt  und  weiter  ausgeführt  werden. 

Der  hier  gebotene  Text  der  Magna  Carla  hat  nur  am 
Eingange  in  den  Namen  der  Intervenienten,  in  der  Wortstel- 
lung im  6L  Artikel  und  in  der  Ortsangabe  der  Datierung 
wenige  kleine  Verbesserungen*  Dagegen  ist  es  bedauerlich^ 
daß  im  Appendix  die  Krönungscharte  Heinrichs  K  nicht  nach 
dem  verbesserten  Text  von  Liebermann  in  den  Transactions 
of  the  Royal  Historical  Society  1894,  p.  40 — 46  oder  nach 
seinen  Gesetzen  der  Angelsachsen  p.  521 — 523  abgedruckt  ist. 
In  der  ^unknown  Charter  of  Uberiies*  steht,  wie  auch  bei 
Teulet»  die  Frist  für  die  Witwe  mit  40 Tagen  angegeben;  nach 
p.  25S  Anm.  mußte  man  LX  erwarten. 

Die  ÜbersetiEung  ist  sorgfältig  und  zuverlässig.  P,  274 
sollte  allerdings  ponatur  in  regno  nostro  richtiger  imposed  o  n 
cur  kingdom  und,  wie  auch  im  folgenden  Artikel  13,  civitas 
konsequent  mit  clty  statt  Citizens  wiedergegeben  werden. 

Das  Wichtigste  bleibt  aber  der  Kommentar,  der  auf  der 
Grundlage  der  Arbeiten  von  Maitland  Round»  Pike,  fiolds* 
worth  Xp.  3J9,  484  und  493  fälschlich  ^Moaldsworth'  zitiert) 
den  neuesten  Standpunkt  der  antiquarischen  Forschung  sorg- 
fältig darlegt  und  durch  gelegentlich  hinzugefügte  Ver- 
gleiche mit  der  schottischen  Rechtsentwicklung  den  großen 
Vorsprung  der  englischen  Staatsverwaltung  aufzeigt.  Die  Anti- 
quitäten des  Lehnsrechts,  der  Gerichtsverfassung,  des  Steuer- 
und  Zollwesens,  der  Formen  des  Landbesitzes,  des  Prozeß- 
verfahrens, der  Forstverwaltung,  der  Wucher-  und  Judengesetze 
werden«  soweit  es  zur  Erklärung  der  Artikel  der  Magna  Carta 
nötig  ist,  sachgemäß  und  übersichtlich  dargelegt.  Eigene  For- 
schung  in  den  Urkunden  ist  nicht  M.s  Stärke,  Ein  Blick  in 
einige  der  im  Public  Record  Office  aufbewahrten  Taliage  Rolls 
hätte  die  für  England  falsche  Auffassung  verhindert  (p.  278  tf.)i 
als  fiele  diese  Steuer  nur  auf  servile  dependents  und  als  sei 
sie  ein  Hauptkennzeichen  of  an  unfree  stains.  Ich  habe,  um 
diesen  Irrtum  zu  bekämpfen,  in  Bd.  XXIV,  N.  F.  dieser  Zeit- 
schrift, S,  21  fi  für  das  Jahr  1304  ein  paar  Listen  herange- 
H  2ogen,  nach  denen  der  Bischof  von  Rochester,  einige  Abte, 
I       Prioren,    Lords   etc.   für  ihre   Habe  auf  Ancient  Demesne  so 


'tTO  Literaturbericht. 

gut  iaUage  zahlen  wie  alle  anderen.  Über  einige  Sportaos* 
drücke  in  Magna  Curia  hat  M.  aus  dem  190^  erschienenen 
Buche  von  Stuart  A»  Moore  und  H.  S.  Moore,  Hisiory  and 
Law  of  Fhherhf&  neue  Informationen  herbeiziehen  können. 
Die  Ableitung  des  Wortes  scavmger  von  ^chevlns  oder  skmni 
(p.  28S)  wäre  auch  dann  nicht  haltbar,  wenn  sich  in  England 
der  importierte  Begriff  und  Ausdruck  »Schöffen*  besser  ein* 
geburgert  und  erhalten  hatte. 

Wenig  Gnade  findet  in  M.s  Augen  der  berühmte  Artikel  t\ 
der  Magna  Carla  über  die  Bildung  eines  Beschwerde-  und 
Widerstandscomit^s.  Er  übernimmt  aus  Gardiners  Textbuch 
den  Ausdruck  ^permanent  organizatian  for  making  war  against 
the  king'  und  nennt  es  .ö  Committee  of  Rebellion*,  ^äange- 
rous  anä  even  absurd'.  Aber  hat  nicht  auch  das  Ephoral  in 
Sparta  ähnliche  Funktionen  ausgeübt?  Der  echt  mittelalterhche 
Versuch  der  Barone,  ein  unzweifelhaftes  Gravamen  eines  ein- 
zelnen von  ihnen  zu  einem  Gravamen  der  Commana  lolius 
lerrae  zu  machen  und  den  König  zur  ordnungsmäßigen  Ab- 
stellung zu  zwingen»  erscheint  zwar  vom  Standpunkte  des 
heutigen  Staatsrechts  als  ein  Unding,  war  aber  doch  eine 
uliima  ralio  in  Fällen  krasser  Mißregierung^  auch  wenn  die 
Organisation  zu  diesem  Zweck  fehlte.  Eine  soeben  er- 
schienene Pöliiical  hisiory  of  England  nennt  das  Prinzip 
dieses  Artikels  6f  Jhe  Irue  corner-stone  af  ih^  English  can- 
stilution^.  Daß  nach  ihm  auch  der  König,  wenn  er  sich  be- 
leidigt fühlte,  demütig  vor  dem  Tribunal  der  Barone  seinen 
»Fall*  plädieren  sollte  (p.  555),  ist  eine  falsche  Interpretation. 

Als  ein  sicherer  Führer  bei  der  Interpretation  jedes  Artikels 
der  Magna  Carla  und  zur  Einführung  in  das  Verständnis  des 
zentralisierten,  geordneten  und  doch  noch  so  barbarischen 
Getriebes  des  Staates  im  Anfang  des  t3.  Jahrhunderts  ist 
dieser  Kommentar  sehr  zu  empfehlen.  Oft  wird  man  aber, 
um  über  die  erwähnten  Personen  Auskunft  zu  erhalten,  mit 
Erfolg  auf  das  anmutige  und  stoffreiche  Buch  von  Richard 
Thomson  aus  dem  Jahre  1829  zurückgreifen  können,  so  sehr 
es  auch  in  einzelnen  Rechtsvorstellungen  im  Banne  seiner 
Zeit  steht. 

Berlin,  Ludwig  Rieß. 


England;  RuBland. 


in 


^m  tfc  MMTteaSp  R ecueil  des  Traitäs  et  Conventions  canclus  par 
la  Russie,  eta  Tome  XiV.  Traitäs  avec  ia  France  1807  ä 
1820.    St,  Päersbourg  1905,     X  u.  433  S. 

Der  neue  Band  Martens  zeigt  die  Vorzüge  und  die  Mängel^ 
die  wir  bei  seinen  Editionen  zu  finden  gewohnt  sind.  Die 
Texte  der  Vorträge  sind  korrekt,  aber  es  wird  unterlassen, 
frühere  Drucke  aufzuführen  und  bei  den  russischen  Texten 
ist  nur  sehr  ausnahmsweise  zu  erkennen,  ob  wir  es  mit  einer 
gLeichzeitigen  russischen  Ausfertigung  oder  mit  einer  zum 
Zweck  der  uns  vorhegenden  Edition  angefertigten  Übersetzung 
zu  tun  haben.  Das  ist  aber  nicht  unwichtig,  da  zwischen  dem 
französischen  und  dem  russischen  Text  mehrfach  kleinere  und 
größere  Abweichungen  zu  konstatieren  sind,  Herr  v.  M*  legt 
aber  den  Schwerpunkt  seiner  Publikation  bekanntlich  in  die 
historischen  Einleitungen,  die  er  den  Texten  der  Verträge 
vorausschickt.  Diese  Einleitungen  sind  bisher  stets  sehr  sub- 
jektiv  gehalten  gewesen  und  können  im  wesentlichen  als  eine 
Apologie  der  russischen  auswärtigen  Politik  betrachtet  werden. 
In  dem  Bande,  der  uns  beschäftigt,  wird  man  durch  das  Gegen- 
teil überrascht:  er  bietet  hie  und  da  eine  unumwundene  Ver- 
urteilung der  Politik  Alexanders  !.,  wenn  auch  die  vorwaltende 
Tendenz  dieselbe  geblieben  ist  wie  in  den  früheren  Bänden. 
In  dem  Vorwort  weist  Herr  v.  M.  darauf  hin,  daß  er  viele  neue 
Tatsachen  entdeckt  habe  und  deshalb  ausführlicher  gewesen 
sei  als  seine  ursprüngliche  Absicht  war*  Dabei  weist  er  aus- 
drücklieh darauf  hin,  daß  das  Verhalten  Caulaincourts  in  ein 
neues  Licht  trete.  Dessen  Verrat  trage  eine  Hauptschuld  am 
Untergange  Napoleons.  Der  Imperator  sei  weit  weniger  als 
Opfer  seiner  Herrschsucht  und  seines  Ehrgeizes  gefallen,  die 
Undankbarkeit  und  der  Verrat  derjenigen,  die  er  mit  Wohl- 
taten überhäuft  hatte  i  hatten  ihn  gestürzt  Caulaincourts 
Verrat  sei  nur  wenig  bekannt  gewesen,  obgleich  er  doch  dem 
Verrat  Bernadottes  und  Talleyrands  und  vieler  anderer  an  die 
Seite  zu  stellen  sei* 

Man  ist  nun  einigermaßen  enttäuscht,  wenn  man  nach 
den  Belegen  für  diese  Ausführung  sucht.  Es  sind  die  be- 
kannten Berichte  Schuwalows  über  seine  Unterredung  mit 
Caulaincourt  vom  31.  Mai  und  2,  Juni  1813,  die  Bailleu  in 
den   ^Annaies  internationales  d'ftistair^'  cangris  de  la  Naye 


172 


Literaturbericht 


Nn  3  veröffentlicht  hat,  und  über  welche  auch  Sorel  im  8,  Bande 
seines  Buches:  „L'Euröpe  et  la  r Evolution  franfaise*,,  Paris 
1904  ausführlich  berichtet  hat. 

Nun  mag  man  über  die  Berechtigung  des  von  Caulaincourt 
gewählten  Mittels,  um  als  Endziel  einen  russisch-französischen 
Frieden  zu  erreichen  (es  handelt  sich  um  die  Verhandlungen 
von  Pleißwitz)  und  damit  dem  Kriege  überhaupt  ein  Ende  ^u 
machen,  verschiedener  Ansicht  sein,  daß  er  Napoleon  zu 
dessen  eigenem  Besten  und  zum  Besten  Frankreichs  in  eine 
Zwangslage  setzen  wollte,  ist  schwerlich  zu  bestreiten.  So 
dachten  noch  andere  französische  Patrioten^  und  Caulaincourts 
Hauptmotiv  scheint  gewesen  zu  sein,  Osterreich  von  der  Teil- 
nahme am  Kriege  fernzuhalten  und  durch  den  Abschluß  mit 
Rußland  zu  retten,  was  noch  zu  retten  war.  Auch  hat  Schu- 
walow  das  gemutmaßt«  Erschließt  seinen  Bericht  vom  3, Juni 
mit  den  (von  Martens  nicht  herangezogenen)  Worten:  ,Esi  a 
conviction  ou  franchise,  ou  disir  que  naus  agissions  avant 
que  Varmie  auirichiennB  ne  commence  ses  opära- 
ilonsf'  Aber  Martens  pflegt  von  der  Literatur  seines  Themas 
nur  selten  Notiz  zu  nehmen.  Merkwürdig  berührt  hat  uns 
eine  Anmerkung  zu  dem  Brie!  der  Kaiserin  Feodorowna  vom 
25.  März  1808,  durch  den  sie  Alexander  von  der  Reise  nach 
Erfurt  abzuhalten  bemüht  ist.  Sie  lautet:  ^^ous  ciions  Us 
passages  de  cetie  lettre  .  .  ,  sans  y  apparier  aucttn  change- 
menf,*     Das  ist  hoffentlich  keine  Ausnahme. 

Geradezu  falsch  ist  es,  wenn  M.  in  diesem  Zusammen- 
hange von  Alexander  sagt:  ^qui  dSs  tenfance  s'inclinait  de- 
vant  Vesprii  supirieur  de  son  augusle  mire"*^  denn  einmal 
war  Maria  Feodorowna  keineswegs  hervorragend  begabt,  und 
zweitens  hat  Alexander,  der  sie  weit  Übersah,  ihr  niemals 
einen  politischen  Einfluß  gestattet. 

In  den  Erfurter  Verhandlungen  ist  merkwürdigerweise 
alles  übergangen,  was  auf  Napoleons  Plan,  sich  mit  einer 
russischen  Prinzessin  zu  vermählen,  Bezug  hat,  ebenso  fehlt 
für  das  Frühjahr  18] (^  die  so  bedeutsame  Sendung  Nesselrodes 
nach  Paris  und  jede  Bezugnahme  auf  seine  über  den  Kopf 
des  Kanzlers  Rumjänzow  an  Speranski  und  durch  diesen  an 
Alexander  gelangenden  Berichte.  Dasselbe  geschah  bekannt- 
lich auch  mit  den  Wiener  Berichten  Mellins,  die  durch  Gervais, 


I 

I 
I 


ohne  Rumjänzows  Wissen  an  den  Kaiser  gingen.  Wenn 
daher  M,  nur  mit  Berichten  Kurakins  und  den  Instruktionen 
Rumjänzows  operiert,  gibt  er  ein  direkt  falsches  Bild  der 
PoHtik  Alexanders.^)  Wir  werden  übrigens  durch  die  unmit- 
telbar bevorstehende  Publikation  der  Berichte  Caulaincourts 
und  Kurakins  durch  den  Großfürsten  Nikolai  Michaitowitsch 
das  Material  in  Händen  haben»  um  diesen  Teil  der  M. sehen 
Darlegungen  zu  kontrollieren*  Auch  für  den  Kongreß  von 
Chatillon  konstruiert  M.  einen  Verrat  Caulaincourts,  obgleich 
er  einen  Bericht  Rasumowskis  zitiert,  in  dem  es  heißt: 
,//  (Cauiaincourt)  veui  h  pius  prompiemeni  possible  la  paix^ 
poüTVü  qu*eile  se  signe  avec  Napoleon.' 

Mit  entschiedener  Abneigung,  ohne  ersichtlichen  Grund 
wird  der  Botschafter  Noailles  behandelt,  dessen  Berichte  zum 
Jahre  1816  ihn  keineswegs  als  d^püurvu  äe  cupacHis  et  4e 
i&iiie  expMence  diplomatique  erscheinen  lassen*  vielmehr  einen 
geschulten  und  einsichtigen  Staatsmann  zeigen.  Aber  M.  irrt 
im  Fundament  seiner  Auslührungenf  wenn  er  sagt:  y,on  sait 
qa'il  (Alexandre)  alme  la  France'',  das  Gegenteil  ist  richtig. 
Er  haßte  und  verachtete  die  Franzosen,  aber  er  wUnschte  sich 
mit  Frankreich  zu  alliieren,  weil  es  ihm  dienen  sollte,  die 
orientalische  Frage  in  russischem  Interesse  zu  lösen.  Erst 
mit  d^m  Jahre  1820  trat,  nachdem  Alexander  über  Frankreich 
enttäuscht  war,  eine  Wandlung  ein. 

Das  letzte  Stück  der  Publikation  ist,  in  einem  Annex, 
die  von  Napoleon  nicht  ratifizierte  Konvention  über  Polen 
vom  4.  Januar  1810. 

Berün*  Th,  Schiemann, 


')  Beiläufig  sei  hier  bemerkt,  daß  Thlmme,  Forschungen  zur 
brandenburgischen  Geschichte  XIII,  248  fragt:  Wo  ist  der  Beweis 
dafiir^  daß  Alexander  es  für  nützlich  befunden  habe,  Rumjanzow 
zu  läuschen?  Die  Antwort  lautet,  in  den  Petersburger  Akten 
und  bei  denen,  die  sie  benutzt  haben.  Vgl*  u*  a.  Schilder,  Ale- 
xander L  Bd.  2  u.  3  passim.  Die  neueste  Publikation  des  Groß- 
fürsten Nicolas :  Les  relationa  diplomatiqiies  de  la  i^asste  et  ät  la 
France  d'aprH  les  rapports  des  amhassadeurs  d^ Alexandre  et  de 
Napal^on  /8m—lSI2.  Tome  I—HL  P/tersbourg  1905,  sowie  die 
Ltltres  et  papiers  du  chancelier  Comte  de  Nesselrode  1760—IS5(K 
Fat  le  Comte  A,  de  Nesselrode.  T.  I—III  haben  vollends  den  un- 
widerleglichen Beweis  dafür  erbracht. 


174  LiteraturbertchL 

Großfürst  Nikolai  Mtchailo witsch:  Graf  Pawel  Alexandrowitsch 
Stroganow.  1774—1817,  Bd.  2  u.  3.  Petersburg,  Expedition 
der  Bereitung  der  Staatspapiere.     1903. 

Wir  schicken  voraus,  daß  an  diesen  Bänden,  abgesehen 
von  dem  Titel  und  den  vortrefflichen  Einleitungen,  die  russisch 
geschrieben  sind,  der  Text  fast  durchweg  französisch  und 
damit  auch  den  abendländischen  Forschern  zugänglich  ist.  ■ 

Für  die  innere  Politik  Alexanders  während  der  ersten  Jahre 
seines  Regiments  gibt  der  Band  2  die  wichtigsten  bisher  be* 
kannt  gewordenen  Quellen,  Sie  führen  uns  zu  dem  ungemein  ■ 
wichtigen  Ergebnis,  dal^  die  Initiative  sowohl  wie  die  Formu- 
lierung der  Reformpläne,  mit  denen  der  Kaiser  sich  beschäf- 
tigte, nicht  ihm,  sondern  dem  Grafen  Paul  Stroganow  sowie  ■ 
den  übrigen  im  ^nichtoHiziellen  Comit^**  mitarbeitenden  Freunden 
Alexanders  gehört.  „Man  sagt  und  wiederholt  es  —  so  schreibt 
der  Großfürst  —  daß  alle  Reformen,  um  welche  man  sich  so 
intensiv  in  den  ersten  Jahren  des  19,  Jahrhunderts  bemühte, 
vom  Kaiser  Alexander  ausgingen.  In  Übereinstimmung  damit 
schilt  und  verdammt  man  die  Wandlung,  die  angeblich  in  den 
Ansichten  und  Absichten  des  Enkels  Katharina  IL  vorgegangen 
smn  soll  Das  ist  nicht  nur  ein  Irrtum,  sondern  ein  grober 
Fehlen  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  Kaiser  Alexander  h 
nach  seiner  Thronbesteigung  mit  vielem  unzufrieden  war,  vieles 
zu  verändern,  ja  zu  reformieren  wünschte,  aber  ebenso  sicher 
steht  fest,  daß  um  diese  Zeit  keine  Reform  von  ihm  persön- 
lich ausgegangen  ist,  daß  sie  alle  ihm  nicht  ohne  Mühe  sug- 
geriert wurden,  und  daß  seine  Zustimmung  oft  sehr  schwer 
zu  erreichen  war* 

Kaiser  Alexander  L  war  niemals  ein  Reformator,  und  in 
den  ersten  Jahren  seiner  Regierung  war  er  weit  konservativer 
als  [alle  ihn  umgebenden  Räte/  Die  zum  erstenmal  in  aller 
Vollständigkeit  nach  dem  Originalmanusknpt  veröffentlichten 
Protokolle  des  „Nichtoffiziellen  Comit^s"  geben  dafür  den 
schlagenden  Beweis*  Die  Materien,  die  hier  verhandelt  wurden, 
sind:  Ausarbeitung  einer  Verfassung  nach  vorausgegangener 
Reform  des  Senats  und  der  Begründung  von  Ministerien  (auch 
Reichsrat  und  Ministercomitd  waren  Gegenstand  der  Verhand- 
lung), die  Beziehungen  zu  den  auswärtigen  Mächten,  die  Stel- 
lung Grusiens,  die  Frage  der  Leibeigenschaft,  das  Schulwesen, 


I 

I 


— L 


Rußland. 


175 


die  Geheimpolizei,  die  Universität  Moskau,  die  Kosaken,  das 
JVftbtärbtldungswesefi  usw. 

Nach  vorbereitenden  Beratungen  haben  die  Sitzungen  des 
Comit^s  vom  L  Juli  1801  bis  zum  9.  November  1803  gedauert. 

Der  Wunsch  des  Comit^s  war,  daß  Alexander  bei  seiner 
Krönung  eine  Verfassung  verleihen  sollte,  deren  Entwurf  der 
Gral  Alexander  Worontzow  verfaßt  hatte.  Es  verdient  hervor- 
gehoben zu  werden,  daß  an  diesen  Sitzungen  auch  der  Fürst 
Piaton  Subow  und  Mörder  Pauls  wesentlichen  Anteil  hatte, 
wie  es  denn  damals  schien,  als  solle  der  ehemalige  Günstling 
Katharinas  nochmals  eine  große  politische  Rolle  spielen.  Aber 
schon  1802  läßt  Alexander  ihn  insgeheim  beaufsichtigen. 

Am  13.  August  1801  hat  Graf  Worontzow  dem  Kaiser  die 
,grande  ckarte*,  d.  h.  den  Entwurf  einer  russischen  Verfassung^ 
vorgelegt,  und  es  ist  der  Republikaner  Laharpe  gewesen,  der 
den  Kaiser  von  der  Ausführuug  der  Verfassungsgedanken  ab- 
hielt jpi7  ne  peiii  poinf  que  je  me  ddparte  du  poupoir*,  er- 
klärte Alexander  am  15*  September  dem  Comit^,  und  dabei 
ist  es  dann  trotz  aller  Bemühungen  der  anderen  geblieben. 
Im  Jahre  1802  ist  weiter  keine  Rede  davon.  Ebenso  ist  es 
mit  der  Frage  der  Bauernbefreiung  gegangen*  Alexander 
sprach  sich  dagegen  aus»  daß  Bauern  ohne  Land  verkauft 
werden  sollten,  aber  ein  Verbot  ist  nicht  erfolgt.  Nur  das 
Gesetz  von  den  ^freien  Ackerbauern**,  d.  h*  freigelassenen,  ist 
als  Spur  dieser  Bemühungen  Realität  geworden* 

Sehr  interessant  sind  die  Verhandlungen  über  Bildung  der 
Ministerien  etc.,  Detailfragen,  auf  die  hier  nicht  eingegangen 
werden  kann.  An  diesen  ersten,  bis  S.  323  reichenden  Ab- 
schnitt, schließt  sich  die  Korrespondenz  Alexanders  mit  Stro- 
ganow,  1802^1812,  nur  wenige  Schreiben^  und  die  weit  inhalt- 
reichere  Korrespondenz  zwischen  Stroganow  und  Czartoryski, 
deren  Schwerpunkt  in  die  Zeit  vom  November  1805  bis  zum 
September  1808  fällt.  Wir  bemerken  dabei,  daß  der  Brief 
Nr.  190  an  Nowossilzew,  nicht  an  Czartoryski  gerichtet  sein 
muß*  Später  ist  der  Briefwechsel  lässiger,  er  reicht  bis  1813 
und  betrifft  vornehmlich  das  Schicksal  Polens.  Band  3  trägt 
einen  ganz  diplomatischen  Charakter. 

Stroganow  wurde  Anfang  1806  in  politischer  Mission  nach 
London  geschickt,   am  14,/26.  August   wurde  er  wieder  abbe- 


JM 


Literaturbericht. 


rufen.  Seine  Korrespondenz  mit  Czartoryski  und  Budberg, 
dem  Nachfolger  Czartoryskis,  als  Minister  des  Auswärtigen, 
(143  S.)  gipfelt  in  den  Verhandlungen,  die  denen  parallel 
gingen^  welche  Oubril  in  Paris  führte  und  die  in  seinen  un- 
giUcklichen  Vertrag  ausmündeten. 

Von  den  darangeschlossenen  sonstigen  Korrespondenzen 
mit  Nowossilzew,  Kotschubej  und  seiner  Gemahlin,  die  den 
obigen  BrieEen  gleichzeitig  sind,  erregen  die  letzteren  das 
größte  Interesse;  den  Schluß  bildet  die  Korrespondenz  Stro- 
ganows  während  der  Kampagnen,  an  denen  er  teilnahm  (in 
Finnland,  der  Türkei,  1812  in  Rußland  und  1813  und  18U 
während  der  Freiheitskriege). 

Das  alles  ist  außerordentlich  lehrreich  und  führt  sehr 
lebendig  in  die  Realitäten  jener  Tage  ein. 

Technisch  läßt  die  prachtvoll  ausgestattete  Ausgabe  nichts 
zu  wünschen  übrig. 

Da  ich  die  Korrektur  dieser  Anzeige  lese,  ist  In  drei 
Bänden  eine  französische  Ausgabe  des  Buches  erschienen: 
Le  Granä-Duc  Nicolas  Mikhailöwitch  äe  Russie:  Le  comte 
Paul  Stroganow.  TraducUon  Franfaise  de  F.  Billecacq  pri- 
cidit  d'un  avani-propos  pur  FrMiric  Mas  so  n  de  tAcadimie 
Franfuise,  Paris  1905.  Beide  Ausgaben  decken  sich  nicht 
völlig.  In  der  französischen  fehlen  einige  Nummern,  auch 
versäumt  sie  anzugeben,  welche  Stücke  Original  und  welche 
Übersetzung  sind.  Auch  die  Paginierung  differiert,  so  daß 
bei  Zitaten  zwischen  der  Petersburger  und  der  Pariser  Aus- 
gabe zu  unterscheiden  sein  wird. 

Berlin.  Tk.  Schhmann. 

Die  Amerikanische  Revolution  1775— I78S.  Entwicklungsgeschichte 
der  Grundlagen  zum  Freistaat  wie  zum  Weltreich  unter 
Hervorhebung  des  deutschen  Anteils.  Von  Albert  Pfister. 
2  Bde.  Stuttgart  und  Berlin,  ].  G*  Cottasche  Buchhandlung 
Nachf,    400  u.  429  S, 

Die  ältere  amerikanische  Geschichte ^  die  Zeit  vor  1789^ 
ist  in  Deutschland  in  wirklich  wissenschaftlicher  Weise  bisher 
kaum  behandelt  worden.  Die  für  ihre  Zeit  nicht  üble  Dar- 
stellung von  Handelmann  ist  50  Jahre  alt,  und  die  Geschichten 
von  Neumann  und  Hopp  behandeln  die  ältere  Zeit  etwas  ober- 


I 
1 


Frankreich ;  Nordamerika* 


177 


flächlich.  Da  aber  inzwischen  in  Amerika  selbst  gerade  auf 
dem  Gebiet  der  Kolonialgeschichte  sehr  intensiv  und  gründ* 
lieh  gearbeitet  worden  ist,  ich  erinnere  nur  an  die  Publika- 
tionen der  Johns  Hopkins  University,  war  eine  ausführliche 
Geschichte  der  Entwicklung  der  amerikanischen  Kolonien,  wie 
sie  Doyle  in  England  und  Moireau  und  Gourd  in  Frankreich 
gegeben  haben,  recht  wünschenswert*  Albert  Pfister,  durch 
Publikationen  über  neuere  deutsche  Geschichte  rühmlich  be- 
kannt, zugleich  als  höherer  Offizier  für  die  Schilderung  krie- 
gerischer Ereignisse  besonders  befähigt,  will  nun  die  ameri- 
kanische Revolution  als  «notwendiges  Ergebnis*  aus  dem 
Entwicklungsgang  des  amerikanischen  Volkes  von  den  ersten 
Anfängen  an  darstellen.  Er  behandelt  daher  in  dem  ersten 
der  vier  großen  Abschnitte,  in  die  sein  Buch  zerfällt,  die  ge- 
trennten Kolonien.  Hier  hätte  die  Darstellung  der  Verfas- 
sungsgeschichte, wie  sie  Ref.  in  seiner  Geschichte  der  politi- 
schen Ideen  zu  geben  versucht  hat,  herangezogen  werden 
können;  es  wären  dann  wohl  die  rechtlichen  Verhältnisse 
kJarer  geworden  und  manche  Irrtümer  vermieden.  So  ist  der 
Freibrief  Karls  L  von  1629  nicht  für  die  Plymouth-Kompanie, 
die  die  Kolonie  New  Plymouth  durch  die  Pilgrimväter  der 
Mayflower  hatte  begründen  lassen ,  sondern  für  die  neuge- 
gründete Dorchester*Gesellschaft  gegeben,  auf  deren  Gebiet 
dann  Massachusetts  entstand.  Auch  die  Darstellung  der  Ent- 
stehung von  Rhode-Island  und  Connecticut  ist  zum  Teil  un- 
genau, für  Pennsylvanien  war  die  ausführliche  Geschichte 
Stepherds  heranzuziehen;  ein  „Aufstand"  gegen  die  Lockesche 
Verfassung  in  Nordcarolina  hat  nicht  stattgefunden  und  was 
dergl  mehr  ist*  Aber  der  Vf.  hat  die  neuerlich  sehr  angewachsene 
amerikanische  Spe^ialUteratur  für  die  Geschictite  der  Kolonien 
wohl  überhaupt  nicht  benutzt,  und  sich  mehr  an  die  zusam- 
menfassenden Darstellungen  bei  Winsor  gehalten^  die  aber  von 
sehr  ungleichem  Werte  sind.  Dafür  wird  die  Kulturgeschichte, 
namentlich  der  Anteil  der  Deutschen  an  der  Besiedelung  der 
Kolonien,  geistvoll  behandelt,  und  hier  finden  auch  die  Er- 
gebnisse eigener  Studien  Verwertung.  Treffend  wird  2,  B. 
hervorgehoben ,  daß  es  das  Bestehen  der  Sklaverei  in  Vir- 
ginien  war,  das  den  Virginiern  die  hervorragende  Stellung  in 
der  Revolution  gegeben  hat.   Sie  allein  hatten  Zeit,  sich  mit 

Historiiche  Zeitschrift  (97.  Bd.)  1.  Folge  L  Bd,  12 


HB 


Literaturbericht. 


der    Politik    zu    beschäftigen^   und    sie  waren    die   geborenen 
Truppenführer^  da  sie  zu  herrschen  gewohnt  waren*  M 

Es  wird  dann  in  einem  zweiten  Abschnitt  die  Losreißung  ™ 
der  Kolonien  von  England  behandelt.  Der  Vf,  stellt  sich 
dabei  ausgesprochenermaßen  auf  den  Standpunkt  der  Ameri- 
kanen  Gerade  in  einer  deutschen  Geschichte  der  amerikani- 
schen Revolution  war  aber  doch  größere  Objektivität  mdglich 
und  wünschenswert.  Was  an  positiv-rechtlichen  Gründen  für 
die  Revolution  angeführt  wurde,  war  doch  nur  schwach;  die 
Amerikaner  selbst  haben  es  wohlweislich  vermieden,  die  Ver- 
letzung der  Freibriefe  in  den  Vordergrund  zu  stellen,  sondern 
sich  auf  die  „natüriichen  Rechte*  berufen.  Im  letzten  Grunde 
war  es  doch  so,  daß  hier  nicht  die  ^letzten  Fragen  politischer 
Gerechtigkeit"  entschieden  wurden,  wie  Fiske  sagt,  auch  war 
es  nicht  die  Aufgabe  Amerikas,  ^an  Stelle  der  erblichen  Vor- 
rechte die  natüriiche  Gleichheit  zu  setzen"*,  was  ßancroft 
meint,  sondern  die  Schlagworte  erregten  die  Menschen  erst 
dann,  als  sie  in  ihren  materiellen  Interessen  geschädigt  wurden, 
namentlich  durch  die  an  sich  gewiß  gerechtfertigte  Unter- 
drückung des  einträglichen  Schmuggelhandels.  Es  entspricht 
aber  nun  einmal  einem  Bedürfnis  der  menschlichen  Natur^ 
sich  sagen  zu  können,  daß  man  nicht  des  schnöden  Mammons 
willen,  sondern  aus  idealen  Gründen  handle*  So  ist  denn 
auch  der  berühmte  tea-riot  in  ßoston  am  16,  Dezember  1773 
(PL  nennt  den  31,  Dezember,  das  Datum  wird  allerdings  sehr 
verschieden  angegegeben)  kaum  als  besondere  fieldentat  zu 
preisen,  wenn  man  die  näheren  Umstände  kennt,  die  ihn  her- 
vorriefen. 

Ganz  auf  seinem  Gebiete  ist  der  Vf.,  wo  er  auf  die  Ge- 
schichte des  Kampfes  selbst  kommt,  die  den  kleineren  Teil 
des  ersten  und  den  zweiten  Band  umfaßt.  Ich  stehe  nicht 
an,  diese  Erzählung  für  eine  der  besten  zu  erklären,  die  wir 
überhaupt  bis  jetzt  haben,  denn  amerikanische  Schriftsteller, 
die  den  Unabhängigkeitskampf  geschildert  haben,  besitzen 
nicht  militärische  Erfahrung  und  lassen  es  auch  an  Unpartei- 
lichkeit fehlen.  Beide  Eigenschaften  besitzt  Pfister  Die  klare 
und  geschmackvolle  Darstellung,  in  der  neben  der  gründ- 
lichen Behandlung  der  Einzelheiten  auch  die  große  Auf- 
fassung der  Gesamttage  hervortritt,   macht  die  Lektüre   des 


Nordamerika;  Sadafrika.  179 

Werkes  genußreich.  ÜberaH  wird  auch  der  Anteil,  den  die 
Deutschen  an  der  Befreiung  Amerikas  genommen  haben, 
hervorgehoben,  namentlich  wird  die  Wirksamkeit  Steubens 
ausfuhrlich  geschildert.  Der  Größe  Washingtons  als  Mensch 
und  Feldherr  zollt  der  Vf.  gebührende  Hochachtung;  dabei 
wird  gezeigt,  wie  bedenklich  doch  die  Lage  des  amerikani- 
schen Heeres  zum  großen  Teil  infolge  des  Mißtrauens,  das 
der  Kongreß  gegen  die  Armee  hatte,  war;  aber  auch  die 
^patriotische  Begeisterung'^  reichte  nicht  aus.  Washington 
beklagt  sich  bitter  über  den  Mangel  an  Opferfreudigkeit.  Pf. 
beantwortet  zwar  die  Frage,  ob  ohne  die  Bundesgenossen- 
schaft Frankreichs  Amerika  wohl  seine  Unabhängigkeit  er- 
reicht hätte,  dahin,  daß  «mit  der  Zeit*  die  Freiheit  doch  wohl 
errungen  wäre.  Seine  Darstellung  läßt  aber  keinen  Zweifel 
daran,  daß  das  Bündnis  vom  6.  Februar  1778  doch  ganz 
wesentlich  für  den  schließlichen  Erfolg  der  Amerikaner  war. 

Alles  in  allem  dürfen  wir  uns  freuen,  daß  wir  jetzt  auch 
in  Deutschland  eine  der  weltgeschichtlichen  Bedeutung  des 
amerikanischen  Freiheitskrieges  entsprechende  Darstellung 
haben. 

Charlottenburg.  Gottfried  Koch. 

Henri  Deb6rain,  U Expansion  des  Boers  au  XIX*  siicle.   Paris, 
Hachette.    1905.    433  S. 

Das  Buch  gibt  in  angenehmer  knapper  Form  eine  in  fast 
jeder  Hinsicht  lobenswerte  Darstellung  der  Burengeschichte 
vom  Jahre  1806  (endgültige  Besitznahme  seitens  England)  bis 
zum  Jahre  1852  (Zandrivier-Vertrag),  die  er  nicht  nur  aus 
Theals  großem  Werk,  sondern  auch  aus  dessen  Quellen  und 
außerdem  aus  den  englischen,  französischen  und  deutschen 
Jäger-  und  Missionärberichten  im  weitesten  Sinne  geschöpft 
hat.  Namentlich  die  Reiseberichte  Delegorgues  erweisen  sich 
für  gewisse  Epochen  der  Burenbesiedelung  Natals  und  für  die 
Beziehungen  der  Buren  zu  den  Zulus  als  sehr  reichhaltig. 
Der  Burenvergötterung  und  Burenverleumdung,  beide  aus  den 
Jahren  des  Burenkrieges  einem  Jeden  zur  Genüge  bekannt, 
steht  Deh6rains  maßvolle  Darstellung  gleich  fern.  Die  Ab- 
sicht jedoch  Jes  origines  de  la  nationaliiS  boer'  zu  geben 
(Vorwort),  ist  keineswegs  erreicht  worden.    Dazu  ist  zu  wenig 

12» 


180 


Literatuibericht 


tuf  die  Jahre  der  holländischen  Herrschaft  zurückgegriffen 
worden,  während  der  sich,  im  Verlauf  von  anderthalb  Jahr- 
hundert, die  Eigenart  des  Volkes  allmählich  herausgebildet 
hat.  Schon  in  der  letzten  Zeit  der  hoHändischen  ostindischen 
Kompagnie  gibt  es  zwischen  den  am  weitesten  gewanderten 
Buren  und  der  Kapregierung  Reibungen,  welche  sich  mit  den 
allbekannten  Ereignissen  um  1836  vergleichen  lassen.  Ein 
paar  holländische  Bücher,  namentlich  Stuarts  Holland  sehe 
Afrikanen  (Amsterdam  1854),  welches  z.  ß.  Zietsmans  Tage- 
buch des  Zulufeldzugs  1840,  von  D.  nur  nach  Auszügen  bei 
Voigt  zitiert,  im  Original  enthält  (S,  112^147),  hat  der  Vt 
sonderbarerweise  unbeachtet  gelassen.  Wer  Burengeschichte 
(auch  die  des  19.  Jahrhunderts)  treibt^  ohne  sich  die  hollän- 
dische Sprache  zu  eigen  zu  machen,  verschließt  sich  aus 
freiem  Willen  immer  doch  einige  Quellen,  welche  entweder 
gar  nicht  oder  mangelhaft  ins  Englische  übersetzt  sind. 


Notizen  und  Nachrichten. 


Die  Herren  Verfasser  ersuchen  wir,  Sonderabzüge  ihrer 
in  Zeitschriften  erschienenen  Aufsätze,  welche  sie  an  dieser 
Stelle  berücksichtigt  wünschen,  uns  freundlichst  einzusenden. 

Die  Redalction. 


Allgetneloes, 

Zur  Einführung  in  das  Studium  der  Geschichte  des  Mittelaftera 
und  der  Neuzeit  gibt  A.  Meister  tn  Verbindung  mit  zahlreichen 
Fachgelehrten  einen  im  Verlage  von  Teubner  erscheinenden 
Grundriß  der  Geschichtswissenschaft  heraus,  der  sieh 
als  Aufgabe  stellt,  in  knapper  Zusammenfassung  die  Studierenden 
in  die  von  den  bisherigen  Handbüchern  wenig  berücksichtigten 
historischen  Hilfswissenschaften  und  geschichtlichen  Sondergebiete 
einzuführen.  Die  bereits  erschienene  erste  Abteilung  von  Band  t 
(Preis  6  M.)  enthält:  Grundzüge  der  historischen  Methode  (von 
A.  Meister);  Lateimsche  Paläographle  (von  ß*  B  r  e  l  h  o  1  z) ; 
Diplomatik  (von  R*  Thommeni  L.  Schmitz-Kallenberg 
und  H.  S  t  e  i  n  a c  k  e  r) ;  Chronologie  des  deutschen  Mittelalters 
(von  H,  G  r  o  t  e  f  e  n d).  Für  die  zweite  Abteilung  sind  vorgesehen : 
Sphragistik  (von  Th.  II gen);  Heraldik  (von  £,  Gritzner); 
Quellen  und  Grundbegriffe  der  historischen  Geographie  Deutsch- 
lands und  seiner  Nachbarländer  (von  R*  KÖtzschke);  Historio- 
graphie und  Quellen  der  deutschen  Geschichte  bis  1500  (von 
M,  Jansen);  Quellen  und  Historiographie  der  Neuzeit  (von 
H.  Oncken).  Den  Inhalt  von  Band  2  sollen  bilden:  Deutsche 
WirtachaftspoHtik  bis  zum  17.  Jahrhundert  (von  R.  Kötzschke); 
Wirtschaftsgeschichte  vom  17.  Jahrhundert  bis  zur  Gegenwart 
(von  H.  S  i  e  V  e  k  i  n  g) ;  Deutsche  Verfassungsgeschichte  (von 
A.  Meister  und   G.  Er! er);  Rechtsgeschichte  (von  H.  Naen- 


182 


Notizen  und  Nachrictiten. 


drup);  Geschichte   der  Kirchenverlassung   (von  A.  Werming- 
hoffj  A.  Nürnberger  und  E.  S  e  h  I  i  n  g). 

Im  Verlage  der  Lauppichen  Buchhandlung  zu  Tübingen  er> 
Öffnet  Fr.  Thudichum  eine  Sammlung  ^Tübinger  Studien 
für  gchwä bische  und  deutsche  Recht sgeschichte^» 
bestehend  aus  Heften  von  6-8  Druckbogen,  die  in  Bänden  von 
24 — 30  Druckbogen  mit  inhaltsverzeichnis  und  Sachregister  ver- 
einigt werden,  aber  auch  einzeln  käuflich  sind.  Jeder  Druckbogen 
wird  in  der  Subskription  mit  etwa  30  Pf.,  im  Einzelverkauf  mit 
etwa  40  Pf,  berechnet.  Bis  jetzt  sind  als  Heft  J— 3  die  S,  233 
aufgeführten  Arbeiten  von  Thudichum  und  Holtze  er- 
schienen. 

In  einer  Czernowitzer  RektoratBrede  behandelt  Herzberg- 
Fränkel  die  ^Moderne  Geschichtsauffassung"  mit  gesundem  und 
sicherem  Takte  (Czernowitz,  Selbstverlag  der  Universität).  Er 
betont  treffend,  daß  Geschichtsauffassungen  sich  bilden  vor  allem 
auf  Grund  persönlicher  Lebenserfahrungen  ^  und  so  auch  die  sog. 
^moderne*^  kollektivistische  und  positivistische  Richtung  bedingt 
Ist  durch  die  geistige  Verfassung,  die  das  Zusammentreffen  der 
naturwissenschaftlichen  Triumphe  mit  den  Fortschritten  der  Demo- 
kratie bewirkt  hat.  Sie  bedeutet  keinen  dauernden  Fortschritt 
der  Wissenschaft;  sie  ist  ein  Kind  der  Zeit  und  wird  mit  der 
Zeit  verschwinden.  Aber  sie  hat^  und  auch  darin  kann  man  zu- 
stimmen, eine  heuristische  Kraft  entwickelt,  die  den  Forschern 
aller  Richtungen  zugute  gekommen  ist. 

Ferdinand  Erhardts  Schrift  „Über  historisches  Erkennen, 
Probleme  der  Geschichtsforschung''  (Bern  1906)  bekennt  sich  mit 
Wärme  zu  einer  chrietlich-teleologischen  Geschichtsauffassung, 
Nach  der  Art,  wie  die  Schrift  geschrieben  ist,  scheint  sie  eher  für 
weitere  Kreise  als  für  den  fiistorlker  bestimmt;  aber  ats 
sachgemäüe  Zusammenstellung  über  die  verschiedenen  Arten 
der  Geschichtsauffassung  kann  sie  auch  dem  Forscher  will- 
kommen sein. 

Bernheims  ^Einleitung  in  die  Geschichtswissenschaft"  in 
der  Sammlung  Göschen  ist  nach  der  Angabe  des  Verfassers 
großenteils  nur  die  verkürzte  Wiedergabe  des  ^Lehrbuchs  der 
historischen  Methode",  bringt  aber  doch  auch  manches  Selb- 
ständige und  Neue  gegenüber  der  4.  Auflage  des  Lehrbuchs,  Es 
ist  für  Laien  bestimmt,  aber  man  kann  es  zur  ersten  Orientierung 
sicherlich  auch  dem  Studierenden  empfehlen, 

Mbk  Jansens  Vortrag  über  „Die  Geschichtsauffassung  im 
Wandel   der  Zeit"   (Hist.  Jahrb.  1906,  1)   ist   erfreulich  durch  das 


I 


Atigemeines, 


m 


ehrUehe  Streben  nach  Unparteilichl^eit.  Leider  ist  hier,  wie  so 
manchmatf  eine  Vermlächung  von  Vortrag  und  Aufsatz  eingetreten, 
die  dem  Eindruck  des  Ganzen  schadet:  die  Arbeit  entbehrt  im 
Text  und  in  den  Anmerkungen  (von  denen  viele  hätten  wegbleiben 
können)  der  sicheren  Hervorhebung  und  Scheidung  von  Wichtigem 
und  Unwichtigem,  Es  sei  als  Beleg  nur  angelührt,  daß  in  dieser 
Schilderung  der  Geschichtsauffassung  von  Augustin  bis  zur 
Gegenwart  Leopold  Ranke  nur  einmal  im  Vorübergehen  j,als  der 
größte  Geschichtschreiber  der  Kabinettspolitik^  [j|  genannt  wird, 
während  den  Anschauungen  Lamprechts  und  Belows  vier  volle 
Sdten  gewidmet  sindl  Von  der  ganzen  deutschen  Geschichts- 
wissenschaft des  19.  Jahrhunderts  sind  nur  die  Monumenia 
Germamae  genannt  und  dann  wird  zu  Lamprecht  übergesprungen. 
Und  was  Jansen  über  Lamprecht  und  Below  sagt,  ist  doch  kein 
rechtes  Eindringen  in  die  schwierigen  Fragen,  Dagegen  befriedigt 
weit  mehr,  was  Jansen  über  die  Geschichtsauffassung  früherer 
Jahrhunderte  sagt. 

Rubinstein  erörtert  in  den  Kantstudien  Xf^  t  i,Die  Grund- 
lagen des  Hegeischen  Systems  und  das  Ende  der  Geschichte*^. 
Hegel  nahm  die  Geschichte  als  den  Fortschritt  im  Bewußtsein 
der  Freiheit  und  teilte  ihren  Verlauf  in  vier  Weltperioden  ein: 
die  jüdische f  die  griechische,  die  römische  und  die  germanische. 
Die  germanische  ist  die  letzte  und  höchste.  Diese  Anschauung 
legt  die  Frage  nach  dem  Ende  der  geschichtlichen  Entwicklung 
nahe;  Hegel  hat  gelegentlich  die  Antwort  gegeben,  daß  die 
germanische  Welt  den  Abschluß  bedeute,  weil  da  das  Bewußtsein 
von  der  Freiheit  aller  Menschen  durchgedrungen  sei.  Aber  an 
anderer  Stelle  hat  er  doch  selber  noch  an  eine  weitere  Zukunft 
der  Geschichtsentwicklung  gedacht,  und  Rubinstein  weist  aus 
Hegels  Anschauung  von  Weltgeist  nachi  daß  die  Unendlichkeit 
der  Geschichte  im  Wesen  dieser  Anschauung  liege:  unendliche 
Wcrtbercicherung  ist  das  Wesen  des  Weltgeistes  und  daher  der 
geschichtlichen  Entwicklung.  Eine  künftige  Ablösung  auch  der 
genmamschen  Welt  muß  also  daraus  gefolgert  werden.  Hegel 
befand  sich  also  in  einem  unlöslichen  Widerspruch  bei  der  Auf- 
stellung der  vier  Weltperioden  und  bei  der  Wesensergründung 
des  Weltgeistes. 

Stölzl  e  fügt  seiner  früheren  Arbeit  über  Ernst  v.  Lasaulx 
eine  kleine  Veröffentlichung  im  HjsL  Jahrb.  27»  1  hinzu  (»Zu 
E.  v>  Lasaulx^  Gesehichtsphilosophie^)«  In  einem  Briefe  an  Schlüter 
in  Münster  stellt  Lasaulx  den  Satz  auf»  daß  eine  Geschichtsphilo- 
Sophie   im  Rahmen   der   katholischen  Weltanschauung  unmöglich 


p 


184  Kotizen  und  Nachrichten. 

sei.    Zu   anderer  Zeit   glaubte   Lasaulx   dann    wieder,   sich   trotz      ■ 
allem  als  gläubigen  Katholiken  bekennen  zu  dürfen,  | 

Eine  hübsche  und  geschmackvolle  Auswahl  aus  Rankes 
Geschichtschreibung  bietet  M.  HoHmann  „Geschichtsbilder  aus 
L,  V.  Rankes  Werken*  (Leipzig,  Duncker  &  Humblot,   399  S,  6  M.). 

P.   Caron    schildert   in    der   Rev.  de  Synth,  hist*  XI,  3   den 
gegenwärtigen  Stand  der  iranzösischen  Geschichtsforschung  über 
die  Neuzeit  {^Des  conäittons  actmeUe^  du  travaii  d'htstoire  moderne    ■ 
€n  Franke*). 

Von  der  seitens  der  S^evue  de  Synthese  historique  veranstalteten 
Sammlung  Les  rigions  di  ta  France,  die  in  Einzelessays  den 
Stand  der  provinzialgeschichtlichen  Forschungen  charakterisiereUf 
liegen  uns  Heft  2  (Le  Lyonnais  von  Charl^ty)^  Heft  3  (La  Bomr- 
gogne  von  Kleinclausz)  und  Heft  4  (La  Franche  comt^  von  Febvre) 
vor  (Paris,  Cerf.     1904/05), 

In  den  Quellen  und  Forschungen  aus  italienischen  Archiven 
und  Bibliotheken  8, 2  ist  wiederum  die  höchst  dankenswerte 
Übersicht  über  die  italienische  Geschichtsliteratur  190405  von 
K,  Schellhaß  erschienen. 

Im  Verlage  von  Loescher  in  Rom  ist  soeben  der  erste  Band 
einer  von  Emilio  Caivi  herausgegebenen,  auf  vier  Bände  be- 
rechneten ßibiiagrafia  di  Roma  er  schienen  j  der  die  Zeit  von  476 
bis  1499  umfaßt.  Der  zweite  Band  soll  das  16.^  der  dritte  das  17. 
und  18^  der  vierte  das  19,  Jahrhundert  behandeln, 

Beschorner  erörtert  in  der  Hist.  Viertelj.  1906,  1  „Wesen 
und  Aufgabe  der  historischen  Geographie  an  der  Hand  der 
neuesten  Literatur"  (Knüll,  Kretschmer,  Wilh,  Götz,  Wimmer)  und 
der  In  Arbeit  begriffenen  historischen  Kartenwerke  Deutschlands 
und  Österreichs.  Der  neuerdings  unternommene  bayerische 
historische  Atlas  wäre  der  Obersicht  jetzt  noch  hinzuzufügen, 

E,  Michels  Studie  ,^Le  sentiment  de  ta  Mature  et  l*histoire 
de  la  Feinture  du  Paysage'  (Re\f.  de  Synth,  hist  XI,  2)  ist  ein 
knapper  Überblick  über  die  Darstellung  der  Natur  in  der  Kunst 
von  den  alten  Ägyptern  bis  zu  den  Franzosen  des  19.  Jahrhunderts 
—  aber  für  die  Geschichte  des  Naturgefühls  lernt  man  nichts 
Neues  aus  dieser  Skizze, 

Aus  dem  reichen  Inhalt  der  Hessischen  Blätter  ftir  Volks- 
kunde Band  3  (1905)  können  hier  nur  zwei  aus  Vorträgen  er- 
wachsene Arbeiten  erwähnt  werden.  Es  sind  das  der  programma- 
tische Artikel  von  £.  Mogk:  Die  Volkskunde  im  Rahmen  der 
KuUurentwicktung  der  Gegenwart  und  der  Aufsatz  von  K*  Groos: 


I 

I 


Allgemeines. 

Die  Anfänge  der  Kunst  und  die  Theorie  Darwins,  in  der  D.a 
den  Ursprung  der  Kunst  im  SexuaUeben  der  Urmenschen  suchende 
Hypothese  geprüft  und  als  unrichtig  bezeichnet  wird  und  die  tat- 
sächJjch  bei  der  Frage  in  Betracht  kommenden  Faktoren  kurz 
angegeben  sind.  Sehr  wertvoll  ist  die  dem  Band  beigegebene, 
2Sl  Seiten  füMende  volkskundliche  Zeitschriftenschau^  an  der  zahL* 
reiche  angesehene  Gelehrte  mitgearbeitet  haben.  —  Aus  Band  4, 
2  und  3  der  gleichen  Zeitschrift  sei  noch  der  Aufsatz  von  E.  Bethe: 
Mythus^  Sag€t  Märchen  erwähnt. 

Die  Beilage  zur  Münchener  Allgem,  Zeitung  bringt  In  Nr>  6J 
einen  dem  bekannten  bayerischen  Geschichts-  und  Sprachforscher 
Johann  Kaspar  Zeuß  gewidmeten  Zentenarartikel;  aus  Nr.  66  er- 
wähnen wir  ferner :  Aquileja  von  Karl  Grafen  Lanckoronski; 
aus  Nr^  73:  Entstehung  und  Entwicklung  unserer  Muttersprache 
von  Wilh.  Streitberg  (scharfe  Kritik  der  gleichnamigen  Schrift 
von  Uhl);  aus  Nr,  75:  Reste  deutschen  Volkstums  südlich  der 
Alpen  von  St*  Schindele. 

Das  erste  Heft  der  neubegrtindeten  Zeitschrift  für  Völker- 
recht und  Bundesstaatsrecht  enthält  einen  Aufsatz  von  L.  L  e  Für: 
L'Etat^  la  souveramtti  ei  le  droiL  —  Aus  der  Österreichisch- 
ungarischen  Revue  34,  I  erwähnen  wir  Gust.  Seidler:  Über  die 
sozialpsychologischen  Grundlagen  des  Staates;  aus  der  Revue  des 
deux  münden  1906,  April  I :  La  m^lhode  UgUlative  von  Ch.  Benotst; 
aus  der  Christlichen  Welt  I%6,  10:  Das  Natlonalilätenproblem  von 
Walth.  Schücking;  aus  der  Deutschen  Revue  1906»  Märr: 
Deutsche  Nationalzüge  im  Rechte  von  v.  Schulte;  aus  Velhagen 
und  Klasings  Monatsheften  1906,  März:  Aus  den  Anfängen  der 
modernen  Diplomatie  von  Ch.  Frh.  v.  Fabrice. 

Über  Darwinismus  und  Lamarekismus  handeln  H.  Schmid- 
kunz  in  der  Philosoph.  Wochenschrift  und  Literatur^Zeitung  f,  9 
und  R*  F.  Stieler  in  der  Politisch-anthropologischen  Revue  1906, 
März.  —  Aus  der  letztgenannten  Zeitschrift  1906,  Februar  ver- 
zeichnen wir  noch  O,  Kaemmel:  Kelten  und  Römer,  Germanen 
und  Slaven  in  den  Ostalpenländern  und  A.  Koch*Hesse:  Zur 
Rassengeschichte  Asiens  und  Osteuropas;  aus  dem  Märzheft 
A.  Kannengielier:  Sind  die  Etrusker  Indogermanen 7  und 
i,  Wilser:  Volkstum  und  Sprache  der  Etrusker*  —  fn  den 
Annaies  de  giograpkie  1906,  März  15  veröffentlicht  J,  Cvijic: 
Remarques  sur  t Ethnographie  de  ia  Mac^doine  (f). 

Die  Revue  de  Paris  1906,  März  I  u.  IS  bringt  einen  auch  den 
Historiker  interessierenden    Überblick:  Vigüse,  ies  lalques  et  ia 
L        par^isse  von  A,  Mater.  —  im  Protestantenblatt  39,  10  findet  sich 


im 


Notizen  und  Nachrichten. 


ein  Artikel  von  W.  Nestle:  Die  Zerstörung  Jerusalems  in  ihrer 
Bedeutung  für  Judentum  und  Christentum;  aus  der  Neuen  kircHL 
Zeitschrift  1906,  3  erwähnen  wir  J.  KÖberle:  Hetlsgeschlchttiche 
und  religionsgeschichtliche  Betrachtungsweise  des  Alten  Testamente 
und  W.  Rudel:  Historische  und  dogmatische  Urteile* 

Wir  erwähnen  noch  aus  der  Gegenwart  1906,  8:  Über  die 
Friedensbestrebungen  in  der  Oeschichte  von  0.  Graewe;  au» 
den  Grenzboten  1906,  8:  Die  Poesie  der  alten  Land-  und  Heer- 
straßen von  R.  Krieg;  aus  der  Revue  des  deux  mondes  1906^ 
Februar  15  und  März  15:  Les  rickes  depuis  sept  cenis  ans  ff.  Les 
milHonalres  d'autrefois.  IL  En  quoi  consistaieni  les  anciennes 
fofitinesf)  von  G.  d'Avenel;  aus  der  Zeitschrift  „Deutschland'^r 
März;  Rußlands  Erbschaft  vom  Deutschen  Orden  (1)  von 
0,  H*  Hopfen;  aus  der  Zeitschrift  des  Allgem*  Deutschen 
Sprachvereins  1906,  Marx:  Nachträge  zum  ^Vandalismus**  von 
J.  Miedet  (vgl  %,  337);  aus  der  Zeitschrift  für  Bücherfreunde 
9,  11:  Das  Verleihen  von  Büchern  im  Mittelalter  von  L.  Jordan; 
aus  der  Zeitschrift  für  histor.  Waffenkunde  4^  I :  Entwicklung  und 
Gebrauch  der  Handfeuerwaffen  von  P.  Sixl;  aus  dem  Globus 
%%2i  Hausinschriften  aus  deutschen  Städten  und  Dörfern  von 
A,  Andrae. 

In  Tilles  Deutschen  Geschichtsblättern  1906^  Februar  handelt 
Heinr,  Werner  über  Vorzüge  und  Mängel  der  vorhandenen  ge- 
schichtlichen Lehr-  und  Handbücher.  —  Wir  erwähnen  ferner  aus 
den  Blättern  f.  d.  Gymnasialschulweaen  1906,  Januar-Februar: 
Zur  Pflege  der  Kunst-  und  Kulturgeschichte  des  Altertums  an 
unseren  humanistischen  Gymnasien  von  A.  Rehm;  aus  dem 
Hochland  1906^  März  I :  f-fetmatkunde  im  höheren  Schulunter- 
richt von  J.  Seidenberg  er,  —  Ebenda  behandelt  Else  Hasse: 
Moderne  Geschichtschreibung  und  ihr  ßildungseinfluQ;  aus  der 
Oaterreichischen  Rundschau  6,  71  verzeichnen  wir  Heinr.  Kretsch' 
mayr:  Lamprechts  Deutsche  Geschichte. 

Zu  erwähnen  sind  ferner  noch  einige  kleinere  Arbeiten  i  die 
das  Gebiet  der  historischen  Hilfswissenschaften  betreffen  und  zwar 
aus  der  BibUatkique  de  Väcote  des  cHartes  1905,  September- 
Oktober :  Caiendrier  solaire  Julien  et  grigorien  von  P,  M  a  r  i  c  h  a  l ; 
ebenda,  November^Dezember:  Monogrammes  en  tachygraphie 
syliabique  italienne  von  M.  J  u s  s e  I  i  n ;  aus  der  Byzantinischen 
Zeitschrift  15,  1  und  2:  National-  und  Provinzialschriften  von 
V.  G  a  r  d  t  h  a  y  s  e  n« 

Von  dem  bekannten  Hilfsmittel  Weingartens  ^Zeittafeln 
und  Überblicke  zur  Kirchengeschichte*   legt  C,  F.  Arnold  eine 


Alte  Geschichte* 


m 


6.  vollständig  umgearbeitete  und  bis  au!  die  Gegenwart  fortgeführte 
Aullage  von    (Leipzigs  Hinriche,    264  S.    4,80  M.) 

Neue  Bücher:  Zabala  y  UrdaniM^^  Compendio  de  hisiorim 
universüL  ( Madrid ^  Aivarer.  10  pesj  —  Wrighi,  A  hisiory  af 
all  nations  from  the  eariiest  times.  VoL  /  and  IL  (Philadelphia^ 
Brathers  S-  Ca.) —  K  a  u  t  b  k  y ,  Ethik  und  materialistische  Geschichts- 
auffassung* (Stuttgart,  Dietz  Nachf,  1  M.)  —  Claus,  Thomas  Abbt9 
historisch-politische  Anschauungen,  (Gotha,  Perthes.  1,50  M.)  — 
Biedenkappi  Der  Nordpol  als  Völkerheimat.  (Jena,  Costenoble. 
b  M.)  "  Stein,  Die  Anlange  der  menschlichen  Kultur.  (Leipzigs 
Teubner*  I  M.)  —  ßerolzheimer,  System  der  Rechts-  und 
Wirtschaftsphilosophie,  3.  Bd.:  Philosophie  des  Staates  samt  den 
Grundzügen  der  Politik.  (München,  Beck,  10  M,)  —  Reincke, 
Der  alte  Reichstag  und  der  neue  Bundesrat.  (Tübingen,  A^ohr. 
2j80  M.)  —  Peisker,  Neue  Forschungen  zur  Sozial-  und  Wirt- 
schaftgeschichte der  Slaven.  1.  (Stuttgart»  Kohlhammer-  6  M.)  — 
Fontes  iuris  canonici  sthctL  Coli.  Galante.  (Innsbruck,  Wagner* 
17  M*)  —  Seeberg,  Aus  Religion  und  Geschichte.  I.Bd.:  Bibli- 
sches und  Kirchengeschichtliches.  (Leipzig,  Deichert  Nachf.  6^50  M.) 
—  Schnapper-Arndt,  Vorträge  und  Aufsätze.  Hrsg.  v.  ZeitÜn» 
(Tübingen,  Laupp.  6  M.)  —  van  Veen^  Hislorische  Studien  en 
schelsen.  (Groningen^  Wolters,  4^90  /L)  ^^  A.  Rüge,  Kritische 
Betrachtung  und  Darstellung  des  deutschen  Studentenlebens  in 
seinen  Grundzilgen.  (Tübingen»  Mohr*  2,40  M.)  —  Preisen, 
Staat  und  katholische  Kirche  in  den  deutschen  Bundesstaaten. 
Rechtshistorisch  und  dogmatisch  dargestellt,  t.  Tl.:  Lippe  und 
Waldeck  -  Pyrmont.  (Stuttgart,  Enke.  14  M.)  —  Matügrin^ 
Histoire  de  la  tol^rance  retigieuse.  ä^olution  d*un  principe  sociaL 
( Paris j  Fischbacher.)  —  Canon y  Pricis  d' histoire  de  la  finance 
franfaisej  depuis  ses  origines  Jusgu'ä  nos  jours,  ( Paris j  Vauttar^ 
22 j  rae  Sainl-Marc.)  —  Paez^  Historia  Aethiopiae,  lll  et  fV, 
(Roma^  Luigi.  Leipzig,  Harrassowitz.  10  M.)  —  Cappelti , 
Cronologia  e  calendario  perpetuo.    (MilanOf  HoeplL  6,50  fr.) 


Alte  Gesctiichte. 

Eine  populäre  Zusammenfassung  seiner  bekannten  Arbeiten 
gibt  M.  Hoernes  in  seiner  kleinen  „Urgeschichte  der  Mensch- 
heit'' (Sammlung  Goeschen.  0,80  M.)»  die  jetzt  in  dritter,  ver- 
besserter Auflage  vorliegt. 

Aus  ütm  Journal  asiatlque  1905,  November* Dezember  notieren 
vir  E,  R  e  V  i  1 1  o  u  t :  NouvelU  /lüde  juridico-iconomique  sur  les  in~ 
scriptions  ä'Amten  et  les  origines  du  droit  ^gyptien* 


1B8 


Notizen  und  Nachrichten. 


Aus  der  Re¥U£  dt  pkilohgU,  de  Uttärature  et  d'histoire  an- 
ciennes  30,  1  notieren  wir  J.  Lesquter;  Les  actes  de  divone 
grico'igyptiens,    ätuäe  de  farmuiaire. 

In  der  Zeitschrift  für  att testamentliche  Wissenschaft  26,  1 
(1906)  finden  sich  Aufsätze  van  S,  Krauß:  Zur  Zahl  der  bibij' 
sehen  VÖikerach alten ^  und  B.  Stade:  Die  Drelzahl  im  Alten 
Testament*  Zum  Gedächtnis  Hermann  Useners. 

Die  Mitteilungen  und  Nachrichten  des  deutschen  Paiastlna- 
Vereins  1906^  1  enthalten  die  Fortsetzung  des  Berichts  von  G. 
Schumacher  über  die  Ausgrabungen  auf  dem  Teil  el-Mutesei- 
lim  und  zwar  im  Herbst  1904, 

In  Deutschland,  Monatsschrift  für  die  gesamte  Kultur  1906, 
Februar  spricht  E.  Krüger  über  die  Kunstweberei   Im  Altertum, 

Aus  den  Neuen  Jahrbüchern  für  das  klassische  Altertum» 
Geschichte  und  deutsche  Literatur  und  für  Pädagogik  %  2/3  notie^ 
ren  wir  K,  D  i  e  t  e  r  i  c  h :  Neugriechische  Sagenklänge  vom  alten 
Griechenland;  K.  Th.  Preußr  Der  dämonische  Ursprung  des 
griechischen  Dramas.   Erläutert  durch  mexikanische  Paralleien. 

In  der  Deutschen  Rundschau  I9Ö5,  Februar  handelt  Fr.  Adler 
über  die  Alexanderschiacht  in  der  Casa  del  Fauno  zu  Pompeji. 

Die  Wiener  Studien  27,2  enthalten  Aufsätze  von  Th,  Gold- 
finger: Zur  Geschichte  der  Legio  XlHl  gemina^  dessen  Resul- 
tate, daß  die  Legion  vom  Sommer  68  bis  Frühjahr  69  in  Camun- 
tum  gestanden  hat^  wodurch  auf  die  Kriegsereignisse  der  besagten 
Jahre  wieder  Licht  fälit,  und  daß  sie  an  des  Kaisers  Pius  Mauren- 
krieg teilgenommen,  gut  begründet  sind,  und  von  H,  Gomperz: 
Isokrates  und  die  Sokratik, 

In  dem  Aufsatz  A.  v.  Domasie wskis:  Inschrift  eines 
Germanenkrieges  wird  ein  in  dem  Cimitero  di  Commodilla  ge- 
fundenes Fragment  vortrefflich  ergänzt  und  in  ansprechender 
Vermutung  auf  Didiug  JuUanus  und  seine  siegreichen  Kämpfe 
gegen  Chauken  und  Chatten  bezogen  (Römische  Mitteilungen 
20,  2  [1905]).  Ebendort  erörtert  R.  Schneider  Geschütze  auf 
antiken  ReUefs  und  führt  die  von  Schramm  so  glücklich  begon- 
nenen Rekonstruktionen  griechisch-römischer  Geschütze  (Jahrbuch 
der  Gesellschaft  für  lothringische  Geschichte  16)  weiter. 

Gegen  Tarver^s  neulich  erwähnten  Aufsatz  macht  G.  G. 
R  a  m  s  a  y :  The  fire  of  Rome  and  tke  CkrisHans  einige  gute  Ein- 
wände (Athenaeum  1906,  4083). 

In  den  Grenzboten   1906,  1/2   plaudert   Q  Hosius   über  den 
Volkswitz  der  Römer. 


Alte  Geschichte. 


189 


Nützlich  ist  der  Aufsatz  von  E.  ß  o  t  s  a  c  q :  La  triire  attique 
et  ta  guerrg  navaU  (Rei^ue  de  rinstruction  publique  en  Belgique 
48,  6  [1^51). 

Die  Revue  archäoiogiqa^  1905,  November-Dezember  und  IW6, 
Januar-Februar  enthält  die  Fortsetzung  von  S.  Chabert  Histoire 
sommaire  des  ätudes  d*ipigraphie  grecque  et  r omaine  und  die  vor- 
treffliche Revue  des  puHications  ^pigraphiqties  relatives  ä  i'an- 
tiquiii  romaine  von  R.  C  a  g n  a  t  et  M.  Besnier;  G.  L.  Bell: 
Notes  ün  a  journey  through  Cilicia  and  Lycaortia ;  H.  St.  Jones^ 
Encore  tes  satutations  tmpäriales  de  N^ron ;  A.  B  t  a  n  c  h  e  t :  Re- 
marques sur  la  bataille  de  Paris  en  tan  52  avant  notre  ire;  P. 
Monceaux:  Enquite  sur  Väpigraphie  chr^Henne  d'Äfrique ;  S.  de 
Ricci:  La  bataille  de  Paris. 

In  den  Camptes-rendus  de  VAcad^mie  des  !nscripHons  et 
Betles-lettres  1905,  November-Dezember  finden  sich  zunächst  die 
Berichte  der  erfolgreichen  Grabungen  in  Elche  (Espagne)  von 
E.  A 1  b  e  r  t  i  n  i  und  in  Delos  von  M.  H  o  L I  e  a  u  x  ^  dann  publizieren 
R^  Cagnat:  Le  Casios  et  le  tue  Sirbonis  außer  allgernein  topo- 
graphisch-archäologischen Beobachtungen  eine  wichtige  Inschrift 
und  J*  D^chelette:  Une  ant^fixe  de  la  hmtiime  l^gion  ä^ou- 
verte  ä  N^ris. 

Reich  ist  wieder  der  Inhalt  des  Bulletin  de  Correspondance 
kelUniqae  30,  1/2  0^06),  L.  Vollgraf  f:  Fouilles  d'Argos.  B.  Les 
Etablissements  pr^historiques  de  l'Aspis ;  Th*  R  e  i  n  a  c  h :  Remar-^ 
qaes  sur  le  ddcret  d'Athtnts  en  Vhonnear  de  Fkarnace  l^r  (BGH 
19  S.  169);  M*  L*  Gambanis:  llt^l  rr^^  x^^^^^^^y*^*^  imrarä^sme 
Ud^vatküJi^  Tifü/i^  rofi$^fiaj03r ;  P,  Graindor:  Foitilles  de  Karthaia 
(He  de  K^os).  Monuments  Epigraphiques. 

Aus  den  MElanges  d^archMogie  et  d^histoire  2b j  5  (1905) 
notieren  wir  J.  Garcopino:  ^Decumanif  Note  sur  V Organisation 
des  soci^tis  publicaines  saus  la  ripablique. 

Frisch  und  lesenswert  ist  die  im  Bulletin  de  la  SociM  des 
Amis  de  VUniversitä  de  Lyon  19,  1  (1906)  abgedruckte  Rede  von 
Ph,  Fabia:  NEron  acteur. 

Lehrreich  handelt  F.  Cumont  über  les  cultes  d'Asie  JHlneure 
dans  ie  paganisme  Romain,  wobei  die  allmähliche  Umwandlung 
eines  primitiven  Naturglaubens  in  Mysterien  fein  und  überzeugend 
dargetan  wird,  namentlich  an  dem  Kult  der  Magna  Mater  deum 
idaea  {Revue  de  FHistoire  des  religions  53,  I). 

In  der  ^Eft^f^^ig  /tpx'^^f^oyati}  1905,  1/3  veröffentlichen  P.  A, 
nanaßiitfiX$iov  Inschriften  aus  Euboia  und  F.  ^üiT¥}^i^3^€  die 
Resultate   seiner  wichtigen  Ausgrabungen  in  Thermos,  mit  vielen 


190 


Notizen  und  Nachrichten. 


Inschriften^  darunter  einen  Symmachle vertrag  zwischen  Aitolern 
und  Akarnanen  etwa  aus  28i>— 270  v>  Chr.»  eine  Asylieverleihung 
der  Aitoler  an  die  Magneten  vom  Maiander,  interessant  sind 
auch   die   von   K.  Fti^fiatoi  gemachten  Ei^ti^ta  uv€tamL<f^^  t&v  ini 

rrii  /7ff^*^^fltf  ntt^or     und     wichtIg    die    von     K.   Kov^ßvrtnhlli    zu- 

sammenge&lellten  und  erläuterten  KnTd}.oyöi  ^ivimtoftxf^. 

Das  Bulietiina  äetia  Commissione  archeologUa  comunaie  di 
Roma  33,  4  (1W)5)  enthält  Berichte  über  bemerkenswerte  Funde 
und  Grabungen,  und  zwar  R.  Lanciani:  Scopertt  di  anüchitä 
alla  pcrta  Furba;  G.  Gatti:  La  casa  €  le  terme  äei  Nerazii; 
O.  Marucchi:  Di  alcune  recenÜ  scoperie  di  anUchitä  crisiian^ 
suUa  via  Flaminia;  F.  Tomasetti:  Motizie  iniorno  ad  akune 
(hiesf  di  Roma;  G.  0  a  1 1  i :  NoUzie  di  recenti  trovamenti  di  anU- 
chitä in  Roma  e  nel  subarbio ;  L.  C a n t a r e II i :  Scoperie  archeo- 
logiche  in  ilaiia  e  netie  antiche  provincie  Romane. 

Aus  der  Byzantinischen  ZeilschriJt  13,  1/2  (IW6)  notieren  wir 
Th.  ßüttner- Wobst:  Die  Anlage  der  historischen  Enzyklopädie 
des  Konstantinos  Porphyrogennetos ;  J*  Dräseke:  Neuplatoni^ 
sches  in  des  Gregorios  von  Nazlanz  Trinitätslehre ;  L.  Br^hier: 
Vorigine  des  titres  impiriaux  ä  Byzance;  N,  Jorga:  Latins  et 
Grecs  d^ Orient  et  i' Etablissement  des  Tarcs  en  £«ro^^  (1342^^1362); 
V.  Gardthausen:  National-  und  Provinzialschriften;  GLer- 
mont-Ganneau:  Observations  sttr  ies  „Inschriften  aus  Syrien"* 
B.  Z.  t.  XIV,  p.  18—68, 

im  Archiv  flJr  Religionswissenschaft  9,  1  (1906)  ist  der  Schluß 
der  beiden  schon  von  uns  angezeigten  Abhandlungen  von  Th. 
Zielinski:  Hermes  und  die  Hermetik  und  von  F*  C.  Cony- 
bearc:  Die  jungfräuliche  Kirche  und  die  jungfrauliche  Mutter^ 
Beachtenswert  ist  der  Aufsatz  von  F.  v*  Duhn:  Rot  und  tot. 
i^,  V,  Protts:  MHTHP,  Bruchstück  zur  griechischen  Religions- 
geschichte, ist  aus  dem  Nachlaß  herausgegeben  und  enthält  ein^ 
zelne  leicht  hingeworfene  Gedanken  ohne  nähere  Ausführung  und 
Begründung. 

Bedeutendes  Interesse  erwecken  die  neuentdeckten  Kata- 
komben in  Hadrumetum,  worüber  nach  der  ersten  Ausgrabungs- 
kampagne  C  a  r  t  a  n  und  L  e  y  n  a  u  d  im  Bulletin  de  ia  Socidi^ 
archiologique  de  SüUsse  5j  1  (1905)  auslührUch  berichten. 

Anziehend  und  lesenswert  ist  der  Aufsatz  von  H.  v.  Schu* 
bert:  Hy patia  von  Alexandrien  in  Wahrheit  und  Dichtung  in 
Preußische  Jahrbücher  1906»  April* 

Die  Neue  kirchliche  Zeitschrift  16,  fl/f2  bringt  einen  treff- 
lichen Aufsatz  von  £.  Seilin:  Melchisedek.    Ein  Beitrag  zu  der 


Alte  Geschichte. 


19t 


OeschTchtc  Abrahams^  worin  mit  guten  Gründen  Genesis  XIV  als 
unanfechtbares  Dokument  für  die  Geschichtlichkeit  der  Persön- 
lichkeit Abrahams  erwiesen  wird.  Für  praktische  Theologen  mehr 
als  für  Kirchenhistoriker  berechnet  ist  G.  Wohlenbergs  Auf- 
satz: Zwei  Krippentheologen.  Eine  Welhnacbtsstudie  zum  Krippen- 
gespräch des  Hieronymus,  dessen  These:  das  dem  Hieronymus 
xugesehriebene  Krippengespräch  ist  nicht  hieronymianisch,  für  die 
wissenschaftliche  Welt  gewiß  mit  wenigen  Worten  zu  erweisen 
war,  wenn  es  überhaupt  des  Beweises  bedurfte. 

In  der  Zeitschrift  für  neutestamentliche  WissenschaFt  und  die 
Kunde  des  Urchristentums  6,4  (1905)  erklärt  J,  Merkel:  Die  Be- 
gnadigung am  Passahfeste  aus  dem  den  Statthaltern  zustehenden 
Recht  über  Leben  und  Tod  der  Provinzialen  zu  verlügen;  gewtö 
richtig  und  jedenfalls  wird  diese  alte  Streitfrage,  ob  in  der  Be^ 
gnadigung  am  Passahfeste  jüdisches  Gewohnheitsrecht  oder  eine 
stehende  Übung  der  prokuratorischen  Regierung  zu  sehen  sei, 
glücklich  gelöst.  Dann  behandelt  P.  Corssen  den  Schluß  der 
Paulusakten  und  zeigt  mit  großem  Geschick  und  durchaus  über- 
zeugend» daß  die  uns  erhaltenen  Paulusakten  nicht  den  ursprüng- 
lichen Text  wiedergeben.  Weiter  veröffentUcht  |,  A»  Gramer 
den  Schluß  seiner  Abhandlung:  Die  erste  Apologie  Justins^  Ein 
Versuch,  die  Bittschrift  Justins  in  ihrer  ursprünglichen  Form  her- 
zustellen. 

Aus  der  Revae  bändäicUne  23,  2  (1906)  notieren  wir  D,  De 
Bruyne:  Encore  les  ^Tractatus  Originis^  (zwischen  410  und  525 
entstanden):  G,  Morin:  Stadia  Caesanana.  Nüuvelle  sSrle  ä'in~ 
^dits  tirie  dis  manuscrits  d' Spinat  und  H.  Quentin:  ElpidiuSy 
ivique  de  Huesca  et  les  souscnpUons  du  deiucUme  cottcile  de  Tolide^ 
worin  der  bei  Istdorus  de  vtrts  itiusiribus  genannte  ElpJdius  iden- 
tifizirt  wird. 

Aus  The  Expositor  1906^  April  notieren  wir  G.  A.  Smith: 
The  desolate  City  (1.  e.  Jerusalem  nach  der  Zerstörung  durch 
Nebuchädnezzar);  C  A*  W*  Johns:  The  Äm&rite  Calenäar;  W. 
M,  Ramsay:  Tarsus,  the  river  and  the  sea^  der  wie  gewöhnlich 
viel  Anregungen  bringt. 

Von  W.  Wagners  bekanntem  und  viel  verbreitetem  Werke 
«Rom.  Geschichte  des  römischen  Volkes  und  seiner  Kultur* 
liegt  jetzt  eine  8,  Auflage  vor  (Leipzig,  Spamer,  846  S.)»  deren 
Bearbeiter  Professor  O.  E,  Schmidt  sich  bemüht  hat^  die  For- 
schungen und  Funde  der  letzten  Jahre  hineinzuarbeiten  und 
namentlich  die  Abschnitte  über  die  Kultur  reicher  auszuführen. 

Der  erste  Band  von  William  Gordon  Holmes:  The  age  o{ 
JusHnian   und    Theüdora;  A   histüry   of  the  aixih  Century  a.  rf. 


m 


Notizen  und  Nachrichten. 


(London,  George  Bell  6  Sons.  1905)  ist  nur  einleitenden  Inhalte 
und  läßt  noch  nicht  viel  von  den  selbständigen  Studien  des  Ver- 
fassers erkennen.  Derselbe  handelt  in  einem  ersten  Kapitel  von 
Konstant]  nopel,  gibt  eine  kurze  Geschichte  und  Beschreibung  der 
Stadt  und  eine  Schilderung  des  Charakters  und  des  Lebens  ihrer 
Bewohner.  In  dem  zweiten  Kapitel  legt  er  die  Zustände  des  by- 
zantinischen Reiches  unter  Kaiser  Anastasius  zu  Anfang  des 
6.  Jahrhunderts  dar,  seine  Ausdehnung,  Einteilung  und  Verwaltung, 
das  Finanz-  und  Heerwesen,  Handel  und  Verkehr,  dann  Unter- 
richt und  Bildung^  endlich  die  kirchlichen  Verhältnisse,  wobei  er 
seine  ganz  radikalen  kirchenfeindlichen  Anschauungen  auf  das 
deutlichste  hervortreten  läßt.  In  den  beiden  letzten  Kapiteln  wird 
die  kurze  Regierung  Kaiser  Justins  L^  des  Oheims  Justinians,  und 
die  Rolle,  welche  dieser  während  derselben  gespielt  hat,  sodann 
das  Vorleben  seiner  Gemahlin  Theodora  bis  zu  seinem  Regierungs* 
antritt  geschildert.  Eine  Erörterung  der  quellenkritischen  Fragen 
wird  für  später  in  Aussicht  gestellt.  Vorläufig  fallt  es  auf,  daß 
der  Verfasser  Prokops  Anecdota  auch  in  den  Einzelheiten  mehr 
Glaubwürdigkeit  beimißt,  als  dieses  sonst  neuerdings  zu  geschehen 
pflegt. 

Neue  Bücher :  W  i  n  c  k  I  e  r  ^  Altorientalische  Geschichtsauf- 
fassung. (Leipzigs  Pfeiffer.  1,20  M.)  —  Sharpe,  The  history  i>f 
Egypt  from  tke  sarlies i  iimes  tili  the  conquest  ty  the  Arabs^  ö,  rf, 
640.  (London,  BilL  6  sh,)  —  Fleary^  Mdanges  d'arch^ologie 
et  'd'histoire.  (MamerSj  FUury  et  Dangin.)  —  Kern,  Goethe, 
Bock I in,  Mommsen.  4  Vorträge  über  die  Antike,  (Berlin,  Weid- 
mann. 1,80  M.)  —  Jurandid,  Prinzipiengeschichte  der  griechi- 
schen Philosophie.  (Agram,  Trpinac.  2  M.)  —  Sund  wall,  Epi- 
graphischa  Beiträge  zur  sozialpolitischen  Geschichte  Athens  im 
Zeitalter  des  Demosthenes.  (Leipzig,  Dieterich.  5  M,)  —  Speck, 
Handelsgeschichte  des  Altertums.  3.  Bd.,  2.  Hälfte,  Die  Römer 
von  265  V,  Chr.  bis  476  n.  Chr.  (Leipzig,  Brandstetter.  14  M,)  — 
Hardyj  Studie s  in  Roman  history.  ( London ^  Sonnenschein  ^  Co.} 
—  Venturinii  Virnpero  romano,  Vol,  L  (MUanOj  CogliatL 
3,50  fr.)  —  Maschke,  Zur  Theorie  und  Geschichte  der  römi- 
schen Agrargesetze.  (Tübingen,  Mohr.  2,40  M.)  —  Gummerus, 
Der  römische  Gutsbetrieb  als  wirtschaftlicher  Organismus  nach 
den  Werken  des  Gato,  Varro  und  Columella.  (Leipzig,  Diete- 
rich. 5  M.)  —  Bacha^  Le  g/nie  de  Tacite.  La  cr^ation  des  Än- 
nates,  (PariSj  Akan.)  —  Berendts,  Die  Zeugnisse  vom  Christen- 
tum im  slavischen  ,De  belio  Judaico^  des  Josephus.  (Leipzig, 
Hinrichs*  Verl.  2,50  M.)  —  Baudrillart ^  La  religion  romaine, 
fParis^  Bloud  ^  Cie,)  —  Harnack^  Die  Mission  und  Ausbreitung 


Frühes  Mitteiaiter* 


193 


des  Chngtentums  in  den  ersten  drei  Jahrhunderien.  2.  neu  durch- 
gearb.  AufL  2  Bde,  (Leipzig,  Hinrichs'  Verl.  13  M.)  —  Heaty, 
The  Valerian  persecuiiün^  a  study  of  ihe  relations  beiween  church 
and  State  in  the  S'^  Century  a.  d.  ( London ,  Constable.  6  shj  — 
Grützmacherj  Hieronymus.  2.  Bd.:  Sein  Leben  und  seine 
Schrillen  von  385  bis  400.    (Berlin,  Trowitzsch  &  Sohn*    7  M.) 


Römiäch-gerniaiitsche  Zeit  und  frühes  MiUelaller  bis  1250. 

Die  andauernde  l~iochflut  von  Veröffentlictiungen  zur  Prä* 
historie  und  römisch-germanischen  Periode  Deutschlands  nötigt 
tUT  Anführung  nur  weniger  Arbeiten.  Wir  notieren  die  kurzen 
Ausführungen  von  W.  Loebell  über  die  Steinbohrung  im  Stein- 
zeitaiter  und  die  TaJeln  zur  VeranschauUchung  der  wichtigsten 
Stücke  des  Insterburger  Museums  (Festschrift  zum  25jährigen 
Jubiläum  der  Altertumsgesellschaft  zu  Insterburg,  a.  u.  d.  T«: 
Heft  9  der  Zeitschrift  jener  Vereinigung),  die  Beobachtungen  von 
C  Schuchhardt  über  die  Steingräber  bei  Grundoldendorf  im 
Kreis  Stade  (Zeitschrift  des  historischen  Vereins  für  Nieder- 
sachsen 1905,  4),  dazu  die  Übersichten  von  A.  MUller  über 
prähistorische  Grabstätten  in  der  Nähe  von  Weimar  und  Erfurt 
(Zeitschrift  des  Vereins  für  thüringische  Geschichte  und  Altertums- 
kunde N*  F*  15^  2)  und  von  H.  Seelmann  über  die  prähistorischen 
Arbeiten  In  Anhalt  während  des  Jahres  1905  (Mitteilungen  des 
Vereins  für  anhaltische  Geschichte  und  Altertumskunde  10^  2). 
Willkommen  wie  immer  als  Führer  ist  der  Bericht  von  A.  Goetze 
über  vorgeschichtliche  Forschungen  und  Funde  im  Korrespondenz- 
blatt des  Qesamtvereins  54^  1/2^  einer  Zeitschrift^  aus  der  auch  die 
Verwaltungsberichte  der  Museen  zu  Metz  (von  J.  Keune)  und 
zu  Bonn  (von  H.  Graeven)  anzumerken  sind  wie  ein  Aufsatz  von 
A,  Sehoop  über  die  römische  Besiedlung  des  Kreises  Düren. 
J.  Körber  beschreibt  im  Korrespondenzblatt  der  Westdeutschen 
Zeitschrift  24^  1-2  die  neuaufgefundene  Juppitersäule  zu  Mainz 
(vgL  %,  158),  H.  Jacobi  die  Ergebnisse  von  Ausgrabungen  auf 
der  Huhnburg  bei  Homburg  vor  der  Höhe.  Anregend  handelt 
E.  Dragendorf f  über  die  archäologischen  Forschungen  der 
letzten  Jahre  in  Westdeutschland  und  charakterisiert  ihre  Ergeb- 
nisse am  Limes  und  an  Haltern  (Deutsche  Monatsschrift  5^  bfl), 
ein  Vortrag  von  F.  Koepp  verbreitet  sich  über  die  Ausgrabungen 
bei  Haltern  und  deren  Resultate  (Neue  Jahrbücher  für  das  klass» 
Altertum  usw,  17  u,  18,3),  während  eine  Miszelle  von  E.  Heuser 
ftich  mit  den  römischen  Kunattöpfereien  in  Rheinzabern  beschäf- 
tigt (Münchener  Allgem,  Zeitung  1906,  Beil  Nr.  63). 
Historliche  Zdtichrilt  (97.  Bd.)  3.  Folge  1.  Bd.  13 


in 


Notizen  und  Nachrichten. 


Das  Korrespondenzbtatt   des  Gesamt  Vereins  54,  2   bringt  die 

Resümees  von  Vortragen  zum  Abdruck,  die  auf  der  vorjährigen 
Tagung  der  Geschichtsvereine  zu  Bamberg  gehalten  wurden. 
G.  A  n  t  h  e  s  sprach  über  die  wissenschaftlichen  Untersuchungen 
im  Gebiet  der  west-  und  süddeutschen  Vereine  von  Ostern  1904 
bis  zum  Herbst  1905^  F.  Haug  über  germanische  Einflüsse  im 
römischen  Ohergermanlen,  G*  Wolff  über  römische  Töpfereien 
vor  dem  Nordtore  von  Nidda  (l-JeddernheimX  L.  Thomas  gab 
vergieichende  Betrachtungen  über  die  Berührungspunkte  südwest- 
deutscher RingwIMe  mit  ßibrakte  und  Aiesia  (mit  Kartenskizze), 
6.  Müller  handelte  über  einen  seltenen  Typus  prähistorischer 
Armringe  (mit  Abbildungen),  Helmke  über  ein  Grabfeld  in  der 
Wetterau  aus  der  Hallstattpenode.  H.  WoHrams  Ausführungen 
über  die  Einflüsse  kleinasiatischer  Kunst  auf  Gallien  und  Germanien 
sind  schon  früher  erwähnt  worden  (vgl.  %j  53S  f.). 

Freunde  eines  durch  keine  Sachkenntnis  getrübten  Dilettan- 
tismus seien  auf  die  „Bruchstücke  aus  der  ältesten  Geschichte 
der  Belgier.  4,  Cimbern,  Teutonen  und  Aduatiker  (Antwerpen, 
J.  E.  Buschmann  190&,  3S  S.  mit  je  4  Tafeln  und  Karten)  von 
Oberst  van  den  Bogaert  verwiesen.  Zur  Charakteristik  der 
Schrift,  eines  bunten  Wirrsals  angeblich  historischer^  philologischer 
und  geologischer  Betrachtungen,  genügt  es  anzuführen,  daß  nach 
Ihr  die  Bewohner  Belgiens  vor  Einwanderung  der  Cimbern  ,,schon 
längst  zivilisiert  waren;  man  hat  von  diesen  Völkern  Schriften, 
die  das  bezeugen;  die  meisten  Bewohner  waren  Bauern,  Hirten, 
Fischer ;  in  den  Städten  befand  sich  eine  Zunft  von  Handwerkern ; 
man  bearbeitete  dort  Edelmetalle :  die  leitenden  Klassen 
waren  unterrichtet;  sie  hatten  ihre  Schriftsteller,  Dichter,  welche 
die  Traditionen  beibehielten;  sie  kannten  das  Schachspiel'* 
(S,  37  f,)  usw, 

J,  Kösters  hat  sich  der  Mühe  unterzogen,  die  Entstehungs- 
zeit der  von  Mabillon  gesammelten  Oräines  Romani^  d.  h.  Auf- 
zeichnungen über  den  Ritus  der  Messe  und  anderer  kirchlicher 
Feierlichkeiten  an  der  römischen  Kurie,  genauer  zu  umschreiben. 
Seine  Resultate  weichen  von  den  bisher  angenommenen  7um  Teil 
erheblich  ab.  Die  ältesten  jener  ordines  (in  der  Sammlung  MabiUons 
Nr.  1,  7  und  S)  glaubt  der  Verfasser  bereits  im  sechsten  Jahr- 
hundert entstanden,  während  von  den  übrigen  einer  (Nr.  9)  noch 
um  die  Wende  des  siebenten  und  achten  Jahrhunderts  aufgezeichnet, 
im  elften  Jahrhundert  aber  erweitert  worden  sein  soll,  wieder 
andere  (Nr.  2—5)  dem  9.  bis  IL  Jahrhundert  entstammen,  Nr,  LI 
und  12  dem  12.  Jahrhundert  angehören   und  dank  der  Benutzung 


Frühes  Mittelalter. 


195 


der  Gesta  paitperis  scholarls  Albim  durch  Cencius  tn  dessen  Liter 
€ensfium  übergegangen  smd;  die  Ordines  10,  !3  und  14  sind  erst 
lim  13.  und  14.  Jahrhundert  niedergeschrieben  worden,  während 
\^rda  6  au 6 errömische 3  Gepräge  aufweist  Die  Untersuchung  war 
vor  eine  schwierige  Aufgabe  gestellti  da  jene  Aufzeichnungen  ein 
gleichsam  zeitloses  Gepräge  tragen,  und  mit  Recht  behandelt 
Kosters  jeden  Ordo  gesondert.  Uns  will  scheinen,  als  hätte  er 
durch  eine  straffere  Disposition  innerhalb  jedes  Kapitels  den  Leser 
noch  besser  auf  seine  Seite  ziehen  können:  er  setzt  zuviel  voraus, 
anstatt  sich  zunächst  die  Frage  vorzulegen,  ob  nicht  auch  andere 
als  Liturgiker  zu  seinem  Buche  greifen  möchten.  Wie  ganz  anders 
hat  Waitst  es  verstanden,  in  seinen  ^Formeln  der  deutschen  KÖnigs- 
und  römischen  Kaiserkrönung^  den  zunächst  uneingeweihten  Leser 
zu  unterrichten!  Nicht  vergessen  sei  der  Anhang  der  Schrift  mit 
seinen  Mitteilungen  von  drei  Ordines  (QuaUter  post  ordinaUünem 
kardinales  vadtint  aä  ecelesias  suas;  QuaUter  etigatur  summus 
poniifex  S.  /?.  E.  et  quomada  consecretur  ei  ad  stimmum  honorem 
venire  debeai,  erwähnt  von  S.  Keller,  Die  römischen  Pfalzrichter 
S.  92  Anm.  4 ;  Ordü  cerimoniomm  servanäorum  (f)  in  corünacione 
summi  pontificis).  Es  wäre  erfreulich,  wenn  die  Schrift  anregte 
lu  einer  Prüfung  der  zahlreichen  Pontifikalienhücher,  die  sich  in 
unseren  Bibliotheken  finden.  Stichproben  aus  solchen  Codices  in 
Bamberg  und  Paris  ergaben  den  Wert  dieser  Bücher  für  die  Ver- 
lassungsgeschichte  der  Kirche;  ein  Buch  wie  das  von  A,  Franz 
(Das  Rituale  von  SL  Florian  aus  dem  12.  Jahrhundert.  Freiburg 
L  B*  1904)  sollte  nicht  ohne  Nachfolger  bleiben,  zumal  wir  in 
vielen  Punkten  noch  immer  auf  das  veraltete  Werk  von  Martine 
(De  anliquis  eccUsiae  ritibas  1700)  angewiesen  sind.  (Studien  zu 
Mabillons  römischen  Ordines,  Münster,  W,  H.  Schöningh.  IW5. 
100  S.)  A.  W. 

Ein  Reihe  von  Beiträgen  zur  kirchlichen  Verfassungs-  und 
Rechtsgeschichte  mag  in  aller  Kürze  notiert  sein.  H.  v*  Schubert 
behandelt  in  einer »  das  Wesentliche  der  Entwicklung  scharf  her- 
vorhebenden Rede  „Staat  und  Kirche  von  Konstantin  bis  Karl 
den  Großen'*  (Kiel,  Lipsius  «  Tischer.  1W6.  20  S.);  erfreulich 
ist  der  Hinweis  darauf,  daß  einzelne  Aufstellungen  demnächst  im 
zweiten  Bande  von  Schuberts  Lehrbuch  der  Kirchengeschichte 
begründet  werden  sollen.  A,  M.  Koeniger  liefert  beachtenswerte 
Beiträge  zur  Kenntnis  der  Synodalbeschlüsse  von  Meaux  (945)  und 
Koblenz  (922),  deren  Kanone  s  er  um  je  einen  gesondert  über- 
lieferten vermehrt  (Neues  Archiv  ^1,  2).  E,  Hirsch  bestreitet, 
daß  von   einer  Ausdehnung  des  Begriffs  Simonie  auf   die  Laien- 

13* 


m 


Notizen  und  Nachrichten, 


Investitur  während  des  11.  Jahrhunderts  die  Rede  sein  könne 
(Archiv  für  katholisches  Kirchenrecht  86,  1).  Die  eingehende 
Untersuchung  von  J,  v,  Pflugk-Harttung  in  den  Mitteilungen 
des  Instituts  für  österreichische  Geschichtsforschung  27,  1  gilt  dem 
Papst  Wahldekret  des  Jahres  1059.  Von  seinen  beiden  Fassungen 
hatte,  wie  man  weiß»  R  Scheffer-Boichorst  die  sog.  päpstliche  als 
die  echte  erwiesen  und  damit  allgemeine  Zustimmung  gefunden. 
Hier  kann  nur  das  Resultat  der  neuen  Prüfung  wiedergegeben 
werden,  ohne  da0  schon  jetzt  zu  ihr  Stellung  genommen  werden 
soll:  ^Die  kirchlichen  Eiferer  haben  ihr  Ziel  auf  der  Lateransynode 
des  Jahres  1059  nicht  erreicht.  In  der  Zukunft  erging  es  dann 
dem  Dekrete  wie  anderen  Dingen  aus  der  Zeit  Heinrichs  IV.: 
die  Talsachen  wurden  gefälscht  und  in  papstfreundlicher  Bearbeitung 
überliefert,  die  Wahlbestimmungen  also  im  päpstlichen  Sinne  um- 
gestaltet, möglicherweise  mit  Anlehnung  an  die  Forderungen  des 
Kardinals  Humbert;  der  Urtext  hat  eine  entscheidende  staats- 
rechtliche Anteilnahme  des  Königs  enthalten  .  ♦  *  Aus  den  Über- 
arbeitungen des  echten  Dekrets  erklären  sich  die  vielen  formalen 
und  sachlichen  Mängel,  mit  denen  die  erhaltenen  Fassungen  be- 
haftet sindf  zumal  die  sog.  ,päpstliche^  Sie  steht  eben  dem 
Originaltexte  am  fernsten.**  In  das  zwölfte  Jahrhundert  führt  die 
fleißige  Materialsammlung  von  F,  Geselbracht,  der  in  seiner 
(Leipziger)  Dissertation  »Das  Verfahren  bei  den  deutschen 
Bischofswahlen  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts*" 
schildert  (Weida  i.  Thür,  Thomas  &  Hubert.  1905.  139  S.),  dessen 
Polemik  u.  a.  gegen  A.  v.  Wretschko  keineswegs  schlüssig  er- 
scheint. Zur  Verwaltungsgeschichte  endlich  eines  bischöflichen 
Sprengels  mag  auf  die  Arbeit  von  Ch.  Duvlvier  über  den 
Archidiakonat  von  Brabant  in  der  Diözese  Cambrai  bis  zu  seiner 
Teilung  im  Jahre  1272  verwiesen  sein  (Bulletin  de  ia  cammission 
royaie  d^histoire  74,  4)» 

Man  weiß,  wie  zahlreiche  Probleme  das  Volksrecht  der  Bayern, 
die  Lex  Baimariorum j  der  Forschung  darbietet  {yg\,  88,  162.  352; 
89,  535f*)<  E.  V.  Schwind^  der  eine  Neuausgabe  des  Gesetz- 
buches für  die  Manumenta  Otrmaniae  übernommen  hat,  entschloß 
sich  daher,  die  Edition  durch  voraufgeschickte  Untersuchungen 
etwas  zu  entlasten.  Ihre  erste,  soeben  im  Neuen  Archiv  31,  2 
veröffentlicht,  prüft  aufs  neue  die  Beziehungen  der  Lex  zu  den 
westgotischen  Rechtsaufzeichnungen,  dann  zu  den  alamannischen. 
Im  Gegensatz  zu  K.  Zeumer,  der  die  Lex  Balavariorum  zeitlich 
auf  die  Lex  Alamannorum  folgen  läßt,  hält  er  mit  H,  Brunner  an 
der  früheren  Entstehung  der  Lex  Baiuvarlorum   fest   und  erklärt 


Frühes  Mittelalter. 


m 


ihre  Verwandtschaft  mit  dem  schwäbischen  Gesetzbuch  durch  die 
Benutzung  einer  ihnen  beiden  gemeinsamen,  aber  verlorenen 
Quelle.  Der  Vergleich  der  Lex  Bai.  mit  den  übrigen  Volksrechten 
erwies  sich  ihm  als  wenig  ergiebig. 

Im  Gegensatz  zu  L.  H  e  r  t  e  1  ^  der  den  Thüringischen  Renn- 
steig seiner  Entstehung  nach  einen  Kurier-  und  Patrouillenweg 
genannt  hatte  (Tilles  Deutsche  Geschichtsblätter  7,  1),  vertritt 
K.  Rubel  die  Ansicht,  daß  die  Anlage  des  vielgenannten  Weges 
zusammenhänge  mit  Umgrenzungen  oder  Markensetzungen,  wie 
sie  von  den  Franken  im  deutschen  Eroberungsgebiet  vorgenommen 
worden  seien;  der  Umritt  des  „Herzogs"  (im  Sinne  Rübeis  einer 
Art  von  Oberlandmesser)  habe  den  Rennsteig  als  Grenze  sanktio- 
niert (ebenda  Heft  2). 

Schwer  läßt  sich  der  Inhalt  einer  umfangreichen  Studie  von 
A.  Hofmeister  über  Markgrafen  und  Markgrafschaften  im  itali- 
schen Königreich  in  der  Zeit  von  Karl  dem  Großen  bis  Otto  dem 
Großen  (774— %2)  im  Rahmen  einer  knappen  Notiz  zusammen- 
drängen. Sie  geht  aus  von  einem  Vergleiche  der  langobardischen 
und  der  fränkischen  Einrichtungen^  behandelt  darauf  die  Ent- 
stehung der  markgräflichen  Gewalt,  deren  Ähnlichkeit  mit  dem 
deutschen  Herzogtume  bereits  J,  Ficker  hervorhob,  um  im  zweiten 
größeren  Teile  der  Untersuchung  die  Geschichte  der  Markgraf- 
schaften  in  Priaul,  Tuscien  und  Spoleto  aufzudecken.  Klare  Dis- 
position und  große  Belesenheit  sind  die  Vorzüge  der  Arbeit,  nicht 
minder  aber  auch  ihre  Abkehr  von  gewagten  Hypothesen  oder 
Konstruktionen,  Mit  Recht  nennt  Hofmeister  die  markgräfliche 
Gewalt  eine  mittlere  Gewalt  zwischen  dem  König  und  den  Grafen ; 
nur  ihr  Entstehen  will  er  kennen  lernen,  nicht  ein  in  sich  ge- 
schlossenes Bild  ihrer  Befugnisse  zeichnen  — ,  vielleicht  ein  Hin- 
weis darauf,  daß  spätere  Studien  das  jetzt  noch  Fehlende  ergänzen 
sollen.  Jedenfalls  wird  man  ihnen  gern  entgegensehen  dürfen 
(Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  Geschichtsforschung 
7.  Ergänzungsband  Heft  2  S.  215  ff,). 

Vier  Arbeiten  befassen  sich  mit  Fragen  frühmittelalterlicher 
Diplomatik,  Im  Neuen  Archiv  31  ^  2  behandelt  K.  Voigt  die 
Lebensbeschreibung  des  Hl.  Babolenus  und  die  Urkunden  für 
SL  Maur-des-Foss^s,  Br,  Kruse h  setzt  sich  noch  einmal  (vgl,  92, 
348)  mit  L.  Levillains  Ausführungen  über  die  Urkunden  von  Corbie 
auseinander,  A.  Hesse  I  handelt  in  Weiterführung  seiner  Beiträge 
zu  Bologneser  Geschichtsquellen  (vgL  %t  346  L)  über  drei  von 
irnerius  unterschriebene  Privilegien  Heinrichs  V«,  teilt  die  Urkunde 
des  kaiserlichen   Legaten   Konrad»   Bischofs   von   MetZi    mit,   die 


19S 


Notizen  und  Nachrichten, 


deni  Bischof  von  Bologna  freiwillige  Gerichtsbarkeit  zuerkennt 
(1221)  und  endlich  einen  Urteilsspruch  des  kaiserlichen  Appefla- 
tionsrichters  Guido  di  Boncambio  atis  dem  Jahre  1225.  Aus 
den  Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  Geschichtsfor- 
schung 27,  1  verdient  die  lehrreiche  Anzeige  des  Buches  von 
J.  Schultze,  Die  Urkunden  Lothars  HL  (Innsbruck  1905)  durch 
H.  Hirsch  besondere  Hervorhebung. 

Zahlreicher  als  sonst  sind  die  Beiträge  zur  Geschichte  der 
frühmittelalterlichen  Literatur  im  weitesten  Sinne  dieses  Wortes, 
j.  B.  Hablitzet  verbrettet  sich  über  Hrabanus  Maurus  und 
Claudius  von  Turin  (Historisches  Jahrbuch  27,  1).  B.  Schmeidler 
sucht  die  Frage  nach  der  Entstehungszeit  einiger  Bestandteile  des 
sog.  Chromeon  Venetum  näher  zu  beantworten^  M,  Tangl  die 
Hypothese  von  W*  Giesebrecht  und  O.  Holder-Egger  (vgl,  86,  362; 
88,  533)  mit  neuen  Gründen  zu  stützen,  daß  Bischof  Erlung  von 
Würz  bürg  Verfasser  der  Vita  Heinrki  IV.  imperatoris  sei  (Neues 
Archiv  31,  2).  L.  Halphen  macht  auf  eine  bislang  unbekannte 
Rezension  der  Chronik  des  Ademar  von  Chabannes  (vgl  82,  300  f*) 
aufmerksam,  die  er  in  einer  vatikanischen  Handschrift  gefunden 
hat  (Bibiiothique  äe  V^coh  des  c hartes  66,  6).  E.  F  a  r  a  I  hat  eine 
kritische  Ausgabe  eines  dramatischen  Gedichtes  des  Courtois 
d^Ärras  veröffentlicht,  das,  um  die  Wende  des  12,  und  13,  Jahr- 
hunderts verfaßt,  die  Zwischenstufe  zwischen  kirchlichem  und 
profanem  Drama  veranschaulicht  {BibUothique  de  la  facuitä  des 
lettres  20;  Paris,  F,  Afkan  1905,  S.  163  ff.).  Als  Vorarbeit  einer 
Ausgabe  der  englischen  Chronik  The  Brüte  of  England  schickt 
F*  W.  D,  Brie  dieser  eine  sorgfältige  Abhandlung  vorauf ^  die 
namentUch  eine  Übersicht  der  zahlreichen  Handschriften  und  der 
Quellen  jener  Chronik  zu  liefern  bestimmt  ist  (Geschichte  und 
Quellen  der  mittelenglischen  Prosachronik  The  Brüte  of  England 
oder  The  ChronUles  of  England,  Marburgs  N.  G*  El  wert.  1905, 
130  S,), 

J,  H  a  1 1  e  r  s  Aufsatz  über  Canossa  ist  der  bedeutsamste,  den 
unser  Bericht  zur  Geschichte  des  früheren  Mittelalters  zu  ver- 
zeichnen hat.  Er  geht  aus  von  einer  Kritik  der  Quellen,  vor  allem 
der  Erzählung  des  Lampert  von  Hersfeld,  dessen  ^Lust  am  Fabu- 
lieren" Haller  hervorhebt,  in  gewisser  Abkehr  von  dem  Urteile  von 
O.  Holder-Egger,  dessen  Ausführungen  er  das  Meiste  zu  ver- 
danken bekennt.  Viel  wertvoller  als  Lampert  ist  der  Bericht  des 
Annalisten  von  St.  Blasien,  —  nebenbei  eine  beachtenswerte  An- 
regung zu  einer  Neubearbeitung  des  Berthold  und  des  ßernold, 
für  die  in  den  Scriptcres  rerum  Germankarum  der  gegebene  Plat* 


Frühe e  Mittelalter. 


199 


wäre,  rumal  ihre  Ausgabe  (MC.  SS.  V)  längst  überhoh  ist.  Haller 
untersucht  alsdann  den  Hergang  von  Heinrichs  Buße,  legt  aber 
vor  allem  Gewicht  auf  die  Verhandlungen  zwischen  König  und 
Papst,  deren  Ergebnis  wohl  als  ein  Sieg  Heinrichs,  aber  doch  als 
ein  Pyrrhussieg  erscheint.  „Es  Ist  nicht  wahr,  was  Gregor  seine 
Anhänger  glauben  machen  wollte,  daß  die  unerhörte  Demut  und 
Selbsterniedrigung  des  Königs  sein  widerstrebendes  Heris  erweicht 
habe.  Die  Wahrheit  ist,  daß  er,  aus  Gewissenhaftigkeit  und  Klug- 
heit zugleich,  es  nicht  gewagt  hat,  dem  Könige,  der  sich  als 
Büßender  meldete,  die  Absolution  zu  verweigern,  obwohl  dieser 
Schritt  seine  ganze  Politik  in  Frage  zu  stellen  drohte.  Nicht  in 
einem  angeblichen  Obermaß  äußerer  Erniedrigung  und  Selbstpein, 
womit  Heinrich  seine  Unterwerfung  anbot,  lag  der  Drang,  dem 
Gregor  nachgeben  mußte,  sondern  in  der  bloßen  Tatsache,  daß 
der  König  zur  Buße  nach  den  kirchlicheri  Vorschriften  bereit  war. 
Das  allein  war  genügend,  um  einen  unausweichlichen  Druck  auf 
den  Papst  auszuüben/  Heinrich  siegte  nur  für  den  Augenblick, 
da  er  das,  was  er  am  meisten  erstrebte,  die  Niederschlagung  der 
fürstlichen  Revolution  nicht  erreichte;  und  sein  Sieg  war,  „im 
Lichte  der  späteren  Zeit  betrachtet^  ein  Pyrrhussieg**,  denn  das 
Königtum  verlor  dadurch,  „daß  ein  König  sich  um  die  Losspre- 
chung vom  Banne  bemühte,  damit  er  König  bleiben  könnte** 
(Neue  Jahrbücher  für  das  klassische  Altertum  usw.  17  und  IS, 
Heft  2). 

Fleißig  gesammelte  Regesten  zur  Lebensgeschichte  des  Bi- 
schofs von  Soissons,  Joscelin  de  Vierzi  (1126—1152),  veröffentUcht 
L,  J  a  c  q  u  e  m  i  n  in  der  Bibiiöthique  dt  la  factiit^  des  Lettres  20 
(Parisj  Alkan.  1905.  S.  l  ff.);  als  Matenalsammlung  zu  einer  Bio» 
graphie  jenes  Ratgebers  Ludwigs  Vll.  von  Prankreich  werden  sie 
gute  Dienste  tun  können. 

Die  Deutung  einer  umstrittenen  Stelle  in  den  sog*  Annalen 
von  Marbach  zum  Jahre  1196,  nach  der  Heinrich  VI.  den  Papst 
Cölestin  III.  bat,  seinen  Sohn  Friedrich  „zum  König  zu  salben**  {in 
regem  ungeretjj  als  einen  Hinweis  darauf,  daß  Heinrich  die  Kaiser* 
l^rönung  Friedrichs  habe  erwirken  wollen,  um  so  mit  Hilfe  des 
Papstes  über  die  deutschen  Fürsten  hinweg  seinen  Plan  eines 
Erbkaisertums  zu  verwirklichen,  ist  das  Ziel  einer  Abhandlung 
von  K.  H  a  m  p  e  in  den  Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische 
Geschichtsforschung  27,  L  Gleichzeitig  sei,  als  einer  Frage  der 
Geschichte  ebenfaUs  Cölestins  Ul.  gewidmet,  die  Untersuchung 
von  B.  A,  Lees  angemerkt,  die  sich  mit  der  Authentizität  der 
Briefe   der  Königin  Eleonore  von  Aquitanien,   der  GemahUn  Lud- 


200 


Notizen  und  Nach  richten » 


wigs  VW.    von    Frankreich    und    Heinrichs  I!.    von    England^    an 
Cölestin  IlL  befaßt  (Englisk  Htstaricai  Review  21  Nr.  Sl). 

A.  E,  Schönbach  erschließt  in  den  Mitteilungen  des  Insti- 
tuts für  österreichische  Geschichtsforschung  27,  1  eine  überaus 
wertvolle  Quelle  für  die  Kulturgeschichte  Deutschlands  und  des 
slavisch-baltischen  Ostens  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts,  Er 
veröffentlicht  nämlich  aus  der  Enzyklopädie  des  wohl  aus  England 
stammenden  Minoriten  Bartholomäus  Anglicus  —  das  Werk  führt 
den  Titel :  De  propnttatibus  rentm  —  die  Schilderung  Deutsch- 
tands und  einiger  angrenzender  Gebiete,  die  zum  Teil  auf  Autopsie 
ihres  Verfassers  beruht  und  u.  a<  nicht  ohne  Geschick  auf  die 
charakteristischen  Eigenschaften  von  Franken»  Flandern,  Loth* 
ringen,  Melöen,  Holland,  der  Rheinlande,  Sachsen  und  West- 
falen sowie  auf  das  Wesen  ihrer  Bewohner,  ihre  Produkte,  ihre 
Fauna  u.  a.  m.  eingeht.  Die  Beschreibungen  des  Elsasses  und 
Deutschlands  aus  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts^  wie  sie  sich 
in  den  Kotmarer  Aufzeichnungen  (MG.  SS.  XVII)  finden,  werden 
dadurch  aufs  glücklichste  ergänzt,  ganz  abgesehen  von  der  zeit- 
lichen Ansetzung  und  Zuweisung  jener  Enzyklopädie,  deren  Ver- 
fasser 1230  als  Lektor  an  das  Minontenstudium  zu  Magdeburg 
geschickt  wurde.  Vielleicht  macht  Schonbach  die  wertvollen  Teile 
dieses  Werkes  durch  eine  erläuternde  Ausgabe  weiteren  Benutzer- 
kreisen zugänglich;  jetzt  hat  er  sich  mit  Absicht  nur  auf  knappe, 
zunächst  freilich  ausreichende  Anmerkungen  beschränken  wollen. 

Eine  familiengeschichtliche  Untersuchung  von  J.  Großmann 
gilt  der  Frage:  ^^Jst  der  Familienname  unseres  Kaiserhauses  Zollern 
oder  Hohcnzollern*  (Berlin,  W.  Moser.  1906.  19  S.  gr.  8«).  Beide 
noch  bestehenden  Linien»  die  fränkische  oder  kaiserliche  und 
die  schwäbische  oder  fürBtliche,  leiten  sich  her  von  dem  ge- 
meinsamen Stamm  der  Grafen  von  Zollern;  beide  haben  auch 
nach  ihrer  Teilung  den  gemeinsamen  Familiennamen  Zollern  ge- 
führt, den  Großmann  nach  dem  Vorgange  von  L.  Schmid  herleitet 
von  dem  Namen  des  Berges  und  der  Burg  Zoller,  dessen  Her- 
kunft aus  der  römischen  Bezeichnung  mons  solarms  recht  wahr- 
scheinlich ist:  die  Römer  haben  wohl  eine  einheimische  germa- 
nische Bezeichnung,  angeregt  vom  Sonnenkultus  der  alten  Ger- 
manen,  latinisiert.  Erst  im  16.  Jahrhundert  wurde  der  Name 
Hohen^ollern  zu  dem  der  schwäbischen  Linie,  während  die  fran- 
liische  erst  gegen  Ende  des  17,  ihn  in  den  Staatstitel  einführte» 
ohne  daß  durch  einen  hausgesetzlichen  Akt  dieser  Name  festgelegt 
worden  wäre. 


Frühes  Mittelalter. 


2ßi 


Neue  Bücher :  H  a  c  k  m  a  n  ^  Die  ältere  Eisenzeit  In  Ftnnland. 
1.  Die  Funde  aus  den  fünf  ersten  Jahrhunderten  n,  Chr.  (Leipzigs 
Hiersemann.  16  M.)  —  Die  Altertumer  unserer  heidnischen  Vorzeit. 
5,  Bd.  6,  Heft.  (Mainz,  v,  Zabern,  6M.)  —  Pastor,  Der  Zug  vom 
Norden.  Anregungen  zum  Studium  der  nordischen  Altertumskunde. 
(Jena^  Dtederichs.  2,50  M.)  —  Kurth  f  Qu'est'Ce  que  U  may^n-ägef 
(Paris,  Bload  <£  Cie.)  —  Vlldhaut,  Handbuch  der  Quellen* 
künde  zur  deutschen  Geschichte  bis  zum  Ausgang  der  Staufer^ 
2.,  umgearb,  Aufl.  I.  Bd*  (Werl,  Stein.  4M.)--  Procopü  Caesarienis 
opera  omnia.  Rec,  Haury,  VoL  /.  //.  (Leipzig,  Teubner*  24  M.)  — 
Glaizoile ^  Un  empereur  thiotogien.  Justinien;  son  rdle  dans  les 
Cüntrmerses ;  sa  äoctrine  christoiogique.  (Lyan,  Rty  4^  Co.  2,75  fr,} 
—  DithU  Figures  byzantines.  ( Paris ^  Colin.  3,50 fn)  —  Launay, 
Hist&ire  de  i'^glise  gaüloistr  depui^  les  origines  Jusqu'ä  la  con- 
qaite  franque  (51  i).  2  vols.  ( Paris ^  Plcard  ei  fiis,}  —  Margoii- 
Qiith,  Mohammed  and  the  rtse  of  Islam.  (London,  Putnam, 
3,6  sh.)  ^  Le  Strange,  Lands  of  the  Bastern  caliphate.  Meso- 
potamia^  Persia,  Central  Asia,  from  Moslem  conquest  to  Urne  af 
Timur,  (Cam bridgej  Univ,  p ress.  15  sh.)  —  G a s p  a  r d* R e m l r o , 
Historla  de  Murcia  musulmana,  (Zaragoza,  Uriarte.  10  pes.)  — 
Gardner,  Theodore  of  Studium,  his  life  and  times.  (London, 
Arnold.  10,6  sh,)  —  Lesne,  La  hi^rarchie  ^piscopale  en  Gaule  et 
en  Ger ma nie,  depuis  ta  ri forme  de  saint  Boniface  jusqu'ä  la  mort 
d^Hincmar^  742—882,  (Paris,  Picard  et  fils.)  —  Les  Annales  de 
Flodomrd,  Pubi.  p,  La»er.  (Paris,  Picard  et  fUs.  8  fr,}  —  Dil  ton, 
King  William  L  the  Conqueror.  (London,  Mathews.  4,6  sh,)  — 
Davis,  England  ander  the  Normans  and  Angevins,  1066 — 1272, 
(London, Methuen,  10,6 sh.}^  Hauck,  Kirchengeschichte  Deutsch- 
lands. 3,  Teil*  3.  u.  4.  (Doppel-) Aufl»  (Leipzig,  Hlnrichs^  Verl» 
18,50  M.)  —  Brugerette,  Gn^goire  VU  et  ta  riforme  du  Xi* 
siicle,  (Paris f  Blond  <<5  CieJ  —  Bernhelm,  Das  Wormser  Kon- 
kordat und  seine  Vorurkunden  hinsichtlich  Entstehung,  Formu- 
lierung, Rechtsgültigkeit.  (Breslau,  Marcus.  2»60  M.)  —  Sot,  Les 
rapports  de  la  France  avec  l^ Halle  du  Xfi^  siicte  ä  la  fin  du 
Premier  empire,  (Paris,  Champion,}  —  Bmgeretle ,  innocent  III 
et  Vapogie  du  pouvoir  pontifical,  (Paris,  Bloud  d  CieJ  — 
Schmidlin,  Die  geschichtsphilosophlsche  und  klrchenpoUtlsche 
Weltanschauung  Ottos  von  Freising.  (Freiburg  i.  B.,  Herder* 
3,60  M.)  —  Three  chronicus  of  London  a.  D.  1189  —  a,  D.  1519. 
Ed,  by  Kingsford.  (Oxford^  Clarendon  press,  lÖ,6sh,}  —  Michael^ 
Geschichte  des  deutschen  Volkes  vom  13.  Jahrhundert  bis  zum 
Ausgang  des  Mittelalters»  4.  Bd.   (Freiburg  i.  ß.,  Herder.  6,40  M.) 


302 


Notizen  und  Nachnchters, 


Spateres  Mittelalter  (1250—1500). 

H.  Niese  veröffentlicht  in  den  Quellen  und  Forschungen 
aus  italienischen  Archiven  und  Bibliotheken  8,  2  Untersuchungen 
namentlich  über  die  Frage,  aus  welchen  ständischen  Kreisen 
(Mitterleute,  Ministeriale  der  Grafen)  und  aus  welchen  Gegenden 
(meist  Schwaben  und  Franken)  die  deutschen  Söldner  stammen^ 
die  den  späteren  Staufern  ihre  Kriege  führen  halfen.  Die  Dar- 
stellung gruppiert  sich  im  wesentlichen  um  zwei  wichtige  Urkun- 
den aus  den  Jahren  1256  und  1267,  die  Niese  im  Staatsarchiv  von 
Siena  gefunden  hat:  Nr.  I  enthält  eine  Bescheinigung  von  neun 
deutschen  Rittern  über  den  Empfang  eines  Lösegeldes  für  ge- 
fangene Seneser  Bürger,  Nr.  2  einen  Dienstvertrag  zwischen  der 
Stadt  Massa  Marittima  und  fünfzig  mit  Namen  aufgeführten  deut- 
schen Soldrittern.  Die  von  Niese  beigefügten  Erläuterungen  und 
Nachweise  bedürfen  vielfach  der  Berichtigung  und  Ergänzung, 
was  angesichts  der  Tatsache,  daß  ein  in  Italien  lebender  Forscher 
Speziailiteratur  nur  in  sehr  beschränktem  Maße  heranziehen  kann, 
nicht  eben  verwunderlich  ist.  //,  Kaiser. 

In  den  Mitteilungen  des  Instituts  f.  Österr.  Gesch.  27, 1  wendet 
sich  K.  Wenck,  seine  an  dieser  Stelle  94,  S.  1—66  vorgetragenen 
Ausführungen  über  Bonifaz  Vfll.  als  Ketzer  erneut  begründend 
und  stützend,  gegen  den  H.  Z.  9t,  163  erwähnten  Artikel  von 
Rob,  Holtzmann;  letzterer  erwidert  kurz.  U,  E.  wird  man  Wencks 
vorsichtig  formulierte  Schlußfolgerung  sich  zu  eigen  machen  und 
ihm  also  das  Verdienst  zusprechen  können,  i,die  Frage  der  Berech- 
tigung der  Anklage  in  ihrem  wichtigsten  Punkte,  daß  nämUch  der 
Papst  nicht  mehr  befugt  war,  den  Namen  eines  Christen  zu  tragen, 
in  ein  für  den  Angeklagten  wesentlich  ungünstigeres  Licht  gerückt 
zu  haben."  Wenn  Holtzmann  hinsichtlich  der  Auslegung  der  Worte 
Albalatos  das  Raisonnennent  von  Wenck  und  mir  „trotz  eifrigen 
Nachdenkens  einfach  nicht  zu  verstehen"  erklärt^  so  kann  ich  das 
nicht  ändern,  tröste  mich  aber  mit  dem  Bewußtsein,  daß  dies  Ver- 
ständnis —  erhaltenen  Mitteilungen  zufolge  —  anderen  Lesern 
offenbar  leichter  gefallen  ist.  ff.  Kaiser. 

„Beiträge  zur  Wirtschaftsgeschichte  der  Stadt  Frag  im  Mittel- 
alter** beginnt  Franz  Pick  in  den  Mitteilungen  des  Vereines  L 
Gesch.  d.  Deutschen  in  Böhmen  44,  3  zu  veröffentlichen.  Er  be- 
handelt zunächst  die  Entwicklung,  die  das  bald  nach  1300  auf- 
tauchende Prager  Ungeld  während  des  t4.  Jahrhunderts  genommen 
hatf  die  einzelnen  Ungeldarten,  zehn  an  der  Zahl,  Ungeldverwaf^ 
tung  und  -befreiung.  —   Ebenda  findet  sich  ein  Aufsatz  von  L.  J. 


Späteres  Mittelalter* 


aoi 


Wintera  über  Stadt  und  Stift  Braunau  unter  den  Luxemburgern 
(1336-UJ9), 

In  der  i^evut  d'hist&in  et  de  iUt^rature  reUgimses  l<K)5,  4 
führt  Gl.  Cochin  seine  biographische  Arbeit  über  Stefano  Co* 
lonna  zu  Ende  (vgL  96,  356). 

Die  Ausführungen  einer  vor  einem  Jahrzehnt  erschienenen 
Schrift  über  Philipp  von  M^zi^res  und  die  Kreujszugspiäne  im 
14.  Jahrhundert  mehrfach  ergänzend  und  berichtigend,  legt  N* 
Jorga  in  der  Byzantinischen  Zeitichrift  15,  1  u.  2  die  VerhäJtnisse 
dar,  die  es  den  Türken  ermöglichten,  in  Europa  festen  Fuß  zu 
fassen  <1342-f36a). 

Emil  G  ö  1 1  e  r  veröffentlicht  im  zweiten  Teil  seiner  ergiebigen 
Abhandlung  über  den  Liber  taxarum  der  päpstlichen  Kammer 
{vgl,  95^  535)  zahlreiche  Quellenbelege  zum  Informationsv erfahren 
der  Kammer  bei  Festlegung  der  Servitientaxe  aus  den  Jahren 
1347—1352  und  vier  Urkunden  über  Festlegung  und  Verminde- 
rung der  Taxe  (Quellen  und  Forschungen  aus  italienischen  Ar- 
chiven und  Bibliotheken  8,  2).  Die  ganze  Arbeit  ist  jetzt  auch 
als  Sonderdruck  erschienen:  Rom^  Loescher  1905.    104  S. 

Im  Archiv io  stör.  Lombaräo  sene  quarta,  anna  32,  fast,  8 
handelt  D.  Muratorio  über  Geburt  und  Taufe  des  nach  dem 
Vater  benannten  erstgeborenen  Sohnes  Gian  Galeazzo  Viscontis 
und  seiner  Gemahlin  Isabella  von  Valois  und  über  die  Vtscontische 
Politik  im  Frühjahr  1366,  Em.  Motta  macht  Mitteilungen  über 
die  Geschichte  der  Reiskultur  in  der  Lombardei  (14,  bis  16.  Jahr- 
hundert), während  A.  Mazzi  unsere  Kenntnis  von  der  Jugendzeit 
des  bekannten  Condottiere  ßartolomeo  Colleoni  um  einige  be* 
merkenswerte  Tatsachen  vermehrt. 

In  der  Zeitschrift  L  d.  Gesch.  d  Oberrheins  N,  F,  21,  l  be- 
richtet H.  Kaiser  über  eine  Im  Bistum  Straßburg  im  Jahre  1371 
erhobene  päpstliche  Steuer  und  bringt  den  für  die  Alsatia  sacra 
wichtigsten  Teil  des  Verzeichnisses  zum  Abdruck;  G,  Sommer* 
ieldt  teilt  ebenda  als  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Beziehungen 
König  Ruprechts  zu  Papst  Innozenz  Vll.  im  Jahre  1405  die  An* 
spräche  mit,  die  die  königlichen  Gesandten  am  Ende  des  Jahres 
an  den  Papst  gerichtet  haben. 

J.  Viard  unternimmt  inder  Bibtioth^que  de  V^ci^le  des  c  hartes 
1905^  September-Oktober  den  Nachweis,  daß  die  Chronagraphia 
regum  Francorum  aus  der  Chrontque  de  Jean  le  Bei  geschöpft 
hat,  während  H.  Moranvill^  (vgl  95,  161)  die  in  beiden  Quellen- 
werken sich  findenden  Obereinstimmungen  aus  gemeinschaftlicher 
Benutzung   einer    verlorenen   Chronik   hatte   erklären    wollen.   — 


2(H 


Notizen  und  Nachrichten. 


Im  November -Dezember -Heft  der  gleichen  Zeitschrift  handelt 
P,  Guilhiermoz  über  das  Verhältnis  des  für  die  französische 
Rechtsgeschichte  sehr  wichtigen  ^Grand  Couiumier  de  France^ 
von  Jacques  d'Ableiges  zu  dem  in  der  französischen  Hand- 
schrift 4472  der  Pariser  Nationalbibliothek  erhaltenen  ^Stjfle  du 
Chätelei*. 

S.  P  i  V  a  n  o  erläutert  in  weitausgreifender  lehrreicher  Unter- 
suchung die  anhangswreise  mitgeteilten  Satzungen  der  im  Jahre 
1381  von  Karl  von  Durazzo  in  Neapel  gegründeten  Ritterschaft 
^delta  Nave'j  die  in  einem  durch  den  Brand  von  1<K)4  größtenteils 
zerstörten  Kodex  der  Nationalbibliothek  zu  Turin  überliefert  sind 
(Memürie  delia  r.  accad.  delie  scienze  dt  ToriftOf  sc.  mor^^  star.  w 
filöL  Serie  //j  f.  55J* 

Zur  Textgestaltung  des  Traktats  ^De  contemptu  mundi^  von 
Heinrich  v,  Langenttein  (vgL  95i  536)  äußern  sich  Gustav  Som- 
merfeldt  und  E,  Steinmeyer  im  N.  Archiv  d.  Ges.  f.  ä. 
deutsche  Gesch.  31,  2,  —  G,  Sommer feldt  druckt  überdies  in 
den  Mitteilungen  d.  Inst.  f.  österr.  Gesch.,  Ergänzungsband  7,  2 
zwei  von  Heinrich  v*  Langenstein  zur  Unterstützung  der  Konzil- 
idee an  König  Wenzel  und  den  österreichischen  Kanzler,  ßischof 
Friedrich  von  Brixen,  gesandte  Traktate,  die  um  1381  und  1384 
angesetzt  werden. 

Fr.  Bllemetz rieder  bringt  in  den  Studien  und  Mitteilungen 
aus  dem  Benediktiner-  und  dem  Zisterzienserorden  26,  3  u.  4  die 
Veröffentlichung  des  Traktats  ^Solüaqmum  scismatis*  zum  Ab- 
schluß (vgl.  96,  357);  Linneborn  beendet  ebenda  seine  Arbeit 
über  den  Kampf  um  die  Reform  des  St.  Michaelsklosters  in  Bam- 
berg (vgl,  93,  538;  %,  536;  %,  357). 

Zur  IMustrierung  der  bekannten  TatsachCj  daß  im  Gebiet  der 
sette  comuni  und  über  ihre  Grenzen  hinaus  die  Seelsorge  lange 
Zeit  in  den  Händen  deutscher  Priester  gelegen  hat,  veröffentlicht 
Luschin  v.  Ebengreuth  in  den  Mitteilungen  d,  Instituts  f, 
öaterr.  Gesch.  27,  1  eine  den  Zeitraum  von  1409  bis  1503  umfas- 
sende Liste  deutscher  Kleriker,  die  aus  Ordinatiansprotokollen 
und  anderen  Schriftstücken  des  bischöflichen  Archivs  zu  Padua 
zusammengestellt  ist. 

Ein  in  reichlichem  Maße  unbenutztes  Material  heranziehender 
Aufsatz  von  J,  Haller:  England  und  Rom  unter  Martin  V,  schil- 
dert die  Versuche  des  Papsttums,  wie  in  andern  Ländern^  so  auch 
in  England  die  Rückeroberung  der  alten,  der  Kirche  verloren  ge- 
gangenen Positionen  in  die  Wege  zu  leiten.  Während  diese  Politik 
anderwärts  meist  Erfolge  gezeitigt  hat,  als  deren  größter  die  1436 


I. 


Späteres  Mitte laUer. 


20& 


erfolgte  Aufhebung  der  GalUkanischen  Freiheiten  zu  betrachten 
iit,  haben  die  päpstlichen  Bemühungen  au!  Beseitigung  des  das 
päpstliche  Recht  der  Pfründenverleihung  und  damit  den  Bezug 
der  kuriaien  Abgaben  vernichtenden  Provisorenstatuts  von  f390^ 
das  auch  anderwärts  Schule  zu  machen  drohte^  mit  einem  voll- 
ständigen Mißerfolg  geendet.  Die  von  Haller  mitgeteilten  Einzel- 
heiten über  die  Sommer  1419  bef^innenden  Verhandlungen  lassen 
erkennen,  daß  die  Kurie  die  ihrer  Absicht  entgegenstehenden 
Schwierigkeiten  durchaus  verkannt  hat:  ihre  „sonst  so  viel- 
gerühmte Diplomatie  hatte  vollständig  versagt^  man  hatte  sich 
grade  über  das  Wichtigste  getäuscht.'*  —  Anhangsweise  werden 
die  wichtigeren  der  unbekannten  Stücke  aus  dem  päpstlichen 
Geheimarchiv  mitgeteilt  (Quellen  und  Forschungen  aus  italieni^ 
sehen  Archiven  und  Bibliotheken  S,  2). 

Aus  der  f^evue  des  lüngues  romanes  190«>»  Januar-Februar  er- 
wähnen wir  die  Comptes  des  clavalres  de  Mantagnac  (Langitedoc} 
aus  den  Jahren  1436/37,  mit  deren  Abdruck  J,  Vidal  beginnt, 
wegen  der  für  die  Wirtschaftsgeschichte  bemerkenswerten  An- 
gaben über  die  dortigen  Märkte. 

Frühere  Studien  erweiternd  (vgl,  ^%  536)  beginnt  P;  Richard 
in  der  Revue  d'hisL  eceUsiasHgue  1906,  I  unter  Benutzung  der 
vatikanischen  Akten  mit  einer  Arbeit  über  die  Entstehung  der 
ständigen  Nuntiaturen.  Der  bisher  vorliegende  Teil  beschäftigt 
sich  mit  der  kuriaien  Vertretung  in  dem  Zeitraum  von  1450 
bis  1513. 

Ein  Aufsatz  von  R  F e  d  e  1  e  schildert  die  Umstände,  unter 
denen  der  freilich  durchaus  nicht  als  dauerhaft  sich  erweisende 
Friede  von  1486  zwischen  Ferdinand  von  Aragon  und  Papst 
Innozenz  Vlll.  zustande  kam  (Archivlo  stör,  per  ie  province  Na- 
poletane  anno  30 ^  fasc.  4). 

In  den  Mitteilungen  d,  Instituts  f,  österr.  Gesch.  27,  l  gibt 
Osk.  Frhr.  v,  Mltis  die  Regesten  der  fast  ausschließlich  dem 
späteren  Mittelalter  angehörenden  Urkunden  aus  der  Sammlung 
Alexander  Meyer  Cohn,  die  im  Herbst  1905  versteigert  worden 
sind,  mit  Angabe  der  Erwerber. 

Die  „Annalen  und  Akten  der  Brüder  des  gemeinsamen  Lebens 
im  Lüchtenhofe  zu  Hildesheim*'  sind  vor  kurzem  von  R*  Doebner 
im  9.  Bande  der  „Quellen  und  Darstellungen  zur  Geschichte  Nieder- 
sachsens^  (1903)  herausgegeben  worden.  Diese  neu  erschlossenen 
Quellen  hat  Gustav  Boerners  Schrift:  «Die  Annalen  und  Akten 
der  Brüder  des  gemeinsamen  Lebens  im  Lüchtenhofe  zu  Hildes 
heim**   (Fürstenwalde.    Verlag  von  J.  Seyfarth.    1905.    JUS.) 


zum  ^^fl 


206 


Notizen  und  Nachrichten. 


Gegenstand  einer  sorgsamen  Erläuterung  gemacht.  Über  die  Ent* 
stehung  und  den  geschichtlichen  Wert  jener  Aufzeichnungen  wird 
eingehend  gehandelt  und  dabei  das  Jiber  de  reformatwne  mona- 
steriorum^  des  Johannes  Busch  einer  wenig  günstigen  Kritik  unter- 
zogen. Auf  die  Entwicklung  und  Organisation  der  in  der  Münster- 
schen  Union  vereinigten  Fraterhäuser  im  nordwestlichen  Deutsch- 
land lallt  durch  Boerner8  Nachweisungen  manches  neue  Licht. 
Der  erste  Teil  der  Schrift  (S,  1—41)  ist  als  Berliner  Dissertation 
erichtenen.  In  aller  Kürze  hat  Boerner  seine  Ergebnisse  in  einem 
Artikel  über  „Die  Brüder  des  gemeinsamen  Lebens*  in  Heft  ^  des 
6.  Bandes  der  ^Deutschen  Geschichtsblätter*'  {1905,  S,  241—246) 
zusammengefaßt.  H.  Haupt. 

Fr.  Xav-  Künstle^  Die  deutsche  Pfarrei  und  ihr  Recht  zu  Aus- 
gang des  Mittelalters.  (KtrchenrechtUche  Abhandlungen,  heraus- 
gegeben von  Ulr,  Stutz,  20.  Heft,)  Stuttgart,  Ferd.  Enke.  1905. 
XVI,  106  S.  4f40  M.  Schon  manchem  wird  es  wohl  so  gegangen 
sein  wie  dem  Referenten,  daß  sich  ihm  bei  der  Lektüre  der  inter- 
essanten kleinen  Schrift  Luthers  von  1523  „daß  eine  christliche 
Versammlung  oder  Gemeine  Recht  und  Macht  habe,  alle  Lehre  zu 
urteilen  und  Lehrer  zu  berufen,  ein-  und  abzusetzen^  oder,  wenn 
er  unter  den  12  Artikeln  der  süddeutschen  Bauern  von  1525  auf 
die  Bitte  stieß,  daß  jede  Gemeinde  das  Recht  haben  sollte,  sich 
selbst  ihren  Pfarrer  zu  wählen,  der  Ihr  das  Evangelium  lauter 
predigen  sollte,  und  ebenso  das  Rechte  ihn  abzusetzen,  und  auf 
die  Bereiterklärung,  den  Zehnten  von  Korn  zum  Unterhalte  des 
Pfarrers  und  der  Armen  weiterzuzahlen,  aber  nicht  mehr  den 
Zehnten  vom  Viehi  —  daß  sich  ihm  da  eine  Menge  von  Fragen 
aufdrängten:  Sind  das  Neuerungen?  Was  haben  die  Gemeinden 
für  kirchliche  Rechte  im  ausgehenden  Mittelalter?  Was  hatte  an- 
derseits der  Pfarrer  für  Rechte  und  Pflichten  in  kirchlicher  und 
wirtschafthcher  Bedeutung?  Worin  bestand  sein  Einkommen? 
Seit  wann  gibt  es  tiberhaupt  Gemeinden  in  kirchlichem  Sinne? 
Wie  entstanden  sie?  Welche  Stellung  hatte  der  Pfarrer  in  kirch- 
licher und  politischer  Beziehung  und  als  Angehöriger  der  Wirt- 
schaftsgemeinde,  der  Dorfmarkgenossenschaft?  --  Auf  alle  diese 
Fragen  gibt  Künstle  kurz  und  präzis  erwünschte  Auskunft.  Seine 
Ausführungen  sind  darum  besonders  lehrreich,  weit  er  den  von 
den  Weistümern  gewollten  Rechtszustand  immer  mit  dem  gemeinen 
Kirchenrechte  und  der  damaligen  und  jetzigen  Wirklichkeit  ver- 
gleicht. Im  einzelnen  ergeben  sich  natürlich  lokale  Verschieden- 
heiten und  Unklarheiten,  besonders  betreffs  der  Rechte  der  welt- 
lichen und  geistlichen  Grundherren  und  der  Gemeinden  bei  Neu- 
besetzung der  Pfarreien.  0.  CL 


Reformation. 


Wt 


Das  2*  Heft  des  19,  Bandes  der  „Mitteilungen  aos  der  liv- 
ländischen  Geschichte*  (Riga  1904,  S.  293—656)  enthält  die  zweite 
Hälfte  der  Abhandlung  H.  v.  Bruiningks  über  ^^ Messe  und 
kanonisches  Stundengebet  nach  dem  Brauche  der  Rigatschen 
Kirche  im  späteren  Mittelalter"  (vgl,  93»  563  L),  Wahrend  im 
I,  Hefte  auf  Grund  der  liturgischen  Bücher  das  gottesdienttliche 
Handeln  der  Kirche  und  der  Priester  vorgeführt  wird,  so  hier  auf 
Grund  vornehmlich  von  Bruderschaftsslatuten  und  urkundlichen 
Nachrichten  über  kirchliche  Stiftungen  ein  gut  Stück  Volksfröm^ 
migkeit.  Der  Inhalt  des  Heftes  ist  unter  der  Oberschrift  zusam- 
mengefaßt: p Anhang  tL  Die  Heiligen  und  die  Klrchenfeste/  Man 
würde  aber  sehr  irren,  wenn  man  dieses  2,  Heft  eben  nur  als  einen 
Anhang  ansehen  wollte.  An  Reichtum  und  Bedeutsamkeit  des 
Inhalts  ist  es  dem  ersten  gleich.  Es  ist  die  fleißigste  und  gründ- 
lichste hagtographische  Publikation^  die  mir  vorgekommen  tat* 
Alles»  aber  auch  alles,  was  die  Verehrung  der  einzelnen  Heiligen 
in  der  rigaischen  Kirche  bis  zum  Eindringen  des  Protestantismus 
In  Livland  anbetrifft^  findet  man  hier  unter  dem  Namen  des  be- 
treffenden Heiligen  kurz  und  zuverlässig  zusammengestellt,    —n. 

Neue  Bücher:  Cald^  Filippo  Villani  et  ii  Liter  de  angine 
civitatis  Flofentiae  et  eiusäem  famosis  civibHS,  (Rocca  S.  Ca&clanOt 
CappeliL)  —  De  Maere  d'Aertrytke,  Memoire  sur  la  guerre 
de  Flanäre  de  IS02  ä  1304,  (Bruges,  De  Planche.)  —  M&liat, 
Jean  XXU  et  la  succession  deSanche^  roi  de  Majorqtie  (1324— UM), 
(Paris,  Picard  et  fils.)  —  E  s  c  h  e  r ,  Das  schweizerische  Fußvolk 
im  15.  und  im  Anfang  des  f6.  Jahrhunderts«  (2.  Teil.)  (Zürich, 
Fäsi  ^  Beer  3  M.)  —  Lupa  Gent  lief  Studi  sulta  stariografia 
ßorentina  alla  c&rte  dt  Cosimo  l  de  Media,  (Pisa,  suec.  /^istri,) 
—  Lettres  de  Charles  VU!,  roi  de  France,  pubL  p,  P^licier  et  B.  de 
MandroL  T.  V  {1496—1498}.  (Paris,  Laurens,)  —  Behrmann, 
Über  die  niederdeutschen  Seebücher  des  l&.  und  16.  Jahrhunderts, 
(Hamburg,  Friederichsen  ^  Co,    5  M.) 


Refortnation  tind  Gegenreformation  (isao— 1648). 
Die  kleinen  Funde  zum  elsässischen  Humanismus,  welche 
Joseph  Knepper  in  der  Zeitschrift  f.  d.  Gesch.  des  Oberrheins 
N»  F.  21,  1  veröffentlicht,  enthalten  drei  neue  Briefe  Wimpfelings 
von  1489  und  1508.  in  denen  er  sich  vergeblich  um  ein  Schlett- 
stadter  Kirchenamt  bemüht  und  einige  unbedachte  Worte  über 
die  Franziskaner  in  charakteristischer  Welse  zurücknimmt.  Zum 
Schluß  folgt  ein  Brief  des  Beatus  Rhenanus  vom  Jahre  1523^  in 
dem  dieser  sich  anerkennend  über  Zwingli,  aber  absprechend  über 
das  Draufgängertum  der  Züricher  Bevölkerung  ausspricht. 


20t 


Notizen  und  Nachrichten. 


Einen  Bericht  über  den  Stand  der  Uterarischen  Werke  Maxi- 
milians L;  den  der  Hofhistoriograph  Johann  Stabius  nach  dem  Tod 
des  Kaisers  angefertigt  hat,  veröHentlicht  S.  Steinherz  in  den 
Mitteilungen  des  Instituts  für  österr,  Geschichtsforschung  27,  L 

Die  Familienbriefe  Aleanders,  welche  J*  Paquier  in  der 
Hevue  des  ätudes  historiqiies  mit  guten  Anmerkungen  herausgibt 
(vgl  Hist.  Ztschr.  96,  543),  werden  im  Januar-Februarheft  1906  von 
1510 — 18  fortgesetzt.  Sie  bieten,  außer  für  die  persönlichen  Schick- 
Bale  AleanderSj  für  die  Getehrtengescbichte  dieser  Jahre  einiges 
Interesse. 

Als  einen  Beitrag  zur  Vorgeschichte  der  Reformation  teilt 
Otto  Heinemann  in  Nr.  10  des  Archivs  L  Reformationsgesch. 
(3  «J^^^S'i  ^^^t  2)  eine  Klosterordnung  des  Zisterzienserklosters 
Himmelstädt  bei  Landsberg  a.  W.  vom  Jahre  1513  mit;  sie  wurde 
im  Anschluß  an  eine  Klostervisitation  erlassen,  die  v.  Nießen  m 
seiner  Geschichte  der  Neumark  irrig  ins  Jahr  1313  gesetzt  hat. 

Gegen  die  Verunglimpfungen  Luthers  durch  Denifle  gedenkt 
der  Verein  für  Refonnationsgeachichte  zunächst  drei  Schriften  zu 
richten,  eine  über  Luthers  Leben  und  Entwicklung  im  Kloster,  die 
zweite  über  Luthers  Stellung  zur  Ehe>  die  dritte  über  seine  reli^ 
giöse  und  theologische  Entwicklung  bis  1517  und  sein  Verhältnia 
zum  Mittelalter.  Von  diesen  Untersuchungen  ist  die  erste  als 
Nr*  87  der  Schriften  des  Vereins  f.  Reformationsgesch.  (23.  Jahrg.,  2) 
erschienen:  Luther  im  Kloster  150S — 1625,  von  Karl  Benrath 
(Halle,  Rud.  Haupt,  1905.  III  u,  96  S.  1,20  M.).  Ihren  apologetischen 
Zweck  dürfte  diese  Arbeit  erfüllen.  Die  Polemik  gegen  Denifles 
Ausführungen  über  die  Mönchstaufe  und  gegen  die  Anschuldi- 
gungen^  daß  er  die  Ordensdiszipün  in  Wittenberg  untergraben 
habe,  daß  er  ein  Hurer  („Urist*')  und  Trunkenbold  gewesen  sei, 
wird  mit  Ruhe  und  Sicherheit  geführt.  Benraths  Bemerkungen  über 
Luthers  Trinksitten  sind  denjenigen  Grisars  (vgl  Hist.  Ztschr.  96^ 
167)  entschieden  vorzuziehen.  Weniger  wird  man  von  den  allge^ 
meineren  Erörterungen  befriedigt  Ich  gestehe,  daß  mir  da  die 
kleine  Flugschrift  von  H.  v.  Schubert  (Was  Luther  ins  Kbster 
hinein-  und  wieder  hinausgeführt  hat,  1897)  oder  die  einschlägigen 
Partien  in  Hausraths  Luther biographie  ungleich  mehr  geboten 
haben.  Gerade  hinsichtlich  der  Romreise  möchte  Ich  übrigens 
nicht,  wie  Benrath,  Hausrath  sondern  Elze  folgen.  Auch  die  inter- 
essante Frage>  was  Luther  dem  Kloster  dauernd  verdankte^  und 
worin  sich  noch  später  die  Nachwirkungen  seines  ehemaligen 
Mönchtums  zeigten^  wird  kaum  berührt.  Und  schließlich  Ist  es 
zu  bedauern,  daß  der  Verfasser  sich  keinen  Einblick  in  das  Material, 


Reformation* 


209 


I 


mit  welchem  demnächst  J*  Fkker  vor  die  Öffentlichkeit  treten  wird, 
verschafft  hat:  seine  Schrift  wird  dadurch  in  manchen  Punkten 
rasch  überholt  sein,  —  Es  sei  gestattet,  in  diesem  Zusammenhang 
auch  der  Würdigung  Denlfies  durch  Hermann  Grauert  zu  ge- 
denken (P.  Heinrich  Denifle  0.  Pr.,  ein  Wort  zum  Gedächtnis  und 
lum  Frieden,  ein  Beitrag  auch  zum  Lutherstreit,  2.  Aufl.,  mit  einem 
Bildnis  Denifles,  Freiburg  i.  Bn,  Herdersche  Verlagsbuchhandlung. 
1906,  Vll  u.  66  S.  1,40  M.).  Sie  stellt  einen  durch  eine  Nachschrift 
über  Luthers  theologische  Entwicklung  erweiterten  Abdruck  aus 
dem  Hisl,  Jahrbuch  26,  4  dar  und  Ist  in  anerkennenswerter  Weise 
bemüht»  Licht  und  Schatten  gerecht  zu  verteilen.  Die  großen 
Verdienste  des  Gelehrten  werden  hier  nach  Gebühr  hervorgehoben, 
die  Lutherlrage  in  einem  zwar  entschieden  gläubig-katholischen 
Sinn  (S,  6),  aber  im  Gegensatz  zu  Denifle  mit  Ruhe,  Objektivität 
und  historischem  Verständnis  behandelt  Auf  das  eigenartige 
Wesen  Deniflest  der  eine  tiefe  Gelehrsamkeit  mit  dem  rabiatesten 
Draufgängertum  vereinigte^  fallt  manch  treffendes  Schlagücht« 

Otto  Giemen  beschließt  in  der  Ztschr,  f.  Kirchengesch,  27, 1 
seine  Beiträge  zur  Lutherforschung  (vgl  Hist,  Ztschr*  96,  167,  360% 
indem  er  über  die  in  seinem  Kamenzer  Sammelband  enthaltene 
Handschrift  von  Luthers  Asterisci  und  von  den  Probationes  con- 
ctiis£0num  in  capiiulo  Heidelbergensi  disputatarum  berichtet  und 
Ergänzungen  zu  der  Ausgabe  Knaakes  gibt,  —  Derselbe  stellt  in 
Nr  IG  des  Archivs  I,  Reformationsgesch.  (3.  Jahrg.,  2)  einige  Bei- 
träge zur  sächsischen  Reformationsgeschichte  zusammen,  nämlich 
zwei^  den  von  Tetzel  1505  in  Zwickau  verkündigten  Livländer  Ab- 
laß betreffende  Urkunden,  ferner  einen  Brief,  den  ein  ehemaliger 
Pirnaer  Dominikaner  1523  aus  Wittenberg  an  seinen  Prior  schrieb, 
um  seine  Flucht  aus  dem  Kloster  zu  rechtfertigen^  sodann  Notizen 
zur  Lebensgeschichte  zweier  rühriger  Gegner  der  Reformation  in 
Leipzig,  des  Pfarrpredigers  Johannes  KoÖ  (f  1533),  dessen  Sermon 
vom  Fasten  analysiert  wird,  und  seines  Genossen^  des  Kaufmanns 
Hieronymus  Walther,  der  namentlich  die  polemischen  Bestrebungen 
von  Emser  und  Cochlaeus  unterstützte ;  zum  Schluß  folgt  eine 
Satire  auf  Hieronymus  Jungersheim  von  Ochsenfurt,  der  gleichfalls 
2u  den  katholischen  Leipziger  Streittheologen  gehörte. 

Der  Schluß  der  Aufsätze  Kaweraus  über  Luthers  Stellung 
zu  drei  seiner  hervorragendsten  Zeitgenossen  (vgl  Hist.  Ztschn  96> 
544)j  den  das  3.  Heft  der  Deutsch-evangelischen  Blätter  (31,  N.  F.  6) 
bringt,  beschäftigt  sich  mit  Luther  und  Melanchthon  und  berührt 
sich  naturgemäß  vielfach  mit  der  früheren  Studie  desselben  Ver- 
fassers über  das  gleiche  Thema  (vgl  HisL  Ztschr.  91,  548)<    Der 

Htttorltctae  Zeitii^hHtl  <^.  B{L)  3.  Folge  L  Bd.  14 


210 


Notizen  und  Nachrichten. 


Verfasser  wagt  gerecht  ab,  was  beide  Reformatoren  voneinander 
hatten  und  schildert  mtt  psychologischem  Verständnis  ihren  eigen- 
artigen^ aus  Freundschaft  und  Gegensatz  gemischten  Bund.  Me- 
lanchthons  Verdienste  um  die  Sache  der  Reformation  bestehen 
darin;  daß  er  die  Brücke  mit  der  Wissenschalt  geschlagen,  die 
nötige  Systematisierung  der  Theologie  geschaffen  und  die  theo- 
retische  Begründung  des  Landeskirche ntums  gegeben  hat.  Hin- 
sichtlich der  DiHerenzen  mit  Luther^  (in  der  Prädestinations^  und 
Abendmahlsfrage)  vermißt  man  eine  Erklärung  und  Würdigung 
der  bemerkenswerten  Tatsache^  daß  Luther  seibat  sie  durchaus 
zurücktreten  Heß,  und  daß  sie  daher  erst  nach  seinem  Tod  Be- 
deutung gewannen- 

Die  ausführliche  Darstellung  E.  Fabians  über  den  Streit 
Luthers  mit  dem  Zwickaucr  Rate  im  Jahre  1531  (in  d.  Mitt,  des 
Altertumsvereins  f*  Zwickau  und  Umgegend,  1905,  Heft  8)  hat  zum 
Teil  unbekanntes  Material,  Ratsakten,  Briefe  des  Zwickauer  Rats 
an  Luther^  Hausmann  u.  a.  verarbeitet. 

Nach  den  Ordensgebieten  in  Preußen  und  Livland  zu  Beginn 
der  Reformationszeit  führt  uns  das  Bt,  Heft  der  Schriften  des  Ver- 
eins für  Reformationsgeschichte  (23,1):  Johannes  Blankenfeld,  von 
Wilhelm  Schnöring  (Halle,  Rud.  Haupt  1905.  IV  u.  115  S. 
!,20  M,).  Blankenfeld^  geb.  wahrscheinlich  1478  aus  einer  ange- 
sehenen Berliner  Familie,  wurde  I5I2— IS  2u  Rom  in  den  diploma- 
tischen Geschäften  der  Hohenzollern  verwandt.  Nachdem  er  dann 
1514  das  Bistum  Reval  und  151S  das  Bistum  Dorpat  empfangen 
hatte,  entfaltete  er  seine  Haupttätigkeit  in  Livland,  wo  er  eifrig 
aber  erfolglos  bemüht  war,  die  Fortschritte  der  evangelischen  Sache 
zu  unterbinden.  J524  erhielt  er  (unter  Aufgabe  Revals)  sogar  das 
Erzbistum  Riga,  mußte  sich  aber  1526  dem  Ordensmeister  in  Liv- 
land, Walter  von  Plettenberg,  unterwerfen.  Vergebens  suchte  er 
den  Papst,  den  Deutschmeister  und  schließlich  auch  den  Kaiser 
gegen  alle  seine  Feinde  zu  gewinnen;  auf  der  Reise  zu  Karl  V, 
starb  er  1527  in  Spanien.  Die  Darstellung,  für  welche  archivalische 
Vorarbeiten  zu  einer  Familiengeschichte  der  Blankenfelds  von  dem 
verstorbenen  Staatssekretär  vjacobi  benutzt  werden  konnten,  verrät 
stellenweise  den  Anfänger 

Lorenz  Truchseß  von  Pommersfelden  (1473—1543),  der  seit 
I5i3  als  Mainzer  Domdechant  der  erste  Geistliche  des  dortigen 
Domkapitels  war  und  durch  seinen  Gegensatz  gegen  den  Erz- 
bischof Albrecht  bekannt  ist,  erfährt  im  Katholik  3.  Folge,  33  auf 
Grund  seiner  hinterlassenen  Papiere  eine  biographische  Darstellung 
durch  J.  B.  K  i  ß  I  i  n  g.    Die  beiden  bis  jetzt  vorliegenden  Aufaätxe 


Reformation. 


211 


r(Heft  l  u.  2)  handeln  u.  a.  über  die  Kaiserwahl  Karls  V.,  an  deren 
Zustandekomtnen  sich  Tmchseß  großes  Verdienst  beimaß,  sowie 
über  den  Kampf  gegen  die  Mainzer  Reformation  und  schließen 
mit  dem  ^Mainzer  Ratschlag*  vom  November  1525^  bei  welchem 
Kißimg  gleichfalls  einen  Anteil  seines  Helden  erkennen  zu  dürfen 
glaubt 
Skeptischer  als  K.  Müller  (vgl  Hist*  2tBchr,  %,  168  f.)  be- 
trachtet R  Wernle  in  der  Zeitschrift  für  Kirchengesch.  27,  l  die 
Quellen  über  die  Bekehrung  Calvins^  sofern  er  dessen  eigenen 
Bericht  in  der  Vorrede  zum  Psalmenkommentar  als  von  einer  be- 
stimmten religiösen  Gesamtbetrachtung  aus  geschrieben  ansieht 
und  die  Nachrichten  der  drei  Bezaschen  Viten  für  beLanglos  hält. 
Danach  werden  von  der  Darstellung  Müllers  einige  Abstriche  ge- 
macht, auch  wenn  sein  SchluÖergebnis  (Bekehrung  im  Jahre  1533) 
bestätigt  wird.  Unter  allen  Umständen  scheint  man  mir  an  der 
subita  conversw  der  Psalmenvorrede  festhalten  zu  müssen,  da  es 
der  religiösen  Betrachtungsweise  nichts  verschlagen  hätte^  von 
einer  ellmählichen  Bekehrung  zu  sprechen.  Dazu  paßt  ander- 
seits aufs  beste,  daß  die  von  Beza  aus  der  Calvinschen  Vorrede 
zu  Olivetans  Obersetzung  der  hebräischen  Bibel  kombinierte  An- 
sicht vom  Einfluß  Olivetans  auf  die  Bekehrung  durch  Wernle  in 
der  Tat  erschüttert  ist  /?,  M. 

Zur  lombardischen  Stadtgeschichte  notieren  wir  einen  Aufsatz 
von  Felice  Fossati  über  das  Volk  von  Vigevano  bei  der  Er- 
werbung der  öffentlichen  Gewalt  (1536)  im  Archivio  starke  Lom- 
bardOf  Ser,  4j  Heft  8 ;  die  Versuche,  der  Aristokratie  das  Stadt- 
regiment zu  entwinden,  haben  schon  vorher  begonnen. 

Die  Seeschlacht  bei  Preveza  (am  Meerbusen  von  Arta)  vom 
27-  September  1538,  die  mit  einem  Sieg  der  Türken  über  die  christ- 
liche Liga  (Kaiser,  Papst,  Venedig)  endete,  wird  von  Gaetano 
Capasso  in  den  Rendiconti  del  r.  ist,  Lomb,  dl  sc.  e  lett,,  2.  S er.  38, 
zum  Gegenstand  einer  genauen  Untersuchung  gemacht,  die  ent- 
gegen der  übüchen  Darstellüngsweise  (vgl  z,  B.  Zinkeisen»  Gesch. 
des  osman.  Reiches  2,  7S0  f.)  den  Führer  der  christlichen  Flotte, 
Andrea  Doria^  von  der  Schuld  an  dem  Mißerfolg  freispricht. 

Stephan  Ehses  setzt  im  Hist.  Jahrbuch  27,  1  seine  Studien 
über  Faolo  Sarpt  fort  (vgl.  liist.  Ztschr.  95,  361),  aber  auf  keine 
wesentlich  erfreulichere  Weise,  Die  Bedenken  Pallavicinos  gegen 
das  Tagebuch  des  Chieregato,  auf  Grund  dessen  Sarpi  I,  22—24 
die  Reformverhandlungen  Hadrians  Vf.  schildert,  sucht  er  gegen 
Ranke  dadurch  zu  stützen,  daß  er  einfach  die  einschränkenden 
Worte   von   Le  Courayer  und   Maurenbrecher  zitiert;   die  Unter- 

14* 


2ia 


Notizen  und  Nachrichten. 


suchung,  ob  Sarpi  das  Tagebuch  des  Chieregato  gefälscht  habe(l), 
erktärt  er^  anderen  überlassen  zu  wollen.  Solche  Erörterungen 
sind  natürlich  wertlos  und  ändern  nichts  an  dem  Ergebnis  Mauren- 
brechers, das  man  besser  bei  ihm  selbst  nachliest  (Gesch.  der 
kath.  Reformation  400  L),  wonach  die  Angaben  bei  Sarpi  22  u.  23 
erdichtet  sind^  während  24  auf  Papiere  Chleregatos  zurückgeht. 
Sodann  wendet  sich  Ehses  gegen  Sarpi  11,  63—65,  d.  h.  gegen  den 
Bericht  über  die  der  5,  Sessio  vorausgegangenen  Beratungen  der 
Theologen  und  Bischöfe  vom  24  Mal  bis  16*  Juni  1546.  Hier  wird 
man  aus  der  eingehenden  Kritik  so  viel  entnehmen,  daß  Sarpi 
auch  diesmal  zweifellos  gedichtet,  verschönert,  entstellt  hat.  Von 
da  bis  zu  der  vorschnellen  Behauptung,  der  ganze  Bericht  sei 
eine  reine  Erfindung,  die  Sarpi  auf  Grund  einer  am  9.  Juni  ver- 
lesenen Liste  von  alten  und  neuen  Irrlehren  aufgebaut  habe^  ist 
aber  noch  ein  weiter  Weg.  Woher  weiß  Ehses^  daß  man  über  die 
Liste  wirklich  nicht  disputierte,  daß  sie  den  Theologen  überhaupt 
nicht  vorgelegt  wurde?  tn  Wahrheit  liegt  der  zweite  Fall  genau 
wie  der  erste:  wir  haben  es  mit  einer  Vermengung  von  Wahrem 
und  Falschem  tu  tun,  die  es  doppelt  bedauerlich  macht,  daß  der 
Nachlaß  Sarpis  durch  den  Brand  des  Servitenklosters  zu  Venedig 
untergegangen  ist.  —  Zum  Schluß  folgt  eine  kurze  Bemerkung 
gegen  meine  Anzeige  der  vorigen  Studie^  Ich  habe  danach  zu- 
nächst festzustellen,  daß  Ehses  die  Untersuchung  Rankes  kannte, 
auch  schon  früher  gegen  sie  polemisierte,  und  sie  diesmal  nur 
deshalb  nicht  erwähnte,  weil  er  „zunächst  nur  über  einen  Einzel- 
fall zu  'berichten  hatte  und  ein  Gesamturteil  noch  nicht  abgeben 
wollte**.  Das  andere  sind  Redensarten.  Es  lag  mir  selbstverständ- 
lich fern,  dem  Verfasser  „eine  solche  versteinerte  Geschichts- 
wissenschaft'^, die  über  Ranke  nicht  hinauskommen  zu  dürfen 
glaubt,  anempfehlen  zu  wollen.  Gerade  hinsichtlich  der  Quellen- 
kritik Sarpis  ist  im  einzelnen  gewiß  noch  viel  zu  tun;  aber  die 
Verdienste  des  Verfassers  würden  großer  sein,  wenn  er  dabei  mit 
etwas  mehr  Besonnenheit  zu  Werke  gehen  wollte.  /?.  M. 

Ein  Tagebuch  (Diartum),  das  Ewald  Creut^nacher,  Sekretär 
deB  Würzburger  Fürstbischofs  Melchior  Zobel,  über  den  Reichstag 
zu  Augsburg  1547 — 48,  an  dem  er  im  Gefolge  seines  Herrn  teil- 
nahm, aufgezeichnet  hat,  und  das  Paul  Glück  im  Archiv  des 
historischen  Vereins  von  Unterfranken  und  Aschaffenburg  47  ver- 
öffentlicht, kommt  nur  für  den  äußeren  Hergang  in  Betracht» 

Zur  polnischen  Reformation sgeschichte,  deren  Anfänge  nament- 
lich noch  vielfach  in  Dunkel  gehüllt  sind.  Hegen  einige  neue  dan- 
kenswerte Aufsätze  von  Theodor  Wotschke  vor*    In  Nr.  10  des 


I 
I 
I 


Reformation« 


213 


Archivs  f.  Reformatianagesch.  (3*  Jahrg.,  2)  gchildert  er  die  ausge- 
dehnte reformatorische  Wirksamkett,  welche  Stantstaus  Lutomirski 
1546 — 4i2  als  Pfarrer  von  Konin  und  Klein-Kazlmierz  entfaltet  hat* 
Lutomirski,  in  Wittenberg  gebildet,  wandte  sich  dann  dem  Calvi- 
nismus  zu  und  ging  schließlich  zn  den  Socinianern  über»  deren 
Haupt  er  1563  wurde;  diese  letzte  Periode  seines  Lebens  (Luto- 
mirski starb  erst  Ende  der  70er  Jahre),  die  dem  Verfasser  unsym- 
pathisch ist,  behandelt  er  leider  nicht.  —  Ferner  bespricht  der- 
selbe in  den  Hist,  Monatsblätlern  für  die  Provinz  Posen  6,  9  die 
Wirksamkeit  des  Humanisten  Jakob  Kuchler  in  Posen  (154fr— 65), 
sowie  die  Geschichte  der  Posener  Pfarrschule  von  Maria  Magda- 
lena 1551 — 66»  d.  h,  ihren  Ruckgang  infolge  der  wachsenden  Macht 
des  Protestantismus, 

Die  ersten  kathoUschen  Missionare,  die  um  die  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts  nach  Japan  kamen  (F*  Saverio,  N.  Lancilotti),  be- 
richteten sehr  günstig  und  hoffnungsvoll  über  den  Charakter  der 
Japaner.  Ihre  Angaben  werden  uns  in  der  Civiliä  cattclica,  Jahr- 
gang 57  (f906),  Bd,  \  (Heft  1338)  von  einem  Anonymus  mitgeteilt. 

In  dem  von  der  Stadtbibliothek  Zürich  für  1^06  heraus- 
gegebenen Neujahrsblatt  (Nr.  262)  veröffentlicht  T.  S  c  h  t  e  ß  Briefe, 
die  ein  Züricher  Student  der  Medizin,  Georg  Keller,  1550 — 58  aus 
Lausanne,  Padua^  Basel  und  Paris  nach  der  Heimat  richtete.  Wir 
erfahren  aüerhand  Äußerliches,  dagegen  nur  wenig  Ober  den 
eigentlichen  Studiengang,  die  Art  der  wissenschaftlichen  Behand^ 
lung  usw, 

^Die  savoyische  Frage  und  die  politischen  und  militärischen  Be- 
gebenheiten, welche  den  Vertrag  von  Vaucelles  vorbereitet  haben**, 
so  lautet  der  Titel  einer  umfassenden  Untersuchung  von  Arturo 
Segre  in  den  Memorie  äella  n  accademia  delle  seien ze  dt  Torino^ 
ser.  2f  tomo  5$^  seiende  marati  stör,  e  fihl.  (1905)  S.  383  ff.  Mit 
größter  Ausführlichkeit  werden  hier  die  deutschen,  italienischen 
und  französischen  Angelegenheiten  von  etwa  1550  bis  J556  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  savoyischen  Streitfrage  behandelt^ 
und  namentlich  über  die  italischen  Begebenheiten  erfahren  wir 
viel  Neues  aus  archlvalischen  Quellen.  Dagegen^bedürfen  die  Aus- 
führungen S.  403  ff.  über  die  politische  Lage  in  Deutschtand  der 
Ergänzung;  ich  daH  den  Veriasser  wohl  auf  meine  Monographie 
über  Maximilian  IL  verweisen,  die  ihm  entgangen  ist,  obgleich  er 
sich  viel  mit  den  Beziehungen  Maximilians  z\x  Frankreich  und 
Spanien  beschäftigt,  und  in  der  er  auch  noch  andere  Literatur 
finden  kann.  Der  Vertrag  zu  Vaucelles  (1556)  bedeutete  einen 
Sieg   der   Franzosen;    aber    einen    besseren   Abschluß   als   diese 


214 


Notizen  und  Nachrichten« 


vorübergehende  Walfenrwhe  hätte  wohl  der  Frieden  von  Cateau- 
Cambr^sts  gebildet.  ß^,  //. 

In  der  Zeitschr  I,  Klrchcngesch,  27,  1  druckt  G,  Loeschc 
einen  Brief  des  Joh.  Mathesiu»  an  Melanchthon^  der  aber  meines 
Erachtens  nicht  zum  27.  Dezember  1556,  sondern  zum  24.  Juni  1557 
gehört  /?.  H. 

Das  Leben  und  die  Werke  des  auch  als  Inschriftensammler 
bekannten  Mailänder  Geschichtschreibers  Giovannt  Battieta  Fontana 
(oder  Fonteio)  macht  Fedele  S  a  v  i  o  im  Archivio  storico  Lomharäüf 
Ser,  4,  Heft  8^  zum  Gegenstand  einer  Untersuchung.  Fonlana  starb 
nicht  1555,  wie  De  Rossi  (auf  Grund  einer  mißverstandenen  Angabe 
Mommsens  im  Corpus  inscnptianum  latinarttm)  meinte,  sondern 
er  blühte  etwa  1565— 15S0.  Sein  noch  nicht  herausgegebenes  Buch 
über  die  Erzbischöfe  von  Mailand  wird  ausführlich  besprochen. 

Im  Juni  1568  und  im  Februar  156*?  weilte  Wilhelm  von  Oranlen 
in  Straöburg,  auch  hier  vergeblich  bemüht,  dem  Widerstand  gegen 
Alba  Kraft  und  Erfolg  zyx  verschaffen.  Die  ausführliche  Unter- 
suchung seiner  Beziehungen  zur  Stadt,  welche  Alcuin  Holla  ender 
in  der  Zeitschr,  f*  d*  Gesch.  des  Oberrheins  N.  F.  21,  1  veröffent- 
licht, erweitert  sich  zu  einer  Geschichte  der  gesamten  militärischen 
Operationen  dieser  Jahre  in  den  Niederlanden  und  in  Frankreich» 
Obgleich  die  Strsßburger  Sympathien  auf  der  Seite  Oraniens  waren^ 
konnte  er  156B  kein  Geld  daselbst  aufnehmen,  so  daß  er  156% 
um  seine  meuternden  Truppen  zu  befriedigen^  sein  Geschütz  und 
seine  Munition  verkaufen  und  seinen  Hausrat  verpfänden  mußte. 
Seine  Lage  war  Anfang  1569  völlig  verzweifeltj  aber  gerade  in 
dieser  Not  zeigte  sich  die  Beharrlichkeit  und  Größe  seines  Geistes. 

Zur  Lebensgeschichte  des  Laurenlius  Albertus  (Lorenz  Al- 
brecht), der  besonders  als  Herauageher  der  ersten,  1573  erschie- 
nenen deutschen  Grammatik  bekannt  ist^  und  den  Paulus  in  den 
Historisch-politischen  Blättern  119  (1897)  nur  bis  1572  verfolgen 
konnte,  bringt  Karl  Schellhaß  in  den  Quellen  und  Forschungen 
aus  italienischen  Archiven  und  Bibliotheken  8  neue  Nachrichten, 
die  bis  zum  Jahre  1583  reichen* 

Die  Religionsunruhen  in  Aachen  und  die  beiden  Städtetage 
zu  Speyer  und  Heilbronn  1581  und  1582  erfahren  eine  ausführHche 
und  gute  Schilderung  durch  Heinrich  Pen  nings  im  27.  Band  der 
Zeitschrift  des  Aachener  GeschichtsveTelns,  Danach  haben  die 
Reichsstädte  die  prinzipieUe  Bedeutung  der  Aachener  Frage  wohl 
erkannt,  konnten  aber,  von  den  meisten  protestantischen  Fürsten 
im  Stich  gelaesen,   gegen  den  Kaiser  nichts  ausrichten.    Der  von 


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Reformation 


215 


Straßburg  ausgegangene  Plan^  die  Reichsstädte  zu  selbständigem 
Vorgehen  in  der  Aachener  Sache  zu  bewegen,  brach  auf  dem 
Heilbronner  Städte  tag  zusammen. 

Die  alte  Ansicht,  daß  die  Familie  Urbans  Vtl,  (1590)  aus  Genua 
stammte,  wird  auch  von  Achille  Neri  im  ß eilet ino  storko  delia 
SvUzera  ilalianaj  Jahrg.  27,  S.  130  ff,  wieder  gestützt;  vgL  dazu 
den  Hist  Ztschr.  93,  545  angezeigten  Aufsatz  v.  Liebenaus. 

Der  Aufsatz  R  Glasers  ^Eine  Episode  aus  der  Politik  des 
Herzogs  Johann  Kasimir  von  Koburg*  in  der  Zeitschr,  d,  Ven  f, 
thüring.  Gesch.  u.  Altertumsk.  N.  F,  1905,  Bd.  16,  Heft  1  behandelt 
die  Politik  des  Fürsten  in  dem  kritischen  Winter  1619,20  und  sein 
Verhältnis  zur  Union. 

Die  Organisation  der  Arbeit  in  Frankreich  vom  16,— 18.  Jh. 
wies  nach  dem  Aufsatz  von  Henri  H  a  u  s  e  r  in  der  Revue  d*kistoire 
moderne  et  contemporaine  7,  5  die  das  Ancien  regime  auch  sonst 
kennzeichnenden  großen  Verschiedenheiten  auf.  Hauser  unter- 
scheidet drei  Hauptarten,  die  Arbeit  in  Verband en^  die  freie  Arbeit 
und  die  privilegierte  Arbeit,  weist  aber  darauf  hin,  daß  die  Form 
der  ersten  keineswegs  immer  die  gleiche  Strenge  zeigte,  und  daß 
die  zweite  nicht  immer  eine  absolute  Freiheit  der  Arbeit  bedeutete. 
Am  meisten  verbreitete  sich  schließlich  unter  dem  Anden  rigime 
auch  auf  dem  Gebiet  der  Industrie  das  Privileg* 

Quellen  und  Beiträge  zur  Geschichte  der  deutsch-evangeli- 
schen Militärseelsorge  von  1564  bis  1814,  herausgegeben  von  Kurt 
Schneider«  Divtslonspfarrer.  Halle  a.  S.,  Buchhandl.  d.  Waisen- 
hauseSt  1906,  194  S.  3,50  M,  —  Dankenswerte  Zusammenstellung 
seltener  Quellenstücke  (Fronspergers  geistlicher  Kriegsordnung, 
Auszügen  aus  Krtegsartikeln  und  Reglements^   Predigten  u.  dgl,). 

Neue  Bücher:  Bemardy,  Cesare  Borgia  e  la  repabblka 
äi  S.  Marino,  1500^04.  (Firenze^  LumachL  2ßö  fr.)  *-  Schulte, 
Kaiser  Maximilian  L  als  Kandidat  für  den  päpstlichen  Stuhl  1511. 
(Leipzig,  Duncker  ^  Humblot,  2,20  M,)  —  Luthers  serma  de 
poemtentia  tStS.  Hrsg,  von  Fischer.  (Leipzig,  Deichert  NachL 
0,80  M»)  —  Quellen  zur  Geschichte  des  kirchlichen  Unterrichts  in 
der  evangelischen  Kirche  Deutschlands  zwischen  1530  und  1600* 
Hrsg.  von  Reu,  Z  Tl,  (Gütersloh,  Bertelsmann,  16  M,)  —  Dun- 
ningf  A  history  of  pottticat  theories  from  Luther  to  Montesquieu. 
(London^  Macmittan.  10^6  skj  —  DeBrimontf  Le  XV!^  slecle 
ei  les  guerres  de  la  r^ forme  en  Berry,  T,  I^IL  (Paris j  Picard 
gt  filsj  —  Maccam  f  Mary  Stuart,  ( London ,  Metkt^n.  10^6  sh,) 
—  Mezger^  John  Knox  et  ses  rapports  avec  Calvin,  (Montau- 
ban^  Impn  coop^rativej  —   GrosheintZj   Viglise  italienne  ä 


Notizen  und  Nachrichten. 

Genive  au  temps  de  Jean  Calvin.  (Lausanne,  BorgeaudJ  — 
Cadix^  Essai  historique  sur  la  ri forme  ä Besanfonj  au  XVf*  sUcU. 
(Mantaubarff  Impr  caop^ralli^ej  —  Schieß»  Drei  St,  Galler  Rciä- 

.lätifer  auB  der  L  Hälfte   des  16.  Jahrhundertä.    (St.  Gallen^  Fehr. 

[2  M.)  —  van  0  u  I  i  k ,  Johannes  Gropper,  1 503^1559.  (Freiburg  i.  ß*^ 
Herder.  5  M,)  —  Serbai,  Les  assembUes  du  clergä  de  France ^ 
1561 — 1615,  (Paris,  Champion.  12 fr,)  —  Opitz,  Die  Fugger  und 
Welser  (Berlin,  Verlag  für  Sprach-  und  Handelswissenschalt 
1  M*)  —  van  Ravestey n,  Onderioekingen  over  de  econ&misck 
en  sociale  ontwikkeling  van  Amslerdam  gedurende  de  16^  en  hei 
ferste  kwart  der  17^  eeuw.  (Amsterdam,  van  Looy,)  —  Michoif, 
Das  erste  Jahrhundert  russischer  Kartographie  1525 — 1631  und  die 
Originalkarte  des  Anton  Wied  von  1542.  (Hamburg,  Friederichsen 
£  Co.  4  M.)  —  Watlszewski,  les  orlgines  de  la  Rassle  moderne, 
La  crise  r/volutionnaire  1584—1614,  (Paris,  Plan-Nourril  d  Cie, 
^  f^'J  ^  TeLintum,  De  merchant  adpenturers  in  de  Neder* 
imnden*    fs  Gravenhage,  Ntjhoff) 


164$— 1789. 

Die  Begründung   der  englischen  Seevorherrschaft  durch  die 

Siege  der  Engländer  über  die  Holländer  xur  Zeit  CromweJb  und 
über  die  Frans^osen  im  Plälzlschen  Erbfolgekneg  erklärt  Gustav 
Roloff  im  Märzheft  1906  der  Preußischen  Jahrbücher  aus  der 
Beschaifenheit  der  englischen,  niederländischen  und  französischen 
Marine,  i,Die  englische  Nation  ist  Siegerin  gehlieben,  weil  alle 
entscheidenden  Faktoren  harmonisch  zusammenwirkten:  das  Vor- 
handensein großer  Seeinteressen,  die  Empfänglichkeit  der  Nation 
für  die  Lösung  der  maritimen  Aufgaben  und  die  planmäßige  Tätig- 
keit der  Regierung,  die  materiellen  und  moralischen  Wertej  deren 
die  Wehrkraft  bedarf,  zu  erzeugen,**  Dagegen  finden  wir  in  Hol- 
land das  Hauptgewicht  zu  sehr  auf  die  Handelsschiffe  gelegt,  mit 
denen  sich  der  Krieg  auf  die  Dauer  nicht  führen  ließj  und  eine 
verhängnisvolle  Dezentralisation  in  der  Verwaltung*  Zu  dem  Nieder- 
gang der  französischen  Marine  wirkten  zusammen :  das  mangelnde 
Interesse  und  Verständnis  bei  der  Bevölkerung,  deren  seefähigster 
Teil  durch  die  Auswanderung  der  Hugenotten  noch  besonders  ge- 
schwächt wurde,  die  Unfähigkeit  der  Regierung  seit  dem  Tod 
Colberts  und  die  finanziellen  Schwierigkeiten  der  späteren  Jahre 
Ludwigs  XIV, 

In  einem  lehrreichen  Aufsatze  schildert  F,  Wagner  auf  Grund 
der  Archivalien  „die  Säkularisation  des  Bistums  Halberstadt  und 
seine   Einverleibung   in   den   brandenburgisch  -  preußischen   Staat 


1648—1789, 


217 


1648—1650"  m  der  Zeitschrift  des  Harz  Vereins  38,  2  (1905),  Von 
besonderem  Interesse  sind  naturgemäß  die  Mitteilungen  des  Ver- 
lassers über  die  Eingewöhnung  der  Stände,  die  hier  leichter  als 
anderwärts  sich  vollzog.  Auch  hier  wie  in  Preußen  zeigt  sich 
übrigens  der  charakteristische  Umstand^  daß  die  eigenen  Vertreter 
des  Kurfürsten  zuweilen  für  die  Stände  bei  dem  Kurfürsten  vor- 
stellig werden.  Von  aUgemeiner  Bedeutung  ist  der  Nachweis,  daß 
das  ländliche  Gebiet  des  Stifts  sich,  seit  1643  die  Schweden  von 
ihm  Besitz  ergriffen,  noch  in  der  Kriegszeit  selbst  zu  erholen  ver* 
mochte,  indem  die  schwedischen  Heerführer  sich  hier  häuslich 
niederließen  und  daher  rationell  wirtschafteten. 

Die  Neuausgabe  des  Tagebuches  Dietrich  Sigismund  v.  Buchs 
—  das  die  Jahre  1674 — 1683  umfaßt  — ,  die  Ferdinand  Hirsch  im 
Auftrage  des  Vereins  für  Geschichte  der  Mark  Brandenburg  be- 
sorgt hat  (2  Bde,  1904/05.  Leipzig,  Duncker  &  Humblot),  erfüllt 
einen  oft  geäußerten  Wunsch  zahlreicher  Historiker,  die  sich  bis- 
her, soweit  sie  nicht  persönlich  Einsicht  in  die  im  königUchen  ge- 
heimen Staatsarchiv  zu  Berün  befindliche  Handschrift  nehmen 
konnten,  mit  der  unvollständigen  und  fehlerhaften  Ausgabe  Kessels 
begnügen  mußten.  Jetzt,  wo  der  wortgetreue  Abdruck  des  in 
französischer  Sprache  geschriebenen  Tagebuches  vorliegt,  wird 
man  erst  die  Bedeutung  desselben  für  die  Kriegs-  und  Kultur- 
geschichte jener  Zeit  vollauf  würdigen  können.  Über  zahlreiche 
Kriegsereignisse,  die  er  miterlebt  und  über  eine  bedeutende  An- 
zahl hervorragender  Persönlichkeiten,  die  er  als  Vertrauensmann 
des  Kurfürsten  Friedrich  Wilhelm  kennen  'gelernt  hat,  berichtet 
der  gerade,  kluge,  durchaus  ehrliche  Offizier  in  zuverlässiger 
Weise.  Der  diplomatischen  Kleinkunst  steht  er  kühl  gegenüber, 
doch  mußte  auch  er  dieselbe  gelegentlich  üben.  Obgleich  ein 
begeisterter  Verehrer  seines  Herrn,  unterdrückt  er  nicht  seinen 
Kummer  über  die  franzosenfreundUche  Poütik  die  Friedrich  Wilhelm 
seit  dem  Jahre  1679  einschlug.  Einen  besonderen  Reiz  gewinnt 
das  Tagebuch  durch  die  zahlreich  eingestreuten  Bemerkungen 
über  Länder  und  Völker,  die  Buch  auf  seinen  häufigen  Reisen 
kennen  lernte,  und  deren  Zustand  und  Verhältnisse  er  mit  offenen 
Augen  betrachtete.  Ferdinand  Hirsch,  längst  als  einer  der  besten 
Kenner  dieser  Periode  preußischer  und  deutscher  Geschichte  be- 
kannt, hat  keine  Mühe  gescheut^  dem  Leser  die  Lektüre  des  Buches 
zu  erteichtern.  Mur  wer  ähnliche  Arbeit  geleistet  hat,  kann  die 
entsagungsvolle  Tätigkeit  des  Herausgebers  richtig  würdigen,  für 
die  ihm  der  Dank  seiner  engeren  Fachgenossen  ganz  besonders 
auegesprochen  werden  soll.  A.  Fribram. 


218  Notizen  und  Nachrichten. 

Comte  d'Hauftsonville  setzt  in  der  Revue  des  äeax  monäes 
vom  1,  März  1906  seine  Studien  über  die  Duckisse  de  Bourgogm 
et  l'alUance  savoyüräe  fort,  und  zeigte  wie  sich  um  den  Herzog, 
der  durch  den  Tod  des  Dauphin  Thronfolger  geworden  war,  die 
literarische  Opposition  eines  St,  Simon  und  F^ndlon  tu  gruppieren 
begann.  Der  Aufsalz  enthält  interessante  Beiträge  zum  Hofleben 
gegen  Ende  der  Regierung  Ludwigs  XJ¥,  und  dessen  das  höfische 
Leben  dominierende  PersöntichkeiL 

General  v,  Müller  handelt  in  der  Zeitschrift  für  die  Ge- 
schichte des  Oberrheins  21,  1  über  „Die  BühE-Stollhofener  Linien 
im  Jahre  1703".  Einer  genauen  Beschreibung  der  über  20  km 
langen  Linien  folgt  die  Schilderung  der  Angriffe  Villars'  im  April 
1703.  Die  Bedeutung  der  Linien  bestand  darin,  dem  Eranzösischen 
Marschall  den  nächsten  Weg  zur  Unterstützung  des  bayerischen 
kurfürstlichen  Verbündeten  zu  verlegen.  Der  Verfasser  nimmt 
den  Markgralen  Ludwig  Wilhelm  von  Baden  gegen  den  Vorwurf 
in  Schutz,  unverhältnismäßig  lange  in  den  Linien  defensiv  verharrt 
zu  sein  und  weist  darauf  hin,  daß  hierdurch  eine  starke  Abteilung 
des  Villars'schen  fieeree  festgehalten  worden  ist 

Hermann  Meyer  teilt  in  der  Wissenschaftlichen  Beilage  zum 
Bericht  der  Reafschule  in  Eilbeck  zu  fiamburg  von  1906  das 
Wesentliche  aus  den  Berichten  des  preußischen  Gesandten  Eich- 
stedt  mit,  der  von  Ende  1756  bis  Ende  1757  die  deutschen  kleinen 
Höfe  bereiste»  um  sie  von  blindem  Anschluß  an  Osterreich  fern* 
zuhalten  und  für  die  Idee  eines  Fürstenbundes  zu  gewinnen.  Der 
Reise  fehlte  i.  a.  jeder  Erfolg,  da  die  Haltung  der  meisten  Höfe 
entweder  durch  die  Furcht  vor  Österreich  und  seinen  Verbündeten, 
oder  durch  das  Bedürfnis  nach  französischen  Subsidien  bedingt 
war  und  blieb.  Eine  rühmliche  Ausnahme  bildete  insbesondere 
Hessen- Kassel, 

Ein  kenntnisreicher  Aufsatz  von  J,  Kulischer  in  Schmollers 
Jahrbuch  für  Gesetzgebung  etc.  30,  1  erörtert  „Die  Ursachen  des 
Obergangs  von  der  Handarbeit  zur  masc hineilen  Betriebsweise  um 
die  Wende  des  18.  und  in  der  ersten  Hälfte  des  19,  Jahrhunderts* 
und  unterscheidet  sich  von  den  Ansichten  Brentanos  und  Schulze- 
Gävernitz^  insbesondere  durch  den  Hinweis  darauf,  daß  neben  dem 
wirtschaftlichen  Bedürfnis  doch  auch  die  allgemeine  geistige  Reife 
und  der  Stand  der  Naturwissenschaften  gerade  England  zum  Heimat* 
land  der  Neuerung  hat  werden  lassen. 

In  den  historisch-politischen  Blättern  f57,  2  findet  sich  der 
Schluß  der  ^^Beiträge  zur  Beurteilung  der  Aufklärung  im  katholi- 
schen  Deutschland   beim   Ausgange  des    18.  Jahrhunderts".     Der 


J  648— 1789. 

Verfasser  verfolgt  insbesondere  die  kircticnpolitischefi  Theorien 
des  Febronius  und  stellt  als  Strafe  Gottes  fest,  daß  die  Aufklärer 
während  der  französischen  Revolution  unter  die  tyrannische  Bot- 
mäßigkeit des  Staates  gerieten.  ^Letzteren  aber  hat  Christus  seinen 
Beistand  nicht  verheißen.** 

Neue  Bijcher;  Kletnschmidt,  Amalie  von  Oranten^  ge- 
borene Gräfin  zu  Solms-Braunfela.  (Berlin,  Rade*  5  M») —  Franz, 
Das  literarische  Porträt  in  Frankreich  im  Zeltalter  Riche Ileus  und 
Mazarins.  (Chemnitz^  Gronau.  2  M,)  —  Öhlander ^  Det  egent- 
iiga  Sveriges  försvar  mot  Da^mark'Norge  ander  Carl  den  X,5 
danska  krig  1657^1660,  (Uppsala,  Akad.  bokh.  3,50  Kr.)  ^  De 
Bildt,  Christine  de  SuHe  et  le  canctave  de  Clement  X  (1669  ä 
1670).  (Paris,  Plon-Nourrit  d  Cie,  SfrJ  —  T  s  c  h  a  m  b  e  r ,  Der 
deutsch-französische  Krieg  von  1674  —  75.  (Hüningen,  Weber, 
3,80  MO  —  Malier,  La  bataille  de  Turckhelm  (1675).  (Paris, 
Berger-Levrautt,)  —  Farmer,  Versautes  and  the  court  under 
Louis  XtV,  (London^  Nash.  15  sh.)  —  Desmons,  £iuäes  hi8to~ 
riques^  iconorniques  et  reUgieases  sur  Tour  na  i  äurant  le  rigne  de 
L ouis  XI K  ( Tau rnai ,  Casterm an ,  4  fr.)  —  Henri ques,  The 
return  of  the  jews  to  England ;  being  a  chapter  In  the  history  of 
english  law,  (London,  MacmiUanJ  —  Mc  Cartky^  The  reign  of 
Queen  Anne.  ( London ^  Chatto  £  Windus.  2  sh.)  —  Notes  sur 
les  c&mples  rendus  des  sc^ances  du  parlement  angtais  au  XVI fl* 
siecle,  pubL  p,  Ma ntoux,  (Paris,  Giard  ^  BrUre,)  —  Mantoux, 
La  r^volution  industrielle  au  XV!  11^  sücle,  Essai  sur  les  commen- 
cemenls  de  la  grande  Industrie  moderne  en  Angleterre.  (Paris^ 
Cornity  ^  Cie.  10 fr.)  --  Reinhard,  Studien  zur  Geschichte  der 
altprotestantischen  Theologie»  h  Heft*  (Leipzig,  Deichert.  2,40  M.) 
^  V*  Wallmenich»  Der  Oberländer  Aufstand  1705  und  die 
Sendlinger  Schlacht.  (München^  Lüneburgs  Verlag,  3^50  M.)  — 
Wäschke,  Des  alten  Dessauers  Jugendzeit.  (Ballenstedt,  Bau- 
mann, 1  M.)  —  Gravier,  La  colonisatian  de  la  Louislane  ä 
V^poque  de  Law  (octobre  1717  ä  Janvier  172 1).  (Paris,  Massen 
4  Cie.)  —  Journal  in^dit  du  duc  de  Croy  (t 718— 1874),  publ  p.  le 
K"  de  Grouchy  S  Cotlin.  2  vols.  (Paris,  Flammarion.  15  fr,)  — 
Dublone hy,  Une  intendance  d'armie  au  XVI II*  sihle.  ^tude 
sur  les  Services  administratifs  ä  Varm^e  de  Soubise  pendant  la 
Guerre  de  Sept  ans.  (Limoges- Paris,  Charles  -  Lavau^etle.)  — 
De  Peyster,  Les  troubles  de  Hollande  ä  la  veille  de  la  rivo^ 
tuiion  franfoise  (1780—1795),  (Paris,  Picarä  et  fits.  6  fr.)  — 
Mario  n^  Le  gar  de  de  sceaux  Lamoignon  et  la  r^forme  judlcialre 
de  I78B.    (Paris,  Hachette  <S  CU.  6  fr.) 


220  Notizen  und  Nachrichten. 

Neuere  Gesclitchte  seit  1769. 

Im  Januarheft  der  Revolution  Franfaise  führt  Ä,  T  u  e  t  e  y 
seine  Arbelt  über  Viglise  Conslitutwneile  de  Paris  et  les  cam- 
munaut^s  reiigieases  zu  Ende.  ^  A*  Blossier  beginnt  eine  der 
sich  häufenden  Apologien  von  repr^seniants  en  mlssian  (Les  repre- 
sentants  Bouret  et  Fremanger  äan$  ie  Caivadosjy  die  hauptsächlich 
auf  Aulards  Rectieil  und  daneben  einigen  Archivalien  beruht.  Sie 
wird  im  FebruarheTt  zu  Ende  geführt,  wo  ferner  H.  Monini 
im  Anschluß  an  einen  im  Erscheinen  begriffenen  Band  Lazards, 
von  den  Schwierigkeiten,  den  Umfang  der  Nationalgüter  in  Paris 
und  dem  Seine-Departement  festzustellen,  handelt. 

In  der  Revue  ä'Hisioire  Diplomatique  (Jan*  1906)  behandelt 
ein  ungenannter  Verfasser  den  im  Dienste  Polens  stehenden 
italienischen  PubUzisten  Piattoli  in  den  Jahren  1788 — 1792.  Der 
Aufsatz  ist  leidlich  interessant.  Aber  allgemeine  Bildung  ist  nicht 
Sache  des  Verfassers.  Sonst  würde  er  uns  nicht  am  Schluß  seiner 
Ausführungen  mitteilenj  daß  die  polnischen  Provinzen  in  Öster- 
reich, in  Rußland  und  in  Preußen  die  Intelligentesten  und 
blühendsten  dieser  Reiche  geblieben  sind, 

Henry  E.  Bourne  schildert  sehr  interessant  die  schon  im 
Jahre  1789  zu  beobachtenden  Keime  des  spater  so  furchtbaren 
KonfUkts  zwischen  der  Nationalversammlung  und  der  Stadt  Paris, 
{Municipal  Politics  in  Paris  in  1789.  American  Mist,  Rev,^  Jan.  1906,) 

Boissonade  setzt  seine  Übersicht  über  die  wirtschafts- 
geschichtlichen Arbeiten  zur  französischen  Revolution  (1789 — 1802) 
fort;  der  vorUegende  Abschnitt  VII  befaßt  sich  mit  der  Handels- 
geschichte*   (Revue  de  Synthese  Historique^  Dez.  1905.) 

Eine  ausführliche  ^Concordance  des  caiendriers  r^piiblicain 
ei  gr^gorien^  wird  von  P.  Caron  in  den  Publikationen  der  soeidt^ 
d'histoire  moderne  veröffentlicht.  (Paris,  soMt^  nouveiie  de  Utrairie 
ei  d'^dition,    59  S.    2,50  fr.) 

E*  Welvert  schildert  kurz  die  im  privaten  wie  öffentlichen 
Leben  wechselvollen  Schicksale  des  Königsmörders  Tallien,  der 
zuletzt  von  einer  königlichen  Pension  lebte  (f  1820)^  wobei  einige 
minder  wichtige  Archivalien  veröffentücht  werden.  (Revue  tieue 
1906,  Nr.  8  u.  9.) 

Aus  einem  Aufsatz  £.  PierreSj  der  durchaus  auf  neuem 
Material  beruht,  geht  hervor,  daß  in  den  ersten  Jahren  nach  dem 
Konkordat  auf  Antrieb  der  skrupellosen  napoleonischen  Regierung 
das  ßelchtgeheimnis  im  Interesse  des  Staates  vielfach  verletsEt 
wurde,  wobei  zahlreiche  Bischöfe  mitwirkten.  (NapoHon  l^  ie  Clergi 
et  ie  ConfessionaL    La  Revue ,  l.u.  15.  März  1906.) 


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Neuere  Geschichte* 


221 


V*  Amira  betont  in  einer  schönen  Festrede  zur  Erinnerung 
an  den  K  Januar  1806  sehr  stark  die  Bedeutung  dieses  Jahres  liir 
die  Innere  Geschichte  der  deutschen  Staaten.  Manche  semer  Aus- 
führungen werden  wohl  auf  Widerspruch  stoßen;  so  z.  B,  der  Satr 
(S-  2/3) :  ^immer  war  es  ein  p  r  i  v  a  t  r  e  c  h  1 1  i  c  h  e  s  Verhältnis,  das 
einen  Untertanen  (d,  h.  die  Fürsten  etc.,  Untertanen  des  Kaisers) 
3fum  Herrscher,  zum  »Landesherrn',  zum  ^Grundherrn'  machte*** 
(Süddeutsche  Monatshefte,  Jan.  1906.) 

Noch  eine  Arbeit  zum  Centenar  des  jüngeren  Pitt :  K  e  b  b  e  t 
beschäftigt  sich  mit  seiner  inneren  Fotitik,  indem  er  interessante 
Parallelen  zwischen  der  damaligen  und  der  heutigen  Lage  zieht; 
diese»  und  zwar  vor  allem  der  Zustand  der  Parteien,  verlangt 
nach  seiner  Ansicht  sogar  einen  „Größeren  als  Pitf.  (The  Cen~ 
tenary  öf  PUL     im  Century,  Febr,  1906.) 

In  der  konservativen  Monatsschrift,  Februar  und  März  1906^ 
behandelt  Frhr.  v.  Seil  „Das  preußische  Heer  vor  Jena*  unter 
Benutzung  der  Forschungen  anderer,  aber  mit  selbständigem 
ürteiL  Er  weist  u.  a.  mit  Recht  auf  den  Zusammenhang  zwischen 
der  psychologischen  Grundstimmung  der  Zeit  und  den  Zuständen 
der  Armee  hin,  wie  es  freilich  schon  feiner  und  tiefer  geschehen 
ist  —  Noch  erheblicher  ist  ein  Beitrag  C.  v.  d.  Goltz*  zu  dem- 
selben Gegenstand  ^die  wahren  Ursachen  der  Katastrophe  von 
1806*',  Deutsche  Rundschau  April  1906,  der  freilich  nicht  überall 
durchaus  Neues  bringt.  Er  zeigt  u.  a,^  wie  wenig  berechtigt  der 
Vorwurf  ist,  die  Armee  habe  die  Zivilbevölkerung  und  ihre  Rechte 
mißachtet;  vielmehr  hat  sie  sogar  im  Kriege  eine  übermäßige,  ihr 
selbst  verderblichej  Schonung  jener  an  den  Tag  gelegt. 

Gern  wird  man  den  Neudruck  begrüßen,  den  Graf  Dumoulin 
Eckart  zur  Säkularerinnerung  von  der  Schrift  ^Deutschland  in 
seiner  tiefen  Erniedrigung"  veranstaltet  hat  (Stuttgart,  Fritz  Leh- 
mann. XLVll  u.  144  S.)  und  mit  einer  Einleitung  begleitet,  In  der 
man  freilich  die  Frage  der  Autorschaft  etwas  eindringender  unter- 
sucht wünschte.  Der  Herausgeber  will  an  der  neueren  Annahme, 
daß  der  Konsistorialrat  Yelin  der  Verfasser  sei,  nicht  rütteln,  hält 
aber  auch  die  Autorschaft  des  Grafen  Julius  Soden,  die  schon 
bald  nach  der  Katastrophe  vermutet  wurde,  für  möglich. 

flOie  preußisch-österreichische  Politik  des  Jahres  1807  bis  zur 
Entsendung  Stutterheims  nach  Tilsit''  behandelt,  etwas  breit, 
G.  S  o  m  m  e  r  f  e  1  d  t  in  den  Forschungen  zur  brandenburgischen 
und  preußischen  Geschichte  18,  2.  Nach  der  Schlacht  bei  Deutsch- 
Eylau  waren,  nach  den  Berichten  Finkenstetns,  auf  denen  die  Ar- 
beit hauptsächlich  beruht,  in  Wien  Neigungen  vorhanden,  tn  den 


222 


Notizen  und  Machrtchten. 


Kampf  einzugreifen;  diese  schwanden  indessen  nach  der  Schlacht 
bei  Friedland  oder  genauer  nach  dem  russisch-tranzösiBchen  Waffen- 
stillstand vom  21,  Juni  1807  wieder. 

Aus  der  Revae  des  deux  mondes  sind  zwei  Beiträg;e  zu  er- 
wähnen t  Der  durch  seine  Forschungen  über  Frau  v-  Stael  rühmlich 
bekannte  Paul  Gautier  behandelt  (L  Mär^)  ^eitlen  Ideologen 
unter  dem  Konsulat  und  Kaiserreich*.  Es  ist  Ch.-Fr.-Dominique 
Villers  (1765 — 1815),  ein  französischer  Offizieri  der  emigrierte,  wor- 
auf er  in  Lübeck  und  Göttingen  lebte,  wo  er  1811— tS14  Professor 
war.  Er  nimmt  eine  eigenartige  Stellung  ein*  Die  französische 
Philosophie  des  18.  Jahrhunderts  und  der  Katholizismus  sind  ihm 
gleichmäßig  verhaßt.  Er  war  ein  begeisterter  Bewunderer  Deutsch^ 
lands  und  Vermittler  deutschen  Denkens  in  Frankreich  (schon  vor 
Fr,  V,  Stael,  mit  der  er  befreundet  war)  durch  seine  Schriften  über 
Goethe,  vor  allem  aber  über  Luther  und  Kant,  —  Der  Aufsatz 
E.  Daudet s,  Le  Comte  Paul  Strogonof  (t5.  März),  ist  eine  An- 
zeige des  dreibändigen  Werkes  des  Großfürsten  Nikolaus  Mikhai- 
lowitsch  über  diesen  Berater  des  Kaisers  Alexander  L  (s,  oben 
S.  174). 

Eine  Arbeit  v.  Pflugk-Harttungs  im  Histor  Jahrb,  27,  1 
über  das  Gefecht  bei  Limale  (18,  Juni  1815)  bringt  zwar  manche 
dankenswerte  Aufklärung,  wird  aber  durch  heftige  persönliche 
Polemik  gegen  den  verstorbenen  Lettow*Vorbeck  entstellt- 
Pikant  ist  eine  freilich  zu  breite  Veröffentlichung  E.  Forguea** 
Er  zeigt,  wie  Fouch^  während  seines  kurzen  Ministeriums  nach 
der  zweiten  Wiederkehr  Ludwigs  XVIIL  im  Jahre  I8!5  ein  Opfer 
des  von  ihm  selbst  früher  eingeführten  Spionagesystems  wurde. 
Ein  gewisser  Faudras  lieferte  der  Regierung  Auskunftszettel,  die 
aus  allerhand  trüben  Quellen  stammten.  Sie  waren  überdies  plumpe 
und  ungeschickt;  der  Spion  findet  es  z,  B.  verdächtig,  sowohl 
wenn  Pouche  guter,  als  auch  wenn  er  schlechter  Laune  ist. 
{L€  äassier  secret  de  Fouch^^    Rev,  Histor.j  März- April  1906,) 

Fr.  Kircheisen  liefert  in  den  Mitteilungen  des  österretchU 
schen  Instituts  27^  1  eine  bibliographische  Obersicht  über  „die 
Schriften  von  und  über  Friedrich  Gentz*,  die  jedenfalls  gute 
Dienste  leisten  wird. 

Von  Ernest  Daudet s  1878  erschienenem  Buche  über  den 
„weißen  Schrecken"  von  1815  {La  terreur  blanche,  ipisodes  ei 
Souvenirs)  ist  ein  neuer  Abdruck  veranstaltet  worden.  (Paris^ 
Hachette,    294  8.) 

Ernst  Müsebeck,  dem  wir  bereits  mehrere  schöne  Aufsätze 
über  E.  M<  Arndt  verdanken  (vgL  Kist  Ztschr.  H  ^^^X  ^^^  j^^^^ 


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Neuere  Geschichte. 


^2a 


^E.  M.  Arndt  und  das  kirchlichere ligiöse  Leben  seiner  Zeit**  in 
einer  höchst  anziehenden  Schrift  behandelt  (Tu hinge n^  Mohr,  1905. 
100  8.).  Wir  meinen  nur,  daß  der  warm  empfindende  Verfasser, 
der  hier  zugleich  auch  eine  Art  personlichen  Glaubensbekennt' 
njsses  ablegt,  sich  selbst  gar  zu  stark  von  der  seh  rifts  teilen  sehen 
Art  seines  Helden  hat  hinreißen  iassen,  die  mehr  darauf  aus  war, 
das  Gemüt  in  Schwingung  zu  versetzen»  als  scharfe  Linien  für 
die  Erkenntnis  zu  ziehen.  Dennoch  steckt  aber  in  seinen  Be- 
merkungen über  Arndts  Verhältnis  zur  Romantik  (das  wir  nur  etwaa 
stärker  betonen  möchten  als  er),  zur  Rerormation  und  zur  Antike, 
den  beiden  Ecksteinen  seiner  Weltanschauung^  über  die  Wandlungen 
seines  Gottesgefühls  (ursprünglich  pantheistisch  gefärbt^  seit  19lti 
mehr  auf  Christus  gerichtet)  und  seine  stets  gleich  ablehnende 
Stellung  zur  Orthodoxie  viel  Lehrreiches  und  Förderndes.       M, 

Ober  „das  Frankfurter  Attentat  vom  3.  April  1&33  und  die 
Heidelberger  Studentenschaft*  (Heidelberg,  Otto  Petters,  1906)  hat 
Dr.  Ed,  Dietz,  der  sich  bereits  mehrfach  mit  der  Geschichte  de« 
Heidelberger  Studentenlebens  und  namentlich  ihrer  Burschenschaft 
beschäftigt  hat,  auf  Grund  von  bisher  unbenutzten  Akten  aus 
Frankfurt,  Karlsruhe  und  München  und  Aufzeichnungen  oder  Mit- 
teilungen beteiligter  Personen  eine  kleine  Schrift  herausgegeben, 
die  uns  ein  mannigfach  in  Einzelheiten  bereichertes  Bild  jener 
Vorgänge  und  des  burschenschaft liehen  Lebens  in  Heidelberg  in 
den  20er  und  30er  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  gewährt,  ohne 
doch,  wie  mir  scheint,  unser  ürteü  über  das  Attentat  selbst  nach 
des  Verfassers  Wunsche  günstiger  zu  gestalten.  Mir  scheinen 
auch  nach  den  von  ihm  beigebrachten  Tatsachen  die  kurzen  Aus- 
führungen von  A.  Stern,  Geschichte  Europas  1815 — 1871^  Bd.  4, 
S,  324  ff.,  zu  Recht  zu  bestehen.  K  / 

In  der  Revue  higtorique^  März- April  1906  publiziert  Alfr  Stern 
{ia  mort  et  tes  funiraiUes  du  äuc  d^Öriefans)  einen  —  wohl  mit 
Recht  von  Ihm  auf  .Mitteilungen  des  Ministers  Guizot  zurück- 
geführten —  Privatbrief  des  österreichischen  Gesandten  in  Paris, 
Graf  Apponyi  an  Metternich  vom  8.  August  1842  über  die  Unter- 
redung mit  der  Königinj  in  der  diese  den  Widerstand  gegen  die 
Beisetzung  des  verunglückten  Herzogs  von  Orleans  in  Notre  Dame 
aufgibt  (auch  einige  Bemerkungen  über  den  Anlaß  des  Unglücks 
sind  hinzugefügt). 

Die  vier  Briefe  des  Kreisjustizkommissars  Maaß  —  der  als 
Mitglied  des  Unken  Zentrums  für  Landsberg  a*  W.  in  der  preußi- 
schen Nationalversammlung  saß  —  aus  den  Tagen  vom  14,  bis 
25.  November  L848    gewähren    einen    lehrreichen    Einblick    in   die 


a2i 


Notizen  und  Nachrichten. 


innere  Unsicherheit,  die  trotz  pomphafter  Worte^  die  Mehrzahl  der 
Radikaten  ergriffen  hatte  und  daher  ihre  Überwindung,  sobald  die 
Regierung  mit  Energie  lugriffj  so  leicht  machte.  (Veröffentlicht 
von  Ulmann,  Forsch,  t.  brandenb.  u.  preuß.  Gesch.  18^  Z) 

Die  von  Verdy  du  Vernois  zuerst  in  der  deutschen  Rund- 
schau erschienenen  Jugenderinnerungen  über  den  „Zug  nach 
Bronzell*  sind  jetzt  als  Schriftchen  erschienen  (Berlin,  Mittlen 
1905-  69  S.).  Es  sind  anspruchslose,  aber  hübsche  Plauderelen 
mit  eingestreuten  Fetdbriefen  des  jungen  Leutnants. 

Den  Inhalt  von  fünf  im  freien  deutschen  Hochstift  in  Frank- 
furt a.  M.  gehaltenen  Vorträgen  über  „ßismarck  bis  zum  Jahre 
1862,  sein  Leben  innerhalb  der  Zeitgeschichte",  hat  Erich  Marcks 
im  Jahrbuch  des  Hochstifts  für  1905  in  knappen  Zügen  und  zu- 
gleich in  der  gewohnten  kraftvollen  und  plastischen  Sprache  zu- 
sammengefaßt, indem  er  uns  auf  eine  baldige  Darstellung  in 
vollerem  Zusammenhange  vertröstet.  Einstweilen  sei  mit  Nach- 
druck auf  diese  kurze  Skizze  hingewiesen,  in  der  alle  wesentlichen 
Momente  in  meisterhafter  Konzentration  und  präzisester  Formu- 
lierung zu  ihrem  Rechte  kommen,  lehrreich  auch  da,  wo  man  nicht 
in  allen  Punkten  Marcks'  Auffassung  zu  folgen  geneigt  ist. 

Das  Aprilheft  der  Deutschen  Revue  bringt  höchst  lesenswerte 
Aufzeichnungen  des  verstorbenen  Reichskanzlers  Chlodwig  Fürst 
von  Hohenlohe- Schillingsfürst  von  seinem  römischen 
Aufenthalte  im  Winter  1856/57,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  römi- 
schen Zustände  und  Gesellschaft  jener  Tage,  mit  sehr  offenen 
Urteilen  über  manche  Persönlichkeiten  dieser  Kreise  und  Inter- 
essant namentlich  durch  dte  Hervorhebung  der  Scheidung  in 
jesuitisch  und  antijesuittsch  Gesinnte, 

Die  in  der  Kölnischen  Zettung  <Nr.  294,  298,  303,  307,  3U> 
veröffentlichten  Feidzugsbriefe  des  damaligen  Generalstabs- 
chefs bei  der  Armee  des  Prinzen  Friedrich  Karl,  Generalleut- 
nant Konstantin  vonVoigts-Rhetz  —  1870  kommandierender 
General  des  X.  Armeekorps  —  sind  eine  interessante  und  er* 
wünschte  Quelle  nicht  nur  für  manche  Einzelheiten  der  Feidzugs- 
woehen*  besonders  auch  vor  und  bei  Königgrätz,  sondern  in  ihrer 
stark  subjektiven  Färbung  als  Beitrag  zu  dem  psychologisch 
und  militärisch  wichtigen  Kapitel,  wie  sich  während  der  Ereignisse 
selbst  Anteil  und  Beurteilung  der  Vorgänge  Im  Bewußtsein  der 
ma6gebenden  Führer  dargestellt  haben. 

Das  Märzheft  1906  von  »Nord  und  Süd**  bringt  eine  kur^e 
Schilderung  des  „Abends  von  St.  Privat*^  aus  dem  Tagebuche  dea^ 
sächsischen  Generalleutnants  v.  Einst edeL 


I 


I 


I 


Neuere  Geschichte. 


225 


Die  Auszüge  aus  den  Tagebuchbiättem  des  langjährigen  braun- 
schweigischen  Bundeäratsbevollmächtigten  Freiherrn  v.  Cramm 
vom  Jahre  JdS4  enthalten  mancherlei  interessante  EmzeJhelten 
über  die  Stimmungen^  Bestrebungen  und  Erwartungen  In  Braun- 
schweig  vor  und  unmittelbar  nach  dem  Tode  des  Herzogs  Wilhelm, 
namantUch  auch  durch  den  Hinweis  auf  den  Umschlag  der  Ge- 
sinnungen nach  dem  Bekanntwerden  des  herzoglichen  Testamentes, 
das  Stadt  und  Land  fast  ganz  leer  ausgehen  ließ.  (Deutsche  Revue, 
März  1906.) 

Mehr  patriotisch- pädagogisch  als  wissenschaftlich  angelegt 
ist  das  Buch  von  Paul  Dehn  ^Wilhelm  der  Erste  als  Erzieher*** 
In  711  Aussprüchen  aus  seinen  Kundgebungen  und  Briefen  plan- 
mäßig zusammengestellt  (Halle,  Geaenius,  \W(i,  328  S.)j  wird  aber 
gelegentlich  zu  Nachschlagezwecken  ähnliche  Dienste  leisten,  wie 
desselben  Verfassers  „Bismarck  als  Erzieher". 

Ein  Artikel  von  Rouire:  les  A  nglais  et  l'Äfghanistan 
(Revue  des  deux  mondes^  L  März  1906)  handelt  zunächst  von 
Napoleons  L  Plänen  auf  die  Bekämpfung  der  Engländer  in  Indien 
und  sodann  von  der  wechselnden  Politik  Englands  gegenüber 
Afghanistan,  die  in  den  letzten  drei  Jahrzehnten  zu  einer  völligen 
Beherrschung  geführt  hat  bis  zu  dem  neuesten  Vertrage  vom 
letzten  Jahre,  nicht  ohne  starke  aktuelle  Nutzanwendung  zum 
Schluß:  die  Mahnung:  England  und  Rußland  mögen  sich  —  In 
französischem  Interesse  natürlich  —  in  Asien  vertragen. 

In  Nr  136  u.  1S7  veröffentlicht  die  Kreuzzeitung  einen  knappen, 
aber  sehr  hübschen  Überblick  über  „Frankreich  als  Kolonialmacht 
in  Afnka\ 

Das  Märzheft  der  Deutschen  Revue  bringt  den  Schluß  von 
40  ungedruckten  Briefen  Leopolds  v.  Ranke,  darunter  zwei  (von 
J862  und  1885)  an  die  Tochter,  sowie  aus  dem  Jahre  1879  je  einen 
an  Kaiser  Wilhelm  1.  und  den  damaligen  serbischen  Ministerpräsi- 
denten Risti£,  beide  anläßlich  der  Obersendung  der  Neubearbeitung 
der  Geschichte  Serbiens,  in  rankescher  Art  mit  weiten  historischen 
Ausblicken  verknüpft,  —  Im  nämlichen  Hefte  setzt  H.  Oncken  die 
VerölfentÜchung  aus  dem  Briefwechsel  Bennigsens  fort :  zwei 
Briefe  von  und  an  Reyscher  aus  dem  Jahre  f&67  —  namentlich 
der  erstere  voll  feiner  Beobachtungen  — ,  und  zwei  Briefe  Gustav 
Freytags  aus  dem  Sommer  1863  mit  einem  kräftigen  Hinweis,  wie 
von  einem  Preußen,  das  H  Millionen  zähle,  die  Geschicke  Deutscli- 
lands  stets  zum  größten  Teile  abhängen  würden. 

Aus  der  bei  ß.  0,  Teubner  erscheinenden  Sammlung  ^Aus 
Natur  und  Geisteswelt*  notieren  wir  zur  Geschichte  des  19*  Jahr- 

HbtorUcbe  ZeitscbrUt  (97.  Bil.j  3.  Folge  ].  Bd.  15 


llilcJuiciitcxi. 


rlcr  ncm^  ivcn  Zvecke  diMCJBCg  gut  etitsprechende 
Habricli:  ,Dcrt»cfa»  FftiiiiBtii  nnd  deuts4!hes  Ver- 
{mU  fcnippffT  DuiUJhii^  mch  der  Uteren  Ver- 
ieklung^  R,  Seh  weine  r:  pDle  ReaklJofi  und  die  neue 
Afm«  ml  ^Vofii  Bimd  rara  Rekli%  and  IC  Ralhgen:  »Die  Japaner 
und  ilir  Wlttseliaflsldicit.^ 


In  gebobeicr  FcJgtugwiMnwBg  ictwMtert  SJegmund  Riezler 
in  docta  Ueinen  pofraSren  Sünillüieu  «Dss  gflclifichste  Jalir- 
kniMkft  bayerischer  Gescfaidite  1806—1906*  (Milnclien,  Beck,  m  S.). 

SchtiHtieÖ'  Enropiischer  Geschichtskatender»  N.R 
2L  Jahrgang,  I90&  (der  ganzen  Reihe  44.  Bd.).  Hrsgeg*  von  Gustav 
RoloFL  München,  Beck.  1906.  373  S.  Da  in  der  wohlbewährten 
Einrielitai^  des  Kalenders  keinerlei  Veränderung  eingetreten  ist, 
flO  gnigt  es,  auf  das  Erscheinen  des  neuen  Bandes  dieses  aus- 
gezeichneten historischen  Hilfsmittels  hinzu  weisen. 

Meue  Bücher:  Gazeam,  L* Evolution  des  Uberi^s  löcales  #fi 
Fronet  ei  tn  Beigig me  de  i789  ä  nos  Joars,  ( Paris  ^  Feä&ne.)  — 
Maitfait,  La  ääportaiion  et  i^exä  dm  cierg/  franfois  pendan£ 
la  ReyoluUüm,  (P&ris^  Biomd  4  Cit*)  —  Pionnier^  Essai  sar 
i'kistoire  de  ta  r^vaiuäon  ä  Verdun  (1789—1795/,  (Paris,  Cham- 
pion^ 10  fn)  —  Corresp&aäence  of  the  french  minister s  ta  the 
United  States,  1791^1797.  Ed.  by  Tmrner.  i Washington,  Go- 
vemement  prinling  affke.)  —  Dapais^  La  campagne  de  1793  ä 
Varmäe  du  Mord  et  des  Ardennes.  (Paris,  ChapeIaL)  —  Gömtt, 
Histoire  financUre  de  la  tdgisiative  et  de  la  conventian.  T,  U: 
1793—1795  (Paris,  Gaätaamin  *  Cie.  7^  fr.)  —  v,  Ritter- 
Zähony^  Mapoleon  K  Die  Besetzung  von  Görz  durch  die  Fran- 
zosen im  Frühjahr  1797.  (Leipzig«  Schmidt  £  Günther.  2  M,)  — 
Schuster^  Die  geheimen  Oeseilschaften,  Verbindungen  und 
Orden*  2  Bde.  (Leipzig,  Leibing,  16  M*)  —  Frank,  Geschichte 
der  protestantischen  Theologie.  4,  TL  Die  Theologie  des  19.  Jahr- 
hunderts, Hrsg.  von  Loesche,  (Leipzig,  Breitkopf  £  Hartel  9  M.) 
Kuhnemann,  Fichtes  Reden  an  die  deutsche  Nation.  (Posen, 
Merzbach.  0,30  M,)  —  SwitaLski,  Das  deutsche  Volkstum  und 
die  Vaterlandsliebe  nach  Fichtes  Reden  an  die  deutsche  Nation. 
(ßraunsberg)  Benders  Buchh,  1,26  M.)  —  Base^  La  conspiratian 
d^Ajaccio  contre  la  France  en  1809.  (Paris,  Ristory^  $  fr,)  — 
M  adelin  ^  La  Rome  de  Napoleon,  La  dum  in  a  Hon  franfaise  ä 
Rame  de  1809  ä  I8i4.  (Paris,  Plon-Mourrit  &  Cie.  8  fr.)  — 
V*  der  Osten-Sack  en  u.  v,  Rhein,  Militärisch-politische  Ge- 
schichte des  Befreiungskrieges  im  Jahre  ISIS.  l.  Bd.  Vom  Njemen 
bis  zur  Elbe.    !.  u.  2.  Lfg.    (Berlin,  Vossische  Buchh.   Je  1  M.)  — 


I 
I 


Deutsche  Landschaften. 


227 


Kerchnawe,  Von  Leipzig  bis  Erfurt,  Die  Verfolgung  der  fran- 
zosischen Armee  in  den  Tagen  vom  IB,  bis  23.  Oktober  18] 3. 
(Wien,  SeldeJ  *  Sohn*  3,60  M,)  ~  Michan,  Le  goavernement 
parte'mentalre  s&us  la  restauratlon.  (Paris,  Fichon.  6  fr.)  — 
Bertrin  f  Sain  te-Beu  ve  et  Ch  atea  u  bria  n  d.  (Pa  ris^  L  ecoffre,  2,50  fr,) 
—  DeBa rral^Moniferrat ,  De  Mmroä ä  Rooseveltj  1823—1905. 
(Parts j  Ptan-Naurrii  S  Cie.  4  fr,)  —  Temperley^  Life  of  Cänning, 
(London,  Finch J  —  Sturmhöfel,  Der  deutsche  Zollverein. 
(Berlin  I  Verlag  für  Sprach»  und  Handelswissenschaft,  t  M,)  — 
Arenhold,  Die  deutsche  Reichsflotte  1848—1852.  (Berlin,  Reimer, 
3  M,)  —  Bartoiommei,  H  rivolgimtnio  toscano  e  Vazionepopo- 
iarej  1847— 1860,  (Firenze^  ßarbira,  3,50  fr,)  —  Zanichetti, 
Cavour.  (Firenze,  Barbira,  4  fr,}  —  Daffner,  Erinnerungen 
an  den  deutsch-französischen  Krieg  1870/7L  (Stuttgart,  Strecker 
«  Schröder,  3  M.)  —  Gieseke,  Die  Abnahme  der  französischen 
Kriegsentschädigung  1870/71  in  Straßburg  i.  E.  (Berlin,  GuUentag. 
3  M.)  —  De  Witte,  Quinze  ans  d'histaire,  1866— 188 h  (Paris, 
Plon-Nourrii  ^  Cie,)  —  De  Meaux,  Souvenirs  politiqaes,  1871  ä 
1887,  (Paris j  Plan-Nourrit  4  Cie.)  —  Hodgkin,  Ernst  Cttriius. 
(London,  Frowde,  I  sh,)  —  J,  M.  Reinkens,  Joseph  Hubert 
Reinkens.  (Gotha^  Perthes,  3  M.)  —  Schiemann,  Deutschland 
und  die  große  Politik  anno  1905.  (Berlin,  Reimen  b  M.)  —  Bar- 
äOiiXi  Essai  d'une  Psychologie  de  VÄngiettrre  contemporaine. 
(Paris,  Alcan.    7,50  fr,) 

Deutsche  Landschaften. 

Von  den  in  den  Mitteilungen  des  Histor.  Vereins  d.  Kantons 
Schwyz  15  veröffentlichten  Arbeiten  nennen  wir  den  zahlreiche 
Quellenauszügc  bietenden  Aufsatz  von  A.  Dettling  über  die 
ßchwyzerischen  Hexenprazesse  und  den  von  M.  Helbllng  mit- 
geteilten Bericht  über  eine  Reise  des  R  Joseph  Dietrich  von  Ein- 
siedeln auf  den  Frankfurter  Büchermarkt  (Frühjahr  1684),  der 
einige  ganz  interessante  Angaben  enthält. 

Die  Beiträge  zur  St,  Gallischen  Geschichte,  der 
Ällgem*  geschichtforschenden  Gesellschaft  der  Schweiz  zu  ihrer 
59,  Jahresversammlung  gewidmet  vom  Histor,  Verein  des  Kantons 
St.  Gallen  (St,  Gallen,  Pehrsche  Buchhandlung.  1904.  303  S.)  ent- 
halten vier  Quellenveröffentlichungen,  die  hier  kurz  zu  erwähnen 
sind*  T,  Schieß  veröffentlicht  eine  lebensvolle  Schilderung  des 
St.  Galler  Schützenfestes  vom  Jahre  1527,  die  von  einem  Zeit- 
genossen herrührt  und  vielleicht  auf  Anregung  von  Vadian  ge- 
schrieben  ist,  H,  Wartmann  gibt  ein  interessantes  Tagebuch 
des  zu  Lyon  ansässigen  Kaufmanns  Jakob  Rainaperg  aus  St,  Gallen 

15* 


22B  NaÜxen  und  Nachrichtcfi- 

bekannt,  enthaltend  Nachrichten  über  eine  Reise  an  deti  traniösi* 
sehen  Ho!«  die  der  Genannte  behufs  Wahrung  der  den  eidgenossi* 
sehen  Kaufleuten  In  Frankreich  zugesicherten  Rechte  unternommen 
hat  (Dezember  1562  bis  März  1553).  Die  beiden  folgenden  Arbeiten 
führen  ins  \9.  Jahrhundert:  G.  Tobler  veröffentlicht  Briefe  des 
liberalen  St  Gallers  Jakob  Baomgarten  an  den  Berner  Stamtsnmim 
«  Dn  Karl  Schnell^  die  die  schwierige  politische  Lage  Berns  vähreacL 

I  der  Jahre  1834  35   in  helles  Licht  rücken.    Den  Schluß  bildet  Joh. 

'  Dierauer   mit   seiner   Herausgabe   des   Briefwechsels   zwischen 

i  dem  eidgenössischen  Minister  Arnold  Otto  Acpli  und  dem  Fürsten 

Karl  Anten  von  Hohenzollem  (1864 — 1884)*  dessen  Ausgangspunkt 
der  Hersteilungsplan  einer  unmittelbaren  Bahnverbindung  zwischen 
dem  Bodenseegebiet  und  der  Lombardei  (Lukmanierprojekt  gegen 
{  Gotthardprojekt!)  bildeti  der  aber  auch  sonst  eine  Fülle  von  Mach- 

richten zur  politischen  Geschichte  Deutschlands  und  der  Schwell 
'■  wie  zur  Kenntnis  mancher  leitenden  Persönlichkeiten  beibringt 

I  Als  Neu  Jahrsblatt  der  Stadtbibliothek  Winterthur  für  1906  ist 

eine  Arbeit  von  Alfred  Ziegler:  Winterthur»  Lage  im  Winter 
17^/1800  erschienen,  die  hauptsächlich  auf  archlvaUschem  Material 
aufgebaut  ist  (Winterthur^  Geschw.  Ziegler.  1905.  48  S.).  Das  so 
gewonnene  Bild  ist  wenig  erfreulich:  innere  Auflösung  und  äußere 
Feinde  treten  einer  gedeihlichen  Entwicklung  stets  hemmend  in 
den  Weg. 

I  in  der  Alemannia  N*  F,  6,  l  bringt  R.  Krebs  als  Abschluß 

I  früherer   Studien   Bemerkungen   über   Oberlieferung,  Wesen    und 

I  Entwicklung   der  Weistümer  von  Amorbach;  K.  Baas  handelt  in 

Heft  I  u.  2   über   die  Gesundheitspflege  im  mittelalterlichen  Frei- 
bürg,   R  Mayer  steuert  in  Heft  4  einige  Bemerkungen  zur  Ge- 
I  schichte  und  Statistik  der  alten  Freiburger  Hochschule  bei;  aus 

Helt  2  erwähnen  wir  ferner  die  Mitteilungen  von  W.  Groos  über 
badische  Auswanderer  nach  Südungarn  (Gemeinde  Franzfeld).  — 
Aus  dem  32.  Jahrlaul  des  Schauinsland  heben  wir  den  Aufsatz 
von  K.  Gageur:  Freiburger  literarische  Unternehmungen  in  den 
Kriegsjahren  1814—15  hervor,  in  dem  u.  a.  über  die  vom  Haupt- 
quartier der  Verbündeten  inspirierten,  von  Karl  v.  Rotteck  ge- 
leiteten pTeutschen  Blätter"  Mitteilungen  gemacht  werden. 

Als  Sonderabdruck  aus  der  Festgabe  der  halllschen  Juristen- 
fakultät für  Hermann  Fitting  ist  bei  M,  Niemeyer  in  Halle  der 
Beitrag  von  Paul  Rehme  über  die  Geschichte  des  Münchener 
Grundbuchs  erschienen^  das  „als  ein  Hort  deutscher  Rechts* 
gedanken*"  in  einem  lange  Zeit  vom  römischen  Recht  durch- 
aus beherrschten  Gebiet  bei^eichnet  werden  kann  (73  S.).     Das 


Deutsche  Landschaften. 


311 


erste  diesen  Namen  Führende  Buch  aus  dem  Jahre  1484  ist  kein 
Grundbuch  im  eigenthchen  Sinne  des  Wortes,  sondern  ein  Renten- 
buch; auch  die  infolge  der  Grundbuchordnung  von  1572  ange- 
legten Bände  beginnen  diesen  Charakter  erst  ein  halbes  Jahr- 
hundert später  abzustreifen,  fn  den  achtziger  Jahren  des  17.  Jahr* 
Hunderts  hat  dann  das  Münchener  Grundbuch  ,«die  Zeit  seiner 
Jugend  vollendet"* 

Im  Gfobus  89,  12  handelt  J.  Reindl  über  seine  von  ziemlich 
geringem  Erfolg  begleiteten  Nachforschungen  nach  den  letzten 
Spuren  urältesten  Ackerbaues  in  Südbayern. 

Aus  dem  Nachlaß  von  Alfr,  Köberlin  wird  in  Tilles  Deut- 
schen Getchichtsblättern  1906^  Januar  eine  kleine  Arbeit  verölfent- 
Ucht,  in  der  die  Bedeutung  der  Nürnberger  Briefbücher  als  Ge- 
schichtsquelle  an  mehreren  dem  15.  Jahrhundert  entnommenen 
Beispielen  nachgewiesen  wird. 

In  den  Studien  und  Mitteilungen  aus  dem  Benediktiner-  und 
dem  Zisterzienserorden  26|  3  u.  4  setzt  Fr«  Hüttner  seine  Mit- 
teilungen aus  den  Aufzeichnungen  des  Abtes  Johann  DresteL  von 
Ebrach  fort  (vgl  96,  37S), 

Aus  dem  Archiv  d.  Histor*  Vereins  von  Unterfranken  und 
Aschaffenburg  47  erwähnen  wir  die  Veröffentlichung  des  nament- 
lich in  topographischer  Hinsicht  nicht  unwichtige  Aufschlüsse  ge^ 
währenden  ältesten  Lehenbuches  des  Stephansklosters  zu  Würz- 
burg vom  Jahre  1326  durch  K*  Ehrenburg,  sowie  die  von  Th. 
H  e  n  n  e  r  mitgeteilte  Selbstbiographie  des  Staatsrats  von  Wagner, 
eine  Quelle  für  die  Geschichte  des  Obergangs  der  Würiburger 
Lande  an  Bayern. 

tn  der  Zeitschr.  f,  westf,  Gesch,  f905,  Bd.  63  schildert  H. 
Hülsmann  „Geschichte  der  Verfassung  der  Stadt  Münster  1802 
bis  1813*  die  seit  dem  Sturz  der  fürstbischöflichen  Regierung  und 
Aufrichtung  der  preußischen  Herrschaft  eingetretene  Neuordnung, 
den  Kampf  des  preußischen  Absolutismus  mit  der  kommunalen 
Selbständigkeit  Münsters,  die  Verfassungsänderungen  unter  der 
französischen  Herrschaft  (1806—1813).  — Von  den  entsprechenden 
preußischen  Reformen  im  Bistum  Paderborn  (1802—1806)  handelt 
W*  R  i  c  h  t  er  „Der  Übergang  des  Hochstifts  Paderborn  an  Preußen* 
(Forts.;  vgl.  H.  Z.  95,  379),  —  H.  Brühl  hat  für  seine  Unter- 
suchung über  „die  Tätigkeit  des  Ministers  Franz  Freiherrn  von 
Fürstenberg  auf  dem  Gebiet  der  inneren  Politik  des  Fürstbistums 
Münster  1763 — 1780'*  umfangreiches  archivaliaches  Material  ver- 
wertet. —  Mehr  als  der  Titel  ankündigt,  enthält  R.  Reiches 
Aufsatz  „Das  Portal  des  Paradieses  am  Dom  zu  Paderborn^  ein 

IS 


230 


Notizen  und  Nachrichten* 


dankenswerter  Beitrag  zur  Geschichte  der  deutschen  Bildhauer- 
kunst im  13.  Jahrhundert  (vgL  ebendaselbst  B*  Stolte  über  die 
Geschichte  des  Paderborner  Doms).  ^  Die  von  L.Schmitz  mit- 
geteilte münstersche  Kanzleiordnung  von  1574  bdtigt  einen  Nach- 
trag zu  Lüdickes  „Zentralbehörden  im  Bistum  Münster*,  —  Er- 
wähnt sei  endlich,  daß  gleichzeitig  mit  Bd.  63  eine  neue  Lieferung 
des  von  A.  Böhmer  verfaßten  HiBtorisch-geographischen  Registers 
zu  Bd*  1—50  der  Westfal.  Zeitschrift  ausgegeben  ist. 

Durch  A.  Kornickes  treffliche  Arbeit  über  Entstehung  der 
bergischen  Amtsverfassung  (Bonn  1892)  hat  sich  A.  Peters  an- 
regen lassen,  in  der  Zeitschr.  d*  histor.  Vereins  f.  Niedersachsen 
Jahrg.  1905,  Heft  3  das  entsprechende  Thema  »Die  Entstehung  der 
Amtsverfas SU ng  im  Hochsttft  flildesheim,  ca.  1220 — ISSO*^,  d.  i,  den 
Übergang  von  der  Lehns-  zur  Amtsverfassung^  der  eine  wichtige 
Etappe  in  der  Entwicklung  der  Landesherrlichkeit  bildet,  nach  den 
jüngst  edierten  Hiidesheimer  Urkunden  zu  bearbeiten.  —  In  Heft  4 
derselben  Zeitschrift  sind  zwei  Aufsätze  von  K.  Borchling  er- 
schienen über  die  Gründung  des  Klosters  Ebstorf  und  über  „Lite- 
rarisches und  geistiges  Leben  im  Kloster  Ebstorf",  als  Beitrag  zur 
Kiosterreform  im  15.  Jahrhundert. 

E,  Damköhler I  „Gruppierung  und  Herkunft  der  Besiedler 
des  Harzes^  (im  Braunschweigischen  Magazin,  Sept.  u.  Okt.  1905; 
Forte,  u.  Schluß^  vgl.  H.  Z.  96,  186)  glaubt  die  Existenz  wamischer 
und  anglischer  Siedlungen  am  Rande  des  Harzes,  eine  nordalbin- 
gische  Einwanderung  in  Elbingerode  und  Umgegend  annehmen 
zu  dürfen.  Daß  die  Bewohner  des  Oberharzes  aus  dem  Erzgebirge 
stammen,  ist  bekannt.  Damköhler  scheidet  drei  Perioden  in  der 
Besiedlung  des  Harzes  (um  800,  um  1072,  um  1520),^  Am  gleichen 
Ort  (Sept.,  Okt.,  Nov.  1905)  unterzieht  P.  Zimmermann  die 
Städte  Wappen  des  Herzogtums  Braun  schweig  nach  Ursprung  und 
Entwicklung  einer  lehrreichen  Untersuchung* 

In  den  Hansischen  Geschichtsblättern  1905,  Jahrg*  1904— f905 
schildert  P.  Zimmermann  die  volkswirtschaftliche  Wirksamkeit 
und  Bedeutung  des  Herzogs  Julius  von  Braunschweig  (1568—1589), 
die  Mehrung  des  herzoglichen  Kammervermögens,  die  Förderung 
der  Land-  und  Forstwirtschaft,  der  Berg-  und  Hüttenwerke,  seine 
kaufmännischen  Unternehmungen  und  umsichtigen  Handelsbezie- 
hungen. Bemerkenswert  ist,  daß  Herzog  Julius  eine  Talsperre  im 
OkertalCp  die  sog.  juliusstauung^  anlegte  und  bereits  die  Verbindung 
zwischen  Elbe  und  Weser  durch  eine  Wasserstraße  herzustellen 
plante.  —  Chr.  Reuter  handelt  ebendaselbst  über  , Lübeck  und 
Stralsund  bis  zum  Rostocker  Landfrieden  ISS^*". 


4 


Deiitscbe  Latidscliaitei]. 


23t 


In  den  MüWhäuser  Ccschichtsbllttern*  Jahrg*  VI,  1^05  ver- 
öffentlicht Kunz  V.  K  a  11  f  f  u  n  g  e  n  die  ältesten  MüMhäuser  Stadt- 
rechnungen  (aus  der  Zeit  von  1380  bis  1405),  E,  Kettner  eine 
Abhandlung  über  die  Beziehungen  Landgraf  Friedrichs  des  Frei- 
digen  von  Thüringen  ^ur  b-eten  Reichsstadt  Mühlhausen  i.  Th. 

H.  Reuthers  Abhandlung  pDie  ordentliche  Bede  der  Graf- 
schaft Holstein  bis  zur  iMItte  des  14.  Jahrhunderts*  (Zeitschr.  der 
Oes.  f*  schleswig-holsteinische  Gesch.  1905,  Bd.  35 >  bestätigt,  daB 
die  bekannten,  besonders  von  der  Belowschen  Schule  gewonnenen 
Forschungsergebnisse  über  den  Charakter  der  Bede,  Steuerart, 
-Verteilung  etc,  im  allgemeinen  auch  für  Holstein  gelten.  Den 
Rechtsgrund  zur  Bedeerhebung  sieht  Reuter  mit  v.  Betow  und 
Zeumer  in  dem  Besitz  der  hohen  Gerichtsbarkeit  Indem  er  diese 
Theorie  bis  in  alle  Konsequenzen  verfolgt,  gelangt  er  biswellen 
zu  starken  Übertreibungen  und  irrigen  Schlüssen.  Dahin  gehört 
die  Behauptung«  daS  dem  Grafen  ,bald  nur  noch  dort  die  Beden 
zustanden,  wo  er  noch  die  hohe  Gerichtsbarkeit  innehatte*,  sonst 
dem  betr.  Orundherm,  der  das  Gericht  erworben.  Beachtenswerte 
Anregung  bietet  der  letzte  Abschnitt  über  das  selbständige  Be- 
steuerungerecht geistlicher  und  weltlicher  Grundherren  auf  ihren 
vom  Grafenschatz  befreiten  Gutern.  — -  In  derselben  Zeitschrift 
veröffentlicht  Friedr.  Paulsen  aus  Familienpapieren  einen  im 
Jahre  1 772  niedergeschriebenen  Abriß  ^aus  den  Lebenserinnerungen 
des  Grönlandfahrers  und  Schiffers  Paul  Frercksen^t 

P*  Rehme,  ^Die  Lübecker  Grundhauem*.  Halle  1905,  Dem 
hanseatischen  Oberlandesgericht  erstattete  Gutachten  sind  Grund- 
lage dieser  eingehenden  Untersuchung  über  die  nach  Wesen  und 
Ursprung  bisher  unbekannte  „Grundhauer^  Sie  kommt  in  Lübeck, 
abgesehen  von  den  sog.  widerruflichen  Grundhauern  in  dreifacher 
Bedeutung  vor  als  stadtrechtlicher  Wurtzins,  landrechtlicher  Erb- 
pachtzins und  pfret  bestellter  gemeiner  Grundzins  (ein  census 
cottsiiiuiivusy.  Einen  interessanten  rechtsgeschichtlichen  Ausblick 
gewähren  die  Ausführungen  (S.  40  ff.)  über  das  VerhäUnis  der 
Grundhauer  zum  alteren  Erbleihezins. 

Nachdem  Otto  Heinemann  schon  früher  die  Fa&ti  Feme- 
ranlci  des  David  Herlitz  nach  einer  Stettiner  Handschrift  ver- 
öffentlicht hatte  (vgl.  H*  Z.  93,  189),  gelang  es  ihm  nun,  den  Ori- 
ginaldruck vom  Jahre  1617  zu  finden.  Er  beschreibt  ihn  in 
den  Baltischen  Studien  N.  F.  9  und  gibt  zahlreiche  Ergänzungen 
zur  ersten  Ausgabe.  —  In  derselben  Zeitschrift  veröffentlicht 
ferner  Kohfeldt  das  kulturhistorisch  nicht  uninteregsante  Tage- 
buch über   eine   von  Rostock  bis  Königsberg  1694  unternommene 


232 


NotUen  und  Nt ehrte hteiu 


akademlBche  Ferienreise;  der  Verfasser  schildert  hier  fielne  Er- 
lebnisse in  pommerscben^  preußischen,  märkischen  Städten  und 
an  den  Universitäten  Greifswald,  Königsberg,  Frankfurt  a,  O.  — 
O.  Voges  gebreibt  ebendaselbst  über  den  preußischen  Feldzug 
von  1715  (Eroberung  von  Wolgast,  der  Inseln  Usedom  und  Rügen). 

Die  Mitteilungen  des  Vereins  l  d,  Gesch.  Berlins  1906,  Nr  I 
veröffentUchen  einen  Vortrag  Max  Hoffmanns  über  das  Kur- 
fürstentuni Brandenburg  und  die  Hansa  (bis  zum  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts). Die  zerstreuten  Quellennachrichten  sind  hier  zu  einer 
übersichtlichen  Darstellung  verarbeitet*  Daß  die  regelmäßigen 
ßeEiebungen  märkischer  Städte  zur  Hansa]  um  1500  aufhörten^ 
bestätigt  eine  soeben  in  den  Hanserezessen  (1905,  Bd»  7,  S.  216) 
edierte  Matrikel,  nach  welcher  die  noch  1494  als  Mitglieder  ge- 
führten märkischen  Städte  Berlin,  Salzwedel,  Stendal,  Frankfurt 
im  Jahre   I51S  der  Hansa  sämtlich  nicht  mehr  angehörten. 

Einen  Essai  über  den  Oberlausitzer  Dichter  Wilhelm  von 
Polenz  (von  M.  Seht  an)  bringt  das  neue  Lausitzer  Magazin  in 
Bd.  81,  1905.  —  R.  Doch  1er  veröffentlicht  dort  die  Urkunden 
der  zur  Herrschaft  des  ev«  Stiftes  Joachimstein  gehörigen  Ritter- 
güter Radmeritz,  Niecha,  Markersdorf,  Niederleuba  etc,  (1380  bis 
1843)  in  Regestenform  (nebst  einer  Gesch,  des  Stiftes  und  der 
älteren  Ortsherrschaften  von  Radmeritz). 

In  der  Zeitschr,  der  histor,  Oes,  f.  d,  Prov.  Posen,  Jahrg.  20, 
1905,  Halbbd.  2  handelt  A.Warschauer  über  die  Posener  Stadt- 
rechnungen des  16.  Jahrhunderts^  deren  historischen  Quellenm^ert 
er  an  der  verschiedenartigen  Verwendung  der  in  den  Rechnungen 
eingetragenen  Posten  erläutert» 

Interessante  Ausführungen  Über  den  hemmenden  und  for- 
dernden Einfluß  der  ostpreußischen  Eisenbahnen  auf  die  städti- 
sehen  und  anderen  Siedelungen  der  Provinz  bietet  W.  Feydt  in 
der  Altpreuß.  Monatsschrift  1905,  Bd.  42^  wo  man  auch  einen  Nach- 
ruf auf  den  bisherigen  verdienten  Herausgeber  R*  Reicke  (von 
0.  Krause)  und  ein  Lebensbild  des  Königsberger  Kantiorschers 
und  Philosophen  E,  Arnoldt  (von  0,  Schöndörffer)  findet. 

H.  Wopfner,  Verfasser  der  Beiträge  z,  Gesch*  d,  bäuerl. 
Erbleihe  in  Deutschtirol  (Clerkes  Untersuch.,  Heft  67),  behandelt 
in  den  Forsch,  u.  MitteiL  z.  Gesch.  Tirols  1905|  Heft  4  und  1906, 
Heft  1  „Das  Tiroler  Frei  stiftrecht",  eine  schlechtere,  besonders  in 
Bayern,  Österreich,  Salzburg,  Steiermark  verbreitete,  vereinzelt 
auch  in  Baden  vorkommende  Form  des  bäuerlichen  Besitzrechte», 
das  dem  Leiheherrn  gestattete,  i,das  Leihegut  alljährlich  mit  einem 
Baumann  zu  bestiften^,  den  Baumann  nach  Verlauf  eines  Jahres 


I 
I 


9. 


Deutsche  Landschaften. 


23S 


BabzustiHen"  und  den  Zms  deaselbeti  —  im  Unterscbiede  zum 
unveränderlichen  Erblelheztni  —  ^alljährlich  nach  Gutdünken 
hinaufzuschrauben*.  Wopfner  schildert  die  mannigfaltige  Entwick- 
lung des  FreistiFtrechts,  seine  allmähliche  Umbildung  in  Erbrecht, 
die  Reformen  von  Kaiser  Maximilians  f-  Zeit  bis  zum  19.  Jahr^ 
hundert. 

Als  erstes  Heft  in  Bd.  6  (1905)  der  ^Forschungen  zur  Ver- 
fassungs-  und  Verwaltungageschichte  der  Steiermark**  erscheint 
tinter  dem  Titel  ^Das  Haus  Stubenberg  bis  zur  Begründung  der 
habsburgischen  Herrschaft  in  Steiermark''  eine  genealogische 
Untersuchung  j*  Loserttis  zur  Geschichte  des  steirischen  Ur- 
adelt. 

