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Historische Zeitschrift
I
Begründet von Heinrich v. Sybel
HeriQsgtgeten von
FRIEDRICH MEINECKE
OrlUd Fotge — I.Band — K Haft
Dttf gioteti Edlie 97, Band
MÜNCHEN UND BERLIN
DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURC
ßllllllliiliülillli
Die Historische Zeitsdirift
tritt vom 97. Bande ab ihren alten Freunden in neuer Gestalt
entgegen und will in ihr zugleich um neue Freunde werben.
Sie beginnt mit diesem Bande eine neue dritte Folge»
deren Bände bzw. Hefte sich von den früheren durch einen
um 25% vermehrten Umfang, durch besseres Papier, durch
einen geschmackvolleren Umschlag und durch die Verwendung
von lateinischen statt deutschen Lettern äußerlich unterscheiden.
Sie hofft, daß die neue Ausstattung allgemein Beifall finde,
sie hofft vor allem, daß die erhebliche Vermehrung des Um-
fanges (von 12 auf 15 Bogen im Hefte, 36 auf 45 Bogen im
Bande, 72 auf 90 Bogen im Jahrgange) sie instand setzen
wird, ihren Lesern sehr viel mehr zu bieten als bisher und
ihren mannigfachen Aufgaben, die durch den Raummangel
zuweilen erschwert waren, besser gerecht zu werden.
Ihre Grundaufgabe, zu der sich ihre Einzelaufgaben wie
Mittel zum Zweck verhalten, ist es, die Geschichtsforschung
so zu pflegen, daß sie der strengen Wissenschaft und den
großen Bedürfnissen menschlich -universaler Bildung zugleich
genügt. Sie trat von vornherein bei ihrer Gründung durch
Heinrich von Sybel im Jahre 1859 auf diese Linie. Mannig-
fach haben sich seitdem die speziell wissenschaftlichen,
I
i
wie die allgemeinen, geistigen und politischen Tendenzen ge-
wandelt. Der Wunsch aber, Forschung und Leben zu ver-
binden, ist immer derselbe geblieben. Zu dem politischen
Nationalleben, aus dem die Historische Zeitschrift zur Zeit
ihrer Gründung manche starken Impulse empfing, gesellen sich
heute noch andere geistige Richtungen mannigfachster Art,
teils auf intensivere Erkenntnis der realen Zustände, teils auf
Bewahrung des persönlichen Eigenlebens vor Vergewaltigung
durch Umwelt und äußere Kultur gerichtet. Sie alle spiegeln
sich in den Gegenständen der heutigen Geschichtsforschung
und demnach auch in dem heutigen Arbeitsgebiet der ^ Histo-
rischen Zeitschrift*". Sie läßt nicht bloß die sogenannten
eigentlichen „Historiker** zu Worte kommen, sondern die
historisch gerichteten Vertreter aller Geisteswissenschaften
überhaupt. Sie fiat den Ehrgeiz, ein universales geschicht-
liches Organ zu sein.
Ein Hauptmittel dafür ist die Pflege des geschichtlichen
Essays, der selbständige kritische Arbeit von großen Ge-
Sichtspunkten aus in küns tierischer Form bietet. Die Ver-
mehrung des Umfanges ist in alJererster Linie dazu bestimmt,
mehr soJcher Aufsätze als bisher zu bringen. Auch die
HMiszeHen'', die kleinere Exkurse über erhebliche Ei nzeJf ragen
und interessante Aktenstticke namendich zur neueren und
neuesten Geschichte bringen ^ werden vieileicht vermehrt
werden können.
Sodann kann die Zeitschrift nun auch ihren „Literatur-
bericht**, der Rezensionen größeren und kleineren Umfangs
bringt, etwas erweitern. Nach äußerlicher Vollständigkeit kann
und will sie auch jetzt nicht streben. Sie möchte aber an
nichts Wichtigem vorij hergehen, soweit es die ßereitwilligkeit
der Verlagshandlungen und der Mitarbeiter irgend zuläßt.
Ihre letzte, 1893 eingerichtete Abteilung, die , Notizen und
Nachrichten*, wird dagegen den bisherigen Umfang nicht über-
schreiten. Sie hat sich in ihrer bisherigen Einrichtung, wie
uns zu unserer Genugtuung von allen Seiten versichert wird,
vollkommen bewährt Keine andere historische Zeitschrift
bietet eine so reiche und umfassende und zugleich so über-
ir
sichtliche Rundschau über den wichtigeren Inhalt der in- und
ausländischen Zeitschriftenliteratur.
Der immer reger sich gestaltende Verkehr zwischen den
verschiedenen Kulturstaaten hat auch den wissenschaftlichen
Austausch unter ihnen gesteigert Um die Verbreitung der
Historischen Zeitschrift zu erleichtern, haben wir uns ent-
schlossen, die Bände der neuen Folge nicht mehr in deutschen,
sondern in lateinischen Lettern setzen zu lassen. Wir hoffen,
daß diejenigen unserer alten Freunde, die aus Gewöhnung
oder Grundsatz der deutschen Schrift den Vorzug vor der
lateinischen geben, unser Motiv würdigen und sich mit der
neuen Druckausstattung aussöhnen werden.
Die durch die Erweiterung des Umfanges und durch die
Steigerung der Herstellungskosten nötig gewordene Preis-
erhöhung ist so gering bemessen worden, daß nur der, wie
wir hoffen, jetzt schnell wachsende Absatz die Mehrlasten
ganz ausgleichen kann.
Der Preis eines Bandes beträgt statt
M. 11.50 fortan M. 14.—.
Redaktion und Verlag
der Historischen Zeitschrift.
i
Histomche Zeitschrift
BesTfindet von HEINRICH v. SYBBL
Unter Mitwirkung von
Paul Bailleu, Louis Erhardt, Otto Hintze,
Otto Krauske, Max Lenz, Sigm. Riezier, Moriz Ritter,
Konrad Varrentrapp, Kar! Zeumer
lierau8gegeben von
FRIEDRICH MBINBCKB
Der ganzen Reihe 97. Band:-
. - • • •" •
Dritte Folge — 1. Banü--- '• •
MÜNCHEN UND BERLIN*
DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG
1906.
0\^5^
Auföätze. ^^
Dk |t«detitaii^ des Protestantitmu» lür die EntBlehung der modeni«ii Weit
Vm ernst TroelUcb .................. 1
Die Epoclieii des eiruig«Li«chen fOrclieDTegimeati in Pr«ii0^. Von Otto
Kintfe . , *T
&ef Untergang WiJletistems. Vod Moiiz RJtter . . . . 2-17
Leidei oocbmals die Klstoire de moo Temptl Von Alfred Dove . , , , . BH
Die Probleme der hLitoriuhea Methodik ynd der Ge«cfaicliUphilo&apttJe l>ei
VotUire. VoQ Paul Smkni»iiii .....,,, 327
Tuf^ti Sturz. Von Hiflt Gttfau . 473
PreoAcd ndd DeuUchUod ün 11 Jalirhttjidert. Von Frledrkti Metneek« , 119
Miszellen.
Die SchUebt auf dem LecMdde. Von H ßredUu , . . . . W
Die ÜKf aro*ch!*cht von %S Von Dietrich Schlier ,,...,... 538
Eb tkleniiilOiger Beleg lur Zähtimg dei LOiegcJd« für Könl^ Richard LdveO'
ben voo Etigland. Von Georf C>ro . , ........... Ma
Die Rdeiwtsffsgoehidite des bfindenbargiicheD Oes^odten HennlgeB Von
R. Köser lU
Literaturtocricht.
SeiM
Wcltieuhicbte , . . . . *(M- »7
GeiCbichtip!iilo«ophie , . . SMfi-
(kschichte der Gescbiebt^ehreihnliC 16
Alte Geschichte . . . . tSJ. JW M#ff
Altchristiiches . < . .
liUm
Minelalter:
Siedelung , . , . .
HUtoritcbe Geographie
Verfassung tind Re^bt
Politbche Gcftchichle
Kirche
LJterarifches Porträt
Neuere Zeil:
RelormationiEcit
Oroßer Kurfürst . ■
IW mi 1
Seite
ler Erbfolgekrleg . .
Bewegungen des TS, Jahr^
. b«2 1 r 592 fi
ü 4oe. &% if.
601
dJe Kurte lui H. J&hr-
t lidscfasften
lnb«1t
Seite
Mu-k Brandenburg , . . . , 621
Tirol ....,.,,.,, 425
Steiermmrk ......... «28
Böhmen .......... 6S1
Frankreich \
Miltelalter 189. 631
16. jAhrhuiidert .,,.... 63ft
17. jAbrbundert . . , . 406. fii7. 637
RGTolutloD 601. 63^11.
H. Jabrhundert ....... lao
Belgien , 642 IL
Seite
tUlien;
Recht .......... 163
Franx von Asaisl ...... 5M
Lb. Jahrhundert 165
Engl&nd :
MJttelAlter ....... 167. 647
17. Jahrhundert ....... 406
18. und 1^. Jahrhundert .... 664
Rußland (IH. Jahrhundert) . . . 171 H,
Amerika (Vereinigte Staaten) . . . 17£
Afrika (Südafrika) . 179
466
69S
431
Alphabetisches Verzeichnis der besprochenen
Schriften,
(Bnthilt ai3ch die in den Aufsltscn und den Notizen und Nachrichen beisproebenen
ftelbitlndigen Schriften,)
Seite
Abhandlungen zum hiettorisehen Atlas
der üE^tcrreichiiGhen Alpen linder
Act« Publica (Schleiiacbe Fflnten-
ta^akten) VIIl
Annale« Mett«naea priores rec.
B. de Slinaon
d'Arboii de Juhainville, Lea
Geltes depulfl ies temps les plui
anciena jusqu'en l'an 100 avaot
DOtre ftre S73
Archiv Ccsk^ XXII 644
Areni, Das Tiroler Volk in seinen
WditUmcrn . 6»
Attl del congresso Intemaxlonale di
acienze itoriche. lll . . . .
Baumgarteo^ Poland und
Wagner« Die hellen ttche K ultu r
Barthf Repertoriuin über die in
Zeit- und SammcUchriften der
Jabre 18^1 — ]%0 enthaltenen Auf-
sitae und Mitteilungen scbwelxer*
geschichtlichen Inhalts
Benrath, Luther im Kloster. . .
Bernhelm, Einleitung In die Oe-
schlchtsurbsen Schaft .....
41!i
153
305
194
Betbe, Mythus^ Sa^e und Märchen
Boerner, Die Annale» »od Akten
der Brttder d, gern einsamen Lebena
Im Lüchtenbofe xu Hitdesheim .
Tftn den Bogaert^ Bruchstücke
aus der litesten Oeschlcbte der
Belgier .,,,...,..
V. Bredow- Wedel, Historische
Rang- und Stammliste des deut-^
sehen Heeres 469
B rethol Et Zur Lt^sung der Chri-
stianirage ......... 432
Breuer, Der Bemer Kodem 149 b.
Beitrl^e sur Biographie dei J,
Bongars . . . . . . . * . 447
Seite
Brie, Geschichte und Quellen der
mitteleng Lisch en Protachronlk
The fi rute ol England etc. . .
BrotheruSt Immanuel Kants Phll<^
Sophie der Geschichte , . . .
Burckhardt, Weltgeschichtliche
Betraehtnngett .......
Buason et Lcdru, Archivea histo-
riqties du Maine, Actus Pont Iß-
cum Cenomatinis In urbe degen*
tlum ...........
Caetaul, Annati dell' tslato. I . .
Cahn s. Lasker.
Calvl, Bibliografia di Roma. 1 .
Caron, Concordanee des c&len-
driera rfpublicain et gr^gorien .
Cartellieri und Rieder, Re*
geaten der Bischöfe von Konstant,
«, 6-7 ......... .
Clccaglione» Manuale di storia
del diritto Itallano. 2 Bde. . .
C r i B t e , Kriege unter Kaiser Joseph IL 601
Dindilcker, Schwekerische Qe-
scblchte .......... 462
E, Daudetf La terreur blanche . 222
Ocb^raln, L*expanslon des Boera
au i% ai^cle ....... 179
Dehn, Wilhelm der Erate aia Er^
cieher 22&
Deutschland in seiner tiefen Ernie-
drigung. Neudruck (von Oral
Dumoulln-Eckart) .... 221
Dletf, Das Frankfurter Attentat
vom 5. April IB33 und die Heidel-
berger Studentenschaft .... 223
Dubreuii» Le dlatrlct de Redon
1790 etc 639
Dubuc, L^intendanee de Solsaons
aoua Louis XtV ...,,.. 657
19»
564
557
631
392
1S4
220
464
163
Seite
Engler. Verwaltung der SUdt
Mihwter 1 803— IS 13 ...... &91
F. ErhArdl, Über hlitorlscbeg Ej-
kennea ..... h .... J83
F i 0 r i n i , ArchiTio Muratoriano. 1 — 3 4tO
W. A Fischer, Djw VerhUtoU
Ottos des Großen zu BeLnem
Soboe Liadolf und tu selaer Ge*
nuhlin Adelheid US
Fllcdner , Dk ronkjülscben Felder
in d«r deuUcbea Kaberzeil . . 670
FoJti, Urkundenbuch der Stadt
Ffiedberg. I 613
PorCeaene, The britUb arni? 1783
to 1802 , . . 6M
Fr^dtfrif^qr M^iiugea 645
Ointblex, VmUt du U tt^de.
Loreiuaccio (Lorenzino de M^dl"
di) ..... . .165
Geier, Die Durchlilbrung der kircfa*
liehen Relontien Jcisepb« IL Im
vorderöiterrekhiicben BreingAu 40S
Geflckcn, Aua der Werdezeit
de» Christen tuma ...... IfiS
Gialebert de Mona, Cfaronjque fri2
Geliert Der LIber taxarum der
pip«ti]cfaen Kammer ..... 303
Gftuerti Denlfle ....,.« 209
Of0Saiann, Ist der PamlJieimame
«BWtt» iCaifterhauaes ZoLlem Oder
HobfiflaoUern? ....... 200
Grimme, Die weitgeachichUicbe
Bedeutung Arabien». Moiiammed 39]
Manqnet, La chronique de Saint
Hubert . .431
Hardegen, Die Imp erlalpoü tlk
König Heinrich« II. von England 670
Ha^m, Oesamroelte Aufsitze 656
Hell m an n, Konkurirecht der
ReichasUdt Auj^abtirg .... 691
Hcrre, Dai Papittum Piua' V. und
da« ICon)£.lave Gregors XtU. , , 444
Henberg-FTilnkel , Moderne
GcKbicbtutitlMsung ..... 1§2
Heaielmeyer, HannibalH Alpen-
abergang . ^ 664
A. H e u i l e r ;, Deutsehe Ver1asaungi>
gevthichte .... . . . , 574
Hcjiicn» Zur Entstehung dci Xir
pitaUamoa in Venedig ,. , « 671
H i & 11 e^ Staats verfutung und Hee-
reaverfaaaung ........ 6&7
F Hlrtcb^TifebucbD. S.v, Buch«.
2 Bde* ......... 217
P. Hl rieb, Blbllographte der deut-
•chai Regiment»^ und Batall loa»-
ttoc r n c t, Urgeschichte der Mensch-
heit 187
H Ho II in a DB, Geachichtabüder
«OS L V. Kankca Werken . . , IB4
Seite
Hölmeiiter, Rostocker Universi*
tltsmatrlkeln. IV, 2 46«
Holmes^ The age of Justinian and
Theodora. I 192
H o 1 1 h a u s e n f Bonaparte» Byron
und die Briten 456
Hub rieh, Deutsches Fürstentum
und deutsches Verfassungsvesen 226
Judeich, Topographie von Athen 3äO
Kanter, Die Ermordunf König La-
dlilawe tl457) . . 43*J
R Kaufmann, Aus den Tagen des
Kölner Kurstuts ...... 693
Kelter, Ziebartfa u. Schullea,
Beitrüge mr Gelebrtetigcschichie
de« 17. Jahrhunderts 446
Kircbeisen, Die Geschichte des
literarischen Portrits in Deutsch*
land. I , , S76
Klimesch, Urkunden- uud Re-
gestenbuch des ebem^igett KU-
rlssinnenklosters zu Krummau 69&
K n U 1 1 p Historische Geographie
Deutschlands im Mittelalter . . 394
K o r n , K riegsbaume Iste r Gral Ro cbits
zu Linar .,....,.. 679
KÄsters, Studien zu Mablllont
rtfttnischen ürdittes 19$
Konkordat, bayerisches, s. Zusam-
raensteliung.
Kril von Dobri Voda, Der Adel
von Böhmen, Mähren und Sciile-
aien ,.,....,,.. 69*
Kreise famer^ Historische Geogra-
phie von Mitteleuropa .... 394
Kriege gegen die französische RevO"
lution. I. II ........ AOl
Künstle, Die deutsche Pfarrei und
ihr Recht zu Ausgang des Mittel-
alters 20*
V. Laadmann, Prinz Eugen . , 6S1
Aus Eduard Laikera Nachlaß. I . 610
Lea^ Geschichte der Inquisition Im
Mittelalter. Autorls. Übersetzung,
herauigeg. von J. Hansen, t . . 440
Lecbner, Relcbshofgericbt und
königliches Kammergericht Im
15. Jahrhundert 402
Ledru s. Busson.
G. Lehmann, Die Mobilmachung
von lB7ü|f7l ......... 606
R. Lehmann, Die Angriffe der
drei Bark I den auf Italien . . . &69
Lindner, Weltgesch lebte seit der
Völkerwanderung. IV. . . . , 404
Lombardo, Bianca Milesl . . . 46fi
Longnoii, Documenta retalifa au
comt^ de Champagne et de
Brie, tl ......... 159
The eount Lützov, Leclures on
tbe hislorlant ol Bobemia . . b30
^^^^^ m
Inhalt
^^H
Seite
^^^H Mftriagf Didzeutnsjmoden uad
^^^H Domberm - Gcnenlkapitel des
VU 619
^^^H Sttfti HlLdesbcirt! .
617
S c b a u m k e L 1 , Gesehicfate der deut-
^^^H de M^rtens, Recuell des tri.it^6et
schen K ultu rgesehi cfats cfa reib ung
^^^V con V entions con cl u s par la RtiSiie
von der MUte des 1i. Jahrhunderts
^^^H
171
bis zur Romantik ... ... ^2
Scheel, Job. Freiherr v. Scbwar-
^^H M A t b i e 2 , Ua orifflnca dei C ulte»
^^^^H Revolution na Lrci
640
zenberg . , §82
^^H — , La Th^ophiianthrople et le CuUe
Sehermann, Der erste puniscbe
^^^B Di!cadaire
MO
Krieg itji Lkbte der livianUcben
^^^B £. Mayer, Die angebt! eben Fil*
^^^H achungen des Dr^igonl
Tradition 422
427
Sctairtner, DleSehlacbt beiLncka 435
^^^H M e 1 1 1 e r . Grundriß der Geschicbta*
Schlesisehe Fürsten tagsakten s. Acta
^^^H wlasetiscbift.
ISI
Publica.
^^^H Meyer von Knoaau, Jabrbtlcber
^^^H den Deut Beben Reicbea unter
Josephs lt. mit Graf Trauttmans-
^^H Kein rieb IV. und Heitirkb V.
dorft 1787— 17H9 5%
^^H ...
399
J. Scbmld, Die Osterbereehnung
^^^H Mühlbacber, Die IJterarisehen
aul den brltlscben Inseln vom
^^^H Leistungen de» Stiftes St Florian
Anfang des 4. bis zum Ende des
^^H bb xur Mitte dei 19Jahrbunderta
6%
8. Jahrhunderts ...... 425
^^H MUaebeek, E. M. Arndt uad daa
K. Schneider, Quellen und Bei-
^^^H kircbUcb-rellglöse Leben setner
trige zur Geschiebte der deutscb-
^^^H
222
evaogeti sehen MlHtärseelsorge . 215
^^^H K Neumanni Jesus, wie er ge-
^^^H schtcbtllch war
155
Scbndringp Jobannes Blankenleld 210
S cbnürer, Franx von Assisi . . 580
Schultefl s. Kelter
Sehultheß s. ßoloft.
^^H Oroßfürst Mikolal Mlchano-
^^^H «rltscbr Gral Pawel Alexandro-
^^^H WLtscb Stroganow. B6. 2 u. 3 h
^^^H — , Le comte Paul Stroganow. 3 Bde.
174
176
Scbwemer, Die Reaktion und die
neue Ära ..,....,, 226
— , Vom Bund jsutsi Reich .... 22&
^^^H W. Otto, Priester und Tempel Im
^^^H belleuistiscben Ägypten. [ . . .
420
Scott, Hlstory of the Moorlsh
Empire in Euröpe. 3 vol». . . 157
^^^H Pag^a, Le grand älectcur et
S e n 0 . 0 Iden b urgs S ee schi 1 fahrt in
^^H Louis XIV I6W-1&S8 . . . , .
587
alter und neuer Zeit ..... 6^
^^^H —, Contributions i Tblstolre de la
W. Sharp Mc Kechnie, Magna
^^^^1 polltlque franfaise en Allemagne
Carta. A commentarf on the
^^H 90UA Ullis XtV
587
Great Charter of King Jobn . . 167
^^^^H Parow, Compotus vicecomltls . .
432
V. Simson s. Annale^ Mettenses.
^^^H V. P 1 i 3 1 e r , Die amertkaoiscbc Re-
V. Sommerfeld, Beiträge zur Ver-
^^H volutlon 1775^1783. 2 Bde. . .
176
fassungs- und Sttndege schichte
^^^1 V. Pillement, Dslgotea ...
425
der Mark Brandenburg im Mjttel-
^^^^H Poland s. Baumgarten.
alter 621
^^H PreuH, Wilhelm HL von England
Soranzo, La guerra tra Venezia e
^^^^1 und das Haus Wittelsbaeh im
la S. Sede per il domlnio dl Fer^
^^^H Zei tal ter der üpan ischeü Er blolge-
rara (1308^ !3l3) 435
^^^H Irage. L Halbband . , . . .
406
Stammler, Wirtschaft und Recht
^^^^H Rathgen, Die Japaner und ibr
□acb der materlalistl sehen Gc-
^^H Wlrtscbaftsleben ...
226
ichkbtsaulfassnng. 2. Aufl. . , 567
^^^H Les T^gions de la France. 11 -IV .
184
Stangeland, Fre-Maltbuslan doe-
^^^H Reh me, Gescbicbte des München er
trlnea of pnpulation ., ... 592
^^^H Gnindbttcbs .,,...,.
228
Starker, Die 1 an des fürst liehen
^^^H — i Die Lübecker Grundhauem . .
231
Lehen in Steiermark 1421—1546 . 628
^^^H Rennefahrt, Die Ailmend im
Stephan, Herder in BUckeburg . 5^
^^^H Hemer Jura
611
Stülzle, Ernst V. LasaulK . . . 6fi7
^^^H Revolutionakriege s. Kriege.
St rogano w s . G roßf Urst M l k o l a 1 .
^^H RoEo!f-SctauUbe0, Gescbiehtaka-
Stubbs, Lectures on the early
^^H lender 1905
22«
Engtiih hlstor; ....... 647
^^^H Rubel, Die Franken, ihr Erobe*
Tachernoll, Associations et so-
Gi^t^ iecr^tea «ons la deuKidme
^^^^^B deutsche D Volkslande , , i. ,
397
r^pitblique (1S46— 1851) .... 160
Inhalt
vn
Seite
Vaoderkindere, La chronique
de Gislebert de Mona .... 642
Verdy da Vernois, Der Zog nach
BronxeU 224
Vorberg, Die Kirchenbücher im
Bezirke der Generalanperinten-
dentnr Berlin nsw 465
Waddington, Le grand ^lecteur
Fr6d6ric Guillaume de Brande-
bourg. i
W. Wagner, Rom. Geschichte des
römischen Volkes und seiner Kul-
tur. 8. Aufl. von O. E. Schmidt
Wagner s. Baumgarten.
V. Wedel s. v. Bredow.
G. Weill, Histoire du mouvement
social en France 160
Weinel, Die Gleichnisse Jesu . . 156
Weingarten, Zeittafeln und Ober-
blicke der Kirchengeschichte.
6. Aufl. von C. F. Arnold ... 186
590
191
Seite
J. Werner, Beiträge zur Kunde
der lateinischen Literatur des
Mittelalters. 2. Ausgabe ... 440
Whitehead, Gaspard de Coligny 635
Wiederhold, Papsturkunden in
Frankreich. I 430
Winter, Die PoUtik Pisas während
der Jahre 1268-1282 434
Zeck, De recuperatione Terre
Sancte. Ein Traktat des Pierre
Dubois. II 435
Ziebarth s. Kelter.
Ziegler. Winterthurs Lage im
Winter 1799/1800 228
Systematische Zusammenstel-
lung der Verhandlungen des
bayerischen Episkopates mit der
KgL Bayerischen Staatsregierung
von 1850 bis 1889 über den VoU-
zug des Konkordates 604
Notizen und Nachrichten. g^.^^
Allgemeines 183. 410. 657
Alte Geschichte 187. 417. 660
ROmisch-germanische Zeit und frühes Mittelalter bis 1250 .... 193. 424. 666
Späteres Mittelalter (1250—1500) 202. 434. 673
Reformation und Gegenreformation (1500—1648) 207. 442. 676
1648—1789 216. 446. 681
Neuere Geschichte seit 1789 220. 452. 684
Deutsche Landschaften 227. 4t2. 690
Vermischtes 234. 469. 698
Druckfehlerberichtigung (von H. Oncken) 236
Die Bedeutung des Protestantismus für
die Entstehung der modernen Welt
Vortrag '), gehalten auf der IX. Versammlung deutscher Historiker
zu Stuttgart am 21. April 1906
von
Ernst Troeltsdi.
Alle Wissenschaft ist an die Voraussetzungen des
denkenden Geistes gebunden, der sie hervorbringt. Auch
die Historie ist bei allem Streben nach Genauigkeit,
Sachlichkeit und Einzelforschung an solche Vorausset-
zungen gebunden. Sie bestehen darin, daß wir überall
an das gegenwärtige Erleben gewiesen sind, sei es daß
wir das Kausalverständnis vergangener Ereignisse aus den
*) Der Vortrag über dieses Thema sollte ursprünglich von
Max Weber gehalten werden, der in jeder Hinsicht dazu hervor-
ragend berufen gewesen wäre. Da er leider durch anderweitige
Arbeiten dann an der Ausführung dieses Vorhabens verhindert
war, bin ich für ihn eingetreten. Das hat nun die Folge, daß die
politisch-wirtschaftlich-sozialen Partien des Themas keine fach-
männische Erledigung finden können. Ich habe mich meinerseits
nur mit der Staats-, Kirchen- und Kulturidee des Altprotestantis-
mus selbständig beschäftigt, außerdem mit den philosophisch-
wissenschaftüchen und den religiösen Zusammenhängungen und
kann nur in dieser Hinsicht das Ergebnis eigener Forschungen
geben. Für die nähere Ausführung und Begründung muß ich auf
meinen Beitrag zu der „Kultur und Gegenwart", herausgegeben
von Hinneberg (Abt. 1, Bd. 4, 1. Hälfte), „Protestantisches Christen-
tum und Kirche der Neuzeit** verweisen, wo auch meine früheren
Hittorische Zeitschrift (97. Bd.) 3. Folge 1. Bd. 1
Ernst Troeltsch,
Analogien heutigen, und wäre es noch so minder bewußt
gewordenen, Lebens verstehen, sei es daß wir den Gang
der Dinge in Beziehung setzen zu dem in der Gegenwart
vorliegenden Wirkungsganzen^ sei es daß wir besondere
oder allgemeine Schlüsse ziehen aus dem Vergangenen
auf unsere zukünftige Gestaltung des Gegenwärtigen.
Auch wo wir die der Gegenwart so geläufige Kunst der
Anlegung evolutionistischer Reihen vornehmen, geschieht
es im Grunde doch nur, um unsere Gegenwart selbst in
einer solchen Reihe begreifen zu können; und wo wir
der nicht minder geläufigen Neigung zur Bildung ge*
schichtlicher Gesetze aus diesen Reihen folgen, da steht
der Wunsch im Hintergrund, das Besondere der Gegen-
wart dem allgemeinen des Gesamtverlautes einzuordnen^
um Gegenwart und Zukunft besser zu verstehen* So
ist das Verständnis der Gegenwart immer das letzte
Hauptziel aller Historie; sie ist eben die Gesamtlebens-
erlahrung unseres Geschlechtes, so gut und so weit wir
uns ihrer zu erinnern und so gut und so nah wie wir
sie auf unser eigenes Dasein zu beziehen vermögen.
Stillschweigend arbeitet jede Forschung mit diesem Koef-
fizienten, und ausdrücklich ist es das höchste Ziel der
Historie*
Die ausdrückliche Stellung einer solchen Aufgabe
bedeutet freilich eine konstruktive Aufgabe: die Zusam-
Einzelarbeiten zu dem Thema verzeichnet sind. Im Vortrage
waren die ersten drei Nummern stark verkürzt.
Zur Charakterisierung unserer gegenwärtigen Verhältnisse
möchte ich nicht unterlassen, die Tatsaclie zu erwähnen^ daß ich
sofort nach Bekanntmachung der Rednerliste für den IX. Deutschen
Historikertag von der Redaktion der „Kölnischen Volks-
zeitung" Nr. 29 dieses Blattes vom 29. Januar 1906 mit der blau
angestrichenen Notiz zugesandt erhielt: «Die IX. Versammlung
deutscher Historiker findet in Stuttgart vom 17. bis 21. April 1906
statt Unter den zahlreichen angemeldeten Vorträgen befindet
sich auch einer von Professor Dr. Troeltsch (Heidelberg): Die
Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen
Welt Hoffentlich behandelt Herr Professor Troeltsch das Thema
in einer WeisCj wie sie für die „Versammlung deutscher Historiker*
angemessen ist, unter denen sich bekanntlich auch katholische
Gelehrte befinden."
I
4
Bedeytung d. Protestanthmtis i d» Entstehung d, modernen Welt 3
menlassung der Gegenwart zu einem ihr Wesen charak-
terisierenden allgemeinen Begriff und die Beziehung dieses
Ganzen auf die Vergangenheit als auf eine Gruppe von
geschichtlichen Mächten und Tendenzen, die ebenfalls
mit allgemeinen Begriffen bezeichnet und charakterisiert
werden müssen. Allein ganz kann keine historische Unter-
suchung, sie sei so einzelsachlich wie möglich, solcher
Allgemeinbegriffe entbehren; sie kann sich über sie nur
dadurch täuschen, daß sie sie für selbstverständlich hält
Andererseits ist die besondere konstruktive und begriff-
liche Art auch offen zugegeben; sie setzt die Einzel-
lorschung voraus und bleibt von ihr abhängig; sie hat
ihre besonderen Gefahren und Abwege der falschen Ver-
allgemeinerung und wird sehr bescheiden sein gegen-
über der eigentlich fachlichen Forschung. Das ändert
aber daran nichts, daS sie immer wieder unternommen
werden mu8, und daß in thr das eigentliche Geschichts-
denken seinen Ausdruck findet* Sie ermöglicht allein^
das verarbeitete Material für weitere Fortarbeit zu grup-
pieren, die Zusammenhänge herauszuarbeiten und neue
Fragestellungen an den Stoff heranzubringen; sie vor
allem ermöglicht allein das stillschweigend befolgte Haupt-
ziel aller Historie, das Verständnis der Gegenwart» zu
erreichen. Bei allem Bewußtsein um die Masse der ihr
drohenden Fehlerquellen darf sie daher doch sich geltend
machen. Die Konstruktion will Ja nicht in der Weise der
alten theologischen Lehren den Wegen der V^orsehung
nachsinnen oder in der Weise Hegels die notwendige
Explikation der Idee nachzeidnieii oder in der Weise
des psychologistischen Povi&wmmtm die notwendige Aul*
etnanderfolge gewisser Hi i hniMillinli konstruieren. Sie
will rein erfahrungsimmanent mir «fie verschiedenen
großen Mächte unseres
gemeinbegrilfen formulieren
liehe Verhältnis dieser die
Mächte aufhellen. Alle w
sophische Konstruktion gehört
Lebens zu Ail-
m kausale tatsach-
Wdt begründenden
geschtchtsphilcH
ncht mehr der
Historie, sondern der Philosophi(v
Ethik oder der religiösen C
Melftphyiik, der
an. kl dem
I*
4 Ernst Troeltsch»
bescheidenen^ eben angedeuteten Sinne aber gehört die
Konstruktion der wirklichen Historie an, und nur in diesem
bescheidenen Sinne ist auch der folgende Konstruktions-
versuch gemeint.
l
Die Stellung der Aufgabe rechnet von vornherein
mit einem als selbstverständlich behandelten historischen
Allgemeinbegrifl, mit dem Begriff der modernen
Welt oder dem der modernen europäisch-amerikanischen
Kultur. Dieser Begriff bedarf zu allererst einer genaueren
Bestimmung, die uns dann auch die Fragen an die Hand
geben wird, welche wir an den Protestantismus als an
einen der Väter der modernen Kultur zu stellen haben.
Diese Kultur umschließt selbstverständlich die allerver-
schiedenartigsten Strebungen, aber sie trägt doch ein
gewisses gemeinsames Gepräge, das wir alle instinktiv
empfinden. Die Bezeichnung als „modern^ ist dabei frei-
lich nur a poiion zu verstehen, da sie ja einen großen
Teil der älteren Mächte fortsetzt; aber gerade in dem
beständigen Kampf gegen diese älteren Mächte kommt
ihre Eigenart zum Bewußtsein. Diese Eigenart selbst
aber ist außerordentlich schwer zu bestimmen, teils wegen
der Mannigfaltigkeit und Heterogenität der sie bestimmen-
den Mächte und BedingungeUt teils wegen des Mangels
des eigentlichen Bestimmungsmittels, das in der Abhebung
gegen eine nachfolgende neue Kultureinheit bestände und
erst die im Erleben unübersehbaren oder unperspektivisch
geordneten Kräfte erkennen ließe. So haben wir als Be-
stimmungsmittel wesentlich nur die Abhebung gegen die
vorangehenden Perioden, vor allem gegen die unmittel-
bar vorangehende Kulturperiode, Es sind wesentlich
negative Bestimmungen, wie denn auch die beginnende
moderne Kultur wesentlich sich durch den Gegensatz
gegen das Bisherige als neu empfand und in den positi-
ven Neuschöpfungen aufs mannigfaltigste experimentierte;
und bis heute ist wenigstens eine allgemeine Charak-
teristik nur in solchen negativen Bestimmungen zu geben.
Die moderne Kultur ist hervorgegangen aus dem großen
fieÄnitung d* Protestantismus t d. Entstehung d. modernen Welt. 5
Zeitalter der kirchliehen KuUur, die auf dem Glauben
an eine absolute und unmittelbare gott liehe Offenbarung
und auf der Organisation dieser Offenbarung in der Er-
lösungs- und Erziehungsanstalt der Kirehe beruhte. Nichts
ist mit der Macht eines solchen Glaubens zu vergleichen,
wenn der Glaube wirklich naturwüchsig und selbstver-
ständlich ist. Dann ist überall Gott, sein unmittelbarer,
genau erkennbarer und von einem unfehlbaren Institut
getragener Wille gegenwärtig. Dann kommt alle Kraft
zu höherer Leistung und alle Sicherung des letzten
Lebenszieles aus dieser Offenbarung und aus ihrer Or-
ganisation in der Kirche. Mit der Schöpfung dieses ge-
waltigen Baues hat die Antike unter der entscheidenden
Einwirkung des Christentums geendet, und dieser Bau
ist das Zentrum der ganzen sog. mittelalterlichen Kultur.
Das unmittelbare, genau abgrenzbare Hereinragen des
Göttlichen, seiner Gesetze, seiner Kräfte^ seiner Ziele in
kdie Welt bestimmt alles und erzeugt ein Kulturideal, das
iwenigstens in der Theorie eine Leitung der einheitlichen
iMenschheit durch die Kirehe und ihre Autorität bedeutet
und das die Kombination übernatürlich göttlicher Ziele
mit den natürlich-weltlich-menschlichen überall maßgebend^
anordnet, ^Xber allem herrscht die Lex Dei, die aus der
Lex Mo$is oder dem Dekalog, aus der Lex Christi und
der Lex ecclesiae sich zusammensetzt, die aber das recht-
lich*ethische und wissenschaftliche Kulturerbe der Antike
und die natürlichen Anforderungen des Lebens als Lex
naturae sich eingliedert. Es ist die für alles maßgebende
Theorie: im Grunde sind beide Leges, das biblisch-kirch-
liche und das stoisch-natürliche, eins, da beide im Ur-
Stande sich deckten und nur jetzt in der sündigen
Menschheit auseinander gehen, um von der Leitung der
Kirche wieder ins richtige, jetzt freilich durch die Fort-
dauer der Erbsünde bedingte, Gleichgewicht gesetzt zu
werden. Es ist eine Autoritätskultur im höchsten Grade»
die mit ihrer Autorität die höchsten Aspirationen auf ein
ewiges Heil und die stärksten Tiefen subjektiven Seelen-
lebens erregt, die das Unveränderlich-Göttliche und das
Veränderiich-Menschliche in einem Kosmos geordneter
Ernst Troeksch,
^
Kulturfunktionen ordnet. In diesem Kosmos lallt die volle
asketische Konsequenz eines solchen Lebensstils den
berufsmäßigen Vertretern der Kirche, dem Klerus, und
den freiwillig diesem Ideal sich Widmenden, dem Mönch-
tum, zu, während die von ihnen geleitete, vertretene
und begeisterte Masse ihren verschiedenen sozialen Funk-
tionen nach der Lex naiurae nachgeht und nur von Fall
zu Fall oder nur eingeschränkt dem asketischen Ideal
unterworfen wird. Wo eine absolut göttliche Autorität
alles Leben auf das Göttliche bezieht, ist die Askese, d. h.
die Konzentration alles Handelns auf das Leben in Gott
und die Fernhaltung alles Störenden, die natürliche
Konsequenz* Aber wie die Autorität der Kirche die natür-
liehe Vernunft neben sich anzuerkennen verstand, so hat
die Askese das natürliche Leben sich einzugliedern ver-
mocht. Eine überaus biegsame Vereinigung des autori-
tativ-asketischen und des natürlich-innerweltlichen Lebens
charakterisiert den Katholizismus, und in dieser Vereini-
gung ist er die organisierende Kulturidee der ganzen Spät-
antike und noch viel mehr des romanisch-germanischen
sog. Mittelalters geworden. Sein ganzes Weltbild und
sein ganzes Dogma ^ seine Wissenschaft, seine Ethik,
seine Staats- und Gesellschaftslehre, seine Rechts- und
Wirtschaftstheorie und seine ganze Praxis sind von hier
aus konstruiert. Natürlich ist das nicht die einzige be-
stimmende Macht des Mittelalters; es kommen davon
ganz unabhängige und zum Teil den Sieg der kirch-
lichen Kultur erst ermöglichende Bedingungen hinzu:
die politische und soziale Lage des späten AUertums,
die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des
Germanentums, die Disposition für kirchliche Leitung in
den naturalwirtschaftlichen Verhältnissen des Frühmittel-
alters^ das genossenschaftlich gebundene Leben der be-
ginnenden städtischen Geldwirtschaft, die dadurch bedingte
Schwäche aller Zentralgewalten. Allein daß alte diese
Verhältnisse zusammengingen zu dem Effekt der kirch-
lich geleiteten Kultur^ das ist eben doch in deren geisti-
gem Gehalt und Wesen begründet, und darum ist das
Ganze die Periode der wesentlich kirchlichen Kultur.
Bedeutung d. Protestantismys Ld. Entstehung d* modernen Welt. 7
An diesem Gegen satze erhellt nun das Wesen der
modernen Kultur Sie ist überall die Bekämpfung der
kirchlichen Kultur und deren Ersetzung durch autonom
erzeugte Kulturideen, deren Geltung aus ihrer über-
zeugenden Kraft, aus ihrer immanenten und persönlich
wirkenden Gindruckskraft folgt* Die wie immer begründete
Autonomie im Gegensatz gegen die kirchliche Autorität,
gegen rein äußere und unmittelbare göttliche Normen,
beherrscht alles. Auch wo man neue Autoritäten prinzipiell
aufrichtet oder tatsächlich befolgt, wird doch deren Geltung
selbst auf rein autonome und rationale Überzeugung be-
gründet, und auch wo die religiösen Überzeugungen be-
stehen bleiben, wird doch ihre Wahrheit und verpflichtende
Kräh zuerst auf eine innere persönliche Überzeugung und
nicht auf die herrschende Autorität als solche begründet.
Die unmittelbare Folge einer solchen Autonomie ist aber
notwendig ein immer gesteigerter Individualismus der
Überzeugungen, Meinungen, Theorien und praktischen
Zielsetzungen, Eine absolut überindividuelle Bindung
bringt nur eine so ungeheure Macht wie der Glaube
an eine unmittelbare supranaturale göttliche Offenbarung
hervor, wie sie der Katholizismus besaß und in der
Kirche als der erweiterten und fortdauernden Mensch*
werdung Gottes organisiert hat» Fällt diese Bindung weg,
dann ist die notwendige Folge die Zersplitterung in aller-
hand menschliche Meinungen, Sie können nicht mit
absoluter göttlicher, sondern nur mit relativer menschlicher
Autorität entscheiden; und diese menschliche Autorität
mag sich noch so rationell begründet fühlen, die ver-
schiedenartigen Fassungen und Äußerungen der Vernunft
werden stets auseinandergehen. An Stelle der göttlichen
Infallibilität und kirchlichen Intoleranz tritt notwendig die
menschliche Relativität und Toleranz. Zwar herrscht die
Gewöhnung an normatives Denken zunächst noch so vor,
daß ein natüHiches rationales System der Wissenschaften
und der Lebensordnungen im sog. Rationalismus entsteht;
aber die damit eingeleitete Autonomie erkennt schließlich
die historische Bedingtheit alles scheinbar Rationalen und
stößt auf die Verschiedenartigkeit der angeblich rationalen
Ernst Troeltsch,
BegriHsbtldungen; und so entsteht ein immer weiter
gehender Relativismus und Individualismus, dessen zer»
splitternde und atomisierende Wirkungen wir nur allzuwohl
kennen. Es fehlt natürlich nicht an sozialisierenden Gegen-
wirkungen gegen diese Zersplitterung, aber auch sie begrün-
den sich schließlich nur rationell, sei es auf die historisie-
rende Oberzeugung, daß die großen gewordenen geschicht-
lichen Mächte organisch weiter gebildet werden müssen,
sei es auf die philosophische Einsicht, daß die Gesell-
schaft zu einer den Lebensdrang aller Individuen gleich-
mäßig befriedigenden Ordnung gebracht werden müsse.
Die religiösen Überzeugungen aber, die ein dem bloß
individuellen Leben übergeordnetes allgemeines Ideal
behaupten und es doch nicht auf die Infallibilität irgend-
einer Offenbarung und Kirche begründen wollen, befinden
sich eben deshalb in der schwierigsten Lage und nach
allen Seiten im Gedränge, Aus alledem ergibt sich dann
aber noch ein drittes Charakteristikum der modernen
Kultur, die Innerweltlichkeit der Lebensrichtung. Ist
die absolute Autorität zerfallen, die den Gegensatz des
Göttlichen und Menschlichen absolut machte, und ist im
Menschen ein autonomes, Wahrheit und Moralität hervor-
bringendes Prinzip anerkannt, dann fallen auch all die
Weltanschauungen, welche jene Kluft zu befestigen vor
allem bestimmt waren. Es fällt die Lehre von der ab-
soluten erbsündigen Verderbung der Menschheit und die
Verlegung des Lebenszweckes in das aus diesem Ver-
derben erlösende himmlische Jenseits* Dann gewinnen
alle Mächte des Diesseits einen gesteigerten Wert und
eine erhöhte Eindrucksfähigkeit und fällt der Lebenszweck
in steigendem Maße dem Diesseits und seiner idealen
Gestaltung zu. Mag diese Tendenz nun in die reine
Diesseitigkeit und Säkularisation ausmünden oder mag sie
einen, nun freilich innerlich organischen Zusammenhang
von Lebensleistung und jenseitiger Lebensfortsetzung be-
haupten, unter allen Umständen sind damit die Voraus-
setzungen der kirchlichen Askese gefallen. Man kann,
wie Lessing sagt, das zukünftige Leben erwarten wie
den kommenden Tag, der aus dem gestrigen hervor-
Bedeutung d. Protestantismus f, d. Entstehung d. modernen Welt 9
wächst. Ist es nicht mehr möglich, das bloß weltliche
und das aus Gottes Kraft geführte Leben voneinander
zu scheiden und gegeneinander abzugrenzen, so erscheint
das Leben entweder als rein menschliches oder als ein
im ganzen Umfang vom Gottesgeist erfülltes, was oft
genug auf dasselbe hinauskommt. WeUleid und Sünden-
gefühl haben freilich auch in der modernen Welt auf die
Dauer keinen unbegrenzten Optimismus aufkommen lassen»
aber der moderne Pessimismus ist überall in Form und
Sinn etwas anderes als die kirchliche Askese.
Das sind nun freilich wesentlich negative und tormale
Charakteristika. Eine schärfere inhaltliche Charakteristik
ergibt sich vielleicht, wenn wir diese autonom-individua-
Itstisch-innerweltliche Kulturidee vergleichen mit dem-
jenigen Zeitalter^ das in der Entwicklung unserer abend-
ländischen Kultur dem kirchlichen Zeitalter voraufging und
das in vieler Hinsicht mh der modernen Welt erstaunliche
Ähnlichkeit hat, mit der römisch-hellenistische n S p ä t a n t i k e.
Auch das ist eine universale autonom-rationale Kultur, die
die alten Autoritäten der Staatsreligionen und geschlosse-
nen Nationalideen aufgelöst hat. Im Vergleich zu ihr treten
dann aber diejenigen Unterschiede der modernen Welt
deutlich hervor, die diese positiver zu zeichnen erlauben
und die auf die geschichtlichen Kräfte hinweisen, durch
deren besonderes konkretes Zusammenwirken die eigen-
tümlich moderne Welt aufgebaut ist. Da zeigt sich in
erster Linie an Stelle der antiken Universalmonarchie
das System großer, weiträumiger, nationaler Staaten, die
im Gleichgewichte stehen oder stehen wollen; ferner ein
politischer Aufbau dieser Staaten, der die Bürger an der
Regierung mitbeteiligt, aber nicht direkt durch Urversamm-
lungen, sondern durch Repräsentationen; weiter eine
rechtliche, verwaltungstechnische und militärische Organi-
sation dieser Staaten, die ihnen eine eigentümliche Kon-
sistenz gibt und die Kulturzwecke im weitesten Umfang
in den Staatszweck mit hineinzieht; schließlich an Stelle
des mittelmeerischen der ozeanische Horizont, der un-
gleich größere und verwickeitere Probleme der Expansion
und Kolonisation stellt. In zweiter Linie zeigt sich ein
10
Ernst Troelt&ch,
vötlig andersartiges Bild des wirtschaftlichen Lebens^ das
nicht mehr auf der Hauswirtschaft und dem Sklaventum,
sondern auf der geschlossenen Nationalwirtschaft, auf
einem durch Geld und Kredit vermittelten internationalen
Austausch und vor allem auf dem Kapitalismus beruht,
das eine formal und rechtlich freie Bevölkerung zu einer
rationellen Ausnutzung aller wirtschaftlichen Kräfte erzieht*
Auf alledem zusammen beruht eine völlig andersartige
soziale Schichtung, die neben dem politischen und mili-
tärischen Beamtentum die ganz neue Erscheinung des
kapitalistischen und gebildeten Bürgertums hervorgebracht
hat und die freie arbeitende Bevölkerung nicht bloß nach
formaler rechtlicher, sondern auch nach sachlicher Gleich-
beteiligung streben läßt. Insbesondere bildet den Kern
des sozialen Lebens ein Familienleben, in dem die Mono-
gamie direkt zum ethischen Prinzip erhoben ist^ die Ge-
schlechter gegeneinander persönlich und rechtlich ver-
selbständigt, das Liebesleben romantisch und empfindsam
verfeinert, die patria poiesias gegenüber den Kindern
gelockert und der Zusammenhang des Geschlechts oder
der weiteren Familie sehr eingeschränkt ist. Weiterhin
besitzt die moderne Welt eine Entfaltung der Wissenschaft,
die zwar auf der Fortsetzung des antiken Erbes und
vor allem auf dessen verstärkter Betonung in der sog.
Renaissance zurückgeht, die aber doch weit über dieses
hinausgeht. Als Naturwissenschaft hat sie die Natur in
einem Umfang und einer tntensivitat rationalisiert, daß
alle Weltanschauung aufs tiefste von ihr beeinflußt werden
muß, und daß alle Technik von der empirischen und zu-
fälligen Routine betreit, auf gesetzlicher Erkenntnis be-
ruhend immer neu erzeugt und immer weiter fortgebildet
werden kann. Als Geschichtswissenschaft hat sie die
Genesis unserer Kultur so reich und gründlich durch-
gearbeitet und alle gegenwärtigen Verhalt nisse so stark
statistisch durchsichtig gemacht, daß alles Denken in
irgendeinem Maß ein historisches werden mußte, und daß
alle Ordnung menschlicher Dinge mit diesen Erkennt-
nissen ausgerüstet ist; die Folge davon ist ein Relativis-
mus und eine Reflektiertheit, ein alles vergleichender
Bedeutung d. Protestantismus f. d. Entstehung d. modernen Welt. 1 1
Reichtum an Analogien, wie ihn kein Zeitalter je gekannt
hat; zugleich hält aber doch ein starker Kontinuitäts-
sinn die entnervenden Wirkungen ferne. Weniger weit
als die Wissenschaft hat die Kunst sich von der des
Altertums entfernt; ja die künstlerische Empfindung des
Altertums hat gerade die Entbindung des modernen In-
dividualismus aus dem mittelalterlichen wesentlich reli-
giösen und ethischen außerordentliche Dienste geleistet,
indem sie die vom Mittelalter erworbene künstlerische
Kraft durch die Antike befruchtete und verwandelte. Aber
nicht auf die Leistungen und ihren nun unendlich man-
nigfaltigen Inhalt oder ihre neuen Formen kommt es vor
allem an, sondern auf ein prinzipielles theoretisches Mo-
ment, das sich aus der modernen Kunstübung herausent-
wickelt und das geistige Leben wesentlich bestimmt. Indem
nämlich die Kunst ein unendlich viel reicheres Seelenleben
symbolisiert und sich gegen die übrigen Lebensinhalte
viel bewußter differenziert, entsteht als ein spezifisch mo-
dernes Charakteristikum die ästhetische Weltanschauung,
die allein oder mit anderen Motiven der Weltanschauung
zusammen das Leben bewußt beherrscht. Sie entfaltet die
der Antike selbstverständliche Naturverherrlichung ge-
radezu prinzipiell und polemisch zu einer Macht der Dies-
seitigkeit und Innerweltlichkeit oder bringt die moderne
sublime Geistigkeit mit nicht minder bewußter Gegensätz-
lichkeit zum Ausdruck; so oder so ist sie immer ein Prin-
zip der inneren geistigen Freiheit und der restlosen Indi-
vidualisierung, wie sie das nicht einmal für die spätere hel-
lenistische Kunst gewesen ist. Zuletzt und vor allem
aber charakterisiert die moderne Welt eine viel tiefere
und stärkere Wurzel des Individualismus selbst in seiner
inneren metaphysischen Beschaffenheit. Es ist nicht nur
Fortsetzung und Erweiterung des antiken Rationalismus
oder der antiken Skepsis, die von der Renaissance her
mit einer erneuten Kraft auf uns wirken. Es ist auch
nicht die spiritualistische Seelenverfassung des Platonis-
mus und der späteren Stoa, die, mit dem Christentum
eng verschmolzen, seinen ganzen Weg begleitete und aus
dieser Verbindung heraus namentlich seit der Renaissance
12
Ernst Troeltsch,
sich stets von neuem verselbständigte. Es ist vielmehr
die christliche Idee selbst von der Bestimmung des
Menschen zur vollendeten seligen Persönlichkeit durch
den Aufschwung zu Gott als der Quelle alles persönlichen
Lebens und der Welt zugleich, welcher Aufschwung eben-
damit ein Ergriffen- und Gebildetwerden durch den
göttlichen Geist ist. Es ist die hierin enthaltene Meta-
physik des absoluten Personalismus, die die ganze Welt
mittelbar oder unmittelbar durchdringt, und die dem Ge-
danken der Freiheit, der Persönlichkeit, des autonomen
Selbst einen metaphysischen Untergrund gibt, der auch
da nachwirkt, wo er bestritten und geleugnet wird» Diese
Seelenverfassung hat der Katholizismus in steigendem
Maße den die mittelalterliche Kultur formenden Barbaren
anerzogen, dabei unterstützt durch deren politisch-soziale
Institutionen, und der Protestantismus hat sie geradezu
bewußt als Prinzip formuliert.
Man sieht in alledem deutlich die Wirkung und die
Beiträge der verschiedenen konkreten geschichtlichen
Mächte zur Bildung der modernen Kultur. Man erkennt
Antike und Katholizismus, die sozialen und politischen
Eigentümlichkeiten der romanisch-germanischen Völker,
die Entstehung der modernen Geldwirtschaft und des
Kapitalismus, die spätmittelalteriiche Differenzierung der
Nationen, die koloniale und maritime Ausbreitung, die
Renaissance, die modernen Wissenschaften, die moderne
Kunst und Ästhetik, den Protestantismus, fiieraus stam-
men die Inhaltej an denen der moderne Individualismus
und Rationalismus arbeitet, hieraus auch die Vorausset-
zungen, aus denen er selbst entstanden ist und deren
Farbe er trägt, auch wenn er nicht daran denkt.
Es ist zweifellos, daß der Protestantismus in dem
ganzen Kräftespiel eine hervorragend wichtige Rolle spielt»
Es ist auch tadelnd oder preisend stets anerkannt wor-
den, abgesehen von denen, welche die ganze moderne
Welt nur aus der Renaissance oder gar erst aus dem auf
sie folgenden Zeitalter der positiven Wissenschaften ab-
leiten wollen. Und es darf in der Tat die Bedeutung des
Protestantismus nicht einseitig übertrieben werden. Ein
Bedeutung d. Protestantismus ff. d. Entstehung d.modernen Welt. 13
großer Teil der Grundlagen der modernen Welt in Staat,
Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst ist völlig
unabhängig vom Protestantismus entstanden, teils einfach
Fortsetzung spätmittelalterlicher Entwicklungen, teils Wir-
kung der Renaissance und besonders auch der vom Pro-
testantismus angeeigneten Renaissance, teils in den katho-
lischen Nationen wie Spanien, Osterreich, Italien und be-
sonders Frankreich nach Entstehung des Protestantismus
und neben ihm erworben worden. Gleichwohl ist seine
große Bedeutung für die Entstehung der modernen Welt
ganz offenbar nicht zu bestreiten. Die große Frage ist
nur, worin nun im einzelnen wirklich diese Bedeutung
besteht. Hierüber herrschen in der Wissenschaft und
noch mehr in der populären Literatur sehr bunte und
sehr ungenaue Vorstellungen. Die katholische Literatur
pflegt in ihm die Wurzel des revolutionären Geistes der
modernen Welt zu sehen, und v. Treitschkes berühmte
Lutherrede von 1883 sieht in ihm geradezu den Grund
alles Großen und Edlen in der modernen Welt. In der
Hegeischen Schule pflegt er als Ethik und Religion
der Immanenz gefeiert zu werden, und in der Schule
Ritschis erscheint er als Schöpfer von Familie, Staat,
Gesellschaft und Berufsarbeit im modernen Sinne. So
einfach liegen aber die Dinge durchaus nicht. Es ist
ein höchst verwickeltes Problem, wo die Forschung über-
haupt erst im Begriffe ist, die Einzelfragen richtig zu
sehen und zu stellen, von einer eigentlichen Beantwor-
tung aber oft noch weit entfernt ist. Die Übersicht, die
über diese Probleme hier im folgenden gegeben werden
soll, kann daher oft nicht mehr als Vermutungen und
Anregungen geben. Nur durch Zusammenwirken von
Forschem sehr verschiedener Gebiete können hier die
erschöpfenden Antworten gefunden werden.
II.
Der „Protestantismus" ist nun freilich wieder
ein historischer Allgemeinbegriff, der sehr dringend einer
genaueren Bestimmung bedarf. Es ist die herrschende
Gewöhnung, darunter alle Erscheinungen des protestan-
14
Ernst TroeUsch,
tischen Religionsgebietes bis zum heutigen Tage zu be-
lassen und darauf dann einen Allgemeinbegriff zu begrün-
den, der mehr sagt, was der Protestantismus sein oder
werden sollte» als das was er wirklieh ist. So pflegen
in diesen Bestimmungen entweder die Begriffe einer er-
weichten und prinziplos gewordenen Orthodoxie oder die
einer fort- und umbildenden philosophischen Auffassung
zu überwiegen. In beiden Fällen aber handelt es sich
nicht mehr um historische Allgemeinbegrifle, die die
wirklichen Tatbestände als Ganzes erscheinen lassen,
sondern um Idealbegriffe, die, an das Wirkliche anknüp-
fend, das eine oder andere Element in ihm beson-
ders betonen und damit ihrer Formel die] Begrün-
dung als Wesen oder Grundtendenz zu geben suchen.
Solche Idealbegrilfe sind für das Handeln und Wollen
der Gegenwart freilich unentbehrlich, aber sie sind keine
historischen Allgemeinbegriffe, ^) Sucht man lediglich
einen solchen für den Protestantismus, so erkennt man
leicht, daß ein solcher für den Gesamtprotestantismus
überhaupt gar nicht ohne weiteres zu bilden ist. Denn
der gesamte moderne Protestantismus ist auch da, wo
er die orthodoxen Traditionen des Dogmas fortsetzt,
tatsächlich ein völlig anderer geworden. Der alte, echte
Protestantismus des Luthertums und des Calvinismus ist
durchaus im Sinne des Mittelalters kirchliche Kultur, will
Staat und Gesellschaft, Bildung und Wissenschaft, Wirt-
schaft und Recht nach den supranaturalen Maßstäben der
Offenbarung ordnen und gliedert wie das Mittelalter überall
die Lex naturae als ursprünglich mit dem Gottesgesetz
identisch sich ein. Der moderne Protestantismus seit dem
Ende des 17. Jahrhunderts ist dagegen überall auf den
Boden des paritätischen oder gar toleranten Staates über-
getreten und hat die religiöse Organisation und Gemein-
schaftsbildung im Prinzip auf die Freiwilligkeit und per-
sönliche Überzeugung übertragen unter grundsätzlicher
Anerkennung der Mehrheit und Möglichkeit verschiedener
') Über das Wesen solcher ^historischer Allgemeinbegriffe*'
vgl meinen Aufsatz: Was heißt pWesen des Christentums*?
Christliche Welt 1903.
Bedeutung d. Protestantismus f. d. Entstehung d. modernen Welt. 1 5
religiöser Oberzeugungen und Gemeinschaften neben-
einander. Er hat femer grundsätzlich neben sich ein
völlig emanzipiertes weltliches Leben anerkannt, das er
weder direkt noch indirekt durch Vermittelung des Staates
mehr beherrschen will, und hat seine alte Lehre von der
diese Beherrschung ermöglichenden und fördernden
Identität der Lex Dei und Lex naturae bis zum völligen
Unverständnis vergessen. Das sind fundamentale Unter-
schiede, die dann naturgemäß auch in dogmatischen Er-
schütterungen und Veränderungen zutage getreten sind,
vor allem in Veränderungen des Kirchen- und Staats-
begriffes und in Reduktionen der alten absoluten Autorität»
der rein supranaturalen Bibelgeltung, die bis zur völligen
Umwandlung seines alten, das ganze System bestimmen-
den , Offenbarungsglaubens fortgeschritten sind. Wird
aber das im Auge behalten, so ist für jede rein histo-
rische Betrachtung und insbesondere für unsere Frage-
stellung Alt- und Neuprotestantismus wohl zu
unterscheiden. Der Altprotestantismus fällt unter den
Begriff der streng kirchlich supranaturalen Kultur, die
auf einer unmittelbaren und streng abgrenzbaren, vom
Weltlichen zu unterscheidenden Autorität beruht, und
sucht geradezu mit seinen Methoden diese Tendenz der
mittelalterlichen Kultur strenger, innerlicher, persönlicher
durchzusetzen, als dies dem hierarchischen Institut des
Mittelalters möglich war. Die Autorität und Heiiskraft
der reinen Bibel soll durchsetzen, was den Bischöfen
und dem Papste bei der Außeriichkeit ihrer Mittel und
bei der starken Verweltlichung der Institution nicht er-
reichbar war.
Wenn nun aber das deutlich erkannt ist, dann trennt
sich der Altprotestantismus auch deutlich von denjenigen
historischen Gebilden, die neben ihm hergehen und die
der Neuprotestantismus mehr oder minder in sich auf-
genommen hat, oft bis zur UnUnterscheidbarkeit, die aber
von jenem innerlich tief unterschieden waren und ihre
eigene historische Wirkung hatten, nämlich von der
humanistischen, historisch-philologisch-philosophischen
Theologie und dem Täufertum und Spiritualismus.
n
Ernst Troe lischt
Der Altprotestantismus hat sich von beiden scharf und
mit blutiger Gewalttätigkeit unterschieden, nicht aus kurz-
sichtiger Leidenschaft oder theologischer Rechthaberei
oder aus Opportunismus oder aus epigonenhafter Eng-
herzigkeit Er hat sich in allen Führern wie Luther,
Zwingli und Calvin von Anfang an innerlich und wesent-
lich von ihnen geschieden, und zwar deshalb, weil von
beiden die Idee der kirchlichen Kultur und die absolute
Gegebenheit der Offenbarungsgrundlage einer solchen
Kultur trotz aller prinzipiellen Christlichkeit geleugnet
wird. Gerade ihr Rückzug auf kleine, fromme Kreise, ihre
Fernhaltung vom Staat und ihr Verzicht auf religiösen
Zwang war gegen die Idee der Reformatoren, die wie
der Katholizismus eine Offenbarung, die nicht alles
Menschliche dem Göttlichen unterwirft, für keine wahre
Offenbarung halten konnten. Die Objektivität des Kirchen-
instituts, die Sicherheit der Bibel und die klare staatlich-
kirchliche Leitung der Gesellschaft oder des einheitlichen
corpus Christianum, das jede Kirche wenigstens auf dem
ihr durch die Landesregierung erreichbaren Gebiete her-
stellte, wurde durch jene bedroht. Erst als der Neuprote-
stantismus die Idee der kirchlichen Gesamtkultur aus den
Augen verioren hatte, konnte er die Gewissensforderung
der historisch-philologischen Kritik und die Oltenbarungs-
lehre der inneren persönlichen Überzeugung und Erleuch^
tung als genuin protestantische Prinzipien bezeichnen,
während der echte Protestantismus das alles mit den
Kategorien des ^Naturalismus" einerseits und des „Fana-
tismus" oder „Enthusiasmus*" anderseits belegte und heute
noch in seinen Resten bei teilweiser Anerkennung dieser
Häresien um so leidenschaltlicher ihren Geist bekämpft.
Diese Unterscheidung ist aber gerade für unser Thema
außerordentlich wichtig. Gerade die mit dem Protestan-
tismus verwandten und doch von ihm so scharf unter-
schiedenen Mächte der humanistisch-philologischen Theo-
logie, die in Arminianismus und Sozinianismus Son-
derorganisationen erlangten, und die täuferisch-enthusia-
stischen und spiritualistischen Theorien , die in den
Gemeinden unter dem katholischen und unter dem pro-
Bedeutung d. Protestantismus f . d. Entstehung d. mod ernen Welt, i 7
testantischen Kreuz sich organisierten, haben für die
Entstehung der modernen Welt eine außerordentlich hohe
Bedeutung, die nicht ohne weiteres dem Protestantismus
überhaupt auf das Konto geschrieben werden darf, Sie
haben gegen das Ende des 17. Jahrhunderts nach langer
und grausamer Unterdrückung ihre welthistorische Stunde
erlebt. Von ihnen kann mit den nötigen Änderungen das
Wort gelten : Graecia capia ferum vlciorem ceptt ei artes
Iniulii agresH Latia,
Schließlich ist noch nachdrücklich hinzuweisen auf
den Unterschied, den innerhalb des Altprotestantismus
beide Konfessionen, das Luthertum und der Calvinis-
mus, zeigen. Er liegt keineswegs bloß in dem verschie-
denen Kulturboden, aus dem beide entstehen und auf dem
sie wirken, sondern liegt trotz der im wesentlichen über*
einstimmenden dogmatischen Basis in gewissen Feinheiten
des religiösen und ethischen Gedankens^ die dem Charakter
und Wesen der führenden Persönlichkeiten entstammen.
Sie erscheinen zunächst als Nebendinge, bringen aber doch
so weit auseinandergehende Entwicklungen hervor, daß
für beide ein gemeinsamer Begriff kaum mehr zu formu-
lieren ist, daß nicht ein, sondern zwei Protestantismen für
uns in Betracht kommen. Die Bedeutung des Calvinismus
für unsere Fragestellung ist eine völlig andere als die des
Luthertums, und es erfordert eine sehr feine psycho-
logische Einzelanalyse, um jedesmal den besonderen Zu-
sammenhang herauszufühlen.
Alles das aber, was sich so bei einem solchen Ver-
such der Bestimmung des Allgemeinbegrilfes „Protestan-
tismus*' ergibt, ist von höchster Bedeutung für die richtige
Beantwortung unserer Frage, Denn von einer Wirkung
ies Protestantismus zur Herbeiführung der modernen
Kultur kann nur in bezug auf den Altprotestantismus die
Rede sein, während der Neuprotestantismus selbst ein
rBestandteil der modernen Kultur und von ihr tiefgreifend
^beeinflußt ist. Unsere Antwort wäre von Anfang an
falsch orientiert, wollten wir von einem Begriff des Pro-
rtestantismus ausgehen, der in den Altprotestantismus
alle oder wesentliche Kultureigenschaften des Neuprote-
HlitDfi»che Zcittetiritt (97 Hd.j j. Polg« l. Bd, ^
18
Ernst Troeltsch,
stantismus vorausdatierte und nun von einem solchen
Phantom aus die Übergänge zur modernen Kultur uns
leicht und einlach finden lassen würde. Nicht minder
wichtig ist die Scheidung der beiden Konfessionen,
die uns überhaupt verhindert, den Begriff des Protestan-
tismus wie ein farbloses Abstraktum zu behandein, und
uns nötigt» die besonderen konkreten Eigentümlichkeiten
innerhalb seines Bestandes in ihren ganz verschieden-
artigen Wirkungen zu würdigen. Und ganz besonders be-
deutsam ist die Sonderstellung der humanistischen Theo-
logie und des Täufertums, wobei in dieses der Kürze
halber der ganze mystische Spiritualismus miteinbegriffen
ist. Beide haben trotz anfänglicher enger Berührungen
dem Altprotestantismus ebenso ferne gestanden, als sie
dem Neuprotestantismus nahe gerückt sind, und man-
würde durchaus irren, wollte man den von ihnen be-
einflußten und umgestalteten Protestantismus für den
eigenllichen halten. Man würde sich das Verständnis
versperren für die eigentlichen Wirkungen des genuinen
Protestantismus, und man würde insbesondere diesem
Wirkungen in der Begründung der modernen Welt zu-
schreiben, die das unbestreitbare Verdienst jener Vielge-
plagten und Vielverlästerten sind.
III.
Stehen aber die Dinge so, dann liegt auf der Hand,
daß die in Frage stehende Bedeutung des Protestantismus
überhaupt nichts Einfaches ist. Aus der kirchlichen
Kultur des Protestantismus kann kein direkter Weg in
die kirchenfreie moderne Kultur führen. Seine im all-
gemeinen offenkundige Bedeutung hierfür muß vielfach
eine indirekte oder gar eine ungewollte sein, und das
Gemeinsame, das trotzdem beide verbindet, muß sehr
tief in den verborgenen und nicht unmittelbar bewußten
Tiefen seines Gedankens liegen. Darin liegt geradezu der
eigentliche Reiz des Problems, und um diesen verständ-
lich zu machen, muß zunächst der Gegensatz des
Protestantismus gegen die moderne Kultur noch
schärfer bezeichnet werden.
I
4
Bedeutung d. Protestantismus h d. Entstehung d. modernen Welt, 1^
Das Wichtigste ist, daß religions- und dogmengeschicht-
lich angesehen der Protestantismus nur eine Umbildung
des Katholizismus ist, eine Fortsetzung katholischer Frage-
stellungen, denen nur eine neue Antwort zuteil wird. Erst
nach und nach haben sich aus dieser neuen Antwort die
radikalen religionsgeschichtlichen Konsequenzen entwickelt,
erst bei einem Bruch mit der ersten Gestalt des Pro-
testantismus zeigte sich die weit über eine neue Beant-
wortung alter Fragen hinausgehende Konsequenz, Davon
aber kann erst später die Rede sein. Der Protestantis-
mus beantwortet zunächst nur die alte Frage nach der
Heilsgewißheit, die die Existenz Gottes und sein
ethisch -persönliches Wesen überhaupt voraussetzt und
nur die Not zum Problem macht, wie angesichts der Ver-
dammung aller zur Hölle durch die Erbsünde und an-
gesichts der Schwäche oder Nichtigkeit aller menschlich-
kreatüflichen Kräfte die Rettung aus dem Sündengericht,
die ewige Seligkeit und ein gleichmäßiger, holfnungs-
sicherer Friede des Herzens au! Erden erlangt werden
könne. Es ist durch und durch die alte Frage, die durch
die Erziehung des Katholizismus immer tiefer und ein-
drucksvoller in die Herzen geschrieben worden war. Der
Protestantismus beantwortet sie statt mit dem Hinweis
auf die hierarchische Erlösungsanstalt der Priesterkirche
und auf das vom Willen unterstützte opus operaium des
Sakraments durch den Hinweis auf einen persönlichen
Glaubensentschluß, der ein für allemal bei wirklichem
Ernst aus der supranaturalen Gottesoffenbarung der Bibef
der Rettung sich gewiß machen darf, und der aus dieser
Gewißheit alle ethischen Folgen der Gottversöhnung und
Gotteinigkeit im Gemüte hervorbringt. Der Glaubens-
entschluß empfängt die Rettung rein als objektive Heils-
versicherung durch die Bibel und schließt insofern jedes
menschliche Wirken aus, macht eben damit das Heil vom
Menschen unabhängig und allein abhängig von Gott. Die
alleinige Abhängigkeit des Heils aber von Gott macht das
Heil eben damit absolut gewiß und entnimmt es den
Schwankungen und Endlichkeiten alles menschlichen Tuns.
Sofern aber in dem dies Heil empfangenden Glaubens-
2*
30
Ernst Troeltschj
entschluß doch noch irgendwie eine menschliche Tätig-
keit und Mitbedingung enthalten zu sein scheinen könnte,
wird auch dieser Entschluß auf ein unmittelbares gött-
liches Wirken zurückgeführt. Die Prädestinationslehre
wird protestantische Zentrallehre im Interesse der Heils-
gewißheit, bei Luther, Zwingli und Calvin gleich ursprüng-
lich und gleich notwendig. Der Calvinismus hat dann
allerdings diese Lehre zunehmend zum Angelpunkt seines
Systems gemacht und in seinen großen Weltkämpfen
daraus die feste Kraft des Erwähtungsbewußtseins ge-
schöpft hat, aber dafür freilich auch die Rationalität und
universale Güte im Gottesbegriff geopfert, während das
Luthertum zum Schutze beider Interessen zunehmend den
Prädestinationsgedanken abgeschwächt, damit seinem Ge-
danken aber auch das Heroische und Eherne genommen
hat. Der Prädestinierte fühlt sich als der berufene Herr
der Welt, der in der Kraft Gottes zur Ehre Gottes in die
Welt eingreifen und sie gestalten soll. Der bloß aus
Gnaden Gerechtfertigte hat sein Heil freilich auch nur
aus Gott, aber hütet sich in der Scheu vor prädesünati-
nischen Konsequenzen überhaupt vor jeder strengen Ab-
grenzung und Beziehung von Gott und Welt und flüchtet
sich lieber in die rein religiöse Sphäre aus der Welt, die,
dazu in einem unklaren und Gott allein bekannten Ver-
hältnis stehend, lieber nur geduldet und ertragen wird.
Steht derart das alte Interesse der Heilsgewißheit
im Zentrum, und ist die Vergewisserung nur durch eine
einfachere Fassung der Offenbarung und eine innerlichere
Aneignung der Offenbarung erreicht, dann ist ganz selbst-
verständüch auch die alte Grundidee einer durch und
durch autoritativen rein göttlichen H eilsanstalt
bewahrt. Der Protestantismus wollte die Gesamtkirche
reformieren und ist nur durch Zwang zur Aufrichtung
eigener Kirchen gekommen, Sie sind Landeskirchen nur
geworden, weil der Protestantismus sein Kirchenideal bloß
mit Hilfe der Regierungen durchsetzen konnte und daher
jenseits der Landesgrenzen auf sein Ideal verzichten
mußte. Den Gedanken der Kirche selbst aber als der
erlösenden und erziehenden supranaturalen Heilsanstalt
Bedeutung d. Protestantismus f. d. Entstehung d. modernen Welt. 21
hat er nirgends aufgegeben. Er verwirft nur das jus
dsvinum der Hierarcliie und die Oberordnung der hierar-
chischen über die Staatsgewalt; er verwirft ferner die-^^
Sakramente als dingliche, nur von der Kirche zu ver-
waltende heilende und erlösende Kräfte, die etwas anderes
zur Heilsversicherung und Heilsbewirkung enthielten als
auch das im Glauben erfaßte Bibelwort enthält; er ver-
wirft die Tradition, die die besonderen katholischen kirch-
lichen Institutionen mit ihrer Autorität deckte, und hält
sich an die Bibel, die allein absolute Offenbarung ist und
allein erlösende und heiligende Kraft hat. Aber er hält
an der Idee der Kirche als der supranaturalen Heilsanstalt ^^
fest und konstruiert sie nur rein aus der Bibel. Die Bibel
enthält das Dogma, sie trägt in sich die Bekehrungs- und
Heilskräfte, sie ist das Instrument und die Quelle des
Kultus, ihre fachmäßige Kenntnis begründet das geist-
liche Amt. Die Bibel tritt an Stelle der Hierarchie und
des wunderwirkenden Sakraments, und die zwei oder drei
belassenen Hauptsakramente sind nur besondere Ver-
gewisserungsweisen des Bibelworts, wobei freilich das
Luthertum im Interesse der Objektivität der Kirche auf
die Gegenwart besonderer supranaturaler Faktoren im
Sakrament drang, denen aber dann doch sachlich keine
andere Wirkung zukam als auch dem Bibelwort. Und
auch Calvins Sakramentslehre drängt so nahe, als das bei
der Prädestinationslehre und der Spiritualität aller Heils-
vorgänge überhaupt möglich war, in die Nähe dieser
sakramentalen Objektivität. Unter diesen Umständen be-
steht für den Protestantismus auch noch gar nicht das
moderne Problem des Verhältnisses von Kirche und Staat. ^
Er sieht darin so wenig wie der Katholizismus getrennte
Organisationen, er sieht darin nur zwei verschiedene-
Funktionen innerhalb des untrennbar einen und selbigen
gesellschaftlichen Körpers, des Corpus Christlanum. Die
Geltung der religiösen Maßstäbe für das ganze Corpus,
die Ausschließung oder mindestens Entrechtung der Un-
gläubigen und Irrgläubigen, die Intoleranz und die Infalli-
bilität sind daher auch für ihn selbstverständlich. Er
ordnet nur das Verhältnis der beiden Funktionen neu. ^
n
Ernst Troeltseh,
Er kennt keine Überordnung der Hierarchie über die welt-
liche Obrigkeit und keine prinzipielle Uniformität und ver-
fassungmäßige Einheit der verschiedenen Landeskirchen.
t Beide, weltliche und geistliche Gewalt» sind vielmehr ge-
I meinsam der Bibel Untertan. Aus christlicher Bruderliebe
dient der Staat der Kirche, ordnet und überwacht er ihre
Verhältnisse zur Ehre Gottes, und aus der Kenntnis des
Gotteswortes heraus unterrichtet der geistliche Stand die
Obrigkeit über die Forderungen der Bibel. Ein einträch-
tiges, freiwilliges Zusammenwirken beider Funktionen des
, Corpus Christianum und der Träger dieser Funktionen ist
%/ das Ideal. Zugleich handhabt die Obrigkeit kraft göttlichen
Auftrags die Verwaltung der Lex naiurae, der weltlichen
und staatlichen Ordnung, und befolgt auch darin eine reli-
giöse Pflicht, da diese Lex naiurae ja nur ein Teil der im
Dekalog zusammengefaßten und von Christus wiederholten
Lex naiurae ist. In diesem einträchtigen Zusammenwirken
erstreckt sich die geistliche Ordnung über den Gesamt-
^ umfang des Lebens, auch über die ganz weltlichen Dinge,
die von der Obrigkeit aus Geist und Gesetz des gött-
lichen Wortes unter dem Beistand der Theologen geordnet
werden. Dabei ist auch in allen wesentlichen Dingen,
die unmittelbar aus der Offenbarung folgen, Uniformität
unerläßlich; nur die Adiaphora, d. h. die nicht im Wort
Gottes geordneten Dinge können verschieden sein, wobei
jedoch die beiden Konfessionen über den Umfang dieser
Adiaphora verschieden dachten. Nur soweit es Adiaphora
waren, hat daher auch jede Konfession die Verschieden-
heiten ihrer Landeskirchen ertragen; was dagegen gött-
lich unmittelbar verordnet schien, bei den Lutheranern
vor allem Dogma und Sakrament, bei den Calvinisten
auch Kirchenzucht und Ältestenamt, das mußte überall
gleich sein oder gleich gemacht werden. Es ist also
^ durchaus die Idee der kirchlich geleiteten Kultur; ja sie
ist hier, wo es keinen Unterschied höherer oder niedrigerer
christlicher Moral gab, noch stärker angezogen. Es ist
die Idee der Theokratie, nur die Ausübung der Theokratie
ist verschieden; es ist nicht mehr die Hierarchie, die der
j Obrigkeit befiehlt, sondern die Bibliokratie, die von geist-
Bedeutung d. Protestantismus i d. EnUtehung d* modernen Welt, 2^
lieber und weltlicher Obrigkeit zusammen in freier Ein*
tracht aus gewirkt wird. In dieser Grundidee sind beide
Konfessionen durcfiaus einig. In ihrer Ausführung gehen
sie freiUch bedeutungsvoll und folgenreich auseinander.
Seelenvoller und idealistischer denkt das Luthertum an
eine rein innerliche und geistüche Wirkung des Gottes-
wortes. Es verzichtet auf alle besondere eigene Kirchen-
Verfassung, die seine Betätigung sicherstellte, und auf alle
Garantien, mit denen die Obrigkeit zur Befolgung des
Gotteswortes angehalten würde. Es will nur das reine
Cotteswort auf den Leuchter stellen, zu welchem Zweck
es allerdings vor keiner Gewalttat zurückschreckt; alles
übrige aber überläßt es dem automatisch wirkenden, vom
Wort ausstrahlenden Geiste; undj wenn die weltliche
Obrigkeit ihm sich nicht unterwerten will, dann duldet
es gottergeben die bösen Anläufe des Satans, der welt-
liche Amtleute und Politiker nur allzu gern zu Geiz und
Hochmut oder zur Gleichgültigkeit verführt. Es ist ein ,,
Idealismus, der Luther ganz persönlich charakterisiert und
von ihm aus fortwirkt, der aber freilich auch mit Luthers
konservativem Respekt vor aller Obrigkeit und mit der
ganzen absolutistischen Entwicklung der deutschen Terri-
torien zusammenhängt* Im Unterschiede davon ist nun
der Calvinismus viel aktiver und agressiver, aber auch
viel planmäßiger und weltkluger. Er hat sich organisiert
[in einer neuentstandenen, ihr Dasein mit dem Calvinismus
selbst begründenden Republik und ist geistig erfüllt von
dem durchaus planmäßigen und rationeilen Wesen des
Juristen- und Humanistenzöglings Calvin, Er gestaltet
trotz aller Einbefassung der Kirche in das gemeinsame
Corpus ChrisHanum und trotz geflissentlicher bürgerlicher
LTnterordnung der Geistlichkeit unter die Obrigkeit doch
eine biblische, von der Offenbarung geforderte Kirchen- ^^
Verfassung^ die die Kirche sehr viel unabhängiger macht
von der fürsorgenden christlichen Liebe der Obrigkeit,
und stattet sie überdies aus mit der Stttenzucht, die im
geordneten Zusammenwirken mit der Obrigkeit die Gel-
tung der christlich -ethischen Maßstäbe bis ins kleinste
ausarbeitet und unter Umständen auch gewaltsam erzwingt.
Ernst Troeltsch,
i
In einem Fall des Versagens der rechtmäßigen Obrigkeit
haben die magisirais inf/rieurs, d. h. die nächst über-
geordneten Glieder des Gemeinwesens, die Aufgabe» von
der irrenden Obrigkeit die Einhaltung der christlichen
Maßstäbe zu erzwingen. Der Calvinismus, der im Dogma
spiritualistischer ist als das Luthertum, ist in der Praxis
weniger spiritualistisch und idealistisch, sondern organi-
siert sich weltklug lür die Kämpfe, wobei aber auch er
alle Regeln aus der Bibel holt. So hat er auch die ge-
genügende innere Festigkeit besessen, um beim Übergang
in die moderne Weh, bei der Auflösung des Corpus
Chrisiianum, die Kirche zu behaupten und zuerst provi-
sorisch dann definitiv zur Freikirche überzugehen, wäh-
rend das Luthertum einem ungeistlichen Territorialismus
verfiel und sich dann vom modernen Staat eine in ihren
Rechtsbeziehungen kunstreich komplizierte, zwischen Ab-
hängigkeit und Selbständigkeit schwankende Kirche er-
bauen lassen mußte.
In alledem setzt sich die katholische Idee der supra-
natural geleiteten Kultur fort. Aber auch noch ein weiteres
Hauptcharakteristikum dieser Kultur dauert fort, die
Askese. Freilich pflegt man es als einen besonderen
Vorzug des Protestantismus zu preisen, daß er der Askese
ein Ende gemacht und das Weltleben wieder zu Ehren
gebracht habe. Allein man braucht nur zu bedenken,
daß der Protestanlismus die jenseitige Abzweckung auf
Himmel und Hölle auls strengste beibehalten hat, daß er
beide durch die Beseitigung des vermittelnden und auf-
schiebenden Fegfetiers nur noch eindrucksvoller gemacht
hatj und daß seine zentrale Frage nach der Heilsgewiß-
heit gerade aul die ewige Rettung aus der Erbsünde sich
bezieht; man braucht ferner nur zu beachten, daß der
Protestantismus die augustinischen Dogmen von der ab-
soluten Erbsündigkeit und der völligen natürlichen Ver-
dorbenheit aller Kräfte noch gesteigert hat; und man w^ird
sich sagen müssen, daß die unausbleibliche Konsequenz
der asketischen Idee hier nicht verschwunden sein, son-
dern nur die Form und den Sinn gewechselt haben kann*
Sa ist es auch in der Tat. Der Protestantismus hat die
Bedeutung d. Protestantismus f. d. Entstehung d. modernen Welt. 25
Unterscheidung der beiden Stufen der christlichen Sitt-
lichkeit beseitigt, mit der schon die alte Kirche einen
Kompromiß zwischen den Forderungen der Weltmorai
und der jenseitigen weltindifferenten altchristlichen Moral
geschlossen hatte. Er hat das Mönchtum und die Mo-
nachisierung des Klerus aufgehoben. Aber er hat es
nicht getan, weil er die innerweltlichen Werte und Güter
als Selbstzwecke in irgendeinem Sinne anerkannt hätte,
sondern weil er in der Absonderung von der Welt eine
unerlaubte, weil selbstgewählte und äußerliche Erleichte-
rung der Aufgabe sah. Er betrachtet die Welt und ihre
Ordnungen als durch die Schöpfung gegeben und als
natürlichen Boden und Voraussetzung des christlichen
Handelns. Diesen natürlichen Voraussetzungen soll man
sich nicht künstlich entziehen und durch selbstgemachte
besondere Bedingungen sich die Aufgabe scheinbar er-
schweren und in Wahrheit erleichtern. Das fördert nur
den Wahn von Verdiensten und menschlichem Mitwirken
mit der Gnade und verbirgt das eigentliche Schwere der
Aufgabe, die Welt zu haben, als hätte man sie nicht.
Gewiß liegt darin eine stärkere instinktive Schätzung der
Schöpfungsordnung, als sie der Katholizismus mit seinem
Gedanken von der Überwelt und der Übernatur als angeb-
lich wertvollerer höherer Stufe hatte, ein tieferes Ineinander-
schieben der natürlichen und der Erlösungsordnung, als
es der Katholizismus mit seinem Nebeneinanderschieben
konnte. Allein eine Wertung der Welt um des Reich-
tums und der Schönheit der Welt willen, eine Schätzung
der Kulturgüter um eines in ihnen liegenden selbständigen
sittlichen Wertes willen, ist das nicht. Die Welt wird immer
nur als der von Gott verordnete Boden unseres Tuns i
hingenommen, wie wir Wetter und Wind hinzunehmen
haben. Wir sollen uns gehorsam in sie fügen und nicht
über sie hinaus wollen, aber wir sollen nirgends unser
Herz an sie hängen und sie nie um ihrer selbst willen
wollen. Sie ist in keiner, wenn auch noch so beschränkter
Weise etwas Göttliches, sondern eine Willenssetzung Gottes,
in die das göttliche Wesen selbst nicht eingeht. Nur um
Gottes willen und aus Gehorsam sollen wir sie wollen.
4( Ernst TroeUsch,
Kreuz und Leid ist der Welt Wesen, und in Tod und
Krankheit, Unglück und Beschränktheit sind wir immer
an den Fluch der Sünde erinnert. Wir sollen in ihr leben
und sie bei sich selbst überwinden^ alles Heil und alle
Seligkeit nur in unsere Rechttertigung und den stell-
vertretenden Tod Christi setzend; nirgends auf sie ver-
trauen und überall auf die Strafe der Sünde rechnen,
aber uns ihr und ihren Lauf demütig unterwerfen. Demut,
Gehorsam und Gottvertrauen, das ist die Stellung zur
Welt, die man mit allem Leid als Strafe unserer Sünde
und als Gottes Ordnung hinnimmt und deren spärliche
Freuden nur ein flüchtiger Nachglanz der ursprünglichen
Güte der Schöpfung sind* Es ist das eine Askese, die
darum nicht minder Askese ist, weil sie sich nicht als
Mönchtum äußert, weil sie innerlich und von innen
heraus die Welt verneint, ohne sie äußerlich zu verlassen.
Man kann sie im Unterschied von der katholischen As-
kese, die sich in einem Leben außer und neben der
Welt äußert, als innerwettliche Askese^) bezeichnen, und
man braucht sich nur die Geisteswelt der Renaissance
oder die Weltverherrlichung der modernen Poesie ver-
gegenwärtigen, um zu empfinden, daß auch diese inner-
weltliche Askese wahrhaft Askese ist, wie denn ja auch
Askese notwendig aus den Grundlagen des ganzen Er-
Insungssystems folgen muß. Supranaturale Erlösung aus
der verdorbenen und sich selbst überlassenen Natur ist
ja auch der Grundgedanke des Protestantismus. Darin
sind denn auch beide Konfessionen einig, aber in der
Ausgestaltung unterscheiden sich beide auch hier in der
bedeutsamsten Weise, Die Askese des Luthertums ist
auch ihrerseits getragen von dem idealistischen Geiste
Luthers; ohne Regel und Zwang, ohne Plan und Gesetz
bleibt sie dem Gewissen des einzelnen überlassen, Sie
wird nicht rationalisiert und diszipliniert, sondern bleibt
*) Der Ausdruck ist geprägt von Max Weber in seiner später
noch genauer zu verwertenden großen Arbeit über „Die proteslau-
Ihchv Ktlilk und der , Geist' des Kapitalismus'' (Archiv für Sozial-
wiiäsenE^chaften und Sozialpolitik XX u. XXI). Er hat die besondere
Art der reformierten Askese a^uerst erschöpfend erkannt.
Bedeutung d. Protestantismus f. d. Entstehung d. modernen Welt. 27
ne freie Kraft der Stimmung, weshalb sie auch indivi-
duell so viel Adiaphora anerkennt. So bleibt sie freier
und innerlicher. Andererseits bleibt sie bei der Abneigung^
des Luthertums, aktiv in die Welt einzugreifen, und bei
seinem Zutrauen zum automatischen Wirken des Geistes
mehr ein bloßes Leiden und Dulden der Welt, das ge-
legentliche dankbare und gehorsame Freude nicht aus-
schließt; aber sie ist doch wesentlich ein Sichfügen und
Ergeben, eine Abstellung aller Hoffnung auf das selige
Jenseits und eine Martyriumsfreudigkeit in der Welt, Ganz
anders ist die reformierte Askese. Sie ist wie der ganze
Calvinisnius aktiv und aggressiv, sie will die Welt gestalten
zur Ehre Gottes und die Verworfenen beugen unter die
Anerkennung des göttlichen Gesetzes, sie will ein christ-
liches Gemeinwesen mit aller Sorgfalt erschaffen und er-
halten* Zu diesem Zweck rationalisiert und diszipliniert
sie in ethischer Theorie und kirchenzuchtlicher Anweisung
das ganze Handeln. Sie grenzt die Sphäre der von Calvin
noch als Erholungsmittel belassenen Adiaphora immer
enger ein, verfolgt jede Schätzung weltlicher Dinge als
Selbstzweck mit dem Anathem der Kreaturvergötterung,
verlangt aber doch die systematische Ausnutzung aller
Handlungsmöglichkeitenj die zum Fortschritt und Gedeihen
des christlichen Gemeinwesens beitragen können. Sie
schmäht jede bloße Gefühligkeit und Stimmung als Träg-
heit und Mangel an Ernst, erfüllt aber mit der Grund-
gesinnung der Arbeit zu Gottes und seiner Gemeinde
Ehre* So wird neben der ruhrigen Aktivität und der
harten Strenge eine planmäßige Vollständigkeit und christ-
lich^soziale Abzweckung der Geist der Calvinistischen
Ethik. Das Luthertum duldet die Welt in Kreuz und
Leid und Martyrium, der Calvinist meistert sie zur Ehre
Gottes in rastloser Arbeit um der in der Arbeit liegenden
Selbstdisziplin und des mit ihr erreichten Gedeihens der
christlichen Gemeinde willen- Beide aber betätigen da-
mit die Askese des strengen Erlösungsglaubens; der Luthe-
raner meidet den „Naturalismus** und das Vertrauen zu
natüriichen Kräften und Regungen, der Calvinist meidet
.die ^Kreaturvergötterung'S die in jeder Gestalt der Liebe
Ernst Traelt&ch,
zur Welt um der Welt willen liegt. Beide ergeben sich
in den rein und unmittelbar göttlichen und jenseitigen
Zweck der Welt, der eine leidend, der andere handelnd.
Unter diesen Umständen liegt es auf der Hand, da0
der Protestantismus nicht unmittelbar die Anbahnung der
modernen Welt bedeuten kann. Im Gegenteil, er erscheint
zunächst als Erneuerung und Verstärkung des Ideals der
kirchlichen Zwangskultur, als volle Reaktion mittelalter-
lichen Denkens, die die bereits errungenen Ansätze einer
freien und weltlichen Kultur wieder verschlingt. Er hat
zudem auch den Katholizismus zu einer Neubelebung
seiner Idee veranlaßt, und so erlebt Europa wieder zwei
Jahrhunderte mittelalterlichen Geistes, Wer freilich von
der Geschichte des Staatslebens oder der Wirtschaft her-
kommt, wird diesen Eindruck nicht haben, da hier die
Ansätze des Spätmittelalters sich ungebrochen weiter-
entwickeln, ja den Protestantismus zum guten Teil in
ihren Dienst nehmen. Aber wer von der Geschichte der
Religion und der Wissenschaft herkommt, wird sich dem
Eindruck nicht entziehen können, daß erst der große
Befreiungskampf des endenden 17. und 18. Jahrhunderts
das Mittelalter beendet.
Nur um so dringlicher wird aber dann die Frage, inwie-
fern trotz alledem der Protestantismus hervorragend mit-
beteiligt ist an der Hervorbringung der modernen Welt. Die
Paradoxie löst sich auf, wenn wir dem mit dieser Problem-
stellung gegebenen Fingerzeig folgen und die Wirkungen
großenteils in indirekten und in unbewußt hervorgebrachten
f^oigen, ja geradezu in zufälligen Nebenwirkungen oder
auch in wider Willen hervorgebrachten Wirkungen suchen^
wenn wir insbesondere auch neben dem eigentlichen
Protestantismus auf die mit ihm sich verschlingenden Aus-
wirkungen der humanistischen Kritik und des täuferischen
Subjektivismus achten. Um so klarer wird sich dann
auch die Stelle zeigen, an der ein wirklich direkter und
unmittelbarer Zusammenhang besteht* Ich versuche, diese
Wirkungen auf den einzelnen Kulturgebieten kurz zu
skizzieren und zersplittere sie absichtlich unter diese ver-
schiedenen Gesichtspunkte. Nur wenn man aul eine ein-
Bedeutung d. Protestantismus f. d. Entstehung d. modernen Welt. 29
heitliche Konstruktion aus einer leitenden Idee verzichtet
und die Fülle verschiedener paralleler und unabhängiger,
ja etwa auch sich kreuzender Wirkungen erwägt, kommt
man zu einem Verständnis des wirklichen Kausalzusammen-
hanges. Der Zufall, d. h. die Verbindung mehrerer von-
einander unabhängiger Kausalreihen darf in solchen Dingen
nie unterschätzt werden. Die große Hauptlinie der direkten
Ideenentwicklung wird dadurch ja nicht aufgehoben und
geleugnet, sondern nur vor Unklarheiten und Unord-
rungen geschützt. Sie wird sich dann erst recht geltend
machen, wenn anders sie überhaupt vorhanden ist.
IV.
Der erste und am meisten in die Augen fallende
Umstand ist der, daß der Protestantismus durch die Zer-
brechung der Alleinherrschaft der katholischen Kirche
die Kraft der kirchlichen Kultur trotz vorüber-
gehender Wiederbelebung überhaupt bricht. Drei
einander ausschließende und verdammende infallible
Kirchentümer diskreditieren das Kirchentum überhaupt,
von dem es keinen Plural gibt. Das 16. und 17. Jahr-
hundert sind nicht mehr Mittelalter, aber sie sind auch
nicht Neuzeit; sie sind das konfessionelle Zeitalter der
europäischen Geschichte, und erst aus der gegenseitigen,
freilich nur relativen Zerreibung dieser drei Obernatür-
lichkeiten ist die moderne Welt entstanden, die zwar
wohl das Übersinnliche, aber nicht mehr das mittel-
alterlich Obernatürliche kennt. So zersetzt der Protestan-
tismus das christliche Kirchenwesen und seine supra-
naturalen Grundlagen überhaupt, ganz gegen seinen
Willen, aber mit tatsächlicher, immer deutlicher hervor-
tretender Wirkung. Die Vielheit der Kirchen und ihr
erbitterter Kampf hat mehr als alles andere die „Liber-
tinisten und Neutralisten'' großgezogen, wie in Frankreich
die Politik des Kanzlers L'Höpital und in den Nieder-
landen die der Oranier und der Genter Pazifikation. Diese
Wirkung und Bedeutung hat mit vollem Recht Richard
Rothe vor allem hervorgehoben. Dazu kommt weiter,
daß die innere kirchliche Struktur der protestantischen
m
Ernst Troeltsch,
Kirche doch bedeutend schwächer ist als die des Katho-
lizismus und daher gegenüber der modernen Ideenwelt
weniger dauernde Widerstandskraft besaß als der Katho-
hzismus. Es ist das der Punkt, auf dem Paul de La-
garde mit grimmiger Einseitigkeit immer wieder hinge-
wiesen hat. Hat man schon überhaupt das supranaturale
Wunder der Menschwerdung Gottes in Jesus und in der
Bibel, so ist die Fortsetzung dieser Menschwerdung in
Hierarchie und Sakrament die logische Folge, und die volle
Vergöttlichung des Kircheninstituts allein kann einer
Vermenschlichung der Lehren und Wahrheiten wirklich
widerstehen» Daher hat auch von den protestantischen
Kirchen der Calvinismus bis heute in Amerika und Groß-
britannien der modernen Wissenschalt stärker widerstanden
als das idealistische Kirchentum Luthers. Als der Über-
druß an den konfessionellen Wirren und die Reifung
der Renaissancewissenschaft ihre Angriffe gegen das
Kirchentum richteten, hat der Protestantismus nicht wider-
standen, ja sogar selbst innere Fühlung mit den neuen
Mächten gesucht und damit sein inneres religiöses Wesen
viellach und tiefgreifend verändert**)
Freilich ist das nur die äußerlichste Betrachtungs-
weise. Die geringere Widerstandskraft allein hat es nicht
getan, er besaß vielfach der modernen Welt entgegen-
kommende Strebungen, die ihn befähigten, im Konflikt
nicht bloß zu unterliegen, sondern sich mit dem neuen
zu amalgamieren, und zwar viel stärker zu amalgamieren,
als das auf seine Weise auch der Katholizismus gekonnt
hat. Ich zeige das zunächst an den verschiedenen ein-
zelnen Kulturgebieten und gehe dabei auf das Wichtigste^
die innere Umbildung des religiösen Gedankens selbst,
erst zuletzt ein.
An erster Stelle steht das Grundelement aller Ge-
sittung, die Familie, Hier hat er die mönchische und
klerikale Betrachtung des Geschlechtslebens autgehoben,
die dem entstehenden modernen Staat so wichtige Popu-
I
^) Vgl, Rothe, Vorlesungen über Kirchengeschichte. Heraus-
gegeben von Weingarten, Bd. 2, Heidelberg 1875.
Bedeutung d* Protestantismus f.d. Entstehung d. modernen Welt. 31
lation gehoben, im Pfarrstande einen neuen Stand und
einen Typus des Familienlebens geschaffen wie er es
verstand* Durch die Aufhebung des Sakramentscharak-
ters der ehelichen Begattung hat er die Ehe mehr in das
moralisch-persönliche Verhältnis verlegt, die Scheidung
und Wiederverheiratung ermöglicht und damit eine freiere
Bewegung des Individuums angebahnt. Im übrigen aber
ist der Unterschied von dem Familienideal des Kathoü-
zismus, die Annäherung an moderne Denkweise, geringer,
als man oft meint. Er hat durchaus den alten Patriarcha-
lismus mit der absoluten Unterordnung der Frau und der
Kinder festgehalten^ und auch noch seine Erbsündenlehre
hat das Geschlechtsleben mit dem Makel der Sünden-
strafe in der Konkupiszenz und die Zeugung mit dem
der Fortpflanzung der Erbsünde belastet. Die Ehe bleibt
auch ihm wesentlich ein Gegenmittel gegen sündige Aus-
artung der Lust und eine von Gott nun einmal verord-
neter Beruf und Stand, den der christliche Gehorsam auf
sich nimmt. Der moderne Individualismus, die Huma-
nität und Freiheit der Erziehung, die Selbständigkeit der
Frau fehlen ihm; ja die unverheiratete Frau wird durch
Beseitigung des Klosters unter die Verheiratete noch
weiter herabgedrückt* Demgegenüber steht eine geistige
und soziale Selbständigkeit der Frau bei den Huma-
nisten und der Renaissance, die religiöse Emanzipation
der Frau bei Wiedertäufern, Independenten, Quäkern und
Pietisten» und in der Kindererziehung haben erst Rousseau
und Pestalozzi neue Bahnen eingeschlagen. Vollends
die gefühlsmäßige Verfeinerung des Geschlechtslebens,
die Lösung der Geschlechtslust von allen Erbsünde-
gedanken hat erst die moderne Kunst und Poesie gebracht^
vor allem die Poesie der Empfindsamkeit, die nichts
anderes ist als die Säkularisation des religiösen Gefühls-
[öberschwanges und seine Richtung auf das Natürliche.*)
Ein anderes wichtiges Grundelement ist das Rechts-
leben der Gesellschaft. Auch hier ist der Protestan-
*) Hierüber höchst interessante Aufklärungen bei v. Wald-
berg, Der empfindsame Roman in Frankreich. 1906.
n
Ernst Troeitsch,
./
tismus nicht ohne Einwirkung: Freilich auf dem Gebiete
des Strafrechts hat er die alte barbarische Justiz fortgeführt
und sie auch seinerseits mit den Gedanken der Erbsünde
und der Stellvertretung der vergeltenden Gottheit durch
die Obrigkeit begründet. So wie er das Naturrecht ver-
stand, d, h, als Bildung der irdischen Gewalten durch
den natürlichen Lauf der Dinge unter Leitung von Gottes
Vorsehung und als seine besondere Gestalt durch die
Einschränkung der Erbsünde empfangend, konnte er
dieses Strafrecht als Ausfluß des Naturrechts betrachten
und mit den biblisch-alttestamentlichen Exempeln des ja
auch im Alten Testament bezeugten Naturrechts belegen.
Daß dabei auch der Hexen- und Zauberprozeß fort-
dauerte, ist bekannt. Im Zivilrecht dagegen bedeutet er
überall, wenigstens auf dem Kontinent, eine bedeutende
Veränderung, eine außerordentliche Verstärkung des
römischen Rechtes und die Unterstützung seiner Rezep*
tion. Freilich in Luthers Sinne, der ein populäres und
billiges Recht verlangte, war das nicht. Allein hier griffen
die protestantischen Humanisten ein. Sie konstruierten
die L^x naiurae als die Grundlage des ganzen natürlichen
Lebens, als die unter Gottes Leitung aus der Vernunft
und dem Gang der Dinge hervorgehende Ordnung, und
identifizierten wiederum diese mit dem Dekalog. Indem
sie aber mit echt humanistischer Schätzung des Alter-
tums und den Winken römischer Juristen folgend, das
römische Recht als Vernunftrecht und ratio scripta be-
trachteten, wurde ihnen dieses zu einem Ausfluß des
Naturrechtes und damit zu einer Form der Auswirkung
des Dekaloges. Melanchthon hat das römische Recht
geradezu mit dem Dekalog identifiziert, ebenso die Genfer
Theologie, deren Hauptanliegen war, neben der theologi-
sehen Fakultät eine juristische aus den Zöglingen der
großen französischen Rechtsschule zu gewinnen. In
Deutschtand haben dann die Bedürfnisse des Territorial-
staates und des Absolutismus, in den calvinistischen
Ländern die wirtschaftlichen Verhältnisse diese huma-
nistisch-theologische Theorie unterstützt. Wenn das
römische Recht sein Teil zu der Rationalisierung und
4
Bcdetitting d. Protestantismus f.d. Entstehung d. modernen Welt, 33
Individualisierurig der modernen Welt beigetragen hat,
so kommt davon ein Teil der Ursachen auch auf Rech-
nung des Protestantismus oder vielmehr seiner humanisti-
schen Theologie* Die angelsächsische Theologie frei-
lich blieb von diesem Gedanken lern, weil hier die Re-
zeption überhaupt nicht stattfand.
Viel tiefer und weit mehr aus seinem inneren Wesen
heraus wirkt der Protestantismus auf das Staatsleben
und das öffentliche Recht. Zwar muß man auch hier
vor gangbaren Übertreibungen sich hüten; den weltlichen
Staat und die moderne Staatsidee^ eine selbständige Ethik
der Politik, hat der Protestantismus nicht geschaffen. Er
hat ihn befreit von aller und jeder rechtlichen Überordnung
der Hierarchie^ und er hat die staatlichen Berufe als un-
mittelbaren Gottesdienst betrachten gelehrt, die nicht erst
auf dem Umweg des Dienstes für die Kirche Gott dienen.
Das bedeutet die endgültige^ auch formelle und prinzipielle,
Verselbständigung des Staates, aber es bedeutet durch-
aus noch nicht die moderne Staatsidee. Er hat vielmehr
den Staat durchaus doch als eine religiöse Institution
betrachtet und seinen Zweck in der Pflege des Christ*
liehen Gemeinwesens und Sittengesetzes gesehen. Da
der eigentliche Zweck des Lebens in der Erlösung und
der religiösen Sittlichkeit liegt, bleibt dem Staat nur der
Charakter des Pflegers der externa disciplina und der
Jasiiiia cmüs samt der utilitari sehen Sorge für die mate-
rielle Existenz der Untertanen, womit er ja nur die Funk-
tionen der dem Dekalog eingeordneten Lex naiurae
ausübt. Über diese äußeren Vorbedingungen christlichen
Lebens hinaus ist sein höchster Dienst der Liebes-
dienst für die KirchCj wozu die Obrigkeit als Schützerin
des das Naturrecht inkamierenden Dekalogs natur-
rechtlich und als wichtigster Bruder in der christlichen
Gemeinde christlich verpflichtet ist. Für die protestan-
tische Staatslehre beider Konfessionen gilt eben das
christliche Naturrecht, das schon im Mittelalter Stoa,
Aristoteles und Bibel gemischt hatte, und das auch die
Protestanten für ihren bibtisch-rationeUen Staatsbegrifl
sorgfältig ausbauten. Nur tut die Obrigkeit das jetzt alles aus
HiitoHicfac ZdtichriH <97. Bd.) ^ Folge U Bd. 3
11
M
Ernst Troeltsch,
selbständiger Einsicht in die biblisch-rationelle Forderung^
als eigenen gottverord neter Berul und in bloßem freien
Zusammenwirken mit den fachmäßigen Kennern der Bibel,
den Geistlichen, Immerhin bedeutet das eine Steigerung
"^ der Souveränetät und Autarkie der Staatsidee. Der Pro-
testantismus griff in die zur Souveränetät aufsteigende
Entwicklung des Staates mit ein und hat sie mächtig
gefördert; er hat insbesondere das sich ausbildende staat-
liche Beamtentum mit dem Charakter eines gottverord-
neten Berufes bekleidet^ der teil hat an der Ausübung
des göttlichen Willens^ und hat damit der neuen zentra-
lisierten Verwaltung eine ethische Kräftigung zuteil werden
lassen. Auch hat er durch die direkte Heranziehung des
Staates zu geistlichen und kulturlichen Leistungen für
das christliche Gemeinwesen den Staatszweck mit der
breitesten kulturlichen Zwecksetzung erfüllt, hat ihm die
Sorge für Unterricht, Sittenordnung, Nahrungsschutz und
geistig-ethisches Gedeihen übertragen. Es ist noch nicht
der moderne Begriff des Kulturstaates; denn all das tut
der Staat als Mitinhaber der geistlichen Gewalt und aus
christlicher Pflicht. Aber daraus wird bei der Ablösung
' der Kultur von der Kirche und Beibehaltung der kultur-
liehen Funktionen durch den Staat der moderne Kultur-
staat, Der aufgeklärte bevormundende Absolutismus
wächst aus dem protestantischen Patriarchalismus heraus.
Das letztere ist freilich mehr auf dem Boden des Luther-
tums der Fall gewesen, der die kirchlichen Funktionen
geradezu dem Staate zuwies; der Calvinismus hat die
kirchliche Geistes- und Wohlfahrtspfege von der staat-
lichen schärfer unterschieden und schon in Genf die
Akademie unter kirchlicher Oberaufsicht behalten; immer*
hin hat doch auch er wenigstens im Sinne des Genfer
Ideals überall den Staat an der geistig-ethischen Hebung
und dem Kulturzwecke direkt und ausgiebig beteiligt.
Sobald freilich der Staat sich dem geistlichen Sinn dieser
Pflichten versagte, hat der Calvinismus sie an die Kirche
zurückgenommen und dem Staat wesentlich nur die Rolle
des Wächters über Sicherheit und Disziplin gelassen, wo-
durch er der Staatsidee des älteren Liberalismus vorge-
Bedeutung d. Proteatantismus Ld. Entstehung d. modernen Welt. 35
arbeitet hat; in Amerika vertreten noch heute gerade die
Kirchen diese Staatsidee, und der hoEländische theologische
Minister Kuyper hat daraus geradezu eine reformierte
Grundtheorie gemacht.
[n alledem verstärkt der Protestantismus nur schon
vorhandene Triebkräfte. Stärker ist seine Einwirkung
auf die Staatsform, und hier unterscheiden sich denn
auch die beiden Konfessionen grundlegend. Alles tiegt hier
an der jeweiligen Gestaltung des kirchlich akzeptierten
Naturrechts, wie das ja schon im katholischen System
der entscheidende Faktor gewesen ist. Das Naturrecht
des Luthertums ist von Hause aus konservativ, betrachtet
in seinem ergebungsvollen Vertrauen zu Gottes Vor-
sehung die vom natürlichen Prozeß hervorgebrachten
Gewalten als von Gott eben dadurch eingesetzt und zu
Hütern der jusiiHa civilis berufen* Zugleich bestätigt das
Alte Testament diese Betrachtung, das die Herrscher als
von Gott eingesetzt betrachtet. Gott ist die caasa remoia
dieser Hervorbringungen, und so schuldet man ihnen
als direkt oder indirekt von Gott in die Gewalt gesetzten
Mächten unbedingten Gehorsam. Durch diese Auffassung
wird das Luthertum ein Helfer in der Umbildung des
ständischen Staates zum territorialen Absolutismus, und,
indem es ihm vollends noch die Kirchengewalt in die
Hand gibt, steigert es die Machtmittel dieses Absolutismus
im höchsten Grade. Immerhin konserviert es dabei auch
den ständischen Geist, indem es zwar den Ständen die
Unterordnung unter die Zentralgewalt zumutet, dafür aber
auch den privilegierten Ständen in ihrem Herrschalts-
bezirk die gleiche Geltung als gottverordnete Obrigkeit
zuweist und ihnen den Anspruch auf leidenden Gehor-
sam zuerkennt. Das Luthertum ist dem Absolutismus
politisch förderlich, im übrigen aber wesentlich konserva-
tiv und politisch apathisch; die ständischen Rechte bricht
es nach oben, aber konserviert es nach unten. Die Lehre
Stahls und der preußische Konservatismus drücken heute
noch seinen Geist aus, wobei nur nicht zu vergessen ist,
daß das von „Gottes Gnaden" im alten Luthertum wie
von den Fürsten so auch von den reichsstädtischen
3»
m
Ernst Troeltäch^
Magistraten galt und nur eine religiöse Deutung natür-
licher Vorgänge ohne alle feudale Romantik war,^)
Ganz anders entwickelt sich der politische Geist des
Calvinismus* Im allgemeinen in der Grundtheorie ist
auch sein staatliches Naturrecht konservativ; nur wo er
die Möglichkeit freier Wahl und Konstituierung neuer
Obrigkeiten hat, bevorzugt er eine gemäßigte Aristo-
kratie, wie das bei der Herkunft aus der Genfer Repu-
blik und bei der Herrschaft des aristokratischen Prädesti-
nationsgedankens nicht verwundern kann. In den großen
Kämpfen gegen die katholischen, das reine Gotteswort
nicht zulassenden Obrigkeiten, d. h. in den hugenottischen,
niederländischen, schottischen und englischen Kämpfen^
hat jedoch der Calvinismus sein Naturrecht sehr viel
radikaler entwickeU; Es setzte sich der Satz von dem
Widerstandsrecht durch, das um des Wortes Gottes willen
gegenüber gottlosen Obrigkeiten ausgeübt werden muß^
und dessen Ausübung dann den magistrats infeneurs
als den Nächstberufenen zufällt und im Falle des Mangels
solcher auch vom einzelnen betätigt werden kann; ja bei
besonderer individueller Berufung ist auch der Tyrannen-
mord erlaubt, wie der Jael im Alten Testament. Das
gibt dem calvinistischen Naturrecht einen Zug zum Fort-
schrittlichen, eine Neigung zur Neuordnung gottwidriger
Staatsverhättnisse. Aber auch in dieser Neuordnung selbst
tritt ein spezifisch reformiertes Staatsideal zutage. Bei allen
solchen Neuordnungen war nämlich die Keimzeile die refor-
mierte presbyteriale und synodale Kirchenverfassung mit
ihrem Repräsentativsystem, So färbte naturgemäß dieses
System auf die Theorie vom neu zu ordnenden Staate
ab^ auch der Staat mußte repräsentativ aufgebaut und
kollegial durch die Vereinigung der in den Wahlen em-
porgehobenen Besten regiert werden. Unter dem Ein-
druck dieser fdeen nahm, worauf insbesondere Gierke
hingewiesen hat, das calvinistische Naturrecht die Idee
') Vgl R Drews, Einfluß der gesellschaftlichen Zustände auf
das kirchUche Leben, Tübingen 1906; derselbe, Der evangelische
Oeistliche in der deutschen Vergangenheit, Jena 1906; (Gebhardt)
Zur bäuerlichen Glaubens- und Sittenlehre^ Gotha 1895.
i
Bedeutung d> Protestantismus f. d* Entstehung d. modernen Welt. 37
vom Staatsvertrage auf. Danach führt die Lex naturae
durch die Logik der Dinge zur vertragsmäßigen Konsti-
tuierung und Wahl der Obrigkeiten, die dann als von der
causa remaia, von Gott, herstammend durchaus religiös
als Beauftragte Gottes betrachtet werden können und
Anspruch auf absoluten Gehorsam haben, solange sie
nicht gegen das Wort Gottes sich versündigen. Die alt-
testamentliche Bestätigung dieser Naturrechtslehre, die
der Calvinismus an charakteristisch anderer Stelle sucht
als das Luthertum, findet er in den Bundschließungen
Israels, aus denen seine Könige und seine Ordnungen
hervorgehen. Daher stammen die covenants. Es ist
mer noch eine wesentlich religiöse und aristokratische
idee, die sich von dem reinen Rationalismus des Natur-
:chts der Aufklärung und von dem Demokratismus der
Rousseauschen Lehre stark unterscheidet. Überall, wo
die Theorie zu praktischer Wirkung gekommen ist, hat
sie zu einer auf beschränktem Wahlrecht erbauten Aristo-
kratie geführt. Die eigentliche Demokratie ist überall
dem calvinistischen Geiste fremd und hat sich aus ihm
nur da entwickeln können, wo, wie in den Neuengland-
staaten, die alten ständischen Elemente Europas fehlten
und die politischen Institutionen aus den kirchlichen her-
vorwuchsen. Aber auch dort ist sie zur strengsten Theo-
kratie geworden, beschränkt sich die Wählbarkeit auf die
nach der Taufe noch besonders zu erklärende und an
sittliche Würdigkeit gebundene Kirchenzugehörigkeit und
betrachten die gewählten Herrscher sich patriarchalisch
als zur eingehendsten religiös-ethischen Erziehung be-
rechtigt. So darf die Demokratisierung der modernen
politischen Welt nicht einseitig und nicht direkt auf den
Calvinismus zurückgeführt werden. Der reine naturrecht-
rtche* von religiösen Rücksichten befreite Rationalismus
hat daran einen stärkeren Anteil, aber allerdings hat der
Calvinismus einen hervorragenden Anteil in der Herbei-
fühnjng der Disposition für den demokratischen Geist. ^)
*) Vgl hierzu Gierke, AUhusius \ Breslau 1902; Cardauns,
Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes im Luthertum und Cal-
trinUmus^ Bonn 1903; Doyle, Tht; English in Americai London 1887.
Ernst
Verschieden von dem Ideal der demokfatischen Stimts-
torm iit eine andere Gniodidee des modemen poiitischefi
LebenSpdie Idee der Menschenrechte und Gewjssens-
freiheit; d. h. der prinzipiellen Unantasttrarkdt von Leben»
Freiheit, Besitz des Individuums au0er auf dem Wege
ordentlichen Rechtes und der Respektierung des indivi-
duellen Religionsbekenntnisses und der individuellen Ober-
xeu^ungsäußerung. Diese Rechte sind durch die (ran-
zJiiiftche Verlassung in alle moderne Verfassungen über-
gegangen und sind hierbei überall mit demokratischen
und repräsentativen Ideen verbunden. Doch haben die
letjctcren mit den ersteren nicht notwendigen Zusammen-
hing; die bedeuten nur die beste Möglichkeit ihrer Garan-
tierung, jene sind aber an sich auch ohne Demokratie sehr
wohl möglich, wie es umgekehrt Demokratie ohne Ge-
wissensfreiheit geben kann. Das englische parlamen*
tarische Königtum der glorreichen Revolution kannte prajt-
tisch Menschenrechte und Oewissenslreiheit ohne Demo-
kratie, und die calvinistischen Neu-Englandstaaten oder
luch Rousseaus Majoritatsstaat kannten Demokratie ohne
Gewisienstreiheit. Beides ist zu trennen und ilieät nur
da ziiHummen^ wo man die demokratische Gestaltung
des StaatswiHens selbst für ein unveräußerliches Menschen-
recht hält, was aber keineswegs logisch notwendig war
und ist. Hier hat nun Jellinek auf diese Verschiedenheit
der die Freiheit respektierenden Staatseinsch rankung und
der den Staat in die Hand des Volkes legenden radi-
kilen Demokratie hingewiesen, indem er diese beiden
Elemente in der französischen Verfassung trennte und
als streng verschieden aufzeigte. Des Näheren hat er dann
aber insbesondere die erstere Lehre als aus den Ver-
fassungen der nordamerikanischen Staaten herrührend,
und teilweise wörtlich aus ihnen übernommen aufgezeigt*
In den nordamerikanischen Staaten selbst leitete er
diese Deklarationen aus deren puritanisch-religiösen Prin-
zipien ab, die sich nicht mit einer bloßen praktischen
Geltung der englischen Freiheiten begnügten, sondern
Freiheit der Person und vor allem der religiösen Über-
zeugung als ein von Gott und Natur prinzipiell ver-
I
I
I
Bedeutung d. Protestantismus f, d> Entstehung d. modernen Welt. 39
liehenes Recht betrachteten, das seinem Wesen nach keine
Staatsgewalt antasten darf. Erst mit dieser religiösen
Fundamentiemng sind diese Forderungen absolut und
dadurch einer prinzipiellen juristischen Erklärung fähig
und bedürftig geworden. Erst so gelangten sie in das
Staatsrecht als Grundlehre und nahmen ihren Weg aus
den nordamerikanischen Staatsveriassungen in die franzö-
sische und aus dieser in fast alle modernen Verfassungen
überhaupt. Was dem bloßen positiven englischen Recht,
der utilitarischan und skeptischen Toleranz und den ab-
strakten literarischen Erörterungen nicht gelang, das
gelang der Energie der prinzipiellen religiösen Ober-
zeugung* Dabei lag es an den Verhältnissen, daß der
Durchbruch dieser religiösen Freiheitslorderung in die
jurasttsche Formel auch die demokratisch-verfassungs-
rechtlichen Garantien mit hindurchriß, die zur Sicher-
stellung der Grundforderungen und in der Eigenart
amerikanisch-englischen Lebens sich ausgebildet hatten,
so daß die ofüzielle Liste der Menschenrechte auch eine
Reihegrundlegender demokratisch-politischer Forderungen
mitenthält. Damit stünden wir allerdings vor einer über-
aus wichtigen Wirkung des Protestantismus, der damit
ein Grundgesetz und ein Grundideal modernen Wesens
in die Wirklichkeit geführt hätte. In der Tat ist im all-
gemeinen Jellineks Darlegung eine wirkliche erleuchtende
Entdeckung, Nur in einem Punkte bedarf sie einer
näheren Bestimmung^ die für unser Thema freilich ent-
scheidend ist, nämlich in bezug auf den Puritanismus,
der der Vater dieses Gedankens und der Schöpfer dieser
Rechtsformeln gewesen sein soll. Dieser ^Puritanismus"
nämlich ist nicht calvinistisch, sondern täuferisch. Die
calvinistischen nordamerikanischen Puritanerstaaten sind
zwar demokratisch gewesen, aber sie wußten nicht bloß
nichts von Gewissensfreiheit, sondern haben sie geradezu
als eine gottlose Skepsis verworfen. Gewissensireiheit
gab es nur in Rhode-Island, aber dieser Staat war bap-
tistisch und war darum bei allen Nachbarstaaten als Sitz
der Anarchie verhaßt; sein großer Organisator Roger
Williams ist geradezu zum Baptismus übergetreten. Und
40
Ernst Troeltsch,
ebenso ist der zweite Herd der Gewissensfreiheit in
Nordamerika^ der Quäkerstaat Pennsylvaniens, täuferischer
Herkunft* Wo sonst die Forderung der Toleranz und
Gewissensfreiheit sich findet, ist sie politisch und utili-
tarisch motiviert^ wie ja schließlich auch die Kaufleute
der Massachusetts-Theocracy diesem Indifferentismus er-
fagen. Der Vater der Menschenrechte ist also nicht der
eigenthche Protestantismus, sondern das von ihm gehaßte
und in die Neue Welt vertriebene Täufertum, worüber
sich auch niemand wundern kann, der die innere Struktur
des protestantisch-kirchlichen und des täuterisch-spiritua-
listtschßn Gedankens verstanden hat. Aber indem wir
so an diesem Punkte auf das Täufertum gewiesen werden,
tut sich uns eine noch viel weitere Perspektive auf. Das
nordamerikanische Täufer- und Quäkertum entstammt der
großen religiösen Bewegung der englischen Revolution,
dem tndependentismus. Dieser Independentismus selbst
aber war aufs stärkste mit Einflüssen des Täufertums
durchsetzt, die von Holland, dem kontinentalen Zufluchtsort
der Täufer, und von den anierikanischen Flüchtlingen her
auf England wirkten. Hier hat das Täufertum überhaupt
endlich seine große weltgeschichtliche Stunde erlebt, indem
es seine Apolitie aufgab und gestaltend eingriff zur Her-
vorbringung eines christlichen Staates. In mancherlei
Verschmelzungen mit dem Calvinismus wurde es aggressiv
und schöpferisch und verwirklichte es seine Idee von dem
christlichen Staat, in welchem Staat und religiöse Gemeinde
völlig getrennt sind, jede religiöse Gemeinde auf sich
' selbst und ihren engen Bruderkreis gestellt ist und doch
der Staat die Grundgebote christlicher Sittenstrenge und
Lebensreinheit strenge überwacht und aufrecht erhält.
Der Staat Cromwells, der eben damit gerade ein christ-
licher sein wollte, hat diese Idee auf kurze Zeit verwirk-
lichtj und, so kurze Zeit dieses grandiose Gebilde dauerte,
seine weltgeschichtlichen Wirkungen sind außerordent-
lieh. Denn aus dieser gewaltigen Episode verblieben die
großen Ideen der Trennung von Kirche und Staat, der
Duldung verschiedener Kirchengemeinschaften nebenein-
ander, des Freiwilligkeitsprinzips in der Bildung der
Bedeutung d. Protestantismus f. d. Entstehung d. modernen Welt 41
Kirchenkörper, der (zunächst freilich relativen) Oberzeu-
gungs- und Meinungsfreiheit in allen Dingen der Welt-
anschauung und der Religion. Hier wurzelt die alt-
liberale Theorie von der Unantastbarkeit des persönlich-
inneren Lebens durch den Staat, welche dann nur weiter
auch auf mehr äußerliche Dinge ausgedehnt wurde; hier
ist das Ende der mittelalterlichen Kulturidee bewirkt, ist an ^
Stelle der staatlich-kirchlichen Zwangskultur die moderne jl
freie individuelle Kultur getreten. Es ist zunächst ein ^
rein religiöser Gedanke, der nur bald säkularisiert und
von der rationalistischen, skeptischen und utilitarischen
Toleranzidee überwuchert wurde; aber er allein hat mit
seiner religiösen Wucht der modernen Freiheit die Bahn
bereitet. Aber das ist nicht eigentlich das Werk des
Protestantismus, sondern ein Werk des neubelebten und
mit dem radikalisierten Calvinismus verschmolzenen
Täufertums, das damit eine verspätete Genugtuung er-
fährt für die maßlosen Leiden, die diese Religion der
Duldung und der Gewissensüberzeugung von allen Kon-
fessionen im 16. Jahrhundert hatte erfahren müssen.^)
Weitere politische Folgen wird man dem Protestan-
tismus schwerlich zurechnen dürfen. Die Sprengung des
katholisch-römisch-deutschen Imperiums und die Ver-
wandlung der abendländischen Christenheit in ein Gleich-
gewichtssystem verschiedener Großmächte ist von ihm
natürlich befördert und befestigt, aber war schon vor ihm
im Gange. Vollends mit dem Nationalitätsprinzip hat sein
Landeskirchentum keinerlei Zusammenhang. Dieses hat
nur der Festigung und Zentralisierung der Zentralgewalten y
gedient, während jenes ein Erzeugnis völlig moderner,
wenn auch gegensätzlicher Mächte, der demokratischen
Aufweckung der Massen und der romantischen Idee vom
Volksgeist, ist.
Dagegen zeigt sich uns wieder eine mächtige Wir-
kung, wenn wir uns zu der Entwicklung des wirt-
*) Vgl. Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürger-
rechte, Leipzig 1904; Doyle, ThelEnglish in America; L.W. Bacon,
A history of American Christianity, New York 1897.
Ernst Troeltsch,
schaftlichen Lebens und Denkens wenden. Allerdings
sind auch hier viele Irrtümer im Schwange, Man preist
Luthers BerufssittÜchkeit und sieht in ihr die christliche
Rechtfertigung des Erwerbslebens, das mit dieser Recht-
fertigung einen mächtigen Aufschwung genommen habe.
Allein dabei vergißt man, daß diese Berufslehre als Lehre
von dem geordneten Beitrage jedes Arbeitenden zu dem
de lege naturae gesetzten Gesellschaftszweck schon lange
katholische Lehre war, und daO für Luther nur die mön-
chiscfi-asketischen Einschränkungen wegfallen und die
Säkularisationen das fürstliche Vermögen^ damit auch die
rationelle Wirtschaftspolitik der Regierungen, stärken.
Man vergißt dabei vor allem, daß die protestantische
Berufsidee im lutherischen Sinne mit der konservativen,
ständisch-gegliederten Gesellschaft zusammenhängt, jeden
in seinem Stande konserviert und nur Auskömmlich-
keit der Existenz und Nahrungsschutz durch die Obrig-
keit, im übrigen Dulden und Leiden der Ungerechtig-
keiten der Welt fordert Es ist dieselbe traditionalistische
Lebenshaltung, wie sie der Katholizismus vorschrieb, und
nichts weniger als ein Stachel zum Eintritt in die ge-
waltige Aulwärtsbewegung des modernen wirtschaftlichen
Lebens. Ganz übereinstimmend damit ist Luthers öko-
nomisches Ideal vom agrarischen und handwerklichen
Standpunkt aus orientiert und setzt er das kanonische
Zinsverbot fort. Und weiterhin ist das Luthertum bei
der Deutschland beherrschenden naturalwirtschaftlichen
Reaktion des 16. und 17. Jahrhunderts in dieser Idee
nur immer enger und konservativer geworden. Die
ökonomischen Wirkungen des Luthertums erstrecken
sich daher nur auf die Stärkung der Landesgewalt und
damit indirekt des Merkantilismus, sowie auf die Erzie-
hung einer demütigen und geduldigen Arbeiterschaft,
die bei dem Wiedervordringen des Kapitalismus nach
Deutschland ihm ein widerstandsloses Arbeitermaterial
lieferte*
Völlig andere Wege geht freilich auch hier der Cal-
vinismus* Hier ist denn auch stets betont worden, daß
Calvin und seine Nachfolger das kanonische Zinsverbot
Bedeutung d. Protestantismus L d. Entstehung d. modernen Welt. 43
und die umständlichen Erschwerungen des Rentenwesens
verwarfen, daß Gent unter Beistand der VenärabieCompagnie
eine Bank einrichtete, und daß die calvinistischen Länder
und Ansiedelungen überall die Entfaltung des Industria-
lismus und Kapitalismus zeigen. Allein damit ist der
Sachverhalt noch nicht erschöpft, die eigentliche Bedeutung
des Calvinismus für den Aufschwung des modernen Ka-
pitalismus liegt viel tiefer. Sie ist neuerdings von Max
Weber aufgezeigt worden, der seinerseits den scharf-
sinnigen Analysen Sombarts über das Wesen des kapita-
listischen Geistes nachging und nach den seelischen Vor-
bedingungen und Ursachen für die Entstehung dieses
Geistes suchte. Sombart hatte gezeigt, wie der Geist
des Kopitalismus eine dem natürlichen Trieb zum Genuß
und zur Ruhe, zur Erwerbung der bloßen Existenzmittel
ganz entgegengesetzte Rastlosigkeit und Grenzenlosigkeit
zeigt, wie er Arbeit und Erwerb zum Selbstzweck und
und den Menschen zum Sklaven der Arbeit um ihrer
selbst willen macht, wie er das ganze Leben und Handeln
unter eine absolut rationalistisch-systematische Berechnung
bringt, die alle Mittel kombiniert, jede Minute ausnützt^
jede Kraft verwertet, wie er im Bunde mit der wissen-
schaftlichen Technik und dem alles verknüpfenden Kal-
kül dem Leben eine durchsichtige Rcehenhaftigkeit und
abstrakte Genauigkeit verleiht. Dieser Geist aber, sagte
sich Weber, kam nicht von selbst mit den industriellen
Erfindungen, den Entdeckungen und den Handelsgewinnen;
er hat sich auch in der spätmittelalterlichen Geldwirtschaft,
in dem Kapitalismus der Renaissance und in der spanischen
Kolonisation nicht stark entwickelt. Er ist zu sehr gegen
die Natur des Menschen, als daß er ohne eine die Natur
gewaltsam und systematisch unterdrückende ungeheure
Geistesmacht sich hätte bilden können. So kam er auf
die Vermutung, aus der Tatsache der Blüte des Kapitalis-
mus gerade auf calvinistischem Boden den Schluß auf
eine besondere Bedeutung des calvinistischen religiös-
ethischen Geistes für die Entstehung dieses kapitalistischen
Geistes zu ziehen* In eingehender Untersuchung zeigte
er, wie es die spezihsch calvinistische Askese fist, die
44
Ernst Troeltsch,
nicht so sehr den Kapitalismus als den Geist des Kapi-
talismus großgezogen und damit die seelische Verfassung
geschalten hat, auf deren Boden die gewaltige und im
Grunde so naturwidrige Entfaltung des Kapitalismus erst
stattfinden konnte, was natürlich nicht hindert, daß diese
, Macht sich dann auch über Menschen ausbreitet, die mit
l dem Calvinismus gar nichts zu tun haben; die calvinistische
Askese hat ihn groß werden lassen, und dann war er
stark genug seine eigenen Wege zu gehen und in eigenem
Namen die Welt zu erobern. Die nicht über die Welt
hinausgreifende, sondern in der Welt ohne Kreaturvergöt-
terung, und d. h. ohne Liebe zur Welt^ arbeitende As-
kese erzieht eine rastlose, systematisch disziplinierte
Arbeitsamkeit, in der die Arbeit um der Arbeit willen,
um der Mortifikation des Fleisches willen gesucht wird,
und in der der Arbeitsertrag nicht zu Genuß und Kon-
sumtion sondern zur beständigen Ausweitung der Arbeit,
zum immer neuen Umschlag des Kapitals, dient. Indem
die aggressiv tätige Ethik der Prädestinationslehre den
Berufenen zur vollen Entfaltung seiner gottverliehenen
Kräfte nötigt, wird die Arbeit rationell und systematisch;
indem die Askese den Trieb zur Ruhe und Genuß bricht,
wird die flerrschaft der Arbeit über den Menschen be-
gründet; und indem der Ertrag dieser Arbeit in keiner
Form ein Selbstzweck ist, dem Gemeinwohl zugute kommt
und aller über ein gediegenes Existenzminimum hinaus-
gehender Erwerb nur als Aufforderung zur weiteren Ver-
wertung und Verarbeitung empfunden wird, ergibt sich
die prinzipielle Unbegrenztheit und Unendlichkeit der
Arbeit, Auf diesem Boden ist denn auch der hugenot-
tische, holländische, englische und amerikanische Früh-
kapitallsmus entstanden, und mit ihm hängt heute noch
in dem cafvinistischen Amerika und Schottland sowie bei
den engliscfien Dissenters der Hoehkapitalismus ersicht-
lich zusammen. Eine gleiche Entwicklung haben aber
auch die dem Calvinismus vielfach verwandten und von
ihm beeinflußten pietistischen Gruppen und die vom
Kommunismus zur protestantischen Berutsethik sich wen-
denden täuferischen Gemeinden erfahren, die sämtlich
Bedeutung d. Protestantismus f.d. Entstehung d modernen Welt 45
N
bei dem Ausschluß vom öffentlichen Leben sich der wirt-
schaftlichen Tätigkeit zuwenden und bei dem Ausschluß
des Genußzweckes die Produktion um der Produktion
willen für ein religiöses Gebot erklärten. Der Nachweis
ist Weber m, E. vollständig gelungen, wenn man viel-
leicht auch stärker betonen darf, daß diese besondere
Art der reformierten Arbeitsaskese doch auch durch die
besonderen Bedingungen der westlichen Geschäftslage
und besonders durch die Zurückdrängung des Dissent
vom Staat und der staatlichen Kultur mitbestimmt wurden,
wie anderseits das Luthertum seine traditionalistische
Haltung in dem wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands
noch verschärft hat. In Ungarn und Ostfriesland, auch
in den bäuerlichen Provinzialstaaten der Niederlande hat
der Kapitalismus m. W. eine bedeutende Entwicklung nicht
gefunden; und umgekehrt hat das gut lutherische Ham-
burg die günstigen Gelegenheiten der atlantischen Ver-
hältnisse eifrig mitbenutzt, hat auch der mit der luthe-
rischen und katholischen Ethik vielfach näher verwandte
Angltkanismus sich diesem Geiste geöffnet. Vor allem
aber ist scharf im Auge zu behalten, daß damit nur Geist
und Voraussetzungen des Kapitalismus geschaffen sind^
daß dieser selbst aber mit seiner schließlichen Wendung
zum Erwerb um des Erwerbes willen, mit seinem harten
und brutalen Konkurrenzkampf, seinem agonalen Sieges-
bedürfnis und seiner weltlich triumphierenden Freude an
des Kaufmanns Herrschgewalt von dem ursprünglichen
Boden sich völlig gelöst hat und zu einer dem echten Cal-
vinismus und Protestantismus geradezu entgegengesetzten
Macht geworden ist Seitdem er nicht mehr für die As-
kese zur Ehre Gottes, sondern für den Machtgewinn zur'
Ehre des Menschen arbeitet, hat er mit dem Protestan-
tismus nichts mehr gemein als den stark individualistischen
Geist ohne das Gegengewicht des altcalvinistischen, so-
zialen und religiösen Geistes. Es ist eben das Los der
innerweltliehen protestantischen Askese, daß sie Arbeit
und Leben in der Welt anerkennt, ihnen aber doch einen
innerlich wesentlichen ethischen Wert nicht zuerkennt
und dann die Geister nicht mehr los werden kann, die
i
46
Ernst Troeltscti,
aus der so zugleich anerkannten und zugleich ignorierten
Welt heraus ihr über den Kopf wachsen,^)
Von den bisher bezeichneten Größen aus ist das-
jenige bedingt, was man das soziale Leben und die
soziale Schichtung nennt. So ist denn auch mit
dem Autweis des Einflusses auf jene die Bedeutung des
Protestantismus für diese im wesenthchen charakterisiert.
Im einzelnen ist hier die Untersuchung überall erst Im
Werden^ und ich möchte nicht wagen über diese schwie-
rigen Fragen schon ein Urteil zu fällen. Nur der Haupt-
gesichtspunkt für die Auffassung dieser Frage überhaupt
darf vielleicht hervorgehoben werden. Der Protestantis-
mus hat^ wie die ganze christliche Idee überhaupt einen
direkten sozialen Einfluß und ein direktes soziales Pro-
gramm nicht* Die christliche Idee ^ist eine aus dem
persönlichen religiösen Leben heraus geborene und richtet
sich auf ein Menschheitsziel, das sie von Anfang an nicht
auf dem gewöhnlichen Boden menschlichen Daseins für
verwirklichungstähig hielt. Wie ihre erste Forderung
durch soziale Verhältnisse nur mitbedingt aber nicht
hervorgebracht ist^ so hat auch der Protestantismus als
neuer Trieb dieser Idee in Ursprung und Wirkung nur
einen indirekten Zusammenhang mit dem sozialen Pro-
blem. Er beseitigt die Versuche der hierarchisch-sakra-
mentalen Kirche, die bisherige soziale Schichtung in etwas
zu organisieren, und legt damit die Wurzel frei, aus der
die indirekten Wirkungen auf das soziale Leben wieder
neu und frei hervorgehen können. Dieses selbst hat
wie in der alten und dann in der mittelalterlichen Kirche
seine Haupttriebkräfte in allgemeinen, nicht von der
Religion bestimmten Verhältnissen, und so hat auch der
Protestantismus den Dingen in der Hauptsache nur ihren
Lauf gelassen, nachdem er die Formen zerbrochen hatte,
in welche die mittelalterliche Kirche sie — übrigens immer
noch vorsichtig und elastisch genug — zu bannen ver-
I
I
') Vgl die schon genannte Abhandlung Webers, die aber
auch über dieses Thema hinaus noch viel Wertvolks (ür den
Theologen und Kulturhistoriker enthält.
Bedeutung d* Protestantismus f.d, Entstehung d. modernen Welt. 47
sucht hatte. In seinen Wirkungen auf Familie und Recht,
auf Staat und Wirtschaft, in seiner Anerkennung des
neuen selbständigen Staates, der Berufsbeamtenschaft
und des Kriegswesens in seinen neuen Formen liegt
auch seine Anerkennung der neu sich bildenden sozialen
Welt, deren beginnenden Problemen im Luthertum nur
Hoffnung, Geduld und Demut und im Calvinismus ein
Iheokratisch-sozialer Utilitarismus gegenüberstanden. Was
er tn die neu sich bildenden Konstellationen hineinbringt,
ist darüber hinaus nur der neu verstärkte ideelle Doppel-
einfluß der christlichen Idee überhaupt, der unbegrenzte
Indtvidualismus des christlichen Persönlichkeitsideals auf
der einen Seite^ den nun nur die Autorität der Bibel
und keine Priesteranstalt mehr regelt, und der auf Er-
lösung und Jenseits gerichtete Geist der Geduld und
Fügung auf der anderen Seite, der nicht mehr durch eine
hierarchische Weltkirche die Welt verbessern will, sondern
sich in dem Lauf der profanen Dinge fügt, wie Gott sie
ordnete und wie sie ein Ausdruck der überall zu Recht
bestehenden, aber von der Sünde getrübten Schöptungs-
ordnimg sind. Der Calvinismus betont mehr die erste
Richtung, das Luthertum mehr die zweite; der erste wirkt
mehr sozial nivellierend, das letztere mehr zur Erhaltung
ständischer Scheidungen. Aber beide haben doch zu-
gleich teil an beiden Gedanken; das eine ist nicht kon-
servativ um jeden Preis, der andere nicht prinzipiell
demokratisch; die Idee der natürlichen Gleichheit liegt
beiden gleich fern, weil sie nur im Urständ ohne Sünde
und vor der Sünde möglich und wirklich war. Das
Luthertum bewährt im passiven Widerstand einen revo-
lutionären Individualismus und erträgt die Junkerherrschaft
nur als eine Folge und Strafe der Erbsünde; der Cal-
vinismus ist bei allen radikalen Neuschöpfungen doch
wesentüch aristokratisch und macht die Erwählten nicht
gemein mit den Verworfenen. Die modernen demo-
kratischen Gleichheitsideen und ebenso die modernen
innerweltlichen Soziatideale einer gleichen Beteiligung
aller an den Lebensgütern nach Würdigkeit und Arbeits-
leistung sind aus anderen Voraussetzungen erwachsen,
48
Ernst Troeltsch,
geradeso wie der feudal- romantische Konservatisrnus mit
seinen von Gott verordneten Unterschieden und seiner
Theorie des Gottesgnadentums sehr weltliche klassen-
kämpterische und sozialpolitische Voraussetzungen hat,
Anknüpfungen und Überleitungen vom alten Protestantis-
mus zu solchen modernen Theorien gibt es natürlich
überall^ aber diese Theorien selbst haben andere Wurzeln
als die eines religiösen Systems, Schon innerhalb der
englischen Revolution, wo zum Schlüsse rein demokra-
tische Gruppen hervortraten, löst in den Levellern die
reine Demokratie bereits sich von den religiösen Grund-
lagen, und anderseits hat ebenso die absolutistische Theorie
eines Hobbes^ an die das politische Denken überall weiter
anknüpit, sich deutlichst außerhalb des Bodens religiöser
Voraussetzungen gestellt.*)
In eine etwas engere Verbindung mit dem Prote-
stantismus könnte man eine andere charakteristische
Haupterscheinung des modernen sozialen Lebens stellen,
die Entstehung einer Klasse der Gebildeten, die
durch ein gemeinsames intellektuelles Niveau, gemein-
same Schulbildung und gemeinsame Bildungssprache die
verschiedensten sonstigen Unterschiede überbrückt und
in der Begründung einer ganzen Gruppe auf die Gemein-
samkeit des intelektuellen Vermögens in der Tat eine
spezifisch moderne Erscheinung bildet. Eine Glaubens-
religion, die nicht im Kultus, sondern in klaren Glaubens-
gedanken ihren Kern hat, muß Wissen und Bildung zu
einer allgemeinen Menschheitsangelegenheit machen und
durch Gemeinsamkeit in diesem Hauptinteresse andere
Unterschiede überwinden. In diesem Sinne hat in der Tat
der Protestantismus sein Bündnis mit einem kirchlich ge-
wordenen Humanismus geschlossen und eine großartige
Tätigkeit der Schulgründung entfaltet, hat seine Erziehung
den Völkern eine größere und individuellere Regsamkeit
des Geistes verliehen. Allein im wesentlichen kam dies
doch nur den gelehrten Berufsständen zugute^ die schon
I
■) Vgl Troeltsch, Politische Ethik und Christentum; Ooochp
History ol english democraHc ideas^ Cambridge 1S9S.
Bedeutung d. Protestantismus f. d. Entstehung d. modernen Welt. 49
SO wie SO sozial abgegrenzt waren, und die ganze Bil-
dung hatte wesentlich nur die religiöse Instruktion und
formale Literaturfähigkeit zum Zweck. Sie ist auch über-
wiegend lateinisch und unpopulär. So darf auch nach
dieser Seite hin seine Wirkung nicht übertrieben werden.
Die Verlegung des Menschheitsideals in den aufgeklärten,
mündigen, wissenden Menschen, die Oberbrückung aller
Unterschiede durch die Gemeinsamkeit des Wissens, die
Emporhebung des Volkes durch Wissen zum Anteil an
der Gesamtkultur, ist doch erst ein Werk der Aufklärung,
die gerade in dieser Ersetzung der bloß religiösen Ge-
meinsamkeit durch die intellektuelle von Bildungsmitteln
und Bildungsbesitz ihre charakteristische Eigentümlich-
keit hat. Freilich, daß dann diese Aufklärung gerade den
schulmäßigen und klassenbildenden Charakter empfing,
wird insbesondere in Deutschland mit der schul- und
gedankenmäßigen Ausbildung des Protestantismus zu-
sammenhängen, während auf den katholischen Gebieten
Aufklärung und Bildung mehr auf Vermittlung durch
freie Literatur und persönliche Oberlieferung angewiesen
bleiben. ^)
Damit ist bereits auch schon das Verhältnis des
Protestantismus zur Wissenschaft berührt. Auf diesem
Gebiet fast mehr noch als auf jedem anderen pflegt man
ihn als Bahnbrecher der modernen Welt zu betrachten.
Allein auch hier kommt alles an auf das richtige Ver-
ständnis dessen, worin dieses Bahnbrechen bestanden hat.
Denn davon kann keine Rede sein, daß er dem modernen
Gedanken der Freiheit der Wissenschaft, des Denkens,
der Presse offenen Weg bereitet hätte; und auch davon
nicht, daß er die unter seiner Kontrolle und Zensur ste-
hende Wissenschaft mit neuen einheitlichen Antrieben er-
füllt und zu ursprünglichen neuen Entdeckungen geführt
hätte. Das Wichtigste ist vielmehr, daß er die bisherige
kirchliche Wissenschaft gestürzt und die Bildungsanstalten
sämtlich, wenigstens rechtlich, säkularisiert hat, auch die
*) Vgl. Wittich, Deutsche und französische Kultur im Elsaß,
Straßburg 1900.
tiistoritche Zeitachrift (97. Bd.) 3. Folge 1. Bd. 4
m
Ernst Trocltscti»
Zensur staatlichen Behörden überwiesen hat in denen
die Theologen nur mitvertreten waren. Dadurch ist es
dem Staate möglich geworden, die Wissenschaft von
seinem Interesse aus zu pflegen und selbständig vorzu-
gehen, sobald diese sich nicht mehr im Geiste des kon-
fessionellen Zeitalters mit den kirchlichen deckten. Weiter
hat der Protestantismus einen gewissen Geist der histori-
schen Kritik großgezogen, der die katholische Kirchen-
tradition und das übliche Bild der Kirchengeschichte
einer strengen und mißtrauischen Prüfung unterzog und
damit sowohl den Geist individueller Prüfung überhaupt
stärkte, als einen großen Teil des Geschehens natürlich-
psychologischen Begriffen unterwerfen lernte. Schließlich
hat er in dem Bedürfnis nach Hilfsmitteln für diese Kritik
und nach wissenschaftlichen Kräften für seine neue anti-
scholastische» biblische Theologie den Humanismus über-
nommen und damit wenigstens die Keime philologischer
Kritik und Ehrlichkeit. Er hat die Religion zweifellos
intellektualisiert und das schulmäßige Erkennen und Lernen
überall befördert. Allein damit ist auch seine direkte
Wirkung erschöpft, und weitere indirekte Wirkungen
waren zunäch!^t durch den strengen, ja gesteigerten
Supranaturalismus seiner Autoritätslehre, sowie durch die
Streng traditionalistische und formalistische Ausbildung
ieines humanistischen Elementes verhindert. Der Pro-
testantismus erst hat die Bibel völlig aus jeder Tradition
und damit aus jeder Analogie zu menschlichen Produk-
tionen herausgehoben; erst er hat den Kanon abge-
schlossen und scharf gegen die bloß menschliche Literatur
abgegrenzt; er hat in seiner Bibellehre das Infallibilitäts-
problem früher und schroffer gelöst als der Katholizis-
mus; er hat den Humanismus auf Eleganz, Stilistik,
Poetik und auf formalistische Logik und Denkkunst ein-
geschränkt und in aller Real Wissenschaft einen ebenso
sklavischen Anschluß an die profanen Autoritäten des
Altertums verlangt wie in der Theologie an die sakrosankte
Autorität der Bibel. Die große Leydener Philologen-
schute hat mit ihm in mancherlei Spannung gelebt, und
die Ideen eines Scaliger haben bei ihm wohl Luft, aber
I
I
I
I
I
w
Bedeutung d, Protestantismus i d. Entstshung d. modernen Welt* 51
einen Boden gefunden. Seine Wissenschaft war fiuma-
nistisch aufgefrisctite Scholastik; seine historische Kritik
war Poiemik der absoluten Wahrheit gegen teuflischen
Betrug ; sein Wissensinhalt war eine aus der Antike
und allerhand Merkwürdigkeiten zusammengestellte Poty-
historie und Enzyklopädie; seine Rechts- und Staatslehre
war ein Umbau der alten katholischen Lehre von der
Lex naiurae und ihren Beziehungen auf die Lex Maris^
die ihm ihrerseits identisch war mit der Lex ChristL
Zwar haben auch hier die reformierten Schulen einen
größeren und weiteren Geist gezeigt, aber das liegt an der
westlichen Kultur und an dem stärkeren Herüberwirken der
französischen und italienischen Renaissance. Der Pro-
testantismus unterscheidet sich hier nirgends von gleich-
zeitigem Katholizismus, der vielmehr bei stärkeren Re*
naissancetraditionen wissenschaftlich teilweise feiner und
erfolgreicher arbeitet. Die großen wissenschaftlichen
Entdeckungen des Zeitalters^ die neue Mathematik und
Physik, gehen aus der Renaissance hervor, deren Ptatonis-
mus auch einen Kepler in Konflikt mit der kirchlichen Be-
hörde brachte; die Grundlinien der neuen anti-aristoteli-
schen Philosophie sind von dem Katholiken Descartes ge-
zogen worden, die Neubildung der politischen und sozialen
Wissenschaft knüpft an Machiavelli, Bodin und Hobbes
an, alles lauter konfessionslose Geister. Wenn der Pro-
testantismus freilich au! seinen Gebieten und Schulen, vor
allem in den (übrigens konfessionell gemischten) Nieder-
landen und in dem von kirchlichen Kämpfen ermüdeten
England, diese neue Wissen schalt langsam sich akkli-
matisierte und schließlich seit Locke und Leibniz seine
innerste Ideenwelt mit ihr verbinden und amalgamieren
lernte, so ist das freilich ein Vorgang von höchster Be-
deutung, der dauernd den protestantischen Völkern ein
wissenschaftliche Übergewicht gewährte und auch von
sich aus erst der kritischen Entwicklung des französi-
schen Geistes die starken Impulse gab* Allein es ist auch
ein nichts weniger als einfacher Vorgang, der unter hef-
tigstem Proteste des eigentlichen alten Protestantismus
eriolgte, und der nur durch das Hervortreten neuer reit-
12
Emst TrocHsch,
giöser Elemente im Protestantismus möglich war, soweit
er nicht geradezu aut dem Erlahmen des religiösen
Geistes und dem Überdruß an dem konlessionellen Zeit-
alter beruhte. Von diesem verwickelten Vorgang, der
heute die Vereinerleiung wissenschaKlich-kritischen und
protestantisch- religiösen Geistes wie selbstverständlich
erscheinen läßt, der aber selbst eine entscheidende Neu-
bildung und Umformung des ganzen Begriffes vom Pro-
testantismus ist, kann daher erst später die Rede sein,
wo die religiöse Entwicklung im eigentlichen Sinne zu
schildern ist. Hier mag nur hinzugefügt werden, daß
nach Vollzug dieses Vorganges natürlich die protestan--
tisch-religiösen Elemente in dieser Mischung mannigfach
durchleuchten und die neue Ideenweh mitbestimmen, daß
insbesondere auch der Unterschied der Konfessionen in
dem Unterschied der angelsächsischen und der deutschen
wissenschaftlich -philosophischen Entwicklung wohl zu
empfinden ist. Die Angelsachsen nämlich sind von Natur
so wenig als andere Menschen reine Empiristen und
haben in ihrer Renaissancepoesie und ihrem theologi-
schen Piatonismus das deutlich genug gezeigt. Sie sind
dazu erst geworden durch Geschäft, Politik und Cal-
vinismus, die ja wiederum untereinander eng zusammen-
hängen. Der Calvinismus mit seiner Aufhebung der
absoluten Güte und Vernünftigkeit Gottes, mit seiner
Zerlegung des göttlichen Tuns in lauter einzelne Willens-
akte, die keine innere Notwendigkeit und keine meta-
physische Substanzeinheit verbindet, ist von Hause das
Prinzip der Betonung des Einzelnen und Tatsächlichen,
der Verzicht auf absolute Kausalitäts- und Einheitsbegriffe,
der praktisch-freien und utilitariseh-spontanen Beurteilung
aller Dinge. Die Einwirkung dieses Geistes aber ist
ganz unverkennbar die wichtigste Ursache der empiri-
stischen und positivistischen Neigungen des angelsächsi-
schen Geistes, die sich bei ihm mit starker Religiosität^
ethischer Dispizpiinierung und scharfer Intellektualität
heute noch so gut vertragen wie einst im Calvinismus
selbst Anderseits ist in der Entwicklung der deutschen
Metaphysik von Leibniz und Kant bis Fichte, Schelling,
I
I
I
I
sc
t
■Hl
Bedeutung d, Protestantismus f. d. Entstehung d. inodemen Welt 55
Hegel und Fechner der lutherische Untergrund erkenn-
bar^ der die Spekulation auf Einheit und Zusammenhang
der Dinge, auf innere Rationalität und Geschlossenheit
des Gottesbegrilfes, auf allgemeine Prinzipien, aul ideelle
Gestnnungsrichtungen und auf getühlsmäßige Präsenz
des Göttlichen im Gemüte hinlenkt. Ja bis in die den
ganz unprotestantischen Neuhumanismus aulnehmende
Gedankenwelt Goethes und auch Schillers hinein wirkt
deutlich erkennbar dieser Untergrund, der hier dann frei-
lich in ganz besonders widerspruchsvolle Verbindungen
eingegangen ist und in diesen Spannungen und Ver-
schmelzungen noch der Gegenwart die schwersten Pro-
bleme des inneren Lebens darbietet, Schiller hat in
seiner ästhetischen Ethik nicht mit Unrecht einen Kern-
;edanken der lutherischen Rechtfertigungsiehre zu be-
laupten gemeint, und Goethe hat in der Religion seiner
rei Ehrfurchten der Metaphysik des Leidens, des Sünden*
getuhls, des Erlösungstrostes und der gotterfüllten Per-
sönlichkeit den Raum neben Naturpoesie und neben
rationeller Humanitätsethik zu geben gesucht^ ein Beweis,
wie tief die deutsche Metaphysik im Luthertum wurzelt,
aber auch wie schwer dieses Luthertum mit der modernen
Welt sich zusammenfügt,^)
So ergibt sich aus der Frage nach der Wissenschaft
des Protestantismus nun auch die andere nach seiner
Bedeutung für die Entstehung der modernen Kunst.
Da scheint nun allerdings zunächst der Protestantismus
lediglich im Gegensatze zu stehen, Romantiker und Klas-
siker haben gleicherweise den Bildersturm des Calvinis-
mus verdammt und auch am Luthertum empfunden, daß
es die Kunst nur zur Erholung, zur Unterhaltung, zur
Belehrung, zur Repräsentation und zum Kultus braucht,
aber kaum einen Wert der Kunst um ihrer selbst willen
kennt. Und allerdings ist zweifellos der Katholizismus
leichter für die Kunst veranlagt, da seine Askese dem
*) VgL die Charakteristik des angelsächsischen Praktiiismus
und AnCirationatismus bei James, Vaneiies of religlaus experience ;
P. J. Schmidt KapHalismus und Protestantismus (Preuß. Jahrb.
M
Emst TroeltBch^
Sinnlichen neben
weniger
m
Obersi
den
inn
an
zn Raum
Gedanken als
läSt und da
an das Ge-
fühl und das Auge sich wendet, während die prote-
stantische Askese das Sinnliche Überali unmittelbar in den
Dienst des ewigen Heils nimmt und der protestantische
Kult ein Kult der Predigt und der Lehre ist So hat sich
auch der Katholizismus viel tiefer und innerlicher mit
der Renaissancekunst verschmolzen als der Protestantis-
mus. Allein trotzdem führen vom Protestantismus wich-
tige Fäden hinüber zur modernen Kunst, Freilich ist das
am wenigsten der Fall bei dem Calvinismus, auf dessen
Rechnung weder die holländische, gänzlich unpuritanische
Malerei, noch die poetischen Elemente in der Renais-
sancedichtung Miltons, noch insbesondere Rembrandt ge-
setzt werden darf, der vielmehr den mystisch-spirituaUsti-
schen Kreisen näher stand. Auch Shakespeare darf trotz
unzweifelhafter starker religiöser Akzente nicht für eine
protestantische Kunst in Anspruch genommen werden.
Aber seine Gesamterscheinung überhaupt, insbesondere
aber die lutherischen und die mystisch-spiritualistischen
Kreise haben auch in diesem Zusammenhang eine wesent-
liche Bedeutung. Sie haben durch den Bruch mit dem
Gnadenbild und dem katholischen Kultus das Stoffgebiet
der Kunst total verwandelt und ihr die Aulgabe gestellt,
neue Gebiete zu erobern, Sie haben auch der Kunst
einen neuen Geist eingeflößt, der sich schließlich gegen
die große öffentliche pathetische Kunst der Renaissance
wenden und das Trautich-Persönlich-lndividuelle oder das
Charaktervoll-Großartige suchen mußte, Sie haben schließ-
lich in der dem Protestantismus verbreitenden Kultübung
die minder sinnlichen Künste, die religiöse Lyrik und
Musikj zu einer großartigen Entfaltung gerade des inner-
lich-persönlichen Lebens gebracht. Und höcht charak-
teristisch ist insbesondere bei Rembrandt der Gegensatz
einer Kunst der Charakteristik und der reinen Licht-
wirkung, aus der ein völlig neues inneres Leben spricht,
gegen die reine und gegen die katholisierende Renaissance
so daß K. Neumann es geradezu unternehmen konnte^
in der Schilderung Rembrandts das Prinzip einer neuen
Bedeutung d. Protestantismus Uö. Entstehung d. modernen Welt« 55
spezilisch modernen Kunst zu entwerfen. Ebenso pflegen
die Musiker in Bach einen Sammel- und Ausgangspunkt
moderner Kunst zu sehen, an dessen Bildung der Prote-
stantismus jedenfalls keinen geringen Anteil hat. Nur Eines
hat der Protestantismus nicht getan und nicht tun können,
und dieses Eine ist für das ganze Verständnis seines
»Verhältnisses zur modernen Welt von höchster Wichtig-
keit: er hat das künstlerische Empfinden nicht zu einem h
Motiv der Weltanschauung, der Metaphysik und der Ethik
(erhoben. Er konnte das nicht, weil seine Askese und
iein absoluter metaphysischer Dualismus das unmöglich
machten; er kannte die mit diesem Prinzip notwendig
irgendwie verbundene Erklärung der Kunst zu einem
Selbstzweck, zu einem eigenen Weg der Gottes- und
Welterkenntnis, und die nicht minder eng damit zusam-
menhängende Verklärung des Sinnlichen und die Emp-
findung der Welt als Harmonie nicht ertragen. Daher
ist denn auch überall die moderne Kunst das Ende der
protestantischen Askese und damit ein seinem Wesen
entgegengesetztes Prinzip. Ein Lessing, der für die künst-
■lerische Weltanschauung und Lebensführung zum ersten
Male einstand in Deutschland, hat den Befreiungskampf
gegen die Theologie führen müssen, und ein Albrecht
V, Haller hat sein Leben zwischen beiden Motiven schmerz-
lich geteilt. Deshalb sind Klassizismus und Romantik dem
Protestantismus im ganzen fremd und vermögen kein
inneres Verhältnis zu ihm zu gewinnen, deshalb sind
Scheüing und Byron ausgestoßen aus dem englischen Leben
und deshalb bedeutet erst Ruskin und die Asthetisierung
des modernen England das Ende des Puritanismus. Der
Augustinismus des abendländischen Systems, zu dem
der Protestantismus wesentlich gehört, weicht damit einer
neuen Geistesmacht, die für immer die moderne Welt
vom Altprotestantismus scheidetj und die auch die wieder
aultauchenden Ideen des Erlösungsbedürfnisses, der Jen-
scittgkeit und des Übersinnlichen doch nicht mehr in
dem besonderen Geiste der altprotestantischen Askese
gestalten kann. Hier liegen große, völlig neue Aufgaben
der modernen Welt, die das künstlerische Motiv ver-
Ernst TroeHsdit
arbeiten und ihm zugleich einen religiösen Geist van
hinreichender Kraft und Tiefe muß einhauchen können,
wenn sie wirklich ein eigenes und echtes Wesen über-
haupt hat,^)
Familie und Recht, dann Staat, Wirtschaft und Ge-
sellschaft, schließlich Wissenschaft und Kunst waren die
Gebiete^ auf denen wir bisher die Wirkungen des Pro-
testantismus verfolgt haben. Überall ergab sich unserer
Untersuchung das Doppelergebnisi daß er die Entstehung
der modernen Welt teils großartig und entscheidend ge-
fördert hat, teils aber auch ein Hemmnis für sie gebildet
hat und noch bildet. Er hat sie nirgends auf diesen Ge-
bieten geradezu geschaffen, er hat sie überall nur be-
fördert, befestigt, gefärbt, im Laufe ihrer Richtung mit-
bedingt, sofern er nicht gegen sie die Motive des älteren
mittelalterlichen Lebensstiles geltend gemacht und neu
belebt hat. Der moderne Staat und seine Freiheit und
Verlassung, sein Beamtenwesen und sein Militärwesen,
die moderne Wirtschaft und Ständeschichtung, die mo-
derne Wissenschaft und Kunst sind überall in ihrem
Laufe schon vor ihm und ohne ihn; sie wurzeln in der
spätmittelalterlichen Entwicklung und in den eigentüm-
lichen Neubildungen der Ideen und Kräfte in den frucht-
baren Jahrhunderten vom f5, bis zum 17.; die eigent^
liehe Kulturgroßmacht des konfessionellen Zeitalters ist
der zentralisierte französische Staat, in dem Renaissance,
Katholizismus und moderne Politik sich vereinigen* Der
Protestantismus hat im Grunde auf seinem Gebiete nur
die Hemmungen beseitigt, die das katholische System
trotz allen Glanzes doch wesensnotwendig dem Werden
der Neuen Welt entgegengesetzt hat, und hat der neuen
freien wettlichen Ideentülle vor allem den gesunden Boden
1
») Kirl Neumann, Rembrandt, 1905; WoHrum, J. S. Bach
<Mu>i[k, hcrausge^* von R. Strauß, XIIl u, XIV); Wittich, Deutsche
und französische Kultur im Elsaß, Straßburg 1900 <S. 76^^!);
J» Ooidstein^ Ästhetische Weltanschauung (Deutsche Rundschau
1906).
Bedeutung d. Protestantismus f.d. Entstehung d. modernen Welt. 57
eines guten Gewissens und einer aufstrebenden Kraft
gegeben. Auch auf seinen Gebieten ist die Neue Welt
nicht ohne vielfache Revolutionen geworden, aber seine
Revolutionen sind überall anders gewesen als die große
französische; sie brauchten die Kontinuität nicht zu zer-
stören und die Religion nicht zu entthronen, weil die
protestantische Kultur die prinzipielle Revolution schon
mit der religiösen Umwälzung von innen heraus erledigt
hatte. Das ist die Hauptsache und das Wesentliche. Im
übrigen aber sind die grandiosen politischen und wirt-
schaftlichen Wirkungen des Calvinismus, sofern aus ihnen
die moderne Welt hervorging, im Grunde doch nur Wir-
kungen wider Willen. Die religiöse Toleranz und Ge-
wissensfreiheit ist überwiegend ein Werk des Täufertums
und das philologisch historische Verständnis des Christen-
tums und seiner Urkunden ist ein Werk der humanisti-
schen Theologie.
Wo aber liegen nun direkte und unmittelbare Wir-
kungen des Protestantismus zur Hervorbringung des
modernen Geistes? Gibt es solche überhaupt oder handelt
es sich auch hier nur um Wirkungen gegen sein eigenes
Prinzip und wider Willen? Hierauf kann nach der bis-
herigen Untersuchung mit Bestimmtheit eines geantwortet
werden: wenn es solche gibt, so müssen sie auf dem
eigentlichen Zentralgebiet des Protestantismus, auf dem
des religiösen Denkens und Fühlens selber liegen,
denn auf den mehr peripherischen Kulturgebieten liegen
sie sicherlich nicht. Und alles erwogen, ist es doch nur
natürlich und wahrscheinlich, daß sie nur hier in Wirk-
lichkeit liegen. Der Protestantismus ist doch in erster
Linie eine religiöse Potenz und erst in zweiter und dritter
eine Kulturpotenz im engeren Sinne des Wortes. So
kann es gar nicht verwundern, wenn seine eigentlich
umwälzenden Wirkungen auch wesentlich auf dem reli-
giösen Gebiete liegen sollten. Es gilt nur die Binsen-
wahrheit zn begreifen, daß religiöse Kräfte nur aus reli-
giösen Motiven wirklich hervorgehen, und daß alle eigent-
lichen und unmittelbaren Wirkungen religiöser Neu-
bildungen eben auch auf religiösem Gebiete liegen. Das
Ernst Troeltsch,
kann nur eine Apologetik vergessen, die sich keinen
rechten Mut zum religiösen Gedanken selbst fassen kann
und daher erst um seiner kulturlichen Wirkungen willen
ihn recht zu leiern wagt, oder eine religionslose Geschichts-
philosophie, die nun einmal an Spontaneität und Origi-
nalität religiöser Ideen nicht glauben will und sie erst dann
verstanden zu haben meint, wenn sie die hinter ihrer
Maske eigentlich agierenden profanen Kräfte, am liebsten
politische und wirtschaftliche, aus der Verkleidung her-
vorgezogen hat* Aber für jede unbefangene Betrachtung
liegen die Dinge wirklich so, wie sie immer selbst es
von sich aussagen; Die Religion kommt wirklich von
Religion und ihre Wirkungen sind wirklich in erster Linie
religiöse» Das gilt auch vom Protestantismus.
Aber wenn das schon gilt, so ist doch die Frage, ob
nun auch zwischen der Religiosität des Protestantismus
und der der modernen Welt ein innerer und wesentlicher
Zusammenhang besteht, insbesondere, ob wir hier die
entscheidende und durchschlagende Zentralwirkung er-
blicken können, die wir auf den anderen Gebieten trotz
bedeutsamster Einflüsse nicht finden konnten. Es ist die
Frage, ob wir überhaupt von einer spezifischen modernen
Religiosität reden können, und ob dieses Spezifische, wenn
es vorhanden ist, mit der protestantischen Idee in einem
wesentlichen Zusammenhange steht. Ich glaube, daß man
trotz aller Schwierigkeiten eine einfache und durchsichtige
Antwort geben kann , daß es in der Tat eine spezifisch
moderne Religiosität gibt, und daß deren Wurzeln im
Protestantismus liegen.
Um das zu verdeutlichen, knüpfe ich an die im An-
lang gegebene Charakteristik seiner religiösen Idee wieder
an. Dasjenige, worauf es für ihn wesentlich ankam, war
die Sicherung des alten stets erstrebten Zieles, die Heils-
gewißheit, die völlige Gewißheit über die Rettung aus der
Verdammung der Erbsünde durch die in Christus offen-
bare [und von Christus bewirkte Gnade. Das war sein
Hauptinteresse, aber dieses Hauptinteresse war kein neues,
sondern nur die kräftig vereinfachende und leidenschaft-
lich plastische Herausarbeitung des alten. Was er neu
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I
I
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Bedeutung d. Protestantismus f. d. Entstehung d. modernen Welt. 59
brachte, war ein neues Mittel zur Erreichung dieses Zieles,
ein Mittel, das von den Unsicherheiten menschlicher mit-
wirkender Verdienste, fremder unverstandener Autoritäten
und bloß dinglicher, sakramentaler Einflößungen frei war,
das den ganzen inneren Menschen absolut sicher und
fest bis ins Zentrum hinein ergriff und ihn in innerlichste
Berührung mit dem göttlich-geistigen Wirken selber bringen
sollte. Wenn dem Katholiken gerade die äußere Autorität
und die Dinglichkeit der Gnade das Heil zu verbürgen
schien, so war für Luthers Gefühl jene Autorität unsicher
und fremd, und diese Dinglichkeit unverständlich und
unergreifbar. Er brauchte lür - das persönliche Leben
etwas jein Persönliches. Das Mittel war daher der Glaube,
die sola /ides, die Bejahung eines Gedankens durch völlige
Hingabe der Seele an diesen uns verständlich und klar
kundgemachten Gedanken Gottes. Die Heilsgewißheit
mußte auf einem Wunder beruhen, um sicher zu sein;
aber dieses Wunder mußte ein im innersten Zentrum der
Person sich ereignendes und in seiner gedanklichen Be-
deutung durchsichtiges sein, wenn es ein völlige Sicher-
heit gewährendes Wunder sein sollte. Die ganze Religion
ist aus der Sphäre der dinglichen sakramentalen Gnaden-
einflößung und der priesterlich-kirchlichen Autorität in die
psychologisch durchsichtige Sphäre der Bejahung eines
Gedankens von Gott und Gottes Gnade gezogen, und
alle ethisch - religiösen Wirkungen ergeben sich psycho-
logisch klar und durchsichtig aus diesem bejahten Zentral-
gedanken. Melanchthon rühmt sich daher in seiner Apo-
logie gegen die Pontificii, daß die Protestanten psycho-
logisch durchsichtig zeigen könnten, wie gute Werke ent-
stehen aus der Heilsgewißheit: das mit Gott durch die
Glaubenserkenntnis versöhnte Gemüt bringt die Liebe zu
Gott und mit dieser Liebe die gute Gesinnung als die
Wurzel und den Geist der guten Werke oder der gott-
erfüllten Gesamtpersönlichkeit hervor. Das sinnlich-sakra-
mentale Wunder ist beseitigt, und an seine Stelle tritt
das Wunder des Gedankens, daß der Mensch in seiner
Sünde und Schwachheit einen solchen Gedanken fassen
und vertrauensvoll bejahen könne. Damit fällt das Priester-
Ernst Troe tisch,
tum und die Hierarchie, das Sakrament der Einnößung
religiös-ethischer Kräfte wie einer sinnlichen Substanz, die
außerweltliche Askese mit ihren besonderen Verdiensten.
Alles das hat Luther nur getan, um der Gnade völlig
sicher zu werden, die ihm auf dem Wege der Verdienste
und des Möncfitums, der Sakramente und der Priester-
Autorität immer fremder und äußerlicher, immer mensch*
licher und bedingter und damit immer unsicherer zu
werden drohte. Das Ziel war das alte, aber der Weg
war ein radikal neuer* Mit diesem Gedankengetüge ist
es nun aber gegangen, wie es oft zu gehen pflegt: der
neue Weg zum alten Ziel wird wichtiger als dieses. Ziel
selbst; aus dem, was ein neues Mittel w^ar, entwickelt
sich selbst ein neues Ziel und ein neuer Gehalt. In dem
Maße, als der konfessionelle Hader den Druck des Dogma-
tismus unerträglich und damit das Dogma überhaupt ver-
dächtig machte, rückte der Schwerpunkt von dem mit
allen trinitarisch-christologischen Hauptdogmen eng ver-
bundene Heils- und Rechtfertigungsdogma auf die per-
sönliche subjektive Überzeugung, auf das stimmungs- und
gefühlsmäßige Erleben von Sündenangst und Seelenfrieden,
und damit war der Blick frei für die rein subjektiv inner-
liche Begründung der Glaubensgedanken und damit weiter
für ihre individuell verschiedene, an kein offizielles Dogma
gebundene Gestaltungsmöglichkeit Die Bibel wurde aus
dem infaUibeln Glaubensgesetz zu einer flüssig-geistigen
Substanz und Kraft, zu einem Zeugnis von geschicht-
lichen Tatsachen, von denen psychologisch vermittelt die
religiösen Kräfte ausströmten; und man berief sich auf
die lebendige Bibelauffassung, die Luthers religiöser In-
stinkt neben der gesetzlichen immer geltend gemacht hatte.
Man näherte sich wieder den Täufern und denSpiritualisten,
die diese Konsequenz von Anfang an gezogen hatten, aber
zugleich auf die Apolitie und den enthusiastischen Kom-
munismus mittelalterlicher Sekten zurückgegangen waren
oder sich in einen gestaltungsunkräftigen Individualismus
eingesponnen hatten. In dieser Krisis des kirchlichen
Protestantismus, in seinen Kämpfen gegen eine vergewaU
tigende Regierung und in seinem Gegensatz gegen die
I
I
Bedeutung d. Protestantismus f. d. Entstehung d. modernen Welt. 61
moderne Verweltlichung näherte sich nun durch Indepen-
dentismus und durch Pietismus hindurch der kirchliche
Protestantismus diesen Gruppen wieder an und wurde er
von denen wieder beeinflußt, die er zuerst im Interesse
der dogmatischen Objektivität und der kirchlich-staatlichen
Zwangskultur so schroff von sich gestoßen hatte. Jetzt
vollzieht sich jene Verschmelzung des Protestantismus mit i
den subjektivistisch-individualistischen, dogmatisch nicht
autoritativ gebundenen Trägern einer Gefühls- und Ober-
zeugungsreligion, die den ganzen Protestantismus nunmehr
als die Religion des Gewissens und der Oberzeugung ohne
dogmatischen Zwang, mit freier vom Staat unabhängiger
Kirchenbildung und mit einer von allen rationellen Beweisen
unabhängigen inneren Gefühlsgewißheit erscheinen läßt.
Wenn Lessing Luther, „den großen verkannten Mann",
zum Schutz dieses echten Protestantismus aufruft, so hat
er damit in einer für zahllose Nachfolger typischen Weise
den Protestantismus mit der alten Sektenlehre vom inneren
Licht verschmolzen, wie Dilthey mit Recht sagt, und hat
er doch zugleich einen wesentlich protestantischen Ge-
danken behauptet, wie er selber überzeugt war. Er hat
nur den Weg Luthers für wichtiger gehalten als das Ziel.
Ja die Konsequenz der Entwicklung geht noch weiter.
Für Luther war das Dasein Gottes, der Sündenfluch und
die Hölle selbstverständlich. Was ihm fraglich war, das
war nur die Anwendung der Gnade und Rettung auf die
eigene Person, der fiducia specialis. Für die moderne
Welt wurde angesichts des neuen naturwissenschaftlichen
Weltbildes und der neuen, anti-anthropomorphen Metaphysik
gerade das Dasein Gottes der fragliche Punkt und wurde
es umgekehrt selbstverständlich, daß, wenn man nur erst
jenes Daseins Gottes gewiß wäre, man überhaupt Sinn
und Ziel des Lebens, Rettung und Gnade gewonnen habe.
Damit wurde nun aber das allgemeine Prinzip des neuen
von Luther entdeckten Weges unendlich viel wichtiger
als sein besonderer dogmaiischer Zweck. Dieser Weg
enthielt in sich selbst schon das eigentliche Ziel, die Ver-
gewisserung vom Göttlichen überhaupt, den Weg aus der
Endlichkeit in die Unendlichkeit und das Übermenschliche
62
Ernst Troeltsch,
V
überhaupt, und den Weg haben hieß das Ziel haben, bei
dessen Besitz einem alles Übrige von selbst zufällt Alles
Gewicht fiel nunmehr auf die gefühlsmäßige Glaubens-
gewißheit, auf den inneren Zug und Drang, auf die not-
wendige Erzeugung des Gedankens von Gott überhaupt,
auf die Erringung einer reinen persönlichen Überzeugung
von seiner wahrhaftigen Existenz, wo dann alles Weitere
ihm und seiner verborgenen Weisheit überlassen bleiben
mochte, wenn nur diese entscheidende Hauptsache ge-
wonnen war* So wurde der Protestantismus zu der
Religion des Gott-Suchens im eigenen Fühlen, Erleben,
Denken und Wollen, zu einer Sicherung der allgemeinsten
Haupterkenntnis durch Zusammenfassung aller persön-
lichsten Überzeugungen und einem vertrauenden Offen-
lassen aller weiteren dunklen Probleme, über die die
Dogmatik des Altprotestantismus so viel zu sagen ge-
wußt hatte. Auch hier ist es Lessing, der in seinem
berühmten Worte von dem Vorzug des Suchens nach der
Wahrheit vor dem Besitz der fertigen Wahrheit die mo-
derne Religiosität typisch charakterisiert und der damit
aus dem Gewebe des Protestantismus denjenigen Faden
hervorzieht, an dem die moderne Welt bis heute eifrig
weiter spinnt. Eigenes persönliches Suchen in selbst-
erlebter Gewissens- und Zweilelsnotj Ergreifen der in den
geschichtlichen Offenbarungen sich bietenden Hand Gottes,
um dann doch immer weiter aus eigener persönlicher
Verantwortung und Entscheidung die endgültige Über-
zeugung zu gewinnen, und ruhiges Ertragen all der
Rätsel, die auf diesem Wege ungelöst bleiben, das charak-
terisiert die moderne Religiosität und hängt in seiner
festen Überzeugung^ daß das nicht schwächliche Skepsis,
sondern männlich -mutiger, das Leben zu tragen ver-
mögender Glaube sei» mit Luthers Lehre vom Glauben eng
zusammen. Es ist nur die ßäes qua creditar^ als in welcher
ja Gott jedenfalls im allgemeinen erreicht und persönlich
ergriffen wird, der fiäes quae creäitur übergeordnet, als
welche Unerkennbares erkennen will und den Lebens- und
Erkenntnisdrang in allzu enge Fesseln bindet. Nicht ein-
mal die heutige kirchliche Gläubigkeit ist irgendwo ganz
i
I
4
Bedeutung d. Protestantismus f. d. Entstehung d. modernen Welt. 63
frei von dieser Verwandlung ; ihr Glaubensbegriff verfügt
nur mehr über subjektive Evidenzen und über einen sehr
allgemeinen, Unzähliges offen lassenden Inhalt; und ich
brauche nicht zu reden von der freieren Gläubigkeit, die
sich von einer allgemeinen Christlichkeit bis in eine völlig
unbestimmte reine Sehnsuchtsreligion erstreckt; überall '
ist es der Glaubensbegriff, der über den Glaubensinhalt
triumphiert hat. Ob das ein auf die Dauer haltbarer oder
auch nur wünschenswerter Zustand ist, ist eine Frage für
sich; genug, daß er das moderne religiöse Leben charak-
terisiert, und daß er nur darum nicht einfach Schwächlich-
keit und Sentimentalität ist, weil in ihm das Metall des
protestantischen Glaubensbegriffes letztlich durchklingt.
Und dazu kommt noch ein Letztes. Der Protestantis-
mus, der diese Veränderungen durchgemacht hat, ge-
winnt ein neues Verhältnis zur Wissenschaft. Der wich-
tige und verwickelte historische Vorgang, von dem ich
oben gesprochen habe, die innere Verschmelzung der
individuellen Oberzeugungsreligion mit wissenschaftlicher
Wahrhaftigkeit und Kritik, die Konstituierung des Pro-
testantismus als einer mit der Wissenschaft und Philo-
sophie verbündeten Bildungsreligion, erklärt sich von
diesen Entwicklungen aus. Es ist nicht bloß ein Ober-
wältigtwerden der kirchlich schwächeren Religion durch
eine fremde Macht, nicht bloß eine Selbstvergessenheit
und Selbsttäuschung, wenn der Protestantismus nunmehr
sich als ein Prinzip religiöser und wissenschaftlich-philo-
sophischer Wahrhaftigkeit zugleich fühlt. Luther freilich
hat von alledem nichts gewußt und nichts wissen wollen,
alle Spekulation von der religiösen Wahrheit fern gehalten
und im übrigen im Detail seine gesunde Vernunft ge-
braucht. Aber nachdem der Punkt in der Entwicklung
des Protestantismus erreicht war, wo der Weg der per-
sönlichen Überzeugung wichtiger wurde als das Ziel der
persönlichen Rettung, da konnte die religiöse Überzeu-
gung nicht neutral bleiben gegen die wissenschaftliche
und mußte die erstere den Prüfungscharakter des letzteren
und die letztere den heiligen religiösen Pflichtcharakter
der ersteren annehmen. Wie der Protestantismus an diesem
u
Ernst TroeltscJi,
Punkte seine schroff abgestoßenen Kinder» den täuleri-
schen und mystischen Enthusiasmus wieder an sich zog^
so holte er nun auch wieder seinen zweiten alten Feind
und anfänglichen Genossen, die humanistische und philo-
logisch-philosophische Theologie j zu sich heran und
öffnete ihr die Tore zum Commercium und Connubium.
Semler, der Vater und Bahnbrecher eines historisch kritisch
denkenden und empfindenden Protestantismus, konnte es
als eine selbstverständliche Wahrheit aussprechen, daß
alles, was die neue Theologie erobert habe, schon alles
bei dem großen und bewunderungswürdigen Erasmus
sich finde. Die Dogmatik der Aufklärung wurde un-
unterscheidbar von Sozinianismus und ArminianismuSp
Kant, Fichte und Hegel konnten der Meinung sein,
daß sie nur die Grundidee der Reformation philosophisch
formulierten, und ein Goethe konnte beim Reformations-
jubiläum mit Luther gegen alles finstere und pfäffische
Wesen zu protestieren meinen* Ja die gesamte Theologie,
auch gerade die konservative^ da wo sie nicht rein
archaistisch ist, wie bei den amerikanischen und schotti-
schen Presbyterianern oder den Lutheranern von Missouri^
ist der Meinung, daß Protestantismus und ^echte" Wissen-
schaft bluts- und wahlverwandt seien. Freilich hat diese
Meinung heute vielfach zu Konsequenzen geführt, die
jeden Zusammenhang der wissenschaftlichen Religion mit
dem Christentum aufgelöst haben, aber die Amalgamie-
rung von religiösem und wissenschaftlichem Geist in den
religiösen Kreisen der modernen Welt — und nur um
diese handelt es sich hier — ist darum doch etwas aus
der Entwicklung des Protestantismus Hervorgewachsenes,
So unsäglich schwere Probleme diese Amalgamierung
für die heutige Menschheit heraufgeführt haben mag, so
fern eine Lösung dieser Aufgabe auch vielen erscheinen
mag, die die religiöse Zerrissenheit und Mattigkeit der
Gegenwart beklagen, lediglich in Rucksicht auf den be-
wirkenden Kausalzusammenhang ist doch der Protestan-
tismus eine wesentliche Ursache in dieser Gestaltung der
modernen, so kämpf- und schmerzenreichen Religiosität.
4
■
Bedeutung d. Protestantismus f. d. Entstehung d. modernen Welt 65
Nur auf die Darlegung des Kausalzusammenhanges
kam es meiner Untersuchung an. Sie wollte kein Wert-
urteil begründen weder über die moderne Kultur noch
über den Protestantismus. Es handelt sich nur um die
tatsächliche Bedeutung des Protestantismus für die Ent-
stehung der modernen Kultur, nicht um seine normative
für deren heutige Existenz, Behauptung oder Fortbil-
dung. Ich möchte ein solches Urteil auch nicht jetzt am
Schlüsse nachholen. Das wäre eine sehr weit aus-
holende Sache und gehörte nicht vor diese Versamm-
lung. Nur das möchte ich hervorheben, was sich in
dieser Hinsicht mir allerdings unmittelbar aus unserer
Untersuchung zu ergeben scheint. Die moderne Kultur
ist jedenfalls durch eine ungeheure Ausbreitung und Inten- \
sität des Freiheits- und Persönlichkeitsgedankens charak- \
terisiert und wir erblicken darin ihren besten Gehalt. '
Dieser Gedanke ist von allen Lebensgebieten her unter
der besonderen Konstellation der Umstände spontan ent-
wickelt worden und hat vom Protestantismus nur ein ;
überaus mächtiges, übrigens für sich selbst unabhängiges
religiös-metaphysisches Fundament erhalten. Es ist die
Frage, ob diese Konstellation der Umstände und damit
der von ihnen gegebene fruchtbare Boden des Freiheits-
gedankens dauernd sich behaupten wird. Das ist, wie
Max Weber in seiner Schrift über die russische Revolution
treffend ausführt^), schwerlich der Fall. Unsere wirt-
schaftliche Entwicklung steuert eher einer neuen Hörig-
keit zu, und unsere großen Militär- und Verwaltungs-
staaten sind trotz aller Parlamente dem Geist der Frei-
heit nicht lediglich günstig. Ob unsere dem Spezia-
listentum verfallende Wissenschaft, unsere von einer
fieberhaften Durchprobung aller Standpunkte erschöpfte
Philosophie und unsere die Überempfindlichkeit züchtende
Kunst dem günstiger sind, darf man billig bezweifeln.
Es bleibt in kommenden Zeiten des Druckes und des
Rückganges der Freiheit vor allem dasjenige, was dem
*) Zur Beurteilung der gegenwärtigen politischen Entwick-
lung Rußlands, Tübingen 1906, S. 1201.
Historische Zeitschrift (97. Bd.) 3. Folge 1. Bd. &
66 Ernst Troelt8chy Bedeutung der Protestantismus etc.
ganzen Bau von sich aus einen guten Teil seiner
Kraft gegeben hat, die religiöse Metaphysik der Frei-
heit und der persönlichen Glaubensüberzeugung , die
die Freiheit aufbaut auf das, was keine allzu mensch-
liche Menschlichkeit verderben kann, auf den Glauben
an Gott als die Kraft, von der uns Freiheit und Persön-
lichkeit zukommt: der Protestantismus. Ich darf daher
— wenigstens nach meiner persönlichen Auffassung der
Lage — mit dem Ergebnis schließen : Bewahren wir uns
das religiös-metaphysische Prinzip der Freiheit, sonst
möchte es um Freiheit und Persönlichkeit in dem Augen-
blick geschehen sein, wo wir uns ihrer und des Fort-
schritts zu ihr am lautesten rühmen.
Die Epochen des evangelischen Kirchen-
regiments in Preußen.
Von
Otto Hlntze.
Die Idee der Landeskirche und des landesherrlichen
Kirchenregiments stammt nicht erst aus der Reformation,
in Brandenburg so wenig wie in anderen Territorien des
Reiches. Sie tritt schon im 15. Jahrhundert hervor, als
eine Folgeerscheinung einerseits des Verfalls der römi-
schen Hierarchie und anderseits des Erstarkens der landes-
fürstlichen Gewalten, die damals begannen, ihre Terri-
torien zu förmlichen kleinen Staatenbildungen zusammen-
zuschließen.
Seit dem Basler Konzil, das die Reformunfähigkeit
der allgemeinen Kirche bewiesen hatte, tritt überall in
der abendländischen Christenheit eine mehr oder minder
starke Tendenz zur Absonderung von Nationalkirchen
hervor, die mehr noch von dem Klerus als von den
weltlichen Gewalten ausgeht und die Einheit der Kirche
oder wenigstens die päpstliche Autorität in ihr zu unter-
graben droht. England hatte sich schon während des
Exils von Avignon aus dem hierarchischen System der
römischen Kirche in wesentlichen Punkten herausgelöst;
Frankreich nahm durch die Pragmatische Sanktion von
1438 eine selbständige Stellung ein, die seinen Episkopat
ganz unabhängig von Rom machte, und in Deutschland
m
Otto Hintze,
waren ähnliche Bestrebungen im Gange, die freilich bei
der eigenartigen Verfassung des Reiches ihr Ziel nicht
zu erreichen vermocht haben. Hier hat die Kurie ein-
gesetzt, um durch einen Pakt mit den weltlichen Ge-
walten die Gefahr der klerikalen Opposition zu bekämp-
fen, und sie hat mit richtigem Blick nicht die Reichs-
gewalt, sondern die einzelnen Landesfürsten, auf denen
damals schon die politische Zukunft beruhte, durch Kon-
zessionen auf dem Gebiete des Kirchenregiments für die
Sache der päpstlichen Suprematie gewonnen. Dies
System der Konkordate ist später auch in Spanien und
in Frankreich durchgedrungen, es hat auch die Stellung
der englischen Kirche beeinflußt: überall gewann der
päpstliche Stuhl den Sieg über die Selbständigkeits-
bestrebungen der Landesbischöfe und über die Idee der
Suprematie eines allgemeinen Konzils» aber um den Preis
der Anerkennung einer mehr oder minder umfassenden
Kirchenhoheit der weltlichen Gewalten, die nun überall
ein wesentlicher Bestandteil der in der Bildung begriffenen
souveränen Staatsgewalt geworden ist.
In Brandenburg fallt der entscheidende Akt in das
Jahr 1447, wo Kurfürst Friedrich IL von Papst Nikolaus V.
das Präsentationsrecht für die Bistümer seines Landes
zugestanden erhielt, ein Recht, das sich dann in der
Praxis zu einer ziemlich unbeschränkten landesherrlichen
Verfügungsgewalt ausbildete, die durch die Formalität
der päpstlichen Institution der Bischöfe nicht wesentlich
beeinträchtigt worden ist^) In Zusammenhang damit
standen andere Berechtigungen, z. B. bei der Besetzung
der Kapitelspfründen, und vor allem eine Regelung der
geistlichen Gerichtsbarkeit, die die Einwirkung fremder
Bischöfe beschränkte und damit die staatliche Ab-
*) über diese Dinge handelt au&führlich eine Arbeit von
Dr» Hennig, die demnächBt In den Schriften des Vereins für die
GeBchichte der Mark Brandenburg veröffentlicht werden wird.
Das Urteil von Priebatsch (Zeitschrift für Kirchengeschichte
XIX^ XX, XXI) wird dadurch nicht unwesentlich modifiziert, im
Sinne einer stärkeren Bedeutung dieser Abmachungen mit der
Kurie.
4
Die Epochen des evang. iGrchenregiments in Preufien. M
Schließung des Territoriums ermöglichte, in dem nun
überhaupt die übermäßig ausgedehnte geistliche Ge-
richtsbarkeit allmählich in ihre Schranken zurückgewiesen
wurde.
Ahnliches vollzog sich auch in anderen großen Ter-
ritorien, in Jülich-Cleve, in Sachsen, vor allem in den
kaiserlichen Erblanden. Auf derselben Linie bew^
sich das spanische Konkordat von 1482 und das fran-
zösische von 1516, das Franz I. zu Bologna mit Papst
Leo X. schloß — : die Grundlage der Beziehungen zur
römischen Kurie, die Frankreich heute aufzulösen im
Begriffe ist.
In den deutschen Landesfürstentümem ist schon
durch diese Abmachungen mit dem päpstlichen Stuhle
der Grund gelegt worden für ein landesherrliches Kirchen-
regiment, wie es sich dann seit der Reformation in den
protestantischen Ländern ausgebildet hat Es galt als
das Recht und die Pflicht christlicher Obrigkeit, nicht
bloß für Rechts- und Friedensschutz, sondern auch für
die geistliche Wohlfahrt der Untertanen zu sorgen, natür-
lich in enger Verbindung mit den kirchlichen Organen,
eben vermittelst der vom Landesherm zu berufenden
Bischöfe. Als aber mit der Reformation die Bischöfe
fortfielen, blieb als Inhaber des Kirchenregiments nur
der Landesherr übrig. Die Lage war nicht so, daß es
im Belieben der Reformatoren gestanden hätte, ob sie ein
Kirchenregiment in der Form einer monarchisch gelei-
teten Landeskirche oder in der einer Autonomie der ein-
zelnen Gemeinden einführen wollten; sie fanden in der
christlichen Gesellschaft, in der sie lebten und wirkten,
eine bestimmte politische Organisation mit kirchenregi-
mentlichen Befugnissen vor, an die sie sich anschließen
mußten, wenn sie nicht eine unabsehbare politisch-soziale
Umwälzung herbeiführen wollten, in der die kirchliche
Reform wahrscheinlich untergegangen wäre.
Aber standen denn die Ideen, die die Reformatoren
selbst von der kirchlichen Verfassung hatten, im Grunde
wirklich im Gegensatz zu dieser monarchischen, landes-
kirchlichen Organisationsform?
70
Otto Hintie,
Es ist die Ansicht aufgestellt worden, und sie ist»
namentlich wohl durch die Autorität Aemil Richters *), lange
Zeit die „herrschende Meinung" gewesen: daß Luther und
Melanchthon ebenso wie die Begründer der reformier-
ten Lehre, im Gegensatz zum landesherrlichen Kirchen-
regiment die Autonomie der kirchlichen Einzelgemeinde
als das natürliche Fundament einer echt-evangelischen
Kirchenverfassung angesehen hätten, daß also die von
diesem Ideal abweichende historische Entwicklung eigent-
lich eine große Verirrung gewesen sei, die erst die
Gegenwart einigermaßen wieder gutgemacht habe, indem
sie 2U der ursprünglichen ersten Auffassung der Refor-
matoren wieder zurückkehrte und der Gemeinde wenig-
stens einen Anteil an den kirchenregimentlichen Befug-
nissen einräumte.
Mir scheint, daß bei dieser Ansicht der Entwicklung
des evangelischen Kirchenregiments Ideale der Gegen-
wart in die Vergangenheit hineingetragen werden, daß
in dem Bestreben, die modernen Einrichtungen in der
Verfassung unserer evangelischen Kirche lediglich auf
den Geist des Urchristentums und der Reformation zu-
rückzuführen, der maßgebende Einfluß der staatlichen
Ordnungen, insonderheit auch der politischen Selbstver-
waltungsideen auf die Formen der kirchlichen Verfassung
unterschätzt wird, daß dabei für die evangelische Kirche
überhaupt eine Selbständigkeit der Verfassungsentwick-
tung angenommen wird, die sie tatsächlich in keiner
Epoche unserer Geschichte gehabt hat.
Daß Luther und Melanchthon im Grunde eigentlich
Vertreter der Idee der Gemeindekirche gewesen seien,
ist neuerdings von Rieker^) in einer mich vollkommen
überzeugenden Weise bestritten worden. Luther hat
wohl einmal, wie von einem Zukunftstraum, von der
Bildung kleiner autonomer kirchlicher Ortsgemeinden
gesprochen, die aus lauter entschieden Gläubigen, zur
^) Geschichte der evangeU Kirchen Verfassung in Deutschland.
Leipzig I85L
*) Die rechtliche Stellung der evangelischen Kirche in
Deutsch iand. Leipzig 1893.
Die Epochen des evang. Kirchenregiments in Preußen. 71
Heiligung des Lebens Entschlossenen bestehen sollten;
aber er betont dabei doch sogleich, daß das in Wirklich-
keit unausführbar sei. Er hat die hessische Kirchen-
ordnung des Franzosen Lambert, die auf einem ähnlichen
Grundgedanken beruhte, widerraten; er hat das Treiben
der wiedertäuferischen Separatisten, die an der Spitze der
Gemeinde gegen die Landeskirchen auftraten, mit zweifel-
loser Nachdrücklichkeit verworfen, und er hat vor allem
in seinen eigentlich maßgebenden Äußerungen, nament-
lich in der Schrift an den christlichen Adel deutscher
Nation, doch wesentlich andere Grundlinien für die kirch-
liche Verfassung gezogen.
Luther und seine Helfer beabsichtigten ja keines-
wegs von vornherein eine Absonderung von der allge-
meinen Kirche; sie gingen nicht darauf aus, eine neue
Kirche neben der alten zu stiften. Sie hielten fest an
dem Gedanken der allgemeinen Kirche und ihres Zu-
sammenhangs mit den Völkern und Staaten der Christen-
heit. Gedanken über das Verhältnis von Staat und Kirche
im modernen Sinne haben sie sich überhaupt nicht ge-
macht, weil diese Begriffe, die erst Abstraktionen einer
späteren Zeit sind, ihnen noch fremd waren. Wenn
Luther von der Kirche spricht, so meint er die unsicht-
bare Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, von der im
Glaubensbekenntnis die Rede ist; will er ihre äußere
Erscheinung bezeichnen, so redet er von dem christlichen
Körper oder von der Christenheit schlechthin, die in
ihren mannigfaltigen Gliederungen mit den Völkern und
Staaten zusammenfällt, und die ihm praktisch namentlich
in der besonderen Form des heiligen römischen Reiches
deutscher Nation vorschwebt. Und in diesem großen
christlichen Gemeinwesen unterscheidet er (und ebenso
auch Melanchthon) weltliche und geistliche Gewalt noch
ganz in mittelalterlicher Weise. Die Landesfürsten sind
ihm noch nicht die Träger einer modernen, von der
Kirche abgesonderten Staatsgewalt, sondern eine „christ-
liche Obrigkeit". Ihre Gesamtheit ist ihm „der christ-
liche Adel deutscher Nation", dem er „des christlichen
Standes Besserung" ans Herz legt. Das geistliche Regi-
n
Otto Hintze,
ment ist für ihn so gut wie das weltliche eine Funktion
des christlichen Gemeinwesens* Freilich sollen beide
nicht miteinander vermengt werden ^), aber bei dieser
Forderung liegt nicht etwa der Gedanke der Trennung
von Kirche und Staat zugrunde — das ist nicht eine
Idee der Reformation, sondern des modernen Liberalis-
mus — ; die Meinung der Reformatoren geht vielmehr
nur dahin, daß das geistliche Regiment durch besondere
Organe ausgeübt werden soll. Solche Organe waren
bisher die Bischöfe gewesen* Die Reformatoren, nament-
lich Melanchthon, hätten sie gern beibehalten, wenn sie
nur das evangelische Bekenntnis angenommen hätten.
Wo aber diese alten Organe des Kirchenregiments ver-
sagten, da war die Meinung, daß es mehr noch eine
Pflicht als ein Recht der christlichen Obrigkeit, d, h. in
erster Linie der Landesfürsten sei» an ihrer Statt ein
neues geistliches Regiment aufzurichten, dessen eigent-
liche Handhabung allerdings den verordneten Dienern
der Kirche überlassen werden sollte, die Gott Rechen-
schaft zu geben hätten.^)
Das sind die eigentlich maßgebenden Ansichten der
Reformatoren von der Natur des Kirchenregiments; und
sie entsprangen nicht einem willkürlichen Belieben, son-
dern den allgemeinen Anschauungen der Zeit Die Ein-
richtungen, die sie getroffen haben, wurzelten in den
besonderen politischen und sozialen Verhältnissen, mit
denen sie zu tun hatten. Man braucht sich nur die recht-
liche Lage und den Kulturzustand der brandenburgischen
und überhaupt der nordostdeutschen Bauernschaften des
16, Jahrhunderts vorzustellen, um zu der Einsicht zu ge-
langen, daß eine auf dem Gemeindeprinzip aufgebaute
Kirchenverfassung damals in diesen Landen ein Ding
der Unmöglichkeit gewesen wäre. Tatsächlich hat sich
ja auch das Gemeindeprinzip nur in den fortgeschritte-
I
*) Augsb. Konf. II, 7: „von der Bischöfe Gewalt* (Darin liegt
zugleich auch wohl die Verwerfung der geisÜichen Fürsten-
tümer.)
») Luthers Werke, ed. de Wette V, 5%,
I
I
I
Die Epochen des evang. Kirchenrcgunents in Prcnften. 73
neren oder freieren Bevölkerungen des Westens durch-
gesetzt, und zwar auch nur da, wo entweder eine
städtisch-republikanische Obrigkeit sich der Reformation
annahm, wie in Genf und in den schweizerischen Ge-
meinden überhaupt, oder wo die Bekenner des Evan-
geliums im Gegensatz zu den staatlichen Gewalten standen,
wie in Frankreich, den Niederlanden, Schottland. Oberaü
aber hat dies Gemeindeprinzip damals nicht eine demo-
kratische, sondern eine entschieden aristokratische Fär-
bung gehabt, entsprechend der damaligen Struktur der
Gesellschaft. Die Presbyterien kooptieren sich in allen
reformierten Kirchen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts,
nicht anders wie die oligarchischen Stadträte dieser Zeit;
sie beruhen nicht, wie unsere modernen Gemeindekirchen-
räte, auf wiederkehrender freier Wahl durch die Gemeinde-
glieder.
So sind es also nicht eigentlich evangelische Prin-
zipien, sondern politische und soziale Verhältnisse, die
die Formen des evangelischen Kirchenregiments bestimmt
haben. Die historische Lage hat einen stärkeren Einfluß
geübt als die Doktrinen; ja diese selbst zeigen deutlich
die Einwirkung der realen Verhältnisse, unter denen die
Ausbreitung der evangelischen Lehre stattfand. Für
Brandenburg und den größten Teil des protestantischen
Deutschland war die fürstliche Landeskirche die gegebene
Form des Kirchenregiments; aber es war von großer
Bedeutung, daß am Niederrhein, in Gegenden, die später
ein Bestandteil des preußischen Staates geworden sind,
die reformierte Presbyterial- und Synodalverfassung nach
dem Muster der benachbarten Niederlande sich ausgebildet
und befestigt hat. Nicht die Wiederentdeckung der an-
geblich ersten und ursprünglichen Idee der Reformation
vom evangelischen Kirchenregiment, sondern dieser, wenn
man will, zufällige historische Umstand ist die Veran-
lassung zu der modernen Umbildung der Kirchenver-
fassung im 19. Jahrhundert geworden.
74
Otto Hintze,
l
Die lutherische Landeskirche in Brandenburg.
(Episkopalismus*)
Im Sinne der allgemeinen Anschauungen seiner Zeit
hat auch Kurfürst Joachim II, in Brandenburg das Kirchen-
regiment übernommen.*) Als er 1539 seinen ersten Abend*
mahlsgang nach evangelischer Weise tat, konnte er sicher
sein, daß die große Mehrzahl seiner Stände und Unter-
tanen diesem Beispiel folgen würden. Von den Bischöfen
des Landes aber wandte sich nur der eine, der Bischof
von Brandenburg, Matthias v. Jagow, der evangelischen
Lehre zu; die beiden anderen blieben Anhänger der
Papstkirche* So sah sich denn der Kurfürst als christ-
liche Obrigkeit und als vornehmstes Glied der evange-
lisch-kirchlichen Gemeinschaft seines Landes veranlaßt,
die Kirchenverfassung zu ordnen. Das geschah zunächst
durch die Kirchenverordnung von 1540, die vom Kur-
fürsten erlassen ist unter Approbation des Bischofs von
Brandenburg, übrigens auch im Einverständnis mit Luther
und anderen evangelischen Theologen; die Einleitung,
die namentlich den Grundsatz der Rechtfertigung durch
den Glauben allein enthält, hat Joachim IL, wie er selbst
später einmal gesagt hat, „mit eigener Faust** geschrieben.
Diese Kirchenordnung beruht auf einem Kompromiß
zwischen den evangelischen Lehren und den Erwägungen
der Politik. Indem der Landesherr die Zügel des Kirchen-
regiments ergreift, lenkt er die kirchliche Gemeinschaft
seines Landes in die Bahn, die seiner allgemeinen poli-
tischen Haltung entspricht. Der Hauptgesichtspunkt war
^) Ich verweise hier im allgemdnen au! des späteren Ministers
v^ MUhLer Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung in der
Mark Brandenburg (1846)^ die noch nicht durch eine neuere Arbeit
ersetzt ist^ sowie auf die neueren Werke von Schön, Das evan-
gelische Kirchenrecht in Preußen (IW3), Stutz in Holtzendorff-
Kohlers Jurist. Enzyklopädie (1904) II, SU ff. Die im Erscheinen
begriffene^ für die märkische Kirchengeschichte grundlegende
Arbeit von Nik* Müller über die Geschichte des Berliner Domes
(Jahrbuch für Kirchengeschichte der Mark Brandenburg L2) habe
ich nur erst zum Teil benutzen können.
I
Die Epochen des evang. Kirchenregiments in Preußen. 75
dabei die Bewahrung des Friedens, die Vermeidung eines
Konflikts mit Kaiser und Reich. Darum wurden nur ge-
wisse Hauptstücke der Reformation übernommen, in Wort,
Lehre und Sakrament; in allen Mitteldingen oder Adia-
phora wollte der Kurfürst sich frei halten. Der Kultus
blieb fast ganz katholisch; die Messe, wenn auch in ver-
inderter Gestalt, wurde noch beibehalten, samt vielen
anderen Äußerlichkeiten des katholischen Ritus; es ist
bekannt, wie weitherzig sich Luther darüber in seinem
Briefe an den Propst Georg Buchholzer geäußert hat.^)
Joachim II. legte großes Gewicht auf die Zustimmung
Luthers; er hat sie bei jeder Gelegenheit hervorgehoben.
Aber ebenso wichtig war ihm anderseits die Billigung
des Kaisers. Karl V. und König Ferdinand haben
die brandenburgische Kirchenordnung ausdrücklich ge-
billigt und bestätigt, und es ist dem Kurfürsten ja auch
gelungen, durch seine vermittelnde Haltung das Elend
des Krieges, das über die Schmalkaldener Verbündeten
hereinbrach, von der Mark Brandenburg abzuwenden.
Er befand sich dabei keineswegs in Obereinstimmung
mit der ganzen Geistlichkeit seines Landes. Noch vor
dem Interim, im Jahre 1547, beschwerten sich die Geist-
lichen von Brandenburg über die katholischen Zere-
monien; sie erklärten, sie seien in ihrem Gewissen be-
drängt, sie müßten ihre Kirchen verlassen, auch das
gemeine Volk fühle sich durch die katholischen Gebräuche
beschwert. Der Kurfürst aber antwortete ihnen, sie
sollten ihre Kirchen nicht um geringer äußerlicher Dinge
willen in Not bringen. Das gemeine Volk würde sich
wohl lenken lassen: „aber an euch, an euch Prädicanten
fehlet's, die ihr eurem starren Kopf folget und euch weder
sagen noch weisen lassen wollet; da fehlet es."" Er hält
fest an seiner Kirchenordnung und Kirchenpolitik: „ich
muß es dennoch so machen gegen der kais. Majestät,
daß meine Lande und Leute nicht verderbet und ver-
störet werden. Denn man hat wohl gesehen vor Witten-
') Bei Schmidt, Brandenburgische Reformationshistorie S. 190
(Mühler S. 47 f.).
76
Otto Hintze,
berg (es war nach der Mühlberger Schlacht)^ was Elends
und Jammers da gewesen. O wie gerne wäre man mit
Fahnen und Kerzen gangen, daß man der Sache mögen
rathen und helfen I** Auch jetzt beruft er sich wieder aut
Luther und Melanchthon, mit denen er in allen Stücken
^^sich verglichen** habe; „aber," erklärt er, „so wenig ich
an die Römische Kirche will gebunden sein, so wenig
will ich auch an die Wittenbergische Kirche gebunden
sein; denn ich nicht spreche: credo sanciam Romanam
oder Wiitenbergensem, sondern caiholkam ecciesiam;
und meine Kirche allhier zu Berlin und Cöln ist eben
eine solche rechte christliche Kirche, wie der Wittenberger
Kirche, und ist uns genug, daß wir im Wort, in der
Lehre, in den Sacramenten und in den Hauptstücken,
daran die Seligkeit gelegen, einig sein,"^) Und diese vor-
sichtig lavierende Richtung hat Joachim IL innegehalten,
bis nach dem Religionsfrieden von Augsburg andere Zeiten
kamen und die Gefahr eines offenen und unumwundenen
Eintretens für die Sache der Reformation verschwunden
war Im Jahre 1562 hat er — eben von schwerer Krank-
heit genesen, in dem von ihm gestifteten Dom eine
kleine Kirchenversammlung veranstaltet, vor der er sein
Glaubensbekenntnis und seinen letzten Willen kund-
gab. Der vor kurzem veröffentlichte Bericht eines dabei
anwesenden Geistlichen, des Cölner Propstes König, gibt
ein merkwürdiges Zeugnis von der impulsiven, persön-
liehen Art, in der Joachim fL sein Kirchenregiment ge-
handhabt hat.^) Im Anschluß an die Verlesung seines
Glaubensbekenntnisses kanzelt er den Berliner Propst,
Georg Buchholzer, lörmlich ab, weil er ihm zu stark die
Notwendigkeit der guten Werke betont hatte und darüber
mit dem Hofprediger Agricola in offenen Unfrieden ge-
raten war. Der Gegensat2 der beiden Geistlichen ist
charakteristisch; Buchholzer war ein ernster strenger
Christ mit einem puritanischen Anflug, Agricola ein
leichter Welt- und Hofmann, der über die anstößigen
0 Bei Schmidt, Brandenburgische Reformationshistorie (Mühler
S. 48 f.),
«) Forschungen zur brandenb. u« preuß. Geschichte 17, 237 iL
I
Die Epochen des evang. Kirchenregiments in Preußen. 77
persönlichen Gründe, die bei dem Kurfürsten eine so
starke Abneigung vor der Betonung der guten Werke
hervorgebracht hatten, mit höfisch-iäßlicher Nachsicht hin-
wegsah. Buchholzer sucht sich nun gegen die fürst-
liche Strafpredigt zu verantworten; es entwickeU sich
ein erregter Dialog; der Propst wirft dem Kurfürsten
einmal das Wort entgegen: sollen wir denn stumme
Hunde sein? Er beklagt sich, daß Agricola ihn von der
Kanzel einen alten Rotzlöffel geheißen habe, was der
Kurfürst gar nicht so unberechtigt findet. So ging es
hin und her, bis Joachim, der wohl sah, daß er den Propst
nicht bekehren werde, die Auseinandersetzung schließt
mit den Worten: „Ich befehle mich Gott und Euch, Er
Jörge, dem Teufel!" — „darauf — setzt der Bericht-
erstatter hinzu — etliche geantwortet: Amen!" Der Kur-
fürst aber hob dann die vierstündige Sitzung auf — sie
hatte von morgens ^2^ bis gegen 1 Uhr gedauert — mit
den Worten: „Ich will hin essen gehen; ist mir besser,
denn daß ich aus Not gute Werke thue.''
So selbstherrlich und temperamentvoll hat sich
Joachim II. in den Streit der Lehrmeinungen gelegent-
lich eingemischt, wobei indessen zu bemerken ist, daß
seine autoritative Entscheidung doch keineswegs die Norm
für die Lehre in der Landeskirche geworden ist. Die
Leichenpredigt, die ihm Andreas Musculus hielt ^), zeigt,
daß doch der strengere Geist die Oberhand behalten
hatte, und unter Johann Georg kam er vollends zur
Herrschaft. Die neue Kirchenordnung von 1572 ersetzte
das besondere brandenburgische Bekenntnis durch die
Confessio Augustana und den Lutherischen Katechismus,
und die Konkordienformel von 1577 unternahm es, das
orthodoxe lutherische Bekenntnis mit allen Details der
theologischen Gelehrsamkeit scharf gegen den Calvinis-
mus abzugrenzen und es ein für allemal als eine die
Gewissen bindende und verpflichtende Norm festzulegen.
Der Anstoß dazu kam nicht aus den Gemeinden, son-
*) Spieker, Lebensgeschichte des Andreas Musculus (1868)
S. 144 H.
n
Otto Hintze,
dem aus den Kreisen des Kirchenregiments in Sachsen
und Brandenburg: es war ein Werk der Fürsten und
ihrer Hoftheologen, Von eigentlich politischen Motiven
hört man dabei nicht, aber man dari sie wohl ergänzen^
wenn man den politischen Hintergrund betrachtet, den
der ferne Feuerschein der Hugenotten- und Geusenkriege
beleuchtet. In diesen Kämpfen mit der vordringenden
katholischen Reaktion offenbarte sich der entschlossene
kriegerisch-revolutionäre Charakter des westeuropäischen
Calvinismus, vor dem die friedfertigen, loyalen protestan-
tischen Fürsten Deutschlands zurückscheuten. Sie wollten
ihr evangelisches Bekenntnis behaupten^ aber ohne Krieg
und Gewalt; und so zog man eine scharfe Linie zwischen
dem Luthertum und der reformierten Lehre: in dem Be-
wußtsein der nächsten Generation stand der orthodoxe
Lutheraner dem Katholiken fast näher als den calvinisti-
schen „Sakramentsschändern".
Von Toleranz war dabei so wenig die Rede wie bei
der Einführung der Reformation. Die Kirchenordnung
von 1540 hatte bestimmt, daß keine andere Predigt und
kein anderer Gottesdienst als der darin verordnete in
den kurfürstlichen Landen solle geduldet werden; die von
1572 bedrohte alle Pfarrer^ die sie nicht halten würden,
mit der Absetzung; die Konkordienformel mußte von
allen Geistlichen, die Amt und Pfründe behalten wollten,
unterschrieben werden. Auch in bezug auf die Schattie-
rungen der evangelischen Lehre galt das Jus reformandi
des Landesherrn und der Grundsatz: cujus regio ejus
religio.