Neue  Bücher:  Die  Rechtsquellen  des  Kantons  St  Gallen. 
L  Tl  Öffnungen  und  Hofrechte.  2,  Bd.  Toggenburg.  Bearb,  von 
Gmür  (Aarau,  Sauerländer  &  Co,  18  M.)  —  Vischer,  Basel  in 
der  Zeit  der  Restauration.  1S14— 1830.  II.  Die  Zeit  von  1815  bis 
1830.  (Basel,  Helbing  «  Lichtenhahn.  1,40  M.)  —  Hanauer,  Le 
protesianlisme  ä  Maguenau.  (Straßburg,  Noiriel  Colmarj  Hüffel. 
4M,)  —  Thudichum,  Die  Diözesen  Konstanz^  Augsburg,  Basel, 
Speierj  Worms  nach  ihrer  alten  Einteilung  in  Archidiakonate, 
Dekanate  und  Pfarreien,  (Tübingen,  Laupp,  3,20  M,)  —  Heilig^ 
Die  Ortsnamen  des  Großherzogtums  Baden  gemeinfaÖlich  darge- 
stellt, (Karlsruhei  Gutsch*  3  M.)  —  Oberrheinische  Stadtrechte* 
1.  Abtlg, :  Fränkische  Rechte.  7. Heft :  Bruchsal,  Rothenberg,  Philipps- 
burg (tJdenheim)i  Obergrombacb  und  Steinbach.  Bearb.  v.  Koehne. 
(Heidelberg,  Winter.  5  M,)  —  Schilling  von  Canstatt,  Ge- 
schlechtsbeschreibung der  Familie  Schilling  von  Canstatt.  (Heidel- 
berg, Winter.  20  M.)  —  BitUraulj  Bayern  als  Königreich  1806 
bis  1809.  (München,  Beck.  4  M,)  —  Die  Chroniken  der  schwä- 
bischen Städte.  Augsburg,  6,  Bd,  (Leipzig,  Hirzel.  4  M.)  — 
ThudichuTTif  Die  Stadtrechte  von  Tübingen  1388  und  14^3, 
Anh.  L  Die  Rechtssprache  als  Hilfe  zur  Ausmittelung  der  alten 
Grenzen  der  deutschen  Stämme.  2.  Die  ehemaligen  deutschen 
Reichsarchive.  (Tübingen,  Laupp,  2,20  M.)  —  Bockenheimer, 
Mainz  in  den  Jahren  1848  und  1849,  (Mainz^  Mainzer  Verlags- 
anstalt und  Druckerei,  3  M,)  —  Techen,  Die  Bürgersprachen 
der  Stadt  Wismar.  (Leipzig,  Duncker  &  Humblot.  15,40  M,)  — 
J»  Kaufmann,  Geschichte  der  Stadt  Deutsch-Eylau.  (Danzig, 
Saunier.  5  M.)  —  Lennhoff,  Das  ländliche  Gesindewesen  in 
der  Kurmark  Brandenburg  vom  16.  bis  19.  Jahrhundert,  (Breslau, 
Marcus,  4M:)  —  Holtze,  Geschichte  der  Stadt  Berlin,  (Tü- 
bingen, Laupp.  3,60  M.)  —  Clauswltz,  Die  Pläne  von  Berlin 
und   die   Entwicklung   des  Weichbildes.    (Berlin,   Mittler  &  Sohn- 


2^4 


Notizen  und  Nachrichten* 


p 


2,50  M»)  —  Ackermann,  Geschichte  der  Juden  in  Brandenburg 
a,  H,  (Berim,  Lamm.  4M.)—  Spat^,  Bilder  aus  der  Vergangen- 
heit des  Kreises  Teltow.  l.TU  {Berlin^  Haase.  20  M.)  —  Hantzsch, 
Die  ältesten  gedruckten  Karten  der  sächsisch-thüringischen  Länder^ 
1550 — 1593.  (Leipzig,  Teubner.  J8  M.)  —  Ders.,  Dresdner  au! 
Universitäten  vom  14-  bis  zum  17.  Jahrhundert  (Dresden,  Baensch. 
2  M.)  —  Zivier,  Geschichte  des  Fürstentums  Pleß.  L  TU:  Ent- 
stehung der  Standesherrschaft  Pleö  (bis  1517),  (Kattowitz,  Gebn 
Böhm.  5  M»)  —  Dyhrenfurthi  Ein  schlesisches  Dorf  und  Ritter- 
gut. Geschichte  und  soziale  Verfassung.  (Leipzig,  Duncker  ^ 
Humblot.  4.20  M.)  —  Winiarz,  Erbleihe  und  Rentenkauf  in 
Österreich  ob  und  unter  der  Enns  im  Mittelalter,  (Breslau,  Marcus. 
2,50  M,)  —  K  i  s  c  h ,  Vergleichendes  Wörterbuch  der  Nösner  (sieben- 
bürgischen)  und  moselfränkisch-luxemburgischen  Mundart,  nebst 
siebenbürgisch- niederrheinischem  Orts-  und  Familiennamenver- 
zeichnis sowie  einer  Karte  zur  Orientierung  über  die  Urheimat  der 
Siebenbürger  Deutschen,  (Hermannstadt »  KraffL  1,20  M,)  — 
Connert,  Die  Stuhlverfassung  im  Szeklerlande  und  au!  dem 
Königsboden  bis  zum  Ende  des  15.  Jahrhunderts.  (Hermannstadt, 
Krafft*     0,85  M.) 

Yermischtes. 

Das  Korrespondenzblatt  des  Gesamtveretns  1906,  2  u.  3  bringt 
die  Fortsetzung  des  Berichts  über  die  Hauptversammlung 
zu  Bamberg  (vgl.  %,  567),  die  u.  a.  die  Verhandlungen  des  Ver- 
bandes west-  und  süddeutscher  Vereine  für  Altertumsforschung 
sowie  der  volkskundlichen  Abteilung,  ferner  den  Vortrag  von 
E,  M  u  m  m  e  n  h  o !  f :  Freie  Kunst  und  Handwerk  in  Nürnberg  enthält* 

In  der  Osterwoche  vom  17.  bis  21.  April  tagte  In  Stuttgart 
die  IX.  Versammlung  deutscher  Historiker  unter  Vorsitz  G.  von 
BelowSj  von  184  Teilnehmern  besucht.  Die  auf  ihr  gehaltenen 
Vorträge  von  Troeltsch  und  M  e  i  n  e  c  k  e  bringt  dieses  Heft 
zum  Abdruck.  Wir  werden  auch  noch  den  Vortrag  von  Fabri- 
cius:  ^Das  römische  Heer  in  Deutschland"  in  dieser  Zeitschrift 
veröffentlicheni  Über  j^Tausendschaft  und  Hundertschaft**  sprach 
S,  Rietschel  (gegen  die  Sickelsche  Tausendschaftshypothese; 
vielmehr  sei  die  Hundertschaft  die  germanische  Urgemeinde)»  über 
„Die  rechtshistorischen  Grundlagen  des  Geldwesens**  G.  F.  K  n  a  p  p 
(nicht  das  Metall,  sondern  die  rechtliche  Satzung  des  Staates  be- 
stimmt den  Wert  des  Geldes).  O.  Redlich  erörterte  , Histo- 
risch-geographische Probleme"  mit  besonnener  Benutzung  Ratzel- 
scher  und  Brücknerscber  Anregungen  (Hinweis  u*  a*  auf  die  Be- 
deutung  der   KUmaschwankungen   für  Mißernten   und   Wirtschaft- 


I 
I 


Vermischtes, 


liehe  Depressionen)*  L.  M.  Hart  mann  trug  in  gedrängter  Fülle 
seine  Auffassung  über  ^ Wirtschaf tsgeschichle  f tauen s  im  frühen 
Mittelalter"  vor  (interessant  namentlich  über  den  Zusammenhang 
militärischer  und  agrarischer  Institutionen).  H*  Bloch  entwarf 
von  »Karl  dem  Großen'*  ein  idealisiertes  und  leider  wenig  kon- 
kretes Bild.  Egelhaaf  behandelte  m  populärem  Stile  pEngland 
und  Europa  ^-^or  100  Jahren*,  und  v.  Lange  schrießllch  führte  die 
Teilnehmer  in  ^Schwabens  Stellung  in  der  Geschichte  der  Malerei** 
ein,  —  Gleichzeitig  tagte  die  VIL  Konferenz  landesgeschichtlicher 
FublikationsLnstitute  und  tauschte  Anregungen  aus  über  Absatz 
und  Verlag  von  PubUkationen,  Erschließung  agrar-  und  Stadt  ver- 
fassungsgeschichtlicher Quellen,  Abfassung  von  Regesten,  Her- 
ausgabe von  Münzwerken  und  historische  Karten  Süddeutsch- 
landt.  —  Der  nächste  Historikertag  wird  im  Herbst  1907  in  Dresden 
unter  G«  Seeligers  Vorsitz  stattfinden. 

Die  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde  setzt  aus 
der  Mevissen-Stiftung  auf  die  Lösung  folgender  Aufgaben  Preise 
aus:  1,  Geschichte  des  Kölner  Stapels,  (Preis  2O0O  M,)  — 
2.  Die  rheinische  Presse  unter  französischer  Herr- 
schaft* (Preis  2000  M.)  —  3.  Die  Glasmalereien  in  den 
Rheinlanden  vom  13.  bis  zum  Anfang  des  16,  Jahrhun- 
derts. (Preis  3000  M.)  Bewerbungsschriften  sind  bis  zum  L  |uU 
I90S  an  den  Vorsitzenden  Archivdirektor  Prof.  Dn  Hansen  in  Köln 
einzusenden. 

Der  Vorstand  der  Arthur  und  Emil  Könlgswert ersehen  Unter- 
richts- und  Studienstiftungen  zu  Frankfurt  a,  M,  schreibt  als  Preis- 
aufgabe aus:  Die  literarische  Bedeutung  der  Frank- 
furter Messe,  Es  gilt»  unter  Benutzung  der  Meßkataloge  (1564 
bis  1749)  und  der  Literatur  darzustellen,  welche  Bedeutung  die 
Frankfurter  Messe  vom  Ende  des  fünfzehnten  bis  zum  Ende  des 
achtzehnten  für  die  Entwicklung  des  Schrifttums  Deutsehlands 
und  des  Abendlandes  überhaupt  gehabt  hat.  Dabei  ist  den  inter- 
nationalen literarischen  Beziehungen  besondere  Aufmerksamkeit 
zu  schenken.  Bearbeitungen  des  Themas  sind  mit  einem  Kenn- 
w^ort  versehen  an  den  Konsulenten  der  Stiftung,  Herrn  Justizrat 
Dr*  Hermann  Oelsner  (Frankfurt  a.  M*,  Bockenheimer  Landstraße  2) 
einzusenden.  Als  Ablieferungstermin  ist  der  L  März  1908  fest- 
gesetzt, der  Preis  beträgt  2000  M, 

Am  IL  Februar  starb  in  Bitsch  der  Oberlehrer  Dr.  Joseph 
K  n  e  p  p  e  r ,  Verfasser  mehrerer  Beiträge  zur  Geschichte  des  ober- 
rheinischen Humanismus  und  Erziehungswesens,  die  zwar  nicht 
immer  völlige  Durchdringung  des  Stoffs  und  Freiheit  der  Auf- 
fassung verraten,  durchweg  aber  fleißig  und  sorgfältig  gearbeitet  sind. 


236 


Notizen  und  Nachrichten. 


Im  hohen  Alter  von  82  Jahren  starb  am  19.  Februar  zu  Stutt- 
gart  der  ehemalige  Direktor  der  Königlichen  Landesbibliothek  Dr 
Wilhelm  V.  Heyd,  der  sich  vornehmlich  durch  die  ausgezeichnete 
Geschichte  des  Levantehandets  einen  Namen  gemacht  hat. 

In  Göttingen  starb  am  1,  März  Professor  Dr,  Moritz  Heyne, 
der  Bearbeiter  des  Grimmschen  Wörterbuchs  und  Verfasser  der 
Sammlung:  Fünf  Bücher  deutscher  Hausaltertümerf  die  durch  seinen 
Tod  leider  ein  Torso  bleiben  wird*  (Nachruf  von  E.  Schroeder  In 
der  Beilage  zur  Miinchener  Allgemeinen  Zeitung  Nr,  62.) 

Machrufe  werden  gewidmet  Jakob  C  a  r  o  im  82.  Jahresbericht 
der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische  Kultur  von  F. 
Rachfahl;;  Rud.  Reicke  in  der  Altpreußischen  Monatschrift 
N,  F.  42,  7  u.  8  von  G.  Krause;  Friedr,  v,  Weech  in  der  Hist. 
Vierteljahrschrift  1906,  1  von  Fr.  Fran  khauser;  Theod.  Ludwig 
in  der  Zeitschr  f.  d,  Gesch.  d.  Oberrheins  N,  F*  21,  l  und  in  der 
Vierteljahrschrift  l  Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte  1906,  1  von 
Fr.  M  e  i  n  e  c  k  e  b55w;  H.  B  r  e  ß  l  a  u ;  Ed.  Richter  in  den  Mit- 
teilungen d.  Inst,  f.  österr.  Gesch.  27,  1  von  0.  Redlich;  Viktor 
Vi  Kraus  in  derselben  Zeitschrift  von  K.  Käser;  Äifr.  Ram* 
band   in  der  I^evsie  histarique  f906>  März-April  von  G»  Monod, 


I 


p 


Drucfcfehler-Beriditigung. 

In  meiner  Anzeige  von  Albert  Schaffles  Lebens- 
erinnerungen (Ff.  Z*  %,  24j— 258)  sind  zu  meinem  Bedauern 
bei  der  Korrektur^  die  ich  wegen  meines  Aufenthaltes  in  Chicago 
nicht  persönlich  lesen  konnte,  folgende  Druckfehler  stehen  ge- 
blieben: S.  243  Z.  7  V.  u.  lies  „stellt"  statt  „stellt".  —  S.  245 
Z.  22  V.  o.  „höhere"  statt  ^nähere"*  —  S,  245  Z.  7  v.  u.  „auch 
nach  außen  hin",  —  S, 247  Z. 6  v.  o,  „Gegenseite*  statt  ^Gegen- 
sätze. —  S.  247  S,  ff  V,  o.  ^technischen**.  —  S.  248  Z.  7  „das 
Zollparlament"  statt  „den  Zollverein".  —  S.  248  Z.  13  v.  u. 
streiche  „hinein**.  —  S.  249  Z.  22  v,  o.  „den  Ungarn"*  —  S.  251 
Z,  2v*o.  „nach  Schaffles  Rezept**.—  S.  255  Z.  18  v,  o,  „in  dem* 
statt  „indem".  —  Z*23  v.  o,  „von  Hause  aus".  —  S.  256  Z.  l  v.  u. 
pHÜfskassenzwang",  —  S.  257  Z.  U'l5  v.  o.  „gesagt  habe".  — 
Z.  fO  V,  u.  „schuld  war"* 

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Einzelne  Bände  dieser  Folge  (mit  AuBnahme  der  Beit  1900  erschie- 
nenen) statt  M,  11.25  ttur  M.  S.— , 


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Mitte  Juli  erscheint: 

Historische  Zeitschrift 

Sachliches  und  alphabetisches  Register 
zu  Band  57  —  96. 

Umfang  ca,  20  Bogen,  Preis  ca.  M.  6.50. 


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J.  n.  Seujfert's  nrdjlo 


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Cntfdtjf idungcn  der  obcrftcn  öcrid&te  in  dm  deutfdtjen  Staaten. 
^Dritte,  ausgcujäölte  Ausgabe r= 


der  fämtlidtifn  bis  it^i  trfü^imtmn  55  hantle. 

tirrausgrgebtn  DOn  tl.   f.  Sd^Utt,   HcLdrsgtrttbmai. 

f Wandt  untl  6eneralregi(ter*  Lef,  $\  7544  Seiten,  freis  in  7  Bänden  geb.  m.«.-, 

Bds  StnfTrriT^f  Brd^lo  rntMLt  als  Mittle  und  btdcutf  mint  SammLung  boti  EntfcDrldatigfn  aus 
ttm  0Ebleu  dr$  genttinrn  fUibtts  tmt  ftillf  dfs  turnDtUnirn  matfrUtrs  für  dl«  nuslrgung  Hn  dbfr» 
iDkrgrnd  adf  gemein ffd^tlldjei-  arundiagc  aufgctiadteii  neuen  HtfDtes,  unü  rntbält  m  norpebettd  an* 
grkundlgtf  BusiuaDl  ihiä  obfrtVTic&icrUitof  £rkenntpife/ mtliftf  für  tilf  Rfdötfpreiöniig  nad}  dtm 
auiijerlldinL  ettt^bü^t  pcrt&endbar  Tind, 


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W.  Webcr^  Verlagsbuchhandlung  in  Berlin  W. 


lii   memem  Verlage  er^chieQ ; 

BIBLIOTHECA  HISTORICA  MEDII  AEVI 


G  WEGWEISER   DURCH  DIE 

ESCHICHTSWERKE 

DES  EUROPÄISCHEN   MITTELALTERS   BIS    1500 


VOLLSTÄNDIGES    IN  HALTS  VERZEICHNIS 

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,ACTA    SAKCTOftUM'    BOUL,   —    BOÜQUET    —   MtGNÄ  MONXJM.    G£KMN.   MIST. 

MÜÄATORt   —  AERtrja    BiUTANN.    SLHII'TttÄES    ETC. 

ANHANG 

nUELLENKUNPE    FÜK    IHK   GESCHICHTE    ÜtR    KUROrXlSrilEN    STAA-TBI? 

WÄHREND    DES   MITTBLALTEKS 

VON 

DR.  AUGUST  POTTHAST 

BEBUOTHEltAR    IiES   ÜEiriüCHEN    RElCHSTACiES   A.  P, 


2.  verbesserte  imd   ntarlc  vennebrte  Auflage.    2   Binde.     Lex.  8*, 

Preb:  geheftet  4§  M.,  gebunden  53  M, 


Die  GesehJcbte  des  europitscTien  Mittelalters  bat  in  nnserm  Jabrbimdert  so  vltVe  \ 
neue  Ausgaben  ihrer  Quellenscbnftent  eine  solche  Bereicbemng  durch  VeröfTenÜichD&K  1 
bisher  unbekannter  Werlce  erfahren »  daß  es  den  Pflegern  dieser  W  i&senscbait  oft 
schwer  wird^  darüber  schnelle  und  genügende  Aufschlüsse  «u  erlangeOf  *u  dcred 
Erreichung  ein  tieferes  Eindringen  in  das  viißfangTeiche  Gebiet  der  gedeckten  Quellen 
notwendig  ist,  eine  Arbeit,  die  bei  dem  Mnagel  einer  genauen  übersichtlichcD  Zua»mmen- 
atellung  ebenso  mühevoll  wie  reitraubcnd  erscheinen  muß. 

Deshalb  wurde  seinerzeit  tinser  Werk,  welches  eine  ftlblbare  Lücke  in  der 
bibliographischen  Literatur  ausfüllte  und  sich  als  ein  sicherer  Wegweiser  auf  de« 
vielfach  verfichlungenen  Pfaden  der  bibliographischen  Fotscbutig  bewies,  allseits  wÜb 
kommen  geheißen.  In  noch  höherem  Maße  dürfte  dies  bei  der  3«  Auflage  der  Fall 
sein.  Es  ist  ein  Übersicht» werk  über  die  geahmte  historische  Literatur  des  Mittel- 
alters^ wie  bis  jetzt  noch  keines  vorhanden,  ein  unentbehrliches  Nachachla|febuchi 
das  einem  jeden  Freunde  sowohl  der  mittelalterlichen  Historie  nls  der  Bibliographte 
flbcrbaupt  Auskunft  über  die  Gcachichiachreiber  gan*  Europas  während  jene« 
Zeitraumes,  ihre  Werke*  deren  Handschriften,  Ausgaben  und  Übcrseutungen  gewShrt 
und  zugleich  auf  die  Quellen  verweist,  wo  ausführlichere  Nachrichten  etDzuiehen 
sind,  das  endlich^  wie  noch  keines  vordem,  den  Gesamt-lnbah  der 
BoHandistensammlung  ,,Acta  SanctorutTi'\  des  französischen  NaCiooal- 
werkes  von  Bouquet  etc.,  der  dreiPatrologieen  von  Mi^ne,  derMonumcnU 
Germ  aniae  hi  stori  ca,  derSammlungenvon  M  uraiori^  der  Rcrutn  Br  ita  n  n  icariim 
medü  aevi  scriptores  usw,  in  einer  Zusammen  Stellung  bietet. 

Der  Name  des  bekannten  Verfassers  bürgt  für  die  Gründlichkeit  dieses  Weg 
weisers,  das  sowohl  Inhalt  wie  Anordnung  nnd  Ausstattung  ku  einem  der  tot* 
züglichsten  Werke  erheben,  die  bisher  über  die  mittelalterliche  Geschichtsschreibung 
erschienen  *:indi  (3:5) 


In  unterem  Verlag  ilt  crfchienen: 

Quellen  und  Erörterungen 
zur  Bayerifchen  und  Deutldien  ßelchichte 

fieiousgegeben  Dan  d^r  fiiHorikhen  KommiJfiön  bei  du  K,  Akademie 

der  Wiflenfchaften  ITlÜnchen, 

neue  Folge,   ErTfcr  Bönd. 


Hndreas  i?on  Regensburg  sämtlidie  Werfte,   fierausgegebe«  tNjn 
6eorg  üeidinger.  1905-  Preis  m,  »e.— . 

neue  Folge,   Zwe!>er  Band.   Erfte  flblellung. 

Des  Ritters  Rons  Ebran  van  Wildenberg  Cfironiti  von  den 
Furlten  aus  Bayern-  ßer ausgegeben  oon  Fricdr.  Roth.  1905.  mi* 

5  Stammtafeln.    Preis  Hl  6.—, 

neue  Folge,  Vierter  Band> 

Die  Graditionen  des  fiodiftifts  FreiRng.  erfter  Band  (744—926). 

fierousgefleben  oon  Sfieodor  BiltCrouf,  1905.  mit  ?  Tafel.  Prcrs  m.  17—, 

Briefe  und  flhten 
2ur  6eldiidite  des  30jährigen  Rriegs 

ficrausgegeben  durch  die  fiiJtorilche  Kommitfian  bei  der  K,  Akademie 

der  Wiffenkhüftcn  ITlünchen, 

Band  VII. 


üon    der   Ankunft   Erzherzog   Leopolds   in    Hulidi    bis  2U 
den  Werbungen  Fierzog  niaximilians  von  Bayern  im 

niarZ  1610.  von  F.  Slle\?e,  beorbdtet  Dan   Karl  ntayr.    1905,  Preis 

m.  11.40, 

Band  IX. 

Vom  Einfall  des  Paffauer  ßriegsvoltis  bis  zum  nürnberger 

RurfÜrllentag.    Bearbeitet  oon  H,  ChrOUlK    1905.    Preis  m.24,-'. 

Band  X. 


Der  Husgang  der  Regierung  Rudolfs  il.  und  die  Rnfänge 

des    RailerS    ITIatthiaS*    Bearbeitet  üot\    K  ChrCUll.     1906,    Preis 
m.  25.20, 

Zu  beziehen  durch  alle  Budihandlungen, 


m.  RiegerTche  Unioerntäts-Buchhandlung  (ö.  fiimmer) 

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Das  XX.  Jahrhundertp 

Wochenschrift  für  Politik,  Wissenschaft  und  Kunst. 
»  Organ  für  fortschrittlichen  Katholizismus, 

I  •-  6,  Jahrgang  1906.  - 

Preis  pro  Quartal  durch  die  Post  bezogen  M.  2.25,  direkt  unter  Kreuzband  M.IW* 

Dh5  XX  Jahrhundert  behftmlelt  die  wlehtigcten  tiolitiacheD  P  raifcn,  unibhüngig  t-on  jetiüRwrd. 
Die  ktrchedpoljtiäcben  und  relitfiJ;isen  Bewegungen  Im  lii-und  Ausland  wt^rdun  befionders  berilclkiicblift, 

Si*  Bernhards  Veriagf  G*  in.  ip,  M, 

Müachea,  Aäatbertstraßt  S2. 

Jm  gleichen  Verlag  ist  erschienen: 
-Was  wir  wollen.  Programm  des  fortächrittlkhen  Katholizismus.  Preis  M^OvSÖi 
Die  kulturgeschichtliche  Bedeutung  der  großen  Weltreligionen.  Vö« 

Professor  Dr.  Hemun  SckelL    Preis  M,  OJO. 

Katholischer  Glaube  und  die  Entwicklung  des  Geisteslebens.   Von 

Dr.  Karl  GeberL    Preis  M*  l*— ♦  "!^ 


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sßDas  XX*  Jahrhundert*** 


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Ori: 


B,  Behr's  Verlag,  Berlin  W,  35. 


Dr.  W.  Norden; 

Das  Papsttum  nnd  Byzanz. 

Die  Trennung  der  beiden  Mächte  und  das  Problem  Ihrer  Wieder- 
vereinigung bis  zum  Untergange  des  byzantinischen  Reiches. 

XiX,  U2  S.  M.  1^.-,  geb.  M.  18,—. 

y^Hist,  Vierteljahrssckrift** :  Es  ist  ein  hervorragendes  Werk,  mit 
dem  die  Geschichtsforschung  hier  bereichert  worden  ist,  bewunderns- 
wert durch  Klarheit  der  AnTage  und  Auiiassung 

y^Revue  de  Vorieni  chriiien^^ :  ouvrage  capital,  bien  pens^* 

conaciencieusement  öcrit  et  d^une  clart^  d*exposition  remarquable. 

,, Revue  crttique** :  ....  L^ouvrape  a  une  haute  importance*  tl  est 
celui  d'un  penseurj  prdoccupe  des  haisons  historiques.  II  est  nouve^u 
d'un  bout  ä  Taulre.  Et  en  meme  temps,  il  est  bien  ecrit  et  trfes  interessant* 

„Mitt.  d.osterr,  instituts" :  .,:.  Ein  schönes  Werk»  ein  neuer 
Beweis,  daß  man  optimiRtrsch  in  die  Zukunft  unserer  Wissensehaft 
schauen  darf.  tsai 


Ausführliche  Prospekte  portofrei  und  nnentgeitiich. 


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Verlag  von  R.  Oldenbourg,  München  und  Berlin  W.  lo. 


\f\f'  l*f®u®  billige  Ausgabe    pM  1 

dea  Werkes ;  J[  m\ 

Die  Begründung  des  Deutscben  Reiclies 


durch  Wilhelm  I- 


vomehmlich 
nach  den  preuffiiFcbeii 

Staatsakteti 


von 

Heinrich  von 
Sybel. 


Mit  dem  BUdnls  des  Verfassers  und  ausfÜhrHchem  Sachreslater. 

7  elegante  Ganzteinenbände  M.  24.50. 


Der  Preis  der  allgemeinen  Aii.H^^übe  IhL  von  M.  66.&0  auf  M,  35.—  (Lwd»)      i 

herabjETcsetEt. 

Die  neae  Aut^^abo  kann  komplett  unf  elntoal  oder  In  monatlieheD  BUndeD 

k  M,  3»5fl  besiegen  weiden. 


Beit^T!  !sl  fein  Werk  mit  ßo  grorrM^r  Frenze  T>egHlTflt 
(ind  mit  solchem  InteresHe  Rnfgenommen  worden  wie 
Sybelfl  nionnmenLalo  »Bc^^ründung  cle&  Hoiitecheu 
Eeiehee«.  Die  gesamt©  Prci8»o  aller  Rieh  Lim  gen  und 
politischen  Anfrhnnungon  beglückwünschte  das  deut- 
sche Volk  sfiu  der  eben  ho  begeisterten  nnd  warni  ^e- 
filhlten»  als  wisöenachaftUch  korrekten  Daratollnng  der 
machtvollen  Entwickhing  unsere«  Vaterlandes» 

Bekunntlich  Hind  Sybel  «einer/eit  74ir  Benutjsung 
tilT  sein  Werit  die  Archive  des  Auswärtigen  Amtes 
und  des  pretiTsischeu  Ministeriums  In  fiii  Anerkennen  der 
Liberalität  weit  j^e öffnet  gewesen,  was  %^or  und  nach 
Sybol  keinem  Hii^toriker  gostüttet  war  b»w,  wurde. 
Aus  diesem  fiborreichen  Materiül  hat  Sybel  mit 
staunenswertem  Fleifse  und  Die isterh Elftem  Geschick 
ein  authentisches  Bild  der  Entwicklung  des  Deuteeben  Reiches  und  der  seiner 
Aniriclitung  vorhergegangenen  Kämpfe  gezeichnet  urtd  uns  damit  einen  so 
vielseitigen  und  tiefen  Blick  in  die  zeitgenössische  Geschichte  erm5gUcht,  vne 
es  keinem  Volk  im  gleichem  Mafse  geboten  ist. 

Der  Fachmann  wird  Htets  auf  dieses  grundlegende  Werk,  um  dns  uns 
flas  Ausland  beneidet,  zurllefc^jreifen  mfisaen,  dem  Nichtf achmann,  dessen 
Interesse  an  guter,  vaterländischer  Geschichte  nicht  geschwunden  istj  kann 
kein  Werk  mehr  enqtfohlen  weilen  als  das  S)  belsche«  das  Schärfe  der  Kritik 
wie  Wärme  dm  GemfUes,  TJcbe  Ttur  Wahrheit  wie  Liebe  zum  Vaterland,  'fiefe 
dör  Foi^chung  und  wiflsenschafthchen  Ernint,  verbunden  mit  einer  muster- 
gültigen  Göi^tÄltung  von  k^stlicber  Klarlieit,  in  sich  vereinigt. 


Heinrich  -van  Sybel» 

gtiboren  tu  DÜiseMoifi 

2.  Deaember  1B17. 


I 


1^^'  ■  = 

Neu  erschienene 


r 


ANTIQDARIATS-KATALOGE: 

Nr.  498.  Geschichte  und  Topographie  ftaliens. '  ■•^ 
501*  Geschichte  Hessens. 
504.  Geschichte  Frankreichs  seit  Ludwig  XIV* 
506,  Geschichte  der  Reformation* 
512*  Spanien  und  PortttgaU 

515.  Deutsdie  Geschichte  von  1600  bis  zur  Gegenwart. 
52L  Prähistorik. 

525.  Rheinland --Westfalen.  (^) 

529.  Deutsche  Geschichte  im  Mittelalter. 
531.  Oäterreidi  mit  Ausschlutl  der  Länder  der  Ungar.  Krone. 

Attf  VerJmagca  gfmtis  ttad  frmakQ* 

\    Frankfurt  a,  M.,  Hochstr.  6.  JoSCph    BaCF   &    Co. 

Antiquariat.  | 

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SJerlag  bcr  3.  (B.  Cotta'fdjen  Sud)I)öiiWung  !nad)foIgcr,  stutigort  nnh  S«r«T 

föeltöcfdjidjtc  feit  licr  'öalfcrmaniictttiifl 

3n  neun  'B antuen 

I  D0^ 

S3ilSet  erftfjknen: 
(Erfter  *8anö :  'Der  Urfprung  ber  btjaanHnifdjerii  tslamifjfien^  abenblQEbt(tfi*ci^riftni4eW| 

rt)inejtfdjtn  unb  iubijd)cn  Üultur 
3i0cUcr  $aii& :  ^iebergartg  der  is[amtid)en  utib  ber  bQ3antintfd)en  Kultur.    Stlbiiitg 

öcr  eiirDpäi[<i)cn  Staaten 
Dritter  ^onb :  %mn  brei3cl)Mten  Dolittjunbert  Ms  jum  ^n^^  ber  ßonjile.    Die  a5enb' 

[anbifc!)^-dt)nfttid)e  ^uUur.    ^(nfange  einer  mmn  3^i* 
vierter  $aitb :  Der  Sli[l|tanb  bes  Orients  unb  bus  3Iuf|tetgen  (Europas.    Dte  beut{(f)e 

!ReformattDn 
%xt\%  iebe®  ^^Qiibc«:  ©e^.  m.  5.50,  in  ßeinen  geb.  ^  7.-,  in  Jpal&N^^  0^^*  ^'  ^^^ 

JRidjtunfl  fcc#  Ä^crfofieT:*  ju  «tTennrn,  ^n  einet  ö^iriA  ruHtibfrlfflifn  föcik'  l^ält  (idb  bü*  8iiid]  frei  bon  ©rxTfnfvjOI 
üiit  ?ru«ptff|iitifl  bfr  ^Eatfflcöfit  tiadi  tiffititiirUn  i^iHcsi  ob.  mit  He  ^t^  hf^xi^tn  (^efflllcfiöft  Litib  t^Hii  ÄuDeftir 
tDrtmitfn,  tirtf  Hf  ^rm  Gtaate  unb  beif  JCitdie  j^üiifbf  uiit>  um  brr  faercfc^i'Hbtn  ^uffaffuiTg  roillm  fa  bäufig  ia 
gFff^id^lLicfteit  Seriell  ^u  Irjen  fmb .  . . ,  .    $tn  ^aupt^cruita  &i4  16ui^(«  tß  bCE.  bab  bie^  olint  Auietfn  ^runt 

Qfiitbnicf  ber  ISäühr^eit,  bet  fltftftttSrttldr«  ©Idierftrit,  unb  man  fü^li  bfutUt^  bfraiit,  &flfl  man  e#  bei  tcp 
Sftfaffirr  nüt  tinfoi  dfftAidjtUdjru  5d)nfrfrfaL-T  ben  ^^arafreir  ^u  tun  bat  .  ,  S^cfetfot  Pim|ct»t  auMcliiifl,  ^al 
rt  bfm  ÜBfrfaÜet  trfraJnitt  ]tm  münf,  tiirje  gro&f  uiib  ttff  buTcfrbatt^tc  Arbeit  Mi  S^nbc  i^u  TftbrFii.  bii  fli^  ditcti  U'trfitdjen 
?fOFtfairitt  tn  unftfrer  iopltflef(^icf)tti^fit  ilttctflini  batlteüt  3W,  aJlanitlus  (tJrea&ner  Hnjefg^T) 


3u  bestehen  Mir<^  h\t  ntefften  IBud^tidiibEungen. 

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Neuer  Verlag  von  Duncker  &  Humblot  in  Leipzig. 

Schulte,  Aioys,  Die  Fugger  in  Rom  1495—1523. 

Mit  Studien  zur  Geschichte  des  kirchlichen  Finanzwesens  jener  Zeit. 
Zwei  Bände.    Preis  geheftet  13  M.,  gebunden  15  M.  40  PL 


Scäii/i€ß  Aloys,  Kaiser  Maximilian  I.  als  Kandidat 
fUr  den  päpstlichen  Stuhl  1511. 

Preis*  Geheftet  2  M*  20  Pf. 


Strieder^  Jakob,  Zur  Genesis  des  modernen  Ka- 
pitalismus« Forschungen  zur  Entstehung  der  großen  bürgerlichen 
Kapitalvermögen  am  Ausgange  des  Mittelalters  und  zu  Beginn  der 
Neuzeit^  zunächst  in  Augsburg. 

Preis:  Geheftet  5  M.,  gebunden  7  M.  40  Pf. 


Defbrück,  Rudolf  von,  Lebenserinnerungen« 

1817—1867.  Miteinem  Nachtrag  aus  dem  Jahre  1870. 
Zwei  Bände.   Preis:  Geheftet  15  M,  60  Pf.,  gebunden  18  M 


tfotfmann,  Max,  Geschichtsbilder  aus  Leopold 

von  Rankes  Werken.  Miteinem  BMdms  Leopold  von  Rankes. 


Preis:  Geheftet  6  M.    Gebunden  7  M. 


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ifcusler,  Andn,  Deutsche  Verfassungsgeschichte. 

Preis:  Geheftet  o  M.    Gebunden  7  M. 


Fehlingß  E.  F.^  Heinrich   Theodor  Behn,  Bürger- 
meister der  freien  und  Hansestadt  Lübeck, 

Preis:  Geheftet  4  M.  60  PL,  gebunden  5  M,  80  Pf, 


Hitzig,  Etta,  D.  Ernst  Konstantin  Ranke^  Professor 
der  Theologie  in  Marburg*    Ein  Lebensbild. 

Preis:  Geheftet  6  M.   Gebunden  7  M. 


Dyistenfurth,  Gertrud,  Ein  schlesfsches  Dorf  und 

Rittergut.     Geschichte  und  soisiale  Verfassung,  (r>i. 

Preis:  Geheftet  4  M.  20  Pf. 


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Verlag  von  R,  Oldenbourg  in  München  und  Berlin  W.  10, 


Calderon-Studien 

von  Dr,  H.  Breymann, 

Profe«9or  der  ramaDischen  Philologie  an  der  Lfnlversltit  eu  MUncbea, 


I.  Teil: 

DIE  CALDERON-LITERATUR 

Eine  bibliographisch-kritische  Übersicht. 
XII  und  314  Seiten  gr,  8^.   Preis  liroschiert  M.  lO-— > 


INHALTSVERZElCHNiS:  L  Bibliographien,  2,  Caiderons  Werke,  3.  Über- 
setzungen, Bearbeitungen,  Nachahmungen,  4.  Bildnisse,  5.  Gedichte 
auf  Calderon,  6.  Autiiihrungen,  7,  Erläuterunga-  und  Ergänzungs- 
schriken,  8.  NaciUrag. 

Der  zweite  Band  ~  CaldGton,  Sein  Leben  and  seine 

Werice  —  befinde i  sich  in    Vorbereitung. 


Söit  18i<3  orficheijit: 


ARCHIV  FÜR  Hygiene 

(BegTflndet  von  Max  t.  Pettenkofer.)  ^H 

I  Unter  Mitwirliung  der  namhaft esteo  Hygieniker  ^H 


]  herausge lieben  von 

■J.  FOßSTEK,      M.  GEÜBEE,      FR.  HOFMANN,      M.  RDBNEB, 

«.  d.  ProreMoren  di^r  Hygiene  iiod  DlrektoreD  der  bjgiflnisehen  InaUluie  iji  dzn  ÜDivenit&t«ii  lü 
STBA3SBUBG  i.  K  WIEN  LEIP2IG  BKHiiIK. 


Preis  für  den  Band  von  4  Heften  M,  15. 


k 


^n  btx  Jgerbetfc^ett  Serta0$!)Oitt)Iuiig  ,^u  tfrei&urg  im  Breis gau  finb^  ioeben 
etfd)icnen  uub  föttiien  huYd\  alle  *J3urf)[)auMuiigcix  l)e,^i>(^ftt  inerhcit : 

Sd)TnibIin,  Dt  3o(.,  'terS""  fflcf<^i(^te    Öet    Öeutf^en 
!nattonaIfiir(^c  in  JRom  S.  aMoria  beroinimo.  j;"'|;^^^^\5i 

u,  168:  3f  15.— ;  geb.  tn  yeinitjanb  mit  Seberrücfen  Af  17  50 
3)<ia  f^uc^  tüirb  Ißt  feiufit  (Hflfbrien  niH?tfbtliat  ftin,   t^tt  Hd)  Mit  beut  ^rrLjlttiif  DeistlAlaubi  «a 
8?oiii  übet  \tlbit  nur  bn  töraiT^fn  aber  brr  iiatcrLdiil^itdjrii  i@fTflaiifle^iljf£t  üöftbrnti^t  Mfl^t;  ntAt   mliibr: 
ühn  fanii  ti  aüert  aebilbttirn  L'den,  ^örati  bettett.  M«  Mom  mi  ti^tnct  ^litfitiiiiung  tctinen,  all  Dcltljtcnlst 

— ,  'Die  gefd)i(^tsp^iIofopI)if(^e  unb  ftir4)en))oIttif(^e  ^elt= 
Qtijdjauung  Ottos  oon  Jrdpng.  S'S" "ISSrSS'S 

aiie^  bcin  t^ebide  btr  05efcftict)U.  IV^  üb,  2.  n.  3.  i>cft,)  flt,  8%XViir  n.  UjH)  Jf  :i60 


Zentralstelle  das  Vofksuereins  für  das  kath.  Peutschlandi  W,  Gladbach. 

^L    .  Sozi&ie  Tagesfcagen  t 

^11.  Heft:  Soziale  Tätigkeit  der  Gemelnflen,     Eme  Ubersiat  üher  die  Aufgaben 
Ufid  Lctsttingen  der  kotomunalen  Soxialpolttik  für  A-rbeiter,   ATigestcllte,   Kleingewerbe- 

L treibende,  sowie  in  der  Wohaungsreforni,  Gesundheitspflege,  BildüngsfUriorgc,  In 
Verbindung  mit  Josötrat  Carl  Trimboni,  Stadtverordneter  in  Cölo,  von  Dr.  Otto  Thissen* 
3,  Aufl.  (7,  und  S,  Tausend),  1906. 
Die  ScHfifi  vtrd  in  der  NeuAuflihe«  wläder  tö--^Tt  Bagen  vu  tttwm  t^Sca  M.  umfiifAen  up4  atifanRa  Juli 
gea.  Das  Hani;!h[]tb  Ui  vun  der  Fach-  und  Tagc4prea§c  aller  RtqKtungcn  al»  die  braucbbanie 
%aapp?  Zuiiajiirneir^i^rMüri.ur  empfohlen  wordieQ. 

33.  Heft:  DetallllStenfrageil.    Neue  Aufgaben  des  KlebUndeU.   Von  Dr,  Aug,  EngeL 
100  S.  in  8"».    1905.    Preis  80  Pf. 
Eine  knappt,  grütidlteli«  Orit^nderups«   4ie  dem  Natiotiaf5koiiomen,   wie  dem  prakütchen  KautoaniL 

raen  will. 
ApoL  Tagesirmgen: 

5  Heft:  Die  Stellung  der  Frau  im  MenscIiliBltsleMD.  Em^  Anwendung  kath. 

Grundsätze   aut  die   Fr.iuenfra^^e.     Von    Prr>t(?>.ifir   r>r.  Josepb  Mausbacb,     Jl6S.  in  S*. 
I* — J.  AiUl.     IQOO.     Prt^i^    I   M,,   fninkih    i,lo  M.     4.   -7,  AulL  in    Vrsrh^reitung, 

j.  Heft:  Altcbrtstllcbe  und  moderne  Gedanken  tllier  Frauenberuf.  Drei  Au&stze 

wL      roD  Prof- Dt,  J-  Mauebach.     130  S.  in  8*»    1.-3.  AufL    iqob.    Preis  i  M,,  fr.  i,tö  M. 

Als    lusftmmen fassend    orientierend«    Scbriften    haben    bei    der    Facbkritik    besondere 
Beachturtg  gefunden : 

Koch,  Heinricb  S.  J  r  DlO  dBUtSClie  HaUStndUStfle*  m  S,  fn  8^  190S-  Preis  l  M., 
franki>   t^lQ  M. 

Liese,  Dr,  Wilhelm:  Das  bauswIrtscIiaftllGhe  Blldungswesen  in  Deutschland. 

Herausgegeben  von   „Arbeiterwohl,    Verlmnd   fiär  soziale  Kullur  und  Wi>hl(tihrtsptlcge*\ 
K       VUI  u.  104  S.  gr,  S°.    1906,    Preis   i  M.,  iranko  t^to  M, 

Über    die    cb ristlich- sociale    Bewegung    unter   den    Katholiken    Deutschlands    und    der 
Nacbbarländer  unterrichtet  die  Zeitschrift: 

Soziale  Kultur.  Der  Zeitschrift  Arbeiierwobl  Und  der  ChristHch-soÄialen  Blätter  neue 
Folge.  Redig.  von  Prof.  Dr.  Fr,  HitzCf  Gen^Jralsekretar  des  Verbandes  Arbeiterwobl, 
und  Dn  W.  Hohn,  Direktor  des  Volksvereins,  26.  Jahrgang.  M.  Gladbach  1906, 
Monatlich  ein  Heft,  5  Bogen  stark  in  gr.  8°.  Preis  jährlich  6  M.,  halbjährlich  3  M., 
vierteljährlich   1,50  M. ;  bei  der  Post  und  im  Buchhandel,  (27) 


Bothtn  üoüffttnbig  erj^ienen: 


Der  grofee  Äurfürjt  ä;;ä 


t^un  ^Tül  Dr  ÜRartm  ?>l)iIippfon. 


3n  3  ^tiitbcn  23ä,5<>  iUütf.  «eb,  30  matt 


fiolnift^e  Bettung :  Ser  eine  ^tftortfc^e  ?{bei  in  firt)  f^üi^t,  loirb  unter  bet  fadj- 
hinbiflcn  Süh^ung  ^^tjiUlJpfonlJ  mit  C^ciinft  jene  <Mebielc  burd)manbccat,  in 
haxm  langfotir  btL'  Slütenträume  bevitjd^ct  dfn^cit  ber  ßrfüCfuiiä  «entgegen- 
reiften. 

^db(i9ogi[d)er  3al)rcsbcn(^t ;  ^te  aaiu  (jeiuörragenb«  ©ioörab^ie  Ocrbtcnt  bie 
einge^enbfte  Söetid^tung  aüct,  He  fitf  in  bie  üielfnc^  öcrfdjlinigcnen  Scge  ber 
rurfürftlfc^en  i^otittt  aii  ber  ^mh  eine§  trcffUf^eu  3üf|rer@  grihtbltd^  cmarbcitcrt 
inollen. 

^aerttner  lagf&fütt;  m  ift  ein  nidjt  gering  an;^jtfdjlagenbE§  ^erblcnft '^JI)ilippfon§, 
ba4  Silb  bifTeS  jnalirfiaft  großen  3^flrften  in  feiner  trefflichen  marmtjcr^i^en 
^arJteUimg  bcm  beutfdsen  S^Ue  Don  nenem  nabegebraf^t  ]^u  fmtien,        (10) 


Uetlag  Siegfrieb  ttronbadj,  Berlin  W 


i _j 


Verlag  von  R.  Oldenbourg  in  München  und  Berlin  W.  lO. 


Historische  Bibliothek. 

Herausgegeben 

von  der  Redaktion  der  Historischen  Zeitschrift. 


ik 


Band  I^   Heiniidi  uon  TreUsdikes  üehr«  und  Wanderlahre  1$3V~1S^T«    £>xahlt  vos 

Theodor  Schieinann.     XTI    and   291  Seiten.     8**    2.  Auflage,    h 

Leinwand  jL»ebiinden  Preia  M.  t>. — \ 
Band  II:    BrItFe  Samuel  Pufendc^fs  on  Christian  Thomas fus  (1687— 1693 )*    Heravi^ 

gegeben    und    erklärt  von  Emil  lii^a?^,     7S  Seiten    S^.     In  Leinwi 

gebtinden  Vtqw  M.  2.—. 
Band  JU :  Hduridi  pqh  Sybel,  Portrdge  und  Bbhandlunflen*   Mit  einer  biogmphisi 

Einleitung  von  Professor  Dti  Varren trapp*    378  Setttn*    8^    In 

wand  gebunden  Preis  M,  7. — . 
Band  IV  ^  Die  Forfsdirltte  der  DIpIomatEk  seit  TllabfUön  ^orneEimlidt  (n  Deutsdilffi 

österreidl   von   Kicbard    Ro^ynm  nud.     X  und  125  Seiten.     S'-,    Ii 

Leinwand  gebunden  Preis  M.  3.^— . 
BandV:   ITlöTflOreta  pon  Parma,  Statthalterln  der  Hlederlande  (1559—1567).    Von 

Felix  Rachfahh    VTIl  u.  27H  Seiten.    In  Leinwand  ^^eb-  Preis  M.  5.— 
Band  VI :  Studien  zut  Enfwldtlung  und  theoreHscheu  BegrQnduitg  der  [TlonaTdile  ti 

fliJerfum*    Von  J n l i  u h  K  u e r n t     109  S     ^''.    In  Loinw.  gclh  Preis  M.  3- 
BandVH:   Die   Berliner  ITlöiztage  pon  18*8,     Von   Professor   Dn  W.  Busch. 

74  Seiten.     8^.     In  Leinwand  gebunden  Preis  M.  2.—. 
Band  VTTI :  Sokrates  und  sein  Polk,    Ein  Beitrag  znr  (Teschichtjft  der  Lehrfreiheit 

Von  Dr.  Robert  Pohl  mann.    VI  und  133  Seiten.    8**,    In  Leinwwid 

gebunden  Preis  M,  3.50. 
Band  IX :  Hans  Karl  uon  WInterfeldt    Ein  General  Friedrichs  des  Grolseii.   Voa 

Ludwig  Moll  wo.     XI  u*  263  S.    8°,    In  Leinwand  geb.  Preis  M.  o»— . 
BajidX:   Die   Kolontatpollllk   flapoleons  L     Von   Gustav   Hol  off.    XIV  ub^ 

258  Seiten.    8^.     In  Leinwand  gebunden  Prei»  M.  6.—. 
Band  XI :   Tenltorium    und  Siadh     Aufsätze  Äur  dentsehen  YerfassungH*,  Ve^ 

waltungs-  und  Wirtöcbaftsgei^cbichte.    Von  Georg  von  B  e  l  o  w*    ^"^ 

und  342  Seiten.     8".     In  Leinwand  gebunden  Preis  M.  7. — 
Band  XU:  Zauberwahn,  EnquIsUlon  und  Heienprezesse  Im  ITtittelafkr  und  die  ^ 

stefiunfl  der  grolsen  Hexenüerfolguug.    Von  J  o  s  e  p  li  Hanse  n.    XVI  m^ 

538  Seiten.     8".     In  Leinwaml  gebunden  Preis  M.  10.— . 
Band  XIQ :  Die  Enfdnge  des  Humanismus  In  Ingolstadt*    Eine  literansehe  Btudf« 

Kur   deutschen   Universitätsgeschifhto.     Von  Professor  Gust.  BaticSi 

XIII  und  115  Seiten,     8^.     In  Leinwand  gebunden  Preis  M.  3,50, 
Band  XIV:   Studien  zur  Vorgesdilchte  der  Reformation,    Ans  schlesischcn  Quellen. 

Von  Dr.  Arnold  O.Meyer.     XIV  nnd  170  Seiten.    8*.    In  Leinwand 

jfebunden  Freie  M.  4  50. 
Band  XV :   Die  Copita  aflendorum*     Ein  kritiecher  Beitrag  sur  Go«ch!chte  der 

Reformverhandlungen  in  Konstanz.    Von  FMvatdozent  Dr.  Kohrtnann. 

67  Seiten.    8".    In  Leinwand  geiiunden  Preis  M.  2.—. 
Band  XVI:  VerEassungsgesdiitftte  der  austraHsdieji  Kolonien  und  dea  »Common- 
wealth   of  Australiat.     Von  Dr.  Doerkes-Boppard,    XI  und  340 S. 

8**-    In  I^inwand  gebunden  l^eie  M.  8. — , 
Band  XVII :    G  a  r  d  i  n  o  r  ^  Qlber  Cromwell,    Au  tcirisierte  Übersetzung  aus  dem 

Englisclien    von    E.   Kirchner.      Mit    einem   Vorwort   von    Professor 

A.  Stern.    VII  nnd  228  Seiten.    In  Leinwand  gebunden  Preis  M.  5,ö0* 
ßandXVIIIt   Innozenz  IIL   und  England.    Eine  Darstellung  seiner  BeiiBhuiigen 

lu  Staat  und  Kirche.    Von  Dr.  E I  e  e  G  ü  t  &  c  h  o  w.    Vin  und  197  86iten. 

8".     In  Leinwand  gebunden  Prf  is  M.  4,f>0. 
Band  XIX :  Die  Urfadien  der  Rezeption  des  Römircfien  Redits  in  Oeuffdtlflnd*    Von 

Georg  von  Below.    XU  u.  1068,8"*    In  Leinw.  geb.  Preis  M.  4-60. 

Hlersu  je  eine  BeJla^re  von  Budolf  Haniit,   Buchhnudlung,  B«lle  M«  ^>^  von  Ferdlniad  ^k», 
Stuttgarts,  und  fon  Vnncker  it  Hnmblot,  Lelpxtf, 


Veröffeiitlichungen  zur  Hansischen  Geschichte. 
Verlag  voa  Duncker  ^  Hmnblot  in  Leipzig. 


Hansische  Geschichtsquellen. 

Herausg^egebeD  vom 

Verein  für  Hansische  Geschichte« 


Band  I*     Das  Vetfestungsbuch  der  Staäi  Stralsumi.    v  on  Otto 

Franc ke.     M.  5.—* 

.     IL     Die  Ratslmie  der  Stadt   \Vi<imar.    \on  FHedrich  CrutL 

M.  4-50. 

*  IlL     Dortmunder    Statuten    ttnd    Urteile.     Von    Ferdümuä 

Frettsdurffr     M.   J(^4<), 

«   IV*     Diss  Btich  des  Lübeekiseheti  Vogts  ühJ  Setioneu.    wa 

3  Taietn   und  2  Karlen-     Von   Dietrich  Schäfer,     IVJ,  b.     . 

-     V-     Rei'aler  Zollbüeher  tmti  -Qttittttngen  des  /4*  Jahr/t. 

\üTi    Wüheim  Stieda,     M.   \Ml 

*  VL     Hanseakteu  mis  England,  1275  bis  1412.    B*-arbeiiet 

von  Karl  Kt4ftse^     M.  8*—* 

€  V\L     Akten  und  Urkunden  der  Hansisetten  (jesmidisehajt 
mteh    Mosican  i.  /.  1603,     \'r>n  Oui^  HHUmkc.   M  r>,6tJ. 

Neue    Folge: 
Geschichte  und  Urkunden  der  Rigafattrer  in  Lübeck 

im   16,    t4Hd  //.  Jahrh.     Von  Frauz  Sitrw^rt.     M.  9J3, 

Die  Lübecker  Bergcnfaltrer  und  ihre  Cbronistik.    von 

Friedrich  Bntns.     M,  12*—. 

Soeben    erschienen: 
Die  Bilrgerspradten  der  Stadt   Wismar,    \\m  Fn'tä- 

rich   Techett.     M.   13.40. 


Die  erste^  aus  sieben  Bänden   bestehende   Folge  ^vird  siatt    fUr 

iX  M.  30  Pf.  bis  auf  Widerruf  211  dem  ermilßig-ten  ^fettoba^p^eis 

von  33  M.  20  Pf,  (ausschließlich    Porte»}  g-eUefcrtj   die    beiden    crstt^n   Blinde 

der  Neuen  Fnlge  statt  für  21  M.  75  Pf.  für  16  M.  35  Pf.  iausschlieÜJich  Porto). 

Einzelne  Bifnde  werden  nur  ni  den  bisherigen  Ladt'npreisen,  Bund  TV 

I  gesondert  Überhaupt  nicht  nbgegfeben. 


Veröffentlichungen  zur  Hansischen  Geschichte. 

Verlag  von  Duacker  &  Humblot  in  Leip^ig, 


Hanserecesse. 


l   hjs  Vm.  E^»nd.     Von 
Hochqimrt,     8  Bände. 


Erste    Abteilung.    Auf   X^cranlassung  Seiner     Matesüit    de* 

von  Bay rrn    1h  rausgt^^rebt^n    durch    die    Historische   CommiSSlOll    M 

Köni^L  Akademie  der  Wissen  seh  aften, 

143a     Hearbciiei  v<m  Karl  Koppiliatin. 

1897.     Preis  152  Mark. 

1.    I2ab-13«».    (XXXIX.  65C)  S.(    löW.    l'J  M 
U.     117«-13H:.    <XV.  513?  SJ    l&TJ.    12  M. 
IIJ.    fja6-l3^  Nnchtrll»-L-  uitd  i:»7-i:«a  Recesse.    iXV%5(>IS.'     1^75.    16  M. 

i\\  vm-im.  axviLb64S.)  im.  ao  m, 

V.  mJ-14ta    nX.  M^  S,)    1890.    20  M. 

VI.  Ull-MIH.    i(X.  hö&Sj    tm*.    '£2M- 

\U.  141^ -UVÄ    iXt,  t^  a^    im±    Z?  M. 

\'U].  !lLVv-!4»i  u.  KnehtrÄ^eu.Bcrrchii^ngen  1360-14a)>    ^XXHI,  ©ga>    MW, 


Zweite  Abteilung.  h<  rausirt j^^^  bon  vi>m  Verein  för  Hansische  Ot- 
schichte^    y<*n  1I3(— 1476.    Btarbtiiei  von  Goswin  Fretherrti  V.  d.  Ropp, 

Hodiqiifiri      7  Bimdr,     1H76— 1892.     Preis  i:>2  Miirk. 

O.    14;i7"U4;i    iXIl.  bl*2  S.)    INTTS.    3t>  M. 

in.  ]im-i^i    XU,  ^**^  S)  Ky8i.  '20  m. 

IV.     14rn-  14*ii>     1 XI,  57(>  S.>    ISK^,    'JO  M. 
V.    14N3-14C)(j     iXITl.^JTSJ    188».    22  M, 

VI.  1467=1473.  ixriK  im  Si  itm.  is  m. 

\'n.    1473-1476  a<id  Nachira«e  143I-l47ft.    (X,  mo  S.)    1^2.    m  M. 

Dritte  Abteilung*  Herausgegeben  vom  Verein  für  Hansische  Oe- 
iCilkhte.  Vnn  1477  —  15311.  Bearbeitet  von  DietHcb  Schäfef.  HochqUATt. 
Bisher  7  Bünde.     1881—1905.     Freiü   lb9  M,  40  Pi. 


4i>  pr. 


Hjs  auf  Widerruf  wird  ein  Exemplar  der  drei  Abteilungen 
I  bisher  ::*2  Bftnde)  statt  fUr  473  M.  40  Pf.  tn  dem  ermäfsigten 
Nettobarpreiä  von  355  M.  ;)bg^egeben,  die  crsle  und  die  zweite  AbieLlung  adli-in 
für  je  114  M.  i sämtlich  uusschlielJlitih  Porto);  die  dritte  Abteilung  und  einzelne 
Bünde  werden  nur  zti  den  l^den preisen  herechneL 


r 

1477- 

-i4*a. 

(XV,  :m  s.j 

138L    20  M, 

11. 

)4*&- 

-14*^1, 

iXVi,  w*7  S.) 

isea    22  M. 

iir. 

1491 

-1497, 

lyiT,  :¥i)s,- 

1988.    20  M. 

rv^ 

14*J7- 

-  ma. 

(XIV.^j^Sj 

imo,   22  M. 

V. 

15KM- 

-mt\ 

iXlII.  7tfS  S.> 

l^M.    26  M. 

VI. 

15in- 

-ir»lö. 

iXVl  8(».^.  s.> 

lim.    28  M.  J 

ni. 

1M7- 

vm. 

<XIV,  941  S.i 
Ein    Sc] 

1*J0C^    81  M. 
blußband  i 

Veröffentlichungen  zur  Hansischen  Geschichte, 
Verlag  von  Duncker  &  Humblot  in  Leipdg* 


Hansisches  ürkundenbuch, 

Hcrausß:e8rebejri  vrnn 

Verein  für  Hansische  Geschichte« 

Hocbquart. 


Bacd 

1    I. 

1' 

11. 

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V. 


X 


Ifansisckes   Urkimdenfmch,    Bd.  l  (975--1S00).   Bearbeite 

von  KonsffiHfiH  Höhlhnum,     ]ft76  .     .     ■     *     ,     .     *     .     15M. 

Hansisches  UrkunäenbudL    Band  U  (1300^1342),     Bear 
beitei  von  d^mÄt^then.     J879,  ..,..*,*.,     12  M, 

Erste  Abteilung.   Hansisches  UrkundenbHcH.  Bd.  inj 

fB43— t357j.     BeaxbeUot  von  demselben,     lft82     ,     .     .    h  M. 

Zweite  ( Schi uls*) Abteilung,     Hansisches    Urkunden- 

buch.     Band  III,  2  (1358—1360).     Bearbeitet  von  demselben. 
Mit  einem  HfossaT  von  Pmd  Feit.     1886.     .     .     .     .     ,     14  M. 

Hansisches  Urktmäenbuch.    i36i-J392,    Bearbeitet  von 

Kart  Kiittse,     Mtt  einem  Sachreg^^ister     18%-      .     *     .     16  M. 

Hansisches    Urkunde^lbuch,     1392     I4li,      Bearbeitet   von 
demsetben.     Mit  einem  Sachregister.     18<>9.    .     ,    21  M.  80  Pf. 

Hansisches    Urkunäenbuch.      141ö~1433.      Bearbeitet    von 
demselben.     Mit  einem  Sacbregisler.     1905.   .     .     22  M.  80  Ff. 

Hansisches   UrkimdenbUCh.      1451 —1463.     Bearbeitet    von 
Wahhür  Stein.     Mit  einem  Sachregister.     189*^,      29  M.  40  Pf. 

Hansisches  Urktmdenbuch,    H63-1470,    Bearbeitet  von 

demselben.    Mit  einem  Sachreg^iater*     1903.    .     .     .     ,     27  M, 
befindet  sieb  im  Druck. 


Die  bisher  erschienenen  8  EJände  w-erden  bis  auf  Widerruf  statt 
für  163  M.  zu  dem  entiärsi^en  Nettabarpreis  von  122  M,  50  Pf. 

fftusachließlich  Porto)  abg^egeben. 


VerüfFentlichungen  zur  Hansischen  Geschichte* 

Verlag  von  Duncker  &  Humblot  in  Leipzig. 


Hansische  Geschichtsblätter. 

Ht'rjuisj;!r^(L;^hen  vom 

Verein  för  Hansische  Qeschfctite. 

1872  biü  1905, 

Jahrgang  i  \imt}  bis  32  (1906;.    OklAV,    32  Bfloile.    Preis  iTi  M.  Kt  Pf. 

Ein  voUslÄnd.  EitympK  dvr  Hansiücheo  (ieschichtsblHiter  (32  Bde.vl 
wird   zu  dem   ermirsigten  Kettobarpreis  von  129  M.  60  Pf.  ge- 
liefert (auaschlieüUch  Portü).     Bis  mif  Widerruf   werden   ein/ehie  JaKr^Hng'e  I 
(mit   Ausnahmi*  des   (ahrgiings  1872}  nneh  zu   den   Ladenpreisen   abgegeben. 


Inventare  Hansischer  Archive 

des  sechszehnten  Jahrhunderts. 

Herausgegeben  vum 

Verein  für  Hansische  Geschichte« 
Erster  Band :  Kölnrr  htViUlar.  i :vm    im i .  BearK  von Kottst. mkma 

und  Hfrmr  Keffßett,    Mli  Akt^-d-Anhang  llocbqüart.     XVn.  637  S4    WB 

Zweiter  Band;  Kölner  hwetttar,    ibit—um.    Bearbeitet  \*<m  Km 

HHhihftttm.    Mit  Akten-Anb.inp.    iinchquun.    iXVll,  luU  S.'    l^OR.    3&M.  80Pf, 

Pfingstblätter  des  Hansischen  Geschichfsverdns.    I.     1905. 

Die  Hanse  und  England. 

Ein    li  a  n  s  1  s  c  h '  e  n  g  l  i  s  c  h  e  r    Seekrieg    im    1  "i.   j  a  Ji  r  h  u  n  d  e  r  L 
Von  WaJthcr  Stein. 

\\  und  :A  S-    Okuiv.    Preis  1  M. 


Die  Kölner  Konföderierten  v.  J,  1J67  und 
die  spanischen  Pfandschaften. 

Hansisch-dHnische    Ge*.chielur    von     1307  —  1385. 
\'on  Ernst  Robert  Daenell, 

\mi.    XJ\^  uml  t74  S.    Okuiv     Prd^  f\  M.  H<j  pl 


Um   die  rVnscliaffung  der  vorziehend  aufgeführten  Werke  D< 
mehr  7M  erleichtern,  wird  ein   voUsillndig'es  Eiemplar  statt  zum 
l-udenpreis  von  952  Mark  2.1  Pk^nnisi: 

für  634  Mark  85  Prennig- 

f  atissdilieOHch  Fracht  und  Spesen  >  abgegeben.    A  n  o  b  kann  ti  i  e  Zahlung" 
a  tj  f   mehrere  Jahre   verteil!    werden, 

i,eipzig.  Duncker  &  Humblot 


» 


Historisclie  ZeitschrK 


-^ 


i 


^^  -ui— ^  i'j  ► 


ßagrandet  von  Helnrlcli  v«  Sybel 


» 


Herausjgegeben  von 

FRIEDRICH  MEINECKE 


I 


IL 


Dritte  Folge  -    I .  BancJ    -  2.  Heft 


Der  gmttn  Hejtie  97,  Band 


MÜNCHEN  UND  BERLIN 
DRUCK  UND  VERLAG  VON  R.  OLDENBOURG 


Zur  gefL  Beachtung! 


I 


Die  HISTORISCHE  ZEITSCHRIFT  (3.  Folge)  erscheint  in  HefH 
von  ä  15  Bogen  Umlang  in  rweimooatnchen  Zwischenräumen. 
3  Hefte  bilden  einen  Band,  dessen  Inhaltsverzeichnis  sich  jewei 
am  Schlüsse  des  dritten  Heries  befindet. 

Der  Preis  eines  Bandes  (45  Bogen)  beträgt  M.  14.—, 


Sendungen  für  die    Redaktion  der   Historischen  Zeitschrift  si^ 
^  an  Prof.  Dr.  MEINECKE,  FREIBURG  i.  B-,  Längenhardstratäe  3,  t% 
1  richten. 

^^^^  Rezesislonsexemplare 

^^f       sind  an  die  Verlagsbuchhandlung  R.  OLDENBOURG, 
^^  MÜNCHEN,  Olückstraße  8,  zu  senden. 

"Die  Versendung  der  zur  Besprechung  einlaufenden  Bücher  an 
Rezensenten  erfolgt  durch  die  REDAKTION. 


1?erlog  ^^%  <£,  %.  S<ttoetf<ftfta  mtb  5o|n^  Serhn  W> 

55on  Mußlanös  3lot  unt  öoffett. 

"Bon  (Btüt^ft  aieittom 

^ies  ntii«  ^ett^emäge  Wtth  Über  ^ubTaTil>  bietet  ein  !0ün^ef  Si|^tagü<j^tcT  auf 
Vorginge  imb  3^ftänbe  in  ^lullanb  iT>ft^renb  bfx  g  a  n  3  e  n  beioe^ten  3<it  fttt  Itu$brii4^ 
bes  firieges  gegen  Japan.  %us  einer  JüIIe  iion  UPlüterial,  bas  ber  Sfutor  (eh  6lm  ^|ii., 
1898  ans  eigeitei  nnf4^HU^9  In  ^^«n  bettelt  3«>^^^^-^ti|Ianb3  getüonnen  ^tJ 
eilte  5Jeibe  üott  ^up^en  i»ie betgegeben,  Öie  in  knapptt  tform  -  Sdjcmn?effeTttl 
-  ttJi&erfiatfc  %i|tanbj»  nur  mtniq  bebannte  (Bebiete  bes  rul|tfdieh  gcfell[^cftli<^tli 
ftaailid)en  Eebens  belen<^ten.  Der  ^lutoi'  bteibt  mit  feinen  S(?pbad}tungen  niäft  an  ber 
Oberftaf^e.  (Er  fü^rt  uns  an  ble  com  3^ten()auFe  urnftanbene  'Bafytt  bes  flttnt|U 
plebti^e  unb  In  bie  !£aufliapelle  bes  <Bro^fikfteii  Xbionfplgers,  mo  er  ab  ein|ij 
äöurnalift  neben  bem  Seitijnei  be^  „'Dnilij  *Brfipi)te*'  ber  ^^anhereinonie  beltüofente,  1 , 
in  2Jet(ammlungen  üer  ^etJoIutto näte,  .^titiÄ  nnb  Stftifberung  tuerf)teln  eindnber  in  bunti 
Jolftc  ab.  Den  ßern  bilben  Stubien  über  bie  ^olfastertretung  unb  bie  Paitell 
in  mfelanb,  burd^  bie  Das  'Bu^  gcrabe3u  ein  ßeitfaben  för  ben  3^i*ö^9sltfe? 
©übtingsatabe  tolrb.  Die  ^erbinbwn^  ucn  feninetomftiTt*)en  Sc^ilbernngen  ber  ein^etitl., 
(Befell^aft&fireife  mit  bet  Darftelung  ber  (Befclje  \iit  bie  ^oOtsnerttetun^  gibt  ein  fo 
bimtttdhes  Silb  bes  9iat)meit&,  in  bem  fid)  Ms  2tbin  ^}?u|[anbs  m^br^nb  ber  nadj|len 
3tll  aöjpieleii  lofl^  mk  es  btsbet  no^  nidjt  getleferl  u>utbe. 

Der  ^tntör  betreibt  bai  Stnblum  Mufelanbs  ab  Oebensarbeii  (£r  tusl  bas  2mb 
mleber^oH  auf  Monate  ipä^renben  5<^ibvien  bereift  nnb  Übtr  bk  ßage  ber  Souern,  ber 
3nbcn,  über  bie  Pofenfinge,  bas  ßeben  in  3innlanb  nnb  ßber  bk  .^!>lTtqeii>erb?  tin_ 
Ort  unb  Stelle  ein^efjenbe  Detnitftubien   betrieben.    Die  in  ben  tl 

^Tfdnlit^^ftert  ffnb  ibnt  ptn  grööten  Seit  peitfln(i<ft  öeftannt»  b^  .    ,  , 

Se^te^ungen  fü^iTten  l^n  fo  in  ben  ^aiferpa[a|t  wie  in  bie  gfttte  bee  Arnijten  'p;^Utarl< 


» 'öeate^j 


Der  Untergang  Wallensteins. 

Von 

Moriz  Ritter. 


Dem  Untergang  Wallensteins  sind  in  den  zwei  letzten 
Jahrzehnten  so  eingehende  Untersuchungen  gewidmet, 
daß  eine  neue  Behandlung  dieses  Gegenstandes  auf  be- 
rechtigtes Mißtrauen  stoßen  muß.  Von  vornherein  bemerke 
ich  daher,  daß  die  folgende  Abhandlung  nur  den  Zweck 
der  Ergänzung  verfolgt;  ich  werde  bloß  solche  Punkte 
ausführlicher  erörtern,  welche  noch  nicht  genügend  gekllirt 
sind*  An  erster  Stelle  rechne  ich  dazu  die  Frage  nach 
den  Vollmachten  Wallensteins,  von  deren  Beantwortung 
ja  das  Urteil  über  das  wechselvolle  VerhältniSj  in  das  er 
zum  Kaiser  trat,  zum  guten  Teil  abhängt.  Mit  ihr  werde 
ich  also  beginnen, 

L 

Wallensteins  Vollmachten  und  Rechte  in  seinem 

zweiten  Generatat 

Daß  Wallenstein  in  seinem  zweiten  Generalat  in  noch 
höherem  Grade  mit  wahrhaft  diktatorischer  Macht  auftrat, 
als  im  ersten^  ist  unbestritten;  aber  offen  ist  die  Frage, 
ob  diese  Gewalt  vornehmlich  auf  dem  tatsächlichen  Ver- 
hältnis der  Not  des  Kaisers  und  der  Unentbehrlichkeit  des 
Feldherrn,  oder  auf  den  alles  einzelne  regelnden  Artikeln 
eines  Anstellungsvertrags  beruht.  Das  letztere  würde  der 
Fall  sein,  wenn  eine  Schrift^  die  bald  nach  der  definitiven 

Historiftche  ZeLtsctirifl  <97.  Bd,)  3,  folge  I.  Bd.  16 


Morlz  R Uteri 


Übertragung  des  Generalats  an  Wallenstein  (April  1632), 
jedenfalls  noch  im  Jahr  1632,  handschriftlich  und  im  Druck 
verbreitet  wurde  und  in  zehn  oder  in  anderer  Fassung 
in  elf  Artikeln  die  von  Wallenstein  gestellten  und  ihm 
zugestandenen  Bedingungen  wiedergeben  wilP),  Glauben 
verdient.  Die  Prüfung  ihrer  Glaubwürdigkeit  ist  daher 
meine  erste  Aufgabe. 

tn  einer  aus  handschriftlicher  Quelle  stammenden 
Ausgabe^)  trägt  das  Aktenstück  die  Überschrift  „Capitu- 
lation,  so  zwischen  . . .  Ferdinand  11.  und  *  . .  dem  Her- 
zogen zu  Fridland  aufgerichtet  worden  ist*".  Diesem  Charak- 
ter einer  Vertragsurkunde  entsprechend,  werden  denn  auch 
Artikel  I — 3  in  direkter  Rede  gefaBt;  aber  schon  Artikel  4 
und  5  erscheinen  in  der  Form  knappsten  Auszugs,  ohne 
Zeitwort,  Artikel  6 — 8  in  der  Form  der  Berichterstattung 
in  indirekter  Rede,  erst  mit  9  und  10  kehrt  die  Fassung 
der  ersten  drei  Artikel  wieder.  In  der  Hauptsache  also 
haben  wir  nur  den  Bericht  über  angeblich  vereinbarte 
Artikel  vor  uns,  und  ganz  die  Form  der  Berichterstattung 
in  durchgehend  indirekter  Rede  tragen  die  übrigen  Re- 
daktionen an  sich,  einige  mit  der  viel  passenderen  Über- 
schritt ^Contenta  der  Conditionen,  auf  welche""  etc. 

Hiernach  hängt  der  Wert  des  Berichtes  von  seinen 
Quellen  ab.  Bei  der  Frage  nach  diesen  Quellen  sehen 
wir  uns  aber  vor  bloße  Möglichkeiten  gestellt  Der  Ver- 
fasser kann  eine  alle  diese  Bedingungen  umfassende  Ur- 
kunde, mag  man  sie  sich  nun  als  Vertragsurkunde  oder 
korrekter  in  der  Form  einer  kaiserlichen  Resolution  denken, 
vor  sich  gehabt  haben;  er  kann  auch  eine  Niederschrift 
der  in  den  Verhandlungen  zwischen  Wallenstein  und  den 
kaiserlichen  Bevollmächtigten ,  besonders  Eggenberg 
(13,  April),  gestellten    und  zugestandenen   Bedingungen 


^)  Angaben  über  Drucke  und  deren  Abweichungen  bei  Michael^ 
Wallensteins  Vertrag  mit  dem  Kaiser  im  Jahre  1632,   H,  Z,  Bd.  88. 

*)  Förster,  Briefe  Wallensteins  11,  206,  Der  Text  stimmt  mit 
der  ebenfalls  aus  handschriftlicher  Quelle  (erzbischöfliches  Archiv 
zu  Prag?)  stammenden  Wiedergabe  bei  Pelzel,  Geschichte  Böhmens 


Der  Untergang  Wallensteins. 


239 


exzerpiert  haben;  er  kann  aber  auch  seine  Angaben  auf 
bloßes  Hörensagen  zusammengestellt  haben.  Bei  dieser 
Lage  der  Überlieferung  ist  der  Weg  für  die  Forschung 
gewiesen:  sie  muß,  absehend  von  jener  Schrift,  die  vom 
Kaiser  seinem  Feldherrn  zugestandenen  Rechte  aus  an- 
deren und  sicherern  Quellen  zu  ermitteln  suchen  und  die 
hier  gewonnenen  Resultate  hinterher  mit  den  dort  über- 
lieferten Artikeln  vergleichen. 

Ausgehen  wird  man  hierbei  am  besten  von  der  Ana- 
logie der  bei  der  Übernahme  des  ersten  Generalats  aus- 
gestellten Urkunden.  Es  waren  dies  L  eine  am  27.  Juni  1625 
für  den  Feldherrn  ausgestellte  Instruktion;  2.  eine  erste 
sehr  kurze  Bestallung  vom  25.  Juli  1625;  3,  eine  ausführ- 
lichere Bestallungsurkunde  vom  2L  April  1628,  in  welcher 
mehrere  besonders  wichtige  Befugnisse  des  Generals  aus- 
drücklich aufgeführt  wurden.  Ziemlich  sicher  ist  es  nun^ 
daß  bei  Antritt  des  zweiten  Generalats  von  der  Erteilung 
einer  Instruktion  abgesehen  wurde  ^)  —  ein  erster  Hin- 
weis aui  die  freiere  Bewegung^  welche  dem  Feldherrn 
zustehen  sollte.  Wie  aber  steht  es  mit  der  Bestallungs- 
urkunde?  Für  den  ersten  und  vorläufigen  Antritt  der 
neuen  Würde  haben  wir  nur  einen  die  Übertragung  des 
Kommandos  anzeigenden  Erlaß  des  Kaisers  an  hohe 
Offiziere  und  Behörden  (15*  Dezember  1631)  2),  für  den 
definitiven  Antritt  haben  wir  nichts.  Wenn  wir  aber 
sehen,  wie  Wallenstein  bei  der  vorläufigen  Annahme  des 
Überbefehls  den  ihm  angetragenen  Titel  eines  General- 
Obersten-Feldhauptmanns  ablehnt»  unmittelbar  nach  der 
definitiven  Annahme  aber  dieser  Titel  ihm  amtlich  bei- 
gelegt wird  (16.  April  1632)='),  so  läßt  sich  doch  die  Ver- 
mutung nicht  abweisen,  daß  diese  Übertragung  des  hohen 
Titels  in   einer   Bestaltungsurkunde  erfolgt  ist,  und  daß 

')  Ausdrlicklich  verzichtet  der  Kaiser  darauf  bei  der  ersten 
Antragung  des  Generalats,  1631  Dezember  10.  (Dudik,  Waldstein 
S.  174/175,)   Gewiß  hat  er  diesen  Verzicht  nicht  zurückgenommen, 

»)  Dudik  S,  177. 

•)  In  dem  in  der  Urkunde  vom  25,  April  angeführten  Erlaß 
vom  16.  (Dudik  S.  443.)  Der  Titel  ^Generalissimus*',  den  Michael 
ihn  annehmen  läßt  (S,  404  f.),  ist,  so  oft  er  auch  gebraucht  wird, 
nicht  der  streng  amtliche. 

16* 


240 


Moriz  Ritter, 


sich  in  ihr  auch  eine  bestimmtere  Bezeichnung  der  dem 
Feldherrn  übertragenen  Vollmacht  gefunden  hat. 

Sehr  verbreitet  bei  Gesandten  und  bei  außerhalb  der 
kaiserlichen  Armee  stehenden  Generalen,  wie  Herzog 
Bernhard  von  Weimar,  ist  die  Annahme^  daß  nun  außer- 
dem eine  zwischen  dem  Kaiser  und  Wallenstein  verein- 
barte „Capitulation"  bestehe.  Was  aber  wissen  von  dieser 
die  am  tiefsten  im  Vertrauen  der  kaiserlichen  Regierung 
stehenden  spanischen  Gesandten?  Dem  Castaneda  gegen- 
über beruft  sich  der  kaiserliche  geheime  Rat  Trautmans- 
dorf  einmal  auf  das  über  bestimmte  Befugnisse  mit  Wallen- 
stein  Abgemachte  (lo  capiiiüadö),  Oftate  nimmt  das  Be- 
stehen einer  wirklichen  Kapitulation  (las  capUulQciönes) 
als  selbstverständlich  an  — ,  aber  gesehen  hat  er  sie  nicht, 
und  ihren  Inhalt  erschließt  er  lediglich  aus  den  tatsäch- 
lichen Vorgängen.^)  Bei  solcher  Unkenntnis  der  best- 
unterrichteten Zeugen  bleibt  auch  für  uns  nichts  anderes 
übrig,  als  die  Befugnisse  und  Rechte  Wallensteins,  wenig- 
stens die  wichtigsten,  aus  den  einzelnen  Vorgängen  und 
den  sie  begleitenden  Zeugnissen  zu  erschließen.  Ich 
unterscheide  dabei  die  militärischen,  die  finanziellen  und 
die  politischen  Vollmachten  und  Rechte, 

Die  oberste  Frage  in  bezug  auf  die  militärischen 
Vollmachten  Wallensteins  ist  die,  ob  ihm  bei  Anordnung 
der  Feldzüge,  der  großen  kriegerischen  Operationen  über- 
haupt, völlig  freie  Hand  gelassen  war  In  seinem  ersten 
Gencralat  war  dies  sicherlich  nicht  der  FalL  Damals  war 
es  bei  all  seiner  Eigenmächtigkeit  doch  unbestritten,  daß 
die  maßgebenden  Weisungen  wenigstens  formell,  gelegent- 
lich aber  auch  gegen  des  Feldherrn  Wille  ^),  vom  Kaiser 
ausgehen  mußten.     Wie  im  zweiten  Generalat  das  Ver- 


*)  Gindely,  Waldsteins  Vertrag  mit  dem  Kaiser.  Abhandlungen 
der  Böhmischen  GeseUschafl  d,  W.,  PhiL-hist.  Klasse  Vli  3  (1889), 
S«  28  Anm.,  S.  l^  Anm.  Man  darf  sich  durch  Gmdeiys  Erläute- 
rungen und  vielfach  ungenaue  Übersetzungen  nicht  irremachen 
lassen. 

■)  2.  B-  bei  dem  italienischen  Feldzug  im  Jahre  1629*  VgL 
meine  Deutsche  Geschichte  111,  419.  Vgl.  daselbst  S.  298.  299^ 
{Feldzug  von  1625),  S.  352.  361  {Feldzug  von  Ibtl). 


Der  Untergang  Wallensteins* 


241 


I 


hältnis  geregelt  war,  zeigt  sich  woh!  am  anschaulichsten 
in  einem  Vorgang  am  Ende  des  Jahres  1633,  In  drei 
Absätzen  suchte  damals  der  Kaiser  seinen  Feldherrn  zu 
einer  eingreifenden  Aktion  auf  dem  süddeutschen  Kriegs- 
schauplatz zu  bestimmen:  erst  zum  Zweck  des  Entsatzes 
von  fjegensburg,  dann,  nach  dem  Fat!  dieser  Stadt 
(14,  November),  zum  Angriff  des  gegen  Bayern  und  Ober- 
Österreich  vorgehenden  Herzogs  Bernhard  von  Weimar, 
endlich  als  Wallenstein  nach  dem  schwachen  Versuch 
eines  derartigen  Angriffes  au!  Fürth  zurückgewichen  war, 
zum  erneuten  Vormarsch  gegen  Bernhard.  Im  ersten 
Absatz  bedient  sich  der  Kaiser  nur  der  Form  des  Zu- 
redens: er  gibt  dem  General  ^an  die  Hand,  ob"  er  die 
des  näher  dargelegten  Maßregeln  ergreifen  „möchte"^); 
im  zweiten  Abschnitt,  und  zwar  am  3,  Dezember,  als  er 
von  dem  Rückzug  nach  Fürth  noch  nichts  wußte,  ändert 
sich  plötzlich  der  Ausdruck:  es  ist,  heißt  es,  mein  ernst- 
licher kategorischer  Befehl^);  und  diese  Änderung  kehrt 
auch  im  dritten  Abschnitt  wieder:  es  ist  meine  endliche 
Resolution,  dabei  ich  gänzlich  verbleibe.^)  Was  bedeutet 
nun  dieser  Wechsel  im  Ausdruck?  Wir  erfahren  es  aus 
einem  wenige  Wochen  nachher  abgestatteten  Gutachten 
eines  kaiserlichen  Kriegsrats:  es  war,  heißt  es  hier,  das 
erste  Mal,  daß  der  Kaiser  sich  entschloß,  dem  General 
einen   unbedingten  Befehl  zu  erteilen,^)    Auf  das  Recht 


')  1633  Oktober  28  {Hailwich  11,  Nn  829  S.  41),  Vgl,  Nov,  ii 
stellt  „die  Sach  zu  deroselben  vernünftigen  Disposition*.  (Nn  844 
S.  53,)  November  6:  ist  „versichert**,  daß  Wallenstein  die  nötigen 
Mittel  ergreifen  wird,  (Nr.  843  S,  56.)  November  9:  „des  unfehl- 
baren Ziiv  er  Sehens,"  „Erwarte  *  *  *  unverlangte  Anordnung*"  (Nr,  859 
S*  63,  64.)    Weiter  Nr-  872,  886* 

»)  Hallwich  II,  Nr.  1210  S.  389*  Als  Befehl  bezeichnet  der 
Kaiser  dem  Kurfürsten  Maximilian  (Nr,  1203  S.  381)  auch  schon 
das  Schreiben  an  Wallenstein  vom  19*  November,  aber  dem  ent- 
spricht nicht  der  Wortlaut  (Nr*  902  S.  104)* 

■)  Hallwich  IT,  Nr*  966  S*  156* 

*)  V.  Aretin,  Wallenstein,  S*  94*  Bezieht  sich  unmittelbar  auf 
den  im  dritten  Stadium  erteilten  Befehl,  (Nach  dem  Bericht  des 
bayerischen  Gesandten  Richel  —  Jacob,  Von  Lützen  nach  Nörd- 
lingen  S»35*  —  hätte  sich  der  Kaiser  schon  in  der  Instruktion 
für  Schlick  an  Wallenstein  vom  10*  August  der  Worte  „endlicher 


Moriz  Ritter, 


des  Kaisers  zu  derartigen  Belehlen  lallt  weder  hier,  noch 
in  der  sonstigen  Korrespondenz  zwischen  Wallenstein  und 
dem  kaiserlichen  Hof  auch  nur  der  Schatten  eines  Zweifels; 
aber  der  Ausübung  dieses  Rechtes  hatte  sich  der  Kaiser 
für  den  gewöhnlichen  Lauf  der  Dinge  freiwillig  begeben. 
Eine  solche  freiwillige  Einräumung  widerstrebt  der  bin- 
denden  Formulierung  in  einer  Kapitulation  oder  Bestallung; 
kaum  abweisbar  ist  aber  die  Vermutung,  daß  der  Kaiser 
in  freierer  Form,  sei  es  schriftlich,  sei  es  mündlich,  sei 
es  persönlich,  sei  es  durch  Eggenberg,  dem  Feldherrn 
eine  dahingehende  Zusicherung  gegeben  hat.^) 

Bei  dieser  Zurückhaltung  des  Kaisers  verstand  es 
sich  vollends  von  selbst^  daß  er  sich  direkter  Befehle  an 
Wallensteins  Unterführer  enthielt.  Erst  im  Spätjahr  1633, 
als  der  Bruch  zwischen  dem  Kaiser  und  dem  Feldherrn 
herannahte^  erfolgten  mehrfach  solche  Befehle  „von  Hof 
aus"  —  an  Ossa,  Aldringen  und  Suys  —  wurden  aber  auch 
dann  noch  als  außerordentliche  mit  außerordentlichen 
Umständen  entschuldigt^) 


Will  und  Bevelh'*  bedient  Aber  im  Text  der  [nstruktion  stehen, 
wie  Jacob  ricbtig  bemerkt,  die  Worte  nicht*) 

^)  Man  kann  eine  solche  Zusicherung  schon  in  den  Worten 
finden,  mit  denen  der  Kaiser  am  10.  Dezember  1631  auf  die  Aus- 
stellung einer  besonderen  Instruktion  (s,  o,  S.239  Anm,  1)  verzichtet. 
Eme  Bestätigung  dieses  Verzichtes  ist  es,  wenn  er  am  28.  Mai 
1632  schreibt:  „also  tue  ich  auch  in  das  künftige  e.  L.  alles... 
heimbstellen.*  (Förster  II,  Nr.  357  S.  21^.  Vgl  das  ähnliche 
Schreiben  Werdenbergs  vom  Juni  A.  a.  O.  Nr,  360  S.  228.)  —  In 
der  PubUkation  Kallwichs  läßt  es  sieh  leicht  verfolgen,  wie  der 
Kaiser  bis  in  den  Herbst  1633  seine  Willensäußerungen  in  die 
Form  des  Vorschlags  und  der  Anfrage,  der  Mahnung  und  „Er- 
innerung" faßte.  Vgl.  über  diesen  ^Stilus*  Richelj  1634  Februar  8. 
(Irmer  111,  Nr.  434  S,  244.) 

')  An  Ossa  empfiehlt  Wallenstein  selber  direkten  Befehl  vom 
kaiserl.  Hof,  da  er  nicht  weiß,  wo  er  ist  (1633  Juli  27.  Hallwich 
1,  Nr*  566  S*  472).  —  Die  Abhängigkeit  Atdringens  von  ihm  wurde 
in  ähnlichem  Sinne  gelockert,  da  er  (Wallenstein)  selber  am 
8.  August  das  Ob  und  Wie  der  Unternehmungen  zum  Entsätze 
Breisachs  demselben  anheimgestellt  hatte  (Hallwich  I,  Nr,  601 
S*  501),  da  ferner  nach  des  Kaisers  und  des  Kurfürsten  Maximilian 
Auffassung  (Hallwich  II,  Nr.  1134  S.305;  1,  Nr.  666  S.  559)  Wallen- 
&tem  den  Aldringen  endlich  (Ende  August)  von  seinem  an  Maxi- 


Der  Untergang  WaUensteins. 


243 


Als  Ergebnis  wird  man  also  festhalten  dürfen,  daß 
Wallenstein  in  der  Kriegiührung,  solange  er  das  Vertrauen 
des  Kaisers  genoß,  selbstherrlich  schalten  durfte.  Hieran 
schließt  sich  nun  die  zweite  Frage,  ob  der  Umlang  seines 
Kommandos  auf  die  kaiserlichen  Truppen  beschränkt  war, 
oder  sich  weiter  erstreckte.    Wendet  man  sich  mit  dieser 


mllians  OberbefeHl  gewiesen  hatte,  eine  AuHassung,  die  alsbald 
von  Wallenstein  bestatten  (a,  a.  O.  Nr,  688),  vom  Kaiser  und  Maxi- 
milian aber  festgehalten  wurde  (11,  Nr  Ii5l  S>319;  Nn  1152  S,323 
bis  325;  Nr»  1179  S,  352)»  Demgemäß  ergingen,  und  zwar  zu- 
nächst von  Seiten  des  Kaisera  am  29.  August  und  3.  September 
(Nr*  1133,  1139),  die  Weisungen  an  Aldringen,  welche  dessen 
Verbindung  mit  der  Armee  Feriaa  im  Widerspruch  mit  den  dieser 
Verbindung  widerstrebenden  Absichten  Wallensteins  —  vgl  dessen 
Schreiben  vom  L  August  (Nn  584),  5,  September  (Nr.  652),  20.  Sep- 
tember (Nr.  691)  "  zur  Folge  hatten.  (Hinsichtlich  der  Tragweite 
der  angeführten  kaiserlichen  Weisungen  bemerke  ich  gegen  Jacob 
(Von  Lützen  bis  Nördlingen  S.9I  Z.  (OL,  S.  93  Z,  10],  daß  sie  nicht 
nur  von  der  ^Abgabe  einzelner  Abteiiungen*'  reden^  sondern  auch 
dem  Aldringen,  als  Führer  seiner  ganzen  Armee,  empfehlen,  sich 
Ferias  Armee  »etwas  nahender"  zu  legen  und  ihr  gegen  den  zu 
erwartenden  Anzug  Horns  und  Bernhards  ,,beste  Assistenz*"  zu 
leisten,  wodurch  denn  Aldringen  zu  der  ohnehin  schon  von  ihm 
geplanten  Verbindung  mit  Ferias  Armee  autorisiert  wurde.)  Weitere 
und  genauere  Befehle  an  Aldringen  zu  richten,  überließ  dann  der 
Kaiser  dem  Kurfürsten  Maximilian  (vgl*  Jacob  S,  47*  Anm,  123 
a*  E.),  mit  dem  sich  Aldringen  (Nr.  M57  S,  330/331)  denn  auch 
definitiv  über  die  Verbindung  mit]  Feria  verständigte.  —  Beispiele 
weiterer  direkter  kaiserlicher  Befehle  an  Aldringen:  Hallwich  l, 
Nr.  732  S.  607  mit  II,  Nr.  822  S.  36;  Nr.  1196  S.  373.  Die  deshalb 
von  Wallenstein  erhobenen  Beschwerden  wies  der  Kaiser  mit 
der  Bemerkung  zurück  ^  daß  er  ihm  von  den  Anordnungen 
„alzeit  Parte  gegeben«  habe,  (Förster  \U,  Nr.  392  S.  97.)  —  Der 
vom  Kaiser  am  9.  Dezember  dem  Oberst  Suys  erteilte  direkte 
Befehl  (Hallwich  11,  Nr.  1216  S.  394)  wird  von  ersterem  sofort 
dem  Wallenstein  berichtet  als  „Eventualbefelch  ...  bis  auf  e.  L. 
negsthienach  volgende  Ordinanz*.  (Nr.  966  S*  156.)  Die  scharfe 
Erneuerung  dieses  Befehls  am  14.  Dezember  (Gindely,  Wallen- 
steins Vertrag,  Abhandlungen  der  Böhm.  Gesellschaft  d.  W* 
VH  3,  S.  30  Anm.)  gehört  bereits  in  das  Stadium  des  wirklichen 
Bruches  zwischen  dem  Kaiser  und  Wallenstein.  —  Auch  an  Callas 
sendet  der  Kaiser  am  1 1.  November  einen  direkten  Befehl,  aber 
auch  nur,  weil  ^summum  penculum  in  mora*  ist,  und  er  auf  den 
gleichen  Befehl  WaUensteinSf  dem  er  sofort  berichtet,  rechnet. 
(Nr.  872  S,SU) 


244 


Moriz  RitteTj 


Frage  an  die  angeblich  unterrichteten  Zeitgenossen,  so 
erhält  man  drei  verschiedene  Antworten  zur  Auswahl, 
Der  kaiserliche  Minister  Graf  Trautmansdorf,  als  er  die 
Ablehnung  der  Aufstellung  einer  selbständigen  spanischen 
Armee  auf  deutschem  Boden  zu  entschuldigen  hatte,  be- 
hauptete: durch  das  Abkommen  Wallensteins  mit  dem 
Kaiser  sei  ersterem  der  Oberbelehl  über  alle  und  jede 
im  Reich  für  den  Kaiser  kämpfenden  Heere  verbürgt^), 
also  gleichmäßig  über  die  Streitkräfte  des  Kaisers,  der 
Liga,  undj  wenn  sie  sich  einfanden^  des  Königs  von 
Spanien.  Der  toskanische  Gesandte  Sacchetti,  indem  er 
die  spanischen  Truppen  freiläßt,  erstreckt  Wallensteins 
Oberbefehl  über  das  Ligaheer  ^);  der  Verfasser  der  zwischen 
Wallenstein  und  dem  Kaiser  vereinbarten  Artikel  läßt  da- 


^)  Gindely,  Abhandlungen  der  Böhm*  Gesellschaft  d.  W.  VH  3, 
S,  2S  Anm. 

»)  Michael  a,  a.  O.  S,  403  Anm,  2 :  ^ gener älissimo  deW  arme  j 
imperiale  e  cat  tolle  he  in  Altmagna.  —  Michael  findet  es  „offen- 
bar^; daß,  weil  der  König  von  Spanien  den  Beinamen  des  katho* 
lisch  en  führt,  unter  arme  cat  Micke  die  spanischen  Truppen  zu 
verstehen  seien.  Aber  ist  es  denn  auch  offenbar,  daß  man  fran- 
zösische Truppen  kurzweg  als  arme  crlstlanissime  bezeichnen  darf  ? 
Soweit  ich  sehe,  braucht  man  die  fragliche  Bezeichnung,  wenn  man 
im  ausdrücklichen  oder  stillschweigenden  Gegensatz  gegen  die 
Truppen  protestantischer  Mächte  die  Streitkräfte  einer  Verbindung 
katholischer  Mächte  bezeichnen  will.  So  sagt  Schlick  in  einem 
über  die  Aufstellung  eines  kaiserlich-spanisch-li^istischen  Heeres 
handelnden  Gutachten  (Mitteilungen  des  k,  k.  Kriegsarchivs  1882, 
S.  203):  es  könne  dadurch  den  „katholischen  Waffen  im*.,  Reich* 
aufgeholfen  werden.  Er  braucht  das  Wort  also  für  die  Streit- 
kräfte^  bzw,  die  Kriegführung  einer  katholischen  Koalition*  So 
schreibt  S.Julian  am  23*  April  1631  vom  kaiserlichen  Hof:  si  ha* 
verä  rlcorso  alll  alutl  del  ri  catolico,  et  sl  farä  *  *  *la  congluntlone 
detV  arml  Cesaree  ei  catolUhe,  (Dudik,  Waldstein  S*  74.)  Unter 
letzteren  Worten  (nicht  zu  identifizieren  mit  dem  vorausgehenden 
Satzteil)  ist  die  damals  sich  vollziehende  Verbindung  der  kaiser- 
lichen und  ligistischen  Truppen  vor  Magdeburg  zu  verstehen, 
(Vgl  z,  B,  Pappenheims  Schreiben  vom  22.  ApriL  S*  70  Z.  12  v*  u*) 
Arme  catollche  bedeutet  also  hier  das  Heer  der  Liga*  Daß  auch 
Sacchetti  das  Wort  gerade  in  dieser  Bedeutung  braucht,  lehrt 
der  Zusatz  In  Alemagna:  die  in  Deutschland  befindlichen 
Ligatruppen,  nicht  die  spater  einmal  imcli  Deutschland  ein- 
rückenden spanischen  Streitkräfte. 


Der  Untergang  Wallenstelns. 


245 


gegen  die  Liga  frei  und  ordnet  die  spanischen  Truppen 
dem  Kommando  Wallensteins,  indem  er  ihn  zum  Gene- 
ralissimus Österreichs  und  Spaniens  macht,  unter.  Bei 
solchen  Widersprüchen  kann  man  nur  abermals  den  Schluß 
ziehen,  daß  über  die  geheim  gehaltenen  Abmachungen 
zwischen  dem  Kaiser  und  Wallenstein  nicht  die  Aussagen 
Iremder  Gesandten ^  oft  nicht  einmal  die  Erklärungen 
kaiserlicher  Räte,  sondern  nur  die  auf  den  Abmachungen 
gegründeten  Vorgange  sicheren  Aufschluß  gewähren 
können. 

Ohne  weiteres  scheidet  nun  bei  diesem  Gang  der  Unter- 
suchung die  Armee  der  Liga  aus;  denn  daß  sie  unter  dem 
Oberbefehl  des  Kurfürsten  Maximilian  sich  belandj  und  daß 
Maximilian  neben  Wallenstein  als  verbündeter,  nicht  aber 
als  ihm  untergeordneter  Feldherr  dastand,  bedarf  doch 
keines  besonderen  Beweises.  Wohl  entstand  zwischen 
beiden  Heerführern  im  Jahr  1633  ein  scharter  Streit  über 
die  Stellung  von  Wallensteins  Untergeneral  Aldringen, 
welcher  dem  oberländischen  Ligaheer  kaiserliche  Hilfs- 
truppen  zugeführt  hatte,  und  dann  zugleich  das  Kom- 
mando über  dieses  Ligaheer  empfing;  aber  zur  Beurtei- 
lung dieses  Streites  muß  man  zweierlei  festhalten:  L  daß 
Aldringen  das  letztere  Kommando  erhielt,  lag  nicht  an 
einem  Rechte  Wallensteins,  sondern  an  dem  Verlangen 
Maximilians,  der  über  andere  für  diese  Stelle  brauchbare 
Offiziere  nicht  zu  verfügen  erklärte.^)  2.  Der  Kern  des 
Streites,  nämlich  der  Anspruch  Maximilians,  daß  Aldringen 
auch  in  seiner  Stellung  als  Führer  der  kaiserlichen  Hilis- 
truppen  ihm  als  oberstem  Feldherrn  unterstellt  werde 2), 
ebenso  wie  ein  zur  kaiserlichen  Armee  gesandtes  Ügisti- 
sches  Hilfskorps  sich  dem  Oberbefehl  Wallensteins  fügen 
müsse,  zeigt  mit  voller  Deutlichkeit,  daß  der  Kurfürst  den 


*)  Instruküon  für  Ruep^  1632  Dezember  26.    (Aretin,  Bayerns 

ausw*  Verhältnisse.    Anh.  S.  306/307.) 

■)  Er  konnte  sich  darauf  berufen,  daß  auch  im  Jahre  1632 
Aldringen  zwar  die  kaiserlichen  Truppen  im  Reich  (genauer  in 
Oberdeutscbland)  kommandierte,  aber  ^mit  dem  Respect**  auf  Tilly 
verwiesen  war,  d.  h.  eeinem  Oberkommando  unterstellt.  (Dudik 
S.  390.) 


246 


Moriz  Ritter^ 


gleichen  Rang  neben  dem  kaiserlichen  Fetdherrn  in  An- 
spruch nahm.  Ernsthalt  ist  somit  nur  die  eine  Frage  zu 
prüfen,  ob  für  den  Kaiser  die  Zulassung  eines  spanischen 
Hilisheeres  auf  deutschem  Boden  an  die  Bedingung  ge- 
knüpft war,  daß  es  sich  Wallensteins  Kommando  unter- 
werie. 

Auch  diese  Frage  ist  zu  verneinen*  Gerade  in  der 
Zeit,  da  der  Kaiser  mit  Wallenstein  über  die  definitive 
Annahme  der  Feldherrnwürde  verhandelte,  stand  er  mit 
Spanien  in  einer  doppelten  Unterhandlung:  über  ein 
großes  zwischen  ihm  und  Philipp  IV,  zu  schließendes 
und  auf  andere  katholische  Fürsten  und  Mächte  auszu- 
dehnendes Kriegsbündnis  ^),  sodann  über  ein  den  Fort- 
schritten der  Schweden  in  den  rheinischen  und  pfälzi- 
schen Gebieten  von  den  spanischen  Niederlanden  her 
entgegentretendes  Hilfsheer.  Nur  über  den  letzteren  Vor- 
schlag wurde  man  einig,  am  30,  März  1632  konnte 
Questenberg  dem  kaiserlichen  Feldherrn  den  mit  dem 
spanischen  Gesandten  „geschehenen  Abschluß**  betr. 
Zuzug  spanischer  Truppen  unter  Gonzalo  de  Corduba 
melden,^)  Corduba  nahm  dann  auch  sein  Hauptquartier 
in  Trier  und  ließ  seine  Streitkräfte  im  Süden  bis  nach] 
Speier,  im  Osten  bis  nach  Koblenz  operieren,  um  indes 
nach  geringen  Erfolgen  schon  im  Juni  mit  seiner  Haupt- 
macht zum  Entsätze  Mastrichts  zurückzugehen. 

Die  hier  in  Betracht  kommende  Frage  nun,  ob  von 
einer  Unterordnung  Cordubas  unter  Wallenstein  die  Rede 
sein  kann,  wird  von  letzterem  selber  entschieden,  da  er 
später  darüber  klagt:  Corduba  habe  seine  Kriegführung 
mit  dem  Namen   des  Kaisers  gedeckt,   in  Wahrheit  aber 


*)  Dieses  Bündnis,  dessen  Entwurf  Im  Theatrum  Europaeum 
n,  S,  537  gedruckt  ist,  gilt  als  abgeschlossen.  Aber  Philipp  IV. 
schreibt  darüber  an  Isabella,  1632  Mai  12:  die  Liga  ist  desavanta- 
Jada  a  mis  conveniencias  und  conctmda  sin  poder  y  arden  mia, 
(Brüsseler  Archiv,  Secr^tairerie  d'^tai  eic.  Nr,  205.)  Er  stellt  daniti 
Gegenforderungen,  über  die  keine  Einigung  erfolgt  ist.  In  dem 
Entwurf  der  Akte  heißt  es  freilich:  der  Kaiser  bzw»  sein  Stellver- 
treter soll  director  de  lüs  exercUos  ..,  tn  AUmaha  sein, 

')  Dudik  S.  463  Anm,  3, 


\ 


Der  Untergang  WaMen&teine. 


247 


sich  um  den  Kaiser  wenig  gekümmert^)  Also  kein  Wort 
von  einer  Pflicht,  sich  um  Wallenstein  zu  kümmern.  Mit 
vollem  Recht  konnte  darum  auch  der  spanische  Gesandte 
die  oben  angeführte  Behauptung  Trautmansdorfs  mit  dem 
Hinweis  aul  die  Selbständigkeit  Cordubas  widerlegen.'-^) 
Und  stand  die  Rechtsfrage  etwa  anders,  als  es  sich  im 
Jahre  1633  darum  handelte,  ein  spanisches  Heer  unter 
dem  Kommando  des  Mailänder  Statthalters,  des  Herzogs 
von  Feria,  nach  Deutschland  zu  senden?  Bei  der  Wichtig- 
keit dieses  Vorgangs  für  das  Geschick  Wallensteins  ist 
es  erforderlich,  ihn  etwas  schärfer  ins  Auge  zu  fassen. 
Unausgesetzt  verfolgte  Spanien  seit  dem  Jahr  1625 
den  Gedanken^  die  beiden  Kriege,  welche  Kaiser  und 
Liga  gegen  ihre  protestantischen  Gegner  in  Deutschland^ 
die  Spanier  gegen  die  Generalstaaten  in  den  Nieder- 
landen führten,  in  einen  einzigen  zu  verschmelzen  und 
mit  den  geeinten  Kräften  eines  kaiserlich-spanisch-ligisti- 
sehen  Bündnisses  durchkämpfen  zu  lassen.  Es  war  da- 
bei Wallenstein  gelungen,  das  Vertrauen  der  spanischen 
Regierung,  daß  er  diese  Pläne  begünstige,  sich  bereits 
in  seinem  ersten  Generalat  zu  erwerben^)  und  im  Beginn 
des  zweiten  zu  erhalten.  An  Wallenstein  wandte  sich 
daher  auch  Philipp  IV.,  als  er  im  Oktober  1632  auf  Grund 
dieser  alten  Bestrebungen  mit  neuen  kriegerischen  Vor- 
schlägen umging.*)  Der  Grundgedanke  derselben  war, 
ein  deutsches  Heer  gegen  die  holländische  Provinz  Fries- 
land zu  werfen.  Um  ein  solches  Heer  neu  zu  bilden, 
könne  man  sich,  meinte  er,  der  Streitkräfte  bedienen, 
mit  denen  Pappenheim^)  in  Niederdeutschland  operierte, 
einfacher  jedoch  erschien  es  ihm,  daß  Wallenstein  —  frei- 


*)  Caötaneda,  1633  Juli  11.    (Gindely  a*  a.  0*  S,  26  Anm.  2,) 

»)  Castaneda,  1633  Mai  25.    (a.  a.  O.  S.  25.) 

*)  Vgl  meine  Deutsche  Geschichte  lll,  328  i,  354,  376  U 
4 IS,  455. 

*)  Philipp  IV.,  Instruktion  für  OUavio  VÜIam  an  Wallenstein, 
1632  Oktober  10,  (Brüsseler  Archiv,  Secrüalrerie  d'ätat  et  de  guerre 
Nr,  205.) 

*)  Über  denselben  wird  bei  dieser  Gelegenheit  bemerkt:  für 
Zahlung  von  monatlich  80000   Escudos   auf    18000  Mann   z.  F., 


24S 


Moriz  Ritter, 


lieh  unter  der  wundersamen  Voraussetzung,  daß  er  vor- 
her noch  mit  Gustav  Adolf  iertig  werden  konnte^)  — 
das  Unternehmen  selber  mit  einer  von  ihm  bereit  zu 
steilenden  Armee  von  40000  Mann  zu  Fuß  und  6000  zu 
Pferd  durchführe,  wofür  ihm  ein  Zuschuß  von  100000  bis 
300000  Escudos  gewährt,  und  Friesland,  wenn  erobert, 
unter  der  Bedingung  eines  ewigen  Bündnisses  mit  Spa- 
nien geschenkt^)  werden  sollte. 

Noch  schwebten  diese  Projekte,  als  im  Winter  1632 
auf  33  der  Herzog  von  Feria  mit  einem  neuen  Vorschlag 
an  die  Regierung  Philipps  IV*  herantrat.  Nicht  Friesland 
erschien  in  seinen  Vorstellungen  als  das  für  eine  neu 
ins  Feld  zu  stellende  Armee  geeignete  Operationsgebiet, 
sondern  das  Oberelsaß  und  die  Franche  Comt^:  von 
hier  aus  habe  die  Armee  den  Kaiserlichen,  wie  dem  Herzog 
von  Lothringen  die  Hand  zu  bieten  und  sich  ebensowohl 
gegen  die  in  Oberdeutschland  stehenden  Schweden,  wie 
das  immer  drohender  sich  erhebende  Frankreich  zu  wen- 
den,^)   Frankreich,  nicht  die  Generalstaaten,  erschien  hier- 


6000  PL  und  20  Geschütze  habe  er  sich  abandanado  totalmenU 
(an  Spanien),  sei  zum  Entsatz  Mastrichts  gezogen  und  perdid  el 
puesio  ds  teniente  gen  erat  (?)  de  la  Liga, 

^)  /-fapiendase  desembarazado  del  rey  de  Saecta^  coma  se 
espera.    (PhiUpp  IV*  an  Isabetia,  November  2.) 

')  £e  har/  donaclon  delia  con  Hga  perpetua,  Dte  gelegent- 
lich gebrauchte  Bezeichnung  Frlsa  oriental  ist  gemeint  im  Gegen- 
satz gegen  das  zur  Provinz  Holland  gehörige  Quartier  West- 
friesland. 

*)  IsabeUa  an  Philipp  IV.,  1633  April  20  (Brüsseler  Archiv 
a.a*0,  Nr.  206):  der  aus  Hauen  zurückkehrende  marques  de  Zelada 
habe  berichtet  über  la  proposiclün  que  el  duqae  de  Feria  ha 
hecha  en  rafon  desto  a  v.  M,  Mit  dem  rapon  desto  wird  zurück- 
gewiesen auf  die  vorausgehenden  Satze  folgenden  Inhalts :  ßefehl 
des  Königs  an  Aytona^  dem  Feria  300000  Escudos  zu  überweisen 
(proveer)^  y  que  procure  que  en  ia  Älsacia  o  Borgoha  se  forme 
un  exercitOj  que  vaya  recibiendo  las  trapas  que  se  le  pudieren 
juntar  de  los  Espahoks  y  Italianos  que  han  de  yr  con  el  Inf  ante 
don  Ftrnando .  .,  y  äisponga  el  ser  asistido  tambien  de  las  trapas 
äel  emperador  que  se  hallaren  mas  cerca^  pues  la  causa  es  una.  — 
Weiter  unten  bemerkt  Isabella:  lege  sich  jenes  Heer  In  die  Nähe 
(apecinanda  por  ia  parte)  des  Rheins  und  Lothringens  und  wirke 


Der  Untergang  WaUenstems. 


249 


r 


bei  als  der  vor  allem  zu  treffende  Feind:  denn,  so  schrieb 
Philipp  IV,  am  10.  Februar  1633  seinem  Gesandten  am 
Kaiserhofj  Castaneda,  es  scheint  gewiß,  daß  der  franzö- 
sische König,  dieses  Jahr  mit  mir  um  Flanderns  willen 
brechen  wird,^)  Um  nun  ein  diesen  Zwecken  dienendes 
Heer  zustande  zu  bringen,  griff  Feria  auf  einen  schon 
seit  dem  7.  April  1631  schwebenden  Plan  zurück.  Damals 
nämlich  hatte  Philipp  IV,  seinen  Bruder,  den  Kardina) 
Infanten  Ferdinand,  zum  Beisteher  und  künftigen  Nach- 
folger der  Brüsseler  Regenfin  Isabella  bestimmt^);  dann, 
im  Spätherbst  1632,  war  man  ernstlich  an  die  Vorberei- 
tungen des  Zugs  dieses  Prinzen  nach  den  Niederlanden 
herangegangen,  und  endlich,  am  9.  April  1633,  wurde 
die  erste  Etappe  der  Reise  mit  der  Fahrt  von  Barcelona 
nach  Genua  und  weiter  nach  Mailand  angetreten.  Die 
Absicht  —  deren  Verwirklichung  hinterher  freilich  bis 
zum  Juni  1634  verzögert  wurde  —  war,  daß  der  Kardinal 
Infant  von  da  seinen  weiteren  Zug  durch  Tirol,  das  Elsaß 
und  rheinabwärts  nehmen  sollte.  Wie  er  aber  diesen  Weg 
nicht  ohne  das  Geleit  eines  schlaglertigen  Heeres  betreten 
konnte,  so  dachte  man,  die  erforderlichen  Streitkräfte  teils 
aus  Regimentern,  die  von  Mailand  her  mitzunehmen  waren, 
teils  aus  Truppen,  um  deren  Zuordnung  sich  Philipp  IV, 
mit  einem  Gesuch  an  den  Kaiser  und  an  Wallenstein 
wandte,  zusammenzusetzen. 

Hierauf  nun  gründete  Feria  seine  Rechnung;  die 
Armee,  welche  den  Infanten  durchs  Elsaß  zu  geleiten 
hatte,   sollte  den  Vorwand  abgeben   für  die  Armee,  die 


man  {obrase)  gleichzeitig  von  den  spanischen  Niederlanden  aus 
{de  aca%  so  ließen  sich  fürs  laufende  Jahr  esperar  lucidos  effectos 
conUa  las  enemigos  y  rebeldes  de  v.  M.  —  Die  Sendung  der  spa- 
nischen Truppen  nach  dem  Elsaß  will  die  Infantin  beschleunigt 
sehen:  Feria  (also  erst  recht  der  Kardinal  Infant)  müsse  esperar 
la  gente  que  i\  M.  sehala  en  dlcho  despacho ;  unverzüglich  aber 
möge  der  König  aus  Mailand  savar  la  mas  vieya  gente  que  pudiere, 

*)  R&mperä  con  migo  este  ahü  par  Fla  fr  des.  (Brüsseler  Archiv 
Nr.  206.) 

')  Die  Daten  bei  Lonchay,  La  rivalit/  de  la  France  et  de 
VEspagne  1635—1700  (Brüssel  1896)  S- 27  f.  Hurter,  Wallensteins 
vier  letzte  Lebensjahre  S.  199* 


250 


Moriz  Rittcft 


im  Elsaß  aufzustellen  war  Und  wie  er  nun  diese  Vor- 
schläge in  Madrid  verfocht,  gleichzeitig  auch,  nämlich  zu 
Antang  des  Jahres  1633,  sowohl  der  Kaiserp  wie  Wallen- 
stein  die  erbetene  Zusage,  den  Durchzug  des  Infanten 
durch  Zuordnung  von  Truppen  zu  unterstützen,  bereit- 
willig erteilten*),  zögerte  Philipp  IV*  nicht,  den  Anträgen 
des  Herzogs  seine  Zustimmung  zu  geben,  worauf  denn 
der  Plan  seine  leste  Gestalt  gewann.  Ohne  den  Aut- 
bruch des  Infanten,  der  durch  verschiedene  Hindernisse, 
schließlich  noch  durch  Erkrankung  verzögert  wurde,  ab- 
zuwarten, sollte  alsbald  mit  der  Aufstellung  von  20000 
Mann  z,  F,  und  4000  z.  Pf,  vorgegangen  werden.  Zum 
General  derselben  wurde  Feria  in  aller  Form  ernannt^), 
und  ihre  Aufgabe  wurde,  entsprechend  den  verschieden- 
artigen Zwecken,  die  man  vermischt  hatte,  doppelsinnig 
bestimmt:  einerseits  sollten  sie  fortziehen  zum  Geleit  des 
Kardinal  Infanten,  anderseits  sollten  sie  bleiben^),  um 
gegenüber  den  entgegengesetzten  Anstrengungen  der 
Franzosen*)  die  Verteidigung  des  Elsaß  und  der  Franche 
Comt^,  Schwabens  und  Frankens  auf  sich  zu  nehmen^), 
dem  Herzog  von  Lothringen  beizustehen  und  den  Kur- 
fürsten von  Bayern  und  Köln  Vertrauen  einzuflößen,  ja®) 
auch  Tirol  zu  sichern  und,  wenn  nötig,  selbst  Italien  zu 
Hilfe  zu  kommen.    Vom  Kaiser  erwartete  man  eine  drei- 


')  Die  kaiserliche  Zusage  erreichte  den  Infanten  noch  vor 
seiner  Abreise  von  Barcelona  {Hallwich  1,  Nr»  494);  Wallenstem 
erließ  die  seiner  Zusage  entsprechenden  Anordnungen  an  Aldringen 
am  2.  Februar  (a.  a,  0.  Nr.  108  S*  89).  Als  Überbringer  des  spa- 
nischen Gesuchs  war  beim  Kaiser  und  bei  Wallenstein  Ottavlo 
Vitlani,  Mailänder  Regentschaftsrat^  erschienen. 

')  Me  ha  (s.  M.)  nambradü  par  generalf  schreibt  Feria  am 
12.  Mai.    (Hallwich  I,  Nr,  397  S*  33L) 

°)  Das  Folgende  nach  Castanedas  schriftlicher  Eingabe  an 
den  Kaiser,  1633  Mai  25.  (Brüsseler  Archiv  Nr.  314.  Auszug  bei 
Hallwich  I,  Nr;  434  S.  377.) 

*)  Bestimmter  noch  gibt  Ferdinand  IL  den  Passus  wieder: 
,zu  Htndertreibung  der  französischen  Dissegni  gegen  des  Reichs 
Boden/     (Hallwich  i,  Nr.  451  S.  372.) 

*)  T&mar  por  su  cuenta. 

*)  Dies  in  Castanedas  Schreiben  an  Olivares,  Mai  25  (a.  a.  O.), 
(Ebenso  Hallwich  1,  Nr.  305  S.  255.) 


Der  Untergang  WaUensteins. 


:^i 


lache  Unterstützung:  Gestattung  der  Aufstellung  der 
Armee  aui  des  Reichs  Boden,  Erlaubnis  von  Werbungen 
und  Musterungen  im  Reich  und  vor  allem  Stellung  eines 
Teils  der  für  die  Bildung  des  Heeres  nötigen  Truppen 
aus  der  kaiserlichen  Armee.  Endlich  fügte  man  noch  das 
Ansinnen  hinzu,  daß  Aldnngen  mit  den  ihm  unterstellten 
kaiserlichen  Streitkräften  zur  Verbindung  mit  Feria  und 
zur  Unterstellung  unter  dessen  Oberbefehl^)  angewiesen 
werde. 

Am  ]J.  April  1633  übersandte  Philipp  IV.  seinem 
Gesandten  am  kaiserlichen  Hof  die  diesen  Plänen  und 
Anträgen  entsprechenden  Weisungen  ^)>  und  am  25,  Mai 
entledigte  sich  Castafieda  seines  Auftrags  mit  Eingabe 
einer  schriftlichen  Werbung.^)  Welche  Stellung  wurde 
nun  dem  kaiserlichen  Feldhauptmann  bei  diesem  Unter- 
nehmen zuerkannt?  Nicht  zu  verkennen  ist,  daß  er  so- 
wohl von  Philipp  IV.,  wie  von  Ferdinand  II.  fast  als  eine 
ebenbürtige  Macht  behandelt  wurde.  Der  spanische  König 
empfahl  ihm  das  Projekt  durch  ein  besonderes  an  ihn 
gerichtetes  Schreiben*),  und  der  Kaiser  wollte  auf  Casta- 
nedas  Werbung  nichts  beschließen,  ohne  Wallenstein  vor- 
her befragt  zu  haben.    Aber  es  fragt  sich,  ob  diese  Rück- 

*)  Sigaiendö  las  (ordenes)  que  el  dtgque  de  Feria  le  diere, 

')  Castaneda  bemerkt  (an  Phlüpp  IV,,  Juni  13),  daß  das 
Schreiben  an  ßruneau  adressLert  gewesen  seii  da  man  ungewiß 
gewesen  sei,  ob  er  selber  am  kaiserlichen  Hofe  angelangt  sei.  — 
Ist  Castaneda  der  damals  in  Innsbruck  mit  den  für  F^ria  anzu- 
stellenden Werbungen  beschäftigte  spanische  Gesandte?  (Hall' 
wich  I,  Nr.  335  S,  280,  Nr.  353  S,  293,) 

*)  Ob  Bruneaus  schon  vor  dem  27.  März  gemachte  Vorstel- 
lung de  acudlr  . . .  ai  re  media  "de  lo  de  Als  acta  (Gindely  S.  31/32 
Anm.)  sich  bereits  auf  dieses  Projekt  bezog,  muß  dahingestellt 
bleiben.  Vermuten  darf  man,  daß  die  von  Qucstenberg  am  4  Mai 
erwähnte  Werbung  des  spanischen  Gesandten  (Bmneaus?)  bereits 
eine  vorläufige  Anregung  der  Sache  war  (Hallwich  I,  Nr.  369  S.  30b), 
Dsigegen  bezieht  sich  das  von  Gindely  S*  25  Anm.  1  angeführte 
Schreiben  Philipps  IV.  an  Castaneda  vom  10.  Februar  1633  (Brüs- 
seler Archiv  Nr.  206)  nur  auf  Kooperation  mit  dem  Zuge  des 
Kardlnal-lnfanten  nach  den  Niederlanden  und  das  Unternehmen 
gegen  Frlesland. 

*)  Gindely  S.  25  Anm.  2.  Haliwkh  I,  Nr.  305  S.  255.  Das  von 
ersterem  gegebene  Datum  „IL  April"  wird  richtig  sein. 


252  Moriz  Ritter^ 

sieht  auf  einem  dem  Genera!   zustehenden  Rechte,  oder 
auf  anderen  Erwägungen  beruhte- 

Zur  Beurteilung  von  Philipps  Verhalten  muß  man 
die  großen  Hoffnungen  und  das  außerordentliche  Ver- 
trauen, das  er  noch  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  1633 
auf  Wallenstein  setzte,  in  Betracht  ziehen.  Eine  Probe 
dafür  gibt  der  schon  erwähnte  Plan  der  Eroberung  Fries- 
lands, der  übrigens  nach  Annahme  der  Vorschläge  Ferias 
nicht  ohne  weiteres  fallen  gelassen  wurde;  eine  noch 
stärkere  Probe  darauf  gibt  eine  Vollmacht^),  die  Philipp  IV- 
am  25.  Januar  ausstellte  und  dem  in  seinen  Verband* 
lungen  mit  Wallenstein  gebrauchten  Mailänder  Regent- 
schaftsrat Ottavio  Villani  übersandte,  um  sie,  sobald  die 
Infantin  es  für  zeitgemäß  halte,  dem  Wallenstein  zu  über- 
geben. Ausgehend  von  der  Möglichkeit,  daß  die  Verhand- 
lungen über  die  oben  erwähnte  (S.  246)  katholische  Liga 
wieder  aufgenommen  werden  sollten,  erhält  Wallenstein 
Vollmacht,  im  Namen  des  Königs  zu  unterhandeln  und 
zu  schließen  jedes  ihm  geeignet  erscheinende  2)  Bündnis 
mit  dem  Kaiser  sowohl,  wie  jedwedem  Fürsten,  desgleichen 
Krieg  zu  eröffnenj  mit  wem  es  ihm  erforderlich  erscheint.^) 
Mit  gehäuften  Versicherungen  verspricht  der  König,  das 
demgemäß  von  Wallenstein  Geschlossene  zu  ratifizieren.  — 
Bei  solchen  Beziehungen  nimmt  es  nicht  wunder,  daß 
Philipp  auch  für  die  Ausführung  von  Ferias  Entwurf  auf 
Wallenstein  als  Vertrauensmann  und  Bundesgenossen 
rechnete.  Aber  kam  es  ihm  deshalb  etwa  in  den  Sinn, 
das  in  Deutschland  von  Feria  zu  führende  Heer  unter 
Wallensteins  Oberbefehl  zu  stellen?  Mit  aller  Deutlichkeit 
sprach  sich  darüber  der  Gesandte  Castaneda  in  einer 
weiteren   Eingabe  an  den  Kaiser  (15*  Juni),  ja  Philipp 

^)  Brüsseler  Archiv,  Secr^tatrerie  ä*^tat  et  de  gaerre  Nr.  314. 
Dazu  Castaneda  an  Isabella,  1635  Juni  25,  —  Nach  Villanis  Tode 
kam  die  Vollmacht  in  Castanedaa  Hände,  der  zusammen  mit  Bru- 
neau  und  Quiroga  beschloß,  sie  bis  auf  weiteren  Befehl  des 
Königs  nicht  auszuliekrn.  (Per  Kardinal  Infant  an  Castaneda» 
1633  Juli  18»  a.  a.  O,)  Erste  Mitteilungen  darüber  durch  Witlich» 
Preuß.  Jahrbücher  XXUl  26, 

')  Quatqtdier  liga  (y)  cönfedaracion  que  U  parecUre, 

')  Romper  gaerra  con  guten  le  parecUre* 


4 


) 


Der  Untergang  Wallensteins, 


253 


selber  schon  in  einem  Brie!  an  denselben  vom  II.  April 
aus.^)  Ferdinand  IL,  so  schreibt  der  König,  möge  dem 
Feria  kaiserliche  ^Commission  und  Autorität"  erteilen, 
damit  die  in  den  betreffenden  Gebieten  stehenden  kaiser- 
lichen Befehlshaber  „gute  und  gegenseitige  Korrespon- 
denz" mit  ihm  halten  und,  „wo  es  nötig  ist,  ihm  ge- 
horchen" (en  ios  casös  necesarlas  le  obedezcan).  Er  möge 
Walienstein  anweisen  (mandar),  die  hierfür  nötigen  Be- 
fehle zu  erteilen.  Um  dieselbe  „Commission  und  Auto- 
rität" bittet  Castaneda,  damit  Feria  in  des  Kaisers  Namen 
in  Jene  Lande  einrücke^);  er  bittet  ebenso  um  Anweisung 
an  die  kaiserlichen  Truppen,  sich  im  Fall  der  Notwendig- 
keit mit  Ferias  Heer  zu  verbinden  und  seinem  Befehl  zu 
unterstellen   (guarden  las  ordenes  del  duque  de  Feria). ^) 

Also  Deckung  des  spanischen  Heeres  mit  der  Auto- 
rität des  Kaisers,  aber  keine  Ahnung  von  einem  An* 
rechte  Wallensteins  auf  den  Oberbefehl. 

Dieser  Standpunkt  Philipps  erfuhr  nun  allerdings 
einige,  aber  jedenfalls  dem  in  Frage  stehenden  Anrecht 
Wallensteins  nicht  entsprechende  Verschiebungen,  als  am 
20.  Juni  der  Kardinal  Infant  in  die  Verhandlungen  über 
Ferias  Projekt  eingriff  Der  Grund  seines  Eingreifens 
war  die  unerwartete  und  entschiedene  Ablehnung,  welche 
der  Gedanke  der  dauernden  Aufstellung  eines  spanischen 
Heeres  im   Reich  bei   dem  Kaiser  erfuhr.     Um   hier  zu 


")  A.  a.  O. 

')  In  seinem  ersten  Vortrag  (25^  Mai)  hatte  Castaneda  davon 
nichts  gesagt,  w^eil,  wie  er  behauptete,  in  seiner  Instruktion  dies 
nicht  stehe.  Als  der  Kardina!  Infant  ihn  dann  aber^  und  zwar 
ganz  im  Sinne  des  angeführten  Schreibens  Philipps  vom  tl.  April, 
darauf  aufmerksam  machte,  fügte  er  es  seiner  dritten  Schrift 
(15,  Juni)  ein,  (Castaneda  an  den  Kardinal  Infanten,  Juni  14, 
a,  a,  O.)  Vgl.  Gindely  S.  27  Anm.  1  und  den  Schluß  der  dort  vor- 
hergehenden Anmerkung. 

')  Auch  diese  Fassung  wählte  Castaneda  erst  auf  die  Er- 
innerung des  Kardinal  Infanten.  In  seinem  ersten  Anbringen 
hatte  er  den  oben  (S.  251)  bezeichneten,  speziell  auf  Aldringen 
bezüglichen  Antrag  gestellt.  Er  bemerkt  aber  dem  Infanten:  der 
Unterstellung  unter  Ferias  Befehl  resislen  (die  Kaiserlichen)  gai- 
lar  damenie,  porque  et  duqtte  general  (Wallen  st  ein)  no  visne  en  ello 
(a,  a.  0,), 

Historische  Zeitschrilt  (97.  Bd.)  3-  FoIäc  l,  Bd.  H 


254 


Monz  Ritter, 


I 


vermitteln,  grilf  der  Infant  auf  die  unbestreitbar  vom  Kaiser 
und  seinem  Feldherrn  erteilte  Zustimmung  zu  seinem  mit 
Heereskraft  zu  unternehmenden  Durchzug  nach  den  Nieder- 
landen und  zur  Unterstützung  des  Durchzugs  mit  kaiser- 
lichen Truppen  zurück.  Nur  von  diesem  sollte  jetzt  wieder 
die  Rede  sein,  aber  freilich  mit  der  kleinen  Änderung^ 
daß  das  Heer  nicht  erst  mit  dem  Infanten  zur  Siche- 
rung seines  Durchzugs,  sondern  vor  ihm  und  unverzüg- 
lich zur  „Eröffnung  des  Weges**  in  Deutschland  erscheinen 
solle,  dann  auch  mit  der  weiteren  Bestimmung,  daß  das 
Heer  von  Feria  geführt  und  nach  Maßgabe  seines  Ent- 
wurfs gebildet  werden  sollte:  ein  Kern  spanischer  Trup- 
pen, zu  vergrößern  durch  sofortige  Anwerbung  deut- 
scher Söldner  und  Abgabe  kaiserlicher  Truppen,  zu  unter- 
stützen durch  Zuordnung  eines  kaiserlichen  Hilfskorps, 
wenn  die  militärische  Lage  es  erforderet) 

Daß  die  wahre  Absicht  dieses  Vermittelungsvorschlags 
dahin  ging,  das  Wesentliche  von  Ferias  Projekt  unter 
neuen  Formen  und  einigen  Einschränkungen^)  zu  retten, 
habe  ich  hier  nicht  näher  darzulegen.  Hier  kommt  es 
nur  auf  die  Frage  an,  wie  der  Infant  über  das  Verhältnis 
Wallensteins  zu  dem  spanischen  Heere  dachte.  Er  faßte 
dasselbe  in  die  Formel:  Feria  solle  sich  richten  nach  den 
Entschließungen  (resoluciones)  des  Kaisers  und  den  Rat- 
schlägen (dictamenes)  Wallensteins,  Diese,  wie  ihre  Wieder- 
holung^) zeigt,  wohl  erwogenen  Worte  schreiben  also  dem 

*)  Si  ia  oca&ion  Irujere  et  juntarse  tropas  suyas  (des  Kaisers) 
con  et  duque  de  Feria.  (Der  Infant  an  Castaneda,  1633  Juni  29* 
Brüsseler  Archiv  a,  a.  O.  Daselbst  Berichte  Castafiedas  vom  L, 
5.,  15,,  17,  Juli.  Schrihliche  Werbung  desselben  an  den  Kaiser, 
Juli  2,  —  Der  Infant  an  den  Kaiser,  Juni  20,  Hallwich  I»  Nn  494 
S.  4IK) 

')  in  dem  Schreiben  an  Castaneda  rügt  er  die  Erstreckung 
des  Operationsgebietes  auf  Franken,  Schwaben,  Lothringen  usw., 
erklärt  auch,  er  und  der  König  wollen  nicht  tomar  plts  en  Ate- 
mania;  aber  er  hebt  hervor,  daß  sein  Durchzug  durch  das  Elsaß 
nicht  zu  sichern  sei,  sin  hecharlas  (die  Feinde)  de  allL  Etwa  ein- 
genommene Plätze  sollten  jedoch  dem  Kaiser  zur  V^erfügung  ge- 
stellt werden. 

^)  Sie  finden  sich  in  dem  Schreiben  an  den  Kaiser  vom 
20.  Juni    (Hallwich   a.  a.  O,)    und    in    einem    Schreiben    gleichen 


Der  Untergang  Wallenstems, 


255 


I 


Kaiser  formelle  Autorität,  Wallenstein  bloßen  Einfluß  zu, 
und  wenn  über  ihre  Tragweite  ein  Zweifel  entstanden 
wärcj  so  würde  derselbe  vollends  durch  ein  späteres 
Schreiben  des  Infanten  vom  10.  August  zerstreut  sein: 
Feria,  so  meldet  er  hier  dem  Kaiser,  solle  seinen  (des 
Kaisers)  „Befehlen  gehorchen"  und  mit  Wallenstein  ;,gute 
Korrespondenz*^  halten,^)  Nur  der  weiter  gehende  An- 
spruch, daß  der  Befehlshaber  des  kaiserlichen  Hilfskorps 
dem  spanischen  General  untergeordnet  werden  solle,  wurde 
fallen  gelassen,  und  auch  später  nur  auf  einem  Umweg 
und  in  beschränktem  Maße  verwirklicht.^) 

Wenden  wir  uns  von  der  spanischen  Auffassung  zu 
derjenigen  der  kaiserlichen  Regierung,  so  dürfen  wir  auch 
hier  nicht  vergessen,  daß  die  Kompetenzfrage  sich  mit 
der  Frage  des  politischen  Interesses  verflocht.  In  letzterer 
Beziehung  brachte  die  Regierung  Ferdinands  II,  einer- 
seits dem  Projekte  Ferias  dieselben  Bedenken  entgegen, 
die  in  verstärktem  Maße  Wallenstein  geltend  machte,  daß 
nämlich  die  Aufstellung  eines  spanischen  Heeres  in  Deutsch- 
Jand  die  Protestanten,  die  man  für  den  Frieden  zu  ge- 
winnen hoffte,  mit  neuer  Erbitterung  erfüllen  und  den 
Bruch  mit  Frankreich,  dem  man  noch  aus  dem  Wege 
zu  gehen  suchte,   unvermeidlich   machen   würde;  ander- 


Datums  an  Castaheda  (Brüsseler  Archiv  a.  a.  OO*  hier  mit  den 
Worten :  Feria  se  ajustarä  a  lo  qae  s,  M.  Ces.  disputiere  y  a  los 
äictamenes  äel  äuque  de  Frltland.  —  Caslaneda  in  seiner  Wer- 
bung vom  2t  Juli  bedient  sich  des  Gegensatzes  von  ordenes  und 
äictamenes.    (Die  Stelle  auch  bei  Gindety  S.  29  Anm.  1.) 

')  lussis  purere  —  bort  am  correspondefiHam  colere.  (Brüsseler 
Archiv  Nr.  315*)  Die  Worte,  weiche  Feria  an  Wallenstein  richtet, 
er  wolle  sich  emplear  en  et  servicia  de  v.  e.  y  obedeier  a  sus  ordenes 
(Hallwich  I,  Nr.  397  S*  331),  erscheinen  hiernach  als  spanische  Höf- 
iichkeitsphrase' 

*)  Der  Umweg  bestand  darin^  daß  —  nach  der  Analogie 
Pappenheims,  der  die  beiden  Stellen  eines  bairischen  und  eines 
kaiserlichen  Feldmarschalls  kumuliert  hatte;  vgl  meine  Deutsche 
Geschichte  III,  476  —  Aldringen  zum  Feldmarschall  in  Ferias 
Armee  ernannt  wurde  und  hierdurch,  wie  er  als  kaiserlicher  Feld- 
marschall dem  Wallenstein  untergeordnet  war,  als  spanischer 
Unterführer  dem  General  Feria  unterstellt  wurde.  Verkannt  ist 
dieses  Verhältnis  von  Jacob,  Von  Lützen  nach  Nördlingen  S.  U6. 

17* 


2S6 


Morlz  Ritter, 


p 

r 


seits  jedoch,  indem  sie  den  Vorschlag  in  der  Fassung, 
wie  er  vorgebracht  war,  ablehnen  mußte,  wünschte  sie 
eine  Kränkung  Philipps  IV,  möglichst  zu  vermeiden  ^),  und 
zu  dem  Zweck  suchte  sie  nun  ihre  eigene  abschlägige 
Antwort  mit  der  auf  Wallenstein  zu  nehmenden  Rücksicht 
zu  entschuldigen.  In  diesem  Zusammenhang  gab  Traut-  ^i 
mansdorf,  ohne  sich  streng  an  die  Wahrheit  zu  halten^  ^M 
jene  Erklärung  über  Wallensteins  allumfassendes  Kom-  ^^ 
mando,  deren  oben  (S.  244)  gedacht  ist-)  Aber  anders 
erscheint  das  Verhältnis  in  der  Korrespondenz  Wallen- 
steins mit  der  kaiserlichen  Regierung,  besonders  auch  in 
dem  vertrauten  Briefwechsel  zwischen  ihm,  Questenberg 
und  dem  Bischof  von  Wien.^)  Nirgends  findet  sich  hier 
eine  Berufung  auf  ein  dem  kaiserlichen  General  zuge- 
sichertes Recht,  durch  welches  das  Auftreten  einer  von 
ihm  unabhängigen  spanischen  Armee  im  Reich  ausge- 
schlossen wäre,  überall  wird  die  Frage  lediglich  vom  Stand- 
punkt der  Zweckmäßigkeit  behandelt. 

Noch   weniger  war  von   einem   solchen   Rechte    die 
Rede,   als    der  Plan   Ferias   die    oben   erwähnte   mildere 
Fassung  erhielt  und  so  vom  spanischen  Gesandten   erst 
mündlich  ^)j  dann  am  2.  Juli  schriftlich  vorgetragen  wurde* 
Damals  ging  der  Kaiser  mit  auffallender  Raschheit ^^)   aui^^^j 
das  Gesuch  ein,  zugleich  aber  mit  einer  sauberen  Seh  ei-  "^f 
düng  der  Kompetenzen:  den  Eintritt  und  Durchzug  von    ^^ 
Ferias  Armee  bewilligte  er  ohne  weiteres,  die  Zuordnung 
kaiserlicher  Hilfstruppen  aber  gab  er  Wallenstein  anheim,®) 

*)  Der  Kaiser  an  Wallenstein,  1633  Mai  27.  Questenberg  an 
Wallenstein  e,  d*    (Haüwich  I,  Nr,  451,  4&3.> 

*)  Nicht  so  weit  geht  Eggenberg,  indem  er  nur  aul  den  nicht 
zu  erregenden  Unwillen  Wallensteins,  nicht  aber  auf  ein  ihm  zu- 
gestandenes Recht  verweist.     (Gindeiy  S.  25.) 

*)  H aliwich  I,  Nr.  453.  465.  483.  490.  495,  569, 

*)  Bericht  Castanedas,  Juli  1.  (Brüsseler  Archiv,  Daselbst 
die  schriftliche  Eingabe  vom  2.  julu) 

*)  Castaneda  erliielt  den  willfährigen  Bescheid  am  4.  Juli 
(Bericht  vam  5.  Juli)^  an  Wallenstcin  erging  die  Anzeige  schon 
am  I.Juli,     (Hallwich  I,  Nr  4*53  8.411.) 

•)  Hierbei  fand  eine  Ausnahme  statt,  indem  der  Kaiser  dem 
Ossa    sofort    befahl,    von    drei    in   Tirol   Hegenden   Regimentera 


4 
I 


Der  Untergang  WaElenstelns. 


257 


Allerdings  nahm  er  dabei  die  Miene  an,  daß  er  nur  ein 
vorher  und  mit  Billigung  Wallensteins  gegebenes  Ver- 
sprechen erfülle;  aber  daß  er  in  Wahrheit  über  die  früheren 
Entschließungen  hinausging  und  sich  dabei  mit  den  An- 
schauungen und  Absichten  seines  Feldherrn  in  scharfen 
Widerspruch  setzte,  war  ihm  sicherlich  nicht  verborgen, 
wie  er  denn  auch  über  dessen  sofort  erhobene  Gegen- 
vorstellungen^) einfach  hinwegging. 

Ich  gehe  hier  nicht  auf  die  Frage  ein,  wie  weit  dem 
plötzlichen  Entgegenkommen  des  Kaisers  auf  die  spani- 
schen Wünsche  ein  Wechsel  der  politischen  und  militä- 
rischen Absichten  zugrunde  lag^),  noch  weniger  verfolge 
ich  die  weitere  Entwickelung  der  Gegensätze  zwischen 
dem  Kaiser  und  dem  Feldherrn^  welche  seit  der  zweiten 
Hälfte  des  Monats  Juli  eintraten,  als  Ferdinand  die  spanische 
Hilfe  für  den  Ersatz  Breisachs  ersehnte—,  einstweilen  möge 
das  Ergebnis  genügen,  daß  der  Kaiser,  vor  die  Frage 
der  Aufstellung  einer  spanischen  Armee  auf  deutschem 
Boden,  ja  auch  nur  des  Durchzugs  einer  solchen  gestellt, 
'anfangs  seine  Entscheidung  allerdings  von  derjenigen 
Wallensteins  abhängig  machte,  daß  aber  diese  Rücksicht 
nicht  auf  die  Paragraphen  eines  Anstellungsvertrags  zu- 
rückgeführt werden  muß,  sondern  sich  genügend  aus 
Wallensteins  tatsächlicher,  vornehmlich  auf  seiner  ver- 
meinten Unentbehrlichkeit  beruhenden  Machtstellung  er- 
klärt. 


(Llechtenstem,  Arco,  Truchseß)  zwei  zum  Geleite  Ferias  „herzu- 
leihe^^  (Hallwich  1,  Nr  568  S,  474.  Bericht  Castanedas,  Juli  17.) 
Aber  mit  diesen  Regimentern  hatte  es  eine  besondere  Bewandtnis. 
Wallenstein  unterstellte  sie  als  kaiserliche  Regimenter  am  17.  Juli 
dem  Ossa  (Haltwich  1,  Nr.  538  S.  45€),  die  Erzherzogin  Claudia 
aber  nahm  das  sehr  ijt)el  (Nr  570  S.  475),  vermutlich  auf  die  von 
Castaneda  hervorgehobene  Talsache  gestützt,  daß  sie  nicht  „aus 
der  kaiserlichen  Feldkasse'^j  sondern  von  der  Erzherzogin  bezahlt 
wurden.  (Nr.  454  S.  377/37S.)  —  Vielleicht  kann  man  jedoch  in 
diesem  Vorgang  einen  Vorllüfer  der  S.  242  besprochenen  direkten 
Weisungen  des  Kaisers  an  Watlenstelns  ünterEührer  sehen, 

0  Juli  5,    {Hallwich  I,  Nr.  505  S.  422.) 

^)  Ein  kaiserlicher  Rat  deutete  dem  Castaneda  an;  wenn  das 
spanische  Heer  einmal  im  Elsaß  sei,  poärd  pasar  con  et  espacio 
que  quisierey  intentarlo  que  cönvenUre.  (Bericht  CastanedaSj  Juli  5.) 


25S  Moriz  RUter, 

Leichter  ais  diese  Fragen  des  militärischen  Befehls 
lassen  sich  die  auf  die  finanzielle  Ausstattung  des  Heeres 
bezüglichen  Ibsen*  Im  ersten  Generalat  Wallensteins 
war  der  Zufluß  der  von  den  Ständen  der  österreichischen 
Erblande  bewilligten  Steuern  dem  kaiserlichen  Heere  bei- 
nahe ganz  versagt:  nur  die  böhmische  Kontribution,  die 
im  Jahre  1627^  die  schlesische,  die  im  Jahr  1628  ihm  zu- 
kam, machte  davon  eine  Ausnahme.')  Jetzt  dagegen  wur- 
den regelmäßige  Beisteuern  der  sämtlichen  cisleithanischen 
Erblande  dem  Feldherrn  zugesichert.  Ob  in  einer  be- 
stimmten Höhe  und  in  einer  urkundlichen  Form?  Nach 
Aussage  des  bei  den  fraglichen  Verhandlungen  beteiligten 
spanischen  Gesandten  verlangte  Wallenstein  bei  der  vor* 
läufigen  Übernahme  des  Oberbefehls  als  Zuschuß  des 
„Kaisers  und  der  Lander"  200000  Gulden  monatlich-); 
nach  der  Angabe  Questenbergs  forderte  er^  als  er  „zu 
Feld"  zQgf  also  nach  definitiver  Annahme  des  Kommandos, 
monatlich  200000  Gulden*);  nach  der  Behauptung  eines 
kaiserlichen  Kriegsrats  ^)  zog  Wallensein  bei  Aufstellung 
seiner  Armee  zu  Anfang  des  Jahres  1632  aus  verschie- 
denen Quellen  (da  äii^erseparli)  2  400000  Gulden  in  barem 
Geld,  So  abweichend  diese  Angaben  im  einzelnen  sind, 
so  übereinstimmend  sind  sie  in  der  Höhe  des  BetragSj 
der  ja,  aufs  Jahr  berechnet,  der  letzt  genannten  Summe 
entspricht  Nahe  liegt  also  die  Vermutung,  daß  sich 
Wallenstein  vom  Kaiser  Zuschüsse  ausbedang,  die  aus 
den  Bewilligungen  der  Landstände  zu  bestreiten  waren 
und  die  angegebene  Höhe  erreichten. 


")  Vgl.  meine  Abhandlung  über  Wanensteins  Kontributions- 

system,  H,  Z.  90,  210  Anm,  2. 

')  Bruneau,  1631  Dezember  19  (Gindely  S.  10  Anm.):  j^  demas 
de  esio  (d.  h.  außer  dem  spanischen  Monatszuschuö)  y  lo  qut 
dard  sl  emperador  y  las  provlncias  , ,  .  200  000  fiorines.  —  Hier 
ist  zu  florines  aus  dem  Vorhergehenden  zu  ergänzen  ^cada  mes*. 
In  den  Worten  ^y  lo  qne  dnrd'^  gibt  die  Copula  y  keinen  Sinn, 
Die  Meinung  ist;  außer  dem  spanischen  Zuschuß^  das,  was  Kaiser 
und  Länder  geben,  nämlich  etc» 

>)  Hallwich  I,  Nr.  433  S.  377.  So  auch  Wallenstein  Über  die 
„monatlichen  200000  iL**.     (Nn  88  S,  7L) 

•)  Gutachten,  1634  Januar.   (Aretiti,  Wallenstein  Nr.32S<100.) 


1 


Der  Untergang  Walknsteins, 


259 


Jedenfalls  wurden  im  Jahre  1632  und  1633  die  Erb- 
lande ausnahmslos  zu  ungewöhnlich  hohen  GeldbewiÜH 
gungen  für  das  Heer  angehaltenj  wobei  man  noch  in 
Betracht  ziehen  muß,  daß  neben  den  Bezahlungen  die 
Naturalleistungen  für  Einquartierung,  ,,LeibsverpIlegung*' 
usw.  hergingen ^)j  und  daß  die  Summe  der  Geldbewilli- 
gungen, da  sie  unter  verschiedenen  Titeln  erfolgten,  nicht 
leicht  zusammenzurechnen  war,^)  Mit  dem  Vorbehalt  der 
Abrundung,  sei  es  nach  unten,  sei  es  nach  oben,  ist  es 
also  aufzunehmen,  wenn  die  Geldbewilligung  Unteröster- 
reichs für  1633  auf  700000^),  des  steirischen  Landtags 
au!  400000  IL^)  angegeben  wird.  In  entsprechendem 
Maße  wurde  von  Böhmen^  Mähren,  Oberösterreich  ge- 
steuert. 

Auf  die  weitere  Frage,  in  welcher  Form  diese  Zu- 
schüsse dem  Feldherrn  gesichert  wurden,  wüßte  ich  nur 
ein  ungenügendes  Zeugnis  anzuführen.  Am  22.  April  1632 
berichtet  Wallenstein  dem  Kaiser^),  daß  er  mit  dem  nach 
definitiver  Annahme  des  Generalats  bei  ihm  eingetroffenen 
Questenberg  beredet  habe,  was  zur  Erhaltung  der  Armee 
von  den  „Erblanden  zu  leisten^  sei*  Unklar  bleibt  hier, 
ob  in  der  Abrede  die  Gesamtleistung  der  Erblande,  die 
nachher  auf  die  einzelnen  umzulegen  war,  bestimmt  wurde, 
oder  umgekehrt  auf  Grund  einer  bereits  getroffenen  Fest- 
setzung der  Gesamtleistung  nunmehr  die  von  den  ein- 
zelnen Landen  zu  fordernden  Quoten  fixiert  wurden.  Ge- 
nauer sind  wir  über  die  Form  unterrichtet,  in  der  eine 
andere  Quelle  kaiserlicher  Einkünfte,  nämlich  die  im  Reich^), 


')  Vgl  die  Aufstellungen  Questenbergs,  1&3S  Januar  SL  (Hall- 
wich  I,  Nr.  103  S.  84  l) 

')  VgL  für  Oberösterreich  im  Jahre  1632  die  Eingabe  der 
Stände  und  die  kaiserliche  Resolution  (Khevenhüller  XU,  10—13): 
L  Liefergeld  flir  Truppen  in  und  außer  Landes,  2.  Rekrutengeld, 
3*  flWas  auf  jeden  Unterthan  zur  Contribution  angeschlagen'** 
Letztere  betrug  monatlich  52000  iL 

*)  Hallwich  L  Nr.  635  S.  532;  vgL  Nr,  i03  S.  84. 

*)  V,  Zwiedineck,  Eggenberg  S.  200  l  (besonders  S.  205/206)* 
VgL  Haliwich  I,  Nr.  365  S.  302. 

=^)  Dudik  S.  473. 

»)  Beispiel:  Hallwich  I,  Nr.  13  S.  12, 


260 


MoTiz  Ritter, 


wie  in  den  Erblanden  verhängten  Konfiskationen,  aus- 
schließlich oder  doch  fast  ausschließlich^)  für  die  Armee 
bestimmt  wurde:  es  geschah  durch  eine  am  15,  April 
1632^)  vom  Kaiser  für  Wallenstein  ausgestellte  Vollmacht^), 
durch  welche  ihm  beides,  die  Verhängung  der  Konfis- 
kation durch  Urteil  und  die  Einziehung  derselben,  über- 
tragen wurde. 

Neben  diesen  kaiserlichen  Zuschüssen  wurden  dem 
Feldherrn  vom  spanischen  Gesandten  gleich  bei  der  vor- 
läufigen Übernahme  desGeneralats^)  auch  spanische  Hilfs- 
gelder  zugesagt;  sie  betrugen  monatlich  50000  Gulden,*) 

Ein  Schritt  weiter  führt  uns  von  der  Bezahlung  der 
der  Armee  zur  Belohnung  des  Feldherrn,  Gehen  wir 
auch  hier  von  den  zuverlässigen  Zeugnissen  aus,  so 
haben  wir  zunächst  zwei  Verleihungen  hervorzuheben, 
welche  am  16.  April  1632,  also  unmittelbar  nach  der  de- 
finitiven Annahme  des  Generalats,  erfolgten:  in  der  einen 
schenkt  der  Kaiser  dem  Peldherrn  eine  auf  erkauften 
Gütern  haftende  Schuld  von  400000  Gulden^},  in  der 
andern  erkennt  er  sich  bezüglich  der  Übertragung  Meck- 
lenburgs an  Wallenstein  haftbar  wegen  Entwährung:  bis 
afso  das  Herzogtum  oder  ein  gleichwertiges  Land  dem 
Feidherrn  eingeräumt  sein  wird,  übergibt  er  ihm  zum 
Pfandbesitz  das  Fürstentum  Glogau/)  Hat  der  Kaiser 
dem  General  noch  weitere  Belohnungen  für  die  Zukunft 
versprochen?  Wenn  man  liest,  wie  im  April  1633  der 
Bischof  von  Wien  dem  Wallenstein  seine  und  Eggenbergs 
Verwendung  rühmt,  um  ihm  beim  Kaiser  eine  Belohnung 


n 


*)  Nach  KbevenhüUer  XII,  493  mit  Ausschluß  der  inneröster- 
reichischen Lande,  Beispiel  für  des  Eindrängen  Unberechtigter: 
Hallwich   I,  Nn  569  S.  474. 

')  Hallwich  II,  Nr.  ^23  S,  im 

*)  „Pienipotenz*' :  Hallwich  1,  Nr.  387  S.  820.  Inhalt  derselben : 
Nr.  224,  547;  II,  Nr.  817.  ^23.  1049.  10^5. 

*)  BruneaUj  1631  Dezember  19.    (Gindely  S.  10  Anm,) 

*)  Zunächst  fiirs  Jahr  1632  bewilligt,  (Philipp  IV.  an  Villani, 
16^2  Oktober  10.  Brüsseler  Archiv,  SecrStairerie  äYiai  et  de  guerre 
Nr.  205,)     Ebenso  für  1633.    (Hallwtch  I,  Nr.  766  S.  632,) 

•)  Dudik  S,  443. 

T)  Archiv  f.  österr  Geschichte  19,  S.41  Nr.  27,    Dudik  S.446. 


Der  Untergang  WaUensteins, 


261 


seiner  Verdienste  zu  erwirken^),  so  wird  man  aus  diesen 
Worten  das  Vorhandensein  einer  formellen  kaiserlichen  Ver- 
pflichtung nicht  entnehmen,  eher  das  Gegenteil,  Wenn 
man  anderseits  sieht,  wie  Wallenstein  nach  dem  be- 
scheidenen Triumph  von  Steinau  sich  sofort  beim  Kaiser 
um  eine  Belohnung  meldet  und  sich  dazu  die  ihm  noch 
vorenthaltene  Tranksteuer  in  Sagan  und  Glogau  aus- 
ersieht-), so  kann  man  leicht  die  Rechnung  machen,  daß, 
wenn  er  große  Eriolge  errungen  hatte,  gewiß  keine  be- 
scheideneren Ansprüche  von  ihm  erhoben  sein  würden, 
als  diejenigen^  welche  im  Jahre  Ib28  zur  Abtretung 
Mecklenburgs  geführt  hatten.  Also  wohl  bereit  gehaltene 
Ansprüche  des  Feldherrn  und  Rechnung  auf  des  Kaisers 
Gefälligkeit,  aber  keine  förmliche  Abmachung. 

Bedenken  gegen  dieses  Ergebnis  kann  nur  eine 
Äußerung  Wallensteins  erregen,  die  der  spanische  Agent 
Navarro  aus  seinem  Munde  gehört  hatte  und  gegen 
Anfang  1633  dem*  Pater  Quiroga  berichtete'*):  der  Kaiser 
habe  ihm  bei  Annahme  des  Generalats  „das  erste  Kur- 
fürstentum, das  erorbert  werde,  angeboten,  (offreciö)''^ 
und  demgemäß  fordere  er.  Wallenstein,  jetzt  die  geheime 
Belehnung  mit  Kurbrandenburg,  Indes,  abgesehen  von 
höchst  abenteuerlichen  Prahlereien,  die  Wallenstein  dieser 
Mitteilung  anfügt^  z,  B.  daß  er  Kursachsen  dem  Erzherzog 
Leopold  zuwenden  werde,  macht  er  selber  das  Gewicht 
jenes  Angebotes  zweifelhaft,  indem  er  zusetzt:  es  sei 
nur  als  ein  einfaches  und  allgemein  gehaltenes  Versprechen 
gegeben,  das  im  Fall  des  Todes  des  Kaisers  nicht  geltend 
zu  machen  sei.  Jedenfalls  völlig  zu  verwerfen  ist  die 
Angabe  der  angeblichen  Vertragsartikel,  daß  dem  Feld- 
herrn als  ordentliche  Belohnung  ein  österreichisches 
Erbland  zugesichert,  als  außerordentliche  Belohnung  „von 
den  okkupierten  Ländern  das  höchste  Regal  im  Römischen 


»)  Hallwich  I,  Nr,  306  S.  256. 

»)  Hallwich  I,  Nn  768  S,  634,  Das  Gesuch  wurde  auch  wirk- 
lich am  1,  Januar  1534  bewilligt,  (Schrifteti  der  Mährisch-schiesi- 
sehen  Gesellschaft  Bd.  23,  S.  63:) 

■)  Rekapituliert  in  dem  Gutachten  des  spanischen  Staatsrats 
vom  27.  März,    (Gindely  S,  32  Anm,) 


262  Moriz  Ritter, 

Reich**  übertragen  werden  solle.   Denn  nicht  zugesichert, 
sondern    übertragen   wurde  ein  österreichisches  Erbland 
(Glogau),   und  nicht  als  ordentliche  Belohnung,  sondern 
als  Pfand  für  ein  vom  Feind  genommenes  Land*);  und  jenes 
von   den   eroberten  Landen   abzutrennende  und  Wailen- 
stein  zu  übergebende  oberste  Regal,  zu  dessen  Erklärung 
sich  wohl   nur  das  von  Gustav  Adolf  bei  seinen  Schen- 
kungen vor  behaltene  las  supremum  oder  regalia  sab  iure 
superianiaiis  (sc,  imperialis)  heranziehen  läßt^),  erscheint^ 
als  eine  so  ungeheuerliche  Zuwendung,  daß  man  sie  beifl 
dem  Schweigen  aller  anderen  Quellen  nur  verwerfen  kann.       ' 
Neben    den    militärischen    Befugnissen   Wallensteins  J 
muß  man  nun  noch,   um  die  Fülle  seiner  Gewalt  zu  er*^^| 
messen,   seine  politischen  Vollmachten   ins  Auge  fassen* 
Neu  war  für  ihn  die  Verbindung  militärischer  und   poli- 
tischer  Befugnisse    nicht;    bereits    im    dänischen    Krieg 
war  ihm  zu  Anfang  des  Jahres  1628  ein  kaiserlicher  Auf- 
trag zur  Einleitung  von  Friedensverhandlungen,   im  De- 
zember, die  förmliche  Vollmacht  zur  Führung  derselben 
erteilt^),   und  damals  bereits  hatte  er  sich  in  diesen  Ge- 
schäften  so  selbstherrlich  bewegt,   daß  die  Bedingungen 
des   Friedensschlusses   zum   guten   Teil   nicht   von   der 

*)  ünverständJich  ist^  mir  die  Behauptung  Michaels  (a.  a.  O, 
S,  422/423);  die  ^Übertragung**  Glogaus  sei  dasselbe  wie  die 
«Assccuration**  auf  ein  österreichisches  Erbland»  und  die  ftxitere 
Behauptung,  die  Übertragungsurkunde  bezüglich  Mecklenburgs 
werde  auch  als  Assekuration  bezeichnet.  Als  Assekuration  wird 
nur  die  versprochene  Eviktion  bezeichnet.  Eher  könnte  man 
seine  etwas  spitzfindige  Unterscheidung  der  Worte  i,als**  und 
„wegen**  annehmen  ^  aber  auch  dann  kommt  nur  heraus:  das 
österreichische  Erbland  dient  als  Unterpfand  für  eine  Rekompens, 
während  es  doch  ats  Unterpfand  für  die  Eviktion  gelten  soll. 

*)  Vgl.  meine  Bemerkung  in  den  Göttinger  Gel.  Anzeigen 
1905,  S.  206,  Michael  (S.  424—429)  möchte  als  das  «höchste  Regal* 
die  Kurwürde  annehmen.  Für  den  Sprachgebrauch  hätte  er  sich 
dabei  auf  die  ba irische  Schrift  von  1639  gegen  das  pfälzische 
Manifest  berufen  können :  „obschon  die  churfürstl.  Würde  ein  so 
hohes  Regal  ist/  (Londorp  IV,  727a,)  Aber  nur  durch  willkür- 
liche Umstellung  kann  er  der  sich  alsdann  ergebenden  Aussage 
entgehen:  Wallenstein  soll  von  den  (also  allen  ohne  Ausnahme) 
okkupierten  Ländern  die  Kur  haben» 

^)  Meine  Deutsche  Geschichte  HI,  385.  393. 


kaiserlichen  Regierung  dem  Gesandtefi,  sondern  vom 
Gesandten  seiner  Regiening  vorgescbiieben  wurden.  In 
bezug  auf  die  neue  Anstellung  WaHeitsteins  kann  also 
nur  die  Frage  sein,  ob  jetzt  politische  AuHräge  ihm  nur, 
wie  früher,  kraft  besonderer  Bevollmächtigung  oder  ein 
für  allemal  übertragen  wurden. 

Die  Anschauung,  daß  letzteres  der  Fall  sei,  spricht 
sich  in  der  Formel  der  ihm  angeblich  übertragenen  pleni- 
poieniia  (oder  arbiirium)  belli  et  pacis  aus»  Wohl  will  es 
nicht  viel  sagen,  wenn  diese  Worte  von  dem  schwediscfien 
Gesandten  gebraucht  werden')  oder  dem  Sinne  nach  in 
einem  einleitenden  Bericht  zu  den  angeblichen  Kapitula^ 
tionsartikeln^)  {nicht  in  diesen  selber)  sich  finden,  aber 
beachtenswert  ist  es,  wenn  wir  sie  aus  dem  Munde  eines 
kaiserlichen  Rates  vernehmen,"^)  Gleichwohl  sind  sie  nur 
als  der  ungenaue  Ausdruck  eines  tatsachlichen,  nicht 
rechtlichen  Verhältnisses  anzusehen.  Der  Beweis  liegt 
darin,  daß,  als  Wallenstein  noch  vor  der  einstweiligen 
Annahme  des  Generalats  mit  Arnim  über  einen  fTieden 
des  Kaisers  mit  Kursachsen  in  Unterhandlung  trat  und 
diese  Verhandlungen  nach  der  Annahme  fortsetzte,  tf 
dazu  eine  besondere  Ermächtigung  des  Kaisers  brauchte 
und  erhielt,  zuerst  in  der  freien  Form  eines  vun  Eggen- 
berg brieflich  übermittelten  Auftrags^),  dann,  und  zwar 
nach  der  definitiven  Übernahme  des  OberbefehU,  in 
der  genauen  Form  einer  kaiserlichen  Vollmacht.'^) 

Also  durchaus  keine  unbeschränkte  Bevollmächtigung« 
sondern  nur  freie  Hand  für  einen  Separatfrieden  mil  Kur- 
Sachsen,  in  den  man  dann  noch  Kurbrandenburg  und 
andere  Retchsfürsten  hineinzuziehen  hoffte.  Ali  daher 
im  September  1632  auch  Gustav  Adoll  nich  geif^n 
Waltenstein    zu    Friedensverhandlungen    geneigl    zmffUSf 

')  rrnier  U,  Nr.  121  S.M;  Nr.  14t  8.  IUI. 

t>)  Michael  S,  411t 
*j  Gutachten  bd  Schebe]^  L^Hung  der  WMmtiUMiBgM  •.M«. 
')  1631  Oktot^er  14.  (Fdntcr  II,  Hr.  i37  ft.  $U.}  Vgt.  i^m&$0l$^ 
berg  an  Wallen&tein,  Olttobcr  iu    0(f.  MI  %  f¥^4 
*)  Der  ßfseti0f  wm  Wim  m  WOkmtMm^  $*M  AfrtI  t^. 
(Dudik  S,  470J     Ami«  M  Kmrmthmm,  IMt  IM  Jlf^    iMtMf«/ 
Wallenstein  und  Arnim  &  II') 


j 


264 


Moriz  Ritter, 


P 


berichtete  letzterer  darüber  vor  allem  andern  an  den 
Kaiser,  und  in  dessen  Rat  wurde  nun  entschieden,  daß, 
wenn  die  nötigen  Vorbedingungen  einer  solchen  Ver- 
handlung erledigt  seien,  man  sich  über  Wallensteins  „In- 
struktion und  Vollmacht^  entschließen  könne,^)  Ganz 
richtig  läßt  demgemäß  auch  Oxenstierna^)  den  General 
antworten,  „daß  er  mit  ihm  (dem  König  von  Schweden) 
zu  traktieren,  keine  Pienipotenz  hätte"".  Und  so  blieb 
das  Verhältnis  im  Jahre  1633:  mit  Schweden  über  einen 
Frieden  zu  verhandeln^  war  Wallenstein  nach  wie  vor 
nicht  befugt,  hinsichtlich  der  Separatverhandlungen  mit 
Sachsen  ließ  der  Kaiser  noch  im  Januar  1634  dem  Kur- 
fürsten sagen  ^)i  er  habe  dafür  Wallenstein  „mit  genüg- 
samer Gewalt  versehen",  sei  es  nun,  daß  damit  eine  neue 
oder  die  in  Kraft  gebliebene  alte  Vollmacht  gemeint  war 
Soweit  es  also  nicht  anf  bloße  Meinungsäußerungen 
oder  Verwendungen,  sondern  auf  Unterhandeln  im  Namen 
des  Kaisers  ankam,  hatte  Wallenstein  keine  allgemeine, 
sondern  bedurfte  er  einer  besonderen  Vollmacht*)    Man 


»)  Majlath,  Österr.  Geschichte  III,  S,  2^  Vgl  Förster  n,241. 
Das  betreffende  Aktenstück  war  ein  Gutachten^  das  nach  Hurter, 
(Wallenstein  S.  189  Anm,  37)  nur  dem  Inhatte  nach  Wallenstein 
mitgeteilt  wurde.    (Gegen  Förster  a*  a.  0.) 

')  In  den  Konferenzen  mit  Kurbrandenburg>  1633  Februar. 
(Imier  II,  29.) 

*)  Werbung  des  Herzogs  Frana  Julius,  J634  Januar  12.  (Inmer 
II,  Nr.  348  S.  124,)  Vgl  auch  Wallensteins  Äußerung  vom  6.  Ok- 
tober 1633j  daß  der  Kaiser  ihm  ^solches  Werk"  zum  Ziele  zu 
führen  „befehle**,  (Hallwich  I,  Nr.  745  S.619.  Ebenso  Nn  740  S.&I4,) 
Weisung  des  Kaisers,  Oktober  IS  (a.  a.  0*  II,  Nr,  793  S.  17). 

*)  Nur  in  der  Anmerkung  erwähne  ich,  daß  auch  sein  Ver- 
hältnis zu  den  kaiserlichen  Gesandten,  die  zu  dem  von  Däne- 
mark angesagten  und  hinterher  nicht  zustande  gekommenen 
Breslauer  Friedenskongreß  bestimmt  wurden,  besonders  geregelt 
wurde:  sie  hatten  über  ihre  Aufträge  im  einzelnen  Wallenstein 
Mitteilung  zu  machen  und  seines  „Gutachtens  2u  pflegen*',  (Der 
Kaiser  an  Wallenstein,  (633  Juli  9,  Haliwich  1,  Nr,  518  3.432. 
Vgl,  die  weiter  gehenden  Vorschläge  Trautmansdorfs ,  Novem- 
ber 27*  Förster  \IU  Nn  391  S*  94.)  —  Ich  verweise  auch  auf  die 
von  Wittich  (H,  Z.  68,  255  f.)  gegen  die  absolute  politische  Voll- 
macht Wallensteins  erhobenen  Bedenken.  Richtig  faßt  das  Ver- 
hältnis auch  Schulz,  Wallenstein  S.  81/82. 


I 


Der  Untergang  WaElenstelnSi 


265 


kann  daher  auch  sagen,  daß  der  Verlasser  der  angeblichen 
Kapitulation  hier  einmal  das  Richtige  trifft,  indem  er  den 
politischen  Befugnissen  des  Feldherrn  keinen  eigenen 
Artikel  widmet*  Eine  andere  Frage  aber,  die  sich  hier 
aufdrängt,  möchte  ich  gleich  an  dieser  Stelle  erledigen: 
ob  nämhch  der  Kaiser  für  die  Separatverhandlungen  mit 
Sachsen  seinem  Feldherrn  eine  bestimmte  Instruktion 
oder  doch  einigermaßen  klare  Weisungen  erteilte.  Eine 
Antwort  laßt  sich  in  Ermangelung  unmittelbarer  Zeugnisse 
wieder  nur  auf  Umwegen  finden. 

Mit  vollster  Sicherheit  hatten  der  Kaiser  und  sein 
Feldherr  von  Kursachsen  zwei  sich  ergänzende  Haupt- 
forderungen zu  gewärtigen.  Die  erste  ging  auf  die  Auf- 
hebung des  Restitutionsediktes,  Sie  war,  da  die  kraft 
dieses  Ediktes  vollzogenen  Restitutionen  unter  dem  Sieges- 
lauf Gustav  Adolfs  zum  weitaus  größten  Teil  wieder 
ruckgängig  gemacht  waren,  hauptsächlich  negativer  Natur: 
die  Grundtage,  welche  der  Kaiser  für  die  Entscheidung 
der  Streitigkeiten  über  den  Religionsfrieden  im  Sinn  der 
katholischen  Auffassung  des  Gesetzes  gelegt  hatte,  soMte 
beseitigt  werden*  Aber  mit  dieser  bloßen  Beseitigung  wäre 
man  wieder  in  den  Kampf  der  entgegengesetzten  Aus- 
legungen und  die  daraus  hervorgehende  Rechtsunsicher- 
heit zurückgeworfen,  und  offen  wäre  vor  allem  die  Frage 
geblieben,  was  aus  den  Reichsstiftern  Osnabrück,  Halber- 
stadt, Magdeburg,  Verden,  Schwerin  werden  sollte,  die, 
so  verschieden  auch  die  Verwaltung  war,  unter  der  sie 
zurzeit  standen,  doch  darin  übereinkamen,  daß  sie  nach 
Ausbruch  des  großen  Krieges  und  vor  Erlaß  des  Restitu- 
tionsediktes dem  Besitz  protestantischer  Administratoren 
entzogen  waren.  Hier  griff  nun  die  zweite  Forderung 
ein,  daß  der  Besitz  an  Kirchengut  für  Protestanten  und 
Katholiken  auf  den  Stand  der  Zeit  vor  Ausbruch  des 
Krieges  zurückgeführt  und  alsdann  gegen  alle  Anfech- 
tungen gesichert  werden  sollte. 

Soweit  es  nun  auf  Wallenstein  ankam,  schienen  die 
Erklärungen,  die  er  gleich  im  ersten  Stadium  seiner 
Verhandlungen  mit  Sachsen  (Januar  und  Mai  1632)  abgab 


266 


Monz  Ritter, 


und  abgeben  lieÖ^),  auf  die  Annahme  jener  Forderungen 
zu  weisen.  Soweit  aber  des  Kaisers  Absichten  aus  einer 
Instruktion,  die  er  für  die  von  Dänemark  auf  den  23.  Juli 
anberaumte,  dann  freilich  wieder  ausgesetzte  Friedens- 
konferenz entwerten  ließ,  hervorgehen^),  darf  man  bei 
ihm  ein  so  weites  Entgegenkommen  nicht  voraussetzen* 
Statt  der  Rücknahme  des  Restitutionsediktes  will  er  hier 
nur  die  Suspension  weiterer  Exekutionen  desselben,  und 
auch  diese  nur  unter  Vorbehalt  des  Rechtes  der  Beteiligten 
und  späterer  Erörterung  am  Reichstag,  zugeben.  Unter 
den  kraJt  des  Ediktes  restituierten  Kirchen  will  er,  falls 
die  katholischen  Stände  mit  ihrem  Verzicht  vorangehen, 
die  dem  bairischen  Prinzen  zugewandten  Bistümer  Minden 
und  Verden  preisgeben ^  aber  die  Reichsstifter  Bremen, 
iVIagdeburg  und  Halberstadt  sollen  aus  dem  doppelten 
Grunde,  weil  sie  einem  Sohn  des  Kaisers  zustehen,  und 
weil  das  Recht  desselben  schon  vor  dem  Restitutionsedikt 
begründet  isf*),  womöglich  sämtlich,  mindestens  aber 
das  letztgenannte  behauptet  werden» 

Schwerlich  wollte  der  Kaiser  oder  seine  Regierung 
mit  dieser  Instruktion  das  letzte  Wort  gesagt  haben.   Aber 

^)  Trzkas  Erklärung  zu  Aussig  (Ranke^  Wallenstein  S,  159 

Anm,)  und  Wallensteins  Erklärung  zu  Rakonlt^  (Heibig  S.  II), 
Beide  muß  man  zusammennehmen.  Die  in  ersterer  befindllche- 
Berufung  auf  des  Kaisers  Übereinstimmung  ist  nach  dem,  was 
ich  weiter  ausführe^  zu  beurteilen. 

')  Hurter,  Friedensbestrebtingen  Ferdinands  IL  S.  45.  Auf 
diese  Aulträge  verweist  der  Kaiser  noch  am  4,  Februar  1634, 
(Hallwich  U,  Nr.  1261  S.  455,) 

*)  Das  Nähere  hierüber  in  meiner  Deutschen  Geschichte 
10^423,  Mit  dieser  Unterscheidung  der  vor  und  nach  dem  Restitu- 
tionsedikt  gewonnenen  geistlichen  Fürstentümer  (auch  Hersfeld  will 
der  Kaiser  behalten)  hän^t  die  Stelle^  S^  47  zusammenj  daß  als 
^Normaljahr''  nur  die  Zelt  vor  Erlaß  des  Restitutionsedikts,  nicht  das 
Jahr  1612,  gelten  dürfe.  Da  an  einer  vorausgehenden  Stelle  auch 
die  kraft  des  Restitutionsedikts,  also  nach  Erlaß  desselben,  vorge- 
nommenen Exekutionen  bestehen  bleiben  sollen,  so  will  der  Kaiser 
wohl  sagen:  mittelbare  Güter»  die  zurückgewonnen  sind,  bleiben 
gewonnen»  aber  für  Reichsstifter  gilt  der  Besitzstand  des  Datums 
des  Restituüonsedikts.  —  Die  in  der  Instruktion  gewährten  Kon- 
zessionen entsprechen  in  höchst  interessanter  Weise  einem  von 
kaiserlichen  Theologen  schon  Ende  1631  ausgestellten  Gutachten, 
das  man  leider  nur  aus  Khevenhülier  (XI,  i4$3)  kennt. 


Der  Untergang  Wallenstetna. 


267 


soviel  darf  man  daraus  schließen,  daß  Wallenstein  nicht 
ermächtigt  war,  die  sächsischen  Forderungen  anzunehmen. 
Ob  er  überhaupt  eine  Instruktion  oder  auch  nur  Weisungen, 
in  denen  die  Grenzen  der  zu  machenden  Konzessionen 
klar  bezeichnet  waren,  erhalten  hatte?  Erwägt  man  den 
Mangel  einer  hierauf  bezuglichen  Andeutung  in  Wallen- 
steins  Korrespondenz  mit  dem  kaiserlichen  Hof,  daneben 
die  Indolenz,  mit  welcher  die  Regierung  Ferdinands  ver- 
mutlich auch  bei  den  Lübecker  Friedensverhandlungen 
sich  der  Ausstellung  einer  klaren  Instruktion  für  Wallen- 
stein enthalten  hatte^  so  dar!  man  die  Frage  mit  einem 
hohen  Grade  von  Wahrscheinlichkeit  verneinen.  Der 
Kaiser  begnügte  sich  mit  der  unter  allen  Umständen  ihm 
vorbehaltenen  Ratifikation  und  dem  lässigen  Vertrauen, 
daß  Wallenstein  seine  Absichten  respektieren  werde. 

Ich  schließe  diese  Untersuchung,  indem  ich  Jetzt  nur 
noch  einen  vergleichenden  Blick  auf  ihre  Ergebnisse  und 
den  im  Eingang  besprochenen  Bericht  über  Wallensteins 
Anstellungsvertrag  werfe.  Die  in  letzterem  angeführten 
Bedingungen  erscheinen  zum  Teil  als  ungenau  und  un- 
vollständig, so  wenn  in  Nr.  2  der  Umfang  des  militärischen 
Kommandos  mit  der  alles  und  nichts  sagenden  Bestim- 
mung in  absülutissima  forma  umschrieben  wird,  in  Nr*  6 
über  den  Konfiskationen  im  Reich  die  viel  einträglicheren 
in  den  Erblanden  vergessen  werden,  oder  in  Nn  1 1  die 
Hauptaufgabe  des  Feldherrn,  nämlich  die  Armee  im 
Feindesland  zu  quartieren,  übersehen,  und  dafür  das 
selbstverständliche  Recht,  sie  im  Fall  der  Not  in  die  Lande 
des  Kriegsherrn  in  Sicherheit  zu  bringen,  ausschließlich 
festgesetzt  wird;  —  sie  schießen  gelegentlich  über  das 
Ziel  hinaus,  so  wenn  in  Art,  10  dem  Kaiser  statt  näher  be- 
stimmter Zuschüsse  für  die  Armee  kurzweg  „alle  Spesen** 
aufgebürdet  werden  ;  —  sie  berichten  geradezu  Falsches 
in  den  Angaben  über  Wallensteins  spanisches  Generalat 
und  über  die  Art  seiner  Belohnung.  Das  Interesse,  das 
sie  erwecken  können,  knüpft  sich  nur  an  die  noch  un- 
gelösten Fragen  nach  dem  Verfasser,  seinen  Quellen 
und  seiner  Tendenz. 


26a 


Moriz  Ritter, 


Die  polttischen  Unterhandlungen  Wallenstetfisj 
im  Jahre  1633. 

Ich  glaube,  jeder,  der  sich  die  im  Jahre  1633  ge- 
führten politischen  Verhandlungen  Wallensteins  vollständig 
zu  vergegenwärtigen  versucht  ^)f  wird  zunächst  den  Ein- 
druck eines  Gewirres  widerspruchsvoller  Projekte  und 
Verbindungen  empfangen,  vor  dem  er  ratlos  dasteht.  Das 
Mittel,  hier  Ordnung  zu  schaffen,  besteht  darin,  daß  man 
bestimmte  Reihen,  die  nach  Inhalt  und  den  in  Unter- 
handlung tretenden  Personen  zusammengehören,  zunächst 
für  sich  zu  erfassen  sucht  und  dann  erst  fragt,  ob  und 
wie  weit  sie  sich  untereinander  verflechten.  Bei  diesem 
Verfahren  glaube  ich  vier  Reihen  aussondern  zu  können: 
1.  Verhandlungen  Wallensteins  mit  Arnim,  in  denen 
letzterer  wieder  die  Entschliei3ungen  der  Kurfürsten  von 
Sachsen  und  Brandenburg  einzuholen  hat.  Der  erste 
Anstoß  zu  diesen  Verhandlungen  kommt,  soweit  die  uns 
vorliegenden  Urkunden  sehen  lassen,  von  Wallenstein 
und  reicht  zeitlich  zurück  bis  kurz  vor  den  24.  April  1633.^) 
In  fortlaufender  Kette  ziehen  sie  sich  bis  zu  Wallensteins 
Untergang.  2.  Unterhandlungen  zwischen  Wallenstein 
undThurn,  geführt  durch  den  Generalwachtmeister  Bubna, 
von  diesem  auch  an  Oxenstierna  gebracht  und  am  2L  Juni 
im  Sand  verlaufend*  Die  Anregung  scheint  hier  von 
Thurn  auszugehen^)  und  fallt  in  die  letzte  Woche  des 
Monats  ApriL    3.  Anknüpfungen,  welche  zu  Nikolai,  dem 


^)  Für   diesen  Abschnitt  meiner  Abhandlung  gilt  besonders,  ^ 
was  ich   im   Eingang    über  ihren   ergänzenden    Charakter  gesagt 
habe.     Ich  beziehe  mich  überall  auf  die  Feststellungen  von  Lenz 
(H.  Z.  ßd.  59),    Wittich    (H,  Z,   Bd.  68/69,  7273)    und    Irmer   (Ein* 
leittmgen  zum  2.  und  3.  Band  seiner  ,, Verbandlungen  Schwedens"), 

»)  Hallwich  II,  Nn  1097  S.  260, 

=)  Dies  wird  man  aus  Kinskys  Mitteilung  (Irmer  II,  Nr,  165 
S.  173;  vgl,  Nr  163  S.  170),  daß  zuerst  Raschln  (Im  Auftrag  Thurns) 
zu  Wallenstein  gekommen,  diesem  aber  nicht  genehm  gewesen 
sei,  entnehmen,  Raschins  Behauptung,  daß  sein  Kommen  durch 
Wallensteins  Berufung  veranlaßt  sei  (Oadeke  S,  321),  dürfte  da* 
durch  widerlegt  werden. 


Der  Untergang  Wallenstelns. 


269 


schwedischen  Gesandten  in  Dresden,  und  dem  Grafen 
Wilhelm  Kinsky,  einem  dort  wohnenden  böhmischen 
Emigranten  ^)>  hinüberführen  und  in  ihren  Anfängen  bis 
etwa  Februar  1633  zurückgehen.-)  Wo  wir  in  einen  Ab- 
schnitt dieser  Umtriebe  hineinsehen  (Mai  1633),  erkennen 
wirj  daß  sie  von  einem  Kreis  angesehener  und  zugleich 
bei  Wallenstein  in  Gunst  stehender  Böhmen  ausgingen^), 
daß  deren  Aufträge  durch  einen  von  ihnen  beglaubigten*) 
Vertrauten  den  genannten  beiden  Personen  vorgebracht 
wurden  und  auf  nichts  Geringeres  als  die  Ergreifung  der 


*)  über  seine  Verhältnisse  vgl.  vor  allem  Oindely,  Gegen- 
reformation in  Böhmen  S.  301. 

■)  Als  Anfang  nennt  Nikolai  am  8,  Juni  den  Winter  (frmer 
lU  Nn  171  S.  183),  am  30,  September  die  Zelt  vor  sieben,  dann 
am  selben  Tag  die  Zeit  vor  acht  Monaten  (Nr.  267  S.  355;  Nr.  265 
S.  350).  Am  23,  September  bemerkt  er,  daß  er  vor  fünf  oder 
sechs  Monaten  in  dieser  Angelegenheit  gearbeitet  habe  (Nn  256 
S.  338), 

■)  Personen,  die  bei  Wallenstein  ^gratiosi^  sind  und  in 
Böhmen  mycket  förnih.    (Nicolai,  Mai  17,  Nn  153  St  145.) 

*)  Literae  fidel  (a,  a,  0.  S.  147),  Wittich  (a.  a,  O.  S.  400)  meint» 
dieser  Sendung  sei  ^joffenbar"  der  Oberst  Schlief*  Aber  Schlief 
wohnte  in  Dresden,  der  Sendling  kam  von  Prag  und  ging  nach 
Prag  zurück  (S.  147);  der  Sendling  hatte  noch  einen  ^unverderbten** 
Rest  seines  Vermögens  in  Böhmen,  also  liegende  Güter  (S.  140), 
Schlief  hatte  daaelbst  nur  «ausstehende**  Schuldforderungen  (Hall- 
wich I,  Nr,  547  S.  456.  Vgl.  Schlief s  Aussagen,  Irmer  III,  454). 
Nicht  weginterpretieren  laßt  sich  auch,  daß  Schlief  selber  in  den 
Mitteilungen  (S.  141)  genannt  und  von  dem  Sendling  unterschieden 
wird,  —  Beachtung  verdient  noch  folgendes:  über  des  Abge- 
sandten Werbung  berichtet  Nikolai  dem  Oxenstierna  am  17,  Mai, 
Etwa  acht  Tage  früher  (nämlich  vier  Wochen  vor  dem  8,  Juni; 
vgl  Irmer  II,  Nr.  J71  S,  183)  berichtet  er  demselben  schon  über 
dieselben  Projekte,  wie  sie  dann  in  jener  Werbung  behandelt 
werden,  und  am  26,  Mai  erteilt  ihm  Oxenstierna  darauf  eine  Ant- 
wort (vgl,  das  angeführte  Schreiben  S,  183  und  S*  173  Z*  5  f,),  die 
wieder  vor  die  ebenfalls  das  böhmische  Projekt  mitberührende 
Werbung  Bubnas  fällt.  Trotz  dieser  Verschiedenheiten  falit 
Nikolai  (a,  a.  0,  S.  183)  die  ganze  im  Winter  anhebende  Kette 
der  auf  die  Eroberung  Böhmens  für  Wallenstein  bezüglichen 
Umtriebe  unter  dem  Wort  ^  Bubnas  Negotiation**  zusammen.  Die 
gleiche  Vermischung  verschiedener  Unterhandlungen  wegen  Gleich- 
heit des  Gegenstandes  findet  sich  in  den  Anm,  2  zitierten 
Schreiben. 

Hiitorische  ZeiUchrifl  <97.  Bd,)  X  Folge  1.  Bd,  18 


270  Moriz  Ritter, 

böhmischen  Krone  durch  Wallenstein  und  mit  schwedischer 
Hilfe  zielten,  daß  aber  eine  Mitwissenschaft  Wallensteins 
nicht  vorlag,  jedenfalls  nicht  zugestanden  ward,     4.    Auf 
dasselbe  Ziel   einer  kriegerischen  Erhebung  Wallensteins  ■ 
gegen   den  Kaiser,    die  dem  Feldherrn  auf  Grund  eines 
Kriegsbündnisses    mit  Frankreich    die    böhmische    Krone 
einbringen   solltej  ging  eine   vierte  Reihe  von  Verhand- 
lungen, in  welche  der  oben  genannte  Kinsky  seit  Mai  1633   m 
mit    dem    französischen    Gesandten    Feuquiferes    eintrat,    ■ 
auch  sie  begonnen   und  durch  das  Jahr  1633  fortgeführt 
ohne  erweisbaren  Auttrag  Wallensteins,  nur  in  der  Hoff- 
nung, ihn  im  geeigneten  Augenblick  für  das  Unternehmen 
zu  gewinnen.  fl 

Die    wichtigste   unter  diesen   vier  Reihen   ist  gewiß 
die  erste.     Betrachten   wir  das  Wesentliche  ihres  Inhalts, 
wie  es  sich  aus  den  unmittelbar  aus  den  Verhandlungen 
hervorgegangenen  Akten  und  der  Korrespondenz  Arnims 
mit  den   Kurfürsten  von   Sachsen   und  Brandenburg  er- 
gibt.    Wiederum  muß  man  hier  damit  beginnen,  drei  Ab-  ■ 
schnitte  zu  unterscheiden,  durch  welche  die  Verhandlung 
verläuft  Im  Mittelpunkt  des  ersten  steht  der  zwischen  der 
kaiserlichen   und  sächisch-brandenburgisch-schwedischen  fl 
Armee,  die  bei  Heidersdort  und  Langen-Ols  sich  gegen- 
überstanden^    geschlossene    Waffenstillstand ,    anberaumt 
auf   die  vierzehn  Tage  vom  Abend  des  7,   bis  2L  Juni 
und  verlängert  bis  zum  25.  Juni.^)     Wiederum  ein  Waffen- 
stillstand, abgeschlossen  auf  vier  Wochen  am  22.  August, 
dann  verlängert  bis  zum  2.  Oktober-),    steht  im  Mittel- 
punkt des  zweiten  Abschnittes.     Ohne  Waffenruhe,    zeit- 
lich aber  fast  unmittelbar  an  die  zweite  Epoche  sich  an- 
schließend, beginnt  eine  dritte  etwa  mit  dem  6.  Oktober^)   ■ 
und  zieht  sich  dann  in  schleppendem  Gang,  in  dem  die  " 
Verhandlungen  zunächst  vom   Herzog  Franz  Albert  von 


0  Hall  wich  n,  Nr.  1 115  S.  282, 

*)  Förster  UI,  Nr.  386  S.  50.     Irmer  II  Nr.  254  S.  356. 

«)  Wallensteins  Paß  für  H.  Franz  Albert,  Hallwich  J,  Nr.  750 
S.  621,  Vgl  Wallenstein  an  Adam  von  Waldstein,  Oktober  6. 
(Nr.  745  S.  618.) 


I 


Der  Untergang  Wallensteins. 


271 


Sachsen-Lauenburg,  als  Vorläufer  Arnims,  geführt  werden, 
bis  zu  Wallensteins  Untergang  hin. 

Gegenstand  all  dieser  Verhandlungen  war  die  Her- 
stellung des  Friedens  im  Reich,  eine  Aufgabe,  die  man 
durch  eine  doppelte  Vereinbarung  zu  lösen  suchte:  ein- 
mal über  die  Bedingungen  des  Friedens,  sodann  über 
die  Art,  wie  die  Annahme  derselben  bei  den  kriegführenden 
Mächten  erwirkt  werden  sollte.  In  der  ersten  Verhand- 
lung nun  suchte  Wallenstein  diese  doppelte  Vereinbarung 
in  eine  höchst  lakonische  Formel  zu  fassen:  beide  Heere, 
d.  h.  das  kaiserliche  unter  Waüensteinj  das  sächsisch- 
brandenburgische  unter  Arnim,  verbinden  ihre  Waffen 
gegen  diejenigen^  welche  den  Stand  des  Reiches  weiter 
zerrütten  und  die  Religionslreiheit  hindern  wollen.^)  Aber 
diese  Kürze  war  nicht  im  Sinne  Arnims,  Zunächst  be- 
seitigte er  die  Unklarheit,  ob  neben  der  sächsisch-branden- 
burgischen Armee  auch  das  schwedische  unter  dem  Be- 
iehl  des  Grafen  Thurn  mit  ihr  zusammenwirkende  Korps 
verstanden  sein  solle,  dadurch,  daß  er  in  Abwesenheit 
des  erkrankten  Thurn  einen  seiner  Obersten  zu  der  über 
Waffensteins  Vorschläge,  wenigstens  den  Waffenstillstandj 
geführten  Beratung  zuzog  und  so  den  Einschluß  dieser  Ab- 
teilung in  den  Waffenstillstand  bewirkte.  Dann  aber  trat 
er  an  Wallenstein  mit  einer  Erklärung  seiner  Worte  heran: 
unter  dem  Stand  des  Reiches  verstehe  er  denjenigen^ 
der  vor  Ausbruch  des  Krieges,  im  jähre  1618,  in  Sachen 


')  Die  Frage,  ob  in  den  alsbald  in  Umlauf  kommenden  an- 
geblichen Fnedensvorschlägen  Wallensteins  ein  Kern  von  Wahr- 
heit liegt,  will  ich  hier  nicht  untersuchen.  Ich  hebe  nur  zm  rich- 
tigen Beurteilung  des  Inhalts  die  erzählenden  Worte  hervor,  welche 
der  kürzeren  Redaktion  (zuerst  bei  Aretin  S.  93,  dann  bei  Ranke 
S.  330;  dann  bei  Hallwich  11^  Nr  1108  S. 274)  vorausgehen:  es  sollen, 
sagt  Wallenstein,  in  dem  Frieden  „diejenigen  Punkte  allein  (bei 
Ranken  talle*),  so  sie  selber  (der  Cegenpart)  vorschlagen  würden, 
eingegangen  werden.  Hat  auch  hierzue  nachfolgende  vorzu- 
schlagen angefangen.*  Also  die  Wallenstein  in  den  Mund  ge- 
legten Vorschläge  sollen  nur  ein  unvorgreiflicher  Anfang  sein. 
Hierdurch  kann  man  es  erklären,  daß  sowohl  in  den  vier  Punkten 
der  kürzeren,  als  in  den  sieben  Punkten  der  längeren  Fassung 
jiur  gleichsam  zufällig  berausgegritfene  Vorschläge  erscheinen. 

18* 


nz 


Morlz  Ritten 


der  Religion  und  aller  Rechte  geherrscht  habe,  und  unter 
dem  bloßen  Nichtzerrütten  verstehe  er  die  positive  Her- 
stellung desselben.*) 

Dürften  wir  nun  Arnims  Worten  glauben,  so  hätte 
Wallenstein  diese  Erklärung  anerkannt.^)  Prüfen  wir  aber 
die  Schreiben  der  Obersten  Trzka  und  Gallas^  in  denen 
Wallenstein  dieses  Anerkenntnis  niederlegte^),  so  bemerken 
wir,  daß,  genau  genommen.  Wallenstein  nicht  die  Inter- 
pretation Arnims,  sondern  nur  die  „Intention*',  die  ihn  zu 
deren  Niederschrift  bewogen  hat,  billigt.  Also  eine  Zu- 
stimmung, die  nach  Bedürfnis  anerkannt  oder  auch,  wie 
sich  gleich  zeigen  wird,  abgeleugnet  werden  konnte. 
Und  zu  dieser  ersten  Unklarheit  gesellte  sich  alsbald 
eine  zweite. 

Nach  den  kurzen  Worten  Wallensteins  sah  es  so  aus, 
als  ob  die  beiden  Feldherrn  den  Frieden  anzuordnen  und 
dessen  Annahme  einfach  zu  erzwingen  hätten.  Hier  je- 
doch erinnerte  sich  Arnim,  daß  er  nur  der  von  den  Kur- 
fürsten von  Sachsen  und  Brandenburg  bestallte  Offizier 
sei,  daß  er  lolglich  die  ihm  gewordenen  Anträge  zunächst 
diesen  seinen  Kriegsherren*)  vorzulegen  habe.  Wie  er 
aber  demgemäß  mit  dem  sächsischen  Kurfürsten  zu  Or- 
trand (18. — 2L  Juni),  mit  dem  brandenburgischen  zu  Peitz 
(22. — 23*  Juni)  konferierte,  erhob  sich  sofort  die  weitere 
Frage  nach  der  auf  Schweden  zu  nehmenden  Rücksicht. 
Die  Räte  des  sächsischen  Kurfürsten  erkannten  leicht, 
daß  Wallenstein  an  die  im  Jahr  1632  angestellten  Be- 
mühungen um  einen  Separatfrieden  mit  Sachsen  und 
weiter  mit  Brandenburg  anknüpfe,  und  daß  unter  den 
Friedensstörern   im  Reich,   gegen    die    man    die    Waffen 

*)  In  der  kiirsachsischen  Instruktion  für  Arnim  (Gädeke  Nr,  77 
S.  190)  werden  Walle nstein  bereits  Worte  in  den  Miind  gelegt,  die 
dieser  Erklärung  entsprechen. 

')  Arnim  an  Kursachsen,  1633  Juni  II.  (Gädeke  Nr.  56 
S*  160  Z.  70 

*)  Beide  vom  8.  Juni.  Hallwich  I.  Nr.  472  S.  398.  Neues 
Archiv  i  sächsische  Geschichte  Vll  S*  291  Nr,  tO. 

*)  Nach  dem  Text  bei  Gädeke  (Nr.  57  S,  161)  nimmt  er  in 
Beiner  Erklärung  an  Wallenstein  vom  7.  Juni  die  Sache  zu  Bericht 
an  den  Kurfürsten  von  Sachsen^  nach  dem  bei  Hallwich  (II,  Nr,  47Ö 
S.  397)  an  ^beiderseits  cburf.  Dd.". 


Der  Untergang  Walletisteins* 


273 


vereinigen  solle,  an  erster  Stelle  die  Schweden  gemeint 
seien,*)  Nun  aber  hielt  ihr  Kurfürst  noch  an  dem  Ent- 
schlüsse festj  sein  mit  Gustav  Adoll  geschlossenes  Bünd- 
nis mit  Oxenstierna  fortzuführen,  und  wenn  auch  jetzt 
schon  hinter  dieser  Entschließung  ein  Vorbehalt  stand^ 
den  Arnim  bereits  am  30.  November  1632  trelfend  in  dem 
Bedingungssatze  wiedergab^):  „wenn  die  Schweden  als 
Zweck  des  Kriegs  einen  baldigen,  guten  und  ohne  Zer- 
rüttung des  Reichs  zu  treffenden  Frieden  anerkennen 
wollen",  so  wiederholte  Johann  Georg  doch  gerade  in 
jenen  Tagen  dem  französischen  Gesandten  die  Erklärung, 
daß  er  „auf  keinen  Vorschlag  eines  Sonderfriedens  ein- 
gehen werde,'' ^) 

Zu  diesem  einen  Grunde  ablehnender  Haltung  kam 
noch  ein  zweiter.  Am  25.  Mai  hatte  der  König  von 
Dänemark,  in  seiner  Eigenschaft  als  Friedensvermittler, 
die  förmliche  Einladung  zu  einem  allgemeinen  am  23.  Juli 
in  Breslau  zu  eröffnenden  Friedenskongreß  an  den  Kaiser 
sowohl,  wie  an  den  sächsischen  Kurfürsten  erlassen. 
Johann  Georg  selber  hatte  sich  seit  dem  5.  April  für  das 
Zustandekommen  dieses  Kongresses  eifrig  verwandt; 
sollte  er  Ihn  nun  durch  eine  Sonderverhandlung  selber 
durchkreuzen?  Diese  Erwägung  entschied  vollends  die 
Haltungj  welche  der  sächsische  Kurfürst  gegenüber  der 
Zweideutigkeit  des  Wallensteinschen  Vorschlags  annahm. 
Sich  einfach  die  gemachten  oder  noch  zu  machenden 
Eröffnungen  Walle nsteins  zu  verbitten,  kam  ihm  nicht  in 
den  Sinn,  und  ebensowenig  hielt  er  sich,  wenigstens  einst- 
weilen» für  verpflichtet,  solche  Vorbesprechungen  dem 
schwedischen  Bundesgenossen  mitzuteilen^);  aber  vor- 
läufig ließ   er  Wallenstein   ersuchen,    sie  so  lange  ruhen 

^)  Jrmer  (II,  Vorw,  S.  51)  will  Frankreich  darunter  verstanden 
wissen.  Aber  die  sächsischen  Räte  verstehen  darunter  des  Kur- 
fürsten „itzige  Freunde**  (Gädeke  S.  167),  Das  aber  waren  wohl 
die  Schweden,  mit  denen  er  verbündet  war,  nicht  aber  die  Fran- 
zosen, deren  Bündnisanträge  er  zurückwies. 

*)  Helbjg,  Gustav  Adoll  S,  93. 

^)  N^eniendre  ä  aucune  proposition  de  paix  particulUre.  (Feu* 
quibres  bei  Auberyt  Richelieu  S.  398.) 

*)  Richtig  hebt  dies  Struck  hervor,  (Johann  Georg  und 
Oxenstierna  S.  202.) 


874 


Moriz  Ritter, 


r 


zu  lassen,  bis  man  über  den  Gang  der  Breslauer  Ver* 
Handlungen  ein  Urteil  gewinne.  —  Abweichend  in  der 
Begründung,  aber  übereinstimmend  in  dem  Schluß^  daß 
die  Eröfinungen  des  kaiserlichen  Feidherrn  dilatorisch  zu 
behandeln  seien,  war  die  Entschließung  Kurbrandenburgs. 

Was  also  Wallenstein  bei  dem  Versuch  eines  Sonder- 
abkommens  mit  Sachsen  zunächst  fand,  war  eine  zwar 
nicht  unverbrüchliche,  aber  vorläufige  —  und  zwar,  wie 
nebenbei  bemerkt  sei,  von  tiefem  Mißtrauen  gegen  seine 
Aufrichtigkeit  und  Ehrlichkeit  begleitete  —  Ablehnung, 
Wollen  wir  aber  die  Lage,  in  die  er  hiermit  geriet,  voll- 
ständig übersehen»  so  müssen  wir  noch  das  Verhältnis  der 
kaiserlichen  Regierung  zu  seinen  Verhandlungen  ins  Auge 
fassen. 

Nach  dem  oben  Ausgeführten  hatte  der  Kaiser  nichts 
dagegen,  daß  Wallenstein  in  Sonderverhandlungen  mit 
Sachsen  eintrat.  Aber  was  er  nicht  gestatten  konnte, 
war,  daß  sein  General  willkürlich  über  die  Grenze  der 
Zugeständnisse  hinausging,  die  er,  wie  ebenfalls  schon 
dargelegt  ist,  in  den  Friedensverhandlungen  eingehalten 
wissen  wollte.  Nun  fügte  sich*s»  daß  durch  einen  Ver- 
trauten Wallensteins  selber,  den  Obersten  Sant-Julian» 
die  Nachricht  an  den  kaiserlichen  Hof  kam,  daß  der 
Feldherr  in  die  Besprechungen  mit  Arnim  mit  der  Ab- 
sicht eingetreten  sei,  im  Friedensvertrag  den  Stand  von 
1618  herstellen  zu  lassen.  Sofort  rief  diese  Nachricht 
eine  solche  Erregung  hervor,  daß  Wallenstein  den  gegen 
ihn  aufsteigenden  Unwillen  erst  durch  ein  aufklärendes 
Schreiben  an  Sant-Julian,  dann  ein  zweites  an  den  Kaiser 
zu  beschwichtigen  suchte*  Worin  aber  bestand  seine 
Autklärung?  Er  habe»  sagte  er,  eine  solche  Anregung 
nie  gegeben  und,  als  sie  von  der  gegnerischen  Seite  ge- 
kommen, sie  „kategorice  rebutiret".  Überhaupt,  so  er- 
klärte er  dem  Kaiser^),  habe  die  Besprechung  nur  die 
Förderung  der  in  Breslau  vorstehenden  Friedensver- 
handlung bezweckt 

*)  Wallenstein  an  Sant-Julian,  1633  Juni  IS*  Eggenberg  an 
Wallenstein^  Juni  20.  Questenberg  an  denselben^  Juni  18.  Wallen- 
stein an  den  Kaiser,  Juni  20,    (Hallwich  I,  Nn  476*  479.  4S2.  509.) 


I 


1 


Der  Untergang  Wallenstelns. 


27i 


Angesichts  dieser  Rechenschaftsablage  versteht  man 
es,  weshalb  Wallenstein  jene  von  Arnim  ihm  zugemutete 
Erläuterung  seiner  Worte  in  so  zweideutiger  Form  gab; 
aber  unleugbar  ist  auch,  daß  seine  Angaben  über  die 
kategorische  Zurückweisung  dieser  Zumutung  und  über 
den  bloß  vorbereitenden  Zweck  seiner  Besprechung 
lügenhaft  waren  und  den  Kaiser  in  die  Irre  führen  sollten, 
Damit  aber  gewinnt  auch  ein  in  seinem  oben  angeführten 
Vorschlag  von  der  Vereinigung  der  Heere  gegen  die 
Friedensstörer  befindlicher  kleiner  Zusatz^  daß  sie  näm- 
lich gelten  sollte,  ^ohne  Respekt  einiger  Person''  erst 
seine  volle  Tragweite:  nicht  nur  den  Schweden,  sondern 
auch  seinem  Kaiser  vermaß  sich  Wallenstein  den  Frieden 
über  den  Kopf  zu  nehmen,  wenn  nötig  durch  die  Gewalt 
der  Waffen* 

Nachdem  wir  nun  den  Zweck  und  die  Hindernisse 
dieser  ersten  Verhandlung  Wallensteins  erkannt  haben, 
können  wir  über  den  Ausgang  derselben  rasch  hinweg- 
gehen. Die  ablehnenden  Erklärungen  des  sächsischen 
Kurfürsten  bedeuteten  für  Wallenstein  ein  vorläufiges 
Scheitern  seiner  Pläne,  und  wie  er  nun  durch  die  ver- 
suchte Überrumpelung  von  Schweidnitz  (3.  Juli  fg,)  den 
Gegner  in  die  Enge  zu  treiben  suchte,  hier  aber  vor  der 
entschlossenen  Gegenaulsteilung  Arnims  innehalten  mußte, 
fügte  er  zu  seiner  diplomatischen  auch  noch  eine  mili- 
tärische Niederlage  hinzu.  Dies  hielt  ihn  jedoch  nicht 
ab,  sich  um  die  Wiederaufnahme  der  Verhandlung  zu 
bemühen,  und  amTl6,  August  konnte  denn  auch  zwischen 
den  jetzt  bei  Schweidnitz  einander  gegenüber  stehenden 
Heeren  die  zweite  Konferenz  der  Feldherren  beginnen. 
Treten  wir  an  diese  neuen  Besprechungen  mit  der  Frage 
heran,  ob  sie,  verglichen  mit  den  vorausgehenden,  etwas 
wesentlich  Neues  enthalten. 

In  der  Tat  findet  sich  ein  Fortschritt  gegen  früher 
in  drei  wichtigen  Punkten.  Zunächst,  Wallenstein  ließ 
sich  zu  einer  positiven  Erklärung  herbei  über  die  Grund* 
läge,  auf  welcher  der  Friede  im  Reich  zu  schließen  sei^); 

*)  „Vorgeschlagene  Friedensmiltel  und  Traktaten**'  (Franz 
Albert   an   Kursachsen,  1633  September  6.    Hallwich    II,   Nr,  1H7 


) 


274  Mork  Ritter^ 

sie  besagte,  daß  „ Religion-  und  Profanfriede^  wieder  ^auf 
den  rechten  Fuß",  d.  h.  wohl  auf  den  Stand,  wie  vor  dein 
Krieg  ^)j  zu  setzen  seien*  Diese  Erklärung  wurde  von 
Arnim  genehmigt-),  und  als  Grundlage  der  Verständigung 
war  sie  auch  dem  sächsischen  Kurfürsten  willkommen, 
nur  daß  er,  als  die  Sache  an  ihn  kam,  eine  umfassende 
Ergänzung  verlangte:  es  sollte,  und  zwar  in  einem 
weiteren  Abkommen  mit  Wallenstein,  eine  Anzahl  von 
besondern  auf  dem  Grunde  des  Religionsfriedens  und 
des  Reichsrechls  erwachsenen  Streithändeln  entschieden 
werden. 

Vonseiten  Wallensteins  bedeutete  indes  auch  ohne 
solche  ErgänzungenJ  die  nun  klarer  ausgesprochene  An- 
nahme des  Standes  von  1618  eine  nicht  geringe  Konzes- 
sion an  den  protestantischen  Standpunkt  und  zugleich 
eine  Schärfung  seines  geheimen  Gegensatzes  gegen  die 
kaiserliche  Regierung,  Allein  eine  zweite  viel  größere, 
weil  den  Grundgedanken   seiner  auf   den  Separatfrieden 


I 
I 


I 


S*  315)  „Friedensconditiones,  so  der  Fndland  vorgeschlagen.*' 
(Nicolai,  September  6.  Irmer  H,  Nr  236  S*  305,)  Für  das  Folgende 
im  allgemeinen  des  Kurfürsten  von  Sachsen  Memorial,  Septem*  h 
ber  16.  (Hallw^tch  II,  Nr.  1150  S.  318.)  Mit  ihm  ist  zu  verbinden  ■ 
das  von  Gädcke  mitgeteilte  Schreiben  Arnims  an  Wallenstein,  im 
Neuen  Archiv  f.  sächsische  Geschichte  VII,  S.  2%  Nr,  7*  Die  in 
diesem  Schreiben  erwähnten  „kaiserlichen  Subdelegierten"  können 
nur  die  zum  Brestauer  Friedenskongreß  delegierten  kaiserlichen 
Gesandten  sein,  welche  Arnim  als  Subdelegierte  bezeichnet,  Indem 
er  Wallenstein  (nach  Analogie  der  Lübecker  Verhandlungen)  als 
den  eigentlich  Bevollmächtigten  ansieht.  Da  dieselben  nach  dem 
6,  und  vor  dem  9.  September  sich  in  Wallensteins  Lager  ein- 
fanden (Hallwich  II,  Nr.  654,  663),  so  fällt  das  Schreiben  nach  dem 
6.  September.  Da  ferner  die  in  dem  Schreiben  erwähnte,  ^gestrig» 
Tages"  im  geheimen  Rat  eröffnete  Resolution  des  Kurfürsten  allem 
Anschein  nach  identisch  ist  mit  dem  Memorial  vom  16.  September, 
welches  er  Arnim  hat  zustellen  lassen,  so  fällt  das  Schreiben 
au(  den  17.  September, 

*)  „in  vorigen  Stand**,  so  erläutert  Thurn  Wallensteins  Ge- 
danken. (Neues  Archiv  l  sächsische  Geschichte  VII,  292.)  VgL 
Kaisers  Aussage  über  ein  Schreiben  Wallensteins  an  H.  Franz 
Albert.    (Irmer  111,  S.  388  Nr.  3.) 

')  Daher  der  Ausdruck  „abgeredte  Tunkten"  in  dem  eben 
besprochenen  Schreiben  vom  17.  September. 


I 


Der  Untergang  Wallensteins, 


277 


gerichteten  Bemühungen  durchkreuzende  Zumutung  war 
eSj  als  jetzt  Arnim,  sicher  im  besonderen  Auftrag  seines 
Kurfürsten^),  auch  die  Zustimmung  Oxenstiernas  zu  den 
über  den  Frieden  zu  treffenden  Abmachungen  für  nötig 
erklärte*  Aus  dem  Dunkel  der  hierüber  geführten  Aus- 
einandersetzungen läßt  sich  nur  so  viel  entnehmen,  daß 
Wallenstein  widerwillig'-*)  und,  wie  die  späteren  Vorgänge 
lehrten^  mit  trugvollen  Hintergedanken  es  dem  Arnim 
gestattete,  die  Ergebnisse  ihrer  Konferenz  nicht  nur  dem 
sächsischen  und  brandenburgischen  Kurfürsten,  sondern 
auch  Oxenstierna  zur  Annahme  vorzulegen.  —  Aber  zu 
diesen  Ergebnissen  gehörte  nun  noch  eine  dritte,  und 
zwar  auf  WaUensteins  Vorschlagt)  getroffene,  vorläufige 
Abrede:  sie  ging  auf  eine  Vereinigung  „der  Armeen", 
d*  h,  wenn  wir  zur  Erklärung  uns  lediglich  an  den  Schriften- 
wechsel zwischen  Wallenstein,  Arnim  und  den  protestan- 
tischen Kurfürsten  halten,  auf  eine  Vereinigung  der  in 
Schlesien  stehenden  kaiserlichen  mit  der  sächsisch-branden- 
burgischen Armee,  zum  Zweck  der  Herstellung  von  Friede 
und  Recht  im  Reiche,  Vorgeschlagen  hatte  Wallenstein 
diese  Verbindung  auch  bei  der  letzten  Verhandlung,  aber 
der  Unterschied  war,  daß  Arnim  jetzt  sichtlich  mit  besserer 
Hoffnung  auf  eine  Verständigung  erfüllt  war  und  darum 
der  Verbindung  entschiedener  das  Wort  redete. 

Worauf  beruhten  diese  gesteigerten  Hoffnungen  Ar- 
nims? Dürfen  wir  seinen  nach  der  Zerreißung  dieses  Ver- 
ständigungsversuchs gemachten  Angaben  trauen,  so  hatte 


')  Er  hatte  eine  förmliche  Instruktion.  (Gädeke  Nr.  &9  S,  182 
Z.  2  V,  u.) 

*)  Dies  scheint  mir  aus  dem  Schreiben  vom  2.  September 
unverkennbar  hervorzugehen.  Vgl.  darüber  Wittich  Im  Neuen 
Archiv  L  sächsische  Geschichte  XXII,  S.  61  Anm.  77.  Unter  der 
mißbilligten  Reise  j^ln  das  Reich ^  kann  nur  die  zu  Oxenstierna 
nach  Gelnhausen  verstanden  sein,  —  Das  von  Wittich  a,  a.  0, 
für  die  entgegengesetzte  Auffassung  angeführte  Schreiben  von 
Callas  gehört  zum  8.  Juni  und  bezieht  sich  nicht  auf  Arnims  Reise 
2u  Oxenstiernaj  sondern  zu  Kursachsen«    Vgl  S,  272  Anm.  3. 

^)  nWas  wegen  der  Einigung  der  Armeen  .  . .  von  e,  L  G,  vor- 
geschlagen.'* (Neues  Archiv  f.  sächsische  Geschichte  VII,  S*  291 
Nr.  9.) 


270 


Moriz  Ritler, 


er  Wallen  Steins  Erklärungen  dahin  verstanden,  daß  er  „ge- 
sonnen sei,  es  mit  den  Evangelischen  zu  halten  "*,  und 
zwar  nicht  bloß  mit  den  deutschen  Protestanten,  sondern 
auch  „mit  Schweden  in  Allianz"  zu  treten.^)  Arnim  er- 
scheint also  jedenfalls  in  diesem  Abschnitt  als  Befürworter 
der  Einziehung  Schwedens  nicht  nur  in  den  zu  schließen- 
den Friedensvertrag,  sondern  auch  in  ein  darauf  zu  grün- 
dendes Kriegsbündnis,  das  sich  dann  nur  gegen  den  Kaiser 
und  seine  Verbündeten  richten  konnte.  Traf  er  damit  den 
Sinn  Wallensteins  und  seines  sächsischen  Kriegsherrn? 
Das  muß  der  weitere  Verlauf  der  Verhandlung  lehren, 
den  ich  zunächst,  wie  ich  nochmals  bemerke,  nur  nach 
dem  Schritten  Wechsel  zwischen  Arnim  j  Wallenstein  und 
den  beiden  Kurfürsten  verfolge. 

Drei  Tage  nach  Abschluß  des  Waffenstillstandes  trat 
Arnim  eine  neue  diplomatische  Reise  an.  Am  29.  August 
konferierte  er  mit  dem  sächsischen  Kurfürsten  in  Großen- 
hain, am  9.  bis  10.  September  mit  Oxenstiernain  Gelnhausen, 
am  16.  bis  17,  September  wieder  mit  Kurfürst  Johann  Georg 
in  Morizburgj  am  19.  mit  dem  brandenburgtschen  Kur- 
fürsten in  Beeskow,  um  von  dort  zurück  nach  dem  Lager 
bei  Schweidnitz  zu  eilen,  wo  am  25.  September  er  persön- 
lich, am  26.  Herzog  Franz  Albert  von  Lauenburg  in  seinem 
Namen  die  Schlußvcrhandlungen  mit  Wallanstein  führten. 
In  diesen  Besprechungen  treten  uns  abermals,  im  Ver- 
gleich  mit  den  Juniverhandlungen  neue  Momente  entgegenj 
am  auffallendsten  in  der  am  16,  September  getroffenen 
Entscheidung  des  sächsischen  Kurfürsten,*) 

Johann  Georg  geht  in  dieser  Entschließung  von  der 
Behauptung  aus,  daß  Oxenstierna  Wallensteins  Vorschläge 
schon   im  allgemeinen  gebilligt  habe;   seinerseits  erklärt 


*)  Arnim  an  Kurbrandenburg,  1633  September  27*    (Förster 

HI,  Nr.  388  S.  73.) 

■)  Der  Form  nach  ist  diese  Resolution»  wie  es  am  Schlüsse 
derselben  hei0t|  ein  „Memorial*  für  Arnim,  Die  von  dem  Heraus- 
geber (Haliwich  II,  Nr,  1150)  gewählte  Bezeichnung  „Vollmacht'' 
ist  nicht  korrekt.  Sie  ist  angenommen  von  Lenz  (S,  424  Anm,  4)^ 
wozu  denn  Irmer  (II,  Vorr.  S-  73)  auch  noch  eine  von  Oxenstierna 
gegebene  Vollmacht  hinzufügt. 


Der  Untergang  Wallenstema. 


279 


er  dann  hinsichtlich  des  für  die  Herstellung  des  Friedens 
im  Reich  vorgeschlagenen  Weges,  daß  er  die  von  ihm 
für  nötig  befundene  Vereinbarung  speziellerer  Bestim- 
mungen^ die  mit  Wallenstein  noch  zu  treffen  ist,  nach 
Kräften  befördern  will;  was  dann  zweitens  die  Vereini- 
gung der  Armeen  in  Schlesien  angeht,  so  will  er  einst- 
weilen zwar  nicht  die  Verbindung,  aber  doch  das  ^Coope- 
rieren"  der  kaiserlichen  und  der  sächsischen  Armee  „ge- 
schehen lassen*^.  Gewiß  war  diese  zweite  Entschließung 
unbestimmt,  und  die  erste  eine  Anweisung  auf  die  Zu- 
kunft, aber  unverkennbar  ist  doch,  daß  der  Kurfürst  den 
Versuch  einer  Verständigung  mit  Wallenstein  hiermit  viel 
ernsthafter  angriff,  als  im  vorausgehenden  Abschnitt  der 
Verhandlungen.  Nur  muß  man  nun  um  so  eindringen- 
der fragen,  wie  er  bei  diesem  Versuche  sein  Verhältnis 
zu  Schweden  und  zum  Kaiser  zu  bestimmen  gedachte. 
Aufschluß  darüber  geben  zwei  Schreiben  Arnims,  das 
eine  am  20.  September  an  Oxenstierna^),  das  andere  am 
17.  September  an  Wallenstein ^)  gerichtet;  dem  schwe- 
dischen Kanzler  teilt  er  mit,  daß  der  Kurfürst  das  „Haupt- 
werk", also  die  endlichen  Entschließungen  über  die  speziel- 
len Friedensbedingungen  und  über  die  wirkliche  Ver- 
einigung der  Heere,  auf  eine  neue  Konferenz  Arnims  mit 
ihm,  dem  Kanzler,  ausgesetzt  habe;  dem  kaiserlichen  Feld- 
herrn aber  meldet  er,  der  Kurfürst  werde  seinen  Anträgen 
wohl  weiter  entgegenkommen,  wenn  für  die  von  ihm  vor- 
geschlagenen Friedensgrundlagen  auch  die  Unterschrift 
der  drei  kaiserlichen  Gesandten,  welche  damals  zur  Teil- 
nahme an  dem  Breslauer  Friedenskongreß  abgefertigt 
waren,  zu  erlangen  sei.  Man  sieht  also,  Johann  Georg 
dachte  in  diese  neue  Phase  von  Krieg  und  Unterhand- 
lung einzutreten,  indem  er  auf  der  einen  Seite  einen  engen 
Zusammenschluß  mit  Schweden  in  Aussicht  nahm,  auf 
der  andern  Seite  aber  die  Anknüpfung  mit  Wallenstein 
in  seine  Beziehungen  zum  Kaiser  einordnen  wollte;  und 
nach  dem  Zusammenhang  seiner  bisherigen  Politik  dürfen 


»)  Hildebrand  Nn43  S.  54, 
»)  VgU  oben  S*  276  Anm. 


I 


2S0  Möri2  Ritter, 

wir  wohl  annehmen,  daß  ihm  das  letztere  noch  mehr  am 
Herzen  lag,  als  das  erstere.  Wir  erkennen  aber  auch 
hier  die  Dinerenz  zwischen  ihm  und  Arnim,  Die  HoH- 
nung  des  letztern  stand  damals  auf  ein  gegen  den  Kaiser 
zwischen  Wallenstein,  Schweden  und  den  protestantischen 
Kurtürsten  zu  schließendes  Bündnis»  und  sein  Verlangen 
ging  au!  eine  in  diesem  Sinne  baldigst  zu  vollziehende 
Vereinigung  der  schlesischen  Heere.  fl 

Kam  er  aber  etwa  bei  dieser  Aulfassung  der  Absich-  ^ 
ten  Wallensteins  näher?  Eine  Spur,  daß  dessen  Wege  erst  ' 
recht  von  denen  Arnims  abführten,  hat  sich  uns  schon  in  H 
den  Anfängen  der  Unterhandlung  gezeigt;  mit  erschrecken- 
der Klarheit  trat  aber  der  Gegensatz  dem  sächsischen 
General  entgegen,  als  er  vom  Kurfürsten  von  Branden-  fl 
bürg,  der  eine  ähnliche  Erklärung  ausgestellt  hatte,  wie 
der  von  Sachsen,  nun  zu  den  Schlußverhandlungen  mit 
Wallenstein  eilte.  Wiederum  kann  ich  mich  über  die  hier 
in  Betracht  kommenden  Vorgänge  kurz  fassen.  Wenn 
in  den  Besprechungen  vom  25.  und  26.  September  Arnim 
oder  der  Herzog  Franz  Albert  auf  die  Vereinbarung 
spezieller  Friedensartikel  drangen,  so  antwortete  Wallen- 
stein: erst  seien  alle,  der  Kaiser  nicht  ausgenommen,  zur 
Unterwerfung  unter  seine  allgemeine  Friedensformel  zu 
zwingen,  dann  werden  die  speziellen  Friedensbestimmun- 
gen  sich  schon  finden.^)  Wenn  die  sächsischen  Generale 
ihn  zu  einer  Anerkennung  der  Verbindung  mit  Schweden 
zu  bringen  suchten,  so  entgegnete  er:  die  unverzüg- 
lich in  Angriff  zu  nehmende  Aufgabe  sei  vielmehr  Ver- 
jagung der  Schweden^  dann  der  Franzosen,  der  Spanier,    ■ 


*)  So  verstehe  ich  die  seheinbar  abweichenden  Äußerungen 
in  des  Herzogs  Franz  Albert  und  Arnims  Berichten  (Irmer  111,423 
und  Förster  III^  72),  erst:  man  soll  alle  angreifen^  welche  „den 
Frieden^  so  wir  gemacht  (nämlich  den  Frieden  ohne  „die  gewisse 
Punkte**,  Irmer  S.  423  Z.  6  v.  u.,  bloß  nach  der  allgemeinen  Formel), 
sich  nit  wollen  gefallen  lassen**,—  dann  {Förster  ni,  73  Z.  6v.  u.): 
nach  Vertreibung  der  Fremden,  als  Hauptgegner  des  Friedens, 
wollen  wir  „einen  Frieden  machen  (nämlich  den  im  einzelnen  arti- 
kulierten Frieden)  nach  unserm  Belieben**,  —  Ober  den  Kaiser 
vgl.  Irmer  IJt,  406  2,b, 


i 


Der  Untergang  WalJensteins* 


281 


kurz  aller  fremden  Eindringlinge  aus  dem  Reich;  dazu 
habe  die  sächsisch-brandenburgische  Armee  sich  seinem 
Oberbefehl  zu  unterstellen  und  wie  im  Sturm  von  Schle- 
sien nach  Oberdeutschland  zu  eilen. 

Es  versteht  sich  bei  dem  von  Sachsen  und  Branden- 
burg eingenommenen  Standpunkt  von  selbst,  daß  nach 
solchen  Aussprachen  die  Verhandlung  zerrissen  wurde, 
worauf  denn  Wallenstein  und  Arnim  sich  um  die  Wette 
des  Betrugs  beschuldigten.  Jedenfalls  aber  konnte  Wallen- 
stein darauf  hinweisen,  daß  seine  Schlußerklärungen  sich 
folgerichtig  an  die  in  den  Juniverhandlungen  gegebenen 
anschlössen.  Und  diese  Konsequenz  bewährte  er  auch, 
als  er  in  den  dritten  Abschnitt  der  Verhandlungen  ein- 
trat. Elf  Tage  nach  der  Kapitulation  von  Steinau,  am 
23.  Oktober,  stellte  Wallenstein  dem  Herzog  Franz  Albert 
das  Formular  eines  Separatvertrags  mit  den  Kurfürsten 
von  Sachsen  und  Brandenburg  zu,  welches  nicht  weniger^ 
aber  auch  nicht  mehr  enthielt,  als  er  vor  einem  Monat 
geboten  und  gefordert  hatte:  Herstellung  der  kirchlichen 
und  staatlichen  Rechtsverhältnisse  in  den  Stand  wie  vor 
Ausbruch  des  Krieges  (hier  heißt  es  noch  bestimmter: 
wie  unter  Rudolf  IL  und  Matthias);  auf  Grund  dieser 
Friedenstormel  sofortige^)  Verbindung  der  beiderseitigen 
Truppen  unter  Wallensteins  Oberbefehl  gegen  diejenigen, 
welcfie  dem  Friedenswerk  widerstehen,  besonders  gegen 
die  „fremden  Völker".  Höchst  charakteristisch,  aber  ge* 
wiß  dem  Standpunkt  entsprechend,  den  Wallenstein  be- 
reits im  Juni  eingenommen  hatte,  ist  es,  daß  als  Ver- 
tragschließender nicht  der  Kaiser,  sondern  er,  der  Feld- 
hauptmann, genannt  wird.^) 

Indes  gerade  in  dem  hiermit  angedeuteten  Verhält- 
nis war,  als  Wallenstein  in  diese  neuen  Verhandlungen 
eintrat,  die  Wendung  im  Gange^  die  ihm  verderblich  wer- 
den sollte:  der  Kaiser,  tiber  den  er  sich  hinwegzugehen 
vermaß,   machte  sich  auf,  um   in  die  Kriegführung   und 


')   Dies   hebt   Herasog   Franz   Albert   hervor,   November    10* 
(Gädeke  Nr.  117  S.24L) 

")  Schon  von  Lenz  bemerkt:  S.  436« 


282  Moriz  RUter, 

Politik  seines  Generals  einzugreifen.    Hatte  sich  Wallen 

stein  auf  einen  derartigen  Eingriff  gefaßt  gemacht  und 
Vorlcehrungen  getrotien?  Um  hierauf  eine  Antwort  zu 
erhalten,  müssen  wir  die  zweite  von  den  oben  unter- 
schiedenen vier  Reihen  der  Unterhandlungen  ins  Auge 
fassen* 

Den  Ausgang  dieser  Reihe  bilden  die  Besprechungen, 
welche  Bubna  im  Aultrag  des  Grafen  Thurn  in  der  Nachti 
vom  15.  zum  16»  und  am  Morgen  des  16.  Mai^)  zu  Git-* 
schin  mit  WaUenstein  hielt.  Wie  verhielt  sich  diese  Unter- 
handlung zu  der  drei  Wochen  später  bei  Heidersdorf  mit 
Arnim  geführten?  Prüft  man  die  von  Wallenstein  aus- 
gehenden Vorschläge,  so  wird  man  sagen:  Übereinstim- 
mung findet  sich  nur  darin,  daß  Wallenstein  in  Gitschin^ 
wie  in  Heidersdorf  die  protestantischen  Streitkräfte  in 
Schlesien  zu  sich  herüberziehen  will  Während  er  aber 
in  Heidersdorf  dieses  Ziel  mittels  des  Übertrittes  Arnims 
an  der  Spitze  der  sächsisch-brandenburgischen  Armee  zu 
erreichen  sucht,  denkt  er  es  in  Gitschin  durch  den  Ober- 
tritt Thurns  an  der  Spitze  der  viel  kleineren  schwedischen 
Armee  zu  erreichen.  Was  soll  dann  aus  dem  sächsisch- 
brandenburgischen  Heer  werden?  Die  Antwort  hierauf 
läßt  Wallenstein  erraten,  indem  er  vorschlägt:  unter  sein 
Oberkommando  soll  Thurn  als  Generalleutnant  und  Herzog 
Franz  Albert  von  Lauenburg  als  Feldmarschall  treten.  Da 
Franz  Albert  diese  Würde  bereits  im  sächsischen  Heer 
bekleidete,  so  konnte  nicht  wohl  sein  Übertritt  für  sich 
allein,  sondern  mit  der  sächsischen  Armee  in  seinem  Ge- 
folge gemeint  sein,  so  zwar,  daß  Arnim  dabei  völlig 
herausgedrängt  wäre.  Es  war  eine  perfide  Rechnung, 
die  aber  durch  drei  Umstände  bestätigt  wird:  durch  die 
bittere  Feindschaft,  die  zwischen  Thurn  und  Arnim  herrschte, 
durch  den  Anschein,  den  sich  Wallenstein  den  böhmischen 
Parteigenossen  Thurns  gegenüber  gab,  daß  er  diese  Feind- 
schaft teile ^)j  und  durch  desselben  schon  vier  Wochen 
früher  ausgesprochene  Behauptung,  daß  die  j^meisten  Offi- 


I 


I 


»)  Lenz  a.  a.  O,  S,  H. 
»)  Wittich,  H.  2.  68,  412. 


Der  Untergang  Wallcnsteitis.  283 

ziere"  der  feindlichen  Armee  in  Schlesien  „herein  (d.  h, 
mit  ihm  oder  den  Seinigen)  correspondiren*\>) 

Nicht  minder  weit  unterscheiden  sich  Waliensteins 
Gitschiner  von  den  Heidersdorfer  Vorschlägen,  wenn  man 
auf  den  Zweck  der  Vereinigung  der  Armeenj  nämlich 
den  dadurch  herbeizuführenden  Frieden,  sieht.  Auch  in 
Heidersdorf  hatte  Wallenstein  aul  ein  eigenmächtiges  Zu- 
greifen der  Feldherrn  gedeutet,  aber  daß  dasselbe  von- 
seiten Arnims  nur  im  Einvernehmen  mit  dem  Kurfürsten 
von  Sachsen  erfolgen  werde,  hat  er  sich  gewiß  nicht  ver- 
hehlt; dem  Abgeordneten  Thurns  gegenüber  entwickelte 
er  dagegen  mit  ebenso  brutalem,  wie  abenteuerlichem 
Selbstgefühl  den  Plan  eines  von  den  Feldherrn,  zunächst 
also  von  Wallenstein  und  Thurn,  zu  diktierenden  Frie- 
dens, den  dann  „die  andern",  d.  h.  der  Kaiser  sowohl, 
wie  Schweden,  der  bairische  Kurfürst  sowohl,  wie  der 
sächsische  zu  „belieben^  haben,  die  beiden  letztern  mit 
der  sie  gleichmäßig  treffenden  Zumutung  „Geld  her 
schwitzen"  zu  sollen.  Und  nun  die  Friedensbedingungen! 
Als  Inhalt  derselben  gibt  Wallenstein  an^):  gleiches  Recht 
für  Protestanten  und  Katholiken^  Restitution  derer,  die 
Unrecht  erlitten  haben,  Herstellung  der  ^ alten  Freiheiten 
und  Gerechtigkeiten",  Meint  er  damit  eine  Neuordnung 
im  Reich  oder  in  den  kaiserlichen  Hauslanden?  Im  letz- 
teren Sinn  verstand  seine  Worte  der  über  diese  geheimen 
Vorgänge  alsbald  unterrichtete  Graf  Wilhelm  Kinsky:  wir 
wollen,  läßt  er  Wallenstein  sagen  ^),  ^euch  Böhmen  alle 
miteinander  wieder  in  Böhmen  setzen".  Zu  derselben 
Erklärung  führt  auch  der  gleich  noch  hervorzuhebende 
Umstand,  daß  der  von  Bubna  überbrachte  Antrag  Thurns 
sich  lediglich  auf  Böhmen  bezog.  Damit  aber  ergibt  sich 
der  eingreifendste  Unterschied  zwischen  den  mit  Billigung 
des  Kurfürsten  von  Sachsen  geführten  Verhandlungen  und 
denjenigen   der  zweiten  und  dritten  Reihe.     In  den  Be- 


*)  An  Kurfürst  Maximilian,  1633  April  16.  (Aretm,  Bayerns 
auswärtige  Verhältnisse^  Anh.  Nr.  73  S,  325,) 

*)  Relation  ßubnas,  Gädeke  Nr.  15  S.  24  2.  14  v.  u.  f,,  S.  25 
2.8  r;,  S.  26  Z.  17  V.  u, 

•)  Irmer  11,  173. 


284 


Moriz  Ritter» 


sprecKungen  der  ersten  Klasse  ist  nur  von  den  im  Reich 
zu  trelienden  Neuordnungen   die  Rede,  Ja  im   Hinblick 

auf  die  Septemberverhandlungen  wird  gelegentlich  von 
dem  sächsischen  Oberst  Vititum  ausdrücklich  bemerkt^): 
^das  Königreich  Böhmen  wäre  nicht  in  den  Conditionen 
gewesen*^  Umgekehrt,  das  Los  Böhmens  erscheint  in 
der  zweiten  und  dritten  Reihe  gerade  als  die  vornehmste 
Angelegenheit 

Schon  hieraus  ergibt  sich,  daß  die  Verhandlungen, 
welche  Wallenstein  in  Gitschin  und  in  Heidersdorf  an- 
knüpfte, nicht  ineinander  griffen,  sondern  sich  widerspra- 
chen. Noch  deutlicher  wird  dieses,  wenn  man  die  Gegen- 
vorschläge beachtetj  mit  denen  Bubna  die  Propositionen 
Waltenstcins  beantwortete.  Sehr  einverstanden  mit  dem 
gegen  den  Kaiser  auszuübenden  Zwang,  verlangte  er  je- 
doch, daß  nichts  ohne  Oxenstiernas  Genehmigung  ge- 
schlossen werde;  nicht  minder  einverstanden  mit  der  Her- 
stellung der  Rechte  Böhmens,  verlangte  er  jedoch,  daß 
dem  Kaiser  die  böhmische  Krone  entrissen  werde,  und 
trug  Watlenstein  an,  sie  zu  ergreifen.  Also  statt  bloßer 
Unterwerfung  des  Kaisers  unter  einen  den  protestantischen 
Retchsständen  zugute  kommenden  Frieden,  Beraubung 
desselben  in  seinen  Erblanden,  statt  der  Verbindung  mit 
Sachsen  zur  Ausweisung  der  Schweden  aus  dem  Reich, 
Vertrag  mit  Schweden  und  Isolierung  des  sächsischen 
Kurfürsten.  Was  erklärte  nun  Wallenstein  auf  diese  wei- 
teren  Zumutungen?  Er  lehnte  die  Ergreifung  der  böh- 
mischen Krone  ab,  allein  so,  daß  die  Ablehnung  nicht 
als  unverbrüchUch  angenommen  wurde;  er  stimmte  zu^ 
daß  Bubna  zur  Berichterstattung  über  das  Besprochene 
sich  zu  Oxenstierna  begebe,  ja  er  ließ  demselben  seine 
Bereitwilligkeit  zu  einer  beiderseitigen  Besprechung  er- 
klären, allein  er  hütete  sich  wohl,  ihm  einen  bestimmten 
Antrag  oder  ein  bestimmtes  Anerbieten  zugehen  zu  lassen* 


I 
I 


")  Irmer  H  Nr,  282  S.  38b.  Weiter  ging  auch  in  dieser  Be- 
ziehung der  Kurfürst  von  Brandenburg,  der  schon  am  22.  Juni 
Restitution  der  pfälzischen  Kur  und  der  Rechte  der  böhmischen 
Krone  verlangte.    (Irmer  11,  Nr.  1S8  S.  212.) 


l 


Der  Untergang  Wallensteins* 


235 


Einen  unmittelbaren  Erfolg  hatte  auch  diese  völlig 
entgegengesetzte  Anknüpfung  nicht,  Oxenstierna  ergriff 
au!  die  unsichere  Botschaft  die  Stellung,  welche  er  fortan 
bei  den  weiteren  ähnlichen  Übermittelungen  wahrte: 
Wallenstein  sollte  ein  Unterpfand  der  Zuverlässigkeit 
seiner  Absichten  geben.  Als  solches  verlangte  er  dies- 
mal die  Erklärung,  daß  er  bereit  sei,  sich  an  Schweden 
gegen  Kaiser  und  Liga  durch  ein  ähnliches  Kriegsbündnis 
zu  fesseln,  wie  es  am  23.  April  zu  Heilbronn  mit  den 
oberdeutschen  protestantischen  Reichsständen  geschlossen 
war.  Natürlich  wich  Wallenstein  dieser  Zumutung  aus, 
und  damit  verlief  die  Verhandlung  im  Sande,  —  aber 
doch  nur,  um  bald  nachher  in  höchst  überraschender 
Weise  an  anderer  Stelle  wieder  aufzutauchen. 

Die  neue  Wendung,  auf  die  ich  hiermit  komme,  ist 
dadurch  bedingt,  daß  Arnim  in  die  Mitwissenschaft  der 
Thurnschen  Intrigue,  wenigstens  soweit  es  sich  um 
Wallensteins  Verbindung  mit  Schweden  und  den  Raub- 
krieg gegen  Böhmen  handelte,  eindrang,  dann  die  Leitung 
derselben  dem  halb  schwachsinnigen  Grafen  aus  der 
Hand  nahm*  Wir  stehen  hier  vor  einer  Entwickelung, 
die  wir  nicht  in  ihren  Keimen  und  einzelnen  Phasen, 
wohl  aber  in  ihren  Hauptergebnissen  verfolgen  können. 
Das  erste  Ergebnis  tritt  uns  in  den  Tagen  der  Heiders- 
dorfer  Besprechungen  entgegen:  da  ist  die  Feindschaft 
zwischen  Arnim  und  Thurn  plötzlich  in  ein  vertrautes 
Einvernehmen  umgeschlagen,  und  Thun  rechnet  darauf, 
daß  Arnim  die  bezeichneten  Projekte  begünstigen  werde. 
Wie  es  freilich  mit  dieser  Begünstigung  stand,  zeigt  sich 
uns  genauer,  wenn  wir  die  von  Arnim  infolge  der  Heiders- 
dorfer  Besprechungen  mit  seinem  Kurfürsten  geführten 
Beratungen  nach  dieser  Seite  ins  Auge  fassen. 

Was  hier  zunächst  auffällt,  ist,  daß  offene  Mitteilungen 
über  die  von  Thurn  angebahnte  Verhandlung  sich  nirgends 
finden.  Aber  die  Rückwirkung  dieser  Dinge  auf  Arnims 
Ratschläge    erkennt   man    gleichwohl    an   zwei  Stellen.  \) 


*)  Treffend    bemerkt   von  Struck,   Johann  Georg   und  Oxen- 
stierna S,  207—210, 

Hiatorische  Zeitscfarilt  (97.  Bd.)  ^  Folge  L  Bd.  19 


286 


Mpriz  Ritter, 


An  der  ersten  sagt  er:  weist  Sachsen  Wallensteins  dar-^ 
gebotene  Hand  zurück,  so  könnte  er  zur  Vereitelung  aller' 
Friedensaussichten  mit  der  „stärksten  Partei**,  d,  h,  mit 
Schweden,  sich  verbinden.  Sein  Gedanke  ist  also,  daß 
Sachsen  der  Verbindung  Wallensteins  mit  Schweden  zu- 
vorkommen solle.  Hieraus  ergibt  sich  Arnims  zweiter 
Ratschlag:  man  soll  Wallenstein  nicht  mit  bloßen  j,Dis- 
kursen**,  sondern  mit  bestimmten  Erklärungen,  wie  sein 
,, Vorschlag  gefiele",  antworten,  —  ein  weit  aussehender 
Rat,  den  er  indessen  wieder  abschwächt,  indem  auch  er 
Sürs  erste  eine  auf  Hinhalten  und  weiteres  Ausforschen 
Wallensteins  gerichtete  Behandlung  empfiehlt. 

Ein  zweites  Stadium  tritt  uns  aus  den  Schweidnitzer 
Verhandlungen  vom  August  entgegen.  Schon  aus  dem 
oben  Dargelegten  ergibt  sich,  daß  Arnim  damals  der 
Absicht,  eine  Verbindung  Wallensteins  mit  Schweden  zu 
durchkreuzen,  zugunsten  der  dreifachen  Allianz  Wallen- 
stein, Schweden  und  Sachsen -Brandenburg  entsagte, 
natürlich  in  der  Hoffnung,  seinem  Kurfürsten  dabei  eine 
geachtete  Stellung  zu  retten,  und  ohne  Täuschung  darüber, 
daß  dieser  Dreibund  eine  viel  schärfere  Offensive  gegen 
den  Kaiser  werde  ergreifen  müssen,  als  bei  den  Heiders- 
dorfer  Besprechungen  in  Aussicht  stand,  i)  Aber  wie 
Arnim  die  Ergebnisse  der  neuen  Konferenzen  seinem 
Kurfürsten  berichtete,  wiederholte  sich  der  Vorgang  vom^ 
vorigen  Juni:  er  verschwieg  die  geheimsten  Eröffnungen" 
Wallensteins  und  teilte  diese  nur  dem  Oxenstierna  bei 
der  Gelnhausener  Besprechung  mit. 

Soweit    wir    in    das    Geheimnis    dieser   Unterredung 
eindringen  können^),  berichtete  Arnim  über  das,   was  irifl 
den  Vorträgen  vor  dem  sächsischen  Kurfürsten  die  Haupt- 

')  Näheres  über  diese  Wendung  Arnims  und  die  Stellung 
Thurns  dabei  gibt  Lenz  S,  413f.  (vgl.  auch  S.  409).  Die  von  Wit- 
tich  (H.  Z.  69,  20  Anm*  1)  über  die  Datierung  der  beiden  Schreiben 
Thurns  gegen  Lenz  au&gefijhrten  V^ermutungen  kann  ich  nicht 
leiten. 

')  !n  Oxenstlernas  Schreiben  an  Herzog  Bernhard  haben  wir 
das  Ergebnis  dessen,  was  durch  drei  Köpfe  hindurchgegangen 
ist:  Arnim  hört,  was  Wallenstein  sagt;  Oxenstierna  hört,  was 
Arnim    sagt,    und    dem   Herzog   Bernhard    wird    berichtet ^    wai 


1^ 


Der  Untergang  Wallensteins. 


2B7 


Sache  war,  nämlich  die  Vorschläge  Wallensteins  zur 
Stiftung  eines  Friedens  im  Reich,  nur  höchst  oberflächlich 
und  unvollständige  aber  gleich  hier  mit  einer  charakteri- 
stischen Abweichung:  unter  den  Bedingungen  hatte  er 
auch  eine  auf  des  Kaisers  Hauslande  bezügliche  zu 
nennen,  des  Inhalts^  daß  den  Böhmen  die  freie  Königs- 
wahl zurückzugeben  sei.  Dann  aber,  als  den  eigentlichen 
Gehalt  der  Wallensteinschen  Pläne,  malte  er  das  Bild 
eines  Kriegsbündnisses  zwischen  Wallenstein,  Schweden 
und  Frankreich  aus,  dessen  vereinte  Offensive  Baiern 
ruinierenj  den  Kaiser  in  Österreich  und  Steiermark,  die 
Spanler  in  Italien  heimsuchen  sollte.  Es  waren  unge- 
heuerliche Entwürfe,  die  aber  vor  dem  kalten  Blick  Oxen- 
stiernas  sofort  dadurch  an  Festigkeit  verloren,  daß  Arnim 
keine  Vollmacht  besaß,  auch  nur  ein  einziges  bindendes 
Angebot  im  Namen  des  kaiserlichen  Feldherrn  zu  machen, 
ja  daß  er  selbst  für  den  Ernst  dieser  Vorschläge  nicht 
einstehen  wollte.  So  war  denn  auch  die  Antwort  Oxen- 
stiernas  nach  seiner  einmal  ergriffenen  Stellung  von 
vornherein  gegeben:  Wallenstein  solle  ein  Unterpfand 
geben,  indem  er  von  Projekten  zur  Tat  voranschreite, 
dann  werde  er  „von  uns  nicht  gelassen  werden*";  übrigens 
sei  man  auch  bereit,  in  eine  Verhandlung  über  die  Aus- 
führung des  großen  Unternehmens  einzutreten* 

Wie  der  kaiseriiche  Feldherr  auf  diesen  Versuch,  ihn 
beim  Worte  zu  nehmen,  antwortete,  ist  schon  gesagt; 
aber  scharf  müssen  wir  jetzt  die  Frage  stellen,  wie  in 
den  Beziehungen  Wallensteins  zu  Oxenstierna,  sowohl 
den  von  Bubna,  wie  den  von  Arnim  vermittelten,  die 
Widersprüche  zwischen  Annähern  und  Abspringen  zu 
erklären  sind.  Eine  Erklärung,  die  deshalb  glaubwürdig 
ist,  weil  sie  allein  eine  Lösung  der  Widersprüche  bietet, 
gibt  Wallenstein  selber  in  zwei  Äußerungen  bei  den 
Schlußverhandhmgen  mit  Arnim.  Auf  des  letztern  Vor- 
haltung, daß  seine  früheren  Vorschläge  das  Gegenteil 
seiner  gegenwärtigen   seieUj   bemerkte  er:    „er  sei  noch 


Oxenstierna   verstanden   hat.    (Inner  II,  Nr,  242  S»  310.    Dazu  die 
Mitteilungen  Oxenstiernas  an  Feuqui^res  bei  Aubery  S.  415  f.) 

19* 


28S 


Moriz  Ritter, 


der  Meinung,  aber  das  wollte  er  zuletzt  sparen" ;  und  ein 
andermal:  ,,er  müßte  eine  Zwickmühle  behalten,''^)  Der 
Sinn  dieser  Worte  kann  nur  sein:  er  halte  sich  beide 
Wege,  zunächst  die  Verbindung  mit  Sachsen  im  Gegen- 
satz gegen  Schweden,  dann  dieselbe  Verbindung  in  Ge- 
meinschaft  mit  Schweden,  oflen. 

Bis  zu  diesem  Punkte  gelangt^  glaube  ich  nunmehr 
zurückblicken  und  die  bisher  verfolgte  Politik  Wallen- 
steins  folgendermaßen  erklären  zu  können:  sein  eigenstes 
Verlangen  ging  auf  die  Herüberziehung  der  sächsisch- 
brandenburgischen  Armee  und  einen  Sondervertrag  mit 
den  Kurfürsten  von  Sachsen  und  Brandenburg,  in  dem 
die  Grundzüge  eines  Reichsfriedens  festzustellen  waren, 
mit  weitgehenden  Zugeständnissen  an  die  Forderungen 
der  protestantischen  Reichsstände  —  natürlich  ohne 
Wallensteins  Ansprüche  zu  vergessen  — ,  aber  auch  mit 
der  fernem  Bedingung  der  Befreiung  des  Reichs  von 
den  Schweden  und  andern  Eindringlingen,^)  Dem  Kaiser 
sollten  diese  Bestimmungen  autgenötigt  werden,  und  mit 
Rücksicht  auf  die  letzte  Bedingung  mochte  man  ja  auch 
seine  Unterwerfung  mit  einem  gewissen  Rechte  fordern 
zu  können  glauben.  Wie  aber,  wenn  er  sich  unterstand^ 
die  Unterwerfung  zu  verweigern,  ja  im  Verein  mit  Baiern 
und  Spanien  die  Politik  seines  Feldherrn  und  dann  auch 
diesen  selbst  aus  dem  Wege  zu  schaffen?  Für  diesen 
Fall  hatte  Wallenstein  seine  Beziehungen  mit  Schweden 
angeknüpft;  er  rechnete  darauf,  im  entscheidenden  Augen- 
blick, wenn  er  den  Kampf  für  seine  Stellung  aufnehmen 
müsse,  die  Kette  der  sächsischen  und  der  schwedischen 
Beziehungen  zusammenschließen  zu  können  zu  einem 
Bündnis  mit  beiden  Mächten  und  zu  einer  Politik,  die 
statt  der  Beruhigung  und  Integrität  des  Reichs  die  Rache 
am  Kaiser  und  seinem  Haus  auf  ihre  Fahnen  schrieb- 


M  Förster  III,  Nr,  388  S,  74.    Hildebrand  Nr.  47  S.  58. 

')  So  auch  Thurn  16S3  August:  Wallensteins  erste  und  wohl 
^noch  im  Herzen**  gehegte  Gedanken  waren,  sich  „Frankreichs 
und  Schwedens  zu  entschlagen,  sich  mit  beider  churf.  Dd.  Armeen 
zu  conjungiren  und  das  Rom.  Rekh  in  vorigen  Stand  zu  setzen*. 
(Neues  Archiv  f,  sächsische  Geschichte  VII,  S.  292  Nr.  IL) 


I 


I. 


Der  Untergang  Wallenstems. 


289 


Daß  Wallenstein  diesen  Moment  der  verzweifelten 
Entschlüsse  in  den  letzten  Tagen  des  September  zwar 
noch  nicht  für  unvermeidlich  hielt,  aber  doch  schon  aus 
der  Nähe  drohen  sah,  zeigen  die  offenen  gegen  Arnim 
gebrauchten  Worte,  Nun  aber  müssen  wir,  um  noch 
einen  Grad  weiter  in  seine  Besprechungen  einzudringen, 
hinzunehmen,  was  oben  (S.  268)  über  die  dritte  und  vierte 
Reihe  von  Umtrieben  gesagt  ist,  die  eine  auf  Wallensteins 
Verbindung  mit  böhmischen  Verschwörern,  die  andre  auf 
seinen  Anschluß  an  Frankreich  zielend.  Ich  habe  be- 
merkt, daß  diese  Intriguen  in  Wallensteins  Interesse,  aber 
ohne  seine  erweisbare  Mitwissenschaft  betrieben  wurden. 
Hier  aber  muß  die  Frage  gestellt  werden,  ob  nicht  schließ- 
lich der  Zeitpunkt  herankam,  da  der  überkünstliche  Rechner 
auch  diese  Fäden  ergriff,  um  sie  mit  seinen  sächsischen 
und  schwedischen  Beziehungen  zu  verflechten.  Einen 
Fingerzeig  dürfte  uns  in  dieser  Richtung  die  Stellung  des 
Mannes  geben,  der  im  Mittelpunkt  jener  böhmischen  und 
französischen  Umtriebe  steht,  des  Grafen  Wilhelm  Kinsky* 
Gewiß  ist  es  nicht  ohne  Bedeutung,  daß  Wallenstein  seit 
dem  21.  Juni*)  wiederholt^)  den  Grafen  zum  Besuche 
auffordert,  um  mit  ihm  über  die  aus  den  Verhandlungen 
mit  Sachsen  und  Schweden  sich  ergebenden  Fragen  sich 
zu  besprechen,  ja  wenn  wir  der  Angabe  Kinskys  trauen 
dürfen,  so  war  der  General  gegen  Anfang  August  schon 
soweit  in  das  Geheimnis  der  Kinskyschen  Verhandlungen 
eingedrungen,  daß  er  über  den  Stand  derselben  sich 
brieflich  erkundigte*^)     Mit  Sicherheit  freilich  können  wir 

^)  An  diesem  Tage  das  Urlaubsgesuch  des  Herzogs  Franz 
Albert  für  Kinsky  an  Kursachsen.  (Hall wich  II,  Nr.  1115  S.  282.) 
Der  betreffende  Wunsch  Wallensteins  war  kurz  vorher^  nachdem 
am  17,  Juni  der  Waffensüllstand  um  einige  Tage  verlängert  war^ 
ausgesprochen.  —  Über  die  Aufnahme  der  Emladung  durch  Kinskys 
Nicolais  Tagebuch,  Juli  2.    (Irmer  II,  Nr,  J99  S*  240) 

*)  Anfang  August:  Irmer  Itl,  S5  Anm,,  dann  wieder  während 
des  vom  22.  August  ab  laufenden  WaffenstillstandeB  (Steinecker 
an  Oxenstierna,  Oktober  4.  Hüdebrand  Nr*  49  S*  60,  VgL  Feu- 
quiferes,  August  22,    Letires  ei  n^gociations  II,  68*) 

*)  In  dem  eben  angeführten  Bericht.  Der  dort  gebrauchte 
Ausdruck  ^ses  (Waüensteins)  propositions*  darf  nicht  irreführen; 
gemeint  sind  die  im  Mal  von  Kinsky  gemachten  Propositionen. 