Toleranz im modernen Sinne lag überhaupt nicht in
dem Gedankenkreise der Reformation: auch Luther und
Melanchthon haben sie nicht gekannt Man verlangte wohl
Freiheit für das Evangelium; aber man war zu fest über-
zeugt von der Wahrheit der eigenen Erkenntnis, die doch
aus dem Worte Gottes geschöpft war, als daß man steh
der Folgerung hätte entziehen können, daß es die heilige
Pflicht der christlichen Obrigkeit sei, die reine Lehre in
ihrem Lande zur ausschließlichen Anerkennung zu bringen;
freilich nicht mit Feuer und Schwert, aber etwa so, daß,
I
I
Die Epachcfi des evang. Kirchenregiments in Preußen. 79
wie in der brandenburgischen Kirchenordnung von 1540,
den hartnäckigen Gegnern des Evangeliums die Aus-
wanderung freigestellt wird. Denn das muß man sich
gegenwärtig halten: die Einheit von Kirche und Staat
blieb auch in den Territorien der Reformationszeit durch-
aus gewahrt. Kann man sagen, daß das landesherrliche
Kirchenregiment in gewissem Sinne die Kirche in den
Staat aufgelöst habe, so ist anderseits ebenso wahr, daß
der Staat als ein christliches Gemeinwesen angesehen
wurde^ dessen erster und oberster Zweck die reine Lehre
und die Förderung des Reiches Gottes wan Nur von
diesem Standpunkt aus versteht man die Geschichte der
protestantischen Territorien des 16, und 17. Jahrhunderts*
Die Religion ist durchaus die erste und vornehmste poli-
tische Angelegenheit. Es ist die große Sache, in der
Landesherr und Stände, die sonst so vielfach entgegen-
gesetzte Interessen haben, einander mit gleichem Eifer
begegnen. In allen Ständereversen und Landtagsabschie-
den steht immer an erster Stelle die Erhaltung der reinen
Lehre, die Ordnung des Gottesdienstes; dann folgt die
.Hebe Justiz", und endlich in breiter Fülle das Heer der
wirtschaftlichen und polizeilichen Anordnungen. Das
lutherische Territorium des t6. Jahrhunderts ist ein halb
geistlicher Staat; geistliches und weltliches Regiment in
diesem christlichen Gemeinwesen ist in den ausübenden
Organen zwar voneinander geschieden: aber an der Spitze,
in der Person der fürstlichen Landesobrigkeit, hängt beides
zusammen. Die brandenburgischen Landesherren haben
zwar allzeit betont, daß sie dabei nicht das Ihre suchten,
sondern die Ehre Gottes und das Seelenheil ihrer Unter-
tanen; aber es war nur menschlich, daß weltliche und
geistliche Gewalt, in der Hand eines Herrn vereinigt,
einander stützten und förderten; und wenn auch in den
deutschen Territorien die Kirchengewalt niemals so kraß
im weltlich -absolutistischen Sinne aufgefaßt worden ist,
wie in England unter Heinrich VlIL, der nach dem
treiienden Ausdruck von Gneist als Universalsukzessor
die Erbschaft des Papsttums antrat, so war doch eine
bedeutende Machtsteigerung auch bei den deutschen
I
80
Otto Hintue,
Fürsten zweifellos mit der Reformation verbunden. Der
kircfilicfie Organismus unterstand ilirer Herrschergewalt
docfi noch in ganz anderer Weise als in der katfiolischen
Zeit. Freilich waren sie in der Regierung der Kirche
beschränkt durch das Evangelium und die symbolischen
Bücher; der Stütze, die in der Autorität angesehener
Geistlichen lag^ konnte das landesherrliche Kirchen-
regiment niemals entbehren. Aber dem Lande gegen-
über hatte der Fürst in seinem Kirchenregiment eine
starke Position; von den Ständen war er dabei ebenso
unabhängig wie der englische König von seinem Par-
lament.
Die Reformation ist ja in Brandenburg von Joachim II.
im Einverständnis mit den Ständen eingeführt worden;
wir hören sogar einmal, daß die Stände den entscheiden-
denden Anstoß gegeben hätten^); und die Schuldenregu-
lierung durch den Landtag von 1540 wird mit der Ein-
führung der Reformation in Brandenburg wohl in einem
ähnlichen Zusammenhang stehen wie in Magdeburg unter
dem Kardinal Albrecht, Aber formell war die Kirchen-
ordnung von 1540 durchaus ein freies Werk der landes-
türstlichen Gewalt, und das landesherrliche Kirchenregi-
ment stützte sich nicht auf ein Mandat der Stände, sondern
auf das Recht der christlichen Obrigkeit zur Ordnung
der kirchlichen Verhältnisse und auf die Tatsache ^ daß
der Kurfürst in die kirchenregimentlichen Funktionen der
Bischöfe eingetreten war. So wird es ausgeführt in der
Einleitung zu dem Entwurf einer nicht publizierten Visi-
tations- und Konsistorialordnung von 1561 ^); und es wird
zugleich daran die Bemerkung geknüpft, daß der Kur-
fürst bei der Aufrichtung geistlicher Ordnungen nicht
verbunden sei, der Landschaft Bewilligung dazu zu requi-
rieren und zu erfordern , so wenig das vordem den Bi-
schöfen obgelegen habe* Diese ganze Einleitung ist zwar
bei der Publikation der Visitations- und Konsistorial-
') In den von G. Winter publizierten Akten zu dem Land-
tage von 1540. Zeitschrift für preuß, Gesch. u, Landeskunde 19,
306 (Artikel der Prälaten und Geistlichen).
») Abgedruckt bei Mühler S, 64-68,
Die Epochen des evang. Kirchenregiments in Preußen. 81
Ordnung im Jahre 1573^) fortgeblieben, aber ich möchte
daraus keineswegs den Schluß ziehen^ daß mit Johann
Georg die brandenburgische Landeskirche nun unter das
Mitregiment der Stände gekommen sei. Von einer Be-
stätigung durch die Stände findet sich auch 1573 nicht
die mindeste Spur; die Konsistorialordnung wird viel-
mehr geradezu als ein Ausfluß landesfürstlicher Befugnis
bezeichnet; und die vorangehende Visitationsordnung ent-
häh zwar einige unbedeutende Zugeständnisse an die
adligen Patrone^ aber schlechthin nichts, was uns veran-
lassen könnte^ einen förmlichen Systemwechsel im Kirchen-
regiment anzunehmen* Das landesherrliche Kirchenregi-
ment ist auch späterhin nicht von den Landtagen ab-
hängig geworden; aber ein starker und vielleicht steigen-
der Einfluß der adligen Patrone, die die Pfarrer zu be-
rufen hatten, ist dabei allerdings nicht ausgeschlosseup
In allen Territorien besteht eine merkwürdige Verbindung
zwischen dem orthodoxen Luthertum und dem Stände-
tum, die ihre Quelle eben in den Patronatsverhältnissen
hat; im Herzogtum Preußen und zeitweise auch in Sachsen
könnte man last von einer Beherrschung der Kirche durch
die ständischen Gewalten reden. So weit ist es in Branden-
burg nicht gekommen, wenngleich auch hier eine mäch-
tige Tendenz am Werke war, die darauf ausging, die
Landeskirche zu einer Junker- und Pastorenkirche zu
machen. Wie sich die wirtschaitlich-soziale Stellung der
Bauern in der zweiten Häute des 16. und im 17, Jahr-
hundert erheblich verschlechtert hat, so ist auch die be-
scheidene Mitwirkung der Gemeinde in Kirchensachen,
die die Visitationsordnung von 1573 noch kennt, später-
hin ganz abgekommen, und der Einfluß der adligen
Patrone auf die Pfarrer wurde allmählich immer größer,
so daß im 17, Jahrhundert wohl die Klage laut wird, die
Gutsherren wollten die Geistlichen zu ihren Knechten
machen. Aber das landesherrliche Konsistorium hat doch
den stärkeren Naturen immer einen genügenden Riick-
*) Mylius C C. M, L Nr. 7. (Dort auch die übrigen weiter
unten zitierten gesetzlichen Bestimmungen für die brandenbur-
gisehe Landeskirche.)
HiJtoriiehe ZeiUcbrlft 07. B44 3. Folg« h Bd. 6
m
OttD Hintze,
halt dagegen geboten. Das haben die Junker nie er-
reicht, daß sie Plarrer oder Küster nach eigenem Er-
messen hätten absetzen dürfen; über den Dienern der
Kirche war doch immer die starke Hand des Landes-
herrn,
Die Organisation des landesherrlichen Kirchenregi-
ments ist in Brandenburg nach dem sächsischen Vorbilde
erfolgt. Die Ordination der Geistlichen samt den Auf-
sjchts- und Leitungsbefugnissen, die damit zusammen-
hingen, wurde zunächst einem allgemeinen oder Oeneral-
superintendenten übertragen, der anfänglich in Berlin,
seit dem Tode Agricotas aber in Frankfurt seinen Wohn-
sitz hatte, wo er zugleich Universitätsprofessor war. Zu-
gleich wurde 1541 eine Visitationskommission gebildet,
bestehend aus dem Bischof von Brandenburg, dem Ge-
neralsuperintendenten (Stratner), dem späteren Kanzler
Weinleb und einigen ständischen Deputierten, die von
Berlin aus die Marken bereiste und unter Zuziehung
der lokalen Obrigkeiten in Stadt und Land die neue
Ordnung des Gottesdienstes durchführte.
Diese Visitation von 1541/42 hat eigentlich erst die
Reformation in der Mark zur Durchführung gebracht.
Dabei ergab sich nun aber ein doppeltes Bedürfnis:
einmal bedurfte es einer Verstärkung der obersten Auf-
sichtsinstanz, des Generalsuperintendenten, durch ein
Kollegium, wegen der vielen Anfragen und Entschei-
dungen, die nötig wurden, und namentlich auch zur Aus-
übung der geistlichen Gerichtsbarkeit, die die Bisehöfe
bisher durch ihre Offiziale und ihre Konsistorien aus-
geübt hatten; denn diese geistliche Gerichtsbarkeit,
namentlich in Ehesachen, in Kirchen- und Pfründen-
sachen, in Disziplinarsachen der Geistlichen und bei
offenkundigen Sünden und Lastern in der Gemeinde —
diese geistliche Gerichtsbarkeit ist mit der Reformation
keineswegs verschwunden, sondern in ziemlich demselben
Umfange wie in der katholischen Zeit, beibehalten wor-
den. Zu ihrer Ausübung und zur Unterstützung des
Generalsuperintendenten in den Leitungs- und Aufsichts-
I
Die Epochen des evang. Kirchenregimeiits in Preußen. 8S
befugnissen wurde ein koUegialisches Konsistorium be-
gründet, nach dem sächsischen Vorbild, bestehend außer
dem Generalsuperintendenten aus drei bis vier geistlichen
Beisitzern, zu denen noch der Kanzler und einige Kam-
me rgerichtsräte traten. Es war eine besondere geistliche
Behörde neben der kurfürstlichen Ratsstube, in der die
weltlichen Sachen behandelt wurden; aber sie hing mit
Ratsstube und Kammergericht durch die rechts verständigen
Mitglieder zusammen; es kam wohl vor, daß einem kur-
fürstlichen „Rat und Diener", wie die Bezeichnung lautete,
in seiner Bestallung aufgegeben wurde, zugleich als Kon-
sistorial- und Kammergerichtsrat zu dienen^ als Ritt-
meister eine Schwadron zu beiehligen und als Hofkavalier
den fürstlichen Töchtern aufzuwarten. Neben dieser Auf-
sichtsbehörde am Hofe bedurfte es aber zugleich auch
noch lokaler ständiger Aufsichtsorgane ^ die gewisser-
maßen an die Stelle der Visitatoren traten: das sind die
sog. geistlichen Inspektoren, aus denen im 19, Jahrhundert
die heutigen Superintendenten geworden sind, gewöhn-
lich die Pfarrer der vornehmsten Städte, die die Aufsicht
über die Geistlichen und das Kirchenwesen des umliegen-
den Landkreises führten. Ihre Bestallung lag in den
Händen des Kurfürsten ebenso wie die der General-
superintendenten und der Mitglieder des Konsistoriums,
Die Begründung des Konsistoriums fällt wahrscheinlich
schon in das Jahr 1542; 1543 erhielt es seine erste fnstruk-
tion, die nach längeren Vorarbeiten, nach dem Muster der
Wittenbergischen Ordnung, im Jahre 1551 erneuert und
verbessert worden ist.^) Ein neuer Entwurf von 1561 ist
nicht publiziert worden; auf ihm beruht die dritte, die in
manchen Stücken noch heute gültige Visitations- und Kon-
sistorialordnung von 1573* Die Visitationen, die bisher
nur außerordentlicherweise vorgenommen worden waren,
sind dadurch zu einer bleibenden Einrichtung gemacht
worden. Kommissionen, bestehend aus dem General-
') Beide Ordttungen sind bisher noch nicht bekannt ge-
worden; sie tind aber erhalten und werden demnächst verdHent-
licht werden.
Otto Hmtze,
Superintendenten, einem Konsistorialrat^ dem Notarius
des Konsistoriums als Protokollführer sollten mit Zu-
ziehung eines adligen und eines städtischen Deputierten
und unter Beihilfe der weltlichen Ortsobrigkeiten in zehn-
jährigem Turnus die Kirchen der Mark visitieren^ Miß-
bräuche abstellen oder auch zur Anzeige bringen» um
das Leben der Gemeinden wie der Geistlichen in Über-
einstimmung zu bringen mit dem Ideal eines christlichen
Gemeinwesens, Die Lokalverwaltung des Kirchenver*
mögens lag dem Patron und dem Pfarrer samt einigen
Kastenvorstehern aus der Gemeinde ob; zur Rechnungs-
legung sollten noch etliche Deputierte von der Gemeinde
hinzugezogen werden.
Alljährlich zu Pfingsten sollten die Geistlichen eines
Inspektionskreises sich zu einer Synode versammeln» die
aber im wesentlichen nur zu gegenseitiger Anregung und
Aussprache bestimmt war, Ende des 16, und Anfang
des 17. Jahrhunderts sind diese Kreissynoden auch eine
wirklich lebendige Einrichtung gewesen. Im 30jährigen
Kriege sind sie abgekommen; und abgesehen von einigen
vereinzelten Versuchen am Ende des 17. Jahrhunderts
sind sie erst im 19. Jahrhundert wiederins Leben gerufen
worden.
Neben den Kreissynoden kennt die Konsistorial-
ordnung von 1573 auch eine Landessynode, zu der, auf
Berufung des Landesherrnj alle Geistlichen unter dem
Vorsitz des Generalsuperintendenten zusammentreten
sollen, um mit Beistand des Konsistoriums und der Uni-
versität Frankfurt zweifelhafte Artikel und ernste» wichtige
Sachen zu erörtern und zu entscheiden. Solche Landes-
synoden^ freilich mehr für einzelne Landesteiie, sind auch
während des 16. Jahrhunderts mehrmals einberufen wor-
den, namentlich bei der Einführung der Konkordienformel
1577; aber eine eigentliche gesetzgebende Gewalt haben
sie nicht ausgeübt: in Glaubenssachen wurde eine solche
überhaupt nicht anerkannt, und was die Zeremonien und
die Einrichtung des Gottesdienstes betrifft, so sah der
Kurfürst deren Regelung als sein Reservatrecht an. Es
war mehr nur eine Institution zur Herstellung einer
Die Epochen des evanji, Kirchenregiments in Preußen. 85
näheren Fühlung zwischen den kirchenregimentlichen
Behörden und der Geistlichkeit, Die letzte Landessynode
ist 1614 gehalten worden bei Gelegenheit des Übertritts
Johann Sigismunds zum reformierten Bekenntnis.
Der Absolutismus im Kirchenregiment unddie
Entstehung einer preußischen Landeskirche.
(Territ orialismus.)
Das Syste
der Kirchen Verfassung, wie es sich im
16. Jahrhundert ausgebildet hatte, wurde von der juri-
stischen Theorie als das episkopalistische bezeichnet.
Der tatsächliche Ausgangspunkt der Reformationszeit,
das Recht und die Pflicht der christlichen Obrigkeit zum
Schutz und zur Beförderung des Evangeliums und zum
Erlaß der darauf gerichteten Ordnungen trat zurück vor
der kanonistischen Doktrin ^ die das landesherrliche
Kirchenregiment auf das jus episcopaie gründete und den
Landesherrn als den summus eplscopus seiner Landes-
kirche betrachtete. Die Voraussetzung war dabei natür*
lieh, daß der Landesherr selbst Mitglied der Kirchen-
gemeinschaft sei, über die er das oberbischöfliche Recht
ausübte. Eben diese Voraussetzung traf nun aber in der
brandenburgischen Kirche nicht mehr zu, seit Johann
Sigismund im Jahre 1613 zum reformierten Bekenntnis
übergetreten war. Das war ein epochemachendes Ereig-
nis für die Geschichte des landesherrlichen Kirchenregi-
ments; wir müssen es etwas näher ins Auge fassen, um
seine eigentliche Bedeutung zu verstehen*
Man wird nicht daran zweitein dürfen, daß dieser
Konfessionswechsel aus tiefer innerer Überzeugung erfolgt
ist. Aber den Zusammenhang mit politischen Motiven
braucht man darum nicht zu leugnen, Religion und Po-
litik waren damals so eng miteinander verknüpft, daß sie
schwer zu trennen sind, Luthertum und Calvinismus
bedeuteten damals nicht bloß verschiedene religiöse Be-
kenntnisse, sondern ganz entgegengesetzte politische Welt-
anschauungen. Das Luthertum hängt damals in Deutsch-
Otto Hintze,
land untrennbar zusammen mit dem kleinstaatlichen terri-
torialen Stilleben, mit dem landschaftlich beschränkten
Partikularismus, in dem Stände nnd Fürsten eins sind,
mit der Abneigung gegen alles, was zur Störung des
Friedens führen könnte, mit der ängstlichen Vermeidung
aller Verwicklungen in die Händel und geschwinden Laufte
der Zeit. Daß dies ängstliche, kleinliche, beschränkte,
unpolitische Wesen nicht an dem lutherischen Bekenntnis
als solchem haftet, das hat spater die Heldengestalt Gustav
Adolfs bewiesen* Aber auf deutschem Boden war dieser
politische Kleinmut bei den lutherischen Fürsten infolge
der engen und unfertigen deutschen Verhältnisse eine
eingewurzelte Eigenschaft, und sie wurde durch die miß-
trauische Überwachung der fürstlichen Politik seitens der
Landstände immerfort bestärkt und erhalten« Kurfürst
Joachim IL hatte in dem Revers von 1540 seinem Adel
versprechen müssen, ihn in allem zu hören, daran der
Lande Gedeih oder Verderb gelegen, und sich nament-
lich nicht ohne sein Vorwissen in Bündnisse einzulassen,
aus denen dem Lande Lasten erwachsen könnten. Das
hatten alle seine Nachfolger wiederholen müssen. Dieser
lutherische Kleinstaat hatte sich selbst festgebannt in einer
unpolitischen Sphäre der Machtlosigkeit, aus der es ohne
einen Bruch mit der Tradition keinen Ausgang gab. Er
kannte kein anderes Ideal als das der zeitlichen und
ewigen Wohlfahrt. Nichts lag ihm ferner als der Gedanke
politischer Machtentfaltung mit Truppenwerbungen und
Kriegssteuern. Dergleichen, wenn es sein mußte, schien
noch immer Sache des Reichs zu sein, obwohl das Reich
längst aufgehört hatte, eine politische Macht zu sein und
der Kaiser katholische habsburgische Politik machte. In
den Hugenottenkriegen hatten sich auch brandenburgische
Edejleute, in denen sich das alte Ritterblut regte, auf-
gemacht, um in Frankreich mitzufechten; aber die Wer-
bung für Heinrich IV. wurde in Brandenburg — bis auf
einen kritischen Moment im Jahre 1591 — immer ängst-
lich verboten; man wollte sich nicht hineinziehen lassen
in den gefährlichen Strudel der Weltpolitik. Unter Johann
Georg hatte sich diese bis zur Ängstlichkeit vorsichtige
I
I
Die Epocben des evang. Kirchenregiments in Preußen. 87
Politik mit der lutherischen Orthodoxie und dem agrari-
schen Ständetum zu einer festen Tradition verbunden,
die mit den Ausdehnungstendenzen des Hauses Branden-
burg in oüenem Mißverhältnis stand. Es war wie ein
Glaubenssatz, daß man alles Gott anheimstellen und auch
in weltlichen Dingen es nicht au! Macht und Gewalt an-
kommen lassen müsse. Mochte in der Welt da draußen
der Brand der Religionskriege wüten: daheim wollte
man^ wie es in dem Kirchengebet mit den Worten des
Apostels heißt, ein geruhiges und stilles Leben führen in
alier Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Das war die Summe
der lutheranischen Politik,
Wäre es nach dieser Politik gegangen, so wäre
Brandenburg niemals zum Großstaat geworden, so hätte
es niemals die Positionen gewonnen, die es später dazu
instand gesetzt haben, der Hort des Protestantismus zu
werden und die politische Regeneration Deutschlands zu
bewirken* Die ersten Schritte auf dieser Bahn sind unter
Johann Sigismund getan worden mit der Behauptung der
clevischen Erbschaft. Es ist bekannt, daß es darüber fast
zu einem europäischen Kriege gekommen wäre; und
wenn schließlich auch eine friedliche Einigung gelungen
ist, so war doch diese Unternehmung unmöglich für einen
Fürsten, der erst mit seinen lutherischen Hofpredigern
und Landständen darüber zu Rate gegangen wäre. Den
Bannkreis dieser Anschauungen durchbrach eben Johann
Sigismund, indem er zu dem reformierten Bekenntnis
übertrat, das damals die Führung in dem großen Welt-
kämpf zwischen Protestantismus und katholischer Restau-
ration übernommen hatte. Er gewann den geistigen An-
schluß an eine Religionspartei , die in der freien Luft
einer großen Politik atmete; in diesem Lager leuchteten
Namen wie der Colignys und Wilhelms von Oranien; hier
war ein freierer Weltblick; hier gab es große politische
Entwürfe, die in der dumpfen Enge des kleinstaatlichen
Luthertums nimmermehr gediehen wären. Es ist merk-
würdig, daß mit der Eröffnung der Aussicht einer Aus-
dehnung nach Westen, schon unter Joachim Friedrich,
in Brandenburg eine gewisse Hinneigung zu dem Cal-
Otto Hiiitace,
vinismus beginnt; für Johann Sigismund war die allge-
meine geistige und politische Anziehungskraft des refor-
mierten Wesens wohl wichtiger als die Rücksicht auf die
Reformierten in den clevischen Landen. Alle seine Nach-
folger haben mit der Politik der Ausdehnung auch das
reformierte Bekenntnis beibehalten. Das Haus Branden-
burg hat damit den großen Schritt getan aus dem terri-
torialen Stilleben zum Anschluß an die Weltpolitik.
Die Folgen dieses Bekenntniswechsels für das bran-
denburgische Kirchenregiment sind von unermeßlicher
Bedeutung gewesen. Johann Sigismund hat seine branden-
burgischen Untertanen nicht gezwungen, das Bekenntnis
mit ihm zu wechseln; nur der Hof, die Domkirche, die
Landesuniversität Frankfurt wurden reformiert; im übrigen
hat der Kurtilrst auf sein höchstes Regale» wie er sagte,
auf das Jus reformanäi, verzichtet, und alle seine Nach-
folger haben das Gleiche getan. Das war eine Toleranz,
die nicht eigentlich aus religiöser, sondern aus politi-
scher Quelle stammte: in dem konfessionell so stark ge-
spaltenen Deutschland konnte nur ein Fürstenhaus, das
religiöse Duldung übte, sich zu einer Großmacht erweitern.
Es war ein neues Prinzip, das damit in die deutsche
Staatenwelt eintrat. Der in sich abgeschlossene konfes-
sionelle Kleinstaat war überwunden; Kirche und Staat,
die bisher zusammengefallen waren, begannen sich begriff-
lich voneinander zu sondern. Bei der weiteren Ausdeh-
nung der brandenburgischen Herrschaft, wie sie nament-
lich durch den Westfälischen Frieden sich vollzog, ver-
einigte der Kurfürst von Brandenburg drei Konfessionen
unter seinem Szepter, und über alle nahm er eine mehr
oder minder ausgedehnte Kirchengewalt in Anspruch.
Man half sich dabei nach wie vor mit der Fiktion des
bischöflichen Rechtes: der Große Kurfürst hat es, wie
wir aus seinem politischen Testament von 1667 sehen,
selbst über Katholiken in Anspruch nehmen wollen. Auf
die Dauer aber erwies sich das als unausführbar; und
seit dem Ende des 17. Jahrhunderts brach sich eine neue
Auffassung Bahn, deren Begründer Pufendorf gewesen
ist in seinem Büchlein: „Über das Verhältnis der Christ-
Die Epochen des evattg. Klrchenregiments in Preußen, 9*>
Uchen Religion zum Staate", das er dem Kurfürsten nach
der Aufnahme der französischen Protestanten 1687 wid-
mete,*) Zwei Grundgedanken treten in dieser Schrift
besonders hervor: einmal, daß dem einzelnen GEaubens-
und Rehgionsfreiheit gewährt werden müsse, und dann,
daß alle Konfessionen einer staatlichen Aufsicht unter-
liegen, die aus den Hoheitsrechten des Fürsten, aus der
Souveränität des Staates abgeleitet wird, und die den
Zweck verfolgt, die öffentliche Ordnung und den Frieden
der Konfessionen aufrechtzuerhalten, fn dieser natur*-
rechtlichen Begründung der staatlichen Kirchenhoheit ist
also nicht mehr die Rede von dem Recht der christ-
lichen Obrigkeit, als membrum praecipuum ecciesiae das
Kirchenregiment zu führen, nicht mehr von dem bischöf-
lichen Recht des Landesherrn, nicht mehr von der Ein-
heit von Kirche und Staat im christlichen Gemeinwesen.
In konsequenter Anwendung wäre daraus auch nicht ein
Kirchenregiment, sondern nur eine äußerliche Kirchen-
hoheit abzuleiten gewesen. Aber die Regierungspraxis
der brandenburgischen Herrscher hat sich damit keines-
wegs begnügt. Trotz der verschiedenen Konfession haben
Johann Sigismund und seine Nachfolger das Regiment
über die lutherische Kirche in derselben Weise in An-
spruch genommen und geführt wie Joachim IL und Jo-
hann Georg, Sie hielten fest an dem bischöflichen Recht
auch über die Lutherischen, indem sie einen gemein-
schaftlichen evangelischen Begriff zugrunde legten, der
praktisch zu dem Gedanken der Union führen mußte.
Trotzdem man also jetzt anfing, Kirche und Staat
begrifflich voneinander zu sondern, blieben sie praktisch
doch eng verbunden. Aber die Verbindung trug jetzt
einen anderen Charakter wie früher. Geistliches und
weltliches Regiment waren jetzt nicht mehr zwei Funk-
tionen ein- und desselben, in Glauben und Bekenntnis
geeinten christlichen Körpers, sondern das geistliche
Regiment erschien nun als ein Attribut der weltlichen
*) Gewissermaßen wlederentdeckt und zuerst in seiner Be-
deutung gewürdigt von TreHschke in dem Essay über Pufendorf,
Hist-potiL Aufsätze 4, 21% \h
90
Otto Hiiitze,
Herrschaft, als ein Zubehör der Staatsgewalt, Erst jetzt
wurde die Kirche Staatskirche, dem Staate ein- und unter-
geordnet. Der größere, aus mehreren Territorien zu-
sammengesetzte moderne Staat, der sich nun allmählich
ausbildete, war kein konfessionell gebundenes christliches
Gemeinwesen mehr wie die kleinen lutherischen Terri-
torien der Reformationszeit* Der Lebensgeist dieses neuen
Staates war vielmehr die Staatsraison, die salus publica,
und ihre Voraussetzung war politisch-militärische Macht.
Die Rangordnung der Staatszwecke wandelte sich allmäh-
lich: Militär und Finanzen traten beherrschend in den
Vordergrund, den früher das kirchlich-konfessionelle Inter-
esse eingenommen hatte. Das landesherrliche Kirchen-
regiment aber wurde beibehalten als ein wichtiges Stück
der Souveränität.
Es ist den Juristen sehr schwer geworden, ihre
naturrechtliche Theorie mit dieser Praxis einigermaßen in
Einklang zu bringen. Thomasius und nach ihm just.
Henning Böhmer haben aus den Grundgedanken Pufen-
dorfs die Lehre des sog. Territorialsystems entwickelt,
das seinen Namen bekanntlich davon führt, daß es im
Umfang des ganzen Staatsgebiets, des gesamtstaatlichen
Territoriums, dem Landesherrn kraft seiner Hoheitsrechte
die Aufsicht über alle Religionsgemeinschaften zuwies.
Diese Kirchenhoheit sollte sich ja nur auf das Jas circa
Sacra erstrecken; aber so sehr man den Bereich dieses
Begriffes ausdehnte, so kam man doch der Praxis damit
niemals nahe genug; denn zweifellos haben die branden-
burgischen Herrscher über die protestantischen Kirchen
auch das Jus in sacra beansprucht und ausgeübt. So
kam es, daß die Doktrin von dem/ns episcapaie sich neben
der territorialistischen noch immer hielt und von Samuel
Stryk in Halle sogar zu der Annahme eines Jus papaie
gesteigert wurde. Auch Friedrich der Große hat prak-
tisch noch daran festgehalten. In einem allerdings stark
ironisch-sarkastisch gehaltenen Marginal, durch das er
eine Vorstellung des Magdeburgischen Konsistoriums in
einer Ehesache abweist — es handelt sich um eine Heirat
zwischen Oheim und Nichte > die das Konsistorium be-
4
Die Epochen des evang. Kirch enregiments in PreuQen. 9t
anstandete ^ schrieb er zum Schluß: „Ich als vicarius
Jesu Christi und Erzbischof von Magdeburg befehle, daß
sie ehelich zusammengegeben werden.*" Das ist die Kom-
bination von jus papale und jus episcapale: auch der
ungläubige Monarch hat nicht darauf verzichten wollen.
Eine theoretische Vereinigung des Territorialprinzips mit
dem episkopalistischen hat ja bekanntlich das sog. Kol-
legialsystem des Tübinger Kanzlers Pfaff versucht, das
seinen Namen daher führt, daß es von der Kirche als
einem „Kollegium*, d* h, einer Korporation, ausgeht. Es
beruht auf der Fiktion, daß die Kirche dem Landesherrn
sowohl die externa wie die interna übertragen habe —
allerdings eine Annahme, die zu der historischen Wirklich-
keit sehr wenig paßte; nur die Tatsache der Verbindung
von Kirchenhoheit und Kirchenregiment, die im 18. Jahr-
hundert in dem protestantischen Deutschland ganz all-
gemein war, wird dadurch zum deutlichen Ausdruck
gebracht.
Es ist also eigentlich ein ungenauer Sprachgebrauch^
wenn man schlechthin von einer territorialistischen Praxis
des Kirchenregiments redet; man versteht darunter die
Verbindung der äußeren Kirchenhoheit und des inneren
Kirchenregiments oder kurzweg die Regierung der Kirche
durch die Staatsgewalt, wie sie die protestantischen Landes-
fürsten in Deutschland und auch die brandenburgisch-
preußischen Herrscher bis ins 19. Jahrhundert hinein geübt
haben. Die territorialistische Theorie der Juristen ging
in Hinsicht aul das innere Kirchenregiment nicht ganz
so weit wie diese Praxis.
Die Auffassung, von der die reformierten branden-
burgischen Herrscher ausgingen, indem sie das Kirchen-
regiment über die lutherische Landeskirche beibehielten,
nämlich die fundamentale Einheit der beiden evangeli-
schen Bekenntnisse, wurde von dem lutherischen Ortho-
doxismus nicht geteilt. Es hielt sehr schwer^ die beiden
evangelischen Konfessionen zu einem duldsamen, fried-
fertigen Zusammenleben zu bringen. Für die Hohen-
zollern war der Gedanke der Union von vornherein das
Ziel ihrer Kirchenpolitik; in diesem Gedanken fand ja
«
Otto Hintze,
ihr Kirchenregiment über die Lutheraner allein seifte
innere Berechtigung; die Unionspolitik war die Kon-
Sequenz der Tatsache^ daß sie dieses wesentliche Stück
ihrer landesfürstlichen Autorität nicht aus den Händen
gegeben hatten* Aber die Herstellung einer Union der
beiden Bekenntnisse gelang nicht; auch der Große Kur-
lürst hat nach dem Scheitern des Berliner Religions-
gesprächs von 1662/63 diesen Plan fahren lassen müssen.
Um so strenger hielt er darauf, daß das Schmähen und
Lästern von den Kanzeln aufhörte, das schon Johann
Sigismund 1614 untersagt hatte, das man aber noch keines-
wegs auszurotten vermocht hatte. Zugleich versuchte er,
die Konkordienformel bei der Ordination auszuschließen
und besonders stark angefochtene Gebräuche der Luthe-
raner, wie den Exorzismus bei der Taufe, abzuschaffen.
Es ist bekannt, zu welchen Konflikten es darüber in den
60er Jahren, namentlich in Berlin, gekommen ist*^) Man
kann nicht sagen, daß der Kurfürst hierbei immer formell
im Recht gewesen wäre, wenn er auch im Grunde einen
großen zukunftsreichen Gedanken vertrat. Ein Mann wie
Paul Gerhardt zog es doch vor, trotzdem die über ihn
verhängte Absetzung zurückgezogen worden war. den
brandenburgischen Boden zu verlassen, weil er sich in
seinem Gewissen bedrängt fühlte; er wollte an der Kon-
kordienformel festhalten, auf die er bei seiner Ordination
sich verpflichtet hatte*
Der fürstliche Absolutismus machte sich allmählich
auch in der Kirche fühlbar wie im Staate; und wenn die
Unionsversuche auch noch am Ende des 17. Jahrhunderts
scheiterten, wo sich Männer wie Leibniz und Jablonski
darum bemühten, so wurde doch der offene Streit der
Konfessionen durch das landesherrliche Kirchenregiment
allmählich zum Schweigen gebracht, und die lutherische
Orthodoxie verlor mehr und mehr an Schärfe und Energie.
Die pietistische Richtung auf der einen Seite, der Ratio-
nalismus auf der andern trugen zu ihrer Auflösung bei;
') Vgl. hierüber Landwehr, Die Kirchenpolitik des Großen
KurfUreten^ der sich im ganzen mehr auf die Seite der Lutheraner
stellt, ohne aber die politischen Motive genügend zu würdigen.
Die Epochen des evang. Kirehenregiments in Preußen. 93
die Universität Wittenberg, die Hochburg der orthodoxen
Lutheraner, war seit dem Jahre 1602 für die branden-
burgischen Theologen verboten und bheb es das ganze
18. Jahrhundert hindurch. Halle wurde die obligatorische
Bildungsstätte für sie, namentlich unter Friedrich Wil-
helm 1., und hier herrschte erst der Pietismus, dann der
Rationalismus, Friedrich Wilhelm L mit seinem schlichten^
einfachen Bibelglauben wollte einen Unterschied der bei-
den evangelischen Konfessionen überhaupt nicht mehr
anerkennen; er meinte, das rühre nur von den Prediger-
zänkereien her Dogmatische Streitigkeiten auf den
Kanzeln wurden untersagt und auch die kirchliche Bücher-
zensur wurde in diesem Sinne gehandhabt. Die halli-
schen Pietisten wurden begünstigt und die Prädestina-
tionslehre, die freilich niemals Eingang in das Bekenntnis
der brandenburgischen Reformierten gefunden hatte, wurde
nachdrücklich verworfen und von den Kanzeln verbannt*
Anderseits wurden aber auch Gebräuche, die aus der
Kirchenzucht der Reformierten stammten, wie 17 Ib die
Kirchenbuße, allgemein eingeführt, obwohl der Hintergrund
solcher Einrichtungen, der in der starken Ausbildung des
reformierten Gemeindelebens bestand, bei den Lutheranern
vollkommen fehlte; Friedrich II. hat ja die Kirchenbuße
auch bald wieder abgeschafft (1748). Selbst die Tracht
der Geistlichen wollte der Soldatenkönig uniformieren:
in den lutherischen Kirchen Berlins wurde das Tragen
der Chorröcke und Kasein verboten; auch dieses Verbot
hat König Friedrich, gleich nach seinem Regierungsantritt,
wieder aufgehoben.^) Der Zwist der beiden evangeli-
schen Konfessionen hatte in der Hauptsache aufgehört,
als er zur Regierung kam; die um sich greifende Herr-
schaft des Rationalismus tat das übrige, um die Unter-
schiede der beiden Bekenntnisse verblassen zu lassen.
Auf den reformierten Charakter der Universitäten Frank-
furt und Duisburg hat Friedrich der Große keinen Wert
^) Das Buch von Pariset ^ Uitat et ies ^glises sous Frää^rk-
Gailtaame /'^ en Prasse hat ein stupendes Material mit großem
Fleiße verarbeitet, trifft aber in Urteil und Charakteristik nicht
überall die Punkte, die uns als die richtigen erscheinen.
Otto Hintze,
mehr gelegt; er lieQ durch ein Edikt von 1752 verkünden^
daß lutherische Theologen auch dort ihren Studien ob-
liegen könnten, daß die Zeugnisse lutherischer Professoren
von diesen Universitäten ebensoviel gelten sollten wie
die von Halle und Königsberg,
Hand in Hand mit den konfessionellen Friedens-
bestrebungen geht das Bestreben, die verschiedenen Pro-
vinzen zu einer Landeskirche zu verschmelzen. Der
koniessionelle Partikularismus der einzelnen Landeskirchen
war kein geringeres Hindernis für die Herstellung einer
staatlichen Einheit wie der ständische Partikularismus der
einzelnen Landesverfassungen. Wie eng das orthodoxe
Luthertum mit dem ständischen Sondergeist zusammen-
hing, sieht man namentlich an dem Beispiel von Ost-
preußen. Dort waren anfänglich alle Reformierten von
den Landesämtern ausgeschlossen, und es kostete viel
Mühe, bis der Große Kurfürst es durchsetzte (1663), daß
dieser Bann gebrochen wurde. In Cleve-Mark dominierte,
auch bei den Lutheranern, die reformierte Presbyterial-
und Synodalverfassung, die kaum eine Einwirkung des
landesherrlichen Kirchenregiments zuließ ; sie wurde
auch von den Ständen als ein Palladium betrachtet In
der Kurmark haben die Stände durch den Konfessions-
wechsel Johann Sigismunds doch nur vorübergehend
eine Verstärkung ihres Einflusses auf das Kirchenregiment
gewonnen* In dem Rezeß von 1615 gab ihnen der Kur-
fürst Garantien für die Erhaltung des Bekenntnisstandes,
er verzichtete darauf, in seinen Patronatsstellen mißliebige
Geistliche den Gemeinden aufzuzwingen; nötigenfalls
sollten ein bis zwei Deputierte der Stände zum Konsisto^
rium zugezogen werden — eine Bestimmung, von der
aber in der Praxis, wie es scheint» niemals Gebrauch ge-
macht worden ist. Diese Zugeständnisse hat der Große
Kurfürst in dem abschließenden Rezeß von 1653 einfach
wiederholt. Als er 1660 damit umging, eine neue Kon-
sistorial- und Visitationsordnung zu erlassen^ da hat er
den Entwurf dazu zwar den Ständen zur Kenntnisnahme
vorgelegt, aber zugleich dabei erklärt^ „daß es die Mei-
nung nicht habe, als wenn der Kurfürst hierüber der
Die Epachen des evang. Kirchenreglments in Preußen. 95
Stände Konsens zu erfordern gehalten wäre, weil der-
gleichen Ordnungen auszufertigen fhm, dem Landes-
fürsten, und dem die jura episcopalia allein zuständen,
gebühre.**
Eine Zentralstelle für das Kirchenregiment außer der
Person des Kurfürsten gab es anfangs nicht im branden-
burgisch-preußischen Staat, Der 1604 begründete Ge-
heime Ratf der im Lauf der Zeit zu der Zentralbehörde
des Gesamtstaates geworden ist, war durch seine Stif-
tungsurkunde ausdrücklich von der Betätigung auf geist-
lichem Gebiet ausgeschlossen. Das wurde aber anders
nach dem KonfessionswechseL Zunächst hat Johann
Sigismund versucht, einen Kirchenrat als oberste Kirchen-
behörde dem Geheimen Rat zur Seite zu stellen. Diesem
Kirchenrat, der wohl meist aus Anhängern der refor-
mierten Lehre bestand, wurden alle eigentlichen Kirchen-
regimentssachen beigelegt, so daß dem Konsistorium
eigentlich nur die Ehesacfien blieben. Er fand aber so
viel Widerstand, daß sich der Kurfürst im Jahre 1618
entschloß, ihn aufzulösen. Nun kamen aber wichtige
Angelegenheiten des Kirehenregiments, wie die Bestellung
der Inspektoren und die Besetzung der landesherrlichen
Patronatsstellen, nicht mehr an das Konsistorium zurück,
sondern sie gingen auf den Geheimen Rat über; und es
wurde seitdem üblich, daß die Aufsicht und Leitung des
Kirchen regiments in allen Provinzen vom Kurfürsten
durch besonders damit beauftragte Geheime Räte geführt
wurde* Doch lag der Schwerpunkt der geistlichen Ver-
waltung vorläufig noch in den Konsistorien.
Mit dem Kurfürsten Johann Sigismund war der bran-
denburgische Generalsuperintendent Pelargus, ohne ge-
radezu zum reformierten Bekenntnis überzutreten, doch
einig gewesen in der Betonung der fundamentalen Ein-
heit im Evangelium und in dem Unionsgedanken, sehr
im Gegensatz zu der übrigen Geistlichkeit. Als er starb
(1632), wollte Georg Wilhelm die Stelle anfangs mit einem
reformierten Hofprediger besetzen; aber der lehnte ab,
weil er sich bei der Stimmung der Lutheraner keine gedeih*
Hche Wirksamkeit versprechen konnte. Die Stelle blieb
96
Otto Hintze,
vorläufig unbesetzt; auch das Konsistorium starb allmäh-
lich aus, und eine Weile stockte das ganze Kirchen-
regiment, 1637 wurde das Konsistorium wieder notdürftig
hergestellt, nun aber mit einem reformierten und einem
lutherischen Geistlichen nebeneinander. Das widersprach
vom Standpunkt der Lutheraner, die ja die fundamentale
Einheit der beiden Bekenntnisse nicht zugestehen wollten,
dem Grundgedanken der Konsistorialverfassung, daß das
Kirchenregiment durch Personen des gleichen Glaubens
geführt werden müsse; es blieb aber seitdem dabei, daß
immer ein reformierter Geistlicher Mitglied des lutheri-
schen Konsistoriums war; als unter dem Großen Kur-
fürsten der Präsident Kemnitz wegen seines Festhaltens
an der Konkordienformel abgesetzt wurde, erhielt das
lutherische Konsistorium sogar in Lucius von Rahden
einen reformierten Präsidenten,
Die Bedeutung der Konsistorien trat übrigens seit
Ende des 17. Jahrhunderts schon zurück vor der Zentral-
stelle im Geheimen Rat. Paul v. Fuchs scheint der erste
Minister gewesen zu sein, der die geistlichen Sachen
dauernd im Geheimen Rat bearbeitete. Die Konsistorien
wurden allmählich zu ausführenden Organen ohne selb-
ständige Bedeutung. Im Geheimen Rat entwickelte sich
ein ständiges Dezernat für die geistliehen Sachen, aus
dem unter Friedrich dem Großen ein besonderes Departe-
ment der geistlichen Angelegenheiten geworden ist^ das
gewöhnlich mit zwei Ministern, einem lutherischen und
einem reformierten, besetzt war. Diese Bildung hat aber
zu keiner dauernden Absonderung der geistlichen Ange-
legenheiten aus dem Geheimen Rat geführt, wie sie für
die auswärtigen Angelegenheiten in dem sog, Kabinetts-
ministerium und für die innere und Finanzverwaltung in
dem sog* Generaldirektorium sich vollzogen hat. Die
geistlichen Angelegenheiten blieben immer in enger Ver-
bindung mit der Justizverwaltung; ein besonderes Kultus-
ministerium hat sich im IS, Jahrhundert nicht aus dem
Geheimen Rat herausgelöst; die Justiz- und geistlichen
Minister bildeten ein einheitliches Kollegium, als Rumpf
des alten Geheimen Rats. Unter Friedrich dem Großen
Die Epochen des evang. Kirchenregiments in Preußen. 97
fühlte man nun aber doch das Bedürfnis, neben dieser
Zentralstelle im Geheimen Rat eine besondere oberste
Kirchenbehörde über den lutherischen Konsistorien der
Provinzen zu haben. Der Geschäftskreis der Konsistorien
war zwar dadurch erheblich eingeschränkt worden, daß
ihnen bei der Coccejischen Justizreform im Jahre 1748 die
(bereits sehr beschnittene) geistliche Gerichtsbarkeit ent-
zogen worden war, aber die Verstärkung der administra-
tiven Tätigkeit im Kirchenwesen und die Verringerung
der Selbständigkeit der Konsistorien hatte doch eine
starke Überlastung der Zentralstelle herbeigeführt, so daß
man die Notwendigkeit einer obersten Spezialbehörde
für die Verwaltung der. lutherischen Kirche empfand,
eines Oberkonsistoriums, wie es in Sachsen damals schon
bestand. Zu einem solchen Oberkonsistorium ist im
Jahre 1750 das Berliner Konsistorium ausgestaltet wor-
den.^) Es sollte zugleich die Geschäfte eines kurmärki-
schen Provinzialkonsistoriums und einer allgemeinen
obersten Aufsichtsbehörde führen. Es stand neben dem
geistlichen Departement des Geheimen Rates nicht wie
heute der Evangelische Oberkirchenrat neben dem Kultus-
ministerium, sondern es war gewissermaßen nur ein sub-
delegiertes Kollegium, ein technisches Hilfsorgan des
geistlichen Departements; der dirigierende Minister im
geistlichen Departement wurde auch der Chefpräsident
des Oberkonsistoriums, in dem übrigens der reformierte
Geistliche nicht fehlte. Das Interessanteste an dieser
neuen Behörde ist die Tatsache, daß in ihr die nunmehr
ganz in der Stille, lediglich durch die Praxis der kirch-
lichen Verwaltung hergestellte Einheit der lutherischen
Landeskirche in den verschiedenen Provinzen des preußi-
schen Staates einen greifbaren Ausdruck fand. Nur
Schlesien und Cleve-Mark waren von der Wirksamkeit
dieses Oberkonsistoriums ausgeschlossen. Die schlesi-
schen Konsistorien standen unter einem besonderen geist-
lichen Minister, und die lutherischen Kirchen in Cleve-
^) Materialien dafür in Acta Borussica, Behördenorganisation
Bd. 7, 8 u. 9.
Hittoritche ZeitMhrilt (97. Bd.) 3. Folge 1. Bd. 7
Otto Htnlze,
Mark scheint man sich selbst überlassen 2u haben. Das
unilormierende Kirchenregiment des 18* Jahrhunderts hat
hier seine Wirkungen jedenfalls nicht in dem Maße ge-
übt wie in den übrigen Provinzen. In Cleve-Mark blieb
die Presbyterial- und Synodalverlassung erhalten; und
daß in Schlesien das konfessionelle, lutheranische Ele-
ment eine größere Widerstandsfähigkeit bewahrte, als in
den neuen Provinzen ^ zeigt die unionsleindliche Bewe-
gung des 19. Jahrhunderts.
Neben dem lutherischen Oberkonsistorium bestand
— im wesentlichen auch nur für die mittleren und öst-
lichen Provinzen — ein besonderes reformiertes Kirchen-
direktorium, dem die deutschen Reformierten unterstan-
den, seit 1715, und ein französisches Oberkonsistorium,
das die Aufsicht über die von den Refugi^s begründeten
Kirchen führte. Die Presbyterial- und Synodalverfassung
war hier bei der Einfügung in das monarchische Kirchen-
regiment stark beschränkt worden, namentlich bei den
Franzosen. Die Synoden waren dort ganz fortgefallen,
und infolgedessen verkümmerte auch das Gemeindeleben
allmählich. Ahnlich war es auch bei den deutschen refor-
mierten Gemeinden, obwohl hier die synodalen Einrich-
tungen nicht gänzlich abgekommen sind. So lebendig
wie im Westen sind also die reformierten Kircheneinrich-
tungen hier im Zentrum der Wirksamkeit des monarchi-
schen Kirchenregiments nicht erhalten geblieben. Für
die organisierte Verbindung von Konsistorial- und Synodal-
vertassung hatte man damals gar keinen Sinn,
Charakteristisch für den preußischen Militärstaat war
es, daß neben der lutherischen Zivil-Landeskirche noch
eine besondere Militärkirche mit eigener Verfassung
bestand, der alle Militärpersonen lutherischen Bekennt-
nisses unterstanden (bis 1811). An ihrer Spitze stand
ein Kriegskonsistorium; in dem die maßgebende Persön-
lichkeit der Peldpropst war, der ganz allein die Exami-
nierung, Ordination und Einsetzung der Feldprediger be-
sorgte. Das auf dem Gebiet der Staatsverwaltung einge-
führte Zivilversorgungssystem fand auch auf kirchlichem
Gebiet Anwendung, und die Denkschriften, die bei Gelegen-
4
Die Epochen des evang. Kirchenregiments in Preußen. 99
heit der Begründung des Oberkonsistoriums von hohen
Geistlichen, vor allem dem Propst Süßmilch ^)y eingereicht
wurden, schildern dies System als ein sehr verhängnis-
volles. Die Feldprediger waren in diesen Kreisen wenig
beliebt; man warf ihnen Mangel an religiösem Ernst und
weltliches Wesen vor. Sollte es einem von ihnen doch
einmal eingekommen sein, daß er eine Taufe im Namen
des Königs vollziehen wollte! Wer aber fünf Jahre als Feld-
prediger gedient hatte, erwarb damit einen Anspruch auf
eine königliche Patronatspfarre, und die Inhaber dieser
königlichen Stellen waren in der Regel auch die, aus
aus deren Kreisen man die geistlichen Inspektoren nahm.
So war der Feldpropst eigentlich der Mann, der das
höhere kirchliche Personal in der Hand hatte; er stand
dabei außer aller Verbindung mit den Organen der Lan-
deskirche und genoß in der Regel wenig Vertrauen bei
ihnen. Die schlimmsten Schäden der Kirche wurden auf
dies System zurückgeführt.
Dem Gebote der Staatsräson mußte sich auch die
Kirche fügen. Friedrich Wilhelm I. sah es als einen
charakteristischen Unterschied der evangelischen Länder
gegenüber den katholischen an, daß sie ihre Geistlich-
keit besser im Zaume halten könnten. „Beim Papsttum
— erklärt er einmal — haben die Pfaffen alles zu sagen ^ ;
in seinem Lande aber war er dafür, daß man die Prediger
„kurz halten müsse^, damit sie sich nicht in weltliche
Affären mischen könnten: „denn die Herren Geistliche
gerne Päpste in unserm Glauben agieren wollten.** Die
Konsistorien und alle anderen evangelischen Kirchen-
behörden sollten darauf achten, daß in keiner Predigt
etwas gegen die landesherrliche Autorität gesagt werde:
„wofern ein Prediger direkte oder indirekte was gegen
die Regierungsart predigen sollte,^ soll er kassiert werden;
die Fiskale sollen wohl acht darauf haben. Der Punkt
wird in der Regierungsinstruktion von 1722 dem Nach-
folger als „einer von den importanten^ eingeschärft.')
<) Es ist der bekannte Begründer der Bevölkerungsstatistik.
*) Ada Borussiea, Behördenorganisation 3, 457 f.
7*
(00
Otto Hmlze,
König Fnedrich sah in seitiem religiösen Indifferen*
tisinus die Kirche überhaupt nur unter dem Gesichtspunkt
der Staatsräson an. Er pflegte die Toleranz nicht bloß,
weil sie seinen philosophischen Überzeugungen entsprach,
sondern auch, weil sie ein Mittel war, gewerbfleißige und
kapitalkräftige Ausländer zur Ansiedlung in seinem Staate
zu veranlassen. Dabei hat er doch den protestantischen
Charakter des Staates keineswegs verleugnet; von Parität
zwischen Protestanten und Katholiken war keine Rede.
In Niederschlesien wurde darauf gehalten^ daß die maß-
gebenden Personen in den Stadtverwaltungen Protestan-
ten sein mußten^ und bei der Erneuerung der Instruk*
tion für das Generaldirektorium (1748) hielt man an der
Forderung „protestantischer Religion" für alle Minister
und vortragenden Räte fest* Der Protestantismus war
eben zugleich ein politisches Prinzip. Sonst hat sich der
König um das evangelische Kirchenregiment persönlich
nicht allzuviel gekümmert* Er ließ dem geistlichen De*
partement und den Konsistorien im allgemeinen freie
Hand; nur durlten sie sich nicht einfallen lassen, die
Zirkel seiner Politik zu stören; sonst gab es wohl Mar-
ginalien, die mit dem Satze begannen: ^Das Konsistorium
seind Esels — ." Die Geistlichen wurden immer mehr
als Staatsbeamte angesehen und behandelt. Sie mußten
die Populationslisten fuhren, Maulbeerbäume pflanzen
und von der Kanzel herab die polizeilichen Verordnungen
verkündigen. Nicht nur der Inhalt, auch die Dauer der
Predigten wurde kontrolliert. Die Kirche wurde mehr
und mehr dem Staatsorganismus einverleibt; sie wurde
zu einem nützlichen Instrument zur Beförderung von Ge-
sittung und Wohlfahrt; das innere religiöse Leben aber
verflachte mehr und mehr oder es zog sich in die Seelen
der Einzelnen zurück, die als Stille im Lande lebten.
Das Kirchenregiment war zweifellos eine der schwäch-
sten Seiten des preußischen Militärstaats; was wir aus
den Denkschriften des Propstes Süßmilch darüber er-
fahren, gibt ein ziemlich trübes Bild : schlechte Pastoren
haufenweis, unfähige Kandidaten^ feine und grobe Simonie^
viele Patronate^ namentlich in den Städten, in schlechten
4
i
I
Die Epochen des evang. Kirchenregiments in Preußen. 101
Händen. Die Theologen — meint Süßmilch — studieren
kaum noch zwei Jahre auf der Universität ; sie üben sich
hauptsächlich nur im Predigen, und wissen wohl, daß es
ihnen trotz ihrer Unwissenheit doch nicht an Wegen fehlen
wird, in Amt und Brot zu kommen. In 5^2 Jahren hat
er bei den Prüfungen kaum sechs recht geschickte Kan-
didaten gefunden. „Will man einen abweisen, so erregt
man eine Hölle. Vor 14 Tagen habe ich es getan, daß
ich einen zurückgewiesen. Da die Dukaten nicht fruchten
wollen, die er meiner Frauen insinuieren lassen, aber auch
gleich zurücknehmen müssen, so erwarte nun noch einen
Sturm: er hat einen Unteroffizier in Halle zum Bruder;
ich zweifle nicht, daß er sich dessen bedienen werde.
Vor P/a Jahren ward ein recht großer Stümper unter
einem Revers, sich nach einem Jahre wieder zum examine
zu stellen, durchgelassen, weil sein Bruder Unteroffizier
bei der Garde, daher sich ein vornehmer General mit
Nachdruck seiner annahm. Dieser elende Mensch be-
kümmerte sich jetzt schon um die besten Pfarren." Be-
sonders scharf urteilt Süßmilch über die Ausübung des
Patronatsrechts durch die Stadtmagistrate. „Selbige be-
stehen an vielen Orten aus schlechten Leuten, gewesenen
Schreibern und Lakaien. Die, so noch studiert haben sollen,
haben auf der Universität mehrenteils nur Wein, Bier,
Tabak und Huren kennen lernen und den vorher ge-
habten Mutterwitz versoffen etc. Ein solch Amalgama,
das aus Unwissenheit, ja aus Dummheit und lasterhaften
Neigungen und Leidenschaften zusammengesetzt, exer-
ziert eines der wichtigsten Amter des Landes. Das Heft
und Ruder von einer Sache, die man als die Pflanzschule
eines Staates ansehen muß, ist in ihren Händen. Sie
regieren Schulen und Kirchen und besetzen sie nach
Willkür. Es ist genug, daß einer eines stolzvollen Rat-
mannes Sohn sei, so verschluckt er Stipendia, studiert
elendiglich und kommt durch Hilfe deren Herren Patronen
ins Amt." Aber das Übelste bleibt für ihn, daß der Feld-
propst Decker, den er einmal einen „jungen, ausschwei-
fenden Menschen" nennt, alle Feldpredigerstellen und
damit indirekt alle Inspektorate besetzt. „Was hilft's, wenn
102
Otto Hintze,
das Haupttor gegen alle Ignoranten und Sceleraten ver-
schlossen gehalten wird, und es können durch dies Neben-
pförtchen selbige für ein Dutzend Dukaten einkommen?"
immer wieder kommt er auf diese „hierarchia Deckeriana^
zurück, „Bleibt die bestehen, so sehe ich das übrige
ganze Gebäude als unbeständig und vergeblich an. Die
Kirchen und Schulen können nicht mit guten Leuten ver-
sorgt werden. Das Oberkonsistorium würde die schlechten
Pfarren, Decker aber die besten zu besetzen haben. Und
es ist der Einfluß hiervon in den Fleiß und Wandel der
Kandidaten groß und deutlich."
Vielleicht hat Süßmitch^ der etwas stark aufzutragen
liebt und dem, was ,,Pama spricht", sehr bereitwillig das
Ohr leiht, dem Feldpropst unrecht getan. Das „audiatur
altera pars" kann der Historiker leider nicht immer ver-
wirklichen. Jedenfalls aber hat Cocceji, der anderswo
einmal in seinen Marginalien zu der Denkschrift einem
mißgünstigen Personalurteil Süßmilchs energisch entgegen-
tritt, für Decker kein Wort der Verteidigung gefunden;
er bemerkt kurz und trocken am Rande: „In des Feld-
propst Departement kann ich mich nicht melieren. Der
Herr Propst müssen sich dieserwegen immediate an Seine
Königliche Majestät wenden." Das hat nun Süßmilch wohl-
weislich unterlassen, und die Dinge blieben wie sie waren.
Der Verfall des kirchlichen Lebens, wie er beim Tode
Friedrichs des Großen vor Augen lag, schien seinem Nach-
folger oder dessen Beratern hauptsächlich eine Folge der
unkirchlichen Leitung des Kirchenregiments zu sein. Eine
begreifliche Reaktion dagegen stellt das Wöllnersche Reli-
gionsedikt von 1788 dar. Man kann von diesem Gesetz
sagen, daß es besser ist als sein Ruf. Es ist in seinem
ersten Teil ein Toleranzedikt, das — zum erstenmal in
gesetzlicher Form — die individuelle Gewissensfreiheit
und die Religionsfreiheit aller Konfessionen und geduldeten
Sekten sicherstellt; in seinem zweiten Teil enthält es
Vorschriften zu einer konfessionellen Bindung der Geist-
lichkeit, die zwar an sich nicht unberechtigt waren, die
aber als bloßes obrigkeitliches Gebot und wegen ihrer
dogmatischen Engherzigkeit zu einer Besserung des kirch-
I
I
I
I
■
I
Die Epochen des evang. Kirchenregiments in Preußen. 103
liehen Lebens nicht fuhren konnten. Das Schlimmste war
dabei der Mangel eines sittlich-religiösen Ernstes in den
obersten Regionen, der die Maßregel allein hätte legiti-
mieren können, und daneben die kleinliche, gehässige Art
der Ausführung durch die zu diesem Zweck besonders ge-
bildete Ober-Examinationskommission. Diese Einrichtung
ist denn auch mit dem Regierungsantritt Friedrich Wil-
helms III. wieder gefallen, während das Edikt selbst nicht
förmlich aufgehoben worden ist. Es hinderte nun aber
weiterhin nicht, daß der alte, human-aufgeklärte, rationa-
listische Geist wieder seinen Einzug in die Kirche hielt,
oder vielmehr seine alte Herrschaft behauptete. Es lag
eben nicht bloß an der Regierung; der ganze Geist der
Zeit war dem kirchlichen Leben nicht günstig. An dem
staatskirchlichen Charakter der Verfassung aber ist durch
diese ganze Episode nicht das mindeste geändert worden.
IIL
Die Vollendung der Landeskirche und dieEin-
führung einer freieren Verfassung. (Presby-
terial- und Synodalverfassung.)
Es war eine Folge der engen Verflechtung von Staat
und Kirche, daß bei der Katastrophe von 1806 auch der
ganze Bau der kirchlichen Verwaltung zusammenbrach.
Der Geist der Staatskirche aber blieb lebendig, und bei
dem Neubau der Verwaltung im Jahre 1808 fand nun
vollends eine Verstaatlichung der Kirche statt, wie sie
radikaler kaum zu denken war. Der ganze Apparat der
Konsistorien und der kirchlichen Oberbehörden wurde
beseitigt. An die Stelle traten in der Provinzialinstanz
die Kirchen- und Schulabteilungen der neu begründeten
Regierungen und in der Zentraünstanz die Kultusabteilung
des Ministeriums des Innern. Diese neuen Behörden
waren für alle Konfessionen gleichmäßig zuständig. Sie
wurden auch die Organe des niemals aufgegebenen landes-
herrlichen Kirchenregiments für die evangelischen Kirchen.
Es war der Höhepunkt des Staatskirchentums : die Kirche
war damit völlig im Staate aufgegangen und seiner Glie-
im
Otto Hintze,
derung eingefügt, während der Staat sein konfessionelles
Gepräge längst verloren hatte.
Aber es war zugleich der Anfang zur Umkehr* In
Steins politischem Testament, das in eben diesen Tagen
geschrieben wurde, wird auch die Forderung erhoben, daß
der religiöse Sinn im Volke wieder belebt werden müsse.
Daß dies nicht durch bureaukratische Reglements allein
bewirkt werden könne, war klar. Im kirchlichen Leben
mußte etwas Ahnliches eintreten wie das, was Stein und
seine Mitarbeiter im politischen Leben durch die Städte-
ordnung und die Pläne zur Herstellung einer Selbst-
verwaltung zu erreichen gedachten* Aus den Gemeinden
heraus mußte die Erneuerung des kirchlichen und reli-
giösen Lebens erfolgen.
Niemand hat diesen Gedanken damals mit größerem
Eifer und Verständnis erfaßt als Schleiermacher, der relor*
mierte Prediger an der Dreifaltigkeitskirche. Sein Ideal
war eigentlich eine ganz freie j vom Staate losgelöste
Kirche wie in Amerika; das Sekten wesen hätte er als
alter Herrnhuter dabei gern mit in den Kauf genommen.
In seinen praktischen Reformvorschlägen ist er freilich
sehr viel maßvoller gewesen^ namentlich zu Anfang.^)
Aber so lange der Krieg währte, ist es zu entscheidenden
Schritten auf dem Gebiete der Neuordnung der Kirchen-
verfassung überhaupt noch nicht gekommen» Nach dem
Friedensschluß, im Juni 1814, traten dann auf Anregung
der Potsdamer Regierung 22 Superintendanten der Kur-
mark in Berlin zusammen, um über die künftige Ver-
fassung der Kirche ihre Gedanken auszutauschen. Sie
trafen in dem Verlangen nach einer freien Synodalver-
fassung zusammen und richteten eine Petition an den
König j eine Kommission niederzusetzen, die über die
') Vgl Dilthey, Das Leben Scbleiermachers, Berlin 1870, und
in der A, D, B* 31, 422 ff, Dove, Über Synoden in der evangelischen
Landeskirche Preußens, in Doves Zeitschrifl für Kirchenrecht 2,
laiff; 4, 131 (f. Dazu für das Folgende überhaupt: Treitschke,
Deutsche Geschichte !, 205 f.; 2, 23"* fL Erich Förster, Die Ent-
stehung der preußischen Landeskirche unter der Regierung König
Friedrich Wilhelms III. nach den Quellen erzählt Bd. I, Tübingen 1905.
I
I
I
Die Epochen des evang. Kirchenregiments in Preußen. 105
Neuordnung der Kirchenverfassung beraten sollte. Der
König willfahrte diesem Wunsche, aber er wies der Kom-
mission als Hauptaufgabe die Ausarbeitung einer ver-
besserten Liturgie zu; nur nebenbei, nicht ohne Einwir-
kung Schleiermachers, beschäftigte sie sich auch mit dem
Verfassungswerk, das nach Schleiermachers Auffassung
die Grundlage für die liturgischen und alle sonstigen
Veränderungen sein mußte. Die Vorschläge, die diese
großenteils aus Hofpredigern gebildete Kommission hin-
sichtlich der Verfassung machte, 1816, befriedigten Schleier-
macher und seine Freunde nicht. Sie liefen auf eine Ver-
bindung der Konsistorialverfassung mit Elementen der
Presbyterial- und Synodalverfassung hinaus, doch unter
Wahrung eines rein geistlichen Charakters der Synode
und eines ganz unzweifelhaften Obergewichts des landes-
herrlichen Kirchenregiments und seiner Organe. Man
wollte auf dem Gebiet der Kirchenverfassung in ähnlich
vorsichtiger Weise vorgehen wie bei dem ständischen Ver-
fassungswerk, das man damals plante, während Schleier-
macher und seine Freunde geneigt waren, das Werk der
kirchlichen Reorganisation mit dem Bestreben nach einer
konstitutionellen Verfassung in innerliche Verbindung zu
bringen. Daran ist der ganze Versuch gescheitert. Die
Kirchenverfassungsbestrebungen teilten das Schicksal der
staatlichen Verfassungsentwürfe. Der König nahm die
Vorschläge der Kommission an und befahl zunächst die
Wiederbelebung der Kreissynoden, dann im Jahre 1819
die Zusammenberufung von Provinzialsynoden, zu denen
in der Hauptsache aber nur die Superintendenten zu-
sammentraten. Die brandenburgische Provinzialsynode,
zu der auch Schleiermacher mit eingeladen war, faßte
nun aber sehr radikale Beschlüsse : man wollte die Kirchen-
verfassung von unten her aufbauen; an die Stelle der
Konsistorien sollten Ausschüsse der Provinzialsynode
treten; an die Stelle dei Ministerialinstanz ein Ausschuß
der Generalsynode. Das landesherrliche Kirchenregiment
wäre dabei zu einem bloßen Schatten geworden. Für
Friedrich Wilhelm III. waren diese Beschlüsse unannehm-
bar. Von diesem Moment an stockte das kirchüche Ver-:
106
Otto Hintze,
iassungswerk« Der Sy nodal apparat^ den man probeweise
in Bewegung gesetzt hatte, versctiwand wieder* Die Reor-
ganisation der Kirchenverwaltung beschränkte sich schließ-
lich aul die Wiederherstellung von Konsistorien im Jahre
18)5 und auf die Begründung eines besonderen Kultus-
ministeriums im Jahre 18!7. Die Konsistorien aber waren
damals durchaus nicht das, was sie früher gewesen waren
und was sie heute wieder sind. Sie mußten die Befug*
nisse der Kirchenverwaltung noch mit den Regierungen
teilen nach dem doktrinären, unklaren und praktisch un-
brauchbaren Gesichtspunkt der äußeren und inneren An-
gelegenheiten. Den Regierungen fiel dabei alles wirklich
Wichtige zu, wie die Stellenbesetzung, die Ordination und
Einführung der Geistlichen, die Amtsdisziplin und all-
gemeine Aufsicht, während die Konsistorien gewisser-
maßen nur wissenschaftlich-religiöse Deputationen waren^
zur Mitwirkung bei den Prüfungen und sonst in den
spezifisch theologischen Materien. Außerdem waren diese
Konsistorien noch keine rein evangelischen Kirchen-
behörden, sondern hatten auch mit den katholischen
Kirchensachen und mit denen der Sekten und Juden zu
tun. Die nichtevangelischen Geschäfte sind ihnen erst
1825 abgenommen und dem Oberpräsidenten übertragen
worden; aber das Verhältnis zu den Regierungen blieb
bestehen bis 1845, 1829 ist übrigens auch das Amt des
Generalsuperintendenten, das seit 1632 geruht hatte, wieder
hergestellt worden; der Generalsuperintendent wurde nun
der persönliche Mittelpunkt für die Geistlichkeit der Pro-
vinz; er übernahm die Ordinationen, die Einrichtung
neuer Kirchen, machte Visitationsreisen und hatte Sitz
und Stimme in den geistlichen Regierungsabteilungen
wie in den Konsistorien* Eine Anzahl von Generalsuper-
intendenten haben damals den bischöflichen Titel gelührt,
einer von ihnen, der Ostpreuße Borowski in Königsberg,
später sogar den eines Erzbischofs*
Neben den Verfassungsplänen und unabhängig da-
von hatte König Friedrich Wilhelm seine beiden kirch-
lichen Lieblingspläne inzwischen ins Werk gesetzt, die
Union und die neue Agende. Die Union war im wesent-
I
Die Epochen des evang. Kirchenregiments in Preußen. 107
liehen nur als eine Kultus- und Sakramentsgemeinschaft
gedacht, nicht als eine Vereinigung der Lehren in einer
Bekenntnisformel wie früher; der König ging dabei voran^
wie einst Joachim II. bei der Reformation, und sprach
die Hoffnung aus, daß die Gemeinden ihm folgen wür-
den. Die Berliner Kreissynode unter Schleiermachers
Vorsitz, konfessionell gemischt, wie damals die Syno-
den waren, war eine der ersten, die ihren Beitritt zur
Union erklärte, und es ist bekannt, wie dann allmählich
fast das ganze Land folgte, namentlich seit dem neuen
Impuls von 1830. Es war die Vollendung der im
18. Jahrhundert angebahnten evangelischen Landeskirche
in Preußen. Anders aber verhielt es sich mit der Auf-
nahme der Agende. Der König nahm kraft seines lan-
desherrlichen Kirchenregiments ein jus Uturgicum in
Anspruch, das im Lande keine allgemeine Anerkennung
fand; er interessierte sich persönlich auf das lebhafteste
für die Agende, er hat sogar eine gedruckte Schrift
darüber veröffentlicht. Aber die Verbitterung, die nach
dem Scheitern des Verfassungswerkes zurückgeblieben
war, drängte alle Freunde einer freien Verfassung der
Kirche auf die Seite der Gegner; auch Schleiermacher
war unter ihnen ; er hat amtliche Gegenvorstellungen gegen
die Agende mitunterzeichnet und hat eine kühne Kritik
an der Schrift des Königs geübt, obwohl ihm der ano-
nyme Verfasser nicht unbekannt war. Treitschke erzählt,
der Ministerialdirektor Kamptz habe auf seine Absetzung
gedrängt, der Minister Altenstein sei einmal nahe daran
gewesen, dem nachzugeben, nur der König habe es ge-
hindert.
Altenstein repräsentierte noch ganz die alte staats-
kirchliche Auffassung. Als aufgeklärtes Weltkind hatte er
kein Verständnis für die Bewegungen, die auf die Her-
stellung größerer kirchlicher Freiheit ausgingen. Und
der König hat trotz seiner edlen, echt evangelischen
Frömmigkeit doch mit großer Zähigkeit festgehalten an
der Autorität seiner Stellung als Oberhaupt der Kirche.
Es kam noch zu manchen häßlichen Vorfällen, bis der
Agendenstreit sich beruhigte; und dann trat die Oppo-
106
Otto Hlntze,
sition der schlesischen Altlutheraner gegen die Union
hervor, die ebenfalls zu sehr bedenklichen und beklagens-
werten Maßregeln geführt hat Szenen wie die zu Höni-
gern bei Namslau, wo mit militärischer Gewalt die Kirche
der Lutheraner erbrochen, der Pfarrer vom Altar weg-
geschleppt und der Bevölkerung zur Strafe eine Einquar-
tierung von 500 Mann auferlegt wurde» zeigten doch, daß
man mit dem alten absolutistischen Kirchenregiment nicht
auf der richtigen Bahn war. Und während Hengstenbergs
Kirchenzeitung (seit 1827) die unbedingte Autorität in
Staat und Kirche verfocht, bestärkte sich in den freieren
Köpfen die Überzeugung, daß evangelische Freiheit nur
noch möglich sei bei einer gründlichen Reform der
Kirchen Verfassung,
Diese Oberzeugung vertrat auch Friedrich Wilhelm IV,
in seiner Weise.^) Schon als Kronprinz war er für die
schlesischen Lutheraner eingetreten; für die, welche nicht
ausgewandert waren, hat er 1845 die Generalkonzession
erlassen. Sein Ideal war eine Kirche, die nur aus wirk*
lieh Gläubigen bestehen sollte; außer der Kirche sollte
volle Gewissensfreiheit walten, aber in der kirchlichen
Gemeinschaft selbst wollte er die ungläubigen Elemente^
zu denen natürlich auch die Hallischen Rationalisten,
die „Lichtfreunde", gehörten, nicht dulden. Das landes-
herrliche Kirchenregiment betrachtete er mit Mißtrauen;
er hat einmal den Summepiskopat „eine bedenkliche
Kreatur" genannt. Er sehnte sich danach, wie er sagte,
die Kirchengewatt in die „rechten Hände" zurückzugeben;
was er darunter verstand, hat er in einem seiner Briefe
an Bunsen^) ausgesprochen- Er wollte zu der Verfassung
der christlichen Urkirche zurückkehren: er dachte sich das
Kirchenregiment in den Händen einer großen Anzahl
von Bischöfen, die nicht bloß Leitungsbefugnisse haben,
sondern auch selbst Seelsorge ausüben sollten, entspre-
') E, Fnedberg, Die Grundlagen der prcußlsclien Kirchen-
Politik unter König Friedrich Wiilielm IV, Leipzig 1882, — Treitschke,
D. G, 5, 349 H.
■) Ranke, Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit
Bunsen S. 47 ff.
Die Epochen des evang. Kirchenregiments in Preußen. 109
chend etwa den preußischen Superintendenten, also etwa
350 an der Zahl. Sie sollten durch Handauflegung die
apostolische Weihe empfangen von englischen oder
schwedischen Bischöfen, und sie in derselben Weise fort-
pflanzen. Unter ihnen sollten an der Spitze der Ge-
meinde Presbyterien stehen, zusammengesetzt aus
Geistlichen und Laien, die aber nicht als gewählte Ver-
treter der Gemeinde, sondern als bestellte Kirchendiener
anzusehen sein sollten, ferner Diakonen für Altardienst
und Armenpflege. Ober ihnen, an der Spitze der Pro-
vinzen oder vielmehr besonderer Sprengel, zehn Metro-
politane mit Kapiteln, die an die Stelle der Konsistorien
treten sollten; als erster von ihnen, zugleich als evan-
gelischer Primas Germaniae, der Erzbischof von Magde-
burg, dessen Kapitel an die Stelle des Kultusministeriums
treten sollte. Damit sollte eine Synodalverfassung ver-
bunden sein, aber ohne modern-repräsentativen Cha-
rakter. Der Landesherr endlich war als der Advooatus
ecclesiae gedacht, der die Beschlüsse der Landessynode
bestätigt.
Es war ein Phantasiegebilde, das keine Aussicht auf
Verwirklichung hatte. Friedrich Wilhelm IV. hat es später
selbst einen seiner Sommernachtsträume genannt. Der
Kultusminister Eichhorn schlug andere Wege ein, ähnliche
wie man sie 1815 versucht hatte; und der König folgte, aber
von Anfang an nur mit halbem Herzen. 1841 wurden die
Kreissynoden wiederhergestellt, 1844 die Provinzialsynoden
berufen. 1845 fand eine grundlegende Veränderung in
der Abgrenzung der Befugnisse von Regierung und Kon-
sistorien statt, die als eine Rückkehr zu den alten Ge-
danken der Konsistorialverfassung bezeichnet werden
kann. Noch nicht die Gesamtheit, aber der Hauptteil der
kirchlichen Verwaltung wurde nun wieder den geistlichen
Behörden, den Konsistorien, übertragen ; die Regierungen
behielten nur eine Reihe festumschriebener Befugnisse,
in Dingen, bei denen die Mitwirkung der weltlichen Be-
hörde wünschenswert erschien. Zugleich erhielten die
Konsistorien besondere Präsidenten und eine angesehenere
Stellung in dem Verwaltungsorganismus; das höhere
110
Otto Hintue,
Schulwesen, das früher mit ihnen verbunden war, wurde
abgetrennt und den Provinzialschulkollegien überwiesen*
Den Abschluß und die Krönung des ganzen Werkes aber
sollte eine Generalsynode bringen. Diese ausgezeichnete
Kirchenversammlung, die 1846 in Berlin zusammentrat,
hat viele bedeutende Geister und große organisatorische
Talente in sich vereinigt,^) Vielleicht der bedeutendste
darunter war Karl Immanuel Nitzsch, der Bonner Pro-
lessor, gleich ausgezeichnet als Gelehrter und als prak-
tischer Theologe*^) Er hat hier mit Bethmann-Hollweg*)
und andern zusammen den Gedanken vertreten, die
Kirchenverfassung auf eine organische Verbindung des
Konsistorialprinzips mit dem Presbyterial- und Synodal-
prinzip zu begründen. Nitzsch war ein Lutheraner, aus
dem verrufenen Wittenberg, wo sein Vater in sächsischer
Zeit das Haupt des Konsistoriums gewesen war. Aber
schon der Vater hatte dasselbe Prinzip der Kirchenver-
fassung vertreten, im Gegensatz zu der brandenburgi-
schen Provinzialsynode von 1819, die die Konsistorial-
verfassung ganz in die Synodalverfassung hatte auflösen
wollen. Diese Anschauungen haben offenbar auch den
Sohn beeinflußt; aber erst die Erfahrung in den Rhein-
landen hatte ihm einen lebendigen Eindruck von der Be-
deutung der Gemeinde- und Synodalveriassung gegeben.
Die rheinisch*westfälische Kirchenordnung von 1835
hatte für die Kirchen dieser westlichen Gebiete, die im
18. Jahrhundert so ziemlich sich selbst überlassen gewesen
waren, endlich eine organische Verbindung gebracht zwi-
schen der auf der Gemeinde sich aufbauenden Verfassung
und dem landesherriichen Kirchenregiment Auch Beth-
mann-Hollweg hatte dieses Beispiel in Bonn auf sich
wirken lassen, das nun jetzt für die Kirche der östlichen
Provinzen fruchtbar gemacht werden sollte. Der Entwurf,
den Nitzsch, Bethmann-Hollweg und Landf ermann ausge-
^) E. Richter, Die Verhandlungen der preußischen Geaerat-
synode (1847).
*) W. ßeyschlagj K. J. Nitzsch. Eine üchtgestalt aus der
Geschichte der evangelischen Kirche,
•) Wach in der A. D. B. 12, 762 ff.
I
I
Die Epochen des evang. Kirchenregiments in Preußen. 111
arbeitet hatten, fand auch die Mehrheit der Generalsynode.
Er beruhte in allen wesentlichen Stücken auf denselben
Grundgedanken, die durch die Gesetzgebung von 1873
die Grundlage der evangelischen Landeskirche der öst-
lichen Provinzen geworden sind. Aber — in diesem
Moment, wo das Ziel erreicht schien, versagte sich
der König. Er hatte die rheinisch-westfälische Kirchen-
verfassung nie recht leiden mögen. Und auch dieser
Entwurf hatte ihm zu viel Ähnlichkeit mit einer modernen
Repräsentatiwerfassung. Wiederum scheiterte also der
Versuch einer Reform der Kirchenverfassung wegen der
innerlichen Verflechtung mit dem politischen Verfassungs-
gedanken. Der konstitutionelle Staat mußte erst zum
Durchbruch gelangt sein, ehe eine freiere Kirchenverfas-
sung möglich wurde. Friedrich Wilhelm IV., so sehr er
sich danach gesehnt hatte, das Kirchenregiment in die
rechten Hände zurückzugeben, war doch viel zu auto-
kratisch, als daß er sich im Ernst dieser Gewalt hätte
entäußern mögen. Nur ein Stück aus den Vorschlägen
der Generalsynode wurde von ihm angenommen und zur
Ausführung gebracht: das evangelische Oberkonsistorium
als höchste Behörde der evangelischen Landeskirche. Es
sollte neben dem Kultusministerium die eigentliche kirch-
liche Verwaltung führen. 1848 wurde es gebildet, Nitzsch
trat selbst als Propst zu Berlin in die neue Behörde ein.
Aber sie ist zu keiner praktischen Wirksamkeit gelangt.
Bald nach der ersten Sitzung ist sie infolge der März-
revolution wieder beseitigt worden.
Denn nun, in der Revolution, brach die liberale For-
derung der Trennung von Staat und Kirche überall un-
aufhaltsam hervor. Man verstand darunter ein ähnliches
System wie in Belgien, das, was man wohl „die freie
Kirche im freien Staat** nannte, d. h. Abschaffung des
landesherrlichen Kirchenregiments und der staatlichen
Kirchenaufsicht überhaupt, volle Selbständigkeit und
Selbstregierung der Kirche, mit dem Recht, sich selbst eine
Organisation zu geben, aber Beibehaltung des Kultus-
budgets und der mannigfachen Unterstützungen, die die
geistliche Autorität seitens der Staatsgewalt bedurfte. Das
112
Otto Hintze,
wurde gefordert in der kirchlichen wie in der politischen
Presse, in Pastoren konlerenzen wie in Volksversamm-
lungen, in der Paulskirche zu Frankfurt wie in dem
Berliner Abgeordnetenhause. Die oktroyierte Verfassung
von 1848 und ebenso die revidierte von 1850 hat diesen
Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche ausge-
sprochen. Artikel 12 der Verfassung von 1848 lautet:
Die evangelische und die römisch-katholische Kirche wie
jede andere Religionsgesellschait ordnet und verwaltet
ihre Angelegenheiten selbständig und bleibt im Besitz
und Genuß der für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohl-
tätigkeitsz wecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und
Fonds. Und die revidierte Verfassung von 1850 sagt
wörtlich dasselbe in Art. 15.
Es ist kein Zweifel, die Regierung hatte anfangs die
Auffassung gehabt, daß das landesherrliche Kirchen-
regiment in der alten Form mit diesem Artikel nicht ver-
träglich sei; sie war geneigt gewesen, es preiszugeben
und der evangelischen Kirche Raum zu lassen für eine
selbständige Organisation, Aber die Notwendigkeit drängte
sich auf, daß der bisherige Inhaber des Kirchenregiments
die Führung bei diesem Neubau der Verfassung über-
nahm und vorläufig die Geschäfte in der Hand behielt*
Es kam bei der Reform auf zweierlei an: einmal auf die
Abtrennung der kirchlichen Verwaltung von der allge-
meinen Staatsverwaltung^ die ja nun der Kontrolle des
konfessionslosen Parlaments unterlag, und anderseits auf
die Regelung des Verhältnisses, das der Monarch als
vornehmstes Glied der evangelischen Landeskirche in
ihrer Organisation einnehmen sollte. Daß die Vertreter
der kirchlichen Selbständigkeit das bisherige monarchische
Element nicht gänzlich aus der Kirche eliminieren wollten,
durfte man als sicher annehmen. Nun wurde vorläufig
im Jahre 1849 die evangelische Abteilung des Kultus-
ministeriums mit der Wahrnehmung der inneren evan-
gelischen Kirchensachen beauftragt und zwar in der Weise,
daß diese Angelegenheiten von den Mitgliedern der Ab-
teilung unmittelbar, ohne Dazwischenkunft des politisch
verantwortlichen Kultusministers, dem König als Inhaber
I
Die Epochen des evang. Kirchenregiments in Preußen. 113
der kirchlichen Regierungsgewalt vorgetragen und dessen
Anordnungen für die Kirche ohne Gegenzeichnung des
Ministers zur Ausführung gebracht werden sollten. Aus
dieser Ministerialabteilung wurde dann durch königlichen
Erlaß vom 29. Juli 1850 der Evangelische Oberkirchenrat,
also eine besondere kollegialische Behörde, die ganz aus
dem Zusammenhang mit den Staatsbehörden gelöst war.
Man hatte diese Fortführung des landesherrlichen
Kirch^nregiments anfangs als etwas Provisorisches ange-
sehen und die Berufung einer konstitutionierenden Landes-
synode ins Auge gefaßt, durch die die evangelische Kirche
sich ' eine selbständige Verfassung geben und sich mit
dem Staate auseinandersetzen sollte. Seit der Errichtung
des Evangelischen Oberkirchenrates aber ist davon nicht
mehr die Rede gewesen. Die Motive zu dem Erlaß,
durch den er begründet wird^), stellen die Ansicht auf,
daß die Berufung einer konstituierenden Generalsynode
weder angemessen noch rechtlich notwendig sei, um der
Kirche zu ihrer verfassungsmäßigen Selbständigkeit zu
verhelfen, daß vielmehr die Fortführung des landesherr-
lichen Kirchenregiments mit dem Artikel 15 der Ver-
fassung vollkommen vereinbar sei. Das landesherrliche
Kirchenregiment sollte nur, unter Abstreifung aller aus
dem territorialistischen Prinzip herrührenden Beimisch-
ungen, auf die Idee der Reformation zurückgeführt wer-
den, wonach es nicht ein Herrscheramt, sondern ein
Dienst sei, der von dem vornehmsten Gliede der Kirche
zur Ehre Gottes durch Schutz und Fürsorge geleistet
werde.
Eine synodale Verfassung wäre damit wohl vereinbar
gewesen; eine solche wollte auch Friedrich Wilhelm IV.,
aber er widerstrebte auch jetzt noch durchaus einem
repräsentativen Charakter der Synoden; er blieb dabei,
daß ihre Mitglieder sich nicht als Vertreter der Kirche
gegenüber dem Landesherrn, sondern als Diener der
Kirche, d. h. also als Hilfsorgane des monarchischen
Kirchenregiments, fühlen müßten. In diesem Sinne war
*) Gesetzsammlung 1850 S. 343 ff.
Hittoritcbe Zeittchrilt (97. Bd.) a. Folge 1. Bd.
rt4
Otto Hintze,
auch die Kirchengemeindeordnung gehalten^ die 1850 er-
lassen wurde und die zur Grundlage eines Synodalsystems
werden sollte. Sie nahm Kirchenvorstände in Aussicht,
die auf Grund einer vom Patron und vom Pfarrer aufzu-
stellenden Vorschlagsliste gewählt werden sollten; übrigens
stellte man die Annahme dieser Ordnung den Gemein-
den frei.
Ende Dezember 1850 trat aus politischen Gründen
der Minister v. Ladenberg zurück, unter dem alle diese
Veränderungen sich vollzogen hatten, und sein Nach-
folger im Kultusministerium wurde Raumer; der aber
lenkte nun bewußt und konsequent in die frühere absolu-
tistische Bahn wieder zurück,^) Er unterließ geflissentlich
den Ausbau der Synodalverfassung und suspendierte auch
die Gemeindeordnung, die allerdings schon so sehr wenig
Anklang gefunden hatte. Die Konservativen fanden Spuren
des verhaßten Repräsentativsystems darin, und die Libe-
ralen verzichteten auf Wahlen nach der Vorschlagsliste
von Patron und Plarrer, Von einer weiteren Umformung
der Kirchenverfassung war nun nicht mehr die Rede,
Man legte den Artikel 15 der Verfassung nun so aus,
als ob ihm durch die Trennung der kirchlichen Verwal-
tung von der staatlichen bereits Genüge getan sei. Der
König als Haupt des Staates und der Konig als Haupt
der Kirche erschienen als zwei verschiedene Personen j
das absolute Kirchenregiment des Königs erhielt gerade
durch die Trennung von dem konstitutionellen Staat
eine neue feste Grundlage.
Die Abgrenzung der Belugnisse des Oberktrchenrats
gegenüber dem Kultusministerium entsprach ungefähr
derjenigen der Konsistorien gegenüber den Regierungen;
der Kultusminister hatte noch einen großen Anteil an den
„Externa*^j namentlich in Personal- und Anstellungssachen,
und Raumer war darauf bedacht, die Mitwirkung des Evan-
gelischen Oberkirchenrats in diesen Dingen einzuschränken
4
4
0 »Der Staatsinmister v. Raumer und seine Verwaltung des
Ministenums der geistlichen etc» Angelegenheiten in Preußen/
Berlin I&60,
Die Epochen des evang. KirchenregtmentB in Preußen. 115
und jede weitere Ausdehnung seiner Zuständigkeit auf
Kosten des Kultusministeriums zu verhindern. Trotz der
Union wurden auch die konfessionellen Verschiedenheiten
jetzt wieder geflissentlich betont. Ein königlicher Befehl
wies die Mitglieder des Evangelischen Oberkirchenrats
an, sich ausdrücklich als Reformierte oder als Lutheraner
zu bekennen (1852). Die Reaktion, die im staatlichen
Leben herrschte, hatte sich auch des kirchlichen Gebiets
bemächtigt.
Die neue Ära machte diesem System ein Ende. Mit
Bethmann-Hollweg kam 1858 ein Mann an die Spitze des
Kultusministeriums, der von jeher die Idee einer Fort-
entwickelung der evangelischen Kirchenverfassung auf der
presbyterial-synodalen Grundlage vertreten hatte , und
der überhaupt Freiheit der Kirche wollte, soweit sie ohne
Gefährdung des Staates möglich war. Aber dieser Kultus-
minister hatte nicht einen gleich gestimmten und tatkräf-
tigen Oberkirchenrat zur Seite, und so ist bei den Wider-
ständen von rechts und links unter seiner kurzen Amts-
führung nichts Erhebliches zustande gekommen. Immerhin
aber wurde mit der obligatorischen Einführung der Ge-
meindeordnung begonnen, unter Berücksichtigung der
Eigentümlichkeiten der einzelnen Provinzen, und seit 1861
wurde auch die Bildung von Kreissynoden wieder an-
geordnet. Unter Mühlers Ministerium (seit 1862) wurde
diese Politik fortgesetzt, freilich in langsamstem Tempo;
1869 traten auch Provinzialsynoden zusammen. Aber erst
durch den starken Impuls, den der Ausbruch des Kultur-
kampfes gab, sind diese Verfassungsbestrebungen zum Ziel
gelangt. Zwei neue Männer sind es gewesen, die jetzt
in wenigen Monaten mehr erreicht haben, als vordem in
Jahrzehnten geschehen war: der Minister Falk und der
Präsident Herrmann. Emil Herrmann ^) war früher Kirchen-
rechtslehrer gewesen und hatte 1862 eine Schrift veröffent-
licht, in der „die notwendigen Grundlagen einer die
konsistoriale und synodale Ordnung vereinigenden Kirchen-
verfassung"" aufgewiesen wurden. Er knüpfte an die ge-
>) Stier-Somlo in der A. D. B. 50, 248 ff.
8»
116
Otto Hintxe,
Sunden Gedanken der Generalsynode von 1846 wieder
an.^) Er legte dabei das Gemeindeprinzip zugrunde, aber
er betonte auch, daß die Einzelgemeinde nicht genüge
zur Erfüllung der allgemeinen landeskirchlichen Aufgaben,
daß es zu diesem Behuf eines selbständigen Ktrchen-
regiments bedürfe, das nicht bloß als Mandatar der unter
ihm verbundenen Gemeinden erscheine; damit begründete
er die Notwendigkeit des konsistorialen Elements, Erst
die Verbindung beider Elemente schafft nach seiner An-
sicht den vollständigen^ dem Prinzip des landeskirchlichen
Verbandes entsprechenden Organismus.
Dieser Mann wurde 1872 Präsident des Evangelischen
Oberkirchenrates» und er fand in Falk einen gleich ge-
richteten, gleich tatkräftigen Kultusministerj dessen Ver-
dienst um das Zustandekommen der Gesetzgebung von
1873 bis 1875 nicht zu unterschätzen ist. Ob die Be-
hauptung, daß der Hofprediger W. Hoffmann diese Ge-
setzgebung in allen wesentlichen Stücken schon vor-
bereitet habe^ zutrifft^), vermag ich nicht zu entscheiden.
Im allgemeinen gilt doch Herrmann als der eigentliche
Urheber des Werkes* Den wesentlichen Inhalt dieser
Gesetzgebung darf ich wohl als allbekannt voraussetzen.*)
Die evangelische Kirchengemeinde- und Synodalord-
nung, die durch königlichen Erlaß vom 10. September 1873
verkündet wurde, betraf aber nur die sechs östlichen
Provinzen, Die 1866 erworbenen Gebiete hatte man, in
der Hauptsache aus politischen Gründen, nicht unter den
evangelischen Oberkirchenrat gestellt, sondern bei ihren
alten besonderen Verfassungen gelassen« Aber eine landes-
kirchliche Gemeinschaft wenigstens mit Rheinland und
Westfalen wurde jetzt doch als wünschenswert empfunden,
und eine außerordentliche Generalsynode schuf im Jahre
1875 eine Generalsynodalordnung für die acht älteren Pro-
vinzen, die am 20. Januar 1876 vom König sanktioniert
0 Nach dem Selbstzeugnis bei TreUschke D, G. 5, 568 Note L
*) A. D, B, 50, 422 (O. V. Ranke).
^) Eine gute Zusammenfassung bei Niedner, Grundzüge der
Verwaltungsorganisation der altpreußischen Landeskirche. BerUn
1902.
Die Epochen des evang. KirchenregimentB in Preußen. 117
und verkündet wurde. Es bedurfte nun noch einer end-
gültigen Auseinandersetzung der Landeskirche mit dem
Staate, dessen Organe ja noch wesentlichen Anteil an
dem äußeren Kirchenregiment hatten. Durch Staatsgesetz
vom 3. Juni 1876 und entsprechende königliche Verord-
nungen wurde die Verwaltung aller Angelegenheiten der
Evangelischen Landeskirche, die bisher noch von dem
Kultusminister und den Regierungen wahrgenommen
worden waren, auf den Evangelischen Oberkirchenrat und
die Konsistorien übertragen. Die Staatsbehörden behielten
nur das allgemeine staatliche Aufsichtsrecht. Damit war
die Grenze zwischen Staat und Kirche in korrekter Weise
reguliert. Das territorialistische Prinzip war auf seinen
berechtigten Kern zurückgeführt und das episkopa-
listische war durch die reformatorische Idee der christ-
lichen Obrigkeit ersetzt und ergänzt durch das Gemeinde-
und Synodalprinzip. Die Verbindung der Kirche mit
dem Staat ist aber durch diese Auseinandersetzung
nicht völlig aufgelöst worden; sie dauert fort auf dem
Gebiet der Finanzen infolge des Fortbestandes des
Kultusbudgets ; und solange jede Konsistorialratsstelle
vom Landtag bewilligt werden muß, ist doch noch eine
gewisse Abhängigkeit der Kirche vom Staate vor-
handen. Was aber die Organisation der Kirche selbst
anbelangt, so wird das Verhältnis des Konsistorial- und
des Gemeindefaktors verschieden aufgefaßt je nach der
Stellung der Parteien. Die einen wollen den Schwer-
punkt des neuen Systems in die Gemeinde verlegen,
die anderen in den Oberkirchenrat. Die Jubiläum^denk-
schrift des Evangelischen Oberkirchenrats, die 1900 er-
schien^), vertritt die Auffassung, daß die presbyterialen
') „Die Entwicklung der evangelischen Landeskirche seit der
Errichtung des Evangelischen Oberkirchenrats.* Berlin 1900. Vgl.
dazu die scharfe Kritik von W. Beyschlag in den Deutsch-evan-
gelischen Blättern 1900 (14) und den Artikel: ,,Zuni 50jährigen
Jubiläum des Evangelischen Oberkirchenrats in Preußen*' in der
Kirchlichen Monatsschrift 19, 523 ff. Die Distanz der Auffassung
ist sehr groß. Die Denkschrift betrachtet das Verfassungswerk
von 1873 als die langsam reifende Frucht der seit Jahrzehnten
eingeleiteten Bestrebungen, Beyschlag als das Werk Falks und
118 Otto HinUej Die Epochen des evang. KirchenregiTnents etc.
und synodalen Organe der Konsistorialverlassung ein-
gegliedert worden seien, und zweifellos nimmt in der
Praxis der Konsistorialiaktor, d. h. also das landesherr-
liehe Kirchenregiment die erste, der Synodaltaktor die
zweite Stelle ein. Es ist auf kirchlichem Gebiet ähnlich
gegangen wie au! dem politischen Gebiet mit der Stel-
lung der Krone zum Parlament, Und ich halte das für
keine bloß zufällige Analogie. Die geistigen und sitt-
lichen Mächte, die das neue System der evangelischen
Kirchenverfassung hervorgebracht haben, sind von dem
gleichen Ursprung wie die, die auf dem Gebiet von
Staat und OeseUschaft wirksam gewesen sind. Es ist
nicht der Geist des Urchristentums oder der Reformation,
der in diesem Verfassungswerk sich betätigt hat, sondern
der moderne Geist des 19* Jahrhunderts, der unsere
Selbstverwaltung und unsere konstitutionellen Verfas-
sungen geschaffen hat. Ihm gegenüber hat die Krone
in Preußen ihr altes Recht des Kirchenregiments in der
Hauptsache ebenso behauptet wie ihre Regierungsgewalt
im Staate. In der Geistlichkeit hat sie eine ähnliche
Stütze gefunden wie im Heere und im Beamtentum»
Aber sie hat Konzessionen gemacht, in der Kirche wie
im Staate, Es ist kein Zulall, daß der Ausbau des kirch-
lichen Selbstverwaltungssystems in demselben Jahrzehnt
erfolgt ist wie der Ausbau der Selbstverwaltung auf dem
staatlichen Gebiet. Hier wie dort haben die Anregungen
der Zeit Steins und Schleiermachers erst nach zwei
Menschenaltern zu dem relativen Abschluß einer vielfach
unterbrochenen und vom Ziele abgelenkten Entwicklung
geführt.
Herrmanns im Gegensatz zur Reaktion. Der Einfluß der politi-
schen Faktoren kommt m. E. in keiner von beiden Auffassungen
zu seinem vollen Recht.
Preußen und Deutschland im 19. Jahr-
hundert.
Vortrag, gehalten auf der Stuttgarter Versammlung deutscher
Historiker am 19. April 1906.
von
Friedrich Meinecke.
Das weit gesteckte Thema meines Vortrages bedari
sofort der näheren Begrenzung und damit einer Recht-
fertigung und Entschuldigung. Es ist nicht meine Ab-
sicht, Ihnen die Abwandlungen in dem Verhältnis Preußens
zu Deutschland im 19. Jahrhundert überhaupt in großen
Zügen vorzuführen, sondern ich möchte ein zentrales
Problem dieses Verhältnisses herausgreifen, von dem dann
allerdings die Wege hinausführen zu allen übrigen Pro-
blemen der preußisch-deutschen Entwicklung im 19. Jahr-
hundert, das Licht auf sie wirft und Licht von ihnen
empfängt. Dennoch ist dies zentrale Problem zugleich
auch ein verstecktes Problem, — wenigstens heute ver-
steckt, weil es durch das Werk Bismarcks erledigt zu
sein scheint. Aber auch in der Zeit, in der es die poli-
tischen Köpfe am stärksten beschäftigte — und das
war die Zeit der Frankfurter Nationalversammlung von
1848/49 — , trat es nur in einzelnen Momenten ganz scharf
und greifbar hervor, und diejenigen, denen es am meisten
am Herzen lag, haben, nachdem sie zeitweise eine laute
Propaganda damit getrieben hatten, es für geraten ge-
halten, zunächst wieder etwas Erde darüber zu werfen, —
120
Friedrich Meinecke,
so daß die historische Kunde von ihren höchst merk-
würdigen Plänen und Bestrebungen stark verdunkelt
worden ist. In Sybels Darstellung der Verfassungsver-
handlungen von 1848/49 findet man überhaupt nichts,
bei denen von 1866/67 nur eine ganz kurze Andeutung
darüber. Heinrich v. Treitschke würde, wenn es ihm
vergönnt gewesen wäre, sein herrliches Werk weiterzu-
führen, gewiß mehr darüber gesagt haben, denn er hat
selbst als nationaler Politiker in den Jahren um f866 sich
sehr ernstlich mit diesem Problem auseinandergesetzt.
Es war, man möchte sagen, die Fortsetzung und
der zweite Teil der einen allbekannten Hauptaufgabe^
Boden zu schaffen für die Errichtung des nationalen
Bundesstaates durch Verdrängung Österreichs aus Deutsch-
land. Dort hatte es geheißen: Ein Bundesstaat mit zwei
Großmächten im Bunde ist unmöglich. Dahinter aber erhob
sich die Frage; Ist denn ein Bundesstaat mit einer Groß-
macht im Bunde möglich, und unter welchen Kautelen
ist er möglich, wenn nicht die übrigen Bundesglieder
und das nichtpreußische Deutschland erdrückt und ver-
gewaltigt werden sollen durch das Übergewicht des mäch<^
tigsten Staates? Diese ängstliche Frage stellte das nicht-
preußische Deutschland an Preußen, während Preußen
mit der Frage antworten konnte» ob man denn auch ihm
gerecht werden wolle, ob man denn auch seinen An-
spruch auf Bewahrung seiner eigenen historischen Indi-
vidualität und Staatspersönlichkeit respektiere.
Diese Frage und Gegenfrage kann man als Angeln
ansehen, in denen sich die Geschichte der preußisch-
deutschen Einigung im 19. Jahrhundert — mehr oder
minder wahrnehmbar — bewegt hat. Sie brauchten aber
erst dann ernstlich gestellt zu werden, wenn der Kon-
trakt zwischen Preußen und Deutschland dem Abschlüsse
nahe war. Erst mußte überhaupt das innere gemütliche
Bedürfnis und das gemeinsame nationale Ideal die Herzen
in und außerhalb Preußens zueinander führen, dann erst
konnte man an Stipulierungen denken, wie man sich in
der neuen Ehe gegenseitig vor einander sichere. Des-
wegen ist es begreiflich, daß in der großen Vorberei-
4
4
4
4
4
4
Preußen und Deutschland im 19. Jahrhundert.
121
tungszeit der preußisch-deutschen Einigung, im Zeitalter
der Befreiungskriege diese Frage noch keine besondere
Rolle gespielt hat. Nur eben die ersten Elemente von
ihr tauchen auf. Bei dem energischesten der damaligen
nationalen Denker, beim Freiherrn vom Stein, wird man
sie deswegen am wenigsten suchen, weil sein deutsches
Programm nicht kleindeutsch, sondern großdeutsch im
Kerne war. Und doch ist schon eine gewisse Grund-
Stimmung in ihm lebendig, die ihn, wie wir bald sehen
werden, den Männern der Paulskirche nahe bringt.
Das Charakteristische an ihm ist vor allem, daß er von
deutschem, nicht von preußischem Zentrum aus auf
Preußen wie auf Deutschland schaute, und daß er keinen
unbedingten Respekt vor der Erhaltung der preußischen
Staatspersönlichkeit empfand. «Setzen Sie an die Stelle
Preußens, was Sie wollen," schrieb er am I. Dezember
1812 dem Grafen Münster, ^lösen Sie es auf . , . es ist
gut, wenn es ausführbar ist", d. h, wenn dadurch das
deutsche Vaterland geschaffen werden kann. Man hat
gemeint, das sei zum guten Teil Hyperbel, aber es steckt
doch eben nicht bloß Hyperbel in diesem Worte* Man
darf sagen, daß er, wenigstens im Prinzip, nicht vor dem
Gedanken zurückschreckte, Deutschlands Einheit durch
Preußens AuIlÖsung zu erkaufen.
Merklich fester als er stand Gneisenau auf preußi-
schem Boden. Man kennt das große Wort, das er 1814
ausgesprochen hat, daß Preußen durch den dreifachen
Primat von Kriegsruhm, Verfassung und Gesetzen und
Pflege von Künsten und Wissenschaften in den übrigen
Staaten den Wunsch erwecken solle, mit Preußen vereinigt
zu sein. In diesem Gedanken ist ein weiteres Element
unseres Problems enthalten. Es läuft darauf hinaus, daß
Preußen, um Deutschland zu gewinnen , nicht in seine
alte spröde Abgeschlossenheit zurückfallen dürfe, daß es
den übrigen Deutschen als werbendes Geschenk und als
sichernde Bürgschaft zugleich freie politische Institutionen
und geistige Regsamkeit bieten müsse. Preußen sollte
liberal werden, um Vormacht Deutschlands werden zu
können,
HiitorUch« EeiUchrilt (47. Bit) S. Fot^e 1. fid. 9
122 Friedrich Memecke,
Weiler hat Gneisenau und hat auch sein Gesinnungs-
genosse! der noch intensivere Preuße ßoyen, nicht ge-
dacht und auch noch nicht denken brauchen* Auch viele
derer, die in den folgenden Zeiten, sei es von preußi-
schem, sei es von deutschem Boden aus, auf Preußen
ihre deutsche Hoffnung setzten, haben nicht weiter ge-
dacht, und noch in der heutigen Geschichtsauffassung
kommt man in der Regel über die Erkenntnis nicht hin- .
aus, daß Preußens deutschnationale und liberale Entwicic- f
lung sich gegenseitig bedingten, daß Preußen Verfassungs-
staat werden mußte, um an die Spitze der deutschen
Nation treten zu können. Diese Erkenntnis ist rich-
tig, aber unvollständig. Deutschland durfte zwar von
Preußen die Kautel des Liberalismus fordern, aber mußte»
um es spitz 2u sagen, gegen die Konsequenzen dieses
Liberalismus wieder neue Kautelen fordern. Denn diese
Konsequenzen richteten, indem sie alte Schranken zwi-
schen Preußen und Deutschland beseitigten, zugleich
ganz neue Schranken zwischen ihnen auf* Indem Preußen
ein konstitutioneller Staat wurde, vollendete es zugleich
das Staatsbildungswerk zweier Jahrhunderte, legte es die ■
Fundamente des Einheitsstaates tiefer als bisher, fügte es
zu den alten Stützen der Dynastie, des Heeres und des
Beamtentums auch noch die neuen eines Zentralparla-
mentes und eines älfentlichen Lebens auf spezifisch
preußischer Basis, Eine Konstitution bedeutete für
Preußen etwas wesentlich anderes als etwa für die deut-
schen Mittelstaaten, weil das preußische Volk als Ganzes
etwas anderes bedeutete als das württembergische, baye-
rische und badische Volk. Aus dem preußischen Volk
konnte sich dann eine preußische Nation, aus dem preußi-
schen Staat ein Nationalstaat entwickeln. Die Besorgnis
konnte erwachen, daß ein solcher zu stark, zu geschlossen,
zu eigenwüchsig und eigenwillig sein würde, um noch
in den Rahmen eines deutschen Bundesstaates hinein-
zupassen. Vollends als Vormacht Deutschlands schuf er
ein Dilemma, das ein Preußen ohne einheitliche Ver-
fassung und Zentralparlament nicht verursacht haben
würde. Eine bloße Dynastie^ die gemeinsam über Preußen
i
Preußen und DeutBchland im 19. Jahrhundert. 123
und Deutschland stand, wäre durch die Natur der Dinge
dazu geführt worden, das größere deutsche Interesse
über das kleinere preußische zu stellen. Wenn sie aber
zugleich auf die im preußischen Parlamente vertretenen
politischen Potenzen ihres Heimatstaates Rücksicht zu
nehmen hatte, so mußte ihr das sehr viel schwerer fallen.
Zwei große Parlamente, zwei nationale Staatswesen in-
und miteinander geschachtelt, — dies Problem konnte
wohl dem, der es ernst erwog, unlösbar scheinen, — oder
doch nur dadurch lösbar, daß Preußen auf sein beson-
deres Parlament verzichtete, daß es den letzten ihm noch
übrigen Schritt zur Ausbildung seiner eigenen Staats-
persönlichkeit nicht tat, sondern seine Gesetze sich un-
mittelbar von den Gewalten des deutschen Bundesstaates
geben ließ. Man sieht aber leicht ein, daß dieser Ver-
zicht zugleich einen Rückschritt in seiner Staatsbildung
bedeutete. Er wäre in gewissem Sinne wieder zurück-
gefallen auf die Stufe eines Nebeneinanders von Pro-
vinzen, nur daß diese wieder anderseits zu unmittelbaren
Reichsprovinzen erhoben worden wären. Aber mit dem
preußischen Staat an sich wäre es aus gewesen, Preußen
wäre, im strengsten Sinne des berühmten Wortes, das
Heinrich v. Arnim am 21. März 1848 den König Fried-
rich Wilhelm IV. sprechen ließ, aufgegangen in Deutsch-
land.
Die Geschichte dieses Gedankens habe ich in einer
größeren Untersuchung verfolgt, von der ich hier nur
eben die wichtigsten Resultate vorlegen kann.^) Er ist
zuerst gedacht worden, soweit ich sehe, auf dem Boden,
auf dem wir hier stehen, von Paul Pfizer in der zweiten
Auflage seines Briefwechsels zweier Deutschen von
1832, und zwar hier in vollster Kraft und Deutlichkeit,
und wer in Pfizer den Herold der Einigung Deutsch-
lands durch Preußen verehrt, darf nicht vergessen, daß
er dem preußischen Staate selbst das Opfer seiner kon-
*) Ich hoffe, das Ganze in nicht allzuferner Zeit, verbunden
mit einer, auf neue Materialien des Hausarchivs gestützten
Darstellung der deutschen Politik Friedrich Wilhelms IV. in Buch-
form vorlegen zu können.
9»
124
Friedrich Meinecke,
stitutionellen Einheit zugemutet hat. Er kämpfte (ür die
nationale Monarchie der Hohenzollern, aber nicht für die
Hegemonie des preußischen Staates. Er rief den Adler
Friedrichs des Großen an, daß er die Verlassenen und
Heimatlosen decken möge mit seiner goldenen Schwinge
— aber er war> wie Goethe, mehr fritzisch als preußisch
gesinnt. Wie gut versteht man das aus den gesamten
politischen Zuständen SUdwestdeutschlands, aus den Tra-
ditionen des alten Reichs, aus den Nachwirkungen dann
vor allem auch der Rheinbundszeit, Das eigene poli-
tische Dasein, das man hier hatte, war neugeschaffen
und vielfach künstlich. Man war politisch eklektisch^
und die alten und neuen philosophischen Strömungen
beförderten den Hang, die Dinge zu trennen von ihren
realen Wurzeln und Fruchte zu pflücken aus allerlei
Gärten. So glaubte denn Pfizer die Dynastie der Hohen-
zollern herausnehmen zu können aus ihrem Mutterboden^
deswegen auch^ weil er diesen Boden des preußischen
Staates eben auch nur für einen halbwegs künstlichen
hielt. Preußen sei ein künstlicher Staat, war ja das alte
Schlagwort. Auch Pfizer, der ihm noch am meisten das
Wort redete unter seinen süddeutschen Landsleuten, ur*
teilte, daß er bisher nur ein äußeres, aber kein inneres
Leben geführt habe. So ist auch dies weitverbreitete
Dogma von der Künstlichkeit des preußischen Staats-
wesens eine wesentliche Voraussetzung für den Glauben
geworden, daß man ihm um Deutschlands willen das
Opfer seiner Auflösung zumuten könne.
Nach Pfizer war es dann Friedrich v. Gagern, der
ältere Bruder Heinrichs, der in seiner Denkschrift vom
Bundesstaate 1833 diese Gedanken weiterspann. Auch
ihn erfüllte die Sorge vor einem Übergewicht des mäch-
tigsten Staates in dem Bundesstaate der Zukunft ^ den
er ersehnte, auch er verlangte von dem Herrscher
des Gesamtstaates, daß er aufgehe in dessen Gesamt-
interesse, und die Befürchtung Pfizers vor einer Ein-
mischung der preußischen Reichsstände in die deut-
schen Dinge wurde von ihm noch verallgemeinert zu
einer Warnung vor dem Antagonismus von Reichs- und
I
I
I
Preufien und Deutschland im 19. Jahrhundert. 125
Landständen überhaupt. Was Pfizer lebhaft und im-
pulsiv empfand, setzte er um in die Formeln und Para-
graphen eines Systems, und so tauchen bei ihm schon
die Grundzüge jener von Waitz später ausgebildeten
Bundesstaatstheorie auf, wonach Zentralgewalt und Einzel-
staatsgewalten streng zu trennen seien, damit eine jede
in ihrer eigentümlichen Sphäre ungestört lebe. Man hat
sich den Kopf darüber zerbrochen, wie er seine Über-
zeugung von Preußens deutschem Beruf habe vereinigen
können mit seiner Forderung, daß der Kaiser des Bundes-
staates nicht zugleich Regent eines Einzelstaates sein
dürfe. Die Lösung des Rätsels ist jetzt sehr einfach.
Offenbar hat Friedrich v. Gagern den König von Preußen
zum Kaiser des Bundesstaates machen, ihn aber gleich-
zeitig loslösen wollen von seiner preußischen Grundlage
und Preußen auflösen in eine Reihe ungefähr gleich
großer Territorien.
Man darf nun mit höchster Wahrscheinlichkeit an-
nehmen, daß Friedrich v. Gagerns Gedanken seinen
Brüdern Heinrich und Max v. Gagern nicht unbekannt
geblieben sind. Heinrich und Max standen an der Spitze
der Bewegung in den südwestdeutschen Staaten, die in
den Märztagen 1848 zur ersten Werbung des außer-
preußischen Deutschlands um Preußens Initiative zur
Begründung eines Bundesstaates führte. Ob schon bei
diesen Verhandlungen der Gedanke Pfizers und Fried-
rich V. Gagerns eine Rolle gespielt hat, ist mir noch
zweifelhaft. Auch das ist mir zweifelhaft, ob jenes Wort
Heinrich v. Arnims vom 21. März 1848 „Preußen geht
fortan in Deutschland auf' damit in einem direkten Zu-
sammenhang gestanden hat. Aus einer ganz ähnlichen
Denkweise ist es — das kann man nachweisen — sicher-
lich geboren, nur daß Heinrich v. Arnim den Prozeß
des Aufgehens Preußens in Deutschland von preußi-
schem Zentrum aus, von dem zum deutschen Parla-
ment erweiterten Vereinigten Landtage aus beginnen
lassen wollte. Eine solche preußische Nuance des Ge-
dankens vertrat dann vor allem Joh. Gustav Droysen
im April 1848. Zwei Alternativen stellte er mit Geist
I
ia$ Frieärkli Mdoeckc,
und Scharfe aul. Entweder: Preußen gehl jetzt in
Deutschland auf, verzichtet darauf, sich konstitotionell
ahzu schließen als Staatsindiv^idualität und ermöglicht
durch Entwicklyng der provinzialstandischen V^erfassung
seine Verghederung mit Deutschland, — oder aber, das
jetzige Werk miSlingt — dann müsse allerdings Preußen
in schärfster Weise konstitutionell geschlossen werden^
es „muß den Kern, sozusagen das unmittelbare Reichs-
land bitden, an das sich nach und nach anschließen mag,
was deutsch sein will". Das Endergebnis dieser Entwick-
lung hätte, wie man leicht einsieht^ dem des ersten
Weges ganz ähnlich werden können. Hier wie dort hätten
die preußischen Provinzen schließlich das unmittelbare
Reichsland gebildet.
Zunächst setzte aber auch er seine HoKnung auf
den ersten Weg, und das zeigte wie stark auch die
deutsche Bewegung in Preußen jetzt von jenen Ideen
gefärbt wurdej die ihren Ursprung in den Landschaften
des alten Reiches hatten. Mit einem gewissen geschichts-
philosophischen Idealismus und Fatalismus war man be-
reitf der deutschen Nation das Opfer der preußischen
Staatseinheit zu bringen, — es war für Droysen, wie
hernach für Duncker, für Haym ein Stück angewandter
Hegelscher Pfiilosophie, — und zugleich, so schien es
ihm wie den nichtpreußischen Politikern, die jetzt das-
selbe forderten, eine unentrinnbare politische Notwen-
digkeit. Ich nenne den Freiherrn v. Stockmar, der im
Mai 1848 in der Deutschen Zeitung und dann auch un-
mittelbar dem Könige von Preußen zumutete, daß er als I
deutscher Kaiser seine Hausmacht in eine Reichsmacht,
in unmittelbare Reichsprovinzen verwandle, die unter
Reichsministerium und Reichsparlament zu stehen hätten. ■
Ich nenne dann vor allem den Freund Pfizers, den feinen
Gustav Rümelin, der seit dem Oktober 1848 im Schwä-
bischen Merkur iür diese Gedanken warb und dadurch
den Süddeutschen das preußische Erbkaisertum schmack-
haft zu machen suchte. Und da Rümelin hier nicht als
Einzeldenker, sondern als Parteipublizist schrieb, so treten
wir nun ein in die Epoche, wo unser Gedanke ein inte*
I
1
Preufien und Deutschland im 19. Jahrhundert 127
grierendes Stück des Verfassungsprogramms mindestens
eines Teiles und jedenfalls einflußreicher Führer der Erb-
kaiserlichen wurde. Jetzt, im Herbst 1848, war der
Augenblick da, den Kontrakt der Ehe zwischen Preußen
und Deutschland aufzusetzen, jetzt wurde es ernst mit
der Garantieforderung, nur daß man sie nicht in den
Hauptkontrakt, in den Verfassungsentwurf der National-
versammlung brachte, sondern sozusagen articles s^pards
et secrets daraus machte. Und das war nun ein, wie ich
glaube, bisher verkannter Hauptzweck der bekannten Reise,
die Heinrich v. Oagern in den letzten Novembertagen
1848 an den Hof Friedrich Wilhelms IV. unternahm. Sie
war unmittelbar veranlaßt durch die Nachricht, daß das
Ministerium Brandenburg die Absicht habe, dem preußi-
schen Staate eine Verfassung zu oktroyieren. Da eilte
Oagern nach Berlin und Potsdam, nicht nur, um das
unliberale Verfahren des Oktroyierens an sich zu ver-
hindern, auch nicht nur, um dem Könige die Kaiser-
krone anzubieten, sondern auch, um dafür zu wirken,
daß Preußen überhaupt keine konstitutionelle Verfassung
und kein Sonderparlament erhalte. In den Märztagen
hatte er von Preußen, damit es bündnisfähig für die
deutsche Bewegung würde, verlangt, daß es sich dem
konstitutionellen System nähere. Nun erfüllte Preußen
durch die oktroyierte Verfassung vom 5. Dezember 1848
diese liberale Forderung durch ein Mittel, das Gagern
und die Seinen verwünschten. Damit fällt nun auch auf
diese Tat des Ministeriums Brandenburg ein besonderes
Licht. Sie war die Antwort Preußens und des preußi-
schen Staatsgedankens auf Gagerns Werbung und die
Bedingungen seiner Werbung. Preußen bekundete durch
die Charte vom 5. Dezember seine feste Absicht, Staats-
persönlichkeit zu bleiben und eine moderne Staatsper-
sönlichkeit eigentlich erst zu werden. Das war nicht
etwa das Werk des Königs, der gegen die ganze Oktro-
yierungspolitik der Minister lebhaften Widerwillen emp-
fand, dessen eigene Verfassungspläne für Preußen viel-
mehr eben damals wieder stark zu den Provinzialständen
zurückstrebten und dadurch, man möchte doch sagen.
138 Prledrich Mein ecke,
bündnisfähig wurden für jene Gedanken Droyscns, Rü-
melins und Gagerns, den preußischen Staat in seine
Provinzen aufzulösen. Es lag ja noch sehr viel anderes
zwischen Frankfurt und Potsdam^ aber ich wage es auf
Grund der mir vorliegenden Zeugnisse zu vermuten —
an dieser Forderung wäre die Verständigung zwischen
Friedrich Wilhelm IV, und den Frankfurtern vieUeicht
nicht gescheitert, Sie hätte ihm die Möglichkeit gegeben, j
(ür Preußen selbst den widerwärtigen Konstitutionalismus '
los zu werden. Er hätte ihn allerdings für Deutschland
sich gefallen lassen müssen^ aber für Deutschland war
er auch zu größeren Zugeständnissen an den liberalen
Zeitgeschmack bereit als für Preußen,
Die Minister also waren es^ welche damals das kon-
stitutionelle Prinzip für Preußen durchsetzten und da-
durch dem Verfassungsprogramm der Erbkaiserlichen
einen ersten schweren Stoß versetzten. Aber nun ist
das Merkwürdige : Mit der einen Hand wehrten sie die
Zumutung an Preußen, seine Staatseinheit aufzugeben^
ab, die andere Hand aber streckten sie gleichzeitig den
Frankfurtern entgegen und waren bereit, an der Schal-
lung des nationalen Bundesstaates unter preußischer
Führung mitzuarbeiten, — aber eben eines Bundesstaates,
in dem Preußen auch Preußen blieb* Und eben mit um
dieses hegemonischen Motives willen haben sie — so
wunderbar verschlungen greift hier alles durcheinander —
den Inhalt der oktroyierten Charte so ungemein liberal
ausgestaltet, — denn nur ein liberales Preußen konnte
ja Deutschlands Führung übernehmen.
Recht verschieden also waren die Differenzpunkte,
welche den König und welche seine Minister von dem
Gesamtprogramm der Frankfurter trennten. Im ganzen
darf man aber sagen, daß in den Adern der Minister
nicht nur der preußische Staatsgedanke, sondern auch
der deutsche Ehrgeiz stärker schlug, und daß sie zu-
gleich die Notwendigkeit liberaler Zugeständnisse unbe*
iangener und staatsmännischer auffaßten als der König,
Es ist schon etwas vom Bismarckschen Geiste in dieser
Poliük des 5. Dezember, Sie war konservativ und vor-
Preußen und Deutschland im 19. Jahrhundert
129
wärts drängend zugleich. Sie benutzte die Uberalen und
nationalen Kräfte und hielt sie zugleich in den Schranken,
innerhalb deren sie sich mit dem geschichtlich Erwach-
senen und noch Lebendigen vertragen konnten. Und
hatten die Frankfurter gemeint, der preußischen Politik
das Gesetz geben zu können, so geschah nun das Um-
gekehrte. Denn die Erbkaiserlichen brauchten nun ein-
mal Preußen für ihre Ziele und mußten wohl oder übel
über die Schranke hinwegsehen^ die durch die Verfassung
vom 5t Dezember aufgerichtet war.
Aber sie haben allerdings ihr Endziel deshalb nicht
autgegeben. Sie trösteten sich damit, daß die oktroyierte
Charte über kurz oder lang schon wieder verschwinden
werde, daß eine preußische Nationalversammlung, wie
Dahlmann in dem Neujahrsartikel der Deutschen Zeitung
es feierlich aussprach^ gar bald zu den Undenkbarkeiten
gehören werde. Dann aber, als mit dem 15, Januar 1849
der Schlußakt des Verfassungswerkes, die Verhandlung über
das Reichsoberhaupt begann, wandelte sich in etwas ihre
Taktik. Sie hielten jetzt zurück mit ihrer Forderung, daß
Preußen unmittelbares Reichsland werden müsse, einmal,
um die Verständigung mit der preußischen Regierung
nicht zu erschweren, dann aber auch, weil die Gegner
des preußischen Erbkaisertums und Preußens überhaupt
diese Forderung mit einem gewissen neugierigen Wohl-
gelallen zu betasten begannen. Ihr habt uns, so sagten
die Linken jetzt zu den Erbkaiserlichen, früher erzählt,
daß der preußische Staat aufgelöst werden würde* Wenn
Ihr dabei bliebet, würde mancher von uns für das Erb-
katsertum sein, aber Ihr wollt das nichts Ihr könnt das
nicht Daraufhin hat denn Heinrich v. Gagern am 20; März
noch einmal Farbe bekannt. „Ich gebe mich nicht Illu-
sionen hin, ich glaube selbst, daß die Dezentralisierung
Preußens in der Art, daß die politische Gesamtvertretung,
wie sie jetzt besteht, gelöst würde, daß das nicht die un-
mittelbare Folge sein wird, wenn der Bundesstaat, Preußen
an der Spitze, geschlossen würde. Daß aber ein solches
Dezentralisieren, ein Aufgehen in Deutschland^ die not-
wendige allmähliche Folge sein würde, das kann niemand
130
Friedrich Meinecke,
bezweifeln, der den Analogien in der Geschichte Beach-
tung zollt"
So haben die Erbkaiserlichen seiner Richtung es also
gemeintj so muß auch ihr Werk von den Nachlebenden
verstanden werden. Die Annahme der Frankfurter Krone
durch Friedrich Wilhelm IV. sollte nach der Absicht eines
großen Teiles derer^ die sie anboten, über kurz oder
lang zur Auflösung der preußischen Staatseinheit führen.
Es erhebt sich die Frage, ob sie auch dazu führen
mußte und ob und wie weit die Forderung innerlich
berechtigt und notwendig war. Es spricht zu ihren
Gunsten, daß gerade die prinzipiell preußischen Gegner des
Frankfurter Verlassungswerkes es aus demselben Grunde
mit verwarfen, der Gagern und die Seinen zur Aufstel-
lung jener Forderung bestimmt hatte. Das Gagernsche
Deutschland sagte zu Preußen: Wenn du an die Spitze
kommen willst, so mußt du auf deine Verfassung und
dein Sonderparlament verzichten, denn zwei große Ver-
fassungen nebeneinander sind auf die Dauer unmöglich.
Das Bismarcksche Preußen antwortete: Eben aus diesem
Grunde kann ich deine Kaiserkrone nicht brauchen^
^denn/ so sagte Bismarck im preußischen Landtage am
2h April 1849, „ich kann mir nicht denken ^ daß in
Preußen und Deutschland zwei Verfassungen nebenein-
ander bestehen können".
Hatte 1848 Deutschland um Preußen geworben, so
warb dann 1866 Preußen um Deutschland. Sofort bei
der Gründung des Norddeutschen Bundes tauchte die
alte Frage wieder auf. „Es bleibt rätselhaft," sagte
Treitschke nach den Siegen von 1866, „wie ein deutsches
und ein preußisches Parlament in die Länge nebenein-
ander bestehen sollen," Oft ist ihm das verzwickte Pro-
blem noch durch den Kopf gegangen. Schließlich aber,
nach 1870, urteilte er: „Wer den Einheitsstaat und die
Selbstverwaltung starker Provinzen als die Staatsform
der Zukunft ansieht, der muß Preußens monarchische
und militärische Überlieferungen schonen.** Was war
aber das, im Endziele, viel anderes als das, was die
Gagern und Rümelin auch erstrebt hatten. Aber während
I
Preußen und Deutschland im 19. Jahrhundert. 13t
jene, um dahin zu gelangen, Preußen auflösen wollten^
wollte Treitschke es gerade recht sorgfältig erhalten als
festen Kern, an den sich die übrigen Staaten künftig
einmal ankristallisieren könnten. Das war die Lösung,
die der geistreiche Droysen schon im April 1848 durch
die Aufstellung seiner Alternative antizipiert hatte.
Alternative über Alternative. Die Droysen-Treitschke-
sche Alternative war eine solche der Mittel und Wege
bei Identität des Zieles. Die Gagern-Bismarcksche Alter-
native von 1849 war eine solche des Zieles: Deutsch-
land oder Preußen hieß sie, und Bismarck entschied sich
damals für Preußen und ließ das Problem Deutschland
ungelöst. Als er es dann 1866 und 1871 löste, hat er
es auch nicht im Sinne einer Alternative, sondern durch
eine Synthese gelöst. Die alte Zeit der Entweder-Oders,
die Zeit des dialektischen Denkens und der unbedingten
Ideale in der Politik war vorbei, die Zeit des modern-
realistischen Sowohl-Als auch beginnt. Die Bismarcksche
Synthese preußischer und deutscher Verfassung, födera-
listischer und unitarischer Prinzipien war kein symme-
trisches Kunstwerk, aber ein lebensfähiges Ding. Preußen
wie Deutschland haben ihre Verfassung und ihr Eigen-
parlament und haben sich miteinander eingeschüttelt. Und
das ist erreicht durch ein paar einfache, aber höchst
geniale Sicherungen, die Bismarck zwischen preußischem
und deutschem Organismus angebracht hat.
Zwei nicht zufällige, sondern geschichtlich aufs
stärkste bedingte Vorurteile, welche das politische Denken
vor 1848 beherrscht hatten, mußte Bismarck dazu brechen:
das parlamentarische und das unitarische Vorurteil. Das
parlamentarische Vorurteil sagte : Da die Parlamentsmehr-
heiten den Kurs der Regierung bestimmen, so sind zwei
große regierende Parlamente nebeneinander ein Unding
und bringen die Maschine zum Stillstand. Diese Auf-
fassung vom Parlamentarismus, die um 1848 weithin
herrschte, war nicht nur die Wirkung der Doktrin, son-
dern auch lebendiger politischer Erfahrung, wie man sie
vor* allem an dem süddeutschen Veriassungsleben bisher
gemacht hatte. Zwar hatte man hier nichts weniger als
112
Friedrich Meinecke,
reinen Parlamentarismus, aber eben das war das Ab-
schreckende- Dieser stark eingeengte Konstttutionalis-
mus der süddeutschen Staaten beruhte nicht auf der
eigenen Kratt der Regierungen, sondern war nur mög-
lich durch den Rückhalt des reaktionären Bundestages
und der Wiener Beschlüsse von 1834, Das ganze Elend
des vormärzlichen Deutschlands klebte an ihm und machte
ihn verhaßt. Nur große positive Leistungen und histo-
rische Taten konnten ihn wieder zu Ehren bringen. Durch
seine Leistungen für die Nation hat Bismarck die diskre-
titierte Regierungsform des gemäßigten Konstitutionalis-
mus wieder zu Ehren gebracht und das parlamentarische
Vorurteil gebrochen* So ist es möglich geworden, daß
preußisches und deutsches Parlament nebeneinander
existieren können, ohne sich allzustark aneinander zu
reiben* Wären diese beiden Triebräder größer, so wür-
den sie sich berühren und hemmen.
Das zweite Vorurteil, das Bismarck zu brechen hatte,
um die Erhaltung der preußischen Staatseinheit innerhalb
des deutschen Bundesstaates zu ermöglichen, war das
unitarische, Pfizer, die Brüder Gagernj Rümelin wollten
einen Bundesstaat, dessen Zentralgewalt kein anderes
Interesse kenne als das des Bundesstaates. Sie wollten
wohl die preußische Macht als wertvolles Substrat dafür
benutzen, aber sie wollten nicht die Hegemonie des preußi-
sehen Staates oder des Königs von Preußen als solchen.
„Die Hegemonie," sagte noch Treitschke ganz im Geiste
dieser Lehre, „widerspricht dem Wesen desBundesstaates***
Im innersten Zusammenhang damit steht die Bundesstaats-
theorie, welche Waitz in den fünfziger Jahren aufgestellt
hat. Sie war doch nicht bloß, wie man gemeint hat^ eine
„rein doktrinäre Schablone"^ sondern sie ist zum guten
Teile erwachsen aus dem praktischen Problem, wie man
den preußischen Staat in den Bundesstaat eingliedern
könne, ohne diesen durch jenen zu erdrücken. Die Lö-
sung, die er vorschlug, war unitarisch wie die von 1849,
bestand in der Schaffung einer einheitlichen, von den
Gliedstaatsgewalten unabhängigen Zentralgewalt. Die
Lösung, die Bismarck gab, war föderalistisch, bestand
I
I
4
I
Preußen und Deutschland im 19. Jahrhundert
13a
in der Institution des Bundesrates. Damit waren die
Schwierigkeiten gelöst, mit denen die Frankfurter so
schwer gerungen hatten. Jetzt konnte der Herrscher des
mächtigsten Einzelstaates zum Träger der Exekutivgewalt
des Reiches erhoben werden, ohne daß die übrigen
Staaten fürchten brauchten, von Preußen erdrückt zu
werden, und ohne daß Preußen das Opfer seiner Auf-
lösung zu bringen hatte.
Weshalb aber, müssen wir fragen, sind nicht schon
die Männer von 1848 auf diese Lösung gekommen?
Weshalb mühten sie sich auf dem steilen unitarischen
Wege ab, statt den bequemeren föderalistischen Weg zu
beschreiten? ;Weshalb waren sie so ängstlich bemüht, die
Einzelstaaten fernzuhalten von der Teilnahme an der
Reichsgewalt? Wir empfangen aus ihrem Munde selbst
die Antwort, man habe befürchtet, dadurch nur einen
neuen Bundestag zu schaffen, „Wie sollte/ sagte Max
Duncker, „ein solches Kollegium aus instruierten und zu
instruierenden Gesandten gebildet, anders regieren als
der Bundestag, langsam, schleppend, elend, oder viel-
mehr gar nicht** So steht es also mit diesem Föderalis-
mus genau so wie mit dem gemäßigten Konstitutionalis-
mus. Sie waren beide so furchtbar diskreditiert durch
die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, daß man die
Zukunft der Nation ihnen nicht anzuvertrauen wagte.
Man sieht, wie die politischen Irrtümer dieser Denker
durch und durch erwachsen sind aus dem ungesunden
Boden der vormärzlichen Zeit*
Sollen wir uns aber mit dem Nachweis der geschicht-
lichen Bedingtheit ihres Irrtums beruhigen? Wenn wir auf
die Entwicklung des Verhältnisses Preußens zu Deutsch-
land und des preußischen Abgeordnetenhauses zum
deutschen Reichstage seit 1871 und nun erst seit 1890
einen Blick werfen, so haben wir das unbehagliche Ge-
fühl, daß die Bismarckische Lösung des Problems einen
Rest noch ungelöst zurückgelassen hat. Die Befürchtung
Treitschkes vor einem Übermaß an parlamentarischem
Treiben ist doch bestätigt worden* Unzweifelhaft liegt
hier einer der Gründe, weshalb das Niveau und das An-
134
Friedrich Meinecke,
sehen des Parlamentarismus in Deutschland gesunken ist.
Sollte nicht am Ende Bismarck auch das vorausgesehen
und nicht ungern, vorausgesehen haben? Vielleicht ist
überhaupt dies Operieren mit zwei Parlamenten, dies
Reiten bald auf dem preußischen, bald auf dem deutschen
Pferde ein arcanum imperii Bismarcks gewesen. Denn
ausgeschaltet ist die tatsächliche Macht Preußens im Reiche
durch jene Sicherungen, die Bismarck zwischen preußi-
schem und deutschem Organismus anbrachte, keineswegs.
Vieles läßt sich mit diesem Benutzen bald der deutschen,
bald der preußischen Kräfte erreichen, aber Eines nur
schwer, was doch das Ziel einer wahrhaft inneren Politik
sein muß: Einheitlichkeit auf allen Gebieten des öffent-
lichen Lebens» Eine beherrschende Persönlichkeit wie
Bismarck war wohl imstande, für die größten und drän-
gendsten Aufgaben der inneren Politik Reichsparlament
und Landesparlament, deutsche und preußische Tendenzen
zusammenzuspannen, aber für das, was weniger drängte
und doch in Zukunft einmal wichtig werden konnte, hat
auch er oft die Dinge gehen lassen müssen, und so hat
es schon unter ihm an schneidenden Dissonanzen 2wi-
schen innerer preußischer und innerer Reichspolitik nicht
gefehlt.
Freilich rufen auch noch tiefere Gründe diese Disso*
nanzen hervor Es ist nicht bloß die taktische Klugheit
des divide et impera, die zum Regieren mit zwei ver-
schiedenartigen Parlamenten und zwei verschiedenartigen
Systemen rät, sondern die innere Genesis und Struktur
der deutsch-preußischen Macht zwingt in gewissem Sinne
dazu. Das deutsche Reich ist geschaffen worden mit den
Kräften der altpreußischen Militärmonarchie , und die
Kräfte der liberalen und nationalen Bewegung sind wohl
benutzt, aber nicht als schlechthin leitend anerkannt
worden. Und das Deutsche Reich ist dann im großen
und ganzen durch dieselben Mittel erhalten worden, durch
die es gegründet worden ist. Immer ist der preußische
Militärstaat mit allem, was daran hängt, mit seiner Be-
günstigung derjenigen sozialen Schichten, die den Kern
des Offizierkorps stellen, der festeste Punkt in der inneren
I
Preußen und Deutschland im 19. Jahrhundert. 135
Politik geblieben. Und die Interessen der Übrigen sozialen
Schichten hat man wohl nicht vernachlässigt, aber nie so
zur Leitung emporkommen lassen wie jene. Man glaubt
den festen Boden der Macht zu verlassen, wenn man sich
ihnen anvertraut.
Hier greifen die allbekannten Gedankengänge ein,
die Friedrich Naumann aufgestellt hat. Hinter dem neuen
Gegensatze des agrarischen und des industriellen Deutsch-
lands wirkt in der Tiefe immer noch der alte Gegensatz
zwischen Preußen und dem übrigen Deutschland. Pfizers
Worte von 1832 finden noch heute ein Echo. Es ist ja
nicht, wie er meinte, das preußische Volk in seiner Ge-
samtheit, das durch seine Parlamentsherrschaft das übrige
Deutschland niederdrückt, sondern es ist der Bund der
starken preußisch-deutschen Monarchie mit den stärksten
politischen Kräften ihres Heimatstaates, der die Lage be-
herrscht. Darin aber, daß es nur ein Bund, eine Inter-
essengemeinschaft ist, liegt auch die Möglichkeit ein-
geschlossen, daß dieser Bund sich einmal trennen und
die Spannung zwischen Altpreußen und dem übrigen
Deutschland sich einmal wieder lösen kann.
Wir wissen uns frei von der an sich edlen Leiden-
schaft, mit der Naumann diese Frage beantwortet hat.
Der reine Historiker wird vorsichtiger als er über den
Spielraum der Möglichkeiten urteilen, wird auch die un-
vergleichliche Lebenskraft des altpreußischen Geistes
höher einschätzen als er. So hat also die geistvolle
Naumannsche Konstruktion nur den Wert einer Möglichr
keit, aber allerdings einer sehr zu erwägenden und ernst
zu nehmenden. Wenn sie eintritt, kann auch der Ge-
danke, dessen Geschichte ich vorführte, noch einmal eine
Zukunft wieder haben. In einem Deutschland, das seine
Machtinteressen dem Bürgertum und der Industriebevöl-
kerung anvertrauen kann, wird auch der preußische
Staat eine andere Stellung einnehmen als im Zeitalter
Bismarcks und seiner ersten Nachfolger. Er wird nicht
aufgelöst werden brauchen, aber der Reichsgedanke wird
den Einzelstaatsgedanken mehr und mehr überwölben,
die Einzelstaaten, große und kleine, würden dann fak-
136 Fr. Meinecke, Preußen und Deutschland im 19. Jahrhundert
tisch doch in das Verhältnis von Reichsprovinzen her-
untersinken.
Wir wollen nicht prophezeien; wohl aber darf der
Historiker auch die lebendigen Gewalten der Gegenwart in
geschichtliche Perspektive stellen und auf die Möglich-
keiten ihrer Weiterentwicklung hinweisen. Lebendige Ge-
walten aber sind heute sowohl das alte Preußen wie das
neue Deutschland. Die Formen , in denen sie auf- und
miteinander wirken, sind vergänglich; auch die geistigen
Mächte, die sie in sich bergen, sind es. Aber sie haben
die Kraft, das Neue zu zeugen und leben dann fort in ihm.
Miszellen.
Die Schlacht auf dem Lechfelde.
Von
tl. BreBlan.
Unter den Schlachten, die auf deutschem Boden im
10. Jahrhundert ausgefochten worden sind, ist für die euro-
päische Geschichte keine folgenreicher gewesen als der Kampf
Ottos 1. gegen die Ungarn im Jahre 955. Durch den Sieg
Ottos wurde das Deutsche Reich endgültig von dem furcht-
baren Feinde befreit, dessen verheerende Einfälle viele Jahr-
zehnte hindurch seine Landschaften heimgesucht hatten. Für
Ungarn aber bedeutete die Schlacht noch mehr: ihre letzte
Folge war der Verzicht auf die Fortsetzung des kriegeri-
schen Räuberlebens, das die Magyaren bisher zum Schrecken
Europas geführt hatten, war ihr Übergang zum Christentum
und zur Zivilisation, ihr Eintritt in die europäische Völker-
familie.
Von dem Verlauf des denkwürdigen Kampfes gibt uns
keine völlig gleichzeitige Quelle eingehende Kunde, und aus
der Fülle der Nachrichten, die zuletzt Dümmler^) und
V. Ottenthai 2) sorgsam zusammengestellt haben, sind nur
zwei Berichte von erheblicher Bedeutung, die einige Jahre
nach der Schlacht niedergeschrieben sind: die Erzählung
Widukinds von Corvei, die gegen das Ende der sechziger
0 Kaiser Otto der Große S. 252 ff.
*) Regesta imperii II, 1 19 ff.
Hittoritche Zeitochrift (97. Bd.) 3. Folge 1. Bd. 10
138
H. ßreßlau,
Jahre aulgezeichnet sein mag, und die des Augsburger Mönches
Gerhard, dessen Biographie des Bischofs Udalnch von Augs-
burg bald nach 983 abgeschlossen ist Von einem anderen
Gefechte, vielleicht einem Verfolgungsgefechte nach der Haupt-
schlacht, erzählen außerdem die St Galler Annalen ; was die
übrigen Quellen des 10. Jahrhunderts melden^ ist dürftig und
bietet nur wenige Ergänzungen zu der Darstellung der beiden
Hauptberichterstatter; spätere zum Teil sagenhaft entstellte,
zum Teil auf Mißverständnis der älteren Quellen beruhende
Darstellungen lehren uns nichts, was unsere Kenntnis wirk-
lich bereicherte.
Von den beiden Hauptquellen aber schildert nur die eine,
die Chronik Widukinds, die Schlacht selbst. Gerhard erzählt
eingehend die Belagerung Augsburgs, die der Schlacht voran-
ging, gibt aber von dieser selbst keinen eigentlichen Bericht;
doch sind einzelne Angaben , die er über Vorgänge vor und
nach der Schlacht macht, auch für unsere Kenntnis von der
Schlacht selbst von großer Wichtigkeit
Auf den Berichten Widukinds und Gerhards hat darum
mit Recht D. Schäfer die scharfsinnige Untersuchung aufgebaut,
die er zuletzt nach zahlreichen Vorgängern der Ungarnsclilacht
von 955 gewidmet hat»^) Im Anschluß an E. F. Wyneken^),
aber im Gegensatz zu der herrschenden Meinung und in ge-
nauerer Begründung der Wy^nekenschen Ansicht gelangt er 2U
dem Ergebnis, daß die Schlacht nicht auf dem Lechfelde» d. h.
der Ebene südlich von Augsburg zwischen Lech und Wertach'),
stattgefunden habe, sondern daß das Schlachtfeld im Norden
oder Nordwesten von Augsburg gesucht werden müsse; er
ist deshalb geneigt, einer Notiz der späteren Annales Zwifal-
tenses eine gewisse Bedeutung beizumessen, die die Schlacht
nach Kolital, d, h. wie man annimmt, nach dem heutigen
Kühlenthal, einem etwa 25 km nord nordwestlich von Augs-
burg zwischen Schmutter und Lech gelegenen Orte, benennen.
I
I
I
») Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1905, Nr XXVII.
■) Forschungen zur deutschen Geschichte 21, 239 ff.
*) Diese ist das sog, schwäbische Lechfetd. Allerdings gilt
der Name auch für einen Teil des am rechten (bayerischen) Lech-
ufer üegenden Landes, s. unten.
Die Schlacht auf dem Lechfelde.
L39
Seine Ausführungen haben in der Historischen Zeitschrift
(95, 529) und im Neuen Archiv (31, 249) Zustimmung gefunden;
ein Widerspruch dagegen ist bisher, so viel ich weiß^ noch
nicht erhoben worden.
Auf den ersten Seiten seiner Abhandlung hat Schäfer einen
alten und eingewurzelten Irrtum fein und glücklich berichtigt.
Vor der Belagerung Augsburgs haben nach der Vita Udalricl
die Ungarn das Land der Bayern von der Donau ^usque aä
nigram siivam, quae pertinei ad monlana' verwüstet, dann
den Lech überschritten, ALamannien okkupiert, die Kirche der
[til Afra bei Augsburg verbrannt, das ganze Gebiet von der
[Donau bis zum WaJde ausgeplündert und den größten Teil
des Landes bis zur liier mit Sengen und Brennen heimgesucht
Schlagend weist Schäfer nach, daß unter der nigra silva hier
^ nicht, wie man bisher allgemein angenommen hatte, unser
Schwarzwald verstanden werden könne, daß vielmehr notwendig
die nördlichen Vorberge der Alpen damit gemeint sein müssen.^)
Seine Darlegungen haben seitdem noch eine zwar nicht not*
wendige, aber willkommene Unterstützung durch den von
V* Ernst geführten Beweis erhalten^), daß noch im 16. Jahr-
hundert das Wald- und Berggebiet zwischen Tegernsee und
Achenbach Scbwarzwald genannt worden ist*
So dankenswert nun aber dieser Nachweis auch ist —
wenn V* Ernst meint, daß Schäfer gerade durch ihn eine klare
Situation für seine Untersuchung über die Ungarnschlacht am
Lech gewonnen habe, so wird man dem doch nicht zustimmen
kennen* Für diese ist die Situation mit völliger Klarheit durch
0 Zu S. 557 bemerke ich^ daß von den zwei Belegen, die
Schäfer für die Anwendung des Namens Schwarzwald auf das
heute 80 benannte Gebirge aus der Zeit vor dem IL Jahrhundert
anführtj der zweite zu streichen ist. Die Urkunde, angeblich von
983 für S, Blasien DO. If. 297, ist eine Fälschung aus dem Ende
des IL oder dem Anfang des 12. Jahrhunderts, vgl, Wibel im
N. Archiv 30, 152 ff. — Wie in der Wendung ^nlgra siiva quae
periinet aä montana* das letztere Wort die Alpen bedeutet, so
auch 'in dem letzten Sat^e^[der Vita Udalrici, demzufolge der
Leichnam Herzog Ottos von Lucca über die ^montana* nach
Aschaffenburg gebracht wird.
») N. Archiv 3!, 249 L
10*
140
H. Breslau,
die ganz feststehende und niemals bestrittene Tatsache ge-
geberif daß die Ungarn kurz vor der Schlacht ihr Lager in der
Nähe von Augsburg aufgeschlagen i) und die Stadt des
hl. Udalrich angegriffen haben. Ob ihre plündernden und ver-
wüstenden Scharen, ehe ihre Hauptmacht zur Belagerung
Augsburgs zusammengezogen wurde, westlich bis an den
Schwarzwald ^ wie man früher glaubte, oder nur bis an die
Hier, wie Schäler nachgewiesen hat, vorgedrungen sind, und
ob sie südlich bis an jenen, von Ernst nachgewiesenen
bayerischen Schwarzwald oder weiter oder weniger weit ge-
kommen sind, das trägt für die Frage ^ wo das Schlachtfeld
vom 10. August 955 zu suchen ist, so viel ich wenigstens zu
sehen vermag, nicht das geringste aus.
Für diese Frage entnehmen wir der Vita Udalrici, daß die
Ungarn an zwei aufeinander folgenden Tagen — wie man an-
nimmt Bjn 8. und 9* August^) — Angriffe gegen die Stadt
unternahmen, am zweiten Tage aber, d. h. also nach der
herrschenden Annahme am 9, August, den Angriff, der gleich
nach Sonnenaufgang begonnen war, abbrachen, ehe noch ein
eigentlicher Kampf sich entsponnen hatte, weil ihr König die
Nachricht erhielt, daß das Heer Ottos heranziehe. Darauf
hielt der Ungarnkönig Kriegsrat und entschloß sich, Otto ent-
gegenzurücken, um nach seiner Besiegung zurückzukehren
und die Stadt und das Reich in seine Gewalt zu bringen. Die
^) Mit Schäfer S* 55S nehme ich an, daß das später von Otto
eingenommene Lager sich südlich von Augsburg befunden hat.
Wenn Grandaur (in der Übersetzung der Vita Udalrici S. 97) es
östlich von der Stadt, zwischen dieser und dem Lech sucht, so
scheint mir das nicht ausreichend begründet zu sein. Wenn Ger-
hard berichtet, daß bei dem ersten Angriff der Ungarn auf die
Stadt ein besonders starker Haufe gegen das Osttor angestürmt
sei, so folgt daraus doch keineswegs, daß hier auch das Lager
der Feinde gestanden habe.
>) Ich behalte diese Daten, den 8. und 9. August, hier und
im folgenden bei^ obwohl ich von ihrer [Richtigkeit nicht ganz
sicher überzeugt bin. Da es nicht meine Absicht ist, die Ge-
schichte der Belagerung von Augsburg hier nachzuprüfen, so kann
ich es unterlassen, gewisse Bedenken, die ich gegen die herr-
schende Ansicht hege, ausführlicher zu entwickeln.
i
r
i
4
4
Die Schlacht auf dem Lechfelde.
141
Nachricht aber überbrachte den Ungarn der bayerische Graf
Bertold, der Sohn des 954 im Kampfe gegen Otto gefallenen
Pfalzgrafen Arnulf, der von seiner Burg RisinesburCf d, h. dem
heutigen etwa 2 km östlich von CUnzburg belegenen Reisens-
burg, herbeigeeilt war. In der nächsten Nacht, d. h. also in
der Nacht vom 9. auf den 10. August, 20g der Bruder des
Bischofs Udalrich, Graf Diepold, mit einem Teile der Besatzung
aus Augsburg ab, und stieß zum Heere des heranziehenden
Königs. Nach der Schlacht, die am 10. August stattfand, sah
man von den Augsburger Festungswerken aus die fliehenden
Ungarn an der Stadt vorbeiziehen , um eilig das jenseitige
Ufer des Lech zu gewinnen» Der König verfolgte sie und
gelangte am Abend des 10* nach Augsburg, wo er über-
nachtete. Am IL setzte er die Verfolgung fort und kam an
diesem Tage in das Land der Bayern, d. h. ans rechte
Lechufer.
Was wir aus diesen Angaben Gerhards, an deren Glaub-
würdigkeit wir durchaus festhalten dlirten^), über den Verlaut
und die Örtlichkeit der Schlacht erschließen können « wird
nachher zu erörtern sein ; zunächst wenden wir uns dem
ausführlichen Schlachtberichte zu, den Widukind gibt*
Widukind berichtet im 44 Kapitel des dritten Buches seiner
Chronik, daß Otto um den L Juli 955 aus Bayern, wo er den
Aufstand gegen seinen Bruder Heinrich niedergeworfen hatte,
zurückkehrend in Sachsen eingetroffen sei. Hier fanden sich
ungarische Gesandte, in Wirklichkeit Spione, an seinem Hofe
ein, und nach deren Entlassung erhielt der König von Herzog
Heinrich die Meldung, daß das ungarische Invasionsheer die
Reichsgrenze überschritten habe. Er entschloß sich sofort
gegen sie zu ziehen, führte aber nur eine kleine sächsische
Schar mit sich, da ein Kampf gegen die Slaven bevorstand.
Im Grenzgebiet von Augsburg (in confinlis Aagasianuetirbis)
schlug er sein Lager auf; hier stießen das bayerische und
das fränkische Aufgebot zu ihm; auch der Schwiegersohn des
^) Den Versuch Brückners, Studien zur Geschichte der säch-
sischen Kaiser (Diss. Basel I8S4) S. 17 ff., diese Glaubwürdigkeit
Gerhards anzuzweifeln, hat Schäfer S, 554 M. 1 mit Recht in aller
Schärfe zurückgewiesen.
142
H. Breßlau,
Königs, der frühere Herzog Konrad von Lothringen, fand sich
mit einer starken Reiterschar hier ein. Streif scharen meldeten
die Nähe der Ungarn; der König ordnete au! ihre Meldung
ein Fasten in seinem Lager an und befahl am folgenden Tage,
zur Entscheidungsschlacht bereit zu sein. In der ersten
Morgenfrühe des 10. August zog man mit fliegenden Fahnen
aus dem Lager. Der Marsch des Heeres wurde durch
schwieriges Gelände (per aspera et diffidlia loca) geleitet, um
den Feinden keine Gelegenheit zu Angriffen mit Pfeil und
Bogen zu geben, gegen die der Wald die marschierenden
Kolonnen schützte (arbusiis ea, sciL agmina^ protegentibus)})
Das Heer war auf dem Marsche in acht Abteilungen gegliedert*
Die ersten drei Abteilungen bildeten die Bayern, die vierte
die Franken. In der fünften und stärksten Abteilung befand
sich der König selbst; wir müssen annehmen, daß die Sachsen,
die sonst nicht erwähnt werden, zu dieser Abteilung gehörten.
Die sechste und siebente Abteilung bestand aus dem
schwäbischen Aufgebot; die achte und letzte aus 1000 Böhmen ;
bei dieser, die die Nachhut bildete, befanden sich das Gepäck
und der Troß. Gerade gegen diese aber richteten unerwarteter-
weise die Ungarn ihren ersten Angriff. Sie überschritten den
Lech, umgingen das deutsche Heer und griffen die achte Ab*
teiiung mit Pfeil und Bogen an; die Böhmen wurden geworfen,
das ganze Gepäck fiel in die Hände der Feinde. Auch die
beiden schwäbischen Heerhaufen, d. h. also die siebente und
sechste Abteilung, wurden unter großen Verlusten von den
Ungarn in die Fluch! geschlagen. Da nun der König erkannte^
daß der Kampf in der Front zu bestehen, und daß zugleich
hinter seinem Rücken die letzten Abteilungen in Gefahr seien,
schickte er den Herzog Konrad mit der vierten Abteilung
gegen den Feind, dem es gelang, die Ungarn zu schlagen und
ihnen die Gefangenen und die Beute wieder abzunehmen, und
der danach als Sieger zum König zurückkehrte.
An dieser Stelle unterbricht Widukind in ungeschicktester
Weise seine Schilderung der Schlacht. Mit den Worten : Dum
ed geraniur in Baioaria^ varie pugnaium est a preside Thiadrim
^) Die Stelle ist in Schottin-Wattenbachs Übersetzung ganz
miBv er standen.
Die Schlacht auf dem Lechfelde.
143
aduersus barbaros teilet er das 45. Kapitel ein, das wie der
Anfang des 46, wahrscheinlich einen nachträglichen Einschub
darstellt^), und in dem ein unglücklicher Kampf des sächsischen
Markgrafen Dietrich gegen die Slaven erzählt wird. Mit der
Bemerkung, daß man deswegen und wegen ungewöhnlicher
Naturereignisse in Sachsen in großer Besorgnis um das
Schicksal des Königs und seines Heeres gewesen sei, beginnt
das 46. Kapitel und eben diese Bemerkung führt uns zu Otto
zurück. Offenbar da wieder anknüpfend, wo er abgebrochen
hatte, erzählt Widukind den weiteren Verlauf der Schlacht
folgendermaßen: Als nun der König erkannte, daß jetzt die
ganze Wucht des Kampfes in der Front zu bestehen sei, hielt
er eine Anrede an seine Krieger (die ich natürlich nicht
wiederhole, obwohl sie ein Prachtstück Widukindscher Rhetorik
ist), und begann dann als der erste den Angriff gegen den
Feind* Die Kühneren unter den Ungarn leisteten anfangs
Widerstand, als sie aber ihre Kameraden fliehen sahen, wurden
sie erschreckt, gerieten unter die Deutschen und wurden
niedergemacht Von den übrigen erreichten einige die nächsten
Dörfer, wurden hier von Bewaffneten umringt und mit den
Häusern verbrannt; andere schwammen durch den nahen
Strom, kamen aber, da das jenseitige Ufer keinen Halt zum
Aufsteigen bot, in den Finten um. Das Lager der Ungarn
wurde noch an diesem Tage genommen , am nächsten und
übernächsten Tage wurde die Verfolgung fortgesetzt*
Wie unklar und unvollständig dieser Bericht ist^) — auch
abgesehen von der erwähnten störenden Einschiebung — be-
darf kaum einer Auseinandersetzung, Weder über die Marsch-
richtung des Königs ^ ehe er sein Lager in der Nähe von
Augsburg aufschlägt, noch darüber, woher Otto erfahren habe.
^) Diese ungeschickte Einschaltung hat bekanntlich Thietmar
veranlaßt, die Schlacht auf zwei Tage, den 9, und 10, August,
2u verteilen. Da0 davon keine Rede sein darf, Ist jetzt allgemein
anerkannt, und ich kann ee mir daher ersparen, näher darauf
einzugehen,
■) Dem Urteil Schäfers (S. 566), daß der Bericht Widukind»
klar und deutlich sei, kann ich mich auch hinsichtlich der Schlacht
selbst, auf die sich das Urteil wohl beziehen soll, nicht unbedingt
anschließen.
U4
H. Breslau,
daß er den Feind gerade hier aufsuchen müsse , sagt der
Corveier Mönch ein Wort. Daß hier die Bayern und Franken
zu ihin gestoßen seien, erzählt er; von der Vereinigung mit
den Schwaben und Böhmen^ die wir während der Schlacht im
Heere des Königs finden, spricht er nicht. Nach dem Wort-
laut seines Berichts sollte man zunächst annehmen, daß das
ganze Heer der Ungarn die Umgehungsbewegung ausgeführt
hätte, während wir nachher erfahren, daß die Hauptmasse der
Ungarn vor der Front der deutschen Marschordnung ge-
standen habe^ so daß nur ein Teil ihres Heeres jenes Manöver
ausgeführt haben kann. Nach dem Wortlaut seines Berichtes
müßte man weiter annehmen — und das scheint Schäfer (S. 564)
denn auch zu tun^) — , daß der König die vierte Abteilung unter
Herzog Konrad zur Abwehr des ersten Angriffs der Ungarn
erst dann herb ei beordert habe, aJs diese nach der Niederlage
der Schwaben unmittelbar hinter der fünften, d. h, der vom
König kommandierten Abteilung standen, während man doch
schwer glauben kann, daß die Sache sich wirklich so verhalten
habe. Es ist kaum denkbar, daß ein Feldherr wie Otto mit
der Herbeiberulung der Verstärkung so lange gezögert hätte,
bis die Feinde in seinem RUcken standen, und ebenso unwahr-
scheinlich, daß die Ungarn, wenn sie schon vor der Erteilung
des Marschbefehles an den Schwiegersohn des Königs so weit
vorgedrungen gewesen wären, den Angriff auf Otto selbst
unterlassen und sich ruhig verhalten hätten, bis die Franken
unter Konrad heransprengten* Vielmehr wird, wenn man der
Erzählung Widukinds überhaupt glauben will, angenommen
werden müssen, daß der König den Befehl an Herzog
Konrad ergehen ließ, sobald er die Meldung von dem Rücken-
angrif! der Ungarn auf die Böhmen, oder spätestens sobald
er von ihrer Niederlage und der Gelährdung der beiden
schwäbischen Abteilungen erfuhr. Schließlich findet sich in
Widukinds Bericht noch eine auffallende Lücke. Am Schlüsse
von Kapitel 44 — vor der Unterbrechung der Erzählung —
befindet sich das deutsche Heer noch in der Marschordnung,
Otto steht hinter den drei bayerischen Abteilungen und, wenn
I
■
S. 257.
^) Ebenso Giesebrecht L, 422; weniger bestimmt Dümmler
Die Schlacht auf dem Lechfelde. 145
Konrad nach der siegreichen Abwehr des ungarischen RUcken-
angriffes seine frühere Stellung wieder eingenommen hat, auch
hinter diesem. Als die Erzählung wieder aufgenommen wird,
greift er an der Spitze des Heeres die Ungarn an (primus
equum in hosies vertit). Inzwischen muß also eine Änderung in
der Formation des deutschen Heeres vor sich gegangen sein ;
es ist aus der Marschordnung in die Schlachtordnung über-
gegangen, bei der Otto mit den Seinen vorn steht ^): aber
Widukind sagt davon kein Wort. Und wie kurz ist endUch
im Vergleich mit der SchUdening des ersten Angriffes der
Bericht über die eigentlich entscheidende Schlacht gehalten:
Otto greift an, die Feinde widerstehen und werden besiegt,
das ist alles, was wir erfahren.
Doch ich halte mit diesen Bemerkungen inne, wie es
denn ja nicht meine eigentliche Absicht ist, den taktischen
Verlauf der Schlacht zu besprechen; ich wende mich nur der
Frage zu: wo haben nach Widukinds Meinung die von ihm
geschUderten Kämpfe sich abgespielt ? Wohl verstanden : nach
Widukinds Meinung; ich frage zunächst noch nicht, wo sie
wirklich stattgefunden haben. Dieses zu ermitteln ist Aufgabe
der Kritik, jenes festzustellen ist ausschließlich Aufgabe der
Interpretation. Die Kritik hat Widukinds Bericht auf seine
Glaubwürdigkeit zu prüfen und zu diesem Behuf seine Angaben
mit denen anderer Quellen zu vergleichen; die Interpretation
will nur klarlegen, was Widukind gemeint hat, und zwar wenn
möglich aus seinem eigenen Berichte. Die Interpretation hat
aber der Kritik voranzugehen; man kann den Bericht eines
Schriftstellers nicht beurteUen, ehe man ihn erklärt hat. Daß
diese beiden methodisch verschiedenen Operationen — Inter-
pretation und Kritik — nicht genügend auseinander gehalten,
sondern miteinander verbunden worden sind, hat m. E. die
neueren Untersuchungen über unsere Frage nicht günstig be-
einflußt.
0 Giesebrecht 1, 423 hat die Lücke in Widukinds Bericht
ausgefüllt und läßt Otto, als der Feind im Rücken nicht mehr
zu fürchten war, sein Heer „in weitausgebreiteter Schlachtord-
nung* gegen den Feind ordnen.
146 ^^^ H. Breßlau,
Widukind erzählt, daß die Ungarn vor ihrem AngriO auf
die Deutschen den Lech überschritten haben. Daraus folgt
für jeden unbefangenen Leser, der Widukind nur aus sich selbst
erklären will, daß nach der Meinung des SchnftsteHers —
gleichviel, ob sie richtig oder falsch ist — die Ungarn und
die Deutschen vor der Schlacht durch den Fluß getrennt
waren; entweder muß Widukind geglaubt haben, daß die
Ungarn vor der Schlacht links vom Lech gestanden haben^
die Deutschen aber auf dem rechten Ufer des Stromes, oder
er hat sich die Stellung der beiden Heere umgekehrt gedacht.*)
Ganz unzulässig aber ist es mit Dümmler, Wyneken, Riezler,
Grandaur, Schäfer, die aus anderen Erwägungen zu der
Überzeugung gekommen sind, sowohl die Deutschen wie die
Ungarn hatten sich vor der Schlacht auf der linken Seite des
Lech befunden und hier sei denn auch gekämpft worden^
diese Überzeugung mit dem Berichte Widukinds dadurch in
Übereinstimmung zu bringen, daß ein zweimaliger Lechüber-
gang der Ungarn oder wenigstens des zur Umgehung der
Deutschen detachierten Teiles der Ungarn angenommen wird^),
zuerst vom linken Ufer des Lech auf das rechte und dann
vom rechten Ufer auf das linke zurück. Auf diesen Gedanken
konnte schlechterdings kein Leser von Widukinds Erzählung
verfallen, dem nicht andere Schlachtberichte zur Kontrolle zur
Verfügung standen; und wie gering man auch die schrift-
stellerische Befähigung des Corveier Mönches einschätzen
mag, für so gedankenlos, wie ihn diese Annahme erscheinen
lassen würde, darf man ihn denn doch nicht halten. Zum
Überfluß aber zeigen auch seine eigenen Worte auf das klarste,
daß er keineswegs an einen zweimaligen Lechühergang gedacht
zu haben braucht. Indem er nämlich nach der Erzählung des
zurückgewiesenen Rückenangriffes der Ungarn jenen oben
■) Das letztere hat Köstler, Die Ungarnschlacht auf dem
Lechfeld, München 18S4, S. IS. 23 IL angenommen; die Ausfuh-
rungen des Textes widerlegen ihn zur Genüge.
*) Giesebrecht hat diese Annahme in der letzten Ausgabe
S. 832 fallen lassen und deshalb den Lechühergang aus seinem
Schlachtberichl vöUtg gestrichen^ wie mir scheint, mit vollem
Recht* Auch v. Ottenthai S. 121 hat die Annahme für bedenklich
erklärt.
Die Schlacht auf dem Lechfelde.
147
erwähnten Einschub Ober die Kämpfe Dietrichs in Sachsen
macht, fügt er diesen mit den bereits angeführten Worten :
äum ea geruniur in Baloana an die vorangehende Erzählung
an. Er erklärt also mit einem Ausdruckf der, wenn nicht aof
jede Interpretation seines Berichtes verzichtet werden soHj
völlig unzweideutig und gar nicht mißzuverstehen ist, daß die
Ungarnschlacht in Bayern, also am rechten Ufer des Lech
stattgefunden habe, i) Nun isl sein Lechlibergang vöHig klar.
Widukind wird gewußt haben, daß die Ungarn vor der Schlacht
Augsburg angegriffen haben, und daß sie von dort aus dem
heranrückenden König entgegengezogen sind; wenn er nun
überzeugt war, das Schlachtfeld habe in Bayern gelegen, was
er ja ausdrücklich sagt, so mußte er die Ungarn natürlich vor
dem Beginn des Kampfes über den Lech gehen lassen, den
er als Grenzfluß zwischen Schwaben und Bayern angesehen
haben wird-^) Aber selbstverständlich nur einmal, und nicht
wie die Neueren in ihn hineininterpretieren, zweimal^ nämlich
zuerst von links nach rechts und dann wieder von rechts
nach links zurück.
Darin bin ich nun freilich mit eben diesen Neueren durch-
aus einverstanden, daß Widukinds Voraussetzung falsch ist,
und daß in Wirklichkeit das Schlachtfeld nicht in Bayern,
sondern in Schwaben und nicht am rechten, sondern am
linken Lechufer zu suchen ist. Denn das Ist nach den An-
gaben des Augsburgers Gerhard» die in dieser Beziehung
durchaus den Vorzug verdienen^ ganz unzweifelhaft. Wenn
die Meldung vom Anmarsch Ottos dem Ungarnkönig durch
Berthold von der Reisensburg aus überbracht wurde, so kann
Otto von Nordwesten oder von Westen, keinesfalls aber von
Osten her durch Bayern gegen den Lech und Augsburg vor-
gerückt sein. 3) Wenn die fliehenden Ungarn, wie man von
^) Wyneken ist an zwei Stellen (S.245 und S.249) dieser Er-
kenntnis ganz nahe gewesen, hat sie dann aber fallen lassen, weil
er Interpretation und Kritik nicht auseinander halt; vgl, auch
Schäfer S. 567.
*) Daß ein kleiner Teil des schwäbischen Augstgaues noch
rechts vom Lech lag, hat Widukind schwerlich gewußt,
') Weshalb der König nach Westen ausgebogen ist, statt von
Sachsen aus durch Thüringen, Franken und Bayern zu mar-
118 ^^^ H. Breßlau,
den Werken der Stadt aus beobachtete^ an dieser vorbei dem
Lech zueilten, und wenn Otto am Abend des ID. August nach
der Einnahme des ungarischen Lagers nach Augsburg kam
und die Verfolgung nach Bayern hinein fortsetzend am
IL August den Lech überschritt, so beweist das, wie SchMfer^)
mit Recht bemerkt, mit voller Sicherheit (und niemand zweifelt
ja auch daran), daß die Ungarn am Schlachttage Bayern und
nicht Schwaben im RUcken gehabt haben, d. h. daß die Schlacht
am Hnken Lechufer ausgefochten ist»
Daraus folgt denn also, daß Widukind, mag er auch vom
Verlauf und den Polgen des Kampfes eine gewisse Kunde ge-
habt haben ^)j von der Lokalität der Schlacht und der Richtung
des königlichen Marsches nicht nur nichts Genaues, sondern
überhaupt nichts Zutreffendes gewußt hat. Danach aber
werden wir weder, wie Wyneken getan hatj die Nachricht vom
Lechlibergang der Ungarn benutzen dürfen, um die Möglich-
keit, daß Otto von Westen her^) auf das Lechfeld vorgerückt
schieren, kann man wenigstens vermuten. Aus der Vita Brunoms
erfahren wir, daß man in Lothringen den Einlall der Ungarn be-
fürchtete. Dies unruhige Grendand zu decken, mag die erste
Absicht des Königs gewesen sein, die er aufgegeben haben
mag, als er von^ ihrer Konzentration um Augsburg Nachricht
erhielt*
') Schäfer S. 559. Aber der Umstand, daß Widukind die
Ungarn auf den Lech zu fliehen läßt, darf nicht im gleichen Sinne
verwertet werden. Nicht die Flucht auf den Lech zUi sondern
die Flucht an der Stadt vorbei auf den Lech zu ist be-
weisend.
•) Die Angabe von dem am Tage vor der Schlacht ange-
ordneten Fasten und von dem Beginn des Kampfes* am frühen
Morgen bestätigt Ruotger, Vita ßrunonis Kap. 35; die von der
Flucht der Ungarn zum Lech Gerhard. Die Anwesenheit der
ßöhmen erwähnen Flodoard und die Ann, Sang, matores; die
Nähe des Lech, die Größe der Verluste auf beiden Seiten> die
Tapferkeit und den Tod Herzog Konrads zahlreiche Quellen.
Die meisten übrigen Angaben über die Schlacht hat Widukind
allein.
") Auf die Nachricht des Simon de Keza, daß er ^di Ulmensi
curia" gekommen sei^ würde man erst Wert legen dürfen, wenn
ermittelt wäre, woher sie stammt.
1
Die Schlacht auf dem Lechfelde. 149
sei, zu eliminieren, noch mit Schäfer aus der Angabe Widu-
kinds über die Beschaffenheit des vom König beim Marsch
am Morgen des 10. August passierten Geländes bestimmtere
Folgerungen ziehen dürfen.
Die sonstigen Erörterungen aber, die Wyneken und Schäfer
über die Momente, die für die Ansetzung des Schlachtfeldes
in Betracht kommen, angestellt haben, scheinen mir über
Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten nicht hinauszu-
kommen. Und so würden wir denn wohl in der Lage sein,
uns mit der Feststellung, daß die Schlacht am linken Ufer des
Lech unweit Augsburg stattgefunden habe, zu begnügen ^), wenn
wir nicht eine positive und durchaus glaubhafte Angabe be-
säßen, die uns eine genauere Bestimmung der Schiachtfelder
ermöglichte.
Indem DUmmler das Lechfeld als den Ort der Schiacht
betrachtet, bezieht er sich auf das dritte Kapitel der Vita
Udalrici^), und noch bestimmter hat v. Ottenthai ^) sich aus-
gedrückt, indem er schreibt, daß an dieser Stelle der Vita das
Schlachtfeld am genauesten bezeichnet sei. Ottenthals Regesten
haben Wyneken noch nicht vorgelegen, aber DUmmiers Jahr-
bücher hat er gekannt, und er muß von der Art, wie Dümmler
zu arbeiten pflegte, doch nicht die richtige Vorstellung gehabt
haben, wenn er nach einem Blicke auf den Anfang jenes
Kapitels, Dümmlers Zitat mit der Bemerkung abweist^), daß
Gerhard an jener Stelle zwar das Lechfeld erwähne, aber
nicht in Verbindung mit der so genannten Schlacht. Leider
hat sich ihm auch Schäfer^) angeschlossen, der sich nun auch
gegen Ottenthai wendet und sich nur noch viel schärfer aus-
*) Daß Lampert von Hersfeld (ed. Holder-Egger S. 36) von
einer Schlacht auf dem Lechfeldjspricht, beweist, da seine Quelle,
die verlorenen Hersfelder Annalen, wahrscheinlich nur eine Schlacht
am Lech erwähnte, höchstens so viel, daß es im 11. Jahrhundert
eine Tradition von der Lechfeldschlacht gab. Daß Lampert die
Stelle der Vita Udalrici, von der ich gleich rede, im Auge gehabt
habe, ist höchst unwahrscheinlich.
>) Otto der Große S. 256 N. 6.
*) Regesta imp. 11, 121.
*) Wyneken S. 239.
•) Schäfer S. 552.
tiO
H. Breslau,
drückt, indem er sagt, daß die angeführte Stelle der Vita mit
der üngarnschlacht schlechterdings nichts zu tun habe und
nur eine Für die Schlacht ganz bedeutungslose Erwähnung
des Lechfeldes sei. In Wirklichkeit liegt die Sache ganz
anders, und OUmmler und OttenthaJ haben sich mit vollem
Recht auf Gerhards Schrift berufen.
In Kapitel J der Vita wird eine Vision Udalrichs erzählt
Eines Nachts erscheint ihm die hl. Afra und führt ihn auf die
Ebene, die man zu deutsch Lechfeld nennt (Jn campum quem
Lechfeiä vuigQ äicunt). Hier sieht Udalrich zuerst den hl. Petrus,
der mit Bischöfen und anderen Heiligen ein Konzil abhält^
auf dem Arnulf von Bayern wegen Verwüstung vieler Klöster
verurteilt wird; Petrus richtet darauf an Udalrich das Wort
und gibt unter dem Bilde der beiden Schwerter, deren einem
der Griff fehlt, sein oft besprochenes Urteil über die Ablehnung
der Salbung und Krönung durch Heinrich h ab» Nach be-
endetem Konzil zeigt die hK Afra ihrem Schützling den Platz
des Lagers, wo später (im Jahre 952, füge ich hinzu) Otto l
eine königliche Sprache hielt und die Huldigung der Könige
Berengar und Adalhert von Italien entgegennahm. Und nun
heißt es weiter: ^indicavUque ei veniuram super^fressianem
Ungromm et loca belli eij quamvis labari&se, tarnen nctorlam
Christian is concessam esse nunciavit^ Es ist also gewiß nicht
richtig, wenn Schäfer sagt, daß die von Diimmler und Otten-
thal angeführte Stelle mit der Ungarnschlacht schlechterdings
nichts zu tun habe und für sie ganz bedeutungslos sei. Viel-
mehr ist sie für unsere Frage geradezu von höchster Bedeu-
tung* Wenn Gerhard, der in Augsburg lebende Zeitgenosse
Udalrichs^ die hl* Afra seinem Helden eben auf dem Lechfelde
das Schlachtfeld (loca belli) von 955 1) jjeigen läßt» so ist
das ein schlechthin entscheidendes Zeugnis dafür, daß die
*) Die Einrede, daß unter Joca beili* nicht das Schlachtfeld,
sondern die Stätte der Kämpfe bei der Belagerung von Augs-
burg zu verstehen sei, glaube ich nicht befürchten zu mUssen.
Von anderem abgesehen ~ um ihm diese Ortüchkeit zu zeigen,
brauchte die Heiüge ihren Schützling nicht aus der Stadt heraus
auf das Lechfeld zu führen.
Die Schlacht auf dem Lechfelde.
151
Schlacht dort wirklich stattgefunden hatJ) Und wir werden
also ruhig fortfahren können, auch in Zukunft von der üngarn-
scblaeht au! dem Lechfefde zu reden.
^) Danach bedarf die Angabe der Ann. Zwifaltenses, daß die
Schlacht bei Kolital stattgefunden habCt wenn dies auf Kühienthai,
25 km nordnordwestlich von Augsburg, also eine Ortüchkeit^ die
man vom Lechfeld aus nicht sehen konnte, belogen werden muß,
jetzt keiner Widerlegung mehr* Was der Annalist von Zwiefalten
sonst von der Schlacht weiß, hat er aus Hermann von Reichenau
ausgeschrieben, daher denn die Richtigkeit dieser Angaben nicht
für die de» Zusatzes geltend gemacht werden kann. Woher aber
dieser stammt, wird wohl nicht zu ermitteln sein, Ist übrigens
die Deutung von , Kolital** auf Kilhlenthal ganz sicher? Förste-
mann stellt den Namen zusammen mit Choletal, das in dem
falschen Diplom Heinrichs IV. von 1073 für Kloster Rott (Stumpf
2767) erwähnt wird. Aber diese Zusammenstellung ist unrichtig;
Choletal steht in der Güterliste jener Urkunde zwischen Walchsee
und PiUersee, ist also sicher das heutige Kohlenthal im tirolischen
Bezirk von Kitzbuhel. Das heutige Kühlenthal scheint im 14, Jahr-
hundert Kdllenthal geheißen zu haben (Mon. Germ. NecroL 1,501).
— Auch auf die im 12, Jahrhundert zuerst auftretende Überliefe-
rung, daß das Schlachtfeld in der Nähe des „Gunzenl€* gelegen
habe, braucht nicht näher eingegangen zu werden. Allerdings
lag dieser heute verschwundene Hügel nach unzweifelhaften ur-
kundlichen Zeugnissen auf dem Lechlelde, Aber er befand sich,
wie Steichele gegen Fr* Pfeiffer völlig überzeugend nachgewiesen
hat, auf dem bayerischen Teil des Lechfeldes, d. h. also am rechten
Ufer des Flusses unweit Kissing: und wir haben gesehen, daß
die Schlacht auf dem schwäbischen Lechfeld, links vom Lech^
stattgefunden haben muß. Die Oberlieferung könnte vielleicht
dadurch entstanden sein, daß, wenn das Reichsheer von Augs-
burg aus einen Römerzug antrat, tür den ja das Lechfeld so oft
der Sammelplatz war, das Hauptquartier des Herrschers sich
mehrfach in der Nähe des Gunzenl^ befunden haben mag, wie
das wenigstens in einem Falle ganz sicher nachweisbar ist. So
mag man da, wo man über die Ortlichkeiten um Augsburg nicht
näher unterrichtet war, die Gegend um den Gunsenl^ mit dem
Lechfeld schlechtweg identifiziert haben.
152 R, Koser, Die Reichstagageschichte des brand, Oe sandten.
Die Reichstagsgeschichte des brandenburgischen
Gesandten Henniges.
Zuutz zur Hi*i ZeitKhrlH %, 20ft Anm. 2.
Von
R. Koser.
Die Comitiologia des brandenburgischen Reichstagsge-
sandten Heinrich v, Henniges, die mir im Geheimen Staats-
archiv inzwischen vorgelegt worden ist, kennzeichnet sich
als eine streng chronologisch nach Jahren und Monaten ge-
ordnete Darstellung der Vorgänge und Verhandlungen auf
dem Reichstage, für die Zeit von L662 bis 1711. Das umfang-
reiche Manuskript war druckfertig hergestellt. An eine post-
hume Veröffentlichung wird heute niemand denken, aber der
Spezialforscher wird diese acht handschrifthchen Folianten mit
Gewinn zu Rate ziehen können und bei der Benutzung sich
durch das von dem Verfasser ihnen beigegebene bequeme
Sachregister wesentlich unterstützt sehen. Die Beilagen zu
der Comitiologia, gleichfalls nach Jahren geordnet, geben
zu den Reichstagsakten des Geheimen Staatsarchivs eine
wichtige Ergänzung. Außerhalb des Rahmens seiner Comi-
tiologia hat Henniges einzelne Materien (die allgemeine Reichs-
verfassung 1663 — 1700, die Geschichte der neunten Kur, das
Reichsmünüwesen von 1665 bis 1692, die Legitimationsstreitig-
keiten, die Ryswicker Klausel, die bayerischen Wirren und die
wittelsbachischen Achtsprozesse u. a.) in besonderen Schriften
(«historischen Berichten^) behandelt.
I
Literaturbericht
Die hellenische Kultur, dargestellt von P. Baamgarten« P. Poland«
R. Wagoer. Mit 7 farbigen Tafeln, 2 Karten und gegen
400 Abbildungen im Text und auf 2 Doppeltafeln. Berlin
und Leipzig, B. G. Teubner. 1905. 474 S. Geh. 8 M., geb.
12 M.
Unwillkürlich muß man unsere Jugend beneiden, wenn
man sieht, in welcher Weise ihr heute das Altertum durch
Wort und Bild nahe gebracht wird. Die vorliegende Publi-
kation richtet sich an die weiteren gebildeten Kreise unter
besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse der oberen Klassen
unserer höheren Schulen; unter den Werken, welche dem
gleichen Zwecke dienen, ist das vorliegende zweifellos inhalt-
lich eines der gediegensten und äußerlich vielleicht das am
glänzendsten ausgestattete. Es umfaßt die Zeit bis Alexander
und soll in einem zweiten Bande die Kultur des Hellenismus
und des Römervolks bringen ; doch erscheint dieser erste Band
zunächst für sich allein und völlig abgeschlossen. Den Text
wird auch der Fachmann mit Interesse — denn er hält sich
fast ganz von Pedanterien frei — und nicht ohne mehrfache
Anregung lesen, die Fülle der Reproduktionen in ihrer Ver-
einigung (z. B. die beiden Dornauszieher) wird er mit Dank
benutzen. Bis in die letzten Zeiten ist das Fundmaterial aus-
genutzt, auch der Hermes des Alkamenes aus Pergamon, der
jetzt so unglücklich wie möglich im Tschinili-Kiosk aufgestellt
ist, hat schon Aufnahme gefunden. Das Buch wird gewiß bald
eine zweite Auflage erleben, dafür möchte ich ein paar Be-
merkungen anfügen. Die Stellung der homerischen Kultur zur
Hittorische Zeittclirift (97. Bd.) 3. Folge 1. Bd. 10**
I
154 ^^^^F Literaturben cht,
sog« inykeniscben scheint mir doch zu eng angenommen ; vor
allem soll man zwischen Kreta und der Argohs scheiden; der
Differenzen sind zu viele und zu starke- Man kann für unsern
Homer sicher nur den Beziehungen zum argolischen Zweige der
alten Mittelmeerkultur nachgehen; das wird sich je länger je
mehr herausstellen. Übrigens ist die Behauptung, daß unsere ■
Schrift die nur wenig von den Phönikem verbesserte Schrift
der mykentschen Epoche sei, doch sehr gewagt; zu beweisen
ist sie bis jetzt wenigstens nicht* Die Diodorstetle (V, 74),
die Evans am Schlüsse seiner Sonderausgabe der Cretan Picto-
graphes (S, 10^) nachträglich anführte — denn auf sie ist doch
wohl S, 39 hingedeutet — sollte aus der Diskussion aus-
scheiden; die Quellen sind hier doch zu bedenklich. — Für eine -
Darstellung einer Kultur treten meines Erachtens die Wirtschaft- f
liehen Momente, die doch zu den bestimmendsten Kulturfaktoren
' gehören, etwas sehr zurück; und dieser Mangel läßt sich nicht
etwa mit pädagogischen Rücksichten entschuldigen^ welche wohl
' in der Darstellung der Staatsverfassung last einzig Athen ins
\ Gesichtsfeld gezogen hat In der Literaturgeschichte kommt
I Archilochos in seiner Bedeutung zu kurz gegen Tyrtaios oder 1
Mimnermos fort; Kallinos konnte jenem ganz seinen Platz ein-
I räumen. Die Lyrikerzitate sollten mit den neuen, besseren
I Texten in Übereinklang gesetzt sein* Wenn Isokrates' Reden 1
politische Leitartikel genannt werden, so muß ich wohl unter
Leitartikel etwas anderes verstehen als der Bearbeiter dieses
Abschnittes. Wozu die zehn Redner aufzählen, wenn man von ■
\ Andokides z* B. nichts Wirkliches sagt? Unrichtig ist es« den
bestialischen Kerl aus dem Thermenmuseum wie eine Illustra-
tion zu Pindars Faustkämpfern unter Pindar einzurücken* Da
I gehört eine polykletische Gestalt oder ein entsprechendes
Vasen bild hin. Das Bild von Olympia (Nr. 9) ist wenig charak-
teristisch; der Kronoshügel muß in den Mittelpunkt, dafür
weniger verschwimmendes Vorfeld. Die Rekonstruktion von
Delphi auf dem Beiblatt macht sich ja malerischer und voller
als die bei Luckenbach, Olympia und Delphi, ist aber lange
nicht so klar und instruktiv wie diese. Endlich noch einen
Wunsch: fort mit den Feigenblättern, Wahre Ausrufungszeichen
hat man hingemalt, damit die Phantasie der Jugend erst recht
auf das gelenkt wird, wovon man sie ablenken wüK Weder
1
Alte Geschichte; Altchristliches»
155
der Apoxyoinenos aus Ephesos noch der Ephebe von Anti-
kythera trugen in diesem Frühjahr (1905) diese Schandmale:
W02U hier? Das Buch ist doch für junge Leute bestimmt^ die
in die Museen gehen sollen und für deren Museumsbesuch
die antiken Statuen nicht erst jeweilig mit Badehosen versehen
werden. Und wenn doch noch Konsequenz herrschte; aber
Harmodios und Aristogeiton und der Hermes des Praxiteles
erscheinen, wie Gott und Künstler den Menschen bilden» Doch
genug der Einzelheiten. Ich habe nur etwas Staub wischen
wollen, um auf Stellen zu deuten, wo vielleicht auch noch
der Besen zu tun haben könnte. Dem Gesamturteil geschieht
damit kein Abbruch: das Buch ist gut und ertreulich und
seinem Zweck entsprechend.
Straßburg i, E, ßruna Keii.
Jesus, wer er geschichtlich war. Von Arno Neymafln. Freiburg
u B. und Leipzig, P. Waetzel. 1904 3,20 M*
Die Giekhniase Jesu, Von !!• WeineL — Aus der Werdezeit des
Christentums. Von J. GefiTcken* Leipzig, Teubner. 1901.
(Aus Natur und Geisteswelt Bd. 46 u. 54.) Je 1,25 M.
Drei lür weitere Kreise berechnete Darstellungen aus der
Entstehungszeit der christlichen Religion^ doch alle drei keines-
wegs bloße Popularisierung von längst Bekanntem ;oder gar
Anerkanntem^ sondern aus griindlicher Beschäftigung mit den
Quellen erwachsen und selbständig nach Form wie Inhalt.
Neumann bemüht sich um eine Zusammenschau der Ergeb-
nisse aus der Leben -Jesu- Forschung der letzten Generation,
flicht möglichst vollständig, um die Selbstprüfung zu ermög-
lichen, das biblische Quellenmaterial ein; am engsten ange-
schlossen hat er sich an P, W. Schmiedel. Ohne alles dog-
matische Vorurteil, in geschichtlicher Kritik gut geschult, dabei
mit liebevollem Verständnis für den Mann, dessen Lebens-
morgen, Tagewerk und jähen Abend er schildern will, aus-
gerüstet, zeichnet er ein Bild der evangelischen Geschichte,
in dem ich nur ein paar Züge entschieden beanstanden wurde,
weniges vermisse — in den Abschnitten über Jesu Verkündi-
gung^, vieles mit Freuden begrüße. Selten begegnen Irrtumer,
wie S. S3, wo Herodias als Weib des Philtppus erscheint, der
doch vielmehr ihre Tochter geheiratet hat, oder S. 78, wonach
156 Llteraturberfcht
fast alle kritischen Theologen das Messiasbewußtsein in Jesu
schon bei seiner Taufe entstanden sein lassen. Was mir in
einigen Partien minder gefällt, hängt von Geschmtcksdifferenzen
ab; der Vf. reflektiert etwas reichlich über seine schriftstelle*
fischen Hoffnungen, Befürchtungen und Wünsche, über Mängel
z, B. des heutigen Schulunterrichts und im Betrieb unserer
inneren Mission; die „Summa** S. 193 bis 198 verläßt ganz den
Boden der Geschichtschreibung und bietet eine pädagogische
Predigt. I
Als eine feine Ergänzung zu N. könnte Weinel verwertet
werden mit seiner Darstellung von Jesu Seelenleben, denn dazu
weitet sich seine Studie aus, nachdem sie Gleichnisse und ■
Bildreden im allgemeinen, darauf das Wesen der Gleichnisse
Jesu und ihre Überlieferung erörtert hat. fn dem Bilde, das
er 111,9 bis IV, 3 (S. 61 bis 80) von Jesu als Gleichnisdichter
zeichnet, fehlen überhaupt keine wesentlichen 2üge Jesu; und
der Hauch halb künstlerischen halb religiösen Mitempfindens,
der über dieser Zeichnung liegt, hat keine Spur von Aufdring-
j lichkeit. Die Beigabe der korrekt verdeutschten Gleichnis-
I texte wird als Hilfsmittel zur Nachprüfung dem Nichtf achmann
wülkommen sein ; auf das dabei befolgte Einteilungsprinzip,
nach der nachweisbaren oder vermuteten ältesten Übersetzung;
I würde ich weniger Gewicht legen.
Den mannigfaltigsten Stoff hat Geffcken verarbeitet. Es
fehlt auch bei ihm nicht an Beiträgen zur evangelischen Ge-
schichte, sein Thema ist doch aber die Werdezeit des Christen*
tums. So schildert er die religiöse Prädisposition der antiken
^ Welt für die neue Religion, die enthusiastischen Erscheinungen
I (Apokalypsen, Sibylle), die ihm für das Christentum und nicht
I bloß für das der ältesten Zeit besonders charakteristisch er-
scheinen , er schildert die Verfolgungen und die literarischen
: Kämpfe zwischen Christen und Heiden, hier bis auf Augustin
' herabgehend; zum Schluß bietet er eine religionsgeschicht-
' liehe Skizze im großen Stil „Orient und Okzident im alten
I Christentum'', wo uns das letzte Wort dargereicht wird: es
war die religiöse Aktion des Orients, die den ganzen Westen
bezwang, die auch dem Christentum zu seinen ersten Siegen
verhaif, gegen die sich aber bald der okzidentalische Geist
der Kirchenväter mit aller Energie aufgelehnt und einen ge-
AltchristÜches; Araber*
!57
wissen griechischen Rationalismus durchgesetzt hat. Für tSit
Kirchengeschichtc ist diese schlechthjnnige Beifügung des
Griechentums zum Okzident sehr unbequem. Der Orient erhalt
last die Züg^ des biblischen Drachen. Auch sonst werden
die Gegensätze etwas schroff fixiert, die Striche möglichst dick
gezogen und höchste Skepsis wechselt mit starker Gläubigkeit
ab. Aber der Vf. schreibt in der glücklichen Zuversicht, es
bei der Betrachtung des Christentums leichter zu haben als
ein Theolog, der meist den Ausgangspunkt bei Christus nehme
und seine Kreise konzentrisch ziehe.
Das Interesse für die Jugendzeit der Kirche zu erwecken
ist G.s Büchlein vorzüglich geeignet; stimulierend, bisweilen
ecfiauffterend wird es auf die Fertigen wirken, immer aber heil-
sam, wofern nur der Leser nicht vergißt, daß der Vf. das Neue
und Hypothetische kräftiger herauszuheben liebt als das all-
gemein oder doch mit gutem Grund überwiegend Anerkannte*
Marburg. A. JiiUcker.
Hisiary of the Moorish Empire in Ettrope by S* /*♦ Scotts author
of , Traugh Spain'. Philadelphia j London , J, B. LippincoH
Company, 1904. L 2 u, 761 S.; IK 9 u. 686 S.; III. 9 u. 6% S.
3 voL
Obwohl der Vi seine PubUkatlon an dtn älteren Werken
seiner Landsleute W* Irving und W, H* Preseott mißt (I^ S. Vt)»
möchte ich sie für Europäer lieber mit der bekannten, fmn-
zösisch und deutsch erschienenen Geschichte des Niederländers
R. Dozy vergleichen. Umfänglich geht Scott erheblich über
Dozy hinaus. Während Dozy uns nur bis zum Aufkommen
der Almoraviden führt, beschreibt S. von Arabien und dem
Islam ausgehend die Eroberung des Maghrib, in Spanien die
Zeit der Westgoten, der arabischen Emire, das Chalifat, die
Reyes de Taifas, die Almoraviden, die Almohaden und so fort
bis zum Falle von Granada, ferner Araber und Normannen in
Sizilien und die Berührungen der Araber mit Frankreich, end-
lich (Bd. 3) die geistige und materielle Kultur jener Epoche
bis auf Ackerbau, Handel « Spiele, Vergnügungen und die
soziale Lage der Juden, Christen und Moriskos. Anders stellt
sich das innere Verhältnis der beiden Autoren. Dozy geht
Immer auf die ersten Quellen zurück und sucht den höchsten
158
LHeraturbe licht.
Aufgaben des Historikers gerecht zu werden. S. hält sich,
wenigstens was die islamischen Dinge angeht, Überwiegend
an abgeleitete, zum Teil antiquierte Darstellungen und glaubt
sich nicht an die Taciteische Forderung gebunden. Er schreibt
mit Begeisterung, ja stellenweise mit Leidenschaft. Zwei Stim-
mungen scheinen ihn durchweg zu beherrschen : Bewunderung
der arabischen Kultur und der Ingrimm des aufgeklärten Pro-
testanten gegen die geistige Macht, der Spanien seit Jahrhun-
derten verfallen ist Man darf sich nicht wundern, wenn sich
hieraus Übertreibungen, schiefe und einseitige Urteile ergeben.
So die Sätze : Modern sciencB unquesfionably owes everything h
Ar ab genius (III, 532) oder: the gen ms of ihe Mastern supericr
to those o/ all kis preäecessors (l\[, blb) oder: ih(Arab) civili-
zation, whick surpasseä the spienäars of Imperial Rome (III, 683).
Gerne hebe ich hervor« daß S., dank ethnographischer Bildung,
gewisse auch bei uns meist verkannte orientalische Gepflogen-
heiten verständig beurteilt, z. B. lllj 658* Der Islam wird im
ganzen richtig und nüchtern beurteilt, die Geschichte des
Propheten aber mit allen Zutaten der Legende kritiklos weiter-
erzählt. Das Arabertum wird unrichtig mit Nomadentum identi-
fiziert und komplizierte Verhältnisse späterer Zeiten einseitig
aus nomadischen Verhältnissen erklärt (III, 676. 672. 647. 637;
1, 201). Verkehrt ist es auch» bei einem Manne wie Ihn Tumart
nur von Jmposture'' zu sprechen (11, 252). Der spanische Dinar
wird III, 6 J6 treffend mit zwei Dollars angesetzt; danach sind
aber die I, 614. 618 gemachten Angaben zu berichtigen. Die
in Skandinavien und Sarmatien gemachten Funde spanisch-
arabischer Münzen sind kein schlagender Beweis für direkte
Handelsbeziehungen jener Länder (zu III, 620, vgl, II, 251). Die
Seife ist nicht eine Erfindung der Araber, sondern Sache und
Name sind aus dem Römerreiche zu den Arabern gedrungen
(zu III, 644). Der semitische Ursprung der Berbern (l, 136)
ist eine von den Arabern selbst erkannte Lüge. Die IIL 674. 106
gemachten Angaben über Zahl der Muslime sind zu niedrig
gegriffen. Leider wird hier auch die Verbrennung der alexandri-
nischen Bibliothek durch Amr wiedererzählt (III, 436. 439. 675),
Jslam bedeutet nicht „Friede" (L 113), sondern Hingebung.
I, 11 Z. 4 L easiern für wesiern 1, 372 besser Amana ; L ^^7
1. Najda; II, 254- 257 L Tinmelel; II, 249 Alexandrien für Kairo;
I
Araber; Frankreich.
im
111, 548 fusel/isa für soseißsa. Aber bei den Mängeln und Ver-
sehen ist das Werk, eine Arbeit von 20 Jahren, eine wertvolle
Bereicherung der Literatur dieses Gebiets^ besonders für Leser
englischer Zunge.
Jena. /T, Völlers.
Documenta relaiifs au comt^ de Champagne et de Brie 1172 — 1361,
pubiUs par Aagaste Loßgnoa* Tarne II: Le äomaine
^^^ com tat. Paris, Imprimerie nationale, 1904. L u. 743 S, 4\
^^K^ (CoUection de doc. in^dlts.)
^^B Die hohe Anerkennung, die dem ersten auf die Lehen
^^niezUgltchen Bande dieser Publikation zu zollen war (Histi
^^f Zeitschr, Bd. 92, S. 328), verdient der zweite, der die gleich-
f zeitigen Aufzeichnungen über die eigenen Besitzungen und
^^L Einkünfte des Landesherm umfaßt, in gleichem Maße. Das
■«wichtigste und zugleich umfangreichste Stück, das er enthält,
ist die ^Ententa {= Aufnahme, Wertfeststellung) terre comltaiiis
Campanie et Brie', die nun zuerst in trefflicher Ausgabe vor-
liegt, nachdem durch Forscher wie Bourquelot, Lef^vre und
d'Arbots de Jubainville die Aufmerksamkeit der gelehrten Welt
seit langem schon auf dies wertvolle Register gelenkt war
(merkwürdigerweise redet der Herausgeber nur von der Be-
nutzung der Enienia in Bourquelots Nistoireäe provins und laßt
desselben Vf. Eiuäes sur les faires de Champagne unerwähnt).
Die Zeit, in der diese « Aufnahme'* unter Mitwirkung der an*
gesehensten Ortskundigen für die 50 Präposituren der 4 Balleien
der Grafschaft, Troyes, Provins, Vitry und Chaumont, erfolgt
ist» läßt sich genau auf die drei ersten Jahre der Regentschaft
Edmunds von Lancaster, des zweiten Gemahls der Bianca
von Artois, Mutter und Vormunden n der Johanna von Navarra,
bestimmen (1276 — 1278). Über die Provinzialgeschichte hinaus-
reichende Bedeutung gewinnt die Ententa besonders dadurch,
daß sie sich auch auf die drei wichtigen Meßplätze der
Champagne, Provins, Troyes und Bar s. A., erstreckt. So er-
fahren wir z. B. jetzt, daß der Pachtertrag aus dem ,äomu$
Altemanorum in qua tele vendunttir^ für die heiße und kalte
Messe von Troyes auf Jährlich 300 Ib. (rd. 6800 M,) geschätzt
wurde (S. II); wir hören von einem Arnulf und einem Coletus
von Mainz (S. 1 1 u, 70) und begegnen in Bar schon jetzt
t60
Ltteraturbericht,
dem Hause von BaseH), das freilich nur 1^/4 tb. brachte,
während der Graf aus dem Hause von Marseille daselbst 10 Ib.
und aus dem Hause von Cambrai zu Provins^ wenn die 17 Städte
der flandrischen Hansa zur Maimesse kamen, 61b. beBOg(S. 170
und 70). Die Jahreseinnahme aus dem Turm von Provins,
der als Gefängnis diente, nahm man au! durchschnittlich 100 Ib.
an; der Gefangene hatte ein Eintrittsgeld von 2 den* (etwa
20 Pf.) und ebensoviel täglich für Bewachung zu zahlen ; Uefl
er sich vom Kastellan ein Bett besorgen^ so kostete das pro
Tag 3 den*; Diener des Gefangenen waren von der Entrichtung
der Bewachungsgebühr frei, auch, wie es ganz unbefangen
heißt, bei den Juden, qui capiuniur non causa maie/lUi, seä
quia daminas vuU exigere pecuniam ab eis (S* 68). Doch das
sind nur Proben, die dartun sollen, welch reicher Gewinn der
Kulturgeschichte auch von diesem Bande in Aussicht steht.
Brieg. Adolf Schaute,
Ge&rges Weilt, HUtoire du mouvemeni social en France (1832 ä
1902), Paris, F. Äican. 1905. 494 S.
«/* TschttBOffß Associathns et socUtis secrites saus la deitxUme
Ripublique (1848— 1851), d'apris les docaments inidits.
Paris, F, Alcan, 1905. 3% S.
Der erstgenannte Verfasser, dem wir bereits eine Reihe von
tüchtigen Beiträgen zur zeitgenössischen Geschichte Frank-
reichs verdanken, bat in gegenwärtiger Schrift die Schilderung
der allmählichen Entwicklung der sozialen Frage, nach dem
Staatsstreich vom 2, Dezember^ im neuen Kaiserreich und
unter der dritten Republik, bis auf die Gegenwart unternom-
men. Bekanntlieh hatte schon der Gefangene von Harn, nach
dem verunglückten Putsch von Boulogne, seine Mußestunden
mit allerlei Grübeleien über das gesellschaftliche Elend be*
schäftigt und schon vor 1848 eine besondere Flugschrift» de
0 Vgl. Schulte, Geachichte des mitteblterlichen Handels und
Verkehrs 1, 162. Zu S. 165 sei bemerkt, daß sich jetzt aus der
Quelle selbst ergibt, daß die heiße Messe in Troyes jährlich
1000 Ib. abwarf, nicht 1300 Ib*, wie Bourquelot irrtümlich ange-
geben hat.
Frankreich. 161
Vextinction du paupirisme veröflentlicht. Nach der politischen
Knechtung der Republikaner und der liberalen Royalisten hat
dann Napoleon III. in der Tat durch allerlei neue Gesetze,
Gründung von Arbeiterkassen, große staatliche Unterneh-
mungen usw. das materielle Los der arbeitenden Klassen zu
verbessern gesucht. Die Theoretiker des neuen Cäsarismus
haben nicht wenig dazu beigetragen, die städtische classe ouvrUre
(denn vom konservativen Bauern erwartete man keine Gefahr,
zumal solange Kaisertum und Kirche freundschaftlich dieselben
Wege wandelten) zu immer beträchtlicheren Massen, beson-
ders in der Hauptstadt, anschwellen zu lassen, und ihr zu-
gleich das Bewußtsein ihrer Macht im Lande des allgemeinen
Stimmrechts allmählich beizubringen. Neben ihnen traten dann
die liberalen Vertreter des Staatsgedankens und der Staats-
hilfe, ein Jules Simon, ein Vacherot, ein Dupont-White und
andere, in die Debatte ein; noch später meldet sich auch der
ältere Sozialismus wieder mit Proudhon zum Worte, und
schließlich entwickeln sich auch die ersten Anfänge des Kol-
lektivismus. Nach dem italienischen Feldzug (ums Jahr 1860)
zeigen sich allenthalben die Symptome einer erwachenden,
radikalen Strömung gegen Staat, Kirche und Kapital Um die
Arbeiter zurückzuhalten oder zurückzugewinnen, entschließt
sich die Regierung im Jahre 1864 zur Gewährung einer aller-
dings vielfach verklausulierten Freiheit der Ausstände, ein
erster Schritt zur Emanzipation. Trotzdem schließen sich die
Arbeitergruppen überall an die liberale und die republikanische
Opposition an, und geraten so immer mehr in Zwiespalt mit
dem kaiserlichen Regime. Nach dem Krieg und der Kommune
haben die Arbeiter dann eine Zeitlang die eigentliche Politik
satt; die Kirche sucht ihre Anhänger unter denselben in den
Cercles catholiques zu vereinigen ; die anderen werfen sich in
die neue Bewegung zur Gründung von Arbeitersyndikaten
hinein, und um ihrer Unterstützung bei den Wahlen nicht zu
entbehren, läßt Waldeck-Rousseau in den Kammern das be-
kannte Gesetz von 1884 über die freie Bildung der Syndikate
beraten und trotz des Widerstandes der Konservativen zur
Annahme gelangen. Das hilft aber nur eine Weile, dann be-
ginnt der Kampf gegen die opportunistische und selbst gegen
die radikale Bourgeoisie von neuem. Im Schöße der sozia-
HistoriBche Zeitschrift (97. Bd.) 3. Folge 1. Bd. 11
162
.iferaturbencht
tistischen Partei selber kommt es zu immer häufigeren und
schrofferen Spaltungen; während die parlamentarischen Sozia-
listen (mit Millerand und Jaur^s) sich zeitweilig dazu ver-
stehen« als linker Flüge! der Regierungspartei zu figurieren,
ja selbst einen Vertreter ins Ministerium der concentrathn
r^pu tiicaine ^^nden, wenden sich die revolutionären Anarchisten
immer weiter nach Unks ab, um die i,Propaganda der Tat* zu
predigen und bei Gelegenheit auch durchzuführen. i) So ziehen
in buntem Wechsel Theorien und Menschen an unserm Auge
vorüber» wobei der VI, mehr referierend als kritisch beurteitendt
in voller Unparteilichkeit den streitenden Parteiführern gerecht
zu werden sich bestrebt und ihre Tätigkeit auf parlamentari-
schem Gebiet und in der Praxis (da, wo bereits Resultate er-
zielt worden sind) anerkennend schildert. Ohne übertriebenen
Optimismus, zeigt er doch, daß durch die gemeinsame Arbeit
aller Parteien zur Linderung der sozialen Mißstände gar
manches schon geschehen, daß die freiwillige und die
staatlich geforderte Verbindung der Kräfte der Gesamtheit
und des Individuums, des Parlaments, der Vereine, der Freien
Presse usw. noch gar vieles bessern könnte und daß voraus-
sichtlich auch durch immer zahlreicheren Anschluß der Intelli-
genz in den bürgerlichen Klassen an eine energische Reform-
partei neue Erfolge in naher Aussicht stehen, der sicherste,
ja der einzige Weg um der eigentlichen Umsturzpartei den
Boden unter den Füßen zu entziehen.
Chronologisch hätte das Werk Tschernoffs dem Weillschen
Buche vorangesteüt werden sollen, da es die Geschichte der
Vereine und geheimen Gesellschaften unter der zweiten Re-
publik behandelt. Aber es bietet uns eben keine Erzählung,
keine Schilderung der Ideen und Parteien, die diese Verbände
gestiftet, sondern mehr nur eine Sammlung von Aktenstücken,
allerdings teilweise recht interessanten Inhalts« Es ist die
Fortsetzung einer früheren Arbeit des Verfassers Le parii r4-
*) Das Bucfi W.s reicht bis zum Jahre 1902; die kaleido-
skopischen Veränderungen innerhalb der sozialistischen Partei in
Frankreich vollziehen steh aber mit einer solchen Schnelligkett,
daß bereits wieder einige Kapitel nötig wä^ren, ihre Geschichte
bis zum heutigen Tage fortzuführen.
Frankreich ; ntallen.
163
pubUcain saus la monarckie de Juillei (1901) und kann zugleich
auch als eine Aktenbeilage zu W.s Schrift Misioin du parli
räpubiicain in France {\%\A—\%1Ü) betrachtet werden. Es ent-
halt eine Fülle von merkwürdigen Belegen» wie eine reak-
tionäre Regierung es im Beginn der fünfziger Jahre verstand,
nicht allein die Klubs und politischen Vereine, sondern auch
die harmlosesten Hilfsgesetlsc haften, selbst solche, an denen
die konservative Bourgeoisie beteiligt war, als geheime Gesell*
Schäften zu verpönen und zu schließen. Das Material ist dem
Archiv des Justizministeriums und dem Nationalarchiv ent-
nommeHj meist Berichte der Generalprokuratoren an den
Appellhöfen, aus den Jahren 1850 — 1851; darunter ist beson-
ders ein aligemeinerv im Ministerium am L Dezember (dem
Vorabend des Staatsstreichs) aufgestellter Bericht zu erwähnen,
dessen Ausführungen uns das ganze Land wie von einem
dichten Netze geheimer Verbindungen überspannt zeigen,
welche, den Zentralkomitees von Paris und London gehorchend,
bereit stehen, die Regierung und die bestehende Gesellschalt
nicht allein in Frankreich, sondern in ganz Europa zu stürzen
(S, 279 — 387)- Offenbar als historisches Dokument mit aller
gehörigen Skepsis zn benutzen, aber recht belehrend für die
Art und Weise, wie die Regierung Louis ßonapartes die
besitzenden Klassen zu erschrecken, und durch diesen
Schrecken für den ihrerseits geplanten Umsturz zu gewinnen
suchte. R.
Federico Cic€mglioB€f Manuale äi storia dei äiritto itaUano,
2 Bde, Milano, Dr. Francesco Vaiiardt, s.o. XII u, 482S,;
VIII u* 512 S. (Bibiloieca giundica contemporanea.)
Der Vf., der um die italienische Rechtsgeschichte nicht
ohne Verdienste ist, hat seinen Stoff in vier Bücher gegliedert*
tm ersten werden einleitend: / faUori ddla cmliä odierna
(römisches, christliches^ germanisches Element) in Kürze be-
handelt; die drei folgenden sind den drei Hauptepochen der
Rechtsgeschichte gewidmet, die der Vf. als Epaca det dirilio
volgare, sdenii/ico und codificato unterscheidet, wobei die
Bildung der Kommunen und die französische Revofution als
Grenzpunkte angenommen werden. Daß es ein glücklicher
Gedanke war, in dieser Weise in der zweiten Epoche sieben
II*
i64
Literahirbertcht
Jahrhunderte zusammenzufassen ^ daß insbesondere für die
Rechtsentwicklung im 12. und 13. Jahrhundert das wissen-
schaftliche Moment irgendwie als kennzeichnend angesehen
werden kann, wird billig zu bezweifeln sein. FUr jede der
drei Ejsochen, von denen die letzte nur als kurzer Anhang
erscheint, werden in fünf Teilen: Gestaltung der Staaten,
Rechtsqueilen, Rechtsschulen und Rechtsstudium, öffentliches
Recht und Privatrecht behandelt
Den einzelnen Kapiteln oder ihren Unterabteilungen ist
eine ziemlich reichhaltige Bibliographie vorangeschickt, deren
Zusammenstellung für sich allein schon sehr verdienstlich sein
würde» wenn sie nicht an erheblichen Mängeln litte. Eine
Einführung in die wichtigsten Quellen erster Hand scheint der
Vf. Überhaupt nicht als Aufgabe seines Handbuchs angesehen
zu haben ; nur gelegentlich einmal und ohne jedes System
werden solche erwähnt. Aus diesem Handbuch erfährt der
Leser nichts von der großen Statutensammlung der Leges
Municipales in den Monumenia Historiae Patriae ^ nichts von
der schönen Ausgabe der venezianischen CapHolan durch
MonticolOj nichts von den Statuten der bolognesischen Korpora-
tionen, die Gaudenzi dem Studium in so treffhcher Weise zu-
gänglich gemacht hat. Aber auch die Literaturnachweise, die
viel unnützen ßallast mit fortschleppen, sind nicht immer aus-
reichend, den Leser in den Stand der Forschung einzuführen;
es gtnngQy zum Belege hierfür» auf die Bibliographie zur Ge*
schichte des Wechsel- und des Versicherungsrechts hinzu-
weisen (11, 388), Dazu sind die Literaturangaben häufig un-
genau; insbesondere müssen sich die deutschen Werke, die
übrigens in ziemlich großer Zahl angeführt werden , die
schlimmsten Verballhornungen gefallen lassen* Wir begegnen
als ergötzlichen Beispielen einem Buche Theiners: Über Ivo's
vermeith. Dekret; Simsons: Die Entstehung des Pseudo-
isidors Fälschungen (!, 181)^ Lehmanns: Die Konigfriede, Cohnst
Justizverweiherung (I, 44, 48), Zeumers: Beerbung der Frei-
gellasung durch den Fiskus (1, 342)^ Renauds Lehre von des
Naherrecht und Heimbachs Lehre von der Fruchten (1, 385, 389),
Bruns: Das altere Besitz und Neumanns Geschichte des
Wuckers (11, 360 und 379); auch Reumonts: Orientalischen
Scklavinen In Florenz fehlen nicht (II, 143). Daß ein biblio-
I
Italien. 165
graphischer 'Abschnitt einmal völlige Korrektheit aufweist, ist
geradezu eine Ausnahme.