290 


Mom  Ritter^ 


nicht  sagen,  was  Waltenstein  im  Sommer  und  Herbst 
mit  dem  böhmischen  Emigranten  besprechen  wollte^  aber 
als  am  26,  Dezember  der  Graf  Trzka  Wallensteins  Ein- 
ladung erneuerte,  da  konnte  er  schreiben:  der  General 
sei  entschlossen»  nicht  nur  mit  Sachsen  und  Branden- 
burg, sondern  auch  mit  Schweden  und  Frankreich  ^sich 
zu  veraccordiren^.^) 

Hiermit  ist  die  letzte  Epoche  in  Wallensteins  politi- 
schen Umtrieben  angekündigt,  diejenige,  in  der  er  sich 
anschickt,  den  Bruch  mit  dem  Kaiser  zu  vollziehen  und 
die  verschiedenen  bis  dahin  nebeneinander  geführten 
Unterhandlungen  ineinander  zu  verflechten.  Und  Kinsky, 
als  er  am  8.  Januar  1634  in  Pilsen  eintraf,  war  der  frei- 
willige Diplomat,  der  für  diese  Verflechtung  die  eifrigsten 
Dienste  leistete.  Aber  hiermit  ist  meine  Untersuchung 
auch  auf  ein  Gebiet  gekommen,  auf  dem  sie  den  Arbeiten 
der  Vorgänger  in  wesentlichen  Punkten  nur  wenig  nach- 
zutragen hat  — ,  es  sei  denn,  daß  sie  das  Urteil  über 
Wallensteins  Leistungen  als  Staatsmann  noch  um  einen 
Grad  tiefer  herabstimmt.  Schon  die  bisherigen  Erörte- 
rungen haben  ahnen  lassen,  was  genauer  allerdings  nur 
eine  ins  einzelne  eindringende  Darstellung  zeigen  könnte, 
daß  Wailenstein  das  Gewirre  der  politischen  Verhältnisse 
in  keiner  Weise  zu  beherrschen  vermochte.  In  seinen 
Unterhandlungen  stürmt  er  mit  blindem  Selbstvertrauen 
auf  den  Partner  mit  seinen  Vorschlägen  ein,  begnügt  sich 
mit  scheinbaren  Abreden,  in  denen  beide  Teile  einander 
hinters  Licht  führen,  und  springt  jäh  ab,  wenn  sich  die 
Abrede  als  Scheinwerk  herausstellt.  Hierdurch  und  zu- 
gleich durch  das  weitschichtige,  halb  zugestandene,  halb 
verleugnete  Anknüpfen  von  Beziehungen  verschiedenster 
Art  verscherzt  er  am  Ende  überall  das  Vertrauen  und 
daneben  den  Respekt,  Wie  sich  unter  solchen  Verhält- 
nissan sein  letzter  diplomatischer  Feldzug  vom  Ende 
Dezember  1633  bis  Ende  Februar  1634  gestaltete,  können 
wir  schon  beurteilen,  wenn  wir  fragen,  ob  er  mit  einer 
einzigen  Macht  zu  einem  Einvernehmen  gelangte?    Etwa 

0  Gädeke  Nr.  102  S.  2U. 


I 


Der  Untergang  Wallensteins. 


291 


mit  dem  Kurfürsten  von  Brandenburg  und  Sachsen?  Der 
erstere  zog  sich  auf  seine  neuen  Annäherungsversuche 
in  eine  völlig  ablehnende  Haltung  zurück,  letzterer,  neuer- 
dings in  eine  gereizte  Stimmung  gegen  Schweden  geraten, 
verstand  sich  wohl  nach  dreiwöchentlicher  Überlegung^) 
zu  dem  Entschluß  einer,  jetzt  wieder  ohne  vorherige  An- 
frage bei  Oxcnstierna  aufzunehmenden  Separatverhand- 
lung, aber  die  Instruktion,  die  er  am  18.  Februar  für 
Arnim  ausstellte^),  löste  sich  eigentlich  in  lauter  Bedin- 
gungssätze auf:  wenn  Wallenstein  eine  kaiserliche  Voll- 
macht auflegt,  und  dann  zwischen  ihm  und  Arnim  über 
die  ganze  Reihe  der  wesentlichen  Forderungen  der  pro- 
testantischen Reichsstände  insgesamt  und  des  sächsischen 
Kurfürsten  insbesondere  eine  Einigung  zustande  kommt, 
so  mag  ein  für  Kaiser  und  Liga  einerseits,  für  die  pro- 
testantischen Reichsstände  anderseits  geltender  Vertrag 
aufgesetzt  werden;  wenn  gegen  die  einem  solchen 
Frieden  hartnäckig  Widerstrebenden  —  gemeint  sind 
wohl  Schweden,  Frankreich,  auch  der  Kaiser  —  die  beider- 
seitigen Heere  zu  ihrer  Bezwingung  vereinigt  werden 
sollen,  so  wird  der  Kurfürst  darüber  erst  noch  einen  be- 
sonderen Vergleich  mit  Wallenstein  schließen^);  wenn 
Wallenstein  als  sein  eigentliches  Vorhaben  einen  Angrilf 
gegen  den  Kaiser  und  sein  Haus  angibt,  so  suche  Arnim 
ihn  auf  „verantwortlichere  Wege"  zu  bringen  usw. 

Und  wie  stand  es  mit  Frankreich  und  Schweden? 
Wohl  ließ  Ludwig  XfIL  am  L  Februar  1634  eine  Instruk- 
tion für  Feuquiferes  ausfertigen*),  in  der  auf  bestimmte 
Verpflichtungen  Wallensteins  bestimmte  Gegenverpflich- 
tungen Frankreichs  angeboten  wurden.   Allein  auch  jetzt 


*)  Von  den  am  27.  Januar  Ib34  an  Arnim  gestellten  Fragen 
(Inmer  lll.  Nn  390  S.  173)  gerechnet, 

>)  Gädeke  Nr.  135  S.  274.  Daau  Nr.  134  S.  273;  ferner  Reso- 
lution des  Kurfürsten  auf  Arnims  Fragen,  Februar  13;  bei  Ranke 
S.  356.    Vgl  Hall  wich  II,  Nn  1266  S,  459. 

*)  S,  278.  Die  daselbst  Z.  15  v.  u.  erwähnte  „Vereinigung 
beider  Armeen"  nach  geschlosseneni  Frieden  bezieht  sich  auF 
Arnims  Anfragen  Nr.  8.  9.  13  (Ranke  S.  355  und  au!  des  Kurfürsten 
Resolution  Nr,  8.  9,  13  (Ranke  S.  359). 

*)  Rose,  Herzog  Bernhard  I,  S.  455  Nn  44. 


konnte  WaUenstein  sich  noch  nicht  entschließen,  mit 
seinem  eigenen  Namen  hervorzutreten;  statt  seiner  mußte 
Kinsky  dringende  Einladungen  an  den  Gesandten  zur  Er- 
öilnung  einer  Vertragsverhandlung  und  glänzende  Zu- 
sicherungen gelangen  lassen  — ,  aber  ohne  Wallenstein 
zu  verpflichten*  Und  derselbe  Kinsky  war  es,  der  mit  ähn- 
lichen Aufforderungen  den  alten  Zwischenträger  Raschin 
an  Oxenstierna  sandtet)  Kein  Wunder,  daß  da  Feuquiferes 
mit  der  Absendung  eines  Substituten  zögerte^  bis  es  zu 
spät  war,  und  Oxenstierna  seinen  alten  Spruch  wieder- 
holte: erst  habe  WaUenstein  durch  die  Tat  ein  Unter- 
pfand seiner  ernsten  Absichten  zu  geben.  Es  war  nur 
Herzog  Bernhard,  Reichsfürst  und  schwedischer  General 
zugleich,  an  den  Wallenstein  offener  herantrat,  aber  erst 
am  19.  Februar,  als  sein  Bruch  mit  dem  Kaiser  ent- 
schieden, und  er  mit  der  Erdrückung  durch  kaiserliche 
und  bairische  Streitkräfte  bedroht  war:  da  ließ  er  den 
Herzog  Franz  Albert  an  Bernhard  abgehen  mit  dem 
Gesuch  um  den  Zuzug  seiner  Streitkräfte.  Anfangs  miß- 
traute ihm  Bernhard  noch;  aber  als  Wallensteins  Flucht 
nach  Eger  alle  Zweideutigkeit  beseitigte,  da  war  er  geneigt* 
den  ehemaligen  Feldherrn  des  Kaisers  mit  dem  kümmer- 
lichen Rest  der  noch  zu  ihm  haltenden  Truppen  und  den 
von  ihm  etwa  noch  behaupteten  Plätzen  in  den  Verband 
der  schwedisch-deutschen  Armee  aufzunehmen,  als  einen 
Überläufer  mit  verlorener  Macht  und  Ehre*-J  Man  darf 
wohl  sagen,  dieser  Aussicht  gegenüber  war  es  eine 
günstige  Lösung,  daß  Wallenstein  am  Abend  des  25.  Fe- 
bruar dem  Überfall  von  Butler  und  Gordon  erlag. 

Das  Verfahren  des  Kaisers  gegen  Wallenstein. 

Will  man  in  die  Geschichte  des  Bruches  zwischen 
Ferdinand  IL  und  Wallenstein  eindringen,  so  muß  man 
die  für  die  Entwicklung  des  Zerwürfnisses  entscheidenden 
Vorgänge^   daneben   die  Anfänge  der  Entfremdung  der 


0  Lenz  S.  21.  443  f.  473. 
»)  Chemnitz  U,  337. 


I 


I 


I 


Der  Untergang  Wallensteins, 


29S 


hohen  Offiziere  von  ihrem  Feldherrn  schärfer  ins  Auge 
fassen.  In  ersterer  Beziehung  waren  es  die  Heidersdorfer 
Verhandlungen,  aus  denen  der  Keim  der  Unzulriedenheit 
und  des  Mißtrauens  hervorging. 

Als  Wallenstein  im  April  1633  mit  den  Vorbereitungen 
seines  schlesischen  Feldzugs  beschäftigt  war,  sprach  er 
die  Erwartung  aus,  daß  er  den  dort  stehenden  Feind  bis 
Mitte  Juni  unschädlich  gemacht  haben  werde')  —  ^auf  eine 
oder  andere  Weise**j  fügte  er  gelegentlich  hinzu  ^),  näm- 
lich durch  Krieg  oder  Vertrag  — ;  gleich  darauf  werde  er 
dann  auf  dem  oberdeutschen  Kriegsschauplatz  erscheinen, 
um  auch  hier  die  Sachen  in  Ordnung  zu  bringen.  Als  aber 
der  von  ihm  gesetzte  Termin  herannahte,  erfuhr  man  in 
Wien,  daß  er  dem  an  Zahl  und  einheitlicher  Führung 
vor  ihm  zurückstehenden  Feinde  einen  Waffenstillstand 
bewilligt  habe.  Sofort  berichtet  nun  der  spanische  Ge- 
sandte von  dem  tiefen  Unwillen  (grave  senUmienlo)  des 
Kaisers  und  seiner  Minister  über  diesen  Schritt,  „da  man 
für  gewiß  halte,  daß  er  den  Feind  habe  schlagen  können"*^) 
Verstärkt  wurde  dieser  Unwille  durch  die  bereits  er- 
wähnten Nachrichten  von  Wallensteins  Konzessionen  an 
die  Forderungen  der  Protestanten  (S.  274)*  Schlaffe  Krieg- 
führung und  Verrat  der  katholischen  InteresseUj  darauf 
richteten  sich  fortan  die  Vorwürfe  gegen  den  kaiserlichen 
Feldherrn. 

Eine  erste  nachhaltige  Steigerung  erfuhren  sie,  als  der 
Kaiser  dem  in  gemilderter  Form  ihm  vorgebrachten  An- 
trag auf  den  Eintritt  der  Armee  Ferias  ins  Reich  im  Gegen- 
satz gegen  Wallenstein  seine  rasche  und  volle  Zustim- 
mung erteilte  (S,  256),  und  als  dann  vollends,  seit  Mitte 
Juli,  die  Notwendigkeit  des  Entsatzes  von  Breisach  den 

1)  An  Aldringen,  April  19.  (Hallwich  I,  Nr.  323  S.  270.  Vgl. 
Nr.  347.  348.) 

*)  An  Holk,  Mai  26.     (Nr.  444  S.  363.) 

*)  Castaneda  an  den  Kardinal  Infanten,  1633  Juni  14.  (Brüs- 
seJer  Archiv,  Secritalrerie  d'^tat  et  de  guerre  Nr.  314.  VgL  WHtich, 
Preuß.  Jahrbücher  XXIII^  33.)  Der  Infant  bemerkt  dagegen  am 
21.  August  r  ff  hier**  meint  man,  WaLlenstein  könne  sich  gegen  ios 
curgos  en  quanio  a  no  haver  peUaäo  justificar  facii  y  cumptida^ 
mente  (Nn  315). 


294 


Moriz  Ritter, 


Kaiser  von  der  bloßen  Gewährung  des  spanischen  Truppen- 
zuzugs zur  dringenden  Bitte  ^)  um  denselben  forttrieb, 
der  eigenwillige  Feldherr  aber  auch  jetzt  noch  auf  seinem 
Widerspruch  dagegen  beharrte.  Da  eröffnete  Ferdinand 
sein  Ohr  bereitwilliger  den  Vorstellungen  Maximilians, 
daß  der  wichtigste  Kriegsschauplatz  für  den  Kaiser  nicht 
in  Schlesien,  sondern  in  Oberdeutschland  liege  ^),  daß  aber 
Wallenstein  daselbst  Hindernisse  einwerfe,  indem  er  nicht 
nur  die  notwendigen  Unterstützungen  versage,  sondern 
auch  die  Unterordnung  des  Hilfskorps  Aldringen  unter  sein, 
des  Kurfürsten,  Kommando  verweigere;  er  schenkte  nicht 
minder  seine  Aufmerksamkeit  einem  auch  von  Schlick 
befürworteten  Projekt ,  des  Inhalts,  aus  den  bairischen, 
den  zuziehenden  spanischen  und  den  in  Oberdeutschland 
stehenden  kaiserlichen  Truppen  eine  eigene  Armee  unter 
dem  Oberbefehl  König  Ferdinands  IIL  zu  bilden.')  Und 
was  er  wirklich  durchsetzte,  war,  daß  Aldringen  unter 
dem  Vorwand  einer  von  Wallenstein  erteilten,  von  ihm 
selber  nachträglich  bestrittenen  Zustimmung  dem  Ober- 
befehl des  Kurfürsten  Maximilian  überwiesen,  dann  im 
Einvernehmen  zwischen  ihm,  dem  Kaiser,  und  Maximi- 
liaUj  der  Armee  Ferias  zum  Zug  gen  Breisach  beigegeben 
wurde.*) 

Während  aber  so  das  kaiserliche  Vertrauen  auf  den 
Feldherrn  zu  schwinden  begann,  bemerkte  man  auch  die 
ersten  Zeichen  der  Entfremdung  hoher  Offiziere.  Im 
August  verließ  der  Marchese  de  Grana  nach  Resignation 
seiner  beiden  Regimenter  die  Armee  Wallensteins,  um  in 
Wien  seinen  Sitz  im  Hofkriegsrat  wieder  einzunehmen^), 
wo  er  sich  bald  als  einer  der  schärfsten  Gegner  des  Feld- 


^)  Castarieda  rang  den  kaiserlichen  Räten  da$  Zugeständnis 
ab,  daö  der  Kaiser  ein  Jörmllcbes  Bittschreiben  an  den  Kardinal- 
Infanten  richte.  (An  den  Infanten,  Juii  30,  Brüsseler  Archiv  Nn  314*) 

*)  Richel  an  Maximilian,  August  10.   (Jacob,  Anhang  S- 76/77,) 

')  Vgl*  die  drei  Aktenstücke  in  den  Mitteilungen  des  k.  k. 
Kriegsarchivs  1882,  S,  199—205,    Dazu  Richels  Bericht, 

*)  Vgl.  oben  S.  242  Anm.  2. 

')  Antelmi,  16S3  August  20,  (Archiv  L  Österr  Geschichts- 
qucllen  XXVIII,  390.) 


k^ 


Der  Untergang  Wanenstdn&, 


m 


herrn  hervortat.^)  Am  26.  desselben  Monats^)  traf  Schlick, 
der  Präsident  dieser  obersten  Kriegsbehörde,  aus  Wallen- 
Steins  Lager  wieder  am  kaiserlichen  Hofe  ein,  voll  Er- 
bitterung über  den  neuen  Waffenstillstand,  den  Wallen- 
stein mit  Arnim  geschlossen  hatte,  wahrscheinlich  auch  mit 
gesteigertem  Verdacht,  daß  Wallenstein  Verrat  am  Kaiser 
und  der  katholischen  Kirche  plane.  Allem  Anschein  war 
ihm  nämlich  ein  Verzeichnis  der  angeblich  von  Wallen- 
stein bei  den  HeidersdoHer  Verhandlungen  vorgeschla- 
genen Friedensbedingungen  (S,  271  Anm.  I),  das  in  einer 
längeren  und  einer  kürzeren  Fassung  im  geheimen  ver- 
breitet wurdcj  bei  seiner  Sendung  nach  Schlesien  in  die 
Hände  gefallen,  und  zwar  in  der  längeren  Fassung.  Da 
las  er  unter  anderem,  daß  der  Feldherr  Restitution  der 
aus  den  kaiserlichen  Erblanden  Vertriebenen,  Verjagung 
der  Jesuiten  aus  dem  Reich  vorschlage  und  für  sich 
Böhmen  und  Mähren  beanspruche,  den  Kaiser  aber  zur 
Annahme  des  Friedens  zwingen  wolle,  indem  er  die  Heere 
der  Vertragschließenden  vor  Wien  führe.  Mit  eigener 
Hand  schrieb  er  die  kostbare  Enthüllung  ab^)  und  wird 
sie  am  kaiserlichen  Hof  schwerlich  versteckt  haben. 

Noch  bei  einem  anderen  Offizier  erwiesen  diese  Be- 
dingungen sich  als  ein  Mittel  der  Aufreizung.  Im  Juli 
kamen  sie  dem  Feldmarschall  Aldringen  in  der  kürzeren 

>)  Aretin  (Walienstein,  Anhang  S.  91  und  S.  98)  teilt  rwei 
italienische  Gutachten  gegen  Wallenstein  mit,  deren  erstes  von 
Richei  einem  ^tf^^'^iegsrat*'  (S.  90),  das  zweite  einem  „Rat**  des 
Kaisers  (S.  98  Anm.  I)  zugeschrieben  werden.  Beide  stammen 
von  e  i n e  m  Verfasser,  wie  die  Übereinstimmung  des  Passus  S.  92 
Z.  10  bis  S.  93  Z,  15  (e  quakhe  altra  commodltä)  mit  S.  103  Z.  7 
bb  S,  104  Z»  7  zeigt.  Die  Vermutung  von  Lenz  (S.  412  Anm,), 
daß  der  Verfasser  der  Marchese  Grana  sei,  ist  nahezu  sicher  Er 
befindet  sich  bis  Mitte  1633  in  Wallensteins  Armee  (vgl.  die  Stellen, 
wo  er  in  erster  Person  spricht,  S.  100  Z.  19  v.  u.  bis  Z.  8  v*  u*, 
S.  101  Z.  9  V.  u*:  stftza  noslro  rischiö)^  ist  zugleich  Kriegsrat  und 
Italiener.  Auf  wen  sonst  sollen  alte  diese  Merkmale  zutreffen? 
Über  den  Verfasser  des  in  schauderhafter  Textverstümmelung 
von  Höfler  veröffentlichten  italienischen  Gutachtens  (Lenz  S.  411 
Anm,  1)  wage  ich  keine  Vermutung  auszusprechen. 

*)  Richelj  August  28.    (Jacob,  Anhang  S,  40  Anm.  85.) 
1  *)  Vgl,  meine  Bemerkungen  in  dieser  Zeitschrift  95,  95. 


296 


Moriz  Ritter, 


Fassung  zu,  d*  h,  unter  anderem  ohne  die  auf  Wallen- 
steirts  Bereicherung  bezüglichen  Bestimmungenj  aber  in 
der  erzählenden  Erläuterung  den  Aufschluß  gewährend, 
daß  der  Kaiser  sowohl  wie  der  Kurfürst  Maximilian  zur 
Annahme  des  Friedens  gezwungen  werden  sollten,  und 
daß  Wallenstein  den  Wunsch  hege,  das  Land  des  letzteren 
in  eine  menschenleere  Wüste  verwandelt  zu  sehen.  Dieses 
Schriftstück  schickte  Aldringen  nicht  etwa  an  Wallenstein, 
als  seinen  unmittelbaren,  noch  an  den  Kaiser,  als  seinen 
höchsten  Vorgesetzten,  sondern  an  den  bairlschen  Kur- 
fürsten — ,  gewiß  ein  Beweis,  daß  er  im  stillen  sich  gleich- 
falls auf  die  Seite  der  Gegner  des  Feldherrn  schlug.^) 

Endlich,  mit  dem  Fall  von  Regensburg  (15.  November) 
und  dem  Widerstand,  den  Wallenstein  den  auf  die  Ein- 
bringung des  erlittenen  Verlustes  gerichteten  Befehlen 
des  Kaisers  entgegensetzte,  trat  das  letzte  Stadium  in 
der  Entfremdung  des  Kaisers  von  Wallenstein  ein*  Die 
Punkte,  auf  die  ich  hier  noch  meine  Untersuchung  richten 
möchte,  beziehen  sich  auf  die  Zeit  und  die  Einllüsse, 
unter  denen  der  Kaiser  die  Absetzung  Wallensteins  be- 
schloß, und  die  Art,  wie  er  sie  durchführen  wollte. 

Mit  den  bezeichnenden  Worten,  daß  er  damit  „den 
Deckel  von  dem  Hafen  tue*",  hatte  Maximilian  seinen  Ge- 
sandten Richel  am  18.  Dezember  1633  beauftragt -^  beim 
Kaiser  im  tielsten  Geheimnis  die  Veränderung  des  Kom* 
mandos  zu  beantragen;  am  28.  berichtet  der  Gesandte, 
daß  er  seinen  Auftrag  ausgerichtet  habe;  am  Schluß 
dieses  Berichtes,  und  bestätigend  am  31.,  kann  er  weiter 
mitteilen,  daß  der  Kaiser  einigen  zuverlässigen  Personen 
den  Entschluß,  Wallenstein  abzusetzen,  eröffnet  habe, 
und  am  9.  Januar  1634  ist  er  in  der  Lage,  das  vor 
einigen  Tagen  von  Ferdinand  HL  abgelegte  Zeugnis  zu 
berichten:  wenn  Bayern  „dies  Werk  nicht  erheb,  so  er- 
heb's  niemand   anderer".^)    Hiernach   würde,  soweit   es 


*)  A.  a.  O. 

')  Irmer  llf,  Nr.  319  S.  73.    Bei  Aretin  (Anh.  S.  88  Z.  i)  wird 

statt  ^vom  10,  diß"   zu  lesen   sein  »vom  18**,   wie  es  auch  in  der 

späteren  DepescheRichels  vom  9.  Jan,  (Irmer  IH,  118)  richtig  heißt 

»)  Aretin  Nr.  30  S.  86;  Irmer  IH,  Nr,  329  S,  95;  Nr.  343  S.  118. 


I 

I 
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I 


Der  Untergang  Wallenstelns, 


au!  die  Einwirkung  befreundeter  Mächte  ankam^  der  Kur- 
fürst Maximilian  den  Anstoß  zur  Absetzung  Waüensteins 
gegeben  haben.  In  der  Tat  hielt  derjenige  Gesandte,  von 
dem  man  eine  gleiche  Einwirkung  voraussetzen  möchte, 
der  seit  Anfang  November^)  angekommene  spanische  Be- 
vollmächtigte Oiiate,  sich  von  derartigen  offenen  Anträgen 
an  den  Kaiser  damals  noch  fern,  entsprechend  einer  noch 
vom  19.  September  stammenden  Weisung  Philipps  IV,,  in 
welcher  ein  wirkliches  Vorgehen  gegen  Wallenstein  nur  für 
den  Fall  gestattet  wird,  daß  der  sichere  Beweis  seines 
Einvernehmens  mit  dem  Feind  vorliege.^)  Dieser  Augen- 
blick scheint  für  Onate  erst  gekommen  zu  sein,  als  er 
über  den  Pilsener  Schluß  vom  12»  Januar  unterrichtet 
war*),  und  da  freilich  sehen  wir  den  Einfluß  des  bai- 
Tischen  Gesandten  vor  dem  seinigen  weit  zurücktreten. 
In  den  ersten  Tagen  des  Februar  ist  es  schon  dahin  ge- 
kommen, daß  er  zu  dem  vom  Kaiser  zur  Behandlung 
der  Wallensteinschen  Sache  niedergesetzten  Ausschuß 
des  geheimen  Rates  (Eggenberg,  der  Bischof  von  Wien 
und  Trautmansdorf)  neben  dem  König  Ferdinand  IIL  zu* 
gezogen  wird.^) 

Zwischen  dem  Entschluß  der  Absetzung  Wallensteins 
und  der  Ausführung  desselben  vergingen  nun  aber  noch 
zwei  mit  geheimen  Vorbereitungen  ausgefüllte  Monate^ 
innerhalb  deren  wir  eine  erste  Epoche  bis  zu  dem  Ab- 
setzungspatent vom  24.  Januar^  eine   zweite   bis  zu   der 


0  Wittich,  Preuß.  Jahrbüclier  XXIII,  4L 

*)  Gindely  S*  34  Anm.  Bei  dem  Wort  connibencia  wird  zu 
ergänzen  sein  cQft  ei  enemigo.  Bericht  Onates  vom  29*  Dezember 
hei  Gindely  S.  38  Anm.  2  und  Wittich  S.  49,  Was  Richel  (Aretin, 
Anh*  S*  89/90)  über  den  Auftrag  der  spanischen  Gesandten  sagt, 
geht  hiernach  zu  weit. 

')  Durch  Navarro  (Wittich  S.  50)  und  Piccolomini  (S,  301 
Anm  2). 

*)  Richel,  Februar  S.  (Inner  111,  Nn  434  S.  242,  243.)  Charak- 
teristisch ist,  wie  deshalb  auch  Onate  in  seinem  Bericht  vom 
2K  Februar  (Ranke  S,  369)  den  Einblick  des  Kaisers  in  Wallen- 
Steins  infidelidad  und  seine  daraut  gefaßten  Entschlüsse  erst  von 
der  Zeit  der  Pilsener  Versammlung  vom  IL/12.  Januar  datiert  und 
alles  von  seinen  Eröffnungen  ableitet. 


298 


Mork  Ritter, 


Bluttat  vom  25,  Februar  aosscheiden  können.  Die  erste 
Vorbereitung  sollte  darin  bestehen^  daß  man  den  nach 
Wallenstein  höchsten  Offizier,  den  Generalleutnant  Callas, 
ferner  den  Feldmarschall  Aldringen  und  den  General- 
wachtmeister Piccolomini\)  (am  L  Februar  zum  Feld- 
marschall ernannt)  für  die  Unterstützung  des  Vorgehens 
des  Kaisers  gewänne.  Und  damit  kam  man  überraschend 
schnell  zum  Ziel.  Gallas  und  Piccolomini  verständigten 
sich  in  dem  gewünschten  Sinne  schon  in  den  ersten 
Tagen  des  Januar  1634^),  als  erste rer  in  Großglogau 
stand,  und  bevor  letzterer  am  8*  Januar  bei  Wallenstein 
in  Pilsen  erschien^  um  dort  bis  zum  17.  Januar  zu  ver- 
weilen,*) Aldringen,  an  den  Walmerode  geschickt  wurde» 
befand  sich  mit  jenen  beiden  spätestens  in  den  letzten 
Tagen  des  Januar  im  Einverständnis.*) 

Wurde  aber  bei  diesen  Beredungen  auch  über  die 
Hauptfrage,  was  zur  Beseitigung  Wallenstetns  geschehen 
solle,  eine  Entscheidung  getroffen?  Bald  nach  Piccolo- 
minis  Abzug  von  Pilsen  erschien  dort  auf  eine  Aufforderung 
Wallensteins  auch  Gallas  (am  Abend  des  24.  Januar)  und 
blieb  bis  zum  13,  oder  14.  Februar.*}  Damals  nun  — ^  am 
26.  Januar  —  hoffte  Piccolomini  noch»  daß  Wallenstein  M 
bei  genügender  Sicherung  seiner  Stellung  zum  Rücktritt  * 
zu  bewegen  sein  könnte^);  aber  wie  sowohl  er,  als  Aid- 


')  Nach  Antelmi    war   auch    er   schon    im  August  1633  über  ' 
Wallenstein  unzufrieden.     (Archiv  28^  390.) 

')  Nach  Piccoloniinis  Mitteilungenj  die  der  balrische  Sekretär 
Teisinger    nach    Wien    überbrachte    (Aretin    S*   122)  ^    wo    er   am 
30.  Januar  war,    (Irmer  JH^   Nr.  399  S,  190,)     Auch   Coloredo   be-  ^ 
teiligte  sich  an  der  Verständigung.  ^ 

•)  Die  Daten  bei  Aretin  S,  123  L 

*)  Beweis:  die  beiden  Schreiben  vom  26.  und  2B.  Januar  !634 
bei  Irmer  Hl,  Nr.  389  S.  172;  Nr,  394  S,  186,  ■ 

*)  Aretin  S,  133  Anm,  l.     Am   14,  Februar   abends   ist    er  in   B 
Gratnen  (Aretin,   Anh.  Nr,  38  S.  114),  am  13,  datiert  er  noch  von 
Pilsen  (Förster  Ul  Nr.  425  S,d92). 

*)  In  dem  angeführten  Schreiben  an  Aldringen  vom  26.  Jan. 
Vgl.  auch  das  anonyme  Schreiben  vom  14.  Januar  über  die  Hoff* 
nung  äul  einen  in  gleicher  Richtung  wirkenden  Einfluß  das  Gallas. 
(Mitteilungen  aus  dem  tc,  k.  Kriegsarchiv  1882,  S.  207.) 


Der  Untergang  WaHensteins. 


29^ 


ringen  mit  der  Möglichkeit  schlimmer  Entschlüsse  rech- 
neten \),  so  kam  Aldringen  auch  schon  mit  dem  Vorschlag 
hervor,  sich  der  Treue  einiger  Reiterregimenter  zu  ver- 
sichern und  „eine  Cavalkade  nach  Pilsen  zu  unternehmen*, 
oder,  wie  Piccolomini  es  ausdrückte,  „die  Vögel  im  Nest" 
auszuheben,^)  Man  sieht,  es  wurden  entgegengesetzte 
Möglichkeiten  erwogen,  aber  eine  Entscheidung  war  noch 
nicht  getroffen.  Diese  Entscheidung  und  damit  den 
zweiten  Abschnitt  in  dem  Feldzug  gegen  Wallenstein 
brachte  die  Nachricht  über  den  Pilsener  Schluß, 

Wichtig  ist  hier  die  Vorfrage,  wie  die  kaiserliche  Re- 
gierung diesen  Vorgang  von  der  rechtlichen  Seite  be- 
urteilte. Bei  dem  nach  Wallensteins  Tod  angestellten 
Gerichtsverfahren  wurde  es  unter  den  Begrif!  der  Meuterei 
und  Verschwörung  gebracht,^)  Daß  die  gleiche  An- 
schauung aber  auch  von  Anfang  an  die  Schritte  des 
Kaisers  bestimmt  hat,  ist  aus  den  bairischen  Berichten 
zu  entnehmen.  In  den  von  dem  bairischen  Sekretär 
Teisinger  aufgezeichneten  Mitteilungen  Piccolominis  er- 
scheint das  Vorgehen  als  Anstiftung  einer  „General- 
mutination";  nach  dem  bairischen  Gesandten  Riebet 
sehen  am  kaiserlichen  Hol  die  der  WaHensteinschen 
Faktion  nicht  Angehörigen  darin  ein  „sträfliches  Ver- 
bündniß",*)  Auf  diese  Auffassung  gründete  sich  nun 
die  entscheidende  Maßregel,  zu  welcher  der  Kaiser  am 
24,  Januar  schritt:  es  war  das  Patent,  in  welchem  erstens 
Wallenstein  des  obersten  Kommandos  enthoben,  und  das- 
selbe einstweilen  dem  Callas  übertragen  wurde,  zweitens 


*)  Früvedimenti  per  quaUivoglia  resoMione,  (Piccolomini 
a.  a.  O.)  Caso  che  si  dtibita  di  quet  male  che  viene  presupposto. 
(Aldringen  in  dem  angeführten  Schreiben  vom  28,  Januar*) 

*)  Aretin  S.  126.  Anh,  Nr-  33  S.  107.  Auf  diese  Kavalkade 
weist  Richet  alsbald  in  seinem  Vortrag  vor  dem  Kaiser  hin, 
(Bericht  vom  1.  Februar.    Aretin^  Anh.  Nr.  36  S.  112.) 

')  Anklageschrift  gegen  Mohr  a.  Wald.  (Archiv  XXV,  366,) 
Urteil  im  Prozeö  Scherfenberg.    (Irmer  HI,  S.  35L) 

*)  Aretin,  Anli.  Nr,  33  S.  106.  Irmer  lU,  Nr,  386  S.  168.  Die 
gleiche  Ansicht  (gegen  Ranke)  spricht  Wjttich  aus  (H.  2.  73,  227), 
aber  ohne  Beweis. 


300 


Moriz  Ritter, 


der  Pilsener  Revers  als  strafbar  bezeichnet,  die  Strafe 
aber  den  Beteiligten  erlassen  wurde,  mit  Ausnahme  von 
Wallenstein,  llow  und  Trzka,  Für  den  Kaiser  waren  diese 
drei  fortan  Anstifter  der  Meuterei ,  ihre  Schuld  war 
notorisch  und  wuchs  mit  jedem  Tag,  den  sie  in  ihrem 
Verbrechen  verharrten. 

Auch  diesmal  jedoch  war  von  einer  raschen  und 
offenen  Durchführung  dieses  Erlasses  keine  Rede.  DaB 
er  überhaupt  existierte,  konnte  der  bairische  Gesandte 
erst  am  8*  Februar  oder  unmittelbar  vorher  nach  einer 
orakelhaften  Andeutung  Eggenbergs  ahnen:  der  Kaiser, 
so  lautete  sie,  habe  schon  „vor  etlich  Wochen"  (was 
etwas  viel  gesagt  war)  Befehle  zum  ^exequiren*"  aus- 
gefertigt und  dubei  wegen  der  großen  Gefahr  und  Un- 
gewißheit der  Lage  es  den  Exekutoren  anheim  gegeben, 
ob  das  Werk  ,vtoienter  oder  in  andere  weg  sicherer*^  aus- 
zuführen sei.^)  Die  hier  bezeichneten  Männer  des  kaiser- 
lichen Vertrauens  waren  wieder  die  genannten  drei  Gene- 
räle, und  welcher  Art  die  an  sie  gerichteten  Aufträge 
waren,  läßt  sich  ziemlich  genau  verfolgen. 

Am  3f.  Januar  ging  der  Generalkriegskommissar 
Walmerode  zum  zweiten  Male  an  Piccolomini  nach  Linz 
und  von  da  zu  Aldringen  nach  Passau  ab,®)  Natürlich 
übergab  er  das  Patent  vom  24.  Januar,  daneben  aber 
richtete  er  mündliche  Aufträge  des  Kaisers  aus,  welche 
als  ein  ^ausdrücklicher  und  unbedingter  Befehl*"  desselben 
vorgetragen  wurden  und  auf  eine  nicht  aufzuschiebende 
Exekution   gingen.")     Der  gefährlichste  Teil   dieser  Exe- 


')  Richel,  Februar  8.  (Irmer  III,  Nr.  4M  S,  242'243;) 
*)  Der  Bischof  von  Wien  an  Aldringen.  Januar  31.  (Hurter 
S.  375.)  Über  Walmerodes  Anbringen  achreibt  PiccolOTnini  einen 
ersten  Brief  an  Aldringen,  der  ohne  Datum  ist  (Irmer  111^  Nr,  413 
S.  204),  einen  zweiten,  der  laut  Aldringens  Antwort  am  4,  Februar 
morgens  überreicht  ist  (Nn  416  S.  208)  und  mit  dem  bei  Irmer 
Nr.  410  mit  Datum  3.  Februar  mitgeteilten  identisch  ist,  und  einen 
dritten  am  4.  Februar.  (Nr.  4M;  erwähnt  ebenfalls  in  Nr.  416 
S.  208.)  Aldringen  antwortet  auf  den  zweiten  und  dritten  Brief 
am  5.  Februar  (Nr.  416). 

*)  Ordine  espresso  e  senza  condlztone.   (Nr*  416  S.  208»)    Non 
so  comi  si  possm  äif/erire  l'esecutione  (a,  a.  O.). 


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4 
I 

^ 
I 


Der  Untergang  Wallenstems.  301 

kution  war  Piccoiomini  zugedacht;  die  Sache,  so  schreibt 
er  am  3,  Februar,  „ist  so  eingeleitet,  daß  ich  allein  Gefahr 
laufe,  darunter  zu  leiden".  Aber  ^ich  und  viele  andre 
sind  eines  Sinnes,  wir  wollen  sterben  im  getreuen  Dienst 
des  Kaisers  und  für  die  Religion"- 0  Die  Gefahr  bestand 
darin,  daß  Piccoiomini  nach  Pilsen  gehen  sollte,  um  dort, 
wie  er  in  einem  vor  dem  6.  Februar  geschriebenen  Brief 
meldet,  entweder  die  Gefangennahme  oder  den  Tod 
Wallensteins  zu  „exequiren*',-) 


0  Nr  410  S.  200,  201. 

*)  Per  eseguire  o  ia  priglone  o  la  morU  äel  WalUnstHn. 
(Irmer  Nr.  421  S*  212.)  Das  Schreiben  fällt  vor  die  auf  den  5.  oder 
6.  Februar  fallende  Zusammenkunft  mit  Aldringen.  —  Den  gleichen 
Auftrags  nach  Pilsen  zu  kommen^  wurde  in  unbegreiflicher  Kon- 
kurrenz Aldringen  erhalten  haben>  wenn  bei  Irmer  in  Nr.  416  das 
Stück  von  S,209  Z,  6  v.  u.  ab,  ferner  Nr.  414  und  420  von  Aldrin- 
gen und  nicht  vielmehr  von  Piccoiomini  wären.  Nun  lehrt  aber 
hinsichtlich  der  Nr  416  ein  flüchtiger  Einblick  in  die  angefügten 
beiden  Postskripte,  daß  sie  Nachrichten  au&  Pilsen  enthalten,  und 
daß  das  erste  vermutlich  von  Piccoiomini  während  seines  dortigen 
Aufenthalts,  das  zweite  von  einem  andern  bald  nach  der  Ankunft 
des  Herzogs  Franz  Albert  daselbst  (20.  Januar)  verfaßt  ist,  also  keins 
von  Aldringen  herrührt.  Der  Kopist  kann  also  seine  Nachlässig- 
keit auch  im  Text  des  Hauptschreibens  betätigt  haben.  In  Nr.  414 
paßt  der  dort  erwähnte,  vor  14  Tagen,  also  um  die  Zeit,  da  Piccoio- 
mini Pilsen  verließ,  dem  spanischen  Gesandten  abgestattete  Be- 
richt über  quanto  si  e  falto  a  Pilsen  wohl  auf  Piccoiomini,  aber 
gar  nicht  auf  Aldringen.  Ich  glaube,  der  Brief  gehört  zu  dem 
Schreiben  vom  4.  Februar ^  Nr,  411.  Letzteres  ist  Postskript, 
und  Nr.  414  ist  das  Hauptsehreiben.  Das  Schreiben  Nr.  420  be- 
zieht sich  auf  die  vom  Verfasser  vorher  gemachte  Mitteilung 
über  die  resolatione  che  mi  i  venuta  della  corte;  diese  findet  sich 
in  Piccolominis  Schreiben  Nr,  423:  beifolgend  sende  er  la  lettera 
che  ho  havuia  da  Vienna.  —  Auf  dem  Grunde  dieser  Entdeckung 
wage  ich  nun  aber  noch  einen  großen  Schritt  weiter.  Nach  der 
Besprechung  Aldringens  und  Piccolominis  in  ßaierbach  (5,  oder 
b.  Februar)  hatte  ersterer  alle  Hände  voll  Arbeit,  um  seine  und 
Piccolominis  Armee  in  Ordnung  zu  halten,  während  letzterer  den 
schweren  Gang  nach  Pilsen  antrat.  Für  diesen  die  letzten  Ent- 
schließungen des  Kaisers  einzuholen,  war  unter  diesen  Umständen 
nicht  Sache  Aldringens,  sondern  Piccolominis.  Folglich  gehören 
die  viel  berufenen  Briefe  bei  Irmer  Nr.  424,  425  dem  letzteren, 
nicht  dem  ersteren.  Was  sollte  auch  S.  216  das  poriare  la  risO' 
tutione  a  Galasso  (nach  Pilsen!)  im  Munde  Aldringens? 

Hiitorische  Zeitichrift  {%!.  Bd.)  S.  Folge  U  Bd,  20 


302 


Moriz  Ritter, 


Wie  war  nun  die  Exekution  gedacht?  Überspringen 
wir  vorläufig  einen  Zeitraum  von  einer  Woche  und  ver- 
setzen wir  uns  in  die  Tage,  da  Piccolomini  bald  nach 
dem  10.  Februar  in  Pilsen  eintrat,  dort  den  am  13>  oder 
14,  abreisenden  Callas  noch  ansprach  und  selber  abends 
den  15,  Februar  sich  wieder  entfernte*  Er  erreichte  dort, 
so  meldet  Gallas  dem  Aldringen  am  17.  Februar,  seinen 
Hauptzweck  nicht,  da  er  dem  Obersten  die  biileis  nicht 
zustellen  konnte.^)  Unter  diesen  billets  ist,  wie  der  von 
Aldringen  gebrauchte  parallele  Ausdruck  öulieiina  zeigt ^), 
der  von  Gallas  noch  zu  Pilsen  am  13*  Februar  aus- 
gefertigte und  an  die  einzelnen  Obersten  gerichtete  Er- 
laß zu  verstehen,  in  dem  ihnen  kraft  des  kaiserlichen 
Absetzungspatentes  der  Gehorsam  gegen  Wallenstein, 
Trzka  und  Ilow  verboten,  und  sie  an  das  Kommando  von 
Gallas,  Aldringen,  Piccolomini  gewiesen  wurden-  Gesetzt 
nun,  Piccolomini  hatte  mittels  dieser  Befehle  die  Obersten 
in  Pilsen  zur  Lossagung  von  Wallenstein  bewogen,  wie 
mußte  er  dann  in  seiner  Eigenschaft  als  der  dort  Höchst- 
kommandierende gegen  die  drei  notorischen  Meuterer 
und  Verschwörer  vorgehen?  Offenbar  mußte  er  sie  in 
Haft  nehmen,  und  wenn  sie  sich  dem  durch  Flucht  oder 
Widerstand  entziehen  wollten,  so  trat  für  ihn  dasselbe 
Recht  ein,  kraft  dessen  Wallenstein  im  Jahr  1619,  als  er 
dem  Kaiser  sein  mährisches  Regiment  retten  wollte,  den 
Oberstleutnant,  der  seinen  Befehl  durchkreuzte,  mit 
eigener  Hand  erstach.  Das  ist  der  Sinn  der  Exekution 
mittels  Tod  oder  Gefangenschaft, 

Wenden  wir  uns  noch  zu  dem  eben  übersprungenen 
Zeitraum.  An  sich  bereit  zur  Ausführung  seines  Auftrags, 
hatte  Piccolomini  Bedenklichkeiten  hinsichtlich  des  Zeit- 
punktes: erst  sollte  Gallas,  als  oberster  Leiter  des  Ganzen, 
bestimmte  Weisungen  geben,  erst  sollten  die  letzten  Ver- 
suche der  Güte  bei  Wallenstein  erschöpft  sein,  und  erst 
sollte  der  kaiserliche  Hof  für  Geld  sorgen,  damit  man 
die  Armee  im  kritischen  Moment  befriedigen  könne.  Die 


i 


0  Irmer  HI,  Nn  456  S,  25- 
»)  Förster  111,  Nr.  427  S.  194, 


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I 


Der  Untergang  Wall  enste Ins, 


Hebung  dieser  Bedenken  bezweckten  die  schriftlichen 
Vorstellungen  Aldringens^),  dann  eine  schriftlich  wieder- 
holte Weisung  des  kaiserlichen  Hofes  ^),  endlich  das  per- 
sönliche Erscheinen  Piccolominis')  in  Wien  zur  Aussprache 
über  seine  Bedenken  und  über  des  Kaisers  Wille,  wobei  der 
spanische  Gesandte  den  Vermittler  machte*  Diese  letztere 
tief  geheime  Konferenz  hat  nicht  die  von  Irmer  und  Wittich 
ihr  zugeschriebene  Bedeutung.  Ihr  Ergebnis  war  nur 
die  Bestätigung  des  schon  erteilten  kaiserlichen  Befehls^ 
worauf  Piccolomini  noch  einmal  seine  Bedenken  äußerte *)j 
dann  aber  nach  Pilsen  ging. 

Als  hier  seine  Mission  fehl  schlugt  folgten  die  letzten 
Akte  der  Tragödie;  die  Einkreisung  Wallensteins  durch 
die  Regiment  für  Regiment  zum  Kaiser  hinübergezogenen 
Truppen,  das  kaiserliche  „Proskriptionspatent*"^)  vom 
18.  Februar,  endlich  die  „militärische  Execution**^)  des 
Triumvirats  Butler»  Gordon  und  Lesley. 


')  Wären  freilich  die  oben  dem  Aldringen  abgesprochenen 
Briefe  von  ihm  geschrieben,  eo  würde  er  tich  in  unbegreifitchen 
Widersprüchen  zwischen  Zureden  und  Abraten  bewegt  haben. 

■)  S,  oben  S-301  Anm.  2. 

*)  A.  a.  O. 

*)  Der  erneute  Befehl  wurde  dem  Piccolomini  nachgeschickt 
(la  persona  da  Vienna  porid^  la\  risalutione  etc.)j  worauf  dieser 
dem  Aldringen  seine  Bedenken  mitteilt*     (Nr.  425.) 

^)  So  wird  es  in  dem  Prozeß  gegen  Mohr  a.  Wald  von  dem 
Ankläger  genannt     (Archiv  XXV,  S.  376  Nr.  8.) 

•)  So  in  dem  Ausschreiben  von  Gordon  und  Butler  bei  Förster 
III,  Nr,  476  S.  320. 


20* 


r 


► 


Leider  nochmals  die  Histoire  de  tnon 
Temps ! 

Eine  Entgegnung 
von 

Alfred  Dove. 


Im  jüngsten  Bande  der  Historischen  Zeitschrift') 
kommt  Dr.  Friedrich  Meusel  auf  die  Meinungsverschie- 
denheiten über  die  Textgeschichte  der  Histoire  de  man 
temps  Friedrichs  d.  Gn  zurück.  Die  strittige  Frage;  ob 
bei  der  dritten  Redaktion  des  ersten  Teils  neben  der 
zweiten  von  1746/47  auch  die  ursprüngliche  heute  nicht 
mehr  vorhandene  Textgestalt  von  1742/43  benutzt  ward, 
oder  nicht  —  diese  mehr  philologische  als  historische 
Frage  glaubt  er  auf  Grund  neuen  Materials  entscheiden 
zu  können.  Er  gedenkt  dabei  unter  den  früheren  Auf- 
fassungen auch  der  meinen  ^)j  die  ja  einst  den  Anstoß 
zu  der  wissenschaltlichen  Debatte  gab,  und  zwar  in  wohl* 
wollendem  Tone,  wie  ich  mit  Vergnügen  anerkenne; 
allein  wie  wenig  ist  mir  hiermit  gedient!  Denn  das  Bild, 
das  er  von  ihr  entwirft,  ist  so  unähnlich  ausgefallen^  daß 
ich  mich  gedrungen  fühle,  lauten  Einspruch  dagegen  zu 
erheben.  Ich  genüge  so  eigentlich  einer  seit  vielen  Jahren 
versäumten  Wehrpflicht;  wiederholt  doch  Herr  Meusel 
in  der  Tat  nur  ein  wunderliches  Mißverständnis,   in  das 


0  Bd.  96,  S.  434  ff. 

')  Das  Zeitalter  Friedrichs  d.  Gr.  und  Josephs  Ü.   Erate  Hälfte. 
<Gotha  1883.)    S.  237— 240, 


Leider  nochmals  die  Histoire  de  mon  Tempsl 


305 


Reinhold  Koser  in  seinem  Aufsatz  von  1884^)  meiner 
Ansicht  gegenüber  geraten  war.  Über  das  allerseltsamste 
Versehen,  welches  diesem  dabei  zugestoßen,  wurden  die 
Leser  der  Historischen  Zeitschrift  zwar  bald  hinlänglich 
aufgeklärt:  Max  Lehmann  erläuterte  1889^)  den  Sinn 
meiner  Behauptung  im  wesentlichen  zutreffend;  Theodor 
Wiedemann  bekräftigte  sie  1891  ^)  durch  einzelne  An- 
wendungen, Aber^  wie  ich  an  Herrn  Meusel  sehe, 
wenigstens  ein  Märchen  aus  alten  Zeiten  lebt  zu  meinen 
Ungunsten  noch  immer  fort.  Kein  Stellvertreter  erspart 
mir  ganz  das  leidige  Geschäft,  die  eigenen  Worte  aus- 
zulegen, die  doch  an  sich  nicht  unklar  waren,  sondern 
erst  durch  fremde  Hand  verdunkelt  worden  sind.  — 

Koser  ließ  mich  „ausgehen"  —  und  Meuse!  ist  auch 
hierin  sein  getreues  Echo  —  von  der  Interpretation  des 
seitdem  so  vielbesprochenen  Redaktionsvermerks  vom 
1.  Juni  1775:  ^Corrig^  ä  Sanssouci''  usw.  Das  ist  un- 
richtig, ausgegangen  bin  ich  von  einer  anderen  Frage  der 
literarhistorischen  Kritik,  anlangend  den  inneren  Bau  der 
königlichen  Zeitgeschichte;  sie  will  ich  auch  heute  zu- 
vörderst kurz  erörtern.  Wie  man  weiß,  sind  Disposition 
und  Komposition  auch  in  der  endgültigen  Bearbeitung 
von  1775  vielfach  unvollkommen  geblieben;  aber  ernst- 
liches Befremden  erregt  doch  nur  eine  Erscheinung,  das 
ist  die  zur  Abgrenzung  der  beiden  Teile  getroffene  Wahl^ 
nicht  etwa  des  Friedens  zu  Breslau  oder  Berlin,  nein 
der  folgenden  ganz  bedeutungslosen,  für  den  Hauptein- 
schnitt völlig  ungeeigneten  Jahreswende,  Preuß^  der  die 
Redaktion  von  1775  in  den  Oeuvres  de  Fr^d^ric  le  Grand 
edierte,  hilft  dem  königlichen  Autor  freilich  auf  höchst 
einfache  Weise  nach,  indem  er  im  Vorwort  der  Wahrheit 
zutrotz  Ja  premiere  pariie  de  ce  nouveau  travail  jusqu*ä 
la  paix  de  Berlin*'  reichen  läßt  und  den  Inhalt  des  7.  Ka- 
pitels, dessen  Überschrift  ausdrücklich  mit  den  Worten 
schließt:  ^,ei  ious  ies  ävMemenis  Jusqu'ä  l'annäe  1743^, 
zum  größten  Teil  ohne  weiteres  ignoriert.    Natürlich  ist 

n  H.  Z.  Bd.  52,  S.  385  ff. 
■)  Bd.  62,  S.  193  ff. 

=•)  Bd.  67,  S.  290  ff. 


306  Alfred  Dove, 

nun  die  so  äußerliche  Einteilung  der  Hisiaire  de  man 
temps  von  1775  ein  Erbfehler  aus  der  Redaktion  von 
1746/47*);  denn  schon  diese  unterscheidet  die  ersten 
sieben  Kapitel  als  Seconäe  partim  de  rhislaire  de  Brande- 
böurg  von  der  Troisiime  partUj  die  mit  dem  8,  Kapitel 
beginnt.  Aber  merkwürdigerweise  verfährt  Max  Posner, 
der  fleißige  Forscher  und  sorgfältige  Herausgeber,  mit 
derselben  Willkür  wie  sein  Vorgänger,  wenn  er  von  dem 
Manuskript  von  1746/47  vermeldet^):  „genau,  wie  in  den 
Ausgaben''  —  des  Textes  von  1775  —  „endigt  das  7.  Ka- 
pitel der  Handschrift  mit  dem  Frieden  von  Breslau.^ 
Genau?  Es  müßte  vielmehr  lauten:  „ganz  ebenso  un- 
genau",  hier  wie  dort  sechs  Monate  später.  In  beiden 
Historikern  sehen  wir  den  unbewußten  Trieb  wirksam, 
einen  organischen  Mangel  der  Komposition,  der  also 
schon  in  der  ältesten  erhaltenen  Fassung  zutage  tritt,  zu 
vertuschen.  Aber  beruht  nicht  der  Mangel  am  Ende  auf 
noch  älterer  Vererbung  und  wird  dadurch  vielleicht  ent- 
schuldbar? So  ist  es:  die  scheinbare  Gliederung  ist  eine 
Zusammenlügung;  wo  wir  einen  Einschnitt  wahrzunehmen 
glauben,  verläuft  eine  Naht 

Bekanntlich  ist  auch  der  Text  von  1746/47  in  seiner 
ersten  Hälfte  —  ich  bediene  mich  hier  dieses  Aus- 
drucks ungefähr  —  bereits  das  Produkt  einer  bloßen 
Überarbeitung,  Schon  im  Winter  1742/43  hatte  Friedrich 
zum  erstenmal  seine  Memoiren  geschrieben.  .Je  iravaüie  _ 
ä  mes  mämoireSj  et  Je  suis  par-äessus  les  oreilies  darts  I 
ies  archi^es^,  setzt  er  eigenhändig  einem  Erlaß  an  Pode- 
wils  vom  13.  November  1742  hinzu;  am  2L  Mai  1743 
heißt  es  dann  in  einem  Brief  an  Voltaire:  ^e  vaus  en- 
voie  Vavanfpropos  de  mes  m/moires;  le  resie"^,  der  also 
fertig  war,   j^n^est  poinl  osiensibie."^     Leider  ist    er  auch 


0  Auch  die  Art  der  Zählung  lät  vererbt;  denn  noch  in  der 
Handschrift  von  1775  steht  hinter  dem  ersten  und  zweiten  Teil 
,Fin  de  la  seconäe  {de  la  trolsieme)  partü^,  S*  Hans  Droysen, 
Beiträge  zu  einer  Bibliographie  der  prosaischen  Schriften  Fried- 
richs d.  Gn  II  (Fortsetzung  u,  Schluß),  1905,  S.  22, 

*)  Miszellaneen  zur  Geschichte  König  Friedrichs  d.  Gr.  1878, 
S.  213. 


I 


Leider  nochmals  die  Hi&toire  de  inon  Tempsl 


heute  nicht  einfach  „vorzeigbar",  denn  das  Original  dieser 
frühesten  Memoiren  ist  verschollen;  bezeichnen  wir  so- 
mit nach  Kosers  Beispiel  diese  unbekannte  Größe  der 
Bequemlichkeit  halber  durch  den  Buchstaben  X,  Nun 
hätte  freilich  der  König,  als  er  nach  dem  Dresdener 
Frieden  von  neuem  an  die  Arbeit  ging,  mit  einer  Um- 
schmelzung  des  vor  drei  Jahren  verfaßten  Memoiren- 
stückes X  beginnen  können^  um  erst  hernach  eine  Fort- 
setzung daran  zu  knüpfen,  für  die  es  wiederum  gründ- 
licher archivalischer  Studien  bedurfte.  Allein  man  wird 
es  zum  mindesten  sehr  begreiflich  finden^  daß  er  den 
umgekehrten  Weg  einschlug.  Posner  hat  aus  Anzeichen 
und  Gründen,  die  ich  hier  übergehe^  mit  einer  an  Ge- 
wißheit grenzenden  Wahrscheinlichkeit  erschlossen,  daß 
zunächst  die  Fortsetzung  vom  8,  Kapitel  an,  das  mit  dem 
Jahre  1743  anhebt,  in  Angriff  genommen  ward.  Wie  eine 
datierende  Unterschrift  besagt,  erreichte  sie  am  2.  No- 
vember 1746  ihr  Ziel,  den  Frieden  zu  Dresden  am  Aus- 
gang des  Jahres  1745.  Friedrich  erwähnt  sie  am  22.  April 
1746  als  ^mes  nouveaux  m^maires"  und  wünscht  —  «wie 
schlechte  Schriftsteller  pflegen"  —  seinem  Podewils  dar- 
aus vorzulesen.  Bezeichnet  wurde  sie  als  Troisiime 
parüe  de  l'histoire  de  Brandebourg ;  denn  schon  damals 
hatte  der  König  den  Plan  entworfen,  den  Denkwürdig- 
keiten seiner  eigenen  Zeit  das  Wissenswerte  aus  der  Ge- 
schichte seiner  Vorlahren  als  Einleitung  vorauszuschicken* 
Dies  sollte  den  ersten  Teil  bildeUj  indes  lür  den  zweiten 
natürlich  die  alten  Memoiren  übrigblieben,  jenes  X,  das 
nachträglich  einer  zeitgemäßen  Umgestaltung  untcrworlen 
ward.  Tiefer  greifende  Wandlungen  hat,  soviel  wir  wissen, 
nur  das  erste  Kapitel  erfahren;  erst  im  Frühling  1747  er- 
hielt es,  während  gleichzeitig  bereits  die  brandenburgische 
Erzählung  in  Arbeit  war,  jene  prachtvolle  kulturhistorische 
Einlage,  die  am  Eingang  zur  Zeitgeschichte  den  Geist 
des  fortgeschrittenen  Jahrhunderts  vergegenwärtigt.  Der 
ganze  Rest,  das  2.  bis  7*  Kapitel,  wurde  dagegen,  so 
scheint  es,  sachlich  nicht  erheblich  modifiziert*  Aus  der 
Tatsache  aber,  daß  das  7.  Kapitel  über  den  Breslauer 
Frieden    hinaus    ^taus    ies    äv^nements  jusqu'ä    Vannäe 


308 


Alfred  Dove, 


1743"^  umfaßt^  folgt  ebenso  wie  aus  dem  entsprechenden 
Einsatz  der  nouveanx  m^moires,  daß  bereits  X,  die  alte 
Arbeit  von  1742/43,  in  gleicher  Weise  naiv  annalistisch 
mit  dem  eben  abgelaulenen  Jahr  geendigt  hatte.  So  ist 
also  der  logische  Fehler  der  Einteilung  chronologisch  zu 
erklären;  es  spiegelt  sich  darin  die  In  der  Eile  unüber- 
wundene Entstehungsgeschichte  des  Werks, 

Man  sollte  meinenj  schon  Posner  habe  diesen  Schluß 
gezogen,  doch  fühlte  er  jedenfalls  kein  Bedürfnis,  sich 
deutlich  darüber  auszulassen*^)  Dagegen  hat  Koser 
später,  als  er  meine  Hypothese  bekämpite,  ganz  richtig 
gezeigt,  wie  man  ohne  sie  auskommen  kann.  Ihm  steht 
iestj  daß  X  mit  dem  Breslauer  Frieden  abgeschlossen 
hat,  und  daß  die  drei  Fünftel  des  7.  Kapitels^),  die  der 
Betrachtung  des  folgenden  halben  Jahres  gewidmet  sind 
und  in  der  Redaktion  von  1746/47  den  Schluß  der  Sccande 
pariie  bilden,  „schlechthin  für  einen  Zusatz  aus  dem  Jahre 
1746"  zu  halten  sind.  Dabei  sieht  er  mit  Posner  die 
umgekehrte  Reihenfolge  der  Entstehung  der  beiden  Teile 
—  der  TrolsiSme  partie  vor  der  Seconde  —  als  wahr- 
scheinlich an,  ja  er  bringt  sogar  neue  diplomatische 
Gründe  für  diese  Ansicht  bei.  Um  so  mehr  hätte  also 
Friedrich,  als  er  174d  den  Grenzpunkt  für  die  Einteilung 


p 


0  Den  Satz  im  Vorwort  zur  Ausgabe  der  Nist  d.  m.  L 
(PublikaÜonen  a.  d.  preuß.  Staatsarchiven  IVj246):  „Kaum  hat  er 
im  Jahre  1746  die  Geschichte  des  jüngst  vergangenen  Krieges 
beendet,  so  wird  die  etwa  drei  Jahre  früher  geschriebene  Dar- 
stellung seiner  ersten  Regierungsjahre  einer  erneuten  Durehsicht 
und  Bearbeitung  unterzogen*^,  möchte  ich  gern  in  meinem  Sinne 
auslegen.  Aber  wenige  Zellen  vorher  hest  man:  „Gleich  nach 
dem  Breslauer  Frieden  beschreibt  er  den  ersten,  gleich  nach 
dem  Dresden<?r  den  zweiten  Schlesischen  Krieg,"  Und  in  den 
Mis^ellaneen  (S.  2l6ff>)  bleibt  es  vollends  stets  bei  so  inexakten 
Bestimmungen.  —  Übrigens  hat  schon  Preuö  einmal  das  Richtige^ 
wenn  er  von  dem  an  Voltaire  gesandten  avantpropos  von  1743 
sagt  (Oeuvres  11,  p.  X):  er  sei  „äestl/tef  seitlement  au  prtmier  vo^ 
lume  de  VHisL  ä.  m.  t'  gewesen.  Er  setzt  also  X,  dem  diese 
Vorrede  galt,  hier  dem  ersten  Bande  der  Redaktion  von  1775  an 
Umfang  gleich, 

')  Ich  rechne  von  den  Worten  an:  ^Dis  que  les  raii/ications 
de  ta  paix  furent  ^changies',  PubL  IV,  270. 


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I 
I 
I 


Leider  nochmals  die  Histoire  de  mon  Tempst 


bestimmte,  „den  annalistischen  Rahmen"  nicht  nur,  wie 
Koser  sich  ausdrückt,  „mit  Bewußtsein  gewählt^,  sondern 
mit  überlegter  Absicht*  Und  da  für  die  Absicht,  eine 
schlechtere  Ordnung  an  die  Stelle  einer  bereits  bestehen- 
den zweckmäßigen  zu  setzen,  kein  vernünftiger  Grund 
denkbar  ist,  so  läßt  diese  Erklärung  Friedrich  1746  aus 
einer  bloßen  Kaprice  handeln.  Dies  zu  glauben  stehe 
ich  an,  solange  noch  eine  andere  Erklärung  möglich  ist 
—  eben  durch  meine  Hypothese. 

Und  worauf  in  aller  Welt  stützt  sich  denn  die  An- 
nahmCj  daß  X  mit  dem  Frieden  zu  Breslau  geschlossen 
habe?  Die  wackeren  Beamten,  die  sich  bemühen,  den 
ungeduldigen  Befehlen  ihres  Herrn  durch  Aufsuchung 
und  Zubereitung  von  Archivalien  schleunigst  nachzukom- 
men,  sie  reden  wohl  —  im  November  1742  —  dabei 
vom  „Schlesischen  Kriege";  gerade  wie  über  die  Fort- 
setzung des  Werkes  Kabinettsrat  Eichel  im  März  1746 
die  Vermutung  äußert,  „daß  des  Königs  Majestät  sich 
vielleicht  jetzo  das  Amüsement  machen,  einige  Historie 
des  letzten  Krieges  mit  denen  Oesterreichern  und  Sachsen 
aufzusetzen".^)  Aber  in  Friedrichs  Geiste  stellt  sich  von 
Anlang  an  der  Krieg  nicht  an  sich,  sondern  als  politi- 
sches Instrument  dar,  wie  ihn  Clausewitz  nennt.  Er 
selbst  bezeichnet  die  Arbeit,  die  er  unternimmt,  von 
Haus  aus  als  Memoiren,  „seine"  Memoiren,  wodurch 
schon  der  Vorsatz  zu  stetiger  Fortführung  ausgesprochen 
wird/-)  Für  den  ersten  schriftstellerischen  Wurf  —  „den 
roheren  Entwurf  X'',  wie  ihn  Koser  sehr  richtig  nennt  — 
ist  aber  bei  periodischerj  nahezu  gleichzeitiger  Memoiren- 
arbeit die  annalistische  Anlage  ganz  natürlich.  Ein 
solches  Verfahren  beobachten   wir  auch  bei  dem  leider 


M  MiszelL  S.  313  f.,  316  l 

*)  Ea  begreift  sich^  daß  Fnedrich  gelegenüich  auch  einmal 
den  Unterschied  seiner  Autohistoriographie  von  dem  betont,  was 
man  gewöhnlich  als  Memoiren  produzierte:  ^L*ouvrag€  qui  m'oc^ 
cupe  n'est  point  dans  ie  genre  de  m^fmoires,  ni  de  commentaires ; 
mon  personnel  ny  entre  pour  rien  ...  Je  pelns  en  grand  ie  bouU* 
vtrsement  de  l'Europe"  etc.  An  Voltaire,  geschrieben  22.  Februar 
1747,  gerade  während  der  großartigeren  Ausführung  des  ersten 
Kapitels  in  der  zweiten  Redaktion  {Oeuvres  XXII,  163)* 


310 


Alfred  Dove, 


nicht  festgehaltenen  Plan  einer  Fortsetzung  über  den 
Dresdener  Frieden  hinaus:  Je  me  metirai  incessmmment 
ä  travailler  ä  i'annee  1746  ei  47^,  heißt  es  am  15*  No- 
vember 1748  in  einem  Brie!  an  Maupertuis.*)  Davon  ist 
himmelweit  verschieden  die  Vorstellung,  Friedrich  habe 
die  annalistische  Grenze  nachträglich  anstatt  des  ursprüng- 
lich gemachten,  sachlich  angemessenen  Halts  zur  Mar- 
kierung eines  Hauptabschnitts  in  der  ganzen  Komposition 
erkoren. 

Eine  Prüfung  der  fraglichen  Schlußerzählung  des 
7.  Kapitels  auf  ihren  Inhalt  hin  führt  natürlich  deshalb 
zu  keinem  entscheidenden  Ergebnis,  weil  ja  jedenfalls 
1746/47  mindestens  eine  Überarbeitung  des  älteren  Textes 
stattgefunden  hat.  Allein  wie  spärlich,  wie  oberflächlich 
sind  die  Spuren  einer  solchen!  In  den  letzten  25  Zeilen 
verrät  zweimal  ein  einfaches  „äans  la  sulie'^^  ein  drittes 
Mal  gar  ein  linkisches  i^nous  verrons  dans  la  suite'^  die 
Stellen,  wo  durch  kleine  Ergänzungen  zwischen  dem 
Wortlaut  von  X  und  den  inzwischen  hinzugekommenen, 
Irischweg  komponierten  nouveaux  m^moires  eine  notdürf- 
tige Verknüpfung  angebracht  worden  ist.  Im  übrigen 
hat  eine  sorgfältige  Analyse  dargetan,  ^daß  sämtliche  er- 
zählte Ereignisse  sehr  wohl  in  einer  im  Februar  oder 
März  1743  abgeschlossenen  Redaktion  berührt  sein  konn- 
ten" *—  denn  ängstlich  genau  ist  die  Jahresgrenze  doch 
nicht  eingehalten  — ,  und  daß,  was  Friedrich  hier  von 
seiner  eigenen  neutralen  Interventionspolitik  berichtet, 
eher  auf  lebendiger  Erinnerung  als  auf  Aktenstudium  zu 
beruhen   scheint,^)     Ein    Hauch   von    provisorischer  Un- 


0  Publ.  a,  d.  preuß.  Staatsarch,  LXXI1,238,  Vgl.  J.  O.  Droysen, 
Zu  d*  histor»  Schriften  Friedrichs  d.  Gr,,  Zeitschr,  L  preuß.  Gescb* 
XVIII,  l  ff, 

')  Disselnkötter,  Beiträge  zür  Kritik  der  Hlst.  ä,  m.  L  ISS5, 
S,  62  Anm.  3,  Der  Autor  ist  ^iti  der  Kontroverse  zwischen  Dove 
und  Koser*'  gewiß  nicht  für  mich  befangen,  da  er  ^S.  3)  Kosers 
Aufsatz  in  der  H.  Z.  für  „im  wesentHchen  abscfiUeßend''  erklärt  — 
Es  sei  nicht  verschwiegen,  daß,  wenn  positive  Anachronismen 
fehlen,  ein  negativer  dafür  um  so  auffallender  isL  Warum  er- 
wähnt das  7.  Kapitel  —  also  auch  X  —  noch  nicht  den  Rückzug 
Belleisles  aus  Prag,  der  doch  in  den  Dezember  fällt»  so  daß  nun 


I 


Leider  nochmals  die  Histoire  de  mon  Temps 


bestimmtheit,  von  abwartender  Entschlossenheit  auf  alle 
Fälle  schwebt  über  der  ganzen  Darstellung.  Er  ent- 
spricht vollkommen  dem  geschilderten  Moment  —  wie 
aber,  müßte  er  darum  natürlich,  könnte  er  nicht  auch 
künstlich  sein?  War  nicht  Friedrich  Poet  genug,  um 
auch  einen  kapriziös  gewählten  Teilschluß  hinterdrein 
möglichst  spannend  zu  gestalten?  Man  sieht,  daß  auf 
diesem  Wege  sich  nichts  beweisen  läßt,  daß  über  Ein- 
drücke, Ahnungen,  die  auch  Täuschungen  sein  mögen, 
nicht  hinauszukommen  ist.  In  solchen  oder  doch  ähn- 
lichen Überlegungen  begriffen,  im  einzelnen  schwankend, 
im  ganzen  voller  Zuversicht  —  glaubte  ich  plötzlich  zu 
meiner  höchsten  Überraschung  zu  bemerken,  daß  der 
gekrönte  Autor  selbst  in  einer  bisher  nicht  beachteten 
oder  doch  in  ihrer  Bedeutung  verkannten  Notiz  den 
wahren  Umfang  des  verschollenen  X  unwillkürlich  be- 
zeugt habe,  — 

Friedrich  liebte  nach  seiner  scharfen  Geistesart  auch 
als  Schriftsteller  präzise  Datierungen  am  Ende  seiner 
Manuskripte.^)  Wo  es  sich  um  erste  Gestaltungen  han- 
delt, steht  gewöhnlich  das  einfache  Datum.  So  am 
Schlüsse  der  nouveaux  mämotres  von  1746;  ..FeWric  ce 
2  de  novembre  1746^;  hinter  der  Geschichte  des  Sieben- 
jährigen Krieges:  ^Fin.  ä  Berlin  ce  17  de  d/cemöre  1763 
FM^ricf ;  unter  dem  ersten  Entwurf  der  weiteren  Fort- 
setzung bis  1774:  ^ä  Poizdam  ce  18.  fävn  1715  F^d^ricJ^ 
Gegen  Ende  seines  Lebens  braucht  er  auch  wohl  ein 
datiertes  „fait"^;  so  am  Schlüsse  der  M^moires  de  la 
guerre  de  177S:  „Finis.  fall  ä  Poizdam  ce20,juin  I779f 
Die  nachträgliche  Umschmelzung  früher  verfaßter  Me- 
moirenstücke wird  dagegen  regelmäßig  durch  corrige 
bezeugt.  So  heißt  es  1775  am  Ende  der  Hisioire  de 
man   iemps^  die  ja  in    ihrer   zweiten    Hälfte    eine    neue 


1746  das  S,  Kapitel  ihn  nachholen  muß?  Wir  wigsen  es  nicht  und 
müssen  uns  mit  denkbaren  Gründen  bescheiden^  deren  Mitteilung 
hier  keinen  Wert  hätte*  Wohl  aber  erschiene  eine  1746  absieht* 
lieh  angerichtete  Unordnung  erst  recht  als  Gipfel  der  Kaprice* 

^)  Wir  verdanken  die  Mitteilung  dieser  Vermerke  in  authen- 
tischer Gestalt  erst  Hans  Droysen  a.  a.  0.  S.  19  il 


312  Alfred  Dove, 

Redaktion  "der  nauveaux  mdmoires  von  1746  darsfelU: 
j,Fin  de  ia  troisiime  pariie.  Corrig^  ä  Sanssouci  ce 
20  juillet  1775  F^d^ricf  Die  der  Mistoire  de  man  iemp$ 
vorausgeschickte  Geschichte  des  Hauses  Brandenburg  ist 
nämlich  bei  der  Zählung  hier  immer  noch  mitgerechnet*^) 
In  gleicher  Weise  wird  die  zweite  Fassung  der  an  den  _ 
Frieden  von  Hubertusburg  anschließenden  Memoiren  ■ 
durch  die  Schtußnotiz  charakterisiert:  „falten  1773  (ver- 
schrieben für  1775)  corrigi  en  1779  Fidiric^ ;  nur  daß 
hier  noch  ein  Rückblick  auf  die  Zeit  der  ersten  Nieder^  ■ 
Schrift  hinzukommt.  Stünde  nun  ebenso  unter  dem 
ersten  Teil  der  Redaktion  von  1746/47,  der  doch  seiner- 
seits auch  eine  zweite  Fassung,  die  von  X,  repräsentiert,  ■ 
ein  entsprechender  Vermerk  der  Korrektur,  so  würde 
sich  unmittelbar  aus  seiner  Stellung  ergeben,  wie  weit  X 
gereicht.  Allein  —  quandaque  bonos  dormitat  Homerus  —  ■ 
diesmal  hatte  der  König  hinter  das  7.  Kapitel  bloß  die  * 
Worte  gesetzt:  ^Fln  de  la  seconde  partie.  FM&ic^'^  Um 
so  bessere  Auskunft  gewährt  uns  an  derselben  Stelle  die 
Redaktion  von  1775*  Ich  wiederhole:  unter  der  iroisiime 
partie  bringt  sie  der  Sache  gemäß  ein  einfaches  corrig^; 
aber  am  Schlüsse  der  seconde  partie^  die  in  der  Tat 
größtenteils  den  einzigen  Fall  einer  wie  auch  immer  vor- 
genommenen zweiten  Korrektur,  also  der  dritten  Fassung 
eines  Memoirenstücks  bedeutet,  lügt  sie  dem  ri?m^^  aus- 
drücklich eine  Angabe  über  den  dabei  eingeschlagenen 
Weg  hinzu.  Wäre  dieser  Weg  der  gewöhnliche,  nächst- 
liegende gewesen,  d.  h.  hätte  Friedrich  die  dritte  Fassung 
aus  der  zweiten,  ohne  Rücksicht  auf  die  erste  heraus- 
gestaltet, so  konnte  ein  Zusatz  zu  corrig^  füglich  unter- 
bleiben, ja  dann  bedurfte  es  des  ganzen  Vermerks  an 
dieser  Stelle  gar  nicht,  es  genügte  die  Datierung  der 
vollzogenen  Überarbeitung  am  Schlüsse  des  gesamten 
Werkes.  Unnütze  Worte  machte  Friedrich  nicht.  Er  war 
aber  eben  nicht  den  gewöhnlichen  Weg  gegangen  und 
merkte  dies  als  gewissenhafter  Autor  an.  Für  Koser 
sind  freilich  die  Unterschiede  im  Wortlaut  der  Redaktions- 


*)  Vgl  obeti  S.306  Anm<  L 


p 


Leider  nochmals  die  Histoire  de  moti  Tempsl 


3L3 


vermerke  bedeutungslos.  „Unter  keinen  Umständen,*"  so 
dekretiert  er  im  Namen  Friedrichs,  „hat  er  in  jene  Da- 
tumzeilen etwas  hineingeheimnissen  wollen.*"  Hinein- 
geheimnissen nun  wohl  gerade  nicht;  aber  durfte  er  denn 
voraussetzen,  daß  der  Sinn  seiner  deutlichen  Worte  ein 
Geheimnis  bleiben  würde? 

Die  am  Ende  der  ersten  Hälfte  der  Hisioire  de  man 
iemps  über  das  beobachtete  Verfahren  gegebene  Rechen- 
schaft lautet  folgendermaßen:  ^/m  de  la  seconde  pariie. 
Corrigd  ä  Sanssouci  sur  i'original  de  mes  Mämoires  de 

1741  et  de  1742  ce  LJuin  1775  Fddärk.''  Das  gebe  ich 
au!  Deutsch  wieder:  ^Ende  des  zweiten  Teils.  Ver- 
bessert in  Sanssouci  nach  der  Urschrift  meiner  Denk- 
würdigkeiten der  Jahre  1741  und  1742  am  1,  Juni  1775, 
Friedrich*"  Da  ich  den  Sinn  der  Notiz  für  ganz  un- 
zweifelhaft hielt,  so  überhob  ich  mich  1883  der  Über- 
setzung, begnügte  mich  mit  dem  französischen  Zitat  und 
setzte  einfach  erläuternd  hinzu:  „Damals  also  hatte  Fried- 
rich die  tragliche  Urschrift  noch  zur  Hand  und  zog  sie 
—  natürlich    doch,    soweit    sie    reichte:    eben    bis    Ende 

1742  —  bei  der  nochmaligen  Umarbeitung  der  ersten 
Hallte  der  Redaktion  von  1746  in  restaurierendem  Sinne 
zu  Rate.**  Man  sieht,  daß  es  mir  zunächst  um  die  oben 
erörterte  Frage  nach  dem  Endpunkt  von  X  zu  tun  war; 
doch  hob  ich  im  Vorbeigehen  als  eine  „wichtige  kritische 
Konsequenz"  der  bisher  „sonderbarerweise  nicht  ver- 
werteten Notiz"  das  Folgende  hervor:  „Die  Abweichun- 
gen der  Ausgabe^)  von  1775  vom  Texte  von  1746,  die 
vom  8.  Kapitel  an  lediglich  einer  späteren  Auffassung 
oder  Behandlung  zuzurechnen  sind,  können  im  Bereich 
der  ersten  sieben  Hauptstücke  ebensowohl  auf  einer 
Wiederherstellung  der  unmittelbarsten  und  echtesten  Auf- 
zeichnung beruhen.  Daß  diese  Annahme  nicht  selten 
faktisch  begründet  ist,  geht  daraus  hervor,  daß  Posner, 


*)  Dies  war  ein  flüchtiger  Ausdruck,  denn  die  Redaktion 
von  1775  wurde  erst  I78S  posthum  ediert;  doch  hat  mir  ihn  da- 
mals, soviel  ich  mich  entsinne,  niemand  vorgerückt.  An  den 
wirklichen  Gebrechen  nahmen  sie  keinen  Anstoß,  nur  auf  die  ein- 
gebildeten richteten  sie  ihr  Augenmerk» 


314  Alfred  Dove, 

ohne  das  äußerlich  bestehende  Verhältnis  zu  erkennen, 
zahlreichen  Stellen  gegenüber  aus  rein  inneren  Gründen 
auf  die  richtige  Spur  geraten  ist»* 

Ich  habe  mir  erlaubt,  diese  Sätze  wörtlich  zu  wieder- 
holen, um  zu  zeigen,  wie  wenig  Schuld  ich  an  der  mo* 
mentanen  Verblendung  trage,  in  der  Freund  Koser  im 
folgenden  Jahre  gegen  sie  zu  Felde  zog.  Er  wähnte 
nämlich,  ich  hätte  die  verkehrte  Behauptung  aufgestellt, 
die  ursprüngliche  Fassung  X  sei  bei  der  Herstellung  der 
neuen  Textgestalt  nicht  bloß  mit  herangezogen,  sondern 
sie  habe  dabei  ausschließlich  zur  Unterlage  gedient. 
Gegen  diese  Windmühle  stritt  er  auf  20  Seiten  in  archi- 
varischer Rüstung,  um  mir  zuletzt  als  möglichen,  aber 
gleichwohl  unwahrscheinlichen  „Ausweg"  zuzugestehen, 
was  ich  einzig  mit  dürren  Worten  behauptet  hatte:  „der 
König  habe  1775  nach  einer  doppelten  Vorlage  gearbei- 
tet." Sein  Irrtum  entsprang  einem  anderen,  an  sich  ge- 
ringeren Mißverständnis^  insofern  er  vermeinte,  meine 
Interpretation  der  beregten  Notiz  beruhe  auf  einer  fal- 
schen Erklärung  der  Worte  ^mes  mdmoir^s  de  1741  ei 
de  !742^,  deren  Jahreszahlen  ich  auf  die  Abfassungszeit 
statt  auf  den  Gegenstand  der  Memoiren  bezogen  hätte* ^) 
Mit  dieser  Annahme  hat  er  sogar  Max  Lehmann  irre- 
geführt; wozu  ich  schwieg,  weil  es  mir  taktlos  erschien, 
einen  Mann  von  so  reichem  Verdienst  wie  Koser  wegen 
einer  Kleinigkeit  zu  behelligen.  Aber  wenn  nun  Herr 
Meusel  nach  22  Jahren  den  Schiedsrichter  zwischen  uns 
spielt  und  dennoch  in  seinem  Referat  das  eingewurzelte 
Mißverständnis  arglos  wiederholt,  so  muß  ich  wohl  selbst 
einmal  zeigen,  „wie  es  eigentlich  gewesen". 


^)  Ich  weiß  Rieht,  ob  und  wie  es  damit  zu sammen hängt,  dtß 
Koser  stets  unnchtig  zitiert  ^m^müires  de  174/  et  1742*^  anstatt 
j,m^moires  de  1741  ei  de  1742'.  Mich  dünkt,  durch  diese  Unter- 
drückung des  zweiten  de  werde  die  Ausdrucksweise  ungenaueft 
der  mir  unterstellte  Fehlgriff  also  eher  möglich.  —  Ein  anderes« 
minimales  Versehen  Kosers  berühre  ich  nur  deshalb^  weil  es 
Meuset  bezeichnenderweise  nachgedruckt.  Meine  Worte  ^\n  restau- 
rierendem Sinne"  sind  zu  „im  restaurierenden  Sinne"  verdorben. 
De  corriger  sur  r original  bleibt  doch  immer  empfehlenswert  für 
das  Herübernehmen  von  Zitaten. 


{ 


Leider  noehmals  die  Histoire  de  mon  Tempst 


315 


Es  ist  mir  also  niemals  eingefallen,  daß  man  unter 
j,mes  m^moires  de  174!  et  de  1742''  etwas  anderes  ver- 
stehen könne  als  „meine  Denkwürdigkeiten  der  Jahre 
174!  und  1742*'  oder,  wenn  man  die  immer  noch  mit- 
klingende eigentliche  Bedeutung  von  mämoires  betonen 
will;  „meine  Erinnerungen  an  1741  und  1742.**  Es  war 
ein  sehr  wohlfeiler  Triumph,  mir  entgegenzuhalten,  daß 
Friedrich  1741  gar  keine  Memoiren  geschrieben  hat.  Es 
konnte  mir  um  so  weniger  beikommen,  die  rechte  Be- 
deutung zu  veriehlenj  als  sie  ja  iür  meine  erste  Hypo- 
these wie  gerufen  kam.  Denn  „meine  Erinnerungen  an 
1742"  umspannen  natürlich  das  ganze  Jahr,  passen  also 
genau  für  ein  so  weit  ausgedehntes  X,  Aber  ich  bin 
überhaupt  nicht,  weder  von  der  wahren,  noch  von  der 
falschen  Bedeutung  von  ^mes  m^moires  de  1741  ei  de 
1742"'  „ausgegangen",  wie  Herr  Meusel  etwas  eintönig 
zum  zweitenmal  sagt.  Was  mir  bei  näherer  Betrachtung 
des  Redaktionsvermerks  vom  L  Juni  1775  in  die  Augen 
sprangt  war  das  Wort  Original  1  Voriginal  heißt  streng 
genommen  die  ursprüngliche  Fassung,  die  erste  Nieder- 
schrift; und  Worte  König  Friedrichs  sind  in  dubio  allzeit 
streng  zu  nehmen.  Wenn  die  Urschrift  von  X  1775  noch 
vorhanden  war,  so  konnte  sie  im  Gegensatz  zur  Bearbei- 
tung von  1746/47  gar  nicht  treffender  bezeichnet  werden 
als  mit  „dem  Original  meiner  Denkwürdigkeiten  der  Jahre 
1741  und  1742'',  Denn  daß  die  am  Eingang  so  knapp 
behandelten  Ereignisse  aus  dem  Jahre  1740  übergangen 
werden  konnten,  leuchtet  jedermann  ein,  a  pötiori  fit 
denominatio.  Nun  läßt  sich  aber  nicht  nachweisen,  daß 
die  Urschrift  1775  nicht  mehr  vorhanden  war;  Herr  Meusel 
räumt  ein,  daß  jeder  Versuch  dazu  gescheitert  ist.  Viel- 
mehr war  Posner,  wie  ich  ausdrücklich  hervorgehoben, 
bereits  ganz  unabhängig  von  unserer  Notiz  zur  entgegen- 
gesetzten Annahme  gelangt,  „An  einzelnen  Stellen/ 
sagt  er^),  „drängt  sich  fast  unwillkürlich  die  Vermutung 
auf,  als  habe  der  König  bei  der  jüngsten  Umarbeitung 
die  allerälteste  Fassung  von  1742/43  vor  sich  gehabt  und 


0  Publ,  a,  d,  preuÖ,  Staatsarch,  IV,  149. 


316  Alfred  Dove, 

aus  ihr  ganz  ursprüngliche  Nachrichtenj  welche  die  mitt- 
lere Redaktion  fortgelassen,  wieder  in  die  Darstellung 
autgenommen." 

Meine  Aussage,  diese  Vermutung  sei  nunmehr  durch 
das  eigene  Geständnis  des  Königs  bestätigt,  braucht  auch 
„eine  genauere  philologische  Prüfung",  wie  sie  Herr 
Meusel  anstellt,  nicht  zu  scheuen.^)  Corrigä  sur  tori- 
ginalj  ruft  er  aus,  stehe  da,  sur  aber  heiße  nur  „auf 
Grundlage  von";  sollte  man  übersetzen  „mit  Hilfe 
von"  oder  »aus",  so  müßte  dastehen  corrigä  de,  ä,  pur, 
ä  Vaide  de  „oder  etwas  Ahnliches"*  Friedrich  selbst 
braucht  in  solchem  Falle  d^ apres:  ^fai  corrige  mon 
ouvrage  d'apris  vos  correcUons'' ,  schreibt  er  im  Mai  1750 
an  Maupertuis,^)  Aber  Maupertuis' Verbesserungen  waren 
nicht  das  Original  Auf  dies  vielsagende  Wort  hätte 
Herr  Meusel  sein  Übermaß  an  Druckerschwärze  über- 
tragen sollen,  dann  hätte  er  sich  vielleicht  der  räumlichen 
Vorstellungsweise  des  Französischen  erinnert»  Das  Ori- 
ginal bleibt  danach  unter  allen  Umständen  die  geistige 
Grundlage  für  jede  mit  seinem  Inhalt  vorzunehmende 
Operation*  Wir  brauchen  schon  bei  der  bloßen  Abschrift 
das  bei  weitem  unanschaulichere  „nach*",  das  nur  den 
Vorrang  oder  auch  das  höhere  Alter  der  Urschrift  an- 
deutet; indes  ein  Voltaire  an  König  Friedrich  schreibt^): 
„fen^oyai  ä  Cirey^  chercher  le  mamiscrit  original^  sur 
ieguei  je  fis  faire  une  nouvelle  capie.'*  Und  ganz  ebenso 
ist  es  bei  der  Korrektur  nach  dem  OriginaL  In  dem 
großen  Dictionnaire,  den  Abb^  Mozin  1811  bei  Cotta  er- 
scheinen ließ  —  man  könnte  ihn  das  Wörterbuch  der 
Rheinbündner  nennen  —  steht  unter  corriger  S,  305  1 
ausdrücklich:  ^^corrlger  une  copie  sur  l^original  eine  Ab- 
schrift nach  der  Urschrift  berichtigen."  Das  konnte  Fried- 
rich auch  von  seinen  Erinnerungen  an  1741  und  1742 
sagen^  obwohl  die  Redaktion  von  1746/47  da  keine  eigent- 

')  Meusel  polemidert  direkt  gegen  Max  Lehmanns  Aus- 
führungerit  seine  Argumente  sind  aben  soweit  ich  sie  zitiere,  im* 
gleich  gegen  meine  Auslegung  gerichtet* 

»)  Publ  a,  d.  preuß.  Staatsarch.  LXXÜ^  254. 

*)  22.  September  1746  {Oeuvres  XXII,  157,) 


I 


Leider  nochmals  die  Histoire  de  mon  Tempil  317 


iiche  Kopie,  sondern  eine  Bearbeitung  war,  und  obwohl 
er  gar  nicht  darauf  ausging,  den  ursprünglichen  Wort- 
laut überall  schlechtweg  herzustellen.  Die  bloße  Tat- 
sache, daß  er  das  Original  überhaupt  zum  Vergleich  ein- 
gesehen, mußte  sich  ihm  nach  französischer  Projektion 
als  eine  sur  f  original  vollzogene  Tätigkeit  darsteilen* 
Also  meinetwegen,  wie  Meusel  übersetzt,  „auf  Grundlage 
von".  Nur  muß  man  darunter,  wie  gesagt,  den  geistigen 
Grund  verstehen,  nicht  die  körperliche  Unterlage.  Diese 
bildete  1775  eher  die  Handschritt  von  1746/47,  Corrlg^ 
aber  bezieht  sich  direkt  auf  keines  der  beiden  materiellen 
Manuskripte,  sondern,  wie  bei  Friedrich  immer,  auf  die 
ideelle  Textgestalt-  Auch  wenn  man  mit  Dr.  Meusel 
dem  Könige  das  Zeugnis  ausstellt,  daß  er  „1775  die  fran- 
zösische Sprache  bereits  sicher  beherrschte",  wird  man 
ihm  also  wohl  zutrauen  dürfen,  daß  er  mit  seiner  Notiz 
eben  das  hat  sagen  wollen,  was  ich  ihn  sagen  lasse. 

Stellen  wir  dem  für  einen  Augenblick  die  Ansicht, 
die  Käser  wahrscheinlich  findet,  gegenüber  Danach  wäre 
X  1775  nicht  mehr  vorhanden  gewesen;  Friedrich  selbst^ 
könnte  man  etwa  annehmen,  hätte  es  schon  1747  nach 
der  früheren  Umgestaltung  des  Textes  als  forthin  über- 
flüssig vernichtet.  Für  die  ganze  Arbeit  der  neuen  Redak- 
tion bildete  die  noch  erhaltene  Handschrift  von  1746/47 
die  einzige  Grundlage.  Dann  müßte  man  den  Redaktions- 
vermerk vom  1.  Juni  in  jeder  Hinsicht  als  gedankenlos 
bezeichnen.  Einmal  belegte  er  mit  dem  Namen  Original 
das  bloße  Surrogat  eines  solchen.  Alsdann  enthielte  er 
nichts  als  die  Selbstverständüchkeit,  daß  der  neuen  Be- 
arbeitung überhaupt  ein  älterer  Text  zugrunde  gelegen 
habe,  was  durch  das  einzige  Wörtchen  corrig^  bereits 
genugsam  ausgesprochen  war.  Vollends  ungereimt  würde 
er  ferner  durch  seine  singulare  Stellung;  am  Ende  des 
ersten  Teils  war  für  ihn  nicht  mehr,  eher  weniger  An- 
laß als  an  dem  des  zweiten.  Meine  Deutung  bewahrt 
dagegen  den  strengen  Sprachgebrauch;  an  die  Stelle  der 
Trivialität  tritt  die  unerwartete  Kunde  von  einem  eigen- 
tümlichen Vorgang;  und  dieser  Vorgang  konnte  einzig 
und   aliein   hier,  wo   es   sich   um  eine  dritte  Textgestalt 


318 


Allred  Dove, 


handelte  in  Betracht  kommen.  Läßt  sich  noch  zweifeln, 
welche  von  beiden  Erklärungen  dem  Geiste  des  Königs 
angemessener  sei? 

Noch  bliebe  zweierlei  zu  erwägen:  das  Motiv  zu 
dem  in  unserer  Notiz  erwähnten  Verfahren,  und  der  Be- 
weggrund zu  dem  Vermerk  vom  L  Juni  1775  selbst. 
Die  Schwierigkeit  einer  Reform,  wie  sie  damals  mit  der 
Fassung  von  1746/47  vorgenommen  ward,  hat  geistreich» 
wie  immer,  Ranke  auseinandergesetzt.^)  Zwar  gelehrte 
Nacharbeit  war  nicht  zu  leisten,  die  Forschung  hatte  der 
König  ein  für  allemal  gründlich  erledigt;  „neue  Studien,"^ 
sagt  Ranke,  „hat  er  überhaupt  nicht  dazu  gemacht.** 
Eine  Heranziehung  von  X  zur  Korrektur  „wegen  seiner 
Vorzüglichkeit  als  primäre  Quelle",  wie  Koser  sich  mit 
spöttischem  Anachronismus  ausdrückt^  ist  also  selbstver- 
ständlich ausgeschlossen*  Andererseits  handelte  es  sich 
jedoch  keineswegs  bloß  um  den  Stil  im  äußeren  Ver- 
Stande  des  Wortes»  um  den  Wunsch  nach  sprachlicher 
Angleichung  an  die  späteren  historischen  Werke. ^)  Nein^ 
der  ganze  geistige  Ton  des  noch  ungebrochenen  hero* 
ischen  Obermuts,  wie  er  ihm  aus  diesen  Memoiren  seiner 
Jugend  entgegenklang,  widerstrebte  dem  Manne,  der 
durch  das  Erlebnis  des  Siebenjährigen  Krieges  vor  der 
Zeit  erkältet,  verbittert  und  verdüstert  war.  Und  da  sollte 
er  es  verschmäht  haben,  bei  der  als  notwendig  erkannten 
Umschmelzung  sich  der  Hilfe  eines  noch  vorhandenen 
ersten  Entwurfs  zu  bedienen,  der  gewiß  vielfach  unvoll- 
kommener^  jedenfalls  aber  auch  einfacher  war  als  die 
drei  Jahre   später   gefertigte  Überarbeitung?     Und    ganz 


*)  über  die  erste  Bearbeitung  der  Geschichte  der  Schlesi- 
schen  Kriege  von  König  Friedrich  IL  S.W,  Bd,  XXIVr  Abhand- 
lungen und  Versuche.  —  Ich  benutze  die  Gelegenheit,  einen  häö- 
Uchen  Druckfehler  der  in  meinem  Besitz  befindlichen  Auegabe 
—  ich  weiß  nicht,  ob  auch  der  übrigen  —  zu  verbessern.  S.  134 
Z.  12  1,  V,  u.  steht:  „Und  die  Literatur  ist  es  nicht,  aber  das 
Alter"  etc.  Es  muß  heißen^  wie  sich  aus  dem  Folgenden  ergibt: 
^\n  der  Literatur  ist  es  nicht  eben  das  Alter,  welches  den  Vor- 
zug hat:  man  liebt  Jugendlichkeit  und  Frische,  selbst  wenn  sie 
mit  einigen  Mängeln  verbunden  sind.^ 

')  Das  betont  zu  einseitig  Posner,  PubL  IV,  146  L 


Leider  nochmals  die  Hbtoire  de  mon  Temps! 

allgemein:  welcher  Schriftsteller  wüßte  denn  nicht,  wie 
oit  ihm  in  bezug  auf  Einzelheiten  der  Korrektur  die 
bänkelsängerische  Wahrheit  begegnet  ist:  ^Et  Von  revient 
toujours  ä  ses  premiers  amourst** 

Alsdann  aber,  nachdem  das  Verlangen  gestillt  war 
und  die  /iisioire  de  mon  temps  ihre  endgültige  Gestalt 
nach  dem  gereiften  Geschmack  des  greisen  Königs  emp- 
fangen haüe^  schien  es  vielleicht  an  der  Zeit,  die  Ur- 
handschriit  X,  die  schon  zuvor  eine  Doublette  gewesen 
war  und  hinlort  diesen  Namen  nicht  einmal  mehr  ver- 
diente, als  vollkommen  überflüssig  mit  eigener  Hand  zu 
vernichten.  Zwar  wiederholt  die  Vorrede  von  1775  nicht 
mehr  den  frivolen  Spott  ihrer  beiden  Vorgängerinnen 
von  1743  und  1747  über  die  Pedanten,  die  1840  zur  Welt 
kommen  würden,  die  Gelehrten  auf  us,  die  Mauriner  oder 
Benediktiner  des  19.  Jahrhunderts;  an  seine  Stelle  tritt 
ein  solides  Lob  authentischer  Geschichtschreibung  von- 
seiten unmittelbar  beteiligter  Zeitgenossen.  Aber  von 
einem  Zeitalter,  das  nach  dem  Schatten  des  Urfaust 
hascht,  konnte  dem  König  auch  jetzt  noch  keinerlei  Vor- 
stellung innewohnen*  Das  Original  X,  nachdem  es  seine 
Schuldigkeit  getan,  verwandelte  sich  ihm  wieder  in  eine 
premiere  ^bauche,  die  der  nach  Vollendung  strebende 
Autor  ohne  Skrupel  beseitigt  In  eingeborener  Gewissen- 
haftigkeit jedoch  setzte  er  ihm  zugleich,  seiner  letzten 
Dienste  dankbar  eingedenk,  in  der  nur  zu  eigener  Orien- 
tierung^ allenfalls  auch  zu  der  eines  künftigen  Heraus- 
gebers bestimmten  Notiz  vom  L  Juni  1775  das  lakonische 
Epitaph:  ^Corrigä  ä  Sanssouci  sur  t' original  de  mes 
memoires  de  174!  et  de  1742.  FMärkJ'  Die  Handschrift 
von  1746/47  dagegen,  die  vielleicht  noch  Dienste  leisten 
konnte,  wanderte  ins  Archiv.^)    So  werden  wir  uns  ohne 


')  Flnckenstein  schreibt  am  3.  September  1775  an  den  König 
(Han§  Droyscn  a.a.O.  S*  23):  ^Je  viens  aussi  de  cac heier  et  de 
ää poser  attx  archtves  secrites  les  manuscripts  originaux  de  tous  les 
äiff^rentes  Mämoires  que  V,  M.  a  daignä  me  confier*  Darunter 
befand  sich  natürlich  auch  die  Handschrift  von  1746/47.  Zu  den 
originalen^  d.  h.  autographlschen  Manuskripten  konnte  sie  selbst* 
verständlich  ebenfalls   gerechnet  werden  im  Gegensatz  zu  einer 

2r* 


I 


320  Alfred  Dove, 

großen  Aufwand   von  Phantasie  den  Hergang  ausmaJen 
dürlen.  — 

^An  einem  historischen  Werke  ist  es  doch  haupt- 
sächlich die  Kenntnis  der  Tatsachen,  was  man  darin 
sucht,**  Diesem  Winke  Rankes^)  gehorsam ,  setzte  ich 
meiner  beiläufigen  Kundgebung  1883  noch  die  Worte 
hinzu;  „Es  erwüchse  somit  die  Auigabe,  mit  ähnlichem 
Scharfsinn,  wie  er  so  oft  an  weit  geringere  literarische 
Erzeugnisse  z.  B.  des  Mittelalters  gewandt  worden,  durch 
komparative  Kritik  zwar  nicht  die  Form,  wohl  aber  den 
Inhalt  des  verlorenen  Originals  von  1742/43,  wenn  nicht 
im  ganzen ,  so  doch  im  einzelnen  rückwärts  zu  er- 
schließen." Es  war  recht  eigentlich  eine  Doktorfrage  ^  ■ 
ich  meine  hier  ein  Problem  für  solche,  die  Doktoren 
werden  wollen  — ,  in  deren  Gewand  ich  als  derzeitiger 
Professor  die  einfache  Aufforderung  kleidete,  den  sach- 
lich begründeten   Vermutungen   Posners  weiter  nachzu- 


bloßen  Kanzleikopiei  von  der  vorher  die  Rede  war.  Daß  sie  in 
ihrem  ersten  Teil  nicht  das  eigentliche  Original  war^  wird  hier 
nicht  berührt.  Friedrich  selbst  braucht  in  seinem  Dankschreiben 
vom  5,  September  das  Substantiv  nur  von  der  wirklichen  Urschrift 
der  Geschichte  des  Siebenjährigen  Krieges:  ^roriginat  de  ctt  in- 
teressant ouvrage.'^  —  AbsJchthch  übergangen  ist  oben  der  Brie! 
des  Königs  an  Voltaire  vom  12.  Juli  1775  {Oeuvres  XXI 11,  334),  in 
welchem  es  heißt:  „Cependani  vatre  lettre  [vom  2L  Juni  aus  Ferneyl 
m*a  trouve'  la  plume  ä  la  matn^  occstp^  ä  corriger  ä^anciens  mi* 
moires  que  vous  t^oas  ressauvienärez  peut^Hre  d^avmr  pus  autref&is 
peu  corrects  [et  peu  corrlg^s  ergänzt  H.  Droysen  a.  a*  O,  S,  22] 
et  peu  soign/s.  Je  liehe  mes  petits,  je  tacke  de  les  palin  Trentc 
annees  de  diff/rence  renäent  plus  difficile  ä  se  satis faire.*  Voltaire 
hat  Anfang  September  1743  in  Potsdam  Einblick  in  einen  Teil  der 
Ürmemoiren  erhalten  und  Bruchstücke  daraus  lebenslänglich  auf- 
bewahrt; von  seiner,  atlerdings  möglichen  Bekanntschaft  mit  der 
Redaktion  von  1746/47  wissen  wir  dagegen  nichts  ausdrücklich. 
Man  möchte  daher  diesen  Brief  als  einen  Beweis  dafür  ansprechen^ 
daß  X  in  der  Tat  bei  der  Arbeit  von  1775  benutzt  worden  ist. 
Indessen  Ende  Juni  oder  Anfang  Juli  korrigierte  Friedrich  bereite 
die  nüuveaux  memoires  von  1746^  für  die  eine  Benutzung  von  X 
überhaupt  nicht  mehr  in  Frage  kommt.  Wahrscherniich  hat  er  iri 
diesem  Moment  beide  ungefähr  30  Jahre  ältere  Tesctgestalten,  die 
gemeinsame  Grundlage  seiner  neuen  Korrektur,  unter  dem  Namen. 
ä'anciens  memoires  zusammengefaßt. 
0  A.  a.  0.  S.  120. 


i 


Leider  nochmals  die  Histoire  de  mon  Tempsl 


321 


gehen,  nachdem  sie  so  unerwartet  eine  direkte  Bestäti- 
gung gelunden.  Das  Problem  fand  denn  auch,  nachdem 
inzwischen  Max  Lehmann  genauer  den  Weg  für  seine 
Behandlung  angegeben,  eine  umsichtige  Bearbeitung 
durch  den  Amerikaner  Schwill  in  einer  Freiburger  Dis- 
sertation von  1892,^)  Es  geschah  ganz  ohne  mein  Zu- 
tun; damals  war  ich  Journalist.  Herr  Meusel  nun  hebt 
im  ganzen  treffend  hervor,  wie  wenig  an  geschichtlichem 
Gewinn  dabei  herausgekommen.  Wir  haben  durch  Schwill 
noch  deutlicher  einsehen  lernen  als  zuvor,  daß  in  sach- 
licher Beziehung  die  Hisioire  de  mon  temps  von  1775 
im  aligemeinen  eine  erhebliche  Verschlechterung  gegen- 
über der  Redaktion  von  1746/47  darstellt.  Bei  Jeder  so 
spät  aus  rein  schriftstellerischen  Gesichtspunkten  unter- 
nommenen Reform  einer  älteren  Memoirenarbeit  kann  es 
kaum  anders  sein.  Und  dennoch  fand  Schwill,  ganz  wie 
Posner,  im  ersten  Teil  inmitten  jener  allgemeinen  Ver- 
schlechterung einige  sachliche  Verbesserungen,  Auch  nach 
ihm  werden  sie  darauf  beruhen,  daß  der  König  —  nicht 
neue  Studien  gemacht,  denn  davon  konnte  ja  nicht  die 
Rede  sein;  nein,  daß  er  bei  der  Redaktion  von  f775  das 
noch  durch  keine  frühere  stilistische  Korrektur  verwischte, 
die  grundlegenden  Studien  am  besten  repräsentierende  X 
vor  Augen  gehabt  hat  und  ihm  hier  und  da  gefolgt  ist. 
Gewiß,  diese  Ergebnisse  sind  recht  unbedeutend  und 
schon  dadurch  praktisch  fast  wertlos,  daß  jene  sachlichen 
Verbesserungen  erst  andersher  umständlich  als  solche  zu 
erweisen  sind*  Unlösbar  also,  wie  Meusel  sagt,  war  die 
Aufgabe  nicht,  aber  die  Lösung  war  ziemlich  unfruchtbar. 
Ich  nehme  daher  jetzt  das  Wort  von  einer  wichtigen  kri- 
tischen Konsequenz  meiner  richtigen  Deutung  des  Redak- 
tionsvermerks vom  f.  Juni  1775  hier  möglichst  feierlich 
zurück.  Richtig  jedoch  bleibt  diese  Deutung  nichtsdesto- 
weniger und  an  literarhistorischem  Interesse  hat  sie  nichts 
eingebüßt. 

Von  den  tatsächlichen  Verbesserungen,  die  gelegent- 
lich   für    die    Benutzung    einer   älteren    Vorlage    zeugen 

I  ^)  Ober  das  Verhältnis  der  Texte  der  Hisioire  de  mon  iemps 

I         Friedrichs  d.  Gr. 


322 


Alfred  Dove^ 


konntenj  sind  verschieden  die  formalen  Anklänge  dl 
Textes  von  1775:  entweder  an  gleichzeitige  Aktenstücke, 
deren  Wortlaut  in  X  noch  getreuer  erhalten  sein  mußte 
als  in  der  Redaktion  von  1746/47,  oder  womöglich  an 
etwaige  Reliquien  der  Urmemoiren  selbst.  Ein  Beispiel 
der  ersten  Art  hatte  1891  Wiedemann  angeführt  und 
dadurch,  wie  er  glaubte,  „bis  zur  Evidenz"  den  Nach- 
weis für  die  Benutzung  von  X  erbracht.  Ein  Beispiel 
der  anderen  hatte  bereits  1884  Koser  selbst  —  als  Gentle- 
man auch  im  wissenschaftlichen  Streit  —  hervorgezogen; 
doch  vermochte  er  daraus  ^eine  Nötigung  zu  der  An- 
nahme", daß  Friedrich  1775  „an  dieser  Stelle  aus  X  ge- 
schöpft, allemal  nicht  anzuerkennen*'.  Es  handelte  sich 
um  die  berühmte  Motivierung  des  Entschlusses  zur  schle- 
sischen  Eroberungj  wie  sie  Voltaire  in  seinen  autobio- 
graphischen Aufzeichnungen  aus  Friedrichs  Memoiren 
wörtlich  mitgeteilt.  Auch  hier  rückte  übrigens  Wiede- 
mann erst  den  formalen  Anklang  der  spätesten  Fassung 
an  die  früheste  in  volles  Licht.  Die  von  Voltaire  aufbe- 
wahrten^  1743  gemachten  Auszüge  aus  X  wurden  darauf 
1897  durch  Fritz  Amheim^)  in  größerem  Umfang  aus 
einer  zu  Upsata  befindlichen  Abschrift  bekannt  gemacht; 
er  gewann  daraus  die  Überzeugungj  daß  ihre  „Überein- 
stimmung mit  der  Redaktion  von  1775  bisweilen  größer 
sei  als  mit  der  Redaktion  von  1746".  Zu  guter  Letzt 
wurden  die  gesamten  Fragmente  der  Urmemoiren  nebst 
dem  Avanfprapos,  so  wie  sie  sich  noch  in  der  Peters- 
burger Bibliothek  im  Nachlasse  Voltaires  befinden,  von 
Hans  Droysen  ohne  Kommentar  veröffentlicht.^)  Auf 
dies    Material    gestützt,    bemächtigte    sich    Herr   Meusel 

*)  In  den  Forschungen  zur  brandenb.  u.  preufl*  Geschichte 
IX,  515  iL  Die  schwedische  Abschrift  gibt  ihrem  Original  den 
angeblich  von  Voltaire  herrührenden  Titel:  pPetils  fragments  des 
M^moires  du  roi  de  Prasse^  Berits  de  sa  matn.'  Das  versteht 
Dr.  Meusel  in  einem  „kritischen  Nachtrag"  zu  seinem  früheren 
Artikel  in  den  Preußischen  Jahrbüchern  (CXX,  4S2  ff.  „Friedrich 
d.  Gr.  als  hiBtortsch-poUtischer  SchrlftsteUer")  dahin,  daß  Friedrich 
nicht  die  Memoiren,  sondern  die  Auszüge  mit  eigener  Hand  ge- 
schrieben habel 

')  A.  a,  O.  S.  27  \l 


I 


I 

I 
I 
I 


Leider  nochmals  die  Hlstoire  de  mon  Tempst 


unserer  Frage.    Es   lohnt   sich,   kurz  zu  betrachten,   mit 
welchen  Mitteln  er  sie  zur  Entscheidung  bringt. 

Er  wünscht  zu  widerlegen,  daß  der  König  1775  auch 
die  UrschriK  X  zur  Korrektur  herangezogen  habe.  Andere 
Gründe  kann  er  sich  ja  für  deren  Benutzung  gar  nicht 
denken  als  den  modern  kritischen,  daß  sie  der  Wahrheit 
sachlich  näher  stand.  Aufs  schärfste  betont  er  daher  die 
rein  formale,  stilistische  Bedeutung  von  corriger;  es 
heißt  ihm  geradezu  „feilen*',  gegen  40  Beispiele  kann  er 
allein  aus  Hans  Droysen  für  diesen  Sprachgebrauch  Fried- 
richs beibringen.  Sehr  wohl;  also  war  die  Umschmel- 
zung  von  1775  ein  rein  schriftstellerisches  Geschäft.  Nach 
Herrn  Meusel  nun  doch  nicht  so  ganz;  wir  hören  zu 
unserem  größten  Erstaunen ,  daß  sie  nur  ^vor  allem 
unter  diesem  formellen,  stilistischen  Gesichtspunkt  vor 
sich  gegangen".  Au!  der  nächsten  Seite  wird  uns  jedoch 
der  Sinn  dieser  seltsamen  Einschränkung  plötzlich  klar. 
„Nur  das  eine,"  heißt  es  nämlich,  „scheint  Schwill  be- 
wiesen zu  haben,  daß  1775  einige  urkundliche  Materialien 
nochmals  herangezogen  sind,''  Urkundliche  Materialien, 
archivalische  Studien?  Und  gerade  für  so  unbedeutende 
sachliche  Verbesserungen,  wie  sie  Schwill  auf  den  Ein- 
fluß von  X  bei  der  Korrektur  zurückführen  zu  müssen 
glaubte?  „Damit  lällt*^  dann  natürlich  „auch  der  Beweis 
fort,  den  Wiedemann  meinte  erbringen  zu  können," 
Wiedemann  hatte  aus  dem  bloß  phraseologischen  An- 
klang der  jüngsten  Redaktion  an  ein  Aktenstück  von 
[741,  der  sich  in  der  älteren  Bearbeitung  von  1746i47 
nicht  fand,  eine  Benutzung  von  X  für  jene  ^bis  zur  Evi- 
denz** erwiesen.  Herr  Meusel  beseitigt  diese  Evidenz 
durch  die  einfache  Annahme,  „daß  Friedrich  vielleicht 
das  betreffende  wichtige  Aktenstück  noch  einmal  ansah". 
Es  kann  diesem  aber  wohl  nur  phraseologisch  wichtig 
gewesen  sein,  denn  nur  solche  Änderungen  hat  er  dar- 
aus entnommen.  Also  in  der  Tat  einmal  der  seltene 
Fall  eines  rein  stilistischen  Aktenstudiums*  Wie  unrecht 
hatte  doch  Ranke  dem  Könige  getan,  als  er  schrieb:  „neue 
Studien  hat  er  überhaupt  nicht  dazu  gemacht*',  wenn 
Friedrich   sogar  um   solcher  Zwecke  willen  —  nicht  auf 


324  Alfred  Dove, 

X,  bewahre,  nur  das  nicht!  —  vielmehr  aul  die  Archi- 
Valien  selber  zurückgriff!  Sieht  Herr  Meusel  wirklich 
nicht  ein^  wie  schwer,  ja  unmöglich  es  ist,  seine  Mei- 
nung mit  den  Ansprüchen  einer  gesunden  Logik  zu  ver- 
einigen? Psychologisch  befremdend  wirkt  dagegen  die 
Weise»  auf  die  er  sich  mit  den  Anklängen  der  Redaktion 
von  1775  an  die  Voltaireschen  Fragmente,  die  leibhaftigen 
Reliquien  der  Urmemoiren  abfindet.  Sie  sind  ihm  nichts 
als  ^jzufällige  Obereinstimmungen".  Daß  der  König  1742 
schrieb:  ^^que  ron  jaigne  ä  ces  conside'ratians  des  troupes 
iöujöurs  prdies  d'agir*^,  1746  änderte:  Joignez  ä  tous 
ces  moiifs  Vappät  d'une  armde  nombreuse  et  mobile'"^ 
1775  aber  teilweise  wiederherstellte:  ajoutez  ä  ces  raisons 
nne  armäe  foule  prile  d^agir"  —  macht  ihn  nicht  an 
dieser  Erklärung  irre.  Daß  Friedrich  es  „unbedingt  - 
nötig  hatte,  noch  einmal  in  der  ersten  Redaktion  nach-  ■ 
zuschlagen,  um^  —  nach  33  Jahren  wieder!  —  ^auf  den 
Ausdruck  schlagfertig  zu  kommen",  werde  ^man  immer 
hin  bezweifeln  dürfen".  Warum  nicht?  Der  Skeptizis- 
mus ist  keine  verbotene  Religion.  Wir  bekennen  uns 
sogar  selber  zu  ihm  angesichts  des  prächtigen  argumen- 
tum ex  silentio:  daß  sich  in  den  jetzt  bekannten  Frag- 
menten der  Memoiren  von  1742/43  auch  „sachlich  wert- 
volle Angaben  finden,  die  in  der  letzten  Redaktion  fehlen",  ^ 
„Detailangaben,  die  sich  der  König  schwerlich  hätte  ent- 
gehen lassen  j  wenn  er  die  erste  Redaktion  1775  noch 
einmal  herangezogen  hätte".  Schwerlich?  Woher  wissen 
wir  denn,  daß  er  selbst  sie  1775  sachlich  wertvoll  fand? 
Dr.  Meusel  ist  so  liebenswürdig,  die  Torheit,  die 
ich  durch  Autwerfen  der  oben  besprochenen  Doktorfrage 
begangen,  damit  zu  entschuldigen,  es  hätte  mir  nahe  ge- 
legen, solche  Forderung  zu  stellen.  Denn  in  einer  mittel- 
alterliche Dinge  betreffenden  Untersuchung,  die  er  mit 
hohem  Lobe  bedenkt  —  ich  darf  wohl  annehmen:  erfl 
kennt  sie  nur  aus  Scheffer-Boichorsts  Rezension  —  hätte  * 
ich  mich  einst  an  einem  ähnlichen  Problem  versucht.  Jeder 
Mensch  hat  eben  die  Fehler  seiner  Tugenden.  Ich  kann 
ihm  aber  die  bittersüße  Artigkeit  mit  dem  besten  Willen 
nicht  anders  vergelten,  als  indem  ich  erwidere;  die  vor- 


Leider  nochmals  die  Histoire  de  mon  TempsJ 


325 


liegende  Abhandlung  zeigt,  daß  ihm  die  Lösung  derarti- 
ger Streitfragen  nicht  gerade  naheliegt. 

Doch  ich  mag  diese  Zeilen  nicht  mit  einem  Mißton 
schließen-  Es  sei  mir  vergönnt,  hier  am  Ende  noch 
einen  hübschen  Brief  mitzuteilen,  den  der  alte  Droysen 
am  6.  Juli  —  es  muß  IS83  gewesen  sein  — *  an  mich 
als  seinen  Schüler  richtete.  Nicht  als  Zeugnis  dafür,  daß 
meine  Ansicht  verständlich  war,  denn  dessen  bedarf  es 
gar  nicht;  nein,  damit  der  Leser  dieser  Entgegnung  nach 
alle  dem  Qualm  und  Schwefel  eines  gelehrten  Zanks 
auch  einmal  die  reine  Höhenluft  des  Enthusiasmus  atme: 

„Lieber  Freund.  Für  das  mir  freundlichst  mitge- 
theilte  Stückchen  Fridericianischer  Kritik  meinen  besten 
Dank.  Die  Frage,  die  Sie  anregen,  ist  von  nicht  ge- 
ringem Interesse.  Ich  habe  meiner  Seits  gelegentlich  die 
Disposition  der  späten  Bearbeitung,  namentlich  in  ihrem 
Anfang  zu  prüfen  versucht  und  bin  da  doch  zu  anderen 
Anschauungen  gekommen  wie  Ranke.  ^)  Sieht  die  Be- 
arbeitung von  1775  dem  „Original**  von  1742  ähnlich,  so 
ist  der  erste  Wurf  der  Einleitung  nicht  eben  glücklich 
gewesen*^)  Auch  glaube  ich  nach  den  präcis  der  diplo- 
matischen Verhandlungen  die  er  sich  1749  und  1752 
machen  ließ  (Podewils  1749  beauftragte  den  Archivrath 
Ilgen,  1752  Graf  Herzberg  und  fügte  selbst  die  Erzäh- 
lung einiger  der  geheimsten  Verhandlungen  hinzu)  daß 
der  König  in  diesen  beiden  Jahren  die  Memoiren  fort- 
zusetzen beabsichtigt  hat,  aber  durch  die  Krisis,  die  1749 
drohte,  und  1753  fast  zum  Ausbruch  kam,  davon  abge- 
halten worden  ist.^)   Ein  nicht  minderes  Interesse  als  die 

')  Friedrichs  d.  Gn  politische  Stellung  im  Anfang  des  Schle- 
sischen  Krieges;  gelesen  in  der  Berliner  Akademie  8.  Dezember 
1870.     Abhandlungen  van  Joh.  Gust.  Droysen  1876,  S,  263  \\, 

*)  Die  an  der  introducHon  von  1775  gerügten  Mängel  (vgl 
a.  a.  O,  S,  271  f.)  schreiben  sich  eben  daher^  daO  Partien  des  Textes 
von  1742/43  nachträglich  in  den  von  1746/47  eingeschoben  sind. — 
!m  folgenden  hat  Droysen  meine  Dadegung  im  Auge,  daß  aus 
dem  annaiisdschen  Schlüsse  von  X  sich  ergebe,  Friedrich  habe 
von  Anfang  an  ein  fortlaufendes  Memoirenwerk  geplant  und  nicht 
bloße  Kriegsgeschichte  in  der  Weise  Caesars, 

'*)  Vgl,  die  oben  S.  310  Anm.  1  zitlertCj  damals  von  mir  über- 
sehene  Untersuchung  in  der  Zeltschr.  f.  preuß,  Gesch.  XVlIli  1  fK 


326    Alfred  Dove,  Leider  nochmals  die  Histoire  de  mon  Temps  I 


von  Ihnen  behandelte  Frage  hat  die  nach  den  polttischen 
Rücksichten  die  ihn  1775  bestimmtenj  gewisse  Dinge  zu 
modificiren  oder  ganz  zu  streichen,  wie  er  denn  nament- 
lich in  jener  spätem  Fassung  das  Verhältniß  zu  Rußland 
in  recht  würdeloser  Weise  schont 

Ich  freue  mich^  daß  dieser  vornehme  und  glänzende 
Geist  Ihr  Interesse  in  Anspruch  nimmt.  Ich  habe  nun 
seit  einer  langen  Reihe  von  Jahren  Umgang  mit  ihm  und 
bin  immer  von  Neuem  erstaunt,  wie  die  Beschättigung 
seiner  Muße  und  Zerstreuung  immer  noch  für  uns  andere 
nicht  in  der  harten  Friction  [uns]  bewegenden  und  in 
immer  schwierigen  Verhältnissen  lebenden  und  spinthi- 
sirenden  Menschen  im  vollsten  Maaß  ergiebig  und  der 
besten  Arbeit  werth  erscheint  Das  Ensemble  seiner  lite- 
rarischen Production  Correspondenz  und  Staatsarbeit 
Woche  für  Woche  zu  verlolgen  ist  ein  wahrer  Genuß; 
sein  Geist  ist  wie  ein  Diamant  von  unendlicher  Facetti- 
rung;  und  dieser  geistvolle,  kenntnißreiche,  mächtig  wir- 
kende Regent  ist  dabei  unermüdlich  zu  lernen  und  selbst 
nach  den  furchtbaren  sieben  Jahren  noch  elastisch  genug 
sich  zu  neuen  Erscheinungen  in  Literatur  und  Kunst  zu 
verhalten,  wenn  auch  nicht  gerade  zu  der  Poesie  von 
Sturm  und  Drang  oder  den  Salopperien  des  unendlich 
begabten  Rousseau.  Mein  Freund  Treitschke  thut  ihm 
nach  meiner  Ansicht  nicht  genug,  und  man  würde  ihn 
degradiren  wenn  man  ihn  den  pflichtstrengen  Regenten 
und  Staatsmann,  in  seinen  historischen  Arbeiten  mit  dem 
äußerst  verlogenen  und  tendenzieusen  C  Caesar  ver- 
gleichen wollte  dessen  militärische  und  administrative 
Genialität  nur  mit  der  des  großen  Napoleon  zu  verglei- 
chen ist,  der  auch  ein  großer  Lügner  vor  dem  Herrn 
war  und  eben  so  wenig  den  kleinsten  vornehmen  Zug 
in  sich  hatte  wie  der  große  Römer. 

Verzeihen  Sie  wenn  ich  ins  Schwatzen  gerathen  bin. 
Und  behalten  Sie  mich  auch  ferner  in  freundlicher  Er- 
innerung, lieber  Dove.     Ihr  Dr,"^ 


I 
I 
I 


V 


Die  Probleme  der  historischen  Methodik 
und  der  Geschichtsphilosophie  bei  Voltaire. 


Von 

Paul  Sakmann. 


P  Heute,  da  das  Interesse  an   den   methodologischen 

Fragen  der  Geschichtswissenschaft  so  lebendig  ist,  dürlte 
es  wohl  nicht  unwillkommen  sein,  wenn  gezeigt  wird, 
welche  Gedanken  der  Schöpfer  des  Terminus  Geschichts- 

»  Philosophie,  der  in  der  Geschichtschreibung  Epoche 
bildete,  und  der  sich  dessen  bewußt  war,  sich  über  diese 
Probleme  gemacht  hat.    Auch  für  eine  Würdigung   der 

■  historischen  Leistung  Voltaires  selbst  ist  gewiß  eine  Unter- 
suchung darüber,  welche  Aufgaben  er  dem  Historiker 
stellt,  eine  unerläßliche  Vorfrage.  Eine  Skijsze  des  Reform- 
plans,  den  Voltaire  für  die  Historie  entwarf,  auf  Grund- 
lage einer  Sammlung  seiner  zerstreuten  Äußerungen,  soll 

K  im  folgenden  gegeben  werden, 

"  Es  ist  nicht  von  ungefähr,   daß  es   nicht  berufliche 

Pflichten  waren,  die  Voltaire  au!  die  Bahn  des  Historikers 

H  führten,  sondern  private  Neigung  („ich  studierte  zuerst 

■  Geschichte  für  mich  und  nicht  tür  das  Publikum  und  für 
Publikation"),  eine  Neigung,  die  dann  einen  weiteren  An- 
stoß zur  Betätigung  durch  ein  Verhältnis  gesellschaftlicher 
Verpflichtung  erhielt*  Eine  Dame,  freilich  nicht  die  erste 
beste,  sondern  eine,  deren  Ansichten  zu  diskutieren,  Kant 
nicht  unter  seiner  Würde  gefunden  hat,  die  vorwiegend 
metaphysisch  und  mathematisch  veranlagte  Marquise  Du 


328  Paul  Sikmann^ 

Chätelet  klagt  Ihm   über  die  Ungenießbarkeit   moderner 
Geschichte:  „Ein  wirrer  Haute  zusammenhangsloser  Tat- 
sachen, tausend  Berichte  von  Schlachten,  die  nichts  ent- 
schieden haben.    Was  hat  eine  Französin,  wie  ich,  davon, 
wenn  sie  weiß,  daß  in  Schweden  Egii  auf  Haquin  folgte 
und  daß  Ottoman   der  Sohn  Ortoguls  war?"     Die  Auf- 
gabe reizt  den  Künstler  in  Voltaire.    Wie  wäre  es,  wenn 
man  aus  dem  Chaos  durch  Sichtung  des  MaterialSj  durch 
Ausscheidung  des  Wertlosen  und  Folgenlosen  ein  brauch-  ^ 
bares  Gebäude  aufführte?     Ein  umfassendes  wohlgeglie-  H 
dertes  Gemälde  der  Entwicklung  des  menschüchen  Geistes 
entwerfen,  das  hieße  doch  wohl  nicht  seine  Zeit  verlieren. 
So  ist  denn  nicht  ein  chronologisches  und  genealogisches  ■ 
Werk  entstanden  —  daran  fehlt  es  nicht  — ,  sondern  ein 
Bild   der  Jahrhunderte»  wie  es  eine  fein  gebildete,  geist- 
volle  Dame  mit  mir  betrachten    mochte   und   wie    es  In  fl 
ihren  Kreisen  wohl  Aufnahme  finden  mag.*) 

Wir  sehen,  auf  Voltaire  trifft  es  zu,  wenn  einmal 
Brunetifere  als  das  Prinzip  der  Vorwärtsbewegung  in  der 
literarischen  Entwicklung  den  Gedanken  bezeichnet  hat: 
Nous  votilons  faire  autrement  que  ceux  gai  nous  ont  pri- 
cidis.  Voltaire  will  etwas  anderes  machen  als  was  vor 
ihm  da  war.  Darum  können  wir  für  unsere  Darstellung 
von  jener  Kritik  der  Marquise  ausgehen,  die  Voltaire  ein- 
mal in  die  drei  Hauptvorwürfe  zusammenfaßt:  langweiliges 
Detail,  empörende  Lügen,  inhaltliche  Darstellung  in  klein- 
lichem, barbarischem  Geiste^);  denn  Voltaire  entwickelt 
daraus  sein  eigenes  positives  Programm  einer  großzügigen, 
einer  kritisch  gesichteten,  einer  im  philosophischen  Geist 
behandelten  Geschichte, 


Dem  französisch-klassischen  Geist,  der  nach  Gliede- 
rung, Obersicht,  Klarheit  strebt,  ist  an  den  alten  Geschichts- 
folianten das  Verdrießlichste;  der  verworrene  Wust  des 
Details.     Eine  Auswahl   ist   nötig    schon   angesichts 


I 


*)  Essai  sur  les  mceurs^  Pr^face  von  17&i, 
')  Remarques  de  l'Essai  sur  les  mceurs  I ;  s>  auch 
sur  Phistojre  gdn^rale  L 


Probleme  d.  hist.  Method.  u.  d.  Geschichtsphilosophie  Voltaires.  329 


der  Unendlichkeit  des  fortwährend  anwachsenden  Stoffs, 
Die  Leidenschaft  für  Geschichte  ist  wie  alle  anderen  aus 
dem  Müßiggang  hervorgegangen.  Heute  unterliegt  das 
Gedächtnis  unter  der  Last,  mit  der  die  Wißbegierde  es 
belastet  hat.^)  Heutzutage  hat  fast  jede  Stadt  ihre  Ge- 
schichte, Die  Annalen  eines  einzigen  Mönchsordens  sind 
um  viele  Bände  dicker  als  die  des  römischen  Reichs. 
Man  muß  sich  beschränken  und  auswählen.^)  Noch  drin- 
gender legt  sich  das  Bedürfnis  einer  Auswahl  nahe  beim 
Blick  auf  die  großen  qualitativen  Unterschiede  des  histo- 
rischen Stoffs.  Nicht  alles,  was  sich  ereignet  hat,  ist  der 
Aufzeichnung  wert  Der  Historiker  muß  einen  Unter- 
schied machen  zwischen  den  unübersehbaren  Einzelheiten 
des  Geschichtsverlaufs  und  den  großen  entscheidenden 
Ereignissen.  Er  muß  sich  beschränken  auf  das,  was  der 
Beachtung  wert  ist  für  alle  Zeiten.^)  Und  so  formuliert 
er  einmal  seinen  Standpunkt:  Der  Zweck  dieser  Arbeit 
istp  unter  Fernhallung  der  Masse  der  Einzeltatsachen  die 
wichtigen  allein  herauszuheben  und  sie  in  ihrer  geistigen 
Bedeutung  für  die  großen  Züge  der  Entwicklung  zu  kenn- 
zeichnen.*) Und  zu  Frau  von  Chätelet  sagt  er:  Sie  wollen 
den  Ekel  vor  der  neueren  Geschichte  überwinden  und 
suchen  in  dieser  Unendlichkeit  das,  was  wert  ist^  gekannt 
zu  sein.  Wir  wollen  über  die  öden  Räume  hinwegeilen^ 
um  bei  den  Zeiten  zu  verweilen,  die  den  Stempel  der 
Größe  tragen. '^)  Wohl  blieben  noch  viele  Entdeckungen 
übrig  für  unsere  Wißbegierde;  wenn  man  sich  aber  an 
das  Wertvolle  hält,  so  hat  man  schon  mehr  als  genug 
entdeckt.^)  Eine  großzügige  Zeichnung  der  allge- 
meinen Linien  der  Entwicklung  im  Gegensatz  zu 
dem  wahllosen  Ausbreiten  aller  Einzelheiten  —  mit 
diesem  Programm,  scheint  es,   will  er  sich  von   seinen 


')  Fragments  sur  l'Inde  c.  31, 
»)  Essai    sur   les    mceurs    (künftig    zHiert: 
propos. 

■)  Lauts  XIV,  c.  L 

*)  Ibid.  c, 

^)  Essai:  Avantpropos 


„Essai"):    Avant- 


330 


Paul  Sa k mann, 


Vorgängern  abheben:  Die  historische  Betrachtung  muß 
großzügig  sein  und  muß  daraul  vor  allem  abzielen,  die 
Jahrhunderte  in  ihren  unterscheidenden  Charaktermerk- 
maler!, d/h*  die  großen  Kulturepochen  hervortreten  zu 
lassen.^) 

Damit  verbindet  sich  oft  eine  geringe  Ein- 
sehätzung der  Arbeit  im  historischen  Detail 
und  seiner  Feststellung*  Einzeltatsachen,  die  keine  Folgen 
haben,  sind  für  den  Historiker  impedimenta,'^)  Man  muß, 
sagt  er  z.  B.  unter  den  Irrtümern  der  Geschichtschreiber 
einen  Unterschied  machen.  Falsche  Daten,  Namenver- 
wechslungen, derartige  Dinge  gehören  ins  Druckfehler- 
verzeichnis. Wenn  die  großen  Züge,  die  leitenden  Inter- 
essen und  Motive,  wenn  der  Gang  der  Ereignisse  richtig 
gezeichnet  ist,  dann  gleicht  das  Ganze  einer  guten  Statue, 
an  der  man  eine  unrichtige  Einzelheit  im  Faltenwurf  immer- 
hin tadeln  mag.^)  Wenn  Pallavicino  seinem  Rivalen  Sarpi 
in  Daten  und  Namen  einige  hundert  Irrtümer  nachweist 
so  mag  er  recht  haben.  Aber  es  ist  kaum  der  Mühe 
wert,  in  solchen  Dingen  recht  zu  haben.  Was  verschlägt 
es,  ob  ein  wertloser  Brief  Leos  X.  im  Jahr  1516  oder  I5I7 
geschrieben  wurde  u,  a.  m.^) 

Einige  Beispiele  mögen  erläutern,  welche  Art  von 
historischem  Detail  er  bei  diesen  abschätzigen  Äußerungen 
im  Auge  hat:  Daß  der  chinesische  Herrscher  Quancum 
auf  Kinkum  folgte  und  Kicum  auf  Quancum,  das  brauchen 
Sie  nicht  zu  wissen,  das  ist  gut  für  chronologische  Ta- 
bellen.^) Untersuchungen  wie  die,  welcher  Papst  dem 
König  von  Ungarn  den  Titel  apostolischer  König  gegeben 
habe,  ob  Sylvester  IL  oder  Johann  XVIIK  oder  XIX.,  lehnt 
er  grundsätzlich  ab,  da  er  andere  Fragen  zu  stellen  habe.**} 
Zu  den  Einzelheiten,  mit  denen  der  Universalhtstoriker 
sich   nicht  bemengt,  gehört  auch  die  Privatmoral   weit- 


*)  Easai,  Pr^facc  von  1754. 

*)  Ibid, 

^)  Supplement  de  Louia  XIV,  h 

*}  Essai  c.  177, 

^)  Ibid.  c.  im 

•)  Ibid.  c.  119, 


1 


Pro bl eine  d.  hist.  MethocL  u.  «L  Geschichtsphilosophie  Voltaires.  MI 

geschichtlicher  Persönlichkeiten.  Ob  der  chinesische 
Kaiser  Camhi  geizig  und  launenhaft  war,  interessiert  ihn 
nicht;  ihm  genügt  zu  wissen,  daß  das  Reich  unter  ihm 
glücklich  war:  nach  diesen  Gesichtspunkten  muß  man 
Könige  würdigen,^)  Zu  dem  geringfügigen  Detail  der 
Geschichte  gehören  ferner  die  ProtokolJe  über  die  Rang- 
streitigkeiten der  verschiedenen  Körperscfiaften:  das  sind 
die  Dokumente  der  Kleinlichkeit,  nicht  der  historischen 
Größe*-)  Ein  instruktives  Beispiel  findet  sich  in  den 
Annales  de  Vempire  (Louis  ie  D^onnaire):  Der  bloß 
antiquarisch  Interessierte  möchte  wissen,  ob  unter  Ludwig 
dem  Frommen  die  Blendung  an  Bernhard  wirklich  voll- 
zogen wurde  oder  nicht.  Der  wissenschaftliche  Historiker 
richtet  sein  tnteresse  auf  die  allgemeine  Frage:  welche 
barbarischen  Brauche  herrschten  damals,  wie  schwach 
war  die  Regierung,  wie  mächtig  der  Klerus,  wie  elend 
die  Völker? 

Um  übrigens  nicht  zu  weitgehende  Schlüsse  aus 
diesen  allerdings  allgemein  gehaltenen  Äußerungen  zu 
ziehen,  muß  man  ein  Doppeltes  im  Auge  behalten.  Es 
handelt  sich  dabei  doch  nicht  sowohl  um  eine  Ge- 
setzgebung für  den  Historiker  an  sich,  als  um  die  Cha- 
rakterisierung der  besonderen  Art  der  Ge- 
schichtschreibung, die  er  unternimmt  Das  tritt 
an  anderen  Stellen  deutlich  heraus:  Die  Methode,  nach 
der  Sie  (Mme  du  Chätelet)  Geschichte  studieren,  erlaubt 
ein  Eingehen  auf  das  einzelne  nur  in  beschränktem  Maß*^J 
Ich  will  mich  nicht  damit  abgeben,  die  Etnzelangaben 
meiner  Vorgänger  richtig  zu  stellen,  um  nicht  das  Ge- 
samtbild Europas  aus  den  Augen  zu  verlieren/)  Noch 
mehr  aber:  man  darf  Voltaire  nicht  zu  peinlich  beim  Wort 
nehmen,  wenn  er,  um  von  dem  pedantischen  Gelehrten 
möglichst  weit  abzurücken,  eine  nachlässige  Ver^icfitung 
des  exakten  Details  zur  Schau  trägt.  Er  wird  dem 
Problem    des    historischen    Details    oft    auch 


*)  Ibid.  c*  195, 

*)  Histoire  du  parlement  c.  4d, 

*)  Essai  c,  J15, 

*)  Ibid*  c.  195. 


332 


Paul  Sakmatitty 


besser  gerecht  und  macht  z,  B,  die  richtige  Unter- 
scheidung zwischen  dem  feststellenden  Forscher  und  dem 
darstellenden  Künstler  In  der  neueren  Geschichte,  sagt 
er,  ist  man  mit  Recht  sehr  bemüht  um  Ermittlung  ge- 
nauer Daten,  von  Schlachten  z*  B. ;  man  verölfentlicht 
allerlei  Verträge,  Protokolle  von  Zeremonien^  in  denen 
man  keinen  Schweizer  und  keinen  Lakai  vergißt.  Und 
es  ist  gut  so,  daß  man  alles  in  Archiven  niederlegt,  wo 
man  sich  nötigenialls  Rats  erholen  kann.  Alle  diese  dicken 
Bücher  sehe  ich  als  eine  Art  von  Wörterbüchern  an,^) 
Einmal  schlagt  er  eine  Trennung  der  Funktionen  vor; 
es  sollte  Historiographen  geben  wie  in  China,  die  das 
geschichtliche  Material,  die  Dokumente  usw.  zu  sammeln 
hätten.  Dem  Historiker  käme  dann  die  Auswahl  des 
Wertvollen  und  die  künstlerische  Gestaltung  des  Gesich- 
teten zu,^) 

Ja,  auch  für  seine  eigene  Geschichtsdarstellung  ver- 
schmäht er  das  Detail  keineswegs.  Im  Siede  de  Louis XIV 
entschuldigt  er  sich  allerdings,  wenn  er  z.  B.  auf  politisch 
bedeutungslose  Hofintriguen  eingeht;  dem  Philosophen 
pflegen  derartige  Kleinigkeiten  widerwärtig  zu  sein.  Und 
er  will  diese  Ausnahme  von  der  Regel  nur  gemacht 
habeUj  weil  das  große  Jahrhundert  schließlich  alles  inter- 
essant mache;  die  Neugierde  sei  fast  keine  Schwäche 
mehr,  wenn  sie  sich  auf  solche  Männer  und  Zeiten  be- 
ziehe.^) Ahnlich  spricht  er  sich  in  der  Vorrede  zu  den 
Erinnerungen  der  Frau  v.  Caylus  aus:  Hofanekdoten,  wie 
sie  diese  Memoiren  oder  Dangeaus  Tagebuch  füllen,  sagen 
dem  heute  herrschenden  philosophischen  Geist  kaum  mehr 
zu.  Aber  wenn  die  gewöhnlichen  Hofgeschichtchen  mit 
der  betreffenden  Generation  selbst  der  Vergessenheit  ge- 
weiht sind,  so  bilden  doch  die  großen  Zeitalter  eine  Aus- 
nahme, indem  sie  ihren  Glanz  auch  auf  das  Kleine  werfen. 
Aus  dem  Zeitalter  Ludwigs  XIV.,  aus  dem  des  Augustus 
ist  uns  alles  wertvoll*    Aber  wir  dürfen  weiter  gehen  und 


^)  Nouvelles    consid^rations    sur    rhistoire* 
von  1754. 

*)  Dict.  phJL:  Historiographe» 
>)  Louiö  XlVj  c.  26  li.  2S. 


Essai,    Pr^face 


I 


Probleme  d.  hisl,  Method.  u,  d.  Geschichlsphliosophle  Voltaires*  333 


sagen,  daß  er  den  Wert  des  charakterisierenden 
„peilt  fait''  tatsächlich  und  prinzipiell  vollkommen  ein- 
gesehen  hat.  So  kann  er  wohl  erklären,  es  sei  ihm 
nicht  um  Ermittlung  müßiger  Detailwahrheiten  zu  tun, 
fügt  aber  die  bezeichnende  Einschränkung  bei:  „die 
nichts  Charakteristisches  haben  und  aus  denen  man 
nichts  lernt.''  Um  Tatsachen  ist  es  ihm  zu  tun,  die 
uns  über  den  Geist  eines  Herrschers,  eines  Hofes,  eines 
Volkes  aufklären.^)  Hin  und  wieder  zeigt  er,  welch 
überraschendes  Licht  aus  der  unscheinbarsten  Notiz  auf 
vergangene  Verhältnisse  und  Zustände  fallen  kann,  (Ein 
Beispiel  in  der  Nisiolre  du  Parlemeni  c,  29.)  Er  gibt 
die  Absolutionsformel  in  der  Bulle  de  la  Cruzade  Ju- 
lius IL  im  Wortlaut,  weil  sie  in  ein  Gemälde  der  mensch- 
lichen Sitten  und  Bräuche  wohl  hineinpaßt.  Daß  Ga- 
ieazzo  Sforza  gerade  in  der  Kirche  und  am  Stephans- 
tag  ermordet  wurde  von  Leuten,  die  zu  dem  hL  Stephanus 
und  Ambrosius  um  Mut  für  ihr  Werk  beteten,  hält  er  für 
einen  Umstand,  der  an  und  fiJr  sich  recht  gleichgültig, 
doch  erwähnenswert  ist,  weil  er  ein  Licht  auf  den  geistigen 
Zustand  des  Italiens  der  Renaissancezeit  wirft,-')  Die 
Details  wollen  wir  beibehalten,  erklärt  er  in  der  Vorrede 
zum  Essai  von  1754,  die  für  die  Sitten  bezeichnend  sind. 
Er  berichtet  Einzelheiten  vom  Begräbnis  Du  Guesciins 
oder  die  Herausforderung  Philipps  von  Valois  zum  Duell 
durch  Eduard  von  England,  nicht  weil  sie  an  sich  bedeu- 
tend wären,  sondern  weil  sie  den  Geist  des  Rittertums 
charakterisieren.^) 

IL 
Frau  Du  Chätelet  ärgerte  sich  über  die  Naivetät  der 
alten  Geschichtschreiber,  die  Oberlieferungen  auf  Treu 
und  Glauben  annehmen,  in  denen  moderne  Geister  wie  sie^ 
^empörende  Lügen**  sehen.  Und  der  gleichgestimmte 
Voltaire  sieht  es  ein:  Die  kritische  Bewußtseins- 
stellung der  neuen  Zeit  verlangt  eine  neue  Ge- 
schichte.   Was  den  Geschichtskompilatoren  gewöhnlich 

<)  Suppllmetit  de  Louis  XIV,  in. 
*)  Essai  c.  J02  u.  105. 
*)  Essai  c.  75;  78. 
HiBtori»cüe  ZeilscbHIt  (97,  Bd.)  3,  Folge  h  B<L  22 


334 


Paul  Sakmann, 


fehlt,  ist  der  philosophische  Geist.  Statt  mit  Männern 
Tatsachen  zu  analysieren,  erzählen  sie  Kindern  Ge- 
schichtchen. Man  würde  aber  nicht  so  endios  Bücher 
und  Irrtümer  weiter  fortproduzieren,  wenn  man  mehr 
seinen  Verstand  als  sein  Gedächtnis  brauchen,  wenn  man 
mehr  prüfen  als  abschreiben  wollte.  Wer  schreibt,  sollte 
Neues  und  Sicheres  zu  sagen  haben,*)  Die  Geschichte 
hat  es  nötig,  von  der  Philosophie  aufgeklärt  zu  werden. 
Wir  hatten  lange  neun  Musen;  die  gesunde  Kritik,  die 
ziemlich  spät  gekommen  ist^  ist  die  zehnte,^)  Kritisch 
vorsichtig,  ja  geradezu  mißtrauisch  ist  die  Stimmung, 
mit  der  der  Historiker  nach  Voltaires  Herzen  an  sein 
Material  herantritt:  Wenn  sich  ein  guter  Kopf  an  die  Ge- 
schichte macht,  so  ist  es  last  sein  einziges  Geschäft,  daß 
er  sie  widerlegen  muß.^)  Das  Mißtrauen  ist  nach  Ari- 
stoteles die  Grundlage  aller  Weisheit;  diesen  Grundsatz 
muß  sich  der  Leser  der  Geschichte  merken**)  Für  seine 
leichtgläubigen  Vorgänger  hat  er  nur  ein  spöttisches 
Lächeln:  „Herodot,  Ktesias^  Diodorus  Siculus  berichten 
eine  Tatsache,  du  hast  die  Sache  im  griechischen  Text 
gelesen,  also  ist  sie  wahrt  Das  ist  nun  nicht  gerade  die 
euklidische  Beweismethode.'*  ^) 

Der  tiefste  Grund  dieser  mißtrauischen  Stim- 
mung ist  die  Einsicht,  daß  ein  großer  Teil  des  ge- 
schichtlichen Ouell^'iJ^aterials  von  mythischen  Ele- 
menten durchsetzt  ist,  mit  denen  ja  bekanntlich  die 
Philosophie  der  Aulklärung  geschichtlich  nichts  anzu- 
fangen wußte,  weil  sie  in  diesen  Erzeugnissen  nur  das 
dem  eigenen  Geist  Fremde,  Widerwärtige,  Unbegreifliche 
sah:  Für  die  Fabeln,  mit  denen  Fanatismus,  Schwärmerei 
und  Leichtgläubigkeit  die  Weltbühne  gefüllt  haben,  darf 
man  nur  ein  mitleidiges  Lächeln  haben.  Bei  allen  Völkern 
ist  die  Geschichte  durch  Fabeln  entstellt,  bis  endlich  die 
Philosophie  die  Menschen  aufklärt,  die  befangen  in  ihrer 

0  Remarques  sur  l'histoire, 

■)  Pierre  le  Grand,  Preface  VIL   Dict  phil. :  Pierre  le  Grand«, 

*)  Essai  c,  5L 

*)  Charles  XII,  Prdface  von  1748. 

*)  Dict  phiK:  Babel  L 


n 


Probleme  d.  hist.  Method.  u.  d.  Geschichtsphilosophie  Voltaires.  335 


jahrhundertlangen  Verblendung  sich  nur  äußerst  ungern 
ihre  [llusionen  nehmen  lassen.  ^) 

Dieser  Umstand  entwertet  besonders  die  Ge- 
schichte des  Altertums,  wie  überhaupt  die  Geschichte 
aller  nationalen  und  kulturellen  Anfänge.  Wie  in  der 
Metaphysik  die  Systeme  über  die  ersten  Prinzipien  ein  Chaos 
von  Fabeln  sind,  so  sind  alle  Ursprünge  der  Völker  die 
Finsternis  selbst.  Es  gibt  keine  Historie  in  der  weiten  Welt, 
die  nicht  anfinge  mit  Märchen  wie  die  4  Haimonskinder  oder 
Robert  der  TeufeL  Die  alte  Geschichte  erinnert  vielfach  an 
Rabelais'  Fabeleien;  die  alten  Historiker  sind  meist  naive 
Rabelais.  Es  könnte  einem  vorkommen,  als  ob  derselbe 
Geist,  der  den  Gargantua  geschrieben,  alle  Geschichten 
verlaßt  hätte.  Und  so  kommt  bei  ihr  nichts  heraus  als 
Zweifel  und  Konjekturen:  das  ist  der  Fall  bei  allen  Völkern, 
man  kann  ihr  in  gar  nichts  trauen.^)  Daher  geht  es  uns, 
wenn  wir  die  Wahrheit  suchen  in  der  ganzen  Geschichte 
des  Altertums  wie  Ixion;  wir  wollen  die  Göttin  umarmen 
und  umarmen  nur  Wolken.^)  Dieses  Urteil  steht  ihm 
fest  vor  aller  Einzeluntersuchung  gewissermaßen  auf 
Grund  einer  apriorischen  Erwägung:  Warum  die  Geschichte 
aller  nationalen  Anfänge  fabelhaft  sein  muß,  ist  leicht 
einzusehen.  Die  Menschen  mußten  lange  zusammenleben 
und  Brot  und  Kleider  bereiten  lernen  (was  nicht  leicht 
ist),  ehe  sie  die  Kunst  lernten,  ihre  Gedanken  der  Nach- 
welt zu  übermitteln  (was  noch  schwerer  ist).  So  wurde 
also  die  Geschichte  zunächst  nur  gedächtnismäßig  fort- 
gepflanzt und  man  weiß,  wie  die  Erinnerung  an  Ver- 
gangenes von  einem  Geschlecht  auf  das  andere  entstellt 
wird.  Deshalb  ist  von  dem  schönen  Augenblick  an,  da 
der  Mensch  gebildet  wurde,  bis  auf  die  Zeit  der  Olym- 
piaden alles  in  tiefstes  Dunkel  gehüllt.*)  Authentische 
Denkmäler  gibt  es  erst,  seit  die  Menschen  in  Städten 
versammelt    sind,    wenn    sie    eine    geregelte  Verwaltung 


')  Essai  c,  197. 

»)  Commentaire  de  T Esprit  des  lois  46.  Fragments  aur  l- Inde  3L 
BictphiL:  Ararat;  Cyrus,    L'homme  aux  40^cus  15.    Essai  c.  159, 
*)  BibJe  expliqule:  Les  rols* 
*)  Dict,  phil:  Histoire  II 


336 


Paul  Sakmannj 


t 


haben,  Archive  und  alles  was  eine  Kulturnation  kenn- 
zeichnet**) Die  Geschichte  einer  Nation  wird  immer 
erst  sehr  spät  aufgezeichnet  Sie  beginnt  mit  einigen 
Regesten,  die  aufbewahrt  und  oft  wieder  zerstört  werden. 
Erst  mehrere  Jahrhunderte  spater  folgt  eine  ausführliche 
Geschichte,  die  aber  noch  mit  vielen  Fabeln  untermengt 
ist.^)  In  einer  Art  von  geschichtlichem  Gesetz  stellt  er 
einmal  drei  Stufen  fest,  die  sich  durchgängig  beobachten 
lassen:  die  ersten  Jahrhunderte  der  Nationalgeschichten 
sind  voll  von  absurden  Fabeln;  dann  kommen  die  so- 
genannten heroischen  Zeiten»  Wenn  die  ersteren  den 
Märchen  von  1001  Nacht  gleichen,  wo  nichts  wahr  ist^ 
so  gleichen  die  letzteren  den  Ritterromanen ,  wo  nur 
einige  Namen  und  Daten  wahr  sind*  Dann  kommen  die 
historischen  Zeiten,  wo  das  Wesentliche  richtig  ist,  aber 
das  Detail  meist  unhistorisch.  ^) 

Es  ist  von  einigem  Interesse,  zu  sehen,  wo  Voltaire 
die  Linien  zieht,  die  bei  den  einzelnen  Völkern  und 
Zeitaltern  in  historiographischer  Hinsicht  Nacht» 
Halbdunkel  und  Licht  scheiden  sollen.  Im  Orient 
unterscheidet  er  weniger  die  Zeiten  als  die  Völker,  Wir 
haben  keine  Zeile  von  den  alten  ägyptischen^  chaldaischen^ 
persischen  Annalen.  Die  einzigen,  die  etwas  weiter  herauf- 
reichen, sind  die  indischen,  chinesischen  und  hebräischen.*) 
Alle  Urkunden  des  babylonischen  Reiches  gingen  mit 
diesem  Reich  unter,  die  ägyptischen  verbrannten  mit 
seinen  Bibliotheken.  Drei  unglückliche,  unterdrückte 
Völker  haben  uns  einige  formlose  Geschichten  überliefert: 
die  Parsen  oder  Gebern,  die  Nachkommen  der  alten 
ßrahmanen  und  die  Juden.*)  Die  geliebten  Chinesen  er-  fl 
halten  auch  hierin  die  beste  Zensur:  Während  alle  anderen  ^ 
Völker  fabelhafte  Ursprünge  haben,  ist  an  der  alten  Ge- 
schichte Chinas  auffallend  und  bewundernswert,  daß  fast 
alles  darin  wahrscheinlich  und  natüriich  ist.    Und  während 


^)  Ibid,;  Franc. 

*)  Essai,  Introduction  c.  52. 

^)  Mensonges  imprimds  XXH  L 

*)  Dict.  phii;  Annales. 

^)  ßjbk  expHqude:  Les  rola. 


Probleme  d.  hist.  Methad.  u.  ±  Geschichtsphilosophie  Voltaires.  337 

es  sonst  im  Altertum  keine  irgendwie  gesicherte  Chrono- 
logie gibtj  reicht  die  chinesische  am  weitesten  hinauf  und 
ist  die  beste, ^)  Bei  den  beiden  klassischen  Völ- 
kern macht  er  zeitliche  Einschnitte.  Für  ihre  ganze 
Geschichte  allerdings  ist  das  Fehlen  dokumentarischer 
Belege  und  der  Verlust  der  historischen  Kontrovers- 
schriften ein  schwerer  Mangel:  Griechen  und  Römer 
schrieben,  was  sie  wollten ;  keine  Urkunde  bestätigt  und 
widerlegt  sie,  Ihnen  glaubt  man  aufs  Wort,  während 
man  heute  Dokumente  verlangt  und  die  große  Arbeit  in 
der  Auswahl  der  urkundiichen  Materialien  besteht*^)  Die 
neueren,  von  Zeitgenossen  geschriebenen  Geschichten 
sind  im  aligemeinen  sicherer  als  die  alten^  wenn  sie  schon 
in  den  Einzelheiten  oft  noch  zweifelhafter  sind.  Das  An- 
sehen, das  die  alten  noch  genießen,  beruht  wesentlich 
mit  darauf,  daß  uns  aus  dem  Altertum  wenig  historische 
Polemik  überliefert  ist.  Wäre  das  der  Fall,  so  kämen 
Dinge  ins  Wanken^  die  heute  als  unbestreitbar  gelten,^) 
Immerhin  sind  die  Unterschiede  der  Zuverlässigkeit  der 
Überlieferung  bedeutend.  Den  entscheidenden  Einschnitt 
setzt  er  bei  den  Griechen  verschieden  an,  meist  beim 
Beginn  der  Olympiadenrechnung.  Von  hier  an  kommt 
etwas  Licht  ins  DunkeL  Die  Zeit,  die  den  Olympiaden 
eine  unbekannte  versunkene  Zeit,  voll 
und  Lügen,  eine  Zeit,  die  die  Weisen 
über  die  die  Toren  endlos  verhandeln, 
im  Leeren  schwimmen  wie  die  Atome 
Epikurs.^)  Ein  anderes  Mal  heißt  es:  die  Geschichte  be- 
ginnt für  uns  erst  mit  den  Perserkriegen;  und  dann 
wieder  erstreckt  sich  die  dunkle  Zeit  bis  auf  Thukydides 
und  Xenophon.  Vor  Thukydides  sehe  ich  nichts  als 
Romane,  die  dem  Amadis  gleichen,  aber  viel  weniger 
unterhaltend  sind,^)    Das  römische  Reich  seinerseits  war 


vorausgeht,  ist 
von  Allegorien 
verachten  und 
weil    sie    gerne 


*)  Vlng^nu  G.  U,     Dict,  phiL:  Chronologie. 
*)  Doutes  Bur  quelques  pointB  de  Thlstaire. 
*)  Conseila  k  un  journatiste. 
*)  Dict.  phiL:  Chronologie;  Antiquit6  IH. 
*)  Pyrrhonisme    de    Thistoire   VI.     Philosophe    Ignorant    52. 
L'ing6nu  c.  II. 


S3S 


Paul  Sakmann, 


500  Jahre  lang  ohne  Historiker  Man  muß  das  Jahrhundert 
Ciceros  unterscheiden  von  der  Zeit,  da  die  Römer  nicht 
lesen  und  schreiben  konnten  und  die  Jahre  nach  den 
Nägeln  zahlten,  die  sie  am  Kapitol  ansteckten.^)  Mit  dem 
Mittelalter  beginnt  eine  zweite  historische  Nacht, 
Um  im  dunkeln  Labyrinth  dieser  Zeit  sich  zurechtzufinden, 
müßte  man  Archive  zur  Hilfe  haben,  aber  soweit  sie  da 
sind,  sind  sie  sehr  unzuverlässig.  Erst  am  Ende  des 
15,  Jahrhunderts  bekommt  man  endlich  einige  ziemlich 
zuverlässige  Geschichten  statt  der  lächerlichen  Kloster- 
Chroniken»  die  von  Gregor  von  Tours  an  reichen,  England 
hat  zweifellos  die  ältesten  und  lückenlosesten  Archive,^) 

Versuche  zur  Erklärung  des  my thenbilden* 
den  Triebs  in  der  Menschheit  hat  Voltaire  kaum  ge- 
macht* Die  wenigen  Ansätze  einer  solchen  sind  nichts- 
sagend und  psychologisch  oberflächlich.  Das  erstere  gilt 
von  der  Erklärung:  Alle  Geschichten  nahm  man  früher 
auf  Treu  und  Glauben  an;  der  Geist  der  Kritik  war  dem 
Altertum  durchaus  unbekannt,*)  Das  letztere  trifft  zu 
auf  eine  Bemerkung  wie  die:  die  Fabeln  sind  erfunden 
vom  Müßiggang,  vom  Aberglauben  oder  vom  Eigennutz.-*) 
Und  nicht  viel  tiefer  griff  jenes  andere  Urteil:  Wir  (Frau 
Du  Chätelet  und  ich)  fanden  keinen  anderen  Grund  für 
alle  diese  Fabeln,  als  die  Schwäche  des  menschlichen 
Geistes,  die  Freude  am  Wunderbaren,  den  Hang  zur  Nach- 
ahmung, den  Trieb  seine  Nachbarn  zu  überbieten.  Dazu 
kommt  noch,  daß  man  mit  Fabeln  die  Menschen  leiten 
kann.^) 

Doch  nicht  bloß  die  sagenumwucherten  barbarischen 
Zeiten  geben  der  kritischen  Stimmung  unseres  Historikers 
Nahrung;  die  geschichtliche  Überlieferung  im 
allgemeinen,  auch  die  aus  gesicherten  Zeiten  bietet 
seiner  Skepsis  Angriffsflächen.  Eine  solche  findet 
er    in    der    Subjektivität    und    Parteilichkeit    der 


')  Dict*  phiL:  Histoire.     Articles  extraitB  de  la  gaz.  litt 

*)  Pyrrhonisme  de  Thistoire  XL 
')  Discours  de  rempereur  Julien. 
*)  Remarques  de  TEssai  21, 
*)  Fragments  sur  rhistoire  L 


■ 
I 


li 


^ 
^ 


^ 


^ 


Probleme  d. hist Methode  u, d,  Geschichtsphibsophie  Voltaires.  339 

Historiker:  Man  kann  es  nicht  oft  genug  sagen,  daß 
man  sich  auf  den  Pinsel  der  Zeitgenossen  nicht  verlassen 
darf,  er  ist  fast  immer  von  der  Schmeichelei  oder  dem 
Haß  geführt.^)  Wie  anders  würde  woh!  die  Geschichte 
geschrieben,  wenn  die  Liga  über  Heinrich  IV,|  wenn 
Arius  über  Athanasius  gesiegt  hätte.  Ich  möchte  wohl 
die  Memoiren  von  Caiphas  und  von  Pilatus  und  die  vom 
Ho!  Pharaos  haben.  Was  für  ein  Monstrum  ist  aus 
Richard  III*  geworden,  nachdem  ihn  Heinrich  VII.  über- 
wältigt hatte*  Man  vergleiche  einmal  die  Memoiren  von 
Marie  von  Medici  mit  dem  Bild  RichelieuSj  das  uns  in 
den  ihm  überreichten  Dedikationsepisteln  entgegen- 
tritt. Oder  man  denke  sich  alle  unsere  Bücher  gehen 
verloren  bis  auf  ein  paar  Schmähschriften  vom  Schlag 
derer  von  La  Beaumelle,  die  weit  hinten  in  Deutschland 
einmal  wieder  zum  Vorschein  kamen.  Wie  würde  man 
dann  in  diesen  Machwerken  die  Archive  der  Wahrheit 
verehren.  Oder  wie  würde  Geschichte  geschrieben, 
hätten  die  Nachfolger  Heinrichs  V.  von  England  sich  auf 
dem  französischen  Thron  zu  behaupten  vermocht  1*) 

Verwandt  damit  ist  eine  andere  menschliche  Schwäche, 
der  die  Geschieht  Schreiber  sich  gerne  hingeben: 
sie  übertreiben  gern;  man  muß  immer  viel  abziehen 
von  den  Truppenmassen,  die  sie  ins  Feld  stellen  und 
die  sie  umbringen,  von  den  Schätzen,  die  sie  ausstellen 
und  von  den  Wundertaten,  die  sie  erzählen.^)  Nicht 
minder  bedenklich  für  unser  historisches  Wissen  ist  ein 
Umstand  äußerer  Art,  Der  Berichtende  ist  in  den 
meisten  Fällen  durch  eine  unüberbrückbare  Kluft 
von  dem  Handelnden  getrennt.  Wie  oft  ist  die  Ge- 
schichte nichts  anderes  als  ein  Bericht  über  das,  was 
die  Leute  dachten*  Wenn  man  Sueton  mit  den  Kammer- 
dienern der  12  Cäsaren  konfrontieren  könnte,  wären  sie 
wohl  immer  mit  ihm  einverstanden?  Und  wer  würde  im 
Streitfall  nicht  für  den  Kammerdiener  und  gegen  den 
Geschichtschreiber  wetten?  Wie  viel  Bücher  beruhen  auf 


0  Essai  e.  163. 

*)  Pyrrhontsme  de  l'histolre  c*  17  u<  41»    Essai  c*  79. 

•)  Ibid.  c,  U, 


SI0  Paul  Sakmann, 

nichts  als  au!  Stadtklatsch?  Daher  hat  Malebranche 
rechtj  wenn  er  auf  die  Geschichte  nicht  mehr  hält,  als 
aul  die  Neuigkeiten  in  seinem  Stadtviertel,  *)  Wenn  man 
sich  vor  den  Geschichtschreibern  hüten  muß,  daß  sie 
uns  immer  zum  Turm  zu  Babel  und  zur  Sintflut  zurück- 
fuhren, so  ist  andererseits  Mißtrauen  auch  gegen  die  am 
Platz,  die  in  der  neueren  Geschichte  zu  sehr  ins  einzelne 
gehen  und  Diplomatengeheimnisse  und  Schlachtenent* 
Wicklungen  besser  kennen  als  die  Handelnden  selbst^) 
Das  gilt  namentlich  von  der  niederen  Memoirenlite- 
ratur. So  spottet  er  über  die  Memoiren,  aus  der  die 
jungen  deutschen  Barone  und  die  Damen  von  Stockholm 
und  Kopenhagen  die  geheimsten  Dinge  erfahren,  die  am 
französischen  Hofe  vorgingen,  und  aus  der  man  sich  da- 
rüber unterrichtet^  was  die  Könige  und  die  Minister  ge- 
dacht haben,  wenn  sie  allein  waren.  Man  könnte  meinen, 
das  seien  Erinnerungen,  aufgezeichnet  von  Bevollmäch- 
tigten der  Minister  und  Generale.  Man  besuche  einmal 
einen  dieser  Bevollmächtigten^  und  man  wird  einen  armen 
Federfuchser  finden,  im  Schlafrock  und  in  der  Nacht- 
mütze, ohne  Möbel  und  ohne  Feuer,  der  Zeitungen  zu- 
sammenschreibt und  fälscht.")  Und  eben  derselbe  Um- 
stand, daß  der  Berichtende  seinem  Objekt  zu  ferne  steht, 
beeinträchtigt  die  Möglichkeit  einer  objektiven 
Kenntnis  ferner  Länder,  Reisebeschreibungen  aus 
fernen  Ländern  sind  daher  nur  mit  Vorsicht  zu  benutzen. 
Wie  oft  werden  einzelne  Vorkommnisse  als  Sitte  und 
Brauch  ausgegeben.  Er  tadelt  den  Mangel  dieser  Vor- 
sicht besonders  an  Locke  und  Montesquieu.*)  Wenn  wir 
daran  denken,  wie  man  uns  in  Sachen  des  türkischen 
Staats  zum  besten  gehabt  hat,  der  uns  doch  so  nahe 
liegt,  dann  wächst  unser  Mißtrauen  in  die  alte  Geschichte/'^) 
Aus  1000  Zentnern  von  Reiseberichten  und  alter  Geschichte 
kann    man    kaum   10   Unzen  Wahrheit    herausklauben*®) 

»)  Louis  XIV,  c*2a    DicL  phil.:  Ana, 

>)  Pierre  le  Grand,  Prdface  IV, 

')  Mensonges  Imprim^s  K  XIU. 

^)  Philosophe  Ignorant  3&.    Essai  c,  143. 

>)  Ibid.  c.  191. 

*)  Däfense  de  mon  oncle  II* 


I 


T^robleme  d.  hist  Method.  u.  d-  Geschtchtsphilosophie  Voltaires.  $41 

Wenn  man  von  England  und  Deutschland  absieht,  so 
haben  wir  fast  von  allen  modernen  Völkern  falsche  Vor- 
stellungen, weil  man  so  selten  Zeiten  und  Personen,  Miß- 
bräuche und  Gesetze^  feste  Bräuche  und  einmalige  Ereig- 
nisse unterscheidet.^) 

Interessant  ist^  und  es  verdient  besonders  hervor- 
gehoben zu  werden,  wie  die  Kritik  an  bestimmten  Pro- 
dukten der  bisherigen  Historiographie  Voltaire  zu  einer 
prinzipiellen  Reflexion  über  die  Grenzen 
aller  überhaupt  möglichen  Geschichtschrei- 
bung treibt  Gemeint  sind  die  fingierten  Reden 
der  alteUj  die  historische  Pragmatik  und  Porträt- 
kunst der  alten  und  neuen  Historiker.  Im  Orient 
wie  im  Okzident  legen  die  Geschichtschreiber  berühmten 
Männern  oft  Worte  in  den  Mund,  die  sie  nie  gesprochen 
haben,  und  Reden,  die  ihr  Dasein  bloß  der  Phantasie  der 
Historiker  verdanken.  Fast  alle  überlieferten  Ansprachen 
sind  unhistorisch, ^)  In  unserem  philosophischen  Jahr- 
hundert ist  man  in  dieser  Hinsicht  viel  gewissenhafter. 
Wir  verurteilen  heute  die  größere  Freiheit,  die  sich  die 
Alten  in  diesem  Punkte  genommen  haben,  die  gerne  mit 
ihrer  Beredsamkeit  und  ihrem  Geist  prunkten,  weil  der- 
artiges die  Geschichte  romanhaft  macht.  Diese  rheto- 
rischen Fiktionen  sind  Geschichtslügen,  die  man  sich 
nicht  mehr  gestatten  darf.  Dem  Publikum  schuldet  man 
so  viel  Achtung,  daß  man  ihm  nur  die  reine  Wahrheil 
sagt.  Der  Geschichtschreiber  darf  seine  Phantasie  nie 
an  die  Stelle  der  Wirklichkeit  setzen  und  muß  stets  hinter 
seinem  Helden  zurücktreten.'*)  Konsequent  durchgeführt 
trifft  nun  aber  dieser  Grundsatz,  der  die  Phantasie  aus  der 
Geschichtschreibung  ausschließt,  auch  die  pragmatische 
Konstruktion  der  Motive,  ja  in  den  allermeisten  Fällen 
sogar  den  Versuch,  ein  Charakterbild  historischer  Persön- 
lichkeiten zu  entwerfen.  Und  wir  sehen  in  der  Tat,  daß 
Voltaire  manchmal  vor  dieser  Folgerung   nicht  zurück- 


0  Essai  c.  93. 

B>)  Ibid.  c.  88  u.  136.    Annales,  Charles-Quint, 
^)  Supplement  de   Louis  XIV,   IL    Pierre   le  Grand,   Pr^Sace 
VIL    Dict.  phil:  Histoire  IV* 


342 


Paul  Sakmann, 


scheut.  Er  polemisiert  gegen  die  historischen 
Pragmatiker,  die  nach  ihren  eigenen  Ideen  die  Ideen 
der  Persönlichkeifen  der  Vergangenheit  erraten  und  aul 
Grund  olt  sehr  geringfügigen  Materials  ihre  Herzens- 
geheimnisse ergründen  wollen.  Sie  geben  der  Geschichte 
die  Färbung  eines  Romans*  Die  unersättliche  Neugierde 
der  Leser  möchte  Ireilich  die  Seelen  geschichtlicher  Ge- 
stalten schwarz  auf  weiß  sehen,  wie  man  ihre  Gesichts- 
züge auf  der  Leinwand  sieht.  Aber  so  leicht  geht  das 
nicht.  Seele,  Charakterj  leitende  Motive,  das  alles  ist 
ein  undurchdringliches,  nie  festzuhaltendes  Chaos.  Wer 
nach  Jahrhunderten  dieses  Chaos  entwirren  will,  richtet 
nur  ein  anderes  an.  Der  Historiker  aber,  der  in 
Phantasiegemälden  seinen  Geist  leuchten  lassen  will,  ist 
seines  Namens  nicht  wert.  Eine  wahre  Tatsache  ist  mehr 
wert  als  100  Antithesen,  \)  Und  so  erklärt  er  es  oft  für 
eine  schöngeistige  Charlatanerie,  die  aus  dem  Roman 
(besonders  der  Cl^lie)  in  die  Geschichte  eingedrungen 
sei,  wenn  man  Männer,  die  der  Geschichte  angehören, 
und  die  man  nicht  persönlich  gekannt  hat,  anders  zeichnen 
wolle  als  durch  Tatsachen,^)  Es  ist  schon  nicht  leicht, 
ein  objektives  Bild  etwa  von  einem  Fürsten  zu  zeichnen, 
dem  wir  nahe  stehen,  vollends  nun  aber  von  den  Alten 
eine  Charakterentwicklung  geben  zu  wollen,  die  Ereig- 
nisse gleichsam  als  Schriftzeichen  zu  betrachten,  mit 
denen  man  im  Grund  der  Seele  lesen  könne,  das  ist 
ein  sehr  heikles  Unternehmen,  ja  bei  manchen  ist  es 
einfach  kindisch.')  Man  müßte  lange  mit  einem  Minister 
zusammengelebt  haben,  um  seinen  Charakter  zeichnen 
zu  können.  Daher  will  er  z,  B»  in  seinem  Siede  de 
Louis  XIV  (c*  4)  darauf  verzichten,  in  das  innerste  Wesen 
Mazarins  einzudringen^  und  will  sich  auf  Schilderung 
dessen  beschränken,  was  er  tat.  Kein  Wunder,  daß 
sogar  die  bedeutendsten  Persönlichkeiten,  z.  B.  der  römi- 
schen GeschichtCj  ein  Cicero,   ein   Cäsar,  ein   Augustus 


I 


0  Supplement  de  Louis  XIV,  IL 

')  Ibtd,  und  sonst  noch  oft. 

■)  Fragmenls  sur  linde  IX.    Dkt,  phil:  Histoire  IV* 


1 


Probleme  d.  hist.  Methode  u.  d.  Geschieh  tsphUosophie  Voltaires.  343 


zwei  Gesichter  für  uns  haben  und  wahre  Janusgestatten 
sind.^) 

Suchen  wir  Voltaires  Gesamturteil  über  den 
Wert  der  geschichtlichen  Überlieferung  nach  seinen 
eigenen  Äußerungen  zusammenzufassen,  so  scheint  das 
Resultat  sehr  skeptischer  Natur;  Würde  man  nur  das 
Wahre  und  das  Wertvolle  schreiben,  so  würde  die  un- 
übersehbare historische  Literatur  sehr  zusammen- 
schrumpfen,^) Wir  wissen  sehr  wenig  von  der  \^er- 
gangenheit,  gar  nichts  von  der  Zukunft,  und  die  Gegen- 
wart kennen  wir  ziemlich  schlecht.^)  Oft  bleibt  in  der 
Geschichte,  gerade  wie  in  der  Philosophie,  nichts  anderes 
übrig  als  eben  zu  zweifeln.*)  Man  muß  allerdings  im 
Auge  behalten,  daß  diese  skeptischen  Urteile  fast  alle  im 
fiinblick  auf  die  alte  bzw.  mittelalterliche  Geschichte 
gefällt  sind.  Er  empfindet,  wie  er  es  in  der  Bibie  ex- 
pUqtiee  (Exode)  selbst  in  ironischer  Form  zugibt,  die 
wunderleugnende  Denkart  als  grundstürzend  für  die  alte 
Geschichte.  Es  gibt  nichts  mehr,  worauf  man  bauen  kann. 
Eine  allgemeine  Skepsis,  die  aus  dem  Altertum  ein  un- 
entwirrbares Chaos  macht,  ist  die  Folge.  Und  in  dieser 
Stimmung  kann  ihn  eine  gewisse  Geschichtsmüdigkeit 
und  Geschichtsverachtung  überkommen.  Mit  allen 
diesen  fabelhaften  Gründungen  in  den  mythischen  Zeiten 
hat  eine  Unmasse  von  Gelehrten  kostbare  Zeit  in  müh- 
seligen Untersuchungen  verloren.  Die  Irokesen  sind  ge- 
scheiter; sie  kümmern  sich  nicht  um  das,  was  am  On- 
tariosee  vor  Jahrtausenden  passierte;  sie  gehen  auf  die 
Jagd,  statt  Hypothesen  nachzuhängen.^) 

Voltaire  hat  die  Irokesen  nicht  nachgeahmt,  er  hat 
vielmehr  einen  guten  Teil  seines  arbeitsreichen  Lebens 
auf  Erforschung  und  Darstellung  der  Geschichte  ver- 
wandt* Ein  tatsächlicher  Beweis^  daß  er  der  unbedingten 
historischen  Skepsis  nicht  verfallen  ist,  und  daß  er  wissen- 

*)  Articies  extratts  de  la  gaz,  lltL 

■)  Dict.  phil.:  Asgassin. 

•)  Dict  phiL:  Fin  du  monde. 

*)  Essai  c.  13. 

*)  Dict.  phiL:  Figures  symboliques. 


344 


Paul  Sakmann^ 


schafttiche  Mittel  gefunden  zu  haben  glaubt,  durch  die 
man  Wahres  vom  Falschen  muß  unterscheiden  können* 
Damit  stehen  wir  vor  der  Frage  nach  Voltaires  histo- 
rischer Forschungsmethode,  oder  genauer,  dem 
Zweck  unserer  Arbeit  gemäß^  nach  dem  was  ihm  als 
solche  zum  Bewußtsein  gekommen  ist, 

A  priori,  vor  aller  Musterung  der  Tradition,  steht, 
aus  philosophischen  Gründen  fest,  daß  es  eine  Gewiß- 
heit, im  strengsten  Sinn,  in  der  Geschichte  nicht 
geben  kann.  Das  große  Wort  ^^sicher"  sollte  nur  in 
der  Mathematik  zur  Anwendung  kommen  oder  bei  ein- 
fachen Erkenntnissen  wie:  Ich  denke,  ich  leide,  ich  bin.*) 
Die  mathematische  Gewißheit  der  euklidischen  Sätze  kann 
in  der  Geschichte  nicht  erreicht  werden,^)  Jede  Gewiß- 
heit, die  nicht  auf  mathematischem  Beweis  beruht,  ist 
nur  höchste  Wahrscheinlichkeit;  eine  andere  geschichtliche 
Gewißheit  gibt  es  nicht.^)  Was  man  selbst  gesehen  hat, 
weiß  man  gefühlsmäßig,  intuitiv.  Was  man  nur  vom 
Hörensagen  kennt,  kann  durch  noch  so  viele  Zeugen  nie 
zu  dem  Grad  von  subjektiver  Gewißheitsüberzeugung 
erhoben  werden,  die  derjenige  hat,  der  etwas  selbst  er- 
lebt hat.^) 

Wir  fragen  nun:  Nach  welchen  Kriterien  ist  die 
auf  diesem  geringeren  Gewißheitsgrad  eingeschränkte 
geschichtliche  Wahrheit  zu  ermitteln?  Kurz  und 
bündig  hat  er  das  Problem  und  seine  Lösung  in  den 
Mensonges  Imprimäs  XXlIf  I.  formuliert:  „Wie  soll  man 
die  Goldkörnchen  der  Wahrheit  aus  dem  Sande  der  Ge- 
schichtslügen herausbringen?  Was  mit  der  Naturwissen- 
schaft, mit  der  Vernunft,  mit  dem  Wesen  des  mensch- 
lichen Herzens  nicht  im  Einklang  steht,  ist  Sand;  was 
von  gebildeten  Zeitgenossen  beglaubigt  ist,  ist  Gold- 
staub." Alle  seine  weiteren  Äußerungen  kann  man  als 
Kommentar  zu  diesem  Programm  aulfassen*  Es  liegt 
darin    zunächst    wiederum    eine    apriorische    Gewißheit 

0  Fragments  sur  Fhistoire  VIIJ. 

■)  Supplement  de  Louis  XIV,  U 
')  DicL  phil.;  Hlstoire  HL 
*)  DicL  phil.;  V^ritd, 


I 


■ 
I 

I 


i 


Probleme  d.  hist  Method,  a*  d.  Geschichtsphilosophie  Voltaires,  345 


■ 


negativer  Art,  Allem  Wunderhaften  muß  man  den 
Glauben  versagen,  und  wenn  man  sich  auch  dafür 
auf  Protokolle,  auf  eherne  Tafeln,  auf  Tempel  voll  von 
Votivbildem  beruft.  Gibt  es  doch  immer  Dummköpfe 
und  Spitzbuben,  die  bezeugen,  was  sie  nicht  gesellen 
haben.  An  die  apodiktische  Verwerfung  des  naturgesetzlich 
Unmöglichen  schließt  sich  die  etwas  weniger  entschiedene 
aber  ebenfalls  noch  apriorische  Ausschließung  des 
„Unnatürlichen",  des  „Unwahrscheinlichen^,  wie  er 
in  seiner  etwas  vagen  Terminologie  sich  ausdrückt:  Allen 
Tatsachen  ist  zu  mißtrauen,  die  der  inneren  Wahrschein- 
lichkeit entbehren,  auch  wenn  sie  an  und  für  sich  natur- 
gesetzlich nicht  unmöglich  sind»  Auch  Augenzeugen  werde 
ich  nicht  glauben,  wenn  sie  mir  ungereimte  Geschichten 
erzählen  und  gegen  Übertreibungen  bin  ich  immer  arg- 
wöhnisch. Wir  müssen  jedem  alten  und  neuen  Geschicht- 
schreiber den  Glauben  versagen,  wenn  er  uns  Dinge  be- 
richtet, die  der  Natur  und  Art  (la  trempe)  des  mensch- 
lichen Herzens  zuwiderlaufen", *)  Aus  dem  Grundsatz,  daß 
das  Naturwidrige  nie  wahr  sein  könne,  verwirft  er  so  z.  B. 
die  Berichte  über  religiöse  Prostitution,-)  Etwas  vorsich- 
tiger heißt  es  dann  wieder:  In  der  Geschichte  gilt,  daU 
alles,  was  gegen  die  Wahrscheinlichkeit  verstößt,  fast 
immer  auch  nicht  der  Wahrheit  gemäß  ist,  oder  zum 
mindesten  Zweifel  einflößen  muß,'^)  Oder:  das  Unwahr- 
scheinliche hat  man  nicht  für  wahr  zu  halten,  wofern 
nicht  mehrere  glaubwürdige  Zeitgenossen  in  ihren  Aui-^ 
sagen  übereinstimmen**) 

Nach  Ausscheidung  dieser  Bestandteile  beginnt  nun 
die  empirische  Arbeit  an  den  Überlieferungen,  die  man 
sammeln  und  vergleichen  muß,  um  nach  ihrer  Zahl  und 
nach  ihrem  Gewicht  eine  mehr  oder  weniger  große 
Wahrscheinlichkeit  zu  ermitteln.*)  Hier  gilt  nun  der  große 
Grundsatz,    daß    nichts    ohne    Beweis    paüieren 


>)  Charles  XII,  Pr^face  174S. 

*)  Dict  phiL:  Histoire  lli;  Essai,  Introductioti  t*  It 

')  Esaai,  Prdface  1754;  Arücks  de  la  ga£>  litt 

*)  Louis  XIV,  C.25. 

*)  Supplement  de  Louia  XIV,  1- 


346 


Paul  Sakmann, 


darf:  Heute  lassen  wir  als  geschichtliche  Wahrheit  nur 
das  gelten,  wofür  man  Beweise  hat*  Wie  man  in  den 
Naturwissenschaften  nur  das  Bewiesene  annimmt,  so  soll 
nun  auch  in  der  Geschichte  nur  das  gelten,  was  aner- 
kanntermaßen das  Wahrscheinlichste  ist.^)  Gewiß  gibt  es 
nichts  Wahrscheinlicheres  als  ein  Verbrechen,  aber  es 
muß  doch  konstatiert  sein.  Mit  peinlicher  Vorsicht  sind 
Einzeltatsachen,  wie  die  Berichte  über  Zustände  zu 
prüfen.-)  Von  seinem  eigenen  Werk^  dem  Siicie  de 
Louis  XIV,  versichert  er,  er  habe  darin  nichts  vorge- 
bracht, wovon  er  nicht  den  Beweis  in  Händen  gehabt 
hätte.  Zwei  Linien  haben  ihn  oft  eine  Htägige  Lektüre 
gekostet*^) 

Diese  Prüfung  besteht  in  einer  Abschätzung  des 
Werts  von  Zeugnissen  und  Urkunden,  wofür  Voltaire 
einige  Kanones  aufgestellt  hat.  Alte  Traditionen 
sind  als  solche  verdächtig.  Die  ersten  Grundlagen 
jeder  Geschichte  bestehen  in  dem,  was  die  Väter  den 
Kindern  berichten.  Diese  Berichte  mögen,  wenn  sie  nicht 
gegen  die  gesunde  Vernunft  verstoßen,  wahrscheinlich 
sein,  mehr  freilich  keineswegs,  aber  mit  jeder  Generation 
verlieren  sie  einen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit;  die  Fabel 
vergröbert  sich,  die  Wahrscheinlichkeit  vermindert  sich 
und  wird  schließlich  gleich  Null-  Das  ist  der  Grund, 
warum  bei  allen  Völkern  die  Geschichte  ihrer  Anfänge  so 
absurd  ist,  und  für  den  Geschichtschreiber  höchstens  als 
Beweis  für  die  menschliche  Leichtgläubigkeit  in  Betracht 
kommt  oder  in  dem  freilich  weitläufigen  Kapitel  der 
menschlichen  Meinungen  und  Dummheiten  zu  verwerten 
ist.*)  Auch  die  angeblichen  urkundlichen  Denkmale,  auf 
die  sich  diese  alten  Überlieferungen  mythologischer  Art 
stützen,  sind  ein  Beweis  für  die  Tatsachen,  denen  sie 
gelten,  nur  dann,  wenn  diese  Tatsachen  wahrscheinlich, 
und  wenn  sie  durch  wissenschaftlich  gebildete  (^clair^s) 
Zeitgenossen  überliefert  sind.    Die  meisten  dieser  Denk- 

^)  Louis  XIV,  c.  25;  EBsal^  Avantpropos. 

»)  Charles  XU,  Prdface  1748. 

')  Louis  XIV,  c.  21 ;  Supplement  de  Louis  XIV,  L 

*)  DicL  phiL;  Histoire  l;  ViuXi. 


4 

I 

4 


I. 


Probleme  d*  hist  Melhod,  u.  d.  Geschichtsphilosophie  Voltaires.  347 


mäler  stammen  aber  aus  einer  viel  späteren  Zeit  und  be- 
weisen nur,  daß  man  eine  volkstümliche  Meinung  sym- 
bolisch bekräftigen  wollte,^)  Man  darf  nicht  schließen: 
hier  haben  wir  eine  uralte  religiöse  Feier,  also  ist  das 
Abenteuer,  der  sie  gilt,  wahr;  die  Philosophen  sagen 
oft,  also  ist  es  falsch.  Es  gab  nie  ein  Volk,  das  nicht 
die  tollsten  Phantasiegebilde  in  Zeremonien  geleiert 
hätte.*)  So  haben  fast  alle  Feste  der  Griechen  und 
Romer  ein  mythisches  Abenteuer  zum  Gegenstand;  jede 
Fabel  hatte  ihr  Fest,  jedes  Denkmal  war  eine  Geschichts- 
lüge; je  heiliger,  umso  lächerlicher,^)  Im  ganzen  Alter- 
tum gibt  es  nicht  einen  einzigen  Tempel,  kein  Priester- 
kollegium, kein  Fest,  das  nicht  seinen  Ursprung  einer 
Dummheit  verdankte,^)  Nur  in  einem  Fall  können  volks- 
tümliche Überlieferungen  geschichtlich  in  Betracht 
kommen  ^  wenn  sie  nämlich  etwas  zuungunsten  des 
betreifenden  Volkes  aussagen,  immer  vorausgesetzt,  daß 
die  Berichte  Wahrscheinlichkeit  für  sich  haben  und  keinen 
Widerspruch  mit  dem  regelmäßigen  Lauf  der  Dinge 
aufweisen**) 

Die  Regel  ist  doch,  daß  geschichtliche  Zeugnisse 
nur  dann  Wert  haben,  wenn  sie  aus  den  „hellen" 
Zeiten  stammen.  Die  Ereignisse  wollen  wir  annehmen, 
die  bezeugt  sind  durch  die  öftentlichen  Archive,  durch 
übereinstimmende  Aussagen  zeitgenössischer  Schrift- 
stellerj  die  in  einer  Hauptstadt  zusammenlebend  einander 
kontroUieren  können  und  unter  den  Augen  der  ersten 
Männer  einer  Nation  schreiben.'^)  Auch  Medaillen  sind 
einwandsfreie  Zeugnisse,  wenn  das  Ereignis  durch  zeit- 
genössische Schriftsteller  bestätigt  wird,  dann  halten  sich 
die  Beweise  gegenseitig  und  stellen  die  Wahrheit  fest. 
Ohne  diese  Kautefe  könnten  auch  zeitgenössische  Me- 
daillen in  die  Irre  führen,  wie  das  Beispiel  des  Admirals 


')  Essai  c.  197. 
*)  Mensonges  imprim^s  25  f, 
*)  Bible  expliqude,  Judith. 
*)  Fragments  sur  l'histoire  L 
^)  Essai,  Introduction  c*  23. 
•)  Essai  c,  197. 


34S 


Paul  Sakmann^ 


Vernon  zeigt.^)  Möglichst  viele  Zeugnisse  zu  sammeln 
und  sie  durcheinander  zu  kontrollieren^  ist  überhaupt 
eine  der  Aufgaben  des  Historikers*  In  geschichtlichen 
Dingen  darf  man  nichts  geringschätzen,  man  muß  wo 
möglich  die  Könige  und  die  Kammerdiener  zu  Rate 
ziehen.^) 

Es  gibt  nun  eine  gewisse  Lokation  des  Wertes 
der  Zeugnisse:  Nach  der  historischen  Wahrscheinlich- 
keitslehre wiegt  die  Aussage  eines  glaubwürdigen  Augen- 
zeugen, namentlich  wenn  auch  noch  innere  Gründe  für 
sie  sprechen,  schwerer  als  eine  noch  so  verbreitete  und 
einmütige  Tradition,  die  nicht  auf  authentische  Urkunden 
zurückgeht»  Der  Bericht  eines  gewichtigen  (conside'rable) 
Zeugen  ergibt  Wahrscheinlichkeit,  der  Bericht  mehrerer 
solchen  ergibt  geschichtliche  Gewißheit,  die  grundlos  in 
Zweifel  zu  ziehen,  frivol  (impertinent)  wäre,*)  Geheime 
Memoiren  von  Zeitgenossen  stehen  immer  unter  dem 
Verdacht  der  Parteilichkeit;  der  Historiker  der  Nachwelt 
darf  sie  nur  mit  größter  Vorsicht  benutzen,  er  muß  das 
Gehaltlose  ausscheiden,  die  Übertreibung  auf  ihr  iMaß 
zurückführen,  tendenziöse  Entstellung  (ia  Satire)  be- 
kämpfen. Leichenreden  haben  nur  deklamatorische  Be- 
deutung**) Für  die  Vergleichung  und  Abschätzung  der 
Zeugnisse  gelten  folgende  Regeln;  Wenn  zwei  einander 
feindliche  Zeitgenossen  in  ihren  Memoiren  dieselbe  Tat- 
sache bestätigen,  so  ist  nicht  an  ihr  zu  zweilein,  wider- 
sprechen sie  sich,  so  bleibt  sie  zweifelhaft.^)  Haben  wir, 
wie  das  vielfach  bei  England  der  Fall  ist,  nur  Partei- 
geschichte zur  Verfügung,  so  ist  unser  einziges  fiilfs- 
mittel  zur  Ermittelung  der  Wahrheit  das,  daß  wir  dem 
Parteihistoriker  das  Gute  glauben,  das  er  dem  Helden  der 
Gegenpartei  zugesteht  und  das  Schlechte,  das  er  vom 
eigenen  Parteiführer,  seinem  Gönner,   zu  sagen  wagt.*) 


0  Ibid.    Dict  phiL:  Histoire  HI. 

»)  Charles  XÜ,  Pr^face  1748, 

•)  Supplement  de  Louis  XIV,  1. 

0  Louis  XIV,  c,  25. 

*)  Ibid. 

•)  Dict.  phil:  Histoire  IV, 


4 


i 


Probleme  d.  bist  Method  u.  d*  Ceschichtsphüosophie  Voltatres.  349 


Finden  sich  Widersprüche  in  authentischen  Memoiren,  so 
bleibt  dem  Historiker  nur  übrig,  ganz  einfach  das  Tat- 
sächliche zu  geben,  ohne  Reflexionen  über  die  ihm  un- 
bekannten Motive  anzustellen.  Er  hat  zu  sagen,  was  er 
weiß  und  nicht  zu  erraten,  was  er  nicht  weiß.\)  Das 
mögliche  Ergebnis  dieser  kritischen  Prüfung  der  Quellen 
schätzt  er  manchmal  ziemlich  nieder  ein:  Welche  geschicht- 
lichen Tatsachen  können  wir  einigermaßen  kennen?  Die 
großen  offenkundigen  Ereignisse,  die  niemand  bestritten 
hat,  wie  Cäsars  Sieg  bei  Pharsalus,  seine  Ermordung  im 
Senat,  die  Einnahme  von  Konstantinopel  durch  Moha- 
med  IL,  die  Schlächterei  der  Bartholomäusnacht.  Nur  die 
Hauptereignisse,  die  Wahrscheinlichkeit  für  sich  haben, 
darf  man  glauben.^) 


IIL 
zur  Hauptfrage: 


Wir  kommen  zur  Hauptfrage:  Was  ist  das  Posi- 
tive, Neue,  das  die  philosophische  Geschicht- 
schreibung von  der  barbarischen,  pedantischen, 
die  ihr  vorhergeht,  abhebt?  Dieses  philosophische  Prinzip 
entfaltet  sich  in  einer  Reihe  von  Antithesen. 

Die  erste  ist  bezeichnet  durch  einen  der  beiden  Titel- 
begriffe von  Voltaires  Hauptwerk,  den  des  ^esprit  des 
naiions*^.  Nicht  die  geschichtliche  Tatsächlich- 
keit als  solche  interessiert  ihn,  sondern  nur  das 
irgendwie  geistig  Bedeutende.  Oft  ist  bei  Vol- 
taire die  philosophische  Untersuchung  des  „Geistes  der 
Geschichte*^  nichts  anderes  als  eine  Durchdringung  des 
Materials  bloßer  Notizen  mit  kausaler  Reflexion :  Daß  Franz  I, 
Gefangener  Karls  V*  wurde,  ist  an  sich  nur  eine  Tatsache 
für  das  Gedächtnis.  Wenn  man  darüber  nachdenkt,  wa- 
rum Karl  aus  seinem  Glück  so  wenig  Nutzen  zog,  kann 
man  wertvolle  geschichtliche  Entdeckungen  machen/^)  Es 
schwebt  ihm  aber  meist  das  bestimmtere  Ideal  einer  Art 
von  Geschichte  der  leitenden  Ideen  vor,  welche 
den  Geist  einer  Zeit  konstituieren  und  allen  ihren  Lebens- 


')  Charles  XII  c.  7. 

*)  A  M.,  Sur  les  anecdotes;  Essai  c.  197- 
*)  Essai,  Pr^iace  1754, 
Hiitorisehc  ZcHschrift  (97.  Bd.)  3.  Folge  l.  Bd* 


23 


350 


Paul  Sakmann, 


äußerungen  ihr  Gepräge  geben.  Das  liegt  in  Sätzen  wie: 
Ich  suche  immer  den  Geist  der  Zeiten  zu  erfassen;  auf 
ihn  gehen  die  großen  weltgeschichtlichen  Ereignisse  zu- 
rück. Unsere  Hauptabsicht  ist,  aus  der  Masse  der  Er- 
eignisse diejenigen  herauszugreifen^  die  mit  dem  Geist 
und  den  Sitten  der  Zeit  im  Zusammenhang  stehen.*)  Bei 
der  Beschreibung  des  Frondekriegs  will  er  nicht  die  heute 
vergessenen  Einzelheiten,  die  früher  ihre  Bedeutung  ge- 
habt haben  mögen,  wiederholen,  sondern  nur  das  für  die  be- 
sondere Art  dieses  Kriegs  Charakteristische  herausheben.-) 
Er  suchte  nach  einem  Faden,  der  durch  das  Labyrinth 
der  neueren  Geschichte  den  Weg  weisen  konnte  und 
fand  ihn  in  dem  denkwürdigen  Kampf  zwischen  Kaiser- 
tum und  Papsttum,  diesem  Ringen  der  Macht  mit  der 
öffentlichen  Meinung.  So  gaH  es  also  eine  Ideengeschichte 
zu  schreiben,  und  so  lichtete  sich  das  Chaos  von  Ereig- 
nissen, Parteiungen,  Umwälzungen  und  Verbrechen  und 
wurde  der  denkenden  Betrachtung  wert.^)  So  bezeichnet 
er  sein  Ziel  oft  als  eine  Zeichnung  der  Entwicklung  des 
menschlichen  Geistes  in  ihren  Forlschritten  und  Hem- 
mungen, als  eine  Darstellung  seiner  verschiedenen  Ent- 
wicklungsstufen auf  dem  Weg  von  der  barbarischen  Un- 
bildung zur  feinen  modernen  Kultur  Die  Geschichte  vom 
Mittelalter  zur  Neuzeit  stellt  sich  ihm  unter  dem  Bild  des 
Erlöschens  (extincHonj^  des  Wiederauflebens  und  des  Fort- 
schreitens  des  menschlichen  Geistes  dar>) 

Der  andere  Hauptbegriff  im  Titel  seines  Essay^  Jes 
mceurs  des  naiions*'  stellt  nun  Voltaires  historisches 
Ideal  in  einer  anderen  Antithese  dar.  Er  will  Kultur- 
geschichte geben,  im  Gegensatz  zur  politischen, 
speziell  zur  dynastischen,  militärischen,  diplo- 
matischen Geschichte:  „Ich  wollte  die  Entwicklung 
(revolutions)  des  menschlichen  Geistes  innerhalb  der  poli- 
tischen Geschichte  verfolgen,  wobei  mir  die  staatliche 
Entwicklung  nur  nebensächliche  Bedeutung  hatte***    Daß 

*)  Essai  c.  180;  18S. 

')  Louis  XIV,  c.  4. 

')  Remarques  de  TEssai  2. 

*)  [bid.  i,  II  u.  tll;  D*un  fait  singulier. 


i 


4 


■  Probleme  d.  hist  Method.  u.  d.  Geschichtsphllosopfiie  Voltaires,  351 

■  ihn  bei  dieser  Unterscheidung   nicht   etwa  der  Gesichts- 
V        punkt  der  wissenschaftlichen  Arbeitsteilung  leitet,  sondern 

starke  Wertgefühlej  zeigt  sich  sofort  in  demselben  Zu- 
sammenhang: Ich  untersuchte,  wie  so  viele  schlechte 
Menschen  unter  der  Leitung  noch  schlechterer  Fürsten 
doch  schließlich  Gesellschaften  gegründet  haben,  in  denen 
die  Künste  und  Wissenschaften,  ja  sogar  das  sittliche 
Leben  (verhts)  gedeihen  konnten.  Ich  unters uchte,  wie 
das  Kunstleben  und  der  Verkehr  mitten  unter  den  Ver- 
wüstungen wilder  Eroberungen  doch  wieder  aulkommen 
konnten,^)  Außerordentlich  häufig  ist  diese  polemische 
Wendung  gegen  die  wertlose  politische  Geschichte,  in 
ihren  oben  genannten  Unterarten* 

Ich  schreibe  keine  Dynastiengeschichte.  Ich 
will  nicht  lehren,  in  welchem  Jahr  ein  Fürst,  der  nicht 
wert  ist,  gekannt  zu  sein,  aut  einen  barbarischen  Vor- 
gänger folgte*  Ich  will  es  nicht  machen,  wie  so  viele 
Geschichtschreiber,  nach  denen  man  meinen  könnte,  die 
Erde  sei  nur  für  einige  Herrscher  da,  und  die  die  Tyrannen 
nachahmen,  indem  sie  das  Menschengeschlecht  einem 
einzigen  opfern.  Dieser  königliche  Pöbel  beschwert  nur 
das  Gedächtnis.  Nur  diejenigen  Könige  braucht  man  zu 
kennen,  die  das  Aussehen  der  Welt  verändert  und  ihre 
Völker  besser  und  glücklicher  gemacht  haben. ^  Wenn 
man  uns  nichts  anderes  zu  sagen  hat,  als  daß  am  Oxus 
und  am  Jaxartes  ein  Barbar  auf  einen  anderen  folgte, 
was  für  einen  Wert  hat  das  für  das  Publikum!  Eine 
chronologisch  geordnete  Dynastiengeschichte  ist  bloßer 
Gedächtnisballast. ^)  Mehr  als  für  dynastische  Umwäl- 
zungen interessiere  ich  mich  für  das  Ergehen  der 
Menschen  im  allgemeinen,  und  so  hätten  die  Ge- 
schichtschreiber überhaupt  ihr  Augenmerk  auf  das  mensch- 
I  liehe  Geschlecht  im  großen  richten  sollen  in  dem  Ge- 
danken; /wma  sum,^)  Wir  sehen,  er  streift  den  modernen 
^)  A  M.  de  .  . .,  professeur  en  histoire. 

^)  Introduetion   de  Vabtigi  de  Thist.  universelle ;   Fragments 
MUT  rirjde  34. 

')  Dict.  phil;  Histotre  V.    Essai,  A\ran(propos. 

*)  Essai  c*  84, 

23* 


352 


Paul  Sakmann, 


Gegensalz:  Individualgeschichte,  KoUektivgeschichte:  Man 
wil!  der  Nachwelt  nicht  die  Taten  eines  einzelnen  Mannes, 
sondern  den  Geist  der  Menschen,  ihre  Eigenart  und  ihre 
Sitten  vorführen,^) 

Diplomatische  und  militärische  Geschichte 
lehnt  er  ab,  schon  weit  andere  sich  sattsam  damit  be- 
faßt haben:  ^Mögen  die  Kompilatoren  die  Schlachten  von 
Marathon  und  Salamis  wieder  und  wieder  beschreiben; 
ich  nehme  andere  Gegenstände  vor.  Mein  Werk  soll  kein 
Bericht  über  Feldzüge  sein,  denn  an  Büchern,  die  uns 
menschliche  Raserei  und  menschliches  Elend  im  einzelnen 
vorführen,  fehlt  es  nicht, '^)  Sodann  weil  die  Tatsachen 
auf  diesen  Gebieten  nicht  interessant  und  meist  auch 
nicht  geschichtlich  bedeutsam  sind:  Die  Geschichte  Euro- 
pas ist  ein  ungeheueres  Protokoll  von  Heiratsverträgen, 
Genealogien  und  bestrittenen  Titeln  geworden,  so  ver- 
worren und  so  langweilig,  daß  das  Wissenswerte  gerade- 
zu darin  erstickt-^)  Die  militärischen  Einzelheiten,  die 
sich  doch  immer  gleichen,  diese  trübseligen  Gemeinplätze 
der  Geschichte,  diese  ewigen  Unglücksschläge  und  Kampfe, 
die  sich  wiederholen,  will  er  uns  ersparen,*)  So  will  er 
Z-  B.  nicht  von  den  vielen  schwediscli-dänischen  Kriegen 
reden,  die  doch  keine  tieferen  Spuren  hinterlassen  haben. 
Was  für  einen  Wert  hätte  es  Schlächtereien  zu  schildern^ 
aus  denen  keine  Ereignisse  hervorgegangen  sind,  die  der 
Erinnerung  der  Nachwelt  wert  wären.'*)  Die  200  Schlach- 
ten in  Europa  seit  dem  Beginn  des  letzten  Jahrhunderts 
(er  schreibt  1775)  waren  meist  mörderischer  als  die  von 
Arbela  und  Pharsalus,  und  doch  sind  sie  für  die  Nach- 
welt verloren,  da  nur  wenige  von  ihnen  tiefer  gewirkt 
haben.  Es  geht  mit  ihnen  wie  mit  den  Neuigkeiten  in 
Paris:  Durch  ihre  Masse  drängen  sie  einander  in  die 
Nacht  der  Vergessenheit«)    Mit  der  Zeit  veriiert  sich  die. 


i 


1)  Louis  aIV,  c.  K 

')  Essai,  Introduction  c.  25.    Louis  XIV,  c.  11. 

*)  Essai  c*  74» 

*)  Essai  c.  75;  8L 

n  Ibid.  c.  188. 

*)  Pierre  ie  Grand,  Pr^face  IV* 


1^ 


Probleme  d*  hkt  Method.  u.  d>  Geechichtsphilosophie  Vottaires.  353 


I 


Erinnerung  an  die  großen  Kalamitäten,  die  zunächst  die 
Annalen  der  Geschichte  lüUen;  auch  die  Einzelheiten  des 
Spiels  der  Politik  fallen  in  Vergessenheit. i)  Wenn  ich 
3 — 4000  Schlachtenbeschreibungen  und  einige  100  Ver- 
träge gelesen  habe,  so  hat  mich  das  nicht  eben  viel  in 
meiner  Bildung  gefördert:  ich  habe  Ereignisse  kennen 
gelernt.  Aus  der  Schlacht  Karl  Martells  erwächst  mir 
keine  tiefere  Erkenntnis  der  Franzosen  und  der  Sarazenen. 
Was  ich  aus  Memoiren  —  z.  B.  von  Retz  — j  oder  aus 
Anekdotensammlungen  lerne,  das  ist  ganz  schön  für  die 
Befriedigung  meiner  Neugierde,  aber  wissenschaftlichen 
Wert  haben  diese  berühmten  Bagatellen,  für  die  man  sich 
eine  Zeitlang  interessiert,  kaum.  Darüber  vernachlässigt 
man  nur  Kenntnisse,  deren  Wert  viel  einleuchtender  und 
dauernder  ist.^)  Besonders  scharf  tritt  der  antimilitärische 
Zug  der  Aufklärungsphüosophie  heraus  in  dem  Wort; 
Wenn  eine  Geschichte  nichts  anderes  vorfuhrt  als  einen 
Haufen  von  Ehrgeizigen  in  Waffen,  dann  könnte  man 
ebensogut  Annalen  von   Kämpfen   der  Tiere  schreiben.^) 

An  Stelle  von  all  dem  trete  also  Sittengeschichte. 
Nun  ist  der  Begriff  der  mwurs  bei  Voltaire  ebenso  weit- 
schichtig  wie  unser  heutiger  ter minus  Kuliurgeschichte, 
Auch  er  kann  darunter  gelegentlich  antiquarische 
Kuriositäten  verstehen.  Ihn  interessiert  die  Frage: 
Wie  war  die  menschliche  Gesellschaft  zu  der  und  der 
Zeit  beschaffen,  wie  lebte  man  in  den  Familien?  Er  schil- 
dert, wie  man  reiste,  wie  man  wohnte,  wie  man  schlief, 
wie  man  sich  kleidete,  wie  man  Krieg  führte.*)  Doch 
das  tritt  zurück  vor  den  Fragen  von  strengem  wis- 
senschaftlichem Interesse,  das  besonders  ethno- 
graphischer, staatswissenschaftÜcher,  natio- 
nalökonomischer und  kunstgeschichtlicher 
Art  ist. 

Was  immer  die  Aufmerksamkeit  fesseln  wird,  das 
sind  die  merkwürdigen  Umwälzungen,  die  Gesetze  und 


')  Louis  XIV,  c.  34, 

^)  Nouvelles  considdrations  sur  l^histolre. 

*)  Fragments  3ur  Tlnde  c.  33* 

*)  Essai  aSl;  171;  173;  176. 


354  Paul  Sakmann, 

Sitten  in  großen  Staaten  verändert  haben,  jene  staunens- 
werte Mannigfaltigkeit  von  Bräuchen,  Gesetzen,  Um- 
wälzungen, die  doch  alle  auf  dasselbe  Prinzip,  den  Eigen- 
nutz hinausgehen.  Das  sind  die  Farben,  aus  denen  sich 
das  Bild  der  Welt  zusammensetzt^)  Der  Historiker  unter- 
sucht ferner  den  Stand  der  Hilfsquellen  eines  Landes 
etwa  vor  und  nach  einem  Krieg,  das  Sinken  und  Steigen 
der  Bevölkerungsziffer  einzelner  Länder  und  Städte  im 
Zusammenhang  mit  den  Ursachen  dieser  Bewegung,  die 
eigentümlichen  Vorzüge  und  die  besonderen  Schwächen 
der  einzelnen  Nationalcharaktere,  Entwicklung  und  Ver- 
fall der  Seegewalt,  des  Nationalvermögens,  worüber  die 
Exportregister  Auskunft  geben  können,  nach  der  Ver- 
breitung der  industriellen  und  der  ästhetischen  Kultur  usw. 
Häufig  erscheint  der  Begriff  der  Kultur,  deren  Geschichte 
er  schreiben  will,  eingeschränkt  auf  die  ästhetische  Be- 
tätigung, weil  Beredsamkeit  und  Dichtkunst  am  meisten 
die  Eigenart  der  Völker  olfenbaren,  und  auf  die  technisch- 
wissenschaftliche  (die  aris  utiies).  In  das  „berühmte 
Labyrinth  der  philosophischen  Ungereimtheiten"  will  er 
sich  bezeichnenderweise  nicht  einlassen.^)  Wenn  man 
nach  Rom  geht,  fragt  man  nicht  mehr  viel  nach  Gregor  VIL 
und  Bonifaz  VllL,  aber  man  bewundert  die  Schöpfungen 
des  Bramante»  des  Michel  Angelo,  man  liest  Ariost  und 
Tasso,  man  ehrt  die  Asche  Galileis.  In  England  unter- 
hält man  sich  nicht  über  die  Rosenkriegej  kaum  mehr 
über  Cromwell,  aber  man  studiert  jahrelang  Newton.^) 
An  ästhetisch  interessanten  Epochen  interessieren  dann 
auch  Kleinigkeiten  (s.  oben  S.  332):  Wir  wollen  lieber 
wissen,  wie  es  im  Palast,  am  Hof  eines  Augustus,  eines 
Ludwig  XIV,  zuging,  als  die  Einzelheiten  der  Eroberungen 
Attilas  oder  Tamerlans.*)  Mit  berechtigtem  Selbstgefühl 
spricht  der  Verfasser  des  „Geists  und  der  Sitten  der 
Völker''  von  dieser  seiner  neuen  Auffassung  der  Historie: 


')  Pierre  le  Grand,  Pr^face  IV.    Essai  c*  194* 
*)  A  M.  de  *  * .,  professeur  en  histoire« 
»)  Louis  XIV,  c.  34. 
*)  Louii  XIV,  c.  25. 


Problemed.hist.MethQd.u,d»Geschichtspht)o&ophieVoltairefi.  355 


Wer  so  die  Geschichte  als  Bürger  und  Philosoph  liest, 
der  kennt  die  Geschichte  der  Menschen,  statt  nur  einen 
kleinen  Teil  der  Geschichte  der  Höfe  und  der  Könige 
zu  kennen.  Homo  sum^  nihil  humani  a  me  alientim  puto^ 
sollte  der  Wahlspruch  des  Historikers  sein,  der  seine 
Kunst  darin  zeigen  möge,  daß  er  solche  wertvolle  Er- 
kenntnisse in  das  Gewebe  der  geschichtlichen  Darstellung 
einflicht.  So  allein  schreibt  man  Geschichte  als  rechter 
Politiker  und  als  rechter  Philosoph.^)  Das  Bewußtsein, 
daß  er  Epoche  macht,  spricht  aus  dem  Satz:  Vielleicht 
wird  in  der  Geschichtschreibung  bald  ein  ähnlicher  Um- 
schwung eintreten  wie  in  der  Naturwissenschaft,  in  der 
neue  Entdeckungen  alte  Systeme  verdrängt  haben.  Man 
wird  das  Menschengeschlecht  kennen  lernen  wollen  in 
dem  interessanten  Detail^  auf  das  sich  heute  die  Natur- 
wissenschaft autbaut.-) 

Es  liegt  nun  aber  noch  eine  weitere  Spitze  in 
dem  Begriff  der  philosophischen  Geschichte,  die  anti- 
theologisch e.  Wenn  der  bisherige  Historiker  den  Blick 
teleologisch  auf  den  einen  höchsten  Wert  der  Religion 
und  der  Kirche  einstellt,  so  ist  sein  Ideal  Universal- 
geschichte im  extensiven  wie  im  qualitativen 
Sinn.  In  letzterer  Hinsicht  leugnet  er  prinzipiell  den 
Unterschied  zwischen  heiliger  und  profaner  Ge- 
schichte, Wir  werden  von  den  Juden  reden,  wie  von 
den  Griechen  und  Scythen,  indem  wir  die  Wahrschein- 
lichkeiten abwägen  und  das  Tatsächliche  untersuchen.^) 
Sodann  soll  der  Blick  die  gesamte  Völkerwelt  um- 
spannen. In  unserer  angeblichen  Weltgeschichte  wird 
alles  auf  die  Geschichte  der  kleinen  jüdischen  Nation, 
die  man  zugrunde  legt,  bezogen.  Darüber  vergißt  man 
drei  Vierteile  der  Erde.*)  Wir  reden  von  Judäa,  von 
Griechen  und  Römern,  als  ob  die  andern  Völker  gar 
nicht  existierten.    So  spricht  Bossuet  von  den  Mohamme- 


V)  Nouvelles  consid^rattons  sur  rhlstoire. 

>)  Ibid. 

*)  Essai,  Introduction  c.  3d. 

*)  Ibid.  c.  15. 


356 


Paul  Sa  km  an  n. 


danern  wie  von  einer  Barbarensintflut,  Und  das  römische 
Reich  war  doch  nur  ein  ZwÖlitel  der  Erde.^)  Der  Uni- 
versalhistoriker aber,  der  nichts  von  Indien  und  China 
weiß,  gleicht  den  Bauern^  die  ihr  Dorf  rühmen  und  von 
der  Hauptstadt  nichts  wissen*^)  Immerhin  finden  sich 
auch  Einschränkungen  des  Grundsatzes  der 
Universalität.  Die  einen  sind  nicht  gerade  prinzipieller 
Natur  und  betreffen  mehr  die  geschichtliche  Darstelkmg 
und  Bildung  als  die  Grundsätze  der  Forschung,  So  sagt 
er:  der  Geschichtschreiber  sollte  sich  in  der  Arbeit  im 
Detail  an  die  Geschichte  seines  eigenen  Vaterlands  halten 
und  die  anderen  Völker  nur  im  Überblick  behandeln,  da 
ihre  Geschichte,  von  besonderen  Höhepunkten  abgesehen^ 
uns  nur  soweit  interessiert,  als  sie  mit  der  unseren  in 
Beziehung  steht. ^)  Oder:  Wir  müssen  uns  beschränken, 
wir  müssen  mit  der  Kenntnis  unserer  Landesgeschichte 
diejenige  unserer  Nachbarn  verbinden.  Die  großen  Taten 
der  Griechen  und  Römer  sollten  wir  auch  noch  kennen, 
ebenso  wie  ihre  Gesetze.  Aber  weiter  hinauf  sollten  wir 
nicht  mehr  streben  mit  unseren  Studien,  Wir  kommen 
sonst  in  die  Region  von  tausend  und  eine  Nacht.*)  Seine 
Ansicht  über  die  zur  allgemeinen  Bildung  gehörenden 
geschichtlichen  Kenntnisse  hat  er  einmal  in  den  Remarques 
sur  Vhistoire  gegeben:  Ein  ernstes  Geschichtsstudium 
sollte  mit  der  Zeit  einsetzen,  wo  sie  wirklich  interessant 
!ür  uns  wird,  d,  h.  mit  dem  Ende  des  15,  Jahrhunderts. 
Von  dem,  was  weiter  zurückliegt,  braucht  ein  junger 
Mann  nur  ganz  summarische  Kenntnisse  (une  legire 
ieinture)  zu  haben*  Aber  mit  jenem  Zeitpunkt,  den  er 
kennzeichnet  durch  die  Buchdruckerkunst,  die  Renaissance 
und  neue  Blüte  von  Kunst  und  Wissenschaft,  die  Refor- 
mation, die  Entdeckungen,  die  neue  Gestaltung  der 
europäischen  Gesellschaft  mit  dem  europäischen  Gleich- 
gewicht und  dem  gesteigerten  internationalen  Verkehr, 
mit  dem  allem  beginnt  die  Geschichte,   die 


I 


I 

I 


I 
I 


0  Introduction  de  Tabrdg^  de  Thist.  univers. 

')  Lettres  d'Amabed, 

•>  Pyrrhoni8me  de  i'histoire  XL 

*)  Dict  phil.:  Histoire  11. 


i  man  kennen    ■ 


Probleme  d.  hist  Method.  u.  d.  Oeschichtsphilosophie  Voltaires.  357 


muß.  Denn  hier  lebt  alles  für  uns;  keinen  Schritt  kann 
man  tun  und  keine  Mahlzeit  einnehmen,  ohne  daß  man 
an  die  große  Entwicklung  erinnert  würde,  die  damals 
eingeleitet  wurde.  Hier  stehen  wir  auf  sicherem  Boden 
und  werden  nicht  mit  Weissagungen,  Fabeln  und  Wundern 
abgespeist  Und  da  soll  man  sich  mit  Salmanassar  und 
Mardokempad  abgeben?  Ein  reifer  Mann,  der  etwas  Rechtes 
zu  tun  hat,  wiederholt  nicht  die  Märchen  seiner  Amme. 
Aber  eine  gewisse  Einschränkung  des  Prinzips  der  ab- 
strakten Universalität  liegt  in  einer  merkwürdigen  Aner- 
kennung des  überragenden  Werts  der  jüdischen  Geschichte, 
von  der  dieser  Gegner  Bossuets  doch  nicht  losgekommen 
ist:  Wenn  die  Juden  auch  an  Bedeutung  tief  unter  anderen 
Völkern  stehen,  gehen  sie  uns  doch  am  nächsten  an 
wegen  des  unerhörten  Umschwungs,  der  von  ihnen  aus- 
ging, sofern  eine  unter  diesem  Volk  entstandene  Religion 
sich  über  Europa  hin  verbreitet  hat.  Wir  tun,  was  wir 
können,  um  die  Geschichte  dieses  Volkes,  auf  das  wir 
die  Anfänge  unserer  Kultur  zurückführen,  ins  Klare  zu 
bringen.  Und  doch  will  es  uns  nicht  ganz  gelingen.*) 
Und  noch  ein  weiteres  Moment  liegt  in  dem  Begriff  der 
philosophischen  Geschichtschreibung,  durch  das  sie  sich 
von  den  früheren  Bestrebungen  abhebt.  Voltaire  wäre 
kein  Sohn  der  Aufklärung,  wenn  nicht  auch  seine  historische 
Arbeit  auf  praktischen  Nutzen  hinzielen  und  durch  prak- 
tische Fruchtbarkeit  sich  empfehlen  zu  sollen  glauben 
würde-  Eine  historische  Objektivität,  die  befriedigt  ist, 
wenn  es  ihr  gelingt,  festzustellen^  wie  es  eigentlich  ge- 
wesen ist,  ist  ihm  fremd.  Zwar  wendet  auch  er  sich 
gegen  die  Tendenzgeschichtschreibung,  Er  rügt 
die  advokatische  Manier,  nach  der  viele  Historiker  das 
für  ihre  Klienten  Günstige  aufbauschen,  das  Ungünstige 
verschweigen,  die  Schlachten,  die  ihrer  Partei  genützt 
haben,  verhimmeln.-)  Eine  Parteilichkeit,  wie  sie  z.  B*  dem 
Jesuiten  Daniel  eigen  ist,  der  die  Frömmigkeit  Franz*  I, 
rühmt,  entehrt  die  Geschichtschreibung.  Ein  historien- 
1       citoyen    hätte    zugestanden,     daß    man    aus    politischen 


^)  ßible  expliqude,  las  rois. 

*)  Annaies,  Charles  IV,     Dict.  phiL 


Histoirc  VII 


I 


358  Faul  Sakmann^ 

Gründen  die  Lutheraner  verbrannte  und  die  Mohammedaner 

schonte.^)  Der  Geschichtschreiber  dar!  keiner  Partei 
verhaltet  sein.  Objektive  Geschichtschreibung  gedeiht 
nur  in  der  Luft  der  Freiheit  und  Vorurteilslosigkeit*  Wer 
gehemmt  ist  durch  Verpflichtungen  gegen  seinen  Herrn 
oder  gegen  seine  Zunit,  sollte  schweigen.  Läßt  sich  einer 
vom  Parteigeist  blenden,  so  macht  er  sich  lauter  Irr- 
tümern dienstbar.-)  Er  tut  sich  etwas  auf  seine  Unab- 
hängigkeit und  Unbefangenheit  zugut,  wodurch  die  un- 
vermeidliche Subjektivität  korrigiert  wird:  Ich  gebe  immer 
den  Eindruck,  den  der  Gegenstand  meiner  Studien  auf 
mich  machte  aber  so  frei  und  natürlich  (avec  nalvei/Jy 
daß  der  Leser,  wenn  er  will,  mich  korrigieren  und  sich 
sein  Urteil  selbst  bilden  kann.  '*) 

Aber  mit  der  Ablehnung  der  Parteigeschichtschreibung, 
mit  der  häufigen  Beteuerung  nur  der  Wahrheit  dienen 
zu  wollen,  halt  es  nun  Voltaire  für  wohl  vereinbar,  sich 
von  gewissen  allgemeinen  Tendenzen  leiten  zu 
lassen,  in  denen  er  nur  eben  keine  Parteisache  sieht.  M 
Wir  werden  natürlich  bei  Voltaire  so  wenig  als  bei  irgend-  ™ 
einem  anderen  Historiker  erwarten  dürfen,  daß  er  uns 
gleichsam  hinter  die  Kulissen  seiner  Tendenz  sehen  läßt, 
aber  doch  ist  es  interessant  von  ihm  zu  hören,  was  er 
als  solche  eingesteht  und  angesehen  haben  will 

Er  ist  in  seiner  Arbeit,  wie  er  sagt,  beseelt  von 
der  Liebe  zum  Vaterland,  die  freilich,  dem  Geist  des 
Jahrhunderts  gemäß,  so  weitherzig  ist,  daß  er  sich  auch 
als  Weltbürger  bezeichnen  kann*  Mit  Selbstgefühl  sagt 
er  von  seinem  Louis  X!V:  Nur  die  Liebe  zum  Vaterland 
und  zur  Wahrheit  haben  mich  aufrechterhalten  in  meiner 
mühseligen  Arbeit,  Der  Nation,  die  einen  Marlborough, 
Pope  und  Newton  hervorbrachte,  habe  ich  Achtung  vor 
dem  französischen  Geist  abgerungen.  Und  doch  haben 
mir  Freunde  und  Landsteute  bezeugt,  daß  ich  als  Welt- 
bürger geschrieben   habe.^)     Und  was  man  auch  neuer- 

^)  EBsai  c.  125. 

^)  H[sCoire  du  Parlement,  Avantpropos. 

^)  Essai,  Pr^face  1754. 

*)  Pierre  le  Grand,  Pr^face.    Supplement  de  Louis  XIV,  l* 


I 
I 


Probleme  d.  hisL  Method.  u.  d.  Geschichtsphilosophk  Voltaires»  359 

dings  über  den  mangelnden  Patriotismus  Voltaires  ge- 
sagt hatj  die  Liebe  zum  Ruhm  des  französischen  Namens 
sollte  man  dem  „Louis  X/V*^  nicht  absprechen*  Aber 
allerdings  der  Essai  und  die  anderen  Werke  werden  von 
dieser  Tendenz  nicht  gedeckt.  Mit  ihm  will  er  sich  in 
den  Dienst  der  Human itäts-  und  Aufklärungs- 
idee  stellen;  die  Menschlichkeit  hat  den  Essai  diktiert, 
die  Wahrheit  hat  die  Feder  gehalten,  i)  Das  wäre  eine 
recht  fruchtbare  Geschichtschreibung,  die  ohne  jeden 
Anschein  aufdringlicher  Belehrung  uns  über  unsere 
Rechte  und  Pflichten  aufklärte,^)  Es  handelt  sich  hier 
darum,  die  Menschen  von  dem  Glauben  an  Märchen  zu 
befreien ,  mit  denen  man  sie  jahrhundertelang  ein- 
gewiegt hat.^) 

Die  Objektivität  wird  noch  mehr  verlassen,  wenn 
Voltaire  der  Geschichtschreibung  geradezu  praktische 
Ziele  steckt,  wenn  er  ihr  die  Mithilfe  an  dem  Re- 
formwerk des  Jahrhunderts  zur  Aufgabe  macht; 
der  Nutzen  der  Geschichte  besteht  für  den  Staatsmann 
und  für  den  Bürger  in  der  Möglichkeit  der  Vergleichung 
fremder  Gesetze  und  Bräuche  mit  den  einheimischen  zu 
praktischen  Zwecken,  Die  großen  Fehler  der  Vergangen- 
heit können  auf  jedem  Gebiet  Dienste  leisten.  Von  den 
Verbrechen,  von  den  Notständen  kann  man  nicht  laut 
genug  reden.  Denn  man  mag  sagen  was  man  will, 
beiden  kann  man  steuern.  Die  Geschichte  des  Tyrannen 
Christian  kann  vor  den  Gefahren  des  Absolutismus  warnen, 
Pultawa  vor  strategischer  Draufgängerei ;  aus  den  Schlachten 
von  Crdcy^  Poitiers  usw.  hat  der  Marschall  von  Sachsen 
Nutzen  gezogen;  was  gute  Finanzen,  was  blühender 
Handel  und  weise  Sparsamkeit,  was  ein  gutes  System 
von  Grenzfestungen  für  einen  Wert  hat,  mag  ein  geschichts- 
kundiger  Fürst  an  den  Musterbeispielen  von  Heinrich  IV,, 
Elisabetli  und  Ludwig  XIV.  entnehmen.  Wenn  man  den 
jungen  Leuten  nicht  so  oft  die  Obergriffe  der  Päpste,  den 
Wahnsinn   und  das  Elend   der  Religionsstreitigkeiten  vor 

*)  D'ün  fait  singulier  und  sonst  oft 
»)  Dict.  plii).:  Histoire  IL 
•)  Ddfense  de  mon  oncle  IX. 


n 


360 


Paul  Sakmann, 


Augen  stellte^  so  wäre  das  Publikum  heute  noch  so  dtimm 
wie  unter  Gregor  VII,  Man  räume  nur  mit  dem  geschicht- 
lichen Studium  auf  und  man  wird  wieder  eine  Bartholo- 
mäusnacht in  Frankreich,  einen  Crom  well  in  England  er- 
leben,^) Er  rechnet  die  Arbeit  an  der  Besserung  der  Zu- 
stände der  Gegenwart  mit  den  Mitteln  der  Geschicht- 
schreibung geradezu  zu  den  Pflichten  der  Historiker.  Es 
ist  seine  Pflicht,  daß  er  durch  ungeschminkten  Bericht  ^ 
über  das  Schlechte,  z*  B*  über  Justizmorde,  der  ganzen  " 
Nachwelt  Abscheu  einflöße  vor  diesen  Greueln;  auch  ist 
es  dem  Volk  ganz  recht,  wenn  man  ihm  die  Sunden  H 
seiner  Väter  vor  Augen  stellt,^)  Er  macht  es  den  Histo-V 
rikern  zum  Vorwurf,  daß  sie  so  oft  über  dem  höfischen 
Ränkespiel  das  vergessen»  was  die  Menschheit  angeht, 
Sie  haben  nie  Buch  geführt  über  die  Massengreuel  der 
fi  exen  Verbrennungen.  Sie  wissen  gar  nicht,  wie  bar- 
barisch wir  gewesen,  und  daß  wir  noch  gar  nicht  ganz 
dieser  heillosen  Barbarei  entwachsen  sind,  mit  der  wir 
uns  vor  den  Wilden  schämen  müssen.^)  Nach  einer  Aul- 
zählung von  Justizmorden  in  den  Annales  (Charles-Quint) 
bemerkt  er;  Die  Geschichte  soll  wenigstens  dazu  dienen, 
die  Richter  vorsichtiger  und  menschlicher  zu  machen. 
Die  Auswahl  des  Stolies  vollzieht  sich  bei  ihm  vielfach 
unter  diesem  praktischen  Gesichtspunkt:  die  Einzelheiten, 
die  für  das  Glück  der  Völker  wichtig  sind,  und  aus  denen 
gute  Fürsten  etwas  lernen  können,  bekommen  ein  all- 
gemeines Interesse,'*)  Auch  der  Sache  der  politischen 
Freiheit  vermag  der  Historiker  am  wirksamsten  zu  dienen. 
Im  Kapitel  über  Philipp  IL  bemerkt  er:  das  Urteil  der 
Nachwelt  ist  unser  einziger  Wall  gegen  die  glückliche 
Tyrannei.^) 

Und  schließlich  empfiehlt  sich  die  Geschichte  noch 
durch  einen  Genuß  eigener  Art^  den  sie  dem,  der  sich 
mit  ihr  beschäftigt,  gewährt.   Er  sagt  einmal:  Wenn  man 


*)  Dict*  phiL:  Histoire  Ul 
')  Dict,  phiL:  Historiographe* 
')  Requ^te  ä  tous  les  magistrats  L 
*)  Essaj  c.  115, 

*)  Ibid.  c.  167. 


I 


Probfeme  d,  hist  Metbod.  u»  d.  Geschichtsphilosophie  Voltaires.  361 


unter  den  Ruinen  des  Altertums  nachgräbt,  kann  man 
unter  den  Trümmern  interessante  Denkmäler  finden,  die 
dem  gute  Dienste  leisten,  der  sich  über  die  Dummheit 
des  menschlichen  Geistes  aufklären  willJ)  Er  bekennt: 
Was  an  der  Geschichte  philosophisch  am  meisten  inter- 
essiert, ist  das,  daß  man  dadurch  die  Dummheit  der 
Menschen  kennen  lernt. ^)  Mein  Essay  ist  keine  Welt- 
geschichte, sondern  nur  eine  Schilderung  der  Haupt- 
dummheiten  in  der  Welt.**)  In  solchen  Geständnissen  verrät 
sich  keineswegs  bloß  die  pädagogische  Absicht,  wie  er 
Wort  haben  will,  die  Menschen  durch  das  Spiegelbild 
ihrer  Dummheit  klüger  und  aufgeklärter  zu  machen  *)j 
durch  die  behagliche  Stimmung,  in  der  sie  gesprochen 
sind,  scheint  deutlich  der  souveräne  Selbstgenuß 
des  eigenen  Geistes  und  der  Zeitbildung  hin- 
durch, dem  der  Kontrast  eine  angenehme  Steigerung 
gewährt. 

Endlich  nun  —  das  ist  ein  fünftes  und  letztes  Mo- 
ment —  liegt  im  Begriff  der  philosophischen  Geschichte 
noch  eine  Forderung,  die  die  Form  betrifft. 
Nichts  hat  in  dieser  Hinsicht  Voltaire  mehr  betont  als 
Würde  der  Haltung.  Das  mag  überraschen  bei  einem 
Mann,  dessen  Hauptwerk  man  als  ein  satirisches  Pamphlet 
anzusehen  gewöhnt  ist,  und  der  uns  als  der  Typus  des 
Ironikers  erscheint.  Aber  man  vergißt  eben  zu  leicht 
jene  andere  Seele  Voltaires,  die  sich  z.  B.  in  seinem 
Ehrgeiz  bekundet,  nicht  etwa  der  erste  Lustspiel  dichter 
seiner  Nation  zu  werden,  sondern  der  Vollender  der  Tra- 
gödie vornehmsten  Stils*  So  warnt  er  den  Historiker 
vor  den  Klippen  des  blühenden  und  des  familiären  Stils* 
Doch  ist  es  eher  zu  verzeihen^  wenn  man  im  Feuer  der 
Begeisterung  zu  weit  geht,  als  wenn  man  sich  in  gewöhn- 
lichen   Ausdrücken    gehen    läßt.^)      Die    zeitgenössische 


')  Defense  de  mon  oncle  XXL 

■)  Lettres  chltiobes  \L 

*)  Lettre  civile  et  honn^te. 

*)  Remarques  de  TEssai  Hl,  Conclusion  de  ce  tableau  hiato- 


rique. 


)  Articles  eictraits  de  la  gazette  litt. 


362 


Paul  Sakmana, 


Mode  der  historischen  Porträts  ist  ihm  auch  deswegen 
widerlicht  weil  diese  Art  sich  nicht  mit  dem  großen  Stil 
verträgt*  Was  für  Augenbrauen  Colbert  hatte,  wie  er 
seinen  Kragen  trug,  oder  ob  er  am  Hol  noch  kleinbürger- 
liche Manieren  beibehielt,  das  kümmert  mich  nicht.  Denn 
allein  auf  das,  was  er  Denkwürdiges  und  Dankenswertes 
getan  hat,  habe  ich  mein  Augenmerk  zu  richten.*)  Er 
weiß  von  der  intimen  Geschichte,  z.  B.  etwa  von  der 
Jugend  der  Frau  von  Maintenon  mehr  als  er  sagt.  Aber 
derartige  Züge  hätten  mein  Bild  des  Zeitalters  Lud- 
wigs XIV.  entstellt,  tch  wollte  wertvolle  Wahrheiten  geben, 
nicht  Wahrheiten  für  Anekdotengeschichten.  Eine  bedeut* 
same  Wahrheit  ist  aber  2.  B.  die,  daß  Frau  von  Maintenon 
auf  der  Hohe  ihrer  Herrlichkeit  sich  unglücklich  fühlte,^) 
Das  Voltairesche  Ideal  der  Vornehmheit  gebietet 
dem  Historiker  u.  a.  auch  eine  loyale  Haltung  im 
monarchistischen  Sinn:  Einen  Seitenhieb  La  Beau- 
melles  auf  Wilhelms  ML  angebliche  päderastische  Nei- 
gungen weist  er  scharf  zurück  als  gemein  und  der  Ge- 
schichte unwürdig»  und  oft  noch  hält  er  es  für  seine  Pflicht, 
leichtiertige  und  seiner  Ansicht  nach  verleumderische  Be- 
handlung hochgestellter  Persönlichkeiten  durch  diesen 
Schriftsteller  zu  rügen  als  eine  indezente  Art,  Geschichte 
zu  schreiben,^)  Karl  Xll.  und  Peter  den  Großen  will  er 
behandeln  mit  dem  Respekt,  den  man  gekrönten  Häuptern 
schuldet,  die  eben  gestorben  sind  und  mit  dem  Respekt, 
den  man  der  Wahrheit  schuldet,  die  nie  sterben  wird.*) 
Der  Geschichtschreiber  soll  nicht  wie  Tacitus  den  Fürsten 
fortwährend  geheime  Verbrechen  vorwerfen,  als  ob  es 
nicht  genug  wäre  an  den  bekannten.  Er  entehrt  die 
Geschichte,  wenn  er  auf  das  Gerede  des  Pöbels  etwas 
gibt,^)  Der  an  sich  richtige  Grundsatz,  daß  man  als  Histo- 
riker nichts  Falsches  sagen  soU^  erleidet  eine  Einschrän- 
kung durch  den  anderen  Grundsatz,  der  uneingeschränkt 


^)  Supplement  de  Louis  XIV^  11  und  oft  ähnlich. 

*)  Ibid. 

*)  Louis  XIV,  c.  15;  17  i;  26. 

*}  Conseils  ä  un  journaliste. 

*)  Reflexion  sur  l'histoire.   Lotiia  XIV,  c»  20« 


Probleme  d.  hist  Method  u,  d.  Geschicht&philosophie  Voltaires,  365 

gilt,  daß  man  auf  die  Nachwelt  nur  das  bringen  soll,  was 
der  Nachwelt  würdig  ist,  Enthüllungen  über  geheime 
Skandalgeschichten  aus  dem  Privatleben  von  Fürsten  muß 
sich  der  Historiker  versagen.  Nur  wenn  diese  Privat- 
sachen die  öffentlichen  Angelegenheiten  beeinflußt  haben, 
hat  er  davon  zu  reden.  Denn  er  soll  kein  Pampfiletist 
und  kein  Spötter  sein;  es  gibt  auch  Pflichten  der  Dis- 
kretion und  des  Anstands,  Man  soll  nicht  Skandale  aus- 
bieten, wie  die  Voisin  ihre  Gifte  verkaufte.^)  Es  ist  kein 
Wunder,  wenn  diesem  Vertreter  der  Loyalitätsgefühle  die 
oppositionelle  Geschichtschreibung  unsympathisch  ist, 
die  ihm  In  die  Mode  zu  kommen  scheint:  Manche 
Schriftsteller  in  Frankreich  und  England  meinen  jetzt, 
sie  vertreten  die  Sache  des  Menschengeschlechts,  wenn 
sie  ihr  Vaterland  anklagen;  manche  denken,  ein  Ge- 
Schichtschreiber  müsse  sein  Vaterland  verschreien,  wenn 
er  unparteilich  scheinen  wolle,  er  müsse  Minister  ver- 
dammen, um  gerecht  zu  erscheinen  und  seinen  König 
dem  Haß  der  kommenden  Jahrhunderte  opfern,  um  sich 
in  den  Rui  des  Freisinns  zu  bringen.  Ich  will  nun  zwar 
in  keiner  Weise  voreingenommen  sein,  und  Wahrheit  ist 
mein  einziges  Ziel,  aber  Frechheit  ist  nicht  Freiheit.^) 


IV. 

Noch  mögen  einige  Urteile  Voltaires  über  seine 
Vorgänger  in  der  Geschichtschreibung  folgen,  sofern 
sie  das  Ideal,  das  ihm  vorschwebt,  noch  weiter  illu- 
strieren. 

Die  Alten,  Livius,  Tacitus^  Polybius,  Dionyslus,  mögen 
in  Form  und  Stil  noch  heute  mustergültig  sein,  aber  die 
Aufgabe  hat  sich  in  der  Geschichte  wie  in  der  Natur- 
wissenschaft bedeutend  erweitert.  Von  modernen  Histo- 
rikern erwartet  man  mehr  Eingehen  ins  einzelne,  sicherere 
und  genauere  Feststellung  der  Tatsachen,  der  Daten  und 
der  Gewährsmänner,   mehr  Beachtung  der  Bräuche  und 


»)  Pierre    le    Grand,    Pr^face  VL     Dict   phU,^    Hiatoire    IV; 
Historiographe. 

')  Supplement  de  Louis  XIV,  IlL 


SM 


Faul  Sakmantt, 


Sitten,  der  Gesetze,  des  Verkehrs,  der  Finanzen,  des 
Ackerbaues,  der  Bevölkerungsbewegung.*)  Die  anekdo- 
tische Geschichtschreibung  in  der  Art  Plutarchs  und  die 
satirische  in  der  Art  Prokops  ist  heutzutage  iür  immer 
abgetan,^)  Wie  die  Naturwissenschaft,  so  ist  auch  die  Ge- 
schichtschreibung erst  gegen  Ende  des  16,  Jahrhunderts 
aus  dem  Chaos  der  abergläubischen  Legenden  heraus- 
gekommen* Vor  Guiccardini  und  Macchiavelli  gab  es 
keine  einzige  gut  geschriebene  Geschichte.®) 

Von  neueren  französischen  Historikern  bespricht  er 
besonders  Mdzerai, Daniel  und  Bossuet,  Er  stellt  M^zerai, 
wenigstens  was  die  Darstellung  der  neueren  Zeit  betrifft^ 
über  den  Jesuiten  Daniel.  MiSzerai  ist  ein  besserer  Fran- 
zose und  ein  besserer,  weniger  parteiischer  Historiker 
als  Daniel^  der  mehr  Jesuit  als  Bürger  seine  römische, 
unfranzösische  Gesinnung  besonders  bei  der  Behandlung 
der  Bartholomäusnacht  und  der  Regierung  Heinrichs  IV. 
verrät:  es  zeigt  sich  dabei,  wie  sehr  der  Gral  von  Boulain- 
villiers  recht  hatte,  der  meinte,  ein  Jesuit  könne  unmög- 
lich ein  objektiver  Historiker  sein»^)  Die  mancherlei  Irr- 
tümer Daniels  in  den  Einzelheiten  —  der  Graf  von  Bou- 
lainvilliers  will  ihm  deren  zehntausend  nachgewiesen  haben 
—  fallen  nicht  schwer  ins  Gewicht.  Bedenklicher  ist^ 
daß  er  sich  darauf  kapriziert,  in  den  Annalen  eines  in 
so  vieler  Hinsicht  außerordentlichen  Jahrhunderts  nur  die 
banalen  Schlachtenberichte  zu  geben,  und  daß  man  bei 
ihm  nicht  erfährt,  was  man  als  ciioyen  wissen  möchte, 
nämlich  etwas  über  die  allmähliche  Entwicklung  der  Re- 
gierungsform, über  die  Rechte  und  Übergriffe  der  ver- 
schiedenen Körperschaften,  über  den  Geist  der  Nation 
und  die  inneren  Zustände,  Recht,  Finanzen,  Verkehr, 
Kunstleben  usw.  Schlimm  ist^  daß  die  philosophische 
Betrachtung  des  Ganzen  fehlt.  Die  Nation  konnte  zu 
ihm  sagen :  Ich  verlange  von  Dir  etwas  mehr  von  meiner 
eigenen  Geschichte  als  von  der  Ludwigs  des  Dicken  oder 

*)  Dict  phiL:  Histoire  V* 
■)  Louis  XIV,  c.  25. 
*)  Essai  c.  8;  10  f. 
*)  Essai  c,  171;  174, 


4 


4 


i 


'mbleme  d.  hist.  Method* u, d.  Geschkhtsphilosophie  Voltaires.  365 

Ludwigs  des  Zänkers*  Wenn  auch  Daniels  französische 
Geschichte  verhältnismäßig  noch  die  beste  ist,  so  bleibt 
es  doch  dabei,  daß  sie  von  neuem  geschrieben  werden 
muß,*) 

An  Bossuets  ^^Discöurs  sur  Vhistoire  universeUe^ 
bewundert  er  die  formellen  Vorzüge.  Hier  ist  zum  ersten- 
mal  die  Kunst  der  Beredtsamkeit  auf  die  Geschichte  an- 
gewandt. Mag  sein  Versuch,  die  jüdische  Zeitrechnung 
mit  der  der  anderen  Völker  in  Einklang  zu  bringen^  auch 
auf  Widerstand  stoßen,  wunderbar  bleiben  doch  die  maje- 
stätische Kraft,  mit  der  er  Sitten,  Regierung,  Wachstum 
und  Sturz  der  großen  Reiche  beschreibt  und  die  Geistes- 
blitze von  kräftigster  Wahrheit  in  seiner  Schilderung  und 
Beurteilung  der  Völker,^)  Bossuet  hat  allerdings  den 
Geist  der  Geschichte  eriaßt,  wenigstens  was  das  römische 
Reich  betrifft.  Aber  —  und  das  ist  nun  die  Kehrseite  — 
er  gibt  der  ganzen  Geschichte  in  sehr  einseitiger  Weise 
eine  künstliche  Zweckbeziehung  auf  das  Judenvolk  und 
vernachlässigt  die  großen  orientalischen  Kulturvölker  gänz- 
lich* Das  Werk  sollte  eigentlich  heißen:  Discours  sur  une 
partie  de  rhlsiolre  universelle.^)  Auch  Frau  Du  Chätelet 
konnte  es  nicht  verstehen,  daß  ein  so  beredter  Mann  in 
einer  Weitgeschichte  gerade  die  Welt  vergaß  und  nur  von 
drei  bis  vier  heute  verschwundenen  Völkern  sprach.  Noch 
unverständlicher  war  ihr,  daß  diese  drei  bis  vier  größeren 
Nationen  alle  dem  kleinen,  theologisch  vielleicht  bedeut- 
samen, aber  historisch  minderwertigen  jüdischen  Volke 
aufgeopfert  wurden,  während  die  Mohammedaner,  die 
Inder,  die  Chinesen  kaum  oder  gar  nicht  beachtet  wurden.*) 

An  dem  Konkurrenzwerk  für  seinen  Charles  X[L,  an 
Norbergs  Geschichte  Karls  XIL  tadelt  er,  daß  der  Leser 
überschüttet  werde  mit  einer  Masse  unverdauten  Materials 
politischer  Publikationen ,  aus  denen  man  doch  nichts 
Genaueres  darüber  erfahre,  wie  es  eigentlich  gewesen  sei. 


>>  Supplement  de  Louis  XIV,  L    Louis  XIV;  ficrivains,  Daniel, 
Dict  pbil,r  Histoire  IV, 
»)  Louis  XIV,  c.  32, 
■)  Essai,  Avantpropos. 
*)  Remarques  de  l'Essai  f» 

fllaCoriscbe  Zeitschrift  (97.  ßd,>  3.  Folge  U  Hd,  24 


^ 


366 


Paul  Sakmann. 


Wie  viel  wertlose  Tatsachen  muß  ein  Historiker  weg- 
lassen I  Ich  bilde  mir  etwas  darauf  ein,  daß  ich  meinen 
Charles  XIL  so  zusammengedrängt  habe.^) 

Rapins  Geschichte  von  England  nennt  er  das  ein- 
zige historische  Werk,  das  der  Vollkommenheit  nahe  kam 
bis  auf  das  Werk  Humes,  der  es  verstand,  a!s  Philosoph 
zu  schreiben,-)  Und  so  sagt  er  auch  in  einer  Besprechung 
von  Humes  englischer  Geschichte:  Nie  kam  es  dem  Publi- 
kum mehr  zum  BewußtseiOj  daß  es  dem  Philosophen 
zukommt,  Geschichte  zu  schreiben.') 

Aber  die  Genannten  sind  seltene  Ausnahmen,  Im 
allgemeinen  findet  er  sich  von  den  Büchern  im  Stich 
gelassen  bei  seiner  geschichtlichen  Arbeit»  in  Pufen- 
dorf,  dem  doch  die  schwedischen  Archive  zur  Verfügung 
standen,  suchten  wir  vergeblich  Belehrung  über  die  mili- 
tärischen und  finanziellen  Hilfsquellen  des  schwedischen 
Staates,  über  seine  Bevölkerungsziffer,  über  die  schwedi- 
sche Kultur-  und  Vertassungsgeschichte,*) 


■ 


Ein  letzter  Abschnitt,  der  als  Illustration  zu  unserem 
zweiten  Kapitel  gemeint  ist,  zeige  nun  noch  Voltaire 
als  Kritiker  an  der  Arbeit,  Es  geschieht  das  wohl 
am  besten  in  einem  Überblick,  der  die  Stellen  aufweist, 
wo  Voltaire  an  der  Tradition  kritische  Korrekturen  an- 
bringt. Da  Voltaire  als  Kritiker  des  Christentums  eine 
besondere  Darstellung  verlangt,  so  beschränken  wir  uns 
hier  auf  das  profan  geschieht  liehe  Gebiet, 

Das  gleichzeitige  Nebeneinanderbestehen  von  drei 
mächtigen  Reichen  (Babylon,  Assyrien  und  Syrien)  und 
von  zwei  Hauptstädten  (Babylon  und  Niniveh)  ist  nicht 
wahrscheinlich*  Es  wird  wohl  ein  einziges,  hie  und  da 
dynastisch  geteiltes  Reich  gewesen  sein.  Es  gab  wohl 
nie  in  Asien   eine  Frau  namens  Semiramis  und  Männer 


')  Charles  XII,  Prdface  1748, 
*)  Louis  XIV;  ficrivains:  Rapb. 
•)  R^flexions  sur  rhistoire, 
*)  Essai,  Pr^face  1754, 


I 


Probleme  d,  hist  Method.  u,  d.  Geschichtsphlbsophie  Voltaires.  367 

Namens  Belus  und  Ninus.  „Kein  asiatischer  Fürstenname 
geht  auf  ^us"  aus."  Die  Geschichte  der  Semiramis  gleicht 
ganz  den  orientalischen  Märchen.*)  Das  Gleiche  gilt  von 
den  Sesostrisgeschichten.  Einige  zweitein  sogar  an  der 
Existenz  des  Sesostris.^)  Die  Welteroberungspläne  des 
Sesostris  sind  an  sich  schon  sehr  romanhaft.  Daß  man 
von  dem  reichen  Kulturland  Ägypten  in  das  kaukasische 
Barbarenland  zog,  ist  gegen  alle  geschichtliche  Wahr- 
scheinlichkeit* Ebensogut  hätte  der  König  von  Babylon 
auf  den  Gedanken  kommen  können,  die  Schweiz  zu  er- 
obern. Eher  werden  die  Scythen  in  Ägypten  eingefallen 
sein  und  dort  ihre  Bräuche,  wie  z*  B.  die  Beschneidung 
hinterlassen  haben. ^)  Fabelhaft  ist  die  Streiterzahl  der 
Stadt  Theben,  ebenso  die  Tradition  von  der  tiefen  Weis- 
heit der  ägyptischen  Priester/)  Es  ist  sonderbar^  daß 
man  China  zu  einer  Kolonie  der  aften  Ägypter  machen 
will.  Mit  genau  demselben  Recht  könnte  man  nachweisen» 
daß  die  Franzosen  von  den  alten  Trojanern  oder  Griechen 
abstammen.^) 

Fabeln  sind  die  Krösus-  und  Cyrusgeschichten,  wie 
überhaupt  die  Herodotischen  Erzählungen  aus  dem  Orient; 
er  nennt  insbesondere  die  Ohren  des  Smerdis,  das  Pferd 
des  Darius,  das  Schildkrötenorakel  des  Krösus,  die  Dido- 
geschichten,  die  Prostitution  der  Frau  des  Königs  Nabis, 
die  Vernichtung  des  Heeres  Sanheribs  durch  Ratten.*) 
Je  näher  Herodot  der  eigenen  Zeit  kommt,  um  so  mehr 
zeigt  er  sich  unterrichtet  und  glaubwürdig.  Bei  den  Perser- 
kriegen zeugt  z.  B,  das  Itinerarium  und  die  Aufzählung 
der  Völkerschaften  von  geographischer  Genauigkeit,  da- 
gegen kann  man  sehr  wohl  zweifeln  an  der  Peitschung 
des  Hellesponts  und  an  den  großen  Opfern  des  Xerxes, 
und  vor  allem  lassen  sich  die  Angaben  über  die  Zahl  und 


*)  Eisaif  IntroductLon  X. 
')  ßible  expliqu^e*  Rois. 
')  Essai  c.  15.     Tol^rance  IX, 
*)  Ibid.  Difense  de  mon  oncle  IX* 
*)  Pierre  le  Grand,  Pr^face  HL 

•)  Dict.  pKil :  Diodore  et  H^rodote*  Remarques  »ur  rhiatoire. 
ABC  VJ.  Nouv.  considdrations  sur  Fhistoire, 

24* 


368 


Paul  Sakmann, 


die  Zählungsweise  des  persischen  Heeres  mcht  mit  einer 
richtigen  Statistik  vereinen.  Dieser  compie  Herodots  ist 
ein  wirklicher  conie.  Herodot  wollte  mit  diesen  Geschich- 
ten seinen  Griechen  schmeicheln  und  zugleich  sie  unter- 
halten, i)  Er  ist  skeptisch  gegen  die  aitathenische  Ge- 
schichte: Ich  weiß  nicht,  ob  Kekrops  König  von  Athen 
war  zu  einer  Zeit,  da  es  noch  gar  nicht  existierte,  und 
ob  Theseus  es  war  vor  oder  nach  seiner  Höllenfahrt.^) 
Der  Opfertod  des  Kodrus  ist  eine  schöne  Tat,  wenn  sie 
wahr  ist.^)  Die  Berichte  über  Themistokles'  Tod  durch 
Stierblut  sind  aus  geschichtlichen  wie  aus  naturwissen- 
schaftlichen Gründen  zu  verwerfen.*)  Die  Alexander- 
anekdoten durchmustert  er  kritisch.  Die  Geschichte  von 
Philipps  Ermordung  leidet  an  Unwahrscheinlichkeiten.  Die 
Fabeln  von  Quintus  Curtius  über  Alexander  sind  so  aben- 
teuerlich wie  seine  geographischen  Vorstellungen  von  Asien, 
so:  Die  Scythengesandtschaft,  der  Brief  Alexanders  an 
Darius,  die  Bitte  der  Amazonenkönigin  Talestris,  das 
Staunen  Alexanders  über  Ebbe  und  Flut,  da  ein  Schüler 
von  Aristoteles  doch  darüber  unterrichtet  sein  mußte. 
Hätte  Quintus  Curtius  seine  Geschichte  nicht  so  mit  Fabeln  ■ 
entstellt,  so  wäre  Alexander  der  einzige  Held  des  Alter- fl 
tums,  von  dem  man  eine  wahre  Geschichte  hätte. ^)  ^ 

Die  römische  Geschichte   ist  neu   zu  schreiben-     lit      i 
der  langen  Liste  unglaublicher  Überlieferungen  nennt  er:  fl 
Die  Romulusgeschichten,  das  unwahrscheinliche  Duell  der  ™ 
Horatier  und  Curiatier,  die  romantischen  Abenteuer  der 
Lukretia   und  der  Clelia,   die  Volkszählung  des   Servius, 
die  zweifelhaft  ist,  weil  sie  viel  zu  große  Zahlen  gibt  für 
den  kleinen  Stadtstaat,  —  die  Historiker  sind  zu  freigebig 
mit  großen  Zahlen  im  Eifer  für  ihr  Vaterland,  dem  doch 
besser  gedient  wäre  mit  dem  Zugeständnis  der  geringen 


Dict  phiL:  D6nombremeiit; 


')  Pyrrhonisme  de  rhistoire  VJ 
Age,    Defense  de  ition  oncle  IX. 

*)  Commentatre  sur  l'esprit  dea  loi3  28> 

*)  Dict.  phiL:  Beau. 

*)  Dict  phil. :  Taureau;  Empoisonnements. 

*)  Pyrrhonisme    de    Uhistoire    IX.    ßibl.    expl, 
Charles  XII,  Pr^face  1748.   Dict*  phil:  Alexandre. 


Probleme  d.  hist.  Method.  u.  d*  Geschichtsphilosophie  Voltaires.  369 

Anfänge  des  Staats—;  die  Zahl  der  Jahre,  die  man  den 
römischen  Königen  gibt,  ist  sehr  verdächtig  —  nach  New- 
tons chronologischer  Durchschnittsregel  müßten  sie  nicht 
240^  sondern  nur  ungefähr  100  Jahre  regiert  haben.  Sagen- 
haft ist  ferner  die  Geschichte  der  Vestaünnen,  die  mit  ihrem 
Gürtel  ein  aufgelaufenes  Schiff  wieder  flott  machen,  der 
Sieg  über  Porsenna,  der  statt  zu  fliehen,  weil  ihn  ein 
Fanatiker  ermorden  wollte,  höchstwahrscheinlich  die  Römer 
unterjocht  hat,  Curtius'  Opfertod,  das  Rasiermesser  des 
Navius,  das  Abenteuer  der  kapitolinischen  Gänse  und  der 
Sieg  des  Camillus  über  die  Gallier.  Das  Anerbieten  des 
Leibarztes  von  Pyrrhus,  seinen  Herrn  zu  vergiften,  wie 
auch  die  Giftmordverschwörung  der  römischen  Damen 
bei  Livius  —  es  gibt  überhaupt  viel  weniger  Giftmorde 
als  man  meint  — ,  die  Martern  des  Regulus,  die  aus  innern 
Gründen  wie  nach  dem  Bestand  der  Überlieferung  un- 
wahrscheinlich sind  und  wohl  erst  viel  später  erfunden 
wurden,  um  die  Karthager  verhaßt  zu  machen,  die  Galere 
des  Archimedes,  Cäsars  Schwimmkünste,  von  denen  Plu- 
tarch  berichtet,  Senekas  Erzählung  von  der  Großmut  des 
Augustus  gegen  Cinna.^)  Die  Wurmkrankheit,  an  der 
Herodes  gestorben  sein  soll,  wie  auch  Sulla  und  Philipp  11. 
kennen  wir  nicht  und  sie  ist  jedenfalls  legendarischen 
Charakters.  2) 

Seine  zunächst  auf  inneren  Gründen  beruhenden 
Zweifel  an  der  landläufigen  Auffassung  der  Kaisergeschichte 
führen  ihn  zu  einer  interessanten  Kritik  der  geschicht- 
lichen Quellen  für  diese  Zeit.'*)  Oft  fragte  ich  mich  bei 
der  Lektüre  von  Tacitus  und  Sueton:  Sind  diese  Scheuß- 
lichkeiten, die  hier  Tiberius,  Caligula,  Nero  zugeschrieben 
werden^  wirklich  wahr?  Soll  ich  auf  das  Zeugnis  eines 
Mannes,  der  lang  nach  Tiber  lebte,  mir  diesen  80jährigen 
Mann  auf  seiner  Insel  als  raffinierten,  schamlosen  Wüst- 


')  Articies  de  la  gazette  litt^raire>  Dict.  phil. ;  D^nombrement; 
Chronologie;  HIstoire  lU;  Auguste;  Empotsonnements,  Charles  XU, 
Pr^face  1748,  Essai,  Introducttoti  52.  Nouv.  consld^rations  sur 
rhistoire.     Fragments  sur  1-Itide  31. 

*)  Bible  expliqude:  H^rode, 

')  Pyrrhonisme  de  l'histoire  XH !. 


370 


Paul  Sakmann, 


ling  vorstellen?  Das  ist  unnatürlich.  So  habe  ich  auch 
nie  an  die  abscheulichen  Dinge  geglaubt,  die  man  einem 
großen  Prinzen  (dem  Herzog  von  Orleans  und  seiner 
Tochter)  nachsagte,  und  die  Zeit  hat  meinen  Unglauben 
gerechtfertigt.  An  die  Bordellwirtschaft  im  Palast  des 
Caligula  kann  ich  kaum  glauben.  So  oft  ich  wieder  die 
abscheuHche  Geschichte  Neros  und  seiner  Mutter  lese, 
fühle  ich  mich  versucht,  nicht  daran  zu  glauben.  Im 
Interesse  des  Menschengeschlechts  wäre  es,  wenn  diese 
Scheußlichkeiten  übertrieben  wären,  denn  sie  machen  der 
Natur  zu  viel  Schande.  Die  Geschichte  von  der  Ver- 
giftung des  Germanikus  wird  von  Tacitus  ohne  jeden 
Beweis  vorgebracht.  Die  Geschichte  vom  versuchten 
Incest  Agrippinas  und  von  ihrer  Ermordung  sind  voll 
von  UnWahrscheinlichkeiten*  Er  beruft  sich  für  seine 
Zweifel  an  diesen  Scheußlichkeiten  auf  Philos  günstigere 
Auffassung  und  darauf,  daß  Tacitus  und  Sueton  Tiberius 
z,  B.  gar  nicht  persönlich  kannten,  sondern  nur  das  Ge- 
rede der  Menge  wiederholten*  Die  ersten  Herrscher  Roms 
waren  bei  den  freiheitlich  Gesinnten  verhaßt  und  mußten 
das  in  der  Geschichtschreibung  entgelten.  Denn  daheim 
bei  sich  entdeckte  der  Römer  seine  republikanische  Seele 
und  rächte  sich  manchmal,  mit  der  Feder  in  der  Hand, 
an  der  Usurpation  der  Kaiser.  Der  malitiöse  Tacitus  und 
der  Anekdotenjäger  Sueton  fanden  eine  große  Genug- 
tuung darin,  ihre  Herren  in  Verruf  zu  bringen  zu  einer 
Zeit,  da  niemand  die  Wahrheit  genauer  untersuchte.^) 
Wir  aber  sind  deswegen  geneigt,  Tacitus  zu  trauen,  weil 
sein  Stil  uns  gefällt  und  imponiert,  auch  weil  seine  Bos- 
heit uns  fast  ebenso  wie  sein  Stil  behagt.  Aber  daraus 
folgt  keineswegs,  daß  er  immer  die  Wahrheit  sagt.  Er 
mag  noch  so  sehr  seine  Objektivität  den  Kaisern  gegen- 
über beteuern;  ich  sage  doch:  Du  hassest  sie,  weil  du 
als  Römer  geboren  bist  und  sie  deine  Souveräne  ge- 
wesen sind,  und  du  wolltest  sie  der  Menschheit  verhaßt 
machen  noch  in  dem  Harmlosesten  was  sie  taten,^)  Nicht 


')  Ibid.  Traitd  sur  la  tol^rance  VllL 
■)  Ibid*  c*  XI L   A  M.,  Sur  las  anecdotes. 


I 


Probleme  d. hist, Method.  u.  d.  GeBchkhtsphilosophie  Voltaires.  371 


.besser  ergeht  es  der  taciteischen  Germania:  Es  scheini, 
'daß  Tacitus^  der  mehr  satirisch  als  objektiv  gestimmt  war, 
und  der  alles  schwarz  malt,  itr  seiner  Germania  mehr 
die  Römer  geißeln  als  die  Germanen  loben  wollte.  Er 
lobt  die  Sitten  der  Germanen,  wie  Horaz  die  der  Geten, 
und  dabei  kennen  beide  nicht  was  sie  toben*  Tacitus, 
dieser  geistreiche,  aber  parteiische  Satiriker,  der  sein  Land 
mehr  kritisch  als  historisch  behandelt,  hat  so  die  Stirn, 
das  Leben  dieser  Straßenräuber  zu  loben,  nur  um  au! 
dem  hellen  Hintergrund  dieser  germanischen  Tugenden 
den  kaiserlichen  Hof  um  so  schwärzer  malen  zu  können.  *) 
Skeptisch  ist  Voltaire  auch  gegen  die  Fragmente  des 
Petronius,  eines  jungen  lockeren  Studenten,  der  nicht  zu 
verwechseln  ist  mit  dem  Konsul  Petronius,  Sie  sind  so 
wenig  ein  treues  Gemälde  des  kaiserlichen  Hots  unter 
Nero,  als  der  ,, Portier  des  charireux^  die  Holsitten  unter 
Louis  XIV,  abspiegelt. 

Ganz  unglaubwürdig  ist  endlich  die  nachtaciteische 
Kaisergeschichte;  er  nennt  besonders  die  lächerlichen 
Fabeln,  die  über  Commodus  und  Heliogabal  berichtet 
werden,  den  absurden  Bericht  von  Lactanttus  über  die 
Abdankung  Diocletians,  Die  byzantinische  Geschichte 
vollends,  die  nur  Deklamationen  und  Wunder  enthält,  ist 
geradezu  eine  Schande  für  den  menschlichen  Geist. ^)  Nie 
wurde  so  schlecht  Geschichte  geschrieben  wie  im  ost- 
römischen Reich.  Die  Anhänger  der  alten  und  der  neuen 
Religion  logen  um  die  Wette,  sie  glichen  zwei  Prozeß- 
gegnern, von  denen  der  eine  falsche  Schuldscheine,  der 
andere  falsche  Quittungen  vorweist.'*)  Die  Labarumsvision 
Constantins  hat  Voltaire  oft  kritisch  behandelt.  Er  weist 
darauf  hin,  daß  die  heidnischen  Schnttsteller,  auch  die 
Constantin  freundlichen,  ja  selbst  einige  christliche  nichts 
von  dem  Faktum  wissen.  Der  Hauptgewährsmann  Euse- 
bius  berichtet  erst  im  „Leben  Constantins"  aber  nicht  in 
seiner  Kirchengeschichte  davon,   ist  auch  als  unehrlicher 


0  Tol^ratice  XII.   Essai,  Avantpropos. 
*)  Pyrrhomsme  de  FhisL  XIV  i. 
*)  Histotre  du  chnstiantsme  XV- 


p 
p 


372  Paut  Sakmann, 

Parfeimann  verdächtig»  Die  übrigen  Berichterstatter  wider- 
sprechen sich  in  den  Umständen.  So  haben  wir  es  wohl  . 
mit  einem  Betrug  Constantins  zu  tun,  der  dadurch  den  | 
Erfolg  seiner  Unternehmungen  sichern  wollte*  Er  machte 
sich  ein  Vergnügen  daraus  die  Priester  zu  täuschen.  ^Es 
war  ja  nur  heimgegeben*"  Eusebius  dient  es  freilich  zur 
Entschuldigung,  wenn  noch  in  unserer  Zeit  Bossuet  in 
seiner  Leichenrede  aul  Anna  von  Gonzaga  von  zwei 
Visionen  berichtet,^) 

Auch  im  Mittelalter  ist  natürlich  jede  mit  etwas  Wun- 
derbarem zusammenhängende  Tatsache  an  und  lür  sich 
unglaubwürdig*  So:  das  Tauben-  und  Engelwunder  bei 
Chlodwigs  Bekehrung  und  Taufe  —  wer  die  menschliche 
Natur  kennt,  weiß,  daß  Usurpatoren  wie  Chlodwig  zum 
Christentum  übertreten,  um  desto  sicherer  über  Christen 
zu  herrschen  — ,  die  Wunder  des  hl.  Bernhard,  das  Keusch- 
heitsmartyrium Ludwigs  VUL,  die  Blutregen,  die  Schlangen- 
schlacht bei  Tournay,  die  Mäuseplage  des  Erzbischofs 
Otho,  die  Prophezeiung  der  zwei  Juden  an  Leo  den  Isau- 
rier,  die  Bestrafung  Heinrichs  V.  für  seine  Usurpation 
durch  Hämorrhoiden,  die  Engelserscheinungen  der  Jung- 
frau von  Orleans*-)  Auch  die  nicht  wunderhafte  Über- 
lieferung ist  ihm  vielfältig  verdächtig*  Er  glaubt  nicht 
an  die  ungeheuren  Zahlen  der  verwüstenden  Heere  der 
Völkerwanderung  —  wie  hätte  man  sie  denn  ernähren 
sollen?  —  die  Furcht  übertreibt,  und  es  ist  immer  eine 
Minderheit,  von  der  die  großen  neuen  Bewegungen  aus- 
gehen.^) Er  glaubt  nicht  an  die  alten  Geschichten  der 
Franken,  die  ihren  Ursprung  auf  Francus,  den  Sohn  Hek- 
tors,  zurückführen.  Die  Geschichten  von  Gregor  von 
Tours  stehen  auf  gleicher  Stuie  wie  die  von  1001  Nacht. 
Gregor  ist  ein  Herodot,  nur  weniger  unterhaltend.^)  Der 
Qualentod  der  Königin  Brunhilde  z.  B.  ist  ihm  nicht  sehr 

*)  Ibid.  XVH*    DicL  phil:  Constantin;  Vision  de  Constantin. 
^  Essai  0^.197.    Oict   phlL:   Pr^jug^s«    Noliv>  consid^rations 
Bur  rhistoire.    Charles  XII,  Prdface  1748. 

*)  Commentaire  sur  l*Espril  des  Lois*   Des  Francs, 
*)  Dieu   et   les   hommes    14.    Pyrrhonisme  18,    Essai,   Intro- 
ductton  c.  &2. 


I 


Probleme  d.  tust  Methode  ti.d  Geschieh lspliilo9Ciphie\'0]täires>  Sf^ 


wahrscheinlich.^)  Er  stellt  die  Cberlielerung  in  Frage« 
rnach  der  die  Schändung  der  Tochter  des  Grafen  Julian 
'den  Anlaß  zor  Herbeirufung  der  Mauren  gab;  diese  Tat- 
sache ist  so  wenig  bezeugt  wie  die  Schändung  der  Lukre- 
tia.^)  Das  salische  Gesetz  war  ursprünglich  nicht  ein 
altes  Staatsgrundgesetz  lür  die  Kronen,  sondern  nur  eine 
Bestimmung  für  gewisse  Allodien,  also  jedenfalls  kein 
Fundamentalgesetz  des  Reichs,  das  wurde  es  erst  durch 
stillschweigende  allgemeine  Übereinkunft.  Dieses  salische 
Gesetz  ist  sicher  eine  der  törichtesten  Wahnvorstellungen, 
mit  denen  man  uns  je  geloppt  hat.  Schriftlich  fixierte 
Gesetze  gab  es  in  Frankreich  erst  unter  Karl  VIL^)  Da0 
die  Lehen  erst  nach  der  Zeit  Hugo  Capets  erblich  wur- 
den, ist  falsch.*)  Daß  die  ägyptischen  Emire  Ludwig  dem 
Heiligen  ihre  Krone  anboten,  wie  Joinville  sagt,  daß  der 
Alte  vom  Berge  zwei  Mörder  nach  Paris  abgesandt  und 
wieder  zurückberuten  habe,  daß  Johanna  von  Navarra 
ihre  Liebhaber  nachträglich  in  den  Fluß  werfen  ließ,  der- 
lei Dinge  gehören  zum  Volksgerede. ^)  Die  Verfasser- 
schaft des  Buchs  über  die  drei  Betrüger  wird  sehr  zu 
Unrecht  Friedrich  IL  zugeschrieben.  Die  Zeit  war  noch 
nicht  wissenschaftlich  und  kritisch  genug  für  ein  solches 
Werk.^)  Das  Wort,  das  man  einem  Papst  zusch reihte 
(nach  Voltaire  Bonilaz  VUL):  „Was  hat  uns  doch  die  Fabel 
von  Christus  eingebracht",  erklart  er  für  historisch  sehr 
unwahrscheinlich.')  Die  Anklagen  gegen  die  Templer 
sucht  er  als  verleumderisch  zu  erweisen,  ihre  Hinrich- 
tung war  ein  großer  kirchlicher  Justizmord.*)  Er  be- 
2weilelt,  daß  Karl  IV.  Kurstimmen  für  sich  und  später 
für   seinen   Sohn   gekauft  habe/*^)     Die  Geschichte   vom 


()  Ibid. 

*)  Essai  c.  27- 

*)  Essai  c.  75.    Dict.  phiL:  PranCt 

*)  Ibid.  c.  %. 

»i  Charles  Xtl,  Pr^face  1748;  Essai  c*  58.    Pfrrhoniirtic  16. 

•)  Annales,  Fr^ddric  IL 

^)  Essai  c.  65. 

•>  Ibid.  c,  66,    Pyrrhonisme  39, 

*)  Annates,  Charks  IV. 


374 


Paul  Sakmann, 


Apfelschuß  Teils  ist  sehr  verdächtig,  um  so  mehr,  da 
sie  aus  einer  alten  dänischen  Legende  entlehnt  zu  sein 
scheint,*)  Er  zieht  den  Gebrauch  von  Kanonen  in  der 
Schlacht  bei  Cr^cy  in  Zweifel  und  leugnet  ihren  Einfluß 
auf  den  Ausfall  der  Schlacht,  bestreitet  die  schlechte  Be- 
handlung, die  Eduard  ML  den  sechs  patriotischen  Bür- 
gern von  Calais  habe  widerfahren  lassen,  den  Sturm 
und  Hagel,  der  nach  Daniel  und  M^zerai  Eduard  IIL  zum 
Frieden  gestimmt  haben  soll,  —  so  fromm  sind  Eroberer 
nicht  — ,  die  Dysenterie  des  englischen  Heeres  bei  Azin- 
court  und  die  sinnlosen  Grausamkeiten  Mohammeds  IL-) 
Die  Renaissance  beginnt  in  Mittelitalien  schon  vor  der 
Eroberung  von  Konstantinopel;  man  verdankt  sie  daher 
nicht  den  Flüchtlingen  aus  dieser  Stadt,  die  die  Italiener 
nichts  anderes  lehren  konnten  als  eben  Griechisch.  Von 
den  wahren  Wissenschaften  hatten  sie  kaum  eine  Ahnung, 
den  Arabern  verdankte  man  das  bischen  Naturwissen- 
schaft und  Mathematik,  das  man  damals  kannte.^)  Die 
Überlieferung,  die  Alexander  VL  an  dem  von  ihm  selbst 
für  andere  bereiteten  Gift  sterben  läßtj  ist  ihm  sehr  wenig 
wahrscheinlich.'*) 

Auch  in  der  Geschichte  der  neueren  Zeit  fehlt  es 
nicht  an  kritischen  Fragezeichen.  Der  Gedanke  einer 
Weltmonarchie,  den  man  Karl  V.  zuschreibt,  ist  so  un- 
historisch wie  die  gleiche  Behauptung  Ludwig  XIV.  gegen- 
über,^) Die  Behauptung,  der  Sohn  Franz'  L  sei  durch 
Karl  V,  vergiftet  worden,  ist  eine  dumme  Verleumdung, 
und  die  Hinrichtung  des  Mundschenken  Montecuculi  war 
ein  Justizmord.^)  Das  Wort,  das  man  Karl  IX.  in  den 
Mund  legt:  „Der  Leichnam  eines  Feindes  riecht  Immer 
gut",  hat  man  ihm  von  Vitellius  geliehen,  dem  es  zu- 
gehört.^)    Sehr   unwahrscheinlich    und   unpsychologisch 


^)  Ibid.  Albert  I,    Essai  c,  67, 

»)  Ibid.  c.  75L;  79.    Charles  Xlt,  Pr^face  1748. 

^)  Essai  c.  82. 

*)  Ibid,  c.  lOL    Pyrrhonisme  40. 

^)  Essai  c.  124. 

•)  Annales,' Charles-Quint. 

0  Essai  c.  171. 


I 


I 


Probleme  d,  hist  Method.  u, d.  Geschicbtspbilosophie  Voltaires.  375 

istj  daß  die  Herzogin  von  Montpensier  sich  Jacques 
Clement  preisgegeben  habe,  um  ihn  zur  Ermordung  des 
Königs  zu  bestimmen;  einem  fanatischen  Priester  zeigt 
man  den  Himmel  und  nicht  eine  Frau;  nicht  Liebesbriele 
fand  man  in  seinen  Taschen,  sondern  die  Geschichten 
von  Judith  und  Aod,')  Die  angebliche  Neuregelung  der 
europäischen  Karte  und  das  Projekt  eines  ewigen  Friedens, 
die  man  Heinrich  IV*  zuschreibt,  sind  Wahngedanken,  die 
ihm  nie  in  den  Sinn  kamen,  und  für  die  man  keinerlei 
Beweise  hat,^)  Man  schreibt  gerne  alle  großen  Dinge 
einem  Manne  zu^  wenn  er  etwas  Bedeutendes  getan  hat. 
So  hat  Richelieu  nach  dem  in  Frankreich  herrschenden 
Vorurteil  die  Waffen  Gustav  Adolfs  nach  Deutschland 
gerufen  und  allein  diesen  Umschwung  vorbereitet,  aber 
offenbar  hat  er  nichts  anderes  getan,  als  eben  die  Kon- 
junktur ausgenutzt.  Sein  eigenes  Interesse,  sein  Stolz 
und  sein  Rachebedürfnis  riefen  Gustav  nach  Deutschland, 
der  alles  durch  sich  selbst  tat  und  nur  geringe  Unter- 
stutzung  erhielt.^)  Bekannt  ist,  wie  Voltaire  nicht  müde 
wurde^dieAuthentie  des  Testaments  Richelieus  zu  bestreiten. 
Die  Gerüchte  von  einer  Ermordung  Gustav  Adolfs  sind 
grundlos*  Was  ist  natürlicher,  als  daß  ein  König,  der 
sein  Leben  wie  ein  Soldat  aufs  Spiel  setzt,  wie  ein  Soldat 
stirbt!*)  An  eine  Verschwörung  Wallensteins  wird  nun 
einmal  geglaubt;  dabei  weiß  man  durchaus  nicht,  worin 
sie  bestand.  Sein  eigentliches  Verbrechen  war,  daß  er 
das  Heer  an  seine  Person  kettete  und  sich  zum  unab- 
hängigen Herrn  dieses  Heeres  machen  wollte.  Zeit  und 
Gelegenheit  hatten  das  Weitere  gegeben.*)  Er  bestreitet 
die  Authentie  des  Briefes  der  Königin  Christina  in  Sachen 
der  Ermordung  Monaldeschis  an  Mazarin.^)  Er  schreibt 
sich  das  Verdienst  zu,  zuerst,  gegen  die  Meinung  von  ganz 
Europa,   auf  Grund  von   Notizen  Torcys   festgestellt  zu 


1)  Pyrrhomsme  31. 

')  Essai  c.  174  und  sonst. 

=)  Ibid*  c,  178. 

*)  Annalesj  Ferdinand  H. 

')  Ibid.  Pierre  le  Grand,  Pr^faee  VI!, 

*)  Fragments  sur  rinde  25. 


37^ 


Paul  Sakmann, 


haben,  daß  Ludwig  XIV.  nicht  das  Testament  Karls  [l 
diktiert  habe.\)  Auch  daraus  macht  er  sich  ein  Ver- 
dienstj  den  Verleumdungenj  die  über  den  Herzog  von 
Orleans  und  seine  Tochter  umhefan,  die  man  zu  einer 
wahren  Messalina  stempelte,  den  Boden  entzogen  zu 
haben.^) 

Interessant  sind  noch  einige  Negationen  Voltaires 
kulturhistorischer  und  völkerpsychologischer  Art.  Er  leug- 
net die  Tatsache  religiöser  Prostitution.  Oft  verteidigt 
er  „die  Damen  von  Babylon"  ernst  oder  spaßhaft  gegen 
die  „unglaublichen  Fabeln  Herodots  vom  Tempel  der 
Melitta**,  Denen  darf  man  keinen  Glauben  schenken,  die 
behaupten,  es  gäbe  Tempel^  die  der  Ausschweifung  ge- 
weiht seien;  denn  es  ist  ganz  unglaublich,  daß  die  Un- 
sittlichkeit  sich  in  religiösen  Zeremonien  betätigt  habe. 
Keine  religiöse  Gesellschaft  und  kein  religiöser  Brauch 
können  je  den  Zweck  gehabt  haben,  zum  Laster  zu  er- 
mutigen.^) Darum  verteidigt  er  auch  die  Manichäer  und 
Priscillianer  gegen  die  Verleumdungen,  nach  denen  ob- 
szöne Handlungen  einen  Teil  ihres  Kultus  ausgemacht 
haben. ^)  Ferner  hat  er  immer  gegen  Montesquieus  Dar- 
stellung die  despotischen  Staaten  in  Schutz  genommen, 
ja,  er  ist  sogar  geneigt,  den  Despotismus  als  Rechtstatsache 
überhaupt  zu  leugnen.  Man  kann  den  für  das  Menschen- 
geschlecht so  demütigenden  Gedanken,  es  gebe  Länder^ 
wo  Millionen  unaufhörlich  für  einen  einzigen  arbeiten, 
der  alles  verschlinge,  nicht  genug  bekämpfen.  Die  Be- 
hauptung, es  gebe  kein  Privateigentum  in  den  Staaten 
des  Großmoguls,  widerstreitet  zu  sehr  der  menschlichen 
Natur,  als  daß  sie  glaubhaft  wäre  und  beruht  wohl  au! 
einer  Verwechslung  von  der  Lehenseinrichtung,  wie  sie 
in  allen  Erobererstaaten  gefunden  wird.*^)  Derselbe  grobe, 
die  Menschheit  verleumdende  Irrtum  ist  der  türkischen 
Regierung  tausendmal   zu   Unrecht   nachgesagt   worden. 

*)  Memoire  pour  la  nouvdle  Edition  de  Louis  XIV* 

')  Pyrrhonisme   17. 

*)  Dict.  phil.:  Babel,    Essai  c.  143;  W* 

*)  Dict  phtl:  Zhle. 

*)  Essai  c.  143. 


I 


.■.d.1 


SfT 


W 


Aiicti  bäer  beruht  dv  MMm  i  iiilliiiiliiini  auf  einer  Verwechs^ 
lung  des  Pitvate^mtui^  mü  efMklien  LehenJ)  Dem 
Islam  sagt  man  mit  Unrecht  nach^  er  danke  setK  Aus- 
breitung nur  dem  Schwert;  er  sendet  auch  Missionare  aus, 
die  durch  das  Wort  wirken.^  Die  über  die  orientalischen 
Brättche  immer  schlecht  unterrichteten  Abendlinder  haben 
den  Orientalen,  den  Persem  z.  B.,  angedichtet^  sie  beten 
ihre  Könige  an,  das  ist  ein  MlBverslindnis,  das  auf  der 
Zweideutigkeit  des  betreHenden  Wortes  beruht;  das  so- 
woht  göttlich  Verehren  bedeutet  als  einfach:  Imiser  la 
main.^  Auch  die  Verbrettung  der  Menschenfresserei  in 
Amerika  ist  ihm  nur  ein  AusnahmetalL*) 

Das  Bild,  das  diese  Ausschnitte  aus  Voltaires  histo- 
rischer Kritik  ergeben^  bedarf  nun  einer  Ergänzung.  Vol- 
taires Spürsinn  hat  olt  überraschend  richtig  die  Stellen 
gesehen,  wo  die  Überlieferung  der  Prüfung  nicht  stand 
hält.  Aber  eine  solche  glückliche  Naturgabc  trat  keines- 
wegs die  Gewähr  immer  das  Richtige  zu  treHcn,  wenn 
sie  nicht  unterstützt  wird  von  der  in  langer  Tradition  8irh 
bildenden  wissenschaftlichen  Methode  der  Schule.  Wie 
schwer  eine  wahllose,  mehr  vom  Instinkt  ab  von  dt*r 
Methode  geleitete  Kritik  irren  kann,  zeigt  sich  nifKciuf^i 
deutlicher  als  an  der  Tatsache,  daß  auch  diest'i  rnill- 
trauische  Geist  hin  und  wieder  in  einer  lant  lUcherlicheii 
Weise  das  Opfer  des  Glaubens  an  die  Tradition  wird* 

Nicht  einmal  der  mythologischen  Rlc?mente  wciU  »ich 
dieser  Kritiker  ganz  zu  erwehren.  So  ItiUt  im  (*h  /,  II, 
dahingestellt,  ob  die  alten  Fabeln  von  den  Sutyrn,  1  aunt^n^ 
Centauren,  dem  Minotaurus,  nicht  doch  eine  gewiüä 
Grundlage  in  den  verbreiteten  Bestialitätsiünden  haben,'^) 
Die  „arabische"  Bacchussage,  die  »u  merkwürdige  Analo- 
gien mit  der  Mosesgeschichte  aufweist,  hat  ohne  Zwellel 
eine  geschichtliche  Grundlage.  Die  Reise  deti  ßacchUM  nn*  li 
Indien  ist  so  sicher  wie  überhaupt  ein  l^reignli  der  alten 


*)  Fragments  sur  linde  V. 
*)  Essai  c.  197, 
*)  Bible  expllqude,  Esther. 
*)  Charles  XII,  Pr^face  1748. 
^)  TraJt^  sur  la  tol^rance  XIL 


f^^  Paul  Säkmann, 

Geschichte  sein  kann;  noch  sicherer  ist  allerdings,  daß 
die  Araber  sie  mit  mehr  Fabeln  ausschmückten  als 
nachher  1001  Nacht. ^)  Er  scheint  an  die  geschichtliche 
Existenz  von  Herkules,  Theseus,  Orpheus  zu  glauben^; 
ebenso  werden  Minos  und  Numa  als  geschichtliche  Per- 
sönlichkeiten  angenommen,^  Romulus  wird  wohl  über 
3000  Banditen  regiert  haben.^)  Atlas,  ein  mauretanischer 
Fürst,  wird  wohl  ein  berühmter  Astronom  gewesen  sein 
und  eine  Armillarsphäre  konstruiert  haben.  Die  Alten,  die 
sich  immer  allegorisch  ausdrückten,  verglichen  diesen 
Fürsten  mit  dem  Berg,  der  seinen  Namen  tragt,  weil  er 
seinen  Gipfel  in  die  Wolken  erhebt.*)  Die  einzigen  un- 
anfechtbaren schriftlichen  Denkmale  des  Altertums  sind: 
die  Sammlung  astronomischer  Beobachtungen  von  Baby- 
lon, die  Alexander  nach  Griechenland  sandte,  und  die 
bis  in  das  Jahr  2234  zurückgehen  und  die  alte  Kultur 
der  Babylonier  erweisen,  das  zweite  die  in  China  berech- 
nete zentrale  Sonnenfinsternis  vom  Jahr  2155  v.  Chr.,  und 
das  dritte  die  Marmortafeln,  die  Lord  Arundel  aus  Griechen- 
land heimbrachte  mit  der  athenischen  Chronik  vom  Jahr 
263  V,  Chr»  Hier  ist  die  Einnahme  Trojas  datiert,  ebenso 
die  Erfindung  von  Triptolemos  und  Ceres  und  die  Ein- 
weihung des  Herkules  in  die  eleusinischen  Mysterien, 
aber  ohne  alle  Beifügung  von  legendarischen  Zügen  und 
deshalb  in  glaubhafter  Weise.  Dazu  kommen  dann  noch 
die  ägyptischen  Königspaläste  und  die  Pyramiden.^) 

Zum  Schluß  eine  Äußerung,  die  autVoltaires  religions- 
geschichtliche Anschauungen  ein  Licht  wirft:  Zoroaster 
bei  den  Persern,  Thaut  bei  den  Agypternj  Brama  bei  den 
Indern,  Orpheus  bei  den  Griechen,  sie  alle  riefen  den 
Menschen  zu:  Liebet  Gott  und  den  Nächsten,')  Eine  selt- 
same Ironie  des  Scfiicksals  hat  es  gewollt,  daß  dieser  radi- 


^)  Dieti  et  les  hommes  XI;  Fragments  sur  Unde. 

■)  Rdflexions  pour  les  sots*    Philosophe  Ignorant  52. 

*)  Dieu  et  les  hommes  VL    Discours  de  l'empereur  Julien. 

*)  Dict.  phil:  D^nombrement 

*)  Ibid.  Augustin. 

')  Ibid.  Histoire  J. 

')  Homdlie  du  pasteur  Bourn, 


4 


ProbI  em  e  d « h t  s  t.  M  et  hod .  u .  d.  G  es  ch  i  c  h  tsphilo  so  phi  e  V  olt  a  l  re  s .  379 

kale  Aufklärer  in  seinen  Studien  über  die  orientalische,  spe- 
ziell die  indische  Religionsgeschichte  das  Opfer  des  litera- 
rischen Betrugs  eines  katholischen  Missionars  geworden 
ist.  Der  sog,  Ezour-Veidam,  auf  dessen  Kenntnis  er  sich 
so  viel  zu  gut  tut,  den  er  das  kostbarste  Manuskript  des 
ganzen  Orients  nennt *)j  und  den  er  so  oft  gegen  die 
christlichen  Urkunden  ausspielt^  ist  eine  christliche  Fäl- 
schung und  Travestie  der  alten  Veden  mit  der  Tendenz, 
die  Hindus  dem  Christentum  zu  gewinnen. 


^)  Defense  de  mon  oncle  13. 


Literaturbericht 


Walther  Jucteich,  Topographie  von  Athen.  (J,  v,  Müller,  Hand- 
buch der  klasöischen  AUertumswlssenschaft.  Bd.  3,  Abt.  2, 
Teil  2*)    München,  C.  H.  Becksche  VeHagsbuchhdlg,    1905. 

Fast  ein  Jahrhundert  hat  an  der  Forschung  über  die 
Topographie  Athens  gearbeitet,  ehe  eine  einigermaßeti  ab- 
schließende Gesamtbehandlung'^  in  dem  vorliegenden  Buch 
erreicht  worden  ist  Der  Begründer  der  wissenschaftlichen 
Topographie  Athens  ist  W*  Martin  Leake  (I82t.  1841),  der 
vor  K,  0.  Müller  (1820)  den  Vorzug  der  Autopsie  voraus 
hatte.  Forchhammers  Versuch  {1841),  den  Mauerumfang  und 
die  Lage  des  Marktes  (auf  dem  Westabhang  der  Akropotis, 
nicht,  wie  Judeich  S*  24  sagt^  im  Kerameikos)  anders  zu  be- 
stimmen ^  bezeichnete  einen  Rückschritt  Das  überaus  sorg- 
lältige  Werk  von  Curt  Wachsmuth  {1874.  1890)  blieb  in  dem 
eigentlich  topographischen  Teüe  früh  stecken,  wofür  eine  kurz 
vor  Wachsmuths  Tod  erschienene  kurze  Übersicht  (IW3) 
keinen  ausreichenden  Ersatz  zu  bieten  vermag*  Nach  kürzeren 
Darstellungen  Milchhöfers  (1885)  und  Lollings  (1889,  in  der 
ersten  Auflage  des  Mülle rschen  Handbuches)  gab  Ernst  Curtius 
seinen  fünfzig  Jahre  hindurch  betriebenen  Studien  einen  Ab- 
schluß in  seiner  ,^ Stadtgeschichte  von  Athen"  (1891),  für  die 
der  Gesichtspunkt  der  geschichtlichen  Entwicklung  des  Stadt- 
bildes im  Vordergrunde  steht.  Jetzt  bietet  uns  J*  die  Frucht 
zehnjähriger,  ebenso  mühsamer  wie  entsagungsvoller  Arbeit 
Sein  Buch  ist  einmal  ein  überaus  sorgfältiges  Repertorium, 
mit  vollständiger  und  zuverlässiger  Angabe  aller  antiken 
Zeugnisse   und    aller   modernen    Forschung   und   Kontrovers- 


literaturj  olt  aus  den  entlegensten  Quellen  geschöpft;  es  ist 
aber  viel  mehr,  indem  es  den  ganzen  verwickelten  Stoff  klar 
und  übersichtlich  gruppiert  und,  so  weit  das  mögUch  ist,  in 
ansprechender  Weise  zur  Darstellung  bringt.  Wer  den  Fragen 
selbst  Interesse  entgegenbringt,  wird  überall  dem  Vf,  gern  und 
ohne  allzugroße  Beschwer  folgen ;  daß  alle  topographische 
Wanderung  gelegentlich  durch  Gestrüpp  führt,  läßt  sich  eben 
nicht  vermeiden  l 

Auf  eine  einleitende  Übersicht  über  die  bisherigen  Be- 
handlungen und  über  die  Hilfsmittel  der  topographischen 
Forschung  im  weitesten  Verstände  folgt  als  erster  Teil  die 
Stadtgeschichte  (S.  40 — 106),  in  der  nicht  bloß  die  großen 
Gnindzüge  der  allmählichen  Entwicklung  und  Umbildung  des 
alten  Athen  von  den  Urzeiten  bis  auf  die  Gegenwart  dar- 
gelegt werden,  sondern  auch  jedem  Werke  und  jeder  Notiz 
nach  Möglichkeit  ihr  geschichtlicher  Platz  angewiesen  wird. 
Ein  zweiter  Teil  beschäftigt  sich  mit  der  Stadteinteilnng, 
wobei  natürlich  die  Doppehtadt^  Athen  und  ihr  Hafenort 
Peiräeus,  gleichmäßig  berücksichtigt  werden*  Hier  kommen 
die  allgemeinen,  das  ganze  Gebiet  betreHenden  Fragen,  Aus- 
dehnung und  Befestignng  der  Stadt,  zur  Erörterung,  ferner  die 
wichtige  Frage  nach  der  Verteilung  der  Namen  auf  das  Stadt- 
gebiet, nach  Stadtvierteln,  Straßen,  Wasserbauten,  Endlich 
bringt  der  dritte  Teil  die  auf  Jede  Einzelheit  eingehende 
Stadtbeschreibung,  übersichtlich  geordnet  nach  den  Ab- 
schnitten Burg,  Burgabhänge,  Unterstadt,  Vorstädte  und  Hafen- 
stadt, Ein  genaues  Register  und  drei  gut  gearbeitete  Karten 
(Athen,  Akropolis,  Peiraeus)  vervollständigen  da$  durchaus 
erfreuliche  Buch, 

Ich  könnte  hier  in  einer  nicht  an  Philologen,  sondern  an 
weitere  Kreise  der  Historiker  sich  wendenden  Zeitschrift  meine 
Besprechung  schließen,  wenn  es  mir  nicht  am  Herzen  läge, 
zwei  auch  den  Historikern  naheliegende  Personen,  Thukydides 
und  PerikleSp  in  bestimmten  Punkten  gegen  J*  in  Schutz  zu 
nehmen.  Bekanntlich  hat  in  neuerer  Zeit  niemand  energischer 
gewisse  Fragen  athenischer  Topographie  durch  Spaten  und 
Wort  gefördert  als  Dörpfeld,  Während  Curtius  dessen  Er- 
gebnisse durchweg  ablefinte,  nimmt  J.  sie  größtenteils  an, 
wenn  auch  niemals,  was  ich  bestimmt  hervorheben  möchte, 

Historische  ZeitsoliriH  (^7,  Bd.)  3.  Polgft  L  Bd,  25 


3S2  Literaturbencht 

ohne  eigene,  bis  ins  Einzelne  gehende  Nachprüfung*  Dennoch 
hat  er  sich  meines  Erachtens  gelegentlich  durch  DörpfeSd  oder 
Anhänger  desselben  irreiühren  lassen.  Dafür  zwei  Beispiele. 
In  einer  vielbesprochenen  Stelle  spricht  Thukydldes  (2, 15) 
die  Ansicht  aus,  vor  Theseus  habe  die  Stadt  Athen  aus  der 
Burg  und  der  „unterhalb  der  Burg  zumeist  gegen  Süden 
belegenen"  Gegend  {to  I-ti  arxit*  Ti^og  votqi'  ftdXtaia  Tiz^ufAftiinr) 
bestanden.  Dafür  bringt  er  als  Beweis  (Ttxfiri^ior)  die  Tat- 
sache, daß  die  Hauptheiügtümer  teils  auf  der  Burg  selbst,  teils 
draußen  ,,mehr  nach  jener  Stadtgegend''  lägen:  die 
Heiligtümer  des  olympischen  Zeus,  des  pythischen  ApoUon, 
der  Ge  und  des  ,j Dionysos  im  Brühl"  {fy  ^i^ratg).  Iti  der  Tat 
liegen  die  drei  ersten  Heiligtijmer  nachweislich,  wie  auch 
J,  (S*  54 f*)  annimmt,  im  Südosten  der  Burg;  also,  sollte  man 
denken,  wird  man  auch  den  Brühl,  die  ^//i^'ai,  in  jener  Stadt- 
gegend »zumeist  gegen  Süden**  zu  suchen  haben.  Weit 
gefehlt  I  Die  Limnai  sollen  genau  im  Westen  der  Burg  gelegen 
haben;  im  thukydideischen  Texte  sollen  „anscheinend*  die 
ersten  drei  Heiligtümer  als  Ganzes  dem  Dionysion  in  den 
Sümpfen  entgegengestellt  werden  (S.  55).  Hier  ist  der  Wunsch 
der  Vater  des  Anscheins,  denn  der  thukydideische  Text  gibt 
nicht  die  leiseste  Andeutung :  mit  ji-j((M-xai-nm  werden  die  vier 
Heiligtümer  aneinander  gereiht.  Aber,  sagt  J.  (S.  54),  »von 
vornherein  muß  man  annehmen,  daß  in  dem  „überwiegend 
nach  Süden  zu  gekehrten  Teil"  des  Burgabhangs  [das  steht 
nicht  da:  der  Gegend  unterhaJb  der  Burg]  notwendig  auch  ein 
Teil  des  Westabhangs  mit  einbegriffen  war,  denn  von  dorther 
war  der  natürliche  Zugang  zur  Burg,  dort  lag  das  einzige 
große  Torvorwerk  der  Burgstadt.*  Demgemäß,  sagt  J,  spater 
(S,  263),  ^wissen  wir  aus  Thukydides  berühmter  Stelle^  daß 
es  [das  Dionysion]  nicht  zu  fern  von  der  Burg  zwischen 
SO.  und  NW*  gesucht  werden  muß"l  Also  die  Richtung 
»zumeist  gegen  Süden*^  reicht  bis  nach  Nordwesten  [  Hätte 
Thukydides  das  sagen  wollen,  so  würde  er  n^hc  rovot-^  fiakittTa 
xat  n^og  dvfTfidg  gesagt  haben;  wenn  er  aber  vier  Heiligtümer 
nennt  zum  Beweise,  daß  die  Stadt  sich  „zumeist  nach  Süden* 
erstreckt  habe^  so  müssen  alle  diese  vier  Heiligtümer,  wie  es 
von  dreien  von  ihnen  feststeht,  eben  gegen  Süden  gelegen 
haben,  oder  wir  machen  den  klaren,  logischen   Thukydides 


Alte  Geschichte. 


383 


zum  unklaren  Stammlen  Eben  gegen  diese  Verunglimpfung 
möchte  ich  ihn  —  nicht  allein  gegen  J,  —  in  Schutz  nehmen. 
Dabei  wäre  es  ja  an  sich  möglich^  vielleicht  sogar  wahrschein- 
lich, daß  auch  ein  Teil  jener  alten  Stadt  aul  dem  Westabhange 
gelegen  habe,  nur  erwähnt  Thukydides  das  nicht,  und  es  fällt 
ganz  aus  seinem  Beweise  heraus. 

Gegen  Thukydides  klares  und  meines  Erachtens  nur  einer 
einzigen  Deutung  fähiges  Zeugnis  über  das  Dionysosheiligtum 
im  Brühl  verschlägt  es  auch  nichts ^  daß  sich  im  Westen  der 
ßurg,  unterhalb  des  Areopags,  in  der  Tat  ein  kleines  Dionyston 
mit  Keltern  gefunden  hat  Diese  Keltern  (Xr^ifof)  sollen  den 
Platz  als  ^ir^yatoy  sicherstellen,  mit  dem  Lenaion  aber  war  der 
Dionysos  in  den  Limnat  mit  seinem  Lenlenfeste  verbunden; 
manche  einzelne  Umstände  werden  weiter  dafür  geltend  ge- 
macht (S«  261  ff.)  Selbst  wenn  das  alles  sich  so  verhielte ,  so 
müßte  die  Kombination  an  der  Thukydidesstelle  scheitern^  zu 
<!eren  Mißdeutung  eben  jener  Fund  den  Anlaß  gegeben  hat. 
Man  kann  aber  das  Fest  der  ^fyaia  und  den  aytot'  int  ^^i^yaiw 
unmöglich  trennen  von  dem  ionischen  Monat  Aiji^am\*;  der 
aber  war  kein  ^Keltermonaf,  sondern  ein  harter  Wintermonat, 
, lauter  böse,  rindschindende  Tage"*  wie  Hesiodos  klagt.  Da 
paßt  keine  Ableitung  von  Ij^i^og,  so  oft  auch  diese  Etymologie 
eines  späten  Scholiasten  {z\x  Aristoph,  Ach,  201)  wiederholt 
wird,  sondern  schon  1869  hat  Ribbeck  auf  ^»'ai  ^Bakchantinnen*" 
und  hj]mi^Hv  „schwärmen^  hingewiesen,  ionische  Bezeichnun- 
gen, die  zu  demionischen  Dionysos  ^y*  ^i^t^atg  passen  (daß 
er  von  lonien  gekommen  sei,  hat  Wilamowitz  nachgewiesen). 
Die  Winterkulte  des  Dionysos  hatten  meistens  orgiastischen 
Charakter,  so  also  auch  das  „Schwärmfest"^  der  Lenäen;  das 
Lenaion  hatte  seinen  Namen  von  dem  schwärmenden  Dionysos 
Lenaios  selbst  oder  von  den  , Schwärmerinnen*  in  seinem 
Gefolge.  Jener  kelterreiche  Bezirk  am  Areopag  hängt  freilich 
dennoch  mit  Dionysoskultus  zusammen,  nur  liegt  er  nicht 
in  den  Limnai  und  ist  daher  auch  nicht  das  Lenaion. 

Wenn  ich  über  diesen  Teil  der  Thukydidesstelle  J*  ent- 
schieden widersprechen  muß,  so  möchte  ich  anderseits  seiner 
völligen  Trennung  des  besprochenen  Beweises  von  dem  un- 
mittelbar folgenden  Beweise,  der  aus  der  Nähe  der  Kallirroe- 
Enneakrunos    bei^  der  Burg   entnommen    ist,   ausdrucklich  zu- 

25* 


3M 


L I  ter  aturben  ch  t. 


stimmen*  Hiermit  stimmt  Dörpfelds  Nachweis  des  großen 
Stadtbrunnens  300  m  westlich  von  der  Burg  überein;  zugleich 
ist  damit  die  örtliche  Reihenfolge  der  Stadtbeschreibung»  deren 
Nachweis  Dörpfeld  zu  seinen  Untersuchungen  veranlagt  hat, 
sichergestellt  Die  Liinnaitrage  ist  davon  ganz  unabhängig; 
Pausanias  erwähnt  weder  die  Limnai  noch  das  Lenaion. 

Mein  zweites  Bedenken  gegen  J,s  Darstellung  betrifft  die 
verschiedenen  Athenatempel  der  Burg,  deren  es  bekanndicb 
drei  gibt:  das  ^Erechtheion",  den  Parthenon,  und  zwischen 
ihnen  das  Hekatompedon.  J^  kommt  zu  folgenden  Ergeb- 
nissen, Als  ältester  Athenatempel  gilt  ihm  wie  anderen 
der  von  Dörpfeld  so  glücklich  wieder  entdeckte  Tempel, 
dessen  Grundmauern  seit  1S85  auf  künstlich  aufgemauerter 
Fläche  südlich  über  dem  i,Erechtheion"  zutage  liegen.  Der 
Tempel  enthält  bekanntlich  ein  älteres,  100  Fuß  langes  Tem- 
pelhaus, ein  Hekatompedon,  mit  völlig  geschiedener  östlicher 
Cella  und  westlicher  Gruppe  dreier  Zimmer;  ringsherum  eine 
später  hinzugefügte  dorische  Ringhalle.  Daß  die  östliche 
Hälfte  Athena  zu  eigen  gewesen  sei,  bezweifeh  niemand ;  den 
größten  der  Westräume  weist  J*  (S,  242)  mit  Furtwängler  dem 
Erechtheus  zu  —  ganz  konsequent,  da  er  in  dem  ganzen  Bau 
den  in  der  Uias  2,  549  erwähnten  Tempel  erblickt,  in  dem  dort 
Athena  dem  Erechtheus  einen  festen  Platz  angewiesen  hatte. 
Hephästos  und  Butes,  Erechtheus  spätere  Kultgenossen, 
müssen  wohl  oder  übel  mit  den  „allerdings  nur  schwach  be- 
leuchteten", d.  h»  stockfinsteren  Nebenkammern  dieses  West* 
raumes  vorlieb  nehmen.  Die  Vervollständigiing  des  fieka- 
tompedon  zu  einem  Peripteros  wird,  wie  allgemein,  dem  Ende 
der  Peisistratidenherrschaft  zugeschrieben.  Dann  folgt,  gemäß 
Dörpfelds  überzeugendem  Nachweis,  in  republikanischer  Zeit 
in  doppeltem  Anlauf  Fundament  und  Beginn  eines  neuen 
großen  Tempels  an  der  Stelle  des  späteren  Parthenon;  der 
persische  Brand  von  479  zerstört  die  marmornen  Anfänge^ 
ebenso  wie  er  das  Hekatompedon  seiner  Ringhalle  beraubt 
und  auf  das  ursprüngliche  Tempelhaus  beschränkt»  Als 
nun  454,  oder  nach  dem  von  Keil  herausgegebenen,  überall 
zuverlässigen  Straßburger  Papyrus  450,  der  Bundesschatz  von 
Delos  auf  die  Burg  verbracht  wurde,  bedurfte  es  eines  Schatz^ 
hauses,   des   oft   genannten  Opisthodomos,    den  J,  in    einem 


I 
I 


I 


I 


Alte  Geschichte. 


3S5 


selbständigen,    westhch   unterhalb    des   Parthenon   gelegenen 

Bau  von  reichlich  600  qm  Flächeninhalt  (meistens,  aber  falsch, 
Chalkothek  genannt)  wiedererkennen  möchte*  Dies  wäre  ganz 
annehmbar,  wenn  nur  jemals  —  außer  in  ganz  späten ^  jeder 
Anschauung  enfb ehrenden  Scholien  —  das  , Hinterhaus**  etwas 
anderes  als  den  hinteren  Teil  eines  Gebäudes  bezeichnete 
(z.  Bi  die  Hinterhalle  des  olympischen  Zeustempels),  so  gut 
wie  Pronaos  den  Vorderteil  des  Tempels,  aber  keinen  selbst- 
ständigen Bau  vor  dem  Tempel  bedeutet.  Nach  Mikhhofer 
und  J*  soll  aber  das  ^Hinterhaus*  ein  Haus  sein  hinter  —  ja 
hinter  wem  denn  eigentlich?  Der  Tempel,  hinter  dem  J*s 
Opisthodom  liegt,  war  ein  seit  einem  Menschenalter  im  Stich 
gelassenes  Fundament,  das  erst  einige  Jahre  später  für  den 
Parthenon  benutzt  ward.  Zunächst  wäre  also  dieses  Opis- 
thodom ein  „Hinterhaus"  ohne  Vorderhaus  gewesen,  ein  Opis- 
thodomos  en  Tair. 

447  beginnt  nun  der  Bau  des  Parthenon,  der  438  unter 
Dach,  also  im  großen  und  ganzen  fertig  ist.  J.  ist,  meines  Er- 
achtens  mit  vollem  Recht,  der  Ansicht,  daß  er  als  Ersatz  des 
alten  Hekatompedon  gedacht  gewesen  sei  (S.  233,  240).  Die 
Anlage  ist  in  der  Tat  die  gleiche,  nur  vergrößert,  und  die 
Westhällte  hat  statt  der  drei  Kammern  nur  einen  großen  drei- 
schiff igen  Raum.  Da  nun  aber  J.  das  Hekatompedon  an 
Athena  und  Erechtheus  verteilt  hat,  so  muß  er  folgerichtig 
dies  auch  auf  den  Parthenon  übertragen  und  hält  den  west- 
lichen Saal  für  ursprünglich  dem  Kult  des  Poseidon- Erechtheus 
bestimmt  (S.  223);  allein  „aus  nicht  sicher  erkennbaren  Gründen, 
vielleicht  weil  er  zu  weit  ablag  von  den  heiligen  Malen 
[Athenas  Ölbaum  und  Poseidons  Salzquell,  den  Denkzeichen 
des  Götterstreites],  ist  der  Kult  nicht  dahin  überführt  worden", 
sondern  der  Westsaal  „blieb  immer  zur  Verfügung"  und  ward 
nur  für  Allotria  gebraucht.  Man  mache  sich  klar,  was  das 
heißen  willl  Die  Athener,  an  ihrer  Spitze  Perikles  als  Vorstand 
der  Baukommission,  errichten  mit  ungeheueren  Kosten  und 
mit  unerhörter  Pracht  einen  großen  Marmortempel,  dessen  eine 
Hälfte  (ein  Raum  von  über  250  qm  Fläche  und  etwa  3400  cbm 
Inhalt  nebst  großer  Vorhalle),  als  der  Bau  nach  neun  Jahren 
endlich  fertig  ist,  sich  als  völlig  unnütz  erweist,  als  ein  Pracht- 
raum, der    seinen  Zweck   völlig   verfehlt   hat!     Wußte    man 


r 


386  Literaturbericht 

denn  nicht  vorher,  daß  die  Salzquelle  70  m  entfernt  mar? 
Oder  hatte  man  sich  das  nur  nicht  recht  überlegt?  Da  haben 
wir  uns  allerdings  Perikks  ganz  falsch  als  einen  ernsten 
Mann,  der  seine  Pläne  sorgfältig  vorher  erwog,  vorgestellt^ 
und  der  ältere  Thukydides  hatte  ganz  recht,  gegen  die  ,  Tempel 
für  tausend  Talente ''  zu  eilern,  wenn  man  Staatsgelder  so 
zwecklos  vergeudete!  Dann^  blieb  freilich  auch  nichts  übrig, 
als  auf  einen  neuen  Ersatz  für  den  allzu  altmodischen,  seiner 
Säulen  beraubten  Kasten  des  Hekatompedon  zu  denken  und 
einen  zweiten,  kleineren,  aber  in  seiner  Art  nicht  minder 
kostbaren,  Tempel  zu  bauen,  das  sog*  pErechtheion*;  denn 
auch  dieses  sieht  J,  (S.  240.  243)  als  bestimmt  das  Hekatom- 
pedon zu  ersetzen  an.  Nun,  hatten  sich  die  Athener  beim 
Bau  des  Parthenon  als  blind  erwiesen,  diesmal  fanden  sie 
eine  Perle;  denn  dieser  Neubau  kam  nun  endlich  an  die  Stelle, 
wo  der  Doppelkult  der  Athena  und  des  Erechtheus  von 
Anfang  an  seinen  richtigen  Platz  hatte,  an  die  Stelle  jener 
Wunderzeichen,  die  schon  Herodot  8,55  —  wenn  man  nur 
nicht  ohne  Not  am  Texte  schlimmbessern  will  (J<  S*  239 
Anm,)  —  als  im  Tempel  des  Erechtheus  belindlich  kennt. 
Vielleicht  verfuhren  die  Athener  diesmal  nur  deshalb  be- 
sonnener, weil  ein  so  leichtsinniger  Mensch  wie  Perikles  nicht 
mehr  am  Leben  war. 

So  ungern  ich  das  einem  so  ernsten  und  verdienten 
Forscher  wie  J,  gegenüber  ausspreche,  mir  scheint  seine  Be- 
handlung der  Burgtempel  einen  argen  Rückschritt  zu  be- 
zeichnen. Die  hervorgehobenen  Seltsamkeiten  haben  aber 
das  Gute,  die  Ungangbarkeit  des  noch  immer  vielfach  — -  nicht 
blo0  von  J.  —  betretenen  Weges  zu  zeigen.  Der  erste  Haupt* 
Irrtum,  der  andere  nach  sich  gezogen  hat,  ist  die  von  Furt- 
wängler  entlehnte  Ansicht,  daß  ^ein  Raum  im  Tempel,  der 
allein  als  Schatzkammer  diente,  für  so  alte  Zeit  nicht  bekannt 
sei"  (S.  242),  daher  die  Westzimmer  des  Hekatompedon  Kult- 
gemächer sein  müßten.  Seit  Furtwängler  dies  behauptete  (1893), 
haben  wir  gelernt,  daß  der  etwa  gleich  alte  Tempel  in  Korinth, 
der  die  gleiche  Einteilung  in  eine  geschiedene  Ost-  und  West- 
hälfte aufweist,  einer  einzigen  Gottheit,  ApoUon,  angehörte; 
also  war  seine  Westhälfte  kein  Kultgemach,  sondern  ohne 
Zweifel   eine  Schatzkammer.    Ganz  das  Gleiche  gilt  von  dem 


^ 


Alte  Geschiebte, 


aer 


neuerdings  genauer  untersuchten  Heräon  in  Platää;  auch  hier 
geschiedenes  Ost-  und  Westgemach,  und  doch  eine  einzige 
Tempelinhaberin-  Für  die  selinuntischen  Tempel  wird  uns 
die  Verwi^endung  als  Schatzkammern  ausdrücklich  bezeugt 
(Thukydides  6,20);  nur  lagen  hier  die  Schatzräume  östlich 
vor  dem  Kultraume,  weil  der  ältere  Tempelbau  der  West- 
griechen überhaupt  keinen  Eingang  von  Westen  kennt,  sondern 
der  Tempel  dort  nur  durch  die  eine  Osttür  zugänglich  ist 
(Springer-Michaelis,  Handb.  d*  Kunstgesch*  1',  127),  Natürlich 
fällt  mit  der  Erechtheuscella  im  Hekatompedon  (dessen  dunkle 
Kammern  sich  in  der  Tat  viel  besser  für  Schatzräume  eignen) 
auch  die  angebliche  Erechtheuscella  im  Parthenon;  auch  hier 
kehren  wir  zu  der  alten  Annahme  eines  großen  Schatzraumes 
mit  Vorhalle  im  Westen  zurück-  Diese  westliche  Vorhalle 
heißt  nach  allgemeinem  Sprachgebrauch  Opisthodomos,  und 
ich  glaube  in  der  Tat  im  Archäologischen  Jahrbuch  1902  S,  24  !L 
nachgewiesen  zu  haben  (mit  Furtwanglers  Zustimmung),  daß 
dies  der  gesuchte  Opisthodomos  ist,  dessen  erste  Erwähnung 
eben  mit  der  Vollendung  des  Parthenon  und  der  Instand- 
setzung seiner  Räume  gleichzeitig  ist  und  damit  in  enger 
Verbindung  steht.  Im  Volksmunde  umfaßte  das  „Hinterhaus" 
auch  die  dahinter  liegende  große  Schatzkammer,  während  diese 
in  offizieller  Sprache  jinod-tfitU'  „Jungfrauengemach*  hieß,  nach 
Analogie  der  hinten  belegenen  Frauenabteilung  {yvyatKüfrhi^) 
des  Wohnhauses;  im  Hause  der  jungfräulichen  Göttin  wird 
das  Frauengemach  selbstverständlich  zum  Jungfrauengemach. 
Vor  der  Vollendung  des  Parthenon  bedurften  die  Athener 
keines  besonderen  Schatzhauses,  da  sie  sich  mit  den  West- 
räumen des  Hekatompedon  behelfen  konnten.  Ja,  die  Inangriff- 
nahme des  Parthenon  wenige  Jahre  nach  der  Überführung  des 
Bundesschatzes  nach  Athen  erklärt  sich  zu  gutem  Teil  aus 
dem  Bedürfnis  einer  größeren  und  festeren  Schatzkammer; 
der  ^Opisthodom*"  als  Schatzhaus  war  also  von  vornherein  ein 
Hauptzweck  beim  Bau  des  Tempels. 

Der  Irrtum  hinsichthch  der  Westräume  des  Hekatompedon 
hat  aber  noch  einen  anderen,  viel  bedeutenderen  zur  Folge* 
Waren  jene  Räume  Schatzkammern,  so  bleibt  im  Hekatompedon 
kein  Platz  für  Erechtheus*  Nun  beweist  aber  die  lliasstelle, 
daß  dieser  Athenas  Tempelgenosse  war,  und  Herodot  bezeugt 


3SS  Literaturbericht 

uns  einen  Erechtheustempelt  der  die  alten  Wundermale  umschloß. 
Also  spricht  die  llias  von  einem  anderen,  ohne  Zweifel  älteren 
Tempel,  der  beiden  Gottheiten  gemeinsam  war  und  (nach 
Herodot)  nördlich  vom  Hekatompedon  lag,  da  wo  das  Drei- 
zackmal  und  die  Zisterne  für  die  Salzquelle  noch  heute  sicht- 
bar zutage  liegen  und  die  Stelle  des  Ölbaumes  sich  mit  ge- 
nügender Sicherheit  bestimmen  läßt.  Das  soll  freilich  unmöglich 
sein,  aus  zwei  Gründen:  erstens  weil  an  jener  Stelle  keine 
Spuren  eines  älteren  Tempels  zum  Vorschein  gekommen  seien 
(S.  245),  sodann  weil  der  Ölbaum  niemals  in  einem  Tempel 
gestanden  haben  könne  (S.  239  Anm.).  Ersteres  beweist  nicht 
vielj  denn  der  an  jener  Stelle  nicht  sehr  tiefe  Baugrund  ist 
für  den  Neubau  des  „Erechthelon"  und  der  späteren  Kirche 
grundlich  umgewühlt j  überdies  noch  nie  in  seinem  ganzen 
Umfange  bis  au!  den  Felsen  untersucht  worden;  auch  wird 
der  alte  Tempel  ein  sehr  einlacher  Bau,  vielleicht  wesentlich 
aus  Luftziegeln  auf  steinerner  Basis  errichtet,  gewesen  sein, 
so  daß  er  wenig  Spuren  hinterließ*  Noch  viel  weniger  zieht 
der  zweite  Grund,  Das  ist  freilich  klar,  daß  der  Ölbaum  nicht 
in  einem  geschlossenen  überdachten  Räume  des  Tempels  ge- 
standen haben  kann.  Aber  im  milesischen  Didymäon  la^  der 
Hauptraum  unter  freiem  Himmel  und  umschloß  den  Lorbeer- 
baum»  unter  dem  Zeus  der  Leto  beigewohnt  hatte  (R;  Herzog 
in  den  Sitzungsberichten  der  Berliner  Akademie  1905,  S,  979  ff,}; 
im  ApoUontempel  von  Bassa  war  der  größte  Raum,  wie  wohl 
heule  allgemein  zugestanden  wird,  ein  ungedeckter  Hof;  im 
Kabirion  bei  Theben  schloß  sich  unmittelbar  an  den  Tempel 
der  kleine  ummauerte  Hol  an,  der  die  heilige  Opfergrube 
enthielt,  während  diese  sich  in  den  samothrakischen  Mysterien- 
iempeln  im  Tempel  selbst  befand.  Warum  soll  also  nicht 
etwas  Ahnliches  von  dem  alten  Erechtheustempel  gelten,  von 
dem  Herodot  ganz  deutlich  bezeugt,  daß  in  ihm  Ölbaum  und 
Salzmeer  sich  befunden  hätten?  Mit  diesem  Erechtheustempel 
war  dann,  wie  im  späteren  ^Erechtheion",  der  Athenatempel 
nach  dem  Zeugnis  der  lliasstelle  eng  verbunden;  beide  bildeten 
einen  Doppeltempeh  Wenn  Herodot  den  Erechtheustempel 
scheinbar  als  besonderen  Tempel  nennt,  so  ist  das  genau 
dasselbe,  wie  wenn  wir  den  späteren  Neubau  nach  seiner  einen 
Hälfte  als  »Erechtheion**  zu  bezeichnen  pflegen. 


L 


Alte  Geschichte 


Bei   dieser    Annahme  (wenn   man   sie   nicht  als   Beweis 

gelten  lassen  will)  wird  alles  klar  und  gewinnt  Zusammenhang. 
Natürlich  ist  dieser  Athena-Erechtheustenipei  an  der  Stelle 
der  Wundermale  der  ,Urtempel*  (d^/juog  nd^)  der  In- 
schriften, nicht  aber  das  Hekatompedon,  dem  doch  J.  diesen 
Namen  beilegt,  obschon  er  zugibt^  daß  er  ,mit  Sicherheit"  auf 
Grund  der  Inschrift  als  Hekatompedon  bezeichnet  werden  könne 
(S.  238);  kennen  wir  denn  noch  einen  anderen  Tempel  mit 
zwei  offiziellen  Namen?  So  können  wir  uns  auch  den  üblen 
Ausweg  ersparen,  den  Namen  un/aTog  yttig  vom  Hekatompedon 
auf  das  „Erechtheion*  überspringen  zu  lassen  (S,  243),  obwohl 
dieses f  wie  wir  sehen  werden,  nicht  zum  Ersatz  für  jenes 
bestimmt  war.  Südlich  oberhalb  des  „Urtempels"  entstand 
später  das  Hekatompedon,  wie  so  oft  (z.  B.  in  Rhamnus, 
in  Athen  selbst  bei  den  beiden  Dionysostempeln)  derselben 
Göttin  gewidmet  und  wohl  w^esentlich  um  der  Schatzräume 
willen  gebaut,  die  der  reicher  anfblühende  Kult  der  Stadtgöttin 
verlangte,  j,  möchte  begreiflicherweise  das  Hekatompedon, 
seinen  ^ alten  Tempeh,  möglichst  alt  machen,  womöglich  in 
das  7-  Jahrhundert  zurückverlegen  (S,  238,  2),  Aber  hier  tritt 
die  Archäologie  in  den  Weg;  kein  Archäologe  wird  die  noch 
zu  großem  Teil  erhaltenen  Giebelgruppen  so  hoch  hinauf 
datieren;  J,s  wahrhaft  halsbrecherischer  Ausweg  aber,  die 
Giebelgruppen  möchten  ein  späterer  Zusatz  sein,  erledigt  sich 
schon  dadurch  1  daß  es  sich  nicht  um  freigearbeitete  Statuen^ 
sondern  um  Hautreliefs  handelt,  die  mit  der  hinteren  Giebel- 
wand zusammenhängen.  Als  natijrlichster  Anlaß  zum  Bau  des 
^w^eiten  ergänzenden  Tempels  dürfte  die  Einsetzung  der  großen 
Panathenäen  durch  Peisistratos,  566,  gelten  können.  Die 
stattlichere  Ausstattung  des  Hekatompedon  als  Peripteros  mit 
neuer  Giebelgruppe  wird  dann  von  Hippias  herrühren,  der  ja 
auch  die  Einkünfte  der  Athenapriesterin  erhöhte.  Die  Tyrannen 
hatten  Grund  sich  mit  der  Stadtgöttin  gut  zu  stellen. 

In  scharfem  Gegen satze  gegen  die  Tyrannen  scheint  dann 
in  kleisthenischer  Zeit  der  Gedanke  gefaßt  und  angegriffen 
worden  zu  sein,  an  der  höchsten  Stelle  der  Burg  einen  neuen 
Tempel,  den  sog*  Vorparthenon,  zu  bauen,  der  den 
Tyrannentempel  zu  ersetzen  bestimmt  war*  Die  Unterbauten 
auf  dem  gegen  Süden   abschüssigen  Boden  waren  gewaltig; 


390  LUeratürbcricht 

sie  gingen  bis  zu  10  m  tiet  um  den  Felsen  ^u  erreichen.  Aber 
trotz  zweimaligen  Angreifens  (vieJleicht  durch  die  Schlacht  bei 

Marathon  getrennt)  gelangte  der  Bau  nicht  Über  die  ersten 
Trommeln  der  Marmorsäulen  hinaus;  die  Perser^erstÖrung  von 
479  setzte  die  Baugerüste  in  Brand;  die  verkalkten  Marmor- 
trommeln,  die  in  die  nördliche  Burgmauer  eingelassen  wurden» 
weisen  noch  heute  die  Spuren  des  Brandes  auf.  Dreißig 
Jahre  lag  das  Tempelfundament  als  Ruine  da,  bis  Perikles  447 
den  kleisthenischen  Plan  wieder  aufnahm  und  das  Fundament 
in  etwas  veränderter  Gestalt  für  seinen  Parthenon  benutzte- 
Dieser,  mit  seiner  100  Fuß  langen  Athenacella,  die  den  alten 
Namen  iKuto^mHhig  rtuiq  weiterführte,  und  mit  seinein  Schatz- 
bause  („Parthenon*  und  Opisthodom)  im  Westen  bot  endUch 
den  des  perikleischen  Athen  würdigen  Ersatz  für  das  be- 
schädigte Hekatonipedon,  Als  im  Jahre  435  die  Schatzver- 
hältntsse  neugeordnet  und  die  Art  der  Verwaltung  der  Schätze 
im  Opisthodom  festgesetzt  worden  war,  hätte  das  Hekatompedon, 
das  infolge  des  Perserbrandes  seine  Ringhalle  verloren  hatte 
und  als  Wrack  dastand,  als  überflüssig  und  die  Burg  ent- 
stellend abgerissen  werden  können.  Wenn  es  doch  noch 
nicht  geschah,  so  mag  der  drohende  Krieg  das  verantad^t 
haben.  Statt  dessen  ward  der  ^Urtempel*"  einem  Neubau 
unterw^orfen,  der  dieses  ehrwürdigste  Heiligtum  der  Burggöttin 
seinem  prunkvolleren  Genossen,  dem  Parthenon,  würdig  zur 
Seite  stellen  sollte.  Es  ist  der  nach  offiziellem  Sprachgeb rauch 
so  genannte  Tempel  der  Athens  Polias,  auch  wohl 
unter  Beibehaltung  der  älteren  Bezeichnung  der  „alte  Tempel 
der  Athena*  genannt,  den  wir  uns  gewöhnt  haben  nach  seiner 
Westhälfte  als  Er  echt  he  ton  zu  bezeichnen;  antik  gebührt 
diese  Bezeichnung  nur  der  westhchen  Erechtheusabteilung* 
Den  Beginn  dieses  Baues,  wie  neuerdings  Dörpfeld  vorge- 
schlagen hat  (vgl*  S.  74,  75),  in  die  perikleiscbe  Zeit  zu  ver- 
legen sehe  ich  keinen  Anlaß;  Dörpfelds  Gedanken,  urspriing- 
lieh  sei  der  Tempel  größer  entworfen,  dann  verkürzt  worden, 
hahe  ich  mit  J,  (S.  246  Anm.)  aus  mehreren  Gründen  für  ver- 
fehlt. Ich  erachte  auch  jetzt  noch  die  Pause  des  Nikiasfriedens 
(421 — 418)  für  die  Zeit,  in  der  der  Neubau  am  wahrschein- 
lichsten begonnen  ward.  Dann  geriet  er  ins  Stocken,  nach 
den  vielen  halbfertigen  Blöcken,  die  auf  dem  Bauplatze  liegen 


k 


Alte  Geschichte* 


391 


tebeOf  zu  schließen,  ganz  plötzlich,  also  wohl  infolge  des 
ynglücklichen  sizilischen  Zuges.  409,  nach  Alkibiadcs  Er- 
folgen am  Hellespont,  wird  er  wieder  aufgenommen  und  in 
eifriger  dreijäfiriger  Tätigkeit  ganz  oder  fast  ganz  (S.  244  f*) 
zu  Ende  geführt  Der  populärste  Schmuck  des  so  erneuten 
„alten  Tempels*,  die  dem  Burgwege  zugewandte  Korenhalle, 
stieß  damals  noch  fast  mit  der  Nase  an  die  N ardwand  des 
alten  Hekatompedon.  Da  kam  406  ein  Brand  den  Athenern 
zu  Hilfe,  indem  er  den  „altersgrauen*'  (naXatog)  Tempel  — 
also  nicht  das  funkelnagelneue,  vielleicht  noch  nicht  einmal 
fertige  ^Erechtheion*  —  zerstörte;  hierin  stimmt  J,  (S.  24(J) 
mir  gegen  Dörpfeld  und  andere  bei.  So  lebte  der  neuher* 
gestellte  ^alte  Tempel*  (so  auch  weiterhin  in  Inschriften  und 
bei  Strabon  genannt)  neben  dem  Parthenon  fort,  wenn  auch 
sein  altes  Schnitzbild  der  wehrhaft  ausschreitenden  Göttin 
aus  OltvenhoLz  hinter  dem  goldelfenbeinernen  Koloß  det 
Phidias  allmählich  mehr  und  mehr  zurücktrat. 

Ich    glaube   den   Lesern   ruhig   das  Urteil    überlassen  zu 
dürfen,  weiches  Bild   der  Tempelgeschichte  mehr  inneren  Zu- 
sammenhang darbietet,  J*s  oder  meines.   Zugleich  würde  Peri- 
kles  Andenken   von  einem  häßlichen  Flecken   gereinigt   sein* 
Straßburg.  Aä,  MkhaiiU. 


Die  weltgeschichtliche  ßedeutitng  Arabienft.  Mohainmed*  Von 
HuHert  GrimiDe»  !  Karte,  60  Abbildungen,  MtlncheHf  Kirch- 
heim,  1901  91  S.  (Wettges^hichte  hx  Karikterbfldent. 
IL  Mittelalter.) 

In  der  Biographie  des  Pri^pbetett,  die  Sbrigeiti  nur  tto 
Drittel  des  Buches  esmumiDl,  wiederholt  Crrnnne  einige  iejgicir 
Liebltngslktteii,  die  m  tctea  m  seane»  grdfiereti  Werte  {l§4f 
bis  1895)  nt^geapnicbeii  htm.  So  £e  AirffaMnog»  diA  Mo- 
hammed bei  sesocn  ersteo  AtArcten  ioziak,  nicbt  r«ligf0M 
Refonnen  im  Aflge  getabi  Mbe  (48 b).  feni^r  dk  m^  '  ^  ' 
AusscUtong  der  jidbchfii  ood  cbristliete*  Cmllu« 
Ur-IstäjD  (^a).  W»  bislier  (imd  niete  kkkihMi)  «d  diMMf 
Wege  erUin  vunk,  sseit  &  mm  itfdirifciicfcffii  ftlOmm  m 
deuten  (3.  4§h,  4f  ajL  Die  Aft,  wm  m  Mtm  üdiriWi  M 
ReUgfonsfonn  (er  tfiridri  gtmdfzm  wom  thm^mimmmp  V*>*t 
kotistmiert,  ist  von  Ukmtff  fß 


392  Literaturbericht 

nicht  freizusprechen  f  und  er  wird  mit  diesen  Aufstellungen 
vor  dem  Forum  der  Fachgenossen  schweren  Stand  haben. 
Das  giJt  noch  mehr  von  anderen  Ansichten,  die  hier  erst  in 
zweiter  Linie  stehen,  z.  B.  von  der  ostafrikanischen  Urheimat 
der  Semiten  {6  b),  von  den  Gleichungen  ass,  Meluchcha  ^  hebn 
AmaJek^  ass.  Magan  —  arab.  Ma^än  (IIa,  12a),  und  von  der 
Entstehung  der  ^klassisch-arabischen*  Sprache  (23  a),  Sehen 
wir  von  diesen  Bedenken  ab,  so  ist  gar  nicht  zu  bezweifeln 
und  auch  zu  hoffeHf  daß  der  gewandte  Stil,  die  VoUständig- 
keit  des  Materials  (von  Hammu  rabi  und  der  sabäischen  Ur- 
zeit bis  auf  den  Stein  von  en-Nemära),  die  reiche  (meines 
Erachtens  überreiche)  Ausstattung  des  Bandes  mit  trefflichen 
Abbildungen  und  die  Neuheit  des  Stoffes  dem  Werke  einen 
zahlreichen,  ja  begeisterten  Leserkreis  zuführen  werden« 
Jena*  K.  Völlers. 


I 


Annali  detV  Islam  compilati  da  Leone  Cselaal  Principe  dl 
Teano.  VoL  l  hUroduzione,  DaW  anno  l  al  6  //.  Atilano, 
HoeplL     1905,    4^   XVI,  740  S,  H 

Was  der  Landsmann  des  VL,  G.  B.  Rampoldi,  bei  der  ^ 
Morgendämmerung  der  orientalischen  Forschung  vor  80  Jahren 
versuchte,  das  unternimmt  hier  der  Vf.  mit  den  reichen,  histo- 
rischen und  literarischen  Mitteln  unserer  Zeit.  Nur  daß  Ram- 
poldi schon  mit  der  Eroberung  Stambuls  im  Jahre  1453  ab- 
schloß, während  Caetani  wie  G.  Weit  1517  als  das  Datum  der 
Beseitigung  der  Mamluken-Sultane  in  Ägypten  durch  die  Os-  ^ 
manen  vorzieht.  Als  der  Verleger  im  Oktober  1904  den  Pro-  H 
spekt  des  Werks  in  die  Welt  der  Orientalisten  uud  Historiker 
schickte,  mag  mancher  von  Bedenken  betallen  sein,  ob  die 
Verwirklichung  eines  so  umfassenden  und  hochstrebenden 
Programms  aus  ftalien  kommen  soll  [ch  freue  mich,  sagen 
zu  können,  daß  alle  Bedenken  dieser  Art  unbegründet  sind, 
und  daß  wir  ein  Werk  vor  uns  haben ,  das,  soweit  der  erste 
Band  ein  Urteil  ermöglicht,  auch  den'  höchsten  Anforderungen 
entspricht  und  eine  wahre  Bereicherung  der  orientalischen  und 
historischen  Disziplinen  darstellt.  Mag  der  VL,  wie  in  dem 
Kapitel  über  die  Bedeutung  und  Entwicklung  der  Isnade  über- 
wiegend fremde  Ergebnisse  darstellen  oder,  wie  in  dem  Ab- 
schnitt A  H  2  §  3  (Origine   della  Moschea  s  genesi  del  rUü 


i 


Istam. 


aa 


musuimano)  eigene  Gedanken  entwickeln,  überall  erblicken  wir 
den  reifen,  gewiegten  Historiker-  Wo  ich  immer  geprüft  habe, 
finde  ich  Beherrschimg  der  Quellen,  gewissenhafte  Wieder- 
gabe, gesunde  Kritik  nicht  nur  morgenländischer»  sondern 
auch  abendländischer  Ansichten.  2u  erwähnen  ist  auch,  daB 
der  Vf.  Vorderasien  aus  eigener  Anschauung  kennt  (S.  437). 
Für  sehr  wichtig  halte  ich  es,  daß  er  in  religionsgeschlcht- 
ftchen  Fragen  unbefangen  ist,  sowohl  in  Sachen  des  tslams^ 
aJs  auch  auf  dem  Gebiete  des  Urchristentums^  ja  sogar  wo  es 
sich  um  Auswüchse  des  religiösen  Lebens  seiner  Heimat 
handelt  (S.  48.  436.  442.  443.  449).  Man  kann  nicht  verkennen, 
daß  Schärfe  und  Selbständigkeit  des  Urteils  abnehmen,  so 
oft  es  sich  um  mehr  philologische  Fragen  handelt.  Ich  denke 
dabei  an  die  Nachsicht  gegen  R.  Dozys  Gleichungen  Hubal 
=  Baal  und  Mekka  =  große  Schlachtstätte  (S,  XV  f.),  an 
Fleischers  Erklärung  von  nämüs  (S.  222)  und  an  andere  ähnliche 
Fälle,  Weder  können  solche  Ansichten  dem  historischen  Teil 
des  Werkes  schaden,  noch  können  sie  dem  Vf,  zum  Vorwurf 
gereichen ,  denn  Festigkeit  und  Selbständigkeit  in  der  arabi- 
schen Philologie  bedeutet  eine  Lebensarbeit.  Der  vorliegende 
Band  behandelt  in  der  Introduzione  die  Quellent  die  Methodik 
der  Isnade,  den  ältesten  Hadith,  das  genealogische  System  der 
Araber,  die  Kindheitslegende  des  Propheten  und  die  mekka- 
nische  Periode  seines  Lebens,  ferner  in  Annalenform  die  ersten 
sechs  Jahre  in  Medina.  Die  Quellen  sind  vollständig  bis  ab* 
wärts  auf  Dijarbekri  und  al  Haiabi.  Für  „Higra*  wäre  statt 
,Fuga"  nach  dem  Vorgange  Snoucks  besser  „Emigrazione** 
konsequent  durchgeführt,  ich  verweise  noch  auf  Jacut  4,  953,  1» 
auf  den  türkischen  Sprachgebrauch  und  den  der  Hagar-Oe- 
schichte  zugrunde  liegenden  Gedanken.  Die  Ansetzung  der 
Nomaden  mit  Vio  der  Bevölkerung  (S.  443.  455)  ist  zu  hoch, 
die  Schätzung  der  jetzigen  Bekenner  des  Islams  auf  200  Mil- 
lionen (S.  12)  zu  niedrig.  Über  den  positiven  Gehalt  und  die 
negative  Kritik  der  Genealogien  ließe  sich  noch  vieles  sagen. 
Eine  treffliche  Bemerkung  hierüber  in  C.  Conti  Rossini, 
al  Ragali  (1904)  S,  54,  wo  es  sich  um  illiterate  Saho-  und 
Afarstämme  handelt  Aus  einem  dem  Titel  vorgedrucklen 
Avvertimento  erfahren  wir,  daß  der  vorliegende  Band  nur  als 
Versuch  gedacht   und    nur  in   250  Exemplaren   gedruckt  ist. 


394  Llteraturbencht 

Von  der  Kritik  dieses  Versuches  soll  es  abhängen,  ob  das 
Unternehmen  durchgeführt  wird.  Meines  Erachtens  wäre  es 
ein  Verlust»  wenn  das  Werk  aus  Mangel  an  Beteiligung  im 
ersten  Anlauf  stecken  bliebe*  Über  die  vom  Vi*  gewählte 
Darstellungsform  sei  bemerkt,  daß  es  ganz  verkehrt  wäre,  sein 
Werk  als  eine  trockene ,  mechanische  Wiedergabe  der  arabi- 
schen Annaiistik  zu  betrachten.  Obwohl  der  Vf.  eine  syste- 
matische, künstlerische  Verarbeitung  des  Stoffes  ausdrücklich 
ablehnt  (5.  10.  13)^  ist  doch  seine  lichivolte,  überall  m'ohldyrch- 
dachte  Darstellung  von  der  pragmatischen  Berichterstattung 
G,  Wells  gar  nicht  so  weit  entfernt,  wie  man  denken  sollte* 
Meine  Bedenken  hingegen  liegen  teils  in  der  Ausstattung  des 
Werks  und  dem  dadurch  bedingten  Preise,  teils  in  der  an 
einigen  Punkten  hervortretenden  Weitläufigkeit  des  Textes. 
Ich  erinnere  an  den  Raum,  den  die  Genealogie,  den  die  Kämpler 
von  Bedr  (S.  497  bis  518)  und  Uhud  einnehmen.  Der  Band  l 
könnte  uns  recht  wohlj,  wie  der  Vf-  ursprüngUch  plante ,  bis 
zum  Tode  des  Propheten  führen.  Es  sei  noch  hervorgehoben, 
daß  den  neun  Textbänden  drei  Teile  folgen  sollen,  die  nicht 
nur  ausführliche  historische  und  geographische  Indizes,  son- 
dern auch  eine  Kritik  der  orientalischen  Geschichtschreibung 
(S.  13.  36)  enthalten  werden.  Das  treffliche  Werk  trägt  als 
Motto  einige  Worte  des  Famulus  Wagner  aus  dem  Faust 
Jena.  K*  Vaiiers, 

Historische  Geographie  Deutschlands  im  Mittelalter^  Von  Dr* 
Bodo  KnUlU    Breslau,  Ferdinand  Hirt,    1903,   VHl  u.  240  S. 

Historische  Geographie  von  Mitteleuropa^  Von  Prof.  Dr*  Konrftd 
Kretschmer,  Privaldozent  an  der  Universität  Berlin  und 
Lehrer  der  Geographie  an  der  Kgl,  Kriegsakademie  (Hand- 
buch d.  mittelalterl.  u«  neueren  Geschichte,  herausgegeben 
von  G.  V.  Below  u.  F.  Meinecke,  Abteilung  IV  i  Hitfgwifisen- 
schaften  u.  Altertümer).  München  und  Berlin,  R.  Olden- 
bourg.    1904.    VIII  u,  65  J  S. 

Der  historischen  Geographie  —  sofern  sie  sich  nicht  mit 
dem  Altertum  befaßt  —  ist  es  in  den  letzten  Jahrzehnten  ge- 
gangen wie  manchen  anderen  Wissenschaftszweigen,  die  in  der 
Mitte  liegen  zwischen  zwei  der  im  Lehrbetrieb  üblichen  Dis- 
ziplinen: sie  ist  von  beiden  Seiten  vernachlässigt  worden* 
Die  Interessen  der  Historiker  hatten  sich  überwiegend  anderen 


Mittelalter. 


395 


Zielen  zugewendet,  und  bei  den  Geographen  trat  die  histo- 
rische Richtung  durchaus  hinter  der  naturwissenschahiichen 
2urück.  Erst  in  letzter  Zeit  hat  sich  hier  wieder  ein  allmäh- 
licherWandel  angekündigt.  Verschiedene  territoriale  Geschichts- 
vereine haben  für  ihr  beschränktes  Gebiet  die  Lösung  auch 
historisch-geographischer  Aufgaben  in  ihr  Arbeitsprogramm 
aufgenommen ;  gewiß  ist  es  auch  der  richtige  Weg^  bei  dieser 
so  lange  nicht  gepflegten  Wissenschaft  mit  einem  Aufbau  im 
kleinen  anzufangen.  Daß  daneben  aber  jederzeit,  auch  jetzt 
schon,  zusammenfassende  Arbeiten  ihre  Berechtigung  haben^ 
braucht  nicht  erst  begründet  zu  werden.  Solcher  Art  sind 
die  beiden  hier  anzuzeigenden  Werke.  Von  den  Verfassern 
ist  Knüll  von  Haus  aus  Historiker,  Kretschmer  Geograph,  und 
es  'ist  wohl  kein  Zufall,  daß  jeder  von  beiden  in  dem  Be- 
streben, von  seiner  eigentlichen  Domäne  aus  möglichst  weit 
in  die  Grenzwissenschaft  einzudringen,  schließlich  dazu  ge- 
langt, überwiegend  zu  unterrichten  über  Dinge,  die  seinen 
Fachgenossen  im  engeren  Sinne  ferner  liegen  mußten.  So 
bringt  Kn.s  Arbeit  gerade  auf  geographischem  Gebiet  eine 
Fülle  des  Belehrenden»  während  Kr.s  Buch  in  breiter  Masse 
historische  Details  anführt*  Vorweg  darf  ich  bemerken,  daß 
beide  Werke  gleichzeitig  und  ganz  unabhängig  voneinander 
entstanden  sind ;  jedenfalls  wird  Kn.s  Arbeit  In  dem  zehn 
Monate  später  abgeschlossenen  Buche  von  Kn,  soviel  ich 
sehe,  nur  noch  unter  den  Nachträgen  angeführt 

Kn*  hat,  wie  ein  Vergleich  der  beiden  Titel  zeigt,  seiner 
Arbeit  zeitlich  engere  Grenzen  gezogen  aJs  Kr,  Bei  weiter 
Fassung  des  Begriffs  Deutschland,  aber  unter  grundsätzlicher 
Fortlassung  der  poUtischen  Erdkunde,  stellt  er  sich  das  Ziel, 
in  knapper  Zusammenfassung  die  Hauptresultate  historisch- 
geographischer  Forschung  zu  bringen.  Über  den  reichen 
Inhalt  orientieren  am  besten  die  zehn  Kapitelüberschriften: 
1,  Die  natürlichen  Veränderungen;  2.  Der  Wechsel  der  Be- 
wohner; 3,  Die  Besiedelung;  4.  und  5.  Veränderungen  in 
Pflanzen-  und  Tierwelt  auf   dem  unbesiedelten  bzw,  dem  be- 

Esiedehen  Boden;  6»  Die  Erschließung  der  Bodenschätze; 
7.  Die  Siedelungsarten;  8,  Die  Straöen;  9,  Die  Bauformen; 
10,  Übersicht  nach  Perioden,  ein  kurz  zusammenfassender 
chronologischer  Rückblick  über  die  Resultate  der  Arbeit.    Es 


396  Literaturbericht 

Ist  klar,  daß  bei  einer  Behandlung  dieses  überreichen  Stoffes 
auf  240  Seiten  der  Vt  vieHach  äußerste  Beschränkung  sich 
auferlegen  muß,  ein  Zwang,  der  sich  fortwährend  unangenehm 
geltend  macht,  indem  die  Darstellung  im  allgemeinen  auf  die 
Anführung  der  Quellen,  aus  denen  sie  schöpft,  verzichtet* 
Zwar  wendet  sich  Kn,  nach  seiner  eigenen  Aussage  in  erster 
Linie  an  die  Gymnasial-Oberlehrer,  denen  er  für  den  Ge- 
schichts-  und  Geographieunterricht  ein  brauchbares  Hilfsmittel 
geben  wilL  Zweifellos  wird  sein  Buch  aber  auch  von  den 
Studierenden  vielfach  und  mit  großem  Nutzen  zur  Hand  ge- 
nommen werden,  und  denen  wird  sich  sicher  das  Fehlen  des 
quellenkritischen  Rüstzeugs  schwer  fühlbar  machen,  wenn  sie 
auf  den  durch  Kn,  angedeuteten  Pfaden  selbständig  weiter- 
arbeiten wollen.  Der  durchweg  wohlgetungenen  und  anregen- 
den Arbeit  ist  weite  Verbreitung  nur  zu  wünschen.  Vielleicht 
bietet  eine  zweite  Auflage  in  nicht  allzu  ferner  Zeit  Gelegen- 
heit zu  Ergänzungen  in  der  angegebenen  Richtung, 

fn  ganz  anderen  Bahnen  bewegt  sich  das  viel  umfang-  ■ 
reichere  Buch  von  Kr*,  umfangreicher  nicht  nur  durch  Format 
und  Seitenzahl,  sondern  auch  inhahlich,  indem  es  sich  nicht 
auf  das  Mittelalter  beschränkt.  Kr.  gliedert  seinen  Stoff  in  ■ 
drei  Hauptgruppen,  nämlich  physische,  politische  und  Kultur- 
geographie. Von  diesen  wird  zunächst  nach  einer  allgemein 
orientierenden  Einleitung  die  physische  Geographie  von  Mittel- 
europa in  einer  geschlossenen  Übersicht  (S.  25 — 136)  be- 
handelt. Die  weitere  Disposition  des  Werkes  ist  derart,  daß 
sechs  zeitliche  Haupteinschnitte  gemacht  sind,  nämlich  Alter- 
tum und  die  Jahre  1000,  1375,  1550,  1650,  1770.  Für  jedes 
dieser  Jahre,  die  natürlich  nur  als  ungefähre  Abschnitte  zu 
verstehen  sind,  sind  nun  zwei  Kapitel  vorgesehen,  von  denen  fl 
immer  das  erste  die  politische,  das  zweite  die  Kulturgeogra-  ™ 
phie  behandelt;  die  von  Kn,  ausgeschlossene  politische  Geo- 
graphie füllt  hier  mehr  als  die  Hälfte  des  ganzen  Buches* 
Diese  Stoifverteilung  hat  bei  der  politischen  wie  bei  der  Kul- 
turgeographie ihre  Schwächen:  oft  muß  man  sich  Zueinander- 
gehörendes  aus  den  verschiedenen  Kapiteln  zusammensuchen; 
trotzdem  glaube  ich,  daß  diese  Art  der  Darstellung  für  die 
politische  Geographie  zu  billigen  ist;  ein  Versuch,  in  ununter- 
brochener historischer  Reihenfolge  die  Entwicklung  der  Terri- 


i 


Mittelalter. 


397 


tonen  des  alten  Reiches  von  seinem  Beginn  bis  zum  Ende 
des  18.  Jahrhunderts  darzustellen,  würde  kaum  durchführbar 
gewesen  sein,  ebensowenig,  wie  etwa  eine  Disposition  aus- 
schließlich nach  territorialen  Gesichtspunkten.  Zweifelhaft 
erscheint  mir  freilich,  namentlich  beim  Vergleich  mit  Kn.s 
Arbeit,  ob  nicht  auch  Kn  das^  was  er  Kulturgeographie  nennt, 
lieber  gleich  der  physischen  Geographie  als  Ganzes  ausge- 
schaltet und  für  sich  behandelt  hätte.  Mit  beachtenswertem 
Sammelfleiß  ist  (ür  die  politische  Geographie  die  große  Spe- 
zialliteratur  überall  herangezogen,  ohne  allerdings  stets  kritisch 
gesichtet  zu  sein. 

Das  gleichmäßige  Gefüge  der  paarweise  geordneten 
Kapitel  wird  nur  ein  einziges  Mal  durchbrochen,  nämlich 
durch  einen  Abschnitt  über  die  kirchliche  Geographie  Mittel- 
europas im  Mittelalten  Zwar  ließen  sich  gerade  in  diesem 
Abschnitt,  dessen  Materie  durch  meinen  Studiengang  mir  be- 
sonders vertraut  ist,  unschwer  eine  Anzahl  Fehler  und  Irr- 
tümer nachweisen;  es  ist  aber  leichter,  im  einzelnen  Kritik 
zu  üben,  als  im  ganzen  und  ohne  bisherige  zusammenfassende 
Vorarbeiten  ein  so  fleißiges  Werk  zustande  zu  bringen,  das 
bei  vorsichtiger  Benutzung  gewiß  ein  brauchbares  Handbuch 
gerade  für  die  politische  Geographie  ist  und  hier  eine  klaf- 
fende Lücke  in  der  bisher  vorhandenen  Literatur  doch  in  vieler 
Hinsicht  ausfüllt ;  und  wo  es  dies  nicht  tut,  wird  es  vielleicht 
anregend  wirken  zur  Vertiefung  historisch -geographischer 
SpezialStudien. 

Charlottenburg.  Hermann  Krabbo, 


Die  Franken,  ihr  Eroberunga-  und  Siedelungssystem  im  deutschen 
Volkslande«  Von  Dr.  Karl  Rubel«  Bielefeld  und  Leipzig, 
Velhagen  *  Klasing.    1904.    561  S. 

Über  die  Eroberung  des  Sachsenlandes  und  dessen  Neu- 
ordnung durch  Karl  den  Großen  sind  in  den  letzten  Jahren 
sehr  interessante  Beobachtungen  gemacht  worden:  Schuch- 
hardt  hat  eine  ziemliche  Anzahl  karolingischer  Befestigungs- 
anlagen aufgefunden,  Rubel  das  systematische  Ausscheiden 
von  Königsgut  längs  der  Königs wege  zwischen  Rhein  und 
Weser  nachgewiesenp  Von  diesen  Beobachtungen  geht  die 
vorliegende    Untersuchung    aus,     deren    Ergebnisse    sieh    in 

HiitorjscJie  Zeitscbrilt  (97«  Bd)  ^  Folge  I.  ßd»  26 


398  Literaturbericht 

scharfem  Gegensatz  ^u  den  seither  allgemein  geltenden  An- 
schauungen befinden.  Es  existierte  nach  R.  ein  besonderes 
fränkisches  Eroberungs-  und  SiedJungssystem,  das  sich  ganz 
deutlich  in  Sachsen  und  Thüringen^  aber  auch  in  Alamannien 
erfassen  läßt.  Dieses  System  beruht  in  erster  Linie  auf  der 
Herstellung  fester  militärischer  Positionen:  überaJl  wird  ;fu- 
gleich  Kdnigsland,  regnum  im  Sondersinne,  ausgeschieden.  Da-  m 
mit  hängt  nun  aber  zusammen  eine  staatliche  Neuregulierung 
des  Volkslands,  das  nach  Ausscheiden  des  Königs-  und  Kirchen- 
guts in  Hufen  angelegt  wurde,  also  eine  planmäßige  Marken- 
setzung nach  Hufenrechten ,  die  sich  eine  Reihe  von  Jahr- 
hunderten hinzog.  Die  Franken  hatten  eine  ihnen  eigentüm- 
liche Methode ,  Grenzbestimmungen  vorzunehmen.  Während 
nach  der  altgermanischen  Form  der  Grenze  die  Gebiete  durch 
Ödland  voneinander  geschieden  waren,  haben  die  Salier  scharf 
und  eigenartig  gezogene  Grenzlinien  gekannt,  und  diese  Form 
der  Festsetzung  des  Grenzzugs  haben  erst  sie  in  ihr  Erobe- 
rungsgebiet hineingetragen.  Es  gab  im  fränkischen  Reich  einen 
vollständigen  Apparat  von  Beamten,  welche  mit  der  Marken- 
regulierung beauftragt  waren;  die  Leitung  stand  den  Herzogen 
zu,  die  in  karolingischer  Zeit  vorwiegend  als  Verwaltungs- 
beamte,  als  Markensetzer  der  neuen  Marken,  und  erst  in 
zweiter  Linie  als  Heerführer  erschienen.  Die  Hufe  kann  fortan  ^ 
nur  noch  als  salisch* fränkische  und  nicht  mehr  als  gemein-  ■ 
germanische  Einrichtung  gelten.  Mit  der  Bildung  der  Hufe 
Hand  in  Hand  geht  die  der  Hundertschaft,  die  durchweg  eine 
fränkische  Neubildung  im  Eroberungsgebiet  ist,  —  Wir  haben  ■ 
uns  darauf  beschränkt,  aus  dem  Inhalt  des  Buches  das  Alier- 
wesentlichste  herauszuheben ;  es  ist  unmöglich,  alle  die  vielen 
neuen  Aulstellungen  des  Vf*  in  einer  kurzen  Besprechung  auch 
nur  zu  erwähnen-  R.  ist  sich  bewußt,  völlig  unbekannte  Seiten 
des  fränkischen  Staatswesens  festgestellt  zu  haben,  zu  durch- 
greifend neuen  Resultaten  gelangt  zu  sein.  Aber  die  urkund- 
liche Begründung  der  meisten  Ergebnisse  scheint  uns  trotz 
zahlreicher  Zitate  aus  Kapitularien,  Urkunden  und  Annalen 
nicht  auszureichen,  und  so  fehlt  seinen  Darlegungen  die  nötige 
Überzeugungskraft.  Gewiß  ist  nicht  zu  leugnen,  daß  sich  ein 
Strom  fränkischer  Einrichtungen  und  fränkischen  Rechts  in 
das  Eroberungsgebiet  der  Franken  ergossen  hat.    Auch  m^ 


\ 


Mittelalter. 


399 


sich  die  Herstellung  fester  militärischer  Positionen,  die  Schaf- 
fung von  Königsgut  und  die  Ansiedlung  von  Königsleuteu  auf 
diesem  anderwärts  ähntich  wie  in  Sachsen  vollzogen  haben. 
Aber  von  einer  pianmäßigen ,  staatlichen  Markensetzung  zu 
sprechen,  wie  es  der  Vf.  tut,  dazu  reichen  unsere  Quellen 
nicht  aus.  Kein  gleichzeitiger  Schriftsteller  hat  sich  veranlaßt 
gesehen,  dieses  angeblich  allerorten  geübte  System  der  Franken 
besonders  zu  kennzeichnen;  die  tiefeinschneidende  Maßregel 
hätten  unsere  Überlieferungen  nur  in  ganz  leere,  unauffällige 
Formeln  gekleidet.  Und  wamm  sollen  unter  den  deutschen 
Stämmen  nur  die  salischen  Franken  scharfe  Grenzlinien  ge- 
kannt haben,  nachdem  einmal  durch  das  Anwachsen  der  Be- 
völkerung breite  Odländereien  an  der  Grenze  unmöglich  ge- 
worden waren?  Nicht  aufrechthalten  läßt  sich  die  Ansicht, 
daß  in  Alamannien  die  Hundertschaft  erst  von  den  Franken 
stamme;  vielmehr  ist  ganz  sicher,  daß  sie  hier  schon  in  die 
Urzeit  zurückreicht  (Wtärttemb,  Vierteljahrshefte  für  Landes- 
geschichte^  Neue  Folge  VII,  1898,  S,  310  f.,  345  f.).  So  scheidet 
man  von  dem  Buche  mit  einem  Gefühl  der  Enttäuschung,  über 
4ia$  Gebiet  der  so  sehr  vernachlässigten  Besiedlungsgeschichte 
Deutschlands  keine  wesentliche  Förderung  aus  ihm  schöpfen 
zu  können. 

Öhringen.  Kari  Weller, 


Jahrbücher  des  Deutschen  Reiches  unter  Hemrlch  IV.  und  Hein- 
rich V.  Von  Gerold  Meyer  van  Knonau.  5.  Bd.:  1097  bia 
1106.  Herausgegeben  durch  die  Histonsche  Kommission 
bei  der  Kgl,  Akademie  der  Wissenschaften  in  München. 
Leipzig,  Duncker  fi  Humblot,    1904,    XIV  u.  516  S.    13,60  M. 

Mit  diesem  fünften  Bande  hat  Meyer  von  Knonau  den 
größten  und  schwierigsten  Teil  der  mühevollen  Aufgabe,  der 
er  sich  mit  unermüdeter  Arbeitskraft  unterzogen  hat,  glücklich 
bewUltigt:  die  Regierungszeit  Heinrichs  IV,  Wir  haben  damit 
ein  Werk  vor  uns,  das  der  nie  ruhenden  Erforschung  und 
Darstellung  dieser  unendlich  anziehenden,  folgenreichen  Epoche 
überall  einen  bis  zum  Grunde  sondierten  Boden  darbietet  und 
jeden  Schritt  auf  dem  Gebiete  wesentlichst  erleichtert.  Mit 
I  der  ihm  gewohnten  Gewissenhaftigkeit  und  Arbeitstreue  hat 
ft        Vf.  auch  in  dem  vorliegenden  Bande  das  Gewirre  der  Quellen 


400  Literaturbericht 

und  die  Hochllut  der  Literatur  bemeistert.  Ich  halte  es  nicht 
für  Aufgabe  eines  ReL  über  ein  solches  Buch,  darin  so  lange 

henim^ustöbern,  bis  er  irgend  etwas  zu  korrigieren  und  auf- 
zumutzen  gefunden  hat.  Es  scheint  mir  vielmehr  angemessen, 
das  Charakteristische  herauszuheben.  B 

Fast  jeder  Teil  der  „Jahrbücher  des  Deutschen  Reiches*  ^ 
hat  ja  trotz  der  gleichen  Instruktion  sein  eigenes  Wesen;  die 
Vf.  müßten  nicht  deutsche  Gelehrte  sein,  wenn  es  nicht  so 
wäre.  M.  v.  Kn.  hat  in  der  Vorrede  zum  ersten  Bande  selber 
bemerkt,  daß  er  nicht,  wie  dieser  und  jener  von  den  Bearbeitern 
der  „Jahrbücher*,  zusammenfassende  Abschnitte  über  einzelne 
Gebiete  geben  und  nicht  das  Urkundenwesen  besonders  berück- 
sichtigen wolle.  Dem  ist  er  in  der  Ausführung  nachgekom- 
men: in  diesem  Bande  bietet  er  nur  am  Schlüsse  einen  Über- 
blick über  die  Regierung  Heinrichs  IV.  und  dessen  Beurteilung 
in  der  zeitgenössischen  Geschichtschreibung,  und  in  den  Ex> 
kursen  eine  systematische  Übersicht  der  urkundlich  bezeugten 
neuen  Verleihungen  von  Gütern  und  Rechten  durch  Heinrich  IV. 
sowie  die  Oegenkönige.  Übrigens  erörtert  M,  in  den  Exkursen 
hier  wie  in  den  vorigen  Bänden  einzelne  Fragen  der  Quellen- 
und  Tatsachenkritik*  Er  hat  sich  also  durchweg  an  die  nächste^ 
engere  Aufgabe  der  Sammlung  gehalten,  eine  fortlaufende  fl 
annalistische  Darstellung  der  Begebenheiten  zu  liefern,  ohne 
sich  au!  zusammenfassende  Schiiderungen  des  literarischen 
und  sonstigen  Milieus  einzulassen.  Die  eigenartigste  Ersehet-  fl 
nung  des  damaligen  Geisteslebens,  die  kirchenpolitischen 
Streitschriften,  läßt  er  suo  loco  mit  Recht  ausführlich  zu  Worte 
kommen,  ohne  jedoch  auch  hier  die  innere  Entwicklung  der  fl 
Kirchenpolitik  einheitlich  zu  verfolgen.  Bei  der  Darstellung  ™ 
der  Geschichte  Heinrichs  V.  dürfte  dies  unentbehrlich  sein  und 
wird,  nach  der  Andeutung  des  Vf.  in  der  Vorrede,  wohl  er- 
wartet werden  können* 

Ganz  dem  Geiste  des  ja  von  Ranke  begründeten  Sammel- 
werks entsprechend  hält  M.  sich  fern  und  frei  von  einseitiger 
Parteinahme  in  jeder  Hinsicht.  Er  würdigt  gleichmäßig  den 
Standpunkt  und  die  Mission  des  Papsttums  wie  des  König- 
tums.  Er  beschönigt  nicht  die  Fehler  und  Fehlgriffe  Hein- 
richs IV*,  er  läöt  den  Abfall  der  Söhne,  namentlich  Heinrichs  V.^ 
und  die  Handbietung   der  Kurie  dazu,   in   ihrer  wohl   erklär* 


I 


t 


Mittelalter. 


401 


* 


baren  aber  nicht  entschutdbaren  Selbstsucht  rücksichtslos  zu- 
tage treten.  Über  die  Beurteilung  Heinrichs  IV.  im  ganzen 
und  im  einzelnen  läßt  sich  meines  Erachtens  streiten.  M.  ist 
der  Ansicht  (siehe  besonders  S.  334  f«),  dem  König  habe  auch 
in  den  Mannesjahren  zufolge  der  Irrgänge  seiner  Jugend,  die 
Ihn  nicht  zur  Selbstzucht  kommen  ließen^  die  rechte  Sicher- 
heit in  der  Führung  der  Dinge  gefehlt^  so  sehr  er  in  wichtigen 
Entscheidungen  seine  volle  Tatkraft  einsetzte;  es  habe  ihm 
an  Gleichmäßigkeit  des  Wesens  und  der  Energie  gemangelt; 
möglicherweise  seien  auch  die  Krankheitserscheinungen,  die 
ihn  öfter  befielen,  dafür  geltend  zu  machen.  Ich  bezweifle^  ob 
diese  Ansicht  zutreffend  ist-  Mir  erscheint  gerade  die  Energie 
und  Spannkraft  Heinrichs  in  allen  Lebenstagen  und  politischen 
Verwicklungen  unwandelbar  und  um  so  bewunderungswerterj 
als  er  es  über  sich  gewinnt,  sich  zurückzuhalten^  abzuwarten, 
zu  lavieren*  sich  zu  beugen  j  wenn  und  so  lange  es  die  Um- 
stände erfordern,  ohne  je  seine  Ziele  aus  den  Augen  zu  ver- 
lieren oder  je  von  ihnen  abzulassen.  Demgemäß  teile  ich 
auch  die  Auffassung  M.s  von  dem  Verhalten  des  Königs  und 
Kaisers  in  manchen  einzelnen  Aktionen  nicht,  z.  B«  bei  seiner 
Unterwerfung  unter  den  rebellischen  Sohn:  ich  meine  nicht, 
daß  er  inneriich  gebrochen  auf  die  Regierung  verzichtete,  um 
sich  nachher  zu  neuer  Tatkraft  aufzuraffen ,  sondern  daß  er 
sich  dem  äußersten  Zwang  der  Verhältnisse  bei  dem  Versagen 
aller  Hilfe  beugte,  vielleicht  nur  deshalb  zu  tadeln,  wenn  man 
das  darf,  weil  er  an  einen  solchen  Abgrund  von  Hinterlist 
und  Herzenshärte,  wie  er  sich  in  Heinrich  V.  offenbarte,  nicht 
von  vornherein  glauben  mochte.  Hier,  wie  in  anderen  Fällen, 
wartet  er  meines  Erachtens  mit  zäher  Ausdauer  und  scharfem 
Auge  nur  Zeit  und  Gelegenheit  ab,  um  der  Dinge  wieder  Herr 
zu  werden.  In  der  gebotenen  Kürze  eines  Referats  läßt  sich 
das  natürlich  nicht  eingehender  darlegen.  Erinnern  möchte 
ich  nur  an  die  Unterwürfigkeit  des  Königs  Gregor  VIL  gegen- 
über^ so  lange  der  Sachsenaufstand  ihm  die  Hände  bindet, 
an  sein  Verhalten  zu  Tribur  und  Canossa,  an  seine  oft  be* 
währte  diplomatische  Kunst,  die  Gegner  hinzuhaften  und  von- 
einander zu  trennen,  um  im  gegebenen  Moment  loszuschlageit. 
So  erscheint  auch  der  verhängnisvollste  Schritt  des  Königs, 
die    Absetzung   Gregors  VIL ,   nicht    als    ein    unvorbedachtes 


402 


Li  tera  t  urbericht. 


Aufwallen  sprunghafter  Energie  und  Leidenschaft,  „in  voller 
Nichterkenntnis  der  Tragweite"  des  Schrittes,  sondern  als  die 
für  unvermeidlich  erkannte,  wohlvorbereitete  Ausführung  einer 
Jange  hingehaltenen  Entscheidung;  R,  Friedrich  hat  das  in 
einer  soeben  erschienenen  Greifswalder  Dissertation,  meines 
Erachtens  im  wesentlichen  zutreffend,  dargelegt. 

Vielleicht  hängt  die  Auffassung  M,s  damit  zusammen,  daß 
er  sich  nicht  ganz  hinreichend  von  dem  mißgünstigen,  durch 
lange  Tradition  festgehaltenen  Charakterbild  frei  gemacht  hat, 
welches  die  gegnerischen  Schriftsteller  aus  der  ersten  Regie- 
rungszeit von  dem  jungen  Herrscher  entworfen  haben,  M,  weist 
diese  Autoren  allerdings  in  die  Schranken  ihrer  Parteilichkeit 
zurück^  er  geht  mit  Recht  nicht  so  weit,  den  König  von  aller 
Schuld  und  Fehle,  die  jene  ihm  beimessen,  loszusprechen, 
aber  es  haftet  anscheinend  bei  ihm  doch  etwas  zu  viel  von 
dem  Eindruck  ihrer  Urteile  zu  Ungunsten  Heinrichs  und  be- 
stimmt seine  Anschauung  in  dem  vorhin  bezeichneten  Sinne. 

Obwohl  der  gewaltige  Stoff  der  ungewöhnlich  langen  Re- 
gierungsepoche statt  der  anfangs  veranschlagten  drei  Bände 
deren  fünf  erforderte,  ist  es  der  erstaunlichen  Arbeitskraft  des 
Vi  gelungen  t  des  Werkes  in  verhältnismäßig  kürzester  Frist 
—  1890  bis  1904  —  Herr  zu  werden,  und  so  darf  man  hoffen, 
in  nicht  ferner  Zeit  auch  die  Epoche  Heinrichs  V*  vollendet 
und  damit  eine  lange  unliebsam  gebliebene  Lücke  In  der 
Reihe  der  „Jahrbücher"  verdienstvoll  ausgefüüt  zu  sehen. 

Greifswald.  E.  Bernheim. 


Reichshofgericht  und  königliches  Kammergericht  im  15.  Jahr- 
hundert. Von  Johann  Lechner*  Innsbruck,  Wagner.  1901» 
S.-A.  aus  dem  7.  Ergänztingsband  der  Mitteil,  des  Inst,  für 
österr.  Geschichtsforschung.)     143  S- 

Mit  den  höchsten  Gerichten  des  Deutschen  Reiches  im 
späteren  Mittelalter  beschäftigten  sich,  von  älteren  Autoren 
abgesehen,  in  den  Sechzigerjahren  des  verflossenen  Jahr* 
hunderts  O.  Franklin  und  J,  A.  Tomaschek.  Späterhin  brachte 
G.  Seeliger  im  »Hofmeisteramt"  eine  Skizze  über  die  Ent* 
stehung  und  erste  Zeit  des  Kammergerichts  und  in  seinen 
„Kanzleistudien*  einen  Beitrag  zur  Verwaltung  dieses  Gerichtes 
von  1471 — 1475,  Bei  dem  vielfach  unzulänglichen  und  ungleich- 


Mittelalten 


403 


artigen  Quellenmateria)»  das  diesen  Gelehrten  vorlag,  darf  es 
uns  nicht  wundernehmen,  wenn  sie  selbst  in  Grundfragen,  so 
namentlich  über  Entstehung  und  Aufbau  des  königlichen 
Kammergerichts  zu  ganz  verschiedenen  Ansichten  gelangten. 
Nun  hat  sich  Lechner  die  dankenswerte  Aufgabe  gestellt,  die 
Quellenbasis  unter  Benutzung  von  in  zahlreichen  Archiven 
gehobenen  neuen  Materialien  zu  ergänzen,  den  Stof!  nach 
einem  bestimmten  Plane  zu  ordnen  und  zu  verarbeiten.  Aul 
so  erweiterter  Grundlage  will  er  in  einem  Buche  GeschichtCi 
Verfassung  und  Verfahren  des  königlichen  Kammergerichts 
bis  1495  darstellen,  auch  der  Gerichtskanzlei^  dem  Beurkun- 
dungsgeschäfte und  der  Geldgcbarung  daselbst  seine  Aufmerk- 
samkeit zuwenden  und  dem  Problem  des  Eindringens  römischen 
Rechts  am  Kammergerichte  naher  treten. 

Als  eine  Vorstudie  zu  dieser  größeren  Arbeit  gilt  der 
vorliegende  Aufsatz,  Der  Vf,  orientiert  uns  über  seinen 
Arbeitsplan,  beschreibt  die  Reste  von  Gerichtsbüchern,  die 
vor  ihm  nur  in  geringem  Maße  oder  noch  gar  nicht  benutzt 
wurden,  und  erwähnt  andere  einschlägige  Quellen,  namentlich 
16  von  Franklin  noch  nicht  gekannte  Urteilsbriefe  dieses 
Gerichts  aus  der  Zeit  von  1445  bis  1472:  In  der  Beilage 
(S.  72 — 143)  bringt  er  ein  reichhaltiges  Verzeichnis  der  datier- 
baren Sitzungen  des  Kammergerichts  unter  Friedrich  HL  und 
führt  die  Namen  der  Vorsitzenden  und  der  Beisitzer  an* 
Schon  diese  Tabelle  gibt  uns  einen  Einblick  in  die  Art  der 
Besetzung,  in  den  Ort  der  Tagungen,  in  die  Häufigkeit  und 
Seltenheil  der  Sitzungen.  Die  Abhandlung  untersucht  aber 
auch  (S.  18 — 113)  ganz  bestimmte  Probleme  und  strittige 
Fragen,  deren  Besprechung  für  die  größere  von  L.  in  Angriff 
genommene  Arbeit  notwendig  ist,  dort  jedoch  die  Gleich- 
mäßigkeil und  Geschlossenheit  der  Darstellung  beeinträchtigen 
würde*  Dazu  gehören  die  Frage  nach  der  Entwicklung  des 
Kammergerichts  aus  dem  Rate,  die  Gründe  für  die  Bildung 
dieser  Einrichtung,  die  Stellung  des  Hofmeisters  zum  Kammer- 
gericht, wobei  G,  Seeligers  Ausführungen,  soweit  nötig,  be- 
richtigt werden,  ferner  das  Verhällnis  des  Kammergerichts  zum 
Reichshofgerichte  unter  Friedrich  HI,,  die  Gründe  für  das 
Aufhören  dieser  älteren  Einrichtung  (1451),  das  Verhältnis 
des    Kammergerichts    zum   österreichischen   landesfürstlichen 


4m 


Literatufbencht. 


P 


Hofgericht  des  Kaisers  und  die  Erwähnung  analoger  Bildungen 
in  anderen  Territorien  des  Reichs*  Daran  reiht  sich  noch  eine 
kurze  Darstellung  der  Schicksale  des  Kammergerichls  bis  1493, 
die  mancherlei  neue  Gesichtspunkte  bietet. 

Historiker  wie  Juristen  werden  diesen  anregend  ge- 
schriebenen, so  vielfach  au!  neuen  Quellen  fußenden  Beitrag 
zur  Erkenntnis  des  Reichsgerichtswesens  im  15.  Jahrhundert 
mit  Erfolg  benutzen  und  mit  dem  Berichterstatter  dtm  Wunsche 
Ausdruck  verleihen,  daß  auch  jene  größere  Arbeit  bald  ihrer 
Vollendung  entgegengehe* 

Innsbruck.  A.  y.  Wreischko, 

Weltgeschichte  seit  der  Völkerwanderung,  In  9  Bänden  von 
Theodor  Llndner,  Professor  an  der  Universität  Halle,  L  Bd.: 
Der  Stillstand  des  Orients  und  das  Aufsteigen  Europas, 
Die  deutsche  Reformation.  Stuttgart,  J,  G.  Cotta,  1905. 
473  S, 

Der  vorliegende  Band  der  ^Weltgeschichte*  zerfällt  in 
fünf  Bücher:  Der  Orient;  Die  europäischen  Staaten;  Die  Zer- 
Setzung  des  Mittelalters;  Die  deutsche  Reformation;  Die  ersten 
Entdeckungen.  Im  ersten  Buch  wird  der  Zerfall  des  byzan- 
tinischen Reichs  und  die  Begründung  des  türkischen  geschil- 
dert; der  überlieferten  Auffassung,  daß  die  Türken  nur  ein 
zerstörender  und  hemmender  Faktor  in  der  Geschichte  sind, 
schließt  sich  auch  Lindner  an ;  doch  würdigt  er  die  große 
Figur  eines  Suleiman  II.,  den  er  den  trefflichsten  Herrscher 
nennt,  den  das  osmanische  Reich  je  gehabt  hat,  der  nicht  bloß 
ein  furchtbarer  Krieger,  sondern  auch  ein  sorgsamer  Gesetz- 
geber, ein  Mann  guter  Verwaltung  und  ein  Freund  der  Ge- 
rechtigkeitj  fui  Thebanus  scUlcei!)  und  ein  Gönner  von  Lite- 
ratur und  Kunst  war.  Wenn  ihm  Freiheit  von  niedriger  Sinn- 
lichkeit nachgerühmt  wird,  so  mag  das  sein;  aber  als  er  1522 
siegreich  in  Rhodus  einzog,  fehlte  nach  Jacques  de  Fontaine 
der  Troß  der  Lustknaben  in  seinem  Gefolge  nicht.  Einen  viel- 
gestaltigen Inhalt  hat  das  zweite  Buch,  wo  Italien,  Deutschland, 
Skandinavien,  Ungarn,  Böhmen,  Polen,  Burgund,  die  SchweiJ^t 
Frankreich,  England  und  die  iberische  Halbinsel  am  Leser 
vorüberziehen:  Italien  und  Deutschland  natürlich  in  ihrer  ganzen 
endlosen  und  kaum  zu  überblickenden  Zerrissenheit*    L.  ver- 


I 
I 

I 


I 
I 
I 


n. 


Neuere  Geschichte. 


405 


steht  €5^  den  Stoff  zu  beherrschen  und  zu  gestalten,  so  daß 
er  ihm  nicht  unter  den  Händen  zerrinnt;  auch  Charakteristiken 
voll  Lebensfülle  sind  zahlreich  über  das  Werk  zerstreut. 
Friedrich  IlL  ist  trotz  hohen,  starken  Leibes  und  breiter  Brust 
der  Anstrengung  abgeneigt,  schon  ats  Jüngling  greisenhaft 
bedächtig,  in  Leben  und  Vergnügungen  harmlos  philisterhaft, 
aber  doch  auf  Macht  und  Besitz  mit  stiller  Andacht  gerichtet; 
es  war  ihm  weniger  um  das  Herrschen  zu  tun,  als  um  das 
Recht  der  Herrschaft;  vermochte  er  es  auch  nicht  selbst  aus- 
zuüben, SD  hätte  er  es  doch  keinem  andern  gegönnt.  Georg 
Podiebrad  hatte  ein  gutes  Herz  und  Liebe  zum  böhmischen 
Volk ;  er  war  als  Regent  und  Krieger  tüchtig,  aber  ungebildet, 
so  daß  er  nicht  einmal  deutsch  sprechen  konnte,  doch  ver* 
ständig;  daß  seiner  Persönlichkeit  Größe  zukommt,  wird  von 
manchen  bestritten,  Karl  der  Kühne  heißt  mit  Recht  ie  i^meraire; 
denn  verw^egener  Ehrgeiz  war  sein  Wesen;  er  war  klein,  bräun- 
lich, körperlich  ausdauernd;  die  hellblauen  Augen  senkte  er 
immer  zu  Boden;  finster,  verschlossen,  hypochondrisch  und 
melancholisch,  keinem  Rat  zugänglich,  Wutanfällen  ausgesetzt, 
hätte  er,  in  Asien  geboren,  ein  Timur  werden  können.  Das 
dritte  Buch  schildert  die  Zersetzung  des  Mittelalters  auf  dem 
wirtschaftlichen  Gebtete  (Entwicklung  des  Kapitalismus,  Bit- 
dung von  neuen  Industrien  und  Kartellen)  wie  auf  dem  poli- 
tischen (Aufkommen  des  Geschützwesens,  des  Fußvolks,  der 
größeren  Mächte,  des  römischen  Rechtes)  und  geistigen  (Huma- 
nismus, Renaissance,  religiöse  Reformideen).  Die  Erzählung 
vom  Werden  der  deutschen  Reformation  im  vierten  Buch  ist 
sehr  gedrängt;  auf  68  Seiten  wird  sie  abgemacht;  aber  sie  ist 
im  ganzen  durchaus  zutreffend  und  enthält  manche  wertvolle 
Beobachtung  im  einzelnen,  Seite  343  sollte,  damit  kein  Miß- 
verständnis entsteht,  gesagt  sein,  daß  Herzog  Ulrich  1519  von 
Frankreich  finanzielle  Unterstützung,  nicht  etwa  militärische, 
erhielt;  mtt  dem  französischen  Geld  warb  er  Schweizer,  die 
ihn  dann,  als  es  ernst  wurde,  im  Stich  ließen.  Daß  Karl  V. 
bei  der  allgemeinen  Gärung  von  1521,  wo  noch  niemand  die 
ungeheure  Tragweite  des  Begonnenen  übersehen  konnte^  es 
schwer  gehabt  hätte,  sich  als  Führer  der  Bewegung  aufzuwerlen, 
ist  richtig;  wer  kann  führen,  wenn  er  das  Ziel  nicht  klar  vor 
sich  sieht?    Aber  anders  als    er  sich  verhielt,   hätte  er  sich 


F 


406  L  ite  rat  urb  erlebt 

gleichwohl  verhalten  können,  und  insofern  hat  sein  persön- 
liches Verhalten  doch  eine  große  Bedeutung,  Seite  346  ist  zu 
bemerken,  daß  Luther  in  Worms  den  Widerruf  nicht  absolut 
abgelehnt,  aber  ihn   an  die  Widerlegung  aus  der  Schrift  aut 

raUone  evidefiU  geknüpft  hat.  Für  das  Wormser  Edikt  ist  doch 
besonders  bezeichnend  der  Appell  an  die  Habsucht,  insofern 
den  Fürsten,  welche  Luthers  Anhänger  niederwerfen  und  Iahen 
werden,  gestattet  wird,  „deren  Güter  zu  ihren  Händen  zu 
nehmen  und  sie  in  ihren  eigenen  Nutzen  zu  wenden  und  zu 
behalten**  (s,  hierüber  Egelhaaf,  Deutsche  Gesch.  im  16,  JahrL 
1,  340),  Seite  375  wäre  zur  Charakteristik  Johann  Friedrichs 
als  wesentlich  noch  hinzuzufügen,  daß  er  kleinlich  war  und 
über  tausend  Bagatellhändeln  die  großen  Fragen  vergaß,  wie 
anläßlich  der  Verhandlungen  mit  Moritz  über  einen  engeren 
Bund  von  Hessen  und  beiden  Sachsen  sich  so  drastisch 
zeigte  (siehe  Brandenburg,  politische  Korrespondenz  des  Kur- 
fürsten Moritz  IL  S,  186  fL).  Im  fünften  Buch  wird  die  Ge- 
schichte der  Entdeckungen  gegeben,  auch  wieder  auf  Grund 
ausgebreiteter  Kenntnisse,  in  gedrängter  und  bei  aller  Nüch- 
ternheit sehr  anregender  Weise.  Richtiger  wäre  es  aber  doch 
wohl  gewesen  j  aus  chronologischen  Gründen,  wenn  dieses 
Buch  dem  dritten  voraufgegangen  wäre* 

Stuttgart,  G.  Egelhaaf. 

Wilhelm  111.  von  England  und  das  Haus  Wittelsbach  im  Zeitalter 

der  spanischen  Erbfolgelrage.    Von  Georg  Friedrich  Rreu0- 

1.  Halbband.     Breslau,   Trewendt  £  Granien    XVI,    126»  u. 

240  SJ) 

Der  Vf.  bringt  zunächst  eine  sehr  ausführliche  Einleitung, 

in  der  er  Frankreichs  Entwicklung   im    17,  Jahrhundert,    seine 

Stellung  zu  den  anderen  Mächten,  eine  kurze  Übersicht  über 

diese  selbst  bietet.  Ferner  wird  darin  die  universalhistorische 

Bedeutung    der    spanischen    Erbfolgefrage    erörtert.     In    der 


*)  Ref,  hat  mit  der  Besprechung  so  lange  gezögert,  da  er 
gern  den  2.  Halbband  abgewartet  hätte,  der  nach  einer  Bemer- 
kung auf  dem  Umschlag  des  vorUegenden  Buches  binnen  wenigen 
Monaten  (vom  Sommer  1904  ab)  erscheinen  sollte.  Diese  Fort- 
setzung ist  noch  nicht  herausgekommeny  Ref.  wollte  aber  trotz- 
dem nicht  länger  säumen. 


Pl 


4 

i 


4 


Neuere  Gcacfaichte, 

eigetitlichen  Darstellung  schildert  Preuß  die  ersten  Beziehun- 
gen dieser  Frage  zur  bayerischen  Politik,  die  Haltung  Bayerns 
Zur  Kaiserwahl  Leopolds,  die  Stellung  Bayerns  zu  Frankreich 
in  jener  Zeit,  die  Bemühungen  Bayerns  den  Reichsfrieden  zu 
erhalten  in  dem  Augenblick,  da  Ludwig  XIV.  Holland  über- 
fällt Das  Buch  reicht  also  bis  Ende  1672  und  behandelt,  vom 
bayerischen  Zentrum  ausgehend,  die  gesamte  Poliük  der  da- 
maligen KulturwelL 

Man    wird    in    diesem    L   HaJbbande    noch    nichts    über 
Wilhelm    von    Oranien    finden,    dagegen    eine    ganze    Reihe 
von    Aufschlüssen   über  Dinge,   die   man   hier  nicht   suchen 
würde:    es   ist  eine   großangelegte,  vorzüglich   geschriebene, 
mit    außerordentlicher   Sach-    und    Liieraturkenntnis    verfaßte 
politische  Weltgeschichte  jener  Tage.    Die  ungewöhnliche  Be- 
lesenheit  des  Autors  tritt  auf  jeder  Seite  zutage,  manchmal 
sogar  etwas  störend,  da  sie  ihn  immer  wieder  zu  Abschwei- 
fungen   und  Zitaten    treibt,  die  meist  wohl  interessant  sind, 
doch   den  Gang  der  Handlung   stark  aufhalten.     In  verschie- 
denen Teilen    des  Buches  hätte  sich  Fr,  leicht  größerer  Be- 
schränkung befleißen  können,  so  beispielsweise  in  der  Frage 
der  Kaiserwahl   Leopolds,     Die    Gerechtigkeit   gebietet   aber, 
hinzuzufügen,  daß  in  den  überreichen  Anmerkungen  viel  wert* 
volles  Material  steckt,  vor  allem  eine  wichtige  Übersicht  ilhor 
die  Literatur  dieser  Periode.     Einige  Punkte   mögen   hervor- 
gehoben  werden.    Die  Beurteilung  oder  eigentlich  Verurtei- 
lung der  Poütik  Ludwigs  XIV.  erscheint  richtig,  nur  in  VM\au 
möchte   Ref.  einer  anderen   Auffassung   das  Wort  rcUcii ;   In 
guter   Hervorhebung    des    Subjektiven    in   der    franxönliichotl 
Politik    unter   dem  Sonnenkönig   meint  Pn,  haupisUchlich  liu* 
persönlichem  Hasse   habe   er  Holland   zu  vernichten  gmiuht 
(S.  69*).    Zugegeben,  daß  dieser  vorhanden  war,   iibor  iNt  dtt 
nicht  die  treibende  Kraft,  die  es  Ludwig  ermöglichte,  iitiliioui 
Hasse  die  Zügel   schießen   zu  lassen,   der  Umi«tand  g<?w<iiiöii, 
daß  Belgien  nur  dann  mit  Sicherheit  behauptet  werden  kuniitt*. 
wenn  man  gleichzeitig  die  Hand  auf  Holland  legioi*     r;briii»o 
ist   Ref.   der  Ansicht,   daß   Fr.  versucht,  zu  viel  dcb  fiedttrii- 
samen  in  jene  Periode  hineinzulegen,  wie  wenn  er  hehaiipt<it, 
im  Zeitalter  der  spanischen  Erbfolgefrage  «ei  düi  tJbergüwicht 
der  ^'germanischen   Rasse    über   die    romanische    eiitacliiuflen 


403 


Literaturbericht. 


worden  (S,  10^);  oderi  man  könne  das  Bündnis  von  1673  das 
erste  große  europäische  Bündnis  zwischen  protestantischen 
und  katholischen  Mächten  nennen  (S*  120*),  Und  Frankreich 
und  Schweden  im  Dreißigjährigen  Kriege?  Sehr  hübsch  ent- 
wickelt ist  anderes;  z.  B,  daß  aus  der  Sendung  Vautortes, 
1649,  die  erste  Andeutung  auf  eine  mögUche  Teilung  des  spa- 
nischen Erbes  hervorgehe  (S*  94),  oder  daß  die  eigentliche 
Bedeutung  des  ersten  Teilungsvertrages  darin  liege»  daß  durch 
die  französische  Politik  der  Kaiser  aus  seiner  Stellung  als 
einziger  Erbe  Spaniens  herausgedrängi  worden  sei.  Richtig 
motiviert  erscheint  auch  die  andere  Beurteilung  der  bayeri- 
schen Politik  gegenüber  der  von  Döberl  vertretenen  Ansicht. 
Alles  in  allem  ein  interessantes  Buch,  auf  dessen  Fortsetzung 
man  begierig  sein  darf;  nur  etwas  mehr  SelbstdiszipUn  wäre 
dem  VI  zu  wünschen^  man  muß  ja  nicht  immer  aües  sagen» 
was  man  weiß. 

Prag.  0,  Weher. 

Die  Durchführung  der  kirchlichen  Reformen  Josephs  IL  im  vorder- 
österreichischen  Breisgau.  Von  Fr.  Geler.  (KirclienrechtL 
Abhandlungen,  herausg*  von  U.  Stutz.  Helt  16/17.)  Stutt- 
gart, Enke.    1W5.    XI  f  u.  248  S. 

Die  durchaus  aktenmäßige  Studie,  eine  gekrönte  Freiburger 
Preisarbeitj  behandelt  ihr  Thema  mit  außerordentlicher  Klar- 
heit und  vollkommener  Sachkenntnis,  Geier  geht  von  der 
fraglos  richtigen  allgemeinen  Ansicht  aus,  daß  die  Josephinische 
Reform  durchaus  territorialistischer  Art  war  und  immer,  auch 
wo  sie  scheinbar  episkopatistische  Züge  zeigt,  die  Kirche  als 
Staatsanstalt  behandelt.  Die  verschiedenen  Einzelmaßregeln 
treffen  alle  in  der  Absicht  zusammen,  ihre  Selbständigkeit  auf- 
zuheben und  sie  dem  staatlichen  Einfluß  unterzuordnen: 
religionsfeindlich  sind  sie  dagegen  nicht.  Unter  ihnen  waren 
die  merkwürdigsten  die  Klosteraufhebung  und  Errichtung  des 
zur  Dotierung  neuer  Pfarreien  bestimmten  ReligionsfondSf  so- 
wie die  Gründung  des  Generalseminars.  Der  Kaiser  steht 
übrigens  auch  hier  im  gleichen  Verhältnis  zu  seiner  Mutter* 
wie  bei  seiner  Agrarpolitik:  alle  Ansätze  des  Josephinismus 
sind  schon  unter  Maria  Theresia  kenntlich,  aber  der  Sohn 
entwickelt    erst    den    eigentlich   charakteristischen   Zug^    den 


I 


Neuere  Geschichte. 


409 


rücksichtslosen  naturrechtlichen  Doktrinarismus,  Interessant 
ist  die  Wahrnehmung  des  hieraus,  wie  in  politischen  Fragen^ 
z,  B-  im  Scheidestreit,  entspringenden  Gegensatzes  zu  Kaunitz* 
Übrigens  sah  sich  Joseph  doch  im  Breisgau  zu  manchen 
-  und  wichtigen  Konzessionen  an  den  Grundsätzen  seiner  all- 
B  gemeinen  Kirchenpolitik  genötigt,  teils  weil  alle  Ordinarien 
Reichsstände  waren,  teils  wegen  der  ungemein  starken  Durch- 
setzung des  Breisgau  mit  akatholischen  Territorien,  deren 
Landesherrn  namentlich  aus  der  Klosteraufhebung  große,  aber 
unerwünschte  Vorteile  zu  ziehen  drohten;  auch  die  nicht  gering- 
fügige Bedeutung  mancher  geistlicher  Institute  für  den  länd- 
lichen Kredit  und  die  sehr  große  Abneigung  der  Bevölkerung 
besonders  gegen  Veränderungen  des  Kultus  kamen  hinzu. 
So  mußte  z.  B.  die  Loslösung  des  Breisgau  von  den  aus- 
wärtigen Ordinarien  unterbleiben,  das  Generalseminar  nach 
wenigen  Jahren  wieder  aulgehoben  und  der  vorderösterreichische 
Anteil  aus  dem  allgemeinen  Religionsfond  wieder  ausgeschieden 
werden*  Der  breisgauische  Josephinismus  wurde  bekanntlich 
das  Vorbild  des  badischen  Terrltorialkirchenrechts:  seine  ein- 
gehende Schilderung  war  deswegen  von  um  so  größerem 
Werte,  jh.  Ludwig  f. 


Die  Herren  Verfasser  ersuchen  wir,  Sonderabzlige  ihrer 
In  Zeitschriften  erschienenen  Aufsätze,  welche  sie  an  dieser 

Stelle  berücksichtigt  wünschen,  uns  freundlichst  einzusenden. 

Die  Redaktion. 


Allgemeines. 

Zur  English  historical  review  Ist  ein   Generalindex   zu 

den  ersten  20  Bänden  (1886 — 1905)  erschienen  (Longmans,  Green 
&  Co.  3>6  sh.).  Wir  teilen  bei  dieser  Gelegenheit  mit,  daß  auch 
ein  neues  Gesamtregister  der  Historischen  Zeitschrift^  die 
Bände  57—96  umfassend^  bereits  im  Drucke  ist. 

Bonwetseh  und  Seeberg  planen,  eine  zweite  Serie  ihrer 
von  1898  bis  1903  herausgegebenen  ^Studien  zur  Geschichte  der 
Theologie  und  der  Kirche"  u.  d.  T*  »Neue  Studien*  etc.  heraus- 
zugeben  (Verlag  von  Tro witsch  £  Sohn,  Breslau.    2  Bde,  jahrl,). 

Der  Leiter  der  seit  einigen  Jahren  erscheinenden  Neuausgabe 
von  Muratoris  Scriptores  reritm  Halicar  um,  Vitt.  Fiorinl,  gibt 
nunmehr  auch  eine  Zettschrift  ^^ Archiv io  Muratoriano"  heraus ,  von 
der  uns  drei  Nummern  {Ciiiä  di  Casiello  1904/05)  vorliegen.  Die 
Zeitschrift  soll  die  Arbeit  an  der  Ausgabe  begleiten,  über  ihren 
Fortgang  Bericht  erstatten  und  Studien  zur  Quellenkunde  Italiens 
im  Mittelalter  bringen,  also  zum  Teil  dasselbe  leisten,  was  hei 
uns  das  „Neue  Archiv"  tut.  Die  erste  Nummer  ist  durch  den 
Bericht  des  Herausgebers  an  den  Römischen  HistonkerkongreQ 
von  1903  gefüllt^  in  der  zw^eiten  interessiert  eine  Abhandlung  von 
Vatasso  Über  die  Handschrilten  des  Hugo  FalcanduSi  insbeson- 
dere eine  kürzlich  erst  wieder  aufgefundene,  deren  Wert  Vatasso 
höher  einschätzt  als  der  letzte  Herausgeber  des  Werkes,  Siragusa. 


4 


i 


AOgCfneln 


411 


Übrigens  liefert  ein  anderer  Beitrag  in  demselben  Hefte  (Rodo- 
lico  über  eine  nachträgUch,  d.  lu  nach  Drucklegung  der  Neuatis- 
gäbe  zum  Vorschein  gekommene  Handschrift  der  Florentiner 
Chronik  des  Stefani)  eine  Pro1>e  von  dem,  was  die  Schwäche  des 
ganzen  Unternehmens  bildet:  auch  der  neue  Muratori  beruht 
keineswegs  auf  systematischer  Durchforschung  der  Handschriften- 
sammlungen,  so  daß  es  immer  etwas  zweifelhaft  bleiben  wird,  ob 
seine  Texte  als  endgültige  gelten  dürfem  Man  darf  dies  bemerken^ 
ohne  im  übrigen  die  Nützlichkeit  des  Werkes  zu  bestreiten,  — 
In  Nr.  3  des  Arch.  Mtir.  widmet  Pietro  Torelli  eine  gründliche 
Untersuchung  d^r  als  Ftos  Ftorum  betitelten^  früher  ohne  Grund 
einem  Ambrogio  ßosso  zugeschriebenen  Mailänder  Chronik.  Den 
wirklichen  Verfasser  nennt  eine  neu  aufgefundene  Handschrift 
Petrus  Paulus  de  Vicomercato,  eine  Persönlichkeit,  die  sich  im 
übrigen  nicht  nachweisen  läßt  Die  Chronik,  I3W  geschrieben^ 
ist  nichts  weiter  als  eine  Kompilation  aus  bekannten  Quellen,  aber 
für  deren  kritische  Herausgabe  unter  Umständen  nicht  bedeu- 
tungslos. Wertvoller  ist  der  Anhang:  einige  bisher  unbekannte 
Akten  über  den  Sturz  des  Bernab6  Visconti  durch  seinen  Neffen 
Giangaleazzo  (1485).  Unter  dem  übrigen  Inhalt  des  Heftes  be- 
ansprucht ein  kleiner  Aufsatz  von  L.  Frati  über  die  Familie  der 
Bolognetti  von  Bologna  und  ihre  Chronik  (15,  Jahrhundert)  das 
meiste  fnteresse.  J,  M. 

Auch  Dänemark  (der  Carlsbergfonds)  beginnt  jetzt  mit  einer 
Ausgabe  seiner  Staats  vertrage  mit  fremden  Mächten^  die  der  be- 
währte Herausgeber  der  Brevbeger,  L,  L  a  u  r  s  e  n ,  übernommen 
hat.  Zunächst  ist  die  Zeit  von  1520  bis  17&0  in  A undicht  gc^ 
nommen.  Die  H.  Z.  wird  Anlaß  nehmen,  auf  diewe  Publikntlnn 
zurückzukommen. 

Fr.  Kcutgen  hat  in  einem  schönen  Vortrag  lelnen  amerU 
kanischen  Zuhörern  auseinandergesetzt,  daß  die  frühere  Oe»chichte 
der  europäischen  Völker  zugleich  ihre  eigene  Vorgetchichle  iit« 
wobei  eine  Belehrung  über  historische  Methode  mit  olngcf lochten 
und  dem  Worte  ^Mittelalter'*  der  blutigste  Krieg  erklärt  wird  fOn 
the  necessiiy  in  America  of  the  study  af  the  early  hintory  of  mo- 
dern earaptan  nationSf  S.-A,  aus  dem  Annual  Hefter t  of  tht  Am$' 
ritan  Mist  Association  1904), 

Max  Webers  Aufsätze  über  ,,Roftchcr  und  Knlei  und  dfe 
fogischen  Probleme  der  historischen  Nationalökonomie'  IBchmol- 
lers  jahrb,  29  und  30,  I)  sind  wcitau^hotende  methodologUch« 
Untersuchungen,  die  für  den  Historiker  ebeiiiN)  wichtig  %\nd  wl« 
Jiir  den  Nationalökonomen,    Durch  dte  Auiieinanderiet^ungen  mll 


412 


Notizen  und  Nachrichten. 


p 


Ptiilosophen  und  Naturwissenschaftern  hindurch  gelangt  Weber 
zu  dem  Ergebnis,  daß  die  i, Intuition*  oder  das  ^künstlerische* 
Moment  kein  Privileg  und  kein  Nachteil  der  Geschichtswissen- 
schaft ist,  sondern  daß  alle  Wissenschaften  gleichmaOig  damit 
arbeiten.  Und  so  sind  diese  Aufsätze  überhaupt  —  in  manni^* 
facher  Berührung  mit  Windeibands  und  Rickerts  Anschauungen  -* 
eine  BeweisHihrung,  daß  der  wissenschaftliche  Charakter  der  Ge> 
schichte  dem  der  Naturwissenschaften  vÖilig  gleichkommt. 

Demselben  Zwecke  der  Kiärung  über  methodologische  Fragen 
dient  Webers  Aufsatz  in  Brauns  Arch.  f.  Sozial wiss,  22  („Kritische 
Studien  auf  dem  Gebiete  der  kulturwlssenschaftlichen  Logik*), 
wo  er  sich  trotz  vielfacher  grundsätzlicher  Übereinstimmung  mit 
Ed.  Meyer  In  Freundschaft,  aber  unerbittlicher  logischer  Schärfe 
auseinandersetzt  und  dann  die  „Frage  der  objektiven  Möglichkeit* 
und  der  j^adäquaten  Verursachung**  untersucht, 

X^nopais  Aufsatz  La  noüon  de  ^valear'^  tn  histoire  ff^evue 
de  synih.  hist  XI  und  Xll^  1)  kommt  zu  dem  Ergebnis,  daß  die 
Geschichte  eine  Wissenschaft  ist^  und  daß  der  ^Wertbegriff*  für 
den  wissenschaftlichen  Charakter  der  Geschichte  belanglos  und 
ihrem  Wesen  fremd  ist, 

NaviUe^  La  sochlogie  abstraite  ei  ses  divishns  fRev>  philo- 
sophique  31,5)  versucht  die  noch  immer  weit  auseinander  gehenden 
Meinungen  über  Wesen  und  Zweck  der  Soziologie  zu  klären,  um 
dadurch  den  stark  bestrittenen  wissenschaftlichen  Charakter  dieser 
Zeiterscheinung  zu  retten. 

Wilhelm  Schallraayers  Aufsatz  ^Selektive  Gesichtspunkte 
zur  generativen  und  kulturellen  Völkerentwicklung*  (SchmoUers 
jahrb,  30,  2)  ist  eine  kritische  Auseinandersetzung  mit  F.  TÖnnies^ 
Aufsätzen  pZur  naturwissenschaftlichen  Gesellschaftslehre  (ebenda 
1905), 

Aus  der  Rei^ue  bleue  1906^  Nr*  14  notieren  wir  Bougl^, 
Du  Conlrat  social  au  Quasi-Contrat  SoUdariste ;  aus  der  Zeitschr. 
f/Phitos,u.phi)os,  Kritik  f28,  li  Noth,  Die  Willensfreiheit ;  Kleln- 
peter,  Das  Prinzip  der  Exaktheit  in  der  Philosoph] e,  und  eine 
nachträgliche  Bemerkung  A.  Vlerkandts  zu  seinem  Aufsatze 
^Ein  Einbruch  der  Naturwissenschaften  in  die  Geisteswissenschaft 
ten ?* ;  aus  der  Nuava  aniologia  112,  5 1  Arcoleo,  La  scienza  nelta 
PÜa  sociale. 

Nur  vom  philosophischen  Standpunkte  aus  untersucht  von 
Schubert-Soldern  „Die  Grundprinzipien  des  Liberalismus  in 
erkenntnistheoretischer  Beleuchtung*^  (Zeitschr  f.  d.  ges.  Staatswiss> 
i>2j  2),    Er  weist  nach,  wie  der  Freiheits-  und  der  Gleichheitsbegriff 


4 
4 


Altgemeines 


des  Liberalismus  nur  negative  Formulierungen  sind,  da  auch  der 
Liberalismus  auf  notwendige  Beschränkungen  der  Freiheit  wie  der 
Gleichheit  nicht  verzichten  kann;  wie  ferner  auch  die  freie  Kon- 
kurrenz kein  haltbares  politisches  Prinzip  ist.  Der  Liberallsnfius 
lebe  vom  Gegensatz  gegen  den  Konservativismus  und  sei  stets 
in  Gefahr»  auf  die  Bahn  des  Sozialismus  gedrängt  zu  werden* 
Es  bleibe  für  den  Liberalismus  die  Aufgabe,  zwischen  den  Ex- 
tremen zu  vermitteln  und  —  positiv  —  für  die  Freiheit  histori- 
scher Entwicklung  einzutreten. 

Woker,  „Das  Toleranzprinzip  in  seiner  universalgeschlcht- 
lichen  Entwicklung^  (Schweiz.  Blätter  f.  WirtschaftS'^  u.  Sozial- 
politik 14,  1/2)  ist  ein  kurzer  geschichtlicher  Überblick  über  Ent- 
stehung und  Zunahme  des  Toleranzgedankens,  vor  allem  seit  dem 
17.  Jahrhundert. 

Georg  Jäger  behandelt  in  den  Preuß.  Jahrb.  1906,  Mai  und 

Juni  ^Marxismus,  klassische  Nationalökonomie  und  materialisttsche 
Geschichtsphilosophie*',  wobei  er  den  Beziehungen  des  Marxismus 
zur  klassischen  Nationalökonomie  besonders  nachgeht  und  sie 
beide  in  ihren  Bedingtheiten  kritisiert. 

Unter  dem  Titel  „Des  rapporta  enire  U  droit  positif  et  la 
phUüSüphle  du  droit'^  bespricht  Jankelevitch  neuere  italienische^ 
deutsche  und  französische  Arbeiten  aus  dem  Gebiet  der  Rechts- 
philosophie*    {Re\^,  de  synth,  hist  XIL  L) 

De  la  Grasserie  gibt  in  der  Rev.  Internat  de  Sociologie 
14,  3  eine  ^Synthise  de  Vivalutlon  da  droit  dans  la  ligistatiün  ei 
ta  Jarlspradence^, 

In  der  Deutschen  Rundschau  32,  8  handelt  E.  Fitger  Ober 
Staatsformen  (Übersicht  über  die  modernen  Croßstaaten  und 
ihre  Verfassung), 

Im  Thünen^Archiv  t^4  veröffentlicht  der  Herausgeber  Richard 
Ehren berg  eine  Entgegnung  auf  eine  Kritik  seines  Unternehmens 
von  Conrad  (in  den  Jahrbüchern  f,  Nationalökonomie  u*  Statistik) 
und  behandelt  in  dem  Aufsatz  ^Thünen  und  Thaer"*  das  Verhältnis 
der  beiden  Volkswirte  zueinander.  Längere  Besprechungen  von 
G*  F,  Knapps  neuestem  Werke  über  die  staatliche  Theorie  des 
Geldes  geben  A»  Voigt  in  der  Zeitschn  L  d.  ges,  Staatswissen- 
schaft 62^  2  und  W.  L  o  t  z  im  Jahrbuch  L  Gesetzgebung»  Verwal- 
tung u.  Volkswirtschaft  30,  2. 

In  der  Beilage  zur  Allgem.  Zeitung  Nr.  87  u.  142  handelt  KL 
Wagner  über  den  Krieg  als  schaffendes  Weltprinzip,  Eine  ent- 
wicklungsgeschichtliche  Betrachtung :  „Das  Werden   der   Rassen 

Hi^orisGb«  Zeitschnft  (47,  Bct)  3.  folge  1.  Bd,  27 


414  Notizen  und  Nachrichten. 

und  Völker  vollzieht  sich  in   einem  Kampfe*  —    Die    natürliche 
Völkerauslese   ist   der  Kneg**,   eine   Anschauung,   der  P,  Garin     h 

in  Nr.  101  entgegentritt.  ^ 

H*  Berr  gibt  Auskunft  über  die  Arbeiten  des  um  Durkheim 
sich  scharenden  Kreises  von  Bearbeitern  der  Religtonsgeschichtei 
die  in  der  Religion  den  Kern  aller  übrigen  Gemeinschaftsbildungen 
sehen  (Les  progris  de  la  Socwiogit  reUgUtise  in  t^ev^  de  Synth* 
hist,  XII,  1).  Berr  warnt  vor  solcher  einseitigen  Lösung  einer 
schwierigen  Frage,  obwohl  er  im  übrigen  die  Verdienste  dieser  fl 
Schule  aufs  höchale  anerkennt,  ™ 

Aus  den  Grenzboten  65,  17^19  erwähnen  wir  einen  Aufsatz 
über  Christenlum  und  Kirche  in  Vergangenheit,  Gegenwart  und 
Zukunft;  aus  den  Preußischen  Jahrbüchern  124,  2:  Andresen, 
Zur  Weiterbildung  der  christlichen  Religion;  aus  den  Protestanti-  ■ 
sehen  MonatsblMttern  10,  2:  Wendland,  Die  Erkenntnis  des  über-  ™ 
sinnlichen  in  Philosophie  und  Religion;  aus  dem  Theologischen 
Literaturblatt  27,13:  Die  Materialisierung  religiöser  Vorstellungen; 
aus  der  Schweizerischen  Theologischen  Zeitschrift  23, 1  die  Fort- 
setzung von  Häberlin,  Ist  die  Theologie  eine  Wissenschaft?  fl 

E.  Bethe^  Mythus,  Sage,  Märchen  (Leipzig  1^5)  schildert 
—  manchmal  in  überflüssig  blumiger  Form  —  die  Unterschiede 
dieser  drei  Arten  der  Volkaphantasie.  Er  definiert:  „Mythus  ist 
primitive  Philosophie,  einfachste,  anschauliche  Denkform,  eine 
Reihe  von  Versuchen,  die  Welt  zu  verstehen,  Leben  und  Tod, 
Schicksal  und  Natur»  Götter  und  Kulte  zu  erklären;  Sage  ist 
primitive  Geschichte,  naiv  gestaltet  in  Haß  und  Liebe,  unbewußt 
umgeformt  und  vereinfacht;  das  Märchen  aber  ist  entstanden 
und  dient  allein  dem  Unterhaltungsbedürinis,  deshalb  ist  es  frei 
von  Ort  und  Zeit  » , .  .  es  ist  nichts  als  Poesie."  Alle  drei  Arten 
haben  sich  gegenseitig  beeinflußt;  doch  warnt  ßethe,  den  Einfluß 
des  Märchens  auf  Mythus  und  Sage  zu  überschätzen, 

Ed*  Hahn  verteidigt  —  im  Gegensatz  zu  Rieh.  Lasch  — 
seine  Theorie  von  der  Entstehung  der  Pflugkultur  („Die  primitive 
Landwirtschaft",  Zeitschr.  f.  Sozial wiss.  IX,  H*  2—4),  sowohl  den 
Hackbaubetrieb  wie  die  auf  ihn  folgende  PIlugkultur  eng  mit  dem 
religiösen  Leben  der  Babylonier  verbindend* 

Wir  notieren  aus  dem  Globus  81^  14  Lehmann-NUsche: 
Patäoanthropologle;  aus  der  Civiltä  CaUolka  1S3S:  Genii  ed  fJt' 
ploraiorL  Saggio  di  nuo\?i  studi  d^antropologia ;  aus  dem  Cosm&s 
N.  S*  Nr,  1108:  Combes,  L* komme  pnfhistanque  dans  le  Sahara 
algirien;  aus  der  Zeltschrift  L  deutsche  Philologie  38,  2;  R,  M, 
Meyer,  Ikonische  Mythen. 


I 


LI 


Allgemeines, 


416 


Aus  den  Grenzboten  sei  erwähnt  65,  15:  O.  E.  Schmidt, 
Jakob  Burckhardts  Geschichtsauffassung,  und  Nr  16:  Kaemtnel, 
Interessen  und  Ideale;  aus  dem  International  Journal  of  EthUs 
16,  3 :  R  o  y  c  e  j  Race  que&twns  anä  prejuäices  und  Alexander, 
The  evoluUon  of  ideale;  aus  der  Nation  23,  29 1  Feder:  Psycho- 
logie und  Geschichtswissenschaft;  aus  der  Neuen  Zelt  24,  33: 
Tischler,  Materialistische  GeschichtsauHassung  und  Mathe- 
matik; aus  der  Nation  23|  33:  Richard  M.  Meyer,  Die  Moral  in 
der  Weltgeschichte  (Notwendigkeit  moralischer  Kritik  nach  ßurck- 
hardts  „Weltgeschichtlichen  Betrachtungen*» 

Aus  der  Woche  8,  14/15  erwähnen  wir  einen  Aulsatz  von 
Max  Lenz,  Das  russische  Problem  (Die  russische  Revolution 
das  „Widerspiel'*  der  französischen);  aus  den  Deutsch-Amerikani- 
schen Geschichtsblättern,  Aprilheft  H.  Oncken:  Die  Mission  der 
Deutschen  als  Wandervolk  in  der  Weltgeschichte;  aus  den  Preuß. 
Jahrbüchern  124,2  P.Vogt:  Wilhelm  Jordan,  und  M.  Schneide- 
win,  Vier  Gymnasialdirektoren  (persönliche  Erinnerungen);  aus 
der  Konservativen  Monatsschrift  63,  7  v.  Fran^ois:  Die  trei- 
bende Kralt  im  Kriege* 

Als  Vorimcht  von  Studien  über  das  Frachtfubrweaen  gibt 
Eauers  In  Petermanns  Mitteilungen  52,  3  einen  Beitrag:  Zur 
Geschichte  der  alten  Handelsstraßen  in  Deutschland.  Die  bei- 
gegebene Karte  l :  1  500000  verzeichnet  die  Handelsstraßen  Mittel- 
europas im  Mittelalter,  leider  ohne  Fixierung  auf  eine  bestimmte  Zeit* 

Aus  der  Revue  internationale  de  l^enseignement  I906>  Mai  15 
erwähnen  wir  den  Gedankenaustausch  von  Aulard,  Lot  und 
einem  Anonymus  über  die  in  Frankreich  zurzeit  vielerörterte  Frage 
4er  Vorbildung  der  Archivare. 

In  der  Revue  kistarlque  90,  2  berichtet  Monod  über:  La 
chaire  d'histaire  au  Colli ge  de  France. 

Der  starke,  die  zweite  Abteilung  der  Akten  des  im  Frühjahr 
1903  zu  Rom  gehaltenen  Internationalen  historischen  Kongresses 
umfassende  Band:  Altl  del  congressa  inier nazlonate  di  seiende 
storiche,  VoL  Hl  (Roma,  Loescher,  1906.  LH,  719  S.  15  fr)  weist 
«inen  derart  mannigfachen  Inhalt  auf,  daß  auch  für  diesen  Teil 
von  einer  ins  einzelne  gehenden  Besprechung  abgesehen  werden 
muß  und  nur  auf  einige  besonders  wichtige  Erscheinungen  ver- 
wiesen werden  kann.  Von  den  auf  die  Sitzungsberichte  folgenden 
Teml  dl  discusswne  wären  zu  nennen  Fr*  Novati:  Per  la  pmbbli- 
ca^ione  del  Corpus  inscriptlonum  Halicarum  medii  aevi  und 
L,  Schiaparelli:  Froposle  per  ta  pubblica^ione  di  un  ^ Corpus 
xhartarum  Itattae'^,  ferner  G*  G  o  r  r  i  n  i  ^s  Ausführungen   über  die 

27* 


416 


Notizen  und  Kachnchten. 


Notwendigkeit  einer  gleichmäöigeren  Gestaltung  der  Besttmniun- 
gen,  die  in  den  verscliiedenen  Staaten  hinsichtlich  der  Benutzung 
von  Archivalien  rur  neueren  und  neuesten  Geschichte  getroffen 
sind,  —  Einen  höchst  erwünschten  und  lehrreichen  Einblick  in 
den  geschichtlichen  Studienbetrieb  der  einzelnen  Länder  gestatten 
die  knappeUj  sämtlich  von  hervorragenden  Vertretern  unserer 
WissenschaH  gebotenen  Referate :  L'insegnamento  e  l^organizza- 
lione  degti  stität  di  storia  nel  diverst  siati  e  nei  varti  oräini  di 
scuole,  —  Von  den  C&munlcazioni  heben  wir  hervor  den  Artikel 
von  L.  Duchesne,  der  über  die  Bischöfe  ftaliens  und  die  lango- 
bardische  Invasion  handelt^  AI*  Schult  es  Ausführungen  über 
die  Wolle  als  Beförderin  der  wirtschaftlichen  Blüte  Italiens^  L, 
Pastor:  Le  biblioteche  private  e  speelalmente  quelle  deUe  fami- 
glie  principesche  di  Roma^  die  Mitteilungen  von  L.  G.  P  6 1  i  s  s  i  e  r 
über  Dokumente  zur  Geschichte  der  Beziehungen  zwischen  Frank- 
reich und  ftalien.  Ober  historische  Evolution  handelt  L.  M.  Hart- 
mann, einen  Oberblick  von  den  Anfängen  der  Kommune  bis  zu 
denen  der  Signorie  bietet  F>  Gabotto.  —  Mit  methodischen 
Fragen  befassen  eich  u.  a,  Thayer,  Koron,  Gentile»  Croce 
und  Nitti,  und  schließlich  wären  noch  einige  Arbeiten  aus  dem 
Gebiet  der  historischen  f-fllfswissenschaften  zu  nennen^  nämlich 
Pribram:  Ober  die  Frage  einer  allgemeinen  historischen  Biblio- 
graphiC}  Marzi:  Neue  Studien  und  Forschungen  zur  Kalender- 
frage  im  15.  und  16.  Jahrhundert  und  Gampori:  tJber  die  Zu* 
sammenstellung  des  Briefwechsels  von  Muratori. 

Neue  Bflcher:  Weltgeschichte,  hrsg*  von  Helmolt.  6.  Bd., 
!.  Häifte.  (LeipsEig,  Bibliograph,  Institut,  4  M.)  —  Ribera,  Lo 
eientificü  en  la  historla.  (Madrid,  ÄpalaUgul)  —  Barbey 
d M  u re  V Uly,  De  Vhi$toire.  (Paris,  Lemerre,)  —  Coartaax ^ 
U historiographie,  T.  L  (Paris,  Cabinet  de  t'kistüriagraphie*)  — 
Sarel,  Le  systäme  hlstorique  de  Renan,  HL  Renan  Historien  du 
chrlstlanisme,  (Paris,  Jacques.  3  fn) —  Rosij  Studi  sloncL  (Bo- 
logna, ZanlehellL  4  fr,)  —  Ratzel,  Kleine  Schriften,  Herausg* 
durch  Helmolt.  Mit  einer  Bibliographie  von  Hantzsch.  2.  Bd* 
(München,  Oldenbourg»  13  M.)  —  Mater^  L'^glise  catholique,  sa 
consHtuHon^  son  admlnistration,  (Paris,  Colin.  5  frj  —  Seh  mid- 
iin,  Geschichte  der  deutschen  Naticnalkirche  in  Rom  S*  Maria 
deirAnima,  (Freiburg  i.  B.,  Herder,  15  M,)  —  De  Bas,  Reper- 
loriam  voor  de  nederlandscke  krljgsgeschledenls.  Cs  Gravenkage, 
van  Cleef.  S  fL)  —  D^Hoop^  Inventaire  g^n^ral  des  arckives 
eccläsiasHques  de  BrabanL  T.  L  (BraxelleS)  GuyoL)  —  Trani, 
La  casa  di  Savoia  e  la  Francia.  (Torinü,  C lausen.)  —  H  ru- 
ße vlkyi,  Geschichte    des    ukrainischen    (ruthenischen)  Volkes. 


Alte  Geschichte. 


417 


L  Bd.  (Leipzig,  Teubtier.  !8  M.)  —  Supan,  Die  territoriale  Ent- 
wicklung der  europäischen  Kolonien  (Gotha,  Perthes.  12  M.)  — 
Lüschin  v»  Ebengreuth,  Die  Munre  ats  historisches  Denkmal 
sowie  ihre  Bedeutung  im  Rechts-  und  Wirtschaftsleben.  (Leipzig, 
Teubner.    I  M*) 


Alte  Geschichte. 

Aus  der  Kilo  (so  heißen  jetzt  die  trefflichen,  oft  von  uns 
schon  angeflogenen,  von  C,  F,  Lehmann,  jetzt  C.  F.  Lehmann* 
Haupt  und  C«  Komemann  herausgegebenen  Beiträge  zur  alten 
Geschichte)  5,3  (190ö)  notieren  wir  J,  Beloch:  Griechische  Auf- 
gebote [;  C.  F.  Lehmann-Haupt:  Hellenistische  Forschungen 
3.  Zur  attischen  Politik  vor  dem  chremonideischen  Kriege  (worin 
fein  und  richtig  der  Abschluß  des  ägyptisch-athenischen  Bünd- 
nisses zum  guten  Teil  als  Werk  der  Arsinoe  Phitadelphos  dar- 
gestellt  wird);  R.  Nordin:  Aisymnetie  und  Tyrannis;  A.  Wil- 
helm: fnschrift  aus  Kyzikos  (behandelt  das  Athen.  Mitt,  9, 60  ver- 
öffentlichte Beamten  Verzeichnis,  das  die  eponymen  Hipparchen 
von  Kyzikos  verzeichnet,  was  gewiß  richtig  ist);  A*  Köhler: 
Reichsverwaltung  und  Politik  Aleicanders  des  Großen;  £.  Kor  ne- 
in an  n^  Zum  Streit  um  die  Entstehung  des  Monumentum  Ancyra- 
num  (verteidigt  seine  Hypothese  gegen  Fr,  Koepp  und  V.  Gardt- 
hausen);  G.  Kazarow:  Monumentum  Ancyranum ;  P.Wolters: 
Die  Dauer  des  Vesuvsausbruchs  im  Jahre  79;  C.  Thulin:  Eine 
Folygonalmauer  aus  my kenischer  Zeit  und  R,  Kiepert:  Die 
Poikile  Petra  bei  Seleukeia  in  Kilikien« 

R.  Frhn  v.  Lichtenberg:  Beiträge  zur  ältesten  Geschichte 
von  Kypros  sucht  zu  beweisen^  daß  wir  es  in  Kypros,  Troia  und 
Phrygien  mit  einer  gleichartigen  Kultur  zu  tun  haben,  deren 
Wurzeln  nach  der  Balkanhalbinsel  hinweisen  und  sich  wohl  bis 
ins  südliche  Ungarn  hin  verfolgen  lassen,  womit  die  antiken  Uber^ 
Jteferungen  allerdings  stimmen  (Mitteilungen  der  Vorderasiatischen 
CeseJlschaft  1906,  2). 

Die    das    erste    erschienene    Heft    der    zusammenfassenden 

Publikation  des  österreichischen  archäologischen  Instituts  über 
Ephesos  besprechende  Arbeit  G,  R  ad  e  t  s :  Iö  topogmphie  d-^phese 
(im  Journal  des  Sdva/iis  1906,  5)  sei  hier  noch  erwähnt,  weil  sie 
die  Probleme  fordert  und  nützliche  Beiträge  zur  Kenntnis  der 
berühmten  Stadt  bringt. 

In  den  Abhandlungen  der  historischen  Klasse  der  Kgl  Baye- 
rischen  Akademie  der  Wissenschaften  23^  3  (1906)   veröfientlicht 


418 


Notizen  und  Nach  richten. 


E.  Brandenburg:  Neue  Untersuchungen  im  Gebiet  der  Phry 
gischen  Felsenfassaden,  die   sehr  nützlich  sind   und   auch  neues 
Material  bringen, 

!n  den  Mitteilungen  des  Kats*  deutschen  archäolagischen 
Instituta,  RömiBcbe  Abteilung  20,  3  widerspncht  mit  guten  Gründen 
zunächst  F,  H  a  u  s  e  r :  Plinius  und  das  zensorische  Verzeichnis 
der  Annahme  DetlefsenSj  daß  Plinius  fast  allesj  was  er  über  tn 
Rom  behtidliche  Schöpfungen  der  Kunst  zu  sagen  weiß,  einem 
zensorischen  Verzeichnis  der  im  Staatsbesitz  befindlichen  Kunst- 
werke verdanke,  Weiler  widerlegt  schlagend  C*  Patsch;  Der 
illyrische  Zoll  und  die  Provinzialgrenzen,  Domaszewskrs  Lehre 
vom  Zusammenfallen  der  Zollstaüonen  mit  den  Provinzialgrenzeci; 
und  O.  Seeck  stellt  die  Inschrift  des  LoUianus  Mavortlus  her 
aus  ClLVl  1757  und  1723,  deren  Zusammengehörigkeit  er  richtig 
erkannt  hat» 

Im  Rheinischen  Museum  61,2  veröffentlichen  W*  Volt g raff 
unter  dem  Titel  AABPT^  ausgehend  von  den  vielen  Ortsnamen 
gleichen  Stammes  Untersuchungen,  die  weit  über  das  topogra- 
phische Interesse  hinausgehendj  große  geschichtliche  Zusammen- 
hänge eröffnen:  nämlich  die  Verwandtschalt  der  Etrusker  und 
wohl  auch  der  Iberer  und  Libyer  mit  der  Urbevölkerung  Griechen- 
lands und  Kleinasiens,  ein  Resultat,  das  schon  von  anderen  ge- 
wonnen durch  Ortsnamenforschung  eine  erwünschte  Betätigung 
gewinnt;  A.  v.  Meß:  Untersuchungen  über  die  Arbeitsweise 
Diodors  und  endlich  W.  Bannierr  Zu  den  attischen  Rechnungs* 
Urkunden  des  5.  JahrhundertSj  der  sehr  gute  Resultate  durch  seine 
Arbeit  gewinnt. 

Im  Hermes  4j  2  setzt  zunächst  W-  Dittenberger  seinen 
Artikel  über  Ethnika  und  Verwandtes  fort.  Dann  handeln  J.  Geff- 
cken  über  die  Verhöhnung  Christi  durch  die  KriegsknechtCj  gegen 
die  religionsgeschichtitche  Auffassung  von  Wendland  und  Vollmer 
und  gegen  die  üterargeschichtiiche  von  Reich  gerichtet,  aber 
ohne  Entscheidung  über  Wahrheit  oder  Fälschung  des  evangeli* 
sehen  Berichtes  zu  bringen;  S.  Sudhaus  über  den  Mimus  von 
Oxyrhynchos;  M.  Bang:  Die  mtlitärlsehe  Laufbahn  des  Kaisers 
Maximus,  dem  man  wohl  zustimmen  kanUj  und  Th.  Thal  heim: 
Elsangellegesetz  in  Athen,  das  mit  guten  Gründen  ins  Jahr  411 
V*  Chr.  gesetzt  wird,  jedenfalls  nicht  ins  Jahr  350* 

In  den  Streit  um  Ithaka-Leukas,  der  jetzt  durch  Dörpields 
Grabungen  auf  Leukas  und  seine  verschiedenen  Schriften,  welche 
Leukas  als  Heimat  des  Odysseus  erweisen  wollen,  heftig  entbrannt 
istj  greift  W*  v.  Mardes:  Die    Ithakalegende   auf  Thiaki  ein  im 


i 


AJie  Geschichte, 


419 


Sinne  Dörpfelds  (Neue  Jahrbücher  für  das  klass.  Altertum  %  4). 
Ebendort  behandelt  klar  und  lichtvoll  Th.  Zielinski  auf  Grund 
der  Rostowzewschen  Publikationen  die  römischen  Bleitesserae. 
Ein  neues  Denkmal  altrömischen  Lebens,  Im  5.  Heft  derselben 
Zeitschrift  bespricht  G-  Finsler:  Das  homerische  Königtum. 

Aus  den  Grenzboten  65.  Jahrg*  Nr  13  notieren  wir  W,  Kroll, 
Antike  Universitäten. 

In  den  Sitzungsberichten  der  philosophisch-philologischen  und 
der  historischen  Klasse  der  KgL  Bayer.  Akademie  der  Wissen- 
schaften  zu   München  1906,  Heft  1  veröffentlicht  R.  Föhlmann: 

Sokratische  Studien. 

Im  Philologus  65,  1  (1906)  weist  W*  DÖrpfeld:  Alt-Athen 
zur  Königs^ett  ruhig  und  sachlich,  aber  eindringlich  und  über- 
reugend  die  von  £.  Drerup  neuerdings  aufgestellten  Annahmen 
und  Vermutungen  über  Lage  und  Gestalt  der  ältesten  Stadt 
Athen  zurück.  Ebendort  handelt  A.  Klotz  über  die  ExposUto 
tütius  manäi  et  gentium^  wobei  richtig  nachgewiesen  wird,  daß 
Expositio  und  Junior  abhängig  voneinander  sind  und  beide  auf 
ein  griechisches  OriginaE  zurückgehen,  was  neuerdings  von  Sink 
in  Abrede  gestellt  war. 

In  den  Jahresheften  des  Österreichischen  archäologischen 
Instituts  9,1  veröffentlicht  H,  Schenkl  ein  neues  Bruchstück 
des  Edidum  Diocletiani  aus  der  Vorrede  (=  Ij  23—28;  dasselbe, 
das  schon  Forster  im  Journal  of  helknic  stuäies  25,  2  [I905J  pu- 
blizierte), weiter  verbessert  und  erläutert  vortrefflich  0*  Cuntz: 
Das  cotiegium  fabrum  in  Aquileia  die  Inschrift  bei  Pals  Nr,  181, 
und  A.  Schulten  veröffentlicht  zwei  Erlasse  des  Kaisers  Valens 
über  die  Provinz  Asia,  die  freilich  ungewöhnlich  interessant  sind 
und  viel  Licht  verbreiten;  es  frag  sich  aber  doch,  ob  wirklich 
jetzt  die  Asiarchen  endgültig  erklärt  sind.  W.  K  ubi  tsch  ek: 
König  Ecritusirus  bringt  einen  Beitrag  zur  Geschichte  der  Daker 
unter  Bureblsta  und  E.  Maaßr  Die  Griechen  in  Südgallien*  Aus 
dem  Beiblatt  notleren  wir  H.  Swoboda  und  W,  Wllberg: 
Bericht  über  Ausgrabungen  in  Grado;  A*  Gnirs:  Forschungen 
im  sudlichen  I Strien ;  P,  O  r  t  m  a  y  r  und  L  S  i  e  g  e  h  Ein  Paar 
tnililärischer  Grabsteine  in  Verona;  R.  Engelmann:  Aqnae 
Albuime;  A.  Brückner:  Zum  Athenalos  eines  Psephismas  aus 
Notion. 

Eine  Reihe  neuer  Münzen  (aus  Kyzikos,  ApoUonia,  Mileto- 
polis,  Hadrianutherae  und  Poemanenum)  teilt  F.  W.  Hasluck: 
Notes  Oft  cüin-ccUecting  in  Mysia  mit  in  The  Numis matte  Chro' 
nicle    I906j  1 .    Ebendort  handelt   B,  V,  H  e  a  d    über    ihe   eartiest 


t 


420  Notizen  und  Nachrichten. 

grueco-batirian  and  graeco-mdian  coins  und  F,  I  m  h  o  o  f  -  B I  u m e r ; 
Th€  mint  at  ßabylon  verteidigt  glücklich  und  überzeugend  seine 
Zuteilungen  einer  Gruppe  von  Alexander-  und  Satrapenmünzen 
<Doppetdareiken  in  Gold,  Löwenmünzen  in  Silber)  an  die  Münz- 
stätte Babylon  (zwischen  331 — 306)  gegen  die  Einwände  von  Ho- 
worth,  der  jene  Münzen  der  Süd*  und  Westküste  Vorderasiens 
zuteilt. 

Denselben  Aufsatz  in  deutscher  Sprache  wiederholt  F,  I  m  > 
hoof-Blumer  in  der  Numismatischen  Zeitschrift  37,  i;2> 

Aus  derselben  Zeitschrift  notieren  wir  noch  M.  Bahrfeld t: 
Die  Münzen  des  Flottenpräfekten  des  Marcus  Antonius  und  A. 
Markh  Rektifikationen  zu  Cohens  Beschreibung  der  Münzen  von 
Claudius  n.  und  Quintillus. 

Walter  Otto:  Priester  und  Tempel  im  hellenistischen  Ägypten. 
Ein  Beitrag  zur  Kulturgeschichte  des  Hellenismus.  L  Bd,  Leipzig 
und  Berlin,  B.  Gv  Teubner.  f  905,  XIV  u.  418  S.  Mit  großer  Sorg- 
falt ist  in  diesem  Bande  das  Material  vor  allem  aus  der  Papyrus- 
literatur zusammengetragen  und  verarbeitet  worden,  welches  sich 
auf  die  Organisation  der  Priesterschaft  und  die  Verwaltung  der 
Tempel  in  dem  Ägypten  der  Ptolemaer-  und  Kaiserzeit  bezieht. 
Dabei  ist  das  Verhältnis  von  Staat  und  Kirche  in  dieser  Epoche 
untersucht  und  der  Ursprung  einer  Reihe  von  Institutionen  er- 
örtert worden.  Wenn  der  Verfasser  auch  eine  Gesamtdarstellung 
der  Religion  des  hellenistischen  Ägyptens»  deren  tieferes  Ver- 
ständnis Reitzensteins  neueste  Forschungen  erschlossen  haben, 
nicht  versucht  hat,  so  darf  doch  dieses  Buch  als  eine  vortreffliche 
Vorarbeit  dazu  gelten. 

Die  Revue  arch^ologiqfu  1906,  März-Apdl  bringt  eine  Arbeit 
von  S.  de  Ricci:  La  Chronologie  des  premiers  pairiarchts  d'Ale- 
xandriej  der  den  zweiten  Nachfolger  der  hU  Marcus^  den  Abilius 
für  einen  wirklichen  Bischof  Alexandriens  hält  und  mit  Recht 
darauf  hinweist,  daß  dieser  Abilius  {■=^  tat.  AvilHus)  von  einem 
Freigelassenen  des  Prafekten  A.  Avillius  Flaecus  abstammen  kann. 
Weiter  folgt  die  Fortsetzung  der  bereits  angezeigten  Aufsätze 
von  P.  M  o  n  e  c  a  u  X :  Enquite  sur  V^pigraphie  chrätienne  d^Afriqiie 
und  von  S,  Chaberl:  Histoire  sommaire  des  Stades  d'äpigraphie 
grecque  ei  r omaine  en  Europe.  Den  Schluß  macht  die  v ortreif' 
liehe  Revue  des  publicalions  ^pigraphiques  relatives  ä  Vantiqmii 
romaine  von  R.  Cagnat  et  M.  Besnier, 

Im  Bulletin  de  correspondance  hellänique  1906,  3/5  veröffent- 
lichen P.  Jouguet:  Papyrus  de  Ghoran.  Fragments  de  com^dlts 
und  G-  C  o  f  i  n :  Inscriptlons  de  Detphes.  La  ihiorie  Äth^nitnne  ä 


4 

4 

4 


P    k 


Alte  Geschichte, 


421 


Delphes^  M.  Holleaux  macht  ausgezeichnete  Bemerkungen  über 
den  Papyrus  von  Gourob  (Flinders  Petrie  papyrus  II,  XLV;  IH, 
CXLIV,  der  eine  Aufzeichnung  über  den  3,  Syrischen  Krieg  ent- 
hält) und  sar  une  InscnpHon  de  Colophan  Nova, 

Im  American  Journal  of  archaeotagy  10,  1  (1906)  veröffent- 
licht O.  M.  W  a  s  h  b  u  r  n  The  buildings  inscrlpUons  of  the  Erech' 
theumf  denen  A.  Frickenhaus  Beiträge  zur  Erklärung  beifügt* 
Welter  berichten  O.  M.  Washburn  über  txca\^aUon3  at  Corinth 
1905  und  G*  Ph*  Stevens  über  the  east  wall  ofihe  Erechlheam.  Zum 
Schluß  sei  wieder  auf  die  treffliche  Übersicht  H.  N.  Fowlers 
über  neue  Grabungen  und  Funde  auf  dem  Gebiet  der  AltertuinS' 
Wissenschaft  hingewiesen. 

In  den  Mtmorie  della  r,  Auademla  delle  sclenze  dt  Torin o 
ser.  2j  tomo  55:  scienze  morall  sloriche  e  ßlologkhe  handelt  F. 
Ghione  gründlich  und  ausführlich  üb^T  I  cümtini  del  regnü  dl 
PergamOf  wofür  für  die  Ausdehnung  und  Entwicklung  des  perga- 
menischen  Reiches  viel  brauchbare  Resultate   gewonnen  werden. 

Aus  den  Rendiconli  della  r.  Äccademia  det  Lincei^  ciasse  di 
scienze  morali,  sloriche  e  filol&gühe  1905,  9/10  notieren  wir  den 
Bericht  von  0*  Biondi  über  Scavi  eseguiie  a  Hermupolls  Magna, 

Aus  den  Notizie  degtl  scavi  di  anlichüä  1906,  7—12  notieren 
wir  G.  F.  Gamurri  n  i:  Dl  ana  Iscrizlone  onararia  all' imperalore 
Adriano  scoperte  presse  Derala;  Gatti:  Roma.  Naove  scoperle 
netla  citlä  e  nel  suburbio ;  A,  S  o  g  1  i  a  n  o :  Pompel.  Refazione  degli 
scavi  falti  dal  dicembre  /902  a  taito  marzo  1905;  A.  Salinas: 
Iscrizionl  onorarle  dt  Lillbeo^  von  denen  die  eine  uns  den  vollen, 
bisher  unbekannten  Namen  des  vierten  Sohnes  des  Kaisers  Marcus 
kennen  lehrt ;  G,  Ghirardini:  Lapide  romana  scoperta  nella 
fandazioni  del  campanile  di  s.  Marco;  L.  A.  Milani:  ipogeo  pa^ 
leoefrusco  di  Moniecalvario  presso  CastelUna  in  Chlanti;  G.  G  h  i  - 
rardini:  NoHzia  prell minare  sugli  scavi  del  teatro  romano ;  F. 
S  a  v  i  n  i :  Scoperle  della  necropoli  preromana  deW  anlica  inter* 
amnla  Praeiutliaram ;  D*  Vaglieri:  Grotlaferrata.  Impartanii 
lapldi  iscrilte ;  G,  Ghirardini:  Lozzo  Äieslino.  Tamba  prlmitlva 
SCO  per la  sul  decllvio  del  monte;  R.  Paribenl:  Scavi  nella  necro- 
poli  capenale ;  Q,  Patron  i:  Tomte  galliche  rinvenute  nel  terri- 
torio  del  comttne  (Rlpalla  Nuova) ;  A*  A  I  f  o  n  s  i :  Anlichitä  romane 
scoperle  nel  fando  Chionsano  (Gaiba);  A.  Sog^Hano:  Cuma. 
Epigrafe  graeca  arcaica;  P*  Grsi^  Scavi,  e  scoperle  nel  sud-est 
delta  Sicilia  (Luglio  1904  -—  Giugno  190B);  A,  Ferrero:  Tomba 
&  barbarica  scoperla  faori  della  clitä  (Torino) ;  G.  E,  Rizzo:  Sar^ 


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F    I 


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422  Notizen  und  Nachrichten, 

P.  0-  Schjtftt:  Die  römische  Geschlchle  Im  Lichte  der  neue- 
sten Forschungen  zeigt  im  L  Abschnitt:  Die  Anfänge  Roms  den 
starken  etrüsklschen  ElnfluG  bei  der  Gründung  sowohl  als  auch 
in  der  Kultur  des  ältesten  Roms,  womit  er  wohi  im  allgemeinen 
wenigstens  auf  Billigung  rechnen  darf,  während  der  2.  Abschnitt:  ^ 
Die  Servianische  Reform  und  die  sex  smffragia  viele  Hypothesen  fl 
enthältj  wodurch  unseres  Erachtens  noch  nicht  alle  Schwierig- 
keiten  in  der  allerdings  sehr  verwickelten  Frage  behoben  werden. 
( Videnskübs-Selskabets  Skrißen  ChrisUanla  II :  HisL-Fiias.  Klasse 
1906,  L) 

Dr.  Max  Schermann,  Der  erste  punische  Krieg  im  Lichte  ^M 
der  livianischen  Tradition.  Ein  Beitrag  zur  Geschichtschreibung 
des  Livius  und  seiner  Nachfolger.  Tübingen,  H.  Laupp.  1905, 
120  S,  Die  Tübinger  Dissertation  bezweckt  eine  Wiederherstellung^ 
wenn  auch  nicht  der  verlorenen  Bücher  16  bis  19  des  Livius  selbst^ 
so  doch  wenigstens  der  Livius-EpitomeT  die  unmittelbar  oder  mittel'^ 
bar  von  den  späteren  Epitomatoren  und  Abbreviaturen  verwendet 
worden  ist.  Für  jedes  einzelne  Jahr  und  jedes  einzelne  Kriegs- 
ereignis werden  die  Abweichungen  innerhalb  der  annalistisch- 
römischen  Quellengruppe  festgestellt  und  unter  f-leranziehung  der  ^ 
griechischen  Gewährsmänner  Polybius  und  Diodor,  auch  Dio-  H 
Zonaras  einer  Wertbeurteilung  unterworfen.  Viele  Fragen  bleiben 
dabei  unentschieden^  schon  wegen  der  Dürftigkeit  des  Materials; 
auch  soll  die  Arbeit  im  wesentlichen  nur  eine  Quellenuntersuchung 
sein.  Allerdings  wäre  eine  deutlichere  Heraushebung  des  Ergeb- 
nisses, eine  möglichst  abgerundete  Wiedergabe  der  ermittelten 
Bestandteile  der  Liviusepitome  erwünscht  gewesen.  Dafür  aber  ist 
die  Abhandlung  durch  ihre  fleißigen  Zusammenstellungen  und 
Analysen  des  Quellenmaterials  für  jeden  von  Wert^  der  sicfi  mit 
irgend  einer  Frage  über  den  ersten  punischenVKrieg  befassen  will,  L, 

Der   von   unn  schon   angezeigte   ausgezeichnete  Bericht  W«    ^M 
Liebenams  über  die  Arbeiten  auf  dem  Gebiet   der  römischen 
Staatsaltertümer  wird   fortgesetzt  im  Jahresbericht  über  die  Fort- 
schritte der  klassischen  Altertumswissenschaft  1905,  11/12. 

Im  Korrespondenzblatt  für  die  höheren  Schulen  Württembergs 
13,  1  veröffentlicht  J.  Miller  seine  am  Königsgeburtstag  gehaltene 
Rede:  Der  Untergang  des  römischen  Reiches  nach  seinen  Ur- 
sachen, welche  auf  dem  ihr  zugewiesenen  engen  Raum  natürlich 
nicht  erschöpfend  ist,  aber  doch  anregend  wirkt  und  nicht  blolä 
eine  Ursache,  sondern  deren  viele  anerkannt. 

Aus  der  Zeischrift  für  wissenschaftliche  Theologie  4Q,  l  no- 
tieren  wir  G,  Förster:   Die  Neumondfeier  im  Alten  Testament. 


I 


Alte  Geschichte. 


42S 


^]*  Haecker;  Die  Jungirauen-Geburt  und  das  Neue  Testament; 
W*  Lüdtke:  Die  koptische  Salome-Legende  und  das  Leben  des 
Einsiediers  Abraham  (weist  für  die  von  Revillout  behandelte  Sa* 
lome-Legende  sehr  instruktive  Bezüge  mit  der  in  den  Vttat  Patrum 
erzählten  Geschichte  der  Maria  Meretrix  nach)  und  endlich  A. 
Htlgenfeld:  Der  Clemens-Roman,  der  gegen  H.  Waitz  und  A. 
Hamack  polemisiert  und  seine  Ansichten  von  Zeit  und  Art  der 
Entstehung  des  Clemens-Romanes  verteidigt. 

ß,  de  Labriolle:  TeriaUUn  Juriscansuite  zeigt  in  über-» 
zeugender  Weise,  daß  les  concepUons^mattresses  de  TertalUen  ont 
rtpii  tear  forme  du  droit  r&main.  (Nouveltc  Rei*ue  kistarique  de 
droit  {ranfais  et  ^tranger  30,  1  [1906].) 

Aus  der  Theologischen  Quartalsschrift  SS,  2  (1906)  notieren 
wir  K.  Böckenhoff:  Die  römische  Kirche  und  die  Speise- 
satzungen der  Bußbücher. 

Die  Neue  kirchliche  Zeitschrift  17,  2  bringt  die  Fortsetzuug 
der  Arbeit  von  H  Ö  n  n  i  c  k  e  :  Neuere  Forschungen  zum  Vaterunser 
des  Matthäus  und  Lukas,  worin  die  Versuche,  eine  Urform  des 
iVaterunsers  zu  konstruieren,  als  nichtgegliickt  abgelehnt  werden* 
^  Die  Mainummer   des  Expositor   bringt    die   Fortsetzung    von 

W.  M,  Ramsay:  Tarsus,  Ebendort  veröffentlicht  J.  Moffatt; 
Mutes  on  recent  New  Testament  study y  worin  einige  neue  Er- 
scheinungen kritisch  kurz  besprochen  werden,  denen  St*  A.  Cook 
in  ähnlicher  Weise  Old  Testament  Notes  folgen  läßt. 

Neue  Bücher;  Milan i^  Studi  e  materiaU  di  archeologia  e 
numismätica,  (Firenze,  Seeber.)  —  Win  ekler,  Der  alte  Orient 
und  die  Geschichtsforschung,  (Berlin,  Peiser.  4  M,)  —  Urkunden 
des  ägyptischen  Altertums.  Hrsg.  v.  Geo,  Steindorfl.  [V.  Abtlg. 
Urkunden  der  18.  Dynastie.    J.  Bd.   (Leipzig,  Hinrichs' Veri.  20  M,) 

—  E*  Meyer,  Die  Israeliten  und  ihre  Nach  bar  stamme.  (Halle, 
Niemeyer,  14  M.)  —  Kuemmel,  Karte  der  Materialien  zur  Topo- 
graphie des  alten  Jerusalem,  Farbdr*  nebst  ßegleittext,  (Halle, 
Haupt.  18  M.)  —  Cousin j  Kyros  le  Jetine  en  Äste  Mlneure  (Prln~ 
temps  4ÖS  ä  Juitlet  401  av.  /-Cj.  (Paris-Nancy,  Berger- Levrauti 
<fi  Q>,  10  fr,)  "  Cardin  all,  U  regno  di  Pergamo,  (Roma, 
Loeschcr  <£  CöJ  —  Sambon^  Les  monnaies  antiques  de  Vita  He, 
T.  l^r-^  (ÄngerSf  Burdin  <fi  Cie.)  —  Hesselmeyer,  HannJbals 
Alpenübergang  im  Lichte  der  neueren  Kriegsgeschichte.  (Tübingen, 
Mohn  0,80  M.)  —  Colin,  Rome  et  ta  Grice  de  200  ä  146  av.J.-C. 
(PariSj  FontemoingJ  —  Natoii,  l  GracchL    (MitanOj  PalleslrinL) 

—  DottiHf  Manuel  pour  servir  ä  l'ilude  de  Vanliquilä  celtique. 
(PariSj   Champion.    5  frj   —  V  e  i  t  h ,   Geschichte   der    Feldzüge 


424 


Notken  und  Nachrichletk 


C  Julius  Caesars.  (Wien,  Seidel  &  Sohn,  25  M.)  —  Shttakturgh, 
Augitsttts:  the  life  and  times  of  the  founder  of  the  roman  empire 
(Lonäofif  Fisher  Unwin.)  --  Fiiow,  Die  Legionen  der  Pro v im 
Moesta  von  Augustus  bis  auf  Diokletian.  (Leipzig,  Dieterich. 
5  M.)  —  Antike  Denkmaler  in  Bulgarien,  ßearb*  von  KaUnka. 
(Wien»  Holder*  20  M.)  —  Smith,  Der  vorchrislHche  Jesu,  nebst 
weiteren  Vorstudien  zur  Entstehungsgeschichte  des  Urchristen- 
tums. (Gießen,  Töpelmann,  4  M,)  —  De  La/arge ^  La  papanU: 
son  Inf  lue  nee  dans  ie  monde  au  /F*  stiele,  fSens^  Miriam.)  — 
Caraliera,  Le  schisme  d^  An  Hoc  hie  (IV**— V^  siicie).  ( Paris , 
Picard  ei  füs,  7,50  fr J  —  Soltau,  Das  Fortleben  des  Heidentumi 
in  der  altchristttcben  Kirche,    (Berlin,  Reimer,   t  M  ) 


Rdmisch-germanlsche  Zeit  und  frühes  Mittelalter  bis  1250. 

Zur  Vorgeschichte  des  deutschen  Bodens  notieren  wir  dies- 
mal nur  zwei  Arbeiten,  die  von  W.  Ketz  über  den  Urnenfriedhof 
bei  Bahrendorf  im  Kreis  Dannenberg  (Lüneburger  Museumsblätter 
3)  und  die  Zusammenstellung  der  neuen  prähistorischen  Funde  in 
der  Uckermark  von  K.  Schumann  (Mitteilungen  des  ackermär- 
kischen Museums-  und  Geschichtsvereins  zu  Prenzlau  3,  1).  Will- 
kommen wie  immer  ist  die  Museographie  für  Westdeutschland  und 
Bayern  für  das  Jahr  1904  auf  1905  mit  ihren  Verzeichnissen  der 
Neuerwerbungen  der  dortigen  Museen,  namentlich  der  zu  Metz, 
Mainz,  Bonn  und  Trier,  Eine  Reihe  von  Tafeln  dient  der  Veran- 
schaulichung  der  wichtigsten  Funde,  die  den  Museen  von  Stras- 
burg, Metz  und  Trier  einverleibt  wurden  (Westdeutsche  Zeitschrift 
24,  4), 

Arbeiten  zur  römischen  Periode  der  deutschen  Geschichte 
sind  nicht  ausgeblieben,  doch  begnügen  wir  uns  mit  dem  Hinweis 
auf  nur  zwei  von  ihnen,  C,  Schuchhardt  wägt  die  Gründe 
gegeneinander  ab,  die  für  die  Gleichsetzung  von  Aliso  mit  IHaltern 
oder  für  die  Identifizierung  von  Oberraden  mit  Aüso  sprechen* 
Im  Gegensatz  zum  Entdecker  der  Verschanzungen  bei  Oberraden. 
O.  Prein,  der  sie  für  die  Reste  von  Aliso  erklärt  hatte  (vgL 
seine  Schrift:  Aliso  bei  Oberraden.  Münster,  Aschendorf f  1906* 
7B  S,),  hält  Schuchhardt  daran  fest,  daß  Aliso  einzig  und  allein 
in  Haltern  wiedergefunden  werden  könne,  daß  aber  in  Qberraden 
nur  ein  Feldlager  zu  suchen  sei  (Westdeutsche  Zeitschrift  24,  4). 
G.  Lachenmaier  behandelt  die  Okkupation  des  Limesgebietes 
durch  die  Römer.  Die  eindringende  Untersuchung,  die  sich  bereits 
mit  den  Arbeiten  von  Fabricius  und  Knorr  (vgl.  %,  53L  533)  aus- 
einandersetzen  konnte^    ist    ausgestaltet   mit   einer  guten   Karte, 


p  i 


deren  Übersichtlichkeit  dem  Leser  bei  den  hiufig  sehr  ins  Detail 
gehenden  Aosführungen  zustatten  Itommt»  Die  Studie  wäre  noch 
eindrucksvoller,  faßte  sie  ihre  Ergebnisse  In  kurzen  Sätzen  wenig* 
stens  zusammen;  immer  wieder  macht  man  die  Beobachtung,  daß 
die  Autoren  häufig  bei  ihren  Lesern  Einzelkenntnisse  voraussetzen, 
die  sie  nach  Lage  der  Dinge  gar  nicht  haben  können  oder  die  sie 
eben  erst  durch  die  Lektüre  gewinnen  wollen,  daß  Kontroversen 
erörtert  werden  ohne  prägnante  Heraushebung  der  Gründe  des 
beiehdeten  Gegners^  Wenn  eine  Abhandlung  von  rund  80  Seiten 
ohne  Kapitel-  oder  Paragrapheneinteilung  ein  Füllhorn  von  Details 
ausschüttelt  so  müßte  sie  doch  etwas  Rücksicht  nehmen  auf  die 
Rezeptionskrait  des  menschlichen  Gedächtnisses,  dessen  Feinde 
nach  einem  bekannten  Worte  die  langen  Kapitel  sind  (Württem- 
bergische Vierteljahrshefte  für  Landesgeschichte  N.  F.  15,  2)» 
»,  Je  eine  Arbeit  gilt  den  letzten  Schicksalen  der  Ost-  und  der 
Westgoten,  Eine  Broschüre  von  0.  v,  P i  1  le m e n  t ,  Ostgoten*  Das 
Ende  in  Italien,  Ostgermanische  Namensgebungen,  Ein  goliBcher 
Kanton  (Leipzigi  Dieterich  1906.  38  S.)  stellt  sich  dar  als  die  Ver- 
einigung älterer  Aufsätze  ihres  Verfassers.  Ihre  Aufgabe  ist  zu 
ermitteln,  ob  und  wo  sich  Spuren  der  Ostgoten^  auch  nach  der 
Schlacht  am  Mons  Lactarius  (553)  und  der  Zertrümmerung  ihres 
Staates  erhalten  haben.  Dem  Verfasser  sind  in  Tlrol^  insbesondere 
in  Ladlnien,  ostgermanische  Namengebungen  so  typischer  Art  ent- 
gegengetreten^ daß  er  glaubt,  hier  Spuren  gotischer  Einwanderung 
zu  linden^  ebenso  aber  auch  in  Graubünden  und  am  Genfersee< 
Ohne  über  die  sprachlichen  Darlegungen  urteilen  zu  dürfen,  möch- 
ten wir  glauben,  daß  diese  Hypothesen  nicht  allgemeinen  Beifall 
finden  werden,  obwohl  sie  mit  großer  Warme  aufgestellt  und  ver- 
teidigt werden.  Den  Fall  des  Westgotenreiches  In  Spanien  (711) 
schildert  ein  Aufsatz  von  Dykes  Shaw  in  der  Engllsh  Histarkal 
I^eview  21  Nr,  S2,  Leider  sind  die  neueren  Ausgaben  der  Chronrken 
wie  z.  B.  der  des  Johann  v,  Biclaro  von  Th.  Mommsen  {MG^  auci. 
aniL  XI)  und  die  Untersuchungen  von  K^  Zeumer  über  die  Chro- 
nologie der  Westgotenkönige  (Neues  Archiv  27)  nicht  benutzt^ 
aber  hoffentlich  regt  die  Studie  zu  weiteren  an^  für  die  durch  K. 
Zeumer  die  wertvollsten  Hilfsmittel  dargeboten  sind. 

Dr,  Joseph  Schmid,  Die  Osterberechnung  auf  den  briti- 
schen f  nseln  vom  Anfang  des  4.  bis  zum  Ende  des  %  Jahrhunderts 
(Regensburg,  G.J.Manz»  1904)  behandelt  eine  kirchenhistorisch  merk- 
würdige Erscheinung,  das  starre  Festhalten  der  britischen  Christen- 
welt an  dem  älteren  84jährigen  Osterzyklus  noch  vier  Jahrhun- 
derte lang,  nachdem  dieser  in  Rom  außer  Gebrauch  gekommen 
war,  und  deckt  sich  mit  dem  Abschnitt  iV  meines  Aufsatzes  über 


426 


Notizen  und  Nachrichten. 


die  Einführung  des  griechischen  Paschalritus  im  Abendlande  (Neues 
Archiv  IX,  141  iL).  Der  Verfasser  hat  den  Gegenstand  in  nicht 
ungewandter  Form  zur  Darstellung  gebracht  und  manche  Berich- 
tigungen und  Ergänzungen  zu  meiner  Arbeit  geUciert,  aber  leider 
übersehen,  daß  In  jüngster  Zeit  (1901)  Mac  Carthy,  der  gelehrte 
Herausgeber  der  Annalen  von  Ulster,  die  ganze  Materie  der  Oster- 
Zyklen  von  Hippolyt  an  mit  großer  Sachkenntnis  und  unter  voll- 
ständiger Beherrschung  des  Quellenmaterials  durchforscht  und  die 
Jrüheren  Forschungen  in  vielen  Punkten  modifiziert  hat.  Infolge 
der  großen  Bedeutung  der  Osterirage  für  die  Geschichte  des 
Landes  ist  das  Interesse  dafür  in  England  stets  lebendig  geblieben 
und  die  Beschäftigung  mit  den  Geschichtsquellen  erheischt  dort 
geradezu  das  Eingehen  auf  diesen  Gegenstand,  Aus  dem  genann- 
ten Buche  hätte  Schmid  reiche  Belehrung  schöpfen  können,  wäh- 
rend das  ausgezeichnete  neue  Werk  von  E,  Schwartz  über  die 
christlichen  und  jüdischen  Ostertafeln  noch  nicht  erschienen  war. 
Anzuerkennen  ist  der  ernste  wissenschaftliche  Sinn  des  bereits  in 
Amt  und  Würden  befindlichen  Verfassers,  der  sich  mit  der  vorliegen- 
den Schrift  den  Doktorhut  in  Königsberg  erworben  hat,  und  der 
ausführliche,  nach  Territorien  gesonderte  Überblick  über  die  Ge- 
schichte der  britischen  Osterstreitigkeiten  in  Kap,  5 — 10  ist  ^ur 
raschen  Einführung  nur  zu  empfehlen.  Weniger  haben  mich  die 
ersten  Kapitel  belrledigt,  und  besonders  das  zweite  und  dritte 
scheinen  mir  kaum  Existenzberechtigung  zu  haben;  aus  der  nicht 
immer  geschickteni  vielleicht  auch  nicht  ganz  logischen  Dispo- 
sition werden  sich  die  vielfachen  Wiederholungen  erklären,  die 
störend  wirken.  Wenn  mein  Buch  über  die  chrLstllch-mittelalter- 
liche  Chronologie  das  Studium  der  schwierigen  Frage  pnicht 
gerade**  erleichtert,  wie  Rühl  bemerkt  und  Schmid  im  Vorwort 
nachschreibt,  so  dürfte  der  Grund  nicht  allein  in  der  Anlage  zu 
suchen  sein>  sondern  vielleicht  auch  In  der  Erweiterung,  die  das 
Forschungfigebiet  gerade  durch  meine  Studien  erfahren  hat,  und 
an  dem  Fehlen  des  Registers  braucht  nicht  immer  der  Verfasser 
Schuld  zu  haben,  B.  Krmsch. 

Aus  Anlaß  eines  im  Herbst  1904  unter  den  Ausgrabungs- 
stücken vom  römischen  Theater  (nicht  die  Arena  i)  in  Verona  ge- 
machten Urkundenfundes  veröffentlicht  Carlo  Cipolla  in  den 
i^endiconti  della  R.  Accademia  dei  Lincei  (classe  dl  sctenze  moraU 
etc^  senfV  voL  XfV  fasc.JfB;  s.  t*i  Aiiorno  a  Giovanni  cancelHere 
di  Berengario  i)  drei  Dokumente  aus  den  Jahren  W7,  908  und  922, 
sämtlich  nach  Kopien«  die  sich  mitte!-  oder  unmittelbar  auf  Be- 
rengars  I-  Kanzler  Johannes  (915?— 926  als  Bischof  von  Cremona 
nachzuweisen)  beziehen^  und  von  denen  die  erste  in  etwas  jüngerer 


4 

I 

i 


Frühes  Mitte! alten 


427 


[Abschrift  vorhanden  aber  unediert,  die  zweite  bisher  unbekannt, 
'  die  letzte  von  Ughelli  {HaUa  sacra  ed.  Cotettl  V,  729^731)  nicht 
einwandirei  gedruckt  und  dann  später  verschwunden  war.  Voraus 
geht  eine  kurze  Übersicht  über  die  urkundtiche  Erwähnung  des 
Kanzlers  Johannes,  wie  sie  Schiaparelli  (BuUetino  äffirhtitaio  starica 
iiaUano  no^  23,  Roma  1902,  S»  14  ff.)  und  Dümmler  (Gesta  Beren- 
garii  imperatorisj  Halle  IS71,  S,  56,  Nr,  1)  bereits  etwas  knapper 
gegeben  hatten.  P*  //- 

£.  Mayer  hat  sich  der  Mühe  unterzogen,  die  unter  dem 
Namen  des  Dragoni  gehenden  Fälschungen  von  diesem  Makel 
zu  befreien.  Sein  Buch:  Die  angeblichen  Fälschungen  des  Dra- 
goni. Übersehene  Quellen  zur  kirchlichen  und  weltlichen  Ver- 
fassungsgeschichte  Italiens  (Leipzig,  A.  Deichert  1905.  VI,  98  S*) 
enthält  zunächst  die  eingehende  Beschreibung  der  Handschrift 
I  jenes  Cremoneser  Kanonikers  (f  I860)j  in  der  die  fraglichen  Ur- 
'  iLunden  zusanitnengetragen  sind.  Ein  zweiter  Abschnitt  gilt  den 
Urkunden  selbst,  von  denen  alle  bis  zum  Sturz  des  Desiderlus, 
I  Insgesamt  dreiundzwanzig  an  Zahl,  in  Trojas  Codke  diplomaUca 
Löngobardö  h\x\v\^kmt  gefunden  haben.  Wüstenfeldt  Ausführungen 
vom  Jahre  1859,  daß  sie  das  Werk  eines  Fälschers  seien,  hatten 
die  herrschende  Meinung  erzeugt,  —  Mayer  glaubt  sie  widerlegen 
zu  können  durch  die  eindringende  Untersuchung  aller  Stücke: 
finden  sich  unter  ihnen  unechte  oder  verunechtete,  so  sind  nie 
nicht  das  Machwerk  Dragonis;  alle  übrigen  sind  echt,  voller  Auf- 
schlüsse für  die  Verfassungsgeschichte  der  italienischen  Dom* 
Stifter,  vornehmlich  des  zu  Gremona.  Auch  die  LebensumNtJlnde 
Dragonis  wollen  eine  Fälscherabsicht  nicht  recht  glaubhaft  er- 
scheinen lassen,  —  kurz  Mayer  plädiert  für  eine  Gesamtausgabe 
des  Codex  Dragonianus^  aus  dem  er  im  Anhang  seiner  Schritt 
17  Urkunden  zum  Abdruck  bringt.  Mit  U  M*  Kartmann  Überein- 
stimmend möchten  wir  den  Rettungsversuch  als  nicht  geglückt 
erachten  und  die  aul  ihn  verwandte  Mühe  als  vergebUch  anwehen 
(Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  Geschiehtuforschung 
26,  4),  Angefügt  sei  hier  der  Hinweis  auf  die  fleißige  Arbeit  von 
G.  Bonolis  über  die  Adelstitel  im  byzantinischen  Italien^  deren 
Geschichte  In  umsichtigen  Darlegungen  geschildert  wird.  Leider 
fehlt  ein  Verzeichnis  aller  besprochenen  Prädikate,  da»  bei  der 
Interpretation  von  einzelnen  QLiellenstellen  z,  B.  den  Lihfr  ptmtl- 
ficaUs  oder  der  Papstbriefe  gute  Dienste  leisten  könnte.  Ktwin 
kurz  ist  dieOatgotenzeit  behandelt  (S.  37  ff.),  für  die  auch  ferner- 
hin der  Index  Traubes  zur  Ausgabe  der  Variae  CassiodofEi  heran- 
gezogen werden  muß  (/  titoU  dl  noblttä  fieitltatiu  byäünUna, 
Firenze,  ß.  Seeber  1905.    85  S.). 


428 


Notizen  und  Nachrichten. 


r 


Im  Korrespondenzblatt  de&  Gesamtvereins  der  deutschen  Ge- 
schichts-  und  Altertumsvereine  54,  4  ergreift  K,  Rubel  zweimal 
das  Wort  zur  Verteidigung  seiner  bekannten  Hypothesen  (vgL  96,  534 
u.  oben  S,  397).  An  erster  Stelle  verÖfientUchl  er  einen  im  Jahre  1905 
zu  Bamberg  gehaltenen  Vortrag  über  das  fränkische  Eroberungs- 
und Siedelungssystem  in  Oberfranken  und  seine  Bedeutung  für  die 
älteste  Geschichte  der  Babenberger  und  der  Babenberger  Fehde; 
die  Theorie  von  den  fränkischen  Neuumgrenzungen  der  Land- 
schaften und  von  den  Aufgaben  der  duces  als  der  Markensetzer 
erscheint  hier  als  das  wunderkrältlge  Allheilmittel  für  die  Lösung 
von  immer  mehr  bislang  vielumstrittenen  Problemen  der  deutschen 
Geschichte.  Die  zweite  Abhandlung  sucht,  angeregt  durch  A. 
|-Ieusler^  der  in  seiner  Deutschen  Verfassungsgeschichte  Rübeis 
Ergebnisse  im  wesentlichen  angenommen  hatte^  darzutun,  daß  im 
Frankenreiche  eine  Sondertruppe  von  Berufsstreitern,  in  scarae 
eingeteilt^  die  Besatzung  der  castra,  praesidia  usw.  gebildet^  neben 
dem  allgemeinen  Heeresaufgebot  also  dem  König  jederzeit  zur 
Verfügung  gestanden  habe ;  ^die  Weiterentwicklung  dieser  Sonder- 
aufgebote in  nachkaroiingischer  Zeit,  das  Zurücktreten  des  Gesamt* 
aufgebotes  läßt  sich  unschwer  verfolgen,  sie  hat  das  mittetalter- 
liche  Heerwesen  bedingt** 

M,  Kemmerich  behandelt  in  dankenswerten  Ausführungen, 
die  freilich  den  methodologischen  Fragen  etwas  breiten  Raum  ver- 
statten, die  Porträts  des  Kaisers  Karl  des  Kahlen  (f  877),  die  ins- 
gesamt in  ausgezeichneten  Reproduktionen  dem  Aufsatz  beigefügt 
sind.  So  weitet  sich  die  Studie  zu  einer  neuen  Vorarbeit  für  die 
Ikonographie  des  früheren  Mittelalters  (vgl,  ^5,  350  f,)  aus  (Zeit- 
schrift für  bildende  Kunst  1906,  N.  F.  17,  6  S,  147  ff,).  Gleich  hier 
dürfte  ein  Hinweis  auf  A.  Haseloffs  inhaltsreichen  Aufsatz  in 
Westermanns  Illustrierten  Monatsheften  100,  7  am  Platze  sein.  Er 
geht  den  Spuren  der  hohenstaufisehen  Kunst  in  Apulien  nach,  deren 
Zusammenfassung  neues  Licht  wirft  auf  die  Kultur  im  Reiche 
Friedrichs  II*  Zahlreiche  Abbildungen  und  farbige  Kunstblätter 
dienen  der  Veranschaulichung:  hervorgehoben  sei  hier  nur  das 
Reüef  der  Kanzel  in  BItonto  mit  einer  Darstellung  des  Kaisers 
und  seiner  Familie* 

Die  (Tübinger)  Theologische  Quartalschrift  88,  2  enthält 
zwei  Aufsätze,  auf  die  hier  kurz  hinzuweisen  ist.  K.  ßöckhoff 
handelt  über  die  römische  Kirche  und  die  Speisesatzungen  der 
Bußbüchen  Sein  Ergebnis  ist,  daÖ  jene  Vorschriften  nicht  gemein- 
kirchüchen  oder  römischen  Ursprungs  sind  und  daß  sie,  mochten 
sie  gleich  durch  die  Verbreitung  der  Pönitentialien  in  Rom  bekannt 


4 


I 


n 


Frühes  Mittelalter. 


IM 


werden,  die  römische  Anschauung  und  Übung  nicht  wesentlich 
beeinflußt  haben  ;  zeige  sich  in  der  römischen  Kirche  hin  und  wieder 
eine  Neigung  zur  Anerkennung  solcher  Observanzen»  so  sei  sie 
auf  griechische  Einflüsse  zurückzuführen.  P.  A.  Kirsch  sucht 
darzutun,  daß  die  Gewährung  des  Portiunculaablasses  durch  Pnpst 
Honorius  lEL  (1216 — 1227)  an  den  hL  Franz  von  Assisi  nicht  nls 
historische  Tatsache  festgehalten  werden  könne;  der  Gtfiube  »n 
eine  derartige  Privilegierung  sei  vielmehr  entstanden  nach  dem 
Jahre  1291  und  zwar  im  Kreise  der  SpirÜualen  und  theologisch 
begründet  worden  durch  eine  Schrift  des  Franziskaners  Peter  Ollvl« 

Zur  frühmittelalterlichen  Wirtschaftsgeschichte  notieren  wir 
drei  Arbeiten,  einmal  die  Anzeige  des  Buches  von  L*  M.  Harlmann 
(Zur  Wirtschaftsgeschichte  Ualiene.  1905)  durch  0.  v.  Belnw  In 
der  Beilage  110  der  Münchener  Allgemeinen  Zeitung^  sodann  die 
Bemerkungen  von  G.  Caro  in  der  Historischen  Viertel jithri^chrUt 
Q,  2:  mit  besonnener  Ruhe  werden  hier  einige  Fragen  der  Urbar- 
forschung erörtert;  vornehmlich  Beachtung  verdienen  die  Ausein- 
andersetzungen mit  C.  Beyerle  über  dessen  Versuch,  den  Umfang 
der  Grundherrschaft  Arbon  zu  rekonstruieren  (Zeitschrift  dcH  Ver- 
eins für  die  Geschichte  des  Bodensees  32,  1903),  wie  endllcli  die 
Ausführungen  über  die  Hof  leihen  nach  den  Acta  Mnr^nBia.  Am 
gleichen  Ort  ergreift  B*  Hilliger  das  Wort,  um  »eine  Darlegun« 
gen  über  den  Schilling  der  Volksrechte  (vgl  91,  3511.;  92,  348) 
gegen  Vinogradoff  und  Heck  durch  schärfere  Begründung  %u  ver* 
leidigen. 

In  knappen!  ^^^^  anschaulichen  Zügen  befiandelt  0.  v.  6  e  I  o  w 
die  ältere  deutsche  Stadtverfassung:  die  Enlutehung  der  Stldie 
als  derSit^e  von  Handel  und  Gewerbe,  die  Entwicklung  ihrcT  Ver- 
fassung bis  zum  Untergang  ihrer  Autonomie  sind  die  beiden  Fra- 
gen, die  in  der  Studie  beantwortet  werden  sollen  (Deutichc  Monil»- 
schnft  5,  f  >.  A.  M  e  I  s  t  e  f  t  Auli^at^  kn\ipli  an  das  ßttch  von  %, 
Rietschel  itier  das  Burggrafenamt  an.  Der  BurggrmfeniJtel  tat 
nach  ihm  einer  Bcamtung  t>ei gelegt  worden,  deren  I» puren  »Ich 
seit  dem  achten  Jahrhundert  ftfidert^  der  Prlfektuf  alt  der  mlUtlri« 
sehen  Vontcberichaft  vcm  Grmzgebieteii,  In  denen  da»  Orafitchaft«' 
sjstein  iMidi  ipcbt  durehgeÜJirt  war,  dafui  von  ditaceljMMi  Pfilzen 
oDd  StiiÜMr  4mk  6ermn  rfsi  dmc  Vorttcbcrsciialt  f  «flMi«4tii 
wAmwm  Wmam/Iam^m  mw  der  de»  VogU  «dir  dM 

grxkn  aber  liittra  mA  wMk  Mtalen  Pe4WriiHii  (rrfcMd  frtf 
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b 


430 


Notisen  und  Nachrichten. 


den  konnte.  Hingewiesen  sei  besonders  auf  die  Erklärung  der 
oft  besprochenen  Tatsache^  dal^  in  Stra6burg  bestimmte  Hand> 
Werkerverbände  zum  Burggrafen  in  Beziehung  stehen^  die  an  sich 
nichts  mit  dem  Kriegswesen  zu  tun  haben  (Historisches  Jahrbuch 
27,  2).  Aus  der  Historischen  Vierteljahrschrift  %  2  notieren  wir 
noch  die  DupUk  von  G.  Seeliger  wider  E.  Stengel  (vgL9^, SS4). 
aus  den  Jahrbüchern  für  Nationalökonomie  und  Statistik  3*  Folge 
^i,  3  die  Besprechung  von  Seeligers  Werk  durch  P.  Rehme^  der 
namentlich  mit  seinen  Ausführungen  über  das  Hoirecht  sich  be- 
schäftigt. 

Die  Durchforschung  der  BibUotheks-  und  Archivbestände 
nach  frühmittelalterlichen  Papsturkunden  hat  einen  weiten  Schritt 
nach  vorwärts  getan.  K.  Wiederhold  hat  auf  einer  einjährigen 
Reise  nach  Frankreich  alle  Sammlungen  des  ehemaligen  Arelats 
und  des  Herzogtums  Burgund  aufgesucht  und  das  Ergebnis  seiner 
Arbeiten  in  einem  Beiheft  der  Nachrichten  der  Göttinger  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  1906  veröffentlicht  (auch  besonders: 
Papsturkunden  in  Frankreich.  I.  Berlin,  Weidmann,  3  M,),  Die 
Ausbeute  an  Überlieferungsformen  bekannter  Stücke  war  nicht 
geringer  als  die  an  unbekannten  oder  nur  erst  im  Regest  vor- 
liegenden Dokumeoten :  der  Anhang  briogt  im  ganzen  96  Ur- 
kunden aus  dem  Zeitraum  von  1037  bis  1195  teils  im  vollen,  teils 
im  abgekürzten  Wortlaut  zum  Abdruck;  die  Mehrzahl  von  ihnen 
gehört  zwar  erst  dem  12.  Jahrhundert  an,  aber  daß  auch  ältere 
lange  genug  verborgen  blieben,  zeigt  beinahe  jeder  Bericht  von 
P.  Kehr  und  seinen  Sendboten.  Gerade  aus  Frankreich  wird  man 
noch  eine  stattliche  Reihe  von  Neufunden  erwarten  dürfen,  wenn- 
gleich sie  nicht  so  groß  sein  wird  wie  die  der  Funde  in  italieni- 
schen Sammlungen. 

Wir  möchten  nicht  verfehlen,  nachträglich  (vgl.  %,  535  i)  auf 
einen  weiteren  Band  der  Script&rcs  rerum  Germanicamm  aufmerk- 
sam zu  machen,  2umal  er  eine  bisher  unbekannte  Quelle  der  Be- 
nutzung zu  erschließen  sucht.  Im  Jahre  1895  entdeckte  K.  Hampe 
in  der  Kathedralbibliothek  zu  Durham  einen  Text  der  Annales 
MeiienseSj  der  von  den  geläufigen  Ausgaben  erbeblich  abwich :  als 
Annalts  Af eilen ses  priores  (678—831)  v er öHent licht  ihn  nun  B, 
V,  Simson^  derart  da6  seine  sorgfältige  Edition  durch  stete  Her- 
vorhebung der  Quellen  der  Annalen  (z.  B,  der  Fortsetzungen  des 
sog*  Fredegar)  dem  Leser  das  gesamte  einschlägige  Material  unter- 
breitet^ gleich^eLtig  aber  auch  ihre  Überarbeitungen  und  Frag- 
mente zur  Herstellung  des  Textes  verwertet.  Fln  Anhang  bringt 
als  Annales  Meüenses  posteriores  (776 — 805)  den  früher  alteiti  be- 


i 
i 


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4 


I 


Frühes  MitfeTalter. 


Tfcannten  Wottlaot  d^r  Aufzeichnungen^  der  ah  Bearbeitung  der 
älteren  und  der  Chronik  Reginas  v.  Prüm  nur  noch  literarhistori- 
sches Interesse  erweckt.  Sachliche  Erläuterungen  in  großer  Zahl 
begleiten  die  neue  Quelle,  zu  deren  Abdruck  B.  Schmeidler  das 
Register  der  Orts-  und  Personcnnamen  beigesteuert  hat  (Annatfs 
Mettenses  priores  primam  reeognavit  B,  de  Simson^  Acceäuni  ad' 
diiamenia  annaüum  Metiensium  posienoram*  Hannover  und  Leip- 
zig, Hahn  1905,  XVII,  US  SO* 

Ein  kleiner  Aufsatz  von  L*  Vanderkindere  sucht  die  Deu- 
tung des  Wortes  Sclusas  auf  einen  Alpenpaß,  wie  sie  D.  Schäfer 
vorgeschlagen  hatte  (vgl  95,  528)  zu  verstärken,  ohne  seine  Be- 
ziehung aul  den  MonC  Cenis  als  die  einzig  mögliche  zugeben  zu 
ir ollen  {BuUtUn  de  la  commission  royale  d'histoirt  TS,  1). 

Unter  der  Überschrift:  Der  Vorstreit  der  Schwaben  und  die 
Kcichssturmfahne  des  Hauses  Württemberg  behandelt  ein  licht- 
voller Aufsatz  von  K.  Weiler  einmal  den  Anspruch  der  Schwaben 
auf  den  ersten  Platz  im  Retchsheere,  sodann  den  der  Grafen  und 
Herzöge  von  Württemberg  auf  die  Führung  der  Reichssturmfahne 
als  ein  am  Besitze  von  Markgroningen  haftendes  Reichsleheti, 
Jener  geht  zurück  auf  poetische  Überlieferungen  und  ist  erstmals 
zum  Jahre  1075  für  den  Kampf  bei  Homburg  a.  d.  Unstrut  bezeugt. 
Die  Verbindung  des  zweiten  Anspruchs  mit  dem  Besitz  von  Mark« 
j^rönlngen  hat  sich  erst  in  den  dreißiger  Jahren  des  14.  Jahrhun- 
derts vollzogen*  Ludwig  der  Bayer  wollte  Ulrich  von  Württemberg 
für  seine  Verdienste  im  Streit  wider  König  Johann  von  Böhmen 
belohnen;  immerhin  war  schon  im  Jahre  1257  zu  Händen  des  da- 
maligen Besitzers  von  Markgroningen,  Hartmanns  von  Groningen, 
der  gleichzeitig  Bannerträger  des  Reiches  gewesen  war,  eine  Art 
von  Personalunion  zwischen  jener  Stadt  und  jenem  Rechte  vor- 
handen gewesen  (Württerab,  Vierte Ijahrshcfte  für  Landesgeschichte 
N.  F.  15,  2). 

In  einem  stattlichen  Bande  des  RecueU  de  textes  pour  servir 
ä  Vätuäe  de  VhUtoire  de  Beigigue  veröffentlicht  K*  Hanquet 
eine  neue  Ausgabe  der  Chronik  des  Ardennenklosters  SL  Hubert. 
Verfaßt  zu  Beginn  des  12,  Jahrhunderts,  enthält  sie  lehrreiche  No- 
tizen zur  Geschichte  der  durch  Gregor  V!f,  angefachten  Bewegung, 
gegen  Schluß  auch  Notizen  zu  den  letzten  Tagen  Heinrichs  IV, 
Dem  sorgfältig  erläuterten  Texte  geht  eine  Einleitung  vorauf,  die 
sich  über  die  Quellen,  die  Oberfieferung  und  die  spätere  Benutzung 
der  Chronik  verbreitet;  Hanquet  hält  daran  fest  (vgl.  88,  664),  daß 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ihr  Autor  in  dem  Mönche  Lambert 
4ien  jüngeren  zu  suchen  sei   (La  chronique  de  Saini-Habert  dite 

28* 


432 


Notizen  und  Nachrichten, 


Cantatorium.    BrutMtes,  Kießling  1906.  LItl,  290  S.  m.  Faksimile- 

tafel). 

Der  Widerlegung  der  Hypothese  von  Pekaf,  daÖ  Coämas  von 
Frag  die  Vita  et  passio  s.  Ludmiiae  et  Wtncestai  aus  der  Feder 
eines  angebUchen  Zeitgenossen  Adalberts  von  Prag,  Christian^  be- 
nutzt habcj  gilt  ein  ausführlicher  und  überzeugender  Aufsatz  von 
B.  Bretholz.  Mit  Recht  wird  jene  Legende  als  em  für  historische 
Zwecke  fast  wertlose  Quelle  bezeichnet,  die  erst  nach  Gosmas 
entstanden  ist^  vielleicht  noch  im  12.  Jahrhundert:  sie  kann  also 
ihm  den  Namen  des  Vaters  der  böhmischen  Geschichte  nicht 
streitig  machen  (Zeitschrift  des  deutschen  Vereins  für  die  Ge- 
schichte Mährens  und  Schlesiens  10,  1/2;  a,  u-  d.  T,:  Zur  Losung 
der  Christianfrage,  Brunn ^  R,  M,  Rohrer  1906.  Si  S,  erschienen); 
vgL  diese  Zeitschrift  93,  15L 

H,  Simonsfelds  Beitrag  zu  den  Sitzungsberichten  der 
Dhilos.'philoL  und  der  histor.  Klasse  der  Münchener  Akademie  der 
Wissenschaften  1905,  4  gibt  ein  Verzeichnis  der  vom  Verfasser 
in  Italien  eingesehenen  oder  verglichenen  Urkunden  Friedrichs  L 
Drei  Anhänge  bringen  Dokumente  zur  Geschichte  von  Genua  und 
Mailand  im  12.  Jahrhundert  und  die  Urkunde  eines  kaiserlichen 
Legaten  von  1161  zum  Abdruck. 

Einer  kleinen  Miszelle  von  J.  Schmidlin,  die  sich  mit  dem 
Urteil  von  A.  Hauck  Über  Otto  von  Freising  auseinandersetzt^ 
hätte  man  schärfere  Herausarbeitung  der  entscheidenden  Punkte 
und  Gegengründe  gewünscht  (Htstor.  Jahrbuch  27,  2). 

In  den  Sitzungsberichten  der  philos.-phlloL  und  der  histor. 
Klasse  der  Münchener  Akademie  1906,  1  veröffentlicht  H.  PrutE 
eine  Fortsetzung  seiner  Studien  zur  Geschichte  der  Ritterordea 
(vgl  93,  528,  95j  347),  Sie  befaßt  sich  mit  den  finanziellen  Opera- 
tionen des  Hospltaliter-,  d.  h.  des  JohanniterordenSj  die  auf  die- 
selbe Wurzel  zurückgehen  wie  die  der  Templer,  ohne  Ihren  Um- 
fang zu  erreichen.  Anschaulich  wird  die  Wirkung  des  Falles  von 
Akkon  (1291)  auf  die  Vermögenslage  des  Ordens  geschildert,  der 
als  Erbe  der  Templer  nicht  solchen  Zuwachs  an  Gut  und  Vermögen 
zu  verzeichnen  hattCi  wie  vielfach  angenommen  worden  ist. 

Eine  anregende  Studie  zur  englischen  Verwaltungsgeschichte 
im  12.  Jahrhundert  veröffentlicht  Parow  unter  dem  Titel:  Com* 
potus  vieecomitis.  Die  Rechenschaftslegung  des  Sheriffs  unter 
Heinrich  IL  von  England  (Wissenschaftliche  Beilage  zum  Jahres- 
bericht der  Friedrich-Werderschen  Oberrealschule  1906.  Berlin» 
Weidmann,  Programm  Nr.  134.  62  S.).  Die  Quellen  der  Abhand- 
lung sind  die  Pipe  Rolts,  jene  Protokolle  über  die  Berichte  der 


4 

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I 


Frühes  Mittelalten 


43S 


Shenffs  vor  dem  königlichen  Schatzamt  Ihren  Inhalt  bilden  ein- 
gehende und  anachauliche  Ausführungen  über  die  Tätigkeit  der 
SheriHs,  die  durch  geschickt  gewählte  Beispiele  anschaulich  er- 
läutert wird  wie  gleichzeitig  das  Verlahren  beim  Compoius  selbst. 
Den  Schluß  füllen  Betrachtungen  über  die  Bedeutung  der  Finanz- 
politik Heinrichs  U.  aus :  sie  wird  als  eine  unentbehrliche  Waffe  des 
Staatsgedankens  wider  den  Feiidaiismus  bezeichnet 

G,  A.  Crüvell  handelt  im  Archiv  für  Kulturgeschichte  4p  2 
über  die  Verfluchung  der  Bücherdiebe.  Der  Leser  von  Watten- 
bachs „Schriftwesen"  kennt  die  Subskriptionen  der  mittelalter- 
lichen Codices  als  Fundstätten  des  Humors,  aber  auch  des  In- 
grimms der  Schreiber  wider  die  Räuber  ihrer  Werke.  Die  Aus- 
führungen Grüvells  fassen  mit  Geschick  ältere  und  neuere  Beob- 
achtungen zusammen^  ohne  —  und  das  soll  kein  Tadel  sein  — 
wesentlich  neue  Resultate  zu  erzielen. 

Neue  Bücher:  Grupp,  Der  deutsche  Volks-  und  Stammes- 
charakter im  Lichte  der  Vergangenheit.  (Stuttgart^  Strecker 
^  Schröder  2JQ  M*)  —  Monteüus,  Kulturgeschichte  Schwe- 
dens von  den  ältesten  Zeiten  bis  zum  IL  Jahrhundert  nach  Chr* 
(Leipzig,  Seemann.  9  M.)  ^-  Der  obergermanisch-rätische  Limes 
des  Römerreiches.  26.  Lfg.  (Heidelberg,  Retters.  8  M.)  —  Der 
römische  Limes  in  Osterreich,  7,  Heft  (Wien,  Holder.  10,60  M,) 
—  Boer,  Untersuchungen  über  den  Ursprung  und  die  Entwick- 
lung der  Nibelungensage,  1.  Bd.  (Hatle,  Buchh.  des  Waisenhaus* 
S  M.)  ^  Liebermann,  Die  Gesetze  der  Angelsachsen.  2.  Bd. 
L  Hälfte,  (Halle,  Niemeyer.  16  M.)  —  Le/ai,  Le  röte  thäalogtque 
de  Cisaire  d*Artesj  iiude  sur  VhUtoire  du  dogme  chrätitn  en  Occi- 
dtnt  um  temps  des  rayai*mes  barbares,  (Paris j  Picard  ei  ßis* 
3j50  fr.)  —  Br^hier,  La  qaerelle  des  Images,  VUl^-^lX*  sticies, 
(Paris,  Bloud  *  Cie,)  —  Höhne,  Kaiser  Heinrich  IV.  (Güters- 
loh,  Bertelsmann,  5  M.)  —  Arlas ,  H  sistema  delta  costituzione 
economica  e  sociale  italiana  neW  etä  dti  comunL  ( Torin o,  Romx 
e  Vtarengo.)  —  Riboldi,  Le  sentenze  dei  consoü  dl  Milane  nel 
secolo  XIL  (MilanOf  CoglialL)  —  Gottlob^  Kreuzablaß  und 
Almosenablafl,  Eine  Studie  über  die  Frühzeit  des  Ablaßwesens. 
{Stuttgart,  Enke,  12  M,)  —  A.  Carte  llieri,  Philipp  IL  August, 
König  von  Frankreich.  2.  Bd,  Der  Kreuzzug  (1187— 1191).  (Leipzig, 
Dyk.  10  M.)  ^  Thomas  de  Celano,  S,  Franciscl  Asslsiensis 
vita  ei  miracula  additis  opasculis  lllur gleis.  Rec.  P,  Eduard* 
Aienconitnsis,  (Roma,  Desci^e^Lefebvre  ACo.  8M,)—  Thatcher 
and  Mc  Nealy  A  source  book  for  medlaeval  htstary.  (New  York^ 
Scrlbners,)  —  Laiiemand^  Histoire  de  la  Charit^.    T.  ///.    Le 


Vf% 


Kotizen  und  Nachrichteiii 


moyen- 


(dit  X«  am  XVi^  sikU),  (Faris^  FUard  €i  füs,)  ^ 
osaj  EI  r/gimen  senoriat  y  la  caesiwn  agraria  en 
Caiatuna  ätirante  la  eäad  media*  (Madrid j  Suarez.)  —  Rondonif 
Disegno  di  staria  del  media  evo  con  partieotare  rigitardo  alf  UaJia* 
(Fi ferne f  Le  Monnier.)  —  Siubhs,  The  siory  cf  Cambridge. 
( London f  Dent   4fi  shj 


Späteres  Mittelalter  (t250— 1500). 

In  dem  von  der  Acad/mie  royale  de  ßelgique  herausgegebenen 
Bulletin  de  ta  commission  royale  d'histaire  74,  1  veröffentlicht 
Doin  ürsmer  Berühre  aus  einem  Kollektorienband  des  Vati- 
kanischen Archtvfi  Auszüge  über  die  Prozesse  belgischer  Kleriker 
an  der  Kurie  während  der  Jahre  1259—1263.  In  Heft  4  finden  skh 
ein  Aufsatz  von  R  de  Pelsmaekerr  le  Courtage  ä  Ypres  aux 
XI Ih  H  XiV^  siicleSj  namentlich  die  Organisation  behandelnd»  und 
urkundliche  Mitteilungen  von  L.  Verrlest:  La  preuve  du  servage 
dans  le  droit  coutumier  de  Taurnai^  fast  sämtlich  dem  spateren 
Mittelalter  angehörend. 

In  der  Revue  des  queslions  historiques  1906^  2  handelt  E,  R  odo- 
canachi  über  Sklaverei  und  Sklavenhandel  in  Italien  während  des 
13.  bis  16.  Jahrhunderts. 

R.  Wackerna  gel   teilt  in  der  Basler  Zeitsehr.  f.  Gesch.  u, 

Altertumskunde  5,  2  drei  Basler  Steinurkunden  aus  den  Jahren 
1264,  1307  und  1437  mtt^  von  denen  Nr.  1  und  2  die  offenbar  ver- 
loren gegangenen  Originale  zu  ersetzen  vermögen. 

Im  Bulletin  de  IHnstiiut  Li^gais  35|  1  bietet  J.  Paquay  ur- 
kundhche  Beiträge  zur  Geschichte  des  Lütticher  Generalvikars 
Renier  (t  1267),   der  im  kirchlichen  Leben   seiner  Diözese    eine 

markante  Erscheinung  bildet, 

„Die  Politik  Pisas  wahrend  der  Jahre  1268—1282''  schildert 
eine  hallische  Dissertation  von  David  Alexander  Winter  (Berliti^ 
Mayer  £  Müller  1906,  75  8.)  in  vier  Abschnitten:  L  Vom  Zuge 
Konradins  bis  zum  Frieden  Pisas  mit  Karl  von  Anjou  und  Tos- 
kana 1270.  2.  Vom  Kreuzzug  Ludwigs  IX.  bis  zur  Wahl  Rudolfs 
von  Habsburg.  3.  Vam  Auftreten  Rudolls  von  Habsburg  bis  zum 
Friedensschluß  mit  Toskana  1276,  4.  Pisas  Stellung  während  der 
Fnedensjahre  1276—1282,  Der  Hauptteil  der  Arbeit  umlaßt  somit 
die  JahrCf  in  denen  die  alte  Ghibellinenstadt  in  unzähligen  Kämpfen 
mit  Karl  von  Anjou  und  den  tuskischen  Städten  ihre  Kraft  ler- 
rcibt  und  den  Verlust  ihrer  Vormachtstellung  zu  Lande  vorbereitet. 
Das  ein  letztes  Aulflackern  der  Kräfte  schildernde  Schlußkapitel 


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Bber  einige  n***  h  »li^kr  |f#ip#^*i^*#.  |Mj^(^f*Jr^)/lf 
^mm  Predigten  M^ittrr  fU;iti«r1« 
etitttche  wEiiii«iiiC'Uj«iM»'  f' 
i-Qymria»1iiiTit  rii  H*'^ 
e^ifll  E.  Jecks  SeliltiObrru^rionk/' 
Ae»  ««a  Pferre  Dubols  lierrtlbr«  rnl' 
ftfryr  Sure«'   (4,  bis  6,   MiuptU'H;    »t^*^ 

;  als  PubtizlBlcn  und  »*(iw#  Ut  4imi*ä^*  .,  >,.     - 

(vgl  95,  534  f.). 
H.  Maurer   vcrdftcfitlUM  to  iür  /^^   -  '      ^ 

Oberrheins  N.  F,  21,  2  äam  m  ¥$0llmM  /  k 
gegebenen  Schlediftprycli  hl  ^Amf  KMM^nM^ 
als  Beleg  für  die  Verwcfftfüf  im  MM^HJWM  ^^^---w  m^^-^  -- 
Geistlichkeit   und   d«rM  rWrÜi»  Mf  4ü  i^iW|tol<MI  Jlf^^ 
wert  ist. 

Die  Beilage  wm  7L  IhiMm  m»  ^  U..,.^i  ri.siJi$m 
Gymnasium  zu  MUsf^^tfg  mttHtim^^ 
eine  Darstetimg  im  iM$t$ß^Mf  4% 


Behauptuiif  flmr  WfifcWWfciiy^  kß  4m. 
dnchs  des  firfi<|pg  ttm  S^wMf: 
M,  Mai  I30T  mmm  Imiwm0«ii9f  ^^.u 
Schlacht  M  ImAml^    mUt.  #'  #  «y 

lm^t^mfmfmm$0sm$»i00 


.1     ,'ieliu^» 


JJ 


436 


Notizen  und  Nachrichten. 


p 


und  ^um  Absctiluß  gekommen  ist  Auch  gibt  er  einen  Anhang 
von  23  Dokumenten  in  vollem  Wortlaut^  von  denen  bbÖe  Regesten 
wahrhaftig  genügt  hätten.  Insofern  jedoch  ist  sein  Buch  von 
dauerhaftem  Werte»  als  er  seine  Ausführungen  durchgängig  aus 
den  Quellen  belegt^  und  es  Quellen  ersten  Ranges  sind^  die  er 
benutzt.  Aus  den  Archiven  von  Ferrara,  Venedig ,  Bologna, 
Modena  hat  er  mit  emsigem  Fleiß  reichliche  Ernte  geschöpft,  was 
ihm  die  Forscher,  die  sich  mit  venezianischer  und  ferrarischer 
Spezialgeschichte  beschäftigen,  zu  Danke  wissen  werden.      M.  Er. 

Eine  kritische  Studie  über  das  Münzwesen  unter  Philipp  dem 
Schönen  veröffentlicht  im  Anschluß  an  die  Arbeiten  von  BoreUi 
de  Serres  A,  Dieudonnd  im  Moyen'äge  1905,  Nov.-Dez. 

Alb.  Huyskens  behandelt  im  Histon  Jahrbuch  27,  2  die 
von  Erfolg  begleiteten  Besirebungen,  das  Kapitel  von  St,  Peter  in 
Rom  zu  einem  FamilienstÜt  der  mächtigen  Orslni  zu  machen 
(1276 — I3i2),  in  deren  Reihe  Papst  Nikolaus  IIL,  Matteo  Rosso 
und  Napoleon  O.  hervorragen.  Wie  wenig  diese  nepotisHsche 
Verwaltung  der  Kirche  zum  Heil  ausschlug,  mag  man  aus  Bei- 
lage II  ersehen,  die  von  dem  Kapitel  und  seinem  Leben  um  1337 
ein  anschauliches,  aber  sehr  unerfreuliches  Bild  entwirft  und  u.  a. 
feststellt,  daß  damals  kein  einziger  Kanonikus  sich  im  Besitze  der 
Diakonatsweihe  befunden  hat.  Um  die  Mitte  des  14  Jahrhunderts 
ist  trotz  der  Reform  versuche  Papst  Benedikts  XIL  und  des  Kar- 
dinals Napoleon  ein  völliger  Zusammenbruch  des  kirchlichen 
Lebens  zu  verzeichnen. 

Die  Frage  nach  dem  Schauplatz  der  Schlacht  am  Morgarten 
behandelt  nochmals  ein  weitausgreifender  in  der  Schweiz.  Monats- 
schrift für  Offiziere  aller  Waffen  1906,  Januar-März  abgedruckter 
Vortrag  von  Hans  Herzog.  Den  Verfasser  bestimmen  nament- 
lich Einträge  aus  einem  Einstedler  Urbar,  den  Morgarten  nahe  an 
der  Schwyzer  Gren2e,  doch  noch  im  Zugerland  bei  Haselmatt 
ru  suchen. 

In  den  Württemberg,  Viertel  Jahrsheften  für  Landesgesch. 
N, F.  15, 2  verfolgt  Kauber  die  oft  starkem  Wechsel  unterworfene 

Stellungnahme  der  dem  Bistum  Konstanz  angehörenden  Orden 
und  Stifter  im  Kampfe  Ludwigs  des  Baiern  mit  der  Kurie» 

A,  Kfodzinsky  hat  schon  im  Przeg^d  Polski  1904,  August- 
heft, über  den  im  Jahre  1331  vom  Kaiser  Ludwig  gegen  Johann 
von  Luxemburg  zustandegebrachten  Bund  gehandelt,  der  über 
Polen  einen  verheerenden  Einfall  Johanns  und  einen  Verwüstungs- 
^ug  der  Kreuzritter  brachte.  Nun  teilt  er  allerlei  Nachträge  mit, 
so  genauere  Mittellungen  über  das  ftinerar  Johanns  in  GroßpolenT 


hL 


späteres  Mittelaltar. 


Berichtigungen  über  den  Einfall  der  Kreuzritter,  endlich  den  bisher 
unbekannten  Bericht  des  Ordens  nach  Avignon  über  diese  Ereig- 
nisse. Derselbe  ist  besonders  beachtenswertj  well  er  noch  aus 
dem  Jahre  1331  herrührt,  (Kwartalnlk  bist.,  Lemberg  1905»  19,  Bd.) 
Aus  dem  Archiv io  delta  R,  sodetä  Romana  di  sioria  patria 
28,  3  u,  4  verzeichnen  wir  tln^n  Aufsatz  von  G.  Arias:  Per  la 
storia  economica  del  secolo  XI V^  im  wesentlichen  eine  Verarbeitung 
von  Exzerpten^  die  sich  der  Verfasser  bei  den  Vorarbeiten  Jür 
eine  unlängst  erschienene  größere  Arbeit  aus  4tn  Vatikanischen 
Akten  gemacht  hat;  ferner  die  Veröffentlichung  einer  Aufzeich- 
nung über  die  Sendung  des  Kardinals  Capranica  zu  Alfons  von 
Aragon  (Sommer  1453)  durch  Enr.  Carusi. 

G,  La  Mantta  gibt  im  ArchMa  star.  SiciUanQ  M  S.  anno  30 y 
fasc  4  einen  Überblick  über  den  Inhalt  zweier  nur  in  Bruchstücken 
erhaltenen  Originalregister  König  Ludwigs  von  Aragon  aus  den 
Jahren  1353/55;  B.  J.  di  Matteo  veröHentlicht  ebenda  Conti  in- 
ediii  riguardanti  la  coniazione  dei  pkcoii  della  Regia  Zecca  di 
Messina  (1461). 

Die  Beziehungen  zwischen  Florenz,  der  Kirche  und  Karl  IV* 
schildert  für  die  dem  ersten  Römerzug  des  Kaisers  unmittelbar 
voraufgehende  Zeit  (1353/55),  gestützt  auf  ein  reichhaltigeS|  neu 
erschlossenes  Quellenmatena],  das  demnächst  folgen  soll,  Fr^  Bal- 
dasseroni  im  Archivio  st  an  Italiano  1906,  L 

Cipolla  belegt  mit  einer  neu  gefundenen  Urkunde,  daß 
Petrarca  1342  von  Clemens  VL  ein  Kanonikat  In  Pisa  erhielt. 
{Atti  delta  r.  Accademta  delte  scienze  di  TorinOy  Classe  di  scienze 
morati  etc*  XLl,  2  u*  3), 

G,  Brizzolara  beendet  in  den  Studi  storici  14,  3  seine 
Auseinandersetzung  mit  Filipplni  über  Cola  dl  Rienzi  und  Petrarca, 
indem  er  zum  Schluß  nochmals  die  politischen  Hollnungen,  die 
letzterer  auf  Cola  setzte,  kurz  formuliert  (vgL  89^  164  u,  541; 
93,356;  96,355),  ~  In  kultur-  und  wirtschaftsgeschichtlicher  Hin- 
sicht sehr  wichtig  ist  die  an  der  gleichen  Stelle  sich  findende 
Quellenveröffentlichung  von  P,  Pecchiai:  H  libro  di  ricordi 
ä'iin  gentiluomo  pisano  det  secolo  XV  (^  Baitista  di  Bondö  Lan* 
freducci), 

B*  P  i  t  z  o  r  n  o  druckt  und  erläutert  im  Nuovo  archivio  Veneio 
N,  S.  11,  I  einige  Dokumente  über  die  venezianischen  Konsuln  auf 
Sardinien  und  Majorka  aus  der  Zeit  von  135S  bis  141 L 

Aus  dem  Archiuio  star*  Lombardo  serie  quarta^  anno  33 ^ 
fasc,  9  sind  zwei  kleine  Abhandlungen  zu  verzeichnen,  die  beide 
von  Fr.  Novati  herrühren.    In  ihnen  erhalten  wir  Mitteilungen 


188  Notizen  und  Nachrichten» 

über  das  Eintreten  des  bekannien,  von  Romano  kUrsUch  noch  in 
eingehender  Darstellung  behandelten  Staatsmannes  Niccol6  SpInelU 
für  Guido  von  Arezzo  anläßlich  der  mantuanischen  Bischofswahl 
(1367)  und  über  die  Gefangennahme  Bernabo  Viscontis  und  die 
gegen  ihn  vorgebrachten  Anklagen  (t3S5>. 