Der Text, der diesen Abschnitten folgt, leidet ebenfalls
an mancherlei Mängeln. Nur sehen macht er den Eindruck
des aus der angeführten Literatur Zusammengedrängten, zu-
meist nur den des Dürftigen, zuweilen auch des Oberflächlichen;
man sehe z. B., was über das Konsularwesen oder die Ent-
stehung der Kommune gesagt ist (11, 310, 14 f.). So alte Irr-
tümer wie die Datierung der Ordinamenta von Trani zu 1063
(an der freilich auch Schupfer festhält) und der kaufmänni-
schen Statuten von Piacenza zu 1200, finden sich auch hier
(II, 82, 85 f.), neue Aufschlüsse, wie sie z. B. durch Gaudenzis
Ausgabe der ursprünglichen Redaktion des Ryccardus d§
S. Germano über die Assisen von Capua und Messina ge-
boten worden sind, werden nicht beachtet (II, 43). Und was
soll man zu einer italienischen Rechtsgeschichte sagen, die es
unterläßt, eine Würdigung der Eigenart und Bedeutung des
großen pisanischen Gesetzbuches, des ConsUtatum Legis et
Usus, wenn auch mit noch so wenig Worten, zu geben; die
bloße Erwähnung des Const. Usus in dem Abschnitt über die
kaufmännischen Statuten (II, 82) kann doch unmöglich einen
Ersatz dafür bieten. Nach der Vorrede hat der Vf. ein Hand-
buch schaffen wollen, ,che miri principalmente alla scuola';
daß es die vom Vf. erhofften Dienste wirklich leisten wird,
glaube ich verneinen zu müssen.
Brieg. Adolf Schaube.
Pierre GauthJez, L'Italie du XVU sikcle. Lorenzaccio (Lorenzino
de Moduls). Paris, A, Fontemoing. 1904. 476 S.
Das neue Buch, das Pierre Gauthiez seinen früheren histo-
rischen Arbeiten über Aretino und Giovanni delle bände nere
folgen läßt, ist in seiner Anlage, der Diktion und seinen Be-
strebungen eminent französisch. Es ist nicht, wie so viele
wissenschaftliche Arbeiten deutscher Gelehrsamkeit, ein Buch
für Fachleute; fesselnd geschrieben wie ein Roman, wendet
es sich an den großen Kreis derer, die die Geschichte der
italienischen Renaissance als etwas Lebendiges empfinden.
Mit all dem literarischen Rüstzeug modemer psychologischer
Bestrebungen gewappnet, geht G. an sein Thema heran.
166
LiteraturberichL
Wir werden mit dem Zweig der Familie Medici — de
Popoianenlinie — bekannt gemacht, aus der Lorenzino her-
vorging. Er ist, wie man heute sagen würden erblich belastet:
auf der einen Seite hat er Lorenzo Medici zum Großvater,
der in einem Stück, das er verfaßte, den ungliicküch nannte,
der unter einem Tyrannen zu leben gezwungen sei ; mütter-
licherseits stammte er von der Familie Soderini ab, die der
Stadt Florenz den letzten Gonfaloniere auf Lebenszeit ge-
geben hatte. ■
Schon in früher Jugend lernt er die Sorgen kennen. Der
Vater stirbt, als er noch ein Kind ist. Die Mutter bleibt in _
einer sehr bedrängten Lage zurück. Lorenzino bekommt eine gute I
Erziehung; frühzeitig beherrscht er die klassischen Sprachen.
In den Villen der Familie, in Venedig, in Rom spielt sich seine
Jugend ab. Hier, im Jahre 1534, lenkt er zum erstenmal die
öffentliche Aufmerksamkeit auf sich, indem er während der
Nacht einigen Statuen am Konstantinsbogen die Köpfe herab-
schlägt* Das trägt ihm die Verbannung ein. ■
Der zweite Teil behandelt die Phasen des Dramas, durch
welches Lorenzino berühmt geworden ist: die Ermordung
Herzog Alessand ros de' Medici, des letzten Sprossen der
alten Linie des Hauses. G. schildert meisterhaft die Stadt
un(er der Herrschaft dieses Tyrannen und seine beginnende
Intimität mit Lorenzino. Dieser schreibt für die Hochzeit
Alessandros mit der Kaisertochter Margareta ein Lustspiel im
antiken Charakter, die „Aridosia^, die, in feinsinniger Über-
setzung, vollständig als Intermezzo eingeschoben ist. ■
Was hat Lorenzino zur Ermordung des Herzogs ge-
trieben? Persönliches und Fremdes wirken zusammen: der
Prozeß gegen Cosimo de' Medici, den er durch Alessandros
Spruch verliert, wie die Lektüre des Ptutarch. Das Verbrechen
wird völlig diabolisch in Szene gesetzt Lorenzino begibt
sich nach vollbrachter Tat über Bologna nach Venedig zu
Filippo Strozzi, dem Haupt der Florentiner Fuorusciti.
Es ist bekannt, daß das Verbrechen zu nichts diente als
dazu, Florenz in der Person des von Lorenzino gehaßten
Cosimo einen neuen Herzog zu geben. Gegen diesen sucht
er im großen Stil zu agieren? gegen die Kaisermacht, die ihn
Italien; England.
167
stützt, Frankreich und, mit diesem verbunden, die Türkei ins
Feld zu werfen. Daher seine raschen Reisen erst nach Kon-
stantinopeK dann zu König Franz. Während seines Aufenthalts
in Frankreich verfaßt er die Apologia, die iiterarische Recht-
fertigung seiner Tat, die wiederum in der Übersetzung mit-
geteilt ist.
Von Florenz aus wird Lorenzino nicht aus den Augen ge-
lassen. Durch Gesandte und Korrespondenten ist Cosimo I.
dauernd über ihn unterrichtet. Langsam wird die Rache vor-
bereitet; eU Jahre nach Alessandros Tode wird Lorenzino in
Venedig bei der Kirche San Polo ermordet. Auch von seinem
Mörderf dem Hauptmann Bibbona, gibt es eine eigene Apologie:
es ist eines der merkwürdigsten Dokumente der Epoche. Man
sieht daraus, daö diese letzte Phase von Lorenzinos Leben
wie eine Schachpartie verläuft, die Lorenzino verliert
Der letzte Abschnitt trägt rein literarischen Charakter:
man kann ihn betiteln: „Lorenzino in der Literatur bis auf
die Gegenwart,"
G. hat einen Vorgänger in Ferrai gehabt, dessen 1891 er-
schienenes Buch über Lorenzino bereits in umfassender Weise
das archivalische Material herangezogen hatte. Aber 0. selbst
hat dieses auf sehr breiter Grundlage benutzt und erweitert,
worüber die zahlreichen Noten am Schluß Auskunft geben :
und an Stelle der Materiatsammlung Ferrais hat er ein leben-
diges, höchst anregendes Buch geschrieben, das niemand ohne
lebhaftes Interesse und Nutzen zur Hand nehmen wird.
Florenz, Georg Gronau,
Magna Carla. Ä Commeniary on the Greai Charter of King
John, Witk an historical introducHon by WUlium Shmtp
Mc Kec&ale, M. A,, L L D.^ D. PhiL Glasgow, James
MacUhüse 4 Sons. 1905, XIX u, 607 S, 14 sh.
Wie Jenks in seinem Essay ,The Myth of Magna Carla* ^
so tritt auch der neueste Kommentator der traditionellen Auf*
fassung entgegen, als müßten vor dem großen Freibriefe König
Johanns nicht nur alle früheren, sondern auch die späteren
Charten in den Schatten treten. Nicht einmal als ein great
168 Literaturbericht
monument of con^trnciive sfalesmanship (p, 558) will er sie
gelten lassen. Cr findet, daß die siegreichen Barone doch nur
ihren Standes vorteil und ihre persönlichen Interessen im Auge
hatten, und daß viele Paragraphen (darunter auch die viel-
gerühmten 14 und 39) eine entschieden reaktionäre Bedeutung
haben (p. 289 und 449). Eigentlich nur ganz nebenbei kun
der Freibrie! auch den After vasallen» Bauern, Kaufleuten und
Fremden zustatten. Nicht auf diesen Akzidenzien kann der
Ruhm der Magna Carla beruhen, sondern auf bloßem ^Siftti-
meni'f auf dem, was spätere Generationen irrtümfich in sie
hineingelesen haben, und auf dem ^halo^ von Romantik, die
sich um diesen Kern allmählich angesammelt hat Wieso
gerade um den doch so ^trockenen'' Text dieses Dokuments
die populäre Phantasie jahrhundertelang ihre Kreise gezogen
hat, ist nach Mac Kechnie eine schwierige Frage, deren Lösung
mehr den „Psychologen** als den „Historiker im gewöhnlichen
Sinne* angehen soll (p. 146 f.). Dabei ist unser Autor Theo-
retiker auf dem Gebiet des Staatsrechts, der Politik und der
Soziologie I
Sein Mangel an historischem Sinn zeigt sich neben der
Abneigungj dem Geist der Zeit gerecht zu werden, auch in
den Wendungen, mit denen der Umschwung im Gange der
Ereignisse motiviert wird. ,Ai the cntical and appoinUd
Urne' (p. 7) kam die Normannische Eroberung über England.
^Disiiny* (p. 23) berief Heinrich IL zu seinen Reformen.
Unter Johann wurden seit 1206 die kontinentalen Besitzungen
^rip« für hsing* (p* 27). Solche Satzverbindungen wie p. 59:
^Whiü ike haifie af oräer had been finatly wan — 1173 — ,
ikf tattle of liberiy hady aimasi necessarifyj, io he begun* . . .
^Evenis, however, were noi ripe for rebelHon before John's ac-
cession' . . , iseigen diese Schwäche ebenso deutlich wie der
last durchgehende Mißbrauch mit dem Begriffe ^Naihnai
Church'. Rankes schöne Wahrnehmung: ^die erste Grund-
lage der populären Freiheit atmete einen antirömischen Geist*
ist diesem Kommentator, der für die Titel des Königs viel
Interesse hat, beinahe vollständig entgangen: nur in einer
Anmerkung auf S. 224 findet er die Ausdrücke, in denen sich
der nationale Geist bezeugt, ^perhaps worihy of noie'. Der
Hauptwert der historischen Einleitung, die 212 Seiten in An-
England.
im
Spruch nimmt, liegt in den verfassungsrecKtiichen Dartegungeti,
die aber im Kommentar zu den entsprechenden Artikeln der
Magna Carta wiederholt und weiter ausgeführt werden.
Der hier gebotene Text der Magna Carla hat nur am
Eingange in den Namen der Intervenienten, in der Wortstel-
lung im 6L Artikel und in der Ortsangabe der Datierung
wenige kleine Verbesserungen* Dagegen ist es bedauerlich^
daß im Appendix die Krönungscharte Heinrichs K nicht nach
dem verbesserten Text von Liebermann in den Transactions
of the Royal Historical Society 1894, p. 40 — 46 oder nach
seinen Gesetzen der Angelsachsen p. 521 — 523 abgedruckt ist.
In der ^unknown Charter of Uberiies* steht, wie auch bei
Teulet» die Frist für die Witwe mit 40 Tagen angegeben; nach
p. 25S Anm. mußte man LX erwarten.
Die ÜbersetiEung ist sorgfältig und zuverlässig. P, 274
sollte allerdings ponatur in regno nostro richtiger imposed o n
cur kingdom und, wie auch im folgenden Artikel 13, civitas
konsequent mit clty statt Citizens wiedergegeben werden.
Das Wichtigste bleibt aber der Kommentar, der auf der
Grundlage der Arbeiten von Maitland Round» Pike, fiolds*
worth Xp. 3J9, 484 und 493 fälschlich ^Moaldsworth' zitiert)
den neuesten Standpunkt der antiquarischen Forschung sorg-
fältig darlegt und durch gelegentlich hinzugefügte Ver-
gleiche mit der schottischen Rechtsentwicklung den großen
Vorsprung der englischen Staatsverwaltung aufzeigt. Die Anti-
quitäten des Lehnsrechts, der Gerichtsverfassung, des Steuer-
und Zollwesens, der Formen des Landbesitzes, des Prozeß-
verfahrens, der Forstverwaltung, der Wucher- und Judengesetze
werden« soweit es zur Erklärung der Artikel der Magna Carta
nötig ist, sachgemäß und übersichtlich dargelegt. Eigene For-
schung in den Urkunden ist nicht M.s Stärke, Ein Blick in
einige der im Public Record Office aufbewahrten Taliage Rolls
hätte die für England falsche Auffassung verhindert (p. 278 tf.)i
als fiele diese Steuer nur auf servile dependents und als sei
sie ein Hauptkennzeichen of an unfree stains. Ich habe, um
diesen Irrtum zu bekämpfen, in Bd. XXIV, N. F. dieser Zeit-
schrift, S, 21 fi für das Jahr 1304 ein paar Listen herange-
H 2ogen, nach denen der Bischof von Rochester, einige Abte,
I Prioren, Lords etc. für ihre Habe auf Ancient Demesne so
'tTO Literaturbericht.
gut iaUage zahlen wie alle anderen. Über einige Sportaos*
drücke in Magna Curia hat M. aus dem 190^ erschienenen
Buche von Stuart A» Moore und H. S. Moore, Hisiory and
Law of Fhherhf& neue Informationen herbeiziehen können.
Die Ableitung des Wortes scavmger von ^chevlns oder skmni
(p. 28S) wäre auch dann nicht haltbar, wenn sich in England
der importierte Begriff und Ausdruck »Schöffen* besser ein*
geburgert und erhalten hatte.
Wenig Gnade findet in M.s Augen der berühmte Artikel t\
der Magna Carla über die Bildung eines Beschwerde- und
Widerstandscomit^s. Er übernimmt aus Gardiners Textbuch
den Ausdruck ^permanent organizatian for making war against
the king' und nennt es .ö Committee of Rebellion*, ^äange-
rous anä even absurd'. Aber hat nicht auch das Ephoral in
Sparta ähnliche Funktionen ausgeübt? Der echt mittelalterhche
Versuch der Barone, ein unzweifelhaftes Gravamen eines ein-
zelnen von ihnen zu einem Gravamen der Commana lolius
lerrae zu machen und den König zur ordnungsmäßigen Ab-
stellung zu zwingen» erscheint zwar vom Standpunkte des
heutigen Staatsrechts als ein Unding, war aber doch eine
uliima ralio in Fällen krasser Mißregierung^ auch wenn die
Organisation zu diesem Zweck fehlte. Eine soeben er-
schienene Pöliiical hisiory of England nennt das Prinzip
dieses Artikels 6f Jhe Irue corner-stone af ih^ English can-
stilution^. Daß nach ihm auch der König, wenn er sich be-
leidigt fühlte, demütig vor dem Tribunal der Barone seinen
»Fall* plädieren sollte (p. 555), ist eine falsche Interpretation.
Als ein sicherer Führer bei der Interpretation jedes Artikels
der Magna Carla und zur Einführung in das Verständnis des
zentralisierten, geordneten und doch noch so barbarischen
Getriebes des Staates im Anfang des t3. Jahrhunderts ist
dieser Kommentar sehr zu empfehlen. Oft wird man aber,
um über die erwähnten Personen Auskunft zu erhalten, mit
Erfolg auf das anmutige und stoffreiche Buch von Richard
Thomson aus dem Jahre 1829 zurückgreifen können, so sehr
es auch in einzelnen Rechtsvorstellungen im Banne seiner
Zeit steht.
Berlin, Ludwig Rieß.
England; RuBland.
in
^m tfc MMTteaSp R ecueil des Traitäs et Conventions canclus par
la Russie, eta Tome XiV. Traitäs avec ia France 1807 ä
1820. St, Päersbourg 1905, X u. 433 S.
Der neue Band Martens zeigt die Vorzüge und die Mängel^
die wir bei seinen Editionen zu finden gewohnt sind. Die
Texte der Vorträge sind korrekt, aber es wird unterlassen,
frühere Drucke aufzuführen und bei den russischen Texten
ist nur sehr ausnahmsweise zu erkennen, ob wir es mit einer
gLeichzeitigen russischen Ausfertigung oder mit einer zum
Zweck der uns vorhegenden Edition angefertigten Übersetzung
zu tun haben. Das ist aber nicht unwichtig, da zwischen dem
französischen und dem russischen Text mehrfach kleinere und
größere Abweichungen zu konstatieren sind, Herr v. M* legt
aber den Schwerpunkt seiner Publikation bekanntlich in die
historischen Einleitungen, die er den Texten der Verträge
vorausschickt. Diese Einleitungen sind bisher stets sehr sub-
jektiv gehalten gewesen und können im wesentlichen als eine
Apologie der russischen auswärtigen Politik betrachtet werden.
In dem Bande, der uns beschäftigt, wird man durch das Gegen-
teil überrascht: er bietet hie und da eine unumwundene Ver-
urteilung der Politik Alexanders !., wenn auch die vorwaltende
Tendenz dieselbe geblieben ist wie in den früheren Bänden.
In dem Vorwort weist Herr v. M. darauf hin, daß er viele neue
Tatsachen entdeckt habe und deshalb ausführlicher gewesen
sei als seine ursprüngliche Absicht war* Dabei weist er aus-
drücklieh darauf hin, daß das Verhalten Caulaincourts in ein
neues Licht trete. Dessen Verrat trage eine Hauptschuld am
Untergange Napoleons. Der Imperator sei weit weniger als
Opfer seiner Herrschsucht und seines Ehrgeizes gefallen, die
Undankbarkeit und der Verrat derjenigen, die er mit Wohl-
taten überhäuft hatte i hatten ihn gestürzt Caulaincourts
Verrat sei nur wenig bekannt gewesen, obgleich er doch dem
Verrat Bernadottes und Talleyrands und vieler anderer an die
Seite zu stellen sei*
Man ist nun einigermaßen enttäuscht, wenn man nach
den Belegen für diese Ausführung sucht. Es sind die be-
kannten Berichte Schuwalows über seine Unterredung mit
Caulaincourt vom 31. Mai und 2, Juni 1813, die Bailleu in
den ^Annaies internationales d'ftistair^' cangris de la Naye
172
Literaturbericht
Nn 3 veröffentlicht hat, und über welche auch Sorel im 8, Bande
seines Buches: „L'Euröpe et la r Evolution franfaise*,, Paris
1904 ausführlich berichtet hat.
Nun mag man über die Berechtigung des von Caulaincourt
gewählten Mittels, um als Endziel einen russisch-französischen
Frieden zu erreichen (es handelt sich um die Verhandlungen
von Pleißwitz) und damit dem Kriege überhaupt ein Ende ^u
machen, verschiedener Ansicht sein, daß er Napoleon zu
dessen eigenem Besten und zum Besten Frankreichs in eine
Zwangslage setzen wollte, ist schwerlich zu bestreiten. So
dachten noch andere französische Patrioten^ und Caulaincourts
Hauptmotiv scheint gewesen zu sein, Osterreich von der Teil-
nahme am Kriege fernzuhalten und durch den Abschluß mit
Rußland zu retten, was noch zu retten war. Auch hat Schu-
walow das gemutmaßt« Erschließt seinen Bericht vom 3, Juni
mit den (von Martens nicht herangezogenen) Worten: ,Esi a
conviction ou franchise, ou disir que naus agissions avant
que Varmie auirichiennB ne commence ses opära-
ilonsf' Aber Martens pflegt von der Literatur seines Themas
nur selten Notiz zu nehmen. Merkwürdig berührt hat uns
eine Anmerkung zu dem Brie! der Kaiserin Feodorowna vom
25. März 1808, durch den sie Alexander von der Reise nach
Erfurt abzuhalten bemüht ist. Sie lautet: ^^ous ciions Us
passages de cetie lettre . . , sans y apparier aucttn change-
menf,* Das ist hoffentlich keine Ausnahme.
Geradezu falsch ist es, wenn M. in diesem Zusammen-
hange von Alexander sagt: ^qui dSs tenfance s'inclinait de-
vant Vesprii supirieur de son augusle mire"*^ denn einmal
war Maria Feodorowna keineswegs hervorragend begabt, und
zweitens hat Alexander, der sie weit Übersah, ihr niemals
einen politischen Einfluß gestattet.
In den Erfurter Verhandlungen ist merkwürdigerweise
alles übergangen, was auf Napoleons Plan, sich mit einer
russischen Prinzessin zu vermählen, Bezug hat, ebenso fehlt
für das Frühjahr 18] (^ die so bedeutsame Sendung Nesselrodes
nach Paris und jede Bezugnahme auf seine über den Kopf
des Kanzlers Rumjänzow an Speranski und durch diesen an
Alexander gelangenden Berichte. Dasselbe geschah bekannt-
lich auch mit den Wiener Berichten Mellins, die durch Gervais,
I
I
I
ohne Rumjänzows Wissen an den Kaiser gingen. Wenn
daher M, nur mit Berichten Kurakins und den Instruktionen
Rumjänzows operiert, gibt er ein direkt falsches Bild der
PoHtik Alexanders.^) Wir werden übrigens durch die unmit-
telbar bevorstehende Publikation der Berichte Caulaincourts
und Kurakins durch den Großfürsten Nikolai Michaitowitsch
das Material in Händen haben» um diesen Teil der M. sehen
Darlegungen zu kontrollieren* Auch für den Kongreß von
Chatillon konstruiert M. einen Verrat Caulaincourts, obgleich
er einen Bericht Rasumowskis zitiert, in dem es heißt:
,// (Cauiaincourt) veui h pius prompiemeni possible la paix^
poüTVü qu*eile se signe avec Napoleon.'
Mit entschiedener Abneigung, ohne ersichtlichen Grund
wird der Botschafter Noailles behandelt, dessen Berichte zum
Jahre 1816 ihn keineswegs als d^püurvu äe cupacHis et 4e
i&iiie expMence diplomatique erscheinen lassen* vielmehr einen
geschulten und einsichtigen Staatsmann zeigen. Aber M. irrt
im Fundament seiner Auslührungenf wenn er sagt: y,on sait
qa'il (Alexandre) alme la France'', das Gegenteil ist richtig.
Er haßte und verachtete die Franzosen, aber er wUnschte sich
mit Frankreich zu alliieren, weil es ihm dienen sollte, die
orientalische Frage in russischem Interesse zu lösen. Erst
mit d^m Jahre 1820 trat, nachdem Alexander über Frankreich
enttäuscht war, eine Wandlung ein.
Das letzte Stück der Publikation ist, in einem Annex,
die von Napoleon nicht ratifizierte Konvention über Polen
vom 4. Januar 1810.
Berün* Th, Schiemann,
') Beiläufig sei hier bemerkt, daß Thlmme, Forschungen zur
brandenburgischen Geschichte XIII, 248 fragt: Wo ist der Beweis
dafiir^ daß Alexander es für nützlich befunden habe, Rumjanzow
zu läuschen? Die Antwort lautet, in den Petersburger Akten
und bei denen, die sie benutzt haben. Vgl* u* a. Schilder, Ale-
xander L Bd. 2 u. 3 passim. Die neueste Publikation des Groß-
fürsten Nicolas : Les relationa diplomatiqiies de la i^asste et ät la
France d'aprH les rapports des amhassadeurs d^ Alexandre et de
Napal^on /8m—lSI2. Tome I—HL P/tersbourg 1905, sowie die
Ltltres et papiers du chancelier Comte de Nesselrode 1760—IS5(K
Fat le Comte A, de Nesselrode. T. I—III haben vollends den un-
widerleglichen Beweis dafür erbracht.
174 LiteraturbertchL
Großfürst Nikolai Mtchailo witsch: Graf Pawel Alexandrowitsch
Stroganow. 1774—1817, Bd. 2 u. 3. Petersburg, Expedition
der Bereitung der Staatspapiere. 1903.
Wir schicken voraus, daß an diesen Bänden, abgesehen
von dem Titel und den vortrefflichen Einleitungen, die russisch
geschrieben sind, der Text fast durchweg französisch und
damit auch den abendländischen Forschern zugänglich ist. ■
Für die innere Politik Alexanders während der ersten Jahre
seines Regiments gibt der Band 2 die wichtigsten bisher be*
kannt gewordenen Quellen, Sie führen uns zu dem ungemein ■
wichtigen Ergebnis, dal^ die Initiative sowohl wie die Formu-
lierung der Reformpläne, mit denen der Kaiser sich beschäf-
tigte, nicht ihm, sondern dem Grafen Paul Stroganow sowie ■
den übrigen im ^nichtoHiziellen Comit^** mitarbeitenden Freunden
Alexanders gehört. „Man sagt und wiederholt es — so schreibt
der Großfürst — daß alle Reformen, um welche man sich so
intensiv in den ersten Jahren des 19, Jahrhunderts bemühte,
vom Kaiser Alexander ausgingen. In Übereinstimmung damit
schilt und verdammt man die Wandlung, die angeblich in den
Ansichten und Absichten des Enkels Katharina IL vorgegangen
smn soll Das ist nicht nur ein Irrtum, sondern ein grober
Fehlen Es unterliegt keinem Zweifel, daß Kaiser Alexander h
nach seiner Thronbesteigung mit vielem unzufrieden war, vieles
zu verändern, ja zu reformieren wünschte, aber ebenso sicher
steht fest, daß um diese Zeit keine Reform von ihm persön-
lich ausgegangen ist, daß sie alle ihm nicht ohne Mühe sug-
geriert wurden, und daß seine Zustimmung oft sehr schwer
zu erreichen war*
Kaiser Alexander L war niemals ein Reformator, und in
den ersten Jahren seiner Regierung war er weit konservativer
als [alle ihn umgebenden Räte/ Die zum erstenmal in aller
Vollständigkeit nach dem Originalmanusknpt veröffentlichten
Protokolle des „Nichtoffiziellen Comit^s" geben dafür den
schlagenden Beweis* Die Materien, die hier verhandelt wurden,
sind: Ausarbeitung einer Verfassung nach vorausgegangener
Reform des Senats und der Begründung von Ministerien (auch
Reichsrat und Ministercomitd waren Gegenstand der Verhand-
lung), die Beziehungen zu den auswärtigen Mächten, die Stel-
lung Grusiens, die Frage der Leibeigenschaft, das Schulwesen,
I
I
— L
Rußland.
175
die Geheimpolizei, die Universität Moskau, die Kosaken, das
JVftbtärbtldungswesefi usw.
Nach vorbereitenden Beratungen haben die Sitzungen des
Comit^s vom L Juli 1801 bis zum 9. November 1803 gedauert.
Der Wunsch des Comit^s war, daß Alexander bei seiner
Krönung eine Verfassung verleihen sollte, deren Entwurf der
Gral Alexander Worontzow verfaßt hatte. Es verdient hervor-
gehoben zu werden, daß an diesen Sitzungen auch der Fürst
Piaton Subow und Mörder Pauls wesentlichen Anteil hatte,
wie es denn damals schien, als solle der ehemalige Günstling
Katharinas nochmals eine große politische Rolle spielen. Aber
schon 1802 läßt Alexander ihn insgeheim beaufsichtigen.
Am 13. August 1801 hat Graf Worontzow dem Kaiser die
,grande ckarte*, d. h. den Entwurf einer russischen Verfassung^
vorgelegt, und es ist der Republikaner Laharpe gewesen, der
den Kaiser von der Ausführuug der Verfassungsgedanken ab-
hielt jpi7 ne peiii poinf que je me ddparte du poupoir*, er-
klärte Alexander am 15* September dem Comit^, und dabei
ist es dann trotz aller Bemühungen der anderen geblieben.
Im Jahre 1802 ist weiter keine Rede davon. Ebenso ist es
mit der Frage der Bauernbefreiung gegangen* Alexander
sprach sich dagegen aus» daß Bauern ohne Land verkauft
werden sollten, aber ein Verbot ist nicht erfolgt. Nur das
Gesetz von den ^freien Ackerbauern**, d. h* freigelassenen, ist
als Spur dieser Bemühungen Realität geworden*
Sehr interessant sind die Verhandlungen über Bildung der
Ministerien etc., Detailfragen, auf die hier nicht eingegangen
werden kann. An diesen ersten, bis S. 323 reichenden Ab-
schnitt, schließt sich die Korrespondenz Alexanders mit Stro-
ganow, 1802^1812, nur wenige Schreiben^ und die weit inhalt-
reichere Korrespondenz zwischen Stroganow und Czartoryski,
deren Schwerpunkt in die Zeit vom November 1805 bis zum
September 1808 fällt. Wir bemerken dabei, daß der Brief
Nr. 190 an Nowossilzew, nicht an Czartoryski gerichtet sein
muß* Später ist der Briefwechsel lässiger, er reicht bis 1813
und betrifft vornehmlich das Schicksal Polens. Band 3 trägt
einen ganz diplomatischen Charakter.
Stroganow wurde Anfang 1806 in politischer Mission nach
London geschickt, am 14,/26. August wurde er wieder abbe-
JM
Literaturbericht.
rufen. Seine Korrespondenz mit Czartoryski und Budberg,
dem Nachfolger Czartoryskis, als Minister des Auswärtigen,
(143 S.) gipfelt in den Verhandlungen, die denen parallel
gingen^ welche Oubril in Paris führte und die in seinen un-
giUcklichen Vertrag ausmündeten.
Von den darangeschlossenen sonstigen Korrespondenzen
mit Nowossilzew, Kotschubej und seiner Gemahlin, die den
obigen BrieEen gleichzeitig sind, erregen die letzteren das
größte Interesse; den Schluß bildet die Korrespondenz Stro-
ganows während der Kampagnen, an denen er teilnahm (in
Finnland, der Türkei, 1812 in Rußland und 1813 und 18U
während der Freiheitskriege).
Das alles ist außerordentlich lehrreich und führt sehr
lebendig in die Realitäten jener Tage ein.
Technisch läßt die prachtvoll ausgestattete Ausgabe nichts
zu wünschen übrig.
Da ich die Korrektur dieser Anzeige lese, ist In drei
Bänden eine französische Ausgabe des Buches erschienen:
Le Granä-Duc Nicolas Mikhailöwitch äe Russie: Le comte
Paul Stroganow. TraducUon Franfaise de F. Billecacq pri-
cidit d'un avani-propos pur FrMiric Mas so n de tAcadimie
Franfuise, Paris 1905. Beide Ausgaben decken sich nicht
völlig. In der französischen fehlen einige Nummern, auch
versäumt sie anzugeben, welche Stücke Original und welche
Übersetzung sind. Auch die Paginierung differiert, so daß
bei Zitaten zwischen der Petersburger und der Pariser Aus-
gabe zu unterscheiden sein wird.
Berlin. Tk. Schhmann.
Die Amerikanische Revolution 1775— I78S. Entwicklungsgeschichte
der Grundlagen zum Freistaat wie zum Weltreich unter
Hervorhebung des deutschen Anteils. Von Albert Pfister.
2 Bde. Stuttgart und Berlin, ]. G* Cottasche Buchhandlung
Nachf, 400 u. 429 S,
Die ältere amerikanische Geschichte ^ die Zeit vor 1789^
ist in Deutschland in wirklich wissenschaftlicher Weise bisher
kaum behandelt worden. Die für ihre Zeit nicht üble Dar-
stellung von Handelmann ist 50 Jahre alt, und die Geschichten
von Neumann und Hopp behandeln die ältere Zeit etwas ober-
I
1
Frankreich ; Nordamerika*
177
flächlich. Da aber inzwischen in Amerika selbst gerade auf
dem Gebiet der Kolonialgeschichte sehr intensiv und gründ*
lieh gearbeitet worden ist, ich erinnere nur an die Publika-
tionen der Johns Hopkins University, war eine ausführliche
Geschichte der Entwicklung der amerikanischen Kolonien, wie
sie Doyle in England und Moireau und Gourd in Frankreich
gegeben haben, recht wünschenswert* Albert Pfister, durch
Publikationen über neuere deutsche Geschichte rühmlich be-
kannt, zugleich als höherer Offizier für die Schilderung krie-
gerischer Ereignisse besonders befähigt, will nun die ameri-
kanische Revolution als «notwendiges Ergebnis* aus dem
Entwicklungsgang des amerikanischen Volkes von den ersten
Anfängen an darstellen. Er behandelt daher in dem ersten
der vier großen Abschnitte, in die sein Buch zerfällt, die ge-
trennten Kolonien. Hier hätte die Darstellung der Verfas-
sungsgeschichte, wie sie Ref. in seiner Geschichte der politi-
schen Ideen zu geben versucht hat, herangezogen werden
können; es wären dann wohl die rechtlichen Verhältnisse
kJarer geworden und manche Irrtümer vermieden. So ist der
Freibrief Karls L von 1629 nicht für die Plymouth-Kompanie,
die die Kolonie New Plymouth durch die Pilgrimväter der
Mayflower hatte begründen lassen , sondern für die neuge-
gründete Dorchester*Gesellschaft gegeben, auf deren Gebiet
dann Massachusetts entstand. Auch die Darstellung der Ent-
stehung von Rhode-Island und Connecticut ist zum Teil un-
genau, für Pennsylvanien war die ausführliche Geschichte
Stepherds heranzuziehen; ein „Aufstand" gegen die Lockesche
Verfassung in Nordcarolina hat nicht stattgefunden und was
dergl mehr ist* Aber der Vf. hat die neuerlich sehr angewachsene
amerikanische Spe^ialUteratur für die Geschictite der Kolonien
wohl überhaupt nicht benutzt, und sich mehr an die zusam-
menfassenden Darstellungen bei Winsor gehalten^ die aber von
sehr ungleichem Werte sind. Dafür wird die Kulturgeschichte,
namentlich der Anteil der Deutschen an der Besiedelung der
Kolonien, geistvoll behandelt, und hier finden auch die Er-
gebnisse eigener Studien Verwertung. Treffend wird 2, B.
hervorgehoben , daß es das Bestehen der Sklaverei in Vir-
ginien war, das den Virginiern die hervorragende Stellung in
der Revolution gegeben hat. Sie allein hatten Zeit, sich mit
Historiiche Zeitschrift (97. Bd.) 1. Folge L Bd, 12
HB
Literaturbericht.
der Politik zu beschäftigen^ und sie waren die geborenen
Truppenführer^ da sie zu herrschen gewohnt waren* M
Es wird dann in einem zweiten Abschnitt die Losreißung ™
der Kolonien von England behandelt. Der Vf, stellt sich
dabei ausgesprochenermaßen auf den Standpunkt der Ameri-
kanen Gerade in einer deutschen Geschichte der amerikani-
schen Revolution war aber doch größere Objektivität mdglich
und wünschenswert. Was an positiv-rechtlichen Gründen für
die Revolution angeführt wurde, war doch nur schwach; die
Amerikaner selbst haben es wohlweislich vermieden, die Ver-
letzung der Freibriefe in den Vordergrund zu stellen, sondern
sich auf die „natüriichen Rechte* berufen. Im letzten Grunde
war es doch so, daß hier nicht die ^letzten Fragen politischer
Gerechtigkeit" entschieden wurden, wie Fiske sagt, auch war
es nicht die Aufgabe Amerikas, ^an Stelle der erblichen Vor-
rechte die natüriiche Gleichheit zu setzen"*, was ßancroft
meint, sondern die Schlagworte erregten die Menschen erst
dann, als sie in ihren materiellen Interessen geschädigt wurden,
namentlich durch die an sich gewiß gerechtfertigte Unter-
drückung des einträglichen Schmuggelhandels. Es entspricht
aber nun einmal einem Bedürfnis der menschlichen Natur^
sich sagen zu können, daß man nicht des schnöden Mammons
willen, sondern aus idealen Gründen handle* So ist denn
auch der berühmte tea-riot in ßoston am 16, Dezember 1773
(PL nennt den 31, Dezember, das Datum wird allerdings sehr
verschieden angegegeben) kaum als besondere fieldentat zu
preisen, wenn man die näheren Umstände kennt, die ihn her-
vorriefen.
Ganz auf seinem Gebiete ist der Vf., wo er auf die Ge-
schichte des Kampfes selbst kommt, die den kleineren Teil
des ersten und den zweiten Band umfaßt. Ich stehe nicht
an, diese Erzählung für eine der besten zu erklären, die wir
überhaupt bis jetzt haben, denn amerikanische Schriftsteller,
die den Unabhängigkeitskampf geschildert haben, besitzen
nicht militärische Erfahrung und lassen es auch an Unpartei-
lichkeit fehlen. Beide Eigenschaften besitzt Pfister Die klare
und geschmackvolle Darstellung, in der neben der gründ-
lichen Behandlung der Einzelheiten auch die große Auf-
fassung der Gesamttage hervortritt, macht die Lektüre des
Nordamerika; Sadafrika. 179
Werkes genußreich. ÜberaH wird auch der Anteil, den die
Deutschen an der Befreiung Amerikas genommen haben,
hervorgehoben, namentlich wird die Wirksamkeit Steubens
ausfuhrlich geschildert. Der Größe Washingtons als Mensch
und Feldherr zollt der Vf. gebührende Hochachtung; dabei
wird gezeigt, wie bedenklich doch die Lage des amerikani-
schen Heeres zum großen Teil infolge des Mißtrauens, das
der Kongreß gegen die Armee hatte, war; aber auch die
^patriotische Begeisterung'^ reichte nicht aus. Washington
beklagt sich bitter über den Mangel an Opferfreudigkeit. Pf.
beantwortet zwar die Frage, ob ohne die Bundesgenossen-
schaft Frankreichs Amerika wohl seine Unabhängigkeit er-
reicht hätte, dahin, daß «mit der Zeit* die Freiheit doch wohl
errungen wäre. Seine Darstellung läßt aber keinen Zweifel
daran, daß das Bündnis vom 6. Februar 1778 doch ganz
wesentlich für den schließlichen Erfolg der Amerikaner war.
Alles in allem dürfen wir uns freuen, daß wir jetzt auch
in Deutschland eine der weltgeschichtlichen Bedeutung des
amerikanischen Freiheitskrieges entsprechende Darstellung
haben.
Charlottenburg. Gottfried Koch.
Henri Deb6rain, U Expansion des Boers au XIX* siicle. Paris,
Hachette. 1905. 433 S.
Das Buch gibt in angenehmer knapper Form eine in fast
jeder Hinsicht lobenswerte Darstellung der Burengeschichte
vom Jahre 1806 (endgültige Besitznahme seitens England) bis
zum Jahre 1852 (Zandrivier-Vertrag), die er nicht nur aus
Theals großem Werk, sondern auch aus dessen Quellen und
außerdem aus den englischen, französischen und deutschen
Jäger- und Missionärberichten im weitesten Sinne geschöpft
hat. Namentlich die Reiseberichte Delegorgues erweisen sich
für gewisse Epochen der Burenbesiedelung Natals und für die
Beziehungen der Buren zu den Zulus als sehr reichhaltig.
Der Burenvergötterung und Burenverleumdung, beide aus den
Jahren des Burenkrieges einem Jeden zur Genüge bekannt,
steht Deh6rains maßvolle Darstellung gleich fern. Die Ab-
sicht jedoch Jes origines de la nationaliiS boer' zu geben
(Vorwort), ist keineswegs erreicht worden. Dazu ist zu wenig
12»
180
Literatuibericht
tuf die Jahre der holländischen Herrschaft zurückgegriffen
worden, während der sich, im Verlauf von anderthalb Jahr-
hundert, die Eigenart des Volkes allmählich herausgebildet
hat. Schon in der letzten Zeit der hoHändischen ostindischen
Kompagnie gibt es zwischen den am weitesten gewanderten
Buren und der Kapregierung Reibungen, welche sich mit den
allbekannten Ereignissen um 1836 vergleichen lassen. Ein
paar holländische Bücher, namentlich Stuarts Holland sehe
Afrikanen (Amsterdam 1854), welches z. ß. Zietsmans Tage-
buch des Zulufeldzugs 1840, von D. nur nach Auszügen bei
Voigt zitiert, im Original enthält (S, 112^147), hat der Vt
sonderbarerweise unbeachtet gelassen. Wer Burengeschichte
(auch die des 19. Jahrhunderts) treibt^ ohne sich die hollän-
dische Sprache zu eigen zu machen, verschließt sich aus
freiem Willen immer doch einige Quellen, welche entweder
gar nicht oder mangelhaft ins Englische übersetzt sind.
Notizen und Nachrichten.
Die Herren Verfasser ersuchen wir, Sonderabzüge ihrer
in Zeitschriften erschienenen Aufsätze, welche sie an dieser
Stelle berücksichtigt wünschen, uns freundlichst einzusenden.
Die Redalction.
Allgetneloes,
Zur Einführung in das Studium der Geschichte des Mittelaftera
und der Neuzeit gibt A. Meister tn Verbindung mit zahlreichen
Fachgelehrten einen im Verlage von Teubner erscheinenden
Grundriß der Geschichtswissenschaft heraus, der sieh
als Aufgabe stellt, in knapper Zusammenfassung die Studierenden
in die von den bisherigen Handbüchern wenig berücksichtigten
historischen Hilfswissenschaften und geschichtlichen Sondergebiete
einzuführen. Die bereits erschienene erste Abteilung von Band t
(Preis 6 M.) enthält: Grundzüge der historischen Methode (von
A. Meister); Lateimsche Paläographle (von ß* B r e l h o 1 z) ;
Diplomatik (von R* Thommeni L. Schmitz-Kallenberg
und H. S t e i n a c k e r) ; Chronologie des deutschen Mittelalters
(von H, G r o t e f e n d). Für die zweite Abteilung sind vorgesehen :
Sphragistik (von Th. II gen); Heraldik (von £, Gritzner);
Quellen und Grundbegriffe der historischen Geographie Deutsch-
lands und seiner Nachbarländer (von R* KÖtzschke); Historio-
graphie und Quellen der deutschen Geschichte bis 1500 (von
M, Jansen); Quellen und Historiographie der Neuzeit (von
H. Oncken). Den Inhalt von Band 2 sollen bilden: Deutsche
WirtachaftspoHtik bis zum 17. Jahrhundert (von R. Kötzschke);
Wirtschaftsgeschichte vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart
(von H. S i e V e k i n g) ; Deutsche Verfassungsgeschichte (von
A. Meister und G. Er! er); Rechtsgeschichte (von H. Naen-
182
Notizen und Nachrictiten.
drup); Geschichte der Kirchenverlassung (von A. Werming-
hoffj A. Nürnberger und E. S e h I i n g).
Im Verlage der Lauppichen Buchhandlung zu Tübingen er>
Öffnet Fr. Thudichum eine Sammlung ^Tübinger Studien
für gchwä bische und deutsche Recht sgeschichte^»
bestehend aus Heften von 6-8 Druckbogen, die in Bänden von
24 — 30 Druckbogen mit inhaltsverzeichnis und Sachregister ver-
einigt werden, aber auch einzeln käuflich sind. Jeder Druckbogen
wird in der Subskription mit etwa 30 Pf., im Einzelverkauf mit
etwa 40 Pf, berechnet. Bis jetzt sind als Heft J— 3 die S, 233
aufgeführten Arbeiten von Thudichum und Holtze er-
schienen.
In einer Czernowitzer RektoratBrede behandelt Herzberg-
Fränkel die ^Moderne Geschichtsauffassung" mit gesundem und
sicherem Takte (Czernowitz, Selbstverlag der Universität). Er
betont treffend, daß Geschichtsauffassungen sich bilden vor allem
auf Grund persönlicher Lebenserfahrungen ^ und so auch die sog.
^moderne*^ kollektivistische und positivistische Richtung bedingt
Ist durch die geistige Verfassung, die das Zusammentreffen der
naturwissenschaftlichen Triumphe mit den Fortschritten der Demo-
kratie bewirkt hat. Sie bedeutet keinen dauernden Fortschritt
der Wissenschaft; sie ist ein Kind der Zeit und wird mit der
Zeit verschwinden. Aber sie hat^ und auch darin kann man zu-
stimmen, eine heuristische Kraft entwickelt, die den Forschern
aller Richtungen zugute gekommen ist.
Ferdinand Erhardts Schrift „Über historisches Erkennen,
Probleme der Geschichtsforschung'' (Bern 1906) bekennt sich mit
Wärme zu einer chrietlich-teleologischen Geschichtsauffassung,
Nach der Art, wie die Schrift geschrieben ist, scheint sie eher für
weitere Kreise als für den fiistorlker bestimmt; aber ats
sachgemäüe Zusammenstellung über die verschiedenen Arten
der Geschichtsauffassung kann sie auch dem Forscher will-
kommen sein.
Bernheims ^Einleitung in die Geschichtswissenschaft" in
der Sammlung Göschen ist nach der Angabe des Verfassers
großenteils nur die verkürzte Wiedergabe des ^Lehrbuchs der
historischen Methode", bringt aber doch auch manches Selb-
ständige und Neue gegenüber der 4. Auflage des Lehrbuchs, Es
ist für Laien bestimmt, aber man kann es zur ersten Orientierung
sicherlich auch dem Studierenden empfehlen,
Mbk Jansens Vortrag über „Die Geschichtsauffassung im
Wandel der Zeit" (Hist. Jahrb. 1906, 1) ist erfreulich durch das
I
Atigemeines,
m
ehrUehe Streben nach Unparteilichl^eit. Leider ist hier, wie so
manchmatf eine Vermlächung von Vortrag und Aufsatz eingetreten,
die dem Eindruck des Ganzen schadet: die Arbeit entbehrt im
Text und in den Anmerkungen (von denen viele hätten wegbleiben
können) der sicheren Hervorhebung und Scheidung von Wichtigem
und Unwichtigem, Es sei als Beleg nur angelührt, daß in dieser
Schilderung der Geschichtsauffassung von Augustin bis zur
Gegenwart Leopold Ranke nur einmal im Vorübergehen j,als der
größte Geschichtschreiber der Kabinettspolitik^ [j| genannt wird,
während den Anschauungen Lamprechts und Belows vier volle
Sdten gewidmet sindl Von der ganzen deutschen Geschichts-
wissenschaft des 19. Jahrhunderts sind nur die Monumenia
Germamae genannt und dann wird zu Lamprecht übergesprungen.
Und was Jansen über Lamprecht und Below sagt, ist doch kein
rechtes Eindringen in die schwierigen Fragen, Dagegen befriedigt
weit mehr, was Jansen über die Geschichtsauffassung früherer
Jahrhunderte sagt.
Rubinstein erörtert in den Kantstudien Xf^ t i,Die Grund-
lagen des Hegeischen Systems und das Ende der Geschichte*^.
Hegel nahm die Geschichte als den Fortschritt im Bewußtsein
der Freiheit und teilte ihren Verlauf in vier Weltperioden ein:
die jüdische f die griechische, die römische und die germanische.
Die germanische ist die letzte und höchste. Diese Anschauung
legt die Frage nach dem Ende der geschichtlichen Entwicklung
nahe; Hegel hat gelegentlich die Antwort gegeben, daß die
germanische Welt den Abschluß bedeute, weil da das Bewußtsein
von der Freiheit aller Menschen durchgedrungen sei. Aber an
anderer Stelle hat er doch selber noch an eine weitere Zukunft
der Geschichtsentwicklung gedacht, und Rubinstein weist aus
Hegels Anschauung von Weltgeist nachi daß die Unendlichkeit
der Geschichte im Wesen dieser Anschauung liege: unendliche
Wcrtbercicherung ist das Wesen des Weltgeistes und daher der
geschichtlichen Entwicklung. Eine künftige Ablösung auch der
genmamschen Welt muß also daraus gefolgert werden. Hegel
befand sich also in einem unlöslichen Widerspruch bei der Auf-
stellung der vier Weltperioden und bei der Wesensergründung
des Weltgeistes.
Stölzl e fügt seiner früheren Arbeit über Ernst v. Lasaulx
eine kleine Veröffentlichung im HjsL Jahrb. 27» 1 hinzu (»Zu
E. v> Lasaulx^ Gesehichtsphilosophie^)« In einem Briefe an Schlüter
in Münster stellt Lasaulx den Satz auf» daß eine Geschichtsphilo-
Sophie im Rahmen der katholischen Weltanschauung unmöglich
p
184 Kotizen und Nachrichten.
sei. Zu anderer Zeit glaubte Lasaulx dann wieder, sich trotz ■
allem als gläubigen Katholiken bekennen zu dürfen, |
Eine hübsche und geschmackvolle Auswahl aus Rankes
Geschichtschreibung bietet M. HoHmann „Geschichtsbilder aus
L, V. Rankes Werken* (Leipzig, Duncker & Humblot, 399 S, 6 M.).
P. Caron schildert in der Rev. de Synth, hist* XI, 3 den
gegenwärtigen Stand der iranzösischen Geschichtsforschung über
die Neuzeit {^Des conäittons actmeUe^ du travaii d'htstoire moderne ■
€n Franke*).
Von der seitens der S^evue de Synthese historique veranstalteten
Sammlung Les rigions di ta France, die in Einzelessays den
Stand der provinzialgeschichtlichen Forschungen charakterisiereUf
liegen uns Heft 2 (Le Lyonnais von Charl^ty)^ Heft 3 (La Bomr-
gogne von Kleinclausz) und Heft 4 (La Franche comt^ von Febvre)
vor (Paris, Cerf. 1904/05),
In den Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven
und Bibliotheken 8, 2 ist wiederum die höchst dankenswerte
Übersicht über die italienische Geschichtsliteratur 190405 von
K, Schellhaß erschienen.
Im Verlage von Loescher in Rom ist soeben der erste Band
einer von Emilio Caivi herausgegebenen, auf vier Bände be-
rechneten ßibiiagrafia di Roma er schienen j der die Zeit von 476
bis 1499 umfaßt. Der zweite Band soll das 16.^ der dritte das 17.
und 18^ der vierte das 19, Jahrhundert behandeln,
Beschorner erörtert in der Hist. Viertelj. 1906, 1 „Wesen
und Aufgabe der historischen Geographie an der Hand der
neuesten Literatur" (Knüll, Kretschmer, Wilh, Götz, Wimmer) und
der In Arbeit begriffenen historischen Kartenwerke Deutschlands
und Österreichs. Der neuerdings unternommene bayerische
historische Atlas wäre der Obersicht jetzt noch hinzuzufügen,
E, Michels Studie ,^Le sentiment de ta Mature et l*histoire
de la Feinture du Paysage' (Re\f. de Synth, hist XI, 2) ist ein
knapper Überblick über die Darstellung der Natur in der Kunst
von den alten Ägyptern bis zu den Franzosen des 19. Jahrhunderts
— aber für die Geschichte des Naturgefühls lernt man nichts
Neues aus dieser Skizze,
Aus dem reichen Inhalt der Hessischen Blätter ftir Volks-
kunde Band 3 (1905) können hier nur zwei aus Vorträgen er-
wachsene Arbeiten erwähnt werden. Es sind das der programma-
tische Artikel von £. Mogk: Die Volkskunde im Rahmen der
KuUurentwicktung der Gegenwart und der Aufsatz von K* Groos:
I
I
Allgemeines.
Die Anfänge der Kunst und die Theorie Darwins, in der D.a
den Ursprung der Kunst im SexuaUeben der Urmenschen suchende
Hypothese geprüft und als unrichtig bezeichnet wird und die tat-
sächJjch bei der Frage in Betracht kommenden Faktoren kurz
angegeben sind. Sehr wertvoll ist die dem Band beigegebene,
2Sl Seiten füMende volkskundliche Zeitschriftenschau^ an der zahL*
reiche angesehene Gelehrte mitgearbeitet haben. — Aus Band 4,
2 und 3 der gleichen Zeitschrift sei noch der Aufsatz von E. Bethe:
Mythus^ Sag€t Märchen erwähnt.
Die Beilage zur Münchener Allgem, Zeitung bringt In Nr> 6J
einen dem bekannten bayerischen Geschichts- und Sprachforscher
Johann Kaspar Zeuß gewidmeten Zentenarartikel; aus Nr. 66 er-
wähnen wir ferner : Aquileja von Karl Grafen Lanckoronski;
aus Nr^ 73: Entstehung und Entwicklung unserer Muttersprache
von Wilh. Streitberg (scharfe Kritik der gleichnamigen Schrift
von Uhl); aus Nr, 75: Reste deutschen Volkstums südlich der
Alpen von St* Schindele.
Das erste Heft der neubegrtindeten Zeitschrift für Völker-
recht und Bundesstaatsrecht enthält einen Aufsatz von L. L e Für:
L'Etat^ la souveramtti ei le droiL — Aus der Österreichisch-
ungarischen Revue 34, I erwähnen wir Gust. Seidler: Über die
sozialpsychologischen Grundlagen des Staates; aus der Revue des
deux münden 1906, April I : La m^lhode UgUlative von Ch. Benotst;
aus der Christlichen Welt I%6, 10: Das Natlonalilätenproblem von
Walth. Schücking; aus der Deutschen Revue 1906» Märr:
Deutsche Nationalzüge im Rechte von v. Schulte; aus Velhagen
und Klasings Monatsheften 1906, März: Aus den Anfängen der
modernen Diplomatie von Ch. Frh. v. Fabrice.
Über Darwinismus und Lamarekismus handeln H. Schmid-
kunz in der Philosoph. Wochenschrift und Literatur^Zeitung f, 9
und R* F. Stieler in der Politisch-anthropologischen Revue 1906,
März. — Aus der letztgenannten Zeitschrift 1906, Februar ver-
zeichnen wir noch O, Kaemmel: Kelten und Römer, Germanen
und Slaven in den Ostalpenländern und A. Koch*Hesse: Zur
Rassengeschichte Asiens und Osteuropas; aus dem Märzheft
A. Kannengielier: Sind die Etrusker Indogermanen 7 und
i, Wilser: Volkstum und Sprache der Etrusker* — fn den
Annaies de giograpkie 1906, März 15 veröffentlicht J, Cvijic:
Remarques sur t Ethnographie de ia Mac^doine (f).
Die Revue de Paris 1906, März I u. IS bringt einen auch den
Historiker interessierenden Überblick: Vigüse, ies lalques et ia
L par^isse von A, Mater. — im Protestantenblatt 39, 10 findet sich
im
Notizen und Nachrichten.
ein Artikel von W. Nestle: Die Zerstörung Jerusalems in ihrer
Bedeutung für Judentum und Christentum; aus der Neuen kircHL
Zeitschrift 1906, 3 erwähnen wir J. KÖberle: Hetlsgeschlchttiche
und religionsgeschichtliche Betrachtungsweise des Alten Testamente
und W. Rudel: Historische und dogmatische Urteile*
Wir erwähnen noch aus der Gegenwart 1906, 8: Über die
Friedensbestrebungen in der Oeschichte von 0. Graewe; au»
den Grenzboten 1906, 8: Die Poesie der alten Land- und Heer-
straßen von R. Krieg; aus der Revue des deux mondes 1906^
Februar 15 und März 15: Les rickes depuis sept cenis ans ff. Les
milHonalres d'autrefois. IL En quoi consistaieni les anciennes
fofitinesf) von G. d'Avenel; aus der Zeitschrift „Deutschland'^r
März; Rußlands Erbschaft vom Deutschen Orden (1) von
0, H* Hopfen; aus der Zeitschrift des Allgem* Deutschen
Sprachvereins 1906, Marx: Nachträge zum ^Vandalismus** von
J. Miedet (vgl %, 337); aus der Zeitschrift für Bücherfreunde
9, 11: Das Verleihen von Büchern im Mittelalter von L. Jordan;
aus der Zeitschrift für histor. Waffenkunde 4^ I : Entwicklung und
Gebrauch der Handfeuerwaffen von P. Sixl; aus dem Globus
%%2i Hausinschriften aus deutschen Städten und Dörfern von
A, Andrae.
In Tilles Deutschen Geschichtsblättern 1906^ Februar handelt
Heinr, Werner über Vorzüge und Mängel der vorhandenen ge-
schichtlichen Lehr- und Handbücher. — Wir erwähnen ferner aus
den Blättern f. d. Gymnasialschulweaen 1906, Januar-Februar:
Zur Pflege der Kunst- und Kulturgeschichte des Altertums an
unseren humanistischen Gymnasien von A. Rehm; aus dem
Hochland 1906^ März I : f-fetmatkunde im höheren Schulunter-
richt von J. Seidenberg er, — Ebenda behandelt Else Hasse:
Moderne Geschichtschreibung und ihr ßildungseinfluQ; aus der
Oaterreichischen Rundschau 6, 71 verzeichnen wir Heinr. Kretsch'
mayr: Lamprechts Deutsche Geschichte.
Zu erwähnen sind ferner noch einige kleinere Arbeiten i die
das Gebiet der historischen Hilfswissenschaften betreffen und zwar
aus der BibUatkique de Väcote des cHartes 1905, September-
Oktober : Caiendrier solaire Julien et grigorien von P, M a r i c h a l ;
ebenda, November^Dezember: Monogrammes en tachygraphie
syliabique italienne von M. J u s s e I i n ; aus der Byzantinischen
Zeitschrift 15, 1 und 2: National- und Provinzialschriften von
V. G a r d t h a y s e n«
Von dem bekannten Hilfsmittel Weingartens ^Zeittafeln
und Überblicke zur Kirchengeschichte* legt C, F. Arnold eine
Alte Geschichte*
m
6. vollständig umgearbeitete und bis au! die Gegenwart fortgeführte
Aullage von (Leipzigs Hinriche, 264 S. 4,80 M.)
Neue Bücher: Zabala y UrdaniM^^ Compendio de hisiorim
universüL ( Madrid ^ Aivarer. 10 pesj — Wrighi, A hisiory af
all nations from the eariiest times. VoL / and IL (Philadelphia^
Brathers S- Ca.) — K a u t b k y , Ethik und materialistische Geschichts-
auffassung* (Stuttgart, Dietz Nachf, 1 M.) — Claus, Thomas Abbt9
historisch-politische Anschauungen, (Gotha, Perthes. 1,50 M.) —
Biedenkappi Der Nordpol als Völkerheimat. (Jena, Costenoble.
b M.) " Stein, Die Anlange der menschlichen Kultur. (Leipzigs
Teubner* I M.) — ßerolzheimer, System der Rechts- und
Wirtschaftsphilosophie, 3. Bd.: Philosophie des Staates samt den
Grundzügen der Politik. (München, Beck, 10 M,) — Reincke,
Der alte Reichstag und der neue Bundesrat. (Tübingen, A^ohr.
2j80 M.) — Peisker, Neue Forschungen zur Sozial- und Wirt-
schaftgeschichte der Slaven. 1. (Stuttgart» Kohlhammer- 6 M.) —
Fontes iuris canonici sthctL Coli. Galante. (Innsbruck, Wagner*
17 M*) — Seeberg, Aus Religion und Geschichte. I.Bd.: Bibli-
sches und Kirchengeschichtliches. (Leipzig, Deichert Nachf. 6^50 M.)
— Schnapper-Arndt, Vorträge und Aufsätze. Hrsg. v. ZeitÜn»
(Tübingen, Laupp. 6 M.) — van Veen^ Hislorische Studien en
schelsen. (Groningen^ Wolters, 4^90 /L) ^^ A. Rüge, Kritische
Betrachtung und Darstellung des deutschen Studentenlebens in
seinen Grundzilgen. (Tübingen» Mohr* 2,40 M.) — Preisen,
Staat und katholische Kirche in den deutschen Bundesstaaten.
Rechtshistorisch und dogmatisch dargestellt, t. Tl.: Lippe und
Waldeck - Pyrmont. (Stuttgart, Enke. 14 M.) — Matügrin^
Histoire de la tol^rance retigieuse. ä^olution d*un principe sociaL
( Paris j Fischbacher.) — Canon y Pricis d' histoire de la finance
franfaisej depuis ses origines Jusgu'ä nos jours, ( Paris j Vauttar^
22 j rae Sainl-Marc.) — Paez^ Historia Aethiopiae, lll et fV,
(Roma^ Luigi. Leipzig, Harrassowitz. 10 M.) — Cappelti ,
Cronologia e calendario perpetuo. (MilanOf HoeplL 6,50 fr.)
Alte Gesctiichte.
Eine populäre Zusammenfassung seiner bekannten Arbeiten
gibt M. Hoernes in seiner kleinen „Urgeschichte der Mensch-
heit'' (Sammlung Goeschen. 0,80 M.)» die jetzt in dritter, ver-
besserter Auflage vorliegt.
Aus ütm Journal asiatlque 1905, November* Dezember notieren
vir E, R e V i 1 1 o u t : NouvelU /lüde juridico-iconomique sur les in~
scriptions ä'Amten et les origines du droit ^gyptien*
1B8
Notizen und Nachrichten.
Aus der Re¥U£ dt pkilohgU, de Uttärature et d'histoire an-
ciennes 30, 1 notieren wir J. Lesquter; Les actes de divone
grico'igyptiens, ätuäe de farmuiaire.
In der Zeitschrift für att testamentliche Wissenschaft 26, 1
(1906) finden sich Aufsätze van S, Krauß: Zur Zahl der bibij'
sehen VÖikerach alten ^ und B. Stade: Die Drelzahl im Alten
Testament* Zum Gedächtnis Hermann Useners.
Die Mitteilungen und Nachrichten des deutschen Paiastlna-
Vereins 1906^ 1 enthalten die Fortsetzung des Berichts von G.
Schumacher über die Ausgrabungen auf dem Teil el-Mutesei-
lim und zwar im Herbst 1904,
In Deutschland, Monatsschrift für die gesamte Kultur 1906,
Februar spricht E. Krüger über die Kunstweberei Im Altertum,
Aus den Neuen Jahrbüchern für das klassische Altertum»
Geschichte und deutsche Literatur und für Pädagogik % 2/3 notie^
ren wir K, D i e t e r i c h : Neugriechische Sagenklänge vom alten
Griechenland; K. Th. Preußr Der dämonische Ursprung des
griechischen Dramas. Erläutert durch mexikanische Paralleien.
In der Deutschen Rundschau I9Ö5, Februar handelt Fr. Adler
über die Alexanderschiacht in der Casa del Fauno zu Pompeji.
Die Wiener Studien 27,2 enthalten Aufsätze von Th, Gold-
finger: Zur Geschichte der Legio XlHl gemina^ dessen Resul-
tate, daß die Legion vom Sommer 68 bis Frühjahr 69 in Camun-
tum gestanden hat^ wodurch auf die Kriegsereignisse der besagten
Jahre wieder Licht fälit, und daß sie an des Kaisers Pius Mauren-
krieg teilgenommen, gut begründet sind, und von H, Gomperz:
Isokrates und die Sokratik,
In dem Aufsatz A. v. Domasie wskis: Inschrift eines
Germanenkrieges wird ein in dem Cimitero di Commodilla ge-
fundenes Fragment vortrefflich ergänzt und in ansprechender
Vermutung auf Didiug JuUanus und seine siegreichen Kämpfe
gegen Chauken und Chatten bezogen (Römische Mitteilungen
20, 2 [1905]). Ebendort erörtert R. Schneider Geschütze auf
antiken ReUefs und führt die von Schramm so glücklich begon-
nenen Rekonstruktionen griechisch-römischer Geschütze (Jahrbuch
der Gesellschaft für lothringische Geschichte 16) weiter.
Gegen Tarver^s neulich erwähnten Aufsatz macht G. G.
R a m s a y : The fire of Rome and tke CkrisHans einige gute Ein-
wände (Athenaeum 1906, 4083).
In den Grenzboten 1906, 1/2 plaudert Q Hosius über den
Volkswitz der Römer.
Alte Geschichte.
189
Nützlich ist der Aufsatz von E. ß o t s a c q : La triire attique
et ta guerrg navaU (Rei^ue de rinstruction publique en Belgique
48, 6 [1^51).
Die Revue archäoiogiqa^ 1905, November-Dezember und IW6,
Januar-Februar enthält die Fortsetzung von S. Chabert Histoire
sommaire des ätudes d*ipigraphie grecque et r omaine und die vor-
treffliche Revue des puHications ^pigraphiqties relatives ä i'an-
tiquiii romaine von R. C a g n a t et M. Besnier; G. L. Bell:
Notes ün a journey through Cilicia and Lycaortia ; H. St. Jones^
Encore tes satutations tmpäriales de N^ron ; A. B t a n c h e t : Re-
marques sur la bataille de Paris en tan 52 avant notre ire; P.
Monceaux: Enquite sur Väpigraphie chr^Henne d'Äfrique ; S. de
Ricci: La bataille de Paris.
In den Camptes-rendus de VAcad^mie des !nscripHons et
Betles-lettres 1905, November-Dezember finden sich zunächst die
Berichte der erfolgreichen Grabungen in Elche (Espagne) von
E. A 1 b e r t i n i und in Delos von M. H o L I e a u x ^ dann publizieren
R^ Cagnat: Le Casios et le tue Sirbonis außer allgernein topo-
graphisch-archäologischen Beobachtungen eine wichtige Inschrift
und J* D^chelette: Une ant^fixe de la hmtiime l^gion ä^ou-
verte ä N^ris.
Reich ist wieder der Inhalt des Bulletin de Correspondance
kelUniqae 30, 1/2 0^06), L. Vollgraf f: Fouilles d'Argos. B. Les
Etablissements pr^historiques de l'Aspis ; Th* R e i n a c h : Remar-^
qaes sur le ddcret d'Athtnts en Vhonnear de Fkarnace l^r (BGH
19 S. 169); M* L* Gambanis: llt^l rr^^ x^^^^^^^y*^*^ imrarä^sme
Ud^vatküJi^ Tifü/i^ rofi$^fiaj03r ; P, Graindor: Foitilles de Karthaia
(He de K^os). Monuments Epigraphiques.
Aus den MElanges d^archMogie et d^histoire 2b j 5 (1905)
notieren wir J. Garcopino: ^Decumanif Note sur V Organisation
des soci^tis publicaines saus la ripablique.
Frisch und lesenswert ist die im Bulletin de la SociM des
Amis de VUniversitä de Lyon 19, 1 (1906) abgedruckte Rede von
Ph, Fabia: NEron acteur.
Lehrreich handelt F. Cumont über les cultes d'Asie JHlneure
dans ie paganisme Romain, wobei die allmähliche Umwandlung
eines primitiven Naturglaubens in Mysterien fein und überzeugend
dargetan wird, namentlich an dem Kult der Magna Mater deum
idaea {Revue de FHistoire des religions 53, I).
In der ^Eft^f^^ig /tpx'^^f^oyati} 1905, 1/3 veröffentlichen P. A,
nanaßiitfiX$iov Inschriften aus Euboia und F. ^üiT¥}^i^3^€ die
Resultate seiner wichtigen Ausgrabungen in Thermos, mit vielen
190
Notizen und Nachrichten.
Inschriften^ darunter einen Symmachle vertrag zwischen Aitolern
und Akarnanen etwa aus 28i>— 270 v> Chr.» eine Asylieverleihung
der Aitoler an die Magneten vom Maiander, interessant sind
auch die von K. Fti^fiatoi gemachten Ei^ti^ta uv€tamL<f^^ t&v ini
rrii /7ff^*^^fltf ntt^or und wichtIg die von K. Kov^ßvrtnhlli zu-
sammenge&lellten und erläuterten KnTd}.oyöi ^ivimtoftxf^.
Das Bulietiina äetia Commissione archeologUa comunaie di
Roma 33, 4 (1W)5) enthält Berichte über bemerkenswerte Funde
und Grabungen, und zwar R. Lanciani: Scopertt di anüchitä
alla pcrta Furba; G. Gatti: La casa € le terme äei Nerazii;
O. Marucchi: Di alcune recenÜ scoperie di anUchitä crisiian^
suUa via Flaminia; F. Tomasetti: Motizie iniorno ad akune
(hiesf di Roma; G. 0 a 1 1 i : NoUzie di recenti trovamenti di anU-
chitä in Roma e nel subarbio ; L. C a n t a r e II i : Scoperie archeo-
logiche in ilaiia e netie antiche provincie Romane.
Aus der Byzantinischen ZeilschriJt 13, 1/2 (IW6) notieren wir
Th. ßüttner- Wobst: Die Anlage der historischen Enzyklopädie
des Konstantinos Porphyrogennetos ; J* Dräseke: Neuplatoni^
sches in des Gregorios von Nazlanz Trinitätslehre ; L. Br^hier:
Vorigine des titres impiriaux ä Byzance; N, Jorga: Latins et
Grecs d^ Orient et i' Etablissement des Tarcs en £«ro^^ (1342^^1362);
V. Gardthausen: National- und Provinzialschriften; GLer-
mont-Ganneau: Observations sttr ies „Inschriften aus Syrien"*
B. Z. t. XIV, p. 18—68,
im Archiv flJr Religionswissenschaft 9, 1 (1906) ist der Schluß
der beiden schon von uns angezeigten Abhandlungen von Th.
Zielinski: Hermes und die Hermetik und von F* C. Cony-
bearc: Die jungfräuliche Kirche und die jungfrauliche Mutter^
Beachtenswert ist der Aufsatz von F. v* Duhn: Rot und tot.
i^, V, Protts: MHTHP, Bruchstück zur griechischen Religions-
geschichte, ist aus dem Nachlaß herausgegeben und enthält ein^
zelne leicht hingeworfene Gedanken ohne nähere Ausführung und
Begründung.
Bedeutendes Interesse erwecken die neuentdeckten Kata-
komben in Hadrumetum, worüber nach der ersten Ausgrabungs-
kampagne C a r t a n und L e y n a u d im Bulletin de ia Socidi^
archiologique de SüUsse 5j 1 (1905) auslührUch berichten.
Anziehend und lesenswert ist der Aufsatz von H. v. Schu*
bert: Hy patia von Alexandrien in Wahrheit und Dichtung in
Preußische Jahrbücher 1906» April*
Die Neue kirchliche Zeitschrift 16, fl/f2 bringt einen treff-
lichen Aufsatz von £. Seilin: Melchisedek. Ein Beitrag zu der
Alte Geschichte.
19t
OeschTchtc Abrahams^ worin mit guten Gründen Genesis XIV als
unanfechtbares Dokument für die Geschichtlichkeit der Persön-
lichkeit Abrahams erwiesen wird. Für praktische Theologen mehr
als für Kirchenhistoriker berechnet ist G. Wohlenbergs Auf-
satz: Zwei Krippentheologen. Eine Welhnacbtsstudie zum Krippen-
gespräch des Hieronymus, dessen These: das dem Hieronymus
xugesehriebene Krippengespräch ist nicht hieronymianisch, für die
wissenschaftliche Welt gewiß mit wenigen Worten zu erweisen
war, wenn es überhaupt des Beweises bedurfte.
In der Zeitschrift für neutestamentliche WissenschaFt und die
Kunde des Urchristentums 6,4 (1905) erklärt J, Merkel: Die Be-
gnadigung am Passahfeste aus dem den Statthaltern zustehenden
Recht über Leben und Tod der Provinzialen zu verlügen; gewtö
richtig und jedenfalls wird diese alte Streitfrage, ob in der Be^
gnadigung am Passahfeste jüdisches Gewohnheitsrecht oder eine
stehende Übung der prokuratorischen Regierung zu sehen sei,
glücklich gelöst. Dann behandelt P. Corssen den Schluß der
Paulusakten und zeigt mit großem Geschick und durchaus über-
zeugend» daß die uns erhaltenen Paulusakten nicht den ursprüng-
lichen Text wiedergeben. Weiter veröffentUcht |, A» Gramer
den Schluß seiner Abhandlung: Die erste Apologie Justins^ Ein
Versuch, die Bittschrift Justins in ihrer ursprünglichen Form her-
zustellen.
Aus der Revae bändäicUne 23, 2 (1906) notieren wir D, De
Bruyne: Encore les ^Tractatus Originis^ (zwischen 410 und 525
entstanden): G, Morin: Stadia Caesanana. Nüuvelle sSrle ä'in~
^dits tirie dis manuscrits d' Spinat und H. Quentin: ElpidiuSy
ivique de Huesca et les souscnpUons du deiucUme cottcile de Tolide^
worin der bei Istdorus de vtrts itiusiribus genannte ElpJdius iden-
tifizirt wird.
Aus The Expositor 1906^ April notieren wir G. A. Smith:
The desolate City (1. e. Jerusalem nach der Zerstörung durch
Nebuchädnezzar); C A* W* Johns: The Äm&rite Calenäar; W.
M, Ramsay: Tarsus, the river and the sea^ der wie gewöhnlich
viel Anregungen bringt.
Von W. Wagners bekanntem und viel verbreitetem Werke
«Rom. Geschichte des römischen Volkes und seiner Kultur*
liegt jetzt eine 8, Auflage vor (Leipzig, Spamer, 846 S.)» deren
Bearbeiter Professor O. E, Schmidt sich bemüht hat^ die For-
schungen und Funde der letzten Jahre hineinzuarbeiten und
namentlich die Abschnitte über die Kultur reicher auszuführen.
Der erste Band von William Gordon Holmes: The age o{
JusHnian und Theüdora; A histüry of the aixih Century a. rf.
m
Notizen und Nachrichten.
(London, George Bell 6 Sons. 1905) ist nur einleitenden Inhalte
und läßt noch nicht viel von den selbständigen Studien des Ver-
fassers erkennen. Derselbe handelt in einem ersten Kapitel von
Konstant] nopel, gibt eine kurze Geschichte und Beschreibung der
Stadt und eine Schilderung des Charakters und des Lebens ihrer
Bewohner. In dem zweiten Kapitel legt er die Zustände des by-
zantinischen Reiches unter Kaiser Anastasius zu Anfang des
6. Jahrhunderts dar, seine Ausdehnung, Einteilung und Verwaltung,
das Finanz- und Heerwesen, Handel und Verkehr, dann Unter-
richt und Bildung^ endlich die kirchlichen Verhältnisse, wobei er
seine ganz radikalen kirchenfeindlichen Anschauungen auf das
deutlichste hervortreten läßt. In den beiden letzten Kapiteln wird
die kurze Regierung Kaiser Justins L^ des Oheims Justinians, und
die Rolle, welche dieser während derselben gespielt hat, sodann
das Vorleben seiner Gemahlin Theodora bis zu seinem Regierungs*
antritt geschildert. Eine Erörterung der quellenkritischen Fragen
wird für später in Aussicht gestellt. Vorläufig fallt es auf, daß
der Verfasser Prokops Anecdota auch in den Einzelheiten mehr
Glaubwürdigkeit beimißt, als dieses sonst neuerdings zu geschehen
pflegt.
Neue Bücher : W i n c k I e r ^ Altorientalische Geschichtsauf-
fassung. (Leipzigs Pfeiffer. 1,20 M.) — Sharpe, The history i>f
Egypt from tke sarlies i iimes tili the conquest ty the Arabs^ ö, rf,
640. (London, BilL 6 sh,) — Fleary^ Mdanges d'arch^ologie
et 'd'histoire. (MamerSj FUury et Dangin.) — Kern, Goethe,
Bock I in, Mommsen. 4 Vorträge über die Antike, (Berlin, Weid-
mann. 1,80 M.) — Jurandid, Prinzipiengeschichte der griechi-
schen Philosophie. (Agram, Trpinac. 2 M.) — Sund wall, Epi-
graphischa Beiträge zur sozialpolitischen Geschichte Athens im
Zeitalter des Demosthenes. (Leipzig, Dieterich. 5 M,) — Speck,
Handelsgeschichte des Altertums. 3. Bd., 2. Hälfte, Die Römer
von 265 V, Chr. bis 476 n. Chr. (Leipzig, Brandstetter. 14 M,) —
Hardyj Studie s in Roman history. ( London ^ Sonnenschein ^ Co.}
— Venturinii Virnpero romano, Vol, L (MUanOj CogliatL
3,50 fr.) — Maschke, Zur Theorie und Geschichte der römi-
schen Agrargesetze. (Tübingen, Mohr. 2,40 M.) — Gummerus,
Der römische Gutsbetrieb als wirtschaftlicher Organismus nach
den Werken des Gato, Varro und Columella. (Leipzig, Diete-
rich. 5 M.) — Bacha^ Le g/nie de Tacite. La cr^ation des Än-
nates, (PariSj Akan.) — Berendts, Die Zeugnisse vom Christen-
tum im slavischen ,De belio Judaico^ des Josephus. (Leipzig,
Hinrichs* Verl. 2,50 M.) — Baudrillart ^ La religion romaine,
fParis^ Bloud ^ Cie,) — Harnack^ Die Mission und Ausbreitung
Frühes Mitteiaiter*
193
des Chngtentums in den ersten drei Jahrhunderien. 2. neu durch-
gearb. AufL 2 Bde, (Leipzig, Hinrichs' Verl. 13 M.) — Heaty,
The Valerian persecuiiün^ a study of ihe relations beiween church
and State in the S'^ Century a. d. ( London , Constable. 6 shj —
Grützmacherj Hieronymus. 2. Bd.: Sein Leben und seine
Schrillen von 385 bis 400. (Berlin, Trowitzsch & Sohn* 7 M.)
Römiäch-gerniaiitsche Zeit und frühes MiUelaller bis 1250.
Die andauernde l~iochflut von Veröffentlictiungen zur Prä*
historie und römisch-germanischen Periode Deutschlands nötigt
tUT Anführung nur weniger Arbeiten. Wir notieren die kurzen
Ausführungen von W. Loebell über die Steinbohrung im Stein-
zeitaiter und die TaJeln zur VeranschauUchung der wichtigsten
Stücke des Insterburger Museums (Festschrift zum 25jährigen
Jubiläum der Altertumsgesellschaft zu Insterburg, a. u. d. T«:
Heft 9 der Zeitschrift jener Vereinigung), die Beobachtungen von
C Schuchhardt über die Steingräber bei Grundoldendorf im
Kreis Stade (Zeitschrift des historischen Vereins für Nieder-
sachsen 1905, 4), dazu die Übersichten von A. MUller über
prähistorische Grabstätten in der Nähe von Weimar und Erfurt
(Zeitschrift des Vereins für thüringische Geschichte und Altertums-
kunde N* F* 15^ 2) und von H. Seelmann über die prähistorischen
Arbeiten In Anhalt während des Jahres 1905 (Mitteilungen des
Vereins für anhaltische Geschichte und Altertumskunde 10^ 2).
Willkommen wie immer als Führer ist der Bericht von A. Goetze
über vorgeschichtliche Forschungen und Funde im Korrespondenz-
blatt des Qesamtvereins 54^ 1/2^ einer Zeitschrift^ aus der auch die
Verwaltungsberichte der Museen zu Metz (von J. Keune) und
zu Bonn (von H. Graeven) anzumerken sind wie ein Aufsatz von
A, Sehoop über die römische Besiedlung des Kreises Düren.
J. Körber beschreibt im Korrespondenzblatt der Westdeutschen
Zeitschrift 24^ 1-2 die neuaufgefundene Juppitersäule zu Mainz
(vgL %, 158), H. Jacobi die Ergebnisse von Ausgrabungen auf
der Huhnburg bei Homburg vor der Höhe. Anregend handelt
E. Dragendorf f über die archäologischen Forschungen der
letzten Jahre in Westdeutschland und charakterisiert ihre Ergeb-
nisse am Limes und an Haltern (Deutsche Monatsschrift 5^ bfl),
ein Vortrag von F. Koepp verbreitet sich über die Ausgrabungen
bei Haltern und deren Resultate (Neue Jahrbücher für das klass»
Altertum usw, 17 u, 18,3), während eine Miszelle von E. Heuser
ftich mit den römischen Kunattöpfereien in Rheinzabern beschäf-
tigt (Münchener Allgem, Zeitung 1906, Beil Nr. 63).
Historliche Zdtichrilt (97. Bd.) 3. Folge 1. Bd. 13
in
Notizen und Nachrichten.
Das Korrespondenzbtatt des Gesamt Vereins 54, 2 bringt die
Resümees von Vortragen zum Abdruck, die auf der vorjährigen
Tagung der Geschichtsvereine zu Bamberg gehalten wurden.
G. A n t h e s sprach über die wissenschaftlichen Untersuchungen
im Gebiet der west- und süddeutschen Vereine von Ostern 1904
bis zum Herbst 1905^ F. Haug über germanische Einflüsse im
römischen Ohergermanlen, G* Wolff über römische Töpfereien
vor dem Nordtore von Nidda (l-JeddernheimX L. Thomas gab
vergieichende Betrachtungen über die Berührungspunkte südwest-
deutscher RingwIMe mit ßibrakte und Aiesia (mit Kartenskizze),
6. Müller handelte über einen seltenen Typus prähistorischer
Armringe (mit Abbildungen), Helmke über ein Grabfeld in der
Wetterau aus der Hallstattpenode. H. WoHrams Ausführungen
über die Einflüsse kleinasiatischer Kunst auf Gallien und Germanien
sind schon früher erwähnt worden (vgl. %j 53S f.).
Freunde eines durch keine Sachkenntnis getrübten Dilettan-
tismus seien auf die „Bruchstücke aus der ältesten Geschichte
der Belgier. 4, Cimbern, Teutonen und Aduatiker (Antwerpen,
J. E. Buschmann 190&, 3S S. mit je 4 Tafeln und Karten) von
Oberst van den Bogaert verwiesen. Zur Charakteristik der
Schrift, eines bunten Wirrsals angeblich historischer^ philologischer
und geologischer Betrachtungen, genügt es anzuführen, daß nach
Ihr die Bewohner Belgiens vor Einwanderung der Cimbern ,,schon
längst zivilisiert waren; man hat von diesen Völkern Schriften,
die das bezeugen; die meisten Bewohner waren Bauern, Hirten,
Fischer ; in den Städten befand sich eine Zunft von Handwerkern ;
man bearbeitete dort Edelmetalle : die leitenden Klassen
waren unterrichtet; sie hatten ihre Schriftsteller, Dichter, welche
die Traditionen beibehielten; sie kannten das Schachspiel'*
(S, 37 f,) usw,
J, Kösters hat sich der Mühe unterzogen, die Entstehungs-
zeit der von Mabillon gesammelten Oräines Romani^ d. h. Auf-
zeichnungen über den Ritus der Messe und anderer kirchlicher
Feierlichkeiten an der römischen Kurie, genauer zu umschreiben.
Seine Resultate weichen von den bisher angenommenen 7um Teil
erheblich ab. Die ältesten jener ordines (in der Sammlung MabiUons
Nr. 1, 7 und S) glaubt der Verfasser bereits im sechsten Jahr-
hundert entstanden, während von den übrigen einer (Nr. 9) noch
um die Wende des siebenten und achten Jahrhunderts aufgezeichnet,
im elften Jahrhundert aber erweitert worden sein soll, wieder
andere (Nr. 2—5) dem 9. bis IL Jahrhundert entstammen, Nr, LI
und 12 dem 12. Jahrhundert angehören und dank der Benutzung
Frühes Mittelalter.
195
der Gesta paitperis scholarls Albim durch Cencius tn dessen Liter
€ensfium übergegangen smd; die Ordines 10, !3 und 14 sind erst
lim 13. und 14. Jahrhundert niedergeschrieben worden, während
\^rda 6 au 6 errömische 3 Gepräge aufweist Die Untersuchung war
vor eine schwierige Aufgabe gestellti da jene Aufzeichnungen ein
gleichsam zeitloses Gepräge tragen, und mit Recht behandelt
Kosters jeden Ordo gesondert. Uns will scheinen, als hätte er
durch eine straffere Disposition innerhalb jedes Kapitels den Leser
noch besser auf seine Seite ziehen können: er setzt zuviel voraus,
anstatt sich zunächst die Frage vorzulegen, ob nicht auch andere
als Liturgiker zu seinem Buche greifen möchten. Wie ganz anders
hat Waitst es verstanden, in seinen ^Formeln der deutschen KÖnigs-
und römischen Kaiserkrönung^ den zunächst uneingeweihten Leser
zu unterrichten! Nicht vergessen sei der Anhang der Schrift mit
seinen Mitteilungen von drei Ordines (QuaUter post ordinaUünem
kardinales vadtint aä ecelesias suas; QuaUter etigatur summus
poniifex S. /?. E. et quomada consecretur ei ad stimmum honorem
venire debeai, erwähnt von S. Keller, Die römischen Pfalzrichter
S. 92 Anm. 4 ; Ordü cerimoniomm servanäorum (f) in corünacione
summi pontificis). Es wäre erfreulich, wenn die Schrift anregte
lu einer Prüfung der zahlreichen Pontifikalienhücher, die sich in
unseren Bibliotheken finden. Stichproben aus solchen Codices in
Bamberg und Paris ergaben den Wert dieser Bücher für die Ver-
lassungsgeschichte der Kirche; ein Buch wie das von A, Franz
(Das Rituale von SL Florian aus dem 12. Jahrhundert. Freiburg
L B* 1904) sollte nicht ohne Nachfolger bleiben, zumal wir in
vielen Punkten noch immer auf das veraltete Werk von Martine
(De anliquis eccUsiae ritibas 1700) angewiesen sind. (Studien zu
Mabillons römischen Ordines, Münster, W, H. Schöningh. IW5.
100 S.) A. W.
Ein Reihe von Beiträgen zur kirchlichen Verfassungs- und
Rechtsgeschichte mag in aller Kürze notiert sein. H. v* Schubert
behandelt in einer » das Wesentliche der Entwicklung scharf her-
vorhebenden Rede „Staat und Kirche von Konstantin bis Karl
den Großen'* (Kiel, Lipsius « Tischer. 1W6. 20 S.); erfreulich
ist der Hinweis darauf, daß einzelne Aufstellungen demnächst im
zweiten Bande von Schuberts Lehrbuch der Kirchengeschichte
begründet werden sollen. A, M. Koeniger liefert beachtenswerte
Beiträge zur Kenntnis der Synodalbeschlüsse von Meaux (945) und
Koblenz (922), deren Kanone s er um je einen gesondert über-
lieferten vermehrt (Neues Archiv ^1, 2). E, Hirsch bestreitet,
daß von einer Ausdehnung des Begriffs Simonie auf die Laien-
13*
m
Notizen und Nachrichten,
Investitur während des 11. Jahrhunderts die Rede sein könne
(Archiv für katholisches Kirchenrecht 86, 1). Die eingehende
Untersuchung von J, v, Pflugk-Harttung in den Mitteilungen
des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 27, 1 gilt dem
Papst Wahldekret des Jahres 1059. Von seinen beiden Fassungen
hatte, wie man weiß» R Scheffer-Boichorst die sog. päpstliche als
die echte erwiesen und damit allgemeine Zustimmung gefunden.
Hier kann nur das Resultat der neuen Prüfung wiedergegeben
werden, ohne da0 schon jetzt zu ihr Stellung genommen werden
soll: ^Die kirchlichen Eiferer haben ihr Ziel auf der Lateransynode
des Jahres 1059 nicht erreicht. In der Zukunft erging es dann
dem Dekrete wie anderen Dingen aus der Zeit Heinrichs IV.:
die Talsachen wurden gefälscht und in papstfreundlicher Bearbeitung
überliefert, die Wahlbestimmungen also im päpstlichen Sinne um-
gestaltet, möglicherweise mit Anlehnung an die Forderungen des
Kardinals Humbert; der Urtext hat eine entscheidende staats-
rechtliche Anteilnahme des Königs enthalten . ♦ * Aus den Über-
arbeitungen des echten Dekrets erklären sich die vielen formalen
und sachlichen Mängel, mit denen die erhaltenen Fassungen be-
haftet sindf zumal die sog. ,päpstliche^ Sie steht eben dem
Originaltexte am fernsten.** In das zwölfte Jahrhundert führt die
fleißige Materialsammlung von F, Geselbracht, der in seiner
(Leipziger) Dissertation »Das Verfahren bei den deutschen
Bischofswahlen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts*"
schildert (Weida i. Thür, Thomas & Hubert. 1905. 139 S.), dessen
Polemik u. a. gegen A. v. Wretschko keineswegs schlüssig er-
scheint. Zur Verwaltungsgeschichte endlich eines bischöflichen
Sprengels mag auf die Arbeit von Ch. Duvlvier über den
Archidiakonat von Brabant in der Diözese Cambrai bis zu seiner
Teilung im Jahre 1272 verwiesen sein (Bulletin de ia cammission
royaie d^histoire 74, 4)»
Man weiß, wie zahlreiche Probleme das Volksrecht der Bayern,
die Lex Baimariorum j der Forschung darbietet {yg\, 88, 162. 352;
89, 535f*)< E. V. Schwind^ der eine Neuausgabe des Gesetz-
buches für die Manumenta Otrmaniae übernommen hat, entschloß
sich daher, die Edition durch voraufgeschickte Untersuchungen
etwas zu entlasten. Ihre erste, soeben im Neuen Archiv 31, 2
veröffentlicht, prüft aufs neue die Beziehungen der Lex zu den
westgotischen Rechtsaufzeichnungen, dann zu den alamannischen.
Im Gegensatz zu K. Zeumer, der die Lex Balavariorum zeitlich
auf die Lex Alamannorum folgen läßt, hält er mit H, Brunner an
der früheren Entstehung der Lex Baiuvarlorum fest und erklärt
Frühes Mittelalter.
m
ihre Verwandtschaft mit dem schwäbischen Gesetzbuch durch die
Benutzung einer ihnen beiden gemeinsamen, aber verlorenen
Quelle. Der Vergleich der Lex Bai. mit den übrigen Volksrechten
erwies sich ihm als wenig ergiebig.
Im Gegensatz zu L. H e r t e 1 ^ der den Thüringischen Renn-
steig seiner Entstehung nach einen Kurier- und Patrouillenweg
genannt hatte (Tilles Deutsche Geschichtsblätter 7, 1), vertritt
K. Rubel die Ansicht, daß die Anlage des vielgenannten Weges
zusammenhänge mit Umgrenzungen oder Markensetzungen, wie
sie von den Franken im deutschen Eroberungsgebiet vorgenommen
worden seien; der Umritt des „Herzogs" (im Sinne Rübeis einer
Art von Oberlandmesser) habe den Rennsteig als Grenze sanktio-
niert (ebenda Heft 2).
Schwer läßt sich der Inhalt einer umfangreichen Studie von
A. Hofmeister über Markgrafen und Markgrafschaften im itali-
schen Königreich in der Zeit von Karl dem Großen bis Otto dem
Großen (774— %2) im Rahmen einer knappen Notiz zusammen-
drängen. Sie geht aus von einem Vergleiche der langobardischen
und der fränkischen Einrichtungen^ behandelt darauf die Ent-
stehung der markgräflichen Gewalt, deren Ähnlichkeit mit dem
deutschen Herzogtume bereits J, Ficker hervorhob, um im zweiten
größeren Teile der Untersuchung die Geschichte der Markgraf-
schaften in Priaul, Tuscien und Spoleto aufzudecken. Klare Dis-
position und große Belesenheit sind die Vorzüge der Arbeit, nicht
minder aber auch ihre Abkehr von gewagten Hypothesen oder
Konstruktionen, Mit Recht nennt Hofmeister die markgräfliche
Gewalt eine mittlere Gewalt zwischen dem König und den Grafen ;
nur ihr Entstehen will er kennen lernen, nicht ein in sich ge-
schlossenes Bild ihrer Befugnisse zeichnen — , vielleicht ein Hin-
weis darauf, daß spätere Studien das jetzt noch Fehlende ergänzen
sollen. Jedenfalls wird man ihnen gern entgegensehen dürfen
(Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung
7. Ergänzungsband Heft 2 S. 215 ff,).
Vier Arbeiten befassen sich mit Fragen frühmittelalterlicher
Diplomatik, Im Neuen Archiv 31 ^ 2 behandelt K. Voigt die
Lebensbeschreibung des Hl. Babolenus und die Urkunden für
SL Maur-des-Foss^s, Br, Kruse h setzt sich noch einmal (vgl, 92,
348) mit L. Levillains Ausführungen über die Urkunden von Corbie
auseinander, A. Hesse I handelt in Weiterführung seiner Beiträge
zu Bologneser Geschichtsquellen (vgL %t 346 L) über drei von
irnerius unterschriebene Privilegien Heinrichs V«, teilt die Urkunde
des kaiserlichen Legaten Konrad» Bischofs von MetZi mit, die
19S
Notizen und Nachrichten,
deni Bischof von Bologna freiwillige Gerichtsbarkeit zuerkennt
(1221) und endlich einen Urteilsspruch des kaiserlichen Appefla-
tionsrichters Guido di Boncambio atis dem Jahre 1225. Aus
den Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsfor-
schung 27, 1 verdient die lehrreiche Anzeige des Buches von
J. Schultze, Die Urkunden Lothars HL (Innsbruck 1905) durch
H. Hirsch besondere Hervorhebung.
Zahlreicher als sonst sind die Beiträge zur Geschichte der
frühmittelalterlichen Literatur im weitesten Sinne dieses Wortes,
j. B. Hablitzet verbrettet sich über Hrabanus Maurus und
Claudius von Turin (Historisches Jahrbuch 27, 1). B. Schmeidler
sucht die Frage nach der Entstehungszeit einiger Bestandteile des
sog. Chromeon Venetum näher zu beantworten^ M, Tangl die
Hypothese von W* Giesebrecht und O. Holder-Egger (vgl, 86, 362;
88, 533) mit neuen Gründen zu stützen, daß Bischof Erlung von
Würz bürg Verfasser der Vita Heinrki IV. imperatoris sei (Neues
Archiv 31, 2). L. Halphen macht auf eine bislang unbekannte
Rezension der Chronik des Ademar von Chabannes (vgl 82, 300 f*)
aufmerksam, die er in einer vatikanischen Handschrift gefunden
hat (Bibiiothique äe V^coh des c hartes 66, 6). E. F a r a I hat eine
kritische Ausgabe eines dramatischen Gedichtes des Courtois
d^Ärras veröffentlicht, das, um die Wende des 12, und 13, Jahr-
hunderts verfaßt, die Zwischenstufe zwischen kirchlichem und
profanem Drama veranschaulicht {BibUothique de la facuitä des
lettres 20; Paris, F, Afkan 1905, S. 163 ff.). Als Vorarbeit einer
Ausgabe der englischen Chronik The Brüte of England schickt
F* W. D, Brie dieser eine sorgfältige Abhandlung vorauf ^ die
namentUch eine Übersicht der zahlreichen Handschriften und der
Quellen jener Chronik zu liefern bestimmt ist (Geschichte und
Quellen der mittelenglischen Prosachronik The Brüte of England
oder The ChronUles of England, Marburgs N. G* El wert. 1905,
130 S,),
J, H a 1 1 e r s Aufsatz über Canossa ist der bedeutsamste, den
unser Bericht zur Geschichte des früheren Mittelalters zu ver-
zeichnen hat. Er geht aus von einer Kritik der Quellen, vor allem
der Erzählung des Lampert von Hersfeld, dessen ^Lust am Fabu-
lieren" Haller hervorhebt, in gewisser Abkehr von dem Urteile von
O. Holder-Egger, dessen Ausführungen er das Meiste zu ver-
danken bekennt. Viel wertvoller als Lampert ist der Bericht des
Annalisten von St. Blasien, — nebenbei eine beachtenswerte An-
regung zu einer Neubearbeitung des Berthold und des ßernold,
für die in den Scriptcres rerum Germankarum der gegebene Plat*
Frühe e Mittelalter.
199
wäre, rumal ihre Ausgabe (MC. SS. V) längst überhoh ist. Haller
untersucht alsdann den Hergang von Heinrichs Buße, legt aber
vor allem Gewicht auf die Verhandlungen zwischen König und
Papst, deren Ergebnis wohl als ein Sieg Heinrichs, aber doch als
ein Pyrrhussieg erscheint. „Es Ist nicht wahr, was Gregor seine
Anhänger glauben machen wollte, daß die unerhörte Demut und
Selbsterniedrigung des Königs sein widerstrebendes Heris erweicht
habe. Die Wahrheit ist, daß er, aus Gewissenhaftigkeit und Klug-
heit zugleich, es nicht gewagt hat, dem Könige, der sich als
Büßender meldete, die Absolution zu verweigern, obwohl dieser
Schritt seine ganze Politik in Frage zu stellen drohte. Nicht in
einem angeblichen Obermaß äußerer Erniedrigung und Selbstpein,
womit Heinrich seine Unterwerfung anbot, lag der Drang, dem
Gregor nachgeben mußte, sondern in der bloßen Tatsache, daß
der König zur Buße nach den kirchlicheri Vorschriften bereit war.
Das allein war genügend, um einen unausweichlichen Druck auf
den Papst auszuüben/ Heinrich siegte nur für den Augenblick,
da er das, was er am meisten erstrebte, die Niederschlagung der
fürstlichen Revolution nicht erreichte; und sein Sieg war, „im
Lichte der späteren Zeit betrachtet^ ein Pyrrhussieg**, denn das
Königtum verlor dadurch, „daß ein König sich um die Losspre-
chung vom Banne bemühte, damit er König bleiben könnte**
(Neue Jahrbücher für das klassische Altertum usw. 17 und IS,
Heft 2).
Fleißig gesammelte Regesten zur Lebensgeschichte des Bi-
schofs von Soissons, Joscelin de Vierzi (1126—1152), veröffentUcht
L, J a c q u e m i n in der Bibiiöthique dt la factiit^ des Lettres 20
(Parisj Alkan. 1905. S. l ff.); als Matenalsammlung zu einer Bio»
graphie jenes Ratgebers Ludwigs Vll. von Prankreich werden sie
gute Dienste tun können.
Die Deutung einer umstrittenen Stelle in den sog* Annalen
von Marbach zum Jahre 1196, nach der Heinrich VI. den Papst
Cölestin III. bat, seinen Sohn Friedrich „zum König zu salben** {in
regem ungeretjj als einen Hinweis darauf, daß Heinrich die Kaiser*
l^rönung Friedrichs habe erwirken wollen, um so mit Hilfe des
Papstes über die deutschen Fürsten hinweg seinen Plan eines
Erbkaisertums zu verwirklichen, ist das Ziel einer Abhandlung
von K. H a m p e in den Mitteilungen des Instituts für österreichische
Geschichtsforschung 27, L Gleichzeitig sei, als einer Frage der
Geschichte ebenfaUs Cölestins Ul. gewidmet, die Untersuchung
von B. A, Lees angemerkt, die sich mit der Authentizität der
Briefe der Königin Eleonore von Aquitanien, der GemahUn Lud-
200
Notizen und Nach richten »
wigs VW. von Frankreich und Heinrichs I!. von England^ an
Cölestin IlL befaßt (Englisk Htstaricai Review 21 Nr. Sl).
A. E, Schönbach erschließt in den Mitteilungen des Insti-
tuts für österreichische Geschichtsforschung 27, 1 eine überaus
wertvolle Quelle für die Kulturgeschichte Deutschlands und des
slavisch-baltischen Ostens um die Mitte des 13. Jahrhunderts, Er
veröffentlicht nämlich aus der Enzyklopädie des wohl aus England
stammenden Minoriten Bartholomäus Anglicus — das Werk führt
den Titel : De propnttatibus rentm — die Schilderung Deutsch-
tands und einiger angrenzender Gebiete, die zum Teil auf Autopsie
ihres Verfassers beruht und u. a< nicht ohne Geschick auf die
charakteristischen Eigenschaften von Franken» Flandern, Loth*
ringen, Melöen, Holland, der Rheinlande, Sachsen und West-
falen sowie auf das Wesen ihrer Bewohner, ihre Produkte, ihre
Fauna u. a. m. eingeht. Die Beschreibungen des Elsasses und
Deutschlands aus dem Ende des 13. Jahrhunderts^ wie sie sich
in den Kotmarer Aufzeichnungen (MG. SS. XVII) finden, werden
dadurch aufs glücklichste ergänzt, ganz abgesehen von der zeit-
lichen Ansetzung und Zuweisung jener Enzyklopädie, deren Ver-
fasser 1230 als Lektor an das Minontenstudium zu Magdeburg
geschickt wurde. Vielleicht macht Schonbach die wertvollen Teile
dieses Werkes durch eine erläuternde Ausgabe weiteren Benutzer-
kreisen zugänglich; jetzt hat er sich mit Absicht nur auf knappe,
zunächst freilich ausreichende Anmerkungen beschränken wollen.
Eine familiengeschichtliche Untersuchung von J. Großmann
gilt der Frage: ^^Jst der Familienname unseres Kaiserhauses Zollern
oder Hohcnzollern* (Berlin, W. Moser. 1906. 19 S. gr. 8«). Beide
noch bestehenden Linien» die fränkische oder kaiserliche und
die schwäbische oder fürBtliche, leiten sich her von dem ge-
meinsamen Stamm der Grafen von Zollern; beide haben auch
nach ihrer Teilung den gemeinsamen Familiennamen Zollern ge-
führt, den Großmann nach dem Vorgange von L. Schmid herleitet
von dem Namen des Berges und der Burg Zoller, dessen Her-
kunft aus der römischen Bezeichnung mons solarms recht wahr-
scheinlich ist: die Römer haben wohl eine einheimische germa-
nische Bezeichnung, angeregt vom Sonnenkultus der alten Ger-
manen, latinisiert. Erst im 16. Jahrhundert wurde der Name
Hohen^ollern zu dem der schwäbischen Linie, während die fran-
liische erst gegen Ende des 17, ihn in den Staatstitel einführte»
ohne daß durch einen hausgesetzlichen Akt dieser Name festgelegt
worden wäre.
Frühes Mittelalter.
2ßi
Neue Bücher : H a c k m a n ^ Die ältere Eisenzeit In Ftnnland.
1. Die Funde aus den fünf ersten Jahrhunderten n, Chr. (Leipzigs
Hiersemann. 16 M.) — Die Altertumer unserer heidnischen Vorzeit.
5, Bd. 6, Heft. (Mainz, v, Zabern, 6M.) — Pastor, Der Zug vom
Norden. Anregungen zum Studium der nordischen Altertumskunde.
(Jena^ Dtederichs. 2,50 M.) — Kurth f Qu'est'Ce que U may^n-ägef
(Paris, Bload <£ Cie.) — Vlldhaut, Handbuch der Quellen*
künde zur deutschen Geschichte bis zum Ausgang der Staufer^
2., umgearb, Aufl. I. Bd* (Werl, Stein. 4M.)-- Procopü Caesarienis
opera omnia. Rec, Haury, VoL /. //. (Leipzig, Teubner* 24 M.) —
Glaizoile ^ Un empereur thiotogien. Justinien; son rdle dans les
Cüntrmerses ; sa äoctrine christoiogique. (Lyan, Rty 4^ Co. 2,75 fr,}
— DithU Figures byzantines. ( Paris ^ Colin. 3,50 fn) — Launay,
Hist&ire de i'^glise gaüloistr depui^ les origines Jusqu'ä la con-
qaite franque (51 i). 2 vols. ( Paris ^ Plcard ei fiis,} — Margoii-
Qiith, Mohammed and the rtse of Islam. (London, Putnam,
3,6 sh.) ^ Le Strange, Lands of the Bastern caliphate. Meso-
potamia^ Persia, Central Asia, from Moslem conquest to Urne af
Timur, (Cam bridgej Univ, p ress. 15 sh.) — G a s p a r d* R e m l r o ,
Historla de Murcia musulmana, (Zaragoza, Uriarte. 10 pes.) —
Gardner, Theodore of Studium, his life and times. (London,
Arnold. 10,6 sh,) — Lesne, La hi^rarchie ^piscopale en Gaule et
en Ger ma nie, depuis ta ri forme de saint Boniface jusqu'ä la mort
d^Hincmar^ 742—882, (Paris, Picard et fils.) — Les Annales de
Flodomrd, Pubi. p, La»er. (Paris, Picard et fUs. 8 fr,} — Dil ton,
King William L the Conqueror. (London, Mathews. 4,6 sh,) —
Davis, England ander the Normans and Angevins, 1066 — 1272,
(London, Methuen, 10,6 sh.}^ Hauck, Kirchengeschichte Deutsch-
lands. 3, Teil* 3. u. 4. (Doppel-) Aufl» (Leipzig, Hlnrichs^ Verl»
18,50 M.) — Brugerette, Gn^goire VU et ta riforme du Xi*
siicle, (Paris f Blond <<5 CieJ — Bernhelm, Das Wormser Kon-
kordat und seine Vorurkunden hinsichtlich Entstehung, Formu-
lierung, Rechtsgültigkeit. (Breslau, Marcus. 2»60 M.) — Sot, Les
rapports de la France avec l^ Halle du Xfi^ siicte ä la fin du
Premier empire, (Paris, Champion,} — Bmgeretle , innocent III
et Vapogie du pouvoir pontifical, (Paris, Bloud d CieJ —
Schmidlin, Die geschichtsphilosophlsche und klrchenpoUtlsche
Weltanschauung Ottos von Freising. (Freiburg i. B., Herder*
3,60 M.) — Three chronicus of London a. D. 1189 — a, D. 1519.
Ed, by Kingsford. (Oxford^ Clarendon press, lÖ,6sh,} — Michael^
Geschichte des deutschen Volkes vom 13. Jahrhundert bis zum
Ausgang des Mittelalters» 4. Bd. (Freiburg i. ß., Herder. 6,40 M.)
302
Notizen und Nachnchters,
Spateres Mittelalter (1250—1500).
H. Niese veröffentlicht in den Quellen und Forschungen
aus italienischen Archiven und Bibliotheken 8, 2 Untersuchungen
namentlich über die Frage, aus welchen ständischen Kreisen
(Mitterleute, Ministeriale der Grafen) und aus welchen Gegenden
(meist Schwaben und Franken) die deutschen Söldner stammen^
die den späteren Staufern ihre Kriege führen halfen. Die Dar-
stellung gruppiert sich im wesentlichen um zwei wichtige Urkun-
den aus den Jahren 1256 und 1267, die Niese im Staatsarchiv von
Siena gefunden hat: Nr. I enthält eine Bescheinigung von neun
deutschen Rittern über den Empfang eines Lösegeldes für ge-
fangene Seneser Bürger, Nr. 2 einen Dienstvertrag zwischen der
Stadt Massa Marittima und fünfzig mit Namen aufgeführten deut-
schen Soldrittern. Die von Niese beigefügten Erläuterungen und
Nachweise bedürfen vielfach der Berichtigung und Ergänzung,
was angesichts der Tatsache, daß ein in Italien lebender Forscher
Speziailiteratur nur in sehr beschränktem Maße heranziehen kann,
nicht eben verwunderlich ist. //, Kaiser.
In den Mitteilungen des Instituts f. Österr. Gesch. 27, 1 wendet
sich K. Wenck, seine an dieser Stelle 94, S. 1—66 vorgetragenen
Ausführungen über Bonifaz Vfll. als Ketzer erneut begründend
und stützend, gegen den H. Z. 9t, 163 erwähnten Artikel von
Rob, Holtzmann; letzterer erwidert kurz. U, E. wird man Wencks
vorsichtig formulierte Schlußfolgerung sich zu eigen machen und
ihm also das Verdienst zusprechen können, i,die Frage der Berech-
tigung der Anklage in ihrem wichtigsten Punkte, daß nämUch der
Papst nicht mehr befugt war, den Namen eines Christen zu tragen,
in ein für den Angeklagten wesentlich ungünstigeres Licht gerückt
zu haben." Wenn Holtzmann hinsichtlich der Auslegung der Worte
Albalatos das Raisonnennent von Wenck und mir „trotz eifrigen
Nachdenkens einfach nicht zu verstehen" erklärt^ so kann ich das
nicht ändern, tröste mich aber mit dem Bewußtsein, daß dies Ver-
ständnis — erhaltenen Mitteilungen zufolge — anderen Lesern
offenbar leichter gefallen ist. ff. Kaiser.
„Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte der Stadt Frag im Mittel-
alter** beginnt Franz Pick in den Mitteilungen des Vereines L
Gesch. d. Deutschen in Böhmen 44, 3 zu veröffentlichen. Er be-
handelt zunächst die Entwicklung, die das bald nach 1300 auf-
tauchende Prager Ungeld während des t4. Jahrhunderts genommen
hatf die einzelnen Ungeldarten, zehn an der Zahl, Ungeldverwaf^
tung und -befreiung. — Ebenda findet sich ein Aufsatz von L. J.
Späteres Mittelalter*
aoi
Wintera über Stadt und Stift Braunau unter den Luxemburgern
(1336-UJ9),
In der i^evut d'hist&in et de iUt^rature reUgimses l<K)5, 4
führt Gl. Cochin seine biographische Arbeit über Stefano Co*
lonna zu Ende (vgL 96, 356).
Die Ausführungen einer vor einem Jahrzehnt erschienenen
Schrift über Philipp von M^zi^res und die Kreujszugspiäne im
14. Jahrhundert mehrfach ergänzend und berichtigend, legt N*
Jorga in der Byzantinischen Zeitichrift 15, 1 u. 2 die VerhäJtnisse
dar, die es den Türken ermöglichten, in Europa festen Fuß zu
fassen <1342-f36a).
Emil G ö 1 1 e r veröffentlicht im zweiten Teil seiner ergiebigen
Abhandlung über den Liber taxarum der päpstlichen Kammer
{vgl, 95^ 535) zahlreiche Quellenbelege zum Informationsv erfahren
der Kammer bei Festlegung der Servitientaxe aus den Jahren
1347—1352 und vier Urkunden über Festlegung und Verminde-
rung der Taxe (Quellen und Forschungen aus italienischen Ar-
chiven und Bibliotheken 8, 2). Die ganze Arbeit ist jetzt auch
als Sonderdruck erschienen: Rom^ Loescher 1905. 104 S.
Im Archiv io stör. Lombaräo sene quarta, anna 32, fast, 8
handelt D. Muratorio über Geburt und Taufe des nach dem
Vater benannten erstgeborenen Sohnes Gian Galeazzo Viscontis
und seiner Gemahlin Isabella von Valois und über die Vtscontische
Politik im Frühjahr 1366, Em. Motta macht Mitteilungen über
die Geschichte der Reiskultur in der Lombardei (14, bis 16. Jahr-
hundert), während A. Mazzi unsere Kenntnis von der Jugendzeit
des bekannten Condottiere ßartolomeo Colleoni um einige be*
merkenswerte Tatsachen vermehrt.
In der Zeitschrift L d. Gesch. d Oberrheins N, F, 21, l be-
richtet H. Kaiser über eine Im Bistum Straßburg im Jahre 1371
erhobene päpstliche Steuer und bringt den für die Alsatia sacra
wichtigsten Teil des Verzeichnisses zum Abdruck; G, Sommer*
ieldt teilt ebenda als Beitrag zur Kenntnis der Beziehungen
König Ruprechts zu Papst Innozenz Vll. im Jahre 1405 die An*
spräche mit, die die königlichen Gesandten am Ende des Jahres
an den Papst gerichtet haben.
J. Viard unternimmt inder Bibtioth^que de V^ci^le des c hartes
1905^ September-Oktober den Nachweis, daß die Chronagraphia
regum Francorum aus der Chrontque de Jean le Bei geschöpft
hat, während H. Moranvill^ (vgl 95, 161) die in beiden Quellen-
werken sich findenden Obereinstimmungen aus gemeinschaftlicher
Benutzung einer verlorenen Chronik hatte erklären wollen. —
2(H
Notizen und Nachrichten.
Im November -Dezember -Heft der gleichen Zeitschrift handelt
P, Guilhiermoz über das Verhältnis des für die französische
Rechtsgeschichte sehr wichtigen ^Grand Couiumier de France^
von Jacques d'Ableiges zu dem in der französischen Hand-
schrift 4472 der Pariser Nationalbibliothek erhaltenen ^Stjfle du
Chätelei*.
S. P i V a n o erläutert in weitausgreifender lehrreicher Unter-
suchung die anhangswreise mitgeteilten Satzungen der im Jahre
1381 von Karl von Durazzo in Neapel gegründeten Ritterschaft
^delta Nave'j die in einem durch den Brand von 1<K)4 größtenteils
zerstörten Kodex der Nationalbibliothek zu Turin überliefert sind
(Memürie delia r. accad. delie scienze dt ToriftOf sc. mor^^ star. w
filöL Serie //j f. 55J*
Zur Textgestaltung des Traktats ^De contemptu mundi^ von
Heinrich v, Langenttein (vgL 95i 536) äußern sich Gustav Som-
merfeldt und E, Steinmeyer im N. Archiv d. Ges. f. ä.
deutsche Gesch. 31, 2, — G, Sommer feldt druckt überdies in
den Mitteilungen d. Inst. f. österr. Gesch., Ergänzungsband 7, 2
zwei von Heinrich v* Langenstein zur Unterstützung der Konzil-
idee an König Wenzel und den österreichischen Kanzler, ßischof
Friedrich von Brixen, gesandte Traktate, die um 1381 und 1384
angesetzt werden.
Fr. Bllemetz rieder bringt in den Studien und Mitteilungen
aus dem Benediktiner- und dem Zisterzienserorden 26, 3 u. 4 die
Veröffentlichung des Traktats ^Solüaqmum scismatis* zum Ab-
schluß (vgl. 96, 357); Linneborn beendet ebenda seine Arbeit
über den Kampf um die Reform des St. Michaelsklosters in Bam-
berg (vgl, 93, 538; %, 536; %, 357).
Zur IMustrierung der bekannten TatsachCj daß im Gebiet der
sette comuni und über ihre Grenzen hinaus die Seelsorge lange
Zeit in den Händen deutscher Priester gelegen hat, veröffentlicht
Luschin v. Ebengreuth in den Mitteilungen d, Instituts f,
öaterr. Gesch. 27, 1 eine den Zeitraum von 1409 bis 1503 umfas-
sende Liste deutscher Kleriker, die aus Ordinatiansprotokollen
und anderen Schriftstücken des bischöflichen Archivs zu Padua
zusammengestellt ist.
Ein in reichlichem Maße unbenutztes Material heranziehender
Aufsatz von J, Haller: England und Rom unter Martin V, schil-
dert die Versuche des Papsttums, wie in andern Ländern^ so auch
in England die Rückeroberung der alten, der Kirche verloren ge-
gangenen Positionen in die Wege zu leiten. Während diese Politik
anderwärts meist Erfolge gezeitigt hat, als deren größter die 1436
I.
Späteres Mitte laUer.
20&
erfolgte Aufhebung der GalUkanischen Freiheiten zu betrachten
iit, haben die päpstlichen Bemühungen au! Beseitigung des das
päpstliche Recht der Pfründenverleihung und damit den Bezug
der kuriaien Abgaben vernichtenden Provisorenstatuts von f390^
das auch anderwärts Schule zu machen drohte^ mit einem voll-
ständigen Mißerfolg geendet. Die von Haller mitgeteilten Einzel-
heiten über die Sommer 1419 bef^innenden Verhandlungen lassen
erkennen, daß die Kurie die ihrer Absicht entgegenstehenden
Schwierigkeiten durchaus verkannt hat: ihre „sonst so viel-
gerühmte Diplomatie hatte vollständig versagt^ man hatte sich
grade über das Wichtigste getäuscht.'* — Anhangsweise werden
die wichtigeren der unbekannten Stücke aus dem päpstlichen
Geheimarchiv mitgeteilt (Quellen und Forschungen aus italieni^
sehen Archiven und Bibliotheken S, 2).
Aus der f^evue des lüngues romanes 190«>» Januar-Februar er-
wähnen wir die Comptes des clavalres de Mantagnac (Langitedoc}
aus den Jahren 1436/37, mit deren Abdruck J, Vidal beginnt,
wegen der für die Wirtschaftsgeschichte bemerkenswerten An-
gaben über die dortigen Märkte.
Frühere Studien erweiternd (vgl, ^% 536) beginnt P; Richard
in der Revue d'hisL eceUsiasHgue 1906, I unter Benutzung der
vatikanischen Akten mit einer Arbeit über die Entstehung der
ständigen Nuntiaturen. Der bisher vorliegende Teil beschäftigt
sich mit der kuriaien Vertretung in dem Zeitraum von 1450
bis 1513.
Ein Aufsatz von R F e d e 1 e schildert die Umstände, unter
denen der freilich durchaus nicht als dauerhaft sich erweisende
Friede von 1486 zwischen Ferdinand von Aragon und Papst
Innozenz Vlll. zustande kam (Archivlo stör, per ie province Na-
poletane anno 30 ^ fasc. 4).
In den Mitteilungen d, Instituts f, österr. Gesch. 27, l gibt
Osk. Frhr. v, Mltis die Regesten der fast ausschließlich dem
späteren Mittelalter angehörenden Urkunden aus der Sammlung
Alexander Meyer Cohn, die im Herbst 1905 versteigert worden
sind, mit Angabe der Erwerber.
Die „Annalen und Akten der Brüder des gemeinsamen Lebens
im Lüchtenhofe zu Hildesheim*' sind vor kurzem von R* Doebner
im 9. Bande der „Quellen und Darstellungen zur Geschichte Nieder-
sachsens^ (1903) herausgegeben worden. Diese neu erschlossenen
Quellen hat Gustav Boerners Schrift: «Die Annalen und Akten
der Brüder des gemeinsamen Lebens im Lüchtenhofe zu Hildes
heim** (Fürstenwalde. Verlag von J. Seyfarth. 1905. JUS.)
zum ^^fl
206
Notizen und Nachrichten.
Gegenstand einer sorgsamen Erläuterung gemacht. Über die Ent*
stehung und den geschichtlichen Wert jener Aufzeichnungen wird
eingehend gehandelt und dabei das Jiber de reformatwne mona-
steriorum^ des Johannes Busch einer wenig günstigen Kritik unter-
zogen. Auf die Entwicklung und Organisation der in der Münster-
schen Union vereinigten Fraterhäuser im nordwestlichen Deutsch-
land lallt durch Boerner8 Nachweisungen manches neue Licht.
Der erste Teil der Schrift (S, 1—41) ist als Berliner Dissertation
erichtenen. In aller Kürze hat Boerner seine Ergebnisse in einem
Artikel über „Die Brüder des gemeinsamen Lebens* in Heft ^ des
6. Bandes der ^Deutschen Geschichtsblätter*' {1905, S, 241—246)
zusammengefaßt. H. Haupt.
Fr. Xav- Künstle^ Die deutsche Pfarrei und ihr Recht zu Aus-
gang des Mittelalters. (KtrchenrechtUche Abhandlungen, heraus-
gegeben von Ulr, Stutz, 20. Heft,) Stuttgart, Ferd. Enke. 1905.
XVI, 106 S. 4f40 M. Schon manchem wird es wohl so gegangen
sein wie dem Referenten, daß sich ihm bei der Lektüre der inter-
essanten kleinen Schrift Luthers von 1523 „daß eine christliche
Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu
urteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen^ oder, wenn
er unter den 12 Artikeln der süddeutschen Bauern von 1525 auf
die Bitte stieß, daß jede Gemeinde das Recht haben sollte, sich
selbst ihren Pfarrer zu wählen, der Ihr das Evangelium lauter
predigen sollte, und ebenso das Rechte ihn abzusetzen, und auf
die Bereiterklärung, den Zehnten von Korn zum Unterhalte des
Pfarrers und der Armen weiterzuzahlen, aber nicht mehr den
Zehnten vom Viehi — daß sich ihm da eine Menge von Fragen
aufdrängten: Sind das Neuerungen? Was haben die Gemeinden
für kirchliche Rechte im ausgehenden Mittelalter? Was hatte an-
derseits der Pfarrer für Rechte und Pflichten in kirchlicher und
wirtschafthcher Bedeutung? Worin bestand sein Einkommen?
Seit wann gibt es tiberhaupt Gemeinden in kirchlichem Sinne?
Wie entstanden sie? Welche Stellung hatte der Pfarrer in kirch-
licher und politischer Beziehung und als Angehöriger der Wirt-
schaftsgemeinde, der Dorfmarkgenossenschaft? -- Auf alle diese
Fragen gibt Künstle kurz und präzis erwünschte Auskunft. Seine
Ausführungen sind darum besonders lehrreich, weit er den von
den Weistümern gewollten Rechtszustand immer mit dem gemeinen
Kirchenrechte und der damaligen und jetzigen Wirklichkeit ver-
gleicht. Im einzelnen ergeben sich natürlich lokale Verschieden-
heiten und Unklarheiten, besonders betreffs der Rechte der welt-
lichen und geistlichen Grundherren und der Gemeinden bei Neu-
besetzung der Pfarreien. 0. CL
Reformation.
Wt
Das 2* Heft des 19, Bandes der „Mitteilungen aos der liv-
ländischen Geschichte* (Riga 1904, S. 293—656) enthält die zweite
Hälfte der Abhandlung H. v. Bruiningks über ^^ Messe und
kanonisches Stundengebet nach dem Brauche der Rigatschen
Kirche im späteren Mittelalter" (vgl, 93» 563 L), Wahrend im
I, Hefte auf Grund der liturgischen Bücher das gottesdienttliche
Handeln der Kirche und der Priester vorgeführt wird, so hier auf
Grund vornehmlich von Bruderschaftsslatuten und urkundlichen
Nachrichten über kirchliche Stiftungen ein gut Stück Volksfröm^
migkeit. Der Inhalt des Heftes ist unter der Oberschrift zusam-
mengefaßt: p Anhang tL Die Heiligen und die Klrchenfeste/ Man
würde aber sehr irren, wenn man dieses 2, Heft eben nur als einen
Anhang ansehen wollte. An Reichtum und Bedeutsamkeit des
Inhalts ist es dem ersten gleich. Es ist die fleißigste und gründ-
lichste hagtographische Publikation^ die mir vorgekommen tat*
Alles» aber auch alles, was die Verehrung der einzelnen Heiligen
in der rigaischen Kirche bis zum Eindringen des Protestantismus
In Livland anbetrifft^ findet man hier unter dem Namen des be-
treffenden Heiligen kurz und zuverlässig zusammengestellt, —n.
Neue Bücher: Cald^ Filippo Villani et ii Liter de angine
civitatis Flofentiae et eiusäem famosis civibHS, (Rocca S. Ca&clanOt
CappeliL) — De Maere d'Aertrytke, Memoire sur la guerre
de Flanäre de IS02 ä 1304, (Bruges, De Planche.) — M&liat,
Jean XXU et la succession deSanche^ roi de Majorqtie (1324— UM),
(Paris, Picard et fils.) — E s c h e r , Das schweizerische Fußvolk
im 15. und im Anfang des f6. Jahrhunderts« (2. Teil.) (Zürich,
Fäsi ^ Beer 3 M.) — Lupa Gent lief Studi sulta stariografia
ßorentina alla c&rte dt Cosimo l de Media, (Pisa, suec. /^istri,)
— Lettres de Charles VU!, roi de France, pubL p, P^licier et B. de
MandroL T. V {1496—1498}. (Paris, Laurens,) — Behrmann,
Über die niederdeutschen Seebücher des l&. und 16. Jahrhunderts,
(Hamburg, Friederichsen ^ Co, 5 M.)
Refortnation tind Gegenreformation (isao— 1648).
Die kleinen Funde zum elsässischen Humanismus, welche
Joseph Knepper in der Zeitschrift f. d. Gesch. des Oberrheins
N» F. 21, 1 veröffentlicht, enthalten drei neue Briefe Wimpfelings
von 1489 und 1508. in denen er sich vergeblich um ein Schlett-
stadter Kirchenamt bemüht und einige unbedachte Worte über
die Franziskaner in charakteristischer Welse zurücknimmt. Zum
Schluß folgt ein Brief des Beatus Rhenanus vom Jahre 1523^ in
dem dieser sich anerkennend über Zwingli, aber absprechend über
das Draufgängertum der Züricher Bevölkerung ausspricht.
20t
Notizen und Nachrichten.
Einen Bericht über den Stand der Uterarischen Werke Maxi-
milians L; den der Hofhistoriograph Johann Stabius nach dem Tod
des Kaisers angefertigt hat, veröHentlicht S. Steinherz in den
Mitteilungen des Instituts für österr, Geschichtsforschung 27, L
Die Familienbriefe Aleanders, welche J* Paquier in der
Hevue des ätudes historiqiies mit guten Anmerkungen herausgibt
(vgl Hist. Ztschr. 96, 543), werden im Januar-Februarheft 1906 von
1510 — 18 fortgesetzt. Sie bieten, außer für die persönlichen Schick-
Bale AleanderSj für die Getehrtengescbichte dieser Jahre einiges
Interesse.
Als einen Beitrag zur Vorgeschichte der Reformation teilt
Otto Heinemann in Nr. 10 des Archivs L Reformationsgesch.
(3 «J^^^S'i ^^^t 2) eine Klosterordnung des Zisterzienserklosters
Himmelstädt bei Landsberg a. W. vom Jahre 1513 mit; sie wurde
im Anschluß an eine Klostervisitation erlassen, die v. Nießen m
seiner Geschichte der Neumark irrig ins Jahr 1313 gesetzt hat.
Gegen die Verunglimpfungen Luthers durch Denifle gedenkt
der Verein für Refonnationsgeachichte zunächst drei Schriften zu
richten, eine über Luthers Leben und Entwicklung im Kloster, die
zweite über Luthers Stellung zur Ehe> die dritte über seine reli^
giöse und theologische Entwicklung bis 1517 und sein Verhältnia
zum Mittelalter. Von diesen Untersuchungen ist die erste als
Nr* 87 der Schriften des Vereins f. Reformationsgesch. (23. Jahrg., 2)
erschienen: Luther im Kloster 150S — 1625, von Karl Benrath
(Halle, Rud. Haupt, 1905. III u, 96 S. 1,20 M.). Ihren apologetischen
Zweck dürfte diese Arbeit erfüllen. Die Polemik gegen Denifles
Ausführungen über die Mönchstaufe und gegen die Anschuldi-
gungen^ daß er die Ordensdiszipün in Wittenberg untergraben
habe, daß er ein Hurer („Urist*') und Trunkenbold gewesen sei,
wird mit Ruhe und Sicherheit geführt. Benraths Bemerkungen über
Luthers Trinksitten sind denjenigen Grisars (vgl Hist. Ztschr. 96^
167) entschieden vorzuziehen. Weniger wird man von den allge^
meineren Erörterungen befriedigt Ich gestehe, daß mir da die
kleine Flugschrift von H. v. Schubert (Was Luther ins Kbster
hinein- und wieder hinausgeführt hat, 1897) oder die einschlägigen
Partien in Hausraths Luther biographie ungleich mehr geboten
haben. Gerade hinsichtlich der Romreise möchte Ich übrigens
nicht, wie Benrath, Hausrath sondern Elze folgen. Auch die inter-
essante Frage> was Luther dem Kloster dauernd verdankte^ und
worin sich noch später die Nachwirkungen seines ehemaligen
Mönchtums zeigten^ wird kaum berührt. Und schließlich Ist es
zu bedauern, daß der Verfasser sich keinen Einblick in das Material,
Reformation*
209
I
mit welchem demnächst J* Fkker vor die Öffentlichkeit treten wird,
verschafft hat: seine Schrift wird dadurch in manchen Punkten
rasch überholt sein, — Es sei gestattet, in diesem Zusammenhang
auch der Würdigung Denlfies durch Hermann Grauert zu ge-
denken (P. Heinrich Denifle 0. Pr., ein Wort zum Gedächtnis und
lum Frieden, ein Beitrag auch zum Lutherstreit, 2. Aufl., mit einem
Bildnis Denifles, Freiburg i. Bn, Herdersche Verlagsbuchhandlung.
1906, Vll u. 66 S. 1,40 M.). Sie stellt einen durch eine Nachschrift
über Luthers theologische Entwicklung erweiterten Abdruck aus
dem Hisl, Jahrbuch 26, 4 dar und Ist in anerkennenswerter Weise
bemüht» Licht und Schatten gerecht zu verteilen. Die großen
Verdienste des Gelehrten werden hier nach Gebühr hervorgehoben,
die Lutherlrage in einem zwar entschieden gläubig-katholischen
Sinn (S, 6), aber im Gegensatz zu Denifle mit Ruhe, Objektivität
und historischem Verständnis behandelt Auf das eigenartige
Wesen Deniflest der eine tiefe Gelehrsamkeit mit dem rabiatesten
Draufgängertum vereinigte^ fallt manch treffendes Schlagücht«
Otto Giemen beschließt in der Ztschr, f. Kirchengesch, 27, 1
seine Beiträge zur Lutherforschung (vgl Hist, Ztschr* 96, 167, 360%
indem er über die in seinem Kamenzer Sammelband enthaltene
Handschrift von Luthers Asterisci und von den Probationes con-
ctiis£0num in capiiulo Heidelbergensi disputatarum berichtet und
Ergänzungen zu der Ausgabe Knaakes gibt, — Derselbe stellt in
Nr IG des Archivs I, Reformationsgesch. (3. Jahrg., 2) einige Bei-
träge zur sächsischen Reformationsgeschichte zusammen, nämlich
zwei^ den von Tetzel 1505 in Zwickau verkündigten Livländer Ab-
laß betreffende Urkunden, ferner einen Brief, den ein ehemaliger
Pirnaer Dominikaner 1523 aus Wittenberg an seinen Prior schrieb,
um seine Flucht aus dem Kloster zu rechtfertigen^ sodann Notizen
zur Lebensgeschichte zweier rühriger Gegner der Reformation in
Leipzig, des Pfarrpredigers Johannes KoÖ (f 1533), dessen Sermon
vom Fasten analysiert wird, und seines Genossen^ des Kaufmanns
Hieronymus Walther, der namentlich die polemischen Bestrebungen
von Emser und Cochlaeus unterstützte ; zum Schluß folgt eine
Satire auf Hieronymus Jungersheim von Ochsenfurt, der gleichfalls
2u den katholischen Leipziger Streittheologen gehörte.
Der Schluß der Aufsätze Kaweraus über Luthers Stellung
zu drei seiner hervorragendsten Zeitgenossen (vgl Hist. Ztschn 96>
544)j den das 3. Heft der Deutsch-evangelischen Blätter (31, N. F. 6)
bringt, beschäftigt sich mit Luther und Melanchthon und berührt
sich naturgemäß vielfach mit der früheren Studie desselben Ver-
fassers über das gleiche Thema (vgl HisL Ztschr. 91, 548)< Der
Htttorltctae Zeitii^hHtl <^. B{L) 3. Folge L Bd. 14
210
Notizen und Nachrichten.
Verfasser wagt gerecht ab, was beide Reformatoren voneinander
hatten und schildert mtt psychologischem Verständnis ihren eigen-
artigen^ aus Freundschaft und Gegensatz gemischten Bund. Me-
lanchthons Verdienste um die Sache der Reformation bestehen
darin; daß er die Brücke mit der Wissenschalt geschlagen, die
nötige Systematisierung der Theologie geschaffen und die theo-
retische Begründung des Landeskirche ntums gegeben hat. Hin-
sichtlich der DiHerenzen mit Luther^ (in der Prädestinations^ und
Abendmahlsfrage) vermißt man eine Erklärung und Würdigung
der bemerkenswerten Tatsache^ daß Luther seibat sie durchaus
zurücktreten Heß, und daß sie daher erst nach seinem Tod Be-
deutung gewannen-
Die ausführliche Darstellung E. Fabians über den Streit
Luthers mit dem Zwickaucr Rate im Jahre 1531 (in d. Mitt, des
Altertumsvereins f* Zwickau und Umgegend, 1905, Heft 8) hat zum
Teil unbekanntes Material, Ratsakten, Briefe des Zwickauer Rats
an Luther^ Hausmann u. a. verarbeitet.
Nach den Ordensgebieten in Preußen und Livland zu Beginn
der Reformationszeit führt uns das Bt, Heft der Schriften des Ver-
eins für Reformationsgeschichte (23,1): Johannes Blankenfeld, von
Wilhelm Schnöring (Halle, Rud. Haupt 1905. IV u. 115 S.
!,20 M,). Blankenfeld^ geb. wahrscheinlich 1478 aus einer ange-
sehenen Berliner Familie, wurde I5I2— IS 2u Rom in den diploma-
tischen Geschäften der Hohenzollern verwandt. Nachdem er dann
1514 das Bistum Reval und 151S das Bistum Dorpat empfangen
hatte, entfaltete er seine Haupttätigkeit in Livland, wo er eifrig
aber erfolglos bemüht war, die Fortschritte der evangelischen Sache
zu unterbinden. J524 erhielt er (unter Aufgabe Revals) sogar das
Erzbistum Riga, mußte sich aber 1526 dem Ordensmeister in Liv-
land, Walter von Plettenberg, unterwerfen. Vergebens suchte er
den Papst, den Deutschmeister und schließlich auch den Kaiser
gegen alle seine Feinde zu gewinnen; auf der Reise zu Karl V,
starb er 1527 in Spanien. Die Darstellung, für welche archivalische
Vorarbeiten zu einer Familiengeschichte der Blankenfelds von dem
verstorbenen Staatssekretär vjacobi benutzt werden konnten, verrät
stellenweise den Anfänger
Lorenz Truchseß von Pommersfelden (1473—1543), der seit
I5i3 als Mainzer Domdechant der erste Geistliche des dortigen
Domkapitels war und durch seinen Gegensatz gegen den Erz-
bischof Albrecht bekannt ist, erfährt im Katholik 3. Folge, 33 auf
Grund seiner hinterlassenen Papiere eine biographische Darstellung
durch J. B. K i ß I i n g. Die beiden bis jetzt vorliegenden Aufaätxe
Reformation.
211
r(Heft l u. 2) handeln u. a. über die Kaiserwahl Karls V., an deren
Zustandekomtnen sich Tmchseß großes Verdienst beimaß, sowie
über den Kampf gegen die Mainzer Reformation und schließen
mit dem ^Mainzer Ratschlag* vom November 1525^ bei welchem
Kißimg gleichfalls einen Anteil seines Helden erkennen zu dürfen
glaubt
Skeptischer als K. Müller (vgl Hist* 2tBchr, %, 168 f.) be-
trachtet R Wernle in der Zeitschrift für Kirchengesch. 27, l die
Quellen über die Bekehrung Calvins^ sofern er dessen eigenen
Bericht in der Vorrede zum Psalmenkommentar als von einer be-
stimmten religiösen Gesamtbetrachtung aus geschrieben ansieht
und die Nachrichten der drei Bezaschen Viten für beLanglos hält.
Danach werden von der Darstellung Müllers einige Abstriche ge-
macht, auch wenn sein SchluÖergebnis (Bekehrung im Jahre 1533)
bestätigt wird. Unter allen Umständen scheint man mir an der
subita conversw der Psalmenvorrede festhalten zu müssen, da es
der religiösen Betrachtungsweise nichts verschlagen hätte^ von
einer ellmählichen Bekehrung zu sprechen. Dazu paßt ander-
seits aufs beste, daß die von Beza aus der Calvinschen Vorrede
zu Olivetans Obersetzung der hebräischen Bibel kombinierte An-
sicht vom Einfluß Olivetans auf die Bekehrung durch Wernle in
der Tat erschüttert ist /?, M.
Zur lombardischen Stadtgeschichte notieren wir einen Aufsatz
von Felice Fossati über das Volk von Vigevano bei der Er-
werbung der öffentlichen Gewalt (1536) im Archivio starke Lom-
bardOf Ser, 4j Heft 8 ; die Versuche, der Aristokratie das Stadt-
regiment zu entwinden, haben schon vorher begonnen.
Die Seeschlacht bei Preveza (am Meerbusen von Arta) vom
27- September 1538, die mit einem Sieg der Türken über die christ-
liche Liga (Kaiser, Papst, Venedig) endete, wird von Gaetano
Capasso in den Rendiconti del r. ist, Lomb, dl sc. e lett,, 2. S er. 38,
zum Gegenstand einer genauen Untersuchung gemacht, die ent-
gegen der übüchen Darstellüngsweise (vgl z, B. Zinkeisen» Gesch.
des osman. Reiches 2, 7S0 f.) den Führer der christlichen Flotte,
Andrea Doria^ von der Schuld an dem Mißerfolg freispricht.
Stephan Ehses setzt im Hist. Jahrbuch 27, 1 seine Studien
über Faolo Sarpt fort (vgl. liist. Ztschr. 95, 361), aber auf keine
wesentlich erfreulichere Weise, Die Bedenken Pallavicinos gegen
das Tagebuch des Chieregato, auf Grund dessen Sarpi I, 22—24
die Reformverhandlungen Hadrians Vf. schildert, sucht er gegen
Ranke dadurch zu stützen, daß er einfach die einschränkenden
Worte von Le Courayer und Maurenbrecher zitiert; die Unter-
14*
2ia
Notizen und Nachrichten.
suchung, ob Sarpi das Tagebuch des Chieregato gefälscht habe(l),
erktärt er^ anderen überlassen zu wollen. Solche Erörterungen
sind natürlich wertlos und ändern nichts an dem Ergebnis Mauren-
brechers, das man besser bei ihm selbst nachliest (Gesch. der
kath. Reformation 400 L), wonach die Angaben bei Sarpi 22 u. 23
erdichtet sind^ während 24 auf Papiere Chleregatos zurückgeht.
Sodann wendet sich Ehses gegen Sarpi 11, 63—65, d. h. gegen den
Bericht über die der 5, Sessio vorausgegangenen Beratungen der
Theologen und Bischöfe vom 24 Mal bis 16* Juni 1546. Hier wird
man aus der eingehenden Kritik so viel entnehmen, daß Sarpi
auch diesmal zweifellos gedichtet, verschönert, entstellt hat. Von
da bis zu der vorschnellen Behauptung, der ganze Bericht sei
eine reine Erfindung, die Sarpi auf Grund einer am 9. Juni ver-
lesenen Liste von alten und neuen Irrlehren aufgebaut habe^ ist
aber noch ein weiter Weg. Woher weiß Ehses^ daß man über die
Liste wirklich nicht disputierte, daß sie den Theologen überhaupt
nicht vorgelegt wurde? tn Wahrheit liegt der zweite Fall genau
wie der erste: wir haben es mit einer Vermengung von Wahrem
und Falschem tu tun, die es doppelt bedauerlich macht, daß der
Nachlaß Sarpis durch den Brand des Servitenklosters zu Venedig
untergegangen ist. — Zum Schluß folgt eine kurze Bemerkung
gegen meine Anzeige der vorigen Studie^ Ich habe danach zu-
nächst festzustellen, daß Ehses die Untersuchung Rankes kannte,
auch schon früher gegen sie polemisierte, und sie diesmal nur
deshalb nicht erwähnte, weil er „zunächst nur über einen Einzel-
fall zu 'berichten hatte und ein Gesamturteil noch nicht abgeben
wollte**. Das andere sind Redensarten. Es lag mir selbstverständ-
lich fern, dem Verfasser „eine solche versteinerte Geschichts-
wissenschaft'^, die über Ranke nicht hinauskommen zu dürfen
glaubt, anempfehlen zu wollen. Gerade hinsichtlich der Quellen-
kritik Sarpis ist im einzelnen gewiß noch viel zu tun; aber die
Verdienste des Verfassers würden großer sein, wenn er dabei mit
etwas mehr Besonnenheit zu Werke gehen wollte. /?. M.
Ein Tagebuch (Diartum), das Ewald Creut^nacher, Sekretär
deB Würzburger Fürstbischofs Melchior Zobel, über den Reichstag
zu Augsburg 1547 — 48, an dem er im Gefolge seines Herrn teil-
nahm, aufgezeichnet hat, und das Paul Glück im Archiv des
historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg 47 ver-
öffentlicht, kommt nur für den äußeren Hergang in Betracht»
Zur polnischen Reformation sgeschichte, deren Anfänge nament-
lich noch vielfach in Dunkel gehüllt sind. Hegen einige neue dan-
kenswerte Aufsätze von Theodor Wotschke vor* In Nr. 10 des
I
I
I
Reformation«
213
Archivs f. Reformatianagesch. (3* Jahrg., 2) gchildert er die ausge-
dehnte reformatorische Wirksamkett, welche Stantstaus Lutomirski
1546 — 4i2 als Pfarrer von Konin und Klein-Kazlmierz entfaltet hat*
Lutomirski, in Wittenberg gebildet, wandte sich dann dem Calvi-
nismus zu und ging schließlich zn den Socinianern über» deren
Haupt er 1563 wurde; diese letzte Periode seines Lebens (Luto-
mirski starb erst Ende der 70er Jahre), die dem Verfasser unsym-
pathisch ist, behandelt er leider nicht. — Ferner bespricht der-
selbe in den Hist, Monatsblätlern für die Provinz Posen 6, 9 die
Wirksamkeit des Humanisten Jakob Kuchler in Posen (154fr— 65),
sowie die Geschichte der Posener Pfarrschule von Maria Magda-
lena 1551 — 66» d. h, ihren Ruckgang infolge der wachsenden Macht
des Protestantismus,
Die ersten kathoUschen Missionare, die um die Mitte des
16. Jahrhunderts nach Japan kamen (F* Saverio, N. Lancilotti), be-
richteten sehr günstig und hoffnungsvoll über den Charakter der
Japaner. Ihre Angaben werden uns in der Civiliä cattclica, Jahr-
gang 57 (f906), Bd, \ (Heft 1338) von einem Anonymus mitgeteilt.
In dem von der Stadtbibliothek Zürich für 1^06 heraus-
gegebenen Neujahrsblatt (Nr. 262) veröffentlicht T. S c h t e ß Briefe,
die ein Züricher Student der Medizin, Georg Keller, 1550 — 58 aus
Lausanne, Padua^ Basel und Paris nach der Heimat richtete. Wir
erfahren aüerhand Äußerliches, dagegen nur wenig Ober den
eigentlichen Studiengang, die Art der wissenschaftlichen Behand^
lung usw,
^Die savoyische Frage und die politischen und militärischen Be-
gebenheiten, welche den Vertrag von Vaucelles vorbereitet haben**,
so lautet der Titel einer umfassenden Untersuchung von Arturo
Segre in den Memorie äella n accademia delle seien ze dt Torino^
ser. 2f tomo 5$^ seiende marati stör, e fihl. (1905) S. 383 ff. Mit
größter Ausführlichkeit werden hier die deutschen, italienischen
und französischen Angelegenheiten von etwa 1550 bis J556 mit
besonderer Berücksichtigung der savoyischen Streitfrage behandelt^
und namentlich über die italischen Begebenheiten erfahren wir
viel Neues aus archlvalischen Quellen. Dagegen^bedürfen die Aus-
führungen S. 403 ff. über die politische Lage in Deutschtand der
Ergänzung; ich daH den Veriasser wohl auf meine Monographie
über Maximilian IL verweisen, die ihm entgangen ist, obgleich er
sich viel mit den Beziehungen Maximilians z\x Frankreich und
Spanien beschäftigt, und in der er auch noch andere Literatur
finden kann. Der Vertrag zu Vaucelles (1556) bedeutete einen
Sieg der Franzosen; aber einen besseren Abschluß als diese
214
Notizen und Nachrichten«
vorübergehende Walfenrwhe hätte wohl der Frieden von Cateau-
Cambr^sts gebildet. ß^, //.
In der Zeitschr I, Klrchcngesch, 27, 1 druckt G, Loeschc
einen Brief des Joh. Mathesiu» an Melanchthon^ der aber meines
Erachtens nicht zum 27. Dezember 1556, sondern zum 24. Juni 1557
gehört /?. H.
Das Leben und die Werke des auch als Inschriftensammler
bekannten Mailänder Geschichtschreibers Giovannt Battieta Fontana
(oder Fonteio) macht Fedele S a v i o im Archivio storico Lomharäüf
Ser, 4, Heft 8^ zum Gegenstand einer Untersuchung. Fonlana starb
nicht 1555, wie De Rossi (auf Grund einer mißverstandenen Angabe
Mommsens im Corpus inscnptianum latinarttm) meinte, sondern
er blühte etwa 1565— 15S0. Sein noch nicht herausgegebenes Buch
über die Erzbischöfe von Mailand wird ausführlich besprochen.
Im Juni 1568 und im Februar 156*? weilte Wilhelm von Oranlen
in Straöburg, auch hier vergeblich bemüht, dem Widerstand gegen
Alba Kraft und Erfolg zyx verschaffen. Die ausführliche Unter-
suchung seiner Beziehungen zur Stadt, welche Alcuin Holla ender
in der Zeitschr, f* d* Gesch. des Oberrheins N. F. 21, 1 veröffent-
licht, erweitert sich zu einer Geschichte der gesamten militärischen
Operationen dieser Jahre in den Niederlanden und in Frankreich»
Obgleich die Strsßburger Sympathien auf der Seite Oraniens waren^
konnte er 156B kein Geld daselbst aufnehmen, so daß er 156%
um seine meuternden Truppen zu befriedigen^ sein Geschütz und
seine Munition verkaufen und seinen Hausrat verpfänden mußte.
Seine Lage war Anfang 1569 völlig verzweifeltj aber gerade in
dieser Not zeigte sich die Beharrlichkeit und Größe seines Geistes.
Zur Lebensgeschichte des Laurenlius Albertus (Lorenz Al-
brecht), der besonders als Herauageher der ersten, 1573 erschie-
nenen deutschen Grammatik bekannt ist^ und den Paulus in den
Historisch-politischen Blättern 119 (1897) nur bis 1572 verfolgen
konnte, bringt Karl Schellhaß in den Quellen und Forschungen
aus italienischen Archiven und Bibliotheken 8 neue Nachrichten,
die bis zum Jahre 1583 reichen*
Die Religionsunruhen in Aachen und die beiden Städtetage
zu Speyer und Heilbronn 1581 und 1582 erfahren eine ausführHche
und gute Schilderung durch Heinrich Pen nings im 27. Band der
Zeitschrift des Aachener GeschichtsveTelns, Danach haben die
Reichsstädte die prinzipieUe Bedeutung der Aachener Frage wohl
erkannt, konnten aber, von den meisten protestantischen Fürsten
im Stich gelaesen, gegen den Kaiser nichts ausrichten. Der von
I
I
I
I
Reformation
215
Straßburg ausgegangene Plan^ die Reichsstädte zu selbständigem
Vorgehen in der Aachener Sache zu bewegen, brach auf dem
Heilbronner Städte tag zusammen.
Die alte Ansicht, daß die Familie Urbans Vtl, (1590) aus Genua
stammte, wird auch von Achille Neri im ß eilet ino storko delia
SvUzera ilalianaj Jahrg. 27, S. 130 ff, wieder gestützt; vgL dazu
den Hist Ztschr. 93, 545 angezeigten Aufsatz v. Liebenaus.
Der Aufsatz R Glasers ^Eine Episode aus der Politik des
Herzogs Johann Kasimir von Koburg* in der Zeitschr, d, Ven f,
thüring. Gesch. u. Altertumsk. N. F, 1905, Bd. 16, Heft 1 behandelt
die Politik des Fürsten in dem kritischen Winter 1619,20 und sein
Verhältnis zur Union.
Die Organisation der Arbeit in Frankreich vom 16,— 18. Jh.
wies nach dem Aufsatz von Henri H a u s e r in der Revue d*kistoire
moderne et contemporaine 7, 5 die das Ancien regime auch sonst
kennzeichnenden großen Verschiedenheiten auf. Hauser unter-
scheidet drei Hauptarten, die Arbeit in Verband en^ die freie Arbeit
und die privilegierte Arbeit, weist aber darauf hin, daß die Form
der ersten keineswegs immer die gleiche Strenge zeigte, und daß
die zweite nicht immer eine absolute Freiheit der Arbeit bedeutete.
Am meisten verbreitete sich schließlich unter dem Anden rigime
auch auf dem Gebiet der Industrie das Privileg*
Quellen und Beiträge zur Geschichte der deutsch-evangeli-
schen Militärseelsorge von 1564 bis 1814, herausgegeben von Kurt
Schneider« Divtslonspfarrer. Halle a. S., Buchhandl. d. Waisen-
hauseSt 1906, 194 S. 3,50 M, — Dankenswerte Zusammenstellung
seltener Quellenstücke (Fronspergers geistlicher Kriegsordnung,
Auszügen aus Krtegsartikeln und Reglements^ Predigten u. dgl,).
Neue Bücher: Bemardy, Cesare Borgia e la repabblka
äi S. Marino, 1500^04. (Firenze^ LumachL 2ßö fr.) *- Schulte,
Kaiser Maximilian L als Kandidat für den päpstlichen Stuhl 1511.
(Leipzig, Duncker ^ Humblot, 2,20 M,) — Luthers serma de
poemtentia tStS. Hrsg, von Fischer. (Leipzig, Deichert NachL
0,80 M») — Quellen zur Geschichte des kirchlichen Unterrichts in
der evangelischen Kirche Deutschlands zwischen 1530 und 1600*
Hrsg. von Reu, Z Tl, (Gütersloh, Bertelsmann, 16 M,) — Dun-
ningf A history of pottticat theories from Luther to Montesquieu.
(London^ Macmittan. 10^6 skj — DeBrimontf Le XV!^ slecle
ei les guerres de la r^ forme en Berry, T, I^IL (Paris j Picard
gt filsj — Maccam f Mary Stuart, ( London , Metkt^n. 10^6 sh,)
— Mezger^ John Knox et ses rapports avec Calvin, (Montau-
ban^ Impn coop^rativej — GrosheintZj Viglise italienne ä
Notizen und Nachrichten.
Genive au temps de Jean Calvin. (Lausanne, BorgeaudJ —
Cadix^ Essai historique sur la ri forme ä Besanfonj au XVf* sUcU.
(Mantaubarff Impr caop^ralli^ej — Schieß» Drei St, Galler Rciä-
.lätifer auB der L Hälfte des 16. Jahrhundertä. (St. Gallen^ Fehr.
[2 M.) — van 0 u I i k , Johannes Gropper, 1 503^1559. (Freiburg i. ß*^
Herder. 5 M,) — Serbai, Les assembUes du clergä de France ^
1561 — 1615, (Paris, Champion. 12 fr,) — Opitz, Die Fugger und
Welser (Berlin, Verlag für Sprach- und Handelswissenschalt
1 M*) — van Ravestey n, Onderioekingen over de econ&misck
en sociale ontwikkeling van Amslerdam gedurende de 16^ en hei
ferste kwart der 17^ eeuw. (Amsterdam, van Looy,) — Michoif,
Das erste Jahrhundert russischer Kartographie 1525 — 1631 und die
Originalkarte des Anton Wied von 1542. (Hamburg, Friederichsen
£ Co. 4 M.) — Watlszewski, les orlgines de la Rassle moderne,
La crise r/volutionnaire 1584—1614, (Paris, Plan-Nourril d Cie,
^ f^'J ^ TeLintum, De merchant adpenturers in de Neder*
imnden* fs Gravenhage, Ntjhoff)
164$— 1789.
Die Begründung der englischen Seevorherrschaft durch die
Siege der Engländer über die Holländer xur Zeit CromweJb und
über die Frans^osen im Plälzlschen Erbfolgekneg erklärt Gustav
Roloff im Märzheft 1906 der Preußischen Jahrbücher aus der
Beschaifenheit der englischen, niederländischen und französischen
Marine, i,Die englische Nation ist Siegerin gehlieben, weil alle
entscheidenden Faktoren harmonisch zusammenwirkten: das Vor-
handensein großer Seeinteressen, die Empfänglichkeit der Nation
für die Lösung der maritimen Aufgaben und die planmäßige Tätig-
keit der Regierung, die materiellen und moralischen Wertej deren
die Wehrkraft bedarf, zu erzeugen,** Dagegen finden wir in Hol-
land das Hauptgewicht zu sehr auf die Handelsschiffe gelegt, mit
denen sich der Krieg auf die Dauer nicht führen ließj und eine
verhängnisvolle Dezentralisation in der Verwaltung* Zu dem Nieder-
gang der französischen Marine wirkten zusammen : das mangelnde
Interesse und Verständnis bei der Bevölkerung, deren seefähigster
Teil durch die Auswanderung der Hugenotten noch besonders ge-
schwächt wurde, die Unfähigkeit der Regierung seit dem Tod
Colberts und die finanziellen Schwierigkeiten der späteren Jahre
Ludwigs XIV,
In einem lehrreichen Aufsatze schildert F, Wagner auf Grund
der Archivalien „die Säkularisation des Bistums Halberstadt und
seine Einverleibung in den brandenburgisch - preußischen Staat
1648—1789,
217
1648—1650" m der Zeitschrift des Harz Vereins 38, 2 (1905), Von
besonderem Interesse sind naturgemäß die Mitteilungen des Ver-
lassers über die Eingewöhnung der Stände, die hier leichter als
anderwärts sich vollzog. Auch hier wie in Preußen zeigt sich
übrigens der charakteristische Umstand^ daß die eigenen Vertreter
des Kurfürsten zuweilen für die Stände bei dem Kurfürsten vor-
stellig werden. Von aUgemeiner Bedeutung ist der Nachweis, daß
das ländliche Gebiet des Stifts sich, seit 1643 die Schweden von
ihm Besitz ergriffen, noch in der Kriegszeit selbst zu erholen ver*
mochte, indem die schwedischen Heerführer sich hier häuslich
niederließen und daher rationell wirtschafteten.
Die Neuausgabe des Tagebuches Dietrich Sigismund v. Buchs
— das die Jahre 1674 — 1683 umfaßt — , die Ferdinand Hirsch im
Auftrage des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg be-
sorgt hat (2 Bde, 1904/05. Leipzig, Duncker & Humblot), erfüllt
einen oft geäußerten Wunsch zahlreicher Historiker, die sich bis-
her, soweit sie nicht persönlich Einsicht in die im königUchen ge-
heimen Staatsarchiv zu Berün befindliche Handschrift nehmen
konnten, mit der unvollständigen und fehlerhaften Ausgabe Kessels
begnügen mußten. Jetzt, wo der wortgetreue Abdruck des in
französischer Sprache geschriebenen Tagebuches vorliegt, wird
man erst die Bedeutung desselben für die Kriegs- und Kultur-
geschichte jener Zeit vollauf würdigen können. Über zahlreiche
Kriegsereignisse, die er miterlebt und über eine bedeutende An-
zahl hervorragender Persönlichkeiten, die er als Vertrauensmann
des Kurfürsten Friedrich Wilhelm kennen 'gelernt hat, berichtet
der gerade, kluge, durchaus ehrliche Offizier in zuverlässiger
Weise. Der diplomatischen Kleinkunst steht er kühl gegenüber,
doch mußte auch er dieselbe gelegentlich üben. Obgleich ein
begeisterter Verehrer seines Herrn, unterdrückt er nicht seinen
Kummer über die franzosenfreundUche Poütik die Friedrich Wilhelm
seit dem Jahre 1679 einschlug. Einen besonderen Reiz gewinnt
das Tagebuch durch die zahlreich eingestreuten Bemerkungen
über Länder und Völker, die Buch auf seinen häufigen Reisen
kennen lernte, und deren Zustand und Verhältnisse er mit offenen
Augen betrachtete. Ferdinand Hirsch, längst als einer der besten
Kenner dieser Periode preußischer und deutscher Geschichte be-
kannt, hat keine Mühe gescheut^ dem Leser die Lektüre des Buches
zu erteichtern. Mur wer ähnliche Arbeit geleistet hat, kann die
entsagungsvolle Tätigkeit des Herausgebers richtig würdigen, für
die ihm der Dank seiner engeren Fachgenossen ganz besonders
auegesprochen werden soll. A. Fribram.
218 Notizen und Nachrichten.
Comte d'Hauftsonville setzt in der Revue des äeax monäes
vom 1, März 1906 seine Studien über die Duckisse de Bourgogm
et l'alUance savoyüräe fort, und zeigte wie sich um den Herzog,
der durch den Tod des Dauphin Thronfolger geworden war, die
literarische Opposition eines St, Simon und F^ndlon tu gruppieren
begann. Der Aufsalz enthält interessante Beiträge zum Hofleben
gegen Ende der Regierung Ludwigs XJ¥, und dessen das höfische
Leben dominierende PersöntichkeiL
General v, Müller handelt in der Zeitschrift für die Ge-
schichte des Oberrheins 21, 1 über „Die BühE-Stollhofener Linien
im Jahre 1703". Einer genauen Beschreibung der über 20 km
langen Linien folgt die Schilderung der Angriffe Villars' im April
1703. Die Bedeutung der Linien bestand darin, dem Eranzösischen
Marschall den nächsten Weg zur Unterstützung des bayerischen
kurfürstlichen Verbündeten zu verlegen. Der Verfasser nimmt
den Markgralen Ludwig Wilhelm von Baden gegen den Vorwurf
in Schutz, unverhältnismäßig lange in den Linien defensiv verharrt
zu sein und weist darauf hin, daß hierdurch eine starke Abteilung
des Villars'schen fieeree festgehalten worden ist
Hermann Meyer teilt in der Wissenschaftlichen Beilage zum
Bericht der Reafschule in Eilbeck zu fiamburg von 1906 das
Wesentliche aus den Berichten des preußischen Gesandten Eich-
stedt mit, der von Ende 1756 bis Ende 1757 die deutschen kleinen
Höfe bereiste» um sie von blindem Anschluß an Osterreich fern*
zuhalten und für die Idee eines Fürstenbundes zu gewinnen. Der
Reise fehlte i. a. jeder Erfolg, da die Haltung der meisten Höfe
entweder durch die Furcht vor Österreich und seinen Verbündeten,
oder durch das Bedürfnis nach französischen Subsidien bedingt
war und blieb. Eine rühmliche Ausnahme bildete insbesondere
Hessen- Kassel,
Ein kenntnisreicher Aufsatz von J, Kulischer in Schmollers
Jahrbuch für Gesetzgebung etc. 30, 1 erörtert „Die Ursachen des
Obergangs von der Handarbeit zur masc hineilen Betriebsweise um
die Wende des 18. und in der ersten Hälfte des 19, Jahrhunderts*
und unterscheidet sich von den Ansichten Brentanos und Schulze-
Gävernitz^ insbesondere durch den Hinweis darauf, daß neben dem
wirtschaftlichen Bedürfnis doch auch die allgemeine geistige Reife
und der Stand der Naturwissenschaften gerade England zum Heimat*
land der Neuerung hat werden lassen.
In den historisch-politischen Blättern f57, 2 findet sich der
Schluß der ^^Beiträge zur Beurteilung der Aufklärung im katholi-
schen Deutschland beim Ausgange des 18. Jahrhunderts". Der
J 648— 1789.
Verfasser verfolgt insbesondere die kircticnpolitischefi Theorien
des Febronius und stellt als Strafe Gottes fest, daß die Aufklärer
während der französischen Revolution unter die tyrannische Bot-
mäßigkeit des Staates gerieten. ^Letzteren aber hat Christus seinen
Beistand nicht verheißen.**
Neue Bijcher; Kletnschmidt, Amalie von Oranten^ ge-
borene Gräfin zu Solms-Braunfela. (Berlin, Rade* 5 M») — Franz,
Das literarische Porträt in Frankreich im Zeltalter Riche Ileus und
Mazarins. (Chemnitz^ Gronau. 2 M,) — Öhlander ^ Det egent-
iiga Sveriges försvar mot Da^mark'Norge ander Carl den X,5
danska krig 1657^1660, (Uppsala, Akad. bokh. 3,50 Kr.) ^ De
Bildt, Christine de SuHe et le canctave de Clement X (1669 ä
1670). (Paris, Plon-Nourrit d Cie, SfrJ — T s c h a m b e r , Der
deutsch-französische Krieg von 1674 — 75. (Hüningen, Weber,
3,80 MO — Malier, La bataille de Turckhelm (1675). (Paris,
Berger-Levrautt,) — Farmer, Versautes and the court under
Louis XtV, (London^ Nash. 15 sh.) — Desmons, £iuäes hi8to~
riques^ iconorniques et reUgieases sur Tour na i äurant le rigne de
L ouis XI K ( Tau rnai , Casterm an , 4 fr.) — Henri ques, The
return of the jews to England ; being a chapter In the history of
english law, (London, MacmiUanJ — Mc Cartky^ The reign of
Queen Anne. ( London ^ Chatto £ Windus. 2 sh.) — Notes sur
les c&mples rendus des sc^ances du parlement angtais au XVI fl*
siecle, pubL p, Ma ntoux, (Paris, Giard ^ BrUre,) — Mantoux,
La r^volution industrielle au XV! 11^ sücle, Essai sur les commen-
cemenls de la grande Industrie moderne en Angleterre. (Paris^
Cornity ^ Cie. 10 fr.) -- Reinhard, Studien zur Geschichte der
altprotestantischen Theologie» h Heft* (Leipzig, Deichert. 2,40 M.)
^ V* Wallmenich» Der Oberländer Aufstand 1705 und die
Sendlinger Schlacht. (München^ Lüneburgs Verlag, 3^50 M.) —
Wäschke, Des alten Dessauers Jugendzeit. (Ballenstedt, Bau-
mann, 1 M.) — Gravier, La colonisatian de la Louislane ä
V^poque de Law (octobre 1717 ä Janvier 172 1). (Paris, Massen
4 Cie.) — Journal in^dit du duc de Croy (t 718— 1874), publ p. le
K" de Grouchy S Cotlin. 2 vols. (Paris, Flammarion. 15 fr,) —
Dublone hy, Une intendance d'armie au XVI II* sihle. ^tude
sur les Services administratifs ä Varm^e de Soubise pendant la
Guerre de Sept ans. (Limoges- Paris, Charles - Lavau^etle.) —
De Peyster, Les troubles de Hollande ä la veille de la rivo^
tuiion franfoise (1780—1795), (Paris, Picarä et fits. 6 fr.) —
Mario n^ Le gar de de sceaux Lamoignon et la r^forme judlcialre
de I78B. (Paris, Hachette <S CU. 6 fr.)
220 Notizen und Nachrichten.
Neuere Gesclitchte seit 1769.
Im Januarheft der Revolution Franfaise führt Ä, T u e t e y
seine Arbelt über Viglise Conslitutwneile de Paris et les cam-
munaut^s reiigieases zu Ende. ^ A* Blossier beginnt eine der
sich häufenden Apologien von repr^seniants en mlssian (Les repre-
sentants Bouret et Fremanger äan$ ie Caivadosjy die hauptsächlich
auf Aulards Rectieil und daneben einigen Archivalien beruht. Sie
wird im FebruarheTt zu Ende geführt, wo ferner H. Monini
im Anschluß an einen im Erscheinen begriffenen Band Lazards,
von den Schwierigkeiten, den Umfang der Nationalgüter in Paris
und dem Seine-Departement festzustellen, handelt.
In der Revue ä'Hisioire Diplomatique (Jan* 1906) behandelt
ein ungenannter Verfasser den im Dienste Polens stehenden
italienischen PubUzisten Piattoli in den Jahren 1788 — 1792. Der
Aufsatz ist leidlich interessant. Aber allgemeine Bildung ist nicht
Sache des Verfassers. Sonst würde er uns nicht am Schluß seiner
Ausführungen mitteilenj daß die polnischen Provinzen in Öster-
reich, in Rußland und in Preußen die Intelligentesten und
blühendsten dieser Reiche geblieben sind,
Henry E. Bourne schildert sehr interessant die schon im
Jahre 1789 zu beobachtenden Keime des spater so furchtbaren
KonfUkts zwischen der Nationalversammlung und der Stadt Paris,
{Municipal Politics in Paris in 1789. American Mist, Rev,^ Jan. 1906,)
Boissonade setzt seine Übersicht über die wirtschafts-
geschichtlichen Arbeiten zur französischen Revolution (1789 — 1802)
fort; der vorUegende Abschnitt VII befaßt sich mit der Handels-
geschichte* (Revue de Synthese Historique^ Dez. 1905.)
Eine ausführliche ^Concordance des caiendriers r^piiblicain
ei gr^gorien^ wird von P. Caron in den Publikationen der soeidt^
d'histoire moderne veröffentlicht. (Paris, soMt^ nouveiie de Utrairie
ei d'^dition, 59 S. 2,50 fr.)
E* Welvert schildert kurz die im privaten wie öffentlichen
Leben wechselvollen Schicksale des Königsmörders Tallien, der
zuletzt von einer königlichen Pension lebte (f 1820)^ wobei einige
minder wichtige Archivalien veröffentücht werden. (Revue tieue
1906, Nr. 8 u. 9.)
Aus einem Aufsatz £. PierreSj der durchaus auf neuem
Material beruht, geht hervor, daß in den ersten Jahren nach dem
Konkordat auf Antrieb der skrupellosen napoleonischen Regierung
das ßelchtgeheimnis im Interesse des Staates vielfach verletsEt
wurde, wobei zahlreiche Bischöfe mitwirkten. (NapoHon l^ ie Clergi
et ie ConfessionaL La Revue , l.u. 15. März 1906.)
I
1
I
i
L
Neuere Geschichte*
221
V* Amira betont in einer schönen Festrede zur Erinnerung
an den K Januar 1806 sehr stark die Bedeutung dieses Jahres liir
die Innere Geschichte der deutschen Staaten. Manche semer Aus-
führungen werden wohl auf Widerspruch stoßen; so z. B, der Satr
(S- 2/3) : ^immer war es ein p r i v a t r e c h 1 1 i c h e s Verhältnis, das
einen Untertanen (d, h. die Fürsten etc., Untertanen des Kaisers)
3fum Herrscher, zum »Landesherrn', zum ^Grundherrn' machte***
(Süddeutsche Monatshefte, Jan. 1906.)
Noch eine Arbeit zum Centenar des jüngeren Pitt : K e b b e t
beschäftigt sich mit seiner inneren Fotitik, indem er interessante
Parallelen zwischen der damaligen und der heutigen Lage zieht;
diese» und zwar vor allem der Zustand der Parteien, verlangt
nach seiner Ansicht sogar einen „Größeren als Pitf. (The Cen~
tenary öf PUL im Century, Febr, 1906.)
In der konservativen Monatsschrift, Februar und März 1906^
behandelt Frhr. v. Seil „Das preußische Heer vor Jena* unter
Benutzung der Forschungen anderer, aber mit selbständigem
ürteiL Er weist u. a. mit Recht auf den Zusammenhang zwischen
der psychologischen Grundstimmung der Zeit und den Zuständen
der Armee hin, wie es freilich schon feiner und tiefer geschehen
ist — Noch erheblicher ist ein Beitrag C. v. d. Goltz* zu dem-
selben Gegenstand ^die wahren Ursachen der Katastrophe von
1806*', Deutsche Rundschau April 1906, der freilich nicht überall
durchaus Neues bringt. Er zeigt u. a,^ wie wenig berechtigt der
Vorwurf ist, die Armee habe die Zivilbevölkerung und ihre Rechte
mißachtet; vielmehr hat sie sogar im Kriege eine übermäßige, ihr
selbst verderblichej Schonung jener an den Tag gelegt.
Gern wird man den Neudruck begrüßen, den Graf Dumoulin
Eckart zur Säkularerinnerung von der Schrift ^Deutschland in
seiner tiefen Erniedrigung" veranstaltet hat (Stuttgart, Fritz Leh-
mann. XLVll u. 144 S.) und mit einer Einleitung begleitet, In der
man freilich die Frage der Autorschaft etwas eindringender unter-
sucht wünschte. Der Herausgeber will an der neueren Annahme,
daß der Konsistorialrat Yelin der Verfasser sei, nicht rütteln, hält
aber auch die Autorschaft des Grafen Julius Soden, die schon
bald nach der Katastrophe vermutet wurde, für möglich.
flOie preußisch-österreichische Politik des Jahres 1807 bis zur
Entsendung Stutterheims nach Tilsit'' behandelt, etwas breit,
G. S o m m e r f e 1 d t in den Forschungen zur brandenburgischen
und preußischen Geschichte 18, 2. Nach der Schlacht bei Deutsch-
Eylau waren, nach den Berichten Finkenstetns, auf denen die Ar-
beit hauptsächlich beruht, in Wien Neigungen vorhanden, tn den
222
Notizen und Machrtchten.
Kampf einzugreifen; diese schwanden indessen nach der Schlacht
bei Friedland oder genauer nach dem russisch-tranzösiBchen Waffen-
stillstand vom 21, Juni 1807 wieder.
Aus der Revae des deux mondes sind zwei Beiträg;e zu er-
wähnen t Der durch seine Forschungen über Frau v- Stael rühmlich
bekannte Paul Gautier behandelt (L Mär^) ^eitlen Ideologen
unter dem Konsulat und Kaiserreich*. Es ist Ch.-Fr.-Dominique
Villers (1765 — 1815), ein französischer Offizieri der emigrierte, wor-
auf er in Lübeck und Göttingen lebte, wo er 1811— tS14 Professor
war. Er nimmt eine eigenartige Stellung ein* Die französische
Philosophie des 18. Jahrhunderts und der Katholizismus sind ihm
gleichmäßig verhaßt. Er war ein begeisterter Bewunderer Deutsch^
lands und Vermittler deutschen Denkens in Frankreich (schon vor
Fr, V, Stael, mit der er befreundet war) durch seine Schriften über
Goethe, vor allem aber über Luther und Kant, — Der Aufsatz
E. Daudet s, Le Comte Paul Strogonof (t5. März), ist eine An-
zeige des dreibändigen Werkes des Großfürsten Nikolaus Mikhai-
lowitsch über diesen Berater des Kaisers Alexander L (s, oben
S. 174).
Eine Arbeit v. Pflugk-Harttungs im Histor Jahrb, 27, 1
über das Gefecht bei Limale (18, Juni 1815) bringt zwar manche
dankenswerte Aufklärung, wird aber durch heftige persönliche
Polemik gegen den verstorbenen Lettow*Vorbeck entstellt-
Pikant ist eine freilich zu breite Veröffentlichung E. Forguea**
Er zeigt, wie Fouch^ während seines kurzen Ministeriums nach
der zweiten Wiederkehr Ludwigs XVIIL im Jahre I8!5 ein Opfer
des von ihm selbst früher eingeführten Spionagesystems wurde.
Ein gewisser Faudras lieferte der Regierung Auskunftszettel, die
aus allerhand trüben Quellen stammten. Sie waren überdies plumpe
und ungeschickt; der Spion findet es z, B. verdächtig, sowohl
wenn Pouche guter, als auch wenn er schlechter Laune ist.
{L€ äassier secret de Fouch^^ Rev, Histor.j März- April 1906,)
Fr. Kircheisen liefert in den Mitteilungen des österretchU
schen Instituts 27^ 1 eine bibliographische Obersicht über „die
Schriften von und über Friedrich Gentz*, die jedenfalls gute
Dienste leisten wird.
Von Ernest Daudet s 1878 erschienenem Buche über den
„weißen Schrecken" von 1815 {La terreur blanche, ipisodes ei
Souvenirs) ist ein neuer Abdruck veranstaltet worden. (Paris^
Hachette, 294 8.)
Ernst Müsebeck, dem wir bereits mehrere schöne Aufsätze
über E. M< Arndt verdanken (vgL Kist Ztschr. H ^^^X ^^^ j^^^^
r
I
I
I
I
Neuere Geschichte.
^2a
^E. M. Arndt und das kirchlichere ligiöse Leben seiner Zeit** in
einer höchst anziehenden Schrift behandelt (Tu hinge n^ Mohr, 1905.
100 8.). Wir meinen nur, daß der warm empfindende Verfasser,
der hier zugleich auch eine Art personlichen Glaubensbekennt'
njsses ablegt, sich selbst gar zu stark von der seh rifts teilen sehen
Art seines Helden hat hinreißen iassen, die mehr darauf aus war,
das Gemüt in Schwingung zu versetzen» als scharfe Linien für
die Erkenntnis zu ziehen. Dennoch steckt aber in seinen Be-
merkungen über Arndts Verhältnis zur Romantik (das wir nur etwaa
stärker betonen möchten als er), zur Rerormation und zur Antike,
den beiden Ecksteinen seiner Weltanschauung^ über die Wandlungen
seines Gottesgefühls (ursprünglich pantheistisch gefärbt^ seit 19lti
mehr auf Christus gerichtet) und seine stets gleich ablehnende
Stellung zur Orthodoxie viel Lehrreiches und Förderndes. M,
Ober „das Frankfurter Attentat vom 3. April 1&33 und die
Heidelberger Studentenschaft* (Heidelberg, Otto Petters, 1906) hat
Dr. Ed, Dietz, der sich bereits mehrfach mit der Geschichte de«
Heidelberger Studentenlebens und namentlich ihrer Burschenschaft
beschäftigt hat, auf Grund von bisher unbenutzten Akten aus
Frankfurt, Karlsruhe und München und Aufzeichnungen oder Mit-
teilungen beteiligter Personen eine kleine Schrift herausgegeben,
die uns ein mannigfach in Einzelheiten bereichertes Bild jener
Vorgänge und des burschenschaft liehen Lebens in Heidelberg in
den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts gewährt, ohne
doch, wie mir scheint, unser ürteü über das Attentat selbst nach
des Verfassers Wunsche günstiger zu gestalten. Mir scheinen
auch nach den von ihm beigebrachten Tatsachen die kurzen Aus-
führungen von A. Stern, Geschichte Europas 1815 — 1871^ Bd. 4,
S, 324 ff., zu Recht zu bestehen. K /
In der Revue higtorique^ März- April 1906 publiziert Alfr Stern
{ia mort et tes funiraiUes du äuc d^Öriefans) einen — wohl mit
Recht von Ihm auf .Mitteilungen des Ministers Guizot zurück-
geführten — Privatbrief des österreichischen Gesandten in Paris,
Graf Apponyi an Metternich vom 8. August 1842 über die Unter-
redung mit der Königinj in der diese den Widerstand gegen die
Beisetzung des verunglückten Herzogs von Orleans in Notre Dame
aufgibt (auch einige Bemerkungen über den Anlaß des Unglücks
sind hinzugefügt).
Die vier Briefe des Kreisjustizkommissars Maaß — der als
Mitglied des Unken Zentrums für Landsberg a* W. in der preußi-
schen Nationalversammlung saß — aus den Tagen vom 14, bis
25. November L848 gewähren einen lehrreichen Einblick in die
a2i
Notizen und Nachrichten.
innere Unsicherheit, die trotz pomphafter Worte^ die Mehrzahl der
Radikaten ergriffen hatte und daher ihre Überwindung, sobald die
Regierung mit Energie lugriffj so leicht machte. (Veröffentlicht
von Ulmann, Forsch, t. brandenb. u. preuß. Gesch. 18^ Z)
Die von Verdy du Vernois zuerst in der deutschen Rund-
schau erschienenen Jugenderinnerungen über den „Zug nach
Bronzell* sind jetzt als Schriftchen erschienen (Berlin, Mittlen
1905- 69 S.). Es sind anspruchslose, aber hübsche Plauderelen
mit eingestreuten Fetdbriefen des jungen Leutnants.
Den Inhalt von fünf im freien deutschen Hochstift in Frank-
furt a. M. gehaltenen Vorträgen über „ßismarck bis zum Jahre
1862, sein Leben innerhalb der Zeitgeschichte", hat Erich Marcks
im Jahrbuch des Hochstifts für 1905 in knappen Zügen und zu-
gleich in der gewohnten kraftvollen und plastischen Sprache zu-
sammengefaßt, indem er uns auf eine baldige Darstellung in
vollerem Zusammenhange vertröstet. Einstweilen sei mit Nach-
druck auf diese kurze Skizze hingewiesen, in der alle wesentlichen
Momente in meisterhafter Konzentration und präzisester Formu-
lierung zu ihrem Rechte kommen, lehrreich auch da, wo man nicht
in allen Punkten Marcks' Auffassung zu folgen geneigt ist.
Das Aprilheft der Deutschen Revue bringt höchst lesenswerte
Aufzeichnungen des verstorbenen Reichskanzlers Chlodwig Fürst
von Hohenlohe- Schillingsfürst von seinem römischen
Aufenthalte im Winter 1856/57, Beiträge zur Kenntnis der römi-
schen Zustände und Gesellschaft jener Tage, mit sehr offenen
Urteilen über manche Persönlichkeiten dieser Kreise und Inter-
essant namentlich durch dte Hervorhebung der Scheidung in
jesuitisch und antijesuittsch Gesinnte,
Die in der Kölnischen Zettung <Nr. 294, 298, 303, 307, 3U>
veröffentlichten Feidzugsbriefe des damaligen Generalstabs-
chefs bei der Armee des Prinzen Friedrich Karl, Generalleut-
nant Konstantin vonVoigts-Rhetz — 1870 kommandierender
General des X. Armeekorps — sind eine interessante und er*
wünschte Quelle nicht nur für manche Einzelheiten der Feidzugs-
woehen* besonders auch vor und bei Königgrätz, sondern in ihrer
stark subjektiven Färbung als Beitrag zu dem psychologisch
und militärisch wichtigen Kapitel, wie sich während der Ereignisse
selbst Anteil und Beurteilung der Vorgänge Im Bewußtsein der
ma6gebenden Führer dargestellt haben.
Das Märzheft 1906 von »Nord und Süd** bringt eine kur^e
Schilderung des „Abends von St. Privat*^ aus dem Tagebuche dea^
sächsischen Generalleutnants v. Einst edeL
I
I
I
Neuere Geschichte.
225
Die Auszüge aus den Tagebuchbiättem des langjährigen braun-
schweigischen Bundeäratsbevollmächtigten Freiherrn v. Cramm
vom Jahre JdS4 enthalten mancherlei interessante EmzeJhelten
über die Stimmungen^ Bestrebungen und Erwartungen In Braun-
schweig vor und unmittelbar nach dem Tode des Herzogs Wilhelm,
namantUch auch durch den Hinweis auf den Umschlag der Ge-
sinnungen nach dem Bekanntwerden des herzoglichen Testamentes,
das Stadt und Land fast ganz leer ausgehen ließ. (Deutsche Revue,
März 1906.)
Mehr patriotisch- pädagogisch als wissenschaftlich angelegt
ist das Buch von Paul Dehn ^Wilhelm der Erste als Erzieher***
In 711 Aussprüchen aus seinen Kundgebungen und Briefen plan-
mäßig zusammengestellt (Halle, Geaenius, \W(i, 328 S.)j wird aber
gelegentlich zu Nachschlagezwecken ähnliche Dienste leisten, wie
desselben Verfassers „Bismarck als Erzieher".
Ein Artikel von Rouire: les A nglais et l'Äfghanistan
(Revue des deux mondes^ L März 1906) handelt zunächst von
Napoleons L Plänen auf die Bekämpfung der Engländer in Indien
und sodann von der wechselnden Politik Englands gegenüber
Afghanistan, die in den letzten drei Jahrzehnten zu einer völligen
Beherrschung geführt hat bis zu dem neuesten Vertrage vom
letzten Jahre, nicht ohne starke aktuelle Nutzanwendung zum
Schluß: die Mahnung: England und Rußland mögen sich — In
französischem Interesse natürlich — in Asien vertragen.
In Nr 136 u. 1S7 veröffentlicht die Kreuzzeitung einen knappen,
aber sehr hübschen Überblick über „Frankreich als Kolonialmacht
in Afnka\
Das Märzheft der Deutschen Revue bringt den Schluß von
40 ungedruckten Briefen Leopolds v. Ranke, darunter zwei (von
J862 und 1885) an die Tochter, sowie aus dem Jahre 1879 je einen
an Kaiser Wilhelm 1. und den damaligen serbischen Ministerpräsi-
denten Risti£, beide anläßlich der Obersendung der Neubearbeitung
der Geschichte Serbiens, in rankescher Art mit weiten historischen
Ausblicken verknüpft, — Im nämlichen Hefte setzt H. Oncken die
VerölfentÜchung aus dem Briefwechsel Bennigsens fort : zwei
Briefe von und an Reyscher aus dem Jahre f&67 — namentlich
der erstere voll feiner Beobachtungen — , und zwei Briefe Gustav
Freytags aus dem Sommer 1863 mit einem kräftigen Hinweis, wie
von einem Preußen, das H Millionen zähle, die Geschicke Deutscli-
lands stets zum größten Teile abhängen würden.
Aus der bei ß. 0, Teubner erscheinenden Sammlung ^Aus
Natur und Geisteswelt* notieren wir zur Geschichte des 19* Jahr-
HbtorUcbe ZeitscbrUt (97. Bil.j 3. Folge ]. Bd. 15
llilcJuiciitcxi.
rlcr ncm^ ivcn Zvecke diMCJBCg gut etitsprechende
Habricli: ,Dcrt»cfa» FftiiiiBtii nnd deuts4!hes Ver-
{mU fcnippffT DuiUJhii^ mch der Uteren Ver-
ieklung^ R, Seh weine r: pDle ReaklJofi und die neue
Afm« ml ^Vofii Bimd rara Rekli% and IC Ralhgen: »Die Japaner
und ilir Wlttseliaflsldicit.^
In gebobeicr FcJgtugwiMnwBg ictwMtert SJegmund Riezler
in docta Ueinen pofraSren Sünillüieu «Dss gflclifichste Jalir-
kniMkft bayerischer Gescfaidite 1806—1906* (Milnclien, Beck, m S.).
SchtiHtieÖ' Enropiischer Geschichtskatender» N.R
2L Jahrgang, I90& (der ganzen Reihe 44. Bd.). Hrsgeg* von Gustav
RoloFL München, Beck. 1906. 373 S. Da in der wohlbewährten
Einrielitai^ des Kalenders keinerlei Veränderung eingetreten ist,
flO gnigt es, auf das Erscheinen des neuen Bandes dieses aus-
gezeichneten historischen Hilfsmittels hinzu weisen.
Meue Bücher: Gazeam, L* Evolution des Uberi^s löcales #fi
Fronet ei tn Beigig me de i789 ä nos Joars, ( Paris ^ Feä&ne.) —
Maitfait, La ääportaiion et i^exä dm cierg/ franfois pendan£
la ReyoluUüm, (P&ris^ Biomd 4 Cit*) — Pionnier^ Essai sar
i'kistoire de ta r^vaiuäon ä Verdun (1789—1795/, (Paris, Cham-
pion^ 10 fn) — Corresp&aäence of the french minister s ta the
United States, 1791^1797. Ed. by Tmrner. i Washington, Go-
vemement prinling affke.) — Dapais^ La campagne de 1793 ä
Varmäe du Mord et des Ardennes. (Paris, ChapeIaL) — Gömtt,
Histoire financUre de la tdgisiative et de la conventian. T, U:
1793—1795 (Paris, Gaätaamin * Cie. 7^ fr.) — v, Ritter-
Zähony^ Mapoleon K Die Besetzung von Görz durch die Fran-
zosen im Frühjahr 1797. (Leipzig« Schmidt £ Günther. 2 M,) —
Schuster^ Die geheimen Oeseilschaften, Verbindungen und
Orden* 2 Bde. (Leipzig, Leibing, 16 M*) — Frank, Geschichte
der protestantischen Theologie. 4, TL Die Theologie des 19. Jahr-
hunderts, Hrsg. von Loesche, (Leipzig, Breitkopf £ Hartel 9 M.)
Kuhnemann, Fichtes Reden an die deutsche Nation. (Posen,
Merzbach. 0,30 M,) — SwitaLski, Das deutsche Volkstum und
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Rame de 1809 ä I8i4. (Paris, Plon-Mourrit & Cie. 8 fr.) —
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I
I
Deutsche Landschaften.
227
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Plon-Nourrii ^ Cie,) — De Meaux, Souvenirs politiqaes, 1871 ä
1887, (Paris j Plan-Nourrit 4 Cie.) — Hodgkin, Ernst Cttriius.
(London, Frowde, I sh,) — J, M. Reinkens, Joseph Hubert
Reinkens. (Gotha^ Perthes, 3 M.) — Schiemann, Deutschland
und die große Politik anno 1905. (Berlin, Reimen b M.) — Bar-
äOiiXi Essai d'une Psychologie de VÄngiettrre contemporaine.
(Paris, Alcan. 7,50 fr,)
Deutsche Landschaften.
Von den in den Mitteilungen des Histor. Vereins d. Kantons
Schwyz 15 veröffentlichten Arbeiten nennen wir den zahlreiche
Quellenauszügc bietenden Aufsatz von A. Dettling über die
ßchwyzerischen Hexenprazesse und den von M. Helbllng mit-
geteilten Bericht über eine Reise des R Joseph Dietrich von Ein-
siedeln auf den Frankfurter Büchermarkt (Frühjahr 1684), der
einige ganz interessante Angaben enthält.
Die Beiträge zur St, Gallischen Geschichte, der
Ällgem* geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz zu ihrer
59, Jahresversammlung gewidmet vom Histor, Verein des Kantons
St. Gallen (St, Gallen, Pehrsche Buchhandlung. 1904. 303 S.) ent-
halten vier Quellenveröffentlichungen, die hier kurz zu erwähnen
sind* T, Schieß veröffentlicht eine lebensvolle Schilderung des
St. Galler Schützenfestes vom Jahre 1527, die von einem Zeit-
genossen herrührt und vielleicht auf Anregung von Vadian ge-
schrieben ist, H, Wartmann gibt ein interessantes Tagebuch
des zu Lyon ansässigen Kaufmanns Jakob Rainaperg aus St, Gallen
15*
22B NaÜxen und Nachrichtcfi-
bekannt, enthaltend Nachrichten über eine Reise an deti traniösi*
sehen Ho!« die der Genannte behufs Wahrung der den eidgenossi*
sehen Kaufleuten In Frankreich zugesicherten Rechte unternommen
hat (Dezember 1562 bis März 1553). Die beiden folgenden Arbeiten
führen ins \9. Jahrhundert: G. Tobler veröffentlicht Briefe des
liberalen St Gallers Jakob Baomgarten an den Berner Stamtsnmim
« Dn Karl Schnell^ die die schwierige politische Lage Berns vähreacL
I der Jahre 1834 35 in helles Licht rücken. Den Schluß bildet Joh.
' Dierauer mit seiner Herausgabe des Briefwechsels zwischen
i dem eidgenössischen Minister Arnold Otto Acpli und dem Fürsten
Karl Anten von Hohenzollem (1864 — 1884)* dessen Ausgangspunkt
der Hersteilungsplan einer unmittelbaren Bahnverbindung zwischen
dem Bodenseegebiet und der Lombardei (Lukmanierprojekt gegen
{ Gotthardprojekt!) bildeti der aber auch sonst eine Fülle von Mach-
richten zur politischen Geschichte Deutschlands und der Schwell
'■ wie zur Kenntnis mancher leitenden Persönlichkeiten beibringt
I Als Neu Jahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur für 1906 ist
eine Arbeit von Alfred Ziegler: Winterthur» Lage im Winter
17^/1800 erschienen, die hauptsächlich auf archlvaUschem Material
aufgebaut ist (Winterthur^ Geschw. Ziegler. 1905. 48 S.). Das so
gewonnene Bild ist wenig erfreulich: innere Auflösung und äußere
Feinde treten einer gedeihlichen Entwicklung stets hemmend in
den Weg.
I in der Alemannia N* F, 6, l bringt R. Krebs als Abschluß
I früherer Studien Bemerkungen über Oberlieferung, Wesen und
I Entwicklung der Weistümer von Amorbach; K. Baas handelt in
Heft I u. 2 über die Gesundheitspflege im mittelalterlichen Frei-
bürg, R Mayer steuert in Heft 4 einige Bemerkungen zur Ge-
I schichte und Statistik der alten Freiburger Hochschule bei; aus
Helt 2 erwähnen wir ferner die Mitteilungen von W. Groos über
badische Auswanderer nach Südungarn (Gemeinde Franzfeld). —
Aus dem 32. Jahrlaul des Schauinsland heben wir den Aufsatz
von K. Gageur: Freiburger literarische Unternehmungen in den
Kriegsjahren 1814—15 hervor, in dem u. a. über die vom Haupt-
quartier der Verbündeten inspirierten, von Karl v. Rotteck ge-
leiteten pTeutschen Blätter" Mitteilungen gemacht werden.
Als Sonderabdruck aus der Festgabe der halllschen Juristen-
fakultät für Hermann Fitting ist bei M, Niemeyer in Halle der
Beitrag von Paul Rehme über die Geschichte des Münchener
Grundbuchs erschienen^ das „als ein Hort deutscher Rechts*
gedanken*" in einem lange Zeit vom römischen Recht durch-
aus beherrschten Gebiet bei^eichnet werden kann (73 S.). Das
Deutsche Landschaften.
311
erste diesen Namen Führende Buch aus dem Jahre 1484 ist kein
Grundbuch im eigenthchen Sinne des Wortes, sondern ein Renten-
buch; auch die infolge der Grundbuchordnung von 1572 ange-
legten Bände beginnen diesen Charakter erst ein halbes Jahr-
hundert später abzustreifen, fn den achtziger Jahren des 17. Jahr*
Hunderts hat dann das Münchener Grundbuch ,«die Zeit seiner
Jugend vollendet"*
Im Gfobus 89, 12 handelt J. Reindl über seine von ziemlich
geringem Erfolg begleiteten Nachforschungen nach den letzten
Spuren urältesten Ackerbaues in Südbayern.
Aus dem Nachlaß von Alfr, Köberlin wird in Tilles Deut-
schen Getchichtsblättern 1906^ Januar eine kleine Arbeit verölfent-
Ucht, in der die Bedeutung der Nürnberger Briefbücher als Ge-
schichtsquelle an mehreren dem 15. Jahrhundert entnommenen
Beispielen nachgewiesen wird.
In den Studien und Mitteilungen aus dem Benediktiner- und
dem Zisterzienserorden 26| 3 u. 4 setzt Fr« Hüttner seine Mit-
teilungen aus den Aufzeichnungen des Abtes Johann DresteL von
Ebrach fort (vgl 96, 37S),
Aus dem Archiv d. Histor* Vereins von Unterfranken und
Aschaffenburg 47 erwähnen wir die Veröffentlichung des nament-
lich in topographischer Hinsicht nicht unwichtige Aufschlüsse ge^
währenden ältesten Lehenbuches des Stephansklosters zu Würz-
burg vom Jahre 1326 durch K* Ehrenburg, sowie die von Th.
H e n n e r mitgeteilte Selbstbiographie des Staatsrats von Wagner,
eine Quelle für die Geschichte des Obergangs der Würiburger
Lande an Bayern.
tn der Zeitschr. f, westf, Gesch, f905, Bd. 63 schildert H.
Hülsmann „Geschichte der Verfassung der Stadt Münster 1802
bis 1813* die seit dem Sturz der fürstbischöflichen Regierung und
Aufrichtung der preußischen Herrschaft eingetretene Neuordnung,
den Kampf des preußischen Absolutismus mit der kommunalen
Selbständigkeit Münsters, die Verfassungsänderungen unter der
französischen Herrschaft (1806—1813). — Von den entsprechenden
preußischen Reformen im Bistum Paderborn (1802—1806) handelt
W* R i c h t er „Der Übergang des Hochstifts Paderborn an Preußen*
(Forts.; vgl. H. Z. 95, 379), — H. Brühl hat für seine Unter-
suchung über „die Tätigkeit des Ministers Franz Freiherrn von
Fürstenberg auf dem Gebiet der inneren Politik des Fürstbistums
Münster 1763 — 1780'* umfangreiches archivaliaches Material ver-
wertet. — Mehr als der Titel ankündigt, enthält R. Reiches
Aufsatz „Das Portal des Paradieses am Dom zu Paderborn^ ein
IS
230
Notizen und Nachrichten*
dankenswerter Beitrag zur Geschichte der deutschen Bildhauer-
kunst im 13. Jahrhundert (vgL ebendaselbst B* Stolte über die
Geschichte des Paderborner Doms). ^ Die von L.Schmitz mit-
geteilte münstersche Kanzleiordnung von 1574 bdtigt einen Nach-
trag zu Lüdickes „Zentralbehörden im Bistum Münster*, — Er-
wähnt sei endlich, daß gleichzeitig mit Bd. 63 eine neue Lieferung
des von A. Böhmer verfaßten HiBtorisch-geographischen Registers
zu Bd* 1—50 der Westfal. Zeitschrift ausgegeben ist.
Durch A. Kornickes treffliche Arbeit über Entstehung der
bergischen Amtsverfassung (Bonn 1892) hat sich A. Peters an-
regen lassen, in der Zeitschr. d* histor. Vereins f. Niedersachsen
Jahrg. 1905, Heft 3 das entsprechende Thema »Die Entstehung der
Amtsverfas SU ng im Hochsttft flildesheim, ca. 1220 — ISSO*^, d. i, den
Übergang von der Lehns- zur Amtsverfassung^ der eine wichtige
Etappe in der Entwicklung der Landesherrlichkeit bildet, nach den
jüngst edierten Hiidesheimer Urkunden zu bearbeiten. — In Heft 4
derselben Zeitschrift sind zwei Aufsätze von K. Borchling er-
schienen über die Gründung des Klosters Ebstorf und über „Lite-
rarisches und geistiges Leben im Kloster Ebstorf", als Beitrag zur
Kiosterreform im 15. Jahrhundert.
E, Damköhler I „Gruppierung und Herkunft der Besiedler
des Harzes^ (im Braunschweigischen Magazin, Sept. u. Okt. 1905;
Forte, u. Schluß^ vgl. H. Z. 96, 186) glaubt die Existenz wamischer
und anglischer Siedlungen am Rande des Harzes, eine nordalbin-
gische Einwanderung in Elbingerode und Umgegend annehmen
zu dürfen. Daß die Bewohner des Oberharzes aus dem Erzgebirge
stammen, ist bekannt. Damköhler scheidet drei Perioden in der
Besiedlung des Harzes (um 800, um 1072, um 1520),^ Am gleichen
Ort (Sept., Okt., Nov. 1905) unterzieht P. Zimmermann die
Städte Wappen des Herzogtums Braun schweig nach Ursprung und
Entwicklung einer lehrreichen Untersuchung*
In den Hansischen Geschichtsblättern 1905, Jahrg* 1904— f905
schildert P. Zimmermann die volkswirtschaftliche Wirksamkeit
und Bedeutung des Herzogs Julius von Braunschweig (1568—1589),
die Mehrung des herzoglichen Kammervermögens, die Förderung
der Land- und Forstwirtschaft, der Berg- und Hüttenwerke, seine
kaufmännischen Unternehmungen und umsichtigen Handelsbezie-
hungen. Bemerkenswert ist, daß Herzog Julius eine Talsperre im
OkertalCp die sog. juliusstauung^ anlegte und bereits die Verbindung
zwischen Elbe und Weser durch eine Wasserstraße herzustellen
plante. — Chr. Reuter handelt ebendaselbst über , Lübeck und
Stralsund bis zum Rostocker Landfrieden ISS^*".
4
Deiitscbe Latidscliaitei].
23t
In den MüWhäuser Ccschichtsbllttern* Jahrg* VI, 1^05 ver-
öffentlicht Kunz V. K a 11 f f u n g e n die ältesten MüMhäuser Stadt-
rechnungen (aus der Zeit von 1380 bis 1405), E, Kettner eine
Abhandlung über die Beziehungen Landgraf Friedrichs des Frei-
digen von Thüringen ^ur b-eten Reichsstadt Mühlhausen i. Th.
H. Reuthers Abhandlung pDie ordentliche Bede der Graf-
schaft Holstein bis zur iMItte des 14. Jahrhunderts* (Zeitschr. der
Oes. f* schleswig-holsteinische Gesch. 1905, Bd. 35 > bestätigt, daB
die bekannten, besonders von der Belowschen Schule gewonnenen
Forschungsergebnisse über den Charakter der Bede, Steuerart,
-Verteilung etc, im allgemeinen auch für Holstein gelten. Den
Rechtsgrund zur Bedeerhebung sieht Reuter mit v. Betow und
Zeumer in dem Besitz der hohen Gerichtsbarkeit Indem er diese
Theorie bis in alle Konsequenzen verfolgt, gelangt er biswellen
zu starken Übertreibungen und irrigen Schlüssen. Dahin gehört
die Behauptung« daS dem Grafen ,bald nur noch dort die Beden
zustanden, wo er noch die hohe Gerichtsbarkeit innehatte*, sonst
dem betr. Orundherm, der das Gericht erworben. Beachtenswerte
Anregung bietet der letzte Abschnitt über das selbständige Be-
steuerungerecht geistlicher und weltlicher Grundherren auf ihren
vom Grafenschatz befreiten Gutern. — - In derselben Zeitschrift
veröffentlicht Friedr. Paulsen aus Familienpapieren einen im
Jahre 1 772 niedergeschriebenen Abriß ^aus den Lebenserinnerungen
des Grönlandfahrers und Schiffers Paul Frercksen^t
P* Rehme, ^Die Lübecker Grundhauem*. Halle 1905, Dem
hanseatischen Oberlandesgericht erstattete Gutachten sind Grund-
lage dieser eingehenden Untersuchung über die nach Wesen und
Ursprung bisher unbekannte „Grundhauer^ Sie kommt in Lübeck,
abgesehen von den sog. widerruflichen Grundhauern in dreifacher
Bedeutung vor als stadtrechtlicher Wurtzins, landrechtlicher Erb-
pachtzins und pfret bestellter gemeiner Grundzins (ein census
cottsiiiuiivusy. Einen interessanten rechtsgeschichtlichen Ausblick
gewähren die Ausführungen (S. 40 ff.) über das VerhäUnis der
Grundhauer zum alteren Erbleihezins.
Nachdem Otto Heinemann schon früher die Fa&ti Feme-
ranlci des David Herlitz nach einer Stettiner Handschrift ver-
öffentlicht hatte (vgl. H* Z. 93, 189), gelang es ihm nun, den Ori-
ginaldruck vom Jahre 1617 zu finden. Er beschreibt ihn in
den Baltischen Studien N. F. 9 und gibt zahlreiche Ergänzungen
zur ersten Ausgabe. — In derselben Zeitschrift veröffentlicht
ferner Kohfeldt das kulturhistorisch nicht uninteregsante Tage-
buch über eine von Rostock bis Königsberg 1694 unternommene
232
NotUen und Nt ehrte hteiu
akademlBche Ferienreise; der Verfasser schildert hier fielne Er-
lebnisse in pommerscben^ preußischen, märkischen Städten und
an den Universitäten Greifswald, Königsberg, Frankfurt a, O. —
O. Voges gebreibt ebendaselbst über den preußischen Feldzug
von 1715 (Eroberung von Wolgast, der Inseln Usedom und Rügen).
Die Mitteilungen des Vereins l d, Gesch. Berlins 1906, Nr I
veröffentUchen einen Vortrag Max Hoffmanns über das Kur-
fürstentuni Brandenburg und die Hansa (bis zum Ende des 15. Jahr-
hunderts). Die zerstreuten Quellennachrichten sind hier zu einer
übersichtlichen Darstellung verarbeitet* Daß die regelmäßigen
ßeEiebungen märkischer Städte zur Hansa] um 1500 aufhörten^
bestätigt eine soeben in den Hanserezessen (1905, Bd» 7, S. 216)
edierte Matrikel, nach welcher die noch 1494 als Mitglieder ge-
führten märkischen Städte Berlin, Salzwedel, Stendal, Frankfurt
im Jahre I51S der Hansa sämtlich nicht mehr angehörten.
Einen Essai über den Oberlausitzer Dichter Wilhelm von
Polenz (von M. Seht an) bringt das neue Lausitzer Magazin in
Bd. 81, 1905. — R. Doch 1er veröffentlicht dort die Urkunden
der zur Herrschaft des ev« Stiftes Joachimstein gehörigen Ritter-
güter Radmeritz, Niecha, Markersdorf, Niederleuba etc, (1380 bis
1843) in Regestenform (nebst einer Gesch, des Stiftes und der
älteren Ortsherrschaften von Radmeritz).
In der Zeitschr, der histor, Oes, f. d, Prov. Posen, Jahrg. 20,
1905, Halbbd. 2 handelt A.Warschauer über die Posener Stadt-
rechnungen des 16. Jahrhunderts^ deren historischen Quellenm^ert
er an der verschiedenartigen Verwendung der in den Rechnungen
eingetragenen Posten erläutert»
Interessante Ausführungen Über den hemmenden und for-
dernden Einfluß der ostpreußischen Eisenbahnen auf die städti-
sehen und anderen Siedelungen der Provinz bietet W. Feydt in
der Altpreuß. Monatsschrift 1905, Bd. 42^ wo man auch einen Nach-
ruf auf den bisherigen verdienten Herausgeber R* Reicke (von
0. Krause) und ein Lebensbild des Königsberger Kantiorschers
und Philosophen E, Arnoldt (von 0, Schöndörffer) findet.
H. Wopfner, Verfasser der Beiträge z, Gesch* d, bäuerl.
Erbleihe in Deutschtirol (Clerkes Untersuch., Heft 67), behandelt
in den Forsch, u. MitteiL z. Gesch. Tirols 1905| Heft 4 und 1906,
Heft 1 „Das Tiroler Frei stiftrecht", eine schlechtere, besonders in
Bayern, Österreich, Salzburg, Steiermark verbreitete, vereinzelt
auch in Baden vorkommende Form des bäuerlichen Besitzrechte»,
das dem Leiheherrn gestattete, i,das Leihegut alljährlich mit einem
Baumann zu bestiften^, den Baumann nach Verlauf eines Jahres
I
I
9.
Deutsche Landschaften.
23S
BabzustiHen" und den Zms deaselbeti — im Unterscbiede zum
unveränderlichen Erblelheztni — ^alljährlich nach Gutdünken
hinaufzuschrauben*. Wopfner schildert die mannigfaltige Entwick-
lung des FreistiFtrechts, seine allmähliche Umbildung in Erbrecht,
die Reformen von Kaiser Maximilians f- Zeit bis zum 19. Jahr^
hundert.
Als erstes Heft in Bd. 6 (1905) der ^Forschungen zur Ver-
fassungs- und Verwaltungageschichte der Steiermark** erscheint
tinter dem Titel ^Das Haus Stubenberg bis zur Begründung der
habsburgischen Herrschaft in Steiermark'' eine genealogische
Untersuchung j* Loserttis zur Geschichte des steirischen Ur-
adelt.
Neue Bücher: Die Rechtsquellen des Kantons St Gallen.
L Tl Öffnungen und Hofrechte. 2, Bd. Toggenburg. Bearb, von
Gmür (Aarau, Sauerländer & Co, 18 M.) — Vischer, Basel in
der Zeit der Restauration. 1S14— 1830. II. Die Zeit von 1815 bis
1830. (Basel, Helbing « Lichtenhahn. 1,40 M.) — Hanauer, Le
protesianlisme ä Maguenau. (Straßburg, Noiriel Colmarj Hüffel.
4M,) — Thudichum, Die Diözesen Konstanz^ Augsburg, Basel,
Speierj Worms nach ihrer alten Einteilung in Archidiakonate,
Dekanate und Pfarreien, (Tübingen, Laupp, 3,20 M,) — Heilig^
Die Ortsnamen des Großherzogtums Baden gemeinfaÖlich darge-
stellt, (Karlsruhei Gutsch* 3 M.) — Oberrheinische Stadtrechte*
1. Abtlg, : Fränkische Rechte. 7. Heft : Bruchsal, Rothenberg, Philipps-
burg (tJdenheim)i Obergrombacb und Steinbach. Bearb. v. Koehne.
(Heidelberg, Winter. 5 M,) — Schilling von Canstatt, Ge-
schlechtsbeschreibung der Familie Schilling von Canstatt. (Heidel-
berg, Winter. 20 M.) — BitUraulj Bayern als Königreich 1806
bis 1809. (München, Beck. 4 M,) — Die Chroniken der schwä-
bischen Städte. Augsburg, 6, Bd, (Leipzig, Hirzel. 4 M.) —
ThudichuTTif Die Stadtrechte von Tübingen 1388 und 14^3,
Anh. L Die Rechtssprache als Hilfe zur Ausmittelung der alten
Grenzen der deutschen Stämme. 2. Die ehemaligen deutschen
Reichsarchive. (Tübingen, Laupp, 2,20 M.) — Bockenheimer,
Mainz in den Jahren 1848 und 1849, (Mainz^ Mainzer Verlags-
anstalt und Druckerei, 3 M,) — Techen, Die Bürgersprachen
der Stadt Wismar. (Leipzig, Duncker & Humblot. 15,40 M,) —
J» Kaufmann, Geschichte der Stadt Deutsch-Eylau. (Danzig,
Saunier. 5 M.) — Lennhoff, Das ländliche Gesindewesen in
der Kurmark Brandenburg vom 16. bis 19. Jahrhundert, (Breslau,
Marcus, 4M:) — Holtze, Geschichte der Stadt Berlin, (Tü-
bingen, Laupp. 3,60 M.) — Clauswltz, Die Pläne von Berlin
und die Entwicklung des Weichbildes. (Berlin, Mittler & Sohn-
2^4
Notizen und Nachrichten*
p
2,50 M») — Ackermann, Geschichte der Juden in Brandenburg
a, H, (Berim, Lamm. 4M.)— Spat^, Bilder aus der Vergangen-
heit des Kreises Teltow. l.TU {Berlin^ Haase. 20 M.) — Hantzsch,
Die ältesten gedruckten Karten der sächsisch-thüringischen Länder^
1550 — 1593. (Leipzig, Teubner. J8 M.) — Ders., Dresdner au!
Universitäten vom 14- bis zum 17. Jahrhundert (Dresden, Baensch.
2 M.) — Zivier, Geschichte des Fürstentums Pleß. L TU: Ent-
stehung der Standesherrschaft Pleö (bis 1517), (Kattowitz, Gebn
Böhm. 5 M») — Dyhrenfurthi Ein schlesisches Dorf und Ritter-
gut. Geschichte und soziale Verfassung. (Leipzig, Duncker ^
Humblot. 4.20 M.) — Winiarz, Erbleihe und Rentenkauf in
Österreich ob und unter der Enns im Mittelalter, (Breslau, Marcus.
2,50 M,) — K i s c h , Vergleichendes Wörterbuch der Nösner (sieben-
bürgischen) und moselfränkisch-luxemburgischen Mundart, nebst
siebenbürgisch- niederrheinischem Orts- und Familiennamenver-
zeichnis sowie einer Karte zur Orientierung über die Urheimat der
Siebenbürger Deutschen, (Hermannstadt » KraffL 1,20 M,) —
Connert, Die Stuhlverfassung im Szeklerlande und au! dem
Königsboden bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. (Hermannstadt,
Krafft* 0,85 M.)
Yermischtes.
Das Korrespondenzblatt des Gesamtveretns 1906, 2 u. 3 bringt
die Fortsetzung des Berichts über die Hauptversammlung
zu Bamberg (vgl. %, 567), die u. a. die Verhandlungen des Ver-
bandes west- und süddeutscher Vereine für Altertumsforschung
sowie der volkskundlichen Abteilung, ferner den Vortrag von
E, M u m m e n h o ! f : Freie Kunst und Handwerk in Nürnberg enthält*
In der Osterwoche vom 17. bis 21. April tagte In Stuttgart
die IX. Versammlung deutscher Historiker unter Vorsitz G. von
BelowSj von 184 Teilnehmern besucht. Die auf ihr gehaltenen
Vorträge von Troeltsch und M e i n e c k e bringt dieses Heft
zum Abdruck. Wir werden auch noch den Vortrag von Fabri-
cius: ^Das römische Heer in Deutschland" in dieser Zeitschrift
veröffentlicheni Über j^Tausendschaft und Hundertschaft** sprach
S, Rietschel (gegen die Sickelsche Tausendschaftshypothese;
vielmehr sei die Hundertschaft die germanische Urgemeinde)» über
„Die rechtshistorischen Grundlagen des Geldwesens** G. F. K n a p p
(nicht das Metall, sondern die rechtliche Satzung des Staates be-
stimmt den Wert des Geldes). O. Redlich erörterte , Histo-
risch-geographische Probleme" mit besonnener Benutzung Ratzel-
scher und Brücknerscber Anregungen (Hinweis u* a* auf die Be-
deutung der KUmaschwankungen für Mißernten und Wirtschaft-
I
I
Vermischtes,
liehe Depressionen)* L. M. Hart mann trug in gedrängter Fülle
seine Auffassung über ^ Wirtschaf tsgeschichle f tauen s im frühen
Mittelalter" vor (interessant namentlich über den Zusammenhang
militärischer und agrarischer Institutionen). H* Bloch entwarf
von »Karl dem Großen'* ein idealisiertes und leider wenig kon-
kretes Bild. Egelhaaf behandelte m populärem Stile pEngland
und Europa ^-^or 100 Jahren*, und v. Lange schrießllch führte die
Teilnehmer in ^Schwabens Stellung in der Geschichte der Malerei**
ein, — Gleichzeitig tagte die VIL Konferenz landesgeschichtlicher
FublikationsLnstitute und tauschte Anregungen aus über Absatz
und Verlag von PubUkationen, Erschließung agrar- und Stadt ver-
fassungsgeschichtlicher Quellen, Abfassung von Regesten, Her-
ausgabe von Münzwerken und historische Karten Süddeutsch-
landt. — Der nächste Historikertag wird im Herbst 1907 in Dresden
unter G« Seeligers Vorsitz stattfinden.
Die Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde setzt aus
der Mevissen-Stiftung auf die Lösung folgender Aufgaben Preise
aus: 1, Geschichte des Kölner Stapels, (Preis 2O0O M,) —
2. Die rheinische Presse unter französischer Herr-
schaft* (Preis 2000 M.) — 3. Die Glasmalereien in den
Rheinlanden vom 13. bis zum Anfang des 16, Jahrhun-
derts. (Preis 3000 M.) Bewerbungsschriften sind bis zum L |uU
I90S an den Vorsitzenden Archivdirektor Prof. Dn Hansen in Köln
einzusenden.
Der Vorstand der Arthur und Emil Könlgswert ersehen Unter-
richts- und Studienstiftungen zu Frankfurt a, M, schreibt als Preis-
aufgabe aus: Die literarische Bedeutung der Frank-
furter Messe, Es gilt» unter Benutzung der Meßkataloge (1564
bis 1749) und der Literatur darzustellen, welche Bedeutung die
Frankfurter Messe vom Ende des fünfzehnten bis zum Ende des
achtzehnten für die Entwicklung des Schrifttums Deutsehlands
und des Abendlandes überhaupt gehabt hat. Dabei ist den inter-
nationalen literarischen Beziehungen besondere Aufmerksamkeit
zu schenken. Bearbeitungen des Themas sind mit einem Kenn-
w^ort versehen an den Konsulenten der Stiftung, Herrn Justizrat
Dr* Hermann Oelsner (Frankfurt a. M*, Bockenheimer Landstraße 2)
einzusenden. Als Ablieferungstermin ist der L März 1908 fest-
gesetzt, der Preis beträgt 2000 M,
Am IL Februar starb in Bitsch der Oberlehrer Dr. Joseph
K n e p p e r , Verfasser mehrerer Beiträge zur Geschichte des ober-
rheinischen Humanismus und Erziehungswesens, die zwar nicht
immer völlige Durchdringung des Stoffs und Freiheit der Auf-
fassung verraten, durchweg aber fleißig und sorgfältig gearbeitet sind.
236
Notizen und Nachrichten.
Im hohen Alter von 82 Jahren starb am 19. Februar zu Stutt-
gart der ehemalige Direktor der Königlichen Landesbibliothek Dr
Wilhelm V. Heyd, der sich vornehmlich durch die ausgezeichnete
Geschichte des Levantehandets einen Namen gemacht hat.
In Göttingen starb am 1, März Professor Dr, Moritz Heyne,
der Bearbeiter des Grimmschen Wörterbuchs und Verfasser der
Sammlung: Fünf Bücher deutscher Hausaltertümerf die durch seinen
Tod leider ein Torso bleiben wird* (Nachruf von E. Schroeder In
der Beilage zur Miinchener Allgemeinen Zeitung Nr, 62.)
Machrufe werden gewidmet Jakob C a r o im 82. Jahresbericht
der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur von F.
Rachfahl;; Rud. Reicke in der Altpreußischen Monatschrift
N, F. 42, 7 u. 8 von G. Krause; Friedr, v, Weech in der Hist.
Vierteljahrschrift 1906, 1 von Fr. Fran khauser; Theod. Ludwig
in der Zeitschr f. d, Gesch. d. Oberrheins N, F* 21, l und in der
Vierteljahrschrift l Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1906, 1 von
Fr. M e i n e c k e b55w; H. B r e ß l a u ; Ed. Richter in den Mit-
teilungen d. Inst, f. österr. Gesch. 27, 1 von 0. Redlich; Viktor
Vi Kraus in derselben Zeitschrift von K. Käser; Äifr. Ram*
band in der I^evsie histarique f906> März-April von G» Monod,
I
p
Drucfcfehler-Beriditigung.