Zwei  Arbeiten  sind  ^ur  hansischen  Geschichte  zu  verzeichnen. 
In  der  Zeitschn  l  deutsche  Philologie  38,  2  bemüht  sich  F.  Kauff- 
mann  um  eine  befriedigende  Deutung  des  Wortes  „Hansa*,  indem 
er  dasselbe  als  Burschenschaft  oder  Knabenschaft^  d.  h,  Bund  der 
wehrhaften  unverheirateten  jungen  Männer^  auffaßt  und  zu  zeigen 
sucht,  wie  aus  dieser  ursprünglkfien  Bedeutung  heraus  die  Be- 
griffe nach  der  militärbchen  und  genossenschaftlichen  Seite  (CQhffrs 
bzw«  socieias)  sich  gebildet  habend  sowie  die  für  die  Organisation 
der  wahrhaften  Burschen  wichtigsten  Momente:  die  Pflicht  einer  ■ 
Abgabe  beim  Eintritt  und  der  Anspruch  auf  die  Vorrechte  der 
Genossenschaft.—  In  dem  anderen  Aufsatz  behandelt  F.  Keutgen: 
Hansische  HandelsgeseUschaften  vornehmlich  des  14.  Jahrhunderts. 
Der  bis  jet2t  in  der  Vierteljahrsschnft  f.  Sozial-  u.  Wirtschafts- 
geschichte 4,  2  vorliegende  Teil  holt  weit  aus,  indem  er  sich  mit 
allgemeinen  handeisgeschichtlichen  Gesichtspunkten  beschäftigt. 
Dabei  wird  Sombarts  These,  wonach  vor  der  Mitte  des  15,  Jahr* 
hunderts  in  Deutschland  nur  durch  Anhäufung  von  Grundrenten 
Vermögen  erworben  sei,  auf  ihre  Richtigkeit  geprüft  und  abge- 
lehnt und  die  Bedeutung  des  Fernhandels  in  dieser  Hinsicht  auf- 
gezeigt. 

Die  Inkorporationspolitik  des  Deutschen  Ordens  in  Livland 
1378 — 1397  schildert  ein  ausführlicher  Aufsatz  von  P.  Girgensohn 
in  den  Mitt.  d,  Gesellsch.  f.  Gesch.  u.  Altertumskunde  der  Ostsee- 
provinzen Rußlands  1906.  Das  Streben  des  Ordens  ging  dahin^ 
nach  preußischem  Vorbild  die  livländischen  Bischöfe  ihrer  Eigen- 
schaft als  selbständige  Landesherren  zu  entkleiden  und  sie  auf  die 
Stufe  von  Ordensuntertanen  herabzudrücken.  Trotz  des  energi- 
schen Widerstandes  der  von  dem  Bischof  Dietrich  Damerow  zu- 
sammengebrachten Koalition  errang  der  Orden  durch  die  fnkor- 
porierung  des  Erzstifts  Riga  einen  Erfolg  von  entscheidender  Be- 
deutung. Daß  er  anderseits  tm  Danziger  Vertrage  der  livländi- 
schen Opposition  durch  die  Aufhebung  der  Verpflichtung  zu 
Heeresfolge  und  Landesverteidigung  seitens  der  Stiftsvasallen  ein 
Zugeständnis  verhängnisvoUster  Art  machte^  sollten  die  nächsten 
Jahrzehnte  freilich  in  erschreckender  Weise  kund  tun. 

Die  Annaies  de  l'Bst  ei  da  Nord  bringen  im  Aprilheft  den 
Schluß  des  umfangreichen^  ungedruckte  Materialien  in  reichlicher 


I 


i 


Späteres  Mitte laJter. 


439 


Fülle  mitteÜenden  Aufsatzes  von  J,  Fi  not  über  den  Frieden  von 
Arras  (vgl.  %,  542),  der  Frankreich  den  inneren  Frieden  auf  kurze 
Zeit  wenigstens  wiedergegeben  hat. 

,Die  Ermordung  König  Ladislaws  (1457)*'  ist  der  Titel  einer 
lebhaft  geschriebenen  Untersuchung  von  Erhard  Waldemar  Kanter 
(München  und  Leipzig,  Oldenbourg  1906*  64  S.).  Mit  völliger  Be- 
herrschung des  Quellenmaterials  und  unter  Heranziehung  eines 
von  medizinischer  Seite  abgegebenen  Gutachtens  unternimmt  er 
in  scharfer  Polemik  namentlich  gegen  Palacky  den  Nachweis»  daß 
der  junge  Habsburger  nicht  der  Fest  erlegen»  sondern  von  Georg 
Podiebrad  vergütet  worden  sei|  daß  letzterer  also  die  böhmische 
Krone  durch  ein  Verbrechen  erlangt  habe. 

Angeregt  durch  die  Miszelle  von  G.  Kentemch  (vgl  %,  358), 
hat  Jos,  Pohl  eine  Rettung  des  in  der  Imitatio-Frage  eine  her- 
vorragende Rolle  spielenden  Propstes  Johannes  Busch  durch 
P,  Eschbach  vornehmen  lassen,  die  er  im  Hi stör.  Jahrbuch  27,  2 
Eum  Abdruck  bringt  und  mit  einigen  ziemlich  überflüssigen  Aus- 
fällen auf  G.  Börner  und  dessen  Kritiker  begleiten  zu  müssen 
glaubt. 

In  die  Zeit  des  Rasenkriegs  führt  die  Miszelle  von  Cora 
L,  Scofield  über  den  später  hingerichteten  Heriog  Heinrich  von 
Somerset  und  Eduard  IV,  (Abdruck  zweier  Schriftstücke  von 
1462/53;  The  EngUsh  historkai  review  1906,  ApriL) 

Im  9*  He(t  des  Trierer  Archivs  (1906)  veröffentlicht  W,  Fa- 
hrt cius  das  Viiitationsregister  des  Archidiakons  Johann  von 
Finstingen  aus  dem  Jahre  1475,  das  über  die  dem  Archidiakon 
bei  der  Abhaltung  des  heiligen  Sends^  des  geistlichen  DiszipUnar- 
gerichts  in  den  Pfarreien  seines  Amtsbezirks^  zukommenden  Rechte 
sehr  interessante  Angaben  enthält. 

Als  sechstes  Betheft  zu  den  Veröffentlichungen  der  Stadt- 
bibliothek in  Köln  hegt  eine  Arbeit  von  Otto  2aretzky  über 
dtn  ersten  Kölner  Zensurprozeß  vor,  der  auf  Grund  des  von  dem 
Kölner  Dechanten  und  Offizial  Heinrich  Urdemann  verfaßten  und 
von  dem  Münzmeister  Erwin  von  Stege  1477  herausgegebenen 
„Dialogus  super  libertatt  ecclesiasüca'  angestrengt  wurde.  Als 
die  treibende  Kraft  bei  der  Unterdrückung  wird  nicht  der  Domini- 
kaner Gerhard  von  Elten  nachgewiesen,  wie  VoulUfetne  früher  an- 
genommen hatte,  sondern  der  Rat  der  Stadt  Köln,  dem  diese 
übrigens  für  die  innere  Geschichte  Kölns  höchst  bemerkenswerte 
,  Schrift  sehr  ungelegen  kommen  mußte»  (Köln,  Du  Mont-Schau- 
1906.    VI,  124  $,) 


440 


Notizen  und  Nachrichten. 


P.  Richard  beschließt  in  der  Revue  ä'hisL  ecct^siastique 
I906|  2  seine  Ausführungen  über  die  kurlale  Vertretung  in  dem 
Zeitraum  von  1450—1513  (vgl  oben  205), 

In  den  Württembergischen  Vierteljahrsheften  t  Landesgesch. 
N.  F.  I5j  2  bemüht  sich  W*  Ohr  darzulegen,  daß  die  durch  Land- 
tagsbeschluÖ  1498  erfolgte  Absetzung  Eberhards  IL  von  Württein- 
berg,  im  Rahmen  der  damaligen  Rechtsanschauungen  betrachtetf 
sich  keineswegs  als  etwas  durchaus  Unerhörtes  darstelitj  sondern 
als  Ausfluß  des  auf  einem  Vertrags  Verhältnis  zwischen  Landes- 
herrn und  Landesvertreter  beruhenden  Widerstandsrechts  der 
Stände  zu  betrachten  Ist  Merkwürdig  ist  vor  allem,  daß  die  Ab* 
Setzung  nicht  von  einer  stark  ausgebildeten  Ständemacht  ausgeht* 
sondern  einen  Augenblickserfolg  einer  rechtlich  noch  wenig  ent* 
wickelten  ständischen  Bewegung  bedeutet. 

Jak.  Werner,  Beiträge  zur  Kunde  der  lateinischen  Literatur 
des  Mittelalters  aus  Handschriften  gesammelt.  Zweite  durch  einen 
Anhang  vermehrte  Ausgabe.  Aarau.  H.  R.  Sauerländer  £  Co. 
1905,  227  S,  Preis  4  M.  Der  Titel  der  Schrift  ist  irreführend. 
Die  erste  Ausgabe  derselben  gelangte  nicht  In  den  Buchhandel^ 
sondern  ist  eine  1905  erschienene  Züricher  Inauguraldissertation» 
die  den  Titel  führt:  „Über  zwei  Handschriften  der  Zürcher  Stadt- 
bibliothek. Beitrage  zur  Kunde**  usw*  Zu  den  183  Seiten  der 
Dissertation  sind  in  der  Buchausgabe  nur  noch  S.  184 — 227  hinzu* 
gekommen.  Den  Hauptinhalt  bildet  ein  äußerst  eingehendes  Ver- 
zeichnis des  Inhalts  von  zwei  Miszellanhandschriften  der  Zürcher 
StadtbibUotbek  und  dreier  solchen  der  Berner  Stadtbibliothek^  bei 
dessen  Aufstellung  der  Verfasser  sich  als  einen  recht  tüchtigen 
Kenner  der  lateinischen  Literatur  des  Mittelalters  erweist  Zum 
guten  Teil  wird  der  bunte  Inhalt  jener  Handschriften  (lateinische 
rhythmische  Texte,  deutsche  Sprüche,  Volkswitze,  historische 
Anekdoten,  Sagen,  medizinische  Rezepte,  theologische  Traktate 
usw.)  in  auslührlichen  Auszügen  mitgeteilt.  Sorgfältig  angelegte 
Register  sind  beigegeben.  //.  Haupt 

Henry  Charles  L  e  a  ^  Geschichte  der  Inquisition  im  Mittel- 
alter. Autorisierte  Übersetzung,  bearbeitet  von  Heinz  Wieck  und 
Max  Rachel,  revidiert  und  herausgegeben  von  Joseph  Hansen. 
Band  L  Ursprung  und  Organisation  der  Inquisition*  Bonn,  Karl 
Georgi.  1905.  XXXVIU,  647  S.  Preis  10  M.  —  Leas  meisterhafte 
j^Hislory  af  the  Inguisiiion'  erschien  zuerst  1888,  in  einer  neuen 
englischen  Titelauflage  1900^  in  französischer,  von  Sal.  Reinach 
besorgter  Obersetzung  in  den  Jahren  1900 — 1902,  der  sich  nun 
auch  eine  deutsche  Übersetzung  anreiht.   Dem  englischen  Original 


4 

I 

I 

I 


Späteres  MitteUUer, 


441 


gegenüber  ist  die  deutsche  Ausgabe  insofern  eine  verbesserte, 
als  die  ßerichtigungen  und  Zusätze  von  Leas  Handexemplar  für 
sie  Verwendung  fanden;  femer  hat  der  IHerausgeber  eine  Anzahl 
von  Versehen  berichtigt  und  in  den  Anmerkungen  die  Quellen* 
und  Literaturan  gaben  in  sorgsamer  und  kundiger  Weise  revidiert 
und  ergänzt  Daß  der  jetzt  SDjälirtge  amerikanische  Gelehrte  zu 
einer  durchgängigen  Neubearbeitung  seines  grundlegenden  Werkes 
sich  nicht  entschlie&en  konnte,  ist  gleichwohl  recht  zu  bedauern, 
da  eben  doch  eine  Reihe  von  Abschnitten  einer  eindringenden 
Revision  unter  Verwertung  der  Forschungsergebnisse  der  leUten 
17  Jahre  bedurfte.  Unter  dem  Titel:  «Die  Inquisition  und  die  Ge- 
schichtsforschung" (auch  als  Sonderdruck  im  Buchhandel  er- 
schienen) hat  der  gründliche  Kenner  der  Inquisitionsgeschichte, 
Paul  Fredericq  in  Gent,  die  Bedeutung  von  Leas  Werk  in  einer 
ausführlichen  Einleitung  zutreffend  gekennzeichnet  und  einen 
Überblick  Über  die  neueren  und  neuesten  Arbeiten  auf  dem  Ge* 
biete  der  Inquisttions-  und  Ketzergeschichte  gegeben.  Sehr  er- 
freulich ist  die  von  dem  Herausgeber  eröffnete  Aussicht,  daß  seiner 
Bearbeitung  der  beiden  folgenden  Bände  außer  der  Heranziehung 
der  neueren  Literatur  auch  die  von  ihm  im  Laufe  längerer  Jahre, 
zum  großen  Teile  in  römischen  Archiven,  gesammelten  reichen 
archivalischen  Quellen  zugute  kommen  werden.  H.  Haupt 

Neue  Bücher:  Die  Appellation  König  Ludwigs  des  Bayern  von 
1324.  Hrsg.  V,  Seh walm,  (Weimar,  Böhlaus  Nachf ,  6  M,)  —  C  k  e  p  p  a  n , 
Die  Schlacht  bei  Cr^cy  (26.  Aug.  1346).  (Berlin,  Nauck,  2,50  M.)  — 
Daenellj  Die  Blütezeit  der  deutschen  Hanse.  2  Bde.  (Berlin,  Reimer. 
20  M,)  —  Mohr,  Die  Schlacht  bei  Rosebeke  am  27.  Nov.  1382. 
(Berlin,  Nauck^  2  M*)  —  Guillotf  Les  moines  pricurseurs  dt 
OuUnberg.  { Paris j  Blaaä,)  —  König,  Kardinal  Giordano  Orsini 
(t  1438).  (Freiburg  l  B.,  Herder.  3  M.)  —  Schuster  und 
Wagner,  Die  Jugend  und  Erziehung  der  Kurfürsten  von  Bran- 
denburg und  Könige  von  Preußen,  L  Bd.  Die  Kurfürsten  Fried- 
rich I.  und  IL,  Albrecht,  Johann,  Joachim  L  und  IL  (Berlin,  Hof- 
mann  £  Co.  20  M.)  —  Montorgaeil^  Louis  XL  ( Paris ^  Com- 
beL  15 fr.)  —  Sprenger  u.  Institoris,  Malleus MaUficaram*  Der 
Heitenhammer.  übertr.  u.  eingeleitet  von  J.  W.  R.  Schmidt.  L  Tl 
(Berlin^  Barsdorf.  6  M.)  —  f nvernizwi^  GH  Ehrti  a  Pavia  nei 
sei  See,  XV  e  XVf.  fPavia^  FasiJ  *—  Autogramme  zur  neueren 
Geschichte  der  habsburgischen  Länder.  Hrsg.  von  der  Direktion 
des  k*  u,  lt.  Kriegsarchive.  l.Bd.  (Wien,  Seidel  &  Sohn.  15  M.)  — 
Meister,  Die  Geheimschrift  im  Dienste  der  päpstlichen  Kurie 
von  ihren  Anfängen  bis  zum  Ende  des  16.  Jahrhunderts*  (Pader- 
born, Schöningh.    24  M.) 


441 


Notizen  und  Nachrichten. 


Reformation  und  Gegen refortnat Ion  (1500—1^4$). 

Zur  Gesehichte  des  württember^ischen  Humanmmus  notieren 
wir  die  Aufsätze  von  H,  Hermeilnk  über  die  Anfänge  liet 
Humanismus  in  Tübingen^  und  von  Gustav  B  ossert  über  Theoddf 
Reysmann  in  Tübingen  (1530— 1554).  Bossert  Stent  eine  volbtän- 
dige  Biographie  des  fast  vergessenen  Pfälzer  Humanisten,  der 
als  Charakter  freilich  bedenkliche  Schwächen  gehabt  zu  haben 
scheint,  in  Aussicht 

Peter  Falk  (I46& — 1519)^  ein  Staatsmann  und  Heerführer  aus 
Frei  bürg  h  Ü>j  der  auch  als  Humanist  und  Geschichtschreiber  her- 
vorgetreten Ist,  hat  in  Joseph  Zimmermann  einen  Biographen 
gefunden  (Freiburger  Geschichtsbtätter  12).  Die  sehr  ausführliche 
Darstellung  kommt  insonderheit  für  den  Krieg  der  Heiligen  Liga 
und  die  Geschichte  Mailands  unter  MaxtTniEian  Sforza  in  Be- 
tracht, 

Neue  Studien  zur  Geschichte  des  5,  Laterankonzils  (I5li 
bis  1517)  veröffentlicht  Eugen  Guglia  in  den  Sitzungsberichten 
der  Wiener  Akademie,  philos.-hist.  KL  152,  3.  Er  berichtet  über 
den  Inhalt  eines  einschlägigen  Kodex  des  vatikanischen  Archivt 
(Arm.  XI,  tom,  67)  und  handelt  ausführlich  über  Entstehung, 
Inhalt   und  Bedeutung  der    Reformbulle  ^Supernae  älspüBitionis*, 

Die  beiden  letzten  Nummern  (43  und  44)  der  vom  Verein 
für  Reformationsgeschichte  herausgegebenen  kleinen  „Schriften 
für  das  deutsche  Volk*'  bringen  eine  Geschichte  der  Stadt  Frankfurt 
in  der  Reformationszeit  von  Hermann  Dechent,  in  der  glückrtch 
auf  den  retardierenden  Einfluß  der  Handelsinteressen  der  Stadt 
hingewiesen  wird ,  und  eine  verständnisvolle  Charakterskizze 
Philipp  Melanchthons  von  Gust.  Krüger  (Halle  a.  S„  Rud<  Haupt. 
1906.    32  u.  25  S,     15  Pf,). 

Ein  Brief  Wimpfetings  vom  Jahre  1521,  den  Faul  Kalkoff 
In  der  Zeitschr,  f.  d*  Gesch*  d.  Oberrheins  N.  F.  21,  2  veröffent- 
licht, weist  jede  Gemeinschaft  seines  Verfassers,  den  man  an  einer 
gegen  Aleander  gerichteten  Sireitschrift  beteiligt  glaubte,  an 
dieser  wie  an  der  Lutherischen  Sache  überhaupt  zurück. 

Mit  F.  Spittas  Buch,  Ein  feste  Burg  ist]  unser  Gott  (1905), 
setzen  sich  W.  K  (ö  h  I  e)  r  im  Literarischen  Zentralblatt  Nr.  12 
(vom  17.  März  1906)^  Paul  Drews  in  den  Göttingischen  gelehrten 
Anzeigen  (April  1906)  und  Kawerau  in  den  Deutsch-evangeli* 
sehen  Blättern  31,5  kritisch  auseinander.  Insonderheit  wenden 
sie  sichj  und  vielfach  mit  guten  Gründen,  gegen  die  chronolo- 
gische  Ansetzung   der   Lutherischen   Lieder    durch  Spitta.    Was 


i 


Reformation. 


443 


speziell  das  Lied  Em  feste  Burg  aitgebt,  so  bestreitet  hier  liaupt- 
sächlicti  Kawerau  den  Ansati  zu  1521,  dies  aber  m.  E*  sehr  zu 
Unrecht,  da  die  beiden  von  ihm  3,  331  reproduzierten  Gegen- 
grUnde  äußerst  dürftig  sind  und  sonst  schlechthin  alles  für  dieses 
Jahr  spricht*  /?.  //, 

Der  Schlu0  der  ßlographie  von  |.  B.  K  i  ß li n g  über  Lorenz 
Truchseß  von  Pommersfelden  (Katholik  86,  3;  vgL  oben  S.  210) 
behandelt  namentlich  den  Konflikt  des  Damdechanten  mit  Albrecht 
von  Mainz  1528 — 1530,  der  zu  einem  erzwungenen  Verzicht  des 
ersteren  auf  die  Dechanlei  führte,  und  seine  letzten  Jahre,  die  er 
als  Domherr  zu  Würzburg  verbrachte  (f  1543), 

Eine  Untersuchung  der  Beziehungen  Heinrichs  VI  IL  zu  Franz  1. 
bis  1535  führt  J.  T  r  d  s  a  1  in  der  Revu^  des  questioms  kistariqats  40 
(Lieferung  158)  zu  dem  Schluß,  daß  Frankreich  durch  seinen  Bund 
mit  Heinrich  in  den  entscheidenden  Jahren  1530-  1534  dem  eng- 
lischen König  bei  der  Trennung  von  Rom  die  nötige  materielle 
und  moralische  Stütze  gegeben  habe. 

Die  Verwaltung  des  VizekÖnigs  Don  Ferrante  Gonzaga  von 
Sizilien  (1535—1543)  macht  G,  Capasso  zum  Gegenstand  einer 
Untersuchung,  von  der  das  4.  Heft  des  Archivio  st^rica  Skiliano 
N,  S,  30  den  ersten  Teil  (bis  1537)  bringt. 

Georg  Berbig,  Urkundliches  zur  Reformationsgeschichte 
(Theologische  Studien  und  Kritiken  1906}  3),  druckt  fünf  Jonas- 
briefe (1540—1552)  wie  einige  Lutherana  und  Spalatiniana  von 
vorwiegend  persönlichem  Interesse, 

Lady  Blennerhassett  entwirft  im  9.  Heft  der  Deutschen 
Rundschau  (Jahrg*  32)  von  den  Jugendjahren  der  Maria  Stuart 
1542—1561,  also  namentlich  von  ihrem  Aufenthalt  in  Frankreich, 
eine  hübsche  und  verständnisvolle,  wenn  auch  nicht  viel  Neues 
bietende  Schilderung, 

Die  Berichte  vom  Konzil  zu  Trient  aus  dem  Jahre  1546,  iiber 
welche  Stephan  Ehses  in  der  Römischen  Quartalschrift  {%  4 
handelt;  stammen  von  dem  Bischof  Benedetto  de  Nobili  und  sind 
besonders  ausführlich  ijber  die  Frage  der  Konzilsverlegung, 

Zur  Geschichte  der  päpstlichen  Kanzlei  im  16.  Jahrhundert 
sei  auf  einen  Aufsatz  von  Ren^  Ancel  über  das  päpstliche 
Sekretariat  unter  Paul  IV.  hingewiesen  {Revue  des  questions  histo* 
riques  40,  Liefg.  15B),  worin  namentlich  der  Unterschied  zwischen 
dem  Staatssekretariat  für  die  politischen  Geschäfte  und  dem 
Brevensekretariat  für  kirchliche  Angelegenheiten  scharf  hervor- 
gehoben wird,  —  Im  Archiv  f.  kathol.  Kirchenrecht  85,3;  86,  L  2 


444  Notizen  und  Nachrichten« 

gibt  Emil  G  d  1 1  e  r  brauchbare  Zusammenstellungen  über  die  Kom^ 
mentatoren  der  papstlichen  Kan^tleiregeln  vom  Ende  des  15,  bis 
zum  Beginn  des  17.  Jahrhunderts. 

L.  Feburea  Aufsatz  Le  France  ä  la  veilie  de  ta  R^/crme 
{Rev.  de  Synth,  hist,  XU,  1)  ist  eine  kritische  Auseinandersetzung 
mit  dem  L  Bande  von  Imbart  de  la  Tours  Werk  Les  arigifies  de 
ta  Riforme. 

Die  Leipziger  Habilitationsschrift  von  Paul  Herre,  Das 
Papsttum  Piut*  V,  und  das  Konklave  Gregors  XIII,,  bringt  zwei 
Kapitel  aus  einem  größeren  Werk,  das  demnächst  unter  dem  Titel 
^Papsttum  und  Papstwahl  im  Zeitalter  Philipps  11."  erscheinen 
soU^  und  stellt  ihnen  ein  kurzes^  einleitendes  Kapitel  über  die 
Päpste  zur  Zeit  Karls  V.,  über  Pins  IV*  und  die  Wahl  Pius'  V. 
voran.  Indem  wir  uns  eine  ausIührUche  Besprechung  nach  Er- 
scheinen des  ganzen  Werkes  vorbehalten,  heben  wir  hier  nur  her- 
vor, daß  das  eigentlrche  Interesse  der  Darstellung  in  der  Entwick- 
lung des  neuen  kirchlichen  Geistes  an  der  Kurie  und  in  seinen 
Beziehungen  zu  den  weltlichen  Mächten  und  der  alten  italienischen 
Politik  liegt.  Im  Vordergrund  stehen  dabei  Florenz  und  Spanten, 
wie  denn  auch  materiell  die  Benutzung  reichen  spanischen  Materials 
besonders  fruchtbringend  war.  Im  einzelnen  hätte  sich  der  Ver- 
fasser vielleicht  hier  und  da  etwas  mehr  Beschränkung  auflegen 
dürfen;  dem  Leser  droht  stellenweise  In  dem  Detail  der  diplo- 
matischen Verhandlungen  der  Atem  auszugehen.  Doch  bewährt 
sich  immer  wieder  neben  der  Sorgsamkeit  der  Arbeit  auch  eine 
das  Interesse  wach  haltende  Feinheit  der  Darstellung  und  der 
Auffassung.  R.  //. 

Von  den  drei  Aktenstücken,  die  H.  V.  S  a  u  e  r  I  a  n  d  im  Trieri- 
schen Archiv  9  zur  Charakteristik  des  Trierer  Erzbtschofs  Jakob 
von  Eftz  (1567—1581)  veröffentlicht,  ist  das  wichtigste,  der  Brief 
Maximilians  IL  an  Pius  V.  vom  28.  Mai  1567,  längst  bekannt; 
s.  W.  E.  Schwarz,  Briefe  und  Akten  zur  Geschichte  Maximilians  IL 
I,  56,  R.  H. 

In  den  Historisch-poÜtischen  Blättern  137,  8  versucht  Joseph 
Herbeck  eine  kurze  Würdigung  des  niederländischen  Philologen 
und  Publizisten  Justus  LIpsius  (1547—1606),  der  nach  einer  luthe- 
rischen und  calvinistischen  Vergangenheit  sich  zuletzt  wieder  dem 
Katholizismus  zugewandt  hat. 

In  der  Civiliä  CatMka  Nr.  1340  und  1342  werden  die  Mit- 
teilungen über  den  Charakter  der  Japaner  aus  den  Berichten  der 
Missionäre  des  16,  Jahrhunderts  fortgesetzt  (vgl.  oben  S.  213). 
Werden  in  einem  Bericht  des  Jahres  1577  die  Europäer,   an  der 


L 


ReformatiofL 


I 


japänisclien  Kultur  gemessen^   als   ^barbanssimi'  bezeichnet»  so 
fehlen  doch  später  auch  etwas  einschränkende  Stimmen  nicht. 

Der  SchluB  der  instruktiven  Aufsätze  von  Fi  Schenner, 
Quellen  zur  Geschichte  2naims  im  Reformattonszeitatter  (Zeit&chr. 
des  deutschen  Vereins  f.  d.  Gesch*  Mährens  und  Schlesiens  10, 
Heft  1—2;  vgl  H.  Z.  %,  546)  behandelt  die  Zeit  des  gleichfalls 
eifrig  katholischen  Brucker  Abtes  Sebastian  Fucfis  {1585^1599) 
und  die  weiteren  Kämpfe  bis  zum  Sieg  der  Gegenreformation 
nach  der  Schlacht  am  Weißen  Berge. 

Ein  neuer  Aufsatz  von  Louis  Batiffol  über  Maria  von 
Medlci  (vgl  zuletzt  H.  Z.  96^  364)  verbreitetet  sich  über  ihre  Geld- 
mittel und  ihre  Ausgaben  {Revue  des  äeux  mondes  vom  f.  Mai 
1906).  Der  Autor  versteht  es  unzweifelhaft^  auch  eine  kleine 
Sache  zu  einer  erklecklichen  Zahl  von  Aufsätzen  auszuschlachten. 

Zur  Geschichte  des  Dreißigjährigen  Krieges  erwähnen  wir 
zunächst  einen  Aufsatz  des  Preiherrn  Karl  v*  Reitzenstein 
über  den  Feldzug  des  Jahres  1622  am  Oberrhein  (Zettschn  f.  d. 
Gesch.  des  Oberrheins  N.  F*  21  ^  2),  wo  vom  Standpunkt  und  mit 
den  Augen  des  Militärs  die  (aus  strategischen  Gründen  erklärte 
aber  in  ihrem  Erfolg  doch  als  unabsichtlicher  Fehler  beurteilte) 
Trennung  des  pfälzischen  und  badischen  Heeres  sowie  die  Erobe- 
rung von  Ladenburg  durch  Mansfeld  (S.  Mai)  behandelt  werden. 
^  Ferner  notieren  wir  den  Aufsatz  von  Ludwig  Steinberger 
über  die  auf  den  Gegensatz  zwischen  Osterreich  und  Bayern  in 
den  letzten  Jahren  des  Kriegs  bezüghche  Publizistik  (Hist  Jahr- 
buch 27»  2). 

Neue  Bücher  t  Rum  ^  Carlo  V  e  Francesca  I  atla  tregua  dl 
Ni^za,  (Cosenzaj  Aprta.)  —  Rodriguez  Villa ^  Et  emperador 
Carlas  V  y  su  corte  segün  tos  cartas  de  Don  Martin  de  Saunas, 
embajador  det  Infante  Don  Fernando  (1522—  15S9),  (Madrid,  For- 
taneL  20  pes.)  —  Vedder^  Balthasar  Hmtmaier^  tk*  leader  of 
the  anabaptists.  ( London ,  Putnam.  6  sh.)  —  ß  o  a  s  e  r  t ,  Sebastian 
Lotzer  und  seine  Schriften*  (Memmingen,  Otto*  1  M.)  —  Kro* 
ker,  Katharina  von  Bora,  Martin  Luthers  Frau.  (Leipzig,  Haber- 
land. 5  M.)  —  Qasquet,  Henry  Vlfl  and  the  engtish  monaste- 
ries,  (London f  Bell  ^  Co,  S^6  sk.)  ~-  Doumerguef  La  Genive 
caMniste.  { Lausanne,  Bridel  £  Cie.  25  fr)  —  Doumergue, 
Jean  Calvin.  Z  HL  (ibid.  20  fr,}  --  Eckart;  Die  Jesuiten  in 
der  deutschen  Dichtung  und  im  Volksmund.  (Bambergs  Handels- 
druckerei  u.  VerlagshandL  !  M.)  —  Des  Burggrafen  Fabian  zu 
Dohna  (•  1550,  f  \b2\)  Selbstbiographie,  nebst  Aktenstücken  zur 
Geschichte  der  Sukzession  der  Kurfürsten  von  Brandenburg  in 
HhtGriiche  ZcUschrUe  (97.  Bd»)  3w  Folge  1.  Bd.  29 


446 


Notizen  und  Nachrichten. 


Preußen.  Hrsg.  von  KroUmann.  (Leipzig,  Duncker  4&  HumbloL 
6  M.)  —  Besser,  Geschichte  der  Frankfurter  Flüchtlingsgemem- 
den  1554 — 1558,  (Halle,  Niemeyen  2  M.)  —  Segr^,  La  campagna 
äet  duca  d'Älba  in  FUmonte  nel  !555,  (Roma,  Voghera.)  — 
Lowery ,  Spanish  Settlements  within  present  limits  of  ihe  Uniltd 
States;  Florida  t562--74,  (London,  Futnam.  iO,6  sh.)  —  Ushtr^ 
Fresbyierian  movement  in  the  reign  of  queen  Elizabeth,  ( London j 
Roy,  hist,  soc)  —  Fell  er,  Ritter  Melchior  Lussy  von  Unter- 
walden,  seine  Beziehungen  ru  Hafietiund  sein  Anteil  au  der  Gegen- 
reformation, 1.  Bd,  (Stans,  v*  Matt  ^  Co,  3  M,)  —  Akten  und 
Korrespondenzen  zur  Geschichte  der  Gegenreformation  in  Inner- 
Österreich  unter  Ferdinand  IL  L  TL  Hrsg.  von  Loserth.  (Wien, 
Holder,  17,40  M.)  —  Chroust,  Der  Ausgang  der  Regierung 
Rudolfs  IL  und  die  Anfänge  des  Kaisers  Matthias.  (München, 
Rieger,  23,20  M.)  —  Rabbath,  Docaments  in^dits  pour  servir  ä 
Vhistoire  du  christianisme  en  Orient.  T.  I  (1627),  (Faris,  Picard 
et  fils.)  —  Herold,  Gottfried  Heinrich  Graf  zu  Pappenheim. 
(München,  Beck,    2,50  M,) 


1648—1789. 

Beiträge  zur  Gelehrtengeschichte  des  17,  Jahr- 
hunderts veröffentlichen  aus  den  reichen  Schätzen  der  Wolff- 
Uffenbachschen  Briefsammlung  drei  Mitglieder  des  Wilheim-Gym- 
nastums  als  ^Festschrift  zur  Begrüßung  der  4S.  Versammlung 
deutscher  Philologen  und  Schulmänner  zu  Hamburg  im  Jahre  IWS**. 
Edmund  Kelter  bereichert  das  Bild,  das  Bünger  von  dem  großen 
Straßburger  Schulmann  Matthias  ßernegger  gezeichnet  hat,  um 
einige  neue  interessante  Züge  durch  Veröffentlichung  von  dessen 
Briefwechsel  mit  seinem  Lieblingeschüler  Johann  Freinsheim« 
Dem  Abdruck  der  39  Schreiben^  die  die  Stadtbibliothek  in  Ham- 
burg aufbewahrt,  geht  eine  Einleitung  voraus,  die  trefflich  in  das 
Verständnis  der  Briefe  einführt;  eine  Reihe  von  Anmerkungen 
gibt  erschöpfende  Auskunft  über  die  darin  erwähnten  Personen 
und  Bücher,  In  dem  zweiten  Aufsatz  bringt  Erich  Zlebarth 
aus  dem  handschriftlichen  Nachlaß  des  Hamburgers  Heinrich 
Lindenbruch  einige  Nachrichten  über  die  Inschriftensammlungen 
Justus  Scaligers,  Professor  Karl  Schulteß  endlich  entwirft  ein 
flüchtiges  Bild  des  französischen  Philologen  und  Staatsmannes 
Jacques  Bongars  (1554 — 1612)  unter  Benutzung  von  dessen  In 
Hamburg  aufbewahrten  Briefwechsel,  Das  wenige,  was  wir  hier 
über  den  gelehrten  Diplomaten  Heinrichs  IV*  und  seine  Be- 
ziehungen zu  Deutschland  erfahren,  befriedigt  nicht  ganz,   es  er- 


V 


1648—1789. 


weckt  vielmehr  den  Wunsch  nach  einer  vollständigen  Biographlef 
2u  der  Matenatien  in  Fülle  vorhanden  sind.  So  bringt  eine  kürz- 
lich erschienene  Heidelberger  Dissertation  von  R.  Breuer,  Der 
Berner  Kodex  149  b^  Beiträge  zur  Biographie  des  Jacc{ues  Bongars 
und  zur  Geschichte  seiner  diplomatischen  Tätigkeit  in  Deutsch^ 
land  (1589 — 1606).  —  Ein  Verzeichnis  aller  in  den  Briefen  vor- 
kommender Namen  erleichtert  die  Benutzung  der  Festschrift  außer- 
ordentlich. P.  W. 

In  den  Preußischen  Jahrbüchern  124,  l  bespricht  M,  Grün- 
baum: Drei  Hohenzoüern-Testamente.  In  kurzer  Inhaltsangabe 
vergleicht  und  charakterisiert  er  die  ^Väterliche  Vermahnung* 
des  Großen  Kurfürsten  von  1667,  die  j^zum  ersten  Male  rein  poli- 
tische Fragen  behandelt  und  dem  Nachfolger  Weisungen  über  die 
gesamte  innere  und  äußere  Politik  erteilt*',  dann  „die  Instruktion 
Friedrich  Wilhelms  L  an  seinen  Nachfolger**  von  1722  und  das 
^Politische  Testament  Friedrichs  des  Großen"  von  1752, 

Ein  über  das  unmittelbare  Thema  hinausgehendes  Interesse 
Tveckt  Pierre  de  Vaissifere  in  seinem  Aufsatz  über  ^0*^  An- 
fänge der  Kolonisation  und  ihre  gesellschaftliche  Gliederung  in 
St  Domingo"  (Revue  des  questians  histüriques^  l,  April  1906, 
40.  Jahrgang),  Der  Verfasser  zeigt  zunächst,  daß  weder  eine 
nationale  Expansionsbewegung,  noch  die  Regierungstätigkeit  allein 
die  Gründung  der  Kolonien  veranlaßt  hatten,  sondern  daß  sich 
Epochen  mit  Vorwiegen  zu  der  einen  oder  der  anderen  Initiative 
abgelöst  habenj  und  daß  In  und  nach  der  Zeit  der  Religionskriege 
die  Motive  der  Auswanderung  sich  häufen^  teils  weil  die  Prote- 
stanten keine  zusagende  Anerkennung  in  Frankreich  fanden,  teils 
weil  der  in  den  Kriegen  aufgekommene  Überschuß  an  aben- 
teuernden Militärs  etc*  in  den  Kolonien  eine  Gelegenheit  suchte, 
das  Feldlagerleben  fortzusetzen.  Das  Interessanteste  ist  der  Nach- 
weis, daß  der  starken  Auswanderung  des  französischen  Adels  der 
Gedanke  zugrunde  liegt,  In  den  Kolonien  die  wirtschaftliche, 
militärische,  politische  Stellung  neu  zu  begründen^  um  die  der 
Adel  in  der  französischen  Heimat  seit  Richelieu  gebracht  worden 
war,  daß  aber  auch  hier  die  Tendenz  des  ancien  regime,  den 
Adel  niederzuhalten,  fortgesetzt  wurde.  Der  Verfaßer  sieht  in 
dieser  grundsätzlichen  Beiseiteschtebung  des  einzig  gesunden 
Fundamentes  den  wichtigsten  Grund  für  die  Schwäche  des  fran- 
zösischen Regimentes  in  St.  Domingo. 

Unter  dem  Titel  „Zauberei  und  Giftmischerei  unter  Ludwig  XIV,* 
'Wird  im  Türmer  8,  7  über  die  wesentlichsten  Ergebnisse  Funck- 
Srantanos   („Die    Giftmord -Tragödie   nach  den   Archiven   der 


r 


448  Notizen  und  Nachrichten«. 

BastiUe")  berichtet:  Eine  1679  eingesetzte  »chambre  ardente*"  deckt 
scha  öd  erhalte  Verbreitung  und  entsetzliche  Formen  derGif  tmlscherei 
(masäenhalte  Kindermorde)  atif^  muß  aber  1682  ihre  Tätigkeit  ein- 
stetlen,  weil  die  Maitresse  des  Königs  selbst,  die  Marquise  von 
Montespan,  überführt  wurde,  dem  Könige  nach  dem  Leben  ge- 
trachtet zu  haben. 

In  seinem  Aufdat^  über  «Die  Wahl  Augusts  des  Starken  zum 
Könige  von  Polen**  (Historische  Vierteljahrschrift  1906,  l)  nimmt 
Haake  nochmals  Veranlassung,  seine  wiederholt  vertretene  Auf- 
fassung darzulegen,  daß  die  Verbindung  mit  Polen  Sachsen  ver* 
derblich  und  die  polnische  Politik  ein  Ergebnis  wesentlich  des 
dynastischen  und  militärischen  Ehrgeizes  mit  Hintansetzung  der 
territoriaLen  Interessen  Sachsens  gewesen  sei.  Daß  August  auch 
an  wirtschaltliche  Gründe  „vielleicht*  mitgedacht  hatte,  will  er 
jetzt  nicht  mehr  ganz  ausschließen,  dagegen  beharrt  er  darauf» 
den  starken  Gegensatz  Augusts  zu  dem  Großen  Kurfürsten 
darin  zu  finden,  daß  bei  der  überall  vorhandenen  Verquickung 
territorialer  und  dynastischer  Interessen  bei  dem  Wettiner  das 
dynastische^  bei  den  Zollern  das  territoriale  den  Ausschlag  gab.. 
Daß  jedoch  nur  solche  bewußte  Staatsgesinnung  den  Kurfürsten 
stetSj  z.  ß.  bei  der  schwedischen  oder  polnischen  Kronfrage  oder 
auch  der  bekannten  Testamentsangelegeoheitf  beherrscht  h&be^ 
wird  man  schwerlich  zugeben  dürfen* 

Es  ist  bekannt^  daß  Leopold  t,  der  klerikalen  Partei  großen 
Einfluß  auf  seine  innere  Politik  gewährt  und  in  den  deutsch- 
»lavischen  Ländern  den  protestantischen  Bekenntnissen  gegenüber 
keine  Duldung  an  den  Tag  gelegt  hat.  In  Ungarn  fällt  ihm  aber 
seit  dem  Odenburger  Landtage  16S1,  wo  er  den  Akatoliken  Im 
Sinne  des  Friedens  von  1606  die  freie  Religionsübung  gewährt 
hat,  die  Verfolgung  der  Protestanten  nicht  mehr  zur  Last  Inter- 
essantes Licht  auf  diese  Frage  werfen  einige  von  Z  l  e  g  I  a  u  e  r 
veröffentlichte  Schriftstücke  au?^  dem  Jahre  1701  (Zwei  Beitrage 
zur  Geschichte  Ungarns,  Nach  den  Quellen  des  K,  K.  Kriegs- 
archivs. Sonderabdruck  aus  den  Bukowiner  Nachrichten,  Februar 
1905),  R.  F.  K. 

A.  Hllsenbeck  setzt  in  den  Forsch,  z.  Gesch,  Bayerns 
XIII,  4  seine  Untersuchungen  über  Johann  Wilhelm  von  der  Pfalz 
fort  Er  zeigt  uns,  wie  der  Kurfürst  gleich  nach  dem  Tode  Karls  IL 
von  Spanien  den  Kaiser  zu  energischer  Aktion  mahnt,  mit  den 
Niederlanden  im  Frühjahr  1701  vertragsmäßig  die  Unterstützung 
Leopolds  L  in  der  Sukzessionsfrage  vereinbart  und  am  1.  Dezember 
1701  als  der  erste  Fürst  des  Reiches  der  Großen  Allianz  beitritt. 


4 


4 


r 


i 


Erwähnt  sd 

Kaiser* 

reits  gedmckt  iorfcg'ca 

Einiges  hätte  mmdk  Li^nMt^  Im  ^pi 

(2.  AufL  m  521  UtV  332  L,  4ai  U\ 

bemerkeaswot  kiiren 

Li<m  Cahen  Y«rfolgl  das  Woüai  i 
im  la  jahrhondot  {fiääg  äg  ^iU  ä£i 
ä&  Synth,  kiMi.  \%  a)L 

Sehr  sorgBUBC  Untersacbi^gCB  I 
bis  1750^  »t^t  Axel  Kielsen  In  ^ 
Ökonomie  iiii<l  Stati&tik  3.  Folge  31,  3  ^ 
nehmlich    die 


Vir.  a»-^i?)b 


^Däxusche  Preise  I65ä 
für  NaCionftJ^ 
I  Ibteml  stnd  vor- 
Ä-  und  Brottai:en 
Kopenhagens,  ijtsbe»oiid«e  von  fin  sli^  Kopeahagener  Waren- 
preise^  die  Liefenmgsprdse  für  die  diiiische  Mijine*  und  Mit- 
teilungen über  Dicitstbotenl&hne  iö  Kopenhagen  16S2  und  ITSO 
und  Arbeitslöhne  in  Kopenhagen^  Odense  und  Helsingdr,  Die 
Preise  halten  sich  1650— 1670,  sinken  in  den  70er  und  80er  Jahren 
um  ca.  15*'^  und  1721 — 40  um  ca*  25%,  um  in  den  40er  Jahren 
des  IS.  Jahrhunderts  rasch  gegen  10*/*  zu  steigen.  Verfasser 
warnt  dann,  die  Edelmetallproduktion  allzu  einseitig  als  Ursache 
der  Preisschwankungen  zu  betrachten  und  weist  u.  a.  aul  den 
EinÜuß  der  Bankgründungen  hin. 

Im  Historischen  Jahrbuch  1906,  27^  2  untersucht  Kirsch  die 
„treibenden  Paktoren  bei  dem  schottischen  Aufstande  in  den  Jahren 
1745— 174e*,  Karl  Eduards  Plan  von  1744  ist  nicht  auf  eine  amt- 
liche franzosische  oder  kuriale  Initiative  zurückzuführenp  hat 
vielmehr  seinen  Ursprung  im  Hause  Stuart  selbst,  des  befreundeten 
Kardinals  Aquaviva  und  des  Malthesergesandten  de  Toncin. 
Dagegen  hat  dem  Prätendenten  bei  einem  zweiten  Versuche  Hilfe 
geb  4cht  sowohl  die  Kurie  in  der  Hoffnung  auf  Gewinn  für  den 
Katholizismus  als  auch  die  französische  Regierung  (ohne  da3  der 
Prätendent  es  freilich  ahnt),  letztere  jedoch  mit  der  beschränkten 
Absicht,  durch  den  Prätendenten  die  Friedensetimmung  in  Eng- 
land zu  erhöhen. 

Die  detaillierte  Darstellung  Troegers  von  der  „Sthlacht 
bei  Liegnitz"  am  15.  August  1760  im  1.  Heft  der  «Mitteilungen  des 
Geschichts-  und  Altertumsvereins  für  die  Stadt  und  das  Fürsten- 
tum Liegnitz*"  (Liegnitz  1906)  weist  die  Ansicht  zurückt  daß  König 
Friedrich  durch  den  Verrat  des  Daunschen  Angriffsplanes  In  den 


r 


450  Notizen  und  Nachnchteti. 

Stand  gesetzt  worden  sei,  Laudon  abzufangen,  und  steüt  fest,  dai 
die  Schlacht,  wie  schon  Bernhardi  geschrieben  hatte,  ein  Werk 
des  Zufalls  gewesen  ist. 

Lehrreiche  Mitteilungen  aus  den  französischen  Archiven  ent* 
hält  F,  Ch.  Roux'  Aufsatz  über  ^Die  französische  Politik  in 
Ägypten*  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts*  in  der  Revae  historiqae 
91)  1  (Mai- Juni  1906).  Die  bestehenden  Handelsbeziehungen  führten 
in  der  Epoche  Ludwigs  XIV.  zu  wiederholten  politischen  Ver- 
suchen au!  Ägypten,  die  später  erst  wieder  aufgenommen  werden, 
als  der  russisch- türkische  Krieg  von  176S  die  unerwartete  Schwäche 
der  Türkei  enthüllte  und  ihre  baldige  Auflösung  anzukündigen 
schien»  Aus  ihren  Trümmern  hat  Ghoiseul  Ägypten  für  Frank- 
reich zu  befreien  geplant  Charakteristisch  ist,  daß  die  öffentliche 
Meinung  in  Frankreich  sich  seit  der  Epoche  Ludwigs  XIV.  aufs 
lebhafteste  mit  Ägypten  beschäftigt  und  in  zahllosen  Projekten 
die  Sicherung  Ägyptens,  der  Kanal  nach  dem  Roten  Meere,  der 
Kampf  gegen  die  Engländer  in  Indien  etc.  diskutiert  wurde.  Auch 
der  Gedanke,  bei  der  Aufteilung  der  Türkei  den  französischen 
ßeuteanteil  sich  in  den  österreichischen  Niederlanden  zu  suchen, 
taucht  1777  bereits  auf. 

Ein  sehr  lesenswerter  Auszug  aus  dem  Journal  des  Fremier- 
leutnants  v.  Warnsdorff  in  der  kursächsischen  Leibgrenadier- 
Garde  „über  Friedrichs  des  Großen  letzte  Revue  1785**  wird  in 
der  Deutschen  Revue,  Juni  1906  veröffentlicht.  Charakteristisch 
ist  vor  allem,  wie  der  Verfasser  den  „Esprit  militaire'^  als  das 
Wesen  und  Geheimnis  der  preußischen  Macht  um  sich  füliU,  und 
den  Konig  als  den  vornehmsten  Träger  dieser  Zentralidee  histo- 
risch würdigt.  Lehrreich  ist^  daß  dem  Sachsen  bei  dem  preußi- 
schen Exerzieren  gerade  im  Gegensatze  zu  den  Zuständen  der 
heimatlichen  Armee  der  Fortfall  aller  „peinlichen*'  Akkuratesse 
und  die  Beschränkung  auf  das  „Nötige"  und  „Nützliche*'  aufge* 
fallen  ist,  und  daß  er  die  menschliche  Fürsorge  der  preuöischen 
Offiziere  für  ihre  Mannschaft  besonders  hervorhebt 

in  dem   Aufsatze   über  „Die  Politik  des  Grafen   Hertzberg 

1785 — 1790'*  faßt  F.  C.  Wlttichen  seine  und  seines  verstorbenen 
Bruders  Ansicht  über  Hertzberg  dahin  zusammen,  daß  er  im 
schärfsten  Gegensatz  zu  der  abfälligen  Beurteilung  Bailleus  und 
Luckwaldts  ein  ausgezeichneter  Staatsmann  gewesen  sei,  der 
einzige»  der  fähig  gewesen  wäre,  eine  großzügige  Politik  im  Sinne 
der  besten  Zeiten  Friedrichs  des  Großen  zu  treiben,  der  jedoch 
stürzt,  weil  er  die  inneren  Friktionen  am  Hofe,  den  schwankenden 
Könige  den   heillosen   Phantasten  Bischoffswerder   nicht   dauernd 


I 

4 


I 


1648^1789. 


451 


I 


EU  beherrschen  vermag.  Der  Verfasser  tritt  energisch  dafür  ein, 
daß  man  Hertzbergs  Pläne  als  durchaus  mögliche  und  den  Zeit- 
verhältnissen entsprechende  würdigen  müsse.  (Historische  Viertei- 
jahraschrift  1906,  iX,  2.) 

B.  Lozinski  betont,  daß  die  von  dem  bekannten  polnischen 
Historiker  Kaünka  in  seinem  Werke  ^GaUzien  und  Krakau  unter 
österreichischer  Herrschaft"  entworfene  düstere  Schilderung  der 
kirchlichen  Verhältnisse  am  Ende  des  18,  Jahrhunderts  der  Wirk- 
lichkeit entspricht.  Tatsächlich  sind  hier  die  Josephtnischen  Re- 
formen um  so  drückender  empfunden  worden,  als  einerseits  bei 
deren  Durchführung  in  der  neugewonnenen  Provinz  keine  beson- 
deren Rücksichten  genommen  wurden,  anderseits  infolge  des  Bil- 
dungszustandes und  der  gesellschaftUchen  Verhältnisse  diese  Re- 
formen mehr  als  anderwärts  geradezu  Entsetzen  erregten.  Andere 
Mitteilungen  betreffen  die  damals  versuchten  Reformen  der  bäuer- 
lichen Verhältnisse,  Sehr  interessant  ist  die  an  den  Kaiser  ge- 
richtete Denkschrift  eines  Geistlichenj  der  die  schwierige  Lage 
der  Bauern  scharf  beleuchtet  und  Vorschläge  macht,  wie  diese 
geschützt  werden  könnten.  {Kwortainik  klsL^  Lemberg  1905, 
19.  Bd,)  R.  R  KaindL 

Neue  Büclier:  Lavisse,  Histoire  de  France.  T,  V!!  (If^  par- 
He) :  LüuU  XIV-  La  Fronde  -  Le  Roi  -  Cotbert  (1643- 1685).  (Paris, 
Nacheile  <£  Cie.  6  fr.)  —  Norn,  Franfols  Räkdczi^  prince  de 
Transylvanie^  1675—1735.  ( Paris ^  Perrin  ^Cie.  5fr.)  —  v.  Apell, 
Der  Versuch  zum  Entsätze  Landaus  und  die  Schlacht  am  Speyer^ 
bach^  bei  Speyer,  Dudenhofen  oder  Heiligenstein  am  15.  Nov»  1703, 
(Marburg,  Elwerts  Verl.  2  M.)  —  Pariset,  il  cardinaie  Gittüa 
Alberoni,  (Boiognaj  ZanichelU,  3  fr.)  —  Ada  borussica.  Denk- 
mäler der  preußischen  Staatsverwaltung  im  18,  Jahrhundert.  Die 
Behördenorganisalion  u.  die  allgemeine  Staatsverwaltung  Preußens 
im  18,  Jahrhundert.  VIIL  ßearb,  von  Schmoller  u.  Hintze.  (Berlin, 
Parey.  21  M.)  —  Baurguel,  Le  duc  de  Choiseai  et  Valliance 
espagnole.  (Paris,  Plon-Nourrit  S  Cie.  7j50 fr.)  —  Sägmüller, 
Die  kirchUche  Aufklärung  am  Hofe  des  Herzogs  Karl  Eugen  von 
Württemberg  (1744—1793),  (Freiburg  i.  B.,  Herder.  5  M.)  — 
Mentzel,  Karoline  von  Hessen,  die  große  Landgräfin,  Ihr  Auf- 
enthalt in  Prenzlau  1750—1756.  (Darmstadt,  Müller  ^  Rühle. 
2j50  M,)  —  Schweitzer,  Von  Reimarus  zu  Wrede*  Eine  Ge- 
schichte der  Leben- Jesu-Forschung.  (Tübingen,  Mohr,  8  M.)  — 
Sutone,  La  calonisaiion  de  la  Nouv eile- France,  Etüde  sur  les 
origines  de  la  nation  canaäienne,  (Paris,  GuUmoio.  7^50  fr,)  — 
Ungermann,   Der  russisch-türkische  Krieg  1768—1774*    (Wien, 


4S2 


Notizen  und  Nachrichten. 


ßraumüller,  6  M,)  —  Wetdenkafl,  Die  Anschauungen  der 
Franzosen  über  die  geistige  Kultur  der  Deutschen  im  Verlauf  des 
18.  und  zu  Beginn  des  19.  Jahrhunderts.  (Gotha,  Perthes.  1,2011) 
—  HerveZf  Les  sQci^tds  d^amoiir  au  KV!  11^  siicU.  f Paris ,  Dara- 
gon.  20  fr)  —  Brownings  Boyhood  and  Youih  &f  Napoleon, 
Some  chapters  ort  tke  Ufe  of  Bonapa  He  ^  1769— !  793,  (London^ 
Lant.  5  shj  —  Salomon,  William  Pitt  der  Jüngere,  l-ßd.  2.  TU 
(Leipzig,  Te üb ner.  18  M.)  —  Molloy^  Russian  court  in  eighUenth 
Century.  2  vots,  (London,  Hutchinson*  24  sh,)  *—  Crombd,  L*or' 
ganisation  du  iravail  ä  Roubaix  avani  la  r^voluUon.  (Liile^  Robbe j 


Neuere  Geschichte  seit  t7§9. 

Im  März-  und  Aprilheft  der  RivolaUon  franfoise  unternimmt 
Aulard  einen  energischen  Angriff  auf  Taine  (Taine  Historien  de 
la  Revolution  franfaise,  L  avani  le  livre  des  Origines,  il,  fanden 
regime),  der  noch  lortgesetzt  und  wohl  noch  viel  heftiger  werden 
wird.  Er  geht  über  das  erlaubte  Maß  der  Polemik  gegen  einen 
Verstorbenen  sowohl  im  Tone  wie  in  manchen  einzelnen  Sätzen 
weit  hinaus.  So,  wenn  er  (S.  205)  sagt :  ^Taine  entstellt  die  Wahr- 
heit, um  tu  erstaunen.''  Der  Vorwurf  unvollständiger  Archiv- 
benutzung ferner  (S,  312)  einem  Werke»  wie  Taines  Origines  gegen- 
über, scheint  uns  vollkommen  unsinnig  zu  sein.  Dagegeji  ist  sonat 
seine  Kritik  oft  treffend  genug  i  er  weist  an  einer  Reihe  von  Stellen 
nach,  wie  flüchtig  Taine  in  der  Quellenbenutzung  gewesen«  daß 
er  häufig  vorschnell  verallgemeinert,  ja  daß  er  gelegentlich  Ände- 
rungen in  den  Texten  vorgenommen  hat»  Es  ist  schade,  daß 
Aulard  nur  gelegentlich  (S.  316}  und  nicht  systematisch  seinen 
Scharfsinn  auf  diejenigen  Zitate  verwandt  hat,  durch  die  Taine 
das  unter  dem  Ancien  Regime  herrschende  Elend  zu  illustrieren 
sucht.  Er  hätte  dann  ohne  viel  Mühe  nachweisen  können,  daß 
die  meisten  von  ihnen  der  Beweiskraft  völlig  entbehren.  Was  Au- 
lard gegen  die  These  vom  Esprit  Classique  einwendet,  ist  z,  T. 
richtig)  im  allgemeinen  aber  ungenügend.  Versäumt  er  es  doch 
sogar  mitzuteilen,  was  denn  genau  Taine  unter  Esprit  Ctassigue 
verstand,  ^ — Im  Märzheft  veröffentlicht  ferner  Saint-Martin  die 
Akten  über  das  am  H*  April  1797  gegen  Sieyfes  verübte  Attentat 
Im  Aprilheft  gibt  Perroud  eine  Skizze  des  Lebenslaufes  , eines 
Professors  während  der  Revolution'^  (Faulin,  Mathematiker,  geb. 
1752,  t  nach  1815),  Buffy  beginnt  eine  Arbeit  über  den  General 
Moülin,  in  der  er  untersuchen  wül,  ob  H*  Martin  mit  Recht  von 
ihm  behauptet  hat,  er  sei  «ein  ehrlicher  Republikaner  mit  geradem 


I 


Ncoere  Getchkhte. 


4M 


Herzen  gewesen^  dessen  Festigkeit  Ihm  cm  ehrenvolles  Gedächtnis 
sichert". 

Einen  Oberblick  über  Reewnt  Tende/tctes  in  tke  Study  of  tkt 
Frtftth  Revolution  gibt  James  H.  Robinson.  Dieser  bleibt  aber, 
wie  er  selbst  zugibt,  ^ziemlich  dürftig*,  indem  er  kaum  mehr  liefert 
mls  Inhaltsangaben  über  Leistungen  und  Pläne  der  Wissenschaft 
au!  diesem  Gebiete.  Die  Bücher  Jaur^s'  scheint  er  stark  zu  über- 
schätzen; doch  iinden  steh  auch  treüende  Bemerk  utigen;  so  z*  B. 
über  Aulard  und  seine  Schule;  so  ferner,  wenn  er  zum  Schlüsse 
erklärt,  daß  die  Geschichtschreibung  noch  nicht  genügend  die 
Tatsache  würdige,  daß  die  Revolution  schon  mit  dem  Zusammen- 
tritt der  ersten  Notabelnversammlung  ihren  Anlang  nehme.  (Ameri- 
can HisL  Rev.,  April  l^Od.) 

G.  Bord  beginnt  im  Correspondant  vom  10.  Mai  1906  eine 
Arbeit,  in  der  er  —  bisher  durchaus  vergeblich  —  die  Freimaure- 
rische Verschwörung  des  Jahres  17S9  nachzuweisen  versucht^  deren 
Existenz  für  manche  Leute  Glaubenssache  ist, 

Guyot  und  Th^nard  setzen  in  der  Rev*  Hist*^  Mal^Juni 
1906  ihren  vor  Jahresfrist  begonnenen,  sehr  ausführUchen  Artikel 
über  das  Konventsmitglied  Goujon  fort,  dessen  politische  und 
persönliche  Schicksale  in  dem  vorliegenden  Abschnitt  vom  August 
1791  bis  März  1793  (Heirat  Goujons)  verfolgt  werden, 

Holland  Rose  veröffentlicht  den  Protest  TaJJeyrands  gegen 
seine  Vertreibung  aus  England  vom  L  Jan.  1793'.  Dieses  Datum 
des  Aktenstückes  entscheidet  eine  alte  Kontroverse  über  die  Dauer 
von  Talleyrands  englischem  AufenthalL  (EngL  HiMt,  Rgw*,  ApfU 
1906.) 

Die  Enttäuschungen,  welche  bekanntlich  die  Vereinigten 
Staaten  der  jungen  französischen  Republik  bereiteten,  schildert 
anschaulich  B  e  r  t  r  a  n  d  in  der  Revue  des  deus  m&ndeä  vom  15*  Mai 
1906*  Die  beiden  ersten  Gesandten  des  republikanischen  Frank- 
reich, Genet  (bis  Ende  1793  resp,  bis  Thermidor)  und  Adet  (nach 
Thermidor)  verhielten  sich  auierordentJich  ungeschickt,  ja  brutai 
Ersterem  wirft  die  eigene  Regierung  (31.  Juli  [793)  vor,  da&  et  9ich 
prokonsularische  Gewalt  über  die  Vereinigten  Staaten  aiimi6Cf  und 
daß  er,  statt  sich  an  die  Regierung  tu  wende n^  nsit  den  Faftmn 
intriguiere^ 


Kürzlich  hat  |.  Vi^not  eine  tiidier  nttgedfnckle  ScMM  lief 
Stael  vom  Anfang  d^  Jiinn  1799,  Ü€§  tJre^oMtmßic^  admiitm  füll 
ptuveni  lerminer  lußj&ßimüwm  «I  dm  pwimtipm  qmi  d^tifmä  fmuUf 
la  Räptiblique  franfüiwe^  verdHcaftScIif,  anl  (^  vor  Mimt  t\%wAm 


454  Notizen  und  Nachrichten, 

in  seinem  treffücheii  Werk  hingewiesen  hatte*  Sie  enthält  einen 
republikanischen  VerfassungsentwuriT  in  dem  besonders  der  Vor- 
schlag eines  s^nat  consfrvatear  (gerichtet  gegen  die  jakobinische 
Gefahr)  interessant  ist.  Über  diese  Publikation  berichtet  nun  der 
Akademiker  F  a  g  u  e  t  in  seiner  geistreichen  Art  in  der  Zeitschrift 
La  Revue  vom  L  Mai  f906. 

In  einer  ^Württemberg  und  der  Preßburger  Friede"  betitelten 
Arbeit  zeigt  E.  Schneider  (Württemb,  Viertel jahrahefte  XV,  2), 
daß  Kurfürst  Friedrich  sich  In  dem  entscheidenden  Ludwigsburger 
Vertrag  (5,  Oktober  IS05)  keineswegs  Napoleon  gegenüber  weg- 
geworfen hat,  wie  man  gesagt  hat.  Ebensowenig  sofUe  man  von 
der  Entschlossenheit  reden,  mit  der  er  rechtzeitig  Partei  ergriff. 
Er  unterwarf  sich  vielmehr  seufzend  dem  Gebot  der  Notwendig- 
keit* Auffallend  Ist,  daß  In  der  vorliegenden  Arbeit  Bitteraufs  Ge* 
schichte  des  Rheinbundes  t  mit  ihrem  reichen  Material  nirgends 
erwähnt  wird. 

Driault  schildert  in  der  Rev.  bleite  1906,  Nr.  15  und  16  auf 
Grund  von  Archivalien ,  unter  gänzlicher  Ignorierung  der  ge- 
druckten Literatur^  ^ Mural  ä  Naples  avant  lu  Trakison^^  vor 
alfem  während  der  Gesandtschaft  Durants  im  Jahre  ISIL  Er  zeigt 
darin,  vielleicht  noch  deutlicher  als  wir  es  schon  wuöten,  wie  sehr 
verschieden  Napoleon  und  Murat  die  Stellung  des  letzteren  auf- 
faßten und  wie  schlecht  infolgedessen  das  Verhältnis  der  beiden 
Fürsten  war. 

D  a  u  m  e  t  veröffentlicht  einen  Brief  des  bekannten  Abb^  de 
Salamon  an  Ludwig  XVIIK,  der  wahrscheinlich  zwischen  Mai  und 
Juli  1814  geschrieben  ist  und  in  dem  der  Verfasser  mit  gewohnter 
Energie  auf  seine  Verdienste  hinweist.  Mit  der  Wahrheit  nimmt 
er  es  auch  in  dieser  Darlegung  nicht  allzu  genau.  (Rev.  des  Etud, 
Hist,  Jan.-Febr  IW6-) 

In  der  Vierteljahrschrift  für  Sozial-  u.  Wirtschaftsgeschichte 
4,  2  zeigt  Charldty,  daß  Handel  und  Industrie  in  Lyon  unter 
Napoleons  Regierung  mehr  litten  als  sie  Vorteile  aus  ihr  zogen. 
Sie  widersteht  zwar  dem  Wunsch  {vor  allem  der  Handelskammer), 
die  alte  Reglementiererei  wieder  einzuführen  und  begünstigt  be- 
kanntlich die  Seidenlndustrie  in  jeder  Weise.  Auch  scheint  es 
nach  ISOO  mit  letzterer  wieder  bergauf  zu  gehen.  AUein  die 
ewigen  Kriege  und  die  Kontinentalsperre^  später  die  Oberwindung 
Napoleons  führen  schwere  Krisen»  verbunden  mit  schrecklicher 
Arbeitslosigkeit^  über  Lyon  herein.  Nur  die  drei  Jahre  von  1807 
(nach  Tilsit)  bis  September  1810  bedeuten  eine  Zeit  kuraser  kün| 
lieber  Blüte. 


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4 


i 


Die  Artikelserie  von  G.  Stetiger,  U$  Bourbans  en  ISIS,  ist 
gut  gesclirieben,  bringt  aber  nichts  sonderlich  Neues  (La  Nauvelle 
Rgviu,  März  bis  Mai  1906). 

Aus  der  Rev,  d.  QuesL  Nist  (April  1906)  notieren  wir  einen 
Artikel  des  unermüdlichen  E.  Welwert  über  ^Bugeaud  (—  es 
ist  der  spätere  Eroberer  von  Algier  — )  im  Jahre  1815". 

In  unseren  Tagen,  da  eine  wachsende  Mehrheit  der  politischen 
Körperschaften  in  Frankreich  sich  angeschickt  hat,  nach  Beseiti- 
gung des  Konkordats  von  1801  durch  Akte  einseitiger  staatlicher 
Gesetzgebung  und  Administration  die  Beziehungen  zur  römischen 
Kirche  und  ihren  Organen  auf  eine  neue  Basis  zu  steLIen^  wird 
man  mit  gesteigertem  Interesse  Kenntnis  nehmen  von  den  Ver- 
suchen, die  in  den  ersten  Jahren  der  Restauration  von  der  Kurie 
zur  Beseitigung  des  napoleonischen  Konkordats  und  namentlich 
der  „Organischen  Artikel"  unternommen  sind;  Parlament  und 
öffentliche  Meinung  haben  die  Regierung  gezwungen^  in  lang- 
wierigen Verhandlungen  den  eigenen  Unterhändler  zu  desavouieren 
und  dem  1817  abgeschlossenen  Konkordate  die  Zustimmung  zu 
versagen;  PA,  Sagnac;  le  Concor dat  de  J8!7^  Etudes  sur  le^ 
rapports  de  l^£glise  et  de  V^tat  saus  la  restauratiün  1814 — 1821 
in  Revue  d'hist.  moderne  ei  contemporaine,  T.  VII ,  1 905/06 ^  no.  J, 
4j  6.  Jacobe 

Aus  anderen  französischen  Zeitschriften  notieren  wir:  Lettres 
in^dites  du  comte  Charles  d^Montalembert  au  baron  Ancker- 
swärd  (schwedischer>  ihm  durch  persönliche  Beziehungen  ver- 
bundener Staatsmann)  aus  den  Jahren  1829 — 37  (Revue  d'hisL  dipi. 
20,  l).  —  Une  campagne  älectorale  de  B,  Constant  en  Atsace 
1827  (Berichte  von  Esmangart,  prejet  du  BaS'Rhin  an  den  Minister 
über  die  Wahlbewegung  in  Straßburg:  Revue  bleue  1906^  Jan.  27), 
In  derselben  Zeitschrift  Nr  14^17,  7.^  U.,  21.,  28.  April  finden  sich 
Auszüge  aus  den  Cahiers  de  Jeunesse  von  Ernest  Renan.  In  der 
Revue  d'kisL  dipL  20^  2  behandelt  Jean  K night  die  kurze  Mi- 
nistertätigkeit  Lamartines  als  Mitglied  der  provisorischen  Regierung 
im  Frühjahr  1848  (Lamartine,  ministre  des  affaires  ätrangires), 

Jacob. 

Turner,  The  Süuih  1820—30  schildert  den  Einüuß  der  wirt- 
schaftlichen Entwicklung  der  Südstaaten  der  Vereinigten  Staaten  — 
vor  allen  Dingen  durch  die  BaumwollkuUur  —  aul  ihre  politische 
Stellung  (American  HisL  Rev.  11,3).  Jacob. 

Das  Andenken  einer  haibvergessenen  italienischen  Patriotin 
erneuert  Giac.  M,  Lombardo  mit  der  Monographie:  Bianca  MN 
lesi  (Firenze,  Bernardo  Seebcr  1905.  79  S.).   In  den  Grundsätzen 


456  NottEen  und  Nachnciiten. 

der  Aufklärung  und  der  französischen  Revolution  aufgewachseti, 
hat  diese  Mailänderin  an  der  Verschwörung  der  Karbonari  im 
Jahre  1821  teilgenommen;  sie  gehörte  einer  weiblichen  Affiliation 
dieses  Geheimbundes  an^  die  den  Namen  «Gärtnerinnen''  ange- 
nommen hatte,  wußte  sich  lange  den  Nachforschungen  der  öster- 
reichischen Polizei  zu  entzieheni  fand  es  aber  Ende  \B22  für  Tät- 
lich nach  Paris  zu  entfliehen  und  begab  sich  nach  längeren  Reisen 
nach  Genua^  wo  sie  einen  französischen  Arzt  Moyon  heiratete 
und,  wie  ihre  Freundin,  die  bekannte  Prinzessin  Christine  Belgio- 
joso^  eine  glühende  Anhängerin  Mazzials  wurde.  Schließlich  setzte 
sich  die  Familie  dauernd  in  Paris  fest,  wo  Bianca  in  lebhaftem 
Verkehr  mit  der  italienischen  Flüchtlingswelt  blieb.  ZuJetzt  war 
es  besonders  das  Gebiet  der  Frauenemanzipation  und  der  Kinder- 
erziehung^  auf  dem  sie^  auch  schriftstellerisch,  tätig  war.  Die  ex- 
zentrische Frau,  die  in  den  Briefen  und  Denkwürdigkeiten  aus 
jener  Zeit  nicht  selten  erwähnt  wird,  starb  ia49.  Das  Schriftchen 
kündigt  sich  als  erstes  Stück  einer  Sammlung  ähnlicher  Mono- 
graphien zur  politischen  Geschichte  Italiens  an,  L, 

Nach  allen  Seiten  baut  Paul  IHoUhausen  das  Feld  aus, 
das  er  als  „Stimmungshistorlker"  der  napoleonischen  Zeit  ^u  seiner 
Spezialität  gemacht  hat.  Sein  neuestes  Buch  heißt :  Bonaparte, 
Byron  und  die  Briten,  Frankfurt  a.  M.^  Moritz  Diesterweg.  1904. 
Mit  dem  Sammlerfleiß,  den  man  an  ihm  kennt,  und  mit  der  ihm 
eigenen  zuversichtlichen  Frische  schildert  er  die  Eindrücke,  die 
das  Emporkommen  des  neuen  Cäsar,  seine  Kriege^  seine  Allmacht 
und  sein  Sturz  in  England  hervorriefen,  wobei  ebenso  Parlaments- 
reden wie  Preßäußerungen,  das  Theater  und  die  Karikaturen  her- 
beigezogen werden.  Das  ist  dann  die  Folie,  auf  der  das  Verhältnis 
Lord  Byrons  zum  Korsen  dargestellt  wird,  ein  Verhältnis,  das 
freilich  stark  zwischen  Ha0  und  Bewunderung  schwankt,  ohne  daß 
man  die  widersprechenden  Urteile,  wie  der  Verfasser  tut,  aus  der 
krankhaften  neuropathlschen  Anlage  des  Dichters  zu  erklären 
braucht.  Holzhausen  schließt  mit  dem  epigrammatischen  Satze, 
es  sei  nicht  der  kleinste  Sieg  Bonapartes  gewesen,  daß  er  das 
stolzeste  Blut  des  ihm  feindlichsten  Landes  bezwang.  Verfolgt  man 
aber  ohne  Voreingenommenheit  die  Äußerungen  über  Napoleon 
im  Child  Harold^  im  Don  Juan,  im  „bronzenen  Zeitalter",  so  kommt 
man  zum  Schlüsse,  daß  der  Dichter  —  die  innere  Verwandtschaft 
der  beiden  Meteore  zugegeben  —  doch  von  dem  kriegerischen 
Zwingherrn  mehr  abgestoßen,  als  von  dem  Obermenschen  ange- 
zogen  wurde^  und  daß  er,  so  erhaben  er  über  den  engherzigen 
Nationalpatriotismus  seiner  Landsleute  war^  doch  den  Kaiser  im 
Grunde  nur  deshalb  erhobt  weil  er  dessen  kleinliche  Gegner  aufs 


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4 


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Neuere  Geschichte. 


457 


gründlichste  haßte.  Daß  der  Held  zum  König  herab^ank^  Wa- 
shington zum  Cäsar  wurde,  hat  ihm  der  Dichter  niemals  verziehen. 
Gegen  die  Objektivität  der  Auszüge,  aus  denen  Holzhausen  seine 
stets  interessanten  und  wertvollen  Stimmungsbilder  gewinnt,  wird 
sich  nichts  einwenden  lassen,  aber  seine  Darstellung  ist  doch  mehr 
als  billig  von  der  Vorliebe  für  seinen  Helden  heeinllußt»     W.  L. 

Aus  der  zahlreichen  Literatur  zum  Gedenktage  von  Anastasius 
Grün  erwähnen  wir  nur  K.  PrölK  Anastasius  Grün  als  Politiker 
in  der  Tägl.  Rundschau  BeiL  Nr.  86;  zum  Regierungsjubiläum 
König  Karls  von  Rumänien  die  Arbeiten  von  P,  Lindenberg 
in  Nord  und  Süd  Nr.  350  und  Zingeler  in  den  Grenzboten  65,  17. 

Bismarcks  Politik  gegenüber  Rumänien  seit  der  Erhebung 
des  Prinzen  Karl  von  Hohenzollern  sucht  A.  Hasenclever  unter 
Hervorhebung  einiger  wichtiger  Momente  (besonders  Thron- 
besteigung^ £isenbahnfragen,  Berliner  Kongreß  und  Anerkennung 
der  Unabhängigkeit)  in  kurzen  Umrissen  zu  charakterisieren: 
nicht  hohenzallernsche  Familieninteressen,  sondern  die  wirtschaft- 
lichen Interessen  deutscher  Untertanen  und  die  Bedürfnisse 
seiner  allgemeinen  Politik  sind  für  sein  Verhalten  bestimmend  ge- 
wesen, das  ihn  ^  nach  R  —  „In  gewissem  Sinne  als  Zuchtmeister 
zur  politischen  Reife  des  rumänischen  Volkes^  erscheinen  läßt. 
(Allg,  Zeitung,  BeiL  116  u.  U7,  19.  u,  20.  Mai   1906.) 

Einen  sehr  interessanten  Beitrag  zur  Kenntnis  König  Lud- 
wigs lU  von  Bayern  in  den  Anfängen  seiner  Regierung  bilden  die 
Mitteilungen  aus  den  Aufzeichnungen^  welche  der  bekannte  Mün- 
chener Professor  Johannes  H  u  b  e  r  über  die  Vorträge,  die  er  von 
1864  an  dem  Könige  zu  halten  hattet  ^^^  die  daran  anschließenden 
Unterredungen  niedergeschrieben  hat  Die  dissolute,  jeder  festen 
Zucht  entbehrende  Individualität  des  jungen  Königs^  der  „Ekel 
vor  Regierungsgeschäften''  tritt  in  markanten  Zügen  hervor*  Dtn 
Schluß  bildet  ein  Beitrag  zur  Kaiserfrage  1S70.  (Dürck.Joh. 
Huber  und  Ludwig  IL,  AUg.  Zeitung,  Beil.  Nr.  118  u.  \l%  22.  und 
23.  Mai  1906.) 

In  der  Deutschen  Revue  setzet  Fr*  Curtius  seine  Mit- 
teilungen aus  den  Denkwürdigkeiten  des  Fürsten  Chlodwig 
von  Hohenlohe -Schillingsfürst  (s.  diesen  Band  S.  224) 
fort.  Das  Mai-Heft  berichtet  über  den  Besuch  des  Sultans  April 
1867  in  Nürnberg  und  die  Begegnungen  mit  Napoleon  III.  in 
München  im  August,  mit  Beust  im  November  1867;  das  Juni-Heft 
führt  nach  Berlin  in  die  Tagung  des  Zollparlamentt  I86S,  dem  der 
Fürst  —  damals  bayerischer  Ministerpräsident  —  als  Abgeordneter 
(Eür  Forchheim)  angehörte.     Hier  stehen  natürlich  die  bekannten 


458 


Notizen  und  Nachrichten» 


StrÖTfiutigen  in  den  süddeutschen  Staaten  im  Vordergründe- 
Charakteristisch  ist*  wie  unsicher  und  unonentiert  sieh  ein  Mann 
in  Hoheniohes  Stellung  gegenüber  Bismarclis  Plänen  und  der 
ganzen  Situation  befindet. 

Auch  sonst  sind  die  letzten  Hefte  der  Deutschen  Revise  für 
das  19.  Jahrhundert  recht  ergiebig.  Im  Mai-Heft  will  F^Nippold 
<flDer  Prinz  von  Preußen  und  Otto  v.  Bismarck")  Randglossen  zu 
Fürst  Bismarcks  Gedanken  und  Erinnerungen  geben.  —  Das  Juni- 
Heft  enthält  u*  a.  aus  den  Papieren  des  Freiherrn  von  Cramm- 
Burgdorff  ^Briefe  über  den  Herzog  von  Cumberland  an  einen 
auswärtigen  Fürsten*  (Januar  bis  September  1865,  in  denen  sich 
die  Unsicherheit  jener  Tage  im  Braunschwetger  Lande  und  die 
unklare  Haltung  des  Herzogs  widerspiegeln);  von  H,v, Poschin g er 
Aktenstücke  aus  den  Papieren  des  württembergischen  Staatsrats 
V,  Klindworth  über  die  durch  diesen  geführten  geheimen  Ver- 
handlungen zwischen  Preußen  und  der  Kurie  (1855  f.),  die  doch 
ergebnislos  blieben;  schließlich  einige  kurze  Mitteilungen  über  die 
„diplomatischen  Verhandlungen  Spaniens  mit  den  Mächten  über 
die  Anerkennung   der   Königin    Isabella^    (1839/45)* 

Weitaus  den  bedeutendsten  Beitrag  für  diesen  Zeitabschnitt 
bietet  der  Aufsatz^  den  über  Heinrich  v*  Treitschke  ^  anläßlich 
der  zehnten  Wiederkehr  von  dessen  Todestag  ^  im  Mai^Heft  der 
Deutschen  Monatsschrift  Erich  Marcks  veröffentlicht  hat.  Mit 
Recht  erscheint  Treitschke  ^als  der  Inbegriff  einer  bestimmten 
Generation,  die  heute  fast  schon  aus  unserer  Umgebung  ver- 
schwunden ist''.  Das  Bezeichnende  für  Treitschkes  historische 
Stellung  ist,  „daß  sie  von  Goethe  bis  hinüber  zu  Bismarck  reichte, 
und  daß  er  diesen  Anfangs-  und  diesen  Endpunkt  mit  beinahe 
gleicher  Stärke  in  sich  festhielt^.  Als  seine  „bedeutsamste  Eigen- 
art* erscheint  „eine  merkwürdig  sichere  und  kraftvolle  Staats* 
gesinnung"*  Für  Marcks  ist  Treitschke  der  » Meister  des  deut- 
schen Essays'*  Die  großen  historischen  und  politischen  Aufsätze  aus 
der  Epoche  von  1864/71  „bilden  in  gewissem  Sinne  den  Gipfel 
aller  seiner  Schöpfungen  —  auch  literarisch,  auch  Im  engeren 
historischen  Sinne^.  „Ich  halte  sie  alle  für  höchste  Meisterwerke 
unserer  historischen  und  unserer  altgemeinen  Literatur,  für  die 
Erzeugnisse  eines  großen  SchriftstellerB  und  eines  wahren  Oe- 
schichtschreibers/  M.  verkennt  nicht,  daß  Treitschke  in  seiner 
^Deutschen  Geschichte*'  „bei  Preußen  lichter  und  sicherlich 
manchesmal  zu  licht  gemalt  haf*  Die  Antechtungen,  die  dieses 
Werk  erfahren  hat,  haben  naturgemäß  „ihre  Schärfe  verloren^ 
aber  geringer   sind   sie  nicht  geworden;    das    historische  Denken 


\ 

4 


I 

I 

I 


Der  ^lüitf  MB  Kiclard  üelir  Ober  ,Tl«n«^liW  UHil  wtr^ 
(G^CBvaft  35,  im  ttig%t  M  pvlstcf  Htnatf^Nl,  i^nt  Iritvh 
llarckm  n  mmh  «B^es  geahnten  Esi^r  üki^t^  Duo  AHiIi'mUvKi' 
und  KatJomlmiirtr  gltic^ndttif  Treitiichke  lilr  iti'H  hi  Anii|tin«'lt 

nehmen  hqiirtlf  Dcbb  aits  etgener  l\riniH'nin||  mul  Vi'iiOmmmi} 
betont  Befar  im  Gegoss^tz  rum  AltdcdUcUtüni,  wir  il1i^)f>Mi|{0ii^  illi^ 
ihn  heute  am  stärksten  für  den  ihHjFcn  iiniiehwi)«  kpin  Villi t^itit 
auf  ihn  besitzen,  Teil  Treitschlie  in  kein^  PürtrUrKHlHNiiü  1itii>*tii 
passe  und  Uberal  im  besten  Sinne  geweniMi  cirl  IMu  ^Mil  mmi 
energische  Behauptungen;  aber  ei  würde  tili  li  «n^ltt  vi^ilobfii^ifj 
diese  Gedanken  gründlicher  zu  vcrloliji'ii  iirnl  Imi  UUh\u  llft^m 
herauszuarbeiten,  wie  bei  TrcitHclike  iliir  Cihinlili^r  iiHi)  4ll 
Ganze  der  Persönlichkeit  über  jede  fvUi/w\mn  Mi  JiNiii||  ihmI  INhiIj 
lung  stand. 

Vier   Briefe  TreitBchketi   an  ntlm  I  i«u>  #ii«  Uan^  ^mi 
lEtB,  aus  Rom  von  1379,  au»  Stnikliuliii  von  \t$mi  umi  m»i«  MiUffM 
schweig  von  1883  finden  sfcb  Im  MilfiitH  dm  OwmU«  hmi  M'^^mU 
Schrift   -^    Briefe   au»   aller   Welt   und   mH    il«iif   §i>UBf\Mii   mim*^ 

Treitschkes  für  alle  Welt, 


I 


Im  Juniheft  von  Nord  und  BU  MnM  «Ml  fftH  m^U^t^f  AU 
schnitt  (s.  S.  224  dtetei  Bd^de«^   iiü  4tm  Kliig«'     -      '        '  « 
damaligen  sächsischen  MajfKi  ^»pitimi  0#ltifill«iil 
siede!   über   «Die  ertteis  T«gt  der  Z#ffik#iiit|f  fm$  i'^fh*    kH 
September  1870* 

Brcdow-Wedci  Hf itorUclit  UBmu*  liHi  %i§mm 
liste  de»dctilicltefi  Hfcfe«,  immMm¥miMm¥MiM«hWi 
Berlin,  Seilen,  im.  XXJ  n.  I4«2i.  to  4m»  mtmUkU^m  thH4§ 
ist  im  enc«  ^iiirMirf  m  Se  §ti§m&  O$0läi  4m  iIMM  WüM' 
nendn  fUngMe  4cr  fCfH  fSrttÜKtMwi  Mmm  m  tm^^m^gH 
Oebilde  MMMtaD.  am  Om«m*  r4i»  MiiMirtli>r  Owt^^tkUßg^ 


4a<i>r4«i"  lA^  *uuu 


^ 


460 


Notizen  und  Nachiiehten. 


geschieb  tu  che  Überblicke  über  die  Entwicklung  des  ßrandenbiir- 
gisch-Preußischcn  Heeres,  des  Krlegsmiriistenums,  des  GeneraJ- 
fitabs,  der  preußischen  Landwehr,  der  bayerischen  und  sächsischen 
Armee,  des  württernbergischen  Heerwesens  sowie  der  ehemaligen 
hannoverischen  Armee  und  des  kurhessischen  Militärwesens  ge- 
geben. Hier  hätten  große  Grundlinien  genügt  und  wären  am 
Platie  gewesen,  statt  derer  breitet  sich  auch  hier  eine  Fülle  von 
Details  aus.  Daß  ein  solches  Werk  im  ersten  Entwurf  und  bei 
11  Mitarbeitern  nicht  aus  einem  Guß  sein  kann  und  daß  viele 
Fehler  dabei  unterlaufen,  ist  sehr  begreiflich  und  verzeihlich* 
Eine  große  Reihe  von  Irrtümern  und  Lücken  hat  General  v*  Les* 
zczynski,  zum  Teil  in  Kontroverse  mit  dem  Herausgeber  v,  Bre- 
dow,  in  den  Nr.  100,  130  und  131  des  Jahrgangs  I90B  des  Militär- 
Wochenblatts  und  in  den  Forschungen  zur  Brandenburgischen  und 
Preuilischen  Geschichte  XVHIf  232  ff.  aufgeführt.  Man  wird  aber 
auch  den  allgemeinen  Bedenken  des  genannten  Kritikers  zu- 
stimmen und  die  ganze  Anlage  des  Werks  als  für  historische 
und  genealogische  Forschung  wenig  brauchbar,  den  Inhalt  als 
nicht  unbedingt  zuverlässig  bezeichnen  müssen.       W\  WiegamL 

Ein  gutes  Hilfsmittel  bietet  die  durchaus  zuverlässig  ge- 
arbeitete Bibliographie  der  deutschen  Regiments- und 
Bataillonsgeschichten  von  Paul  Hirsch  (Berlin,  Mittler 
£  Sohn,  1906,  V  u.  169  S.),  in  der  nicht  weniger  als  S69  solcher 
Truppengeachichten  mit  bibliographischer  Genauigkeit  verzeichnet 
sind  und  ein  fast  an  Vollständigkeit  grenzendes  Resultat  gewonnen 
ist.  Nicht  aufgenommen  sind  mit  Recht  die  Darstellungen  einzelner 
Aktionen  oder  der  Anteilnahme  eines  Truppenteils  an  einzelnen 
Feldzügen,  da  diese  Literaturgattung  in  die  Kriegsbibliographie 
gehört. 

Für  den  Historiker  vielleicht  mehr  noch  als  für  den  Politiker 
sind  die  Ausführungen  von  großem  Interesse,  die  auf  Grund  neuerer 
Memoiren  und  biographischerj  auch  ungedruckter  Materialien  ein 
Anonymus  über  die  Entwicklung  der  wighistischen  Partei  und 
Politik  im  19,  Jahrhundert  gibt;  ^Tke  old  und  the  new  Whigs' 
in  Quarterly  Review  417,  April  1906.  Die  eigentliche,  auf  reinliche 
Scheidung  von  den  sog^  Radikalen  gerichtete  Tendenz  tritt  am 
Schlüsse  mit  beabsichtigter  Deutlichkeit  hervor :  far  years  pasi 
ander  the  rule  of  Lord  SalL^bury  and  Mr,  Balfaur  the  tountry  has 
had  the  benefit  of  such  an  aUiance  between  Conservatives  and 
moderate  men  of  ancient  Whigs  or  more  modern  Liberal  tendencies 
{Chamberlain !)  That  such  an  alliance  is  always  possible  and 
even  probable  is  one  of  the  strängest  checks  upon  desperate  dome~ 


I 


I 


M«iie  Bieter:  Viij  L'mmwtrsM  tU  T^mimmm  ßtmdtmi  Ja 
f^vaixtiom  (1739—1793/.  (To^üa^,  Primi J  —  GmiimwF0sit  Ä 
dinii^  dcHiirait  poimeo  s£coaäa  Ja  c^ÜM^i^m  Mte  ff^ii»»MNi 
Cisaipima^  (Mßimmi»,  ü^gUatL)  —  Mak^m,  iimäm  sur  Jpt  «riiA« 
äü  äirtd&ire.  (Paris,  Chapei&i  4  Ci#,>  —  N^Ü,  HisMn  dm 
£omm£rc£  dm  mondt^  T,  Ul:  Depmis  im  r^^imüom  frmm(mia€  jm^ 
qtt'ä  la  gaerre  franco-aügmandf  (nS9—iS7l}.  (Paris,  Fi^m-NrntHi 
*  Cig.)  —  Geffcken,  Preußen,  Deutschbnd  ütiü  dW  Pol^^iv  «eil 
dem  Untergaiig  des  poimscheti  Reiches,  (Bertirt,  VaikUchr  Huch- 
baiidliii^g.  Z^SO  M>)  —  Härtung,  Hardenberg  und  die  pteuiVialch«^ 
Verwaftung  in  Ansbach- Bayreuth  von  1792  bis  Xmtt,  (Tübittijun, 
Mohn  5  M.)  —  Strobl  v*  RaveJsberg,  Melienilch  nud  %f^\m 
Zeit  1773—1859,  1.  Bd.  (Wien,  Stern.  10  M.)  -- Wilhelm,  NUrk- 
graf  von  Baden:  Denkwürdigkeiten,  Bcnrb.  von  Obier.  L  IM. 
1792—1818,  (Heidelberg,  Winter.  14  M.)  Binder  v.  Krle«!- 
«tein,  Der  Krieg  Napoleons  gegen  Österreich  l«09,  1  Üdiv 
(Berüii,  Vossische  Buchh.  lä  M>)  —  Criste,  ttViheriog  Karl  und 
die  Armee.  (Wien,  Stern.  I ,dQ  M.)  «  AnätrsuHi  P^ninmim 
war.  March  !,  18!!,  to  october  31,  I8iS.  (londm,  AWü,  J  #A J  — 
Maguire,  British  army  unäer  Wellington,  ISli-lHll  (iirndtm^ 
Clowes,  6  skj  —  Duvat,  NapoUon,  Bükm  0t  HfrmiUott^t  hHtJ, 
(Paris,  ChapeloL  1^50 fr,)  «  v*  Mc tisch,  Prkdrtch  August  UL« 
König  von  Sachsen,  (Berlin^  Slegbmund.  4  M.)  —  r*fUHti§$t, 
Guillaume  h^  roi  ä£s  Fays-Bas  et  i'fgtise  rathoii^H^  0H  iMgiffm 
(18l4^tS30),  T,  Z*^  (Bruxetles,  D§wiL}  —  LülfiUU^  A^A 
de  Maistre  et  la  papauti^.  (Paris,  Ha€hHt§  4  Ci§*  J,*»  /fj  — 
M  orange^  Les  id^es  communisteH  düHM  /#f  «af////t  M^trHe«  fl 
dans  la  presse  saus  la  manarchie  deJuUhf.  (Partu,  (lianf  iC  Hri^rpJ 

—  Lebey^  Les  trois  coups  ä'^tat  d^  L(mi«*Nfip(M*H  HtmafH$rt0, 
L  StroBbourg  et  Büulogne.  (Paris^Ptrrin*  5  fr,}  (htytttit  Mt*hhf\ 
(Paris,  BtoudSCie.  3,50  fr.)  —  WolUgrubt*r,  Frlnlrlrh  KHidliuil 
Schwarzenberg.  1.  Bd.  (Wien^  Prammc.  9M.)  l'i^hlhiK,  M  Th. 
BehOf  Bürgermeister  der  freien  und  Httnscitjidl  iJtherk.  (L^tpilK» 
Duncker  &  Humblot.  4,60  M.)  —  M»  [.nziirufi'  Lt^ht^iintirliirM'ruiiuinn. 
Bearb.  von  Nahida  Lazarus  u.  AUr.  Lclchr*    (ßcrllnp  Wehntir.   Il  Mo 

—  Hitzig,  D.  E.  C.  Ranke,  Profctsar  der  Theologie  in  Murlnirtf. 
(Leipzig,  Duncker  Ä  Humblot.  6Mh)  —  v.  Volg  ts- R  he  1 1 ,  Hrluhi 
aus  den  Kriegs  jähren  1866  und  1 870/7  L  (Berlin,  Mittler  i^  Huhth 
6  M»)  —  Aus  dem  Leben  Theodor  v*  Bernhardls,  9.  TL  In  Sfutnli^n 
und   Portugal,    Tagebuchblätter   aui    den   Jahren    tS09   bis    I87L 


462  Notizen  und  Nachricliten, 

(Leipzigs  Hirzel*  10  M.)  *-  Graf  Hiibnerj  ErlebniBse  zweier  Brüder 
während  der  Belagerung  von  Paria  und  des  Aufatandes  der  Kom- 
mune 1870—71.  (Berlin,  Gebr.  Paetel  4  M,)  —  Lindenberg, 
König  Karl  von  Rumänien.  (Berlin,  Dümmlers  VerL  4  M,)  — 
Maurice^  Russian^Turkish  war,  1877.  ( London ^  Sonnenschein^ 
5  sh.)  —  Ca  man,  Industrial  hislory  of  tht  United  Siates.  (Lon- 
don^  Macmillan,  5  sh.)  ^  Lamprecht,  Americana.  Reiseein- 
drücke, Betrachtungen^  geschichtliche  GesamtansLchL  (Freiburg 
i,  B.,  Heyleider.  2,60  M.)  —  Spahn,  Ernst  Lieber  als  Pariamen» 
tarier.    (Gotha,  Perthes.    1,50  M.) 

Deutsche  Landschaften. 

Prof»  Dr,  Kari  D  ä  n  d  1  i  c  k  e  r.  Schweizerische  Geschichte, 
Sammlung  Göschen,    ISO  S. 

Der  Zweck  der  Goschen-Sammlung  besteht  darin,  den  Leser 
über  irgend  ein  Gebiet  des  Wissens  durch  summarische  Dar- 
bietung des  Wichtigsten  auf  ca.  10  Bogen  in  dem  bekannten 
Format  im  allgemeinen  zu  orientieren*  Im  vorliegenden  Büchlein 
ist  die  schweizerische  Geschichte  diesem  Zwecke  zugeschnitten 
und  genügt  ihm  vollkommen.  Der  durch  seine  große  dreibän- 
dige Geschichte  der  Schweiz  rühmlichst  bekannte  Verfasser, 
Prof*  Dändlicker  in  Zürich,  qualifizierte  sich  auch  vortrefflich 
zur  Lösung  einer  so  zum  vornherein  durch  den  Zweck  eigenartig 
umschränkten  und  eingegrenzten  Aufgabe.  Das  Büchlein  ist  der 
flgroöe  Dändllcker*'  im  kleinen,  jedoch  nur  quantativ,  nicht  etwa 
qualitativ.  Wie  in  jenem^  so  ist  auch  in  diesem  neben  der  poli- 
tischen die  Kultur-,  Kunst*,  Kirchen^  und  Literaturgeschichte  der 
Schweiz  reichlich  berücksichtlgL  Auch  die  historische  Literatur 
wird  angeführt.  Kurz,  wer  sich  über  irgend  eine  Periode  orien- 
tieren will,  der  findet  in  Dändtickers  Büchlein  nicht  bloß  zu- 
verlässige Aufschlüsse,  sondern  auch  Fingerzeige  auf  die  nötig- 
sten Quellen  und  HilfsmitteL  Fachleute  werden  dem  Autoren 
vollste  Anerkennung   dafür  zollen,  daß  er  äußerst  geschickt  das  , 

Wichtigste  vom  Wichtigeren  auszuscheiden  verstanden  hat.    Meine  | 

Aussetzungen  sind  ganz  untergeordneter  Natur.    In  den  Quellen-  .i 

angaben,  die  sich  allzueinseitig  fast  nur  auf  deutsch-schweLzerische  , 

beschränken,  hätte  ich  gerne  auf  die  Namen  minder  wichtiger  oder 
geradezu  unbedeutender  Autoren  verzichtet  und  dafür  einen  Hin- 
weis auf  die  großen  kantonalen  Sammelwerke  gesehen.  Seite  90 
sollte  wohl  mit  einem  Wort  das  frühere  Bündnis  Genfs  mit  Frei- 
burg  und  Bern  angedeutet  und  nach  dem  ^Orte**  Bern  und  Zürich 
beigefügt  werden.    (Eidgen.  Abschiede  IV,  2,   S*  1587.)    Seite  103: 


Ci 


Deutsche  Landschaften. 


463 


^Die  EidgenossenschaM  verpflichtete  sich;  Frankreich  6— 16000 
Mann  Soldtruppen  zu  stellen*',  sollte  wohl  besser  heißen:  Die 
Eidgenossenschaft  gestattete  die  Werbung  etc,  (vgL  Eidg.  Ab- 
schiede Vit  L  S.  1646:  Nou$  pourröns  tever  etc.  Die  Verpflichtung 
2ur  Truppensteliung  kam^  wenn  wir  von  der  Offensiv-  und  De* 
fensivallianz  des  Jahres  1798  absehe n,  eigentlich  erst  IS] 2,  S.  1 17. 
Anm.  Ebels  Werk:  Auf  die  nützlichste  Art  die  Schweiz  zu  be- 
reisen etc.  erschien  nicht  erst  17%,  sondern  schon  1793.  —  Eine 
[nhaltsübersicht  mit  Zeittafef  erhöht  die  praktische  Brauchbarkeit 
des  Büchleins*  R.  LagintähL 

Als  Fortsetzung  zu  dem  bekannten  Brandstetterschen  Reper- 
torium  hat  H.  Barth  im  Auftrag  der  Allgemeinen  geschicht- 
forschenden Gesellschaft  der  Schweiz  ein  Repertorium  über  die  in 
Zeit-  und  Sammelschriften  der  Jahre  1891—1900  enthaltenen  Auf- 
sätze und  Mitteilungen  s  eh  weizerge  Schicht  liehen  Inhalts  bearbeite  t^ 
das  dem  Benutzer  gute  Dienste  leisten  wird.  (Basler  Buch-  und 
Antiquariatshandlung.  1906.  Vll,  359  S.  Preis  8  M.)  Die  in  aus- 
ländischen Zeitschriften  veröffentlichten  Artikel  konnten  aus  Grün- 
den, die  im  Vorwort  angegeben  sind,  vorläufig  nicht  verzeichnet 
werden^  doch  soll  das  Versäumte  später  nachgeholt  werden. 

[n  den  Freiburger  Geschichtsblättern,  herausg.  v.  Deutschen 
geschichtsforschenden  Verein  d*  Kantons  Freiburg  Bd.  12»  handelt 
A,  B  ü  c  h  i  über  Schie0weeen  und  Schützenfeste  3&u  Freiburg  bis 
zur  Mitte  des  15.  Jahrhunderts,  hauptsächlich  nach  den  Säckel- 
meisterrechnungen des  Freiburger  Stadtarchivs* 

In  der  Basler  Zeitschrift  f.  Gesch.  und  Altertumskunde  5»  2 
handelt  Fr.  Burckhardt  über  Plane  und  Karten  des  Baselgebietes 
aus  dem  IL  Jahrhundert,  hauptsächlich  die  Arbeiten  der  Lohn- 
herren Jakob  und  Georg  Friedrich  Meyer  berücksichtigend, 
W.  Merz  verölf entlieht  Güter  und  Zinsrötel  des  aargauischen 
AdeEs  und  aargauischer  Gotteshäuser  aus  dem  Ende  des  13*  und 
Anfang  des  14.  Jahrhunderts,  die  von  Anmerkungen  und  einem 
Verzeichnis  der  Orts-  und  Personennamen  begleitet  sind.  Unter 
den  Miszellen  sind  vor  allem  die  von  Aug.  Huber  gebotenen 
Mitteilungen  aus  Basler  Archiven  zu  nennen,  Sie  bezfehen  sich 
u.  a,  auf  den  Aufenthalt  des  bekannten  Franz  Ffotmann  in  Basel, 
auf  ein  Eintreten  der  Universität  für  den  vom  Rat  wegen  Irrlehre 
mit  Verweisung  bedrohten  Francesco  Pucci;  auf  die  Satzungen  der 
französischen  Nation  an  der  Basler  Hochschule  und  auf  den  Stand 
der  katholischen  Kirche  in  Frankreich  Im  Jahre  1635. 

Aus  der  Zeitschr  f.  d,  Gesch.  d.  Oberrheins  M,  F.  21,  2  er- 
wähnen wir  die  eingehende  Arbeit  von  G.  Schickele  über  die 

30* 


464 


Notizen  und  Nachrichten. 


I 


Vorsichtsmaßregeln,  durch  die  man  in  StraÖburg  während  de^ 
16.  bis  !8.  Jahrhunderts  Pest  und  ansteckende  Krankheiten  zu  be- 
kämpfen suchte,  —  In  der  Alemannia  N.  F.  71  findet  sich  eine 
fleißige  Materialsammlung  über  das  Rufaeher  Minoritenkloster  zu 
St.  Katharina  von  Th.  Walter,  ^  Aus  der  erst  jetzt  dem  Refe- 
renten zugänglich  gewordenen  Revue  des  Siudes  juives  1905,  April- 
Juni  sei  endlich  noch  der  Schluß  des  Aufsatzes  von  M.  Gins- 
burg e  r  über  die  Metzer  Juden  unter  dem  Anden  rägime  ver-  ' 
zeichnet  (vgf.  95,  377). 

Die  tetztausgegebenen  Lieferungen  der  Regesten  der  Bischöfe 
von  Konstanz  (tl,  5—7;  S.  321— 603.  Innsbruck,  Wagner,  1902  bis 
1905)  umfassen  den  Zeitraum  von  1361^1383  (bearbeitet  von 
AI.  Cartellieri)  mit  den  Nachträgen  und  dem  Register  (be- 
arbeitet von  K*  R  ieder)»  also  den  größten  Teil  der  für  das  Bistum 
sehr  unglücklichen  Regierung  des  Bischofs  Heinrieh  von  Brandis. 
Hinsichtlich  der  Sauberkeit  der  Arbeitsweise  schließen  sich  diese 
Lieferungen  den  vorangegangenen  würdig  an. 

Beiträge  zur  fränkischen  Wirtschaftsgeschichte  bringt  der 
AufsatsE  von  A,  Hänlein:  Zur  Geschichte  der  Hausweberei  im 
bayerischen  Voigtland,  der  vornehmlich  die  Verhältnisse  vom 
15.  bis  18.  Jahrhundert  behandelt.  (Archiv  f.  Gesch*  u.  AUertums- 
kunde  von  Oberfranken  26^  1)* 

Aus  dem  Inhalt  der  Zeitschrift  des  Aachener  Geschichts- 
vereins 27  heben  wir  an  größeren  Arbeiten  hervor  die  sprach- 
geschichtliche  Untersuchung  von  Fr,  Gramen  Frem-Brlganiium^ 
die  eingehenden  Ausführungen  von  Aug.  Schoop  ijber  die 
römische  Besiedlung  des  Kreises  Düren^  denen  eine  Übersicht  über 
die  bis  jetzt  dort  gefundenen  Steindenkmäler  aus  der  römischen 
Kaiserzeit  beigefügt  ist,  femer  die  in  die  neuere  Zeit  führenden 
Abhandlungen  von  H.  Pennings  über  die  Aachener  Religions- 
unruhen und  die  auf  den  Städtetagen  zu  Speier  und  Heilbronn 
(1581/82)  vornehmlich  von  Straßburg  und  seinem  Vertreter  Paul 
Hochfelder  zugunsten  der  Protestanten  unternommenen  Schritte  und 
von  E.  Pau  Is  über  die  ziemlich  harmlosen  Beziehungen  der  Metzer 
Reunionskammer  zur  Abtei  Stablo-Malmedy  und  zur  Aachener 
Gegend.  Von  dem  letztgenannten  Verfasser  erwähnen  wir  außer- 
dem noch  die  Bemerkungen  zur  Geschichte  der  Zeitrechnung  in 
Aachen  und  die  Mitteilung  von  Quittungen  und  Briefen  über 
Zahlungen  an  Maximilian  L,  Karl  V.  und  Ferdinand  L  bei  ihren  h 
Besuchen  in  Aachen  und  Stablo.  ^| 

In  den  Beiträgen  zur  Gesch.  d.  Niederrheins  Bd.  19,  190S 
schildert    Baumgarten    den    i^Kampf   des    Pfalzgrafen   Philipp 


Deutsche  Landschaften. 


465 


mit  den  jülich-bergischen  Ständen  von  1669 bis  1672'^^  erbebandelt 
die  ständische  Appellation  an  den  Reichsholratj  die  Gegenmaß- 
regeln der  Regierung  und  weiteren  Verhandlungen  bis  zur  Bei- 
legung des  Streites  durch  den  Hauptrezeß  von  1672*  —  Einen  wert- 
vollen Beitrag  zur  Geschichte  der  deutschen  Industrie  bietet  die 
von  Ch*  Schmidt  publizierte  Denkschrift  des  kaiserlichen  Kom- 
missars Beugnot  über  die  Textil-  und  MetaMindüstrie  des  Gro3- 
herzogtums  Berg  im  Jahre  J810*  —  Th*  Lewin  ^Beiträge  zur  Ge- 
schicbte  der  Kunstbestrebungen  in  dem  Hause  Plalz-Neuburg'* 
verarbeitet  reichhaltiges,  aus  archtvalischen  Quellen  geschöpftes 
Matenat  zu  ausführlichen  Schilderungen  über  die  KunaCpflege  am 
Hofe  von  Jülich-Berg,  die  Beziehungen  der  Herzöge  zu  Rubens, 
van  Dyck,  Joachim  von  Sandrart,  Johann  Spielberg  und  anderen 
Künstlern  ihrer  Zeit 

Das  neue  Archiv  f.  sächs.  Gesch.  u,  Alteftumskunde,  Bd  27^ 
Heft  1  u*  2  enthält  Abhandlungen  von  G.  Müller  über  „Die  Visi- 
tationen der  Universität  Leipzig  zur  Zeit  des  Dreißigjährigen 
Krieges*"  und  von  E.  Zimmerniann  über  die  Frage  ^ In  welchem 
Jahre  das  Meißener  Porzellan  erfunden  wurde' ;  er  glaubt,  1709  als 
Erfindungsjahr  ermittelt  zu  haben.  H.  Beschorners  „Beschreib 
bungen  und  bildliche  Darstellungen  des  Zeithainer  Lagers**,  das 
August  der  Starke  1730  in  Anwesenheit  des  preußischen  Königs 
Friedrich  Wilhelms  L  veranstaltete,  sollen  einen  Beitrag  zur  säehsi* 
sehen  Heeresgeschichte  liefern, 

G*  Vorberg,  Die  Kirchenbücher  im  Bezirke  der  General- 
superintendentur  Berlin  und  in  den  Kreisen  Lebus  und  Stadt  Frank- 
furt a.  O.  (Veröffentlich,  d.  Ver.  f,  Gesch.  d.  Mark  Brandenburg^ 
Leipzig;  Diincker  &  Humblot*  1905.  7  M,  In  Form  und  Einteilung  hat 
sich  Vorberg  dem  von  Schwartz  bearbeiteten  ersten  Heft  der  neu- 
märkischen  Kirchenbücher  angeschlossen,  inhaltlich  dagegen  seine 
Arbeit  auch  auf  andere  Religionsgesellschaften,  die  römisch-katho^ 
lische  Kirche,  die  evangelische  Brüderkirche,  die  evangelisch- 
lutherische  Kirche  und  ferner,  „um  den  Weg  zu  allen  kirchlichen 
Aufzeichnungen  zu  bahnen'*^  auf  die  parochlale  Vorgeschichte 
ausgedehnt.  Daß  die  durch  Umfrage  ermittelten,  natürlich  nicht 
selten  unvollständigen  Angaben  von  Vorberg  aus  der  Literatur, 
aus  den  Mitteilungen  und  Akten  des  Konsistoriums  etc.  ergänzt 
worden  sind,  wird  dankbar  aufgenommen  werden.  Der  Stoff  ist 
in  drei  Teile  gegliedert:  L  Die  Kirchenkörper  mit  ihren  Kirchen- 
kreisen und  Kirchspielen,  2.  die  Gemeinden  mit  ihren  kirch- 
lichen Aufzeichnungen  (in  aiphabet.  Folge),  3.  die  Kirchenbücher 
nach  Alter  und  Inhalt  und   andere  Bücher,  Akten,  Urkunden  etc. 

30« 


466  Notizen  und  Nachrichten« 

in  den  PfatTarchiven,  Für  gleichartige  Unternehmungen  verdient 
Beachtung  der  Entwurf  eines  Formulars,  mit  welchem  Vorberg 
Vorschläge  zur  Besserung  der  Fragebogen  macht,  um  genauere 
und  vollständigere  Auskunft  zu  erzielen.  Der  mühsamen  Arbeit« 
die  besonders  der  orts-  und  familiengeschichtlichen  Forschung 
gute  Dienste  leisten  wird  —  auch  Nachweise,  wie  weit  rückwärts 
sich  die  Reihen  der  Pfarrer  verfolgen  lassen,  sind  aufgenommen 
worden  — ,  hätte  ein  Orts-  und  Namenregister  nicht  fehlen  sollen. 
Hoffentlich  bietet  sich  im  2.  Heft,  das  die  Generalsuperinten* 
dentur  der  Kurmark  behandeln  wird,  Gelegenheit,  diesem  Mangel 
abzuhelfen. 

Die  Publikation  der  Hostocker  Universitätsmatrikeln  führt 
A.  Hofmeister  in  Bd.  IV,  Heft  2  von  Ostern  i747  bis  Ostern 
1789  (Rostock,  Stiller,  1904).  Der  Anhang  enthält  die  Matrikeln 
der  Universität  Bützow  (Mich.  !760  bis  Ost,  i78^),  die  Herzog 
Friedrich  von  Mecklenburg  auf  Grund  eines  kaiserlichen  Patentes 
1760  ins  Leben  rief,  als  sein  Wunsch^  die  Richtung  der  haUischen 
Pietisten  in  Rostock  vertreten  zu  sehen,  bei  der  Rostocker  Fakultät 
hartnäckigem  Widerstand  begegnete. 

Band  94  des  Archivs  für  österr,  Gesch.  umfaßt  ausschlleü- 
lich  Abhandlungen,  die  aus  Vorarbeiten  für  den  historischen  Atlas 
der  österreichischen  Atpenländer  hervorgegangen  sind  (auch 
separat  herausgegeben  als  „Abhandlungen  zum  histor*  Atlas  der 
Österr,  Alpfenländer".  Wien,  Holder).  Der  hochverdiente,  kürzlich 
verstorbene  Leiter  des  Unternehmens^  Ed.  Richter^  hat  einmal 
die  Ansicht  geäußert,  daß  nicht  die  Ansammlung  topographischer 
Details,  sondern  die  Aufsuchung  der  administrativen  und  gericht- 
lichen Abgrenzungen  die  Aufgabe  sei,  mit  deren  Lösung  die  ge- 
schichtliche Geographie  sich  vielleicht  Verdienste  um  die  Erfor^ 
schung  der  Vorzeit  erwerben  könne*  Das  hier  gewiesene  Ziel 
scheint  für  die  folgenden  Untersuchungen  bestimmend  gewesen 
zu  sein,—  An  erster  Stelle  steht  H.  v*  Voltelini's  Aufsatz  über 
j^Die  Entstehung  der  Landgerichte  im  bayerisch -österreichischen 
Rechtsgebiete".  Auf  ihre  Einrichtung  haben  verschiedene  Um- 
stände Einfluß  geübt,  zunächst  die  Zunahme  der  Besiedlung  und 
Bevölkerung,  für  deren  Bedüdnisse  neue  Ordnungen  und  Ge- 
richtssprengel geschaffen  werden  mußten,  die  seit  Erblichkeit 
der  Lehen  häufig  vorkommende  TeÜung  der  Grafschaften  und 
Vereinigung  von  Grafschaftsteilen^  Exemtionen  weltlicher  Herren 
und  geistliche  Immunitäten  etc»  ^Den  wichtigsten  Anstoß 
aber  zur  Ausbildung  der  Landgerichte  hat  die  Burgenverfas- 
sung gegeben,"  Dem  ßurghauptmann,  der  mit  dem  Burgbann 
bereits  öffentlichrechtliche  Gewalt  über  die  Inwohner  des  Bann- 


i 


Deutsche  Landschaften. 


m 


bezirkes  ausübte^  ist  die  hohe  Genchtsbarkeit  innerhalb  des  Burg- 
friedens übertragen  worden*  Es  ist  bezeichnend  für  die  im  wesent- 
lichen gleichartige  Entstehung  der  territorialen  Amtsbezirke  Über 
weite  Länderstrecken  hin,  daß  gleich  den  märkischen  Vogteien 
und  bergischen  Amtern  auch  die  Kreisverfassung  Böhmens  und 
Mährens  t  wie  neuerdings  Mil  Stieber  (»Das  österr*  Landrecht 
und  die  böhmischen  Einwirkungen  auf  die  Reformen  König  Otto- 
kars ^  Innsbruck  1905,  S.  109  ff.)  nachgewiesen ,  zum  Teil  aus 
Vereinigung  von  Burgdistrikten  oder  ^upen  entstanden  ist*  — 
Das  Verhältnis  von  Immunität  und  Territorium  in  ihrer  räum- 
Jjchen  Ausdehnung  und  staatsrechtlichen  Bedeutung  erläutert 
Ed.  Richters  Abhandlung:  „Immunität,  Landeshoheit  und  Wald- 
Schenkungen**  an  der  Geschichte  des  Salzburger  Kirchenstaates^. 
Dieser  ist  in  der  Hauptsache  zusammengefügt  worden  nicht  aus 
immunen  Kirchengütern,  „sondern  aus  erworbenen  Grafschafts- 
teilen,  Landgerichten"*  zu  einer  Zeit,  da  man  von  den  alten  Im- 
munitäten^ ihrem  Wesen  und  ihrer  Bedeutung  nichts  mehr  wußte. 
Die  Landeshoheit  ist  hier  entstanden^  indem  die  Erzbischöfe  sich 
an  die  Stelle  der  alten  Grafengeschlechter  des  12.  und  13,  Jahr- 
hunderts setzten.  Dieser  Nachweis  laBt  sich  nicht  erbringen  Eür 
einen  Rest  des  Stiftslandes,  der  in  den  kaiserlichen  Bestätigungs- 
urkunden seit  Otto  iL  in  Form  eines  Waldbesitzes  erwähnt  wird. 
Die  von  Kleimayrn  (Juvavia)  noch  bejahte  Frage,  ob  sich  Gerichts- 
und Landeshoheit  daselbst  aus  dem  Grundbesitz  entwickelt  habe» 
hätte  Richter  schwerlich  offengelassen,  wenn  Erkrankung  und 
Tod  ihn  nicht  an  der  Beendigung  der  ausgezeichneten  Unter- 
suchung gehindert  hätten.  Eine  gegen  Bittners  Ausführungen 
gerichtete  Bemerkung  v.  Belows,  daß  für  die  Atisübung  der  Graf- 
schaflsrechte  nicht  so  sehr  der  äußere  Bezirk,  als  vielmehr  die 
erworbene  Kompetenz  entscheidend  sei  (Mitt  d.  Inst  i.  österr. 
GeschL  Bd*  25,  S.  458),  verdient  auch  in  diesem  Zusammenhange 
beachtet  zu  werden.  —  Bin  zweiter  Aufsatz  Ed.  Richters  „Ge- 
markungen und  Steuergemeinden  im  Lande  Salzburg"  behandelt 
die  Einführung  der  jetzt  geltenden  Steuergemeinden  in  Salzburg, 
Dieselben  sind  ganz  ausschllelJUch  ein  Werk  der  Jahre  tS28  und 
1S29,  Jede  Anknüpfung  an  alte  Gemarkungen  fehlt,  ^^m  so  mehr, 
als  es  deren  damals  überhaupt  nicht  mehr  gegeben  hat.^  Hieraus 
folgt  auch  für  das  salzburgische  Territorium  die  Unhaltbarkeit  der 
auf  das  hohe  Alter  der  Dorfgemarkungen  basierten  Grundkarten- 
theorie Thudichums»  —  J.  Strnadt:  „Das  Land  im  Norden  der 
Donau**  stellt  sich  die  Aufgabe,  folgende  Fragen  zu  beantworten: 
1.  Bestand  und  Umfang  des  sag.  Schweinachgaues,  2.  Westgrenze 
der  karolingischen  Ostmark,   X  Art  und  Weise   der  Erschließung 


I 


460  Notisen  und  Naclinchten« 

des  Nordwaldes  für  die  Kultur  und  Wert  der  Schenkungsurkunden 
König  Heinrichs  II,  Jür  Niedernburg,  4.  Aultreten  und  Abstam- 
mung der  Witigonen,  5.  Eigenschaft  der  Herrschaft  Falkenstein 
und  ihr  Verhältnis  zu  Passau,  6.  Grenzen  zwischen  Bayern  und 
Österreich  einerseits  und  Böhmen  anderseits »  7.  Zeitpunkt  der 
Vereinigung  Wachsenbergs  und  der  Riedmark  mit  dem  Lande  ob 
der  Enns,  8.  Verhältnis  Passaus  zu  dem  Mühelland^  seine  Unter- 
werfung unter  österreichische  Landeshoheit,  9.  Ausbreitung  der 
österreichischen  Territorialhohett  über  Rannariedl  in  das  Herz 
des  Reichsfürstentuins  Passau  hinein.  Die  eingehenden  Unter- 
suchungen, welche  reichhaltiges  und  zum  großen  Teil  neues 
archivaiisches  Material  verarbeiten,  bieten  auch  wertvolle  Beiträge 
zur  Kolonisatlonsgeschichte,  Entstehung  der  Landeshoheit  u.  a,, 
doch  dienen  sie  in  der  Hauptsache  dem  Zweck  des  Kartenunter^ 
nehmens,  Besitzstand  und  Grenzen  der  Gaue,  GrundherrschafteUi 
Landgerichte,  Territorien  festzustellen.  Beigefügt  ist  eine  karto- 
graphische Rekonstruktion  des  Besitzstandes  der  weltlichen  Grund- 
herrschaften im  Kzgau  und  im  Mühellande  zu  Beginn  des  13.  Jahr- 
hunderts. Sp, 

Neue  Bücher;  Laurenclus  Boßhart  von  Winterthur,  Chronik 
1185—1532.    Hrsg.  von  Hauser.    (Basel  ^   Basler  Buch-  und  Anti- 
quariatsh.  S  M.)  —  ürkundenbuch  der  Abtei  Sanct  Gallen.   V.  Teil      — 
(1412—1442).    2.  Lfg.    Bearb.  von  Butler  und  Schieß.    (St  Gallen,     f 
Fehr.  10  M.)  —  Dex,  Metzer  Chronik  über  die  Kaiser  und  Könige 
aus  dem  Luxemburger  Hause.    Hrsg.  von  Wolfram.    (Metz,  Scriba. 
15  M.)  —  Börckei»    Aus   der   Mainzer   Vergangenheit.    (Mainz, 
V.  Zabern.   5  M.)  —  Ehwald,   Das  Heiliggeisthospital  zu  Frank-     ^ 
iurt  a.  M.   im   Mittelalten    (Gotha,    Perthes.     1^20  M.)  —  Bot  he,     ■ 
Beiträge    zur  Wirtschafts-   und   Sozialgeschichte    der  Reichsstadt 
Frankfurt*    (Leipzig,  Duncker  &  Humblot.    4,60  M,)  —  Valentin, 
Geschichte  der  Musik  in  Frankfurt  a.  M.  vom  Anfang  des  Xf  V.  bis 
zum  Anfange  des  XVIII.  Jahrh.  (Frankfurt  a.  M.,  Völcker.  SM.) —     ^_ 
Hamm,     Die    Wirtschaftsentwicklung    der    Markgenossenschaft    fl 
Rhaunen,    L  Die  fränkische  Hundertschaft  u*  Markgenossenschaft 
auf  dem  Hundertsrück  (Hunsrück).   (Trier,  Lintz.  2  M.)  —  Eubel, 
Geschichte  der  kölnischen  Minoritenordensprovinz.    (Köln»   ßois- 
ser^e.  7  M.)  ~  Rheinische  Urbare,   Sammlung  von  Urbaren  und 
anderen  Quellen  zur  rheinischen  Wirtschaftsgeschichte,  2,  Bd.  Die 
Urbare  der  Abtei  Werden  a,  d.  Ruhr.     A.  Die  Urbare  vom  9.— 13.      m 
Jahrh,     Hrsg.  von  KÖtzschke.    (Bonn,    Behrendt.     15  M.)  —  Wit-     ^ 
tieh,  Altfreiheit  und  Dienstharkeit  des  Uradels  in  Niedersachsen* 
(Stuttgart,  Kohlhammer,  4M.)  —  N,  Müller,  Der  Dom  zu  Berlin, 
Kirchen-,  kultus-  und  kunstgeschichtliche  Studien  über  den  alten 


i 


Vermischtes* 


4M 


Dom  in  Köln-Berlin,  1.  Bd.  (Berlin,  Schwetschke  &  Sohn.  7  M,)  -^ 
Irmlsch,  Beiträge  zur  Schwarzburglschen  Hetmatskunde.  2.  Bd* 
(Sondershaüsen,  EupeL  4M.)  —  Höfer,  Beiträge  zu  einer  Ge- 
schichte des  Koburger  Buchdrucks  im  16*  Jahrh,  (Koburg,  Rie- 
mann.  2  M.)  —  O.  E,  Schmidt,  Kursächsische  Streifzüge.  3.  Bd* 
Aus  der  alten  Mark  Meißen.  (Leipzig,  Grunow.  4  M^)  *-W*  Schulte, 
Bischof  Jaroslaw  und  die  Schenkung  des  Neisser  Landes.  (Katto- 
witz,  Gebn  Böhm.  2,40  M.)  —  Mo  eschler,  Gutsherrllch-bäuer- 
liche  Verhältnisse  in  der  Oberlausitz.  (Görlitz,  Tzschaschel  2,40  M.) 
^  Quellen  zur  Geschichte  der  Stadt  Wien.  Red.  von  Stanzen 
l  AbL  5.  Bd.  Regesten  Nr.  4732-^274.  (Wien,  Konegen,  20  M.)  — 
Kapper,  Das  Archiv  der  k.  k,  steiermärkischen  StatthaltereL 
(Gra^,  Moser.    3  M.) 


Vcrinischtes, 

Der  Sechste  Allgemeine  DeittscheArchlvtag  wird 
am  24.  September  zu  Wien  stattfinden;  an  ihn  wird  lich  vom  25. 
bis  2S.  September  die  Hauptversammlung  de»  Gesamt* 
Vereins  der  deutschen  Geschichts«  und  Altertums* 
vereine  anschließen. 

Im  Korrespondenzblatt  des  Gesamtvereins  I906|  Aprll-Maii 
wird  der  Bericht  über  die  vorigjährige  H  a  u  p  t  v  e  r  i  a  m  m  I  u  n  g 
zu  Bamberg  zu  Ende  geführt  (vgl.  %,  567  u.  97,  234).  Wir  er- 
wähnen aus  diesem  Teile  die  Vorträge  von  K.  Rtibeh  Das  frän- 
kische Eroberungs-  und  Siedelungseystem  in  Oberfranken,  von 
Zwiedtneck:  Neue  Methoden  genealogischer  Forschung  In  östcr^ 
reich,  von  A.  Tille:  Organisation  und  Publikationen  der  dcutHchcn 
Geschichtsvereine,  von  A.  Altmann:  Der  Staat  der  tüncliöla 
von  Bamberg  (der  Schluß  folgt  in  einer  der  nächsten  Nunuucrn) 
und  von  L.  Wolfram:  Die  Regierungstitigkeit  de»  FUrHtblscholt 
Franz  Ludwig  von  ErthaL 

Die  A  merk  an  historkal  review  1906,  April,  bringt  einen  aus« 
führlichen  Bericht  über  die  Verhandlungen  ü^z  American  Hlstüfkül 
assüciation  in  Baltimore  (Dezember  1905). 

Dem  Jahresbericht  des  unter  K  e  h  r  s  Leitung  itehend^n 
Preußischen  Historischen  Instituts  In  Rom  Itir  1905/06 
entnehmen  wir,  daß  eine  dritte  Sekretärstelle,  die  für  kunsthisto- 
rische Forschungen  bestimmt  ist,  geschaffen  und  dem  PrlvÄt- 
dozenten  Dr.  ]~Iaseloff  kommissarisch  übergeben  ist.  Das  ge* 
samte  wissenschaftliche  Personal  des  Instituts  einschließlich  der 
Volontären  umfaßt  jetzt  16  Mitglieder.   Von  den  Nuntiaturberichtcn 


470  Notizen  und  Nachrichten. 

ist  der  von  Cardauns  bearbeitete  Band  Xl,  &  (153^/41)  und  der 
von  Friedensburg  bearbeitete  Band  I,  10(1547/48)  dem  Ab- 
schluß nahe,  Band  [II,  5  (Schellhaß)  im  Drucke;  die  Präger  Nun- 
tiarberichte  von  1603  06  (Meyer)  werden  1907  erscheinen.  Die  Ar- 
beiten am  Reperiormm  Germarticam  wurden  von  G  5 1 1  e  r  f ort^ 
geführt.  Niese  und  SchneLder  setzten  in  Toskana  die  Arbeiten 
zur  systematischen  Durchforschung  der  italienischen  Archive  und 
Bibliotheken  fort,  Haseloff  begann  die  kunsthistorischen  For- 
schungen mit  einem  Besuch  der  Städte  und  Kastelle  der  Capita- 
nata  und  Apuliens.  ~  Publiziert  wurden  ßd.  8  der  „Quellen  und 
Forschungen  aus  italienischen  Archiven  und  Bibliotheken*  und 
Bd.  1  und  2  der  ^Bibliothek  des  Historischen  Instituts"  (Hase- 
loff, Kaiserinnengräber  in  Andria  und  Kalkoff,  Forschungen 
zu  Luthers  römischem  Prozeß). 

Über  die  Tätigkeit  der  Gesellschaft  für  Rheinische 
Geschichtskunde  berichtet  der  25,  Jahresbericht ;  Ausgegeben 
wurden  der  dritte  Band  (1342—1352)  der  Urkunden  und  Regesten 
zur  Geschichte  der  Rheinlande  aus  dem  vatikanischen  Archiv,  be- 
arbeitet vonH.  V.  Sauerland;  Kölnische  Konsistorialbeschfüsse* 
Presbyterialprotokolle  der  heimlichen  Kölnischen  Gemeinde,  1572 
bis  15%,  bearbeitet  von  Ed.  Simons;  Rheinische  Urbare.  Samm- 
lung von  Urbaren  und  anderen  Quellen  zur  rheinischen  Wirt- 
schaftsgeschichte. II.  Die  Urbare  der  Abtei  Werden  a.  d*  Ruhr, 
A;  Die  Urbare  vom  9,— 13.  Jahrhundert,  herausgegeben  von  Rud. 
Kötzschke.  Für  die  nächste  Zeit  stellt  die  Gesellschaft  die 
Publikation  einer  ganzen  Reihe  weiterer  Arbeiten  in  Aussicht:  Den 
2.  Band  der  rheinischen  Weistümer  (Oberämter  Mayen  und  Mun- 
stermaifeld) ed.  Loersch;  den  2*  Band  der  Werdener  Urbare  cd, 
Kötzschke;  den  2.  Band  der  Jülich-Bergischen  Landtagsakten 
I.Reihe  (ed.  v*  Below)  und  den  L  Band  der  jüngeren  Reihe 
(1610  ff.)  ed.  Küch;  den  3.  Band  der  Regesten  der  Kölner  Erz- 
bischöfe (1205—1304)  ed.  Knipping;  die  Kölner  Zunfturkunden 
ed.  V.  Loersch;  den  Textband  zu  dem  1905  erschienenen  Tafel- 
werke der  Romanischen  Wandmalereien  der  Rheinlande  von  C  fe- 
rnen. Von  den  Urkunden  und  Regesten  zur  Geschichte  der  Rhein- 
lande aus  dem  vatikanischen  Archiv  soll  der  4.  Band,  ed.  Sauer- 
landj  demnächst  erscheinen,  ferner  die  erste  Lieferung  eines  Tafel- 
werkes über  die  Rheinischen  Siegel  (ed.  Ewald),  der  l.  Band  der 
Quellen  zur  Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte  der  nlederrheinl^ 
sehen  Städte,  enthaltend  die  Siegburger  Quellen,  bearbeitet  von 
Lau,  und  endlich  der  L  Band  der  Veröffentlichung  von  Redlieh 
über  die  Jülich- Bergische  Kirchenpolitik  im  15.  und  16,  Jahrhundert. 
—  Die  Kommission  für  die   Denkmälerstatistik   der  Rheinprovinz 


Vermischtes. 


471 


hat  das  3,  Heft  des  V.  Bandes,  die  Kunstdenkmäler  von  Stadt  und 
Landkreis  ßonnj  bearbeitet  von  P.  Giemen,  und  das  3*  Heft  des 
VIIU  Bandes,  die  Kunstdenkmäler  des  Kreises  Heinsberg,  bearbeitet 
von  K,  F  r  a  n  c  k  und  Edm.  R  e  n  a  r  d ,  veröfi entlicht.  Demnächst 
sollen  die  Kunstdenkmaler  des  Siegkreises  ed.  Renard  (Band  V 
Heft  4)  und  die  erste  Abteilung  des  VI,  Bandes,  der  der  Stadt 
Köln  gewidmet  ist,  bearbeitet  von  K  r  u  d  e  w  i  g ,  erscheinen.  Auch 
die  zweite  Abteilung  dieses  Bandes,  die  Darstellung  des  römischen 
Köln  und  seiner  Denkmäler  von  Klinkenberg,  ist  dem  Ab- 
schluß nahe. 

Dem  Bericht  der  Historischen  Kommission  für 
Hessen  und  Waldeck  entnehmen  wir,  daß  im  letzten  Jahre 
veröffentlicht  wurde:  Buchenau,  der  Brakteatenfund  von  Seega 
(Marburg  1905,  El  wert  ^  Bezüglich  der  verschiedenen,  in  Vorbe* 
reitung  befindlichen  Publikationen  erwähnen  wir,  da0Tangl  seine 
Arbeit  am  Fuldaer  ürkundenbuche  aufgegeben  hat  und  E,  Stenge] 
für  ihn  eingetreten  ist.  In  die  Veröffentlichungen  der  Kommission 
sind  neu  aufgenommen:  eine  von  G und  lach  vorbereitete  Arbeit 
über  die  hessische  Behördenorganisation  bis  zur  Einsetzung  des 
Geheimen  Rates  und  eine  von  Dersch  geplante  Sammlung  von 
V  Beiträgen  zur  Vorgeschichte  der  Reformation  in  Hessen  und 
Waldeck«- 

Am  4.  April  starb  in  Magdeburg  der  Archivdirektor  Dr,  Eduard 
A  u  s  f  e  l  d  ,  der  auch  als  Vorsitzender  des  Magdeburger  Geschichts- 
vereins eine  fruchtbringende  Tätigkeit  entfaltet  hat  und  jahrelang 
ein  getreuer  Mitarbeiter  unserer  Zeitschrift  gewesen  ist. 

fn  Colmar  starb  am  25.  April,  im  Alter  von  78  Jahren,  der 
langjährige  Direktor  des  Bezirksarchivs  des  Oberelsaß  Geheimer 
Archivrat  Dr,  Heino  Pfannenschmid,  der  neben  mancherlei 
Beiträgen  zur  elsässischen  Geschichte  vornehmlich  durch  seine 
Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  Kulturgeschichte  und  Mytho- 
logie bekannt  geworden  ist. 

Auch  der  Tod  des  Realgymnasialoberlehrers  Prof.  Hermann 
Althof,  der  am  4.  Mai  zu  Weimar  erfolgte,  ist  an  dieser  Stelle 
zu  erwähnen,  da  der  Verstorbene  durch  mannigfache  die  Grenz- 
gebiete zwischen  Geschichte  und  germanischer  Philologie  be- 
rührende Studien  sich  namhafte  Verdienste  erworben  hat. 

In  Forli  starb  am  18,  April  Prof,  Giuseppe  Mazzatinti^ 
Verfasser  zahlreicher  Arbeiten  zur  italienischen  Geschichte,  dessen 
Name  in  Deutschland  namentlich  durch  die  Herausgabe  des  trotz 
mancher  Mängel  verdienstlichen  Werkes:  Gii  archln  äella  sioria 
ä^italia  bekannt  geworden  ist. 


472 


Notizen  und  Nachrichten, 


Ende  Juni  starb  in  Paris  Albert  Sorel  (geb.  1842),  eine  der 
großen  Erscheinungen  in  der  neueren  französischen  Geschicht- 
echreibung,  ein  Forscher  voll  Geist  und  Kombinationsgabe  und 
ein  glänzender  Darsteller.  An  geistiger  Kraft  im  ganzen  wohl 
Taine  nicht  ebenbürtig,  hatte  er  doch  mehr  spezifisch  historischen 
Sinn^  ohne  freilich  auch  als  kritischer  Historiker  die  Neigungen 
des  französischen  Schriftstellers  von  Esprit  zu  verleugnen.  Sein 
letztes  und  fiauptwerk  ,L*Europe  tt  ta  r^volutiün  franfaise'^  das 
er  erst  kürzlich  Im  8*  Bande  zum  Abschluß  gebracht  hat,  hat 
in  seinen  späteren,  etwas  überhasteten  Bänden  der  Kritik  wohl 
manche  Blößen  geboten,  aber  die  fruchtbaren  Anregungen,  die 
namentlich  von  dem  1,  Bande  ausgingen,  werden  noch  lange 
wirken  können* 

In  der  Revue  klstorique  92,  2  veröffentlicht  G*  M  o  n  o  d  Nach- 
rufe auf  Alfred  Rambau  d,  Th,  Funck -Brentano  und  Emile 
Boutmy;  die  bei  des  letzteren  Begräbnis  gehaltenen  Ansprachen 
von  Gebhart,  Aucoc  und  Sorel  bringen  die  S^mmces  ei 
travaax  de  l* acadämie  des  sciences  murales  et  pöli~ 
iiques  65^  4,  Ferner  weisen  wir  hin  auf  die  gehaltvolle  Würdi- 
gung Fr,  V,  Weech's  durch  Obs  er  in  der  Zeitschrift  für  die  Ge- 
schichte des  Oberrheins  N.  F.  21,2  und  durch  Albert  in  der  Ale- 
mannia N*  F.  7,  1;  auf  den  Nachruf  von  Pfleger  auf  Joseph 
Knepper  im  Historischen  Jahrbuch  27,  2;  von  Otfried  Schwar- 
zer auf  Markgraf  und  von  Borchling  auf  Heyne  in  den 
Deutschen  Geschichtsblättern  7, 6/7,  Das  Jahrbuch  für  Philosophie 
und  spekulative  Theologie  20,  3  bringt  eine^  längere  Arbeit!  von 
Sadoci  S  z  a  b  d ,  Henrici  Denifle  Memoria* 


I 

i 


Inseraten-Beilage  zur  Historischen  Zeitschrifi 


Dritte  Folge  —  1 .  Band  —  2.  Heft. 


k 


t  H  S  E  R  AT  E   EUr  die  Beilage  oder  iüt  den  Umscblaf  werden  mit  30  PI.  (ür  die  eiDgespaEtenCp 
60  PL  für  die  durchlAufcnde  Petitieik  befecbnet» 


In    der  HerderschcD  Vcrl»|^handJung   zu  Fmbüt^  im  Öreltgtu    «ind    lo- 
eben  erächieoen  und  künnen  durch  alle   BucbhÄndluugen  bezogen  werden  \ 

Hablitzel,  Dr  Job.  Bapt.,  Hrabanus  Maums*   Em  Beitrmg  lur 

Geschichte  der  mittelalterlichen  Exegese.  (Biblische  Studien,  XL  Band,  3,  Heft,) 
gr.  8«  (VIII  a.   tot)  M  3,60 

bilb  auä  htx  3eit  ber  gtofeen  ßoit^ilien  unb  beÄ  ^umunlÄutuä.  (©tubten  unb 
Warften ungen  aui  bem  Gebiete  bet  <Stcf(f|id|te,  V.  ©anb,  1.  ©eft.)  gr.  8"* 
(XH  u,  124)    vi/  3.^ 

Sägmüller,  Dr  Job,  Bapt,  l^"^^:^^:^^^^^  Die  kirch- 
liebe  Aufklärung  am  Hofe  des  Herzogs  Karl  Eugen 

von  Württemberg  <I744-I793)-    ^I"  ^^^^  A^f^^^S 

gr.  S".     (Vm  u.  228)     M  S'—  [3b) 


Deutsche  Verlags -Anstalt  in  Stuttgart 


Deutsche  Revue. 

Herausgegeben  von  Richard  Fleischer. 

Jad^n  Monat  erscheint  ein  Heft  v&n  f28  Seifen.  —  Preis  v/ertei/ährUch  (S  Hefte)  B  M. 


Inhalt  des  Mär2- Heftes  1^06: 


Deutschland  und  dk  auswärtige 

PoHtik. 
F*  von  W, :    Der  Zar  und  leine 

Berater. 

ProL  Dn  J.  FehLing;  Die  Bedeu- 
tung  der  Mutter   für  ihr  Kind. 

Freih.  V.  Cramm-Burgdorf;  Tage- 
buchblätter aus  dem  Jahre  1884. 

Alffi  Scheler,  Oberiandesgerichts- 
rat:  Heinrich  Heine. 

Rudolf  V* OottschaLt :  Das  kritische 
Richteramt  in  der  Literatur. 

tlerniann  Ondcea:  Aus  den  Brie- 
fen Rudoll  von  Bennlgsens. 


Professor   W.    M  Itte  renal  er !    Die 

heutige  Justiz  und  die  Oeistes- 

freiheit. 
Friduheliti   von   Ratike:    Vierzig 

angedruckte     Briefe     Leopold 

von  Rankes, 
Dr,  von  Schutte:  Deutsche  Natia- 

nalzuge  im  Rechte* 
R.  Schaukai:  Die  Sängerin.    No- 
velle. 
Gahrtel  Motiod:  Briefe  von  Mal- 

wtda   von  Meysenbug  an  ihre 

Mutter 

av 


Berichte  aus  allen  WlssenschakeUf  literarische  Berichte  u.  a. 

Da»  jAnunrheh  liefert  jede  ßuchhtudlung  zur  Anifcht,  luch  die  DeutiCb«  Vertag- AnflIftJtp 

Stuttgart. 

Interessanteste  deutsche  Monatschrift  ihrer  Art 


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Verlag  von  R.  Oldenbourg  in  Mfinchen  und  Berlin  W.  lO. 

Handbucb 

dir 

mittelalterlichen  und  neueren  Geschichte. 


HenuBgegeben  von 

O.  V.  Below        und        F.  Meinecke 

PfQt9mQT9u  «Q  d«r  UnlTftnltit  Fntbuig  i.  Bt. 


0««  Zeil^ter  der  enjsjklapldlftctiea  Darstdluni^en  Ist  in  der  Wi^^euBchmfl  dtircb  ela  Zeit^ 
ilter  der  SpeiiaÜHiefunu:  der  Arbeit  abui^lLtst  worden.  Alkin  gerade  die  ziinebmende  Speziiii- 
iieriing  hil  wiederum  d»s  BedUrlnls  enzyklopädischer  Zufiain[EienfA.ä3uiig  hervorgeruitfiL  !□ 
keiner  Diäiiplin  wird  dies  BedUrfnii  LLigenblicklich  weniger  belnedigt  aU  in  <ler  ttiittet&lter- 
Ikfaen  und  oeueren  Oe schichte. 

Diese  Lücke  wallen  die  Herausgeber  «utxulutlen  suefaefi.  Daa  Ziel  Ihres  Untenaebmeoi 
lit  eine  streng  witsenschaftlichc,  aber  zo5a.mmenf&S3ende  i^nd  übersicbllicbe  DAfistctlung»  El 
sali  die  Tatsachen  und  die  ZusammenMnjie  der  geschichtlichen  Entwicltlung  varfLLbren,  m- 
gleich  jedoch  auch  dn  unacbauliches  Hild  des  derraaligen  Sundes  der  Forsctiung  tn  den  eto- 
zelnen  Zweigen  unserer  Wissenschaft  bietcD»  beideit  in  Itnappater  ForoiH.  E$  irUl  den  wiisen- 
sc  halt  lieh  ausgebildeten  tliitorikerti  wie  den  Studierenden  und  Überhaupt  allen  Freuiidea  der 
mittelAlierliehei:)  und  neueren  üeachichte  dienen. 


Übersidit  über  den  Inhalt, 


{Dl«  kl«l£L  g«dfUQkt«n  Tlt«l  boielohtien  dte  Mnde,  übef  die  dl«  Vftili&hdliiiig«!!  niM^  idtM 

ikbg^achloaaen  «Ind.) 


l  Allgemeines. 

Ensyklopidl«. 

Geflchiehte  der  detitBchen  Gaecliichtr 
iclireibung  im  Mittelalter.  Von  Prof. 
Dr-  H£RHAim  Bloch. 

Geschichte  der  neaeren  Historio- 
graphie, Von  Prot  Dr.  BiCEi^D 
Fester. 

PoUtlJt  auf  bistoriflcher  Grondlftg«. 

Die  mittelalterliche  WeltSpU Behauung. 

Von  Prof.  Dr.  Ki.EincKs  B^eumkeb. 
Die  WeltanBchaunng  der  ReDaiflB4a.n€e 

und    der    Reform at Ion.      Von    Dr. 

Walter  Goetz. 
Geschichte  der  Aufklarungsbewegung, 

Von  Prof.  Dr.  E.  Troeltsch- 
DI«    geiaUg^D    Bewegungen     de«    19,    J^br- 

hTlsderta. 

II.  Pofitl&che  Geschichte« 

Allgemeine  Geschichte  dar  germani- 

Bchen    Völker   bb    ^nm   Auftreten 
Chlodwigs.     Von    Prof.    Dr.  Eewst 

KORNEMANK. 

Allgemeine  Geechichte  vom  Auftreten 
Chlodwigs  (mit  RDokhlick  auf  die 
ältere  Geschichte  der  Franken)  bis 
zum  Vertrag  von  Verdün.  Von 
Privatdos5.  Dr,  Albert  WermikohopFh 

Allgemeine  Geschichte  des  Mittelalters 
von  der  Mitte  des  9.  bis  »um  Ende 
des  12.  Jahrhunderte.   Von  Prof.  Dr. 


k 


Allgemeine  Geschichte  de«  spätere u 
Mittelalters  vom  Ende  des  12!  by 
Eum  Ende  des  15.  Jabrhnnderti 
(1197—1492).  Von  Prof.  Dr.  JoHAJfjr 
T^SEßfH.     EiMUeaea. 

Allgemeine  Geschichte  TOn  149S  bb 
1 660.  Von  Prof,  Dr.  Pbldc  HjLOsrASk 

Geechichte  des  eoropftischen  Stmaten- 
systems  von  1660  bis  1780.  Voa 
weil.  Prlvatdo^ent  Dr.  Mat  Imhtch. 
Ertehtenem« 

Geschichte  des  Zeitalters  der  framd^ 
sisohen  Kevolntion  und  der  BeErei- 
nngskriege.  Von  Dr,  Adalbeht 
Wahl. 

Geschichte  des  neueren  Staaten- 
syatems  vom  Wie  per  Kongrefs  biA 
zur  Gegenwart.  Von  Prof.  Dr.  EmcS 

BRAKUElTBima. 
BffthdeQbtirgJich-piieaßiJscbe  Geschichte. 

III.  Verfassung,  Recht,  Wirtschaft 

Deutsche  VerfaBSUDgsgeschichto  (bis 
Eur  Mitte  des  IS.  Jahrbiinderts)^  Von 
Prof.  Dt.  Gerhard  Seeliobe. 

Deutsche  Verfassungsge^chichte  von 
der  Mitte  des  13.  JeSirh  und  orte  bis 
zur  Erhebung  der  absoluten  Hon« 
archie.    Von  Prof,  Dr,  G*  Y.  BteLow. 

Deutsche  Verfassungs-  und  Verwal- 
tüDgsgeschicht«  seit  der  Erheb unf 
der  absoluten  Monarchie.  Von  Prof. 
Dr.  HsnmiüH  GsYFcrBK. 


FronÄösificbe     Verfaesungsgeschichle 

von  dar  Mitte  des  9;  JahrhundertB 

bis  zum  Aq abrach  der  Revolution. 

Von  Privfttdoz.  Br.  Rob.  HoLf  OiAirir. 
Englische  VedoäsmigBge schieb ifir 
Grandaüge  der  Geschichte  der  katho- 

liechen     Kirchen  verfasgung.      Von 

Prof*  Dr.  tJLR*  Stutz. 
Qrmidxiig«  der  Geschichte  der  evnngfellMchen 

Kirche  G  verTa-Muogn 
Dae  ab6ndländiBche  Kriegeweaen  vom 

6.  bia   zum   15.  Jflbrhundert.     Von 

Prot  Dr.  Wilhelm  Eäbek. 
Oeecbichte    der   neueren    Heeres ver- 

fasaiingen  vom  10.  Jahrhundert  ab. 

Von  PriTatdoK.  Dr*  Gustav  Roloff. 
Geacbichte  dea  deuteeben  Btrafrecbta. 

Von  Prof,  Dt,  R.  His. 
GüBchicbte   des   Straf-   und  Ziiulpro- 

Eesaes*     Von    Pro!  Dr.  jur,   Kttrt 

BüBCEARD. 

Gescbichte  des  deutecben  Privat-  und 

Lehenre<;hteB.    Von  Prof*  Dr*  Haks 

V.  Volte f.ijn. 
Deuteche    Wirtschaf  tage  schiebte    bia 

lum  17.  Jahrhundert.   Von  Prof.  Dr. 

G.  Vt  Below. 

AUgcmeiiie  WLrtBchaJteg^flcliicbte  7.  17^  JaJir- 
hUDdert  bis  ^ur  Gegenwart. 

Handel ageschichte  der  romanischen 
Völker  des  Mittel meergebiets  bia 
zum  Ende  der  Krenj^Üge*  Von 
Prof.  Adolf  Schaubb.     Encblenia. 


Allgemeine  MünEkunde  und  Geld- 
gescbichte  des  Mittelalters  und  der 
neueren  Zeit  Von  Prof.  Dr.  äri^old 

LUSCHTN   V*  EBBKGaEUTR,    Eric hlcD eil. 

SpOEielle  Münakunde  und  Geld- 
geschichte.  Von  Prof,  Dr.  Arnold 
LuscHra^  V.  Ebbnor'eu'tk. 


IV.  Hilfswissenschaften  und  Alter- 
tQmer. 

Diplomatik*    Von  Prof.  Dr.  W.  EaBiir, 

O.  Redlich  und   Dn  Schiutb-Kal- 

teitbero, 
Paläograpbie,    Von  Prof*  Dr.  Miohabl 

Tan  OL. 
Chronologie  dea  Mittolaltera  und  der 

Neuzeit     Von   Prof*   Dr.   Michael 

TA5GL. 
Heraldik  und  BphnglBÜlc. 
ArcbJF-  nad  Akte^kuiide. 
Historische  Geographie*  Von  Prof.  Dr* 

KoHRAD  K&ET80H1CEE.    EncUeaeti» 
GrundÄüge  der  mittelalterlichen  Lati* 

nität     Von  ProL  Paul  v.  Wottbu 

FELD. 

Dentuche  Altert  um«  konde. 

Daa  liäusliche  Leben  der  europHiscben 

Kultur^  ölker  vom  Mittelalter  bia  zur 

zweiten  Hülfte  des  1£}.  Jahrhunderte. 

Von  Professor  Dr.  Alwuc  Schttltz. 

BneUesen* 

Dai  Unternehmen,  dfts  nach  telncr  Vollendunf^  ungefähr  40  Binde  umlassea  wirdf  ist  von 
vornherein  so  eingerichtet  worden^  daß  jeder  Tellp  gleiehvteL  wie  etiirk  seine  Bogenzahl  bt, 
elmrin  abgegeb*!!  wlrJ.    —  Bb  jctft  ftind  folgende  Binde  erschienen: 

Das   häusliche   Leben   der   europäischen  Kulturvölker 

vom  drittel  alter  bis  zur  zweiten  Hfllfto  dea  18.  Jahrhunderts.  Von 
Dr.  Alwin  Sctmltz,  Professor  an  der  deutachen  Universität  zu  Prag. 
VIH  u.  432  S.  gr.  8*,  reich  illustriert.  Preis  brosch.  M.  9.—,  In  Ganz^ 
leinen  geb.  M.  10.50. 

Geschichte  des   späteren  Mittelalters  von  ii97— 1492.    Von 

Dr.  Jahann  Losertfi^  Professor  an  der  tJniversitÄt  Graz*    XV  und  727  S. 

6*.    Preis  brosch.  M.  16-60,  elegant  geb.  M.  18.—. 

Historische  Geographie.  Von  Dr.  Konrad  Kretschmer,  Lehrer  an 
der  Kriogsakadeinie  und  Professor  an  der  Universitflt  Berlin,  VH 
und  650  S.    8^    Preis  brosch.  M.  15.— ,  elß^QT^t  geb.  M.  16.60, 

Allgemeine    Münzkunde    und    Geldgeschichte    des  Mitteb 

alters  und  der  neueren  Zeit     Von  Dr.  A*  Lfuehln  ron  Übengr^uth, 

ünlvereitÄtsprofeasor  in  Graz.  XVI  u.  286  S.  8^.  Mit  107  Abbildungen. 
Preis  brosch.  M.  9, — ,  in  Ganzleinen  geb.  M,  10.50. 

Geschichte  des  europäischen  Staatensystems  von  ig60  bis 

1789.  Von  Dr,  Mftx:  Immieli,  weiland  Privatdozent  an  der  Univeraltät 
Königsberg  i.  Pr,  XIII  und  462  S»  8*.  Preis  brosch.  M,  12.—,  geb. 
M.  13.50. 

Handelsgeschichte  der  romanischen  Vttlker  des  Mitteimear- 

gebiets  bis  zum  Ende  der  Kreuzzüge.  Von  Professor  Adolf  Bcbiabe, 
Gynmaaial-Oberlehrer  in  Brieg.  XX  u.  816  S.  Preia  brosch.  M.  18.—» 
geb.  M,  20.—. 


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Verlag  von  R.  Oldenbourg  in  München  und  Berlin  W,  IC 


S«it  ISbS  ersclieintr 


Historische  Zeitschrift 

Begründet  von  Heinrich  v,  Sybel 

Unter  Miiwirfcang  von  Paul  Bailleu«  tiouis  Ertiardt,  Otto  üintze,  Otfo  R^ 
niax  [jenz,  Sigmund  Rkzkr,  Rlorttz  Riffer,  Ronrad  Üairentrapp«  ßarl 

Herautigegöben  von  Friedrich  Meioecke# 

Dritte  Folge. 
J»hrlich  2  Biknde  m  je  3  Heften  =  1440  Seiten  8*,    Preis  einen  B&cdes  ; 


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mit  Register  itatt  M.  G92.—  nur  M.  2^1^.—. 

Einzelne  Bände  dieser  Folge  (out  Ausnahme  der  seit  10<X) 
nenen)  statt  M*  11,25  nur  M.  ft.— , 


3n  ber  Serberfc^en  ^Oerlags^nblung  ,^ii  afreiAurä  int  Steisgiut  ift] 

erff^icncn  mtb  fmui  buti^  alle  ^lul^tianbluiigcn  belogen  juerben: 

tRott,  ScDetin,  S.  J.,  ^os  Jürptentum  Satb^ana.  m^d 

ehteS  beiit|(^cn  ?lbcntciucr€  unb  einet  inbift^cn  ipetifdjcrtn,  "^lii  42  3511 
nnb  einer  ft'ürte.  gr.  8*  (VIII  w.  146)  MS.50;  gcü.  in  Sleinmanb  mit  35i 
^i-cflung  if  3,50. 

ijQfi  iftriittidie  giltftenfui«  ®aT&t|ajia  an  ben  Ufern  be«  nitttkten  Oor 
qegrünbet  tj on  einem  beutfd^en  Jp^^^broetfetr  iihtt  ein  %a\ht^  3aftrjjunbert  lang 
feinet  (BemafiUn  gegen  übeTnidcf^tige  dlad^Htn  mit  Erfolg  tJctteibigl  unb  mi 
flültlg  üermüttet  —  flingt  baä  mit  tuie  ein  ^iörcöen?  Unb  boc^  Imnbclt  cfi 
lun  ein  6tütf  ^eltgei(^icft(e  bt^  19.  ^«i^T^fewnfe^^*^^  ^i<  ^"^^  einem  SJianne, 
3nbien  nu§  ja^rclajuifr  Slnft^ouuitg  aufS  geuauf'ftc  tcnnt,  gefc^ilbett  tuirb. 


Verlag  von  R,  Oldenbourg  in  Mönchen  und  Berlin  W.  H 


Kleine  Schriften 

von 

Friedrich  Ratzel. 

Änflge wählt  ujkI  hemuBgegoben  durch  Hans  Helmolt« 
Mit  einer  Bibliographie  von  Viktor  Kant^fSCh* 

Zw£i  Bände, 

Mit  Je  «inem  BlldaiH  RAtiel«. 


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Preis  komplett  geheftet  >l.  *25.",  elegaut  gebunden  M.  90.—. 


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REVUE 


DE 

SYNTHESE  HISTORIQUE 

DIKECTEUR;   HENRJ   BERR 

La  rtme  comprenil  {[ViBtre  partiell:  i**  Artidit  di  f^nd  (th^ori«  de  TMitdiie  ti 
pcjrchologic  histtorique)*  a«  Rttma  ^miraki  (mT«iit«irc  du  Vtm»%\\  bistoiique  fiiit  et 
ft  fiire).     3»  A'S»<5ri  patHmi  <:  'vi/  (itttrniildi«iFe  entre  ks  HbtoHeua,   socio» 

logues  et   plülo5a|ihe^).     4^  /.    .  />   (tnalys^s,   frftt«   des   revues,    bulktin   cri- 

tique^,  rdperkiifCi  ai^thoiiislogtqne,  ^^  Utile«  aii:s  wmwsm^  lei  M/ffun  ghäraltM  per* 
mettent  i  iouA  les  «spriU  curieuit  d'enibn^fter  dan«  unc  seutc  pubüeftlian  tt>ut  rb<jrl7.aa 
iliirtarkiiK«  HiHm^  p^HHfme^  Hhimwt  Smf$»pnp»ef  //iütirf  ätr  A*fitgi»m,  Hüt^fn  de  in 
ma^s^it  a  an  Stiemet,  Hittifhe  Huhmre,  Histmre  de  i*Afi,  AitiJkrpfifgfytgrmßMf, 
Amt^rvfitkfte^  Sßä&ttfgie,  f  i«ttit  tniif^ä  pfmr  Jw  diirrnM?*  ^ptJt|«4  et  let  dHew  p«fi 
pir  ks  AVUiU  let  pltiü  compltenti,  Prof(*s«<firrs  du  Collage  de  Prmnce,  de  fa  SortKmde 
da  Uni verut^f  elc,  Leur  cn^oabk  constitiiem  one  pridtiu»  encydop^di«  biaHon^ae 
tot^f/amn  compMÜ«  et  teiroe  k  jouf. 

La  /5ft«i#  (£r  S^ihhe  hisfm-i^me  |>4rftlt  tmi  lü  ätmL  mxA%  AtptM  m^  t^oo.  IM«  ^e 
r«tioiKii»M«t  MiDodt  France^  t0  fp^  Alnnftr,  17  fP»«  Un  Mtm^ra,  S  fr*  ^  La 
R^dKtion  et  l'Admüi^alrvlioti  aoot  k  k  Hbvttifit  Off,  •«»  t«#  Sttinte-Atint»  Piri»  l«  ftrrt 


*Berlag  oon  (C.  9J,  Sd^roetfc^ft^  unb  Sot^n^  Berlin  W. 

(Btttf  oon  ^ocnsbroet^: 

ÜJlobcrner  Staat  unb  römifd^e  Mr(f)e- 

(Ein  fiirc^enpolitil<^«?)r0gi^inm  auf  gejd>i<^tli<^erffirunblage. 


Wid  IBett  btffd  mtf  gt^tf^i^fltd^er  ISniTiMag«  ein  ^itri!^f{ll|?fe^re«  *Pt(^roiiim 

für  bk  Steßuttg  brs  mfi&eTii^n  Staates  bcr  röm{Id)<uHT(tmotttaitfn  Mrd^e  gc^^ti« 
über.  S^i^aif  unlerfc^d&et  ber  tBeTfnfler  in  feinem  T>rü9riiitim  iiotf^en  b^r  kai%^* 
U(djeu  !ReIi(|ioit  unb  bem  polülfdKn  unb  afitthulturctfeti  Uli  ramont  an  Ismus. 
Tlur  ge^en  k^ter<ii  iDitt»  SleHung  |cn£>iTimeiL  Dtt  g t f ({^ i <^ t li (^ e  ® t u u ^ [ a g e 
eul^aU  eine  gebiäntl«,  au&  ben  OueUen  0ef<f)^|iftf  Ü{ifr|(<!^t  ber 
|tfitil5ri4tlfii»fn  ynb  IiuHnrfttcn  ^runbfäle  5t»  Ultramüntanlfmufi 
00m  U.his  2a  Oa^rt>iinberL  So  ift  bos  ^erlt  f|cf4l^tlid^  unb  poUlild)  3Ugkid) 
unb  Hlbrt  eine  «funb grübe  ber  lErtttnntnts  fir  ben  j^ifto  rtltif  f , 
^oHttJiir,  3ournatt|ten  unb  ftben  {Bebttbeten. 


Prof.  Dr.  Alexander  Supan, 

PrtU  gehefiel  it  M«,  g«!l»uiidi*ii  IX5€  M* 


li 


Zum  erstenmal  ist  hier  die  Geschlchle  der  curii 
iiJi   Zusamrnenhanffj   d,  h,    fn    L'hronoJogiwcber    P* 
wclt^escliichtliclirri  Rahincn  bchnnddt,  nicht  wii- 
oder  KoioriiiilslaaU^n*     In   erster  Linif*   isl   dit"   i*^! 
der  Kolofiien,  ihre  territoriale  Entwicklung  bei 
Zwtcke  dienen  üuch  die  zwöil  Erdkijrten,   Um      '  i 

tUclien    koiaruaige  hellicht  Heben    AtU»    bitden.     Die    40   ftl 
kiirtehen  erläutern  spezielle  Fragen, 

Zu  beziehen  durch  alle  Buchhandlungen  oder,  we  der  ßezug  ttill 
Hindernisse  stößt,  direkt  vom  Verlag, 


ScTiafl  öön  g.  M.  Sd^metti^&e  mh  So|n,  BerlinW. 


Uitttr  htt  Prefit  beftnbtt  fi(4 : 


IMus  bem  Eebcn  htt  bciben  crftcn  beutfd 


Äoifcr  unb  il)rcr  ^röuctt.  ^""^^^^^IT^'S"^^^^^^       ' 

(Erfte  Slbteilmig  r  JJorfc^ungeiL 
A.  %u^  htm  ^unftnfc^en  t^ainifietiarittiü, 
I,  t»er  5Ju|entfjalt  bes  Prinzen  von  prcufien  ifi  QEn^knb  im  3ü\^u  1844* 
11  Srlffe  bes  ^riit.^cn  aUbcrt  aus  &«n  Dabtfii  1845-1848. 
'IIL  tsk  i)enlitd)nftcn  bes  5ilr[ten  ßftnmgen  unb  b^d  Pniijen  ^Qvcrt  Äbtr  Mc 

Urttgc  1847. 
,i\^  ©er  3lüf enthalt  bis  ^rinieii  üun  *Preu6en  in  dnglattb  im  lahre  1848, 
'  V,  l)tcatiliue^eilnal)mffees'priiiseitüön*Preu^ctiaril>erb<;iitId)t' !  e-^Oo^rt^ 

^ft  ties  'Pnn$fn  tton  *p reuten  'Jieile  ptr  Bontocntr  ^iBcUiUi^Hi  .  jL 

ni,  Brief iji>ed)tel  3ioi[d)cn  Bedm,  i^obkna  unb  ßonbon  n&m  jaijit  1851, 

ß.  ^anb0tpf|en  ju  ^ütjt  ^tsmarctts  «,Cle5an&en  tinb  (^ftniierunaefi** 
1.  t>^r  ^ritti  uöti  ^rcuöcTt  ttnb  Duo  mn  Sismardt. 
n:  Äatledn  ^iittjiijta  in  bcr  ']3dcuEt)hin<3  htt  „iBthanktn  unb  Qfriiinerung««*- 
[IL  ^ait^Ier  unb  Rroit|)rtn3, 

C.  Dk  Moixetpünbcna  ^afftr  fßill^etnis  tnlt  0.  M.  !R«  VffiHl»ciit  dti 

3tpeile  3tbteitung ;  (Erinnerungen. 
0.  Ulutkienjen  bei  ben  tr{Uit  beutfctien  Gaffern, 
1,  ^ubien^en  b^i  bem  Üötiig. 
M.  *iJMbkti.^«n  bn  htm  ^wnprmitn* 

ß*  fllus  l»ein  £et>eii  bcr  Äctfferiit  Srdcbriib. 

Hierzu  je  eint:  ßelbge  von  Gebtuder  ^itiTtiVTHt^^f  m%%tUti^  von  B-  C.  T( 
in  Ltlptlg  und  von  Rtulhtt  Ä  \M\^%t&  \^  %^i\\^. 


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Historiscbe  Zeitscb 


Vt:/-t 


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Be^rQndet  von  Hetnrich  v,  Sybel 
Hertiitg^gebefl  von 

FRIEDRICH   MEINECKE 

DHtta  Folgo  —   1,  Band   —  3,  Heft 
D«r  gtßxeii  Rcitie  97,  B«iid 


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MÜNCHEN  UND  BERLIN 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  R.  OLDENBOURG 
lOOOb 


i 


Zur  gefl.  Beachtung! 


Die  HISTQRtSCHE  ZEITSCHRIFT  (3.  Folge)  erscheint  in  Ht 
H  von  ä  IS  Bogen  Umlang  in  zweimonatlichen  Zwischenräumen. 
H  3  Hefte  bilden  einen  Band,  dessen  Inhaltsverzeichnis  sich  je« 
■  am  Schlüsse  des  dritten  Heites  bctindet. 


^ 


Der  Preis  eines  Bandes  (45  Bogen)  beträgt  M,  14-^. 


Sendungen  für  die    Redaktion  der  Historischen   Zeitschrift  sB 
^   an  ProL  Dr.  MEINECKE,  FREIBURG  i.  B.,  Längenhardstralie 
■  richten* 


Rezensionsexemptare 

sind  an  die  Verlagsbuchhandlung  R.  OLDENBOURG, 
MÜNCHEN,  Glückstraße  8,  2U  senden. 

Die  Versendung  der  zur  Besprechung  einlaufenden  Bücher  an 
Rezensenten  erfolgt  durch  die  REDAKTiON. 


R.  OLDENBOURG,  Verlagsbuchhafidlung 

MÜNCHEN  titid  BKROM  W.  tO. 


I 


Die 


für  die  Entstehnng  der  modernen  Welt 

Vortrag,  gehalten  auf  der  IX.  Versammlung  deutscher  Historiker 

zu  Stuttgart  am  21,  April   1906 

von 

Ernst  Troeltsch, 

Pfa!c«or  an  der  ünivtrdtai  Meiddbeff. 


Sonderabdruck  aus  dör  Historischen  Zeitschrift. 


66  Seilen.    8**.     Preis  broschierl  M.  L20. 


Turgots  Sturz.') 

Eine   Untersuchung 

von 

H,  Glagau* 


Einteilung:  I^-IV.  Die  Randbemerkungen  Ludwigs  XVK  zum 
MtimzipaUtätenentwurf  Turgots  eine  Fälschung  Soulavies. 
V.  Turgot  und  Marie  Antoi nette.  VI,  Turgot  und  die  Reform 
des  königlichen  Hofstaats,  VIL  Turgot  und  die  nordameri'- 
kanische  Frage. 

Im  März  1776  hatte  Turgot  über  den  Widerstand  der 
Parlamente  triumphiert:  Ludwig  XVI.  hatte  die  Eintra- 
gung der  sechs  Reformedikte  im  ///  äejasiice  angeordnet. 
Der  Minister  schien  das  volle  Vertrauen  seines  Königs 
zu.  besitzen.  Allein  wenige  Wochen  darauf  erfolgte  sein 
Sturz.  Turgot  sah  sich  mit  allen  Zeichen  der  könig- 
lichen Ungnade  entlassen,  die  sich  nicht  nur  gegen  seine 
Person,  sondern  auch  gegen  seine  Mitarbeiter  und  sein 
Werk  richtete.  Die  Staatsreform  kam  vorläufig  zum 
Stillstand,  und  die  Edikte  Turgots  wurden  zum  Teil  wie- 
der aufgehoben. 

Diesen  unvermittelten  Umschwung  tühren  die  Histo- 
riker auf  die  verschiedensten  Ursachen  zurück:  die  einen 
jnachen  die  junge  Königin  dafür  verantwortlich,  andere 


')  Der  folgende  Artikel  ist  der  Redaktion  schon  im  Juni  \90b 
'  zugegangen.  Er  soil  eine  kritische  Vorstudie  bilden  zu  dem  gleich- 
fiamigen  Kapitel  einer  größeren  Arbeit^  die  sich  mit  den  Reform- 
versuclien  vor  der  Revolution  beschäftigen  und  voraussichtlich  im 
Laufe  des  nächsten  Jahres  ats  selbständige  Schrift  erscheinen  wird* 

KUtOf-itctie  Zeitachrift  (f7.  Bd.)  3.  Folge  1.  Bd.  31 


474 


H.  OlagaUj 


den  ersten  Minister,  den  Grafen  Maurepas,  dritte  stellen 
Turgot  als  das  Opfer  dunkler,  kleinlicher  intriguen  hin. 
Einen  eigenartigen  Versuch,  den  Fall  des  Reform ministers 
aufzuklären,  machte  Wilhelm  Oncken.  Er  sprach  die  An- 
sicht auSj  daß  die  zahlreichen  persönlichen  Widersacher 
Turgots,  so  mächtig  sie  auch  waren,  nicht  so  bald  zum 
Ziele  gelangt  wären,  wenn  ihnen  nicht  ein  sehr  wichtiger 
Umstand  zu  Hilfe  gekommen  wäre:  Turgot  habe  dem 
König,  vermutlich  kurze  Zeit  nach  Einführung  der  Reform- 
edikte, Anfang  April  1776,  den  groß  angelegten  Muni- 
zipalitätenentwurf, in  dem  er  eine  umfassende  Umgestal- 
tung der  französischen  Staatsverfassung  und  Staatsver- 
waltung als  dringend  notwendig  empfahl,  im  tiefsten 
Geheimnis  überreicht,  worauf  Ludwig  XV!.,  aufs  höchste 
erschreckt  über  die  revolutionären  Plane  seines  Ministers, 
diesen  eiligst  entlassen  habe«  So  hätten  nicht  allein  per- 
sönliche Beweggründe,  sondern  vor  allem  eine  weit- 
tragende sachliche  Meinungsverschiedenheit  den  König 
zur  Trennung  von  seinem  Ratgeber  veranlaßt.  Als  er 
von  dem  Munizipalitätentwurf  Turgots  Kenntnis  genom- 
men, habe  Ludwig  XVL  gefühlt,  daß  seine  Staatsanschauung 
von  derjenigen  seines  Ministers  grundverschieden  sei,  und 
diese  Wahrnehmung  in  sehr  bezeichnenden  Randbemer- 
kungen zu  dem  Munizipalitätenentwurf  zum  Ausdruck 
gebracht  ^) 

Auf  diese  Randbemerkungen  stützt  Wilhelm  Oncken 
seine  These.  Sie  sind  das  einzige  Zeugnis  für  die  Be- 
hauptung, daß  Turgot  seinen  Selbstverwaltungsentwuri 
Ludwig  XVL  vorgelegt  habe,  während  die  Freunde  und 
Mitarbeiter  des  Ministers  und  namentlich  sein  getreuer 
Arbeitsgenosse  Du  Pont,  der  sich  einen  erheblichen  Anteil 
an  der  Urheberschaft  zuschreiben  durfte,  einstimmig  und 
wiederholt  versicherten^  Turgot  sei  eben  durch  seinen 
jähen  Sturz  daran  gehindert  worden,  dem  König  den 
Reformentwurf  mitzuteilen.  Sollte  Turgot  seine  besten 
Freunde  hintergangen  oder  ein  Unberufener  seinen  Plan 
dem   Monarchen   verraten    haben?    Oder   liegt  es   nicht 


4 


1)  W*  Oncken,  Zeitalter  Friedrichs  des  Großen  11^  6)4  ff 


Turgots  Sturz. 


475 


näher,  ehe  wir  zu  dieser  Annahme  schreiten^  zu  prüfen, 
ob  das  einzige  Quellenzeugnis,  jene  Randbemerkungen 
Ludwigs  XVL,  vertrauenswürdig  genug  ist,  um  Du  Fonts 
Angaben  zu  entkräften?  Wird  es  doch  vorgebracht  von 
Soulavie,  einem  der  abgefeimtesten  und  berüchtigsten 
Fälscher  der  Revolutionszeit*),  so  daß  schon  seine  Her- 
kunft gerechtfertigte  kritische  Bedenken  hervorruft. 

Trotzdem  werden  diese  Randbemerkungen  vielfach 
für  echt  gehalten,  und  noch  jüngst  haben  sich  zwei 
Historiker  in  diesem  Sinne  mit  großer  Entschiedenheit 
ausgesprochen.  .^Abgesehen  von  dem  Stempel  innerer 
Echtheit,  den  diese  Bemerkungen  tragen,^  sagt  August 
Oncken-Bern,  „ist  dieselbe  in  neuester  Zeit  durch  die  er- 
gänzende Entdeckung  eines  von  Soulavie  gleichfalls  ein- 
gesehenen, aber  nur  im  kurzen  Auszuge  behandelten 
Originalbriefes' Turgots  an  den  König  aus  der  gleichen 
Zeit  ..,  über  allen  Zweifel  erhoben  worden/'*)  Und 
ebenso  erklärt  A.  Wahl:  ,Was  die  Echtheit  der  Rand- 
bemerkungen angeht,  so  ist  sie  über  jeden  Zweifel  er- 
haben,''^) 


*)  In  seinen  Mimalres  du  rigrte  de  Louis  XVI  Bd.  lü^  146 — 154, 
Paris  I80L  —  Über  SouEavie  als  Fälscher  vgl.  die  Artikel  van 
Flammermont  in  der  Revue  histortque  Bd.  25  (t884),  S.  107  ff.;  Lts 
papiers  de  Soulavie  und  Bd.  43  (1893),  S,  79ff, ;  A  propos  ä*une 
fausse  lettre  de  Madamt  Lamballe,  Ferner;  A.  Mazon,  Histaire 
de  Soulavie  (Paris  1893)  II,  216  H.  —  Mit  welchem  Mißtrauen  die 
Zeitgenosaeti  Saulavies  Veröffentlichungen  infolge  seiner  zahl- 
reichen und  umfassenden  Fälschungen  aufnahmen,  ersieht  man 
aus  einem  amtlichen  Bericht^  den  der  Graf  d^Hautenve  an  den 
Herzog  von  Bassano  am  7,  April  1813  nach  der  bei  Soulavie  er- 
folgten Beschlagnahme  der  Akten ^  die  er  den  Staatsarchiven 
früher  entwendet  hatte^  richtete.  Da  heißt  et;  „If  dlscrMit  per- 
sonnet  de  Soulavie  avait  attir^  une  teile  d^fiance  $ur  t^authsntkit^ 
de  se$  pabUcations  qu'eltes  n'ont  fait  aucune  esp^ce  de  Sensation' 

')  S.  A.  Onckens  Artikel  in  der  Zeitschn  f*  Literatur  u.  Qesch* 
der  StaatBwissenschaften  1  (1893),  27  ff*;  Ludwig  XVI.  und  das 
physiokratische  System.  VgL  auch  Onckens  Gesch.  d.  National- 
ökonomie !  (1902),  452  ff. 

')  A.  Wahlj  Annalen  des  Deutschen  Reichs  (1903)  Bd.  36, 
S,  872  ff.  —  Daß  auch  französische  Forscher  die  Randbemerkungen 
für  echt  halten,  dafür  gebe  ich  nur  einige  Beispiele:  P.  Foncin, 
Essai  sur  le  ministire  de  Turgat  (Paris  1877)  S.  552  Anm.  1 ;  G. 

31* 


H.  OlagaUj 

Es  scheint  mir  daher  angebracht,  die  Frage  der 
Echtheit  sorglältig  zu  untersuchen  und  im  Anschluß 
daran  die  Gründe,  die  Turgots  Sturz  herbeigeführt  haben, 
unter  Heranziehung  neuer  oder  vernachlässigter  Quellen- 
zeugnisse zu  erörtern. 

I. 

Während  Wilhelm  Oncken  die  Möglichkeit,  daß  die 
Randbemerkungen  gefälscht  sein  könnten,  gar  nicht  in 
Betracht  zieht,  streift  sein  Bruder  diese  Frage  nur  flüchtig. 
Die  Tatsache,  daß  Soulavie  ein  Bruchstück  aus  einem 
Briefe  Turgots  an  den  König,  den  wir  heute  vollständig 
kennen  und  der  gut  beglaubigt  ist^  ungenau  aus  dem 
Gedächtnis  anführt^),  besagt  nicht  das  mindeste.  Denn 
der  Inhalt  dieses  Briefes  steht  in  keinerlei  Zusammen- 
hang mit  den  Randbemerkungen,  bestätigt  also  deren 
Dasein  nicht.  Ja,  nicht  einmal  der  Schluß,  den  man 
daraus  ziehen  könnte,  daß  Soulavie  vortreffliches  Quellen- 
material  zu  Gebote  gestanden  habCj  ist  ein  irgendwie 
stichhaltiger  Beweisgrund.  Haben  doch  häufig  genug 
Fälscher,  obwohl  sie  über  sehr  wertvolle  Schätze  ver- 
fügten, mit  deren  Wiedergabe  sich  nicht  begnügt,  sondern 
noch  selbstverfertigte  Fabrikate  untergeschmuggelt.  Wir 
brauchen  nur  an  Feuillet  de  Conches  zu  denken,  der 
eine  kostbare  Ausbeute  in  den  hervorragendsten  euro- 
päischen Archiven  einheimste,  aber  damit  nicht  zufrieden, 
mit  seinem  Golde  zu  wuchern  suchte,  indem  er  falsche 
Münze  darunter  mischte* 

Und  so  hat  auch  Soulavie  nachweislich  gehandelt: 
er  hat  Materialien  ersten  Ranges  in  unablässigem  Eifer 
aufzuspüren     gewußt    oder    skrupellos    aus    öffentlichen 


Susane,  La  tactique  financi^re  de  Calonne  (Paris  1901)  S.  107; 
Stourm,  Le$  ßnances  de  Vanclen  rägime  (Paris  1885)  1,  77  L  u,  a* 
*)  Es  handelt  sich  um  den  berühmt  ge\yordenen  Brief  Tur- 
gots vom  30.  April  1776^  den  Larcy  in  seiner  Arbeit:  Louis  XV! 
€t  Turgot  in  der  Zeitschrift  Le  Correspondant  Bd.  32  zum  erslen- 
mal  mitgeteilt  hat  und  dessen  Urkundlichkeit  neuerdings  von  L^on 
Say  in  seinem  Werkchen  über  Turgot  (Paris  1887)  S*  165  ff,  bc- 
Btätigt  worden  ist. 


Turgots  Sturz. 


477 


I 


Bibliotheken  und  Staatsarchiveri  zusammengestohlen,  da- 
neben aber  mit  unglaublicher  Verschmitztheit  und  uner- 
schöpilicher  Einbildungskratt  ihn  störende  Lücken  aus- 
gefüllt Als  lebhaftem  Südfranzosen  ist  ihm,  wenn  ich 
einen  treffenden  Ausdruck  Erdmannsdörffers  hier  an- 
wenden darf,  die  schöplerische  Freude  an  der  Lüge  so 
recht  eigen  gewesen.  Dabei  ging  er  mit  geradezu  er- 
staunlicher  Frechheit  zu  Werke.  Als  die  Herzogin  von 
Aiguillon  die  von  Soulavie  herausgegebenen  Memoiren 
ihres  verstorbenen  Gemahls  mit  vollem  Recht  für  unter- 
geschoben erklärte,  hatte  der  Fälscher  die  Dreistigkeit, 
sich  zu  der  Dame  mit  dem  Manuskript  zu  begeben  und 
ihr  darin  angebliche  eigenhändige  Randbemer- 
kungen des  Ministers  vorzuweisen.  Soulavie  hatte 
Aiguillons  Handschrift  mit  solchem  Geschick  nachge- 
ahmt, daß  die  Herzogin  in  ihrem  anlänglichen  Urteil 
schwankend  wurde.*) 

Diese  Probe  mag  zur  psychologischen  Kennzeich- 
nung des  Herausgebers  der  ,,Memoiren  der  Regierung 
Ludwigs  XVt."  dienen.  Wir  ersehen  daraus,  daß  die 
Fälschung  von  Randbemerkungen  zu  Soulavies  gewerbs- 
mäßigen Eigentümlichkeiten  gehört,  eine  Beobachtung, 
die  uns  in  unserer  Frage  besonders  vorsichtig  machen 
wird. 

Wie  wenig  beweiskräftig  erscheint  nach  dieser  Er- 
fahrung das  Argument,  das  Wahl  für  die  Echtheit  der 
Randbemerkungen  ins  Feld  führt!  „Dazu  kommt,**  sagt 
er,  „das  Wort  Soulavies,  daß  er  die  Bemerkungen  in 
Ludwigs  eigener  Hand  gesehen  und  davon  seine  Ab- 
schrift genommen  habe."  Kann  uns  diese  Behauptung 
im  Munde  eines  Fälschers  wirklich  irgendwelche  sichere 
Bürgschaft  gewähren?  Nicht  besser  ist  es  mit  den  an- 
dern Beweisgründen  Wahls  bestellt*  „Der  Umstand," 
sagt  er,  „daß  sie  (die  Randbemerkungen)  nichts  Über- 
raschendes und  nur  wenig  den  Durchschnittsleser  Inter- 
essierendes enthalten,  daß  sie  zu  Ludwigs  Art  vorzüglich 
stimmen^  vor  allem  aber,  daß  sie  nicht  frei  von  Wieder- 

')  Vgl.  hierzu  den  schon  oben  angeführten  Artikel  Flammer- 
motits  in  der  Revue  historique  ßd,  43,  S.  79  f. 


47S  H.  Glagiu, 

holungen  sind  und  daß  sie  jene  Schwierigkeit  mit  dem 
Datum  enthalten  —  beides  hatte  jeder  Fälscher  unbedingt 
vermieden  —^  läßt  den  Gedanken  an  eine  Täuschung  voll- 
kommen ausschließen,** 

Von  der  „Schwierigkeit  mit  dem  Datum ^  wird  noch 
später  zu  reden  sein.  Ebensowenig  wie  dieser  UmstaiTd 
sich  als  stichhaltiges  Argument  erweisen  wird,  sind  die 
andern  von  Wahl  angeführten  Momente  überzeugende 
Merkmale  für  die  Echtheit  der  Randbemerkungen.  Tragen 
doch  gerade  die  hervorstechenderen  einen  durchaus  sub- 
jektiven Charakter*  Was  fiir  Wahl  keine  Überraschung 
bildete,  hat  mich  von  vornherein  stutzig  gemacht.  Denn 
ich  konnte  durchaus  nicht  finden,  daß  die  Bemerkungen 
«zu  Ludwigs  Art  vorzüglich  stimmen".  Ich  hatte  viel- 
mehr den  Eindruck,  daß  der  König,  falls  er  in  der  Epoche 
der  Reform bewegung  (1774 — 1788)  so  bestimmte  poli- 
tische Überzeugungen,  wie  sie  die  Randbemerkungen 
wiederspiegeln,  wirklich  gehabt  hätte,  den  entgegen- 
gesetzten Weg  in  der  Richtung  seiner  inneren  Politik 
hätte  einschlagen  müssenp  Ein  Monarch,  der  so  durch- 
drungen gewesen  wäre  von  dem  unveränderlichen  Wert 
der  altfranzösischen  Institutionen,  von  den  Vorzügen  des 
ständischen  Prinzips  und  der  Trefflichkeit  der  Intendanten, 
sowie  von  der  Bedenklichkeit  der  von  Turgot  vorge- 
schlagenen Neuerungen,  ein  solcher  Monarch  hätte  nie- 
mals einem  so  umfassenden  Reformplan,  wie  ihn  Calonne 
1786  vorlegte,  zugestimmt,  zumal  da  sich  dessen  Grund- 
linien mit  dem  Projekte  Turgots  im  wesentlichen  deckten. 
Ich  konnte  also  den  Inhalt  der  Randbemerkungen  mit 
dem  Bilde,  das  ich  mir  von  Ludwig  XVI  gemacht  hatte, 
nicht  in  Einklang  bringen.  Was  nach  Wahls  und  Onckens 
Ermessen  in  bester  Ordnung  war,  wurde  iür  mich  der 
Stein  des  Anstoßes.  Mein  Mißtrauen  war  rege  geworden^ 
und  ich  suchte  nach  einer  Handhabe,  um  den  Fälscher 
zu  entlarven, 

IL 

Es  ist  merkwürdig  genug:  diese  Handhabe  boten  mir 
eben  meine  Vorgänger,  die  darauf  ausgingen,  Soulavies 
Werk  zu  stützen  und   zu  retten.     Denn  kein  anderer  als 


i 
I 


i 


Turgots  Sturz. 


479 


I  August  Oncken  hat  zuerst  die  Beobachtung  gemacht,  daß 
I  der  Herausgeber  der  Randbemerkungen  bei  der  Wiedergabe 
B  der  Bruchstücke^  die  er  aus  dem  Munizipalitätenentwurf 
F  Turgots  anführte,  einen  Text  zugrunde  gelegt  hat,  der 
mit  der  ersten  Veröffentlichung  des  berühmten  Relorm- 
projektes  auffallend  übereinstimmt.  Dieser  erste  Druck 
stammt  aus  dem  Jahre  1787.  Sein  Urheber  war  kein 
Geringerer  als  Mirabeau,  dem  Du  Pont  de  Nemours,  als 
jener  im  Gefängnis  zu  Vincennes  schmachtete,  den  Muni- 
zipalitätenplan handschriftlich  mitgeteilt  hatte.  Der  Gral 
war  skrupellos  genug,  heimlich  davon  Abschrift  zu  nehmen 
und,  als  er  sich  in  Geldveriegenheit  befand,  ein  gangbares 
Büchlein  daraus  zu  machen,  das  er  unter  dem  Titel: 
(Favres  posihumes  de  M.  Turgof  ou  Memoire  de  M.  Turgot 
sur  les  AdministraUons  provincia/es  mit  einigen  Zutaten 
in  die  Welt  setzte.  \) 

Wie  erklärt  August  Oncken  die  Übereinstimmung 
zwischen  dieser  Veröffentlichung  Mirabeaus  und  dem 
Text  Soulavies?  Er  nimmt  an,  daß  die  beiden  Heraus- 
geber  aus  einer  —  heute  verlorenen  —  gemeinschaftlichen 
Quelle  geschöpft  haben,  dem  in  den  französischen  Staats- 
akten befindlichen  Munizipalitätenentwurf}  den  Turgot  im 
April  1776  dem  König  überreicht  habe.  Woher  weiß 
aber  Oncken,  daß  sich  ein  solcher  Entwurf  in  den  Staats- 
akten befunden  hat?  Er  vermutet  es  nur  und  baut  in 
kombinatorischer  Gestaltungslust  ein  Gebäude  auf,  dem 
jedes  quellenmäßige  Fundament  fehlt:  tm  Jahre  1786  sei 
Mirabeau  mit  dem  Finanzminister  Calonne  in  enge  Ver- 
bindung getreten,  habe  mit  ihm  zusammengearbeitet  und 
höchst  wahrscheinlich  bei  dieser  Gelegenheit  aus  den 
Staatsakten  des  Finanzministeriums  heimlich  eine  Ab- 
schrift genommen  von  dem  Ludwig  XVL  im  Jahre  1776 
vorgelegten  Munizipalitätenplan,^)   Das  Zeugnis  Du  Ponts, 


*)  Die  Verwaltung  der  Großherzogl,  Badischen  Hof-  und 
Staatsbibliothek  war  so  ireundhch,  mir  das  in  ihrem  Besitz  be- 
findliche Exemplar  der  sehr  seltenen  Mirabeaus  eben  Flugschrift 
zur  Einsichtnahme  zuzusenden. 

*)  Vgl,  den  oben  angeführten  Artikel  A.  Onckens  in  der 
Zeitschr.  f.  Lit*  u«  Gesch.  der  Staatswissenschafteu  I,  48  ff. 


480  ^^^"  H.  Giagau, 

nach  dem  Turgot  dem  König  seinen  Veriassungsentwur 
niemals    überreicht    und    Mirabeau    in    Vincennes    steh 
Du  Fonts  Vorlage  widerrechtlich  angeeignet  hatte,  wird» 
so  gut  es  in  allen  Punkten   begründet  ist,   dennoch   von 
Oncken  als  unglaubwürdig  verworfen.^) 


*)  A.  Oncken  beruft  sich  dabei  auf  folgende  Beobachtung: 
Du  Pont  hatte  im  Jahre  1779  seinem  Gönner,  dem  Markgrafen 
Karl  Friedrich  von  Baden,  eine  Abschrift  des  Munizipalitäten^ 
planes  übersendet^  die  erst  im  Jahre  \M2  in  der  von  Karl  Knies 
im  Auftrag  der  ßadischen  Historischeti  Kommission  veranstalteten 
Publikation:  Karl  Friedrichs  von  Baden  brieflicher  Verkehr  mit 
Mirabeau  und  Du  Pont  I^  244— 2S3  der  Öffentlichkeit  zug:änglich 
gemacht  worden  ist.  Zwischen  dieser  Fassung  des  Munizipali* 
tätenplanes  und  dem  von  Mirabeau  17S7  herausgegebenen  Text 
bestehen  einige  unerhebliche  Abweichungen,  die^  weit  entfernt, 
den  Kern  des  Inhalts  zu  berühren^  nur  stilistischer  Natur  oder 
nicht  sehr  wesentliche  Zusätze  sind.  Aus  dieser  Differenz  glaubt 
jedoch  Oncken  weitgehende  Schlüsse  ziehen  zu  dürfen.  Er  folgert 
daraus^  daß  Mirabeau  Du  Ponts  Exemplar  nicht  benutzt  haben 
könne,  sondern  ein  anderes  seiner  Veröffentlichung  zugrunde  ge* 
legt  habe,  das  Oncken  in  den  Akten  des  Finanzministeriums  ver^ 
mutet.  Man  braucht  jedoch  nicht  zu  einer  so  künstlichen  und 
durch  kein  einziges  Quellenzeugnis  belegten  Hypothese  zu  greifen, 
um  die  zwischen  dem  badischen  und  dem  Mirabeauschen  Texte 
bestehenden  Abweichungen  zu  erklären*  Ist  es  doch  eine  auch 
A.  Oncken  nicht  unbekannte  Tatsache,  daß  Du  Pont  sehr  gern 
an  seinen  Texten  änderte.  Von  dieser  Freiheit  machte  er  reich- 
lichen Gebrauch,  als  er  im  Jahre  1809  in  der  von  ihm  veranstaU 
teten  Ausgabe  der  Werke  Turgots  im  7.  Bande  S,  386  ff.  zum 
ersten  Male  den  Munizipalitätenplan  veröffentlichte*  Ein  text- 
kritischer Vergleich  dieser  Fassung  (C)  mit  der  badischen  (A) 
und  derjenigen  Mirabeaus  (B)  ist  sehr  interessant.  Er  zeigt  näm- 
lich, daß  in  vielen  Fällen  der  Abweichung  zwischen  A  und  B 
Du  Pont  in  dem  Druck  von  1809  (C)  nicht  die  von  ihm  selbst  ur- 
sprünglich gegebene  Lesart  (A)  beibehält,  sondern  an  ihre  Stelle 
Mirabeaus  Fassung  (B)  setzt.  Ich  führe  nur  ein  Beispiel  an:  Die 
Stelle  jfC'est  ä/jä  an  patnt  en  taute  ä^iibe'ratlon  aä  an  grand 
nombre  de  personnes  ont  int&it  et  droits  sans  attenier  ä  l'un^  «i 
vialer  Vauire^  de  se  äebarrasser  näanmoins  du  chaos  de  la  muiU^ 
tude*^  lautet  im  Gegensatz  zu  Fassung  A  (Knies  a.  a.  O.  l,  26S) 
bei  B  (Mirabeau  S.  62)  und  C  (Du  Pont,  <^titres  de  Turgot  Vif, 
444)  nahezu  übereinstimmend  folgendermaßen:  ^c'est  ääjä  un 
pcintf  en  taute  d^lihe'ration  oä  un  grand  nambre  de  persannes  ont 
in t^ fit  et  droit  de  se  däbarrasser  du  chaos  de  la  multitudef  sans 
parier  atteinte  ni  ä  VinlMtf  ni  aux  droits  d^aucun  (bei  Mirabeau 


I 


I 

■ 

I 


i 


Turgots  Sturz,  4SI 

Wäre  Oncken  nicht  von  vornherein  von  der  Echt- 
heit der  Randbemerkungen  felsenfest  überzeugt  gewesen, 
so  hätte  er  aus  der  von  ihm  beobachteten  Übereinstim- 
mung zwischen  Soulavie  und  Mirabeau  sofort  Verdacht 
geschöpft.  Er  hätte,  um  diese  Wahrnehmung  zu  erkfären, 
nicht  eine  dritte  gemeinsame  Quelle  vermutet,  sondern 
vielmehr  gefragt:  Stehen  nicht  die  beiden  Quellen  in 
einem  unmittelbaren  Abhängigkeitsverhältnis?  Geht  nicht 
die  spätere  auf  die  frühere  zurück?  Hat  nicht  Soulavie 
in  der  Tat  seinem  Text  die  Mirabeausche  Broschüre  zu- 
grunde gelegt  und  vielleicht  zugrunde  legen  müssen? 

Als  Soulavie  im  Jahre  1801  seine  M/moires  du  regne 
de  Louis  XV!  herausgab,  war  Turgots  Munizipalitäten- 
entwurf nur  in  einer  einzigen  Fassung  im  Druck  vorhan- 
den, nämlich  in  der  von  Mirabeau  im  Jahre  1787  in  un- 
rechtmäßiger Weise  veranstalteten  Ausgabe.     Daß  diese 


heißt  es  fälschlich  d^  chacan)  de  ses  membres."  Es  handelt  sieh 
nur  um  eine  den  Sinn  nicht  verändernde  stilistische  Umbildung; 
aber  die  VerwandtBchaft  zwischen  den  Ausgaben  ß  und  C  leuchtet 
an  diesem  Punkte  deutlich  hervor.  Man  könnte  nun  annehmen, 
daß  Du  Pont  im  Jahre  1809  auch  die  von  ihm  nach  ihrem  Er- 
scheinen 1787  schwer  getadelte  Ausgabe  Mlrabeaus  trotzdem 
seinem  Druck  zugrunde  gelegt  habe.  Diese  Annahme  aber  hat 
von  vornherein  wenig  Wahrscheinliches.  Vielmehr  lührt  ein  sorg- 
fältiger Vergleich  der  drei  Ausgaben  untereinander  zu  der  Ver- 
mutung, daß  A,  B  und  C  schließlich  auf  eine  Urschrift  Du  Ponts 
zurückgeben,  die  wir  nicht  mehr  besitzen.  Diese  Fassung  hat 
Du  Pont  an  einigen  Stellen  verändert,  als  er  sie  für  den  Mark- 
grafen von  Baden  abschrieb.  Du  Pont  hat  dann  Mirabeau  in  Vin- 
cennes  den  ursprünglichen  Entwurf  vorgelegt,  und  auf  diesen  hat 
auch  Du  Pont  selbst  im  Jahre  180^  zurückgegriHen,  als  er  den 
ersten  authentischen  Druck  veranstaltete.  Vgl  hierzu  noch  die 
beiden  bei  G.  Schelle,  Du  Pont  de  Nemours  ei  l'ecole  physiocra- 
tiqae  (Paris  1888)  S.  193  ff.  u,  IQ8  ff.  abgedruckten  Schriftstücke, 
die  Du  Pont  sofort  nach  dem  Bekanntwerden  von  Mlrabeaus 
dreistem  Diebstahl  in  gerechter  Entrüstung  abfaßte,  nämlich  erstens 
seine  öffentliche  Erklärung,  die  am  2.  Juli  1787  im  Journal  de  Paris 
erschien,  und  zweitens  den  Briefe  den  er  am  selben  Tage  an 
Turgots  Bruder  richtete,  fiter  wird  beide  Male  auf  die  leider 
nicht  auf  uns  gekommene  Urschrift  des  Munizipalitätenentwurfs 
hingewiesen^  an  deren  Rande  Bemerkungen  und  Besserungsvor- 
schläge  von  Turgot   selbst  eigenhändig  gemacht   worden  waren* 


H.  Glagau, 


Ausgabe  sehr  fehlerhaft  war,  darauf  hatte  Du  Pont  gleich 
nach  ihrem  Erscheinen  hingewiesen.  In  einer  Zuschrift, 
die  er  am  2.  Juli  1787  an  das  Journal  de  Paris  richtete, 
hatte  er  erklärtj  daß  Mirabeaus  Machwerk  von  gröblichen 
Mißverständnissen  und  Fehlem  wimmele,^)  Und  das  war 
wirklich  nicht  zuviel  behauptet. 

Für  einen  Fälscher,  der  auf  die  Benutzung  eines  so 
verdorbenen  und  als  verdorben  bekannten  Textes  ange- 
wiesen war  und  eine  spätere  Veröffentlichung  des  richtigen 
Textes  als  wahrscheinlich  betrachten  mußte,  bestand  hier 
eine  gefährliche  Klippe.  Soulavie  hat  das  auch  offenbar 
empfunden  und  sie  zu  umschiffen  gesucht,  indem  er  eine 
Reihe  von  offenbaren  Fehlern  ausmerzte.  Allein  er  hat, 
wie  das  auch  gar  nicht  anders  zu  erwarten  ist,  einige  dem 
Kenner  des  richtigen  Textes  sehr  auffällige  Mißverständ- 
nisse, die  Mirabeau  bei  der  Aneignung  des  Du  Pontschen 
Textes  begegnet  waren,  einfach  übernommen. 

Ich  führe  einige  Beispiele  dafür  an^): 

K  Der  Munizipalitätenentwurf  hebt  mit  den  Worten  an: 
»Pöur  savair  s'il  convient  d'ätablir  des  municipaliiäs  en 
France  ,  .  ,^  ii  ne  s'agit  pas  de  remonier  ä  Vorigine 
des  administraHons  manicipaleSf  de  faire  une  relaiian 
hisiorique  des  vicissitudes  ga'elles  ont  essuy^es  elc.^ 
Mirabeau  hat  hier  anstatt  j,il  ne  s^agli  pas"^  irrtümlicher- 
weise Jl  ne  suffit  pas^  gesetzt,  was  eine  vollständige 
Verkehrung  des  Grundgedankens,  nach  dem  die  histo- 
rische Betrachtung  verworfen  wird,  bedeutet.  Diesen 
Irrtum  hat  Soulavie  (III,  146  f.)  nicht  bemerkt  und  daher 
abgeschrieben. 

2.  In  der  Du  Pontschen  Fassung  (Knies  I.  252)  heißt 
es:    „malheureusement  qui  ne  posside  poini  de  terre  ne 

')  S.  Schelle,  Du  Pont  de  Nemours  et  VScüU  physiocratique 
S.  1%^  wo  es  heißt;  U Edition  furtive  . . ,  est  d^ailleurs  si  incorrecte, 
eile  präsente  tani  d*omissions  et  de  fautes  qui  sont  des  cüntresens 
grossiers,  eile  est  accompagn^e  d'adältwns  si  Stranges  que  rauteur 
[Du  PontJ  serait  doublement  affUgi  de  sa  publicitä  etc. 

>)  Vgl.  hierzu  insbesondere  Wahl  a.  a.  O,  S,  873  f.  —  Die 
Fehler  kommen  In  der  von  Dti  Pont  dem  Markgrafen  von  Baden 
im  Jahre  1779  übersandten  Faseung,  die  Knies  a.  a.  O.  I,  244  ff. 
mitgeteilt  hat,  natürlich  nicht  vor. 


I 


4 


4 


Turgots  Sturz. 


48S 


sauraii  uvoir  de  pairie  que  par  le  cceur,  pur  Vopiniön^ 
par  Vheureuse  pr^jugi  de  Venfance:'  Mirabeau  (S.  25) 
und  Soulavie  (IIl^  143)  haben  für  avoir  die  Korruptel  voir, 
3.  „  Voits  avez  iii  obligi  plusiears  fois,  Slre,  de  r^- 
primer  cet  esprit  qui  caractärise  acluellemeni  les  villes 
ei  auquel  leur  administraiion  präsenle  est  liäe  comme 
conservairice  au  mains.  Volre  Majesti  sent  la  nä- 
cessiiä  de  suppiger  ä  cei  esprit  de  d^ordre  et  d'exciusion 
un  esprit  d*union,  de  paix  ei  de  secours  reciproques 
(Knies  !,  265)*  Mirabeau  sowohl  (S.  55)  wie  Soulavie 
(111,  140)  haben  den  Punkt,  der  die  beiden  oben  wieder- 
gegebenen Sätze  trennt^  in  sinnentstellender  Weise  ver- 
rückt, indem  sie  ihn  hinter  iiäe  setzten  und  comme  can^ 
servairice  au  moins  zum  folgenden  Satze  nahmen,  es  in 
Beziehung  zu   Votre  Majestd  bringend. 

Daß  diese  Mißverständnisse  und  Flüchtigkeiten,  deren 
sich  noch  mehrere  anführen  ließen^  einmal  bei  der  Ab* 
schrill,  die  von  Mirabeau  genommen  wurde,  vorkommen 
konnten,  erklärt  sich  leicht ;  daß  sie  aber  in  der  VerÖflent- 
lichung  Soulavies  in  genau  derselben  Weise  wieder- 
kehren, beweist  klärlich  die  unmittelbare  Abhängigkeit 
Soulavies  von  seiner  schlechten  Vorlage,  der  im  Jahre  1787 
veröfientlichten  Broschüre  Mirabeaus. 

Welche  Bedeutung  hat  dieses  Ergebnis  für  die  Echt- 
heitsfrage? Wilhelm  und  August  Oncken  nehmen  aus 
triftigen  Gründen,  die  sogleich  im  folgenden  Abschnitt 
noch  näher  zu  erörtern  sind,  an^  daß  die  Randbemer- 
kungen im  April  1776  von  dem  König  neben  die  Denk* 
Schrift  Turgots  gesetzt  sein  müssen,  und  nicht  erst  im 
Februar  1788,  wie  aus  dem  Wortlaut  des  am  Schluß  be- 
findlichen Datums  hervorgehen  würde.  Nun  haben  wir 
aber  eben  nachgewiesen^  daß  der  von  Soulavie  wieder- 
gegebene Text  mit  all  seinen  Fehlern  erst  von  Mirabeau 
im  Jahre  1787  hergestellt  wurde*  Müßten  die  Randbe- 
merkungen aus  zwingenden  inneren  Gründen  im  Jahre 
1776  entstanden  sein,  könnten  sie  auf  keinen  Fall  von 
Ludwig  XVL  erst  1788  geschrieben  sein,  so  dürfen  wir, 
wollen  wir    nicht  in  einen    unlösbaren  Widerspruch  ver* 


484 


Olägau, 


fallen,  indem  wir  die  Entstehung  der  Randbemerkungen 
vor  die  Entstehung  des  Textes,  zu  dem  sie  gehören, 
verlegen,  nur  eine  logische  Folgerung  ziehen:  sie  sind 
von  Soulavie  zu  dem  Mirabeauschen  Texle  erfunden 
worden.  Der  Fälscher  hat  sich  selbst  durch  die  not- 
gedrungene Benutzung  des  fehlerhaften  Mirabeauschen 
Textes  entlarvt* 

Doch  haltl  fn  dieser  höchsten  Not  erscheint  dem 
bedrängten  Soulavie  noch  ein  Retter,  der  vor  ihn  schützend 
den  Schild  breitet.  A,  Wahl,  der  zuerst  darauf  hinge- 
wiesen hat,  daß  Soulavie  Mirabeaus  Fehler  einfach  über- 
nommen hat,  kommt  zu  der  Annahme,  daß  die  Rand- 
bemerkungen erst  im  Februar  1788  entstanden  und  von 
Ludwig  XVL  unmittelbar  auf  einem  Exemplar  der  Mira- 
beauschen  Broschüre  eingetragen  wurden.  Wie  begründet 
Wahl  diese  Vermutung? 


I 
I 


III, 


Nimmt  man  die  schlecht  ausgestattete  Mirabeausche 
Flugschrift  zur  Hand,  so  kann  man  bei  näherer  Betrach 
tung  sich  kaum  vorstellen,  daß  ein  König  von  Frankreich 
neben  diesen  elenden,  von  Fehlern  wimmelnden  Druck, 
noch  dazu  auf  Löschpapier,  seine  Randbemerkungen  ge- 
setzt habe.  Dieser  Zweifel  steigert  sich,  wenn  man  einen 
Blick  in  die  Beilagen  wirft,  die  Mirabeau  eiligst  dem 
Turgotschen  Munizipalitätenentwurt  hinzugefügt  hatte, 
um  das  Büchlein  an  Umfang  gewinnen  zu  lassen;  Die 
^Lettre  sur  le  plan  de  M.  Turgot^  und  die  j^ObservaUons 
ä'un  R^publicain''  sind  von  radikalem,  antimonarchischen 
Geiste  erfüllt. 

Viel  wichtiger  jedoch  als  diese  Bedenken  sind  die 
starken  inneren  Gründe,  die  eine  Verlegung  der  Rand- 
bemerkungen in  das  Jahr  1788  unmöglich  machen.  Eine 
solche  Datierung  widerspräche  sehr  bekannten  geschicht- 
lichen Tatsachen.  Wie  hätte  der  König  im  Jahre  1788 
ein  so  vernichtendes  Urteil  über  Turgots  Munizipalitäten- 
entwurf fällen  können,  wo  er  im  vorigen  Jahre  durch 
seinen  Minister  Calonne  der  Notabeinversammlung  eine 
Denkschrift  über  die  Einrichtung  von  Provinztalversamm- 


^he  I 


\ 


■ 
I 
I 


Turgots  Sturz. 


48S 


lungen  hatte  vorlegen  lassen^),  die  auf  Turgots  Gedanken 
geradezu  beruhte  und  ganz  in  seinem  Geiste  unter  dem 
Beistande  seines  treuen  Arbeitsgenossen  Du  Pont  aus- 
gearbeitet war?^)  Was  in  den  Randbemerkungen  wieder- 
holt und  aufs  schäriste  getadelt  wird^),  war  im  Februar 
1787  von  Ludwig  XVL  selbst  den  Notabein  dringend 
empfohlen  worden:  er  hatte  vorgeschlagen,  von  der  alten 
Scheidung  der  drei^  Stände^  wie  sie  in  den  Versamm- 
lungen der  Pays  d' Etats  hergebracht  war,  ganz  abzusehen 
und,  wie  es  Turgot  im  Sinne  gehabt  hatte,  nur  eine 
einzige  Klasse  von  Bürgern,  die  Grundbesitzer,  zur  Selbst- 
verwaltung zu  berufen.  Wie  hätte  der  König  also  nach 
diesem  von  ihm  erst  kürzlich  gebilligten  Vorgang  ein 
Jahr  später  Turgot  vorwerfen  dürfen:  er  zerstöre  die 
Grundmauern  der  Monarchie,  indem  er  die  alte  Stände- 
ordnung abschaffen  wolle?  Wir  könnten  noch  eine  große 
Reihe  solcher  Widersprüche  nachweisen;  denn  fast  jede 
der  angeblichen  Randbemerkungen  würde  man  mit  ebenso 
gutem  Recht  wie  neben  Turgots  Entwurf  neben  die  von 
Ludwig  gebilligte  Denkschrift  Calonnes  über  die  Provinzial- 
versammlungen  setzen  dürfen.  Wie  ungereimt  aber  wäre 
es,  wenn  wir  Soulavie  zuliebe  annehmen  sollten,  der 
König  habe  im  Verlauf  weniger  Monate  vollkommen 
seine  frühere  Gesinnung  gewandelt  1 

*)  S.  Archives  pariementains  1,  201  ff. :  Mimoirt  Bur  l^ätabllsst^ 
ment  des  assetnbl^es  provinclales, 

•)  Vgl.  Schelle  a.  a,  O,  S.  259  ff* 

*)  Vgl.  Soulavie  III,  149:  Ön  wii  encore  que  M.  Targoi  est 
l-ennemi  de  la  variSti  des  aräres  qui  composent  tes  pays-d^^tat; 
et  de  ia  Hierarchie  de  ieurs  assembläes  qui  conserve  en  France  ies 
facuii/s  ei  Ies  Honneurs  des  di ff  Stents  tndividus  et  fürme  In  Hie- 
rarchie de  mes  sujets^  sans  laqueUe  il  ne  peitt  exister  nulle  pari 
de  monarchle.  M*  Turgot  propose  une  Hierarchie  de  pouvoirs; 
cette  HidrarcHie  est  cHimeriquef  si  une  Hierarchie  de  naissance  n^en 
est  la  base  etc.  Femer  S.  150 f.:  Ceite  composition  de  trals  ardres 
iient  trap  essentieUement  aux  priviUges  des  Franpais  et  la  mission 
des  iniendants  tient  trop  bien  ä  Vautorite  royale^  pour  permettrt 
ieur  metam&rpHose  en  deputes  du  peuple  ce  qui  e^t  renverser  de 
fond  en  comhle  taut  l' ordre  etabtl  etc.  Schließlich  S.  153:  //  est 
£ertain  qu^ll  serait  eimbli  en  France  des  assembees  bien  nau^ettes; 
car  te  droit  de  proprUte^  reunissant  le  droit  de  naissance  et  d'^tat^ 
lei  f armes  antiques  de  la  monarchie  seraient  aboUes  pomr  sub- 
stituer  des  reunions  d'un  peuple  neu/. 


486 


H.  Glagau, 


Aber  selbst  wenn  wir  zu  dieser  unglaublichen  An- 
nahme greifen  wollten,  so  steht  dem  doch  eine  Tatsache 
entgegen,  die  nicht  aus  der  Welt  zu  schaffen  ist:  die  von 
dem  Monarchen  in  den  Bemerkungen  bekämpften  Ge- 
meinde-, Distrikts-  und  Provinzialversammlungen  waren, 
wenngleich  in  modifizierter  Form,  immerhin  aber  in  un- 
verkennbarer Anlehnung  an  das  von  Turgot  gezeichnete 
Vorbild,  von  ihm  bereits  ins  Leben  gerufen  worden.^) 
Mit  dieser  Tatsache  hätte  der  König  Anfang  1788  sich 
unbedingt  auseinandersetzen  und  sich  daran  erinnern 
müssen,  daß  ein  guter  Teil  der  Einrichtungen,  die  er  in 
den  Randbemerkungen  verdammte  oder  für  undurchführ- 
bar erklärte,  vor  wenigen  Monaten  von  ihm  gebilligt 
und,  was  die  fiauptsache  ist,  verwirklicht  war/^ 

Alle  sachlichen  Erwägungen  führen  also  zu  der  An- 
nahme, daß  der  König  jene  Randbemerkungen  im  Jahre 
1788  nicht  geschrieben  haben  kann. 

Sehen  wir  die  Randbemerkungen,  wie  wir  nach 
unserer  Untersuchung  tun  müssen,  als  eine  mit  großem 
Geschick  ersonnene  Fälschung  an,  so  ist  auch  „die 
Schwierigkeit  mit  dem  Datum"  nicht  so  schwer  zu  losen. 
Nichts  ist  wahrscheinhcher,  als  daß  das  Datum  (f5,  Fe- 
bruar 1788)  von  dem  Herausgeber  zu  dem  Zweck  er- 
funden wurde,  um  sein  Machwerk  mißtrauischen  Blicken 
sicherer  zu  verhüllen.  Gehen  wir  dieser  Spur  nach^  so 
ergeben  sich  für  uns  zur  Bekräftigung  der  früheren  Er- 
gebnisse noch  einige  nicht  unwichtige  Belege* 

Soulavie  war  gezwungen,  bei  seiner  Fälschung  einen 
nicht  authentischen  Text,   die  Mirabeausche   Broschüre, 


')  S.  Archives  parlementaires  I,  239:  ^dtt  du  roi^  donn^  ä 
Versmiiles  au  mois  de  Juin  1787,  poriani  er/ation  d'assembi/^ 
proviitciaUs. 

*)  Wie  hätte  er  sich  noch  gegen  die  Steuerveranlagung  durch 
4ie  Provinzialversammlungen  wenden  können  (vgl  SouJavie  111^ 
150  f.),  wo  er  sie  ihnen  jüngst  ausdrücklich  übertragen  hatte  1  Wie 
hätte  er  den  Satx  noch  aussprechen  dürfen:  Si  Vorganlsation  dt 
mes  provinces  /tait  similiairef  C£  serait  le  müytn  de  n'iire  pas 
obü  QU  d^itre  mal  ot^i,  wo  er  die  von  Turogt  vorgeschlagene  gleich- 
mäßige Organisation,  abgesehen  von  der  Spitze,  der  Grande  mum- 
dpaliidf  der  französischen  Selbstverwaltung  soeben  gegeben  hatte  1 


I 


■ 
■ 


Turgots  Stiir^. 


4S7 


ZU  verwerten.  Da  hier  der  MunizipaütätenentwuH  nach 
Du  Fonts  öffentlichem  Zeugnis  sehr  fehlerhalt  und  un- 
genau wiedergegeben  war,  so  war  ihm  dabei  etwas  un- 
behaglich zumute.  Auf  diese  Stimmung  lassen  vor 
allem  die  mannigfachen  Versuche  Soulavies  schließen, 
von  der  eigentlichen  Vorlage ,  die  ihn  verraten  hätte, 
möglichst  unabhängig  zu  erscheinen:  er  nimmt  Verbes- 
serungen und  Zusammenziehungen  vor^  bedient  sich 
anderer  Wendungen  und  gestaltet  an  manchen  Punkten 
den  Mirabeauschen  Text  recht  wesentüch  um.^    Daß  er 


*)  Ich  fiihre  hier  nur  ein  Beispiel  für  viele  an,  wobei  ich  der 
besseren  Übersicht  wegen  die  SteUen  nebeneinander  setze: 


Mirabeau  S.  26 : 

//  n^en  estpas  ainsi  des  proprU- 
taires  du  sol;  Us  soni  li^s  ä  la 
ierre  par  leur  proprio t^;  II s  ne 
peuvent  cesser  de  prendre 
intärit  au  canton  oä  eile 
est  piac^e:  ü$  peuveni  la 
vendre^  ils  est  vtai,  mais  alors 
ce  a'est  qu*$n  ctssant  ä*itre  pro- 
prUtaires,  qu*üs  cessent  d^Hre 
intäressds  amx  affaires  du  pays, 
et  leur  mUrit  passe  ä  leur  suc- 
cesseur;  de  sorte  que  c*est  la 
possessio n  de  la  terre^  qui 
noft'Seulement  produU^  par  les 
fruits  et  par  ies  reve^tus  q adelte 
rapportey  Ies  moyens  de  danner 
des  salaires  ä  tous  ceux  qui  en 
onl  besüin,  et  place  un  komme 
dans  la  classe  des  payeurs,  au 
lieu  d'itre  dans  ceUe  des  gagistes 
de  la  soci/t^;  mais  c^est  en- 
core  elie  quij  liant  indäli- 
hilement  le possesseur  ä  V^tat^ 
consHtue  te  v/fitahle  droit  de 
Cii^. 

II  semble  danc,  Sire^  qu'an 
ne  peut  Ugitimement  accor- 
der  l'usage  de  ce  droit  au  la 
voix  dans  tes  assembl^es 
de  paraisse  qu'ä  ceux  qui  y 
possidenl  des  biens-fonds. 


Soulavie  111,  143: 
//  n*en  est  pas  ainsi  des  pro- 
prUtaires  du  sol;  ils  sont  li^s  ä 
la  terre  par  leur  propri^t/^  ils 
sont  intäress^s  aux  affaires 
du  pays.  Der  folgende  Ab* 
schnUt  fehlt  bei  Soulavte,  ohne 
daß  er  die  Lücken  andeutet.  Er 
fährt  dann  unmittelbar  fort: 


La  propri^t^  place  an  hammg 
dans  la  classe  dem  payeurs  au 
lieu  d'itre  dans  celui  [soll  des 
gagistes  de  la  social^;  c'est  la 
propri^t/  qui^  liant  le  posses- 
seur  ä  l'/tai,  canstitue  Ic  vM- 
table  droit  de  soci^ti  [so  1]. 

ön  ne  peut  accoräer  ce 
droit  qu* ä  ceux  qui  y  pos- 
sident  des  biens- fonds. 


188 


H.  Glagau« 


trotz  dieser  Bemühungen  einigen  groben  Mißverständ- 
nissen Mirabeaus,  die  er  übersah,  zum  Opfer  Hef,  haben 
wir  oben  gesehen* 

Allein  auch  für  den  Fail^  daß  trotzdem  Fehler  Mira- 
beaus  von  ihm  übernommen  sein  und  ihm  später  nach- 
gewiesen würden,  glaubte  er  sich  wappnen  zu  müssen. 
Zu  diesem  Zweck  erfand  er  das  Datum.  Wies  ihm 
schließlich  jemand  die  Benutzung  der  Mirabeauschen 
Broschüre  nach^  so  konnte  er  die  Randbemerkungen  viel- 
leicht noch  retten  durch  die  Behauptung,  Ludwig  XVI, 
habe  diese  auf  die  1787  erschienene  Flugschrift  gesetzt, 
und  zwar,  wie  das  Datum  ausweise,  am  15,  Februar  1788. 
Daß  Soulavie  diesen  Zeitpunkt  für  die  Entstehung  der 
Randbemerkungen  selbst  ansetzt,  ergibt  sich  aus  seinen 
eigenen  Angaben.*)  Merkwürdig  ist  es  nur,  wie  wider- 
spruchsvoll und  künstlich  diese  Datierung  erscheint. 
Denn  seiner  These  nach,  die  er  häuÜg  wiederholt-),  ist 
Turgot  eben  durch  den  Munizipalitätenentwurf  gestürzt 
worden,  Sobald  der  König  —  erzählt  uns  Soulavie  — 
von  diesem  Kenntnis  erhalten,  habe  er  darauf  gesonnen, 
wie  er  sich  möglichst  rasch  des  unbequemen  Ministers 
entledigen  könnte. 

Nun  sollte  man  meinen,  die  Randbemerkungen  Lud- 
wigs, die  uns  von  der  tiefen  Unzufriedenheit  des  Mon- 
archen mit  den  Ideen  Turgots  Kunde  geben,  wären  zu 
dem  Zweck  ersonnen,  um  zu  zeigen,  wie  das  drohende 
Ungewitter  sich  über  dem  Haupte  des  Ministers  sam- 
melte.    Daß    diese    dramatische   Wirkung   von    Soulavie 


0  Vgl,  Soulavie  111,  154  Anm,  1;  VI,  278, 

■)  Soulavie  IIl,  155  heißt  e&i  Le  rot,  dis  le  pioment  qu*U  con- 
nut  son  projet  de  rävciuti&n  d^mocratique,  lui  Sta  sa  canfiance 
et  chercha  les  moyens  de  le  renvoyer  sans  bruiL  Ähnlich  lautet 
111,  130  und  IV,  132,  Dagegen  scheint  mir  Soulavie  ein  wenig  aus 
der  Rolle  zu  fallen  IV,  122,  indem  er  sagt:  ^,0/$  a  vu  que  U  plan 
de  M^  Turgot^  qui  les  [assembl^es  provinciales}  rätablissait  dans 
ioates  les  provlnces  qui  en  avaieni  ^ie  privies  par  VauiorUä,  fui 
rejeU  de  Louis  XVL  M.  Necker ^  malgr^  ces  dispasUionSf  les  de- 
mandä  en  1778  ä  ce  manarque  etc."  Hat  es  hier  nicht  den  An- 
Bchein,  als  ob  Soulavie  vergessen  habe,  daß  Ludwigs  Einwürfe 
erst  aus  dem  Jahre  1788  stammen  sollen? 


i. 


i 


I 


I 
I 


Turgots  Sturz, 


489 


anfangs  auch  beabsichtigt  war,  daß  er  den  Gedanken, 
die  Randbemerkungen  in  das  Jahr  I77b  zu  verlegen, 
erst  im  letzten  Augenblick  aufgegeben  hat,  das  verraten 
uns  einige  schlecht  retuschierte  Stellen,  die  ein  Autor, 
der  wie  der  unsrige  zu  arbeiten  gewohnt  ist,  in  der 
Eile  vergessen  konnte. 

Da  linden  wir  am  Schlüsse  der  Bemerkungen  wie 
einen  Warnungspfahl  aufragend  die  Stelle:  Le  pussage  du 
regime  itabli  au  regime  que  M.  Targot  propose  aciuelle- 
meni,  m&iie  aitenHon.  Was  soll  das  propose  actueüe- 
ment  im  Jahre  1788?  Turgot  war  längst  tot  und  konnte 
keine  Vorschläge  machen.  Diese  Wendung  hätte  nur 
dann  Sinn,  wenn  die  Bemerkungen  für  das  Jahr  1776 
angesetzt  würden,  wie  es  August  und  Wilhelm  Oncken 
hauptsächlich  aus  diesem  Grunde  getan  haben. 

Das  entscheidende  actueilement  sucht  Wahl  in  sehr 
willkürlicher  Weise  wegzudeuten,  um  seine  Behauptung, 
die  Randbemerkungen  seien  im  Februar  1788  entstanden, 
aufrecht  erhalten  zu  können.  ^ Actueilement/*  sagt  er, 
^heißt  hier  nicht  mehr  als  ,in  dieser  Stelle*,  in  welcher 
Bedeutung  es  sehr  häufig  ist,"  Woher  ihm  solche  Wissen- 
schaft kommt,  verrät  er  uns  leider  nicht.  Ich  habe  die 
angesehensten  französischen  Wörterbücher  durchsucht, 
um  zu  sehen,  ob  actueilement  jemals  örtlich  gebraucht 
wird.  Überall  wurde  mir  der  gleichlautende  Bescheid 
erteilt:  stets  bewahrt  actueilement  den  zeitlichen  Cha- 
rakter der  unmittelbaren  gegenwärtigen  Wirklichkeit,  Ich 
bin  bei  meinen  Bemühungen,  auch  nur  einmal  ein  in 
örtlicher  Beziehung  verwendetes  actueilement  zu  ent- 
decken, auf  eine  ganz  ähnliche  Wendung  gestoßen,  in 
der  actueilement  zweifellos  durchaus  in  dem  synonymen 
Sinne  von  pr^sentement  gebraucht  wird.  In  den  Obser- 
vations  des  Notables  vom  Jahre  1787  heißt  es  auf  S,  9: 
Le  Bureau  regarde  la  forme  actueilement  proposäe 
comme  inadmisslble.  Dies  actueilement  bezieht  sich  auf 
die  Denkschrift  über  die  Einrichtung  der  Provinzialver- 
sammlungen,  die  der  König  den  Notabein  eben  vorge- 
legt hatte. 

Hiilortsche  Zeitachdft  (97.  Bd,)  3,  Polg«  l.  Bd.  32 


490  H.  GUgau, 

Noch  eine  andere  Stelle  weist  darauf  hin,  daß  Sou- 
lavie  erst  nachträglich  die  Bemerkungen  in  das  Jahr  1788 
hat  verlegen  wollen  und  bei  dieser  Umwandlung  vergeß- 
lich oder  zu  wenig  umsichtig  gewesen  ist*  Denn  die 
Phrase,  die  er  Ludwig  XVI.  in  den  Mund  legt:  Les  iä^es 
de  Af.  Turgöt  sont  extr^memeni  dangereuses  et  doivent 
raidir  conire  leur  nouveaute*  (Soulavie  III,  152) 
paßte  wohl  in  das  Jahr  1776,  nimmermehr  aber  in  das 
Jahr  1788,  wo,  wie  wir  schon  oben  hervorgehoben  haben, 
ein  großer  Teil  der  Turgotschen  Ideen  vom  König  selbst 
in  die  Wirklichkeit  überführt  war. 

IV. 
Die  Randbemerkungen,  die  Ludwig  XVL  zum  Muni- 
zipalitäten entwarf  Turgots  gesetzt  haben  soll,  haben  sich 
als  Fälschung  des  Herausgebers  erweisen  lassen.  Dürfen 
wir  nach  dieser  Erfahrung  noch  an  die  Echtheit  der  zahl- 
reichen anderen  Bemerkungen  glauben,  die  Soulavie  als 
angeblich  von  Ludwig  stammende  Äußerungen  hier  und 
da  in  den  Me^moires  da  regne  de  Louis  XVI  eingestreut 
hat?  Manche  erwecken  von  vornherein  den  Eindruck 
eines  müßigen  Phantasiespiels,  das  der  Herausgeber  zur 
Unterhaltung  seiner  Leser  und  auch  wohl  zur  eigenen 
Belustigung  frei  erfunden  hat,  wie  z.  B.  die  Randbemer- 
kungen, die  der  König  1779  zum  Manifest  gesetzt  haben 
soll,  das  er  gemeinschaftlich  mit  Spanien  gegen  das  eng- 
lische Kabinett  richtete.^)  In  diesen  Bemerkungen  kriti- 
siert  Ludwig  XVL  aufs  schärfste  in  wesentlichen  Punkten 
den  tnhalt  des  Manifestes  und  fordert  eine  seinen  Gegen- 
vorschlägen entsprechende  Abänderung.  Ungeachtet 
dieses  Wunsches  jedoch  ist  das  Schriftstück,  wie  Sou- 
lavie selbst  zugeben  muß,  in  dem  Wortlaut,  in  dem  es 
Ludwig  vorgelegt  worden  war,  in  die  Welt  gegangen; 
ein  merkwürdiger  Umstand,  der  nach  Soulavies  Meinung 
seine  Erklärung  in  der  Willensschwäche  des  Monarchen 
gegenüber  den  Ministern  seine  Erklärung  findet  Nun 
ist  uns  aber  von   einem  angesehenen  Mitglied  des  Kabi- 


i 


')  Soulavie  IIl,  394  ff. 


\ 


Turgots  Sturz. 


491 


netts,  und  zwar  von  keinem  anderen  als  von  dem  Leiter 
der  auswärtigen  Politik  selbstj  von  Vergennes,  bezeugt, 
daß  der  König  den  Entwurf  zum  Manifest  schon  im 
August  1778  ausdrücklich  gebilligt  hat^)  Es  ist  ferner 
heute  festgestellt,  daß  der  Minister  des  Auswärtigen  in 
der  amerikanischen  Frage  mit  Ludwig  XVL  sich  im 
besten  Einvernehmen  befunden  hat.^)  Wir  werden  daher 
annehmen  müssen ,  daß  die  von  Soulavie  mitgeteilten 
Randbemerkungen^  die  wir  mit  den  eben  von  einwand- 
freien Zeugen  mitgeteilten  Tatsachen  nicht  vereinigen 
können,  ebenfalls  eine  Fälschung  sind. 

Nach  Auffindung  dieser  beiden  unechten  Fäden  zer- 
löst sich  das  ganze  Gewebe  von  Randbemerkungen,  in 
das  Soulavie  Ludwig  XVI.  gehüllt  hat,  wie  ein  luftiges 
Phantasiegespinst*  Zu  einem  solchen  Verdammungs- 
urteil in  Bausch  und  Bogen  wird  man  um  so  geneigter 
sein,  je  deutlicher  man  bei  einer  zusammenhängenden 
Betrachtung  der  vermeintlichen  ganz  persönlichen  Be- 
merkungen des  Monarchen  erkennt,  wie  sie  aus  einer 
Grundidee,  einem  Lieblingsgedanken,  den  Soulavie  mit 
großem  Eifer  verficht,  herfließen*  „Oä  ignore  äans  la 
soci^tä,''  sagt  er  einmal^),  „qu'il  (Louis  XVI)  renvoya  M, 
Turgöi,  Af.  de  Malesherbes,  M.  de  SL  Germain,  deux  fais 
M.  Necker,  M.  Caionne  et  M*  de  Lomänie,  parce  qu'il 
s'apperfHt  que  tes  plans  de  ces  äi/f^rents  personnages  ten- 
daient  ä  renverser  la  monarchie:  ii  apprdciait  par- 
faiiemeni  leurs  opärations  dans  des  mVmaires 


')  Vgl.  Henri  Doniol,  Hlstoire  de  la  pariicipaiwn  de  la  France 
ä  l'/tablissement  des  ätats-Unis  ä'ÄmMque  \\\  (1888),  817,  wo  auf 
Grund  der  Akten  des  Ministeriums  des  Auswärtigen  in  Paris  lol- 
gende  Mitteilung  gemacht  wird:  ^Lt  manifeste  .  -  .  avait 4U ridigi 
au  commencement  d'aoät  1778  dans  touie  la  par  He  qui  se  rapparie 
atix  faits  accamplis  avant  cette  date,  La  capie  en  fui  envay^e  ä 
Madrid  par  le  courrier  du  15  aoüt^  minute  corrig^e  et  compHiie 
de  la  main  de  M.  de  Vergennes ;  en  marge  ce  minisire  avait  ^crtt : 
ßLu  au  rot  et  approuviS  A  quelques  ej^pressions  pris,  l'im- 
prim^  est  identique  ä  cette  minute" 

»)  Vgl  H,  Doniol  a.  a.  O.  H,  S20  den  Brief  Vergennes'  an 
Montmorin  vom  10,  März  1778. 

*>  Soulavie  11.  54. 

32* 


in 


H.  Glägau^ 


pariiculiires.    Je   demontre   dans   cet    üuprage 


^bie 


€ftte  pendant  l' aveugl^ment  incomprehensi 
de  ces  ministres,  le  rai  seul  reconnui  de  loin 
les  destin^es  ei  ta  ruine  de  la  France.  II  avait  an 
esprii  de  pr^voyance  dont  furent  d^pourvus  les  ministres 
pr^cites,  auteurs  principaux  de  ses  maikeurs," 

Das  Vorbild,  nach  welchem  Soulavie  diesen  angeb- 
lichen heimlichen  Widerstreit  zwischen  Ludwig  XVl.  und 
seinen  Ministern  sich  zurechtlegte,  ist  leicht  aufzufinden. 
Wir  brauchen  nur  an  den  Vorgänger  des  Königs,  an  Lud- 
wig XV.j  zu  denken^  der  bekanntlich  neben  der  amt- 
lichen Diplomatie  außeramtliche  Vertreter  ohne  Vor- 
wissen seiner  Minister  an  den  meisten  fremden  Höfen 
unterhielt,  mit  denen  er  in  geheimer  Verbindung  stand. 
Für  diese  Hintertreppenpolitik,  deren  Bedeutung  oft  über- 
schätzt worden  ist,  hat  man  ein  romanhaftes  Schlagwort: 
Le  Secret  du  Roi  geprägt-  Wie  nahe  lag  es  gerade  für 
Soulavie,  der  die  Alcten,  die  das  königliche  Geheimnis 
offenbarten,  zuerst  entdeckt  und  veröffentlicht  hatte,  bei 
dem  Enkel  Ludwigs  XV*  einen  ähnlichen  Doppelsinn  in 
der  politischen  Haltung  zu  konstruieren,  eine  Erfindung, 
der  von  den  Zeitgenossen  und  der  Nachweit  um  so 
leichter  Glauben  geschenkt  wurde,  da  Ludwig  XVL  wie 
seinem  Großvater  eine  gewisse  Neigung  zu  heuchlerischer 
Verstellung  zweifellos  eigen  war,  fn  seinen  Fälschungen 
steigerte  und  vergröberte  Soulavie  diese  Tendenz  im 
Charakter  des  jungen  Monarchen  nicht  nur  bis  zur 
fratzenhaften  Karikatur,  er  fügte  auch  dem  überlieferten 
Bilde  einen  völlig  fremden  Wesenszug  hinzu,  indem  er 
Ludwig  XVL  eine  weit  vorausschauende  prophetische 
Begabung  beilegte.  Obwohl  der  König  das  Unheil,  das 
die  Reformminister  mit  ihren  Neuerungen  über  Frank- 
reich heraufbeschworenj  hellseherisch  geahntj  habe  er  nicht 
die  Willenskraft  gehabt^  ihnen  entgegenzutreten.  Er  habe 
sie  vielmehr  gewähren  lassen  und  sich  damit  begnügt, 
ihre  Vorschläge  einer  scharfen  Kritik  im  verborgenen 
zu  unterwerfen. 

Aber  nicht  nur  in  längeren  Randbemerkungen  soll 
Ludwig   seine   geheimsten    Überzeugungen    niedergelegt 


I 


I 


Turgots  Stur2. 


4*>3 


haben,  er  soll  auch  einmal  eine  größere  Abhandlung,  eine 
ausgeführte  Charakteristik  des  Herzogs  von  Choiseul 
gegen  Ende  des  Jahres  1777  eigenhändig  entworfen  und 
hierbei  die  Tätigkeit  des  früheren  Ministerpräsidenten 
einer  einschneidenden,  schonungslosen  Beurteilung  unter- 
worfen haben, ^)  Daß  es  sich  bei  diesem  Aktenstück 
wieder  um  eine  Fälschung  Soulavies  handelt,  das  muß 
demjenigen  höchst  wahrscheinlich  sein,  der  einerseits  die 
Grundzüge  der  auswärtigen  Politik  des  Königs,  ander- 
seits den  Haß  des  Herausgebers  gegen  Choiseul  und 
die  Freunde  des  österreichischen  Einflusses  in  Frankreich 
kennt.^)  Auch  hier  kann  man  die  Absicht  des  Fälschers 
erkennen,  Ludwig  XVL  Ideen  unterzuschieben,  die  ihm 
fremd  geblieben  und  offenbar  der  parteipolitischen  An- 
schauungsweise Faviers  und  seiner  Gesinnungsgenossen 
entsprangen,  in  deren  Dienst  Soulavie  seine  Feder  ge- 
stellt hatte.     Denn   bei   aller  vorsichtigen  Zurückhaltung, 

^)  SouJavie  I,  66  ff* :  Portrait  da  duc  de  Choiseul  icrit  vers 
La  fin  de  1777  de  la  maiti   de  Louis  XV!  et  copii  sur  ses  papiers. 

')  Es  tst  zu  bedauern,  daß  Wahl  in  seiner  Vorgeschichte  der 
Revolution  {Tübingen  1^5)  sowohl  einige  Randbemerkungen  (S.  271) 
als  auch  das  oben  angeführte  Porträt  ChoiseuLs  (S,  36)  als  lautere 
Quellen  ansieht  und  benutzt.  Auch  zieht  er  ohne  nähere  Prüfung 
die  von  Soulavie  verolfentlichten  Denkschriften  (so  z.  B.  betm 
Sturz  Neckers  S*  271  IL)  als  Quellen  von  ^unschätzbarem"  Werte 
heran.  Das  dürfte  aber  nur  geschehen,  wenn  er,  wie  Flammer- 
mont  das  in  mustergültiger  Weise  in  einem  Fall  getan  hat  (siehe 
seinen  Aufsatz  über  das  zweite  Ministerium  Neckers  in  der  Revue 
hisiorique  Bd.  46  [1891],  S.  10  Anm.)  gezeigt  hätte,  daß  der  Inhalt 
der  von  ihm  im  obigen  Fall  benutzten  Briefe  Vergennes'  durch 
zweifelsfreie  Quellen  genugsam  bestätigt  wird.  Gilt  doch  für  einen 
so  geriebenen  Fälscher  wie  Soulavie  die  Horazische  Mahnung: 
Et  Incedis  per  ignes  supposiios  cineri  dolos o.  Echte  Stücke  sind 
mit  unechten  in  bunter  Folge  gemischt.  Während  z.  B.  die  Denk- 
schrift Calonnes  (Memoire  de  Catonne  ä  Louis  XVI) j  die  Soulavie 
im  6.  Bande  seines  Werkes  S.  117 — 119  wiedergibt,  höchst  wahr- 
schemlich  gefälscht  istj  kann  die  unmittelbar  darauf  folgende 
Denkschrift  desselben  Ministers  (Soulavie  VI,  120  ff.  M/moire  de 
Catonne  sur  ta  nefcessit^  d-assembler  ies  Notables)  unbedingt  als 
echt  angesehen  werden.  Denn  die  Urschrift  findet  sich  noch 
heute  im  Pariser  National archiv.  Ein  Vergleich,  den  ich  dort  mit 
Soulavies  Abdruck  vornahm^  zeigte  mir  allerdings,  daß  dieser 
zwar  unvollständig,  aber  im  übrigen  wortgetreu  ist. 


494  H,  Olagau, 

die  der  junge  König  gegenüber  dem  damals  weit  um 
sich  greilenden  habsburgischen  Ehrgeiz  übte,  blieb  er 
weit  von  dem  Gedanken  entfernt,  in  Österreich  den  Erb- 
feind Frankreichs  —  notre  ennemie  naturelle,  wie  es  in 
der  Denkschrilt  heißt,  die  Soulavie  Ludwig XVI.  zuschreibt, 
—  zu  erblicken  und  planmäßig  auf  ein  Bündnis  mit 
Friedrich  dem  Großen  auszugehen. 

Man  verzeihe  mir  diese  Abschweifung»  die  uns  von 
unserer  eigentlichen  Aufgabe,  der  Erforschung  der  Ur- 
sachen, die  den  Sturz  Turgots  herbeigeführt  haben,  ent- 
fernt hat.  Allein  der  Abstecher  erschien  mir  notwendig» 
um  vor  der  Benutzung  einer  unlauteren  Quelle  zu  warnen, 
die,  wie  wir  ja  zur  Genüge  oben  erfahren  haben,  den 
Biographen  Ludwigs  XVL  auf  recht  bedenkliche  Abwege 
locken  kann. 

V. 

Wir  haben  im  ersten  Teil  unserer  Untersuchung  ge- 
zeigt, daß  die  Quelle,  auf  die  man  eine  neue  Ansicht 
von  den  Ursachen,  die  zum  Sturze  Turgots  geführt  haben 
sollen,  gründen  wollte,  unbrauchbar  ist*  Wir  wenden  uns 
nunmehr  den  zweifellos  echten  Quellen  zu,  um  an  ihrer 
Hand  eine  Reihe  von  Fragen  zu  prüfen,  die  nicht  nur 
für  das  einzelne  Ereignis,  den  Fall  des  Reformministers, 
sondern  für  die  Geschichte  Frankreichs  im  Zeitalter  der 
Reformbewegung  überhaupt  von  einschneidender  Bedeu* 
tung  sind.  Zunächst  wird  uns  die  Frage  beschäftigen: 
Inwieweit  ist  die  Königin  Marie  Antoinette  am  Sturz 
Turgots  beteiligt?  Ist  sie,  wie  viele  versichern,  die  Haupt- 
schuldige^) oder,  wie  man  jüngst  behauptet  hat,  ganz  frei-» 
zusprechen?^) 

*)  GeHroy  behauptet  in  der  Einleitung  der  mit  Ameth  ver- 
offen Hiebt  eti  Correspanäance  secrite  entre  Marie- Thdrisi  et  le  comte 
de  Mercy-Argenteau  von  Marie  Antoinette :  eile  faisait  renyoyer 
Target  et  Malesherbes.  Noch  schärfer  drückt  sich  P,  Foncin  in 
der  vonLavi&se  undRambaud  herausgegebenen  Histoirt  Q^närale 
VII,  626  aus:  MaiB  le  viritable  auteur  de  lü  äisgräce  de  Turg&t 
fut  Marie- A  n  toin  ette, 

»)  Wahl,  Vorgeschichte   der  Revolution   S-363;    ^Daß   Marie 
Antoinette  an  Turgots  Sturz   vollkommen   unschuldig  ist 
geht  aus  folgendem  hervor"  usw. 


^ 


I 


i 


Turgotfi  Sturz, 


4% 


Während  die  Ankläger  der  Königin  sich  auf  das 
Zeugnis  Mercys  berulen,  stützt  Wahl  seine  Auffassung 
auf  eine  Äußerung  Marie  Antoinettes  und  auf  die  von 
Knies  veröffentlichten  Berichte  Du  Ponts.^)  ^Marie  Antoi- 
nette  selbst,"  sagt  Wahl,  ^hat  schon  am  15.  Mai  1776  an 
Maria  Theresia  ausdrücklich  geleugnet^  daß  sie  sich  um  die 
Entlassung  Turgots  und  Malesherbes'  bemüht  habe:  je 
ne  SUIS  pas  fdchäe  de  ces  diparts^  mais  je  ne  m'en 
suis  pas  miläe.  Sie  hält  das  auch  in  einem  späteren 
Briefe  aufrecht.  Schon  das  ist  ein  Zeugnis  von  nicht 
geringem  Gewicht,  wenn  sich  auch  allenfalls 
annehmen  ließe,  daß  die  junge  Königin  aus 
Furcht  vor  einer  der  Wiener  Strafpredigten 
hier  eine  Unwahrheit  gesagt  habe***  Mit  gutem 
Grunde  hat  man  bisher  angenommen,  daß  Marie  Antoi- 
nette  hier  ihrer  Mutter  die  Wahrheit  zu  verschleiern 
sucht.  Auch  Wahl  hält  das  für  möglich.  Wie  darf  er 
uns  dann  aber,  ohne  mit  sich  selbst  in  Widerspruch  zu 
geraten,  eine  so  verdächtige  Belegstelle  als  „Zeugnis 
von  nicht  geringem  Gewicht"  anpreisen? 

Entscheidend  für  Marie  Antoinettes  Unschuld  sind 
für  Wahl  vor  allem  Du  Ponts  Ausführungen:  S^ii  Pont 
de  Nemours'  ausgezeichneter  Bericht  an  Karl  Ludwig  von 
Baden,  der  eine  votlständig  lückenlose  Darstellung  von 
Turgots  Sturz  bietet,  weiß  absolut  nichts  von  einer  Ein- 
mischung der  Königin.  Es  ist  vollständig  unerfindlich, 
wie  er  einerseits  darüber  hatte  ununterrichtet  bleiben 
können,  warum  er  anderseits,  hätte  er  darum  gewußt, 
davon  hätte  schweigen  sollen.**  Ein  solches  argumen- 
tum ex  sUentio  ist  an  sich  schon  ein  recht  gewagtes 
Beweismittel;  in  unserm  Falle  aber  hat  es  keine  zwingende 
Kraft  Denn  einmal  ist  zu  berücksichtigen,  daß  Du  Pont 
nicht  wie  z,  B,  Mercy  unmittelbar  unter  dem  frischen 
Eindruck  der  Ereignisse  schreibt,  sondern  erst  sieben 
Jahre  später  aus  der  Erinnerung,  die  hier  und  da  sichtlich 
verblaßt  ist.     Dann  aber  leitet  seine  Feder  offenbar  vor* 


*)  S.  KnieSj  Karl  Friedrichs  von  Baden  brieflicher  Verkehr 
mit  MJrabe&u  und  Du  Font  fl,  354—373, 


m  H.  Gkgau, 

sichtige  Zurückhaltung  gegenüber  dem  erlauchten  Adres- 
saten. Die  Angelegenheit  des  Grafen  Guines,  in  die  sich 
Turgot  zum  Verdruß  Marie  Antoinettes  mischte  und  die 
dem  Generalkontrolleur  ihre  Ungnade  zuzog,  war  Du 
Pont  gewiß  noch  gegenwärtig;  aber  er  streift  sie  nur 
flüchtig^)  und  vermeidet  geflissentlich,  auf  sie  einzugehen, 
offenbar  um  die  Königin  zu  schonen.  Daß  er  mehr  weiß, 
als  er  sagen  möchte,  das  zeigt  aufs  deutlichste  eine  ver- 
schleierte Anspielung,  die  nicht,  wie  Wahl  will,  auf  dtn 
Großsiegelbewahrer  Miromesnil»  sondern  nur  auf  die  Um- 
gebung der  Königin  bezogen  werden  kann.-)  Du  Pont 
hatte  Rücksichten  zu  nehmen*  Um  das  zu  begreifeiij 
braucht  man  sich  nur  daran  zu  erinnern,  daß  er,  als  er 
seine  Berichte  abfaßte,  wieder  im  französischen  Staats- 
dienste stand  und  zu  dem  leitenden  Minister  Vergennes 
enge  Beziehungen  hatte. 

Immerhin  hätte  Wahl  ein  bestimmteres  Zeugnis  als 
Du  Ponts  verdächtiges  Schweigen  für  die  Unschuld  der 
iungen  Königin  ins  Feld  führen  können.  Es  scheint  ihm 
wie  so  manchem  seiner  Vorgänger  unbekannt  zu  sein. 
Ich  meine  den  von  den  Historikern  sehr  vernachlässigten, 
aber  für  die  Vorgeschichte  von  Turgots  Fall  recht  lehr- 
reichen Brief,  den  Condorcet  am  12.  Juni  1776  an  Vol- 
taire gerichtet  hat.^)  Auch  hier  wird  Maurepas  als  der 
alleinige  Anstifter  der  Entlassung  Turgots  hingestellt  und 
ausdrücklich  hervorgehoben,  daß  Marie  Antoinette  sich 
gegen   den  Versuch    des  Ministers,   auf  sie  die   Verant- 

^)  Nur  in  einer  Anmerkung,  vgl.  Knies  II,  367. 

')  Knies  II.  371 :  On  voyait  alors  diminuer  paar  une  ceußle 
äe  jours  ia  fermeniation  de  teur  campagnle  (d.  h.  des  Pariser  Par- 
laments). Mais  ä'autres  inspiratianSf  pariies  dt  Ver^ 
sailles  et  plus  pitissa nies ,  venaient  hkntöt  r^veüler  tes 
animüsites  et  ieur  rendre  te  courage.  Daß  diese  Hindeutüng  auf 
die  Königin  selbst  notwendig  bezogen  werden  müßte,  behaupte 
ich  nicht  Sie  könnte  auch  ebensogut  auf  den  Prinzen  Conti  oder 
auf  den  Grafen  Provence  oder  auf  Personen  aus  der  engeren 
Umgebung  der  Königin  wie  die  Gräfin  Polignac  gemünzt  sein. 
Jedenfalls  sind  höfische  Einflüsse  gememt,  und  was  hier  für  uns 
die  Hauptsache  ist^  der  Briefsteller  will  nicht  recht  mit  der  Sprache 
heraus. 

»)  S.  (Eavres  äe  Cmdonet  (id.  Arago)  I,  115— 123. 


\ 


w 


Turgots  Sttirz. 


497 


wortung  vor  der  Otfentiichkeit  zu  wälzen,  mit  Entschieden- 
heit verwahrt  habe.  Zugegeben  wird  freilich,  daß  auch 
die  Königin  zu  den  Feinden  Turgots  gehört  und  seine 
Abdankung  gewünscht  habe^  wenn  sie  auch  mit  der  Form, 
die  von  Maurepas  gewählt  wurde,  nicht  einverstanden 
war,^)  In  Condorcets  Erzählung  steckt  ein  wahrer  Kern, 
wie  wir  noch  unten  sehen  werden,  aber  auch  eine  Reihe 
von  Irrtümern,  die  zeigen,  daß  er  über  die  Rolle  der 
Königin  nicht  genügend  unterrichtet  ist.  So  kennt  er 
nicht  den  eigentlichen  Anlaß,  der  zur  Abberufung  des 
Grafen  Guines  führte,  und  ebensowenig  weiß  er,  daß 
Marie  Antoinette  und  nicht  Maurepas  die  Erhebung  ihres 
Günstlings  in  den  flerzogsrang  bewirkte.  Dagegen  ist 
er  wie  sein  politischer  Freund  und  Mitarbeiter  Du  Pont 
in  die  Absichten  Turgots  und  in  die  Verhältnisse  der 
Reformpartei  tief  eingeweiht  und  in  dieser  Hinsicht  ein 
sehr  verläßlicher  Zeuge*  Allein  den  Vorgängen,  die  sich 
in  jenen  Tagen  im  Schloß  zu  Versailles  abspielten,  haben 
die  Häupter  der  Physiokraten  zu  fern  gestanden.  Darüber 
vermag  uns  dank  seiner  bevorzugten  Stellung  allein 
Mercy  Auskunft  zu  geben.  Als  vertrauter  Berater  der 
jungen  Königin  wußte  er  wie  kein  anderer  über  ihre  Ge- 
sinnung und  Haltung  Bescheid. 