In meiner Anzeige von Albert Schaffles Lebens-
erinnerungen (Ff. Z* %, 24j— 258) sind zu meinem Bedauern
bei der Korrektur^ die ich wegen meines Aufenthaltes in Chicago
nicht persönlich lesen konnte, folgende Druckfehler stehen ge-
blieben: S. 243 Z. 7 V. u. lies „stellt" statt „stellt". — S. 245
Z. 22 V. o. „höhere" statt ^nähere"* — S, 245 Z. 7 v. u. „auch
nach außen hin", — S, 247 Z. 6 v. o, „Gegenseite* statt ^Gegen-
sätze. — S. 247 S, ff V, o. ^technischen**. — S. 248 Z. 7 „das
Zollparlament" statt „den Zollverein". — S. 248 Z. 13 v. u.
streiche „hinein**. — S. 249 Z. 22 v, o. „den Ungarn"* — S. 251
Z, 2v*o. „nach Schaffles Rezept**.— S. 255 Z. 18 v, o, „in dem*
statt „indem". — Z*23 v. o, „von Hause aus". — S. 256 Z. l v. u.
pHÜfskassenzwang", — S. 257 Z. U'l5 v. o. „gesagt habe". —
Z. fO V, u. „schuld war"*
Gießen« Hermann Oncken,
Historische Zeitschrift
Begründet von Heinrich v. Sybel
'Etiler Mitiiifkujit' von Paul ßdUleu« Louls Erhardl Otto fWnizz, Oltc Rrauske,
rflax henz, Sigmund Riezler, Hlorifs Knur, ßonrad \7aTTenlrapp, ßarl Zmmzu
^ HeratiBgegeben Ton FHedrlcH Meliiecke.
" Dritte Folge.
Jfthr\idi 2 Bände bu je 3 Heften = 1440 Heilen 8*. Preis ©inee Banden M. 14,-
Ermäßigte Preise für ältere Bände:
Zweite Folge, Bd. 1—60 (der ganzen Reihe Bd. ^7— 96) komplett
mit Register statt M. 692,— nur M, 22^.—.
Einzelne Bände dieser Folge (mit AuBnahme der Beit 1900 erschie-
nenen) statt M, 11.25 ttur M. S.— ,
DOC
Mitte Juli erscheint:
Historische Zeitschrift
Sachliches und alphabetisches Register
zu Band 57 — 96.
Umfang ca, 20 Bogen, Preis ca. M. 6.50.
=3010
J. n. Seujfert's nrdjlo
für
Cntfdtjf idungcn der obcrftcn öcrid&te in dm deutfdtjen Staaten.
^Dritte, ausgcujäölte Ausgabe r=
der fämtlidtifn bis it^i trfü^imtmn 55 hantle.
tirrausgrgebtn DOn tl. f. Sd^Utt, HcLdrsgtrttbmai.
f Wandt untl 6eneralregi(ter* Lef, $\ 7544 Seiten, freis in 7 Bänden geb. m.«.-,
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ttm 0Ebleu dr$ genttinrn fUibtts tmt ftillf dfs turnDtUnirn matfrUtrs für dl« nuslrgung Hn dbfr»
iDkrgrnd adf gemein ffd^tlldjei- arundiagc aufgctiadteii neuen HtfDtes, unü rntbält m norpebettd an*
grkundlgtf BusiuaDl ihiä obfrtVTic&icrUitof £rkenntpife/ mtliftf für tilf Rfdötfpreiöniig nad} dtm
auiijerlldinL ettt^bü^t pcrt&endbar Tind,
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BIBLIOTHECA HISTORICA MEDII AEVI
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MÜÄATORt — AERtrja BiUTANN. SLHII'TttÄES ETC.
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WÄHREND DES MITTBLALTEKS
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2. verbesserte imd ntarlc vennebrte Auflage. 2 Binde. Lex. 8*,
Preb: geheftet 4§ M., gebunden 53 M,
Die GesehJcbte des europitscTien Mittelalters bat in nnserm Jabrbimdert so vltVe \
neue Ausgaben ihrer Quellenscbnftent eine solche Bereicbemng durch VeröfTenÜichD&K 1
bisher unbekannter Werlce erfahren » daß es den Pflegern dieser W i&senscbait oft
schwer wird^ darüber schnelle und genügende Aufschlüsse «u erlangeOf *u dcred
Erreichung ein tieferes Eindringen in das viißfangTeiche Gebiet der gedeckten Quellen
notwendig ist, eine Arbeit, die bei dem Mnagel einer genauen übersichtlichcD Zua»mmen-
atellung ebenso mühevoll wie reitraubcnd erscheinen muß.
Deshalb wurde seinerzeit tinser Werk, welches eine ftlblbare Lücke in der
bibliographischen Literatur ausfüllte und sich als ein sicherer Wegweiser auf de«
vielfach verfichlungenen Pfaden der bibliographischen Fotscbutig bewies, allseits wÜb
kommen geheißen. In noch höherem Maße dürfte dies bei der 3« Auflage der Fall
sein. Es ist ein Übersicht» werk über die geahmte historische Literatur des Mittel-
alters^ wie bis jetzt noch keines vorhanden, ein unentbehrliches Nachachla|febuchi
das einem jeden Freunde sowohl der mittelalterlichen Historie nls der Bibliographte
flbcrbaupt Auskunft über die Gcachichiachreiber gan* Europas während jene«
Zeitraumes, ihre Werke* deren Handschriften, Ausgaben und Übcrseutungen gewShrt
und zugleich auf die Quellen verweist, wo ausführlichere Nachrichten etDzuiehen
sind, das endlich^ wie noch keines vordem, den Gesamt-lnbah der
BoHandistensammlung ,,Acta SanctorutTi'\ des französischen NaCiooal-
werkes von Bouquet etc., der dreiPatrologieen von Mi^ne, derMonumcnU
Germ aniae hi stori ca, derSammlungenvon M uraiori^ der Rcrutn Br ita n n icariim
medü aevi scriptores usw, in einer Zusammen Stellung bietet.
Der Name des bekannten Verfassers bürgt für die Gründlichkeit dieses Weg
weisers, das sowohl Inhalt wie Anordnung nnd Ausstattung ku einem der tot*
züglichsten Werke erheben, die bisher über die mittelalterliche Geschichtsschreibung
erschienen *:indi (3:5)
In unterem Verlag ilt crfchienen:
Quellen und Erörterungen
zur Bayerifchen und Deutldien ßelchichte
fieiousgegeben Dan d^r fiiHorikhen KommiJfiön bei du K, Akademie
der Wiflenfchaften ITlÜnchen,
neue Folge, ErTfcr Bönd.
Hndreas i?on Regensburg sämtlidie Werfte, fierausgegebe« tNjn
6eorg üeidinger. 1905- Preis m, »e.— .
neue Folge, Zwe!>er Band. Erfte flblellung.
Des Ritters Rons Ebran van Wildenberg Cfironiti von den
Furlten aus Bayern- ßer ausgegeben oon Fricdr. Roth. 1905. mi*
5 Stammtafeln. Preis Hl 6.—,
neue Folge, Vierter Band>
Die Graditionen des fiodiftifts FreiRng. erfter Band (744—926).
fierousgefleben oon Sfieodor BiltCrouf, 1905. mit ? Tafel. Prcrs m. 17—,
Briefe und flhten
2ur 6eldiidite des 30jährigen Rriegs
ficrausgegeben durch die fiiJtorilche Kommitfian bei der K, Akademie
der Wiffenkhüftcn ITlünchen,
Band VII.
üon der Ankunft Erzherzog Leopolds in Hulidi bis 2U
den Werbungen Fierzog niaximilians von Bayern im
niarZ 1610. von F. Slle\?e, beorbdtet Dan Karl ntayr. 1905, Preis
m. 11.40,
Band IX.
Vom Einfall des Paffauer ßriegsvoltis bis zum nürnberger
RurfÜrllentag. Bearbeitet oon H, ChrOUlK 1905. Preis m.24,-'.
Band X.
Der Husgang der Regierung Rudolfs il. und die Rnfänge
des RailerS ITIatthiaS* Bearbeitet üot\ K ChrCUll. 1906, Preis
m. 25.20,
Zu beziehen durch alle Budihandlungen,
m. RiegerTche Unioerntäts-Buchhandlung (ö. fiimmer)
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Die kulturgeschichtliche Bedeutung der großen Weltreligionen. Vö«
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Das Papsttum nnd Byzanz.
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vereinigung bis zum Untergange des byzantinischen Reiches.
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dem die Geschichtsforschung hier bereichert worden ist, bewunderns-
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conaciencieusement öcrit et d^une clart^ d*exposition remarquable.
,, Revue crttique** : .... L^ouvrape a une haute importance* tl est
celui d'un penseurj prdoccupe des haisons historiques. II est nouve^u
d'un bout ä Taulre. Et en meme temps, il est bien ecrit et trfes interessant*
„Mitt. d.osterr, instituts" : .,:. Ein schönes Werk» ein neuer
Beweis, daß man optimiRtrsch in die Zukunft unserer Wissensehaft
schauen darf. tsai
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Die Begründung des Deutscben Reiclies
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Staatsakteti
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Mit dem BUdnls des Verfassers und ausfÜhrHchem Sachreslater.
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Beit^T! !sl fein Werk mit ßo grorrM^r Frenze T>egHlTflt
(ind mit solchem InteresHe Rnfgenommen worden wie
Sybelfl nionnmenLalo »Bc^^ründung cle& Hoiitecheu
Eeiehee«. Die gesamt© Prci8»o aller Rieh Lim gen und
politischen Anfrhnnungon beglückwünschte das deut-
sche Volk sfiu der eben ho begeisterten nnd warni ^e-
filhlten» als wisöenachaftUch korrekten Daratollnng der
machtvollen Entwickhing unsere« Vaterlandes»
Bekunntlich Hind Sybel «einer/eit 74ir Benutjsung
tilT sein Werit die Archive des Auswärtigen Amtes
und des pretiTsischeu Ministeriums In fiii Anerkennen der
Liberalität weit j^e öffnet gewesen, was %^or und nach
Sybol keinem Hii^toriker gostüttet war b»w, wurde.
Aus diesem fiborreichen Materiül hat Sybel mit
staunenswertem Fleifse und Die isterh Elftem Geschick
ein authentisches Bild der Entwicklung des Deuteeben Reiches und der seiner
Aniriclitung vorhergegangenen Kämpfe gezeichnet urtd uns damit einen so
vielseitigen und tiefen Blick in die zeitgenössische Geschichte erm5gUcht, vne
es keinem Volk im gleichem Mafse geboten ist.
Der Fachmann wird Htets auf dieses grundlegende Werk, um dns uns
flas Ausland beneidet, zurllefc^jreifen mfisaen, dem Nichtf achmann, dessen
Interesse an guter, vaterländischer Geschichte nicht geschwunden istj kann
kein Werk mehr enqtfohlen weilen als das S) belsche« das Schärfe der Kritik
wie Wärme dm GemfUes, TJcbe Ttur Wahrheit wie Liebe zum Vaterland, 'fiefe
dör Foi^chung und wiflsenschafthchen Ernint, verbunden mit einer muster-
gültigen Göi^tÄltung von k^stlicber Klarlieit, in sich vereinigt.
Heinrich -van Sybel»
gtiboren tu DÜiseMoifi
2. Deaember 1B17.
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ANTIQDARIATS-KATALOGE:
Nr. 498. Geschichte und Topographie ftaliens. ' ■•^
501* Geschichte Hessens.
504. Geschichte Frankreichs seit Ludwig XIV*
506, Geschichte der Reformation*
512* Spanien und PortttgaU
515. Deutsdie Geschichte von 1600 bis zur Gegenwart.
52L Prähistorik.
525. Rheinland --Westfalen. (^)
529. Deutsche Geschichte im Mittelalter.
531. Oäterreidi mit Ausschlutl der Länder der Ungar. Krone.
Attf VerJmagca gfmtis ttad frmakQ*
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S3ilSet erftfjknen:
(Erfter *8anö : 'Der Urfprung ber btjaanHnifdjerii tslamifjfien^ abenblQEbt(tfi*ci^riftni4eW|
rt)inejtfdjtn unb iubijd)cn Üultur
3i0cUcr $aii& : ^iebergartg der is[amtid)en utib ber bQ3antintfd)en Kultur. Stlbiiitg
öcr eiirDpäi[<i)cn Staaten
Dritter ^onb : %mn brei3cl)Mten Dolittjunbert Ms jum ^n^^ ber ßonjile. Die a5enb'
[anbifc!)^-dt)nfttid)e ^uUur. ^(nfange einer mmn 3^i*
vierter $aitb : Der Sli[l|tanb bes Orients unb bus 3Iuf|tetgen (Europas. Dte beut{(f)e
!ReformattDn
%xt\% iebe® ^^Qiibc«: ©e^. m. 5.50, in ßeinen geb. ^ 7.-, in Jpal&N^^ 0^^* ^' ^^^
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üiit ?ru«ptff|iitifl bfr ^Eatfflcöfit tiadi tiffititiirUn i^iHcsi ob. mit He ^t^ hf^xi^tn (^efflllcfiöft Litib t^Hii ÄuDeftir
tDrtmitfn, tirtf Hf ^rm Gtaate unb beif JCitdie j^üiifbf uiit> um brr faercfc^i'Hbtn ^uffaffuiTg roillm fa bäufig ia
gFff^id^lLicfteit Seriell ^u Irjen fmb . . . , . $tn ^aupt^cruita &i4 16ui^(« tß bCE. bab bie^ olint Auietfn ^runt
Qfiitbnicf ber ISäühr^eit, bet fltftftttSrttldr« ©Idierftrit, unb man fü^li bfutUt^ bfraiit, &flfl man e# bei tcp
Sftfaffirr nüt tinfoi dfftAidjtUdjru 5d)nfrfrfaL-T ben ^^arafreir ^u tun bat . , S^cfetfot Pim|ct»t auMcliiifl, ^al
rt bfm ÜBfrfaÜet trfraJnitt ]tm münf, tiirje gro&f uiib ttff buTcfrbatt^tc Arbeit Mi S^nbc i^u TftbrFii. bii fli^ ditcti U'trfitdjen
?fOFtfairitt tn unftfrer iopltflef(^icf)tti^fit ilttctflini batlteüt 3W, aJlanitlus (tJrea&ner Hnjefg^T)
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Schulte, Aioys, Die Fugger in Rom 1495—1523.
Mit Studien zur Geschichte des kirchlichen Finanzwesens jener Zeit.
Zwei Bände. Preis geheftet 13 M., gebunden 15 M. 40 PL
Scäii/i€ß Aloys, Kaiser Maximilian I. als Kandidat
fUr den päpstlichen Stuhl 1511.
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Strieder^ Jakob, Zur Genesis des modernen Ka-
pitalismus« Forschungen zur Entstehung der großen bürgerlichen
Kapitalvermögen am Ausgange des Mittelalters und zu Beginn der
Neuzeit^ zunächst in Augsburg.
Preis: Geheftet 5 M., gebunden 7 M. 40 Pf.
Defbrück, Rudolf von, Lebenserinnerungen«
1817—1867. Miteinem Nachtrag aus dem Jahre 1870.
Zwei Bände. Preis: Geheftet 15 M, 60 Pf., gebunden 18 M
tfotfmann, Max, Geschichtsbilder aus Leopold
von Rankes Werken. Miteinem BMdms Leopold von Rankes.
Preis: Geheftet 6 M. Gebunden 7 M.
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ifcusler, Andn, Deutsche Verfassungsgeschichte.
Preis: Geheftet o M. Gebunden 7 M.
Fehlingß E. F.^ Heinrich Theodor Behn, Bürger-
meister der freien und Hansestadt Lübeck,
Preis: Geheftet 4 M. 60 PL, gebunden 5 M, 80 Pf,
Hitzig, Etta, D. Ernst Konstantin Ranke^ Professor
der Theologie in Marburg* Ein Lebensbild.
Preis: Geheftet 6 M. Gebunden 7 M.
Dyistenfurth, Gertrud, Ein schlesfsches Dorf und
Rittergut. Geschichte und soisiale Verfassung, (r>i.
Preis: Geheftet 4 M. 20 Pf.
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Verlag von R, Oldenbourg in München und Berlin W. 10,
Calderon-Studien
von Dr, H. Breymann,
Profe«9or der ramaDischen Philologie an der Lfnlversltit eu MUncbea,
I. Teil:
DIE CALDERON-LITERATUR
Eine bibliographisch-kritische Übersicht.
XII und 314 Seiten gr, 8^. Preis liroschiert M. lO-— >
INHALTSVERZElCHNiS: L Bibliographien, 2, Caiderons Werke, 3. Über-
setzungen, Bearbeitungen, Nachahmungen, 4. Bildnisse, 5. Gedichte
auf Calderon, 6. Autiiihrungen, 7, Erläuterunga- und Ergänzungs-
schriken, 8. NaciUrag.
Der zweite Band ~ CaldGton, Sein Leben and seine
Werice — befinde i sich in Vorbereitung.
Söit 18i<3 orficheijit:
ARCHIV FÜR Hygiene
(BegTflndet von Max t. Pettenkofer.) ^H
I Unter Mitwirliung der namhaft esteo Hygieniker ^H
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etfd)icnen uub föttiien huYd\ alle *J3urf)[)auMuiigcix l)e,^i>(^ftt inerhcit :
Sd)TnibIin, Dt 3o(., 'terS"" fflcf<^i(^te Öet Öeutf^en
!nattonaIfiir(^c in JRom S. aMoria beroinimo. j;"'|;^^^^\5i
u, 168: 3f 15.— ; geb. tn yeinitjanb mit Seberrücfen Af 17 50
3)<ia f^uc^ tüirb Ißt feiufit (Hflfbrien niH?tfbtliat ftin, t^tt Hd) Mit beut ^rrLjlttiif DeistlAlaubi «a
8?oiii übet \tlbit nur bn töraiT^fn aber brr iiatcrLdiil^itdjrii i@fTflaiifle^iljf£t üöftbrnti^t Mfl^t; ntAt mliibr:
ühn fanii ti aüert aebilbttirn L'den, ^örati bettett. M« Mom mi ti^tnct ^litfitiiiiung tctinen, all Dcltljtcnlst
— , 'Die gefd)i(^tsp^iIofopI)if(^e unb ftir4)en))oIttif(^e ^elt=
Qtijdjauung Ottos oon Jrdpng. S'S" "ISSrSS'S
aiie^ bcin t^ebide btr 05efcftict)U. IV^ üb, 2. n. 3. i>cft,) flt, 8%XViir n. UjH) Jf :i60
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^11. Heft: Soziale Tätigkeit der Gemelnflen, Eme Ubersiat üher die Aufgaben
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Verbindung mit Josötrat Carl Trimboni, Stadtverordneter in Cölo, von Dr. Otto Thissen*
3, Aufl. (7, und S, Tausend), 1906.
Die ScHfifi vtrd in der NeuAuflihe« wläder tö--^Tt Bagen vu tttwm t^Sca M. umfiifAen up4 atifanRa Juli
gea. Das Hani;!h[]tb Ui vun der Fach- und Tagc4prea§c aller RtqKtungcn al» die braucbbanie
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33. Heft: DetallllStenfrageil. Neue Aufgaben des KlebUndeU. Von Dr, Aug, EngeL
100 S. in 8"». 1905. Preis 80 Pf.
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5 Heft: Die Stellung der Frau im MenscIiliBltsleMD. Em^ Anwendung kath.
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wL roD Prof- Dt, J- Mauebach. 130 S. in 8*» 1.-3. AufL iqob. Preis i M,, fr. i,tö M.
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Koch, Heinricb S. J r DlO dBUtSClie HaUStndUStfle* m S, fn 8^ 190S- Preis l M.,
franki> t^lQ M.
Liese, Dr, Wilhelm: Das bauswIrtscIiaftllGhe Blldungswesen in Deutschland.
Herausgegeben von „Arbeiterwohl, Verlmnd fiär soziale Kullur und Wi>hl(tihrtsptlcge*\
K VUI u. 104 S. gr, S°. 1906, Preis i M., iranko t^to M,
Über die cb ristlich- sociale Bewegung unter den Katholiken Deutschlands und der
Nacbbarländer unterrichtet die Zeitschrift:
Soziale Kultur. Der Zeitschrift Arbeiierwobl Und der ChristHch-soÄialen Blätter neue
Folge. Redig. von Prof. Dr. Fr, HitzCf Gen^Jralsekretar des Verbandes Arbeiterwobl,
und Dn W. Hohn, Direktor des Volksvereins, 26. Jahrgang. M. Gladbach 1906,
Monatlich ein Heft, 5 Bogen stark in gr. 8°. Preis jährlich 6 M., halbjährlich 3 M.,
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fiolnift^e Bettung : Ser eine ^tftortfc^e ?{bei in firt) f^üi^t, loirb unter bet fadj-
hinbiflcn Süh^ung ^^tjiUlJpfonlJ mit C^ciinft jene <Mebielc burd)manbccat, in
haxm langfotir btL' Slütenträume bevitjd^ct dfn^cit ber ßrfüCfuiiä «entgegen-
reiften.
^db(i9ogi[d)er 3al)rcsbcn(^t ; ^te aaiu (jeiuörragenb« ©ioörab^ie Ocrbtcnt bie
einge^enbfte Söetid^tung aüct, He fitf in bie üielfnc^ öcrfdjlinigcnen Scge ber
rurfürftlfc^en i^otittt aii ber ^mh eine§ trcffUf^eu 3üf|rer@ grihtbltd^ cmarbcitcrt
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^aerttner lagf&fütt; m ift ein nidjt gering an;^jtfdjlagenbE§ ^erblcnft '^JI)ilippfon§,
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^arJteUimg bcm beutfdsen S^Ue Don nenem nabegebraf^t ]^u fmtien, (10)
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Band XVII : G a r d i n o r ^ Qlber Cromwell, Au tcirisierte Übersetzung aus dem
Englisclien von E. Kirchner. Mit einem Vorwort von Professor
A. Stern. VII nnd 228 Seiten. In Leinwand gebunden Preis M. 5,ö0*
ßandXVIIIt Innozenz IIL und England. Eine Darstellung seiner BeiiBhuiigen
lu Staat und Kirche. Von Dr. E I e e G ü t & c h o w. Vin und 197 86iten.
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Georg von Below. XU u. 1068,8"* In Leinw. geb. Preis M. 4-60.
Hlersu je eine BeJla^re von Budolf Haniit, Buchhnudlung, B«lle M« ^>^ von Ferdlniad ^k»,
Stuttgarts, und fon Vnncker it Hnmblot, Lelpxtf,
Veröffeiitlichungen zur Hansischen Geschichte.
Verlag voa Duncker ^ Hmnblot in Leipzig.
Hansische Geschichtsquellen.
Herausg^egebeD vom
Verein für Hansische Geschichte«
Band I* Das Vetfestungsbuch der Staäi Stralsumi. v on Otto
Franc ke. M. 5.—*
. IL Die Ratslmie der Stadt \Vi<imar. \on FHedrich CrutL
M. 4-50.
* IlL Dortmunder Statuten ttnd Urteile. Von Ferdümuä
Frettsdurffr M. J(^4<),
« IV* Diss Btich des Lübeekiseheti Vogts ühJ Setioneu. wa
3 Taietn und 2 Karlen- Von Dietrich Schäfer, IVJ, b. .
- V- Rei'aler Zollbüeher tmti -Qttittttngen des /4* Jahr/t.
\üTi Wüheim Stieda, M. \Ml
* VL Hanseakteu mis England, 1275 bis 1412. B*-arbeiiet
von Karl Kt4ftse^ M. 8*—*
€ V\L Akten und Urkunden der Hansisetten (jesmidisehajt
mteh Mosican i. /. 1603, \'r>n Oui^ HHUmkc. M r>,6tJ.
Neue Folge:
Geschichte und Urkunden der Rigafattrer in Lübeck
im 16, t4Hd //. Jahrh. Von Frauz Sitrw^rt. M. 9J3,
Die Lübecker Bergcnfaltrer und ihre Cbronistik. von
Friedrich Bntns. M, 12*—.
Soeben erschienen:
Die Bilrgerspradten der Stadt Wismar, \\m Fn'tä-
rich Techett. M. 13.40.
Die erste^ aus sieben Bänden bestehende Folge ^vird siatt fUr
iX M. 30 Pf. bis auf Widerruf 211 dem ermilßig-ten ^fettoba^p^eis
von 33 M. 20 Pf, (ausschließlich Porte»} g-eUefcrtj die beiden crstt^n Blinde
der Neuen Fnlge statt für 21 M. 75 Pf. für 16 M. 35 Pf. iausschlieÜJich Porto).
Einzelne Bifnde werden nur ni den bisherigen Ladt'npreisen, Bund TV
I gesondert Überhaupt nicht nbgegfeben.
Veröffentlichungen zur Hansischen Geschichte.
Verlag von Duacker & Humblot in Leip^ig,
Hanserecesse.
l hjs Vm. E^»nd. Von
Hochqimrt, 8 Bände.
Erste Abteilung. Auf X^cranlassung Seiner Matesüit de*
von Bay rrn 1h rausgt^^rebt^n durch die Historische CommiSSlOll M
Köni^L Akademie der Wissen seh aften,
143a Hearbciiei v<m Karl Koppiliatin.
1897. Preis 152 Mark.
1. I2ab-13«». (XXXIX. 65C) S.( löW. l'J M
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Zweite Abteilung. h< rausirt j^^^ bon vi>m Verein för Hansische Ot-
schichte^ y<*n 1I3(— 1476. Btarbtiiei von Goswin Fretherrti V. d. Ropp,
Hodiqiifiri 7 Bimdr, 1H76— 1892. Preis i:>2 Miirk.
O. 14;i7"U4;i iXIl. bl*2 S.) INTTS. 3t> M.
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IV. 14rn- 14*ii> 1 XI, 57(> S.> ISK^, 'JO M.
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\'n. 1473-1476 a<id Nachira«e 143I-l47ft. (X, mo S.) 1^2. m M.
Dritte Abteilung* Herausgegeben vom Verein für Hansische Oe-
iCilkhte. Vnn 1477 — 15311. Bearbeitet von DietHcb Schäfef. HochqUATt.
Bisher 7 Bünde. 1881—1905. Freiü lb9 M, 40 Pi.
4i> pr.
Hjs auf Widerruf wird ein Exemplar der drei Abteilungen
I bisher ::*2 Bftnde) statt fUr 473 M. 40 Pf. tn dem ermäfsigten
Nettobarpreiä von 355 M. ;)bg^egeben, die crsle und die zweite AbieLlung adli-in
für je 114 M. i sämtlich uusschlielJlitih Porto); die dritte Abteilung und einzelne
Bünde werden nur zti den l^den preisen herechneL
r
1477-
-i4*a.
(XV, :m s.j
138L 20 M,
11.
)4*&-
-14*^1,
iXVi, w*7 S.)
isea 22 M.
iir.
1491
-1497,
lyiT, :¥i)s,-
1988. 20 M.
rv^
14*J7-
- ma.
(XIV.^j^Sj
imo, 22 M.
V.
15KM-
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iXlII. 7tfS S.>
l^M. 26 M.
VI.
15in-
-ir»lö.
iXVl 8(».^. s.>
lim. 28 M. J
ni.
1M7-
vm.
<XIV, 941 S.i
Ein Sc]
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blußband i
Veröffentlichungen zur Hansischen Geschichte,
Verlag von Duncker & Humblot in Leipdg*
Hansisches ürkundenbuch,
Hcrausß:e8rebejri vrnn
Verein für Hansische Geschichte«
Hocbquart.
Bacd
1 I.
1'
11.
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Ifansisckes Urkimdenfmch, Bd. l (975--1S00). Bearbeite
von KonsffiHfiH Höhlhnum, ]ft76 . . ■ * , . * . 15M.
Hansisches UrkunäenbudL Band U (1300^1342), Bear
beitei von d^mÄt^then. J879, ..,..*,*., 12 M,
Erste Abteilung. Hansisches UrkundenbHcH. Bd. inj
fB43— t357j. BeaxbeUot von demselben, lft82 , . . h M.
Zweite ( Schi uls*) Abteilung, Hansisches Urkunden-
buch. Band III, 2 (1358—1360). Bearbeitet von demselben.
Mit einem HfossaT von Pmd Feit. 1886. . . . . , 14 M.
Hansisches Urktmäenbuch. i36i-J392, Bearbeitet von
Kart Kiittse, Mtt einem Sachreg^^ister 18%- . * . 16 M.
Hansisches Urkunde^lbuch, 1392 I4li, Bearbeitet von
demsetben. Mit einem Sachregister. 18<>9. . , 21 M. 80 Pf.
Hansisches Urkunäenbuch. 141ö~1433. Bearbeitet von
demselben. Mit einem Sacbregisler. 1905. . . 22 M. 80 Ff.
Hansisches UrkimdenbUCh. 1451 —1463. Bearbeitet von
Wahhür Stein. Mit einem Sachregister. 189*^, 29 M. 40 Pf.
Hansisches Urktmdenbuch, H63-1470, Bearbeitet von
demselben. Mit einem Sachreg^iater* 1903. . . . , 27 M,
befindet sieb im Druck.
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VerüfFentlichungen zur Hansischen Geschichte*
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Hansische Geschichtsblätter.
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1872 biü 1905,
Jahrgang i \imt} bis 32 (1906;. OklAV, 32 Bfloile. Preis iTi M. Kt Pf.
Ein voUslÄnd. EitympK dvr Hansiücheo (ieschichtsblHiter (32 Bde.vl
wird zu dem ermirsigten Kettobarpreis von 129 M. 60 Pf. ge-
liefert (auaschlieüUch Portü). Bis mif Widerruf werden ein/ehie JaKr^Hng'e I
(mit Ausnahmi* des (ahrgiings 1872} nneh zu den Ladenpreisen abgegeben.
Inventare Hansischer Archive
des sechszehnten Jahrhunderts.
Herausgegeben vum
Verein für Hansische Geschichte«
Erster Band : Kölnrr htViUlar. i :vm im i . BearK von Kottst. mkma
und Hfrmr Keffßett, Mli Akt^-d-Anhang llocbqüart. XVn. 637 S4 WB
Zweiter Band; Kölner hwetttar, ibit—um. Bearbeitet \*<m Km
HHhihftttm. Mit Akten-Anb.inp. iinchquun. iXVll, luU S.' l^OR. 3&M. 80Pf,
Pfingstblätter des Hansischen Geschichfsverdns. I. 1905.
Die Hanse und England.
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Von WaJthcr Stein.
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Die Kölner Konföderierten v. J, 1J67 und
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Historisclie ZeitschrK
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i
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FRIEDRICH MEINECKE
I
IL
Dritte Folge - I . BancJ - 2. Heft
Der gmttn Hejtie 97, Band
MÜNCHEN UND BERLIN
DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG
Zur gefL Beachtung!
I
Die HISTORISCHE ZEITSCHRIFT (3. Folge) erscheint in HefH
von ä 15 Bogen Umlang in rweimooatnchen Zwischenräumen.
3 Hefte bilden einen Band, dessen Inhaltsverzeichnis sich jewei
am Schlüsse des dritten Heries befindet.
Der Preis eines Bandes (45 Bogen) beträgt M. 14.—,
Sendungen für die Redaktion der Historischen Zeitschrift si^
^ an Prof. Dr. MEINECKE, FREIBURG i. B-, Längenhardstratäe 3, t%
1 richten.
^^^^ Rezesislonsexemplare
^^f sind an die Verlagsbuchhandlung R. OLDENBOURG,
^^ MÜNCHEN, Olückstraße 8, zu senden.
"Die Versendung der zur Besprechung einlaufenden Bücher an
Rezensenten erfolgt durch die REDAKTION.
1?erlog ^^% <£, %. S<ttoetf<ftfta mtb 5o|n^ Serhn W>
55on Mußlanös 3lot unt öoffett.
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^ies ntii« ^ett^emäge Wtth Über ^ubTaTil> bietet ein !0ün^ef Si|^tagü<j^tcT auf
Vorginge imb 3^ftänbe in ^lullanb iT>ft^renb bfx g a n 3 e n beioe^ten 3<it fttt Itu$brii4^
bes firieges gegen Japan. %us einer JüIIe iion UPlüterial, bas ber Sfutor (eh 6lm ^|ii.,
1898 ans eigeitei nnf4^HU^9 In ^^«n bettelt 3«>^^^^-^ti|Ianb3 getüonnen ^tJ
eilte 5Jeibe üott ^up^en i»ie betgegeben, Öie in knapptt tform - Sdjcmn?effeTttl
- ttJi&erfiatfc %i|tanbj» nur mtniq bebannte (Bebiete bes rul|tfdieh gcfell[^cftli<^tli
ftaailid)en Eebens belen<^ten. Der ^lutoi' bteibt mit feinen S(?pbad}tungen niäft an ber
Oberftaf^e. (Er fü^rt uns an ble com 3^ten()auFe urnftanbene 'Bafytt bes flttnt|U
plebti^e unb In bie !£aufliapelle bes <Bro^fikfteii Xbionfplgers, mo er ab ein|ij
äöurnalift neben bem Seitijnei be^ „'Dnilij *Brfipi)te*' ber ^^anhereinonie beltüofente, 1 ,
in 2Jet(ammlungen üer ^etJoIutto näte, .^titiÄ nnb Stftifberung tuerf)teln eindnber in bunti
Jolftc ab. Den ßern bilben Stubien über bie ^olfastertretung unb bie Paitell
in mfelanb, burd^ bie Das 'Bu^ gcrabe3u ein ßeitfaben för ben 3^i*ö^9sltfe?
©übtingsatabe tolrb. Die ^erbinbwn^ ucn feninetomftiTt*)en Sc^ilbernngen ber ein^etitl.,
(Befell^aft&fireife mit bet Darftelung ber (Befclje \iit bie ^oOtsnerttetun^ gibt ein fo
bimtttdhes Silb bes 9iat)meit&, in bem fid) Ms 2tbin ^}?u|[anbs m^br^nb ber nadj|len
3tll aöjpieleii lofl^ mk es btsbet no^ nidjt getleferl u>utbe.
Der ^tntör betreibt bai Stnblum Mufelanbs ab Oebensarbeii (£r tusl bas 2mb
mleber^oH auf Monate ipä^renben 5<^ibvien bereift nnb Übtr bk ßage ber Souern, ber
3nbcn, über bie Pofenfinge, bas ßeben in 3innlanb nnb ßber bk .^!>lTtqeii>erb? tin_
Ort unb Stelle ein^efjenbe Detnitftubien betrieben. Die in ben tl
^Tfdnlit^^ftert ffnb ibnt ptn grööten Seit peitfln(i<ft öeftannt» b^ . , ,
Se^te^ungen fü^iTten l^n fo in ben ^aiferpa[a|t wie in bie gfttte bee Arnijten 'p;^Utarl<
» 'öeate^j
Der Untergang Wallensteins.
Von
Moriz Ritter.
Dem Untergang Wallensteins sind in den zwei letzten
Jahrzehnten so eingehende Untersuchungen gewidmet,
daß eine neue Behandlung dieses Gegenstandes auf be-
rechtigtes Mißtrauen stoßen muß. Von vornherein bemerke
ich daher, daß die folgende Abhandlung nur den Zweck
der Ergänzung verfolgt; ich werde bloß solche Punkte
ausführlicher erörtern, welche noch nicht genügend gekllirt
sind* An erster Stelle rechne ich dazu die Frage nach
den Vollmachten Wallensteins, von deren Beantwortung
ja das Urteil über das wechselvolle VerhältniSj in das er
zum Kaiser trat, zum guten Teil abhängt. Mit ihr werde
ich also beginnen,
L
Wallensteins Vollmachten und Rechte in seinem
zweiten Generatat
Daß Wallenstein in seinem zweiten Generalat in noch
höherem Grade mit wahrhaft diktatorischer Macht auftrat,
als im ersten^ ist unbestritten; aber offen ist die Frage,
ob diese Gewalt vornehmlich auf dem tatsächlichen Ver-
hältnis der Not des Kaisers und der Unentbehrlichkeit des
Feldherrn, oder auf den alles einzelne regelnden Artikeln
eines Anstellungsvertrags beruht. Das letztere würde der
Fall sein, wenn eine Schrift^ die bald nach der definitiven
Historiftche ZeLtsctirifl <97. Bd,) 3, folge I. Bd. 16
Morlz R Uteri
Übertragung des Generalats an Wallenstein (April 1632),
jedenfalls noch im Jahr 1632, handschriftlich und im Druck
verbreitet wurde und in zehn oder in anderer Fassung
in elf Artikeln die von Wallenstein gestellten und ihm
zugestandenen Bedingungen wiedergeben wilP), Glauben
verdient. Die Prüfung ihrer Glaubwürdigkeit ist daher
meine erste Aufgabe.
tn einer aus handschriftlicher Quelle stammenden
Ausgabe^) trägt das Aktenstück die Überschrift „Capitu-
lation, so zwischen . . . Ferdinand 11. und * . . dem Her-
zogen zu Fridland aufgerichtet worden ist*". Diesem Charak-
ter einer Vertragsurkunde entsprechend, werden denn auch
Artikel I — 3 in direkter Rede gefaBt; aber schon Artikel 4
und 5 erscheinen in der Form knappsten Auszugs, ohne
Zeitwort, Artikel 6 — 8 in der Form der Berichterstattung
in indirekter Rede, erst mit 9 und 10 kehrt die Fassung
der ersten drei Artikel wieder. In der Hauptsache also
haben wir nur den Bericht über angeblich vereinbarte
Artikel vor uns, und ganz die Form der Berichterstattung
in durchgehend indirekter Rede tragen die übrigen Re-
daktionen an sich, einige mit der viel passenderen Über-
schritt ^Contenta der Conditionen, auf welche"" etc.
Hiernach hängt der Wert des Berichtes von seinen
Quellen ab. Bei der Frage nach diesen Quellen sehen
wir uns aber vor bloße Möglichkeiten gestellt Der Ver-
fasser kann eine alle diese Bedingungen umfassende Ur-
kunde, mag man sie sich nun als Vertragsurkunde oder
korrekter in der Form einer kaiserlichen Resolution denken,
vor sich gehabt haben; er kann auch eine Niederschrift
der in den Verhandlungen zwischen Wallenstein und den
kaiserlichen Bevollmächtigten , besonders Eggenberg
(13, April), gestellten und zugestandenen Bedingungen
^) Angaben über Drucke und deren Abweichungen bei Michael^
Wallensteins Vertrag mit dem Kaiser im Jahre 1632, H, Z, Bd. 88.
*) Förster, Briefe Wallensteins 11, 206, Der Text stimmt mit
der ebenfalls aus handschriftlicher Quelle (erzbischöfliches Archiv
zu Prag?) stammenden Wiedergabe bei Pelzel, Geschichte Böhmens
Der Untergang Wallensteins.
239
exzerpiert haben; er kann aber auch seine Angaben auf
bloßes Hörensagen zusammengestellt haben. Bei dieser
Lage der Überlieferung ist der Weg für die Forschung
gewiesen: sie muß, absehend von jener Schrift, die vom
Kaiser seinem Feldherrn zugestandenen Rechte aus an-
deren und sicherern Quellen zu ermitteln suchen und die
hier gewonnenen Resultate hinterher mit den dort über-
lieferten Artikeln vergleichen.
Ausgehen wird man hierbei am besten von der Ana-
logie der bei der Übernahme des ersten Generalats aus-
gestellten Urkunden. Es waren dies L eine am 27. Juni 1625
für den Feldherrn ausgestellte Instruktion; 2. eine erste
sehr kurze Bestallung vom 25. Juli 1625; 3, eine ausführ-
lichere Bestallungsurkunde vom 2L April 1628, in welcher
mehrere besonders wichtige Befugnisse des Generals aus-
drücklich aufgeführt wurden. Ziemlich sicher ist es nun^
daß bei Antritt des zweiten Generalats von der Erteilung
einer Instruktion abgesehen wurde ^) — ein erster Hin-
weis aui die freiere Bewegung^ welche dem Feldherrn
zustehen sollte. Wie aber steht es mit der Bestallungs-
urkunde? Für den ersten und vorläufigen Antritt der
neuen Würde haben wir nur einen die Übertragung des
Kommandos anzeigenden Erlaß des Kaisers an hohe
Offiziere und Behörden (15* Dezember 1631) 2), für den
definitiven Antritt haben wir nichts. Wenn wir aber
sehen, wie Wallenstein bei der vorläufigen Annahme des
Überbefehls den ihm angetragenen Titel eines General-
Obersten-Feldhauptmanns ablehnt» unmittelbar nach der
definitiven Annahme aber dieser Titel ihm amtlich bei-
gelegt wird (16. April 1632)='), so läßt sich doch die Ver-
mutung nicht abweisen, daß diese Übertragung des hohen
Titels in einer Bestaltungsurkunde erfolgt ist, und daß
') Ausdrlicklich verzichtet der Kaiser darauf bei der ersten
Antragung des Generalats, 1631 Dezember 10. (Dudik, Waldstein
S. 174/175,) Gewiß hat er diesen Verzicht nicht zurückgenommen,
») Dudik S, 177.
•) In dem in der Urkunde vom 25, April angeführten Erlaß
vom 16. (Dudik S. 443.) Der Titel ^Generalissimus*', den Michael
ihn annehmen läßt (S, 404 f.), ist, so oft er auch gebraucht wird,
nicht der streng amtliche.
16*
240
Moriz Ritter,
sich in ihr auch eine bestimmtere Bezeichnung der dem
Feldherrn übertragenen Vollmacht gefunden hat.
Sehr verbreitet bei Gesandten und bei außerhalb der
kaiserlichen Armee stehenden Generalen, wie Herzog
Bernhard von Weimar, ist die Annahme^ daß nun außer-
dem eine zwischen dem Kaiser und Wallenstein verein-
barte „Capitulation" bestehe. Was aber wissen von dieser
die am tiefsten im Vertrauen der kaiserlichen Regierung
stehenden spanischen Gesandten? Dem Castaneda gegen-
über beruft sich der kaiserliche geheime Rat Trautmans-
dorf einmal auf das über bestimmte Befugnisse mit Wallen-
stein Abgemachte (lo capiiiüadö), Oftate nimmt das Be-
stehen einer wirklichen Kapitulation (las capUulQciönes)
als selbstverständlich an — , aber gesehen hat er sie nicht,
und ihren Inhalt erschließt er lediglich aus den tatsäch-
lichen Vorgängen.^) Bei solcher Unkenntnis der best-
unterrichteten Zeugen bleibt auch für uns nichts anderes
übrig, als die Befugnisse und Rechte Wallensteins, wenig-
stens die wichtigsten, aus den einzelnen Vorgängen und
den sie begleitenden Zeugnissen zu erschließen. Ich
unterscheide dabei die militärischen, die finanziellen und
die politischen Vollmachten und Rechte,
Die oberste Frage in bezug auf die militärischen
Vollmachten Wallensteins ist die, ob ihm bei Anordnung
der Feldzüge, der großen kriegerischen Operationen über-
haupt, völlig freie Hand gelassen war In seinem ersten
Gencralat war dies sicherlich nicht der FalL Damals war
es bei all seiner Eigenmächtigkeit doch unbestritten, daß
die maßgebenden Weisungen wenigstens formell, gelegent-
lich aber auch gegen des Feldherrn Wille ^), vom Kaiser
ausgehen mußten. Wie im zweiten Generalat das Ver-
*) Gindely, Waldsteins Vertrag mit dem Kaiser. Abhandlungen
der Böhmischen GeseUschafl d, W., PhiL-hist. Klasse Vli 3 (1889),
S« 28 Anm., S. l^ Anm. Man darf sich durch Gmdeiys Erläute-
rungen und vielfach ungenaue Übersetzungen nicht irremachen
lassen.
■) 2. B- bei dem italienischen Feldzug im Jahre 1629* VgL
meine Deutsche Geschichte 111, 419. Vgl. daselbst S. 298. 299^
{Feldzug von 1625), S. 352. 361 {Feldzug von Ibtl).
Der Untergang Wallensteins*
241
I
hältnis geregelt war, zeigt sich woh! am anschaulichsten
in einem Vorgang am Ende des Jahres 1633, In drei
Absätzen suchte damals der Kaiser seinen Feldherrn zu
einer eingreifenden Aktion auf dem süddeutschen Kriegs-
schauplatz zu bestimmen: erst zum Zweck des Entsatzes
von fjegensburg, dann, nach dem Fat! dieser Stadt
(14, November), zum Angriff des gegen Bayern und Ober-
Österreich vorgehenden Herzogs Bernhard von Weimar,
endlich als Wallenstein nach dem schwachen Versuch
eines derartigen Angriffes au! Fürth zurückgewichen war,
zum erneuten Vormarsch gegen Bernhard. Im ersten
Absatz bedient sich der Kaiser nur der Form des Zu-
redens: er gibt dem General ^an die Hand, ob" er die
des näher dargelegten Maßregeln ergreifen „möchte"^);
im zweiten Abschnitt, und zwar am 3, Dezember, als er
von dem Rückzug nach Fürth noch nichts wußte, ändert
sich plötzlich der Ausdruck: es ist, heißt es, mein ernst-
licher kategorischer Befehl^); und diese Änderung kehrt
auch im dritten Abschnitt wieder: es ist meine endliche
Resolution, dabei ich gänzlich verbleibe.^) Was bedeutet
nun dieser Wechsel im Ausdruck? Wir erfahren es aus
einem wenige Wochen nachher abgestatteten Gutachten
eines kaiserlichen Kriegsrats: es war, heißt es hier, das
erste Mal, daß der Kaiser sich entschloß, dem General
einen unbedingten Befehl zu erteilen,^) Auf das Recht
') 1633 Oktober 28 {Hailwich 11, Nn 829 S. 41), Vgl, Nov, ii
stellt „die Sach zu deroselben vernünftigen Disposition*. (Nn 844
S. 53,) November 6: ist „versichert**, daß Wallenstein die nötigen
Mittel ergreifen wird, (Nr. 843 S, 56.) November 9: „des unfehl-
baren Ziiv er Sehens," „Erwarte * * * unverlangte Anordnung*" (Nr, 859
S* 63, 64.) Weiter Nr- 872, 886*
») Hallwich II, Nr. 1210 S. 389* Als Befehl bezeichnet der
Kaiser dem Kurfürsten Maximilian (Nr, 1203 S. 381) auch schon
das Schreiben an Wallenstein vom 19* November, aber dem ent-
spricht nicht der Wortlaut (Nr* 902 S. 104)*
■) Hallwich IT, Nr* 966 S* 156*
*) V. Aretin, Wallenstein, S* 94* Bezieht sich unmittelbar auf
den im dritten Stadium erteilten Befehl, (Nach dem Bericht des
bayerischen Gesandten Richel — Jacob, Von Lützen nach Nörd-
lingen S»35* — hätte sich der Kaiser schon in der Instruktion
für Schlick an Wallenstein vom 10* August der Worte „endlicher
Moriz Ritter,
des Kaisers zu derartigen Belehlen lallt weder hier, noch
in der sonstigen Korrespondenz zwischen Wallenstein und
dem kaiserlichen Hof auch nur der Schatten eines Zweifels;
aber der Ausübung dieses Rechtes hatte sich der Kaiser
für den gewöhnlichen Lauf der Dinge freiwillig begeben.
Eine solche freiwillige Einräumung widerstrebt der bin-
denden Formulierung in einer Kapitulation oder Bestallung;
kaum abweisbar ist aber die Vermutung, daß der Kaiser
in freierer Form, sei es schriftlich, sei es mündlich, sei
es persönlich, sei es durch Eggenberg, dem Feldherrn
eine dahingehende Zusicherung gegeben hat.^)
Bei dieser Zurückhaltung des Kaisers verstand es
sich vollends von selbst^ daß er sich direkter Befehle an
Wallensteins Unterführer enthielt. Erst im Spätjahr 1633,
als der Bruch zwischen dem Kaiser und dem Feldherrn
herannahte^ erfolgten mehrfach solche Befehle „von Hof
aus" — an Ossa, Aldringen und Suys — wurden aber auch
dann noch als außerordentliche mit außerordentlichen
Umständen entschuldigt^)
Will und Bevelh'* bedient Aber im Text der [nstruktion stehen,
wie Jacob ricbtig bemerkt, die Worte nicht*)
^) Man kann eine solche Zusicherung schon in den Worten
finden, mit denen der Kaiser am 10. Dezember 1631 auf die Aus-
stellung einer besonderen Instruktion (s, o, S.239 Anm, 1) verzichtet.
Eme Bestätigung dieses Verzichtes ist es, wenn er am 28. Mai
1632 schreibt: „also tue ich auch in das künftige e. L. alles...
heimbstellen.* (Förster II, Nr. 357 S. 21^. Vgl das ähnliche
Schreiben Werdenbergs vom Juni A. a. O. Nr, 360 S. 228.) — In
der PubUkation Kallwichs läßt es sieh leicht verfolgen, wie der
Kaiser bis in den Herbst 1633 seine Willensäußerungen in die
Form des Vorschlags und der Anfrage, der Mahnung und „Er-
innerung" faßte. Vgl. über diesen ^Stilus* Richelj 1634 Februar 8.
(Irmer 111, Nr. 434 S, 244.)
') An Ossa empfiehlt Wallenstein selber direkten Befehl vom
kaiserl. Hof, da er nicht weiß, wo er ist (1633 Juli 27. Hallwich
1, Nr* 566 S* 472). — Die Abhängigkeit Atdringens von ihm wurde
in ähnlichem Sinne gelockert, da er (Wallenstein) selber am
8. August das Ob und Wie der Unternehmungen zum Entsätze
Breisachs demselben anheimgestellt hatte (Hallwich I, Nr, 601
S* 501), da ferner nach des Kaisers und des Kurfürsten Maximilian
Auffassung (Hallwich II, Nr. 1134 S.305; 1, Nr. 666 S. 559) Wallen-
&tem den Aldringen endlich (Ende August) von seinem an Maxi-
Der Untergang WaUensteins.
243
Als Ergebnis wird man also festhalten dürfen, daß
Wallenstein in der Kriegiührung, solange er das Vertrauen
des Kaisers genoß, selbstherrlich schalten durfte. Hieran
schließt sich nun die zweite Frage, ob der Umlang seines
Kommandos auf die kaiserlichen Truppen beschränkt war,
oder sich weiter erstreckte. Wendet man sich mit dieser
mllians OberbefeHl gewiesen hatte, eine AuHassung, die alsbald
von Wallenstein bestatten (a, a. O. Nr, 688), vom Kaiser und Maxi-
milian aber festgehalten wurde (11, Nr Ii5l S>319; Nn 1152 S,323
bis 325; Nr» 1179 S, 352)» Demgemäß ergingen, und zwar zu-
nächst von Seiten des Kaisera am 29. August und 3. September
(Nr* 1133, 1139), die Weisungen an Aldringen, welche dessen
Verbindung mit der Armee Feriaa im Widerspruch mit den dieser
Verbindung widerstrebenden Absichten Wallensteins — vgl dessen
Schreiben vom L August (Nn 584), 5, September (Nr. 652), 20. Sep-
tember (Nr. 691) " zur Folge hatten. (Hinsichtlich der Tragweite
der angeführten kaiserlichen Weisungen bemerke ich gegen Jacob
(Von Lützen bis Nördlingen S.9I Z. (OL, S. 93 Z, 10], daß sie nicht
nur von der ^Abgabe einzelner Abteiiungen*' reden^ sondern auch
dem Aldringen, als Führer seiner ganzen Armee, empfehlen, sich
Ferias Armee »etwas nahender" zu legen und ihr gegen den zu
erwartenden Anzug Horns und Bernhards ,,beste Assistenz*" zu
leisten, wodurch denn Aldringen zu der ohnehin schon von ihm
geplanten Verbindung mit Ferias Armee autorisiert wurde.) Weitere
und genauere Befehle an Aldringen zu richten, überließ dann der
Kaiser dem Kurfürsten Maximilian (vgl* Jacob S, 47* Anm, 123
a* E.), mit dem sich Aldringen (Nr. M57 S, 330/331) denn auch
definitiv über die Verbindung mit] Feria verständigte. — Beispiele
weiterer direkter kaiserlicher Befehle an Aldringen: Hallwich l,
Nr. 732 S. 607 mit II, Nr. 822 S. 36; Nr. 1196 S. 373. Die deshalb
von Wallenstein erhobenen Beschwerden wies der Kaiser mit
der Bemerkung zurück ^ daß er ihm von den Anordnungen
„alzeit Parte gegeben« habe, (Förster \U, Nr. 392 S. 97.) — Der
vom Kaiser am 9. Dezember dem Oberst Suys erteilte direkte
Befehl (Hallwich 11, Nr. 1216 S. 394) wird von ersterem sofort
dem Wallenstein berichtet als „Eventualbefelch ... bis auf e. L.
negsthienach volgende Ordinanz*. (Nr. 966 S* 156.) Die scharfe
Erneuerung dieses Befehls am 14. Dezember (Gindely, Wallen-
steins Vertrag, Abhandlungen der Böhm. Gesellschaft d. W*
VH 3, S. 30 Anm.) gehört bereits in das Stadium des wirklichen
Bruches zwischen dem Kaiser und Wallenstein. — Auch an Callas
sendet der Kaiser am 1 1. November einen direkten Befehl, aber
auch nur, weil ^summum penculum in mora* ist, und er auf den
gleichen Befehl WaUensteinSf dem er sofort berichtet, rechnet.
(Nr. 872 S,SU)
244
Moriz RitteTj
Frage an die angeblich unterrichteten Zeitgenossen, so
erhält man drei verschiedene Antworten zur Auswahl,
Der kaiserliche Minister Graf Trautmansdorf, als er die
Ablehnung der Aufstellung einer selbständigen spanischen
Armee auf deutschem Boden zu entschuldigen hatte, be-
hauptete: durch das Abkommen Wallensteins mit dem
Kaiser sei ersterem der Oberbelehl über alle und jede
im Reich für den Kaiser kämpfenden Heere verbürgt^),
also gleichmäßig über die Streitkräfte des Kaisers, der
Liga, undj wenn sie sich einfanden^ des Königs von
Spanien. Der toskanische Gesandte Sacchetti, indem er
die spanischen Truppen freiläßt, erstreckt Wallensteins
Oberbefehl über das Ligaheer ^); der Verfasser der zwischen
Wallenstein und dem Kaiser vereinbarten Artikel läßt da-
^) Gindely, Abhandlungen der Böhm* Gesellschaft d. W. VH 3,
S, 2S Anm.
») Michael a, a. O. S, 403 Anm, 2 : ^ gener älissimo deW arme j
imperiale e cat tolle he in Altmagna. — Michael findet es „offen-
bar^; daß, weil der König von Spanien den Beinamen des katho*
lisch en führt, unter arme cat Micke die spanischen Truppen zu
verstehen seien. Aber ist es denn auch offenbar, daß man fran-
zösische Truppen kurzweg als arme crlstlanissime bezeichnen darf ?
Soweit ich sehe, braucht man die fragliche Bezeichnung, wenn man
im ausdrücklichen oder stillschweigenden Gegensatz gegen die
Truppen protestantischer Mächte die Streitkräfte einer Verbindung
katholischer Mächte bezeichnen will. So sagt Schlick in einem
über die Aufstellung eines kaiserlich-spanisch-li^istischen Heeres
handelnden Gutachten (Mitteilungen des k, k. Kriegsarchivs 1882,
S. 203): es könne dadurch den „katholischen Waffen im*., Reich*
aufgeholfen werden. Er braucht das Wort also für die Streit-
kräfte^ bzw, die Kriegführung einer katholischen Koalition* So
schreibt S.Julian am 23* April 1631 vom kaiserlichen Hof: si ha*
verä rlcorso alll alutl del ri catolico, et sl farä * * *la congluntlone
detV arml Cesaree ei catolUhe, (Dudik, Waldstein S* 74.) Unter
letzteren Worten (nicht zu identifizieren mit dem vorausgehenden
Satzteil) ist die damals sich vollziehende Verbindung der kaiser-
lichen und ligistischen Truppen vor Magdeburg zu verstehen,
(Vgl z, B, Pappenheims Schreiben vom 22. ApriL S* 70 Z. 12 v* u*)
Arme catollche bedeutet also hier das Heer der Liga* Daß auch
Sacchetti das Wort gerade in dieser Bedeutung braucht, lehrt
der Zusatz In Alemagna: die in Deutschland befindlichen
Ligatruppen, nicht die spater einmal imcli Deutschland ein-
rückenden spanischen Streitkräfte.
Der Untergang Wallenstelns.
245
gegen die Liga frei und ordnet die spanischen Truppen
dem Kommando Wallensteins, indem er ihn zum Gene-
ralissimus Österreichs und Spaniens macht, unter. Bei
solchen Widersprüchen kann man nur abermals den Schluß
ziehen, daß über die geheim gehaltenen Abmachungen
zwischen dem Kaiser und Wallenstein nicht die Aussagen
Iremder Gesandten ^ oft nicht einmal die Erklärungen
kaiserlicher Räte, sondern nur die auf den Abmachungen
gegründeten Vorgange sicheren Aufschluß gewähren
können.
Ohne weiteres scheidet nun bei diesem Gang der Unter-
suchung die Armee der Liga aus; denn daß sie unter dem
Oberbefehl des Kurfürsten Maximilian sich belandj und daß
Maximilian neben Wallenstein als verbündeter, nicht aber
als ihm untergeordneter Feldherr dastand, bedarf doch
keines besonderen Beweises. Wohl entstand zwischen
beiden Heerführern im Jahr 1633 ein scharter Streit über
die Stellung von Wallensteins Untergeneral Aldringen,
welcher dem oberländischen Ligaheer kaiserliche Hilfs-
truppen zugeführt hatte, und dann zugleich das Kom-
mando über dieses Ligaheer empfing; aber zur Beurtei-
lung dieses Streites muß man zweierlei festhalten: L daß
Aldringen das letztere Kommando erhielt, lag nicht an
einem Rechte Wallensteins, sondern an dem Verlangen
Maximilians, der über andere für diese Stelle brauchbare
Offiziere nicht zu verfügen erklärte.^) 2. Der Kern des
Streites, nämlich der Anspruch Maximilians, daß Aldringen
auch in seiner Stellung als Führer der kaiserlichen Hilis-
truppen ihm als oberstem Feldherrn unterstellt werde 2),
ebenso wie ein zur kaiserlichen Armee gesandtes Ügisti-
sches Hilfskorps sich dem Oberbefehl Wallensteins fügen
müsse, zeigt mit voller Deutlichkeit, daß der Kurfürst den
*) Instruküon für Ruep^ 1632 Dezember 26. (Aretin, Bayerns
ausw* Verhältnisse. Anh. S. 306/307.)
■) Er konnte sich darauf berufen, daß auch im Jahre 1632
Aldringen zwar die kaiserlichen Truppen im Reich (genauer in
Oberdeutscbland) kommandierte, aber ^mit dem Respect** auf Tilly
verwiesen war, d. h. eeinem Oberkommando unterstellt. (Dudik
S. 390.)
246
Moriz Ritter^
gleichen Rang neben dem kaiserlichen Fetdherrn in An-
spruch nahm. Ernsthalt ist somit nur die eine Frage zu
prüfen, ob für den Kaiser die Zulassung eines spanischen
Hilisheeres auf deutschem Boden an die Bedingung ge-
knüpft war, daß es sich Wallensteins Kommando unter-
werie.
Auch diese Frage ist zu verneinen* Gerade in der
Zeit, da der Kaiser mit Wallenstein über die definitive
Annahme der Feldherrnwürde verhandelte, stand er mit
Spanien in einer doppelten Unterhandlung: über ein
großes zwischen ihm und Philipp IV, zu schließendes
und auf andere katholische Fürsten und Mächte auszu-
dehnendes Kriegsbündnis ^), sodann über ein den Fort-
schritten der Schweden in den rheinischen und pfälzi-
schen Gebieten von den spanischen Niederlanden her
entgegentretendes Hilfsheer. Nur über den letzteren Vor-
schlag wurde man einig, am 30, März 1632 konnte
Questenberg dem kaiserlichen Feldherrn den mit dem
spanischen Gesandten „geschehenen Abschluß** betr.
Zuzug spanischer Truppen unter Gonzalo de Corduba
melden,^) Corduba nahm dann auch sein Hauptquartier
in Trier und ließ seine Streitkräfte im Süden bis nach]
Speier, im Osten bis nach Koblenz operieren, um indes
nach geringen Erfolgen schon im Juni mit seiner Haupt-
macht zum Entsätze Mastrichts zurückzugehen.
Die hier in Betracht kommende Frage nun, ob von
einer Unterordnung Cordubas unter Wallenstein die Rede
sein kann, wird von letzterem selber entschieden, da er
später darüber klagt: Corduba habe seine Kriegführung
mit dem Namen des Kaisers gedeckt, in Wahrheit aber
*) Dieses Bündnis, dessen Entwurf Im Theatrum Europaeum
n, S, 537 gedruckt ist, gilt als abgeschlossen. Aber Philipp IV.
schreibt darüber an Isabella, 1632 Mai 12: die Liga ist desavanta-
Jada a mis conveniencias und conctmda sin poder y arden mia,
(Brüsseler Archiv, Secr^tairerie d'^tai eic. Nr, 205.) Er stellt daniti
Gegenforderungen, über die keine Einigung erfolgt ist. In dem
Entwurf der Akte heißt es freilich: der Kaiser bzw» sein Stellver-
treter soll director de lüs exercUos .., tn AUmaha sein,
') Dudik S. 463 Anm, 3,
\
Der Untergang WaMen&teine.
247
sich um den Kaiser wenig gekümmert^) Also kein Wort
von einer Pflicht, sich um Wallenstein zu kümmern. Mit
vollem Recht konnte darum auch der spanische Gesandte
die oben angeführte Behauptung Trautmansdorfs mit dem
Hinweis aul die Selbständigkeit Cordubas widerlegen.'-^)
Und stand die Rechtsfrage etwa anders, als es sich im
Jahre 1633 darum handelte, ein spanisches Heer unter
dem Kommando des Mailänder Statthalters, des Herzogs
von Feria, nach Deutschland zu senden? Bei der Wichtig-
keit dieses Vorgangs für das Geschick Wallensteins ist
es erforderlich, ihn etwas schärfer ins Auge zu fassen.
Unausgesetzt verfolgte Spanien seit dem Jahr 1625
den Gedanken^ die beiden Kriege, welche Kaiser und
Liga gegen ihre protestantischen Gegner in Deutschland^
die Spanier gegen die Generalstaaten in den Nieder-
landen führten, in einen einzigen zu verschmelzen und
mit den geeinten Kräften eines kaiserlich-spanisch-ligisti-
sehen Bündnisses durchkämpfen zu lassen. Es war da-
bei Wallenstein gelungen, das Vertrauen der spanischen
Regierung, daß er diese Pläne begünstige, sich bereits
in seinem ersten Generalat zu erwerben^) und im Beginn
des zweiten zu erhalten. An Wallenstein wandte sich
daher auch Philipp IV., als er im Oktober 1632 auf Grund
dieser alten Bestrebungen mit neuen kriegerischen Vor-
schlägen umging.*) Der Grundgedanke derselben war,
ein deutsches Heer gegen die holländische Provinz Fries-
land zu werfen. Um ein solches Heer neu zu bilden,
könne man sich, meinte er, der Streitkräfte bedienen,
mit denen Pappenheim^) in Niederdeutschland operierte,
einfacher jedoch erschien es ihm, daß Wallenstein — frei-
*) Caötaneda, 1633 Juli 11. (Gindely a* a. 0* S, 26 Anm. 2,)
») Castaneda, 1633 Mai 25. (a. a. O. S. 25.)
*) Vgl meine Deutsche Geschichte lll, 328 i, 354, 376 U
4 IS, 455.
*) Philipp IV., Instruktion für OUavio VÜIam an Wallenstein,
1632 Oktober 10, (Brüsseler Archiv, Secrüalrerie d'ätat et de guerre
Nr, 205.)
*) Über denselben wird bei dieser Gelegenheit bemerkt: für
Zahlung von monatlich 80000 Escudos auf 18000 Mann z. F.,
24S
Moriz Ritter,
lieh unter der wundersamen Voraussetzung, daß er vor-
her noch mit Gustav Adolf iertig werden konnte^) —
das Unternehmen selber mit einer von ihm bereit zu
steilenden Armee von 40000 Mann zu Fuß und 6000 zu
Pferd durchführe, wofür ihm ein Zuschuß von 100000 bis
300000 Escudos gewährt, und Friesland, wenn erobert,
unter der Bedingung eines ewigen Bündnisses mit Spa-
nien geschenkt^) werden sollte.
Noch schwebten diese Projekte, als im Winter 1632
auf 33 der Herzog von Feria mit einem neuen Vorschlag
an die Regierung Philipps IV* herantrat. Nicht Friesland
erschien in seinen Vorstellungen als das für eine neu
ins Feld zu stellende Armee geeignete Operationsgebiet,
sondern das Oberelsaß und die Franche Comt^: von
hier aus habe die Armee den Kaiserlichen, wie dem Herzog
von Lothringen die Hand zu bieten und sich ebensowohl
gegen die in Oberdeutschland stehenden Schweden, wie
das immer drohender sich erhebende Frankreich zu wen-
den,^) Frankreich, nicht die Generalstaaten, erschien hier-
6000 PL und 20 Geschütze habe er sich abandanado totalmenU
(an Spanien), sei zum Entsatz Mastrichts gezogen und perdid el
puesio ds teniente gen erat (?) de la Liga,
^) /-fapiendase desembarazado del rey de Saecta^ coma se
espera. (PhiUpp IV* an Isabetia, November 2.)
') £e har/ donaclon delia con Hga perpetua, Dte gelegent-
lich gebrauchte Bezeichnung Frlsa oriental ist gemeint im Gegen-
satz gegen das zur Provinz Holland gehörige Quartier West-
friesland.
*) IsabeUa an Philipp IV., 1633 April 20 (Brüsseler Archiv
a.a*0, Nr. 206): der aus Hauen zurückkehrende marques de Zelada
habe berichtet über la proposiclün que el duqae de Feria ha
hecha en rafon desto a v. M, Mit dem rapon desto wird zurück-
gewiesen auf die vorausgehenden Satze folgenden Inhalts : ßefehl
des Königs an Aytona^ dem Feria 300000 Escudos zu überweisen
(proveer)^ y que procure que en ia Älsacia o Borgoha se forme
un exercitOj que vaya recibiendo las trapas que se le pudieren
juntar de los Espahoks y Italianos que han de yr con el Inf ante
don Ftrnando . ., y äisponga el ser asistido tambien de las trapas
äel emperador que se hallaren mas cerca^ pues la causa es una. —
Weiter unten bemerkt Isabella: lege sich jenes Heer In die Nähe
(apecinanda por ia parte) des Rheins und Lothringens und wirke
Der Untergang WaUenstems.
249
r
bei als der vor allem zu treffende Feind: denn, so schrieb
Philipp IV, am 10. Februar 1633 seinem Gesandten am
Kaiserhofj Castaneda, es scheint gewiß, daß der franzö-
sische König, dieses Jahr mit mir um Flanderns willen
brechen wird,^) Um nun ein diesen Zwecken dienendes
Heer zustande zu bringen, griff Feria auf einen schon
seit dem 7. April 1631 schwebenden Plan zurück. Damals
nämlich hatte Philipp IV, seinen Bruder, den Kardina)
Infanten Ferdinand, zum Beisteher und künftigen Nach-
folger der Brüsseler Regenfin Isabella bestimmt^); dann,
im Spätherbst 1632, war man ernstlich an die Vorberei-
tungen des Zugs dieses Prinzen nach den Niederlanden
herangegangen, und endlich, am 9. April 1633, wurde
die erste Etappe der Reise mit der Fahrt von Barcelona
nach Genua und weiter nach Mailand angetreten. Die
Absicht — deren Verwirklichung hinterher freilich bis
zum Juni 1634 verzögert wurde — war, daß der Kardinal
Infant von da seinen weiteren Zug durch Tirol, das Elsaß
und rheinabwärts nehmen sollte. Wie er aber diesen Weg
nicht ohne das Geleit eines schlaglertigen Heeres betreten
konnte, so dachte man, die erforderlichen Streitkräfte teils
aus Regimentern, die von Mailand her mitzunehmen waren,
teils aus Truppen, um deren Zuordnung sich Philipp IV,
mit einem Gesuch an den Kaiser und an Wallenstein
wandte, zusammenzusetzen.
Hierauf nun gründete Feria seine Rechnung; die
Armee, welche den Infanten durchs Elsaß zu geleiten
hatte, sollte den Vorwand abgeben für die Armee, die
man {obrase) gleichzeitig von den spanischen Niederlanden aus
{de aca% so ließen sich fürs laufende Jahr esperar lucidos effectos
conUa las enemigos y rebeldes de v. M. — Die Sendung der spa-
nischen Truppen nach dem Elsaß will die Infantin beschleunigt
sehen: Feria (also erst recht der Kardinal Infant) müsse esperar
la gente que i\ M. sehala en dlcho despacho ; unverzüglich aber
möge der König aus Mailand savar la mas vieya gente que pudiere,
*) R&mperä con migo este ahü par Fla fr des. (Brüsseler Archiv
Nr. 206.)
') Die Daten bei Lonchay, La rivalit/ de la France et de
VEspagne 1635—1700 (Brüssel 1896) S- 27 f. Hurter, Wallensteins
vier letzte Lebensjahre S. 199*
250
Moriz Rittcft
im Elsaß aufzustellen war Und wie er nun diese Vor-
schläge in Madrid verfocht, gleichzeitig auch, nämlich zu
Antang des Jahres 1633, sowohl der Kaiserp wie Wallen-
stein die erbetene Zusage, den Durchzug des Infanten
durch Zuordnung von Truppen zu unterstützen, bereit-
willig erteilten*), zögerte Philipp IV* nicht, den Anträgen
des Herzogs seine Zustimmung zu geben, worauf denn
der Plan seine leste Gestalt gewann. Ohne den Aut-
bruch des Infanten, der durch verschiedene Hindernisse,
schließlich noch durch Erkrankung verzögert wurde, ab-
zuwarten, sollte alsbald mit der Aufstellung von 20000
Mann z, F, und 4000 z. Pf, vorgegangen werden. Zum
General derselben wurde Feria in aller Form ernannt^),
und ihre Aufgabe wurde, entsprechend den verschieden-
artigen Zwecken, die man vermischt hatte, doppelsinnig
bestimmt: einerseits sollten sie fortziehen zum Geleit des
Kardinal Infanten, anderseits sollten sie bleiben^), um
gegenüber den entgegengesetzten Anstrengungen der
Franzosen*) die Verteidigung des Elsaß und der Franche
Comt^, Schwabens und Frankens auf sich zu nehmen^),
dem Herzog von Lothringen beizustehen und den Kur-
fürsten von Bayern und Köln Vertrauen einzuflößen, ja®)
auch Tirol zu sichern und, wenn nötig, selbst Italien zu
Hilfe zu kommen. Vom Kaiser erwartete man eine drei-
') Die kaiserliche Zusage erreichte den Infanten noch vor
seiner Abreise von Barcelona {Hallwich 1, Nr» 494); Wallenstem
erließ die seiner Zusage entsprechenden Anordnungen an Aldringen
am 2. Februar (a. a, 0. Nr. 108 S* 89). Als Überbringer des spa-
nischen Gesuchs war beim Kaiser und bei Wallenstein Ottavlo
Vitlani, Mailänder Regentschaftsrat^ erschienen.
') Me ha (s. M.) nambradü par generalf schreibt Feria am
12. Mai. (Hallwich I, Nr, 397 S* 33L)
°) Das Folgende nach Castanedas schriftlicher Eingabe an
den Kaiser, 1633 Mai 25. (Brüsseler Archiv Nr. 314. Auszug bei
Hallwich I, Nr; 434 S. 377.)
*) Bestimmter noch gibt Ferdinand IL den Passus wieder:
,zu Htndertreibung der französischen Dissegni gegen des Reichs
Boden/ (Hallwich i, Nr. 451 S. 372.)
*) T&mar por su cuenta.
*) Dies in Castanedas Schreiben an Olivares, Mai 25 (a. a. O.),
(Ebenso Hallwich 1, Nr. 305 S. 255.)
Der Untergang WaUensteins.
:^i
lache Unterstützung: Gestattung der Aufstellung der
Armee aui des Reichs Boden, Erlaubnis von Werbungen
und Musterungen im Reich und vor allem Stellung eines
Teils der für die Bildung des Heeres nötigen Truppen
aus der kaiserlichen Armee. Endlich fügte man noch das
Ansinnen hinzu, daß Aldnngen mit den ihm unterstellten
kaiserlichen Streitkräften zur Verbindung mit Feria und
zur Unterstellung unter dessen Oberbefehl^) angewiesen
werde.
Am ]J. April 1633 übersandte Philipp IV. seinem
Gesandten am kaiserlichen Hof die diesen Plänen und
Anträgen entsprechenden Weisungen ^)> und am 25, Mai
entledigte sich Castafieda seines Auftrags mit Eingabe
einer schriftlichen Werbung.^) Welche Stellung wurde
nun dem kaiserlichen Feldhauptmann bei diesem Unter-
nehmen zuerkannt? Nicht zu verkennen ist, daß er so-
wohl von Philipp IV., wie von Ferdinand II. fast als eine
ebenbürtige Macht behandelt wurde. Der spanische König
empfahl ihm das Projekt durch ein besonderes an ihn
gerichtetes Schreiben*), und der Kaiser wollte auf Casta-
nedas Werbung nichts beschließen, ohne Wallenstein vor-
her befragt zu haben. Aber es fragt sich, ob diese Rück-
*) Sigaiendö las (ordenes) que el dtgque de Feria le diere,
') Castaneda bemerkt (an Phlüpp IV,, Juni 13), daß das
Schreiben an ßruneau adressLert gewesen seii da man ungewiß
gewesen sei, ob er selber am kaiserlichen Hofe angelangt sei. —
Ist Castaneda der damals in Innsbruck mit den für F^ria anzu-
stellenden Werbungen beschäftigte spanische Gesandte? (Hall'
wich I, Nr. 335 S, 280, Nr. 353 S, 293,)
*) Ob Bruneaus schon vor dem 27. März gemachte Vorstel-
lung de acudlr . . . ai re media "de lo de Als acta (Gindely S. 31/32
Anm.) sich bereits auf dieses Projekt bezog, muß dahingestellt
bleiben. Vermuten darf man, daß die von Qucstenberg am 4 Mai
erwähnte Werbung des spanischen Gesandten (Bmneaus?) bereits
eine vorläufige Anregung der Sache war (Hallwich I, Nr. 369 S. 30b),
Dsigegen bezieht sich das von Gindely S* 25 Anm. 1 angeführte
Schreiben Philipps IV. an Castaneda vom 10. Februar 1633 (Brüs-
seler Archiv Nr. 206) nur auf Kooperation mit dem Zuge des
Kardlnal-lnfanten nach den Niederlanden und das Unternehmen
gegen Frlesland.
*) Gindely S. 25 Anm. 2. Haliwkh I, Nr. 305 S. 255. Das von
ersterem gegebene Datum „IL April" wird richtig sein.
252 Moriz Ritter^
sieht auf einem dem Genera! zustehenden Rechte, oder
auf anderen Erwägungen beruhte-
Zur Beurteilung von Philipps Verhalten muß man
die großen Hoffnungen und das außerordentliche Ver-
trauen, das er noch in der ersten Hälfte des Jahres 1633
auf Wallenstein setzte, in Betracht ziehen. Eine Probe
dafür gibt der schon erwähnte Plan der Eroberung Fries-
lands, der übrigens nach Annahme der Vorschläge Ferias
nicht ohne weiteres fallen gelassen wurde; eine noch
stärkere Probe darauf gibt eine Vollmacht^), die Philipp IV-
am 25. Januar ausstellte und dem in seinen Verband*
lungen mit Wallenstein gebrauchten Mailänder Regent-
schaftsrat Ottavio Villani übersandte, um sie, sobald die
Infantin es für zeitgemäß halte, dem Wallenstein zu über-
geben. Ausgehend von der Möglichkeit, daß die Verhand-
lungen über die oben erwähnte (S. 246) katholische Liga
wieder aufgenommen werden sollten, erhält Wallenstein
Vollmacht, im Namen des Königs zu unterhandeln und
zu schließen jedes ihm geeignet erscheinende 2) Bündnis
mit dem Kaiser sowohl, wie jedwedem Fürsten, desgleichen
Krieg zu eröffnenj mit wem es ihm erforderlich erscheint.^)
Mit gehäuften Versicherungen verspricht der König, das
demgemäß von Wallenstein Geschlossene zu ratifizieren. —
Bei solchen Beziehungen nimmt es nicht wunder, daß
Philipp auch für die Ausführung von Ferias Entwurf auf
Wallenstein als Vertrauensmann und Bundesgenossen
rechnete. Aber kam es ihm deshalb etwa in den Sinn,
das in Deutschland von Feria zu führende Heer unter
Wallensteins Oberbefehl zu stellen? Mit aller Deutlichkeit
sprach sich darüber der Gesandte Castaneda in einer
weiteren Eingabe an den Kaiser (15* Juni), ja Philipp
^) Brüsseler Archiv, Secr^tatrerie ä*^tat et de gaerre Nr. 314.
Dazu Castaneda an Isabella, 1635 Juni 25, — Nach Villanis Tode
kam die Vollmacht in Castanedaa Hände, der zusammen mit Bru-
neau und Quiroga beschloß, sie bis auf weiteren Befehl des
Königs nicht auszuliekrn. (Per Kardinal Infant an Castaneda»
1633 Juli 18» a. a. O,) Erste Mitteilungen darüber durch Witlich»
Preuß. Jahrbücher XXUl 26,
') Quatqtdier liga (y) cönfedaracion que U parecUre,
') Romper gaerra con guten le parecUre*
4
)
Der Untergang Wallensteins,
253
selber schon in einem Brie! an denselben vom II. April
aus.^) Ferdinand IL, so schreibt der König, möge dem
Feria kaiserliche ^Commission und Autorität" erteilen,
damit die in den betreffenden Gebieten stehenden kaiser-
lichen Befehlshaber „gute und gegenseitige Korrespon-
denz" mit ihm halten und, „wo es nötig ist, ihm ge-
horchen" (en ios casös necesarlas le obedezcan). Er möge
Walienstein anweisen (mandar), die hierfür nötigen Be-
fehle zu erteilen. Um dieselbe „Commission und Auto-
rität" bittet Castaneda, damit Feria in des Kaisers Namen
in Jene Lande einrücke^); er bittet ebenso um Anweisung
an die kaiserlichen Truppen, sich im Fall der Notwendig-
keit mit Ferias Heer zu verbinden und seinem Befehl zu
unterstellen (guarden las ordenes del duque de Feria). ^)
Also Deckung des spanischen Heeres mit der Auto-
rität des Kaisers, aber keine Ahnung von einem An*
rechte Wallensteins auf den Oberbefehl.
Dieser Standpunkt Philipps erfuhr nun allerdings
einige, aber jedenfalls dem in Frage stehenden Anrecht
Wallensteins nicht entsprechende Verschiebungen, als am
20. Juni der Kardinal Infant in die Verhandlungen über
Ferias Projekt eingriff Der Grund seines Eingreifens
war die unerwartete und entschiedene Ablehnung, welche
der Gedanke der dauernden Aufstellung eines spanischen
Heeres im Reich bei dem Kaiser erfuhr. Um hier zu
") A. a. O.
') In seinem ersten Vortrag (25^ Mai) hatte Castaneda davon
nichts gesagt, w^eil, wie er behauptete, in seiner Instruktion dies
nicht stehe. Als der Kardina! Infant ihn dann aber^ und zwar
ganz im Sinne des angeführten Schreibens Philipps vom tl. April,
darauf aufmerksam machte, fügte er es seiner dritten Schrift
(15, Juni) ein, (Castaneda an den Kardinal Infanten, Juni 14,
a, a, O.) Vgl. Gindely S. 27 Anm. 1 und den Schluß der dort vor-
hergehenden Anmerkung.
') Auch diese Fassung wählte Castaneda erst auf die Er-
innerung des Kardinal Infanten. In seinem ersten Anbringen
hatte er den oben (S. 251) bezeichneten, speziell auf Aldringen
bezüglichen Antrag gestellt. Er bemerkt aber dem Infanten: der
Unterstellung unter Ferias Befehl resislen (die Kaiserlichen) gai-
lar damenie, porque et duqtte general (Wallen st ein) no visne en ello
(a, a. 0,),
Historische Zeitschrilt (97. Bd.) 3- FoIäc l, Bd. H
254
Monz Ritter,
I
vermitteln, grilf der Infant auf die unbestreitbar vom Kaiser
und seinem Feldherrn erteilte Zustimmung zu seinem mit
Heereskraft zu unternehmenden Durchzug nach den Nieder-
landen und zur Unterstützung des Durchzugs mit kaiser-
lichen Truppen zurück. Nur von diesem sollte jetzt wieder
die Rede sein, aber freilich mit der kleinen Änderung^
daß das Heer nicht erst mit dem Infanten zur Siche-
rung seines Durchzugs, sondern vor ihm und unverzüg-
lich zur „Eröffnung des Weges** in Deutschland erscheinen
solle, dann auch mit der weiteren Bestimmung, daß das
Heer von Feria geführt und nach Maßgabe seines Ent-
wurfs gebildet werden sollte: ein Kern spanischer Trup-
pen, zu vergrößern durch sofortige Anwerbung deut-
scher Söldner und Abgabe kaiserlicher Truppen, zu unter-
stützen durch Zuordnung eines kaiserlichen Hilfskorps,
wenn die militärische Lage es erforderet)
Daß die wahre Absicht dieses Vermittelungsvorschlags
dahin ging, das Wesentliche von Ferias Projekt unter
neuen Formen und einigen Einschränkungen^) zu retten,
habe ich hier nicht näher darzulegen. Hier kommt es
nur auf die Frage an, wie der Infant über das Verhältnis
Wallensteins zu dem spanischen Heere dachte. Er faßte
dasselbe in die Formel: Feria solle sich richten nach den
Entschließungen (resoluciones) des Kaisers und den Rat-
schlägen (dictamenes) Wallensteins, Diese, wie ihre Wieder-
holung^) zeigt, wohl erwogenen Worte schreiben also dem
*) Si ia oca&ion Irujere et juntarse tropas suyas (des Kaisers)
con et duque de Feria. (Der Infant an Castaneda, 1633 Juni 29*
Brüsseler Archiv a, a. O. Daselbst Berichte Castafiedas vom L,
5., 15,, 17, Juli. Schrihliche Werbung desselben an den Kaiser,
Juli 2, — Der Infant an den Kaiser, Juni 20, Hallwich I» Nn 494
S. 4IK)
') in dem Schreiben an Castaneda rügt er die Erstreckung
des Operationsgebietes auf Franken, Schwaben, Lothringen usw.,
erklärt auch, er und der König wollen nicht tomar plts en Ate-
mania; aber er hebt hervor, daß sein Durchzug durch das Elsaß
nicht zu sichern sei, sin hecharlas (die Feinde) de allL Etwa ein-
genommene Plätze sollten jedoch dem Kaiser zur V^erfügung ge-
stellt werden.
^) Sie finden sich in dem Schreiben an den Kaiser vom
20. Juni (Hallwich a. a. O,) und in einem Schreiben gleichen
Der Untergang Wallenstems,
255
I
Kaiser formelle Autorität, Wallenstein bloßen Einfluß zu,
und wenn über ihre Tragweite ein Zweifel entstanden
wärcj so würde derselbe vollends durch ein späteres
Schreiben des Infanten vom 10. August zerstreut sein:
Feria, so meldet er hier dem Kaiser, solle seinen (des
Kaisers) „Befehlen gehorchen" und mit Wallenstein ;,gute
Korrespondenz*^ halten,^) Nur der weiter gehende An-
spruch, daß der Befehlshaber des kaiserlichen Hilfskorps
dem spanischen General untergeordnet werden solle, wurde
fallen gelassen, und auch später nur auf einem Umweg
und in beschränktem Maße verwirklicht.^)
Wenden wir uns von der spanischen Auffassung zu
derjenigen der kaiserlichen Regierung, so dürfen wir auch
hier nicht vergessen, daß die Kompetenzfrage sich mit
der Frage des politischen Interesses verflocht. In letzterer
Beziehung brachte die Regierung Ferdinands II, einer-
seits dem Projekte Ferias dieselben Bedenken entgegen,
die in verstärktem Maße Wallenstein geltend machte, daß
nämlich die Aufstellung eines spanischen Heeres in Deutsch-
Jand die Protestanten, die man für den Frieden zu ge-
winnen hoffte, mit neuer Erbitterung erfüllen und den
Bruch mit Frankreich, dem man noch aus dem Wege
zu gehen suchte, unvermeidlich machen würde; ander-
Datums an Castaheda (Brüsseler Archiv a. a. OO* hier mit den
Worten : Feria se ajustarä a lo qae s, M. Ces. disputiere y a los
äictamenes äel äuque de Frltland. — Caslaneda in seiner Wer-
bung vom 2t Juli bedient sich des Gegensatzes von ordenes und
äictamenes. (Die Stelle auch bei Gindety S. 29 Anm. 1.)
') lussis purere — bort am correspondefiHam colere. (Brüsseler
Archiv Nr. 315*) Die Worte, weiche Feria an Wallenstein richtet,
er wolle sich emplear en et servicia de v. e. y obedeier a sus ordenes
(Hallwich I, Nr. 397 S* 331), erscheinen hiernach als spanische Höf-
iichkeitsphrase'
*) Der Umweg bestand darin^ daß — nach der Analogie
Pappenheims, der die beiden Stellen eines bairischen und eines
kaiserlichen Feldmarschalls kumuliert hatte; vgl meine Deutsche
Geschichte III, 476 — Aldringen zum Feldmarschall in Ferias
Armee ernannt wurde und hierdurch, wie er als kaiserlicher Feld-
marschall dem Wallenstein untergeordnet war, als spanischer
Unterführer dem General Feria unterstellt wurde. Verkannt ist
dieses Verhältnis von Jacob, Von Lützen nach Nördlingen S. U6.
17*
2S6
Morlz Ritter,
p
r
seits jedoch, indem sie den Vorschlag in der Fassung,
wie er vorgebracht war, ablehnen mußte, wünschte sie
eine Kränkung Philipps IV, möglichst zu vermeiden ^), und
zu dem Zweck suchte sie nun ihre eigene abschlägige
Antwort mit der auf Wallenstein zu nehmenden Rücksicht
zu entschuldigen. In diesem Zusammenhang gab Traut- ^i
mansdorf, ohne sich streng an die Wahrheit zu halten^ ^M
jene Erklärung über Wallensteins allumfassendes Kom- ^^
mando, deren oben (S. 244) gedacht ist-) Aber anders
erscheint das Verhältnis in der Korrespondenz Wallen-
steins mit der kaiserlichen Regierung, besonders auch in
dem vertrauten Briefwechsel zwischen ihm, Questenberg
und dem Bischof von Wien.^) Nirgends findet sich hier
eine Berufung auf ein dem kaiserlichen General zuge-
sichertes Recht, durch welches das Auftreten einer von
ihm unabhängigen spanischen Armee im Reich ausge-
schlossen wäre, überall wird die Frage lediglich vom Stand-
punkt der Zweckmäßigkeit behandelt.
Noch weniger war von einem solchen Rechte die
Rede, als der Plan Ferias die oben erwähnte mildere
Fassung erhielt und so vom spanischen Gesandten erst
mündlich ^)j dann am 2. Juli schriftlich vorgetragen wurde*
Damals ging der Kaiser mit auffallender Raschheit ^^) aui^^^j
das Gesuch ein, zugleich aber mit einer sauberen Seh ei- "^f
düng der Kompetenzen: den Eintritt und Durchzug von ^^
Ferias Armee bewilligte er ohne weiteres, die Zuordnung
kaiserlicher Hilfstruppen aber gab er Wallenstein anheim,®)
*) Der Kaiser an Wallenstein, 1633 Mai 27. Questenberg an
Wallenstein e, d* (Haüwich I, Nr, 451, 4&3.>
*) Nicht so weit geht Eggenberg, indem er nur aul den nicht
zu erregenden Unwillen Wallensteins, nicht aber auf ein ihm zu-
gestandenes Recht verweist. (Gindeiy S. 25.)
*) H aliwich I, Nr. 453. 465. 483. 490. 495, 569,
*) Bericht Castanedas, Juli 1. (Brüsseler Archiv, Daselbst
die schriftliche Eingabe vom 2. julu)
*) Castaneda erliielt den willfährigen Bescheid am 4. Juli
(Bericht vam 5. Juli)^ an Wallenstcin erging die Anzeige schon
am I.Juli, (Hallwich I, Nr 4*53 8.411.)
•) Hierbei fand eine Ausnahme statt, indem der Kaiser dem
Ossa sofort befahl, von drei in Tirol Hegenden Regimentera
4
I
Der Untergang WaElenstelns.
257
Allerdings nahm er dabei die Miene an, daß er nur ein
vorher und mit Billigung Wallensteins gegebenes Ver-
sprechen erfülle; aber daß er in Wahrheit über die früheren
Entschließungen hinausging und sich dabei mit den An-
schauungen und Absichten seines Feldherrn in scharfen
Widerspruch setzte, war ihm sicherlich nicht verborgen,
wie er denn auch über dessen sofort erhobene Gegen-
vorstellungen^) einfach hinwegging.
Ich gehe hier nicht auf die Frage ein, wie weit dem
plötzlichen Entgegenkommen des Kaisers auf die spani-
schen Wünsche ein Wechsel der politischen und militä-
rischen Absichten zugrunde lag^), noch weniger verfolge
ich die weitere Entwickelung der Gegensätze zwischen
dem Kaiser und dem Feldherrn^ welche seit der zweiten
Hälfte des Monats Juli eintraten, als Ferdinand die spanische
Hilfe für den Ersatz Breisachs ersehnte—, einstweilen möge
das Ergebnis genügen, daß der Kaiser, vor die Frage
der Aufstellung einer spanischen Armee auf deutschem
Boden, ja auch nur des Durchzugs einer solchen gestellt,
'anfangs seine Entscheidung allerdings von derjenigen
Wallensteins abhängig machte, daß aber diese Rücksicht
nicht auf die Paragraphen eines Anstellungsvertrags zu-
rückgeführt werden muß, sondern sich genügend aus
Wallensteins tatsächlicher, vornehmlich auf seiner ver-
meinten Unentbehrlichkeit beruhenden Machtstellung er-
klärt.
(Llechtenstem, Arco, Truchseß) zwei zum Geleite Ferias „herzu-
leihe^^ (Hallwich 1, Nr 568 S, 474. Bericht Castanedas, Juli 17.)
Aber mit diesen Regimentern hatte es eine besondere Bewandtnis.
Wallenstein unterstellte sie als kaiserliche Regimenter am 17. Juli
dem Ossa (Haltwich 1, Nr. 538 S. 45€), die Erzherzogin Claudia
aber nahm das sehr ijt)el (Nr 570 S. 475), vermutlich auf die von
Castaneda hervorgehobene Talsache gestützt, daß sie nicht „aus
der kaiserlichen Feldkasse'^j sondern von der Erzherzogin bezahlt
wurden. (Nr. 454 S. 377/37S.) — Vielleicht kann man jedoch in
diesem Vorgang einen Vorllüfer der S. 242 besprochenen direkten
Weisungen des Kaisers an Watlenstelns ünterEührer sehen,
0 Juli 5, {Hallwich I, Nr. 505 S. 422.)
^) Ein kaiserlicher Rat deutete dem Castaneda an; wenn das
spanische Heer einmal im Elsaß sei, poärd pasar con et espacio
que quisierey intentarlo que cönvenUre. (Bericht CastanedaSj Juli 5.)
25S Moriz RUter,
Leichter ais diese Fragen des militärischen Befehls
lassen sich die auf die finanzielle Ausstattung des Heeres
bezüglichen Ibsen* Im ersten Generalat Wallensteins
war der Zufluß der von den Ständen der österreichischen
Erblande bewilligten Steuern dem kaiserlichen Heere bei-
nahe ganz versagt: nur die böhmische Kontribution, die
im Jahre 1627^ die schlesische, die im Jahr 1628 ihm zu-
kam, machte davon eine Ausnahme.') Jetzt dagegen wur-
den regelmäßige Beisteuern der sämtlichen cisleithanischen
Erblande dem Feldherrn zugesichert. Ob in einer be-
stimmten Höhe und in einer urkundlichen Form? Nach
Aussage des bei den fraglichen Verhandlungen beteiligten
spanischen Gesandten verlangte Wallenstein bei der vor*
läufigen Übernahme des Oberbefehls als Zuschuß des
„Kaisers und der Lander" 200000 Gulden monatlich-);
nach der Angabe Questenbergs forderte er^ als er „zu
Feld" zQgf also nach definitiver Annahme des Kommandos,
monatlich 200000 Gulden*); nach der Behauptung eines
kaiserlichen Kriegsrats ^) zog Wallensein bei Aufstellung
seiner Armee zu Anfang des Jahres 1632 aus verschie-
denen Quellen (da äii^erseparli) 2 400000 Gulden in barem
Geld, So abweichend diese Angaben im einzelnen sind,
so übereinstimmend sind sie in der Höhe des BetragSj
der ja, aufs Jahr berechnet, der letzt genannten Summe
entspricht Nahe liegt also die Vermutung, daß sich
Wallenstein vom Kaiser Zuschüsse ausbedang, die aus
den Bewilligungen der Landstände zu bestreiten waren
und die angegebene Höhe erreichten.
") Vgl. meine Abhandlung über Wanensteins Kontributions-
system, H, Z. 90, 210 Anm, 2.
') Bruneau, 1631 Dezember 19 (Gindely S. 10 Anm.): j^ demas
de esio (d. h. außer dem spanischen Monatszuschuö) y lo qut
dard sl emperador y las provlncias , , . 200 000 fiorines. — Hier
ist zu florines aus dem Vorhergehenden zu ergänzen ^cada mes*.
In den Worten ^y lo qne dnrd'^ gibt die Copula y keinen Sinn,
Die Meinung ist; außer dem spanischen Zuschuß^ das, was Kaiser
und Länder geben, nämlich etc»
>) Hallwich I, Nr. 433 S. 377. So auch Wallenstein Über die
„monatlichen 200000 iL**. (Nn 88 S, 7L)
•) Gutachten, 1634 Januar. (Aretiti, Wallenstein Nr.32S<100.)
1
Der Untergang Walknsteins,
259
Jedenfalls wurden im Jahre 1632 und 1633 die Erb-
lande ausnahmslos zu ungewöhnlich hohen GeldbewiÜH
gungen für das Heer angehaltenj wobei man noch in
Betracht ziehen muß, daß neben den Bezahlungen die
Naturalleistungen für Einquartierung, ,,LeibsverpIlegung*'
usw. hergingen ^)j und daß die Summe der Geldbewilli-
gungen, da sie unter verschiedenen Titeln erfolgten, nicht
leicht zusammenzurechnen war,^) Mit dem Vorbehalt der
Abrundung, sei es nach unten, sei es nach oben, ist es
also aufzunehmen, wenn die Geldbewilligung Unteröster-
reichs für 1633 auf 700000^), des steirischen Landtags
au! 400000 IL^) angegeben wird. In entsprechendem
Maße wurde von Böhmen^ Mähren, Oberösterreich ge-
steuert.
Auf die weitere Frage, in welcher Form diese Zu-
schüsse dem Feldherrn gesichert wurden, wüßte ich nur
ein ungenügendes Zeugnis anzuführen. Am 22. April 1632
berichtet Wallenstein dem Kaiser^), daß er mit dem nach
definitiver Annahme des Generalats bei ihm eingetroffenen
Questenberg beredet habe, was zur Erhaltung der Armee
von den „Erblanden zu leisten^ sei* Unklar bleibt hier,
ob in der Abrede die Gesamtleistung der Erblande, die
nachher auf die einzelnen umzulegen war, bestimmt wurde,
oder umgekehrt auf Grund einer bereits getroffenen Fest-
setzung der Gesamtleistung nunmehr die von den ein-
zelnen Landen zu fordernden Quoten fixiert wurden. Ge-
nauer sind wir über die Form unterrichtet, in der eine
andere Quelle kaiserlicher Einkünfte, nämlich die im Reich^),
') Vgl die Aufstellungen Questenbergs, 1&3S Januar SL (Hall-
wich I, Nr. 103 S. 84 l)
') VgL für Oberösterreich im Jahre 1632 die Eingabe der
Stände und die kaiserliche Resolution (Khevenhüller XU, 10—13):
L Liefergeld flir Truppen in und außer Landes, 2. Rekrutengeld,
3* flWas auf jeden Unterthan zur Contribution angeschlagen'**
Letztere betrug monatlich 52000 iL
*) Hallwich L Nr. 635 S. 532; vgL Nr, i03 S. 84.
*) V, Zwiedineck, Eggenberg S. 200 l (besonders S. 205/206)*
VgL Haliwich I, Nr. 365 S. 302.
=^) Dudik S. 473.
») Beispiel: Hallwich I, Nr. 13 S. 12,
260
MoTiz Ritter,
wie in den Erblanden verhängten Konfiskationen, aus-
schließlich oder doch fast ausschließlich^) für die Armee
bestimmt wurde: es geschah durch eine am 15, April
1632^) vom Kaiser für Wallenstein ausgestellte Vollmacht^),
durch welche ihm beides, die Verhängung der Konfis-
kation durch Urteil und die Einziehung derselben, über-
tragen wurde.
Neben diesen kaiserlichen Zuschüssen wurden dem
Feldherrn vom spanischen Gesandten gleich bei der vor-
läufigen Übernahme desGeneralats^) auch spanische Hilfs-
gelder zugesagt; sie betrugen monatlich 50000 Gulden,*)
Ein Schritt weiter führt uns von der Bezahlung der
der Armee zur Belohnung des Feldherrn, Gehen wir
auch hier von den zuverlässigen Zeugnissen aus, so
haben wir zunächst zwei Verleihungen hervorzuheben,
welche am 16. April 1632, also unmittelbar nach der de-
finitiven Annahme des Generalats, erfolgten: in der einen
schenkt der Kaiser dem Peldherrn eine auf erkauften
Gütern haftende Schuld von 400000 Gulden^}, in der
andern erkennt er sich bezüglich der Übertragung Meck-
lenburgs an Wallenstein haftbar wegen Entwährung: bis
afso das Herzogtum oder ein gleichwertiges Land dem
Feidherrn eingeräumt sein wird, übergibt er ihm zum
Pfandbesitz das Fürstentum Glogau/) Hat der Kaiser
dem General noch weitere Belohnungen für die Zukunft
versprochen? Wenn man liest, wie im April 1633 der
Bischof von Wien dem Wallenstein seine und Eggenbergs
Verwendung rühmt, um ihm beim Kaiser eine Belohnung
n
*) Nach KbevenhüUer XII, 493 mit Ausschluß der inneröster-
reichischen Lande, Beispiel für des Eindrängen Unberechtigter:
Hallwich I, Nn 569 S. 474.
') Hallwich II, Nr. ^23 S, im
*) „Pienipotenz*' : Hallwich 1, Nr. 387 S. 820. Inhalt derselben :
Nr. 224, 547; II, Nr. 817. ^23. 1049. 10^5.
*) BruneaUj 1631 Dezember 19. (Gindely S. 10 Anm,)
*) Zunächst fiirs Jahr 1632 bewilligt, (Philipp IV. an Villani,
16^2 Oktober 10. Brüsseler Archiv, SecrStairerie äYiai et de guerre
Nr. 205,) Ebenso für 1633. (Hallwtch I, Nr. 766 S. 632,)
•) Dudik S, 443.
T) Archiv f. österr Geschichte 19, S.41 Nr. 27, Dudik S.446.
Der Untergang WaUensteins,
261
seiner Verdienste zu erwirken^), so wird man aus diesen
Worten das Vorhandensein einer formellen kaiserlichen Ver-
pflichtung nicht entnehmen, eher das Gegenteil, Wenn
man anderseits sieht, wie Wallenstein nach dem be-
scheidenen Triumph von Steinau sich sofort beim Kaiser
um eine Belohnung meldet und sich dazu die ihm noch
vorenthaltene Tranksteuer in Sagan und Glogau aus-
ersieht-), so kann man leicht die Rechnung machen, daß,
wenn er große Eriolge errungen hatte, gewiß keine be-
scheideneren Ansprüche von ihm erhoben sein würden,
als diejenigen^ welche im Jahre Ib28 zur Abtretung
Mecklenburgs geführt hatten. Also wohl bereit gehaltene
Ansprüche des Feldherrn und Rechnung auf des Kaisers
Gefälligkeit, aber keine förmliche Abmachung.
Bedenken gegen dieses Ergebnis kann nur eine
Äußerung Wallensteins erregen, die der spanische Agent
Navarro aus seinem Munde gehört hatte und gegen
Anfang 1633 dem* Pater Quiroga berichtete'*): der Kaiser
habe ihm bei Annahme des Generalats „das erste Kur-
fürstentum, das erorbert werde, angeboten, (offreciö)''^
und demgemäß fordere er. Wallenstein, jetzt die geheime
Belehnung mit Kurbrandenburg, Indes, abgesehen von
höchst abenteuerlichen Prahlereien, die Wallenstein dieser
Mitteilung anfügt^ z, B. daß er Kursachsen dem Erzherzog
Leopold zuwenden werde, macht er selber das Gewicht
jenes Angebotes zweifelhaft, indem er zusetzt: es sei
nur als ein einfaches und allgemein gehaltenes Versprechen
gegeben, das im Fall des Todes des Kaisers nicht geltend
zu machen sei. Jedenfalls völlig zu verwerfen ist die
Angabe der angeblichen Vertragsartikel, daß dem Feld-
herrn als ordentliche Belohnung ein österreichisches
Erbland zugesichert, als außerordentliche Belohnung „von
den okkupierten Ländern das höchste Regal im Römischen
») Hallwich I, Nr, 306 S. 256.
») Hallwich I, Nn 768 S, 634, Das Gesuch wurde auch wirk-
lich am 1, Januar 1534 bewilligt, (Schrifteti der Mährisch-schiesi-
sehen Gesellschaft Bd. 23, S. 63:)
■) Rekapituliert in dem Gutachten des spanischen Staatsrats
vom 27. März, (Gindely S, 32 Anm,)
262 Moriz Ritter,
Reich** übertragen werden solle. Denn nicht zugesichert,
sondern übertragen wurde ein österreichisches Erbland
(Glogau), und nicht als ordentliche Belohnung, sondern
als Pfand für ein vom Feind genommenes Land*); und jenes
von den eroberten Landen abzutrennende und Wailen-
stein zu übergebende oberste Regal, zu dessen Erklärung
sich wohl nur das von Gustav Adolf bei seinen Schen-
kungen vor behaltene las supremum oder regalia sab iure
superianiaiis (sc, imperialis) heranziehen läßt^), erscheint^
als eine so ungeheuerliche Zuwendung, daß man sie beifl
dem Schweigen aller anderen Quellen nur verwerfen kann. '
Neben den militärischen Befugnissen Wallensteins J
muß man nun noch, um die Fülle seiner Gewalt zu er*^^|
messen, seine politischen Vollmachten ins Auge fassen*
Neu war für ihn die Verbindung militärischer und poli-
tischer Befugnisse nicht; bereits im dänischen Krieg
war ihm zu Anfang des Jahres 1628 ein kaiserlicher Auf-
trag zur Einleitung von Friedensverhandlungen, im De-
zember, die förmliche Vollmacht zur Führung derselben
erteilt^), und damals bereits hatte er sich in diesen Ge-
schäften so selbstherrlich bewegt, daß die Bedingungen
des Friedensschlusses zum guten Teil nicht von der
*) ünverständJich ist^ mir die Behauptung Michaels (a. a. O,
S, 422/423); die ^Übertragung** Glogaus sei dasselbe wie die
«Assccuration** auf ein österreichisches Erbland» und die ftxitere
Behauptung, die Übertragungsurkunde bezüglich Mecklenburgs
werde auch als Assekuration bezeichnet. Als Assekuration wird
nur die versprochene Eviktion bezeichnet. Eher könnte man
seine etwas spitzfindige Unterscheidung der Worte i,als** und
„wegen** annehmen ^ aber auch dann kommt nur heraus: das
österreichische Erbland dient als Unterpfand für eine Rekompens,
während es doch ats Unterpfand für die Eviktion gelten soll.
*) Vgl. meine Bemerkung in den Göttinger Gel. Anzeigen
1905, S. 206, Michael (S. 424—429) möchte als das «höchste Regal*
die Kurwürde annehmen. Für den Sprachgebrauch hätte er sich
dabei auf die ba irische Schrift von 1639 gegen das pfälzische
Manifest berufen können : „obschon die churfürstl. Würde ein so
hohes Regal ist/ (Londorp IV, 727a,) Aber nur durch willkür-
liche Umstellung kann er der sich alsdann ergebenden Aussage
entgehen: Wallenstein soll von den (also allen ohne Ausnahme)
okkupierten Ländern die Kur haben»
^) Meine Deutsche Geschichte HI, 385. 393.
kaiserlichen Regierung dem Gesandtefi, sondern vom
Gesandten seiner Regiening vorgescbiieben wurden. In
bezug auf die neue Anstellung WaHeitsteins kann also
nur die Frage sein, ob jetzt politische AuHräge ihm nur,
wie früher, kraft besonderer Bevollmächtigung oder ein
für allemal übertragen wurden.
Die Anschauung, daß letzteres der Fall sei, spricht
sich in der Formel der ihm angeblich übertragenen pleni-
poieniia (oder arbiirium) belli et pacis aus» Wohl will es
nicht viel sagen, wenn diese Worte von dem schwediscfien
Gesandten gebraucht werden') oder dem Sinne nach in
einem einleitenden Bericht zu den angeblichen Kapitula^
tionsartikeln^) {nicht in diesen selber) sich finden, aber
beachtenswert ist es, wenn wir sie aus dem Munde eines
kaiserlichen Rates vernehmen,"^) Gleichwohl sind sie nur
als der ungenaue Ausdruck eines tatsachlichen, nicht
rechtlichen Verhältnisses anzusehen. Der Beweis liegt
darin, daß, als Wallenstein noch vor der einstweiligen
Annahme des Generalats mit Arnim über einen fTieden
des Kaisers mit Kursachsen in Unterhandlung trat und
diese Verhandlungen nach der Annahme fortsetzte, tf
dazu eine besondere Ermächtigung des Kaisers brauchte
und erhielt, zuerst in der freien Form eines vun Eggen-
berg brieflich übermittelten Auftrags^), dann, und zwar
nach der definitiven Übernahme des OberbefehU, in
der genauen Form einer kaiserlichen Vollmacht.'^)
Also durchaus keine unbeschränkte Bevollmächtigung«
sondern nur freie Hand für einen Separatfrieden mil Kur-
Sachsen, in den man dann noch Kurbrandenburg und
andere Retchsfürsten hineinzuziehen hoffte. Ali daher
im September 1632 auch Gustav Adoll nich geif^n
Waltenstein zu Friedensverhandlungen geneigl zmffUSf
') rrnier U, Nr. 121 S.M; Nr. 14t 8. IUI.
t>) Michael S, 411t
*j Gutachten bd Schebe]^ L^Hung der WMmtiUMiBgM •.M«.
') 1631 Oktot^er 14. (Fdntcr II, Hr. i37 ft. $U.} Vgt. i^m&$0l$^
berg an Wallen&tein, Olttobcr iu 0(f. MI % f¥^4
*) Der ßfseti0f wm Wim m WOkmtMm^ $*M AfrtI t^.
(Dudik S, 470J Ami« M Kmrmthmm, IMt IM Jlf^ iMtMf«/
Wallenstein und Arnim & II')
j
264
Moriz Ritter,
P
berichtete letzterer darüber vor allem andern an den
Kaiser, und in dessen Rat wurde nun entschieden, daß,
wenn die nötigen Vorbedingungen einer solchen Ver-
handlung erledigt seien, man sich über Wallensteins „In-
struktion und Vollmacht^ entschließen könne,^) Ganz
richtig läßt demgemäß auch Oxenstierna^) den General
antworten, „daß er mit ihm (dem König von Schweden)
zu traktieren, keine Pienipotenz hätte"". Und so blieb
das Verhältnis im Jahre 1633: mit Schweden über einen
Frieden zu verhandeln^ war Wallenstein nach wie vor
nicht befugt, hinsichtlich der Separatverhandlungen mit
Sachsen ließ der Kaiser noch im Januar 1634 dem Kur-
fürsten sagen ^)i er habe dafür Wallenstein „mit genüg-
samer Gewalt versehen", sei es nun, daß damit eine neue
oder die in Kraft gebliebene alte Vollmacht gemeint war
Soweit es also nicht anf bloße Meinungsäußerungen
oder Verwendungen, sondern auf Unterhandeln im Namen
des Kaisers ankam, hatte Wallenstein keine allgemeine,
sondern bedurfte er einer besonderen Vollmacht*) Man
») Majlath, Österr. Geschichte III, S, 2^ Vgl Förster n,241.
Das betreffende Aktenstück war ein Gutachten^ das nach Hurter,
(Wallenstein S. 189 Anm, 37) nur dem Inhatte nach Wallenstein
mitgeteilt wurde. (Gegen Förster a* a. 0.)
') In den Konferenzen mit Kurbrandenburg> 1633 Februar.
(Imier II, 29.)
*) Werbung des Herzogs Frana Julius, J634 Januar 12. (Inmer
II, Nr. 348 S. 124,) Vgl auch Wallensteins Äußerung vom 6. Ok-
tober 1633j daß der Kaiser ihm ^solches Werk" zum Ziele zu
führen „befehle**, (Hallwich I, Nr. 745 S.619. Ebenso Nn 740 S.&I4,)
Weisung des Kaisers, Oktober IS (a. a. 0* II, Nr, 793 S. 17).
*) Nur in der Anmerkung erwähne ich, daß auch sein Ver-
hältnis zu den kaiserlichen Gesandten, die zu dem von Däne-
mark angesagten und hinterher nicht zustande gekommenen
Breslauer Friedenskongreß bestimmt wurden, besonders geregelt
wurde: sie hatten über ihre Aufträge im einzelnen Wallenstein
Mitteilung zu machen und seines „Gutachtens 2u pflegen*', (Der
Kaiser an Wallenstein, (633 Juli 9, Haliwich 1, Nr, 518 3.432.
Vgl, die weiter gehenden Vorschläge Trautmansdorfs , Novem-
ber 27* Förster \IU Nn 391 S* 94.) — Ich verweise auch auf die
von Wittich (H, Z. 68, 255 f.) gegen die absolute politische Voll-
macht Wallensteins erhobenen Bedenken. Richtig faßt das Ver-
hältnis auch Schulz, Wallenstein S. 81/82.
I
Der Untergang WaElenstelnSi
265
kann daher auch sagen, daß der Verlasser der angeblichen
Kapitulation hier einmal das Richtige trifft, indem er den
politischen Befugnissen des Feldherrn keinen eigenen
Artikel widmet* Eine andere Frage aber, die sich hier
aufdrängt, möchte ich gleich an dieser Stelle erledigen:
ob nämhch der Kaiser für die Separatverhandlungen mit
Sachsen seinem Feldherrn eine bestimmte Instruktion
oder doch einigermaßen klare Weisungen erteilte. Eine
Antwort laßt sich in Ermangelung unmittelbarer Zeugnisse
wieder nur auf Umwegen finden.
Mit vollster Sicherheit hatten der Kaiser und sein
Feldherr von Kursachsen zwei sich ergänzende Haupt-
forderungen zu gewärtigen. Die erste ging auf die Auf-
hebung des Restitutionsediktes, Sie war, da die kraft
dieses Ediktes vollzogenen Restitutionen unter dem Sieges-
lauf Gustav Adolfs zum weitaus größten Teil wieder
ruckgängig gemacht waren, hauptsächlich negativer Natur:
die Grundtage, welche der Kaiser für die Entscheidung
der Streitigkeiten über den Religionsfrieden im Sinn der
katholischen Auffassung des Gesetzes gelegt hatte, soMte
beseitigt werden* Aber mit dieser bloßen Beseitigung wäre
man wieder in den Kampf der entgegengesetzten Aus-
legungen und die daraus hervorgehende Rechtsunsicher-
heit zurückgeworfen, und offen wäre vor allem die Frage
geblieben, was aus den Reichsstiftern Osnabrück, Halber-
stadt, Magdeburg, Verden, Schwerin werden sollte, die,
so verschieden auch die Verwaltung war, unter der sie
zurzeit standen, doch darin übereinkamen, daß sie nach
Ausbruch des großen Krieges und vor Erlaß des Restitu-
tionsediktes dem Besitz protestantischer Administratoren
entzogen waren. Hier griff nun die zweite Forderung
ein, daß der Besitz an Kirchengut für Protestanten und
Katholiken auf den Stand der Zeit vor Ausbruch des
Krieges zurückgeführt und alsdann gegen alle Anfech-
tungen gesichert werden sollte.
Soweit es nun auf Wallenstein ankam, schienen die
Erklärungen, die er gleich im ersten Stadium seiner
Verhandlungen mit Sachsen (Januar und Mai 1632) abgab
266
Monz Ritter,
und abgeben lieÖ^), auf die Annahme jener Forderungen
zu weisen. Soweit aber des Kaisers Absichten aus einer
Instruktion, die er für die von Dänemark auf den 23. Juli
anberaumte, dann freilich wieder ausgesetzte Friedens-
konferenz entwerten ließ, hervorgehen^), darf man bei
ihm ein so weites Entgegenkommen nicht voraussetzen*
Statt der Rücknahme des Restitutionsediktes will er hier
nur die Suspension weiterer Exekutionen desselben, und
auch diese nur unter Vorbehalt des Rechtes der Beteiligten
und späterer Erörterung am Reichstag, zugeben. Unter
den kraJt des Ediktes restituierten Kirchen will er, falls
die katholischen Stände mit ihrem Verzicht vorangehen,
die dem bairischen Prinzen zugewandten Bistümer Minden
und Verden preisgeben ^ aber die Reichsstifter Bremen,
iVIagdeburg und Halberstadt sollen aus dem doppelten
Grunde, weil sie einem Sohn des Kaisers zustehen, und
weil das Recht desselben schon vor dem Restitutionsedikt
begründet isf*), womöglich sämtlich, mindestens aber
das letztgenannte behauptet werden»
Schwerlich wollte der Kaiser oder seine Regierung
mit dieser Instruktion das letzte Wort gesagt haben. Aber
^) Trzkas Erklärung zu Aussig (Ranke^ Wallenstein S, 159
Anm,) und Wallensteins Erklärung zu Rakonlt^ (Heibig S. II),
Beide muß man zusammennehmen. Die in ersterer befindllche-
Berufung auf des Kaisers Übereinstimmung ist nach dem, was
ich weiter ausführe^ zu beurteilen.
') Hurter, Friedensbestrebtingen Ferdinands IL S. 45. Auf
diese Aulträge verweist der Kaiser noch am 4, Februar 1634,
(Hallwich U, Nr. 1261 S. 455,)
*) Das Nähere hierüber in meiner Deutschen Geschichte
10^423, Mit dieser Unterscheidung der vor und nach dem Restitu-
tionsedikt gewonnenen geistlichen Fürstentümer (auch Hersfeld will
der Kaiser behalten) hän^t die Stelle^ S^ 47 zusammenj daß als
^Normaljahr'' nur die Zelt vor Erlaß des Restitutionsedikts, nicht das
Jahr 1612, gelten dürfe. Da an einer vorausgehenden Stelle auch
die kraft des Restitutionsedikts, also nach Erlaß desselben, vorge-
nommenen Exekutionen bestehen bleiben sollen, so will der Kaiser
wohl sagen: mittelbare Güter» die zurückgewonnen sind, bleiben
gewonnen» aber für Reichsstifter gilt der Besitzstand des Datums
des Restituüonsedikts. — Die in der Instruktion gewährten Kon-
zessionen entsprechen in höchst interessanter Weise einem von
kaiserlichen Theologen schon Ende 1631 ausgestellten Gutachten,
das man leider nur aus Khevenhülier (XI, i4$3) kennt.
Der Untergang Wallenstetna.
267
soviel darf man daraus schließen, daß Wallenstein nicht
ermächtigt war, die sächsischen Forderungen anzunehmen.
Ob er überhaupt eine Instruktion oder auch nur Weisungen,
in denen die Grenzen der zu machenden Konzessionen
klar bezeichnet waren, erhalten hatte? Erwägt man den
Mangel einer hierauf bezuglichen Andeutung in Wallen-
steins Korrespondenz mit dem kaiserlichen Hof, daneben
die Indolenz, mit welcher die Regierung Ferdinands ver-
mutlich auch bei den Lübecker Friedensverhandlungen
sich der Ausstellung einer klaren Instruktion für Wallen-
stein enthalten hatte^ so dar! man die Frage mit einem
hohen Grade von Wahrscheinlichkeit verneinen. Der
Kaiser begnügte sich mit der unter allen Umständen ihm
vorbehaltenen Ratifikation und dem lässigen Vertrauen,
daß Wallenstein seine Absichten respektieren werde.
Ich schließe diese Untersuchung, indem ich Jetzt nur
noch einen vergleichenden Blick auf ihre Ergebnisse und
den im Eingang besprochenen Bericht über Wallensteins
Anstellungsvertrag werfe. Die in letzterem angeführten
Bedingungen erscheinen zum Teil als ungenau und un-
vollständig, so wenn in Nr. 2 der Umfang des militärischen
Kommandos mit der alles und nichts sagenden Bestim-
mung in absülutissima forma umschrieben wird, in Nr* 6
über den Konfiskationen im Reich die viel einträglicheren
in den Erblanden vergessen werden, oder in Nn 1 1 die
Hauptaufgabe des Feldherrn, nämlich die Armee im
Feindesland zu quartieren, übersehen, und dafür das
selbstverständliche Recht, sie im Fall der Not in die Lande
des Kriegsherrn in Sicherheit zu bringen, ausschließlich
festgesetzt wird; — sie schießen gelegentlich über das
Ziel hinaus, so wenn in Art, 10 dem Kaiser statt näher be-
stimmter Zuschüsse für die Armee kurzweg „alle Spesen**
aufgebürdet werden ; — sie berichten geradezu Falsches
in den Angaben über Wallensteins spanisches Generalat
und über die Art seiner Belohnung. Das Interesse, das
sie erwecken können, knüpft sich nur an die noch un-
gelösten Fragen nach dem Verfasser, seinen Quellen
und seiner Tendenz.
26a
Moriz Ritter,
Die polttischen Unterhandlungen Wallenstetfisj
im Jahre 1633.
Ich glaube, jeder, der sich die im Jahre 1633 ge-
führten politischen Verhandlungen Wallensteins vollständig
zu vergegenwärtigen versucht ^)f wird zunächst den Ein-
druck eines Gewirres widerspruchsvoller Projekte und
Verbindungen empfangen, vor dem er ratlos dasteht. Das
Mittel, hier Ordnung zu schaffen, besteht darin, daß man
bestimmte Reihen, die nach Inhalt und den in Unter-
handlung tretenden Personen zusammengehören, zunächst
für sich zu erfassen sucht und dann erst fragt, ob und
wie weit sie sich untereinander verflechten. Bei diesem
Verfahren glaube ich vier Reihen aussondern zu können:
1. Verhandlungen Wallensteins mit Arnim, in denen
letzterer wieder die Entschliei3ungen der Kurfürsten von
Sachsen und Brandenburg einzuholen hat. Der erste
Anstoß zu diesen Verhandlungen kommt, soweit die uns
vorliegenden Urkunden sehen lassen, von Wallenstein
und reicht zeitlich zurück bis kurz vor den 24. April 1633.^)
In fortlaufender Kette ziehen sie sich bis zu Wallensteins
Untergang. 2. Unterhandlungen zwischen Wallenstein
undThurn, geführt durch den Generalwachtmeister Bubna,
von diesem auch an Oxenstierna gebracht und am 2L Juni
im Sand verlaufend* Die Anregung scheint hier von
Thurn auszugehen^) und fallt in die letzte Woche des
Monats ApriL 3. Anknüpfungen, welche zu Nikolai, dem
^) Für diesen Abschnitt meiner Abhandlung gilt besonders, ^
was ich im Eingang über ihren ergänzenden Charakter gesagt
habe. Ich beziehe mich überall auf die Feststellungen von Lenz
(H. Z. ßd. 59), Wittich (H, Z, Bd. 68/69, 7273) und Irmer (Ein*
leittmgen zum 2. und 3. Band seiner ,, Verbandlungen Schwedens"),
») Hallwich II, Nn 1097 S. 260,
=) Dies wird man aus Kinskys Mitteilung (Irmer II, Nr, 165
S. 173; vgl, Nr 163 S. 170), daß zuerst Raschln (Im Auftrag Thurns)
zu Wallenstein gekommen, diesem aber nicht genehm gewesen
sei, entnehmen, Raschins Behauptung, daß sein Kommen durch
Wallensteins Berufung veranlaßt sei (Oadeke S, 321), dürfte da*
durch widerlegt werden.
Der Untergang Wallenstelns.
269
schwedischen Gesandten in Dresden, und dem Grafen
Wilhelm Kinsky, einem dort wohnenden böhmischen
Emigranten ^)> hinüberführen und in ihren Anfängen bis
etwa Februar 1633 zurückgehen.-) Wo wir in einen Ab-
schnitt dieser Umtriebe hineinsehen (Mai 1633), erkennen
wirj daß sie von einem Kreis angesehener und zugleich
bei Wallenstein in Gunst stehender Böhmen ausgingen^),
daß deren Aufträge durch einen von ihnen beglaubigten*)
Vertrauten den genannten beiden Personen vorgebracht
wurden und auf nichts Geringeres als die Ergreifung der
*) über seine Verhältnisse vgl. vor allem Oindely, Gegen-
reformation in Böhmen S. 301.
■) Als Anfang nennt Nikolai am 8, Juni den Winter (frmer
lU Nn 171 S. 183), am 30, September die Zelt vor sieben, dann
am selben Tag die Zeit vor acht Monaten (Nr. 267 S. 355; Nr. 265
S. 350). Am 23, September bemerkt er, daß er vor fünf oder
sechs Monaten in dieser Angelegenheit gearbeitet habe (Nn 256
S. 338),
■) Personen, die bei Wallenstein ^gratiosi^ sind und in
Böhmen mycket förnih. (Nicolai, Mai 17, Nn 153 St 145.)
*) Literae fidel (a, a, 0. S. 147), Wittich (a. a, O. S. 400) meint»
dieser Sendung sei ^joffenbar" der Oberst Schlief* Aber Schlief
wohnte in Dresden, der Sendling kam von Prag und ging nach
Prag zurück (S. 147); der Sendling hatte noch einen ^unverderbten**
Rest seines Vermögens in Böhmen, also liegende Güter (S. 140),
Schlief hatte daaelbst nur «ausstehende** Schuldforderungen (Hall-
wich I, Nr, 547 S. 456. Vgl. Schlief s Aussagen, Irmer III, 454).
Nicht weginterpretieren laßt sich auch, daß Schlief selber in den
Mitteilungen (S. 141) genannt und von dem Sendling unterschieden
wird, — Beachtung verdient noch folgendes: über des Abge-
sandten Werbung berichtet Nikolai dem Oxenstierna am 17, Mai,
Etwa acht Tage früher (nämlich vier Wochen vor dem 8, Juni;
vgl Irmer II, Nr. J71 S, 183) berichtet er demselben schon über
dieselben Projekte, wie sie dann in jener Werbung behandelt
werden, und am 26, Mai erteilt ihm Oxenstierna darauf eine Ant-
wort (vgl, das angeführte Schreiben S, 183 und S* 173 Z* 5 f,), die
wieder vor die ebenfalls das böhmische Projekt mitberührende
Werbung Bubnas fällt. Trotz dieser Verschiedenheiten falit
Nikolai (a, a. 0, S. 183) die ganze im Winter anhebende Kette
der auf die Eroberung Böhmens für Wallenstein bezüglichen
Umtriebe unter dem Wort ^ Bubnas Negotiation** zusammen. Die
gleiche Vermischung verschiedener Unterhandlungen wegen Gleich-
heit des Gegenstandes findet sich in den Anm, 2 zitierten
Schreiben.
Hiitorische ZeiUchrifl <97. Bd,) X Folge 1. Bd, 18
270 Moriz Ritter,
böhmischen Krone durch Wallenstein und mit schwedischer
Hilfe zielten, daß aber eine Mitwissenschaft Wallensteins
nicht vorlag, jedenfalls nicht zugestanden ward, 4. Auf
dasselbe Ziel einer kriegerischen Erhebung Wallensteins ■
gegen den Kaiser, die dem Feldherrn auf Grund eines
Kriegsbündnisses mit Frankreich die böhmische Krone
einbringen solltej ging eine vierte Reihe von Verhand-
lungen, in welche der oben genannte Kinsky seit Mai 1633 m
mit dem französischen Gesandten Feuquiferes eintrat, ■
auch sie begonnen und durch das Jahr 1633 fortgeführt
ohne erweisbaren Auttrag Wallensteins, nur in der Hoff-
nung, ihn im geeigneten Augenblick für das Unternehmen
zu gewinnen. fl
Die wichtigste unter diesen vier Reihen ist gewiß
die erste. Betrachten wir das Wesentliche ihres Inhalts,
wie es sich aus den unmittelbar aus den Verhandlungen
hervorgegangenen Akten und der Korrespondenz Arnims
mit den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg er-
gibt. Wiederum muß man hier damit beginnen, drei Ab- ■
schnitte zu unterscheiden, durch welche die Verhandlung
verläuft Im Mittelpunkt des ersten steht der zwischen der
kaiserlichen und sächisch-brandenburgisch-schwedischen fl
Armee, die bei Heidersdort und Langen-Ols sich gegen-
überstanden^ geschlossene Waffenstillstand , anberaumt
auf die vierzehn Tage vom Abend des 7, bis 2L Juni
und verlängert bis zum 25. Juni.^) Wiederum ein Waffen-
stillstand, abgeschlossen auf vier Wochen am 22. August,
dann verlängert bis zum 2. Oktober-), steht im Mittel-
punkt des zweiten Abschnittes. Ohne Waffenruhe, zeit-
lich aber fast unmittelbar an die zweite Epoche sich an-
schließend, beginnt eine dritte etwa mit dem 6. Oktober^) ■
und zieht sich dann in schleppendem Gang, in dem die "
Verhandlungen zunächst vom Herzog Franz Albert von
0 Hall wich n, Nr. 1 115 S. 282,
*) Förster UI, Nr. 386 S. 50. Irmer II Nr. 254 S. 356.
«) Wallensteins Paß für H. Franz Albert, Hallwich J, Nr. 750
S. 621, Vgl Wallenstein an Adam von Waldstein, Oktober 6.
(Nr. 745 S. 618.)
I
Der Untergang Wallensteins.
271
Sachsen-Lauenburg, als Vorläufer Arnims, geführt werden,
bis zu Wallensteins Untergang hin.
Gegenstand all dieser Verhandlungen war die Her-
stellung des Friedens im Reich, eine Aufgabe, die man
durch eine doppelte Vereinbarung zu lösen suchte: ein-
mal über die Bedingungen des Friedens, sodann über
die Art, wie die Annahme derselben bei den kriegführenden
Mächten erwirkt werden sollte. In der ersten Verhand-
lung nun suchte Wallenstein diese doppelte Vereinbarung
in eine höchst lakonische Formel zu fassen: beide Heere,
d. h. das kaiserliche unter Waüensteinj das sächsisch-
brandenburgische unter Arnim, verbinden ihre Waffen
gegen diejenigen^ welche den Stand des Reiches weiter
zerrütten und die Religionslreiheit hindern wollen.^) Aber
diese Kürze war nicht im Sinne Arnims, Zunächst be-
seitigte er die Unklarheit, ob neben der sächsisch-branden-
burgischen Armee auch das schwedische unter dem Be-
iehl des Grafen Thurn mit ihr zusammenwirkende Korps
verstanden sein solle, dadurch, daß er in Abwesenheit
des erkrankten Thurn einen seiner Obersten zu der über
Waffensteins Vorschläge, wenigstens den Waffenstillstandj
geführten Beratung zuzog und so den Einschluß dieser Ab-
teilung in den Waffenstillstand bewirkte. Dann aber trat
er an Wallenstein mit einer Erklärung seiner Worte heran:
unter dem Stand des Reiches verstehe er denjenigen^
der vor Ausbruch des Krieges, im jähre 1618, in Sachen
') Die Frage, ob in den alsbald in Umlauf kommenden an-
geblichen Fnedensvorschlägen Wallensteins ein Kern von Wahr-
heit liegt, will ich hier nicht untersuchen. Ich hebe nur zm rich-
tigen Beurteilung des Inhalts die erzählenden Worte hervor, welche
der kürzeren Redaktion (zuerst bei Aretin S. 93, dann bei Ranke
S. 330; dann bei Hallwich 11^ Nr 1108 S. 274) vorausgehen: es sollen,
sagt Wallenstein, in dem Frieden „diejenigen Punkte allein (bei
Ranken talle*), so sie selber (der Cegenpart) vorschlagen würden,
eingegangen werden. Hat auch hierzue nachfolgende vorzu-
schlagen angefangen.* Also die Wallenstein in den Mund ge-
legten Vorschläge sollen nur ein unvorgreiflicher Anfang sein.
Hierdurch kann man es erklären, daß sowohl in den vier Punkten
der kürzeren, als in den sieben Punkten der längeren Fassung
jiur gleichsam zufällig berausgegritfene Vorschläge erscheinen.
18*
nz
Morlz Ritten
der Religion und aller Rechte geherrscht habe, und unter
dem bloßen Nichtzerrütten verstehe er die positive Her-
stellung desselben.*)
Dürften wir nun Arnims Worten glauben, so hätte
Wallenstein diese Erklärung anerkannt.^) Prüfen wir aber
die Schreiben der Obersten Trzka und Gallas^ in denen
Wallenstein dieses Anerkenntnis niederlegte^), so bemerken
wir, daß, genau genommen. Wallenstein nicht die Inter-
pretation Arnims, sondern nur die „Intention*', die ihn zu
deren Niederschrift bewogen hat, billigt. Also eine Zu-
stimmung, die nach Bedürfnis anerkannt oder auch, wie
sich gleich zeigen wird, abgeleugnet werden konnte.
Und zu dieser ersten Unklarheit gesellte sich alsbald
eine zweite.
Nach den kurzen Worten Wallensteins sah es so aus,
als ob die beiden Feldherrn den Frieden anzuordnen und
dessen Annahme einfach zu erzwingen hätten. Hier je-
doch erinnerte sich Arnim, daß er nur der von den Kur-
fürsten von Sachsen und Brandenburg bestallte Offizier
sei, daß er lolglich die ihm gewordenen Anträge zunächst
diesen seinen Kriegsherren*) vorzulegen habe. Wie er
aber demgemäß mit dem sächsischen Kurfürsten zu Or-
trand (18. — 2L Juni), mit dem brandenburgischen zu Peitz
(22. — 23* Juni) konferierte, erhob sich sofort die weitere
Frage nach der auf Schweden zu nehmenden Rücksicht.
Die Räte des sächsischen Kurfürsten erkannten leicht,
daß Wallenstein an die im Jahr 1632 angestellten Be-
mühungen um einen Separatfrieden mit Sachsen und
weiter mit Brandenburg anknüpfe, und daß unter den
Friedensstörern im Reich, gegen die man die Waffen
*) In der kiirsachsischen Instruktion für Arnim (Gädeke Nr, 77
S. 190) werden Walle nstein bereits Worte in den Miind gelegt, die
dieser Erklärung entsprechen.
') Arnim an Kursachsen, 1633 Juni II. (Gädeke Nr. 56
S* 160 Z. 70
*) Beide vom 8. Juni. Hallwich I. Nr. 472 S. 398. Neues
Archiv i sächsische Geschichte Vll S* 291 Nr, tO.
*) Nach dem Text bei Gädeke (Nr. 57 S, 161) nimmt er in
Beiner Erklärung an Wallenstein vom 7. Juni die Sache zu Bericht
an den Kurfürsten von Sachsen^ nach dem bei Hallwich (II, Nr, 47Ö
S. 397) an ^beiderseits cburf. Dd.".
Der Untergang Walletisteins*
273
vereinigen solle, an erster Stelle die Schweden gemeint
seien,*) Nun aber hielt ihr Kurfürst noch an dem Ent-
schlüsse festj sein mit Gustav Adoll geschlossenes Bünd-
nis mit Oxenstierna fortzuführen, und wenn auch jetzt
schon hinter dieser Entschließung ein Vorbehalt stand^
den Arnim bereits am 30. November 1632 trelfend in dem
Bedingungssatze wiedergab^): „wenn die Schweden als
Zweck des Kriegs einen baldigen, guten und ohne Zer-
rüttung des Reichs zu treffenden Frieden anerkennen
wollen", so wiederholte Johann Georg doch gerade in
jenen Tagen dem französischen Gesandten die Erklärung,
daß er „auf keinen Vorschlag eines Sonderfriedens ein-
gehen werde,'' ^)
Zu diesem einen Grunde ablehnender Haltung kam
noch ein zweiter. Am 25. Mai hatte der König von
Dänemark, in seiner Eigenschaft als Friedensvermittler,
die förmliche Einladung zu einem allgemeinen am 23. Juli
in Breslau zu eröffnenden Friedenskongreß an den Kaiser
sowohl, wie an den sächsischen Kurfürsten erlassen.
Johann Georg selber hatte sich seit dem 5. April für das
Zustandekommen dieses Kongresses eifrig verwandt;
sollte er Ihn nun durch eine Sonderverhandlung selber
durchkreuzen? Diese Erwägung entschied vollends die
Haltungj welche der sächsische Kurfürst gegenüber der
Zweideutigkeit des Wallensteinschen Vorschlags annahm.
Sich einfach die gemachten oder noch zu machenden
Eröffnungen Walle nsteins zu verbitten, kam ihm nicht in
den Sinn, und ebensowenig hielt er sich, wenigstens einst-
weilen» für verpflichtet, solche Vorbesprechungen dem
schwedischen Bundesgenossen mitzuteilen^); aber vor-
läufig ließ er Wallenstein ersuchen, sie so lange ruhen
^) Jrmer (II, Vorw, S. 51) will Frankreich darunter verstanden
wissen. Aber die sächsischen Räte verstehen darunter des Kur-
fürsten „itzige Freunde** (Gädeke S. 167), Das aber waren wohl
die Schweden, mit denen er verbündet war, nicht aber die Fran-
zosen, deren Bündnisanträge er zurückwies.
*) Helbjg, Gustav Adoll S, 93.
^) N^eniendre ä aucune proposition de paix particulUre. (Feu*
quibres bei Auberyt Richelieu S. 398.)
*) Richtig hebt dies Struck hervor, (Johann Georg und
Oxenstierna S. 202.)
874
Moriz Ritter,
r
zu lassen, bis man über den Gang der Breslauer Ver*
Handlungen ein Urteil gewinne. — Abweichend in der
Begründung, aber übereinstimmend in dem Schluß^ daß
die Eröfinungen des kaiserlichen Feidherrn dilatorisch zu
behandeln seien, war die Entschließung Kurbrandenburgs.
Was also Wallenstein bei dem Versuch eines Sonder-
abkommens mit Sachsen zunächst fand, war eine zwar
nicht unverbrüchliche, aber vorläufige — und zwar, wie
nebenbei bemerkt sei, von tiefem Mißtrauen gegen seine
Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit begleitete — Ablehnung,
Wollen wir aber die Lage, in die er hiermit geriet, voll-
ständig übersehen» so müssen wir noch das Verhältnis der
kaiserlichen Regierung zu seinen Verhandlungen ins Auge
fassen.
Nach dem oben Ausgeführten hatte der Kaiser nichts
dagegen, daß Wallenstein in Sonderverhandlungen mit
Sachsen eintrat. Aber was er nicht gestatten konnte,
war, daß sein General willkürlich über die Grenze der
Zugeständnisse hinausging, die er, wie ebenfalls schon
dargelegt ist, in den Friedensverhandlungen eingehalten
wissen wollte. Nun fügte sich*s» daß durch einen Ver-
trauten Wallensteins selber, den Obersten Sant-Julian»
die Nachricht an den kaiserlichen Hof kam, daß der
Feldherr in die Besprechungen mit Arnim mit der Ab-
sicht eingetreten sei, im Friedensvertrag den Stand von
1618 herstellen zu lassen. Sofort rief diese Nachricht
eine solche Erregung hervor, daß Wallenstein den gegen
ihn aufsteigenden Unwillen erst durch ein aufklärendes
Schreiben an Sant-Julian, dann ein zweites an den Kaiser
zu beschwichtigen suchte* Worin aber bestand seine
Autklärung? Er habe» sagte er, eine solche Anregung
nie gegeben und, als sie von der gegnerischen Seite ge-
kommen, sie „kategorice rebutiret". Überhaupt, so er-
klärte er dem Kaiser^), habe die Besprechung nur die
Förderung der in Breslau vorstehenden Friedensver-
handlung bezweckt
*) Wallenstein an Sant-Julian, 1633 Juni IS* Eggenberg an
Wallenstein^ Juni 20. Questenberg an denselben^ Juni 18. Wallen-
stein an den Kaiser, Juni 20, (Hallwich I, Nn 476* 479. 4S2. 509.)
I
1
Der Untergang Wallenstelns.
27i
Angesichts dieser Rechenschaftsablage versteht man
es, weshalb Wallenstein jene von Arnim ihm zugemutete
Erläuterung seiner Worte in so zweideutiger Form gab;
aber unleugbar ist auch, daß seine Angaben über die
kategorische Zurückweisung dieser Zumutung und über
den bloß vorbereitenden Zweck seiner Besprechung
lügenhaft waren und den Kaiser in die Irre führen sollten,
Damit aber gewinnt auch ein in seinem oben angeführten
Vorschlag von der Vereinigung der Heere gegen die
Friedensstörer befindlicher kleiner Zusatz^ daß sie näm-
lich gelten sollte, ^ohne Respekt einiger Person'' erst
seine volle Tragweite: nicht nur den Schweden, sondern
auch seinem Kaiser vermaß sich Wallenstein den Frieden
über den Kopf zu nehmen, wenn nötig durch die Gewalt
der Waffen*
Nachdem wir nun den Zweck und die Hindernisse
dieser ersten Verhandlung Wallensteins erkannt haben,
können wir über den Ausgang derselben rasch hinweg-
gehen. Die ablehnenden Erklärungen des sächsischen
Kurfürsten bedeuteten für Wallenstein ein vorläufiges
Scheitern seiner Pläne, und wie er nun durch die ver-
suchte Überrumpelung von Schweidnitz (3. Juli fg,) den
Gegner in die Enge zu treiben suchte, hier aber vor der
entschlossenen Gegenaulsteilung Arnims innehalten mußte,
fügte er zu seiner diplomatischen auch noch eine mili-
tärische Niederlage hinzu. Dies hielt ihn jedoch nicht
ab, sich um die Wiederaufnahme der Verhandlung zu
bemühen, und amTl6, August konnte denn auch zwischen
den jetzt bei Schweidnitz einander gegenüber stehenden
Heeren die zweite Konferenz der Feldherren beginnen.
Treten wir an diese neuen Besprechungen mit der Frage
heran, ob sie, verglichen mit den vorausgehenden, etwas
wesentlich Neues enthalten.
In der Tat findet sich ein Fortschritt gegen früher
in drei wichtigen Punkten. Zunächst, Wallenstein ließ
sich zu einer positiven Erklärung herbei über die Grund*
läge, auf welcher der Friede im Reich zu schließen sei^);
*) „Vorgeschlagene Friedensmiltel und Traktaten**' (Franz
Albert an Kursachsen, 1633 September 6. Hallwich II, Nr, 1H7
)
274 Mork Ritter^
sie besagte, daß „ Religion- und Profanfriede^ wieder ^auf
den rechten Fuß", d. h. wohl auf den Stand, wie vor dein
Krieg ^)j zu setzen seien* Diese Erklärung wurde von
Arnim genehmigt-), und als Grundlage der Verständigung
war sie auch dem sächsischen Kurfürsten willkommen,
nur daß er, als die Sache an ihn kam, eine umfassende
Ergänzung verlangte: es sollte, und zwar in einem
weiteren Abkommen mit Wallenstein, eine Anzahl von
besondern auf dem Grunde des Religionsfriedens und
des Reichsrechls erwachsenen Streithändeln entschieden
werden.
Vonseiten Wallensteins bedeutete indes auch ohne
solche ErgänzungenJ die nun klarer ausgesprochene An-
nahme des Standes von 1618 eine nicht geringe Konzes-
sion an den protestantischen Standpunkt und zugleich
eine Schärfung seines geheimen Gegensatzes gegen die
kaiserliche Regierung, Allein eine zweite viel größere,
weil den Grundgedanken seiner auf den Separatfrieden
I
I
I
S* 315) „Friedensconditiones, so der Fndland vorgeschlagen.*'
(Nicolai, September 6. Irmer H, Nr 236 S* 305,) Für das Folgende
im allgemeinen des Kurfürsten von Sachsen Memorial, Septem* h
ber 16. (Hallw^tch II, Nr. 1150 S. 318.) Mit ihm ist zu verbinden ■
das von Gädcke mitgeteilte Schreiben Arnims an Wallenstein, im
Neuen Archiv f. sächsische Geschichte VII, S. 2% Nr, 7* Die in
diesem Schreiben erwähnten „kaiserlichen Subdelegierten" können
nur die zum Brestauer Friedenskongreß delegierten kaiserlichen
Gesandten sein, welche Arnim als Subdelegierte bezeichnet, Indem
er Wallenstein (nach Analogie der Lübecker Verhandlungen) als
den eigentlich Bevollmächtigten ansieht. Da dieselben nach dem
6, und vor dem 9. September sich in Wallensteins Lager ein-
fanden (Hallwich II, Nr. 654, 663), so fällt das Schreiben nach dem
6. September. Da ferner die in dem Schreiben erwähnte, ^gestrig»
Tages" im geheimen Rat eröffnete Resolution des Kurfürsten allem
Anschein nach identisch ist mit dem Memorial vom 16. September,
welches er Arnim hat zustellen lassen, so fällt das Schreiben
au( den 17. September,
*) „in vorigen Stand**, so erläutert Thurn Wallensteins Ge-
danken. (Neues Archiv l sächsische Geschichte VII, 292.) VgL
Kaisers Aussage über ein Schreiben Wallensteins an H. Franz
Albert. (Irmer 111, S. 388 Nr. 3.)
') Daher der Ausdruck „abgeredte Tunkten" in dem eben
besprochenen Schreiben vom 17. September.
I
Der Untergang Wallensteins,
277
gerichteten Bemühungen durchkreuzende Zumutung war
eSj als jetzt Arnim, sicher im besonderen Auftrag seines
Kurfürsten^), auch die Zustimmung Oxenstiernas zu den
über den Frieden zu treffenden Abmachungen für nötig
erklärte* Aus dem Dunkel der hierüber geführten Aus-
einandersetzungen läßt sich nur so viel entnehmen, daß
Wallenstein widerwillig'-*) und, wie die späteren Vorgänge
lehrten^ mit trugvollen Hintergedanken es dem Arnim
gestattete, die Ergebnisse ihrer Konferenz nicht nur dem
sächsischen und brandenburgischen Kurfürsten, sondern
auch Oxenstierna zur Annahme vorzulegen. — Aber zu
diesen Ergebnissen gehörte nun noch eine dritte, und
zwar auf WaUensteins Vorschlagt) getroffene, vorläufige
Abrede: sie ging auf eine Vereinigung „der Armeen",
d* h, wenn wir zur Erklärung uns lediglich an den Schriften-
wechsel zwischen Wallenstein, Arnim und den protestan-
tischen Kurfürsten halten, auf eine Vereinigung der in
Schlesien stehenden kaiserlichen mit der sächsisch-branden-
burgischen Armee, zum Zweck der Herstellung von Friede
und Recht im Reiche, Vorgeschlagen hatte Wallenstein
diese Verbindung auch bei der letzten Verhandlung, aber
der Unterschied war, daß Arnim jetzt sichtlich mit besserer
Hoffnung auf eine Verständigung erfüllt war und darum
der Verbindung entschiedener das Wort redete.
Worauf beruhten diese gesteigerten Hoffnungen Ar-
nims? Dürfen wir seinen nach der Zerreißung dieses Ver-
ständigungsversuchs gemachten Angaben trauen, so hatte
') Er hatte eine förmliche Instruktion. (Gädeke Nr. &9 S, 182
Z. 2 V, u.)
*) Dies scheint mir aus dem Schreiben vom 2. September
unverkennbar hervorzugehen. Vgl. darüber Wittich Im Neuen
Archiv L sächsische Geschichte XXII, S. 61 Anm. 77. Unter der
mißbilligten Reise j^ln das Reich ^ kann nur die zu Oxenstierna
nach Gelnhausen verstanden sein, — Das von Wittich a, a. 0,
für die entgegengesetzte Auffassung angeführte Schreiben von
Callas gehört zum 8. Juni und bezieht sich nicht auf Arnims Reise
2u Oxenstiernaj sondern zu Kursachsen« Vgl S, 272 Anm. 3.
^) nWas wegen der Einigung der Armeen . . . von e, L G, vor-
geschlagen.'* (Neues Archiv f. sächsische Geschichte VII, S* 291
Nr. 9.)
270
Moriz Ritler,
er Wallen Steins Erklärungen dahin verstanden, daß er „ge-
sonnen sei, es mit den Evangelischen zu halten "*, und
zwar nicht bloß mit den deutschen Protestanten, sondern
auch „mit Schweden in Allianz" zu treten.^) Arnim er-
scheint also jedenfalls in diesem Abschnitt als Befürworter
der Einziehung Schwedens nicht nur in den zu schließen-
den Friedensvertrag, sondern auch in ein darauf zu grün-
dendes Kriegsbündnis, das sich dann nur gegen den Kaiser
und seine Verbündeten richten konnte. Traf er damit den
Sinn Wallensteins und seines sächsischen Kriegsherrn?
Das muß der weitere Verlauf der Verhandlung lehren,
den ich zunächst, wie ich nochmals bemerke, nur nach
dem Schritten Wechsel zwischen Arnim j Wallenstein und
den beiden Kurfürsten verfolge.
Drei Tage nach Abschluß des Waffenstillstandes trat
Arnim eine neue diplomatische Reise an. Am 29. August
konferierte er mit dem sächsischen Kurfürsten in Großen-
hain, am 9. bis 10. September mit Oxenstiernain Gelnhausen,
am 16. bis 17, September wieder mit Kurfürst Johann Georg
in Morizburgj am 19. mit dem brandenburgtschen Kur-
fürsten in Beeskow, um von dort zurück nach dem Lager
bei Schweidnitz zu eilen, wo am 25. September er persön-
lich, am 26. Herzog Franz Albert von Lauenburg in seinem
Namen die Schlußvcrhandlungen mit Wallanstein führten.
In diesen Besprechungen treten uns abermals, im Ver-
gleich mit den Juniverhandlungen neue Momente entgegenj
am auffallendsten in der am 16, September getroffenen
Entscheidung des sächsischen Kurfürsten,*)
Johann Georg geht in dieser Entschließung von der
Behauptung aus, daß Oxenstierna Wallensteins Vorschläge
schon im allgemeinen gebilligt habe; seinerseits erklärt
*) Arnim an Kurbrandenburg, 1633 September 27* (Förster
HI, Nr. 388 S. 73.)
■) Der Form nach ist diese Resolution» wie es am Schlüsse
derselben hei0t| ein „Memorial* für Arnim, Die von dem Heraus-
geber (Haliwich II, Nr, 1150) gewählte Bezeichnung „Vollmacht''
ist nicht korrekt. Sie ist angenommen von Lenz (S, 424 Anm, 4)^
wozu denn Irmer (II, Vorr. S- 73) auch noch eine von Oxenstierna
gegebene Vollmacht hinzufügt.
Der Untergang Wallenstema.
279
er dann hinsichtlich des für die Herstellung des Friedens
im Reich vorgeschlagenen Weges, daß er die von ihm
für nötig befundene Vereinbarung speziellerer Bestim-
mungen^ die mit Wallenstein noch zu treffen ist, nach
Kräften befördern will; was dann zweitens die Vereini-
gung der Armeen in Schlesien angeht, so will er einst-
weilen zwar nicht die Verbindung, aber doch das ^Coope-
rieren" der kaiserlichen und der sächsischen Armee „ge-
schehen lassen*^. Gewiß war diese zweite Entschließung
unbestimmt, und die erste eine Anweisung auf die Zu-
kunft, aber unverkennbar ist doch, daß der Kurfürst den
Versuch einer Verständigung mit Wallenstein hiermit viel
ernsthafter angriff, als im vorausgehenden Abschnitt der
Verhandlungen. Nur muß man nun um so eindringen-
der fragen, wie er bei diesem Versuche sein Verhältnis
zu Schweden und zum Kaiser zu bestimmen gedachte.
Aufschluß darüber geben zwei Schreiben Arnims, das
eine am 20. September an Oxenstierna^), das andere am
17. September an Wallenstein ^) gerichtet; dem schwe-
dischen Kanzler teilt er mit, daß der Kurfürst das „Haupt-
werk", also die endlichen Entschließungen über die speziel-
len Friedensbedingungen und über die wirkliche Ver-
einigung der Heere, auf eine neue Konferenz Arnims mit
ihm, dem Kanzler, ausgesetzt habe; dem kaiserlichen Feld-
herrn aber meldet er, der Kurfürst werde seinen Anträgen
wohl weiter entgegenkommen, wenn für die von ihm vor-
geschlagenen Friedensgrundlagen auch die Unterschrift
der drei kaiserlichen Gesandten, welche damals zur Teil-
nahme an dem Breslauer Friedenskongreß abgefertigt
waren, zu erlangen sei. Man sieht also, Johann Georg
dachte in diese neue Phase von Krieg und Unterhand-
lung einzutreten, indem er auf der einen Seite einen engen
Zusammenschluß mit Schweden in Aussicht nahm, auf
der andern Seite aber die Anknüpfung mit Wallenstein
in seine Beziehungen zum Kaiser einordnen wollte; und
nach dem Zusammenhang seiner bisherigen Politik dürfen
») Hildebrand Nn43 S. 54,
») VgU oben S* 276 Anm.
I
2S0 Möri2 Ritter,
wir wohl annehmen, daß ihm das letztere noch mehr am
Herzen lag, als das erstere. Wir erkennen aber auch
hier die Dinerenz zwischen ihm und Arnim, Die HoH-
nung des letztern stand damals auf ein gegen den Kaiser
zwischen Wallenstein, Schweden und den protestantischen
Kurtürsten zu schließendes Bündnis» und sein Verlangen
ging au! eine in diesem Sinne baldigst zu vollziehende
Vereinigung der schlesischen Heere. fl
Kam er aber etwa bei dieser Aulfassung der Absich- ^
ten Wallensteins näher? Eine Spur, daß dessen Wege erst '
recht von denen Arnims abführten, hat sich uns schon in H
den Anfängen der Unterhandlung gezeigt; mit erschrecken-
der Klarheit trat aber der Gegensatz dem sächsischen
General entgegen, als er vom Kurfürsten von Branden- fl
bürg, der eine ähnliche Erklärung ausgestellt hatte, wie
der von Sachsen, nun zu den Schlußverhandlungen mit
Wallenstein eilte. Wiederum kann ich mich über die hier
in Betracht kommenden Vorgänge kurz fassen. Wenn
in den Besprechungen vom 25. und 26. September Arnim
oder der Herzog Franz Albert auf die Vereinbarung
spezieller Friedensartikel drangen, so antwortete Wallen-
stein: erst seien alle, der Kaiser nicht ausgenommen, zur
Unterwerfung unter seine allgemeine Friedensformel zu
zwingen, dann werden die speziellen Friedensbestimmun-
gen sich schon finden.^) Wenn die sächsischen Generale
ihn zu einer Anerkennung der Verbindung mit Schweden
zu bringen suchten, so entgegnete er: die unverzüg-
lich in Angriff zu nehmende Aufgabe sei vielmehr Ver-
jagung der Schweden^ dann der Franzosen, der Spanier, ■
*) So verstehe ich die seheinbar abweichenden Äußerungen
in des Herzogs Franz Albert und Arnims Berichten (Irmer 111,423
und Förster III^ 72), erst: man soll alle angreifen^ welche „den
Frieden^ so wir gemacht (nämlich den Frieden ohne „die gewisse
Punkte**, Irmer S. 423 Z. 6 v. u., bloß nach der allgemeinen Formel),
sich nit wollen gefallen lassen**,— dann {Förster ni, 73 Z. 6v. u.):
nach Vertreibung der Fremden, als Hauptgegner des Friedens,
wollen wir „einen Frieden machen (nämlich den im einzelnen arti-
kulierten Frieden) nach unserm Belieben**, — Ober den Kaiser
vgl. Irmer IJt, 406 2,b,
i
Der Untergang WalJensteins*
281
kurz aller fremden Eindringlinge aus dem Reich; dazu
habe die sächsisch-brandenburgische Armee sich seinem
Oberbefehl zu unterstellen und wie im Sturm von Schle-
sien nach Oberdeutschland zu eilen.
Es versteht sich bei dem von Sachsen und Branden-
burg eingenommenen Standpunkt von selbst, daß nach
solchen Aussprachen die Verhandlung zerrissen wurde,
worauf denn Wallenstein und Arnim sich um die Wette
des Betrugs beschuldigten. Jedenfalls aber konnte Wallen-
stein darauf hinweisen, daß seine Schlußerklärungen sich
folgerichtig an die in den Juniverhandlungen gegebenen
anschlössen. Und diese Konsequenz bewährte er auch,
als er in den dritten Abschnitt der Verhandlungen ein-
trat. Elf Tage nach der Kapitulation von Steinau, am
23. Oktober, stellte Wallenstein dem Herzog Franz Albert
das Formular eines Separatvertrags mit den Kurfürsten
von Sachsen und Brandenburg zu, welches nicht weniger^
aber auch nicht mehr enthielt, als er vor einem Monat
geboten und gefordert hatte: Herstellung der kirchlichen
und staatlichen Rechtsverhältnisse in den Stand wie vor
Ausbruch des Krieges (hier heißt es noch bestimmter:
wie unter Rudolf IL und Matthias); auf Grund dieser
Friedenstormel sofortige^) Verbindung der beiderseitigen
Truppen unter Wallensteins Oberbefehl gegen diejenigen,
welcfie dem Friedenswerk widerstehen, besonders gegen
die „fremden Völker". Höchst charakteristisch, aber ge*
wiß dem Standpunkt entsprechend, den Wallenstein be-
reits im Juni eingenommen hatte, ist es, daß als Ver-
tragschließender nicht der Kaiser, sondern er, der Feld-
hauptmann, genannt wird.^)
Indes gerade in dem hiermit angedeuteten Verhält-
nis war, als Wallenstein in diese neuen Verhandlungen
eintrat, die Wendung im Gange^ die ihm verderblich wer-
den sollte: der Kaiser, tiber den er sich hinwegzugehen
vermaß, machte sich auf, um in die Kriegführung und
') Dies hebt Herasog Franz Albert hervor, November 10*
(Gädeke Nr. 117 S.24L)
") Schon von Lenz bemerkt: S. 436«
282 Moriz RUter,
Politik seines Generals einzugreifen. Hatte sich Wallen
stein auf einen derartigen Eingriff gefaßt gemacht und
Vorlcehrungen getrotien? Um hierauf eine Antwort zu
erhalten, müssen wir die zweite von den oben unter-
schiedenen vier Reihen der Unterhandlungen ins Auge
fassen*
Den Ausgang dieser Reihe bilden die Besprechungen,
welche Bubna im Aultrag des Grafen Thurn in der Nachti
vom 15. zum 16» und am Morgen des 16. Mai^) zu Git-*
schin mit WaUenstein hielt. Wie verhielt sich diese Unter-
handlung zu der drei Wochen später bei Heidersdorf mit
Arnim geführten? Prüft man die von Wallenstein aus-
gehenden Vorschläge, so wird man sagen: Übereinstim-
mung findet sich nur darin, daß Wallenstein in Gitschin^
wie in Heidersdorf die protestantischen Streitkräfte in
Schlesien zu sich herüberziehen will Während er aber
in Heidersdorf dieses Ziel mittels des Übertrittes Arnims
an der Spitze der sächsisch-brandenburgischen Armee zu
erreichen sucht, denkt er es in Gitschin durch den Ober-
tritt Thurns an der Spitze der viel kleineren schwedischen
Armee zu erreichen. Was soll dann aus dem sächsisch-
brandenburgischen Heer werden? Die Antwort hierauf
läßt Wallenstein erraten, indem er vorschlägt: unter sein
Oberkommando soll Thurn als Generalleutnant und Herzog
Franz Albert von Lauenburg als Feldmarschall treten. Da
Franz Albert diese Würde bereits im sächsischen Heer
bekleidete, so konnte nicht wohl sein Übertritt für sich
allein, sondern mit der sächsischen Armee in seinem Ge-
folge gemeint sein, so zwar, daß Arnim dabei völlig
herausgedrängt wäre. Es war eine perfide Rechnung,
die aber durch drei Umstände bestätigt wird: durch die
bittere Feindschaft, die zwischen Thurn und Arnim herrschte,
durch den Anschein, den sich Wallenstein den böhmischen
Parteigenossen Thurns gegenüber gab, daß er diese Feind-
schaft teile ^)j und durch desselben schon vier Wochen
früher ausgesprochene Behauptung, daß die j^meisten Offi-
I
I
») Lenz a. a. O, S, H.
») Wittich, H. 2. 68, 412.
Der Untergang Wallcnsteitis. 283
ziere" der feindlichen Armee in Schlesien „herein (d. h,
mit ihm oder den Seinigen) correspondiren*\>)
Nicht minder weit unterscheiden sich Waliensteins
Gitschiner von den Heidersdorfer Vorschlägen, wenn man
auf den Zweck der Vereinigung der Armeenj nämlich
den dadurch herbeizuführenden Frieden, sieht. Auch in
Heidersdorf hatte Wallenstein aul ein eigenmächtiges Zu-
greifen der Feldherrn gedeutet, aber daß dasselbe von-
seiten Arnims nur im Einvernehmen mit dem Kurfürsten
von Sachsen erfolgen werde, hat er sich gewiß nicht ver-
hehlt; dem Abgeordneten Thurns gegenüber entwickelte
er dagegen mit ebenso brutalem, wie abenteuerlichem
Selbstgefühl den Plan eines von den Feldherrn, zunächst
also von Wallenstein und Thurn, zu diktierenden Frie-
dens, den dann „die andern", d. h. der Kaiser sowohl,
wie Schweden, der bairische Kurfürst sowohl, wie der
sächsische zu „belieben^ haben, die beiden letztern mit
der sie gleichmäßig treffenden Zumutung „Geld her
schwitzen" zu sollen. Und nun die Friedensbedingungen!
Als Inhalt derselben gibt Wallenstein an^): gleiches Recht
für Protestanten und Katholiken^ Restitution derer, die
Unrecht erlitten haben, Herstellung der ^ alten Freiheiten
und Gerechtigkeiten", Meint er damit eine Neuordnung
im Reich oder in den kaiserlichen Hauslanden? Im letz-
teren Sinn verstand seine Worte der über diese geheimen
Vorgänge alsbald unterrichtete Graf Wilhelm Kinsky: wir
wollen, läßt er Wallenstein sagen ^), ^euch Böhmen alle
miteinander wieder in Böhmen setzen". Zu derselben
Erklärung führt auch der gleich noch hervorzuhebende
Umstand, daß der von Bubna überbrachte Antrag Thurns
sich lediglich auf Böhmen bezog. Damit aber ergibt sich
der eingreifendste Unterschied zwischen den mit Billigung
des Kurfürsten von Sachsen geführten Verhandlungen und
denjenigen der zweiten und dritten Reihe. In den Be-
*) An Kurfürst Maximilian, 1633 April 16. (Aretm, Bayerns
auswärtige Verhältnisse^ Anh. Nr. 73 S, 325,)
*) Relation ßubnas, Gädeke Nr. 15 S. 24 2. 14 v. u. f,, S. 25
2.8 r;, S. 26 Z. 17 V. u,
•) Irmer 11, 173.
284
Moriz Ritter»
sprecKungen der ersten Klasse ist nur von den im Reich
zu trelienden Neuordnungen die Rede, Ja im Hinblick
auf die Septemberverhandlungen wird gelegentlich von
dem sächsischen Oberst Vititum ausdrücklich bemerkt^):
^das Königreich Böhmen wäre nicht in den Conditionen
gewesen*^ Umgekehrt, das Los Böhmens erscheint in
der zweiten und dritten Reihe gerade als die vornehmste
Angelegenheit
Schon hieraus ergibt sich, daß die Verhandlungen,
welche Wallenstein in Gitschin und in Heidersdorf an-
knüpfte, nicht ineinander griffen, sondern sich widerspra-
chen. Noch deutlicher wird dieses, wenn man die Gegen-
vorschläge beachtetj mit denen Bubna die Propositionen
Waltenstcins beantwortete. Sehr einverstanden mit dem
gegen den Kaiser auszuübenden Zwang, verlangte er je-
doch, daß nichts ohne Oxenstiernas Genehmigung ge-
schlossen werde; nicht minder einverstanden mit der Her-
stellung der Rechte Böhmens, verlangte er jedoch, daß
dem Kaiser die böhmische Krone entrissen werde, und
trug Watlenstein an, sie zu ergreifen. Also statt bloßer
Unterwerfung des Kaisers unter einen den protestantischen
Retchsständen zugute kommenden Frieden, Beraubung
desselben in seinen Erblanden, statt der Verbindung mit
Sachsen zur Ausweisung der Schweden aus dem Reich,
Vertrag mit Schweden und Isolierung des sächsischen
Kurfürsten. Was erklärte nun Wallenstein auf diese wei-
teren Zumutungen? Er lehnte die Ergreifung der böh-
mischen Krone ab, allein so, daß die Ablehnung nicht
als unverbrüchUch angenommen wurde; er stimmte zu^
daß Bubna zur Berichterstattung über das Besprochene
sich zu Oxenstierna begebe, ja er ließ demselben seine
Bereitwilligkeit zu einer beiderseitigen Besprechung er-
klären, allein er hütete sich wohl, ihm einen bestimmten
Antrag oder ein bestimmtes Anerbieten zugehen zu lassen*
I
I
") Irmer H Nr, 282 S. 38b. Weiter ging auch in dieser Be-
ziehung der Kurfürst von Brandenburg, der schon am 22. Juni
Restitution der pfälzischen Kur und der Rechte der böhmischen
Krone verlangte. (Irmer 11, Nr. 1S8 S. 212.)
l
Der Untergang Wallensteins*
235
Einen unmittelbaren Erfolg hatte auch diese völlig
entgegengesetzte Anknüpfung nicht, Oxenstierna ergriff
au! die unsichere Botschaft die Stellung, welche er fortan
bei den weiteren ähnlichen Übermittelungen wahrte:
Wallenstein sollte ein Unterpfand der Zuverlässigkeit
seiner Absichten geben. Als solches verlangte er dies-
mal die Erklärung, daß er bereit sei, sich an Schweden
gegen Kaiser und Liga durch ein ähnliches Kriegsbündnis
zu fesseln, wie es am 23. April zu Heilbronn mit den
oberdeutschen protestantischen Reichsständen geschlossen
war. Natürlich wich Wallenstein dieser Zumutung aus,
und damit verlief die Verhandlung im Sande, — aber
doch nur, um bald nachher in höchst überraschender
Weise an anderer Stelle wieder aufzutauchen.
Die neue Wendung, auf die ich hiermit komme, ist
dadurch bedingt, daß Arnim in die Mitwissenschaft der
Thurnschen Intrigue, wenigstens soweit es sich um
Wallensteins Verbindung mit Schweden und den Raub-
krieg gegen Böhmen handelte, eindrang, dann die Leitung
derselben dem halb schwachsinnigen Grafen aus der
Hand nahm* Wir stehen hier vor einer Entwickelung,
die wir nicht in ihren Keimen und einzelnen Phasen,
wohl aber in ihren Hauptergebnissen verfolgen können.
Das erste Ergebnis tritt uns in den Tagen der Heiders-
dorfer Besprechungen entgegen: da ist die Feindschaft
zwischen Arnim und Thurn plötzlich in ein vertrautes
Einvernehmen umgeschlagen, und Thun rechnet darauf,
daß Arnim die bezeichneten Projekte begünstigen werde.
Wie es freilich mit dieser Begünstigung stand, zeigt sich
uns genauer, wenn wir die von Arnim infolge der Heiders-
dorfer Besprechungen mit seinem Kurfürsten geführten
Beratungen nach dieser Seite ins Auge fassen.
Was hier zunächst auffällt, ist, daß offene Mitteilungen
über die von Thurn angebahnte Verhandlung sich nirgends
finden. Aber die Rückwirkung dieser Dinge auf Arnims
Ratschläge erkennt man gleichwohl an zwei Stellen. \)
*) Treffend bemerkt von Struck, Johann Georg und Oxen-
stierna S, 207—210,
Hiatorische Zeitscfarilt (97. Bd.) ^ Folge L Bd. 19
286
Mpriz Ritter,
An der ersten sagt er: weist Sachsen Wallensteins dar-^
gebotene Hand zurück, so könnte er zur Vereitelung aller'
Friedensaussichten mit der „stärksten Partei**, d, h, mit
Schweden, sich verbinden. Sein Gedanke ist also, daß
Sachsen der Verbindung Wallensteins mit Schweden zu-
vorkommen solle. Hieraus ergibt sich Arnims zweiter
Ratschlag: man soll Wallenstein nicht mit bloßen j,Dis-
kursen**, sondern mit bestimmten Erklärungen, wie sein
,, Vorschlag gefiele", antworten, — ein weit aussehender
Rat, den er indessen wieder abschwächt, indem auch er
Sürs erste eine auf Hinhalten und weiteres Ausforschen
Wallensteins gerichtete Behandlung empfiehlt.
Ein zweites Stadium tritt uns aus den Schweidnitzer
Verhandlungen vom August entgegen. Schon aus dem
oben Dargelegten ergibt sich, daß Arnim damals der
Absicht, eine Verbindung Wallensteins mit Schweden zu
durchkreuzen, zugunsten der dreifachen Allianz Wallen-
stein, Schweden und Sachsen -Brandenburg entsagte,
natürlich in der Hoffnung, seinem Kurfürsten dabei eine
geachtete Stellung zu retten, und ohne Täuschung darüber,
daß dieser Dreibund eine viel schärfere Offensive gegen
den Kaiser werde ergreifen müssen, als bei den Heiders-
dorfer Besprechungen in Aussicht stand, i) Aber wie
Arnim die Ergebnisse der neuen Konferenzen seinem
Kurfürsten berichtete, wiederholte sich der Vorgang vom^
vorigen Juni: er verschwieg die geheimsten Eröffnungen"
Wallensteins und teilte diese nur dem Oxenstierna bei
der Gelnhausener Besprechung mit.
Soweit wir in das Geheimnis dieser Unterredung
eindringen können^), berichtete Arnim über das, was irifl
den Vorträgen vor dem sächsischen Kurfürsten die Haupt-
') Näheres über diese Wendung Arnims und die Stellung
Thurns dabei gibt Lenz S, 413f. (vgl. auch S. 409). Die von Wit-
tich (H. Z. 69, 20 Anm* 1) über die Datierung der beiden Schreiben
Thurns gegen Lenz au&gefijhrten V^ermutungen kann ich nicht
leiten.
') !n Oxenstlernas Schreiben an Herzog Bernhard haben wir
das Ergebnis dessen, was durch drei Köpfe hindurchgegangen
ist: Arnim hört, was Wallenstein sagt; Oxenstierna hört, was
Arnim sagt, und dem Herzog Bernhard wird berichtet ^ wai
1^
Der Untergang Wallensteins.
2B7
Sache war, nämlich die Vorschläge Wallensteins zur
Stiftung eines Friedens im Reich, nur höchst oberflächlich
und unvollständige aber gleich hier mit einer charakteri-
stischen Abweichung: unter den Bedingungen hatte er
auch eine auf des Kaisers Hauslande bezügliche zu
nennen, des Inhalts^ daß den Böhmen die freie Königs-
wahl zurückzugeben sei. Dann aber, als den eigentlichen
Gehalt der Wallensteinschen Pläne, malte er das Bild
eines Kriegsbündnisses zwischen Wallenstein, Schweden
und Frankreich aus, dessen vereinte Offensive Baiern
ruinierenj den Kaiser in Österreich und Steiermark, die
Spanler in Italien heimsuchen sollte. Es waren unge-
heuerliche Entwürfe, die aber vor dem kalten Blick Oxen-
stiernas sofort dadurch an Festigkeit verloren, daß Arnim
keine Vollmacht besaß, auch nur ein einziges bindendes
Angebot im Namen des kaiserlichen Feldherrn zu machen,
ja daß er selbst für den Ernst dieser Vorschläge nicht
einstehen wollte. So war denn auch die Antwort Oxen-
stiernas nach seiner einmal ergriffenen Stellung von
vornherein gegeben: Wallenstein solle ein Unterpfand
geben, indem er von Projekten zur Tat voranschreite,
dann werde er „von uns nicht gelassen werden*"; übrigens
sei man auch bereit, in eine Verhandlung über die Aus-
führung des großen Unternehmens einzutreten*
Wie der kaiseriiche Feldherr auf diesen Versuch, ihn
beim Worte zu nehmen, antwortete, ist schon gesagt;
aber scharf müssen wir jetzt die Frage stellen, wie in
den Beziehungen Wallensteins zu Oxenstierna, sowohl
den von Bubna, wie den von Arnim vermittelten, die
Widersprüche zwischen Annähern und Abspringen zu
erklären sind. Eine Erklärung, die deshalb glaubwürdig
ist, weil sie allein eine Lösung der Widersprüche bietet,
gibt Wallenstein selber in zwei Äußerungen bei den
Schlußverhandhmgen mit Arnim. Auf des letztern Vor-
haltung, daß seine früheren Vorschläge das Gegenteil
seiner gegenwärtigen seieUj bemerkte er: „er sei noch
Oxenstierna verstanden hat. (Inner II, Nr, 242 S» 310. Dazu die
Mitteilungen Oxenstiernas an Feuqui^res bei Aubery S. 415 f.)
19*
28S
Moriz Ritter,
der Meinung, aber das wollte er zuletzt sparen" ; und ein
andermal: ,,er müßte eine Zwickmühle behalten,''^) Der
Sinn dieser Worte kann nur sein: er halte sich beide
Wege, zunächst die Verbindung mit Sachsen im Gegen-
satz gegen Schweden, dann dieselbe Verbindung in Ge-
meinschaft mit Schweden, oflen.
Bis zu diesem Punkte gelangt^ glaube ich nunmehr
zurückblicken und die bisher verfolgte Politik Wallen-
steins folgendermaßen erklären zu können: sein eigenstes
Verlangen ging auf die Herüberziehung der sächsisch-
brandenburgischen Armee und einen Sondervertrag mit
den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg, in dem
die Grundzüge eines Reichsfriedens festzustellen waren,
mit weitgehenden Zugeständnissen an die Forderungen
der protestantischen Reichsstände — natürlich ohne
Wallensteins Ansprüche zu vergessen — , aber auch mit
der fernem Bedingung der Befreiung des Reichs von
den Schweden und andern Eindringlingen,^) Dem Kaiser
sollten diese Bestimmungen autgenötigt werden, und mit
Rücksicht auf die letzte Bedingung mochte man ja auch
seine Unterwerfung mit einem gewissen Rechte fordern
zu können glauben. Wie aber, wenn er sich unterstand^
die Unterwerfung zu verweigern, ja im Verein mit Baiern
und Spanien die Politik seines Feldherrn und dann auch
diesen selbst aus dem Wege zu schaffen? Für diesen
Fall hatte Wallenstein seine Beziehungen mit Schweden
angeknüpft; er rechnete darauf, im entscheidenden Augen-
blick, wenn er den Kampf für seine Stellung aufnehmen
müsse, die Kette der sächsischen und der schwedischen
Beziehungen zusammenschließen zu können zu einem
Bündnis mit beiden Mächten und zu einer Politik, die
statt der Beruhigung und Integrität des Reichs die Rache
am Kaiser und seinem Haus auf ihre Fahnen schrieb-
M Förster III, Nr, 388 S, 74. Hildebrand Nr. 47 S. 58.
') So auch Thurn 16S3 August: Wallensteins erste und wohl
^noch im Herzen** gehegte Gedanken waren, sich „Frankreichs
und Schwedens zu entschlagen, sich mit beider churf. Dd. Armeen
zu conjungiren und das Rom. Rekh in vorigen Stand zu setzen*.
(Neues Archiv f, sächsische Geschichte VII, S. 292 Nr. IL)
I
I.
Der Untergang Wallenstems.
289
Daß Wallenstein diesen Moment der verzweifelten
Entschlüsse in den letzten Tagen des September zwar
noch nicht für unvermeidlich hielt, aber doch schon aus
der Nähe drohen sah, zeigen die offenen gegen Arnim
gebrauchten Worte, Nun aber müssen wir, um noch
einen Grad weiter in seine Besprechungen einzudringen,
hinzunehmen, was oben (S. 268) über die dritte und vierte
Reihe von Umtrieben gesagt ist, die eine auf Wallensteins
Verbindung mit böhmischen Verschwörern, die andre auf
seinen Anschluß an Frankreich zielend. Ich habe be-
merkt, daß diese Intriguen in Wallensteins Interesse, aber
ohne seine erweisbare Mitwissenschaft betrieben wurden.
Hier aber muß die Frage gestellt werden, ob nicht schließ-
lich der Zeitpunkt herankam, da der überkünstliche Rechner
auch diese Fäden ergriff, um sie mit seinen sächsischen
und schwedischen Beziehungen zu verflechten. Einen
Fingerzeig dürfte uns in dieser Richtung die Stellung des
Mannes geben, der im Mittelpunkt jener böhmischen und
französischen Umtriebe steht, des Grafen Wilhelm Kinsky*
Gewiß ist es nicht ohne Bedeutung, daß Wallenstein seit
dem 21. Juni*) wiederholt^) den Grafen zum Besuche
auffordert, um mit ihm über die aus den Verhandlungen
mit Sachsen und Schweden sich ergebenden Fragen sich
zu besprechen, ja wenn wir der Angabe Kinskys trauen
dürfen, so war der General gegen Anfang August schon
soweit in das Geheimnis der Kinskyschen Verhandlungen
eingedrungen, daß er über den Stand derselben sich
brieflich erkundigte*^) Mit Sicherheit freilich können wir
^) An diesem Tage das Urlaubsgesuch des Herzogs Franz
Albert für Kinsky an Kursachsen. (Hall wich II, Nr. 1115 S. 282.)
Der betreffende Wunsch Wallensteins war kurz vorher^ nachdem
am 17, Juni der Waffensüllstand um einige Tage verlängert war^
ausgesprochen. — Über die Aufnahme der Emladung durch Kinskys
Nicolais Tagebuch, Juli 2. (Irmer II, Nr, J99 S* 240)
*) Anfang August: Irmer Itl, S5 Anm,, dann wieder während
des vom 22. August ab laufenden WaffenstillstandeB (Steinecker
an Oxenstierna, Oktober 4. Hüdebrand Nr* 49 S* 60, VgL Feu-
quiferes, August 22, Letires ei n^gociations II, 68*)
*) In dem eben angeführten Bericht. Der dort gebrauchte
Ausdruck ^ses (Waüensteins) propositions* darf nicht irreführen;
gemeint sind die im Mal von Kinsky gemachten Propositionen.
290
Mom Ritter^
nicht sagen, was Waltenstein im Sommer und Herbst
mit dem böhmischen Emigranten besprechen wollte^ aber
als am 26, Dezember der Graf Trzka Wallensteins Ein-
ladung erneuerte, da konnte er schreiben: der General
sei entschlossen» nicht nur mit Sachsen und Branden-
burg, sondern auch mit Schweden und Frankreich ^sich
zu veraccordiren^.^)
Hiermit ist die letzte Epoche in Wallensteins politi-
schen Umtrieben angekündigt, diejenige, in der er sich
anschickt, den Bruch mit dem Kaiser zu vollziehen und
die verschiedenen bis dahin nebeneinander geführten
Unterhandlungen ineinander zu verflechten. Und Kinsky,
als er am 8. Januar 1634 in Pilsen eintraf, war der frei-
willige Diplomat, der für diese Verflechtung die eifrigsten
Dienste leistete. Aber hiermit ist meine Untersuchung
auch auf ein Gebiet gekommen, auf dem sie den Arbeiten
der Vorgänger in wesentlichen Punkten nur wenig nach-
zutragen hat — , es sei denn, daß sie das Urteil über
Wallensteins Leistungen als Staatsmann noch um einen
Grad tiefer herabstimmt. Schon die bisherigen Erörte-
rungen haben ahnen lassen, was genauer allerdings nur
eine ins einzelne eindringende Darstellung zeigen könnte,
daß Wailenstein das Gewirre der politischen Verhältnisse
in keiner Weise zu beherrschen vermochte. In seinen
Unterhandlungen stürmt er mit blindem Selbstvertrauen
auf den Partner mit seinen Vorschlägen ein, begnügt sich
mit scheinbaren Abreden, in denen beide Teile einander
hinters Licht führen, und springt jäh ab, wenn sich die
Abrede als Scheinwerk herausstellt. Hierdurch und zu-
gleich durch das weitschichtige, halb zugestandene, halb
verleugnete Anknüpfen von Beziehungen verschiedenster
Art verscherzt er am Ende überall das Vertrauen und
daneben den Respekt, Wie sich unter solchen Verhält-
nissan sein letzter diplomatischer Feldzug vom Ende
Dezember 1633 bis Ende Februar 1634 gestaltete, können
wir schon beurteilen, wenn wir fragen, ob er mit einer
einzigen Macht zu einem Einvernehmen gelangte? Etwa
0 Gädeke Nr. 102 S. 2U.
I
Der Untergang Wallensteins.
291
mit dem Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen? Der
erstere zog sich auf seine neuen Annäherungsversuche
in eine völlig ablehnende Haltung zurück, letzterer, neuer-
dings in eine gereizte Stimmung gegen Schweden geraten,
verstand sich wohl nach dreiwöchentlicher Überlegung^)
zu dem Entschluß einer, jetzt wieder ohne vorherige An-
frage bei Oxcnstierna aufzunehmenden Separatverhand-
lung, aber die Instruktion, die er am 18. Februar für
Arnim ausstellte^), löste sich eigentlich in lauter Bedin-
gungssätze auf: wenn Wallenstein eine kaiserliche Voll-
macht auflegt, und dann zwischen ihm und Arnim über
die ganze Reihe der wesentlichen Forderungen der pro-
testantischen Reichsstände insgesamt und des sächsischen
Kurfürsten insbesondere eine Einigung zustande kommt,
so mag ein für Kaiser und Liga einerseits, für die pro-
testantischen Reichsstände anderseits geltender Vertrag
aufgesetzt werden; wenn gegen die einem solchen
Frieden hartnäckig Widerstrebenden — gemeint sind
wohl Schweden, Frankreich, auch der Kaiser — die beider-
seitigen Heere zu ihrer Bezwingung vereinigt werden
sollen, so wird der Kurfürst darüber erst noch einen be-
sonderen Vergleich mit Wallenstein schließen^); wenn
Wallenstein als sein eigentliches Vorhaben einen Angrilf
gegen den Kaiser und sein Haus angibt, so suche Arnim
ihn auf „verantwortlichere Wege" zu bringen usw.
Und wie stand es mit Frankreich und Schweden?
Wohl ließ Ludwig XfIL am L Februar 1634 eine Instruk-
tion für Feuquiferes ausfertigen*), in der auf bestimmte
Verpflichtungen Wallensteins bestimmte Gegenverpflich-
tungen Frankreichs angeboten wurden. Allein auch jetzt
*) Von den am 27. Januar Ib34 an Arnim gestellten Fragen
(Inmer lll. Nn 390 S. 173) gerechnet,
>) Gädeke Nr. 135 S. 274. Daau Nr. 134 S. 273; ferner Reso-
lution des Kurfürsten auf Arnims Fragen, Februar 13; bei Ranke
S. 356. Vgl Hall wich II, Nn 1266 S, 459.
*) S, 278. Die daselbst Z. 15 v. u. erwähnte „Vereinigung
beider Armeen" nach geschlosseneni Frieden bezieht sich auF
Arnims Anfragen Nr. 8. 9. 13 (Ranke S. 355 und au! des Kurfürsten
Resolution Nr, 8. 9, 13 (Ranke S. 359).
*) Rose, Herzog Bernhard I, S. 455 Nn 44.
konnte WaUenstein sich noch nicht entschließen, mit
seinem eigenen Namen hervorzutreten; statt seiner mußte
Kinsky dringende Einladungen an den Gesandten zur Er-
öilnung einer Vertragsverhandlung und glänzende Zu-
sicherungen gelangen lassen — , aber ohne Wallenstein
zu verpflichten* Und derselbe Kinsky war es, der mit ähn-
lichen Aufforderungen den alten Zwischenträger Raschin
an Oxenstierna sandtet) Kein Wunder, daß da Feuquiferes
mit der Absendung eines Substituten zögerte^ bis es zu
spät war, und Oxenstierna seinen alten Spruch wieder-
holte: erst habe WaUenstein durch die Tat ein Unter-
pfand seiner ernsten Absichten zu geben. Es war nur
Herzog Bernhard, Reichsfürst und schwedischer General
zugleich, an den Wallenstein offener herantrat, aber erst
am 19. Februar, als sein Bruch mit dem Kaiser ent-
schieden, und er mit der Erdrückung durch kaiserliche
und bairische Streitkräfte bedroht war: da ließ er den
Herzog Franz Albert an Bernhard abgehen mit dem
Gesuch um den Zuzug seiner Streitkräfte. Anfangs miß-
traute ihm Bernhard noch; aber als Wallensteins Flucht
nach Eger alle Zweideutigkeit beseitigte, da war er geneigt*
den ehemaligen Feldherrn des Kaisers mit dem kümmer-
lichen Rest der noch zu ihm haltenden Truppen und den
von ihm etwa noch behaupteten Plätzen in den Verband
der schwedisch-deutschen Armee aufzunehmen, als einen
Überläufer mit verlorener Macht und Ehre*-J Man darf
wohl sagen, dieser Aussicht gegenüber war es eine
günstige Lösung, daß Wallenstein am Abend des 25. Fe-
bruar dem Überfall von Butler und Gordon erlag.
Das Verfahren des Kaisers gegen Wallenstein.
Will man in die Geschichte des Bruches zwischen
Ferdinand IL und Wallenstein eindringen, so muß man
die für die Entwicklung des Zerwürfnisses entscheidenden
Vorgänge^ daneben die Anfänge der Entfremdung der
0 Lenz S. 21. 443 f. 473.
») Chemnitz U, 337.
I
I
I
Der Untergang Wallensteins,
29S
hohen Offiziere von ihrem Feldherrn schärfer ins Auge
fassen. In ersterer Beziehung waren es die Heidersdorfer
Verhandlungen, aus denen der Keim der Unzulriedenheit
und des Mißtrauens hervorging.
Als Wallenstein im April 1633 mit den Vorbereitungen
seines schlesischen Feldzugs beschäftigt war, sprach er
die Erwartung aus, daß er den dort stehenden Feind bis
Mitte Juni unschädlich gemacht haben werde') — ^auf eine
oder andere Weise**j fügte er gelegentlich hinzu ^), näm-
lich durch Krieg oder Vertrag — ; gleich darauf werde er
dann auf dem oberdeutschen Kriegsschauplatz erscheinen,
um auch hier die Sachen in Ordnung zu bringen. Als aber
der von ihm gesetzte Termin herannahte, erfuhr man in
Wien, daß er dem an Zahl und einheitlicher Führung
vor ihm zurückstehenden Feinde einen Waffenstillstand
bewilligt habe. Sofort berichtet nun der spanische Ge-
sandte von dem tiefen Unwillen (grave senUmienlo) des
Kaisers und seiner Minister über diesen Schritt, „da man
für gewiß halte, daß er den Feind habe schlagen können"*^)
Verstärkt wurde dieser Unwille durch die bereits er-
wähnten Nachrichten von Wallensteins Konzessionen an
die Forderungen der Protestanten (S. 274)* Schlaffe Krieg-
führung und Verrat der katholischen InteresseUj darauf
richteten sich fortan die Vorwürfe gegen den kaiserlichen
Feldherrn.
Eine erste nachhaltige Steigerung erfuhren sie, als der
Kaiser dem in gemilderter Form ihm vorgebrachten An-
trag auf den Eintritt der Armee Ferias ins Reich im Gegen-
satz gegen Wallenstein seine rasche und volle Zustim-
mung erteilte (S, 256), und als dann vollends, seit Mitte
Juli, die Notwendigkeit des Entsatzes von Breisach den
1) An Aldringen, April 19. (Hallwich I, Nr. 323 S. 270. Vgl.
Nr. 347. 348.)
*) An Holk, Mai 26. (Nr. 444 S. 363.)
*) Castaneda an den Kardinal Infanten, 1633 Juni 14. (Brüs-
seJer Archiv, Secritalrerie d'^tat et de guerre Nr. 314. VgL WHtich,
Preuß. Jahrbücher XXIII^ 33.) Der Infant bemerkt dagegen am
21. August r ff hier** meint man, WaLlenstein könne sich gegen ios
curgos en quanio a no haver peUaäo justificar facii y cumptida^
mente (Nn 315).
294
Moriz Ritter,
Kaiser von der bloßen Gewährung des spanischen Truppen-
zuzugs zur dringenden Bitte ^) um denselben forttrieb,
der eigenwillige Feldherr aber auch jetzt noch auf seinem
Widerspruch dagegen beharrte. Da eröffnete Ferdinand
sein Ohr bereitwilliger den Vorstellungen Maximilians,
daß der wichtigste Kriegsschauplatz für den Kaiser nicht
in Schlesien, sondern in Oberdeutschland liege ^), daß aber
Wallenstein daselbst Hindernisse einwerfe, indem er nicht
nur die notwendigen Unterstützungen versage, sondern
auch die Unterordnung des Hilfskorps Aldringen unter sein,
des Kurfürsten, Kommando verweigere; er schenkte nicht
minder seine Aufmerksamkeit einem auch von Schlick
befürworteten Projekt , des Inhalts, aus den bairischen,
den zuziehenden spanischen und den in Oberdeutschland
stehenden kaiserlichen Truppen eine eigene Armee unter
dem Oberbefehl König Ferdinands IIL zu bilden.') Und
was er wirklich durchsetzte, war, daß Aldringen unter
dem Vorwand einer von Wallenstein erteilten, von ihm
selber nachträglich bestrittenen Zustimmung dem Ober-
befehl des Kurfürsten Maximilian überwiesen, dann im
Einvernehmen zwischen ihm, dem Kaiser, und Maximi-
liaUj der Armee Ferias zum Zug gen Breisach beigegeben
wurde.*)
Während aber so das kaiserliche Vertrauen auf den
Feldherrn zu schwinden begann, bemerkte man auch die
ersten Zeichen der Entfremdung hoher Offiziere. Im
August verließ der Marchese de Grana nach Resignation
seiner beiden Regimenter die Armee Wallensteins, um in
Wien seinen Sitz im Hofkriegsrat wieder einzunehmen^),
wo er sich bald als einer der schärfsten Gegner des Feld-
^) Castarieda rang den kaiserlichen Räten da$ Zugeständnis
ab, daö der Kaiser ein Jörmllcbes Bittschreiben an den Kardinal-
Infanten richte. (An den Infanten, Juii 30, Brüsseler Archiv Nn 314*)
*) Richel an Maximilian, August 10. (Jacob, Anhang S- 76/77,)
') Vgl* die drei Aktenstücke in den Mitteilungen des k. k.
Kriegsarchivs 1882, S, 199—205, Dazu Richels Bericht,
*) Vgl. oben S. 242 Anm. 2.
') Antelmi, 16S3 August 20, (Archiv L Österr Geschichts-
qucllen XXVIII, 390.)
k^
Der Untergang Wanenstdn&,
m
herrn hervortat.^) Am 26. desselben Monats^) traf Schlick,
der Präsident dieser obersten Kriegsbehörde, aus Wallen-
Steins Lager wieder am kaiserlichen Hofe ein, voll Er-
bitterung über den neuen Waffenstillstand, den Wallen-
stein mit Arnim geschlossen hatte, wahrscheinlich auch mit
gesteigertem Verdacht, daß Wallenstein Verrat am Kaiser
und der katholischen Kirche plane. Allem Anschein war
ihm nämlich ein Verzeichnis der angeblich von Wallen-
stein bei den HeidersdoHer Verhandlungen vorgeschla-
genen Friedensbedingungen (S, 271 Anm. I), das in einer
längeren und einer kürzeren Fassung im geheimen ver-
breitet wurdcj bei seiner Sendung nach Schlesien in die
Hände gefallen, und zwar in der längeren Fassung. Da
las er unter anderem, daß der Feldherr Restitution der
aus den kaiserlichen Erblanden Vertriebenen, Verjagung
der Jesuiten aus dem Reich vorschlage und für sich
Böhmen und Mähren beanspruche, den Kaiser aber zur
Annahme des Friedens zwingen wolle, indem er die Heere
der Vertragschließenden vor Wien führe. Mit eigener
Hand schrieb er die kostbare Enthüllung ab^) und wird
sie am kaiserlichen Hof schwerlich versteckt haben.
Noch bei einem anderen Offizier erwiesen diese Be-
dingungen sich als ein Mittel der Aufreizung. Im Juli
kamen sie dem Feldmarschall Aldringen in der kürzeren
>) Aretin (Walienstein, Anhang S. 91 und S. 98) teilt rwei
italienische Gutachten gegen Wallenstein mit, deren erstes von
Richei einem ^tf^^'^iegsrat*' (S. 90), das zweite einem „Rat** des
Kaisers (S. 98 Anm. I) zugeschrieben werden. Beide stammen
von e i n e m Verfasser, wie die Übereinstimmung des Passus S. 92
Z. 10 bis S. 93 Z, 15 (e quakhe altra commodltä) mit S. 103 Z. 7
bb S, 104 Z» 7 zeigt. Die Vermutung von Lenz (S. 412 Anm,),
daß der Verfasser der Marchese Grana sei, ist nahezu sicher Er
befindet sich bis Mitte 1633 in Wallensteins Armee (vgl. die Stellen,
wo er in erster Person spricht, S. 100 Z. 19 v. u. bis Z. 8 v* u*,
S. 101 Z. 9 V. u*: stftza noslro rischiö)^ ist zugleich Kriegsrat und
Italiener. Auf wen sonst sollen alte diese Merkmale zutreffen?
Über den Verfasser des in schauderhafter Textverstümmelung
von Höfler veröffentlichten italienischen Gutachtens (Lenz S. 411
Anm, 1) wage ich keine Vermutung auszusprechen.
*) Richelj August 28. (Jacob, Anhang S, 40 Anm. 85.)
1 *) Vgl, meine Bemerkungen in dieser Zeitschrift 95, 95.
296
Moriz Ritter,
Fassung zu, d* h, unter anderem ohne die auf Wallen-
steirts Bereicherung bezüglichen Bestimmungenj aber in
der erzählenden Erläuterung den Aufschluß gewährend,
daß der Kaiser sowohl wie der Kurfürst Maximilian zur
Annahme des Friedens gezwungen werden sollten, und
daß Wallenstein den Wunsch hege, das Land des letzteren
in eine menschenleere Wüste verwandelt zu sehen. Dieses
Schriftstück schickte Aldringen nicht etwa an Wallenstein,
als seinen unmittelbaren, noch an den Kaiser, als seinen
höchsten Vorgesetzten, sondern an den bairlschen Kur-
fürsten — , gewiß ein Beweis, daß er im stillen sich gleich-
falls auf die Seite der Gegner des Feldherrn schlug.^)
Endlich, mit dem Fall von Regensburg (15. November)
und dem Widerstand, den Wallenstein den auf die Ein-
bringung des erlittenen Verlustes gerichteten Befehlen
des Kaisers entgegensetzte, trat das letzte Stadium in
der Entfremdung des Kaisers von Wallenstein ein* Die
Punkte, auf die ich hier noch meine Untersuchung richten
möchte, beziehen sich auf die Zeit und die Einllüsse,
unter denen der Kaiser die Absetzung Wallensteins be-
schloß, und die Art, wie er sie durchführen wollte.
Mit den bezeichnenden Worten, daß er damit „den
Deckel von dem Hafen tue*", hatte Maximilian seinen Ge-
sandten Richel am 18. Dezember 1633 beauftragt -^ beim
Kaiser im tielsten Geheimnis die Veränderung des Kom*
mandos zu beantragen; am 28. berichtet der Gesandte,
daß er seinen Auftrag ausgerichtet habe; am Schluß
dieses Berichtes, und bestätigend am 31., kann er weiter
mitteilen, daß der Kaiser einigen zuverlässigen Personen
den Entschluß, Wallenstein abzusetzen, eröffnet habe,
und am 9. Januar 1634 ist er in der Lage, das vor
einigen Tagen von Ferdinand HL abgelegte Zeugnis zu
berichten: wenn Bayern „dies Werk nicht erheb, so er-
heb's niemand anderer".^) Hiernach würde, soweit es
*) A. a. O.
') Irmer llf, Nr. 319 S. 73. Bei Aretin (Anh. S. 88 Z. i) wird
statt ^vom 10, diß" zu lesen sein »vom 18**, wie es auch in der
späteren DepescheRichels vom 9. Jan, (Irmer IH, 118) richtig heißt
») Aretin Nr. 30 S. 86; Irmer IH, Nr, 329 S, 95; Nr. 343 S. 118.
I
I
I
I
I
Der Untergang Wallenstelns,
au! die Einwirkung befreundeter Mächte ankam^ der Kur-
fürst Maximilian den Anstoß zur Absetzung Waüensteins
gegeben haben. In der Tat hielt derjenige Gesandte, von
dem man eine gleiche Einwirkung voraussetzen möchte,
der seit Anfang November^) angekommene spanische Be-
vollmächtigte Oiiate, sich von derartigen offenen Anträgen
an den Kaiser damals noch fern, entsprechend einer noch
vom 19. September stammenden Weisung Philipps IV,, in
welcher ein wirkliches Vorgehen gegen Wallenstein nur für
den Fall gestattet wird, daß der sichere Beweis seines
Einvernehmens mit dem Feind vorliege.^) Dieser Augen-
blick scheint für Onate erst gekommen zu sein, als er
über den Pilsener Schluß vom 12» Januar unterrichtet
war*), und da freilich sehen wir den Einfluß des bai-
Tischen Gesandten vor dem seinigen weit zurücktreten.
In den ersten Tagen des Februar ist es schon dahin ge-
kommen, daß er zu dem vom Kaiser zur Behandlung
der Wallensteinschen Sache niedergesetzten Ausschuß
des geheimen Rates (Eggenberg, der Bischof von Wien
und Trautmansdorf) neben dem König Ferdinand IIL zu*
gezogen wird.^)
Zwischen dem Entschluß der Absetzung Wallensteins
und der Ausführung desselben vergingen nun aber noch
zwei mit geheimen Vorbereitungen ausgefüllte Monate^
innerhalb deren wir eine erste Epoche bis zu dem Ab-
setzungspatent vom 24. Januar^ eine zweite bis zu der
0 Wittich, Preuß. Jahrbüclier XXIII, 4L
*) Gindely S* 34 Anm. Bei dem Wort connibencia wird zu
ergänzen sein cQft ei enemigo. Bericht Onates vom 29* Dezember
hei Gindely S. 38 Anm. 2 und Wittich S. 49, Was Richel (Aretin,
Anh* S* 89/90) über den Auftrag der spanischen Gesandten sagt,
geht hiernach zu weit.
') Durch Navarro (Wittich S. 50) und Piccolomini (S, 301
Anm 2).
*) Richel, Februar S. (Inner 111, Nn 434 S. 242, 243.) Charak-
teristisch ist, wie deshalb auch Onate in seinem Bericht vom
2K Februar (Ranke S, 369) den Einblick des Kaisers in Wallen-
Steins infidelidad und seine daraut gefaßten Entschlüsse erst von
der Zeit der Pilsener Versammlung vom IL/12. Januar datiert und
alles von seinen Eröffnungen ableitet.
298
Mork Ritter,
Bluttat vom 25, Februar aosscheiden können. Die erste
Vorbereitung sollte darin bestehen^ daß man den nach
Wallenstein höchsten Offizier, den Generalleutnant Callas,
ferner den Feldmarschall Aldringen und den General-
wachtmeister Piccolomini\) (am L Februar zum Feld-
marschall ernannt) für die Unterstützung des Vorgehens
des Kaisers gewänne. Und damit kam man überraschend
schnell zum Ziel. Gallas und Piccolomini verständigten
sich in dem gewünschten Sinne schon in den ersten
Tagen des Januar 1634^), als erste rer in Großglogau
stand, und bevor letzterer am 8* Januar bei Wallenstein
in Pilsen erschien^ um dort bis zum 17. Januar zu ver-
weilen,*) Aldringen, an den Walmerode geschickt wurde»
befand sich mit jenen beiden spätestens in den letzten
Tagen des Januar im Einverständnis.*)
Wurde aber bei diesen Beredungen auch über die
Hauptfrage, was zur Beseitigung Wallenstetns geschehen
solle, eine Entscheidung getroffen? Bald nach Piccolo-
minis Abzug von Pilsen erschien dort auf eine Aufforderung
Wallensteins auch Gallas (am Abend des 24. Januar) und
blieb bis zum 13, oder 14. Februar.*} Damals nun — ^ am
26. Januar — hoffte Piccolomini noch» daß Wallenstein M
bei genügender Sicherung seiner Stellung zum Rücktritt *
zu bewegen sein könnte^); aber wie sowohl er, als Aid-
') Nach Antelmi war auch er schon im August 1633 über '
Wallenstein unzufrieden. (Archiv 28^ 390.)
') Nach Piccoloniinis Mitteilungenj die der balrische Sekretär
Teisinger nach Wien überbrachte (Aretin S* 122) ^ wo er am
30. Januar war, (Irmer JH^ Nr. 399 S, 190,) Auch Coloredo be- ^
teiligte sich an der Verständigung. ^
•) Die Daten bei Aretin S, 123 L
*) Beweis: die beiden Schreiben vom 26. und 2B. Januar !634
bei Irmer Hl, Nr. 389 S. 172; Nr, 394 S, 186, ■
*) Aretin S, 133 Anm, l. Am 14, Februar abends ist er in B
Gratnen (Aretin, Anh. Nr, 38 S. 114), am 13, datiert er noch von
Pilsen (Förster Ul Nr. 425 S,d92).
*) In dem angeführten Schreiben an Aldringen vom 26. Jan.
Vgl. auch das anonyme Schreiben vom 14. Januar über die Hoff*
nung äul einen in gleicher Richtung wirkenden Einfluß das Gallas.
(Mitteilungen aus dem tc, k. Kriegsarchiv 1882, S. 207.)
Der Untergang WaHensteins.
29^
ringen mit der Möglichkeit schlimmer Entschlüsse rech-
neten \), so kam Aldringen auch schon mit dem Vorschlag
hervor, sich der Treue einiger Reiterregimenter zu ver-
sichern und „eine Cavalkade nach Pilsen zu unternehmen*,
oder, wie Piccolomini es ausdrückte, „die Vögel im Nest"
auszuheben,^) Man sieht, es wurden entgegengesetzte
Möglichkeiten erwogen, aber eine Entscheidung war noch
nicht getroffen. Diese Entscheidung und damit den
zweiten Abschnitt in dem Feldzug gegen Wallenstein
brachte die Nachricht über den Pilsener Schluß,
Wichtig ist hier die Vorfrage, wie die kaiserliche Re-
gierung diesen Vorgang von der rechtlichen Seite be-
urteilte. Bei dem nach Wallensteins Tod angestellten
Gerichtsverfahren wurde es unter den Begrif! der Meuterei
und Verschwörung gebracht,^) Daß die gleiche An-
schauung aber auch von Anfang an die Schritte des
Kaisers bestimmt hat, ist aus den bairischen Berichten
zu entnehmen. In den von dem bairischen Sekretär
Teisinger aufgezeichneten Mitteilungen Piccolominis er-
scheint das Vorgehen als Anstiftung einer „General-
mutination"; nach dem bairischen Gesandten Riebet
sehen am kaiserlichen Hol die der WaHensteinschen
Faktion nicht Angehörigen darin ein „sträfliches Ver-
bündniß",*) Auf diese Auffassung gründete sich nun
die entscheidende Maßregel, zu welcher der Kaiser am
24, Januar schritt: es war das Patent, in welchem erstens
Wallenstein des obersten Kommandos enthoben, und das-
selbe einstweilen dem Callas übertragen wurde, zweitens
*) Früvedimenti per quaUivoglia resoMione, (Piccolomini
a. a. O.) Caso che si dtibita di quet male che viene presupposto.
(Aldringen in dem angeführten Schreiben vom 28, Januar*)
*) Aretin S. 126. Anh, Nr- 33 S. 107. Auf diese Kavalkade
weist Richet alsbald in seinem Vortrag vor dem Kaiser hin,
(Bericht vom 1. Februar. Aretin^ Anh. Nr. 36 S. 112.)
') Anklageschrift gegen Mohr a. Wald. (Archiv XXV, 366,)
Urteil im Prozeö Scherfenberg. (Irmer HI, S. 35L)
*) Aretin, Anli. Nr, 33 S. 106. Irmer lU, Nr, 386 S. 168. Die
gleiche Ansicht (gegen Ranke) spricht Wjttich aus (H. 2. 73, 227),
aber ohne Beweis.
300
Moriz Ritter,
der Pilsener Revers als strafbar bezeichnet, die Strafe
aber den Beteiligten erlassen wurde, mit Ausnahme von
Wallenstein, llow und Trzka, Für den Kaiser waren diese
drei fortan Anstifter der Meuterei , ihre Schuld war
notorisch und wuchs mit jedem Tag, den sie in ihrem
Verbrechen verharrten.
Auch diesmal jedoch war von einer raschen und
offenen Durchführung dieses Erlasses keine Rede. DaB
er überhaupt existierte, konnte der bairische Gesandte
erst am 8* Februar oder unmittelbar vorher nach einer
orakelhaften Andeutung Eggenbergs ahnen: der Kaiser,
so lautete sie, habe schon „vor etlich Wochen" (was
etwas viel gesagt war) Befehle zum ^exequiren*" aus-
gefertigt und dubei wegen der großen Gefahr und Un-
gewißheit der Lage es den Exekutoren anheim gegeben,
ob das Werk ,vtoienter oder in andere weg sicherer*^ aus-
zuführen sei.^) Die hier bezeichneten Männer des kaiser-
lichen Vertrauens waren wieder die genannten drei Gene-
räle, und welcher Art die an sie gerichteten Aufträge
waren, läßt sich ziemlich genau verfolgen.
Am 3f. Januar ging der Generalkriegskommissar
Walmerode zum zweiten Male an Piccolomini nach Linz
und von da zu Aldringen nach Passau ab,®) Natürlich
übergab er das Patent vom 24. Januar, daneben aber
richtete er mündliche Aufträge des Kaisers aus, welche
als ein ^ausdrücklicher und unbedingter Befehl*" desselben
vorgetragen wurden und auf eine nicht aufzuschiebende
Exekution gingen.") Der gefährlichste Teil dieser Exe-
') Richel, Februar 8. (Irmer III, Nr. 4M S, 242'243;)
*) Der Bischof von Wien an Aldringen. Januar 31. (Hurter
S. 375.) Über Walmerodes Anbringen achreibt PiccolOTnini einen
ersten Brief an Aldringen, der ohne Datum ist (Irmer 111^ Nr, 413
S. 204), einen zweiten, der laut Aldringens Antwort am 4, Februar
morgens überreicht ist (Nn 416 S. 208) und mit dem bei Irmer
Nr. 410 mit Datum 3. Februar mitgeteilten identisch ist, und einen
dritten am 4. Februar. (Nr. 4M; erwähnt ebenfalls in Nr. 416
S. 208.) Aldringen antwortet auf den zweiten und dritten Brief
am 5. Februar (Nr. 416).
*) Ordine espresso e senza condlztone. (Nr* 416 S. 208») Non
so comi si possm äif/erire l'esecutione (a, a. O.).
i
4
I
^
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Der Untergang Wallenstems. 301
kution war Piccoiomini zugedacht; die Sache, so schreibt
er am 3, Februar, „ist so eingeleitet, daß ich allein Gefahr
laufe, darunter zu leiden". Aber ^ich und viele andre
sind eines Sinnes, wir wollen sterben im getreuen Dienst
des Kaisers und für die Religion"- 0 Die Gefahr bestand
darin, daß Piccoiomini nach Pilsen gehen sollte, um dort,
wie er in einem vor dem 6. Februar geschriebenen Brief
meldet, entweder die Gefangennahme oder den Tod
Wallensteins zu „exequiren*',-)
0 Nr 410 S. 200, 201.
*) Per eseguire o ia priglone o la morU äel WalUnstHn.
(Irmer Nr. 421 S* 212.) Das Schreiben fällt vor die auf den 5. oder
6. Februar fallende Zusammenkunft mit Aldringen. — Den gleichen
Auftrags nach Pilsen zu kommen^ wurde in unbegreiflicher Kon-
kurrenz Aldringen erhalten haben> wenn bei Irmer in Nr. 416 das
Stück von S,209 Z, 6 v. u. ab, ferner Nr. 414 und 420 von Aldrin-
gen und nicht vielmehr von Piccoiomini wären. Nun lehrt aber
hinsichtlich der Nr 416 ein flüchtiger Einblick in die angefügten
beiden Postskripte, daß sie Nachrichten au& Pilsen enthalten, und
daß das erste vermutlich von Piccoiomini während seines dortigen
Aufenthalts, das zweite von einem andern bald nach der Ankunft
des Herzogs Franz Albert daselbst (20. Januar) verfaßt ist, also keins
von Aldringen herrührt. Der Kopist kann also seine Nachlässig-
keit auch im Text des Hauptschreibens betätigt haben. In Nr. 414
paßt der dort erwähnte, vor 14 Tagen, also um die Zeit, da Piccoio-
mini Pilsen verließ, dem spanischen Gesandten abgestattete Be-
richt über quanto si e falto a Pilsen wohl auf Piccoiomini, aber
gar nicht auf Aldringen. Ich glaube, der Brief gehört zu dem
Schreiben vom 4. Februar ^ Nr, 411. Letzteres ist Postskript,
und Nr. 414 ist das Hauptsehreiben. Das Schreiben Nr. 420 be-
zieht sich auf die vom Verfasser vorher gemachte Mitteilung
über die resolatione che mi i venuta della corte; diese findet sich
in Piccolominis Schreiben Nr, 423: beifolgend sende er la lettera
che ho havuia da Vienna. — Auf dem Grunde dieser Entdeckung
wage ich nun aber noch einen großen Schritt weiter. Nach der
Besprechung Aldringens und Piccolominis in ßaierbach (5, oder
b. Februar) hatte ersterer alle Hände voll Arbeit, um seine und
Piccolominis Armee in Ordnung zu halten, während letzterer den
schweren Gang nach Pilsen antrat. Für diesen die letzten Ent-
schließungen des Kaisers einzuholen, war unter diesen Umständen
nicht Sache Aldringens, sondern Piccolominis. Folglich gehören
die viel berufenen Briefe bei Irmer Nr. 424, 425 dem letzteren,
nicht dem ersteren. Was sollte auch S. 216 das poriare la risO'
tutione a Galasso (nach Pilsen!) im Munde Aldringens?
Hiitorische Zeitichrift {%!. Bd.) S. Folge U Bd, 20
302
Moriz Ritter,
Wie war nun die Exekution gedacht? Überspringen
wir vorläufig einen Zeitraum von einer Woche und ver-
setzen wir uns in die Tage, da Piccolomini bald nach
dem 10. Februar in Pilsen eintrat, dort den am 13> oder
14, abreisenden Callas noch ansprach und selber abends
den 15, Februar sich wieder entfernte* Er erreichte dort,
so meldet Gallas dem Aldringen am 17. Februar, seinen
Hauptzweck nicht, da er dem Obersten die biileis nicht
zustellen konnte.^) Unter diesen billets ist, wie der von
Aldringen gebrauchte parallele Ausdruck öulieiina zeigt ^),
der von Gallas noch zu Pilsen am 13* Februar aus-
gefertigte und an die einzelnen Obersten gerichtete Er-
laß zu verstehen, in dem ihnen kraft des kaiserlichen
Absetzungspatentes der Gehorsam gegen Wallenstein,
Trzka und Ilow verboten, und sie an das Kommando von
Gallas, Aldringen, Piccolomini gewiesen wurden- Gesetzt
nun, Piccolomini hatte mittels dieser Befehle die Obersten
in Pilsen zur Lossagung von Wallenstein bewogen, wie
mußte er dann in seiner Eigenschaft als der dort Höchst-
kommandierende gegen die drei notorischen Meuterer
und Verschwörer vorgehen? Offenbar mußte er sie in
Haft nehmen, und wenn sie sich dem durch Flucht oder
Widerstand entziehen wollten, so trat für ihn dasselbe
Recht ein, kraft dessen Wallenstein im Jahr 1619, als er
dem Kaiser sein mährisches Regiment retten wollte, den
Oberstleutnant, der seinen Befehl durchkreuzte, mit
eigener Hand erstach. Das ist der Sinn der Exekution
mittels Tod oder Gefangenschaft,
Wenden wir uns noch zu dem eben übersprungenen
Zeitraum. An sich bereit zur Ausführung seines Auftrags,
hatte Piccolomini Bedenklichkeiten hinsichtlich des Zeit-
punktes: erst sollte Gallas, als oberster Leiter des Ganzen,
bestimmte Weisungen geben, erst sollten die letzten Ver-
suche der Güte bei Wallenstein erschöpft sein, und erst
sollte der kaiserliche Hof für Geld sorgen, damit man
die Armee im kritischen Moment befriedigen könne. Die
i
0 Irmer HI, Nn 456 S, 25-
») Förster 111, Nr. 427 S. 194,
I
I
I
I
Der Untergang Wall enste Ins,
Hebung dieser Bedenken bezweckten die schriftlichen
Vorstellungen Aldringens^), dann eine schriftlich wieder-
holte Weisung des kaiserlichen Hofes ^), endlich das per-
sönliche Erscheinen Piccolominis') in Wien zur Aussprache
über seine Bedenken und über des Kaisers Wille, wobei der
spanische Gesandte den Vermittler machte* Diese letztere
tief geheime Konferenz hat nicht die von Irmer und Wittich
ihr zugeschriebene Bedeutung. Ihr Ergebnis war nur
die Bestätigung des schon erteilten kaiserlichen Befehls^
worauf Piccolomini noch einmal seine Bedenken äußerte *)j
dann aber nach Pilsen ging.
Als hier seine Mission fehl schlugt folgten die letzten
Akte der Tragödie; die Einkreisung Wallensteins durch
die Regiment für Regiment zum Kaiser hinübergezogenen
Truppen, das kaiserliche „Proskriptionspatent*"^) vom
18. Februar, endlich die „militärische Execution**^) des
Triumvirats Butler» Gordon und Lesley.
') Wären freilich die oben dem Aldringen abgesprochenen
Briefe von ihm geschrieben, eo würde er tich in unbegreifitchen
Widersprüchen zwischen Zureden und Abraten bewegt haben.
■) S, oben S-301 Anm. 2.
*) A. a. O.