Merkwürdigerweise  sind  die  beiden  Hauptberichte, 
in  denen  der  österreichische  Botschafter  in  eingehender 
Darstellung  die  Vorgeschichte  von  Turgots  Sturz  schil- 
dert, bis  au!  den  heutigen  Tag  so  gut  wie  unbekannt 
geblieben^)    Man   beruft  sich  stets   nur  auf  die  Brieie, 


')  Selbst  GeHroy  erwähnt  den  Bericht  vom  13.  April  1776 
gar  nicht,  und  von  dem  Bericht  vom  16.  Mai  gibt  er  einen  sehr 
kärgtichen  Auszug  (11,  442  Anm.  3).  Die  Darstellung,  die  Geffroy 
in  der  Einleitung  (J^  S.  XL IX  iL)  vom  Sturze  Turgots  gibt,  zeigt 
übrigens,  daß  er  die  deutsch  abgefaßten  ,,Einberlchtungen'^  Mercys 
nicht  gründlich  benutzt  hat;  sonst  hätte  er  nicht  so  viele  Irrtümer 
darin  vorbringen  können.  Ich  denke  die  beiden  deutsch  abge- 
faßten Berichte  Mercys  vom  13.  April  und  16.  Mai  1776  wegen 
ihres  hohen  Quellenwertes  im  Anhang  der  Arbeit,  die  ich  den 
Reformversuchen  unter  Ludwig  XVL  widmen  werdCi  demnächst 
zu  veröffentlichen. 


i 


498  R  Glagau, 

die  Mercy  am  13,  April  und  16.  Mai  1776  an  Maria 
Theresia  richtete \)»  obwohl  in  diesen  ausdrücklich  jedes- 
mal auf  die  Hauptberichte  verwiesen  wird.  Eben  die  sog. 
däpäches  d'office,  die  in  deutscher  Sprache  abgefa0t  und 
für  den  Staatskanzler  Kaunitz  bestimmt  waren,  beschäftigen 
sich  mit  der  politischen  Rolle  der  Königin^  während  in  den 
an  die  Kaiserin-Mutter  gerichteten  vertraulichen  Briefen 
mehr  die  privaten  und  persönlichen  Verhältnisse  Marie 
Antoinettes  erörtert  werden*^)  Wollen  wir  uns  also  über 
den  Anteil  der  Königin  an  den  wichtigeren  politischen 
Begebenheiten  wie  an  dem  Fall  Turgots  unterrichten,  so 
dürfen  wir  nicht  bei  Mercy s  Briefen  an  Maria  Theresia 
stehen  bleiben,  sondern  werden  auf  die  großen  Staats- 
depeschen zurückzugreifen  haben. 


^)  Arneth-Geffroy  II,  434—449, 

')  Vgl  hierzu  die  vortreffliche  Einleitung  S.  LXXXI  f.»  die 
J*  Flammermont  der  mit  Arneth  veröffentlichten  Korrespondenit 
Mercy s  (Paris  1889)  vorausgeschickt  hat.  Hier  wird  auf  das  Pro* 
gramm  hingewiesen^  das  Mercy  bei  der  stofflichen  Einteilung  der 
Korrespondenz  befolgte:  ^Tout  et  gut  Hent  au  personnet  de  ia 
Reine  äevienära  la  matUre  de  mes  ires  humbles  rapports  (secrets), 
La  cünäuiie  de  la  Reine  en  tant  qu'elle  pourra  inßuer  dans  les 
otjets  majeurs  ^tani  du  ressort  de  la  politiifue  et  pouvant  de%*enir 
utile  aux  combinatsons  qm'eiie  exige^  il  parait  convenir  au  bien 
da  Service  que  cette  partie  se  trouve  diduiie  dans  mes  d^piches 
d*üffice.*  Demnach  hat  der  Historiker  auf  diese  das  Hauptge* 
wicht  zu  legen^  was  leider  bisher  versäumt  worden  ist.  Flammcr- 
montj  der  die  wichtigen  deutschen  Depeschen  Mercys  In  einer 
umfangreichen  Publikation^  die  den  Titel  führen  sollte :  Correspon' 
da  nee  des  ambassadeurs  imp/riaux  en  France  au  XVII  l*  siicte 
(CoUectlon  des  documents  in^dits  sur  Vhistoire  de  France)  ver* 
öffenüichen  wollte^  ist  leider  vor  der  Vollendung  des  Werkes  ge- 
storben. —  Wahl  sucht  das  Ansehen,  in  dem  Mercy  als  gut  unter- 
richteter sachlicher  Berichterstatter  bisher  allgemein  gestanden 
hatf  zu  erschüttern  {s.  seine  dahin  zielenden  Bemerkungen  auf 
5.  364  u.  259  Anm.  1).  Im  Gegensatz  zu  Flammermont  hält  er 
ihn  für  ^lange  nicht  so  zuverlässig,  wie  vielfach  angenomnien 
wurde''  und  für  „nicht  sehr  genau  informiert".  Ich  sehe  nicht, 
daß  Wahl  dieses  Urteil  irgendwie  begründet  Gerade  in  der  Frage 
über  Turgots  Sturz,  wo  er  diesen  Vorwurf  erhebt,  Ist  Wahl  der 
schlecht  informierte^  da  er  von  den  hauptsächlich  in  Betracht 
kommenden  Berichten  Mercys^  trotzdem  er  von  ihrem  Dasein 
wußte«  nicht  Kenntnis  genommen  hat. 


\ 


i 


Turgots  Sturz. 


499 


Wie  Mercy  in  früheren  Berichten  des  öfteren  fest- 
stellte i),  war  das  Verhältnis  Marie  Antoinettes  zu  Turgot 
stets  sehr  kühl^  obwohl  sich  dieser,  wie  er  dem  Bot- 
schafter wohl  zu  verstehen  gab,  redlich  um  die  Gunst 
der  Königin  bemühte.  Mit  der  größten  Bereitwilliglteit 
kam  der  sonst  so  sparsame  Generalkontrolleur  ihrem 
Wunsche,  ihre  Schatullengelder  zu  erhöhen,  entgegen. 
In  der  zuvorkommendsten  Weise  spendete  er,  obwohl  er 
fest  entschlossen  war,  dem  Gnadenunwesen,  das  in  Ver- 
sailles herrschte,  den  Garaus  zu  machen,  für  einen 
Schützling  der  Königin  eine  sehr  hohe  Summe, ^)  Turgot 
wußte  mit  dem  großen  Einfluß  zu  rechnen,  den  Marie 
Antoinette  ja  leider  in  den  wichtigeren  Personalfragen 
zu  üben  suchte.  Um  ihrem  Machtgefühl  zu  schmeicheln, 
ließ  er  ihr  durch  Mercys  Vermittlung  seine  Minister- 
kandidaten  wie  Malesherbes  und  St.  Germain  dringend 
empfehlen,^)  Allerdings  war  er  dann  auch  entschieden 
genug,  um  wider  den  Willen  der  Königin  bei  Ludwig  XVf. 
seinen  Wunsch  durchzusetzen,  was  jene  als  schwere 
Kränkung  empfand,*) 


*)  Mercy   an  Kaunitz   den  17.  juli  1775  (Wiener  Archiv)  und 

am  18.  September  1775  (Wien.  A.),  wo  es  heißt:  .Dem  redlichen 
CantrdUur  g^n^rai  geht  es  nicht  so  vergnüglich  von  Statten.  Die 
Königin  empfängt  ihn  Immer  sehr  kaltsinnig,  und  ist  er  der  ein* 
zige  t>ei  IHoie,  der  solches  nicht  merkt.** 

*)  Arneth-Geüroy  II,  249,  vgl.  auch  H,  241,  337. 

»)  Mercy  an  Kaunitx  den  17.  Juli  1775  und  den  19.  Okt.  1775. 

*)  Nach  dem  Willen  der  Königin,  die  von  den  Parteigängern 
des  Herzogs  von  Choiseul  angetrieben  wurde,  sollte  nicht  Mates- 
herbes, sondern  der  Marineminister  Sartine  Minister  des  könig- 
lichen Hauses  werden,  worauf  Turgot  nicht  einzugehen  vermochte, 
da  in  diesem  Fall  die  von  ihm  im  königlichen  Hofstaat  geplanten 
Reformen  nicht  durchgeführt  worden  waren.  Diese  Besorgnis 
setzte  Turgot  selbst  dem  Grafen  Mercy  in  einem  vertraulichen 
Gespräch  auseinander^  um  durch  Vermittlung  des  Gesandten  den 
Unwillen  der  Königin  zu  beschworen:  j,Es  hat  der  Herr  Contrdleur 
ginirat  mir  sein  Verlangen,  mit  mir  zu  sprechen,  zu  wissen  ge- 
macht und  mich  zugleich  ersuchet,  an  einem  dritten  Ort  mit  ihm 
zu  Mittag  speisen  zu  wollen*  Da  ich  mich  nun  am  29.»  vorigen 
Monats  (d*  i.  Juni  1775)  dahin  verfüget,  hat  er  nach  aufgehobener 
Tafel  mich  nebst  dem  Herrn  Abb<5  de  V^ry  auf  die  Seiten  ge- 
zogen und  nach  einem  kurzen  Einleitungskompliment  die  abseiten 


500  H.  Giagau» 

Mercy  seinerseits  gab  sich  die  größte  Mühe,  um  seine 
unerfahrene   Schutzbefohlene    den   Reformabsichten  Tur-^ 
gots  und  Malesherbes'  günstig  zu  stimmen.     Es   ist   das  ™ 
Verdienst   des   vielverleumdeten   Vorlesers   der    Königin, 
des  Abb^  Vermond,  daß  er  als  Jugendfreund  des  General- 
kontrolleurs   und  geheimer  Anhänger    der   Reformpartei  ^ 
den  Gesandten    auf   die  Bedeutung   der   Besserungsvor-  H 
schlage  Turgots  hinwies.   Mit  unablässigem  Eifer  warnten  ^ 
Mercy  und  Vermond  die  junge  Königin,   sich  nicht  zum 
Unheil  des   Staates  von   den   Höftingen    gegen    die  von 
den    besten  Absichten    geleiteten    Minister    mißbrauchen 
zu   lassen*     Es   war  vergebens:    immer  wieder    unterlag 
Marie   Antoinette    den   Einflüssen    ihrer  Umgebung,    die 
mit  wenigen  Ausnahmen  aus  geschworenen  Gegnern  der 
Reformpartei  bestand  und  alles  aufbot,    um    die  Königin 
gegen  Turgot  und  Malesherbes  aufzubringen,  fl 

So  war  es  kein  Wunder,  daß  Mercy  in  jenen  kriti- 
schen Tagen,  wo  der  Generalkontrolleur  die  sechs  Re- 
formedikte   dem   Pariser  Parlament    unterbreitete,    Marie 


der  Königin  zum  Behuf  des  M.  de  Sartine  gemachte  ScKritte  er* 

zählet.  Sodann  hat  er  mir  sein  Vorhaben,  bei  der  königlichen 
Hofstatt  große  Ersparungsmittel  einzuführen,  eröffnet,  welche  er 
nur  alsdann  würde  durchbringen  können^  wenn  das  Departement 
des  Hofes  in  den  Händen  eines  Ministers  sein  wurde,  auf  dessen 
Redlichkeit  und  getreue  Beiwirkung  er  sichere  Rechnung  machen 
könnte.  Diesem  fügte  er  hinzu,  daß  der  Hof  abermalen  abseilen 
der  Parlamente  offenbare  Widersetzlichkeiten  zu  besorgen  hättet 
und  würde  es  in  diesem  Falle  höchstnötig  sein,  bei  dem  Departe- 
ment der  Stadt  Paris  einen  standhaften  und  bei  dem  Fubliko 
wohlangesehenen  Mann  zu  haben.  Nun  aber  wäre  M,  de  Sartine 
bei  weitem  nicht  derjenige,  der  sich  zu  ebenbesagten  zwei  Fällen 
schicke.  Zudem  wäre  er  mit  ihm  wegen  der  Polizei  des  Getreide- 
wesens einer  ganz  entgegenen  Meinung.  Mithin  würden  sie  neben- 
einander nimmermehr  etwas  Gutes  stiften  können.  Schließlichen 
bedauerte  er  um  so  mehr,  daß  die  Königin  sich  so  sehr  zu  Gunsten 
des  besagten  M,  de  Sartine  hätte  einnehmen  lassen,  da  es  sicher 
vorzusehen  wäre,  daß  von  dem  Äugenblick  an,  da  eben  ernannter 
Minister  das  anhoffende  Departement  an  sich  würde  gebracht 
haben,  der  Geist  der  Intrlgue  den  Hof  und  das  Ministerium  über- 
ziehen und  die  Verwirrung  der  vorigen  Regierung  wiederhervor- 
bringen würde,**  Mercy  an  Kaunltz  den  17.  Juli  1775.  Wiener 
Archiv. 


I 


Turgots  Sturz. 


50t 


Antoinette  sehr  eingenommen  gegen  die  Edikte  fand- 
Sowohl  der  Anhang  des  Herzogs  von  Choiseul,  der  das 
Ministerium  zu  stürzen  trachtete,  als  auch  der  Gral 
Maurepas  hatten  bei  der  Königin  gegen  Turgots  Werk 
Stimmung  gemacht. i)  Und  diese  hatte  sogleich  ihren 
Gemahl  gewarnt,  nicht  zu  eilfertig  zu  Werke  zu  gehen. 
Dabei  gestand  sie  Mercy  offenherzig,  daß  sie  von  dem 
fnhalt  der  Edikte  keine  Ahnung  habe  und  *, davon  nur 
nach  dem  ihr  zugekommenen  gemeinen  Ruf  urteile",  ein 
Bekenntnis,  das  auf  ihre  unbesonnene,  politisch  unsach- 
liche Gesinnung  ein  grelles  Licht  wirft. ^) 

War  Marie  Antoinette  schon  vor  dem  Ausbruch  der 
Ministerkrisis  auf  Turgot  schlecht  zu  sprechen,  so  wuchs 
ihre  Abneigung  zu  leidenschaftlichem  Haß,  als  sie  erfuhr, 
daß  sie  die  Abberufung  ihres  Gunstlings,  des  Grafen 
Guines,  vornehmlich  den  Bemühungen  des  General- 
kontrolleurs zuzuschreiben  habe.  Wir  dürfen  wohl  hier 
die  näheren  Umstände  der  Affäre  Guines,  für  die  auch 
die  Depesche  Mercys  vom  16.  Mai  manche  interessante 
Einzelheiten  beibringt,  als  genugsam  bekannt  voraus- 
setzen. Daß  die  Königin  von  ihrer  Umgebung  irrege- 
führt wurde,  daß  der  Botschafter  nicht  das  Opfer  einer 
Kabale  war,  sondern  aus  sachlichen  Erwägungen  als 
durchaus  ungeeignet  für  den  wichtigen  Londoner  Posten 
entfernt  werden  mußte,  darüber  kann  heute  kein  Zweifel 
mehr   bestehen^),   und   ebensowenig   darüber,    daß   sich 

^)  Daß  er  in  dieser  Angeiegenheit  sehr  wenig  auf  Maurepas* 
Unterstützung  rechnen  durfte,  wußte  Turgot  sehr  wohL  Man  ent- 
nimmt das  aus  seinem  Briefe  an  Ludwig  XVL  vom  30.  April  1776, 
wo  es  von  Maurepas  heißt:  Jt  Vai  vu  changer  dix  fois  d^idäe  sar 
le  Itt  de  justice  t  salvant  gu*il  vayait  au  M.  le  gar  de  des  sceaax, 
QU  M,  Albert  Üeutenant  de  police^  ou  moL  C'est  cette  malheureuse 
incerUtude  dont  le  parle ment  ätatt  fideiement  instruit  qui  a  tant 
proiongä  la  re'slstance  de  ce  carps.  Si  Vabb^  de  Väri  n^avait  pas 
coniribue  ä  fortifler  san  ami,  Je  ne  serais  paint  /tonne  qti'U  eüi 
töut  abandonni  et  conseill/  ä  Votre  Majest/  de  c/der  au  partemenL 
Larcy,  Louis  XVI  et  Turgot  im  Correspondant  Bd.  32,  S.  878. 

*)  Dies  sowie  das  Folgende  gründet  sich  aui  Mercys  Bericht 
vom  13.  April  1776. 

^)  Um  die  Aufklärung  der  Affäre  Guines  haben  sich  die 
franzöiischen  Forscher  Jobez  (La  France  soits  Louis  XVI  [Paris 


5oa 


K,  Glagiu, 


der  schwache  König  von  seiner  leidenschaftlich  erregten 
Gemahlin  mißbrauchen  ließ,  als  er  trotz  besseren  Wissens 
den  angeblich  in  seiner  Ehre  gekränkten  Grafen  Guines 
mit  einer  hohen  Auszeichnung  bedachte»  die  Ludwig  XVK 
in  dem  auffallendsten  Widerspruch  mit  seinen  früheren 
Handlungen  und  mit  den  Beschlüssen  seines  Ministe- 
riums erscheinen  ließ.  Für  uns  aber  kommt  es  vor 
allem  hier  auf  die  Erörterung  der  Frage  an:  In  welchem 
Zusammenhang  steht  die  Entlassung  Turgots  mit  der 
Affäre  Guines?  Ist  wirklich  wahr^  was  die  Historiker 
fast  einmütig  behaupten,  daß  Marie  Antoinette  nicht  nur 
die  Auszeichnung  des  abberufenen  Gesandten,  sondern 
auch  die  Abdankung  des  Generalkontrolteurs  als  Strafe 
für  das  Vorgehen  gegen  ihren  Günstling  durchsetzte? 

Schon  die  Zeitgenossen  brachten  beide  Ereignisse 
in  die  innigste  Verbindung,  so  z,  B,  die  Herzogin  von 
Choiseul  in  einem  Brief  an  Madame  Du  Deffand,  in  dem 
sich  der  pathetische  Ausruf  findet:  fai  iU^  comme  vous^ 
iransporÜe  de  Jaie  du  triomphe  de  M.  de  Guines;  je 
iroave  que  la  disgräce  des  deux  minisires  (Malesherbes 
und  Turgot)  qui  l'a  accampagnä  le  fait  ressembler  aux 
inompkaieurs  romainSi  qui  trainaieni  leurs  esclaves  ä 
leur  suiie,*^^)  Und  ähnlich  stellen  es  auch  die  Historiker  ^ 
dar:  nicht  zufrieden  mit  der  Erhebung  Guines*  zum  Her-  fl 
zog,  habe  die  Königin  auch  die  Entlassung  des  Haupt-  ^ 
gegners  ihres  Schützlings^  des  GeneralkoniroUeurs»  ver- 
langt  und  in   der  Tat  erreicht,^)    Dürfen  die   Forscher 


1877]  1,  262  rf.  4%  H.)  und  H*  Doniol  verdient  gemacht  Nament- 
lich dieser  hat  im  ersten  Bande  seiner  Histoire  äe  la  participaiwn 
dt  la  France  ä  l^ätabiissement  des  ^ials^Unis  d* Afn^nqme  (Paris 
tSS6)  in  eingehender  Weise  die  Botschaftertätigkeit  Guines^  auf 
Grund  der  Akten  im  Archiv  des  Ministeriums  de$  Auswärtigen 
und  im  Nationalarchiv  dargestellt  unter  Mitteilung  zahlreicher 
Aktenauszüge* 

0  Angeführt  bei  Jobez  a.  a.  O.  S,  511, 

')  Jobez  a.  a.  O.  I|  507  f.  sagt :  //  fat  d^cid/  que  le  comte  de 
Guines  serait  nommd  duc,  et  Marie  Antoinette  obtenait  enfin  que 
Turgüt  serait  renvay^^  insistant  avec  passion  pomr  que  V  anno  nee 
de  la  faveur  accord^e  ä  de  Guines  col'ncidät  avec  Femprisonnemeni 
du  contrdleur  gdndral  ä  la  Bast  Ute.    Mercy  fit  des  efforis  tris^ 


I 


I 


Turgots  Sturz. 


503 


sich  dabei  auf  Mercy  als  ihren  Gewährsmann  berufen? 
Oder  deuten  sie  nicht  ganz  willkürlich  in  die  Quelle 
einen  ihr  fremden  Sinn  hinein?  Sehen  wir  einmal  den 
Wortlaut  an. 

Der  österreichische  Gesandte  berichtet  unter  dem 
16.  Mai  1776  Maria  Theresia:  Le  projet  de  la  reine 
etait  d'exiger  du  roi  que  U  sieur  Turgot  fM  chasse,  mime 
envöyä  ä  la  BastiUe  le  mime  Jour  gue  le  comte  de  Guines 
seraU  däclard  duc,  et  il  a  fallu  les  repr^senla- 
iions  les  plus  fories  ei  les  plus  inslantes  pour 
arriter  les  effets  de  la  colere  de  la  reine.  Hier 
steht  doch  klar  und  unzweideutig,  daß  die  Königin  wohl 
den  Plan  hatte,  die  Entlassung  Turgots  zu  fordern,  daß 
es  aber  den  entschiedenen  und  eindringlichen  Vorstel- 
lungen Mercys  gelungen  ist,  die  Wirkungen  ihres  Zornes 
zu  hemmen.  Vielleicht  hat  die  etwas  geschraubte  Aus- 
drucksweise des  Gesandten  zu  Mißverständnissen  Anlaß 


granäs  pour  em picker  est  acti  de  falU . . .  Quant  au  toi,  il  resia 
Sans  valonU  devant  les  exlgences  i/tsens/es  de  la  reine.  Wilhelm 
Oncken  m  seinem  Zeitalter  Friedrichs  des  Großen  II,  612  urteilt 
ähnlich:  „Vergennes  und  Turgot  setzten  durch,  daß  Graf  Guines 
abberufen  und  der  Herzog  von  Moallles  an  seiner  Statt  zum  Bot- 
schafter ernannt  ward,  aber  weiter  kamen  sie  nicht,  als  nun  die 
Königin  mit  aller  Macht  sich  gegen  sie  erhob.  Sie  forderte  vom 
König  Genugtuung  für  den  Schimpf^  der  dem  ausgezeichnetsten 
aller  Menschen  widerfahren  war.  Sie  verlangte^  daß  Vergennes 
und  Turgot  entlassen«  der  letztere  außerdem  auf  [sol]  die  Bastille 
gesetzt,  der  Graf  Guines  aber  zum  Herzog  ernannt  werden  sollte. 
Alles  Zureden  des  Grafen  Mercy  und  ihres  BeichtvaterSf  des  Abb^ 
Vermondy  war  umsonst.  Sie  blieb  bei  ihrer  Forderung,  wieder- 
holte sie  stürmisch  immer  und  immer  wieder,  so  lange,  bis  le pauvre 
komme  —  wie  sie  ihren  Gatten  zu  nennen  pflegte  —  wirklich  breit- 
geschlagen  war  tind  sich  entschloß,  ihr  wenistens  teilweise  nach- 
zugeben.'* Daß  Foncin  und  Geffroy  (von  anderen  zu  schweigen) 
derselben  Ansicht  sind,  haben  wir  schon  oben  erwähnt  {s.  S.  494 
Anm.  1).  —  Wenn  auch  Wahl  behauptet  (a.  a.  0.  S.  259  und  S.  3*2), 
daß  nach  dem  Willen  der  Königin  Guines  an  dem  Tage  zum 
Herzog  ernannt,  an  welchem  Turgot  gestürzt  wurde,  so  beruht 
das  auf  einem  Irrtum.  Turgot  erhielt  seine  Entlassung  erst  am 
12.  Mai,  während  der  Brief  des  Königs,  durch  den  Guines  zum 
Herzog  erhoben  wurde,  vom  10.  Mai  datiert  ist.  S.  Lescure,  Cof- 
responäance  compUte  de  la  Marquise  Du  De  ff  and  II,  549  f.,  wo  das 
Schreiben  Ludwigs  an  Guines  mitgeteilt  ist. 


504 


H.  Glagau, 


gegeben.  Deutlicher  gibt  er  jedenfalls  in  der  an  Kai 
gerichteten  Depesche  vom  16.  Mai  den  Tatbestand  wiedeS" 
Hier  teilt  er  mit,  daß  der  Unwille  der  Königin  sich 
namentlich  gegen  Turgot  richte,  um  dann  wörtlich  fort- 
zufahren; „Dieser  Gesinnung  zufolge  haben  Ihre  Majestät 
den  König  unablässig  wider  ihn  angereizet-  Höchstdie- 
selben  waren  sogar  des  Vorhabens,  dahin  anzutragen^ 
daß  dessen  Abschaffung  und  die  Erhebung  des  Grafen 
Guines  zu  gleicher  Zeit  erfolgen  möchten.  Dennoch  hat 
es  zuletzt  dem  Abbö  de  Vermond  und  mir  gelungen» 
Ihre  Majestät  von  diesem  Vorsatze  wieder  abzubringen." 

Ich  denke,  aus  diesen  Quellenstellen  geht  mit  un- 
zweifelhafter Sicherheit  hervor,  daß  man  sich  nicht  auf 
JVlercy  berufen  darf,  wenn  man  Turgots  Entlassung  dem 
unmittelbaren  Eingreifen  Marie  Antoinettes  zuschreiben  fl 
will,  Wohl  hat  sie  die  Absicht  gehabt,  den  König  darum 
zu  ersuchen,  auf  Mercys  Zureden  aber  schließlich  den 
Plan  fallen  lassen.  Darum  darf  der  Gesandte»  nachdem 
er  die  näheren  Umstände  der  Abdanlcung  Turgots  dem 
Staatskanzler  Kaunitz  geschildert  hat,  von  der  Königin 
sagen:  „Der  Königin  muß  rühmlich  nachgesagt  werden, 
daß  sie  an  dieser  schleunigen  Ministerialabwechselung 
keinen  Anteil  genommen  hat.  Höchstdieselben  haben 
die  neue  Ernennung  erst  einige  Stunden  nach  dem  Vor- 
fall erfahren,  und  als  sie  hiervon  gegen  den  Abb^  Ver- 
mond Erwähnung  gemacht  haben,  hat  dieser  sogleich 
unter  anderm  bemerkt,  daß,  da  Turgot  auf  dem  flachen 
Lande  und  bei  dem  gemeinen  Manne  sehr  beliebt  sei, 
es  gut  sein  würde,  überall  wohlbekannt  zu  machen^ 
daß  dessen  Entsetzung  nicht  von  fhrer  Majestät  her- 
rühre." Die  Königin  billigte  diesen  Ratschlag  und  er-  ^ 
laubte  Mercy,  dem  im  Publikum  verbreiteten  Gerüchte,  H 
sie  habe  Turgots  Entlassung  bewirkt,   zu  widersprechen. 

Dar!  man  nun  aber  wirklich  behaupten,  daß  die 
Königin  am  Fall  Turgots  unschuldig  ist?  Kennt  man 
die  näheren  Umstände  der  Entlassung  des  General- 
kontrolleurs, so  wird  man  sagen:  Marie  Antoinette  durfte 
mit  einem  gewissen  Schein  des  Rechtes  ihrer  erlauchten 
Mütter  gegenüber  sich  rühmen,  daß  sie  am  Sturze  Tur* 


« 


Turgots  Sturz. 


505 


I 
I 


gots  und  Malesherbes'  sich  nicht  beteiligt  habe-  Denn 
der  Hauptschuldige  war  Maurepas:  er  hatte  beim  König 
die  schleunige  Entfernung  des  Ministers  durchgesetzt. 
Aber  wenn  sich  die  Königin  auch  in  den  letzten  Tagen 
nicht  in  die  Politik  mischte»  hatte  sie  nicht  vorher  red- 
Uch  ihr  Teil  dazu  beigetragen,  um  dem  Generalkontrolleur 
sein  Verbleiben  im  Amt  so  sauer  wie  möglich  zu  machen 
und  seine  Stellung  zu  erschüttern?  Mercy  berichtet  uns,  daß 
auch  Turgot  seinerseits  lest  entschlossen  war,  in  nächster 
Zeit  auf  seinen  Posten  freiwillig  zu  verzichten,  und  zwar 
weil  er  wußte,  wie  eifrig  ihm  Marie  Antoinette  entgegen- 
arbeitete: Le  coniröleur  gineral,  inst  mit  de  la  haine  qtie 
lui  porte  la  reine^  est  däcidd  en  grande  parHe  pur  ceite 
raison  ä  se  reiirer^  meldete  der  Gesandte  an  Maria 
Theresia*  Mercy  denkt  also  nicht  daran,  die  Königin 
von  aller  Schuld  freizusprechen.  Der  Nachricht,  daß 
Marie  Antoinette  an  dem  Sturze  des  Finanzministers 
nicht  unmittelbar  beteiligt  sei,  fügt  er  sogleich  die  ein- 
schränkende Bemerkung  hinzu:  ^Es  ist  gleichwohl  gewiß, 
daß  MaurepaSj  der  die  Königin  unaussprechlich  fürchtet, 
sich  nimmermehr  unterstanden  haben  würde,  gegen  Tur- 
got so  heftig  zu  arbeiten,  wenn  dieser  besser  bei  der 
Königin  wäre  angeschrieben  gewesen.  Da  er  aber  durch 
die  Madame  de  Polignac,  welche  ihm  alles  haarklein 
hinterbringt,  von  der  eigentlichen  Gesinnung  Ihrer  Ma- 
jestät unterrichtet  gewesen,  so  hat  er  nicht  nur  seiner 
persönlichen  Leidenschaft  um  so  freieren  Lauf  gelassen, 
sondern  auch  sogar  gesucht,  sich  daraus  ein  Verdienst 
bei  der  Königin  zu  machen."  Mercy  erzählt,  wie  Maure- 
pas am  Tage  der  Absetzung  Turgots  bei  der  Königin 
Audienz  genommen  und  ihr  zu  verstehen  gegeben  habe, 
daß  er  „den  Augenblick,  in  welchem  er  hoffte,  Ihrer 
Majestät  ein  Merkmal  seiner  Gedenkungsart  und  ehr- 
erbietigsten Ergebenheit  gegeben  zu  haben,  ergreife"*,  um 
sie  zu  bitten,  in  die  Aufhebung  der  Verbannung  seines 
Neffen,  des  Herzogs  von  AiguiUonj  zu  willigen.  Mit 
diesem  Gesuch  kam  er  aber  schlecht  an.  Die  Königin 
schlug  es  ihm  rundweg  ab,  einmal  weil  sie  Aiguillon  als 
geschworenen  Gegner  Guines'  haßte,  sodann  weil  Mau- 

Hlstorbcbe  Zeil»chrift  (97.  ßdj  3.  Folge  l.  Bd.  $ä 


506  H.  Glagau, 

repas  ihrer  Bitte,  das  Hausministerium  ihrem  Günstling, 
dem  Marineminister  Sartine,  zu  übertragen,  nicht  ent- 
sprochen» sondern  seinem  Geschöpf  Amelot  den  Posten 
übertragen  hatte, ^) 

Fassen  wir  schließlich  die  Ergebnisse  unserer  Unter- 
suchung noch  einmal  zusammen,  so  werden  wir  sagen: 
Es  ist  ebenso  unrichtig,  zu  behaupten,  daß  Marie  Antoi- 
nette  am  Sturze  Turgots  ^vollkommen  unschuldig**  ist, 
wie  es  falsch  ist,  der  Wirkung  ihres  Grolles  allein  den 
Fall  des  Reformministers  zuzuschreiben.  Daß  sie  dazu 
das  Ihrige  beigetragen  hat,  ist  nicht  zu  leugnen.  Es  sind 
doch  aber  nicht  allein  die  persönlichen  Momente  gewesen, 
die  das  für  die  Geschichte  Frankreichs  entscheidende 
Ereignis  herbeigeführt  haben,  sondern  auch  schwer- 
wiegende sachliche  Gründe,  auf  die  wir  in  den  folgenden  ^ 
Abschnitten  näher  einzugehen  haben,  H 

Zum  Schluß  sei  uns  noch  eine  Bemerkung,  die  über 
den  Rahmen  unserer  Abhandlung  hinausgraift,  erlaubt. 
Man  hat  sich  in  letzter  Zeit  bemüht,  die  Frage  über  den 
Einfluß  Marie  Antoinettes  auf  den  Gang  der  französischen 
Politik  ins  klare  zu  bringen  und  in  einer  möglichst  ein- 
fachen Formel  festzulegen,    Flammermont  überträgt  der 

')  Condorcet  berichtet  über  diesen  Vorfall  in  dem  oben  er-^^| 
wähnten  Briefe  an  Voltaire  {(Euvres  I,  12  J  f*)  folgendermaßen  J 
M.  de  Maurepas  a  d^termin^  le  roi  ä  faire  Af.  de  Guines  du^, 
malgr^  ce  qa*ü  en  savait^  et  U  Va  ü4  apprendrt  ä  la  reine ^  espr- 
rant  se  reconcilier  a\>ec  eile;  charger  aupres  ä'elle  MM,  Turgot  ei 
Malesherbes  du  rappei  de  M.  de  Guines;  la  charger  aupris  da 
public  du  renvüi  de  M.  Turgot^  parce  que^  foul  en  äisirant  son 
d^parif  eile  avait  trouv^  cette  forme  indkcente.  Ce  beaa  projei 
n'a  poM  r^ussi^  M^  d£  Maarepas  comptait  sur  le  peu  d'esprit  de 
la  reine;  mais  il  aubliait  que,  n'ayanl  pas  comme  lai  le  bonhemr 
d^ilre  eunuqaej  eile  avait  un  peu  d^äme.  Elle  tut  a  donc  refuse 
le  retour  de  M.  d'Aiguillon;  a  dMar^  hauiement  qu'elle  r$^^fait 
paar  rien  dans  le  renvai  de  M.  Turgot;  a  traite  M.  de  Maurepas 
avec  le  mepris  le  plus  froid  et  le  plus  gaiy  et  a  r^pit^  touf  haut 
ce  qu'elie  lui  avait  dit.  In  dieser  Darstellung  ist  bis  auf  die  Tat- 
sache,  daß  Marie  Antoinette  Maurepas  die  Aufhebung  der  Ver- 
bannung Alguillons  abschlugt  alles  unricbtig*  Wie  konnte  Mau- 
repas sich  ein  Verdienst  aus  der  Rangerhöhung  Guines*  machen, 
die  doch  gegen  den  Wunsch  des  Ministers  auf  Betreiben  der 
Königin  erfolgt  war- 


Turgota  Sturz, 


507 


jungen  Königin  die  entscheidende  Rolle  und  möchte  der 
Regierungszeit  Ludwigs  XVI.  geradezu  den  Namen  seiner 
Gemahlin  —  Le  rhgne  de  Marie  Antoinette  —  geben, 
Wahl  dagegen  spricht  der  Königin  eine  irgendwie  maß- 
gebende Einwirkung  in  politischen  Dingen  bis  zum  Tode 
Vergennes'  (1787)  ab.^  Er  sagt:  „In  Kürze  kann  man 
den  wahren  Sachverhalt  folgendermaßen  zusammenlassen: 
Die  Königin  hat  bis  zur  Zeit  der  herannahenden  Revo- 
lution lediglich  auf  dem  Gebiet  unbedeutender 
Personalien  gelegentlich  einen  Eintluß  ausgeübt." 
Während  Flammermont  die  Bedeutung  der  Königin  ent- 
schieden überschätzt  hat,  verfällt  Wahl  in  den  entgegen- 
gesetzten  Fehler,  den  er  wohl  selbst  berichtigen  würde, 
wenn  er  in  die  wertvollen  Berichte  Mercys  an  den 
Fürsten  Kaunitz  Einsicht  nähme.  Auch  vor  dem  Jahre 
1787  ist  Marie  Antoinette  in  der  französischen  Politik 
ein  nicht  zu  vernachlässigender  Faktor  Das  hat  sich 
uns  aus  der  Vorgeschichte  von  Turgots  Fall  ergeben. 


V!. 

Es  war  doch  eine  recht  wichtige  sachliche  Frage, 
über  die  sich  der  Konflikt  zwischen  Maurepas  und  Turgot 
erhob.  Merkwürdigerweise  haben  ihr  weder  die  Zeit- 
genossen noch  die  Historiker  gebührende  Beachtung 
geschenkt,  weil  sie  den  Ton  fast  ausschließlich  auf  das 
persönliche  Moment,  insbesondere  auf  die  wachsende 
Eifersucht  Maurepas*  gegen   den   Finanzminister,  legten. 

Als  dieser  sich  anheischig  machte,  die  lange  ver- 
mißte Ordnung  im  Staatshaushalt  wiederherzustellen  und 
den  Fehlbetrag  ^u  beseitigen,  lautete  sein  Losungswort: 
Ersparnisse.  In  dem  berühmten  Briefe  vom  August  1774, 
in  dem  Turgot  dem  König  die  Grundzüge  seines  Reform- 
programms entwickelte,  kehrt  dieser  Leitgedanke  immer 
wieder:  Je  me  borne  en  ce  moment,  Sire^  ä  voiis  rappeler 
ces  irois  parales:  Poini  de  banqueroute;  point  d'aug- 
mentaUon  d'impöts;  point  d'emprunis  .  ,  .    Pour  remplir 


0  Wahl,  Vorgeschichte  der  Revolution  S,  362  f. 


33* 


SOS 


H.  Glagau^ 


ces  trais  poinis,  il  n^y  a  gu'un  moyen,  Cesi  de  rädaire 
la  dipense  au-dessous  de  la  recetle,  ei  assez  au-dessoas 
pour  pouvöir  /conomlser  chaque  annie  une 
vingtaine  de  millions^  afin  de  rembourser  ies  deites 
anciennes.  Sans  cela,  le  premier  coup  de  canon  forceraif 
r^tat  ä  la  banqueroute  ,  .  .  C'esi  danc  surtoui  de 
l'äconomie  que  dopend  la  prosperlie*  de  voire 
rigne,  le  calme  dans  l' Interieur ^  la  consid^ration  au 
dehors,  le  banheur  de  la  naUon  et  le  vötre. 

In  keinem  Zweige  der  Verwaltung  konnte  man  zweck- 
mäßiger Ersparnisse  einführen  wie  in  dem  königlichen  Haus- 
halt, der,  abgesehen  von  den  Gnadengehältern  und  Pen- 
sionen, die  einen  besonderen  Posten  bildeten,  jährlich  nicht 
weniger  als  3b — 38  Millionen  verschlang*  Aber  nirgends 
war  eine  solche  Reform  auch  schwerer  durchzusetzen  wie 
gerade  hier,  wo  Höflinge  und  königliche  Günstlinge,  unter 
stützt  von  ihrem  mächtigen  Anhang,  alles  aufboten,  eine 
Beschneidung  der  Mißbräuche,  von  denen  sie  lebten,  zu 
hintertreiben.^)     Turgot  hatte  diesen  Widerstand  voraus- 


^)  Soulavie  druckt  Im  zweiten  Bande  seiner  Mämoires  du 
r^gne  de  Louis  XVI  S,  337  ff.  ein  sehr  wichtiges  Bruchstück  einer 
Denkschrift  Malesherbes'  ab»  die  an  den  König  gerichtet  ist  und 
die  Notwendigkeit  der  Finanzreform  m  den  Ausgaben  des  Hof- 
staates darlegt.  Das  Schriftstück  stammt  wahrscheinlich  aus  dem 
April  1776  und  begründete  Malesherbes'  Enttassungsgesuch.  Es 
ist  sicherlich  echt;  denn  die  Tatsachen,  an  die  der  Verfasser  er- 
innert, wie  z.  B,  seine  Berufung  ins  Ministerium,  seine  persötillchen 
Empfindungen  j  als  er  das  Hausministerium  übernahm^  sind  aUe 
gut  bezeugt.  Die  Behauptung  Malesherbes'  z.  B.,  daß  er  nur  auf 
ausdrücklichen  Befehl  Ludwigs  XVI.  das  Hausministeriuni  über- 
nommen babct  wird  uns  durch  Mercy  (an  Kaunitz^  den  17,  Juli 
1775,  Wiener  Archiv)  bestätigt.  Vgl.  auch  hierzu  das  von  Boissy- 
d* Anglas  {Essai  sur  la  vie^  les  Berits  et  ies  opinions  de  M,  de 
Malesherbes,  Paris  1819,  II,  26  f.)  über  die  Denkschrift  gefällte 
Urteil:  Quoique  les  Communications  de  ce  geure  ne  doivent  itre 
accuei flies  qu'avec  une  gründe  circonspection^  li  est  diffidU  touie- 
foiSf  pour  peu  qu'on  alt  eu  l'habitude  de  Hre  ou  d'entendre  M.  de 
Malesherbes,  de  r^voqaer  en  äoute  l' atithentitiU  de  celle-ci:  on  y 
recannait  ais^ment  ses  principeSy  ses  opinions  et  sa  dtctian,  — 
Malesherbes  bemerkt  im  Eingang  der  Denkschrift,  wie  man  in 
allen  Kreisen  der  Bevölkerung  beim  Regierungsantritt  Lud- 
wigs XVI,  auf   die  Einschränkung  der  Ausgaben   des  königlichen 


I 


I 


Turgots  Sturz. 


50*? 


gesehen.    Er  war  aber  von  vornherein  fest  entschlossen» 
alle  Hindernisse  zu  überwinden. 

Erst  im  Juli  1775  jedoch  gelang  es  ihm,  den  Mann 
zum  Hausminister  zu  machen,  der  seiner  Meinung  nach 
am  geeignetsten  war,  die  geplante  Reform  durchzuführen. 
Leider  sollte  sich  bald  zeigen,  daß  Turgot  in  Malesherbes 
sich  getäuscht  hatte.  Obwohl  dieser  die  redlichsten  Ab- 
sichten hatte  und  von  der  dringenden  Notwendigkeit  der 
Durchführung  der  Besserungsvorschläge  überzeugt  war, 
fehlte  es  ihm  vor  allem  an  rücksichtsloser  Energie,  um 
ungeachtet  aller  Widerstände  das  Werk  ans  Ziel  zu  führen. 
Nur  ungern  hatte  er  seinem  Freunde  und  dem  König 
zuHebe  den  ihm  wiederholt  angebotenen  Posten  als  Haus- 
minister  übernommen  und,  als  er  es  schließlich  getan, 
sich  zunächst  nur  für  eine  kurze  Probezeit  verpflichtet. 
In  dieser  hatte  er  reichlich  Gelegenheit,  sich  davon  zu 
überzeugen,  daß  er  für  ein  solches  Amt  nicht  das  Zeug 
hatte.  Er  war  zu  weich  und  zu  ängstlich  von  Charakter 
und  fürchtete  sich  davor,  es  mit  aller  Welt  zu  verderben, 
wenn  er  die  zahlreichen,  tief  eingewurzelten  Mißbräuche 


Hofstaates  gehofft  hatte:  Le  rai  est  parvenu  au  tröne  äans  mn 
momenf  oä  r^conomie  ätait  demanääe  par  U  vwu  g/n&ai  de 
son  rayaume,  ipais^  par  les  dissipaiions  des  derniers  r^gnes, ,  * , 
II  ne  faut  pas  qae  le  rot  ignart  que  les  acclamations  si  gän^- 
rales  et  si  ßaUeuses  qui  ont  Mat^  tors  de  son  avinement^ 
ont  iU  dues  en  grande  partie  ä  rapinian  coHfue  de  lui  ä 
cei  ^gard.  . , , ,  De  touies  les  ä^penses ,  celle  $ur  laquelle  on 
demandait  le  plus  d'^conomie  et  de  r^formatian,  fftait  celle  de  la 
maison  da  roL  Dans  la  guerre,  la  murine,  les  affaires  /trangiras, 
ett  mime  iemps  qu^on  demande  la  diminulion  des  d^penses^  on 
craint  uussi  de  dimtnuer  les  forces  du  royaame ;  mais  dans  ta 
maison  da  rai,  an  n'a  pas  la  mime  crainte,  , ,  ,  La  rifarmathn 
des  d^penses  (dans  la  maison  da  roi)  .  , ,  ne  peul  itre  rouvrage 
d^un  minist re;  aar  il  faul  qae  le  roi  lui- mime  consenle,  avec  con- 
nalssance  de  cause,  ä  chacun  des  sacrifices  quil  faudra  faire: 
c^est  celle  gm  donnera  l'exemple  de  refconomie  qa'il  est  si  ntfces- 
saire  d'apporter  dans  les  autres  parties  de  i'administratiün.  C'est 
celU  aussi  qui  ätablira  sur  une  base  solide  le  credit  si  n^ces saire 
aux  finances.  Ce  crädil  renaUra  ais^mentj  quand  an  verra  qae  le 
roi  sait  faire  le  relranckement  sur  lui-mime;  sans  cela^  les  pro- 
jels  d'äconomie  ne  seront  attribu^s  qu^ä  des  ministres  dont  la  for- 
tune  chancelante  ne  peut  inspirer  une  confiance  solide. 


bm 


K.  Glagau» 


im  Holhalt  ausrotten  wolltet)  Völlig  mutlos  aber  wurde 
Malesherbes  erst  dann,  als  er  wahrnahm,  daß  der  Leiter 
des  Ministeriums  selbst,  Maurepas,  von  der  Reform  des 
königlichen  Hofhalts  nichts  wissen  wollte  und  sich  alle 
Mühe  gab,  Turgots  dahin  sich  richtende  Anstrengungen 
zu  durchkreuzen* 

Daß  diese  Beobachtung  für  den  Rücktritt  des  Haus- 
ministers der  entscheidende  Anlaß  wurde,  berichtet  uns 
Mercy,^)    Malesherbes,  erzählt  der  Gesandte,  wurde  da- 

')  Den  österreichiscbeti  Botschafter  suchte  Malesherbes  ver- 
schiedene Male  auf,  um  ihn  über  die  Gesinnung  der  Königin  zu 
sondieren.  Er  wußte,  daß  es  der  ausgesprochene  Wunsch  Marie 
Antoinettes  war,  Sartine  den  Posten  des  Hausministers  zu  über- 
tragen, und  wollte  nicht  wider  ihren  Willen  das  Amt  annehmen. 
Er  behauptete  Mercy  gegenüber,  ^daß  die  Königin  dermalen  in 
Frankreich  wirklich  herrsche»  Hieraus  zog  er  den  Schluß,  daß  er 
das  ihm  antragende  Departement  weder  annehmen,  noch  bei  dem- 
selben etwas  Gutes  stiften  könne,  es  sei  denn,  daB  er  solches 
mit  der  Genehmhaltung  der  Königin  und  durch  ihre  Hände  über- 
komme**. Wenige  Tage  später  mußte  ihn  Mercy  aufs  neue  be- 
ruhigen pW^egen  der  gefürchteten  Abneigung  der  Königin",  .Er 
hat  mir  gesagt,  daß  es  ftira  erste  nötig  sein  werde,  die  in  den 
Bureaux  des  Herrn  Duc  de  la  Vrillifere  (des  vorigen  Hausministers) 
eingeschlichene  Mlßwaltungen  abzuschaffen.  Nun  aber  hatte  er 
bei  der  ersten  Einsicht  befunden,  daß  unter  den  Beamten  einige 
mit  den  Kammerfrauen  oder  anderen  Bedienten  der  Königin  ver- 
wandt wären,  andere  aber  wirkliche  Amter  und  Stellen  bei  Höchst- 
ihrer  Hofstatt  an  sich  gebracht  hätten.  Sollten  nun  Ihre  Majestät 
sich  gefallen  lassen,  dieselben  gegen  eine  gerechte  Ahndung  2u 
schützen,  so  würde  er  gleich  in  seinen  ersten  Schritten  gehemmt 
und  außer  Stand  gesetzt  werden,  das  vorhabende  Gute  ^u  stiften.* 
Mercy  an  Kaunitz  den  17*  Juli  1775,  Wiener  Archiv» 

•)  Mercy  an  Kaunitr  den  13.  April  1776.  —  Auch  Du  Pont 
berichtet,  daß  Maurepas  einer  Schmälerung  des  königlichen  Hof- 
staats von  Anfang  an  abgeneigt  war :  Le  roi  porti  ä  V^conomle  par 
caracUre  et  par  amour  pour  son  ptuplt  voulaU  diminusr  le  faste 
de  sa  cotir,  fl  avait  riformd  trois  Cents  chevaux,  M.  de  Maurepas 
, , ,  stf  lalssa  dire  et  räpätü  au  roi  que  les  ä^penses  de  la  caur 
^ialent  näcessatres  pour  danner  V Impulsion  au  commerce;  qae  des 
riformes  trop  grandes  et  trop  pr^cipit^es  feraienl  tort  öäj-  mana^ 
factares;  qu'une  d^pense  qui  se  faisait  dans  iHnlMtur  de  l'ätai 
ne  pouvait  Jamals  itre  fort  nulsible,  et  les  autres  iieux  communs 
si  vagues  qui,  de  tout  temps,  ont  ätä  le  texte  des  apoiogistes  du 
iuxe.  II  arrita  et  refroidit  ainsi  cette  premiire  fervenr  d'un  jeune 
et  ton   roi  ei  lalssa  les  personnes  intdressäes  aax  d/penses  exces- 


< 


4 
fl 


Turgots  Sturz. 


511 


durch  dermaßen  irre  gemacht,  daß  er  mit  aller  Gewalt 
sich  seines  Amtes  begeben  und  nicht  einmal  im  Ministerrat 
seinen  Sitz  beibehalten  wolle.  Seiner  Aussage  nach  wür- 
den weder  Turgot  noch  er  je  etwas  Gutes  zustande- 
bringen können^  solange  Maurepas  die  Hand  mit  ans 
Werk  legen  würde.  Nun  sei  aber  Maurepas  derjenige, 
der  sie  ins  Ministerium  gezogen  habe;  mithin  würde  es 
eine  „aulgeiegte  Undankbarkeit"  sein,  wider  ihn  zu  ar- 
beiten, und  wäre  demnach  für  sie  kein  anderes  Mittel 
übrig,  als  mit  guter  Art  aus  dem  Spiele  zu  scheiden. 

Turgot  dagegen  war  kampllustiger  und  zäher  als 
sein  rasch  verzagender  Freund.  Sofort  nahm  er  darauf 
Bedacht,  für  Malesherbes,  dessen  Fahnenflucht  er  miß- 
billigte, einen  besseren  Ersatz  ausfindig  zu  machen.  Er 
faßte  denjenigen  ins  Auge,  der  zwischen  ihm  und  Mau- 
repas  die  erste  Anknüpfung  vermittelt  und  seine  Ernen- 
nung zum  Generalkontrolleur  befürwortet  hatte,  den  Abbd 
de  V<!ry,  der,  wie  Mercy  sich  ausdrückt,  ^vermöge  seiner 
persönlichen  Lebhaftigkeit  und  Kühnheit  am  geschick- 
testen sein  dürfte,  überall  ungescheut  einzuhauen"*  Ging 
doch  Vdry  mit  seinen  Ersparnisabsichten  noch  über  Tur- 
gots Wünsche  hinaus:  während  dieser  sich  mit  einer 
Herabsetzung  des  königlichen  Hofhaltes  um  7  Millionen 
begnügte,  wollte  der  Abb^  gar  10  Millionen  jährlicher 
Ersparnisse  herausschlagen. 

Mercy  äußerte  gleich  über  die  Aussichten  dieser 
Kandidatur  seine  Bedenken,  da  V^ry  bei  der  Königin 
sehr  schlecht  angeschrieben  sei*  Marie  Antoinette  dachte 
vielmehr  daran,  den  durch  Malesherbes'  Rücktritt  frei  wer- 
denden Posten  ihrem  Günstling,  dem  Marineminister 
Sartine,  zuzuwenden*     Daß  diesen  Turgot  nicht  für  den 

sives  et  au  disotdre  respirer,  se  reconnaitre^  reprendre  courage^  se 
Her  dHntMt  et  d'inirigues^  former  des  commencements  de  partL 
II  laissa  le  gßät  des  d^penses  fastueuses  que  rexemple  dm  rot 
aliaii  iteindre,  continuer  de  rägner  sur  tes  grands  seigneurs  et 
sar  ies  gens  riches^  mattlplier  les  besolns,  entretenir  ainsl  la 
cupiditä  ginifraie.  Peut-Stre  n*en  vii-il  pas  le  danger.  II  est  tris 
vraisemblable  qu*U  n^envisagea  que  le  plaisir  de  consoler  les 
dames  de  la  cour  ei  de  se  faire  louer  par  ellm/  Ktiiea  a.  a.  0. 
II,  350  f. 


it2 


H.  Glagau, 


geeigneten  Nachfolger  seines  Freundes  halten  würde,  war 
nach  dem  Widerstand,  den  er  im  vorigen  Jahre  bei  der 
gleichen  Gelegenheit  Marie  Antoinette  entgegengesetzt 
hatte,  mit  Sicherheit  vorauszusehen. 

Vor  allem  aber  kam  es  auf  Maurepas*  Gutbefinden 
an.  So  eng  er  und  namentlich  seine  Gemahlin,  die 
Gräfin  Maurepas,  mit  V^ry  befreundet  waren^  er  wollte 
nichts  von  seiner  Kandidatur  wissen.  Mit  reger  Eifer- 
sucht blickte  er  auf  das  enge  Bündnis,  das  Turgot  mit 
dem  Abb^  zur  Durchführung  der  Reform  des  Hofstaates 
geschlossen  hatte.  Dürfen  wir  hier  den  Angaben  Mercys* 
der  vermutlich  durch  Vermond  über  den  Konflikt  im 
Ministerium  aufs  beste  unterrichtet  wurde,  trauen,  so  er- 
fuhr Maurepas  durch  einen  unglücklichen  Zufall  von  den 
Hoffnungen  und  Absichten,  mit  denen  sich  V^ry  trug» 
Dieser  hatte  seinen  Reformplan  schriftlich  entworfen  und 
Turgot  zugestellt,  der  dann,  als  er  Geschäfte  halber  bei 
Maurepas  zu  tun  hatte,  aus  Unachtsamkeit  den  Entwurf 
des  Abtes  aus  der  Tasche  verlor.  So  erhielt  der  leitende 
Minister  davon  Kenntnis,  und  diese  unangenehme  Ent- 
deckung soll  ihn  in  seiner  Abneigung  gegen  V€rys  An- 
wartschaft bestärkt  haben. 

Die  Reformpartei  begann  Maurepas  überhaupt  wegen 
ihrer  einschneidenden  Besserungsvorschläge  von  Tag  zu 
Tag  unbequemer  zu  werden.  Nicht  nur  bei  den  Höt- 
Hngenj  sondern  auch  in  weiten  Kreisen  der  Bevölkerung 
regte  sich  gegen  die  Sekte  der  Ökonomisten  immer 
schärferer  Widerspruch.^)  Maurepas  fürchtete  für  seine 
eigene  Stellung  und  gedachte,  zumal  da  er  die  weitaus- 
greifenden Pläne  des  ihm  ohnehin  verhaßten  General- 
kontrolleurs mißbilligte,  diesen  fallen  zu  lassen.  So  kam 
es,  daß  er  als  Nachfolger  Malesherbes'  einen  Kandidaten 
in  Vorschlag  brachte,  der  nimmermehr  Turgots   Beifall 


^)  DaÖ  die  Reformpartei  mit  ihrern  Programm  in  der  Minder* 
heit  blieb,  äußert  auch  Mercy:  ^Die  Nation  ist  in  zwei  Parteien 
gespalten,  deren  die  zahlreichste  die  Beibehaltung  der  vorigen 
Gebräuche  und  Verwaltungsart  verlanget,  die  zweite  aber  unter 
Anführung  eines  königlichen  Ministers  auf  unübersehbare  Neue* 
rungen  abzielet.*^    Namentlich  Paris  galt  als  relormfeindlich. 


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I 


Turgots  Sturz. 


513 


haben  konnte,  den  Finanzintendanten  Amelot,  einen  un- 
bedeutenden Mann,  der  als  gefügiges  Werkzeug  in  der 
Hand  des  leitenden  Ministers  sich  niemals  zu  den  Reformen 
im  königlichen  Hause,  die  der  Generalkontrolleur  ver- 
langte, verstehen  würdet) 

Diese  Kandidatur  führte  den  gänzlichen  Zerfall  Tur- 
gots mit  Maurepas  herbei*  Mußte  doch  jener,  falls  Ame- 
lots  Ernennung  wirklich  erfolgte,  an  dem  Gelingen  der 
finanziellen  Reform,  die  auf  Ersparnisse  gestellt  war,  ver- 
zweifeln. Es  handelte  sich  für  ihn  um  Sein  oder 
Nichtsein,  um  seine  Ehre  als  Minister,  um  die  Wohl- 
fahrt des  Königs  und  des  Vaterlandes,  Er  war  daher 
fest  entschlossen,  alles  dafür  einzusetzen,  um  einen 
reformfreundlichen  Minister  an  Malesherbes'  Stelle  zu 
bringen.^) 


')  Wahl»  Vorgeschichte  der  Revolution  S*  257  erwähnt  die 
beiden  Kandidaten  für  den  Hausministerposten,  berührt  aber  mit 
keinem  Worte,  warum  Turgot  sich  gegen  die  Wahl  Amelots  er- 
klärte und  mit  Eiler  für  V^ry  eintrat.  Die  sachliche  Frage,  die 
den  Kernpunkt  in  dem  Konflikt  zwischen  Maurepas  und  dem 
Finanzminister  bildete^  nämlich  die  von  diesem  geforderte  Ein* 
ächränkung  der  Ausgaben  des  Hofstaates,  hat  auch  Wahl  voll- 
ständig übersehen^  ungeachtet  des  von  ihm  mit  Recht  sehr  ge- 
schätzten Berichtes  von  Du  Pont,  wo  diese  Seite  ausdrücklich 
betont  wird;  Knies  IJ,  372:  M,  Turgat  däsirait  paar  la  maison 
du  rat  un  ministre  avec  tequel  ii  füt  possible  d'ex^c uter 
la  g  ran  de  rä  forme  dont  ii  avaii  fait  te  plan,  M.  de 
Maurepas  voalaii  M.  Amelot^  principaiement  parce  qu'il  elalt  äe's- 
agre'able  ä  M.  Turgot.  Älors  celui-ci^  convaincu  qu'  avec 
M.  Ämeiüt  la  r/forme  de  la  maison  du  toi  devenait 
impossibtej  risqtia  le  tout  pour  le  tout^  et  se  erat  ohlig^  maigri 
l^affaiblissement  de  son  credit  de  lutter  poslUvement  et  formcUe- 
ment  contre  M.  de  Maure pas, 

*)  Daß  Turgot  nicht  unbedingt  an  der  Kandidatur  V^rys 
festhalten  wollte^  sondern  sich  auch  einen  anderen  hätte  gefallen 
lassen,  wenn  von  diesem  nur  die  Reform  des  königlichen  Hauses 
zu  erwarten  gewesen  wäre,  ersieht  man  aus  seinem  Briefe  an 
Very  vom  30.  April  1776|  wo  es  heißt;  Oh!  si  voti&  ^tiez  icij  vous 
les  (M.  et  Mme  Maurepas J  d^cidirlez  du  molns  ä  un  chaix  raison- 
nable  comme  serait  celui  de  M.  de  Fourqueux,  Larcy,  Louis  XVI 
et  Turgot  S*  874*  —  Sehr  gut  wird  von  Condorcet  In  dem  Briefe 
an  Voltaire  die  schwierige  Lage  Turgots  gekennzeichnet:  H(MaU' 
repas)  savait  qu*un€  räforme  dans  la  däpense  de  la  maison  du 


514  H.  Glagau, 

In  diesem  Sinne  suchte  er  auf  den  jungen  Monarchen," 
der  das  entscheidende  Wort  zu  sprechen  hatte,  einzu- 
wirken. Aber  nicht  in  einer  mündlichen  Aussprachev  son- 
dern in  vier  umfangreichen  Briefen  setzte  er  Ludwig  XVL 
seine  Wünsche  auseinander, i)  Leider  ist  uns  nur  das 
letzte  Schreiben  Turgots  erhalten.^)    Aus  seinen  Anspie- 


föi  itaii  nicBssaire;  que  sans  cela,  au  Um  de  diminuer  ies  dettes 
0t  Ies  impdtSf  U  faudrait  Ies  augmenter  incessammentj  et  gut 
M  Turgot  itait  prit  de  präsenter  au  roi  un  memoire  qui  lui  mau- 
trerait  r^tat  de  ses  finances  et  la  nicessH^  de  r^ former  la  coiir^ 
si  on  ne  vouiait  ni  se  d^skonorer  par  une  banqueroute^  ni  se  rendre 
üdieux  en  ^crasant  le  peuple,  H  n'y  aurait  eu  alors  que  deux 
partis:  an  consentir  ä  la  r^forme^  ou  iaisser  partir  M.  Turgat. 
Le  roi  n'mmr  pas  U  faste ;  il  a  naturellement  le  sens  assez  droit; 
son.  dme  n'est  point  encore  carrampue ;  ii  est  faible^  tnais  sans 
passions.  II  pouvait  accepter  le  plan,  et  dis  lors  M.  Targot 
deveftait  inattaqif^able*  II  ^tait  donc  näcessaire  de  pr^venir  ce 
moment,  M.  de  Maure  pas  imagina  d'instnuer  au  roi  de  prenärt 
M.  Ämelüt  pöur  minist re,  Vous  le  connaissez :  an  ne  lui  rep röche 
qu'une  bitise  au-dessus  de  Vordre  commun;  mais  it  itait  ais^  de 
privenir  cette  objection,  Ce  projet  rdussit,  et  la  r^ forme  äevenant 
impossible  avec  M:  Amelot,  il  fallait,  ou  que  M.  Turgot  quittät, 
ou  qu'il  attendit  jusqu'ä  ce  que  V impossibilitä  de  payer  sans  faire 
des  manmavres  malhonnHeSj  te  forfät  ä  s*en  allen 

')  Daß  es  vier  Briefe  gewesen  sind,  die  Turgot  in  den  letzten 
Tagen  des  April  an  Ludwig  riehtetej  entnimmt  man  einer  Motiz 
von  der  Hand  Malesh  erbest  die  Lion  Say  im  Archiv  der  Familie 
Turgot  im  Schlosse  zu  Lantheuil  aufgefunden  hat  VgJ.  Say, 
Turgot  S,  165  IL  Malesherbes  war  von  dem  verwegenen  Ton,  den 
Turgot  dem  König  gegenüber  anschlug,  so  betroffen,  daß  er  als 
Testamentsvollstrecker  die  Vernichtung  der  Briefkonzepte  an- 
ordnete. 

»)  S.  Larey,  Louis  XV!  et  Turgot  S.  876  ff.  —  Ob  das  Schreiben 
Turgots  an  den  König,  das  Soulavie  am  Schlüsse  des  "dritten 
Bandes  der  Mimoires  du  rigne  de  Louis  XV!  mitteilt  (S*  426  ff.), 
echt  ist,  wie  Ldon  Say  annimmt,  ob  es  a:u  den  vier  Schreiben, 
deren  Vernichtung  Malesherbes  anordnete,  gehörte,  diese  Fragen 
wage  ich  bei  der  trüben  Quelle,  aus  der  es  stammt,  nicht  ohne 
weiteres  zu  bejahen.  Es  trägt  wie  das  von  Larcy  wiedergegebene 
Sehreiben  nach  Soulavies  Angabe  das  Datum  des  30.  April  und 
enthält  im  Ton  und  in  einzelnen  Wendungen  auffallende  Anklänge 
an  den  echten  Brief,  so  daß  es  einen  sehr  glaubwürdigen  Ein- 
druck macht.  Daß  es  zu  den  vier  von  Malesherbes  vorgefundenen 
Schreiben  gehört^  möchte  ich  indes  nicht  annehmen,  da  es  einen 
Sonderfall,  eine  Intngue  Sartines  gegen  Turgot  und  seinen  ßruderi. 


\ 


Turgots  Sturz. 


MB 


lungen  auf  den  Inhalt  der  vorigen  kann  man  jedoch  ent- 
nehmen, was  der  Minister  dort  ausgelührt  hatte:  er  hatte 
dem  König  in  ausführlicher  Weise  geschildert,  in  welche 
bedrängte,  ja  verzweifelte  Lage  sein  Finanzminister  durch 
den  Widerstandj  dem  sein  Reformeifer  auf  allen  Seiten 
begegne,  geraten  sei,  wie  er  sich  nur  dann  in  seiner  be- 
drohten Stellung  werde  halten  können,  wenn  ihm  der 
junge  Monarch  entschieden  beistehen  würde.  Versäume 
jedoch  Ludwig,  dies  rechtzeitig  zu  tun,  so  würde  er 
nicht  nur  seine  Minister,  sondern  vor  allem  die  eigene 
königliche  Würde  den  Feinden  der  monarchischen  Au- 
torität, die  Turgot  vornehmlich  in  den  widerspenstigen 
Parlamentsräten  erblickt,  preisgeben.  Daß  es,  um  die 
drohende  Gefahr  zu  beschwören,  namentlich  auf  Charak- 
terstärke ankomme,  suchte  Turgot  dem  Könige  an  einem 
naheliegenden  Beispiele  klar  zu  machen:  er  erinnerte  ihn 
an  die  ruhmlose  Regierung  seines  Vorgängers  Lud- 
wig XV.,  der  hauptsächlich  durch  Schwäche  gesün- 
digt habe. 

Diese  Mahnungen  Turgots  scheinen  nicht  auf  frucht- 
baren Boden  gefallen  zu  sein.  Bei  einer  Begegnung^ 
die  der  König  am  28.  April  mit  dem  Generalkontrolleur 
hatte,  behandelte  er  ihn  sehr  ungnädig.  Mit  keinem  Wort 
ging  er  auf  den  Inhalt  der  Briefe  ein,  sondern  beobach- 
tete eisiges  Schweigen.^)  Trotzdem  wagte  Turgot  auf 
der  eingeschlagenen  Bahn  weiterzuschreiten.  In  einem 
vierten  Briete,  den  er  am  30,  April  an  Ludwig  richtete, 
wiederholte  er  mit  schonungsloser  Offenheit  seine  War- 


behandelt und  nicht,  wie  vermutlich  jene  Briefe,  die  schwebenden 
politischen  Fragen  im  großen  Zusammenhang  erörtert* 

*)  Diese  Tatsachen  kann  man  den  einleitenden  Worten  Tur* 
gots  in  dem  Schreiben  vom  30.  April  1776  entnehmen  r  Sire^  je 
ne  veujT  point  dissimuier  ä  Votre  Majestä  la  plaie  profonde  qu*a 
faite  ä  mon  cceur  le  cruel  sitence  qu'Elle  a  gardi  avec  moit  di^ 
manche  dernier  [30.  April],  apris  ce  que  je  Itti  avals  marqit/  avec 
un  si  grand  detail  dans  mes  leltres  pr^c^denies  sur  ma  Position^ 
sur  la  sienne^  sur  le  danger  que  courent  son  autoriU  et  la  gloir§ 
de  son  r^gne^  sur  V impossibllU^  oä  je  me  verrais  de  la  servir^  si 
eile  ne  me  dannalt  du  secours.  Votre  Majest^  n'a  pa$  daignd  mt 
räpandre. 


516 


H.  Glagau, 


nungen  und  Beschwerden.  Ja,  er  ging  weiter:  er  über- 
schüttete den  König  mit  den  bittersten  Vorwürfen  wegen 
der  Gleichgültigkeit,  die  er  seinen  Ratschlägen  gegenüber 
an  den  Tag  lege,  und  der  Willfähngkeit,  die  er  seinen 
Gegnern  zeige.  Durchdrungen  von  dem  hohen  Wert 
seiner  Dienste  und  in  schlecht  verhehltem  Tugendstolz, 
vergaß  Turgot  völlig  die  dem  Könige  geschuldete  Rück- 
sicht, In  gereiztem  überlegenen  Tone  kanzelte  er  ihn 
wie  einen  unreifen  Schulbuben  ab.  Er  scheute  sich  nicht 
vor  groben  Kränkungen,  so  wenn  er  Ludwig  seine  Un- 
erfahrenheit  vorhielt:  Voire  Majesid  m'a  dit  qu^Elie  avatt 
encare  besoin  de  r^/lexian  et  qu'elle  manquaii  d'expi- 
rience.  Vous  manquez  d'exp^riencej  Sire;  Je  sais  qu'ä 
vingi'deax  ans  ei  dans  votre  position,  vous  n'avez  pas 
le  ressaurce  que  Vhabiiude  de  vivre  avec  des  ^gaux  donne 
aux  particuliers  pour  juger  les  hommes,  mais  aureE-vous 
plus  d'exp^nence  dans  huit  jours,  dans  an  moist  Ei 
/aai'ii  aitendre  pour  vous  diterminer  que  ceite  ejrp/rience 
iardive  söii  arriv^ef  Votis  n'uvez  point  d'expdrience  per- 
sonneile,  mais  pour  sentir  la  räalit^  des  dangers  de  votre 
posiiion,  n'avez-vous  pas  l'expe'rience  si  r/cente  de  votre 
aieul?  Andere  Bemerkungen  in  dem  Briefe  sind  von 
geradzu  brutaler  Offenheit,  so  wenn  Turgot  den  Monar- 
chen der  Charakterschwäche  zeiht  und  ausruft:  ^N^out^liei 
Jamals,  Sire,  que  c^est  la  faiblesse  qut  a  mis  la  täte  de 
Charles  l^^  sur  an  biliot;  c*esi  la  faiblesse  qui  a  rendu 
Charles  IX  cruel;  c'est  eile  qui  a  forma  la  ligne  saus 
Henri  lll,  qui  a  fall  de  Louis  Xlll,  qui  fait  au/ourd'kui 
du  roi  de  Portugal  des  esclaves  couronnds ;  c'est  eile  qui 
a  fait  tous  les  malheurs  du  dernier  rigne.^  ■ 

So  gern  man  auch  beim  Anblick  dieser  propheti-™ 
sehen  Warnung,  die  sich  ja  leider  an  Ludwig  XVI*  er- 
füllen sollte,  Turgots  weitschauendes  Urteil  bewundem 
möchte,  so  wird  man  doch  vor  allem  seine  mangelhafte 
Menschenkenntnis  beklagen  müssen.  Er  hatte  darauf  ge- 
rechnet, den  durch  die  Einflüsterungen  seiner  Gagner 
schwankend  gewordenen  Monarchen  bei  der  Sache  der 
Reform  zu  erhalten,  indem  er  ihm  die  Zukunft  in  den 
schwärzesten  Farben  malte  und  ihn  zur  Erkenntnis  seiner 


-J 


Turgots  Sturz. 


517 


r bedrohten  Lage  geradezu  zwang.  Durch  rückhaltlose 
Wahrhaftigkeit  und  nachdrückliche  Entschiedenheit  hatte 
er  den  schwachen  Willen  des  schüchternen  Jünglings, 
der  sich  seinem  Einfluß  entziehen  wollte,  noch  einmal 
zu  meistern  gehofft.  Das  Gegenteil  der  beabsichtigten 
Wirkung  trat  ein.  Er  entfremdete  sich  den  argwöhni- 
schen König»  der  nichts  mehr  fürchtete,  als  in  die  Ab- 
hängigkeit eines  allmächtigen  Ministers  zu  geraten.  In 
diesem  Mißtrauen  hatte  Maurepas  Ludwig  bestärkt.  Schon 
oft  hatte  jener  über  Turgots  despotische  Neigungen  sich 
beschwert.  Jetzt  schienen  die  Briefe  des  Finanzministers, 
die  der  König  Maurepas  zur  Begutachtung  vorlegte, 
augenfällig  zu  beweisen,  wie  gerechtfertigt  solche  An- 
klage war.  Hatte  Ludwig  schon  vorher  keine  Neigung^ 
nach  den  Wünschen  des  Generalkontrolleurs  den  Haus- 
ministerposten zu  besetzen,  so  vermochte  ihn  der  ge- 
bieterische Ton,  in  dem  Turgot  die  Ernennung  V^rys  in 
seinem  letzten  Briefe  gelordert  hatte,  nicht  umzustimmen. 
Er  entzog  dem  Finanzminister  sein  Vertrauen  und  lieh 
den  Ratschlägen  Maurepas'  ein  williges  Ohr. 

So  bedeutsam  und  folgenschwer  das  Schreiben  Tur- 
gots vom  30.  April  für  die  Entwicklung  der  Krisis  ge- 
worden ist,  man  muß  sich  hüten,  seine  Wirkung  zu  über- 
schätzen. Wohl  mag  es  den  Fall  des  Finanzministers 
beschleunigt,  aber  doch  nicht  eigentlich  entschieden 
haben.  Als  Turgot  es  abfaßte,  da  wußte  er  sehr  wohl» 
daß  seine  Stellung  bereits  erschüttert  und  der  Reform- 
eifer des  Königs  im  Erkalten  war.^)   Er  setzte  also  nicht 


*)  Wie  wenig  Turgot  auf  eine  ihm  günstige  Wendung  noch 
zü  hoffen  wagte,  geht  aus  verschiedenen  Stellen  seines  Schreibens 
hervor,  so  z,  B,  Larcy  S.  878:  Quoiqu'ii  en  soit,  Sire^  II  m*est  sl 
dSmonM  que  je  ne  pourrai  pas  rester  seul  et  isole^  cmnme  je  le 
suiSj  que  quand  man  äemir  ne  m'obligeraii  pas  ä  vaus  dire  toute 
la  v4riti,  je  ne  pourrai s  avoir  aumn  iniirH  ä  vous  la  taire,  \n 
dem  von  Soulavie  (lU,  428  f,)  rnitgeteilten  Schreiben  Turgots  an 
den  König  heißt  es  noch  deutlicher:  Cette  ann^e  la  reiraUe  d§ 
M,  de  MalesfurbeSy  la  rdunwn  la  plus  äMd^e  de  toas  tes  partis 
contre  mal,  mon  isolement  absülUj  Vinimiti^  asst^  connue  de 
M.  de  Mlrominll,  son  Inf  lue  nee  sur  M.  de  Maurepas ^  toat  per- 
suade  que  Je  ne  tlens  qu'ä  an  fiL 


518  H.  Glagau, 

allzuviel  aufs  Spiel,  als  er  Ludwig  an  das  Reformpro- 
gramrn,  auf  das  er  sicti  bei  seiner  Berufung  ins  Kabinett 
verpflichtet  hatte,  erinnerte  und  seine  Durchfüfirung  ent- 
schieden forderte.  Es  war  vielmehr  eine  letzte  ver- 
zweifelte Anstrengung,  den  jungen  Monarchen  zu  seiner 
Auffassung  zu  bekehren.  Scheiterte  auch  dieser  Versuch, 
so  mußte  Turgot  seine  Entlassung  geben.  Als  er  die 
Vertrauensfrage  stellte,  hatte  er  wenig  Hoffnung ^  eine 
befriedigende  Antwort  zu  erhalten.*) 

Er  war  daher  keineswegs  bestürzt  und  überrascht, 
als  er  am  10,  Mai  von  Malesherbes  erfuhr,  daß  Amelol 
Hausminister  werden  sollte.  Ihm  blieb  nun  nichts  übrig, 
als  zu  gehen  und  Maurepas  triumphieren  zu  lassen.  Er 
wußte,  daß  dieser  auf  seinen  Rücktritt  rechnete,  und  war 
seinerseits  auch  entschlossen,  das  Feld  zu  räumen,  nur 
wollte  er  für  die  Sache  der  Reform  des  königüchen 
Hauses  noch  eine  Lanze  brechen.  ^//  me  faut  peu  de 
jours,^  meldete  Turgot  damals  dem  Abb^  V^ry,  „paur 
meiire  soas  les  yeux  du  rot  le  plan  rfe  r^/orme  ämis  sa 
maiBon,  II  ne  sera  sürement  pas  adopt^^  et  Je  deman- 
äerai  ma  libert^'''^)  Aber  zu  der  Vorlegung  dieses 
Reformplanes  ließ  ihn  Maurepas  nicht  kommen.  Wahr- 
scheinlich hatte  er  davon  Wind  erhalten  und  eingesehen. 


^)  Mercy  berichtet  uns  in  den  Depeschen  vom  13.  AprO 
und  16.  Mai  r776|  daß  Turgot  zu  wiederholten  Malen  selbst  tind 
einmal  durch  Malesherbes  dem  König  die  Kandidatur  Vdryg  habe 
empfehlen  lassen,  aber  immer  vergeblich,  da  Maurepas  und  dte 
Königin  seine  Absichten  gekreuzt  hätten.  Wahrscheinlich  hat 
der  Generalkontrolleur  erst  nach  diesen  fehlgeschlagenen  Ver* 
suchen  sieh  anheischig  gemacht,  in  ganz  ausführlichen  Schreiben 
den  König  von  der  Notwendigkeit  der  Wahl  eines  reformfreund* 
liehen  Hausministers  zu  überzeugen. 

')  S.  Larcy  a,  a.  O.  S.  874,  Turgots  Brief  an  V^ry  vom  10,  Mai 
1776.  Auch  Mercy  berichtet  uns  von  der  Abfassung  des  Turgot- 
sehen  Relormplanes,  an  dessen  Vollendung  der  Minister  durch 
meine  plötzliche  Entlassung  gehindert  worden  sei.  Mercy  an 
Kaunitz  den  16.  Mai  1776.  Den  Grund,  durch  den  Maurepas  ver- 
anlaßt wurde,  Turgots  Abdankung  möglichst  zu  beschleunigen, 
scheint  mir  übrigens  Condorcet  zutreffender  als  Mercy  anzugeben. 
Vgl  Condorcet,  (Etivres  I,  120  f. 


Turgots  Sturz. 


519 


wie  bedenklich  es  wäre^  wenn  der  Generalkontrolleur 
seinen  Rücktritt  mit  dem  Widerstand,  dem  seine  Er- 
sparnisabsichten begegnet  seien,  rechtfertigen  würde.  Er 
stellte  daher  dem  König  vor,  es  sei  besser,  den  Finanz- 
minister zu  entlassen,  als  zu  warten,  bis  er  seinen  Ab- 
schied fordere. 


Überblickt  man  den  Verlauf  der  Krisis  im  französi- 
schen Kabinett,  die  mit  dem  Ausscheiden  der  beiden 
Reform  minister  ihren  Abschluß  fand,  so  bildet  das  ent- 
scheidende Moment  der  Umstand,  daß  der  leitende  Minister 
sich  mit  einem  der  Hauptpunkte  des  Turgotschen  Pro- 
gramms nicht  einverstanden  erklärte.  Malesherbes  ging, 
als  er  merkte,  daß  Maurepas  der  geplanten  Reform  des 
königlichen  Hauses  Hindernisse  in  den  Weg  legen  wollte. 
Turgot  aber  entschloß  sich,  den  Kampf  offen  aufzuneh- 
men und  die  Durchführung  des  Grundgedankens  seiner 
Finanzpolitik  zu  erzwingen.  Als  ihn  dann  auch  der 
König  ungeachtet  seiner  früheren  Zusagen  in  Stich  ließ, 
mußte  er  wie  sein  Freund  aus  dem  Ministerium  scheiden. 
Ob  er  den  Abschied  freiwillig  nahm  oder  entlassen  wurde, 
ist  dabei  eine  Frage  von  nur  untergeordneter  Bedeutung. 
Lehrte  doch  die  Folgezeit,  daß  die  Mission  Turgots  und 
der  Anhänger  der  Staatsrelorm  so  gut  wie  vollständig  ge- 
scheitert war  Ihren  Gegnern  gelang  es  nicht  nur,  den 
Fortschritt  der  Finanzreform  zu  hemmen,  sie  setzten 
auch  die  Zurücknahme  der  hauptsächlichsten  Edikte  Tur- 
gots durch.  Allerdings  sollte  dieser  Triumph  der  kon- 
servativen Richtung  nicht  von  langer  Dauer  sein.  Denn 
die  physiokratischen  Reformideen  erschienen  sehr  bald 
wieder  auf  der  Tagesordnung,  um  nicht  wieder  von  ihr 
zu  verschwinden.  Ja,  eben  die  Forderung,  die  Turgot 
mit  der  größten  Entschiedenheit  vertreten  hatte  und  über 
die  er  gefallen  war,  die  Reformbedürttigkeit  des  könig- 
lichen Hauses,  tauchte  sehr  bald  wieder  unter  Necker 
auf,  und  wenige  Jahre  später  waren  es  sogar  die  kon- 
servativen Elemente,  Notabein  und  Parlamente,  die  mit 
lauter    Entrüstung   die    Ausrottung   der   Mißbräuche    im 


520  H,  Glagaw, 

königlichen  Hofhalt  forderten.     Welche  Einbuße  erlitt  dti 
das  königliche  Ansehen,   als   der  Hof   unter   dem   Druck 
der  öffentlichen  Meinung  endlich  in  die  Bahn  einlenkte» 
die    ihm    ehedem    Turgot    und    Malesherbes     gewiesen 

hatten  I  ^ 

VIL  " 

Man  pflegt  den  Sturz  Turgots  als  ein  Ereignis  ledig- 
lich der  inneren  Politik  aufzufassen  und  darzustellen.  Hat 
aber  nicht  auch  die  große  Wendung  in  der  französischen 
Machtpolitik,  die  sich  gerade  im  Frühling  des  Jahres  1776 
deutlich  ankündigte,  der  bevorstehende  Kampf  gegen 
England  an  der  Seite  der  nordamerikanischen  Kolonien, 
auf  die  Gestaltung  der  inneren  Verhältnisse  nachdrück- 
lich eingewirkt  und  den  Entschluß  in  Ludwig  XVI.^  sich 
von  dem  Reformminister  zu  trennen,  vielleicht  sogar  her- 
vorgerufen ? 

Es  ist  ja  bekannt,  daß  Turgot  wenige  Wochen  vor 
seiner  Entlassung  ein  umfangreiches  Gutachten  in  der 
amerikanischen  Frage  abgegeben  hat,  worin  er  sich  gegen 
jede  Teilnahme  an  dem  Freiheitskriege  entschieden  er- 
klärte- Auf  einem  Irrtum,  der  in  der  historischen  Lite- 
ratur noch  weit  verbreitet  ist^),  beruht  es  aber,  wenn 
angenommen  wird,  daß  der  Generalkontrolleur  dieses 
Votum  zur  Unterstützung  der  von  Vergennes  eingeschla* 
genen  Richtung  abgegeben  habe.    Gerade  das  Gegenteil 


')  Wilhelm  Oncken  in  seinem  Zeitalter  Fnedrichs  des  Großen 
ü,  597  i  u,  \%  716  und  Jobez,  La  France  soas  Louis  ÄVi,  I,  48  r  L 
urteilen  in  dieser  Weise»  was  um  so  merkwürdiger  ist,  als  doch 
Bancroft  im  8.  Bande  seiner  History  of  tke  United  States  S.  328  ff^ 
der  1860  erschienen  ist,  schon  lange  unter  Mitteilung  eines  wört^ 
liehen  Auszugs  aus  Vergennes'  Considärations  auf  den  scharfen 
Gegensatz^  der  in  der  amerikanischen  Frage  zwischen  dem  Finanz- 
minister  und  dem  Minister  des  Äußern  obgewaltet  hat,  sehr  nach- 
drücklich hingewiesen  hat*  —  Inzwischen  sind  wir  durch  die  von 
Henri  Doniol  besorgte  Veröffentlichung  der  einschlägigen  diplo« 
matischen  Akten  in  der  fünf  band  igen  Histoire  de  ia  participatiom 
de  tu  France  ä  V^tabHssement  des  £tats-Unis  d^Am^riqae  (Paris 
1886  ff.)  in  der  glücklichen  Lage»  die  Entwicklung  der  amerikani- 
schen Frage  im  französischen  Kabinett  von  ihrem  Ursprung  bia 
zu  ihrer  Lösung  genau  beobachten  zu  können. 


Turgots  Sturz, 


SZl 


ist  der  Fall:  Turgots  Vorschläge  bewegten  sich  in  scharfem 
Widerspruch  zu  den  Considdrations,  die  der  Leiter  der 
auswärtigen  Politik  dem  König  und  dem  Ministerrat  be- 
züglich der  amerikanischen  Frage  vorgelegt  hatte»  Und 
in  diesem  Widerstreit  zwischen  dem  Generalkontrolleur 
und  Vergennes  traten  sowohl  der  König  wie  die  übrigen 
Staatssekretäre  dem  Ressortminister  bei.  Durch  eine 
solche  Entscheidung  aber  wurde  Turgots  Stellung  aufs 
schwerste  erschüttert*  Richtete  sie  sich  doch  ebenso  wie 
die  Frage  der  Reform  des  Hofstaates  gegen  den  Grund- 
gedanken seiner  ganzen  Finanzpolitik.  Denn  an  eine 
Herstellung  des  Gleichgewichts  zwischen  Einnahmen  und 
Ausgaben  war  natürlich  in  Kriegszeiten  nicht  zu  denken. 
Wir  holen  etwas,  was  lange  versäumt  worden  ist,  end- 
lich nach,  wenn  wir  hier  nach  Rankes  bewährtem  Rat 
den  Einfluß  der  nach  außen  gerichteten  Machtbestrebungen 
eines  großen  Staates  auf  den  Gang  der  inneren  Politik 
an  einem  augenfälligen  Beispiel  verfolgen  und  nach- 
weisen.') 

Neben  der  Staatsreform  hatte  der  junge  Herrscher, 
der  1774  die  Regierung  in  Frankreich  antrat,  noch  eine 
andere  wichtige  Aufgabe  zu  lösen,  eine  Aufgabe,  deren 
Bewältigung  der  öffentlichen  Meinung  viel  dringender 
erschien  als  jede  andere:  es  handelte  sich  um  die  Her- 
stellung des  politischen  Ansehens  des  Staates.  Die 
Schmach  des  Friedens  von  Paris,  durch  den  es  seine 
wichtigsten  Kolonien  in  Indien  und  Nordamerika  an  Eng- 
land verlor,  hatte  Frankreich  zu  einer  Macht  zweiten  oder 
dritten  Ranges  herabgedrückt.  Das  Kabinett  von  Versailles, 
ehedem  der  Mittelpunkt  des  politischen  Europa,  wurde 
jetzt  beiseite  geschoben  und  nicht  mehr  befragt.  Die 
Ostmächte  wagten  es,  einen  wichtigen  Bundesgenossen 
Ludwigs  XV.,  den  König  von  Polen,  zu  berauben,  ohne 


*)  Auch  Doniol  hat  es  unterlassen,  danach  zu  fragen,  inwie- 
weit Turgots  ablehnende  Haltung  in  der  amerikanischen  Ange- 
legenheit sein  Ausscheiden  aus  dem  Ministerium  mitveranlaßt  hat, 
ebenso  Wahl,  der  überhaupt  die  auswärtige  Politik  durchaus  als 
Cfuantil^  n^gligeabU  behandelt  und  nur  mit  einem  gelegentlichen 
Seitenblick  streift. 


Historiscbe  Zeitschrüt  (97.  Bd)  X  Polge  I.  Bd> 


Si 


522 


H.  Glagau. 


sich  um  die  Proteste  der  französischen  Regierung  irgend- 
wie zu  kümmern. 

Niemand  empland  diese  politische  Ohnmacht  des 
Vaterlandes  schmerzlicher  als  der  Mann,  dem  Ludwig  XVI. 
die  Leitung  der  auswärtigen  Geschäfte  übertrugt  Graf 
Vergennes,  ein  geschmeidiger,  behutsamer,  sehr  gewiegter 
Diplomat,  der  unter  der  Maske,  als  sei  es  sein  ein2iges 
Geschäft,  Frankreich  den  Frieden  zu  erhalten,  begierig 
nach  dem  Augenblick  ausspähte,  wo  er  an  dem  Erbfeind, 
dem  hochmütigen  Albion,  den  Schimpf  des  Pariser  Frie- 
dens rächen  konnte.^) 

Dieser  Augenblick  schien  gekommen,  als  der  Streit, 
der  sich  zwischen  den  amerikanischen  Kolonien  und  dem 
Mutterlande  erhoben  hatte,  immer  unversöhnlicher  wurde 


*)  Vergennes  selbst  hat  später  in  einem  Rückblick  auf  seine 
Politik  den  Grundgedanken,  der  ihn  Leitete,  folgend  erm aßen  ge- 
kennzeichnet: ^l£  suffii  de  Hre  h  traiU  dt  Paris  et  smrtaai  (es 
n^gociaiiöns  qui  Vont  pr^cM^y  pour  connattre  Vascendani  qm 
l*Angleterre  avaii  pris  sur  la  France,  pour  juger  combien  cetU 
arrogante  palssance  savourait  le  plaisir  de  naus  avoir  humiliäs; 
pour  acqu^rir  de  nouvelles  preuves  de  l^injnsiice  syst/fnatique  dm 
cabinet  de  Saint-James;  enfin  pour  y  puiser  tin  sentimeni 
d^ Indignation  et  de   vengeance  gue  le  seut   nom  am- 

glais    dolt    inspirer    ä    tout    Franpais    palriote 

Je  ne  crains  point  de  le  dire,  Sire,  ane  nation  peut  iprouver 
des  revers  et  eile  doit  däer  ä  la  lol  imp/rieuse  de  la  nicessltr 
et  de  sa  propre  conservation ;  mais  lorsque  ces  revers  et  Vku- 
miliation  qiti  en  a  räsalti  sont  injustes^  lor&quHls  ont  eu  poar 
principe  et  pour  btit  i'orgueil  d^un  rival  infiuent  ^  eile  doit 
pour  son  honneur^  pour  sa  dignitä,  pour  sa  consldäratlonf  elte 
doit  s'en  relever  lorsqu'etle  en  trottve  l*accasi&n, 
Si  eile  la  nigUgeait,  si  la  crainle  temporte  sur  le  äevoir,  eile 
ajotite  i'avilissement  ä  i^hamiliation,  eile  devlent  Vohjet  du  mäpris 
de  son  siäcle  comme  des  races  fatures.  Ces  importantes  veriHs^ 
Sire,  n'ont  Jamals  quitt^  ma  pensäe ,  elles  /latent  da  ja  profondi- 
ment  graväes  dans  mon  cotar  larsque  K  M.  m'appela  dans  son 
Conseil  et  j^attendis  avec  ane  vive  impatience  l*acca- 
sion  d'en  suivre  l^  Impuls  Ion,  Ce  sont  ces  ^nimes 
väritäs  quiontfixämon  attention  sur  tes  Ame'rieains; 
ce  sont  elles  qui  m^ont  f alt  /pier  et  saisir  le  moment 
oä  V.  M.  pourrait  assister  cette  nation  opprimäfi 
avec  l'espoir  bien  fondä  d'effectmer  teur  äälivramce^ 
Doniol  U  3  l 


n 
4 


Turgots  Sturz. 


und  schließlich  Englands  Kräfte  vollkommen  in  Anspruch 
nahm.  Allein  Vergennes  sah  ein,  daß  er  zunächst  nicht 
daran  denken  dürfe,  Frankreich  in  diesen  Kampf  unmit- 
telbar eingreifen  zu  lassen,  da  seine  Finanzen  zerrüttet 
und  seine  Marine  in  einem  geradezu  trostlosen  Zustand 
der  Vernachlässigung  waren.^)  Auch  wagte  er  nicht  gegen 
England  vorzugehen,  ohne  der  Beihilfe  Spaniens  sicher 
zu  sein. 

Wie  schwer  jedoch  dem  Minister  diese  notgedrungene 
Zurückhaltung  wurde,  wie  ernstlich  besorgt  er  war,  Frank- 
reich könnte  die  außerordentlich  günstige  Gelegenheit, 
den  Erbfeind  zu  demütigen,  verstreichen  lassen,  ersieht 
man  deutlich  aus  einer  R^ßexions  betitelten  Denkschrift, 
die  er  Ende  Dezember  1775  entwarf  und  wahrscheinlich 
Maurepas  und  dem  König  vertraulich  mitteilte,^)  Hier 
tritt  Vergennes  unumwunden  für  die  Unterstützung  der 
Amerikaner,  ja  für  den  Krieg  gegen  England  ein.  Würde 
Frankreich  die  Kolonien  nicht  unterstützen,  so  würden 
sie  wahrscheinlich  unterliegen,  Frankreichs  Untätigkeit 
aber  käme  dem  Erbfeind  sehr  zustatten,  dem  Erbfeind, 
den  man  auf  alle  Weise  schwächen  müßte*  Wie  leiden- 
schaftlich und  unversöhnlich  ruft  Vergennes  zum  Kampfe 
auf:  L'Angleterre  est  tennemi  naturel  de  la  France;  et 
eile  est  un  ennemi  avide^  ambitieuxy  injuste  et  de  mau- 
vaise  foi:  l'öbjet  invariable  et  chiri  de  sa  politique  est, 
sinon  la  destruction  de  la  France,  du  moins  son  abaisse- 
ment,  son  hamiliation  et  sa  rulne,  .  »  Ces  dispositions, 
jointes  au  soin  gue  la  France  doit  prendre  de  sa  propre 
conservation,  l^autorisent  et  m^me  IHnvitent  ä  saisir  lautes 
les  occasions  passibles  pour  affaiblir  les  forces  et  la 
puissance  de  l* Angleterre^  tandis  que  de  Fautre  la  poli- 
tique lai  en  fall  un  devoln 


*)  Das  gesteht  Vergennes  in  einem  Briefe  ein,  den  er  am 
31.  Oktober  1774  an  den  französischen  Botschafter  in  Madrid,  den 
Marquis  d^Ossun,  nchtete  i  des  finances  ä  rMabiir^  une  marine  ä 
reprenäre  dans  ses  premiers  fondementSj  taut  ceia  ne  peui  man^ 
quer  d'Üre  lang  et  de  demandtr  une  certaine  suite  d^annäes. 
Doniol  1,  M, 

«)  Doniol  I,  242  ff. 

34* 


Die  Erhaltung  des  Friedens  hält  Vergennes  unter 
aüeri  Umständen  für  ausgeschlossen,  ob  man  den  Ameri- 
kanern helfen  würde  oder  nicht  Denn  gelingt  es  den 
Amerikanern,  die  Unabhängigkeit  zu  erlangen,  so  wird 
sich  England  durch  die  Eroberung  der  franzosischen  and 
spanischen  Kolonien  zu  entschädigen  suchen,  unter  dem 
Vorwande»  die  Franzosen  hätten  den  Amerikanern  Hilfe 
geleistet.  Aber  auch  wenn  die  Engländer  die  Aufstän- 
dischen unterwerien,  wird  es  wahrscheinlich  über  Frank- 
reich hergehen*  So  werde  man  auf  alle  Fälle  Krieg  mit 
England  haben:  Ainsi,  sous  qaeique  poini  de  vue  qu^on 
envisage  flssue  des  difßrends  de  fAmSrique  ei  quelie 
que  soii  notre  conduite  dans  ceite  conjoncture,  eile  ne 
saurait  nous  garanUr  ia  dur^e  de  la  paix;  nous  ne  pou- 
vons  donc  pas  prendre  sa  conservaiion  poitr  base  de  notre 
poliüque,  et  dis  que  la  nature  m^me  des  choses,  sous 
quelque  poini  de  vue  qu'on  renvisage,  semble  devoir  nous 
conduire  ä  la  guerre,  la  prudence  veut  que  nous  präpa- 
rions  d'avance  les  moyens  de  la  faire  avec  succ^s  et  avec 
avantage:  on  ose  penser  que  les  plus  essentiels  de  ces 
moyens  seraient  de  s'assurer  des  Calonies  ei  de  faire  en 
cos  de  besoin  cause  commune  avec  elles. 

Diese  Denkschrift  vom  Ausgang  des  Jahres  1775 
enthält  unter  der  harmlosen  Aufschrift:  Riflexions  das 
kriegerische  Programm  des  Ministers  des  Auswärtigen, 
an  dessen  Durchführung  er  mit  zäher  Energie  in  den 
nächsten  Jahren  gearbeitet  hat,  indem  er  alle  Hindernisse, 
die  sich  seinem  Lieblingsgedanken  in  den  Weg  stellten, 
nach  und  nach  hinwegzuschieben  oder  zu  umgehen 
wußte*  Der  erste,  der  Vergennes  entschlossen  entgegen-  ■ 
trat  und  den  er  zu  besiegen  hatte^  war  Turgot.  | 

Anfang  März  1776  übersandte  Vergennes  dem  König 
eine  ausführliche  Denkschrift,  in  der  er  die  Haltung,  die 
Frankreich  und  Spanien  im  Angesicht  des  englisch- 
amerikanischen Krieges  zu  beobachten  hätten,  eingehend 
erörtertet)  Diese  Denkschrift,  die  den  schlichten  Titel 
Consid&ations  führte,  sollte  der  Monarch,  falls  er  sie  der 


')  Doniol  1,  271  It    Das  Schreiben  Vergennes'  ist  undatiert 


r 


Turgots  Sturz. 


525 


Beachtung  würdig  finde,  denjenigen  Ministern  abscfirift- 
iich  zugehen  lassen,  die  er  zu  einer  gemeinsamen  Be- 
ratung über  die  amerikanische  Frage  vor  sich  zu  be- 
scheiden gedächte,  um  von  ihnen  vorher  schriftlich  ihre 
Ansicht  zu  hören,     * 

So  maßvoll  Vergennes*  Sprache  in  diesen  „Erwä- 
gungen^ im  Vergleich  mit  den  Ausführungen  der  R^~ 
flexions  auch  auf  den  ersten  Blick  erscheint,  man  wird 
sich  nicht  darüber  täuschen  lassen:  das  Ziel,  das  der 
Minister  verfolgte j  war  im  wesentlichen  das  gleiche;  er 
wollte  den  unschlüssig  zaudernden  König  in  den  Kampf 
mit  England  hineinreißen.  ^)  Auch  hier  stellte  er  die  Mög- 
lichkeit^ den  Frieden  zu  erhalten,  als  im  höchsten  Grade 
ungewißj  den  Krieg  als  den  wahrscheinlichsten  und  vor- 
teilhaftesten Ausweg  hin:  de  lautes  ies  conjectures  vrai- 
semblabies  gue  la  circonsiance  peut  aatoriser,  la  moins 
apparente  est  celle  que  la  paix  puisse  itre  conservde^ 
quelle  que  sott  l'issue  de  la  guerre  actuelle  entre  fAn- 
gleierre  et  ses  calonles.  Er  schilt  die  „maßlose  Friedens- 
liebe*', die  nur  dazu  angetan  sei,  England  noch  anmaßen- 
der und  dreister  in  seinen  Forderungen  zu  machen*  In 
den  lockendsten  Farben  malt  er  die  Vorteile  aus,  die  den 
Königen  von  Frankreich  und  von  Spanien  ein  kriegeri- 
scher Entschluß  bieten  würde:  Si  Ies  dispositions  de  ces 
deux  princes  ^taieni  guerriires,  s'ils  Hatent  disposis  ä 
se  livrer  ä  Vimpahwn  de  leurs  int^räts  .  .  . ,  //  faudraii 
Sans  daute  leur  dire  que  la  Providence  a  marqui  ce  mo- 
meni  pour  l'humlliation  de  VAngleterre,  qa*elie  l'a  frap- 
pie  de  taveuglement  qut  est  le  pticurseur  le  plus  certaln 
de  la  destruction,  et  quHl  est  iemps  de  venger  sur  cette 
na  Hon  ies  menaces  qu'elle  a  f altes  de  puls  le  commence- 
meni  du  stiele  ä  ceux  qui  oni  eu  le  malheur  d^iire  ses 
valslns  ei  ses  rmaux;  il  faudralt  alors  ne  nigllger  aucun 


')  Treffend  urteilt  daher  Lecky  (Ä  History  of  England  in  the 
eighteenih  Century  IV,  39)  über  die  Tendenz  der  Denkschrift  Ver- 
gennes'j  wenn  er  sagt :  //  was  written  in  a  tone  of  extreme  kosti- 
^tity  to  England,  and  alt  hau gh  it  affected  to  deprecate  a  war^  its 
whöle  tendency  was  to  arge  the.  government  ta  a  more  direcUy 
aggressive  poHcy. 


526  K.  Glagau, 

des  moyens  possibles  paar  rendre  la  campagne  prochaim 
mussi  viv€  gu'il  se  pourrait,  et  pour  procurer  des  avan- 
iages  aux  Amäncains.  Le  degri  d'acharnemenf  ei  d'epuise* 
menis  des  deux  partls  qui  en  risuUeraii  diierminerait 
alars  l^instani  de  /rapper  des  coups  dicisiß  gut  feraiertf 
rentrer  l'Angieierre  dans  r ordre  des  puissances  secon- 
dairesj  iui  raviraient  Vempire  qu'elle  prUend  exercer  dans 
les  qaatre  parties  da  monde  avec  autuni  d^orgueil  que 
d'injusHce,  et  dilivreraient  Vunivers  d'un  tyran  avide 
qai  veat  ä  la  fois  engloaiir  taut  le  pouvolr  ei  ioaies  les 
richesses* 

Allein  Vergennes  sieht  ein,  daß  die  verbündeten 
Monarchen  zur  Voülührung  dieses  Programms  leider 
noch  nicht  gerüstet  und  auch  zu  aufrichtige  Friedens- 
freunde sind.  Dennoch  dürfen  sie  nicht  mehr  die  Hände 
in  den  Schoß  legen.  Ist  doch  der  Augenblick  zum  Han- 
deln gekommen.  Der  Minister  schlägt  daher  zwei  Maß- 
nahmen vor,  die  sie  über  die  Linie  der  bisher  strikt  ein- 
gehaltenen Neutralität  hinausführen  sollen,  einmal  die 
geheime  Unterstützung  der  Amerikaner,  dann  die  Ver»  ^ 
Stärkung  und  teilweise  Mobilisierung  der  Flotte.  fl 

Am  12.  März  1776  sandte  Vergennes  auf  Geheiß  ™ 
Ludwigs  XVL  seinen  Kollegen  Maurepas,  Sartine^  St. 
Germain  und  Turgot  je  eine  Abschrift  der  Consiäiraiians 
mit  dem  Ersuchen,  sobald  als  irgend  möglich  —  denn 
der  König  von  Spanien  warte  auf  die  Entschtießungen 
seines  Bundesgenossen  —  dem  König  ihr  Gutachten 
zuzustellen. 

Des  Kriegsministers  und  des  Marineministers  war 
Vergennes  sicher.  St.  Germain  pflichtete  schon  am 
15,  März  in  einer  kurzen  Note  dem  Inhalt  der  Conside- 
rations  bei.^)  Ahnlich  wird  Sartines  Antwort  gelautet 
haben.  Sie  ist  uns  nicht  überliefert,  wir  wissen  aber, 
daß  er  ein  aufrichtiger  Anhänger  der  amerikanischen 
Politik  Vergennes'  war  2) 


')  Doniol  I>  280. 

«)  Bancroft  VIII,  341  f.,  Doniol  I,  284.  Auch  Du  Pont  be- 
richtet, daß  Sartine  von  ganzer  Seele  den  Krieg  wünschte.  Knie« 
a.  a.  0.  il,  38L 


I 


I 


r 


Turgots  Sturz. 


527 


Sehr  viel  kam  auf  die  Meinung  des  Leiters  des  Ka- 
binetts an.  Man  hat  geglaubt,  daß  Maurepas  wie  Turgot 
eine  kriegerische  Verwicklung  gefürchtet  und  wenn  irgend 
möglich  zu  vermeiden  gewünscht  habe.^)  Aus  seinem 
Gutachten  aber  geht  hervor^  daß  er  nicht  nur  Vergennes' 
Vorschläge  unterstützt  hat^  sondern  noch  über  sie  hin- 
ausstrebte. Er  betonte»  daß  es  noch  niemals  eine  so 
günstige  politische  Lage  wie  die  gegenwärtige  gegeben 
habe,  wo  namentlich  die  gedrückte  finanzteile  Verfassung 
Englands  zu  einem  Angriff  einlade.  Seien  doch  außer- 
dem die  Verhältnisse  in  Europa  so  beschaffen,  daß  es 
dem  Gegner  nicht  glücken  würde,  sein  beliebtes  Mittel, 
eine  Macht  des  Festlandes  gegen  Frankreich  auszuspielen, 
mit  Erfolg  anzuwenden:  Toutes  ces  considiratiöns  ri- 
unies  pourraient  donc  porter  d  conclure  m^me  ä  Vöffen- 
sivej  comme  le  seul  mayen  de  rUabllr  nötre  marine  d'une 
pari  et  de  tauire  d^affaiblir  celle  de  l^ Anglelerre^  ei 
comme  ie  seul  mayen  d^assurer  paar  longtemps  la  paix 
du  Coniinent  qui  n'a  Jamals  ii6  iroublee  que  par  leurs 
inirigues  ou  ieur  argeni.  Indessen  würde  man  mit 
Rücksicht  auf  die  Finanzlage  von  einem  Angriffskrieg 
besser  absehen;  wären  doch  schon  bedeutende  Geld- 
mittel erforderlich,  um  die  französische  Flotte  für  den 
Fall  der  einfachen  Defensive »  die  wahrscheinlich  den 
Krieg  im  Gefolge  haben  würde,  in  den  nächsten  Jahren 
auszurüsten. 

Wir  erfahren  nicht,  an  welchem  Tage  Maurepas  diese 
Antwort  dem  König  überreichte.^)  Jedenfalls  wird  der 
erfahrene  Minister  damit  nicht  so  lange  gezögert  haben 
wie  der  Generalkontrolleur,  Ungeachtet  der  Weisung 
Vergennes*,  nach  der  das  vom  König  geforderte  Gut- 
achten die  größte  Eile  habe,  ließ  Turgot  Woche  auf 
Woche  verstreichen*  Ludwig  begann  schon,  wie  wir  von 
Mercy  erfahren,  seine  Ungeduld  zu  äußern  und  ungnädig 


')  So  z.  B.  Bancroft  VIH,  341. 

')  Das  Gutachten  trägt  kein  Datum  und  keine  Unterschrift, 
OJe  Gründe,  die  Doniol,  der  es  zuerst  aufgefunden  hat,  für  die 
Verfasserschaft  Maurepas^  geltend  macht,  scheinen  mir  über- 
zeugend zu  sein.     VgL  Donioi  l^  284  ff. 


628  H.  Glagau, 

zu  werden.  ^)  Endlich,  nach  fast  vier  Wochen,  am  6.  Apiil^ 
übergab  der  Finanzminister  ein  Schriftstück,  das  sich 
schon  durch  seinen  unverhältnismäßig  großen,  fast  buch- 
artigen Umfang  von  den  kurzen  Äußerungen  seiner  Kol- 
legen unterschied.  Er  wollte  eben  die  durchaus  ab- 
weichende Auffassung,  die  er  von  der  Behandlung  der 
amerikanischen  Frage  hatte,  möglichst  eingehend  und 
überzeugend  begründen.^) 

Während  Vergennes  den  Krieg  mit  England  beinahe 
für  unvermeidlich  hält,  erscheint  Turgot  ein  solches  Er- 
eignis fast  ausgeschlossen-  Denn  gelänge  es  Englandp 
die  Kolonien  nach  einem  jahrelangen,  höchst  anstrengen^ 
den  Kampfe  endlich  zu  unterwerfen,  so  würde  es  den 
Sieg  teuer  genug  erkaufen  und  sich  dabei  vollständig 
erschöpfen.  An  andere  Unternehmungen  wie  an  die  Er- 
oberung der  spanischen  und  französischen  Besitzungen 
würde  es  daher  vorläufig  nicht  denken  können,  zumal 
da  es  mit  der  Wiederholung  der  Autstandsversuche  zu 
rechnen  und  dieser  durch  Unterhaltung  starker  Besatzun- 
gen vorzubeugen  haben  würde.  Aber  auch  im  Falle  des 
Unterliegens  glaubt  er,  daß  England  außerstande  sein 
würde,  Frankreich  und  Spanien  zu  bekriegen,  weil  es 
seine  Machtmittel  im  Kampf  mit  den  Kolonien  verbraucht 
haben  würde. 

Hatte  Vergennes  vornehmlich  hervorgehoben,  wie 
überaus  günstig  es  für  Frankreich  sein  würde,  die  be- 
drängte Lage  des  Nachbarn  zur  Vergeltung  an  ihm  für 
früher  erlittene  Unbilden  auszunutzen,  so  warnt  Turgot 
au!  das  eindringlichste  vor  einem  Angriff  auf  England. 
Denn  würde  ein  solcher  Überfall  dem  englischen  Mini- 
sterium nicht  vielleicht  die  höchst  willkommene  Gelegen- 
heit bieten,  von  seinen  Forderungen  gegenüber  den  Auf- 
ständischen abzulassen,  ihnen  annehmbare  Bedingungen 
zu  gewähren  und  sie  zu  versöhnen?  Und  würden  ander- 
seits die  Kolonien,  die  durch  Bande  der  Blutsverwandt- 
schaft mit  dem  Mutterlande  verknüpft  seien,  sich   nicht 

^)  Mercy  an  Kaunitz  den  16.  Mal  1776, 

*)  Vgl  den  Abdruck  von  Turgots  Denkschrift  In  den  von 
Daire  besorgten  Oeuvres  II,  551—585. 


4 


1 


Turgots  Sturz* 


529 


an  die  PHichtenj  die  ihnen  dieses  Verhältnis  auferlege, 
erinnern  und  dem  bedrohten  England  zu  Hilfe  eilen 
wollen  ? 

Turgot  glaubt  also  weder  an  die  Kriegsgefahr  noch 
an  einen  möglichen  Nutzen,  den  Frankreich  aus  einem 
Überfall  des  bedrängten  Gegners  ziehen  würde.  Er  ist 
vielmehr  der  Meinung,  daß  der  König  keinen  besseren 
Gebrauch  von  der  Verlegenheit  des  Nachbarn  machen 
könnte^  als  wenn  er  die  Fnedenszeit  zur  Vornahme  drin- 
gender und  umfassender  Reformen  im  eigenen  Staate 
verwende.  Als  die  dringlichste  Aufgabe  erscheint  ihm 
die  Herstellung  geordneter  Finanzverhältnisse  durch  die 
allmähliche  Beseitigung  des  jährlichen  Fehlbetrags*  Über- 
schritten doch  trotz  der  Ersparnisse  und  Verbesserungen 
die  Ausgaben  die  Einnahmen  noch  um  20  Millionen. 
Auf  dem  eingeschlagenen  Wege  müsse  man  unbeirrt 
und  standhaft  weiterschreiten  und  alle  überflüssigen  Aus- 
gaben streichen:  La  voie  de  Viconomie  est  possible;  ii 
ne  faui  paar  cela  qu*une  voianti  ferme.  La  premUre 
iconomie  döit  itre  ceile  des  dipenseSj  parce  qu'elle  seuU 
peut  fonder  ia  confiance  du  public.  Aber  neben  der 
Ordnung  des  Staatshaushaltes  gebe  es  noch  andere  be- 
deutende Aufgaben,  wie  die  Herstellung  des  Heeres  und 
der  Marine^  die  der  König  beim  Antritt  der  Regierung 
in  einem  schier  unglaublich  vernachlässigten  Zustande 
vorgefunden  habe. 

Aus  dem  ihn  überall  leitenden  Gesichtspunkt  der 
notwendigen  Reformarbeit  in  den  meisten  Gebieten  der 
Staatsverwaltung  bezeichnet  Turgot  einen  etwaigen  Krieg 
für  das  größte  Unheil,  das  Frankreich  gegenwärtig  treffen 
könnte,  da  er  für  lange  Zeit,  ja  vielleicht  für  immer  die 
Beseitigung  der  eingerissenen  Mißbräuche  verhindern 
würde.  Um  seine  Kräfte  mit  dem  Erbfeind  erfolgreich 
messen  zu  können^  dazu  muß  der  Staat  erst  erstarken. 
Heute  ist  er  noch  nicht  reif  zur  Erfüllung  einer  solchen 
Aufgabe.  En  faisani  un  usage  primaturi  de  nos  forces^ 
nous  risqaerions  d'iterniser  notre  faiölesse^) 

*)  Friedrich  der  Große  kennzeichnete  im  Jahre  1776  sehr 
richtig  den  Zuatand  Frankreichs ,   als   er  seinem  Geschäftsträger 


fiao  H.  Glagau, 

Weit  Frankreich  triftige  Gründe  hat»  einem  Kriege 
möglichst  aus  dem  Wege  zu  gehen,  so  muß  es  auch  in 
der  Wahl  der  Vorsichtsmaßregeln,  die  es  vor  einem  nach 
Turgots  Ansicht  nicht  zu  besorgenden  Überfall  von  seiteti 
Englands  trifft,  äußerst  behutsam  zu  Werke  gehen:  man 
darf  den  Gegner  nicht  durch  die  Vornahme  von  um- 
fassenden Rüstungen  stutzig  und  argwöhnisch  machen; 
man  muß  sich  hüten,  ihn  zum  Kamp!  herauszufordern. 
Darum  verwirft  der  Finanzminister  die  von  Vergennes 
vorgeschlagenen  Maßregeln  als  zu  bedrohlich  und  Auf- 
sehen erregend.  Er  widerrät  es,  nach  den  französischen 
Kolonien  Truppenverstärkungen  und  ein  Geschwader  zu 
senden,  einmal  weil  diese  Maßnahmen  ungeheure  Kosten 
verursachen  und  den  jährlichen  Fehlbetrag  erhöhen,  zum 
andern  weil  sie  von  selten  Englands  stärkere  Rüstungen 
und  schließlich  den  Ausbruch  des  Krieges  hervorrufen 
würden.  Turgot  tritt  wohl  für  eine  Hebung  der  See- 
streitkräfte und  für  die  Ausrüstung  von  zwei  Geschwadern 
in  Brest  und  Toulon  ein,  schärft  aber  ausdrücklich  ein, 
daß  diese  Vorbereitungen  möglichst  unauffällig  getroffen 
werden  sollten,  und  daß  man  nur  dann  offen  rüsten  dürfe, 
wenn  wirklich  Gefahr  im  Verzuge  sei.  //  faut  sutioui 
iviier  toui  ce  qui  peui  donner  irop  d'alarmes,  .  *  Je  crok 
essenUel  de  ne  rien  pticipHerf . . ,  si  ce  n*est  iarsque  naus 
aurions  Heu  de  croire,  par  la  conduite  de  i'Angleterre, 
qite  cetie  puissance  songe  veriiahiemeni  ä  nous  atiaquer. 

Wie  gegen  die  vorzeitige  kostspielige  Mobilisierung 
der  Flotte  wendet  sich  Turgot  mit  Entschiedenheit  gegen 
einen  anderen  Vorschlag  Vergennes\  der  Frankreich  über 
die  Linie  der  strikt  eingehaHenen  Neutralität  hinausführen 
und  vermutlich  in  Kriegsgefahr  bringen  würde,  gegen 
die  Unterstützung  der  Aufständischen  mit  französischem 
Gelde*  Ein  solcher  Schritt,  geschähe  er  auch  noch  so 
heimlich^  würde  sich  kaum  verbergen  lassen,   und  wenn 


in  Paris,  Sandoz  Rollin,  schrieb :  La  Frana  me  parati  ressemhier 
beaucöup  ä  un  malade  qui  sort  ä'une  griive  malaäie  et  qui  veut 
cepenäant  faire  le  vigoureux;  mais  ie  wai  est  que,  pu  son  etat  dt 
faibtesser  eile  n'impose  ä  personne  pur  ses  airs  de  viguear  ei  de 
forces.    Angeführt  von  Doniol  1,  446* 


Turgots  Sturz* 


S3I 


I 


er  ruchbar  würde,  gerechtfertigte  Beschwerden  der  Eng- 
länder zur  Folge  haben- 

Man  sieht  leicht  ein:  wie  Turgot  von  ganz  anderen 
Voraussetzungen  ausging  als  Vergennes,  wie  er  die  poli- 
tische Lage  grundverschieden  von  dem  Minister  des 
Auswärtigen  beurteilte,  so  mußten  auch  die  Maßnahmen, 
die  er  empfahl,  vollständig  abweichen.  Unvermittelt 
klafften  die  Widersprüche  zwischen  den  Gutachten  der 
beiden  Minister,  weil  der  eine,  seinem  Ressort  entspre- 
chend, nur  für  die  Entfaltung  der  äußeren  Machtmittel 
des  Staates  Sinn  zeigte  und  die  inneren  Schwierigkeiten 
unberücksichtigt  liefl^),  während  wiederum  der  andere 
diese  allein  im  Auge  behielt  und  forderte,  daß  die  aus- 
wärtige Politik  ihnen  Rechnung  zu  tragen,  sich  ihnen 
unterzuordnen  habe* 

Daß  auch  Turgot  in  seinem  Reformeifer  über  das 
Ziel  hinausschoß,  lassen  die  Ausführungen  erkennen,  die 
er  der  Kolonialpolitik  im  Anschluß  an  den  amerikanisch- 
englischen  Konflikt  widmete-  Er  ging  hier,  ganz  durch- 
drungen von  seinen  physiokratischen  Anschauungen,  so 
weit,  den  Wert  kolonialen  Besitzes  für  Frankreich  über- 
haupt zu  leugnen*  Brächten  doch  die  Niederlassungen 
dem  Staat  nicht  nur  keinen  irgendwie  nennenswerten 
Gewinn,  sondern  auch  keinen  wirklichen  Machtzuwachs. 
Vielmehr  sei  man  oft  gezwungen  gewesen,  um  sie  im 
Kriege  zu  behaupten,  seine  Streitkräfte  zu  teilen  und  zu 
verzetteln.  Nach  Turgots  Ansicht  wäre  es  am  besten, 
wenn  Frankreich  seinen  Kolonien  die  Freiheit  schenkte 
und  sie  unter  eigener  Verwaltung  ließe,  zumal  da  er  den 
Zeitpunkt  voraussieht,  wo  sie  sich  wie  Jetzt  die  Nord- 
amerikaner vom  Mutterlande  losreißen  würden:  Sage  et 
heureuse  sera  la  nation,  qui,  la  premiire^  saura  plier  sa 
politique  aux  circonstances  noavelles^   qui  consent ira  ä 

*)  War  einmal  der  Krieg  erklärt,  so  war  es  nach  Vergennes' 
Ansicht  nicht  schwer,  Geldmittel  aufzutreiben.  Am  14.  Juni  1776 
schrieb  er  in  diesem  Sinne  an  den  französischen  Botschafter  in 
Madrid:  la  guerre  autorise  chez  nous  des  crues  d'impositions 
qit^on  nt  pourrmit  ^tablir  tn  temps  de  paix  sans  trap  faire  mur^ 
murer*    Doniol  [^  438, 


932  H.  Offtgau, 


I 


ne  voir  dans  ses  colonies  que  des  provinces  allües,  ei 
non  plus  sa/eiies  de  la  milr&polef  Jedenfalls  sollte  der 
König  sich  vor  einer  Oberschätzung  der  kolonialpoliti* 
sehen  Interessen  hüten  und  ihnen  nicht  unverhäEtnismaßige 
Opfer  bringen. 

So  stellt  sich  uns  Turgots  Denkschrift  als  ein  be- 
redter Protest  gegen  die  kriegslustige  Vergeltungspolitik 
Vergennes*  dar,  als  ein  energischer  Versuch  ^  die  er- 
wachende nationale  Leidenschaft  gegen  England  zu- 
gunsten der  Fortsetzung  der  Retormarbeit  im  Keime  m 
ersticken.  Mit  klarem  Bewußtsein  erblickte  Turgot  die 
der  Monarchie  drohende  Gefahr,  wenn  Frankreich  sich 
in  einen  kostspieligen  auswärtigen  Krieg  stürzte,  bevor  es 
das  morsche  Gebäude  seiner  überlebten  Verwaltung  auf 
neue  Grundlagen  gestellt  und  sich  dadurch  sichere  finan- 
zielle Hilfsquellen  verschafft  hätte.  Sein  Ruf  sollte  ange- 
hört verhallen.  Vergebens  wies  er  auf  das  drohende 
Gespenst  des  Staatsbankrotts*  Vergennes,  der  ein  feiner 
Diplomat,  aber  kein  Staatsmann  war^),  steuerte  in  der 
wilden  Jagd  auf  den  englischen  Nebenbuhler  blind  ins 
Verderben  hinein.  Aus  dem  langjährigen  Kampfe,  in  dem 
man  mageren  Lorbeer  und  geringen  territorialen  Erwerb 
einheimste,  ging  Frankreich  mit  einer  ungeheuren  Schul- 
denlast hervor,  die  die  Berufung  der  Notabein  und  den 
Ausbruch  der  Revolution  zur  Folge  hatte. 

Im  April  1776,  als  Vergennes  über  Turgot  siegte, 
ist  über  Frankreichs  Schicksal  recht  eigentlich  das  Los 
geworfen  worden.  Leider  sind  wir  über  die  näheren 
Umstände  dieser  entscheidenden  Krisis  sehr  mangelhaft 
unterrichtet*  Wir  wissen  nicht,  wie  Ludwig  XVL  die 
Denkschrift  des  Finanzministers  über  die  amerikanische 
Frage  aufgenommen  hat.  Vermutlich  wird  er  sie  Ver- 
gennes zugestellt  und  seine  Entgegnung  angehört  haben. 
Für  diesen  wird  es  wohl  nicht  schwer  gewesen  sein,  den 
jungen  Monarchen,  den  er  wie  Maurepas  in  seiner  ein- 


*)  Vgl,  die  treffende  Würdigung,  die  Sorel  im  ersten  Bande 
(S.  297  ff,)  seines  Werkes  L'Europe  et  la  RivoluHon  franpaise  der 
Persönlichkeit  und  der  Politik  Vergennes'  widmet. 


\ 


TurgotB  Sturz. 


533 


r 

V  schmeichelnden,  geschmeidigen  Art  vortrefflich  zu  be- 
I  handeln  wußte,  für  seine  politische  Auffassung  einzu- 
I  nehmen.  Boten  doch  die  Ausführungen  Turgots  manchen 
I  Angriffspunkt.  Man  brauchte  nur  au!  seine  eigentüm- 
lichen kolonialpolitischen  Ansichten,  auf  sein  unbegrenztes 
Vertrauen  in  die  friedfertigen  Absichten  der  englischen 
Minister  und  seine  ängstlichen  Warnungen  vor  jeder  Ver- 
letzung der  Neutralität  hinzuweisen,  um  dem  Finanz- 
minister mit  gutem  Schein  Mangel  an  politischem  Ver- 
ständnis, an  Mut  und  nationalem  Selbstbewußtsein  vor- 
zuwerfen. Wieviel  lebhafter  wirkten  auf  die  Einbildungs- 
kraft des  jungen  Monarchen  die  ehrgeizigen  Zukunfts- 
träume, die  ihm  Vergennes  in  dem  nahen  Triumph 
Frankreichs  über  das  hochmütige  Albion  ausmalte,  und 
die  oft  wiederholte  eindringliche  Mahnung,  den  einzig 
günstigen  Moment,  den  Nebenbuhler  für  die  Frankreich 
im  Jahre  1763  angetane  Schmach  zu  züchtigen  und  das 
tief  gesunkene  Ansehen  des  bourbonischen  Hauses  wieder- 
herzustellen, ja  nicht  zu  versäumen  I 

Man  hat  mit  Recht  darauf  hingewiesen  ^)j  da0  Lud- 
wig XVL  weit  mehr  Kenntnisse  und  ein  besseres  Ver- 
ständnis für  die  Erfassung  der  auswärtigen  Angelegen- 
heiten hatte  als  für  die  höchst  verwickelten  Probleme 
der  inneren  Reform.  Die  äußere  Politik  hatten  seine 
Vorfahren  stets  als  ihre  eigentliche  Domäne  betrachtet. 
Das  ging  sie  unmittelbar  an.  fiandelte  es  sich  doch 
hier  um  die  Interessen  und  den  Ruhm  ihrer  Dynastie, 
Diesem  Familienherkommen  blieb  auch  Ludwig  XVL 
treu.  Gerade  die  Akten,  die  uns  über  die  Vorgeschichte 
der  Teilnahme  Frankreichs  an  dem  amerikanischen  Frei- 
heitskampfe unterrichten,  zeigen,  wie  der  junge  König 
mit  lebhaftem  Eifer  den  Verhandlungen  oft  bis  in  die 
Einzelheiten  folgt  und  wie  er  einmal  in  der  entscheiden- 
den Stunde  den  Ausschlag  gibt  und  seine  zaudernden 
Minister  zum  Entschluß  mit  fortreißt.  Bekannt  ist  es 
ja  auch,  daß  die  Königin,  so  groß  ihr  Einfluß  sonst  auf 
den  schwachen  Gemahl  war,  auf  den  Gang  der  auswär- 


0  Sorel  a.  a.  O.  I,  29% 


iOfa 


ül 


554  H.  Gttgau, 

tigen  Geschäfte  trotz  der  Bemühungen  des  österreichi- 
schen Botschafters  nicht  einzuwirken  vermochte. 

Dem  französischen  Monarchen  stand  keiner  von  seinen 
Ministern  näher  wie  der  Staatssekretär  des  Auswärtigen, 
mit  dem  er  ununterbrochen  zusammenarbeitete  und  in 
engster  Fühlung  blieb.  Der  Posten  des  GeneraJkontrol- 
leurs  der  Finanzen  hatte  dagegen  stets  eine  untergeord- 
nete Bedeutung  gehabt.  Im  wesentlichen  hatte  sich  der 
Inhaber  desselben  als  geschickter  Finanzkiinstler  zu  er- 
weisen, der  dem  König  jederzeit  die  nötigen  Geldmittel 
zur  Durchiührung  seiner  Politik  vorzustrecken  wußte. 
Versagte  er  in  diesem  Punkte,  so  wurde  er  als  homme 
Sans  ressöurces  verächtlich  beiseite  geschoben.  Mit  Turgot 
aber  war  hier  ein  Minister  aufgekommen^  der  das  bisher 
verachtete  Amt  zu  überragendem  Ansehen  erheben  und 
die  Finanzpolitik  in  den  beherrschenden  Mittelpunkt  der 
Staatsverwaltung  rücken  wollte.  Er  verlangte,  daß  die 
anderen  Ressortminister  ihre  Etatanschläge  nach  dem 
Gutdünken  des  Generalkontrolleurs  beschneiden  sollten, 
Nur  er  sollte  darüber  zu  befinden  haben,  ob  ihre  Mehr- 
forderungen berechtigt  oder  Ersparnisse  geboten  seien. 
Erfuhr  schon  dieser  Anspruch,  so  berechtigt  er  war, 
starken  Widerspruch,  weil  man  früher  an  diese  Ein- 
mischung des  Generalkontrolleurs  nicht  gewöhnt  war, 
so  rief  vor  allem  der  Versuch  Turgots,  nun  auch  den 
Gang  der  auswärtigen  Politik  lediglich  aus  finanziellen 
Erwägungen  zu  bestimmen,  den  entschiedenen  Wider- 
stand des  Ministers  des  Äußern  hervor. 

Ludwig  XVL  stellte  sich  in  diesem  Konflikt  auf  Ver- 
gennes'  Seite.  Am  22,  April  wurde  ein  Ministerrat  ab- 
gehalten, der  über  die  Haltung  Frankreichs  in  der  ame- 
rikanischen Frage  sich  schlüssig  machen  sollte.  Zu  dieser 
Beratung  zog  der  König  Turgot  nicht  hinzu,  eine  Unter* 
lassung,  die  schon  von  den  Zeitgenossen  als  ein  sicheres 
Anzeichen  dafür,  daß  der  Monarch  den  Finanzministcr 
fallen  lassen  wollte,  gedeutet  wurde. ^)   Alle  übrigen  Out- 


4 


')  ¥ergennes  hatte  in  dem  Schreiben  an  den  Könige  das  der 
Denkschrift   Cansid^rations  beigegeben    war,   gebeten,    ihm   die- 


Turgot8  Sturz. 


ma 


achter  waren  berufen  worden^  neben  Vergennes  Maurepas^ 
St.  Germain  und  Sartine.  Hier  wurde  nun  ganz  im  Sinne 
der  Considirations  der  Beschluß  gefaßt,  zwei  stattliche 
Geschwader  in  den  Häfen  von  Toulon  und  Brest  unver- 
züglich auszurüsten.^)  Und  Anfang  Mai  gab  der  König 
die  bisher  beobachtete  Neutralität  gegenüber  den  Ameri- 
kanern auf,  indem  er  durch  Vergennes  ihnen  die  erste 
geheime  Geldunterstützung  anweisen  ließ.^) 

Wenn  diese  beiden  Beschlüsse,  die  Turgot  dringend 
widerraten  hatte,  auch  noch  nicht  den  Krieg  bedeuteten, 
so  fühlte  man  sich  doch  in  Versailles  am  Vorabend  des 
Entscheidungskampfes  und  des  offenen  Bündnisses  mit 
den  amerikanischen  Kolonien  gegen  England.  Wie  ge- 
fährdet und  unsicher  dem  Minister  des  Äußern  die  Fort- 
dauer des  Friedenszustandes  hinfort  erschien,  wie  sehr 
er  mit  der  Tatsache  des  nahen  Ausbruches  eines  Kon- 
fliktes rechnete,  ersieht  man  aus  einem  Schreiben,  das 
er  am  3.  Mai  1776  an  den  leitenden  Minister  in  Spanien, 
den  Marquis  Grimaldi,  richtete,  wo  es  u.  a.  heißt:  Nous 


jenigen  Minister  namhaft  zu  machen,  welche  der  Monarch  irau' 
Vera  hon  d^appeler  ä  La  disatssion  d'une  aussi  gründe  qaestion 
<Doniol  I,  271  i),  Ludwig  XVL  hatte  dann  Turgot  genannt  und 
Vergennes  diesem  auJ  das  Geheiß  des  Königs  die  Consid^rati&ns 
zugehen  lassen.  Um  so  auffälliger  ist  es,  daß  er  nach  Abgabe 
des  Gutachtens  nicht  zu  der  eigentlichen  Erörterung  über  die 
wichtige  Frage  hinzugezogen  wurde,  —  Aus  den  Memoiren  des 
Abbd  de  Viiy  teilt  Larcy  (a.  a,  O,  S,  874  Anm.)  eine  wichtige 
Stelle  mit:  M.  Turgot  ^taii  opposä  ä  ia  guerre;  U  avait  exprim/ 
cet  avis  dans  an  memoire  raison n/  en  date  du  6  avril.  H  pr^* 
vayait  ies  embarras  financiers  qui  en  seraieni  la  satte.  Quelques 
Jaurs  avant  son  renvoi^  on  avait  iena  an  comitä  de  ministres  oä 
il  n^ avait  pas  iti  appeU^  et  ok  on  dMda  que  deux  courriers 
seraient  envoyäs  ä  Brest  et  ä  loa  ton  avec  ordre  d*  armer  !2  vais- 
seaax  dans  l^un  de  ces  ports  et  8  dans  t^aaire,  —  Auch  Soulavie 
(111,  103  i.)  bringt  die  Ungnade  Turgots  in  Zusammenhang  mit 
seinem  Verhalten  in  der  amerikanischen  Frage:  M.  Turgot  mani' 
festa  son  opinion  contre  la  gaerre^  au  mois  ä'avril  1776^  dans  ie 
moment  mime  ou  le  rot  et  Ies  autres  minist  res  ätalent  rtfsolus  de 
la  d/clarer  et  de  la  faire,  Celle  opinion  et  ses  plans  de  restau- 
ration  intärieure  concotirurent  ä  aceälärer  sa  disgrdce. 

')  Doniol  I,  343  H 

>)  Doniol  I,  372. 


536 


H.  Qlagati, 


ne  devons  pas  perdre  de  vae,  Monsieur,  qu'Ü  pourra  ar- 
river  cette  circonsiance,  oä  il  nous  seraii  impoHant  de 
trouver  des  pierres  d'aitente  posies  pour  pouvoir  pretidn 
des  Haisons  oaveries  avec  ce  peuple  [des  Amirieains} ; 
noire  paix  auec  i'Angieierre  n*est  que  precaire, 
c'esi  un  feu  cachi  sous  une  cendre  i rompeuse 
dont  Vexplösiön  peut  se  faire  au  mamenf  m4me 
que  ies  deux  parties  y  penseroni  ie  moins.^} 

Will  man  den  Zeitpunkt  angeben,  wo  in  Ludwig  XVL 
der  Entschluß  reifte,  sich  von  Turgot  lu  trennen,  so  wird 
man  die  Tage  wählen,  in  denen  er  den  Ratschlag,  den 
der  Finanzminister  in  der  amerikanischen  Angelegenheit 
gab,  rundweg  verwarf*^)  Durch  die  Beschlüsse,  die  dann 
am  22,  April  1776  in  dem  Konseil  gefaßt  worden  sind, 
wurde  in  das  finanzielle  System  Turgots  die  erste  Bresche 
gelegt.  Denn  die  in  Aussicht  genommene  Mobilisierung 
eines  großen  Teiles  der  Flotte  machte  im  Marinedeparte- 
m^nt,  wie  der  Generalkontrolleur  besorgt  hatte,  große 
Mehrausgaben  erforderlich,  die  nur  durch  die  Aufnahme 
von  Anleihen,  gegen  die  er  sich  entschieden  bei  Über- 
nahme des  Amtes  erklärt  hatte,  gedeckt  werden  konnten. 
Wenn  sich  der  König  in  der  Folgezeit  dem  Wunsche  des 
Finanzministers  versagte^  eine  ihm  genehme  Persönlich- 
keit an  die  Spitze  des  Hausministeriums  zu  berufen»  so 
mag  das  vielleicht  aus  dem  Grunde  geschehen  sein,  weil 
das  Vertrauen,  das  er  bisher  auf  Turgot  gesetzt  halte, 
einen  empfindlichen  Stoß  erlitten  hatte.  Es  war  ihm 
zweifelhaft  geworden,  ob  der  Generalkontrolleur,  der  sich 
so  energisch  gegen  die  Richtung  stemmte^  die  man  in 
der  auswärtigen  Politik  einschlagen  wollte^  für   den  Fall 

^)  Doniol  I,  375  f. 

')  D.  h.  in  den  Tagen,  die  dem  6.  April  folgten,  an  dem 
Turgot  seine  Antwort  auf  Vergennes'  Consta^ rations  dem  König 
zugestellt  hatte.  Das  würde  auch  mil  der  Angabe  der  Gräfin 
Maurepas  übereinstimmen,  die  ihrem  Freunde,  dem  Abb^  Ver)% 
den  Sturz  Turgots  mit  dem  Hinzufügen  am  12,  Mai  meldete :  //  y 
a  un  mois  que  cei  orage  gronde  sar  sa  (Turgots)  tite^  saus  gn'ii 
alt  voulu  s'en  apercevoir.  Je  lui  ai  parlä  de  fafcn  ä  tut  fairt 
voir  que  U  rat  n*diait  pas  pnfvenu  paar  lui:  U  n^a  pas  voulm 
me  cr&ire.    Larcy  a.  a.  0.  S.  875* 


4 


1 


Turgots  Sturz, 


537 


eines  Krieges  der  geeignete  Mann  war,  um  die  Staats- 
finanzen zu  leiten  und  die  erforderlichen  Geldmittel  flüssig 
zu  machen» 

Anderseits  durfte  auch  Turgot  nicht  mehr  hoffen, 
unter  diesen  Umständen  seine  Ftnanzreform  durchzu- 
führen. Rückten  doch  schon  die  umfassenden  Rüstungen, 
die  die  Vorbereitung  des  Kampfes  gegen  England  be- 
anspruchte,  das  Ziel  der  Herstellung  des  Gleichgewichts 
im  Staatshaushalt  in  weite,  unabsehbare  Fernen.  Der 
Grundpfeiler  seiner  ganzen  Finanzpolitik,  der  schon  durch 
die  Hindernisse,  die  sich  einer  durchgreifenden  Reform 
des  königlichen  Hofstaates  entgegentürmten,  ins  Wanken 
geriet,  mußte  vollends  im  Falle  der  Kriegserklärung  zu- 
sammenstürzen. ^) 

Ob  der  König,  ob  Turgot  schon  in  jenen  Tagen  die 
ganze  Tragweite  ihrer  Meinungsverschiedenheit  über  die 
Behandlung  der  amerikanischen  Frage  mit  voller  Klar- 
heit erkannt  haben,  können  wir  nicht  mit  Sicherheit 
sagen.  Mag  dem  sein,  wie  ihm  wolle,  jedenfalls  ist  doch 
so  viel  deutlich,  daß  das  Vertrauen  Ludwigs  in  die  poli- 
tische Einsicht  des  Finanzministers  hierbei  stark  erschüt- 
tert wurde  und  damit  die  ersten  Zweifel  an  der  Zweck- 
mäßigkeit des  finanziellen  Reformplanes  Turgots  in  der 
Seele  des  jungen  Monarchen  aufkeimten.  Das  herzliche 
Einverständnis,  das  zwischen  dem  König  und  seinem 
Minister  früher  obgewaltet  hatte,  war  gestört,  und  es 
wurde  seinen  zahlreichen  Gegnern,  die  aus  allen  Kräften 
an  seinem  Sturze  arbeiteten,  in  der  Folge  leicht,  die 
Kluft  zwischen  beiden  Teilen  allmählich  zu  erweitern* 


^)  In  dem  Briefe  an  den  König  vom  30*  April  1776  streift 
Turgot  auch  diese  Frage:  Et  que  sera^ce,  Sire,  si  aux  d/sordres 
de  iHntirieur  se  jotgnent  Us  embarras  d'une  giierre  que  milU  di~ 
marches  imprudentes  peuvent  amener,  ou  que  ies  cinonsiances 
peuveni  forcerf  Comment  ta  main  qui  n^uura  pus  ttnu  ie  gom- 
vernaii  dans  le  caime^  pourra-t-eiU  soutenir  Veffort  des  tempMes  t 
Comment  soutenir  une  guerre  avec  ceite  fiuctuaiwn  dHd^e&  et  de 
vütont^Sj  avec  cette  habäude  dHndiscrätion  qui  accompagne  tou- 
jours  ta  faibtessef    Larcy  a.  a.  O.  S,  879. 


KUtoriictie  ZeiUcbrlJt  (97.  Bd)  3.  Folge  K  Bd. 


36 


Im  vorletzten  Heft  dieser  Zeitschrift  versucht  Harry  Breßlaii 
den  Nachweis,  daß  die  Ungarnschlacht  von  955  doch  auf  dcrn 
Lechfelde^  nicht,  wie  ich  (Sitzungsber,  d*  Bert.  Akad.  l%5v 
Nn  27)  mit  Wyneken  annehmen  zu  sollen  glaubte,  links  von 
Lech  und  Wertach  stattgefunden  habe»  Er  stützt  sich  dabei 
vor  allem  auf  die  oft  angezogene  Erzählung  in  c.  3  der  Vita 
Udalrici  (MS.  IV,  388  fl.),  wo  berichtet  wird,  wie  die  heilig« 
Afra  den  Udalrich  nächtlicherweile  auf  das  Lechfeld  führte 
und  ihm  über  den  künftigen  Kampf  mit  den  Ungarn  Mittei- 
lungen machte;  Indkavit  ei  venturam  supergressionem  Ungro- 
rum  et  loca  belli  et  qaamvis  laber  tose  tarnen  vtcioriam  ckristi* 
anis  concessam  esse  nunciaviL  Er  sieht  darin  mit  Dümmkr 
und  V.  Ottenthai  einen  tlinweis  auf  das  Schlachtfeld  und  hält 
die  Frage  für  gelöst.  Ich  möchte  im  folgenden  kurz  darlegen. 
warum  ich  mich  dieser  Auffassung  nicht  anschließen  kann, 
vielmehr  bei  der  meinigen  verharren  muß.  Ich  führe  dabei 
die  Qucllenstelten  nur  so  weit  an,  als  das  für  das  Verständnis 
unerläßlich  ist* 

Wer  an  der  Vorstellung  festhält,  daß  die  Entscheidungs- 
schlacht auf  dem  Lechfelde  geschlagen  worden  sei,  muß  sieh 
vergegenwärtigen,  daß  er  sie  dort  nur  unterbringen  kann  süd* 
lieh  von  Augsburg;  nördfich,  östlich,  wcsthch  der  Stadt  is^| 
für  einen  solchen  Hergang  kein  Raum.    Er  muß    sich   ferner 


r 


Die  Ungarn  Schlacht  ^on  955. 


539 


vergegenwärtigen t  daß  die  Sache  sich  nur  abgespielt  haben 
kann  in  einer  nicht  unerheblichen  Entfernung  von  Augsburg; 
denn  nach  dem  ungarischen  Angriff  auf  die  Stadt  verliert 
diese  die  Fühlung  mit  dem  dem  heranrückenden  Könige  ent- 
gegenziehenden Heere  des  Feindes;  über  den  Ausgang  des 
vollendeten  Entscheidungskampfes  ist  man  in  der  Stadt  zu- 
nächst nicht  unterrichtet,  1)  Es  kann  ferner  kein  Zweifel  dar- 
über bestehen,  daß  man,  sofern  die  Schlacht  auf  dem 
Lechfelde  geschlagen  worden  ist,  sie  sich  vorstellen  muß 
als  geschlagen  von  den  Deutschen  Front  gegen  Norden, 
RUcken  gegen  das  Gebirge»  von  den  Ungarn  Front  gegen 
Süden,  Rücken  gegen  Augsburg  und  den  Winkel  von  Lech 
und  Wertach.  Eine  Schlacht  auf  dem  Lechfelde  in  der  Rich- 
tung Ost- West  ist  undenkbar*  Sie  würde  voraussetzen,  daß 
Otto  im  Angesicht  des  Feindes  oder  weit  nach  Süden  aus- 
biegend die  Wertach  überschritten  hätte*  Sie  würde  die 
fliehenden  Ungarn  auch  nicht  bei  Augsburg  vorbeigeführt 
haben,  wie  doch  Gerhard  ausdrücklich  berichtet.  Ich  glaube 
schon  in  den  Sitzungsberichten  (S,  559)  genügend  dargelegt 
zu  haben,  daß  ein  Anmarsch  Ottos  von  Süden  her  undenkbar 
ist*  Und  damit  fällt  Im  Grunde  genommen  auch  die  Annahme 
einer  Schlacht  auf  dem  Lechfelde. 

Es  ist  aber  nicht  nur  diese  in  den  geographischen  Ver- 
hältnissen liegende  Erwägung,  die  mir  eine  Verlegung  der 
Schlacht  auf  das  Lechfeld  unmöglich  macht;  es  ist  auch  die 
Tatsache,  daß  eine  solche  Annahme  in  offenkundigem,  aber 
keineswegs  unumginglichem  Widerspruch  steht  mit  unseren 
Hauptquellen. 

Der  Aufbruch  der  Ungarn  von  Augsburg  erfolgt  in  occur- 
sum  regisß)  Er  erfolgt  alsbald  auf  die  Ankündigung  vom  An- 
marsch des  Königs,  die  Berthold  von  Reisensburg  bringt*  Es 
ist  immer  angenommen  worden,  und  auch  Breßlau  äußert  hier 
keine  Zweifel,  daß  Berthold  die  Nachricht  gebracht  hat  von 
der  Gegend  seiner  Burg  hen  Die  Art  der  Nachricht  verlangt 
auch  die  Annahme,  daß  sie  gebracht  worden  ist,  sobald  nur 
irgendwie   sichere  Kunde   über  das   Heranziehen   des   Königs 


")  Vgl  Gerhard!  vita  Oudalrici  ep.  c,  12  MS.  IV»  402, 
»)  MS,  IV,  402*. 

35* 


540 


Dietrich  Schäfer, 


erlangt  war,  und  gebracht  worden  ist  in  größter  Eile-  Reisen^ 
burgs  Lage  ist  bekannt,  am  rechten  Donauufen  Berthold  ist 
im  ungarischen  Lager  vor  Augsburg  an  einem  Vormittag  ein- 
getroffen, als  die  Ungarn,  seit  Sonnenaufgang  sich  anschickend 
zum  Angriff  auf  die  Stadt,  gerade  von  ihren  Führern  gegen 
die  Mauern  getrieben  wurden.  Man  wird  eine  der  früheren 
Morgenstunden  annehmen  müssen.  Die  Entfernung  zwischen 
der  Donau  und  Augsburg  beträgt  vom  nächstgelegenen  Punkte 
des  Flusses  in  der  Luftlinie  35  km,  von  Retsensburg  aus  46 
bis  47,  von  Donauwörth  her  40,  Es  ist  also  klar,  daß  Otto 
in  der  voraufgehenden  Nacht  oder  am  späten  Abend  des 
voraufgehenden  Tages  entweder  die  Donau  erreichte  oder, 
was  wohl  wahrscheinlicher  ist,  sich  anschickte,  sie  zu  über- 
schreiten, bzw.  diese  Überschreitung  begann.  Man  kann 
nicht  anders  als  annehmen,  daß  der  Abmarsch  der  Ungarn 
von  Augsburg  und  das  Auftreten  des  königlichen  Heeres 
rechts  der  Donau  ziemlich  gleichzeitig  erfolgte.  Damit  ist 
aber  auch  gegeben,  was  es  heißt:  in  occursam  re^is.  Es 
widerspricht  dem  durchaus  glaubwürdigen,  in  sich  geschlos- 
senen Bericht  Gerhards,  die  Ungarn  nach  Süden  abmarschieren  _ 
zu  lassen;  ihr  Abmarsch  kann  nur  gegen  die  Donau  hin  er- fl 
folgt  sein,  und  zwar  gegen  die  Donau,  soweit  sie  oberhalb 
der  Lechmündung  fließt* 

Der  Bericht  Gerhards  steht  durchaus  im  Einklang  mit  der 
Darstellung  Widukinds;  beide  ergänzen  sich  aufs  glücklichste. 
Der  sächsische  Geschichtschreiber  erzählt,  daß  die  Heere 
am  Tage  vor  der  Schlacht,  nämlich  am  9«  August,  Kunde 
voneinander  erhalten  hätten :  Ab  uirmsque  exerciius  lalro- 
cinanlibas  agminibus  nöfi/icabatar^  non  ionge  exerciius  ab 
aiiero  fore.  Jejunio  in  casiris  predkaio  jussum  esi^  omnts 
in  c  ras  Uno  (der  Schlachttag  ^  10.  August)  paraios  esse  ad 
beliam.  Beiderseitige  Streifscharen  stießen  also  aufein- 
ander. Selbstverständlich  kann  das  nur  südlich  der  Donau 
gewesen  sein,  und  das  zweifellos  Nächstliegende  ist,  anzu- 
nehmen, daß,  soweit  Ungarn  beteiligt  waren,  es  sich  um  die 
Vortruppen  ihres  von  Augsburg  heranmarschierenden  Heeres 
handelt.  ^Wir  gewinnen  damit  einen  zweiten  Anhalt  für  die 
Bestimmung  der  Zeit  des  Donauüberganges.  Er  vollzog  sich 
am  späten  Abend  des  8.,  in  der  Nacht  vom  8.  zum  9.  od^ 


Die  Ungamsch lacht  von  955. 


Hl 


am  Morgen  des  9.  August.  Daß  dieser  entscheidende  strate- 
gische Schritt  deutscherseits  geschah  unter  dem  Eindruck  der 
voJlzogenen  Vereinigung  des  Heeres  und  des  Eintreffens  des 
Herzogs  Konrad  und  alsbald  nach  diesen  Geschehnissen,  er- 
zählt Widukind  klar  und  deutlich  und  ist  auch  völlig  glaub- 
würdig. Selbstverständlich  spielten  sie  sich  nördlich  der 
Donau  ab.  Es  bleibt  zeitlich  gar  nicht  die  Möglichkeit,  den 
König  weit  nach  Süden  ziehen j  die  Wertach  überschreiten  und 
dann  wieder  nordwärts  gegen  Augsburg  vorrücken  zu  lassen. 
Nun  hegt  ßreßlau  aber  Zweifel  gegen  die  Berichterstat- 
tung des  Widukind.  Ich  hatte  dessen  Erzählung  als  „klar  und 
deutlich*  bezeichnet;  BreßJau  möchte  das  nicht  gelten  lassen. 
Er  betont  (S.  145)^  daß  die  Interpretation  der  Kritik  voran* 
gehen  müsse,  was  selbstverständlich  ist,  und  daß  es  hier  zu- 
nächst darauf  ankomme,  festzustellen,  wie  Widukind  selbst 
sich  den  Hergang  gedacht  habe.  Letzteres  ist  doch  nur  be- 
schränkt richtig.  In  einem  Bericht  können  recht  gut  brauch- 
bare» ja  wertvolle  Nachrichten  beschlossen  sein,  ohne  daß  sein 
Urheber  von  ihrem  Vorhandensein  klare  oder  auch  nur  über- 
haupt irgend  welche  Vorstellungen  hat.  Wenn  berichtet  wird^ 
daß  jemand  auf  der  Reise  von  Sachsen  nach  Rom  in  Verona 
gestorben  sei,  so  ist  es  für  die  darin  liegende  Tatsache  des 
Alpenilberganges  völlig  gleichgültig,  ob  der  Berichterstatter 
eine  zutreffende  Vorstellung  von  der  Lage  Veronas  hatte  oder 
etwa  von  dem  Vorhandensein  der  Alpen  zwischen  Sachsen 
und  Rom  gar  nichts  wußte.  Und  so  ist  es  hier  auch  belang- 
los, ob  Widukind  sich  die  Schlacht  auf  dem  rechten  oder 
linken  Ufer  des  Lechs  denkt.  Schwerlich  hat  er  sich  diese 
Frage  überhaupt  vorgelegt.  Übrigens  kann  aus  der  Wendung^ 
mit  der  Widukind  c.  4d  (das  bekannte  Einschiebsel)  beginnt: 
Dum  ea  geruniur  in  Bawariüf  nicht,  wie  Breßlau  (S.  147)  will, 
geschlossen  werden,  daß  Widukind  sich  die  Schlacht  auf  der 
baierischen  Seite  gedacht  hat.  Rührt  das  Einschiebsel  nicht 
von  Widukind  her,  so  ist  er  für  seinen  Inhalt  nicht  verant- 
wortlich, und  trug  er  es  selber  ein,  so  würde  erst  zu  erweisen 
sein,  daß  er  den  Lech  als  Grenze  von  Schwaben  und  Baiem 
gekannt  hat  Breßlau  sagt  (S<  147  Anm,  2):  ,Daß  ein  kleiner 
Teil  des  Augstgaues  noch  rechts  vom  Lech  lag,  hat  Widukind 
schwerlich    gewußt,'     Ich    gehe    ohne   Bedenken    wesentlich 


S42  Dietrich  Schäfer, 

weiter;  ich  meine,  daß  er  schwerlich  gewußt  hat,  welche  Be- 
deutung dem  Lech  als  Grenznuß  zukommt.     Niemandem  wird 
es  gelingen,  den  Beweis  für  das  Gegenteil  zu  erbringen.    Wenn 
jemand  glauben  sollte,  daß  einem  mittelalterlichen  Schriftsteller  ■ 
von   der  Bedeutung  Widukinds   etwas   derartiges    nicht   zuzu- 
trauen wäre»  so  erwidere  ich,  daß  Ähnliches  sogar    bei  hoch- 
gebildeten modernen  Verfassern  vorkommt  in  unserer  eigeneiu 
lerneifrigen  Zeit^  wo   jedes  Schulkind  Karten   besitz   und  mit 
ihnen   umzugehen  weiß»     Eine   mit  Recht  angesehene,   in  deo 
besten  Kreisen  gelesene   Zeitung   brachte   noch   vor   wenigen 
Wochen  buchstäblich   die  folgende  Nachricht;  „Infolge  Hoch-  m 
wassers  der  Aar  stürzte  gestern  in  Zürich  eine  große,  neue,  ■ 
eiserne  Rheinbrücke  zusammen]"   Die  Belege  ftir  geographische 
Unwissenheit  mittelalterlicher  Schriftsteller  sind  einfach  Legion; 
sie  lassen  sich  nicht  nur  zu  Hunderten,  sondern  zu  Tausenden 
zusammenstellen.    Wir  wissen  schlechterdings  nicht,  ob  Widü- 
kind  sich  die  Schlacht  auf  dem  rechten  oder  linken  Lechufer   ■ 
gedacht,  oder  sich  über  diese  Frage,  wie  weitaus  das  Wahrschein-  f 
lichste   ist,   gar  keine  Gedanken  gemacht  hat*     Auch  Breßlau 
bleibt  dabei,  daß   die  Schlacht  links  vom  Lech   stattgefunden 
hat,   und   mit   dieser   Auffassung   ist   der   Bericht    Widukinds 
restlos  vereinbar    Denn  Widukind  stellt  sich  die  Sache  nicht, 
wie  Breßlau  (S.  146)  meint,  so  vor,  daß  ,die  Ungarn  und  die 
Deutschen  vor  der  Schlacht  durch  den  Fluß  getrennt  waren*» 
sondern    so,    daß    die   Deutschen    und   die    Hauptmacht    der 
Ungarn   vor   und  während  der  Schlacht  sich  auf  der  gleichen 
Seite  des   Flusses   gegenüberstanden,   daß   aber   ein  Teil  der 
Ungarn  anfangs   sich   auf  der  anderen  Seite  des  Flusses  be- 
fand ^    dann    aber,    ehe   noch   der   Kampf    in    der    Front    der 
Deutschen    ernstlich   begann,   den  Lech   überschritt  und  die   ■ 
deutsche   Nachhut   vom    Rücken    her    angrifL     Das    ist    etwas 
ganz   anderes    und    durchaus   verständlich.     Da   die   Schlacht 
sich  links  vom  Lech   abspielte,  da  das  ungarische  Heer  sich 
auch   schon    vor    der   Schlacht   (vor   Augsburg),    soweit    die 
Quellen    aussagen,    links    von    diesem    Flusse    befand    und 
dann,   wie    auch    Breßlau    annimmt,  auf    dieser   Seite    bliebr 
so   ist  damit   auch   die  zweimalige  Überschreitung   des  Lechs 
durch    den    die   deutsche   Nachhut   angreifenden    ungarischen 
Heerhaufen^  die  Breßlau  mit  größter  Entschiedenheit  ablehnt, 


Die  Ungarnach lacht  von  955. 


513 


unumgänglich  gegeben,  sofern  man  nicht  ohne  jeden  Qi^ellen- 
anhält  zu  der  Annahme  greifen  will^  es  habe  einen  getrennt^ 
in  Baiern  operierenden  ungarischen  Heerhaufen  gegeben»  der 
vor  dem  10.  August  den  Lech  überhaupt  nicht  überschritten 
habe  und  nun  gerade  zur  rechten  Zeit  eingetroffen  sei,  den 
gefährlichen  Angriff  au!  die  deutsche  Nachhut  2u  unternehmen. 
Auch  wer  die  Schlacht  aufs  Lechfeld  verlegt,  kommt  um  die 
Annahme  eines  zweimaligen  Lech  Überganges  nicht  herum. 
Daß  Widukind  von  einem  solchen  doppelten  Übergänge  keine 
Kenntnis  halte,  ist  selbstverständlich  —  es  würde  auffällig 
sein,  wenn  er  sie  hatte  — ,  für  unser  Wissen  und  für  das  Urteil 
über  ihn  aber  auch  völlig  gleichgültig.  Beiläufig  bemerkt,  waren 
Hinterhalte  und  Umgehungsversuche  eine  beliebte  Taktik  der 
Ungarn  und  Flüsse  für  sie  ja  kein  schwerwiegendes  Hindernis. 
Nun  hat  aber  Breßlau  noch  viel  auszusetzen  an  Widu- 
kinds  Bericht.  Er  sagt  S.  143:  «Wie  unklar  und  unvollständig 
dieser  Bericht  ist,  bedarf  kaum  einer  Auseinandersetzung." 
Er  vermißt  Mitteilungen  über  die  Marschrichtung  des  Königs 
bis  in  die  Gegend  von  Augsburg,  auch  darüber,  woher  Otto 
erfahren  habe,  daß  er  den  Feind  gerade  hier  aufsuchen  müsse, 
über  die  Vereinigung  mit  den  Schwaben  und  Böhmen,  während 
doch  die  mit  den  Baiern  und  Franken  erwähnt  werde.  Man 
würde  fUr  solche  Mitteilungen  gewiß  recht  dankbar  sein,  könnte 
auch  eine  ganze  Reihe  von  weiteren,  zum  Teil  noch  dringen- 
deren Wünschen  hinzufügen.  Wie  schön  wäre  es,  wenn  wir 
erführen,  wie  lange  der  Marsch  von  Sachsen  bis  an  die  Donau 
gedauert  hat,  wie,  wo  und  wann  dieser  Fluß  überschritten 
worden  ist  (Widukind  würde  sich  auf  diese  Weise  auch  von 
dem  nach  meiner  Meinung  außerordentlich  dringenden  Ver- 
dacht gereinigt  haben,  gar  nicht  zu  wissen,  daß  man  auf  dem 
Wege  von  Sachsen  nach  Augsburg  die  Donau  zu  passieren 
hat),  wie  stark  Ottos  Heer  war,  wie  stark  in  ihm  die  einzelnen 
Stämme,  wer  ihre  Führer,  wie  und  auf  Grund  weicher  Auto- 
rität Otto  sie  alle  zusammenrief  usw-  usw.  Aber  man  muß, 
wenn  man  solche  Fragen  aufwirft,  sich  doch  vergegenwärtigen, 
daß  Widukind  —  und  damit  bleibt  er  durchaus  auf  der  Linie 
der  Kriegsberichterstattung  seines  eigenen,  früherer  und  auch 
noch  späterer  Jahrhunderte  —  nicht  einen  Feldzugs-,  sondern 
einen  Schlachtbericht  schreiben  will  und  nichts  anderes  schreiben 


p 


544  Dietrich  Schäfer, 

kann,  und  darf  die  Nichtbeantwortung  der  aufgeworfenen  Fi 
nicht  2um  Anlaß  nehmen^  um  das,  was  er  gibt,  herabrusetztu. 
Widuklnd  folgt  seinem  Gewährsmann,  der  ja  offenbar  ein  Teil- 
nehmer des  Zuges  gewesen  ist,  und  der  natürlich  den  er^ 
fochtenen  Sieg  schildern  will,  nicht  den  langen  Anmarsch,  den 
Sieg,  der  beginnt  mit  der  vollen  Sammlung  des  Heeres  durch 
Eintreffen  der  ßaiemi  der  Franken  und  Konrads  (damit  tsi 
zugleich  ausgesprochen,  daß  die  Vereinigung  mit  Schwaben 
und  Böhmen  IrQher  stattgefunden  hat)  und  dem  daraus  resul- 
tierenden Entschluß,  jetzt  sofort  zum  Angriff  zu  schreiten,  und 
der  endet  mit  Niederlage  und  Flucht  des  FeindeSp  Mit  Un- 
recht macht  Breßlau  Ausstellungen  an  diesem  Scfilachtberielit 
selbst.  Widuktnd  erzählt  bekanntlich,  daß  die  im  Rücken  an- 
greilenden  Ungarn  nicht  nur  die  böhmische  Nachhut  und 
Troßbedeckung  überwältigt,  sondern  auch  die  vor  ihnen 
stehenden  beiden  schwäbischen  Heerhaufen  zum  Weichen  ge- 
bracht hätten  und  nur  durch  den  au!  Ottos  Befehl  herbei- 
eilenden Konrad  zurückgeschlagen  worden  wären.  Breßl&u 
meint  (S*  144):  „Es  ist  kaum  denkbar,  daß  ein  Feldherr  wie 
Otto  mit  der  Herbeiberufung  der  Verstärkung  so  lange  ge- 
zögert hätte,  bis  die  Feinde  in  seinem  Rücken  standen  (Ottos 
eigene  Schar  war  bekanntlich  die  nächste  vor  den  Schwaben), 
und  ebenso  unwahrscheinlich,  daß  die  Ungarn,  wenn  sie 
schon  vor  der  Erteilung  des  Marschbefehles  an  den  Schwieger- 
sohn des  Königs  soweit  vorgedrungen  gewesen  wären,  den 
Angriff  auf  Otto  selbst  unterlassen  und  sich  ruhig  verhalten 
hätten,  bis  die  Franken  unter  Konrad  heransprengten.  Viel- 
mehr wird,  wenn  man  der  Erzählung  Widukinds  iiberhaupt 
glauben  will,  angenommen  werden  müssen ,  daß  der  König 
den  Befehl  an  Herzog  Konrad  ergehen  ließ,  sobald  er  die 
Meldung  von  dem  Rückenangrif!  der  Ungarn  auf  die  Böhmen, 
oder  spätestens,  sobald  er  von  ihrer  Niederlage  und  der  Ge- 
fährdung der  beiden  schwäbischen  Abteilungen  erfuhr*  Ich 
setze  die  in  Frage  kommende  Stelle  her:  Nam  Un^arii  nichil 
cunctanies  Lech  fluvium  iranslerunt  circumeunfesque  exsraimm 
exlremam  leglonem  (d.  h,  die  Böhmen)  sagiUis  lacessere  eai- 
peruni;  ei  inpetu  cum  ingenli  vodferaUone  facta  aUis  caesh 
vei  captis  sarcinis  omnibus  poUil  caeieras  Ugianls  iiUus  ar- 
matös  fugere    compäferunf.     Simiiiter  sepiimum    ac    sexi&m 


^ 


Die  tingamschtacht  von  95S. 


545 


(d.  h.  die  Schwaben)  aggressl  plurimis  ex  eis  fasis  in  fugam 
verteruni.  Rex  auiem  cum  inteilexisssi,  beilum  ex  aäverso 
ssse  et  past  iergum  novissima  agmina  periclitari, 
misso  duce  cum  quaria  iegione  capttvos  eripuii,  praedam  ex^ 
cussii  latrocinantiaque  hostium  agmina  proturhavit.  Also, 
als  Otto  erkannt  hatte,  daß  die  Hauptmacht  des  Feindes 
noch  vor  ihm  stehe,  seine  hintersten  Scharen  aber  gefährdet 
seien,  schickt  er  Konrad  usw.  Wo  steht  hier,  daß  Otto  tnit 
diesem  Befehl  gewartet  hat,  bis  die  von  hinten  heranstürmen- 
den  Peinde  unmittelbar  hinter  seiner  eigenen  (der  fünften) 
Schar  angelangt  waren?  Widukind  sagt  gerade  das,  was 
BreBIau  bei  ihm  vermißt  I  Der  Hergang  ist  klar*  In  der  Zeit, 
die  zwischen  der  erlangten  Kenntnis  und  der  Ausfuhrung  des 
erteilten  Befehls  liegt,  dehnen  die  Ungarn  ihre  Erfolge  so  weit 
aus,  daß  sie  auch  die  Schwaben  werfen;  aber  im  entscheiden- 
den Äugenblick  greift  Konrad  mit  den  Seinen  ein  und  wandelt 
den  ungarischen  Sieg  in  eine  Niederlage.  Das  ist  doch  ein 
Hergang,  wie  er  auf  Hunderten  von  Schlachtfeldern  sich  voll- 
zogen hat.  Wie  man  sich  das  Herausziehen  der  vierten  Ab- 
teilung aus  der  Schlachtordnung  zu  denken  hat,  habe  ich 
schon  in  den  Sitzungsberichten  angedeutet  Man  muß  sich 
gegenwärtig  halten,  daß  Ottos  ganzes  Heer  höchst  wahrschein- 
lich noch  nicht  die  Stärke  einer  modernen  Division  hatte,  daß 
also  solche  Operationen  sich  leicht  und  in  verhältnismäßig 
kurzer  Frist  voltziehen  ließen. 

Und  wie  dieser  Einwand  Breslaus  gegen  Widukinds  Be- 
richt nicht  stichhaltig  ist,  so  auch  nicht  der  weitere,  den  er 
in  unmittelbarem  Anschluß  daran  erhebt.  Er  sagt:  „Am 
Schlüsse  von  Kapitel  44  —  vor  der  Unterbrechung  der  Er- 
zählung—  befindet  sich  das  deutsche  Heer  noch  in  der  Marsch- 
ordnung. Otto  steht  hinter  den  drei  baierischen  Abteilungen 
und,  wenn  Konrad  nach  der  siegreichen  Abwehr  des  ungari- 
schen Rückenangriffes  seine  frühere  Stellung  wieder  einge- 
nommen hat,  auch  hinter  diesem.  Als  die  Erzählung  wieder 
aufgenommen  wird"  (d.  h«  in  c.  46),  , greift  er  an  der  Spitze 
des  Heeres  die  Ungarn  an  (primus  equum  in  hosies  vertit). 
Inzwischen  muß  also  eine  Änderung  in  der  Formation  des 
deutschen  Heeres  vor  sich  gegangen  sein;  es  ist  aus  der 
Marschordnung  in  die  Schlachtordnung  Übergegangen,  bei  der 


546  Dietrich  Schäfer, 

Otto  mit  den  Seinen  vorn  steht.  Aber  Widukind  sagt  davon 
kein  Wort*  Und  wie  kurz  ist  endlich  im  Vergleich  mit  der 
Schilderung  des  ersten  Angriffes  der  Bericht  über  die  eigent- 
lich entscheidende  Schlacht  gehalten:  Otto  greift  an,  die 
Feinde  widerstehen  und  werden  besiegt,  das  ist  aJles,  was 
wir  erfahren,*' 

Widukind  berichtet  im  Anschluß  an  die  oben  S*  540  zitierte 
Stelle :  Jejunio  in  casiris  predicah  /ussum  esl  omnes  in  crasiinä 
paratos  esse  ad  bdium.  Primo  dilucah  sargenfes,  pace  data 
ei  accepia  aperaque  sua  prlmum  äuci,  dein  de  unusqmsqut 
alier i  cum  sacramenio  promlssa,  erecfts  s i g n i s  proceäunt 
casiris  numero  quasi  ocio  legionum.  Du  diu  r  exereitas  per  as- 
pera  ei  difficiVta  loca,  ne  dareiur  hosiibus  copia  iarhandi 
sagiiiis  agmina,  quibus  uianiur  acerrimef  arbusUs  ea  proie- 
geftiibus.  Frimam  ei  secundam  teriiamque  legionem  direjce- 
runi  Baioarü  etc,  etc.  Ja,  wer  aus  dieser  Darstellung  nicht 
herausliest,  daß  man  am  10.  August  in  Schlachtordnung  und 
nicht  in  Marschordnung  das  Lager  verlassen  und  sich  vor- 
wärts bewegt  hat,  dem  ist  freilich  nicht  ^u  helfen.  Erecüs 
signis^  d.  h*  nach  unserer  Ausdrucksweise:  „Mit  fliegenden 
Fahnen  i*  So  übersetzt  Breßlau  S,  142  auch  selbst  H!  Ich 
habe  in  den  Sitzungsberichten  (S.  564)  eine  Schätzung  der 
deutschen  Heeresstärke  versucht.  Nimmt  man  auch  nur  die 
Mindestzahl  von  6500  berittenen  und  vollbewaffneten  Streitern 
an,  so  bedeutet  das  schon  nach  dem  Maßstab  heutiger 
Truppenbewegung  eine  Marschkolonne  von  SV2  km  Länge. 
Bringt  man  die  zweifellos  weit  geringere  Marschdisziplin  und 
die  gewiß  nicht  unerhebliche  Zahl  von  Hills-  und  Begleit- 
mannschaften in  Anschlag,  so  kann  sich  leicht  die  doppelte 
Länge,  ja  mehr  ergeben.  Wo  bleibt  da  Sinn  und  Bedeutung 
des  üngarnangriffs,  der  sich  das  Heer  umgehend  zunächst 
gegen  die  Nachhut  wendet,  um  dann  gegen  die  siebente  und 
die  sechste  Abteilung  vorzugehen?  An  Dutzenden  und  aber 
Dutzenden  von  Stellen  hätten  ja  die  Feinde  das  in  Marsch-  _ 
Ordnung  daherziehende  deutsche  Heer  von  der  Flanke  her  ■ 
durchbrechen,  seine  Teile  aufrollen  und  in  alle  Winde  zerstreuen 
können.  Herzog  Konrad  hatte  es  schwer  werden  mögen,  aus 
der  Marschordnung  heraus  derartig  zersprengten  Truppen- 
teilen,  die   eine  viertel,  eine  halbe,  eine  ganze  Meile   hinter 


I 


\ 


Die  Ungartisch  lacht  von  955. 


ihm  marschierten,  Hilfe  zu  bringen,  dem  Feinde  seine  Beute 
wieder  abzujagen  und  in  seine  frühere  Stellung  zurückzukehren. 
Es  ist  nicht  nur  „kaum  denkbar^,  sondern  völlig  undenkbar» 
daß  „ein  Feldherr  wie  Otto*  sein  Heer  in  Marschordnung 
vorwärts  bewegt,  während  er  den  Feind  in  unmittelbarster 
Nähe  weiß,  es  für  nötig  hält^  sich  gleich  vom  Aufbruch  an 
durch  Aufsuchen  unebenen  und  schwierigen  Geländes  mit 
Baumbestand  gegen  die  Pfeile  der  leichten  feindlichen  Reiter 
zu  decken.  Wenn  Widukind  die  Frage  mit  keinem  Worte  be- 
rührte, so  könnte  niemand,  der  sich  einigermaßen  in  seine 
Erzählung  hineinzudenken  versucht,  auf  eine  andere  Vor- 
stellung kommen,  als  daß  sich  das  deutsche  Heer  am  10-  August 
in  Schlachtordnung  vorwärts  bewegte.  Er  sagt  es  aber  zu 
allem  Überfluß  klar  und  unmißverständlich,  daß  man  am 
Morgen  in  Schlachtordnung  aufgebrochen  ist:  ErecÜs  signis/ 
Ausdrücklich  berichtet  er  vom  geleisteten  Schlachteid!  Auch 
das  Deckungsuchen  gegen  die  umschwärmenden  Feinde 
ist  ja  nur  denkbar  in  der  Schlacht-,  nicht  in  der  Marschord- 
nung. Wie  ßreßlau  es  sich  vorstellt,  daß  ein  in  acht  Abtei- 
lungen in  Marschkolonne  daherziehendes  Reiterheert  dessen 
drei  letzte  Abteilungen  geworfen  und  zersprengt  sind,  dessen 
vierte  Abteilung  in  einem  bei  Annahme  der  Marschordnung  not^ 
wendigerweise  ganz  zerstreuten  Gefecht  mit  dem  siegenden 
Feinde  begriffen  ist,  das  zudem  fortgesetzt  von  feindlichen 
Reitern  umschwärmt  wird,  es  fertig  bringt,  inmitten  dieser 
Hergänge  sich  aus  der  Marsch-  in  eine  Schlachtordnung  zu 
formieren,  das  muß  ihm  überlassen  werden.  Sein  Vorwurf, 
daß  „Widukind  darüber  kein  Wort  sagf,  fällt  auf  ihn  selbst 
zurück.  Er  irrt  auch,  wenn  er  bei  Beginn  des  Hauptkampfes 
infolge  einer  „Änderung*  der  Formation  des  deutschen  Heeres 
Otto  mit  den  Seinen  vorn  stehen  läßt.  Die  Heeresordnung, 
die  Widukind  beschreibt,  ist  in  sich  so  sinnvoll,  daß  Zweifel 
gar  nicht  aufkommen  können.  Die  Baiern  stehen  mit  drei 
Abteilungen  vorn,  sie,  die  durch  die  Heimsuchung  ihres  Landes 
zunächst  zum  Kampf  und  zur  Rache  entflammt  waren  und 
die  dadurch  ein  unveräußerliches  Recht  auf  den  Vorstreit  hatten- 
Naturgemäß  waren  sie  die  zahlreichsten.  Ihnen  folgt  als  nächste 
Stütze  die  Schar  Konrads,  dessen  kriegerisehes  Ansehen  Widu- 
kind so   schön  wie  treffend  schildert:   Cujus  ad  venia    erecH 


ms 


Dietrich  Schäfer, 


milites  /am  opiabant  non  äifferr$  cerlamen ;  nmm  erat  natsrs 
uudacis  animi  ei,  dum  eques  et  dum  peäes  irei  in  hüsUm, 
beiiator  inhlerabilis,  dornt  miUiiaque  soctis  carus.  Hinter  ihm 
als  Kern  des  Ganzen  «die  Königslegion',  bei  der  Otto  mit 
seiner  unmittelbaren,  aus  dem  gesamten  Heere  erlesenen  Irit- 
gerischen  Umgebung  seinen  Platz  genommen  hat.  Dann  die 
Schwaben,  die  der  Nähe  wegen  auch  starker,  durch  zwei  At>> 
tcilungen  vertreten  sind,  und  an  letzter  Stelle  die  Böhmen. 
deren  KriegstUchtigkett  ausdrücklich  hervorgehoben  wint 
(eiecii  miUUs  milie,  armis  poiius  Insiructi  quam  foriuna),  die 
aber  als  fremde  Hilfstruppen  Ihren  Platz  hinter  den  zunächst 
berechtigten  Deutschen  nehmen  müssen.  Daß  Otio  sein  kdni^ 
Hches  Recht  und  seine  KönigspJlicht,  den  Kampf  zu  eröffnen, 
ausübt  (ipse  primus  equum  in  hosies  veriiif  /ortissimi  miläiM 
ac  opUmi  imperaiaris  officium  geremj^  hat  keine  Änderung 
der  Schlachtordnung  (geschweige  denn  die  Umwandlung  einer 
Marsch'  in  eine  Schlachtordnung)  zur  Vorausset-zung.  Er 
sprengte  mit  seinem  Gefolge  (nicht  mit  der  ganzen  Königs^ 
legion,  denn  der  Vorstreit  steht  den  ßaiern  zu)  an  den  vor 
ihm  stehenden  vier  Abteilungen  vorbei  bzw.  durch  ihre  Lückea 
hindurch,  ein  Ritt,  der,  wenn  man  zum  Vergleich  unsere  gegen^ 
wärtige,  aus  acht  Regimentern  formierte  und  daher  etwa  dea 
vier  Abteilungen  an  Stärke  gleichkommende  Garde-Kavallerie- 
Divtsion  heranzieht,  bei  der  Aufstellung  in  Schlachtordnung, 
auch  wenn  diese,  was  unwahrscheinlich  genug  ist,  eine  tiefe, 
die  Front  eine  schmale  war,  in  wenigen  Minuten  vollendet 
werden  konnte.  Der  zum  Schluß  ausgesprochene  Tadel,  betr. 
die  Kürze  des  Berichts  über  den  Entscheldungskampf^  ver- 
glichen mit  dem  über  den  ersten  Angriff,  gehört  in  die  Kate* 
gorie  der  schon  besprochenen  Wünsche,  die  einem  wißbegie- 
rigen Historicus  unserer  Zeit  naturgemäß  aufsteigen,  und  zwar 
unter  diejenigen,  die  leicht  ausgesprochen ,  aber  unendlich 
schwer  erfüllt  werden  können.  Das  bedarf  für  jeden,  der  sich 
mit  Schlachtgeschichte  auch  nur  einigermaßen  beschäftigt 
hat^  schlechterdings  keiner  weiteren  Auseinandersetzung*  Ich 
kann  gegenüber  den  Ausstellungen  Breßlaus  meine  in  den 
Sitzungsberichten  ausgesprochene  Meinung  über  die  von  Widu- 
kind  geschilderten  Hergänge  nur  in  vollem  Umfang  aufrecht^ 
erhalten ;  sie  sind   «klar  und  deutlich  berichtet^   enthalten  in 


L 


i 


Die  Ungarnsclilactit  von  9S5*  549 

sich  nichts  Auffälliges^  Ungewöhnliches  oder  gar  Unmögliches"» 
Man  muß  nur  in  ihr  Verständnis  einzudringen  suchen.  Wenn 
man  sie  aber  beharrlich  mißversteht  und  die  eigenen  Mißver- 
ständnisse dem  Autor  als  Fehler,  Irrtümer  oder  Versäumnisse 
ankreidet^  ja  dann  hilft  auch  die  heiligste  Überzeugung  von 
der  entscheidenden  Bedeutung  der  Interpretation  nichts* ') 

In  der  hier  abgedruckten  und  oben  besprochenen  Stelle 
findet  sich  aber  noch  eine  Bemerkung,  die  für  die  Bestimmung 
des  Schlachtortes  von  besonderer  Bedeutung  und  in  diesem 
Sinne  nicht  nur  von  mir  verwendet  worden  ist.  Breßlau  meint 
(S,  148),  da  Widukind  ,von  der  Lokalität  der  Schlacht  und 
der  Richtung  des  königlichen  Marsches  nicht  nur  nichts  Ge- 
naues, sondern  überhaupt  nichts  Zutreffendes  gewußt*  habe, 
so  dürfe  man  auch  aus  seiner  Erzählung  „über  die  Beschaffen- 
heit des  am  Morgen  des  10.  August  passierten  Geländes  be- 
stimmtere Folgerungen  nicht  ziehen***  Dem  muß  ich  wieder 
auf  das  entschiedenste  widersprechen*  Der  Gewährsmann, 
der  Widukind  über  die  Schlacht  berichtete,  hat  erfahren,  wie 
der  Fluß  hieß,  über  den  der  ungarische  Heerhaufe  gegen  die 
deutsche  Nachhut  vorbrach.  Ob  ihm  auch  klar  geworden  ist, 
auf  welcher  Seite  dieses  Flusses  er  selbst  sich  damals  befand, 
ist  mindestens  zweifelhaft;  jedenfalls  hat  er  darüber  Widukind 
keine  Mitteilungen  gemacht.  Wer  glauben  mochte^  daß  hier 
ein  große  Indolenz  angenommen  werde,  der  vergegenwärtige 
sich  nur,  welche  Täuschungen  Über  räumliche  Beziehungen 
zu  Flußufern  noch  jetzt  bei  Gebildeten  häufig  sind,  und  ver- 
setze sich  in  das  Zeitalter,  wo  Karten  überhaupt  nicht  exi- 
stierten. Aber  von  dem  Gelände,  über  das  man  kampfbereit 
vormarschierte,  wo  man  aus  Deckungen  Vorteil  zu  ziehen  suchte 
und  zog,  gewann  der  Beteiligte  die  klarsten  Vorstellungen  und 
Vorstellungen,  die  haften  blieben.  Jeder,  der  einmal  Pulver 
gerochen  hat  oder  der   auch   nur   eine  Felddienstübung   mit- 


^)  Breßlau  sagt  (oben  S*  545):  „Wenn  Konrad  nach  der  sieg- 
reichen Abwehr  des  ungarischen  Rückenangriffs  seine  frühere  Stel- 
lung wieder  eingenommen  hat/  Widukind  hat  sich  die  Sache 
doch  so  gedacht.  Er  fährt  nach  der  oben  S.  545  zitierten  Stelle 
fort:  Fitsis  lairücinantitus  undique  adversariarum  agminihns^ 
signis  vktrkibMS  äux  Cuonraäus  ad  regem  revertitun 


550  Dietrich  Schäfer, 

gemacht  hat,  weiß,  daß  sich  das  einprägt.  An  den  aspiraä 
difficilia  ioca  und  den  arbusia  agmina  prafegeniia  ist  deip* 
nach  so  wenig  zu  rütteln  wie  an  den  übrigen  so  %'erstliid- 
lichen  wie  richtigen  Angaben  des  Widukind^  und  eine  Gegend 
die  diese  Bedingungen  nicht  erfüllt,  kann  demnach  nicht  '■: 
Frage  kommen,  also  auch  das  Lechfeld  nicht  Es  paßt  - 
diese,  es  paßt  in  die  übrigen  Angaben  unserer  wo  hiver- 
denen  guten  Berichte  nicht  hinein. 

Aber  was  ist  dann  mit  der  Vision  des  Udalrich  anziF 
langen?  —  Sein  Biograph  erzählt,  daß  Augsburg  selbst,  seine 
Mauern,  von  den  Ungarn  nicht  angegrilfen  worden  sind.  '" 
dem  Augenblick,  als  ein  solcher  Angriff  unternommen  wer 
sollf  die  Verteidiger  ihn  auf  den  Mauern  erwarten,  kommt 
Kunde  von  dem  Anmarsch  des  königlichen  Heeres,  und  v, 
erfolgt  der  Abzug  der  Ungarn.  Aber  draußen,  vor  den  Manen] 
der  Stadt,  ist  gekämpft  worden.  Der  Bischof  hatte  eine  zahl* 
reiche  Schar  der  besten  Ritter  (magnam  vaide  muttliudlmm 
opiimorum  militum  —  offenbar  aus  der  Umgegend)  in  der  Stadt 
um  sich  versammelt»  Es  sind  die  Leute,  die  in  der  Nacbt 
nach  dem  Abzüge  der  Ungarn,  unter  der  Führung  des  Grafen 
Dietpald,  des  Bruders  des  Bischofs,  Augsburg  verlassen  und 
dem  König  entgegenziehen.  Sie  wollen,  als  die  Ungarn  zuerst 
gegen  die  Stadt  heranziehen,  hinaus  und  ihnen  draußen  ent- 
gegentreten (eis  obvtam  exlre  volueruni).  Es  ist  ein  Zug^  der 
nicht  selten  wiederkehrt,  daß  man  den  Kampf  im  offenen 
Felde  dem  hinter  Pforten  und  Mauern  vorzieht.  Aber  du 
will  der  Bischof  nicht  zulassen.  Er  laßt  das  Tor,  das  den 
leichtesten  Eintritt  gestattet,  fest  verschließen.  Gegen  das 
östliche  Tor  aber,  wo  man  zum  Wasser  geht,  drängen  die 
Ungarn  in  so  dichten  Scharen  heran>  daß  sie  glauben,  sofon 
eindringen  zu  können.  Die  Ritter  des  Bischofs  leisten  ihnen 
draußen  vor  dem  Tore  männlichen  Widerstand,  bis  einer  der 
Ungarn,  der  den  Seinigen  vorkämpft,  und  aus  dessen  Fühnmg 
und  Vortritt  diese  besonderen  Mut  schöpfen,  fällt.  Mit  großem 
Schrecken  und  Klagen  nehmen  sie  den  Toten  auf  und  kehren 
in   ihr   Lager  zurtJck,i)     An    diesen   Kampf   draußen   vor  J 

')  Vita  Udalrict  c.  12,  MS.  IV,  40t "ff.:  Qui  (näml.  die  mäiUsl 
ui  txercitum   Ungromm  ad  mrpugnandam  civitatem    circumdart 


Die  Ungarn  ach  lacht  von  955, 


951 


Augsburgs  vielleicht  auch  noch  an  Kämpfe,  die  sich  zwi- 
schen den  Fliehenden  und  ihren  Verfolgern  auf  dem  Lech- 
felde  abspiehen,  mag  Gerhard  gedacht  haben,  als  er  die 
heilige  Afra  die  dortigen  loca  belli  seinem  Helden  zeigen  ließ. 
Daß  es  sich  bei  der  Vision  um  eine  Lokalität  in  unmittelbarer 
Nähe  der  StadI  handelt,  belegt  ja  auch  das  Reichstagslager 
Ottos  vom  Jahre  952,  das  von  der  heiligen  Afra  zugleich  mit 
den  loca  belli  gezeigt  wird.  Unmöglich  kann,  wie  schon  be- 
merkt, die  Schlacht  so  nahe  der  Stadt  geschlagen  worden  sein* 
Die  Stelle  kann  also  für  die  Bestimmung  des  Schlachtfeldes 
schlechterdings  nicht  in  Frage  kommen,  und  es  bleibt  dabei, 
daß,  soweit  unsere  gegenwärtige  Kenntnis  reicht,  wir  eine 
Schlacht  auf  dem  Lechfelde  ablehnen  müssen  und  nur  von 
einer  Ungarnschlacht  von  955  reden  können.  Widukinds 
Bericht  über  sie  aber  ist  nach  wie  vor  der  weitaus  beste  und 
eingehendste  Schiachtbericht,  den  wir  aus  der  ganzen  Zeit 
vom  5.  bis  ins  11.  Jahrhundert  überhaupt  von  kontinentalen 
Kämpfen  haben  I  Auch  was  Jordanis  über  die  Hunnenschlacht 
zu  erzählen  weiß,  kann  nicht  neben  ihm  bestehen«  Daß  aber 
in  dieser  Zeit  und  weiterhin  durchs  ganze  Mittelalter,  ja  tief 
in  die  neuere  Zeit  hinein  Schlachtberichte  so  oft  und  so  viel 
zu  wünschen  übrig  lassen,  das  kann  niemanden,  der  mit  mili- 
tärischen Dingen  auch  nur  lose  Fühlung  besitzt^  ernstlich 
befremden. 


viderant,  eis  ohviam   exire  voluerunt.    Sed  hoc  episcopus  eis  nan 

eonseniiens  porlant^  ubi  maximtis  aditus  inirandi  manebat^  fir* 
mit  er  obc  ludere  praeciplL  Porta  autem  orten  talis  plague ,  unde 
itur  ad  aquam,  sie  a  densitate  Ungrorum  beilo  occitpata  estf  ut 
ipsi  aestimarentf  se  statt  m  posse  int  rare.  Mitites  episcapi  ante 
portam  viriliter  pugnantes  eis  resistebant,  usque  dum  unus  Un- 
grorum ^  qui  caeteros  pugnando  antecedebat,  et  ex  cujus  ducta  et 
antecessione  muximam  praeliandi  in  Uta  hora  conßdentiam  habe* 
bantf  occisus  occubuit.  Caeteri  deniqae^  cum  eum  terra  tenus 
mortitum  cader e  viderunt^  magno  timore  et  tamentatione  eum 
raptentes  ad  castra  reversi  sunt. 


5112 


Georg  Caro, 


Bin  aktenmäfsiger  Beleg  zur  Zahlung  des  Ldse- 
gelds  für  König  Richard  Löwenherz  von  Rngland. 

Von 
Georg  Caro, 

Größere  Erfolge,  als  Heinrich  VL  davortlru^,  hat  die  stau 
fische  KaiserpoUük  überhaupt  nicht  aufzuweisen.  Geldsummen, 
zu  deren  Entrichtung  er  den  Beherrscher  des  nordischen  Nor- 
mannenreichs  nötigte,  lieferten  ihm  die  Mittel  für  Rüstung  des 
Heeres  zur  Unterwerfung  des  Normannenreichs  im  Süden; 
die  Bezwingung  des  einen  Gegners  durch  den  anderen  ist 
kaum  je  so  glucklich  ins  Werk  gesetzt  worden.  WohJ  mochten 
die  Zeitgenossen  lebhaftes  Mitgefühl  für  den  ritterlichen  König 
hegen,  der,  von  der  Kreuzfahrt  zurückkehrend,  in  die  Gefangen- 
schaft eines  hartherzigen  Widersachers  geriet,  Betni^t  man  aber 
das  Werturteil  über  historische  Persönlichkeiten  nach  den  geisti- 
gen Fähigkeiten,  die  sie  zur  Erreichung  ihrer  Ziele  aufzuwenden 
imstande  waren,  so  kann  es  nur  zugunsten  Heinrichs  ausfallen; 
denn  schnell  zufahrend  und  vorsichtig  zugleich,  verstand  er 
es,  den  wohl  vorbereiteten  Schlag  gründlich  auszunutzen. 
Auch  vom  weltgeschichtlichen  Standpunkt  aus  betrachtet,  mu& 
der  Sieg  des  Kaisers  als  ein  hoch  bedeutsamer  erscheinen- 
Nicht  die  Normannen  waren  Träger  des  nationalen  Gedankens 
in  einer  von  universalistischen  Ideen  erfüllten  Epoche.  Nach 
Recht  des  Stärkeren  hatten  sie  fremden  Völkern  ein  hartes 
Joch  auferlegt,  in  UnteritaUen  wie  in  England.  Daß  der  Sturz 
des  einen  und  die  Auflösung  des  anderen  ihrer  Reiche  zeitlich 
so  nahe  zusammenfalten,  ist  kein  ZufalL  Wenn  im  Abendland 
Nationalstaaten  zur  Konsolidation  gelangen  sollten^  war  Flir 
die  Helden  des  antinationalen  Eroberungskrieges  kein  Raum 
mehr,  und  gegenüber  dem  Typus  des  abenteuernden  Ritters, 
in  dessen  Rolle  sich  Richard  wohlgefiel,  vertrat  das  Kaisertum 
die  höhere  Idee,  Für  die  näheren  Umstände,  unter  denen 
sein  Sieg  erfolgte,  verdient  jedes  einzelne  Zeugnis  Beachtung* 

Die  historiographischen  Quellen  anglo-normannischen  Ur- 
sprungs erzählen  von  König  Richard,  dem  Liebling  seines 
Volkes,  mit  der  für  sie  charakteristischen  Ruhmredigkeit.    Ihrer 


I 


t 

1 


Ein  ßelüg  zur  Zahlung  des  Lösegelds  für  Richard  Löwenherz*  B53 

Auffassungsweise  hat  selbst  Toeche*)  sich  zu  sehr  hingegeben^ 
und  auch  die  letzte  zusammenfassende  Darstellung  des  Gegen- 
standes^) bedari  wenigstens  in  einem  Punkte  der  Ergänzung. 
Der  Vertrag  des  Kaisers  mit  dem  König  von  England  vom 
29.  Juni  11933)  setzte  das  Lösegeld  auf  100000  Mark  reinen 
Silbers  Kölner  Gewichts  fest.  Die  Auszahlung  hatte  in  London 
zu  erfolgen;  dort  sollten  Abgesandte  des  Kaisers  das  Geld 
in  Empfang  nehmen^  abwiegen  und  bei  der  Versiegelung  zu- 
gegen sein*  Der  Transport  ging  in  England  auf  Gefahr  des 
Königs,  für  etwaige  Verluste  im  Reiche  war  er  nicht  verant- 
wortlich. Außerdem  versprach  Richard  50000  Mark  Silber  zu 
entrichten,  davon  30000  dem  Kaiser,  20000  dem  Herzog  von 
Ostreich,  und  die  Ausbezahlung  durch  Stellung  von  60  Geißeln 
an  ersteren,  7  an  letzteren  zu  verbürgen.  Die  Freilassung 
des  Königs  sollte  nach  Zahlung  der  100000  Mark  und  Über- 
gabe der  Geißeln  erfolgen.  Wenn  jedoch  Richard  Zusagen 
erfüllt,  die  er  dem  Kaiser  wegen  des  ehemaligen  Sachsen- 
herzogs Heinrich  (des  Löwen)  gemacht  hat,  so  sind  ihm  die 
50000  Mark  und  die  Stellung  von  Geißeln  erlassen;  djer  Kaiser 
entrichtet  dann  selbst  dem  Herzog  20000  Mark.  Erfüllt  jedoch 
der  König  die  Zusagen  nicht,  so  hat  er  die  50000  Mark  binnen 
sieben  Monaten  nach  der  Rückkehr  in  sein  Land  zu  zahlen. 
Am  4<  Februar  1194  wurde  Richard  zu  Mainz  seiner  Haft 
ledig  gesprochen;  die  Übergabe  der  Geißeln  hat  stattge- 
funden.*) Es  waren  also  seine  Zusagen  wegen  Heinrichs  des 
Löwen  nicht  erfüllt  oder  galten  nicht  fUr  erfüllt,  wie  das  in 
Anbetracht  der  mittlerweile  eingetretenen  Zwischenfalle  nur 
begreiflich  ist.  Der  König  blieb  für  die  an  zweiter  Stelle  ver- 
sprochenen 50000  Mark  haftbar  —  und  hat  wirklich  eine  ent- 
sprechende Zahlung  geleistet.  Letztere  Tatsache  ergibt  sich  aus 
längst  veröffentlichten,  aber  meines  Wissens  bisher  noch  nicht 
für  diese  Frage  herangezogenen  Akten  der  englischen  Finanz- 


1)  Jahrb.  Kaiser  Heinrich  VL,  a.  S.  299. 

*)  jastrow  -Winter,    Deutsche    Geschichte    im    Zeitalter    der 
Hohenstaufen  2,  29  if. 

»)  Aus  Roger  de  Hoveden,  M,  0.  SS.  27,  164  in  M,  G.  Const 
Imp.  1,  504  f. 

*)  Roger  de  Hoveden,  SS.  27^  168  ctc» 
tUatoriiche  ZeiUch|-i!t  (97.  Bd.J  3.  Folge  1.  Bd  36 


554 


Georg  Caro, 


verwahung.^)  In  den  Rechnungen  des  Schatzamts  der  Nor* 
mandie  vom  Jahre  11%  findet  sich  als  Ausgabe  verzeichnet^: 
Ruffo  de  Voliö  et  Evrardo  camerano  ei  sociis  eorum  /m^äis 
imperahns  Alemanme  16  000  ihr.  And.  pro  &OÖO  marcis  argetiti 
pro  deliberandis  obsi albus  ,  .  .  £xpensa  eoranäem  nuntiorum 
expectancifim  predkiam  pecuniam  apud  Rothfoma^umf  314  tbr. 
7  mL  8  den,  per  idem  breue ;  und  weiterhin  nochmals  der 
Eintrag:  fiem  nuniiis  predicHs  imperatoris  Alemannie  ad  n- 
pensam  suam  100  tbr.  per  .  .  .  breve.  Es  sind  also  nach  der 
Freilassung  Richards,  kraft  einer  von  ihm  gegebenen  Zahlungs- 
anwetsting,  zu  Rouen  16  000  Pfund  Münze  von  Anjou  als 
Äquivalent  für  6000  Mark  Silber  entrichtet  worden.  Kaiser- 
liche Gesandte  nahmen  das  Geld  in  Empfang.  Sie  haben  einige 
Zeit  warten  müssen;  noch  war  der  Krieg  Richards  mit  Phi* 
Hpp  iL  von  Frankreich  nicht  beendet^  und  die  Aufbringung 
der  Summe  mochte  geraume  Zeit  erfordern.  So  war  ^aä  rt- 
äempiiünem  regis'  eine  Tailte  von  4000  Mark  aufgefegt,  zu 
der  die  mit  Namen  aufgeführten  Bewohner  der  Stadt  Cttn 
2007  ihr.  9  söi.  6  den,  sterl.  beitrugen.  Die  Juden  der  Nor* 
mandie  zahlten  1000  Mark  Schätzung  und  2000  Pfund  Straf- 
geld.*) Was  die  kaiserlichen  Gesandten  anbetrifft«  so  kann 
ich  den  KSmmerer  Eberhard  nicht  anderweitig  ermitteliL*) 
Ruf f US  de  Vofto  war  dem  Namen  nach  kein  Deutscher.  Viel- 
leicht  ist  er  identisch  mit  dem  Genuesen  Rubeus  de  Volta, 
der  1183  und  1187  das  Amt  eines  Konsuls  in  seiner  Vaterstadt 
bekleidete,  1188  als  Gesandter  Genuas  zum  König  von  Eng- 
land reiste,  um  mit  ihm  wegen  des  Kreuzzugs  zu  verhandeln^ 
und  1189  selbst  nach  dem  hl.  Lande  zog.  ^) 

Trotz   der   vermutlichen   Beteiligung    eines    Italieners    ist 
kaum  anzunehmen,  daß  die  Zahlung  der  6000  Mark  in  Wechseln 


0  Mm  gm  rot  all  scaccarii  Normanniae  sub  regitsis  Angüatf 
ed.  TK  Stapleton,  2  ßde.^  London  1840,  1844. 

»)  Ebenda  1,  136  f.,  in  den  vom  tierausgeber  der  Edition  vor- 
ausgeschickten Erläuterungen  und  im  Index  fehlen  entsprechende 
Hinweise« 

«)  Ebenda  1,  172  f f.,  IM  l  M 

*)  Nach  Toeche  S,  507  M.  3  war  das  Amt  des  Hof  kammerers 
vakant 

«)  M.  a  SS.  18,  100  f.,  103  i 


i 


Ein  ßeleg  zur  Zahlung  des  Lösegelds  für  Richard  Löwenhsrz.  555 


geleistet  wurde.  Jedenfalls  war  die  Zahlung  der  lOOOOO  Mark 
in  bar  erfolgt.  Deutsche  und  englische  Quellen  berichten 
übereinstimmend ,  daß  die  erforderliche  Menge  Edelmetall 
hauptsächlich  aus  den  Schätzen  der  Kirchen  stammte;  sie  be- 
stand daher  großenteils  aus  zerbrochenen  Kelchen,  Kreuzen 
und  anderen  Kostbarkeiten  ^)  ^  die  offenbar  bei  der  Ab- 
rechnung in  London^)  zum  MetaDwert  angenommen  waren« 
Dem  Transport,  der  im  Spätherbst  1 193  vor  sich  gegangen 
sein  muß,  ist  Heinrich  VL  bis  an  den  Niederrhein  entgegen- 
ge2ogen.^)  Die  erste  Rate  des  Lösegelds»  im  Betrage  von 
lOOOOO  Mark,  befand  sich  in  seinen  Händen,  als  er  die  Frei- 
lassung Richards  zugestand;  das  ist  ein  für  die  Auffassung 
der  letzten  vorangehenden  Verhandlungen  geradezu  entschei- 
dender Umstand.*)  Auf  die  zweite  Rate  (50000  Mark)  scheint 
eine  Teilzahlung  von  10000  Mark  binnen  kurzer  Frist  erfolgt 
zu  sein*^)  Die  Begleichung  der  Restschuld  muß  sich  jedoch 
über  den  im  Vertrag  festgesetzten  Termin  hinaus  verzögert 
haben.  Im  Sommer  1 195  schickte  der  Kaiser  dem  König  eine 
große  goldene  Krone®);  Überbringer  waren  vermutlich  die 
gleichen  Gesandten,  welche  die  6000  Mark  in  Empfang  nah- 
men. Schließlich  soll  allerdings  der  Kaiser  einen  Rückstand 
von  17000  Mark  erlassen  haben, ^)  Nach  anderer  Angabe^) 
wurde  das  Lösegeld  vor  Erledigung  der  Geißeln  voll  gezahlt. 
Gänzlich  aufklären  läßt  sich  also  die  Abwicklung  der  Ange- 
legenheit noch  nicht.  Unklar  bleibt  ferner,  ob  Richard  jemals 
den  bei  seiner  Lehnshuldigung  für  England  zugesagten  Jahres- 
zins von  5000  Pfund  Sterhng®)  entrichtet  hat.    Immerhin  zeigt 


>)  Otto  V,  S.  Blasien,  M.  G,  SS.  20,  324,  vgl,  Radulfus  de  Diceto, 
SS,  27,  281  etc. 

*)  Roger  de  Hoveden,  ebenda  166, 

')  Oislebert,  M,  G.  SS,  21,  585. 

*)  Auch   bei  Jastrow-Winter  a.  a.  O.  S.  35  ff.  tritt   die  Bedeu- 
tung dieses  Moments  nicht  genügend  hervor* 

»)  Radulfus  de  Diceto  SS.  27,  283, 

•)  Roger  de  Hoveden  SS.  27,  172,  nach  24.  JunL 

^)  Ebenda    173.     Der   dem    Kaiser    geBchuldete    Rückstand 
könnte  nur  13000  Mark  betragen  haben. 

*)  Willelmus  Neuburg.  SS,  27,  247. 

•)  Roger  de  Hoveden  SS.  27,  160. 

36* 


556    Georg  Caro»  Ein  Beleg  zur  Zahlung  des  Lösegelds  ete, 

der  tktenmäßige  Beleg,  daß  Richard  auch  nach  der  Rückkehr 
in  sein  Land  sich  nicht  einseitig  von  den  eingegangenen  Ver- 
pflichtungen hat  lossagen  können. 

Seit  das  Heer  Karls  des  Großen  den  Ring  der  Avtim 
gesprengt  und  die  dort  aufgehäuften  Schätze  fortgeführt  hatte, 
ist  kaum  je  auf  einmal  eine  so  gewaltige  Masse  Edelmetall  in 
Deutschland  eingeströmt  als  durch  das  Lösegeld  des  Könige 
von  England.  Unmittelbar  darauf  trugen  150  Saumtiere  dit 
Reichtümer  der  Normannenkönige  Unteritaliens  über  die 
Alpen**)  Es  ist  nicht  anders  möglich^  als  daß  die  Erfolg« 
Heinrichs  VI.  der  aufblühenden  Geldwirtschaft  einen  starken 
Impuls  gaben. 


0  Toeche  S,  M9. 


Literaturbericht 


Weltgeschichtlkhe  Betrachtungen.  Von  Jakob  Durckhardt.  Her- 
ausgegeben von  Jakob  Oeri.  Berlin  und  Stuttgart,  W.  Spe- 
mann.     1905.    294  S, 

Der  Grundstock  des  vorliegenden  Buches  ist  ein  Kotleg- 
heft Burckhardts  für  seine  zuerst  im  Winter  1868/69,  dann 
nur  noch  einmal  im  Winter  1870/71  gehaltene  Vorlesung  ,über 
Studium  der  Geschichte";  ein  Teil  davon  bildete  außerdem 
einen  Zyklus  von  drei  im  November  1870  gehaltenen  Vor- 
trägen „über  historische  Größe**  und  das  Schlußkapitel  wurde 
zu  einem  Vortrage  vom  November  1871  benutzt  über  .^GlUck 
und  Unglück  in  der  Weltgeschichte",  —  etwas  altfränkisch 
klingende  Themata»  wie  sie  schon  der  Geschmack  der  vor- 
rankeschen  Geschichtschreibung  liebte.  Den  Vorträgen  über 
„historische  Größe"  hat  der  Herausgeber  den  moderneren  Titel 
„Das  Individuum  und  das  Allgemeine*'  gegeben,  aber  verwischt 
damit  vielleicht  etwas  die  ursprüngliche  Fragestellung.  Auch 
der  übrige  Inhalt  der  Vorlesung  über  das  Studium  der  Ge- 
schichte ist  etwas  anderes»  als  was  ein  zünftiger  deutscher 
Historiker  darin  wahrscheinUch  bieten  würde.  Es  ist  nicht 
Anleitung  zu  gelehrter  Forschung  und  Methode,  es  ist  auch 
nicht  philosophische  Grundlegung  der  Methode,  sondern  es 
sind  Beobachtungen,  die  den  Sinn  für  das  Geschichtliche 
überhaupt  wecken  woüen.  Sie  sind  dann  in  der  Hauptsache 
eingeordnet  in  einen  ganz  festen  und  übersichtlichen  Ge- 
dankengang, indem  er  ausgeht  von  den  drei  großen  Potenzen 
der  Geschichte:  Staat,  Religion  und  Kultur  und  dann  nach- 
einander die  Bedingtheiten  der  einen  durch  die  anderen  ab- 
handelt, —  aber  systematisch  geschieht  auch  das  nicht,  und 


558 


Literat  urberi  cht« 


das  Aphoristische  überwiegt.  Aber  wie  einfach  und  tiatüHicfa 
ist  gerade  diese  Art,  zum  historischen  Studium  anzyleiteiL 
Der  Trieb  des  wißbegierigen  Anfängers  ist  mehr  auf  du 
historische  Schauen  als  auf  das  historische  Forscher,  mein 
auf  das  Ziei  als  auf  die  Hilfsmittel  zum  Ziele  gerichtet.  Es 
wird  ihm  bei  uns  zwar  bald  und  mit  Recht  klar  gemacht,  da^ 
dies  dilettantisch  sei,  aber  es  ist  einem  jeden  zu  wünschem 
daß  ihm  während  seiner  kritisch-methodischen  Erziehung  diese 
dilettantische  Begierde  nicht  ganz  verloren  gehe^  daß  ihm  dk 
Ursprünglichkeit  eines  universalen  historischen  [nteressei 
nicht  geraubt  werde. 

Diese  Ursprlinglichkeit  besaß  B.  im  hdchsteti  Grade,  undl 
darauf  beruht  seine  Größe  und  auch  seine  Sonderstellun;: 
mitten  der  deutschen  Geschichtschreibung,  Gestehen  wir  c-. 
uns  nur  ruhig  ein,  daß  die  nachrankische  Geschichtsforscbung 
in  Deutschland  Lasten  zu  tragen  gehabt  hat,  die  einen  B* 
nicht  gedrückt  haben.  Er  ging  frei  seinen  eigenen  Weg.  un- 
bekümmert um  das,  was  seine  Kollegen  in  Deutschland  im 
der  strengen  Wissenschaft  willen  für  nötig  hielten  zu  betreibeo^ 
Er  überließ  mit  großartiger  Nachlässigkeil  seine  „Kultur  der 
Renaissance^  einem  ihm  selbst  nicht  entfernt  ehenbürttgtts 
Forscher,  um  ihre  späteren  Auflagen  dem  Stande  der  Forschung 
anzupassen,  und  entwarf  dafür  eine  griechische  Kulturgeschichte, 
die  von  den  heutigen  Philologen  als  dilettantisch  geschoHcn 
wird  und  es  von  ihrem  Standpunkte  aus  gesehen  auch  sein 
mag,  —  hätten  wir  nur  mehr  solcher  Dilettantenwerkel 

Die  Lasten,  deren  B.  sich  entzog,  waren  aber  noch  andere 
als  solche  der  methodischen  Forschung.  Und  damit  kommen 
wir  zu  dem,  was  den  Leser  seiner  „weitgeschichtlichen  Be- 
trachtungen" vieUeicht  am  meisten  frappieren  und  aufregen 
kann*  Weltgeschichtliche  Betrachtungen,  angestellt  in  emem 
Zeitpunkte  weltgeschichtlicher  Umwälzungen,  erregen  die  Er- 
wartung, daß  der  Sinn  des  Betrachters  auch  durch  die  großen 
Vorgänge  der  Zeit  angezogen  werde,  daß  er  sich  mit  ihnen 
abzufinden,  sie  in  den  Zusammenhang  seiner  geschichtlichen 
Auffassung  zu  stellen  versuchen  werde.  Die  Erwartung  wird 
auch  nicht  getäuscht,  und  es  findet  sich  ein  besonderes  Ka- 
pitel über  die  «geschichtlichen  Krisen"^  und  Zusätze  dazu  aus  den 
Jahren  1871  und  1873  über  „Ursprung  und  Beschaffenheit  der 


Allgememea* 


559 


heutigen  Krisis*'*  Auch  die  Hoffnung,  etwas  ganz  Bedeutendes 
und  Eigenes  hier  und  in  den  Blicken  auf  seine  Zeit  überhaupt 
zu  finden,  wird  nicht  enttäuscht.  Aber  man  sieht  sofort  dabei 
die  KJuft,  die  seinen  historischen  Standpunkt  von  dem  seiner 
deutschen  Zeitgenossen  trennt.  Unser  historisches  Denken 
ist  im  großen  und  ganzen  durch  den  Kampf  um  Staat  und 
Nation  entwickelt  worden.  Die  Schule  dieses  Kampfes  hat 
B.  nicht  mitdurchgemacht.  Er  hat  sie  sich  wohl  mit  teils 
interessiertem,  teils  skeptischem  Blicke  mitangesehen,  aber  er 
hat  sich  wohl  gehütet,  auch  nur  so  weit  daran  teilzunehmen, 
wie  etwa  sein  Landsmann  Konrad  Ferdinand  Meyer,  der  doch 
mit  starker  Gemütsbewegung  die  großen  Geschicke  der  deutschen 
Nation  miterlebt  hat*  Damit  ist  gesagt,  daß  eine  Fülle  von  Er- 
fahrungen,  Eindrücken  und  Idealen,  aus  denen  sich  unsere 
historischen  Begriffe  und  Urteile  genäfirt  haben,  fUr  B.  nicht 
existiert.  Weder  atmet  er  die  Luft  der  großen  politischen 
Weltverhältnisse,  die  Ranke  geatmet  hat,  noch  hat  er  sein 
Herz  an  die  Vervollkommnung  des  Staates  überhaupt  gehängt, 
und  die  Macht,  die  das  Wesen  des  Staates  ist,  nennt  B.  mit 
Schlosser,  aber  in  größerem  und  zugleich  stechenderem  Sinne 
als  dieser,  t,böse  an  sich**.  Mit  charakteristischer  Kälte  sagt 
er  (S.  32)  von  dem  Großstaate,  daß  er  in  der  Geschichte  vor- 
handen sei  ^zur  Erreichung  großer  äußerer  Zwecke**,  während 
der  Kleinstaat  da  sei»  damit  ein  Fleck  auf  der  Welt  sei^  wo 
die  größtmögliche  O^^ote  der  Staatsangehörigen  Bürger  im 
vollen  Sinne  seien;  durch  seine  wirkliche  tatsächliche  Freiheit 
wiege  der  Kleinstaat  „die  gewaltigen  Vorteile  des  Großstaates, 
selbst  dessen  Macht,  ideal  völlig  auf.*"  An  dem  Zeitalter  des 
Absolutismus  ist  ifim  der  „bloße  öde  Machtgenuß"  widerwärtig, 
aber  man  wurde  fehlgehen,  wenn  man  nun  etwa  für  den  mo- 
dernen liberal  reformierten  Nationalstaat  wärmere  Worte  er- 
wartete,  Macht  ist  ihm  eben  „böse  an  sich",  gleichviel  wer 
sie  ausübe,  und  das  moderne  Treiben  der  Völker  zur  Einheit 
und  zum  Großstaate  sei  „einstweilen  in  seinen  Gründen  noch 
streitig  und  der  Ausgang  noch  dunkel"  (S.  %).  Man  per- 
horresziere  das  kleinstaatliche  Dasein  wie  eine  bisherige 
Schande,  man  woJle  nur  zu  etwas  Großem  gehören  und  ver- 
rate damit  deutlich,  daß  die  Macht  das  erste,  die  Kultur 
höchstens  ein  ganz  sekundäres  Ziel  sei.    Unfehlbar,  meint  er, 


560 


Literatlirbericht. 


gerate  man  dabei  in  die  Hände  ehrgeiziger  Dynastien  oder 
einzelner  ^großer  Männer*^  d,  h. , solcher  Kräfte»  welchen  gerade 
an  dem  Weiterblühen  der  Kultur  am  wenigsten  gelegen  ist*. 

Das  sei,  wird  man  vielleicht  sagen^  die  Abneigung  des 
Kulturmenschen  und  des  Kulturhistorikers  gegen  den  Politiker 
und  den  politischen  Historiker,  Aber  wie  anders  und  eigen- 
artig ist  nun  auch  der  Kulturbegriff  B,s  gegenüber  der  ge- 
wöhnlichen Kulturschwärmerei,  Auch  die  sog*  moderne  Kuktir 
findet  in  ihm  einen  höchst  pessimistischen  Beobachter,  Er 
spöttelt  über  die  modernen  großstädtischen  Konzentrationen, 
er  spötteh  über  Buckles  Erkundigung  nach  moraJ  progress^ 
»Gegenwart  galt  eine  Zeitlang  wörtlich  gleich  Fortschritt, 
lind  es  knüpft  sich  daran  der  lächerliche  Dünkel,  als  ginge 
es  einer  Vollendung  des  Geistes  oder  gar  der  Sittlichkeit  ent- 
gegen* (S.  258).  Kultur  ist  ihm  vielmehr  ,die  ganze  Sumtne 
derjenigen  Entwicklungen  des  Geistes,  welche  spontan  gt- 
schehen  und  keine  universale  oder  Zwangsgeltung  in  Anspruch 
nehmen".  Das  heißt,  es  bäumt  sich  auch  der  Kulturmensclt 
gegen  diejenige  Kultur  auf,  die  sich  anschickt,  Macht  zu  werden 
und  den  Einzelnen  zu  regieren  und  zu  zwingen,  und  er  sieht 
im  Gegensatz  dazu  echte  Kultur  auch  in  ganz  primitiven 
Zeiten  eines  Kcinfachenj  kräftigen  Daseins*  lebendig,  ^Der 
Geist  war  schon  früh  komplett!'  ^ 

Man  wird  nach  solchen  Einblicken  in  seine  persönlichsten  H 
Werturteile  den  besonderen  Boden,  auf  dem  seine  großen 
Werke  gewachsen  sind,  erst  ganz  verstehen.  Es  würde  eine 
Aufgabe  von  höchstem  Interesse  sein,  diesen  Boden  auf  seine 
geistigen  Bestandteile  hin  naher  zu  untersuchen.  Carl  Neu- 
mann  hat  früher  schon  auf  merkwürdige  Anklänge  an  die  Ge- 
schichtsauffassung der  Aufklärungszeit  in  den  moralisierenden 
Urteilen  B.s  hingewiesen ;  auch  seine  Antipathie  gegen  den 
Machtstaat  könnte  daran  erinnern.  In  seinen  Vorstellungen 
vom  Wesen  der  Kultur  und  ihres  Verhältnisses  zum  Staate 
glaubt  man  bald  Rousseau,  bald  Wilhelm  v,  Humboldt  nach- 
wirken zu  sehen.  Auch  die  Romantik  hat  mitgewirkt,  und 
man  kann  —  ich  hoffe  das  an  anderer  Stelle  zu  zeigen  —  ■ 
höchst  interessante  Berührungen  mit  den  Urteilen  des  Restau- 
rators der  Staatswissenschaften,  seines  Schweizer  Landsmanns 
Karl   Ludwig  v.  Haller   nachweisen.    Daß  überhaupt    der  be^ 


Allgemeines. 


sondere  und  zur  selbständigen  Fortentwicklung  älterer  Keime 
höchst  geeignete  Boden  der  Schweiz  bei  B.  überall  durch- 
schimmert, braucht  kaum  gesagt  zu  werden.  Hier  genoß  er 
zugleich  Deckung  vor  den  politischen  und  nationalen  Macht- 
kämpfen des  übrigen  Europas»  und  freie  Aussicht  auf  alles 
Kulturleben  der  Gegenwart  und  Vergangenheit.  Ein  für  die 
Kontemplation  ungemein  günstiger  Standpunkt,  und  B.  hat 
diesen  Vorteil  mit  voller  Seele  genossen.  Er  sah  in  der  Kultur 
des  19*  Jahrhunderts  den  höchsten,  eigentUch  den  einzigen 
reinen  Gewinn  ^auf  Seite  der  Betrachtenden"  und  in  der 
Fähigkeit  des  universalen  Mitgefühls,  die  sie  entwickelt  hat, 
und  er  hat,  obgleich  ihm  alle  übrigen  Resultate  dieser  Kultur 
mehr  oder  weniger  zweifelhaften  Wertes  waren,  doch  diese 
Betrachtung  in  großem  und  freiem,  allem  Menschlichem  sich 
Öffnenden  Geiste  geübt*  So  spüren  wir  in  allen  seinen  Urteilen 
und  Auffassungen  eine  Frische  und  Ungebrochenheit,  eine 
Freiheit  von  Schulmeinung  und  Konvention,  eine  Selbständig- 
keit gegenüber  den  großen  Zeitströmungen,  wie  wir  sie  seit 
Ranke  bei  keinem  deutschen  Historiker  wieder  erlebt  haben. 
Wir  tragen  alle  in  unserem  historischen  Denken  die  Spuren 
und  Narben  der  politischen  und  sozialen  Kämpfe  einer  großen 
Nation,  —  B*  war  von  ihnen  frei.  Wir  sind  alle  ,, kollektiver*' 
in  unserem  Denken  als  er.  Das  ist  es,  was  ihn  für  uns  so 
ungemein  lehrreich  und  ergiebig  macht.  Aber  indem  wir 
seine  Stärke  bewundern,  brauchen  wir  uns  auch  unserer 
eigenen  Schwachheit  nicht  zu  schämen,  denn  sie  ist  die  Folge 
einer  auch  in  B.s  Sinne  unabweisbaren  und  großen  geschicht- 
lichen Notwendigkeit.  Und  wir  können  ihm  vielleicht  auch 
das  dabei  entgegenhalten,  daß  man  nicht  nur  durch  reines 
Betrachten,  sondern  auch  durch  Miterleben  zur  Erkenntnis 
kommen  kann,  daß  manche  Seiten  der  Dinge  sich  nur  dem 
aufschließen,  der  an  ihnen  mitgestrebt  und  geschaffen  hat.  Mit 
der  reinen  Kontemplation  ist  es  eben  auch  nicht  immer  getan. 
Sie  kann,  wenn  sie  sich  gar  zu  fern  vom  Leben  ihrer  Zeit 
hält,  zu  einer  egoistischen  Selbstgenügsamkeit  werden,  und 
mancher  wird  vielleicht  schon  finden,  daß  B»  dieser  Gefahr 
unterlegen  ist.  Wir  glauben  das  nicht,  wir  halten  seine  welt^ 
geschichtliche  Betrachtungsweise  zwar  nicht  für  die  einzig 
berechtigte,  aber  für  eine  überaus  wertvolle*    So  wird  unsere 


562 


Literatlirbericht 


deutsche,  am  Staate  und  an  der  Nation  orientierte  Geschichti- 
auffassurig  zwar  von  der  Kulturgeschichte  im  ß. sehen  Sinne 
immer  zu  lernen  haben,  aber  auch  sich  selbständig  neben  \h 
behaupten  können. 

Freiburg,  fr.  Mem$the^ 

Geschichte  der  deutschen  Kulturgeschichtschreibung  von  der  HItte 
des  18.  Jahrhunderts  bis  zur  Romantik  Ixn  Zusammenh' 
mit  der  allgemeinen  geistigen  Entwicklung.  Von  Ems 
Schaumicel].  Leipzig,  B,  G.  Teubner.  1905.  320  S.  (Prds^ 
schrilt  XXX  der  Fürstfich  Jabtonowakischen  Oesellschafl) 
16  M. 
Das  Buch  enthält  einen  sehr  sorgfältigen  und  ausfOhr- 
liehen  Beitrag  zur  Geschichte  der  Entstehung  des  modernen 
historischen  Denkens,  der  historisierenden  Weltanschauung 
überhaupt.  Freilich  ist  nicht  das  ganze  Gebiet  umfaßt ;  der  Vi 
beschränkt  sich  au!  Deutschland  und  gibt  nur  andeutungsweise 
ein  Bild  der  französisch-englischen  Historie^  die  der  deutschen 
erst  den  Anstoß  zu  ihrer  Entfaltung  gab.  Auch  handelt  es 
sich  nicht  um  die  Entstehung  im  eigentlichen  Sinne,  indem  ji 
die  von  Frankreich  und  England  kommenden  Impulse  ledig- 
lich verzeichnet  und  nicht  ihrerseits  in  ihrer  Genesis  aufgezeigt 
werden;  das  hatte  in  die  Historie  der  Renaissance  und  in  die 
Theologie  zurückgeführt  und  damit  ein  Untersuchungsgebiet 
betreten,  das  noch  der  eingehenden  Bearbeitung  harrt.  Auch  die 
deutsche  vor  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  liegende  Historie 
ist  nur  kurz  angedeutet.  Der  Vf.  setzt  mit  der  Wirkung  der 
Leibnizischen  Kausalitats-  und  Kontinuitätsidee  sowie  mit  detn 
Einfluß  des  zur  Kulturgeschichte  erweiterten  englisch- französi- 
schen Denkens  ein  und  gibt  nur  die  deutsche  Entwicklung 
des  prinzipiell-historischen  Denkens,  dabei  überall  sorgfältig 
den  Zusammenhang  mit  den  allgemeinen  geistigen  Strömungen 
hervorhebend.  Leider  fehlt  dem  Bande  Inhaltsverzeichnis  und 
Register,  so  daß  man  sich  die  Übersicht  erst  selbst  verschaffen 
muß;  auch  klappt  die  Kapiteleinteilung  nicht  ganz.  Er  handelt  . 
L  von  »der  Kulturgeschichtschreibung  in  Deutschland*  und  hierfl 
I,  von  »der  PartikuEargeschichtschreibung",  und  zwar  a)  von  . 
Friedrich  dem  Großen,  b)  Justus  Moser,  c)  Winckelmann. 
Dann  handelt  er  IL  von  „der  universalen  Geschichtschreibung*, 


AI]  gerne  inea, 


563 


und  zwar  l.  von  der  Geschichtsplijlosophie,  bei  der  merk- 
würdigerweise neben  Turgot  und  Condorcet  der  Wichtigste, 
Rousseau,  fehlt,  und  2,  von  den  Göttinger  Historikern,  Der 
ganze  Teil  II  war  wohl  eigentlich  als  Unterabteilung  von  Teil  l 
und  als  Parallele  zur  Partikulargeschichtschreibung  gemeint» 
Ein  drittes  Kapitel  (lll)  handelt  von  der  f,deutschen  Kultur- 
geschichtschreibung unter  dem  Einfluß  des  vollentwickelten 
deutschen  neuen  Geisteslebens  in  der  zweiten  Hälfte  des 
18,  Jahrhunderts"  und  handelt  nach  einer  Lessing,  Goethe 
und  die  neue  Psychologie  betreffenden  Einleitung  h  von 
Herder,  2.  von  der  deutschen  Kulturgeschichtschreibung  unter 
dem  Einfluß  Kants  und  3.  von  der  unter  dem  Einfluß  Herders. 
Es  sind  also  offenbar  in  der  Hauptsache  zwei  Perioden  unter- 
schieden: die  unter  französisch-englisch-Leibnizischem  Einfluß 
stehende  Historie  vor  dem  deutschen  Idealismus  und  die 
unter  Lessings,  Goethes,  Herders  und  Kants  Einfluß  stehende 
Historie  des  deutschen  Idealismus  selbst  bis  auf  die  Romantik» 
Fichte,  Hegel,  Niebuhr  und  F.  A.  Wolf,  Die  letztere  dritte 
und  wichtigste  Gruppe  fällt  nicht  mehr  in  den  Plan  der  Dar- 
stellung, wird  aber  mehrfach  als  die  Fortsetzung  angedeutet. 
Diese  Inhaltsangabe  läßt  schon  erkennen,  welch  reiche  Be- 
lehrung man  dem  Buche  entnehmen  kann;  vermißt  habe  ich 
eigentlich  nur  Semler»  der  mit  seiner  aus  dem  historischen 
Denken  gezogenen  Konsequenz  eines  restlosen  Relativismus 
und  seinem  Bestreben,  dem  durch  Anleihen  bald  beim  Offen- 
barungssupranaturalismus ,  bald  beim  Rationalismus  zu  ent- 
gehen, außerordentlich  charakteristisch  ist  für  die  ganzen,  mit 
dem  Historismus  heraufgefiihrten  Probleme*  Bei  Semler  ist 
es  die  Folge  des  mystisch-pietistischen  Glaubensindividualis- 
mus und  der  Beschäftigung  mit  der  kritischen  Quellenfor- 
schung. Diese  beiden  Momente  scheinen  mir  überhaupt  ein 
bischen  zu  kurz  gekommen  zu  sein;  insbesondere  ist  der 
Untergrund  empirisch-kritischer  Forschung»  aus  dem  alle  jene 
Generalistionen  ihr  Material  zogen,  allzu  gelegentlich  ange- 
deutet Allein  das  beeinträchtigt  nicht  das  Verdienst  der 
Arbeit,  die  sehr  sorgfältige  und  hochinteressante  Analysen 
der  von  ihr  behandelten  Autoren  gibt 

Natlirlich  ist  eine  solche  Arbeit  nicht  zu  schreiben,  ohne 
daß  man  selbst    ein   fdeal  historischen   Denkens  besitzt,  an 


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B64  Literätiirbericht. 

dem  man  sich  die  vorliegenden  Probleme  dieses  Denkens 
klar  macht  und  von  dem  aus  man  den  Stoff  g^ruppiert  und  be- 
leuchte t  Das  Ideal,  dem  der  Vf.  folgte  ist  unverkennbar  von 
Lamprecht  bestimmt  Er  mißt  die  Historiker  an  dem  Miie 
der  von  ihnen  erreichten  Ausmer^rung  der  individualistiscbefl, 
politischen  und  teleologischen  Methode,  betont  Überall  die 
Linien,  die  zu  einer  restlos  kausal-genetischen,  auch  die  großem 
und  kleinen  Individuen  sozlalpsychologisch  oder  koUektivistisdi 
begreifenden  Erfassung,  zu  einer  Ersetzung  der  teleologisdi 
gedachten  Entwicklung  durch  die  bloß  kausal  gedachte,  spruag- 
lose  Kontinuität  und  zu  einer  restlos  relativistischen,  jede 
Gruppe  nur  an  ihrem  eigenen  Ideal  messenden  Beurtetlung 
führt.  Auch  ist  ihm  die  Forderung  der  Kulturgeschichte,  die 
alle  Bestandteile  menschlichen  Handelns  zu  einem  durchsicb- 
tigen  kausalen  Ganzen  verwebt,  ein  selbstverständliches,  dtirch 
kein  Bedenken  an  der  Lösbarkeit  der  Aufgabe  beeinträchtigtes 
Ideal  aller  wirklichen  Geschichtschreibung«  Freilich  tauchen 
gelegentlich  auch  noch  andere  Interessen  der  historisdiea 
Denkarbeit  auf,  aber  sie  machen  sich  doch  neben  diesem  eigent- 
lichen Ideal  nur  schwach  geltend.  Eben  deshalb  wird  auch 
dem  Denken  der  Aufklärung  trotz  seiner  intensiven  Beschif* 
tigung  mit  der  Historie  doch  der  Charakter  geschichtliehen 
Denkarbeit  bestrittenp  weil  es  noch  alles  au!  allgemeine^  ratio- 
nelle Kulturnormen  des  geschichthchen  Prozesses  beziehi  M 
Eben  darum  sind  Herder  und  Heeren  die  Höhepunkte  der  ■ 
Darstellung,  wobei  nur  an  Herder  die  Einmischung  metaphp 
sisch'-transzendenter  Ideen  getadelt  und  bei  Heeren  die  An- 
näherung an  eine  rein  empirisch-  erfahrungsimmanente  Historie 
gerühmt  wird*  Damit  aber  führt  die  Arbeit  mitten  in  die 
methodologischen  und  philosophischen  Probleme  des  heutigen 
Historismus  hinein,  deren  Erledigung  mir  weniger  selbstver- 
ständlich scheint  als  dem  Vf. 

Heidelberg.  E^  Traeiisck, 


K.   R.   Brotherus,   Immanuel   Kants   Philosophie  der  Geschichte. 
Helsingfors  1905.     VI  II  u.  136  S. 
Eine  kurze,  übrigens   sehr  ungenaue  Skizze    des   Kanti- 
schen Denkens  zeigt  den  Weg  zum  geschichtsphilosophischen 
Problem.    Kant  rechnet  zur  Natur,  Erfahrung  und  Erscheinung 


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I 


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Allgemein  ed. 


den  empirisclien  Geschichtsverlaul»  den  er  daher  nach  streng 
kausalen  Methoden  dargestellt  zu  sehen  wünscht  Aber  über 
diesen  kausalen  Empirismus  geht  er  dadurch  hinaus,  daß  er 
neben  der  empirischen  Forschung  eine  aus  aprionsch-rationalen 
Postulaten  hervorgehende  Geschichtsdeutung  vornimmt.  Dem 
ersteren  und  seiner  Methodik  widmet  Kant  keine  besondere 
Beachtung;  die  Spuren  Kantischer  Anschauungen  zeigen  ihn 
bestrebt,  hier  einen  psychologisch-kausalen  Pragmatismus 
durchzuführen  und  lassen  dabei  auch  Ansätze  zu  sozial- 
psychischen  Betrachtungen  und  Erklärungen  erkennen.  Aber 
im  ganzen  wendet  Kant  dem  weder  ein  großes  Interesse  zu, 
noch  geht  sein  Pragmatismus  Ober  dürftige  Ursächlichkeits- 
kategorien  hinaus;  er  hat  noch  keine  Ahnung  von  der  Psycho- 
logie der  Primitiven,  und  denkt  noch  nicht  an  eine  restlose 
Durchführung  des  »Entwicklungsbegrifles**,  indem  er  eigen- 
tümliche Anlagen  und  individuelle  ßesonderheiten  als  Erklä- 
rungsmittel verwendet  und  diese  nicht  wieder  selbst  entwick- 
lungsgeschichtlich-kausal ableitet.  So  fällt  sein  Interesse  ganz 
in  das  Gebiet  der  geschichtsphitosophischen  Deutung,  die 
sich  mit  der  Beziehung  des  Geschichtsganzen  auf  ein  Ziel  oder 
mit  dem  Fortschrittsgedanken  beschäftigt.  Dieser  Fortschritts- 
glaube wird  durch  die  einzelnen  Schriften  chronologisch  ver- 
folgt und  erweist  sich  als  sehr  schwankend,  da  ihn  bald  die 
Anerkennung  des  Radikalbösen,  bald  eine  pessimistische  Be- 
urteilung des  Menschen  überhaupt,  bald  die  Unerkennbarkeit 
der  transzendenten  Zusammenhänge  bedroht.  So  wird  der 
Fortschrittsglaube  eigentlich  zum  Vorsehungsglauben,  dem  nur 
die  kritische  Periode  jede  metaphysische  Begründung  und  Be- 
deutung nimmt,  um  ihn  lediglich  als  moralisches  Postulat  bei 
völliger  Unerkennbarkeit  seiner  Verwirklichungsweise  zu  be- 
zeichnen.  Unter  diese  Unerkennbarkeit  fallt  dann  insbesondere 
das  Problem  der  Beziehung  der  Vorsehung  auf  die  intelligible 
Freiheit  und  das  nicht  minder  brennende  Problem  des  Ver- 
hältnisses des  intelligiblen  Charakters  zu  seiner  Erscheinung 
tm  empirisch-kausalen  Verlauf,  Mit  Recht  weist  der  Vf.  immer 
wieder  auf  die  auch  von  anderen  hervorgehobenen  Wider-* 
Sprüche  bin,  die  in  der  angeblichen  Zeitloslgkeit  des  intelli^ 
giblen  Charakters  sowohl  gegenüber  einer  Lenkung  der 
Geister   zum  Guten  als  gegenüber  dem  doch  tatsächlich  Jti 


S66 


Literaturbericht 


ihn  eingreifenden  utid  von  ihm  beeinflußten  empirischen  Ver- 
lauf liegen.  Hier  bricht  in  der  Tat  der  ganze  kunstvolle  Bau 
der  Synthese  des  Apriorisch- Rationalen  und  des  Empirisch- 
Psychologischen  auseinander,  der  wohl  für  die  Natürerkenii^ 
nis  zweckmäßig  sein  mochte,  der  aber  für  eine  Erkenntnis- 
theorie der  Geschichte  und  des  geistigen  Lebens  so  nicbi 
ausreichend  ist.  Den  Ausweg  einer  alternierenden  doppelten 
Betrachtungsweise  verwirft  der  Vf,  m.  E,  mit  Recht* 

So  stünde  man  vor  der  Frage  einer  Um-  und  Fortbildung 
der  Kantischen  Erkenntnistheorie  der  Geschichte,  die  die 
Theorie  der  empirischen  Geschichtserkenntnis  weiter  auszu- 
bauen und  an  sie  die  der  philosophischen  Geschichtsdeutaing 
und  Bewertung  anzuknüpfen  hättei  die  insbesondere  den  Kau- 
salttätsbegriff  in  einer  Weise  auszubilden  hätte,  daß  er  die 
Originalität  und  Spontaneität  von  Neuentstehungen  in  sich  auf- 
zunehmen und  die  apriorisch-intelligiblen  Handlungen  in  dea 
psychologischen  Kausalnexus  einzustellen  vermöchte.  Diesen 
Weg  geht  ein  großer  Teil  der  neueren  Geschichtslogiker  und 
Geschichtsphilosophen*  Es  sei  insbesondere  auf  die  Arbeiten 
von  Max  Weber  hingewiesen  (^Röscher  u.  Knies •»  Jahrb.  l 
Gesetzgebung,  Verwaltung  und  Volkswirtschaft,  Jahrg.  27,  2^t 
30  und  „Kritische  Studien  auf  dem  Gebiet  der  kulturwissen- 
schädlichen  Logik*,  Archiv  für  Sozial  Wissenschaft  und  Sozial- 
politik B.  22).  Aber  der  VI,  geht  nicht  diesen  Weg,  sondern 
schwenkt  zii  der  neuen  Lamprechtschen  Methode  , wissen- 
schaftlicher Geschichte*'  ab  und  rahmt  seine  Darstellung  mit 
Betrachtungen  ein,  die  die  relative  Annäherung  Kants  an  Lam- 
precht  hervorheben,  im  übrigen  aber  Kants  Geschichtsphilch 
Sophie  zum  alten  Eisen  werfen,  weil  Kant  als  Kind  des  «indi- 
vidualistischen Zeitalters*  der  „individualistischen  Methode* 
einen  verhängnisvollen  Raum  eingeräumt  habe,  ja  Kant  kann 
geradezu  als  Beispiel  der  verheerenden  Wirkungen  der  , indi- 
vidualistischen Methode*  dienen.  In  Wahrheit  ist  tndividuali' 
stisch^  gesetzloSf  indeterministisch,  metaphysisch^  theologisch* 
unwissenschaftlich  identisch,  wie  umgekehrt  kollektivistische 
gesetzlich,  deterministisch,  empirisch,  entwicklungsgeschicht- 
lich, wissenschaftlich  identisch  ist.  Nur  die  letztere  Methode 
vermag  alles  Geschehen  gesetzlich  und  sozialpsychologisch  zu 
erklären,   vermag   die    Entwicklung   zu   zeigen,    in    der   jedes 


I 


4 


Allgemeines* 


S6f 


Folgende  im  Vorhergehenden  nach  bestimmten  Gesetzen  schon 
enthalten  war.  „Die  individualistische  Methode  kann  nun  ein- 
mal nicht  von  Begründungen  außerhalb  der  empirischen  Wirk- 
Jichkeit  frei  sein",  Individualität  und  Kausahtät  schließen  sich 
auSi  Kants  Geschichtstheorie  ist  daher  nur  brauchbar,  soweit 
sie  das  Postulat  psychologisch-kausaler  Behandlung  enthält; 
aber  das  ist  auch  ihr  ganzes  Verdienst,  das  sie  bereits  in  der 
Ausführung  verleugnet,  indem  sie  von  unerklärten  individuellen 
Anlagen  usw,  spricht  Vollends  aber  in  seiner  Geschichts- 
philosophie „macht  sich  die  Individualistische  Anschauungs- 
weise bemerkbar*.  Alle  ihre  Widersprüche  rühren  von  ihr  her. 
Auch  eine  ,, Entwicklung"  ist  nur  bei  der  Verfolgung  der  kausal- 
psychologischen kollektivistischen  Methode  möglich,  Kant 
durchbricht  die  Entwicklung  überall  durch  kausal  unerklärte 
individuelle  Sprünge  und  Gegebenheiten,  und,  wo  Kant  von 
Entwicklungszielen  spricht,  da  ist  es  stets  sein  subjektiver  Wille, 
der  gerade  dieses  Ziel  betont*  Daher  hat  Kant  zuerst  auch  mit 
seinem  Zeitalter  der  Staatsidee  als  Ziel  gehuldigt^  ist  also  in 
den  Schranken  der  „politischen  Geschichte"  geblieben.  Wenn 
er  statt  dessen  dann  zu  der  ethischen  Persönlichkeitsgemein- 
Schaft  als  Ziel  übergeht,  dann  macht  das  die  Methode  nicht 
besser«  Denn  die  Methode  bleibt  auch  so  immer  bei  Werten 
stehen,  die  sie  nicht  dem  kausal-genetischen  Ablauf  entnimmt. 
Das  ist  wenigstens  deutlich  geredet  und  offenbart  mit  unge- 
wöhnlicher Klarheit  die  Gebrechen  der  „neuen  Methode**.  Der 
Satz  von  der  gegenseitigen  Ausschließung  der  Individualität 
und  Kausalität  und  von  der  Gewinnung  aller  Gruppierungs- 
und Beziehungspunkte  aus  dem  reinen  kausal-genetischen 
Ablauf  selbst  statt  aus  spontanen  Wertbejahungen  enthält  ihre 
bedenklichsten  Vorurteile  in  nuce. 

Heidelberg.  E.  TroeUsch. 


Wirtschaft  und  Recht  nach  der  materialistischen  Geschichtsauf- 
fassung. Eine  sozialphüosophi&che  Untersuchung.  Zweite 
verbesserte  Auflage.  Von  Rudolf  Statnmier.  Leipzigs  Veit 
&  Co.     1906.    VIII  u.  702  S. 

Dies  Werk  Stammlers  darf  den  Ruhm  In  Anspruch  nehmen» 
unter  allen  Büchern,  die  in  der  letzten  Zeit  auf  dem  hier  in 
Betracht  kommenden  Gebiet  erschienen  sind,  die  stärkste  Wir- 


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Literaturbericlit 


S6S 


kurig  hervorgebracht  zu  haben.  Der  Kreis  derjenigen.  iSe 
sich  unmittelbar  und  ganz  zu  ihm  bekannt  haben,  ist  viellr 
klein  zu  nennen,  wiewohl  es  nicht  verächtnche  Autoren  ^ 
die  er  zu  seinen  Anhängern  zählt.  Aber  zu  einer  ertistea 
Auseinandersetzung  mit  ihm  sah  sich  jeder  genötigt,  der 
dem  sich  beständig  steigernden  Interesse  für  die  Grundfrü^ 
der  Jurisprudenz,  der  Nationalökonomie  und  der  GeschiditS' 
Wissenschaft  erfüllt  war,  und  auch  diejenigen^  die  sich  schlecht- 
hin ablehnend  gegen  ihn  verhalten  zu  müssen  glaubten,  werden 
ihm  für  bedeutende  Anregungen  Dank  wissen.  Die  Zahl  dir 
Stimmen,  die  sich  zu  seinen  Darlegungen  geäußert  haben,  is« 
außerordentlich  groß.^)  Den  sichtbarsten  Beweis  für  den  Ein- 
druck, den  das  Werk  hervorgerufen  hat,  haben  wir  in  der 
Tatsache,  daß  von  der  sehr  umfangreichen,  an  den  Leser 
überaus  hohe  Anforderungen  stellenden  Darstellung  nach  it\m 
Jahren  (über  die  im  Jahre  1896  erschienene  erste  Auflage  s. 
H.  Z.  78,  S.  78  ff,)  eine  neue  Auflage  notwendig  geworden  ist; 
ein  erfreuliches  Zeichen  übrigens,  daß  in  unserer  so  eilif 
lebenden  Zeit  unter  Umständen  doch  auch  die  schwerste  Lek- 
türe viele  Freunde  findet.  Was  zunächst  das  äußere  Verhältnis 
zwischen  der  ersten  und  der  zweiten  Auflage  betrifft,  so  ist 
der  Um  lang  des  Textes  etwas  verringert  worden*  Dagegen 
haben  die  am  Schluß  gegebenen  Anmerkungen  eine  wesent* 
liehe  Vermehrung  erfahren,  und  es  sind  ferner  ein  Obenus 
eingehendes  Sachregister,  das  die  Benutzung  des  Buches  sehr 
erleichtert^  und  ein  Autorenverzeichnis  hinzugekommen.  Daß 
St«  seinen  Standpunkt  viel  ändern  würde,  war  bei  einem  so 
gründlichen  und  konsequenten  Denker,  der  nicht  die  Früchte 
einer  flüchtigen  Überlegung  bot,  nicht  zu  erwarten.  Im  ein- 
zelnen aber  finden  sich  doch  manche  bemerkenswerte  Ande* 
Hingen  (auch  Zusätze)  und  nicht  bloß  formeller  Natur,  Die 
unmittelbare  Polemik  gegen  seine  Kritiker  hat  St  in  die  An- 
merkungen verwiesen.    Schon  früher  haben  wir  hervorgehoben, 

*)  Äußerungen  bis  zum  Jahre  1900  hat  Stammler  in  dem  AiiM 
, Materialistische    Oeschichtsauffassung*'   in    der    2.    Auflage    de»^ 
Handwörterbuchs  der  Staats  Wissenschaften  notiert.     Seitdem  sind 
aber  noch  sehr  viele  hinzugekommen.    Vgl.  z.  B,  außer  den  Aul* 
Sätzen  von  M.  Weber  im  Archiv  für  Sozial  Wissenschaft  Radbrucli. 
ebenda  Bd.  22,  S.  370. 


Alte  Geschichte* 


569 


daß  er  den  Wert  der  historischen  Einzelforschung  unterschätzt 
(vgL  H.  Z.  78,  S.  82;  81,  S.  242;  90,  S.  97).  Er  liefert  aber 
selbst  eine  Widerlegung  dieser  Geringschätzung,  wenn  er  ge- 
legentlich stark  betont,  daß  dieser  oder  jener  historische  Vor- 
gang das  eine  Motiv  gehabt  habe  und  ein  anderes  nicht.  Um 
eine  seiner  hierher  gehörigen  Behauptungen  zu  berichtigen, 
so  vergleiche  zu  seiner  Erklärung  der  Rezeption  des  römischen 
Rechts  meine  Schrift  über  die  Ursachen  der  Rezeption  S,  149  ff- 
Freiburg  i.  B.  C,  v.  ßelow^ 


Die  Angriffe  der  drei  Barkiden  auf  Italien,  drei  quellenkritisch- 
kriegsgeschichtliche  Untersuchungen,  mit  4  Übersichtskarten, 
5  Plänen  und  6  Abbildungen.  Von  K.  Lehmann»  Leipzig, 
Teuhner.     1905.     VIII  u.  309  S.    5  M. 

Die  erste  größere  Hälfte  dieses  Werkes  eines  Schülers 
von  H,  Delbrück  behandelt  die  Streitfrage  über  Hannibals 
Alpenübergang.  Der  Vf.  verficht  mit  Geschick  und  Gelehr- 
samkeit die  Ansicht,  daß  der  karthagische  Feldherr  die  Rhone 
zwischen  St.  Etienne  und  Mornas  (etwas  nördlicher  als  Roque- 
maure,  wo  gewöhnlich  der  Übergang  angesetzt  wird)  über- 
schritt, daß  er  dann  rhoneaufwärts  bis  Valence  bei  der  Is^re- 
mündung  vorging.  Hier  zwischen  Rhone  und  Isfere,  südlich 
des  letzten  Flusses,  setzt  er  die  », Insel"  an,  die  gewöhnlich 
nördlich  der  Is^re  im  AUobrogeriande  angenommen  wird.  Die 
ebene  Landschaft  um  Valence  ist  zwar  sehr  beträchtlich  kleiner 
als  das  Nildelta,  mit  dem  sie  Polybios  in  seiner  Beschreibung 
in  bezug  auf  Große  und  Fruchtbarkeit  vergleicht!  allein  ein 
diesen  Erfordernissen  ganz  entsprechendes  Gebiet  am  Abhang 
der  Westalpen  ist  überhaupt  nicht  nachzuweisen.  Von  der 
„Insel"  setzte  Hannibal  seinen  Marsch  die  Is^re  aufwärts  über 
den  kleinen  St.  Bernhard  fort  und  stieg  durch  das  Tal  der 
Dora  ßaltea  in  die  Poebene,  unternahm  dann  südwestlicfi  aus- 
biegend den  Angriff  auf  das  Land  der  Tauriner  und  rückte 
nach  Eroberung  von  deren  Hauptort  wieder  nach  Osten,  wo 
er  am  Tessin  mit  Scipio  zusammenstieß.  Die  Angaben  über 
die  Verluste  auf  dem  Alpenmarsche  sind  —  auch  bei  Polybios 
—  arg  übertrieben,  weil  sein  Heer  schon  seit  dem  Aufbruch 
aus  Spanien  (und  nicht  erst  seit  der  Ankunft  in  Italien)  nur 
25—28000   Mann   zu   Fuß,   7500—8000  R.   und    37  Elefanten 

HlBtoriscb«  Zeltichrift  (97,  Bd.)  1.  Folge  K  Bd.  37 


L 


L  it  eratu  rberi  ch  L 


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lählte^  von  denen  er  etwa  5—8000  Mann  zu  Fti§    und  1500 
bis  2000  R.  verlor. 

Auf  der  angegebenen  Marschlinie  bringt  Lehmann  dit  bei 
Polybios  näher  beschriebenen  Punkte,  an  denen  feindliche 
Scharen  oder  besondere  Geländeschwierigkeiten  zu  überwinden 
waren,  beim  Bec  de  TEchaillon,  bei  Cevins  im  Is^retaJ  und  m 
der  Taihandschlucht  hinter  La  Thuille  am  gleichiianiigen  in 
die  Dora  Baltea  mündenden  Bache  unter.  Mit  diesen  Ansätzen 
stimmt  sowohl^  was  Polybios  (von  den  später  von  ihm  zuge- 
setzten 1200  und  1400  Stadien  abgesehen)  an  Distanzangaben 
bietet,  als  auch  das  heutige  Gelände^  das  der  Vf*  zum  Tn\ 
persönlich  in  Augenschein  genommen  hat,  Livius  hat  seiner 
Darlegung  zufolge  den  Polybios  neben  anderen  Quellen  b^ 
nutzt;  aus  einer  solchen  stammt  der  Einschub,  in  dem  der 
Duranceübergang  erwähnt  wird.  Diese  Quelle  des  Lhm 
nannte  aber  nicht  wie  Livius  die  Durance,  sondern  schildert? 
den  Rhoneilbergang:  auf  diesen  Fluß  allein  passen  die  Ein- 
zelheiten der  Beschreibung  selbst»  Livius  läßt  ferner  infolge 
eines  Fehlschlusses  Hannibal  bei  den  Taurinern  (also  durch 
das  Dora  Rlparia-Tal)  in  Italien  anlangen;  nach  Polybios  km 
er  vielmehr  im  Insubrerlande  an  und  die  Tauriner  waren  nur 
der  erste  von  ihm  bekriegte  Keltenstamm,  was  eben  Livius 
zu  seiner  falschen  Vorstellung  und  Ausdrucksweise  Anlaß  gaK 

Der  schwächste  Punkt  dieser  Darlegungen  liegt  m.  E 
darin,  daß  auf  die  Angabe  des  Polybios,  Hannibal  sei  ins. 
Insubrerland  herabgestiegen,  so  großes  Gewicht  gelegt  mM;] 
das  wäre  nur  dann  zulässig,  wenn  das  Insubrergebiet  von  der 
Ausmündung  des  Dora  Baltea-Tales  nicht  so  weit  entfernt  lägt 
als  dies  in  Wirklichkeil  der  Fall  ist,  während  man  allerdingi 
aus  dem  Dora  Riparia-Tale  zu  den  Taurinern  kommt,  wie  Livius 
sagt.  Allein  damit  will  ich  die  Position  der  Verfechter  der 
Mont  Genfevretheorie  (mit  deren  Varianten)  nicht  verstärken; 
es  ist  vielmehr  zuzugeben,  daß  L.s  Kritik  der  Livtusstellen, 
an  denen  die  Druentia  genannt  wird,  sehr  zutreffend  ist,  und 
daß  deren  Beziehung  auf  den  Rhoneübergang  ein  hoher Gr&il 
von  Wahrscheinlichkeit  zukommt,  falls  man  diese  Stellen  nicbt 
überhaupt  als  rein  rhetorische  Schilderungen  ganz  verwirfL 
Damit  ist  eine  Hauptstütze  der  Mont  Gen^vretheorie  in  def 
Tat  als  schwach  erwiesen,  aber  doch  nicht  so  ganz  zerforochen. 


Alte  Geschichte. 


571 


wie  der  Vt*  annimmt,  weil  die  zweite  von  ihm  angefochtene 
Angabe  des  Livius  (die  Ankunft  bei  den  Taurinern),  die  er 
als  einen  Fehlschluß  des  römischen  Geschichtschreibers  ganz 
eliminieren  möchte,  mit  jener  Nennung  der  Druentia  in  einem 
unlösbaren  sachlichen  Zusammenhang  steht.  Man  muß  also 
auch,  wenn  man  an  der  Route  über  den  kleinen  St.  Bernhard 
festhält,  zugeben,  daß  dieser  Annahme  eine  Überlieferung  bei 
Livius  (oder  in  einer  seiner  Quellen)  entgegensteht,  nach  der 
Hannibal  durch  das  obere  Durancetal  auf  die  Paßhöhe  hinauf 
und  durch  das  Dora  Riparia-Tal  zu  den  Taurinern  hinabstieg. 
Diese  Überlieferung  mag  falsch  sein,   aber   sie  ist  vorhanden. 

Hasdrubals  Alpenübergang  über  den  Mont  Genfevre  setzt 
der  Vi  ins  erste  Frühjahr  208,  das  Lager  der  Römer  und  Kar- 
thager vor  der  Schlacht  am  Metaurus  bestimmt  er  nicht  bei 
Sena-Gallica^  sondern  im  ager  Senonum  bei  Fano,  an  dem  Knie 
der  via  Flaminia  dies-  und  jenseits  des  Arzillabaches,  Die 
Schlacht  fand  nicht  am  linken,  sondern  am  rechten  Ufer  des 
Metaurus  statte  der  nächtliche  Abmarsch  Hasdrubals  aus  dem 
Lager  vor  Fano  hatte  keineswegs  den  Zweck,  sich  vor  den 
vereinigten  römischen  Streitkräften  nach  der  Poebene  zu 
flüchten,  sondern  er  verband  damit  die  überaus  kühne  Ab- 
sicht, im  Rücken  des  römischen  Lagers  die  Straße  und  den 
Metaurusübergang  zu  erreichen  und  sich  so  mit  Hannibal,  der 
inzwischen  bis  an  die  AternusmUndung  vorgedrungen  war, 
zu  vereinigen.  Bei  Calmazzo  oberhalb  Fossorabrone  erlag 
jedoch  Hasdrubal  den  Römern,  die  Ihm  eilends  nachrückten. 
Diese  Darlegungen  scheinen  mir  durchaus  überzeugend.  End- 
lich erörtert  L.  noch  die  Nachrichten  über  Magos  Unter- 
nehmungen in  Ligurien  und  über  den  Aufstand  der  Ligurer 
und  Gallier  unter  Hamilkar,  der  die  Eroberung  von  Placentia 
zur  Folge  hatte.  Er  sucht  aus  den  livianischen  Berichten 
mehri  als  gewöhnlich  geschieht,  festzuhalten.  Ihr  Wert  wird 
vor  allem  daraus  ersichlllch,  daß  die  Schlachtbeschreibungen 
des  Livius  keineswegs  schematisch  sind,  sondern  vielmehr 
deutlich  erkennen  lassen,  wie  viel  die  römischen  Feldherrn  in 
taktischer  Hinsicht  (Treffenordnung)  von  den  Karthagern  ge- 
lernt hatten. 

Den  analysierenden  und  kritisierenden  Abschnitten  läßt 
der  VL  jeweils  darstellende  Abschnitte  folgen*    Seine  Arbeit 

37* 


572 


Literaturberieht. 


muß  als  ein  sehr  wertvoller  Beitrag  zur  Geschichte  des  zwiim 
ponischen  Krieges  bezeichnet  werden. 

Graz.  Adolf  Bauer, 


Lts  Ceiies  depuis  /rs  iemps  ies  pltss  anciens  jmsqu'en  Van  W 
avant  notre  ire.  ^titde  hlstorique  par  ii»  €i'Ati^QiS  de 
Jmbmittviile,  membre  de  VinsUtut^  pro/essetir  au  callqt 
de  France,  Paris ^  Albert  Fontemoing^  äeUieur,  (904.  XU  b. 
220  S. 

Dieses  Buch  ist  aus  20  im  Jahre  1902/03  gehaltenen  Vcw^ 
trügen  entstanden  und  schildert  die  Gliederung  und  Eigenm^ 
die  Ausbreitung  und  den  Rückgang  der  keltischen  Nation  bii^ 
zur  Zeit  der  Cimbern kriege.  Als  die  ursprüngliche  Hein 
der  Kelten  ist  nach  dieser  Darstellung  das  heutige  Süddeutsi 
land  anzusehen,  das  Land  zwischen  Main,  Rhein  und  DonaoLl 
Von  hier  haben  sich  die  Kelten  erobernd  nach  allen  Seitea 
hin  ausgedehnt,  einen  großen  Teil  von  Norddeutschland  mw^ 
lieh  der  Elbe  besetzt,  den  Rhein  überschritten,  das  spitm 
Gallien  erobert  und  in  zwei  Ziigen  die  britischen  Inseln 
Besitz  genommen;  sie  sind  tief  in  die  PyrenMJsche  Halbtnsd^ 
eingedrungen,  haben  ferner  die  Alpenlandschahen  besiedelt 
und  sind  von  hier  (um  400  v,  Chn)  nach  OberitaJien  gelangt 
Ostwärts  haben  sie  Böhmen  und  Mähren  besetzt,  sind  dk 
Donau  hinabgezogen,  haben  große  Teile  ihrer  Uferlandschtften 
und  auch  Thrakiens  in  Besitz  genommen;  schließlich  sinct 
einzelne  Stämme  sogar  über  den  Hellespont  gegangen,  um 
sich  mitten  in  Kldnasien  häusUch  niederzulassen.  Überal 
wohin  sie  kamen,  haben  sie  frühere  Einwohner  vorgeluiukn 
und  verdrängt  oder  unterworfen,  im  Westen  Ligurer  und  Ibeftr, 
in  den  Ostalpen  venetisch-ill?rische  Stimme,  in  ObentilMs 
Etnisker.  Auch  die  Germanen,  die  damals  zwischen  f3bt 
und  Weichsel  wohnten,  haben  sie  in  Öntertitiigkeit  gehiitc& 
Dann  aber  eHolgte  der  Niedergang  der  keltiscben 
Die  Gentimnen  machten  sich  von  ihnen  las^  tftebeu 
Ober  den  Rhein  und  besetzten  das  rechte  Rheinufer^ 
auch  die  Landschafteii  zwischen  Main  und  Donm 
Böhmen  und  Httmu.  In  Spanien  wunleii  die 
Kmrth^gefTi  uni  Mtecm  untenrorien,  ac 
Römern  teSi  veij^gt,  teak  laÜTitsiert,  auch  das 


jk 


Alte  Geschichte. 


S7S 


Gallien  hatte  ein  ihnliches  Schicksal,  und  schließlich  sind  von 
dem  einst  so  großen  Volke  nur  einige  Reste  übriggeblieben. 
Doch  haben  sie  überall,  wo  sie  wohnten,  in  den  Fluß-  und 
Ortsnamen  deutliche  Spuren  ihres  Daseins  zurückgelassen. 
Sie  haben  ferner  von  ihrer  Eigenart  ihren  Nachbarn  und 
Untertanen,  auch  den  klassischen  Völkern  mancherlei  mitge- 
teilt- Diese  Spuren  und  Reste  ihres  Volkstums  hat  der  Vf. 
aufgesucht;  verbunden  mit  den  Nachrichten  der  Alten,  ge- 
währen sie  die  Möglichkeit,  die  frühere  Ausdehnung  der  Kelten 
zu  bestimmen. 

Bekanntlich  ist  die  Geschichte  der  Kelten  überall  da,  wo 
uns  die  Überlieferung  im  Stiche  läßt,  ein  unsicheres,  schlüpf- 
riges Gebiet,  auf  dem  schon  mancher  zu  Fall  gekommen  ist; 
auch  von  den  Ausführungen  des  Vf.  ruht  manches  auf  recht 
unsicherem  Grunde,  und  ein  kritischer  Leser  wird  seine  Vor- 
behalte zu  machen  haben,  wie  es  auch  im  einzelnen  nicht  an 
Ungenauigkeiten  und  Widersprüchen  fehlt.  So  ist,  um  ein 
Beispiel  zu  geben,  die  ehemalige  Anwesenheit  einer  keltischen 
Bevölkerung  zwischen  Weser  und  Elbe  oder  gar  in  Nord- 
albingien,  wie  Vf.  sie  annimmt,  ein  sehr  zweifelhaftes  Ding* 
Ebenso  fehlt  es  der  S.  176  vorgetragenen  Vermutung,  daß  der 
Einbruch  der  Kelten  in  Oberitalien  vom  Jahre  299  v*  Chr.  mit 
ihrer  Verdrängung  aus  Norddeutschland  zusammenhänge,  durch- 
aus an  der  nötigen  Begründung.  Ganz  und  gar  nicht  einver- 
standen bin  ich  mit  der  Art  und  Weise,  wie  der  Vf.  die  be- 
kannten Nachrichten  des  Cäsar  bell  Gall.  VI,  24  und  Livius 
Vj  34  behandelt*  nach  denen  die  Kelten  vom  spateren  Gallien 
aus  nach  Italien  und  ins  heutige  Süddeutschland  gewandert 
sind,  wobei  freilich  zu  bemerken  ist,  daß  er  hierin  nicht  allein 
steht,  sondern  an  anderen  Forschern,  wie  Müllenhoff,  Vor- 
gänger hat.  Mit  Recht  hält  er  dafür,  daß  diese  Nachrichten 
erst  einer  späteren  Zeit  entsprungen  sind,  als  der  keltische 
Stamm  im  wesentlichen  schon  auf  das  linksrheinische  Gebiet 
beschränkt  war,  und  laßt  seinerseits  die  oberitalischen  Kelten 
nicht  mit  Livius  von  Westen,  sondern  von  Norden  her  aus 
den  Alpen-  und  Donaulandschaften  in  Italien  eindringen. 
Gleichwohl  will  er  die  Erzählungen  nicht  preisgeben;  er 
kehrt  sie  um,  bessert  sie  und  macht  z«  B.  den  Ambigatus  des 
Livius,  den  Vater  des  ßellovesus  und  Sigovesus  zu  einer  Art 


574  Literaturbericht, 

Großkönig  der  süddeutschen  Kelten.  Er  glaubt,  daß  den  s|^ 
leren  Nachrichten  allere  Traditionen  zugrunde  liegen,  md 
hält  sich  für  berechtigt,  einzelne  2üge  zu  einem  neuen,  guu 
anderen  Bude  zusammenzufügen.  Dies  ist  nach  metner  Mei- 
nung nicht  erlaubt;  man  muß  die  überlieferten  Nachrichten 
entweder  so  annehmen,  wie  sie  sind  und  sein  wollen,  orfer 
verwerfen;  nun  darf  nicht  etwas  In  sie  hineindeuten,  wm 
nicht  in  ihnen  erhalten  ist  oder  ihnen  gar  widerspricht. 

Wenn  ich  also  auch  in  manchen  Stücken  anderer  Mei- 
nung bin  als  der  Vf.,  so  ist  das  Buch  doch  im  ganzen  als  eii; 
wohlgelungenes  Werk  anzusehen  und  zu  begrüßen.  Die  ehe- 
malige Ausdehnung  und  Bedeutung  der  keltischen  Nation  wid 
in  der  Hauptsache  durchaus  zutreffend  geschiidert.  Der  VL 
hat  vollkommen  recht,  wenn  er  ihr  eine  wichtige  Rolle  xo- 
weist,  und  wir  müssen  ihm  Dank  wissen,  daß  er  die  Ergeb- 
nisse seiner  Forschungen  ohne  gelehrten  Apparat  in  einer 
klaren  ungeschminkten,  anziehenden  Darstellung  zusammen- 
gefaßt hat  und  so  versucht  hat,  ein  größeres  Publikum  fDr 
einen  Volkstamm  zu  interessieren »  der  einen  wichtigen  Be- 
standteü   der  heutigen  westeuropäischen   Bevölkening   bildet 

Marburg,  Benedictus  Niese. 

Deutsche  Verfassungsgeschichte,    Von  Andreas  tleusler.    Leipzigt 
Duncker  £  Humblot,     1905,    X  u,  298  S. 

Dies  Buch  enthält  eine  erhebliche  Anzahl  von  Unrichtig- 
keiten und  Ungenauigkeiten,  Von  anderer  Seite  ist  schon 
dem  Befremden  darüber  Ausdruck  gegeben,  daß  Hetisier 
sich  die  ganz  unhaltbare  (s.  Stutz,  Ztschr  der  Sa v. -Stiftung. 
Germ.  Abt,  Bd,  26,  S.  349  ff,  und  Ztschr,  f,  Sozialwissenschift. 
1906,  S.  68  f.)  Theorie,  die  Rubel  in  seinem  übrigens  ja  sehr 
gelehrten  Buch  ^Dle  Franken,  ihr  Eroberungs-  und  Siedelungs* 
System  im  deutschen  Volkslande"  vorträgt,  angeeignet  hit 
Wenn  dies  vielleicht  das  auffälligste  ist,  so  findet  sich  im  ein- 
zelnen  leider  auch  noch  viel  anderes^  was  moniert  werden 
muß.  Um  einiges  hervorzuheben,  so  setzt  H.  S,  166  eingehend 
auseinander,  daß  nur  König  und  Fürsten,  nicht  aber  Grafen 
Ministerialen  haben.  Es  ist  indessen  allbekannt,  daß  sie  sich 
in  Norddeutschland  auch  bei  den  Grafen  finden ;  eines  der 
wertvollsten  Ministerialenrechte  stammt  von  einem  Graienhof 


Mittelalter 


575 


(dem  von  Tecklenburg).  Einmal  macht  H.  die  Einschränkung, 
„wenigstens  nicht  mehr  zm  Zeit  des  Schwaben  spiegeis**  hätten 
die  Grafen  Ministerialen  gehabt.  Wenn  er  hier  einen  Unter- 
schied der  Entwicklung  statuiert,  so  ist  das  ganz  unzulässig; 
es  handelt  sich  lediglich  um  einen  Unterschied  der  Land- 
schaften. Gerade  aus  der  Zeit  des  Schwabenspiegels  gibt  es 
eine  Fülle  von  Nachrichten  über  Ministerialen  norddeutscher 
Oralen.  S*  167  behauptet  H. :  „ihre  (der  Ministerialen)  Hof- 
ämter wurden  zu  Ehrenämtern  und  Titeln,  während  der  eigent- 
liche Hof  dienst  auf  untergeordnete  milUes  überging*  So  ver- 
hielt es  sich  doch,  wenigstens  im  allgemeinen,  nicht.  Viel- 
mehr war  die  Entwicklung  wohl  in  der  Regel  die,  daß,  nach- 
dem die  Hofämter  erblich  geworden,  der  Landesherr  wechselnde 
Inhaber  der  Ämter  schuf,  denen  nun  die  wichtigsten  Kompe* 
tenzen  zufielen,  während  jene  im  wesentlichen  auf  eine  äußere 
Ehrenstellung  beschränkt  wurden.  Im  Übrigen  sei  hinsichtlich 
der  Geschichte  der  Minislerialität  auf  die  neueste  Kontroverse 
Wittich-Heck  {Vierieljahrschrift  für  Sozial-  und  Wirtschafts- 
geschichte, Jahrgang  1906)  hingewiesen*  S.  177  gibt  H,  eine 
Definition  des  Begriffs  Landesherr  (warum  sagt  er  konstant 
„Landherr*"?),  die  zwar  insofern  richtig  ist,  als  sie  den  Zu- 
sammenhang mit  den  gräflichen  Rechten  hervorhebt,  aber 
diesen  nicht  zutreffend  bestimmt.  Später  (S*  183)  sieht  er 
sich  genötigt,  auch  die  ^freien  Herrschaften*,  im  Gegensatz 
zu  seiner  Definition,  zu  den  landesherrlichen  Gebieten  zu 
rechnen.  Er  will  nun  diesen  Widerspruch  beseitigen,  indem 
er  behauptet  (S.  184),  die  Inhaber  jener  Herrschaften  gehörten 
„streng  genommen"  nicht  zu  den  Landesherren.  Allein  tat- 
sächlich sind  z.  B,  die  Herren  von  Hohenlohe  und  von  der 
Lippe  auch  vor  dem  Erwerb  des  Grafentitels  durchaus  Landes- 
herren gewesen.  In  dem  Abschnitt  ^Städtische  Entwicklung** 
(S*  195  f*)  ist  kaum  ein  Satz  richtig.  Es  überrascht,  wie  wenig 
H,  hier  von  der  neueren  Literatur  Notiz  genommen  hat* 

Im  Vorwort  bemerkt  H,,  er  habe  sein  Buch  , nicht  für  die 
Rechtshistoriker  vom  Fach*  verfaßt,  vielmehr  für  einen  größeren 
gebildeten  Leserkreis.  Wegen  jener  Ungenauigkeiten  wird  es 
indessen  kaum  geeignet  für  diesen  Zweck  sein.  Denn  „der 
Gelehrte  kann  nachprüfen,  der  Laie  muß  in  der  Regel  ver- 
trauen",   tn  der  Form   stellt   es   allerdings   einen  sehr  inter- 


576  Literaturbericht 

essanten  Versuch  dar,  dem  Leser  in  edler  populärer  Schilde- 
rung die  großen  Züge  der  deutschen  V^erfassungsgeschichte 
vorzuführen,  wiewohl  nach  meinem  Gefühl  noch  immer  m 
viel  gelehrter  Ballast  im  einzelnen  mitgeschleppt  wird.  Wer 
einen  solchen  Versuch  erneuern  wird,  der  wird  dankbar  auf 
H*s  Buch  zurückgreifen.  Aber  das  Bedürfnis  eines  größeren 
Leserkreises  kann  dieses  eben  einstweilen  nicht  erfüllen^  und 
seinen  Hauptnutzen  wird  es  in  dem  haben,  was  es  dem  Fach- 
mann bietet  Denn  Beachtung  seitens  der  Forschung  verdient 
es  in  der  Tat»  H.  ist  ein  so  originaler  Kopf,  daß  man  ihn 
immer  gern  hört,  auch  wenn  ,er  unrichtiges  mit  richtigem 
mischt.  Und  in  dieser  Beziehung  erhält  auch  jener  gelehrte 
Ballast  seinen  Wert:  Ei.  bemüht  sich  mehrfach  um  eine  g^ 
nauere  Interpretation  wichtigerer  Rechtsdenkmäler  (vgL  x,  B 
S,  170  ff*  über  das  siaiuiam  in  favorem  principum}.  Hervor- 
zuheben ist  ferner,  daß  er  die  verfassungsgeschichtliche  Ent* 
Wicklung  in  den  Fluß  der  politischen  Geschichte  stellt  und, 
im  Zusammenhang  damit,  die  Persönlichkeit  der  Herrscher* 
die  an  einem  Wendpunkt  stehen,  zu  würdigen  sucht  (vgl  z.  B. 
S.  147,  162,  168),  Endlich  erwähnen  wir  die  Sympathie,  die 
er  unserm  neuen  Deutschen  Reiche  widmet;  sie  ist  deshalb 
erwähnenswert,  weil  sie  ein  Ausdruck  von  H*s  groß  angelegter 
Natur  ist. 

Freibürg  i.  B.  G,  v.  Beiow. 

Die  Geschichte  des  literarischen  Porträts  in  Deutschland-  Von 
Friedrich  M.  Kircheisen.  Bd.  I;  Von  den  ältesten  Zeiten 
bis  zur  Mitte  des  12.  Jahrhunderts,  Leipzig,  K-  W.  Hirse- 
mann,    1904     Vm  u.  170  S, 

Vf,  hat  eine  große,  verdienstliche  Arbeit  unternommeiu 
deren  Thema  bis  jetzt  erst  In  vereinzelten  Untersuchungen 
angegriffen  ist  und  in  den  verschiedensten  Hinsichten  be- 
deutendes Interesse  bietet.  Im  vorliegenden  Buche  steht  die 
Frage  im  Mittelpunkt,  wie  sich  die  Fähigkeit,  Individualität 
aufzufassen  und  darzustellen,  im  Mittelalter  entwickelt  hat* 
Die  hier  behandelte  Epoche  wird  S*  4  dahin  charakterisiert: 
,Der     Einzelne     ist     im    allgemeinen     noch     nicht     erfaßt: 

a)  Charakteristik   durch    Beigabe    von    Epitketls    arnaniibtts, 

b)  Schilderung  mit  typischen  Motiven,  denen  die  Ausbildung 


I 


< 


k 


Mittelalter. 


eines  Ideals  zugrunde  liegt;  Ausnahmen  finden  sich  in 
einigen  Geschichts werken  der  von  fremder,  höherer  Kultur 
beeinflußten  Geistlichkeit,  vornehmlich  der  Karolinger-  und 
Salierzeit. ** 

Man  kann  diesem  Urteil  im  ganzen  zustimmen,  wenn  man 
den  Begriff  des  literarischen  Porträts  auf  ausdrückliche 
Schilderungen  und  Beschreibungen  der  Persönlichkeiten  ein- 
schränkt. Aber  diese  Einschränkung  scheint  mir  nicht  be- 
rechtigt, insofern  der  Vf.  die  fortschreitende  Fähigkeit  zu  indi- 
vidualisierender Auffassung  überhaupt  im  Auge  hat.  Um  davon 
ein  vollständiges ,  zutreffendes  Bild  zu  erhalten «  sind  meines 
Erachtens  überall  auch  die  ganzen  Darstellungen  der  Persönlich- 
keiten in  Taten  und  Worten  zu  berücksichtigen,  nicht  nur^ 
wie  Vf*  es  tut,  einzelne  Stellen,  worin  die  Persönlichkeiten  in 
beschreibender  Form  gekennzeichnet  werden.  Auf  Grund 
solcher  Stellen  spricht  VI.  z.  B.  dem  Biographen  Konrads  11,, 
WipO;  S.  144  die  Fähigkeit  ab,  individuell  zu  schreiben;  und 
doch  bietet  uns  dessen  Werk  außer  anderem  jene  sarkastischen 
Bonmots,  wodurch  die  harte  Persönlichkeit  Konrads  so  einzig- 
artig gekennzeichnet  wird,  besser  als  es  durch  irgendwelche 
beschreibende  Charakteristik  geschehen  könnte.  Ferner  wird 
Widukindf  S.  104,  mit  der  Bemerkung  übergangen,  daß  er  leider 
keine  ausführlichen  Lebensbeschreibungen  enthalte;  und  doch 
gewinnen  wir  durch  seine  Darstellung  so  eindrucksvoll  sich 
abhebende  Bilder  von  der  überragenden  Charaktergröße 
Ottos  L,  dem  jugendlich  empfindsamen  Ungestüm  Lindolfs,  dem 
gereiften  Realismus  Heinrichs,  und  er  hat  eine  so  individuell 
charakterisierende  Szene  zu  schreiben  vermocht,  wie  die  der 
Zusammenkunft  zwischen  den  beiden  letzteren  im  Buch  3, 
Kapitel  18.  Auch  Ruotgers  VUa  Brunonis  ist  in  dieser  Hinsicht 
unterschätzt,  nicht  minder  die  epische  Dichtung,  soweit  Vf. 
sie  fieranzieht,  usw. 

In  der  ganzen  Behau  diu  ngs  weise  des  Themas  ist  Vf,  offen- 
bar  stark  beeinflußt  durch  die  Leipziger  Monographien  von 
Kleinpaul  und  Kühne  („Das  Typische  in  der  Personenschilde- 
rung  der  deutschen  Historiker  des  10.  Jahrhunderts*  und 
„Das  Herrscherideal  des  Mittelalters  und  Kaiser  Friedrich  I.*), 
sowie  durch  Lamprechts  Anschauungen  in  dessen  „Deutscher 
Geschichte**.  Nicht  nur  in  der  eben  erwähnten  Hinsicht,  sondern 


678 


Üteraturbericht, 


auch  anderweitig.  Er  betont,  wie  jene,  mit  voJJem  Recht  die 
Bedeutung,  welche  zu  Ungunsten  individueller  Schilderung 
das  jeweils  geltende  Idealbild  des  Helden,  des  Geisüicheo, 
des  Herrschers  als  typisches  Vorbild  und  Muster  der  Personen- 
beschreibungen bat.  Aber  dieses  Ideal  selbst  bestimmt  er* 
wie  jene  ebenfalls,  zu  einseitig,  nicht  umfassend  genug  aus 
dem  ganzen  Gesichtskreis  der  Zeit  heraus.  So  ergeben  sich 
ihm  namentlich  die  typischen  Züge  des  Geistlichen  wesentlich 
aus  dem  Geiste  des  Mönchtums,  aus  den  Normen  der  Kloster- 
rageln  (vgl  S.  93.  110.  113,  143),  während  er  die  breitere 
Grundlage  der  kirchlichen  Anschauungen  überhaupt  gar  nicht 
berücksichtigt.  Von  welcher  Tragweite  diese  für  das  Typische 
der  mittelalterlichen  Auffassung  sind,  glaube  ich  in  meinen 
Abhandlungen  über  „Otto  von  Frei  sing  und  der  Charakter 
seiner  Werke"  (in  den  Mitteilungen  des  Instituts  für  öster- 
reichische Geschichtsforschung  1886,  Bd, 6)  und  über  „Politische 
Begriffe  des  Mittelalters  im  Lichte  der  Anschauungen  Augustins" 
(in  der  Deutschen  Zeitschrift  für  Geschichtswissenschaft  lS^b/97, 
Jahrg,  l)  gezeigt  zu  haben.  Gerade  für  das  vorliegende  Thema 
kommen  diese  allgemeinen  Anschauungen  sehr  in  Betracht 
Der  Gegensatz  von  Gottesbürgern  und  Teufelsgenossen,  von 
christlicher  und  unchristlicher  Obrigkeit,  vom  gerechten  Hirten 
und  selbstsüchtigen  Tyrannen,  zwischen  dem  Wirken  der  einen 
in  Frieden,  Gerechtigkeit,  selbstloser  Demut  und  Liebe  zu 
Gott,  und  dem  Wirken  der  andern  in  Zwietracht,  Ungerechtig- 
keit, Hochmut  und  Abtrünnigkeit  —  das  ist  der  entscheidende 
Maßstab  für  Beurteilung  und  Darstellung  der  Persönlichkeiten, 
daraus  ergibt  sich  der  typische  Kanon  ihrer  Charakterzüge  in 
erster  Linie,  Wir  stoßen  überall  in  den  Charakteristiken  der 
Könige  und  Fürsten  auf  jene  allgemeinen  Kennzeichen  und 
Eigenschaften  des  wahren  christlichen  Herrschers  bzw*  des 
teuflischen  Tyrannen,  wie  sie  klassisch  zusammengestellt  sind 
in  der  wahrscheinlich  dem  9.  Jahrhundert  angehörenden  Schritt  | 
De  äuoäecim  abnsionlbus  saecuHf  wie  sie  bei  den  Kirchenvätern, 
in  den  Kommentaren  zur  Apokalypse,  in  den  Prophetieen  vom 
Endkaiser  und  Antichrist  auftreten.  Die  einseitige  Zuweisung 
der  Regenten  zu  den  Guten  oder  Bösen,  die  Charakterschilde- 
rungen mit  nur  weißen  oder  schwarzen  Farben,  w^elche  Vf, 
S.  65  und  94  zwar  bemerkt,    aber  nur  obenhin    erklärt,    ent- 


r 


Mittelalter. 


579 


sprechen  jenen  durchgreifenden  typischen  GegensätzeHi  Das 
antike  Herrsch  erideal  kann  daneben  nicht  zu  vorwiegendem 
Einfluß  gelangen^  trotz  der  karolingischen  Renaissance  nicht. 
Es  ist  bezeichnendj  daß  Einhards  viel  gelesene  und  bewunderte 
Biographie  Karls  des  Großen  in  dieser  Hinsicht  nur  sehr  ge- 
ringe Wirkung  gehabt  hat;  denn  ich  sehe  nicht,  worauf  sich^ 
abgesehen  von  der  einen  Biographie  Ludwigs  des  Frommen, 
die  entgegengesetzte  Behauptung  K*s  S,  99  stützt.  Auch  für 
die  Geistlichkeit  gilt  jenes  Ideal  der  Gottesbürgerschaft  nebst 
seinem  Kontrast;  das  Mönchtum  ist  nun  eine,  wenngleich  in 
abstracto  die  vollkommenste  Gestalt  desselben.  Wie  weit 
diese  Gestalt  auch  für  den  Weltgeistlichen,  ja  in  größerem 
Grade  selbst  für  den  Laien  maßgebend  ist  oder  sein  soll,  diese 
folgenreiche  Frage  berührt  das  vorliegende  Thema  nicht  wenig 
und  wäre  namentlich  bei  der  Beurteilung  von  Biographien 
Weltgeistlicher  zu  beachten  gewesen*  Ich  möchte,  um  nicht 
zu  weit  ins  einzelne  zu  gehen,  nur  ein  Beispiel  für  die  Er- 
heblichkeit des  letzterw^ähnten  Momentes  anführen.  Der 
Biograph  des  Erzbischofs  Bruno  von  Köln,  Ruotger,  verteidigt 
seinen  Helden  gegen  den  Vorwurf,  die  Verwaltung  des  Herzog- 
tums Lothringen  übernommen  und  sich  dadurch  in  Staats- 
und Kriegsgeschäfte  eingelassen  zu  haben,  da  er  doch  nur 
ein  Seelenhirte  sein  sollte;  Ruotger  meint,  diesen  Vorwurf, 
der  offenbar  von  mönchischer  Ansicht  ausgeht,  vollgültig  zu 
entkräften  durch  den  Nachweis,  daß  der  Erzbischof  in  seiner 
politischen  Tätigkeit  stets  und  überall  nur  für  Frieden  gewirkt, 
das  himmlische  Gut  des  Friedens  in  ungewohnter  Weise  ver- 
breitet habe;  das  genügt,  scheint  aber  erforderlich,  um  Bruno 
als  untadeligen  Gottesbürger  zu  charakterisieren,  und  es  be- 
herrscht diese  Tendenz  das  ganze  Werk» 

Im  Zusammenhang  mit  diesen  Dingen  erscheint  es  von 
besonderer  Wichtigkeit,  bei  den  Personalschilderungen  auf  die 
Individualität  des  Autors  und  auf  das  Literaturgenre  des  be- 
treffenden Werkes  zu  achten.  Es  ist  von  Belang,  ob  ein 
Mönch  oder  ein  Weltkleriker  schreibt,  ob  ein  Annalist  inner- 
halb  seines  Werkes  Personen  schildert  oder  ein  Biograph  in 
einem  eigenen  Buche,  ob  ein  Stiftsangehöriger  einen  Stifts- 
genossen zur  Erbauung  der  Gemeinde  feiert  oder  ein  Hof- 
geistlicher seinem  Herrscher  huldigt,  ob  endlich  ein  Kunst- 


580  Literaturbericht 

dichter  seine  Zeitgenossen  verherrlicht  oder  das  Sagelied,  die 

novellenartige  Anekdote  volkstümliche  Helden  nebst  deren 
Gegnern  charakterisiert.  Überall  sind  die  verschiedenartigen 
Voraussetzungen  in  Rechnung  zu  ziehen,  wenn  man  nicht  zu 
falschen  Schlüssen  betreffs  der  Fähigkeit  einerseits  und  ander- 
seits der  Absicht  realistischer  Charakterzeichnung  gelangen 
will*  Kommt  es  doch  öfter  vor,  daß  ein  und  derselbe  Autors 
der  in  einem  historischen  Werke  ganz  konkret  zu  individuali- 
sieren weiß,  in  einem  Heiligenleben  oder  einem  Gedicht  nichts 
als  typische  Allgemeinheiten  vorbringt.  H 

Vf.  hat  sich  ein  weites  Ziel  gesteckt.  Er  meint,  das  viel- 
seitige Thema  in  seinen  einzelnen  Teilen  nicht  erschöpfen  mi 
sollen,  und  es  wäre  unbillig  genug  das  zu  veriangen.  Maji 
darf  ihm  dankbar  sein,  daß  er  auf  einem  wenig  bebauten 
Gebiet  den  Grund  legt.  Es  wird  solcher  Anerkennung  keinen 
Abbruch  tun,  wenn  hier  auf  einige  Punkte  hingewiesen  ist,  an 
denen  in  dem  vorliegenden  Abschnitt  des  Werkes  weitere 
Forschung  einzusetzen  hat. 

Greif  swaJd.  Ernsi  Bern  keim.     M 

Weltgeschichte  in  Charakterbildern.  3.  Abteilung :  Übergartgsreit, 
Die  Vertiefung  des  religiösen  Lebens  im  Abendlande  zur  Zeit 
der  Kreuzzüge.  Franz  von  Assisi.  Von  Gustav  Schnürer« 
München,  Kirchheimsche  Buchhandlung.    190B.     IM  S«         ■ 

Das  vorliegende  ßüchlein  ist  ein  Versuch,  einem  weiteren 
Leserkreis  aus  katholischer  Feder  ein  Charakterbild  des  hei- 
ligen Franz  und  seiner  Zeit  vorzuführen,  das  zu  der  neuer- 
dings auf  diesem  Gebiete  überaus  regen  Forschung  kritisch 
abwägend  Stellung  nimmt.  Was  zunächst  die  aUgemeine 
Auffassung  des  Heiligen  anlangt,  so  wird  Sabatiers  bekannte 
Anschauung  rundweg  abgelehnt.  Franz  ist  nicht  der  Vorläufer 
einer  modernen,  undogmatisch  subjektiven  Religiosität,  sondern 
er  ist  stets  der  demütig  treue  Sohn  der  katholischen  Kirche 
geblieben.  Das  Papsttum  sodann  hat  Franzens  idealistische 
Bestrebungen  nicht  etwa  durchkreuzt  und  zu  hierarchischeo 
Zwecken  mißbraucht,  sondern  es  hat  durch  mäßigende  Ein-  ■ 
Wirkung  auf  die  Meinungsverschiedenheiten  innerhalb  des 
Ordens  und  durch  nachhaltigen  Schutz  nach  außenhin  die 
Entfaltung  der  jungen  Gemeinschaft  mächtig  gefördert.     Die 


l 


Mittelalter. 


531 


Ansicht  des  Vi  deckt  sich  hier  also  vielfach  mit  dem  Urteil 
der  neueren  deutschen  Forschung,  nur  daß  das  Verdienst  des 
Papsttums  mit  begreiflicher  Vorliebe  gefeiert  wird*  In  der  sehr 
komplizierten  Quellenfrage  hingegen  erklärt  der  Vf.,  sich  mit 
Sabatier  unschwer  verständigen  zu  können.  Er  betrachtet 
neben  den  beiden  Viten  des  Thomas  von  Celano  das  Specu- 
lum  Perfeciionis  und  die  Legende  der  drei  Genossen  als  im 
ganzen  gleichwertige  Quellen  der  ersten  Zeit,  und  die  Jugend 
des  Heiligen  und  die  Anfänge  des  Ordens  hat  er  vornehmlich 
der  Legende  der  drei  Genossen  nacherzählt.  In  dieser  Be- 
ziehung aber  setzt  er  sich  mit  den  Ergebnissen  der  neueren 
Untersuchungen  in  auffallenden  Widerspruch.  Denn  es  ist 
danach  unzweifelhaft,  daß  die  Legende  der  drei  Genossen  als 
eine  späte^  erst  nach  Bonaventura  und  Bessa  angefertigte  Kom- 
pilation aus  der  Reihe  der  originalen  Quellen  gestrichen  werden 
muß*  Ich  hoffe  überdies  an  anderem  Orte  darzutun,  daß  die 
Legende,  wie  übrigens  auch  schon  die  ältere  Kompilation,  die 
ihr  zugrunde  liegt,  eine  ganz  bestimmte  Tendenz  verfolgt : 
die  Urgeschichte  des  Ordens  wird  vom  Standpunkt  der  strengen 
Beobachtung  der  Regel  aus  geschildert,  und  insgeheim  handelt 
es  sich  dabei  um  den  Nachweis,  daß  der  Orden  eben  bei 
dieser  Auffassung  der  Regel  sich  von  vornherein  der  Gunst 
und  Anerkennung  der  kirchlichen  Organe,  insbesondere  auch 
des  Papsttums  zu  erfreuen  hatte.  So  sehr  also  die  Legende 
gerade  durch  ihre  Tendenz  dem  Vf.  bei  seiner  Gesamtanschau- 
ung sich  empfahl,  um  so  bedenklicher  ist  es  anderseits,  die 
franziskanische  Urgeschichte  vorwiegend  auf  dieser  Quelle 
aufzubauen.  Eine  weitere  Schwierigkeit  kommt  hinzu,  die  in 
der  Beschaffenheit  der  ältesten  Geschichtschreibung  liegt.  Sie 
gibt  nämlich  vielfach  nur  lose  verbundene  Überlieferungen, 
die  sich  gegenseitig  zwar  ergänzen,  die  aber  in  keinem  festen 
inneren  Zusammenhang  stehen*  Daß  der  Vf.  gleichwohl  einen 
solchen  herstellt,  halte  ich  nicht  für  ratsam.  Er  übersieht,  daß 
es  im  besten  Falle  doch  nur  ein  problematischer  Zusammen- 
hang ist,  den  er  sich  und  dem  Leser  vortäuscht. 

Schon  im  Hinblick  auf  diese  prinzipiellen  Einwendungen 
muß  ich  es  daher  bestreiten,  daß  das  Büchlein,  wie  jüngst 
Reinhold  Seeberg  gemeint  hat,  auch  den  Nichtfachmann  in 
vorzüglicher  Weise  orientiert.    Die  Sachkunde  des  Vf.  in  allen 


B82  LiteraturbenchL 

Ehren«  es  fehlen  aber  gewisse  kritische  Qualitäten,  die  zu  be- 
friedigender Lösung  der  Aufgabe  unentbehrlich  sind.  Ich 
unterlasse  es  insofern  auch,  auf  Einzelheiten  hier  näher  ein- 
zugehen*  Nur  das  möchte  ich  ausdrUckhch  noch  herv'orheben, 
daß  der  VI,  seinen  spezifisch  katholischen  Standpunkt  mit 
wohltuender  Sachlichkeit  vertritt, 

Straßburg  l  E.  Waiier  LeneL 

Johann    Freiherr  v.  Schwarzenberg.    Von  Willy  Scheel.     Berlliu 
J.  Gattentag,  Verlagsbuchhandlung,  G.  m.  b.  H.    XVf  u,  381  S. 

Die  lohnende  Aufgabe,  mit  allen  Mitteln  moderner  Kritik, 
unter  möglichster  Ausschöpfung  aller  Quellen  die  Biographie 
Johanns  von  Schwarzenberg,  des  Verfassers  der  Bambergi- 
schen Halsgerichtsordnung,  des  geistigen  Vaters  der  Carolina, 
zu  schreiben,  war  bisher  ungelöst.  Was  bisher  geleistet  wan 
bezog  sich  hauptsächlich  auf  die  Quellen  und  sonstigen  Be- 
ziehungen der  Bambergensis  oder  auf  ganz  versplitterte  all- 
gemein-geschichtliche oder  literar-geschichtliche  Einzelheiten; 
im  übrigen  mußte  man  sich  bei  größeren  Übersichten  und  zu- 
sammenstellenden Arbeiten  immer  wieder  im  wesentlichen 
begnügen  mit  den  biographischen  Angaben  aus  den  wort- 
reichen»  aber  weder  ganz  zuverlässigen  noch  vollständigen 
Vorreden  zu  den  beiden  Bänden  der  Werke  Schwarzen- 
bergs,  die  nach  seinem  Tode  bei  Steyner  in  Augsburg  er- 
schienen sind* 

Vielleicht  ist  es  gerade  die  Vielseitigkeit  von  Schwarzen- 
berg Persönlichkeit  und  seiner  Leistungen,  welche  diese  auf- 
fallende Lücke  unserer  Literatur  erklärt-  Es  handelt  sich  um 
einen  Mann,  der  im  politischen.  Juristischen,  literarischen  und 
religiösen  Leben  seiner  Zeit  eine  über  die  verschiedensten 
Teile  Deutschlands  sich  ausdehnende  Rolle  gespielt  hat  Wer 
an  die  Beurteilung  herantrat,  mußte  alle  diese  Gebiete  gleich- 
mäßig beherrschen.  So  kann  es  wohl  als  eine  besonders  glück- 
liche Fügung  bezeichnet  werden,  daß  in  Willy  Scheel  sich 
endlich  ein  Forscher  gefunden  hat,  der  allen  diesen  Ansprüchen 
voll  genügt.  Während  er  offenbar  gründliche  Schulung  und 
Kenntnisse  der  allgemein-politischen  wie  der  Literaturgeschichte 
mitbrachte,  hatte  er  durch  die  mit  Kohler  gemeinsam  besorgte 


1 


I 


16.  Jahrhundert« 


58S 


Ausgabe  der  Bambergensw  (Halle  1902)  sich  in  die  Rechts- 
geschichte, in  das  Kriminalrecht  und  in  die  Schwarzenbergi- 
schen  Zeiten  und  Verhältnisse  besonders  vollständig  einge- 
arbeitet Er  hat  dann  eine  selbständige  Vorarbeit  auf  dem 
juristischen  Gebiete  geleistet  durch  seine  Studie  über  das 
alte  Bamberg  er  Str  airecht,  als  Vorgänger  der  Bamtergensis, 
1903.  Er  hat  außerdem  bereitwillige  und  rege  Unterstützung 
bei  einer  Reihe  von  Zentralstellen,  besonders  im  Preußischen 
Unterrichtsministerium,  gefunden,  wie  denn  das  Buch  in  dank- 
barer Anerkennung  dieses  Umstandes  dem  Ministerialdirektor 
Herrn  Prof.  Dn  Fr.  Althofl  gewidmet  ist*  Und  er  hat  endlich 
einen  unermüdlichen,  geradezu  einen  überwältigenden  Bienen- 
fleiß au!  die  Auskundschaftung,  Sammlung  und  Bearbeitung 
des  gedruckten  wie  namentlich  des  archivalischen  Materials 
verwandt,  einen  Fleiß,  der  durch  verschiedene  schöne  Funde 
belohnt  worden  ist. 

Sch.s  Arbeit  war  freilich  in  dieser  Beziehung  schon  wesent- 
lich vorgefördert  durch  einige  jüngere  Veröffentlichungen,  die 
gerade  für  Schwarzenberg  Bedeutsames  enthalten:  so  nament- 
lich die  Reichstagsakten  für  Worms  1521  und  für  Nürnberg  1522, 
1523;  so  ferner  die  Ausgaben  der  Planitzschen  Berichte  von 
Wülcker  und  Virck  (1899)  und  des  Bamberger  Echtbuchs  (über 
proscriptorum)  von  141^1 — 1444  von  Köberlin*  Dazu  kommen 
dann  aber  von  Seh.  selbst  erst  gewonnene  zahlreiche  und  be- 
deutsame Archivalien»  von  den  Notizen,  Zetteln  und  größeren 
Urkunden,  namenüich  auch  rechtlich  bedeutsamen  Schwarzen- 
bergschen  heimischen  Verfügungen  des  Schwarzenbergschen 
Hausarchivs  bis  zu  den  Schätzen  der  fränkischen  Archive^ 
namentlich  den  Würzburgischen  Ritterschaftsakten  und  den 
allerdings  seit  Seitz  (Zeitschn  f.  RG.  2  1863,  S.  435  f.)  schon 
bekannten,  aber  noch  nicht  genügend  ausgenutzten  Bambergi- 
schen Hofgerichtsprotokollen;  außerdem  sind  etwa  noch  die 
FürstL  Bambergischen  Ratsbücher  und  Hofkammerzahlamts- 
rechnungen  als  Quellen,  die  Seh,  fleißig  zu  verwerten  ver- 
standen hat,  hervorzuheben* 

An  der  Hand  dieser  gründlichen  und  ergiebigen  Vor- 
studien behandelt  Seh,  in  drei  großen  Abschnitten  zunächst 
Schwarzenbergs  Leben  und  pohtische  Wirksamkeit  (S.  1  — 168); 
dann  Schwarzenberg  als  Juristen  (S.  169—277)  und  Schwarzen- 


LiteraturbenchL 


berg  als  Schriftsteller  (S.  278—342).  Ein  NaehwoH  (S.  343—34*1 
sucht  Schwarzenbergs  Stellung  in  und  zu  seiner  Zeit  zu  kenn- 
zeichnen.  Und  daran  reihen  sich  endlich  (S-  347 — 381)  tls 
s Beilagen *"  die  ersten  Editionen  einiger  einschlägigen  Akten- 
stücke (der  Ti rechtliche  Austrag"  von  Kitzingen,  1507,  eine 
Verordnung  Schwarzenbergs  für  die  Zent  zu  Scheinfeld,  \Ml 
und  Kleineres);  eine  Zusammenstellung  der  Drucke  Schwarfeo- 
bergischer  Schriften;  Nachträge  und  Berichtigungen  und  m 
sorgfähiges,  sehr  nützliches  Namensregister,  Dabei  ist  nan1en^ 
lieh  zu  rühmen  die  durchaus  gleichmäßig  gründljche  Behand- 
lung aller  Abschnitte»  Wenigstens  scheint  mir,  soweit  ich 
als  Nichtfachmann  es  beurteilen  kann,  dies  auch  von  den  all- 
gemein- und  kirchenpolitischen  sowohl  wie  von  den  literatur- 
geschichtlichen Abschnitten  zu  gelten;  während  ich  es  glaub; 
mit  Bestimmtheit  von  dem  juristischen  Abschnitte  versichem 
zu  dürfen,  der  besonders  eingehend  die  einzelnen  krimina- 
listischen Vorschriften  (wenigstens  vollständig  die  materiell* 
rechtlichen^  etwas  oberflächlicher  ist  der  Prozeß  behandelt)  der 
Bambergensls  durchgeht  und  auf  ihre  teils  germanistischen, 
teils  romanislischen  Elemente  mit  sicherem  Takte  und  gerechter 
Würdigung  der  Möglichkeiten  und  Kulturverhliltnisse  durch- 
prüft* Hier  wird  man  sich  bei  Sch.s  Ergebnissen,  sowohl  wt> 
sie  ältere  Bambergische  Übung  heranziehen,  wie  da,  wo  sie 
für  zweifellos  Romanistisches  die  speziellste  Quelle  zu  be- 
stimmen ablehnen,  wohl  endgültig  beruhigen  dürfen.  Für 
den  Prozeß  wird  man  freilich  Schoetensacks  wohlgelungene 
Dissertation  (Heidelberg  1904)  über  den  Strafprozeß  der 
Carolina  hinzuzuziehen  haben.  Jedoch  wird  es  bei  der  durch- 
schnittlichen Feststellung  Sch.s  wohl  bleiben,  daß  Deutsches 
und  Fremdes  etwa  zu  gleicher  Hälfte,  letzteres  eher  vielleicht 
etwas  überwiegend,  verwertet  sind;  beides  Indessen  so,  daß 
eine  wirklich  selbständige,  individuelle  Leistung  Schwarzen- 
bergs in  der  Zusammenstellung,  Auswahl  und  Verarbeitung 
aller  dieser  Materialien  unverkennbar  voriiegt. 

Ebenso  wird  man  sich,  um  noch  einige  bedeutsamere  Neu- 
ergebnisse des  Buches  herauszugreifen,  zunächst  die  Bam- 
berger  Landgerichtsreformation  von  1503  anlangend  wohl  Sch.s 
Anschauung  anschließen  dürfen,  der  einen  überzeugenden 
Indizienbeweis  dafür  erbringt,  daß  auch  diese  wesentlieb  aus 


Schwarzenbergs  Feder  genossen  ist,  wodurch  denn  wieder 
Schwarzenbergs  Urheberschaft  der  Bambergensis  willkommene 
Bestätigung  Hndet.  Nicht  ebenso  kann  ich  mich  aber  gegen- 
über einer  anderen  Beweisführung  verhalten,  auf  die  Seh*  viel- 
leicht noch  höheres  Gewicht  legt  und  der  Kohler  in  seinem 
Geleitwort  (S.  XI— XIIl)  beizutreten  scheint.  Es  handelt  sich 
da  nämlich  um  die  Frage,  ob  Schwarzenberg  auch  unmittelbar 
und  persönlich  an  der  Abfassung  der  Carolina j  nämlich  an 
deren  NUmberger  Entwurf  beteiligt  war.  Seh«  meint  da, 
unter  Heranziehung  auch  archivalischen  Materials,  dartun  jeu 
IcÖnnen,  daß  unser  Schwarzenberg  sogar  allein  oder  wenigstens 
hauptsächlich  diese  Revision  ausgeführt  habe  —  indessen  scheint 
er  mir  hier  nur  mit  sehr  freien  Hypothesen  und  Wahrscheinlich- 
keiten zu  arbeiten,  deren  auch  nur  annähernde  Schlüssigkeit 
ich  nicht  einzuräumen  vermag.  Keinesfalls  handelt  es  sich 
um  irgendwie  sichere  Belege,  sondern  nur  um  Analogien  und 
Andeutungen,  die  auch  andere  Möglichkeiten  nicht  ausschließen 
dürften,  z.  B.  daß  ein  sonst  mit  Bamberger  Verhältnissen  ver- 
trauter Mann,  vielleicht  selbst  unsers  Schwarzenberg  Sohn 
Christoph  ^)  (vgL  S*  66»  69),  beteiligt  gewesen  wäre. 

Wie  dem  auch  sein  mag  —  mindestens  hätte  Vf.  sich 
über  die  Sicherheit  seines  Ergebnisses  in  diesem  Punkte  reser- 
vierter äußern  sollen,  wie  er  überhaupt  eine  gewisse  Neigung 
hat,  Dinge  als  dargetan  anzunehmen^  weil  er  einige  Wahr- 
scheinlichkeitsgründe für  sie  aufgebracht  hat.  Dahin  würde 
ich  rechnen  das  Geburtsdatum  Schwarzenbergs,  für  das  die 
Bedeutung  eines  Zettels  aus  dem  Schwarzenbergischen  Archiv 
mir  überschätzt  scheint.  Femer  ebendahin  Schwarzenbergs 
Teilnahme  am  Reichsregiment,  sofern  es  S.  90  von  ihr  heißt, 
sie  müsse  schon  mindestens  zwei  Monate  vor  dem  I.Januar 
1523  begonnen  haben,  woran  denn  auch  später  stets  festge- 
halten wird,  während  S,  91,  wo  die  Beweise  dafür  angegeben 
werden,  der  Vf.  richtig  sich  genötigt  sieht,  von  einer  bloßen 
Wahrscheinlichkeit  zu  reden,  die  S,  92  wieder  etwas  anders 
gefaßt  wird.  Sehr  kühn  will  es  mich  auch  bedünken,  wenn 
Scb.  glaubhaft    machen  will   (S.  ^27  f.),  daß  zu  eines  Mannes 


*)  Irrtümlich  scheint   mir  dieser  statt   des  Sohnes   Fried ricli 
genannt  S.  149,  vgl.  S.  135  —  offenbar  lediglich  ein  lapsus  calamL 
Hiatorie«he  ZelUchrilt  (97.  Bd.)  a  f  olff«  L  BcL  3S 


Literaturbertcfit 

wie  Hütten  ^Umwendung  zur  deutschen  SchriftstelJerei*  ,d»f 
unmittelbare  Anregung  .  .  ,  Schwarzenberg  gegeben  habe', 
der  namentHch  auch  in  der  Prosodie  der  Lehrer  jenes  gewesei 
sei.  Erst  recht  aber  handelt  es  sich  nur  um  eine  ganz  freie 
Hypothese,  wenn  Seh*  fortwährend  davon  redet,  Schwarien- 
berg  habe  bei  seiner  gesetzgeberischen  Arbeit  Romanistiscfae 
Literatur  und  Quellen  gerade  in  Form  ihm  von  seinen  gelehrten 
Bekannten  gelieferter  einzelner  kurzer  Notizen  auf  Pergameni- 
zetteln  benutzt.  Dafür  liegt  nicht  der  geringste  Anhalt  vor; 
ganz  ebenso  denkbar  und  nicht  minder  rühmlich  für  Schwarzen: 
berg  wäre,  daß  er  sich  längere  Stücke  hätte  übersetzen  lassen, 
aus  denen  er  das  Passende  selbst  ausgewählt  und  umgearbeitd 
hätte;  die  Analogie  des  uns  bekannten  Entstehungsvorganges 
der  literarischen  Arbeiten  würde  sogar  eher  hierfür  sprechen. 
^  Dagegen  sei  gerne,  um  von  den  zahlreichen  Einzelheiten 
noch  einige  herauszugreifen,  bestätigt^  daß  die  Erklärung  für 
ein  altes  Problem,  in  welcher  Eigenschaft  nämlich  Schwarzen- 
berg seit  1523  im  Reichsregiment  gesessen  habe,  S.  9S  sehr 
einleuchtend  gewonnen,  und  ferner  etwa,' daß  S-  153  ein  absolut 
bündiger  Beweis  erbracht  ist  gegen  die  Anschauung,  als  sei 
er  1526  mit  einer  ganzen  Bücherei  gen  Preußen  gezogen.  Die 
Schilderung  der  Beteiligung  Schwarzenbergs  an  der  Reichs- 
ritterschaftsbewegung (S.  43  i)  scheint  mir  endlich  besonders 
genau  und  förderlich  gelungen  zu  sein. 

Natürlich  icann  es  sich  bei  alledem  nur  um  Stichproben 
handeln.  Im  ganzen  aber  mag  man  billig  über  Sch,s  Buch 
urteilen,  daß,  wenn  die  Sammlung  und  Sichtung  des  Materials 
unbedingtes  Lob  verdient^  dessen  Verwertung  für  die  einzel- 
nen biographischen,  recht-  und  literargeschichtlichen  Zwecke 
doch  auch»  neben  allen  Ausstellungen,  durckweg  anzuerkennen 
ist.  Dagegen  kommt  man  allerdings  zu  einem  ganz  anderen 
Urteile,  wenn  man  einen  höheren  Maßstab  anlegt  und  sich 
fragt,  ob  das  Buch  eine  Biographie  Schwarzenbergs  so  ist,  wie 
eine  Biographie  eines  solchen  Mannes  sein  soll  —  sein  ge- 
schlossenes und  individuelles  Lebens-  und  Entwicklungsbild 
hervorgearbeitet  aus  den  Einzelheiten  seiner  Erlebnisse  und 
Leistungen,  im  Lichte  der  großen  politischen  und  kulturellen 
Strömungen  seiner  Zeit,  von  diesen  beleuchtet  und  sie  be- 
leuchtend.   Zu  einer  solchen  Leistung  sind  höchstens  hier  und 


17»  Jahrhundert 


da  vereinzelt  Ansätze  bemerkbar,  im  ganzen  ist  sie^)  nicht 
einmal  unternommen,  geschweige  denn  durchgeführt.  Schon 
die  Stoff einteilung,  durch  die  der  Reihe  nach  politische, 
juristische,  hterarlsche  Dinge  aus  dem  iebendigen  Zusam- 
menhang der  Persönlichkeit  herausgerissen  werden,  ist  in 
dieser  Beziehung  kennzeichnend.  Von  der  (problematischen) 
Mitwirkung  bei  dem  Entwurf  der  Carolina  ist  die  Rede,  ehe 
wir  Schwarzenberg  als  den  Verfasser  der  Bamtergensis  kennen 
gelernt  haben.  Die  Cicero-Übersetzungen^)  und  die  reforma- 
torischen Schriften  stehen  dann  wieder  je  für  sich,  Altenfalls 
sind  harmonisch  als  Leitmotive  durch  alle  Abschnitte  durch- 
geftihrt  Schwarzenbergs  Selbständigkeit,  seine  reformatorische 
Gesinnung  und  die  Macht  seiner  Persönlichkeit,  ohne  daß  je- 
doch letztere  im  eigentlichen  und  letzten  Grunde  ihre  Er- 
klärung oder  auch  nur  ihre  Ausprägung  fände.  Das  so  von 
Seh«  Versäumte  wird  nur  schwer  anderweitig  nachzuholen 
sein.  Man  mag  deshalb  doppelt  bedauern,  daß  er  sich  seine 
Aufgabe  nicht  etwas  höher  gesteckt  hat;  man  wird  ihm  aber 
danim  die  Anerkennung  nicht  versagen  dürfen,  daß  er  die 
Aufgabe  in  bescheidenerem  Rahmen  gelöst  und  dadurch  eine 
Ehrenschuld  der  deutschen  Wissenschaft  mindestens  zu  einem 
wesentlichen  Teile  abgetragen  hat. 

Bonn.  Ernst  Landsberg, 


Le  granä  ^Uctetir  et  Lams  XIV  1660^1688.  Far  Georges  PMgks^ 
Paris,  Georges  Beilais.    1905.    XXVI,  671  p. 

Contribations  ä  l'histoire  de  la  poUiique  franpaise  en  AtUmagne 
sous  Loais  XIV.  Par  Georges  PMges*  Paris,  Georges 
BeUais.    1905.    103  p. 

Die  Zahl  der  französischen  Forscher,  die  sich  quellen- 
mäßig mit  deutscher  Geschichte  beschäftigen,  nimmt  von  Jahr 
zu  Jahr  zu.  Bald  wird  für  jeden  größeren  Zeitraum  der 
deutschen   Vergangenheit  jenseits   des  Rhein    ein  „Spezialist* 


*)  Vgl  das  Selbstge&tändnis  S*  343,  erster  Absatz,  wonach 
gerade  dies  Vf,  Aufgabe  nicht  sein  könnte* 

■)  Eine  gelegentliche,  treffende  Bemerkung  über  den  Zu- 
sammenhang  zwischen    deren    Güte    und    der    gesetzgeberischen 

Sprache  8,  S*  297. 

3S' 


k 


588 


Liieraturbencht 


zu  finden  sein.  Am  stärksten  hat  die  Entwicklung  der  branden^ 
burg'preu irischen  Großmacht  das  interesse  der  franaiSsiscbef« 
Historiker  wachgerufen,  und  wir  verdanken  diesem  Interesse 
bereits  eine  stattliche  Reihe  zum  Teil  verdienstvoller,  inm 
Teil  gan2  hervorragender  Werke.  Zu  den  ersteren  wird  auti 
das  umfangreiche  Werk  von  Pagfes  zu  zählen  sein^  der  an  d« 
Hand  eines  Überaus  reichen  handschnhlichen  und  gedruckte 
Material  es  die  Beziehungen  Ludwigs  XtV.  zu  dem  Kuriiiisteo 
Friedrich  Wilhelm  in  den  Jahren  1660—1688  verfolgt.  Die 
Darstellung  erweitert  sich,  wie  nicht  anders  möglich,  oft  zu 
einer  Schilderung  der  gesamten  auswärtigen  Politik  diese* 
letzteren  Fürsten  und  bildet  so  eine  Ergänzung  des  zu  gleicher 
Zeit  erschienenen  Werkes  von  Waddington,  der  die  auswärtige 
Politik  Friedrich  Wilhelms  in  den  beiden  ersten  Dezennien 
seiner  Regierung  darlegt.  P.  tritt  ebenso  unvoreingenommei] 
an  seine  Arbeit  heran  wie  Waddington»  und  auch  er  schließt 
sich  der  AuHassung  jener  deutschen  Autoren  an,  die  dann 
festhalten,  daß  Friedrich  Wilhelm  in  erster  Linie  die  Beduif» 
nisse  seines  Landes  im  Auge  behielt  und  detitschnattoimle 
Politik  gerade  so  weit  trieb,  als  dies  mit  den  brandenburgischcJi 
Sonderinteressen  vereinbar  war.  Wenn  P.  gelegentlich  der 
egoistischen  Handlungsweise  Friedrich  Wilhelms  die  Selbst^ 
losigkeit  Wilhelms  von  Oranien  gegenüberstellt  und  der 
Meinung  Ausdruck  verieiht,  daß  der  Oranier  manche  Tat 
nicht  begangen  hätte,  die  der  „Große  Kuriürsl*'  skrupelbi 
vollführte r  so  wird  man  ihm  auch  darin  beistimmen  können. 
Allein  unzweifelhaft  ist»  daß  ein  selbstloser  lediglich  das 
nationale  Moment  berücksichtigender  Herrscher  Brandenburgs 
dem  Egoismus  aller  anderen  deutschen  Fürsten  Jener  Zeit 
gegenüber  den  kürzeren  gezogen  hätte  und  niemals  imstande 
gewesen  wäre,  den  Grund  für  den  stolzen  Bau  der  preußischen 
Großmacht  zu  legen*  Auf  Einzelheiten  einzugehen^  ist  im 
Hinblick  auf  den  Umfang  des  Werkes  in  diesem  Zusammen- 
hange wohl  nicht  möglich.  Doch  mag  es  dem  Ref.  gestattet  sm 
hervorzuheben,  daß  jene  Kapitel  des  Buches,  in  denen  der  Auter 
die  vielverschlungenen  Wege  der  brandenburgischen  Politik 
in  den  Jahren  1669—1672  und  1679—1684  verfolgt,  zu  den 
wertvollsten  zählen*  Auch  sonst  begegnen  dem  Leser  inter- 
essante Bemerkungen,  die  Zeugnis  von  einem  tiefen  Eindringen 


; 


i 


17.  Jahrhundert 


m  den  Stoff  verraten.  Besonders  stark  hebt  P.  den  Einfluß 
hervor,  den  die  schwedische  Frage  in  den  Jahren  1675 — 1685 
auf  die  Entschließungen  Friedrich  Wilhelms  geübt  hat.  Was 
P,  von  der  Bedeutung  des  Todes  Lionnes  und  der  Einfluß- 
nahme Louvois  auf  Ludwig  XIV.  speziell  für  die  französisch- 
brandenburgischen  Beziehungen  sagt  (335 fl.)  ist  von  großem 
Interesse.  In  den  letzten  Abschnitten  seines  Werkes  behandelt 
R  jene  Zeit,  die  vor  kurzem  ein  deutscher  Forscher,  H.  Prutz, 
^um  Gegenstand  einer  eingehenden  kritischen  Darstellung 
gewählt  hat.  P.  weist  Prutz  in  manchen  Fällen  grobe  Nach- 
lässigkeit in  der  Benutzung  des  in  Paris  aufbewahrten  Quellen- 
materials  nach  und  bekämpft  recht  oft  die  Anschauung  des 
deutschen  Forschers«  Doch  scheint  es  dem  Ref*,  daß  P,  dem 
Werke  seines  Vorgängers,  das  trotz  mancher  Einseitigkeit  viel 
Treffliches  enthält,  nicht  ganz  gerecht  wird*  In  einem  Anhange 
zu  seinem  Buche  druckt  P*  nebst  den  drei  Verträgen,  die  am 
1 1*  Januar  1681,  am  12722.  Januar  16S2  und  am  25.  Oktober  1683 
zwischen  Frankreich  und  Brandenburg  geschlossen  worden 
sind,  einige  interessante  Dokumente  ab,  unter  denen  insbe- 
sondere auf  die  Briefe  Friedrich  Wilhelms  an  Meinders 
und  auf  die  Gutachten  Lionnes  hingewiesen  werden  solL 
Bei  dieser  Gelegenheit  möchte  Ref.  darauf  hinweisen^  daß 
es  sehr  not  täte,  sich  einmal  über  die  Prinzipien  bei  Edition 
von  Urkunden  zur  neueren  Geschichte  zu  einigen.  Die  Will- 
kür, mit  der  bis  heute  jeder  Herausgeber  verfahrt,  erklärt  sich 
wohl  lediglich  daraus,  daß  über  diese  allerdings  recht  schwierige 
Frage  eine  Verständigung  zwischen  den  Fachgenossen  der 
Kulturstaaten  niemals  versucht  worden  ist. 

In  einer  kleineren  Publikation,  die  sich  als  ein  Nachtrag 
zu  dem  größeren  Werke  gibt,  vereinigt  R  vier  Beiträge  zur 
Geschichte  der  französisch-deutschen  Beziehungen  in  der  Zeit 
Ludwigs  XIV*  In  dem  ersten  werden  einige  Briefe  mitgeteilt, 
welche  die  Tätigkeit  Abraham  Wicqueforts  im  Jahre  1661  als 
Unterhändler  zwischen  Ludwig  XIV.  und  Friedrich  Wilhelm 
von  Brandenburg  neu  beleuchten,  in  dem  zweiten  werden 
einige  Briefe  Wilhelm  Fürstenbergs  publiziert,  die  das  Wirken 
dieses  interessanten  französischen  Mietlings  in  den  Jahren  1667 
und  1670  betreffen.  Besonders  wertvoll  scheinen  dem  Ref. 
die  beiden  letzten  Beiträge.    In   dem  einen  bespricht  P.  die 


590 


üteraturberieht 


Gltubwürdigkelt  der  Berichte  der  einzeln  am  Hofe  Friedrich 
WilhelTTis  wirkenden  Vertreter  Ludwigs  XIV<  und  gelangt  z 
dem  Resultate,  daß  dieselben  mit  Vorsicht  zu  benutzen  sm. 
am  meisten  jene  R^b^nacs^  deren  geringe  ZuveHassigkett  er 
—  ähnlich  wie  Fester  in  seiner  in  dieser  Zeitschrift  XCill 
p.  19 ff  erschienenen  Studie  —  durch  zahlreiche  Belege  er- 
weist* Die  größte  Glaubwürdigkeit  spricht  er  den  Berichceit 
Colbert'Croissys  zu.  Recht  bemerkenswerl  ist  auch,  was  P= 
über  den  Einfluß  sagt^  den  die  im  Jahre  16^^  eingeführte  direkte 
Berichterstattung  an  Ludwig  XIV,  auf  die  einzelnen  Diplonrnteo 
geübt  hat.  Dem  allgemeinsten  Interesse  aber  dürfte  der  vierte 
Beitrag  begegnen^  in  dem  die  Rolle  des  französischen  Geldes 
in  Deutschland  im  Zeitalter  Ludwigs  XIV,  erörtert  wird-  Gegen- 
über der  herrschenden  Ansicht^  daß  das  Gold  des  französischen 
Königs  in  vielen  Fällen  der  ausschlaggebende  Faktor  gewesen 
sei,  betont  P*,  daß  die  im  Laufe  der  Jahre  für  politische  Zwecke 
verwendeten  Summen  —  an  Brandenburg  hat  Frankreich,  wie 
P,  p.  91  betont,  in  20  Jahren  4  Mülionen  Ltvres  bezahlt  — 
durchaus  nicht  so  entscheidend  eingewirkt  haben  können,  wie 
man  bislang  angenommen  hat.  Das  Material,  das  P.  zur  Er* 
hMrtung  seiner  Ansicht  beigebracht  hat,  ist  sehr  interessant, 
scheint  aber  dem  ReL  doch  nicht  umfassend  genüge,  um  diese 
schwierige  und  wichtige  Frage  zu  lösen,  die  eine  eingehende, 
spezielle  Untersuchung  verdiente.  Was  F.  über  die  Vorstcfit 
im  Gebrauche  des  Wortes  , Bestechlichkeit"  gegenüber  den- 
jenigen Diptomaten  jener  Zeit  sagt,  die  Geld  von  fremden 
Fürsten  angenommen  haben,  stimmt  mit  dem  Urteil  Uberein, 
das  deutsche  Forscher  ~  zuletzt  noch  Fester  in  seiner  Kritik 
des  Prutzschen  Werkes  —  in  dieser  Frage  gefäüt  haben.  Auch 
hierfür  würde  eine  Spezialuntersuchung  auf  breiter  Grundlage 
überaus  erwünscht  sein. 

Wien.  j4-  Prihram, 


Le  granä  ^eeteur  Frädäric  GuUlaitme  de  Brandebourg,  Sa  poU- 
Uque  ext&ieure  1640-- 1688.  Tome  L  !640—!660.  Par  Aittif 
Wmdäingtoa.    Paris,  Pton-NourrU.    1^5.   XIV,  478  p. 

Waddington,  der  sich  seit  20  Jahren  dem  Studium  der 
deutschen,  zumal  der  preußischen  Geschichte,  gewidmet  hat 
—  wir  verdanken  ihm  u.  a*  die  eingehendste  Arbeit  Über  die 


\ 


i 


17>  Jahrhundert 


Erwerbung  der  preußischen  Krone,  ein  umfangreiches  Werk 
über  den  7  jährigen  Krieg  und  die  Herausgabe  der  Instruktionen 
für  die  am  Berliner  Hofe  tätigen  französischen  Diplomaten 
1648 — 1789  —  hat  den  Entschiuß  gefaßt,  eine  allgemeine  Ge- 
schichte des  preußischen  Staates  zu  schreiben.  Im  Laufe 
seiner  Studien  für  dieses  kühne  Unternehmen  überzeugte  er 
sich  von  der  Notwendigkeit,  seinem  Lebenswerke  noch  ein- 
gehende Einzeluntersuchungen  vorangehen  zu  lassen.  Das 
vorliegende  Werk  bezeichnet  er  selbst  als  das  Resultat  seiner 
Bemühungen  über  die  auswärtige  Politik  des  Gründers  der 
preußischen  Großmacht  zu  einer  klaren  Erkenntnis  zu  ge- 
langen. Er  schildert  in  dem  uns  bislang  vorliegenden  ersten 
Bande  die  auswärtige  Politik  Friedrich  Wilhelms  in  den  Jahren 
1640 — 1660*  Seine  Darstellung  verdient  alles  Lob*  Sie 
verrät  eine  große  Vertrautheit  mit  der  gesamten  älteren  und 
neueren  gedruckten  Literatur  und  spricht  besonders  durch 
ein  vorsichtiges,  von  jeder  Feindseligkeit  gegen,  wie  von 
jeder  zu  weit  gehenden  Bewunderung  für  Friedrich  Wilhelm 
gleich  weit  entferntes  Urteil  an.  Trotzdem  bedauert  Ref.,  daß 
sich  W.  von  dem  ursprünglich  gefaßten  Plane  abbringen  ließ. 
Denn  bei  aller  Anerkennung  der  Vorzüge  des  Werkes  —  zu 
denen  die  vortreffliche  Komposition  und  der  lebhafte  Stil  zu 
rechnen  sind  —  kann  ReL  den  Wert  desselben  nicht  allzu- 
hoch anschlagen.  Denn  Friedrich  Wilhelm  erscheint  in  der 
Darstellung  W.s  in  demselben  Lichte,  in  dem  ihn  die 
neuere  deutsche  Forschung  —  soweit  sie  nicht  in  ihrem 
Urteil  durch  Parteiinteresse  beeinflußt  ist  —  gesehen  hat. 
W.  nimmt,  ähnlich  wie  Erdmannsdörffer  und  dessen  Schuler, 
Stellung  gegen  die  heute  längst  überwundene  Droysensche 
Auffassung  der  Hohenzollempolitik,  die  in  jeder  Tat  Friedrich 
Wilhelms  Rücksicht  auf  die  deutsch-nationalen  Interessen  er- 
kennen woUte  und  zeigt  uns,  wie  langsam  sich  die  staats- 
männische Begabung  Friedrich  Wilhelms  entwickelte,  wie 
schwere  Fehler  er  in  den  beiden  ersten  Dezennien  seiner 
Regierung  beging*  Wem  soll  nun  aber  diese  eingehende,  im 
wesentUchen  auf  bereits  bekannten  Quellen  basierende  Dar- 
stellung der  auswärtigen  Politik  Friedrich  Wilhelms  dienen? 
Dem  Forscher  oder  dem  gebildeten  Laien?  Dem  ersteren 
bietet  sie  zu  wenig  Neues  an  Erkenntnissen  und  keine  neue 


192  LiterattirberichL 


Beleuchtung  des  bekannten  Materials;  dem  letzteren  —  zumil 
dem  französischen  Laien  ^  wird  man  die  Lektüre  eines  n 
umfangreichen  Werkes  —  unter  drei  Bänden  wird  W.  nidil 
auskommen  —  nicht  zumuten  können.  Was  diesem  weiten 
Kreise  aber  not  täte,  wäre  eine  die  Resultate  der  neueren 
Forschung  berücksichtigende  zusammenfassende  DarsteJiiiiig 
der  gesamten  preußischen  Geschichte.  Und  für  eine  solche 
Arbeit  hält  Ref.  Herrn  W.,  den  Forschergabe,  Unparteilichkert 
und  künstlerische  Qualitäten  auszeichnen,  besonders  geeignet 
Die  Entwicklung  der  brandenburg-preußischen  Monarchie,  fc- 
schildert  von  einem  historisch  geschulten,  klarblickenden  Iftft- 
zösichen  Forscher,  könnte  den  Vorwurf  für  ein  französ]sc1ie0 
wie  deutschen  Lesern  gleich  erwünschtes  Werk  bilden.  Wir 
wünschen,  W,  möge  nicht  länger  säumen,  das  kühne  Unter- 
nehmen zu  wagen.  Vielleicht  treibt  ihn  zu  diesem  Entschlüsse 
auch  die  Tatsache,  daß  zu  eben  der  Zeit,  da  sein  Werk  er- 
schien, das  eines  anderen  Franzosen  —  Pagfes  ^^  der  Öffent- 
lichkeit übergeben  wurde»  in  dem  mit  gleicher  Unparteilichkeit 
die  auswärtige  Politik  Friedrich  Wilhelms  in  den  Jaiiren  1660 
bis  16SS  an  der  Hand  eines  retchen  handschriftJichen  Materials 
geschildert  wird. 

Wien.  A,  Pribram, 

Chmrles  Emil  Siangtimnäi  Pre-Maithusian  Daciriites  o/  Püpu- 
latianj  a  Study  in  tke  History  of  economic  Theory.  (Stuäiit 
in  History,  Ec&nomics  and  public  Law,  editeä  by  ihe  FacuÜy 
0f  poUtical  Science  of  Coiumbia  Universiiy,  VoL  XXi^  Nf,  3*) 
New  Varfc,  MacmiUan.    1904.  356  p. 

Von  der,  übrigens  allgemein  anerkannten,  Ansicfit  aus^ 
gehend,  daß  die  Geschichte  der  Bevölkemngslehre  in  eine 
vormalthusianische  und  eine  nachmalthusianische  Epoche  ab- 
geteilt werden  müsse,  hat  sich  der  VL  vorliegender  Studie 
den  ersteren  Abschnitt  zum  Gegenstand  einer  untersuchenden 
Behandlung  vorgesetzt.  Es  ist  eine  fleißige  Arbeit,  welche 
ursprünglich  auf  Anregung  von  Professor  Fol  well  an  der 
Universität  von  Minnesota  untern ommen^  an  der  Columbiar 
Universität  zu  New  York  mit  Unterstützung  der  Professoren 
Seligman  und  Clark  zw  Ende  gelührt,  und  nun  als  Nr.  ^  von 
VoL  XXI   der  Veröffentlichungen    der  Fakultät  für   Politische 


I 


i 


18.  Jahrhundert 


Wissenschaften  letzterer  Universität  dem  Publikum  vorgelegt 
wird*  Die  Darstellung  beginnt  bei  Altgriechenland,  dessen 
Autoren,  wie  namentlich  Plalon  und  Aristoteles,  mehr  auf  die 
Qualität  und  Proportionalität  der  Bevölkerungszahl  abzielten 
als  auf  eine  große  Volksmenge*  Dies  suchen  sie  durch  eine 
bald  fördernde  bald  einschränkende  staatliche  Regulierung  der 
Eheschließungen  zu  bewirken.  Im  alten  Rom  sind  die  Ideen 
über  das  Bevölkerungswesen  schwankend.  Das  Christentum 
nimmt  einen  energischen  Anlauf  zur  Empfehlung  der  Ehelosig- 
keit als  religiöser  Tugendübung  im  Sinne  der  Askese.  Der 
Apostel  Paulus  und  die  katholische  Kirche  sind  die  Haupt- 
vertreter dieser  Auffassung,  Die  Reformationszeit  ^  angeführt 
durch  Luther,  lenkte  in  das  entgegengesetzte  Fahrwasser  ein. 
Die  Ehe  wird  vom  Standpunkte  der  Tugendlibung  geradezu 
empfohlen.  Ihren  Höhepunkt  erlangt  diese  Bewegung  in  der 
Bevölkerungspolitik  der  landesfUrstlichen  Staatssysteme  wäh* 
rend  der  merkantilistischen  Periode,  Bei  der  zu  Mitte  des 
18,  Jahrhunderts  mit  Macht  einsetzenden  Aufklärungsströmung 
wird  die  Bewegung  wieder  rückläufig.  Namentlich  die  Physio- 
kraten  heben  die  Abhängigkeit  der  Bevölkerungszahl  von  dem 
jeweiligen  Umfang  der  zur  Verfügung  stehenden  Nahrungs- 
mittel energisch  hervor,  und  zwar  in  ähnlichem  Sinne,  wie  das 
später  von  Malthus  geschehen  ist*  Überhaupt  ist  des  letzteren 
.Bevölkerungsgesetz*,  wonach  die  Bevölkerung  die  Tendenz 
hat,  sich  in  geometrischer  Progression  zu  vermehren,  die  Nah- 
rungsmittel bloß  in  arithmetischer  Progression,  dem  anglikani- 
schen Geistlichen  nicht  original.  Die  Anschauung  wird,  wie 
der  Vf.  zu  zeigen  sucht,  in  verschiedenen  Varianten  schon 
vorher  vertreten,  z.  B,  in  Frankreich  von  Montesquieu,  Brückner, 
und  den  Physiokraten ;  in  England  und  Amerika,  in  den  Werken 
von  Franklin,  Hume,  Wallace,  J,  Stewart,  Smith,  Poley,  Chal- 
mers  u.  a. ;  in  Deutschland  in  den  Diskussionen  von  Moser, 
Schloezer  und  Herrenschwand;  in  Italien  von  den  meisten  zeit- 
genössischen Schriftstellern,  usw.  Im  allgemeinen  kann  man 
dies  gelten  lassen,  wobei  man  immerhin  den  Vorbehalt  zu 
machen  hat,  daß  dennoch  ein  gewisser  begrifflicher  Unterschied 
überall  obwaltet*  Auch  kann  man  Malthus  das  Verdienst  nicht 
abstreiten,  den  Gedanken  aus  seiner  Vermischung  mit  anderen 
Stoffen  herausgehoben    und  zum    Fundament  der  Populatio* 


ö9» 


LUeraturbencht 


nistik  als  selbständiger  Wissenschaft  gemacht  zu  haben,  [ks 
Buch  ist  hübsch  gearbeitet,  fordert  aber  an  manchen  Punkteü 
zum  Widerspruch  heraus,  worauf  indessen  hier  nicht  emgt- 
gangen  sein  mag* 

Bern.  August  OnckiB, 


Herder  in  Bückeburg  und  seine  Bedeutung  für  die  Kirchefi- 
geschichte.  Von  Lic.  theol.  Horst  Stephan«  Oberiehm. 
Tübingen.    1905.    IV  u.  255  S.    4^  M, 

Stephans  frühere  Veröffentlichungen,  die  Lehre  Schleia- 
machers  von  der  Erlösung  und  Hamanns  Christentuni  mA 
Theologie  in  der  Zeitschrift  f.  Theologie  u.  Kirchengesch,  Xtt. 
345 — 427,  sowie  sein  Aufsatz  Über  Herder  in  der  Christlichem 
Welt  1904,  Spalte  757,  und  diese  neueste  umfassende  Schrill 
zeigen  ihn  mit  konsequenter  und  eindringender  Arbeit  detn 
Problem  nach  den  Ursprüngen  des  modernen  Typus  der  christ- 
lichen Frömmigkeit  zugekehrt.  Man  pflegt  als  den  Vater  dieser 
modernen  Begründung  der  Religion  im  Gefühl  gewöhnEicb 
Schleiermacher  zu  nennen  und  hat  sich  lange  mit  dieser  Her- 
leitung zufriedengegeben.  St  hat  schon  in  seiner  ersten  SchnH 
nachdrücklich  darauf  hingewiesen,  wie  unzulänglich  das  ist 
und  die  Notwendigkeit  betont,  die  Fäden  bloßzulegen^  die  tm 
der  Orthodoxie  und  dem  Pietismus  zu  Schleiermacher  hin* 
laufen.  Die  Studie  über  Hamann  zeigte,  indem  sie  zuglädi 
die  eigentümliche  Persönlichkeit  in  ein  neues  Licht  rückte;, 
daß  sich  in  ihm  aus  der  Verschmelzung  von  Aufklärung  und 
Pietismus  ein  Neues  gebildet  habe,  das  nur  als  Vorstufe  m 
Schleiermachers  Religionsauffassung  gewürdigt  werden  kann. 
Nun  beleuchtet  er  diese  in  Schleiermacher  gipfelnde  Entwick- 
lung  noch  heller,  indem  er  Herder,  und  zwar  in  seiner  Blicke- 
burger  Zeit,  zwischen  beide  stellt  und  an  einem  bis  ins  ein- 
zelne ausgeführten  Bilde  seiner  Frömmigkeit  den  Beweis  fühlt 
wie  zahlreiche  und  wertvolle  Anregungen  von  ihm  auf  Schleier- 
macher  ausgegangen  sind.  Freilich  ist  St.  leider  den  Beweis 
einer  äußeren  Abhängigkeit  Schleiermachers  von  Herder  schuldig 
geblieben;  was  er  darüber  in  seinem  Schlußkapitel  beibringt, 
ist  nur  Zusammenfassung  von  schon  Bekanntem,  Hier  wird 
erst  eine  hoffentlich  bald  in  Angriff  genommene  neue  kritische 


18.  Jahrhundert« 


Gesamtausgabe  von  Schleiermachers  Werken  volles  Licht  bringen. 
Den  inneren  Beweis  aber  halte  ich  für  vollständig  gelungen. 
Es  ist  zweifellos,  daß  sich  bei  Herder  schon  die  starken  An- 
sätze zu  einer  Überwindung  der  Aufklärung  in  der  Erkenntnis 
der  Selbständigkeit  der  Religion  und  Ihrer  Begründung  auf 
Anschauung  und  Gelühl  finden. 

Ebenso  wichtig  wie  dies  Resultat  ist  für  das  Streben  nach 
einer  wirklichen  Klarheit  über  die  geistige  Struktur  des  18.  Jahr- 
hunderts ein  anderer  Ertrag  von  St.s  Forschungen,  den  er 
uns  im  ersten  Teil  seiner  Schrift  vorlegt-  Er  entwirft  hier 
ein  genaues  Bild  der  geistigen  und  theologischen  Lage  Deutsch- 
lands um  1750t  das  um  so  wertvoller  ist,  als  hierfür  schlechter- 
dings alle  Vorarbeiten  fehlten.  Mit  ernstem  Bemühen,  die  Dinge 
in  der  Tiefe  zu  erfassen,  und  mit  plastischer  Deutlichkeit 
zeichnet  er  die  Eigenart  der  aufklärerischen  Frömmigkeit,  Kirch- 
lichkeit und  Theologie;  er  wird  den  großen  Fortschritten,  die 
sie  angebahnt  hat^  ebenso  gerecht  wie  er  ihre  Schranken  auf- 
weist* Er  betont  sodann  das  Neue,  das  Männer  wie  Hamann 
und  Lavater  gebracht  haben.  Durch  diese  Schilderung  ver- 
knüpft er  einerseits  auch  Herders  Werk  mit  früheren  Stufen 
und  gewinnt  er  anderseits  den  gerechten  Maßstab  für  das 
Urteil  darüber. 

Mit  dem  allgemeinen  historischen  Problem  verknüpft  St. 
ein  biographisches.  Es  handelt  sich  um  die  Beurteilung  der 
Bückeburger  Zeit  Herders,  wie  sie  in  der  Literaturgeschichte 
von  Gervinus  und  Hettner  bis  au!  Haym  und  Kühnemann 
üblich  ist.  Nämlich  daß  Herder  in  dieser  Epoche  seines  Lebens 
ein  arger  Pietist  und  Rückschrittler,  ein  Schwärmer  und  Fa- 
natiker gewesen,  oder  „daß  die  religiöse  Wendung  Herders 
Symptom  einer  Gesamterkrankung  seines  Lebens"  sei.  Indem 
nun  St.  die  Eigenart  der  Herderschen  Anschauungsweise  und 
die  Unmöglichkeit  nachweist,  ihn  einer  Anbequemung  dder 
eines  Zurücksinkens  in  die  überlieferte  Orthodoxie  zu  zeihen^ 
gewinnt  er  eine  ganz  andersartige  Schätzung  von  der  Stellung 
dieser  Epoche  in  Herders  Leben.  Sie  wird  ihm  recht  eigent- 
lich die  Zeit  seiner  Blüte,  seiner  höchsten  Entwicklungsmög- 
lichkeit* Er  verkennt  dabei  nicht,  daß  auch  auf  dieser  seiner 
höchsten  Stufe  Herder  dieselben  Mängel  bekundet,  die  sein 
ganzes  Leben  so  tragisch  um  Reife  und  Voltendung  gebracht 


Lite  raty  rbe  rieht- 

haben,  vor  a]lem  den  Mangel  an  Fähigkeit  mu  wissensdufe- 
lichem  Denken  und  Darstellern 

St*  berührt  am  Schluß  die  Verworrenheit  und  Unsirter- 
heit  des  Urteits  Über  Herder  in  den  fandläufigen  kircherir 
geschichtlichen  Darstellungcfi.  Sie  ist  allerdings  nach  dea 
angezogenen  Beispielen  eklatant.  Doch  ist  sie  ja  nur  ein  Bei- 
spiel dafür,  wie  stiefmütterlich  das  17.  und  18.  Jahrhundeit 
von  der  Kirchengeschichte  behandelt  zu  werden  pflegt.  Eni 
in  letzter  Zeit  scheint  sich  ein  Umschwung  anzubahnen.  My 
erkennt,  daß  hier  die  Wurzeln  der  größten  Probleme  der  Ge- 
schichte der  Theologie  wie  der  kirchlichen  Institutionen  und 
der  religiösen  Stimmung  im  19.  Jahrhundert  liegen.  Eines  der 
erfreulichsten  Symptome  dieser  Erkenntnis  ist  SLs  tiefgrmbende 
Schrift. 

Frankfurt  a.  ÄL  Faersier. 

Geheime  Korrespondenz  Josephe  IL  mit  seinem  Minister  in  dri 
DSterre ichischen  Niederlanden  Ferdinand  Grafen  Traotl^ 
mansdorff  1 757— 1789.  Herauigegeben  von  Haniis  Schütter. 
Wien,  A.  Holzhausen.     1902.    XXXIX  u.  826  S. 

Nach  mancherlei  anderen  Publikationen  zur  Geschichte 
der  belgischen  Revolution  veröffentlicht  H.  Schütter  einert 
starken  Band  über  die  Korrespondenz  Kaiser  Josefs  mit  seinem 
Minister  in  den  Niederlanden,  Grafen  Trauttmansdorft,  def 
aber  mehr  enthält^  als  der  Titel  besagt;  denn  außer  dem  eigent- 
lichen Briefwechsel  erhalten  wir  einen  Anhang  von  277  Seiten 
kleinsten  Druckes,  wo  wichtige  andere  Urkunden  aus  den 
Wiener,  Brüsseler  und  Berliner  Archiven  teils  auszugsweise, 
teils  voüständig  reproduziert  sind.  Die  Art  der  Edition  wird 
nicht  überall  Beifall  finden:  Die  Berichte Trauttmansdorffs  hätten 
vielleicht  stärkere  Kürzungen  vertragen,  und  sicher  war  es 
nicht  wohlgetan,  in  den  tOll  Noten  lange  Aktenstücke  und 
kurze  Verweisungen  zu  einer  sehr  disparaten  und  wenig  über- 
sichtlichen Masse  zu  vereinigen.  Aber  das  Material  an  sich 
ist  ungemein  wertvoll.  Man  merkt  die  glückliche  Hand  des 
erfahrenen  Archivars.  Nach  vielen  Seiten  ergeben  sich  die 
erwünschtesten  Aufschlüsse. 

Vor  allen  Dingen  wird  es  möglich,  die  Darstellung  zu 
berichtigen  p   die  Trauttmansdorff  selbst   alsbald   nach  den  Er- 


]&  Jahrhundert 


eignissen  1792  von  seiner  Amtsführung  gegeben  hat:  Frag- 
menlB  pour  servir  ä  fhisioire  des  ävän^mertis  qtii  se  soni  passäs 
aux  Fays-Bas  äepuis  la  fin  de  1787  jusqu'en  1789.  Diese 
Darstellung  hat  die  Forschung  bisher  vielfach  beeinflußt.  Noch 
Buchholz  in  der  Allg.  Deutsch.  Biographie  38,  525  ff.  grUndet 
auf  sie  ein  unbedingt  günstiges  Urteil  über  Trauttmansdorffs 
Wirksamkeit«  In  Wahrheit  aber  handelt  es  sich  nicht  um  eine 
zuverlässige  Quellenschrift,  sondern  ein  geschicktes  Plafdoyerf 
das  die  Dinge  arrangiert  und  gelegentlich  entstellt  Die  Ori- 
ginalkorrespondenz mit  dem  Kaiser  zeigt  ein  im  Cesamteffekt 
sehr  anderes  Bild.  Sie  entlastet  Joseph  nicht  gerade:  für  die 
Grundrichtung  der  österreichischen  Politik  in  Belgien  wird  ihm 
die  Verantwortung  bleiben.  Aber  sie  lehrt»  daß  im  einzelnen 
auch  Trauttmansdorff  ein  gut  Teil  Schuld  trifft* 

Der  Minister  war  gewiß  ein  nach  mancher  Richtung  ge- 
wandter Diplomat  Tours  de  Bartölö^  wie  ein  Gegner  höhnte 
{S.  679),  gelangen  ihm  schon  einmal.  Gleich  im  Anfang  und 
dann  auch  weiterhin  hier  und  da  brachte  er  es  wohl  fertig, 
die  Symptome  des  revolutionären  Übels  mit  erstaunlich  rascher 
und  leichter  Hand  zu  beseitigenp  Aber  das  Übel  an  der 
Wurzel  zu  bekämpfen T  fehlte  es  ihm  an  staatsman nischer 
Einsicht.  Er  selbst  entschuldigte  seine  ^imsuffisance' ^  wenn  sie 
ihm  in  seltenen  Momenten  zum  Bewußtsein  kam,  am  liebsten 
mit  der  von  ihm  unabhängigen  Tatsache,  daß  er  aus  dem 
diplomatischen  Dienst  hervorgegangen  sei  und  wenig  Kenntnis 
von  der  inneren  Verwaltung  habe  (S.  615,  723).  Das  war 
gewiß  ein  hindernder  Umstand.  Aber  In  erster  Linie  lag  das 
Manko  doch  in  seinen  natürlichen  Fähigkeiten.  Ich  glaube 
nicht,  daß  seine  Berichte  auf  irgend  jemand  einen  günstigen 
Eindruck  machen  werden.  Verglichen  mit  den  frischen,  kurzen 
Briefen  des  Kaisers,  haben  sie  etwas  unsäglich  Langweiliges 
und  Ödes*  Kaum  je  blitzt  ein  Gedanke  auf  oder  erfreut  ein 
origineller  Ausdruck,  und  das  Urteil  schwankt  so,  daß  sich 
Kaunitz  schließlich  direkt  darüber  beklagt  (fincertiiuäe  ei  les 
Paria  ihn  s  mSme  que  vos  rapporis  präsenieni  S.  674)*  Eine 
Maßregel  wird  heute  empfohlen  und  morgen  verworfen,  um 
übermorgen^  natürlich  mit  Modifikationen,  doch  durchgeführt 
zu  werden,  Feststehend  ist  nur  eine  unangenehme  Tendenz 
zu  eitlem  Sei bs  11  ob  und  leichtfertigem  Optimismus. 


S9S  LUeratufbencht 


In  den  Fragments  p,  17  behauptet  Trauttinansdorf!,  nidm 
gespart  zu  haben,  um  den  Kaiser  zur  Nachgiebigkett  in  Sadmi 
des  der  Kirche  vornehmlich  anstößigen  Generalseminars 
bewegen,  und  betont  mit  großem  Nachdruck  seine  allanäng-l 
liehe  Opposition  gegen  das  d'Altonsche  Säbelregiment  A^& 
die  Korrespondenz  läßt  keinen  Zweifel,  daß  er  in  diesen  bejütn 
Punkten  richtiger  urteilte  als  sein  kaiserlicher  Herr.  Er  ver- 
kannte nicht  ganz  die  Tiefe  der  religiösen  Opposition,  und 
die  Gewaltmaßregeln  des  Generalkommandanten  widerstrebten 
seinem  im  Grund  wohlwollenden,  popularitätsfrohen  Sinn.  Aber 
wirklich  entschiedene  Vorstellungen,  geeignet,  den  Kaisar  um- 
zustimmen, findet  man  erst,  als  schon  nichts  mehr  zu  rettei) 
ist  Trauttmansdorff  war  viel  zu  sehr  Hofmann,  um  dem 
Monarchen  rechtzeitig  mit  offenen  Worten  entgegenzirtrete^ 
Statt  in  den  gemäßigten  Ansichten  von  Kaunitx  und  Phi 
j  CobenzI    einen  Rückhalt  gegen   den    Kaiser    zu    suchen,    ver- 

folgte er  viel  eher  die  Politik,  sich  bei  Joseph  auf  Kosten  der 
Staatskanzlei  zu  insinuieren  (vgl  S.  27  und  namentlich  S»  7^). 
Die  Vorwürfe,  die  ihm  CobenzI  in  seinen  Memoiren  (Archiv 
für  Ostern  Gesch.  67,  140)  darüber  macht,  sind,  wenn  über- 
trieben ^  doch  nicht  unberechtigt.  Bezüglich  der  Kircbeft- 
politik  fehlt  es  neben  stark  verklausulierten  Einwendungen 
nicht  an  optimistischen  Äußerungen  über  das  Generalseminn. 
Er  rühmt  wohl  gar  die  opinidiretä  ä  iouie  ipreuve,  die  er  sich 
gerade  in  dieser  Sache  zum  Gesetz  gemacht  habe  (S.  52),  und 
schmeichelt  den  Vorurteilen  Josephs  durch  Spöttereien  Über 
die  Mönche  (S.  227)  oder  Deklamationen  gegen  die  klerikale 
Hydra  (S.  151).  Ebenso  der  Widerspruch  gegen  d* Alton  sticht 
zunächst  sehr  ab  von  der  pathetischen  Anklage  vom 
19.  November  1789,  die  ein  Prachtstück  der  Fragments  (p.  94) 
bildet.  Erst  eine  Indiskretion  der  Staatskanzlei,  der  er  sieb 
früher  offenbart  hat,  veranlaßt  ihn  l.  November  1788^  auch 
dem  Kaiser  in  sehr  vorsichtigen  Worten  seinen  Wunsch  nacb 
Entternungdes  militärischen  Mitregenten  einzugestehen  (S*  I47f). 
Ja,  es  geschieht  wohl^  daß  er  selbst  den  starken  Mann  markiert. 
Das  unmotivierte  Blutvergießen  vom  22.  Januar  1788  tut  er 
als  pttitt  bagarre  recht  frivol  ab  und  wünscht  sich  im  Sommer 
B beinahe*  eine  Explosion,  weil  er  entschlossen  ist,  gro&e 
Schläge  zu  führen  (S,  111,  116). 


18.  Jahrhundert* 


»9t 


So  geht  denn  auch  der  größte  dieser  Schläge«  der  Staats- 
streich vom  18.  Juni  1789,  durchaus  auf  ihn  zuriick*  Die 
Fragments  zeigen  ihn  als  gezwungenes  Werkzeug,  seine 
Berichte  als  eigentlichen  Urheber,  Sowohl  die  grundlegende 
Depesche  vom  7,  Januar  wie  die  endlichen  Befehle  vom 
6.  Juni  1789  erfolgten  auf  seinen  Wunsch  und  nach  seinen 
Angaben.  In  Wien  fand  man  sich  sogar  nur  zögernd  und 
ungern  bereit.  Der  Kaiser  hätte  gewünscht,  daß  Trauttmans- 
dorff  nach  der  geschickt  bewirkten  Unterwerfung  der  Stände  von 
Brabant  im  Januar  mit  positiven  Reformen  statt  mit  Repressiv- 
maßregeln vorgegangen  wäre.  Erst  recht  in  der  Staats kanzlei 
herrschten  so  starke  Bedenken,  daß  Trauttmansdorff  in  einem 
sichtlich  erregten  Brief  (S,  675)  vor  einer  Politik  der  Schwäche 
glaubte  warnen  zu  müssen.  Darauf  expedierte  man  die  ver- 
langten Vollmachten  zur  Aufhebung  der  Joyeuse  Entröe,  aber 
sie  waren  eventuell :  Si  yous  le  irauvez  n^cessaire  (S.  674),  und 
der  Kaiser  ließ  Trauttmansdorff  ausdrücklich  freie  Hand,  ob 
und  wie  er  sie  gebrauchen  wollte  (S.  268),  Nur  eins  verlangte 
er,  es  müsse  ein  Ende  gemacht  werden. 

Gerade  diese  Forderung  wurde  nicht  erfüllt.  Der  Minister 
lobte  zwar  die  Wirkung  der  Aktion  vom  18.  Juni  in  allen 
Tönen.  Seine  Äußerungen  lauten  aJsbald  kaum  weniger 
triumphierend  als  d*Altons  bekanntes  Wort  vor  der  zweiten 
Schlacht  von  Kollin ,  das  er  mißbilligend  zitiert.  Seit  zwei 
Jahren  wollte  er  nicht  solche  Ruhe  genossen  haben  (U  Juli, 
S.  285).  Aber  es  handelte  sich  nur  um  die  Ruhe  vor  dem 
Sturm^  wie  Joseph  trotz  der  Entfernung  richtiger  erkannte  (Ci 
caime  ei  pouriani  en  gründe  pariie  facUce;  car  cette  Snorme 
diffirence  enire  l* enthouslasme  exalfä  que  ces  gens  avaieni 
pöur  leur  consHtuilon  et  tinsoasiance  qu*ti  paraisseni y  meUre 
äujourd'hul  n'est  pas  naturelle  S*  283),  Die  Kunde  vom 
Bastillesturm,  dann  das  Schauspiel  der  französischen  Priazen' 
emigratjon  brachten  die  Bewegung  mehr  und  mehr  an  die 
Oberfläche-  Mit  der  patriotischen  Gesellschaft  pro  aris  et  focis 
organisierte  sich  die  Rebellion  im  Innern.  An  der  Grenze  in 
Holland  formierten  die  immer  zahlreicher  werdenden  fHücht- 
linge  eine  richtige  kleine  Armee;  und  die  Verbindungen  mit 
dem  Ausland,  die  ganz  nie  gefehlt  hatten,  wurden  eifrigst 
enger  geknüpft. 


i^^bAÜ 


600 


Llteraturbericht. 


Trauttmansdorff  gab  die  größere  Gefahr  nicht  gr^k^ 
Einsicht  Mehr  als  die  drohende  Revolution  beschältigte  i 
der  Kampf  mit  d'Altons  auch  gegen  ihn  persönlich  rück 
losem  Vorgehen,  das  in  diesem  Moment  vielleicht  doch  1 
rechtigter  war  als  seine  eigenen  aus  Härte  und  Nachgiebig 
wunderlich  gemischten  Maßregeln.  Weder  sein  Optimistnsa 
noch  seine  Unentschlossenheit  verleugneten  sich.  EigentUd 
nur  auf  die  Zettelungen  mit  Frankreich  hatte  er  ein  aufmeri 
sames  Auge  (S,  330f.  4$%  447).  Über  die  Pläne  der  Trip 
allianZf  namentlich  Preußens,  mußte  ihn  ein  sehr  merkwürdiger' 
Brief  Josephs  belehren  (8.  Oktober,  S.  41 8)^  der  mit  dem  fti- 
weis  auf  les  sources  ies  plus  pures  ei  les  plus  cachies  derAo- 
nahme  von  Verrätern  in  der  Umgebung  Friedrich  Wilhelms  E 
zu  Hilfe  kommt.  Endlich  die  Emigrantenarmee  bespöttelte  n 
als  armäe  de  la  lane  (S.  711),  armie  ckintirique  (S.  Vil\ 
armh  mhirabh  (S.  404). 

In  Wirklichkeit  wurden  diese  i^patriotischen  Horden*  dtr 
Stein,  der  die  tönernen  Füße  der  österreichischen  Herrschab 
in  Belgien  zermalmte.  Seit  van  der  Mresch  aiti  27,  Oktober 
General  Schröder  bei  Tumhout  geschlagen  hatte,  entwickelte 
sich  die  Katastrophe,  wenn  nicht  so  rasch,  wie  die  Vt^ 
schworenen  gehofft  hatten,  doch  mit  sicherer  Folgerichtigkeit 
D* Alton  versagte  völlig*  Trauttmansdorff  machte  den  Vetsuck 
durch  eine  Politik  unbedingter  Konzessionen  in  zwölfter  Stunde 
den  Schein  der  kaiserlichen  Hoheit  zu  retten^  indem  er  da& 
Wesen  preisgab.  Dafür  fehlte  es  nicht  ganz  an  Boden,  Es 
gab  unter  den  Verschworenen  eine  starke  Partei,  die  lieber 
als  das  eigennützige  Ausland  aufzurufen,  großmütig  »ein- 
willigen"  wollte^  unter  dem  Schutz  des  Kaisers  zu  leben  (mu 
cönsentons  ä  vivre  saus  la  proieclion  ^ouveraine  de  S,  M*  ih 
wenn  die  Nation  frei  sein  würde,  ihre  inneren  und  sogar  äußeren 
Angelegenheiten  unter  verbesserter  Verfassung  selbständig  zu 
ordnen  (vgl,  die  wichtige  Denkschrift  S*  756  If.  aus  dem  Kreise 
oder  von  der  Hand  Cornet  de  Grez*).  Aber  Joseph  hätte  sicli 
mit  einer  solchen  rein  ornamentalen  Stellung  nicht  begnügt 
Welch  enge  Grenzen  seine  Nachgiebigkeit  hatte,  lehrt  die 
Instruktion  für  den  in  außerordentlicher  Mission  nach  Belgien 
abgeordneten  Grafen  Philipp  CobenzI  (28,  November,  S-795fi,), 
Und  auch   im  Lande  selbst  waren  die  Dinge  schon   zu  weit 


A 


18.  Jahrhundert 


gediehen.  Am  2.  Dezember  noch  schrieb  Trauttmansdorff, 
hoffnungsvoU  bis  zuletzt:  je  me  crois  sär  de  r Jassir  ä  un 
acc&mödemmt  S.  521).  Zehn  Tage  später  mußte  er  mit  den 
fliehenden  Truppen  Brüssel  verlassen. 

Mit  seinem  aufgeregten  Bericht  darüber  schließt  der  Brief- 
wechsel. Aber  manche  Aktenstücke  des  Anhangs  werfen 
bereits  ein  Licht  darüber  hinaus  auf  den  Weg  der  weiteren 
Entwicklung*  Ein  sehr  lehrreiches  Manuskript  Voncks  über 
die  Gesellschaft  pro  ans  ei  focis  (S,  699 — 720)  zeigt  den  Gegen- 
satz dieses  Forts chrittsmannes  zu  van  der  Noot  und  Genossen, 
der  alsbald  nach  dem  Sieg  so  verhängnisvoll  hervorbrechen 
sollte;  und  mancherlei  Material  zur  Politik  der  Tripelallianz 
läßt  ahnen,  daß  die  divergierenden  Interessen  der  Schutzmächte 
schließlich  zur  Preisgabe  der  Belgier  führen  konnten.  Be- 
sonders die  Veröffentlichung  von  van  der  Noots  Bericht  über 
seine  Berliner  Verhandlungen  ist  sehr  dankenswert  (Journal 
de  Beriin  S.  740  ff.).  Auch  die  verschiedenen  Mitteilungen 
aus  dem  preußischen  Staatsarchiv  werden  vielen  willkommen 
sein.  Nur  reichen  sie  nicht  aus  für  ein  irgend  vollständiges 
Bild  von  der  Haltung  Friedrich  Wilhelms  und  Hertzbergs. 
Dazu  bedarf  es  der  Kenntnis  anderer^  namentüch  der  engtischen 
Korrespondenzen, 

Bonn.  Frisdrick  Lackwaiät, 


Kriege  unter  Kaiier  Joseph  IL  Nach  den  Feldakten  und  anderen 
authentischen  Quellen  bearbeitet  in  der  kriegsgeschicht* 
liehen  Abteilung  des  k*  und  k,  Kriegsarchivs  von  Oskar 
Crlste,  k,  und  k.  Hauptmann  des  Armeeatabes,  Wien^ 
Seidel  &  Sohn.     1904.    385  S. 

Kriege  gegen  die  französische  Revolution  1792^1797*  Nach  den 
Feldakteti  und  anderen  authentischen  Quellen  bearbeitet 
in  der  kriegsgeschichtlichen  Abteilung  des  k.  und  k.  Kriegs- 
archivs,  1.  Bd.;  Einleitung,  2.  Bd.:  Feldzug  1792.  WieUj 
Seidel  &  Sohn.     1905.    590  u.  411  S. 

Mit  diesen  Werken  beginnt  die  kriegsgeschichtliche  Ab- 
teilung des  österreichischen  Kriegsarchivs  eine  Reihe  von  Ver- 
öffentltchungen,  die  mit  Freude  zu  begrüßen  sind.  Es  war 
ursprünglich  beabsichtigt  gewesen,  nach  Vollendung  des  großen 

Historische  Zeitschrift  (?7.  Bd.)  $.  Folge  h  Bd.  39 


602 


Literaturbericht 


Werkes  über  den  Österreichischen  Erbfolgekrteg  sofort  die  Dv- 
steltung  des  Siebenjährigen  Kriegs  in  An^^riff  zu  nehmen.  Hje;- 
von  wurde  jedoch  zunächst  Abstand  genommen,  weiJ  ,dss  ün 
Erscheinen  begriffene  und  wahrscheinlich  in  kurzer  Zeit  ab- 
geschlossene Werk  , Kriege  Friedrichs  des  Großen'  des  preufr 
sehen  Großen  Generalstabs  dem  Bedürfnisse  nach  einer  fict 
männischen  Darstellung  des  Siebenjährigen  Kriegs  auch  bezüg- 
lich der  Operationen  der  damaligen  österreichischen  Heerfiihref 
in  musterhaft  objektiver  Weise  entspricht*** 

Anderseits  empfand  man  mit  vollem  Recht  die  dringende 
Notwendigkeit  eines  auf  österreichischen  Originalquellen  bt- 
ruhenden  Werkes  über  die  Kriege  Österreichs  gegen  die  tun- 
zösische  Republik  und  das  erste  französische  Kaiserreich  uod 
entschloü  sich  daher  zu  einer  eingehenden  Bearbeitung  lies 
Zeitraums  von  1792—1815.  Jeder,  der  sich  mit  dieser  Kriege 
periode  eingehender  beschäftigt  hat,  kennt  die  Schwierigkeittn, 
die  infolge  der  mangelnden  Kenntnis  der  öslerrelchiscHeit 
Originalquellen  auf  Schritt  und  Tritt  der  Forschung  entgegen- 
treten» Nur  in  bezug  aul  wenige  Punkte  hat  bisher  das  ösier* 
reichische  Kriegsarchiv  seine  Schätze  geöffnet,  und  wo  dies 
geschehen  ist»  zeigte  sich  sofort,  daß  die  bisherige  Jandräufigie 
Darstellung  zahlreiche  Legenden  enthält.  Die  napoleonisclie 
Kriegsgeschichte  ist  auch  heute  noch  so  lehrreich ,  daß  eine 
auf  deutschen,  österreichischen  und  französischen  OriginiJ- 
quellen  beruhende  Darstellung  geradezu  eine  Notwendigkeit  ist 

Die  österreichische  kriegsgeschichtliche  Abteilung  hat  nun 
geglaubt  f  die  im  Jahre  1792  beginnende  Kriegsperiode  nidit 
von  den  Ereignissen  der  dem  Ausbruche  der  französischen 
Revolution  vorhergegangenen  Epoche  scharf  trennen  zu  können^ 
sondern  hat  in  einem  zunächst  erschienenen  Werke  vorher  die 
Kriege  unter  Joseph  fl.  dargestellt.  Damit  sollen  diejenigen 
Anschauungen  klargelegt  werden,  von  denen  die  österreichi- 
schen Fuhrer  und  ihre  fieere  in  den  ersten  Kriegen  gegen 
Frankreich  beherrscht  waren.  Diese  Führer  hatten  ihre  erste 
Schule  im  theresianischen  und  josephinischen  Zeitalter  durch- 
gemacht und  lebten  in  den  Anschauungen  dieser  Zeit  fhre 
Tätigkeit  kann  daher  nicht  richtig  bewertet  werden,  ohne  daß 
man  die  Schule  kennt,  der  sie  entstammen-  Der  gewöbnlicht 
Mensch   ist   ein  Kind  seiner  Zeit»   die  ihm   sein  Gepräge  ver- 


IS.  Jahrhundert 


603 


leiht  Nur  das  Genie  schafft  neue  Werte  und  drückt  einem 
ganzen  Zeitalter  den  Stempel  seines  Geistes  auf. 

Ein  solches  Genie  in  der  Kriegführung,  vielleicht  das 
größte  aller  Zeiten,  war  Napoleon.  Daß  die  Männer  einer 
alten  Schule  einem  solchen  Führer  entgegentreten  mußten, 
war  ihr  Unglück»  Sie  vermochten  den  Geist  der  neuen  Krieg- 
führung nicht  zu  fassen  und  gingen  daran  zugrunde.  Wer  sie 
aber  gerecht  beurteilen  will ,  muß  den  Boden  kennen ,  dem 
sie  entstammen. 

Darum  ist  die  Darstellung  der  Kriege  Josephs  IL,  näm- 
lich des  Bayerischen  Erbfolgekrieges  1778 — 1779  und  des 
österreichisch -russischen  Krieges  gegen  die  Pforte  1788  und 
1789  gerechtfertigt,  obwohl  sie  an  sich  nur  geringes  militäri- 
sches Interesse  bieten.  Insbesondere  trägt  der  Bayerische 
Erbfolgekrieg  alle  Zeichen  eines  Niedergangs  der  Kriegskunst 
Der  gealterte  König  FriedriGh  ist  in  diesem  unblutigen  Feldzug 
kaum  wiederzuerkennen.  Es  fehlt  dem  Kriege  auf  preußischer 
Seite  an  einem  bedeutenden  Ziele,  das  einen  großen  Einsatz 
gelohnt  hätte. 

Die  Darstellung  des  rühmlich  bekannten  Hauptmanns 
Crtste  ist  vortrefflich,  klar  und  erschöpfend* 

An  dieses  Werk  schließt  sich  die  Darstellung  der  Kriege 
gegen  die  französische  Revolution  an,  von  denen  zunächst 
zwei  Bände  erschienen  sind. 

Der  erste  Band  hiervon  gibt  eine  Einleitung,  deren  ein- 
zelne Kapitel  von  verschiedenen  Verfassern  bearbeitet  sind, 
ohne  daß  dadurch  die  Einheitlichkeit  des  Werkes  Schaden  litte. 
Es  werden  die  poütischen  Verhältnisse  vor  Ausbruch  des 
Krieges,  insbesondere  die  Lage  des  Deutschen  Reichs  und 
der  Osterreichischen  Monarchie^  sodann  das  Heerwesen  Oster* 
reichs  und  der  übrigen  in  Betracht  kommenden  Staaten  ge- 
schildert und  schließlich  ein  vortrefflicher  Überblick  über  den 
damaligen  Standpunkt  der  Heer-  und  Kriegführung  gegeben, 
der  besondere  Aufmerksamkeit  verdient  Der  Band  ist  somit 
ein  äußerst  wertvoller  Beitrag  zur  Geschiebte  des  Heerwesens 
dieser  Zeit 

Der  nächste  Band  enthält  die  Darstellung  des  für  die 
Koalition  sehr  unrühmlichen  Feldzugs  von  1792,  der  nach  der 

39* 


604 


Li  tera  tu  rbericIiL 


Kanonade  von  Valmy  init  dem  Rückzug  der  Verbilndelen, 
dem  Einbruch  des  Generals  Custine  m  Deutschtand  und  mit 
der  Eroberung  der  Niederlande  durch  die  Fraiuosen  schloß. 
,So  endete*,  heißt  es  am  Schluß  des  Werkes,  »ein  Feldzugt 
der  von  den  Verbündeten  mit  hochfliegenden  Plänen  begonueo 
wurde,  mit  einer  Reihe  schwerer  Enttäuschungen.* 

Alle  Mängel  der  bisherigen  Heeresorganisation  und  der 
Lineararmeen  traten  bereits  zutage »  ohne  daß  man  dai^n  ge- 
dacht hätte,  etwas  Neues  an  die  Stelle  des  veralteten  Kriegs- 
systems zu  setzen*  im  französischen  Heere  steckten  bereits 
die  Keime  zu  einer  gewaltigen  Umwälzung.  Noch  aber  fehlte 
der  Mann,  der  diese  Keime  in  ungeahnter  Weise  entwickeln^— 
sollte.  f 

In    der    richtigen    Hervorhebung   dieser  Verhältnisse    liegt 
der  Wert  des  Buches   auch  für  unsere  Zeit.     Es  bietet  reiche 
Belehrung.     Die  Darstellung  ist  vortrefflich,  das  Urteil   rutiig 
abwägend  und  gerecht.    Das  ganze  Werk  ist  mit  Karten  und^ 
Skizzen  reich  ausgestattet*  V 

Somit  liegt  eine  sehr  wertvolle  Bereicherung   der  Kriegs- 
geschichte  vor.  jr.     ^B 


Systematische  Zusammenstellung  der  Verhandlungen  des  baye* 
fischen  Episkopates  mit  der  KgL  Bayerischen  Staatsregie- 
rung von  1850  bis  1889  über  den  Vollzug  des  Konkordates* 
Preiburg  1.  B.,  Herden    1905.    121  S.  4*.  M 

Das  bayerische  Konkordat  von  1817  setzte  die  katholische 
Kirche  «in  alle  jene  Rechte  und  Prärogativen  ein,  welche  sie 
nach  göttlicher  Anordnung  und  den  kanonischen  Satzungen 
zu  genießen  hat*.  Auf  Seite  der  Regierung  erkannte  man  zu 
spät,  welche  Gefahren  für  die  Selbständigkeit  des  Staates  und 
die  Parität  der  Konfessionen  der  Vertrag  in  sich  barg,  und 
suchte  ihnen  die  Spitze  abzubrechen  durch  die  Erklärung  des 
Konkordats  als  eines  Bestandteils  der  Verfassungsurkunde 
und  durch  die  Aufnahme  des  Religionsedikts  von  IS09  als 
zweiter  Beilage  in  der  Verfassung  von  1818,  1850  und  IS88 
richtete  nun  der  bayerische  Episkopat  an  die  Staatsregierung 
Denkschriften,  deren  mannigfache  Wünsche  und  Beschwerden 
in  der  Forderung  gipfelten,  daß  das  Religionsedikt ,  das  die 
durch  das  Konkordat  gesicherten  Rechte  der  Kirche  teils  zurück* 


i. 


19.  Jahrh ändert« 


605 


nehme,  teils  beschränke  und  verkümmere,  beseitigt  werde. 
Jedesmal  lautete  der  Bescheid  der  Regierung  (1852  und  1889) 
in  der  Hauptsache  abweisend^  wobei  besonders  betont  wurde, 
daß  die  zweite  Verfassungsbeilage  die  volle  staatliche  Parität 
schütze,  die  durch  Überordnung  des  Konkordats  gefährdet 
würde.  Über  die  Unsicherheit  des  Fundaments,  auf  welchem 
das  Verhältnis  zwischen  Staat  und  Kirche  in  Bayern  ruht,  kann 
man  sich  nicht  täuschen ,  wenn  die  Bischöfe  in  dem  Memo- 
randum von  1850  erklären,  die  gesamte  katholische  Kirche 
Bayerns  habe  die  zweite  Verfassungsbeilage ,  insofern  sie  in 
direktem  Widerspruch  mit  dem  Konkordat  sei ,  niemals  an- 
erkannt und  werde  sie  niemals  anerkennen.  Im  übrigen  sei 
aus  dieser  Denkschrift  noch  hervorgehoben,  was  die  Bischöfe 
über  den  kirchlichen  Einfluß  auf  die  Universitäten  München 
und  Würzburg  bemerken.  Die  Lehrkörper  dieser  beiden  Hoch- 
schulen seien  ^ ihrer  Stiftung  und  ursprünglichen  Ausstattung 
nach  dem  katholischen  Bekenntnisse  vorbehalten  und  dieses 
ihres  früheren  Charakters  noch  nicht  völlig  entkleidet ***  „Inner- 
halb der  philosophischen  Fakultäten  stehen  insbesondere  die 
Lehrfächer  der  Philosophie  und  Geschichte  in  einem  unauf* 
löslichen  Zusammenhange  mit  der  religiösen  Überzeugung  und 
Gesinnung  und  müssen  diese  Überzeugung  und  Gesinnung 
je  nach  der  Richtung  und  dem  Geiste ,  in  welchem  sie  vor- 
getragen werden,  entweder  begründen,  läutern  und  befestigen, 
oder  untergraben  und  zerstören,**  Der  Episkopat  stellt  daher 
den  Antrag,  daß  an  den  beiden  Universitäten  bei  Besetzung 
der  philosophischen  und  geschichtlichen  Lehrfächer  auf  Männer, 
welche  ihre  Wissenschaft  in  religiösem  Geiste  auffassen  und 
vortragen,  Bedacht  genommen  werden  möge.  Die  Denkschrift 
von  1888  erklärt  es  als  eine  unbestrittene  Tatsache,  daß  der 
an  den  Universitäten  herrschende  Geist  dem  Christentum  viel- 
fach zuwider  sei.  «^Cs  ist  auf  das  tiefste  zu  beklagen,  daß 
den  jungen  Männern,  welche  einst  in  den  wichtigsten  Öffent- 
lichen Amtern  wirken  sollen,  in  den  Vorlesungen,  besonders 
den  philosophischen,  naturwissenschaftlichen  und  medizinischen, 
Lehren  vorgetragen  werden,  welche  nicht  bloß  mit  dem  Offen- 
barungsglauben im  Widerspruch  stehen,  sondern  auch  die 
Grundlagen  erschüttern,  auf  welchen  Staat  und  Recht  und 
Ordnung  ruhen." 


606 


Literaturbericht 


Die  interessanten  Verhandlungen  sind  schon  vordem  an 
verschiedenen  Orten  zerstreut  gedruckt  vorgeJegen.  Die  von 
kirchlicher  Seite  ausgegangene  neue  und  zusammenfassende 
Publikation  ist,  wie  der  Vorbericht  besagt^  „zum  Zwecke  histo- 
rischen Studiums*'  eHolgt*  Die  Zeit  wird  lehren,  ob  sie  nicKl 
—  wenn  auch  ein  klerikales  Blatt  dem  entschieden  widerspricht  — 
auch  einen  neuen  Vorstoß  zugunsten  der  unbedingten  Geltung 
des  Konkordats  einleiten  soll. 

München.  Ä.  RieMitr. 


Die  Mobilmachung  von  )S70/71,  Mit  allerhöchster  Genehmlgni^ 
S*  M.  des  Kaisers  und  Königs  bearbeitet  im  KgK  Kriegi' 
ministerium  von  Gustav  Leiittiaiiii«  Berlin,  Mittler  £  Sohn. 
1905,    V  u,  382  S. 

Das  Buch  bezeichnet  sich  als  zweite  erweiterte  Auflage 
der  Festschrift  zur  Enthüliung  des  Denkmals  für  den  Kriegs- 
minister  Generalfeldmarschall  v.  Roon  am  24.  Oktober  1901; 
es  ist  in  Wirklichkeit  selber  ein  Denkmal  lür  Roon  und  seine 
grandiose  Arbeit  bei  der  Vorbereitung  und  Durchführung  des 
Krieges  von  1 870/7  U  Fast  überladen  mit  Aktenbeilagen  und 
statistischen  Übersichten,  stark  mit  Einzelnoti^en  in  der  Dar- 
stellung wie  in  den  Anmerkungen  belastet,  wird  es,  wie  idi 
fürchte,  nicht  die  Wirkung  haben,  die  sein  Inhalt  durchaus 
verdient.  Eine  Fundgrube  für  die  Geschichte  des  Krieges 
bleibt  es  auf  alle  Fälle. 

Man  erhält  zunächst  einen  lehrreichen  Überblick  über  die 
erstaunlichen  Leistungen  der  Armeeleitung  in  den  Jahren  der 
Rüstung  1866 — ^1870,  unter  denen  Blumes  Etappenord  nung  und 
ßronsarts  Mobilmachungsplan,  beide  1867  entstanden,  die  In- 
struktion für  die  höheren  Truppenführer  und  die  Vorschriften 
für  den  Feiddienst,  1869  und  1870  erlassen,  von  monumentaler 
Bedeutung  waren  neben  dem  Verschmelzungsprozeß,  der  für 
die  Truppenteüe  der  annektierten  preußischen  Provinzen  und 
der  norddeutschen  Bundeskontingente  begonnen  und  durch* 
geführt  wurde.  Dagegen  waren  andere  wichtige  Fragen  noch 
nicht  gelöst,  als  der  Krieg  ausbrach.  Weder  war  das  neue 
Exerzierreglement  für  die  Infanterie  abgeschlossen^  noch  war 
das  aptierte  Zündnadelgewehr  fertige  so  daß  sie  mit  M  62  und 


l 


19,  Jahrhundert 


607 


41  ins  Feld  rücken  mußte,  auch  der  Kamp!  zwischen  Bronze 
und  Gußstahl  war  bei  der  ArtiUerie  noch  nicht  ausgekämpft. 
Diese  Inferiorität  der  Bewaffnung  gegenüber  der  französischen 
Armee  wird  bei  der  Schätzung  der  Kriegstaten  unseres  Heeres 
nicht  immer  hinreichend  in  Ansatz  gestellt. 

Es  folgen  dann  überaus  wertvolle  Mitteilungen  über  den 
Verlauf  der  preußischen  Mobilmachung-  Zum  erstenmal  sieht 
man,  wie  die  tausend  und  abertausend  Räder  der  komplizierten 
Maschine  ineinander  gegriffen  haben,  bekommt  aber  auch  eine 
Ahnung,  welche  Hindernisse  znm  Teil  zu  überwinden  waren. 
Von  den  einzelnen  Armeekorps  hatte  das  III.,  nach  ihm  das  VII. 
seine  Mobilmachung  zuerst  beendet,  das  erste  in  acht,  das  zweite 
in  zehn  Tagen.  Unter  besonders  schwierigen  Verhältnissen  voll* 
zog  sie  sich  bei  der  16,  Division,  weil  sie  durch  die  Nähe  der 
Grenze  bedroht  war,  sie  mußte  fast  durchweg  auf  dem  rechten 
Rheinufer  vorgenommen  werden  unter  Aufgabe  der  planmäßig 
vorgesehenen  Mobtlmachungsorte,  Interessant  ist  auch  ein 
Vergleich  der  Prozentziffern  der  einbeorderten  Mannschaften, 
die  sich  nicht  stellten.  Am  schlimmsten  war  der  Ausfall  im 
Bezirk  Apenrade,  wo  er  ungefähr  die  Hälfte  betrug,  dann  folgte 
Rawitsch  mit  45,  Gumbinnen  mit  42,  Hirschberg  mit  40  Prozent* 
Am  besten  stand  es  in  den  Bezirken  Göttingen,  Lauban,  Mar- 
burg, Rostock,  Wohlau  u.  a<  Groß  war  die  Zahl  der  Freiwil- 
ligen. Die  meisten  EinjährigfreiwiUigen  zählte  in  der  Garde 
das  Gardefüsüierregiment,  bei  der  Linie  das  56.  Regiment. 
Wie  tief  die  Mobilmachung  in  die  Familienverhältnisse  ein- 
schnitt, ersieht  man  aus  der  Menge  der  verheirateten  Mann- 
schaften, so  war  beim  22.  Infanterieregiment  ein  Drittel  Ehe- 
männer. Während  es  in  den  annektierten  Provinzen  Hannover 
und  Schleswig-Holstein  an  gedienten  Leuten  fehlte,  hatten  das 
VIL  und  Villi  Armeekorps  zu  viele  Überzählige,  für  die  es  an 
Montur  und  Waffen  fehlte.  Am  wunderlichsten  sah  es  bei  den 
Landwehrbataillonen  Unna  und  Simmern  aus,  beim  letzteren 
waren  am  27.  Juli  unter  1174  Landwehrleuten  nur  360  bekleidet 
und  bewaffnet  Aber  abgesehen  von  diesen  unvermeidlichen 
Mängeln  und  einigen  kleinen  Verstößen  bewährte  sich  der 
Mobilmachungsplan  in  all  seinen  Vorschriften  und  Fest* 
Setzungen  glänzend.  Und  ebenso  glatt  vollzog  sich  der  Eisen* 
bahnaufmarsch  der  Armee,   um  den  sich  namentlich  Branden- 


eoe 


LiteraturberlchL 


gtein  Verdienste  erwarb^  auf  den  sechs  großen,  nach  Westen 
fuhrenden  Linien;  in  eil  Tagen  war  er  vom  24.  Juli  ab  voll- 
endet. 

Besondere  Beachtung  verdienen  in  dieser  offizieJJen  Schrii! 
einige  gelegentliche  Hinweise  politischer  NatUTp  wie  z.  B.  dii 
Kaiser  Alexander  Preußen  zugesagt  habe,  im  Falle  des  Heraiif- 
tretens  Österreichs  aus  der  Neutralität  eine  Armee  von  300000 
Mann  an  der  Grenze  aufzustellen  und  mit  ihr  Galmen  zu  be- 
setzen. Auch  daß  Osterreich  wirklich  bis  in  die  ersten  Wochen 
des  August  hinein  seine  Kavallerie,  Artillerie  und  den  Train 
mobil  gemacht  hatte,  scheint  mir  bisher  nicht  aUgemein  be* 
kannt  zu  sein,  ebensowenig^  daß  in  der  Provinz  Posen^  nament- 
lich Ende  Juli,  die  Aufregung  der  Polen  so  groß  war,  daß  das 
Generalgouvernement  dort  gleichfalls  mobil  gemacht  wurde 
und  die  Ermächtigung  erhielt,  die  Provinz  beim  Ausbruch  der 
geringsten  Unruhen  sofort  in  Belagerungszustand  zu  erkläreiu 

Die  letzten  Abschnitte  des  Buches  legen  in  gleich  sicherer^ 
aktenmäßig  fundierter  Darstellung  dar^  wie  die  Besatzung  der 
okkupierten  feindlichen  Landesteile  gebildet,  wie  für  den  Ersatz 
der  im  Felde  stehenden  Truppen  gesorgt,  wie  die  technischen 
Waffen,  Festungsartillerie  und  Pioniere,  mobil  gemacht  wurden 
und  wie  es  gelang,  für  die  immer  stärker  anschwellende  Zahl 
der  Kriegsgefangenen,  die  sich  Mitte  Februar  auf  nahezu 
400000  Mann  belief,  genügende  Bewachungsmannschaft  zu  ■ 
finden.  Hierzu  wurden  mit  Vorliebe  die  überzähligen  Land- 
wehrreiter  herangezogen  und  in  unberittenen  Landwehrdepot- 
eskadrons  zusammengeschlossen,  zu  denen  später  noch  Gar- 
nisonbataillone traten.  Im  übrigen  stellte  sich  bald  heraus, 
daß  jeder  gediente  Mann  gebraucht  werden  konnte,  und  daß 
für  die  Verwendung  in  Feindesland  kaum  die  Kräfte  aus* 
reichten.  Bei  der  immer  breitern  Ausdehnung  des  Kriegs- 
theaters erwiesen  sich  immer  neue  Truppenteile  als  notwendig. 
Wenn  auch  nach  dem  Fall  von  Metz  der  König  angeordnet 
hatte,  daß  die  Landwehr  nicht  mehr  direkt  vorm  Feinde,  son- 
dern zu  Besatz ungs-  und  Etappenzwecken  verwendet  werden 
sollte,  so  mußten  eben  doch  dafür  die  letzten  verfügbaren 
Bataillone  herangezogen  werden;  von  162  Landwehrbataillonen  _ 
waren  schließlich  nur  noch  17  immobiL  Für  die  Besatzung  H 
aber  der  Festungen  Straßburg,  Metz  und  Diedenhofen  wurden 


I 


19.  Jahrhundert 


609 


bereits  die  Ersatzbataillone  der  Regimenter  bestimmt,  welche 
voraussichtlich  nach  FriedensschJuß  dort  ihren  Standort  er- 
halten würden.  Roon  suchte  auch  auf  diesem  Gebiet,  der 
Verstärkung  der  Streitkräfte,  das  Möglichste  zu  leisten,  war 
doch  im  Februar  1871  schließlich  die  Verpflegungsstärke  der 
preußischen  Armee  auf  1028126  Mann  gestiegen.  Das  be- 
deutete fast  39  von  je  Tausend  der  im  Jahre  1867  ermittelten 
Bevölkerungsziffer ,  während  die  entsprechenden  Zahlen  für 
Bayern  31,30,  für  Baden  27,07  und  für  Württemberg  gar  nur 
23,56  betrugen.  Die  Inanspruchnahme  der  alten  preußischen 
Provinzen  war  noch  eine  erheblich  höhere.  Dagegen  wehrte 
sich  Roon  mit  aller  Schärfe  gegen  noch  weitergehende  For- 
derungen des  Generalstabs,  so  z.  B.  als  Moltke  im  Dezember 
verlangte,  daß  unverzüglich  ca,  100  Bataillone  ä  600  Mann  neu 
aufzustellen  seian^  und  daß  dabei  auch  über  die  für  Friedens- 
verhältnisse bestehende  gesetzliche  Verpflichtung  hinaus- 
gegriffen  werden  müsse.  Roon  betonte  seinerseits,  daß  die 
fernere  Kriegsführung  die  nur  verfügbare,  die  gegebene  Summe 
der  vorhandenen  Streitmittel  in  Betracht  zu  ziehen  habe,  und 
setzte  es  durch,  daß  kein  Mann  des  Landsturms  eingezogen 
wurde,  während  man  bei  der  Landwehr  bis  auf  den  Jahrgang  1854 
zurückgriff,  Friktionen  zwischen  ihm  und  Moltke  stellten  sich 
auch  sonst  noch  Öfters  ein,  so  in  der  Frage  der  Unterbringung 
der  Kriegsgefangenen  und  besonders  vor  der  Beschießung  von 
Paris.  Gegen  den  Widerstand  des  Generalstabschefs  und  des 
Oberkommandos  der  IlL  Armee  trat  der  Kriegsminister  mit 
unbeugsamer  Energie  dafür  ein,  daß  endlich  ein  militärisch 
organisierter  Fuhrpark  für  den  Monitionstransport  geschaffen 
wurde. 

So  begegnen  wir  fast  auf  jeder  Seite  des  Buches,  wenn 
auch  manchmal  versteckt,  interessanten  Einzelheiten.  Schließ- 
lich formt  sich  doch  aus  ihnen  ein  einheitliches  Bild  der  un- 
geheuren Kraftleistung  der  Nation  und  der  riesenhaften  Arbeit 
des  Kriegsministeriums.  Sehr  zu  bedauern  aber  bleibt,  daß 
die  süddeutschen  Kontingente  nicht  in  die  Darstellung  mit 
einbezogen  worden  sind  und  nur  hier  und  da  in  Textanmer- 
kungen oder  in  den  Anlagen,  wie  z.  B,  bei  der  Übersicht  der 
deutschen  Streitkräfte  am  15.  Januar  1871  erscheinen.  Wenn 
irgendwo,  so  hätten   bei  einem  solchen  Werke  wie  dem  vor- 


Ük 


m 


Lite  ra  t  urberi  ch  L 


liegenden   formelle   Bedenken   und   offizielle    Rücksichtnahnie 
beiseite  gestellt  werden  sollen. 

Straßburg  i.  E.  IK   WUgMd. 


Aus  Eduard  Laskers  Nachlaß.  Herausgegeben  von  Dr.  WtlJielfl 
Cahn.  L  Teil.  Fünfzehn  Jahre  parlamentarischer  Ge- 
schichte (1866—1880).    Berlin^  Georg  Reimer.     1902.    16S  S 

Etwas  verspätet  bringen  wir  dies  Buch  zur  Anzeige^  di 
die  Erwartung  auf  baldiges  Erscheinen  des  2,  und  3.  Teilei 
der  Laskers  politischen  Briefwechsel  und  eine  Auswahl  seiner 
Reden  und  Aufsätze  enthalten  soll,  sich  inzwischen  nicht  er- 
füllt hat.  Dieser  L  Teil  enthält  vor  allem  eine  historische 
Darstellung  der  preußisch-deutschen  Entwicklung  seit  den 
Stein-Hardenbergschen  Reformen,  die  aber  ausführlicher  eßl 
mit  dem  Jahre  1866  wird  und  mit  dem  Jahre  1880  abbricht 
Lasker  hat  sie  1882/83  niedergeschrieben,  und  seine  Erkrmn 
kung  hat  ihm  die  Feder  aus  der  Hand  genommen.  Es  siai 
im  Grunde  die  Erfahrungen  und  Ziele  seines  eigenen  parla- 
mentarischen Lebens,  die  er  schildert.  Er  läßt  zwar  —  gewifi 
geflissentlich  —  seine  eigene  Person  ganz  in  den  Hintergrund 
treten,  er  erzählt  überhaupt  nicht  memoirenhaft,  d.  h.  mit  viel 
anschaulichem  und  persönlichem  Detail ,  sondern  tn  einer 
mehr  allgemeinen,  reflektierenden  und  konstruierenden  Weise, 
aber  nichtsdestoweniger  blicken  die  Bestrebungen  und  die 
Enttäuschungen  seiner  eigenen  politischen  Wirksamkeit  deut- 
lich durch.  Das  Ganze  ist  ein  Klagelied  über  das  Schicksal, 
das  ßismarck  der  nationalliberalen  Partei  und  insbesondere 
ihrem  von  Lasker  geleiteten  linken  Flügel  durch  die  ganze 
Wendung  seiner  inneren  Politik  seit  1876  bereitet  hatte,  — ] 
anscheinend  objektiv  und  akademisch  erzählt,  ist  es  in  Wahr- 
heit durchaus  subjektiv  empfunden.  Darin  liegt  aber  auch 
ein  historischer  Wert  dieser  Aufzeichnung,  den  wir»  obwohl 
sie  keinerlei  überraschende  Aufschlüsse  bietet  und  die  Einzel- 
tatsachen  zuweilen  etwas  flüchtig  und  ungenau  behandelt, 
nicht  gering  einschätzen.  Lasker  war  keine  große»  aber  eine 
charakteristische  Persönlichkeit,  ein  doktrinärer  Idealist  zn- 
gieich  und  ein  ehrgeiziger  Parteihäuptling«  Das  ideale  natür- 
liche Recht,  für  das  er  kämpfte,  stand  zwar,  wie  Bismarck  es 


19.  Jahrhundert;  Deutsche  LandBchaftetii 


611 


einmal  ausdrückte,  „außerhalb  des  Lebens^f  aber  in  das  poli- 
tische Leben  des  ganzen  Nationalstaates  selbst  hat  er  folgen- 
reich und  zuweilen  auch  erfolgreich  eingegriffen.  Der  Kern 
seines  Gegensatzes  zu  Bismarck  war»  die  Rechte  und  die 
Alacht  des  Parlaments  als  solchen  zur  Geltung  zu  bringen 
und  die  nationalUberale  Partei  zum  kompakten  und  beherr- 
schenden Zentrum  einer  Gruppe  zu  machen,  die  sowohl  mit 
der  Fortschrittspartei  wie  mit  den  Freikonservativen  Fühlung 
hatte.  Umgekehrt  war  Bismarck  nur  gewilitf  die  National- 
liberalen zwar  zu  benutzen,  aber  nicht  zur  Herrschaft  kommen 
zu  fassen.  Die  Zerreibungspolitik,  die  er  den  Parteien  gegen- 
über in  den  70er  Jahren  trieb,  wird  in  dieser  Aufzeichnung 
von  Lasker  höchst  interessant  analysiert,  wobei  wir  nun  aller- 
dings Bismarck  mehr  als  den  zerstörenden  und  auflösenden 
als  den  schaffenden  und  aufbauenden  Staatsmann  zu  sehen 
bekommen.  Für  die  großen  positiven  Ziele  Bismarcks  seit 
1876,  die  über  Partei-  und  Parlamentswesen  doch  weit  hinaus- 
reichten, hatte  und  konnte  Lasker  kein  volles  Verständnis 
haben.  „Die  Wandlung,  welche  sich  in  Bismarck  vollzog/ 
so  urteilt  er  (S.  101)  nicht  ganz  falsch,  aber  höchst  einseitig^ 
»wird  wohl  als  eine  Repristination  jenes  Bismarck  zu  erachten 
sein,  wie  er  sich  in  den  Jahren  1847 — 1849  ins  öffentliche 
Leben  eingeführt  hatte,  nur  mit  erweiterten  Plänen  und  mit 
dem  Bewußtsein  der  inzwischen  gewonnenen  Gewalt  über  das 
öffentliche  Leben*** 

Die  Anlagen  enthalten  einige  Zeitungsartikel  und  Akten- 
stücke der  nationalliberalen  Partei  von  1866/67  und  einen  Brief 
Bennigsens  an  Lasker  vom  30.  Juni  1878  über  seine  Varziner 
Verhandlungen  und  über  Bismarcks  Anträge  an  ihn  im  Juni 
1866.  Fr.  M. 


Die  Allmend  im  Berner  Jura.  Von  tf ermann  Rennetahrtp  Bres- 
lau, M»  u.  H*  Marcus*  1905.  231  S.  (Untersuchungen  zur 
deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte,  herausgegeben  von 
0.  Gierke.  74.  Heft.) 

Entsprechend  dem  Umstand,  daß  die  Allmenden  noch 
heute  in  der  Schweiz  von  großer  praktischer  Bedeutung  sind, 
ist  die  Literatur  über  die  Schweizer  Allmenden  reich  ausge- 
baut worden.    In  der  vorliegenden  Arbeit  begrüßen  wir  einen 


um 


612  Uteraturbericht. 

neuen  treHlichen  Beitrag  zw  ihrer  Geschichte.  Auf  fleißiger 
Benutzung  des  recht  ergiebigen  gedruckten  und  des  noch  vid 
mehr  bietenden  ungedruckten  Materials  ruhend^  schildert  sie 
die  Entwicklung  der  Allmenden  im  Berner  Jura,  d»  h*  tm  Ge- 
biet der  alten  Bischöfe  von  Basel,  von  der  ältesten  Zeit  bij 
zur  Gegenwart,  dabei  ihr  Thema  so  weit  fassend ,  daß  mao 
fast  eine  allgemeine  Geschichte  der  Landwirtschaft  die^a 
Bezirks  erhält*  Die  mittelalterliche  Geschichte  (die  Zeit  bis  1500 
hätte  Rennefahrt  nicht  „Vorgeschichte*  nennen  sollen)  kommt 
ebenso  auf  ihre  Kosten,  wie  die  Geschichte  der  Landeshoheii 
im  16.  und  17.  Jahrhundert  Aufklärung  erfahrt»  und  nicht 
weniger  lehrreich  ist»  was  wir  über  die  Einwirkungen  der 
französischen  Revolution  und  des  napoleonischen  Regiments 
sowie  die  Verwaltung  der  Regierung  des  Kantons  Bern  lesen* 
Der  Bischof  von  Basel  bildete  ein  Allmenderegml  aus>  R. 
(S*  96)  will  dies  auf  den  Einfluß  des  römischen  Rechts  zurück 
führen.  Allein  die  betreffenden  Bestrebungen  der  Landes* 
herren  sind  (wenn  auch  nicht  gerade  in  jedem  Territorium) 
Mlter  als  die  Rezeption  des  römischen  Rechts  (vgl.  in.  Ursachen 
der  Rezeption  des  römischen  Rechts  S.  62  Anm.  I),  Wie 
bemerkt,  faßt  R,  seine  Aufgabe  nicht  eng.  Zu  den  lehrreichen 
Abschnitten,  die  über  das  eigentliche  Thema  hinausgehen, 
gehört  die  Darlegung  der  Ortsgemeindeverfassung  (S*  Mff). 
Die  Bezeichnung  der  Ortsvorsteher  ist  in  diesen  Gegenden 
(wie  in  Mitteldeutschland)  Heimburge  (oder  Heimburger).  Die 
Bestrebungen  des  17.  und  18.  Jahrhunderts ^  den  Kampf  ums 
Dasein  durch  eine  Beschränkung  der  Einwanderung  und 
scharfe  Abgrenzung  der  Berechtigungen  innerhalb  der  Gemeinde 
zu  lösen ^  erfahren  S<  62  f.  eine  interessante  Beleuchtung.  Zu 
bedauern  ist,  daß  R.  die  Orthographie  der  Akten  des  16.  und 
17.  Jahrhunderts,  die  von  irgendeinem  namenlosen  Schreiber 
geschrieben  sind,  nicht  nach  den  heute  üblichen  Grundsätzen 
normalisiert  hat  (vgl  z.  B.  S,  97),  Es  hat  doch  wirklich  keinen 
Zweck,  »vnnd*  für  „und'  zu  drucken*  Vgl.  zur  Literatur  über 
die  hier  in  Betracht  kommenden  Fragen  auch  Stutz,  Zeitschr. 
der  Sav.-Stiflung,  Germ.  Abt,,  Bd.  26,  S.  392  ff, 

Freiburg  i.  B.  C,  v,  Beiaw. 


1 


Deutsche  Landsehafteii. 


613 


Urkuiidenbuch  der  Stadt  Fnedberg.  1.  Bd.:  1216—1410,  Bearbeitet 
von  M.  Faltz.  Marburg,  N.  G,  Elwert.  1904  XVtll,  698  S. 
(A,  u,  d*T.;  Veröffentlichungen  der  Histon  Kommission  für 
l^essen  und  Waldeck,  Urkundenbuch  der  Stadt  Friedberg, 
herausgegeben  von  G.  Frhr,  von  der  Ropp.) 

Der  Beschluß  der  Historischen  Kommission  für  Hessen 
und  Waldeck  vom  Jahre  1898,  die  Herausgabe  von  Urkunden- 
büchern  der  in  ihrem  Arbeitsgebiet  liegenden  Wetterauer 
Reichsstädte  in  Angriff  zu  nehmen,  hat  nunmehr  seine  erste 
Frucht  gezeitigt :  der  erste  Band  des  Friedberger  Urkunden- 
buch es  ist  in  der  Bearbeitung  von  M.  Foltz  veröHentlicht 
worden,  den  G.  von  der  Ropp  und  W,  Dersch  mit  Rat  und 
Tat  unterstützten,  jener  überdies  durch  die  Ausgabe  der  Fried- 
berger Stadtrechnungen  und  einige  Nachträge  (S,  586  ff.)^ 
dieser  durch  die  Herstellung  eines  sorgfältigen  Orts-  und  Per- 
sonenregisters (S.  609  ff.)  sowie  eines  kürzeren  Wort-  und 
Sachverzeichnisses  (S.  689  ii). 

Wie  es  scheint,  ist  Für  die  Anlage  des  Bandes  das  Muster 
jener  reichsstädtischen  Urkundenbücher  maßgebend  gewesen^ 
deren  Edition  die  WUrttembergische  Kommission  für  Landes- 
geschichte in  die  Wege  geleitet  hat»  Am  Kopfe  jeder  voll- 
ständig abgedruckten  Urkunde  finden  sich  eine  kurze  Inhalts- 
angabe'), dann  Hinweise  auf  die  handschriftlichen  Quellen  der 
Ausgabe,  auf  ihre  Vorläuferinnen  und  auf  ihre  Regesten  oder 
Erwähnungen ;  ihnen  angeschlossen  sind  vielfach  Verweise 
auf  andere  Dokumente,  die  mit  dem  vorliegenden  in  sach- 
lichem Zusammenhang  stehen;  endlich  folgt  der  Wortlaut  der 
Urkunde  selbst.  Nur  der  kleinere  Teil  der  Stücke  wird  ganz 
vor  dem  Leser  ausgebreitet.  Lagen  neuere  Veröffentlichungen 
vor,  wie  z.  B.  von  Böhmer-Lau  (Urkundenbuch  der  Reichs- 
stadt Frankfurt),  bei  Reimer  (Urkundenbuch  zur  Geschichte 
der  Herren  von  Hanau)  oder  bei  Wyß  {Urkundenbuch  der 
Deutschordensballei  Hessen),  so  genügte  ein  Regest  des  frag- 
lichen Stückes ;  anderwärts  entschied  sein  Inhalt,  ob  diese 
Form  oder  der  wörtliche  Abdruck  zu  wählen  sei.  Im  allge- 
meinen wird  man  dem  Takt  des  Bearbeiters  Anerkennung 
zollen,  wenn  auch  bei  Stücken    wie  z.  B,  Nr,  312  und  392  der 

*)  Unrichtig  Ist  die  Inhaltsangabe  von  Nr.  310,  wenig  schön  die 
von  Nr.  763:  „Verlandfriedung  des  Grafen  Philipp  von  Falkenstein/ 


«14 


Literaturbericht* 


unverkürzte  Text  willkommen  gewesen  wäre.  Dank  solchem 
Vorgehen  aber  war  es  möglich,  in  einem  nicht  allxuslarken 
Band€  rund  1200  Dokumente  abzudrucken  oder  doch  zu  m- 
zeichnen,  die  insgesamt  den  Jahren  1216 — 1430  angehören 
derart  freilich,  daß  nur  wenige  in  den  Zusätzen  erwähnte  Ur- 
kunden jünger  sind  als  das  Jahr  1410,  in  dem  die  letzte  gpi 
mitgeteilte  ausgestellt  ist  Ich  möchte  den  Nutzen  diesem 
Planes  und  seiner  Durchführung  nicht  geringschätzen:  er  er- 
möglicht die  Heraushebung  der  wichtigen  Materialien,  dtn 
Anschluß  der  minder  wichtigeren  oder  nur  der  Erläuterung 
dienenden*  Immerhin  sind  auch  Nachteile  zu  bemerken,  und 
am  meisten  ist  dem  Benutzer  gedient  mit  der  strengen  laue- 
haltung  des  rein  chronologischen  Prinzips»  die  den  Wechstl 
von  Text  und  Auszug  keineswegs  ausschließt;  er  selbst  flii| 
die  innere  Zusammengehörigkeit  von  zwei  und  mehr  Stücken 
aus  verschiedenen  Jahren  zu  ermitteln  suchen,  sofern  ihni 
nicht  der  Herausgeber  durch  knappe  Verweisungen  zu  Hilfe 
kommen  will;  das  chronologische  Verzeichnis  allein  der  m 
den  Zusätzen  angemerkten  Urkunden  (S*  606  ff.)  dünkt  uns 
ein  Notbehelf,  an  dessen  Stelle  man  lieber  ein  solches  aller, 
irgendwie  gebrachten  gesehen  hätte,  ■ 

Noch  ein  zweites  Bedenken  soll  nicht  verschwiegen  werden. 
G,  von  der  Ropp  hebt  hervor,   daß  für    den    Entschluß,  zu- _ 
nächst  das  Friedberger  Urkundenbuch  zu  veröffentlichen,  u-afl 
die  Eigenartigkeit  der  Verhältnisse  bestimmend  gewesen   sei, 
die  sich  aus   den  Beziehungen  der  Stadt  zur   Burg   ergaben 
(S.  XI).    Der  Leser  erwartet  also  alle  Urkunden,    die  irgend- 
wie der  Geschichte  der  Stadt  und  der  Burg  zu  dienen  geeignet 
sind.     Leider  bereiten   ihm   die  Worte   des  Bearbeiters  einige 
Enttäuschung:    ^Ausgeschieden  und  gesonderter  Herausgabe 
vorbehalten  wurden  die  auf  Klöster  und  Stifter  sowie  auf  die 
Burg  Friedberg  bezüglichen  Urkunden,  soweit  diese  nicht  von 
Stadt behörden  ausgestellt  oder  für  die  bürgerlichen  Verhält-  M 
nisse  von   Bedeutung  sind*  (S.  XVII).    Diese   Beschränkung  ™ 
des  Werkes  erscheint  nicht  sehr  glücklich.    Im  Urkundenbuch 
der  Reichsburg  —   von    denen   der  Klöster  und    Stifter   soll 
nicht  eigens  die  Rede  sein  —  wird   man   die  jetzt  veröffent- 
lichten Stücke  vermissen,  gleichwie  man  im  Urkundenbuch  der 
Stadt  die  Aufzeichnungen  zur  Geschichte  der  Burg  entbehrt. 


i 


Deutsche  Landschaften. 


619 


Burg  und  Stadt,  Burgmannett  und  Bürger  mußten  im  täglichen 
Leben  miteinander  auszukommen  suchen,  so  schwer  es  hielt,  — 
und  die  Urkunden  beider  sollten  nicht  in  einem  Bande  ver- 
einigt werden  können?  Stadt  und  Burg  waren  gesonderte 
Rechtskreise  —  die  Burgmannen  waren  nicht  wie  in  Oppen- 
heim  auch  vollberechtigte  Mitglieder  des  bürgerlichen  Gemein- 
wesens — ,  aber  die  Notwendigkeit  des  gegenseitigen  Verkehrs 
schuf  Wechselbeziehungen  verschiedenster  Art,  über  die  nun 
in  der  Hauptsache  nur  städtische  Akten  berichten,  seltener  solche 
aus  der  Burg,  deren  Aufnahme  das  Gezwungene  jener  Tren- 
nung vergegenwärtigt*  Diese  selbst  wiederum  macht  eine  neue 
Publikation  erforderlich,  die,  wenn  anders  wir  nicht  uns  tau* 
schen^  sicherlich  mit  der  vorliegenden  zu  einer  einzigen  hätte 
verschmolzen  werden  können.  Ich  vermag  nicht  zu  bestimmen, 
inwieweit  Rücksichten  auf  Zahl  und  Umfang  der  Burgurkunden 
eingewirkt  haben»  Sollten  sie  für  die  Trennung  ins  Feld  ge- 
führt worden  sein,  so  hätten  wir  immer  noch  eine  größere 
Zahl  von  Bänden  des  gemeinsamen  Urkundenbuchs  der  Vertei- 
lung des  Materials  auf  zwei  und  mehr  Urkundensammlungen 
vorgezogen.  Durch  zeitlich  früheren  Abschluß  der  einzelnen 
Bände  hätte  die  Stärke  eines  jeden  von  ihnen  in  gehörigen 
Grenzen  gehalten  werden  können» 

Der  Inhalt  des  Bandes  ist  geeignet,  unsere  Bedenken 
einigermaßen  zu  heben;  ist  er  auch  im  ganzen  nicht  so  viel* 
zeitig  wie  der  des  Frankfurter  Urkundenbuches,  lehrreiche 
Aufschlüsse  vermittelt  beinahe  jede  Seite*  Im  Jahre  1216  wird 
die  Burg  Friedberg  zum  ersten  Male  erwähnt  (Nr,  l),  drei 
Jahre  später  die  Bürgerschaft  (Nr,  3)*  Bald  weiß  sie  sich 
durch  königliche  Privilegien*)  Freiheiten  zu  erwerben  (Nr,  11, 


1)  Rudolf  von  Habsburg  bestätigte  1273  (Nr.  59)  omnia  iara, 
libertaUs  ei  gra^ias  a  magn§  recordacionis  incUto  FridericQ  Romu- 
norum] impiratore,  antecessore  nosiroy  et  alils  ante  ipsum  Fride- 
ric0*  Foltz  (S.  XII)  erklärt,  es  sei  unzulässig,  hieraus  den  Schluß 
zu  ziehen,  daß  Friedberg  bereits  Privilegien  von  Friedrichs  IL 
Vorgängern  besessen  habe;  , vielmehr  will  Rudolf  nur  die  von 
den  Nachfolgern  Frtednchs  If.,  Wilhelm  und  Richard,  erteilten 
Rechte  und  Freiheiten  ausgeschlossen  wissen,  deren  Königtum  er 
bekanntlich  niemals  als  rechtmäßig  anerkannt  hat,^  Daß  erst 
Friedrich  El.  die  Stadt  privilegiert  habe^  soll  nicht  bestritten  werden, 


616 


Literaturbericht 


15,  351.,  5^,  64,  84,  9^,  101  f.,  112«,,  121,  130  ff.,  176),  durch 
Bündnisse  neben  die  übrigen  Reichsstädte  der  Wetterau  sich 
zu  stellen  (Nr.  30,  67,  82,  124,  216,  294,  325,  334).  Lüdwi| 
der  Bayer  gewährt  ihr  zahlreiche  Vergünstigungen  (Nr  206  fL. 
229,  234,  268,  277,  279,  310,  318,  347,  350  f.,  354  ff,).  tl<e  ihreo 
Anschluß  an  den  Gegner  des  luxemburgischen  Königtums 
erklären  (Nr,  381  fi)-  Die  Periode  Karls  IV,  entscheidet  über 
das  Schicksal  der  Stadt:  immer  neue  Streitigkeiten  mit  den 
Burginsassen,  die  wie  früher  so  jetzt  und  später  äosbrecheo. 
um  stets  nur  vorübergehend  geschlichtet  zu  werden  (vglz^K 
Nr.  61,  162,  285  1.,  3871.,  595  f.,  608  ff.,  745  ff ,  840  ft),  sind 
wenig  geeignet,  ihr  Gedeihen  zu  fördern  (vgLNr.  571);  Brand- 
schäden, Pehden  und  die  zweimal  verhängte  Reichsacht 
(Nr,  529  und  534)  tun  das  Ihrige;  im  Jahre  1349  wird  Fried- 
berg von  Kar!  IV,  an  die  Grafen  van  Schwarzburg  und  die 
von  Hohenstein  verpfändet  (Nn  390,  leider  nur  in  einem  Aus- 
zug, dessen  zweiter  Paragraph  überdies  gekürzt  ist;  vgl 
Nr,  398li).  Büeb  es  Reichsstadt?  Es  hält  schwer,  diese 
Frage  mit  voller  Klarheit  zu  beantworten.  Nicht  entscheidend 
ist  das  auch  nach  1349  geführte  städtische  Siegel  mit  dem 
einköpfigen  gekrönten  Adler  (vgl  S*  XIV),  ebensowenig  die 
Bezeichnung  der  Stadt  als  „des  heiligen  richis  stad  tzü  Fride- 
berg"  (Nr.  712).  Nach  wie  vor  nimmt  sie  an  den  Tagungen 
der  Reichsstädte  und  an  Landfriedenseinigungen  teil  (vgl.  z.  B. 
Nr.  421  f.,  550,  641  f,,  648  HOt  erhält  es  vom  König  Weisungen, 
dem  Landvogt  oder  dem  Reichsvikar  zu  gehorchen  (Nr.  443» 
536,  561,  605  f.,  808,  810  L),  erfreut  es  sich  zahlreicher  könig- 
licher Privilegien  (vgl,  z.  B.  Nr.  407  lU  574  f„  660  f„  728  R,, 
804  H.)»  dient  es  dem  Reichsoberhaupt  (vgl,  z.  B,  444,  489, 
513  L,  541);  es  zahlt  ihm  nicht  unbeträchtliche  Summen  (Nr.  433^ 
471,  502,  578,  809)  und  huldigt  endlich  dem  Sohne  Karls  [V. 
und  dessen  Nachfolger  (Nr;  762  und  777).  Von  Zeit  zu  Zeit 
jedoch  wird  die  Verpfändung  erwähnt:  als  die  Stadt  1376 
Wenzel    huldigte,    nahm  sie  aus   ^sollch  pantschafft,  als  wir 

wohl  aber  die  Begründung  des  Herausgebers:  man  hat  an  die 
Wiederholung  einer  Formel  zu  denken,  die  für  Priedberg  nicht 
paßte,  während  sie  für  andere  Städte  zutreffend  war.  —  Die  im 
folgenden  angemerkten  Belege  erstreben  keinerlei  Vollständigkeit, 
sondern  sollen  nur  Beispiele  sein. 


fc 


Deutsche  Landschaften» 


617 


viipant  sin  den  . .  »  graven  und  Herren  zfi  Hohinsteyn  und  zu 
Swarczburg**  (Nr,  590,  vgl.  Nr,  592).  Die  Pfandinhaber  selbst 
treten  nur  selten  hervor  (vgl  Nr.  759),  und  man  könnte  denken, 
ihnen  sei  die  Stadt  mit  Gedinge  versetzt  worden  in  der  Art, 
daß  Friedberg  ihnen  ausgeliefert  werden  ^sollte,  sobald  ihre 
anderen  Fordenmgen  an  das  Reich  nicht  erfüllt  wurden.  Diese 
Annahme  scheint  unstatthaft:  bei  einer  Pfandsetzung  mit  Ge- 
dinge wäre  die  Vereidigung  der  Bürger  zu  Händen  des  Gläu- 
bigers, dessen  Anerkennung  der  städtischen  Freiheiten  über- 
flüssig gewesen  (vgL  Nr,  390,  400),  Nicht  minder  ausge- 
schlossen ist  die  andere  Vermutung,  es  handle  sich  hier  um 
eine  Verpfändung  ohne  Gewere  des  Gläubigers  oder  die 
sog*  jüngere  Satzung:  die  Stadt  führte  ihre  Steuern  regel- 
mäßig [an  den  Pfandinhaber  ab  (vgL  S.  501  oben,  Nr,  834 
Zusatz  d),  und  dies  wird  trotz  einer  Reihe  widersprechender 
Zeugnisse  (Nr,  514,  543,  622,  801 1,  807,  821,  827,  834,  s.  auch 
Nn  781)  das  Normale  gewesen  sein.  Ich  zweifle  nicht,  daß 
eine  eingehendere  Untersuchung  die  sich  aufdrängenden  Fragen 
besser  beantworten  wird,  als  wir  es  hier  zu  tun  vermochten; 
jedenfalls  wäre  sie  ein  willkommener  Beitrag  zur  Geschichte 
der  Reichspfandschaf ten  und  darüber  hinaus  des  Reichsgutes 
im  14.  Jahrhundert;  sie  würde  den  Wert  des  Bandes  noch 
von  einer  anderen  Seite  her  kennen  lehren,  nachdem  ihn  be- 
reits A,  Niese  für  seine  Darlegungen  über  die  Verwaltung  des 
Reichsgutes  im  13,  Jahrhundert  (bes.  St  248  ff.)  ausgebeutet 
hat.  Schade,  wenn  er  das  Schicksal  so  vieler  anderer  Samm- 
lungen teilte,  nur  veröffentlicht  zu  sein  und  nicht  benutzt  zu 
werden.  Ich  konnte  nur  eine  Oedan kenreihe  andeuten,  die  er 
anregt;  in  anderen  werden  andere  wach  werden  und  ^ur Ver- 
wertung des  reichen  Materials  auffordern. 

Greifswald.  A.  Werminghaff, 

Di özesan Synoden  und  Domherrn-Generalkapitel  des  Stifts  Hildes- 
heim  bis  zum  Anfang  des  17.  Jahrhunderts,  Ein  Beitrag 
zur  geistlichen  Verfassungsgeschichte  des  Bistums  Hildes- 
heim, Von  Joli.  Marlng.  (Quellen  und  Darstellungen  zur 
Geschichte  Niedersachsens  ßd,  20,)  Hannover  und  Leipzig^ 
Hahnsche  Buchhandlung,    XlII  u,  124  S,    2,80  M, 

Während  man  sich  früher  für  die  deutschen  Bischöfe  und 
Diözesen  im  Mittelalter  fast  nur  interessierte,  soweit  ihre  Ge- 

HUtoriBcbe  2eiUctirilt  (97,  Bd,)  3,  Folge  I,  Bei  40 


m^ 


618 


Literaturbencht 


schichte  in  die  allgemeine  Reichs*  und  Kirchengescbicli« 
verflochten  ist,  hat  man  sich  neuerdings  dem  inneren  Leb-" 
von  Klerus  und  Laienvolk  in  den  einzelnen  Diözesen  und  ut: 
Veriaasung  und  Verwaltung  derselben  zugewandt.  Diesen  Ar* 
beiten,  als  deren  letzte  wir  die  verdienst voüe  Dissertation  von 
Kunz  v/ Brunn,  genannt  v,  Kauffungen,  über  das  Domkapil^l 
von  Meißen  im  Mittelalter  kennen  gelernt  haben  (vgl  *M, 
564  lt)f  reiht  sich  die  vorliegende  tüchtige  Abhandlung  t^ 
Schülers  von  Heinrich  Finke  an.  Das  Quellenmaterial. 
Maring  zur  Verfügung  stände  besteht  vor  allem  in  Urkur 
Bis  1260  bzw.  1310  konnte  er  sich  gan^;  auf  die  Urkunden^ 
Sammlungen  des  Hochstilts  Hildesheim  von  Janicke  und 
Hoogeweg  stützen.  Für  die  folgende  Zeit  lieferten  die  acht 
Urkundenbücher  der  Stadt  Hildesheim  von  Doebner,  die  zebß 
Urkundenbücher  der  Herzoge  von  Braunschweig  und  Lüne* 
bürg  von  Sudendorl  und  das  Urkündenbuch  der  Stadt  Brauih 
schweig  von  L.  Hänselmann  nur  geringe  Ausbeute;  in  4^ 
Hauptsache  sah  sich  der  Vf.  auf  ungedrucktes  Urkundeih 
material  im  Kgl.  Staatsarchiv  zp  Hannover  (und  der  Beveiin- 
sehen  Bibliothek  zu  Hildesheim)  angewiesen.  Daneben  konnte 
er  zwei  gedruckte  Sammlungen  von  Synodalstatuten  benutzen. 
Die  erstere  ist  aus  einer  Abschrilt  des  15.  Jahrhunderts  in  der 
Zeitschrift  für  Niedersachsen  1899  von  Doebner  herausgegeben 
worden.  Während  dieser  sie  aber  ins  Jahr  1478  set^t»  möchte 
sie  M.  dem  Bischof  Gerhard  von  Bergen  (1365 — -98)  zuweisen 
Die  andere  Sammlung  wurde  von  Bischof  Valentin  von  Teut- 
leben  am  17.  März  1539  erlassen  und  zuerst  154S  zu  Vened^ 
und  1553  zu  Antwerpen  gedruckt.  In  der  Schlußbetrachtung 
zu  dem  über  die  Organisation  und  Tätigkeit  der  Diözesan- 
Synoden  handelnden  ersten  Teil  betont  M.  nachdrücklich  (Sw^), 
daß  die  Synodalurkunden  auf  keinen  Fall  den  ganzen  InhiH 
der  Synodalverhandlungen  wiedergeben.  Sonst  gewänne  mafl 
allerdings  ganz  den  Eindruck,  daß  hier  nur  Kaufs-  und  Rechts- 
geschäfte abgeschlossen  oder  bestätigt  worden  seien  und  die 
kirchliche  oder  pastorelle  Wirksamkeit  des  Bischofs  und  der 
Synode  in  rein  weltlichen  Geschäften  untergegangen  sei.  Eitse 
ähnliche  Warnung  findet  man  am  Schlüsse  des  den  Geneial- 
kapiteln  gewidmeten  zweiten  Teils:  man  soüe  sich  hüten,  aus 
den    häufig  gerügten  Mißständen    in    dem  Sinne    Kapital  iu 


Deutsche  Landschaften.  §lf 


I  schlagen,  daß  man  sich  die  mittelalterlichen  Domherrn  samt 
I  und  sonders  in  unchristlichem  Treiben  und  Wohlleben  be- 
fangen vorstellt,  ,lch  glaube,  die  Zeiten,  in  denen  man  den 
Mut  hat,  Fehler  und  Mißstände  einzugestehen,  und  energisch 
daran  geht,  hierin  Wandel  zu  schaffen,  sind  jedenfalls  die 
schlechtesten  noch  nicht"  (S.  125).  — n^ 

Hanserezesse  von  1477  bis  1530.  Bearbeitet  von  Dietrich  Schafen 
7,  Bd,  Leipa^ig,  Duncker  6  Humblot.  1905.  XIV  u.  941  S* 
31  M. 

Allmählich  nähert  sich  auch  die  letzte  Reihe  der  Hanse- 
rezesse, welche  Dietrich  Schäfer  bearbeitet,  dem  Ende.  Von 
der  ganzen  Serie,  welche  die  54  Jahre  von  1477  bis  1630  um- 
faßt, stehen  nach  dem  Erscheinen  des  vorliegenden  7.  Bandes 
nur  mehr  9  Jahre  aus.  Obwohl  der  neue  Band  sich  nur  auf 
5  Jahre  erstreckt,  hat  er  den  gewaltigen  Umfang  von  955  Seiten 
(mit  der  Einleitung).  Freilich  entfallen  auf  diesen  kurzen  Zeit- 
raum nicht  weniger  wie  3  allgemeine  Hansetage  neben  zahl- 
reichen Tagen  der  verschiedenen  Städtegnippen  und  Verhand- 
lungen mehrerer  Gesandtschaften  in  London,  Kopenhagen, 
Brügge,  Antwerpen  und  Mecheln.  Eine  kurze  Einleitung  orien- 
tiert außer  über  die  Quellen  über  die  wichtigeren  Fragen^  welche 
durch  die  Publikation  erläutert  werden,  jedem  Einzeltage 
sind  wertvolle  Vorbemerkungen  voraufgeschickt;  durch  dies 
Verfahren  ist  es  möglich  gewesen,  an  den  sachlichen  An- 
merkungen zu  sparen;  fast  nur  Verweisungen  vertreten  ihre 
^telle.  Die  Sorgfalt  des  Herausgebers  zeigt  sich  namentlich 
auch  in  der  philologischen  Akribie,  mit  der  die  Varianten 
der  häufig  in  verschiedener  Fassung  überlieferten  Texte  be- 
handelt sind. 

Überall  auf  den  allgemeinen  Hanse-  und  den  Einzel- 
Städtetagen  tritt  die  innere  Zerrissenheit  der  Hansa  zutage. 
Unerquickliche  Sessionsstreitigkeiten  erschweren  die  Verhand- 
lungen, daneben  der  stets  betonte,  aber  oft  in  scharfen  Zu- 
sammenstößen sich  äußernde  Gegensatz  der  führenden  Städte 
Köln  und  Lübeck.  Im  Jahre  1518  wurden  auf  dem  Lübecker 
Hansetage  die  Städte  Stavoren  und  Bolsward  abgewiesen,  ob- 
wohl sie  durch  Köln  geladen  worden  waren.  Den  vorauf- 
gegangenen Kölner  Drittelstag  zu  Emmerich  beitei ebnete  man 

40* 


620 


Literaturbencht 


in  Lübeck  als  „die  neue  Hansa",  die  süderseeischen  SVkik 
als  die  , allezeit  widerwärdgen" ;  letztere  hatten  gewünscbt 
um  die  Verhandlungen  zu  erleichtern,  möge  Lübeck  den  über- 
sandten Artikeln  seine  eigene  Ansicht  zufügen. 

Weiterhin  stehen  im  Vordergrunde  des  Interesses  die  be- 
absichtigte Verlegung  des  niederländischen  Kontors  von  Brügge 
nach  Antwerpen»  die  schwierigen  Verhandlungen  mit  den  übef- 
mütigen  Engländern,  deren  allgewaltiger  Kanzler  Karc^ 
Wolsey  aus  seiner  ungünstigen  Gesinnung  gegen  die  har.^ 
sehen  Vorrechte  kein  Hehl  machte»  und  dem  sie  durch  die 
Gegnerschaft  zwischen  Köln  und  Lübeck  erleichtert  wurde, 
die  schroffe  Stellungnahme  des  Dänenkönigs  gegen  wohl- 
berechtigte hansische  Forderungen,  die  bedrohte  Lage  des 
Nowgorod  er  Kontors,  Letztere  wird  mehrfach  durch  drastische 
Berichte  illustriert,  so  Seite  671/3  und  728/9,  wo  dieses  Kontor 
bezeichnet  wird  als  eine  Schule,  wo  die  Kinder  Grmmniitik 
lernen,  und  van  wo  aus  sie  in  die  anderen  Kontore  kämen. 
Jedenfalls  will  dieses  Gleichnis  den  urwüchsigen  Handelsver- 
kehr mit  fremden  Völkerschaften  kennzeichnen,  unter  denen 
die  Armenier  namentlich  hervorgehoben  werden-  Besonden 
anschaulich  sind  auch  die  ausführlichen  Berichte  des  Danziger 
Ratssekretärs  Ambrosius  Storm  über  seine  dänische  Gesandt- 
schaft, Die  eigenartige  Gestalt  der  Niederländerin  Sigbrit  mit 
ihrem  beherrschenden  Einfluß  auf  den  Dänenkonig,  den  Lieb- 
haber ihrer  Tochter,  mit  ihrer  Sachkunde  und  Willenskraft 
aber  auch  in  ihrer  hochfahrenden  Schroffheit  hebt  sich  deut* 
lieh  aus  den  Berichten  heraus.  Gerade  das  diese  Gesandt-^ 
Schaft  behandelnde  Kapitel  läßt  einen  Mangel  der  Edition  her- 
vortreten, der  freilich  nur  durch  das  in  den  Hanserezessen 
befolgte  Schema  bedingt  ist.  Das  Kapitel  setzt  sich  zu* 
sammen  aus  A*  Vorakten,  B.  Bericht,  G  Vertrag,  D,  Beilagen 
E.  Korrespondenz  und  F,  Nachträgliche  Verhandlungen.  Durcb 
das  Festhalten  an  diesem  Schema  sind  verschiedene  Stücke. 
deren  Kenntnis  für  B.  und  C*  notwendig  ist»  an  eine  spätere 
Stelle  gerückt,  wodurch  die  sachliche  Benutzung  erschwert 
wird*  So  würde  die  Instruktion  Storms  vom  21,  Juni  zweck- 
mäßiger unter  A.  statt  unter  D.  stehen,  ebenso  wurden  die 
Briefe  vom  %  18*  und  2L  Juli,  auf  welchen  sich  der  zu- 
sammenfassende Bericht  B.  aufbaute,  und  deren  Kenntnis  auch 


ti. 


Deutsche  Landschaften. 


621 


im  Hauptbericht  vorausgesetzt  wird^  besser  diesem  vorauf- 
gehen. 

Auch  bei  den  Registern  würden  durch  Abweichungen  vom 
Schema  kleine  Verbesserungen  emelt  werden  können.  Ref. 
würde  ein  gemeinsames  Orts-  und  Personenregister  wie  beim 
hansischen  Urkundenbuche  der  Trennung  vorziehen*  Das 
dankenswerte  Personenverzeichnis  nach  Ständen  ließe  steh  sehr 
vereinfachen  durch  Verweise  auf  das  Hauptregister;  aliein  bei 
König  Christian  IL.  von  Dänemark  würden  dadurch  22  Zeilen 
erspart,  bei  dem  Kölner  Doktor  Jost  von  Erpach  8  Zeilen  usf. 
Auch  die  enggedrängte  Spalte,  welche  Lübeck  gewidmet  ist, 
die  halben  Spalten  mit  den  Erwähnungen  Kölns  und  Danzigs 
hätten  eingeschränkt  werden  können.  Wer  sich  über  die 
hansischen  Beziehungen  dieser  Hauptstädte  unterrichten  will, 
wird  den  ganzen  Band  durcharbeiten  müssen.  Den  Rezefl- 
bänden  sind  Glossar  und  Sachregister  im  Gegensatz  zum 
Urkundenbuche  nicht  beigegeben.  So  findet  man  Handels- 
artikel nur,  wenn  sie  durch  Angabe  des  Herkunftsortes  lokali- 
siert sind,  unter  diesem,  z,  ß.  holländische  Leinwand  unter 
Holland.  Dagegen  wird  man  andere  Waren,  z.  B.  Wachs, 
Feigen,  Unzengold  (S,  137)  usw.  im  Register  nicht  finden. 
Ein  Gesamtsachregister  und  Glossar  zu  den  Gesamtrezessen, 
deren  Abschluß  in  absehbarer  Zeit  zu  erwarten  ist,  würde  ein 
verdienstliches  Werk  für  den  Hansischen  Geschichtsverein 
darstellen,  wenn  auch  die  ältere  Serie  nicht  von  ihm  veröffent- 
licht ist;  die  Benutzung  der  Riesenpublikation  mit  ihren  statt- 
lichen bisher  22  Bänden  für  wirtschaftsgeschichtliche  und 
sprachliche  Zwecke  würde  erheblich  erleichtert  werden, 

Köln,  Herrn,  Keussen. 


Beiträge  zur  Verfassungs-  und  Ständegeschichte  der  Mark  Bran- 
denburg im  Mittelalter,  Von  W,  v.  Sommerfeld,  (Veröffent- 
Uchungen  des  Vereins  f,  Gesch.  der  Mark  Brandenburg.) 
I.  Teil.    Leipzig  1904,    V  u.  168  S. 

Auf  breiterer  Basis,  als  es  gewöhnlich  geschieht,  baut 
V.  Sommerleld  seine  sorgfältigen  Forschungen  auf,  wie  er 
denn  „hauptsächlich  von  einer  Erweiterung  des  Untersuchungs- 
feldes Gewinn  für  die  Territorialforschung"  erwartet.  Seine 
V Beiträge"  —  im  ersten  Buch  zur  nordmirkischen,  im  zweiten 


622 


Literaturbericht. 


Buch  zur  askanischen  Periode  —  umfassen  im  ganzen  df 
Kapitel»  deren  jedes  nach  Absicht  des  Vf.  „eine  besondert 
Untersuchung  für  sich  enthält **<  Sie  erörtern  auch  die  Erwei- 
terung  des  Markgebiets,  VeHassungszustände  bei  den  Wenden 
Nationalitäts Verhältnisse  in  der  Altmark  und  einiges  andere, 
doch  läßt  sich  ihr  wesentlicher  Inhalt  um  die  beiden  Themau 
gruppieren:  1.  Verhältnis  des  Markgrafen  ^um  Reich  und  m 
den  Insassen  der  Mark,  den  Bistümern  und  dem  Adel,  2.  £irt> 
Wicklung  des  Burggraf enamts^  Ministen alität  und  Ritterstaiid 
Abweichend  von  Kuhns,  Raumer  u,  a.  beweist  v.  S*»  difi 
die  markgräüiche  Würde  wenigstens  bis  zur  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts den  Amtscharakter  gewahrt  habe*  Seine  Darlegung 
über  die  stufenweise  sich  vollziehende  Entwicklung  zur  Landes- 
herrlichkeit  berichtigt  unsere  Kenntnis  in  wesentlichen  Dingen. 
Freilich  ist  mit  diesen  Ausführungen  die  in  Kap-  5^  S*  64  t 
gegebene  Erklärung  der  beiden  wichtigen  Sachsenspiegelstellen 
11,  12,  §  6  (in  der  Mark  fehlt  der  Königsbann)  und  III,  64,  §7 
(der  Markgraf  dingt  ,bi  sines  selves  Hulden*)  nicht  vereinbai. 
V.  S.  faßt  das  Wort  „Bann*  als  » höchste  richterliche  Zwangs- 
gewalt* (vgL  S-  65),  Wie  es  scheint,  ist  er  geneigt,  dem  könig- 
lichen Bann  der  Grafen  den  «eigenen  Bann  des  Markgrafen' 
gegenüberzustellen  (vgl  S.  76);  doch  entschließt  er  sich  m 
keiner  ganz  bestimmten  Antwort  und  gelangt  endlich  «zu  dem 
negativen  Resultat,  daß  mit  dem  Satze  ^dinget  bei  seiner  selbst 
Hulden*  für  eine  Bestimmung  der  dem  Markgrafen  als  solchem 
prinzipietl  und  von  Anfang  an  zustehenden  Gerich tsgewilt 
schlechterdings  nichts  anzufangen  ist'  (vgL  S.  75).  Entgangen 
sind  ihm  die  jedenfalls  beachtenswerten  Ausführungen  Ernst 
Mayers  , Deutsche  und  französische  Verfassungsgeschiclite 
vom  9.  bis  zum  14,  Jahrhundert*,  Leipzig  1899,  Bd.  2,  S.  92, 
97  i,  101 1,  103,  367,  376,  377,  399  (vgl  hierzu  die  Besprechung 
von  Ulr,  Stütz  in  der  Zeitschr,  d.  Savigny-Stift.  f,  RechtsgescL 
1900,  Bd.  21,  S.  169).  Mach  Mayer  ist  der  Markgraf  gleich  d^n 
Könige  und  den  Herzogen  befugt  gewesen,  Beleidigungen,  die 
er  durch  Mißachtung  des  Siegels,  durch  Mißachtung  seiner 
persönlichen  Befehle «  vor  allem  durch  Verletzung  seiner  Be- 
amten und  Schutzbefohlenen  erfahren^  nach  eigenem  Ermessen 
zu  bestrafen.  Während  der  Graf  in  solchen  Fällen  nur  den 
Königsbann,  das  Gewedde   von  60  Schillingen,  besessen,  hat 


Deutsche  Landschaften.  623 

der  Markgraf  außerhalb  des  ordentlichen  Gerichtes  eine  arbiträre 
Strafgewalt  ^neben  und  über  dem  Königsbann*  geübt.  So  seien 
die  Worte  zu  verstehen  „der  Markgraf  dinget  bi  sines  selves 
Huiden**.  Der  HuJdeverlust  erscheint  hiernach  als  eine  mildere 
Form  der  Friedlosigkeit* 

Diese  Erklärung  findet  eine  auffallende  Bestätigung  aus 
anderen  Rechtsquelleti.  Man  vergleiche  mit  der  Stelle  des 
Sachsenspiegels  IIl,  65,  §  1  (bei  Homeyer)  z.  B.  §  32  des  im 
12.  Jahrhundert  entstandenen  Freiburger  Stadtrechts  oder  §  39 
des  Berner  Stadtrechts  von  1218  (bei  F.  Keutgen,  Urkunden 
zur  städtischen  Verfassungsgeschichte,  Berlin  J90I,  S,  121 
und  131).  Auf  die  Bedeutung  dieser  Urkunden  für  unsere 
Frage  hat  mich  Prof»  K.  Beyerle  freundUchst  aufmerksam  ge- 
macht, der  unabhängig  von  Ernst  Mayer  zum  gleichen  Ergebnis 
wie  dieser  gelangt  ist.  ^) 

Ernst  Mayers  Erklärungsversuch  besitzt  den  Vorzug,  in 
Einklang  zu  stehen  mit  der  eigentümlichen  staatsrechtlichen 
Stellung  des  Markgrafen,  die  sich  nach  Brunners  treffendem 
Ausdruck  nicht  sowohl  durch  Unabhängigkeit  nach  oben  als 
durch  Straffheit  nach  unten  charakterisiert.  Mit  der  Befugnis» 
Mißachtung  seiner  Befehlsgewalt  arbiträr  (bei  eigener  Hulde) 
zu  strafen,  hat  der  Markgraf  nach  unten  größeres  Ansehen 
und  stärkere  Zwangsgewalt  erhalten,  ohne  daß  sein  Abhängig- 
keitsverhältnis zum  Reich  dadurch  wesentlich  berührt  worden 
wäre.  Alle  diejenigen  dagegen,  welche  „Bann"  im  Sachsen- 
spiegel M,  12,  §6,  als  ßanngewalt  (nicht,  wie  E.  Mayer,  als 
Bann  strafe)  auffaßten  und  dem  Königsbann  in  irgendeiner 
Form  den  eigenen  Bann  des  Markgrafen  gegen  überstellten^ 
gerieten  notwendig  in  das  Dilemma,  mit  dem  Besitz  eigenen 
Bannes  schon  den  Amtsvorgängern  der  Askanier  (vgl*  v.  S*j 
S,  69,  Zeile  4  i)  eines  der  wesentlichsten  Befugnisse  landes- 
herrlicher Gewalt  beilegen  zu  müssen.  Dies  aber  steht  in 
Widerspruch  zu  sicheren  urkundlichen  Nachrichten:  „Man 
sieht"*,  so  faßt  v.  S.  selbst  ein  wichtiges  Resultat  seiner  For- 
schung zusammen  (vgl.  S.  86),  ,so  wenig  wie  im  Gerichts- 
wesen speziell,  kann  in  der  allgemeinen  Landesverwaltung 


0  Vgl  neuerdings  Ph,  Heck,   „Der  Sachsenspiegel  und  die 
1        Stände  der  Freien*,  1905,  Halle  a.  S.,  S.  747—761. 


624 


Literaturbericht 


von   einer   dem  Markgrafen   zustehenden    exzeptionetleii  Selb- 
ständigkeit ....  in  Wahriieit  die  Rede  sein,* 

im  zweiten  Bucii  (Kap.  3)  stellt  v.  S-  die  Tatsache  einer 
2um  Teil  gewaltsamen,  planvollen  Beseitigung  der  Burg-  und 
Vizegrafschaften  fest  (Kuhns  spricht  bekanntlich  von  allmäh- 
lichem  inneren  Zerfall).  Erst  sie  ermöglicht  uns  eine  zutreffende 
Vorstellung  von  der  Entstehung  der  neuen  Vogt  ei  Verfassung. 
Der  Ministerialität  und  „Herausbildung  des  Ritterstandes^  ist 
das  letzte  größere  Kapitel  {II,  4)  gewidmet-  Da  es  sich  Jedig- 
lich  mit  dem  allgemeinen  Ritterstande  beschäftigt^  dem  Edle, 
Freie  und  Ministerialen  angehörten  —  v.  S,  bezeichnet  ihn  auf 
S.  158  als  Geburtsstand;  vgl  dazu  0,  Gierke,  Genossenschafts- 
recht I,  S.  200  — ,  so  ist  die  Frage,  wie  die  von  dem  Adel 
scharf  getrennten,  aus  der  Dienstmannschaft  erwachsenen 
ritterschaftlichen  Korporationen  entstanden,  ob  ihnen 
ledighch  Unfreie  angehört  haben  etc*,  nur  gestreift  worden* 
Nicht  gerade  wahrscheinlich  ist  es,  daß  die  Nobilität  für  die 
Verluste,  welche  sie  mit  dem  Eintritt  Adliger  in  die  Dienstmann- 
schaft erlitten,  um  1300  einen  Zuwachs  erhalten  habe  durch 
Erhebung  von  Ministerialen  in  den  Adelsstand,  Neben  einigen 
angeblich  nobititierten  lausitzer  Edlen  führt  v,  S.  zum  Be- 
weise allein  die  Putlitze  an,  die  in  den  Zeugenreihen  der 
Urkunden  von  1200,  12b9,  1272  zwischen  Dienstmannen,  ,zum 
erstenmal  im  Jahre  130P  (vgl,  S,  153  Anm,  1)  als  aobiies  mti 
genannt  seien.  Die  hier  ausgesprochene  Voraussetzung  trifft  ■ 
aber  nicht  zu;  denn  bereits  in  der  Urkunde  Kaiser  Friedrichs™ 
von  1179^)  wird  ein  Johann  Gans  unter  den  ^burones*  auf- 
gezählt. Daher  liegt  es  wohl  näher  anzunehmen,  daß  einige 
Mitglieder  dieser  ursprünglich  adligen  Familie,  wie  es  so  oft 
damals  geschehen,  in  die  MinisterialitMt  übergetreten,  die 
anderen  Putlitze  dagegen  dem  Adelsstande  treugeblieben  sind. 
Noch  weniger  läßt  sich  obige  These  für  lausitzer  Adelige 
beweisen.  Und  wäre  sie  hier  selbst  richtig,  so  dürften  die  ■ 
eigenartigen  Verhältnisse  der  Lausitz  nicht  ohne  weiteres  auf 
die  Mark  übertragen  werden.  G.  Knothe,  dessen  ausfuhrliche 
„Geschichte  des  oberlausitzer  Adels"  (Leipzig  IS79)  Beacb* 
tung   verdient,    bejEweifelt   sogar,    daß   es   in   der  Oberlausiti 


0  Vgl.  v.  Sommerfeld  a,  a,  0,  S.  lA^  Anm.  1  und  S,  87  Arniu  I 


Deuttctie  Landschaften. 


625 


überhaupt  eine  Ministerialitat  gegeben  habe;  „es  fehhe  näm* 
hch  dasjenige,  wodurch  erst  ein  besonderer  Dienstadel  sich 
bilden  konnte:  ein  fürstlicher  Hofhalt  im  eigenen  Lande* 
(vgl.  S.   10). 

Bei  der  besonderen  Schwierigkeit  der  hier  behandelten 
Probleme  wird  es  kaum  ausbleiben  können^  daß  selbst  ein 
Autor,  der  so  viel  Liebe  zur  Sache,  Sorgfalt  und  Gründlich- 
keit aufweist  wie  v.  S.,  im  einzelnen  abweichenden  Meinungen 
begegnet  Gewißhch  haben  wir  auch  von  der  Fortsetzung 
dieses  Teiles*  die  hoffentlich  bald  erscheint,  wertvolle  Be- 
reicherung unserer  Kenntnisse  zu  erwarten, 

Königsberg  i,  Pr,  //,  Spangenberg. 


Dafi  Tiroler  Volk  in  seinen  Weistümern,  Von  F.  Arens*  {Ge- 
schichtliche Untersuchungen.  Herausgegeben  von  K.  Lam- 
precht  3.  Heft.)    Gotha  1901 

Die  zahlreich  erhaltenen  und  bequem  benutzbar  gemachten 
Weistümer  Tirols  luden  den  Vt  zu  dem  Versuche  ein,  aus 
ihnen  das  innere,  seelische  Leben  des  Tirolervolkes  der  Ver- 
gangenheit herauszulösen.  Er  beschränkt  sich  dabei  ausdrück- 
lich au!  die  bäuerliche  Bevölkerung,  die  höheren  Stände  blie- 
ben auiäer  Betracht;  auch  soll  nicht  etwa  das  System  des 
Weistumrechtes  geschildert  werden :  vielmehr  gilt  es  die  Fest- 
stellung der  Fähigkeiten,  Anschauungen,  Wertungen  und  Be- 
gehrungen des  Tiroler  Landvolkes:  die  Arbeit  gehört  so  etwa 
zu  einer  künftigen  historischen  Vofkspsychologie.  Als  Unter- 
bau schildert  der  Vf.  die  äußeren  Bedingungen  des  Volks- 
lebens: Naturumgebung,  soziale,  wirtschaftliche,  politische  Zu* 
stände.  Dann  werden  die  verschiedenen  Seiten  des  Innen- 
lebens erörtert:  die  Kräfte  des  Verstandes  und  Gemütes;  die 
Stellung  zur  Natur;  die  sozialen  Triebe,  die  sittüchen  An- 
schauungen, die  Grundsätze  der  Rechtsbildung.  —  Arens 
versteht  es^  nach  allen  diesen  Richtungen  aus  den  Weistümern 
eine  Fülle  volkspsychologischer  Tatsachen  zu  gewinnen;  die 
Betrachtung  tritt  von  allen  denkbaren  Standpunkten  an  die 
Quelle  heran  und  dringt  bis  in  überraschende  Feinheiten. 
Innerhalb  der  selbstgesteckten  Grenze;  zu  zeigen,  wie  sich 
der  Volksgeist  im  Volksrechte  spiegelt,  ist  die  Untersuchung 
ebenso  anziehend  als  wohl  erschöpfend» 


626  LUeraturbencht. 

Eine  andere  Frage  ist  €S,  ob  die  Beschränkung  auf  b1o& 
eine  Quelle  —  nur  sehr  beiläufig  sind  auch  Märchen,  Sagen 
und  Bräuche  herangezogen  —  überhaupt  ein  artiverlassig^i 
Bild  dieses  Volksinnern  ermöglicht  Zwar  geht,  wie  A,  beiont, 
das  Volksrecht  aus  dem  gesamten  inneren  Zustand  herv^or; 
allein  darum  läßt  es  noch  nicht  entfernt  auf  alle  Seiten  dem- 
selben zurUckschtießen«  Zunächst  bietet  es  Einblick  in  dieRecbts- 
begriffe  und  sittlichen  Anschauungen  des  Volkes:  und  diese 
Teile  des  Buches  sind  in  der  Tat  die  ergebnisreichsten.  Schon 
minder  zuverlässig  lassen  sich  aus  der  Rechtsquelle  die  Ver- 
Btandesanlagen,  noch  weniger  jene  der  Phantasie  und  des 
Gemütes  erkennen.  Dadurch  wird  die  Darstellung  ungleicli- 
mäßig  und  sprunghaft^  aus  wenigen,  oft  einem  einzigen  Beleg 
verallgemeinernd;  den  gewichtigen  Quellenfolgertingen  gegen- 
über nehmen  sich  die  Queüenslellen  oft  äußerst  irmlich  aus. 
Den  Leser  verläßt  das  Gefühl  nicht,  daß  er  für  vieles  doch 
nach  allem  anderen  zuerst  gegriffen  hätte  als  nach  den  Wejs- 
tümern.  Wer  wendet  sich  z.  B.,  um  den  Sinn  des  Volkes  für 
behagliches  Wohnen  zu  erkennen,  nicht  zunächst  an  die  alte 
tirolische  Volkskunst  (die  es  trotz  A»  gegeben  hat).  Und  be- 
rührt es  nicht  seltsam,  über  das  Verhältnis  der  Bauern  cn 
Land  und  Herrschaft,  über  die  Herausbildung  des  Standes- 
geflihls  spärliche  Weistümerstellen  zu  sammeln,  statt  die  Tat- 
sachen der  politischen  und  Verfassungsgeschichte  zu  fragen? 
Im  Grunde  kann  eben  das  Innere  des  Volkes  nur  aus  der 
Gesamtheit  seiner  geschichtlichen  Schöpfungen  und  Taten  er- 
sehen werden:  diese  Vorarbeit  ist  noch  nicht  abgeschlossen« ■ 
—  Dennoch  wirken  freilich  die  meisten  Ergebnisse  unmittelbar 
einleuchtend:  es  beruht  dies  aber  nicht  auf  hinreichenden 
Quellenbelegen,  sondern  vielfach  darauf,  daß  es  sich  um  Er- 
scheinungen handelt,  die  auf  dieser  Stufe  durchaus  nicht  bloß 
dem  tirolischen j  sondern  vielleicht  dem  ganzen  deutschen 
Land  Volke  eigen  waren,  ja  zum  Teil  allgemeine  Merkmale  der 
Zeit  sind.  _ 

Noch  nach  einer  anderen  Seite  schränkt  der  Charakter  der  f 
Quelle  Ergebnisse  und  Methode  des   Buches  ein.      A.   stellt 
das  Innenleben  der  Tiroler  für  die  ganze  „Periode  der  Weis- 
tümer",  d.  h*  die  Zelt  vom  Ende  des  13.  bis  zum  Beginn  des 
19*  Jahrhunderts  dar     Dabei  gibt    er  einerseits  fiir    die 


>. 


i 


Deutsclie  Landschaften. 


&27 


zelnen  Äußerungen  des  Volksgeistes  Belege  aus  Weistümern 
von  beliebigem  AJter  der  Niederschrift,  wenn  sie  im  gleichen 
Sinne  sprechen;  anderseits  schließt  er,  wenn  später  aufge- 
zeichnete Weistümer  in  Gegensatz  zu  früher  aufgezeichneien 
treten,  auf  eine  Entwicklung,  Allein  die  Altersbestimmung 
des  Rechtsinhalts  aus  der  Zeit  der  Niederschrift  ist  in  dieser 
Weise  nicht  zulässig«  Einmal  bedürfen  die  Jahresansätze  der 
ältesten  Aufzeichnung,  welche  die  Herausgeber  der  Weistümer 
machten  und  an  welche  sich  A.  hält,  einer  ausgiebigen  Kor- 
rektur, schon  weil  sich  seither  vielfach  ältere  Handschriften 
fanden.  Aber  selbst  zweifellos  erste  Niederschriften  geben  ja 
meist  Überkommenes  f  möglicherweise  längst  mUndUch  ge- 
wiesenes Recht  wieder  Daher  kann  zunächst  eine  Entwick- 
lung nur  aus  Weistümerstellen  ersehen  werden,  die  in  be- 
stimmbarer Zeit  hinzugefügt  wurden.  Solche  Zusätze  sind 
vorläufig  nur  in  den  wenigen  Fällen  zu  erkennen,  wo  uns 
mehrere  abweichende  Handschriften  desselben  Weistums  vor- 
liegen; darüber  hinaus  muß  erst  eine  auf  genaue  Rechts- 
und Sprachvergleichung  gegründete  Untersuchung  Altes  und 
Neues  in  den  Weistümern  scheiden*  Bis  dahin  ist  es  unstatt- 
haft, Weistümerbestimmungen  als  Zeichen  des  Fortschrittes 
zu  nehmen,  die  vielleicht  längst  vor  der  schriftlichen  Fassung 
schon  gegolten  haben«  —  Auf  der  anderen  Seite  aber  kann, 
wenn  späte  Aufzeichnungen  keinen  Fortschritt  zeigen,  das 
Innenleben  in  Wirklichkeit  weitergerückt  sein.  Denn  es  ist 
sehr  fraglich,  wie  weit  diese  Volksrechle  mit  den  inneren  Zu- 
ständen Schritt  hielten.  Zumeist  wurden  sie,  einmal  aufge- 
zeichnet, einfach  immer  wieder  verlesen  und  bestätigt;  es  kam 
—  A.  bringt  selbst  ein  sprechendes  Beispiel  aus  dem  Münster- 
tal von  1427  bei  —  vielfach  nicht  einmal  dann  zur  Änderung 
des  Rechtstextes,  wenn  das  Volk  selbst  schon  den  Gegensatz 
zwischen  der  Rechtsaufzeichnung  und  dem  lebendigen  recht- 
lichen und  sittlichen  Empfinden  merkte;  und  wie  oft  wurde 
es  dessen  überhaupt  nicht  deutlich  inne?  —  Im  groben  werden 
allerdings  Stillstand  und  Entwicklung  so  verteilt  gewesen  sein, 
wie  es  geschildert  wird;  aber  den  Feinheiten  gegenüber  er^ 
wacht  der  Zweifel* 

Das    wirkliche    Ergebnis    der  Arbeit    unterliegt    so    ein- 
schränkenden   Erwägungen;    unzweifelhaft    ist    ihr    beispiel- 


i^  Literaturbericht 

gebender  Wert.  Sie  ist  ein  in  dieser  Art  wohl  erstmaliger 
Versuch,  innere  Geschichte  nicht  bloß  durch  Charakteristik 
der  ins  Dasein  tretenden  Werke,  sondern  der  wirkenden  Volks- 
seele  selbst,  gewissermaßen  Geschichte  des  geschieh tlicheo 
Subjekts  zu  geben.  Sie  teilt  damit  vielleicht  Vorzüge  und 
Nachteile  jener  Richtung,  die  die  historische  Wissenschaft  auf 
neue  innerste  Aufgaben  hinzulenken  bestrebt  ist,  dabei  aber 
freilich  über  notwendige  Vorarbeiten  hinweg  vorauseüL 
Innsbruck.  Heinrich  Hammer. 


I 


I 


Die  landesJürstlichen  Lehen  in  Steiermark  von  1421  bis  1546.  Von 
Albert  Starier,  Graz^  Selbstverlag  der  histor.  Landeskom- 
mission für  Steiermark.  1902.  28b  S.  (Veröffentlichungen 
der  histor  Landeskommission  für  Steiermark  XVÜ  und 
Beiträge  zur  Kunde  stelermärkischer  Geschieh  tsquetlen 
XXXII,  171-456.) 

Da    man    in   letzter  Zeit,    namentlich   durch    die  Arbeiien 
W.  Lipperts  angeregt,  den  mit  Unrecht  vernachlässigten  Lehen- 
büchern wieder  mehr  Aufmerksamkeit  zugewendet  hat,  war  es 
ein   guter   Gedanke,   die    Bearbeitung   der   reichhaltigen    und 
wichtigen  österreichischen  Lehenbücher  in  Angriff  zu  nehmen^ 
fortzusetzen,  was  vor  gerade  fünfzig  Jahren  Chmel   begonnen 
hatte,  indem  er  das  Lehenbuch  des  Königs  Ladislaus  und  die 
auf  das  Land  unter  der  Eons  bezugnehmenden  Eintragungen 
in  dem  Lehenbuche  Albrechts  V.  veröffentlichte  (Notizenblatt 
der  Wiener  Akademie  IV,  VI  11,  IX).     Wie  Chmel  au!  das  Land 
unter  der  Enns,  so  beschränkt  sich  die  vorliegende  Zusammen-  ■ 
Stellung   au!   Steiermark,    ihr  Titel    erfäfirt  aber   in    dem  allzu 
knapp  gehaltenen  Vorworte   noch   eine  Einschränkung   einer- 
seits   auf    das    „in    den    Lehenbüehern    zu  Wien    erliegende   ■ 
Material    über    die    landesfürstlichen    Lehen     in    Steiermark', 
anderseits  dadurch,   daß  jene  Lehen,   welche  der  Landesfürst 
aus     dem     ihm    zugefallenen    Besitze    adeliger    Lehenshemi 
weitergab,  vorläufig  ausgeschieden  wurden,   obwohl   auch  sie 
in   die  landesfürstlichen  LehenbUcher  aufgenommen  sind.     Es 
wird    sich     erst     nach    Erscheinen     des    diese    Lehen    um- 
fassenden Nachtrages  erkennen  lassen,  ob  diese  weitgehende 
Zerstückelung   des  Stoffes   nicht   doch  empfindliche  Nachteile 
mit  sich  bringt.     Daß  aber  die  Beschränkung  auf  die  in  Wien 


i 


De utsche  Landschaften 


liegenden  Lehenbücher  wenigstens  in  einem  Falle  nicht  ge- 
rechtfertigt war,  darauf  glaube  ich,  ohne  der  von  Starzer 
angekündigten  Abhandlung  über  das  Verhältnis  der  im  steier- 
märkischen  Landesarchiv  befindlichen  Lehenbücher  zu  den 
in  den  Wiener  Archiven  verwahrten  vorzugreifen,  hinweisen 
zu  dürfen.  Das  stejermärkische  Lehenbuch  Nr*  l  enthält  Ab- 
schriften der  landesfürstlichen  Lehenbücher  E — ^J  =  St.  Nr,  5 — % 
dann  aber  (f,  539  ff.)  auch  die  Abschrift  des  Lehenbuches  K 
über  die  Jahre  1517  und  1518,  das  verloren  gegangen  ist  und 
in  St.s  Reihe  fehlt.  Er  hätte  diesem  Lehenbuche  ein  Lehen 
für  Sebold  Pögl  (L  539),  dann  die  seinen  Notizen  159  Nn  5 
und  165  Nr.  5  entsprechenden  Eintragungen  entnehmen 
können. 

Da  der  Herausgeber  eine  territorial  begrenzte  Aufgabe 
übernommen  hat  und  eine  vollständige  Bearbeitung  der  von 
ihm  benutzten  Lehenbücher  nicht  geplant  war,  so  wäre  es 
unbillig,  an  seine  mühevolle  Veröffentlichung  einen  strengeren 
Maßstab  anzulegen,  an  sie  jene  Anforderungen  zu  stellen, 
welche  Lipperts  Buch  über  die  deutschen  Lehenbücher  an  die 
Hand  gibt.  Es  könnte  höchstens  die  Frage  aufgeworfen  werden, 
üb  die  nach  dem  Muster  mancher  Lehenbücher  und  nach  dem 
Vorgange  Chmels  eingehaltene  Anordnung  der  Eintragungen 
nach  der  alphabetischen  Folge  der  Lehensträger  die  glücklichste 
ist,  etwa  die  zeitliche  nicht  eine  bessere  Übersicht  und  eine 
knappere  Fassung  des  sehr  umfangreichen  Namensverzeichnisses 
ermöglicht  hätte?  Jedenfalls  legen  aber  die  von  dem  Heraus- 
geber selbst  zusammengestellten  Ergänzungen  und  Berichti- 
gungen (S.  285 — 288)  die  Annahme  nahe,  daß  eine  genaue  Über- 
arbeitung des  Manuskriptes  vor  der  Drucklegung  wünschens- 
wert gewesen  wäre.  Die  im  Vorwort  enthaltene  Bemerkung, 
daß  die  Eigennamen  stets  so  gegeben  sind,  wie  sie  sich  in 
der  Vorlage  finden j  ist  nach  den  von  mir  durch  Vergleichung 
mit  Lehenbuch  l  angestellten  Stichproben  etwas  einzuschränken. 
Ich  merke  an:  Nr.  44  Kristanen,  Mittreg;  Nr.  265,  1  Pernhart, 
Freyaltai,  GrMnicz,  Niclas  Sneider  innehat  und  stoßet  auf  die 
tavern;  Nr,  272  Lucei;  aus  dem  steiermärkischen  Lehen- 
buch I,  1544  zu  Nr,  165,5:  Premhof,  Sannd  Georgen,  Kynnd- 
berg,  den  auen  statt  deren. 

Graz,  Karl  Uhlir^. 


630 


Literaturbericht. 


The  coutit  Lützüw:  Leciures  on  the  hisionans  öf  B&k^mia,  Lümdon, 

Henry  Frowäe,    1905.     120  S.  '  ^ 

Graf  Franz  Lützow,    ehemals  im    österreichischen  diplo-™ 
matischen   Dienste   tätig,  hat    schon    1886   einen    historischen 
Essay    ,Bohemia'j   dann    außer    verschied  entlichen    Aufsitzen 
in  englischen  Zeitschriften  1899  ,vt  hisiory  öf  Bohemian  Ukra- 
iure'  In  dem  Sammelwerk  ^Literatures  of  ihe  worid*  erscheinen 
lassen.     Das  neueste  Schriftchen  verdankt   seine    Entstehung 
vier  Vorträgen,  die  Graf  L.    im  Jahre  1904    an    der    OxfortJer^ 
Universität  gehalten  hat,  für  die  er  ein  Thema  aus  der  Ge-fl 
schichte  seiner  Heimat  wählte.    Graf  L.  ist  zwar  in  Hamburg  " 
geboren,  aber  seit  1890  Besitzer  des  böhmischen  Gutes  Zam- 
pach*    Den  Zwecken,   den    das    Büchlein    bzw.    die  Vortrat 
dienen    sollten,   einem    mit   böhmischer   Geschichte    und  Ge- 
schichtschreibung wenig  oder  gar  nicht  vertrauten  Auditorium 
einige   interessante  Bilder   und  Charaktere   vorzuführen,  wird 
es  voll  entsprochen  haben,  denn  die  Auswahl  ist  nicht  unge- 
schickt  getroffen,    kürzere    und    längere   Zitate    aus    den  be- 
sprochenen Schriftwerken  geben  der  von   innerer  Wärme  er^fl 
füllten    Darstellung  Anschaulichkeit    und   der    überall    durch-™ 
scheinende  Hintergrund  des  Aktuellen  verleiht  auch  den  längst 
vergangenen    Perioden    Interesse,      Auf    die     „Feindseligkeit 
zwischen  Slawen  und  Teutonen,  die  ohne  Unterbrechung  seit 
den  Zeiten  des  mythischen  Cech  fortdauert"*,  wird  der  Hörer 
oder  Leser  schon  "m  der  Einleitung  aufmerksam  gemacht  und 
dieser  wie  ein  roter  Faden  sich  fortziehende  Gedanke  schließ- 
lich zu  einer  Prophetie  verknotet,  daß  ^die  Wiederaufrichtung 
(reconstruction)    eines    slawischen    Staates    in    Mitteleuropa^ 
eines    slavischen  Vorpostens   mitten    in   teutonischen    Landen 
wahrscheinlich  (probably)  'einen  bedeutsamen  Einfluß  auf  die 
Zukunft  Europas  ausüben  werde".  M 

Die  Anordnung  des  Stoffes  ist  chronologisch ;  der  erste  ■ 
Vortrag  schließt  mit  dem  Zeitalter  Karls  IV*,  der  zweite  be* 
handelt  die  Hussitenzeit  und  die  weitere  Entwicklung  bis  1526, 
die  Grenzscheide  zwischen  dem  dritten  und  vierten  bildet  die 
Weißenburger  Schlacht.  Deutsche  Leser  finden  in  Palackys 
^Würdigung  der  alten  böhmischen  Geschichtschreiber*,  in 
Wattenbachs  und  Lorenz'  bekannten  Werken  mehr  als  vollen 
Ersatz  für  den  Hauptteil  des  Büchleins,  abgesehen  etwa  von 


1 


Frankreich* 


Ui 


der  stellenweisen  Berücksichtigung  neuerer  und  neuester  For- 
schurtgen^  wie  der  Pekars  über  Christian,  wobei  ihn  aber  der 
von  verschiedenen  Seiten  erhobene  lebhafte  Widerspruch 
gegen  Pekars  Deduktionen  von  einer  entscheidenden  Stellung- 
nahme abhält,  oder  der  grundlegenden  Forschungen  GoUs 
Über  die  Böhmischen  Brüder  u.  a.  Wichtig  hätte  das  letzte 
Kapitel,  die  Darstellung  der  Entwicklung  der  neuesten  böhmi* 
sehen  Geschichtschreibung  Böhmens,  werden  können,  allein 
hier  tut  sich  in  der  getroffenen  Auswahl  die  der  Schrilt  zu- 
grunde liegende  Tendenz  deutlich  kund.  Dem  englischen 
Hörer  werden  die  Leistungen  einiger  slawischer  Historiker 
von  Ruf  vorgeführt  (Tomek,  Kalousek,  Goll,  Rezek),  daß 
deutsche  Forscher  —  Schlesinger,  Bachmann,  Werunsky»  Lo- 
serth,  Lippert  —  arbeiten,  bleibt  verschwiegen,  und  einen 
Konstantin  Höfler  lernt  man  nur  als  Widersacher  Palackys 
kennen* 

Wie  Ernest  Denis  in  Frankreich  (s*  meine  Besprechung 
in  H.  Z,  95,  1 10),  so  scheint  Graf  L.  auf  englischem  Boden 
sich  die  Aufgabe  gestellt  zu  haben,  die  Kenntnis  der  Ge- 
schichte und  Literatur  Böhmens  daselbst  zu  verbreiten;  daß 
dies  von  ausgesprochen  einseitigem  Standpunkt  geschieht, 
beeinträchtigt  allerdings  den  wissenschaftlichen  Wert  ihrer 
Arbeiten- 
Brunn,  Or.  B.  ßreihüU. 


ArcHives  Hlstoriques  du  Maine ^  Actus  PonUficum  Cenamannis  in 

urbe  degentium^  publi^s  par  ta  SoMt^  des  archives  histO' 
riques  du  M^  par  MM.  les  abb^s  C  Basson  ei  A,  ledm, 
Le  Maus,  au  siige  de  la  Sociitä.    1W2,    CXLVII,  606  p. 

Es  wäre  an  sich  schon  freudig  zu  begrüßen,  daß  ein 
Werk  wie  die  Biographien  der  Bischöfe  von  Le  Mans  endlich 
in  einem  neuen  Drucke  vorliegt;  bisher  mußte  man  die  Aus- 
gabe Mabillons  benutzen,  die  selten  zu  werden  beginnt.  Aber 
die  rührige  ^SocUU  des  Archives  historiques  du  Maine'  hat 
dem  sorgfältig  hergestellten  und  kommentierten  Texte  ferner 
eine  147  Seiten  starke  Introduktion  vorausgeschickt,  die  alle 
Probleme  dieser  Quelle  eingehend  behandelt.  Den  Abb^s 
Busson  und  Ledru  gebührt  das  Verdienst,  endlich  eine  brauch- 


632 


Ute  raturbe  rieht. 


bare  Ausgabe  geschahen  zu  haben*  Zum  besseren  Ver- 
ständnis sei  bemerkt,  daß  von  den  beiden  Handschriften  der 
^ Actus'  Mabillon  die  jüngere  erst  während  des  Druckes  be- 
kannt wurde;  er  ließ  den  nun  völlig  unzulänglichen  Test  m 
der  Hauptsache,  wie  er  war^  und  gab  das  wichtige,  besonders 
Aldrlch  und  seine  Nachfolger  (832— IC^5),  umfassende  Stück 
in  einem  Nachtrage  aus  der  zweiten  Handschrtfu  so  daß  An- 
fang und  Ende  nur  auf  der  ersten,  die  Mitle  nur  auf  der 
zweiten  Handschrift  beruht.  Die  Willkurlichkeit»  mit  du 
Mahillons  Zeitalter  seine  Texte  verunstaltete,  in  der  ntiveo 
Meinung»  sie  zu  verschönen,  ist  ja  bekannt;  schon  J,  Havel 
hatte  in  diesem  Falle  darauf  hingewiesen. 

Die  Herausgeber  betonen  mit  Recht  die  Sttleinheit  der 
,Acius'^  und  stellen  in  der  inserierten  Translaüe  ä,  ßeneäkti 
ei  $,  StholasUcae  die  einzige  Ausnahme  lest;  sie  behaupten 
gegen  Duchesne,  daß  sie  nicht  auf  Adrevald  zurückgeht»  son* 
dern  eine  gemeinsame  Quelle  treuer  wiedergibt.  Die  beid« 
Editoren  wenden  sich  nun  zur  Frage  nach  dem  Verfasser  der 
, Actus''  und  weisen  nach,  daß  der  Stil  von  den  gleichzeitigen, 
nach  dem  alten  Titel  von  Aldrichs  Schülern  verfaßten  ^Gisfä 
Alärici'  verschieden  ist,  die  Simson  gemeinsam  mit  Pseudo- 
isidor  und  Benedictus  Levita  dem  gleichen  Verfasser  zuschrieb. 
Daß  die  f,Gesta'  Aldrichs  Selbstbiographie  seien,  woran  Havet 
dachte,  geht  wegen  des  Lobes,  das  in  ihnen  diesem  gezollt 
wird,  nicht  wohl  an.  Sind  nun  den  ^ Actus'  und  ^Gesla'-  Zeit» 
Milieu  und  die  benutzten  Archivalien  gemeinsam,  so  wird  mm 
gegenüber  der  einheitlichen ,  individuellen  DarsteUungsweise 
der  ^Actus'  auf  geringe  Stilanklänge  nicht  all  zu  vielen  Wert 
legen,  Havets  These,  die  ^Actus'  seien  später  als  die  ^Gesla*, 
die  sie  benutzt  hätten»  wird  dadurch  ins  Wanken  gebracht: 
es  scheint  ganz  unverdächtig»  daß  Aldrich  in  den  ^Ac/us*  als 
noch  lebend  erwähnt  wird,  und  man  braucht  nicht  gleich  be- 
trügerische  Absichten  anzunehmen.  Vor  dem  Jahre  835  wur- 
den die  „Actus"  verfaßt  und  bis  zu  Aldrichs  Amtsantritt  im 
Jahre  832  geführt;  gleichzeitig  waren  die  Verfasser  der  ^Gesta* 
an  der  Arbeit,  die  als  direkte  Fortsetzung  des  andern  Werkes 
gedacht  war,  wie  S-  XXXI  recht  wahrscheinlich  gemacht  wird 
Daß  beides  au!  Aldrichs  Wunsch  geschehen  sei,  der  als  Frem* 
der,   als   wahrscheinlicher   Franke   oder  Sachse,    wie    ihn   difc 


r 


Frankreich, 


633 


,Gesta'  bezeichnen,  schnell  über  die  Verhältnisse  seiner  Diö* 
zese  unterrichtet  sein  wollte,  Ist  ein  glücklicher  Gedanke  der 
Herausgeber 

Die  Introduktion  kommt  zum  Mittelpunkte  der  Kontro- 
verse, den  beriichtigten  Fälschungen*  Die  nachweisbaren  An- 
deningen an  der  Chronologie  der  älteren  Bischöfe  wird  man 
nicht  für  böswillig  halten.  Daß  die  Polemik  gegen  einen  Ge- 
lehrten wie  Havel  schroffe  Formen  annimmt,  kann  der  ge- 
kränkte Lokalpatriotismus  kaum  rechtfertigen*  Havet  und 
Duchesne  hatten  Tatsachen  und  Personen  für  erfunden  erklärt; 
daß  das  bei  kaum  zwei  Menschenalter  zurückliegenden  Zeiten 
ein  übermäüig  kühnes  Verfahren  sei,  wird  mit  Recht  betont, 
und  dabei  wird  Simsons  bekannte  Hypothese  von  dem  ge- 
meinsamen Ursprung  Pseudoisidors  mit  unserer  Quelle  wegen 
des  verschiedenen  Standpunktes  abgelehnt  In  der  Tendenz, 
ihren  Autor  reinzuwaschen,  wollen  B.  und  L.  die  unleugbaren 
Beziehungen  seiner  V.  s.  JuUanl  zu  der  V.  s,  Fursaei  so  er- 
klären^  daß  diese  das  Plagiat  begangen  habe;  aber  da  wir 
eine  Stelle  haben,  die  in  der  V.  s,  fursael  recht  passend,  in 
der  V.  s.  Juiiani  aber  unangebracht  ist  (S.  LXXVII),  werden 
wir  wohl  nicht  Im  Zweifel  sein,  wo  der  Plagiator  steckt.  Bei 
der  Untersuchung  der  älteren  Bischofsviten ,  der  Quellen 
der  fAcius'f  können  B.  und  L.  nichts  Abschließendes  leisten^ 
weil  sie  vom  rhythmischen  Satzschluß,  dem  sog.  Cursus  Lea~ 
ninuSf  nur  eine  dumpfe  Vorstellung  haben.  Immerhin  ist  es 
anerkennenswert,  daß  B.  und  L.  die  bei  uns  traditionelle  Feind- 
schaft gegen  die  mittelalterliche  Philologie  nicht  hegen. 

Endlich  sind  wir  bei  der  Frage  der  Urkundenfälschungen  in 
unserer  Quelle  angelangt.  Ein  Meer  von  Tinte  ist  wegen  der  in 
unsere  »Äcttis'  inserierten  Urkunden  geflossen,  deren  Fälschung 
iJs  zweifellos  erscheint,  da  die  auf  Saint-Calais  bezügliche 
Gruppe  vom  Königsgericht  Karls  des  Kahlen  zu  Verberie  (863) 
als  unecht  verurteilt  wurde.  Wer  etwas  von  der  Geschichte 
geschichtlicher  Kritik  weiß,  wird  ein  karolingisches  Gerichts- 
verfahren für  keine  zu  erhabene  Autorität  auf  dem  Gebiete 
der  Diplomatik  halten  können,  interessant  ist  (was  die  Edi- 
toren hinwegdisputieren  wollen),  daß  zu  Verberie  die  Behaup- 
tung aufgestellt  wurde^  der  Bischof  habe  drei  Schreiben  des 
Papstes  Nikolaus  !<  verborgen  gehalten.     Das  ist  doch   nicht 

Hintorische  ZciUcbrift  (97.  B<t>  r  Folge  \,  Bd.  41 


tM 


Litertturbericht 


lo  widersinnig.  Waren  sie  ihm  günstige  so  hat  er  sie  ehi 
fUr  den  Termin  aJs  Hauptschlag  aufgesparl  Waren  zwd  da- 
von mcht  an  ihn  gerichtet^  so  haben  wir  vielleicht  eine  Spar 
davon,  daß  schon  damalSf  wie  es  im  J3.  Jahrhundert  üblich 
war,  alle  auf  eine  Streitsache  bezüglichen  Papst  briete  zur  Be- 
förderung der  Partei  eingehändigt  wurden  ^  die  sie  enrirli 
hatte.  Daß  der  König,  zugleich  Richter  und  Partei,  unsere 
Urkundengruppe  in  Bausch  und  Bogen  als  Fälschungen  m- 
wad,  ohne  sie  gesehen  zu  haben,  daß  die  ^anze  Sitzung  eine 
von  Hinkmar  arrangierte  Komödie  war  und  daß  dieser  in^- 
gante  Prälat  zuletzt  auch  dem  Papste,  der  sich  als  Appellatioof- 
Instanz  fühlte,  eine  diplomatische  Schlappe  beibrachte,  dts 
soll  ja  nicht  bestritten  werden,  und  es  ist  recht  gut,  daß  die 
ganze  Armseligkeit  dieses  bisher  so  überschätzten  Gencbts- 
Verfahrens  einmal  ins  rechte  Licht  gestellt  wird.  Aber  rcttti 
der  negative  Beweis  wirklich  die  Privilegien  von  Le  Maas? 
Bleiben  nicht  gegen  die  einzelnen  so  viele  begründete  Ein- 
wände einer  fleißigen  Detailiorschung?  Halten  wir  ein;  i^ 
verlohnt  nicht,  Bekanntes  zu  wiederholen.  Gerade  die  deutsche 
Wissenschaft  hat  sich  genug  mit  den  Fälschungen  von  Le  Mans 
beschäftigt,  und  was  B,  und  L,  gegen  sie  vorbringen,  ist  problc* 
matisch  und  bedarf  der  Nachprüfung  von  Seiten  der  Meister 
karolingischer  Diplomatik.  Sind  schon  bei  den  KaroFmger- 
dlplomen  die  Gründe  gegen  die  allgemeine  Athetese  nicbt 
recht  stichhaltig,  so  wird  der  Verteidigungsversuch  der  Mero- 
wingerurkunden  ein  seichtes  Hin  und  Her,  das  gegen  die 
gerade  auf  diesem  Gebiete  unerschütterliche  Autorität  Havels 
nicht  bestehen  kann*  Fast  möchte  man  hier  an  Tenderu 
glauben* 

Wir  hätten  uns  nun  mit  den  Fortsetzungen  der  eigent- 
lichen fActus'  zu  beschäftigen,  die  die  meist  gleichzeitigen 
Biographien  der  späteren  Bischöfe  enthalten.  Aber  hier 
sind  wenig  Probleme;  alles  ist  klar  und  wahr,  dafür  aber  un- 
wichtig. 

Die  Ausgabe  befriedigt  alle  Ansprüche  der  Editionstechnik* 
Der  Text  ist  gut  und  mit  peinlicher  Treue  gegen  die  Über- 
lieferung hergestellt;  die  paläographische  Arbeit  war  übrigen!^ 
Seicht»  Verderbnisse  sind  mit  guter  Kenntnis  des  Mittellateins* 
vielleicht   mit  zu  häufigen  Konjekturen,  beseitigt*     Die  sach- 


Frankreich* 


6S5 


liehen  Noten  konnten  typographtsch  vom  Apparat  unter- 
schieden werden.  Dieser  genügt;  daß  Flüchtigkeiten  Duchesnes 
wegblieben^  ist  verständig.  Der  Index  ist  exakt  und  ausführ- 
lich, recht  verdienstvoll  die  Feststellung  der  Ortsnamen, 
Ebenso  erfreulich  ist  die  Beigabe  von  zwei  Faksimiles  aus  der 
Handschrift  224  der  Bibliothek  zu  Le  Mans* 

Siena.  Fdix  Schneider. 


Gasparä  de  Cüligny^  Äämirai  of  France,  By  Am  W,  WAiie^ 
head,  M,  A,  Stanhope  Mision'cai  Frize  Essayisi,  1896.  With 
Iliustrations  and  Plans.  London^  Methuen  £  Co*  (First 
puhlisheä,  1904.)    387  S. 

Diese  neueste  Biographie  Colignys,  das  Werk  eines  jungen 
englischen  Gelehrten,  ist  als  treffliche  Leistung  zu  begrüßen. 
Der  Vf.  beherrscht  das  gesamte  gedruckte  und  ungedruckte 
Quellenmaterial  von  Grund  aus  und  hat  auch  bisher  noch  un- 
gedruckte Briefe  in  Rom,  Turin,  Parma,  Mantua^  Modena  (hier 
die  sehr  wichtige  Korrespondenz  des  ferraresischen  Gesandten 
Alvarotto),  Florenz  und  Neapel  herangezogen-  Seine  in  prä- 
ziser Sprache  gehaltene,  häufig  von  voller  Durchdringung 
des  Stoffes  zeugende  und  bei  aller  Sympathie  für  den  Helden 
objektive  Darstellung,  die  auch  vor  dem  Tadel  nicht  zurück- 
scheut, wo  ihm  ein  solcher  gerechtfertigt  erscheint,  läßt  die 
Hauptlinien  der  Persönlichkeit  Colignys  innerhalb  des  Rahmens 
der  Zeitereignisse  im  ganzen  genügend  hervortreten.  Ein  Ver- 
gleich mit  E,  Marcks  vorbildlicher,  aber  leider  unvollendeter 
Biographie  zeigt  freilich,  welcher  Vorteile  sich  eine  so  knappe 
Schilderung  aus  freien  Stücken  begibt.  Aber  Über  die  Anlage, 
die  gerade  durch  den  Umstand  bedingt  gewesen  sein  mag, 
daß  die  Geschichte  Colignys  bis  1560  von  dem  deutschen 
Biographen  geschrieben  ist,  darf  mit  dem  Vf,  nicht  gerechtet 
werden.  Und  immaJ  für  die  Jugendgeschichte  vermag  White- 
head  doch  auch  einige  recht  wertvolle  Ergänzungen  aus  den 
itaUenischen  Archiven  zu  bieten.  Wir  hören  hier  zum  ersten 
Male  von  der  Freundschaft  des  jungen  Coligny  mit  Peter 
Strozzi  und  werden  über  die  näheren  Umstände  der  italieni- 
schen Reise  (1546 — 47)  unterrichtet,  die  bisher  ganz  im  Dunkel 
lag  und  nun  auch  eine  gewisse  politische  Beleuchtung  erfährt. 

41* 


mm 


636 


L  Iterat  urberi  ch  t 


Einzelne  Bemerkungen  aus  anderen  bisher  unveröffentliditea 
oder  wenigstens  noch  in  keiner  Biographie  benutzten  itilienh 
sehen  Briefen  werfen  auch  auf  die  allgemeine  Situatioti  unti 
auf  die  Ereignisse  im  späteren  Leben  des  Admlrals  neue 
Streiflichter  (z.  B.  S.  66  U  75,  246  f.).  Hinsichtlich  der  Schuld- 
frage  bei  der  Ermordung  des  Herzogs  von  Goise  kommt  der 
Vf.  trotj;  de  Rubfe  auf  Rankes  und  Marcks  Anschauung  zumdL 
Auch  die  Frage,  oh  Coligny  und  Cond6  für  die  im  Vertng 
von  Hampton  Court  stipulierte  zeitweilige  Abtretung  Le  Hivres 
an  Elisabeth  verantwortlich  zu  machen  seien»  wird  zifgunsten 
der  beiden  Hugenottenführer  entschieden  und  in  einem  kri^ 
sehen  Anhang  der  Nachweis  geführt,  daß  der  Vidame  vor! 
Chartres  allein  für  den  fraglichen  Artikel  haftbar  zu  machen 
sei.  Die  durch  viele  Skizzen  unterstützte  gründliche  Schilde- 
rung der  f^eldzüge  und  Schlachten  ist  um  so  dankenswerter, 
als  verschiedene  bisherige  Irrtümer  berichtig  werden.  Je  em 
besonderes  Kapitel,  deren  etwas  befremdliche  Anordnung  der 
künstlerischen  Abrundung  des  Werkes  allerdings  einigen 
Eintrag  tut,  ist  den  Problemen  der  Bartholomäusnacht,  deo 
Ursachen  des  Aufstiegs  und  Niedergangs  der  hugenotti- 
schen Bewegung  und  der  Kolonisationstätigkeit  Colignys  ge* 
widmet.  Das  Scfilußkapltel  faßt  das  Bild  des  Admirals  unter 
Zugrundelegung  der  .Vita*"  von  1575  in  summarischen  Zügen 
zusammen. 

Die  Persönlichkeit  von  Colignys  erster  Gemahlin^  die  docb 
auch  auf  seine  religiöse  Wandlung  Einfluß  hatte,  bleibt  bei  W. 
zu  sehr  im  Hintergrund»  Man  vermißt  ferner  ungern  jede 
nähere  Angabe  über  den  Inhalt  des  für  Colignys  VerhälUiis 
zum  Königtum  und  zum  Protestantismus  so  wertvollen  Briefes 
vom  26.  August  1556  (S.  54).  Der  Auffassungf  daß  die  ganze 
Vorgeschichte  Frankreichs  ein  Gelingen  von  Coligriys  religiösen 
Plänen  vereiteln  mußte,  vermag  ich  mich  nur  mit  starkem 
Vorbehalt  anzuschließen:  die  Gewinnung  des  Königtums  hätte 
wohl  die  Frankreichs  nach  sich  gezogen. 

Die  Beigabe  interessanter  Porträts  und  sonstiger  bildlicher 
Darstellungen  sowie  eines  Stammbaumes  erhöhen  den  Wert 
des  Werkes» 

Heidelberg,  K,  Sidhiin. 


Frankreich. 


637 


L'intindance  de  Sohsons  sous  Louis  XIV,  1643—1715.  Par  Fierre 
Dabac^     Paris,  Aiberi  Fontemoing.    1902.    504  S, 

Gegen  das  vorliegende  Werk  läßt  sich  mancherlei  ein- 
wenden. Es  Ist  nicht  gut  geschrieben;  es  wirken  in  ihm,  wie 
in  so  vielen  französischen  Untersuchungen,  zahlreiche  und 
lange  wörtliche  Zitate  im  Text  außerordentlich  störend,  die  in 
diesem  Falle  nicht  nur  den  Quellen ,  sondern  häufig  sogar 
modernen  Autoren  entstammen;  auch  ist  es  vielfach  zu  breit 
Sehr  ungleichmäßig  und  vielfach  unerfreulich  verfährt  der  Vf, 
beim  Zitieren.  Allein  auf  der  andern  Seite  ist  das,  was  Dubuc 
bietet^  sehr  interessant  und  wertvoll  Das  Buch  sei  also  ixoiz 
seiner  unerfreulichen  Form  zum  Studium  warm  empfohlen. 
Im  folgenden  kann  nur  auf  einiges  Wenige  aus  seinem  Inhalt 
hingewiesen  werden.  D.  schildert  in  sechs  Büchern  die  Tätig- 
keit der  Intendanten  auf  folgenden  Gebieten :  Lokalverwaltungp 
Militärwesen,  Rechtspflege  und  Polizei,  kirchliche  Angelegen- 
heiten, Steuern,  Volkswirtschaft  Die  Generalität  Solssons  be- 
stätigt, was  wir  über  die  vielseitige  Tätigkeit  und  die  gewaltige 
Bedeutung  der  Intendanten  schon  wußten;  auf  den  meisten 
der  genannten  Gebiete  ist  sie  entscheidend.  Es  sei  hierzu 
noch  folgende  Bemerkung  erlaubt:  D.  betont  (S*  11),  wie  es 
heutzutage  häufig  geschieht  (gegen  Tocquevilles  berühmte 
These),  daß  die  Intendanten  ihren  Bezirken  gegenüber  trotz 
aller  Befugnisse  nicht  so  stark  dastanden»  wie  die  heutigen 
Präfekten  den  ihrigen;  daß  sie  je  nach  den  Provinzen  durch 
verschiedene  lokale  Gewalten  Hemmungen  erfuhren*  welche 
heutzutage  fehlen;  vor  allem  kamen  dabei  die  (wenigen)  Pro- 
vtnzialständeversammlungen  und  die  Parlamente  in  Betracht, 
welche  in  der  Tat  ja  die  übliche  Einmischung  der  Verwaltung 
in  die  Rechtsprechung  mit  Zinsen  heimzuzahlen  pflegten« 
Allein  es  scheint  uns  —  und  auch  gerade  wieder  nach  der 
Lektüre  von  D.s  Buch  — ,  daß  diese  Hemmungen  für  die  Zeit, 
in  der  die  absolute  Monarchie  stark  war  (also  unter  Lud- 
wig XIV*)  heutzutage  bedeutend  übertrieben  zu  werden  pflegen, 
was  hier  freilich  nicht  des  Näheren  bewiesen  werden  kann*  — 
Auffallend  ist  es,  wie  kurze  Zeit  die  Regierung  damals  die 
Intendanten  auf  ihren  Posten  beließ*  Soissons  sah  in  72  Jahren 
16  Intendanten^  von  denen  nur  einer  im  Amte  starb.    Es  war 


m 


638 


LiteraturberichL 


das  zweilellos  eine  Vorsichtsmaßregeh  Hierher  gehört  auch« 
daü  Colbert  keine  dauernd  angestellten  Subdelegierten  duldete, 
während  sein  Nachfolger  Le  Pelletier  hierin  allerdings  anders 
verfuhr.  (D*  zitiert  S-  61  ein  Wort  Le  Telliers  über  diesen 
Mann:  ,quUi  n'avait  pas  le  tmur  assez  diir',  im  Gegensatz 
zu  Colbert,  —  ein  Wortj  das  allen  Historikern  der  absoluten 
Monarchie  in  Frankreich  zum  Nachdenken  warm  empfohlen 
sei.)  —  Es  ist  nach  der  Lektüre  von  D.s  Buch  leider  nicht 
möglich,  sich  ein  Bild  von  den  einzelnen  Intendanten  von 
Soissons  und  ihren  Leistungen  zu  machen.  Allein  man  ge- 
winnt doch  einen  allgemeinen  Eindruck,  und  zwar  den^  da& 
die  meisten  von  ihnen  sich  durch  Eifer  und  Pflichttreue  aus- 
zeichneten und  ernste  Sorge  für  das  Wohlergehen  ihres  Be- 
zirkes an  den  Tag  legten»  Die  Erhöhung  der  Lasten  suchen 
sie  zu  verhindern.  Die  empörenden  Anordnungen  der  Re- 
gierung betreffend  die  religiösen  Verfolgungen  haben  sie  in 
dieser  Generalität  anfangs  nur  widerwillig  und  lissig,  später 
gar  nicht  mehr  ausgeführt.  Wenn  von  den  preußischen  Be- 
amten gerühmt  worden  ist,  daß  sie  sich  vielfach  als  Vertreter 
des  Volkes  ihres  Bezirkes  der  Regierung  gegenüber  gefühlt, 
so  wird  man  doch  auch  den  französischen  Intendanten  der 
Zeit  dieses  hohe  Lob  nicht  ganz  vorenthalten  dürfen.  Es 
geht  auch  aus  D.s  Buch  ganz  deutlich  hervor,  daß  es  nicht 
nur  die  (allerdings  unleugbaren)  Schäden  des  Verwaltungs- 
sy Sterns  waren,  welche  Frankreich  unter  Ludwig  XIV,  niinicr- 
ien,  sondern  in  erster  Linie  die  ewigen  Kriege-  —  Auch 
auf  andere  Dinge,  als  die  Verwaltung  der  Intendanten  im 
engeren  Sinne  fällt  in  dem  vorliegenden  Werke  manches 
StretfHcht.  Es  sei  hier  auf  die  ganz  allgemeine,  sehr  weit- 
gehende Korruption  der  Munizipalbeamten  verwiesen ;  femer 
auf  die  vollkommene  Unfähigkeit  vieler  Richter  (wozu  man 
die  Leiires  Fersanes  vergleiche).  Von  den  wirren  Verhält- 
nissen der  indirekten  Steuern  gibt  D.  eine  interessante,  wenn 
auch  nicht  überall  fehlerfreie  Darstellung.  Coiberts  Ver- 
diensten um  die  Beseitigung  vieler  innerer  Zollschranken  wtnl 
er  nicht  gerecht. 

Freiburg  i.  B.  Adaiberi  WakL 


Frankreich» 


639 


Li  Distrid  de  Redon.  (h  Julllel  1790  ä  18.  Ventäse  au  IVJ    Fat 
Lion  Dübtcail,     Rennes  1903.    218  S.   3,50  fr» 

i  Jede  Arbeit,  weiche  uns  einen  Einblick  in  das  Funkdo-» 
Eueren  der  von  der  Revolution  eingerichteten  Verwaitungs- 
Organe  gewährt«  ist  uns  wiltkominen  und  so  begrij0en  wir 
denn  auch  die  vorliegende  tüchtige  Monographie  mit  Freude» 
Sie  ist  zwar  nicht  ganz  so  wertvoll,  wie  mehrere  andere  der- 
artige Schritten»  welche  uns  die  letzte  Zelt  geschenkt  hat,  tn^ 
dem  sie  mehr  Persönliches  und  weniger  Sachliches  enthält, 
als  jene»  Indessen  ist  sie  auch  so»  wie  gesagt,  sehr  dankens- 
wert. Daran  kann  auch  der  Umstand  nichts  ändern,  daß  der 
Vt,  in  seinem  Urteil  ein  ganz  blinder  Parteigänger  der  Jako- 
biner ist  —  z,  B.  nennt  er  S.  97  die  Wahl  des  Schurken  Le 
Batteux  eine  glückliche  — ;  er  schildert  deswegen  doch  die 
Tatsachen  durchaus  gewissenhaft.  —  Nach  einer  sehr  ober- 
flächlichen Einleitung  berichtet  Dubreuil  zuerst  über  die  Er- 
richtung des  bretonischen  Distrikts  Redon  (Departement  llle 
et  Vilaine).  Er  erzählt  weiterhin  von  dem  Eiler  der  zunächst 
noch  streng  monarchisch  gesinnten  DistriktsbehÖrden ;  wie  sie 
dann  immer  radikaler  werden  und  schließlich,  unter  dem  Druck 
des  blutbefleckten  Konventskommissars  Carrier  im  Sinne  der 
Bergpartei  ^epuriert",  ihre  Bedeutung  den  Vertrauensmän- 
nern des  Konvents  gegenüber  fast  ganz  verlieren,  bis  sie  zu- 
letzt durch  die  Verfassung  des  Jahres  Hl.  auch  der  Form 
nach  abgeschafft  werden»  Im  Distrikt  Redon  sind  in  einer 
ganzen  Reihe  von  Punkten  dieselben  Beobachtungen  zu 
machen,  wie  anderswo.  Auch  hier  erzeugt  die  Revolution 
seit  1790  nur  wirtschaftliches  Elend,  das  seit  1793  noch  an- 
wächst (S.  115/6,  141);  Diebstähle  und  Morde  sind  an  der 
Tagesordnung  (S»  71).  Auch  hier  kauft  der  Bauer  vom 
Kirchenland  nichts  und  nur  einen  verschwindend  kleinen 
Teil  des  Emigrantengutes  (S.  108,  163).  Finden  wir  also  auf 
vielen  Gebieten  nichts  von  dem  üblichen  Bilde  abweichendes, 
so  verlief  dagegen  die  Schreckensherrschaft  in  Redon  in  außer- 
gewöhnlicher Weise,  nämlich  —  trotzdem  ein  Carrier  hier 
wenigstens  zeitweilig  in  letzter  Linie  herrschte  —  verhältnis- 
mäßig, wenn  auch  keineswegs  ganz,  unblutig*  Der  Vf.  wundert 
sich  (S.  161)  darüber,  daß  es  in  diesem  durch  die  Chouan- 
nerie  aus  nächster  Nachbarschaft  bedrohten  und  von  ihr  zum 


640  LiteraturbeKcht. 

Teil  angesteckten  Distrikt  damals  so  gnädig  abging*  Ret 
glaubt,  diese  , seltsame  Anomalie*  erklären  zu  können :  gerade 
hier  wagte  man  dem  Volke  nicht  zu  viel  zu  bieten^  während 
in  ungelährdeten  oder  mit  Waffengewalt  unter^worfenen  Gegenden 
jene  feigen  Tyrannen  ohne  Bedenken  wüten  konnten.  —  Die 
Aktenstucke  im  Anhang  sind  zum  Teil  interessant  Die  sek* 
same  Neuerung  eines  Index  Nominum  ohne  Angabe  der 
Seitenzahlen  ßndet  hoffentlich  keine  Nachahmung« 

Freiburg  i.  B.  Adalteri  Wahl 


les  Origmes  des  Cultes  Rivülutionnaires  (1789—1792}.  Par  Aibtri 
NLmihi€£.     Paris  1904,     151  S. 

Derselbe,  La  Thäophilanthropie  et  te  Culte  D^eadair^  (i796-^tW!h 
Paris  1904.     753  S. 

In  dem  ersten  dieser  Werke  sucht  Mathiez  einer  neuen 
Erklärung  und  Einschätzung  der  ephemeren  Reügionsgriiiv 
düngen  der  Revolution  das  Wort  zu  reden.  Er  geht  dabei 
von  der  Definition  des  Begriffs  ^^ Religion''  aus,  die  E,  Durk- 
heim  in  der  ,Annäe  Sociolagi^ue*  H  (1899)  gegeben  hat.  Di- 
nach  (8.  21)  «nennt  man  religiöse  Phänomene  Zwangsglaubeos- 
Sätze  (croyances  obligatoires)  und  gemeinsame  HandEungen, 
welche  sich  auf  Gegenstände  beziehen,  die  diese  Glaubens- 
sätze liefern  (ob/eis  äonnäs  dans  ces  croyances)*^.  Diese 
„Gegenstände**  brauchen  aber  keineswegs  Götter  oder  ein  Gott 
zu  sein  —  ^die  Idee  der  Gottheit  ist  im  religiösen  Leben  nur 
eine  Episode  zweiten  Ranges*  (S*  13)  —  sondern  können 
auch  lalques  (sie)  seinl  Z,  B.  kann  eine  Fahne  *  .  ,  eine  Form 
politischer  Organisation  ,  ,  ,  ein  historisches  Ereignis  (die 
französische  Revolution)  ein  derartiger  «laienhafter  Gegen- 
stand'' sein.  Nachdem  M.  diese  Definition^  welche  uns  fast 
zum  Lächeln  zwingt,  übernommen  hat,  kommt  er  mühelos  zu 
dem  Ergebnis^  daß  revolutionär,  ,, Patriot*  sein  =  religiös  sein, 
resp.  Revolution  =^  Religion  ist  Denn  hat  nicht  in  der  Tat 
der  »Patriotismus*  seinen  Zwangsglauben  und  seine  gemein- 
samen Handlungen  in  bezug  auf  ».laienhalte  Gegenstände%fl 
wie  z*  Bt  Fahnen,  Kokarden  etc»?  Und  so  stellen  sich  denn  " 
die  einzelnen  Religionsgründungen  der  Zeit  nicht  als  künst- 
liche Gebilde  mit  politischem  Zweck  dar,  sondern  es  sind  all- 


Frankreich 


mählich  und  natürlich  erwachsende  Emanationen  der  Retigion 
des  Patriotismus. 

Wir  müssen  diese  Hauptlhese  M.s  unbedingt  ablehnen^ 
da  wir  schon  ihren  Obersat^  —  die  Durkheimsche  Definition 
—  nicht  anzuerkennen  vermögen.  Wir  verstehen  eben  unter 
Religion  etwas  ganz  anderes;  für  uns  gehört  z. ß.  der  «geist- 
liche Gegenstand*  Gott  dazu.  Was  den  Gedankengängen  und 
dem  Gefühl  M.s  Richtiges  zugrunde  liegt,  hat  längst  Tocqueville 
erkannt  und  ausgesprochen*  „Wie  die  französische  Revolution 
eine  politische  war,  aber  nach  Art  der  religiösen  Revolutionen 
verfuhr,  und  warum"  *-  überschreibt  er  eines  seiner  Kapitel 
([,  3)  und  führt  diesen  Gedanken  dann  geistvolJ  durch.  Inso- 
fern M»  über  ihn  hinausgeht i)»  irrt  er. 

Im  übrigen  ist  anzuerkennen,  daß  M.  in  dieser  Schrift 
zahlreiche,  zum  Teil  interessante  neue  Einzelheiten»  vor  allem 
über  die  Debatten  der  Nationalversammlungen  über  die  reli- 
giöse Frage  und  über  die  Feste  und  Schaustellungen  der 
Revolution  beigebracht  hat;  s.  z.  B,  S,  47  H.  den  Bericht  über 
die  uns  Germanen  unsäglich  albern  erscheinende  Veranstaltung 
im  Bois  de  Boulogne  zur  Erinnerung  an  den  20.  Juni. 

In  dem  zweiten  Werke  behandelt  derselbe  Vf,  sehr  aus- 
führlich und  fleißig  eine  jener  revolutionären  ReligionsgrUn- 
dungen,  welche  nach  ihm  Emanationen  der  Revolution  =  Reli- 
gion sind,  nämlich  die  sog.  Theophilanthropie,  jene  deistische 
Religion,  welche  im  Herbst  17%  entstand,  einige  Jahre  lang 
ein  ziemlich  kümmerliches  Dasein  fristete,  um  dann  1801/2 
nicht  ohne  Mitwirkung  Bonapartes  wieder  zu  verschwinden. 
Daß  in  Wirklichkeit  diese  Gründung  durchaus  politischer  Be- 
rechnung, u,  a*  dem  Wunsch,  den  Katholizismus  zu  verdrängen, 
entsprang,  zeigt  gleich  einer  der  wichtigsten  Sätze  des  Kate- 
chismus (Manuel)  dieser  Religion.  Hier  lesen  wir  folgendes 
(S.  93):  j^Die  Theophilanthropen  glauben  an  das  Dasein  Gottes 
und  an  die  Unsterblichkeit  der  Seele.  Warum  aber  sind  diese 
Glaubenssätze  wahr?  Weil  sie  notwendig  sind  für  die  Erhal- 
tung der  , Gesellschaften',  weil  sie  , sozial  nützlich*  sind/  Dalä 
ein   derartiger   Glaube,    zu    dem    man   sich    aus    politischen 


>)  Warum  aber  zitiert  er  ihn  nicht?   Kennt  er  sein  Werk  nicht 
oder  sucht  er  es,  wie  üblich,  totzuschweigen? 


fM 


L 1  te  rat  urbe  rieht. 


Zweckmäßigkeitsgründen  entschloß,  keine  Berge  versetjrte  imd 
keine  Massen  warb,  ist  aus  mehreren  Gründen  nicht  erstaiir^ 
lieh-  —  Es  mag  noch  hervorgehoben  werden,  daß  der  tref- 
liche  Dupont  de  Nemours  der  Theophilanthropie  bettrat 

Zum  Schlüsse  sei  nur  noch  eine  Bemerkung  allgemeiner 
Art  erlaubt  Wir  haben  hier  über  diese  zum  baJdIgen  Unter- 
gänge prädestinierte  Religion,  welche  keinen  Glauben  und 
keinen  Enthusiasmus,  keine  Heiden  und  keine  Märtyrer  her- 
vorbrachte, die  nicht  einmal  zahlreiche  Anhänger  hatte  und 
ja  auch  ihren  politischen  Zweck  nicht  in  der  geringsten  Weist 
edülitei  ein  Buch  von  753  Seiten  vor  uns.  Derartige  Breite 
kann  jeden  denkenden  und  ernst  strebenden  Historiker  nur 
mit  Mißbehagen  und  Sorge  erfüllen:  Denn  diese  Erscheinung 
ist  keine  vereinzelte  I  Wohin  sollen  wir  gelangen^  wenn  über 
Hunderte  von  Gegenständen,  welche  allenfalls  einen  ausluhr- 
liehen  Aufsatz  oder  eine  kurze  Dissertation  verdienen,  Bücher, 
dicke  Blicher,  ja  Monstrebände  geschrieben  werden»  wie  dieser? 
Wann  wird  die  Mehrzahl  der  Historiker,  deutscher  wie 
französischer,  wieder  den  gesunden  Blick  haben,  das  meistCt 
was  sie  in  den  Archiven  finden,  dort  in  Frieden  ruhen  m 
lassen,  und  nur  das  wesentliche  zu  veröffentlichen,  statt  un* 
bannherzig  den  Leser  mit  dem  unwichtigen,  wie  mit  dm 
wichtigen  zu  überschütten?  —  In  derartiger  Überschwemmung 
mit  Stoff  liegt  ohne  Zweifel  eine  große  Gefahr  für  unsere 
Wissenschaft. 

Freiburg  i.  B,  Aä alber i  Wahl 


Commissian  Royale  d^fustoire,  Recueil  de  textts  pour  s^rvir  ä 
Viiuäe  de  l*hlstalre  de  Belglque.  La  Chronique  de  GistetiH 
de  Mons,  nouv,  äd,  pubL  par  Lioa  VmatierJt/adert^ 
ßmxeiles,  Kiessiing  d  Cie.    1904.    XX  XV 11,  430  p. 

Die  ^Commission  royale  d'hisioire*  der  belgischen  Aka- 
demie der  Wissenschaften  hat  mit  dieser  Neuausgabe  des 
Chronicon  Manoniense  keinen  geringeren  als  den  um  seine 
heimische  Geschichte  so  verdienten  Forscher  Vanderkindcre 
betraut  und  eröffnet  mit  diesem  wichtigen  Geschieh ts werk  die 
Reihe  einer  Sammlung  belgischer  Quellen.  Ein  vielverheißen- 
der Anfang  und  ein  neues  Zeichen  der  Rührigkeit^  mit  der 
die  Belgier  —    so   sehr   im   Gegensatz   zu    ihren  niededändi- 


I 


J 


Belgien. 


sehen  Nachbarn  —  ihre  mittelalterliche  Geschichte  pflegen. 
Daß  man  V.  für  die  Aufgabe  gewann,  verbürgte  natürlich  von 
vornherein  den  schönsten  Erfolg. 