*) Der erneute Befehl wurde dem Piccolomini nachgeschickt
(la persona da Vienna porid^ la\ risalutione etc.)j worauf dieser
dem Aldringen seine Bedenken mitteilt* (Nr. 425.)
^) So wird es in dem Prozeß gegen Mohr a. Wald von dem
Ankläger genannt (Archiv XXV, S. 376 Nr. 8.)
•) So in dem Ausschreiben von Gordon und Butler bei Förster
III, Nr, 476 S. 320.
20*
r
►
Leider nochmals die Histoire de tnon
Temps !
Eine Entgegnung
von
Alfred Dove.
Im jüngsten Bande der Historischen Zeitschrift')
kommt Dr. Friedrich Meusel auf die Meinungsverschie-
denheiten über die Textgeschichte der Histoire de man
temps Friedrichs d. Gn zurück. Die strittige Frage; ob
bei der dritten Redaktion des ersten Teils neben der
zweiten von 1746/47 auch die ursprüngliche heute nicht
mehr vorhandene Textgestalt von 1742/43 benutzt ward,
oder nicht — diese mehr philologische als historische
Frage glaubt er auf Grund neuen Materials entscheiden
zu können. Er gedenkt dabei unter den früheren Auf-
fassungen auch der meinen ^)j die ja einst den Anstoß
zu der wissenschaltlichen Debatte gab, und zwar in wohl*
wollendem Tone, wie ich mit Vergnügen anerkenne;
allein wie wenig ist mir hiermit gedient! Denn das Bild,
das er von ihr entwirft, ist so unähnlich ausgefallen^ daß
ich mich gedrungen fühle, lauten Einspruch dagegen zu
erheben. Ich genüge so eigentlich einer seit vielen Jahren
versäumten Wehrpflicht; wiederholt doch Herr Meusel
in der Tat nur ein wunderliches Mißverständnis, in das
0 Bd. 96, S. 434 ff.
') Das Zeitalter Friedrichs d. Gr. und Josephs Ü. Erate Hälfte.
<Gotha 1883.) S. 237— 240,
Leider nochmals die Histoire de mon Tempsl
305
Reinhold Koser in seinem Aufsatz von 1884^) meiner
Ansicht gegenüber geraten war. Über das allerseltsamste
Versehen, welches diesem dabei zugestoßen, wurden die
Leser der Historischen Zeitschrift zwar bald hinlänglich
aufgeklärt: Max Lehmann erläuterte 1889^) den Sinn
meiner Behauptung im wesentlichen zutreffend; Theodor
Wiedemann bekräftigte sie 1891 ^) durch einzelne An-
wendungen, Aber^ wie ich an Herrn Meusel sehe,
wenigstens ein Märchen aus alten Zeiten lebt zu meinen
Ungunsten noch immer fort. Kein Stellvertreter erspart
mir ganz das leidige Geschäft, die eigenen Worte aus-
zulegen, die doch an sich nicht unklar waren, sondern
erst durch fremde Hand verdunkelt worden sind. —
Koser ließ mich „ausgehen" — und Meuse! ist auch
hierin sein getreues Echo — von der Interpretation des
seitdem so vielbesprochenen Redaktionsvermerks vom
1. Juni 1775: ^Corrig^ ä Sanssouci'' usw. Das ist un-
richtig, ausgegangen bin ich von einer anderen Frage der
literarhistorischen Kritik, anlangend den inneren Bau der
königlichen Zeitgeschichte; sie will ich auch heute zu-
vörderst kurz erörtern. Wie man weiß, sind Disposition
und Komposition auch in der endgültigen Bearbeitung
von 1775 vielfach unvollkommen geblieben; aber ernst-
liches Befremden erregt doch nur eine Erscheinung, das
ist die zur Abgrenzung der beiden Teile getroffene Wahl^
nicht etwa des Friedens zu Breslau oder Berlin, nein
der folgenden ganz bedeutungslosen, für den Hauptein-
schnitt völlig ungeeigneten Jahreswende, Preuß^ der die
Redaktion von 1775 in den Oeuvres de Fr^d^ric le Grand
edierte, hilft dem königlichen Autor freilich auf höchst
einfache Weise nach, indem er im Vorwort der Wahrheit
zutrotz Ja premiere pariie de ce nouveau travail jusqu*ä
la paix de Berlin*' reichen läßt und den Inhalt des 7. Ka-
pitels, dessen Überschrift ausdrücklich mit den Worten
schließt: ^,ei ious ies ävMemenis Jusqu'ä l'annäe 1743^,
zum größten Teil ohne weiteres ignoriert. Natürlich ist
n H. Z. Bd. 52, S. 385 ff.
■) Bd. 62, S. 193 ff.
=•) Bd. 67, S. 290 ff.
306 Alfred Dove,
nun die so äußerliche Einteilung der Hisiaire de man
temps von 1775 ein Erbfehler aus der Redaktion von
1746/47*); denn schon diese unterscheidet die ersten
sieben Kapitel als Seconäe partim de rhislaire de Brande-
böurg von der Troisiime partUj die mit dem 8, Kapitel
beginnt. Aber merkwürdigerweise verfährt Max Posner,
der fleißige Forscher und sorgfältige Herausgeber, mit
derselben Willkür wie sein Vorgänger, wenn er von dem
Manuskript von 1746/47 vermeldet^): „genau, wie in den
Ausgaben'' — des Textes von 1775 — „endigt das 7. Ka-
pitel der Handschrift mit dem Frieden von Breslau.^
Genau? Es müßte vielmehr lauten: „ganz ebenso un-
genau", hier wie dort sechs Monate später. In beiden
Historikern sehen wir den unbewußten Trieb wirksam,
einen organischen Mangel der Komposition, der also
schon in der ältesten erhaltenen Fassung zutage tritt, zu
vertuschen. Aber beruht nicht der Mangel am Ende auf
noch älterer Vererbung und wird dadurch vielleicht ent-
schuldbar? So ist es: die scheinbare Gliederung ist eine
Zusammenlügung; wo wir einen Einschnitt wahrzunehmen
glauben, verläuft eine Naht
Bekanntlich ist auch der Text von 1746/47 in seiner
ersten Hälfte — ich bediene mich hier dieses Aus-
drucks ungefähr — bereits das Produkt einer bloßen
Überarbeitung, Schon im Winter 1742/43 hatte Friedrich
zum erstenmal seine Memoiren geschrieben. .Je iravaüie _
ä mes mämoireSj et Je suis par-äessus les oreilies darts I
ies archi^es^, setzt er eigenhändig einem Erlaß an Pode-
wils vom 13. November 1742 hinzu; am 2L Mai 1743
heißt es dann in einem Brief an Voltaire: ^e vaus en-
voie Vavanfpropos de mes m/moires; le resie"^, der also
fertig war, j^n^est poinl osiensibie."^ Leider ist er auch
0 Auch die Art der Zählung lät vererbt; denn noch in der
Handschrift von 1775 steht hinter dem ersten und zweiten Teil
,Fin de la seconäe {de la trolsieme) partü^, S* Hans Droysen,
Beiträge zu einer Bibliographie der prosaischen Schriften Fried-
richs d. Gn II (Fortsetzung u, Schluß), 1905, S. 22,
*) Miszellaneen zur Geschichte König Friedrichs d. Gr. 1878,
S. 213.
I
Leider nochmals die Hi&toire de inon Tempsl
heute nicht einfach „vorzeigbar", denn das Original dieser
frühesten Memoiren ist verschollen; bezeichnen wir so-
mit nach Kosers Beispiel diese unbekannte Größe der
Bequemlichkeit halber durch den Buchstaben X, Nun
hätte freilich der König, als er nach dem Dresdener
Frieden von neuem an die Arbeit ging, mit einer Um-
schmelzung des vor drei Jahren verfaßten Memoiren-
stückes X beginnen können^ um erst hernach eine Fort-
setzung daran zu knüpfen, für die es wiederum gründ-
licher archivalischer Studien bedurfte. Allein man wird
es zum mindesten sehr begreiflich finden^ daß er den
umgekehrten Weg einschlug. Posner hat aus Anzeichen
und Gründen, die ich hier übergehe^ mit einer an Ge-
wißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit erschlossen, daß
zunächst die Fortsetzung vom 8, Kapitel an, das mit dem
Jahre 1743 anhebt, in Angriff genommen ward. Wie eine
datierende Unterschrift besagt, erreichte sie am 2. No-
vember 1746 ihr Ziel, den Frieden zu Dresden am Aus-
gang des Jahres 1745. Friedrich erwähnt sie am 22. April
1746 als ^mes nouveaux m^maires" und wünscht — «wie
schlechte Schriftsteller pflegen" — seinem Podewils dar-
aus vorzulesen. Bezeichnet wurde sie als Troisiime
parüe de l'histoire de Brandebourg ; denn schon damals
hatte der König den Plan entworfen, den Denkwürdig-
keiten seiner eigenen Zeit das Wissenswerte aus der Ge-
schichte seiner Vorlahren als Einleitung vorauszuschicken*
Dies sollte den ersten Teil bildeUj indes lür den zweiten
natürlich die alten Memoiren übrigblieben, jenes X, das
nachträglich einer zeitgemäßen Umgestaltung untcrworlen
ward. Tiefer greifende Wandlungen hat, soviel wir wissen,
nur das erste Kapitel erfahren; erst im Frühling 1747 er-
hielt es, während gleichzeitig bereits die brandenburgische
Erzählung in Arbeit war, jene prachtvolle kulturhistorische
Einlage, die am Eingang zur Zeitgeschichte den Geist
des fortgeschrittenen Jahrhunderts vergegenwärtigt. Der
ganze Rest, das 2. bis 7* Kapitel, wurde dagegen, so
scheint es, sachlich nicht erheblich modifiziert* Aus der
Tatsache aber, daß das 7. Kapitel über den Breslauer
Frieden hinaus ^taus ies äv^nements jusqu'ä Vannäe
308
Alfred Dove,
1743"^ umfaßt^ folgt ebenso wie aus dem entsprechenden
Einsatz der nouveanx m^moires, daß bereits X, die alte
Arbeit von 1742/43, in gleicher Weise naiv annalistisch
mit dem eben abgelaulenen Jahr geendigt hatte. So ist
also der logische Fehler der Einteilung chronologisch zu
erklären; es spiegelt sich darin die In der Eile unüber-
wundene Entstehungsgeschichte des Werks,
Man sollte meinenj schon Posner habe diesen Schluß
gezogen, doch fühlte er jedenfalls kein Bedürfnis, sich
deutlich darüber auszulassen*^) Dagegen hat Koser
später, als er meine Hypothese bekämpite, ganz richtig
gezeigt, wie man ohne sie auskommen kann. Ihm steht
iestj daß X mit dem Breslauer Frieden abgeschlossen
hat, und daß die drei Fünftel des 7. Kapitels^), die der
Betrachtung des folgenden halben Jahres gewidmet sind
und in der Redaktion von 1746/47 den Schluß der Sccande
pariie bilden, „schlechthin für einen Zusatz aus dem Jahre
1746" zu halten sind. Dabei sieht er mit Posner die
umgekehrte Reihenfolge der Entstehung der beiden Teile
— der TrolsiSme partie vor der Seconde — als wahr-
scheinlich an, ja er bringt sogar neue diplomatische
Gründe für diese Ansicht bei. Um so mehr hätte also
Friedrich, als er 174d den Grenzpunkt für die Einteilung
p
0 Den Satz im Vorwort zur Ausgabe der Nist d. m. L
(PublikaÜonen a. d. preuß. Staatsarchiven IVj246): „Kaum hat er
im Jahre 1746 die Geschichte des jüngst vergangenen Krieges
beendet, so wird die etwa drei Jahre früher geschriebene Dar-
stellung seiner ersten Regierungsjahre einer erneuten Durehsicht
und Bearbeitung unterzogen*^, möchte ich gern in meinem Sinne
auslegen. Aber wenige Zellen vorher hest man: „Gleich nach
dem Breslauer Frieden beschreibt er den ersten, gleich nach
dem Dresden<?r den zweiten Schlesischen Krieg," Und in den
Mis^ellaneen (S. 2l6ff>) bleibt es vollends stets bei so inexakten
Bestimmungen. — Übrigens hat schon Preuö einmal das Richtige^
wenn er von dem an Voltaire gesandten avantpropos von 1743
sagt (Oeuvres 11, p. X): er sei „äestl/tef seitlement au prtmier vo^
lume de VHisL ä. m. t' gewesen. Er setzt also X, dem diese
Vorrede galt, hier dem ersten Bande der Redaktion von 1775 an
Umfang gleich,
') Ich rechne von den Worten an: ^Dis que les raii/ications
de ta paix furent ^changies', PubL IV, 270.
I
I
I
I
Leider nochmals die Histoire de mon Tempst
bestimmte, „den annalistischen Rahmen" nicht nur, wie
Koser sich ausdrückt, „mit Bewußtsein gewählt^, sondern
mit überlegter Absicht* Und da für die Absicht, eine
schlechtere Ordnung an die Stelle einer bereits bestehen-
den zweckmäßigen zu setzen, kein vernünftiger Grund
denkbar ist, so läßt diese Erklärung Friedrich 1746 aus
einer bloßen Kaprice handeln. Dies zu glauben stehe
ich an, solange noch eine andere Erklärung möglich ist
— eben durch meine Hypothese.
Und worauf in aller Welt stützt sich denn die An-
nahmCj daß X mit dem Frieden zu Breslau geschlossen
habe? Die wackeren Beamten, die sich bemühen, den
ungeduldigen Befehlen ihres Herrn durch Aufsuchung
und Zubereitung von Archivalien schleunigst nachzukom-
men, sie reden wohl — im November 1742 — dabei
vom „Schlesischen Kriege"; gerade wie über die Fort-
setzung des Werkes Kabinettsrat Eichel im März 1746
die Vermutung äußert, „daß des Königs Majestät sich
vielleicht jetzo das Amüsement machen, einige Historie
des letzten Krieges mit denen Oesterreichern und Sachsen
aufzusetzen".^) Aber in Friedrichs Geiste stellt sich von
Anlang an der Krieg nicht an sich, sondern als politi-
sches Instrument dar, wie ihn Clausewitz nennt. Er
selbst bezeichnet die Arbeit, die er unternimmt, von
Haus aus als Memoiren, „seine" Memoiren, wodurch
schon der Vorsatz zu stetiger Fortführung ausgesprochen
wird/-) Für den ersten schriftstellerischen Wurf — „den
roheren Entwurf X'', wie ihn Koser sehr richtig nennt —
ist aber bei periodischerj nahezu gleichzeitiger Memoiren-
arbeit die annalistische Anlage ganz natürlich. Ein
solches Verfahren beobachten wir auch bei dem leider
M MiszelL S. 313 f., 316 l
*) Ea begreift sich^ daß Fnedrich gelegenüich auch einmal
den Unterschied seiner Autohistoriographie von dem betont, was
man gewöhnlich als Memoiren produzierte: ^L*ouvrag€ qui m'oc^
cupe n'est point dans ie genre de m^fmoires, ni de commentaires ;
mon personnel ny entre pour rien ... Je pelns en grand ie bouU*
vtrsement de l'Europe" etc. An Voltaire, geschrieben 22. Februar
1747, gerade während der großartigeren Ausführung des ersten
Kapitels in der zweiten Redaktion {Oeuvres XXII, 163)*
310
Alfred Dove,
nicht festgehaltenen Plan einer Fortsetzung über den
Dresdener Frieden hinaus: Je me metirai incessmmment
ä travailler ä i'annee 1746 ei 47^, heißt es am 15* No-
vember 1748 in einem Brie! an Maupertuis.*) Davon ist
himmelweit verschieden die Vorstellung, Friedrich habe
die annalistische Grenze nachträglich anstatt des ursprüng-
lich gemachten, sachlich angemessenen Halts zur Mar-
kierung eines Hauptabschnitts in der ganzen Komposition
erkoren.
Eine Prüfung der fraglichen Schlußerzählung des
7. Kapitels auf ihren Inhalt hin führt natürlich deshalb
zu keinem entscheidenden Ergebnis, weil ja jedenfalls
1746/47 mindestens eine Überarbeitung des älteren Textes
stattgefunden hat. Allein wie spärlich, wie oberflächlich
sind die Spuren einer solchen! In den letzten 25 Zeilen
verrät zweimal ein einfaches „äans la sulie'^^ ein drittes
Mal gar ein linkisches i^nous verrons dans la suite'^ die
Stellen, wo durch kleine Ergänzungen zwischen dem
Wortlaut von X und den inzwischen hinzugekommenen,
Irischweg komponierten nouveaux m^moires eine notdürf-
tige Verknüpfung angebracht worden ist. Im übrigen
hat eine sorgfältige Analyse dargetan, ^daß sämtliche er-
zählte Ereignisse sehr wohl in einer im Februar oder
März 1743 abgeschlossenen Redaktion berührt sein konn-
ten" *— denn ängstlich genau ist die Jahresgrenze doch
nicht eingehalten — , und daß, was Friedrich hier von
seiner eigenen neutralen Interventionspolitik berichtet,
eher auf lebendiger Erinnerung als auf Aktenstudium zu
beruhen scheint,^) Ein Hauch von provisorischer Un-
0 Publ. a, d. preuß. Staatsarch, LXXI1,238, Vgl. J. O. Droysen,
Zu d* histor» Schriften Friedrichs d. Gr,, Zeitschr, L preuß. Gescb*
XVIII, l ff,
') Disselnkötter, Beiträge zür Kritik der Hlst. ä, m. L ISS5,
S, 62 Anm. 3, Der Autor ist ^iti der Kontroverse zwischen Dove
und Koser*' gewiß nicht für mich befangen, da er ^S. 3) Kosers
Aufsatz in der H. Z. für „im wesentHchen abscfiUeßend'' erklärt —
Es sei nicht verschwiegen, daß, wenn positive Anachronismen
fehlen, ein negativer dafür um so auffallender isL Warum er-
wähnt das 7. Kapitel — also auch X — noch nicht den Rückzug
Belleisles aus Prag, der doch in den Dezember fällt» so daß nun
I
Leider nochmals die Histoire de mon Temps
bestimmtheit, von abwartender Entschlossenheit auf alle
Fälle schwebt über der ganzen Darstellung. Er ent-
spricht vollkommen dem geschilderten Moment — wie
aber, müßte er darum natürlich, könnte er nicht auch
künstlich sein? War nicht Friedrich Poet genug, um
auch einen kapriziös gewählten Teilschluß hinterdrein
möglichst spannend zu gestalten? Man sieht, daß auf
diesem Wege sich nichts beweisen läßt, daß über Ein-
drücke, Ahnungen, die auch Täuschungen sein mögen,
nicht hinauszukommen ist. In solchen oder doch ähn-
lichen Überlegungen begriffen, im einzelnen schwankend,
im ganzen voller Zuversicht — glaubte ich plötzlich zu
meiner höchsten Überraschung zu bemerken, daß der
gekrönte Autor selbst in einer bisher nicht beachteten
oder doch in ihrer Bedeutung verkannten Notiz den
wahren Umfang des verschollenen X unwillkürlich be-
zeugt habe, —
Friedrich liebte nach seiner scharfen Geistesart auch
als Schriftsteller präzise Datierungen am Ende seiner
Manuskripte.^) Wo es sich um erste Gestaltungen han-
delt, steht gewöhnlich das einfache Datum. So am
Schlüsse der nouveaux mämotres von 1746; ..FeWric ce
2 de novembre 1746^; hinter der Geschichte des Sieben-
jährigen Krieges: ^Fin. ä Berlin ce 17 de d/cemöre 1763
FM^ricf ; unter dem ersten Entwurf der weiteren Fort-
setzung bis 1774: ^ä Poizdam ce 18. fävn 1715 F^d^ricJ^
Gegen Ende seines Lebens braucht er auch wohl ein
datiertes „fait"^; so am Schlüsse der M^moires de la
guerre de 177S: „Finis. fall ä Poizdam ce20,juin I779f
Die nachträgliche Umschmelzung früher verfaßter Me-
moirenstücke wird dagegen regelmäßig durch corrige
bezeugt. So heißt es 1775 am Ende der Hisioire de
man iemps^ die ja in ihrer zweiten Hälfte eine neue
1746 das S, Kapitel ihn nachholen muß? Wir wigsen es nicht und
müssen uns mit denkbaren Gründen bescheiden^ deren Mitteilung
hier keinen Wert hätte* Wohl aber erschiene eine 1746 absieht*
lieh angerichtete Unordnung erst recht als Gipfel der Kaprice*
^) Wir verdanken die Mitteilung dieser Vermerke in authen-
tischer Gestalt erst Hans Droysen a. a. 0. S. 19 il
312 Alfred Dove,
Redaktion "der nauveaux mdmoires von 1746 darsfelU:
j,Fin de ia troisiime pariie. Corrig^ ä Sanssouci ce
20 juillet 1775 F^d^ricf Die der Mistoire de man iemp$
vorausgeschickte Geschichte des Hauses Brandenburg ist
nämlich bei der Zählung hier immer noch mitgerechnet*^)
In gleicher Weise wird die zweite Fassung der an den _
Frieden von Hubertusburg anschließenden Memoiren ■
durch die Schtußnotiz charakterisiert: „falten 1773 (ver-
schrieben für 1775) corrigi en 1779 Fidiric^ ; nur daß
hier noch ein Rückblick auf die Zeit der ersten Nieder^ ■
Schrift hinzukommt. Stünde nun ebenso unter dem
ersten Teil der Redaktion von 1746/47, der doch seiner-
seits auch eine zweite Fassung, die von X, repräsentiert, ■
ein entsprechender Vermerk der Korrektur, so würde
sich unmittelbar aus seiner Stellung ergeben, wie weit X
gereicht. Allein — quandaque bonos dormitat Homerus — ■
diesmal hatte der König hinter das 7. Kapitel bloß die *
Worte gesetzt: ^Fln de la seconde partie. FM&ic^'^ Um
so bessere Auskunft gewährt uns an derselben Stelle die
Redaktion von 1775* Ich wiederhole: unter der iroisiime
partie bringt sie der Sache gemäß ein einfaches corrig^;
aber am Schlüsse der seconde partie^ die in der Tat
größtenteils den einzigen Fall einer wie auch immer vor-
genommenen zweiten Korrektur, also der dritten Fassung
eines Memoirenstücks bedeutet, lügt sie dem ri?m^^ aus-
drücklich eine Angabe über den dabei eingeschlagenen
Weg hinzu. Wäre dieser Weg der gewöhnliche, nächst-
liegende gewesen, d. h. hätte Friedrich die dritte Fassung
aus der zweiten, ohne Rücksicht auf die erste heraus-
gestaltet, so konnte ein Zusatz zu corrig^ füglich unter-
bleiben, ja dann bedurfte es des ganzen Vermerks an
dieser Stelle gar nicht, es genügte die Datierung der
vollzogenen Überarbeitung am Schlüsse des gesamten
Werkes. Unnütze Worte machte Friedrich nicht. Er war
aber eben nicht den gewöhnlichen Weg gegangen und
merkte dies als gewissenhafter Autor an. Für Koser
sind freilich die Unterschiede im Wortlaut der Redaktions-
*) Vgl obeti S.306 Anm< L
p
Leider nochmals die Histoire de moti Tempsl
3L3
vermerke bedeutungslos. „Unter keinen Umständen,*" so
dekretiert er im Namen Friedrichs, „hat er in jene Da-
tumzeilen etwas hineingeheimnissen wollen.*" Hinein-
geheimnissen nun wohl gerade nicht; aber durfte er denn
voraussetzen, daß der Sinn seiner deutlichen Worte ein
Geheimnis bleiben würde?
Die am Ende der ersten Hälfte der Hisioire de man
iemps über das beobachtete Verfahren gegebene Rechen-
schaft lautet folgendermaßen: ^/m de la seconde pariie.
Corrigd ä Sanssouci sur i'original de mes Mämoires de
1741 et de 1742 ce LJuin 1775 Fddärk.'' Das gebe ich
au! Deutsch wieder: ^Ende des zweiten Teils. Ver-
bessert in Sanssouci nach der Urschrift meiner Denk-
würdigkeiten der Jahre 1741 und 1742 am 1, Juni 1775,
Friedrich*" Da ich den Sinn der Notiz für ganz un-
zweifelhaft hielt, so überhob ich mich 1883 der Über-
setzung, begnügte mich mit dem französischen Zitat und
setzte einfach erläuternd hinzu: „Damals also hatte Fried-
rich die tragliche Urschrift noch zur Hand und zog sie
— natürlich doch, soweit sie reichte: eben bis Ende
1742 — bei der nochmaligen Umarbeitung der ersten
Hallte der Redaktion von 1746 in restaurierendem Sinne
zu Rate.** Man sieht, daß es mir zunächst um die oben
erörterte Frage nach dem Endpunkt von X zu tun war;
doch hob ich im Vorbeigehen als eine „wichtige kritische
Konsequenz" der bisher „sonderbarerweise nicht ver-
werteten Notiz" das Folgende hervor: „Die Abweichun-
gen der Ausgabe^) von 1775 vom Texte von 1746, die
vom 8. Kapitel an lediglich einer späteren Auffassung
oder Behandlung zuzurechnen sind, können im Bereich
der ersten sieben Hauptstücke ebensowohl auf einer
Wiederherstellung der unmittelbarsten und echtesten Auf-
zeichnung beruhen. Daß diese Annahme nicht selten
faktisch begründet ist, geht daraus hervor, daß Posner,
*) Dies war ein flüchtiger Ausdruck, denn die Redaktion
von 1775 wurde erst I78S posthum ediert; doch hat mir ihn da-
mals, soviel ich mich entsinne, niemand vorgerückt. An den
wirklichen Gebrechen nahmen sie keinen Anstoß, nur auf die ein-
gebildeten richteten sie ihr Augenmerk»
314 Alfred Dove,
ohne das äußerlich bestehende Verhältnis zu erkennen,
zahlreichen Stellen gegenüber aus rein inneren Gründen
auf die richtige Spur geraten ist»*
Ich habe mir erlaubt, diese Sätze wörtlich zu wieder-
holen, um zu zeigen, wie wenig Schuld ich an der mo*
mentanen Verblendung trage, in der Freund Koser im
folgenden Jahre gegen sie zu Felde zog. Er wähnte
nämlich, ich hätte die verkehrte Behauptung aufgestellt,
die ursprüngliche Fassung X sei bei der Herstellung der
neuen Textgestalt nicht bloß mit herangezogen, sondern
sie habe dabei ausschließlich zur Unterlage gedient.
Gegen diese Windmühle stritt er auf 20 Seiten in archi-
varischer Rüstung, um mir zuletzt als möglichen, aber
gleichwohl unwahrscheinlichen „Ausweg" zuzugestehen,
was ich einzig mit dürren Worten behauptet hatte: „der
König habe 1775 nach einer doppelten Vorlage gearbei-
tet." Sein Irrtum entsprang einem anderen, an sich ge-
ringeren Mißverständnis^ insofern er vermeinte, meine
Interpretation der beregten Notiz beruhe auf einer fal-
schen Erklärung der Worte ^mes mdmoir^s de 1741 ei
de !742^, deren Jahreszahlen ich auf die Abfassungszeit
statt auf den Gegenstand der Memoiren bezogen hätte* ^)
Mit dieser Annahme hat er sogar Max Lehmann irre-
geführt; wozu ich schwieg, weil es mir taktlos erschien,
einen Mann von so reichem Verdienst wie Koser wegen
einer Kleinigkeit zu behelligen. Aber wenn nun Herr
Meusel nach 22 Jahren den Schiedsrichter zwischen uns
spielt und dennoch in seinem Referat das eingewurzelte
Mißverständnis arglos wiederholt, so muß ich wohl selbst
einmal zeigen, „wie es eigentlich gewesen".
^) Ich weiß Rieht, ob und wie es damit zu sammen hängt, dtß
Koser stets unnchtig zitiert ^m^müires de 174/ et 1742*^ anstatt
j,m^moires de 1741 ei de 1742'. Mich dünkt, durch diese Unter-
drückung des zweiten de werde die Ausdrucksweise ungenaueft
der mir unterstellte Fehlgriff also eher möglich. — Ein anderes«
minimales Versehen Kosers berühre ich nur deshalb^ weil es
Meuset bezeichnenderweise nachgedruckt. Meine Worte ^\n restau-
rierendem Sinne" sind zu „im restaurierenden Sinne" verdorben.
De corriger sur r original bleibt doch immer empfehlenswert für
das Herübernehmen von Zitaten.
{
Leider noehmals die Histoire de mon Tempst
315
Es ist mir also niemals eingefallen, daß man unter
j,mes m^moires de 174! et de 1742'' etwas anderes ver-
stehen könne als „meine Denkwürdigkeiten der Jahre
174! und 1742*' oder, wenn man die immer noch mit-
klingende eigentliche Bedeutung von mämoires betonen
will; „meine Erinnerungen an 1741 und 1742.** Es war
ein sehr wohlfeiler Triumph, mir entgegenzuhalten, daß
Friedrich 1741 gar keine Memoiren geschrieben hat. Es
konnte mir um so weniger beikommen, die rechte Be-
deutung zu veriehlenj als sie ja iür meine erste Hypo-
these wie gerufen kam. Denn „meine Erinnerungen an
1742" umspannen natürlich das ganze Jahr, passen also
genau für ein so weit ausgedehntes X, Aber ich bin
überhaupt nicht, weder von der wahren, noch von der
falschen Bedeutung von ^mes m^moires de 1741 ei de
1742"' „ausgegangen", wie Herr Meusel etwas eintönig
zum zweitenmal sagt. Was mir bei näherer Betrachtung
des Redaktionsvermerks vom L Juni 1775 in die Augen
sprangt war das Wort Original 1 Voriginal heißt streng
genommen die ursprüngliche Fassung, die erste Nieder-
schrift; und Worte König Friedrichs sind in dubio allzeit
streng zu nehmen. Wenn die Urschrift von X 1775 noch
vorhanden war, so konnte sie im Gegensatz zur Bearbei-
tung von 1746/47 gar nicht treffender bezeichnet werden
als mit „dem Original meiner Denkwürdigkeiten der Jahre
1741 und 1742'', Denn daß die am Eingang so knapp
behandelten Ereignisse aus dem Jahre 1740 übergangen
werden konnten, leuchtet jedermann ein, a pötiori fit
denominatio. Nun läßt sich aber nicht nachweisen, daß
die Urschrift 1775 nicht mehr vorhanden war; Herr Meusel
räumt ein, daß jeder Versuch dazu gescheitert ist. Viel-
mehr war Posner, wie ich ausdrücklich hervorgehoben,
bereits ganz unabhängig von unserer Notiz zur entgegen-
gesetzten Annahme gelangt, „An einzelnen Stellen/
sagt er^), „drängt sich fast unwillkürlich die Vermutung
auf, als habe der König bei der jüngsten Umarbeitung
die allerälteste Fassung von 1742/43 vor sich gehabt und
0 Publ, a, d, preuÖ, Staatsarch, IV, 149.
316 Alfred Dove,
aus ihr ganz ursprüngliche Nachrichtenj welche die mitt-
lere Redaktion fortgelassen, wieder in die Darstellung
autgenommen."
Meine Aussage, diese Vermutung sei nunmehr durch
das eigene Geständnis des Königs bestätigt, braucht auch
„eine genauere philologische Prüfung", wie sie Herr
Meusel anstellt, nicht zu scheuen.^) Corrigä sur tori-
ginalj ruft er aus, stehe da, sur aber heiße nur „auf
Grundlage von"; sollte man übersetzen „mit Hilfe
von" oder »aus", so müßte dastehen corrigä de, ä, pur,
ä Vaide de „oder etwas Ahnliches"* Friedrich selbst
braucht in solchem Falle d^ apres: ^fai corrige mon
ouvrage d'apris vos correcUons'' , schreibt er im Mai 1750
an Maupertuis,^) Aber Maupertuis' Verbesserungen waren
nicht das Original Auf dies vielsagende Wort hätte
Herr Meusel sein Übermaß an Druckerschwärze über-
tragen sollen, dann hätte er sich vielleicht der räumlichen
Vorstellungsweise des Französischen erinnert» Das Ori-
ginal bleibt danach unter allen Umständen die geistige
Grundlage für jede mit seinem Inhalt vorzunehmende
Operation* Wir brauchen schon bei der bloßen Abschrift
das bei weitem unanschaulichere „nach*", das nur den
Vorrang oder auch das höhere Alter der Urschrift an-
deutet; indes ein Voltaire an König Friedrich schreibt^):
„fen^oyai ä Cirey^ chercher le mamiscrit original^ sur
ieguei je fis faire une nouvelle capie.'* Und ganz ebenso
ist es bei der Korrektur nach dem OriginaL In dem
großen Dictionnaire, den Abb^ Mozin 1811 bei Cotta er-
scheinen ließ — man könnte ihn das Wörterbuch der
Rheinbündner nennen — steht unter corriger S, 305 1
ausdrücklich: ^^corrlger une copie sur l^original eine Ab-
schrift nach der Urschrift berichtigen." Das konnte Fried-
rich auch von seinen Erinnerungen an 1741 und 1742
sagen^ obwohl die Redaktion von 1746/47 da keine eigent-
') Meusel polemidert direkt gegen Max Lehmanns Aus-
führungerit seine Argumente sind aben soweit ich sie zitiere, im*
gleich gegen meine Auslegung gerichtet*
») Publ a, d. preuß. Staatsarch. LXXÜ^ 254.
*) 22. September 1746 {Oeuvres XXII, 157,)
I
Leider nochmals die Histoire de mon Tempil 317
iiche Kopie, sondern eine Bearbeitung war, und obwohl
er gar nicht darauf ausging, den ursprünglichen Wort-
laut überall schlechtweg herzustellen. Die bloße Tat-
sache, daß er das Original überhaupt zum Vergleich ein-
gesehen, mußte sich ihm nach französischer Projektion
als eine sur f original vollzogene Tätigkeit darsteilen*
Also meinetwegen, wie Meusel übersetzt, „auf Grundlage
von". Nur muß man darunter, wie gesagt, den geistigen
Grund verstehen, nicht die körperliche Unterlage. Diese
bildete 1775 eher die Handschritt von 1746/47, Corrlg^
aber bezieht sich direkt auf keines der beiden materiellen
Manuskripte, sondern, wie bei Friedrich immer, auf die
ideelle Textgestalt- Auch wenn man mit Dr. Meusel
dem Könige das Zeugnis ausstellt, daß er „1775 die fran-
zösische Sprache bereits sicher beherrschte", wird man
ihm also wohl zutrauen dürfen, daß er mit seiner Notiz
eben das hat sagen wollen, was ich ihn sagen lasse.
Stellen wir dem für einen Augenblick die Ansicht,
die Käser wahrscheinlich findet, gegenüber Danach wäre
X 1775 nicht mehr vorhanden gewesen; Friedrich selbst^
könnte man etwa annehmen, hätte es schon 1747 nach
der früheren Umgestaltung des Textes als forthin über-
flüssig vernichtet. Für die ganze Arbeit der neuen Redak-
tion bildete die noch erhaltene Handschrift von 1746/47
die einzige Grundlage. Dann müßte man den Redaktions-
vermerk vom 1. Juni in jeder Hinsicht als gedankenlos
bezeichnen. Einmal belegte er mit dem Namen Original
das bloße Surrogat eines solchen. Alsdann enthielte er
nichts als die Selbstverständüchkeit, daß der neuen Be-
arbeitung überhaupt ein älterer Text zugrunde gelegen
habe, was durch das einzige Wörtchen corrig^ bereits
genugsam ausgesprochen war. Vollends ungereimt würde
er ferner durch seine singulare Stellung; am Ende des
ersten Teils war für ihn nicht mehr, eher weniger An-
laß als an dem des zweiten. Meine Deutung bewahrt
dagegen den strengen Sprachgebrauch; an die Stelle der
Trivialität tritt die unerwartete Kunde von einem eigen-
tümlichen Vorgang; und dieser Vorgang konnte einzig
und aliein hier, wo es sich um eine dritte Textgestalt
318
Allred Dove,
handelte in Betracht kommen. Läßt sich noch zweifeln,
welche von beiden Erklärungen dem Geiste des Königs
angemessener sei?
Noch bliebe zweierlei zu erwägen: das Motiv zu
dem in unserer Notiz erwähnten Verfahren, und der Be-
weggrund zu dem Vermerk vom L Juni 1775 selbst.
Die Schwierigkeit einer Reform, wie sie damals mit der
Fassung von 1746/47 vorgenommen ward, hat geistreich»
wie immer, Ranke auseinandergesetzt.^) Zwar gelehrte
Nacharbeit war nicht zu leisten, die Forschung hatte der
König ein für allemal gründlich erledigt; „neue Studien,"^
sagt Ranke, „hat er überhaupt nicht dazu gemacht.**
Eine Heranziehung von X zur Korrektur „wegen seiner
Vorzüglichkeit als primäre Quelle", wie Koser sich mit
spöttischem Anachronismus ausdrückt^ ist also selbstver-
ständlich ausgeschlossen* Andererseits handelte es sich
jedoch keineswegs bloß um den Stil im äußeren Ver-
Stande des Wortes» um den Wunsch nach sprachlicher
Angleichung an die späteren historischen Werke. ^) Nein^
der ganze geistige Ton des noch ungebrochenen hero*
ischen Obermuts, wie er ihm aus diesen Memoiren seiner
Jugend entgegenklang, widerstrebte dem Manne, der
durch das Erlebnis des Siebenjährigen Krieges vor der
Zeit erkältet, verbittert und verdüstert war. Und da sollte
er es verschmäht haben, bei der als notwendig erkannten
Umschmelzung sich der Hilfe eines noch vorhandenen
ersten Entwurfs zu bedienen, der gewiß vielfach unvoll-
kommener^ jedenfalls aber auch einfacher war als die
drei Jahre später gefertigte Überarbeitung? Und ganz
*) über die erste Bearbeitung der Geschichte der Schlesi-
schen Kriege von König Friedrich IL S.W, Bd, XXIVr Abhand-
lungen und Versuche. — Ich benutze die Gelegenheit, einen häö-
Uchen Druckfehler der in meinem Besitz befindlichen Auegabe
— ich weiß nicht, ob auch der übrigen — zu verbessern. S. 134
Z. 12 1, V, u. steht: „Und die Literatur ist es nicht, aber das
Alter" etc. Es muß heißen^ wie sich aus dem Folgenden ergibt:
^\n der Literatur ist es nicht eben das Alter, welches den Vor-
zug hat: man liebt Jugendlichkeit und Frische, selbst wenn sie
mit einigen Mängeln verbunden sind.^
') Das betont zu einseitig Posner, PubL IV, 146 L
Leider nochmals die Hbtoire de mon Temps!
allgemein: welcher Schriftsteller wüßte denn nicht, wie
oit ihm in bezug auf Einzelheiten der Korrektur die
bänkelsängerische Wahrheit begegnet ist: ^Et Von revient
toujours ä ses premiers amourst**
Alsdann aber, nachdem das Verlangen gestillt war
und die /iisioire de mon temps ihre endgültige Gestalt
nach dem gereiften Geschmack des greisen Königs emp-
fangen haüe^ schien es vielleicht an der Zeit, die Ur-
handschriit X, die schon zuvor eine Doublette gewesen
war und hinlort diesen Namen nicht einmal mehr ver-
diente, als vollkommen überflüssig mit eigener Hand zu
vernichten. Zwar wiederholt die Vorrede von 1775 nicht
mehr den frivolen Spott ihrer beiden Vorgängerinnen
von 1743 und 1747 über die Pedanten, die 1840 zur Welt
kommen würden, die Gelehrten auf us, die Mauriner oder
Benediktiner des 19. Jahrhunderts; an seine Stelle tritt
ein solides Lob authentischer Geschichtschreibung von-
seiten unmittelbar beteiligter Zeitgenossen. Aber von
einem Zeitalter, das nach dem Schatten des Urfaust
hascht, konnte dem König auch jetzt noch keinerlei Vor-
stellung innewohnen* Das Original X, nachdem es seine
Schuldigkeit getan, verwandelte sich ihm wieder in eine
premiere ^bauche, die der nach Vollendung strebende
Autor ohne Skrupel beseitigt In eingeborener Gewissen-
haftigkeit jedoch setzte er ihm zugleich, seiner letzten
Dienste dankbar eingedenk, in der nur zu eigener Orien-
tierung^ allenfalls auch zu der eines künftigen Heraus-
gebers bestimmten Notiz vom L Juni 1775 das lakonische
Epitaph: ^Corrigä ä Sanssouci sur t' original de mes
memoires de 174! et de 1742. FMärkJ' Die Handschrift
von 1746/47 dagegen, die vielleicht noch Dienste leisten
konnte, wanderte ins Archiv.^) So werden wir uns ohne
') Flnckenstein schreibt am 3. September 1775 an den König
(Han§ Droyscn a.a.O. S* 23): ^Je viens aussi de cac heier et de
ää poser attx archtves secrites les manuscripts originaux de tous les
äiff^rentes Mämoires que V, M. a daignä me confier* Darunter
befand sich natürlich auch die Handschrift von 1746/47. Zu den
originalen^ d. h. autographlschen Manuskripten konnte sie selbst*
verständlich ebenfalls gerechnet werden im Gegensatz zu einer
2r*
I
320 Alfred Dove,
großen Aufwand von Phantasie den Hergang ausmaJen
dürlen. —
^An einem historischen Werke ist es doch haupt-
sächlich die Kenntnis der Tatsachen, was man darin
sucht,** Diesem Winke Rankes^) gehorsam , setzte ich
meiner beiläufigen Kundgebung 1883 noch die Worte
hinzu; „Es erwüchse somit die Auigabe, mit ähnlichem
Scharfsinn, wie er so oft an weit geringere literarische
Erzeugnisse z. B. des Mittelalters gewandt worden, durch
komparative Kritik zwar nicht die Form, wohl aber den
Inhalt des verlorenen Originals von 1742/43, wenn nicht
im ganzen , so doch im einzelnen rückwärts zu er-
schließen." Es war recht eigentlich eine Doktorfrage ^ ■
ich meine hier ein Problem für solche, die Doktoren
werden wollen — , in deren Gewand ich als derzeitiger
Professor die einfache Aufforderung kleidete, den sach-
lich begründeten Vermutungen Posners weiter nachzu-
bloßen Kanzleikopiei von der vorher die Rede war. Daß sie in
ihrem ersten Teil nicht das eigentliche Original war^ wird hier
nicht berührt. Friedrich selbst braucht in seinem Dankschreiben
vom 5, September das Substantiv nur von der wirklichen Urschrift
der Geschichte des Siebenjährigen Krieges: ^roriginat de ctt in-
teressant ouvrage.'^ — AbsJchthch übergangen ist oben der Brie!
des Königs an Voltaire vom 12. Juli 1775 {Oeuvres XXI 11, 334), in
welchem es heißt: „Cependani vatre lettre [vom 2L Juni aus Ferneyl
m*a trouve' la plume ä la matn^ occstp^ ä corriger ä^anciens mi*
moires que vous t^oas ressauvienärez peut^Hre d^avmr pus autref&is
peu corrects [et peu corrlg^s ergänzt H. Droysen a. a* O, S, 22]
et peu soign/s. Je liehe mes petits, je tacke de les palin Trentc
annees de diff/rence renäent plus difficile ä se satis faire.* Voltaire
hat Anfang September 1743 in Potsdam Einblick in einen Teil der
Ürmemoiren erhalten und Bruchstücke daraus lebenslänglich auf-
bewahrt; von seiner, atlerdings möglichen Bekanntschaft mit der
Redaktion von 1746/47 wissen wir dagegen nichts ausdrücklich.
Man möchte daher diesen Brief als einen Beweis dafür ansprechen^
daß X in der Tat bei der Arbeit von 1775 benutzt worden ist.
Indessen Ende Juni oder Anfang Juli korrigierte Friedrich bereite
die nüuveaux memoires von 1746^ für die eine Benutzung von X
überhaupt nicht mehr in Frage kommt. Wahrscherniich hat er iri
diesem Moment beide ungefähr 30 Jahre ältere Tesctgestalten, die
gemeinsame Grundlage seiner neuen Korrektur, unter dem Namen.
ä'anciens memoires zusammengefaßt.
0 A. a. 0. S. 120.
i
Leider nochmals die Histoire de mon Tempsl
321
gehen, nachdem sie so unerwartet eine direkte Bestäti-
gung gelunden. Das Problem fand denn auch, nachdem
inzwischen Max Lehmann genauer den Weg für seine
Behandlung angegeben, eine umsichtige Bearbeitung
durch den Amerikaner Schwill in einer Freiburger Dis-
sertation von 1892,^) Es geschah ganz ohne mein Zu-
tun; damals war ich Journalist. Herr Meusel nun hebt
im ganzen treffend hervor, wie wenig an geschichtlichem
Gewinn dabei herausgekommen. Wir haben durch Schwill
noch deutlicher einsehen lernen als zuvor, daß in sach-
licher Beziehung die Hisioire de mon temps von 1775
im aligemeinen eine erhebliche Verschlechterung gegen-
über der Redaktion von 1746/47 darstellt. Bei Jeder so
spät aus rein schriftstellerischen Gesichtspunkten unter-
nommenen Reform einer älteren Memoirenarbeit kann es
kaum anders sein. Und dennoch fand Schwill, ganz wie
Posner, im ersten Teil inmitten jener allgemeinen Ver-
schlechterung einige sachliche Verbesserungen, Auch nach
ihm werden sie darauf beruhen, daß der König — nicht
neue Studien gemacht, denn davon konnte ja nicht die
Rede sein; nein, daß er bei der Redaktion von f775 das
noch durch keine frühere stilistische Korrektur verwischte,
die grundlegenden Studien am besten repräsentierende X
vor Augen gehabt hat und ihm hier und da gefolgt ist.
Gewiß, diese Ergebnisse sind recht unbedeutend und
schon dadurch praktisch fast wertlos, daß jene sachlichen
Verbesserungen erst andersher umständlich als solche zu
erweisen sind* Unlösbar also, wie Meusel sagt, war die
Aufgabe nicht, aber die Lösung war ziemlich unfruchtbar.
Ich nehme daher jetzt das Wort von einer wichtigen kri-
tischen Konsequenz meiner richtigen Deutung des Redak-
tionsvermerks vom f. Juni 1775 hier möglichst feierlich
zurück. Richtig jedoch bleibt diese Deutung nichtsdesto-
weniger und an literarhistorischem Interesse hat sie nichts
eingebüßt.
Von den tatsächlichen Verbesserungen, die gelegent-
lich für die Benutzung einer älteren Vorlage zeugen
I ^) Ober das Verhältnis der Texte der Hisioire de mon iemps
I Friedrichs d. Gr.
322
Alfred Dove^
konntenj sind verschieden die formalen Anklänge dl
Textes von 1775: entweder an gleichzeitige Aktenstücke,
deren Wortlaut in X noch getreuer erhalten sein mußte
als in der Redaktion von 1746/47, oder womöglich an
etwaige Reliquien der Urmemoiren selbst. Ein Beispiel
der ersten Art hatte 1891 Wiedemann angeführt und
dadurch, wie er glaubte, „bis zur Evidenz" den Nach-
weis für die Benutzung von X erbracht. Ein Beispiel
der anderen hatte bereits 1884 Koser selbst — als Gentle-
man auch im wissenschaftlichen Streit — hervorgezogen;
doch vermochte er daraus ^eine Nötigung zu der An-
nahme", daß Friedrich 1775 „an dieser Stelle aus X ge-
schöpft, allemal nicht anzuerkennen*'. Es handelte sich
um die berühmte Motivierung des Entschlusses zur schle-
sischen Eroberungj wie sie Voltaire in seinen autobio-
graphischen Aufzeichnungen aus Friedrichs Memoiren
wörtlich mitgeteilt. Auch hier rückte übrigens Wiede-
mann erst den formalen Anklang der spätesten Fassung
an die früheste in volles Licht. Die von Voltaire aufbe-
wahrten^ 1743 gemachten Auszüge aus X wurden darauf
1897 durch Fritz Amheim^) in größerem Umfang aus
einer zu Upsata befindlichen Abschrift bekannt gemacht;
er gewann daraus die Überzeugungj daß ihre „Überein-
stimmung mit der Redaktion von 1775 bisweilen größer
sei als mit der Redaktion von 1746". Zu guter Letzt
wurden die gesamten Fragmente der Urmemoiren nebst
dem Avanfprapos, so wie sie sich noch in der Peters-
burger Bibliothek im Nachlasse Voltaires befinden, von
Hans Droysen ohne Kommentar veröffentlicht.^) Auf
dies Material gestützt, bemächtigte sich Herr Meusel
*) In den Forschungen zur brandenb. u. preufl* Geschichte
IX, 515 iL Die schwedische Abschrift gibt ihrem Original den
angeblich von Voltaire herrührenden Titel: pPetils fragments des
M^moires du roi de Prasse^ Berits de sa matn.' Das versteht
Dr. Meusel in einem „kritischen Nachtrag" zu seinem früheren
Artikel in den Preußischen Jahrbüchern (CXX, 4S2 ff. „Friedrich
d. Gr. als hiBtortsch-poUtischer SchrlftsteUer") dahin, daß Friedrich
nicht die Memoiren, sondern die Auszüge mit eigener Hand ge-
schrieben habel
') A. a, O. S. 27 \l
I
I
I
I
I
Leider nochmals die Hlstoire de mon Tempst
unserer Frage. Es lohnt sich, kurz zu betrachten, mit
welchen Mitteln er sie zur Entscheidung bringt.
Er wünscht zu widerlegen, daß der König 1775 auch
die UrschriK X zur Korrektur herangezogen habe. Andere
Gründe kann er sich ja für deren Benutzung gar nicht
denken als den modern kritischen, daß sie der Wahrheit
sachlich näher stand. Aufs schärfste betont er daher die
rein formale, stilistische Bedeutung von corriger; es
heißt ihm geradezu „feilen*', gegen 40 Beispiele kann er
allein aus Hans Droysen für diesen Sprachgebrauch Fried-
richs beibringen. Sehr wohl; also war die Umschmel-
zung von 1775 ein rein schriftstellerisches Geschäft. Nach
Herrn Meusel nun doch nicht so ganz; wir hören zu
unserem größten Erstaunen , daß sie nur ^vor allem
unter diesem formellen, stilistischen Gesichtspunkt vor
sich gegangen". Au! der nächsten Seite wird uns jedoch
der Sinn dieser seltsamen Einschränkung plötzlich klar.
„Nur das eine," heißt es nämlich, „scheint Schwill be-
wiesen zu haben, daß 1775 einige urkundliche Materialien
nochmals herangezogen sind,'' Urkundliche Materialien,
archivalische Studien? Und gerade für so unbedeutende
sachliche Verbesserungen, wie sie Schwill auf den Ein-
fluß von X bei der Korrektur zurückführen zu müssen
glaubte? „Damit lällt*^ dann natürlich „auch der Beweis
fort, den Wiedemann meinte erbringen zu können,"
Wiedemann hatte aus dem bloß phraseologischen An-
klang der jüngsten Redaktion an ein Aktenstück von
[741, der sich in der älteren Bearbeitung von 1746i47
nicht fand, eine Benutzung von X für jene ^bis zur Evi-
denz** erwiesen. Herr Meusel beseitigt diese Evidenz
durch die einfache Annahme, „daß Friedrich vielleicht
das betreffende wichtige Aktenstück noch einmal ansah".
Es kann diesem aber wohl nur phraseologisch wichtig
gewesen sein, denn nur solche Änderungen hat er dar-
aus entnommen. Also in der Tat einmal der seltene
Fall eines rein stilistischen Aktenstudiums* Wie unrecht
hatte doch Ranke dem Könige getan, als er schrieb: „neue
Studien hat er überhaupt nicht dazu gemacht*', wenn
Friedrich sogar um solcher Zwecke willen — nicht auf
324 Alfred Dove,
X, bewahre, nur das nicht! — vielmehr aul die Archi-
Valien selber zurückgriff! Sieht Herr Meusel wirklich
nicht ein^ wie schwer, ja unmöglich es ist, seine Mei-
nung mit den Ansprüchen einer gesunden Logik zu ver-
einigen? Psychologisch befremdend wirkt dagegen die
Weise» auf die er sich mit den Anklängen der Redaktion
von 1775 an die Voltaireschen Fragmente, die leibhaftigen
Reliquien der Urmemoiren abfindet. Sie sind ihm nichts
als ^jzufällige Obereinstimmungen". Daß der König 1742
schrieb: ^^que ron jaigne ä ces conside'ratians des troupes
iöujöurs prdies d'agir*^, 1746 änderte: Joignez ä tous
ces moiifs Vappät d'une armde nombreuse et mobile'"^
1775 aber teilweise wiederherstellte: ajoutez ä ces raisons
nne armäe foule prile d^agir" — macht ihn nicht an
dieser Erklärung irre. Daß Friedrich es „unbedingt -
nötig hatte, noch einmal in der ersten Redaktion nach- ■
zuschlagen, um^ — nach 33 Jahren wieder! — ^auf den
Ausdruck schlagfertig zu kommen", werde ^man immer
hin bezweifeln dürfen". Warum nicht? Der Skeptizis-
mus ist keine verbotene Religion. Wir bekennen uns
sogar selber zu ihm angesichts des prächtigen argumen-
tum ex silentio: daß sich in den jetzt bekannten Frag-
menten der Memoiren von 1742/43 auch „sachlich wert-
volle Angaben finden, die in der letzten Redaktion fehlen", ^
„Detailangaben, die sich der König schwerlich hätte ent-
gehen lassen j wenn er die erste Redaktion 1775 noch
einmal herangezogen hätte". Schwerlich? Woher wissen
wir denn, daß er selbst sie 1775 sachlich wertvoll fand?
Dr. Meusel ist so liebenswürdig, die Torheit, die
ich durch Autwerfen der oben besprochenen Doktorfrage
begangen, damit zu entschuldigen, es hätte mir nahe ge-
legen, solche Forderung zu stellen. Denn in einer mittel-
alterliche Dinge betreffenden Untersuchung, die er mit
hohem Lobe bedenkt — ich darf wohl annehmen: erfl
kennt sie nur aus Scheffer-Boichorsts Rezension — hätte *
ich mich einst an einem ähnlichen Problem versucht. Jeder
Mensch hat eben die Fehler seiner Tugenden. Ich kann
ihm aber die bittersüße Artigkeit mit dem besten Willen
nicht anders vergelten, als indem ich erwidere; die vor-
Leider nochmals die Histoire de mon TempsJ
325
liegende Abhandlung zeigt, daß ihm die Lösung derarti-
ger Streitfragen nicht gerade naheliegt.
Doch ich mag diese Zeilen nicht mit einem Mißton
schließen- Es sei mir vergönnt, hier am Ende noch
einen hübschen Brief mitzuteilen, den der alte Droysen
am 6. Juli — es muß IS83 gewesen sein — * an mich
als seinen Schüler richtete. Nicht als Zeugnis dafür, daß
meine Ansicht verständlich war, denn dessen bedarf es
gar nicht; nein, damit der Leser dieser Entgegnung nach
alle dem Qualm und Schwefel eines gelehrten Zanks
auch einmal die reine Höhenluft des Enthusiasmus atme:
„Lieber Freund. Für das mir freundlichst mitge-
theilte Stückchen Fridericianischer Kritik meinen besten
Dank. Die Frage, die Sie anregen, ist von nicht ge-
ringem Interesse. Ich habe meiner Seits gelegentlich die
Disposition der späten Bearbeitung, namentlich in ihrem
Anfang zu prüfen versucht und bin da doch zu anderen
Anschauungen gekommen wie Ranke. ^) Sieht die Be-
arbeitung von 1775 dem „Original** von 1742 ähnlich, so
ist der erste Wurf der Einleitung nicht eben glücklich
gewesen*^) Auch glaube ich nach den präcis der diplo-
matischen Verhandlungen die er sich 1749 und 1752
machen ließ (Podewils 1749 beauftragte den Archivrath
Ilgen, 1752 Graf Herzberg und fügte selbst die Erzäh-
lung einiger der geheimsten Verhandlungen hinzu) daß
der König in diesen beiden Jahren die Memoiren fort-
zusetzen beabsichtigt hat, aber durch die Krisis, die 1749
drohte, und 1753 fast zum Ausbruch kam, davon abge-
halten worden ist.^) Ein nicht minderes Interesse als die
') Friedrichs d. Gn politische Stellung im Anfang des Schle-
sischen Krieges; gelesen in der Berliner Akademie 8. Dezember
1870. Abhandlungen van Joh. Gust. Droysen 1876, S, 263 \\,
*) Die an der introducHon von 1775 gerügten Mängel (vgl
a. a. O, S, 271 f.) schreiben sich eben daher^ daO Partien des Textes
von 1742/43 nachträglich in den von 1746/47 eingeschoben sind. —
!m folgenden hat Droysen meine Dadegung im Auge, daß aus
dem annaiisdschen Schlüsse von X sich ergebe, Friedrich habe
von Anfang an ein fortlaufendes Memoirenwerk geplant und nicht
bloße Kriegsgeschichte in der Weise Caesars,
'*) Vgl, die oben S. 310 Anm. 1 zitlertCj damals von mir über-
sehene Untersuchung in der Zeltschr. f. preuß, Gesch. XVlIli 1 fK
326 Alfred Dove, Leider nochmals die Histoire de mon Temps I
von Ihnen behandelte Frage hat die nach den polttischen
Rücksichten die ihn 1775 bestimmtenj gewisse Dinge zu
modificiren oder ganz zu streichen, wie er denn nament-
lich in jener spätem Fassung das Verhältniß zu Rußland
in recht würdeloser Weise schont
Ich freue mich^ daß dieser vornehme und glänzende
Geist Ihr Interesse in Anspruch nimmt. Ich habe nun
seit einer langen Reihe von Jahren Umgang mit ihm und
bin immer von Neuem erstaunt, wie die Beschättigung
seiner Muße und Zerstreuung immer noch für uns andere
nicht in der harten Friction [uns] bewegenden und in
immer schwierigen Verhältnissen lebenden und spinthi-
sirenden Menschen im vollsten Maaß ergiebig und der
besten Arbeit werth erscheint Das Ensemble seiner lite-
rarischen Production Correspondenz und Staatsarbeit
Woche für Woche zu verlolgen ist ein wahrer Genuß;
sein Geist ist wie ein Diamant von unendlicher Facetti-
rung; und dieser geistvolle, kenntnißreiche, mächtig wir-
kende Regent ist dabei unermüdlich zu lernen und selbst
nach den furchtbaren sieben Jahren noch elastisch genug
sich zu neuen Erscheinungen in Literatur und Kunst zu
verhalten, wenn auch nicht gerade zu der Poesie von
Sturm und Drang oder den Salopperien des unendlich
begabten Rousseau. Mein Freund Treitschke thut ihm
nach meiner Ansicht nicht genug, und man würde ihn
degradiren wenn man ihn den pflichtstrengen Regenten
und Staatsmann, in seinen historischen Arbeiten mit dem
äußerst verlogenen und tendenzieusen C Caesar ver-
gleichen wollte dessen militärische und administrative
Genialität nur mit der des großen Napoleon zu verglei-
chen ist, der auch ein großer Lügner vor dem Herrn
war und eben so wenig den kleinsten vornehmen Zug
in sich hatte wie der große Römer.
Verzeihen Sie wenn ich ins Schwatzen gerathen bin.
Und behalten Sie mich auch ferner in freundlicher Er-
innerung, lieber Dove. Ihr Dr,"^
I
I
I
V
Die Probleme der historischen Methodik
und der Geschichtsphilosophie bei Voltaire.
Von
Paul Sakmann.
P Heute, da das Interesse an den methodologischen
Fragen der Geschichtswissenschaft so lebendig ist, dürlte
es wohl nicht unwillkommen sein, wenn gezeigt wird,
welche Gedanken der Schöpfer des Terminus Geschichts-
» Philosophie, der in der Geschichtschreibung Epoche
bildete, und der sich dessen bewußt war, sich über diese
Probleme gemacht hat. Auch für eine Würdigung der
■ historischen Leistung Voltaires selbst ist gewiß eine Unter-
suchung darüber, welche Aufgaben er dem Historiker
stellt, eine unerläßliche Vorfrage. Eine Skijsze des Reform-
plans, den Voltaire für die Historie entwarf, auf Grund-
lage einer Sammlung seiner zerstreuten Äußerungen, soll
K im folgenden gegeben werden,
" Es ist nicht von ungefähr, daß es nicht berufliche
Pflichten waren, die Voltaire au! die Bahn des Historikers
H führten, sondern private Neigung („ich studierte zuerst
■ Geschichte für mich und nicht tür das Publikum und für
Publikation"), eine Neigung, die dann einen weiteren An-
stoß zur Betätigung durch ein Verhältnis gesellschaftlicher
Verpflichtung erhielt* Eine Dame, freilich nicht die erste
beste, sondern eine, deren Ansichten zu diskutieren, Kant
nicht unter seiner Würde gefunden hat, die vorwiegend
metaphysisch und mathematisch veranlagte Marquise Du
328 Paul Sikmann^
Chätelet klagt Ihm über die Ungenießbarkeit moderner
Geschichte: „Ein wirrer Haute zusammenhangsloser Tat-
sachen, tausend Berichte von Schlachten, die nichts ent-
schieden haben. Was hat eine Französin, wie ich, davon,
wenn sie weiß, daß in Schweden Egii auf Haquin folgte
und daß Ottoman der Sohn Ortoguls war?" Die Auf-
gabe reizt den Künstler in Voltaire. Wie wäre es, wenn
man aus dem Chaos durch Sichtung des MaterialSj durch
Ausscheidung des Wertlosen und Folgenlosen ein brauch- ^
bares Gebäude aufführte? Ein umfassendes wohlgeglie- H
dertes Gemälde der Entwicklung des menschüchen Geistes
entwerfen, das hieße doch wohl nicht seine Zeit verlieren.
So ist denn nicht ein chronologisches und genealogisches ■
Werk entstanden — daran fehlt es nicht — , sondern ein
Bild der Jahrhunderte» wie es eine fein gebildete, geist-
volle Dame mit mir betrachten mochte und wie es In fl
ihren Kreisen wohl Aufnahme finden mag.*)
Wir sehen, auf Voltaire trifft es zu, wenn einmal
Brunetifere als das Prinzip der Vorwärtsbewegung in der
literarischen Entwicklung den Gedanken bezeichnet hat:
Nous votilons faire autrement que ceux gai nous ont pri-
cidis. Voltaire will etwas anderes machen als was vor
ihm da war. Darum können wir für unsere Darstellung
von jener Kritik der Marquise ausgehen, die Voltaire ein-
mal in die drei Hauptvorwürfe zusammenfaßt: langweiliges
Detail, empörende Lügen, inhaltliche Darstellung in klein-
lichem, barbarischem Geiste^); denn Voltaire entwickelt
daraus sein eigenes positives Programm einer großzügigen,
einer kritisch gesichteten, einer im philosophischen Geist
behandelten Geschichte,
Dem französisch-klassischen Geist, der nach Gliede-
rung, Obersicht, Klarheit strebt, ist an den alten Geschichts-
folianten das Verdrießlichste; der verworrene Wust des
Details. Eine Auswahl ist nötig schon angesichts
I
*) Essai sur les mceurs^ Pr^face von 17&i,
') Remarques de l'Essai sur les mceurs I ; s> auch
sur Phistojre gdn^rale L
Probleme d. hist. Method. u. d. Geschichtsphilosophie Voltaires. 329
der Unendlichkeit des fortwährend anwachsenden Stoffs,
Die Leidenschaft für Geschichte ist wie alle anderen aus
dem Müßiggang hervorgegangen. Heute unterliegt das
Gedächtnis unter der Last, mit der die Wißbegierde es
belastet hat.^) Heutzutage hat fast jede Stadt ihre Ge-
schichte, Die Annalen eines einzigen Mönchsordens sind
um viele Bände dicker als die des römischen Reichs.
Man muß sich beschränken und auswählen.^) Noch drin-
gender legt sich das Bedürfnis einer Auswahl nahe beim
Blick auf die großen qualitativen Unterschiede des histo-
rischen Stoffs. Nicht alles, was sich ereignet hat, ist der
Aufzeichnung wert Der Historiker muß einen Unter-
schied machen zwischen den unübersehbaren Einzelheiten
des Geschichtsverlaufs und den großen entscheidenden
Ereignissen. Er muß sich beschränken auf das, was der
Beachtung wert ist für alle Zeiten.^) Und so formuliert
er einmal seinen Standpunkt: Der Zweck dieser Arbeit
istp unter Fernhallung der Masse der Einzeltatsachen die
wichtigen allein herauszuheben und sie in ihrer geistigen
Bedeutung für die großen Züge der Entwicklung zu kenn-
zeichnen.*) Und zu Frau von Chätelet sagt er: Sie wollen
den Ekel vor der neueren Geschichte überwinden und
suchen in dieser Unendlichkeit das, was wert ist^ gekannt
zu sein. Wir wollen über die öden Räume hinwegeilen^
um bei den Zeiten zu verweilen, die den Stempel der
Größe tragen. '^) Wohl blieben noch viele Entdeckungen
übrig für unsere Wißbegierde; wenn man sich aber an
das Wertvolle hält, so hat man schon mehr als genug
entdeckt.^) Eine großzügige Zeichnung der allge-
meinen Linien der Entwicklung im Gegensatz zu
dem wahllosen Ausbreiten aller Einzelheiten — mit
diesem Programm, scheint es, will er sich von seinen
') Fragments sur l'Inde c. 31,
») Essai sur les mceurs (künftig zHiert:
propos.
■) Lauts XIV, c. L
*) Ibid. c,
^) Essai: Avantpropos
„Essai"): Avant-
330
Paul Sa k mann,
Vorgängern abheben: Die historische Betrachtung muß
großzügig sein und muß daraul vor allem abzielen, die
Jahrhunderte in ihren unterscheidenden Charaktermerk-
maler!, d/h* die großen Kulturepochen hervortreten zu
lassen.^)
Damit verbindet sich oft eine geringe Ein-
sehätzung der Arbeit im historischen Detail
und seiner Feststellung* Einzeltatsachen, die keine Folgen
haben, sind für den Historiker impedimenta,'^) Man muß,
sagt er z. B. unter den Irrtümern der Geschichtschreiber
einen Unterschied machen. Falsche Daten, Namenver-
wechslungen, derartige Dinge gehören ins Druckfehler-
verzeichnis. Wenn die großen Züge, die leitenden Inter-
essen und Motive, wenn der Gang der Ereignisse richtig
gezeichnet ist, dann gleicht das Ganze einer guten Statue,
an der man eine unrichtige Einzelheit im Faltenwurf immer-
hin tadeln mag.^) Wenn Pallavicino seinem Rivalen Sarpi
in Daten und Namen einige hundert Irrtümer nachweist
so mag er recht haben. Aber es ist kaum der Mühe
wert, in solchen Dingen recht zu haben. Was verschlägt
es, ob ein wertloser Brief Leos X. im Jahr 1516 oder I5I7
geschrieben wurde u, a. m.^)
Einige Beispiele mögen erläutern, welche Art von
historischem Detail er bei diesen abschätzigen Äußerungen
im Auge hat: Daß der chinesische Herrscher Quancum
auf Kinkum folgte und Kicum auf Quancum, das brauchen
Sie nicht zu wissen, das ist gut für chronologische Ta-
bellen.^) Untersuchungen wie die, welcher Papst dem
König von Ungarn den Titel apostolischer König gegeben
habe, ob Sylvester IL oder Johann XVIIK oder XIX., lehnt
er grundsätzlich ab, da er andere Fragen zu stellen habe.**}
Zu den Einzelheiten, mit denen der Universalhtstoriker
sich nicht bemengt, gehört auch die Privatmoral weit-
*) Easai, Pr^facc von 1754.
*) Ibid,
^) Supplement de Louia XIV, h
*} Essai c. 177,
^) Ibid. c. im
•) Ibid. c. 119,
1
Pro bl eine d. hist. MethocL u. «L Geschichtsphilosophie Voltaires. MI
geschichtlicher Persönlichkeiten. Ob der chinesische
Kaiser Camhi geizig und launenhaft war, interessiert ihn
nicht; ihm genügt zu wissen, daß das Reich unter ihm
glücklich war: nach diesen Gesichtspunkten muß man
Könige würdigen,^) Zu dem geringfügigen Detail der
Geschichte gehören ferner die ProtokolJe über die Rang-
streitigkeiten der verschiedenen Körperscfiaften: das sind
die Dokumente der Kleinlichkeit, nicht der historischen
Größe*-) Ein instruktives Beispiel findet sich in den
Annales de Vempire (Louis ie D^onnaire): Der bloß
antiquarisch Interessierte möchte wissen, ob unter Ludwig
dem Frommen die Blendung an Bernhard wirklich voll-
zogen wurde oder nicht. Der wissenschaftliche Historiker
richtet sein tnteresse auf die allgemeine Frage: welche
barbarischen Brauche herrschten damals, wie schwach
war die Regierung, wie mächtig der Klerus, wie elend
die Völker?
Um übrigens nicht zu weitgehende Schlüsse aus
diesen allerdings allgemein gehaltenen Äußerungen zu
ziehen, muß man ein Doppeltes im Auge behalten. Es
handelt sich dabei doch nicht sowohl um eine Ge-
setzgebung für den Historiker an sich, als um die Cha-
rakterisierung der besonderen Art der Ge-
schichtschreibung, die er unternimmt Das tritt
an anderen Stellen deutlich heraus: Die Methode, nach
der Sie (Mme du Chätelet) Geschichte studieren, erlaubt
ein Eingehen auf das einzelne nur in beschränktem Maß*^J
Ich will mich nicht damit abgeben, die Etnzelangaben
meiner Vorgänger richtig zu stellen, um nicht das Ge-
samtbild Europas aus den Augen zu verlieren/) Noch
mehr aber: man darf Voltaire nicht zu peinlich beim Wort
nehmen, wenn er, um von dem pedantischen Gelehrten
möglichst weit abzurücken, eine nachlässige Ver^icfitung
des exakten Details zur Schau trägt. Er wird dem
Problem des historischen Details oft auch
*) Ibid. c* 195,
*) Histoire du parlement c. 4d,
*) Essai c, J15,
*) Ibid* c. 195.
332
Paul Sakmatitty
besser gerecht und macht z, B, die richtige Unter-
scheidung zwischen dem feststellenden Forscher und dem
darstellenden Künstler In der neueren Geschichte, sagt
er, ist man mit Recht sehr bemüht um Ermittlung ge-
nauer Daten, von Schlachten z* B. ; man verölfentlicht
allerlei Verträge, Protokolle von Zeremonien^ in denen
man keinen Schweizer und keinen Lakai vergißt. Und
es ist gut so, daß man alles in Archiven niederlegt, wo
man sich nötigenialls Rats erholen kann. Alle diese dicken
Bücher sehe ich als eine Art von Wörterbüchern an,^)
Einmal schlagt er eine Trennung der Funktionen vor;
es sollte Historiographen geben wie in China, die das
geschichtliche Material, die Dokumente usw. zu sammeln
hätten. Dem Historiker käme dann die Auswahl des
Wertvollen und die künstlerische Gestaltung des Gesich-
teten zu,^)
Ja, auch für seine eigene Geschichtsdarstellung ver-
schmäht er das Detail keineswegs. Im Siede de Louis XIV
entschuldigt er sich allerdings, wenn er z. B. auf politisch
bedeutungslose Hofintriguen eingeht; dem Philosophen
pflegen derartige Kleinigkeiten widerwärtig zu sein. Und
er will diese Ausnahme von der Regel nur gemacht
habeUj weil das große Jahrhundert schließlich alles inter-
essant mache; die Neugierde sei fast keine Schwäche
mehr, wenn sie sich auf solche Männer und Zeiten be-
ziehe.^) Ahnlich spricht er sich in der Vorrede zu den
Erinnerungen der Frau v. Caylus aus: Hofanekdoten, wie
sie diese Memoiren oder Dangeaus Tagebuch füllen, sagen
dem heute herrschenden philosophischen Geist kaum mehr
zu. Aber wenn die gewöhnlichen Hofgeschichtchen mit
der betreffenden Generation selbst der Vergessenheit ge-
weiht sind, so bilden doch die großen Zeitalter eine Aus-
nahme, indem sie ihren Glanz auch auf das Kleine werfen.
Aus dem Zeitalter Ludwigs XIV., aus dem des Augustus
ist uns alles wertvoll* Aber wir dürfen weiter gehen und
^) Nouvelles consid^rations sur rhistoire*
von 1754.
*) Dict. phJL: Historiographe»
>) Louiö XlVj c. 26 li. 2S.
Essai, Pr^face
I
Probleme d. hisl, Method. u, d. Geschichlsphliosophle Voltaires* 333
sagen, daß er den Wert des charakterisierenden
„peilt fait'' tatsächlich und prinzipiell vollkommen ein-
gesehen hat. So kann er wohl erklären, es sei ihm
nicht um Ermittlung müßiger Detailwahrheiten zu tun,
fügt aber die bezeichnende Einschränkung bei: „die
nichts Charakteristisches haben und aus denen man
nichts lernt.'' Um Tatsachen ist es ihm zu tun, die
uns über den Geist eines Herrschers, eines Hofes, eines
Volkes aufklären.^) Hin und wieder zeigt er, welch
überraschendes Licht aus der unscheinbarsten Notiz auf
vergangene Verhältnisse und Zustände fallen kann, (Ein
Beispiel in der Nisiolre du Parlemeni c, 29.) Er gibt
die Absolutionsformel in der Bulle de la Cruzade Ju-
lius IL im Wortlaut, weil sie in ein Gemälde der mensch-
lichen Sitten und Bräuche wohl hineinpaßt. Daß Ga-
ieazzo Sforza gerade in der Kirche und am Stephans-
tag ermordet wurde von Leuten, die zu dem hL Stephanus
und Ambrosius um Mut für ihr Werk beteten, hält er für
einen Umstand, der an und fiJr sich recht gleichgültig,
doch erwähnenswert ist, weil er ein Licht auf den geistigen
Zustand des Italiens der Renaissancezeit wirft,-') Die
Details wollen wir beibehalten, erklärt er in der Vorrede
zum Essai von 1754, die für die Sitten bezeichnend sind.
Er berichtet Einzelheiten vom Begräbnis Du Guesciins
oder die Herausforderung Philipps von Valois zum Duell
durch Eduard von England, nicht weil sie an sich bedeu-
tend wären, sondern weil sie den Geist des Rittertums
charakterisieren.^)
IL
Frau Du Chätelet ärgerte sich über die Naivetät der
alten Geschichtschreiber, die Oberlieferungen auf Treu
und Glauben annehmen, in denen moderne Geister wie sie^
^empörende Lügen** sehen. Und der gleichgestimmte
Voltaire sieht es ein: Die kritische Bewußtseins-
stellung der neuen Zeit verlangt eine neue Ge-
schichte. Was den Geschichtskompilatoren gewöhnlich
<) Suppllmetit de Louis XIV, in.
*) Essai c. J02 u. 105.
*) Essai c. 75; 78.
HiBtori»cüe ZeilscbHIt (97, Bd.) 3, Folge h B<L 22
334
Paul Sakmann,
fehlt, ist der philosophische Geist. Statt mit Männern
Tatsachen zu analysieren, erzählen sie Kindern Ge-
schichtchen. Man würde aber nicht so endios Bücher
und Irrtümer weiter fortproduzieren, wenn man mehr
seinen Verstand als sein Gedächtnis brauchen, wenn man
mehr prüfen als abschreiben wollte. Wer schreibt, sollte
Neues und Sicheres zu sagen haben,*) Die Geschichte
hat es nötig, von der Philosophie aufgeklärt zu werden.
Wir hatten lange neun Musen; die gesunde Kritik, die
ziemlich spät gekommen ist^ ist die zehnte,^) Kritisch
vorsichtig, ja geradezu mißtrauisch ist die Stimmung,
mit der der Historiker nach Voltaires Herzen an sein
Material herantritt: Wenn sich ein guter Kopf an die Ge-
schichte macht, so ist es last sein einziges Geschäft, daß
er sie widerlegen muß.^) Das Mißtrauen ist nach Ari-
stoteles die Grundlage aller Weisheit; diesen Grundsatz
muß sich der Leser der Geschichte merken**) Für seine
leichtgläubigen Vorgänger hat er nur ein spöttisches
Lächeln: „Herodot, Ktesias^ Diodorus Siculus berichten
eine Tatsache, du hast die Sache im griechischen Text
gelesen, also ist sie wahrt Das ist nun nicht gerade die
euklidische Beweismethode.'* ^)
Der tiefste Grund dieser mißtrauischen Stim-
mung ist die Einsicht, daß ein großer Teil des ge-
schichtlichen Ouell^'iJ^aterials von mythischen Ele-
menten durchsetzt ist, mit denen ja bekanntlich die
Philosophie der Aulklärung geschichtlich nichts anzu-
fangen wußte, weil sie in diesen Erzeugnissen nur das
dem eigenen Geist Fremde, Widerwärtige, Unbegreifliche
sah: Für die Fabeln, mit denen Fanatismus, Schwärmerei
und Leichtgläubigkeit die Weltbühne gefüllt haben, darf
man nur ein mitleidiges Lächeln haben. Bei allen Völkern
ist die Geschichte durch Fabeln entstellt, bis endlich die
Philosophie die Menschen aufklärt, die befangen in ihrer
0 Remarques sur l'histoire,
■) Pierre le Grand, Preface VIL Dict phil. : Pierre le Grand«,
*) Essai c, 5L
*) Charles XII, Prdface von 1748.
*) Dict phiK: Babel L
n
Probleme d. hist. Method. u. d. Geschichtsphilosophie Voltaires. 335
jahrhundertlangen Verblendung sich nur äußerst ungern
ihre [llusionen nehmen lassen. ^)
Dieser Umstand entwertet besonders die Ge-
schichte des Altertums, wie überhaupt die Geschichte
aller nationalen und kulturellen Anfänge. Wie in der
Metaphysik die Systeme über die ersten Prinzipien ein Chaos
von Fabeln sind, so sind alle Ursprünge der Völker die
Finsternis selbst. Es gibt keine Historie in der weiten Welt,
die nicht anfinge mit Märchen wie die 4 Haimonskinder oder
Robert der TeufeL Die alte Geschichte erinnert vielfach an
Rabelais' Fabeleien; die alten Historiker sind meist naive
Rabelais. Es könnte einem vorkommen, als ob derselbe
Geist, der den Gargantua geschrieben, alle Geschichten
verlaßt hätte. Und so kommt bei ihr nichts heraus als
Zweifel und Konjekturen: das ist der Fall bei allen Völkern,
man kann ihr in gar nichts trauen.^) Daher geht es uns,
wenn wir die Wahrheit suchen in der ganzen Geschichte
des Altertums wie Ixion; wir wollen die Göttin umarmen
und umarmen nur Wolken.^) Dieses Urteil steht ihm
fest vor aller Einzeluntersuchung gewissermaßen auf
Grund einer apriorischen Erwägung: Warum die Geschichte
aller nationalen Anfänge fabelhaft sein muß, ist leicht
einzusehen. Die Menschen mußten lange zusammenleben
und Brot und Kleider bereiten lernen (was nicht leicht
ist), ehe sie die Kunst lernten, ihre Gedanken der Nach-
welt zu übermitteln (was noch schwerer ist). So wurde
also die Geschichte zunächst nur gedächtnismäßig fort-
gepflanzt und man weiß, wie die Erinnerung an Ver-
gangenes von einem Geschlecht auf das andere entstellt
wird. Deshalb ist von dem schönen Augenblick an, da
der Mensch gebildet wurde, bis auf die Zeit der Olym-
piaden alles in tiefstes Dunkel gehüllt.*) Authentische
Denkmäler gibt es erst, seit die Menschen in Städten
versammelt sind, wenn sie eine geregelte Verwaltung
') Essai c, 197.
») Commentaire de T Esprit des lois 46. Fragments aur l- Inde 3L
BictphiL: Ararat; Cyrus, L'homme aux 40^cus 15. Essai c. 159,
*) BibJe expliqule: Les rols*
*) Dict, phil: Histoire II
336
Paul Sakmannj
t
haben, Archive und alles was eine Kulturnation kenn-
zeichnet**) Die Geschichte einer Nation wird immer
erst sehr spät aufgezeichnet Sie beginnt mit einigen
Regesten, die aufbewahrt und oft wieder zerstört werden.
Erst mehrere Jahrhunderte spater folgt eine ausführliche
Geschichte, die aber noch mit vielen Fabeln untermengt
ist.^) In einer Art von geschichtlichem Gesetz stellt er
einmal drei Stufen fest, die sich durchgängig beobachten
lassen: die ersten Jahrhunderte der Nationalgeschichten
sind voll von absurden Fabeln; dann kommen die so-
genannten heroischen Zeiten» Wenn die ersteren den
Märchen von 1001 Nacht gleichen, wo nichts wahr ist^
so gleichen die letzteren den Ritterromanen , wo nur
einige Namen und Daten wahr sind* Dann kommen die
historischen Zeiten, wo das Wesentliche richtig ist, aber
das Detail meist unhistorisch. ^)
Es ist von einigem Interesse, zu sehen, wo Voltaire
die Linien zieht, die bei den einzelnen Völkern und
Zeitaltern in historiographischer Hinsicht Nacht»
Halbdunkel und Licht scheiden sollen. Im Orient
unterscheidet er weniger die Zeiten als die Völker, Wir
haben keine Zeile von den alten ägyptischen^ chaldaischen^
persischen Annalen. Die einzigen, die etwas weiter herauf-
reichen, sind die indischen, chinesischen und hebräischen.*)
Alle Urkunden des babylonischen Reiches gingen mit
diesem Reich unter, die ägyptischen verbrannten mit
seinen Bibliotheken. Drei unglückliche, unterdrückte
Völker haben uns einige formlose Geschichten überliefert:
die Parsen oder Gebern, die Nachkommen der alten
ßrahmanen und die Juden.*) Die geliebten Chinesen er- fl
halten auch hierin die beste Zensur: Während alle anderen ^
Völker fabelhafte Ursprünge haben, ist an der alten Ge-
schichte Chinas auffallend und bewundernswert, daß fast
alles darin wahrscheinlich und natüriich ist. Und während
^) Ibid,; Franc.
*) Essai, Introduction c. 52.
^) Mensonges imprimds XXH L
*) Dict. phii; Annales.
^) ßjbk expHqude: Les rola.
Probleme d. hist. Methad. u. ± Geschichtsphilosophie Voltaires. 337
es sonst im Altertum keine irgendwie gesicherte Chrono-
logie gibtj reicht die chinesische am weitesten hinauf und
ist die beste, ^) Bei den beiden klassischen Völ-
kern macht er zeitliche Einschnitte. Für ihre ganze
Geschichte allerdings ist das Fehlen dokumentarischer
Belege und der Verlust der historischen Kontrovers-
schriften ein schwerer Mangel: Griechen und Römer
schrieben, was sie wollten ; keine Urkunde bestätigt und
widerlegt sie, Ihnen glaubt man aufs Wort, während
man heute Dokumente verlangt und die große Arbeit in
der Auswahl der urkundiichen Materialien besteht*^) Die
neueren, von Zeitgenossen geschriebenen Geschichten
sind im aligemeinen sicherer als die alten^ wenn sie schon
in den Einzelheiten oft noch zweifelhafter sind. Das An-
sehen, das die alten noch genießen, beruht wesentlich
mit darauf, daß uns aus dem Altertum wenig historische
Polemik überliefert ist. Wäre das der Fall, so kämen
Dinge ins Wanken^ die heute als unbestreitbar gelten,^)
Immerhin sind die Unterschiede der Zuverlässigkeit der
Überlieferung bedeutend. Den entscheidenden Einschnitt
setzt er bei den Griechen verschieden an, meist beim
Beginn der Olympiadenrechnung. Von hier an kommt
etwas Licht ins DunkeL Die Zeit, die den Olympiaden
eine unbekannte versunkene Zeit, voll
und Lügen, eine Zeit, die die Weisen
über die die Toren endlos verhandeln,
im Leeren schwimmen wie die Atome
Epikurs.^) Ein anderes Mal heißt es: die Geschichte be-
ginnt für uns erst mit den Perserkriegen; und dann
wieder erstreckt sich die dunkle Zeit bis auf Thukydides
und Xenophon. Vor Thukydides sehe ich nichts als
Romane, die dem Amadis gleichen, aber viel weniger
unterhaltend sind,^) Das römische Reich seinerseits war
vorausgeht, ist
von Allegorien
verachten und
weil sie gerne
*) Vlng^nu G. U, Dict, phiL: Chronologie.
*) Doutes Bur quelques pointB de Thlstaire.
*) Conseila k un journatiste.
*) Dict. phiL: Chronologie; Antiquit6 IH.
*) Pyrrhonisme de Thistoire VI. Philosophe Ignorant 52.
L'ing6nu c. II.
S3S
Paul Sakmann,
500 Jahre lang ohne Historiker Man muß das Jahrhundert
Ciceros unterscheiden von der Zeit, da die Römer nicht
lesen und schreiben konnten und die Jahre nach den
Nägeln zahlten, die sie am Kapitol ansteckten.^) Mit dem
Mittelalter beginnt eine zweite historische Nacht,
Um im dunkeln Labyrinth dieser Zeit sich zurechtzufinden,
müßte man Archive zur Hilfe haben, aber soweit sie da
sind, sind sie sehr unzuverlässig. Erst am Ende des
15, Jahrhunderts bekommt man endlich einige ziemlich
zuverlässige Geschichten statt der lächerlichen Kloster-
Chroniken» die von Gregor von Tours an reichen, England
hat zweifellos die ältesten und lückenlosesten Archive,^)
Versuche zur Erklärung des my thenbilden*
den Triebs in der Menschheit hat Voltaire kaum ge-
macht* Die wenigen Ansätze einer solchen sind nichts-
sagend und psychologisch oberflächlich. Das erstere gilt
von der Erklärung: Alle Geschichten nahm man früher
auf Treu und Glauben an; der Geist der Kritik war dem
Altertum durchaus unbekannt,*) Das letztere trifft zu
auf eine Bemerkung wie die: die Fabeln sind erfunden
vom Müßiggang, vom Aberglauben oder vom Eigennutz.-*)
Und nicht viel tiefer griff jenes andere Urteil: Wir (Frau
Du Chätelet und ich) fanden keinen anderen Grund für
alle diese Fabeln, als die Schwäche des menschlichen
Geistes, die Freude am Wunderbaren, den Hang zur Nach-
ahmung, den Trieb seine Nachbarn zu überbieten. Dazu
kommt noch, daß man mit Fabeln die Menschen leiten
kann.^)
Doch nicht bloß die sagenumwucherten barbarischen
Zeiten geben der kritischen Stimmung unseres Historikers
Nahrung; die geschichtliche Überlieferung im
allgemeinen, auch die aus gesicherten Zeiten bietet
seiner Skepsis Angriffsflächen. Eine solche findet
er in der Subjektivität und Parteilichkeit der
') Dict* phiL: Histoire. Articles extraitB de la gaz. litt
*) Pyrrhonisme de Thistoire XL
') Discours de rempereur Julien.
*) Remarques de TEssai 21,
*) Fragments sur rhistoire L
■
I
li
^
^
^
^
Probleme d. hist Methode u, d, Geschichtsphibsophie Voltaires. 339
Historiker: Man kann es nicht oft genug sagen, daß
man sich auf den Pinsel der Zeitgenossen nicht verlassen
darf, er ist fast immer von der Schmeichelei oder dem
Haß geführt.^) Wie anders würde woh! die Geschichte
geschrieben, wenn die Liga über Heinrich IV,| wenn
Arius über Athanasius gesiegt hätte. Ich möchte wohl
die Memoiren von Caiphas und von Pilatus und die vom
Ho! Pharaos haben. Was für ein Monstrum ist aus
Richard III* geworden, nachdem ihn Heinrich VII. über-
wältigt hatte* Man vergleiche einmal die Memoiren von
Marie von Medici mit dem Bild RichelieuSj das uns in
den ihm überreichten Dedikationsepisteln entgegen-
tritt. Oder man denke sich alle unsere Bücher gehen
verloren bis auf ein paar Schmähschriften vom Schlag
derer von La Beaumelle, die weit hinten in Deutschland
einmal wieder zum Vorschein kamen. Wie würde man
dann in diesen Machwerken die Archive der Wahrheit
verehren. Oder wie würde Geschichte geschrieben,
hätten die Nachfolger Heinrichs V. von England sich auf
dem französischen Thron zu behaupten vermocht 1*)
Verwandt damit ist eine andere menschliche Schwäche,
der die Geschieht Schreiber sich gerne hingeben:
sie übertreiben gern; man muß immer viel abziehen
von den Truppenmassen, die sie ins Feld stellen und
die sie umbringen, von den Schätzen, die sie ausstellen
und von den Wundertaten, die sie erzählen.^) Nicht
minder bedenklich für unser historisches Wissen ist ein
Umstand äußerer Art, Der Berichtende ist in den
meisten Fällen durch eine unüberbrückbare Kluft
von dem Handelnden getrennt. Wie oft ist die Ge-
schichte nichts anderes als ein Bericht über das, was
die Leute dachten* Wenn man Sueton mit den Kammer-
dienern der 12 Cäsaren konfrontieren könnte, wären sie
wohl immer mit ihm einverstanden? Und wer würde im
Streitfall nicht für den Kammerdiener und gegen den
Geschichtschreiber wetten? Wie viel Bücher beruhen auf
0 Essai e. 163.
*) Pyrrhontsme de l'histolre c* 17 u< 41» Essai c* 79.
•) Ibid. c, U,
SI0 Paul Sakmann,
nichts als au! Stadtklatsch? Daher hat Malebranche
rechtj wenn er auf die Geschichte nicht mehr hält, als
aul die Neuigkeiten in seinem Stadtviertel, *) Wenn man
sich vor den Geschichtschreibern hüten muß, daß sie
uns immer zum Turm zu Babel und zur Sintflut zurück-
fuhren, so ist andererseits Mißtrauen auch gegen die am
Platz, die in der neueren Geschichte zu sehr ins einzelne
gehen und Diplomatengeheimnisse und Schlachtenent*
Wicklungen besser kennen als die Handelnden selbst^)
Das gilt namentlich von der niederen Memoirenlite-
ratur. So spottet er über die Memoiren, aus der die
jungen deutschen Barone und die Damen von Stockholm
und Kopenhagen die geheimsten Dinge erfahren, die am
französischen Hofe vorgingen, und aus der man sich da-
rüber unterrichtet^ was die Könige und die Minister ge-
dacht haben, wenn sie allein waren. Man könnte meinen,
das seien Erinnerungen, aufgezeichnet von Bevollmäch-
tigten der Minister und Generale. Man besuche einmal
einen dieser Bevollmächtigten^ und man wird einen armen
Federfuchser finden, im Schlafrock und in der Nacht-
mütze, ohne Möbel und ohne Feuer, der Zeitungen zu-
sammenschreibt und fälscht.") Und eben derselbe Um-
stand, daß der Berichtende seinem Objekt zu ferne steht,
beeinträchtigt die Möglichkeit einer objektiven
Kenntnis ferner Länder, Reisebeschreibungen aus
fernen Ländern sind daher nur mit Vorsicht zu benutzen.
Wie oft werden einzelne Vorkommnisse als Sitte und
Brauch ausgegeben. Er tadelt den Mangel dieser Vor-
sicht besonders an Locke und Montesquieu.*) Wenn wir
daran denken, wie man uns in Sachen des türkischen
Staats zum besten gehabt hat, der uns doch so nahe
liegt, dann wächst unser Mißtrauen in die alte Geschichte/'^)
Aus 1000 Zentnern von Reiseberichten und alter Geschichte
kann man kaum 10 Unzen Wahrheit herausklauben*®)
») Louis XIV, c*2a DicL phil.: Ana,
>) Pierre le Grand, Prdface IV,
') Mensonges Imprim^s K XIU.
^) Philosophe Ignorant 3&. Essai c, 143.
>) Ibid. c. 191.
*) Däfense de mon oncle II*
I
T^robleme d. hist Method. u. d- Geschtchtsphilosophie Voltaires. $41
Wenn man von England und Deutschland absieht, so
haben wir fast von allen modernen Völkern falsche Vor-
stellungen, weil man so selten Zeiten und Personen, Miß-
bräuche und Gesetze^ feste Bräuche und einmalige Ereig-
nisse unterscheidet.^)
Interessant ist^ und es verdient besonders hervor-
gehoben zu werden, wie die Kritik an bestimmten Pro-
dukten der bisherigen Historiographie Voltaire zu einer
prinzipiellen Reflexion über die Grenzen
aller überhaupt möglichen Geschichtschrei-
bung treibt Gemeint sind die fingierten Reden
der alteUj die historische Pragmatik und Porträt-
kunst der alten und neuen Historiker. Im Orient
wie im Okzident legen die Geschichtschreiber berühmten
Männern oft Worte in den Mund, die sie nie gesprochen
haben, und Reden, die ihr Dasein bloß der Phantasie der
Historiker verdanken. Fast alle überlieferten Ansprachen
sind unhistorisch, ^) In unserem philosophischen Jahr-
hundert ist man in dieser Hinsicht viel gewissenhafter.
Wir verurteilen heute die größere Freiheit, die sich die
Alten in diesem Punkte genommen haben, die gerne mit
ihrer Beredsamkeit und ihrem Geist prunkten, weil der-
artiges die Geschichte romanhaft macht. Diese rheto-
rischen Fiktionen sind Geschichtslügen, die man sich
nicht mehr gestatten darf. Dem Publikum schuldet man
so viel Achtung, daß man ihm nur die reine Wahrheil
sagt. Der Geschichtschreiber darf seine Phantasie nie
an die Stelle der Wirklichkeit setzen und muß stets hinter
seinem Helden zurücktreten.'*) Konsequent durchgeführt
trifft nun aber dieser Grundsatz, der die Phantasie aus der
Geschichtschreibung ausschließt, auch die pragmatische
Konstruktion der Motive, ja in den allermeisten Fällen
sogar den Versuch, ein Charakterbild historischer Persön-
lichkeiten zu entwerfen. Und wir sehen in der Tat, daß
Voltaire manchmal vor dieser Folgerung nicht zurück-
0 Essai c. 93.
B>) Ibid. c. 88 u. 136. Annales, Charles-Quint,
^) Supplement de Louis XIV, IL Pierre le Grand, Pr^Sace
VIL Dict. phil: Histoire IV*
342
Paul Sakmann,
scheut. Er polemisiert gegen die historischen
Pragmatiker, die nach ihren eigenen Ideen die Ideen
der Persönlichkeifen der Vergangenheit erraten und aul
Grund olt sehr geringfügigen Materials ihre Herzens-
geheimnisse ergründen wollen. Sie geben der Geschichte
die Färbung eines Romans* Die unersättliche Neugierde
der Leser möchte Ireilich die Seelen geschichtlicher Ge-
stalten schwarz auf weiß sehen, wie man ihre Gesichts-
züge auf der Leinwand sieht. Aber so leicht geht das
nicht. Seele, Charakterj leitende Motive, das alles ist
ein undurchdringliches, nie festzuhaltendes Chaos. Wer
nach Jahrhunderten dieses Chaos entwirren will, richtet
nur ein anderes an. Der Historiker aber, der in
Phantasiegemälden seinen Geist leuchten lassen will, ist
seines Namens nicht wert. Eine wahre Tatsache ist mehr
wert als 100 Antithesen, \) Und so erklärt er es oft für
eine schöngeistige Charlatanerie, die aus dem Roman
(besonders der Cl^lie) in die Geschichte eingedrungen
sei, wenn man Männer, die der Geschichte angehören,
und die man nicht persönlich gekannt hat, anders zeichnen
wolle als durch Tatsachen,^) Es ist schon nicht leicht,
ein objektives Bild etwa von einem Fürsten zu zeichnen,
dem wir nahe stehen, vollends nun aber von den Alten
eine Charakterentwicklung geben zu wollen, die Ereig-
nisse gleichsam als Schriftzeichen zu betrachten, mit
denen man im Grund der Seele lesen könne, das ist
ein sehr heikles Unternehmen, ja bei manchen ist es
einfach kindisch.') Man müßte lange mit einem Minister
zusammengelebt haben, um seinen Charakter zeichnen
zu können. Daher will er z, B» in seinem Siede de
Louis XIV (c* 4) darauf verzichten, in das innerste Wesen
Mazarins einzudringen^ und will sich auf Schilderung
dessen beschränken, was er tat. Kein Wunder, daß
sogar die bedeutendsten Persönlichkeiten, z. B. der römi-
schen GeschichtCj ein Cicero, ein Cäsar, ein Augustus
I
0 Supplement de Louis XIV, IL
') Ibtd, und sonst noch oft.
■) Fragmenls sur linde IX. Dkt, phil: Histoire IV*
1
Probleme d. hist. Methode u. d. Geschieh tsphUosophie Voltaires. 343
zwei Gesichter für uns haben und wahre Janusgestatten
sind.^)
Suchen wir Voltaires Gesamturteil über den
Wert der geschichtlichen Überlieferung nach seinen
eigenen Äußerungen zusammenzufassen, so scheint das
Resultat sehr skeptischer Natur; Würde man nur das
Wahre und das Wertvolle schreiben, so würde die un-
übersehbare historische Literatur sehr zusammen-
schrumpfen,^) Wir wissen sehr wenig von der \^er-
gangenheit, gar nichts von der Zukunft, und die Gegen-
wart kennen wir ziemlich schlecht.^) Oft bleibt in der
Geschichte, gerade wie in der Philosophie, nichts anderes
übrig als eben zu zweifeln.*) Man muß allerdings im
Auge behalten, daß diese skeptischen Urteile fast alle im
fiinblick auf die alte bzw. mittelalterliche Geschichte
gefällt sind. Er empfindet, wie er es in der Bibie ex-
pUqtiee (Exode) selbst in ironischer Form zugibt, die
wunderleugnende Denkart als grundstürzend für die alte
Geschichte. Es gibt nichts mehr, worauf man bauen kann.
Eine allgemeine Skepsis, die aus dem Altertum ein un-
entwirrbares Chaos macht, ist die Folge. Und in dieser
Stimmung kann ihn eine gewisse Geschichtsmüdigkeit
und Geschichtsverachtung überkommen. Mit allen
diesen fabelhaften Gründungen in den mythischen Zeiten
hat eine Unmasse von Gelehrten kostbare Zeit in müh-
seligen Untersuchungen verloren. Die Irokesen sind ge-
scheiter; sie kümmern sich nicht um das, was am On-
tariosee vor Jahrtausenden passierte; sie gehen auf die
Jagd, statt Hypothesen nachzuhängen.^)
Voltaire hat die Irokesen nicht nachgeahmt, er hat
vielmehr einen guten Teil seines arbeitsreichen Lebens
auf Erforschung und Darstellung der Geschichte ver-
wandt* Ein tatsächlicher Beweis^ daß er der unbedingten
historischen Skepsis nicht verfallen ist, und daß er wissen-
*) Articies extratts de la gaz, lltL
■) Dict. phil.: Asgassin.
•) Dict phiL: Fin du monde.
*) Essai c. 13.
*) Dict. phiL: Figures symboliques.
344
Paul Sakmann^
schafttiche Mittel gefunden zu haben glaubt, durch die
man Wahres vom Falschen muß unterscheiden können*
Damit stehen wir vor der Frage nach Voltaires histo-
rischer Forschungsmethode, oder genauer, dem
Zweck unserer Arbeit gemäß^ nach dem was ihm als
solche zum Bewußtsein gekommen ist,
A priori, vor aller Musterung der Tradition, steht,
aus philosophischen Gründen fest, daß es eine Gewiß-
heit, im strengsten Sinn, in der Geschichte nicht
geben kann. Das große Wort ^^sicher" sollte nur in
der Mathematik zur Anwendung kommen oder bei ein-
fachen Erkenntnissen wie: Ich denke, ich leide, ich bin.*)
Die mathematische Gewißheit der euklidischen Sätze kann
in der Geschichte nicht erreicht werden,^) Jede Gewiß-
heit, die nicht auf mathematischem Beweis beruht, ist
nur höchste Wahrscheinlichkeit; eine andere geschichtliche
Gewißheit gibt es nicht.^) Was man selbst gesehen hat,
weiß man gefühlsmäßig, intuitiv. Was man nur vom
Hörensagen kennt, kann durch noch so viele Zeugen nie
zu dem Grad von subjektiver Gewißheitsüberzeugung
erhoben werden, die derjenige hat, der etwas selbst er-
lebt hat.^)
Wir fragen nun: Nach welchen Kriterien ist die
auf diesem geringeren Gewißheitsgrad eingeschränkte
geschichtliche Wahrheit zu ermitteln? Kurz und
bündig hat er das Problem und seine Lösung in den
Mensonges Imprimäs XXlIf I. formuliert: „Wie soll man
die Goldkörnchen der Wahrheit aus dem Sande der Ge-
schichtslügen herausbringen? Was mit der Naturwissen-
schaft, mit der Vernunft, mit dem Wesen des mensch-
lichen Herzens nicht im Einklang steht, ist Sand; was
von gebildeten Zeitgenossen beglaubigt ist, ist Gold-
staub." Alle seine weiteren Äußerungen kann man als
Kommentar zu diesem Programm aulfassen* Es liegt
darin zunächst wiederum eine apriorische Gewißheit
0 Fragments sur Fhistoire VIIJ.
■) Supplement de Louis XIV, U
') DicL phil.; Hlstoire HL
*) DicL phil.; V^ritd,
I
■
I
I
i
Probleme d. hist Method, a* d. Geschichtsphilosophie Voltaires, 345
■
negativer Art, Allem Wunderhaften muß man den
Glauben versagen, und wenn man sich auch dafür
auf Protokolle, auf eherne Tafeln, auf Tempel voll von
Votivbildem beruft. Gibt es doch immer Dummköpfe
und Spitzbuben, die bezeugen, was sie nicht gesellen
haben. An die apodiktische Verwerfung des naturgesetzlich
Unmöglichen schließt sich die etwas weniger entschiedene
aber ebenfalls noch apriorische Ausschließung des
„Unnatürlichen", des „Unwahrscheinlichen^, wie er
in seiner etwas vagen Terminologie sich ausdrückt: Allen
Tatsachen ist zu mißtrauen, die der inneren Wahrschein-
lichkeit entbehren, auch wenn sie an und für sich natur-
gesetzlich nicht unmöglich sind» Auch Augenzeugen werde
ich nicht glauben, wenn sie mir ungereimte Geschichten
erzählen und gegen Übertreibungen bin ich immer arg-
wöhnisch. Wir müssen jedem alten und neuen Geschicht-
schreiber den Glauben versagen, wenn er uns Dinge be-
richtet, die der Natur und Art (la trempe) des mensch-
lichen Herzens zuwiderlaufen", *) Aus dem Grundsatz, daß
das Naturwidrige nie wahr sein könne, verwirft er so z. B.
die Berichte über religiöse Prostitution,-) Etwas vorsich-
tiger heißt es dann wieder: In der Geschichte gilt, daU
alles, was gegen die Wahrscheinlichkeit verstößt, fast
immer auch nicht der Wahrheit gemäß ist, oder zum
mindesten Zweifel einflößen muß,'^) Oder: das Unwahr-
scheinliche hat man nicht für wahr zu halten, wofern
nicht mehrere glaubwürdige Zeitgenossen in ihren Aui-^
sagen übereinstimmen**)
Nach Ausscheidung dieser Bestandteile beginnt nun
die empirische Arbeit an den Überlieferungen, die man
sammeln und vergleichen muß, um nach ihrer Zahl und
nach ihrem Gewicht eine mehr oder weniger große
Wahrscheinlichkeit zu ermitteln.*) Hier gilt nun der große
Grundsatz, daß nichts ohne Beweis paüieren
>) Charles XII, Pr^face 174S.
*) Dict phiL: Histoire lli; Essai, Introductioti t* It
') Esaai, Prdface 1754; Arücks de la ga£> litt
*) Louis XIV, C.25.
*) Supplement de Louia XIV, 1-
346
Paul Sakmann,
darf: Heute lassen wir als geschichtliche Wahrheit nur
das gelten, wofür man Beweise hat* Wie man in den
Naturwissenschaften nur das Bewiesene annimmt, so soll
nun auch in der Geschichte nur das gelten, was aner-
kanntermaßen das Wahrscheinlichste ist.^) Gewiß gibt es
nichts Wahrscheinlicheres als ein Verbrechen, aber es
muß doch konstatiert sein. Mit peinlicher Vorsicht sind
Einzeltatsachen, wie die Berichte über Zustände zu
prüfen.-) Von seinem eigenen Werk^ dem Siicie de
Louis XIV, versichert er, er habe darin nichts vorge-
bracht, wovon er nicht den Beweis in Händen gehabt
hätte. Zwei Linien haben ihn oft eine Htägige Lektüre
gekostet*^)
Diese Prüfung besteht in einer Abschätzung des
Werts von Zeugnissen und Urkunden, wofür Voltaire
einige Kanones aufgestellt hat. Alte Traditionen
sind als solche verdächtig. Die ersten Grundlagen
jeder Geschichte bestehen in dem, was die Väter den
Kindern berichten. Diese Berichte mögen, wenn sie nicht
gegen die gesunde Vernunft verstoßen, wahrscheinlich
sein, mehr freilich keineswegs, aber mit jeder Generation
verlieren sie einen Grad von Wahrscheinlichkeit; die Fabel
vergröbert sich, die Wahrscheinlichkeit vermindert sich
und wird schließlich gleich Null- Das ist der Grund,
warum bei allen Völkern die Geschichte ihrer Anfänge so
absurd ist, und für den Geschichtschreiber höchstens als
Beweis für die menschliche Leichtgläubigkeit in Betracht
kommt oder in dem freilich weitläufigen Kapitel der
menschlichen Meinungen und Dummheiten zu verwerten
ist.*) Auch die angeblichen urkundlichen Denkmale, auf
die sich diese alten Überlieferungen mythologischer Art
stützen, sind ein Beweis für die Tatsachen, denen sie
gelten, nur dann, wenn diese Tatsachen wahrscheinlich,
und wenn sie durch wissenschaftlich gebildete (^clair^s)
Zeitgenossen überliefert sind. Die meisten dieser Denk-
^) Louis XIV, c. 25; EBsal^ Avantpropos.
») Charles XU, Prdface 1748.
') Louis XIV, c. 21 ; Supplement de Louis XIV, L
*) DicL phiL; Histoire l; ViuXi.
4
I
4
I.
Probleme d* hist Melhod, u. d. Geschichtsphilosophie Voltaires. 347
mäler stammen aber aus einer viel späteren Zeit und be-
weisen nur, daß man eine volkstümliche Meinung sym-
bolisch bekräftigen wollte,^) Man darf nicht schließen:
hier haben wir eine uralte religiöse Feier, also ist das
Abenteuer, der sie gilt, wahr; die Philosophen sagen
oft, also ist es falsch. Es gab nie ein Volk, das nicht
die tollsten Phantasiegebilde in Zeremonien geleiert
hätte.*) So haben fast alle Feste der Griechen und
Romer ein mythisches Abenteuer zum Gegenstand; jede
Fabel hatte ihr Fest, jedes Denkmal war eine Geschichts-
lüge; je heiliger, umso lächerlicher,^) Im ganzen Alter-
tum gibt es nicht einen einzigen Tempel, kein Priester-
kollegium, kein Fest, das nicht seinen Ursprung einer
Dummheit verdankte,^) Nur in einem Fall können volks-
tümliche Überlieferungen geschichtlich in Betracht
kommen ^ wenn sie nämlich etwas zuungunsten des
betreifenden Volkes aussagen, immer vorausgesetzt, daß
die Berichte Wahrscheinlichkeit für sich haben und keinen
Widerspruch mit dem regelmäßigen Lauf der Dinge
aufweisen**)
Die Regel ist doch, daß geschichtliche Zeugnisse
nur dann Wert haben, wenn sie aus den „hellen"
Zeiten stammen. Die Ereignisse wollen wir annehmen,
die bezeugt sind durch die öftentlichen Archive, durch
übereinstimmende Aussagen zeitgenössischer Schrift-
stellerj die in einer Hauptstadt zusammenlebend einander
kontroUieren können und unter den Augen der ersten
Männer einer Nation schreiben.'^) Auch Medaillen sind
einwandsfreie Zeugnisse, wenn das Ereignis durch zeit-
genössische Schriftsteller bestätigt wird, dann halten sich
die Beweise gegenseitig und stellen die Wahrheit fest.
Ohne diese Kautefe könnten auch zeitgenössische Me-
daillen in die Irre führen, wie das Beispiel des Admirals
') Essai c. 197.
*) Mensonges imprim^s 25 f,
*) Bible expliqude, Judith.
*) Fragments sur l'histoire L
^) Essai, Introduction c* 23.
•) Essai c, 197.
34S
Paul Sakmann^
Vernon zeigt.^) Möglichst viele Zeugnisse zu sammeln
und sie durcheinander zu kontrollieren^ ist überhaupt
eine der Aufgaben des Historikers* In geschichtlichen
Dingen darf man nichts geringschätzen, man muß wo
möglich die Könige und die Kammerdiener zu Rate
ziehen.^)
Es gibt nun eine gewisse Lokation des Wertes
der Zeugnisse: Nach der historischen Wahrscheinlich-
keitslehre wiegt die Aussage eines glaubwürdigen Augen-
zeugen, namentlich wenn auch noch innere Gründe für
sie sprechen, schwerer als eine noch so verbreitete und
einmütige Tradition, die nicht auf authentische Urkunden
zurückgeht» Der Bericht eines gewichtigen (conside'rable)
Zeugen ergibt Wahrscheinlichkeit, der Bericht mehrerer
solchen ergibt geschichtliche Gewißheit, die grundlos in
Zweifel zu ziehen, frivol (impertinent) wäre,*) Geheime
Memoiren von Zeitgenossen stehen immer unter dem
Verdacht der Parteilichkeit; der Historiker der Nachwelt
darf sie nur mit größter Vorsicht benutzen, er muß das
Gehaltlose ausscheiden, die Übertreibung auf ihr iMaß
zurückführen, tendenziöse Entstellung (ia Satire) be-
kämpfen. Leichenreden haben nur deklamatorische Be-
deutung**) Für die Vergleichung und Abschätzung der
Zeugnisse gelten folgende Regeln; Wenn zwei einander
feindliche Zeitgenossen in ihren Memoiren dieselbe Tat-
sache bestätigen, so ist nicht an ihr zu zweilein, wider-
sprechen sie sich, so bleibt sie zweifelhaft.^) Haben wir,
wie das vielfach bei England der Fall ist, nur Partei-
geschichte zur Verfügung, so ist unser einziges fiilfs-
mittel zur Ermittelung der Wahrheit das, daß wir dem
Parteihistoriker das Gute glauben, das er dem Helden der
Gegenpartei zugesteht und das Schlechte, das er vom
eigenen Parteiführer, seinem Gönner, zu sagen wagt.*)
0 Ibid. Dict phiL: Histoire HI.
») Charles XÜ, Pr^face 1748,
•) Supplement de Louis XIV, 1.
0 Louis XIV, c, 25.
*) Ibid.
•) Dict. phil: Histoire IV,
4
i
Probleme d. bist Method u. d* Ceschichtsphüosophie Voltatres. 349
Finden sich Widersprüche in authentischen Memoiren, so
bleibt dem Historiker nur übrig, ganz einfach das Tat-
sächliche zu geben, ohne Reflexionen über die ihm un-
bekannten Motive anzustellen. Er hat zu sagen, was er
weiß und nicht zu erraten, was er nicht weiß.\) Das
mögliche Ergebnis dieser kritischen Prüfung der Quellen
schätzt er manchmal ziemlich nieder ein: Welche geschicht-
lichen Tatsachen können wir einigermaßen kennen? Die
großen offenkundigen Ereignisse, die niemand bestritten
hat, wie Cäsars Sieg bei Pharsalus, seine Ermordung im
Senat, die Einnahme von Konstantinopel durch Moha-
med IL, die Schlächterei der Bartholomäusnacht. Nur die
Hauptereignisse, die Wahrscheinlichkeit für sich haben,
darf man glauben.^)
IIL
zur Hauptfrage:
Wir kommen zur Hauptfrage: Was ist das Posi-
tive, Neue, das die philosophische Geschicht-
schreibung von der barbarischen, pedantischen,
die ihr vorhergeht, abhebt? Dieses philosophische Prinzip
entfaltet sich in einer Reihe von Antithesen.
Die erste ist bezeichnet durch einen der beiden Titel-
begriffe von Voltaires Hauptwerk, den des ^esprit des
naiions*^. Nicht die geschichtliche Tatsächlich-
keit als solche interessiert ihn, sondern nur das
irgendwie geistig Bedeutende. Oft ist bei Vol-
taire die philosophische Untersuchung des „Geistes der
Geschichte*^ nichts anderes als eine Durchdringung des
Materials bloßer Notizen mit kausaler Reflexion : Daß Franz I,
Gefangener Karls V* wurde, ist an sich nur eine Tatsache
für das Gedächtnis. Wenn man darüber nachdenkt, wa-
rum Karl aus seinem Glück so wenig Nutzen zog, kann
man wertvolle geschichtliche Entdeckungen machen/^) Es
schwebt ihm aber meist das bestimmtere Ideal einer Art
von Geschichte der leitenden Ideen vor, welche
den Geist einer Zeit konstituieren und allen ihren Lebens-
') Charles XII c. 7.
*) A M., Sur les anecdotes; Essai c. 197-
*) Essai, Pr^iace 1754,
Hiitorisehc ZcHschrift (97. Bd.) 3. Folge l. Bd*
23
350
Paul Sakmann,
äußerungen ihr Gepräge geben. Das liegt in Sätzen wie:
Ich suche immer den Geist der Zeiten zu erfassen; auf
ihn gehen die großen weltgeschichtlichen Ereignisse zu-
rück. Unsere Hauptabsicht ist, aus der Masse der Er-
eignisse diejenigen herauszugreifen^ die mit dem Geist
und den Sitten der Zeit im Zusammenhang stehen.*) Bei
der Beschreibung des Frondekriegs will er nicht die heute
vergessenen Einzelheiten, die früher ihre Bedeutung ge-
habt haben mögen, wiederholen, sondern nur das für die be-
sondere Art dieses Kriegs Charakteristische herausheben.-)
Er suchte nach einem Faden, der durch das Labyrinth
der neueren Geschichte den Weg weisen konnte und
fand ihn in dem denkwürdigen Kampf zwischen Kaiser-
tum und Papsttum, diesem Ringen der Macht mit der
öffentlichen Meinung. So gaH es also eine Ideengeschichte
zu schreiben, und so lichtete sich das Chaos von Ereig-
nissen, Parteiungen, Umwälzungen und Verbrechen und
wurde der denkenden Betrachtung wert.^) So bezeichnet
er sein Ziel oft als eine Zeichnung der Entwicklung des
menschlichen Geistes in ihren Forlschritten und Hem-
mungen, als eine Darstellung seiner verschiedenen Ent-
wicklungsstufen auf dem Weg von der barbarischen Un-
bildung zur feinen modernen Kultur Die Geschichte vom
Mittelalter zur Neuzeit stellt sich ihm unter dem Bild des
Erlöschens (extincHonj^ des Wiederauflebens und des Fort-
schreitens des menschlichen Geistes dar>)
Der andere Hauptbegriff im Titel seines Essay^ Jes
mceurs des naiions*' stellt nun Voltaires historisches
Ideal in einer anderen Antithese dar. Er will Kultur-
geschichte geben, im Gegensatz zur politischen,
speziell zur dynastischen, militärischen, diplo-
matischen Geschichte: „Ich wollte die Entwicklung
(revolutions) des menschlichen Geistes innerhalb der poli-
tischen Geschichte verfolgen, wobei mir die staatliche
Entwicklung nur nebensächliche Bedeutung hatte*** Daß
*) Essai c. 180; 18S.
') Louis XIV, c. 4.
') Remarques de TEssai 2.
*) [bid. i, II u. tll; D*un fait singulier.
i
4
■ Probleme d. hist Method. u. d. Geschichtsphllosopfiie Voltaires, 351
■ ihn bei dieser Unterscheidung nicht etwa der Gesichts-
V punkt der wissenschaftlichen Arbeitsteilung leitet, sondern
starke Wertgefühlej zeigt sich sofort in demselben Zu-
sammenhang: Ich untersuchte, wie so viele schlechte
Menschen unter der Leitung noch schlechterer Fürsten
doch schließlich Gesellschaften gegründet haben, in denen
die Künste und Wissenschaften, ja sogar das sittliche
Leben (verhts) gedeihen konnten. Ich unters uchte, wie
das Kunstleben und der Verkehr mitten unter den Ver-
wüstungen wilder Eroberungen doch wieder aulkommen
konnten,^) Außerordentlich häufig ist diese polemische
Wendung gegen die wertlose politische Geschichte, in
ihren oben genannten Unterarten*
Ich schreibe keine Dynastiengeschichte. Ich
will nicht lehren, in welchem Jahr ein Fürst, der nicht
wert ist, gekannt zu sein, aut einen barbarischen Vor-
gänger folgte* Ich will es nicht machen, wie so viele
Geschichtschreiber, nach denen man meinen könnte, die
Erde sei nur für einige Herrscher da, und die die Tyrannen
nachahmen, indem sie das Menschengeschlecht einem
einzigen opfern. Dieser königliche Pöbel beschwert nur
das Gedächtnis. Nur diejenigen Könige braucht man zu
kennen, die das Aussehen der Welt verändert und ihre
Völker besser und glücklicher gemacht haben. ^ Wenn
man uns nichts anderes zu sagen hat, als daß am Oxus
und am Jaxartes ein Barbar auf einen anderen folgte,
was für einen Wert hat das für das Publikum! Eine
chronologisch geordnete Dynastiengeschichte ist bloßer
Gedächtnisballast. ^) Mehr als für dynastische Umwäl-
zungen interessiere ich mich für das Ergehen der
Menschen im allgemeinen, und so hätten die Ge-
schichtschreiber überhaupt ihr Augenmerk auf das mensch-
I liehe Geschlecht im großen richten sollen in dem Ge-
danken; /wma sum,^) Wir sehen, er streift den modernen
^) A M. de . . ., professeur en histoire.
^) Introduetion de Vabtigi de Thist. universelle ; Fragments
MUT rirjde 34.
') Dict. phil; Histotre V. Essai, A\ran(propos.
*) Essai c* 84,
23*
352
Paul Sakmann,
Gegensalz: Individualgeschichte, KoUektivgeschichte: Man
wil! der Nachwelt nicht die Taten eines einzelnen Mannes,
sondern den Geist der Menschen, ihre Eigenart und ihre
Sitten vorführen,^)
Diplomatische und militärische Geschichte
lehnt er ab, schon weit andere sich sattsam damit be-
faßt haben: ^Mögen die Kompilatoren die Schlachten von
Marathon und Salamis wieder und wieder beschreiben;
ich nehme andere Gegenstände vor. Mein Werk soll kein
Bericht über Feldzüge sein, denn an Büchern, die uns
menschliche Raserei und menschliches Elend im einzelnen
vorführen, fehlt es nicht, '^) Sodann weil die Tatsachen
auf diesen Gebieten nicht interessant und meist auch
nicht geschichtlich bedeutsam sind: Die Geschichte Euro-
pas ist ein ungeheueres Protokoll von Heiratsverträgen,
Genealogien und bestrittenen Titeln geworden, so ver-
worren und so langweilig, daß das Wissenswerte gerade-
zu darin erstickt-^) Die militärischen Einzelheiten, die
sich doch immer gleichen, diese trübseligen Gemeinplätze
der Geschichte, diese ewigen Unglücksschläge und Kampfe,
die sich wiederholen, will er uns ersparen,*) So will er
Z- B. nicht von den vielen schwediscli-dänischen Kriegen
reden, die doch keine tieferen Spuren hinterlassen haben.
Was für einen Wert hätte es Schlächtereien zu schildern^
aus denen keine Ereignisse hervorgegangen sind, die der
Erinnerung der Nachwelt wert wären.'*) Die 200 Schlach-
ten in Europa seit dem Beginn des letzten Jahrhunderts
(er schreibt 1775) waren meist mörderischer als die von
Arbela und Pharsalus, und doch sind sie für die Nach-
welt verloren, da nur wenige von ihnen tiefer gewirkt
haben. Es geht mit ihnen wie mit den Neuigkeiten in
Paris: Durch ihre Masse drängen sie einander in die
Nacht der Vergessenheit«) Mit der Zeit veriiert sich die.
i
1) Louis aIV, c. K
') Essai, Introduction c. 25. Louis XIV, c. 11.
*) Essai c* 74»
*) Essai c. 75; 8L
n Ibid. c. 188.
*) Pierre ie Grand, Pr^face IV*
1^
Probleme d* hkt Method. u. d> Geechichtsphilosophie Vottaires. 353
I
Erinnerung an die großen Kalamitäten, die zunächst die
Annalen der Geschichte lüUen; auch die Einzelheiten des
Spiels der Politik fallen in Vergessenheit. i) Wenn ich
3 — 4000 Schlachtenbeschreibungen und einige 100 Ver-
träge gelesen habe, so hat mich das nicht eben viel in
meiner Bildung gefördert: ich habe Ereignisse kennen
gelernt. Aus der Schlacht Karl Martells erwächst mir
keine tiefere Erkenntnis der Franzosen und der Sarazenen.
Was ich aus Memoiren — z. B. von Retz — j oder aus
Anekdotensammlungen lerne, das ist ganz schön für die
Befriedigung meiner Neugierde, aber wissenschaftlichen
Wert haben diese berühmten Bagatellen, für die man sich
eine Zeitlang interessiert, kaum. Darüber vernachlässigt
man nur Kenntnisse, deren Wert viel einleuchtender und
dauernder ist.^) Besonders scharf tritt der antimilitärische
Zug der Aufklärungsphüosophie heraus in dem Wort;
Wenn eine Geschichte nichts anderes vorfuhrt als einen
Haufen von Ehrgeizigen in Waffen, dann könnte man
ebensogut Annalen von Kämpfen der Tiere schreiben.^)
An Stelle von all dem trete also Sittengeschichte.
Nun ist der Begriff der mwurs bei Voltaire ebenso weit-
schichtig wie unser heutiger ter minus Kuliurgeschichte,
Auch er kann darunter gelegentlich antiquarische
Kuriositäten verstehen. Ihn interessiert die Frage:
Wie war die menschliche Gesellschaft zu der und der
Zeit beschaffen, wie lebte man in den Familien? Er schil-
dert, wie man reiste, wie man wohnte, wie man schlief,
wie man sich kleidete, wie man Krieg führte.*) Doch
das tritt zurück vor den Fragen von strengem wis-
senschaftlichem Interesse, das besonders ethno-
graphischer, staatswissenschaftÜcher, natio-
nalökonomischer und kunstgeschichtlicher
Art ist.
Was immer die Aufmerksamkeit fesseln wird, das
sind die merkwürdigen Umwälzungen, die Gesetze und
') Louis XIV, c. 34,
^) Nouvelles considdrations sur l^histolre.
*) Fragments 3ur Tlnde c. 33*
*) Essai aSl; 171; 173; 176.
354 Paul Sakmann,
Sitten in großen Staaten verändert haben, jene staunens-
werte Mannigfaltigkeit von Bräuchen, Gesetzen, Um-
wälzungen, die doch alle auf dasselbe Prinzip, den Eigen-
nutz hinausgehen. Das sind die Farben, aus denen sich
das Bild der Welt zusammensetzt^) Der Historiker unter-
sucht ferner den Stand der Hilfsquellen eines Landes
etwa vor und nach einem Krieg, das Sinken und Steigen
der Bevölkerungsziffer einzelner Länder und Städte im
Zusammenhang mit den Ursachen dieser Bewegung, die
eigentümlichen Vorzüge und die besonderen Schwächen
der einzelnen Nationalcharaktere, Entwicklung und Ver-
fall der Seegewalt, des Nationalvermögens, worüber die
Exportregister Auskunft geben können, nach der Ver-
breitung der industriellen und der ästhetischen Kultur usw.
Häufig erscheint der Begriff der Kultur, deren Geschichte
er schreiben will, eingeschränkt auf die ästhetische Be-
tätigung, weil Beredsamkeit und Dichtkunst am meisten
die Eigenart der Völker olfenbaren, und auf die technisch-
wissenschaftliche (die aris utiies). In das „berühmte
Labyrinth der philosophischen Ungereimtheiten" will er
sich bezeichnenderweise nicht einlassen.^) Wenn man
nach Rom geht, fragt man nicht mehr viel nach Gregor VIL
und Bonifaz VllL, aber man bewundert die Schöpfungen
des Bramante» des Michel Angelo, man liest Ariost und
Tasso, man ehrt die Asche Galileis. In England unter-
hält man sich nicht über die Rosenkriegej kaum mehr
über Cromwell, aber man studiert jahrelang Newton.^)
An ästhetisch interessanten Epochen interessieren dann
auch Kleinigkeiten (s. oben S. 332): Wir wollen lieber
wissen, wie es im Palast, am Hof eines Augustus, eines
Ludwig XIV, zuging, als die Einzelheiten der Eroberungen
Attilas oder Tamerlans.*) Mit berechtigtem Selbstgefühl
spricht der Verfasser des „Geists und der Sitten der
Völker'' von dieser seiner neuen Auffassung der Historie:
') Pierre le Grand, Pr^face IV. Essai c* 194*
*) A M. de * * ., professeur en histoire«
») Louis XIV, c. 34.
*) Louii XIV, c. 25.
Problemed.hist.MethQd.u,d»Geschichtspht)o&ophieVoltairefi. 355
Wer so die Geschichte als Bürger und Philosoph liest,
der kennt die Geschichte der Menschen, statt nur einen
kleinen Teil der Geschichte der Höfe und der Könige
zu kennen. Homo sum^ nihil humani a me alientim puto^
sollte der Wahlspruch des Historikers sein, der seine
Kunst darin zeigen möge, daß er solche wertvolle Er-
kenntnisse in das Gewebe der geschichtlichen Darstellung
einflicht. So allein schreibt man Geschichte als rechter
Politiker und als rechter Philosoph.^) Das Bewußtsein,
daß er Epoche macht, spricht aus dem Satz: Vielleicht
wird in der Geschichtschreibung bald ein ähnlicher Um-
schwung eintreten wie in der Naturwissenschaft, in der
neue Entdeckungen alte Systeme verdrängt haben. Man
wird das Menschengeschlecht kennen lernen wollen in
dem interessanten Detail^ auf das sich heute die Natur-
wissenschaft autbaut.-)
Es liegt nun aber noch eine weitere Spitze in
dem Begriff der philosophischen Geschichte, die anti-
theologisch e. Wenn der bisherige Historiker den Blick
teleologisch auf den einen höchsten Wert der Religion
und der Kirche einstellt, so ist sein Ideal Universal-
geschichte im extensiven wie im qualitativen
Sinn. In letzterer Hinsicht leugnet er prinzipiell den
Unterschied zwischen heiliger und profaner Ge-
schichte, Wir werden von den Juden reden, wie von
den Griechen und Scythen, indem wir die Wahrschein-
lichkeiten abwägen und das Tatsächliche untersuchen.^)
Sodann soll der Blick die gesamte Völkerwelt um-
spannen. In unserer angeblichen Weltgeschichte wird
alles auf die Geschichte der kleinen jüdischen Nation,
die man zugrunde legt, bezogen. Darüber vergißt man
drei Vierteile der Erde.*) Wir reden von Judäa, von
Griechen und Römern, als ob die andern Völker gar
nicht existierten. So spricht Bossuet von den Mohamme-
V) Nouvelles consid^rattons sur rhlstoire.
>) Ibid.
*) Essai, Introduction c. 3d.
*) Ibid. c. 15.
356
Paul Sa km an n.
danern wie von einer Barbarensintflut, Und das römische
Reich war doch nur ein ZwÖlitel der Erde.^) Der Uni-
versalhistoriker aber, der nichts von Indien und China
weiß, gleicht den Bauern^ die ihr Dorf rühmen und von
der Hauptstadt nichts wissen*^) Immerhin finden sich
auch Einschränkungen des Grundsatzes der
Universalität. Die einen sind nicht gerade prinzipieller
Natur und betreffen mehr die geschichtliche Darstelkmg
und Bildung als die Grundsätze der Forschung, So sagt
er: der Geschichtschreiber sollte sich in der Arbeit im
Detail an die Geschichte seines eigenen Vaterlands halten
und die anderen Völker nur im Überblick behandeln, da
ihre Geschichte, von besonderen Höhepunkten abgesehen^
uns nur soweit interessiert, als sie mit der unseren in
Beziehung steht. ^) Oder: Wir müssen uns beschränken,
wir müssen mit der Kenntnis unserer Landesgeschichte
diejenige unserer Nachbarn verbinden. Die großen Taten
der Griechen und Römer sollten wir auch noch kennen,
ebenso wie ihre Gesetze. Aber weiter hinauf sollten wir
nicht mehr streben mit unseren Studien, Wir kommen
sonst in die Region von tausend und eine Nacht.*) Seine
Ansicht über die zur allgemeinen Bildung gehörenden
geschichtlichen Kenntnisse hat er einmal in den Remarques
sur Vhistoire gegeben: Ein ernstes Geschichtsstudium
sollte mit der Zeit einsetzen, wo sie wirklich interessant
!ür uns wird, d, h. mit dem Ende des 15, Jahrhunderts.
Von dem, was weiter zurückliegt, braucht ein junger
Mann nur ganz summarische Kenntnisse (une legire
ieinture) zu haben* Aber mit jenem Zeitpunkt, den er
kennzeichnet durch die Buchdruckerkunst, die Renaissance
und neue Blüte von Kunst und Wissenschaft, die Refor-
mation, die Entdeckungen, die neue Gestaltung der
europäischen Gesellschaft mit dem europäischen Gleich-
gewicht und dem gesteigerten internationalen Verkehr,
mit dem allem beginnt die Geschichte, die
I
I
I
I
I
0 Introduction de Tabrdg^ de Thist. univers.
') Lettres d'Amabed,
•> Pyrrhoni8me de i'histoire XL
*) Dict phil.: Histoire 11.
i man kennen ■
Probleme d. hist Method. u. d. Oeschichtsphilosophie Voltaires. 357
muß. Denn hier lebt alles für uns; keinen Schritt kann
man tun und keine Mahlzeit einnehmen, ohne daß man
an die große Entwicklung erinnert würde, die damals
eingeleitet wurde. Hier stehen wir auf sicherem Boden
und werden nicht mit Weissagungen, Fabeln und Wundern
abgespeist Und da soll man sich mit Salmanassar und
Mardokempad abgeben? Ein reifer Mann, der etwas Rechtes
zu tun hat, wiederholt nicht die Märchen seiner Amme.
Aber eine gewisse Einschränkung des Prinzips der ab-
strakten Universalität liegt in einer merkwürdigen Aner-
kennung des überragenden Werts der jüdischen Geschichte,
von der dieser Gegner Bossuets doch nicht losgekommen
ist: Wenn die Juden auch an Bedeutung tief unter anderen
Völkern stehen, gehen sie uns doch am nächsten an
wegen des unerhörten Umschwungs, der von ihnen aus-
ging, sofern eine unter diesem Volk entstandene Religion
sich über Europa hin verbreitet hat. Wir tun, was wir
können, um die Geschichte dieses Volkes, auf das wir
die Anfänge unserer Kultur zurückführen, ins Klare zu
bringen. Und doch will es uns nicht ganz gelingen.*)
Und noch ein weiteres Moment liegt in dem Begriff der
philosophischen Geschichtschreibung, durch das sie sich
von den früheren Bestrebungen abhebt. Voltaire wäre
kein Sohn der Aufklärung, wenn nicht auch seine historische
Arbeit auf praktischen Nutzen hinzielen und durch prak-
tische Fruchtbarkeit sich empfehlen zu sollen glauben
würde- Eine historische Objektivität, die befriedigt ist,
wenn es ihr gelingt, festzustellen^ wie es eigentlich ge-
wesen ist, ist ihm fremd. Zwar wendet auch er sich
gegen die Tendenzgeschichtschreibung, Er rügt
die advokatische Manier, nach der viele Historiker das
für ihre Klienten Günstige aufbauschen, das Ungünstige
verschweigen, die Schlachten, die ihrer Partei genützt
haben, verhimmeln.-) Eine Parteilichkeit, wie sie z. B* dem
Jesuiten Daniel eigen ist, der die Frömmigkeit Franz* I,
rühmt, entehrt die Geschichtschreibung. Ein historien-
1 citoyen hätte zugestanden, daß man aus politischen
^) ßible expliqude, las rois.
*) Annaies, Charles IV, Dict. phiL
Histoirc VII
I
358 Faul Sakmann^
Gründen die Lutheraner verbrannte und die Mohammedaner
schonte.^) Der Geschichtschreiber dar! keiner Partei
verhaltet sein. Objektive Geschichtschreibung gedeiht
nur in der Luft der Freiheit und Vorurteilslosigkeit* Wer
gehemmt ist durch Verpflichtungen gegen seinen Herrn
oder gegen seine Zunit, sollte schweigen. Läßt sich einer
vom Parteigeist blenden, so macht er sich lauter Irr-
tümern dienstbar.-) Er tut sich etwas auf seine Unab-
hängigkeit und Unbefangenheit zugut, wodurch die un-
vermeidliche Subjektivität korrigiert wird: Ich gebe immer
den Eindruck, den der Gegenstand meiner Studien auf
mich machte aber so frei und natürlich (avec nalvei/Jy
daß der Leser, wenn er will, mich korrigieren und sich
sein Urteil selbst bilden kann. '*)
Aber mit der Ablehnung der Parteigeschichtschreibung,
mit der häufigen Beteuerung nur der Wahrheit dienen
zu wollen, halt es nun Voltaire für wohl vereinbar, sich
von gewissen allgemeinen Tendenzen leiten zu
lassen, in denen er nur eben keine Parteisache sieht. M
Wir werden natürlich bei Voltaire so wenig als bei irgend- ™
einem anderen Historiker erwarten dürfen, daß er uns
gleichsam hinter die Kulissen seiner Tendenz sehen läßt,
aber doch ist es interessant von ihm zu hören, was er
als solche eingesteht und angesehen haben will
Er ist in seiner Arbeit, wie er sagt, beseelt von
der Liebe zum Vaterland, die freilich, dem Geist des
Jahrhunderts gemäß, so weitherzig ist, daß er sich auch
als Weltbürger bezeichnen kann* Mit Selbstgefühl sagt
er von seinem Louis X!V: Nur die Liebe zum Vaterland
und zur Wahrheit haben mich aufrechterhalten in meiner
mühseligen Arbeit, Der Nation, die einen Marlborough,
Pope und Newton hervorbrachte, habe ich Achtung vor
dem französischen Geist abgerungen. Und doch haben
mir Freunde und Landsteute bezeugt, daß ich als Welt-
bürger geschrieben habe.^) Und was man auch neuer-
^) EBsai c. 125.
^) H[sCoire du Parlement, Avantpropos.
^) Essai, Pr^face 1754.
*) Pierre le Grand, Pr^face. Supplement de Louis XIV, l*
I
I
Probleme d. hisL Method. u. d. Geschichtsphilosophk Voltaires» 359
dings über den mangelnden Patriotismus Voltaires ge-
sagt hatj die Liebe zum Ruhm des französischen Namens
sollte man dem „Louis X/V*^ nicht absprechen* Aber
allerdings der Essai und die anderen Werke werden von
dieser Tendenz nicht gedeckt. Mit ihm will er sich in
den Dienst der Human itäts- und Aufklärungs-
idee stellen; die Menschlichkeit hat den Essai diktiert,
die Wahrheit hat die Feder gehalten, i) Das wäre eine
recht fruchtbare Geschichtschreibung, die ohne jeden
Anschein aufdringlicher Belehrung uns über unsere
Rechte und Pflichten aufklärte,^) Es handelt sich hier
darum, die Menschen von dem Glauben an Märchen zu
befreien , mit denen man sie jahrhundertelang ein-
gewiegt hat.^)
Die Objektivität wird noch mehr verlassen, wenn
Voltaire der Geschichtschreibung geradezu praktische
Ziele steckt, wenn er ihr die Mithilfe an dem Re-
formwerk des Jahrhunderts zur Aufgabe macht;
der Nutzen der Geschichte besteht für den Staatsmann
und für den Bürger in der Möglichkeit der Vergleichung
fremder Gesetze und Bräuche mit den einheimischen zu
praktischen Zwecken, Die großen Fehler der Vergangen-
heit können auf jedem Gebiet Dienste leisten. Von den
Verbrechen, von den Notständen kann man nicht laut
genug reden. Denn man mag sagen was man will,
beiden kann man steuern. Die Geschichte des Tyrannen
Christian kann vor den Gefahren des Absolutismus warnen,
Pultawa vor strategischer Draufgängerei ; aus den Schlachten
von Crdcy^ Poitiers usw. hat der Marschall von Sachsen
Nutzen gezogen; was gute Finanzen, was blühender
Handel und weise Sparsamkeit, was ein gutes System
von Grenzfestungen für einen Wert hat, mag ein geschichts-
kundiger Fürst an den Musterbeispielen von Heinrich IV,,
Elisabetli und Ludwig XIV. entnehmen. Wenn man den
jungen Leuten nicht so oft die Obergriffe der Päpste, den
Wahnsinn und das Elend der Religionsstreitigkeiten vor
*) D'ün fait singulier und sonst oft
») Dict. plii).: Histoire IL
•) Ddfense de mon oncle IX.
n
360
Paul Sakmann,
Augen stellte^ so wäre das Publikum heute noch so dtimm
wie unter Gregor VII, Man räume nur mit dem geschicht-
lichen Studium auf und man wird wieder eine Bartholo-
mäusnacht in Frankreich, einen Crom well in England er-
leben,^) Er rechnet die Arbeit an der Besserung der Zu-
stände der Gegenwart mit den Mitteln der Geschicht-
schreibung geradezu zu den Pflichten der Historiker. Es
ist seine Pflicht, daß er durch ungeschminkten Bericht ^
über das Schlechte, z* B* über Justizmorde, der ganzen "
Nachwelt Abscheu einflöße vor diesen Greueln; auch ist
es dem Volk ganz recht, wenn man ihm die Sunden H
seiner Väter vor Augen stellt,^) Er macht es den Histo-V
rikern zum Vorwurf, daß sie so oft über dem höfischen
Ränkespiel das vergessen» was die Menschheit angeht,
Sie haben nie Buch geführt über die Massengreuel der
fi exen Verbrennungen. Sie wissen gar nicht, wie bar-
barisch wir gewesen, und daß wir noch gar nicht ganz
dieser heillosen Barbarei entwachsen sind, mit der wir
uns vor den Wilden schämen müssen.^) Nach einer Aul-
zählung von Justizmorden in den Annales (Charles-Quint)
bemerkt er; Die Geschichte soll wenigstens dazu dienen,
die Richter vorsichtiger und menschlicher zu machen.
Die Auswahl des Stolies vollzieht sich bei ihm vielfach
unter diesem praktischen Gesichtspunkt: die Einzelheiten,
die für das Glück der Völker wichtig sind, und aus denen
gute Fürsten etwas lernen können, bekommen ein all-
gemeines Interesse,'*) Auch der Sache der politischen
Freiheit vermag der Historiker am wirksamsten zu dienen.
Im Kapitel über Philipp IL bemerkt er: das Urteil der
Nachwelt ist unser einziger Wall gegen die glückliche
Tyrannei.^)
Und schließlich empfiehlt sich die Geschichte noch
durch einen Genuß eigener Art^ den sie dem, der sich
mit ihr beschäftigt, gewährt. Er sagt einmal: Wenn man
*) Dict* phiL: Histoire Ul
') Dict, phiL: Historiographe*
') Requ^te ä tous les magistrats L
*) Essaj c. 115,
*) Ibid. c. 167.
I
Probfeme d, hist Metbod. u» d. Geschichtsphilosophie Voltaires. 361
unter den Ruinen des Altertums nachgräbt, kann man
unter den Trümmern interessante Denkmäler finden, die
dem gute Dienste leisten, der sich über die Dummheit
des menschlichen Geistes aufklären willJ) Er bekennt:
Was an der Geschichte philosophisch am meisten inter-
essiert, ist das, daß man dadurch die Dummheit der
Menschen kennen lernt. ^) Mein Essay ist keine Welt-
geschichte, sondern nur eine Schilderung der Haupt-
dummheiten in der Welt.**) In solchen Geständnissen verrät
sich keineswegs bloß die pädagogische Absicht, wie er
Wort haben will, die Menschen durch das Spiegelbild
ihrer Dummheit klüger und aufgeklärter zu machen *)j
durch die behagliche Stimmung, in der sie gesprochen
sind, scheint deutlich der souveräne Selbstgenuß
des eigenen Geistes und der Zeitbildung hin-
durch, dem der Kontrast eine angenehme Steigerung
gewährt.
Endlich nun — das ist ein fünftes und letztes Mo-
ment — liegt im Begriff der philosophischen Geschichte
noch eine Forderung, die die Form betrifft.
Nichts hat in dieser Hinsicht Voltaire mehr betont als
Würde der Haltung. Das mag überraschen bei einem
Mann, dessen Hauptwerk man als ein satirisches Pamphlet
anzusehen gewöhnt ist, und der uns als der Typus des
Ironikers erscheint. Aber man vergißt eben zu leicht
jene andere Seele Voltaires, die sich z. B. in seinem
Ehrgeiz bekundet, nicht etwa der erste Lustspiel dichter
seiner Nation zu werden, sondern der Vollender der Tra-
gödie vornehmsten Stils* So warnt er den Historiker
vor den Klippen des blühenden und des familiären Stils*
Doch ist es eher zu verzeihen^ wenn man im Feuer der
Begeisterung zu weit geht, als wenn man sich in gewöhn-
lichen Ausdrücken gehen läßt.^) Die zeitgenössische
') Defense de mon oncle XXL
■) Lettres chltiobes \L
*) Lettre civile et honn^te.
*) Remarques de TEssai Hl, Conclusion de ce tableau hiato-
rique.
) Articles eictraits de la gazette litt.
362
Paul Sakmana,
Mode der historischen Porträts ist ihm auch deswegen
widerlicht weil diese Art sich nicht mit dem großen Stil
verträgt* Was für Augenbrauen Colbert hatte, wie er
seinen Kragen trug, oder ob er am Hol noch kleinbürger-
liche Manieren beibehielt, das kümmert mich nicht. Denn
allein auf das, was er Denkwürdiges und Dankenswertes
getan hat, habe ich mein Augenmerk zu richten.*) Er
weiß von der intimen Geschichte, z. B. etwa von der
Jugend der Frau von Maintenon mehr als er sagt. Aber
derartige Züge hätten mein Bild des Zeitalters Lud-
wigs XIV. entstellt, tch wollte wertvolle Wahrheiten geben,
nicht Wahrheiten für Anekdotengeschichten. Eine bedeut*
same Wahrheit ist aber 2. B. die, daß Frau von Maintenon
auf der Hohe ihrer Herrlichkeit sich unglücklich fühlte,^)
Das Voltairesche Ideal der Vornehmheit gebietet
dem Historiker u. a. auch eine loyale Haltung im
monarchistischen Sinn: Einen Seitenhieb La Beau-
melles auf Wilhelms ML angebliche päderastische Nei-
gungen weist er scharf zurück als gemein und der Ge-
schichte unwürdig» und oft noch hält er es für seine Pflicht,
leichtiertige und seiner Ansicht nach verleumderische Be-
handlung hochgestellter Persönlichkeiten durch diesen
Schriftsteller zu rügen als eine indezente Art, Geschichte
zu schreiben,^) Karl Xll. und Peter den Großen will er
behandeln mit dem Respekt, den man gekrönten Häuptern
schuldet, die eben gestorben sind und mit dem Respekt,
den man der Wahrheit schuldet, die nie sterben wird.*)
Der Geschichtschreiber soll nicht wie Tacitus den Fürsten
fortwährend geheime Verbrechen vorwerfen, als ob es
nicht genug wäre an den bekannten. Er entehrt die
Geschichte, wenn er auf das Gerede des Pöbels etwas
gibt,^) Der an sich richtige Grundsatz, daß man als Histo-
riker nichts Falsches sagen soU^ erleidet eine Einschrän-
kung durch den anderen Grundsatz, der uneingeschränkt
^) Supplement de Louis XIV^ 11 und oft ähnlich.
*) Ibid.
*) Louis XIV, c. 15; 17 i; 26.
*} Conseils ä un journaliste.
*) Reflexion sur l'histoire. Lotiia XIV, c» 20«
Probleme d. hist Method u, d. Geschicht&philosophie Voltaires, 365
gilt, daß man auf die Nachwelt nur das bringen soll, was
der Nachwelt würdig ist, Enthüllungen über geheime
Skandalgeschichten aus dem Privatleben von Fürsten muß
sich der Historiker versagen. Nur wenn diese Privat-
sachen die öffentlichen Angelegenheiten beeinflußt haben,
hat er davon zu reden. Denn er soll kein Pampfiletist
und kein Spötter sein; es gibt auch Pflichten der Dis-
kretion und des Anstands, Man soll nicht Skandale aus-
bieten, wie die Voisin ihre Gifte verkaufte.^) Es ist kein
Wunder, wenn diesem Vertreter der Loyalitätsgefühle die
oppositionelle Geschichtschreibung unsympathisch ist,
die ihm In die Mode zu kommen scheint: Manche
Schriftsteller in Frankreich und England meinen jetzt,
sie vertreten die Sache des Menschengeschlechts, wenn
sie ihr Vaterland anklagen; manche denken, ein Ge-
Schichtschreiber müsse sein Vaterland verschreien, wenn
er unparteilich scheinen wolle, er müsse Minister ver-
dammen, um gerecht zu erscheinen und seinen König
dem Haß der kommenden Jahrhunderte opfern, um sich
in den Rui des Freisinns zu bringen. Ich will nun zwar
in keiner Weise voreingenommen sein, und Wahrheit ist
mein einziges Ziel, aber Frechheit ist nicht Freiheit.^)
IV.
Noch mögen einige Urteile Voltaires über seine
Vorgänger in der Geschichtschreibung folgen, sofern
sie das Ideal, das ihm vorschwebt, noch weiter illu-
strieren.
Die Alten, Livius, Tacitus^ Polybius, Dionyslus, mögen
in Form und Stil noch heute mustergültig sein, aber die
Aufgabe hat sich in der Geschichte wie in der Natur-
wissenschaft bedeutend erweitert. Von modernen Histo-
rikern erwartet man mehr Eingehen ins einzelne, sicherere
und genauere Feststellung der Tatsachen, der Daten und
der Gewährsmänner, mehr Beachtung der Bräuche und
») Pierre le Grand, Pr^face VL Dict phU,^ Hiatoire IV;
Historiographe.
') Supplement de Louis XIV, IlL
SM
Faul Sakmantt,
Sitten, der Gesetze, des Verkehrs, der Finanzen, des
Ackerbaues, der Bevölkerungsbewegung.*) Die anekdo-
tische Geschichtschreibung in der Art Plutarchs und die
satirische in der Art Prokops ist heutzutage iür immer
abgetan,^) Wie die Naturwissenschaft, so ist auch die Ge-
schichtschreibung erst gegen Ende des 16, Jahrhunderts
aus dem Chaos der abergläubischen Legenden heraus-
gekommen* Vor Guiccardini und Macchiavelli gab es
keine einzige gut geschriebene Geschichte.®)
Von neueren französischen Historikern bespricht er
besonders Mdzerai, Daniel und Bossuet, Er stellt M^zerai,
wenigstens was die Darstellung der neueren Zeit betrifft^
über den Jesuiten Daniel. MiSzerai ist ein besserer Fran-
zose und ein besserer, weniger parteiischer Historiker
als Daniel^ der mehr Jesuit als Bürger seine römische,
unfranzösische Gesinnung besonders bei der Behandlung
der Bartholomäusnacht und der Regierung Heinrichs IV.
verrät: es zeigt sich dabei, wie sehr der Gral von Boulain-
villiers recht hatte, der meinte, ein Jesuit könne unmög-
lich ein objektiver Historiker sein»^) Die mancherlei Irr-
tümer Daniels in den Einzelheiten — der Graf von Bou-
lainvilliers will ihm deren zehntausend nachgewiesen haben
— fallen nicht schwer ins Gewicht. Bedenklicher ist^
daß er sich darauf kapriziert, in den Annalen eines in
so vieler Hinsicht außerordentlichen Jahrhunderts nur die
banalen Schlachtenberichte zu geben, und daß man bei
ihm nicht erfährt, was man als ciioyen wissen möchte,
nämlich etwas über die allmähliche Entwicklung der Re-
gierungsform, über die Rechte und Übergriffe der ver-
schiedenen Körperschaften, über den Geist der Nation
und die inneren Zustände, Recht, Finanzen, Verkehr,
Kunstleben usw. Schlimm ist^ daß die philosophische
Betrachtung des Ganzen fehlt. Die Nation konnte zu
ihm sagen : Ich verlange von Dir etwas mehr von meiner
eigenen Geschichte als von der Ludwigs des Dicken oder
*) Dict phiL: Histoire V*
■) Louis XIV, c. 25.
*) Essai c. 8; 10 f.
*) Essai c, 171; 174,
4
4
i
'mbleme d. hist. Method* u, d. Geschkhtsphilosophie Voltaires. 365
Ludwigs des Zänkers* Wenn auch Daniels französische
Geschichte verhältnismäßig noch die beste ist, so bleibt
es doch dabei, daß sie von neuem geschrieben werden
muß,*)
An Bossuets ^^Discöurs sur Vhistoire universeUe^
bewundert er die formellen Vorzüge. Hier ist zum ersten-
mal die Kunst der Beredtsamkeit auf die Geschichte an-
gewandt. Mag sein Versuch, die jüdische Zeitrechnung
mit der der anderen Völker in Einklang zu bringen^ auch
auf Widerstand stoßen, wunderbar bleiben doch die maje-
stätische Kraft, mit der er Sitten, Regierung, Wachstum
und Sturz der großen Reiche beschreibt und die Geistes-
blitze von kräftigster Wahrheit in seiner Schilderung und
Beurteilung der Völker,^) Bossuet hat allerdings den
Geist der Geschichte eriaßt, wenigstens was das römische
Reich betrifft. Aber — und das ist nun die Kehrseite —
er gibt der ganzen Geschichte in sehr einseitiger Weise
eine künstliche Zweckbeziehung auf das Judenvolk und
vernachlässigt die großen orientalischen Kulturvölker gänz-
lich* Das Werk sollte eigentlich heißen: Discours sur une
partie de rhlsiolre universelle.^) Auch Frau Du Chätelet
konnte es nicht verstehen, daß ein so beredter Mann in
einer Weitgeschichte gerade die Welt vergaß und nur von
drei bis vier heute verschwundenen Völkern sprach. Noch
unverständlicher war ihr, daß diese drei bis vier größeren
Nationen alle dem kleinen, theologisch vielleicht bedeut-
samen, aber historisch minderwertigen jüdischen Volke
aufgeopfert wurden, während die Mohammedaner, die
Inder, die Chinesen kaum oder gar nicht beachtet wurden.*)
An dem Konkurrenzwerk für seinen Charles X[L, an
Norbergs Geschichte Karls XIL tadelt er, daß der Leser
überschüttet werde mit einer Masse unverdauten Materials
politischer Publikationen , aus denen man doch nichts
Genaueres darüber erfahre, wie es eigentlich gewesen sei.
>> Supplement de Louis XIV, L Louis XIV; ficrivains, Daniel,
Dict pbil,r Histoire IV,
») Louis XIV, c. 32,
■) Essai, Avantpropos.
*) Remarques de l'Essai f»
fllaCoriscbe Zeitschrift (97. ßd,> 3. Folge U Hd, 24
^
366
Paul Sakmann.
Wie viel wertlose Tatsachen muß ein Historiker weg-
lassen I Ich bilde mir etwas darauf ein, daß ich meinen
Charles XIL so zusammengedrängt habe.^)
Rapins Geschichte von England nennt er das ein-
zige historische Werk, das der Vollkommenheit nahe kam
bis auf das Werk Humes, der es verstand, a!s Philosoph
zu schreiben,-) Und so sagt er auch in einer Besprechung
von Humes englischer Geschichte: Nie kam es dem Publi-
kum mehr zum BewußtseiOj daß es dem Philosophen
zukommt, Geschichte zu schreiben.')
Aber die Genannten sind seltene Ausnahmen, Im
allgemeinen findet er sich von den Büchern im Stich
gelassen bei seiner geschichtlichen Arbeit» in Pufen-
dorf, dem doch die schwedischen Archive zur Verfügung
standen, suchten wir vergeblich Belehrung über die mili-
tärischen und finanziellen Hilfsquellen des schwedischen
Staates, über seine Bevölkerungsziffer, über die schwedi-
sche Kultur- und Vertassungsgeschichte,*)
■
Ein letzter Abschnitt, der als Illustration zu unserem
zweiten Kapitel gemeint ist, zeige nun noch Voltaire
als Kritiker an der Arbeit, Es geschieht das wohl
am besten in einem Überblick, der die Stellen aufweist,
wo Voltaire an der Tradition kritische Korrekturen an-
bringt. Da Voltaire als Kritiker des Christentums eine
besondere Darstellung verlangt, so beschränken wir uns
hier auf das profan geschieht liehe Gebiet,
Das gleichzeitige Nebeneinanderbestehen von drei
mächtigen Reichen (Babylon, Assyrien und Syrien) und
von zwei Hauptstädten (Babylon und Niniveh) ist nicht
wahrscheinlich* Es wird wohl ein einziges, hie und da
dynastisch geteiltes Reich gewesen sein. Es gab wohl
nie in Asien eine Frau namens Semiramis und Männer
') Charles XII, Prdface 1748,
*) Louis XIV; ficrivains: Rapb.
•) R^flexions sur rhistoire,
*) Essai, Pr^face 1754,
I
Probleme d, hist Method. u, d. Geschichtsphlbsophie Voltaires. 367
Namens Belus und Ninus. „Kein asiatischer Fürstenname
geht auf ^us" aus." Die Geschichte der Semiramis gleicht
ganz den orientalischen Märchen.*) Das Gleiche gilt von
den Sesostrisgeschichten. Einige zweitein sogar an der
Existenz des Sesostris.^) Die Welteroberungspläne des
Sesostris sind an sich schon sehr romanhaft. Daß man
von dem reichen Kulturland Ägypten in das kaukasische
Barbarenland zog, ist gegen alle geschichtliche Wahr-
scheinlichkeit* Ebensogut hätte der König von Babylon
auf den Gedanken kommen können, die Schweiz zu er-
obern. Eher werden die Scythen in Ägypten eingefallen
sein und dort ihre Bräuche, wie z* B. die Beschneidung
hinterlassen haben. ^) Fabelhaft ist die Streiterzahl der
Stadt Theben, ebenso die Tradition von der tiefen Weis-
heit der ägyptischen Priester/) Es ist sonderbar^ daß
man China zu einer Kolonie der aften Ägypter machen
will. Mit genau demselben Recht könnte man nachweisen»
daß die Franzosen von den alten Trojanern oder Griechen
abstammen.^)
Fabeln sind die Krösus- und Cyrusgeschichten, wie
überhaupt die Herodotischen Erzählungen aus dem Orient;
er nennt insbesondere die Ohren des Smerdis, das Pferd
des Darius, das Schildkrötenorakel des Krösus, die Dido-
geschichten, die Prostitution der Frau des Königs Nabis,
die Vernichtung des Heeres Sanheribs durch Ratten.*)
Je näher Herodot der eigenen Zeit kommt, um so mehr
zeigt er sich unterrichtet und glaubwürdig. Bei den Perser-
kriegen zeugt z. B, das Itinerarium und die Aufzählung
der Völkerschaften von geographischer Genauigkeit, da-
gegen kann man sehr wohl zweifeln an der Peitschung
des Hellesponts und an den großen Opfern des Xerxes,
und vor allem lassen sich die Angaben über die Zahl und
*) Eisaif IntroductLon X.
') ßible expliqu^e* Rois.
') Essai c. 15. Tol^rance IX,
*) Ibid. Difense de mon oncle IX*
*) Pierre le Grand, Pr^face HL
•) Dict. pKil : Diodore et H^rodote* Remarques »ur rhiatoire.
ABC VJ. Nouv. considdrations sur Fhistoire,
24*
368
Paul Sakmann,
die Zählungsweise des persischen Heeres mcht mit einer
richtigen Statistik vereinen. Dieser compie Herodots ist
ein wirklicher conie. Herodot wollte mit diesen Geschich-
ten seinen Griechen schmeicheln und zugleich sie unter-
halten, i) Er ist skeptisch gegen die aitathenische Ge-
schichte: Ich weiß nicht, ob Kekrops König von Athen
war zu einer Zeit, da es noch gar nicht existierte, und
ob Theseus es war vor oder nach seiner Höllenfahrt.^)
Der Opfertod des Kodrus ist eine schöne Tat, wenn sie
wahr ist.^) Die Berichte über Themistokles' Tod durch
Stierblut sind aus geschichtlichen wie aus naturwissen-
schaftlichen Gründen zu verwerfen.*) Die Alexander-
anekdoten durchmustert er kritisch. Die Geschichte von
Philipps Ermordung leidet an Unwahrscheinlichkeiten. Die
Fabeln von Quintus Curtius über Alexander sind so aben-
teuerlich wie seine geographischen Vorstellungen von Asien,
so: Die Scythengesandtschaft, der Brief Alexanders an
Darius, die Bitte der Amazonenkönigin Talestris, das
Staunen Alexanders über Ebbe und Flut, da ein Schüler
von Aristoteles doch darüber unterrichtet sein mußte.
Hätte Quintus Curtius seine Geschichte nicht so mit Fabeln ■
entstellt, so wäre Alexander der einzige Held des Alter- fl
tums, von dem man eine wahre Geschichte hätte. ^) ^
Die römische Geschichte ist neu zu schreiben- lit i
der langen Liste unglaublicher Überlieferungen nennt er: fl
Die Romulusgeschichten, das unwahrscheinliche Duell der ™
Horatier und Curiatier, die romantischen Abenteuer der
Lukretia und der Clelia, die Volkszählung des Servius,
die zweifelhaft ist, weil sie viel zu große Zahlen gibt für
den kleinen Stadtstaat, — die Historiker sind zu freigebig
mit großen Zahlen im Eifer für ihr Vaterland, dem doch
besser gedient wäre mit dem Zugeständnis der geringen
Dict phiL: D6nombremeiit;
') Pyrrhonisme de rhistoire VJ
Age, Defense de ition oncle IX.
*) Commentatre sur l'esprit dea loi3 28>
*) Dict. phiL: Beau.
*) Dict phil. : Taureau; Empoisonnements.
*) Pyrrhonisme de Uhistoire IX. ßibl. expl,
Charles XII, Pr^face 1748. Dict* phil: Alexandre.
Probleme d. hist. Method. u. d* Geschichtsphilosophie Voltaires. 369
Anfänge des Staats—; die Zahl der Jahre, die man den
römischen Königen gibt, ist sehr verdächtig — nach New-
tons chronologischer Durchschnittsregel müßten sie nicht
240^ sondern nur ungefähr 100 Jahre regiert haben. Sagen-
haft ist ferner die Geschichte der Vestaünnen, die mit ihrem
Gürtel ein aufgelaufenes Schiff wieder flott machen, der
Sieg über Porsenna, der statt zu fliehen, weil ihn ein
Fanatiker ermorden wollte, höchstwahrscheinlich die Römer
unterjocht hat, Curtius' Opfertod, das Rasiermesser des
Navius, das Abenteuer der kapitolinischen Gänse und der
Sieg des Camillus über die Gallier. Das Anerbieten des
Leibarztes von Pyrrhus, seinen Herrn zu vergiften, wie
auch die Giftmordverschwörung der römischen Damen
bei Livius — es gibt überhaupt viel weniger Giftmorde
als man meint — , die Martern des Regulus, die aus innern
Gründen wie nach dem Bestand der Überlieferung un-
wahrscheinlich sind und wohl erst viel später erfunden
wurden, um die Karthager verhaßt zu machen, die Galere
des Archimedes, Cäsars Schwimmkünste, von denen Plu-
tarch berichtet, Senekas Erzählung von der Großmut des
Augustus gegen Cinna.^) Die Wurmkrankheit, an der
Herodes gestorben sein soll, wie auch Sulla und Philipp 11.
kennen wir nicht und sie ist jedenfalls legendarischen
Charakters. 2)
Seine zunächst auf inneren Gründen beruhenden
Zweifel an der landläufigen Auffassung der Kaisergeschichte
führen ihn zu einer interessanten Kritik der geschicht-
lichen Quellen für diese Zeit.'*) Oft fragte ich mich bei
der Lektüre von Tacitus und Sueton: Sind diese Scheuß-
lichkeiten, die hier Tiberius, Caligula, Nero zugeschrieben
werden^ wirklich wahr? Soll ich auf das Zeugnis eines
Mannes, der lang nach Tiber lebte, mir diesen 80jährigen
Mann auf seiner Insel als raffinierten, schamlosen Wüst-
') Articies de la gazette litt^raire> Dict. phil. ; D^nombrement;
Chronologie; HIstoire lU; Auguste; Empotsonnements, Charles XU,
Pr^face 1748, Essai, Introducttoti 52. Nouv. consld^rations sur
rhistoire. Fragments sur 1-Itide 31.
*) Bible expliqude: H^rode,
') Pyrrhonisme de l'histoire XH !.
370
Paul Sakmann,
ling vorstellen? Das ist unnatürlich. So habe ich auch
nie an die abscheulichen Dinge geglaubt, die man einem
großen Prinzen (dem Herzog von Orleans und seiner
Tochter) nachsagte, und die Zeit hat meinen Unglauben
gerechtfertigt. An die Bordellwirtschaft im Palast des
Caligula kann ich kaum glauben. So oft ich wieder die
abscheuHche Geschichte Neros und seiner Mutter lese,
fühle ich mich versucht, nicht daran zu glauben. Im
Interesse des Menschengeschlechts wäre es, wenn diese
Scheußlichkeiten übertrieben wären, denn sie machen der
Natur zu viel Schande. Die Geschichte von der Ver-
giftung des Germanikus wird von Tacitus ohne jeden
Beweis vorgebracht. Die Geschichte vom versuchten
Incest Agrippinas und von ihrer Ermordung sind voll
von UnWahrscheinlichkeiten* Er beruft sich für seine
Zweifel an diesen Scheußlichkeiten auf Philos günstigere
Auffassung und darauf, daß Tacitus und Sueton Tiberius
z, B. gar nicht persönlich kannten, sondern nur das Ge-
rede der Menge wiederholten* Die ersten Herrscher Roms
waren bei den freiheitlich Gesinnten verhaßt und mußten
das in der Geschichtschreibung entgelten. Denn daheim
bei sich entdeckte der Römer seine republikanische Seele
und rächte sich manchmal, mit der Feder in der Hand,
an der Usurpation der Kaiser. Der malitiöse Tacitus und
der Anekdotenjäger Sueton fanden eine große Genug-
tuung darin, ihre Herren in Verruf zu bringen zu einer
Zeit, da niemand die Wahrheit genauer untersuchte.^)
Wir aber sind deswegen geneigt, Tacitus zu trauen, weil
sein Stil uns gefällt und imponiert, auch weil seine Bos-
heit uns fast ebenso wie sein Stil behagt. Aber daraus
folgt keineswegs, daß er immer die Wahrheit sagt. Er
mag noch so sehr seine Objektivität den Kaisern gegen-
über beteuern; ich sage doch: Du hassest sie, weil du
als Römer geboren bist und sie deine Souveräne ge-
wesen sind, und du wolltest sie der Menschheit verhaßt
machen noch in dem Harmlosesten was sie taten,^) Nicht
') Ibid. Traitd sur la tol^rance VllL
■) Ibid* c* XI L A M., Sur las anecdotes.
I
Probleme d. hist, Method. u. d. GeBchkhtsphilosophie Voltaires. 371
.besser ergeht es der taciteischen Germania: Es scheini,
'daß Tacitus^ der mehr satirisch als objektiv gestimmt war,
und der alles schwarz malt, itr seiner Germania mehr
die Römer geißeln als die Germanen loben wollte. Er
lobt die Sitten der Germanen, wie Horaz die der Geten,
und dabei kennen beide nicht was sie toben* Tacitus,
dieser geistreiche, aber parteiische Satiriker, der sein Land
mehr kritisch als historisch behandelt, hat so die Stirn,
das Leben dieser Straßenräuber zu loben, nur um au!
dem hellen Hintergrund dieser germanischen Tugenden
den kaiserlichen Hof um so schwärzer malen zu können. *)
Skeptisch ist Voltaire auch gegen die Fragmente des
Petronius, eines jungen lockeren Studenten, der nicht zu
verwechseln ist mit dem Konsul Petronius, Sie sind so
wenig ein treues Gemälde des kaiserlichen Hots unter
Nero, als der ,, Portier des charireux^ die Holsitten unter
Louis XIV, abspiegelt.
Ganz unglaubwürdig ist endlich die nachtaciteische
Kaisergeschichte; er nennt besonders die lächerlichen
Fabeln, die über Commodus und Heliogabal berichtet
werden, den absurden Bericht von Lactanttus über die
Abdankung Diocletians, Die byzantinische Geschichte
vollends, die nur Deklamationen und Wunder enthält, ist
geradezu eine Schande für den menschlichen Geist. ^) Nie
wurde so schlecht Geschichte geschrieben wie im ost-
römischen Reich. Die Anhänger der alten und der neuen
Religion logen um die Wette, sie glichen zwei Prozeß-
gegnern, von denen der eine falsche Schuldscheine, der
andere falsche Quittungen vorweist.'*) Die Labarumsvision
Constantins hat Voltaire oft kritisch behandelt. Er weist
darauf hin, daß die heidnischen Schnttsteller, auch die
Constantin freundlichen, ja selbst einige christliche nichts
von dem Faktum wissen. Der Hauptgewährsmann Euse-
bius berichtet erst im „Leben Constantins" aber nicht in
seiner Kirchengeschichte davon, ist auch als unehrlicher
0 Tol^ratice XII. Essai, Avantpropos.
*) Pyrrhomsme de FhisL XIV i.
*) Histotre du chnstiantsme XV-
p
p
372 Paut Sakmann,
Parfeimann verdächtig» Die übrigen Berichterstatter wider-
sprechen sich in den Umständen. So haben wir es wohl .
mit einem Betrug Constantins zu tun, der dadurch den |
Erfolg seiner Unternehmungen sichern wollte* Er machte
sich ein Vergnügen daraus die Priester zu täuschen. ^Es
war ja nur heimgegeben*" Eusebius dient es freilich zur
Entschuldigung, wenn noch in unserer Zeit Bossuet in
seiner Leichenrede aul Anna von Gonzaga von zwei
Visionen berichtet,^)
Auch im Mittelalter ist natürlich jede mit etwas Wun-
derbarem zusammenhängende Tatsache an und lür sich
unglaubwürdig* So: das Tauben- und Engelwunder bei
Chlodwigs Bekehrung und Taufe — wer die menschliche
Natur kennt, weiß, daß Usurpatoren wie Chlodwig zum
Christentum übertreten, um desto sicherer über Christen
zu herrschen — , die Wunder des hl. Bernhard, das Keusch-
heitsmartyrium Ludwigs VUL, die Blutregen, die Schlangen-
schlacht bei Tournay, die Mäuseplage des Erzbischofs
Otho, die Prophezeiung der zwei Juden an Leo den Isau-
rier, die Bestrafung Heinrichs V. für seine Usurpation
durch Hämorrhoiden, die Engelserscheinungen der Jung-
frau von Orleans*-) Auch die nicht wunderhafte Über-
lieferung ist ihm vielfältig verdächtig* Er glaubt nicht
an die ungeheuren Zahlen der verwüstenden Heere der
Völkerwanderung — wie hätte man sie denn ernähren
sollen? — die Furcht übertreibt, und es ist immer eine
Minderheit, von der die großen neuen Bewegungen aus-
gehen.^) Er glaubt nicht an die alten Geschichten der
Franken, die ihren Ursprung auf Francus, den Sohn Hek-
tors, zurückführen. Die Geschichten von Gregor von
Tours stehen auf gleicher Stuie wie die von 1001 Nacht.
Gregor ist ein Herodot, nur weniger unterhaltend.^) Der
Qualentod der Königin Brunhilde z. B. ist ihm nicht sehr
*) Ibid. XVH* DicL phil: Constantin; Vision de Constantin.
^ Essai 0^.197. Oict phlL: Pr^jug^s« Noliv> consid^rations
Bur rhistoire. Charles XII, Prdface 1748.
*) Commentaire sur l*Espril des Lois* Des Francs,
*) Dieu et les hommes 14. Pyrrhonisme 18, Essai, Intro-
ductton c. &2.
I
Probleme d. tust Methode ti.d Geschieh lspliilo9Ciphie\'0]täires> Sf^
wahrscheinlich.^) Er stellt die Cberlielerung in Frage«
rnach der die Schändung der Tochter des Grafen Julian
'den Anlaß zor Herbeirufung der Mauren gab; diese Tat-
sache ist so wenig bezeugt wie die Schändung der Lukre-
tia.^) Das salische Gesetz war ursprünglich nicht ein
altes Staatsgrundgesetz lür die Kronen, sondern nur eine
Bestimmung für gewisse Allodien, also jedenfalls kein
Fundamentalgesetz des Reichs, das wurde es erst durch
stillschweigende allgemeine Übereinkunft. Dieses salische
Gesetz ist sicher eine der törichtesten Wahnvorstellungen,
mit denen man uns je geloppt hat. Schriftlich fixierte
Gesetze gab es in Frankreich erst unter Karl VIL^) Da0
die Lehen erst nach der Zeit Hugo Capets erblich wur-
den, ist falsch.*) Daß die ägyptischen Emire Ludwig dem
Heiligen ihre Krone anboten, wie Joinville sagt, daß der
Alte vom Berge zwei Mörder nach Paris abgesandt und
wieder zurückberuten habe, daß Johanna von Navarra
ihre Liebhaber nachträglich in den Fluß werfen ließ, der-
lei Dinge gehören zum Volksgerede. ^) Die Verfasser-
schaft des Buchs über die drei Betrüger wird sehr zu
Unrecht Friedrich IL zugeschrieben. Die Zeit war noch
nicht wissenschaftlich und kritisch genug für ein solches
Werk.^) Das Wort, das man einem Papst zusch reihte
(nach Voltaire Bonilaz VUL): „Was hat uns doch die Fabel
von Christus eingebracht", erklart er für historisch sehr
unwahrscheinlich.') Die Anklagen gegen die Templer
sucht er als verleumderisch zu erweisen, ihre Hinrich-
tung war ein großer kirchlicher Justizmord.*) Er be-
2weilelt, daß Karl IV. Kurstimmen für sich und später
für seinen Sohn gekauft habe/*^) Die Geschichte vom
() Ibid.
*) Essai c. 27-
*) Essai c. 75. Dict. phiL: PranCt
*) Ibid. c. %.
»i Charles Xtl, Pr^face 1748; Essai c* 58. Pfrrhoniirtic 16.
•) Annales, Fr^ddric IL
^) Essai c. 65.
•> Ibid. c, 66, Pyrrhonisme 39,
*) Annates, Charks IV.
374
Paul Sakmann,
Apfelschuß Teils ist sehr verdächtig, um so mehr, da
sie aus einer alten dänischen Legende entlehnt zu sein
scheint,*) Er zieht den Gebrauch von Kanonen in der
Schlacht bei Cr^cy in Zweifel und leugnet ihren Einfluß
auf den Ausfall der Schlacht, bestreitet die schlechte Be-
handlung, die Eduard ML den sechs patriotischen Bür-
gern von Calais habe widerfahren lassen, den Sturm
und Hagel, der nach Daniel und M^zerai Eduard IIL zum
Frieden gestimmt haben soll, — so fromm sind Eroberer
nicht — , die Dysenterie des englischen Heeres bei Azin-
court und die sinnlosen Grausamkeiten Mohammeds IL-)
Die Renaissance beginnt in Mittelitalien schon vor der
Eroberung von Konstantinopel; man verdankt sie daher
nicht den Flüchtlingen aus dieser Stadt, die die Italiener
nichts anderes lehren konnten als eben Griechisch. Von
den wahren Wissenschaften hatten sie kaum eine Ahnung,
den Arabern verdankte man das bischen Naturwissen-
schaft und Mathematik, das man damals kannte.^) Die
Überlieferung, die Alexander VL an dem von ihm selbst
für andere bereiteten Gift sterben läßtj ist ihm sehr wenig
wahrscheinlich.'*)
Auch in der Geschichte der neueren Zeit fehlt es
nicht an kritischen Fragezeichen. Der Gedanke einer
Weltmonarchie, den man Karl V. zuschreibt, ist so un-
historisch wie die gleiche Behauptung Ludwig XIV. gegen-
über,^) Die Behauptung, der Sohn Franz' L sei durch
Karl V, vergiftet worden, ist eine dumme Verleumdung,
und die Hinrichtung des Mundschenken Montecuculi war
ein Justizmord.^) Das Wort, das man Karl IX. in den
Mund legt: „Der Leichnam eines Feindes riecht Immer
gut", hat man ihm von Vitellius geliehen, dem es zu-
gehört.^) Sehr unwahrscheinlich und unpsychologisch
^) Ibid. Albert I, Essai c, 67,
») Ibid. c. 75L; 79. Charles Xlt, Pr^face 1748.
^) Essai c. 82.
*) Ibid, c. lOL Pyrrhonisme 40.
^) Essai c. 124.
•) Annales,' Charles-Quint.
0 Essai c. 171.
I
I
Probleme d, hist Method. u, d. Geschicbtspbilosophie Voltaires. 375
istj daß die Herzogin von Montpensier sich Jacques
Clement preisgegeben habe, um ihn zur Ermordung des
Königs zu bestimmen; einem fanatischen Priester zeigt
man den Himmel und nicht eine Frau; nicht Liebesbriele
fand man in seinen Taschen, sondern die Geschichten
von Judith und Aod,') Die angebliche Neuregelung der
europäischen Karte und das Projekt eines ewigen Friedens,
die man Heinrich IV* zuschreibt, sind Wahngedanken, die
ihm nie in den Sinn kamen, und für die man keinerlei
Beweise hat,^) Man schreibt gerne alle großen Dinge
einem Manne zu^ wenn er etwas Bedeutendes getan hat.
So hat Richelieu nach dem in Frankreich herrschenden
Vorurteil die Waffen Gustav Adolfs nach Deutschland
gerufen und allein diesen Umschwung vorbereitet, aber
offenbar hat er nichts anderes getan, als eben die Kon-
junktur ausgenutzt. Sein eigenes Interesse, sein Stolz
und sein Rachebedürfnis riefen Gustav nach Deutschland,
der alles durch sich selbst tat und nur geringe Unter-
stutzung erhielt.^) Bekannt ist, wie Voltaire nicht müde
wurde^dieAuthentie des Testaments Richelieus zu bestreiten.
Die Gerüchte von einer Ermordung Gustav Adolfs sind
grundlos* Was ist natürlicher, als daß ein König, der
sein Leben wie ein Soldat aufs Spiel setzt, wie ein Soldat
stirbt!*) An eine Verschwörung Wallensteins wird nun
einmal geglaubt; dabei weiß man durchaus nicht, worin
sie bestand. Sein eigentliches Verbrechen war, daß er
das Heer an seine Person kettete und sich zum unab-
hängigen Herrn dieses Heeres machen wollte. Zeit und
Gelegenheit hatten das Weitere gegeben.*) Er bestreitet
die Authentie des Briefes der Königin Christina in Sachen
der Ermordung Monaldeschis an Mazarin.^) Er schreibt
sich das Verdienst zu, zuerst, gegen die Meinung von ganz
Europa, auf Grund von Notizen Torcys festgestellt zu
1) Pyrrhomsme 31.
') Essai c. 174 und sonst.
=) Ibid* c, 178.
*) Annalesj Ferdinand H.
') Ibid. Pierre le Grand, Pr^faee VI!,
*) Fragments sur rinde 25.
37^
Paul Sakmann,
haben, daß Ludwig XIV. nicht das Testament Karls [l
diktiert habe.\) Auch daraus macht er sich ein Ver-
dienstj den Verleumdungenj die über den Herzog von
Orleans und seine Tochter umhefan, die man zu einer
wahren Messalina stempelte, den Boden entzogen zu
haben.^)
Interessant sind noch einige Negationen Voltaires
kulturhistorischer und völkerpsychologischer Art. Er leug-
net die Tatsache religiöser Prostitution. Oft verteidigt
er „die Damen von Babylon" ernst oder spaßhaft gegen
die „unglaublichen Fabeln Herodots vom Tempel der
Melitta**, Denen darf man keinen Glauben schenken, die
behaupten, es gäbe Tempel^ die der Ausschweifung ge-
weiht seien; denn es ist ganz unglaublich, daß die Un-
sittlichkeit sich in religiösen Zeremonien betätigt habe.
Keine religiöse Gesellschaft und kein religiöser Brauch
können je den Zweck gehabt haben, zum Laster zu er-
mutigen.^) Darum verteidigt er auch die Manichäer und
Priscillianer gegen die Verleumdungen, nach denen ob-
szöne Handlungen einen Teil ihres Kultus ausgemacht
haben. ^) Ferner hat er immer gegen Montesquieus Dar-
stellung die despotischen Staaten in Schutz genommen,
ja, er ist sogar geneigt, den Despotismus als Rechtstatsache
überhaupt zu leugnen. Man kann den für das Menschen-
geschlecht so demütigenden Gedanken, es gebe Länder^
wo Millionen unaufhörlich für einen einzigen arbeiten,
der alles verschlinge, nicht genug bekämpfen. Die Be-
hauptung, es gebe kein Privateigentum in den Staaten
des Großmoguls, widerstreitet zu sehr der menschlichen
Natur, als daß sie glaubhaft wäre und beruht wohl au!
einer Verwechslung von der Lehenseinrichtung, wie sie
in allen Erobererstaaten gefunden wird.*^) Derselbe grobe,
die Menschheit verleumdende Irrtum ist der türkischen
Regierung tausendmal zu Unrecht nachgesagt worden.
*) Memoire pour la nouvdle Edition de Louis XIV*
') Pyrrhonisme 17.
*) Dict. phil.: Babel, Essai c. 143; W*
*) Dict phtl: Zhle.
*) Essai c. 143.
I
.■.d.1
SfT
W
Aiicti bäer beruht dv MMm i iiilliiiiliiini auf einer Verwechs^
lung des Pitvate^mtui^ mü efMklien LehenJ) Dem
Islam sagt man mit Unrecht nach^ er danke setK Aus-
breitung nur dem Schwert; er sendet auch Missionare aus,
die durch das Wort wirken.^ Die über die orientalischen
Brättche immer schlecht unterrichteten Abendlinder haben
den Orientalen, den Persem z. B., angedichtet^ sie beten
ihre Könige an, das ist ein MlBverslindnis, das auf der
Zweideutigkeit des betreHenden Wortes beruht; das so-
woht göttlich Verehren bedeutet als einfach: Imiser la
main.^ Auch die Verbrettung der Menschenfresserei in
Amerika ist ihm nur ein AusnahmetalL*)
Das Bild, das diese Ausschnitte aus Voltaires histo-
rischer Kritik ergeben^ bedarf nun einer Ergänzung. Vol-
taires Spürsinn hat olt überraschend richtig die Stellen
gesehen, wo die Überlieferung der Prüfung nicht stand
hält. Aber eine solche glückliche Naturgabc trat keines-
wegs die Gewähr immer das Richtige zu treHcn, wenn
sie nicht unterstützt wird von der in langer Tradition 8irh
bildenden wissenschaftlichen Methode der Schule. Wie
schwer eine wahllose, mehr vom Instinkt ab von dt*r
Methode geleitete Kritik irren kann, zeigt sich nifKciuf^i
deutlicher als an der Tatsache, daß auch diest'i rnill-
trauische Geist hin und wieder in einer lant lUcherlicheii
Weise das Opfer des Glaubens an die Tradition wird*
Nicht einmal der mythologischen Rlc?mente wciU »ich
dieser Kritiker ganz zu erwehren. So ItiUt im (*h /, II,
dahingestellt, ob die alten Fabeln von den Sutyrn, 1 aunt^n^
Centauren, dem Minotaurus, nicht doch eine gewiüä
Grundlage in den verbreiteten Bestialitätsiünden haben,'^)
Die „arabische" Bacchussage, die »u merkwürdige Analo-
gien mit der Mosesgeschichte aufweist, hat ohne Zwellel
eine geschichtliche Grundlage. Die Reise deti ßacchUM nn* li
Indien ist so sicher wie überhaupt ein l^reignli der alten
*) Fragments sur linde V.
*) Essai c. 197,
*) Bible expllqude, Esther.
*) Charles XII, Pr^face 1748.
^) TraJt^ sur la tol^rance XIL
f^^ Paul Säkmann,
Geschichte sein kann; noch sicherer ist allerdings, daß
die Araber sie mit mehr Fabeln ausschmückten als
nachher 1001 Nacht. ^) Er scheint an die geschichtliche
Existenz von Herkules, Theseus, Orpheus zu glauben^;
ebenso werden Minos und Numa als geschichtliche Per-
sönlichkeiten angenommen,^ Romulus wird wohl über
3000 Banditen regiert haben.^) Atlas, ein mauretanischer
Fürst, wird wohl ein berühmter Astronom gewesen sein
und eine Armillarsphäre konstruiert haben. Die Alten, die
sich immer allegorisch ausdrückten, verglichen diesen
Fürsten mit dem Berg, der seinen Namen tragt, weil er
seinen Gipfel in die Wolken erhebt.*) Die einzigen un-
anfechtbaren schriftlichen Denkmale des Altertums sind:
die Sammlung astronomischer Beobachtungen von Baby-
lon, die Alexander nach Griechenland sandte, und die
bis in das Jahr 2234 zurückgehen und die alte Kultur
der Babylonier erweisen, das zweite die in China berech-
nete zentrale Sonnenfinsternis vom Jahr 2155 v. Chr., und
das dritte die Marmortafeln, die Lord Arundel aus Griechen-
land heimbrachte mit der athenischen Chronik vom Jahr
263 V, Chr» Hier ist die Einnahme Trojas datiert, ebenso
die Erfindung von Triptolemos und Ceres und die Ein-
weihung des Herkules in die eleusinischen Mysterien,
aber ohne alle Beifügung von legendarischen Zügen und
deshalb in glaubhafter Weise. Dazu kommen dann noch
die ägyptischen Königspaläste und die Pyramiden.^)
Zum Schluß eine Äußerung, die autVoltaires religions-
geschichtliche Anschauungen ein Licht wirft: Zoroaster
bei den Persern, Thaut bei den Agypternj Brama bei den
Indern, Orpheus bei den Griechen, sie alle riefen den
Menschen zu: Liebet Gott und den Nächsten,') Eine selt-
same Ironie des Scfiicksals hat es gewollt, daß dieser radi-
^) Dieti et les hommes XI; Fragments sur Unde.
■) Rdflexions pour les sots* Philosophe Ignorant 52.
*) Dieu et les hommes VL Discours de l'empereur Julien.
*) Dict. phil: D^nombrement
*) Ibid. Augustin.
') Ibid. Histoire J.
') Homdlie du pasteur Bourn,
4
ProbI em e d « h t s t. M et hod . u . d. G es ch i c h tsphilo so phi e V olt a l re s . 379
kale Aufklärer in seinen Studien über die orientalische, spe-
ziell die indische Religionsgeschichte das Opfer des litera-
rischen Betrugs eines katholischen Missionars geworden
ist. Der sog, Ezour-Veidam, auf dessen Kenntnis er sich
so viel zu gut tut, den er das kostbarste Manuskript des
ganzen Orients nennt *)j und den er so oft gegen die
christlichen Urkunden ausspielt^ ist eine christliche Fäl-
schung und Travestie der alten Veden mit der Tendenz,
die Hindus dem Christentum zu gewinnen.
^) Defense de mon oncle 13.
Literaturbericht
Walther Jucteich, Topographie von Athen. (J, v, Müller, Hand-
buch der klasöischen AUertumswlssenschaft. Bd. 3, Abt. 2,
Teil 2*) München, C. H. Becksche VeHagsbuchhdlg, 1905.
Fast ein Jahrhundert hat an der Forschung über die
Topographie Athens gearbeitet, ehe eine einigermaßeti ab-
schließende Gesamtbehandlung'^ in dem vorliegenden Buch
erreicht worden ist Der Begründer der wissenschaftlichen
Topographie Athens ist W* Martin Leake (I82t. 1841), der
vor K, 0. Müller (1820) den Vorzug der Autopsie voraus
hatte. Forchhammers Versuch {1841), den Mauerumfang und
die Lage des Marktes (auf dem Westabhang der Akropotis,
nicht, wie Judeich S* 24 sagt^ im Kerameikos) anders zu be-
stimmen ^ bezeichnete einen Rückschritt Das überaus sorg-
lältige Werk von Curt Wachsmuth {1874. 1890) blieb in dem
eigentlich topographischen Teüe früh stecken, wofür eine kurz
vor Wachsmuths Tod erschienene kurze Übersicht (IW3)
keinen ausreichenden Ersatz zu bieten vermag* Nach kürzeren
Darstellungen Milchhöfers (1885) und Lollings (1889, in der
ersten Auflage des Mülle rschen Handbuches) gab Ernst Curtius
seinen fünfzig Jahre hindurch betriebenen Studien einen Ab-
schluß in seiner ,^ Stadtgeschichte von Athen" (1891), für die
der Gesichtspunkt der geschichtlichen Entwicklung des Stadt-
bildes im Vordergrunde steht. Jetzt bietet uns J* die Frucht
zehnjähriger, ebenso mühsamer wie entsagungsvoller Arbeit
Sein Buch ist einmal ein überaus sorgfältiges Repertorium,
mit vollständiger und zuverlässiger Angabe aller antiken
Zeugnisse und aller modernen Forschung und Kontrovers-
literaturj olt aus den entlegensten Quellen geschöpft; es ist
aber viel mehr, indem es den ganzen verwickelten Stoff klar
und übersichtlich gruppiert und, so weit das mögUch ist, in
ansprechender Weise zur Darstellung bringt. Wer den Fragen
selbst Interesse entgegenbringt, wird überall dem Vf, gern und
ohne allzugroße Beschwer folgen ; daß alle topographische
Wanderung gelegentlich durch Gestrüpp führt, läßt sich eben
nicht vermeiden l
Auf eine einleitende Übersicht über die bisherigen Be-
handlungen und über die Hilfsmittel der topographischen
Forschung im weitesten Verstände folgt als erster Teil die
Stadtgeschichte (S. 40 — 106), in der nicht bloß die großen
Gnindzüge der allmählichen Entwicklung und Umbildung des
alten Athen von den Urzeiten bis auf die Gegenwart dar-
gelegt werden, sondern auch jedem Werke und jeder Notiz
nach Möglichkeit ihr geschichtlicher Platz angewiesen wird.
Ein zweiter Teil beschäftigt sich mit der Stadteinteilnng,
wobei natürlich die Doppehtadt^ Athen und ihr Hafenort
Peiräeus, gleichmäßig berücksichtigt werden* Hier kommen
die allgemeinen, das ganze Gebiet betreHenden Fragen, Aus-
dehnung und Befestignng der Stadt, zur Erörterung, ferner die
wichtige Frage nach der Verteilung der Namen auf das Stadt-
gebiet, nach Stadtvierteln, Straßen, Wasserbauten, Endlich
bringt der dritte Teil die auf Jede Einzelheit eingehende
Stadtbeschreibung, übersichtlich geordnet nach den Ab-
schnitten Burg, Burgabhänge, Unterstadt, Vorstädte und Hafen-
stadt, Ein genaues Register und drei gut gearbeitete Karten
(Athen, Akropolis, Peiraeus) vervollständigen da$ durchaus
erfreuliche Buch,
Ich könnte hier in einer nicht an Philologen, sondern an
weitere Kreise der Historiker sich wendenden Zeitschrift meine
Besprechung schließen, wenn es mir nicht am Herzen läge,
zwei auch den Historikern naheliegende Personen, Thukydides
und PerikleSp in bestimmten Punkten gegen J* in Schutz zu
nehmen. Bekanntlich hat in neuerer Zeit niemand energischer
gewisse Fragen athenischer Topographie durch Spaten und
Wort gefördert als Dörpfeld, Während Curtius dessen Er-
gebnisse durchweg ablefinte, nimmt J. sie größtenteils an,
wenn auch niemals, was ich bestimmt hervorheben möchte,
Historische ZeitsoliriH (^7, Bd.) 3. Polgft L Bd, 25
3S2 Literaturbencht
ohne eigene, bis ins Einzelne gehende Nachprüfung* Dennoch
hat er sich meines Erachtens gelegentlich durch DörpfeSd oder
Anhänger desselben irreiühren lassen. Dafür zwei Beispiele.
In einer vielbesprochenen Stelle spricht Thukydldes (2, 15)
die Ansicht aus, vor Theseus habe die Stadt Athen aus der
Burg und der „unterhalb der Burg zumeist gegen Süden
belegenen" Gegend {to I-ti arxit* Ti^og votqi' ftdXtaia Tiz^ufAftiinr)
bestanden. Dafür bringt er als Beweis (Ttxfiri^ior) die Tat-
sache, daß die Hauptheiügtümer teils auf der Burg selbst, teils
draußen ,,mehr nach jener Stadtgegend'' lägen: die
Heiligtümer des olympischen Zeus, des pythischen ApoUon,
der Ge und des ,j Dionysos im Brühl" {fy ^i^ratg). Iti der Tat
liegen die drei ersten Heiligtijmer nachweislich, wie auch
J, (S* 54 f*) annimmt, im Südosten der Burg; also, sollte man
denken, wird man auch den Brühl, die ^//i^'ai, in jener Stadt-
gegend »zumeist gegen Süden** zu suchen haben. Weit
gefehlt I Die Limnai sollen genau im Westen der Burg gelegen
haben; im thukydideischen Texte sollen „anscheinend* die
ersten drei Heiligtümer als Ganzes dem Dionysion in den
Sümpfen entgegengestellt werden (S. 55). Hier ist der Wunsch
der Vater des Anscheins, denn der thukydideische Text gibt
nicht die leiseste Andeutung : mit ji-j((M-xai-nm werden die vier
Heiligtümer aneinander gereiht. Aber, sagt J. (S. 54), »von
vornherein muß man annehmen, daß in dem „überwiegend
nach Süden zu gekehrten Teil" des Burgabhangs [das steht
nicht da: der Gegend unterhaJb der Burg] notwendig auch ein
Teil des Westabhangs mit einbegriffen war, denn von dorther
war der natürliche Zugang zur Burg, dort lag das einzige
große Torvorwerk der Burgstadt.* Demgemäß, sagt J, spater
(S, 263), ^wissen wir aus Thukydides berühmter Stelle^ daß
es [das Dionysion] nicht zu fern von der Burg zwischen
SO. und NW* gesucht werden muß"l Also die Richtung
»zumeist gegen Süden*^ reicht bis nach Nordwesten [ Hätte
Thukydides das sagen wollen, so würde er n^hc rovot-^ fiakittTa
xat n^og dvfTfidg gesagt haben; wenn er aber vier Heiligtümer
nennt zum Beweise, daß die Stadt sich „zumeist nach Süden*
erstreckt habe^ so müssen alle diese vier Heiligtümer, wie es
von dreien von ihnen feststeht, eben gegen Süden gelegen
haben, oder wir machen den klaren, logischen Thukydides
Alte Geschichte.
383
zum unklaren Stammlen Eben gegen diese Verunglimpfung
möchte ich ihn — nicht allein gegen J, — in Schutz nehmen.
Dabei wäre es ja an sich möglich^ vielleicht sogar wahrschein-
lich, daß auch ein Teil jener alten Stadt aul dem Westabhange
gelegen habe, nur erwähnt Thukydides das nicht, und es fällt
ganz aus seinem Beweise heraus.
Gegen Thukydides klares und meines Erachtens nur einer
einzigen Deutung fähiges Zeugnis über das Dionysosheiligtum
im Brühl verschlägt es auch nichts ^ daß sich im Westen der
ßurg, unterhalb des Areopags, in der Tat ein kleines Dionyston
mit Keltern gefunden hat Diese Keltern (Xr^ifof) sollen den
Platz als ^ir^yatoy sicherstellen, mit dem Lenaion aber war der
Dionysos in den Limnat mit seinem Lenlenfeste verbunden;
manche einzelne Umstände werden weiter dafür geltend ge-
macht (S« 261 ff.) Selbst wenn das alles sich so verhielte , so
müßte die Kombination an der Thukydidesstelle scheitern^ zu
<!eren Mißdeutung eben jener Fund den Anlaß gegeben hat.
Man kann aber das Fest der ^fyaia und den aytot' int ^^i^yaiw
unmöglich trennen von dem ionischen Monat Aiji^am\*; der
aber war kein ^Keltermonaf, sondern ein harter Wintermonat,
, lauter böse, rindschindende Tage"* wie Hesiodos klagt. Da
paßt keine Ableitung von Ij^i^og, so oft auch diese Etymologie
eines späten Scholiasten {z\x Aristoph, Ach, 201) wiederholt
wird, sondern schon 1869 hat Ribbeck auf ^»'ai ^Bakchantinnen*"
und hj]mi^Hv „schwärmen^ hingewiesen, ionische Bezeichnun-
gen, die zu demionischen Dionysos ^y* ^i^t^atg passen (daß
er von lonien gekommen sei, hat Wilamowitz nachgewiesen).
Die Winterkulte des Dionysos hatten meistens orgiastischen
Charakter, so also auch das „Schwärmfest"^ der Lenäen; das
Lenaion hatte seinen Namen von dem schwärmenden Dionysos
Lenaios selbst oder von den , Schwärmerinnen* in seinem
Gefolge. Jener kelterreiche Bezirk am Areopag hängt freilich
dennoch mit Dionysoskultus zusammen, nur liegt er nicht
in den Limnai und ist daher auch nicht das Lenaion.
Wenn ich über diesen Teil der Thukydidesstelle J* ent-
schieden widersprechen muß, so möchte ich anderseits seiner
völligen Trennung des besprochenen Beweises von dem un-
mittelbar folgenden Beweise, der aus der Nähe der Kallirroe-
Enneakrunos bei^ der Burg entnommen ist, ausdrucklich zu-
25*
3M
L I ter aturben ch t.
stimmen* Hiermit stimmt Dörpfelds Nachweis des großen
Stadtbrunnens 300 m westlich von der Burg überein; zugleich
ist damit die örtliche Reihenfolge der Stadtbeschreibung» deren
Nachweis Dörpfeld zu seinen Untersuchungen veranlagt hat,
sichergestellt Die Liinnaitrage ist davon ganz unabhängig;
Pausanias erwähnt weder die Limnai noch das Lenaion.
Mein zweites Bedenken gegen J,s Darstellung betrifft die
verschiedenen Athenatempel der Burg, deren es bekanndicb
drei gibt: das ^Erechtheion", den Parthenon, und zwischen
ihnen das Hekatompedon. J^ kommt zu folgenden Ergeb-
nissen, Als ältester Athenatempel gilt ihm wie anderen
der von Dörpfeld so glücklich wieder entdeckte Tempel,
dessen Grundmauern seit 1S85 auf künstlich aufgemauerter
Fläche südlich über dem i,Erechtheion" zutage liegen. Der
Tempel enthält bekanntlich ein älteres, 100 Fuß langes Tem-
pelhaus, ein Hekatompedon, mit völlig geschiedener östlicher
Cella und westlicher Gruppe dreier Zimmer; ringsherum eine
später hinzugefügte dorische Ringhalle. Daß die östliche
Hälfte Athena zu eigen gewesen sei, bezweifeh niemand ; den
größten der Westräume weist J* (S, 242) mit Furtwängler dem
Erechtheus zu — ganz konsequent, da er in dem ganzen Bau
den in der Uias 2, 549 erwähnten Tempel erblickt, in dem dort
Athena dem Erechtheus einen festen Platz angewiesen hatte.
Hephästos und Butes, Erechtheus spätere Kultgenossen,
müssen wohl oder übel mit den „allerdings nur schwach be-
leuchteten", d. h» stockfinsteren Nebenkammern dieses West*
raumes vorlieb nehmen. Die Vervollständigiing des fieka-
tompedon zu einem Peripteros wird, wie allgemein, dem Ende
der Peisistratidenherrschaft zugeschrieben. Dann folgt, gemäß
Dörpfelds überzeugendem Nachweis, in republikanischer Zeit
in doppeltem Anlauf Fundament und Beginn eines neuen
großen Tempels an der Stelle des späteren Parthenon; der
persische Brand von 479 zerstört die marmornen Anfänge^
ebenso wie er das Hekatompedon seiner Ringhalle beraubt
und auf das ursprüngliche Tempelhaus beschränkt» Als
nun 454, oder nach dem von Keil herausgegebenen, überall
zuverlässigen Straßburger Papyrus 450, der Bundesschatz von
Delos auf die Burg verbracht wurde, bedurfte es eines Schatz^
hauses, des oft genannten Opisthodomos, den J, in einem
I
I
I
I
Alte Geschichte.
3S5
selbständigen, westhch unterhalb des Parthenon gelegenen
Bau von reichlich 600 qm Flächeninhalt (meistens, aber falsch,
Chalkothek genannt) wiedererkennen möchte* Dies wäre ganz
annehmbar, wenn nur jemals — außer in ganz späten ^ jeder
Anschauung enfb ehrenden Scholien — das , Hinterhaus** etwas
anderes als den hinteren Teil eines Gebäudes bezeichnete
(z. Bi die Hinterhalle des olympischen Zeustempels), so gut
wie Pronaos den Vorderteil des Tempels, aber keinen selbst-
ständigen Bau vor dem Tempel bedeutet. Nach Mikhhofer
und J* soll aber das ^Hinterhaus* ein Haus sein hinter — ja
hinter wem denn eigentlich? Der Tempel, hinter dem J*s
Opisthodom liegt, war ein seit einem Menschenalter im Stich
gelassenes Fundament, das erst einige Jahre später für den
Parthenon benutzt ward. Zunächst wäre also dieses Opis-
thodom ein „Hinterhaus" ohne Vorderhaus gewesen, ein Opis-
thodomos en Tair.
447 beginnt nun der Bau des Parthenon, der 438 unter
Dach, also im großen und ganzen fertig ist. J. ist, meines Er-
achtens mit vollem Recht, der Ansicht, daß er als Ersatz des
alten Hekatompedon gedacht gewesen sei (S. 233, 240). Die
Anlage ist in der Tat die gleiche, nur vergrößert, und die
Westhällte hat statt der drei Kammern nur einen großen drei-
schiff igen Raum. Da nun aber J. das Hekatompedon an
Athena und Erechtheus verteilt hat, so muß er folgerichtig
dies auch auf den Parthenon übertragen und hält den west-
lichen Saal für ursprünglich dem Kult des Poseidon- Erechtheus
bestimmt (S. 223); allein „aus nicht sicher erkennbaren Gründen,
vielleicht weil er zu weit ablag von den heiligen Malen
[Athenas Ölbaum und Poseidons Salzquell, den Denkzeichen
des Götterstreites], ist der Kult nicht dahin überführt worden",
sondern der Westsaal „blieb immer zur Verfügung" und ward
nur für Allotria gebraucht. Man mache sich klar, was das
heißen willl Die Athener, an ihrer Spitze Perikles als Vorstand
der Baukommission, errichten mit ungeheueren Kosten und
mit unerhörter Pracht einen großen Marmortempel, dessen eine
Hälfte (ein Raum von über 250 qm Fläche und etwa 3400 cbm
Inhalt nebst großer Vorhalle), als der Bau nach neun Jahren
endlich fertig ist, sich als völlig unnütz erweist, als ein Pracht-
raum, der seinen Zweck völlig verfehlt hat! Wußte man
r
386 Literaturbericht
denn nicht vorher, daß die Salzquelle 70 m entfernt mar?
Oder hatte man sich das nur nicht recht überlegt? Da haben
wir uns allerdings Perikks ganz falsch als einen ernsten
Mann, der seine Pläne sorgfältig vorher erwog, vorgestellt^
und der ältere Thukydides hatte ganz recht, gegen die , Tempel
für tausend Talente '' zu eilern, wenn man Staatsgelder so
zwecklos vergeudete! Dann^ blieb freilich auch nichts übrig,
als auf einen neuen Ersatz für den allzu altmodischen, seiner
Säulen beraubten Kasten des Hekatompedon zu denken und
einen zweiten, kleineren, aber in seiner Art nicht minder
kostbaren, Tempel zu bauen, das sog* pErechtheion*; denn
auch dieses sieht J, (S. 240. 243) als bestimmt das Hekatom-
pedon zu ersetzen an. Nun, hatten sich die Athener beim
Bau des Parthenon als blind erwiesen, diesmal fanden sie
eine Perle; denn dieser Neubau kam nun endlich an die Stelle,
wo der Doppelkult der Athena und des Erechtheus von
Anfang an seinen richtigen Platz hatte, an die Stelle jener
Wunderzeichen, die schon Herodot 8,55 — wenn man nur
nicht ohne Not am Texte schlimmbessern will (J< S* 239
Anm,) — als im Tempel des Erechtheus belindlich kennt.
Vielleicht verfuhren die Athener diesmal nur deshalb be-
sonnener, weil ein so leichtsinniger Mensch wie Perikles nicht
mehr am Leben war.
So ungern ich das einem so ernsten und verdienten
Forscher wie J, gegenüber ausspreche, mir scheint seine Be-
handlung der Burgtempel einen argen Rückschritt zu be-
zeichnen. Die hervorgehobenen Seltsamkeiten haben aber
das Gute, die Ungangbarkeit des noch immer vielfach — - nicht
blo0 von J. — betretenen Weges zu zeigen. Der erste Haupt*
Irrtum, der andere nach sich gezogen hat, ist die von Furt-
wängler entlehnte Ansicht, daß ^ein Raum im Tempel, der
allein als Schatzkammer diente, für so alte Zeit nicht bekannt
sei" (S. 242), daher die Westzimmer des Hekatompedon Kult-
gemächer sein müßten. Seit Furtwängler dies behauptete (1893),
haben wir gelernt, daß der etwa gleich alte Tempel in Korinth,
der die gleiche Einteilung in eine geschiedene Ost- und West-
hälfte aufweist, einer einzigen Gottheit, ApoUon, angehörte;
also war seine Westhälfte kein Kultgemach, sondern ohne
Zweifel eine Schatzkammer. Ganz das Gleiche gilt von dem
^
Alte Geschiebte,
aer
neuerdings genauer untersuchten Heräon in Platää; auch hier
geschiedenes Ost- und Westgemach, und doch eine einzige
Tempelinhaberin- Für die selinuntischen Tempel wird uns
die Verwi^endung als Schatzkammern ausdrücklich bezeugt
(Thukydides 6,20); nur lagen hier die Schatzräume östlich
vor dem Kultraume, weil der ältere Tempelbau der West-
griechen überhaupt keinen Eingang von Westen kennt, sondern
der Tempel dort nur durch die eine Osttür zugänglich ist
(Springer-Michaelis, Handb. d* Kunstgesch* 1', 127), Natürlich
fällt mit der Erechtheuscella im Hekatompedon (dessen dunkle
Kammern sich in der Tat viel besser für Schatzräume eignen)
auch die angebliche Erechtheuscella im Parthenon; auch hier
kehren wir zu der alten Annahme eines großen Schatzraumes
mit Vorhalle im Westen zurück- Diese westliche Vorhalle
heißt nach allgemeinem Sprachgebrauch Opisthodomos, und
ich glaube in der Tat im Archäologischen Jahrbuch 1902 S, 24 !L
nachgewiesen zu haben (mit Furtwanglers Zustimmung), daß
dies der gesuchte Opisthodomos ist, dessen erste Erwähnung
eben mit der Vollendung des Parthenon und der Instand-
setzung seiner Räume gleichzeitig ist und damit in enger
Verbindung steht. Im Volksmunde umfaßte das „Hinterhaus"
auch die dahinter liegende große Schatzkammer, während diese
in offizieller Sprache jinod-tfitU' „Jungfrauengemach* hieß, nach
Analogie der hinten belegenen Frauenabteilung {yvyatKüfrhi^)
des Wohnhauses; im Hause der jungfräulichen Göttin wird
das Frauengemach selbstverständlich zum Jungfrauengemach.
Vor der Vollendung des Parthenon bedurften die Athener
keines besonderen Schatzhauses, da sie sich mit den West-
räumen des Hekatompedon behelfen konnten. Ja, die Inangriff-
nahme des Parthenon wenige Jahre nach der Überführung des
Bundesschatzes nach Athen erklärt sich zu gutem Teil aus
dem Bedürfnis einer größeren und festeren Schatzkammer;
der ^Opisthodom*" als Schatzhaus war also von vornherein ein
Hauptzweck beim Bau des Tempels.
Der Irrtum hinsichthch der Westräume des Hekatompedon
hat aber noch einen anderen, viel bedeutenderen zur Folge*
Waren jene Räume Schatzkammern, so bleibt im Hekatompedon
kein Platz für Erechtheus* Nun beweist aber die lliasstelle,
daß dieser Athenas Tempelgenosse war, und Herodot bezeugt
3SS Literaturbericht
uns einen Erechtheustempelt der die alten Wundermale umschloß.
Also spricht die llias von einem anderen, ohne Zweifel älteren
Tempel, der beiden Gottheiten gemeinsam war und (nach
Herodot) nördlich vom Hekatompedon lag, da wo das Drei-
zackmal und die Zisterne für die Salzquelle noch heute sicht-
bar zutage liegen und die Stelle des Ölbaumes sich mit ge-
nügender Sicherheit bestimmen läßt. Das soll freilich unmöglich
sein, aus zwei Gründen: erstens weil an jener Stelle keine
Spuren eines älteren Tempels zum Vorschein gekommen seien
(S. 245), sodann weil der Ölbaum niemals in einem Tempel
gestanden haben könne (S. 239 Anm.). Ersteres beweist nicht
vielj denn der an jener Stelle nicht sehr tiefe Baugrund ist
für den Neubau des „Erechthelon" und der späteren Kirche
grundlich umgewühlt j überdies noch nie in seinem ganzen
Umfange bis au! den Felsen untersucht worden; auch wird
der alte Tempel ein sehr einlacher Bau, vielleicht wesentlich
aus Luftziegeln auf steinerner Basis errichtet, gewesen sein,
so daß er wenig Spuren hinterließ* Noch viel weniger zieht
der zweite Grund, Das ist freilich klar, daß der Ölbaum nicht
in einem geschlossenen überdachten Räume des Tempels ge-
standen haben kann. Aber im milesischen Didymäon la^ der
Hauptraum unter freiem Himmel und umschloß den Lorbeer-
baum» unter dem Zeus der Leto beigewohnt hatte (R; Herzog
in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie 1905, S, 979 ff,};
im ApoUontempel von Bassa war der größte Raum, wie wohl
heule allgemein zugestanden wird, ein ungedeckter Hof; im
Kabirion bei Theben schloß sich unmittelbar an den Tempel
der kleine ummauerte Hol an, der die heilige Opfergrube
enthielt, während diese sich in den samothrakischen Mysterien-
iempeln im Tempel selbst befand. Warum soll also nicht
etwas Ahnliches von dem alten Erechtheustempel gelten, von
dem Herodot ganz deutlich bezeugt, daß in ihm Ölbaum und
Salzmeer sich befunden hätten? Mit diesem Erechtheustempel
war dann, wie im späteren ^Erechtheion", der Athenatempel
nach dem Zeugnis der lliasstelle eng verbunden; beide bildeten
einen Doppeltempeh Wenn Herodot den Erechtheustempel
scheinbar als besonderen Tempel nennt, so ist das genau
dasselbe, wie wenn wir den späteren Neubau nach seiner einen
Hälfte als »Erechtheion** zu bezeichnen pflegen.
L
Alte Geschichte
Bei dieser Annahme (wenn man sie nicht als Beweis
gelten lassen will) wird alles klar und gewinnt Zusammenhang.
Natürlich ist dieser Athena-Erechtheustenipei an der Stelle
der Wundermale der ,Urtempel* (d^/juog nd^) der In-
schriften, nicht aber das Hekatompedon, dem doch J. diesen
Namen beilegt, obschon er zugibt^ daß er ,mit Sicherheit" auf
Grund der Inschrift als Hekatompedon bezeichnet werden könne
(S. 238); kennen wir denn noch einen anderen Tempel mit
zwei offiziellen Namen? So können wir uns auch den üblen
Ausweg ersparen, den Namen un/aTog yttig vom Hekatompedon
auf das „Erechtheion* überspringen zu lassen (S, 243), obwohl
dieses f wie wir sehen werden, nicht zum Ersatz für jenes
bestimmt war. Südlich oberhalb des „Urtempels" entstand
später das Hekatompedon, wie so oft (z. B. in Rhamnus,
in Athen selbst bei den beiden Dionysostempeln) derselben
Göttin gewidmet und wohl w^esentlich um der Schatzräume
willen gebaut, die der reicher anfblühende Kult der Stadtgöttin
verlangte, j, möchte begreiflicherweise das Hekatompedon,
seinen ^ alten Tempeh, möglichst alt machen, womöglich in
das 7- Jahrhundert zurückverlegen (S, 238, 2), Aber hier tritt
die Archäologie in den Weg; kein Archäologe wird die noch
zu großem Teil erhaltenen Giebelgruppen so hoch hinauf
datieren; J,s wahrhaft halsbrecherischer Ausweg aber, die
Giebelgruppen möchten ein späterer Zusatz sein, erledigt sich
schon dadurch 1 daß es sich nicht um freigearbeitete Statuen^
sondern um Hautreliefs handelt, die mit der hinteren Giebel-
wand zusammenhängen. Als natijrlichster Anlaß zum Bau des
^w^eiten ergänzenden Tempels dürfte die Einsetzung der großen
Panathenäen durch Peisistratos, 566, gelten können. Die
stattlichere Ausstattung des Hekatompedon als Peripteros mit
neuer Giebelgruppe wird dann von Hippias herrühren, der ja
auch die Einkünfte der Athenapriesterin erhöhte. Die Tyrannen
hatten Grund sich mit der Stadtgöttin gut zu stellen.
In scharfem Gegen satze gegen die Tyrannen scheint dann
in kleisthenischer Zeit der Gedanke gefaßt und angegriffen
worden zu sein, an der höchsten Stelle der Burg einen neuen
Tempel, den sog* Vorparthenon, zu bauen, der den
Tyrannentempel zu ersetzen bestimmt war* Die Unterbauten
auf dem gegen Süden abschüssigen Boden waren gewaltig;
390 LUeratürbcricht
sie gingen bis zu 10 m tiet um den Felsen ^u erreichen. Aber
trotz zweimaligen Angreifens (vieJleicht durch die Schlacht bei
Marathon getrennt) gelangte der Bau nicht Über die ersten
Trommeln der Marmorsäulen hinaus; die Perser^erstÖrung von
479 setzte die Baugerüste in Brand; die verkalkten Marmor-
trommeln, die in die nördliche Burgmauer eingelassen wurden»
weisen noch heute die Spuren des Brandes auf. Dreißig
Jahre lag das Tempelfundament als Ruine da, bis Perikles 447
den kleisthenischen Plan wieder aufnahm und das Fundament
in etwas veränderter Gestalt für seinen Parthenon benutzte-
Dieser, mit seiner 100 Fuß langen Athenacella, die den alten
Namen iKuto^mHhig rtuiq weiterführte, und mit seinein Schatz-
bause („Parthenon* und Opisthodom) im Westen bot endUch
den des perikleischen Athen würdigen Ersatz für das be-
schädigte Hekatonipedon, Als im Jahre 435 die Schatzver-
hältntsse neugeordnet und die Art der Verwaltung der Schätze
im Opisthodom festgesetzt worden war, hätte das Hekatompedon,
das infolge des Perserbrandes seine Ringhalle verloren hatte
und als Wrack dastand, als überflüssig und die Burg ent-
stellend abgerissen werden können. Wenn es doch noch
nicht geschah, so mag der drohende Krieg das verantad^t
haben. Statt dessen ward der ^Urtempel*" einem Neubau
unterw^orfen, der dieses ehrwürdigste Heiligtum der Burggöttin
seinem prunkvolleren Genossen, dem Parthenon, würdig zur
Seite stellen sollte. Es ist der nach offiziellem Sprachgeb rauch
so genannte Tempel der Athens Polias, auch wohl
unter Beibehaltung der älteren Bezeichnung der „alte Tempel
der Athena* genannt, den wir uns gewöhnt haben nach seiner
Westhälfte als Er echt he ton zu bezeichnen; antik gebührt
diese Bezeichnung nur der westhchen Erechtheusabteilung*
Den Beginn dieses Baues, wie neuerdings Dörpfeld vorge-
schlagen hat (vgl* S. 74, 75), in die perikleiscbe Zeit zu ver-
legen sehe ich keinen Anlaß; Dörpfelds Gedanken, urspriing-
lieh sei der Tempel größer entworfen, dann verkürzt worden,
hahe ich mit J, (S. 246 Anm.) aus mehreren Gründen für ver-
fehlt. Ich erachte auch jetzt noch die Pause des Nikiasfriedens
(421 — 418) für die Zeit, in der der Neubau am wahrschein-
lichsten begonnen ward. Dann geriet er ins Stocken, nach
den vielen halbfertigen Blöcken, die auf dem Bauplatze liegen
k
Alte Geschichte*
391
tebeOf zu schließen, ganz plötzlich, also wohl infolge des
ynglücklichen sizilischen Zuges. 409, nach Alkibiadcs Er-
folgen am Hellespont, wird er wieder aufgenommen und in
eifriger dreijäfiriger Tätigkeit ganz oder fast ganz (S. 244 f*)
zu Ende geführt Der populärste Schmuck des so erneuten
„alten Tempels*, die dem Burgwege zugewandte Korenhalle,
stieß damals noch fast mit der Nase an die N ardwand des
alten Hekatompedon. Da kam 406 ein Brand den Athenern
zu Hilfe, indem er den „altersgrauen*' (naXatog) Tempel —
also nicht das funkelnagelneue, vielleicht noch nicht einmal
fertige ^Erechtheion* — zerstörte; hierin stimmt J, (S. 24(J)
mir gegen Dörpfeld und andere bei. So lebte der neuher*
gestellte ^alte Tempel* (so auch weiterhin in Inschriften und
bei Strabon genannt) neben dem Parthenon fort, wenn auch
sein altes Schnitzbild der wehrhaft ausschreitenden Göttin
aus OltvenhoLz hinter dem goldelfenbeinernen Koloß det
Phidias allmählich mehr und mehr zurücktrat.
Ich glaube den Lesern ruhig das Urteil überlassen zu
dürfen, weiches Bild der Tempelgeschichte mehr inneren Zu-
sammenhang darbietet, J*s oder meines. Zugleich würde Peri-
kles Andenken von einem häßlichen Flecken gereinigt sein*
Straßburg. Aä, MkhaiiU.
Die weltgeschichtliche ßedeutitng Arabienft. Mohainmed* Von
HuHert GrimiDe» ! Karte, 60 Abbildungen, MtlncheHf Kirch-
heim, 1901 91 S. (Wettges^hichte hx Karikterbfldent.
IL Mittelalter.)
In der Biographie des Pri^pbetett, die Sbrigeiti nur tto
Drittel des Buches esmumiDl, wiederholt Crrnnne einige iejgicir
Liebltngslktteii, die m tctea m seane» grdfiereti Werte {l§4f
bis 1895) nt^geapnicbeii htm. So £e AirffaMnog» diA Mo-
hammed bei sesocn ersteo AtArcten ioziak, nicbt r«ligf0M
Refonnen im Aflge getabi Mbe (48 b). feni^r dk m^ ' ^ '
AusscUtong der jidbchfii ood cbristliete* Cmllu«
Ur-IstäjD (^a). W» bislier (imd niete kkkihMi) «d diMMf
Wege erUin vunk, sseit & mm itfdirifciicfcffii ftlOmm m
deuten (3. 4§h, 4f ajL Die Aft, wm m Mtm üdiriWi M
ReUgfonsfonn (er tfiridri gtmdfzm wom thm^mimmmp V*>*t
kotistmiert, ist von Ukmtff fß
392 Literaturbericht
nicht freizusprechen f und er wird mit diesen Aufstellungen
vor dem Forum der Fachgenossen schweren Stand haben.
Das giJt noch mehr von anderen Ansichten, die hier erst in
zweiter Linie stehen, z. B. von der ostafrikanischen Urheimat
der Semiten {6 b), von den Gleichungen ass, Meluchcha ^ hebn
AmaJek^ ass. Magan — arab. Ma^än (IIa, 12a), und von der
Entstehung der ^klassisch-arabischen* Sprache (23 a), Sehen
wir von diesen Bedenken ab, so ist gar nicht zu bezweifeln
und auch zu hoffeHf daß der gewandte Stil, die VoUständig-
keit des Materials (von Hammu rabi und der sabäischen Ur-
zeit bis auf den Stein von en-Nemära), die reiche (meines
Erachtens überreiche) Ausstattung des Bandes mit trefflichen
Abbildungen und die Neuheit des Stoffes dem Werke einen
zahlreichen, ja begeisterten Leserkreis zuführen werden«
Jena* K. Völlers.
I
Annali detV Islam compilati da Leone Cselaal Principe dl
Teano. VoL l hUroduzione, DaW anno l al 6 //. Atilano,
HoeplL 1905, 4^ XVI, 740 S, H
Was der Landsmann des VL, G. B. Rampoldi, bei der ^
Morgendämmerung der orientalischen Forschung vor 80 Jahren
versuchte, das unternimmt hier der Vf. mit den reichen, histo-
rischen und literarischen Mitteln unserer Zeit. Nur daß Ram-
poldi schon mit der Eroberung Stambuls im Jahre 1453 ab-
schloß, während Caetani wie G. Weit 1517 als das Datum der
Beseitigung der Mamluken-Sultane in Ägypten durch die Os- ^
manen vorzieht. Als der Verleger im Oktober 1904 den Pro- H
spekt des Werks in die Welt der Orientalisten uud Historiker
schickte, mag mancher von Bedenken betallen sein, ob die
Verwirklichung eines so umfassenden und hochstrebenden
Programms aus ftalien kommen soll [ch freue mich, sagen
zu können, daß alle Bedenken dieser Art unbegründet sind,
und daß wir ein Werk vor uns haben , das, soweit der erste
Band ein Urteil ermöglicht, auch den' höchsten Anforderungen
entspricht und eine wahre Bereicherung der orientalischen und
historischen Disziplinen darstellt. Mag der VL, wie in dem
Kapitel über die Bedeutung und Entwicklung der Isnade über-
wiegend fremde Ergebnisse darstellen oder, wie in dem Ab-
schnitt A H 2 § 3 (Origine della Moschea s genesi del rUü
i
Istam.
aa
musuimano) eigene Gedanken entwickeln, überall erblicken wir
den reifen, gewiegten Historiker- Wo ich immer geprüft habe,
finde ich Beherrschimg der Quellen, gewissenhafte Wieder-
gabe, gesunde Kritik nicht nur morgenländischer» sondern
auch abendländischer Ansichten. 2u erwähnen ist auch, daB
der Vf. Vorderasien aus eigener Anschauung kennt (S. 437).
Für sehr wichtig halte ich es, daß er in religionsgeschlcht-
ftchen Fragen unbefangen ist, sowohl in Sachen des tslams^
aJs auch auf dem Gebiete des Urchristentums^ ja sogar wo es
sich um Auswüchse des religiösen Lebens seiner Heimat
handelt (S. 48. 436. 442. 443. 449). Man kann nicht verkennen,
daß Schärfe und Selbständigkeit des Urteils abnehmen, so
oft es sich um mehr philologische Fragen handelt. Ich denke
dabei an die Nachsicht gegen R. Dozys Gleichungen Hubal
= Baal und Mekka = große Schlachtstätte (S, XV f.), an
Fleischers Erklärung von nämüs (S. 222) und an andere ähnliche
Fälle, Weder können solche Ansichten dem historischen Teil
des Werkes schaden, noch können sie dem Vf, zum Vorwurf
gereichen , denn Festigkeit und Selbständigkeit in der arabi-
schen Philologie bedeutet eine Lebensarbeit. Der vorliegende
Band behandelt in der Introduzione die Quellent die Methodik
der Isnade, den ältesten Hadith, das genealogische System der
Araber, die Kindheitslegende des Propheten und die mekka-
nische Periode seines Lebens, ferner in Annalenform die ersten
sechs Jahre in Medina. Die Quellen sind vollständig bis ab*
wärts auf Dijarbekri und al Haiabi. Für „Higra* wäre statt
,Fuga" nach dem Vorgange Snoucks besser „Emigrazione**
konsequent durchgeführt, ich verweise noch auf Jacut 4, 953, 1»
auf den türkischen Sprachgebrauch und den der Hagar-Oe-
schichte zugrunde liegenden Gedanken. Die Ansetzung der
Nomaden mit Vio der Bevölkerung (S. 443. 455) ist zu hoch,
die Schätzung der jetzigen Bekenner des Islams auf 200 Mil-
lionen (S. 12) zu niedrig. Über den positiven Gehalt und die
negative Kritik der Genealogien ließe sich noch vieles sagen.
Eine treffliche Bemerkung hierüber in C. Conti Rossini,
al Ragali (1904) S, 54, wo es sich um illiterate Saho- und
Afarstämme handelt Aus einem dem Titel vorgedrucklen
Avvertimento erfahren wir, daß der vorliegende Band nur als
Versuch gedacht und nur in 250 Exemplaren gedruckt ist.
394 Llteraturbencht
Von der Kritik dieses Versuches soll es abhängen, ob das
Unternehmen durchgeführt wird. Meines Erachtens wäre es
ein Verlust» wenn das Werk aus Mangel an Beteiligung im
ersten Anlauf stecken bliebe* Über die vom Vi* gewählte
Darstellungsform sei bemerkt, daß es ganz verkehrt wäre, sein
Werk als eine trockene , mechanische Wiedergabe der arabi-
schen Annaiistik zu betrachten. Obwohl der Vf. eine syste-
matische, künstlerische Verarbeitung des Stoffes ausdrücklich
ablehnt (5. 10. 13)^ ist doch seine lichivolte, überall m'ohldyrch-
dachte Darstellung von der pragmatischen Berichterstattung
G, Wells gar nicht so weit entfernt, wie man denken sollte*
Meine Bedenken hingegen liegen teils in der Ausstattung des
Werks und dem dadurch bedingten Preise, teils in der an
einigen Punkten hervortretenden Weitläufigkeit des Textes.
Ich erinnere an den Raum, den die Genealogie, den die Kämpler
von Bedr (S. 497 bis 518) und Uhud einnehmen. Der Band l
könnte uns recht wohlj, wie der Vf- ursprüngUch plante , bis
zum Tode des Propheten führen. Es sei noch hervorgehoben,
daß den neun Textbänden drei Teile folgen sollen, die nicht
nur ausführliche historische und geographische Indizes, son-
dern auch eine Kritik der orientalischen Geschichtschreibung
(S. 13. 36) enthalten werden. Das treffliche Werk trägt als
Motto einige Worte des Famulus Wagner aus dem Faust
Jena. K* Vaiiers,
Historische Geographie Deutschlands im Mittelalter^ Von Dr*
Bodo KnUlU Breslau, Ferdinand Hirt, 1903, VHl u. 240 S.
Historische Geographie von Mitteleuropa^ Von Prof. Dr* Konrftd
Kretschmer, Privaldozent an der Universität Berlin und
Lehrer der Geographie an der Kgl, Kriegsakademie (Hand-
buch d. mittelalterl. u« neueren Geschichte, herausgegeben
von G. V. Below u. F. Meinecke, Abteilung IV i Hitfgwifisen-
schaften u. Altertümer). München und Berlin, R. Olden-
bourg. 1904. VIII u, 65 J S.
Der historischen Geographie — sofern sie sich nicht mit
dem Altertum befaßt — ist es in den letzten Jahrzehnten ge-
gangen wie manchen anderen Wissenschaftszweigen, die in der
Mitte liegen zwischen zwei der im Lehrbetrieb üblichen Dis-
ziplinen: sie ist von beiden Seiten vernachlässigt worden*
Die Interessen der Historiker hatten sich überwiegend anderen
Mittelalter.
395
Zielen zugewendet, und bei den Geographen trat die histo-
rische Richtung durchaus hinter der naturwissenschahiichen
2urück. Erst in letzter Zeit hat sich hier wieder ein allmäh-
licherWandel angekündigt. Verschiedene territoriale Geschichts-
vereine haben für ihr beschränktes Gebiet die Lösung auch
historisch-geographischer Aufgaben in ihr Arbeitsprogramm
aufgenommen ; gewiß ist es auch der richtige Weg^ bei dieser
so lange nicht gepflegten Wissenschaft mit einem Aufbau im
kleinen anzufangen. Daß daneben aber jederzeit, auch jetzt
schon, zusammenfassende Arbeiten ihre Berechtigung haben^
braucht nicht erst begründet zu werden. Solcher Art sind
die beiden hier anzuzeigenden Werke. Von den Verfassern
ist Knüll von Haus aus Historiker, Kretschmer Geograph, und
es 'ist wohl kein Zufall, daß jeder von beiden in dem Be-
streben, von seiner eigentlichen Domäne aus möglichst weit
in die Grenzwissenschaft einzudringen, schließlich dazu ge-
langt, überwiegend zu unterrichten über Dinge, die seinen
Fachgenossen im engeren Sinne ferner liegen mußten. So
bringt Kn.s Arbeit gerade auf geographischem Gebiet eine
Fülle des Belehrenden» während Kr.s Buch in breiter Masse
historische Details anführt* Vorweg darf ich bemerken, daß
beide Werke gleichzeitig und ganz unabhängig voneinander
entstanden sind ; jedenfalls wird Kn.s Arbeit In dem zehn
Monate später abgeschlossenen Buche von Kn, soviel ich
sehe, nur noch unter den Nachträgen angeführt
Kn* hat, wie ein Vergleich der beiden Titel zeigt, seiner
Arbeit zeitlich engere Grenzen gezogen aJs Kr, Bei weiter
Fassung des Begriffs Deutschland, aber unter grundsätzlicher
Fortlassung der poUtischen Erdkunde, stellt er sich das Ziel,
in knapper Zusammenfassung die Hauptresultate historisch-
geographischer Forschung zu bringen. Über den reichen
Inhalt orientieren am besten die zehn Kapitelüberschriften:
1, Die natürlichen Veränderungen; 2. Der Wechsel der Be-
wohner; 3, Die Besiedelung; 4. und 5. Veränderungen in
Pflanzen- und Tierwelt auf dem unbesiedelten bzw, dem be-
Esiedehen Boden; 6» Die Erschließung der Bodenschätze;
7. Die Siedelungsarten; 8, Die Straöen; 9, Die Bauformen;
10, Übersicht nach Perioden, ein kurz zusammenfassender
chronologischer Rückblick über die Resultate der Arbeit. Es
396 Literaturbericht
Ist klar, daß bei einer Behandlung dieses überreichen Stoffes
auf 240 Seiten der Vt vieHach äußerste Beschränkung sich
auferlegen muß, ein Zwang, der sich fortwährend unangenehm
geltend macht, indem die Darstellung im allgemeinen auf die
Anführung der Quellen, aus denen sie schöpft, verzichtet*
Zwar wendet sich Kn, nach seiner eigenen Aussage in erster
Linie an die Gymnasial-Oberlehrer, denen er für den Ge-
schichts- und Geographieunterricht ein brauchbares Hilfsmittel
geben wilL Zweifellos wird sein Buch aber auch von den
Studierenden vielfach und mit großem Nutzen zur Hand ge-
nommen werden, und denen wird sich sicher das Fehlen des
quellenkritischen Rüstzeugs schwer fühlbar machen, wenn sie
auf den durch Kn, angedeuteten Pfaden selbständig weiter-
arbeiten wollen. Der durchweg wohlgetungenen und anregen-
den Arbeit ist weite Verbreitung nur zu wünschen. Vielleicht
bietet eine zweite Auflage in nicht allzu ferner Zeit Gelegen-
heit zu Ergänzungen in der angegebenen Richtung,
fn ganz anderen Bahnen bewegt sich das viel umfang- ■
reichere Buch von Kr*, umfangreicher nicht nur durch Format
und Seitenzahl, sondern auch inhahlich, indem es sich nicht
auf das Mittelalter beschränkt. Kr. gliedert seinen Stoff in ■
drei Hauptgruppen, nämlich physische, politische und Kultur-
geographie. Von diesen wird zunächst nach einer allgemein
orientierenden Einleitung die physische Geographie von Mittel-
europa in einer geschlossenen Übersicht (S. 25 — 136) be-
handelt. Die weitere Disposition des Werkes ist derart, daß
sechs zeitliche Haupteinschnitte gemacht sind, nämlich Alter-
tum und die Jahre 1000, 1375, 1550, 1650, 1770. Für jedes
dieser Jahre, die natürlich nur als ungefähre Abschnitte zu
verstehen sind, sind nun zwei Kapitel vorgesehen, von denen fl
immer das erste die politische, das zweite die Kulturgeogra- ™
phie behandelt; die von Kn, ausgeschlossene politische Geo-
graphie füllt hier mehr als die Hälfte des ganzen Buches*
Diese Stoifverteilung hat bei der politischen wie bei der Kul-
turgeographie ihre Schwächen: oft muß man sich Zueinander-
gehörendes aus den verschiedenen Kapiteln zusammensuchen;
trotzdem glaube ich, daß diese Art der Darstellung für die
politische Geographie zu billigen ist; ein Versuch, in ununter-
brochener historischer Reihenfolge die Entwicklung der Terri-
i
Mittelalter.
397
tonen des alten Reiches von seinem Beginn bis zum Ende
des 18. Jahrhunderts darzustellen, würde kaum durchführbar
gewesen sein, ebensowenig, wie etwa eine Disposition aus-
schließlich nach territorialen Gesichtspunkten. Zweifelhaft
erscheint mir freilich, namentlich beim Vergleich mit Kn.s
Arbeit, ob nicht auch Kn das^ was er Kulturgeographie nennt,
lieber gleich der physischen Geographie als Ganzes ausge-
schaltet und für sich behandelt hätte. Mit beachtenswertem
Sammelfleiß ist (ür die politische Geographie die große Spe-
zialliteratur überall herangezogen, ohne allerdings stets kritisch
gesichtet zu sein.
Das gleichmäßige Gefüge der paarweise geordneten
Kapitel wird nur ein einziges Mal durchbrochen, nämlich
durch einen Abschnitt über die kirchliche Geographie Mittel-
europas im Mittelalten Zwar ließen sich gerade in diesem
Abschnitt, dessen Materie durch meinen Studiengang mir be-
sonders vertraut ist, unschwer eine Anzahl Fehler und Irr-
tümer nachweisen; es ist aber leichter, im einzelnen Kritik
zu üben, als im ganzen und ohne bisherige zusammenfassende
Vorarbeiten ein so fleißiges Werk zustande zu bringen, das
bei vorsichtiger Benutzung gewiß ein brauchbares Handbuch
gerade für die politische Geographie ist und hier eine klaf-
fende Lücke in der bisher vorhandenen Literatur doch in vieler
Hinsicht ausfüllt ; und wo es dies nicht tut, wird es vielleicht
anregend wirken zur Vertiefung historisch -geographischer
SpezialStudien.
Charlottenburg. Hermann Krabbo,
Die Franken, ihr Eroberunga- und Siedelungssystem im deutschen
Volkslande« Von Dr. Karl Rubel« Bielefeld und Leipzig,
Velhagen * Klasing. 1904. 561 S.
Über die Eroberung des Sachsenlandes und dessen Neu-
ordnung durch Karl den Großen sind in den letzten Jahren
sehr interessante Beobachtungen gemacht worden: Schuch-
hardt hat eine ziemliche Anzahl karolingischer Befestigungs-
anlagen aufgefunden, Rubel das systematische Ausscheiden
von Königsgut längs der Königs wege zwischen Rhein und
Weser nachgewiesenp Von diesen Beobachtungen geht die
vorliegende Untersuchung aus, deren Ergebnisse sieh in
HiitorjscJie Zeitscbrilt (97« Bd) ^ Folge I. ßd» 26
398 Literaturbericht
scharfem Gegensatz ^u den seither allgemein geltenden An-
schauungen befinden. Es existierte nach R. ein besonderes
fränkisches Eroberungs- und SiedJungssystem, das sich ganz
deutlich in Sachsen und Thüringen^ aber auch in Alamannien
erfassen läßt. Dieses System beruht in erster Linie auf der
Herstellung fester militärischer Positionen: überaJl wird ;fu-
gleich Kdnigsland, regnum im Sondersinne, ausgeschieden. Da- m
mit hängt nun aber zusammen eine staatliche Neuregulierung
des Volkslands, das nach Ausscheiden des Königs- und Kirchen-
guts in Hufen angelegt wurde, also eine planmäßige Marken-
setzung nach Hufenrechten , die sich eine Reihe von Jahr-
hunderten hinzog. Die Franken hatten eine ihnen eigentüm-
liche Methode , Grenzbestimmungen vorzunehmen. Während
nach der altgermanischen Form der Grenze die Gebiete durch
Ödland voneinander geschieden waren, haben die Salier scharf
und eigenartig gezogene Grenzlinien gekannt, und diese Form
der Festsetzung des Grenzzugs haben erst sie in ihr Erobe-
rungsgebiet hineingetragen. Es gab im fränkischen Reich einen
vollständigen Apparat von Beamten, welche mit der Marken-
regulierung beauftragt waren; die Leitung stand den Herzogen
zu, die in karolingischer Zeit vorwiegend als Verwaltungs-
beamte, als Markensetzer der neuen Marken, und erst in
zweiter Linie als Heerführer erschienen. Die Hufe kann fortan ^
nur noch als salisch* fränkische und nicht mehr als gemein- ■
germanische Einrichtung gelten. Mit der Bildung der Hufe
Hand in Hand geht die der Hundertschaft, die durchweg eine
fränkische Neubildung im Eroberungsgebiet ist, — Wir haben ■
uns darauf beschränkt, aus dem Inhalt des Buches das Alier-
wesentlichste herauszuheben ; es ist unmöglich, alle die vielen
neuen Aulstellungen des Vf* in einer kurzen Besprechung auch
nur zu erwähnen- R. ist sich bewußt, völlig unbekannte Seiten
des fränkischen Staatswesens festgestellt zu haben, zu durch-
greifend neuen Resultaten gelangt zu sein. Aber die urkund-
liche Begründung der meisten Ergebnisse scheint uns trotz
zahlreicher Zitate aus Kapitularien, Urkunden und Annalen
nicht auszureichen, und so fehlt seinen Darlegungen die nötige
Überzeugungskraft. Gewiß ist nicht zu leugnen, daß sich ein
Strom fränkischer Einrichtungen und fränkischen Rechts in
das Eroberungsgebiet der Franken ergossen hat. Auch m^
\
Mittelalter.
399
sich die Herstellung fester militärischer Positionen, die Schaf-
fung von Königsgut und die Ansiedlung von Königsleuteu auf
diesem anderwärts ähntich wie in Sachsen vollzogen haben.
Aber von einer pianmäßigen , staatlichen Markensetzung zu
sprechen, wie es der Vf. tut, dazu reichen unsere Quellen
nicht aus. Kein gleichzeitiger Schriftsteller hat sich veranlaßt
gesehen, dieses angeblich allerorten geübte System der Franken
besonders zu kennzeichnen; die tiefeinschneidende Maßregel
hätten unsere Überlieferungen nur in ganz leere, unauffällige
Formeln gekleidet. Und wamm sollen unter den deutschen
Stämmen nur die salischen Franken scharfe Grenzlinien ge-
kannt haben, nachdem einmal durch das Anwachsen der Be-
völkerung breite Odländereien an der Grenze unmöglich ge-
worden waren? Nicht aufrechthalten läßt sich die Ansicht,
daß in Alamannien die Hundertschaft erst von den Franken
stamme; vielmehr ist ganz sicher, daß sie hier schon in die
Urzeit zurückreicht (Wtärttemb, Vierteljahrshefte für Landes-
geschichte^ Neue Folge VII, 1898, S, 310 f., 345 f.). So scheidet
man von dem Buche mit einem Gefühl der Enttäuschung, über
4ia$ Gebiet der so sehr vernachlässigten Besiedlungsgeschichte
Deutschlands keine wesentliche Förderung aus ihm schöpfen
zu können.
Öhringen. Kari Weller,
Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Hemrlch IV. und Hein-
rich V. Von Gerold Meyer van Knonau. 5. Bd.: 1097 bia
1106. Herausgegeben durch die Histonsche Kommission
bei der Kgl, Akademie der Wissenschaften in München.
Leipzig, Duncker fi Humblot, 1904, XIV u. 516 S. 13,60 M.
Mit diesem fünften Bande hat Meyer von Knonau den
größten und schwierigsten Teil der mühevollen Aufgabe, der
er sich mit unermüdeter Arbeitskraft unterzogen hat, glücklich
bewUltigt: die Regierungszeit Heinrichs IV, Wir haben damit
ein Werk vor uns, das der nie ruhenden Erforschung und
Darstellung dieser unendlich anziehenden, folgenreichen Epoche
überall einen bis zum Grunde sondierten Boden darbietet und
jeden Schritt auf dem Gebiete wesentlichst erleichtert. Mit
I der ihm gewohnten Gewissenhaftigkeit und Arbeitstreue hat
ft Vf. auch in dem vorliegenden Bande das Gewirre der Quellen
400 Literaturbericht
und die Hochllut der Literatur bemeistert. Ich halte es nicht
für Aufgabe eines ReL über ein solches Buch, darin so lange
henim^ustöbern, bis er irgend etwas zu korrigieren und auf-
zumutzen gefunden hat. Es scheint mir vielmehr angemessen,
das Charakteristische herauszuheben. B
Fast jeder Teil der „Jahrbücher des Deutschen Reiches* ^
hat ja trotz der gleichen Instruktion sein eigenes Wesen; die
Vf. müßten nicht deutsche Gelehrte sein, wenn es nicht so
wäre. M. v. Kn. hat in der Vorrede zum ersten Bande selber
bemerkt, daß er nicht, wie dieser und jener von den Bearbeitern
der „Jahrbücher*, zusammenfassende Abschnitte über einzelne
Gebiete geben und nicht das Urkundenwesen besonders berück-
sichtigen wolle. Dem ist er in der Ausführung nachgekom-
men: in diesem Bande bietet er nur am Schlüsse einen Über-
blick über die Regierung Heinrichs IV. und dessen Beurteilung
in der zeitgenössischen Geschichtschreibung, und in den Ex>
kursen eine systematische Übersicht der urkundlich bezeugten
neuen Verleihungen von Gütern und Rechten durch Heinrich IV.
sowie die Oegenkönige. Übrigens erörtert M, in den Exkursen
hier wie in den vorigen Bänden einzelne Fragen der Quellen-
und Tatsachenkritik* Er hat sich also durchweg an die nächste^
engere Aufgabe der Sammlung gehalten, eine fortlaufende fl
annalistische Darstellung der Begebenheiten zu liefern, ohne
sich au! zusammenfassende Schiiderungen des literarischen
und sonstigen Milieus einzulassen. Die eigenartigste Ersehet- fl
nung des damaligen Geisteslebens, die kirchenpolitischen
Streitschriften, läßt er suo loco mit Recht ausführlich zu Worte
kommen, ohne jedoch auch hier die innere Entwicklung der fl
Kirchenpolitik einheitlich zu verfolgen. Bei der Darstellung ™
der Geschichte Heinrichs V. dürfte dies unentbehrlich sein und
wird, nach der Andeutung des Vf. in der Vorrede, wohl er-
wartet werden können*
Ganz dem Geiste des ja von Ranke begründeten Sammel-
werks entsprechend hält M. sich fern und frei von einseitiger
Parteinahme in jeder Hinsicht. Er würdigt gleichmäßig den
Standpunkt und die Mission des Papsttums wie des König-
tums. Er beschönigt nicht die Fehler und Fehlgriffe Hein-
richs IV*, er läöt den Abfall der Söhne, namentlich Heinrichs V.^
und die Handbietung der Kurie dazu, in ihrer wohl erklär*
I
t
Mittelalter.
401
*
baren aber nicht entschutdbaren Selbstsucht rücksichtslos zu-
tage treten. Über die Beurteilung Heinrichs IV. im ganzen
und im einzelnen läßt sich meines Erachtens streiten. M. ist
der Ansicht (siehe besonders S. 334 f«), dem König habe auch
in den Mannesjahren zufolge der Irrgänge seiner Jugend, die
Ihn nicht zur Selbstzucht kommen ließen^ die rechte Sicher-
heit in der Führung der Dinge gefehlt^ so sehr er in wichtigen
Entscheidungen seine volle Tatkraft einsetzte; es habe ihm
an Gleichmäßigkeit des Wesens und der Energie gemangelt;
möglicherweise seien auch die Krankheitserscheinungen, die
ihn öfter befielen, dafür geltend zu machen. Ich bezweifle^ ob
diese Ansicht zutreffend ist- Mir erscheint gerade die Energie
und Spannkraft Heinrichs in allen Lebenstagen und politischen
Verwicklungen unwandelbar und um so bewunderungswerterj
als er es über sich gewinnt, sich zurückzuhalten^ abzuwarten,
zu lavieren* sich zu beugen j wenn und so lange es die Um-
stände erfordern, ohne je seine Ziele aus den Augen zu ver-
lieren oder je von ihnen abzulassen. Demgemäß teile ich
auch die Auffassung M.s von dem Verhalten des Königs und
Kaisers in manchen einzelnen Aktionen nicht, z. B« bei seiner
Unterwerfung unter den rebellischen Sohn: ich meine nicht,
daß er inneriich gebrochen auf die Regierung verzichtete, um
sich nachher zu neuer Tatkraft aufzuraffen , sondern daß er
sich dem äußersten Zwang der Verhältnisse bei dem Versagen
aller Hilfe beugte, vielleicht nur deshalb zu tadeln, wenn man
das darf, weil er an einen solchen Abgrund von Hinterlist
und Herzenshärte, wie er sich in Heinrich V. offenbarte, nicht
von vornherein glauben mochte. Hier, wie in anderen Fällen,
wartet er meines Erachtens mit zäher Ausdauer und scharfem
Auge nur Zeit und Gelegenheit ab, um der Dinge wieder Herr
zu werden. In der gebotenen Kürze eines Referats läßt sich
das natürlich nicht eingehender darlegen. Erinnern möchte
ich nur an die Unterwürfigkeit des Königs Gregor VIL gegen-
über^ so lange der Sachsenaufstand ihm die Hände bindet,
an sein Verhalten zu Tribur und Canossa, an seine oft be*
währte diplomatische Kunst, die Gegner hinzuhaften und von-
einander zu trennen, um im gegebenen Moment loszuschlageit.
So erscheint auch der verhängnisvollste Schritt des Königs,
die Absetzung Gregors VIL , nicht als ein unvorbedachtes
402
Li tera t urbericht.
Aufwallen sprunghafter Energie und Leidenschaft, „in voller
Nichterkenntnis der Tragweite" des Schrittes, sondern als die
für unvermeidlich erkannte, wohlvorbereitete Ausführung einer
Jange hingehaltenen Entscheidung; R, Friedrich hat das in
einer soeben erschienenen Greifswalder Dissertation, meines
Erachtens im wesentlichen zutreffend, dargelegt.
Vielleicht hängt die Auffassung M,s damit zusammen, daß
er sich nicht ganz hinreichend von dem mißgünstigen, durch
lange Tradition festgehaltenen Charakterbild frei gemacht hat,
welches die gegnerischen Schriftsteller aus der ersten Regie-
rungszeit von dem jungen Herrscher entworfen haben, M, weist
diese Autoren allerdings in die Schranken ihrer Parteilichkeit
zurück^ er geht mit Recht nicht so weit, den König von aller
Schuld und Fehle, die jene ihm beimessen, loszusprechen,
aber es haftet anscheinend bei ihm doch etwas zu viel von
dem Eindruck ihrer Urteile zu Ungunsten Heinrichs und be-
stimmt seine Anschauung in dem vorhin bezeichneten Sinne.
Obwohl der gewaltige Stoff der ungewöhnlich langen Re-
gierungsepoche statt der anfangs veranschlagten drei Bände
deren fünf erforderte, ist es der erstaunlichen Arbeitskraft des
Vi gelungen t des Werkes in verhältnismäßig kürzester Frist
— 1890 bis 1904 — Herr zu werden, und so darf man hoffen,
in nicht ferner Zeit auch die Epoche Heinrichs V* vollendet
und damit eine lange unliebsam gebliebene Lücke In der
Reihe der „Jahrbücher" verdienstvoll ausgefüüt zu sehen.
Greifswald. E. Bernheim.
Reichshofgericht und königliches Kammergericht im 15. Jahr-
hundert. Von Johann Lechner* Innsbruck, Wagner. 1901»
S.-A. aus dem 7. Ergänztingsband der Mitteil, des Inst, für
österr. Geschichtsforschung.) 143 S-
Mit den höchsten Gerichten des Deutschen Reiches im
späteren Mittelalter beschäftigten sich, von älteren Autoren
abgesehen, in den Sechzigerjahren des verflossenen Jahr*
hunderts O. Franklin und J, A. Tomaschek. Späterhin brachte
G. Seeliger im »Hofmeisteramt" eine Skizze über die Ent*
stehung und erste Zeit des Kammergerichts und in seinen
„Kanzleistudien* einen Beitrag zur Verwaltung dieses Gerichtes
von 1471 — 1475, Bei dem vielfach unzulänglichen und ungleich-
Mittelalten
403
artigen Quellenmateria)» das diesen Gelehrten vorlag, darf es
uns nicht wundernehmen, wenn sie selbst in Grundfragen, so
namentlich über Entstehung und Aufbau des königlichen
Kammergerichts zu ganz verschiedenen Ansichten gelangten.
Nun hat sich Lechner die dankenswerte Aufgabe gestellt, die
Quellenbasis unter Benutzung von in zahlreichen Archiven
gehobenen neuen Materialien zu ergänzen, den Stof! nach
einem bestimmten Plane zu ordnen und zu verarbeiten. Aul
so erweiterter Grundlage will er in einem Buche GeschichtCi
Verfassung und Verfahren des königlichen Kammergerichts
bis 1495 darstellen, auch der Gerichtskanzlei^ dem Beurkun-
dungsgeschäfte und der Geldgcbarung daselbst seine Aufmerk-
samkeit zuwenden und dem Problem des Eindringens römischen
Rechts am Kammergerichte naher treten.
Als eine Vorstudie zu dieser größeren Arbeit gilt der
vorliegende Aufsatz, Der Vf, orientiert uns über seinen
Arbeitsplan, beschreibt die Reste von Gerichtsbüchern, die
vor ihm nur in geringem Maße oder noch gar nicht benutzt
wurden, und erwähnt andere einschlägige Quellen, namentlich
16 von Franklin noch nicht gekannte Urteilsbriefe dieses
Gerichts aus der Zeit von 1445 bis 1472: In der Beilage
(S. 72 — 143) bringt er ein reichhaltiges Verzeichnis der datier-
baren Sitzungen des Kammergerichts unter Friedrich HL und
führt die Namen der Vorsitzenden und der Beisitzer an*
Schon diese Tabelle gibt uns einen Einblick in die Art der
Besetzung, in den Ort der Tagungen, in die Häufigkeit und
Seltenheil der Sitzungen. Die Abhandlung untersucht aber
auch (S. 18 — 113) ganz bestimmte Probleme und strittige
Fragen, deren Besprechung für die größere von L. in Angriff
genommene Arbeit notwendig ist, dort jedoch die Gleich-
mäßigkeil und Geschlossenheit der Darstellung beeinträchtigen
würde* Dazu gehören die Frage nach der Entwicklung des
Kammergerichts aus dem Rate, die Gründe für die Bildung
dieser Einrichtung, die Stellung des Hofmeisters zum Kammer-
gericht, wobei G, Seeligers Ausführungen, soweit nötig, be-
richtigt werden, ferner das Verhällnis des Kammergerichts zum
Reichshofgerichte unter Friedrich HI,, die Gründe für das
Aufhören dieser älteren Einrichtung (1451), das Verhältnis
des Kammergerichts zum österreichischen landesfürstlichen
4m
Literatufbencht.
P
Hofgericht des Kaisers und die Erwähnung analoger Bildungen
in anderen Territorien des Reichs* Daran reiht sich noch eine
kurze Darstellung der Schicksale des Kammergerichls bis 1493,
die mancherlei neue Gesichtspunkte bietet.
Historiker wie Juristen werden diesen anregend ge-
schriebenen, so vielfach au! neuen Quellen fußenden Beitrag
zur Erkenntnis des Reichsgerichtswesens im 15. Jahrhundert
mit Erfolg benutzen und mit dem Berichterstatter dtm Wunsche
Ausdruck verleihen, daß auch jene größere Arbeit bald ihrer
Vollendung entgegengehe*
Innsbruck. A. y. Wreischko,
Weltgeschichte seit der Völkerwanderung, In 9 Bänden von
Theodor Llndner, Professor an der Universität Halle, L Bd.:
Der Stillstand des Orients und das Aufsteigen Europas,
Die deutsche Reformation. Stuttgart, J, G. Cotta, 1905.
473 S,
Der vorliegende Band der ^Weltgeschichte* zerfällt in
fünf Bücher: Der Orient; Die europäischen Staaten; Die Zer-
Setzung des Mittelalters; Die deutsche Reformation; Die ersten
Entdeckungen. Im ersten Buch wird der Zerfall des byzan-
tinischen Reichs und die Begründung des türkischen geschil-
dert; der überlieferten Auffassung, daß die Türken nur ein
zerstörender und hemmender Faktor in der Geschichte sind,
schließt sich auch Lindner an ; doch würdigt er die große
Figur eines Suleiman II., den er den trefflichsten Herrscher
nennt, den das osmanische Reich je gehabt hat, der nicht bloß
ein furchtbarer Krieger, sondern auch ein sorgsamer Gesetz-
geber, ein Mann guter Verwaltung und ein Freund der Ge-
rechtigkeitj fui Thebanus scUlcei!) und ein Gönner von Lite-
ratur und Kunst war. Wenn ihm Freiheit von niedriger Sinn-
lichkeit nachgerühmt wird, so mag das sein; aber als er 1522
siegreich in Rhodus einzog, fehlte nach Jacques de Fontaine
der Troß der Lustknaben in seinem Gefolge nicht. Einen viel-
gestaltigen Inhalt hat das zweite Buch, wo Italien, Deutschland,
Skandinavien, Ungarn, Böhmen, Polen, Burgund, die SchweiJ^t
Frankreich, England und die iberische Halbinsel am Leser
vorüberziehen: Italien und Deutschland natürlich in ihrer ganzen
endlosen und kaum zu überblickenden Zerrissenheit* L. ver-
I
I
I
I
I
I
n.
Neuere Geschichte.
405
steht €5^ den Stoff zu beherrschen und zu gestalten, so daß
er ihm nicht unter den Händen zerrinnt; auch Charakteristiken
voll Lebensfülle sind zahlreich über das Werk zerstreut.
Friedrich IlL ist trotz hohen, starken Leibes und breiter Brust
der Anstrengung abgeneigt, schon ats Jüngling greisenhaft
bedächtig, in Leben und Vergnügungen harmlos philisterhaft,
aber doch auf Macht und Besitz mit stiller Andacht gerichtet;
es war ihm weniger um das Herrschen zu tun, als um das
Recht der Herrschaft; vermochte er es auch nicht selbst aus-
zuüben, SD hätte er es doch keinem andern gegönnt. Georg
Podiebrad hatte ein gutes Herz und Liebe zum böhmischen
Volk ; er war als Regent und Krieger tüchtig, aber ungebildet,
so daß er nicht einmal deutsch sprechen konnte, doch ver*
ständig; daß seiner Persönlichkeit Größe zukommt, wird von
manchen bestritten, Karl der Kühne heißt mit Recht ie i^meraire;
denn verw^egener Ehrgeiz war sein Wesen; er war klein, bräun-
lich, körperlich ausdauernd; die hellblauen Augen senkte er
immer zu Boden; finster, verschlossen, hypochondrisch und
melancholisch, keinem Rat zugänglich, Wutanfällen ausgesetzt,
hätte er, in Asien geboren, ein Timur werden können. Das
dritte Buch schildert die Zersetzung des Mittelalters auf dem
wirtschaftlichen Gebtete (Entwicklung des Kapitalismus, Bit-
dung von neuen Industrien und Kartellen) wie auf dem poli-
tischen (Aufkommen des Geschützwesens, des Fußvolks, der
größeren Mächte, des römischen Rechtes) und geistigen (Huma-
nismus, Renaissance, religiöse Reformideen). Die Erzählung
vom Werden der deutschen Reformation im vierten Buch ist
sehr gedrängt; auf 68 Seiten wird sie abgemacht; aber sie ist
im ganzen durchaus zutreffend und enthält manche wertvolle
Beobachtung im einzelnen, Seite 343 sollte, damit kein Miß-
verständnis entsteht, gesagt sein, daß Herzog Ulrich 1519 von
Frankreich finanzielle Unterstützung, nicht etwa militärische,
erhielt; mtt dem französischen Geld warb er Schweizer, die
ihn dann, als es ernst wurde, im Stich ließen. Daß Karl V.
bei der allgemeinen Gärung von 1521, wo noch niemand die
ungeheure Tragweite des Begonnenen übersehen konnte^ es
schwer gehabt hätte, sich als Führer der Bewegung aufzuwerlen,
ist richtig; wer kann führen, wenn er das Ziel nicht klar vor
sich sieht? Aber anders als er sich verhielt, hätte er sich
F
406 L ite rat urb erlebt
gleichwohl verhalten können, und insofern hat sein persön-
liches Verhalten doch eine große Bedeutung, Seite 346 ist zu
bemerken, daß Luther in Worms den Widerruf nicht absolut
abgelehnt, aber ihn an die Widerlegung aus der Schrift aut
raUone evidefiU geknüpft hat. Für das Wormser Edikt ist doch
besonders bezeichnend der Appell an die Habsucht, insofern
den Fürsten, welche Luthers Anhänger niederwerfen und Iahen
werden, gestattet wird, „deren Güter zu ihren Händen zu
nehmen und sie in ihren eigenen Nutzen zu wenden und zu
behalten** (s, hierüber Egelhaaf, Deutsche Gesch. im 16, JahrL
1, 340), Seite 375 wäre zur Charakteristik Johann Friedrichs
als wesentlich noch hinzuzufügen, daß er kleinlich war und
über tausend Bagatellhändeln die großen Fragen vergaß, wie
anläßlich der Verhandlungen mit Moritz über einen engeren
Bund von Hessen und beiden Sachsen sich so drastisch
zeigte (siehe Brandenburg, politische Korrespondenz des Kur-
fürsten Moritz IL S, 186 fL). Im fünften Buch wird die Ge-
schichte der Entdeckungen gegeben, auch wieder auf Grund
ausgebreiteter Kenntnisse, in gedrängter und bei aller Nüch-
ternheit sehr anregender Weise. Richtiger wäre es aber doch
wohl gewesen j aus chronologischen Gründen, wenn dieses
Buch dem dritten voraufgegangen wäre*
Stuttgart, G. Egelhaaf.
Wilhelm 111. von England und das Haus Wittelsbach im Zeitalter
der spanischen Erbfolgelrage. Von Georg Friedrich Rreu0-
1. Halbband. Breslau, Trewendt £ Granien XVI, 126» u.
240 SJ)
Der Vf. bringt zunächst eine sehr ausführliche Einleitung,
in der er Frankreichs Entwicklung im 17, Jahrhundert, seine
Stellung zu den anderen Mächten, eine kurze Übersicht über
diese selbst bietet. Ferner wird darin die universalhistorische
Bedeutung der spanischen Erbfolgefrage erörtert. In der
*) Ref, hat mit der Besprechung so lange gezögert, da er
gern den 2. Halbband abgewartet hätte, der nach einer Bemer-
kung auf dem Umschlag des vorUegenden Buches binnen wenigen
Monaten (vom Sommer 1904 ab) erscheinen sollte. Diese Fort-
setzung ist noch nicht herausgekommeny Ref. wollte aber trotz-
dem nicht länger säumen.
Pl
4
i
4
Neuere Gcacfaichte,
eigetitlichen Darstellung schildert Preuß die ersten Beziehun-
gen dieser Frage zur bayerischen Politik, die Haltung Bayerns
Zur Kaiserwahl Leopolds, die Stellung Bayerns zu Frankreich
in jener Zeit, die Bemühungen Bayerns den Reichsfrieden zu
erhalten in dem Augenblick, da Ludwig XIV. Holland über-
fällt Das Buch reicht also bis Ende 1672 und behandelt, vom
bayerischen Zentrum ausgehend, die gesamte Poliük der da-
maligen KulturwelL
Man wird in diesem L HaJbbande noch nichts über
Wilhelm von Oranien finden, dagegen eine ganze Reihe
von Aufschlüssen über Dinge, die man hier nicht suchen
würde: es ist eine großangelegte, vorzüglich geschriebene,
mit außerordentlicher Sach- und Liieraturkenntnis verfaßte
politische Weltgeschichte jener Tage. Die ungewöhnliche Be-
lesenheit des Autors tritt auf jeder Seite zutage, manchmal
sogar etwas störend, da sie ihn immer wieder zu Abschwei-
fungen und Zitaten treibt, die meist wohl interessant sind,
doch den Gang der Handlung stark aufhalten. In verschie-
denen Teilen des Buches hätte sich Fr, leicht größerer Be-
schränkung befleißen können, so beispielsweise in der Frage
der Kaiserwahl Leopolds, Die Gerechtigkeit gebietet aber,
hinzuzufügen, daß in den überreichen Anmerkungen viel wert*
volles Material steckt, vor allem eine wichtige Übersicht ilhor
die Literatur dieser Periode. Einige Punkte mögen hervor-
gehoben werden. Die Beurteilung oder eigentlich Verurtei-
lung der Poütik Ludwigs XIV. erscheint richtig, nur in VM\au
möchte Ref. einer anderen Auffassung das Wort rcUcii ; In
guter Hervorhebung des Subjektiven in der franxönliichotl
Politik unter dem Sonnenkönig meint Pn, haupisUchlich liu*
persönlichem Hasse habe er Holland zu vernichten gmiuht
(S. 69*). Zugegeben, daß dieser vorhanden war, iibor iNt dtt
nicht die treibende Kraft, die es Ludwig ermöglichte, iitiliioui
Hasse die Zügel schießen zu lassen, der Umi«tand g<?w<iiiöii,
daß Belgien nur dann mit Sicherheit behauptet werden kuniitt*.
wenn man gleichzeitig die Hand auf Holland legioi* r;briii»o
ist Ref. der Ansicht, daß Fr. versucht, zu viel dcb fiedttrii-
samen in jene Periode hineinzulegen, wie wenn er hehaiipt<it,
im Zeitalter der spanischen Erbfolgefrage «ei düi tJbergüwicht
der ^'germanischen Rasse über die romanische eiitacliiuflen
403
Literaturbericht.
worden (S, 10^); oderi man könne das Bündnis von 1673 das
erste große europäische Bündnis zwischen protestantischen
und katholischen Mächten nennen (S* 120*), Und Frankreich
und Schweden im Dreißigjährigen Kriege? Sehr hübsch ent-
wickelt ist anderes; z. B, daß aus der Sendung Vautortes,
1649, die erste Andeutung auf eine mögUche Teilung des spa-
nischen Erbes hervorgehe (S* 94), oder daß die eigentliche
Bedeutung des ersten Teilungsvertrages darin liege» daß durch
die französische Politik der Kaiser aus seiner Stellung als
einziger Erbe Spaniens herausgedrängi worden sei. Richtig
motiviert erscheint auch die andere Beurteilung der bayeri-
schen Politik gegenüber der von Döberl vertretenen Ansicht.
Alles in allem ein interessantes Buch, auf dessen Fortsetzung
man begierig sein darf; nur etwas mehr SelbstdiszipUn wäre
dem VI zu wünschen^ man muß ja nicht immer aües sagen»
was man weiß.
Prag. 0, Weher.
Die Durchführung der kirchlichen Reformen Josephs IL im vorder-
österreichischen Breisgau. Von Fr. Geler. (KirclienrechtL
Abhandlungen, herausg* von U. Stutz. Helt 16/17.) Stutt-
gart, Enke. 1W5. XI f u. 248 S.
Die durchaus aktenmäßige Studie, eine gekrönte Freiburger
Preisarbeitj behandelt ihr Thema mit außerordentlicher Klar-
heit und vollkommener Sachkenntnis, Geier geht von der
fraglos richtigen allgemeinen Ansicht aus, daß die Josephinische
Reform durchaus territorialistischer Art war und immer, auch
wo sie scheinbar episkopatistische Züge zeigt, die Kirche als
Staatsanstalt behandelt. Die verschiedenen Einzelmaßregeln
treffen alle in der Absicht zusammen, ihre Selbständigkeit auf-
zuheben und sie dem staatlichen Einfluß unterzuordnen:
religionsfeindlich sind sie dagegen nicht. Unter ihnen waren
die merkwürdigsten die Klosteraufhebung und Errichtung des
zur Dotierung neuer Pfarreien bestimmten ReligionsfondSf so-
wie die Gründung des Generalseminars. Der Kaiser steht
übrigens auch hier im gleichen Verhältnis zu seiner Mutter*
wie bei seiner Agrarpolitik: alle Ansätze des Josephinismus
sind schon unter Maria Theresia kenntlich, aber der Sohn
entwickelt erst den eigentlich charakteristischen Zug^ den
I
Neuere Geschichte.
409
rücksichtslosen naturrechtlichen Doktrinarismus, Interessant
ist die Wahrnehmung des hieraus, wie in politischen Fragen^
z, B- im Scheidestreit, entspringenden Gegensatzes zu Kaunitz*
Übrigens sah sich Joseph doch im Breisgau zu manchen
- und wichtigen Konzessionen an den Grundsätzen seiner all-
B gemeinen Kirchenpolitik genötigt, teils weil alle Ordinarien
Reichsstände waren, teils wegen der ungemein starken Durch-
setzung des Breisgau mit akatholischen Territorien, deren
Landesherrn namentlich aus der Klosteraufhebung große, aber
unerwünschte Vorteile zu ziehen drohten; auch die nicht gering-
fügige Bedeutung mancher geistlicher Institute für den länd-
lichen Kredit und die sehr große Abneigung der Bevölkerung
besonders gegen Veränderungen des Kultus kamen hinzu.
So mußte z. B. die Loslösung des Breisgau von den aus-
wärtigen Ordinarien unterbleiben, das Generalseminar nach
wenigen Jahren wieder aulgehoben und der vorderösterreichische
Anteil aus dem allgemeinen Religionsfond wieder ausgeschieden
werden* Der breisgauische Josephinismus wurde bekanntlich
das Vorbild des badischen Terrltorialkirchenrechts: seine ein-
gehende Schilderung war deswegen von um so größerem
Werte, jh. Ludwig f.
Die Herren Verfasser ersuchen wir, Sonderabzlige ihrer
In Zeitschriften erschienenen Aufsätze, welche sie an dieser
Stelle berücksichtigt wünschen, uns freundlichst einzusenden.
Die Redaktion.
Allgemeines.
Zur English historical review Ist ein Generalindex zu
den ersten 20 Bänden (1886 — 1905) erschienen (Longmans, Green
& Co. 3>6 sh.). Wir teilen bei dieser Gelegenheit mit, daß auch
ein neues Gesamtregister der Historischen Zeitschrift^ die
Bände 57—96 umfassend^ bereits im Drucke ist.
Bonwetseh und Seeberg planen, eine zweite Serie ihrer
von 1898 bis 1903 herausgegebenen ^Studien zur Geschichte der
Theologie und der Kirche" u. d. T* »Neue Studien* etc. heraus-
zugeben (Verlag von Tro witsch £ Sohn, Breslau. 2 Bde, jahrl,).
Der Leiter der seit einigen Jahren erscheinenden Neuausgabe
von Muratoris Scriptores reritm Halicar um, Vitt. Fiorinl, gibt
nunmehr auch eine Zettschrift ^^ Archiv io Muratoriano" heraus , von
der uns drei Nummern {Ciiiä di Casiello 1904/05) vorliegen. Die
Zeitschrift soll die Arbeit an der Ausgabe begleiten, über ihren
Fortgang Bericht erstatten und Studien zur Quellenkunde Italiens
im Mittelalter bringen, also zum Teil dasselbe leisten, was hei
uns das „Neue Archiv" tut. Die erste Nummer ist durch den
Bericht des Herausgebers an den Römischen HistonkerkongreQ
von 1903 gefüllt^ in der zw^eiten interessiert eine Abhandlung von
Vatasso Über die Handschrilten des Hugo FalcanduSi insbeson-
dere eine kürzlich erst wieder aufgefundene, deren Wert Vatasso
höher einschätzt als der letzte Herausgeber des Werkes, Siragusa.
4
i
AOgCfneln
411
Übrigens liefert ein anderer Beitrag in demselben Hefte (Rodo-
lico über eine nachträgUch, d. lu nach Drucklegung der Neuatis-
gäbe zum Vorschein gekommene Handschrift der Florentiner
Chronik des Stefani) eine Pro1>e von dem, was die Schwäche des
ganzen Unternehmens bildet: auch der neue Muratori beruht
keineswegs auf systematischer Durchforschung der Handschriften-
sammlungen, so daß es immer etwas zweifelhaft bleiben wird, ob
seine Texte als endgültige gelten dürfem Man darf dies bemerken^
ohne im übrigen die Nützlichkeit des Werkes zu bestreiten, —
In Nr. 3 des Arch. Mtir. widmet Pietro Torelli eine gründliche
Untersuchung d^r als Ftos Ftorum betitelten^ früher ohne Grund
einem Ambrogio ßosso zugeschriebenen Mailänder Chronik. Den
wirklichen Verfasser nennt eine neu aufgefundene Handschrift
Petrus Paulus de Vicomercato, eine Persönlichkeit, die sich im
übrigen nicht nachweisen läßt Die Chronik, I3W geschrieben^
ist nichts weiter als eine Kompilation aus bekannten Quellen, aber
für deren kritische Herausgabe unter Umständen nicht bedeu-
tungslos. Wertvoller ist der Anhang: einige bisher unbekannte
Akten über den Sturz des Bernab6 Visconti durch seinen Neffen
Giangaleazzo (1485). Unter dem übrigen Inhalt des Heftes be-
ansprucht ein kleiner Aufsatz von L. Frati über die Familie der
Bolognetti von Bologna und ihre Chronik (15, Jahrhundert) das
meiste fnteresse. J, M.
Auch Dänemark (der Carlsbergfonds) beginnt jetzt mit einer
Ausgabe seiner Staats vertrage mit fremden Mächten^ die der be-
währte Herausgeber der Brevbeger, L, L a u r s e n , übernommen
hat. Zunächst ist die Zeit von 1520 bis 17&0 in A undicht gc^
nommen. Die H. Z. wird Anlaß nehmen, auf diewe Publikntlnn
zurückzukommen.
Fr. Kcutgen hat in einem schönen Vortrag lelnen amerU
kanischen Zuhörern auseinandergesetzt, daß die frühere Oe»chichte
der europäischen Völker zugleich ihre eigene Vorgetchichle iit«
wobei eine Belehrung über historische Methode mit olngcf lochten
und dem Worte ^Mittelalter'* der blutigste Krieg erklärt wird fOn
the necessiiy in America of the study af the early hintory of mo-
dern earaptan nationSf S.-A, aus dem Annual Hefter t of tht Am$'
ritan Mist Association 1904),
Max Webers Aufsätze über ,,Roftchcr und Knlei und dfe
fogischen Probleme der historischen Nationalökonomie' IBchmol-
lers jahrb, 29 und 30, I) sind wcitau^hotende methodologUch«
Untersuchungen, die für den Historiker ebeiiiN) wichtig %\nd wl«
Jiir den Nationalökonomen, Durch dte Auiieinanderiet^ungen mll
412
Notizen und Nachrichten.
p
Ptiilosophen und Naturwissenschaftern hindurch gelangt Weber
zu dem Ergebnis, daß die i, Intuition* oder das ^künstlerische*
Moment kein Privileg und kein Nachteil der Geschichtswissen-
schaft ist, sondern daß alle Wissenschaften gleichmaOig damit
arbeiten. Und so sind diese Aufsätze überhaupt — in manni^*
facher Berührung mit Windeibands und Rickerts Anschauungen -*
eine BeweisHihrung, daß der wissenschaftliche Charakter der Ge>
schichte dem der Naturwissenschaften vÖilig gleichkommt.
Demselben Zwecke der Kiärung über methodologische Fragen
dient Webers Aufsatz in Brauns Arch. f. Sozial wiss, 22 („Kritische
Studien auf dem Gebiete der kulturwlssenschaftlichen Logik*),
wo er sich trotz vielfacher grundsätzlicher Übereinstimmung mit
Ed. Meyer In Freundschaft, aber unerbittlicher logischer Schärfe
auseinandersetzt und dann die „Frage der objektiven Möglichkeit*
und der j^adäquaten Verursachung** untersucht,
X^nopais Aufsatz La noüon de ^valear'^ tn histoire ff^evue
de synih. hist XI und Xll^ 1) kommt zu dem Ergebnis, daß die
Geschichte eine Wissenschaft ist^ und daß der ^Wertbegriff* für
den wissenschaftlichen Charakter der Geschichte belanglos und
ihrem Wesen fremd ist,
NaviUe^ La sochlogie abstraite ei ses divishns fRev> philo-
sophique 31,5) versucht die noch immer weit auseinander gehenden
Meinungen über Wesen und Zweck der Soziologie zu klären, um
dadurch den stark bestrittenen wissenschaftlichen Charakter dieser
Zeiterscheinung zu retten.
Wilhelm Schallraayers Aufsatz ^Selektive Gesichtspunkte
zur generativen und kulturellen Völkerentwicklung* (SchmoUers
jahrb, 30, 2) ist eine kritische Auseinandersetzung mit F. TÖnnies^
Aufsätzen pZur naturwissenschaftlichen Gesellschaftslehre (ebenda
1905),
Aus der Rei^ue bleue 1906^ Nr* 14 notieren wir Bougl^,
Du Conlrat social au Quasi-Contrat SoUdariste ; aus der Zeitschr.
f/Phitos,u.phi)os, Kritik f28, li Noth, Die Willensfreiheit ; Kleln-
peter, Das Prinzip der Exaktheit in der Philosoph] e, und eine
nachträgliche Bemerkung A. Vlerkandts zu seinem Aufsatze
^Ein Einbruch der Naturwissenschaften in die Geisteswissenschaft
ten ?* ; aus der Nuava aniologia 112, 5 1 Arcoleo, La scienza nelta
PÜa sociale.
Nur vom philosophischen Standpunkte aus untersucht von
Schubert-Soldern „Die Grundprinzipien des Liberalismus in
erkenntnistheoretischer Beleuchtung*^ (Zeitschr f. d. ges. Staatswiss>
i>2j 2), Er weist nach, wie der Freiheits- und der Gleichheitsbegriff
4
4
Altgemeines
des Liberalismus nur negative Formulierungen sind, da auch der
Liberalismus auf notwendige Beschränkungen der Freiheit wie der
Gleichheit nicht verzichten kann; wie ferner auch die freie Kon-
kurrenz kein haltbares politisches Prinzip ist. Der Liberallsnfius
lebe vom Gegensatz gegen den Konservativismus und sei stets
in Gefahr» auf die Bahn des Sozialismus gedrängt zu werden*
Es bleibe für den Liberalismus die Aufgabe, zwischen den Ex-
tremen zu vermitteln und — positiv — für die Freiheit histori-
scher Entwicklung einzutreten.
Woker, „Das Toleranzprinzip in seiner universalgeschlcht-
lichen Entwicklung^ (Schweiz. Blätter f. WirtschaftS'^ u. Sozial-
politik 14, 1/2) ist ein kurzer geschichtlicher Überblick über Ent-
stehung und Zunahme des Toleranzgedankens, vor allem seit dem
17. Jahrhundert.
Georg Jäger behandelt in den Preuß. Jahrb. 1906, Mai und
Juni ^Marxismus, klassische Nationalökonomie und materialisttsche
Geschichtsphilosophie*', wobei er den Beziehungen des Marxismus
zur klassischen Nationalökonomie besonders nachgeht und sie
beide in ihren Bedingtheiten kritisiert.
Unter dem Titel „Des rapporta enire U droit positif et la
phUüSüphle du droit'^ bespricht Jankelevitch neuere italienische^
deutsche und französische Arbeiten aus dem Gebiet der Rechts-
philosophie* {Re\^, de synth, hist XIL L)
De la Grasserie gibt in der Rev. Internat de Sociologie
14, 3 eine ^Synthise de Vivalutlon da droit dans la ligistatiün ei
ta Jarlspradence^,
In der Deutschen Rundschau 32, 8 handelt E. Fitger Ober
Staatsformen (Übersicht über die modernen Croßstaaten und
ihre Verfassung),
Im Thünen^Archiv t^4 veröffentlicht der Herausgeber Richard
Ehren berg eine Entgegnung auf eine Kritik seines Unternehmens
von Conrad (in den Jahrbüchern f, Nationalökonomie u* Statistik)
und behandelt in dem Aufsatz ^Thünen und Thaer"* das Verhältnis
der beiden Volkswirte zueinander. Längere Besprechungen von
G* F, Knapps neuestem Werke über die staatliche Theorie des
Geldes geben A» Voigt in der Zeitschn L d. ges, Staatswissen-
schaft 62^ 2 und W. L o t z im Jahrbuch L Gesetzgebung» Verwal-
tung u. Volkswirtschaft 30, 2.
In der Beilage zur Allgem. Zeitung Nr. 87 u. 142 handelt KL
Wagner über den Krieg als schaffendes Weltprinzip, Eine ent-
wicklungsgeschichtliche Betrachtung : „Das Werden der Rassen
Hi^orisGb« Zeitschnft (47, Bct) 3. folge 1. Bd, 27
414 Notizen und Nachrichten.
und Völker vollzieht sich in einem Kampfe* — Die natürliche
Völkerauslese ist der Kneg**, eine Anschauung, der P, Garin h
in Nr. 101 entgegentritt. ^
H* Berr gibt Auskunft über die Arbeiten des um Durkheim
sich scharenden Kreises von Bearbeitern der Religtonsgeschichtei
die in der Religion den Kern aller übrigen Gemeinschaftsbildungen
sehen (Les progris de la Socwiogit reUgUtise in t^ev^ de Synth*
hist, XII, 1). Berr warnt vor solcher einseitigen Lösung einer
schwierigen Frage, obwohl er im übrigen die Verdienste dieser fl
Schule aufs höchale anerkennt, ™
Aus den Grenzboten 65, 17^19 erwähnen wir einen Aufsatz
über Christenlum und Kirche in Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft; aus den Preußischen Jahrbüchern 124, 2: Andresen,
Zur Weiterbildung der christlichen Religion; aus den Protestanti- ■
sehen MonatsblMttern 10, 2: Wendland, Die Erkenntnis des über- ™
sinnlichen in Philosophie und Religion; aus dem Theologischen
Literaturblatt 27,13: Die Materialisierung religiöser Vorstellungen;
aus der Schweizerischen Theologischen Zeitschrift 23, 1 die Fort-
setzung von Häberlin, Ist die Theologie eine Wissenschaft? fl
E. Bethe^ Mythus, Sage, Märchen (Leipzig 1^5) schildert
— manchmal in überflüssig blumiger Form — die Unterschiede
dieser drei Arten der Volkaphantasie. Er definiert: „Mythus ist
primitive Philosophie, einfachste, anschauliche Denkform, eine
Reihe von Versuchen, die Welt zu verstehen, Leben und Tod,
Schicksal und Natur» Götter und Kulte zu erklären; Sage ist
primitive Geschichte, naiv gestaltet in Haß und Liebe, unbewußt
umgeformt und vereinfacht; das Märchen aber ist entstanden
und dient allein dem Unterhaltungsbedürinis, deshalb ist es frei
von Ort und Zeit » , . . es ist nichts als Poesie." Alle drei Arten
haben sich gegenseitig beeinflußt; doch warnt ßethe, den Einfluß
des Märchens auf Mythus und Sage zu überschätzen,
Ed* Hahn verteidigt — im Gegensatz zu Rieh. Lasch —
seine Theorie von der Entstehung der Pflugkultur („Die primitive
Landwirtschaft", Zeitschr. f. Sozial wiss. IX, H* 2—4), sowohl den
Hackbaubetrieb wie die auf ihn folgende PIlugkultur eng mit dem
religiösen Leben der Babylonier verbindend*
Wir notieren aus dem Globus 81^ 14 Lehmann-NUsche:
Patäoanthropologle; aus der Civiltä CaUolka 1S3S: Genii ed fJt'
ploraiorL Saggio di nuo\?i studi d^antropologia ; aus dem Cosm&s
N. S* Nr, 1108: Combes, L* komme pnfhistanque dans le Sahara
algirien; aus der Zeltschrift L deutsche Philologie 38, 2; R, M,
Meyer, Ikonische Mythen.
I
LI
Allgemeines,
416
Aus den Grenzboten sei erwähnt 65, 15: O. E. Schmidt,
Jakob Burckhardts Geschichtsauffassung, und Nr 16: Kaemtnel,
Interessen und Ideale; aus dem International Journal of EthUs
16, 3 : R o y c e j Race que&twns anä prejuäices und Alexander,
The evoluUon of ideale; aus der Nation 23, 29 1 Feder: Psycho-
logie und Geschichtswissenschaft; aus der Neuen Zelt 24, 33:
Tischler, Materialistische GeschichtsauHassung und Mathe-
matik; aus der Nation 23| 33: Richard M. Meyer, Die Moral in
der Weltgeschichte (Notwendigkeit moralischer Kritik nach ßurck-
hardts „Weltgeschichtlichen Betrachtungen*»
Aus der Woche 8, 14/15 erwähnen wir einen Aulsatz von
Max Lenz, Das russische Problem (Die russische Revolution
das „Widerspiel'* der französischen); aus den Deutsch-Amerikani-
schen Geschichtsblättern, Aprilheft H. Oncken: Die Mission der
Deutschen als Wandervolk in der Weltgeschichte; aus den Preuß.
Jahrbüchern 124,2 P.Vogt: Wilhelm Jordan, und M. Schneide-
win, Vier Gymnasialdirektoren (persönliche Erinnerungen); aus
der Konservativen Monatsschrift 63, 7 v. Fran^ois: Die trei-
bende Kralt im Kriege*
Als Vorimcht von Studien über das Frachtfubrweaen gibt
Eauers In Petermanns Mitteilungen 52, 3 einen Beitrag: Zur
Geschichte der alten Handelsstraßen in Deutschland. Die bei-
gegebene Karte l : 1 500000 verzeichnet die Handelsstraßen Mittel-
europas im Mittelalter, leider ohne Fixierung auf eine bestimmte Zeit*
Aus der Revue internationale de l^enseignement I906> Mai 15
erwähnen wir den Gedankenaustausch von Aulard, Lot und
einem Anonymus über die in Frankreich zurzeit vielerörterte Frage
4er Vorbildung der Archivare.
In der Revue kistarlque 90, 2 berichtet Monod über: La
chaire d'histaire au Colli ge de France.
Der starke, die zweite Abteilung der Akten des im Frühjahr
1903 zu Rom gehaltenen Internationalen historischen Kongresses
umfassende Band: Altl del congressa inier nazlonate di seiende
storiche, VoL Hl (Roma, Loescher, 1906. LH, 719 S. 15 fr) weist
«inen derart mannigfachen Inhalt auf, daß auch für diesen Teil
von einer ins einzelne gehenden Besprechung abgesehen werden
muß und nur auf einige besonders wichtige Erscheinungen ver-
wiesen werden kann. Von den auf die Sitzungsberichte folgenden
Teml dl discusswne wären zu nennen Fr* Novati: Per la pmbbli-
ca^ione del Corpus inscriptlonum Halicarum medii aevi und
L, Schiaparelli: Froposle per ta pubblica^ione di un ^ Corpus
xhartarum Itattae'^, ferner G* G o r r i n i ^s Ausführungen über die
27*
416
Notizen und Kachnchten.
Notwendigkeit einer gleichmäöigeren Gestaltung der Besttmniun-
gen, die in den verscliiedenen Staaten hinsichtlich der Benutzung
von Archivalien rur neueren und neuesten Geschichte getroffen
sind, — Einen höchst erwünschten und lehrreichen Einblick in
den geschichtlichen Studienbetrieb der einzelnen Länder gestatten
die knappeUj sämtlich von hervorragenden Vertretern unserer
WissenschaH gebotenen Referate : L'insegnamento e l^organizza-
lione degti stität di storia nel diverst siati e nei varti oräini di
scuole, — Von den C&munlcazioni heben wir hervor den Artikel
von L. Duchesne, der über die Bischöfe ftaliens und die lango-
bardische Invasion handelt^ AI* Schult es Ausführungen über
die Wolle als Beförderin der wirtschaftlichen Blüte Italiens^ L,
Pastor: Le biblioteche private e speelalmente quelle deUe fami-
glie principesche di Roma^ die Mitteilungen von L. G. P 6 1 i s s i e r
über Dokumente zur Geschichte der Beziehungen zwischen Frank-
reich und ftalien. Ober historische Evolution handelt L. M. Hart-
mann, einen Oberblick von den Anfängen der Kommune bis zu
denen der Signorie bietet F> Gabotto. — Mit methodischen
Fragen befassen eich u. a, Thayer, Koron, Gentile» Croce
und Nitti, und schließlich wären noch einige Arbeiten aus dem
Gebiet der historischen f-fllfswissenschaften zu nennen^ nämlich
Pribram: Ober die Frage einer allgemeinen historischen Biblio-
graphiC} Marzi: Neue Studien und Forschungen zur Kalender-
frage im 15. und 16. Jahrhundert und Gampori: tJber die Zu*
sammenstellung des Briefwechsels von Muratori.
Neue Bflcher: Weltgeschichte, hrsg* von Helmolt. 6. Bd.,
!. Häifte. (LeipsEig, Bibliograph, Institut, 4 M.) — Ribera, Lo
eientificü en la historla. (Madrid, ÄpalaUgul) — Barbey
d M u re V Uly, De Vhi$toire. (Paris, Lemerre,) — Coartaax ^
U historiographie, T. L (Paris, Cabinet de t'kistüriagraphie*) —
Sarel, Le systäme hlstorique de Renan, HL Renan Historien du
chrlstlanisme, (Paris, Jacques. 3 fn) — Rosij Studi sloncL (Bo-
logna, ZanlehellL 4 fr,) — Ratzel, Kleine Schriften, Herausg*
durch Helmolt. Mit einer Bibliographie von Hantzsch. 2. Bd*
(München, Oldenbourg» 13 M.) — Mater^ L'^glise catholique, sa
consHtuHon^ son admlnistration, (Paris, Colin. 5 frj — Seh mid-
iin, Geschichte der deutschen Naticnalkirche in Rom S* Maria
deirAnima, (Freiburg i. B., Herder, 15 M,) — De Bas, Reper-
loriam voor de nederlandscke krljgsgeschledenls. Cs Gravenkage,
van Cleef. S fL) — D^Hoop^ Inventaire g^n^ral des arckives
eccläsiasHques de BrabanL T. L (BraxelleS) GuyoL) — Trani,
La casa di Savoia e la Francia. (Torinü, C lausen.) — H ru-
ße vlkyi, Geschichte des ukrainischen (ruthenischen) Volkes.
Alte Geschichte.
417
L Bd. (Leipzig, Teubtier. !8 M.) — Supan, Die territoriale Ent-
wicklung der europäischen Kolonien (Gotha, Perthes. 12 M.) —
Lüschin v» Ebengreuth, Die Munre ats historisches Denkmal
sowie ihre Bedeutung im Rechts- und Wirtschaftsleben. (Leipzig,
Teubner. I M*)
Alte Geschichte.
Aus der Kilo (so heißen jetzt die trefflichen, oft von uns
schon angeflogenen, von C, F, Lehmann, jetzt C. F. Lehmann*
Haupt und C« Komemann herausgegebenen Beiträge zur alten
Geschichte) 5,3 (190ö) notieren wir J, Beloch: Griechische Auf-
gebote [; C. F. Lehmann-Haupt: Hellenistische Forschungen
3. Zur attischen Politik vor dem chremonideischen Kriege (worin
fein und richtig der Abschluß des ägyptisch-athenischen Bünd-
nisses zum guten Teil als Werk der Arsinoe Phitadelphos dar-
gestellt wird); R. Nordin: Aisymnetie und Tyrannis; A. Wil-
helm: fnschrift aus Kyzikos (behandelt das Athen. Mitt, 9, 60 ver-
öffentlichte Beamten Verzeichnis, das die eponymen Hipparchen
von Kyzikos verzeichnet, was gewiß richtig ist); A* Köhler:
Reichsverwaltung und Politik Aleicanders des Großen; £. Kor ne-
in an n^ Zum Streit um die Entstehung des Monumentum Ancyra-
num (verteidigt seine Hypothese gegen Fr, Koepp und V. Gardt-
hausen); G. Kazarow: Monumentum Ancyranum ; P.Wolters:
Die Dauer des Vesuvsausbruchs im Jahre 79; C. Thulin: Eine
Folygonalmauer aus my kenischer Zeit und R, Kiepert: Die
Poikile Petra bei Seleukeia in Kilikien«
R. Frhn v. Lichtenberg: Beiträge zur ältesten Geschichte
von Kypros sucht zu beweisen^ daß wir es in Kypros, Troia und
Phrygien mit einer gleichartigen Kultur zu tun haben, deren
Wurzeln nach der Balkanhalbinsel hinweisen und sich wohl bis
ins südliche Ungarn hin verfolgen lassen, womit die antiken Uber^
Jteferungen allerdings stimmen (Mitteilungen der Vorderasiatischen
CeseJlschaft 1906, 2).
Die das erste erschienene Heft der zusammenfassenden
Publikation des österreichischen archäologischen Instituts über
Ephesos besprechende Arbeit G, R ad e t s : Iö topogmphie d-^phese
(im Journal des Sdva/iis 1906, 5) sei hier noch erwähnt, weil sie
die Probleme fordert und nützliche Beiträge zur Kenntnis der
berühmten Stadt bringt.
In den Abhandlungen der historischen Klasse der Kgl Baye-
rischen Akademie der Wissenschaften 23^ 3 (1906) veröfientlicht
418
Notizen und Nach richten.
E. Brandenburg: Neue Untersuchungen im Gebiet der Phry
gischen Felsenfassaden, die sehr nützlich sind und auch neues
Material bringen,
!n den Mitteilungen des Kats* deutschen archäolagischen
Instituta, RömiBcbe Abteilung 20, 3 widerspncht mit guten Gründen
zunächst F, H a u s e r : Plinius und das zensorische Verzeichnis
der Annahme DetlefsenSj daß Plinius fast allesj was er über tn
Rom behtidliche Schöpfungen der Kunst zu sagen weiß, einem
zensorischen Verzeichnis der im Staatsbesitz befindlichen Kunst-
werke verdanke, Weiler widerlegt schlagend C* Patsch; Der
illyrische Zoll und die Provinzialgrenzen, Domaszewskrs Lehre
vom Zusammenfallen der Zollstaüonen mit den Provinzialgrenzeci;
und O. Seeck stellt die Inschrift des LoUianus Mavortlus her
aus ClLVl 1757 und 1723, deren Zusammengehörigkeit er richtig
erkannt hat»
Im Rheinischen Museum 61,2 veröffentlichen W* Volt g raff
unter dem Titel AABPT^ ausgehend von den vielen Ortsnamen
gleichen Stammes Untersuchungen, die weit über das topogra-
phische Interesse hinausgehendj große geschichtliche Zusammen-
hänge eröffnen: nämlich die Verwandtschalt der Etrusker und
wohl auch der Iberer und Libyer mit der Urbevölkerung Griechen-
lands und Kleinasiens, ein Resultat, das schon von anderen ge-
wonnen durch Ortsnamenforschung eine erwünschte Betätigung
gewinnt; A. v. Meß: Untersuchungen über die Arbeitsweise
Diodors und endlich W. Bannierr Zu den attischen Rechnungs*
Urkunden des 5. JahrhundertSj der sehr gute Resultate durch seine
Arbeit gewinnt.
Im Hermes 4j 2 setzt zunächst W- Dittenberger seinen
Artikel über Ethnika und Verwandtes fort. Dann handeln J. Geff-
cken über die Verhöhnung Christi durch die KriegsknechtCj gegen
die religionsgeschichtitche Auffassung von Wendland und Vollmer
und gegen die üterargeschichtiiche von Reich gerichtet, aber
ohne Entscheidung über Wahrheit oder Fälschung des evangeli*
sehen Berichtes zu bringen; S. Sudhaus über den Mimus von
Oxyrhynchos; M. Bang: Die mtlitärlsehe Laufbahn des Kaisers
Maximus, dem man wohl zustimmen kanUj und Th. Thal heim:
Elsangellegesetz in Athen, das mit guten Gründen ins Jahr 411
V* Chr. gesetzt wird, jedenfalls nicht ins Jahr 350*
In den Streit um Ithaka-Leukas, der jetzt durch Dörpields
Grabungen auf Leukas und seine verschiedenen Schriften, welche
Leukas als Heimat des Odysseus erweisen wollen, heftig entbrannt
istj greift W* v. Mardes: Die Ithakalegende auf Thiaki ein im
i
AJie Geschichte,
419
Sinne Dörpfelds (Neue Jahrbücher für das klass. Altertum % 4).
Ebendort behandelt klar und lichtvoll Th. Zielinski auf Grund
der Rostowzewschen Publikationen die römischen Bleitesserae.
Ein neues Denkmal altrömischen Lebens, Im 5. Heft derselben
Zeitschrift bespricht G- Finsler: Das homerische Königtum.
Aus den Grenzboten 65. Jahrg* Nr 13 notieren wir W, Kroll,
Antike Universitäten.
In den Sitzungsberichten der philosophisch-philologischen und
der historischen Klasse der KgL Bayer. Akademie der Wissen-
schaften zu München 1906, Heft 1 veröffentlicht R. Föhlmann:
Sokratische Studien.
Im Philologus 65, 1 (1906) weist W* DÖrpfeld: Alt-Athen
zur Königs^ett ruhig und sachlich, aber eindringlich und über-
reugend die von £. Drerup neuerdings aufgestellten Annahmen
und Vermutungen über Lage und Gestalt der ältesten Stadt
Athen zurück. Ebendort handelt A. Klotz über die ExposUto
tütius manäi et gentium^ wobei richtig nachgewiesen wird, daß
Expositio und Junior abhängig voneinander sind und beide auf
ein griechisches OriginaE zurückgehen, was neuerdings von Sink
in Abrede gestellt war.
In den Jahresheften des Österreichischen archäologischen
Instituts 9,1 veröffentlicht H, Schenkl ein neues Bruchstück
des Edidum Diocletiani aus der Vorrede (= Ij 23—28; dasselbe,
das schon Forster im Journal of helknic stuäies 25, 2 [I905J pu-
blizierte), weiter verbessert und erläutert vortrefflich 0* Cuntz:
Das cotiegium fabrum in Aquileia die Inschrift bei Pals Nr, 181,
und A. Schulten veröffentlicht zwei Erlasse des Kaisers Valens
über die Provinz Asia, die freilich ungewöhnlich interessant sind
und viel Licht verbreiten; es frag sich aber doch, ob wirklich
jetzt die Asiarchen endgültig erklärt sind. W. K ubi tsch ek:
König Ecritusirus bringt einen Beitrag zur Geschichte der Daker
unter Bureblsta und E. Maaßr Die Griechen in Südgallien* Aus
dem Beiblatt notleren wir H. Swoboda und W, Wllberg:
Bericht über Ausgrabungen in Grado; A* Gnirs: Forschungen
im sudlichen I Strien ; P, O r t m a y r und L S i e g e h Ein Paar
tnililärischer Grabsteine in Verona; R. Engelmann: Aqnae
Albuime; A. Brückner: Zum Athenalos eines Psephismas aus
Notion.
Eine Reihe neuer Münzen (aus Kyzikos, ApoUonia, Mileto-
polis, Hadrianutherae und Poemanenum) teilt F. W. Hasluck:
Notes Oft cüin-ccUecting in Mysia mit in The Numis matte Chro'
nicle I906j 1 . Ebendort handelt B, V, H e a d über ihe eartiest
t
420 Notizen und Nachrichten.
grueco-batirian and graeco-mdian coins und F, I m h o o f - B I u m e r ;
Th€ mint at ßabylon verteidigt glücklich und überzeugend seine
Zuteilungen einer Gruppe von Alexander- und Satrapenmünzen
<Doppetdareiken in Gold, Löwenmünzen in Silber) an die Münz-
stätte Babylon (zwischen 331 — 306) gegen die Einwände von Ho-
worth, der jene Münzen der Süd* und Westküste Vorderasiens
zuteilt.
Denselben Aufsatz in deutscher Sprache wiederholt F, I m >
hoof-Blumer in der Numismatischen Zeitschrift 37, i;2>
Aus derselben Zeitschrift notieren wir noch M. Bahrfeld t:
Die Münzen des Flottenpräfekten des Marcus Antonius und A.
Markh Rektifikationen zu Cohens Beschreibung der Münzen von
Claudius n. und Quintillus.
Walter Otto: Priester und Tempel im hellenistischen Ägypten.
Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Hellenismus. L Bd, Leipzig
und Berlin, B. Gv Teubner. f 905, XIV u. 418 S. Mit großer Sorg-
falt ist in diesem Bande das Material vor allem aus der Papyrus-
literatur zusammengetragen und verarbeitet worden, welches sich
auf die Organisation der Priesterschaft und die Verwaltung der
Tempel in dem Ägypten der Ptolemaer- und Kaiserzeit bezieht.
Dabei ist das Verhältnis von Staat und Kirche in dieser Epoche
untersucht und der Ursprung einer Reihe von Institutionen er-
örtert worden. Wenn der Verfasser auch eine Gesamtdarstellung
der Religion des hellenistischen Ägyptens» deren tieferes Ver-
ständnis Reitzensteins neueste Forschungen erschlossen haben,
nicht versucht hat, so darf doch dieses Buch als eine vortreffliche
Vorarbeit dazu gelten.
Die Revue arch^ologiqfu 1906, März-Apdl bringt eine Arbeit
von S. de Ricci: La Chronologie des premiers pairiarchts d'Ale-
xandriej der den zweiten Nachfolger der hU Marcus^ den Abilius
für einen wirklichen Bischof Alexandriens hält und mit Recht
darauf hinweist, daß dieser Abilius {■=^ tat. AvilHus) von einem
Freigelassenen des Prafekten A. Avillius Flaecus abstammen kann.
Weiter folgt die Fortsetzung der bereits angezeigten Aufsätze
von P. M o n e c a u X : Enquite sur V^pigraphie chrätienne d^Afriqiie
und von S, Chaberl: Histoire sommaire des Stades d'äpigraphie
grecque ei r omaine en Europe. Den Schluß macht die v ortreif'
liehe Revue des publicalions ^pigraphiques relatives ä Vantiqmii
romaine von R. Cagnat et M. Besnier,
Im Bulletin de correspondance hellänique 1906, 3/5 veröffent-
lichen P. Jouguet: Papyrus de Ghoran. Fragments de com^dlts
und G- C o f i n : Inscriptlons de Detphes. La ihiorie Äth^nitnne ä
4
4
4
P k
Alte Geschichte,
421
Delphes^ M. Holleaux macht ausgezeichnete Bemerkungen über
den Papyrus von Gourob (Flinders Petrie papyrus II, XLV; IH,
CXLIV, der eine Aufzeichnung über den 3, Syrischen Krieg ent-
hält) und sar une InscnpHon de Colophan Nova,
Im American Journal of archaeotagy 10, 1 (1906) veröffent-
licht O. M. W a s h b u r n The buildings inscrlpUons of the Erech'
theumf denen A. Frickenhaus Beiträge zur Erklärung beifügt*
Welter berichten O. M. Washburn über txca\^aUon3 at Corinth
1905 und G* Ph* Stevens über the east wall ofihe Erechlheam. Zum
Schluß sei wieder auf die treffliche Übersicht H. N. Fowlers
über neue Grabungen und Funde auf dem Gebiet der AltertuinS'
Wissenschaft hingewiesen.
In den Mtmorie della r, Auademla delle sclenze dt Torin o
ser. 2j tomo 55: scienze morall sloriche e ßlologkhe handelt F.
Ghione gründlich und ausführlich üb^T I cümtini del regnü dl
PergamOf wofür für die Ausdehnung und Entwicklung des perga-
menischen Reiches viel brauchbare Resultate gewonnen werden.
Aus den Rendiconli della r. Äccademia det Lincei^ ciasse di
scienze morali, sloriche e filol&gühe 1905, 9/10 notieren wir den
Bericht von 0* Biondi über Scavi eseguiie a Hermupolls Magna,
Aus den Notizie degtl scavi di anlichüä 1906, 7—12 notieren
wir G. F. Gamurri n i: Dl ana Iscrizlone onararia all' imperalore
Adriano scoperte presse Derala; Gatti: Roma. Naove scoperle
netla citlä e nel suburbio ; A, S o g 1 i a n o : Pompel. Refazione degli
scavi falti dal dicembre /902 a taito marzo 1905; A. Salinas:
Iscrizionl onorarle dt Lillbeo^ von denen die eine uns den vollen,
bisher unbekannten Namen des vierten Sohnes des Kaisers Marcus
kennen lehrt ; G, Ghirardini: Lapide romana scoperta nella
fandazioni del campanile di s. Marco; L. A. Milani: ipogeo pa^
leoefrusco di Moniecalvario presso CastelUna in Chlanti; G. G h i -
rardini: NoHzia prell minare sugli scavi del teatro romano ; F.
S a v i n i : Scoperle della necropoli preromana deW anlica inter*
amnla Praeiutliaram ; D* Vaglieri: Grotlaferrata. Impartanii
lapldi iscrilte ; G, Ghirardini: Lozzo Äieslino. Tamba prlmitlva
SCO per la sul decllvio del monte; R. Paribenl: Scavi nella necro-
poli capenale ; Q, Patron i: Tomte galliche rinvenute nel terri-
torio del comttne (Rlpalla Nuova) ; A* A I f o n s i : Anlichitä romane
scoperle nel fando Chionsano (Gaiba); A. Sog^Hano: Cuma.
Epigrafe graeca arcaica; P* Grsi^ Scavi, e scoperle nel sud-est
delta Sicilia (Luglio 1904 -— Giugno 190B); A, Ferrero: Tomba
& barbarica scoperla faori della clitä (Torino) ; G. E, Rizzo: Sar^
r
F I
I
422 Notizen und Nachrichten,
P. 0- Schjtftt: Die römische Geschlchle Im Lichte der neue-
sten Forschungen zeigt im L Abschnitt: Die Anfänge Roms den
starken etrüsklschen ElnfluG bei der Gründung sowohl als auch
in der Kultur des ältesten Roms, womit er wohi im allgemeinen
wenigstens auf Billigung rechnen darf, während der 2. Abschnitt: ^
Die Servianische Reform und die sex smffragia viele Hypothesen fl
enthältj wodurch unseres Erachtens noch nicht alle Schwierig-
keiten in der allerdings sehr verwickelten Frage behoben werden.
( Videnskübs-Selskabets Skrißen ChrisUanla II : HisL-Fiias. Klasse
1906, L)
Dr. Max Schermann, Der erste punische Krieg im Lichte ^M
der livianischen Tradition. Ein Beitrag zur Geschichtschreibung
des Livius und seiner Nachfolger. Tübingen, H. Laupp. 1905,
120 S, Die Tübinger Dissertation bezweckt eine Wiederherstellung^
wenn auch nicht der verlorenen Bücher 16 bis 19 des Livius selbst^
so doch wenigstens der Livius-EpitomeT die unmittelbar oder mittel'^
bar von den späteren Epitomatoren und Abbreviaturen verwendet
worden ist. Für jedes einzelne Jahr und jedes einzelne Kriegs-
ereignis werden die Abweichungen innerhalb der annalistisch-
römischen Quellengruppe festgestellt und unter f-leranziehung der ^
griechischen Gewährsmänner Polybius und Diodor, auch Dio- H
Zonaras einer Wertbeurteilung unterworfen. Viele Fragen bleiben
dabei unentschieden^ schon wegen der Dürftigkeit des Materials;
auch soll die Arbeit im wesentlichen nur eine Quellenuntersuchung
sein. Allerdings wäre eine deutlichere Heraushebung des Ergeb-
nisses, eine möglichst abgerundete Wiedergabe der ermittelten
Bestandteile der Liviusepitome erwünscht gewesen. Dafür aber ist
die Abhandlung durch ihre fleißigen Zusammenstellungen und
Analysen des Quellenmaterials für jeden von Wert^ der sicfi mit
irgend einer Frage über den ersten punischenVKrieg befassen will, L,
Der von unn schon angezeigte ausgezeichnete Bericht W« ^M
Liebenams über die Arbeiten auf dem Gebiet der römischen
Staatsaltertümer wird fortgesetzt im Jahresbericht über die Fort-
schritte der klassischen Altertumswissenschaft 1905, 11/12.
Im Korrespondenzblatt für die höheren Schulen Württembergs
13, 1 veröffentlicht J. Miller seine am Königsgeburtstag gehaltene
Rede: Der Untergang des römischen Reiches nach seinen Ur-
sachen, welche auf dem ihr zugewiesenen engen Raum natürlich
nicht erschöpfend ist, aber doch anregend wirkt und nicht blolä
eine Ursache, sondern deren viele anerkannt.
Aus der Zeischrift für wissenschaftliche Theologie 4Q, l no-
tieren wir G, Förster: Die Neumondfeier im Alten Testament.
I
Alte Geschichte.
42S
^]* Haecker; Die Jungirauen-Geburt und das Neue Testament;
W* Lüdtke: Die koptische Salome-Legende und das Leben des
Einsiediers Abraham (weist für die von Revillout behandelte Sa*
lome-Legende sehr instruktive Bezüge mit der in den Vttat Patrum
erzählten Geschichte der Maria Meretrix nach) und endlich A.
Htlgenfeld: Der Clemens-Roman, der gegen H. Waitz und A.
Hamack polemisiert und seine Ansichten von Zeit und Art der
Entstehung des Clemens-Romanes verteidigt.
ß, de Labriolle: TeriaUUn Juriscansuite zeigt in über-»
zeugender Weise, daß les concepUons^mattresses de TertalUen ont
rtpii tear forme du droit r&main. (Nouveltc Rei*ue kistarique de
droit {ranfais et ^tranger 30, 1 [1906].)
Aus der Theologischen Quartalsschrift SS, 2 (1906) notieren
wir K. Böckenhoff: Die römische Kirche und die Speise-
satzungen der Bußbücher.
Die Neue kirchliche Zeitschrift 17, 2 bringt die Fortsetzuug
der Arbeit von H Ö n n i c k e : Neuere Forschungen zum Vaterunser
des Matthäus und Lukas, worin die Versuche, eine Urform des
iVaterunsers zu konstruieren, als nichtgegliickt abgelehnt werden*
^ Die Mainummer des Expositor bringt die Fortsetzung von
W. M, Ramsay: Tarsus, Ebendort veröffentlicht J. Moffatt;
Mutes on recent New Testament study y worin einige neue Er-
scheinungen kritisch kurz besprochen werden, denen St* A. Cook
in ähnlicher Weise Old Testament Notes folgen läßt.
Neue Bücher; Milan i^ Studi e materiaU di archeologia e
numismätica, (Firenze, Seeber.) — Win ekler, Der alte Orient
und die Geschichtsforschung, (Berlin, Peiser. 4 M,) — Urkunden
des ägyptischen Altertums. Hrsg. v. Geo, Steindorfl. [V. Abtlg.
Urkunden der 18. Dynastie. J. Bd. (Leipzig, Hinrichs' Veri. 20 M,)
— E* Meyer, Die Israeliten und ihre Nach bar stamme. (Halle,
Niemeyer, 14 M.) — Kuemmel, Karte der Materialien zur Topo-
graphie des alten Jerusalem, Farbdr* nebst ßegleittext, (Halle,
Haupt. 18 M.) — Cousin j Kyros le Jetine en Äste Mlneure (Prln~
temps 4ÖS ä Juitlet 401 av. /-Cj. (Paris-Nancy, Berger- Levrauti
<fi Q>, 10 fr,) " Cardin all, U regno di Pergamo, (Roma,
Loeschcr <£ CöJ — Sambon^ Les monnaies antiques de Vita He,
T. l^r-^ (ÄngerSf Burdin <fi Cie.) — Hesselmeyer, HannJbals
Alpenübergang im Lichte der neueren Kriegsgeschichte. (Tübingen,
Mohn 0,80 M.) — Colin, Rome et ta Grice de 200 ä 146 av.J.-C.
(PariSj FontemoingJ — Natoii, l GracchL (MitanOj PalleslrinL)
— DottiHf Manuel pour servir ä l'ilude de Vanliquilä celtique.
(PariSj Champion. 5 frj — V e i t h , Geschichte der Feldzüge
424
Notken und Nachrichletk
C Julius Caesars. (Wien, Seidel & Sohn, 25 M.) — Shttakturgh,
Augitsttts: the life and times of the founder of the roman empire
(Lonäofif Fisher Unwin.) -- Fiiow, Die Legionen der Pro v im
Moesta von Augustus bis auf Diokletian. (Leipzig, Dieterich.
5 M.) — Antike Denkmaler in Bulgarien, ßearb* von KaUnka.
(Wien» Holder* 20 M.) — Smith, Der vorchrislHche Jesu, nebst
weiteren Vorstudien zur Entstehungsgeschichte des Urchristen-
tums. (Gießen, Töpelmann, 4 M,) — De La/arge ^ La papanU:
son Inf lue nee dans ie monde au /F* stiele, fSens^ Miriam.) —
Caraliera, Le schisme d^ An Hoc hie (IV**— V^ siicie). ( Paris ,
Picard ei füs, 7,50 fr J — Soltau, Das Fortleben des Heidentumi
in der altchristttcben Kirche, (Berlin, Reimer, t M )
Rdmisch-germanlsche Zeit und frühes Mittelalter bis 1250.
Zur Vorgeschichte des deutschen Bodens notieren wir dies-
mal nur zwei Arbeiten, die von W. Ketz über den Urnenfriedhof
bei Bahrendorf im Kreis Dannenberg (Lüneburger Museumsblätter
3) und die Zusammenstellung der neuen prähistorischen Funde in
der Uckermark von K. Schumann (Mitteilungen des ackermär-
kischen Museums- und Geschichtsvereins zu Prenzlau 3, 1). Will-
kommen wie immer ist die Museographie für Westdeutschland und
Bayern für das Jahr 1904 auf 1905 mit ihren Verzeichnissen der
Neuerwerbungen der dortigen Museen, namentlich der zu Metz,
Mainz, Bonn und Trier, Eine Reihe von Tafeln dient der Veran-
schaulichung der wichtigsten Funde, die den Museen von Stras-
burg, Metz und Trier einverleibt wurden (Westdeutsche Zeitschrift
24, 4),
Arbeiten zur römischen Periode der deutschen Geschichte
sind nicht ausgeblieben, doch begnügen wir uns mit dem Hinweis
auf nur zwei von ihnen, C, Schuchhardt wägt die Gründe
gegeneinander ab, die für die Gleichsetzung von Aliso mit IHaltern
oder für die Identifizierung von Oberraden mit Aüso sprechen*
Im Gegensatz zum Entdecker der Verschanzungen bei Oberraden.
O. Prein, der sie für die Reste von Aliso erklärt hatte (vgL
seine Schrift: Aliso bei Oberraden. Münster, Aschendorf f 1906*
7B S,), hält Schuchhardt daran fest, daß Aliso einzig und allein
in Haltern wiedergefunden werden könne, daß aber in Qberraden
nur ein Feldlager zu suchen sei (Westdeutsche Zeitschrift 24, 4).
G. Lachenmaier behandelt die Okkupation des Limesgebietes
durch die Römer. Die eindringende Untersuchung, die sich bereits
mit den Arbeiten von Fabricius und Knorr (vgl. %, 53L 533) aus-
einandersetzen konnte^ ist ausgestaltet mit einer guten Karte,
p i
deren Übersichtlichkeit dem Leser bei den hiufig sehr ins Detail
gehenden Aosführungen zustatten Itommt» Die Studie wäre noch
eindrucksvoller, faßte sie ihre Ergebnisse In kurzen Sätzen wenig*
stens zusammen; immer wieder macht man die Beobachtung, daß
die Autoren häufig bei ihren Lesern Einzelkenntnisse voraussetzen,
die sie nach Lage der Dinge gar nicht haben können oder die sie
eben erst durch die Lektüre gewinnen wollen, daß Kontroversen
erörtert werden ohne prägnante Heraushebung der Gründe des
beiehdeten Gegners^ Wenn eine Abhandlung von rund 80 Seiten
ohne Kapitel- oder Paragrapheneinteilung ein Füllhorn von Details
ausschüttelt so müßte sie doch etwas Rücksicht nehmen auf die
Rezeptionskrait des menschlichen Gedächtnisses, dessen Feinde
nach einem bekannten Worte die langen Kapitel sind (Württem-
bergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte N. F. 15, 2)»
», Je eine Arbeit gilt den letzten Schicksalen der Ost- und der
Westgoten, Eine Broschüre von 0. v, P i 1 le m e n t , Ostgoten* Das
Ende in Italien, Ostgermanische Namensgebungen, Ein goliBcher
Kanton (Leipzigi Dieterich 1906. 38 S.) stellt sich dar als die Ver-
einigung älterer Aufsätze ihres Verfassers. Ihre Aufgabe ist zu
ermitteln, ob und wo sich Spuren der Ostgoten^ auch nach der
Schlacht am Mons Lactarius (553) und der Zertrümmerung ihres
Staates erhalten haben. Dem Verfasser sind in Tlrol^ insbesondere
in Ladlnien, ostgermanische Namengebungen so typischer Art ent-
gegengetreten^ daß er glaubt, hier Spuren gotischer Einwanderung
zu linden^ ebenso aber auch in Graubünden und am Genfersee<
Ohne über die sprachlichen Darlegungen urteilen zu dürfen, möch-
ten wir glauben, daß diese Hypothesen nicht allgemeinen Beifall
finden werden, obwohl sie mit großer Warme aufgestellt und ver-
teidigt werden. Den Fall des Westgotenreiches In Spanien (711)
schildert ein Aufsatz von Dykes Shaw in der Engllsh Histarkal
I^eview 21 Nr, S2, Leider sind die neueren Ausgaben der Chronrken
wie z. B. der des Johann v, Biclaro von Th. Mommsen {MG^ auci.
aniL XI) und die Untersuchungen von K^ Zeumer über die Chro-
nologie der Westgotenkönige (Neues Archiv 27) nicht benutzt^
aber hoffentlich regt die Studie zu weiteren an^ für die durch K.
Zeumer die wertvollsten Hilfsmittel dargeboten sind.
Dr, Joseph Schmid, Die Osterberechnung auf den briti-
schen f nseln vom Anfang des 4. bis zum Ende des % Jahrhunderts
(Regensburg, G.J.Manz» 1904) behandelt eine kirchenhistorisch merk-
würdige Erscheinung, das starre Festhalten der britischen Christen-
welt an dem älteren 84jährigen Osterzyklus noch vier Jahrhun-
derte lang, nachdem dieser in Rom außer Gebrauch gekommen
war, und deckt sich mit dem Abschnitt iV meines Aufsatzes über
426
Notizen und Nachrichten.
die Einführung des griechischen Paschalritus im Abendlande (Neues
Archiv IX, 141 iL). Der Verfasser hat den Gegenstand in nicht
ungewandter Form zur Darstellung gebracht und manche Berich-
tigungen und Ergänzungen zu meiner Arbeit geUciert, aber leider
übersehen, daß In jüngster Zeit (1901) Mac Carthy, der gelehrte
Herausgeber der Annalen von Ulster, die ganze Materie der Oster-
Zyklen von Hippolyt an mit großer Sachkenntnis und unter voll-
ständiger Beherrschung des Quellenmaterials durchforscht und die
Jrüheren Forschungen in vielen Punkten modifiziert hat. Infolge
der großen Bedeutung der Osterirage für die Geschichte des
Landes ist das Interesse dafür in England stets lebendig geblieben
und die Beschäftigung mit den Geschichtsquellen erheischt dort
geradezu das Eingehen auf diesen Gegenstand, Aus dem genann-
ten Buche hätte Schmid reiche Belehrung schöpfen können, wäh-
rend das ausgezeichnete neue Werk von E, Schwartz über die
christlichen und jüdischen Ostertafeln noch nicht erschienen war.
Anzuerkennen ist der ernste wissenschaftliche Sinn des bereits in
Amt und Würden befindlichen Verfassers, der sich mit der vorliegen-
den Schrift den Doktorhut in Königsberg erworben hat, und der
ausführliche, nach Territorien gesonderte Überblick über die Ge-
schichte der britischen Osterstreitigkeiten in Kap, 5 — 10 ist ^ur
raschen Einführung nur zu empfehlen. Weniger haben mich die
ersten Kapitel belrledigt, und besonders das zweite und dritte
scheinen mir kaum Existenzberechtigung zu haben; aus der nicht
immer geschickteni vielleicht auch nicht ganz logischen Dispo-
sition werden sich die vielfachen Wiederholungen erklären, die
störend wirken. Wenn mein Buch über die chrLstllch-mittelalter-
liche Chronologie das Studium der schwierigen Frage pnicht
gerade** erleichtert, wie Rühl bemerkt und Schmid im Vorwort
nachschreibt, so dürfte der Grund nicht allein in der Anlage zu
suchen sein> sondern vielleicht auch In der Erweiterung, die das
Forschungfigebiet gerade durch meine Studien erfahren hat, und
an dem Fehlen des Registers braucht nicht immer der Verfasser
Schuld zu haben, B. Krmsch.
Aus Anlaß eines im Herbst 1904 unter den Ausgrabungs-
stücken vom römischen Theater (nicht die Arena i) in Verona ge-
machten Urkundenfundes veröffentlicht Carlo Cipolla in den
i^endiconti della R. Accademia dei Lincei (classe dl sctenze moraU
etc^ senfV voL XfV fasc.JfB; s. t*i Aiiorno a Giovanni cancelHere
di Berengario i) drei Dokumente aus den Jahren W7, 908 und 922,
sämtlich nach Kopien« die sich mitte!- oder unmittelbar auf Be-
rengars I- Kanzler Johannes (915?— 926 als Bischof von Cremona
nachzuweisen) beziehen^ und von denen die erste in etwas jüngerer
4
I
i
Frühes Mitte! alten
427
[Abschrift vorhanden aber unediert, die zweite bisher unbekannt,
' die letzte von Ughelli {HaUa sacra ed. Cotettl V, 729^731) nicht
einwandirei gedruckt und dann später verschwunden war. Voraus
geht eine kurze Übersicht über die urkundtiche Erwähnung des
Kanzlers Johannes, wie sie Schiaparelli (BuUetino äffirhtitaio starica
iiaUano no^ 23, Roma 1902, S» 14 ff.) und Dümmler (Gesta Beren-
garii imperatorisj Halle IS71, S, 56, Nr, 1) bereits etwas knapper
gegeben hatten. P* //-
£. Mayer hat sich der Mühe unterzogen, die unter dem
Namen des Dragoni gehenden Fälschungen von diesem Makel
zu befreien. Sein Buch: Die angeblichen Fälschungen des Dra-
goni. Übersehene Quellen zur kirchlichen und weltlichen Ver-
fassungsgeschichte Italiens (Leipzig, A. Deichert 1905. VI, 98 S*)
enthält zunächst die eingehende Beschreibung der Handschrift
I jenes Cremoneser Kanonikers (f I860)j in der die fraglichen Ur-
' iLunden zusanitnengetragen sind. Ein zweiter Abschnitt gilt den
Urkunden selbst, von denen alle bis zum Sturz des Desiderlus,
I Insgesamt dreiundzwanzig an Zahl, in Trojas Codke diplomaUca
Löngobardö h\x\v\^kmt gefunden haben. Wüstenfeldt Ausführungen
vom Jahre 1859, daß sie das Werk eines Fälschers seien, hatten
die herrschende Meinung erzeugt, — Mayer glaubt sie widerlegen
zu können durch die eindringende Untersuchung aller Stücke:
finden sich unter ihnen unechte oder verunechtete, so sind nie
nicht das Machwerk Dragonis; alle übrigen sind echt, voller Auf-
schlüsse für die Verfassungsgeschichte der italienischen Dom*
Stifter, vornehmlich des zu Gremona. Auch die LebensumNtJlnde
Dragonis wollen eine Fälscherabsicht nicht recht glaubhaft er-
scheinen lassen, — kurz Mayer plädiert für eine Gesamtausgabe
des Codex Dragonianus^ aus dem er im Anhang seiner Schritt
17 Urkunden zum Abdruck bringt. Mit U M* Kartmann Überein-
stimmend möchten wir den Rettungsversuch als nicht geglückt
erachten und die aul ihn verwandte Mühe als vergebUch anwehen
(Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschiehtuforschung
26, 4), Angefügt sei hier der Hinweis auf die fleißige Arbeit von
G. Bonolis über die Adelstitel im byzantinischen Italien^ deren
Geschichte In umsichtigen Darlegungen geschildert wird. Leider
fehlt ein Verzeichnis aller besprochenen Prädikate, da» bei der
Interpretation von einzelnen QLiellenstellen z, B. den Lihfr ptmtl-
ficaUs oder der Papstbriefe gute Dienste leisten könnte. Ktwin
kurz ist dieOatgotenzeit behandelt (S. 37 ff.), für die auch ferner-
hin der Index Traubes zur Ausgabe der Variae CassiodofEi heran-
gezogen werden muß (/ titoU dl noblttä fieitltatiu byäünUna,
Firenze, ß. Seeber 1905. 85 S.).
428
Notizen und Nachrichten.
r
Im Korrespondenzblatt de& Gesamtvereins der deutschen Ge-
schichts- und Altertumsvereine 54, 4 ergreift K, Rubel zweimal
das Wort zur Verteidigung seiner bekannten Hypothesen (vgL 96, 534
u. oben S, 397). An erster Stelle verÖfientUchl er einen im Jahre 1905
zu Bamberg gehaltenen Vortrag über das fränkische Eroberungs-
und Siedelungssystem in Oberfranken und seine Bedeutung für die
älteste Geschichte der Babenberger und der Babenberger Fehde;
die Theorie von den fränkischen Neuumgrenzungen der Land-
schaften und von den Aufgaben der duces als der Markensetzer
erscheint hier als das wunderkrältlge Allheilmittel für die Lösung
von immer mehr bislang vielumstrittenen Problemen der deutschen
Geschichte. Die zweite Abhandlung sucht, angeregt durch A.
|-Ieusler^ der in seiner Deutschen Verfassungsgeschichte Rübeis
Ergebnisse im wesentlichen angenommen hatte^ darzutun, daß im
Frankenreiche eine Sondertruppe von Berufsstreitern, in scarae
eingeteilt^ die Besatzung der castra, praesidia usw. gebildet^ neben
dem allgemeinen Heeresaufgebot also dem König jederzeit zur
Verfügung gestanden habe ; ^die Weiterentwicklung dieser Sonder-
aufgebote in nachkaroiingischer Zeit, das Zurücktreten des Gesamt*
aufgebotes läßt sich unschwer verfolgen, sie hat das mittetalter-
liche Heerwesen bedingt**
M, Kemmerich behandelt in dankenswerten Ausführungen,
die freilich den methodologischen Fragen etwas breiten Raum ver-
statten, die Porträts des Kaisers Karl des Kahlen (f 877), die ins-
gesamt in ausgezeichneten Reproduktionen dem Aufsatz beigefügt
sind. So weitet sich die Studie zu einer neuen Vorarbeit für die
Ikonographie des früheren Mittelalters (vgl, ^5, 350 f,) aus (Zeit-
schrift für bildende Kunst 1906, N. F. 17, 6 S, 147 ff,). Gleich hier
dürfte ein Hinweis auf A. Haseloffs inhaltsreichen Aufsatz in
Westermanns Illustrierten Monatsheften 100, 7 am Platze sein. Er
geht den Spuren der hohenstaufisehen Kunst in Apulien nach, deren
Zusammenfassung neues Licht wirft auf die Kultur im Reiche
Friedrichs II* Zahlreiche Abbildungen und farbige Kunstblätter
dienen der Veranschaulichung: hervorgehoben sei hier nur das
Reüef der Kanzel in BItonto mit einer Darstellung des Kaisers
und seiner Familie*
Die (Tübinger) Theologische Quartalschrift 88, 2 enthält
zwei Aufsätze, auf die hier kurz hinzuweisen ist. K. ßöckhoff
handelt über die römische Kirche und die Speisesatzungen der
Bußbüchen Sein Ergebnis ist, daÖ jene Vorschriften nicht gemein-
kirchüchen oder römischen Ursprungs sind und daß sie, mochten
sie gleich durch die Verbreitung der Pönitentialien in Rom bekannt
4
I
n
Frühes Mittelalter.
IM
werden, die römische Anschauung und Übung nicht wesentlich
beeinflußt haben ; zeige sich in der römischen Kirche hin und wieder
eine Neigung zur Anerkennung solcher Observanzen» so sei sie
auf griechische Einflüsse zurückzuführen. P. A. Kirsch sucht
darzutun, daß die Gewährung des Portiunculaablasses durch Pnpst
Honorius lEL (1216 — 1227) an den hL Franz von Assisi nicht nls
historische Tatsache festgehalten werden könne; der Gtfiube »n
eine derartige Privilegierung sei vielmehr entstanden nach dem
Jahre 1291 und zwar im Kreise der SpirÜualen und theologisch
begründet worden durch eine Schrift des Franziskaners Peter Ollvl«
Zur frühmittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte notieren wir
drei Arbeiten, einmal die Anzeige des Buches von L* M. Harlmann
(Zur Wirtschaftsgeschichte Ualiene. 1905) durch 0. v. Belnw In
der Beilage 110 der Münchener Allgemeinen Zeitung^ sodann die
Bemerkungen von G. Caro in der Historischen Viertel jithri^chrUt
Q, 2: mit besonnener Ruhe werden hier einige Fragen der Urbar-
forschung erörtert; vornehmlich Beachtung verdienen die Ausein-
andersetzungen mit C. Beyerle über dessen Versuch, den Umfang
der Grundherrschaft Arbon zu rekonstruieren (Zeitschrift dcH Ver-
eins für die Geschichte des Bodensees 32, 1903), wie endllcli die
Ausführungen über die Hof leihen nach den Acta Mnr^nBia. Am
gleichen Ort ergreift B* Hilliger das Wort, um »eine Darlegun«
gen über den Schilling der Volksrechte (vgl 91, 3511.; 92, 348)
gegen Vinogradoff und Heck durch schärfere Begründung %u ver*
leidigen.
In knappen! ^^^^ anschaulichen Zügen befiandelt 0. v. 6 e I o w
die ältere deutsche Stadtverfassung: die Enlutehung der Stldie
als derSit^e von Handel und Gewerbe, die Entwicklung ihrcT Ver-
fassung bis zum Untergang ihrer Autonomie sind die beiden Fra-
gen, die in der Studie beantwortet werden sollen (Deutichc Monil»-
schnft 5, f >. A. M e I s t e f t Auli^at^ kn\ipli an das ßttch von %,
Rietschel itier das Burggrafenamt an. Der BurggrmfeniJtel tat
nach ihm einer Bcamtung t>ei gelegt worden, deren I» puren »Ich
seit dem achten Jahrhundert ftfidert^ der Prlfektuf alt der mlUtlri«
sehen Vontcberichaft vcm Grmzgebieteii, In denen da» Orafitchaft«'
sjstein iMidi ipcbt durehgeÜJirt war, dafui von ditaceljMMi Pfilzen
oDd StiiÜMr 4mk 6ermn rfsi dmc Vorttcbcrsciialt f «flMi«4tii
wAmwm Wmam/Iam^m mw der de» VogU «dir dM
grxkn aber liittra mA wMk Mtalen Pe4WriiHii (rrfcMd frtf
wäAwmA4mhmilmm,mm 4mmmfmmm
b
430
Notisen und Nachrichten.
den konnte. Hingewiesen sei besonders auf die Erklärung der
oft besprochenen Tatsache^ dal^ in Stra6burg bestimmte Hand>
Werkerverbände zum Burggrafen in Beziehung stehen^ die an sich
nichts mit dem Kriegswesen zu tun haben (Historisches Jahrbuch
27, 2). Aus der Historischen Vierteljahrschrift % 2 notieren wir
noch die DupUk von G. Seeliger wider E. Stengel (vgL9^, SS4).
aus den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik 3* Folge
^i, 3 die Besprechung von Seeligers Werk durch P. Rehme^ der
namentlich mit seinen Ausführungen über das Hoirecht sich be-
schäftigt.
Die Durchforschung der BibUotheks- und Archivbestände
nach frühmittelalterlichen Papsturkunden hat einen weiten Schritt
nach vorwärts getan. K. Wiederhold hat auf einer einjährigen
Reise nach Frankreich alle Sammlungen des ehemaligen Arelats
und des Herzogtums Burgund aufgesucht und das Ergebnis seiner
Arbeiten in einem Beiheft der Nachrichten der Göttinger Gesell-
schaft der Wissenschaften 1906 veröffentlicht (auch besonders:
Papsturkunden in Frankreich. I. Berlin, Weidmann, 3 M,), Die
Ausbeute an Überlieferungsformen bekannter Stücke war nicht
geringer als die an unbekannten oder nur erst im Regest vor-
liegenden Dokumeoten : der Anhang briogt im ganzen 96 Ur-
kunden aus dem Zeitraum von 1037 bis 1195 teils im vollen, teils
im abgekürzten Wortlaut zum Abdruck; die Mehrzahl von ihnen
gehört zwar erst dem 12. Jahrhundert an, aber daß auch ältere
lange genug verborgen blieben, zeigt beinahe jeder Bericht von
P. Kehr und seinen Sendboten. Gerade aus Frankreich wird man
noch eine stattliche Reihe von Neufunden erwarten dürfen, wenn-
gleich sie nicht so groß sein wird wie die der Funde in italieni-
schen Sammlungen.
Wir möchten nicht verfehlen, nachträglich (vgl. %, 535 i) auf
einen weiteren Band der Script&rcs rerum Germanicamm aufmerk-
sam zu machen, 2umal er eine bisher unbekannte Quelle der Be-
nutzung zu erschließen sucht. Im Jahre 1895 entdeckte K. Hampe
in der Kathedralbibliothek zu Durham einen Text der Annales
MeiienseSj der von den geläufigen Ausgaben erbeblich abwich : als
Annalts Af eilen ses priores (678—831) v er öHent licht ihn nun B,
V, Simson^ derart da6 seine sorgfältige Edition durch stete Her-
vorhebung der Quellen der Annalen (z. B, der Fortsetzungen des
sog* Fredegar) dem Leser das gesamte einschlägige Material unter-
breitet^ gleich^eLtig aber auch ihre Überarbeitungen und Frag-
mente zur Herstellung des Textes verwertet. Fln Anhang bringt
als Annales Meüenses posteriores (776 — 805) den früher alteiti be-
i
i
i
4
I
Frühes MitfeTalter.
Tfcannten Wottlaot d^r Aufzeichnungen^ der ah Bearbeitung der
älteren und der Chronik Reginas v. Prüm nur noch literarhistori-
sches Interesse erweckt. Sachliche Erläuterungen in großer Zahl
begleiten die neue Quelle, zu deren Abdruck B. Schmeidler das
Register der Orts- und Personcnnamen beigesteuert hat (Annatfs
Mettenses priores primam reeognavit B, de Simson^ Acceäuni ad'
diiamenia annaüum Metiensium posienoram* Hannover und Leip-
zig, Hahn 1905, XVII, US SO*
Ein kleiner Aufsatz von L* Vanderkindere sucht die Deu-
tung des Wortes Sclusas auf einen Alpenpaß, wie sie D. Schäfer
vorgeschlagen hatte (vgl 95, 528) zu verstärken, ohne seine Be-
ziehung aul den MonC Cenis als die einzig mögliche zugeben zu
ir ollen {BuUtUn de la commission royale d'histoirt TS, 1).
Unter der Überschrift: Der Vorstreit der Schwaben und die
Kcichssturmfahne des Hauses Württemberg behandelt ein licht-
voller Aufsatz von K. Weiler einmal den Anspruch der Schwaben
auf den ersten Platz im Retchsheere, sodann den der Grafen und
Herzöge von Württemberg auf die Führung der Reichssturmfahne
als ein am Besitze von Markgroningen haftendes Reichsleheti,
Jener geht zurück auf poetische Überlieferungen und ist erstmals
zum Jahre 1075 für den Kampf bei Homburg a. d. Unstrut bezeugt.
Die Verbindung des zweiten Anspruchs mit dem Besitz von Mark«
j^rönlngen hat sich erst in den dreißiger Jahren des 14. Jahrhun-
derts vollzogen* Ludwig der Bayer wollte Ulrich von Württemberg
für seine Verdienste im Streit wider König Johann von Böhmen
belohnen; immerhin war schon im Jahre 1257 zu Händen des da-
maligen Besitzers von Markgroningen, Hartmanns von Groningen,
der gleichzeitig Bannerträger des Reiches gewesen war, eine Art
von Personalunion zwischen jener Stadt und jenem Rechte vor-
handen gewesen (Württerab, Vierte Ijahrshcfte für Landesgeschichte
N. F. 15, 2).
In einem stattlichen Bande des RecueU de textes pour servir
ä Vätuäe de VhUtoire de Beigigue veröffentlicht K* Hanquet
eine neue Ausgabe der Chronik des Ardennenklosters SL Hubert.
Verfaßt zu Beginn des 12, Jahrhunderts, enthält sie lehrreiche No-
tizen zur Geschichte der durch Gregor V!f, angefachten Bewegung,
gegen Schluß auch Notizen zu den letzten Tagen Heinrichs IV,
Dem sorgfältig erläuterten Texte geht eine Einleitung vorauf, die
sich über die Quellen, die Oberfieferung und die spätere Benutzung
der Chronik verbreitet; Hanquet hält daran fest (vgl. 88, 664), daß
aller Wahrscheinlichkeit nach ihr Autor in dem Mönche Lambert
4ien jüngeren zu suchen sei (La chronique de Saini-Habert dite
28*
432
Notizen und Nachrichten,
Cantatorium. BrutMtes, Kießling 1906. LItl, 290 S. m. Faksimile-
tafel).
Der Widerlegung der Hypothese von Pekaf, daÖ Coämas von
Frag die Vita et passio s. Ludmiiae et Wtncestai aus der Feder
eines angebUchen Zeitgenossen Adalberts von Prag, Christian^ be-
nutzt habcj gilt ein ausführlicher und überzeugender Aufsatz von
B. Bretholz. Mit Recht wird jene Legende als em für historische
Zwecke fast wertlose Quelle bezeichnet, die erst nach Gosmas
entstanden ist^ vielleicht noch im 12. Jahrhundert: sie kann also
ihm den Namen des Vaters der böhmischen Geschichte nicht
streitig machen (Zeitschrift des deutschen Vereins für die Ge-
schichte Mährens und Schlesiens 10, 1/2; a, u- d. T,: Zur Losung
der Christianfrage, Brunn ^ R, M, Rohrer 1906. Si S, erschienen);
vgL diese Zeitschrift 93, 15L
H, Simonsfelds Beitrag zu den Sitzungsberichten der
Dhilos.'philoL und der histor. Klasse der Münchener Akademie der
Wissenschaften 1905, 4 gibt ein Verzeichnis der vom Verfasser
in Italien eingesehenen oder verglichenen Urkunden Friedrichs L
Drei Anhänge bringen Dokumente zur Geschichte von Genua und
Mailand im 12. Jahrhundert und die Urkunde eines kaiserlichen
Legaten von 1161 zum Abdruck.
Einer kleinen Miszelle von J. Schmidlin, die sich mit dem
Urteil von A. Hauck Über Otto von Freising auseinandersetzt^
hätte man schärfere Herausarbeitung der entscheidenden Punkte
und Gegengründe gewünscht (Htstor. Jahrbuch 27, 2).
In den Sitzungsberichten der philos.-phlloL und der histor.
Klasse der Münchener Akademie 1906, 1 veröffentlicht H. PrutE
eine Fortsetzung seiner Studien zur Geschichte der Ritterordea
(vgl 93, 528, 95j 347), Sie befaßt sich mit den finanziellen Opera-
tionen des Hospltaliter-, d. h. des JohanniterordenSj die auf die-
selbe Wurzel zurückgehen wie die der Templer, ohne Ihren Um-
fang zu erreichen. Anschaulich wird die Wirkung des Falles von
Akkon (1291) auf die Vermögenslage des Ordens geschildert, der
als Erbe der Templer nicht solchen Zuwachs an Gut und Vermögen
zu verzeichnen hattCi wie vielfach angenommen worden ist.
Eine anregende Studie zur englischen Verwaltungsgeschichte
im 12. Jahrhundert veröffentlicht Parow unter dem Titel: Com*
potus vieecomitis. Die Rechenschaftslegung des Sheriffs unter
Heinrich IL von England (Wissenschaftliche Beilage zum Jahres-
bericht der Friedrich-Werderschen Oberrealschule 1906. Berlin»
Weidmann, Programm Nr. 134. 62 S.). Die Quellen der Abhand-
lung sind die Pipe Rolts, jene Protokolle über die Berichte der
4
i
i
I
Frühes Mittelalten
43S
Shenffs vor dem königlichen Schatzamt Ihren Inhalt bilden ein-
gehende und anachauliche Ausführungen über die Tätigkeit der
SheriHs, die durch geschickt gewählte Beispiele anschaulich er-
läutert wird wie gleichzeitig das Verlahren beim Compoius selbst.
Den Schluß füllen Betrachtungen über die Bedeutung der Finanz-
politik Heinrichs U. aus : sie wird als eine unentbehrliche Waffe des
Staatsgedankens wider den Feiidaiismus bezeichnet
G, A. Crüvell handelt im Archiv für Kulturgeschichte 4p 2
über die Verfluchung der Bücherdiebe. Der Leser von Watten-
bachs „Schriftwesen" kennt die Subskriptionen der mittelalter-
lichen Codices als Fundstätten des Humors, aber auch des In-
grimms der Schreiber wider die Räuber ihrer Werke. Die Aus-
führungen Grüvells fassen mit Geschick ältere und neuere Beob-
achtungen zusammen^ ohne — und das soll kein Tadel sein —
wesentlich neue Resultate zu erzielen.
Neue Bücher: Grupp, Der deutsche Volks- und Stammes-
charakter im Lichte der Vergangenheit. (Stuttgart^ Strecker
^ Schröder 2JQ M*) — Monteüus, Kulturgeschichte Schwe-
dens von den ältesten Zeiten bis zum IL Jahrhundert nach Chr*
(Leipzig, Seemann. 9 M.) ^- Der obergermanisch-rätische Limes
des Römerreiches. 26. Lfg. (Heidelberg, Retters. 8 M.) — Der
römische Limes in Osterreich, 7, Heft (Wien, Holder. 10,60 M,)
— Boer, Untersuchungen über den Ursprung und die Entwick-
lung der Nibelungensage, 1. Bd. (Hatle, Buchh. des Waisenhaus*
S M.) ^ Liebermann, Die Gesetze der Angelsachsen. 2. Bd.
L Hälfte, (Halle, Niemeyer. 16 M.) — Le/ai, Le röte thäalogtque
de Cisaire d*Artesj iiude sur VhUtoire du dogme chrätitn en Occi-
dtnt um temps des rayai*mes barbares, (Paris j Picard ei ßis*
3j50 fr.) — Br^hier, La qaerelle des Images, VUl^-^lX* sticies,
(Paris, Bloud * Cie,) — Höhne, Kaiser Heinrich IV. (Güters-
loh, Bertelsmann, 5 M.) — Arlas , H sistema delta costituzione
economica e sociale italiana neW etä dti comunL ( Torin o, Romx
e Vtarengo.) — Riboldi, Le sentenze dei consoü dl Milane nel
secolo XIL (MilanOf CoglialL) — Gottlob^ Kreuzablaß und
Almosenablafl, Eine Studie über die Frühzeit des Ablaßwesens.
{Stuttgart, Enke, 12 M,) — A. Carte llieri, Philipp IL August,
König von Frankreich. 2. Bd, Der Kreuzzug (1187— 1191). (Leipzig,
Dyk. 10 M.) ^ Thomas de Celano, S, Franciscl Asslsiensis
vita ei miracula additis opasculis lllur gleis. Rec. P, Eduard*
Aienconitnsis, (Roma, Desci^e^Lefebvre ACo. 8M,)— Thatcher
and Mc Nealy A source book for medlaeval htstary. (New York^
Scrlbners,) — Laiiemand^ Histoire de la Charit^. T. ///. Le
Vf%
Kotizen und Nachrichteiii
moyen-
(dit X« am XVi^ sikU), (Faris^ FUard €i füs,) ^
osaj EI r/gimen senoriat y la caesiwn agraria en
Caiatuna ätirante la eäad media* (Madrid j Suarez.) — Rondonif
Disegno di staria del media evo con partieotare rigitardo alf UaJia*
(Fi ferne f Le Monnier.) — Siubhs, The siory cf Cambridge.
( London f Dent 4fi shj
Späteres Mittelalter (t250— 1500).
In dem von der Acad/mie royale de ßelgique herausgegebenen
Bulletin de ta commission royale d'histaire 74, 1 veröffentlicht
Doin ürsmer Berühre aus einem Kollektorienband des Vati-
kanischen Archtvfi Auszüge über die Prozesse belgischer Kleriker
an der Kurie während der Jahre 1259—1263. In Heft 4 finden skh
ein Aufsatz von R de Pelsmaekerr le Courtage ä Ypres aux
XI Ih H XiV^ siicleSj namentlich die Organisation behandelnd» und
urkundliche Mitteilungen von L. Verrlest: La preuve du servage
dans le droit coutumier de Taurnai^ fast sämtlich dem spateren
Mittelalter angehörend.
In der Revue des queslions historiques 1906^ 2 handelt E, R odo-
canachi über Sklaverei und Sklavenhandel in Italien während des
13. bis 16. Jahrhunderts.
R. Wackerna gel teilt in der Basler Zeitsehr. f. Gesch. u,
Altertumskunde 5, 2 drei Basler Steinurkunden aus den Jahren
1264, 1307 und 1437 mtt^ von denen Nr. 1 und 2 die offenbar ver-
loren gegangenen Originale zu ersetzen vermögen.
Im Bulletin de IHnstiiut Li^gais 35| 1 bietet J. Paquay ur-
kundhche Beiträge zur Geschichte des Lütticher Generalvikars
Renier (t 1267), der im kirchlichen Leben seiner Diözese eine
markante Erscheinung bildet,
„Die Politik Pisas wahrend der Jahre 1268—1282'' schildert
eine hallische Dissertation von David Alexander Winter (Berliti^
Mayer £ Müller 1906, 75 8.) in vier Abschnitten: L Vom Zuge
Konradins bis zum Frieden Pisas mit Karl von Anjou und Tos-
kana 1270. 2. Vom Kreuzzug Ludwigs IX. bis zur Wahl Rudolfs
von Habsburg. 3. Vam Auftreten Rudolls von Habsburg bis zum
Friedensschluß mit Toskana 1276, 4. Pisas Stellung während der
Fnedensjahre 1276—1282, Der Hauptteil der Arbeit umlaßt somit
die JahrCf in denen die alte Ghibellinenstadt in unzähligen Kämpfen
mit Karl von Anjou und den tuskischen Städten ihre Kraft ler-
rcibt und den Verlust ihrer Vormachtstellung zu Lande vorbereitet.
Das ein letztes Aulflackern der Kräfte schildernde Schlußkapitel
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; als PubtizlBlcn und »*(iw# Ut 4imi*ä^* ., >,. -
(vgl 95, 534 f.).
H. Maurer vcrdftcfitlUM to iür /^^ - ' ^
Oberrheins N. F, 21, 2 äam m ¥$0llmM / k
gegebenen Schlediftprycli hl ^Amf KMM^nM^
als Beleg für die Verwcfftfüf im MM^HJWM ^^^---w m^^-^ --
Geistlichkeit und d«rM rWrÜi» Mf 4ü i^iW|tol<MI Jlf^^
wert ist.
Die Beilage wm 7L IhiMm m» ^ U..,.^i ri.siJi$m
Gymnasium zu MUsf^^tfg mttHtim^^
eine Darstetimg im iM$t$ß^Mf 4%
Behauptuiif flmr WfifcWWfciiy^ kß 4m.
dnchs des firfi<|pg ttm S^wMf:
M, Mai I30T mmm Imiwm0«ii9f ^^.u
Schlacht M ImAml^ mUt. #' # «y
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436
Notizen und Nachrichten.
p
und ^um Absctiluß gekommen ist Auch gibt er einen Anhang
von 23 Dokumenten in vollem Wortlaut^ von denen bbÖe Regesten
wahrhaftig genügt hätten. Insofern jedoch ist sein Buch von
dauerhaftem Werte» als er seine Ausführungen durchgängig aus
den Quellen belegt^ und es Quellen ersten Ranges sind^ die er
benutzt. Aus den Archiven von Ferrara, Venedig , Bologna,
Modena hat er mit emsigem Fleiß reichliche Ernte geschöpft, was
ihm die Forscher, die sich mit venezianischer und ferrarischer
Spezialgeschichte beschäftigen, zu Danke wissen werden. M. Er.
Eine kritische Studie über das Münzwesen unter Philipp dem
Schönen veröffentlicht im Anschluß an die Arbeiten von BoreUi
de Serres A, Dieudonnd im Moyen'äge 1905, Nov.-Dez.
Alb. Huyskens behandelt im Histon Jahrbuch 27, 2 die
von Erfolg begleiteten Besirebungen, das Kapitel von St, Peter in
Rom zu einem FamilienstÜt der mächtigen Orslni zu machen
(1276 — I3i2), in deren Reihe Papst Nikolaus IIL, Matteo Rosso
und Napoleon O. hervorragen. Wie wenig diese nepotisHsche
Verwaltung der Kirche zum Heil ausschlug, mag man aus Bei-
lage II ersehen, die von dem Kapitel und seinem Leben um 1337
ein anschauliches, aber sehr unerfreuliches Bild entwirft und u. a.
feststellt, daß damals kein einziger Kanonikus sich im Besitze der
Diakonatsweihe befunden hat. Um die Mitte des 14 Jahrhunderts
ist trotz der Reform versuche Papst Benedikts XIL und des Kar-
dinals Napoleon ein völliger Zusammenbruch des kirchlichen
Lebens zu verzeichnen.
Die Frage nach dem Schauplatz der Schlacht am Morgarten
behandelt nochmals ein weitausgreifender in der Schweiz. Monats-
schrift für Offiziere aller Waffen 1906, Januar-März abgedruckter
Vortrag von Hans Herzog. Den Verfasser bestimmen nament-
lich Einträge aus einem Einstedler Urbar, den Morgarten nahe an
der Schwyzer Gren2e, doch noch im Zugerland bei Haselmatt
ru suchen.
In den Württemberg, Viertel Jahrsheften für Landesgesch.
N, F. 15, 2 verfolgt Kauber die oft starkem Wechsel unterworfene
Stellungnahme der dem Bistum Konstanz angehörenden Orden
und Stifter im Kampfe Ludwigs des Baiern mit der Kurie»
A, Kfodzinsky hat schon im Przeg^d Polski 1904, August-
heft, über den im Jahre 1331 vom Kaiser Ludwig gegen Johann
von Luxemburg zustandegebrachten Bund gehandelt, der über
Polen einen verheerenden Einfall Johanns und einen Verwüstungs-
^ug der Kreuzritter brachte. Nun teilt er allerlei Nachträge mit,
so genauere Mittellungen über das ftinerar Johanns in GroßpolenT
hL
späteres Mittelaltar.
Berichtigungen über den Einfall der Kreuzritter, endlich den bisher
unbekannten Bericht des Ordens nach Avignon über diese Ereig-
nisse. Derselbe ist besonders beachtenswertj well er noch aus
dem Jahre 1331 herrührt, (Kwartalnlk bist., Lemberg 1905» 19, Bd.)
Aus dem Archiv io delta R, sodetä Romana di sioria patria
28, 3 u, 4 verzeichnen wir tln^n Aufsatz von G. Arias: Per la
storia economica del secolo XI V^ im wesentlichen eine Verarbeitung
von Exzerpten^ die sich der Verfasser bei den Vorarbeiten Jür
eine unlängst erschienene größere Arbeit aus 4tn Vatikanischen
Akten gemacht hat; ferner die Veröffentlichung einer Aufzeich-
nung über die Sendung des Kardinals Capranica zu Alfons von
Aragon (Sommer 1453) durch Enr. Carusi.
G, La Mantta gibt im ArchMa star. SiciUanQ M S. anno 30 y
fasc 4 einen Überblick über den Inhalt zweier nur in Bruchstücken
erhaltenen Originalregister König Ludwigs von Aragon aus den
Jahren 1353/55; B. J. di Matteo veröHentlicht ebenda Conti in-
ediii riguardanti la coniazione dei pkcoii della Regia Zecca di
Messina (1461).
Die Beziehungen zwischen Florenz, der Kirche und Karl IV*
schildert für die dem ersten Römerzug des Kaisers unmittelbar
voraufgehende Zeit (1353/55), gestützt auf ein reichhaltigeS| neu
erschlossenes Quellenmatena], das demnächst folgen soll, Fr^ Bal-
dasseroni im Archivio st an Italiano 1906, L
Cipolla belegt mit einer neu gefundenen Urkunde, daß
Petrarca 1342 von Clemens VL ein Kanonikat In Pisa erhielt.
{Atti delta r. Accademta delte scienze di TorinOy Classe di scienze
morati etc* XLl, 2 u* 3),
G, Brizzolara beendet in den Studi storici 14, 3 seine
Auseinandersetzung mit Filipplni über Cola dl Rienzi und Petrarca,
indem er zum Schluß nochmals die politischen Hollnungen, die
letzterer auf Cola setzte, kurz formuliert (vgL 89^ 164 u, 541;
93,356; 96,355), ~ In kultur- und wirtschaftsgeschichtlicher Hin-
sicht sehr wichtig ist die an der gleichen Stelle sich findende
Quellenveröffentlichung von P, Pecchiai: H libro di ricordi
ä'iin gentiluomo pisano det secolo XV (^ Baitista di Bondö Lan*
freducci),
B* P i t z o r n o druckt und erläutert im Nuovo archivio Veneio
N, S. 11, I einige Dokumente über die venezianischen Konsuln auf
Sardinien und Majorka aus der Zeit von 135S bis 141 L
Aus dem Archiuio star* Lombardo serie quarta^ anno 33 ^
fasc, 9 sind zwei kleine Abhandlungen zu verzeichnen, die beide
von Fr. Novati herrühren. In ihnen erhalten wir Mitteilungen
188 Notizen und Nachrichten»
über das Eintreten des bekannien, von Romano kUrsUch noch in
eingehender Darstellung behandelten Staatsmannes Niccol6 SpInelU
für Guido von Arezzo anläßlich der mantuanischen Bischofswahl
(1367) und über die Gefangennahme Bernabo Viscontis und die
gegen ihn vorgebrachten Anklagen (t3S5>.
Zwei Arbeiten sind ^ur hansischen Geschichte zu verzeichnen.
In der Zeitschn l deutsche Philologie 38, 2 bemüht sich F. Kauff-
mann um eine befriedigende Deutung des Wortes „Hansa*, indem
er dasselbe als Burschenschaft oder Knabenschaft^ d. h, Bund der
wehrhaften unverheirateten jungen Männer^ auffaßt und zu zeigen
sucht, wie aus dieser ursprünglkfien Bedeutung heraus die Be-
griffe nach der militärbchen und genossenschaftlichen Seite (CQhffrs
bzw« socieias) sich gebildet habend sowie die für die Organisation
der wahrhaften Burschen wichtigsten Momente: die Pflicht einer ■
Abgabe beim Eintritt und der Anspruch auf die Vorrechte der
Genossenschaft.— In dem anderen Aufsatz behandelt F. Keutgen:
Hansische HandelsgeseUschaften vornehmlich des 14. Jahrhunderts.
Der bis jet2t in der Vierteljahrsschnft f. Sozial- u. Wirtschafts-
geschichte 4, 2 vorliegende Teil holt weit aus, indem er sich mit
allgemeinen handeisgeschichtlichen Gesichtspunkten beschäftigt.
Dabei wird Sombarts These, wonach vor der Mitte des 15, Jahr*
hunderts in Deutschland nur durch Anhäufung von Grundrenten
Vermögen erworben sei, auf ihre Richtigkeit geprüft und abge-
lehnt und die Bedeutung des Fernhandels in dieser Hinsicht auf-
gezeigt.
Die Inkorporationspolitik des Deutschen Ordens in Livland
1378 — 1397 schildert ein ausführlicher Aufsatz von P. Girgensohn
in den Mitt. d, Gesellsch. f. Gesch. u. Altertumskunde der Ostsee-
provinzen Rußlands 1906. Das Streben des Ordens ging dahin^
nach preußischem Vorbild die livländischen Bischöfe ihrer Eigen-
schaft als selbständige Landesherren zu entkleiden und sie auf die
Stufe von Ordensuntertanen herabzudrücken. Trotz des energi-
schen Widerstandes der von dem Bischof Dietrich Damerow zu-
sammengebrachten Koalition errang der Orden durch die fnkor-
porierung des Erzstifts Riga einen Erfolg von entscheidender Be-
deutung. Daß er anderseits tm Danziger Vertrage der livländi-
schen Opposition durch die Aufhebung der Verpflichtung zu
Heeresfolge und Landesverteidigung seitens der Stiftsvasallen ein
Zugeständnis verhängnisvoUster Art machte^ sollten die nächsten
Jahrzehnte freilich in erschreckender Weise kund tun.
Die Annaies de l'Bst ei da Nord bringen im Aprilheft den
Schluß des umfangreichen^ ungedruckte Materialien in reichlicher
I
i
Späteres Mitte laJter.
439
Fülle mitteÜenden Aufsatzes von J, Fi not über den Frieden von
Arras (vgl. %, 542), der Frankreich den inneren Frieden auf kurze
Zeit wenigstens wiedergegeben hat.
,Die Ermordung König Ladislaws (1457)*' ist der Titel einer
lebhaft geschriebenen Untersuchung von Erhard Waldemar Kanter
(München und Leipzig, Oldenbourg 1906* 64 S.). Mit völliger Be-
herrschung des Quellenmaterials und unter Heranziehung eines
von medizinischer Seite abgegebenen Gutachtens unternimmt er
in scharfer Polemik namentlich gegen Palacky den Nachweis» daß
der junge Habsburger nicht der Fest erlegen» sondern von Georg
Podiebrad vergütet worden sei| daß letzterer also die böhmische
Krone durch ein Verbrechen erlangt habe.
Angeregt durch die Miszelle von G. Kentemch (vgl %, 358),
hat Jos, Pohl eine Rettung des in der Imitatio-Frage eine her-
vorragende Rolle spielenden Propstes Johannes Busch durch
P, Eschbach vornehmen lassen, die er im Hi stör. Jahrbuch 27, 2
Eum Abdruck bringt und mit einigen ziemlich überflüssigen Aus-
fällen auf G. Börner und dessen Kritiker begleiten zu müssen
glaubt.
In die Zeit des Rasenkriegs führt die Miszelle von Cora
L, Scofield über den später hingerichteten Heriog Heinrich von
Somerset und Eduard IV, (Abdruck zweier Schriftstücke von
1462/53; The EngUsh historkai review 1906, ApriL)
Im 9* He(t des Trierer Archivs (1906) veröffentlicht W, Fa-
hrt cius das Viiitationsregister des Archidiakons Johann von
Finstingen aus dem Jahre 1475, das über die dem Archidiakon
bei der Abhaltung des heiligen Sends^ des geistlichen DiszipUnar-
gerichts in den Pfarreien seines Amtsbezirks^ zukommenden Rechte
sehr interessante Angaben enthält.
Als sechstes Betheft zu den Veröffentlichungen der Stadt-
bibliothek in Köln hegt eine Arbeit von Otto 2aretzky über
dtn ersten Kölner Zensurprozeß vor, der auf Grund des von dem
Kölner Dechanten und Offizial Heinrich Urdemann verfaßten und
von dem Münzmeister Erwin von Stege 1477 herausgegebenen
„Dialogus super libertatt ecclesiasüca' angestrengt wurde. Als
die treibende Kraft bei der Unterdrückung wird nicht der Domini-
kaner Gerhard von Elten nachgewiesen, wie VoulUfetne früher an-
genommen hatte, sondern der Rat der Stadt Köln, dem diese
übrigens für die innere Geschichte Kölns höchst bemerkenswerte
, Schrift sehr ungelegen kommen mußte» (Köln, Du Mont-Schau-
1906. VI, 124 $,)
440
Notizen und Nachrichten.
P. Richard beschließt in der Revue ä'hisL ecct^siastique
I906| 2 seine Ausführungen über die kurlale Vertretung in dem
Zeitraum von 1450—1513 (vgl oben 205),
In den Württembergischen Vierteljahrsheften t Landesgesch.
N. F. I5j 2 bemüht sich W* Ohr darzulegen, daß die durch Land-
tagsbeschluÖ 1498 erfolgte Absetzung Eberhards IL von Württein-
berg, im Rahmen der damaligen Rechtsanschauungen betrachtetf
sich keineswegs als etwas durchaus Unerhörtes darstelitj sondern
als Ausfluß des auf einem Vertrags Verhältnis zwischen Landes-
herrn und Landesvertreter beruhenden Widerstandsrechts der
Stände zu betrachten Ist Merkwürdig ist vor allem, daß die Ab*
Setzung nicht von einer stark ausgebildeten Ständemacht ausgeht*
sondern einen Augenblickserfolg einer rechtlich noch wenig ent*
wickelten ständischen Bewegung bedeutet.
Jak. Werner, Beiträge zur Kunde der lateinischen Literatur
des Mittelalters aus Handschriften gesammelt. Zweite durch einen
Anhang vermehrte Ausgabe. Aarau. H. R. Sauerländer £ Co.
1905, 227 S, Preis 4 M. Der Titel der Schrift ist irreführend.
Die erste Ausgabe derselben gelangte nicht In den Buchhandel^
sondern ist eine 1905 erschienene Züricher Inauguraldissertation»
die den Titel führt: „Über zwei Handschriften der Zürcher Stadt-
bibliothek. Beitrage zur Kunde** usw* Zu den 183 Seiten der
Dissertation sind in der Buchausgabe nur noch S. 184 — 227 hinzu*
gekommen. Den Hauptinhalt bildet ein äußerst eingehendes Ver-
zeichnis des Inhalts von zwei Miszellanhandschriften der Zürcher
StadtbibUotbek und dreier solchen der Berner Stadtbibliothek^ bei
dessen Aufstellung der Verfasser sich als einen recht tüchtigen
Kenner der lateinischen Literatur des Mittelalters erweist Zum
guten Teil wird der bunte Inhalt jener Handschriften (lateinische
rhythmische Texte, deutsche Sprüche, Volkswitze, historische
Anekdoten, Sagen, medizinische Rezepte, theologische Traktate
usw.) in auslührlichen Auszügen mitgeteilt. Sorgfältig angelegte
Register sind beigegeben. //. Haupt
Henry Charles L e a ^ Geschichte der Inquisition im Mittel-
alter. Autorisierte Übersetzung, bearbeitet von Heinz Wieck und
Max Rachel, revidiert und herausgegeben von Joseph Hansen.
Band L Ursprung und Organisation der Inquisition* Bonn, Karl
Georgi. 1905. XXXVIU, 647 S. Preis 10 M. — Leas meisterhafte
j^Hislory af the Inguisiiion' erschien zuerst 1888, in einer neuen
englischen Titelauflage 1900^ in französischer, von Sal. Reinach
besorgter Obersetzung in den Jahren 1900 — 1902, der sich nun
auch eine deutsche Übersetzung anreiht. Dem englischen Original
4
I
I
I
Späteres MitteUUer,
441
gegenüber ist die deutsche Ausgabe insofern eine verbesserte,
als die ßerichtigungen und Zusätze von Leas Handexemplar für
sie Verwendung fanden; femer hat der IHerausgeber eine Anzahl
von Versehen berichtigt und in den Anmerkungen die Quellen*
und Literaturan gaben in sorgsamer und kundiger Weise revidiert
und ergänzt Daß der jetzt SDjälirtge amerikanische Gelehrte zu
einer durchgängigen Neubearbeitung seines grundlegenden Werkes
sich nicht entschlie&en konnte, ist gleichwohl recht zu bedauern,
da eben doch eine Reihe von Abschnitten einer eindringenden
Revision unter Verwertung der Forschungsergebnisse der leUten
17 Jahre bedurfte. Unter dem Titel: «Die Inquisition und die Ge-
schichtsforschung" (auch als Sonderdruck im Buchhandel er-
schienen) hat der gründliche Kenner der Inquisitionsgeschichte,
Paul Fredericq in Gent, die Bedeutung von Leas Werk in einer
ausführlichen Einleitung zutreffend gekennzeichnet und einen
Überblick Über die neueren und neuesten Arbeiten auf dem Ge*
biete der Inquisttions- und Ketzergeschichte gegeben. Sehr er-
freulich ist die von dem Herausgeber eröffnete Aussicht, daß seiner
Bearbeitung der beiden folgenden Bände außer der Heranziehung
der neueren Literatur auch die von ihm im Laufe längerer Jahre,
zum großen Teile in römischen Archiven, gesammelten reichen
archivalischen Quellen zugute kommen werden. H. Haupt
Neue Bücher: Die Appellation König Ludwigs des Bayern von
1324. Hrsg. V, Seh walm, (Weimar, Böhlaus Nachf , 6 M,) — C k e p p a n ,
Die Schlacht bei Cr^cy (26. Aug. 1346). (Berlin, Nauck, 2,50 M.) —
Daenellj Die Blütezeit der deutschen Hanse. 2 Bde. (Berlin, Reimer.
20 M,) — Mohr, Die Schlacht bei Rosebeke am 27. Nov. 1382.
(Berlin, Nauck^ 2 M*) — Guillotf Les moines pricurseurs dt
OuUnberg. { Paris j Blaaä,) — König, Kardinal Giordano Orsini
(t 1438). (Freiburg l B., Herder. 3 M.) — Schuster und
Wagner, Die Jugend und Erziehung der Kurfürsten von Bran-
denburg und Könige von Preußen, L Bd. Die Kurfürsten Fried-
rich I. und IL, Albrecht, Johann, Joachim L und IL (Berlin, Hof-
mann £ Co. 20 M.) — Montorgaeil^ Louis XL ( Paris ^ Com-
beL 15 fr.) — Sprenger u. Institoris, Malleus MaUficaram* Der
Heitenhammer. übertr. u. eingeleitet von J. W. R. Schmidt. L Tl
(Berlin^ Barsdorf. 6 M.) — f nvernizwi^ GH Ehrti a Pavia nei
sei See, XV e XVf. fPavia^ FasiJ *— Autogramme zur neueren
Geschichte der habsburgischen Länder. Hrsg. von der Direktion
des k* u, lt. Kriegsarchive. l.Bd. (Wien, Seidel & Sohn. 15 M.) —
Meister, Die Geheimschrift im Dienste der päpstlichen Kurie
von ihren Anfängen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts* (Pader-
born, Schöningh. 24 M.)
441
Notizen und Nachrichten.
Reformation und Gegen refortnat Ion (1500—1^4$).
Zur Gesehichte des württember^ischen Humanmmus notieren
wir die Aufsätze von H, Hermeilnk über die Anfänge liet
Humanismus in Tübingen^ und von Gustav B ossert über Theoddf
Reysmann in Tübingen (1530— 1554). Bossert Stent eine volbtän-
dige Biographie des fast vergessenen Pfälzer Humanisten, der
als Charakter freilich bedenkliche Schwächen gehabt zu haben
scheint, in Aussicht
Peter Falk (I46& — 1519)^ ein Staatsmann und Heerführer aus
Frei bürg h Ü>j der auch als Humanist und Geschichtschreiber her-
vorgetreten Ist, hat in Joseph Zimmermann einen Biographen
gefunden (Freiburger Geschichtsbtätter 12). Die sehr ausführliche
Darstellung kommt insonderheit für den Krieg der Heiligen Liga
und die Geschichte Mailands unter MaxtTniEian Sforza in Be-
tracht,
Neue Studien zur Geschichte des 5, Laterankonzils (I5li
bis 1517) veröffentlicht Eugen Guglia in den Sitzungsberichten
der Wiener Akademie, philos.-hist. KL 152, 3. Er berichtet über
den Inhalt eines einschlägigen Kodex des vatikanischen Archivt
(Arm. XI, tom, 67) und handelt ausführlich über Entstehung,
Inhalt und Bedeutung der Reformbulle ^Supernae älspüBitionis*,
Die beiden letzten Nummern (43 und 44) der vom Verein
für Reformationsgeschichte herausgegebenen kleinen „Schriften
für das deutsche Volk*' bringen eine Geschichte der Stadt Frankfurt
in der Reformationszeit von Hermann Dechent, in der glückrtch
auf den retardierenden Einfluß der Handelsinteressen der Stadt
hingewiesen wird , und eine verständnisvolle Charakterskizze
Philipp Melanchthons von Gust. Krüger (Halle a. S„ Rud< Haupt.
1906. 32 u. 25 S, 15 Pf,).
Ein Brief Wimpfetings vom Jahre 1521, den Faul Kalkoff
In der Zeitschr, f. d* Gesch* d. Oberrheins N. F. 21, 2 veröffent-
licht, weist jede Gemeinschaft seines Verfassers, den man an einer
gegen Aleander gerichteten Sireitschrift beteiligt glaubte, an
dieser wie an der Lutherischen Sache überhaupt zurück.
Mit F. Spittas Buch, Ein feste Burg ist] unser Gott (1905),
setzen sich W. K (ö h I e) r im Literarischen Zentralblatt Nr. 12
(vom 17. März 1906)^ Paul Drews in den Göttingischen gelehrten
Anzeigen (April 1906) und Kawerau in den Deutsch-evangeli*
sehen Blättern 31,5 kritisch auseinander. Insonderheit wenden
sie sichj und vielfach mit guten Gründen, gegen die chronolo-
gische Ansetzung der Lutherischen Lieder durch Spitta. Was
i
Reformation.
443
speziell das Lied Em feste Burg aitgebt, so bestreitet hier liaupt-
sächlicti Kawerau den Ansati zu 1521, dies aber m. E* sehr zu
Unrecht, da die beiden von ihm 3, 331 reproduzierten Gegen-
grUnde äußerst dürftig sind und sonst schlechthin alles für dieses
Jahr spricht* /?. //,
Der Schlu0 der ßlographie von |. B. K i ß li n g über Lorenz
Truchseß von Pommersfelden (Katholik 86, 3; vgL oben S. 210)
behandelt namentlich den Konflikt des Damdechanten mit Albrecht
von Mainz 1528 — 1530, der zu einem erzwungenen Verzicht des
ersteren auf die Dechanlei führte, und seine letzten Jahre, die er
als Domherr zu Würzburg verbrachte (f 1543),
Eine Untersuchung der Beziehungen Heinrichs VI IL zu Franz 1.
bis 1535 führt J. T r d s a 1 in der Revu^ des questioms kistariqats 40
(Lieferung 158) zu dem Schluß, daß Frankreich durch seinen Bund
mit Heinrich in den entscheidenden Jahren 1530- 1534 dem eng-
lischen König bei der Trennung von Rom die nötige materielle
und moralische Stütze gegeben habe.
Die Verwaltung des VizekÖnigs Don Ferrante Gonzaga von
Sizilien (1535—1543) macht G, Capasso zum Gegenstand einer
Untersuchung, von der das 4. Heft des Archivio st^rica Skiliano
N, S, 30 den ersten Teil (bis 1537) bringt.
Georg Berbig, Urkundliches zur Reformationsgeschichte
(Theologische Studien und Kritiken 1906} 3), druckt fünf Jonas-
briefe (1540—1552) wie einige Lutherana und Spalatiniana von
vorwiegend persönlichem Interesse,
Lady Blennerhassett entwirft im 9. Heft der Deutschen
Rundschau (Jahrg* 32) von den Jugendjahren der Maria Stuart
1542—1561, also namentlich von ihrem Aufenthalt in Frankreich,
eine hübsche und verständnisvolle, wenn auch nicht viel Neues
bietende Schilderung,
Die Berichte vom Konzil zu Trient aus dem Jahre 1546, iiber
welche Stephan Ehses in der Römischen Quartalschrift {% 4
handelt; stammen von dem Bischof Benedetto de Nobili und sind
besonders ausführlich ijber die Frage der Konzilsverlegung,
Zur Geschichte der päpstlichen Kanzlei im 16. Jahrhundert
sei auf einen Aufsatz von Ren^ Ancel über das päpstliche
Sekretariat unter Paul IV. hingewiesen {Revue des questions histo*
riques 40, Liefg. 15B), worin namentlich der Unterschied zwischen
dem Staatssekretariat für die politischen Geschäfte und dem
Brevensekretariat für kirchliche Angelegenheiten scharf hervor-
gehoben wird, — Im Archiv f. kathol. Kirchenrecht 85,3; 86, L 2
444 Notizen und Nachrichten«
gibt Emil G d 1 1 e r brauchbare Zusammenstellungen über die Kom^
mentatoren der papstlichen Kan^tleiregeln vom Ende des 15, bis
zum Beginn des 17. Jahrhunderts.
L. Feburea Aufsatz Le France ä la veilie de ta R^/crme
{Rev. de Synth, hist, XU, 1) ist eine kritische Auseinandersetzung
mit dem L Bande von Imbart de la Tours Werk Les arigifies de
ta Riforme.
Die Leipziger Habilitationsschrift von Paul Herre, Das
Papsttum Piut* V, und das Konklave Gregors XIII,, bringt zwei
Kapitel aus einem größeren Werk, das demnächst unter dem Titel
^Papsttum und Papstwahl im Zeitalter Philipps 11." erscheinen
soU^ und stellt ihnen ein kurzes^ einleitendes Kapitel über die
Päpste zur Zeit Karls V., über Pins IV* und die Wahl Pius' V.
voran. Indem wir uns eine ausIührUche Besprechung nach Er-
scheinen des ganzen Werkes vorbehalten, heben wir hier nur her-
vor, daß das eigentlrche Interesse der Darstellung in der Entwick-
lung des neuen kirchlichen Geistes an der Kurie und in seinen
Beziehungen zu den weltlichen Mächten und der alten italienischen
Politik liegt. Im Vordergrund stehen dabei Florenz und Spanten,
wie denn auch materiell die Benutzung reichen spanischen Materials
besonders fruchtbringend war. Im einzelnen hätte sich der Ver-
fasser vielleicht hier und da etwas mehr Beschränkung auflegen
dürfen; dem Leser droht stellenweise In dem Detail der diplo-
matischen Verhandlungen der Atem auszugehen. Doch bewährt
sich immer wieder neben der Sorgsamkeit der Arbeit auch eine
das Interesse wach haltende Feinheit der Darstellung und der
Auffassung. R. //.
Von den drei Aktenstücken, die H. V. S a u e r I a n d im Trieri-
schen Archiv 9 zur Charakteristik des Trierer Erzbtschofs Jakob
von Eftz (1567—1581) veröffentlicht, ist das wichtigste, der Brief
Maximilians IL an Pius V. vom 28. Mai 1567, längst bekannt;
s. W. E. Schwarz, Briefe und Akten zur Geschichte Maximilians IL
I, 56, R. H.
In den Historisch-poÜtischen Blättern 137, 8 versucht Joseph
Herbeck eine kurze Würdigung des niederländischen Philologen
und Publizisten Justus LIpsius (1547—1606), der nach einer luthe-
rischen und calvinistischen Vergangenheit sich zuletzt wieder dem
Katholizismus zugewandt hat.
In der Civiliä CatMka Nr. 1340 und 1342 werden die Mit-
teilungen über den Charakter der Japaner aus den Berichten der
Missionäre des 16, Jahrhunderts fortgesetzt (vgl. oben S. 213).
Werden in einem Bericht des Jahres 1577 die Europäer, an der
L
ReformatiofL
I
japänisclien Kultur gemessen^ als ^barbanssimi' bezeichnet» so
fehlen doch später auch etwas einschränkende Stimmen nicht.
Der SchluB der instruktiven Aufsätze von Fi Schenner,
Quellen zur Geschichte 2naims im Reformattonszeitatter (Zeit&chr.
des deutschen Vereins f. d. Gesch* Mährens und Schlesiens 10,
Heft 1—2; vgl H. Z. %, 546) behandelt die Zeit des gleichfalls
eifrig katholischen Brucker Abtes Sebastian Fucfis {1585^1599)
und die weiteren Kämpfe bis zum Sieg der Gegenreformation
nach der Schlacht am Weißen Berge.
Ein neuer Aufsatz von Louis Batiffol über Maria von
Medlci (vgl zuletzt H. Z. 96^ 364) verbreitetet sich über ihre Geld-
mittel und ihre Ausgaben {Revue des äeux mondes vom f. Mai
1906). Der Autor versteht es unzweifelhaft^ auch eine kleine
Sache zu einer erklecklichen Zahl von Aufsätzen auszuschlachten.
Zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges erwähnen wir
zunächst einen Aufsatz des Preiherrn Karl v* Reitzenstein
über den Feldzug des Jahres 1622 am Oberrhein (Zettschn f. d.
Gesch. des Oberrheins N. F* 21 ^ 2), wo vom Standpunkt und mit
den Augen des Militärs die (aus strategischen Gründen erklärte
aber in ihrem Erfolg doch als unabsichtlicher Fehler beurteilte)
Trennung des pfälzischen und badischen Heeres sowie die Erobe-
rung von Ladenburg durch Mansfeld (S. Mai) behandelt werden.
^ Ferner notieren wir den Aufsatz von Ludwig Steinberger
über die auf den Gegensatz zwischen Osterreich und Bayern in
den letzten Jahren des Kriegs bezüghche Publizistik (Hist Jahr-
buch 27» 2).
Neue Bücher t Rum ^ Carlo V e Francesca I atla tregua dl
Ni^za, (Cosenzaj Aprta.) — Rodriguez Villa ^ Et emperador
Carlas V y su corte segün tos cartas de Don Martin de Saunas,
embajador det Infante Don Fernando (1522— 15S9), (Madrid, For-
taneL 20 pes.) — Vedder^ Balthasar Hmtmaier^ tk* leader of
the anabaptists. ( London , Putnam. 6 sh.) — ß o a s e r t , Sebastian
Lotzer und seine Schriften* (Memmingen, Otto* 1 M.) — Kro*
ker, Katharina von Bora, Martin Luthers Frau. (Leipzig, Haber-
land. 5 M.) — Qasquet, Henry Vlfl and the engtish monaste-
ries, (London f Bell ^ Co, S^6 sk.) ~- Doumerguef La Genive
caMniste. { Lausanne, Bridel £ Cie. 25 fr) — Doumergue,
Jean Calvin. Z HL (ibid. 20 fr,} -- Eckart; Die Jesuiten in
der deutschen Dichtung und im Volksmund. (Bambergs Handels-
druckerei u. VerlagshandL ! M.) — Des Burggrafen Fabian zu
Dohna (• 1550, f \b2\) Selbstbiographie, nebst Aktenstücken zur
Geschichte der Sukzession der Kurfürsten von Brandenburg in
HhtGriiche ZcUschrUe (97. Bd») 3w Folge 1. Bd. 29
446
Notizen und Nachrichten.
Preußen. Hrsg. von KroUmann. (Leipzig, Duncker 4& HumbloL
6 M.) — Besser, Geschichte der Frankfurter Flüchtlingsgemem-
den 1554 — 1558, (Halle, Niemeyen 2 M.) — Segr^, La campagna
äet duca d'Älba in FUmonte nel !555, (Roma, Voghera.) —
Lowery , Spanish Settlements within present limits of ihe Uniltd
States; Florida t562--74, (London, Futnam. iO,6 sh.) — Ushtr^
Fresbyierian movement in the reign of queen Elizabeth, ( London j
Roy, hist, soc) — Fell er, Ritter Melchior Lussy von Unter-
walden, seine Beziehungen ru Hafietiund sein Anteil au der Gegen-
reformation, 1. Bd, (Stans, v* Matt ^ Co, 3 M,) — Akten und
Korrespondenzen zur Geschichte der Gegenreformation in Inner-
Österreich unter Ferdinand IL L TL Hrsg. von Loserth. (Wien,
Holder, 17,40 M.) — Chroust, Der Ausgang der Regierung
Rudolfs IL und die Anfänge des Kaisers Matthias. (München,
Rieger, 23,20 M.) — Rabbath, Docaments in^dits pour servir ä
Vhistoire du christianisme en Orient. T. I (1627), (Faris, Picard
et fils.) — Herold, Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim.
(München, Beck, 2,50 M,)
1648—1789.
Beiträge zur Gelehrtengeschichte des 17, Jahr-
hunderts veröffentlichen aus den reichen Schätzen der Wolff-
Uffenbachschen Briefsammlung drei Mitglieder des Wilheim-Gym-
nastums als ^Festschrift zur Begrüßung der 4S. Versammlung
deutscher Philologen und Schulmänner zu Hamburg im Jahre IWS**.
Edmund Kelter bereichert das Bild, das Bünger von dem großen
Straßburger Schulmann Matthias ßernegger gezeichnet hat, um
einige neue interessante Züge durch Veröffentlichung von dessen
Briefwechsel mit seinem Lieblingeschüler Johann Freinsheim«
Dem Abdruck der 39 Schreiben^ die die Stadtbibliothek in Ham-
burg aufbewahrt, geht eine Einleitung voraus, die trefflich in das
Verständnis der Briefe einführt; eine Reihe von Anmerkungen
gibt erschöpfende Auskunft über die darin erwähnten Personen
und Bücher, In dem zweiten Aufsatz bringt Erich Zlebarth
aus dem handschriftlichen Nachlaß des Hamburgers Heinrich
Lindenbruch einige Nachrichten über die Inschriftensammlungen
Justus Scaligers, Professor Karl Schulteß endlich entwirft ein
flüchtiges Bild des französischen Philologen und Staatsmannes
Jacques Bongars (1554 — 1612) unter Benutzung von dessen In
Hamburg aufbewahrten Briefwechsel, Das wenige, was wir hier
über den gelehrten Diplomaten Heinrichs IV* und seine Be-
ziehungen zu Deutschland erfahren, befriedigt nicht ganz, es er-
V
1648—1789.
weckt vielmehr den Wunsch nach einer vollständigen Biographlef
2u der Matenatien in Fülle vorhanden sind. So bringt eine kürz-
lich erschienene Heidelberger Dissertation von R. Breuer, Der
Berner Kodex 149 b^ Beiträge zur Biographie des Jacc{ues Bongars
und zur Geschichte seiner diplomatischen Tätigkeit in Deutsch^
land (1589 — 1606). — Ein Verzeichnis aller in den Briefen vor-
kommender Namen erleichtert die Benutzung der Festschrift außer-
ordentlich. P. W.
In den Preußischen Jahrbüchern 124, l bespricht M, Grün-
baum: Drei Hohenzoüern-Testamente. In kurzer Inhaltsangabe
vergleicht und charakterisiert er die ^Väterliche Vermahnung*
des Großen Kurfürsten von 1667, die j^zum ersten Male rein poli-
tische Fragen behandelt und dem Nachfolger Weisungen über die
gesamte innere und äußere Politik erteilt*', dann „die Instruktion
Friedrich Wilhelms L an seinen Nachfolger** von 1722 und das
^Politische Testament Friedrichs des Großen" von 1752,
Ein über das unmittelbare Thema hinausgehendes Interesse
Tveckt Pierre de Vaissifere in seinem Aufsatz über ^0*^ An-
fänge der Kolonisation und ihre gesellschaftliche Gliederung in
St Domingo" (Revue des questians histüriques^ l, April 1906,
40. Jahrgang), Der Verfasser zeigt zunächst, daß weder eine
nationale Expansionsbewegung, noch die Regierungstätigkeit allein
die Gründung der Kolonien veranlaßt hatten, sondern daß sich
Epochen mit Vorwiegen zu der einen oder der anderen Initiative
abgelöst habenj und daß In und nach der Zeit der Religionskriege
die Motive der Auswanderung sich häufen^ teils weil die Prote-
stanten keine zusagende Anerkennung in Frankreich fanden, teils
weil der in den Kriegen aufgekommene Überschuß an aben-
teuernden Militärs etc* in den Kolonien eine Gelegenheit suchte,
das Feldlagerleben fortzusetzen. Das Interessanteste ist der Nach-
weis, daß der starken Auswanderung des französischen Adels der
Gedanke zugrunde liegt, In den Kolonien die wirtschaftliche,
militärische, politische Stellung neu zu begründen^ um die der
Adel in der französischen Heimat seit Richelieu gebracht worden
war, daß aber auch hier die Tendenz des ancien regime, den
Adel niederzuhalten, fortgesetzt wurde. Der Verfaßer sieht in
dieser grundsätzlichen Beiseiteschtebung des einzig gesunden
Fundamentes den wichtigsten Grund für die Schwäche des fran-
zösischen Regimentes in St. Domingo.
Unter dem Titel „Zauberei und Giftmischerei unter Ludwig XIV,*
'Wird im Türmer 8, 7 über die wesentlichsten Ergebnisse Funck-
Srantanos („Die Giftmord -Tragödie nach den Archiven der
r
448 Notizen und Nachrichten«.
BastiUe") berichtet: Eine 1679 eingesetzte »chambre ardente*" deckt
scha öd erhalte Verbreitung und entsetzliche Formen derGif tmlscherei
(masäenhalte Kindermorde) atif^ muß aber 1682 ihre Tätigkeit ein-
stetlen, weil die Maitresse des Königs selbst, die Marquise von
Montespan, überführt wurde, dem Könige nach dem Leben ge-
trachtet zu haben.
In seinem Aufdat^ über «Die Wahl Augusts des Starken zum
Könige von Polen** (Historische Vierteljahrschrift 1906, l) nimmt
Haake nochmals Veranlassung, seine wiederholt vertretene Auf-
fassung darzulegen, daß die Verbindung mit Polen Sachsen ver*
derblich und die polnische Politik ein Ergebnis wesentlich des
dynastischen und militärischen Ehrgeizes mit Hintansetzung der
territoriaLen Interessen Sachsens gewesen sei. Daß August auch
an wirtschaltliche Gründe „vielleicht* mitgedacht hatte, will er
jetzt nicht mehr ganz ausschließen, dagegen beharrt er darauf»
den starken Gegensatz Augusts zu dem Großen Kurfürsten
darin zu finden, daß bei der überall vorhandenen Verquickung
territorialer und dynastischer Interessen bei dem Wettiner das
dynastische^ bei den Zollern das territoriale den Ausschlag gab..
Daß jedoch nur solche bewußte Staatsgesinnung den Kurfürsten
stetSj z. ß. bei der schwedischen oder polnischen Kronfrage oder
auch der bekannten Testamentsangelegeoheitf beherrscht h&be^
wird man schwerlich zugeben dürfen*
Es ist bekannt^ daß Leopold t, der klerikalen Partei großen
Einfluß auf seine innere Politik gewährt und in den deutsch-
»lavischen Ländern den protestantischen Bekenntnissen gegenüber
keine Duldung an den Tag gelegt hat. In Ungarn fällt ihm aber
seit dem Odenburger Landtage 16S1, wo er den Akatoliken Im
Sinne des Friedens von 1606 die freie Religionsübung gewährt
hat, die Verfolgung der Protestanten nicht mehr zur Last Inter-
essantes Licht auf diese Frage werfen einige von Z l e g I a u e r
veröffentlichte Schriftstücke au?^ dem Jahre 1701 (Zwei Beitrage
zur Geschichte Ungarns, Nach den Quellen des K, K. Kriegs-
archivs. Sonderabdruck aus den Bukowiner Nachrichten, Februar
1905), R. F. K.
A. Hllsenbeck setzt in den Forsch, z. Gesch, Bayerns
XIII, 4 seine Untersuchungen über Johann Wilhelm von der Pfalz
fort Er zeigt uns, wie der Kurfürst gleich nach dem Tode Karls IL
von Spanien den Kaiser zu energischer Aktion mahnt, mit den
Niederlanden im Frühjahr 1701 vertragsmäßig die Unterstützung
Leopolds L in der Sukzessionsfrage vereinbart und am 1. Dezember
1701 als der erste Fürst des Reiches der Großen Allianz beitritt.
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(2. AufL m 521 UtV 332 L, 4ai U\
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ä& Synth, kiMi. \% a)L
Sehr sorgBUBC Untersacbi^gCB I
bis 1750^ »t^t Axel Kielsen In ^
Ökonomie iiii<l Stati&tik 3. Folge 31, 3 ^
nehmlich die
Vir. a»-^i?)b
^Däxusche Preise I65ä
für NaCionftJ^
I Ibteml stnd vor-
Ä- und Brottai:en
Kopenhagens, ijtsbe»oiid«e von fin sli^ Kopeahagener Waren-
preise^ die Liefenmgsprdse für die diiiische Mijine* und Mit-
teilungen über Dicitstbotenl&hne iö Kopenhagen 16S2 und ITSO
und Arbeitslöhne in Kopenhagen^ Odense und Helsingdr, Die
Preise halten sich 1650— 1670, sinken in den 70er und 80er Jahren
um ca. 15*'^ und 1721 — 40 um ca* 25%, um in den 40er Jahren
des IS. Jahrhunderts rasch gegen 10*/* zu steigen. Verfasser
warnt dann, die Edelmetallproduktion allzu einseitig als Ursache
der Preisschwankungen zu betrachten und weist u. a. aul den
EinÜuß der Bankgründungen hin.
Im Historischen Jahrbuch 1906, 27^ 2 untersucht Kirsch die
„treibenden Paktoren bei dem schottischen Aufstande in den Jahren
1745— 174e*, Karl Eduards Plan von 1744 ist nicht auf eine amt-
liche franzosische oder kuriale Initiative zurückzuführenp hat
vielmehr seinen Ursprung im Hause Stuart selbst, des befreundeten
Kardinals Aquaviva und des Malthesergesandten de Toncin.
Dagegen hat dem Prätendenten bei einem zweiten Versuche Hilfe
geb 4cht sowohl die Kurie in der Hoffnung auf Gewinn für den
Katholizismus als auch die französische Regierung (ohne da3 der
Prätendent es freilich ahnt), letztere jedoch mit der beschränkten
Absicht, durch den Prätendenten die Friedensetimmung in Eng-
land zu erhöhen.
Die detaillierte Darstellung Troegers von der „Sthlacht
bei Liegnitz" am 15. August 1760 im 1. Heft der «Mitteilungen des
Geschichts- und Altertumsvereins für die Stadt und das Fürsten-
tum Liegnitz*" (Liegnitz 1906) weist die Ansicht zurückt daß König
Friedrich durch den Verrat des Daunschen Angriffsplanes In den
r
450 Notizen und Nachnchteti.
Stand gesetzt worden sei, Laudon abzufangen, und steüt fest, dai
die Schlacht, wie schon Bernhardi geschrieben hatte, ein Werk
des Zufalls gewesen ist.
Lehrreiche Mitteilungen aus den französischen Archiven ent*
hält F, Ch. Roux' Aufsatz über ^Die französische Politik in
Ägypten* zu Ende des 18. Jahrhunderts* in der Revae historiqae
91) 1 (Mai- Juni 1906). Die bestehenden Handelsbeziehungen führten
in der Epoche Ludwigs XIV. zu wiederholten politischen Ver-
suchen au! Ägypten, die später erst wieder aufgenommen werden,
als der russisch- türkische Krieg von 176S die unerwartete Schwäche
der Türkei enthüllte und ihre baldige Auflösung anzukündigen
schien» Aus ihren Trümmern hat Ghoiseul Ägypten für Frank-
reich zu befreien geplant Charakteristisch ist, daß die öffentliche
Meinung in Frankreich sich seit der Epoche Ludwigs XIV. aufs
lebhafteste mit Ägypten beschäftigt und in zahllosen Projekten
die Sicherung Ägyptens, der Kanal nach dem Roten Meere, der
Kampf gegen die Engländer in Indien etc. diskutiert wurde. Auch
der Gedanke, bei der Aufteilung der Türkei den französischen
ßeuteanteil sich in den österreichischen Niederlanden zu suchen,
taucht 1777 bereits auf.
Ein sehr lesenswerter Auszug aus dem Journal des Fremier-
leutnants v. Warnsdorff in der kursächsischen Leibgrenadier-
Garde „über Friedrichs des Großen letzte Revue 1785** wird in
der Deutschen Revue, Juni 1906 veröffentlicht. Charakteristisch
ist vor allem, wie der Verfasser den „Esprit militaire'^ als das
Wesen und Geheimnis der preußischen Macht um sich füliU, und
den Konig als den vornehmsten Träger dieser Zentralidee histo-
risch würdigt. Lehrreich ist^ daß dem Sachsen bei dem preußi-
schen Exerzieren gerade im Gegensatze zu den Zuständen der
heimatlichen Armee der Fortfall aller „peinlichen*' Akkuratesse
und die Beschränkung auf das „Nötige" und „Nützliche*' aufge*
fallen ist, und daß er die menschliche Fürsorge der preuöischen
Offiziere für ihre Mannschaft besonders hervorhebt
in dem Aufsatze über „Die Politik des Grafen Hertzberg
1785 — 1790'* faßt F. C. Wlttichen seine und seines verstorbenen
Bruders Ansicht über Hertzberg dahin zusammen, daß er im
schärfsten Gegensatz zu der abfälligen Beurteilung Bailleus und
Luckwaldts ein ausgezeichneter Staatsmann gewesen sei, der
einzige» der fähig gewesen wäre, eine großzügige Politik im Sinne
der besten Zeiten Friedrichs des Großen zu treiben, der jedoch
stürzt, weil er die inneren Friktionen am Hofe, den schwankenden
Könige den heillosen Phantasten Bischoffswerder nicht dauernd
I
4
I
1648^1789.
451
I
EU beherrschen vermag. Der Verfasser tritt energisch dafür ein,
daß man Hertzbergs Pläne als durchaus mögliche und den Zeit-
verhältnissen entsprechende würdigen müsse. (Historische Viertei-
jahraschrift 1906, iX, 2.)
B. Lozinski betont, daß die von dem bekannten polnischen
Historiker Kaünka in seinem Werke ^GaUzien und Krakau unter
österreichischer Herrschaft" entworfene düstere Schilderung der
kirchlichen Verhältnisse am Ende des 18, Jahrhunderts der Wirk-
lichkeit entspricht. Tatsächlich sind hier die Josephtnischen Re-
formen um so drückender empfunden worden, als einerseits bei
deren Durchführung in der neugewonnenen Provinz keine beson-
deren Rücksichten genommen wurden, anderseits infolge des Bil-
dungszustandes und der gesellschaftUchen Verhältnisse diese Re-
formen mehr als anderwärts geradezu Entsetzen erregten. Andere
Mitteilungen betreffen die damals versuchten Reformen der bäuer-
lichen Verhältnisse, Sehr interessant ist die an den Kaiser ge-
richtete Denkschrift eines Geistlichenj der die schwierige Lage
der Bauern scharf beleuchtet und Vorschläge macht, wie diese
geschützt werden könnten. {Kwortainik klsL^ Lemberg 1905,
19. Bd,) R. R KaindL
Neue Büclier: Lavisse, Histoire de France. T, V!! (If^ par-
He) : LüuU XIV- La Fronde - Le Roi - Cotbert (1643- 1685). (Paris,
Nacheile <£ Cie. 6 fr.) — Norn, Franfols Räkdczi^ prince de
Transylvanie^ 1675—1735. ( Paris ^ Perrin ^Cie. 5fr.) — v. Apell,
Der Versuch zum Entsätze Landaus und die Schlacht am Speyer^
bach^ bei Speyer, Dudenhofen oder Heiligenstein am 15. Nov» 1703,
(Marburg, Elwerts Verl. 2 M.) — Pariset, il cardinaie Gittüa
Alberoni, (Boiognaj ZanichelU, 3 fr.) — Ada borussica. Denk-
mäler der preußischen Staatsverwaltung im 18, Jahrhundert. Die
Behördenorganisalion u. die allgemeine Staatsverwaltung Preußens
im 18, Jahrhundert. VIIL ßearb, von Schmoller u. Hintze. (Berlin,
Parey. 21 M.) — Baurguel, Le duc de Choiseai et Valliance
espagnole. (Paris, Plon-Nourrit S Cie. 7j50 fr.) — Sägmüller,
Die kirchUche Aufklärung am Hofe des Herzogs Karl Eugen von
Württemberg (1744—1793), (Freiburg i. B., Herder. 5 M.) —
Mentzel, Karoline von Hessen, die große Landgräfin, Ihr Auf-
enthalt in Prenzlau 1750—1756. (Darmstadt, Müller ^ Rühle.
2j50 M,) — Schweitzer, Von Reimarus zu Wrede* Eine Ge-
schichte der Leben- Jesu-Forschung. (Tübingen, Mohr, 8 M.) —
Sutone, La calonisaiion de la Nouv eile- France, Etüde sur les
origines de la nation canaäienne, (Paris, GuUmoio. 7^50 fr,) —
Ungermann, Der russisch-türkische Krieg 1768—1774* (Wien,
4S2
Notizen und Nachrichten.
ßraumüller, 6 M,) — Wetdenkafl, Die Anschauungen der
Franzosen über die geistige Kultur der Deutschen im Verlauf des
18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts. (Gotha, Perthes. 1,2011)
— HerveZf Les sQci^tds d^amoiir au KV! 11^ siicU. f Paris , Dara-
gon. 20 fr) — Brownings Boyhood and Youih &f Napoleon,
Some chapters ort tke Ufe of Bonapa He ^ 1769— ! 793, (London^
Lant. 5 shj — Salomon, William Pitt der Jüngere, l-ßd. 2. TU
(Leipzig, Te üb ner. 18 M.) — Molloy^ Russian court in eighUenth
Century. 2 vots, (London, Hutchinson* 24 sh,) *— Crombd, L*or'
ganisation du iravail ä Roubaix avani la r^voluUon. (Liile^ Robbe j
Neuere Geschichte seit t7§9.
Im März- und Aprilheft der RivolaUon franfoise unternimmt
Aulard einen energischen Angriff auf Taine (Taine Historien de
la Revolution franfaise, L avani le livre des Origines, il, fanden
regime), der noch lortgesetzt und wohl noch viel heftiger werden
wird. Er geht über das erlaubte Maß der Polemik gegen einen
Verstorbenen sowohl im Tone wie in manchen einzelnen Sätzen
weit hinaus. So, wenn er (S. 205) sagt : ^Taine entstellt die Wahr-
heit, um tu erstaunen.'' Der Vorwurf unvollständiger Archiv-
benutzung ferner (S, 312) einem Werke» wie Taines Origines gegen-
über, scheint uns vollkommen unsinnig zu sein. Dagegeji ist sonat
seine Kritik oft treffend genug i er weist an einer Reihe von Stellen
nach, wie flüchtig Taine in der Quellenbenutzung gewesen« daß
er häufig vorschnell verallgemeinert, ja daß er gelegentlich Ände-
rungen in den Texten vorgenommen hat» Es ist schade, daß
Aulard nur gelegentlich (S. 316} und nicht systematisch seinen
Scharfsinn auf diejenigen Zitate verwandt hat, durch die Taine
das unter dem Ancien Regime herrschende Elend zu illustrieren
sucht. Er hätte dann ohne viel Mühe nachweisen können, daß
die meisten von ihnen der Beweiskraft völlig entbehren. Was Au-
lard gegen die These vom Esprit Classique einwendet, ist z, T.
richtig) im allgemeinen aber ungenügend. Versäumt er es doch
sogar mitzuteilen, was denn genau Taine unter Esprit Ctassigue
verstand, ^ — Im Märzheft veröffentlicht ferner Saint-Martin die
Akten über das am H* April 1797 gegen Sieyfes verübte Attentat
Im Aprilheft gibt Perroud eine Skizze des Lebenslaufes , eines
Professors während der Revolution'^ (Faulin, Mathematiker, geb.
1752, t nach 1815), Buffy beginnt eine Arbeit über den General
Moülin, in der er untersuchen wül, ob H* Martin mit Recht von
ihm behauptet hat, er sei «ein ehrlicher Republikaner mit geradem
I
Ncoere Getchkhte.
4M
Herzen gewesen^ dessen Festigkeit Ihm cm ehrenvolles Gedächtnis
sichert".
Einen Oberblick über Reewnt Tende/tctes in tke Study of tkt
Frtftth Revolution gibt James H. Robinson. Dieser bleibt aber,
wie er selbst zugibt, ^ziemlich dürftig*, indem er kaum mehr liefert
mls Inhaltsangaben über Leistungen und Pläne der Wissenschaft
au! diesem Gebiete. Die Bücher Jaur^s' scheint er stark zu über-
schätzen; doch iinden steh auch treüende Bemerk utigen; so z* B.
über Aulard und seine Schule; so ferner, wenn er zum Schlüsse
erklärt, daß die Geschichtschreibung noch nicht genügend die
Tatsache würdige, daß die Revolution schon mit dem Zusammen-
tritt der ersten Notabelnversammlung ihren Anlang nehme. (Ameri-
can HisL Rev., April l^Od.)
G. Bord beginnt im Correspondant vom 10. Mai 1906 eine
Arbeit, in der er — bisher durchaus vergeblich — die Freimaure-
rische Verschwörung des Jahres 17S9 nachzuweisen versucht^ deren
Existenz für manche Leute Glaubenssache ist,
Guyot und Th^nard setzen in der Rev* Hist*^ Mal^Juni
1906 ihren vor Jahresfrist begonnenen, sehr ausführUchen Artikel
über das Konventsmitglied Goujon fort, dessen politische und
persönliche Schicksale in dem vorliegenden Abschnitt vom August
1791 bis März 1793 (Heirat Goujons) verfolgt werden,
Holland Rose veröffentlicht den Protest TaJJeyrands gegen
seine Vertreibung aus England vom L Jan. 1793'. Dieses Datum
des Aktenstückes entscheidet eine alte Kontroverse über die Dauer
von Talleyrands englischem AufenthalL (EngL HiMt, Rgw*, ApfU
1906.)
Die Enttäuschungen, welche bekanntlich die Vereinigten
Staaten der jungen französischen Republik bereiteten, schildert
anschaulich B e r t r a n d in der Revue des deus m&ndeä vom 15* Mai
1906* Die beiden ersten Gesandten des republikanischen Frank-
reich, Genet (bis Ende 1793 resp, bis Thermidor) und Adet (nach
Thermidor) verhielten sich auierordentJich ungeschickt, ja brutai
Ersterem wirft die eigene Regierung (31. Juli [793) vor, da& et 9ich
prokonsularische Gewalt über die Vereinigten Staaten aiimi6Cf und
daß er, statt sich an die Regierung tu wende n^ nsit den Faftmn
intriguiere^
Kürzlich hat |. Vi^not eine tiidier nttgedfnckle ScMM lief
Stael vom Anfang d^ Jiinn 1799, Ü€§ tJre^oMtmßic^ admiitm füll
ptuveni lerminer lußj&ßimüwm «I dm pwimtipm qmi d^tifmä fmuUf
la Räptiblique franfüiwe^ verdHcaftScIif, anl (^ vor Mimt t\%wAm
454 Notizen und Nachrichten,
in seinem treffücheii Werk hingewiesen hatte* Sie enthält einen
republikanischen VerfassungsentwuriT in dem besonders der Vor-
schlag eines s^nat consfrvatear (gerichtet gegen die jakobinische
Gefahr) interessant ist. Über diese Publikation berichtet nun der
Akademiker F a g u e t in seiner geistreichen Art in der Zeitschrift
La Revue vom L Mai f906.
In einer ^Württemberg und der Preßburger Friede" betitelten
Arbeit zeigt E. Schneider (Württemb, Viertel jahrahefte XV, 2),
daß Kurfürst Friedrich sich In dem entscheidenden Ludwigsburger
Vertrag (5, Oktober IS05) keineswegs Napoleon gegenüber weg-
geworfen hat, wie man gesagt hat. Ebensowenig sofUe man von
der Entschlossenheit reden, mit der er rechtzeitig Partei ergriff.
Er unterwarf sich vielmehr seufzend dem Gebot der Notwendig-
keit* Auffallend Ist, daß In der vorliegenden Arbeit Bitteraufs Ge*
schichte des Rheinbundes t mit ihrem reichen Material nirgends
erwähnt wird.
Driault schildert in der Rev. bleite 1906, Nr. 15 und 16 auf
Grund von Archivalien , unter gänzlicher Ignorierung der ge-
druckten Literatur^ ^ Mural ä Naples avant lu Trakison^^ vor
alfem während der Gesandtschaft Durants im Jahre ISIL Er zeigt
darin, vielleicht noch deutlicher als wir es schon wuöten, wie sehr
verschieden Napoleon und Murat die Stellung des letzteren auf-
faßten und wie schlecht infolgedessen das Verhältnis der beiden
Fürsten war.
D a u m e t veröffentlicht einen Brief des bekannten Abb^ de
Salamon an Ludwig XVIIK, der wahrscheinlich zwischen Mai und
Juli 1814 geschrieben ist und in dem der Verfasser mit gewohnter
Energie auf seine Verdienste hinweist. Mit der Wahrheit nimmt
er es auch in dieser Darlegung nicht allzu genau. (Rev. des Etud,
Hist, Jan.-Febr IW6-)
In der Vierteljahrschrift für Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte
4, 2 zeigt Charldty, daß Handel und Industrie in Lyon unter
Napoleons Regierung mehr litten als sie Vorteile aus ihr zogen.
Sie widersteht zwar dem Wunsch {vor allem der Handelskammer),
die alte Reglementiererei wieder einzuführen und begünstigt be-
kanntlich die Seidenlndustrie in jeder Weise. Auch scheint es
nach ISOO mit letzterer wieder bergauf zu gehen. AUein die
ewigen Kriege und die Kontinentalsperre^ später die Oberwindung
Napoleons führen schwere Krisen» verbunden mit schrecklicher
Arbeitslosigkeit^ über Lyon herein. Nur die drei Jahre von 1807
(nach Tilsit) bis September 1810 bedeuten eine Zeit kuraser kün|
lieber Blüte.
<
4
4
4
i
Die Artikelserie von G. Stetiger, U$ Bourbans en ISIS, ist
gut gesclirieben, bringt aber nichts sonderlich Neues (La Nauvelle
Rgviu, März bis Mai 1906).
Aus der Rev, d. QuesL Nist (April 1906) notieren wir einen
Artikel des unermüdlichen E. Welwert über ^Bugeaud (— es
ist der spätere Eroberer von Algier — ) im Jahre 1815".
In unseren Tagen, da eine wachsende Mehrheit der politischen
Körperschaften in Frankreich sich angeschickt hat, nach Beseiti-
gung des Konkordats von 1801 durch Akte einseitiger staatlicher
Gesetzgebung und Administration die Beziehungen zur römischen
Kirche und ihren Organen auf eine neue Basis zu steLIen^ wird
man mit gesteigertem Interesse Kenntnis nehmen von den Ver-
suchen, die in den ersten Jahren der Restauration von der Kurie
zur Beseitigung des napoleonischen Konkordats und namentlich
der „Organischen Artikel" unternommen sind; Parlament und
öffentliche Meinung haben die Regierung gezwungen^ in lang-
wierigen Verhandlungen den eigenen Unterhändler zu desavouieren
und dem 1817 abgeschlossenen Konkordate die Zustimmung zu
versagen; PA, Sagnac; le Concor dat de J8!7^ Etudes sur le^
rapports de l^£glise et de V^tat saus la restauratiün 1814 — 1821
in Revue d'hist. moderne ei contemporaine, T. VII , 1 905/06 ^ no. J,
4j 6. Jacobe
Aus anderen französischen Zeitschriften notieren wir: Lettres
in^dites du comte Charles d^Montalembert au baron Ancker-
swärd (schwedischer> ihm durch persönliche Beziehungen ver-
bundener Staatsmann) aus den Jahren 1829 — 37 (Revue d'hisL dipi.
20, l). — Une campagne älectorale de B, Constant en Atsace
1827 (Berichte von Esmangart, prejet du BaS'Rhin an den Minister
über die Wahlbewegung in Straßburg: Revue bleue 1906^ Jan. 27),
In derselben Zeitschrift Nr 14^17, 7.^ U., 21., 28. April finden sich
Auszüge aus den Cahiers de Jeunesse von Ernest Renan. In der
Revue d'kisL dipL 20^ 2 behandelt Jean K night die kurze Mi-
nistertätigkeit Lamartines als Mitglied der provisorischen Regierung
im Frühjahr 1848 (Lamartine, ministre des affaires ätrangires),
Jacob.
Turner, The Süuih 1820—30 schildert den Einüuß der wirt-
schaftlichen Entwicklung der Südstaaten der Vereinigten Staaten —
vor allen Dingen durch die BaumwollkuUur — aul ihre politische
Stellung (American HisL Rev. 11,3). Jacob.
Das Andenken einer haibvergessenen italienischen Patriotin
erneuert Giac. M, Lombardo mit der Monographie: Bianca MN
lesi (Firenze, Bernardo Seebcr 1905. 79 S.). In den Grundsätzen
456 NottEen und Nachnciiten.
der Aufklärung und der französischen Revolution aufgewachseti,
hat diese Mailänderin an der Verschwörung der Karbonari im
Jahre 1821 teilgenommen; sie gehörte einer weiblichen Affiliation
dieses Geheimbundes an^ die den Namen «Gärtnerinnen'' ange-
nommen hatte, wußte sich lange den Nachforschungen der öster-
reichischen Polizei zu entzieheni fand es aber Ende \B22 für Tät-
lich nach Paris zu entfliehen und begab sich nach längeren Reisen
nach Genua^ wo sie einen französischen Arzt Moyon heiratete
und, wie ihre Freundin, die bekannte Prinzessin Christine Belgio-
joso^ eine glühende Anhängerin Mazzials wurde. Schließlich setzte
sich die Familie dauernd in Paris fest, wo Bianca in lebhaftem
Verkehr mit der italienischen Flüchtlingswelt blieb. ZuJetzt war
es besonders das Gebiet der Frauenemanzipation und der Kinder-
erziehung^ auf dem sie^ auch schriftstellerisch, tätig war. Die ex-
zentrische Frau, die in den Briefen und Denkwürdigkeiten aus
jener Zeit nicht selten erwähnt wird, starb ia49. Das Schriftchen
kündigt sich als erstes Stück einer Sammlung ähnlicher Mono-
graphien zur politischen Geschichte Italiens an, L,
Nach allen Seiten baut Paul IHoUhausen das Feld aus,
das er als „Stimmungshistorlker" der napoleonischen Zeit ^u seiner
Spezialität gemacht hat. Sein neuestes Buch heißt : Bonaparte,
Byron und die Briten, Frankfurt a. M.^ Moritz Diesterweg. 1904.
Mit dem Sammlerfleiß, den man an ihm kennt, und mit der ihm
eigenen zuversichtlichen Frische schildert er die Eindrücke, die
das Emporkommen des neuen Cäsar, seine Kriege^ seine Allmacht
und sein Sturz in England hervorriefen, wobei ebenso Parlaments-
reden wie Preßäußerungen, das Theater und die Karikaturen her-
beigezogen werden. Das ist dann die Folie, auf der das Verhältnis
Lord Byrons zum Korsen dargestellt wird, ein Verhältnis, das
freilich stark zwischen Ha0 und Bewunderung schwankt, ohne daß
man die widersprechenden Urteile, wie der Verfasser tut, aus der
krankhaften neuropathlschen Anlage des Dichters zu erklären
braucht. Holzhausen schließt mit dem epigrammatischen Satze,
es sei nicht der kleinste Sieg Bonapartes gewesen, daß er das
stolzeste Blut des ihm feindlichsten Landes bezwang. Verfolgt man
aber ohne Voreingenommenheit die Äußerungen über Napoleon
im Child Harold^ im Don Juan, im „bronzenen Zeitalter", so kommt
man zum Schlüsse, daß der Dichter — die innere Verwandtschaft
der beiden Meteore zugegeben — doch von dem kriegerischen
Zwingherrn mehr abgestoßen, als von dem Obermenschen ange-
zogen wurde^ und daß er, so erhaben er über den engherzigen
Nationalpatriotismus seiner Landsleute war^ doch den Kaiser im
Grunde nur deshalb erhobt weil er dessen kleinliche Gegner aufs
4
4
r
Neuere Geschichte.
457
gründlichste haßte. Daß der Held zum König herab^ank^ Wa-
shington zum Cäsar wurde, hat ihm der Dichter niemals verziehen.
Gegen die Objektivität der Auszüge, aus denen Holzhausen seine
stets interessanten und wertvollen Stimmungsbilder gewinnt, wird
sich nichts einwenden lassen, aber seine Darstellung ist doch mehr
als billig von der Vorliebe für seinen Helden heeinllußt» W. L.
Aus der zahlreichen Literatur zum Gedenktage von Anastasius
Grün erwähnen wir nur K. PrölK Anastasius Grün als Politiker
in der Tägl. Rundschau BeiL Nr. 86; zum Regierungsjubiläum
König Karls von Rumänien die Arbeiten von P, Lindenberg
in Nord und Süd Nr. 350 und Zingeler in den Grenzboten 65, 17.
Bismarcks Politik gegenüber Rumänien seit der Erhebung
des Prinzen Karl von Hohenzollern sucht A. Hasenclever unter
Hervorhebung einiger wichtiger Momente (besonders Thron-
besteigung^ £isenbahnfragen, Berliner Kongreß und Anerkennung
der Unabhängigkeit) in kurzen Umrissen zu charakterisieren:
nicht hohenzallernsche Familieninteressen, sondern die wirtschaft-
lichen Interessen deutscher Untertanen und die Bedürfnisse
seiner allgemeinen Politik sind für sein Verhalten bestimmend ge-
wesen, das ihn ^ nach R — „In gewissem Sinne als Zuchtmeister
zur politischen Reife des rumänischen Volkes^ erscheinen läßt.
(Allg, Zeitung, BeiL 116 u. U7, 19. u, 20. Mai 1906.)
Einen sehr interessanten Beitrag zur Kenntnis König Lud-
wigs lU von Bayern in den Anfängen seiner Regierung bilden die
Mitteilungen aus den Aufzeichnungen^ welche der bekannte Mün-
chener Professor Johannes H u b e r über die Vorträge, die er von
1864 an dem Könige zu halten hattet ^^^ die daran anschließenden
Unterredungen niedergeschrieben hat Die dissolute, jeder festen
Zucht entbehrende Individualität des jungen Königs^ der „Ekel
vor Regierungsgeschäften'' tritt in markanten Zügen hervor* Dtn
Schluß bildet ein Beitrag zur Kaiserfrage 1S70. (Dürck.Joh.
Huber und Ludwig IL, AUg. Zeitung, Beil. Nr. 118 u. \l% 22. und
23. Mai 1906.)
In der Deutschen Revue setzet Fr* Curtius seine Mit-
teilungen aus den Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig
von Hohenlohe -Schillingsfürst (s. diesen Band S. 224)
fort. Das Mai-Heft berichtet über den Besuch des Sultans April
1867 in Nürnberg und die Begegnungen mit Napoleon III. in
München im August, mit Beust im November 1867; das Juni-Heft
führt nach Berlin in die Tagung des Zollparlamentt I86S, dem der
Fürst — damals bayerischer Ministerpräsident — als Abgeordneter
(Eür Forchheim) angehörte. Hier stehen natürlich die bekannten
458
Notizen und Nachrichten»
StrÖTfiutigen in den süddeutschen Staaten im Vordergründe-
Charakteristisch ist* wie unsicher und unonentiert sieh ein Mann
in Hoheniohes Stellung gegenüber Bismarclis Plänen und der
ganzen Situation befindet.
Auch sonst sind die letzten Hefte der Deutschen Revise für
das 19. Jahrhundert recht ergiebig. Im Mai-Heft will F^Nippold
<flDer Prinz von Preußen und Otto v. Bismarck") Randglossen zu
Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen geben. — Das Juni-
Heft enthält u* a. aus den Papieren des Freiherrn von Cramm-
Burgdorff ^Briefe über den Herzog von Cumberland an einen
auswärtigen Fürsten* (Januar bis September 1865, in denen sich
die Unsicherheit jener Tage im Braunschwetger Lande und die
unklare Haltung des Herzogs widerspiegeln); von H,v, Poschin g er
Aktenstücke aus den Papieren des württembergischen Staatsrats
V, Klindworth über die durch diesen geführten geheimen Ver-
handlungen zwischen Preußen und der Kurie (1855 f.), die doch
ergebnislos blieben; schließlich einige kurze Mitteilungen über die
„diplomatischen Verhandlungen Spaniens mit den Mächten über
die Anerkennung der Königin Isabella^ (1839/45)*
Weitaus den bedeutendsten Beitrag für diesen Zeitabschnitt
bietet der Aufsatz^ den über Heinrich v* Treitschke ^ anläßlich
der zehnten Wiederkehr von dessen Todestag ^ im Mai^Heft der
Deutschen Monatsschrift Erich Marcks veröffentlicht hat. Mit
Recht erscheint Treitschke ^als der Inbegriff einer bestimmten
Generation, die heute fast schon aus unserer Umgebung ver-
schwunden ist''. Das Bezeichnende für Treitschkes historische
Stellung ist, „daß sie von Goethe bis hinüber zu Bismarck reichte,
und daß er diesen Anfangs- und diesen Endpunkt mit beinahe
gleicher Stärke in sich festhielt^. Als seine „bedeutsamste Eigen-
art* erscheint „eine merkwürdig sichere und kraftvolle Staats*
gesinnung"* Für Marcks ist Treitschke der » Meister des deut-
schen Essays'* Die großen historischen und politischen Aufsätze aus
der Epoche von 1864/71 „bilden in gewissem Sinne den Gipfel
aller seiner Schöpfungen — auch literarisch, auch Im engeren
historischen Sinne^. „Ich halte sie alle für höchste Meisterwerke
unserer historischen und unserer altgemeinen Literatur, für die
Erzeugnisse eines großen SchriftstellerB und eines wahren Oe-
schichtschreibers/ M. verkennt nicht, daß Treitschke in seiner
^Deutschen Geschichte*' „bei Preußen lichter und sicherlich
manchesmal zu licht gemalt haf* Die Antechtungen, die dieses
Werk erfahren hat, haben naturgemäß „ihre Schärfe verloren^
aber geringer sind sie nicht geworden; das historische Denken
\
4
I
I
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Der ^lüitf MB Kiclard üelir Ober ,Tl«n«^liW UHil wtr^
(G^CBvaft 35, im ttig%t M pvlstcf Htnatf^Nl, i^nt Iritvh
llarckm n mmh «B^es geahnten Esi^r üki^t^ Duo AHiIi'mUvKi'
und KatJomlmiirtr gltic^ndttif Treitiichke lilr iti'H hi Anii|tin«'lt
nehmen hqiirtlf Dcbb aits etgener l\riniH'nin|| mul Vi'iiOmmmi}
betont Befar im Gegoss^tz rum AltdcdUcUtüni, wir il1i^)f>Mi|{0ii^ illi^
ihn heute am stärksten für den ihHjFcn iiniiehwi)« kpin Villi t^itit
auf ihn besitzen, Teil Treitschlie in kein^ PürtrUrKHlHNiiü 1itii>*tii
passe und Uberal im besten Sinne geweniMi cirl IMu ^Mil mmi
energische Behauptungen; aber ei würde tili li «n^ltt vi^ilobfii^ifj
diese Gedanken gründlicher zu vcrloliji'ii iirnl Imi UUh\u llft^m
herauszuarbeiten, wie bei TrcitHclike iliir Cihinlili^r iiHi) 4ll
Ganze der Persönlichkeit über jede fvUi/w\mn Mi JiNiii|| ihmI INhiIj
lung stand.
Vier Briefe TreitBchketi an ntlm I i«u> #ii« Uan^ ^mi
lEtB, aus Rom von 1379, au» Stnikliuliii von \t$mi umi m»i« MiUffM
schweig von 1883 finden sfcb Im MilfiitH dm OwmU« hmi M'^^mU
Schrift -^ Briefe au» aller Welt und mH il«iif §i>UBf\Mii mim*^
Treitschkes für alle Welt,
I
Im Juniheft von Nord und BU MnM «Ml fftH m^U^t^f AU
schnitt (s. S. 224 dtetei Bd^de«^ iiü 4tm Kliig«' - ' ' «
damaligen sächsischen MajfKi ^»pitimi 0#ltifill«iil
siede! über «Die ertteis T«gt der Z#ffik#iiit|f fm$ i'^fh* kH
September 1870*
Brcdow-Wedci Hf itorUclit UBmu* liHi %i§mm
liste de»dctilicltefi Hfcfe«, immMm¥miMm¥MiM«hWi
Berlin, Seilen, im. XXJ n. I4«2i. to 4m» mtmUkU^m thH4§
ist im enc« ^iiirMirf m Se §ti§m& O$0läi 4m iIMM WüM'
nendn fUngMe 4cr fCfH fSrttÜKtMwi Mmm m tm^^m^gH
Oebilde MMMtaD. am Om«m* r4i» MiiMirtli>r Owt^^tkUßg^
4a<i>r4«i" lA^ *uuu
^
460
Notizen und Nachiiehten.
geschieb tu che Überblicke über die Entwicklung des ßrandenbiir-
gisch-Preußischcn Heeres, des Krlegsmiriistenums, des GeneraJ-
fitabs, der preußischen Landwehr, der bayerischen und sächsischen
Armee, des württernbergischen Heerwesens sowie der ehemaligen
hannoverischen Armee und des kurhessischen Militärwesens ge-
geben. Hier hätten große Grundlinien genügt und wären am
Platie gewesen, statt derer breitet sich auch hier eine Fülle von
Details aus. Daß ein solches Werk im ersten Entwurf und bei
11 Mitarbeitern nicht aus einem Guß sein kann und daß viele
Fehler dabei unterlaufen, ist sehr begreiflich und verzeihlich*
Eine große Reihe von Irrtümern und Lücken hat General v* Les*
zczynski, zum Teil in Kontroverse mit dem Herausgeber v, Bre-
dow, in den Nr. 100, 130 und 131 des Jahrgangs I90B des Militär-
Wochenblatts und in den Forschungen zur Brandenburgischen und
Preuilischen Geschichte XVHIf 232 ff. aufgeführt. Man wird aber
auch den allgemeinen Bedenken des genannten Kritikers zu-
stimmen und die ganze Anlage des Werks als für historische
und genealogische Forschung wenig brauchbar, den Inhalt als
nicht unbedingt zuverlässig bezeichnen müssen. W\ WiegamL
Ein gutes Hilfsmittel bietet die durchaus zuverlässig ge-
arbeitete Bibliographie der deutschen Regiments- und
Bataillonsgeschichten von Paul Hirsch (Berlin, Mittler
£ Sohn, 1906, V u. 169 S.), in der nicht weniger als S69 solcher
Truppengeachichten mit bibliographischer Genauigkeit verzeichnet
sind und ein fast an Vollständigkeit grenzendes Resultat gewonnen
ist. Nicht aufgenommen sind mit Recht die Darstellungen einzelner
Aktionen oder der Anteilnahme eines Truppenteils an einzelnen
Feldzügen, da diese Literaturgattung in die Kriegsbibliographie
gehört.
Für den Historiker vielleicht mehr noch als für den Politiker
sind die Ausführungen von großem Interesse, die auf Grund neuerer
Memoiren und biographischerj auch ungedruckter Materialien ein
Anonymus über die Entwicklung der wighistischen Partei und
Politik im 19, Jahrhundert gibt; ^Tke old und the new Whigs'
in Quarterly Review 417, April 1906. Die eigentliche, auf reinliche
Scheidung von den sog^ Radikalen gerichtete Tendenz tritt am
Schlüsse mit beabsichtigter Deutlichkeit hervor : far years pasi
ander the rule of Lord SalL^bury and Mr, Balfaur the tountry has
had the benefit of such an aUiance between Conservatives and
moderate men of ancient Whigs or more modern Liberal tendencies
{Chamberlain !) That such an alliance is always possible and
even probable is one of the strängest checks upon desperate dome~
I
I
M«iie Bieter: Viij L'mmwtrsM tU T^mimmm ßtmdtmi Ja
f^vaixtiom (1739—1793/. (To^üa^, Primi J — GmiimwF0sit Ä
dinii^ dcHiirait poimeo s£coaäa Ja c^ÜM^i^m Mte ff^ii»»MNi
Cisaipima^ (Mßimmi», ü^gUatL) — Mak^m, iimäm sur Jpt «riiA«
äü äirtd&ire. (Paris, Chapei&i 4 Ci#,> — N^Ü, HisMn dm
£omm£rc£ dm mondt^ T, Ul: Depmis im r^^imüom frmm(mia€ jm^
qtt'ä la gaerre franco-aügmandf (nS9—iS7l}. (Paris, Fi^m-NrntHi
* Cig.) — Geffcken, Preußen, Deutschbnd ütiü dW Pol^^iv «eil
dem Untergaiig des poimscheti Reiches, (Bertirt, VaikUchr Huch-
baiidliii^g. Z^SO M>) — Härtung, Hardenberg und die pteuiVialch«^
Verwaftung in Ansbach- Bayreuth von 1792 bis Xmtt, (Tübittijun,
Mohn 5 M.) — Strobl v* RaveJsberg, Melienilch nud %f^\m
Zeit 1773—1859, 1. Bd. (Wien, Stern. 10 M.) -- Wilhelm, NUrk-
graf von Baden: Denkwürdigkeiten, Bcnrb. von Obier. L IM.
1792—1818, (Heidelberg, Winter. 14 M.) Binder v. Krle«!-
«tein, Der Krieg Napoleons gegen Österreich l«09, 1 Üdiv
(Berüii, Vossische Buchh. lä M>) — Criste, ttViheriog Karl und
die Armee. (Wien, Stern. I ,dQ M.) « AnätrsuHi P^ninmim
war. March !, 18!!, to october 31, I8iS. (londm, AWü, J #A J —
Maguire, British army unäer Wellington, ISli-lHll (iirndtm^
Clowes, 6 skj — Duvat, NapoUon, Bükm 0t HfrmiUott^t hHtJ,
(Paris, ChapeloL 1^50 fr,) « v* Mc tisch, Prkdrtch August UL«
König von Sachsen, (Berlin^ Slegbmund. 4 M.) — r*fUHti§$t,
Guillaume h^ roi ä£s Fays-Bas et i'fgtise rathoii^H^ 0H iMgiffm
(18l4^tS30), T, Z*^ (Bruxetles, D§wiL} — LülfiUU^ A^A
de Maistre et la papauti^. (Paris, Ha€hHt§ 4 Ci§* J,*» /fj —
M orange^ Les id^es communisteH düHM /#f «af////t M^trHe« fl
dans la presse saus la manarchie deJuUhf. (Partu, (lianf iC Hri^rpJ
— Lebey^ Les trois coups ä'^tat d^ L(mi«*Nfip(M*H HtmafH$rt0,
L StroBbourg et Büulogne. (Paris^Ptrrin* 5 fr,} (htytttit Mt*hhf\
(Paris, BtoudSCie. 3,50 fr.) — WolUgrubt*r, Frlnlrlrh KHidliuil
Schwarzenberg. 1. Bd. (Wien^ Prammc. 9M.) l'i^hlhiK, M Th.
BehOf Bürgermeister der freien und Httnscitjidl iJtherk. (L^tpilK»
Duncker & Humblot. 4,60 M.) — M» [.nziirufi' Lt^ht^iintirliirM'ruiiuinn.
Bearb. von Nahida Lazarus u. AUr. Lclchr* (ßcrllnp Wehntir. Il Mo
— Hitzig, D. E. C. Ranke, Profctsar der Theologie in Murlnirtf.
(Leipzig, Duncker Ä Humblot. 6Mh) — v. Volg ts- R he 1 1 , Hrluhi
aus den Kriegs jähren 1866 und 1 870/7 L (Berlin, Mittler i^ Huhth
6 M») — Aus dem Leben Theodor v* Bernhardls, 9. TL In Sfutnli^n
und Portugal, Tagebuchblätter aui den Jahren tS09 bis I87L
462 Notizen und Nachricliten,
(Leipzigs Hirzel* 10 M.) *- Graf Hiibnerj ErlebniBse zweier Brüder
während der Belagerung von Paria und des Aufatandes der Kom-
mune 1870—71. (Berlin, Gebr. Paetel 4 M,) — Lindenberg,
König Karl von Rumänien. (Berlin, Dümmlers VerL 4 M,) —
Maurice^ Russian^Turkish war, 1877. ( London ^ Sonnenschein^
5 sh.) — Ca man, Industrial hislory of tht United Siates. (Lon-
don^ Macmillan, 5 sh.) ^ Lamprecht, Americana. Reiseein-
drücke, Betrachtungen^ geschichtliche GesamtansLchL (Freiburg
i, B., Heyleider. 2,60 M.) — Spahn, Ernst Lieber als Pariamen»
tarier. (Gotha, Perthes. 1,50 M.)
Deutsche Landschaften.
Prof» Dr, Kari D ä n d 1 i c k e r. Schweizerische Geschichte,
Sammlung Göschen, ISO S.