Bisher  galt  die  Ausgabe  Wilhelm  Arndts  (MG.  SS.  XXI, 
490 — 601)  nicht  ohne  Grund  als  abschließend;  nach  V.s  sach- 
kundigem Urteil  ist  Arndt  der  Uberlieierung  gegenüber  in  der 
Schreibung  der  Eigennamen  zu  konservativ  gewesen  und  hat  viel 
Orte  ungenau  bestimmt,  wie  überhaupt,  darf  man  sagen,  den  histo- 
rischen Kommentar  vernachlässigt;  auf  diesen  hat  der  Marquis 
de  Godefroy  M^niglaise  (Tournay  IS74)  das  Hauptgewicht  ge- 
legt, freilich  nicht  ohne  für  einen  gelehrten  und  exakten  For- 
seher wie  V.  viel  zu  tun  übrig  zu  lassen«  Auch  das  handliche 
Format  und  die  französische  Sprache  der  Einleitung  und  der 
Noten  sind  Vorzüge  der  neuen  Ausgabe«  Die  ziemlich  schlechte 
Überlieferung  geht  auf  eine  Handschrift  s.  XV  (jetzt  in  Paris) 
zurück,  ihre  Kopie  s*  XVll  ex,  oder  XVIll  in.  in  der  Harrach- 
schen  Bibliothek  zu  Wien  ist  gänzlich  wertlos,  wenn  auch  die 
Abschreiber  falsche  Eigennamen  verbesserten;  V,  hätte  sich 
die  Mühe  sparen  können,  sie  ganz  zu  kollationieren  und  ihre 
Varianten  in  den  Apparat  aufzunehmen,  denn  das  gehört  der 
Literatur,  nicht  der  Überlieferung  an*  Bessere  Dienste  leisteten 
die  Annaies  Hanoniae  des  jacobus  de  Guisia,  eine  Kompila- 
tion, die  große  Teile  unseres  Werkes  enthält.  V-  konstatiert, 
daß  die  Vorlage  des  Guise  besser  und  wahrscheinlich  die 
Pariser  Handschrift  eine  Kopie  von  ihr  ist;  ihre  Varianten 
wären  besser  in  den  Apparat  genommen  worden.  Die  fran- 
zösischen Quellen,  die  den  Gislebert  benutzten,  boten  wenig 
Hilfe  für  die  Textgestaltung,  Die  Lebensgeschichte  Gisleberts 
konnte  V,  sehr  ergänzen;  55  urkundliche  Erwähnungen  hatte 
Arndt,  68  Reusens  zusammengestellt,  V,  hat  deren  94,  die  er 
mit  den  aus  der  Ghronik  zu  schöpfenden  Notizen  zu  über- 
sichtlichen Regesten  verbindet.  Wichtig  ist  der  Nachweis^ 
daß  der  am  L  September  1224  gestorbene  Autor  sein  Werk 
bald  nach  1 196,  sicher  vor  1200  vollendet  hat,  spätere  Korrek- 
turen nahm  er  nicht  mehr  vor;  die  Stelle  p.  66,  in  der  Hugo 
de  Petraponte  als  Abt  ^bI  pastea  episcopus'  (von  LUtticb, 
eL  1200  März  3,  cons.  1202  April  21)  bezeichnet  wird  und 
aus  der  Arndt  eine  spätere  Abfassungszeit  folgerte,  erklärt  V. 
als   späteren   Einschub*    Mit  gleichem   Recht   läßt  V.    Arndts 


644  Literaturbencht 

Hypothese  fallen,  wir  hätten  von  der  Chronik  nur  einen  Ent- 
wurf, 

Selbstverständlich  hebt  auch  V,  den  großen  Wert  der 
Quelle  hervor,  deren  Verfasser  Kanzler  des  Grafen  BaidyiuV 
von  Hennegau  war  und  als  dessen  offizieller  Htstoriognpli 
anzusehen  ist;  daraus  erklären  sich  alle  Vorzüge  und  Mängtl 
Die  rechtsgeschichtliche  Bedeutung  ist  bekannt;  für  das  Kriegs- 
wesen ist  wichtig»  daß  die  Zahlen  der  Ritler  (Balduin  hat  SO 
bis  700  um  sich)  als  exakt  betrachtet  werden  müssen«  Da- 
gegen darf  man  die  —  zufällig,  wie  auch  sonst^  stets  auf  Zehn- 
lausende  abgerundeten  —  Zahlen  der  regeltosen  Horden  m 
Fu0,  der  Milizen  oder  Landwehren,  wie  wir  heute  sagen. 
keinesfalls  Irgendwie  verwerten,  was  der  Autor  nicht  gani  ab- 
weist Für  solche  Massen  konnte  damals  niemand  Blick 
haben,  es  ist  selbst  heute  schwer  Trotz  einzelner  Irrtümer 
weist  V.  die  Möglichkeit,  daß  Gislebert  Genealogien  benulit 
habe,  nicht  von  der  Hand;  diese  erklären  sich,  woran  er  nicht 
denkt,  dadurch,  daß  solche  Aufzeichnungen  oft  in  Klöstem 
entstanden.  Hier  in  Siena  ist  eins  der  interessantesten  Bei- 
spiele, Original  des  spMten  12.  Jahrhunderts»  ein  Stammbauin 
mit  vollkommen  graphisch  dargestellten  Verwandtschaftsgraden, 
verbunden  mit  einer  Zwischenstufe  zwischen  Landschaf tsbili 
Landkarte  und  Urbar  für  die  Besitzverteilung.  Weitere  An- 
gaben darüber  macht  der  von  englischer  Seite  bevorstehende 
Druck  überflüssig  Für  die  genealogischen  Dinge  sind  die 
25  Stammtafeln  eine  nicht  genug  zu  rühmende  Zugabe;  wamm 
sie  bei  uns  so  selten  sindl  Eine  reiche  ^tabie  anaiyiiqsie  di$ 
noms'f  die  nur  nach  den  lateinischen  Formen  geordnet  sein 
müßte,  und  ein  Glossar  verdienen  alle  Anerkennung;  letzteres 
bezieht  sich  leider  nicht  auf  die  beigegebenen  ^Minisieriä 
curiae  Nanontensis' ,  doch  wird  der  Philologe  manches  für 
das  Mittellatein  daraus  lernen,  z.  B,  den  Unterschied  zwischen 
,€onsanguinetis*  und  ,cansobrifms' .  Dankenswert  ist  femer 
das  Literaturverzeichnis  und  die  Karte  des  damaligen  Henne- 
gaus. S.  45  N.  1  braucht  die  Hypothese  von  Gumplowici, 
Balduin  IL  sei  nicht  auf  dem  ersten  Kreuzzug  gestorben, 
sondern  später  Kardina!  und  Erzbischof  von  Pisa  geworden, 
nicht  erwähnt  zu  werden.  S.  231  haben  wir,  worauf  mich 
mein    verehrter   Freund   und  Kollege,   Herr  Dn  Hans    Niese, 


rl 


Belgien. 


aufmerksam  macht,  wirklich,  wie  V,  daselbst  N*  4  sagt,  einen 
neuen  Reichsbeamten  aus  dem  Jahre  128S  in  Hugo  miles  de 
Wormatia,  der  auch  von  der  Viia  Alb.  Leoä.  (SS,  XXV,  151) 
zu  1192  erwähnt  wird;  seine  Prokuration  umfaßte  das  Gebiet 
zwischen  Maas  und  Rhein  bis  nach  Aachen  hin,  und  wir 
haben  in  ihm  einen  Vorgänger  des  in  Nieses  Straßburger 
Dissertation  »Prokurationen  und  Landvogteien*  (1904)  S.  29 
erwähnten  Gerhard  von  Sinzig  zu  sehen.  Interessant  ist,  daß 
auch  er  Ministeriale  ist  S.  278  N.  2  übergeht  V.  mit  guter 
Kritik  die  Nachricht  der  VUa  Alb.  Lead.^  Bischof  Albert  von 
Lüttich  sei  von  Cölestin  ilL  zum  Kardinaldiakon  geweiht 
worden;  ein  deutscher  Kirchenhistoriker,  SägmUlJerf  fiel  un^ 
längst  auf  diese  monströse  Renommage  hinein« 

Siena.  Fedor  Schneider. 


M^langes  Paul  Fr^ddricq.    Brüssel,  fi.  Lamertin.    1904.    375  S. 

Diese  von  der  SacUii  pour  le  progr^s  des  Maäes  philo- 
logiqaes  et  hisioriques  dargebrachten  Studien  enthalten  neben 
Beiträgen  zur  Philologie  und  Pädagogik,  unter  denen  die  von 
F*  C  u  m  o  n  t  (Pourquai  le  laiin  fut  la  seule  langue  liiurgiqae 
de  tOccideni)  und  E.  Monseur  (Vorigine  danutienne  des 
Francs)  genannt  seien,  18  kleine  historische  Studien*  L,  Le- 
dere beschäftigt  sich  mit  der  Krönung  des  Jahres  800.  Nach 
ihm  war  nicht  die  Erneuerung  des  Imperiums,  sondern  nur  der 
Akt  der  Krönung  eine  eigenmächtige  Improvisation  des  Papstes, 
der  die  verabredeten  Formen  einzuhatten  vermied,  um  seine 
Unterordnung  unter  den  neuen  Kaiser  möglichst  wenig  hervor- 
treten zu  lassen.  Ch.  Moeller  teilt  eine  wahrscheinlich  in 
Saint-Omer  zu  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  aufgezeichnete 
gereimte  Liste  der  aus  der  Diözese  Th^rouane  stammenden 
flämischen  Ritter  und  Prälaten  des  Königreichs  Jerusalem  mit. 
Die  Ausführungen  von  E.  Dupr^el  über  die  Ministerialen 
von  Cambrai  zeigen,  wie  die  innerhalb  der  bischöflichen  curiis 
ansässigen  casaU  von  Bischof  Liethard  1131  abgeschtchtet 
werden,  indem  die  Erlangung  eines  Amtes  von  der  Annahme 
eines  feodum  abhängig  gemacht  wird.  Daß  es  dem  Bischof 
darauf  ankam,  die  gewohnheitsrechtliche  Umbildung  der  casae 
zu  herediiates  zu  verhindern  und   innerhalb  der  curlis  Herr 


^ 


646  LltefaturberlchL 

des  Bodens  zu  bleiben  (tabaral  eius  crudeilias,  in  sua  curU 
ne  sU  hereäi'tasjj    hätte    schärfer    hervorgehoben    werden 
müssen.  Lehrreich  ist  die  Studie  von  Vanderkindere  'ühtt 
das  Gemeinderecht,  das  von  Nikolaus  von  Avesnes  1 J58  dem 
Dorie  Frisches   verliehen   und    noch    im    Laufe    des    12*  Jslir- 
Hunderts  auf  Landr^cies   und  eine  Reihe    anderer  Ortschaften 
im  Hennegau  übertragen  wurde.    KommunaJe  Freiheiten  $mi 
hier   in   einer  ganzen   kleinen    Herrschaft    zu    verhältnismifläg 
früher   Entwicklung   bzw.   rechtlicher   Festlegung    gekommen 
M.  Huisman  behandelt  den  durch  ritterlicfie  Tugenden  m^ 
gezeichneten  Sohn  Guidos  von  Dampierre,  Güiot  von  Naraur, 
der  Heinrich  VIL  nach  Italien  begleitete  und  Im  Oktober  13M 
zu   Pavia   starb.    V.  Fris   veröffentlicht   und    erläutert   Doku- 
mente über  die  Verwicklungen  zwischen  Herzog  Philipp  dem 
Guten   von  Burgund   und   seinen   flandrischen  Städten  wegen 
der  Haltung  der  stMdtischen  Truppen  bei  der  Belagerung  von 
Galais  1436.     L.  Willems  erörtert  die  im  17,  Jahrhundert  auf- 
tauchende Nachricht,  daß  die  Ketzer  Wilhelm  van  Hitdernissem 
und   Egidius  Cantor  (um  1410)  geistigen  Zusammenhang  mit 
der  von  Bloemardinne  (1320 — 1336)  in  Brüssel  gestifteten  Sekte 
gehabt  hätten.     Fi  renne  macht  darauf  aufmerksam^   daß  das 
1477  von  Maria   von  Burgund   den  General  Staaten    verliehene 
Recht,  sich  ohne  Berufung  zu  versammeln,  zwar  niemals  aus- 
geübt  worden,   aber  in   dem   Frieden   von  1488^    der  die  Be- 
freiung Maximilians   aus   der   Gefangenschaft    zu    Brügge  be- 
zweckte, auf  Betreiben  der  von  Frankreich  gestützten  Flamen, 
namentlich  Gents,   nochmals  stipuSiert  worden   ist.     Van  der 
Haeghen    hat   die   Charte    wieder   ans    Licht    gezogen,   die 
Maria  wenige  Tage  vor  jenem  Großen  Privileg,  am  30-  Januar 
1477,  der  Stadt  Gent  verliehen  hat-     Des  Marez  erzählt  die 
Geschichte   der   Bogardeni    einer  Brüsseler  Laienbruderschaft 
von  Webern,  die  1359  durch  Aufnahme  in  den  dritten  Orden 
des   hl.  Franz   Anschluß   an   die   kirchliche  Organisalion  fand 
und  in   der  Folge   unablässig  um  Lösung  ihrer  AbhängigkeU 
von   der  Tuchergilde  kämpfte,   bis  sie  1623   als  rein    religiöse 
Körperschaft  anerkannt  wurde.   Für  die  hilflose  Pedanterie,  mit 
der  Philipp  IL  arbeitete,  teilt  G<  Kurth  einen  bezeichnenden 
Zug  miL   J<  Cuvelier  macht  uns  mit  Elisabeth  van  Elderea 
Augustiner-Konventualin  von  St  Elisabeth  zu  Brüssel,  bekannt 


i 


Belgien;  England 


die  im  16,  Jahrhundert  ein  großes  Kopiar  herstellen  ließ  tind 
so  mehr  als  2000  Urkunden  dem  Untergang  entrissen  hat,  dem 
fast  das  ganze  Stiftsarchiv  anheimgefallen  ist.  Die  Bevöl- 
kerung von  Löwen  ist  nach  van  der  Lindens  Berechnung 
in  der  zweiten  Hälfte  des  16,  Jahrhunderts  von  14  bis  16000 
auf  8  bis  9000  Einwohner  gesunken  H.  Lonchay  beleuchtet 
die  Bemühungen  Philipps  UL,  sich  die  Nachfolge  Alberts  und 
Esabellas  in  den  Niederlanden  zu  sichern.  A.  Cauchie  er* 
läutert  an  zwei  Briefen  von  1615  und  1642  die  Formalitäten 
bei  Ankunft  und  Abreise  des  Nuntius  in  Brüssel.  E.  Hubert 
berichtet  über  eine  bei  den  Bischöfen  der  spanischen  Nieder- 
lande 1663  veranstaltete  Rundfrage,  welche  Maßregeln  gegen 
den  Protestantismus  in  Limburg  und  rechts  der  Maas  zu  er- 
greifen seien.  Durch  A.  H  a  n  s  a  y  erfahren  wir  von  den  Kämpfen» 
die  die  Eisenindustrie  des  Lütticher  Landes  im  17.  und  IB.  Jahr- 
hundert gegen  die  Wirtschaftspolitik  des  französischen  Henne- 
gau zu  bestehen  hatte.  E.  Discailles  endlich  handelt  von 
Metternich  und  den  deutschen  Universitäten  auf  Grund  des 
3.  Bandes  von  Metternichs  nachgelassenen  Papieren.  Da  die 
allgemeine  Orientierung  nur  aus  zusammenfassenden  französi- 
schen Darstellungen  geschöpft  ist,  sind  einige  Ungenauigkeiten 
und  schiefe  Urteile  untergelaufen,  so,  daß  die  Gründung  der 
Burschenschaft  ^yers  ISf6'  erfolgt  und  eine  Manifestation  der 
Unzufriedenheit  und  des  Zornes  über  die  politische  Enttäu- 
schung gewesen  sei* 

Utrecht.  0<  Oppermann, 


Lee  tu  res  on  earty  English  hlstory.  By  William  SitifobSj  D.  D*, 
formedy  hishop  of  Oxford  and  Regius  professor  of  modern 
kisiory  in  the  Universlty  of  Oxford ^  edited  by  Arthur  Hassall, 
M.  A.f  Sttident  of  Christ  Churchf  Oxford,  London,  Long- 
mans  Green  S  Co.     1906.   VIII  u.  391  S, 

Als  Stubbs  seine  Meisterwerke  veröffentlichte,  besaß  die 
Englisch  redende  Welt  kein  Publikum  und  kein  Organ  fUr 
geschichtswissenschaftliche  Monographien.  Nie  druckte  er 
, Forschungen**,  nie  rezensierte  en  Je  weniger  nun  einst  jene 
vollendeten  Schöpfungen  die  Mühe  emsiger  Vorarbeit  verrieten, 
um    so  mehr  Reiz  verspricht  jetzt   dem    verehrenden  Nach- 


&4S  Literaturbeneht. 

kommen  ein  Blick  in  die  bisher  verborgene  Werkstatt  um 
z,  6,  die  Anglonormannischen  Staatseinkünfte  zu  beurteilen, 
addierte  er,  wie  er  hier  erzähU,  die  schrecklich  unhAndlicben 
Pipe-Rollen  des  Staatsarchivs  und  rekonstruierte  sich  so  den 
um  1178  vorhanden  gewesenen  Ratuius  e^aciorius  der  Krone. 
Nach  St>s  Tode  erschienen,  außer  Predigten  und  Briefen,  dit 
vom  selben  Herausgeber  wie  vorliegender  Band  besorgten 
^historischen  Einleitungen  zu  Sl.s  Ausgaben  in  der  Ralis  Siria 
(Rerum  Brii.  medii  aevi  S5J'  und  Oxford  er  Vorlesungen  über 
, Europäische  üeschichte'. 

Die  vorliegende  Sammlung  teilt  Hassall  In  3t  Abschnitte, 
die  einander  etwa  chronologisch  folgen.  Er  sagt  aber  nirgends» 
wann  und  wo  diese  Vorlesungen  gehalten  wurden»  noch  auch, 
daß  der  Inhalt  vielmehr  in  zwei  Klassen  verschiedensten 
Zweckes  und  Wertes  zerfällt*  Zwei  Oxforder  Kursen  nämlicb 
gehen  voran  „Angelsächsische  Verfassung*  und  «Feudalismus*» 
Jugendarbeiten,  deren  Irrtümeri  nur  Vorgängern  (darunter  auch 
Grimm  über  Dacier  =  Dänen)  nachgesprochen,  schon  in  der 
ersten  Ausgabe  der  ConsUtutional  kUtary  verschwunden  sind, 
und  hoffentlich  von  niemandem  jetzt  dem  Verstorbenen  auf- 
gemutzt werden  dürfen.  Wie  St.  für  die  Geschichte  vor  1066 
hauptsächlich  Kirchliches  selbständig  erforschte,  so  ist  auch 
in  diesem  Bande  der  gedrängte  Überblick  über  Kirchen- 
geschichte  das  beste  über  Angelsachsenzeit.  Dauernd  unter- 
schätzte er  das  keltische  Element  im  englischen  Blule  w*ie  das 
nordische  und  franco-normannische  in  der  englischen  Ver- 
fassung.  Ein  angelsächsisches  Dorfgericht ,  unterhalb  der 
Hundertschaft,  hielt  er,  glaub  ich,  mit  Recht  fest  (S.  323). 
Cnuts  Kodex  aber  ist  nicht  identisch  mit  der  1018  beschwo- 
renen Verfassung  (gegen  S.  49).  Richtig  bezeichnet  er  die 
Gesetze  der  Angelsachsen  mehr  als  Ausfluß  des  Vofks willens 
denn  die  der  normannischen  Krone.  —  Die  Feudalität,  namendicli 
das  Ritterlehn,  hat  seit  St  besonders  Round  in  richtigeres 
Licht  gestellt.  Dessen  Bücher,  neben  Maitland,  Vinogradoff, 
Seebohm  zitiert  Herausgeber  zwar  an  21,  nicht  immer  passen- 
den, Stellen  dem  Titel  nach;  allein  nirgends  stigmatisiert  er 
einen  über  dreißig  Jahre  veralteten  Fehler,  oder  bemerkt  er,  wa 
sich  St.  selbst  verbessert  hat.  Friedlich  steht  z.  B,  auf  S«  367, 
Adolf  von  Nassau  sei  ermordet  worden,  hinter  dem  Richtigen 


\ 


England. 


aul  S,  282,  —  ^Das  Wachsen  des  Verfassungsgrund^atzes  im 
13,  und  14,  Jahrhundert**  betitelt  sich  das  vorletzte  Kapitel.  Es 
muß  früh  entstanden  sein,  da  St.  darin  noch  glaubt  an  Johanns 
Absicht,  Mohammedaner  zu  werden,  und  an  einen  Verzicht 
Wilhelms  L  aufs  taUagium,  den  er  S*  64  als  Fälschung  des 
13,  Jahrhunderts  erkennt.  , Später"  nennt  die  Vorrede  diese 
Vorlesung  also  mit  Unrecht.  —  Mit  nur  angedeutetem  Stoffe 
überladen  und,  weil  zu  kurz,  trotz  Gelehrsamkeit  und  Scharf- 
blick schwerlich  eindrucksvoll  ist  das  populär  gehaltene 
Schlußstlick:  „Die  Anfänge  von  Englands  auswärtiger  Politik,* 

Die  genannten  vier  Vorträge,  die  doch  nur  ein  Fünftel 
des  Bandes  füllen,  hätte  St.  selbst  jetzt  gewiß  nicht  mehr  ge- 
druckt. Aber  uns  kennzeichnen  sie  den  Stand  des  Wissens 
um  1850;  und,  was  mehr  gilt,  samt  den  ungleich  wertvolleren 
beiden  Kursen,  beleuchten  sie  klar  ihres  Verfassers  Streben 
und  Ethos,  literarische  Begabung  und  historischen  Genius» 
Gelehrsamkeit  und  Methode,  Lehrtalent  und  Anregungskraft, 
Weltanschauung  und  Parteistellung. 

Zwar  von  Sts  äußerem  Leben  erfahren  wir  hier  nichts; 
nur  des  Urgroßvaters  in  Yorkshire  geschieht  Erwähnung  St  125. 
Aber  seine  Meinungen  bekennt  er  offen.  Er  war  royalistischer 
Tory,  konservativ  bis  in  die  Orthographie  hinein.  In  Englands 
innerer  Staatsgröße  betete  er  den  Sieg  des  Besseren  an;  er 
freute  sich,  daß  dessen  Freiheit  seit  dem  12,  Jahrhundert  stetig 
fortgeschritten,  vom  Volke  sittlich  verdient,  nicht  durch  einen 
Cavour  errungen  sei,  Karl  L  erschien  ihm  verbrecherisch  er- 
mordet. Für  Imperialismus  und  Kriegsruhm  besaß  er  keine 
Ader>  In  Frankreich  haßte  er  stark  parteilich  die  Gewissen- 
losigkeit der  Könige  und  die  unhistorische  Gleichmacherei  der 
Revolution.  Vom  gallischen  Besitz  der  englischen  Krone 
hatte  das  Volk  nur  den  Vorteil,  daß  sie  seine  Beihilfe  zu  frem- 
dem Kriege  durch  Gewährung  von  Freiheiten  erkaufte.  (Eine 
entgegengesetzte  Anschauung  sieht  die  halb  skandinavisierte 
Insel  1066  doch  auch  der  Kultur  Mitteleuropas  gerettet,) 
Deutschland  fühlt  sich  St  eng  verwandt,  wenn  er  auch  bei 
unseren  fiistorikern  die  Konstruktion  frühesten  Altertums  be- 
spöttelt und  bedauert,  daß  flume,  zum  Glück  nur  ein  Schotte, 
unserer  aufklärerischen  Theologie  das  Vorbüd  gab,  Eng- 
länder und  Deutsche  lieben  nicht  kriegerischen  Angriff,  son- 

HUtoriach«  ZelUchrlft  (97,  Bd«>  3.  Fol^e  I,  Bd.  42 


Ffiedcii  bdber  als  Eroberung;  sie 
pttriotisch,    eiffig    für  Frci- 
tm  Mittelalter  sind  zumeist 
Kdvt  öl  Kfic^  vie  der  gegen  Napoleon  1 
4^m  c&e  alteD  Verbimdeten  wiederfinden, 
ii  i«r  den  Ausgaiig:*!     Mit  Stolz  sah  er 
Ichslsche    Glaubensboten 
tr,  schrieb  er  der  Ktrche  die 
tf  3£u,  ais  die  Monarchie  zur 
normannischen  Jahrhtiadeii 
neun  Zehnteln  Kirchengeschichte ! 
Verfassung  außer  durch  Ver- 
■ete   er  ganz;   aber  auch  die 
Festlands  schienen  ihm  nur 
Die  Freiheit  der  Griechen  und 
von  der  der  christlichen  Nationen. 
We)f  und  besonders  die  Entwicklung 
L  geführt  won  gütiger  Vorsehung ;  deren 
EU  erkennen  hielt  er  für  anmassend 
Gcsdichte  wies  er,   in  Opposition  wohl  gegen 
ab.    Tiefste  Fragen  der  Geschichtsphilo^ 
iwar,  doch,  wie  mir  scheint^  ohne  wissen- 
f  RMliitng.  Gelegentlich  scho0  er  sarkastische  Pfeile 
er  doch  nur  kenntnislose  Inhaltsleere  traf. 
«e  Vef ii%t ■nJHerung   und   höchste  Gesichtspunkte  er- 
be&Ütigt  die  genetische  Verfassungsgeschtchte 
au  entwickeln;  nur  bewahrte  er  stets  heilige  Scheu 
4^  WiftJtehkeit  des    Einzelnen   und    bekannte  oft,   daß 
»anchr  kMiie  technische  Einrichtung  später  wichtigen  Zwecken 
iKente  oder  Eig^bnisse   förderte,   die  nicht  im  Sinne  des  Cr- 
findtrs  ftkgen   hatten«    Bezeichnend   ist  seine  Duldsamkeit 
ligtttlber  der  Nationalitätenfrage  und  das  Schlußwort  seines 
Kvrüts:  ,Es  steht  Ihnen  frei  aus  tneinen  Prämissen  Schlüsse 
tti  aiehen,  die  mir  diametral  entgegenstehen.* 

Die  Vorsicht  in  Einzelfragen,  die  ja  im  allgemeinen  jeder 
Kritiker  übt,  verband  sich  bei  ihm  mit  genialem  Instinkt  zu 
wittern«  wo  die  Autorität,  der  er  folgte,  nicht  sicher  stehe. 
So  wenn  er  in  der  Jugend  von  der  Hörigkeit  nach  Blackstone 
oder    Über  die  früheste   Landeinteilung   aus   der   urkundlosen 


4 


4 

4 


I 


England. 


MI 


Zeit  handelte.  —  Den  Meister  sachgemäßen,  plastisch  anschau- 
lichen Ausdrucks  verrät  auch  in  diesem  Bande  manch  glück- 
liches Bild:  die  eiserne  Hand  des  Königs  drückte  unter 
Heinrich  I.  so  schwer  wie  unter  beiden  Vorgängern,  aber 
vielleicht  gleichmäßiger  Eine  leichte  Prüderie  eignete  eng- 
lischer Rede  damals  allgemein  (lesiicuH:  muiilaied  p,  113). 
Weniger  als  gerade  von  Vorlesungen  zu  erwarten,  kommt  der 
aus  St«s  Briefen  und  Biographien  bekannte  köstliche  Humor 
hier  zutage  (S<  354);  hinreißende  Rhetorik  oder  blendende 
GeistesbUtze  zeigte  er  weder  sonst  noch  hier;  in  langweilige 
Trockenheit  aber  verfiel  er  so  wenig  wie  in  platte  Umschmei- 
chelung  teünahmloser  Zuhörer;  so  freundlich  er  auch  dem 
Auditorium  entgegenkam  ^  er  setzte  bei  ihm  in  den  Kursen 
doch  mindestens  so  viel  voraus  wie  der  Seminarprofessor 
Göttingens.  Höchst  erfolgreich  waren  seine  organisatorischen 
Anregungen,  z,  B.  zu  Gaukarten,  zu  einer  Damesday  sociefy^ 
zum  Drucke  der  Gutshof  rechte.  8ein  Königsmantel  fiel  auf 
Maitland,  Round«  Vinogradoff  und  Stevenson;  nur  die  beschei- 
denen Kärrner  fehlen  noch  immer  dem  Bau  der  englischen 
Geschichte  des  Mittelalters. 

Von  den  beiden  Kursen  scheint  mir  ^die  vergleichende 
Verfassungsgeschichte  des  Mittelalters'',  nämlich  in  England, 
Deutschland,  Frankreich  und  Spanien,  um  1868  gelesen.  Wie 
lehrreich  müßte  ein  Vergleich  sein  mit  dem,  was  von  Waitz 
über  dasselbe  Thema  damals  gelehrt,  aber  leider  nie  gedruckt 
wurde.  Unzweifelhaft  wußte  dieser  von  der  Fremde  mehr  als 
St.,  der  selbst  Über  Heinrich  den  Löwen,  den  Gemahl  der 
Engländerin,  ungenügend  unterrichtet  war^  über  Spanien  kaum 
mehr  als  Hallam  studierte  und  in  Frankreich  doch  manche 
fernere  Ähnlichkeit  mit  Englands  Verfassung,  wie  1890  dann 
Langlois  gezeigt  hat,  hätte  erkennen  können.  Aber  wo  das 
einzelne  Material  ausreichte  —  und  er  selbst  bedauert  und 
bekennt  mit  großartiger  Offenheit  seine  Schranken  — ^  da  hat 
niemand  kritischer  gesichtet,  schärfer  oder  weiter  geblickt, 
tiefer  gefolgert,  kräftiger  geurteilt,  ohne  doch  je  geistreiche 
Paradoxien  zu  erhaschen.  Wo  er  den  Geschlechterstaat  der 
Kelten  den  Germanen  gegenüberstellte^  vergaß  er  wohl,  daß 
man  nicht  verschiedene  Stadien  der  Entwicklung  vergleichen 
darf*    In   Aragon    hatte   auch    Ranke    Parallelen   zu    England 

42* 


652 


Literaturbericht 


nachgewiesen*  Nur  immer  cum  grano  saiis  wagte  St  so  iB- 
gemeine  Urteile  wie  die  Zusanimenfassung,  da0  allodialer 
Besitz  zur  Freiheit,  feudaler  zur  Treue  erziehe»  jener  einem 
seßtiaften  Einheitsvolk,  dieser  einer  erobernden  Herrscherklassc 
entspreche.  Und  er  warnte  sofort,  daß  der  englische  Feudal- 
staat nicht  aus  dem  Feudaf  besitz  entstand.  Gewinnt  gleich 
der  Betrachter  des  besonderen  Landes  aus  dem  Vergleiche 
keine  neue  Einzelheit,  so  lernt  er  doch  das  wesentlich  Wurzel- 
hafte  der  Institutionen  zu  scheiden  von  zufälliger  Umrankung 
örtlichen  Einflußes  und  hütet  sich,  das  auf  jenem  Gegründete 
zurückzuführen  auf  nationale  Besonderheit  Auch  kann,  wer 
romano- germanisches  Mittelalter  universal  lehrt,  an  dieser 
originalen  Behandlung  Methode  studieren. 

Weitaus  überstrahlt  den  Rest  des  Bandes  der  Glanzpunkt, 
der  Kursus  von    18  Vorlesungen   über  die  englischen  Recfits- 
denkmäler  1067—1136,  8,37—193.    Vor  fast  einem  Menschen- 
alter  entstanden,   zeigt   er   St   auf   der  Höhe    methodischer 
Quellenforschung  und  verfassungsgeschichtlicher  Einsicht  und 
bietet  noch  heute  den  bisher  besten  Kommentar  zu  Wilhelms 
Gesetzen,  sowie  aus  unvergleichlichem  Wissen  wertvolle  Paral- 
lelen*   So  zitiert  er  die  Wilhelm  I,  betreffenden  Gerüchte  über 
Vergiftung  zum  Kapitel  der  Leis  Willelme  vom  Giftmord  (der 
jedoch    nicht  ohne    römischen  Einfluß    und   nicht   zuerst  hier 
in   den   Gesetzen   vorkommt,   sondern    unter   morS    sich  ver- 
birgt, was  die  Lateiner  richtig,  wenn  auch  zu  eng^  als  venä- 
fidum  übertragen).    So  belegt  er  die  Ausdehnung  des  geist- 
lichen Forums    unter  Stephan   durch   einen  Brief   des  Johann 
von  Salisbury,  wonach  der  Patronatsprozeß  der  Kirche  gehört 
den    Heinrich  IL    dem  Staate   dann  zurückgewann.     Manches  J 
Großgut  durfte  noch  im    19.  Jahrhundert  Testamente  eröffnen  " 
und  Nachlaßpfleger  bestellen  kraft  uralter  Zuständigkeit,  die  in 
der  Regel  anderswo  seit  dem  12.  Jahrhundert  dem  Klerus  zu- 
fiel.    Die  Geschichte  der  Beziehung  von  Kirche  und  Staat  im 
13.  und  14  Jahrhundert  kann  man  in  Kürze  nicht  besser  dar- 
stellen als  auf  S<  1Q5  geschieht* 

Das  Gesetz  des  englischen  Mittelalters  ist  aufgezeichnetes 
juB  und  vermeidet  sogar  den  Namen  tex.  —   Manches  seit  j 
etwa  15  Jahren  mühsam  Erforschte  sehe  ich  nun  vom  Meister 
bestätigt.   Die  Unordnung  in  den  L^ges  H$nrki  fand  z,  B,  auch 


England. 


ich  in  der  Monographie,  die  Sts  Andenken  gewidmet  ist, 
verursacht  durch  die  Einteilung  nach  mehr  als  Einem  prin- 
cipium  ämsionis;  im  c.  17  entdeckte  auch  ich  den  Rest 
einer  Farstassise  und  in  den  Judices  Urteil  Ein  der*  Freilich 
daß  der  Verfasser  Engländer  oder  Flambard  gewesen  sein 
könne  oder  den  Londoner  Freibrief  einschaltete,  ist  unhaltbar» 
Wann  und  woraus  derselbe  arbeitete,  entnahm  Si  schon 
meinem  kurzen  Erstlingsaufsatz,  nicht  ohne  den  unbekannten 
Anfängefj  der  ihm  nie  danken  konnte,  über  Gebühr  anzu- 
erkennen* Richtig  fühlte  St.,  Heinrich  f.  habe  London  padi- 
monia,  nicht  wardimota,  und  Befreiung  nur  von  scoi,  nicht 
von  loi  gewährt,  bevor  Round  jenes  bewies,  und  ich  dies 
laut  handschriftlicher  Stütze  aus  dem  Texte  strich.  Daß 
jene  Leges  aus  lateinischer  Kompilation  schöpften ,  daß 
regnum  Brlianniae  nur  eingeschwärzt  sei,  ahnte  St.,  bevor 
ich  den  Quadrlpartilus ^  bzw.  den  Londoner  Interpolator 
nachwies.  Letzteren  setzte  er  um  zwei  und  das  Französisch 
der  Leis  Willelme  um  vier  Menschenalter  zu  spät  an.  Deren 
c*  24<  31  mißverstand  er,  ebenso  wie,  durch  unvollkommene 
Texte  verführt,  fieinrichs  Grafschaftsorganisation  und  im 
Londoner  Freibrief  nisi  statt  vL  Unzweifelhaft  würde  SL 
heute  manches  bessern,  nicht  Hoveden  den  Prolog  des 
Edward  Confessor  zuschreiben,  noch  das  darin  genannte 
Dänenrecht  mit  Cnuts  Kodex  identifizieren.  Den  Stabeid  hat 
seitdem  Brunner  erklärt.  Mit  der  dealbatio  (Aufschlag  von  V40 
zur  Zahlung  in  gemeiner  Münze,  um  deren  Nominalbetrag  in 
Reinsilber  darzustellen)  kann  moneiagium  nicht  identisch  sein. 
Eadmers  Angabe  über  den  königlichen  Anspruch  erklärt,  im 
Schisma  zwischen  den  beiden  Päpsten  zu  wählen,  würde  ihm 
nicht  mehr  zweifelhaft  erscheinen,  seitdem  uns  Lanfrancs  Briefe 
die  Neutralität  beweisen.  Daß  kein  Erzbischof  bis  zum 
Palliumsempfang  eine  BischoFsweihe  wagte,  widerlegt  St.s 
eigenes  Regisirum  sacrum  zu  1094.  Und  Ansei  ms  Konkordat 
errang  nicht  den  Domkapiteln  die  Bischofswahl.  Daß  kein 
englischer  Graf  zum  unabhängigen  Fürstentum  strebte,  läßt 
fiich,  seitdem  Round  den  MandevtlU  schrieb,  leicht  leugnen. 
An  die  Jury  speziell  dachte  Magna  Charta  c.  39  nicht;  sie 
unterstellte  nicht  jede  Besteuerung  dem  Reichsrate;  und  will- 
küriiches    iaUagiam    perhorres^ierten    die    ArUcuH  baronum 


Litcraturbe  rieht 


schon  vor  ihr.  Dte  Genauigkeit  des  Diala^us  de  scaicam 
überschätzte  St,;  daß  Nigel,  der  Vater  des  Verfassers  (f  116^^ 
noch  von  WuUstan  (f  1095)  informiert  war^  ist  unglaublich. 

Der  Herausgeber  hat  leider  die  von  St.  kommentiertea 
Texte,  geschweige  denn  neuere  Drucke»  nicht  eingesehen; 
denn  er  führt  das  parenthetisch  Erklärende  mit  als  Überset- 
zung an  (S,  Ml,  U9)  und  ergänzt  nicht  Unleserliches  (S*  14<t. 
152).  Et  stellt  S.  9  die  Anmerkung  zur  falschen  Stelle  (tls 
erhebe  König  Stephan  Unfreie  zu  Grafen),  Lies  auch  S.  ^ 
Dalriada  für  Dalnada^  S.  93  Dionysius  Exiguus  für  Gaignm, 
S.  73:  1178  für  1188,  S,  48  impaiieni  für  impariiaU  S.  107 
impassable  (un  übers  teigbar)  für  impassibi^.  Aber  er  verdteni 
lebhaften  Dank  für  den  ausführlichen  Index. 


Berlin. 


F,  Liebermann. 


The  british  army.  1783^1802.  Faar  iectnres  deiivered  at  ihe  staff 
College  and  cavalry  sckool.  By  ihe  Mon.  */,  W,  Füt* 
tescme*    London^  MacmUlan.    1905.    XII  u.   148  S. 

Inhalt  und  Titel  des  Buches  decken  sich  nicht  gaiu. 
Es  enthält  im  wesentlichen  eine  Darstellung  der  britischen 
Armee  vor  den  Revolutionskriegen.  Diese  trug  noch  gmi 
den  Charakter  der  alten  Söldnerarmeen,  wie  sie  der  Kontinent 
seit  mehr  als  100  Jahren  nicht  mehr  kannte.  Stehende  Truppen 
im  Frieden  gab  es  wenige  und  da  diese  von  militärischen 
Unternehmern  durch  Werbung  aulgebracht  wurden,  zeigten  sie 
alle  mit  dem  Soldwesen  von  jeher  verbundenen  Übelstände: 
mangelhafte  Disziplin  bei  Offizieren  und  Mannschaften,  Be- 
trügereien aller  Art  durch  die  Kommandeure.  Bei  Ausbruch 
des  Krieges  mußten  schleunigst  die  Truppen  durch  Werbung 
vermehrt  werden;  da  von  den  im  Frieden  unterhaltenen  Sol- 
daten viele  unbrauchbar  waren,  viele  zur  Bemannung  der  Flotte 
abgegeben  werden  mußten,  so  war  es  schwiengj  starke  Cadres 
aufzustellen^  zumal  der  Sold  gering  war«  Zu  diesen  Übel- 
ständen  kam  noch,  daß  Verwaltung  und  Kommando  keines- 
wegs einheitlich  war«  Mehrere  Amter  konkurrierten  mitein- 
ander in  der  Besoldung,  Verpflegung  und  Kontrolle  der  Dis- 
ziplin; bei  Kontinentalkriegen  hatte  die  Leitung  das  Auswärtige 
Amt,  bei   Kolonialkriegen   das  Kolonialamt;    endlich    gab   es 


Engl  and. 


655 


eine  besondere  englische,  irische  und  koloniale  Armee.  Die 
unvermeidliche  Ressorteifersucht ,  veibunden  mit  häufigem 
Übelwollen  der  höheren  Offiziere,  erzeugte  schwer  zu  über* 
windende  Friktionen,  so  besonders  im  amerikanischen  Kriege* 
Infolgedessen  suchte  Pitt  die  oberste  Verwaltung  der  Armee 
ine  Eine  Hand  zu  legen ,  aber  seine  Reformbestrebungen 
scheiterten  teils  an  der  Auswahl  ungenügender  Persönlich- 
keiten, teils  an  seiner  Sparsamkeit*  So  war  England  beim 
Ausbruch  des  Revolutionskrieges  durchaus  ungerüstet«  —  Aus 
den  späteren  Jahren  behandelt  der  Vf.  nur  einige  Spezial- 
f  ragen. 

Berlin.  G.  Röio/f. 


^ 


Notizen  und  Nachrichten. 


Die  Herren  Verfasser  ersuchen  wir,  Sortderabzüge  ihrer 
in  Zeitschriften  erschienenen  Autsätze,  welche  sie  an  dieser 
Steile  berücksichttgt  wünschen,   uns  freundlichst  einzusenden 

Die  Redaktion. 

AÜgeEneines. 

Gesammelte  Aufsätze  von  Rudolf  Haym.  Berlin,  Weidmann. 
1903.  628  S.  12  M.  Hayms  Schriften  werden  noch  lange  nicht 
veralten,  trotzdem  er  zu  den  Schriftstellern  gehört,  deren  Art  und 
Methode  in  gewisser  Welse  aufgesogen  wird  von  den  Nachfolgem. 
Ungemein  vieles  haben  sie  von  ihm  entnehmen  können;  die  Nei* 
gung  und  das  Vermögen,  Systeme  und  Formeln  auf  persönliche 
Erlebnisse^  auf  Individualität  zurückzuführen,  verwickelte  innere 
Fäden  auseinanderzulösen  und  dann  wieder  anschaulich  ziis^mmeo- 
zubinden,  diese  von  ihm  an  Herder,  an  Humboldt  und  den  Roman- 
tikern einschmeichelnd  geübte  Kunst  wird  heute  fast  bis  xur  be- 
denklichen VirtuosenhaftJgkeit  getrieben.  Eben  deswegen  aber 
kann  er  sich  auch  seinen  heutigen  Nachfolgem  gegenüber  immer 
noch  behaupten,  weil  er  der  Ursprünglichere  und  Kräftigere  ist, 
weil  er  sich  selbst  erst  mit  Mühe  den  Weg  gebahnt  hat,  der  jetit 
so  leicht  gangbar  ist,  weil  die  Synthese  des  philosophischen  und 
des  polltiachen  Deutschland,  die  er  repräsentierti  bei  ihm  ganz 
juijendiriach  ist.  Manches  schrieb  er  darum  in  Kamplesstimmung, 
was  er  selbst  später  überholt  hat.  Deswegen  hat  sein  Preunü* 
Wilhelm  Schrader,  der  die  vorliegende  Sammlung  besorgt  hat, 
die  Aufsätze  über  Macaulay,  über  Fichte  u.  a.  fortgelassen  und  nur 
folgende  hier  vereinigt:  L  Ulrich  v.  Hütten  (an  Strauß  anknüpfende 
2  Schiller  an  seinem  hundertjährigen  Jubiläum^  3.  E,  M.  AmdL 
4.  Varnhagen  von  Ense,  5*  Arthur  Schopenhauer^  6>  Die  Dilthev- 


Aügemeineft. 


sehe  Biographie  Schleiermachers,  7-  Ein  deutsches  Frauenleben 
aus  der  Zeit   unserer  Literaturblüte  (KaroUne  Schlegel),  8.  Die 

Hartmannsche  FhDosophte  des  Unbewußten,  9.  Eine  Nachlese 
zu  Novalis  Leben  und  Schrilten,  10.  Hermann  ßaumgarten.  In 
diesen  zehn  Aufsätzen  spiegeln  steh  alle  Richtungen  und  Fähig- 
keiten seines  feinen  und  elastischen  Geistes  und  seiner  dach  auch 
sehr  bestimmt  immer  mitsprechenden  sittlichen  Persönlichkeits 

Fr.  M. 
In  ausgezeichneter  Weise,  eine  Fillle  von  teils  bekannten, 
teils  entlegenen  Tatsachen  kombinierend  und  mit  selbständiger 
Auffassung  durchdringend,  hat  0.  Hintze  das  Thema  „Staats- 
verfassung und  Heeresverfassung''  behandelt  („Neue  Zeit-  und 
Streitfragen*',  herausg-  von  der  Gehestiftung,  111^  4^  Dresden,  v. 
Zahn  £  Jaensch,  1906,  44  S.),  Form  und  Geist  der  Staatsver- 
fassungen ist,  so  führt  er  aus^  nicht  allein  durch  wirtschaftlich- 
soziale Verhältnisse,  sondern  in  erster  Linie  durch  die  Notwen- 
digkeit von  Abwehr  und  Angriff,  d.  h»  durch  die  Kriegs-  und 
Heeresverfassung  bedingL  Sehr  lein  entwickelt  er  von  hier  aus 
eine  oft  übersehene  Ursache  Für  den  Untergang  des  römischen 
Reiches.  Es  fehlte  ihm,  da  es  zuletzt  keine  ebenbürtlf^e  Nachbar- 
macht mehr  zu  fürchten  hatte,  die  „Spannung  der  auswärtigen 
Lage*  und  damit  ein  Impuls  zur  Steigerung  seiner  Kraft  In  dem 
überblick  über  die  Entwicklung  der  neueren  Staats-  und  Heeres- 
verfassungen wird  der  (von  Gierke  bekanntlich  zuerst  besonders 
hervorgehobene)  Gegensat2,  zugleich  aber  auch  die  Verflech- 
tung zweier  verschiedener,  in  die  altgermanische  Zeit  zurück- 
reichender Prinzipien,  des  genossenschaftlichen  (Schweiz,  England, 
preuö.  Landwehr)  und  des  herrschaftlich-monarchischen  in  höchst 
geistvollen  und  einleuchtenden  Konstruktionen  entwickelt.  Ebenso 
wie  im  Staatsleben,  ist  auch  auf  dem  Gebiete  der  Heeres  Verfassung 
ein  Ausgleich  und  eine  gegenseitige  Annäherung  der  britischen 
und  der  kontinentalen  fnstitutionen  zu  erwarten. 

Bei  einer  von  der  Revue  dt  Synthese  bistorique  veranstalteten 
Enquete  über  die  Neugestaltung  des  historischen  Universitäts- 
unterrjchts  in  Frankreich  hat  zwar  die  Mehrzahl  der  Befragten 
nicht  geantwortet,  aber  die  13  Historiker  und  2  Juristen,  die  eine 
Auskunft  erteilt  haben,  entschieden  sich  fast  durchgängig  für  eine 
engere  Verbindung  von  Geschichte  und  Recht  und  gegen  eine 
Abtrennung  der  Geschichte  von  der  Geographie  (Rev,  de  Synth^ 
hist.f  Sonderheft  mit  dem  Titel  ^^Nos  Enquites*',  1906). 

In  der  Re\f,  de  Synth,  hlst  XII,  2  bespricht  J-  Second  aus<r 
führlich  das  Buch  von  ßenedetto  Croce  ^LineamenU  dt  una  lögka 


658 


Notizen  und  Nachnchten« 


come  BcUnza  dtt  cancetfo  puro^\  auf  dae  wir  Früher  schon  hk^ 
wiesen  haben,  und  H.  Berr  das  Euch  des  Btikarester  Prolevon 
Draghicesco  pZ>«  r6tt  dt  Vindiviäu  dans  U  ddiermmUme  $em^* 

X^nopol  Übt  bei  Besprechung  einer  sehr  brauchbires 
soziologischen  Schrift  von  Cesare  Rivcra  (//  determmism&  sadp- 
togkü^  1903)  eine  scharfe  Kntik  an  dem  Treiben  der  land- 
läufigen  Soziologen  (Saciologie  et  Hi&toire,  Rev^  de  Sj^mtk.  koL 
XII,  2).  Mit  Rivera  weist  er  das  Vorhandensein  von  Gesetzen  k 
der  Entwicklung  der  menschlichen  Gesellschaften  zurUclc;  erbe* 
leichnet  das  Aufkommen  solcher  ruhig  abwägenden  An  schau  iinpta 
in  den  Kreisen  der  Soziologen  als  einen  erfreulichen  Forlschriit 

Max  Kemmerich  In  München  erörtert  in  der  pWaUulU* 
I!  (1906)  den  .Kulturwert  der  Germanen*,  Man  erfährt  daraus»  dil 
Woltmann  mit  seinem  Buche  pDie  Germanen  und  die  Renaitsmee 
in  Italien"  die  ganze  Rassenfrage  ^.^i^rch  Induktion  auf  eine 
festere  Basis  gehoben"  habe.  Woltmann  hat  bekanntlich  »nidn 
gewiesen*«  daß  alle  großen  Geister  Italiens  vom  Mittelalter  bis 
zum  19.  Jahrhundert  aus  dem  Germanentum  hervorgegangen  tbd: 
Staatsmänner  und  Päpste,  Künstler,  Dichter,  Musiker  und  Gelehrt«. 
Auf  das  Ungeheuerliche  dieses  angeblichen  Nachweises  hat  Fr^oi 
Eulenburg  in  der  Deutschen  Lii-Ztg.  1906  n.  3  mit  so  schlagendeA 
und  selbstverständlichen  Ausführungen  hingewiesen,  daß  wcitcit 
Widerlegung  überflüssig  ist.  Aber  Kemmerich  vermag  seinen  iin^ 
schuldigen  Lesern  trotzdem  zu  sagen,  daß  die  Rassenfrage  nun- 
mehr auf  eine  festere  Basis  gehoben  seij  und  daß  die  Ergebnisfc 
Woltmanns  für  ftalien  .»wohl  unanfechtbar*  seien.  Wann  wird  wähl 
einmal  der  Zustand  aufhören,  daß  die  Popularisierer  der  Wissen- 
schaft von  den  Dingen^  über  die  sie  schreiben^  nichts  zu  verstelteD 
brauchen  ?  —  Es  berührt  gegenüber  dem  Dilettantismus  der  Rasset>* 
theoretiker  wie  eine  Aussicht  auf  bessere  Zeiten,  daß  Afbrecbf 
Wirth  in  München  sein  Bekenntnis  zur  Wichtigkeit  der  Rassen- 
frage  mit  einer  scharfen  Kritik  an  der  Arbeitsweise  seiner  GesiH' 
nungsgenossen  verbindet  (^De  ia  race*^  Rev.  de  Synth.  A£sL  Xll,  2K 
Er  gibt  der  Rassenfrage  unter  der  Voraussetzung  methodiicbef 
Bearbeitung  ihren  Platz  neben  andern  geschichtlichen  Grundfragen 
und  er  meint  mit  einem  Hinblick  auf  andre  Systematiker  der  hislo* 
rischen  Wissenschaft  —  er  nennt  Lamprecht  und  Breysig  — ,  difi 
die  Geschichte  kein  Park  von  Versailles  sei,  sondern  etwas  ut^ 
regelmäßiger,  als  wir  es  vielleicht  wünschen. 

Ober  die  mittelalterliche  Liebe  handelt  in  der  Rev.  äe  Symik 
kisL  XUj  2  Faul  Herrn  an  t  {j,Le  sentimmt  amauremx  dmis  iM 
lUtärature  m^di^vaie').    Er  läBt  die  völlig  hingebende  Liebe  dcf 


Allgemeines.  659 

Troubadours  usw»  hervorgehen  aus  dem  rnittelalterlichen  Grund- 
begriff der  Subordination;  er  sieht  in  ihr  eine  Parallelerscheinung 
der  Mystik,  die  ebendaher  ihre  seelischen  Wurzeln  ziehe*  Die 
Mystik  ist  völlige  Hingabe  an  Gott^  die  Troubadon Hiebe  an  die 
Frau  —  das  eigene  Dasein  wird  ausgelöscht,  und  in  beiden  Fällen 
tritt  eine  Art  Ekstase  ein.  Hermant  weist  auf  Indien  und  Persien 
hin,  wo  sich  derselbe  ParalleUsmus  von  Mystik  und  Liebe  vorfinde. 

!n  den  Jahrbüchern  für  Nationalökonamie  und  Statistik  31^4/5 
bespricht  Biermann  die  Sozialphilosophie  in  der  neuesten  Lite* 
ratur;  im  Archiv  für  die  gesamte  Psychologie  7,  3/4  erstattet 
Vierkandt  einen  Jahresbericht  über  die  Literatur  zur  Kultur- 
und  Geseltschaftslehre  für  die  Jahre  1904  und  L905. 

Aus  der  Zeitschrift  für  Theologie  und  Kirche  16,  3  erwähnen 
wir  Hermann,  Moderne  Theologie  des  alten  Glaubens;  aus  der 
Zeitscfirift  für  Kirchengeschichte  27,  2  Leipoldt,  Christentum 
und  Stoizismus  f  aus  dem  Hochland  3,9  eine  der  letzten  Arbeiten 
Hermann  S  c  h  e  1 1  s ,  Die  Gotteskräfte  des  Christentums ;  aus  Nr.  IQ 
desselben  Blattes  Maus b ach,  Die  Entwicklung  des  katholischen 
Dogmas* 

G.  Schnürer  untersucht  in  den  historisch-politischen  Blat^ 
tern  137^  n/12  die  historischen  Grundlagen  unserer  Kultur,  In 
wenigen  Strichen  zeichnet  er  ihre  drei  Elemente  Römertum, 
Christentum  und  Germanentum  und  endet  mit  dem  Freiä  der  be- 
lebenden Kraft  der  Kirche* 

Im  Katholik  86,  4/5  stellt  ein  Ungenannter  aus  zwölf  viel  ge- 
brauchten Lehrbüchern  der  Geschichte  zusammen,  wie  an  unseren 
höheren  Lehranstalten  von  glaubenslosen  oder  protestantischen 
Schnftstellern  der  Jugend  systematisch  ein  falsches  Bild  der  katho- 
lischen Kirche  und  des  Katholizismus  mit  ins  Leben  gegeben  wird* 
Der  Verfasser  widersteht  „der  Lockung,  kritische  Beleuchtung  zu 
geben '^,  doch  genügt  schon  die  Art  der  Auswahl,  um  in  ihm  einen 
Nachtreter  janssens  und  Denifles  in  schlechtem  Sinne  zu  erkennen« 

Im  Archiv  für  Sozialwissenschaft  22,  3  entwickelt  Otto 
Schlüter  in  einem  interessanten  Aufsatz  die  leitenden  Gesichts- 
punkte der  Anthropogeographie,  insbesondere  der  Lehre  Friedrich 
Ratzeis*  Er  charakterisiert  sie  als  die  Lehre  von  der  Natur- 
bedingtheit im  Leben  der  Volker^  als  die  Lehre  von  dem  Einfluß 
der  Natur  auf  den  Menschen,  seine  Lebensverhältnisse  und  seine 
Geschichte.  Eine  historische  Skizze  von  der  Entwicklung  der 
Wissenschaft  und  von  der  Stellung  des  Geographen  und  Histo- 
rikers zu  ihr  leitet  über  zur  Erläuterung  der  Lehre  Ratzeis. 


«60 


Notizen  und  Nachnchten. 


Von  kleineren  Aufsätzen  notieren  wir  aus  der  Deutschen 
Literaturzeitung  27^  25/26:  H,  Reich,  Die  völkerpsychotogischen 
Grundlagen  der  Kunst  und  Literatur;  aus  den  Preußischen  Jatr- 
büchern  125,  1 :  Hie m er,  Das  Problem  des  Ursprungs  der  Sprache, 
aus  der  Geographischen  Zeitschrift  12,  bz  Robert  Gradmaniif 
Beziehungen  zwischen  Pflanzengeographie  und  Siedlungsgeschichtep 
aus  der  Beil.  z.  Allg*  Zeitung  Nr,  169,  170  und  173:  Seilliferc, 
Germanen  und  Lateiner  bei  Stendhal  (Henry  Beyle). 

Neue  B&cher:  Wiener,  J*  0.  Fichtes  Lehre  vom  Wesea 
und  Inhalt  der  Geschichte,  (Berlin,  Mayer  «  M Ulier.  2,40  M>)  - 
Klemm,  G.  B.  Vico  als  Geschichtsphilosoph  und  Volkerpsycholog. 
(Leipzig,  Engelmann.  5  M.)  —  Reiner,  Berühmte  Utopisten  und 
ihr  Staatsideal  (Plato»  MoruSj  Catnpanella,  Cabet).  (Jena,  Coste- 
noble.  2,50  M-)  —  Rocquain,  Notes  et  fragmenis  ä'ßustoift, 
(Paris f  Pion-Nourrit  i>  Cie.  7,50  fn)  —  Fisch b ach,  Beiträge 
zur  Mythologie.  (Leipzig,  Teutonia.  2  M,)  —  Brissofi^  Misttßirt 
du  travail  et  des  iravailieurs.  (Paris^  Deiagrave.)  —  Hulbtrl, 
History  af  Korea,  2  \fols,  ( London ,  Paul.  30  sh.J  —  Jacob, 
Quellenkunde  der  deutschen  Geschichte,  l.ßd.  [Sammig.  Göschen,] 
(Leipzig,  Göschen.  0,80  M.)  —  Ginzel,  Handbuch  der  mathe- 
matischen und  technischen  Chronologie*  L  Bd.  Zeitrechnung  der 
Babylontei^  Ägypter^  Mohammedaner,  Perser^  Inder,  Südostasiateo, 
Chinesen,  Japaner  und  Zentralamerikaner.  (Leipzig,  Hlnrichs*  Ver 
19  M.) 


Alte  Geschichte. 

In  der  Revue  de  i'hisioire  des  religions  53,3  (19M)  veröffent- 
licht J*  Capart:  Buüttin  criiique  des  religions  de  l'£gypte  1905, 
das  durch  seine  vottreffliche  Übersicht  über  die  neuen  Forschungen  ^ 
vielen  gute  Dienste  leisten  wird.  H 

Sehr  interessant  ist  ein  Aufsatz  von  A-  Conrad  y:  Indischer 
Einfluß  in  China  im  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  (Zeitschrift  der  Deut* 
sehen  Morgenländischen  Gesellschaft  60,  L)  fl 

Die  Revue  des  questhns  historiques  1906,  Juii  bringt  Aufsätze 
von  E.  R  e  V  i  1 1  o  u  t :  Amasis  et  la  ckute  de  rempire  ^gypti^n  und 
von  C*  Daux:  Un  incident  ä  la  basiiique  d'Hippone  en  4!l^  der 
sehr  ausfuhrlich  und  befriedigend  eine  Episode  aus  dem  Leben 
des  heiligen  Augustin  behandelt«  Weiter  sei  hingewiesen  auf  die 
lichtvolle  Anzeige  von  H.  Delahayes  Les  legendes  hagiographiqmes 
durch  P  Allard. 

in  der  Neuen  Philologischen  Rundschau  1906,  16  setzt  sich 
A.  Gruhn:  Das  Schlachtfeld  von  Issus  mit  den  Kritikern  seines 


d 


Alte  Gescbichte. 


unter  demselben  Titel  erschienenen  Buches  auseinander  und  hält 
an  seiner  Ansicht  fest,  daß  der  Pmaros  der  Alten  der  heutige 
Pajas  sei,  daß  also  die  Schlacht  am  Pajas  (nicht  am  Deli  Tscha'i) 
geschtagen  wurde.  An  der  Art  dieser  Kritik  ist  manches  aus-« 
zusetzen,  abgesehen  davon,  daß  Jankes  gegen  den  Pajas  vorge- 
brachte Gründe  doch  sehr  beachtenswert  sind  und  seine  Annahme 
der  Identität  des  Pinaros  mit  dem  Deii  TschaY  sehr  empfehlen. 

Aus  dem  Archiv  für  Religionswissenschaft  9,  2  notieren  wir 
A*  V.  Domaszewski:  Die  Schutzgötter  von  Mainz;  Fn  Schwally: 
Die  biblischen  Schöpfungsberichte;  K.  Völlers:  Die  solare  Seite 
des  alttestamentlichea  Gottesbegriffs;  S.  Sud  haue:  Lautes  und 
leises  Beten,  L.  Weniger:  Feralis  exeniius, 

tn  den  Neuen  Jahrbüchern  für  das  klassische  Altertum,  Ge- 
schichte und  deutsche  Literatur  1906^6/7  bringt  G.  FInsler  seine 
hier  schon  angezeigte  Abhandlung:  Das  homerische  Königtum 
zum  Abschluß.  Weiter  veröffentlicht  U*  Wilcken  seine  Leipziger 
Antrittsrede:  Hellenen  und  Barbaren,  voll  weiter  Gesichtspunkte 
und  klug  abwägend  die  alten  und  neuerdings  wieder  schärfer  in 
den  Vordergrund  gerückten  Fragen  nach  dem  Einfluß  des  Orients 
au!  Hellas  erörternd. 

Lehrreich  handelt  Fr,  Cumont  über  Rome  ei  l^Oneni  in 
der  Revae  de  rinstruciion  publique  en  ßelgique  49,  2/3. 

Wegen  der  für  Kuhurgeschichte  wichtigen  Fragen  wie  de 
heroum  Momericorum  curribus  beUicis  oder  de  thoracis  in  carmi^ 
nibas  Harne ricis  usa  sei  auf  J.  van  Leeuwens  Aufsatz :  Home- 
rica  in  Mnemosyne  64,  3  verwiesen. 

Im  Jahrbuch  der  GesellschaFt  f,  lothringische  Geschichte  und 
Altertumskunde  17  (19Q5)  spricht  R.  Forrer  über  keltische  Numis- 
matik der  Rhein-  und  Donaulande. 

Klärend  und  förderlich  ist  der  Aufsatz  von  H,  Dessau:  Die 
Entstehung  der  Aren  von  Gangra  und  Amasta  in  der  Zeitschrift 
für  Numismatik  25,  4. 

Scharfsinnig  und  überzeugend  ist  die  Arbeit  von  H.  Pom- 
tow:  Ein  delphisches^  Exemplar  von  ,,Kassanders  Ehrentafel* 
und  die  delphischen  Inschriften  aus  Bd.  8  d.  Z.  im  Hermes  41,  3^ 
Ebendort  handelt  A.  Gercke  über  die  Myrmidonen  in  Kyrene, 

Einen  fordernden  und  wenigstens  in  einem  Punkte  weiter- 
führenden Beitrag  stur  Erklärung  der  oft  besprochenen  und  immer 
noch  nicht  genügend  erklärten  Duenos-fnschrift  bringt  P, 
Kretsebmer  in  der  Zeitschrift  für  die  österreichischen  Gym- 
nasien bly  6, 


^2  Notizen  und  Nachrichten. 

Im  Rheinischen  Museum  61^  S  fifiden  sich  einige  iricbti|< 
Arbeiten  von  J.  E.  Kirchner:  Beiträge  zur  griechischeo  Epi* 
graphlk  1.  Die  Asklepios pries ter.  Z*  HoraßiAo*  ^««^^wrai;  F.  {^üitl^ 
Herakleides  von  Mybsa,  der^  an  das  von  Wilcken  herausgegebene 
Sosyiosfragment  anknüpfend,  scharfsinnig  die  darin  genannte  Sto 
achlacht  bei  Artemlsion  nicht  Eür  die  bekannte  des  Jähret  4ffi 
V,  Chr.  gegen  Xerxes  hält;  A*  v.  Meß:  Untersuchungen  flbet 
Ephoros.  Ephoros  und  Ktesias ;  F.  R  c  u  0 :  Der  Leichcnvigea 
Alexanders  des  Großen ;  F,  R  ü  h  1 :  Die  Zeitansätze  für  Hellanjko% 
der  gewiß  richtig  behauptet,  daß  wir  für  die  wirkliche  Lebensieit 
des  Hellanikos  au!  eigene  Kombinationen  angewiesen  sind^  uixi 
endlich  A.  Körte:  AnaKtmenes  von  Lampsakos  als  Alexander* 
historiker. 

Aus  den  Mitteilungen  des  Kais.  Deutschen  Archäologiacha 
Instituts^  Athenische  Abteilung  31,1/2  notieren  wird  F.  Stach Hn: 
Zur  Landeskunde  der  Fhthiotis;  C.  Fred  rieh:  Lemnoa  uvA 
Skiathos  und  Peparethos,  A.  J.  ß*Wace:  Skiathos  und  Skopekii^ 
A,  S,  Arvanitopultos:  Phylen-Heroen  am  Parthenonfries;  k 
Wilhelm:  Inschrift  aus  Megara  und  Inschrift  aus  Tegea;  L 
Nachmanson  und  E.  Herkenrath:  MitteiJungen  au»  Ko- 
ronta ;  M,  H  o  M  e  a  u  x :  Itiscription  d' Äthan  es  ;  L,  C  u  r  t  i  u  s :  Sa 
miaca.  I  und  W.  Dörpleld:  Das  Alter  des  Heiligtum«  von, 
Olympia. 

Die  Revue  arch/clogique  1906,  Mai-Juni  bringt  eine  nützliche 
Beschreibung  einer  durch  Kilikten  und  Lykaonten  unternommenen 
Reise  von  G*  U  Bell  Weiter  setzt  P.  Monceaux  seine  E»q»il9 
sur  Vdpigrapkie  chr^iienne  ä'Afrique  fort 

Aus  den  Comptes-renäas  des  siances  de  VAcadimU  des  m- 
scriptions  et  beiles-leitres  1906^  März^Mai  notieren  wir  A.  HäröB 
de  Villcfosse:  inscription  trouvie  ä  Carthage  und  itiscnptien 
trouväe  entre  la  Goalette  et  Rades;  L.  Ja  labert:  Nouvelies  d4S* 
euces  ä  la  Triade  Hilhpolitaine ;  G.  Mendel:  Seconäe  note  smf 
ies  fouilles  ejcäcutSes  ä  Aphrodistas  par  M,  /*  Gaudin^  Campagni 
de  1905  und  A.  Blanchet:  Vittes  de  ia  Gaule  r omaine  ümi 
l*r  gt  lY^  siicies  de  noire  ire. 

In  dem  BuUetm  de  corresp&ndance  hellen Ique  1906»  6 — S  vef^ 
öffentlichen  G*Seure  und  A.  Degrand  die  Resultate  ihrer  er- 
gebnisreichen Forschungen  in  den  Tumuli  Thrakiens  und  F. 
Gratndor  die  bei  seinen  Ausgrabungen  in  Karthala  (auf  Keot) 
gefundenen  Inschriften,  und  zwar  diesmal:  Comptes  du  t^mpk 
d^Apoiion;  nicht  ohne  Interesse  sind  auch  die  i^scriptions  iniMH^ 
de  Mistra  von  G«  Mille t   und  förderlich  sind   die  von  M.  Hcl- 


■^ 


Alte  Geschichte, 


663 


I  e  a  u  X  beigesteuerten  Observations  sur  une  inscriptwn  dt  L/bü' 
äeia  (veröHentllcht  von  Vollgraff  im  Bulhtin  1901,  p,  365),  wonach 
freilich  diese  wichtige  Inschrift  erst  in  das  Ende  des  2*  oder  An- 
fang des  L  vorchristL  Jahrhunderts  fällt,  nicht  wie  Vollgraff  an- 
nahm in  das  3.  Jahrhundert. 

Aus  der  Revue  de  pkiMogie  de  Hit^rature  et  ä'hisimre  an- 
ciennes  30,  2  notieren  wir  R.  Dareste:  La  Särr^  i^avk^e  en  droÜ 
attique;  A.  Dieudonn^:  Campte  dälien  de  Metiichidis  conservä 
au  Caöinel  des  M^daiUes  und  B,  HatissouHier:  fnscripiicn 
ürchaiqtie  de  Citmes. 

In  den  M^langes  d'arch^ütogU  et  d'histmre  26,  1/2  handelt 
A.  D  u  f  o  u  r  c  q  über  le  passionnaire  Occidental  au  VI!*  siicief 
worin  er  zu  dem  Schluß  kommt,  daß  c'est  au  milieu  du  VI!*  sUcle 
que  le  passionnaire  romain  e'largi  est  devenu  le  passionnaire  occi^ 
dental^  und  L*  Halphen  über  tes  consals  et  les  ducs  de  Rome 
du  Vi!!*  au  Xf!l*  siede.  Weiter  sei  noch  die  topographische  Er- 
örterung: Ager  Vellscif  von  P.  Fedele  erwähnt. 

Die  M^moirts  de  la  Soci^t^  nationale  des  Anfiquaires  de 
France  65  (1^5)  enthalten  Arbeiten  von  C*  Pallu  de  Lessert: 
La  syntaxe  des  rouiiers  romains  et  des  d/formations  des  noms 
de  lieux  dans  l*Afrique  romaine;  von  A.  H^ron  deVUlefoBse: 
Äntiquitis  romain  es  trauväes  ä  Alise-Sainte- Reine  und  vonO.Vau- 
viJI^:  L'enceinte  de  Pommters  (Aisne)  (Noviodununt  des  Sises- 
siones}* 

Im  Bulletin  derselben  Gesellschaft  1906«  2  bekämpft  d'Ar- 
bois  de  Jubainville:  Le  Heu  de  baptime  de  Clovis  mit  Recht 
Krusch,  der  Tours  als  Taufort  Chlodwigs  erwiesen  zu  haben  glaubte; 
ebendort  teilen  P.  Monceaux  griechische  Inschriften  von  Mac- 
taris  und  E*  Michon  un  poiäs  antique  de  piomb  (von  Seleu- 
keia)  mit. 

Aus  dem  joumai  of  hellenic  studies  26,  I  notieren  wir  F.  W> 
H  a  s  1  u  c  k :  Poemanenum  ;  J.  G,  M  i  I  n  e :  Ciay  seatings  from  the 
Fayum;  J.  L.  Myres:  On  the  list  of  thaiassocracies  in  Eusebius; 
F.  U  r  e :  Tke  origin  of  the  tyrannis ;  Ä,  J.  B.  W  a  c  e :  The  topo^ 
grapHy  of  Pelion  and  Magnesia;  H.  R.  Hall:  The  pyramiä  of 
Moens;  W,  H.  D.  Rouse:  Inscriptions  from  Astypalaea. 

Aus  der  Rivista  dt  filotogia  e  d^istmzione  classica  Anno  34, 
fast*  !  (1906)  notieren  wir  A,  Solari:  /  Lutazi  e  st&rica  Lutazio 
Catuio  (Contributa  ai  fasti  deiie  famigUe  Romane), 

Einen  sehr  instruktiven  Bericht  über  die  Ausgrabungen  der 
Italiener  auf  Kreta  vom    15.  Dezember  1903  bis  15.  August  1905 


^M  Notizen  und  Nachrichten. 

teilt  F/Halbherr  in  den  Renäiconti  äetia  n  Accaäemia  äeilmtd^ 
ctasse  äi  seien ze  moralif  storiche  e  ßiatagUhe  1^06,  H,J2  nÄ 
Ebenda  veröffentlicht  S,  Monaci  nach  emem  caäi£e  giä  apptf- 
ienuio  al  Conte  Carlo  Lochis  die  MirabHia  Rome^ 

In  den  Atonumenii  anticki  \bj  l  veröffentJtchen  Q,  QuaglUtl 
und  D*  Ridola  eine  ausführliche  und  reich  tlJustrserte  Abbin4« 
lung:  NecrapoH  arcaka  ad  incinera^ione  presso  Tim  man  «rf 
Maierana, 

E.  Hesselmeyer,  Hannibals  Alpeniibergang  imLichledr 
neueren  Kriegsgeschichte.  Tübingen,  ],  C,  B.  Mohr,  1906.  OßOlL 
Dieser  in  der  Tübinger  Dienstagigesellschaft  gehaltene,  flott  uU 
anregend  geschriebene  Vortrag  behandelt  ein  altes,  oft  und  bb 
in  die  neueste  Zeil  hinein  lebhaft  erörtertes  Problem,  Welchca 
Alpenpaß  hat  Hannibal  benutzt?  Darüber  gehen  die  Mcinun^ca 
auseinander  und,  wenn  man  von  vereinzelten  Stimmen  absieli;^ 
welche  für  den  Großen  S,  Bernhard,  für  den  Col  du  Clapler  oder 
für  den  Col  de  Vars  eintreten,  kämpfen  je  nach  ihrer  Stelliüi^ 
lur  Oberlieferung  für  den  Mt.  Genfevre  oder  für  den  Mt  Ccais 
oder  für  den  Kleinen  S,  Bernhard.  Hesselmeyer  kommt  mdk 
Erörterung  der  Alpenübergänge  des  Prinzen  Eugen  und  dci 
Konsuls  Napoleon  und  nach  einer  Auseinandersetzung  über 
unsere  Quellen  (Caeliut  Antipater  —  Polyblus  —  Ltvius  —  CIncioi 
Alimentus)  und  über  deren  vermutlich  kartha^sche  Urquellea 
zu  dem  Resultat,  daß  Hannibal  nicht  einen»  wie  man  gewöhnücb 
bis  jetzt  annahm,  sondern  Ewei  Pässe  benutzt  hat,  den  Mt  Cems- 
Pafl  und  den  Kleinen  S,  Bernhard.  In  der  Tat  vereingt  sich  trcfi- 
lich  Antipaters  Angabe,  daß  Hannibal  über  das  Cremonts  iugurii 
marschiert  sei,  mit  dem  Livianischen  Bericht,  wonach  das,  «ti 
von  dem  Aufenthalt  auf  der  Paßhöhe  erzählt  wird,  nur  auf  den 
Mt.  Cents  paßt.  Mir  scheint  das,  was  Hesselmeyer  vorträgt,  nkht 
nur  neu,  sondern  auch  gut  erwogen  und  durch  bekannte  Ana- 
logien gestützt  zu  sein.  Freilich  kennen  unsere  Quellen  nur  einen 
Paßübergang;  aber  auch  so  ist  es  bisher  noch  nicht  gelungen, 
alle  Schwierigkeiten  und  Widersprüche  der  Überlieferung  zu  hebea 
und  über  diesen  einen  Paß  sich  zu  einen.  Hesselmeyers  Hypo- 
these hat  viel  für  sich  und  verdient  beachtet  2u  werde  tu  Ob 
aber  je  volle  Klarheit  hier  geschaffen  werden  wird?  ßr. 

Aus  der  Re\fue  ktstorique  1906,  juti- August  notieren  wir  die 
treffliche  Übersicht  über  die  Putiications  relatives  ä  i'empirt 
Byzantin  (Ann^es  1904105)  von  L.  Br^hier, 

Einen  wertvollen  Bettrag  zu  einem  historischen  Kommentai 
des  Buches  vom  Kaiser  Constantin  VII.  de  administrando  imptm 


Alte  Geschichte* 


mB 


gibt  j*  B*  Bury  in  der  Byzantinischen  Zeitschrift  15,  3/4.  Eben- 
dort  handelt  E,  W.  Brooks  über  Ihe  sources  of  Thcophanes  and 
the  Syriac  chraniclerSj  E.  K  u  r  t  z  über  Georgios  Bardanes^  Metro- 
polit von  Kerkyra^  worin  ein  wichtiger  Beitrag  zur  Geschichte 
der  Kaisers  Friedrich  II.  und  des  Manuel,  des  Despoten  von  Thes- 
salonich  und  Epirus  gegeben  wird;  L,  Schmidt  über  die  Volks- 
zahl der  Vandalen^  der  gegen  Haury  dieselbe  auf  80000  Köpfe 
(inkl.  Weiber  und  Sklaven)  annimmt. 

In  der  Zeitschrift  für  die  neutestamentliche  Wissenschaft  und 
die  Kunde  des  Urchristentums  7,  1  veröffentlicht  E.  Schwartz: 
Osterbetrachtungen,  die  gelesen  zu  werden  verdienen ;  0,  Klein: 
Die  ursprüngliche  Gestalt  des  Vaterunsers;  E,  Schürer:  Die 
^v^a  oder  nriUij  üt^aia  Act*  3^2u.  10;  0.  Loeschke:  Contra  Mar- 
cellum^  eine  Schrift  des  Eusebius  von  Caesarea;  R.  Sillib:  Ein 
Bruchstück  der  Augustini  sehen  BibeL 

In  der  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Theologie  49^  2  handelt 
A,  Wächter  über  Israelitische  Namen  und  A.  Hilge  nf  e  Id  : 
J.  Wellhausen  und  die  synoptischen  Evangelien  setzt  sich  sehr 
ausführlich  mit  Wellhausen  auseinander.  F.  Görres:  Die  Reli- 
gionspolitik des  spanischen  Westgotenkönigs  Swinthila,  des  ersten 
katholischen  Leovigiid  (621— 631)  gibt  weitere  Bausleine  zurKirchen- 
und  Kulturgeschichte  der  Pyrenäenhalbinsel  im  Mittelalter. 

Aus  der  Neuen  kirchlichen  Zeitschrift  17,  3/5  notieren  wir 
den  Schluß  der  H,  2.  97,  2  angezeigten  Arbeit  von  G.  Hönnicke: 
Neuere  Forschungen  zum  Vaterunser  bei  Matthäus  und  Lukas; 
Koberle:  Heilsgeschichtliche  und  religionsgeschichtliche  Be- 
trachtungsweise des  Alten  Testaments;  G,  Wohlenberg:  Die 
bibüschen  Abendmahlsberichte  und  ihre  neuere  Kritik  und  Ph. 
Bacbmanni  Der  Schöpfungsbericht  und  die  Inspiration. 

Aus  den  Theologischen  Studien  und  Kritiken  1906,  4  notieren 
wir  K*  Budde:  War  die  Lade  Jahwes  ein  leerer  Thron?  welcher 
sich  gegen  die  zuletzt  von  Dibelius  und  Gunkel  vertretene  Ansicht 
wendet  und  die  aufgeworfene  Frage  mit  Nein  beantwortet ;  G. 
Ficker:  Der  Häretiker  Eleutherius  (unter  Veröffentlichung  einer 
neuen  Urkunde). 

J,  Friedrieh:  Die  eeclesia  Augu&iana  in  dem  Schreiben 
der  istrischen  Bischöfe  an  Kaiser  Mauritius  vom  Jahre  591  und 
die  Synode  von  Gradus  zwischen  572  und  577  in  den  Sitzungs- 
berichten der  philos^-philoL  u,  d.  histor,  Klasse  der  Kgl.  Bayer. 
Akademie  der  Wissenschaften  zu  München  1906,  2. 

Neue  Bücher ;  Cousin j  itudts  de  gäographie  ancienne* 
(Paris-Nancy^  Berger- LevrauU  <£  Cie,  40  fr,)  —  ßreasiedj  An- 
f1iitori»cbe  ZeHwchriit  (97.  Bd.)  X  Folge  K  BcL  43 


fm 


Notizen  und  Naehrichten 


cient  recürds  of  EgypL  VoLllL  The  nineieenih  äynasiy,  (Ckküp, 
The  Üniversity  press.)  —  Weißbach,  Die  Inschriften  Nebukid- 
nezars  IL  ini  Wädt  Brbä  und  am  Nahr  el-ICelb*  (Leiprtg.  Ht^ 
richs'Veri.  20  M.)  —  Baentsch,  Alton enta Lischer  und  isradiü- 
scher  Monothelsrnus.  (Tübingen,  Mohr,  2,40  M*)  —  K  ü  c  h )  er.  Die 
Stellung  des  Propheten  Jesaja  zur  Politik  seiner  Zeit  (Tübitig« 
Mohr,  U60  M,)  —  Ettinghausen^  Harsa  Vardhana^  tmfiam 
ei  poHe  de  Vlnäe  septeninonale  (606^648  A  />.>.    ( Paris ^  Umu4 

—  V.  Lichtenberg,  Beitrage  lu  ältesten  Geschichte  von  Kjpfoi 
(Berlin,  Pdser.  4  M.)  —  Griechiache  Urkunden  der  Papyrussanv^ 
lung  zu  Leipzig,  L  Bd.  Mit  Beiträgen  von  Wilcken  Hrsg,  v<» 
Mittels,  (Leipzig,  Teubner.  28  M*)  —  Dessatt^  InscnpUmm 
Laiinae  setectae,  VoL  11,  pars  Z  (Berlin,  Weidmann.  10  MJ  - 
S  c  h  j  0 1 1 ,  Die  römische  Geschichte  im  Licht  der  neuesten  For- 
schungen, (Christiana,  Dybwad^  1  M.)  ^^  Eliaeson,  Beitraft 
zur  Geschichte  Sardiniens  und  Gorsicas  im  ersten  ptiniscbefl 
Kriege.  (Uppsala,  Almquist  &  Wiksell,  5  M.)  —  Werner,  Dt  m- 
cenäiis  urbis  Ramae  aetati  imperatomm.    (Leipzig,  Gräfe.  LbOÜI 

—  forquei  de  Dame,  Les  c^smrs  africains  ei  Syriens  ei  roMMr- 
chie  mint  alte.    (Angers,  Siraudeaa.) 


Rftmisch-gerinanische  Zeit  und  frühes  Mittelalter  bis  125«. 

An  kleineren  Beiträgen  zur  römischen  Periode  der  deutsckai 
Geschichte  notieren  wir  den  Aufsatz  von  A.  v,  DomaszewslEl 
über  die  Schutzgütter  von  Maini  (Archiv  für  Religionswissensclitft 
9,  2)  und  den  Jahresbericht  des  römisch-gennanischen  Zentnl- 
museums  in  Mainz  1905/6  (Korrespondenzblatt  des  Gesamt verelns 
54,  67). 

Aus  den  Göttinglschen  Gelehrten  Anzeigen  1906  Nr.  6  mögen 
drei  eingehende  Kritiken  erwähnt  werden.  E,  Mayer  bespricbl 
L,  M.  Hartmanns  Geschichte  von  Italien  (2^  2);  den  Gedanken  dcf 
Beseitigung  römischer  Verfassungselemente  hält  er  für  unzutreffend. 
K.  ühlirz  erstattet  Bericht  über  das  Buch  von  K.  A,  Kehr  (Die 
Urkunden  der  normannisch-sizilischen  Könige)  und  den  vierteo 
Band  von  A.  Haucks  Kirchengeschichte  Deutschlands. 

In  Anlehnung  an  die  von  H.  Delbrück  in  seiner  pGeschtchte 
der  Kriegakunst**  gegebenen  Anregungen  unternimmt  es  P,  Rohr- 
bach,  die  wirtschaftliehen  Faktoren  In  der  arabischen  tnvasioo 
gegen  Byzanz  aufzudecken*  Er  legt  den  Hauptnachdruck  darvul 
daß  die  Rückkehr  zur  Naturalwirtschaft  im  römischen  Reiche  tuid 
die  Verschlechterung  des  Heerwesens  einwirkte  auf  die  Zustände 


Frühes  Mittelalter 


in  Arabien  und  Persien,  daß  eben  darum  auch  die  Fortschritte 
und  Erfolge  der  arabischen  Invasion  möglich  wurden  (Deutsche 
Rundschau  32,  9). 

A.  IHüfners  Aufsatz  über  das  Rechtstnstitut  der  klöster^ 
liehen  Exemtion  in  der  abendländischen  Kirche  bringt  in  seinem 
ersten,  bis  Gregor  den  Großen  reichenden  Teile  nicht  eben  Neues, 
das  vielleicht  der  Fortsetzung  vorbehalten  ist;  Archiv  für  katho- 
lisches Kirchenrecht  86,  2, 

E.  Mayer  repliziert  in  den  Mitteilungen  des  Instituts  für 
österreichische  Geschichtaiorschung  27,  2  auf  die  Anzeige  seines 
Buches  über  die  (angeblichen?)  Fälschungen  des  Dragoni  durch 
L.  M.  Hart  mann,  der  am  gleichen  Orte  noch  einmal  seine  Ab- 
lehnung begründet  (vgl.  97,  427), 

j.  Walters  Polemik  gegen  W.  Ohrs  Ausführungen  über  das 
Zeremoniell  der  Kaiserkrönung  Karls  des  Großen  (vgL  %,  347  f*) 
erscheint  wenig  überzeugend  (Theologisches  Literaturblatt  1906 
Nn  29),  —  Gleichzeitig  mag  aus  der  Mtinchener  Allgemeinen  Zei- 
tung 1906  Nr,  U6  der  kurs^e  Bericht  über  die  Eröffnung  des  Sarko- 
phags Karls  des  Großen  angemerkt  sein,  die  am  17.  Juli  ds*  Js. 
vorgenommen  wurde  und  der  näheren  Untersuchung  der  in  ihm 
erhaltenen  Gewebe  des  10,  und  12,  Jahrhunderts  dienen  soll, 

J,  Schmidts  Panegyrikus  auf  Rhabanus  Maurus  mag  als 
Festrede  nicht  ohne  Wirkung  gewesen  sein,  in  seiner  Veröffent* 
lichung  durch  den  Druck  wird  man  keine  erhebUche  Bereicherung 
der  Literatur  erblicken.  Mancher  Satz  vertrüge  ein  oder  gar 
mehrere  Fragezeichen,  so  z.  ß.  der,  daß  um  die  Mitte  des  9,  Jahr- 
hunderts „im  ganzen  weiten  Gebiete  des  karolingischen  Reiches 
auch  nicht  ein  Zweifler  oder  Ungläubiger  war*^  — ,  ein  Satz,  der 
sich  nicht  recht  damit  vertragen  will,  daß,  wie  Schmidt  selbst  be- 
merkt, Rhabanus  Maurus  gegen  heidnischen  Aberglauben  hat  an- 
kämpfen müssen  (Katholik  86,  4)* 

In  der  Btblhtki^^e  de  P^cole  des  ckartes  67,  1/2  veröffent- 
licht J*  Calmette  den  Text  einer  unbekannten  fränkischen  Ge* 
richtsurkunde  vom  Jahre  898  für  das  Kloster  Amer  in  der  jetzt 
spanischen  Provinz  Gerona. 

Kürzlich  hatte  Hermann  Suchier  in  der  Zeitschrift  für  ro- 
manische Philologie  29,  6  den  Nachweis  versucht,  daß  der  Graf 
Vivien  aus  dem  Sagenkreis  des  Guiltaume  d'Orange  idenüsch  sei 
mit  dem  historischen  Grafen  Vivtanus,  der  In  der  großen  Bretonen- 
schlacht  des  Jahres  851  fiel,  daß  ferner  der  epische  Schlachtort 
TArchant  oder  Larehamp  in  dem  heutigen  Ort  Larchamp  (D^p» 
Mayenne,  Kanton  Ern^e)  wiederzufinden  sei,  und  daß  man  hierin 

43* 


66S 


Notizen  und  Nachnchtem 


also  den  bisher  unbekannten  Ori  der  BretonenschJacht  zu  ^hea 
habe.  Gegen  beide  Identifikationen  wendet  sich  Ferdinand  Lot 
in  der  Romania  35  mit  ziemlicher  Schärfe,  wobei  er  seinerseiti 
auf  Grund  der  von  Suchier  in  der  Tat  nur  ung^eniigend  herange* 
rogenen  Vita  Conwoionis  die  ßretanensch lacht  nach  Jengland 
bei  Fougeray  (Ille-et-Vilaine).  links  von  der  Vilaine^  verlegen  wilJ. 
Völlig  schlagend  scheint  mir  der  Beweis  hinsichtlich  der  Unmög- 
lichkeit Larchamps  als  Schlachtort  geführt  zu  sein*  Bei  der  auf 
jengland  bezüglichen  Erzählung  des  Biographen  dürfte  es  indessen 
doch  auch  fraglich  sein,  ob  sie  wirklich  auf  die  Hauptschlacht  iü 
beziehen  ist.  Daß  anderseits  Vivianus  in  dem  epischen  Vivieti 
fortlebte,  scheint  mir  trotz  der  Bemerkungen  Lots  wenigstens 
nicht  ganz  ausgeschlossen ;  denn  im  Gedicht  kann  weder  der 
Altersunterschied  der  beiden*  noch  die  Verwechslung  von  Bretonea 
und  Sarazenen  so  sehr  auffallen ;  hat  doch^  was  letzteres  anlangt, 
die  Karlssage  mit  den  Basken  dasselbe  gemacht.  M  H. 

Richtig  hat  W.  A.  Fischer  erkannt»  daß  es  trotz  vielfacher 
Bearbeitung,   die   das  Leben   der  Kaiserin  Adelheid,   der   zweiten 
Gemahlin   Ottos   des  Großen,   seit   Breitenbauch  {178S)    gefunden 
hat,  an  ausreichendem  Aufschlüsse  über  das  Wesen  und  die  Stel- 
lung der  hoher»  Frau  fehlt,  und  er  hat  zunächst  das  Verhältnis  zu 
ihrem  Gemahle  zum  Gegenstande  eingehender  Untersuchung  ge- 
macht.   (Das  Verhältnis  Ottos  des  Großen  zu  seinem  Sohne  Liu- 
dolf  und  zu  seiner  Gemahlin  Adelheid.    Innsbruck,   Wagner  1903* 
141  S*)    Dabei  geht  er  von  der  Ansicht  aus,  daß  die  Art^  wie  das 
Verhältnis  Ottos  gegen  seinen  Sohn  Liudolf  in  neueren   Darstel- 
lungen geschildert  wird,   geeignet   sei,   den  großen  Kaiser   in  ein 
schlechtes  Licht  zu  bringen^  da,  wie  Fischer   meint,   nach    diesen 
Otto  aus  Vorliebe  für  seine  zweite  Gemahlin  stell  zu  Treulosigkeit 
und  Härte  gegen  den  Sohn  erster  Ehe  habe  verleiten  lassen.   Dem 
gegenüber  sucht  er  zunächst  nachzuweisen,  daß  von  einer  Vor- 
liebe des  Königs  für  Adelheid  nicht  die  Rede  sein  darf,  diese  nie- 
mals  einen   hervortretenden  Einfluß   auf   ihren   Gemahl   ausgeübt 
habe ;  in  einem  zweiten  Abschnitte  bemüht  er  sich,  das  Verfahren 
Ottos  gegen  seinen  aufrührerischen  Sohn  von  dem  Vorwurfe  des 
»Wortbruches   und   empörender  Härte'*   zu   befreien*    Wenn  auch 
einzelne  Einwendungen  Fischers  Beachtung  finden,  Im  ganzen  Ist 
seine  Beweisführung  abzulehnen*     Er  hat  es  nicht  verstanden,  sich 
mit  dem  inneren  Wesen  der  Quellenberichte  vertraut  zu  machen. 
Was  er  über  die  Interventionen  ausführt  (S*  49),  zeigt,  daß  er  sich 
über  die  Bedeutung  der  Fürbitte  in  Urkunden  jener  Zeit  nicht  ge- 
nügend unterrichtet  hat.    Und  nicht  besser  steht  es  mit  der  Ver- 
wertung  der  erzählenden   Quellen,  die   er  nicht  im  Originaltext, 


Frühes  Mittelalter 


sondern  in  deutscher  Obersetzung  benutzt  hat.  Wte  er  da  in  die 
irre  gehen  mußte,  sei  an  ein  paar  Beispielen  gezeigt.  Er  be- 
hauptet (S.  19),  daß  Otto  durch  goldene  Geschenke  die  »Liebe 
und  Treue"  seiner  künftigen  Gemahlin  erprobt  habe.  Widukind 
II ij  c.  9  aber  berichtet:  Ctimqae  eum  virius  praefetae  regln ae  rton 
latersij  simuiato  iiinere  Rom  am  proßcisci  statuit  Cumque  Lan^ 
gobaräiam  venium  essei,  aureis  maneribus  amorem  reginae  super 
se  probare  temptavlt.  Quo  fideliter  experta,  in  cöniugium  stbi 
eam  sociavlL  Oder  er  rügt  es  als  einen  Irrtum,  daß  im  Jahre 
952  die  Marken  Verona  und  Istrien  an  Bayern  gegeben  worden 
seien.  Der  Fortsetzer  Reginos  spreche  nur  von  einer  Mark, 
Verona,  und  der  Stadt  Aqulleja.  Das  ruht  auf  dem  Mißverständnis 
der  Übersetzung  i  ^Dle  Mark  Verona  und  Aquileja  wird  allein  aus- 
genommen,** Cont.  Regln,  952:  Marca  auiem  Veronensis  et  Äqui- 
ieiensis  excipitur.  Diesem  Verfahren  entsprechen  sonderbare  Na- 
mensiormen:  Hrosuith^  Aquilea,  Heriman  Kontractus  (S.  106), 
Hunnen  für  Ungarn,  Viennes,  Reimes,  und  die  mangelhafte  Be- 
nutzung  der  neueren  Literatur,  aus  der  Haucks  Kirchengeschtchte, 
die  Abhandlung  von  Steffanldes  (Kaiserin  Adelheld,  Jahresbertcht 
der  Staatsrealschule  ß.  Lelpa  IS92/3),  meine  Geschichte  des  Erz- 
bistums Magdeburg  unter  den  Kaisern  aus  sächsischem  Hause, 
die  Jahrbücher  Ottos  IL  fehlen.  Dafür  verwertet  Fischer  allen 
Ernstes  die  Magdeburger  Schöppenchronik  (S*  29,  55  Anm*  2). 
Unangenehm  berührt  es,  daß  der  Verfasser  Dümmlers  Jahrbücher 
Ottos  des  Großen,  die  ihm  doch  ersichtlich  (vgLS.  13  Anm.  3)  die 
quellenmäßige  Grundlage  seiner  Arbeit  lieferten,  nur  dort  erwähnt, 
wo  er  sich  gegen  sie  aussprechen  zu  müssen  glaubt. 

Karl  Uhllrz, 

Ein  durch  ausgebreitete  Belesenheit  bemerkenswerter  Aufsatz 
von  K.  G^  Hu  gelmann  versucht  den  Nachweis,  daß  im  Jahre 
1056  Heinrich  IV,  nochmals  zum  Könige  gewählt  worden  sei  und 
an  der  Wahl  auch  Papst  Viktor  IL  in  seiner  Eigenschaft  als 
Bischof  von  Eichstätt  —  er  hatte  das  Bistum  trotz  der  Bestei- 
gung des  päpstlichen  Stuhles  beibehalten  —  sich  beteiligt  habe. 
Der  Verfasser  vermutet,  der  Papst  habe  im  Namen  Heinrichs  II L 
mit  den  Fürsten  verhandelt  und  die  förmliche  electio  vorgenom- 
men (Mitteilungen  des  Instituts  für  Österreichische  Geschichts- 
forschung 27,  2). 

Eine  interessante  Urkunde,  die  Ergebung  einer  freien  Frau 
in  die  Cerocensualität  zugunsten  der  Kirche  St  Georg  in  Kastei 
bei  Mainz  aus  dem  IL  Jahrhundert  teilt  H.  Hirsch  mit  (Mit- 
teilungen   des   Instituts    für   österreichische   Geschichtsforschung 


^70 


Notizen  und  Nachrichten, 


Im  Jahrbuch  für  Schweizerische  GcBchichte  31  polemisiert 
H»  Hirsch  gegen  H.  Steltiacker,  der  in  der  Zeitschrift  für  die 
Geschichte  des  Oberrhe'ms  (N,  F.  19)  die  Einheitlfchkeit  der  Aäs 
Murensia  bestritten  und  Entstehungsieit  wie  Tendenz  der  ge- 
iälsehten  Grundungsurkunde  für  Muri  abweichend  beurteilt  h^ttc 
(vgl.  93,  531  L>. 

Glerchzeltig  mit  der  (Berliner)  Dissertation  von  F^Fliedner 
(Die  ronkalmchen  Felder  in  der  deutschen  Kaiserzeit«  Berlin, 
G.  Möhs  1906.  42  S»;  vgL  die  Anzeige  von  F-  Oüterbock  in  der 
Deutschen  Literatura:eitung  1906  Nr.  30)  ist  die  Abhandlung  vor 
F.  Güterbock  über  denselben  Gegenstand  erschienen.  Die  Re- 
sultate beider  hinsichtlich  der  Lage  jener  Ebene  decken  einander; 
am  klarsten  hat  sie  Güterbock  zusammengefaOt  in  den  Worten: 
, Unter  Heinrich  V.,  Lothar  und  Friedrich  L  finden  die  ronkaliscben 
Reichsversammlungen  stromaufwärts  von  Piacenza  statt  und  zirar 
in  der  Regel  nördlich  vom  Po  bei  Somaglia^  einmal,  im  Jahre  115S, 
gegenüber  bei  Cotrebbia;  die  ronkalische  Ebene  befand  sich  hier 
nördlich  vom  Po  gegenüber  von  Cotrebbia  und  Mezaano  Vigo* 
leno,  befand  sich  also  sicherlich  nicht  bei  dern  weiter  ostwärts 
Heißenden  Roncaglla,  das  jahrhundertelang  fälschlich  als  Ort  der 
Reichsversammlungen  gegolten  haf*  (Quellen  und  Forschungen 
aus  italienischen  Archiven  9,  2;  auch  gesondert  erschienen  unter 
dem  Titel:  Die  Lage  der  roncalischen  Ebene.  Rom,  Loescher  4 
Co.  1906,  26  S,). 

In  seiner  Studie  über  «Die  Imperialpolitik  König  Heinrichs  JL 
von  England"  (Heidelberger  Abhandlungen^  Winter,  12.  Heft,  S.  l 
bis  72)  bringt  Friedrich  Hardegen  an  die  bekannten  Ausfalle 
Johanns  von  Salisbury  gegen  den  Kaiser  und  die  Ansprüche  der 
deutschen  Nation  als  „wahren  Grund"  „die  Rivalität  zwischen 
Engländern  und  Deutschen*'  heran.  Statt  des  kirchenpolitischen 
Gegensatzes  zu  Friedrich  Barbarossa  sucht  Hardegen  die  englische 
Nationalität  des  Papstes  hladrians  IV,  als  Quelle  seiner  Hand- 
lungen hinzustellen.  Unter  dem  Einfluß  dieser  Stimrrtung  seines 
Volkes  soil  nun  Heinrich  IL  den  ihm  von  seiner  Mutter,  der 
, Kaiserin"  Mathilde,  eingepflanzten  Plan  verfolgt  haben,  ^die 
Kaiserkrone  seiner  Mutter  sich  aufs  Haupt  zu  setzen,**  Hardegen 
gibt  selbst  zu^  »diesen  Plan  des  großen  Normannenkönigs  nur 
undeutlichj  verschwommen"  erkennen  zu  können.  Was  dazu  nicht 
paßt,  wie  der  Brief  bei  Ragewin,  111  c.  7  wird  als  der  wahren  Ge- 
sinnung des  Königs  widersprechend  abgetan,  oder,  wie  die  An- 
wesenheit eines  Gesandten  Friedrichs  bei  einem  von  Hardegen 
vermuteten  Komplott  gegen  den  Kaiser  ,»zwar  höchst  merkwürdig* 


PrUhes  Mittelalter. 


aber  nichi  obige  Auffassung  widerlegend  gefunden.  Ein  Vergleich 
Heinrichs  des  Löwen  mit  WaUenstein  und  die  Beurteilung  seines 
Abfalls  bei  Legnano  ais  einer  ^großen^  zielbewußten,  nationalen 
Tat**  leitet  dann  unvermittelt  zur  Beschuldigung  Heinrichs  IL  von 
Engtand,  es  „in  letzter  Linie"  verursacht  zu  haben,  „daß  weifische 
und  anttkaiserliche  Gesinnung  in  Deutschland  und  Italien  identische 
Begriffe  wurden*.  Die  S.  39—40  dem  englischen  Könige  imputierte 
Sehnsucht  nach  dem  Kaisertitel  wird  völlig  unverständlich  durch 
den  im  Exkurs  ausgeführten  Zusatz,  daß  im  Mittelalter  dieser 
Titel  für  die  Beherrscher  Marokkos^  Englands,  Bulgariens,  Serbiens 
und  Kastiliens  ohne  Widerspruch  in  Anwendung  war. 

Ludwig  Riefl, 

Ein  Aufsatz  von  W*  Meyer  gewährt  lehrreiche  Einblicke 
in  die  Geschichte  des  1124  begründeten  Ordens  von  Grandmont 
und  die  Streitigkeiten  in  ihm  zwischen  seinen  klerikalen  Mitgliedern 
und  den  Laienbrüdern.  Vier  Rhythmen,  die  der  Verfasser  mitteilt^ 
sind  Zeugnisse  des  lebhaften  Kampfes  in  der  Zeit  von  1185  bis 
1188  (Nachrichten  der  KgL  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu 
Göttingen,  philol-histor,  Klasse  1906,  1). 

Die  Ausführungen  von  J*  Fr  v*  Schulte  über  die  Verdienste 
des  Bürgertums  der  Städte  im  Mittelalter  um  die  Staats-  und 
Rechtsentwicklung  sind  lesenswert,  wenn  sie  gleich  keine  wesent- 
lich neuen  Resultate  aufdecken  wollen  (Deutsche  Revue  31,  l); 
vgL  diese  Zeitschrift  95,  S49  L 

Wir  müssen  uns  an  dieser  Stelle  mit  einem  Hinweis  auf  die 
inhaltsvollen  Ausführungen  von  H.  Fehr  in  den  Berichten  über 
die  Verhandlungen  der  Kgl.  sächsischen  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften 58,  1  begnügen.  Ihr  Gegenstand  sind  «Fürst  und  Graf 
im  Sachsenspiegel",  derart  daß  die  lehnt-  und  amtsrechtlichen 
Grundlagen  des  Fürstenstandes,  die  Amtsgewalt  der  Fürsten  und 
die  deutsche  Gerichtsverfassung  zu  Beginn  des  13.  Jahrhunderts 
in  vielfach  neuer  Beleuchtung  erscheinen* 

Ein  Vortrag  von  F,  Schneider  schildert  in  kurzen  Zügen, 
die  aber  die  wesentlichen  Entwicklungsmomente  hervortreten 
lassen,  die  Kulturverhältnisse  Toskanas  vor  der  Renaissance,  deren 
geschichtliche  Vorbedingungen  aufgedeckt  werden  sollen.  Für 
Verfassung,  Wirtschaft  und  geistiges  Leben  ergibt  sich  die  Zeit 
Friedrich  Barbarossas  als  Einschnitt;  die  Eigenart  der  städtischen 
Kultur  des  13,  Jahrhunderts  wird  ansprechend  veranschaulicht, 
freilich  nur  in  Umrissen,  die  auch  auf  die  Quellenbelege  verzichten 
mußten  (Deutsche  Rundschau  32,  10), 


672 


Notizen  und  Hachrichlefi. 


Sehr  beachtenswert  Ist  eine  Untersuchung  ^zut  Entil^imi 
des  Kapitaüsmus  in  Venedig"*,  die  Reinhold  Heynen,  ein  SchuJ«r 
Brentanos,  in  den  Münchener  Volkswirtschaftlichen  Studien  rtr- 
öfientUcht  hat«  <7LStUck,  J.  G*Cottasche  Buchhandlung  NadiJolger. 
Stuttgart  u.  Berlin  1905.)  Sombarts  bekannte  Theorie  ron  dem 
angeblich  durchaus  handwerksmäßigen  Charakter  des  friihmittci- 
alteHichen  Handels  wird  hier  an  einem  besonders  instniktiTcn 
Beispiel  aufs  neue  achlagend  widerlegt,  Kapitel  1 — 3,  die  sieb 
über  die  au&ere  Entwicklung  des  venezianischen  Handels  vod 
seinen  Anfängen  bis  zum  Beginn  des  13,  Jahrhunderts  verbreiten, 
dürften  dem  Kenner  wohl  kaum  etwas  Neues  bringen;  auch  iit  im 
einzelnen  manches  ungenau  und  von  der  neueren  Forschunf 
überholt*  Im  ganzen  aber  ist  doch  vortrefflich  beobachtet,  wie 
nach  einer  früh  überwundenen  feudalistischen  Durehgangsttttk 
die  Förderung  des  Handels  das  eigentliche  Lebensefement  des 
Staates  wird,  Kapitel  4  erörtert  die  Innere  Organisation  des  vene- 
zianischen  Seehandeis:  die  Stellung  der  Unternehmer,  die  Schub- 
ausrüstung,  die  Schlffahrlstermine,  die  Technik  der  verschiedenen 
Kreditgeschäfte.  Der  Verfasser  zieht  hierbei  u,  a,  mehrere  hundert 
meist  ungedruckte  Privaturkunden  des  IL  und  12.  Jahrhunderts 
im  venezianischen  Staatsarchiv  lu  Rate;  nur  ist  ihm  merkwürdiger- 
weise entgangen,  daü  bereits  Sacerdotl  in  einer  Abhandlung 
venezianischen  Instituts  (Bd.  b%  1899)  das  gleiche  Matedaf  zu  rech 
geschichtüchen  Zwecken  durchgearbeitet  hat.  So  ist  z,  B.  der 
Collegantla-Vertrag  vom  August  1073,  den  der  Verfasser  als  den 
ältesten  erhaltenen  inn  Anhange  mitteilt,  schon  von  Sacerdotl  nelüt 
einem  noch  älteren  vom  Mal  1072  abgedruckt.  Anderseits  bleibt 
es  das  unantastbare  Verdienst  des  Verfassers»  zuerst  erkannt  m 
haben^  daß  auf  Grund  jenes  Urkundenapparats  die  Geschäfts- 
praxis einzelner  Unternehmer  und  Kapitalisten  schon  für  diese 
frühen  Jahrhunderte  ermittelt  werden  kann,  und  so  erläutert  er 
im  5.  Kapitel  den  Handelsbetrieb  eines  mittelalterlichen  Beruf»* 
händlers,  des  Kapitäns  und  Reeders  Romanus  Mairano  in  dett 
Jahren  1152— 1201,  dessen  schlechthin  kapitalistische  Struktur  hier- 
bei mit  Überraschender  Anschaulichkeit  zutage  tritt.  Nachzutragen 
wäre  hier  noch,  daß  ein  durch  seine  außergewöhnliche  Große  be- 
rühmtes Schiff  des  Mairano,  der  Kosmos,  auch  bei  der  Belagerung 
von  Ancona  Im  Jahre  f  173  eine  Rolle  spielte  (vgl.  Buoncampagno, 
Bulleitino  IstiL  HaL  15,  168).  W.  LentL 

Die  Historische  Gesellschaft  von  Pistoja  hat  begonnen 
den  Jiber  censuum  Pisio/ae',  eine  Hauptquelle  für  das  12,  und 
13»  Jahrhundert,  in  Registerform,  von  Quinto  Santoli  bearbeileC, 
herauszugeben  (vollständig  in  3  Lieferungen). 


Späteres  Mittelalter. 


Neue  Bücher!  Kunze,  Die  Germanen  in  der  antiken  Lite- 
ratur, U  Tl.:  Römische  Literatur.  Mit  einer  Karte  von  Altger- 
manien*  (Leipzig,  Freylag;  Wien,  Tempsky,  1,20  M,)'—  Bang^ 
Die  Germanen  im  römischen  Dienst  bis  zum  Regierungsantritt 
Constantins  L  (Berlin,  Weidmann.  4,80  M.)  —  Gramer,  Die  Ver- 
fassungsgeschichte  der  Genmanen  und  Kelten.  (Berlin,  Siegismund. 
4,80  M.)  —  Gutmann^  Die  soziale  Gliederung  der  Bayern  zur 
2elt  des  Volksrechtes.  (Straßburg,  Trübner,  8  M.)  —  Boysen, 
Den  aeläre  miääelalder.  fKjebenhavn^  Akaäemisk  boghandei.  3  KrJ 

—  Vogel,  Die  Normannen  und  das  Fränkische  Reich  bis  zur 
Gründung  der  Normandie  (799^9JI).   (Heidelberg,  Winter.    12  M.) 

—  L  o  k  y  s  j  Die  Kämpfe  der  Araber  mit  den  Karolingern  bis  zum 
Tode  Ludwigs  IL  (Heidelberg,  Winter.  2,40  M.)  —  Rudorff, 
Zur  Erklärung  des  Wormser  Konkordats.  (Weimar»  Böhlaus  Nachf. 
3  M,)  —  Codex  diplomatkus  regni  Croattae,  Dalmatiae  et  Sla- 
voniae.  Ed.  Smiliklas,  VoL  ///.  Diplom  aia  anno  mm  1201 — 1235 
contlnens.  (Agram,  Trpinac.  10  M.)  —  Schaube,  Handels- 
geschtchte  der  romanischen  Völker  des  Mittelmeergebiets  bis  zum 
Ende  der  KreuzzUge.  (München^  Oldenbourg*  18  M.)  —  Cara- 
bellese,  L'Apulia  e  il  sao  comune  neWalto  media  evo,  (Barij 
Commiss.  prav,  di  archeoL  e  storia.)  —  /  de  Pas,  LVchevinage 
de  Saint'Omer  (1144^! 790).    (Saint-Omer,  D'HomonL) 


Späteres  MitteLalter  (1250—1500). 

Schon  vor  Jahren  sind  die  Testamente  König  Alfons'  X.  von 
Kastilien  aus  den  Jahren  1282  und  1284,  die  durch  die  in  ihnen 
verfügte,  freilich  als  fruchtlos  sich  erweisende  Ausschließung 
seines  zweitgeborenen  Sohnes  Sancho  von  der  Thronfolge  ein  be- 
sonderes Interesse  haben,  in  der  spanischen  Fassung  verÖEfentlicht 
worden.  Jetzt  gibt  in  der  Bibiiotheque  de  i'^coie  des  ekartes  1906, 
Januar-April  Daumet  aus  dem  Pariser  Nationalarchiv  auch  die 
Lateinische  Übersetzung  der  Testamente  bekannt^  die  dem  an  der 
Regelung  der  Nachfolge  zu  Ungunsten  Sanchos  stark  beteiligten 
französischen  Hof  übersandt  worden  ist.  —  Aus  dem  gleichen 
Heft  verzeichnen  wir  noch  E.  Bergen  Les  teures  doses  äe  Saini- 
Ömer  (131b— 1319,  äußere  Merkmale)  und  E.  Teilhard  de  Char- 
d\n:  Comp t es  de  poyage  d'habitanls  de  Moniferrand  ä  Arrus 
en  1479  mit  ausführlicher  Einleitung. 

Beredte  Zeugnisse  für  die  zagha!te  Haltung  Papst  Clemens*  V* 
bilden  die  beiden  in  die  Zeit  der  Lyoner  Tagung  fallenden  Privi- 
legien  für  Philipp   den  Schönen  vom  23.   und  29.  Dezember  1306 


&74 


Notizen  und  Nachrichten. 


(VcHügung  über  das  gesamte  Kirchengut  zug^unsten  des  Kmlp 
und  Kreuzzugsprivüeg),  die  Karl  Wenck  in  der  Zeitschrift  für 
Kirchenge  seh.  27,  2  eiagehend  gewürdigt  hat. 

O.  Sommerf eidt  handelt  in  den  Mitteilungen  des  [nsdtuts 
L  österr.  Gesch.  27,  2  über  das  Itinerar  Ludwigs  des  Bayern  inr 
Jahre  13H,  indem  er  u*  a.  neue  Belege  für  dessen  Anwesenlidt 
vor  Brescia  aus  dem  Gedichte  ,Les  vmujr  dt  iVpervUr*  bei- 
bringt. 

Unter  Heranziehung  der  bisher  unbekannten  Aufzeichnungen 
aus  dem  archivalischen  Nachlai^  des  kaiserlichen  Kammernotai^ 
Bernardus  de  Mercato  widmet  V*  Samanek  der  Verfassung^ 
rechtlichen  Stellung  Genuas  in  den  Jahren  1311 — J3I3  eine  um- 
fangreiche Studie^  deren  Anfang  ebenfalls  in  den  Mitteilungen 
des  Instituts  f.  österr.  Gesch.  27,  2  erschienen  isL  Hier  wird  die 
Obernahm e  der  Regterungsgewalt  durch  Heinrich  Vit,  im  November 
1311  behandelt  und  der  Charakter  der  V^ertragsurkunde  festge- 
stellt, sodann  gezeigt,  wie  durch  die  Maßnahmen  des  königlichen 
Vikars  die  Durchführung  der  übernommenen  Gewalt  in  offenbarem 
Gegensatz  zu  dem  Vertrag  sich  vollzogen  hat. 

Im  Histor.  Jahrbuch  17,3  gibt  Sägmüller  kleine  Ver- 
besserungen zu  der  oben  S.  436  erwähnten  Arbeit  von  A,  Huy»- 
kens  über  den  Verfall  des  kirchlichen  Lebens  im  Kapitel  von 
St,  Peter  in  der  ersten  Hälfte  des  14,  Jahrhunderts^  Fr.  B He- 
rne tzried  er  bringt  ein  Schreiben  der  aufrührerischen  Kardinäle 
an  das  Breslauer  Domkapitel  aus  dem  Sommer  I37S  zum  Abdruck, 
und  G.  Sommerfei  dt  fügt  seinen  in  allen  möglichen  Zeit- 
schriften verstreuten  Miszellen  über  kirchenpolitische  Traktate  dc$ 
i4.  und  15*  Jahrhunderts  einen  neuen  Splitter  hinzu,  indem  er  dat 
Vorwort  zu  Johann  Falken bergs  Schrift  »De  monarchia  mundi^ 
und  seine  Erwiderung  auf  eine  von  Matthäus  von  Krakau  einge- 
gebene Klage  (aus  dem  Jahre  1406)  veröffentlicht 

Ungedruckte  Aktenstücke  aus  der  Zeit  Karls  IV.,  die  zumeist 
mit  der  Person  des  späterhin  während  der  großen  Kirchenspaltung 
hervortretenden  Kardinals  Pietro  Corsini  in  Beziehung  stehen, 
veröffentlicht  H.  Otto  in  den  Quellen  Ut  Forschungen  aus  itaüe- 
nischen  Archiven  und  Bibliotheken  9^  1» 

Proben  aus  dem  im  Vatikanischen  Archiv  bewahrten  Brief- 
register  des  Pierre  Ameilj  1363  bis  1365  Erzbischof  von  Neapel,  1365 
bis  1379  von  Embrun,  gibt  E,  M artin -Chabot  in  den  von  der 
icoh  franfaise  de  Rame  herausgegebenen  M^ianges  ä'arth/öiogie 
et  d'histoire  25,  3  u.  4.  Das  Register  umfaßt  die  Jahre  1363—1369 
und   igt  namentlich   für  die   Geschichte    des    Dauphin^   und   des 


Späteres  Mittelalter. 


675 


■ 


Königreichs  Sizilien  von  Wichtigkeit.  —  An  der  gleichen  Stelle 
teilt  Jos,  Calmette  Gedichte  und  Grabschriften  auf  König 
Karl  VIL  von  Frankreich  mit,  die  sich  in  Handschriften  aus  der 
Bibliothek  der  Königin  Christine  gefunden  haben. 

Wie  die  antipäpatliche  Liga,  voran  Florenz,  seit  1375  die  von 
dem  Kardinal  Albornoz  mit  so  glücklichem  Erfolg  betriebene 
Wiederherstellung  des  Kirchenstaates  in  Frage  stellte  und  tatsäch- 
lich rückgängig  machte,  schildert  M.  Brosch  (Ein  Krieg  mit  dem 
Papsttum   im  14»  Jahrhundert)    in   der  Hist.  Vierteljahrschrift  9,  3. 

In  der  Römischen  Quartalschrift  19,  4  veröffentlicht  P*  M. 
Baumgarten  Miscellanea  Cameralia  (ergänzende  Angaben  zu 
Eubels  Hierarchia  aus  einem  von  diesem  nicht  benutzten  Obli- 
gationsband Clemens'  VIL,  Bemerkungen  zur  Register-  und  Bullen- 
ta^ce  sowie  zur  Vergebung  des  roten  Huts,  urkundliche  Beiträge 
zur  Geschichte  der  Servientes  Armeram),  —  E.  G  ö  1 1  e  r  legt 
ebenda  eine  Reihe  weiterer  Ftindlein  aus  dem  Vatikanischen 
Archiv  zur  Geschichte  des  14.  Jahrhunderts  vor^  die  diesmal 
unserer  Kenntnis  von  der  Kriminal  Justiz  und  dem  Gefängniswesen 
am  Avignonesischen  Hofe  und  von  der  Einführung  der  SuppUken- 
rcgister  zugute  kommen  (vgl.  93,  355  L;  95,  535). 

Fr.  Pick  bietet  in  den  Mitteilungen  des  Vereins  L  Gesch.  d, 
Deutschen  in  Böhmen  44,  4  eine  Fortsetzung  seiner  Beiträge  zur 
Wirtschaftsgeschichte  der  Stadt  Prag  im  Mittelalter  (vgl  97,  202), 
Indem  er  das  Gästerecht,  seine  Entwicklung  und  Durchführung, 
in  längeren  Ausführungen  behandelt. 

Mit  vielen,  vornehmlich  aus  archivaUschen  Quellen  südwest- 
deutscher Städte  geschöpften  Beispielen  belegt  A.  Nuglisch  in 
der  Zeitschrift  L  Sozialwissenschaft  9,  6— S  die  bedeutende  wirt- 
ßchaftUche  Leistungsfähigkeit  der  Städte  im  Mittelalter. 

Von  erheblichem  wirtschaftsgeschichtlichen  Interesse  ist  die 
Quellenveröffentlichung  des  Genfer  Privatdozenten  0.  Karmin 
(La  legge  dei  catasto  Floren Unü  äet  1427.  Firenze^  Seeben  1906* 
79  S.)j  die  vornehmlich  aus  dem  wichtigen,  dem  Florentiner  Staats- 
archiv angehörenden  Bande:  Ordini  del  catasto  1427  schöpfend 
uns  mit  dem  Hauptinhalt  des  Gesetzes  und  einigen  von  seiner 
Ausführung  handelnden  Maßnahmen  bekannt  macht. 

H.  Baraude  beginnt  in  der  Hevue  des  questions  hisioriques 
1906,  Juli  l  mit  einer  breit  angelegten  Abhandlung  über  die  Be- 
lagerung von  Orleans  und  jeanne  d' Arc^  die  infolge  ihrer  gar  zu 
aphoristischen  Darstellungsweise  gerade  keine  angenehme  Lektüre 
bildet. 


676 


Notizen  und  Nachrichten, 


Einer  erneuten  Polemik  gegen  Kochne  (vgl*  96,  357|  gül  tli; 
in  TiUes  Deutschen  Ceschichtsblätlern  7,  9  veröKentJjchte  Ab- 
handlung von  H*  Werner,  die  die  Reformation  Kaiser  Sigmunds 
im  Zusammenhang  mit  anderen  Schriften  bürg^erJicher  Reforroc: 
betrachtet  und  auch  von  dem  Glauben  an  die  Autorschaft  Valentm 
Ebers  nicht  zu  lassen  gewillt  ist 

In  den  Hansischen  Geschichtsbiättern  1906,  1  behandelt 
O.  Meltzing  den  langwierigen  Prozeß,  den  der  in  Briiggt  m- 
sässtge  Florentiner  Tommaso  Portinari  im  Jahre  1473  zunächit 
gegen  Da nz ig,  dann  gegen  die  ganze  Hanse  angestrengt  hat 

Einen  Einblick  in  den  Haushalt  einer  kleinen  mittelalterlicheB 
Stadt  gestattet  cm  von  G.  P^rouse  mitgeteiltes  Verzeichnis^  üi 
dem  die  Schulden  des  Gemeinwesens  Mäcot  (Arrondissement 
Moütiers)  und  die  Abgaben  mitgeteilt  werden,  die  von  den  in 
1^  Stufen  gegliederten  Einwohnern  im  Jahre  1476  2ur  Deckung 
dieser  Summen  erhoben  wurden  {M/moires  et  docu/nenis^  puU^  p, 
ia  Soci^tä  savaisienne  ä*fusl.  et  d'artkeol.  43,  2)^ 

Neue  Bficher:  Kisky,  Die  Domkapitel  der  geistlichen  Kur- 
fürsten in  ihrer  persönlichen  Zusammensetzung  im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert (Weimar,  Böhlaus  Nacht  5,40  M,)  —  Recueil  de  docu- 
menis  reiatifs  ä  l'kisiaire  de  l'indtistrie  ärapiire  en  Fiandrt.  T*  L 
(BruxttleSf  Imbregkfs.)  —  Hus ,  Opera  omnia.  Tom.  IL  Fase.  2. 
Super  fV  senfenfiarum,  ili^iV^  Hrsg.  von  FlajShans  und  Komfo* 
kovä*  (Prag,  ViKmek*  10  M*)  —  Meltzing,  Das  Bankhaus  der 
Medici  und  seine  Vorläufer.    (Jena,  Fischer,    3,50  M.) 


Reformatian  und  Gegenreformation  (1500— I64a). 

Eine  Untersuchung  Über  den  Ursprung  der  französischen 
Nuntiatur  beginnt  P.  R  i  c  h  ar  d  im  80.  Band  der  Revue  des  quesiiem 
hhtoriques  (Nr*  159,  Juli  1906),  indem  er  die  Anfänge  einer  ständigen 
Vertretung  der  Kurie  in  Frankreich  unter  teo  X.  beleuchtet 

Von  kleineren  Beiträgen  zur  Luther-Forschung  erwähnen 
wir  zunächst  die  vernichtende  Kritik ,  der  G>  Kawerau  in  den 
Deutsch^evangelischen  Blättern  31,  7  die  in  diesem  Jahre  er* 
schienene  „Lutherpsychologie*  von  A.  M,  Weiß  unterzieht  Aul 
der  Gegenseite  wird  die  Kritik,  welche  Otto  Scheel  in  den  beiden 
Ergänzungsbänden  zur  Berliner  Volks-Lutherausgabe  an  den  Be- 
merkungen Denifles  gegen  Luthers  Schrift  über  die  MÖnchsgeliibde 
geübt  hat,  von  N*  Paulus  im  Hist.  Jahrbuch  27,  3  und  vou 
Martin  Grabmann  In  den  Historisch -politischen  Blättern  138, 
1  u.  2   zu   entkräften   versucht^   wenn   beide    auch    zugeben    daB 


Reformation 


Scheel  In  einigen  Punkten  mit  Recht  Luther  gegen  Denlfle  in 
Schutz  nimmt.  Insonderheit  will  Paulus  den  Katholizismus  gegen 
den  Vorwurf  eines  doppelten  Lebensideals  und  einer  Rechtferti- 
gung durch  den  Eintritt  in  einen  Orden  verteidigen.  O*  Albrecht 
beschließt  im  IL  Heft  des  Archivs  f.  Reformationsgesch,  (3,  Jahrg., 3) 
seine  Untersuchungen  zur  Bibliographie  und  Textkritik  des  kleinen 
Lutherschen  Katechismus  (vgl.  H.  Z.  95,  541),  In  der  Frage  der 
Lutherlieder  beginnt  F.  Spitta  in  der  Monatsehnlt  ft  Gottesdienst 
u.  kiichl.  Kunst  1  L  7  u,  8  eine  Auseinandersetzung  mit  seinen  drei 
oben  S.  442  genannten  Kritikern,  Georg  Lösche  teilt  in  der 
Zeftschr.  f.  Kirchengesch.  27, 2  eine  Äußerung  König  Ferdinands  L 
mit,  in  welcher  dieser  selbst  seinen  angeblichen  Brief  an  Luther 
vom  Jahre  1537  als  Fälschung  kennzeichnet  Ebenda  veröfientlicht 
Georg  ß  erb  ig  ein  Schreiben  Johann  Friedrichs  des  Großmütigen 
an  Luthers  Söhne  Martin  und  Paul  vom  22,  Oktober  1553  mit  der 
Bitte  um  einen  Bericht  über  Luthers  literarischen  Nachlaß, 

Auf  Grund  des  von  F.  Geß  herausgegebenen  I.  Bands  der 
Akten  und  Briefe  zur  Kirchenpolitik  Herzog  Georgs  von  Sachsen 
handelt  Gustav  Wolf  in  den  Neuen  Jahrbüchern  f.  das  klass« 
Altertum  17,  6  ausführlich  über  die  Kirchenpolitik  des  Herzogs 
und  beleuchtet  namentlich  das  gan^  allmähliche  Fortschreiten  auf 
der  relormationsfeindlichen  Bahn. 

Eine  Reihe  von  Untersuchungen  beschäftigt  sich  mit  der  Ge- 
schichte der  HohenzoUern  im  16.  Jahrhundert.  Paul  Kalk  off  be- 
leuchtet in  den  Quellen  und  Forschungen  9,  l  auf  Grund  reichen,  vati- 
kanischen Materials  die  Beziehungen  der  HohenzoUern  zur  Kurie 
unter  dem  Einfluß  der  lutherischen  Frage  (1518 — 25),  indem  er 
zeigt,  wie  einerseits  die  Kurie  sich  unter  dem  Druck  der  lutherischen 
Bewegung  den  Anliegen  der  HohenzoUern  geneigter  zeigte, 
während  anderseits  die  Fürsten  ihre  Forderungen  unter  Hinweis 
auf  die  kirchliche  Lage  verschärften.  Im  einzelnen  handelt  es 
sich  dabei  um  die  Wünsche  Albrechts  v,  Mainz,  um  die  Angelegen- 
heit der  Havel  berger  Bischofs  wähl  (Eintreten  Joachims  L  für 
Hieron.  Schulz  und  für  die  Anerkennung  des  kurfürstlichen 
Nominationsrechtes  an  den  drei  Landesbistümern)  und  um  die 
Frage  der  Versorgung  der  jüngeren  fränkischen  Markgrafen  durch 
kirchliche  Pfründen.  —  Im  53.  Jahresbericht  des  Hist,  Vereins  L 
MitteUranken  veröffentlicht  Schornbaum  einige  MitteUungen  zur 
Geschichte  Georgs  von  Ansbach,  namentlich  zur  zweiten  Kirchen- 
visitation 1536.  Martin  Haß  macht  in  den  Forschungen  zur  ßran- 
denburgischen  und  Preußischen  Geschichte  19,  1  einige  kritische 
Bemerkungen  über    die    handschriftUche   OberUeferung  und   das 


678 


Notizen  und  Nachrichten, 


Alter  der  drei  Redaktionen  der  Hofordnung  Joachims  IL  so^ 
über  die  Verwaltung  der  Amts-  und  Kammeraachen  ufitr 
Joachim  IL  und  Johann  Georg.  C  v.  Barde  leben  ichließM 
spricht  im  36.  bis  37.  Jahresbericht  des  Hist  Vereins  zu  Brandenburg 
a.  d,  H,  über  das  Kriegswesen  der  Ait-  und  Neustadt  Branden* 
bürg  zur  2eit  des  Kurfürsten  Johann  Georg  (der  danach  ^ 
militärische  Bereitschaft  dea  Staates  nach  der  vorausgegangene 
Friedenszeit  wieder  zu  erhöhen  suchte). 

Das  Schreiben  des  Kurfürsten  Friedrich  von  Sachsen  an 
Hans  von  der  Pknitz  vom  26.  November  1522,  das  in  dessen  Be* 
richten  aus  dem  Reichsregiment  in  Nürnberg"  S*  257  Anm*  2  its 
verloren  bezeichnet  ist^  wurde  wieder  aufgefunden  und  von 
H,  Virck  in  der  Zeitschr.  L  Kirchengesch,  27^  2  verÖHcntlichl 

Ober  eine  unveröffentlicht  gebliebene  Schrift  ßtigenhagen» 
handelt  Kawerau  in  den  Theolog*  Studien  u.  Kritiken  1906,4. 
nämlich  über  einen  Kommentar  zum  ganzen  I,  Korinlherbriei, 
wovon  K^  einige  Vorarbeiten  auf  der  Bresiauer  Univertitlts- 
bibliothek  fand. 

Ludwig  Cardauns  druckt  in  den  Quellen  u,  Forschungen 9,1 
einen  Programmentwurf  des  Jahres  1540  zur  WiederhersteUuag 
der  kirc buchen  Einheit,  der  aus  dem  Kreis  Georg  Witzeis  und 
seiner  Mittelpartei  herrührt. 

In  der  Altpreuflischen  Monatsschrift  43,  1—2  teilt  A.  Seraphin 
ein  Pasquill  au!  Andreas  Oslander  aus  dem  Frühjahr  1551  mlll 
es  stammt  wahrscheinlich  aus  dem  Mörünschen  Kreis. 

Die  landesherrlichen  Verwaltungsbehörden  im  Bistum  Osna- 
brück vom  Regierungsantritt  Johanns  IV,  von  Hoya  bis  zum  Tod 
Franz  Wilhelms  (1553—1661)  erfahren  in  Bd,  30  der  Mitteilungen 
des  Vereins  f,  Gesch,  u.  Landesk.  v.  Osnabrück  durch  Heinrich 
Rehker  eine  ausführliche^  auf  archivaüsche  Studien  gegründete 
Darstellung. 

Der  Versuch  einer  Einführung  der  Reformation  in  Trier  ISS^ 
wird  von  Julius  Ney  in  den  Schriften  des  Vereins  f.  Refor- 
matio nsg  es  eh.  Nr,  88— 89  (t8.Jg.,  3— 4;  Halle,  Rud.  Haupt  1906*  lll 
u*]I4S,  1,80  M.)  sehr  ausführlich  geschildert«  Er  knüpft  sich 
namentlich  an  das  Auftreten  Olevlans  und  schien^  nachdem  ein 
Einschreiten  des  Kurfürsten  im  September  glücklich  abgewehrt 
war,  gute  Aussicht  auf  Erfolg  zu  bieten.  Der  Rückschlag  soll  in 
einem  späteren  Heft  geschildert  werden. 

Die  neue  englische  Knojt-Literatur,  die  namentlich  bei  Ge- 
legenheit der  Zentenarleier  erschien^  wird  von  R,  S.  Rait  in  der 


Reformation 


Quarte Hy  Review  Nr*  408   (Juli  1906)   nach   ihrem  Wert   und   ihren 

Ergebnissen  für  die  Geschichte  der  schottischen  Reformation  be- 
sprochen; das  Buch  von  Andrew  Lang,  Jahn  Knox  and  the  Re- 
form a  Hon  (1905)  wird  als  der  wichtigste  Ertrag  der  Zentenar- 
literatur  bezeichnet  Die  deutsche  Arbeit  Mulots  (vgl  H,  Z.  95,  362) 
ist  dem  Verfasser  unbekannt. 

Über  die  geheime  Sendung,  in  welcher  Canislus  1565  von 
Pius  IV,  an  die  deutschen  Bischöfe  und  einige  weltlichen  Stände 
zur  Überbringung  der  beglaubigten  Drucke  der  Trienter  Beschlüsse 
und  in  Sachen  des  bevorstehenden  Reichstags  geschickt  wurde, 
macht  Otto  Braunsberger  in  den  Stimmen  aus  Maria-Laach 
nähere  Mitteilungen;  die  beiden  ersten  Aufsätze  (Jahrg.  1906,  6 
u>  7)  betreffen  die  Ausrichtung  des  Canisius  in  DilLingenj  Würz- 
burg, Mainz,  Aschaffenburg,  Koblenz,  Hinwegen  und  bei  den  west^ 
fälischen  Bischöfen.  Auf  S.  64  lesen  wn^  daÖ  das  Reservatum 
tcciesiastUum  die  Protestanten  hinderte,  „durch  List  oder  Gewalt* 
manche  Bischofsstühle  zu  gewinnen;  ist  es  denn  wirklich  unmög- 
lich, über  tatsächliche  Erscheinungen  objektiv  zu  urteilen?  S.  58 
Anm.  2  findet  sich  ein  falsches  Zitat  aus  Le  Breis  Magazin,   R,  M. 

Über  den  vielgewandten  und  als  Erbauer  der  wichtigsten 
sächsischen  und  brandenburgischen  Festungen  berühmt  gewordenen 
Grafen  Rochus  zu  Linar  bringt  das  Buch  von  Richard  Korn, 
Kriegsbaumeister  Graf  Rochus  zu  Linar^  sein  Leben  und  Wirken. 
Dresden  ^^  o.J.  [1905]  sehr  erwünschte,  reichliche  Mitteilungen, 
namentUch  aus  dem  Dresdener  und  Berliner  Archiv,  die  unsere 
Kenntnis  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  erweitern.  Die  Auf- 
schlüsse, die  wir  über  Linars  Tätigkeit  im  Festungsbau  erhalten, 
machen  die  flelssige  Arbeit  zu  einem  beachtenswerten  Beitrag  zur 
Geschichte  der  Befestigungstechnik  in  Deutschland;  auch  das 
Charakterbild  Linars  hat  der  Verfasser,  dank  —  müssen  wir  sagen 
—  der  vielfachen  Anfeindungen,  denen  der  „welsche  Einaug**  all- 
zeit ausgesetzt  gewesen  ist,  durch  manchen  neuen  Zug  zu  be- 
reichern vermocht.  Leider  ist  das  Material  in  wenig  geschickter 
Weise  verarbeitet  und  eine  gleichmäßig  ausgeführte  Lebens- 
beschreibung stellt  das  Buch,  wie  weit  es  auch  über  die  bisher 
vorhandenen  biographischen  Skizzen  hinausgeht,  nicht  dar;  die 
früheren  Perioden  in  dem  Leben  dieses  internationalen  Menschen 
sind  allzu  summarisch  behandelt  und  die  abfällige  Beurteilung 
Linars  als  Architekt  hätte  wohl  eine  eingehendere  Begründung 
erfordert*  M,  //, 

Einige  Briefe  Olevians  vom  Jahre  1586  teilt  Knodt  in  den 
Theo  log.  Studien  u.  Kritiken  1906,  4  mit ;  sie  betreffen  seinen  un- 


680 


Notizen  und  NachnchtenH. 


glücklichen  Fall  zu  Kerborn  und  die  Einführung  des  reformierffs 
Abendmahlritus  in  Nassau  a.  L. 

Zur  Gegenreformation  im  Sal^kammerg^ut  verö0eistMcbt 
Georg  Lösche  im  IL  Heft  des  Archivs  L  Refaifnjitionsgcsck 
(a  Jahrg-j  3)  einige  Akten  von  15^,  die  zur  Vorgeschichte  ^" 
groBen  Aufstands   der  Saizarbelter  und  Bauern    1601  02  gfb 

—  Der    Versuch,    die    Gegenreformation    im    ünterengadin    and 
Prätigau   znt  Durchführung  xu   bringen,    den    Erzherzog   LeopoW 
1621  machte,  und  der  mit  dem  Aufstand  vom   April  1622  ein  End 
nahm,  wird  von   A,  Ludwig  im  35.  Jahresbericht    der  HisloHicii-^ 
antiquar.    Geselischaft    von    Graubünden    S.  95 — 146     anschaulich 
geschildert. 

Zur  Ergänzung  seiner  Schrift  über  die  Bekehrung  der  Ober- 
plalz  beantwortet  M.  Hög]   in  den  Historisch-politischen  Blatte 
138,  2   die  Frage^   warum    Maximilian^   der   schon    162]    das  Ltnd ' 
besetzte,  erst  1525  mit  der  katholischen  Restauration  begann,  da- 
hin, daß   dabei  Rücksicht  auf  Kursachsen,  das  sich  mehrmab  der 
Oberpfälzer  annahm,  maßgebend  gewesen  sei. 

Die  ephemere  Tätigkeit  der  Jesuiten  in  Goslar  1630 — $2  und 
ihr  Plan,  die  Stadt  zu  einem  Mittelpunkt  katholischer  Wissen- 
schalt  zu  machen,  wird  von  H,  Kloppenburg  in  der  Zeitschr« 
des  Harz-Vereins  Z%  1  besprochen. 

Ein  Gedicht  auf  den  Oberfalt  bei  Tuttlingen   1643,   das  Ado 
Schmidt  in  den  Württembergischen  Vierteljahrsheften  N,  F-  15^2 
mitteilt,    rührt  von  Moscheroschs   Freund   Melchior    Erhard    (ge 
Melander)  her. 

Neue    Bücher:    Holderness,    The  story   af  pralestaniisn 
(London,  CasseL   6  sh.)  —   Lindsay,  Ä  histary   af  ihe  re/ormi 
tian.     Voi.  L    (Edinburgh,  Ctark.    12  sk.)  —   H  e  g  I  e  r ,   Beitri 
zur  Geschichte   der   Mystik   in  der  Reformationszeit*     Hrsg,   vc 
Köhler,    (Berlin,  Schwetschke  &  Sohn*    tO  M.)  —  Briefe  an  Deil 
derius  Erasmus    von  Rotterdam.    Hrsg.  von  Enthoven*     (Stra 
bürg,  Heitz.     10  M,)   —   Nonclatures   de  France.     Nonciaturrs 
CUment  VI!,  pubL  p.  Frmkin.  Tome  /  (1325— 1527).  (Paris,  Pküt 
et  fils.  W  fr.)  —  Marlin ,  Gustave  Wasa  ei  la  r/forme  en  Sm 
(Paris,  Fontemoing*    10  fr.)   —    Corpus   Reform atorum^     V^i: 
Zwingiis  Werke,  L  u,  2.  Lfg,  (Berlin,  Schwetschke  ^  Sohn,   6  M.) 

—  Bossen,  Calvin,  (Paris,  Hachetie  £  Cie.  2  fn)  —  Picard, 
Theodore  de  Beze.  (CahorSf  Coueslantj  —  Gassier^  Les  cinq 
Cents  immortels.  Hisloire  de  l'acad/mie  franfalse  (t634- — 1906), 
(Paris,  Jouve,  7,50  fr,)  —  imtert,  La  vita  fiorentina  ne$  seicsnio 
secondo  memcrie  slncrone,  1644 — 1670*   (Firenze,  Bemborad.  5  fnf 


1648—1789, 


mi 


1648—1789, 

In  den  Forschungen  zur  brandenburgmchen  und  preußischen 
Geschichte  1%  I  schildert  Hötzsch  den  Fürsten  Johann  Moritz 
von  Nassau-Siegen  als  brandenburgischen  Staatsmann  (1647  bis 
1679).    Charakteristisch   Ist,   daß  alles   Entscheidende    schließlich 

stets  der  Kurfürst  selbst  tun  muß^  der  Statthalter  wiederholt 
gegenüber  den  starken  Ansprüchen  des  Kurfürsten  gleich  Croy 
in  Ostpreußen  ein  gutes  Wort  für  das  Land  einlegt,  so  in  Steuer- 
fragen einmal  —  ob  nur  aus  taktischen  Interessen?  —  der  adligen 
Freiheit  gegenüber  den  Städten  die  Stange  hält,  und  endlich  seit 
1666  in  wachsendem  Maße  durch  den  General  Spaen  In  den  Hinter- 
grund gedrängt  wird* 

Eine  Anzahl  sachlich  nicht  allzu  erheblicherj  eigenhändiger, 
aber  aus  diesem  Grunde  beachtenswerter  Briefe  des  Großen  Kur- 
fürsten an  den  Fürsten  Johann  Moritz  von  Nassau  aus  den  Jahren 
1651—1679,  die  schon  Hötzsch  mitbenutzt  hat,  sowie  Korrespon- 
denzen zwischen  dem  Kurfürsten  und  seiner  holländischen  Schwie- 
germutter über  die  preußisch-englische  Allianz  und  das  gleich- 
zeitig vergeblich  geplante  engUsch-oranische  Heiratsprojekt  ver- 
öffentlicht ebendort  Meinardus. 

Prinz  Eugen.  Von  Karl  Ritter  v.  Landmann.  München, 
Kirchheimsche  Verlagsbuchh.    1905*    100  S.     Der  zweite  Titeh  Die 

Begründung  der  Groß  macht  Stellung  Österreich- Ungarns  Ist  wohl 
nur  gewählt  worden,  um  die  äußere  Zugehörigkeit  des  Buches  zu 
dem  monographischen  Sammelwerke:  Weltgeschichte  in  Charakter- 
bildern (Hrsg*  von  Kampers,  Merkle,  Spahn)  zu  rechtfertigen-  Er 
ist  nicht  sehr  glücklich*  Die  österreichisch-ungarische  Großmacht 
war  doch  schon  eine  Schöpfung  des  16.  Jahrhunderts  gewesen. 
Der  Versuch,  das  Thema  von  dem  höheren  Standpunkte  euro- 
päischer Gesamtgeschichte  zu  erlassen,  ist  nicht  allzuhäufig  und 
dann  zumeist  in  unzulänglicher  Welse  gemacht  worden.  Im  wesent- 
lichen beschränkt  sich  Verfasser  auf  die  Aneinanderreihung  der 
bekannten  kriegerischen  Ereignisse.  Ob  die  Gründung  des  Augs- 
burger Bundes  Ludwig  XIV.  allen  Ernstes  mißtrauisch  gemacht  hat^ 
könnte  bestritten  werden,  Max  Emanuel  auf  Kosten  Wilhelms  llf- 
als  Eroberer  von  Namur  zu  bezeichnen  (S.  19)^  läßt  sich  durch 
nichts  rechtfertigen.  S.  47,  Z  Spalte,  10  Z.  v.  o,  lies  Mundeisheim. 
—  Auch  dieses  Buch  ist,  wie  alle  der  Sammlung,  vorzüglich  aus- 
gestattet worden.  Preuß, 

Graf  Haussonville  setzt  in  der  Revue  des  deux  mondes  vom 
l.  Juli  1906   seine   Studien   über  die  Bf^e^2ogin  von  Burgund   und 

Hütori«che  Zeitfchnlt  (97.  Bd.)  3.  Folge  K  B(L  44 


682 


Notizen  und  Nachrichten. 


die  savoyardische  AlUanz"  mit  einer  Schilderung  der  Tätigte 
des  Herzogs  von  Burgund  im  KgK  Geheimen  Rat,  insbesondt 
im  conseit  ä'en  hauty  fort*  Der  Herzog  nimmt,  seitdem  er  Throft- 
(olger  geworden  war,  lebhaft  und  unvorein^enornmen  teil  an  den 
schwebenden  Fragen  und  ist  z.  B.  aus  Nattonalstok  1709  iind 
1710  Im  Innern  gegen  die  starke  Fnedensströmung  in  Frankmcb 
gewesen. 

Stieda  schildert  in  den  Forschungen  zur  Geschichte  Bayctr.s 
14^  I  die  Anfänge  der  keramischen  Industrie  in  Bayern,  nachdesi 
die  Grund aog  der  Meißener  Fabrik  1710  den  aJIgemeinen  Wett- 
bewerb hervorgerufen  hatte.  Es  handelt  sich  bis  in  die  iveiu 
Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  im  wesentlichen  um  einen  GroßbelrieK 
der  der  Kosten  wegen  zumeist  von  Fürsten  unterhalten  werden 
mußte  und  zahlreiche  Mißerfolge  insbesondere  wegen  mangelhifter 
Absatzpolitik  im  Gefolge  hatte, 

Rosenlehner  schildert  im  ersten  TeiJ  seines  Aufsatie* 
über  pMiinchen  und  Wien**  1725  und  1726  in  den  Forschungen  lui 
Geschichte  Bayerns  \%  I,  wie  der  Münchener  Hof  von  den  di- 
mallgen  sich  entgegenstehenden  Koalitionen:  Österreich-Spanien 
und  Frankreich-Engiand-PreuÖen  zum  Beitritt  umworben  wurde 
und  sich  schUeßlich  für  die  kaiserliche  Partei  entschied,  nicht 
ohne  daß  der  phantastische  Max  Emanuel  den  Gedanken  faüt,  die 
S jährige  Maria  Theresia  für  einen  noch  gar  nicht  geborenen 
bayerischen  Prinzen  zu  gewinnen. 

Den  im  wesentlichen  bereits  von  Johannes  Falke  benutTlen 
Briefwechsel  zwischen  dem  Kronprinzen  Friedrich  von  F^euflen 
und  dem  Fürsten  Joseph  Wenzel  von  Liechtenstein  insbesondere 
aus  den  Jahren  1734—1737  macht  Hans  Droysen  In  den  For- 
schungen zur  brandenburgischen  und  preußischen  Geschichte  i%  I 
bekannt.  Die  1734  begründeten  persÖnUchen  Beziehungen  des 
Fürsten  Liechtenstein  suchte  man  in  Wien  politisch  zu  verwerten* 
daher  denn  auch  nach  dem  Hubertusburger  Frieden  der  lange 
unterbrochene  Briefwechsel  von  Liechtensteins  Seite,  aber  ohne 
wieder  lebhaft  zu  werden,  neuerdings  angeknüpft  wurde. 

Zwei  Weisungen  Friedrichs  des  Großen  aus  dem  kritischen 
Jahre  174^  publiziert  J.  Strieder  in  den  Forschungen  zur  brande»- 
burgischen  und  preußischen  Geschichte  19,  1  als  Ergänzung  lur 
Politischen  Korrespondenz.  Der  Verfasser  meldet  eine  Arbeit  an, 
die  im  Gegensatz  zu  Beer  u.  a.  unter  Rückkehr  zu  Arneth  zeigen 
soll,  daß  die  österreichische  Politik  von  1749 — 1755  keineswegs 
nur  platonisch  den  Gedanken  einer  Wiedereroberung  Schlesiens 
erwogen  hatte. 


1648—1789. 


683 


In  den  Preußischen  Jahrbüchern  125,  l  will  Frensdorff, 
Friedrichs  des  Großen  Schrift  über  die  deutsche  Literatur  und  die 
deutsche  Rechts-  und  GeschichtswlssenschaEtf  die  Aufmerksamkeit 
auf  eine  bisher  vernachlässigte  Seite  lenken^  indem  er  aus  dem 
[nhalt  der  Broschüre  die  auf  den  önterricht  in  der  Geschichte 
sowie  auf  die  Jurisprudenz  bezüglichen  Stellen  herausholt  und 
erläutert. 

Das  Journal  einer  französischen  Gesandtschalt  nach  Marokko 
und  den  Text  eines  daraufhin  abgeschlossenen  französisch-marok- 
kanischen Vertrages  von  1767  veröffentlicht  Baudry  in  der  Revue 
des  quesUons  hisionques  vom  l.  Juli  1906, 

F*  Gh,  Roux  beendet  in  der  Revue  hisiorique  91|  2  (Juli 
J906)  seine  Studie  über  „Die  französische  Politik  in  Ägypten  am 
Ende  des  18.  Jahrhunderts**  (vgl*  97,  450).  Hauptsache  war  stets 
der  Weg  nach  Indien  als  dem  Wunderlande  des  Handels  und 
Reichtums.  Als  eines  unter  mehreren  Mitteln  gilt  die  französische 
Einwurzelung  in  dieser  oder  jener  Form  in  Ägypten  als  Etappe 
nach  Indien.  Seit  1783 — 87  verfolgt  man  den  Plan^  die  ent- 
sprechenden Verhandlungen  statt  in  Konstantinopel  wieder  direkt 
in  Kairo  zu  führen.  Der  Verfasser  findet  es  richtig,  daß  die  alt- 
französische Politik  nicht  auf  die  alsbaldige  Auflösung  der  Türkei 
spekuliert  und  dadurch  den  Franzosen  eine  Zukunft  in  Ägypten 
offen  gehalten  habe. 

Neue  Bficher:  Andr/,  Michil  ie  Tellier  et  l'organisaüan  de 
Varm^e  monarchique.  (Paris,  Ale  an.  14  fr.)  —  v,  Schlippen- 
bach, Zur  Geschichte  der  hohenzollerischen  Souveränität  in 
Preußen.  Diplomatischer  Briefwechsel  des  Königs  Karl  Gustav 
von  Schweden  und  des  Gesandten  Grafen  Chr.  K.  v.  Schlippen- 
bach aus  den  Kriegsjahren  1654 — 1657.  (Berlin,  Fleischel  &  Co. 
12  M.)  —  H.  G.  Schmidt,  Die  Konvention  von  Altranstedt  vom 
22.  August  1707,  (Leipzig,  Strauch,  1,20  M.)  —  Skrine^  Fön- 
ten oy  and  Greai  Briiain's  share  in  the  war  of  the  Anstrian  sac- 
cession  (1 715 —  / 748).  (L an don ,  Bla ck w ao rf.  21  shj  —  Gundlach^ 
Friedrich  Wilhelm  L  und  die  Bestellung  der  städtischen  Beamtem 
(Jena,  Gostenoble.  2,50  M,)  —  Politische  Korrespondenz  Friedrichs 
des  Großen.  31.  Bd.  (Berlin,  Duncker.  24  M.)  —  Briefwechsel 
zwischen  der  Kaiserin  Katharina  11.  von  Rußland  und  Joh.  Georg 
Zimmermann.  Hrsg.  von  Bodemann.  (Hannover,  Hahn,  4  M,)  — 
V,  der  Goltz,  Von  RoGbach  bis  Jena  und  Auerstedt.  2.,  neubearb. 
Aufl.  von  ^Roßbach  und  Jena".  (Berlin,  Mittler  £  Sohn.  10  M.)  — 
Heussif  Johann  Lorenz  Mosheim.  Ein  Beitrag  zur  Kirchenge- 
schichte des  fS.  Jahrhunderts.  (Tübingen,  Mohr.  5  M.)  —  Franz, 

44* 


tM 


Notizen  und  Nachrichten. 


Die  Kolonisation  des  Mississippitales  bis  Eum  Ausgang  der  Itm- 
2ösiachen  Herrschalt.  (Leipzigs  Wigand,  10  M.)  —  De  R Ocke- 
rn 0  nie  ix  ^  Les  Jesuit fs  et  ta  Mouvetie- Francs  au  XVill*  sOäL 
(Paris,  Ricard  et  fits.  i2  frj  —  Ageorges,  Le  dergä  rural  sim 
i'ancien  regime.    (Paris^  Bloud  <£  Cie^) 


Neuere  Geschiclife  seit  I7S9. 

Im  Mal-Heft  der  Revolution  Franpaise  setzt  Aulard  seinen 
Angriff  auf  Taine  fort,  indem  er  sich  —  zum  Teif  mit  höchst  un- 
gerechten und  seitsamen  Einwänden  —  gegen  dessen  la  Re\*otM* 
tion  t  (f Anarchie)  vfGnötL—Buily  beendigt  seine  Arbeit  über 
Mokilin^  dessen  Integrität  er  betont,  dessen  MittelmMßigkelt  er  aber 
nicht  hin  wegzuleugnen  vermag.  Im  Juni -Heft  veröffentlicht  L 
Cahen  einen  lesenswerten  Aufsatz  über  das  Verhältnis  Condor- 
cets  zur  ^Gesellschaft  der  Negerfreunde*.  Er  findet  darin  seinen, 
auch  in  seinem  bekannten  Werke  ausgesprochenen^  übrigens  in 
dieser  Form  durchaus  anfechtbaren  Satz  bestätigt,  daß  Condorcet 
zwar  in  seinen  Zielen  radikal,  aber  in  seinen  Mitteln  vorsichtig 
und  auf  die  Wahrung  erworbener  Rechte  und  fnteressen  bedacht 
gewesen  sei.  —  Die  statistikfrohe  Zeitschrift  bringt  dann  weiterhin 
eine  ausfiihrhche  Arbeit  Dejeans  über  eine  vor  100  Jahren  unter 
Beugnot  begonnene  Statistik  des  Departements  Seine-fnf^rieure, 
Diese  wird  im  Juli* Heft  zu  Ende  geführt.  Beugnot  behauptet 
in  allgemeinen  Wendungen  immer  wieder  eine  hohe  Bfüte  seines 
Bezirks.  Allein,  manche  Einzelheit^  die  er  mitteilt,  redet  eine 
andere  Sprache:  die  Bevölkerungszahl  um  1806  hat  die  von  178^ 
noch  lange  nicht  wieder  erreicht:  die  Bodenpreise  sind  um  ein 
Fünftel  niedriger  als  damals.  Die  Steuereintreibung  gelingt  zwar 
besser  als  In  den  nächsten  vier  bis  fünf  Jahrzehnten^  Aber  lag 
das  nicht  vielleicht  mehr  an  der  Härte  der  napoleonischen  Re- 
gierung, als  an  der  Blüte  des  Departements? 

Die  frei  maurerische  Verschwörung  des  Jahres  1 789  wird  auch 
durch  einen  zweiten  Artikel  G,  Bords  im  Correspandani  vom 
10.  Juni  nicht  erwiesen  (vgl.  Hist.  Zeltschr*  97,  453)»  —  Auch  ein 
Artikel  der  Edinburgh  Review  (Juli  1906)  über  IKuminism  and  tk£ 
french  revoiution  hält  in  der  Aufdeckung  des  Treibens  der  ge- 
hetmen  Gesellschaften  und  ihrer  Bedeutung  für  den  Ausbruch  der 
Revolution  die  Grenzen  methodischer  Kritik  nicht  ein. 

Der  Eindruck f  daß  das  genaue  Studium  des  Lebens  so 
manchen  Revolutionärs  wenig  Interessantes  bietet,  wird  bestärkt 
durch   die  Fortsetzung   der  Arbeit  Guyots  u.  Thdnards   übef 


Neuere  Geschichte. 


Goujon  in  der  Rev,  MisL  Juli< August  1%6  (vgl,  Hist*  Zettschr. 
^7,  453), 

Zu  welchen  abscheutichen  Ausschreitungen  verschiedener  Art 

der  Kult  der  Vernunft  während  der  Schreckensherrschaft  ftahrtep 
zeigt  A.  Bonnefons  in  der  Rev,  des  QuesL  hisL  v>  1.  Juli  1906. 

Paul  Gautier  ergänzt  die  Anfänge  seines  Werkes  über 
Frau  V-  Stael  durch  einen  Aufsatz  m  der  Rev.  des  deux  mondes 
vom  15,  Juni  1906,  betitelt  U  premier  exil  de  Mme^  de  StaiL—  Die 
Gedanken  der  Frau  v.  Stael  über  Revolution  und  Republik  be- 
handelt ein  Aufsatz  W  e  b  e  r  -  L  u  t  k  o  w  s  in  der  Beilage  zur  AUg. 
Zeitung  Nr.  161, 

W.  Bröcking  kommt  im  Anschluß  an  Aulard  zu  dem  un^ 
zweifelhaft  richtigen  Ergebnis,  daß  am  L9.  Brumaire  kein  einziger 
Dolch  gegen  Napoleon  gezückt  wurde,  und  daß  der  Grenadier 
Thom^  erst  nachträglich  erfuhr,  er  habe  den  General  gerettet. 
Der  Verlasser  hatte  aber  auch  Vandals  Meisterwerk  hinzuziehen 
sollen j  aus  dem  (S-  380)  hervorgeht,  daß  nicht  Luden,  sondern 
Napoleon  das  Attentat  erfunden  hat.  (Bonaparte  und  die  Dolche  der 
600.  BeiK  zur  Allg,  Ztg.  159.) 

Die  Angriffe  auf  Taine  mehren  sichl  Madelin  wendet 
sich  gegen  seine  berühmte  Auffassung  Napoleons,  welche  aber 
trot^  allem  eine  großartige  Konzeption  bleibt  Madelin  unter- 
schätzt die  kriegerischen  Neigungen  des  Kaisers;  überdies  ist  er 
zu  sehr  geneigt,  Übereinstimmung  der  Auffassung  bei  den  Histo- 
rikern (Chuquet,  Masson,  Sorel^  Houssaye,  Aulard,  Vandal)  anzu- 
nehmen.   (Napoi/pn  NouveaUf  le  Correspondanif  10,  Juni  1906), 

Die  /?#v,  des  deux  mondeSj  15,  Juli  u,  1.  Aug,,  veröffentlicht 
zahlreiche  Briefe  B.  Consta nts  an  Prosper  Barante^  die  sich  bis 
in  das  Jahr  f8f4  erstrecken  (nur  einer  ist  wenige  Wochen  vor 
C.s  Tod,  am  18.  Oktober  1830  geschrieben).  Sie  sind  von  nicht 
geringem  fnteresse  für  die  Erkenntnis  des  Verfassers,  S*  z.  B. 
das  Urteil  (2,  Juli  1809),  daß  die  Geschichte  der  Vend^e  „der 
einzige  ehrenvolle  Teil  der  letzten  20  Jahre**  sei. 

Die  zerfahrenen  Verhältnisse  bei  den  Verbündeten  und  die 
Zweideutigkeit  Bernadottes  werden  hübsch  illustriert  durch  einen 
Aufsatz  V,  Jansons  (Herzog  Karl  August  von  Sachsen-Weimar 
und  der  Kronprinz  von  Schweden  während  des  Feldzugs  von  1814 
in  den  Niederlanden.  D.  Rundschau,  Juli  1906).  Für  Karl  August 
ergibt  sich  dagegen  wenig  Erhebliches. 

Die  Vorgeschichte  der  Befreiung  Hollands  hellt  P,  J,  Blök 
durch  interessante  Mitteilungen  über  die  diplomatische  Tätigkeit 
des  Prinzen  Wilhelm   von  Oranien   auf,   dessen   staatsmännische 


m 


686  Notizen  und  NachrtühteiL 

Persönlichkeit  er  sehr  hoch  einschätzt  (Willem  i  en  de  tifbim- 
ding  der  bevrijding  van  Nederland  in  ISIS.  Verslagen  en  midi' 
deellngeft  der  niederländ.  Akademie.  Abt.  Lelierkünd^f  4^  reeks, 
deel  ViiL) 

G.  St  eng  er  führt  seine  Hist,  Ztschr.  97,  455  erwähnte  Artieit 
über  »Die  Bourbonen  im  Jahre  1815*  zu  Ende  {La  nouvrlie  Kivm, 
15.  Juni  1906). 

Über  das  Disziplinarverfahren  gegen  den  bekannten  Dichter 
und  Kammergerichtsrat  E.  T.  A.  Hoff  mann  kurz  vor  seinem  Tode 
(f  1822)  berichtet  des  Dichters  Biograph  G.  E  Hinter  auf  Grund 
der  Akten  des  Geh,  Staatsarchivs  Berlin:  ein  neuer  lehrreicher 
Beitrag  zur  Ära  der  Kamptzschen  Demagogen  Verfolgungen  in 
Preußen. 

In  der  Revue  historigae  (91,  2,  Juli- August  1906)  veröffentlicht 
Gr^goire  Yakschitch  (ia  Rttssie  ei  la  Porte  Oitamane  de  Uli 
ä  1826,  i)  über  die  Verhandlungen  des  russischen  Gesandten  in 
Konstantinopel  (Graf  Stroganow)  mit  der  Pforte  zwei  Aktenstücke 
nach  Abschriften,  die  sich  aus  dem  1830  geplünderten  Palast  des 
Großfürsten  Konstantin  ru  Warschau  in  die  Polnische  Bibliothek 
in  Paris  gerettet  haben. 

Nicht  ohne  historisches  und  zugleich  aktuelles  Interesse  ist 
die  1837  niedergeschriebene,  in  der  Erfassung  der  entscheidenden 
Fragen  scharfsinnige,  in  ihren  Vorschlägen  vielfach  höchst  doktri- 
näre Denkschrift  des  1865  verstorbenen  Legationsrats  Heinrich 
Kupfer  „über  die  Germanisierung  des  Großherzo^tuins  Posen» 
die  dahin  führenden  Mittel  und  die  daraus  für  die  äußeren  sowohl 
alt  die  inneren  Verhähnjsse  der  preußischen  Monarchie  hert^or- 
gehende  (sicI)  Folgen*  (mit  erläuternden  Bemerkungen  aus  den 
Akten  des  Berliner  Archivs  publiziert  von  M.  Laubert  in  Forsch, 
z.  brand.>preuß.  Gesch.  19,  1),  vgl  Treitschke  4,  562^ 

Die  Entstehung  der  „oktroyierten  preußischen  Verfassung* 
(vom  5»  Dezember  1848)  erörtert  Paut  Goldschmidt  auf  Grund 
des  zurzeit  vorliegenden  gedruckten  Materials,  ohne  im  einzelnen 
»eine  Ansichten  zu  belegen  (Preuß.  Jahrb*  August  1906).  Nalür- 
!ich  berührt  er  auch  den  von  Meinecke  letzthin  (H,  Z,  97,  127  t\ 
kräftig  betonten  Punkt  des  Zusammenhangs  dieser  Verfassungs- 
oktroyierung  mit  der  Stellung  Preußens  zur  deutschen  Frage  am 
Ausgange  des  Jahres  1848,  unterläßt  es  aber,  sich  mit  diesem 
wichtigen  Problem  genügend  auseinanderzusetzen.  Immerhin 
reicht  die  Idee  der  Oktroyierung  an  sich  weiter  zurück  und  scheint 
in  ihrem  Ursprung  nicht  durch  das  bewußte  Streben  nach  der 
Selbstbehauptung  des  preußischen  Staates  gegenüber  den  deutsch- 


Neuere  Geschichte. 


6S? 


unitarischen  Plänen  der  Frankfurter  Versammlung  veranlaßt  zu 
sein.  Daß  aber  die  von  hier  aus  durch  verschiedene  Missionen 
in  Berlin  gemachten  Versuche  den  endlichen  Entschluß  zu  schneller 
Oktroyierung  und  die  Zustimmung  des  Königs  zur  Rette  gebracht 
habeUj  wird  um  so  glaubhafter,  da,  wie  auch  Goldschmidts  Aus- 
führungen zeigen,  gerade  in  der  Gestaltung  der  inneren  politischen 
und  parlamentarischen  Lage  Preußens  Anfang  Dezember  1848  ein 
dringender  Anlaß  dazu  nicht  vorhanden  war.  Jacob. 

Die  Mitteilungen,  welche  G/K  e  n  t  e  n  t  c  h  (Neue  Heidelberger 
Jahrbücher  14.  2)  „aus  den  nachgelassenen  Papieren  eines  ver- 
gessenen Frankfurter  Parlamentariers"  macht,  entstammen  dem 
Nachlaß  des  1881  verstorbenen  Trierer  Stadtsyndikus  und  Admini' 
strators  des  gräfL  Kesselstadtschen  Majorats  Friedrich-Zeil  ^  der 
als  Mitglied  des  Linken  Zentrums  den  Wahlkreis  Wittlich-Bern- 
kastei  in  der  Paulskirche  vertrat  -  und  behandeln  vornehmlich 
dessen  Bemühungen  1849  als  Kommissar  der  Nationalversamm- 
lung um  die  Herstellung  des  Friedens  in  Baden  und  seine  Berichte 
über  die  Revolution. 

Auszüge  aus  den  pröcis-virbaux  du  Goavernemeni  provisoire 
et  de  la  commisslon  du  pouvoir  ex^cutif  de  1848  veröffentlicht 
Seignobos  in    Revue  ä'hist,  mod,  et  coniemp,  1906,  Mai  (7,  8), 

Ernst  V,  Lasaulx  (1805 — 61),  ein  Lebensbild^  dargestellt  von 
Remigius  Stölzls  Münster  L  W.,  AschendorfL  1904,  302  S,  — 
Lasaulx  gehört  zu  den  Führern  jenes  romantischen  Katholizismus 
um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts,  der  auch  in  seiner  ultramon- 
tanen Phase  immer  noch  die  mannigfachen  Elemente  einer  Freieren 
Bildung  erkennen  läßt,  von  denen  er  sich  ursprünglich  genährt 
hatte.  Gewisse,  nicht  ganz  streng  kirchliche  Gedanken  sind  selbst 
noch  in  den  letzten  Lebensjahren  des  merkwürdigen  Mannes  nach- 
zuweisen^ der  als  akademischer  Lehrer  in  Würzburg  und  München^ 
als  Philologe  und  Philosoph,  als  großdeutscher  Politiker  in  der 
Frankfurter  Nationalversammlung  und  der  bayerischen  Kammer 
gewirkt  hat^  überall  Charakter,  Idealismus  und  Freimut^  aber  auch 
eine  heißblütige  und  zuweilen  polternde  Leidenschaftlichkeit  ge- 
zeigt hat,  der  auf  seine  Zeitgenossen  und  Schüler  w^ohl  starken 
Eindruck  machen  konnte,  aber  der  Kritik  der  Nachwelt  doch  mehr 
Blößen  bietet,  als  sein  für  ihn  begeisterter  Biograph  Wort  haben 
will.  Denn  bei  aller  Beweglichkeit  der  Phantasie  und  allem  bunten 
Reichtum  von  Ideen  fehlt  es  ihm  an  geistiger  Selbstdisziplin  und 
wohl  auch  an  wahrer  OriginaUtät,  Immerhin  aber  wird  es  wegen 
seiner  Stellung  in  der  katholischen  Bewegung  des  19.  Jahrhunderts 
eine    lohnende   Aufgabe    sein,   seine    Geschichts-   und    Religlons- 


AUl 


philo  Sophie,  wie  der  Verfasser  plant,  noch  einmal  besonders  dix- 
zusteLlen.  Hoffentlich  wird  er  dabei  etwas  tiefer  g^reilen  wit  k 
dieser  Biographie,  die  zwar  großen  SammeffleiB,  aber  wenig  bio- 
graphische Kunst  zeigt  und  durch  ihre  äußerliche  registratofcih 
hafte  Dispogition  den  Stoff  verzettelt  M. 

Im  Jufiheft  der  Preußischen  Jahrbücher  gibt  E,  Da  nie b 
unter  dem  Titel  „Miiitärische  Erinnerungen  eines  Deutsch^Ungam* 
Auszüge  aus  den  Memoiren  des  1904  verstorbenen  lt.  u,  k,  FeW- 
zeugmeisters  Anton  Freiherrn  v.  Mollinary  (46  Jahre  im  osterreiefa* 
ungarischen  Heere,  1833—1879);  Daniels  eigene  Zutaten  b^ 
schränken  sich  auf  gelegentliche  Bemerkungen  und  verbindecide 
Zusätze. 

Die  schon  erwähnten  (s.  H*  Z,  97,  S,  224  u-  4W)  Veröffenh 
lichiingen  aus  dem  Kriegstagebuche  des  Majors  (späleren  Genenl- 
leutnants)  v.  Einsiedet  werden  im  Augusthefl  von  Nord  und  Sud 
fortgesetzt  («Vor  Paris"  II). 

Auch  in  den  beiden  letzten  Monatsheften  der  ^^Deutscben 
Revue*  finden  sich  zahlreiche,  zam  Teil  sehr  bedeutsame  Beiträgt 
zur  Geschichte  des  19,  Jahrhunderts*  Wir  heben  daraus  folgende 
besonders  hervor:  L  Die  Fortsetzung  der  Mitteilungen  von  Fr* 
Curtius  „Aus  den  Denkwürdigkelten  des  Fürsten  Chlodwig 
Hohenlohe-Schillingsfürst«  (vgl  diesen  Band  S.  224  u.  457): 
aus  den  Zeiten  der  Pariser  Botschaft  1874  <u.  a,  vom  Besud 
König  Ludwig  K  von  Bayern),  1876,  1877,  und  vom  Berliner  Kon- 
greß 1878,  mit  einer  Fülle  von  beachtenswerten  Details  (Juli- und 
Augustheft)*  —■  2,  Die  Mitteilungen  aus  den  Tagebüchern  des 
österreichischen  Staatsmannes  K.  Fr.  Frhr,  v.  K  ü  b  e  c  k  aus  den 
Jahren  1830/31,  mit  charakteristischen  Zügen  für  die  Mettemich- 
sche  Ära  (Juli-  u.  Augusthefl),  —  3.  Die  Fortführung  der  von 
H.  Oncken  gegebenen  Auszüge  „aus  den  Briefen  Rudoll 
V.  Bennlgsens  (vgl.  diesen  Band  S,  225)^  Briefe  von  und  in 
V»  Böhmert  186466;  von  Schulze-Delitzsch,  Rochau  und  RoggCB- 
bach  1366,  die  für  die  Entwicklung  der  Führer  des  LiberaUsmuf 
in  ihrer  Stellung  zu  Bismarck,  ihre  Annäherungsversuche  im  Früh- 
jahr 1366  und  das  Mißtrauen  Benntgsens  überaus  instruktiv  sind; 
auch  sei  auf  die  lehrreichen  Ausführungen  des  Herausgebers  aus- 
drücklich aufmerksam  gemacht  (Augustheft). 

In  ^Nord  und  Süd",  Heft  349/50  behandelt  Ernst  Salier 
ff  Bismarck  s  Anschauungen  über  Bündnisse*  —  eine  fleißige  und 
verständige  Zusammenstellung  des  Materials, 

Aus  der  Fortsetzung  von  Emile  Olliviers,  des  bekannten 
Staatsmannes  in  den  Tagen  Napoleons  II L^  großem  Werke  ff  Em- 


Neuere  Geschichte* 


pin  Hb^ral)  bringen  französische  Zeltschriften  größere  Abschnitte, 
so :  /f  Corresponäant  7H^  b  u,  7  (ia  r^organtsation  miUtaire  apris 
1866)  und  namentlich  die  Revue  des  deux  mondes:  VaffaireBaudln 
(15.  Mai),  les  itectians  de  [869  (L  Juni)  —  über  diese  beiden  Ab- 
schnitte Inhaltsangabe  in  der  Revue  d'hisi.  med,  et  cantemp,  1906 
Juni-HeJt  —  und  la  rävoluHon  d^Espagne  (15,  Juni).  Sie  sind  alle 
ebenso  sehr  eingehender  Beachtung  wert  wie  sorgfältigster  Kritik 
bedürftig- 

Zur  Vorgeschichte  des  Krieges  von  1870  sind  neuerdings 
verschiedene  Veröffentlichungen  von  französischer  und  päpst- 
licher Seite  in  den  Zeitungen  erfolgt,  durch  die  trotr  ihrer  apologe- 
titchen  Tendenz  doch  mancherlei  neues  Licht  auf  die  französisch- 
österreichisch-italienischen Verhandlungen  fällt:  u.  a.  ein  Brief 
des  Herzogs  von  Grammont  an  Beust  vom  17.  JuU  I870j  ein  Artikel 
von  E,  Ollivier  im  Gaulois  —  vgl  die  vorstehende  Notiz  über  seine 
Aulsätzef  eine  Note  des  Össervatare  Romano  vom  31.  Juli  1906 
und  ein  Artikel  von  Graf  Fleury  (Sohn  des  ehemaligen  Botschafters 
in  St.  Petersburg):  s.  Frankfurter  Zeitung  1906,  Nr,  211,  212,  217, 
219  vom  2m  3*,  8.  u,  10.  August. 

Neue  Bücher,  Cestre,  La  r/vclaiian  franfaise  et  les poätes 
anglais  (1789— 1809).  (Paris,  Nachette  S  Cie,  7,50  fr.)-  Clergei, 
Tableaux  des  armefes  franpaises  pendant  les  gaerres  de  la  r^wtu- 
tion,  (Paris,  ChapeloL)  —  Lemml,  Le  origini  del  risorgimento 
italiano  (1789— 18 f 5).  (Milano,  MoeptL  6,50  fr.)  —  Fournier, 
Napoleon  I.  3«  (Schluß-)  Bd.  2.,  umgearb.  Aufl.  (Wien,  Tempsky. 
Leipzig,  Freytag*  6  M,)  —  Kirch  eisen,  Die  Königin  Luise  in 
der  Geschichte  und  Literatur,  (Jena,  Schmidt.  2,50  M,)  —  K.  E. 
Müller,  Wie  kam  es  zur  Kapitulation  von  Prenzlau  am  28.  Ok- 
tober 1806?  (Prenzlau,  Mleck.  1^50  M.)^  Meinecke^  Das  Zeit- 
alter der  deutschen  Erhebung  1795 — 1815.  (Bielefeld,  Velhagen 
£  Klaslng,  4  M,)  —  ^Lasset re^  Les  cent  jours  en  Vendie.  (Paris, 
Plon-Nourrit  <£  Co.  3,50  fr.)  —  Bianca ,  La  rivolaziane  siciliana 
äel  1820.  (Firenze^  Seeber.)  —  Latimer,  France  in  the  nine- 
teenih  Century,  1830—1890,  (London,  Hutchinson,  12,6  sh,)  — 
Schurz,  Lebenserinnerungen.  Bis  zum  Jahre  1852.  (Berlin, 
Reimer.  7  M.)  —  Gaulot,  L^expäditian  du  Mexlque  (1861—1867). 
r.  /.  (Paris,  Ollendorff)  —  Fleischer,  Geschichte  der  k.  k. 
Kriegsmarine  während  des  Krieges  im  Jahre  1866.  (Wien,  Gerold 
&  Co,  MM.)  —  Friedjung,  Julius  Freiherr  v.  Horst,  öster- 
reichischer Minister  für  Landesverteidigung  1871—1880*  (Wien, 
Konegen*    1  M.) 


690 


Notizen  und  Nachrichten. 


Deutsche  Landschaften. 

Im  35.  Jahresbericht  der  hislorisch-antiquansehen  Geseüschift 
von  Graubünden  veröHentlichen  F\  Jecklin  und  J,  C.  Moötti 
Materialien  über  die  Verwaltung  der  VIII  Gerichte  aus  der  Zeit 
der  Grälen  von  Montfort  (15.  Jahrhundert). 

Aus  der  Zeitschrift  f.  d,  Gesch,  d,  Oberrheins  N.  F.  2),  3  er- 
wähnen wir  an  Beiträgen  zur  mittelalterlichen  Geschichte  die  et»i4 
ungelenke  Untersuchung  von  Joh.  Beinert  über  die  StraÖburgrr 
Rheinfahre  im  Mittelalter,  die  Arbeit  von  K.  Baas  über  HeitiricH 
Louffenberg  und  sein  Gesundheitsregiment  (1429)  und  die  neuen 
Beitrage  zur  Lebensgeschichte  des  Chronisten  Johannes  Mejrr 
(f  J485)  von  P>  Albert.  In  die  Neuzelt  führen  die  Auf&ätie  von 
K.Engel  über  Beinheim  als  elsässischer  Etappenort  im  IS.  Jak- 
hundert  und  M.  v.  G  ulat -Wellen bürg  über  die  Belagenmg 
von  Neubreisach  im  Jahre  1815. 

Ebenda  stellt  F,  Frankhauser  die  Bad i sehe  Geschicht»- 
literatur  des  Jahres  1905  zusammen* 

Von  Fortsetzungen  früher  erwähnter  Arbeiten  seien  am 
der  Ripue  ä'Alsace  1906»  Mai- August  verzeichnet  die  Arbeileo 
von  G.  deDartein  über  das  Evangeliar  des  Straßburger  Bischeb 
Erkenbald  (vgl  %,  183  u.  562)  und  von  Chfevre  über  Basler  Weih- 
bischöfe des  18.  Jahrhunderts  (vgl.  u.  a.  %,  183). 

Mit  gewohnter  Beherrschung  eines  weltzerstreuten  Qucllcn- 
materlals  entwirft  0.  Knod  in  der  wissenschaftlichen  Beibge 
zum  Programm  des  Lyzeums  zu  Straßhurg  (1W6,  57  S.  Programm- 
Nummer  649)  ein  farbenreiches  Lebensbild  des  Straßburger  Rats- 
herrn Johann  Schenckbecher,  mit  dessen  Namen  die  Erinnerung 
an  die  großartige^  heute  noch  Segen  wirkende  Studienstiitung 
unzertrennlich  verknüpft  ist.  Die  Arbeit  führt  stellenweise  weil 
über  die  Grenzen  des  Elsaß  hinaus  und  darf  als  ein  willkommener 
Beitrag  auch  für  die  allgemeine  Geschichte  der  Relorniationszeit 
betrachtet  werden. 

Aus  den  Württembergischen  Vierteljahrsheften  15,  3  erwähnen 
wir  die  Veröffentlichung  des  Seelbuchs  des  Klosters  Reichenbach 
(aus  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts)  durch  -|-  A,  Adam, 
ferner  H,  Günter:  Altwürttembergische  geistliche  Gefälle  (nach 
einer  Aufstellung  von  1641)  und  Marquarti  Zur  Geschichte  der 
Registratur  der  Stadt  Stuttgart, 

In  populärer  Form  veröffentlicht  Chr.  Meyer  In  den  Quellen 
u,  Forschungen  der  deutschen  insbesondere  hohenzollerischen 
Geschichte  3^  1  u.  2  „Aitreichsstädtische  KuUurstudien^,  die  die 
Vergangenheit  Augsburgs  ;£um  Gegenstand  haben» 


\ 


Deutsche  Landschaften 


Einen    wertvollen    Beitrag    zur   Geschichte    des    deutschen 

Konkursrechtes  mit  Abdruck  einer  Fülle  von  Archiv  allen  bietet 
Friedrich  HeHmann,  Das  Konkursrecht  der  Reichsstadt  Augs- 
burg (Gierkes  Untersuchungen^  Heft  76)^  Breslau,  M.  £  N,  Marcus 
1905,  175  S,  —  die  erste  Spemlgeschichte  des  Konkurses  inner- 
halb eines  reichsdeutschen  Stadtrechtes,  Für  das  materielle  Kon- 
kursrecht besonders  hervorzuheben  ist  die  Entwicklung  vom  Vor- 
rang des  früheren  Klägers  zur  Gleichberechtigung  der 
Gläubiger,  zunächst  nach  einem  Gesetz  von  1439  (Cod.  manuscr. 
des  Allgemeinen  bayrischen  Reichsarchivs  X  A,  33  FoL  MOL)  jenerj 
die  an  demselben  Tage  das  Fürgebot  des  Schuldners  auf  den 
nächsten  Gerichtstag  dem  Waibel  aufgetragen  haben.  Mögen 
nun  mit  Rucksicht  auf  die  Gesamtgesehichte  des  deutschen 
Konkursrechts  bald  die  niederdeutschen  Handelsstädte  in  Angriff 
genommen  werden  1 

Münster  L  W.  //.  Schreuen 

In  einem  an  tatsächlichen  Mitteilungen  sehr  reichen  Aufsatz 
„Landgral  Balthasar  von  Thüringen  (f  1S>  Mai  1406)*' 
schildert  H.  Ermisch  in  der  WissenschaftL  Beilage  der  Leipz* 
Zeitung  1906,  Nr.  57  u.  58  aus  seiner  intimen  Kenntnis  des  Quellen- 
materials die  politische  Tätigkeit  dieses  begabten  Wettiners  während 
eines  halben  Jahrhunderts*  Besonders  die  thüringischen  Historiker 
seien  darauf  verwiesen,  K.   Wenck, 

Mit  der  Verwaltung  der  Stadt  Münster  in  der  Zeit  von 
1802  bis  1813  befaßt  sich  eine  Arbeit  von  Bruno  Engler  (die 
Verwaltung  der  Stadt  Münster  von  den  letzten  Zeiten  der  fürst- 
bischöFlichen  bis  zum  Ausgang  der  französischen  Herrschaft),  die 
das  zweite  Heft  der  von  Professor  Erler  herausgegebenen  „Bei- 
träge für  dieGeschichte  Niedersachsens  und  Westfalens**,  Hildesheim, 
A,  Lax  1905»  bildet*  Der  Verfasser  behandelt  vorwiegend  die  Finanz- 
verwaltung, die  es  naturgemäß  in  den  Übergangszeiten  nicht  zu 
bleibenden  Resultaten  hat  bringen  können.  Die  Abhandlung,  die 
ganz  fließend  geschrieben  ist,  bringt  eine  Übersicht  über  die  Ein- 
nahmen und  Auegaben  der  Stadt,  ohne  jedoch  statistische  Tabellen 
zu  Hilfe  zu  nehmen.  Auf  ein  tieferes  Eindringen  in  das  Wesen 
der  franzosischen  Verwaltungsorganisation  ist  wohl  mit  Rücksicht 
auf  die  Darstellung  der  Verfassung  der  Stadt  Münster,  ebenfalls 
für  die  Jahre  1802—1813,  die  K  Hüismann  in  der  Zeitschrift  für 
vaterländische  Geschichte  und  Altertumskunde  63,  1—^  (Münster 
1905)  geliefert  hat,  Verzicht  geleistet  worden.  Engler  hätte  sich 
aber  das  Beispiel,  das  Ch,  Schmidt,  L^  granä-duchä  de  Berg 
S.  145  gerade  für  Münster  anzieht  und  das  beweist,   wie  übel  das 


692 


Notiien  und  Nachrichten. 


französische  Regime  vielfach  bei  der  Durchführung  seiner  Ver- 
waltungsorganisation  beraten  gewesen  Ist,  nicht  entgehen  lassei 
sollen.  / 

Die  m  erster  Linie  famillengeschichtliche  Arbeit  Paul  Kauf- 
manns  i,Aus  den  Tagen  des  Kölner  Kurstaats«  Nachträge  m 
Kaufmann  *  von  Pelzerschen  Familiengeschichte*  (Bonn,  Haiisleiii 
1904.  86  S.)  sei  hier  erwähnt,  weil  sie  über  die  Zustände  in  Kur- 
köln  im  18,  Jahrhundert  mancherlei  enthält. 

Die  von  Hemeling  überarbeitete  und  fortgesetzte  bremische 
Chronik  von  Rynesberch  und  Schene  bildet  das  Thema  einer 
eindringenden  Untersuchung  W,  Steins  in  den  Hansischen  0^ 
schichtsbkättern,  Jahrg.  1906  Heft  1.  Mit  der  Übertragung  des 
reichsunmittelbaren  Butjadingerlandes  an  die  Stadt  Bremen  {jm 
1420),  die  hiermit  zugleich  ein  Hauptziel  ihrer  damaligen  PoÜlik, 
die  Herrschaft  über  die  Unterweser,  erreichte,  bringt  Stein  die 
Entstehung  der  Hemelingschen  Tendenzschrift  sowohl  als  rmütf 
gefälschter  Königsurkunden  von  1252  und  1396  In  ZusamnienhaiigH 
Er  berührt  dabei  auch  das  Rolandproblem,  das  unabhängig  von 
ihm  soeben  Ph*  Heck  ebenfalls  an  der  Hand  der  Bremer  Quellen 
in  der  Hist,  Vlerteljahrschr,  1906,  S.  305  ff.  („Die  Rolandslelle  des 
Bremer  Henricianums)  erörtert.  E*  Baasch  behandelt  ebendi- 
selbst  den  hamburgischen  Heringshandel  vom  Ende  des  15.  tii& 
zum  ISi  Jahrhundertl  G.  Arndt  die  Beziehungen  Halberstadls 
zur  Hansa. 

G,  Sei  los  Schrift  ^.Oldenburgs  Seeschiffahrt  in  alter  und 
neuer  Zeit*,  Leipzig,  Duncker  &  Humblot.  1906  bietet  eine  ge- 
schickte, bis  in  die  neueste  Zeit  geführte  Verarbeitung  verstreuten 
archivalischen  Materials. 

Im  Archiv  f.  Knlturgesch.  {1906)  IV,  2  handelt  A.  Hof* 
meist  er  über  «Rostocker  Studentenleben  vom  15,  bis  ins  19.  Jahr- 
hundert**, insbesondere  über  die  nationalen  Vereinigungen  der 
Studenten  im  17.  Jahrhundert,  0.  Schell  über  «ßurgtünme  und 
Burghäuser  auf  bergischen  Bauernhöfen  und  in  bergischen 
Dörfern"*  Befestigte  Zufluchtsorte  auf  Ein^elhöfen  sind  auch  im 
Lippischen  und  Osnabrückischen  nicht  selten  gewesen. 

Die  orientierende  Obersicht  Sachsses  über  Wesen  und 
Geschichte  der  landständischen  Verfassung  Mecklenburgs  (in  d, 
Deutschen  Juristenzeitung  v.  L  Dez.  1905)  hebt  kurz  und  klar  die 
Hauptpunkte  der  EntvirLcklung  hervor.  ^H 

Der  19;  Band  der  „Beiträge  zur  sächsischen  Kirche ngeschicht^^ 
(Leipzig,  Joh.  Ambros»  Barth,   1906»  220  S.)    enthält    drei    größere 
Abhandlungen,   die   sämtlich   von  allgemeinem  Interesse   und  für 


Deutiche  Landschaftern 


einen  weiteren  Leserkreis  berechnet  sind,  Franz  Btanckmetster 

schildert  auf  Grund  von  Akten  des  Dresdener  HauptstaatsarchivSf 
denen  sich  eine  Urkunde  aus  dem  Teplitzer  Museum  zugesellte^ 
die  mit  der  mehr  als  200  Jahre  später  einsetzenden  Arbeit  de» 
Gustav  AdoHvereins  vergleichbare  reiche  Liebestätigkeit,  die  nach 
dem  Majestätsbrief  vom  9.  Juli  1609  Kursachsen  entfaltete,  um 
neue  evangelische  Kirchen  in  Prag^  Briix  und  Klostergrab  bauen 
zu  helfen,  fn  das  kirchliche  Innenleben  hinein  führt  uns  der 
folgende^  verstreute  Nachrichten  zu  einem  einheitlichen  Bilde  ver- 
arbeitende Aufsatz  von  R.  Franke:  Geschichte  der  evan- 
gelischen Prjvatbeichte  in  Sachsen.  In  der  Einleitung  skizziert 
er  die  verschiedene  Stellung,  die  Luther  einer-  und  die  Schweizer 
Reformatoren  anderseits  zur  Privatbeichte  einnahmen,  und  die 
Gegner  dieser  Einrichtung  seit  der  Reformationszeit,  Sehr  gehalt- 
voll, fast  zu  knapp  in  der  Form,  ist  die  fast  ganz  auf  neu  er- 
schlossenem Quellenmaterial  des  Dresdener  Hauptstaatsarchivs 
sich  aufbauende  Abhandlung  von  S.  I  ß  I  e  i  b  ;  Herzog  Heinrich 
als  evangelischer  Fürst  1537— 154L  Den  Schluß  des  Heftes  bildet 
eine  von  R,  Merkel  beigesteuerte  Miszelle :  ein  Gutachten  des 
milden  Leipziger  Superintendenten  Johann  Pfeffinger  in  einer  Ehe- 
bruchssache von  1571  aus  dem  Leipziger  Ratsarchiv.         0^  CL 

In  der  Zeitschr.  d.  Ven  L  Gesch.  Schlesiens  1^06^  Bd.  40  ver- 
sucht sich  F.  Friedensburg  an  der  schwierigen  Aufgabe,  die 
schlesischen  Getreidepreise  vor  1740  aus  den  Quellen  festzustellen. 
Das  Ergebnis  veranschaulicht  er  zum  Schluß  an  einer  tabellarischen 
Obersicht  über  das  Steigen  und  Sinken  der  Preise  eines  Breslauer 
Scheffels  für  die  Zeit  von  1350  bis  1740.  Beiträge  zur  Literatur- 
geschichte des  schlesischen  Humanismus  (Fortsetzung;  vgL  H,  Z. 
95,  380)  und  zur  Siedlungskunde  im  ehemaligen  Fürstentum 
Schweidnitz  liefern  G.  Bauch  und  M.  Treblin,  In  einem  an- 
sprechenden Aufsatz  „Zur  Geschichte  des  schlesischen  Schützen- 
wesens** führt  G.  Schönaich  die  Entstehung  der  schlesischen 
Schützenbrüdersehaften  auf  eine  besonders  durch  die  Hussiten- 
kriege veraniaßte  Reform  der  städtischen  Wehrverfassung  zurück« 

Der  gleichzeitig  mit  der  Zeitschr.  ausgegebene,  von  J.  Krebs 
bearbeitete  8,  Band  der  Fürstentagsakten  (Acta  publica)  be- 
handelt das  Jahr  1629,  den  Höhepunkt  der  schlesischen  Gegen- 
reformation (vgl.  H.  2,  95,  380), 

Aus  dem  ersten  Hefte  der  neuen  „Mitteilungen  des  Geschichts- 
und Altertumsvereins  f.  d.  Stadt  und  das  Fürstent.  Liegnitz''  (für 
1904  und  1905)  seien  erwähnt  D.  Koffmane's  Bemerkungen  über 
die  Oori-  und  Flurnamen  im  Landkreise  Liegtiitz» 


6^ 


Notizen  und  Nachnchten- 


Der  22.  Band  des  Archivs  für  böhmische  Geschichte  (Änha 
ceskv)   enthalt    zunäehst   ein    Inhaltsverzeichnis    der    Binde  I— S 
und  des  gleichfalls  schon  erschienenen  27*  Bandes  (s.  H.  Z  %,  1!*i 
Dieses    Inhaltsverzeichnis    ist    an    sich    sehr    lehrreich.    Man  tut- 
nimmt  daraus,  daß  und  vielleicht  auch,   warum  die  Hussitcai«: 
bisher  von  allen  Geschichtschreibern  Böhmens    ausführlicher  imfl 
eindringlicher  behandelt  wird  als  et«ra  die  früheren  Perioden  dxs 
Geschichte  Böhmens.   Sonst  ist  der  Inhalt  des  vorliegenden  Bandn 
für  die  Wirtschaftsgeschichte  Böhmens,  für  die  er  reiche  Materialien 
enthält»   von   großer  Bedeutung.    Wir  finden    hier    landwirtschift- 
liche  Ordnungen  und  Wirtschaftsinstruktionen,    die  von   der  Mitte 
des  14.  Jahrhunderts,  der  Zeit  der  Majestas  Karoftna,  bis  ^urldl 
der  großen  politischen  Umwälzung  in  Böhmen   nach  der  SchUcKi 
am  weißen  Berge  reichen.     Es  kann  hier  nicht  eine  erschöpfend« 
Angabe    des    Inhalts   geboten,   sondern   es    soU    nur  auf  einxdsic 
Stücke  hingewiesen  werden.  Da  finden  sich  Anordnungen  Karls  IV. 
für  die  Anlage  von  Weingärten,  Ordnungen  über  die  Bezichunjfto 
der   Herrschaftsbeamten   und    -Untertanen    zu    den    Herrschaftös, 
Bestimmungen     über    bäuerliche     Erbfolge,      Dorfweistümer,    In- 
struktionen von  Herrschaftsinhabern  für  ihre  Beamten  und  Unkr- 
tanen,    Jagd-  und    Porstordnungen,    Handwerksordnungen    usr 
Das  meiste  ist  in  tschechischer  Sprache,   einzelnes    in   deutscher 
und  tschechischer  Sprache    überliefert.    Von    Interesse    ist  es  im 
beobachten,  wie  in  die  eine  oder  andere  Ordnung    die  Tendentffl 
der   Gegenrelormation   eingeflochten   werden    (z,    B.    S.  373»   ,dll 
die  Magister,   ßakalari,    Cantores  und  andere  Schuivor Steher,  dk 
auf  dieser  [Kammer-]  Herrschaft  sein  werden^  sich  keiner  anderen 
fremden  Lehr  und  Sekten  getyrauchen  usWi")^     Manches  von  dem 
hier  Mitgeteilten,  war  schon  vordem  bekannt.    So  hat    namentlicli 
schon    Peter    K*    v*    Chlumccky    in   seinen     Dorfweistiimern   iui 
Mähren,  so  hat  auch  schon  Schlesinger  in  seinen  deutschböhmischeft 
Dorfweistiimern   (Mitteilungen  d.   Vereins   f,  Gesch,  d,  Deutschen 
in  Böhmen  XV  u.  XX 11),   so   haben   Morath    und    andere    sich  un» 
die   Erforschung   dieser   Dinge    Verdienste   erworben.      Einzelne» 
wird  sich  noch  nachtragen  lassen ;  in  jedem  Fall  ist  es  verdienst- 
lich, den  Gegenstand  in  einheitlicher  Weise   behandelt    zu  habeiL 
Mancher   würde   vielleicht  statt   der  chronologischen    Anordnung 
eine  sachliche  vorgezogen  haben,  ich  gestehe  aber  gerne  zu^  daß 
die  Übersicht  bei  der  Menge  von  Unterabteilungen,  die  da  hätten 
gemacht  werden  müssen,  auch  keine  vollständig«  geworden  wlie^ 
Ein  gutes  Personen-,   Orts-  und  Sachregister  erleichtern    die  Be- 
nutzung des  Buches^ 


J*  Laserik 


Deutsche  Landschaften. 


695 


Adalbert  R.  Kräl  von  Dobrä  Voda,  Der  Adel  von 
Böhmen,  Mähren  und  Schlesien.  Genealogisch'heraldisches  Re- 
pertorium  sämtlicher  Standeserhebungen,  Prädikate,  BefÖrderungeni 
Inkolatserteilungenf  Wappen  und  Wappenverbesserungen  des  ge- 
samten Adels  der  Böhmischen  Krone  mit  Quellen  und  Wappen- 
nachweisen.  Prag  1904.  311  S,  —  Dieses  Nachschlagebuch  in 
alphabetischer  Anordnung  ist  fleißig  auf  Grundlage  der  gedruckten 
Literatur  zusammengestellt^  durch  Berücksichtigung  der  von  dem 
bekannten  Genealogen  August  von  Doerr  zur  Verfügung  ge- 
stellten Daten  aus  den  Saalbüchern  des  Wiener  Adelsarchivs 
werden  zahlreiche  Lücken  ausgefUllt  und  manche  Irrtümer  be- 
seitigt. Daß  deren  noch  zahlreiche  vorhanden  sind,  konnten  wir 
an  der  Hand  des  mährischen  Archivmaterials  leicht  konstatieren^ 
Z,  B.  ^Jelitowsky  vonjelitow,  Mathias  aus  Mähren.  Adelsstand  1607'*, 
So  Krdl  nach  Kadisch  und  Schimon;  nach  den  Landtagspamatken 
erfolgt  die  Inkolatserteilung  1602. —  „Dembinsky^  Alter  Adel**,  ohne 
Datum,  bloße  Berufung  auf  Paprocky;  nach  derselben  Quelle: 
Jnkolat  1594*  —  Friedrich  Napajedelsky  von  Zierotin  kommt  bei 
Kräl  nicht  vor;  wird  nach  den  OlmÜtzer  Puhonen  31,  Mai  1&36  in 
den  alten  Herrenstand  erhoben.  —  Friedrich  Breznicky  von  Nachod 
wird  bei  K^  nach  Schimon  1566  in  den  Adelsstand  erhoben;  nach 
den  Landtagspamatken  wird  der  Vater  Heinrich  B.  v.  N.  samt 
seinem  Sohne  Friedrich  und  einigen  Vettern  schon  t&4t  in  den 
neuen  Herrenstand  aufgenommen  usw.  Jedenfalls  ist  bezüglich 
Mährens  neben  Kräl  zurate  zu  ziehen:  Doerrs  Verzeichnis  der 
Inkolatserteilungen  und  Aufnahmen  in  den  Herrenstand  in  Mähren 
aus  den  Jahren  1531^1620^  erschienen  in  den  Sitzungsberichten 
der  böhmischen  GesellschafI  der  Wissenschaften  1903,  nach  Ab- 
schluß der  Kreischen  Arbeit.  B. 

J-  M.  Klimesch,  Urkunden-  und  Regestenbuch  des  ehe- 
maligen Klarissinnenklosters  in  Krummau.  Prag  1904.  Im  Selbst- 
verlage des  Vereines  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen. 
XX  u.  527  S.  Das  Kloster^  dessen  Urkundenbestand  eine  eigene 
PubUkation  gewidmet  wird,  ist  eine  Gründung  der  Rosenberge  aus 
dem  Jahre  1358,  bezogen  am  27,  Mai  1S61  von  13  Nonnen  aus 
den  verschiedenen  KlarissinnenklÖstern  der  Provinz,  Das  Kloster 
erlangte  für  den  heimischen  Adelj  dessen  weibliche  Mitglieder 
man  nicht  selten  darin  vertreten  findet,  einige  Bedeutung,  hatte 
ansehnlichen  Besitz,  der  rationell  bewirtschaftet  wurde,  allein  da- 
rüber hinaus  spielte  es  keine  wichtigere  Rolle,  als  andere  Klöster. 
An  literarischem  Material  sind  außer  zwei  Nekrologien  und  einem 
Martyroiogium  nur  Urkunden,  Briefschaften,    Akten    und    kleine 


Notizen  und  Naehnchten. 

chronistische  Aufzeichnungen  vorhanden.  Besonders  die  erst- 
genannten Quellen  waren  schon  vorher  teilweise  bekannt  Du 
Kloster  wurde  6.  Februar  1782  aufgehoben.  Die  überaus  liebe- 
volle Behandlung  dieses  histori&chen  Materials  ließe  erwarten^ 
daß  nun  auch  die  Geschichte  des  Klosters  und  vora^üglich  auch 
mit  Rücksicht  auf  die  wirtschaftliche  Entwicklung  folgen  würde. 
Die  kurze  Einleitung  erläutert  nur  oberflächlich  den  Inhalt  des 
Bandes  und  einige  damit  mehr  oder  weniger  im  Zusammenhang 
stehende  Fragen,  wie  t.  B,  die  Baugeachichte  der  Kirche.  2.  ^m 
Während  der  Jahre  1871—1877  hatte  Engelbert  Mohlfl 
bacher  an  einer  eingehenden  Darstellung  der  wissenschaftlichen 
und  Uterarischen  Arbeit  in  dem  oberosterreichischen  Chorherm- 
stifte  St.  Florian,  dem  er  seit  dem  Jahre  1862  angehört  hattet  %^' 
arbeitet.  Er  hatte  die  ältere  Zeit  sowie  von  der  neueren  di^l 
Theologie  vollständig,  die  Geschichte  bis  auf  Jodok  Stülz  lertig'iH 
gestellt  und  diese  Abschnitte  waren  auch  schon  gedruckt,  als  er 
im  Juli  1877  auf  die  Fortführung  des  WerkeSi  für  die  er  in  eincni 
Schreiben  an  den  damaligen  Abt  ein  umfassendes  Programm  ent- 
worfen hatte,  verzichtete»  Die  Wendung,  die  er  in  jenem  Jahre 
seinem  Leben  gab,  die  Entfremdung^  die  zwischen  ihm  und  seinem 
Stifte  eintrat,  haben  es  verhindert,  daß  der  schon  gedruckte  Teil 
an  die  Oflentlichkelt  kam.  Erst  jetzt,  nach  dem  Tode  MiihlbacherSr 
erfolgte  durch  Oswald  Redlich  die  von  diesem  schon  früher  (Milt 
des  Inst.  f.  Ost.  Geschichtsf.  XXV,  202)  angekündigte  V^eröffent- 
Uchung  (Die  literarischen  Leistungen  des  Stiftes  St,  Florian  bis 
zur  Mitte  des  19.  Jahrhunderts.  Innsbruck  1905  Wagner.  8*.  V. 
u.  409  S.).  Wenn  auch,  wie  Mühlbacher  selbst  erkannt  und  der 
Herausgeber  neuerdings  hervorgehoben  hat,  die  einzelnen  Ab- 
schnitte des  unvollendeten  Werkes  etwas  ungleichmäßig  geraten 
sind,  insbesondere  der  erste  an  vielen  Stellen  durch  die  neuere 
Forschung  überholt  erscheint  (man  vergleiche  die  von  dem  Her- 
ausgeber am  Schlüsse  beigefügten  Nachträge  und  BerlchtigungenK 
kann  man  für  die  Veröffentlichung  nur  dankbar  sein.  Denn  es 
wird  dadurch  unsere  Kenntnis  von  den  Anfängen  der  wissen* 
schaftlichen  Tätigkeit  des  Verstorbenen  ergänzt  und  das  Bitch 
bietet  in  seiner  aus  den  Akten  und  Korrespondenzen  des  Stifts- 
archivs geschöpften  Darstellung  einen  sehr  lehrreichen  Beitrag 
zur  Geschichte  des  geistigen  und  geistlichen  Lebens  in  Oster- 
reich während  der  ersten  Hälfte  des  XIX.  Jahrhunderts.  Mit  bc^ 
sonderer  Sorgfalt  und  Ausführlichkeit  hat  Mühlbacher  den  Lebens- 
gang und  die  Tätigkeit  der  beiden  dem  Stifte  angehöngen 
Historiker  Franz  X.  Kurz  und  Josef  Chmel  geschildert.  Nach 
meinem  Gefühle  ist  er  dem  zweiten  nicht  ganz  gerecht  geworden. 


Deutsche  Landschaften. 


697 


^ 


Sind  die  Pläne,  die  Chmel  mit  lebhaftem  Eifer  vertrat,  zym 
großen  Teile  in  seiner  Zeit  nicht  auBführbar>  die  Ziele,  die  er  der 
historischen  Forschung  steckte,  nicht  sofort  erreichbar  gewesen, 
daß  er  das  Rechte  getroffen  hatte^  geht  daraus  hervor^  daß  die 
Tätigkeit  der  Wiener  Akademie  auf  dem  Gebiete  der  Erforschung 
östirreichischer  Geschichte  und  auch  die  der  Kommission  für 
neuere  Geschichte  sich  in  den  ßahnen  bewegt^  die  Chmel  vor- 
gezeichnet hat*  Als  Beilage  sind  des  Jüngern  Altmann  Carmen 
de  consecratione  ecclesiaej  die  Sequentia  ä$  s.  Flariatto  des 
XI L  Jahrhunderts  und  der  inzwischen  auch  von  A,  Frana?  und 
Konrad  Schiff  mann  veröffentlichte  Indus  pasch  alis  abgedruckt. 

Karl  üklirz. 
Neue  Bücher:  Die  Zürcher  Stadtbücher  des  14.  und  15. Jahr- 
hunderts* Hrsg,  von  Nabholz.  3*  Bd,  (Leipzig,  Htrzel.  12  M*)  — 
H  e  i  e  r  1  i  ^  Vindonissa.  I  *  Quellen  und  Literatur*  ( Aarau,  Sauer* 
ländcr  «  Co*  3,80  M*)  —  Badische  Biographien.  5.  Teil*  1891— I90L 
Hrsg.  von  Fr*  v*  Weech  und  Krieger.  2  Bde.  (Heidelberg,  Winter* 
23,40  M.)  —  Sixtj  Aus  Württembergs  Vor-  und  Frühzeit  u*  a. 
(Stuttgart,  Kohlhammer.  2  M.)  —  Norman ,  Ä  brief  hlstary  of 
Bavaria,  (München,  Jaffe.  2,50  M.)  —  Doeberl,  Entwicklungs- 
geschichte Bayerns*  L  Bd*  (München,  Oldenbourg*  12  M»)  — 
Rosenthal,  Geschichte  des  Gerichtswesens  und  der  Verwal- 
tungsorganisation Bayerns.  2.  Bd.  1598 — 1745.  (Würzburg,  Stubers 
Verl  15  M*)  —  Darstellungen  aus  der  Geschichte  der  Technik 
der  Industrie  und  Landwirtschaft  in  Bayern.  (München,  Olden- 
burg* 25  M»)  —  Stiedaj  Die  keramische  Industrie  in  Bayern 
während  des  18,  Jahrhunderts.  (Leipzig,  Teubner.  8  M.)  —  Bei- 
träge zur  hessischen  Schul-  und  Umversitätsgeschichte.  Hrsg. 
von  Diehl  und  Messer*  1.  Bd.  1.  Heft.  (Gießen,  Roth.  2  M.)  — 
Grosch,  Das  spätmittelalterliche  Niedergericht  auf  dem  platten 
Lande  am  Mittelrhein*  (Breslau,  Markus.  3  M.)  —  Rurig,  Die 
Entstehung  der  Landeshoheit  des  Trierer  Erzbischofs  zwischen 
Saar,  Mosel  und  Ruwer  und  ihr  Kampf  mit  den  paCrimoniaten  Ge- 
walten, (Trier,  Lintz*  2,80  M.)  —  R  i  x  e  n ,  Geschichte  und  Orga- 
nisation der  Juden  im  ehemaligen  Stift  Münster*  (Münster,  Cop- 
penrath*  1,60  M.)  —  Peßler,  Das  altsächsische  Bauernhaus  in 
seiner  geographischen  Verbreitung.  (Braunschweig ,  Vieweg  4 
Sohn.  10  M*)  —  Ph.  Meyer,  Hannover  und  der  ZusammenschluB 
der  deutschen  evangelischen  Landeskirchen  im  19*  Jahrhundert 
(Hannover,  Hahn,  1,20  M.)  —  Stuke,  Geschichte  der  Verfassung 
der  Stadt  Hildesheim  von  den  letzten  Zeiten  der  fürstbischöflichen 
bis  zum  Ende  der  preußischen  Herrschaft  1802 — 1806*  (Hildesheim, 
Lax.  2  M.)  —  Zenker,  Zur  volkswirtschaftlichen  Bedeutung  der 
Hifttürlscbe  ZciUcbrlft  (97.  Bd.J  ^  Fo1e<^  1.  Bd.  45 


69S 


Notixen  und  Nachrichten. 


Lüneburger  Saline  für  die  Zelt  von  950  bis  J370,  (Hannover,  Hahn. 
1,30  M.)  —  Gl  low,  Das  Berliner  Handelsschulwesen  des  IRJihr- 
hunderts  im  Zusammenhang  mit  den  pädagogischen  Be^trebungrn 
seiner  Zeit  dargestellt.  (Berlin,  Hofmann  £  Co*  10  M,>  —  Pom* 
mersches  ürkundenbuch.  6.  Bd.  L  Abtlg.  1321 — ^1324,  ßearbeilei 
von  Heinemann.  (Stettin,  Niekammer.  7  M,)  —  Skalweit,  Dit 
Qstpreußische  Domänenverwaltung  unter  Friedrich  Wilhelni  l  unft 
das  Retabüssement  Litauens.  (Leipzigs  Duncker  £  Humblot.  S,3u  N! 

—  Pallas,  Die  Registraturen  der  Kirchenvisitationen  im  ehemals 
sächsischen  Kurkreise.   2.  Abtlg,  L  TL    (HallCj  HendeL    13,50  Mj 

—  Erphuräiaaus  antiquitatum  Voriloquus  incerti  aucioris.  Bearb. 
von  Thiele.  (Halle  a.  S.,  Hendel,  8  M,)  -  W,  Sc  h  u  1 1  c,  Die  poli- 
tische Tendenz  der  Cronka  principum  Felonie.  (Breslau,  Wohk 
farth.  3,50  M.)  —  G  e  b  a  u  e  r ,  Breslaus  kammunale  Wirtschalt  am 
die  Wende  des  IS.  Jahrhunderts.  (Jena,  Fischer.  9  M.)  —  Bondf, 
Zur  Geschichte  der  Juden  in  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien  von 
^06^1620.  2  Bde.  (Prag,  Neugebauer.  18  M.)  —  Kapras,  Dai 
Plandrecht  im  böhmisch-mährischen  Stadt-  und  Bergrechte.  (Brei* 
lau,  Markus.  2^80  M»)  —  Fischel,  Studien  zur  ösCerreichischeD 
Reichsgeschichte,  (Wien,  Holder*  5,20  M.)  —  Urkunden  über  die 
Beziehungen  der  päpstlichen  Kurie  zur  Provinz  und  Diözese  Sali* 
bürg  (mit  Gurk,  Chiemsec,  Seckau  und  Lavant)  in  der  Avignoni- 
sehen  Zeit:  1316-1378.  Bearb.  von  Lang.  2.  Abtlg.;  1352— I37a 
(Graz,  Styria.  12  M.)  —  Woplner,  Das  AlmendregaJ  des  Tiroler 
Landesfürsten.   (Innsbruck,  Wagner.  6  M.) 


Vermischtes. 

Nachdem  Holde  r-£gger  drei  Jahre  lang  kommissarisch 
die  Leitung  der  M^/iif/ne/i/a  Germaniae  hisi&rica  in  Händen 
hatte,  land  die  diesjährige  32.  Plenarversammlung  vom  23.  bis 
25.  April  zum  erstenmal  unter  dem  Vorsitz  des  neuen  Leiten 
Koser  statt,  dem  diese  Stellung  seit  dem  K  Juni  1905  übertragen 
ist.  Da  der  Vorsitz  in  der  Zentraldirektion  bis  auf  weiteres  nicht 
mehr  mit  der  Leitung  einer  Abteilung  verbunden  Ist,  wurde  ProL 
WerminghofI  mit  der  Leitung  der  Epistolae  betraut.  Seit  Er- 
scheinen des  letzten  Jahresbenchts  wurden  ausgegeben :  in  den 
SS.  tom.  XXXll  pars  prior  (Chiomik  des  Salimbene  ed.  Holder- 
E  g  g  e  r),  ferner  Annales  Mettenses  priores  ed.  v.  S  i  m  s  o  n ;  Viiae 
Bcnifalii  archiepiscopi  Moguntini  ed.  L  e  v  i  s  o  n ;  Einhardi  »Ha 
Karoli  MagnL  Eäiiio  quinta;  in  der  Abteilung  Leges:  ConsiUa* 
tiones  €t  acta  publica  Hl,  2  und  IV,  1  (1292—1310)  ed.  Schwalm. 
Von  den  Diplomata    werden  in  nächster  Zeit  die  Urkunden  der 


i^ 


Vermischtea, 


Karolinger  Band  J  (751— SI 4)  erscheinen  unter  Mitwirkung  von 
Dopsch^  Lechner  und  Tangl,  bearbeitet  von  f  Mühlbacher; 
von  den  AfüiquUates  hat  Bau  mann  den  3,  Teil  der  Necrologia 
Germaniae :  Dioeceses  Bfixenensis  Frisingensis  Raiisbonensis  her- 
ausgegeben. Das  Neue  Archiv  ist  regelmäßig  fortgesetzt  worden: 
Heft  3  des  XXX*  Bandes  unter  Leitung  von  Steinmeyer, 
Band  XXXI  unter  der  Holder- Eggers, 

Der  Hansische  Geschieht s verein  hat,  wie  wir  dem 
35.  Jahresbericht  entnehmen,  im  Berichtsjahre  ausgegeben:  ein 
zweites  Pf  in  gstblatt:  SeUo,  Oldenburgs  Seeschiffahrt  in  alter  und 
neuerer  Zeit  (o.  S-692)  und  als  Fortsetzung  der  Geschichts quellen 
die  Bürg  er  sprachen  der  Stadt  Wismar  (ed.  Techen).  Die  Schrift- 
feitung  der  Hansischen  Geschichtsblätter  hat  nach  Koppmanns 
Tode  ein  Redaktionsausschuß,  bestehend  aus  Prof,  Stein,  Dr.  v. 
Bippen  und  Prof,  v.  d  Ropp,  übernommen;  die  Ausgabe  der 
Geschichtsblätter  soll  von  jetzt  ab  in  Halbjahrsheften  im  Früh- 
ling und  Herbst  erfolgen. 

Im  Korrespondenzblatt  des  Gesamtvereins  54,  6/7  bespricht 
B  e  s  c  h  o  r  n  e  r  die  Fortschritte  der  Flurnamenforschung  in  Deutsch- 
land im  Anschluß  an  die  auf  der  Generalversammlung  in  Erfurt 
1903  beschlossenen  ^Ratschläge  für  das  Sammeln  von  Flurnamen'^ 
die  nunmehr  an  die  einzelnen  Vereine  versandt  sind.  Dieselbe 
Nummer  enthalt  den  Jahresbericht  des  Römisch-Germanischen 
Zentralmuseums  zu  Main^  1905 — 06.  Die  Deutschen  Geschichts- 
blätter 7,  9  bringen  einen  Bericht  über  die  Konferenz  von  Vertretern 
landesgeschichtliciier  Pubtikationsinstitute  in  Stuttgart  (s.  97,  235). 

Die  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde  stellt  aus 
der  Mevissen-Stiftung  folgende  Preisaufgaben:  L  Begründung 
und  Ausbau  der  Brandenburgisch-Preußischen  Herr* 
Schaft  am  Niederrhein.  Zur  Feier  ihres  300 jährigen  Be- 
stehens. (Preis  2000  M.  Frist:  1,  Oktober  t9<^,)  -  2.  Konrad 
von  Heresbach  mit  besonderer  Rücksicht  auf  seine 
Bedeutung  als  Pädagoge.  (Preis  2000  M,  Frist:  I.Juli 
1909.)  ^-  Bewerbungsschriften  sind  an  den  Vorsitzenden  Archiv- 
direktor Prof.  Dr*  Hansen  in  Köln  einzusenden. 

Der  Verwaltungsrat  der  Wedekindschen  Preisstiftung  für 
deutsche  Geschichte  stellt  die  Aufgabe:  „Eine  kritische  Geschichte 
4er  sächsichen  Bistumsgründungen  in  der  Karolingischen  Zeit'. 
Bewerbungsschriften  müssen  vor  dem  I.  August  f910  an  den 
Direktor  des  Verwaltungsrats  der  Stiftung  eingesandt  werden* 
Der  Preis  beträgt  3300  M.  Alle  weiteren  Angaben  sind  in  den 
4  Nachrichten  der  GÖttinger  Gesellschaft*  1906,   Heft  I  zu  finden. 

45» 


700 


Nofi2en  und  Nachrichten, 


Todesfälle:  Es  starb  am  H.  Juli  in  Jena  der  o*  Universität»«' 
Professor  Geh.  Hof  rat  D,  Dr,  Heinrich  Geizer  (geb.  1847),  Her-j 
Ausgeber  der  Scriptores  sacH  et  profanit  wohl  der  beste  Kenner 
der  byzantinischen  Geschichte  in  Deutschland*  Auch  unsere 
Zeitschrift  verliert  in  ihm  einen  tätigen  Mitarbeiter.  —  in  Berlin 
starb  am  13*  Juli  im  Alter  von  56  Jahren  der  GelL  Reg.-Rat  Dr. 
Sattler,  zweiter  Direktor  der  preußischen  Staatsarchive.  Ober 
seine  Tätigkeit  afs  nationalUberaler  Politiker  haben  die  Tages^; 
Zeitungen  genugsam  berichtet;  hier  sei  nur  auf  seine  Arbdteis 
Ober  hansische  und  ostpreußische  Geschichte  hingewiesen*  ^ 
Im  Juli  starb  der  Direktor  des  Haupt-Staatsarchivs  in  Dresden, 
Geheimrat  Dr.  Paul  Hassel  Seine  letzte  gröEere  Arbeit  warj 
die  wertvolle  Biographie  von  Radowitz  <Bd*  1,  f905).  { 

Femer  seien  hier  erwähnt  die  ausführliche  Würdigung  Eduirdj 
Richters  von  Lukas  in  der  Geographischen  Zeitschrift  \%  %i^ 
und  ein  Nekrolog  auf  Hermann  ScheM  im  Ttlrmer  8^  10. 


Historische  Bibliothek. 

Herausgegeben 

von  der  Redaktion  der  Historischen  Zeitschrift. 


tand  I:  Helnridi  von  Treitsdittes  behr*  und  Wündtr|atire  1831—1867.  EizähJt  von 
Theodor  Schiern ann.  XU  nad  2^1  Seiten»  8°,  2.  Auflaga.  In 
I  je  in  wand  gebunden  Preis  M.  5. — . 

Band  II:  Briefe  Samuel  Pufendorfs  an  ehtistlan  Tttomaslus  <1M7— 16^3)*  Heraus- 
gegeben und  erklärt  von  Emil  Gigns.  78  Seiten  8^  In  I^iowand 
gebunden  Preis  M.  2. — . 

Band  IQ :  Hetnridi  uen  Sybel,  l^rtrdge  und  Abhandlungen,  Mit  einer  biographischen 
Einleitung  von  Professor  Dr*  Varren trapp.  378  Seiten,  §*,  In  Lein- 
wand gebunden  Prein  M*  7.—. 

Band  IV  t  Die  Fortsdirllte  der  DIplomaHk  seit  ITIablllan  Domehmltdi  In  DeuKdiland- 
östenelch  von  Richard  R  o  s  e  n  m  n  n  d.  X  und  125  Seiten.  8°.  In 
Leinwand  jrebnnden  Preis  M,  o, — . 

BandV;  marfloreta  Don  Pannct,  Stottholterln  der  niederlande  (1559—1567)»  Von 
Felix  Kachfahl.    VIII  u.  276  Seiten.    In  Leinwand  geb.  Preis  M.  5, — . 

Hand  VI :  Studien  zur  ^ntwldtlung  und  theoreHscfien  BegrQndung  der  nionardile  Im 
Hftertum*    Von  Julius  Kaer st    t09S.   B"*.    In  Leinw.  geb.  Preis  M.  3.— . 

Bandvn:  Die  Berliner  mSrilage  UQn  1848,  Von  Proieösor  Dr.  W.  Bnsch. 
74  Seiten.     8**.     In  Leinwand  gebunden  IVeia  M,  2. — . 

Band  VBl:  Sf^ktQks  und  sein  V^ik.  Ein  Beitrag  %ut  Geschichte  der  Lehr&eiheit 
Von  Dr.  B  o  b  e  r  t  P  ö  h  1  m  a  n  n.  VI  und  133  Seiten.  8**.  In  I^inwand 
gebunden  Preie  M.  3.50. 

Band  IX :  Hans  Karl  Don  WlnterFeldt  Ein  General  Friedrichs  des  Grolsen.  Von 
Ludwig  Moll  wo.    XI  u.  263  8,    8**.   In  Leinwand  geb.  Preis  M.  5.— . 

BandXr  Die  kolonial|»o[mb  Ropolcons  L  Von  Gustav  Roloff.  XIV  und 
258  Seiten.     8".     In  Leinwand  gebunden  Preis  M,  5.—. 

Band  XI:  Tenitarlum  und  StadL  Aufsätze  zur  deutschen  Verfassungs-,  Ver- 
waltungs*  und  Wirtschaftsgeschichte.  Von  Georg  vonBelow.  XXI 
und  342  Seiten.     8^    In  Leinwand  gebunden  Preis  M.  1.^. 

Band  XII :  Zauberwabn,  Inqulsltlcn  und  Hexenproiesse  Im  ITIIttelalfer  und  die  £nU 
stehung  der  groben  HexenverEolgung.  Von  Joseph  Hansen.  XVI  nnd 
538  Seiten.     8^     In  Leinwand  gebunden  Preis  M.  10.—. 

BandXHI:  Die  Hnldnge  des  Humanismus  In  Ingolstadt  Eine  literarische  Studie 
Eur  deutschen  Umvensitätegesohichte.  Von  Professor  G  u  s  t  Bauch. 
XIU  und  115  Seiten.    8".     In  I^inwand  gebunden  Preis  M.  3.50. 

Band  XIV  i  Studien  zur  Vc^rgesdildite  der  RelormatlQn*  Aus  schleeiscben  Quellen. 
Von  Dr.  Arnold  0.  Meyer.  XIV  und  170  Seiten.  0*.  In  Leinwand 
gebunden  Preis  M.  4.50. 

Band  XV :  Die  Capita  agendorum.  Ein  kritischer  Beitrag  zur  Geschichte  der 
Reform  Verhandlungen  in  Konstanz.  Von  PrivaldoKent  Dr.  Kehrmann, 
67  Seiten,    8^.    In  l.einwand  gebunden  Preis  M.  2. — . 

Band  XVI :  VerFassungsgesdiidite  der  uustrallsdien  Kolonien  und  des  »Common- 
wealth of  Australiat.  Von  Dr.  Doerk  e  a -Boppard.  XI  und  340  S. 
8*.    In  Leinwand  gebunden  Preis  M  8. — . 

BandXVII:  Gardin er^  Otfcer  CromuelL  Autorisierte  ÜberaetEung  aus  dem 
Englischen  von  E.  Kirchner.  Mit  einem  Vorwort  von  Professor 
A.  Stern.    VII  und  228  Seiten.    In  Leinwand  gebunden  Preis  M.  5.50. 

Band  XVIII  t  Innozenz  ÜL  und  England«  Eine  DarsteUang  seiner  Beziehungen 
lu  Staat  nnd  Kirche.  Von  Dr.  K 1  s  e  G  ü  t  s  c  h  o  w.  VIII  und  197  Seiten. 
8**.     In  Leinwand  gebunden  Preis  M.  4.50. 

Band  XIX :  Die  Uiladien  der  Rezeption  des  ROmlFdien  Redits  In  Deutfditand«  Von 
Georg  von  Below.    XII  u.  166  8.  8^    In  Leinw,  ^eb.  Pt'iiÄR  ^^V5sRi. 


mi 


4 
4 


Verlag  von  R.  Oldenbourg  in  München  und  Berlin  W.  it. 


Handbuch 

der 

mittelalterlichen  und  neueren  Geschichte 

Herausgögeben  von 

G*  V«  Below        und        F*  Mei  necke 


Du  Zcttilter  <Ier  ctiiyklopädisclieti  Darstellungen  ist  in  der  Wlmvemcb^ft  därcb  cii  Zii^ 
aiter  der  Spejclalisierune  der  Arbeit  abgelöst  worden^  Allein  {[ende  die  zunehmende  Speziifr 
iierung  hat  wiederum  dA%  BedUrEnU  enjjfkJopädischer  ZusammeDf<asunff  berv^or^eniW  k 
kemer  Disziplin  wird  dies  Bedürfnis  auf^enblkkücb  weniger  befriedig  ali  tn  der  mitttkN^ 
liehen  und  neueren  Geschichte. 

Diese  LUcke  wollen  die  Kerauiigebcr  muszufflllcn  suchen.  Da»  Ziel  Ihrei»  üolernelBiM 
IM  eine  «streng  Wissens chnftlichep  iber  zutimmeiif äsende  uad  überaichtHche  DKntellEuif.  & 
■oll  die  Tatsachen  und  die  Zusammenbknge  der  geschichtlichen  ETitvickltuur  rorfilhmv  i>* 
gleich  jedoch  auch  ein  ansehAuliche»  Bild  des  dermaligen  Standes  der  ForieSuHM  in  deaea- 
telnen  Zweigen  unserer  Wissenschalt  bieten,  beides  in  kiuppster  Form.  Es  wUf  des  mmtf^ 
flchaftllcb  lusgebildeten  Hl»torjl£era  wie  den  Studiereiiden  und  Oberhaupt  allen  Preuodeiiff 
mittelalterlichen  und  neueren  Geschichte  dienen. 


Ül^er^iclit  über  den  Inhalt. 


(Die  klein  gedruckten  Titel  bezeichnen  die  EtLnde^  über  die  die  Verhikndliiageü  nocli 

abgeschloflsen  sind.) 

I.  Allgemeines. 

Kniffciopidle. 

Geechichte  der  deutschen  Geacfaicht' 

Schreibung  im  Mittel  alten  Von  Prof, 

Dr.  Hbem^kk  Bloch. 
<  Ti^t^chJchte     der    neueren    Histono- 

graphie.      Von    Prof,    Dr.   Richaet) 

Festeb, 
Palltik  anf  hlitoriacher  Grundlage. 
Die  mittelalterliche  Weltanechauang, 

Von  Prof*  Dr.  Klembks  BiXTjiatBR. 
Die  Wettansohauung  dar  RauaiBeänca 

und  der   Eeformadon.     Von   Prof. 

Dr.  Waltbs  6o£T£. 
Geschichte  der  Aufkläningshewegang. 

Von  Prof.  Dr.  E.  Teoeltsch. 
Die    gelBtigeD    Bewegungen    de«    19.   Jahi^ 

hundeiTta. 


M 


\L  Politische  Geschichte, 

AJlgemeLne  Geschichte  der  gennani- 
sehen  Völker  bis  zum  Auftreten 
Chlodwigs,  Von  Prof.  Dr.  Eehst 
KoRNEJiijnc, 

Allgemeine  Geschichte  vom  Auftreten 
Chlodwigs  (mit  Hückblick  auf  die 
ältere  Geschieh te  der  Frajiken")  bis 
zmn  Vertrag  von  Verdun.  Von 
Pri  vatdoB.  Dr.  Ä  lbe  at  Wermin  ghoff. 

Allgemeine  Geschieh le  ä^H  Mittelalters 
von  der  Mitte  des  9.  bis  zum  Ende 
des  12,  Jahrhunderts.  Von  Prot  Dt, 
H.  Bkesslaü. 


Allgemeine  G«9chichte  des 
Mittelalters  vom  Ende  des  13. 
zum  Ende  de»  15.  Jahrhand«ti 
(H97— 1492).  Von  Prof.  Dr.  JoHiff  i 
TxiiEaTH.     Etvchleiiea« 

Allgemeine  Gescrhichte  von  U9t  W 
1660.  Von  Prof.  Dr.  Frlix  RACHfiit- 

Geschichte  des  euTt>päifichen  StuHfr 
Systems  von  1660  bis  1789.  ?« 
weil.  Privatdozent  Dr.  Max  Doiw«. 
Eriehtenen, 

Geschichte  des  Zeitalters  der  trasa&'i 
Bischen  E^volatioD  nnd  der  Befcttj 
ungskriege.  Von  Pi^f,  !>.  An* 
Wahl. 

Geschichte     des     neaeren     Si 
Systems  vom  Wiener  KongreCe 
Ewr  Gegenwart.  Von  Prot  Dr,  ~ 

BEJJfDBKBimo. 
Brandenburgisch-pT^tiiWjche  GescUiiehie. 

MI,  Verfassung,  Recht»  Wirtschaft 

Deutsche  Veriaeatings^ftchichte  (bi^ 
aur  Mitte  des  13.  Jahrhunderte).  \m 
Prof.  Dr.  GEEHAAn  Sexlioss.         j 

Dmiteche  VerfasstmgegeBohlchte  foi 
der  Mitte  des  13.  Jahrhtmderto  m 
Äur  Erhebung  der  aboolateu  Um 
archie.    Von  Prof.  Dr,  G.  v.  B^um\ 

Deutsche  Verfaseunga-  und  Vsrwifc 
tungBgeB{!hichte  Reit  der  Erh«bnni 
der  absoluten  Monarchie^  Vonfm 
Dr*  HEErmiCH  Gsffce:bk.  ' 


I 


Französische  Verfassungsjresohichte 
von  der  Mitte  des  9.  Jahrhunderts 
bis  Eum  Auebruch  der  Revolution, 
Von  Privatdoz.  Dr.  Rob,  Hot.tihakk. 

Grundlüge  der  GeßChiehte  der  katho- 
liachei)  Kirche  nverfasBung,  Von 
Prof.  Dr.  TT  LB.  Stütz. 

Grund liigv  der  Ge>!K? hiebt«  der  AvuigfellBcheEi: 
Kirc  h  eti  verf  ft»mif . 

Das  abendländiBche  Kriegs wescn  vom 
6.  bis  xum  15,  Jahrhcindfirt  Von 
Prof.  Dr.  WiLi^tM  Eebbk. 

Geecbichte  der  neueren  Heeres  Ver- 
fassungen vom  IB.  Jahrhundert  ab. 
Von  PrivatdoÄ.  Dr.  Gustav  Röloff. 

Geachichle  des  deutschen  Sträflich t». 
Von  Prof,  Dt,  R.  His, 

Geschichte  dea  Straf-  und  Zivllpro- 
Fiesses.     Von   Prof,  Dr,  jur,   KtmT 

BURCHARD. 

Geschichte  des  dtjtitechen  Privat*  und 
Lehenrechtos.    Von  Prof.  Dr.  lliKa 

V.  VOLTSLINL 

Deutsche  Wirtschaftsgeschichte  bis 
aum  17.  Jahihundert.  Von  Prof.  Dr. 
G.  V.  Bbi.ow 

Allgemeine  Wirtäcliaft*ge»chlobt«  r.  17*  J»Jit- 
huadert  blsj  sur  GegeawaH. 

Handelsgeschichte  der  romanischen 
Völker  des  Mitte IrnftOrgebiet«  bis 
auni    Ende    der    KreuziÜge.      Von 

l*rof.    AüOLF   BCHAUBE.      Encfalenem, 


.Vllgemeine  Münzkunde  niid  GaM- 
geachichle  der*  MitteJalter«  wnd  der 
neueren  Zeit.  Von  Pr^»!  Dr,  AanoLn 
Luscnn?  V.  Etuknorkuth   KwpIiIi*!»*»» 

J^pe»ielU>  Mtinikumlo  und  iielil 
geed nebte»  Von  Prof.  Dr*  AftKom 
LüscifiN  V.  Ebk^i^rkuth. 

IV.  Hilfswissensohaften  und  Alter* 

tümer, 

Diplomatik.  Von  Prof.  Dr.  W,  Ennitif, 
0.  Rbdlich    und   Privattlonent    Dr. 

Sc  n  M  tT£  K  A  L  l.  IS  KU  KHil . 

Paläographie.    Von  l*rof.  !>r  MiCKAVt* 

Takgl. 
Chronologie  des  MittotatterH  und  ric^r 
Neuheit     Von    l*rof.    Dr.   MiriuicL 

TAW0L. 
aerikldlk  und  ^[»bimf^itjk. 
Archiv-  und  Akletikutirte, 

Historische  (ieographie   Von  Prof*  5Jr 

KoNftAD    KaKTSCHMRIi.     Erifhlimi^ti. 

Grutidiüff«  d«r  mllii'lnUcirllobpü  IruMiiM^ii 

Deutüebe  Alt^rtutnBltirti(J<?, 

Da«  häusliche  f^ben  der  europftiachen 
Kulturvölker  vom  MUU>laUt*r  Id«  «ur 
zweiten  HlLirte  des  18.  JahrliundortN, 
Von  Professor  Dr.  Alwih  HcnVLJf,. 


Das  ODtcraEhmen,  du»  nich  «einer  VoUendunt;  imgclMLlir  4i>  BMnd«  timliiicii  wird,  lit  vm 
vornberdn  so  eingericbtet  worden»  daß  jeder  Tett,  gLciuhvlf^L  wie  tturk  hlHik;  BogcMiiAhl  lit, 
dnieln  ali|ef  ebtn  wird.    —  Bin  jctn  »ind  folgende  ßitnde  erichlenen  i 

Das    häusliche   Leben   der   europäischen   Kulturvttlker 

vom  Mittelalter  bis  zur  »weiten  Hftlfte  de«  IS.  Jalirhundert«.  Von 
Dr.  Alwin  Bchnitz,  Professor  an  der  deutschen  tJnivnrNitlU  tm  VtUr'. 
Vin  u.  43ä  S.  gr.  8%  reich  illustriert.  Preis  broseh.  M.  0.— .  In  Gsmst 
leinen  geb.  M.  10 .50. 

Oesohlchte  des   späteren  Mittelalters  von  im— um    Von 

Dr.  Jebaan  LöiCrth,  Profennur  an  dor  Universität  Graa.  XV  tind  737  H. 
Ö".    Preis  broHch.  M.  16.50,  elegant  geb.  M.  18,—. 

Historische  Geographie*    Von  Dr.  Eiinr»d   KretAefemtr,  Uhi^r  ftn 
der  Kriegsakadetnie   und   Professor  an   der  UniverMitiit   ßerltn.     VII 

und  660  8,    8".    Preis  broseh.  M.  15.—,  elegant  geb.  M.  16.50. 

Allgemeine    Mttnzicunde    und    Oeldgeschichte    4f\^  Mitud 

vdietn  unri  der  neueren  Zeit.  Von  Dr  A.  LniehJs  reu  EbftD|rreath, 
UntversitätHprofessor  in  Grax.  XVI  u  286  B.  8*  Mit  107  Abbflddiigen, 
Preis  broseh.  M-  9.—,  in  Ganzleinen  geb.  H.  10.50. 

Geschichte  des  europäischen  Staatensystems  von  \m>  bis 

17^9.  Von  Dr.  Max  Immlcli,  weiland  Privatdozent  an  der  Univeriltit 
EOmgsbeTg  i  Pr.  Xm  nnd  402  3.  8«.  Pr«i«  broach.  M.  \2—,  g«b. 
M,  13.50. 

Handelsgesehichte  der  romanischen  Vollmer  des  ifiueime«r 

gebiets  bis  xum  Ende  der  Kieuxzöge.  Von  Fr^iemiof  A4o1f  S«llU^i, 
G7iiuuiaia!4>lierlebrer  In  Brief.  XX  n.  816  S  Pirals  bro«ch  M.  IH,  — , 
geb,  M.  20  — 


.4 
J 


Verlag  von  R.  Oldenbourg  in  München  m 

Kleine  Schrift 


Friedlich  RatzeL 

AQJigew&hlt  und  berauegegebea  durch  Hmm 
Mit  diner  Btbliogruphie  von  Viktor  Hfl 
Zwei  Bänd£. 

Mit  Je  BlDcm  BIldztli  Rat«lL 
Preis  komplett  geheftet  M.  25.^,  elegani  geba 

Der  Gedanke,  von  den  zerstrenten  Arbeiten  Fried 
Wahl  in  2  Bänden  hemaisageben,  stammt  Im  Grundi 
Kelbflt  Nach  dem  Tode  des  grofeen  Geographen  ixaU 
Schüler,  Herr  Dr«  H&us  Helmolt,  der  ftchirierij?eii  Au^ 
1200  Arbeiten  Ratseb  die  intereadanieeten  and  wertv< 
und  in  einem  tweib&ndigen  Werke  zn  verein  igen. 


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Friedrich  Ratzel. 

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Politische 


Geograf 


Geographie  der  Staaten,  des  Verkehre^ 
Friedrich  Ratzel, 

Ptot^*ior  der  GeugTipbiB  an  der  L-rilYersitat  iti 

Zweite,  vermehrte  nnd  verbeHserte  Auflage.    Mit  * 

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Die  Vereinigten  Staaten  vo 


Dr.  Friedrich  Ratzel? 


Ertt«r_B^d;  piiyslkallÄClie  GeograDhit 
und  NaturcbaraktBr    mu  12  mou 

■«hnftten  und  &  K«n«n  iu  F&rbendrack, 
XIV  und  €67  gettea  t^x.  S«. 


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Seit  1&69  erflcheiiit 


Historische  Zeitschrift. 


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m  Unter  MitwirkuiiK  von  Paul  Baflleu*  Uoufs  Erhardt«  Otto  Hititzc,  Otto  ^rauske, 
B  ntox  Ltenz,  Sigmund  Riezter,  IHorilz  Bitter,  Conrad  ^^atrenfrapp,  ßarl  Zeumer, 

uemiiBgegeben  von  FrledHch  Mein6cke» 

Dritte  Folge. 
Jibrlich  2  Bände  zu  je  3  Heften  =  1440  Seiten  B^.  Preis  eines  Bandes  M.  L4. — . 

Ermäßigta  Preise  für  ältere  Bände: 

I  Zweite  Folge,  Bd.  1—60  (der  ganzen  Reihe  Bd.  37—961  kemplett  mit  Eeflster 

statt  M.  692.—  Biir  M.  22&.— . 

Einzelne  Bände  dieser  Folge  (mit  Ausnahme  der  seit  1900  erschienenen) 

atatt  M.  11.25  nur  M.  5— ^ 


Im  Oktober  1906  erscheint: 


Sachliches  nnd  alphabetisches  Register  m  Band  57-96 
der  HISTORISCHEN  ZEITSCHRIFT. 


Umfang  ca.  22  Bogen. 


t^reiB  ca.  M,  7,—. 


Forschungen  zur  Geschichte  Bayerns 

Vierteljahresschrift. 

tinter  Mitwirktmg  Ton  Johann  FHedHdi,  Walter  Goeti,  tiertnanfi  Grauert, 
Karl  Theodor  von  Heigei,  Georg  Leidinger,  Richard  Graf  Du  IHoullrii 
Georg  PreuQ,  Sigmund  von  RlezLer,  Henry  Simonsleld 

herau.HgGgüben  von 

Michael  Doeberl  und  Karl  von  Reinhardstöttner. 

Freie  pro  BaDd  (4  Vierteljahre shefte)  M.  8. — . 

Entwickelungsgeschichte  Bayerns 

von 

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Erster  Band: 

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X  nnd  594  Seiten  gr,  8".    Preis  geh.  M.  12.—,  elegant  geb.  M.  13.50. 

Der  rweite  Band  wird  die  Entwickelung  bis  zur  Gründung  des  Deutechen 
Reiches  führen  und  mit  einem  Aueblicke  aujf  die  Stellung  Bayerns  im  heutigen 
Deutschen  Reiche  achlieBen.     Beine  Drucklegung  wird  in  Bälde  beginnen. 


Verlag  von  R.  Oldenbours  in  München  und  Berlin  W,  ll 


Neue  billige  Ausgabe 

des  Werkes: 

Die  Begründung  des  Deutschen  Reicbesj 


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Tomehmlich 

nftch  den  pr^ulBiAchen 

Staatsakten 


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Heinrich  von 
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Mein  Kriegstagebuch 

aus  dem  deutsch-französischen  Kriege  1870^ 

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Die  Reformation  der  Kartographie 

um  1700. 


Von 

Christian  Sandler* 

Tenheft  broechiert  nnd  6  Kirtentafeln  in  Mappe 
Pteie  M.  20,—. 


^P  1.  Teil: 

DIE  CALDERON-LITERATUR. 

Eine  bibliographisch-kritische  Übersicht 
XU  und  314  SeJieii  gn  S*'.    Preis  broschiert  M.  10.—« 


CALDERON-STUDIEN 


Dn  H.  Breymann, 

Profenor  der  ronunlsehen  PhiloLogLe  mn  der  Untvenitlt  £ti  MüncfaeD^ 


INHALTSVERZEICHNIS:  L  Bibliographien,  2,  Calderona  Werke,  3,  Über- 
setzungen, Bearbeitungen,  Nachahmungen^  4  Bildnisse,  5,  Gedichte 
auf  Calderon,  6,  Aufführungen,  7.  Erläuterungs-  und  Ergänzungs- 
schriften,  8.  Nachtrag. 

Der  zweite  Band  —  Calderon,  Se/n  Leben  und  seine 
Werke  —  befindet  sich  in  Vorbereitung. 


KONSTANTINOPEL 

unter  Sultan  Suleiman  dem  Grossen. 

Aufgenommen  im  Jahre  15 &9  durch 

Melchior  Loriehs  aus  Flensburg. 

Nach  der  Handle  ich  nang  des  Künstlers  in  der  Universitätsbibliotli^k  zu  Leiden 
mit  anderen  alten  Plänen  heTaasgegeben  und  erläutert 

Ton 

Eugen  Oberhumtner, 

ProfeBOor  der  Geog7apliie  an  der  UntT^railÄt  5fünch»n. 


(X)  24  Seiten  Text  Querfoüo  (32  :  45  cm)  mit  17  Testbildern  uad  XXII  Tafeln 

In  Lichtdruck  auf  Velinpapier. 

Freie  in  roter  Kalikomappe  tnit  Goldtitel  und  Schutdiülae  M.  30* — - 

(Auflage  250  Stück.) 

Aasfabe  In  Handkdlorlt  mit  lose  auf  graue  Kartons  gehefteten  Tafeln, 

Mappe  in  Künntlerlelnen  und  SchutzhülB«  M«  60.—. 

(Auflage  50  Stück,  wovon  nur  ein  Teil  für  den  Handel  b6stim.mi  \Ät.\ 


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1 


J 


Verlag  von  R,  Oldenbourg,  Müncheii  und  Berlio  W.  1 


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Die 

Kunstdenkmäler  des  Königreiches  Ba] 

Kgl.  Bayer*  Staatsministeriums   des   Innern   Ftir   Kirchen 
Schulangelegenheiteii. 

D.  Band:  ReglerimgsbezLrk  Oberpfalz  und  RegeDSbii 

hei^u»g«Rt»ben  von 

GEORG  HAGER. 

Bis  ]0tst  sind  erschieneTi: 
HEFT  I,     Bez[rksftmi  Rodtag,  VUl  u.  232  S.,  gr.  8^,  mit  11  Tafeli 

bildungen   im  Tt*xt   und  1  Karte.     Preia  in   Leinw.  geb. 
HEFT  11,    Bezirksamt  Neuohurg  v.  W.,  VI  u,  95  8 ,  gr.  8^  mit 

99  Abbild ungcD  im  Text  und  1  Karte.   Preia  in  Leinw.  g©b 
HEFT  111,  Bezirksamt  WaldoiÜodien,  VI  und  83  Seiten,  gr.S\ 

fib  Abbildangen  iiu  Text  und  1  Karta,    PreiB  geb,  M.  SJ 
HEFT  IV,  Bezirksamt  Parsberg,  VI  a.  267  8,,  gr.  8^  mit  13  T&feln«  äO! 

bildungen   im  Text   und   1  Karte.     Preis   in  Leinw  geb.  31 
HEFT  V,    Bezirksamt  Burgleagenfeld,  VI  u.  167  S.,  gr.  8^  mit  8  It 

127  Abbilduiigen  im  Text  und  1  Karte.   Preis  in  Ijeinw.  geb.  It 

Wir  maohen  daj-aiil  &utmerkEH.i]a^  daü  ba^ertache  BebOrdea  und  Ämter  (Staitt' 
GemALüdäbeh^rdan,  KJrcheDt)eli5rdcin  «tu.)  die  vorstehe tiden  PublifeatloQen  bd  ätil 
Bfi£ugr  durüh  uns  taut  miniateileU^r  VeilQg\in^  mu  einem  Vonnj^preü  erbalten, 


OLYMPIA. 

Wandtafel 

gesceicbnet  von  Architekt  R.  Restle. 
Textheft  (nicht  ein?;eln  käuflich) 
Ton  Prof.  Dr   H«  Lücken  bach. 
ai  S.  4<^  mit  43  Abbild.    Preia  M.  6.—. 


1 

netS 
hu%m 


DELPHI. 

Wandtafel  gezeichnet  J 

tokt  und  Maler  C.  Sdlllil 
Textheft  (nicht  einzeln  kic 
von  Prof.  Dr.  Hp  Ludcenbiil 
82  S.  4^  mit  36  Abbild.   Preie  M 
(Dit  WanmuftiHr  sina  a»f  starkem  PupUr  im  Formel  62:73  ^m  iurg»ai*UL) 


OLYMPIA  UND  DELPHI. 

Von  Prot  Dr,  H,  Ludtenbach, 

64  Seiten  4^  mit  19  Abbildungen.  Preis  broschiert  M. 


i 


Diese  Sebrift  UMfaBt  die  btli^en  elnsela  nlcbt  erbUtl leben  Taxthefl«  <i«T  T<iif«i 
TafelD.  DftmJt  sie  auch  ohnA  difrf^e  «in  iiDabliJLii^gii§  Gaaze^  bildet,  dtid  Ihr  Tecfc! 
Reproduktionen  der  T&feJn  (in  4er  Orflfle  von  16  r  21  cm}  bei  begebe  b. 


DAS  FORUM  ROMÄNUH. 

Wandtafel 

gezeichnet  von  Baurai"  und 
Prof.  L,  Levy,  M*  5.- 

Textheft 

von   Prot   L.   Levy    und 

Prot  Dr.  H.  Ludcenbadi.  M.  1 


DIEAKROP0LIS¥ON 

Wandtafel 

gezeichnet  von  Gehai 
Prof.  Dr.  Durm, 

Textheft 

von  Prot  Dr  H.  Ladceoliil 


1 


Soeben  ersdiieneo : 


Das  Bankhaus  der  Medici 
und  seine  Vorläufer. 


Von 

OTTO  MELTZING. 


Preis :  3  Mark  60  PL 


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Verlag  von  Ferditiand  Schön ipgh  {n  Paderbüro* 


Soeben  etsdiieö  umfL  ist  iß  n:dtt  Bodüuitidlxiig  rortlb^: 

Ehrle,  Franz,  S,  J.,  Martin  de  Alpartils  Chronica 
actitatorum    tem poribus    Domini    Benedictl    XII i. 

Zorn  cf^lÄnirikii   verölter'  'eÜrii    rnd   KofvrJüiingeii    ä^\   dtm  Gebiri"^  *irr 

GcschicKle  XU-i    B.tdo  rij,    Trit  ^Jcr  Chi-nik,   A^liMii];  un^etifuc^tefi 

Akten^acie.     XMI   c.  Gib  .-.     Lrx.-tt      br  »jT  25--'  m, 


E^inttn  uzib  t^iuien  ^uciift  alt  SnAioiiihifi^csi  &eA<^fii  mtthtn : 

Bd^raibtin   Dr.    Dof.,  '^SSi^  ©efdjic^te    Öer    beutfc^en 
!RationQl{iirc^c  in  Wom  f         -a  befl'Unima.  ^**^^!^^I?i 

^     V^  W^^  9kt^  ms  Crteis  «fS^lüni  tmmtm  9««^   »ft  (bl  «H  >r«i  «nlflltitit  1  tu 

|#m  «fe««  f(flQ  niT  in  tlaiH^a  fls  Nf  Mliitt^Hto  e<fotnif8|cll  A»<y»«u|>l  brfa^f  .n 

^  laut  f»  JlWjjfitfNtfii  Mia,  mfutk  Nbol  Mr  hta  «*i  ti§/m$t  ■at^tfisia  fffivni.  an  i>firijttii»e 

—"Sie  gef^idftsppofop^ifilje  unb  Ätii^eiip'^^f**^^**  *^??t= 
an[cf)auung  Ottos  oon  Jrtipng.  rJ^^^^L,,,. .  .  "i 

aul  bfrtT  ^  itLtr.f    fi  if  ft]  uc.  IV,  S^.  2  «.  3.  Inft)  ft- 8*  ptVUI  u,  ^ 


I 


^pi,  Sraerin,  S.  j.«  Das  t^f^rff^ntum  Sarb^ana*  9Hf^«if 

^V  811^  daer  t^tfe.   gt.  8^  (VUl  ti.  j^tj  iu  :^M;  gcftu  hi  Sfimoonb  oitt  %tdim^ 

3)«l  ^fdi^  gftctoataMi  Sttt^ttostn  im  tim  Uftm  be  ngfi, 

icgribtM  »^  cijtan  btictl#ea  bmi^mtdtf,  flki  ein  ^l^i  r^  '  ^*'*^ 

aflUfa  MiMlIel  —  tliaal  ^ai  nm  mU  da  «tir^otl^    Uab  b#4  boi 

Sa  da  eiür  fkÜfcfMl»  M  19.  3a»r|iiai<rti,  bie  »»a  Hatw  I^«im  <     -*f 

^mkkm  aai  M^tfifci  CaMotaa«  «tf«  gcaaa«{ie  bat,  frfM^<^  i»4tb.     ri*i 


3»  bet  ^rrirrf^^t 
et(4kntit  und  rann  bui 


smoiha,  Stanifiaus  oon,  entmrrung  an  Ico  M 


ututtg  frtnr«  !ßORtlfUitjei. 

.0, 


9ebanfcit  Übti  bJe  lür 

,,i!eit  lütitftti  ii^rdfe  auf  fiftj  aelfi:!!. 


%U\t  luerft  ttt  BD! 


Off  lag  Don  dudan  fifförr  in  Irna* 


Breslaus  Kommunale  tDirtfi})^ 

::  um  die  lUcndc  des  is.  1al)rt)undei 

6in  Beitrag  rur  Städtegctdiidite 

am  Dr.  pt)tu  mar  0ebautr, 

Pr#f«!t<n'  dfT  St<iOlfwin«iiIdi0fl€ii  an  dff  Hdirigltdirit  Hkddlnnif-  st»  Poltsi. 

VvfU-  ^  martL    ,>...p^__^^^. 


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VERLAG  von  JUSTUS  PERTHES  in  GOTHA. 


KUf^tkh  cr»cliicn: 


tüoießiM 


m  mm  kßlDiiialgiscbJdrlliiiiin  Atlas  m  12  fartn  vi  U  Uta  k  ThL 


Von 


Prof.  Dr*  Alexander  Supan, 

H*riusg*ber  von  Pcttntiinn«»  Miiteilungeu» 

Preis  geheftet  I2  M.,  gebitoi!«»  la^  M« 


Zum  erstenmal  ist  hier  die  GeÄChlcht*'  *^'*-'  eurooäJiichen  Kc 
im  Zusammenhang»  d.  h,   in   chrono  i  Reihenfolge 

1^ eltgeschichtlichen  Rahmen  be!^:^^li^*H    r_„:   ,  .l  hU?it>r  n-irl^ 
oder  Kolontaistaaten.     In  erste t  t   üle  all 

der  Kobnicn,  (bre  territoriale  Enr  %  btriid^^    :     „         •  rt 

Zwecke  dienen  auch  die  zmbU  Erdkarten,   die  den   ersten 
tischen   koloniaigeschtchtlichen    Attas    bilden.      Die 
kärtchen  erlauteni  speileile  Fragen. 

Zu  beariehen  durch  alle  Buchhandluniren  oder}  wo  der  Bezug 
Hindernisse  stdSt^  direkt  vom  Vertag* 


Hierzu  eine  BeUage  vo^  4^i  ^,s^tov*Ätiv^^^^xs.^^i.^^«L\x«^>^ 


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