Der Zweck der Goschen-Sammlung besteht darin, den Leser
über irgend ein Gebiet des Wissens durch summarische Dar-
bietung des Wichtigsten auf ca. 10 Bogen in dem bekannten
Format im allgemeinen zu orientieren* Im vorliegenden Büchlein
ist die schweizerische Geschichte diesem Zwecke zugeschnitten
und genügt ihm vollkommen. Der durch seine große dreibän-
dige Geschichte der Schweiz rühmlichst bekannte Verfasser,
Prof* Dändlicker in Zürich, qualifizierte sich auch vortrefflich
zur Lösung einer so zum vornherein durch den Zweck eigenartig
umschränkten und eingegrenzten Aufgabe. Das Büchlein ist der
flgroöe Dändllcker*' im kleinen, jedoch nur quantativ, nicht etwa
qualitativ. Wie in jenem^ so ist auch in diesem neben der poli-
tischen die Kultur-, Kunst*, Kirchen^ und Literaturgeschichte der
Schweiz reichlich berücksichtlgL Auch die historische Literatur
wird angeführt. Kurz, wer sich über irgend eine Periode orien-
tieren will, der findet in Dändtickers Büchlein nicht bloß zu-
verlässige Aufschlüsse, sondern auch Fingerzeige auf die nötig-
sten Quellen und HilfsmitteL Fachleute werden dem Autoren
vollste Anerkennung dafür zollen, daß er äußerst geschickt das ,
Wichtigste vom Wichtigeren auszuscheiden verstanden hat. Meine |
Aussetzungen sind ganz untergeordneter Natur. In den Quellen- .i
angaben, die sich allzueinseitig fast nur auf deutsch-schweLzerische ,
beschränken, hätte ich gerne auf die Namen minder wichtiger oder
geradezu unbedeutender Autoren verzichtet und dafür einen Hin-
weis auf die großen kantonalen Sammelwerke gesehen. Seite 90
sollte wohl mit einem Wort das frühere Bündnis Genfs mit Frei-
burg und Bern angedeutet und nach dem ^Orte** Bern und Zürich
beigefügt werden. (Eidgen. Abschiede IV, 2, S* 1587.) Seite 103:
Ci
Deutsche Landschaften.
463
^Die EidgenossenschaM verpflichtete sich; Frankreich 6— 16000
Mann Soldtruppen zu stellen*', sollte wohl besser heißen: Die
Eidgenossenschaft gestattete die Werbung etc, (vgL Eidg. Ab-
schiede Vit L S. 1646: Nou$ pourröns tever etc. Die Verpflichtung
2ur Truppensteliung kam^ wenn wir von der Offensiv- und De*
fensivallianz des Jahres 1798 absehe n, eigentlich erst IS] 2, S. 1 17.
Anm. Ebels Werk: Auf die nützlichste Art die Schweiz zu be-
reisen etc. erschien nicht erst 17%, sondern schon 1793. — Eine
[nhaltsübersicht mit Zeittafef erhöht die praktische Brauchbarkeit
des Büchleins* R. LagintähL
Als Fortsetzung zu dem bekannten Brandstetterschen Reper-
torium hat H. Barth im Auftrag der Allgemeinen geschicht-
forschenden Gesellschaft der Schweiz ein Repertorium über die in
Zeit- und Sammelschriften der Jahre 1891—1900 enthaltenen Auf-
sätze und Mitteilungen s eh weizerge Schicht liehen Inhalts bearbeite t^
das dem Benutzer gute Dienste leisten wird. (Basler Buch- und
Antiquariatshandlung. 1906. Vll, 359 S. Preis 8 M.) Die in aus-
ländischen Zeitschriften veröffentlichten Artikel konnten aus Grün-
den, die im Vorwort angegeben sind, vorläufig nicht verzeichnet
werden^ doch soll das Versäumte später nachgeholt werden.
[n den Freiburger Geschichtsblättern, herausg. v. Deutschen
geschichtsforschenden Verein d* Kantons Freiburg Bd. 12» handelt
A, B ü c h i über Schie0weeen und Schützenfeste 3&u Freiburg bis
zur Mitte des 15. Jahrhunderts, hauptsächlich nach den Säckel-
meisterrechnungen des Freiburger Stadtarchivs*
In der Basler Zeitschrift f. Gesch. und Altertumskunde 5» 2
handelt Fr. Burckhardt über Plane und Karten des Baselgebietes
aus dem IL Jahrhundert, hauptsächlich die Arbeiten der Lohn-
herren Jakob und Georg Friedrich Meyer berücksichtigend,
W. Merz verölf entlieht Güter und Zinsrötel des aargauischen
AdeEs und aargauischer Gotteshäuser aus dem Ende des 13* und
Anfang des 14. Jahrhunderts, die von Anmerkungen und einem
Verzeichnis der Orts- und Personennamen begleitet sind. Unter
den Miszellen sind vor allem die von Aug. Huber gebotenen
Mitteilungen aus Basler Archiven zu nennen, Sie bezfehen sich
u. a, auf den Aufenthalt des bekannten Franz Ffotmann in Basel,
auf ein Eintreten der Universität für den vom Rat wegen Irrlehre
mit Verweisung bedrohten Francesco Pucci; auf die Satzungen der
französischen Nation an der Basler Hochschule und auf den Stand
der katholischen Kirche in Frankreich Im Jahre 1635.
Aus der Zeitschr f. d, Gesch. d. Oberrheins M, F. 21, 2 er-
wähnen wir die eingehende Arbeit von G. Schickele über die
30*
464
Notizen und Nachrichten.
I
Vorsichtsmaßregeln, durch die man in StraÖburg während de^
16. bis !8. Jahrhunderts Pest und ansteckende Krankheiten zu be-
kämpfen suchte, — In der Alemannia N. F. 71 findet sich eine
fleißige Materialsammlung über das Rufaeher Minoritenkloster zu
St. Katharina von Th. Walter, ^ Aus der erst jetzt dem Refe-
renten zugänglich gewordenen Revue des Siudes juives 1905, April-
Juni sei endlich noch der Schluß des Aufsatzes von M. Gins-
burg e r über die Metzer Juden unter dem Anden rägime ver- '
zeichnet (vgf. 95, 377).
Die tetztausgegebenen Lieferungen der Regesten der Bischöfe
von Konstanz (tl, 5—7; S. 321— 603. Innsbruck, Wagner, 1902 bis
1905) umfassen den Zeitraum von 1361^1383 (bearbeitet von
AI. Cartellieri) mit den Nachträgen und dem Register (be-
arbeitet von K* R ieder)» also den größten Teil der für das Bistum
sehr unglücklichen Regierung des Bischofs Heinrieh von Brandis.
Hinsichtlich der Sauberkeit der Arbeitsweise schließen sich diese
Lieferungen den vorangegangenen würdig an.
Beiträge zur fränkischen Wirtschaftsgeschichte bringt der
AufsatsE von A, Hänlein: Zur Geschichte der Hausweberei im
bayerischen Voigtland, der vornehmlich die Verhältnisse vom
15. bis 18. Jahrhundert behandelt. (Archiv f. Gesch* u. AUertums-
kunde von Oberfranken 26^ 1)*
Aus dem Inhalt der Zeitschrift des Aachener Geschichts-
vereins 27 heben wir an größeren Arbeiten hervor die sprach-
geschichtliche Untersuchung von Fr, Gramen Frem-Brlganiium^
die eingehenden Ausführungen von Aug. Schoop ijber die
römische Besiedlung des Kreises Düren^ denen eine Übersicht über
die bis jetzt dort gefundenen Steindenkmäler aus der römischen
Kaiserzeit beigefügt ist, femer die in die neuere Zeit führenden
Abhandlungen von H. Pennings über die Aachener Religions-
unruhen und die auf den Städtetagen zu Speier und Heilbronn
(1581/82) vornehmlich von Straßburg und seinem Vertreter Paul
Hochfelder zugunsten der Protestanten unternommenen Schritte und
von E. Pau Is über die ziemlich harmlosen Beziehungen der Metzer
Reunionskammer zur Abtei Stablo-Malmedy und zur Aachener
Gegend. Von dem letztgenannten Verfasser erwähnen wir außer-
dem noch die Bemerkungen zur Geschichte der Zeitrechnung in
Aachen und die Mitteilung von Quittungen und Briefen über
Zahlungen an Maximilian L, Karl V. und Ferdinand L bei ihren h
Besuchen in Aachen und Stablo. ^|
In den Beiträgen zur Gesch. d. Niederrheins Bd. 19, 190S
schildert Baumgarten den i^Kampf des Pfalzgrafen Philipp
Deutsche Landschaften.
465
mit den jülich-bergischen Ständen von 1669 bis 1672'^^ erbebandelt
die ständische Appellation an den Reichsholratj die Gegenmaß-
regeln der Regierung und weiteren Verhandlungen bis zur Bei-
legung des Streites durch den Hauptrezeß von 1672* — Einen wert-
vollen Beitrag zur Geschichte der deutschen Industrie bietet die
von Ch* Schmidt publizierte Denkschrift des kaiserlichen Kom-
missars Beugnot über die Textil- und MetaMindüstrie des Gro3-
herzogtums Berg im Jahre J810* — Th* Lewin ^Beiträge zur Ge-
schicbte der Kunstbestrebungen in dem Hause Plalz-Neuburg'*
verarbeitet reichhaltiges, aus archtvalischen Quellen geschöpftes
Matenat zu ausführlichen Schilderungen über die KunaCpflege am
Hofe von Jülich-Berg, die Beziehungen der Herzöge zu Rubens,
van Dyck, Joachim von Sandrart, Johann Spielberg und anderen
Künstlern ihrer Zeit
Das neue Archiv f. sächs. Gesch. u, Alteftumskunde, Bd 27^
Heft 1 u* 2 enthält Abhandlungen von G. Müller über „Die Visi-
tationen der Universität Leipzig zur Zeit des Dreißigjährigen
Krieges*" und von E. Zimmerniann über die Frage ^ In welchem
Jahre das Meißener Porzellan erfunden wurde' ; er glaubt, 1709 als
Erfindungsjahr ermittelt zu haben. H. Beschorners „Beschreib
bungen und bildliche Darstellungen des Zeithainer Lagers**, das
August der Starke 1730 in Anwesenheit des preußischen Königs
Friedrich Wilhelms L veranstaltete, sollen einen Beitrag zur säehsi*
sehen Heeresgeschichte liefern,
G* Vorberg, Die Kirchenbücher im Bezirke der General-
superintendentur Berlin und in den Kreisen Lebus und Stadt Frank-
furt a. O. (Veröffentlich, d. Ver. f, Gesch. d. Mark Brandenburg^
Leipzig; Diincker & Humblot* 1905. 7 M, In Form und Einteilung hat
sich Vorberg dem von Schwartz bearbeiteten ersten Heft der neu-
märkischen Kirchenbücher angeschlossen, inhaltlich dagegen seine
Arbeit auch auf andere Religionsgesellschaften, die römisch-katho^
lische Kirche, die evangelische Brüderkirche, die evangelisch-
lutherische Kirche und ferner, „um den Weg zu allen kirchlichen
Aufzeichnungen zu bahnen'*^ auf die parochlale Vorgeschichte
ausgedehnt. Daß die durch Umfrage ermittelten, natürlich nicht
selten unvollständigen Angaben von Vorberg aus der Literatur,
aus den Mitteilungen und Akten des Konsistoriums etc. ergänzt
worden sind, wird dankbar aufgenommen werden. Der Stoff ist
in drei Teile gegliedert: L Die Kirchenkörper mit ihren Kirchen-
kreisen und Kirchspielen, 2. die Gemeinden mit ihren kirch-
lichen Aufzeichnungen (in aiphabet. Folge), 3. die Kirchenbücher
nach Alter und Inhalt und andere Bücher, Akten, Urkunden etc.
30«
466 Notizen und Nachrichten«
in den PfatTarchiven, Für gleichartige Unternehmungen verdient
Beachtung der Entwurf eines Formulars, mit welchem Vorberg
Vorschläge zur Besserung der Fragebogen macht, um genauere
und vollständigere Auskunft zu erzielen. Der mühsamen Arbeit«
die besonders der orts- und familiengeschichtlichen Forschung
gute Dienste leisten wird — auch Nachweise, wie weit rückwärts
sich die Reihen der Pfarrer verfolgen lassen, sind aufgenommen
worden — , hätte ein Orts- und Namenregister nicht fehlen sollen.
Hoffentlich bietet sich im 2. Heft, das die Generalsuperinten*
dentur der Kurmark behandeln wird, Gelegenheit, diesem Mangel
abzuhelfen.
Die Publikation der Hostocker Universitätsmatrikeln führt
A. Hofmeister in Bd. IV, Heft 2 von Ostern i747 bis Ostern
1789 (Rostock, Stiller, 1904). Der Anhang enthält die Matrikeln
der Universität Bützow (Mich. !760 bis Ost, i78^), die Herzog
Friedrich von Mecklenburg auf Grund eines kaiserlichen Patentes
1760 ins Leben rief, als sein Wunsch^ die Richtung der haUischen
Pietisten in Rostock vertreten zu sehen, bei der Rostocker Fakultät
hartnäckigem Widerstand begegnete.
Band 94 des Archivs für österr, Gesch. umfaßt ausschlleü-
lich Abhandlungen, die aus Vorarbeiten für den historischen Atlas
der österreichischen Atpenländer hervorgegangen sind (auch
separat herausgegeben als „Abhandlungen zum histor* Atlas der
Österr, Alpfenländer". Wien, Holder). Der hochverdiente, kürzlich
verstorbene Leiter des Unternehmens^ Ed. Richter^ hat einmal
die Ansicht geäußert, daß nicht die Ansammlung topographischer
Details, sondern die Aufsuchung der administrativen und gericht-
lichen Abgrenzungen die Aufgabe sei, mit deren Lösung die ge-
schichtliche Geographie sich vielleicht Verdienste um die Erfor^
schung der Vorzeit erwerben könne* Das hier gewiesene Ziel
scheint für die folgenden Untersuchungen bestimmend gewesen
zu sein,— An erster Stelle steht H. v* Voltelini's Aufsatz über
j^Die Entstehung der Landgerichte im bayerisch -österreichischen
Rechtsgebiete". Auf ihre Einrichtung haben verschiedene Um-
stände Einfluß geübt, zunächst die Zunahme der Besiedlung und
Bevölkerung, für deren Bedüdnisse neue Ordnungen und Ge-
richtssprengel geschaffen werden mußten, die seit Erblichkeit
der Lehen häufig vorkommende TeÜung der Grafschaften und
Vereinigung von Grafschaftsteilen^ Exemtionen weltlicher Herren
und geistliche Immunitäten etc» ^Den wichtigsten Anstoß
aber zur Ausbildung der Landgerichte hat die Burgenverfas-
sung gegeben," Dem ßurghauptmann, der mit dem Burgbann
bereits öffentlichrechtliche Gewalt über die Inwohner des Bann-
i
Deutsche Landschaften.
m
bezirkes ausübte^ ist die hohe Genchtsbarkeit innerhalb des Burg-
friedens übertragen worden* Es ist bezeichnend für die im wesent-
lichen gleichartige Entstehung der territorialen Amtsbezirke Über
weite Länderstrecken hin, daß gleich den märkischen Vogteien
und bergischen Amtern auch die Kreisverfassung Böhmens und
Mährens t wie neuerdings Mil Stieber (»Das österr* Landrecht
und die böhmischen Einwirkungen auf die Reformen König Otto-
kars ^ Innsbruck 1905, S. 109 ff.) nachgewiesen , zum Teil aus
Vereinigung von Burgdistrikten oder ^upen entstanden ist* —
Das Verhältnis von Immunität und Territorium in ihrer räum-
Jjchen Ausdehnung und staatsrechtlichen Bedeutung erläutert
Ed. Richters Abhandlung: „Immunität, Landeshoheit und Wald-
Schenkungen** an der Geschichte des Salzburger Kirchenstaates^.
Dieser ist in der Hauptsache zusammengefügt worden nicht aus
immunen Kirchengütern, „sondern aus erworbenen Grafschafts-
teilen, Landgerichten"* zu einer Zeit, da man von den alten Im-
munitäten^ ihrem Wesen und ihrer Bedeutung nichts mehr wußte.
Die Landeshoheit ist hier entstanden^ indem die Erzbischöfe sich
an die Stelle der alten Grafengeschlechter des 12. und 13, Jahr-
hunderts setzten. Dieser Nachweis laBt sich nicht erbringen Eür
einen Rest des Stiftslandes, der in den kaiserlichen Bestätigungs-
urkunden seit Otto iL in Form eines Waldbesitzes erwähnt wird.
Die von Kleimayrn (Juvavia) noch bejahte Frage, ob sich Gerichts-
und Landeshoheit daselbst aus dem Grundbesitz entwickelt habe»
hätte Richter schwerlich offengelassen, wenn Erkrankung und
Tod ihn nicht an der Beendigung der ausgezeichneten Unter-
suchung gehindert hätten. Eine gegen Bittners Ausführungen
gerichtete Bemerkung v. Belows, daß für die Atisübung der Graf-
schaflsrechte nicht so sehr der äußere Bezirk, als vielmehr die
erworbene Kompetenz entscheidend sei (Mitt d. Inst i. österr.
GeschL Bd* 25, S. 458), verdient auch in diesem Zusammenhange
beachtet zu werden. — Bin zweiter Aufsatz Ed. Richters „Ge-
markungen und Steuergemeinden im Lande Salzburg" behandelt
die Einführung der jetzt geltenden Steuergemeinden in Salzburg,
Dieselben sind ganz ausschllelJUch ein Werk der Jahre tS28 und
1S29, Jede Anknüpfung an alte Gemarkungen fehlt, ^^m so mehr,
als es deren damals überhaupt nicht mehr gegeben hat.^ Hieraus
folgt auch für das salzburgische Territorium die Unhaltbarkeit der
auf das hohe Alter der Dorfgemarkungen basierten Grundkarten-
theorie Thudichums» — J. Strnadt: „Das Land im Norden der
Donau** stellt sich die Aufgabe, folgende Fragen zu beantworten:
1. Bestand und Umfang des sag. Schweinachgaues, 2. Westgrenze
der karolingischen Ostmark, X Art und Weise der Erschließung
I
460 Notisen und Naclinchten«
des Nordwaldes für die Kultur und Wert der Schenkungsurkunden
König Heinrichs II, Jür Niedernburg, 4. Aultreten und Abstam-
mung der Witigonen, 5. Eigenschaft der Herrschaft Falkenstein
und ihr Verhältnis zu Passau, 6. Grenzen zwischen Bayern und
Österreich einerseits und Böhmen anderseits » 7. Zeitpunkt der
Vereinigung Wachsenbergs und der Riedmark mit dem Lande ob
der Enns, 8. Verhältnis Passaus zu dem Mühelland^ seine Unter-
werfung unter österreichische Landeshoheit, 9. Ausbreitung der
österreichischen Territorialhohett über Rannariedl in das Herz
des Reichsfürstentuins Passau hinein. Die eingehenden Unter-
suchungen, welche reichhaltiges und zum großen Teil neues
archivaiisches Material verarbeiten, bieten auch wertvolle Beiträge
zur Kolonisatlonsgeschichte, Entstehung der Landeshoheit u. a,,
doch dienen sie in der Hauptsache dem Zweck des Kartenunter^
nehmens, Besitzstand und Grenzen der Gaue, GrundherrschafteUi
Landgerichte, Territorien festzustellen. Beigefügt ist eine karto-
graphische Rekonstruktion des Besitzstandes der weltlichen Grund-
herrschaften im Kzgau und im Mühellande zu Beginn des 13. Jahr-
hunderts. Sp,
Neue Bücher; Laurenclus Boßhart von Winterthur, Chronik
1185—1532. Hrsg. von Hauser. (Basel ^ Basler Buch- und Anti-
quariatsh. S M.) — ürkundenbuch der Abtei Sanct Gallen. V. Teil —
(1412—1442). 2. Lfg. Bearb. von Butler und Schieß. (St Gallen, f
Fehr. 10 M.) — Dex, Metzer Chronik über die Kaiser und Könige
aus dem Luxemburger Hause. Hrsg. von Wolfram. (Metz, Scriba.
15 M.) — Börckei» Aus der Mainzer Vergangenheit. (Mainz,
V. Zabern. 5 M.) — Ehwald, Das Heiliggeisthospital zu Frank- ^
iurt a. M. im Mittelalten (Gotha, Perthes. 1^20 M.) — Bot he, ■
Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Reichsstadt
Frankfurt* (Leipzig, Duncker & Humblot. 4,60 M,) — Valentin,
Geschichte der Musik in Frankfurt a. M. vom Anfang des Xf V. bis
zum Anfange des XVIII. Jahrh. (Frankfurt a. M., Völcker. SM.) — ^_
Hamm, Die Wirtschaftsentwicklung der Markgenossenschaft fl
Rhaunen, L Die fränkische Hundertschaft u* Markgenossenschaft
auf dem Hundertsrück (Hunsrück). (Trier, Lintz. 2 M.) — Eubel,
Geschichte der kölnischen Minoritenordensprovinz. (Köln» ßois-
ser^e. 7 M.) ~ Rheinische Urbare, Sammlung von Urbaren und
anderen Quellen zur rheinischen Wirtschaftsgeschichte, 2, Bd. Die
Urbare der Abtei Werden a, d. Ruhr. A. Die Urbare vom 9.— 13. m
Jahrh, Hrsg. von KÖtzschke. (Bonn, Behrendt. 15 M.) — Wit- ^
tieh, Altfreiheit und Dienstharkeit des Uradels in Niedersachsen*
(Stuttgart, Kohlhammer, 4M.) — N, Müller, Der Dom zu Berlin,
Kirchen-, kultus- und kunstgeschichtliche Studien über den alten
i
Vermischtes*
4M
Dom in Köln-Berlin, 1. Bd. (Berlin, Schwetschke & Sohn. 7 M,) -^
Irmlsch, Beiträge zur Schwarzburglschen Hetmatskunde. 2. Bd*
(Sondershaüsen, EupeL 4M.) — Höfer, Beiträge zu einer Ge-
schichte des Koburger Buchdrucks im 16* Jahrh, (Koburg, Rie-
mann. 2 M.) — O. E, Schmidt, Kursächsische Streifzüge. 3. Bd*
Aus der alten Mark Meißen. (Leipzig, Grunow. 4 M^) *-W* Schulte,
Bischof Jaroslaw und die Schenkung des Neisser Landes. (Katto-
witz, Gebn Böhm. 2,40 M.) — Mo eschler, Gutsherrllch-bäuer-
liche Verhältnisse in der Oberlausitz. (Görlitz, Tzschaschel 2,40 M.)
^ Quellen zur Geschichte der Stadt Wien. Red. von Stanzen
l AbL 5. Bd. Regesten Nr. 4732-^274. (Wien, Konegen, 20 M.) —
Kapper, Das Archiv der k. k, steiermärkischen StatthaltereL
(Gra^, Moser. 3 M.)
Vcrinischtes,
Der Sechste Allgemeine DeittscheArchlvtag wird
am 24. September zu Wien stattfinden; an ihn wird lich vom 25.
bis 2S. September die Hauptversammlung de» Gesamt*
Vereins der deutschen Geschichts« und Altertums*
vereine anschließen.
Im Korrespondenzblatt des Gesamtvereins I906| Aprll-Maii
wird der Bericht über die vorigjährige H a u p t v e r i a m m I u n g
zu Bamberg zu Ende geführt (vgl. %, 567 u. 97, 234). Wir er-
wähnen aus diesem Teile die Vorträge von K. Rtibeh Das frän-
kische Eroberungs- und Siedelungseystem in Oberfranken, von
Zwiedtneck: Neue Methoden genealogischer Forschung In östcr^
reich, von A. Tille: Organisation und Publikationen der dcutHchcn
Geschichtsvereine, von A. Altmann: Der Staat der tüncliöla
von Bamberg (der Schluß folgt in einer der nächsten Nunuucrn)
und von L. Wolfram: Die Regierungstitigkeit de» FUrHtblscholt
Franz Ludwig von ErthaL
Die A merk an historkal review 1906, April, bringt einen aus«
führlichen Bericht über die Verhandlungen ü^z American Hlstüfkül
assüciation in Baltimore (Dezember 1905).
Dem Jahresbericht des unter K e h r s Leitung itehend^n
Preußischen Historischen Instituts In Rom Itir 1905/06
entnehmen wir, daß eine dritte Sekretärstelle, die für kunsthisto-
rische Forschungen bestimmt ist, geschaffen und dem PrlvÄt-
dozenten Dr. ]~Iaseloff kommissarisch übergeben ist. Das ge*
samte wissenschaftliche Personal des Instituts einschließlich der
Volontären umfaßt jetzt 16 Mitglieder. Von den Nuntiaturberichtcn
470 Notizen und Nachrichten.
ist der von Cardauns bearbeitete Band Xl, & (153^/41) und der
von Friedensburg bearbeitete Band I, 10(1547/48) dem Ab-
schluß nahe, Band [II, 5 (Schellhaß) im Drucke; die Präger Nun-
tiarberichte von 1603 06 (Meyer) werden 1907 erscheinen. Die Ar-
beiten am Reperiormm Germarticam wurden von G 5 1 1 e r f ort^
geführt. Niese und SchneLder setzten in Toskana die Arbeiten
zur systematischen Durchforschung der italienischen Archive und
Bibliotheken fort, Haseloff begann die kunsthistorischen For-
schungen mit einem Besuch der Städte und Kastelle der Capita-
nata und Apuliens. ~ Publiziert wurden ßd. 8 der „Quellen und
Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken* und
Bd. 1 und 2 der ^Bibliothek des Historischen Instituts" (Hase-
loff, Kaiserinnengräber in Andria und Kalkoff, Forschungen
zu Luthers römischem Prozeß).
Über die Tätigkeit der Gesellschaft für Rheinische
Geschichtskunde berichtet der 25, Jahresbericht ; Ausgegeben
wurden der dritte Band (1342—1352) der Urkunden und Regesten
zur Geschichte der Rheinlande aus dem vatikanischen Archiv, be-
arbeitet vonH. V. Sauerland; Kölnische Konsistorialbeschfüsse*
Presbyterialprotokolle der heimlichen Kölnischen Gemeinde, 1572
bis 15%, bearbeitet von Ed. Simons; Rheinische Urbare. Samm-
lung von Urbaren und anderen Quellen zur rheinischen Wirt-
schaftsgeschichte. II. Die Urbare der Abtei Werden a. d* Ruhr,
A; Die Urbare vom 9,— 13. Jahrhundert, herausgegeben von Rud.
Kötzschke. Für die nächste Zeit stellt die Gesellschaft die
Publikation einer ganzen Reihe weiterer Arbeiten in Aussicht: Den
2. Band der rheinischen Weistümer (Oberämter Mayen und Mun-
stermaifeld) ed. Loersch; den 2* Band der Werdener Urbare cd,
Kötzschke; den 2. Band der Jülich-Bergischen Landtagsakten
I.Reihe (ed. v* Below) und den L Band der jüngeren Reihe
(1610 ff.) ed. Küch; den 3. Band der Regesten der Kölner Erz-
bischöfe (1205—1304) ed. Knipping; die Kölner Zunfturkunden
ed. V. Loersch; den Textband zu dem 1905 erschienenen Tafel-
werke der Romanischen Wandmalereien der Rheinlande von C fe-
rnen. Von den Urkunden und Regesten zur Geschichte der Rhein-
lande aus dem vatikanischen Archiv soll der 4. Band, ed. Sauer-
landj demnächst erscheinen, ferner die erste Lieferung eines Tafel-
werkes über die Rheinischen Siegel (ed. Ewald), der l. Band der
Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der nlederrheinl^
sehen Städte, enthaltend die Siegburger Quellen, bearbeitet von
Lau, und endlich der L Band der Veröffentlichung von Redlieh
über die Jülich- Bergische Kirchenpolitik im 15. und 16, Jahrhundert.
— Die Kommission für die Denkmälerstatistik der Rheinprovinz
Vermischtes.
471
hat das 3, Heft des V. Bandes, die Kunstdenkmäler von Stadt und
Landkreis ßonnj bearbeitet von P. Giemen, und das 3* Heft des
VIIU Bandes, die Kunstdenkmäler des Kreises Heinsberg, bearbeitet
von K, F r a n c k und Edm. R e n a r d , veröfi entlicht. Demnächst
sollen die Kunstdenkmaler des Siegkreises ed. Renard (Band V
Heft 4) und die erste Abteilung des VI, Bandes, der der Stadt
Köln gewidmet ist, bearbeitet von K r u d e w i g , erscheinen. Auch
die zweite Abteilung dieses Bandes, die Darstellung des römischen
Köln und seiner Denkmäler von Klinkenberg, ist dem Ab-
schluß nahe.
Dem Bericht der Historischen Kommission für
Hessen und Waldeck entnehmen wir, daß im letzten Jahre
veröffentlicht wurde: Buchenau, der Brakteatenfund von Seega
(Marburg 1905, El wert ^ Bezüglich der verschiedenen, in Vorbe*
reitung befindlichen Publikationen erwähnen wir, da0Tangl seine
Arbeit am Fuldaer ürkundenbuche aufgegeben hat und E, Stenge]
für ihn eingetreten ist. In die Veröffentlichungen der Kommission
sind neu aufgenommen: eine von G und lach vorbereitete Arbeit
über die hessische Behördenorganisation bis zur Einsetzung des
Geheimen Rates und eine von Dersch geplante Sammlung von
V Beiträgen zur Vorgeschichte der Reformation in Hessen und
Waldeck«-
Am 4. April starb in Magdeburg der Archivdirektor Dr, Eduard
A u s f e l d , der auch als Vorsitzender des Magdeburger Geschichts-
vereins eine fruchtbringende Tätigkeit entfaltet hat und jahrelang
ein getreuer Mitarbeiter unserer Zeitschrift gewesen ist.
fn Colmar starb am 25. April, im Alter von 78 Jahren, der
langjährige Direktor des Bezirksarchivs des Oberelsaß Geheimer
Archivrat Dr, Heino Pfannenschmid, der neben mancherlei
Beiträgen zur elsässischen Geschichte vornehmlich durch seine
Forschungen auf dem Gebiete der Kulturgeschichte und Mytho-
logie bekannt geworden ist.
Auch der Tod des Realgymnasialoberlehrers Prof. Hermann
Althof, der am 4. Mai zu Weimar erfolgte, ist an dieser Stelle
zu erwähnen, da der Verstorbene durch mannigfache die Grenz-
gebiete zwischen Geschichte und germanischer Philologie be-
rührende Studien sich namhafte Verdienste erworben hat.
In Forli starb am 18, April Prof, Giuseppe Mazzatinti^
Verfasser zahlreicher Arbeiten zur italienischen Geschichte, dessen
Name in Deutschland namentlich durch die Herausgabe des trotz
mancher Mängel verdienstlichen Werkes: Gii archln äella sioria
ä^italia bekannt geworden ist.
472
Notizen und Nachrichten,
Ende Juni starb in Paris Albert Sorel (geb. 1842), eine der
großen Erscheinungen in der neueren französischen Geschicht-
echreibung, ein Forscher voll Geist und Kombinationsgabe und
ein glänzender Darsteller. An geistiger Kraft im ganzen wohl
Taine nicht ebenbürtig, hatte er doch mehr spezifisch historischen
Sinn^ ohne freilich auch als kritischer Historiker die Neigungen
des französischen Schriftstellers von Esprit zu verleugnen. Sein
letztes und fiauptwerk ,L*Europe tt ta r^volutiün franfaise'^ das
er erst kürzlich Im 8* Bande zum Abschluß gebracht hat, hat
in seinen späteren, etwas überhasteten Bänden der Kritik wohl
manche Blößen geboten, aber die fruchtbaren Anregungen, die
namentlich von dem 1, Bande ausgingen, werden noch lange
wirken können*
In der Revue klstorique 92, 2 veröffentlicht G* M o n o d Nach-
rufe auf Alfred Rambau d, Th, Funck -Brentano und Emile
Boutmy; die bei des letzteren Begräbnis gehaltenen Ansprachen
von Gebhart, Aucoc und Sorel bringen die S^mmces ei
travaax de l* acadämie des sciences murales et pöli~
iiques 65^ 4, Ferner weisen wir hin auf die gehaltvolle Würdi-
gung Fr, V, Weech's durch Obs er in der Zeitschrift für die Ge-
schichte des Oberrheins N. F. 21,2 und durch Albert in der Ale-
mannia N* F. 7, 1; auf den Nachruf von Pfleger auf Joseph
Knepper im Historischen Jahrbuch 27, 2; von Otfried Schwar-
zer auf Markgraf und von Borchling auf Heyne in den
Deutschen Geschichtsblättern 7, 6/7, Das Jahrbuch für Philosophie
und spekulative Theologie 20, 3 bringt eine^ längere Arbeit! von
Sadoci S z a b d , Henrici Denifle Memoria*
I
i
Inseraten-Beilage zur Historischen Zeitschrifi
Dritte Folge — 1 . Band — 2. Heft.
k
t H S E R AT E EUr die Beilage oder iüt den Umscblaf werden mit 30 PI. (ür die eiDgespaEtenCp
60 PL für die durchlAufcnde Petitieik befecbnet»
In der HerderschcD Vcrl»|^handJung zu Fmbüt^ im Öreltgtu «ind lo-
eben erächieoen und künnen durch alle BucbhÄndluugen bezogen werden \
Hablitzel, Dr Job. Bapt., Hrabanus Maums* Em Beitrmg lur
Geschichte der mittelalterlichen Exegese. (Biblische Studien, XL Band, 3, Heft,)
gr. 8« (VIII a. tot) M 3,60
bilb auä htx 3eit ber gtofeen ßoit^ilien unb beÄ ^umunlÄutuä. (©tubten unb
Warften ungen aui bem Gebiete bet <Stcf(f|id|te, V. ©anb, 1. ©eft.) gr. 8"*
(XH u, 124) vi/ 3.^
Sägmüller, Dr Job, Bapt, l^"^^:^^:^^^^^ Die kirch-
liebe Aufklärung am Hofe des Herzogs Karl Eugen
von Württemberg <I744-I793)- ^I" ^^^^ A^f^^^S
gr. S". (Vm u. 228) M S'— [3b)
Deutsche Verlags -Anstalt in Stuttgart
Deutsche Revue.
Herausgegeben von Richard Fleischer.
Jad^n Monat erscheint ein Heft v&n f28 Seifen. — Preis v/ertei/ährUch (S Hefte) B M.
Inhalt des Mär2- Heftes 1^06:
Deutschland und dk auswärtige
PoHtik.
F* von W, : Der Zar und leine
Berater.
ProL Dn J. FehLing; Die Bedeu-
tung der Mutter für ihr Kind.
Freih. V. Cramm-Burgdorf; Tage-
buchblätter aus dem Jahre 1884.
Alffi Scheler, Oberiandesgerichts-
rat: Heinrich Heine.
Rudolf V* OottschaLt : Das kritische
Richteramt in der Literatur.
tlerniann Ondcea: Aus den Brie-
fen Rudoll von Bennlgsens.
Professor W. M Itte renal er ! Die
heutige Justiz und die Oeistes-
freiheit.
Friduheliti von Ratike: Vierzig
angedruckte Briefe Leopold
von Rankes,
Dr, von Schutte: Deutsche Natia-
nalzuge im Rechte*
R. Schaukai: Die Sängerin. No-
velle.
Gahrtel Motiod: Briefe von Mal-
wtda von Meysenbug an ihre
Mutter
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mittelalterlichen und neueren Geschichte.
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O. V. Below und F. Meinecke
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0«« Zeil^ter der enjsjklapldlftctiea Darstdluni^en Ist in der Wi^^euBchmfl dtircb ela Zeit^
ilter der SpeiiaÜHiefunu: der Arbeit abui^lLtst worden. Alkin gerade die ziinebmende Speziiii-
iieriing hil wiederum d»s BedUrlnls enzyklopädischer Zufiain[EienfA.ä3uiig hervorgeruitfiL !□
keiner Diäiiplin wird dies BedUrfnii LLigenblicklich weniger belnedigt aU in <ler ttiittet<er-
Ikfaen und oeueren Oe schichte.
Diese Lücke wallen die Herausgeber «utxulutlen suefaefi. Daa Ziel Ihres Untenaebmeoi
lit eine streng witsenschaftlichc, aber zo5a.mmenf&S3ende i^nd übersicbllicbe DAfistctlung» El
sali die Tatsachen und die ZusammenMnjie der geschichtlichen Entwicltlung varfLLbren, m-
gleich jedoch auch dn unacbauliches Hild des derraaligen Sundes der Forsctiung tn den eto-
zelnen Zweigen unserer Wissenschaft bietcD» beideit in Itnappater ForoiH. E$ irUl den wiisen-
sc halt lieh ausgebildeten tliitorikerti wie den Studierenden und Überhaupt allen Freuiidea der
mittelAlierliehei:) und neueren üeachichte dienen.
Übersidit über den Inhalt,
{Dl« kl«l£L g«dfUQkt«n Tlt«l boielohtien dte Mnde, übef die dl« Vftili&hdliiiig«!! niM^ idtM
ikbg^achloaaen «Ind.)
l Allgemeines.
Ensyklopidl«.
Geflchiehte der detitBchen Gaecliichtr
iclireibung im Mittelalter. Von Prof.
Dr- H£RHAim Bloch.
Geschichte der neaeren Historio-
graphie, Von Prot Dr. BiCEi^D
Fester.
PoUtlJt auf bistoriflcher Grondlftg«.
Die mittelalterliche WeltSpU Behauung.
Von Prof. Dr. Ki.EincKs B^eumkeb.
Die WeltanBchaunng der ReDaiflB4a.n€e
und der Reform at Ion. Von Dr.
Walter Goetz.
Geschichte der Aufklarungsbewegung,
Von Prof. Dr. E. Troeltsch-
DI« geiaUg^D Bewegungen de« 19, J^br-
hTlsderta.
II. Pofitl&che Geschichte«
Allgemeine Geschichte dar germani-
Bchen Völker bb ^nm Auftreten
Chlodwigs. Von Prof. Dr. Eewst
KORNEMANK.
Allgemeine Geechichte vom Auftreten
Chlodwigs (mit RDokhlick auf die
ältere Geschichte der Franken) bis
zum Vertrag von Verdün. Von
Privatdos5. Dr, Albert WermikohopFh
Allgemeine Geschichte des Mittelalters
von der Mitte des 9. bis »um Ende
des 12. Jahrhunderte. Von Prof. Dr.
k
Allgemeine Geschichte de« spätere u
Mittelalters vom Ende des 12! by
Eum Ende des 15. Jabrhnnderti
(1197—1492). Von Prof. Dr. JoHAJfjr
T^SEßfH. EiMUeaea.
Allgemeine Geschichte TOn 149S bb
1 660. Von Prof, Dr. Pbldc HjLOsrASk
Geechichte des eoropftischen Stmaten-
systems von 1660 bis 1780. Voa
weil. Prlvatdo^ent Dr. Mat Imhtch.
Ertehtenem«
Geschichte des Zeitalters der framd^
sisohen Kevolntion und der BeErei-
nngskriege. Von Dr, Adalbeht
Wahl.
Geschichte des neueren Staaten-
syatems vom Wie per Kongrefs biA
zur Gegenwart. Von Prof. Dr. EmcS
BRAKUElTBima.
BffthdeQbtirgJich-piieaßiJscbe Geschichte.
III. Verfassung, Recht, Wirtschaft
Deutsche VerfaBSUDgsgeschichto (bis
Eur Mitte des IS. Jahrbiinderts)^ Von
Prof. Dt. Gerhard Seeliobe.
Deutsche Verfassungsge^chichte von
der Mitte des 13. JeSirh und orte bis
zur Erhebung der absoluten Hon«
archie. Von Prof, Dr, G* Y. BteLow.
Deutsche Verfassungs- und Verwal-
tüDgsgeschicht« seit der Erheb unf
der absoluten Monarchie. Von Prof.
Dr. HsnmiüH GsYFcrBK.
FronÄösificbe Verfaesungsgeschichle
von dar Mitte des 9; JahrhundertB
bis zum Aq abrach der Revolution.
Von Privfttdoz. Br. Rob. HoLf OiAirir.
Englische VedoäsmigBge schieb ifir
Grandaüge der Geschichte der katho-
liechen Kirchen verfasgung. Von
Prof* Dr. tJLR* Stutz.
Qrmidxiig« der Geschichte der evnngfellMchen
Kirche G verTa-Muogn
Dae ab6ndländiBche Kriegeweaen vom
6. bia zum 15. Jflbrhundert. Von
Prot Dr. Wilhelm Eäbek.
Oeecbichte der neueren Heeres ver-
fasaiingen vom 10. Jahrhundert ab.
Von PriTatdoK. Dr* Gustav Roloff.
Geacbichte dea deuteeben Btrafrecbta.
Von Prof, Dt, R. His.
GüBchicbte des Straf- und Ziiulpro-
Eesaes* Von Pro! Dr. jur, Kttrt
BüBCEARD.
Gescbichte des deutecben Privat- und
Lehenre<;hteB. Von Prof* Dr* Haks
V. Volte f.ijn.
Deuteche Wirtschaf tage schiebte bia
lum 17. Jahrhundert. Von Prof. Dr.
G. Vt Below.
AUgcmeiiie WLrtBchaJteg^flcliicbte 7. 17^ JaJir-
hUDdert bis ^ur Gegenwart.
Handel ageschichte der romanischen
Völker des Mittel meergebiets bia
zum Ende der Krenj^Üge* Von
Prof. Adolf Schaubb. Encblenia.
Allgemeine MünEkunde und Geld-
gescbichte des Mittelalters und der
neueren Zeit Von Prof. Dr. äri^old
LUSCHTN V* EBBKGaEUTR, Eric hlcD eil.
SpOEielle Münakunde und Geld-
geschichte. Von Prof, Dr. Arnold
LuscHra^ V. Ebbnor'eu'tk.
IV. Hilfswissenschaften und Alter-
tQmer.
Diplomatik* Von Prof. Dr. W. EaBiir,
O. Redlich und Dn Schiutb-Kal-
teitbero,
Paläograpbie, Von Prof* Dr. Miohabl
Tan OL.
Chronologie dea Mittolaltera und der
Neuzeit Von Prof* Dr. Michael
TA5GL.
Heraldik und BphnglBÜlc.
ArcbJF- nad Akte^kuiide.
Historische Geographie* Von Prof. Dr*
KoHRAD K&ET80H1CEE. EncUeaeti»
GrundÄüge der mittelalterlichen Lati*
nität Von ProL Paul v. Wottbu
FELD.
Dentuche Altert um« konde.
Daa liäusliche Leben der europHiscben
Kultur^ ölker vom Mittelalter bia zur
zweiten Hülfte des 1£}. Jahrhunderte.
Von Professor Dr. Alwuc Schttltz.
BneUesen*
Dai Unternehmen, dfts nach telncr Vollendunf^ ungefähr 40 Binde umlassea wirdf ist von
vornherein so eingerichtet worden^ daß jeder Tellp gleiehvteL wie etiirk seine Bogenzahl bt,
elmrin abgegeb*!! wlrJ. — Bb jctft ftind folgende Binde erschienen:
Das häusliche Leben der europäischen Kulturvölker
vom drittel alter bis zur zweiten Hfllfto dea 18. Jahrhunderts. Von
Dr. Alwin Sctmltz, Professor an der deutachen Universität zu Prag.
VIH u. 432 S. gr. 8*, reich illustriert. Preis brosch. M. 9.—, In Ganz^
leinen geb. M. 10.50.
Geschichte des späteren Mittelalters von ii97— 1492. Von
Dr. Jahann Losertfi^ Professor an der tJniversitÄt Graz* XV und 727 S.
6*. Preis brosch. M. 16-60, elegant geb. M. 18.—.
Historische Geographie. Von Dr. Konrad Kretschmer, Lehrer an
der Kriogsakadeinie und Professor an der Universitflt Berlin, VH
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1789. Von Dr, Mftx: Immieli, weiland Privatdozent an der Univeraltät
Königsberg i. Pr, XIII und 462 S» 8*. Preis brosch. M, 12.—, geb.
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geb. M, 20.—.
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Verlag von R. Oldenbourg in München und Berlin W, IC
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Begründet von Heinrich v, Sybel
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nnb einer ft'ürte. gr. 8* (VIII w. 146) MS.50; gcü. in Sleinmanb mit 35i
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qegrünbet tj on einem beutfd^en Jp^^^broetfetr iihtt ein %a\ht^ 3aftrjjunbert lang
feinet (BemafiUn gegen übeTnidcf^tige dlad^Htn mit Erfolg tJctteibigl unb mi
flültlg üermüttet — flingt baä mit tuie ein ^iörcöen? Unb boc^ Imnbclt cfi
lun ein 6tütf ^eltgei(^icft(e bt^ 19. ^«i^T^fewnfe^^*^^ ^i< ^"^^ einem SJianne,
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REVUE
DE
SYNTHESE HISTORIQUE
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pcjrchologic histtorique)* a« Rttma ^miraki (mT«iit«irc du Vtm»%\\ bistoiique fiiit et
ft fiire). 3» A'S»<5ri patHmi <: 'vi/ (itttrniildi«iFe entre ks HbtoHeua, socio»
logues et plülo5a|ihe^). 4^ /. . /> (tnalys^s, frftt« des revues, bulktin cri-
tique^, rdperkiifCi ai^thoiiislogtqne, ^^ Utile« aii:s wmwsm^ lei M/ffun ghäraltM per*
mettent i iouA les «spriU curieuit d'enibn^fter dan« unc seutc pubüeftlian tt>ut rb<jrl7.aa
iliirtarkiiK« HiHm^ p^HHfme^ Hhimwt Smf$»pnp»ef //iütirf ätr A*fitgi»m, Hüt^fn de in
ma^s^it a an Stiemet, Hittifhe Huhmre, Histmre de i*Afi, AitiJkrpfifgfytgrmßMf,
Amt^rvfitkfte^ Sßä&ttfgie, f i«ttit tniif^ä pfmr Jw diirrnM?* ^ptJt|«4 et let dHew p«fi
pir ks AVUiU let pltiü compltenti, Prof(*s«<firrs du Collage de Prmnce, de fa SortKmde
da Uni verut^f elc, Leur cn^oabk constitiiem one pridtiu» encydop^di« biaHon^ae
tot^f/amn compMÜ« et teiroe k jouf.
La /5ft«i# (£r S^ihhe hisfm-i^me |>4rftlt tmi lü ätmL mxA% AtptM m^ t^oo. IM« ^e
r«tioiKii»M«t MiDodt France^ t0 fp^ Alnnftr, 17 fP»« Un Mtm^ra, S fr* ^ La
R^dKtion et l'Admüi^alrvlioti aoot k k Hbvttifit Off, •«» t«# Sttinte-Atint» Piri» l« ftrrt
*Berlag oon (C. 9J, Sd^roetfc^ft^ unb Sot^n^ Berlin W.
(Btttf oon ^ocnsbroet^:
ÜJlobcrner Staat unb römifd^e Mr(f)e-
(Ein fiirc^enpolitil<^«?)r0gi^inm auf gejd>i<^tli<^erffirunblage.
Wid IBett btffd mtf gt^tf^i^fltd^er ISniTiMag« ein ^itri!^f{ll|?fe^re« *Pt(^roiiim
für bk Steßuttg brs mfi&eTii^n Staates bcr röm{Id)<uHT(tmotttaitfn Mrd^e gc^^ti«
über. S^i^aif unlerfc^d&et ber tBeTfnfler in feinem T>rü9riiitim iiotf^en b^r kai%^*
U(djeu !ReIi(|ioit unb bem polülfdKn unb afitthulturctfeti Uli ramont an Ismus.
Tlur ge^en k^ter<ii iDitt» SleHung |cn£>iTimeiL Dtt g t f ({^ i <^ t li (^ e ® t u u ^ [ a g e
eul^aU eine gebiäntl«, au& ben OueUen 0ef<f)^|iftf Ü{ifr|(<!^t ber
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unb Hlbrt eine «funb grübe ber lErtttnntnts fir ben j^ifto rtltif f ,
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Prof. Dr. Alexander Supan,
PrtU gehefiel it M«, g«!l»uiidi*ii IX5€ M*
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wclt^escliichtliclirri Rahincn bchnnddt, nicht wii-
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der Kolofiien, ihre territoriale Entwicklung bei
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I, t»er 5Ju|entfjalt bes Prinzen von prcufien ifi QEn^knb im 3ü\^u 1844*
11 Srlffe bes ^riit.^cn aUbcrt aus &«n Dabtfii 1845-1848.
'IIL tsk i)enlitd)nftcn bes 5ilr[ten ßftnmgen unb b^d Pniijen ^Qvcrt Äbtr Mc
Urttgc 1847.
,i\^ ©er 3lüf enthalt bis ^rinieii üun *Preu6en in dnglattb im lahre 1848,
' V, l)tcatiliue^eilnal)mffees'priiiseitüön*Preu^ctiaril>erb<;iitId)t' ! e-^Oo^rt^
^ft ties 'Pnn$fn tton *p reuten 'Jieile ptr Bontocntr ^iBcUiUi^Hi . jL
ni, Brief iji>ed)tel 3ioi[d)cn Bedm, i^obkna unb ßonbon n&m jaijit 1851,
ß. ^anb0tpf|en ju ^ütjt ^tsmarctts «,Cle5an&en tinb (^ftniierunaefi**
1. t>^r ^ritti uöti ^rcuöcTt ttnb Duo mn Sismardt.
n: Äatledn ^iittjiijta in bcr ']3dcuEt)hin<3 htt „iBthanktn unb Qfriiinerung««*-
[IL ^ait^Ier unb Rroit|)rtn3,
C. Dk Moixetpünbcna ^afftr fßill^etnis tnlt 0. M. !R« VffiHl»ciit dti
3tpeile 3tbteitung ; (Erinnerungen.
0. Ulutkienjen bei ben tr{Uit beutfctien Gaffern,
1, ^ubien^en b^i bem Üötiig.
M. *iJMbkti.^«n bn htm ^wnprmitn*
ß* fllus l»ein £et>eii bcr Äctfferiit Srdcbriib.
Hierzu je eint: ßelbge von Gebtuder ^itiTtiVTHt^^f m%%tUti^ von B- C. T(
in Ltlptlg und von Rtulhtt Ä \M\^%t& \^ %^i\\^.
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Historiscbe Zeitscb
Vt:/-t
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Be^rQndet von Hetnrich v, Sybel
Hertiitg^gebefl von
FRIEDRICH MEINECKE
DHtta Folgo — 1, Band — 3, Heft
D«r gtßxeii Rcitie 97, B«iid
<äL
MÜNCHEN UND BERLIN
DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG
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Zur gefl. Beachtung!
Die HISTQRtSCHE ZEITSCHRIFT (3. Folge) erscheint in Ht
H von ä IS Bogen Umlang in zweimonatlichen Zwischenräumen.
H 3 Hefte bilden einen Band, dessen Inhaltsverzeichnis sich je«
■ am Schlüsse des dritten Heites bctindet.
^
Der Preis eines Bandes (45 Bogen) beträgt M, 14-^.
Sendungen für die Redaktion der Historischen Zeitschrift sB
^ an ProL Dr. MEINECKE, FREIBURG i. B., Längenhardstralie
■ richten*
Rezensionsexemptare
sind an die Verlagsbuchhandlung R. OLDENBOURG,
MÜNCHEN, Glückstraße 8, 2U senden.
Die Versendung der zur Besprechung einlaufenden Bücher an
Rezensenten erfolgt durch die REDAKTiON.
R. OLDENBOURG, Verlagsbuchhafidlung
MÜNCHEN titid BKROM W. tO.
I
Die
für die Entstehnng der modernen Welt
Vortrag, gehalten auf der IX. Versammlung deutscher Historiker
zu Stuttgart am 21, April 1906
von
Ernst Troeltsch,
Pfa!c«or an der ünivtrdtai Meiddbeff.
Sonderabdruck aus dör Historischen Zeitschrift.
66 Seilen. 8**. Preis broschierl M. L20.
Turgots Sturz.')
Eine Untersuchung
von
H, Glagau*
Einteilung: I^-IV. Die Randbemerkungen Ludwigs XVK zum
MtimzipaUtätenentwurf Turgots eine Fälschung Soulavies.
V. Turgot und Marie Antoi nette. VI, Turgot und die Reform
des königlichen Hofstaats, VIL Turgot und die nordameri'-
kanische Frage.
Im März 1776 hatte Turgot über den Widerstand der
Parlamente triumphiert: Ludwig XVI. hatte die Eintra-
gung der sechs Reformedikte im /// äejasiice angeordnet.
Der Minister schien das volle Vertrauen seines Königs
zu. besitzen. Allein wenige Wochen darauf erfolgte sein
Sturz. Turgot sah sich mit allen Zeichen der könig-
lichen Ungnade entlassen, die sich nicht nur gegen seine
Person, sondern auch gegen seine Mitarbeiter und sein
Werk richtete. Die Staatsreform kam vorläufig zum
Stillstand, und die Edikte Turgots wurden zum Teil wie-
der aufgehoben.
Diesen unvermittelten Umschwung tühren die Histo-
riker auf die verschiedensten Ursachen zurück: die einen
jnachen die junge Königin dafür verantwortlich, andere
') Der folgende Artikel ist der Redaktion schon im Juni \90b
' zugegangen. Er soil eine kritische Vorstudie bilden zu dem gleich-
fiamigen Kapitel einer größeren Arbeit^ die sich mit den Reform-
versuclien vor der Revolution beschäftigen und voraussichtlich im
Laufe des nächsten Jahres ats selbständige Schrift erscheinen wird*
KUtOf-itctie Zeitachrift (f7. Bd.) 3. Folge 1. Bd. 31
474
H. OlagaUj
den ersten Minister, den Grafen Maurepas, dritte stellen
Turgot als das Opfer dunkler, kleinlicher intriguen hin.
Einen eigenartigen Versuch, den Fall des Reform ministers
aufzuklären, machte Wilhelm Oncken. Er sprach die An-
sicht auSj daß die zahlreichen persönlichen Widersacher
Turgots, so mächtig sie auch waren, nicht so bald zum
Ziele gelangt wären, wenn ihnen nicht ein sehr wichtiger
Umstand zu Hilfe gekommen wäre: Turgot habe dem
König, vermutlich kurze Zeit nach Einführung der Reform-
edikte, Anfang April 1776, den groß angelegten Muni-
zipalitätenentwurf, in dem er eine umfassende Umgestal-
tung der französischen Staatsverfassung und Staatsver-
waltung als dringend notwendig empfahl, im tiefsten
Geheimnis überreicht, worauf Ludwig XV!., aufs höchste
erschreckt über die revolutionären Plane seines Ministers,
diesen eiligst entlassen habe« So hätten nicht allein per-
sönliche Beweggründe, sondern vor allem eine weit-
tragende sachliche Meinungsverschiedenheit den König
zur Trennung von seinem Ratgeber veranlaßt. Als er
von dem Munizipalitätentwurf Turgots Kenntnis genom-
men, habe Ludwig XVL gefühlt, daß seine Staatsanschauung
von derjenigen seines Ministers grundverschieden sei, und
diese Wahrnehmung in sehr bezeichnenden Randbemer-
kungen zu dem Munizipalitätenentwurf zum Ausdruck
gebracht ^)
Auf diese Randbemerkungen stützt Wilhelm Oncken
seine These. Sie sind das einzige Zeugnis für die Be-
hauptung, daß Turgot seinen Selbstverwaltungsentwuri
Ludwig XVL vorgelegt habe, während die Freunde und
Mitarbeiter des Ministers und namentlich sein getreuer
Arbeitsgenosse Du Pont, der sich einen erheblichen Anteil
an der Urheberschaft zuschreiben durfte, einstimmig und
wiederholt versicherten^ Turgot sei eben durch seinen
jähen Sturz daran gehindert worden, dem König den
Reformentwurf mitzuteilen. Sollte Turgot seine besten
Freunde hintergangen oder ein Unberufener seinen Plan
dem Monarchen verraten haben? Oder liegt es nicht
4
1) W* Oncken, Zeitalter Friedrichs des Großen 11^ 6)4 ff
Turgots Sturz.
475
näher, ehe wir zu dieser Annahme schreiten^ zu prüfen,
ob das einzige Quellenzeugnis, jene Randbemerkungen
Ludwigs XVL, vertrauenswürdig genug ist, um Du Fonts
Angaben zu entkräften? Wird es doch vorgebracht von
Soulavie, einem der abgefeimtesten und berüchtigsten
Fälscher der Revolutionszeit*), so daß schon seine Her-
kunft gerechtfertigte kritische Bedenken hervorruft.
Trotzdem werden diese Randbemerkungen vielfach
für echt gehalten, und noch jüngst haben sich zwei
Historiker in diesem Sinne mit großer Entschiedenheit
ausgesprochen. .^Abgesehen von dem Stempel innerer
Echtheit, den diese Bemerkungen tragen,^ sagt August
Oncken-Bern, „ist dieselbe in neuester Zeit durch die er-
gänzende Entdeckung eines von Soulavie gleichfalls ein-
gesehenen, aber nur im kurzen Auszuge behandelten
Originalbriefes' Turgots an den König aus der gleichen
Zeit .., über allen Zweifel erhoben worden/'*) Und
ebenso erklärt A. Wahl: ,Was die Echtheit der Rand-
bemerkungen angeht, so ist sie über jeden Zweifel er-
haben,''^)
*) In seinen Mimalres du rigrte de Louis XVI Bd. lü^ 146 — 154,
Paris I80L — Über SouEavie als Fälscher vgl. die Artikel van
Flammermont in der Revue histortque Bd. 25 (t884), S. 107 ff.; Lts
papiers de Soulavie und Bd. 43 (1893), S, 79ff, ; A propos ä*une
fausse lettre de Madamt Lamballe, Ferner; A. Mazon, Histaire
de Soulavie (Paris 1893) II, 216 H. — Mit welchem Mißtrauen die
Zeitgenosaeti Saulavies Veröffentlichungen infolge seiner zahl-
reichen und umfassenden Fälschungen aufnahmen, ersieht man
aus einem amtlichen Bericht^ den der Graf d^Hautenve an den
Herzog von Bassano am 7, April 1813 nach der bei Soulavie er-
folgten Beschlagnahme der Akten ^ die er den Staatsarchiven
früher entwendet hatte^ richtete. Da heißt et; „If dlscrMit per-
sonnet de Soulavie avait attir^ une teile d^fiance $ur t^authsntkit^
de se$ pabUcations qu'eltes n'ont fait aucune esp^ce de Sensation'
') S. A. Onckens Artikel in der Zeitschn f* Literatur u. Qesch*
der StaatBwissenschaften 1 (1893), 27 ff*; Ludwig XVI. und das
physiokratische System. VgL auch Onckens Gesch. d. National-
ökonomie ! (1902), 452 ff.
') A. Wahlj Annalen des Deutschen Reichs (1903) Bd. 36,
S, 872 ff. — Daß auch französische Forscher die Randbemerkungen
für echt halten, dafür gebe ich nur einige Beispiele: P. Foncin,
Essai sur le ministire de Turgat (Paris 1877) S. 552 Anm. 1 ; G.
31*
H. OlagaUj
Es scheint mir daher angebracht, die Frage der
Echtheit sorglältig zu untersuchen und im Anschluß
daran die Gründe, die Turgots Sturz herbeigeführt haben,
unter Heranziehung neuer oder vernachlässigter Quellen-
zeugnisse zu erörtern.
I.
Während Wilhelm Oncken die Möglichkeit, daß die
Randbemerkungen gefälscht sein könnten, gar nicht in
Betracht zieht, streift sein Bruder diese Frage nur flüchtig.
Die Tatsache, daß Soulavie ein Bruchstück aus einem
Briefe Turgots an den König, den wir heute vollständig
kennen und der gut beglaubigt ist^ ungenau aus dem
Gedächtnis anführt^), besagt nicht das mindeste. Denn
der Inhalt dieses Briefes steht in keinerlei Zusammen-
hang mit den Randbemerkungen, bestätigt also deren
Dasein nicht. Ja, nicht einmal der Schluß, den man
daraus ziehen könnte, daß Soulavie vortreffliches Quellen-
material zu Gebote gestanden habCj ist ein irgendwie
stichhaltiger Beweisgrund. Haben doch häufig genug
Fälscher, obwohl sie über sehr wertvolle Schätze ver-
fügten, mit deren Wiedergabe sich nicht begnügt, sondern
noch selbstverfertigte Fabrikate untergeschmuggelt. Wir
brauchen nur an Feuillet de Conches zu denken, der
eine kostbare Ausbeute in den hervorragendsten euro-
päischen Archiven einheimste, aber damit nicht zufrieden,
mit seinem Golde zu wuchern suchte, indem er falsche
Münze darunter mischte*
Und so hat auch Soulavie nachweislich gehandelt:
er hat Materialien ersten Ranges in unablässigem Eifer
aufzuspüren gewußt oder skrupellos aus öffentlichen
Susane, La tactique financi^re de Calonne (Paris 1901) S. 107;
Stourm, Le$ ßnances de Vanclen rägime (Paris 1885) 1, 77 L u, a*
*) Es handelt sich um den berühmt ge\yordenen Brief Tur-
gots vom 30. April 1776^ den Larcy in seiner Arbeit: Louis XV!
€t Turgot in der Zeitschrift Le Correspondant Bd. 32 zum erslen-
mal mitgeteilt hat und dessen Urkundlichkeit neuerdings von L^on
Say in seinem Werkchen über Turgot (Paris 1887) S* 165 ff, bc-
Btätigt worden ist.
Turgots Sturz.
477
I
Bibliotheken und Staatsarchiveri zusammengestohlen, da-
neben aber mit unglaublicher Verschmitztheit und uner-
schöpilicher Einbildungskratt ihn störende Lücken aus-
gefüllt Als lebhaftem Südfranzosen ist ihm, wenn ich
einen treffenden Ausdruck Erdmannsdörffers hier an-
wenden darf, die schöplerische Freude an der Lüge so
recht eigen gewesen. Dabei ging er mit geradezu er-
staunlicher Frechheit zu Werke. Als die Herzogin von
Aiguillon die von Soulavie herausgegebenen Memoiren
ihres verstorbenen Gemahls mit vollem Recht für unter-
geschoben erklärte, hatte der Fälscher die Dreistigkeit,
sich zu der Dame mit dem Manuskript zu begeben und
ihr darin angebliche eigenhändige Randbemer-
kungen des Ministers vorzuweisen. Soulavie hatte
Aiguillons Handschrift mit solchem Geschick nachge-
ahmt, daß die Herzogin in ihrem anlänglichen Urteil
schwankend wurde.*)
Diese Probe mag zur psychologischen Kennzeich-
nung des Herausgebers der ,,Memoiren der Regierung
Ludwigs XVt." dienen. Wir ersehen daraus, daß die
Fälschung von Randbemerkungen zu Soulavies gewerbs-
mäßigen Eigentümlichkeiten gehört, eine Beobachtung,
die uns in unserer Frage besonders vorsichtig machen
wird.
Wie wenig beweiskräftig erscheint nach dieser Er-
fahrung das Argument, das Wahl für die Echtheit der
Randbemerkungen ins Feld führt! „Dazu kommt,** sagt
er, „das Wort Soulavies, daß er die Bemerkungen in
Ludwigs eigener Hand gesehen und davon seine Ab-
schrift genommen habe." Kann uns diese Behauptung
im Munde eines Fälschers wirklich irgendwelche sichere
Bürgschaft gewähren? Nicht besser ist es mit den an-
dern Beweisgründen Wahls bestellt* „Der Umstand,"
sagt er, „daß sie (die Randbemerkungen) nichts Über-
raschendes und nur wenig den Durchschnittsleser Inter-
essierendes enthalten, daß sie zu Ludwigs Art vorzüglich
stimmen^ vor allem aber, daß sie nicht frei von Wieder-
') Vgl. hierzu den schon oben angeführten Artikel Flammer-
motits in der Revue historique ßd, 43, S. 79 f.
47S H. Glagiu,
holungen sind und daß sie jene Schwierigkeit mit dem
Datum enthalten — beides hatte jeder Fälscher unbedingt
vermieden —^ läßt den Gedanken an eine Täuschung voll-
kommen ausschließen,**
Von der „Schwierigkeit mit dem Datum ^ wird noch
später zu reden sein. Ebensowenig wie dieser UmstaiTd
sich als stichhaltiges Argument erweisen wird, sind die
andern von Wahl angeführten Momente überzeugende
Merkmale für die Echtheit der Randbemerkungen. Tragen
doch gerade die hervorstechenderen einen durchaus sub-
jektiven Charakter* Was fiir Wahl keine Überraschung
bildete, hat mich von vornherein stutzig gemacht. Denn
ich konnte durchaus nicht finden, daß die Bemerkungen
«zu Ludwigs Art vorzüglich stimmen". Ich hatte viel-
mehr den Eindruck, daß der König, falls er in der Epoche
der Reform bewegung (1774 — 1788) so bestimmte poli-
tische Überzeugungen, wie sie die Randbemerkungen
wiederspiegeln, wirklich gehabt hätte, den entgegen-
gesetzten Weg in der Richtung seiner inneren Politik
hätte einschlagen müssenp Ein Monarch, der so durch-
drungen gewesen wäre von dem unveränderlichen Wert
der altfranzösischen Institutionen, von den Vorzügen des
ständischen Prinzips und der Trefflichkeit der Intendanten,
sowie von der Bedenklichkeit der von Turgot vorge-
schlagenen Neuerungen, ein solcher Monarch hätte nie-
mals einem so umfassenden Reformplan, wie ihn Calonne
1786 vorlegte, zugestimmt, zumal da sich dessen Grund-
linien mit dem Projekte Turgots im wesentlichen deckten.
Ich konnte also den Inhalt der Randbemerkungen mit
dem Bilde, das ich mir von Ludwig XVI gemacht hatte,
nicht in Einklang bringen. Was nach Wahls und Onckens
Ermessen in bester Ordnung war, wurde iür mich der
Stein des Anstoßes. Mein Mißtrauen war rege geworden^
und ich suchte nach einer Handhabe, um den Fälscher
zu entlarven,
IL
Es ist merkwürdig genug: diese Handhabe boten mir
eben meine Vorgänger, die darauf ausgingen, Soulavies
Werk zu stützen und zu retten. Denn kein anderer als
i
I
i
Turgots Sturz.
479
I August Oncken hat zuerst die Beobachtung gemacht, daß
I der Herausgeber der Randbemerkungen bei der Wiedergabe
B der Bruchstücke^ die er aus dem Munizipalitätenentwurf
F Turgots anführte, einen Text zugrunde gelegt hat, der
mit der ersten Veröffentlichung des berühmten Relorm-
projektes auffallend übereinstimmt. Dieser erste Druck
stammt aus dem Jahre 1787. Sein Urheber war kein
Geringerer als Mirabeau, dem Du Pont de Nemours, als
jener im Gefängnis zu Vincennes schmachtete, den Muni-
zipalitätenplan handschriftlich mitgeteilt hatte. Der Gral
war skrupellos genug, heimlich davon Abschrift zu nehmen
und, als er sich in Geldveriegenheit befand, ein gangbares
Büchlein daraus zu machen, das er unter dem Titel:
(Favres posihumes de M. Turgof ou Memoire de M. Turgot
sur les AdministraUons provincia/es mit einigen Zutaten
in die Welt setzte. \)
Wie erklärt August Oncken die Übereinstimmung
zwischen dieser Veröffentlichung Mirabeaus und dem
Text Soulavies? Er nimmt an, daß die beiden Heraus-
geber aus einer — heute verlorenen — gemeinschaftlichen
Quelle geschöpft haben, dem in den französischen Staats-
akten befindlichen Munizipalitätenentwurf} den Turgot im
April 1776 dem König überreicht habe. Woher weiß
aber Oncken, daß sich ein solcher Entwurf in den Staats-
akten befunden hat? Er vermutet es nur und baut in
kombinatorischer Gestaltungslust ein Gebäude auf, dem
jedes quellenmäßige Fundament fehlt: tm Jahre 1786 sei
Mirabeau mit dem Finanzminister Calonne in enge Ver-
bindung getreten, habe mit ihm zusammengearbeitet und
höchst wahrscheinlich bei dieser Gelegenheit aus den
Staatsakten des Finanzministeriums heimlich eine Ab-
schrift genommen von dem Ludwig XVL im Jahre 1776
vorgelegten Munizipalitätenplan,^) Das Zeugnis Du Ponts,
*) Die Verwaltung der Großherzogl, Badischen Hof- und
Staatsbibliothek war so ireundhch, mir das in ihrem Besitz be-
findliche Exemplar der sehr seltenen Mirabeaus eben Flugschrift
zur Einsichtnahme zuzusenden.
*) Vgl, den oben angeführten Artikel A. Onckens in der
Zeitschr. f. Lit* u« Gesch. der Staatswissenschafteu I, 48 ff.
480 ^^^" H. Giagau,
nach dem Turgot dem König seinen Veriassungsentwur
niemals überreicht und Mirabeau in Vincennes steh
Du Fonts Vorlage widerrechtlich angeeignet hatte, wird»
so gut es in allen Punkten begründet ist, dennoch von
Oncken als unglaubwürdig verworfen.^)
*) A. Oncken beruft sich dabei auf folgende Beobachtung:
Du Pont hatte im Jahre 1779 seinem Gönner, dem Markgrafen
Karl Friedrich von Baden, eine Abschrift des Munizipalitäten^
planes übersendet^ die erst im Jahre \M2 in der von Karl Knies
im Auftrag der ßadischen Historischeti Kommission veranstalteten
Publikation: Karl Friedrichs von Baden brieflicher Verkehr mit
Mirabeau und Du Pont I^ 244— 2S3 der Öffentlichkeit zug:änglich
gemacht worden ist. Zwischen dieser Fassung des Munizipali*
tätenplanes und dem von Mirabeau 17S7 herausgegebenen Text
bestehen einige unerhebliche Abweichungen, die^ weit entfernt,
den Kern des Inhalts zu berühren^ nur stilistischer Natur oder
nicht sehr wesentliche Zusätze sind. Aus dieser Differenz glaubt
jedoch Oncken weitgehende Schlüsse ziehen zu dürfen. Er folgert
daraus^ daß Mirabeau Du Ponts Exemplar nicht benutzt haben
könne, sondern ein anderes seiner Veröffentlichung zugrunde ge*
legt habe, das Oncken in den Akten des Finanzministeriums ver^
mutet. Man braucht jedoch nicht zu einer so künstlichen und
durch kein einziges Quellenzeugnis belegten Hypothese zu greifen,
um die zwischen dem badischen und dem Mirabeauschen Texte
bestehenden Abweichungen zu erklären* Ist es doch eine auch
A. Oncken nicht unbekannte Tatsache, daß Du Pont sehr gern
an seinen Texten änderte. Von dieser Freiheit machte er reich-
lichen Gebrauch, als er im Jahre 1809 in der von ihm veranstaU
teten Ausgabe der Werke Turgots im 7. Bande S, 386 ff. zum
ersten Male den Munizipalitätenplan veröffentlichte* Ein text-
kritischer Vergleich dieser Fassung (C) mit der badischen (A)
und derjenigen Mirabeaus (B) ist sehr interessant. Er zeigt näm-
lich, daß in vielen Fällen der Abweichung zwischen A und B
Du Pont in dem Druck von 1809 (C) nicht die von ihm selbst ur-
sprünglich gegebene Lesart (A) beibehält, sondern an ihre Stelle
Mirabeaus Fassung (B) setzt. Ich führe nur ein Beispiel an: Die
Stelle jfC'est ä/jä an patnt en taute ä^iibe'ratlon aä an grand
nombre de personnes ont int&it et droits sans attenier ä l'un^ «i
vialer Vauire^ de se äebarrasser näanmoins du chaos de la muiU^
tude*^ lautet im Gegensatz zu Fassung A (Knies a. a. O. l, 26S)
bei B (Mirabeau S. 62) und C (Du Pont, <^titres de Turgot Vif,
444) nahezu übereinstimmend folgendermaßen: ^c'est ääjä un
pcintf en taute d^lihe'ration oä un grand nambre de persannes ont
in t^ fit et droit de se däbarrasser du chaos de la multitudef sans
parier atteinte ni ä VinlMtf ni aux droits d^aucun (bei Mirabeau
I
I
■
I
i
Turgots Sturz, 4SI
Wäre Oncken nicht von vornherein von der Echt-
heit der Randbemerkungen felsenfest überzeugt gewesen,
so hätte er aus der von ihm beobachteten Übereinstim-
mung zwischen Soulavie und Mirabeau sofort Verdacht
geschöpft. Er hätte, um diese Wahrnehmung zu erkfären,
nicht eine dritte gemeinsame Quelle vermutet, sondern
vielmehr gefragt: Stehen nicht die beiden Quellen in
einem unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnis? Geht nicht
die spätere auf die frühere zurück? Hat nicht Soulavie
in der Tat seinem Text die Mirabeausche Broschüre zu-
grunde gelegt und vielleicht zugrunde legen müssen?
Als Soulavie im Jahre 1801 seine M/moires du regne
de Louis XV! herausgab, war Turgots Munizipalitäten-
entwurf nur in einer einzigen Fassung im Druck vorhan-
den, nämlich in der von Mirabeau im Jahre 1787 in un-
rechtmäßiger Weise veranstalteten Ausgabe. Daß diese
heißt es fälschlich d^ chacan) de ses membres." Es handelt sieh
nur um eine den Sinn nicht verändernde stilistische Umbildung;
aber die VerwandtBchaft zwischen den Ausgaben ß und C leuchtet
an diesem Punkte deutlich hervor. Man könnte nun annehmen,
daß Du Pont im Jahre 1809 auch die von ihm nach ihrem Er-
scheinen 1787 schwer getadelte Ausgabe Mlrabeaus trotzdem
seinem Druck zugrunde gelegt habe. Diese Annahme aber hat
von vornherein wenig Wahrscheinliches. Vielmehr lührt ein sorg-
fältiger Vergleich der drei Ausgaben untereinander zu der Ver-
mutung, daß A, B und C schließlich auf eine Urschrift Du Ponts
zurückgeben, die wir nicht mehr besitzen. Diese Fassung hat
Du Pont an einigen Stellen verändert, als er sie für den Mark-
grafen von Baden abschrieb. Du Pont hat dann Mirabeau in Vin-
cennes den ursprünglichen Entwurf vorgelegt, und auf diesen hat
auch Du Pont selbst im Jahre 180^ zurückgegriHen, als er den
ersten authentischen Druck veranstaltete. Vgl hierzu noch die
beiden bei G. Schelle, Du Pont de Nemours ei l'ecole physiocra-
tiqae (Paris 1888) S. 193 ff. u, IQ8 ff. abgedruckten Schriftstücke,
die Du Pont sofort nach dem Bekanntwerden von Mlrabeaus
dreistem Diebstahl in gerechter Entrüstung abfaßte, nämlich erstens
seine öffentliche Erklärung, die am 2. Juli 1787 im Journal de Paris
erschien, und zweitens den Briefe den er am selben Tage an
Turgots Bruder richtete, fiter wird beide Male auf die leider
nicht auf uns gekommene Urschrift des Munizipalitätenentwurfs
hingewiesen^ an deren Rande Bemerkungen und Besserungsvor-
schläge von Turgot selbst eigenhändig gemacht worden waren*
H. Glagau,
Ausgabe sehr fehlerhaft war, darauf hatte Du Pont gleich
nach ihrem Erscheinen hingewiesen. In einer Zuschrift,
die er am 2. Juli 1787 an das Journal de Paris richtete,
hatte er erklärtj daß Mirabeaus Machwerk von gröblichen
Mißverständnissen und Fehlem wimmele,^) Und das war
wirklich nicht zuviel behauptet.
Für einen Fälscher, der auf die Benutzung eines so
verdorbenen und als verdorben bekannten Textes ange-
wiesen war und eine spätere Veröffentlichung des richtigen
Textes als wahrscheinlich betrachten mußte, bestand hier
eine gefährliche Klippe. Soulavie hat das auch offenbar
empfunden und sie zu umschiffen gesucht, indem er eine
Reihe von offenbaren Fehlern ausmerzte. Allein er hat,
wie das auch gar nicht anders zu erwarten ist, einige dem
Kenner des richtigen Textes sehr auffällige Mißverständ-
nisse, die Mirabeau bei der Aneignung des Du Pontschen
Textes begegnet waren, einfach übernommen.
Ich führe einige Beispiele dafür an^):
K Der Munizipalitätenentwurf hebt mit den Worten an:
»Pöur savair s'il convient d'ätablir des municipaliiäs en
France , . ,^ ii ne s'agit pas de remonier ä Vorigine
des administraHons manicipaleSf de faire une relaiian
hisiorique des vicissitudes ga'elles ont essuy^es elc.^
Mirabeau hat hier anstatt j,il ne s^agli pas"^ irrtümlicher-
weise Jl ne suffit pas^ gesetzt, was eine vollständige
Verkehrung des Grundgedankens, nach dem die histo-
rische Betrachtung verworfen wird, bedeutet. Diesen
Irrtum hat Soulavie (III, 146 f.) nicht bemerkt und daher
abgeschrieben.
2. In der Du Pontschen Fassung (Knies I. 252) heißt
es: „malheureusement qui ne posside poini de terre ne
') S. Schelle, Du Pont de Nemours et VScüU physiocratique
S. 1%^ wo es heißt; U Edition furtive . . , est d^ailleurs si incorrecte,
eile präsente tani d*omissions et de fautes qui sont des cüntresens
grossiers, eile est accompagn^e d'adältwns si Stranges que rauteur
[Du PontJ serait doublement affUgi de sa publicitä etc.
>) Vgl. hierzu insbesondere Wahl a. a. O, S, 873 f. — Die
Fehler kommen In der von Dti Pont dem Markgrafen von Baden
im Jahre 1779 übersandten Faseung, die Knies a. a. O. I, 244 ff.
mitgeteilt hat, natürlich nicht vor.
I
4
4
Turgots Sturz.
48S
sauraii uvoir de pairie que par le cceur, pur Vopiniön^
par Vheureuse pr^jugi de Venfance:' Mirabeau (S. 25)
und Soulavie (IIl^ 143) haben für avoir die Korruptel voir,
3. „ Voits avez iii obligi plusiears fois, Slre, de r^-
primer cet esprit qui caractärise acluellemeni les villes
ei auquel leur administraiion präsenle est liäe comme
conservairice au mains. Volre Majesti sent la nä-
cessiiä de suppiger ä cei esprit de d^ordre et d'exciusion
un esprit d*union, de paix ei de secours reciproques
(Knies !, 265)* Mirabeau sowohl (S. 55) wie Soulavie
(111, 140) haben den Punkt, der die beiden oben wieder-
gegebenen Sätze trennt^ in sinnentstellender Weise ver-
rückt, indem sie ihn hinter iiäe setzten und comme can^
servairice au moins zum folgenden Satze nahmen, es in
Beziehung zu Votre Majestd bringend.
Daß diese Mißverständnisse und Flüchtigkeiten, deren
sich noch mehrere anführen ließen^ einmal bei der Ab*
schrill, die von Mirabeau genommen wurde, vorkommen
konnten, erklärt sich leicht ; daß sie aber in der VerÖflent-
lichung Soulavies in genau derselben Weise wieder-
kehren, beweist klärlich die unmittelbare Abhängigkeit
Soulavies von seiner schlechten Vorlage, der im Jahre 1787
veröfientlichten Broschüre Mirabeaus.
Welche Bedeutung hat dieses Ergebnis für die Echt-
heitsfrage? Wilhelm und August Oncken nehmen aus
triftigen Gründen, die sogleich im folgenden Abschnitt
noch näher zu erörtern sind, an^ daß die Randbemer-
kungen im April 1776 von dem König neben die Denk*
Schrift Turgots gesetzt sein müssen, und nicht erst im
Februar 1788, wie aus dem Wortlaut des am Schluß be-
findlichen Datums hervorgehen würde. Nun haben wir
aber eben nachgewiesen^ daß der von Soulavie wieder-
gegebene Text mit all seinen Fehlern erst von Mirabeau
im Jahre 1787 hergestellt wurde* Müßten die Randbe-
merkungen aus zwingenden inneren Gründen im Jahre
1776 entstanden sein, könnten sie auf keinen Fall von
Ludwig XVL erst 1788 geschrieben sein, so dürfen wir,
wollen wir nicht in einen unlösbaren Widerspruch ver*
484
Olägau,
fallen, indem wir die Entstehung der Randbemerkungen
vor die Entstehung des Textes, zu dem sie gehören,
verlegen, nur eine logische Folgerung ziehen: sie sind
von Soulavie zu dem Mirabeauschen Texle erfunden
worden. Der Fälscher hat sich selbst durch die not-
gedrungene Benutzung des fehlerhaften Mirabeauschen
Textes entlarvt*
Doch haltl fn dieser höchsten Not erscheint dem
bedrängten Soulavie noch ein Retter, der vor ihn schützend
den Schild breitet. A, Wahl, der zuerst darauf hinge-
wiesen hat, daß Soulavie Mirabeaus Fehler einfach über-
nommen hat, kommt zu der Annahme, daß die Rand-
bemerkungen erst im Februar 1788 entstanden und von
Ludwig XVL unmittelbar auf einem Exemplar der Mira-
beauschen Broschüre eingetragen wurden. Wie begründet
Wahl diese Vermutung?
I
I
III,
Nimmt man die schlecht ausgestattete Mirabeausche
Flugschrift zur Hand, so kann man bei näherer Betrach
tung sich kaum vorstellen, daß ein König von Frankreich
neben diesen elenden, von Fehlern wimmelnden Druck,
noch dazu auf Löschpapier, seine Randbemerkungen ge-
setzt habe. Dieser Zweifel steigert sich, wenn man einen
Blick in die Beilagen wirft, die Mirabeau eiligst dem
Turgotschen Munizipalitätenentwurt hinzugefügt hatte,
um das Büchlein an Umfang gewinnen zu lassen; Die
^Lettre sur le plan de M. Turgot^ und die j^ObservaUons
ä'un R^publicain'' sind von radikalem, antimonarchischen
Geiste erfüllt.
Viel wichtiger jedoch als diese Bedenken sind die
starken inneren Gründe, die eine Verlegung der Rand-
bemerkungen in das Jahr 1788 unmöglich machen. Eine
solche Datierung widerspräche sehr bekannten geschicht-
lichen Tatsachen. Wie hätte der König im Jahre 1788
ein so vernichtendes Urteil über Turgots Munizipalitäten-
entwurf fällen können, wo er im vorigen Jahre durch
seinen Minister Calonne der Notabeinversammlung eine
Denkschrift über die Einrichtung von Provinztalversamm-
^he I
\
■
I
I
Turgots Sturz.
48S
lungen hatte vorlegen lassen^), die auf Turgots Gedanken
geradezu beruhte und ganz in seinem Geiste unter dem
Beistande seines treuen Arbeitsgenossen Du Pont aus-
gearbeitet war?^) Was in den Randbemerkungen wieder-
holt und aufs schäriste getadelt wird^), war im Februar
1787 von Ludwig XVL selbst den Notabein dringend
empfohlen worden: er hatte vorgeschlagen, von der alten
Scheidung der drei^ Stände^ wie sie in den Versamm-
lungen der Pays d' Etats hergebracht war, ganz abzusehen
und, wie es Turgot im Sinne gehabt hatte, nur eine
einzige Klasse von Bürgern, die Grundbesitzer, zur Selbst-
verwaltung zu berufen. Wie hätte der König also nach
diesem von ihm erst kürzlich gebilligten Vorgang ein
Jahr später Turgot vorwerfen dürfen: er zerstöre die
Grundmauern der Monarchie, indem er die alte Stände-
ordnung abschaffen wolle? Wir könnten noch eine große
Reihe solcher Widersprüche nachweisen; denn fast jede
der angeblichen Randbemerkungen würde man mit ebenso
gutem Recht wie neben Turgots Entwurf neben die von
Ludwig gebilligte Denkschrift Calonnes über die Provinzial-
versammlungen setzen dürfen. Wie ungereimt aber wäre
es, wenn wir Soulavie zuliebe annehmen sollten, der
König habe im Verlauf weniger Monate vollkommen
seine frühere Gesinnung gewandelt 1
*) S. Archives pariementains 1, 201 ff. : Mimoirt Bur l^ätabllsst^
ment des assetnbl^es provinclales,
•) Vgl. Schelle a. a, O, S. 259 ff*
*) Vgl. Soulavie III, 149: Ön wii encore que M. Targoi est
l-ennemi de la variSti des aräres qui composent tes pays-d^^tat;
et de ia Hierarchie de ieurs assembläes qui conserve en France ies
facuii/s ei Ies Honneurs des di ff Stents tndividus et fürme In Hie-
rarchie de mes sujets^ sans laqueUe il ne peitt exister nulle pari
de monarchle. M* Turgot propose une Hierarchie de pouvoirs;
cette HidrarcHie est cHimeriquef si une Hierarchie de naissance n^en
est la base etc. Femer S. 150 f.: Ceite composition de trals ardres
iient trap essentieUement aux priviUges des Franpais et la mission
des iniendants tient trop bien ä Vautorite royale^ pour permettrt
ieur metam&rpHose en deputes du peuple ce qui e^t renverser de
fond en comhle taut l' ordre etabtl etc. Schließlich S. 153: // est
£ertain qu^ll serait eimbli en France des assembees bien nau^ettes;
car te droit de proprUte^ reunissant le droit de naissance et d'^tat^
lei f armes antiques de la monarchie seraient aboUes pomr sub-
stituer des reunions d'un peuple neu/.
486
H. Glagau,
Aber selbst wenn wir zu dieser unglaublichen An-
nahme greifen wollten, so steht dem doch eine Tatsache
entgegen, die nicht aus der Welt zu schaffen ist: die von
dem Monarchen in den Bemerkungen bekämpften Ge-
meinde-, Distrikts- und Provinzialversammlungen waren,
wenngleich in modifizierter Form, immerhin aber in un-
verkennbarer Anlehnung an das von Turgot gezeichnete
Vorbild, von ihm bereits ins Leben gerufen worden.^)
Mit dieser Tatsache hätte der König Anfang 1788 sich
unbedingt auseinandersetzen und sich daran erinnern
müssen, daß ein guter Teil der Einrichtungen, die er in
den Randbemerkungen verdammte oder für undurchführ-
bar erklärte, vor wenigen Monaten von ihm gebilligt
und, was die fiauptsache ist, verwirklicht war/^
Alle sachlichen Erwägungen führen also zu der An-
nahme, daß der König jene Randbemerkungen im Jahre
1788 nicht geschrieben haben kann.
Sehen wir die Randbemerkungen, wie wir nach
unserer Untersuchung tun müssen, als eine mit großem
Geschick ersonnene Fälschung an, so ist auch „die
Schwierigkeit mit dem Datum" nicht so schwer zu losen.
Nichts ist wahrscheinhcher, als daß das Datum (f5, Fe-
bruar 1788) von dem Herausgeber zu dem Zweck er-
funden wurde, um sein Machwerk mißtrauischen Blicken
sicherer zu verhüllen. Gehen wir dieser Spur nach^ so
ergeben sich für uns zur Bekräftigung der früheren Er-
gebnisse noch einige nicht unwichtige Belege*
Soulavie war gezwungen, bei seiner Fälschung einen
nicht authentischen Text, die Mirabeausche Broschüre,
') S. Archives parlementaires I, 239: ^dtt du roi^ donn^ ä
Versmiiles au mois de Juin 1787, poriani er/ation d'assembi/^
proviitciaUs.
*) Wie hätte er sich noch gegen die Steuerveranlagung durch
4ie Provinzialversammlungen wenden können (vgl SouJavie 111^
150 f.), wo er sie ihnen jüngst ausdrücklich übertragen hatte 1 Wie
hätte er den Satx noch aussprechen dürfen: Si Vorganlsation dt
mes provinces /tait similiairef C£ serait le müytn de n'iire pas
obü QU d^itre mal ot^i, wo er die von Turogt vorgeschlagene gleich-
mäßige Organisation, abgesehen von der Spitze, der Grande mum-
dpaliidf der französischen Selbstverwaltung soeben gegeben hatte 1
I
■
■
Turgots Stiir^.
4S7
ZU verwerten. Da hier der MunizipaütätenentwuH nach
Du Fonts öffentlichem Zeugnis sehr fehlerhalt und un-
genau wiedergegeben war, so war ihm dabei etwas un-
behaglich zumute. Auf diese Stimmung lassen vor
allem die mannigfachen Versuche Soulavies schließen,
von der eigentlichen Vorlage , die ihn verraten hätte,
möglichst unabhängig zu erscheinen: er nimmt Verbes-
serungen und Zusammenziehungen vor^ bedient sich
anderer Wendungen und gestaltet an manchen Punkten
den Mirabeauschen Text recht wesentüch um.^ Daß er
*) Ich fiihre hier nur ein Beispiel für viele an, wobei ich der
besseren Übersicht wegen die SteUen nebeneinander setze:
Mirabeau S. 26 :
// n^en estpas ainsi des proprU-
taires du sol; Us soni li^s ä la
ierre par leur proprio t^; II s ne
peuvent cesser de prendre
intärit au canton oä eile
est piac^e: ü$ peuveni la
vendre^ ils est vtai, mais alors
ce a'est qu*$n ctssant ä*itre pro-
prUtaires, qu*üs cessent d^Hre
intäressds amx affaires du pays,
et leur mUrit passe ä leur suc-
cesseur; de sorte que c*est la
possessio n de la terre^ qui
noft'Seulement produU^ par les
fruits et par ies reve^tus q adelte
rapportey Ies moyens de danner
des salaires ä tous ceux qui en
onl besüin, et place un komme
dans la classe des payeurs, au
lieu d'itre dans ceUe des gagistes
de la soci/t^; mais c^est en-
core elie quij liant indäli-
hilement le possesseur ä V^tat^
consHtue te v/fitahle droit de
Cii^.
II semble danc, Sire^ qu'an
ne peut Ugitimement accor-
der l'usage de ce droit au la
voix dans tes assembl^es
de paraisse qu'ä ceux qui y
possidenl des biens-fonds.
Soulavie 111, 143:
// n*en est pas ainsi des pro-
prUtaires du sol; ils sont li^s ä
la terre par leur propri^t/^ ils
sont intäress^s aux affaires
du pays. Der folgende Ab*
schnUt fehlt bei Soulavte, ohne
daß er die Lücken andeutet. Er
fährt dann unmittelbar fort:
La propri^t^ place an hammg
dans la classe dem payeurs au
lieu d'itre dans celui [soll des
gagistes de la social^; c'est la
propri^t/ qui^ liant le posses-
seur ä l'/tai, canstitue Ic vM-
table droit de soci^ti [so 1].
ön ne peut accoräer ce
droit qu* ä ceux qui y pos-
sident des biens- fonds.
188
H. Glagau«
trotz dieser Bemühungen einigen groben Mißverständ-
nissen Mirabeaus, die er übersah, zum Opfer Hef, haben
wir oben gesehen*
Allein auch für den Fail^ daß trotzdem Fehler Mira-
beaus von ihm übernommen sein und ihm später nach-
gewiesen würden, glaubte er sich wappnen zu müssen.
Zu diesem Zweck erfand er das Datum. Wies ihm
schließlich jemand die Benutzung der Mirabeauschen
Broschüre nach^ so konnte er die Randbemerkungen viel-
leicht noch retten durch die Behauptung, Ludwig XVI,
habe diese auf die 1787 erschienene Flugschrift gesetzt,
und zwar, wie das Datum ausweise, am 15, Februar 1788.
Daß Soulavie diesen Zeitpunkt für die Entstehung der
Randbemerkungen selbst ansetzt, ergibt sich aus seinen
eigenen Angaben.*) Merkwürdig ist es nur, wie wider-
spruchsvoll und künstlich diese Datierung erscheint.
Denn seiner These nach, die er häuÜg wiederholt-), ist
Turgot eben durch den Munizipalitätenentwurf gestürzt
worden, Sobald der König — erzählt uns Soulavie —
von diesem Kenntnis erhalten, habe er darauf gesonnen,
wie er sich möglichst rasch des unbequemen Ministers
entledigen könnte.
Nun sollte man meinen, die Randbemerkungen Lud-
wigs, die uns von der tiefen Unzufriedenheit des Mon-
archen mit den Ideen Turgots Kunde geben, wären zu
dem Zweck ersonnen, um zu zeigen, wie das drohende
Ungewitter sich über dem Haupte des Ministers sam-
melte. Daß diese dramatische Wirkung von Soulavie
0 Vgl, Soulavie 111, 154 Anm, 1; VI, 278,
■) Soulavie IIl, 155 heißt e&i Le rot, dis le pioment qu*U con-
nut son projet de rävciuti&n d^mocratique, lui Sta sa canfiance
et chercha les moyens de le renvoyer sans bruiL Ähnlich lautet
111, 130 und IV, 132, Dagegen scheint mir Soulavie ein wenig aus
der Rolle zu fallen IV, 122, indem er sagt: ^,0/$ a vu que U plan
de M^ Turgot^ qui les [assembl^es provinciales} rätablissait dans
ioates les provlnces qui en avaieni ^ie privies par VauiorUä, fui
rejeU de Louis XVL M. Necker ^ malgr^ ces dispasUionSf les de-
mandä en 1778 ä ce manarque etc." Hat es hier nicht den An-
Bchein, als ob Soulavie vergessen habe, daß Ludwigs Einwürfe
erst aus dem Jahre 1788 stammen sollen?
i.
i
I
I
I
Turgots Sturz,
489
anfangs auch beabsichtigt war, daß er den Gedanken,
die Randbemerkungen in das Jahr I77b zu verlegen,
erst im letzten Augenblick aufgegeben hat, das verraten
uns einige schlecht retuschierte Stellen, die ein Autor,
der wie der unsrige zu arbeiten gewohnt ist, in der
Eile vergessen konnte.
Da linden wir am Schlüsse der Bemerkungen wie
einen Warnungspfahl aufragend die Stelle: Le pussage du
regime itabli au regime que M. Targot propose aciuelle-
meni, m&iie aitenHon. Was soll das propose actueüe-
ment im Jahre 1788? Turgot war längst tot und konnte
keine Vorschläge machen. Diese Wendung hätte nur
dann Sinn, wenn die Bemerkungen für das Jahr 1776
angesetzt würden, wie es August und Wilhelm Oncken
hauptsächlich aus diesem Grunde getan haben.
Das entscheidende actueilement sucht Wahl in sehr
willkürlicher Weise wegzudeuten, um seine Behauptung,
die Randbemerkungen seien im Februar 1788 entstanden,
aufrecht erhalten zu können. ^ Actueilement/* sagt er,
^heißt hier nicht mehr als ,in dieser Stelle*, in welcher
Bedeutung es sehr häufig ist," Woher ihm solche Wissen-
schaft kommt, verrät er uns leider nicht. Ich habe die
angesehensten französischen Wörterbücher durchsucht,
um zu sehen, ob actueilement jemals örtlich gebraucht
wird. Überall wurde mir der gleichlautende Bescheid
erteilt: stets bewahrt actueilement den zeitlichen Cha-
rakter der unmittelbaren gegenwärtigen Wirklichkeit, Ich
bin bei meinen Bemühungen, auch nur einmal ein in
örtlicher Beziehung verwendetes actueilement zu ent-
decken, auf eine ganz ähnliche Wendung gestoßen, in
der actueilement zweifellos durchaus in dem synonymen
Sinne von pr^sentement gebraucht wird. In den Obser-
vations des Notables vom Jahre 1787 heißt es auf S, 9:
Le Bureau regarde la forme actueilement proposäe
comme inadmisslble. Dies actueilement bezieht sich auf
die Denkschrift über die Einrichtung der Provinzialver-
sammlungen, die der König den Notabein eben vorge-
legt hatte.
Hiilortsche Zeitachdft (97. Bd,) 3, Polg« l. Bd. 32
490 H. GUgau,
Noch eine andere Stelle weist darauf hin, daß Sou-
lavie erst nachträglich die Bemerkungen in das Jahr 1788
hat verlegen wollen und bei dieser Umwandlung vergeß-
lich oder zu wenig umsichtig gewesen ist* Denn die
Phrase, die er Ludwig XVI. in den Mund legt: Les iä^es
de Af. Turgöt sont extr^memeni dangereuses et doivent
raidir conire leur nouveaute* (Soulavie III, 152)
paßte wohl in das Jahr 1776, nimmermehr aber in das
Jahr 1788, wo, wie wir schon oben hervorgehoben haben,
ein großer Teil der Turgotschen Ideen vom König selbst
in die Wirklichkeit überführt war.
IV.
Die Randbemerkungen, die Ludwig XVL zum Muni-
zipalitäten entwarf Turgots gesetzt haben soll, haben sich
als Fälschung des Herausgebers erweisen lassen. Dürfen
wir nach dieser Erfahrung noch an die Echtheit der zahl-
reichen anderen Bemerkungen glauben, die Soulavie als
angeblich von Ludwig stammende Äußerungen hier und
da in den Me^moires da regne de Louis XVI eingestreut
hat? Manche erwecken von vornherein den Eindruck
eines müßigen Phantasiespiels, das der Herausgeber zur
Unterhaltung seiner Leser und auch wohl zur eigenen
Belustigung frei erfunden hat, wie z. B. die Randbemer-
kungen, die der König 1779 zum Manifest gesetzt haben
soll, das er gemeinschaftlich mit Spanien gegen das eng-
lische Kabinett richtete.^) In diesen Bemerkungen kriti-
siert Ludwig XVL aufs schärfste in wesentlichen Punkten
den tnhalt des Manifestes und fordert eine seinen Gegen-
vorschlägen entsprechende Abänderung. Ungeachtet
dieses Wunsches jedoch ist das Schriftstück, wie Sou-
lavie selbst zugeben muß, in dem Wortlaut, in dem es
Ludwig vorgelegt worden war, in die Welt gegangen;
ein merkwürdiger Umstand, der nach Soulavies Meinung
seine Erklärung in der Willensschwäche des Monarchen
gegenüber den Ministern seine Erklärung findet Nun
ist uns aber von einem angesehenen Mitglied des Kabi-
i
') Soulavie IIl, 394 ff.
\
Turgots Sturz.
491
netts, und zwar von keinem anderen als von dem Leiter
der auswärtigen Politik selbstj von Vergennes, bezeugt,
daß der König den Entwurf zum Manifest schon im
August 1778 ausdrücklich gebilligt hat^) Es ist ferner
heute festgestellt, daß der Minister des Auswärtigen in
der amerikanischen Frage mit Ludwig XVL sich im
besten Einvernehmen befunden hat.^) Wir werden daher
annehmen müssen , daß die von Soulavie mitgeteilten
Randbemerkungen^ die wir mit den eben von einwand-
freien Zeugen mitgeteilten Tatsachen nicht vereinigen
können, ebenfalls eine Fälschung sind.
Nach Auffindung dieser beiden unechten Fäden zer-
löst sich das ganze Gewebe von Randbemerkungen, in
das Soulavie Ludwig XVI. gehüllt hat, wie ein luftiges
Phantasiegespinst* Zu einem solchen Verdammungs-
urteil in Bausch und Bogen wird man um so geneigter
sein, je deutlicher man bei einer zusammenhängenden
Betrachtung der vermeintlichen ganz persönlichen Be-
merkungen des Monarchen erkennt, wie sie aus einer
Grundidee, einem Lieblingsgedanken, den Soulavie mit
großem Eifer verficht, herfließen* „Oä ignore äans la
soci^tä,'' sagt er einmal^), „qu'il (Louis XVI) renvoya M,
Turgöi, Af. de Malesherbes, M. de SL Germain, deux fais
M. Necker, M. Caionne et M* de Lomänie, parce qu'il
s'apperfHt que tes plans de ces äi/f^rents personnages ten-
daient ä renverser la monarchie: ii apprdciait par-
faiiemeni leurs opärations dans des mVmaires
') Vgl. Henri Doniol, Hlstoire de la pariicipaiwn de la France
ä l'/tablissement des ätats-Unis ä'ÄmMque \\\ (1888), 817, wo auf
Grund der Akten des Ministeriums des Auswärtigen in Paris lol-
gende Mitteilung gemacht wird: ^Lt manifeste . - . avait 4U ridigi
au commencement d'aoät 1778 dans touie la par He qui se rapparie
atix faits accamplis avant cette date, La capie en fui envay^e ä
Madrid par le courrier du 15 aoüt^ minute corrig^e et compHiie
de la main de M. de Vergennes ; en marge ce minisire avait ^crtt :
ßLu au rot et approuviS A quelques ej^pressions pris, l'im-
prim^ est identique ä cette minute"
») Vgl H, Doniol a. a. O. H, S20 den Brief Vergennes' an
Montmorin vom 10, März 1778.
*> Soulavie 11. 54.
32*
in
H. Glägau^
pariiculiires. Je demontre dans cet üuprage
^bie
€ftte pendant l' aveugl^ment incomprehensi
de ces ministres, le rai seul reconnui de loin
les destin^es ei ta ruine de la France. II avait an
esprii de pr^voyance dont furent d^pourvus les ministres
pr^cites, auteurs principaux de ses maikeurs,"
Das Vorbild, nach welchem Soulavie diesen angeb-
lichen heimlichen Widerstreit zwischen Ludwig XVl. und
seinen Ministern sich zurechtlegte, ist leicht aufzufinden.
Wir brauchen nur an den Vorgänger des Königs, an Lud-
wig XV.j zu denken^ der bekanntlich neben der amt-
lichen Diplomatie außeramtliche Vertreter ohne Vor-
wissen seiner Minister an den meisten fremden Höfen
unterhielt, mit denen er in geheimer Verbindung stand.
Für diese Hintertreppenpolitik, deren Bedeutung oft über-
schätzt worden ist, hat man ein romanhaftes Schlagwort:
Le Secret du Roi geprägt- Wie nahe lag es gerade für
Soulavie, der die Alcten, die das königliche Geheimnis
offenbarten, zuerst entdeckt und veröffentlicht hatte, bei
dem Enkel Ludwigs XV* einen ähnlichen Doppelsinn in
der politischen Haltung zu konstruieren, eine Erfindung,
der von den Zeitgenossen und der Nachweit um so
leichter Glauben geschenkt wurde, da Ludwig XVL wie
seinem Großvater eine gewisse Neigung zu heuchlerischer
Verstellung zweifellos eigen war, fn seinen Fälschungen
steigerte und vergröberte Soulavie diese Tendenz im
Charakter des jungen Monarchen nicht nur bis zur
fratzenhaften Karikatur, er fügte auch dem überlieferten
Bilde einen völlig fremden Wesenszug hinzu, indem er
Ludwig XVL eine weit vorausschauende prophetische
Begabung beilegte. Obwohl der König das Unheil, das
die Reformminister mit ihren Neuerungen über Frank-
reich heraufbeschworenj hellseherisch geahntj habe er nicht
die Willenskraft gehabt^ ihnen entgegenzutreten. Er habe
sie vielmehr gewähren lassen und sich damit begnügt,
ihre Vorschläge einer scharfen Kritik im verborgenen
zu unterwerfen.
Aber nicht nur in längeren Randbemerkungen soll
Ludwig seine geheimsten Überzeugungen niedergelegt
I
I
Turgots Stur2.
4*>3
haben, er soll auch einmal eine größere Abhandlung, eine
ausgeführte Charakteristik des Herzogs von Choiseul
gegen Ende des Jahres 1777 eigenhändig entworfen und
hierbei die Tätigkeit des früheren Ministerpräsidenten
einer einschneidenden, schonungslosen Beurteilung unter-
worfen haben, ^) Daß es sich bei diesem Aktenstück
wieder um eine Fälschung Soulavies handelt, das muß
demjenigen höchst wahrscheinlich sein, der einerseits die
Grundzüge der auswärtigen Politik des Königs, ander-
seits den Haß des Herausgebers gegen Choiseul und
die Freunde des österreichischen Einflusses in Frankreich
kennt.^) Auch hier kann man die Absicht des Fälschers
erkennen, Ludwig XVL Ideen unterzuschieben, die ihm
fremd geblieben und offenbar der parteipolitischen An-
schauungsweise Faviers und seiner Gesinnungsgenossen
entsprangen, in deren Dienst Soulavie seine Feder ge-
stellt hatte. Denn bei aller vorsichtigen Zurückhaltung,
^) SouJavie I, 66 ff* : Portrait da duc de Choiseul icrit vers
La fin de 1777 de la maiti de Louis XV! et copii sur ses papiers.
') Es tst zu bedauern, daß Wahl in seiner Vorgeschichte der
Revolution {Tübingen 1^5) sowohl einige Randbemerkungen (S. 271)
als auch das oben angeführte Porträt ChoiseuLs (S, 36) als lautere
Quellen ansieht und benutzt. Auch zieht er ohne nähere Prüfung
die von Soulavie verolfentlichten Denkschriften (so z. B. betm
Sturz Neckers S* 271 IL) als Quellen von ^unschätzbarem" Werte
heran. Das dürfte aber nur geschehen, wenn er, wie Flammer-
mont das in mustergültiger Weise in einem Fall getan hat (siehe
seinen Aufsatz über das zweite Ministerium Neckers in der Revue
hisiorique Bd. 46 [1891], S. 10 Anm.) gezeigt hätte, daß der Inhalt
der von ihm im obigen Fall benutzten Briefe Vergennes' durch
zweifelsfreie Quellen genugsam bestätigt wird. Gilt doch für einen
so geriebenen Fälscher wie Soulavie die Horazische Mahnung:
Et Incedis per ignes supposiios cineri dolos o. Echte Stücke sind
mit unechten in bunter Folge gemischt. Während z. B. die Denk-
schrift Calonnes (Memoire de Catonne ä Louis XVI) j die Soulavie
im 6. Bande seines Werkes S. 117 — 119 wiedergibt, höchst wahr-
schemlich gefälscht istj kann die unmittelbar darauf folgende
Denkschrift desselben Ministers (Soulavie VI, 120 ff. M/moire de
Catonne sur ta nefcessit^ d-assembler ies Notables) unbedingt als
echt angesehen werden. Denn die Urschrift findet sich noch
heute im Pariser National archiv. Ein Vergleich, den ich dort mit
Soulavies Abdruck vornahm^ zeigte mir allerdings, daß dieser
zwar unvollständig, aber im übrigen wortgetreu ist.
494 H, Olagau,
die der junge König gegenüber dem damals weit um
sich greilenden habsburgischen Ehrgeiz übte, blieb er
weit von dem Gedanken entfernt, in Österreich den Erb-
feind Frankreichs — notre ennemie naturelle, wie es in
der Denkschrilt heißt, die Soulavie Ludwig XVI. zuschreibt,
— zu erblicken und planmäßig auf ein Bündnis mit
Friedrich dem Großen auszugehen.
Man verzeihe mir diese Abschweifung» die uns von
unserer eigentlichen Aufgabe, der Erforschung der Ur-
sachen, die den Sturz Turgots herbeigeführt haben, ent-
fernt hat. Allein der Abstecher erschien mir notwendig»
um vor der Benutzung einer unlauteren Quelle zu warnen,
die, wie wir ja zur Genüge oben erfahren haben, den
Biographen Ludwigs XVL auf recht bedenkliche Abwege
locken kann.
V.
Wir haben im ersten Teil unserer Untersuchung ge-
zeigt, daß die Quelle, auf die man eine neue Ansicht
von den Ursachen, die zum Sturze Turgots geführt haben
sollen, gründen wollte, unbrauchbar ist* Wir wenden uns
nunmehr den zweifellos echten Quellen zu, um an ihrer
Hand eine Reihe von Fragen zu prüfen, die nicht nur
für das einzelne Ereignis, den Fall des Reformministers,
sondern für die Geschichte Frankreichs im Zeitalter der
Reformbewegung überhaupt von einschneidender Bedeu*
tung sind. Zunächst wird uns die Frage beschäftigen:
Inwieweit ist die Königin Marie Antoinette am Sturz
Turgots beteiligt? Ist sie, wie viele versichern, die Haupt-
schuldige^) oder, wie man jüngst behauptet hat, ganz frei-»
zusprechen?^)
*) GeHroy behauptet in der Einleitung der mit Ameth ver-
offen Hiebt eti Correspanäance secrite entre Marie- Thdrisi et le comte
de Mercy-Argenteau von Marie Antoinette : eile faisait renyoyer
Target et Malesherbes. Noch schärfer drückt sich P, Foncin in
der vonLavi&se undRambaud herausgegebenen Histoirt Q^närale
VII, 626 aus: MaiB le viritable auteur de lü äisgräce de Turg&t
fut Marie- A n toin ette,
») Wahl, Vorgeschichte der Revolution S-363; ^Daß Marie
Antoinette an Turgots Sturz vollkommen unschuldig ist
geht aus folgendem hervor" usw.
^
I
i
Turgotfi Sturz,
4%
Während die Ankläger der Königin sich auf das
Zeugnis Mercys berulen, stützt Wahl seine Auffassung
auf eine Äußerung Marie Antoinettes und auf die von
Knies veröffentlichten Berichte Du Ponts.^) ^Marie Antoi-
nette selbst," sagt Wahl, ^hat schon am 15. Mai 1776 an
Maria Theresia ausdrücklich geleugnet^ daß sie sich um die
Entlassung Turgots und Malesherbes' bemüht habe: je
ne SUIS pas fdchäe de ces diparts^ mais je ne m'en
suis pas miläe. Sie hält das auch in einem späteren
Briefe aufrecht. Schon das ist ein Zeugnis von nicht
geringem Gewicht, wenn sich auch allenfalls
annehmen ließe, daß die junge Königin aus
Furcht vor einer der Wiener Strafpredigten
hier eine Unwahrheit gesagt habe*** Mit gutem
Grunde hat man bisher angenommen, daß Marie Antoi-
nette hier ihrer Mutter die Wahrheit zu verschleiern
sucht. Auch Wahl hält das für möglich. Wie darf er
uns dann aber, ohne mit sich selbst in Widerspruch zu
geraten, eine so verdächtige Belegstelle als „Zeugnis
von nicht geringem Gewicht" anpreisen?
Entscheidend für Marie Antoinettes Unschuld sind
für Wahl vor allem Du Ponts Ausführungen: S^ii Pont
de Nemours' ausgezeichneter Bericht an Karl Ludwig von
Baden, der eine votlständig lückenlose Darstellung von
Turgots Sturz bietet, weiß absolut nichts von einer Ein-
mischung der Königin. Es ist vollständig unerfindlich,
wie er einerseits darüber hatte ununterrichtet bleiben
können, warum er anderseits, hätte er darum gewußt,
davon hätte schweigen sollen.** Ein solches argumen-
tum ex sUentio ist an sich schon ein recht gewagtes
Beweismittel; in unserm Falle aber hat es keine zwingende
Kraft Denn einmal ist zu berücksichtigen, daß Du Pont
nicht wie z, B, Mercy unmittelbar unter dem frischen
Eindruck der Ereignisse schreibt, sondern erst sieben
Jahre später aus der Erinnerung, die hier und da sichtlich
verblaßt ist. Dann aber leitet seine Feder offenbar vor*
*) S. KnieSj Karl Friedrichs von Baden brieflicher Verkehr
mit MJrabe&u und Du Font fl, 354—373,
m H. Gkgau,
sichtige Zurückhaltung gegenüber dem erlauchten Adres-
saten. Die Angelegenheit des Grafen Guines, in die sich
Turgot zum Verdruß Marie Antoinettes mischte und die
dem Generalkontrolleur ihre Ungnade zuzog, war Du
Pont gewiß noch gegenwärtig; aber er streift sie nur
flüchtig^) und vermeidet geflissentlich, auf sie einzugehen,
offenbar um die Königin zu schonen. Daß er mehr weiß,
als er sagen möchte, das zeigt aufs deutlichste eine ver-
schleierte Anspielung, die nicht, wie Wahl will, auf dtn
Großsiegelbewahrer Miromesnil» sondern nur auf die Um-
gebung der Königin bezogen werden kann.-) Du Pont
hatte Rücksichten zu nehmen* Um das zu begreifeiij
braucht man sich nur daran zu erinnern, daß er, als er
seine Berichte abfaßte, wieder im französischen Staats-
dienste stand und zu dem leitenden Minister Vergennes
enge Beziehungen hatte.
Immerhin hätte Wahl ein bestimmteres Zeugnis als
Du Ponts verdächtiges Schweigen für die Unschuld der
iungen Königin ins Feld führen können. Es scheint ihm
wie so manchem seiner Vorgänger unbekannt zu sein.
Ich meine den von den Historikern sehr vernachlässigten,
aber für die Vorgeschichte von Turgots Fall recht lehr-
reichen Brief, den Condorcet am 12. Juni 1776 an Vol-
taire gerichtet hat.^) Auch hier wird Maurepas als der
alleinige Anstifter der Entlassung Turgots hingestellt und
ausdrücklich hervorgehoben, daß Marie Antoinette sich
gegen den Versuch des Ministers, auf sie die Verant-
^) Nur in einer Anmerkung, vgl. Knies II, 367.
') Knies II. 371 : On voyait alors diminuer paar une ceußle
äe jours ia fermeniation de teur campagnle (d. h. des Pariser Par-
laments). Mais ä'autres inspiratianSf pariies dt Ver^
sailles et plus pitissa nies , venaient hkntöt r^veüler tes
animüsites et ieur rendre te courage. Daß diese Hindeutüng auf
die Königin selbst notwendig bezogen werden müßte, behaupte
ich nicht Sie könnte auch ebensogut auf den Prinzen Conti oder
auf den Grafen Provence oder auf Personen aus der engeren
Umgebung der Königin wie die Gräfin Polignac gemünzt sein.
Jedenfalls sind höfische Einflüsse gememt, und was hier für uns
die Hauptsache ist^ der Briefsteller will nicht recht mit der Sprache
heraus.
») S. (Eavres äe Cmdonet (id. Arago) I, 115— 123.
\
w
Turgots Sttirz.
497
wortung vor der Otfentiichkeit zu wälzen, mit Entschieden-
heit verwahrt habe. Zugegeben wird freilich, daß auch
die Königin zu den Feinden Turgots gehört und seine
Abdankung gewünscht habe^ wenn sie auch mit der Form,
die von Maurepas gewählt wurde, nicht einverstanden
war,^) In Condorcets Erzählung steckt ein wahrer Kern,
wie wir noch unten sehen werden, aber auch eine Reihe
von Irrtümern, die zeigen, daß er über die Rolle der
Königin nicht genügend unterrichtet ist. So kennt er
nicht den eigentlichen Anlaß, der zur Abberufung des
Grafen Guines führte, und ebensowenig weiß er, daß
Marie Antoinette und nicht Maurepas die Erhebung ihres
Günstlings in den flerzogsrang bewirkte. Dagegen ist
er wie sein politischer Freund und Mitarbeiter Du Pont
in die Absichten Turgots und in die Verhältnisse der
Reformpartei tief eingeweiht und in dieser Hinsicht ein
sehr verläßlicher Zeuge* Allein den Vorgängen, die sich
in jenen Tagen im Schloß zu Versailles abspielten, haben
die Häupter der Physiokraten zu fern gestanden. Darüber
vermag uns dank seiner bevorzugten Stellung allein
Mercy Auskunft zu geben. Als vertrauter Berater der
jungen Königin wußte er wie kein anderer über ihre Ge-
sinnung und Haltung Bescheid.
Merkwürdigerweise sind die beiden Hauptberichte,
in denen der österreichische Botschafter in eingehender
Darstellung die Vorgeschichte von Turgots Sturz schil-
dert, bis au! den heutigen Tag so gut wie unbekannt
geblieben^) Man beruft sich stets nur auf die Brieie,
') Selbst GeHroy erwähnt den Bericht vom 13. April 1776
gar nicht, und von dem Bericht vom 16. Mai gibt er einen sehr
kärgtichen Auszug (11, 442 Anm. 3). Die Darstellung, die Geffroy
in der Einleitung (J^ S. XL IX iL) vom Sturze Turgots gibt, zeigt
übrigens, daß er die deutsch abgefaßten ,,Einberlchtungen'^ Mercys
nicht gründlich benutzt hat; sonst hätte er nicht so viele Irrtümer
darin vorbringen können. Ich denke die beiden deutsch abge-
faßten Berichte Mercys vom 13. April und 16. Mai 1776 wegen
ihres hohen Quellenwertes im Anhang der Arbeit, die ich den
Reformversuchen unter Ludwig XVL widmen werdCi demnächst
zu veröffentlichen.
i
498 R Glagau,
die Mercy am 13, April und 16. Mai 1776 an Maria
Theresia richtete \)» obwohl in diesen ausdrücklich jedes-
mal auf die Hauptberichte verwiesen wird. Eben die sog.
däpäches d'office, die in deutscher Sprache abgefa0t und
für den Staatskanzler Kaunitz bestimmt waren, beschäftigen
sich mit der politischen Rolle der Königin^ während in den
an die Kaiserin-Mutter gerichteten vertraulichen Briefen
mehr die privaten und persönlichen Verhältnisse Marie
Antoinettes erörtert werden*^) Wollen wir uns also über
den Anteil der Königin an den wichtigeren politischen
Begebenheiten wie an dem Fall Turgots unterrichten, so
dürfen wir nicht bei Mercy s Briefen an Maria Theresia
stehen bleiben, sondern werden auf die großen Staats-
depeschen zurückzugreifen haben.
^) Arneth-Geffroy II, 434—449,
') Vgl hierzu die vortreffliche Einleitung S. LXXXI f.» die
J* Flammermont der mit Arneth veröffentlichten Korrespondenit
Mercy s (Paris 1889) vorausgeschickt hat. Hier wird auf das Pro*
gramm hingewiesen^ das Mercy bei der stofflichen Einteilung der
Korrespondenz befolgte: ^Tout et gut Hent au personnet de ia
Reine äevienära la matUre de mes ires humbles rapports (secrets),
La cünäuiie de la Reine en tant qu'elle pourra inßuer dans les
otjets majeurs ^tani du ressort de la politiifue et pouvant de%*enir
utile aux combinatsons qm'eiie exige^ il parait convenir au bien
da Service que cette partie se trouve diduiie dans mes d^piches
d*üffice.* Demnach hat der Historiker auf diese das Hauptge*
wicht zu legen^ was leider bisher versäumt worden ist. Flammcr-
montj der die wichtigen deutschen Depeschen Mercys In einer
umfangreichen Publikation^ die den Titel führen sollte : Correspon'
da nee des ambassadeurs imp/riaux en France au XVII l* siicte
(CoUectlon des documents in^dits sur Vhistoire de France) ver*
öffenüichen wollte^ ist leider vor der Vollendung des Werkes ge-
storben. — Wahl sucht das Ansehen, in dem Mercy als gut unter-
richteter sachlicher Berichterstatter bisher allgemein gestanden
hatf zu erschüttern {s. seine dahin zielenden Bemerkungen auf
5. 364 u. 259 Anm. 1). Im Gegensatz zu Flammermont hält er
ihn für ^lange nicht so zuverlässig, wie vielfach angenomnien
wurde'' und für „nicht sehr genau informiert". Ich sehe nicht,
daß Wahl dieses Urteil irgendwie begründet Gerade in der Frage
über Turgots Sturz, wo er diesen Vorwurf erhebt, Ist Wahl der
schlecht informierte^ da er von den hauptsächlich in Betracht
kommenden Berichten Mercys^ trotzdem er von ihrem Dasein
wußte« nicht Kenntnis genommen hat.
\
i
Turgots Sturz.
499
Wie Mercy in früheren Berichten des öfteren fest-
stellte i), war das Verhältnis Marie Antoinettes zu Turgot
stets sehr kühl^ obwohl sich dieser, wie er dem Bot-
schafter wohl zu verstehen gab, redlich um die Gunst
der Königin bemühte. Mit der größten Bereitwilliglteit
kam der sonst so sparsame Generalkontrolleur ihrem
Wunsche, ihre Schatullengelder zu erhöhen, entgegen.
In der zuvorkommendsten Weise spendete er, obwohl er
fest entschlossen war, dem Gnadenunwesen, das in Ver-
sailles herrschte, den Garaus zu machen, für einen
Schützling der Königin eine sehr hohe Summe, ^) Turgot
wußte mit dem großen Einfluß zu rechnen, den Marie
Antoinette ja leider in den wichtigeren Personalfragen
zu üben suchte. Um ihrem Machtgefühl zu schmeicheln,
ließ er ihr durch Mercys Vermittlung seine Minister-
kandidaten wie Malesherbes und St. Germain dringend
empfehlen,^) Allerdings war er dann auch entschieden
genug, um wider den Willen der Königin bei Ludwig XVf.
seinen Wunsch durchzusetzen, was jene als schwere
Kränkung empfand,*)
*) Mercy an Kaunitz den 17. juli 1775 (Wiener Archiv) und
am 18. September 1775 (Wien. A.), wo es heißt: .Dem redlichen
CantrdUur g^n^rai geht es nicht so vergnüglich von Statten. Die
Königin empfängt ihn Immer sehr kaltsinnig, und ist er der ein*
zige t>ei IHoie, der solches nicht merkt.**
*) Arneth-Geüroy II, 249, vgl. auch H, 241, 337.
») Mercy an Kaunitx den 17. Juli 1775 und den 19. Okt. 1775.
*) Nach dem Willen der Königin, die von den Parteigängern
des Herzogs von Choiseul angetrieben wurde, sollte nicht Mates-
herbes, sondern der Marineminister Sartine Minister des könig-
lichen Hauses werden, worauf Turgot nicht einzugehen vermochte,
da in diesem Fall die von ihm im königlichen Hofstaat geplanten
Reformen nicht durchgeführt worden waren. Diese Besorgnis
setzte Turgot selbst dem Grafen Mercy in einem vertraulichen
Gespräch auseinander^ um durch Vermittlung des Gesandten den
Unwillen der Königin zu beschworen: j,Es hat der Herr Contrdleur
ginirat mir sein Verlangen, mit mir zu sprechen, zu wissen ge-
macht und mich zugleich ersuchet, an einem dritten Ort mit ihm
zu Mittag speisen zu wollen* Da ich mich nun am 29.» vorigen
Monats (d* i. Juni 1775) dahin verfüget, hat er nach aufgehobener
Tafel mich nebst dem Herrn Abb<5 de V^ry auf die Seiten ge-
zogen und nach einem kurzen Einleitungskompliment die abseiten
500 H. Giagau»
Mercy seinerseits gab sich die größte Mühe, um seine
unerfahrene Schutzbefohlene den Reformabsichten Tur-^
gots und Malesherbes' günstig zu stimmen. Es ist das ™
Verdienst des vielverleumdeten Vorlesers der Königin,
des Abb^ Vermond, daß er als Jugendfreund des General-
kontrolleurs und geheimer Anhänger der Reformpartei ^
den Gesandten auf die Bedeutung der Besserungsvor- H
schlage Turgots hinwies. Mit unablässigem Eifer warnten ^
Mercy und Vermond die junge Königin, sich nicht zum
Unheil des Staates von den Höftingen gegen die von
den besten Absichten geleiteten Minister mißbrauchen
zu lassen* Es war vergebens: immer wieder unterlag
Marie Antoinette den Einflüssen ihrer Umgebung, die
mit wenigen Ausnahmen aus geschworenen Gegnern der
Reformpartei bestand und alles aufbot, um die Königin
gegen Turgot und Malesherbes aufzubringen, fl
So war es kein Wunder, daß Mercy in jenen kriti-
schen Tagen, wo der Generalkontrolleur die sechs Re-
formedikte dem Pariser Parlament unterbreitete, Marie
der Königin zum Behuf des M. de Sartine gemachte ScKritte er*
zählet. Sodann hat er mir sein Vorhaben, bei der königlichen
Hofstatt große Ersparungsmittel einzuführen, eröffnet, welche er
nur alsdann würde durchbringen können^ wenn das Departement
des Hofes in den Händen eines Ministers sein wurde, auf dessen
Redlichkeit und getreue Beiwirkung er sichere Rechnung machen
könnte. Diesem fügte er hinzu, daß der Hof abermalen abseilen
der Parlamente offenbare Widersetzlichkeiten zu besorgen hättet
und würde es in diesem Falle höchstnötig sein, bei dem Departe-
ment der Stadt Paris einen standhaften und bei dem Fubliko
wohlangesehenen Mann zu haben. Nun aber wäre M, de Sartine
bei weitem nicht derjenige, der sich zu ebenbesagten zwei Fällen
schicke. Zudem wäre er mit ihm wegen der Polizei des Getreide-
wesens einer ganz entgegenen Meinung. Mithin würden sie neben-
einander nimmermehr etwas Gutes stiften können. Schließlichen
bedauerte er um so mehr, daß die Königin sich so sehr zu Gunsten
des besagten M, de Sartine hätte einnehmen lassen, da es sicher
vorzusehen wäre, daß von dem Äugenblick an, da eben ernannter
Minister das anhoffende Departement an sich würde gebracht
haben, der Geist der Intrlgue den Hof und das Ministerium über-
ziehen und die Verwirrung der vorigen Regierung wiederhervor-
bringen würde,** Mercy an Kaunltz den 17. Juli 1775. Wiener
Archiv.
I
Turgots Sturz.
50t
Antoinette sehr eingenommen gegen die Edikte fand-
Sowohl der Anhang des Herzogs von Choiseul, der das
Ministerium zu stürzen trachtete, als auch der Gral
Maurepas hatten bei der Königin gegen Turgots Werk
Stimmung gemacht. i) Und diese hatte sogleich ihren
Gemahl gewarnt, nicht zu eilfertig zu Werke zu gehen.
Dabei gestand sie Mercy offenherzig, daß sie von dem
fnhalt der Edikte keine Ahnung habe und *, davon nur
nach dem ihr zugekommenen gemeinen Ruf urteile", ein
Bekenntnis, das auf ihre unbesonnene, politisch unsach-
liche Gesinnung ein grelles Licht wirft. ^)
War Marie Antoinette schon vor dem Ausbruch der
Ministerkrisis auf Turgot schlecht zu sprechen, so wuchs
ihre Abneigung zu leidenschaftlichem Haß, als sie erfuhr,
daß sie die Abberufung ihres Gunstlings, des Grafen
Guines, vornehmlich den Bemühungen des General-
kontrolleurs zuzuschreiben habe. Wir dürfen wohl hier
die näheren Umstände der Affäre Guines, für die auch
die Depesche Mercys vom 16. Mai manche interessante
Einzelheiten beibringt, als genugsam bekannt voraus-
setzen. Daß die Königin von ihrer Umgebung irrege-
führt wurde, daß der Botschafter nicht das Opfer einer
Kabale war, sondern aus sachlichen Erwägungen als
durchaus ungeeignet für den wichtigen Londoner Posten
entfernt werden mußte, darüber kann heute kein Zweifel
mehr bestehen^), und ebensowenig darüber, daß sich
^) Daß er in dieser Angeiegenheit sehr wenig auf Maurepas*
Unterstützung rechnen durfte, wußte Turgot sehr wohL Man ent-
nimmt das aus seinem Briefe an Ludwig XVL vom 30. April 1776,
wo es von Maurepas heißt: Jt Vai vu changer dix fois d^idäe sar
le Itt de justice t salvant gu*il vayait au M. le gar de des sceaax,
QU M, Albert Üeutenant de police^ ou moL C'est cette malheureuse
incerUtude dont le parle ment ätatt fideiement instruit qui a tant
proiongä la re'slstance de ce carps. Si Vabb^ de Väri n^avait pas
coniribue ä fortifler san ami, Je ne serais paint /tonne qti'U eüi
töut abandonni et conseill/ ä Votre Majest/ de c/der au partemenL
Larcy, Louis XVI et Turgot im Correspondant Bd. 32, S. 878.
*) Dies sowie das Folgende gründet sich aui Mercys Bericht
vom 13. April 1776.
^) Um die Aufklärung der Affäre Guines haben sich die
franzöiischen Forscher Jobez (La France soits Louis XVI [Paris
5oa
K, Glagiu,
der schwache König von seiner leidenschaftlich erregten
Gemahlin mißbrauchen ließ, als er trotz besseren Wissens
den angeblich in seiner Ehre gekränkten Grafen Guines
mit einer hohen Auszeichnung bedachte» die Ludwig XVK
in dem auffallendsten Widerspruch mit seinen früheren
Handlungen und mit den Beschlüssen seines Ministe-
riums erscheinen ließ. Für uns aber kommt es vor
allem hier auf die Erörterung der Frage an: In welchem
Zusammenhang steht die Entlassung Turgots mit der
Affäre Guines? Ist wirklich wahr^ was die Historiker
fast einmütig behaupten, daß Marie Antoinette nicht nur
die Auszeichnung des abberufenen Gesandten, sondern
auch die Abdankung des Generalkontrolteurs als Strafe
für das Vorgehen gegen ihren Günstling durchsetzte?
Schon die Zeitgenossen brachten beide Ereignisse
in die innigste Verbindung, so z, B, die Herzogin von
Choiseul in einem Brief an Madame Du Deffand, in dem
sich der pathetische Ausruf findet: fai iU^ comme vous^
iransporÜe de Jaie du triomphe de M. de Guines; je
iroave que la disgräce des deux minisires (Malesherbes
und Turgot) qui l'a accampagnä le fait ressembler aux
inompkaieurs romainSi qui trainaieni leurs esclaves ä
leur suiie,*^^) Und ähnlich stellen es auch die Historiker ^
dar: nicht zufrieden mit der Erhebung Guines* zum Her- fl
zog, habe die Königin auch die Entlassung des Haupt- ^
gegners ihres Schützlings^ des GeneralkoniroUeurs» ver-
langt und in der Tat erreicht,^) Dürfen die Forscher
1877] 1, 262 rf. 4% H.) und H* Doniol verdient gemacht Nament-
lich dieser hat im ersten Bande seiner Histoire äe la participaiwn
dt la France ä l^ätabiissement des ^ials^Unis d* Afn^nqme (Paris
tSS6) in eingehender Weise die Botschaftertätigkeit Guines^ auf
Grund der Akten im Archiv des Ministeriums de$ Auswärtigen
und im Nationalarchiv dargestellt unter Mitteilung zahlreicher
Aktenauszüge*
0 Angeführt bei Jobez a. a. O. S, 511,
') Jobez a. a. O. I| 507 f. sagt : // fat d^cid/ que le comte de
Guines serait nommd duc, et Marie Antoinette obtenait enfin que
Turgüt serait renvay^^ insistant avec passion pomr que V anno nee
de la faveur accord^e ä de Guines col'ncidät avec Femprisonnemeni
du contrdleur gdndral ä la Bast Ute. Mercy fit des efforis tris^
I
I
Turgots Sturz.
503
sich dabei auf Mercy als ihren Gewährsmann berufen?
Oder deuten sie nicht ganz willkürlich in die Quelle
einen ihr fremden Sinn hinein? Sehen wir einmal den
Wortlaut an.
Der österreichische Gesandte berichtet unter dem
16. Mai 1776 Maria Theresia: Le projet de la reine
etait d'exiger du roi que U sieur Turgot fM chasse, mime
envöyä ä la BastiUe le mime Jour gue le comte de Guines
seraU däclard duc, et il a fallu les repr^senla-
iions les plus fories ei les plus inslantes pour
arriter les effets de la colere de la reine. Hier
steht doch klar und unzweideutig, daß die Königin wohl
den Plan hatte, die Entlassung Turgots zu fordern, daß
es aber den entschiedenen und eindringlichen Vorstel-
lungen Mercys gelungen ist, die Wirkungen ihres Zornes
zu hemmen. Vielleicht hat die etwas geschraubte Aus-
drucksweise des Gesandten zu Mißverständnissen Anlaß
granäs pour em picker est acti de falU . . . Quant au toi, il resia
Sans valonU devant les exlgences i/tsens/es de la reine. Wilhelm
Oncken m seinem Zeitalter Friedrichs des Großen II, 612 urteilt
ähnlich: „Vergennes und Turgot setzten durch, daß Graf Guines
abberufen und der Herzog von Moallles an seiner Statt zum Bot-
schafter ernannt ward, aber weiter kamen sie nicht, als nun die
Königin mit aller Macht sich gegen sie erhob. Sie forderte vom
König Genugtuung für den Schimpf^ der dem ausgezeichnetsten
aller Menschen widerfahren war. Sie verlangte^ daß Vergennes
und Turgot entlassen« der letztere außerdem auf [sol] die Bastille
gesetzt, der Graf Guines aber zum Herzog ernannt werden sollte.
Alles Zureden des Grafen Mercy und ihres BeichtvaterSf des Abb^
Vermondy war umsonst. Sie blieb bei ihrer Forderung, wieder-
holte sie stürmisch immer und immer wieder, so lange, bis le pauvre
komme — wie sie ihren Gatten zu nennen pflegte — wirklich breit-
geschlagen war tind sich entschloß, ihr wenistens teilweise nach-
zugeben.'* Daß Foncin und Geffroy (von anderen zu schweigen)
derselben Ansicht sind, haben wir schon oben erwähnt {s. S. 494
Anm. 1). — Wenn auch Wahl behauptet (a. a. 0. S. 259 und S. 3*2),
daß nach dem Willen der Königin Guines an dem Tage zum
Herzog ernannt, an welchem Turgot gestürzt wurde, so beruht
das auf einem Irrtum. Turgot erhielt seine Entlassung erst am
12. Mai, während der Brief des Königs, durch den Guines zum
Herzog erhoben wurde, vom 10. Mai datiert ist. S. Lescure, Cof-
responäance compUte de la Marquise Du De ff and II, 549 f., wo das
Schreiben Ludwigs an Guines mitgeteilt ist.
504
H. Glagau,
gegeben. Deutlicher gibt er jedenfalls in der an Kai
gerichteten Depesche vom 16. Mai den Tatbestand wiedeS"
Hier teilt er mit, daß der Unwille der Königin sich
namentlich gegen Turgot richte, um dann wörtlich fort-
zufahren; „Dieser Gesinnung zufolge haben Ihre Majestät
den König unablässig wider ihn angereizet- Höchstdie-
selben waren sogar des Vorhabens, dahin anzutragen^
daß dessen Abschaffung und die Erhebung des Grafen
Guines zu gleicher Zeit erfolgen möchten. Dennoch hat
es zuletzt dem Abbö de Vermond und mir gelungen»
Ihre Majestät von diesem Vorsatze wieder abzubringen."
Ich denke, aus diesen Quellenstellen geht mit un-
zweifelhafter Sicherheit hervor, daß man sich nicht auf
JVlercy berufen darf, wenn man Turgots Entlassung dem
unmittelbaren Eingreifen Marie Antoinettes zuschreiben fl
will, Wohl hat sie die Absicht gehabt, den König darum
zu ersuchen, auf Mercys Zureden aber schließlich den
Plan fallen lassen. Darum darf der Gesandte» nachdem
er die näheren Umstände der Abdanlcung Turgots dem
Staatskanzler Kaunitz geschildert hat, von der Königin
sagen: „Der Königin muß rühmlich nachgesagt werden,
daß sie an dieser schleunigen Ministerialabwechselung
keinen Anteil genommen hat. Höchstdieselben haben
die neue Ernennung erst einige Stunden nach dem Vor-
fall erfahren, und als sie hiervon gegen den Abb^ Ver-
mond Erwähnung gemacht haben, hat dieser sogleich
unter anderm bemerkt, daß, da Turgot auf dem flachen
Lande und bei dem gemeinen Manne sehr beliebt sei,
es gut sein würde, überall wohlbekannt zu machen^
daß dessen Entsetzung nicht von fhrer Majestät her-
rühre." Die Königin billigte diesen Ratschlag und er- ^
laubte Mercy, dem im Publikum verbreiteten Gerüchte, H
sie habe Turgots Entlassung bewirkt, zu widersprechen.
Dar! man nun aber wirklich behaupten, daß die
Königin am Fall Turgots unschuldig ist? Kennt man
die näheren Umstände der Entlassung des General-
kontrolleurs, so wird man sagen: Marie Antoinette durfte
mit einem gewissen Schein des Rechtes ihrer erlauchten
Mütter gegenüber sich rühmen, daß sie am Sturze Tur*
«
Turgots Sturz.
505
I
I
gots und Malesherbes' sich nicht beteiligt habe- Denn
der Hauptschuldige war Maurepas: er hatte beim König
die schleunige Entfernung des Ministers durchgesetzt.
Aber wenn sich die Königin auch in den letzten Tagen
nicht in die Politik mischte» hatte sie nicht vorher red-
Uch ihr Teil dazu beigetragen, um dem Generalkontrolleur
sein Verbleiben im Amt so sauer wie möglich zu machen
und seine Stellung zu erschüttern? Mercy berichtet uns, daß
auch Turgot seinerseits lest entschlossen war, in nächster
Zeit auf seinen Posten freiwillig zu verzichten, und zwar
weil er wußte, wie eifrig ihm Marie Antoinette entgegen-
arbeitete: Le coniröleur gineral, inst mit de la haine qtie
lui porte la reine^ est däcidd en grande parHe pur ceite
raison ä se reiirer^ meldete der Gesandte an Maria
Theresia* Mercy denkt also nicht daran, die Königin
von aller Schuld freizusprechen. Der Nachricht, daß
Marie Antoinette an dem Sturze des Finanzministers
nicht unmittelbar beteiligt sei, fügt er sogleich die ein-
schränkende Bemerkung hinzu: ^Es ist gleichwohl gewiß,
daß MaurepaSj der die Königin unaussprechlich fürchtet,
sich nimmermehr unterstanden haben würde, gegen Tur-
got so heftig zu arbeiten, wenn dieser besser bei der
Königin wäre angeschrieben gewesen. Da er aber durch
die Madame de Polignac, welche ihm alles haarklein
hinterbringt, von der eigentlichen Gesinnung Ihrer Ma-
jestät unterrichtet gewesen, so hat er nicht nur seiner
persönlichen Leidenschaft um so freieren Lauf gelassen,
sondern auch sogar gesucht, sich daraus ein Verdienst
bei der Königin zu machen." Mercy erzählt, wie Maure-
pas am Tage der Absetzung Turgots bei der Königin
Audienz genommen und ihr zu verstehen gegeben habe,
daß er „den Augenblick, in welchem er hoffte, Ihrer
Majestät ein Merkmal seiner Gedenkungsart und ehr-
erbietigsten Ergebenheit gegeben zu haben, ergreife"*, um
sie zu bitten, in die Aufhebung der Verbannung seines
Neffen, des Herzogs von AiguiUonj zu willigen. Mit
diesem Gesuch kam er aber schlecht an. Die Königin
schlug es ihm rundweg ab, einmal weil sie Aiguillon als
geschworenen Gegner Guines' haßte, sodann weil Mau-
Hlstorbcbe Zeil»chrift (97. ßdj 3. Folge l. Bd. $ä
506 H. Glagau,
repas ihrer Bitte, das Hausministerium ihrem Günstling,
dem Marineminister Sartine, zu übertragen, nicht ent-
sprochen» sondern seinem Geschöpf Amelot den Posten
übertragen hatte, ^)
Fassen wir schließlich die Ergebnisse unserer Unter-
suchung noch einmal zusammen, so werden wir sagen:
Es ist ebenso unrichtig, zu behaupten, daß Marie Antoi-
nette am Sturze Turgots ^vollkommen unschuldig** ist,
wie es falsch ist, der Wirkung ihres Grolles allein den
Fall des Reformministers zuzuschreiben. Daß sie dazu
das Ihrige beigetragen hat, ist nicht zu leugnen. Es sind
doch aber nicht allein die persönlichen Momente gewesen,
die das für die Geschichte Frankreichs entscheidende
Ereignis herbeigeführt haben, sondern auch schwer-
wiegende sachliche Gründe, auf die wir in den folgenden ^
Abschnitten näher einzugehen haben, H
Zum Schluß sei uns noch eine Bemerkung, die über
den Rahmen unserer Abhandlung hinausgraift, erlaubt.
Man hat sich in letzter Zeit bemüht, die Frage über den
Einfluß Marie Antoinettes auf den Gang der französischen
Politik ins klare zu bringen und in einer möglichst ein-
fachen Formel festzulegen, Flammermont überträgt der
') Condorcet berichtet über diesen Vorfall in dem oben er-^^|
wähnten Briefe an Voltaire {(Euvres I, 12 J f*) folgendermaßen J
M. de Maurepas a d^termin^ le roi ä faire Af. de Guines du^,
malgr^ ce qa*ü en savait^ et U Va ü4 apprendrt ä la reine ^ espr-
rant se reconcilier a\>ec eile; charger aupres ä'elle MM, Turgot ei
Malesherbes du rappei de M. de Guines; la charger aupris da
public du renvüi de M. Turgot^ parce que^ foul en äisirant son
d^parif eile avait trouv^ cette forme indkcente. Ce beaa projei
n'a poM r^ussi^ M^ d£ Maarepas comptait sur le peu d'esprit de
la reine; mais il aubliait que, n'ayanl pas comme lai le bonhemr
d^ilre eunuqaej eile avait un peu d^äme. Elle tut a donc refuse
le retour de M. d'Aiguillon; a dMar^ hauiement qu'elle r$^^fait
paar rien dans le renvai de M. Turgot; a traite M. de Maurepas
avec le mepris le plus froid et le plus gaiy et a r^pit^ touf haut
ce qu'elie lui avait dit. In dieser Darstellung ist bis auf die Tat-
sache, daß Marie Antoinette Maurepas die Aufhebung der Ver-
bannung Alguillons abschlugt alles unricbtig* Wie konnte Mau-
repas sich ein Verdienst aus der Rangerhöhung Guines* machen,
die doch gegen den Wunsch des Ministers auf Betreiben der
Königin erfolgt war-
Turgota Sturz,
507
jungen Königin die entscheidende Rolle und möchte der
Regierungszeit Ludwigs XVI. geradezu den Namen seiner
Gemahlin — Le rhgne de Marie Antoinette — geben,
Wahl dagegen spricht der Königin eine irgendwie maß-
gebende Einwirkung in politischen Dingen bis zum Tode
Vergennes' (1787) ab.^ Er sagt: „In Kürze kann man
den wahren Sachverhalt folgendermaßen zusammenlassen:
Die Königin hat bis zur Zeit der herannahenden Revo-
lution lediglich auf dem Gebiet unbedeutender
Personalien gelegentlich einen Eintluß ausgeübt."
Während Flammermont die Bedeutung der Königin ent-
schieden überschätzt hat, verfällt Wahl in den entgegen-
gesetzten Fehler, den er wohl selbst berichtigen würde,
wenn er in die wertvollen Berichte Mercys an den
Fürsten Kaunitz Einsicht nähme. Auch vor dem Jahre
1787 ist Marie Antoinette in der französischen Politik
ein nicht zu vernachlässigender Faktor Das hat sich
uns aus der Vorgeschichte von Turgots Fall ergeben.
V!.
Es war doch eine recht wichtige sachliche Frage,
über die sich der Konflikt zwischen Maurepas und Turgot
erhob. Merkwürdigerweise haben ihr weder die Zeit-
genossen noch die Historiker gebührende Beachtung
geschenkt, weil sie den Ton fast ausschließlich auf das
persönliche Moment, insbesondere auf die wachsende
Eifersucht Maurepas* gegen den Finanzminister, legten.
Als dieser sich anheischig machte, die lange ver-
mißte Ordnung im Staatshaushalt wiederherzustellen und
den Fehlbetrag ^u beseitigen, lautete sein Losungswort:
Ersparnisse. In dem berühmten Briefe vom August 1774,
in dem Turgot dem König die Grundzüge seines Reform-
programms entwickelte, kehrt dieser Leitgedanke immer
wieder: Je me borne en ce moment, Sire^ ä voiis rappeler
ces irois parales: Poini de banqueroute; point d'aug-
mentaUon d'impöts; point d'emprunis . , . Pour remplir
0 Wahl, Vorgeschichte der Revolution S, 362 f.
33*
SOS
H. Glagau^
ces trais poinis, il n^y a gu'un moyen, Cesi de rädaire
la dipense au-dessous de la recetle, ei assez au-dessoas
pour pouvöir /conomlser chaque annie une
vingtaine de millions^ afin de rembourser ies deites
anciennes. Sans cela, le premier coup de canon forceraif
r^tat ä la banqueroute , . . C'esi danc surtoui de
l'äconomie que dopend la prosperlie* de voire
rigne, le calme dans l' Interieur ^ la consid^ration au
dehors, le banheur de la naUon et le vötre.
In keinem Zweige der Verwaltung konnte man zweck-
mäßiger Ersparnisse einführen wie in dem königlichen Haus-
halt, der, abgesehen von den Gnadengehältern und Pen-
sionen, die einen besonderen Posten bildeten, jährlich nicht
weniger als 3b — 38 Millionen verschlang* Aber nirgends
war eine solche Reform auch schwerer durchzusetzen wie
gerade hier, wo Höflinge und königliche Günstlinge, unter
stützt von ihrem mächtigen Anhang, alles aufboten, eine
Beschneidung der Mißbräuche, von denen sie lebten, zu
hintertreiben.^) Turgot hatte diesen Widerstand voraus-
^) Soulavie druckt Im zweiten Bande seiner Mämoires du
r^gne de Louis XVI S, 337 ff. ein sehr wichtiges Bruchstück einer
Denkschrift Malesherbes' ab» die an den König gerichtet ist und
die Notwendigkeit der Finanzreform m den Ausgaben des Hof-
staates darlegt. Das Schriftstück stammt wahrscheinlich aus dem
April 1776 und begründete Malesherbes' Enttassungsgesuch. Es
ist sicherlich echt; denn die Tatsachen, an die der Verfasser er-
innert, wie z. B, seine Berufung ins Ministerium, seine persötillchen
Empfindungen j als er das Hausministerium übernahm^ sind aUe
gut bezeugt. Die Behauptung Malesherbes' z. B., daß er nur auf
ausdrücklichen Befehl Ludwigs XVI. das Hausministeriuni über-
nommen babct wird uns durch Mercy (an Kaunitz^ den 17, Juli
1775, Wiener Archiv) bestätigt. Vgl. auch hierzu das von Boissy-
d* Anglas {Essai sur la vie^ les Berits et ies opinions de M, de
Malesherbes, Paris 1819, II, 26 f.) über die Denkschrift gefällte
Urteil: Quoique les Communications de ce geure ne doivent itre
accuei flies qu'avec une gründe circonspection^ li est diffidU touie-
foiSf pour peu qu'on alt eu l'habitude de Hre ou d'entendre M. de
Malesherbes, de r^voqaer en äoute l' atithentitiU de celle-ci: on y
recannait ais^ment ses principeSy ses opinions et sa dtctian, —
Malesherbes bemerkt im Eingang der Denkschrift, wie man in
allen Kreisen der Bevölkerung beim Regierungsantritt Lud-
wigs XVI, auf die Einschränkung der Ausgaben des königlichen
I
I
Turgots Sturz.
50*?
gesehen. Er war aber von vornherein fest entschlossen»
alle Hindernisse zu überwinden.
Erst im Juli 1775 jedoch gelang es ihm, den Mann
zum Hausminister zu machen, der seiner Meinung nach
am geeignetsten war, die geplante Reform durchzuführen.
Leider sollte sich bald zeigen, daß Turgot in Malesherbes
sich getäuscht hatte. Obwohl dieser die redlichsten Ab-
sichten hatte und von der dringenden Notwendigkeit der
Durchführung der Besserungsvorschläge überzeugt war,
fehlte es ihm vor allem an rücksichtsloser Energie, um
ungeachtet aller Widerstände das Werk ans Ziel zu führen.
Nur ungern hatte er seinem Freunde und dem König
zuHebe den ihm wiederholt angebotenen Posten als Haus-
minister übernommen und, als er es schließlich getan,
sich zunächst nur für eine kurze Probezeit verpflichtet.
In dieser hatte er reichlich Gelegenheit, sich davon zu
überzeugen, daß er für ein solches Amt nicht das Zeug
hatte. Er war zu weich und zu ängstlich von Charakter
und fürchtete sich davor, es mit aller Welt zu verderben,
wenn er die zahlreichen, tief eingewurzelten Mißbräuche
Hofstaates gehofft hatte: Le rai est parvenu au tröne äans mn
momenf oä r^conomie ätait demanääe par U vwu g/n&ai de
son rayaume, ipais^ par les dissipaiions des derniers r^gnes, , * ,
II ne faut pas qae le rot ignart que les acclamations si gän^-
rales et si ßaUeuses qui ont Mat^ tors de son avinement^
ont iU dues en grande partie ä rapinian coHfue de lui ä
cei ^gard. . , , , De touies les ä^penses , celle $ur laquelle on
demandait le plus d'^conomie et de r^formatian, fftait celle de la
maison da roL Dans la guerre, la murine, les affaires /trangiras,
ett mime iemps qu^on demande la diminulion des d^penses^ on
craint uussi de dimtnuer les forces du royaame ; mais dans ta
maison da rai, an n'a pas la mime crainte, , , , La rifarmathn
des d^penses (dans la maison da roi) . , , ne peul itre rouvrage
d^un minist re; aar il faul qae le roi lui- mime consenle, avec con-
nalssance de cause, ä chacun des sacrifices quil faudra faire:
c^est celle gm donnera l'exemple de refconomie qa'il est si ntfces-
saire d'apporter dans les autres parties de i'administratiün. C'est
celU aussi qui ätablira sur une base solide le credit si n^ces saire
aux finances. Ce crädil renaUra ais^mentj quand an verra qae le
roi sait faire le relranckement sur lui-mime; sans cela^ les pro-
jels d'äconomie ne seront attribu^s qu^ä des ministres dont la for-
tune chancelante ne peut inspirer une confiance solide.
bm
K. Glagau»
im Holhalt ausrotten wolltet) Völlig mutlos aber wurde
Malesherbes erst dann, als er wahrnahm, daß der Leiter
des Ministeriums selbst, Maurepas, von der Reform des
königlichen Hofhalts nichts wissen wollte und sich alle
Mühe gab, Turgots dahin sich richtende Anstrengungen
zu durchkreuzen*
Daß diese Beobachtung für den Rücktritt des Haus-
ministers der entscheidende Anlaß wurde, berichtet uns
Mercy,^) Malesherbes, erzählt der Gesandte, wurde da-
') Den österreichiscbeti Botschafter suchte Malesherbes ver-
schiedene Male auf, um ihn über die Gesinnung der Königin zu
sondieren. Er wußte, daß es der ausgesprochene Wunsch Marie
Antoinettes war, Sartine den Posten des Hausministers zu über-
tragen, und wollte nicht wider ihren Willen das Amt annehmen.
Er behauptete Mercy gegenüber, ^daß die Königin dermalen in
Frankreich wirklich herrsche» Hieraus zog er den Schluß, daß er
das ihm antragende Departement weder annehmen, noch bei dem-
selben etwas Gutes stiften könne, es sei denn, daB er solches
mit der Genehmhaltung der Königin und durch ihre Hände über-
komme**. Wenige Tage später mußte ihn Mercy aufs neue be-
ruhigen pW^egen der gefürchteten Abneigung der Königin", .Er
hat mir gesagt, daß es ftira erste nötig sein werde, die in den
Bureaux des Herrn Duc de la Vrillifere (des vorigen Hausministers)
eingeschlichene Mlßwaltungen abzuschaffen. Nun aber hatte er
bei der ersten Einsicht befunden, daß unter den Beamten einige
mit den Kammerfrauen oder anderen Bedienten der Königin ver-
wandt wären, andere aber wirkliche Amter und Stellen bei Höchst-
ihrer Hofstatt an sich gebracht hätten. Sollten nun Ihre Majestät
sich gefallen lassen, dieselben gegen eine gerechte Ahndung 2u
schützen, so würde er gleich in seinen ersten Schritten gehemmt
und außer Stand gesetzt werden, das vorhabende Gute ^u stiften.*
Mercy an Kaunitz den 17* Juli 1775, Wiener Archiv»
•) Mercy an Kaunitr den 13. April 1776. — Auch Du Pont
berichtet, daß Maurepas einer Schmälerung des königlichen Hof-
staats von Anfang an abgeneigt war : Le roi porti ä V^conomle par
caracUre et par amour pour son ptuplt voulaU diminusr le faste
de sa cotir, fl avait riformd trois Cents chevaux, M. de Maurepas
, , , stf lalssa dire et räpätü au roi que les ä^penses de la caur
^ialent näcessatres pour danner V Impulsion au commerce; qae des
riformes trop grandes et trop pr^cipit^es feraienl tort öäj- mana^
factares; qu'une d^pense qui se faisait dans iHnlMtur de l'ätai
ne pouvait Jamals itre fort nulsible, et les autres iieux communs
si vagues qui, de tout temps, ont ätä le texte des apoiogistes du
iuxe. II arrita et refroidit ainsi cette premiire fervenr d'un jeune
et ton roi ei lalssa les personnes intdressäes aax d/penses exces-
<
4
fl
Turgots Sturz.
511
durch dermaßen irre gemacht, daß er mit aller Gewalt
sich seines Amtes begeben und nicht einmal im Ministerrat
seinen Sitz beibehalten wolle. Seiner Aussage nach wür-
den weder Turgot noch er je etwas Gutes zustande-
bringen können^ solange Maurepas die Hand mit ans
Werk legen würde. Nun sei aber Maurepas derjenige,
der sie ins Ministerium gezogen habe; mithin würde es
eine „aulgeiegte Undankbarkeit" sein, wider ihn zu ar-
beiten, und wäre demnach für sie kein anderes Mittel
übrig, als mit guter Art aus dem Spiele zu scheiden.
Turgot dagegen war kampllustiger und zäher als
sein rasch verzagender Freund. Sofort nahm er darauf
Bedacht, für Malesherbes, dessen Fahnenflucht er miß-
billigte, einen besseren Ersatz ausfindig zu machen. Er
faßte denjenigen ins Auge, der zwischen ihm und Mau-
repas die erste Anknüpfung vermittelt und seine Ernen-
nung zum Generalkontrolleur befürwortet hatte, den Abbd
de V<!ry, der, wie Mercy sich ausdrückt, ^vermöge seiner
persönlichen Lebhaftigkeit und Kühnheit am geschick-
testen sein dürfte, überall ungescheut einzuhauen"* Ging
doch Vdry mit seinen Ersparnisabsichten noch über Tur-
gots Wünsche hinaus: während dieser sich mit einer
Herabsetzung des königlichen Hofhaltes um 7 Millionen
begnügte, wollte der Abb^ gar 10 Millionen jährlicher
Ersparnisse herausschlagen.
Mercy äußerte gleich über die Aussichten dieser
Kandidatur seine Bedenken, da V^ry bei der Königin
sehr schlecht angeschrieben sei* Marie Antoinette dachte
vielmehr daran, den durch Malesherbes' Rücktritt frei wer-
denden Posten ihrem Günstling, dem Marineminister
Sartine, zuzuwenden* Daß diesen Turgot nicht für den
sives et au disotdre respirer, se reconnaitre^ reprendre courage^ se
Her dHntMt et d'inirigues^ former des commencements de partL
II laissa le gßät des d^penses fastueuses que rexemple dm rot
aliaii iteindre, continuer de rägner sur tes grands seigneurs et
sar ies gens riches^ mattlplier les besolns, entretenir ainsl la
cupiditä ginifraie. Peut-Stre n*en vii-il pas le danger. II est tris
vraisemblable qu*U n^envisagea que le plaisir de consoler les
dames de la cour ei de se faire louer par ellm/ Ktiiea a. a. 0.
II, 350 f.
it2
H. Glagau,
geeigneten Nachfolger seines Freundes halten würde, war
nach dem Widerstand, den er im vorigen Jahre bei der
gleichen Gelegenheit Marie Antoinette entgegengesetzt
hatte, mit Sicherheit vorauszusehen.
Vor allem aber kam es auf Maurepas* Gutbefinden
an. So eng er und namentlich seine Gemahlin, die
Gräfin Maurepas, mit V^ry befreundet waren^ er wollte
nichts von seiner Kandidatur wissen. Mit reger Eifer-
sucht blickte er auf das enge Bündnis, das Turgot mit
dem Abb^ zur Durchführung der Reform des Hofstaates
geschlossen hatte. Dürfen wir hier den Angaben Mercys*
der vermutlich durch Vermond über den Konflikt im
Ministerium aufs beste unterrichtet wurde, trauen, so er-
fuhr Maurepas durch einen unglücklichen Zufall von den
Hoffnungen und Absichten, mit denen sich V^ry trug»
Dieser hatte seinen Reformplan schriftlich entworfen und
Turgot zugestellt, der dann, als er Geschäfte halber bei
Maurepas zu tun hatte, aus Unachtsamkeit den Entwurf
des Abtes aus der Tasche verlor. So erhielt der leitende
Minister davon Kenntnis, und diese unangenehme Ent-
deckung soll ihn in seiner Abneigung gegen V€rys An-
wartschaft bestärkt haben.
Die Reformpartei begann Maurepas überhaupt wegen
ihrer einschneidenden Besserungsvorschläge von Tag zu
Tag unbequemer zu werden. Nicht nur bei den Höt-
Hngenj sondern auch in weiten Kreisen der Bevölkerung
regte sich gegen die Sekte der Ökonomisten immer
schärferer Widerspruch.^) Maurepas fürchtete für seine
eigene Stellung und gedachte, zumal da er die weitaus-
greifenden Pläne des ihm ohnehin verhaßten General-
kontrolleurs mißbilligte, diesen fallen zu lassen. So kam
es, daß er als Nachfolger Malesherbes' einen Kandidaten
in Vorschlag brachte, der nimmermehr Turgots Beifall
^) DaÖ die Reformpartei mit ihrern Programm in der Minder*
heit blieb, äußert auch Mercy: ^Die Nation ist in zwei Parteien
gespalten, deren die zahlreichste die Beibehaltung der vorigen
Gebräuche und Verwaltungsart verlanget, die zweite aber unter
Anführung eines königlichen Ministers auf unübersehbare Neue*
rungen abzielet.*^ Namentlich Paris galt als relormfeindlich.
I
I
I
I
I
Turgots Sturz.
513
haben konnte, den Finanzintendanten Amelot, einen un-
bedeutenden Mann, der als gefügiges Werkzeug in der
Hand des leitenden Ministers sich niemals zu den Reformen
im königlichen Hause, die der Generalkontrolleur ver-
langte, verstehen würdet)
Diese Kandidatur führte den gänzlichen Zerfall Tur-
gots mit Maurepas herbei* Mußte doch jener, falls Ame-
lots Ernennung wirklich erfolgte, an dem Gelingen der
finanziellen Reform, die auf Ersparnisse gestellt war, ver-
zweifeln. Es handelte sich für ihn um Sein oder
Nichtsein, um seine Ehre als Minister, um die Wohl-
fahrt des Königs und des Vaterlandes, Er war daher
fest entschlossen, alles dafür einzusetzen, um einen
reformfreundlichen Minister an Malesherbes' Stelle zu
bringen.^)
') Wahl» Vorgeschichte der Revolution S* 257 erwähnt die
beiden Kandidaten für den Hausministerposten, berührt aber mit
keinem Worte, warum Turgot sich gegen die Wahl Amelots er-
klärte und mit Eiler für V^ry eintrat. Die sachliche Frage, die
den Kernpunkt in dem Konflikt zwischen Maurepas und dem
Finanzminister bildete^ nämlich die von diesem geforderte Ein*
ächränkung der Ausgaben des Hofstaates, hat auch Wahl voll-
ständig übersehen^ ungeachtet des von ihm mit Recht sehr ge-
schätzten Berichtes von Du Pont, wo diese Seite ausdrücklich
betont wird; Knies IJ, 372: M, Turgat däsirait paar la maison
du rat un ministre avec tequel ii füt possible d'ex^c uter
la g ran de rä forme dont ii avaii fait te plan, M. de
Maurepas voalaii M. Amelot^ principaiement parce qu'il elalt äe's-
agre'able ä M. Turgot. Älors celui-ci^ convaincu qu' avec
M. Ämeiüt la r/forme de la maison du toi devenait
impossibtej risqtia le tout pour le tout^ et se erat ohlig^ maigri
l^affaiblissement de son credit de lutter poslUvement et formcUe-
ment contre M. de Maure pas,
*) Daß Turgot nicht unbedingt an der Kandidatur V^rys
festhalten wollte^ sondern sich auch einen anderen hätte gefallen
lassen, wenn von diesem nur die Reform des königlichen Hauses
zu erwarten gewesen wäre, ersieht man aus seinem Briefe an
Very vom 30. April 1776| wo es heißt; Oh! si voti& ^tiez icij vous
les (M. et Mme Maurepas J d^cidirlez du molns ä un chaix raison-
nable comme serait celui de M. de Fourqueux, Larcy, Louis XVI
et Turgot S* 874* — Sehr gut wird von Condorcet In dem Briefe
an Voltaire die schwierige Lage Turgots gekennzeichnet: H(MaU'
repas) savait qu*un€ räforme dans la däpense de la maison du
514 H. Glagau,
In diesem Sinne suchte er auf den jungen Monarchen,"
der das entscheidende Wort zu sprechen hatte, einzu-
wirken. Aber nicht in einer mündlichen Aussprachev son-
dern in vier umfangreichen Briefen setzte er Ludwig XVL
seine Wünsche auseinander, i) Leider ist uns nur das
letzte Schreiben Turgots erhalten.^) Aus seinen Anspie-
föi itaii nicBssaire; que sans cela, au Um de diminuer ies dettes
0t Ies impdtSf U faudrait Ies augmenter incessammentj et gut
M Turgot itait prit de präsenter au roi un memoire qui lui mau-
trerait r^tat de ses finances et la nicessH^ de r^ former la coiir^
si on ne vouiait ni se d^skonorer par une banqueroute^ ni se rendre
üdieux en ^crasant le peuple, H n'y aurait eu alors que deux
partis: an consentir ä la r^forme^ ou iaisser partir M. Turgat.
Le roi n'mmr pas U faste ; il a naturellement le sens assez droit;
son. dme n'est point encore carrampue ; ii est faible^ tnais sans
passions. II pouvait accepter le plan, et dis lors M. Targot
deveftait inattaqif^able* II ^tait donc näcessaire de pr^venir ce
moment, M. de Maure pas imagina d'instnuer au roi de prenärt
M. Ämelüt pöur minist re, Vous le connaissez : an ne lui rep röche
qu'une bitise au-dessus de Vordre commun; mais it itait ais^ de
privenir cette objection, Ce projet rdussit, et la r^ forme äevenant
impossible avec M: Amelot, il fallait, ou que M. Turgot quittät,
ou qu'il attendit jusqu'ä ce que V impossibilitä de payer sans faire
des manmavres malhonnHeSj te forfät ä s*en allen
') Daß es vier Briefe gewesen sind, die Turgot in den letzten
Tagen des April an Ludwig riehtetej entnimmt man einer Motiz
von der Hand Malesh erbest die Lion Say im Archiv der Familie
Turgot im Schlosse zu Lantheuil aufgefunden hat VgJ. Say,
Turgot S, 165 IL Malesherbes war von dem verwegenen Ton, den
Turgot dem König gegenüber anschlug, so betroffen, daß er als
Testamentsvollstrecker die Vernichtung der Briefkonzepte an-
ordnete.
») S. Larey, Louis XV! et Turgot S. 876 ff. — Ob das Schreiben
Turgots an den König, das Soulavie am Schlüsse des "dritten
Bandes der Mimoires du rigne de Louis XV! mitteilt (S* 426 ff.),
echt ist, wie Ldon Say annimmt, ob es a:u den vier Schreiben,
deren Vernichtung Malesherbes anordnete, gehörte, diese Fragen
wage ich bei der trüben Quelle, aus der es stammt, nicht ohne
weiteres zu bejahen. Es trägt wie das von Larcy wiedergegebene
Sehreiben nach Soulavies Angabe das Datum des 30. April und
enthält im Ton und in einzelnen Wendungen auffallende Anklänge
an den echten Brief, so daß es einen sehr glaubwürdigen Ein-
druck macht. Daß es zu den vier von Malesherbes vorgefundenen
Schreiben gehört^ möchte ich indes nicht annehmen, da es einen
Sonderfall, eine Intngue Sartines gegen Turgot und seinen ßruderi.
\
Turgots Sturz.
MB
lungen auf den Inhalt der vorigen kann man jedoch ent-
nehmen, was der Minister dort ausgelührt hatte: er hatte
dem König in ausführlicher Weise geschildert, in welche
bedrängte, ja verzweifelte Lage sein Finanzminister durch
den Widerstandj dem sein Reformeifer auf allen Seiten
begegne, geraten sei, wie er sich nur dann in seiner be-
drohten Stellung werde halten können, wenn ihm der
junge Monarch entschieden beistehen würde. Versäume
jedoch Ludwig, dies rechtzeitig zu tun, so würde er
nicht nur seine Minister, sondern vor allem die eigene
königliche Würde den Feinden der monarchischen Au-
torität, die Turgot vornehmlich in den widerspenstigen
Parlamentsräten erblickt, preisgeben. Daß es, um die
drohende Gefahr zu beschwören, namentlich auf Charak-
terstärke ankomme, suchte Turgot dem Könige an einem
naheliegenden Beispiele klar zu machen: er erinnerte ihn
an die ruhmlose Regierung seines Vorgängers Lud-
wig XV., der hauptsächlich durch Schwäche gesün-
digt habe.
Diese Mahnungen Turgots scheinen nicht auf frucht-
baren Boden gefallen zu sein. Bei einer Begegnung^
die der König am 28. April mit dem Generalkontrolleur
hatte, behandelte er ihn sehr ungnädig. Mit keinem Wort
ging er auf den Inhalt der Briefe ein, sondern beobach-
tete eisiges Schweigen.^) Trotzdem wagte Turgot auf
der eingeschlagenen Bahn weiterzuschreiten. In einem
vierten Briete, den er am 30, April an Ludwig richtete,
wiederholte er mit schonungsloser Offenheit seine War-
behandelt und nicht, wie vermutlich jene Briefe, die schwebenden
politischen Fragen im großen Zusammenhang erörtert*
*) Diese Tatsachen kann man den einleitenden Worten Tur*
gots in dem Schreiben vom 30. April 1776 entnehmen r Sire^ je
ne veujT point dissimuier ä Votre Majestä la plaie profonde qu*a
faite ä mon cceur le cruel sitence qu'Elle a gardi avec moit di^
manche dernier [30. April], apris ce que je Itti avals marqit/ avec
un si grand detail dans mes leltres pr^c^denies sur ma Position^
sur la sienne^ sur le danger que courent son autoriU et la gloir§
de son r^gne^ sur V impossibllU^ oä je me verrais de la servir^ si
eile ne me dannalt du secours. Votre Majest^ n'a pa$ daignd mt
räpandre.
516
H. Glagau,
nungen und Beschwerden. Ja, er ging weiter: er über-
schüttete den König mit den bittersten Vorwürfen wegen
der Gleichgültigkeit, die er seinen Ratschlägen gegenüber
an den Tag lege, und der Willfähngkeit, die er seinen
Gegnern zeige. Durchdrungen von dem hohen Wert
seiner Dienste und in schlecht verhehltem Tugendstolz,
vergaß Turgot völlig die dem Könige geschuldete Rück-
sicht, In gereiztem überlegenen Tone kanzelte er ihn
wie einen unreifen Schulbuben ab. Er scheute sich nicht
vor groben Kränkungen, so wenn er Ludwig seine Un-
erfahrenheit vorhielt: Voire Majesid m'a dit qu^Elie avatt
encare besoin de r^/lexian et qu'elle manquaii d'expi-
rience. Vous manquez d'exp^riencej Sire; Je sais qu'ä
vingi'deax ans ei dans votre position, vous n'avez pas
le ressaurce que Vhabiiude de vivre avec des ^gaux donne
aux particuliers pour juger les hommes, mais aureE-vous
plus d'exp^nence dans huit jours, dans an moist Ei
/aai'ii aitendre pour vous diterminer que ceite ejrp/rience
iardive söii arriv^ef Votis n'uvez point d'expdrience per-
sonneile, mais pour sentir la räalit^ des dangers de votre
posiiion, n'avez-vous pas l'expe'rience si r/cente de votre
aieul? Andere Bemerkungen in dem Briefe sind von
geradzu brutaler Offenheit, so wenn Turgot den Monar-
chen der Charakterschwäche zeiht und ausruft: ^N^out^liei
Jamals, Sire, que c^est la faiblesse qut a mis la täte de
Charles l^^ sur an biliot; c*esi la faiblesse qui a rendu
Charles IX cruel; c'est eile qui a forma la ligne saus
Henri lll, qui a fall de Louis Xlll, qui fait au/ourd'kui
du roi de Portugal des esclaves couronnds ; c'est eile qui
a fait tous les malheurs du dernier rigne.^ ■
So gern man auch beim Anblick dieser propheti-™
sehen Warnung, die sich ja leider an Ludwig XVI* er-
füllen sollte, Turgots weitschauendes Urteil bewundem
möchte, so wird man doch vor allem seine mangelhafte
Menschenkenntnis beklagen müssen. Er hatte darauf ge-
rechnet, den durch die Einflüsterungen seiner Gagner
schwankend gewordenen Monarchen bei der Sache der
Reform zu erhalten, indem er ihm die Zukunft in den
schwärzesten Farben malte und ihn zur Erkenntnis seiner
-J
Turgots Sturz.
517
r bedrohten Lage geradezu zwang. Durch rückhaltlose
Wahrhaftigkeit und nachdrückliche Entschiedenheit hatte
er den schwachen Willen des schüchternen Jünglings,
der sich seinem Einfluß entziehen wollte, noch einmal
zu meistern gehofft. Das Gegenteil der beabsichtigten
Wirkung trat ein. Er entfremdete sich den argwöhni-
schen König» der nichts mehr fürchtete, als in die Ab-
hängigkeit eines allmächtigen Ministers zu geraten. In
diesem Mißtrauen hatte Maurepas Ludwig bestärkt. Schon
oft hatte jener über Turgots despotische Neigungen sich
beschwert. Jetzt schienen die Briefe des Finanzministers,
die der König Maurepas zur Begutachtung vorlegte,
augenfällig zu beweisen, wie gerechtfertigt solche An-
klage war. Hatte Ludwig schon vorher keine Neigung^
nach den Wünschen des Generalkontrolleurs den Haus-
ministerposten zu besetzen, so vermochte ihn der ge-
bieterische Ton, in dem Turgot die Ernennung V^rys in
seinem letzten Briefe gelordert hatte, nicht umzustimmen.
Er entzog dem Finanzminister sein Vertrauen und lieh
den Ratschlägen Maurepas' ein williges Ohr.
So bedeutsam und folgenschwer das Schreiben Tur-
gots vom 30. April für die Entwicklung der Krisis ge-
worden ist, man muß sich hüten, seine Wirkung zu über-
schätzen. Wohl mag es den Fall des Finanzministers
beschleunigt, aber doch nicht eigentlich entschieden
haben. Als Turgot es abfaßte, da wußte er sehr wohl»
daß seine Stellung bereits erschüttert und der Reform-
eifer des Königs im Erkalten war.^) Er setzte also nicht
*) Wie wenig Turgot auf eine ihm günstige Wendung noch
zü hoffen wagte, geht aus verschiedenen Stellen seines Schreibens
hervor, so z, B, Larcy S. 878: Quoiqu'ii en soit, Sire^ II m*est sl
dSmonM que je ne pourrai pas rester seul et isole^ cmnme je le
suiSj que quand man äemir ne m'obligeraii pas ä vaus dire toute
la v4riti, je ne pourrai s avoir aumn iniirH ä vous la taire, \n
dem von Soulavie (lU, 428 f,) rnitgeteilten Schreiben Turgots an
den König heißt es noch deutlicher: Cette ann^e la reiraUe d§
M, de MalesfurbeSy la rdunwn la plus äMd^e de toas tes partis
contre mal, mon isolement absülUj Vinimiti^ asst^ connue de
M. de Mlrominll, son Inf lue nee sur M. de Maurepas ^ toat per-
suade que Je ne tlens qu'ä an fiL
518 H. Glagau,
allzuviel aufs Spiel, als er Ludwig an das Reformpro-
gramrn, auf das er sicti bei seiner Berufung ins Kabinett
verpflichtet hatte, erinnerte und seine Durchfüfirung ent-
schieden forderte. Es war vielmehr eine letzte ver-
zweifelte Anstrengung, den jungen Monarchen zu seiner
Auffassung zu bekehren. Scheiterte auch dieser Versuch,
so mußte Turgot seine Entlassung geben. Als er die
Vertrauensfrage stellte, hatte er wenig Hoffnung ^ eine
befriedigende Antwort zu erhalten.*)
Er war daher keineswegs bestürzt und überrascht,
als er am 10, Mai von Malesherbes erfuhr, daß Amelol
Hausminister werden sollte. Ihm blieb nun nichts übrig,
als zu gehen und Maurepas triumphieren zu lassen. Er
wußte, daß dieser auf seinen Rücktritt rechnete, und war
seinerseits auch entschlossen, das Feld zu räumen, nur
wollte er für die Sache der Reform des königüchen
Hauses noch eine Lanze brechen. ^// me faut peu de
jours,^ meldete Turgot damals dem Abb^ V^ry, „paur
meiire soas les yeux du rot le plan rfe r^/orme ämis sa
maiBon, II ne sera sürement pas adopt^^ et Je deman-
äerai ma libert^'''^) Aber zu der Vorlegung dieses
Reformplanes ließ ihn Maurepas nicht kommen. Wahr-
scheinlich hatte er davon Wind erhalten und eingesehen.
^) Mercy berichtet uns in den Depeschen vom 13. AprO
und 16. Mai r776| daß Turgot zu wiederholten Malen selbst tind
einmal durch Malesherbes dem König die Kandidatur Vdryg habe
empfehlen lassen, aber immer vergeblich, da Maurepas und dte
Königin seine Absichten gekreuzt hätten. Wahrscheinlich hat
der Generalkontrolleur erst nach diesen fehlgeschlagenen Ver*
suchen sieh anheischig gemacht, in ganz ausführlichen Schreiben
den König von der Notwendigkeit der Wahl eines reformfreund*
liehen Hausministers zu überzeugen.
') S. Larcy a, a. O. S. 874, Turgots Brief an V^ry vom 10, Mai
1776. Auch Mercy berichtet uns von der Abfassung des Turgot-
sehen Relormplanes, an dessen Vollendung der Minister durch
meine plötzliche Entlassung gehindert worden sei. Mercy an
Kaunitz den 16. Mai 1776. Den Grund, durch den Maurepas ver-
anlaßt wurde, Turgots Abdankung möglichst zu beschleunigen,
scheint mir übrigens Condorcet zutreffender als Mercy anzugeben.
Vgl Condorcet, (Etivres I, 120 f.
Turgots Sturz.
519
wie bedenklich es wäre^ wenn der Generalkontrolleur
seinen Rücktritt mit dem Widerstand, dem seine Er-
sparnisabsichten begegnet seien, rechtfertigen würde. Er
stellte daher dem König vor, es sei besser, den Finanz-
minister zu entlassen, als zu warten, bis er seinen Ab-
schied fordere.
Überblickt man den Verlauf der Krisis im französi-
schen Kabinett, die mit dem Ausscheiden der beiden
Reform minister ihren Abschluß fand, so bildet das ent-
scheidende Moment der Umstand, daß der leitende Minister
sich mit einem der Hauptpunkte des Turgotschen Pro-
gramms nicht einverstanden erklärte. Malesherbes ging,
als er merkte, daß Maurepas der geplanten Reform des
königlichen Hauses Hindernisse in den Weg legen wollte.
Turgot aber entschloß sich, den Kampf offen aufzuneh-
men und die Durchführung des Grundgedankens seiner
Finanzpolitik zu erzwingen. Als ihn dann auch der
König ungeachtet seiner früheren Zusagen in Stich ließ,
mußte er wie sein Freund aus dem Ministerium scheiden.
Ob er den Abschied freiwillig nahm oder entlassen wurde,
ist dabei eine Frage von nur untergeordneter Bedeutung.
Lehrte doch die Folgezeit, daß die Mission Turgots und
der Anhänger der Staatsrelorm so gut wie vollständig ge-
scheitert war Ihren Gegnern gelang es nicht nur, den
Fortschritt der Finanzreform zu hemmen, sie setzten
auch die Zurücknahme der hauptsächlichsten Edikte Tur-
gots durch. Allerdings sollte dieser Triumph der kon-
servativen Richtung nicht von langer Dauer sein. Denn
die physiokratischen Reformideen erschienen sehr bald
wieder auf der Tagesordnung, um nicht wieder von ihr
zu verschwinden. Ja, eben die Forderung, die Turgot
mit der größten Entschiedenheit vertreten hatte und über
die er gefallen war, die Reformbedürttigkeit des könig-
lichen Hauses, tauchte sehr bald wieder unter Necker
auf, und wenige Jahre später waren es sogar die kon-
servativen Elemente, Notabein und Parlamente, die mit
lauter Entrüstung die Ausrottung der Mißbräuche im
520 H, Glagaw,
königlichen Hofhalt forderten. Welche Einbuße erlitt dti
das königliche Ansehen, als der Hof unter dem Druck
der öffentlichen Meinung endlich in die Bahn einlenkte»
die ihm ehedem Turgot und Malesherbes gewiesen
hatten I ^
VIL "
Man pflegt den Sturz Turgots als ein Ereignis ledig-
lich der inneren Politik aufzufassen und darzustellen. Hat
aber nicht auch die große Wendung in der französischen
Machtpolitik, die sich gerade im Frühling des Jahres 1776
deutlich ankündigte, der bevorstehende Kampf gegen
England an der Seite der nordamerikanischen Kolonien,
auf die Gestaltung der inneren Verhältnisse nachdrück-
lich eingewirkt und den Entschluß in Ludwig XVI.^ sich
von dem Reformminister zu trennen, vielleicht sogar her-
vorgerufen ?
Es ist ja bekannt, daß Turgot wenige Wochen vor
seiner Entlassung ein umfangreiches Gutachten in der
amerikanischen Frage abgegeben hat, worin er sich gegen
jede Teilnahme an dem Freiheitskriege entschieden er-
klärte- Auf einem Irrtum, der in der historischen Lite-
ratur noch weit verbreitet ist^), beruht es aber, wenn
angenommen wird, daß der Generalkontrolleur dieses
Votum zur Unterstützung der von Vergennes eingeschla*
genen Richtung abgegeben habe. Gerade das Gegenteil
') Wilhelm Oncken in seinem Zeitalter Fnedrichs des Großen
ü, 597 i u, \% 716 und Jobez, La France soas Louis ÄVi, I, 48 r L
urteilen in dieser Weise» was um so merkwürdiger ist, als doch
Bancroft im 8. Bande seiner History of tke United States S. 328 ff^
der 1860 erschienen ist, schon lange unter Mitteilung eines wört^
liehen Auszugs aus Vergennes' Considärations auf den scharfen
Gegensatz^ der in der amerikanischen Frage zwischen dem Finanz-
minister und dem Minister des Äußern obgewaltet hat, sehr nach-
drücklich hingewiesen hat* — Inzwischen sind wir durch die von
Henri Doniol besorgte Veröffentlichung der einschlägigen diplo«
matischen Akten in der fünf band igen Histoire de ia participatiom
de tu France ä V^tabHssement des £tats-Unis d^Am^riqae (Paris
1886 ff.) in der glücklichen Lage» die Entwicklung der amerikani-
schen Frage im französischen Kabinett von ihrem Ursprung bia
zu ihrer Lösung genau beobachten zu können.
Turgots Sturz,
SZl
ist der Fall: Turgots Vorschläge bewegten sich in scharfem
Widerspruch zu den Considdrations, die der Leiter der
auswärtigen Politik dem König und dem Ministerrat be-
züglich der amerikanischen Frage vorgelegt hatte» Und
in diesem Widerstreit zwischen dem Generalkontrolleur
und Vergennes traten sowohl der König wie die übrigen
Staatssekretäre dem Ressortminister bei. Durch eine
solche Entscheidung aber wurde Turgots Stellung aufs
schwerste erschüttert* Richtete sie sich doch ebenso wie
die Frage der Reform des Hofstaates gegen den Grund-
gedanken seiner ganzen Finanzpolitik. Denn an eine
Herstellung des Gleichgewichts zwischen Einnahmen und
Ausgaben war natürlich in Kriegszeiten nicht zu denken.
Wir holen etwas, was lange versäumt worden ist, end-
lich nach, wenn wir hier nach Rankes bewährtem Rat
den Einfluß der nach außen gerichteten Machtbestrebungen
eines großen Staates auf den Gang der inneren Politik
an einem augenfälligen Beispiel verfolgen und nach-
weisen.')
Neben der Staatsreform hatte der junge Herrscher,
der 1774 die Regierung in Frankreich antrat, noch eine
andere wichtige Aufgabe zu lösen, eine Aufgabe, deren
Bewältigung der öffentlichen Meinung viel dringender
erschien als jede andere: es handelte sich um die Her-
stellung des politischen Ansehens des Staates. Die
Schmach des Friedens von Paris, durch den es seine
wichtigsten Kolonien in Indien und Nordamerika an Eng-
land verlor, hatte Frankreich zu einer Macht zweiten oder
dritten Ranges herabgedrückt. Das Kabinett von Versailles,
ehedem der Mittelpunkt des politischen Europa, wurde
jetzt beiseite geschoben und nicht mehr befragt. Die
Ostmächte wagten es, einen wichtigen Bundesgenossen
Ludwigs XV., den König von Polen, zu berauben, ohne
*) Auch Doniol hat es unterlassen, danach zu fragen, inwie-
weit Turgots ablehnende Haltung in der amerikanischen Ange-
legenheit sein Ausscheiden aus dem Ministerium mitveranlaßt hat,
ebenso Wahl, der überhaupt die auswärtige Politik durchaus als
Cfuantil^ n^gligeabU behandelt und nur mit einem gelegentlichen
Seitenblick streift.
Historiscbe Zeitschrüt (97. Bd) X Polge I. Bd>
Si
522
H. Glagau.
sich um die Proteste der französischen Regierung irgend-
wie zu kümmern.
Niemand empland diese politische Ohnmacht des
Vaterlandes schmerzlicher als der Mann, dem Ludwig XVI.
die Leitung der auswärtigen Geschäfte übertrugt Graf
Vergennes, ein geschmeidiger, behutsamer, sehr gewiegter
Diplomat, der unter der Maske, als sei es sein ein2iges
Geschäft, Frankreich den Frieden zu erhalten, begierig
nach dem Augenblick ausspähte, wo er an dem Erbfeind,
dem hochmütigen Albion, den Schimpf des Pariser Frie-
dens rächen konnte.^)
Dieser Augenblick schien gekommen, als der Streit,
der sich zwischen den amerikanischen Kolonien und dem
Mutterlande erhoben hatte, immer unversöhnlicher wurde
*) Vergennes selbst hat später in einem Rückblick auf seine
Politik den Grundgedanken, der ihn Leitete, folgend erm aßen ge-
kennzeichnet: ^l£ suffii de Hre h traiU dt Paris et smrtaai (es
n^gociaiiöns qui Vont pr^cM^y pour connattre Vascendani qm
l*Angleterre avaii pris sur la France, pour juger combien cetU
arrogante palssance savourait le plaisir de naus avoir humiliäs;
pour acqu^rir de nouvelles preuves de l^injnsiice syst/fnatique dm
cabinet de Saint-James; enfin pour y puiser tin sentimeni
d^ Indignation et de vengeance gue le seut nom am-
glais dolt inspirer ä tout Franpais palriote
Je ne crains point de le dire, Sire, ane nation peut iprouver
des revers et eile doit däer ä la lol imp/rieuse de la nicessltr
et de sa propre conservation ; mais lorsque ces revers et Vku-
miliation qiti en a räsalti sont injustes^ lor&quHls ont eu poar
principe et pour btit i'orgueil d^un rival infiuent ^ eile doit
pour son honneur^ pour sa dignitä, pour sa consldäratlonf elte
doit s'en relever lorsqu'etle en trottve l*accasi&n,
Si eile la nigUgeait, si la crainle temporte sur le äevoir, eile
ajotite i'avilissement ä i^hamiliation, eile devlent Vohjet du mäpris
de son siäcle comme des races fatures. Ces importantes veriHs^
Sire, n'ont Jamals quitt^ ma pensäe , elles /latent da ja profondi-
ment graväes dans mon cotar larsque K M. m'appela dans son
Conseil et j^attendis avec ane vive impatience l*acca-
sion d'en suivre l^ Impuls Ion, Ce sont ces ^nimes
väritäs quiontfixämon attention sur tes Ame'rieains;
ce sont elles qui m^ont f alt /pier et saisir le moment
oä V. M. pourrait assister cette nation opprimäfi
avec l'espoir bien fondä d'effectmer teur äälivramce^
Doniol U 3 l
n
4
Turgots Sturz.
und schließlich Englands Kräfte vollkommen in Anspruch
nahm. Allein Vergennes sah ein, daß er zunächst nicht
daran denken dürfe, Frankreich in diesen Kampf unmit-
telbar eingreifen zu lassen, da seine Finanzen zerrüttet
und seine Marine in einem geradezu trostlosen Zustand
der Vernachlässigung waren.^) Auch wagte er nicht gegen
England vorzugehen, ohne der Beihilfe Spaniens sicher
zu sein.
Wie schwer jedoch dem Minister diese notgedrungene
Zurückhaltung wurde, wie ernstlich besorgt er war, Frank-
reich könnte die außerordentlich günstige Gelegenheit,
den Erbfeind zu demütigen, verstreichen lassen, ersieht
man deutlich aus einer R^ßexions betitelten Denkschrift,
die er Ende Dezember 1775 entwarf und wahrscheinlich
Maurepas und dem König vertraulich mitteilte,^) Hier
tritt Vergennes unumwunden für die Unterstützung der
Amerikaner, ja für den Krieg gegen England ein. Würde
Frankreich die Kolonien nicht unterstützen, so würden
sie wahrscheinlich unterliegen, Frankreichs Untätigkeit
aber käme dem Erbfeind sehr zustatten, dem Erbfeind,
den man auf alle Weise schwächen müßte* Wie leiden-
schaftlich und unversöhnlich ruft Vergennes zum Kampfe
auf: L'Angleterre est tennemi naturel de la France; et
eile est un ennemi avide^ ambitieuxy injuste et de mau-
vaise foi: l'öbjet invariable et chiri de sa politique est,
sinon la destruction de la France, du moins son abaisse-
ment, son hamiliation et sa rulne, . » Ces dispositions,
jointes au soin gue la France doit prendre de sa propre
conservation, l^autorisent et m^me IHnvitent ä saisir lautes
les occasions passibles pour affaiblir les forces et la
puissance de l* Angleterre^ tandis que de Fautre la poli-
tique lai en fall un devoln
*) Das gesteht Vergennes in einem Briefe ein, den er am
31. Oktober 1774 an den französischen Botschafter in Madrid, den
Marquis d^Ossun, nchtete i des finances ä rMabiir^ une marine ä
reprenäre dans ses premiers fondementSj taut ceia ne peui man^
quer d'Üre lang et de demandtr une certaine suite d^annäes.
Doniol 1, M,
«) Doniol I, 242 ff.
34*
Die Erhaltung des Friedens hält Vergennes unter
aüeri Umständen für ausgeschlossen, ob man den Ameri-
kanern helfen würde oder nicht Denn gelingt es den
Amerikanern, die Unabhängigkeit zu erlangen, so wird
sich England durch die Eroberung der franzosischen and
spanischen Kolonien zu entschädigen suchen, unter dem
Vorwande» die Franzosen hätten den Amerikanern Hilfe
geleistet. Aber auch wenn die Engländer die Aufstän-
dischen unterwerien, wird es wahrscheinlich über Frank-
reich hergehen* So werde man auf alle Fälle Krieg mit
England haben: Ainsi, sous qaeique poini de vue qu^on
envisage flssue des difßrends de fAmSrique ei quelie
que soii notre conduite dans ceite conjoncture, eile ne
saurait nous garanUr ia dur^e de la paix; nous ne pou-
vons donc pas prendre sa conservaiion poitr base de notre
poliüque, et dis que la nature m^me des choses, sous
quelque poini de vue qu'on renvisage, semble devoir nous
conduire ä la guerre, la prudence veut que nous präpa-
rions d'avance les moyens de la faire avec succ^s et avec
avantage: on ose penser que les plus essentiels de ces
moyens seraient de s'assurer des Calonies ei de faire en
cos de besoin cause commune avec elles.
Diese Denkschrift vom Ausgang des Jahres 1775
enthält unter der harmlosen Aufschrift: Riflexions das
kriegerische Programm des Ministers des Auswärtigen,
an dessen Durchführung er mit zäher Energie in den
nächsten Jahren gearbeitet hat, indem er alle Hindernisse,
die sich seinem Lieblingsgedanken in den Weg stellten,
nach und nach hinwegzuschieben oder zu umgehen
wußte* Der erste, der Vergennes entschlossen entgegen- ■
trat und den er zu besiegen hatte^ war Turgot. |
Anfang März 1776 übersandte Vergennes dem König
eine ausführliche Denkschrift, in der er die Haltung, die
Frankreich und Spanien im Angesicht des englisch-
amerikanischen Krieges zu beobachten hätten, eingehend
erörtertet) Diese Denkschrift, die den schlichten Titel
Consid&ations führte, sollte der Monarch, falls er sie der
') Doniol 1, 271 It Das Schreiben Vergennes' ist undatiert
r
Turgots Sturz.
525
Beachtung würdig finde, denjenigen Ministern abscfirift-
iich zugehen lassen, die er zu einer gemeinsamen Be-
ratung über die amerikanische Frage vor sich zu be-
scheiden gedächte, um von ihnen vorher schriftlich ihre
Ansicht zu hören, *
So maßvoll Vergennes* Sprache in diesen „Erwä-
gungen^ im Vergleich mit den Ausführungen der R^~
flexions auch auf den ersten Blick erscheint, man wird
sich nicht darüber täuschen lassen: das Ziel, das der
Minister verfolgte j war im wesentlichen das gleiche; er
wollte den unschlüssig zaudernden König in den Kampf
mit England hineinreißen. ^) Auch hier stellte er die Mög-
lichkeit^ den Frieden zu erhalten, als im höchsten Grade
ungewißj den Krieg als den wahrscheinlichsten und vor-
teilhaftesten Ausweg hin: de lautes ies conjectures vrai-
semblabies gue la circonsiance peut aatoriser, la moins
apparente est celle que la paix puisse itre conservde^
quelle que sott l'issue de la guerre actuelle entre fAn-
gleierre et ses calonles. Er schilt die „maßlose Friedens-
liebe*', die nur dazu angetan sei, England noch anmaßen-
der und dreister in seinen Forderungen zu machen* In
den lockendsten Farben malt er die Vorteile aus, die den
Königen von Frankreich und von Spanien ein kriegeri-
scher Entschluß bieten würde: Si Ies dispositions de ces
deux princes ^taieni guerriires, s'ils Hatent disposis ä
se livrer ä Vimpahwn de leurs int^räts . . . , // faudraii
Sans daute leur dire que la Providence a marqui ce mo-
meni pour l'humlliation de VAngleterre, qa*elie l'a frap-
pie de taveuglement qut est le pticurseur le plus certaln
de la destruction, et quHl est iemps de venger sur cette
na Hon ies menaces qu'elle a f altes de puls le commence-
meni du stiele ä ceux qui oni eu le malheur d^iire ses
valslns ei ses rmaux; il faudralt alors ne nigllger aucun
') Treffend urteilt daher Lecky (Ä History of England in the
eighteenih Century IV, 39) über die Tendenz der Denkschrift Ver-
gennes'j wenn er sagt : // was written in a tone of extreme kosti-
^tity to England, and alt hau gh it affected to deprecate a war^ its
whöle tendency was to arge the. government ta a more direcUy
aggressive poHcy.
526 K. Glagau,
des moyens possibles paar rendre la campagne prochaim
mussi viv€ gu'il se pourrait, et pour procurer des avan-
iages aux Amäncains. Le degri d'acharnemenf ei d'epuise*
menis des deux partls qui en risuUeraii diierminerait
alars l^instani de /rapper des coups dicisiß gut feraiertf
rentrer l'Angieierre dans r ordre des puissances secon-
dairesj iui raviraient Vempire qu'elle prUend exercer dans
les qaatre parties da monde avec autuni d^orgueil que
d'injusHce, et dilivreraient Vunivers d'un tyran avide
qai veat ä la fois engloaiir taut le pouvolr ei ioaies les
richesses*
Allein Vergennes sieht ein, daß die verbündeten
Monarchen zur Voülührung dieses Programms leider
noch nicht gerüstet und auch zu aufrichtige Friedens-
freunde sind. Dennoch dürfen sie nicht mehr die Hände
in den Schoß legen. Ist doch der Augenblick zum Han-
deln gekommen. Der Minister schlägt daher zwei Maß-
nahmen vor, die sie über die Linie der bisher strikt ein-
gehaltenen Neutralität hinausführen sollen, einmal die
geheime Unterstützung der Amerikaner, dann die Ver» ^
Stärkung und teilweise Mobilisierung der Flotte. fl
Am 12. März 1776 sandte Vergennes auf Geheiß ™
Ludwigs XVL seinen Kollegen Maurepas, Sartine^ St.
Germain und Turgot je eine Abschrift der Consiäiraiians
mit dem Ersuchen, sobald als irgend möglich — denn
der König von Spanien warte auf die Entschtießungen
seines Bundesgenossen — dem König ihr Gutachten
zuzustellen.
Des Kriegsministers und des Marineministers war
Vergennes sicher. St. Germain pflichtete schon am
15, März in einer kurzen Note dem Inhalt der Conside-
rations bei.^) Ahnlich wird Sartines Antwort gelautet
haben. Sie ist uns nicht überliefert, wir wissen aber,
daß er ein aufrichtiger Anhänger der amerikanischen
Politik Vergennes' war 2)
') Doniol I> 280.
«) Bancroft VIII, 341 f., Doniol I, 284. Auch Du Pont be-
richtet, daß Sartine von ganzer Seele den Krieg wünschte. Knie«
a. a. 0. il, 38L
I
I
r
Turgots Sturz.
527
Sehr viel kam auf die Meinung des Leiters des Ka-
binetts an. Man hat geglaubt, daß Maurepas wie Turgot
eine kriegerische Verwicklung gefürchtet und wenn irgend
möglich zu vermeiden gewünscht habe.^) Aus seinem
Gutachten aber geht hervor^ daß er nicht nur Vergennes'
Vorschläge unterstützt hat^ sondern noch über sie hin-
ausstrebte. Er betonte» daß es noch niemals eine so
günstige politische Lage wie die gegenwärtige gegeben
habe, wo namentlich die gedrückte finanzteile Verfassung
Englands zu einem Angriff einlade. Seien doch außer-
dem die Verhältnisse in Europa so beschaffen, daß es
dem Gegner nicht glücken würde, sein beliebtes Mittel,
eine Macht des Festlandes gegen Frankreich auszuspielen,
mit Erfolg anzuwenden: Toutes ces considiratiöns ri-
unies pourraient donc porter d conclure m^me ä Vöffen-
sivej comme le seul mayen de rUabllr nötre marine d'une
pari et de tauire d^affaiblir celle de l^ Anglelerre^ ei
comme ie seul mayen d^assurer paar longtemps la paix
du Coniinent qui n'a Jamals ii6 iroublee que par leurs
inirigues ou ieur argeni. Indessen würde man mit
Rücksicht auf die Finanzlage von einem Angriffskrieg
besser absehen; wären doch schon bedeutende Geld-
mittel erforderlich, um die französische Flotte für den
Fall der einfachen Defensive » die wahrscheinlich den
Krieg im Gefolge haben würde, in den nächsten Jahren
auszurüsten.
Wir erfahren nicht, an welchem Tage Maurepas diese
Antwort dem König überreichte.^) Jedenfalls wird der
erfahrene Minister damit nicht so lange gezögert haben
wie der Generalkontrolleur, Ungeachtet der Weisung
Vergennes*, nach der das vom König geforderte Gut-
achten die größte Eile habe, ließ Turgot Woche auf
Woche verstreichen* Ludwig begann schon, wie wir von
Mercy erfahren, seine Ungeduld zu äußern und ungnädig
') So z. B. Bancroft VIH, 341.
') Das Gutachten trägt kein Datum und keine Unterschrift,
OJe Gründe, die Doniol, der es zuerst aufgefunden hat, für die
Verfasserschaft Maurepas^ geltend macht, scheinen mir über-
zeugend zu sein. VgL Donioi l^ 284 ff.
628 H. Glagau,
zu werden. ^) Endlich, nach fast vier Wochen, am 6. Apiil^
übergab der Finanzminister ein Schriftstück, das sich
schon durch seinen unverhältnismäßig großen, fast buch-
artigen Umfang von den kurzen Äußerungen seiner Kol-
legen unterschied. Er wollte eben die durchaus ab-
weichende Auffassung, die er von der Behandlung der
amerikanischen Frage hatte, möglichst eingehend und
überzeugend begründen.^)
Während Vergennes den Krieg mit England beinahe
für unvermeidlich hält, erscheint Turgot ein solches Er-
eignis fast ausgeschlossen- Denn gelänge es Englandp
die Kolonien nach einem jahrelangen, höchst anstrengen^
den Kampfe endlich zu unterwerfen, so würde es den
Sieg teuer genug erkaufen und sich dabei vollständig
erschöpfen. An andere Unternehmungen wie an die Er-
oberung der spanischen und französischen Besitzungen
würde es daher vorläufig nicht denken können, zumal
da es mit der Wiederholung der Autstandsversuche zu
rechnen und dieser durch Unterhaltung starker Besatzun-
gen vorzubeugen haben würde. Aber auch im Falle des
Unterliegens glaubt er, daß England außerstande sein
würde, Frankreich und Spanien zu bekriegen, weil es
seine Machtmittel im Kampf mit den Kolonien verbraucht
haben würde.
Hatte Vergennes vornehmlich hervorgehoben, wie
überaus günstig es für Frankreich sein würde, die be-
drängte Lage des Nachbarn zur Vergeltung an ihm für
früher erlittene Unbilden auszunutzen, so warnt Turgot
au! das eindringlichste vor einem Angriff auf England.
Denn würde ein solcher Überfall dem englischen Mini-
sterium nicht vielleicht die höchst willkommene Gelegen-
heit bieten, von seinen Forderungen gegenüber den Auf-
ständischen abzulassen, ihnen annehmbare Bedingungen
zu gewähren und sie zu versöhnen? Und würden ander-
seits die Kolonien, die durch Bande der Blutsverwandt-
schaft mit dem Mutterlande verknüpft seien, sich nicht
^) Mercy an Kaunitz den 16. Mal 1776,
*) Vgl den Abdruck von Turgots Denkschrift In den von
Daire besorgten Oeuvres II, 551—585.
4
1
Turgots Sturz*
529
an die PHichtenj die ihnen dieses Verhältnis auferlege,
erinnern und dem bedrohten England zu Hilfe eilen
wollen ?
Turgot glaubt also weder an die Kriegsgefahr noch
an einen möglichen Nutzen, den Frankreich aus einem
Überfall des bedrängten Gegners ziehen würde. Er ist
vielmehr der Meinung, daß der König keinen besseren
Gebrauch von der Verlegenheit des Nachbarn machen
könnte^ als wenn er die Fnedenszeit zur Vornahme drin-
gender und umfassender Reformen im eigenen Staate
verwende. Als die dringlichste Aufgabe erscheint ihm
die Herstellung geordneter Finanzverhältnisse durch die
allmähliche Beseitigung des jährlichen Fehlbetrags* Über-
schritten doch trotz der Ersparnisse und Verbesserungen
die Ausgaben die Einnahmen noch um 20 Millionen.
Auf dem eingeschlagenen Wege müsse man unbeirrt
und standhaft weiterschreiten und alle überflüssigen Aus-
gaben streichen: La voie de Viconomie est possible; ii
ne faui paar cela qu*une voianti ferme. La premUre
iconomie döit itre ceile des dipenseSj parce qu'elle seuU
peut fonder ia confiance du public. Aber neben der
Ordnung des Staatshaushaltes gebe es noch andere be-
deutende Aufgaben, wie die Herstellung des Heeres und
der Marine^ die der König beim Antritt der Regierung
in einem schier unglaublich vernachlässigten Zustande
vorgefunden habe.
Aus dem ihn überall leitenden Gesichtspunkt der
notwendigen Reformarbeit in den meisten Gebieten der
Staatsverwaltung bezeichnet Turgot einen etwaigen Krieg
für das größte Unheil, das Frankreich gegenwärtig treffen
könnte, da er für lange Zeit, ja vielleicht für immer die
Beseitigung der eingerissenen Mißbräuche verhindern
würde. Um seine Kräfte mit dem Erbfeind erfolgreich
messen zu können^ dazu muß der Staat erst erstarken.
Heute ist er noch nicht reif zur Erfüllung einer solchen
Aufgabe. En faisani un usage primaturi de nos forces^
nous risqaerions d'iterniser notre faiölesse^)
*) Friedrich der Große kennzeichnete im Jahre 1776 sehr
richtig den Zuatand Frankreichs , als er seinem Geschäftsträger
fiao H. Glagau,
Weit Frankreich triftige Gründe hat» einem Kriege
möglichst aus dem Wege zu gehen, so muß es auch in
der Wahl der Vorsichtsmaßregeln, die es vor einem nach
Turgots Ansicht nicht zu besorgenden Überfall von seiteti
Englands trifft, äußerst behutsam zu Werke gehen: man
darf den Gegner nicht durch die Vornahme von um-
fassenden Rüstungen stutzig und argwöhnisch machen;
man muß sich hüten, ihn zum Kamp! herauszufordern.
Darum verwirft der Finanzminister die von Vergennes
vorgeschlagenen Maßregeln als zu bedrohlich und Auf-
sehen erregend. Er widerrät es, nach den französischen
Kolonien Truppenverstärkungen und ein Geschwader zu
senden, einmal weil diese Maßnahmen ungeheure Kosten
verursachen und den jährlichen Fehlbetrag erhöhen, zum
andern weil sie von selten Englands stärkere Rüstungen
und schließlich den Ausbruch des Krieges hervorrufen
würden. Turgot tritt wohl für eine Hebung der See-
streitkräfte und für die Ausrüstung von zwei Geschwadern
in Brest und Toulon ein, schärft aber ausdrücklich ein,
daß diese Vorbereitungen möglichst unauffällig getroffen
werden sollten, und daß man nur dann offen rüsten dürfe,
wenn wirklich Gefahr im Verzuge sei. // faut sutioui
iviier toui ce qui peui donner irop d'alarmes, . * Je crok
essenUel de ne rien pticipHerf . . , si ce n*est iarsque naus
aurions Heu de croire, par la conduite de i'Angleterre,
qite cetie puissance songe veriiahiemeni ä nous atiaquer.
Wie gegen die vorzeitige kostspielige Mobilisierung
der Flotte wendet sich Turgot mit Entschiedenheit gegen
einen anderen Vorschlag Vergennes\ der Frankreich über
die Linie der strikt eingehaHenen Neutralität hinausführen
und vermutlich in Kriegsgefahr bringen würde, gegen
die Unterstützung der Aufständischen mit französischem
Gelde* Ein solcher Schritt, geschähe er auch noch so
heimlich^ würde sich kaum verbergen lassen, und wenn
in Paris, Sandoz Rollin, schrieb : La Frana me parati ressemhier
beaucöup ä un malade qui sort ä'une griive malaäie et qui veut
cepenäant faire le vigoureux; mais ie wai est que, pu son etat dt
faibtesser eile n'impose ä personne pur ses airs de viguear ei de
forces. Angeführt von Doniol 1, 446*
Turgots Sturz*
S3I
I
er ruchbar würde, gerechtfertigte Beschwerden der Eng-
länder zur Folge haben-
Man sieht leicht ein: wie Turgot von ganz anderen
Voraussetzungen ausging als Vergennes, wie er die poli-
tische Lage grundverschieden von dem Minister des
Auswärtigen beurteilte, so mußten auch die Maßnahmen,
die er empfahl, vollständig abweichen. Unvermittelt
klafften die Widersprüche zwischen den Gutachten der
beiden Minister, weil der eine, seinem Ressort entspre-
chend, nur für die Entfaltung der äußeren Machtmittel
des Staates Sinn zeigte und die inneren Schwierigkeiten
unberücksichtigt liefl^), während wiederum der andere
diese allein im Auge behielt und forderte, daß die aus-
wärtige Politik ihnen Rechnung zu tragen, sich ihnen
unterzuordnen habe*
Daß auch Turgot in seinem Reformeifer über das
Ziel hinausschoß, lassen die Ausführungen erkennen, die
er der Kolonialpolitik im Anschluß an den amerikanisch-
englischen Konflikt widmete- Er ging hier, ganz durch-
drungen von seinen physiokratischen Anschauungen, so
weit, den Wert kolonialen Besitzes für Frankreich über-
haupt zu leugnen* Brächten doch die Niederlassungen
dem Staat nicht nur keinen irgendwie nennenswerten
Gewinn, sondern auch keinen wirklichen Machtzuwachs.
Vielmehr sei man oft gezwungen gewesen, um sie im
Kriege zu behaupten, seine Streitkräfte zu teilen und zu
verzetteln. Nach Turgots Ansicht wäre es am besten,
wenn Frankreich seinen Kolonien die Freiheit schenkte
und sie unter eigener Verwaltung ließe, zumal da er den
Zeitpunkt voraussieht, wo sie sich wie Jetzt die Nord-
amerikaner vom Mutterlande losreißen würden: Sage et
heureuse sera la nation, qui, la premiire^ saura plier sa
politique aux circonstances noavelles^ qui consent ira ä
*) War einmal der Krieg erklärt, so war es nach Vergennes'
Ansicht nicht schwer, Geldmittel aufzutreiben. Am 14. Juni 1776
schrieb er in diesem Sinne an den französischen Botschafter in
Madrid: la guerre autorise chez nous des crues d'impositions
qit^on nt pourrmit ^tablir tn temps de paix sans trap faire mur^
murer* Doniol [^ 438,
932 H. Offtgau,
I
ne voir dans ses colonies que des provinces allües, ei
non plus sa/eiies de la milr&polef Jedenfalls sollte der
König sich vor einer Oberschätzung der kolonialpoliti*
sehen Interessen hüten und ihnen nicht unverhäEtnismaßige
Opfer bringen.
So stellt sich uns Turgots Denkschrift als ein be-
redter Protest gegen die kriegslustige Vergeltungspolitik
Vergennes* dar, als ein energischer Versuch ^ die er-
wachende nationale Leidenschaft gegen England zu-
gunsten der Fortsetzung der Retormarbeit im Keime m
ersticken. Mit klarem Bewußtsein erblickte Turgot die
der Monarchie drohende Gefahr, wenn Frankreich sich
in einen kostspieligen auswärtigen Krieg stürzte, bevor es
das morsche Gebäude seiner überlebten Verwaltung auf
neue Grundlagen gestellt und sich dadurch sichere finan-
zielle Hilfsquellen verschafft hätte. Sein Ruf sollte ange-
hört verhallen. Vergebens wies er auf das drohende
Gespenst des Staatsbankrotts* Vergennes, der ein feiner
Diplomat, aber kein Staatsmann war^), steuerte in der
wilden Jagd auf den englischen Nebenbuhler blind ins
Verderben hinein. Aus dem langjährigen Kampfe, in dem
man mageren Lorbeer und geringen territorialen Erwerb
einheimste, ging Frankreich mit einer ungeheuren Schul-
denlast hervor, die die Berufung der Notabein und den
Ausbruch der Revolution zur Folge hatte.
Im April 1776, als Vergennes über Turgot siegte,
ist über Frankreichs Schicksal recht eigentlich das Los
geworfen worden. Leider sind wir über die näheren
Umstände dieser entscheidenden Krisis sehr mangelhaft
unterrichtet* Wir wissen nicht, wie Ludwig XVL die
Denkschrift des Finanzministers über die amerikanische
Frage aufgenommen hat. Vermutlich wird er sie Ver-
gennes zugestellt und seine Entgegnung angehört haben.
Für diesen wird es wohl nicht schwer gewesen sein, den
jungen Monarchen, den er wie Maurepas in seiner ein-
*) Vgl, die treffende Würdigung, die Sorel im ersten Bande
(S. 297 ff,) seines Werkes L'Europe et la RivoluHon franpaise der
Persönlichkeit und der Politik Vergennes' widmet.
\
TurgotB Sturz.
533
r
V schmeichelnden, geschmeidigen Art vortrefflich zu be-
I handeln wußte, für seine politische Auffassung einzu-
I nehmen. Boten doch die Ausführungen Turgots manchen
I Angriffspunkt. Man brauchte nur au! seine eigentüm-
lichen kolonialpolitischen Ansichten, auf sein unbegrenztes
Vertrauen in die friedfertigen Absichten der englischen
Minister und seine ängstlichen Warnungen vor jeder Ver-
letzung der Neutralität hinzuweisen, um dem Finanz-
minister mit gutem Schein Mangel an politischem Ver-
ständnis, an Mut und nationalem Selbstbewußtsein vor-
zuwerfen. Wieviel lebhafter wirkten auf die Einbildungs-
kraft des jungen Monarchen die ehrgeizigen Zukunfts-
träume, die ihm Vergennes in dem nahen Triumph
Frankreichs über das hochmütige Albion ausmalte, und
die oft wiederholte eindringliche Mahnung, den einzig
günstigen Moment, den Nebenbuhler für die Frankreich
im Jahre 1763 angetane Schmach zu züchtigen und das
tief gesunkene Ansehen des bourbonischen Hauses wieder-
herzustellen, ja nicht zu versäumen I
Man hat mit Recht darauf hingewiesen ^)j da0 Lud-
wig XVL weit mehr Kenntnisse und ein besseres Ver-
ständnis für die Erfassung der auswärtigen Angelegen-
heiten hatte als für die höchst verwickelten Probleme
der inneren Reform. Die äußere Politik hatten seine
Vorfahren stets als ihre eigentliche Domäne betrachtet.
Das ging sie unmittelbar an. fiandelte es sich doch
hier um die Interessen und den Ruhm ihrer Dynastie,
Diesem Familienherkommen blieb auch Ludwig XVL
treu. Gerade die Akten, die uns über die Vorgeschichte
der Teilnahme Frankreichs an dem amerikanischen Frei-
heitskampfe unterrichten, zeigen, wie der junge König
mit lebhaftem Eifer den Verhandlungen oft bis in die
Einzelheiten folgt und wie er einmal in der entscheiden-
den Stunde den Ausschlag gibt und seine zaudernden
Minister zum Entschluß mit fortreißt. Bekannt ist es
ja auch, daß die Königin, so groß ihr Einfluß sonst auf
den schwachen Gemahl war, auf den Gang der auswär-
0 Sorel a. a. O. I, 29%
iOfa
ül
554 H. Gttgau,
tigen Geschäfte trotz der Bemühungen des österreichi-
schen Botschafters nicht einzuwirken vermochte.
Dem französischen Monarchen stand keiner von seinen
Ministern näher wie der Staatssekretär des Auswärtigen,
mit dem er ununterbrochen zusammenarbeitete und in
engster Fühlung blieb. Der Posten des GeneraJkontrol-
leurs der Finanzen hatte dagegen stets eine untergeord-
nete Bedeutung gehabt. Im wesentlichen hatte sich der
Inhaber desselben als geschickter Finanzkiinstler zu er-
weisen, der dem König jederzeit die nötigen Geldmittel
zur Durchiührung seiner Politik vorzustrecken wußte.
Versagte er in diesem Punkte, so wurde er als homme
Sans ressöurces verächtlich beiseite geschoben. Mit Turgot
aber war hier ein Minister aufgekommen^ der das bisher
verachtete Amt zu überragendem Ansehen erheben und
die Finanzpolitik in den beherrschenden Mittelpunkt der
Staatsverwaltung rücken wollte. Er verlangte, daß die
anderen Ressortminister ihre Etatanschläge nach dem
Gutdünken des Generalkontrolleurs beschneiden sollten,
Nur er sollte darüber zu befinden haben, ob ihre Mehr-
forderungen berechtigt oder Ersparnisse geboten seien.
Erfuhr schon dieser Anspruch, so berechtigt er war,
starken Widerspruch, weil man früher an diese Ein-
mischung des Generalkontrolleurs nicht gewöhnt war,
so rief vor allem der Versuch Turgots, nun auch den
Gang der auswärtigen Politik lediglich aus finanziellen
Erwägungen zu bestimmen, den entschiedenen Wider-
stand des Ministers des Äußern hervor.
Ludwig XVL stellte sich in diesem Konflikt auf Ver-
gennes' Seite. Am 22, April wurde ein Ministerrat ab-
gehalten, der über die Haltung Frankreichs in der ame-
rikanischen Frage sich schlüssig machen sollte. Zu dieser
Beratung zog der König Turgot nicht hinzu, eine Unter*
lassung, die schon von den Zeitgenossen als ein sicheres
Anzeichen dafür, daß der Monarch den Finanzministcr
fallen lassen wollte, gedeutet wurde. ^) Alle übrigen Out-
4
') ¥ergennes hatte in dem Schreiben an den Könige das der
Denkschrift Cansid^rations beigegeben war, gebeten, ihm die-
Turgot8 Sturz.
ma
achter waren berufen worden^ neben Vergennes Maurepas^
St. Germain und Sartine. Hier wurde nun ganz im Sinne
der Considirations der Beschluß gefaßt, zwei stattliche
Geschwader in den Häfen von Toulon und Brest unver-
züglich auszurüsten.^) Und Anfang Mai gab der König
die bisher beobachtete Neutralität gegenüber den Ameri-
kanern auf, indem er durch Vergennes ihnen die erste
geheime Geldunterstützung anweisen ließ.^)
Wenn diese beiden Beschlüsse, die Turgot dringend
widerraten hatte, auch noch nicht den Krieg bedeuteten,
so fühlte man sich doch in Versailles am Vorabend des
Entscheidungskampfes und des offenen Bündnisses mit
den amerikanischen Kolonien gegen England. Wie ge-
fährdet und unsicher dem Minister des Äußern die Fort-
dauer des Friedenszustandes hinfort erschien, wie sehr
er mit der Tatsache des nahen Ausbruches eines Kon-
fliktes rechnete, ersieht man aus einem Schreiben, das
er am 3. Mai 1776 an den leitenden Minister in Spanien,
den Marquis Grimaldi, richtete, wo es u. a. heißt: Nous
jenigen Minister namhaft zu machen, welche der Monarch irau'
Vera hon d^appeler ä La disatssion d'une aussi gründe qaestion
<Doniol I, 271 i), Ludwig XVL hatte dann Turgot genannt und
Vergennes diesem auJ das Geheiß des Königs die Consid^rati&ns
zugehen lassen. Um so auffälliger ist es, daß er nach Abgabe
des Gutachtens nicht zu der eigentlichen Erörterung über die
wichtige Frage hinzugezogen wurde, — Aus den Memoiren des
Abbd de Viiy teilt Larcy (a. a, O, S, 874 Anm.) eine wichtige
Stelle mit: M. Turgot ^taii opposä ä ia guerre; U avait exprim/
cet avis dans an memoire raison n/ en date du 6 avril. H pr^*
vayait ies embarras financiers qui en seraieni la satte. Quelques
Jaurs avant son renvoi^ on avait iena an comitä de ministres oä
il n^ avait pas iti appeU^ et ok on dMda que deux courriers
seraient envoyäs ä Brest et ä loa ton avec ordre d* armer !2 vais-
seaax dans l^un de ces ports et 8 dans t^aaire, — Auch Soulavie
(111, 103 i.) bringt die Ungnade Turgots in Zusammenhang mit
seinem Verhalten in der amerikanischen Frage: M. Turgot mani'
festa son opinion contre la gaerre^ au mois ä'avril 1776^ dans ie
moment mime ou le rot et Ies autres minist res ätalent rtfsolus de
la d/clarer et de la faire, Celle opinion et ses plans de restau-
ration intärieure concotirurent ä aceälärer sa disgrdce.
') Doniol I, 343 H
>) Doniol I, 372.
536
H. Qlagati,
ne devons pas perdre de vae, Monsieur, qu'Ü pourra ar-
river cette circonsiance, oä il nous seraii impoHant de
trouver des pierres d'aitente posies pour pouvoir pretidn
des Haisons oaveries avec ce peuple [des Amirieains} ;
noire paix auec i'Angieierre n*est que precaire,
c'esi un feu cachi sous une cendre i rompeuse
dont Vexplösiön peut se faire au mamenf m4me
que ies deux parties y penseroni ie moins.^}
Will man den Zeitpunkt angeben, wo in Ludwig XVL
der Entschluß reifte, sich von Turgot lu trennen, so wird
man die Tage wählen, in denen er den Ratschlag, den
der Finanzminister in der amerikanischen Angelegenheit
gab, rundweg verwarf*^) Durch die Beschlüsse, die dann
am 22, April 1776 in dem Konseil gefaßt worden sind,
wurde in das finanzielle System Turgots die erste Bresche
gelegt. Denn die in Aussicht genommene Mobilisierung
eines großen Teiles der Flotte machte im Marinedeparte-
m^nt, wie der Generalkontrolleur besorgt hatte, große
Mehrausgaben erforderlich, die nur durch die Aufnahme
von Anleihen, gegen die er sich entschieden bei Über-
nahme des Amtes erklärt hatte, gedeckt werden konnten.
Wenn sich der König in der Folgezeit dem Wunsche des
Finanzministers versagte^ eine ihm genehme Persönlich-
keit an die Spitze des Hausministeriums zu berufen» so
mag das vielleicht aus dem Grunde geschehen sein, weil
das Vertrauen, das er bisher auf Turgot gesetzt halte,
einen empfindlichen Stoß erlitten hatte. Es war ihm
zweifelhaft geworden, ob der Generalkontrolleur, der sich
so energisch gegen die Richtung stemmte^ die man in
der auswärtigen Politik einschlagen wollte^ für den Fall
^) Doniol I, 375 f.
') D. h. in den Tagen, die dem 6. April folgten, an dem
Turgot seine Antwort auf Vergennes' Consta^ rations dem König
zugestellt hatte. Das würde auch mil der Angabe der Gräfin
Maurepas übereinstimmen, die ihrem Freunde, dem Abb^ Ver)%
den Sturz Turgots mit dem Hinzufügen am 12, Mai meldete : // y
a un mois que cei orage gronde sar sa (Turgots) tite^ saus gn'ii
alt voulu s'en apercevoir. Je lui ai parlä de fafcn ä tut fairt
voir que U rat n*diait pas pnfvenu paar lui: U n^a pas voulm
me cr&ire. Larcy a. a. 0. S. 875*
4
1
Turgots Sturz,
537
eines Krieges der geeignete Mann war, um die Staats-
finanzen zu leiten und die erforderlichen Geldmittel flüssig
zu machen»
Anderseits durfte auch Turgot nicht mehr hoffen,
unter diesen Umständen seine Ftnanzreform durchzu-
führen. Rückten doch schon die umfassenden Rüstungen,
die die Vorbereitung des Kampfes gegen England be-
anspruchte, das Ziel der Herstellung des Gleichgewichts
im Staatshaushalt in weite, unabsehbare Fernen. Der
Grundpfeiler seiner ganzen Finanzpolitik, der schon durch
die Hindernisse, die sich einer durchgreifenden Reform
des königlichen Hofstaates entgegentürmten, ins Wanken
geriet, mußte vollends im Falle der Kriegserklärung zu-
sammenstürzen. ^)
Ob der König, ob Turgot schon in jenen Tagen die
ganze Tragweite ihrer Meinungsverschiedenheit über die
Behandlung der amerikanischen Frage mit voller Klar-
heit erkannt haben, können wir nicht mit Sicherheit
sagen. Mag dem sein, wie ihm wolle, jedenfalls ist doch
so viel deutlich, daß das Vertrauen Ludwigs in die poli-
tische Einsicht des Finanzministers hierbei stark erschüt-
tert wurde und damit die ersten Zweifel an der Zweck-
mäßigkeit des finanziellen Reformplanes Turgots in der
Seele des jungen Monarchen aufkeimten. Das herzliche
Einverständnis, das zwischen dem König und seinem
Minister früher obgewaltet hatte, war gestört, und es
wurde seinen zahlreichen Gegnern, die aus allen Kräften
an seinem Sturze arbeiteten, in der Folge leicht, die
Kluft zwischen beiden Teilen allmählich zu erweitern*
^) In dem Briefe an den König vom 30* April 1776 streift
Turgot auch diese Frage: Et que sera^ce, Sire, si aux d/sordres
de iHntirieur se jotgnent Us embarras d'une giierre que milU di~
marches imprudentes peuvent amener, ou que ies cinonsiances
peuveni forcerf Comment ta main qui n^uura pus ttnu ie gom-
vernaii dans le caime^ pourra-t-eiU soutenir Veffort des tempMes t
Comment soutenir une guerre avec ceite fiuctuaiwn dHd^e& et de
vütont^Sj avec cette habäude dHndiscrätion qui accompagne tou-
jours ta faibtessef Larcy a. a. O. S, 879.
KUtoriictie ZeiUcbrlJt (97. Bd) 3. Folge K Bd.
36
Im vorletzten Heft dieser Zeitschrift versucht Harry Breßlaii
den Nachweis, daß die Ungarnschlacht von 955 doch auf dcrn
Lechfelde^ nicht, wie ich (Sitzungsber, d* Bert. Akad. l%5v
Nn 27) mit Wyneken annehmen zu sollen glaubte, links von
Lech und Wertach stattgefunden habe» Er stützt sich dabei
vor allem auf die oft angezogene Erzählung in c. 3 der Vita
Udalrici (MS. IV, 388 fl.), wo berichtet wird, wie die heilig«
Afra den Udalrich nächtlicherweile auf das Lechfeld führte
und ihm über den künftigen Kampf mit den Ungarn Mittei-
lungen machte; Indkavit ei venturam supergressionem Ungro-
rum et loca belli et qaamvis laber tose tarnen vtcioriam ckristi*
anis concessam esse nunciaviL Er sieht darin mit Dümmkr
und V. Ottenthai einen tlinweis auf das Schlachtfeld und hält
die Frage für gelöst. Ich möchte im folgenden kurz darlegen.
warum ich mich dieser Auffassung nicht anschließen kann,
vielmehr bei der meinigen verharren muß. Ich führe dabei
die Qucllenstelten nur so weit an, als das für das Verständnis
unerläßlich ist*
Wer an der Vorstellung festhält, daß die Entscheidungs-
schlacht auf dem Lechfelde geschlagen worden sei, muß sieh
vergegenwärtigen, daß er sie dort nur unterbringen kann süd*
lieh von Augsburg; nördfich, östlich, wcsthch der Stadt is^|
für einen solchen Hergang kein Raum. Er muß sich ferner
r
Die Ungarn Schlacht ^on 955.
539
vergegenwärtigen t daß die Sache sich nur abgespielt haben
kann in einer nicht unerheblichen Entfernung von Augsburg;
denn nach dem ungarischen Angriff auf die Stadt verliert
diese die Fühlung mit dem dem heranrückenden Könige ent-
gegenziehenden Heere des Feindes; über den Ausgang des
vollendeten Entscheidungskampfes ist man in der Stadt zu-
nächst nicht unterrichtet, 1) Es kann ferner kein Zweifel dar-
über bestehen, daß man, sofern die Schlacht auf dem
Lechfelde geschlagen worden ist, sie sich vorstellen muß
als geschlagen von den Deutschen Front gegen Norden,
RUcken gegen das Gebirge» von den Ungarn Front gegen
Süden, Rücken gegen Augsburg und den Winkel von Lech
und Wertach. Eine Schlacht auf dem Lechfelde in der Rich-
tung Ost- West ist undenkbar* Sie würde voraussetzen, daß
Otto im Angesicht des Feindes oder weit nach Süden aus-
biegend die Wertach überschritten hätte* Sie würde die
fliehenden Ungarn auch nicht bei Augsburg vorbeigeführt
haben, wie doch Gerhard ausdrücklich berichtet. Ich glaube
schon in den Sitzungsberichten (S, 559) genügend dargelegt
zu haben, daß ein Anmarsch Ottos von Süden her undenkbar
ist* Und damit fällt Im Grunde genommen auch die Annahme
einer Schlacht auf dem Lechfelde.
Es ist aber nicht nur diese in den geographischen Ver-
hältnissen liegende Erwägung, die mir eine Verlegung der
Schlacht auf das Lechfeld unmöglich macht; es ist auch die
Tatsache, daß eine solche Annahme in offenkundigem, aber
keineswegs unumginglichem Widerspruch steht mit unseren
Hauptquellen.
Der Aufbruch der Ungarn von Augsburg erfolgt in occur-
sum regisß) Er erfolgt alsbald auf die Ankündigung vom An-
marsch des Königs, die Berthold von Reisensburg bringt* Es
ist immer angenommen worden, und auch Breßlau äußert hier
keine Zweifel, daß Berthold die Nachricht gebracht hat von
der Gegend seiner Burg hen Die Art der Nachricht verlangt
auch die Annahme, daß sie gebracht worden ist, sobald nur
irgendwie sichere Kunde über das Heranziehen des Königs
") Vgl Gerhard! vita Oudalrici ep. c, 12 MS. IV» 402,
») MS, IV, 402*.
35*
540
Dietrich Schäfer,
erlangt war, und gebracht worden ist in größter Eile- Reisen^
burgs Lage ist bekannt, am rechten Donauufen Berthold ist
im ungarischen Lager vor Augsburg an einem Vormittag ein-
getroffen, als die Ungarn, seit Sonnenaufgang sich anschickend
zum Angriff auf die Stadt, gerade von ihren Führern gegen
die Mauern getrieben wurden. Man wird eine der früheren
Morgenstunden annehmen müssen. Die Entfernung zwischen
der Donau und Augsburg beträgt vom nächstgelegenen Punkte
des Flusses in der Luftlinie 35 km, von Retsensburg aus 46
bis 47, von Donauwörth her 40, Es ist also klar, daß Otto
in der voraufgehenden Nacht oder am späten Abend des
voraufgehenden Tages entweder die Donau erreichte oder,
was wohl wahrscheinlicher ist, sich anschickte, sie zu über-
schreiten, bzw. diese Überschreitung begann. Man kann
nicht anders als annehmen, daß der Abmarsch der Ungarn
von Augsburg und das Auftreten des königlichen Heeres
rechts der Donau ziemlich gleichzeitig erfolgte. Damit ist
aber auch gegeben, was es heißt: in occursam re^is. Es
widerspricht dem durchaus glaubwürdigen, in sich geschlos-
senen Bericht Gerhards, die Ungarn nach Süden abmarschieren _
zu lassen; ihr Abmarsch kann nur gegen die Donau hin er- fl
folgt sein, und zwar gegen die Donau, soweit sie oberhalb
der Lechmündung fließt*
Der Bericht Gerhards steht durchaus im Einklang mit der
Darstellung Widukinds; beide ergänzen sich aufs glücklichste.
Der sächsische Geschichtschreiber erzählt, daß die Heere
am Tage vor der Schlacht, nämlich am 9« August, Kunde
voneinander erhalten hätten : Ab uirmsque exerciius lalro-
cinanlibas agminibus nöfi/icabatar^ non ionge exerciius ab
aiiero fore. Jejunio in casiris predkaio jussum esi^ omnts
in c ras Uno (der Schlachttag ^ 10. August) paraios esse ad
beliam. Beiderseitige Streifscharen stießen also aufein-
ander. Selbstverständlich kann das nur südlich der Donau
gewesen sein, und das zweifellos Nächstliegende ist, anzu-
nehmen, daß, soweit Ungarn beteiligt waren, es sich um die
Vortruppen ihres von Augsburg heranmarschierenden Heeres
handelt. ^Wir gewinnen damit einen zweiten Anhalt für die
Bestimmung der Zeit des Donauüberganges. Er vollzog sich
am späten Abend des 8., in der Nacht vom 8. zum 9. od^
Die Ungamsch lacht von 955.
Hl
am Morgen des 9. August. Daß dieser entscheidende strate-
gische Schritt deutscherseits geschah unter dem Eindruck der
voJlzogenen Vereinigung des Heeres und des Eintreffens des
Herzogs Konrad und alsbald nach diesen Geschehnissen, er-
zählt Widukind klar und deutlich und ist auch völlig glaub-
würdig. Selbstverständlich spielten sie sich nördlich der
Donau ab. Es bleibt zeitlich gar nicht die Möglichkeit, den
König weit nach Süden ziehen j die Wertach überschreiten und
dann wieder nordwärts gegen Augsburg vorrücken zu lassen.
Nun hegt ßreßlau aber Zweifel gegen die Berichterstat-
tung des Widukind. Ich hatte dessen Erzählung als „klar und
deutlich* bezeichnet; BreßJau möchte das nicht gelten lassen.
Er betont (S. 145)^ daß die Interpretation der Kritik voran*
gehen müsse, was selbstverständlich ist, und daß es hier zu-
nächst darauf ankomme, festzustellen, wie Widukind selbst
sich den Hergang gedacht habe. Letzteres ist doch nur be-
schränkt richtig. In einem Bericht können recht gut brauch-
bare» ja wertvolle Nachrichten beschlossen sein, ohne daß sein
Urheber von ihrem Vorhandensein klare oder auch nur über-
haupt irgend welche Vorstellungen hat. Wenn berichtet wird^
daß jemand auf der Reise von Sachsen nach Rom in Verona
gestorben sei, so ist es für die darin liegende Tatsache des
Alpenilberganges völlig gleichgültig, ob der Berichterstatter
eine zutreffende Vorstellung von der Lage Veronas hatte oder
etwa von dem Vorhandensein der Alpen zwischen Sachsen
und Rom gar nichts wußte. Und so ist es hier auch belang-
los, ob Widukind sich die Schlacht auf dem rechten oder
linken Ufer des Lechs denkt. Schwerlich hat er sich diese
Frage überhaupt vorgelegt. Übrigens kann aus der Wendung^
mit der Widukind c. 4d (das bekannte Einschiebsel) beginnt:
Dum ea geruniur in Bawariüf nicht, wie Breßlau (S. 147) will,
geschlossen werden, daß Widukind sich die Schlacht auf der
baierischen Seite gedacht hat. Rührt das Einschiebsel nicht
von Widukind her, so ist er für seinen Inhalt nicht verant-
wortlich, und trug er es selber ein, so würde erst zu erweisen
sein, daß er den Lech als Grenze von Schwaben und Baiem
gekannt hat Breßlau sagt (S< 147 Anm, 2): ,Daß ein kleiner
Teil des Augstgaues noch rechts vom Lech lag, hat Widukind
schwerlich gewußt,' Ich gehe ohne Bedenken wesentlich
S42 Dietrich Schäfer,
weiter; ich meine, daß er schwerlich gewußt hat, welche Be-
deutung dem Lech als Grenznuß zukommt. Niemandem wird
es gelingen, den Beweis für das Gegenteil zu erbringen. Wenn
jemand glauben sollte, daß einem mittelalterlichen Schriftsteller ■
von der Bedeutung Widukinds etwas derartiges nicht zuzu-
trauen wäre» so erwidere ich, daß Ähnliches sogar bei hoch-
gebildeten modernen Verfassern vorkommt in unserer eigeneiu
lerneifrigen Zeit^ wo jedes Schulkind Karten besitz und mit
ihnen umzugehen weiß» Eine mit Recht angesehene, in deo
besten Kreisen gelesene Zeitung brachte noch vor wenigen
Wochen buchstäblich die folgende Nachricht; „Infolge Hoch- m
wassers der Aar stürzte gestern in Zürich eine große, neue, ■
eiserne Rheinbrücke zusammen]" Die Belege ftir geographische
Unwissenheit mittelalterlicher Schriftsteller sind einfach Legion;
sie lassen sich nicht nur zu Hunderten, sondern zu Tausenden
zusammenstellen. Wir wissen schlechterdings nicht, ob Widü-
kind sich die Schlacht auf dem rechten oder linken Lechufer ■
gedacht, oder sich über diese Frage, wie weitaus das Wahrschein- f
lichste ist, gar keine Gedanken gemacht hat* Auch Breßlau
bleibt dabei, daß die Schlacht links vom Lech stattgefunden
hat, und mit dieser Auffassung ist der Bericht Widukinds
restlos vereinbar Denn Widukind stellt sich die Sache nicht,
wie Breßlau (S. 146) meint, so vor, daß ,die Ungarn und die
Deutschen vor der Schlacht durch den Fluß getrennt waren*»
sondern so, daß die Deutschen und die Hauptmacht der
Ungarn vor und während der Schlacht sich auf der gleichen
Seite des Flusses gegenüberstanden, daß aber ein Teil der
Ungarn anfangs sich auf der anderen Seite des Flusses be-
fand ^ dann aber, ehe noch der Kampf in der Front der
Deutschen ernstlich begann, den Lech überschritt und die ■
deutsche Nachhut vom Rücken her angrifL Das ist etwas
ganz anderes und durchaus verständlich. Da die Schlacht
sich links vom Lech abspielte, da das ungarische Heer sich
auch schon vor der Schlacht (vor Augsburg), soweit die
Quellen aussagen, links von diesem Flusse befand und
dann, wie auch Breßlau annimmt, auf dieser Seite bliebr
so ist damit auch die zweimalige Überschreitung des Lechs
durch den die deutsche Nachhut angreifenden ungarischen
Heerhaufen^ die Breßlau mit größter Entschiedenheit ablehnt,
Die Ungarnach lacht von 955.
513
unumgänglich gegeben, sofern man nicht ohne jeden Qi^ellen-
anhält zu der Annahme greifen will^ es habe einen getrennt^
in Baiern operierenden ungarischen Heerhaufen gegeben» der
vor dem 10. August den Lech überhaupt nicht überschritten
habe und nun gerade zur rechten Zeit eingetroffen sei, den
gefährlichen Angriff au! die deutsche Nachhut 2u unternehmen.
Auch wer die Schlacht aufs Lechfeld verlegt, kommt um die
Annahme eines zweimaligen Lech Überganges nicht herum.
Daß Widukind von einem solchen doppelten Übergänge keine
Kenntnis halte, ist selbstverständlich — es würde auffällig
sein, wenn er sie hatte — , für unser Wissen und für das Urteil
über ihn aber auch völlig gleichgültig. Beiläufig bemerkt, waren
Hinterhalte und Umgehungsversuche eine beliebte Taktik der
Ungarn und Flüsse für sie ja kein schwerwiegendes Hindernis.
Nun hat aber Breßlau noch viel auszusetzen an Widu-
kinds Bericht. Er sagt S. 143: «Wie unklar und unvollständig
dieser Bericht ist, bedarf kaum einer Auseinandersetzung."
Er vermißt Mitteilungen über die Marschrichtung des Königs
bis in die Gegend von Augsburg, auch darüber, woher Otto
erfahren habe, daß er den Feind gerade hier aufsuchen müsse,
über die Vereinigung mit den Schwaben und Böhmen, während
doch die mit den Baiern und Franken erwähnt werde. Man
würde fUr solche Mitteilungen gewiß recht dankbar sein, könnte
auch eine ganze Reihe von weiteren, zum Teil noch dringen-
deren Wünschen hinzufügen. Wie schön wäre es, wenn wir
erführen, wie lange der Marsch von Sachsen bis an die Donau
gedauert hat, wie, wo und wann dieser Fluß überschritten
worden ist (Widukind würde sich auf diese Weise auch von
dem nach meiner Meinung außerordentlich dringenden Ver-
dacht gereinigt haben, gar nicht zu wissen, daß man auf dem
Wege von Sachsen nach Augsburg die Donau zu passieren
hat), wie stark Ottos Heer war, wie stark in ihm die einzelnen
Stämme, wer ihre Führer, wie und auf Grund weicher Auto-
rität Otto sie alle zusammenrief usw- usw. Aber man muß,
wenn man solche Fragen aufwirft, sich doch vergegenwärtigen,
daß Widukind — und damit bleibt er durchaus auf der Linie
der Kriegsberichterstattung seines eigenen, früherer und auch
noch späterer Jahrhunderte — nicht einen Feldzugs-, sondern
einen Schlachtbericht schreiben will und nichts anderes schreiben
p
544 Dietrich Schäfer,
kann, und darf die Nichtbeantwortung der aufgeworfenen Fi
nicht 2um Anlaß nehmen^ um das, was er gibt, herabrusetztu.
Widuklnd folgt seinem Gewährsmann, der ja offenbar ein Teil-
nehmer des Zuges gewesen ist, und der natürlich den er^
fochtenen Sieg schildern will, nicht den langen Anmarsch, den
Sieg, der beginnt mit der vollen Sammlung des Heeres durch
Eintreffen der ßaiemi der Franken und Konrads (damit tsi
zugleich ausgesprochen, daß die Vereinigung mit Schwaben
und Böhmen IrQher stattgefunden hat) und dem daraus resul-
tierenden Entschluß, jetzt sofort zum Angriff zu schreiten, und
der endet mit Niederlage und Flucht des FeindeSp Mit Un-
recht macht Breßlau Ausstellungen an diesem Scfilachtberielit
selbst. Widuktnd erzählt bekanntlich, daß die im Rücken an-
greilenden Ungarn nicht nur die böhmische Nachhut und
Troßbedeckung überwältigt, sondern auch die vor ihnen
stehenden beiden schwäbischen Heerhaufen zum Weichen ge-
bracht hätten und nur durch den au! Ottos Befehl herbei-
eilenden Konrad zurückgeschlagen worden wären. Breßl&u
meint (S* 144): „Es ist kaum denkbar, daß ein Feldherr wie
Otto mit der Herbeiberufung der Verstärkung so lange ge-
zögert hätte, bis die Feinde in seinem Rücken standen (Ottos
eigene Schar war bekanntlich die nächste vor den Schwaben),
und ebenso unwahrscheinlich, daß die Ungarn, wenn sie
schon vor der Erteilung des Marschbefehles an den Schwieger-
sohn des Königs soweit vorgedrungen gewesen wären, den
Angriff auf Otto selbst unterlassen und sich ruhig verhalten
hätten, bis die Franken unter Konrad heransprengten. Viel-
mehr wird, wenn man der Erzählung Widukinds iiberhaupt
glauben will, angenommen werden müssen , daß der König
den Befehl an Herzog Konrad ergehen ließ, sobald er die
Meldung von dem Rückenangrif! der Ungarn auf die Böhmen,
oder spätestens, sobald er von ihrer Niederlage und der Ge-
fährdung der beiden schwäbischen Abteilungen erfuhr* Ich
setze die in Frage kommende Stelle her: Nam Un^arii nichil
cunctanies Lech fluvium iranslerunt circumeunfesque exsraimm
exlremam leglonem (d. h, die Böhmen) sagiUis lacessere eai-
peruni; ei inpetu cum ingenli vodferaUone facta aUis caesh
vei captis sarcinis omnibus poUil caeieras Ugianls iiUus ar-
matös fugere compäferunf. Simiiiter sepiimum ac sexi&m
^
Die tingamschtacht von 95S.
545
(d. h. die Schwaben) aggressl plurimis ex eis fasis in fugam
verteruni. Rex auiem cum inteilexisssi, beilum ex aäverso
ssse et past iergum novissima agmina periclitari,
misso duce cum quaria iegione capttvos eripuii, praedam ex^
cussii latrocinantiaque hostium agmina proturhavit. Also,
als Otto erkannt hatte, daß die Hauptmacht des Feindes
noch vor ihm stehe, seine hintersten Scharen aber gefährdet
seien, schickt er Konrad usw. Wo steht hier, daß Otto tnit
diesem Befehl gewartet hat, bis die von hinten heranstürmen-
den Peinde unmittelbar hinter seiner eigenen (der fünften)
Schar angelangt waren? Widukind sagt gerade das, was
BreBIau bei ihm vermißt I Der Hergang ist klar* In der Zeit,
die zwischen der erlangten Kenntnis und der Ausfuhrung des
erteilten Befehls liegt, dehnen die Ungarn ihre Erfolge so weit
aus, daß sie auch die Schwaben werfen; aber im entscheiden-
den Äugenblick greift Konrad mit den Seinen ein und wandelt
den ungarischen Sieg in eine Niederlage. Das ist doch ein
Hergang, wie er auf Hunderten von Schlachtfeldern sich voll-
zogen hat. Wie man sich das Herausziehen der vierten Ab-
teilung aus der Schlachtordnung zu denken hat, habe ich
schon in den Sitzungsberichten angedeutet Man muß sich
gegenwärtig halten, daß Ottos ganzes Heer höchst wahrschein-
lich noch nicht die Stärke einer modernen Division hatte, daß
also solche Operationen sich leicht und in verhältnismäßig
kurzer Frist voltziehen ließen.
Und wie dieser Einwand Breslaus gegen Widukinds Be-
richt nicht stichhaltig ist, so auch nicht der weitere, den er
in unmittelbarem Anschluß daran erhebt. Er sagt: „Am
Schlüsse von Kapitel 44 — vor der Unterbrechung der Er-
zählung— befindet sich das deutsche Heer noch in der Marsch-
ordnung. Otto steht hinter den drei baierischen Abteilungen
und, wenn Konrad nach der siegreichen Abwehr des ungari-
schen Rückenangriffes seine frühere Stellung wieder einge-
nommen hat, auch hinter diesem. Als die Erzählung wieder
aufgenommen wird" (d. h« in c. 46), , greift er an der Spitze
des Heeres die Ungarn an (primus equum in hosies vertit).
Inzwischen muß also eine Änderung in der Formation des
deutschen Heeres vor sich gegangen sein; es ist aus der
Marschordnung in die Schlachtordnung Übergegangen, bei der
546 Dietrich Schäfer,
Otto mit den Seinen vorn steht. Aber Widukind sagt davon
kein Wort* Und wie kurz ist endlich im Vergleich mit der
Schilderung des ersten Angriffes der Bericht über die eigent-
lich entscheidende Schlacht gehalten: Otto greift an, die
Feinde widerstehen und werden besiegt, das ist aJles, was
wir erfahren,*'
Widukind berichtet im Anschluß an die oben S* 540 zitierte
Stelle : Jejunio in casiris predicah /ussum esl omnes in crasiinä
paratos esse ad bdium. Primo dilucah sargenfes, pace data
ei accepia aperaque sua prlmum äuci, dein de unusqmsqut
alier i cum sacramenio promlssa, erecfts s i g n i s proceäunt
casiris numero quasi ocio legionum. Du diu r exereitas per as-
pera ei difficiVta loca, ne dareiur hosiibus copia iarhandi
sagiiiis agmina, quibus uianiur acerrimef arbusUs ea proie-
geftiibus. Frimam ei secundam teriiamque legionem direjce-
runi Baioarü etc, etc. Ja, wer aus dieser Darstellung nicht
herausliest, daß man am 10. August in Schlachtordnung und
nicht in Marschordnung das Lager verlassen und sich vor-
wärts bewegt hat, dem ist freilich nicht ^u helfen. Erecüs
signis^ d. h* nach unserer Ausdrucksweise: „Mit fliegenden
Fahnen i* So übersetzt Breßlau S, 142 auch selbst H! Ich
habe in den Sitzungsberichten (S. 564) eine Schätzung der
deutschen Heeresstärke versucht. Nimmt man auch nur die
Mindestzahl von 6500 berittenen und vollbewaffneten Streitern
an, so bedeutet das schon nach dem Maßstab heutiger
Truppenbewegung eine Marschkolonne von SV2 km Länge.
Bringt man die zweifellos weit geringere Marschdisziplin und
die gewiß nicht unerhebliche Zahl von Hills- und Begleit-
mannschaften in Anschlag, so kann sich leicht die doppelte
Länge, ja mehr ergeben. Wo bleibt da Sinn und Bedeutung
des üngarnangriffs, der sich das Heer umgehend zunächst
gegen die Nachhut wendet, um dann gegen die siebente und
die sechste Abteilung vorzugehen? An Dutzenden und aber
Dutzenden von Stellen hätten ja die Feinde das in Marsch- _
Ordnung daherziehende deutsche Heer von der Flanke her ■
durchbrechen, seine Teile aufrollen und in alle Winde zerstreuen
können. Herzog Konrad hatte es schwer werden mögen, aus
der Marschordnung heraus derartig zersprengten Truppen-
teilen, die eine viertel, eine halbe, eine ganze Meile hinter
I
\
Die Ungartisch lacht von 955.
ihm marschierten, Hilfe zu bringen, dem Feinde seine Beute
wieder abzujagen und in seine frühere Stellung zurückzukehren.
Es ist nicht nur „kaum denkbar^, sondern völlig undenkbar»
daß „ein Feldherr wie Otto* sein Heer in Marschordnung
vorwärts bewegt, während er den Feind in unmittelbarster
Nähe weiß, es für nötig hält^ sich gleich vom Aufbruch an
durch Aufsuchen unebenen und schwierigen Geländes mit
Baumbestand gegen die Pfeile der leichten feindlichen Reiter
zu decken. Wenn Widukind die Frage mit keinem Worte be-
rührte, so könnte niemand, der sich einigermaßen in seine
Erzählung hineinzudenken versucht, auf eine andere Vor-
stellung kommen, als daß sich das deutsche Heer am 10- August
in Schlachtordnung vorwärts bewegte. Er sagt es aber zu
allem Überfluß klar und unmißverständlich, daß man am
Morgen in Schlachtordnung aufgebrochen ist: ErecÜs signis/
Ausdrücklich berichtet er vom geleisteten Schlachteid! Auch
das Deckungsuchen gegen die umschwärmenden Feinde
ist ja nur denkbar in der Schlacht-, nicht in der Marschord-
nung. Wie ßreßlau es sich vorstellt, daß ein in acht Abtei-
lungen in Marschkolonne daherziehendes Reiterheert dessen
drei letzte Abteilungen geworfen und zersprengt sind, dessen
vierte Abteilung in einem bei Annahme der Marschordnung not^
wendigerweise ganz zerstreuten Gefecht mit dem siegenden
Feinde begriffen ist, das zudem fortgesetzt von feindlichen
Reitern umschwärmt wird, es fertig bringt, inmitten dieser
Hergänge sich aus der Marsch- in eine Schlachtordnung zu
formieren, das muß ihm überlassen werden. Sein Vorwurf,
daß „Widukind darüber kein Wort sagf, fällt auf ihn selbst
zurück. Er irrt auch, wenn er bei Beginn des Hauptkampfes
infolge einer „Änderung* der Formation des deutschen Heeres
Otto mit den Seinen vorn stehen läßt. Die Heeresordnung,
die Widukind beschreibt, ist in sich so sinnvoll, daß Zweifel
gar nicht aufkommen können. Die Baiern stehen mit drei
Abteilungen vorn, sie, die durch die Heimsuchung ihres Landes
zunächst zum Kampf und zur Rache entflammt waren und
die dadurch ein unveräußerliches Recht auf den Vorstreit hatten-
Naturgemäß waren sie die zahlreichsten. Ihnen folgt als nächste
Stütze die Schar Konrads, dessen kriegerisehes Ansehen Widu-
kind so schön wie treffend schildert: Cujus ad venia erecH
ms
Dietrich Schäfer,
milites /am opiabant non äifferr$ cerlamen ; nmm erat natsrs
uudacis animi ei, dum eques et dum peäes irei in hüsUm,
beiiator inhlerabilis, dornt miUiiaque soctis carus. Hinter ihm
als Kern des Ganzen «die Königslegion', bei der Otto mit
seiner unmittelbaren, aus dem gesamten Heere erlesenen Irit-
gerischen Umgebung seinen Platz genommen hat. Dann die
Schwaben, die der Nähe wegen auch starker, durch zwei At>>
tcilungen vertreten sind, und an letzter Stelle die Böhmen.
deren KriegstUchtigkett ausdrücklich hervorgehoben wint
(eiecii miUUs milie, armis poiius Insiructi quam foriuna), die
aber als fremde Hilfstruppen Ihren Platz hinter den zunächst
berechtigten Deutschen nehmen müssen. Daß Otio sein kdni^
Hches Recht und seine KönigspJlicht, den Kampf zu eröffnen,
ausübt (ipse primus equum in hosies veriiif /ortissimi miläiM
ac opUmi imperaiaris officium geremj^ hat keine Änderung
der Schlachtordnung (geschweige denn die Umwandlung einer
Marsch' in eine Schlachtordnung) zur Vorausset-zung. Er
sprengte mit seinem Gefolge (nicht mit der ganzen Königs^
legion, denn der Vorstreit steht den ßaiern zu) an den vor
ihm stehenden vier Abteilungen vorbei bzw. durch ihre Lückea
hindurch, ein Ritt, der, wenn man zum Vergleich unsere gegen^
wärtige, aus acht Regimentern formierte und daher etwa dea
vier Abteilungen an Stärke gleichkommende Garde-Kavallerie-
Divtsion heranzieht, bei der Aufstellung in Schlachtordnung,
auch wenn diese, was unwahrscheinlich genug ist, eine tiefe,
die Front eine schmale war, in wenigen Minuten vollendet
werden konnte. Der zum Schluß ausgesprochene Tadel, betr.
die Kürze des Berichts über den Entscheldungskampf^ ver-
glichen mit dem über den ersten Angriff, gehört in die Kate*
gorie der schon besprochenen Wünsche, die einem wißbegie-
rigen Historicus unserer Zeit naturgemäß aufsteigen, und zwar
unter diejenigen, die leicht ausgesprochen , aber unendlich
schwer erfüllt werden können. Das bedarf für jeden, der sich
mit Schlachtgeschichte auch nur einigermaßen beschäftigt
hat^ schlechterdings keiner weiteren Auseinandersetzung* Ich
kann gegenüber den Ausstellungen Breßlaus meine in den
Sitzungsberichten ausgesprochene Meinung über die von Widu-
kind geschilderten Hergänge nur in vollem Umfang aufrecht^
erhalten ; sie sind «klar und deutlich berichtet^ enthalten in
L
i
Die Ungarnsclilactit von 9S5* 549
sich nichts Auffälliges^ Ungewöhnliches oder gar Unmögliches"»
Man muß nur in ihr Verständnis einzudringen suchen. Wenn
man sie aber beharrlich mißversteht und die eigenen Mißver-
ständnisse dem Autor als Fehler, Irrtümer oder Versäumnisse
ankreidet^ ja dann hilft auch die heiligste Überzeugung von
der entscheidenden Bedeutung der Interpretation nichts* ')
In der hier abgedruckten und oben besprochenen Stelle
findet sich aber noch eine Bemerkung, die für die Bestimmung
des Schlachtortes von besonderer Bedeutung und in diesem
Sinne nicht nur von mir verwendet worden ist. Breßlau meint
(S, 148), da Widukind ,von der Lokalität der Schlacht und
der Richtung des königlichen Marsches nicht nur nichts Ge-
naues, sondern überhaupt nichts Zutreffendes gewußt* habe,
so dürfe man auch aus seiner Erzählung „über die Beschaffen-
heit des am Morgen des 10. August passierten Geländes be-
stimmtere Folgerungen nicht ziehen*** Dem muß ich wieder
auf das entschiedenste widersprechen* Der Gewährsmann,
der Widukind über die Schlacht berichtete, hat erfahren, wie
der Fluß hieß, über den der ungarische Heerhaufe gegen die
deutsche Nachhut vorbrach. Ob ihm auch klar geworden ist,
auf welcher Seite dieses Flusses er selbst sich damals befand,
ist mindestens zweifelhaft; jedenfalls hat er darüber Widukind
keine Mitteilungen gemacht. Wer glauben mochte^ daß hier
ein große Indolenz angenommen werde, der vergegenwärtige
sich nur, welche Täuschungen Über räumliche Beziehungen
zu Flußufern noch jetzt bei Gebildeten häufig sind, und ver-
setze sich in das Zeitalter, wo Karten überhaupt nicht exi-
stierten. Aber von dem Gelände, über das man kampfbereit
vormarschierte, wo man aus Deckungen Vorteil zu ziehen suchte
und zog, gewann der Beteiligte die klarsten Vorstellungen und
Vorstellungen, die haften blieben. Jeder, der einmal Pulver
gerochen hat oder der auch nur eine Felddienstübung mit-
^) Breßlau sagt (oben S* 545): „Wenn Konrad nach der sieg-
reichen Abwehr des ungarischen Rückenangriffs seine frühere Stel-
lung wieder eingenommen hat/ Widukind hat sich die Sache
doch so gedacht. Er fährt nach der oben S. 545 zitierten Stelle
fort: Fitsis lairücinantitus undique adversariarum agminihns^
signis vktrkibMS äux Cuonraäus ad regem revertitun
550 Dietrich Schäfer,
gemacht hat, weiß, daß sich das einprägt. An den aspiraä
difficilia ioca und den arbusia agmina prafegeniia ist deip*
nach so wenig zu rütteln wie an den übrigen so %'erstliid-
lichen wie richtigen Angaben des Widukind^ und eine Gegend
die diese Bedingungen nicht erfüllt, kann demnach nicht '■:
Frage kommen, also auch das Lechfeld nicht Es paßt -
diese, es paßt in die übrigen Angaben unserer wo hiver-
denen guten Berichte nicht hinein.
Aber was ist dann mit der Vision des Udalrich anziF
langen? — Sein Biograph erzählt, daß Augsburg selbst, seine
Mauern, von den Ungarn nicht angegrilfen worden sind. '"
dem Augenblick, als ein solcher Angriff unternommen wer
sollf die Verteidiger ihn auf den Mauern erwarten, kommt
Kunde von dem Anmarsch des königlichen Heeres, und v,
erfolgt der Abzug der Ungarn. Aber draußen, vor den Manen]
der Stadt, ist gekämpft worden. Der Bischof hatte eine zahl*
reiche Schar der besten Ritter (magnam vaide muttliudlmm
opiimorum militum — offenbar aus der Umgegend) in der Stadt
um sich versammelt» Es sind die Leute, die in der Nacbt
nach dem Abzüge der Ungarn, unter der Führung des Grafen
Dietpald, des Bruders des Bischofs, Augsburg verlassen und
dem König entgegenziehen. Sie wollen, als die Ungarn zuerst
gegen die Stadt heranziehen, hinaus und ihnen draußen ent-
gegentreten (eis obvtam exlre volueruni). Es ist ein Zug^ der
nicht selten wiederkehrt, daß man den Kampf im offenen
Felde dem hinter Pforten und Mauern vorzieht. Aber du
will der Bischof nicht zulassen. Er laßt das Tor, das den
leichtesten Eintritt gestattet, fest verschließen. Gegen das
östliche Tor aber, wo man zum Wasser geht, drängen die
Ungarn in so dichten Scharen heran> daß sie glauben, sofon
eindringen zu können. Die Ritter des Bischofs leisten ihnen
draußen vor dem Tore männlichen Widerstand, bis einer der
Ungarn, der den Seinigen vorkämpft, und aus dessen Fühnmg
und Vortritt diese besonderen Mut schöpfen, fällt. Mit großem
Schrecken und Klagen nehmen sie den Toten auf und kehren
in ihr Lager zurtJck,i) An diesen Kampf draußen vor J
') Vita Udalrict c. 12, MS. IV, 40t "ff.: Qui (näml. die mäiUsl
ui txercitum Ungromm ad mrpugnandam civitatem circumdart
Die Ungarn ach lacht von 955,
951
Augsburgs vielleicht auch noch an Kämpfe, die sich zwi-
schen den Fliehenden und ihren Verfolgern auf dem Lech-
felde abspiehen, mag Gerhard gedacht haben, als er die
heilige Afra die dortigen loca belli seinem Helden zeigen ließ.
Daß es sich bei der Vision um eine Lokalität in unmittelbarer
Nähe der StadI handelt, belegt ja auch das Reichstagslager
Ottos vom Jahre 952, das von der heiligen Afra zugleich mit
den loca belli gezeigt wird. Unmöglich kann, wie schon be-
merkt, die Schlacht so nahe der Stadt geschlagen worden sein*
Die Stelle kann also für die Bestimmung des Schlachtfeldes
schlechterdings nicht in Frage kommen, und es bleibt dabei,
daß, soweit unsere gegenwärtige Kenntnis reicht, wir eine
Schlacht auf dem Lechfelde ablehnen müssen und nur von
einer Ungarnschlacht von 955 reden können. Widukinds
Bericht über sie aber ist nach wie vor der weitaus beste und
eingehendste Schiachtbericht, den wir aus der ganzen Zeit
vom 5. bis ins 11. Jahrhundert überhaupt von kontinentalen
Kämpfen haben I Auch was Jordanis über die Hunnenschlacht
zu erzählen weiß, kann nicht neben ihm bestehen« Daß aber
in dieser Zeit und weiterhin durchs ganze Mittelalter, ja tief
in die neuere Zeit hinein Schlachtberichte so oft und so viel
zu wünschen übrig lassen, das kann niemanden, der mit mili-
tärischen Dingen auch nur lose Fühlung besitzt^ ernstlich
befremden.
viderant, eis ohviam exire voluerunt. Sed hoc episcopus eis nan
eonseniiens porlant^ ubi maximtis aditus inirandi manebat^ fir*
mit er obc ludere praeciplL Porta autem orten talis plague , unde
itur ad aquam, sie a densitate Ungrorum beilo occitpata estf ut
ipsi aestimarentf se statt m posse int rare. Mitites episcapi ante
portam viriliter pugnantes eis resistebant, usque dum unus Un-
grorum ^ qui caeteros pugnando antecedebat, et ex cujus ducta et
antecessione muximam praeliandi in Uta hora conßdentiam habe*
bantf occisus occubuit. Caeteri deniqae^ cum eum terra tenus
mortitum cader e viderunt^ magno timore et tamentatione eum
raptentes ad castra reversi sunt.
5112
Georg Caro,
Bin aktenmäfsiger Beleg zur Zahlung des Ldse-
gelds für König Richard Löwenherz von Rngland.
Von
Georg Caro,
Größere Erfolge, als Heinrich VL davortlru^, hat die stau
fische KaiserpoUük überhaupt nicht aufzuweisen. Geldsummen,
zu deren Entrichtung er den Beherrscher des nordischen Nor-
mannenreichs nötigte, lieferten ihm die Mittel für Rüstung des
Heeres zur Unterwerfung des Normannenreichs im Süden;
die Bezwingung des einen Gegners durch den anderen ist
kaum je so glucklich ins Werk gesetzt worden. WohJ mochten
die Zeitgenossen lebhaftes Mitgefühl für den ritterlichen König
hegen, der, von der Kreuzfahrt zurückkehrend, in die Gefangen-
schaft eines hartherzigen Widersachers geriet, Betni^t man aber
das Werturteil über historische Persönlichkeiten nach den geisti-
gen Fähigkeiten, die sie zur Erreichung ihrer Ziele aufzuwenden
imstande waren, so kann es nur zugunsten Heinrichs ausfallen;
denn schnell zufahrend und vorsichtig zugleich, verstand er
es, den wohl vorbereiteten Schlag gründlich auszunutzen.
Auch vom weltgeschichtlichen Standpunkt aus betrachtet, mu&
der Sieg des Kaisers als ein hoch bedeutsamer erscheinen-
Nicht die Normannen waren Träger des nationalen Gedankens
in einer von universalistischen Ideen erfüllten Epoche. Nach
Recht des Stärkeren hatten sie fremden Völkern ein hartes
Joch auferlegt, in UnteritaUen wie in England. Daß der Sturz
des einen und die Auflösung des anderen ihrer Reiche zeitlich
so nahe zusammenfalten, ist kein ZufalL Wenn im Abendland
Nationalstaaten zur Konsolidation gelangen sollten^ war Flir
die Helden des antinationalen Eroberungskrieges kein Raum
mehr, und gegenüber dem Typus des abenteuernden Ritters,
in dessen Rolle sich Richard wohlgefiel, vertrat das Kaisertum
die höhere Idee, Für die näheren Umstände, unter denen
sein Sieg erfolgte, verdient jedes einzelne Zeugnis Beachtung*
Die historiographischen Quellen anglo-normannischen Ur-
sprungs erzählen von König Richard, dem Liebling seines
Volkes, mit der für sie charakteristischen Ruhmredigkeit. Ihrer
I
t
1
Ein ßelüg zur Zahlung des Lösegelds für Richard Löwenherz* B53
Auffassungsweise hat selbst Toeche*) sich zu sehr hingegeben^
und auch die letzte zusammenfassende Darstellung des Gegen-
standes^) bedari wenigstens in einem Punkte der Ergänzung.
Der Vertrag des Kaisers mit dem König von England vom
29. Juni 11933) setzte das Lösegeld auf 100000 Mark reinen
Silbers Kölner Gewichts fest. Die Auszahlung hatte in London
zu erfolgen; dort sollten Abgesandte des Kaisers das Geld
in Empfang nehmen^ abwiegen und bei der Versiegelung zu-
gegen sein* Der Transport ging in England auf Gefahr des
Königs, für etwaige Verluste im Reiche war er nicht verant-
wortlich. Außerdem versprach Richard 50000 Mark Silber zu
entrichten, davon 30000 dem Kaiser, 20000 dem Herzog von
Ostreich, und die Ausbezahlung durch Stellung von 60 Geißeln
an ersteren, 7 an letzteren zu verbürgen. Die Freilassung
des Königs sollte nach Zahlung der 100000 Mark und Über-
gabe der Geißeln erfolgen. Wenn jedoch Richard Zusagen
erfüllt, die er dem Kaiser wegen des ehemaligen Sachsen-
herzogs Heinrich (des Löwen) gemacht hat, so sind ihm die
50000 Mark und die Stellung von Geißeln erlassen; djer Kaiser
entrichtet dann selbst dem Herzog 20000 Mark. Erfüllt jedoch
der König die Zusagen nicht, so hat er die 50000 Mark binnen
sieben Monaten nach der Rückkehr in sein Land zu zahlen.
Am 4< Februar 1194 wurde Richard zu Mainz seiner Haft
ledig gesprochen; die Übergabe der Geißeln hat stattge-
funden.*) Es waren also seine Zusagen wegen Heinrichs des
Löwen nicht erfüllt oder galten nicht fUr erfüllt, wie das in
Anbetracht der mittlerweile eingetretenen Zwischenfalle nur
begreiflich ist. Der König blieb für die an zweiter Stelle ver-
sprochenen 50000 Mark haftbar — und hat wirklich eine ent-
sprechende Zahlung geleistet. Letztere Tatsache ergibt sich aus
längst veröffentlichten, aber meines Wissens bisher noch nicht
für diese Frage herangezogenen Akten der englischen Finanz-
1) Jahrb. Kaiser Heinrich VL, a. S. 299.
*) jastrow -Winter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der
Hohenstaufen 2, 29 if.
») Aus Roger de Hoveden, M, 0. SS. 27, 164 in M, G. Const
Imp. 1, 504 f.
*) Roger de Hoveden, SS. 27^ 168 ctc»
tUatoriiche ZeiUch|-i!t (97. Bd.J 3. Folge 1. Bd 36
554
Georg Caro,
verwahung.^) In den Rechnungen des Schatzamts der Nor*
mandie vom Jahre 11% findet sich als Ausgabe verzeichnet^:
Ruffo de Voliö et Evrardo camerano ei sociis eorum /m^äis
imperahns Alemanme 16 000 ihr. And. pro &OÖO marcis argetiti
pro deliberandis obsi albus , . . £xpensa eoranäem nuntiorum
expectancifim predkiam pecuniam apud Rothfoma^umf 314 tbr.
7 mL 8 den, per idem breue ; und weiterhin nochmals der
Eintrag: fiem nuniiis predicHs imperatoris Alemannie ad n-
pensam suam 100 tbr. per . . . breve. Es sind also nach der
Freilassung Richards, kraft einer von ihm gegebenen Zahlungs-
anwetsting, zu Rouen 16 000 Pfund Münze von Anjou als
Äquivalent für 6000 Mark Silber entrichtet worden. Kaiser-
liche Gesandte nahmen das Geld in Empfang. Sie haben einige
Zeit warten müssen; noch war der Krieg Richards mit Phi*
Hpp iL von Frankreich nicht beendet^ und die Aufbringung
der Summe mochte geraume Zeit erfordern. So war ^aä rt-
äempiiünem regis' eine Tailte von 4000 Mark aufgefegt, zu
der die mit Namen aufgeführten Bewohner der Stadt Cttn
2007 ihr. 9 söi. 6 den, sterl. beitrugen. Die Juden der Nor*
mandie zahlten 1000 Mark Schätzung und 2000 Pfund Straf-
geld.*) Was die kaiserlichen Gesandten anbetrifft« so kann
ich den KSmmerer Eberhard nicht anderweitig ermitteliL*)
Ruf f US de Vofto war dem Namen nach kein Deutscher. Viel-
leicht ist er identisch mit dem Genuesen Rubeus de Volta,
der 1183 und 1187 das Amt eines Konsuls in seiner Vaterstadt
bekleidete, 1188 als Gesandter Genuas zum König von Eng-
land reiste, um mit ihm wegen des Kreuzzugs zu verhandeln^
und 1189 selbst nach dem hl. Lande zog. ^)
Trotz der vermutlichen Beteiligung eines Italieners ist
kaum anzunehmen, daß die Zahlung der 6000 Mark in Wechseln
0 Mm gm rot all scaccarii Normanniae sub regitsis Angüatf
ed. TK Stapleton, 2 ßde.^ London 1840, 1844.
») Ebenda 1, 136 f., in den vom tierausgeber der Edition vor-
ausgeschickten Erläuterungen und im Index fehlen entsprechende
Hinweise«
«) Ebenda 1, 172 f f., IM l M
*) Nach Toeche S, 507 M. 3 war das Amt des Hof kammerers
vakant
«) M. a SS. 18, 100 f., 103 i
i
Ein ßeleg zur Zahlung des Lösegelds für Richard Löwenhsrz. 555
geleistet wurde. Jedenfalls war die Zahlung der lOOOOO Mark
in bar erfolgt. Deutsche und englische Quellen berichten
übereinstimmend , daß die erforderliche Menge Edelmetall
hauptsächlich aus den Schätzen der Kirchen stammte; sie be-
stand daher großenteils aus zerbrochenen Kelchen, Kreuzen
und anderen Kostbarkeiten ^) ^ die offenbar bei der Ab-
rechnung in London^) zum MetaDwert angenommen waren«
Dem Transport, der im Spätherbst 1 193 vor sich gegangen
sein muß, ist Heinrich VL bis an den Niederrhein entgegen-
ge2ogen.^) Die erste Rate des Lösegelds» im Betrage von
lOOOOO Mark, befand sich in seinen Händen, als er die Frei-
lassung Richards zugestand; das ist ein für die Auffassung
der letzten vorangehenden Verhandlungen geradezu entschei-
dender Umstand.*) Auf die zweite Rate (50000 Mark) scheint
eine Teilzahlung von 10000 Mark binnen kurzer Frist erfolgt
zu sein*^) Die Begleichung der Restschuld muß sich jedoch
über den im Vertrag festgesetzten Termin hinaus verzögert
haben. Im Sommer 1 195 schickte der Kaiser dem König eine
große goldene Krone®); Überbringer waren vermutlich die
gleichen Gesandten, welche die 6000 Mark in Empfang nah-
men. Schließlich soll allerdings der Kaiser einen Rückstand
von 17000 Mark erlassen haben, ^) Nach anderer Angabe^)
wurde das Lösegeld vor Erledigung der Geißeln voll gezahlt.
Gänzlich aufklären läßt sich also die Abwicklung der Ange-
legenheit noch nicht. Unklar bleibt ferner, ob Richard jemals
den bei seiner Lehnshuldigung für England zugesagten Jahres-
zins von 5000 Pfund Sterhng®) entrichtet hat. Immerhin zeigt
>) Otto V, S. Blasien, M. G, SS. 20, 324, vgl, Radulfus de Diceto,
SS, 27, 281 etc.
*) Roger de Hoveden, ebenda 166,
') Oislebert, M, G. SS, 21, 585.
*) Auch bei Jastrow-Winter a. a. O. S. 35 ff. tritt die Bedeu-
tung dieses Moments nicht genügend hervor*
») Radulfus de Diceto SS. 27, 283,
•) Roger de Hoveden SS. 27, 172, nach 24. JunL
^) Ebenda 173. Der dem Kaiser geBchuldete Rückstand
könnte nur 13000 Mark betragen haben.
*) Willelmus Neuburg. SS, 27, 247.
•) Roger de Hoveden SS. 27, 160.
36*
556 Georg Caro» Ein Beleg zur Zahlung des Lösegelds ete,
der tktenmäßige Beleg, daß Richard auch nach der Rückkehr
in sein Land sich nicht einseitig von den eingegangenen Ver-
pflichtungen hat lossagen können.
Seit das Heer Karls des Großen den Ring der Avtim
gesprengt und die dort aufgehäuften Schätze fortgeführt hatte,
ist kaum je auf einmal eine so gewaltige Masse Edelmetall in
Deutschland eingeströmt als durch das Lösegeld des Könige
von England. Unmittelbar darauf trugen 150 Saumtiere dit
Reichtümer der Normannenkönige Unteritaliens über die
Alpen**) Es ist nicht anders möglich^ als daß die Erfolg«
Heinrichs VI. der aufblühenden Geldwirtschaft einen starken
Impuls gaben.
0 Toeche S, M9.
Literaturbericht
Weltgeschichtlkhe Betrachtungen. Von Jakob Durckhardt. Her-
ausgegeben von Jakob Oeri. Berlin und Stuttgart, W. Spe-
mann. 1905. 294 S,
Der Grundstock des vorliegenden Buches ist ein Kotleg-
heft Burckhardts für seine zuerst im Winter 1868/69, dann
nur noch einmal im Winter 1870/71 gehaltene Vorlesung ,über
Studium der Geschichte"; ein Teil davon bildete außerdem
einen Zyklus von drei im November 1870 gehaltenen Vor-
trägen „über historische Größe** und das Schlußkapitel wurde
zu einem Vortrage vom November 1871 benutzt über .^GlUck
und Unglück in der Weltgeschichte", — etwas altfränkisch
klingende Themata» wie sie schon der Geschmack der vor-
rankeschen Geschichtschreibung liebte. Den Vorträgen über
„historische Größe" hat der Herausgeber den moderneren Titel
„Das Individuum und das Allgemeine*' gegeben, aber verwischt
damit vielleicht etwas die ursprüngliche Fragestellung. Auch
der übrige Inhalt der Vorlesung über das Studium der Ge-
schichte ist etwas anderes» als was ein zünftiger deutscher
Historiker darin wahrscheinUch bieten würde. Es ist nicht
Anleitung zu gelehrter Forschung und Methode, es ist auch
nicht philosophische Grundlegung der Methode, sondern es
sind Beobachtungen, die den Sinn für das Geschichtliche
überhaupt wecken woüen. Sie sind dann in der Hauptsache
eingeordnet in einen ganz festen und übersichtlichen Ge-
dankengang, indem er ausgeht von den drei großen Potenzen
der Geschichte: Staat, Religion und Kultur und dann nach-
einander die Bedingtheiten der einen durch die anderen ab-
handelt, — aber systematisch geschieht auch das nicht, und
558
Literat urberi cht«
das Aphoristische überwiegt. Aber wie einfach und tiatüHicfa
ist gerade diese Art, zum historischen Studium anzyleiteiL
Der Trieb des wißbegierigen Anfängers ist mehr auf du
historische Schauen als auf das historische Forscher, mein
auf das Ziei als auf die Hilfsmittel zum Ziele gerichtet. Es
wird ihm bei uns zwar bald und mit Recht klar gemacht, da^
dies dilettantisch sei, aber es ist einem jeden zu wünschem
daß ihm während seiner kritisch-methodischen Erziehung diese
dilettantische Begierde nicht ganz verloren gehe^ daß ihm dk
Ursprünglichkeit eines universalen historischen [nteressei
nicht geraubt werde.
Diese Ursprlinglichkeit besaß B. im hdchsteti Grade, undl
darauf beruht seine Größe und auch seine Sonderstellun;:
mitten der deutschen Geschichtschreibung, Gestehen wir c-.
uns nur ruhig ein, daß die nachrankische Geschichtsforscbung
in Deutschland Lasten zu tragen gehabt hat, die einen B*
nicht gedrückt haben. Er ging frei seinen eigenen Weg. un-
bekümmert um das, was seine Kollegen in Deutschland im
der strengen Wissenschaft willen für nötig hielten zu betreibeo^
Er überließ mit großartiger Nachlässigkeil seine „Kultur der
Renaissance^ einem ihm selbst nicht entfernt ehenbürttgtts
Forscher, um ihre späteren Auflagen dem Stande der Forschung
anzupassen, und entwarf dafür eine griechische Kulturgeschichte,
die von den heutigen Philologen als dilettantisch geschoHcn
wird und es von ihrem Standpunkte aus gesehen auch sein
mag, — hätten wir nur mehr solcher Dilettantenwerkel
Die Lasten, deren B. sich entzog, waren aber noch andere
als solche der methodischen Forschung. Und damit kommen
wir zu dem, was den Leser seiner „weitgeschichtlichen Be-
trachtungen" vieUeicht am meisten frappieren und aufregen
kann* Weltgeschichtliche Betrachtungen, angestellt in emem
Zeitpunkte weltgeschichtlicher Umwälzungen, erregen die Er-
wartung, daß der Sinn des Betrachters auch durch die großen
Vorgänge der Zeit angezogen werde, daß er sich mit ihnen
abzufinden, sie in den Zusammenhang seiner geschichtlichen
Auffassung zu stellen versuchen werde. Die Erwartung wird
auch nicht getäuscht, und es findet sich ein besonderes Ka-
pitel über die «geschichtlichen Krisen"^ und Zusätze dazu aus den
Jahren 1871 und 1873 über „Ursprung und Beschaffenheit der
Allgememea*
559
heutigen Krisis*'* Auch die Hoffnung, etwas ganz Bedeutendes
und Eigenes hier und in den Blicken auf seine Zeit überhaupt
zu finden, wird nicht enttäuscht. Aber man sieht sofort dabei
die KJuft, die seinen historischen Standpunkt von dem seiner
deutschen Zeitgenossen trennt. Unser historisches Denken
ist im großen und ganzen durch den Kampf um Staat und
Nation entwickelt worden. Die Schule dieses Kampfes hat
B. nicht mitdurchgemacht. Er hat sie sich wohl mit teils
interessiertem, teils skeptischem Blicke mitangesehen, aber er
hat sich wohl gehütet, auch nur so weit daran teilzunehmen,
wie etwa sein Landsmann Konrad Ferdinand Meyer, der doch
mit starker Gemütsbewegung die großen Geschicke der deutschen
Nation miterlebt hat* Damit ist gesagt, daß eine Fülle von Er-
fahrungen, Eindrücken und Idealen, aus denen sich unsere
historischen Begriffe und Urteile genäfirt haben, fUr B. nicht
existiert. Weder atmet er die Luft der großen politischen
Weltverhältnisse, die Ranke geatmet hat, noch hat er sein
Herz an die Vervollkommnung des Staates überhaupt gehängt,
und die Macht, die das Wesen des Staates ist, nennt B. mit
Schlosser, aber in größerem und zugleich stechenderem Sinne
als dieser, t,böse an sich**. Mit charakteristischer Kälte sagt
er (S. 32) von dem Großstaate, daß er in der Geschichte vor-
handen sei ^zur Erreichung großer äußerer Zwecke**, während
der Kleinstaat da sei» damit ein Fleck auf der Welt sei^ wo
die größtmögliche O^^ote der Staatsangehörigen Bürger im
vollen Sinne seien; durch seine wirkliche tatsächliche Freiheit
wiege der Kleinstaat „die gewaltigen Vorteile des Großstaates,
selbst dessen Macht, ideal völlig auf.*" An dem Zeitalter des
Absolutismus ist ifim der „bloße öde Machtgenuß" widerwärtig,
aber man wurde fehlgehen, wenn man nun etwa für den mo-
dernen liberal reformierten Nationalstaat wärmere Worte er-
wartete, Macht ist ihm eben „böse an sich", gleichviel wer
sie ausübe, und das moderne Treiben der Völker zur Einheit
und zum Großstaate sei „einstweilen in seinen Gründen noch
streitig und der Ausgang noch dunkel" (S. %). Man per-
horresziere das kleinstaatliche Dasein wie eine bisherige
Schande, man woJle nur zu etwas Großem gehören und ver-
rate damit deutlich, daß die Macht das erste, die Kultur
höchstens ein ganz sekundäres Ziel sei. Unfehlbar, meint er,
560
Literatlirbericht.
gerate man dabei in die Hände ehrgeiziger Dynastien oder
einzelner ^großer Männer*^ d, h. , solcher Kräfte» welchen gerade
an dem Weiterblühen der Kultur am wenigsten gelegen ist*.
Das sei, wird man vielleicht sagen^ die Abneigung des
Kulturmenschen und des Kulturhistorikers gegen den Politiker
und den politischen Historiker, Aber wie anders und eigen-
artig ist nun auch der Kulturbegriff B,s gegenüber der ge-
wöhnlichen Kulturschwärmerei, Auch die sog* moderne Kuktir
findet in ihm einen höchst pessimistischen Beobachter, Er
spöttelt über die modernen großstädtischen Konzentrationen,
er spötteh über Buckles Erkundigung nach moraJ progress^
»Gegenwart galt eine Zeitlang wörtlich gleich Fortschritt,
lind es knüpft sich daran der lächerliche Dünkel, als ginge
es einer Vollendung des Geistes oder gar der Sittlichkeit ent-
gegen* (S. 258). Kultur ist ihm vielmehr ,die ganze Sumtne
derjenigen Entwicklungen des Geistes, welche spontan gt-
schehen und keine universale oder Zwangsgeltung in Anspruch
nehmen". Das heißt, es bäumt sich auch der Kulturmensclt
gegen diejenige Kultur auf, die sich anschickt, Macht zu werden
und den Einzelnen zu regieren und zu zwingen, und er sieht
im Gegensatz dazu echte Kultur auch in ganz primitiven
Zeiten eines Kcinfachenj kräftigen Daseins* lebendig, ^Der
Geist war schon früh komplett!' ^
Man wird nach solchen Einblicken in seine persönlichsten H
Werturteile den besonderen Boden, auf dem seine großen
Werke gewachsen sind, erst ganz verstehen. Es würde eine
Aufgabe von höchstem Interesse sein, diesen Boden auf seine
geistigen Bestandteile hin naher zu untersuchen. Carl Neu-
mann hat früher schon auf merkwürdige Anklänge an die Ge-
schichtsauffassung der Aufklärungszeit in den moralisierenden
Urteilen B.s hingewiesen ; auch seine Antipathie gegen den
Machtstaat könnte daran erinnern. In seinen Vorstellungen
vom Wesen der Kultur und ihres Verhältnisses zum Staate
glaubt man bald Rousseau, bald Wilhelm v, Humboldt nach-
wirken zu sehen. Auch die Romantik hat mitgewirkt, und
man kann — ich hoffe das an anderer Stelle zu zeigen — ■
höchst interessante Berührungen mit den Urteilen des Restau-
rators der Staatswissenschaften, seines Schweizer Landsmanns
Karl Ludwig v. Haller nachweisen. Daß überhaupt der be^
Allgemeines.
sondere und zur selbständigen Fortentwicklung älterer Keime
höchst geeignete Boden der Schweiz bei B. überall durch-
schimmert, braucht kaum gesagt zu werden. Hier genoß er
zugleich Deckung vor den politischen und nationalen Macht-
kämpfen des übrigen Europas» und freie Aussicht auf alles
Kulturleben der Gegenwart und Vergangenheit. Ein für die
Kontemplation ungemein günstiger Standpunkt, und B. hat
diesen Vorteil mit voller Seele genossen. Er sah in der Kultur
des 19* Jahrhunderts den höchsten, eigentUch den einzigen
reinen Gewinn ^auf Seite der Betrachtenden" und in der
Fähigkeit des universalen Mitgefühls, die sie entwickelt hat,
und er hat, obgleich ihm alle übrigen Resultate dieser Kultur
mehr oder weniger zweifelhaften Wertes waren, doch diese
Betrachtung in großem und freiem, allem Menschlichem sich
Öffnenden Geiste geübt* So spüren wir in allen seinen Urteilen
und Auffassungen eine Frische und Ungebrochenheit, eine
Freiheit von Schulmeinung und Konvention, eine Selbständig-
keit gegenüber den großen Zeitströmungen, wie wir sie seit
Ranke bei keinem deutschen Historiker wieder erlebt haben.
Wir tragen alle in unserem historischen Denken die Spuren
und Narben der politischen und sozialen Kämpfe einer großen
Nation, — B* war von ihnen frei. Wir sind alle ,, kollektiver*'
in unserem Denken als er. Das ist es, was ihn für uns so
ungemein lehrreich und ergiebig macht. Aber indem wir
seine Stärke bewundern, brauchen wir uns auch unserer
eigenen Schwachheit nicht zu schämen, denn sie ist die Folge
einer auch in B.s Sinne unabweisbaren und großen geschicht-
lichen Notwendigkeit. Und wir können ihm vielleicht auch
das dabei entgegenhalten, daß man nicht nur durch reines
Betrachten, sondern auch durch Miterleben zur Erkenntnis
kommen kann, daß manche Seiten der Dinge sich nur dem
aufschließen, der an ihnen mitgestrebt und geschaffen hat. Mit
der reinen Kontemplation ist es eben auch nicht immer getan.
Sie kann, wenn sie sich gar zu fern vom Leben ihrer Zeit
hält, zu einer egoistischen Selbstgenügsamkeit werden, und
mancher wird vielleicht schon finden, daß B» dieser Gefahr
unterlegen ist. Wir glauben das nicht, wir halten seine welt^
geschichtliche Betrachtungsweise zwar nicht für die einzig
berechtigte, aber für eine überaus wertvolle* So wird unsere
562
Literatlirbericht
deutsche, am Staate und an der Nation orientierte Geschichti-
auffassurig zwar von der Kulturgeschichte im ß. sehen Sinne
immer zu lernen haben, aber auch sich selbständig neben \h
behaupten können.
Freiburg, fr. Mem$the^
Geschichte der deutschen Kulturgeschichtschreibung von der HItte
des 18. Jahrhunderts bis zur Romantik Ixn Zusammenh'
mit der allgemeinen geistigen Entwicklung. Von Ems
Schaumicel]. Leipzig, B, G. Teubner. 1905. 320 S. (Prds^
schrilt XXX der Fürstfich Jabtonowakischen Oesellschafl)
16 M.
Das Buch enthält einen sehr sorgfältigen und ausfOhr-
liehen Beitrag zur Geschichte der Entstehung des modernen
historischen Denkens, der historisierenden Weltanschauung
überhaupt. Freilich ist nicht das ganze Gebiet umfaßt ; der Vi
beschränkt sich au! Deutschland und gibt nur andeutungsweise
ein Bild der französisch-englischen Historie^ die der deutschen
erst den Anstoß zu ihrer Entfaltung gab. Auch handelt es
sich nicht um die Entstehung im eigentlichen Sinne, indem ji
die von Frankreich und England kommenden Impulse ledig-
lich verzeichnet und nicht ihrerseits in ihrer Genesis aufgezeigt
werden; das hatte in die Historie der Renaissance und in die
Theologie zurückgeführt und damit ein Untersuchungsgebiet
betreten, das noch der eingehenden Bearbeitung harrt. Auch die
deutsche vor der Mitte des 18. Jahrhunderts liegende Historie
ist nur kurz angedeutet. Der Vf. setzt mit der Wirkung der
Leibnizischen Kausalitats- und Kontinuitätsidee sowie mit detn
Einfluß des zur Kulturgeschichte erweiterten englisch- französi-
schen Denkens ein und gibt nur die deutsche Entwicklung
des prinzipiell-historischen Denkens, dabei überall sorgfältig
den Zusammenhang mit den allgemeinen geistigen Strömungen
hervorhebend. Leider fehlt dem Bande Inhaltsverzeichnis und
Register, so daß man sich die Übersicht erst selbst verschaffen
muß; auch klappt die Kapiteleinteilung nicht ganz. Er handelt .
L von »der Kulturgeschichtschreibung in Deutschland* und hierfl
I, von »der PartikuEargeschichtschreibung", und zwar a) von .
Friedrich dem Großen, b) Justus Moser, c) Winckelmann.
Dann handelt er IL von „der universalen Geschichtschreibung*,
AI] gerne inea,
563
und zwar l. von der Geschichtsplijlosophie, bei der merk-
würdigerweise neben Turgot und Condorcet der Wichtigste,
Rousseau, fehlt, und 2, von den Göttinger Historikern, Der
ganze Teil II war wohl eigentlich als Unterabteilung von Teil l
und als Parallele zur Partikulargeschichtschreibung gemeint»
Ein drittes Kapitel (lll) handelt von der f,deutschen Kultur-
geschichtschreibung unter dem Einfluß des vollentwickelten
deutschen neuen Geisteslebens in der zweiten Hälfte des
18, Jahrhunderts" und handelt nach einer Lessing, Goethe
und die neue Psychologie betreffenden Einleitung h von
Herder, 2. von der deutschen Kulturgeschichtschreibung unter
dem Einfluß Kants und 3. von der unter dem Einfluß Herders.
Es sind also offenbar in der Hauptsache zwei Perioden unter-
schieden: die unter französisch-englisch-Leibnizischem Einfluß
stehende Historie vor dem deutschen Idealismus und die
unter Lessings, Goethes, Herders und Kants Einfluß stehende
Historie des deutschen Idealismus selbst bis auf die Romantik»
Fichte, Hegel, Niebuhr und F. A. Wolf, Die letztere dritte
und wichtigste Gruppe fällt nicht mehr in den Plan der Dar-
stellung, wird aber mehrfach als die Fortsetzung angedeutet.
Diese Inhaltsangabe läßt schon erkennen, welch reiche Be-
lehrung man dem Buche entnehmen kann; vermißt habe ich
eigentlich nur Semler» der mit seiner aus dem historischen
Denken gezogenen Konsequenz eines restlosen Relativismus
und seinem Bestreben, dem durch Anleihen bald beim Offen-
barungssupranaturalismus , bald beim Rationalismus zu ent-
gehen, außerordentlich charakteristisch ist für die ganzen, mit
dem Historismus heraufgefiihrten Probleme* Bei Semler ist
es die Folge des mystisch-pietistischen Glaubensindividualis-
mus und der Beschäftigung mit der kritischen Quellenfor-
schung. Diese beiden Momente scheinen mir überhaupt ein
bischen zu kurz gekommen zu sein; insbesondere ist der
Untergrund empirisch-kritischer Forschung» aus dem alle jene
Generalistionen ihr Material zogen, allzu gelegentlich ange-
deutet Allein das beeinträchtigt nicht das Verdienst der
Arbeit, die sehr sorgfältige und hochinteressante Analysen
der von ihr behandelten Autoren gibt
Natlirlich ist eine solche Arbeit nicht zu schreiben, ohne
daß man selbst ein fdeal historischen Denkens besitzt, an
«
B64 Literätiirbericht.
dem man sich die vorliegenden Probleme dieses Denkens
klar macht und von dem aus man den Stoff g^ruppiert und be-
leuchte t Das Ideal, dem der Vf. folgte ist unverkennbar von
Lamprecht bestimmt Er mißt die Historiker an dem Miie
der von ihnen erreichten Ausmer^rung der individualistiscbefl,
politischen und teleologischen Methode, betont Überall die
Linien, die zu einer restlos kausal-genetischen, auch die großem
und kleinen Individuen sozlalpsychologisch oder koUektivistisdi
begreifenden Erfassung, zu einer Ersetzung der teleologisdi
gedachten Entwicklung durch die bloß kausal gedachte, spruag-
lose Kontinuität und zu einer restlos relativistischen, jede
Gruppe nur an ihrem eigenen Ideal messenden Beurtetlung
führt. Auch ist ihm die Forderung der Kulturgeschichte, die
alle Bestandteile menschlichen Handelns zu einem durchsicb-
tigen kausalen Ganzen verwebt, ein selbstverständliches, dtirch
kein Bedenken an der Lösbarkeit der Aufgabe beeinträchtigtes
Ideal aller wirklichen Geschichtschreibung« Freilich tauchen
gelegentlich auch noch andere Interessen der historisdiea
Denkarbeit auf, aber sie machen sich doch neben diesem eigent-
lichen Ideal nur schwach geltend. Eben deshalb wird auch
dem Denken der Aufklärung trotz seiner intensiven Beschif*
tigung mit der Historie doch der Charakter geschichtliehen
Denkarbeit bestrittenp weil es noch alles au! allgemeine^ ratio-
nelle Kulturnormen des geschichthchen Prozesses beziehi M
Eben darum sind Herder und Heeren die Höhepunkte der ■
Darstellung, wobei nur an Herder die Einmischung metaphp
sisch'-transzendenter Ideen getadelt und bei Heeren die An-
näherung an eine rein empirisch- erfahrungsimmanente Historie
gerühmt wird* Damit aber führt die Arbeit mitten in die
methodologischen und philosophischen Probleme des heutigen
Historismus hinein, deren Erledigung mir weniger selbstver-
ständlich scheint als dem Vf.
Heidelberg. E^ Traeiisck,
K. R. Brotherus, Immanuel Kants Philosophie der Geschichte.
Helsingfors 1905. VI II u. 136 S.
Eine kurze, übrigens sehr ungenaue Skizze des Kanti-
schen Denkens zeigt den Weg zum geschichtsphilosophischen
Problem. Kant rechnet zur Natur, Erfahrung und Erscheinung
I
I
i
Allgemein ed.
den empirisclien Geschichtsverlaul» den er daher nach streng
kausalen Methoden dargestellt zu sehen wünscht Aber über
diesen kausalen Empirismus geht er dadurch hinaus, daß er
neben der empirischen Forschung eine aus aprionsch-rationalen
Postulaten hervorgehende Geschichtsdeutung vornimmt. Dem
ersteren und seiner Methodik widmet Kant keine besondere
Beachtung; die Spuren Kantischer Anschauungen zeigen ihn
bestrebt, hier einen psychologisch-kausalen Pragmatismus
durchzuführen und lassen dabei auch Ansätze zu sozial-
psychischen Betrachtungen und Erklärungen erkennen. Aber
im ganzen wendet Kant dem weder ein großes Interesse zu,
noch geht sein Pragmatismus Ober dürftige Ursächlichkeits-
kategorien hinaus; er hat noch keine Ahnung von der Psycho-
logie der Primitiven, und denkt noch nicht an eine restlose
Durchführung des »Entwicklungsbegrifles**, indem er eigen-
tümliche Anlagen und individuelle ßesonderheiten als Erklä-
rungsmittel verwendet und diese nicht wieder selbst entwick-
lungsgeschichtlich-kausal ableitet. So fällt sein Interesse ganz
in das Gebiet der geschichtsphitosophischen Deutung, die
sich mit der Beziehung des Geschichtsganzen auf ein Ziel oder
mit dem Fortschrittsgedanken beschäftigt. Dieser Fortschritts-
glaube wird durch die einzelnen Schriften chronologisch ver-
folgt und erweist sich als sehr schwankend, da ihn bald die
Anerkennung des Radikalbösen, bald eine pessimistische Be-
urteilung des Menschen überhaupt, bald die Unerkennbarkeit
der transzendenten Zusammenhänge bedroht. So wird der
Fortschrittsglaube eigentlich zum Vorsehungsglauben, dem nur
die kritische Periode jede metaphysische Begründung und Be-
deutung nimmt, um ihn lediglich als moralisches Postulat bei
völliger Unerkennbarkeit seiner Verwirklichungsweise zu be-
zeichnen. Unter diese Unerkennbarkeit fallt dann insbesondere
das Problem der Beziehung der Vorsehung auf die intelligible
Freiheit und das nicht minder brennende Problem des Ver-
hältnisses des intelligiblen Charakters zu seiner Erscheinung
tm empirisch-kausalen Verlauf, Mit Recht weist der Vf. immer
wieder auf die auch von anderen hervorgehobenen Wider-*
Sprüche bin, die in der angeblichen Zeitloslgkeit des intelli^
giblen Charakters sowohl gegenüber einer Lenkung der
Geister zum Guten als gegenüber dem doch tatsächlich Jti
S66
Literaturbericht
ihn eingreifenden utid von ihm beeinflußten empirischen Ver-
lauf liegen. Hier bricht in der Tat der ganze kunstvolle Bau
der Synthese des Apriorisch- Rationalen und des Empirisch-
Psychologischen auseinander, der wohl für die Natürerkenii^
nis zweckmäßig sein mochte, der aber für eine Erkenntnis-
theorie der Geschichte und des geistigen Lebens so nicbi
ausreichend ist. Den Ausweg einer alternierenden doppelten
Betrachtungsweise verwirft der Vf, m. E, mit Recht*
So stünde man vor der Frage einer Um- und Fortbildung
der Kantischen Erkenntnistheorie der Geschichte, die die
Theorie der empirischen Geschichtserkenntnis weiter auszu-
bauen und an sie die der philosophischen Geschichtsdeutaing
und Bewertung anzuknüpfen hättei die insbesondere den Kau-
salttätsbegriff in einer Weise auszubilden hätte, daß er die
Originalität und Spontaneität von Neuentstehungen in sich auf-
zunehmen und die apriorisch-intelligiblen Handlungen in dea
psychologischen Kausalnexus einzustellen vermöchte. Diesen
Weg geht ein großer Teil der neueren Geschichtslogiker und
Geschichtsphilosophen* Es sei insbesondere auf die Arbeiten
von Max Weber hingewiesen (^Röscher u. Knies •» Jahrb. l
Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, Jahrg. 27, 2^t
30 und „Kritische Studien auf dem Gebiet der kulturwissen-
schädlichen Logik*, Archiv für Sozial Wissenschaft und Sozial-
politik B. 22). Aber der VI, geht nicht diesen Weg, sondern
schwenkt zii der neuen Lamprechtschen Methode , wissen-
schaftlicher Geschichte*' ab und rahmt seine Darstellung mit
Betrachtungen ein, die die relative Annäherung Kants an Lam-
precht hervorheben, im übrigen aber Kants Geschichtsphilch
Sophie zum alten Eisen werfen, weil Kant als Kind des «indi-
vidualistischen Zeitalters* der „individualistischen Methode*
einen verhängnisvollen Raum eingeräumt habe, ja Kant kann
geradezu als Beispiel der verheerenden Wirkungen der , indi-
vidualistischen Methode* dienen. In Wahrheit ist tndividuali'
stisch^ gesetzloSf indeterministisch, metaphysisch^ theologisch*
unwissenschaftlich identisch, wie umgekehrt kollektivistische
gesetzlich, deterministisch, empirisch, entwicklungsgeschicht-
lich, wissenschaftlich identisch ist. Nur die letztere Methode
vermag alles Geschehen gesetzlich und sozialpsychologisch zu
erklären, vermag die Entwicklung zu zeigen, in der jedes
I
4
Allgemeines*
S6f
Folgende im Vorhergehenden nach bestimmten Gesetzen schon
enthalten war. „Die individualistische Methode kann nun ein-
mal nicht von Begründungen außerhalb der empirischen Wirk-
Jichkeit frei sein", Individualität und Kausahtät schließen sich
auSi Kants Geschichtstheorie ist daher nur brauchbar, soweit
sie das Postulat psychologisch-kausaler Behandlung enthält;
aber das ist auch ihr ganzes Verdienst, das sie bereits in der
Ausführung verleugnet, indem sie von unerklärten individuellen
Anlagen usw, spricht Vollends aber in seiner Geschichts-
philosophie „macht sich die Individualistische Anschauungs-
weise bemerkbar*. Alle ihre Widersprüche rühren von ihr her.
Auch eine ,, Entwicklung" ist nur bei der Verfolgung der kausal-
psychologischen kollektivistischen Methode möglich, Kant
durchbricht die Entwicklung überall durch kausal unerklärte
individuelle Sprünge und Gegebenheiten, und, wo Kant von
Entwicklungszielen spricht, da ist es stets sein subjektiver Wille,
der gerade dieses Ziel betont* Daher hat Kant zuerst auch mit
seinem Zeitalter der Staatsidee als Ziel gehuldigt^ ist also in
den Schranken der „politischen Geschichte" geblieben. Wenn
er statt dessen dann zu der ethischen Persönlichkeitsgemein-
Schaft als Ziel übergeht, dann macht das die Methode nicht
besser« Denn die Methode bleibt auch so immer bei Werten
stehen, die sie nicht dem kausal-genetischen Ablauf entnimmt.
Das ist wenigstens deutlich geredet und offenbart mit unge-
wöhnlicher Klarheit die Gebrechen der „neuen Methode**. Der
Satz von der gegenseitigen Ausschließung der Individualität
und Kausalität und von der Gewinnung aller Gruppierungs-
und Beziehungspunkte aus dem reinen kausal-genetischen
Ablauf selbst statt aus spontanen Wertbejahungen enthält ihre
bedenklichsten Vorurteile in nuce.
Heidelberg. E. TroeUsch.
Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauf-
fassung. Eine sozialphüosophi&che Untersuchung. Zweite
verbesserte Auflage. Von Rudolf Statnmier. Leipzigs Veit
& Co. 1906. VIII u. 702 S.
Dies Werk Stammlers darf den Ruhm In Anspruch nehmen»
unter allen Büchern, die in der letzten Zeit auf dem hier in
Betracht kommenden Gebiet erschienen sind, die stärkste Wir-
i^
Literaturbericlit
S6S
kurig hervorgebracht zu haben. Der Kreis derjenigen. iSe
sich unmittelbar und ganz zu ihm bekannt haben, ist viellr
klein zu nennen, wiewohl es nicht verächtnche Autoren ^
die er zu seinen Anhängern zählt. Aber zu einer ertistea
Auseinandersetzung mit ihm sah sich jeder genötigt, der
dem sich beständig steigernden Interesse für die Grundfrü^
der Jurisprudenz, der Nationalökonomie und der GeschiditS'
Wissenschaft erfüllt war, und auch diejenigen^ die sich schlecht-
hin ablehnend gegen ihn verhalten zu müssen glaubten, werden
ihm für bedeutende Anregungen Dank wissen. Die Zahl dir
Stimmen, die sich zu seinen Darlegungen geäußert haben, is«
außerordentlich groß.^) Den sichtbarsten Beweis für den Ein-
druck, den das Werk hervorgerufen hat, haben wir in der
Tatsache, daß von der sehr umfangreichen, an den Leser
überaus hohe Anforderungen stellenden Darstellung nach it\m
Jahren (über die im Jahre 1896 erschienene erste Auflage s.
H. Z. 78, S. 78 ff,) eine neue Auflage notwendig geworden ist;
ein erfreuliches Zeichen übrigens, daß in unserer so eilif
lebenden Zeit unter Umständen doch auch die schwerste Lek-
türe viele Freunde findet. Was zunächst das äußere Verhältnis
zwischen der ersten und der zweiten Auflage betrifft, so ist
der Um lang des Textes etwas verringert worden* Dagegen
haben die am Schluß gegebenen Anmerkungen eine wesent*
liehe Vermehrung erfahren, und es sind ferner ein Obenus
eingehendes Sachregister, das die Benutzung des Buches sehr
erleichtert^ und ein Autorenverzeichnis hinzugekommen. Daß
St« seinen Standpunkt viel ändern würde, war bei einem so
gründlichen und konsequenten Denker, der nicht die Früchte
einer flüchtigen Überlegung bot, nicht zu erwarten. Im ein-
zelnen aber finden sich doch manche bemerkenswerte Ande*
Hingen (auch Zusätze) und nicht bloß formeller Natur, Die
unmittelbare Polemik gegen seine Kritiker hat St in die An-
merkungen verwiesen. Schon früher haben wir hervorgehoben,
*) Äußerungen bis zum Jahre 1900 hat Stammler in dem AiiM
, Materialistische Oeschichtsauffassung*' in der 2. Auflage de»^
Handwörterbuchs der Staats Wissenschaften notiert. Seitdem sind
aber noch sehr viele hinzugekommen. Vgl. z. B, außer den Aul*
Sätzen von M. Weber im Archiv für Sozial Wissenschaft Radbrucli.
ebenda Bd. 22, S. 370.
Alte Geschichte*
569
daß er den Wert der historischen Einzelforschung unterschätzt
(vgL H. Z. 78, S. 82; 81, S. 242; 90, S. 97). Er liefert aber
selbst eine Widerlegung dieser Geringschätzung, wenn er ge-
legentlich stark betont, daß dieser oder jener historische Vor-
gang das eine Motiv gehabt habe und ein anderes nicht. Um
eine seiner hierher gehörigen Behauptungen zu berichtigen,
so vergleiche zu seiner Erklärung der Rezeption des römischen
Rechts meine Schrift über die Ursachen der Rezeption S, 149 ff-
Freiburg i. B. C, v. ßelow^
Die Angriffe der drei Barkiden auf Italien, drei quellenkritisch-
kriegsgeschichtliche Untersuchungen, mit 4 Übersichtskarten,
5 Plänen und 6 Abbildungen. Von K. Lehmann» Leipzig,
Teuhner. 1905. VIII u. 309 S. 5 M.
Die erste größere Hälfte dieses Werkes eines Schülers
von H, Delbrück behandelt die Streitfrage über Hannibals
Alpenübergang. Der Vf. verficht mit Geschick und Gelehr-
samkeit die Ansicht, daß der karthagische Feldherr die Rhone
zwischen St. Etienne und Mornas (etwas nördlicher als Roque-
maure, wo gewöhnlich der Übergang angesetzt wird) über-
schritt, daß er dann rhoneaufwärts bis Valence bei der Is^re-
mündung vorging. Hier zwischen Rhone und Isfere, südlich
des letzten Flusses, setzt er die », Insel" an, die gewöhnlich
nördlich der Is^re im AUobrogeriande angenommen wird. Die
ebene Landschaft um Valence ist zwar sehr beträchtlich kleiner
als das Nildelta, mit dem sie Polybios in seiner Beschreibung
in bezug auf Große und Fruchtbarkeit vergleicht! allein ein
diesen Erfordernissen ganz entsprechendes Gebiet am Abhang
der Westalpen ist überhaupt nicht nachzuweisen. Von der
„Insel" setzte Hannibal seinen Marsch die Is^re aufwärts über
den kleinen St. Bernhard fort und stieg durch das Tal der
Dora ßaltea in die Poebene, unternahm dann südwestlicfi aus-
biegend den Angriff auf das Land der Tauriner und rückte
nach Eroberung von deren Hauptort wieder nach Osten, wo
er am Tessin mit Scipio zusammenstieß. Die Angaben über
die Verluste auf dem Alpenmarsche sind — auch bei Polybios
— arg übertrieben, weil sein Heer schon seit dem Aufbruch
aus Spanien (und nicht erst seit der Ankunft in Italien) nur
25—28000 Mann zu Fuß, 7500—8000 R. und 37 Elefanten
HlBtoriscb« Zeltichrift (97, Bd.) 1. Folge K Bd. 37
L
L it eratu rberi ch L
«
p
lählte^ von denen er etwa 5—8000 Mann zu Fti§ und 1500
bis 2000 R. verlor.
Auf der angegebenen Marschlinie bringt Lehmann dit bei
Polybios näher beschriebenen Punkte, an denen feindliche
Scharen oder besondere Geländeschwierigkeiten zu überwinden
waren, beim Bec de TEchaillon, bei Cevins im Is^retaJ und m
der Taihandschlucht hinter La Thuille am gleichiianiigen in
die Dora Baltea mündenden Bache unter. Mit diesen Ansätzen
stimmt sowohl^ was Polybios (von den später von ihm zuge-
setzten 1200 und 1400 Stadien abgesehen) an Distanzangaben
bietet, als auch das heutige Gelände^ das der Vf* zum Tn\
persönlich in Augenschein genommen hat, Livius hat seiner
Darlegung zufolge den Polybios neben anderen Quellen b^
nutzt; aus einer solchen stammt der Einschub, in dem der
Duranceübergang erwähnt wird. Diese Quelle des Lhm
nannte aber nicht wie Livius die Durance, sondern schildert?
den Rhoneilbergang: auf diesen Fluß allein passen die Ein-
zelheiten der Beschreibung selbst» Livius läßt ferner infolge
eines Fehlschlusses Hannibal bei den Taurinern (also durch
das Dora Rlparia-Tal) in Italien anlangen; nach Polybios km
er vielmehr im Insubrerlande an und die Tauriner waren nur
der erste von ihm bekriegte Keltenstamm, was eben Livius
zu seiner falschen Vorstellung und Ausdrucksweise Anlaß gaK
Der schwächste Punkt dieser Darlegungen liegt m. E
darin, daß auf die Angabe des Polybios, Hannibal sei ins.
Insubrerland herabgestiegen, so großes Gewicht gelegt mM;]
das wäre nur dann zulässig, wenn das Insubrergebiet von der
Ausmündung des Dora Baltea-Tales nicht so weit entfernt lägt
als dies in Wirklichkeil der Fall ist, während man allerdingi
aus dem Dora Riparia-Tale zu den Taurinern kommt, wie Livius
sagt. Allein damit will ich die Position der Verfechter der
Mont Genfevretheorie (mit deren Varianten) nicht verstärken;
es ist vielmehr zuzugeben, daß L.s Kritik der Livtusstellen,
an denen die Druentia genannt wird, sehr zutreffend ist, und
daß deren Beziehung auf den Rhoneübergang ein hoher Gr&il
von Wahrscheinlichkeit zukommt, falls man diese Stellen nicbt
überhaupt als rein rhetorische Schilderungen ganz verwirfL
Damit ist eine Hauptstütze der Mont Gen^vretheorie in def
Tat als schwach erwiesen, aber doch nicht so ganz zerforochen.
Alte Geschichte.
571
wie der Vt* annimmt, weil die zweite von ihm angefochtene
Angabe des Livius (die Ankunft bei den Taurinern), die er
als einen Fehlschluß des römischen Geschichtschreibers ganz
eliminieren möchte, mit jener Nennung der Druentia in einem
unlösbaren sachlichen Zusammenhang steht. Man muß also
auch, wenn man an der Route über den kleinen St. Bernhard
festhält, zugeben, daß dieser Annahme eine Überlieferung bei
Livius (oder in einer seiner Quellen) entgegensteht, nach der
Hannibal durch das obere Durancetal auf die Paßhöhe hinauf
und durch das Dora Riparia-Tal zu den Taurinern hinabstieg.
Diese Überlieferung mag falsch sein, aber sie ist vorhanden.
Hasdrubals Alpenübergang über den Mont Genfevre setzt
der Vi ins erste Frühjahr 208, das Lager der Römer und Kar-
thager vor der Schlacht am Metaurus bestimmt er nicht bei
Sena-Gallica^ sondern im ager Senonum bei Fano, an dem Knie
der via Flaminia dies- und jenseits des Arzillabaches, Die
Schlacht fand nicht am linken, sondern am rechten Ufer des
Metaurus statte der nächtliche Abmarsch Hasdrubals aus dem
Lager vor Fano hatte keineswegs den Zweck, sich vor den
vereinigten römischen Streitkräften nach der Poebene zu
flüchten, sondern er verband damit die überaus kühne Ab-
sicht, im Rücken des römischen Lagers die Straße und den
Metaurusübergang zu erreichen und sich so mit Hannibal, der
inzwischen bis an die AternusmUndung vorgedrungen war,
zu vereinigen. Bei Calmazzo oberhalb Fossorabrone erlag
jedoch Hasdrubal den Römern, die Ihm eilends nachrückten.
Diese Darlegungen scheinen mir durchaus überzeugend. End-
lich erörtert L. noch die Nachrichten über Magos Unter-
nehmungen in Ligurien und über den Aufstand der Ligurer
und Gallier unter Hamilkar, der die Eroberung von Placentia
zur Folge hatte. Er sucht aus den livianischen Berichten
mehri als gewöhnlich geschieht, festzuhalten. Ihr Wert wird
vor allem daraus ersichlllch, daß die Schlachtbeschreibungen
des Livius keineswegs schematisch sind, sondern vielmehr
deutlich erkennen lassen, wie viel die römischen Feldherrn in
taktischer Hinsicht (Treffenordnung) von den Karthagern ge-
lernt hatten.
Den analysierenden und kritisierenden Abschnitten läßt
der VL jeweils darstellende Abschnitte folgen* Seine Arbeit
37*
572
Literaturberieht.
muß als ein sehr wertvoller Beitrag zur Geschichte des zwiim
ponischen Krieges bezeichnet werden.
Graz. Adolf Bauer,
Lts Ceiies depuis /rs iemps ies pltss anciens jmsqu'en Van W
avant notre ire. ^titde hlstorique par ii» €i'Ati^QiS de
Jmbmittviile, membre de VinsUtut^ pro/essetir au callqt
de France, Paris ^ Albert Fontemoing^ äeUieur, (904. XU b.
220 S.
Dieses Buch ist aus 20 im Jahre 1902/03 gehaltenen Vcw^
trügen entstanden und schildert die Gliederung und Eigenm^
die Ausbreitung und den Rückgang der keltischen Nation bii^
zur Zeit der Cimbern kriege. Als die ursprüngliche Hein
der Kelten ist nach dieser Darstellung das heutige Süddeutsi
land anzusehen, das Land zwischen Main, Rhein und DonaoLl
Von hier haben sich die Kelten erobernd nach allen Seitea
hin ausgedehnt, einen großen Teil von Norddeutschland mw^
lieh der Elbe besetzt, den Rhein überschritten, das spitm
Gallien erobert und in zwei Ziigen die britischen Inseln
Besitz genommen; sie sind tief in die PyrenMJsche Halbtnsd^
eingedrungen, haben ferner die Alpenlandschahen besiedelt
und sind von hier (um 400 v, Chn) nach OberitaJien gelangt
Ostwärts haben sie Böhmen und Mähren besetzt, sind dk
Donau hinabgezogen, haben große Teile ihrer Uferlandschtften
und auch Thrakiens in Besitz genommen; schließlich sinct
einzelne Stämme sogar über den Hellespont gegangen, um
sich mitten in Kldnasien häusUch niederzulassen. Überal
wohin sie kamen, haben sie frühere Einwohner vorgeluiukn
und verdrängt oder unterworfen, im Westen Ligurer und Ibeftr,
in den Ostalpen venetisch-ill?rische Stimme, in ObentilMs
Etnisker. Auch die Germanen, die damals zwischen f3bt
und Weichsel wohnten, haben sie in Öntertitiigkeit gehiitc&
Dann aber eHolgte der Niedergang der keltiscben
Die Gentimnen machten sich von ihnen las^ tftebeu
Ober den Rhein und besetzten das rechte Rheinufer^
auch die Landschafteii zwischen Main und Donm
Böhmen und Httmu. In Spanien wunleii die
Kmrth^gefTi uni Mtecm untenrorien, ac
Römern teSi veij^gt, teak laÜTitsiert, auch das
jk
Alte Geschichte.
S7S
Gallien hatte ein ihnliches Schicksal, und schließlich sind von
dem einst so großen Volke nur einige Reste übriggeblieben.
Doch haben sie überall, wo sie wohnten, in den Fluß- und
Ortsnamen deutliche Spuren ihres Daseins zurückgelassen.
Sie haben ferner von ihrer Eigenart ihren Nachbarn und
Untertanen, auch den klassischen Völkern mancherlei mitge-
teilt- Diese Spuren und Reste ihres Volkstums hat der Vf.
aufgesucht; verbunden mit den Nachrichten der Alten, ge-
währen sie die Möglichkeit, die frühere Ausdehnung der Kelten
zu bestimmen.
Bekanntlich ist die Geschichte der Kelten überall da, wo
uns die Überlieferung im Stiche läßt, ein unsicheres, schlüpf-
riges Gebiet, auf dem schon mancher zu Fall gekommen ist;
auch von den Ausführungen des Vf. ruht manches auf recht
unsicherem Grunde, und ein kritischer Leser wird seine Vor-
behalte zu machen haben, wie es auch im einzelnen nicht an
Ungenauigkeiten und Widersprüchen fehlt. So ist, um ein
Beispiel zu geben, die ehemalige Anwesenheit einer keltischen
Bevölkerung zwischen Weser und Elbe oder gar in Nord-
albingien, wie Vf. sie annimmt, ein sehr zweifelhaftes Ding*
Ebenso fehlt es der S. 176 vorgetragenen Vermutung, daß der
Einbruch der Kelten in Oberitalien vom Jahre 299 v* Chr. mit
ihrer Verdrängung aus Norddeutschland zusammenhänge, durch-
aus an der nötigen Begründung. Ganz und gar nicht einver-
standen bin ich mit der Art und Weise, wie der Vf. die be-
kannten Nachrichten des Cäsar bell Gall. VI, 24 und Livius
Vj 34 behandelt* nach denen die Kelten vom spateren Gallien
aus nach Italien und ins heutige Süddeutschland gewandert
sind, wobei freilich zu bemerken ist, daß er hierin nicht allein
steht, sondern an anderen Forschern, wie Müllenhoff, Vor-
gänger hat. Mit Recht hält er dafür, daß diese Nachrichten
erst einer späteren Zeit entsprungen sind, als der keltische
Stamm im wesentlichen schon auf das linksrheinische Gebiet
beschränkt war, und laßt seinerseits die oberitalischen Kelten
nicht mit Livius von Westen, sondern von Norden her aus
den Alpen- und Donaulandschaften in Italien eindringen.
Gleichwohl will er die Erzählungen nicht preisgeben; er
kehrt sie um, bessert sie und macht z« B. den Ambigatus des
Livius, den Vater des ßellovesus und Sigovesus zu einer Art
574 Literaturbericht,
Großkönig der süddeutschen Kelten. Er glaubt, daß den s|^
leren Nachrichten allere Traditionen zugrunde liegen, md
hält sich für berechtigt, einzelne 2üge zu einem neuen, guu
anderen Bude zusammenzufügen. Dies ist nach metner Mei-
nung nicht erlaubt; man muß die überlieferten Nachrichten
entweder so annehmen, wie sie sind und sein wollen, orfer
verwerfen; nun darf nicht etwas In sie hineindeuten, wm
nicht in ihnen erhalten ist oder ihnen gar widerspricht.
Wenn ich also auch in manchen Stücken anderer Mei-
nung bin als der Vf., so ist das Buch doch im ganzen als eii;
wohlgelungenes Werk anzusehen und zu begrüßen. Die ehe-
malige Ausdehnung und Bedeutung der keltischen Nation wid
in der Hauptsache durchaus zutreffend geschiidert. Der VL
hat vollkommen recht, wenn er ihr eine wichtige Rolle xo-
weist, und wir müssen ihm Dank wissen, daß er die Ergeb-
nisse seiner Forschungen ohne gelehrten Apparat in einer
klaren ungeschminkten, anziehenden Darstellung zusammen-
gefaßt hat und so versucht hat, ein größeres Publikum fDr
einen Volkstamm zu interessieren » der einen wichtigen Be-
standteü der heutigen westeuropäischen Bevölkening bildet
Marburg, Benedictus Niese.
Deutsche Verfassungsgeschichte, Von Andreas tleusler. Leipzigt
Duncker £ Humblot, 1905, X u, 298 S.
Dies Buch enthält eine erhebliche Anzahl von Unrichtig-
keiten und Ungenauigkeiten, Von anderer Seite ist schon
dem Befremden darüber Ausdruck gegeben, daß Hetisier
sich die ganz unhaltbare (s. Stutz, Ztschr der Sa v. -Stiftung.
Germ. Abt, Bd, 26, S. 349 ff, und Ztschr, f, Sozialwissenschift.
1906, S. 68 f.) Theorie, die Rubel in seinem übrigens ja sehr
gelehrten Buch ^Dle Franken, ihr Eroberungs- und Siedelungs*
System im deutschen Volkslande" vorträgt, angeeignet hit
Wenn dies vielleicht das auffälligste ist, so findet sich im ein-
zelnen leider auch noch viel anderes^ was moniert werden
muß. Um einiges hervorzuheben, so setzt H. S, 166 eingehend
auseinander, daß nur König und Fürsten, nicht aber Grafen
Ministerialen haben. Es ist indessen allbekannt, daß sie sich
in Norddeutschland auch bei den Grafen finden ; eines der
wertvollsten Ministerialenrechte stammt von einem Graienhof
Mittelalter
575
(dem von Tecklenburg). Einmal macht H. die Einschränkung,
„wenigstens nicht mehr zm Zeit des Schwaben spiegeis** hätten
die Grafen Ministerialen gehabt. Wenn er hier einen Unter-
schied der Entwicklung statuiert, so ist das ganz unzulässig;
es handelt sich lediglich um einen Unterschied der Land-
schaften. Gerade aus der Zeit des Schwabenspiegels gibt es
eine Fülle von Nachrichten über Ministerialen norddeutscher
Oralen. S* 167 behauptet H. : „ihre (der Ministerialen) Hof-
ämter wurden zu Ehrenämtern und Titeln, während der eigent-
liche Hof dienst auf untergeordnete milUes überging* So ver-
hielt es sich doch, wenigstens im allgemeinen, nicht. Viel-
mehr war die Entwicklung wohl in der Regel die, daß, nach-
dem die Hofämter erblich geworden, der Landesherr wechselnde
Inhaber der Ämter schuf, denen nun die wichtigsten Kompe*
tenzen zufielen, während jene im wesentlichen auf eine äußere
Ehrenstellung beschränkt wurden. Im Übrigen sei hinsichtlich
der Geschichte der Minislerialität auf die neueste Kontroverse
Wittich-Heck {Vierieljahrschrift für Sozial- und Wirtschafts-
geschichte, Jahrgang 1906) hingewiesen* S. 177 gibt H, eine
Definition des Begriffs Landesherr (warum sagt er konstant
„Landherr*"?), die zwar insofern richtig ist, als sie den Zu-
sammenhang mit den gräflichen Rechten hervorhebt, aber
diesen nicht zutreffend bestimmt. Später (S* 183) sieht er
sich genötigt, auch die ^freien Herrschaften*, im Gegensatz
zu seiner Definition, zu den landesherrlichen Gebieten zu
rechnen. Er will nun diesen Widerspruch beseitigen, indem
er behauptet (S. 184), die Inhaber jener Herrschaften gehörten
„streng genommen" nicht zu den Landesherren. Allein tat-
sächlich sind z. B, die Herren von Hohenlohe und von der
Lippe auch vor dem Erwerb des Grafentitels durchaus Landes-
herren gewesen. In dem Abschnitt ^Städtische Entwicklung**
(S* 195 f*) ist kaum ein Satz richtig. Es überrascht, wie wenig
H, hier von der neueren Literatur Notiz genommen hat*
Im Vorwort bemerkt H,, er habe sein Buch , nicht für die
Rechtshistoriker vom Fach* verfaßt, vielmehr für einen größeren
gebildeten Leserkreis. Wegen jener Ungenauigkeiten wird es
indessen kaum geeignet für diesen Zweck sein. Denn „der
Gelehrte kann nachprüfen, der Laie muß in der Regel ver-
trauen", tn der Form stellt es allerdings einen sehr inter-
576 Literaturbericht
essanten Versuch dar, dem Leser in edler populärer Schilde-
rung die großen Züge der deutschen V^erfassungsgeschichte
vorzuführen, wiewohl nach meinem Gefühl noch immer m
viel gelehrter Ballast im einzelnen mitgeschleppt wird. Wer
einen solchen Versuch erneuern wird, der wird dankbar auf
H*s Buch zurückgreifen. Aber das Bedürfnis eines größeren
Leserkreises kann dieses eben einstweilen nicht erfüllen^ und
seinen Hauptnutzen wird es in dem haben, was es dem Fach-
mann bietet Denn Beachtung seitens der Forschung verdient
es in der Tat» H. ist ein so originaler Kopf, daß man ihn
immer gern hört, auch wenn ,er unrichtiges mit richtigem
mischt. Und in dieser Beziehung erhält auch jener gelehrte
Ballast seinen Wert: Ei. bemüht sich mehrfach um eine g^
nauere Interpretation wichtigerer Rechtsdenkmäler (vgL x, B
S, 170 ff* über das siaiuiam in favorem principum}. Hervor-
zuheben ist ferner, daß er die verfassungsgeschichtliche Ent*
Wicklung in den Fluß der politischen Geschichte stellt und,
im Zusammenhang damit, die Persönlichkeit der Herrscher*
die an einem Wendpunkt stehen, zu würdigen sucht (vgl z. B.
S. 147, 162, 168), Endlich erwähnen wir die Sympathie, die
er unserm neuen Deutschen Reiche widmet; sie ist deshalb
erwähnenswert, weil sie ein Ausdruck von H*s groß angelegter
Natur ist.
Freibürg i. B. G, v. Beiow.
Die Geschichte des literarischen Porträts in Deutschland- Von
Friedrich M. Kircheisen. Bd. I; Von den ältesten Zeiten
bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts, Leipzig, K- W. Hirse-
mann, 1904 Vm u. 170 S,
Vf, hat eine große, verdienstliche Arbeit unternommeiu
deren Thema bis jetzt erst In vereinzelten Untersuchungen
angegriffen ist und in den verschiedensten Hinsichten be-
deutendes Interesse bietet. Im vorliegenden Buche steht die
Frage im Mittelpunkt, wie sich die Fähigkeit, Individualität
aufzufassen und darzustellen, im Mittelalter entwickelt hat*
Die hier behandelte Epoche wird S* 4 dahin charakterisiert:
,Der Einzelne ist im allgemeinen noch nicht erfaßt:
a) Charakteristik durch Beigabe von Epitketls arnaniibtts,
b) Schilderung mit typischen Motiven, denen die Ausbildung
I
<
k
Mittelalter.
eines Ideals zugrunde liegt; Ausnahmen finden sich in
einigen Geschichts werken der von fremder, höherer Kultur
beeinflußten Geistlichkeit, vornehmlich der Karolinger- und
Salierzeit. **
Man kann diesem Urteil im ganzen zustimmen, wenn man
den Begriff des literarischen Porträts auf ausdrückliche
Schilderungen und Beschreibungen der Persönlichkeiten ein-
schränkt. Aber diese Einschränkung scheint mir nicht be-
rechtigt, insofern der Vf. die fortschreitende Fähigkeit zu indi-
vidualisierender Auffassung überhaupt im Auge hat. Um davon
ein vollständiges , zutreffendes Bild zu erhalten « sind meines
Erachtens überall auch die ganzen Darstellungen der Persönlich-
keiten in Taten und Worten zu berücksichtigen, nicht nur^
wie Vf* es tut, einzelne Stellen, worin die Persönlichkeiten in
beschreibender Form gekennzeichnet werden. Auf Grund
solcher Stellen spricht VI. z. B. dem Biographen Konrads 11,,
WipO; S. 144 die Fähigkeit ab, individuell zu schreiben; und
doch bietet uns dessen Werk außer anderem jene sarkastischen
Bonmots, wodurch die harte Persönlichkeit Konrads so einzig-
artig gekennzeichnet wird, besser als es durch irgendwelche
beschreibende Charakteristik geschehen könnte. Ferner wird
Widukindf S. 104, mit der Bemerkung übergangen, daß er leider
keine ausführlichen Lebensbeschreibungen enthalte; und doch
gewinnen wir durch seine Darstellung so eindrucksvoll sich
abhebende Bilder von der überragenden Charaktergröße
Ottos L, dem jugendlich empfindsamen Ungestüm Lindolfs, dem
gereiften Realismus Heinrichs, und er hat eine so individuell
charakterisierende Szene zu schreiben vermocht, wie die der
Zusammenkunft zwischen den beiden letzteren im Buch 3,
Kapitel 18. Auch Ruotgers VUa Brunonis ist in dieser Hinsicht
unterschätzt, nicht minder die epische Dichtung, soweit Vf.
sie fieranzieht, usw.
In der ganzen Behau diu ngs weise des Themas ist Vf, offen-
bar stark beeinflußt durch die Leipziger Monographien von
Kleinpaul und Kühne („Das Typische in der Personenschilde-
rung der deutschen Historiker des 10. Jahrhunderts* und
„Das Herrscherideal des Mittelalters und Kaiser Friedrich I.*),
sowie durch Lamprechts Anschauungen in dessen „Deutscher
Geschichte**. Nicht nur in der eben erwähnten Hinsicht, sondern
678
Üteraturbericht,
auch anderweitig. Er betont, wie jene, mit voJJem Recht die
Bedeutung, welche zu Ungunsten individueller Schilderung
das jeweils geltende Idealbild des Helden, des Geisüicheo,
des Herrschers als typisches Vorbild und Muster der Personen-
beschreibungen bat. Aber dieses Ideal selbst bestimmt er*
wie jene ebenfalls, zu einseitig, nicht umfassend genug aus
dem ganzen Gesichtskreis der Zeit heraus. So ergeben sich
ihm namentlich die typischen Züge des Geistlichen wesentlich
aus dem Geiste des Mönchtums, aus den Normen der Kloster-
rageln (vgl S. 93. 110. 113, 143), während er die breitere
Grundlage der kirchlichen Anschauungen überhaupt gar nicht
berücksichtigt. Von welcher Tragweite diese für das Typische
der mittelalterlichen Auffassung sind, glaube ich in meinen
Abhandlungen über „Otto von Frei sing und der Charakter
seiner Werke" (in den Mitteilungen des Instituts für öster-
reichische Geschichtsforschung 1886, Bd, 6) und über „Politische
Begriffe des Mittelalters im Lichte der Anschauungen Augustins"
(in der Deutschen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft lS^b/97,
Jahrg, l) gezeigt zu haben. Gerade für das vorliegende Thema
kommen diese allgemeinen Anschauungen sehr in Betracht
Der Gegensatz von Gottesbürgern und Teufelsgenossen, von
christlicher und unchristlicher Obrigkeit, vom gerechten Hirten
und selbstsüchtigen Tyrannen, zwischen dem Wirken der einen
in Frieden, Gerechtigkeit, selbstloser Demut und Liebe zu
Gott, und dem Wirken der andern in Zwietracht, Ungerechtig-
keit, Hochmut und Abtrünnigkeit — das ist der entscheidende
Maßstab für Beurteilung und Darstellung der Persönlichkeiten,
daraus ergibt sich der typische Kanon ihrer Charakterzüge in
erster Linie, Wir stoßen überall in den Charakteristiken der
Könige und Fürsten auf jene allgemeinen Kennzeichen und
Eigenschaften des wahren christlichen Herrschers bzw* des
teuflischen Tyrannen, wie sie klassisch zusammengestellt sind
in der wahrscheinlich dem 9. Jahrhundert angehörenden Schritt |
De äuoäecim abnsionlbus saecuHf wie sie bei den Kirchenvätern,
in den Kommentaren zur Apokalypse, in den Prophetieen vom
Endkaiser und Antichrist auftreten. Die einseitige Zuweisung
der Regenten zu den Guten oder Bösen, die Charakterschilde-
rungen mit nur weißen oder schwarzen Farben, w^elche Vf,
S. 65 und 94 zwar bemerkt, aber nur obenhin erklärt, ent-
r
Mittelalter.
579
sprechen jenen durchgreifenden typischen GegensätzeHi Das
antike Herrsch erideal kann daneben nicht zu vorwiegendem
Einfluß gelangen^ trotz der karolingischen Renaissance nicht.
Es ist bezeichnendj daß Einhards viel gelesene und bewunderte
Biographie Karls des Großen in dieser Hinsicht nur sehr ge-
ringe Wirkung gehabt hat; denn ich sehe nicht, worauf sich^
abgesehen von der einen Biographie Ludwigs des Frommen,
die entgegengesetzte Behauptung K*s S, 99 stützt. Auch für
die Geistlichkeit gilt jenes Ideal der Gottesbürgerschaft nebst
seinem Kontrast; das Mönchtum ist nun eine, wenngleich in
abstracto die vollkommenste Gestalt desselben. Wie weit
diese Gestalt auch für den Weltgeistlichen, ja in größerem
Grade selbst für den Laien maßgebend ist oder sein soll, diese
folgenreiche Frage berührt das vorliegende Thema nicht wenig
und wäre namentlich bei der Beurteilung von Biographien
Weltgeistlicher zu beachten gewesen* Ich möchte, um nicht
zu weit ins einzelne zu gehen, nur ein Beispiel für die Er-
heblichkeit des letzterw^ähnten Momentes anführen. Der
Biograph des Erzbischofs Bruno von Köln, Ruotger, verteidigt
seinen Helden gegen den Vorwurf, die Verwaltung des Herzog-
tums Lothringen übernommen und sich dadurch in Staats-
und Kriegsgeschäfte eingelassen zu haben, da er doch nur
ein Seelenhirte sein sollte; Ruotger meint, diesen Vorwurf,
der offenbar von mönchischer Ansicht ausgeht, vollgültig zu
entkräften durch den Nachweis, daß der Erzbischof in seiner
politischen Tätigkeit stets und überall nur für Frieden gewirkt,
das himmlische Gut des Friedens in ungewohnter Weise ver-
breitet habe; das genügt, scheint aber erforderlich, um Bruno
als untadeligen Gottesbürger zu charakterisieren, und es be-
herrscht diese Tendenz das ganze Werk»
Im Zusammenhang mit diesen Dingen erscheint es von
besonderer Wichtigkeit, bei den Personalschilderungen auf die
Individualität des Autors und auf das Literaturgenre des be-
treffenden Werkes zu achten. Es ist von Belang, ob ein
Mönch oder ein Weltkleriker schreibt, ob ein Annalist inner-
halb seines Werkes Personen schildert oder ein Biograph in
einem eigenen Buche, ob ein Stiftsangehöriger einen Stifts-
genossen zur Erbauung der Gemeinde feiert oder ein Hof-
geistlicher seinem Herrscher huldigt, ob endlich ein Kunst-
580 Literaturbericht
dichter seine Zeitgenossen verherrlicht oder das Sagelied, die
novellenartige Anekdote volkstümliche Helden nebst deren
Gegnern charakterisiert. Überall sind die verschiedenartigen
Voraussetzungen in Rechnung zu ziehen, wenn man nicht zu
falschen Schlüssen betreffs der Fähigkeit einerseits und ander-
seits der Absicht realistischer Charakterzeichnung gelangen
will* Kommt es doch öfter vor, daß ein und derselbe Autors
der in einem historischen Werke ganz konkret zu individuali-
sieren weiß, in einem Heiligenleben oder einem Gedicht nichts
als typische Allgemeinheiten vorbringt. H
Vf. hat sich ein weites Ziel gesteckt. Er meint, das viel-
seitige Thema in seinen einzelnen Teilen nicht erschöpfen mi
sollen, und es wäre unbillig genug das zu veriangen. Maji
darf ihm dankbar sein, daß er auf einem wenig bebauten
Gebiet den Grund legt. Es wird solcher Anerkennung keinen
Abbruch tun, wenn hier auf einige Punkte hingewiesen ist, an
denen in dem vorliegenden Abschnitt des Werkes weitere
Forschung einzusetzen hat.
Greif swaJd. Ernsi Bern keim. M
Weltgeschichte in Charakterbildern. 3. Abteilung : Übergartgsreit,
Die Vertiefung des religiösen Lebens im Abendlande zur Zeit
der Kreuzzüge. Franz von Assisi. Von Gustav Schnürer«
München, Kirchheimsche Buchhandlung. 190B. IM S« ■
Das vorliegende ßüchlein ist ein Versuch, einem weiteren
Leserkreis aus katholischer Feder ein Charakterbild des hei-
ligen Franz und seiner Zeit vorzuführen, das zu der neuer-
dings auf diesem Gebiete überaus regen Forschung kritisch
abwägend Stellung nimmt. Was zunächst die aUgemeine
Auffassung des Heiligen anlangt, so wird Sabatiers bekannte
Anschauung rundweg abgelehnt. Franz ist nicht der Vorläufer
einer modernen, undogmatisch subjektiven Religiosität, sondern
er ist stets der demütig treue Sohn der katholischen Kirche
geblieben. Das Papsttum sodann hat Franzens idealistische
Bestrebungen nicht etwa durchkreuzt und zu hierarchischeo
Zwecken mißbraucht, sondern es hat durch mäßigende Ein- ■
Wirkung auf die Meinungsverschiedenheiten innerhalb des
Ordens und durch nachhaltigen Schutz nach außenhin die
Entfaltung der jungen Gemeinschaft mächtig gefördert. Die
l
Mittelalter.
531
Ansicht des Vi deckt sich hier also vielfach mit dem Urteil
der neueren deutschen Forschung, nur daß das Verdienst des
Papsttums mit begreiflicher Vorliebe gefeiert wird* In der sehr
komplizierten Quellenfrage hingegen erklärt der Vf., sich mit
Sabatier unschwer verständigen zu können. Er betrachtet
neben den beiden Viten des Thomas von Celano das Specu-
lum Perfeciionis und die Legende der drei Genossen als im
ganzen gleichwertige Quellen der ersten Zeit, und die Jugend
des Heiligen und die Anfänge des Ordens hat er vornehmlich
der Legende der drei Genossen nacherzählt. In dieser Be-
ziehung aber setzt er sich mit den Ergebnissen der neueren
Untersuchungen in auffallenden Widerspruch. Denn es ist
danach unzweifelhaft, daß die Legende der drei Genossen als
eine späte^ erst nach Bonaventura und Bessa angefertigte Kom-
pilation aus der Reihe der originalen Quellen gestrichen werden
muß* Ich hoffe überdies an anderem Orte darzutun, daß die
Legende, wie übrigens auch schon die ältere Kompilation, die
ihr zugrunde liegt, eine ganz bestimmte Tendenz verfolgt :
die Urgeschichte des Ordens wird vom Standpunkt der strengen
Beobachtung der Regel aus geschildert, und insgeheim handelt
es sich dabei um den Nachweis, daß der Orden eben bei
dieser Auffassung der Regel sich von vornherein der Gunst
und Anerkennung der kirchlichen Organe, insbesondere auch
des Papsttums zu erfreuen hatte. So sehr also die Legende
gerade durch ihre Tendenz dem Vf. bei seiner Gesamtanschau-
ung sich empfahl, um so bedenklicher ist es anderseits, die
franziskanische Urgeschichte vorwiegend auf dieser Quelle
aufzubauen. Eine weitere Schwierigkeit kommt hinzu, die in
der Beschaffenheit der ältesten Geschichtschreibung liegt. Sie
gibt nämlich vielfach nur lose verbundene Überlieferungen,
die sich gegenseitig zwar ergänzen, die aber in keinem festen
inneren Zusammenhang stehen* Daß der Vf. gleichwohl einen
solchen herstellt, halte ich nicht für ratsam. Er übersieht, daß
es im besten Falle doch nur ein problematischer Zusammen-
hang ist, den er sich und dem Leser vortäuscht.
Schon im Hinblick auf diese prinzipiellen Einwendungen
muß ich es daher bestreiten, daß das Büchlein, wie jüngst
Reinhold Seeberg gemeint hat, auch den Nichtfachmann in
vorzüglicher Weise orientiert. Die Sachkunde des Vf. in allen
B82 LiteraturbenchL
Ehren« es fehlen aber gewisse kritische Qualitäten, die zu be-
friedigender Lösung der Aufgabe unentbehrlich sind. Ich
unterlasse es insofern auch, auf Einzelheiten hier näher ein-
zugehen* Nur das möchte ich ausdrUckhch noch herv'orheben,
daß der VI, seinen spezifisch katholischen Standpunkt mit
wohltuender Sachlichkeit vertritt,
Straßburg l E. Waiier LeneL
Johann Freiherr v. Schwarzenberg. Von Willy Scheel. Berlliu
J. Gattentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. H. XVf u, 381 S.
Die lohnende Aufgabe, mit allen Mitteln moderner Kritik,
unter möglichster Ausschöpfung aller Quellen die Biographie
Johanns von Schwarzenberg, des Verfassers der Bambergi-
schen Halsgerichtsordnung, des geistigen Vaters der Carolina,
zu schreiben, war bisher ungelöst. Was bisher geleistet wan
bezog sich hauptsächlich auf die Quellen und sonstigen Be-
ziehungen der Bambergensis oder auf ganz versplitterte all-
gemein-geschichtliche oder literar-geschichtliche Einzelheiten;
im übrigen mußte man sich bei größeren Übersichten und zu-
sammenstellenden Arbeiten immer wieder im wesentlichen
begnügen mit den biographischen Angaben aus den wort-
reichen» aber weder ganz zuverlässigen noch vollständigen
Vorreden zu den beiden Bänden der Werke Schwarzen-
bergs, die nach seinem Tode bei Steyner in Augsburg er-
schienen sind*
Vielleicht ist es gerade die Vielseitigkeit von Schwarzen-
berg Persönlichkeit und seiner Leistungen, welche diese auf-
fallende Lücke unserer Literatur erklärt- Es handelt sich um
einen Mann, der im politischen. Juristischen, literarischen und
religiösen Leben seiner Zeit eine über die verschiedensten
Teile Deutschlands sich ausdehnende Rolle gespielt hat Wer
an die Beurteilung herantrat, mußte alle diese Gebiete gleich-
mäßig beherrschen. So kann es wohl als eine besonders glück-
liche Fügung bezeichnet werden, daß in Willy Scheel sich
endlich ein Forscher gefunden hat, der allen diesen Ansprüchen
voll genügt. Während er offenbar gründliche Schulung und
Kenntnisse der allgemein-politischen wie der Literaturgeschichte
mitbrachte, hatte er durch die mit Kohler gemeinsam besorgte
1
I
16. Jahrhundert«
58S
Ausgabe der Bambergensw (Halle 1902) sich in die Rechts-
geschichte, in das Kriminalrecht und in die Schwarzenbergi-
schen Zeiten und Verhältnisse besonders vollständig einge-
arbeitet Er hat dann eine selbständige Vorarbeit auf dem
juristischen Gebiete geleistet durch seine Studie über das
alte Bamberg er Str airecht, als Vorgänger der Bamtergensis,
1903. Er hat außerdem bereitwillige und rege Unterstützung
bei einer Reihe von Zentralstellen, besonders im Preußischen
Unterrichtsministerium, gefunden, wie denn das Buch in dank-
barer Anerkennung dieses Umstandes dem Ministerialdirektor
Herrn Prof. Dn Fr. Althofl gewidmet ist* Und er hat endlich
einen unermüdlichen, geradezu einen überwältigenden Bienen-
fleiß au! die Auskundschaftung, Sammlung und Bearbeitung
des gedruckten wie namentlich des archivalischen Materials
verwandt, einen Fleiß, der durch verschiedene schöne Funde
belohnt worden ist.
Sch.s Arbeit war freilich in dieser Beziehung schon wesent-
lich vorgefördert durch einige jüngere Veröffentlichungen, die
gerade für Schwarzenberg Bedeutsames enthalten: so nament-
lich die Reichstagsakten für Worms 1521 und für Nürnberg 1522,
1523; so ferner die Ausgaben der Planitzschen Berichte von
Wülcker und Virck (1899) und des Bamberger Echtbuchs (über
proscriptorum) von 141^1 — 1444 von Köberlin* Dazu kommen
dann aber von Seh. selbst erst gewonnene zahlreiche und be-
deutsame Archivalien» von den Notizen, Zetteln und größeren
Urkunden, namenüich auch rechtlich bedeutsamen Schwarzen-
bergschen heimischen Verfügungen des Schwarzenbergschen
Hausarchivs bis zu den Schätzen der fränkischen Archive^
namentlich den Würzburgischen Ritterschaftsakten und den
allerdings seit Seitz (Zeitschn f. RG. 2 1863, S. 435 f.) schon
bekannten, aber noch nicht genügend ausgenutzten Bambergi-
schen Hofgerichtsprotokollen; außerdem sind etwa noch die
FürstL Bambergischen Ratsbücher und Hofkammerzahlamts-
rechnungen als Quellen, die Seh, fleißig zu verwerten ver-
standen hat, hervorzuheben*
An der Hand dieser gründlichen und ergiebigen Vor-
studien behandelt Seh, in drei großen Abschnitten zunächst
Schwarzenbergs Leben und pohtische Wirksamkeit (S. 1 — 168);
dann Schwarzenberg als Juristen (S. 169—277) und Schwarzen-
LiteraturbenchL
berg als Schriftsteller (S. 278—342). Ein NaehwoH (S. 343—34*1
sucht Schwarzenbergs Stellung in und zu seiner Zeit zu kenn-
zeichnen. Und daran reihen sich endlich (S- 347 — 381) tls
s Beilagen *" die ersten Editionen einiger einschlägigen Akten-
stücke (der Ti rechtliche Austrag" von Kitzingen, 1507, eine
Verordnung Schwarzenbergs für die Zent zu Scheinfeld, \Ml
und Kleineres); eine Zusammenstellung der Drucke Schwarfeo-
bergischer Schriften; Nachträge und Berichtigungen und m
sorgfähiges, sehr nützliches Namensregister, Dabei ist nan1en^
lieh zu rühmen die durchaus gleichmäßig gründljche Behand-
lung aller Abschnitte» Wenigstens scheint mir, soweit ich
als Nichtfachmann es beurteilen kann, dies auch von den all-
gemein- und kirchenpolitischen sowohl wie von den literatur-
geschichtlichen Abschnitten zu gelten; während ich es glaub;
mit Bestimmtheit von dem juristischen Abschnitte versichem
zu dürfen, der besonders eingehend die einzelnen krimina-
listischen Vorschriften (wenigstens vollständig die materiell*
rechtlichen^ etwas oberflächlicher ist der Prozeß behandelt) der
Bambergensls durchgeht und auf ihre teils germanistischen,
teils romanislischen Elemente mit sicherem Takte und gerechter
Würdigung der Möglichkeiten und Kulturverhliltnisse durch-
prüft* Hier wird man sich bei Sch.s Ergebnissen, sowohl wt>
sie ältere Bambergische Übung heranziehen, wie da, wo sie
für zweifellos Romanistisches die speziellste Quelle zu be-
stimmen ablehnen, wohl endgültig beruhigen dürfen. Für
den Prozeß wird man freilich Schoetensacks wohlgelungene
Dissertation (Heidelberg 1904) über den Strafprozeß der
Carolina hinzuzuziehen haben. Jedoch wird es bei der durch-
schnittlichen Feststellung Sch.s wohl bleiben, daß Deutsches
und Fremdes etwa zu gleicher Hälfte, letzteres eher vielleicht
etwas überwiegend, verwertet sind; beides Indessen so, daß
eine wirklich selbständige, individuelle Leistung Schwarzen-
bergs in der Zusammenstellung, Auswahl und Verarbeitung
aller dieser Materialien unverkennbar voriiegt.
Ebenso wird man sich, um noch einige bedeutsamere Neu-
ergebnisse des Buches herauszugreifen, zunächst die Bam-
berger Landgerichtsreformation von 1503 anlangend wohl Sch.s
Anschauung anschließen dürfen, der einen überzeugenden
Indizienbeweis dafür erbringt, daß auch diese wesentlieb aus
Schwarzenbergs Feder genossen ist, wodurch denn wieder
Schwarzenbergs Urheberschaft der Bambergensis willkommene
Bestätigung Hndet. Nicht ebenso kann ich mich aber gegen-
über einer anderen Beweisführung verhalten, auf die Seh* viel-
leicht noch höheres Gewicht legt und der Kohler in seinem
Geleitwort (S. XI— XIIl) beizutreten scheint. Es handelt sich
da nämlich um die Frage, ob Schwarzenberg auch unmittelbar
und persönlich an der Abfassung der Carolina j nämlich an
deren NUmberger Entwurf beteiligt war. Seh« meint da,
unter Heranziehung auch archivalischen Materials, dartun jeu
IcÖnnen, daß unser Schwarzenberg sogar allein oder wenigstens
hauptsächlich diese Revision ausgeführt habe — indessen scheint
er mir hier nur mit sehr freien Hypothesen und Wahrscheinlich-
keiten zu arbeiten, deren auch nur annähernde Schlüssigkeit
ich nicht einzuräumen vermag. Keinesfalls handelt es sich
um irgendwie sichere Belege, sondern nur um Analogien und
Andeutungen, die auch andere Möglichkeiten nicht ausschließen
dürften, z. B. daß ein sonst mit Bamberger Verhältnissen ver-
trauter Mann, vielleicht selbst unsers Schwarzenberg Sohn
Christoph ^) (vgL S* 66» 69), beteiligt gewesen wäre.
Wie dem auch sein mag — mindestens hätte Vf. sich
über die Sicherheit seines Ergebnisses in diesem Punkte reser-
vierter äußern sollen, wie er überhaupt eine gewisse Neigung
hat, Dinge als dargetan anzunehmen^ weil er einige Wahr-
scheinlichkeitsgründe für sie aufgebracht hat. Dahin würde
ich rechnen das Geburtsdatum Schwarzenbergs, für das die
Bedeutung eines Zettels aus dem Schwarzenbergischen Archiv
mir überschätzt scheint. Femer ebendahin Schwarzenbergs
Teilnahme am Reichsregiment, sofern es S. 90 von ihr heißt,
sie müsse schon mindestens zwei Monate vor dem I.Januar
1523 begonnen haben, woran denn auch später stets festge-
halten wird, während S, 91, wo die Beweise dafür angegeben
werden, der Vf. richtig sich genötigt sieht, von einer bloßen
Wahrscheinlichkeit zu reden, die S, 92 wieder etwas anders
gefaßt wird. Sehr kühn will es mich auch bedünken, wenn
Scb. glaubhaft machen will (S. ^27 f.), daß zu eines Mannes
*) Irrtümlich scheint mir dieser statt des Sohnes Fried ricli
genannt S. 149, vgl. S. 135 — offenbar lediglich ein lapsus calamL
Hiatorie«he ZelUchrilt (97. Bd.) a f olff« L BcL 3S
Literaturbertcfit
wie Hütten ^Umwendung zur deutschen SchriftstelJerei* ,d»f
unmittelbare Anregung . . , Schwarzenberg gegeben habe',
der namentHch auch in der Prosodie der Lehrer jenes gewesei
sei. Erst recht aber handelt es sich nur um eine ganz freie
Hypothese, wenn Seh* fortwährend davon redet, Schwarien-
berg habe bei seiner gesetzgeberischen Arbeit Romanistiscfae
Literatur und Quellen gerade in Form ihm von seinen gelehrten
Bekannten gelieferter einzelner kurzer Notizen auf Pergameni-
zetteln benutzt. Dafür liegt nicht der geringste Anhalt vor;
ganz ebenso denkbar und nicht minder rühmlich für Schwarzen:
berg wäre, daß er sich längere Stücke hätte übersetzen lassen,
aus denen er das Passende selbst ausgewählt und umgearbeitd
hätte; die Analogie des uns bekannten Entstehungsvorganges
der literarischen Arbeiten würde sogar eher hierfür sprechen.
^ Dagegen sei gerne, um von den zahlreichen Einzelheiten
noch einige herauszugreifen, bestätigt^ daß die Erklärung für
ein altes Problem, in welcher Eigenschaft nämlich Schwarzen-
berg seit 1523 im Reichsregiment gesessen habe, S. 9S sehr
einleuchtend gewonnen, und ferner etwa,' daß S- 153 ein absolut
bündiger Beweis erbracht ist gegen die Anschauung, als sei
er 1526 mit einer ganzen Bücherei gen Preußen gezogen. Die
Schilderung der Beteiligung Schwarzenbergs an der Reichs-
ritterschaftsbewegung (S. 43 i) scheint mir endlich besonders
genau und förderlich gelungen zu sein.
Natürlich icann es sich bei alledem nur um Stichproben
handeln. Im ganzen aber mag man billig über Sch,s Buch
urteilen, daß, wenn die Sammlung und Sichtung des Materials
unbedingtes Lob verdient^ dessen Verwertung für die einzel-
nen biographischen, recht- und literargeschichtlichen Zwecke
doch auch» neben allen Ausstellungen, durckweg anzuerkennen
ist. Dagegen kommt man allerdings zu einem ganz anderen
Urteile, wenn man einen höheren Maßstab anlegt und sich
fragt, ob das Buch eine Biographie Schwarzenbergs so ist, wie
eine Biographie eines solchen Mannes sein soll — sein ge-
schlossenes und individuelles Lebens- und Entwicklungsbild
hervorgearbeitet aus den Einzelheiten seiner Erlebnisse und
Leistungen, im Lichte der großen politischen und kulturellen
Strömungen seiner Zeit, von diesen beleuchtet und sie be-
leuchtend. Zu einer solchen Leistung sind höchstens hier und
17» Jahrhundert
da vereinzelt Ansätze bemerkbar, im ganzen ist sie^) nicht
einmal unternommen, geschweige denn durchgeführt. Schon
die Stoff einteilung, durch die der Reihe nach politische,
juristische, hterarlsche Dinge aus dem iebendigen Zusam-
menhang der Persönlichkeit herausgerissen werden, ist in
dieser Beziehung kennzeichnend. Von der (problematischen)
Mitwirkung bei dem Entwurf der Carolina ist die Rede, ehe
wir Schwarzenberg als den Verfasser der Bamtergensis kennen
gelernt haben. Die Cicero-Übersetzungen^) und die reforma-
torischen Schriften stehen dann wieder je für sich, Altenfalls
sind harmonisch als Leitmotive durch alle Abschnitte durch-
geftihrt Schwarzenbergs Selbständigkeit, seine reformatorische
Gesinnung und die Macht seiner Persönlichkeit, ohne daß je-
doch letztere im eigentlichen und letzten Grunde ihre Er-
klärung oder auch nur ihre Ausprägung fände. Das so von
Seh« Versäumte wird nur schwer anderweitig nachzuholen
sein. Man mag deshalb doppelt bedauern, daß er sich seine
Aufgabe nicht etwas höher gesteckt hat; man wird ihm aber
danim die Anerkennung nicht versagen dürfen, daß er die
Aufgabe in bescheidenerem Rahmen gelöst und dadurch eine
Ehrenschuld der deutschen Wissenschaft mindestens zu einem
wesentlichen Teile abgetragen hat.
Bonn. Ernst Landsberg,
Le granä ^Uctetir et Lams XIV 1660^1688. Far Georges PMgks^
Paris, Georges Beilais. 1905. XXVI, 671 p.
Contribations ä l'histoire de la poUiique franpaise en AtUmagne
sous Loais XIV. Par Georges PMges* Paris, Georges
BeUais. 1905. 103 p.
Die Zahl der französischen Forscher, die sich quellen-
mäßig mit deutscher Geschichte beschäftigen, nimmt von Jahr
zu Jahr zu. Bald wird für jeden größeren Zeitraum der
deutschen Vergangenheit jenseits des Rhein ein „Spezialist*
*) Vgl das Selbstge&tändnis S* 343, erster Absatz, wonach
gerade dies Vf, Aufgabe nicht sein könnte*
■) Eine gelegentliche, treffende Bemerkung über den Zu-
sammenhang zwischen deren Güte und der gesetzgeberischen
Sprache 8, S* 297.
3S'
k
588
Liieraturbencht
zu finden sein. Am stärksten hat die Entwicklung der branden^
burg'preu irischen Großmacht das interesse der franaiSsiscbef«
Historiker wachgerufen, und wir verdanken diesem Interesse
bereits eine stattliche Reihe zum Teil verdienstvoller, inm
Teil gan2 hervorragender Werke. Zu den ersteren wird auti
das umfangreiche Werk von Pagfes zu zählen sein^ der an d«
Hand eines Überaus reichen handschnhlichen und gedruckte
Material es die Beziehungen Ludwigs XtV. zu dem Kuriiiisteo
Friedrich Wilhelm in den Jahren 1660—1688 verfolgt. Die
Darstellung erweitert sich, wie nicht anders möglich, oft zu
einer Schilderung der gesamten auswärtigen Politik diese*
letzteren Fürsten und bildet so eine Ergänzung des zu gleicher
Zeit erschienenen Werkes von Waddington, der die auswärtige
Politik Friedrich Wilhelms in den beiden ersten Dezennien
seiner Regierung darlegt. P. tritt ebenso unvoreingenommei]
an seine Arbeit heran wie Waddington» und auch er schließt
sich der AuHassung jener deutschen Autoren an, die dann
festhalten, daß Friedrich Wilhelm in erster Linie die Beduif»
nisse seines Landes im Auge behielt und detitschnattoimle
Politik gerade so weit trieb, als dies mit den brandenburgischcJi
Sonderinteressen vereinbar war. Wenn P. gelegentlich der
egoistischen Handlungsweise Friedrich Wilhelms die Selbst^
losigkeit Wilhelms von Oranien gegenüberstellt und der
Meinung Ausdruck verieiht, daß der Oranier manche Tat
nicht begangen hätte, die der „Große Kuriürsl*' skrupelbi
vollführte r so wird man ihm auch darin beistimmen können.
Allein unzweifelhaft ist» daß ein selbstloser lediglich das
nationale Moment berücksichtigender Herrscher Brandenburgs
dem Egoismus aller anderen deutschen Fürsten Jener Zeit
gegenüber den kürzeren gezogen hätte und niemals imstande
gewesen wäre, den Grund für den stolzen Bau der preußischen
Großmacht zu legen* Auf Einzelheiten einzugehen^ ist im
Hinblick auf den Umfang des Werkes in diesem Zusammen-
hange wohl nicht möglich. Doch mag es dem Ref. gestattet sm
hervorzuheben, daß jene Kapitel des Buches, in denen der Auter
die vielverschlungenen Wege der brandenburgischen Politik
in den Jahren 1669—1672 und 1679—1684 verfolgt, zu den
wertvollsten zählen* Auch sonst begegnen dem Leser inter-
essante Bemerkungen, die Zeugnis von einem tiefen Eindringen
;
i
17. Jahrhundert
m den Stoff verraten. Besonders stark hebt P. den Einfluß
hervor, den die schwedische Frage in den Jahren 1675 — 1685
auf die Entschließungen Friedrich Wilhelms geübt hat. Was
P, von der Bedeutung des Todes Lionnes und der Einfluß-
nahme Louvois auf Ludwig XIV. speziell für die französisch-
brandenburgischen Beziehungen sagt (335 fl.) ist von großem
Interesse. In den letzten Abschnitten seines Werkes behandelt
R jene Zeit, die vor kurzem ein deutscher Forscher, H. Prutz,
^um Gegenstand einer eingehenden kritischen Darstellung
gewählt hat. P. weist Prutz in manchen Fällen grobe Nach-
lässigkeit in der Benutzung des in Paris aufbewahrten Quellen-
materials nach und bekämpft recht oft die Anschauung des
deutschen Forschers« Doch scheint es dem Ref*, daß P, dem
Werke seines Vorgängers, das trotz mancher Einseitigkeit viel
Treffliches enthält, nicht ganz gerecht wird* In einem Anhange
zu seinem Buche druckt P* nebst den drei Verträgen, die am
1 1* Januar 1681, am 12722. Januar 16S2 und am 25. Oktober 1683
zwischen Frankreich und Brandenburg geschlossen worden
sind, einige interessante Dokumente ab, unter denen insbe-
sondere auf die Briefe Friedrich Wilhelms an Meinders
und auf die Gutachten Lionnes hingewiesen werden solL
Bei dieser Gelegenheit möchte Ref. darauf hinweisen^ daß
es sehr not täte, sich einmal über die Prinzipien bei Edition
von Urkunden zur neueren Geschichte zu einigen. Die Will-
kür, mit der bis heute jeder Herausgeber verfahrt, erklärt sich
wohl lediglich daraus, daß über diese allerdings recht schwierige
Frage eine Verständigung zwischen den Fachgenossen der
Kulturstaaten niemals versucht worden ist.
In einer kleineren Publikation, die sich als ein Nachtrag
zu dem größeren Werke gibt, vereinigt R vier Beiträge zur
Geschichte der französisch-deutschen Beziehungen in der Zeit
Ludwigs XIV* In dem ersten werden einige Briefe mitgeteilt,
welche die Tätigkeit Abraham Wicqueforts im Jahre 1661 als
Unterhändler zwischen Ludwig XIV. und Friedrich Wilhelm
von Brandenburg neu beleuchten, in dem zweiten werden
einige Briefe Wilhelm Fürstenbergs publiziert, die das Wirken
dieses interessanten französischen Mietlings in den Jahren 1667
und 1670 betreffen. Besonders wertvoll scheinen dem Ref.
die beiden letzten Beiträge. In dem einen bespricht P. die
590
üteraturberieht
Gltubwürdigkelt der Berichte der einzeln am Hofe Friedrich
WilhelTTis wirkenden Vertreter Ludwigs XIV< und gelangt z
dem Resultate, daß dieselben mit Vorsicht zu benutzen sm.
am meisten jene R^b^nacs^ deren geringe ZuveHassigkett er
— ähnlich wie Fester in seiner in dieser Zeitschrift XCill
p. 19 ff erschienenen Studie — durch zahlreiche Belege er-
weist* Die größte Glaubwürdigkeit spricht er den Berichceit
Colbert'Croissys zu. Recht bemerkenswerl ist auch, was P=
über den Einfluß sagt^ den die im Jahre 16^^ eingeführte direkte
Berichterstattung an Ludwig XIV, auf die einzelnen Diplonrnteo
geübt hat. Dem allgemeinsten Interesse aber dürfte der vierte
Beitrag begegnen^ in dem die Rolle des französischen Geldes
in Deutschland im Zeitalter Ludwigs XIV, erörtert wird- Gegen-
über der herrschenden Ansicht^ daß das Gold des französischen
Königs in vielen Fällen der ausschlaggebende Faktor gewesen
sei, betont P*, daß die im Laufe der Jahre für politische Zwecke
verwendeten Summen — an Brandenburg hat Frankreich, wie
P, p. 91 betont, in 20 Jahren 4 Mülionen Ltvres bezahlt —
durchaus nicht so entscheidend eingewirkt haben können, wie
man bislang angenommen hat. Das Material, das P. zur Er*
hMrtung seiner Ansicht beigebracht hat, ist sehr interessant,
scheint aber dem ReL doch nicht umfassend genüge, um diese
schwierige und wichtige Frage zu lösen, die eine eingehende,
spezielle Untersuchung verdiente. Was F. über die Vorstcfit
im Gebrauche des Wortes , Bestechlichkeit" gegenüber den-
jenigen Diptomaten jener Zeit sagt, die Geld von fremden
Fürsten angenommen haben, stimmt mit dem Urteil Uberein,
das deutsche Forscher ~ zuletzt noch Fester in seiner Kritik
des Prutzschen Werkes — in dieser Frage gefäüt haben. Auch
hierfür würde eine Spezialuntersuchung auf breiter Grundlage
überaus erwünscht sein.
Wien. j4- Prihram,
Le granä ^eeteur Frädäric GuUlaitme de Brandebourg, Sa poU-
Uque ext&ieure 1640-- 1688. Tome L !640—!660. Par Aittif
Wmdäingtoa. Paris, Pton-NourrU. 1^5. XIV, 478 p.
Waddington, der sich seit 20 Jahren dem Studium der
deutschen, zumal der preußischen Geschichte, gewidmet hat
— wir verdanken ihm u. a* die eingehendste Arbeit Über die
\
i
17> Jahrhundert
Erwerbung der preußischen Krone, ein umfangreiches Werk
über den 7 jährigen Krieg und die Herausgabe der Instruktionen
für die am Berliner Hofe tätigen französischen Diplomaten
1648 — 1789 — hat den Entschiuß gefaßt, eine allgemeine Ge-
schichte des preußischen Staates zu schreiben. Im Laufe
seiner Studien für dieses kühne Unternehmen überzeugte er
sich von der Notwendigkeit, seinem Lebenswerke noch ein-
gehende Einzeluntersuchungen vorangehen zu lassen. Das
vorliegende Werk bezeichnet er selbst als das Resultat seiner
Bemühungen über die auswärtige Politik des Gründers der
preußischen Großmacht zu einer klaren Erkenntnis zu ge-
langen. Er schildert in dem uns bislang vorliegenden ersten
Bande die auswärtige Politik Friedrich Wilhelms in den Jahren
1640 — 1660* Seine Darstellung verdient alles Lob* Sie
verrät eine große Vertrautheit mit der gesamten älteren und
neueren gedruckten Literatur und spricht besonders durch
ein vorsichtiges, von jeder Feindseligkeit gegen, wie von
jeder zu weit gehenden Bewunderung für Friedrich Wilhelm
gleich weit entferntes Urteil an. Trotzdem bedauert Ref., daß
sich W. von dem ursprünglich gefaßten Plane abbringen ließ.
Denn bei aller Anerkennung der Vorzüge des Werkes — zu
denen die vortreffliche Komposition und der lebhafte Stil zu
rechnen sind — kann ReL den Wert desselben nicht allzu-
hoch anschlagen. Denn Friedrich Wilhelm erscheint in der
Darstellung W.s in demselben Lichte, in dem ihn die
neuere deutsche Forschung — soweit sie nicht in ihrem
Urteil durch Parteiinteresse beeinflußt ist — gesehen hat.
W. nimmt, ähnlich wie Erdmannsdörffer und dessen Schuler,
Stellung gegen die heute längst überwundene Droysensche
Auffassung der Hohenzollempolitik, die in jeder Tat Friedrich
Wilhelms Rücksicht auf die deutsch-nationalen Interessen er-
kennen woUte und zeigt uns, wie langsam sich die staats-
männische Begabung Friedrich Wilhelms entwickelte, wie
schwere Fehler er in den beiden ersten Dezennien seiner
Regierung beging* Wem soll nun aber diese eingehende, im
wesentUchen auf bereits bekannten Quellen basierende Dar-
stellung der auswärtigen Politik Friedrich Wilhelms dienen?
Dem Forscher oder dem gebildeten Laien? Dem ersteren
bietet sie zu wenig Neues an Erkenntnissen und keine neue
192 LiterattirberichL
Beleuchtung des bekannten Materials; dem letzteren — zumil
dem französischen Laien ^ wird man die Lektüre eines n
umfangreichen Werkes — unter drei Bänden wird W. nidil
auskommen — nicht zumuten können. Was diesem weiten
Kreise aber not täte, wäre eine die Resultate der neueren
Forschung berücksichtigende zusammenfassende DarsteJiiiiig
der gesamten preußischen Geschichte. Und für eine solche
Arbeit hält Ref. Herrn W., den Forschergabe, Unparteilichkert
und künstlerische Qualitäten auszeichnen, besonders geeignet
Die Entwicklung der brandenburg-preußischen Monarchie, fc-
schildert von einem historisch geschulten, klarblickenden Iftft-
zösichen Forscher, könnte den Vorwurf für ein französ]sc1ie0
wie deutschen Lesern gleich erwünschtes Werk bilden. Wir
wünschen, W, möge nicht länger säumen, das kühne Unter-
nehmen zu wagen. Vielleicht treibt ihn zu diesem Entschlüsse
auch die Tatsache, daß zu eben der Zeit, da sein Werk er-
schien, das eines anderen Franzosen — Pagfes ^^ der Öffent-
lichkeit übergeben wurde» in dem mit gleicher Unparteilichkeit
die auswärtige Politik Friedrich Wilhelms in den Jaiiren 1660
bis 16SS an der Hand eines retchen handschriftJichen Materials
geschildert wird.
Wien. A, Pribram,
Chmrles Emil Siangtimnäi Pre-Maithusian Daciriites o/ Püpu-
latianj a Study in tke History of economic Theory. (Stuäiit
in History, Ec&nomics and public Law, editeä by ihe FacuÜy
0f poUtical Science of Coiumbia Universiiy, VoL XXi^ Nf, 3*)
New Varfc, MacmiUan. 1904. 356 p.
Von der, übrigens allgemein anerkannten, Ansicfit aus^
gehend, daß die Geschichte der Bevölkemngslehre in eine
vormalthusianische und eine nachmalthusianische Epoche ab-
geteilt werden müsse, hat sich der VL vorliegender Studie
den ersteren Abschnitt zum Gegenstand einer untersuchenden
Behandlung vorgesetzt. Es ist eine fleißige Arbeit, welche
ursprünglich auf Anregung von Professor Fol well an der
Universität von Minnesota untern ommen^ an der Columbiar
Universität zu New York mit Unterstützung der Professoren
Seligman und Clark zw Ende gelührt, und nun als Nr. ^ von
VoL XXI der Veröffentlichungen der Fakultät für Politische
I
i
18. Jahrhundert
Wissenschaften letzterer Universität dem Publikum vorgelegt
wird* Die Darstellung beginnt bei Altgriechenland, dessen
Autoren, wie namentlich Plalon und Aristoteles, mehr auf die
Qualität und Proportionalität der Bevölkerungszahl abzielten
als auf eine große Volksmenge* Dies suchen sie durch eine
bald fördernde bald einschränkende staatliche Regulierung der
Eheschließungen zu bewirken. Im alten Rom sind die Ideen
über das Bevölkerungswesen schwankend. Das Christentum
nimmt einen energischen Anlauf zur Empfehlung der Ehelosig-
keit als religiöser Tugendübung im Sinne der Askese. Der
Apostel Paulus und die katholische Kirche sind die Haupt-
vertreter dieser Auffassung, Die Reformationszeit ^ angeführt
durch Luther, lenkte in das entgegengesetzte Fahrwasser ein.
Die Ehe wird vom Standpunkte der Tugendlibung geradezu
empfohlen. Ihren Höhepunkt erlangt diese Bewegung in der
Bevölkerungspolitik der landesfUrstlichen Staatssysteme wäh*
rend der merkantilistischen Periode, Bei der zu Mitte des
18, Jahrhunderts mit Macht einsetzenden Aufklärungsströmung
wird die Bewegung wieder rückläufig. Namentlich die Physio-
kraten heben die Abhängigkeit der Bevölkerungszahl von dem
jeweiligen Umfang der zur Verfügung stehenden Nahrungs-
mittel energisch hervor, und zwar in ähnlichem Sinne, wie das
später von Malthus geschehen ist* Überhaupt ist des letzteren
.Bevölkerungsgesetz*, wonach die Bevölkerung die Tendenz
hat, sich in geometrischer Progression zu vermehren, die Nah-
rungsmittel bloß in arithmetischer Progression, dem anglikani-
schen Geistlichen nicht original. Die Anschauung wird, wie
der Vf. zu zeigen sucht, in verschiedenen Varianten schon
vorher vertreten, z. B, in Frankreich von Montesquieu, Brückner,
und den Physiokraten ; in England und Amerika, in den Werken
von Franklin, Hume, Wallace, J, Stewart, Smith, Poley, Chal-
mers u. a. ; in Deutschland in den Diskussionen von Moser,
Schloezer und Herrenschwand; in Italien von den meisten zeit-
genössischen Schriftstellern, usw. Im allgemeinen kann man
dies gelten lassen, wobei man immerhin den Vorbehalt zu
machen hat, daß dennoch ein gewisser begrifflicher Unterschied
überall obwaltet* Auch kann man Malthus das Verdienst nicht
abstreiten, den Gedanken aus seiner Vermischung mit anderen
Stoffen herausgehoben und zum Fundament der Populatio*
ö9»
LUeraturbencht
nistik als selbständiger Wissenschaft gemacht zu haben, [ks
Buch ist hübsch gearbeitet, fordert aber an manchen Punkteü
zum Widerspruch heraus, worauf indessen hier nicht emgt-
gangen sein mag*
Bern. August OnckiB,
Herder in Bückeburg und seine Bedeutung für die Kirchefi-
geschichte. Von Lic. theol. Horst Stephan« Oberiehm.
Tübingen. 1905. IV u. 255 S. 4^ M,
Stephans frühere Veröffentlichungen, die Lehre Schleia-
machers von der Erlösung und Hamanns Christentuni mA
Theologie in der Zeitschrift f. Theologie u. Kirchengesch, Xtt.
345 — 427, sowie sein Aufsatz Über Herder in der Christlichem
Welt 1904, Spalte 757, und diese neueste umfassende Schrill
zeigen ihn mit konsequenter und eindringender Arbeit detn
Problem nach den Ursprüngen des modernen Typus der christ-
lichen Frömmigkeit zugekehrt. Man pflegt als den Vater dieser
modernen Begründung der Religion im Gefühl gewöhnEicb
Schleiermacher zu nennen und hat sich lange mit dieser Her-
leitung zufriedengegeben. St hat schon in seiner ersten SchnH
nachdrücklich darauf hingewiesen, wie unzulänglich das ist
und die Notwendigkeit betont, die Fäden bloßzulegen^ die tm
der Orthodoxie und dem Pietismus zu Schleiermacher hin*
laufen. Die Studie über Hamann zeigte, indem sie zuglädi
die eigentümliche Persönlichkeit in ein neues Licht rückte;,
daß sich in ihm aus der Verschmelzung von Aufklärung und
Pietismus ein Neues gebildet habe, das nur als Vorstufe m
Schleiermachers Religionsauffassung gewürdigt werden kann.
Nun beleuchtet er diese in Schleiermacher gipfelnde Entwick-
lung noch heller, indem er Herder, und zwar in seiner Blicke-
burger Zeit, zwischen beide stellt und an einem bis ins ein-
zelne ausgeführten Bilde seiner Frömmigkeit den Beweis fühlt
wie zahlreiche und wertvolle Anregungen von ihm auf Schleier-
macher ausgegangen sind. Freilich ist St. leider den Beweis
einer äußeren Abhängigkeit Schleiermachers von Herder schuldig
geblieben; was er darüber in seinem Schlußkapitel beibringt,
ist nur Zusammenfassung von schon Bekanntem, Hier wird
erst eine hoffentlich bald in Angriff genommene neue kritische
18. Jahrhundert«
Gesamtausgabe von Schleiermachers Werken volles Licht bringen.
Den inneren Beweis aber halte ich für vollständig gelungen.
Es ist zweifellos, daß sich bei Herder schon die starken An-
sätze zu einer Überwindung der Aufklärung in der Erkenntnis
der Selbständigkeit der Religion und Ihrer Begründung auf
Anschauung und Gelühl finden.
Ebenso wichtig wie dies Resultat ist für das Streben nach
einer wirklichen Klarheit über die geistige Struktur des 18. Jahr-
hunderts ein anderer Ertrag von St.s Forschungen, den er
uns im ersten Teil seiner Schrift vorlegt- Er entwirft hier
ein genaues Bild der geistigen und theologischen Lage Deutsch-
lands um 1750t das um so wertvoller ist, als hierfür schlechter-
dings alle Vorarbeiten fehlten. Mit ernstem Bemühen, die Dinge
in der Tiefe zu erfassen, und mit plastischer Deutlichkeit
zeichnet er die Eigenart der aufklärerischen Frömmigkeit, Kirch-
lichkeit und Theologie; er wird den großen Fortschritten, die
sie angebahnt hat^ ebenso gerecht wie er ihre Schranken auf-
weist* Er betont sodann das Neue, das Männer wie Hamann
und Lavater gebracht haben. Durch diese Schilderung ver-
knüpft er einerseits auch Herders Werk mit früheren Stufen
und gewinnt er anderseits den gerechten Maßstab für das
Urteil darüber.
Mit dem allgemeinen historischen Problem verknüpft St.
ein biographisches. Es handelt sich um die Beurteilung der
Bückeburger Zeit Herders, wie sie in der Literaturgeschichte
von Gervinus und Hettner bis au! Haym und Kühnemann
üblich ist. Nämlich daß Herder in dieser Epoche seines Lebens
ein arger Pietist und Rückschrittler, ein Schwärmer und Fa-
natiker gewesen, oder „daß die religiöse Wendung Herders
Symptom einer Gesamterkrankung seines Lebens" sei. Indem
nun St. die Eigenart der Herderschen Anschauungsweise und
die Unmöglichkeit nachweist, ihn einer Anbequemung dder
eines Zurücksinkens in die überlieferte Orthodoxie zu zeihen^
gewinnt er eine ganz andersartige Schätzung von der Stellung
dieser Epoche in Herders Leben. Sie wird ihm recht eigent-
lich die Zeit seiner Blüte, seiner höchsten Entwicklungsmög-
lichkeit* Er verkennt dabei nicht, daß auch auf dieser seiner
höchsten Stufe Herder dieselben Mängel bekundet, die sein
ganzes Leben so tragisch um Reife und Voltendung gebracht
Lite raty rbe rieht-
haben, vor a]lem den Mangel an Fähigkeit mu wissensdufe-
lichem Denken und Darstellern
St* berührt am Schluß die Verworrenheit und Unsirter-
heit des Urteits Über Herder in den fandläufigen kircherir
geschichtlichen Darstellungcfi. Sie ist allerdings nach dea
angezogenen Beispielen eklatant. Doch ist sie ja nur ein Bei-
spiel dafür, wie stiefmütterlich das 17. und 18. Jahrhundeit
von der Kirchengeschichte behandelt zu werden pflegt. Eni
in letzter Zeit scheint sich ein Umschwung anzubahnen. My
erkennt, daß hier die Wurzeln der größten Probleme der Ge-
schichte der Theologie wie der kirchlichen Institutionen und
der religiösen Stimmung im 19. Jahrhundert liegen. Eines der
erfreulichsten Symptome dieser Erkenntnis ist SLs tiefgrmbende
Schrift.
Frankfurt a. ÄL Faersier.
Geheime Korrespondenz Josephe IL mit seinem Minister in dri
DSterre ichischen Niederlanden Ferdinand Grafen Traotl^
mansdorff 1 757— 1789. Herauigegeben von Haniis Schütter.
Wien, A. Holzhausen. 1902. XXXIX u. 826 S.
Nach mancherlei anderen Publikationen zur Geschichte
der belgischen Revolution veröffentlicht H. Schütter einert
starken Band über die Korrespondenz Kaiser Josefs mit seinem
Minister in den Niederlanden, Grafen Trauttmansdorft, def
aber mehr enthält^ als der Titel besagt; denn außer dem eigent-
lichen Briefwechsel erhalten wir einen Anhang von 277 Seiten
kleinsten Druckes, wo wichtige andere Urkunden aus den
Wiener, Brüsseler und Berliner Archiven teils auszugsweise,
teils voüständig reproduziert sind. Die Art der Edition wird
nicht überall Beifall finden: Die Berichte Trauttmansdorffs hätten
vielleicht stärkere Kürzungen vertragen, und sicher war es
nicht wohlgetan, in den tOll Noten lange Aktenstücke und
kurze Verweisungen zu einer sehr disparaten und wenig über-
sichtlichen Masse zu vereinigen. Aber das Material an sich
ist ungemein wertvoll. Man merkt die glückliche Hand des
erfahrenen Archivars. Nach vielen Seiten ergeben sich die
erwünschtesten Aufschlüsse.
Vor allen Dingen wird es möglich, die Darstellung zu
berichtigen p die Trauttmansdorff selbst alsbald nach den Er-
]& Jahrhundert
eignissen 1792 von seiner Amtsführung gegeben hat: Frag-
menlB pour servir ä fhisioire des ävän^mertis qtii se soni passäs
aux Fays-Bas äepuis la fin de 1787 jusqu'en 1789. Diese
Darstellung hat die Forschung bisher vielfach beeinflußt. Noch
Buchholz in der Allg. Deutsch. Biographie 38, 525 ff. grUndet
auf sie ein unbedingt günstiges Urteil über Trauttmansdorffs
Wirksamkeit« In Wahrheit aber handelt es sich nicht um eine
zuverlässige Quellenschrift, sondern ein geschicktes Plafdoyerf
das die Dinge arrangiert und gelegentlich entstellt Die Ori-
ginalkorrespondenz mit dem Kaiser zeigt ein im Cesamteffekt
sehr anderes Bild. Sie entlastet Joseph nicht gerade: für die
Grundrichtung der österreichischen Politik in Belgien wird ihm
die Verantwortung bleiben. Aber sie lehrt» daß im einzelnen
auch Trauttmansdorff ein gut Teil Schuld trifft*
Der Minister war gewiß ein nach mancher Richtung ge-
wandter Diplomat Tours de Bartölö^ wie ein Gegner höhnte
{S. 679), gelangen ihm schon einmal. Gleich im Anfang und
dann auch weiterhin hier und da brachte er es wohl fertig,
die Symptome des revolutionären Übels mit erstaunlich rascher
und leichter Hand zu beseitigenp Aber das Übel an der
Wurzel zu bekämpfen T fehlte es ihm an staatsman nischer
Einsicht. Er selbst entschuldigte seine ^imsuffisance' ^ wenn sie
ihm in seltenen Momenten zum Bewußtsein kam, am liebsten
mit der von ihm unabhängigen Tatsache, daß er aus dem
diplomatischen Dienst hervorgegangen sei und wenig Kenntnis
von der inneren Verwaltung habe (S. 615, 723). Das war
gewiß ein hindernder Umstand. Aber In erster Linie lag das
Manko doch in seinen natürlichen Fähigkeiten. Ich glaube
nicht, daß seine Berichte auf irgend jemand einen günstigen
Eindruck machen werden. Verglichen mit den frischen, kurzen
Briefen des Kaisers, haben sie etwas unsäglich Langweiliges
und Ödes* Kaum je blitzt ein Gedanke auf oder erfreut ein
origineller Ausdruck, und das Urteil schwankt so, daß sich
Kaunitz schließlich direkt darüber beklagt (fincertiiuäe ei les
Paria ihn s mSme que vos rapporis präsenieni S. 674)* Eine
Maßregel wird heute empfohlen und morgen verworfen, um
übermorgen^ natürlich mit Modifikationen, doch durchgeführt
zu werden, Feststehend ist nur eine unangenehme Tendenz
zu eitlem Sei bs 11 ob und leichtfertigem Optimismus.
S9S LUeratufbencht
In den Fragments p, 17 behauptet Trauttinansdorf!, nidm
gespart zu haben, um den Kaiser zur Nachgiebigkett in Sadmi
des der Kirche vornehmlich anstößigen Generalseminars
bewegen, und betont mit großem Nachdruck seine allanäng-l
liehe Opposition gegen das d'Altonsche Säbelregiment A^&
die Korrespondenz läßt keinen Zweifel, daß er in diesen bejütn
Punkten richtiger urteilte als sein kaiserlicher Herr. Er ver-
kannte nicht ganz die Tiefe der religiösen Opposition, und
die Gewaltmaßregeln des Generalkommandanten widerstrebten
seinem im Grund wohlwollenden, popularitätsfrohen Sinn. Aber
wirklich entschiedene Vorstellungen, geeignet, den Kaisar um-
zustimmen, findet man erst, als schon nichts mehr zu rettei)
ist Trauttmansdorff war viel zu sehr Hofmann, um dem
Monarchen rechtzeitig mit offenen Worten entgegenzirtrete^
Statt in den gemäßigten Ansichten von Kaunitx und Phi
j CobenzI einen Rückhalt gegen den Kaiser zu suchen, ver-
folgte er viel eher die Politik, sich bei Joseph auf Kosten der
Staatskanzlei zu insinuieren (vgl S. 27 und namentlich S» 7^).
Die Vorwürfe, die ihm CobenzI in seinen Memoiren (Archiv
für Ostern Gesch. 67, 140) darüber macht, sind, wenn über-
trieben ^ doch nicht unberechtigt. Bezüglich der Kircbeft-
politik fehlt es neben stark verklausulierten Einwendungen
nicht an optimistischen Äußerungen über das Generalseminn.
Er rühmt wohl gar die opinidiretä ä iouie ipreuve, die er sich
gerade in dieser Sache zum Gesetz gemacht habe (S. 52), und
schmeichelt den Vorurteilen Josephs durch Spöttereien Über
die Mönche (S. 227) oder Deklamationen gegen die klerikale
Hydra (S. 151). Ebenso der Widerspruch gegen d* Alton sticht
zunächst sehr ab von der pathetischen Anklage vom
19. November 1789, die ein Prachtstück der Fragments (p. 94)
bildet. Erst eine Indiskretion der Staatskanzlei, der er sieb
früher offenbart hat, veranlaßt ihn l. November 1788^ auch
dem Kaiser in sehr vorsichtigen Worten seinen Wunsch nacb
Entternungdes militärischen Mitregenten einzugestehen (S* I47f).
Ja, es geschieht wohl^ daß er selbst den starken Mann markiert.
Das unmotivierte Blutvergießen vom 22. Januar 1788 tut er
als pttitt bagarre recht frivol ab und wünscht sich im Sommer
B beinahe* eine Explosion, weil er entschlossen ist, gro&e
Schläge zu führen (S, 111, 116).
18. Jahrhundert*
»9t
So geht denn auch der größte dieser Schläge« der Staats-
streich vom 18. Juni 1789, durchaus auf ihn zuriick* Die
Fragments zeigen ihn als gezwungenes Werkzeug, seine
Berichte als eigentlichen Urheber, Sowohl die grundlegende
Depesche vom 7, Januar wie die endlichen Befehle vom
6. Juni 1789 erfolgten auf seinen Wunsch und nach seinen
Angaben. In Wien fand man sich sogar nur zögernd und
ungern bereit. Der Kaiser hätte gewünscht, daß Trauttmans-
dorff nach der geschickt bewirkten Unterwerfung der Stände von
Brabant im Januar mit positiven Reformen statt mit Repressiv-
maßregeln vorgegangen wäre. Erst recht in der Staats kanzlei
herrschten so starke Bedenken, daß Trauttmansdorff in einem
sichtlich erregten Brief (S, 675) vor einer Politik der Schwäche
glaubte warnen zu müssen. Darauf expedierte man die ver-
langten Vollmachten zur Aufhebung der Joyeuse Entröe, aber
sie waren eventuell : Si yous le irauvez n^cessaire (S. 674), und
der Kaiser ließ Trauttmansdorff ausdrücklich freie Hand, ob
und wie er sie gebrauchen wollte (S. 268), Nur eins verlangte
er, es müsse ein Ende gemacht werden.
Gerade diese Forderung wurde nicht erfüllt. Der Minister
lobte zwar die Wirkung der Aktion vom 18. Juni in allen
Tönen. Seine Äußerungen lauten aJsbald kaum weniger
triumphierend als d*Altons bekanntes Wort vor der zweiten
Schlacht von Kollin , das er mißbilligend zitiert. Seit zwei
Jahren wollte er nicht solche Ruhe genossen haben (U Juli,
S. 285). Aber es handelte sich nur um die Ruhe vor dem
Sturm^ wie Joseph trotz der Entfernung richtiger erkannte (Ci
caime ei pouriani en gründe pariie facUce; car cette Snorme
diffirence enire l* enthouslasme exalfä que ces gens avaieni
pöur leur consHtuilon et tinsoasiance qu*ti paraisseni y meUre
äujourd'hul n'est pas naturelle S* 283), Die Kunde vom
Bastillesturm, dann das Schauspiel der französischen Priazen'
emigratjon brachten die Bewegung mehr und mehr an die
Oberfläche- Mit der patriotischen Gesellschaft pro aris et focis
organisierte sich die Rebellion im Innern. An der Grenze in
Holland formierten die immer zahlreicher werdenden fHücht-
linge eine richtige kleine Armee; und die Verbindungen mit
dem Ausland, die ganz nie gefehlt hatten, wurden eifrigst
enger geknüpft.
i^^bAÜ
600
Llteraturbericht.
Trauttmansdorff gab die größere Gefahr nicht gr^k^
Einsicht Mehr als die drohende Revolution beschältigte i
der Kampf mit d'Altons auch gegen ihn persönlich rück
losem Vorgehen, das in diesem Moment vielleicht doch 1
rechtigter war als seine eigenen aus Härte und Nachgiebig
wunderlich gemischten Maßregeln. Weder sein Optimistnsa
noch seine Unentschlossenheit verleugneten sich. EigentUd
nur auf die Zettelungen mit Frankreich hatte er ein aufmeri
sames Auge (S, 330f. 4$% 447). Über die Pläne der Trip
allianZf namentlich Preußens, mußte ihn ein sehr merkwürdiger'
Brief Josephs belehren (8. Oktober, S. 41 8)^ der mit dem fti-
weis auf les sources ies plus pures ei les plus cachies derAo-
nahme von Verrätern in der Umgebung Friedrich Wilhelms E
zu Hilfe kommt. Endlich die Emigrantenarmee bespöttelte n
als armäe de la lane (S. 711), armie ckintirique (S. Vil\
armh mhirabh (S. 404).
In Wirklichkeit wurden diese i^patriotischen Horden* dtr
Stein, der die tönernen Füße der österreichischen Herrschab
in Belgien zermalmte. Seit van der Mresch aiti 27, Oktober
General Schröder bei Tumhout geschlagen hatte, entwickelte
sich die Katastrophe, wenn nicht so rasch, wie die Vt^
schworenen gehofft hatten, doch mit sicherer Folgerichtigkeit
D* Alton versagte völlig* Trauttmansdorff machte den Vetsuck
durch eine Politik unbedingter Konzessionen in zwölfter Stunde
den Schein der kaiserlichen Hoheit zu retten^ indem er da&
Wesen preisgab. Dafür fehlte es nicht ganz an Boden, Es
gab unter den Verschworenen eine starke Partei, die lieber
als das eigennützige Ausland aufzurufen, großmütig »ein-
willigen" wollte^ unter dem Schutz des Kaisers zu leben (mu
cönsentons ä vivre saus la proieclion ^ouveraine de S, M* ih
wenn die Nation frei sein würde, ihre inneren und sogar äußeren
Angelegenheiten unter verbesserter Verfassung selbständig zu
ordnen (vgl, die wichtige Denkschrift S* 756 If. aus dem Kreise
oder von der Hand Cornet de Grez*). Aber Joseph hätte sicli
mit einer solchen rein ornamentalen Stellung nicht begnügt
Welch enge Grenzen seine Nachgiebigkeit hatte, lehrt die
Instruktion für den in außerordentlicher Mission nach Belgien
abgeordneten Grafen Philipp CobenzI (28, November, S-795fi,),
Und auch im Lande selbst waren die Dinge schon zu weit
A
18. Jahrhundert
gediehen. Am 2. Dezember noch schrieb Trauttmansdorff,
hoffnungsvoU bis zuletzt: je me crois sär de r Jassir ä un
acc&mödemmt S. 521). Zehn Tage später mußte er mit den
fliehenden Truppen Brüssel verlassen.
Mit seinem aufgeregten Bericht darüber schließt der Brief-
wechsel. Aber manche Aktenstücke des Anhangs werfen
bereits ein Licht darüber hinaus auf den Weg der weiteren
Entwicklung* Ein sehr lehrreiches Manuskript Voncks über
die Gesellschaft pro ans ei focis (S, 699 — 720) zeigt den Gegen-
satz dieses Forts chrittsmannes zu van der Noot und Genossen,
der alsbald nach dem Sieg so verhängnisvoll hervorbrechen
sollte; und mancherlei Material zur Politik der Tripelallianz
läßt ahnen, daß die divergierenden Interessen der Schutzmächte
schließlich zur Preisgabe der Belgier führen konnten. Be-
sonders die Veröffentlichung von van der Noots Bericht über
seine Berliner Verhandlungen ist sehr dankenswert (Journal
de Beriin S. 740 ff.). Auch die verschiedenen Mitteilungen
aus dem preußischen Staatsarchiv werden vielen willkommen
sein. Nur reichen sie nicht aus für ein irgend vollständiges
Bild von der Haltung Friedrich Wilhelms und Hertzbergs.
Dazu bedarf es der Kenntnis anderer^ namentüch der engtischen
Korrespondenzen,
Bonn. Frisdrick Lackwaiät,
Kriege unter Kaiier Joseph IL Nach den Feldakten und anderen
authentischen Quellen bearbeitet in der kriegsgeschicht*
liehen Abteilung des k* und k, Kriegsarchivs von Oskar
Crlste, k, und k. Hauptmann des Armeeatabes, Wien^
Seidel & Sohn. 1904. 385 S.
Kriege gegen die französische Revolution 1792^1797* Nach den
Feldakteti und anderen authentischen Quellen bearbeitet
in der kriegsgeschichtlichen Abteilung des k. und k. Kriegs-
archivs, 1. Bd.; Einleitung, 2. Bd.: Feldzug 1792. WieUj
Seidel & Sohn. 1905. 590 u. 411 S.
Mit diesen Werken beginnt die kriegsgeschichtliche Ab-
teilung des österreichischen Kriegsarchivs eine Reihe von Ver-
öffentltchungen, die mit Freude zu begrüßen sind. Es war
ursprünglich beabsichtigt gewesen, nach Vollendung des großen
Historische Zeitschrift (?7. Bd.) $. Folge h Bd. 39
602
Literaturbericht
Werkes über den Österreichischen Erbfolgekrteg sofort die Dv-
steltung des Siebenjährigen Kriegs in An^^riff zu nehmen. Hje;-
von wurde jedoch zunächst Abstand genommen, weiJ ,dss ün
Erscheinen begriffene und wahrscheinlich in kurzer Zeit ab-
geschlossene Werk , Kriege Friedrichs des Großen' des preufr
sehen Großen Generalstabs dem Bedürfnisse nach einer fict
männischen Darstellung des Siebenjährigen Kriegs auch bezüg-
lich der Operationen der damaligen österreichischen Heerfiihref
in musterhaft objektiver Weise entspricht***
Anderseits empfand man mit vollem Recht die dringende
Notwendigkeit eines auf österreichischen Originalquellen bt-
ruhenden Werkes über die Kriege Österreichs gegen die tun-
zösische Republik und das erste französische Kaiserreich uod
entschloü sich daher zu einer eingehenden Bearbeitung lies
Zeitraums von 1792—1815. Jeder, der sich mit dieser Kriege
periode eingehender beschäftigt hat, kennt die Schwierigkeittn,
die infolge der mangelnden Kenntnis der öslerrelchiscHeit
Originalquellen auf Schritt und Tritt der Forschung entgegen-
treten» Nur in bezug aul wenige Punkte hat bisher das ösier*
reichische Kriegsarchiv seine Schätze geöffnet, und wo dies
geschehen ist» zeigte sich sofort, daß die bisherige Jandräufigie
Darstellung zahlreiche Legenden enthält. Die napoleonisclie
Kriegsgeschichte ist auch heute noch so lehrreich , daß eine
auf deutschen, österreichischen und französischen OriginiJ-
quellen beruhende Darstellung geradezu eine Notwendigkeit ist
Die österreichische kriegsgeschichtliche Abteilung hat nun
geglaubt f die im Jahre 1792 beginnende Kriegsperiode nidit
von den Ereignissen der dem Ausbruche der französischen
Revolution vorhergegangenen Epoche scharf trennen zu können^
sondern hat in einem zunächst erschienenen Werke vorher die
Kriege unter Joseph fl. dargestellt. Damit sollen diejenigen
Anschauungen klargelegt werden, von denen die österreichi-
schen Fuhrer und ihre fieere in den ersten Kriegen gegen
Frankreich beherrscht waren. Diese Führer hatten ihre erste
Schule im theresianischen und josephinischen Zeitalter durch-
gemacht und lebten in den Anschauungen dieser Zeit fhre
Tätigkeit kann daher nicht richtig bewertet werden, ohne daß
man die Schule kennt, der sie entstammen- Der gewöbnlicht
Mensch ist ein Kind seiner Zeit» die ihm sein Gepräge ver-
IS. Jahrhundert
603
leiht Nur das Genie schafft neue Werte und drückt einem
ganzen Zeitalter den Stempel seines Geistes auf.
Ein solches Genie in der Kriegführung, vielleicht das
größte aller Zeiten, war Napoleon. Daß die Männer einer
alten Schule einem solchen Führer entgegentreten mußten,
war ihr Unglück» Sie vermochten den Geist der neuen Krieg-
führung nicht zu fassen und gingen daran zugrunde. Wer sie
aber gerecht beurteilen will , muß den Boden kennen , dem
sie entstammen.
Darum ist die Darstellung der Kriege Josephs IL, näm-
lich des Bayerischen Erbfolgekrieges 1778 — 1779 und des
österreichisch -russischen Krieges gegen die Pforte 1788 und
1789 gerechtfertigt, obwohl sie an sich nur geringes militäri-
sches Interesse bieten. Insbesondere trägt der Bayerische
Erbfolgekrieg alle Zeichen eines Niedergangs der Kriegskunst
Der gealterte König FriedriGh ist in diesem unblutigen Feldzug
kaum wiederzuerkennen. Es fehlt dem Kriege auf preußischer
Seite an einem bedeutenden Ziele, das einen großen Einsatz
gelohnt hätte.
Die Darstellung des rühmlich bekannten Hauptmanns
Crtste ist vortrefflich, klar und erschöpfend*
An dieses Werk schließt sich die Darstellung der Kriege
gegen die französische Revolution an, von denen zunächst
zwei Bände erschienen sind.
Der erste Band hiervon gibt eine Einleitung, deren ein-
zelne Kapitel von verschiedenen Verfassern bearbeitet sind,
ohne daß dadurch die Einheitlichkeit des Werkes Schaden litte.
Es werden die poütischen Verhältnisse vor Ausbruch des
Krieges, insbesondere die Lage des Deutschen Reichs und
der Osterreichischen Monarchie^ sodann das Heerwesen Oster*
reichs und der übrigen in Betracht kommenden Staaten ge-
schildert und schließlich ein vortrefflicher Überblick über den
damaligen Standpunkt der Heer- und Kriegführung gegeben,
der besondere Aufmerksamkeit verdient Der Band ist somit
ein äußerst wertvoller Beitrag zur Geschiebte des Heerwesens
dieser Zeit
Der nächste Band enthält die Darstellung des für die
Koalition sehr unrühmlichen Feldzugs von 1792, der nach der
39*
604
Li tera tu rbericIiL
Kanonade von Valmy init dem Rückzug der Verbilndelen,
dem Einbruch des Generals Custine m Deutschtand und mit
der Eroberung der Niederlande durch die Fraiuosen schloß.
,So endete*, heißt es am Schluß des Werkes, »ein Feldzugt
der von den Verbündeten mit hochfliegenden Plänen begonueo
wurde, mit einer Reihe schwerer Enttäuschungen.*
Alle Mängel der bisherigen Heeresorganisation und der
Lineararmeen traten bereits zutage » ohne daß man dai^n ge-
dacht hätte, etwas Neues an die Stelle des veralteten Kriegs-
systems zu setzen* im französischen Heere steckten bereits
die Keime zu einer gewaltigen Umwälzung. Noch aber fehlte
der Mann, der diese Keime in ungeahnter Weise entwickeln^—
sollte. f
In der richtigen Hervorhebung dieser Verhältnisse liegt
der Wert des Buches auch für unsere Zeit. Es bietet reiche
Belehrung. Die Darstellung ist vortrefflich, das Urteil rutiig
abwägend und gerecht. Das ganze Werk ist mit Karten und^
Skizzen reich ausgestattet* V
Somit liegt eine sehr wertvolle Bereicherung der Kriegs-
geschichte vor. jr. ^B
Systematische Zusammenstellung der Verhandlungen des baye*
fischen Episkopates mit der KgL Bayerischen Staatsregie-
rung von 1850 bis 1889 über den Vollzug des Konkordates*
Preiburg 1. B., Herden 1905. 121 S. 4*. M
Das bayerische Konkordat von 1817 setzte die katholische
Kirche «in alle jene Rechte und Prärogativen ein, welche sie
nach göttlicher Anordnung und den kanonischen Satzungen
zu genießen hat*. Auf Seite der Regierung erkannte man zu
spät, welche Gefahren für die Selbständigkeit des Staates und
die Parität der Konfessionen der Vertrag in sich barg, und
suchte ihnen die Spitze abzubrechen durch die Erklärung des
Konkordats als eines Bestandteils der Verfassungsurkunde
und durch die Aufnahme des Religionsedikts von IS09 als
zweiter Beilage in der Verfassung von 1818, 1850 und IS88
richtete nun der bayerische Episkopat an die Staatsregierung
Denkschriften, deren mannigfache Wünsche und Beschwerden
in der Forderung gipfelten, daß das Religionsedikt , das die
durch das Konkordat gesicherten Rechte der Kirche teils zurück*
i.
19. Jahrh ändert«
605
nehme, teils beschränke und verkümmere, beseitigt werde.
Jedesmal lautete der Bescheid der Regierung (1852 und 1889)
in der Hauptsache abweisend^ wobei besonders betont wurde,
daß die zweite Verfassungsbeilage die volle staatliche Parität
schütze, die durch Überordnung des Konkordats gefährdet
würde. Über die Unsicherheit des Fundaments, auf welchem
das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Bayern ruht, kann
man sich nicht täuschen , wenn die Bischöfe in dem Memo-
randum von 1850 erklären, die gesamte katholische Kirche
Bayerns habe die zweite Verfassungsbeilage , insofern sie in
direktem Widerspruch mit dem Konkordat sei , niemals an-
erkannt und werde sie niemals anerkennen. Im übrigen sei
aus dieser Denkschrift noch hervorgehoben, was die Bischöfe
über den kirchlichen Einfluß auf die Universitäten München
und Würzburg bemerken. Die Lehrkörper dieser beiden Hoch-
schulen seien ^ ihrer Stiftung und ursprünglichen Ausstattung
nach dem katholischen Bekenntnisse vorbehalten und dieses
ihres früheren Charakters noch nicht völlig entkleidet *** „Inner-
halb der philosophischen Fakultäten stehen insbesondere die
Lehrfächer der Philosophie und Geschichte in einem unauf*
löslichen Zusammenhange mit der religiösen Überzeugung und
Gesinnung und müssen diese Überzeugung und Gesinnung
je nach der Richtung und dem Geiste , in welchem sie vor-
getragen werden, entweder begründen, läutern und befestigen,
oder untergraben und zerstören,** Der Episkopat stellt daher
den Antrag, daß an den beiden Universitäten bei Besetzung
der philosophischen und geschichtlichen Lehrfächer auf Männer,
welche ihre Wissenschaft in religiösem Geiste auffassen und
vortragen, Bedacht genommen werden möge. Die Denkschrift
von 1888 erklärt es als eine unbestrittene Tatsache, daß der
an den Universitäten herrschende Geist dem Christentum viel-
fach zuwider sei. «^Cs ist auf das tiefste zu beklagen, daß
den jungen Männern, welche einst in den wichtigsten Öffent-
lichen Amtern wirken sollen, in den Vorlesungen, besonders
den philosophischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen,
Lehren vorgetragen werden, welche nicht bloß mit dem Offen-
barungsglauben im Widerspruch stehen, sondern auch die
Grundlagen erschüttern, auf welchen Staat und Recht und
Ordnung ruhen."
606
Literaturbericht
Die interessanten Verhandlungen sind schon vordem an
verschiedenen Orten zerstreut gedruckt vorgeJegen. Die von
kirchlicher Seite ausgegangene neue und zusammenfassende
Publikation ist, wie der Vorbericht besagt^ „zum Zwecke histo-
rischen Studiums*' eHolgt* Die Zeit wird lehren, ob sie nicKl
— wenn auch ein klerikales Blatt dem entschieden widerspricht —
auch einen neuen Vorstoß zugunsten der unbedingten Geltung
des Konkordats einleiten soll.
München. Ä. RieMitr.
Die Mobilmachung von )S70/71, Mit allerhöchster Genehmlgni^
S* M. des Kaisers und Königs bearbeitet im KgK Kriegi'
ministerium von Gustav Leiittiaiiii« Berlin, Mittler £ Sohn.
1905, V u, 382 S.
Das Buch bezeichnet sich als zweite erweiterte Auflage
der Festschrift zur Enthüliung des Denkmals für den Kriegs-
minister Generalfeldmarschall v. Roon am 24. Oktober 1901;
es ist in Wirklichkeit selber ein Denkmal lür Roon und seine
grandiose Arbeit bei der Vorbereitung und Durchführung des
Krieges von 1 870/7 U Fast überladen mit Aktenbeilagen und
statistischen Übersichten, stark mit Einzelnoti^en in der Dar-
stellung wie in den Anmerkungen belastet, wird es, wie idi
fürchte, nicht die Wirkung haben, die sein Inhalt durchaus
verdient. Eine Fundgrube für die Geschichte des Krieges
bleibt es auf alle Fälle.
Man erhält zunächst einen lehrreichen Überblick über die
erstaunlichen Leistungen der Armeeleitung in den Jahren der
Rüstung 1866 — ^1870, unter denen Blumes Etappenord nung und
ßronsarts Mobilmachungsplan, beide 1867 entstanden, die In-
struktion für die höheren Truppenführer und die Vorschriften
für den Feiddienst, 1869 und 1870 erlassen, von monumentaler
Bedeutung waren neben dem Verschmelzungsprozeß, der für
die Truppenteüe der annektierten preußischen Provinzen und
der norddeutschen Bundeskontingente begonnen und durch*
geführt wurde. Dagegen waren andere wichtige Fragen noch
nicht gelöst, als der Krieg ausbrach. Weder war das neue
Exerzierreglement für die Infanterie abgeschlossen^ noch war
das aptierte Zündnadelgewehr fertige so daß sie mit M 62 und
l
19, Jahrhundert
607
41 ins Feld rücken mußte, auch der Kamp! zwischen Bronze
und Gußstahl war bei der ArtiUerie noch nicht ausgekämpft.
Diese Inferiorität der Bewaffnung gegenüber der französischen
Armee wird bei der Schätzung der Kriegstaten unseres Heeres
nicht immer hinreichend in Ansatz gestellt.
Es folgen dann überaus wertvolle Mitteilungen über den
Verlauf der preußischen Mobilmachung- Zum erstenmal sieht
man, wie die tausend und abertausend Räder der komplizierten
Maschine ineinander gegriffen haben, bekommt aber auch eine
Ahnung, welche Hindernisse znm Teil zu überwinden waren.
Von den einzelnen Armeekorps hatte das III., nach ihm das VII.
seine Mobilmachung zuerst beendet, das erste in acht, das zweite
in zehn Tagen. Unter besonders schwierigen Verhältnissen voll*
zog sie sich bei der 16, Division, weil sie durch die Nähe der
Grenze bedroht war, sie mußte fast durchweg auf dem rechten
Rheinufer vorgenommen werden unter Aufgabe der planmäßig
vorgesehenen Mobtlmachungsorte, Interessant ist auch ein
Vergleich der Prozentziffern der einbeorderten Mannschaften,
die sich nicht stellten. Am schlimmsten war der Ausfall im
Bezirk Apenrade, wo er ungefähr die Hälfte betrug, dann folgte
Rawitsch mit 45, Gumbinnen mit 42, Hirschberg mit 40 Prozent*
Am besten stand es in den Bezirken Göttingen, Lauban, Mar-
burg, Rostock, Wohlau u. a< Groß war die Zahl der Freiwil-
ligen. Die meisten EinjährigfreiwiUigen zählte in der Garde
das Gardefüsüierregiment, bei der Linie das 56. Regiment.
Wie tief die Mobilmachung in die Familienverhältnisse ein-
schnitt, ersieht man aus der Menge der verheirateten Mann-
schaften, so war beim 22. Infanterieregiment ein Drittel Ehe-
männer. Während es in den annektierten Provinzen Hannover
und Schleswig-Holstein an gedienten Leuten fehlte, hatten das
VIL und Villi Armeekorps zu viele Überzählige, für die es an
Montur und Waffen fehlte. Am wunderlichsten sah es bei den
Landwehrbataillonen Unna und Simmern aus, beim letzteren
waren am 27. Juli unter 1174 Landwehrleuten nur 360 bekleidet
und bewaffnet Aber abgesehen von diesen unvermeidlichen
Mängeln und einigen kleinen Verstößen bewährte sich der
Mobilmachungsplan in all seinen Vorschriften und Fest*
Setzungen glänzend. Und ebenso glatt vollzog sich der Eisen*
bahnaufmarsch der Armee, um den sich namentlich Branden-
eoe
LiteraturberlchL
gtein Verdienste erwarb^ auf den sechs großen, nach Westen
fuhrenden Linien; in eil Tagen war er vom 24. Juli ab voll-
endet.
Besondere Beachtung verdienen in dieser offizieJJen Schrii!
einige gelegentliche Hinweise politischer NatUTp wie z. B. dii
Kaiser Alexander Preußen zugesagt habe, im Falle des Heraiif-
tretens Österreichs aus der Neutralität eine Armee von 300000
Mann an der Grenze aufzustellen und mit ihr Galmen zu be-
setzen. Auch daß Osterreich wirklich bis in die ersten Wochen
des August hinein seine Kavallerie, Artillerie und den Train
mobil gemacht hatte, scheint mir bisher nicht aUgemein be*
kannt zu sein, ebensowenig^ daß in der Provinz Posen^ nament-
lich Ende Juli, die Aufregung der Polen so groß war, daß das
Generalgouvernement dort gleichfalls mobil gemacht wurde
und die Ermächtigung erhielt, die Provinz beim Ausbruch der
geringsten Unruhen sofort in Belagerungszustand zu erkläreiu
Die letzten Abschnitte des Buches legen in gleich sicherer^
aktenmäßig fundierter Darstellung dar^ wie die Besatzung der
okkupierten feindlichen Landesteile gebildet, wie für den Ersatz
der im Felde stehenden Truppen gesorgt, wie die technischen
Waffen, Festungsartillerie und Pioniere, mobil gemacht wurden
und wie es gelang, für die immer stärker anschwellende Zahl
der Kriegsgefangenen, die sich Mitte Februar auf nahezu
400000 Mann belief, genügende Bewachungsmannschaft zu ■
finden. Hierzu wurden mit Vorliebe die überzähligen Land-
wehrreiter herangezogen und in unberittenen Landwehrdepot-
eskadrons zusammengeschlossen, zu denen später noch Gar-
nisonbataillone traten. Im übrigen stellte sich bald heraus,
daß jeder gediente Mann gebraucht werden konnte, und daß
für die Verwendung in Feindesland kaum die Kräfte aus*
reichten. Bei der immer breitern Ausdehnung des Kriegs-
theaters erwiesen sich immer neue Truppenteile als notwendig.
Wenn auch nach dem Fall von Metz der König angeordnet
hatte, daß die Landwehr nicht mehr direkt vorm Feinde, son-
dern zu Besatz ungs- und Etappenzwecken verwendet werden
sollte, so mußten eben doch dafür die letzten verfügbaren
Bataillone herangezogen werden; von 162 Landwehrbataillonen _
waren schließlich nur noch 17 immobiL Für die Besatzung H
aber der Festungen Straßburg, Metz und Diedenhofen wurden
I
19. Jahrhundert
609
bereits die Ersatzbataillone der Regimenter bestimmt, welche
voraussichtlich nach FriedensschJuß dort ihren Standort er-
halten würden. Roon suchte auch auf diesem Gebiet, der
Verstärkung der Streitkräfte, das Möglichste zu leisten, war
doch im Februar 1871 schließlich die Verpflegungsstärke der
preußischen Armee auf 1028126 Mann gestiegen. Das be-
deutete fast 39 von je Tausend der im Jahre 1867 ermittelten
Bevölkerungsziffer , während die entsprechenden Zahlen für
Bayern 31,30, für Baden 27,07 und für Württemberg gar nur
23,56 betrugen. Die Inanspruchnahme der alten preußischen
Provinzen war noch eine erheblich höhere. Dagegen wehrte
sich Roon mit aller Schärfe gegen noch weitergehende For-
derungen des Generalstabs, so z. B. als Moltke im Dezember
verlangte, daß unverzüglich ca, 100 Bataillone ä 600 Mann neu
aufzustellen seian^ und daß dabei auch über die für Friedens-
verhältnisse bestehende gesetzliche Verpflichtung hinaus-
gegriffen werden müsse. Roon betonte seinerseits, daß die
fernere Kriegsführung die nur verfügbare, die gegebene Summe
der vorhandenen Streitmittel in Betracht zu ziehen habe, und
setzte es durch, daß kein Mann des Landsturms eingezogen
wurde, während man bei der Landwehr bis auf den Jahrgang 1854
zurückgriff, Friktionen zwischen ihm und Moltke stellten sich
auch sonst noch Öfters ein, so in der Frage der Unterbringung
der Kriegsgefangenen und besonders vor der Beschießung von
Paris. Gegen den Widerstand des Generalstabschefs und des
Oberkommandos der IlL Armee trat der Kriegsminister mit
unbeugsamer Energie dafür ein, daß endlich ein militärisch
organisierter Fuhrpark für den Monitionstransport geschaffen
wurde.
So begegnen wir fast auf jeder Seite des Buches, wenn
auch manchmal versteckt, interessanten Einzelheiten. Schließ-
lich formt sich doch aus ihnen ein einheitliches Bild der un-
geheuren Kraftleistung der Nation und der riesenhaften Arbeit
des Kriegsministeriums. Sehr zu bedauern aber bleibt, daß
die süddeutschen Kontingente nicht in die Darstellung mit
einbezogen worden sind und nur hier und da in Textanmer-
kungen oder in den Anlagen, wie z. B, bei der Übersicht der
deutschen Streitkräfte am 15. Januar 1871 erscheinen. Wenn
irgendwo, so hätten bei einem solchen Werke wie dem vor-
Ük
m
Lite ra t urberi ch L
liegenden formelle Bedenken und offizielle Rücksichtnahnie
beiseite gestellt werden sollen.
Straßburg i. E. IK WUgMd.
Aus Eduard Laskers Nachlaß. Herausgegeben von Dr. WtlJielfl
Cahn. L Teil. Fünfzehn Jahre parlamentarischer Ge-
schichte (1866—1880). Berlin^ Georg Reimer. 1902. 16S S
Etwas verspätet bringen wir dies Buch zur Anzeige^ di
die Erwartung auf baldiges Erscheinen des 2, und 3. Teilei
der Laskers politischen Briefwechsel und eine Auswahl seiner
Reden und Aufsätze enthalten soll, sich inzwischen nicht er-
füllt hat. Dieser L Teil enthält vor allem eine historische
Darstellung der preußisch-deutschen Entwicklung seit den
Stein-Hardenbergschen Reformen, die aber ausführlicher eßl
mit dem Jahre 1866 wird und mit dem Jahre 1880 abbricht
Lasker hat sie 1882/83 niedergeschrieben, und seine Erkrmn
kung hat ihm die Feder aus der Hand genommen. Es siai
im Grunde die Erfahrungen und Ziele seines eigenen parla-
mentarischen Lebens, die er schildert. Er läßt zwar — gewifi
geflissentlich — seine eigene Person ganz in den Hintergrund
treten, er erzählt überhaupt nicht memoirenhaft, d. h. mit viel
anschaulichem und persönlichem Detail , sondern tn einer
mehr allgemeinen, reflektierenden und konstruierenden Weise,
aber nichtsdestoweniger blicken die Bestrebungen und die
Enttäuschungen seiner eigenen politischen Wirksamkeit deut-
lich durch. Das Ganze ist ein Klagelied über das Schicksal,
das ßismarck der nationalliberalen Partei und insbesondere
ihrem von Lasker geleiteten linken Flügel durch die ganze
Wendung seiner inneren Politik seit 1876 bereitet hatte, — ]
anscheinend objektiv und akademisch erzählt, ist es in Wahr-
heit durchaus subjektiv empfunden. Darin liegt aber auch
ein historischer Wert dieser Aufzeichnung, den wir» obwohl
sie keinerlei überraschende Aufschlüsse bietet und die Einzel-
tatsachen zuweilen etwas flüchtig und ungenau behandelt,
nicht gering einschätzen. Lasker war keine große» aber eine
charakteristische Persönlichkeit, ein doktrinärer Idealist zn-
gieich und ein ehrgeiziger Parteihäuptling« Das ideale natür-
liche Recht, für das er kämpfte, stand zwar, wie Bismarck es
19. Jahrhundert; Deutsche LandBchaftetii
611
einmal ausdrückte, „außerhalb des Lebens^f aber in das poli-
tische Leben des ganzen Nationalstaates selbst hat er folgen-
reich und zuweilen auch erfolgreich eingegriffen. Der Kern
seines Gegensatzes zu Bismarck war» die Rechte und die
Alacht des Parlaments als solchen zur Geltung zu bringen
und die nationalUberale Partei zum kompakten und beherr-
schenden Zentrum einer Gruppe zu machen, die sowohl mit
der Fortschrittspartei wie mit den Freikonservativen Fühlung
hatte. Umgekehrt war Bismarck nur gewilitf die National-
liberalen zwar zu benutzen, aber nicht zur Herrschaft kommen
zu fassen. Die Zerreibungspolitik, die er den Parteien gegen-
über in den 70er Jahren trieb, wird in dieser Aufzeichnung
von Lasker höchst interessant analysiert, wobei wir nun aller-
dings Bismarck mehr als den zerstörenden und auflösenden
als den schaffenden und aufbauenden Staatsmann zu sehen
bekommen. Für die großen positiven Ziele Bismarcks seit
1876, die über Partei- und Parlamentswesen doch weit hinaus-
reichten, hatte und konnte Lasker kein volles Verständnis
haben. „Die Wandlung, welche sich in Bismarck vollzog/
so urteilt er (S. 101) nicht ganz falsch, aber höchst einseitig^
»wird wohl als eine Repristination jenes Bismarck zu erachten
sein, wie er sich in den Jahren 1847 — 1849 ins öffentliche
Leben eingeführt hatte, nur mit erweiterten Plänen und mit
dem Bewußtsein der inzwischen gewonnenen Gewalt über das
öffentliche Leben***
Die Anlagen enthalten einige Zeitungsartikel und Akten-
stücke der nationalliberalen Partei von 1866/67 und einen Brief
Bennigsens an Lasker vom 30. Juni 1878 über seine Varziner
Verhandlungen und über Bismarcks Anträge an ihn im Juni
1866. Fr. M.
Die Allmend im Berner Jura. Von tf ermann Rennetahrtp Bres-
lau, M» u. H* Marcus* 1905. 231 S. (Untersuchungen zur
deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, herausgegeben von
0. Gierke. 74. Heft.)
Entsprechend dem Umstand, daß die Allmenden noch
heute in der Schweiz von großer praktischer Bedeutung sind,
ist die Literatur über die Schweizer Allmenden reich ausge-
baut worden. In der vorliegenden Arbeit begrüßen wir einen
um
612 Uteraturbericht.
neuen treHlichen Beitrag zw ihrer Geschichte. Auf fleißiger
Benutzung des recht ergiebigen gedruckten und des noch vid
mehr bietenden ungedruckten Materials ruhend^ schildert sie
die Entwicklung der Allmenden im Berner Jura, d» h* tm Ge-
biet der alten Bischöfe von Basel, von der ältesten Zeit bij
zur Gegenwart, dabei ihr Thema so weit fassend , daß mao
fast eine allgemeine Geschichte der Landwirtschaft die^a
Bezirks erhält* Die mittelalterliche Geschichte (die Zeit bis 1500
hätte Rennefahrt nicht „Vorgeschichte* nennen sollen) kommt
ebenso auf ihre Kosten, wie die Geschichte der Landeshoheii
im 16. und 17. Jahrhundert Aufklärung erfahrt» und nicht
weniger lehrreich ist» was wir über die Einwirkungen der
französischen Revolution und des napoleonischen Regiments
sowie die Verwaltung der Regierung des Kantons Bern lesen*
Der Bischof von Basel bildete ein Allmenderegml aus> R.
(S* 96) will dies auf den Einfluß des römischen Rechts zurück
führen. Allein die betreffenden Bestrebungen der Landes*
herren sind (wenn auch nicht gerade in jedem Territorium)
Mlter als die Rezeption des römischen Rechts (vgl. in. Ursachen
der Rezeption des römischen Rechts S. 62 Anm. I), Wie
bemerkt, faßt R, seine Aufgabe nicht eng. Zu den lehrreichen
Abschnitten, die über das eigentliche Thema hinausgehen,
gehört die Darlegung der Ortsgemeindeverfassung (S* Mff).
Die Bezeichnung der Ortsvorsteher ist in diesen Gegenden
(wie in Mitteldeutschland) Heimburge (oder Heimburger). Die
Bestrebungen des 17. und 18. Jahrhunderts ^ den Kampf ums
Dasein durch eine Beschränkung der Einwanderung und
scharfe Abgrenzung der Berechtigungen innerhalb der Gemeinde
zu lösen ^ erfahren S< 62 f. eine interessante Beleuchtung. Zu
bedauern ist, daß R. die Orthographie der Akten des 16. und
17. Jahrhunderts, die von irgendeinem namenlosen Schreiber
geschrieben sind, nicht nach den heute üblichen Grundsätzen
normalisiert hat (vgl z. B. S, 97), Es hat doch wirklich keinen
Zweck, »vnnd* für „und' zu drucken* Vgl. zur Literatur über
die hier in Betracht kommenden Fragen auch Stutz, Zeitschr.
der Sav.-Stiflung, Germ. Abt,, Bd. 26, S. 392 ff,
Freiburg i. B. C, v, Beiaw.
1
Deutsche Landsehafteii.
613
Urkuiidenbuch der Stadt Fnedberg. 1. Bd.: 1216—1410, Bearbeitet
von M. Faltz. Marburg, N. G, Elwert. 1904 XVtll, 698 S.
(A, u, d*T.; Veröffentlichungen der Histon Kommission für
l^essen und Waldeck, Urkundenbuch der Stadt Friedberg,
herausgegeben von G. Frhr, von der Ropp.)
Der Beschluß der Historischen Kommission für Hessen
und Waldeck vom Jahre 1898, die Herausgabe von Urkunden-
büchern der in ihrem Arbeitsgebiet liegenden Wetterauer
Reichsstädte in Angriff zu nehmen, hat nunmehr seine erste
Frucht gezeitigt : der erste Band des Friedberger Urkunden-
buch es ist in der Bearbeitung von M. Foltz veröHentlicht
worden, den G. von der Ropp und W, Dersch mit Rat und
Tat unterstützten, jener überdies durch die Ausgabe der Fried-
berger Stadtrechnungen und einige Nachträge (S, 586 ff.)^
dieser durch die Herstellung eines sorgfältigen Orts- und Per-
sonenregisters (S. 609 ff.) sowie eines kürzeren Wort- und
Sachverzeichnisses (S. 689 ii).
Wie es scheint, ist Für die Anlage des Bandes das Muster
jener reichsstädtischen Urkundenbücher maßgebend gewesen^
deren Edition die WUrttembergische Kommission für Landes-
geschichte in die Wege geleitet hat» Am Kopfe jeder voll-
ständig abgedruckten Urkunde finden sich eine kurze Inhalts-
angabe'), dann Hinweise auf die handschriftlichen Quellen der
Ausgabe, auf ihre Vorläuferinnen und auf ihre Regesten oder
Erwähnungen ; ihnen angeschlossen sind vielfach Verweise
auf andere Dokumente, die mit dem vorliegenden in sach-
lichem Zusammenhang stehen; endlich folgt der Wortlaut der
Urkunde selbst. Nur der kleinere Teil der Stücke wird ganz
vor dem Leser ausgebreitet. Lagen neuere Veröffentlichungen
vor, wie z. B. von Böhmer-Lau (Urkundenbuch der Reichs-
stadt Frankfurt), bei Reimer (Urkundenbuch zur Geschichte
der Herren von Hanau) oder bei Wyß {Urkundenbuch der
Deutschordensballei Hessen), so genügte ein Regest des frag-
lichen Stückes ; anderwärts entschied sein Inhalt, ob diese
Form oder der wörtliche Abdruck zu wählen sei. Im allge-
meinen wird man dem Takt des Bearbeiters Anerkennung
zollen, wenn auch bei Stücken wie z. B, Nr, 312 und 392 der
*) Unrichtig Ist die Inhaltsangabe von Nr. 310, wenig schön die
von Nr. 763: „Verlandfriedung des Grafen Philipp von Falkenstein/
«14
Literaturbericht*
unverkürzte Text willkommen gewesen wäre. Dank solchem
Vorgehen aber war es möglich, in einem nicht allxuslarken
Band€ rund 1200 Dokumente abzudrucken oder doch zu m-
zeichnen, die insgesamt den Jahren 1216 — 1430 angehören
derart freilich, daß nur wenige in den Zusätzen erwähnte Ur-
kunden jünger sind als das Jahr 1410, in dem die letzte gpi
mitgeteilte ausgestellt ist Ich möchte den Nutzen diesem
Planes und seiner Durchführung nicht geringschätzen: er er-
möglicht die Heraushebung der wichtigen Materialien, dtn
Anschluß der minder wichtigeren oder nur der Erläuterung
dienenden* Immerhin sind auch Nachteile zu bemerken, und
am meisten ist dem Benutzer gedient mit der strengen laue-
haltung des rein chronologischen Prinzips» die den Wechstl
von Text und Auszug keineswegs ausschließt; er selbst flii|
die innere Zusammengehörigkeit von zwei und mehr Stücken
aus verschiedenen Jahren zu ermitteln suchen, sofern ihni
nicht der Herausgeber durch knappe Verweisungen zu Hilfe
kommen will; das chronologische Verzeichnis allein der m
den Zusätzen angemerkten Urkunden (S* 606 ff.) dünkt uns
ein Notbehelf, an dessen Stelle man lieber ein solches aller,
irgendwie gebrachten gesehen hätte, ■
Noch ein zweites Bedenken soll nicht verschwiegen werden.
G, von der Ropp hebt hervor, daß für den Entschluß, zu- _
nächst das Friedberger Urkundenbuch zu veröffentlichen, u-afl
die Eigenartigkeit der Verhältnisse bestimmend gewesen sei,
die sich aus den Beziehungen der Stadt zur Burg ergaben
(S. XI). Der Leser erwartet also alle Urkunden, die irgend-
wie der Geschichte der Stadt und der Burg zu dienen geeignet
sind. Leider bereiten ihm die Worte des Bearbeiters einige
Enttäuschung: ^Ausgeschieden und gesonderter Herausgabe
vorbehalten wurden die auf Klöster und Stifter sowie auf die
Burg Friedberg bezüglichen Urkunden, soweit diese nicht von
Stadt behörden ausgestellt oder für die bürgerlichen Verhält- M
nisse von Bedeutung sind* (S. XVII). Diese Beschränkung ™
des Werkes erscheint nicht sehr glücklich. Im Urkundenbuch
der Reichsburg — von denen der Klöster und Stifter soll
nicht eigens die Rede sein — wird man die jetzt veröffent-
lichten Stücke vermissen, gleichwie man im Urkundenbuch der
Stadt die Aufzeichnungen zur Geschichte der Burg entbehrt.
i
Deutsche Landschaften.
619
Burg und Stadt, Burgmannett und Bürger mußten im täglichen
Leben miteinander auszukommen suchen, so schwer es hielt, —
und die Urkunden beider sollten nicht in einem Bande ver-
einigt werden können? Stadt und Burg waren gesonderte
Rechtskreise — die Burgmannen waren nicht wie in Oppen-
heim auch vollberechtigte Mitglieder des bürgerlichen Gemein-
wesens — , aber die Notwendigkeit des gegenseitigen Verkehrs
schuf Wechselbeziehungen verschiedenster Art, über die nun
in der Hauptsache nur städtische Akten berichten, seltener solche
aus der Burg, deren Aufnahme das Gezwungene jener Tren-
nung vergegenwärtigt* Diese selbst wiederum macht eine neue
Publikation erforderlich, die, wenn anders wir nicht uns tau*
schen^ sicherlich mit der vorliegenden zu einer einzigen hätte
verschmolzen werden können. Ich vermag nicht zu bestimmen,
inwieweit Rücksichten auf Zahl und Umfang der Burgurkunden
eingewirkt haben» Sollten sie für die Trennung ins Feld ge-
führt worden sein, so hätten wir immer noch eine größere
Zahl von Bänden des gemeinsamen Urkundenbuchs der Vertei-
lung des Materials auf zwei und mehr Urkundensammlungen
vorgezogen. Durch zeitlich früheren Abschluß der einzelnen
Bände hätte die Stärke eines jeden von ihnen in gehörigen
Grenzen gehalten werden können»
Der Inhalt des Bandes ist geeignet, unsere Bedenken
einigermaßen zu heben; ist er auch im ganzen nicht so viel*
zeitig wie der des Frankfurter Urkundenbuches, lehrreiche
Aufschlüsse vermittelt beinahe jede Seite* Im Jahre 1216 wird
die Burg Friedberg zum ersten Male erwähnt (Nr, l), drei
Jahre später die Bürgerschaft (Nr, 3)* Bald weiß sie sich
durch königliche Privilegien*) Freiheiten zu erwerben (Nr, 11,
1) Rudolf von Habsburg bestätigte 1273 (Nr. 59) omnia iara,
libertaUs ei gra^ias a magn§ recordacionis incUto FridericQ Romu-
norum] impiratore, antecessore nosiroy et alils ante ipsum Fride-
ric0* Foltz (S. XII) erklärt, es sei unzulässig, hieraus den Schluß
zu ziehen, daß Friedberg bereits Privilegien von Friedrichs IL
Vorgängern besessen habe; , vielmehr will Rudolf nur die von
den Nachfolgern Frtednchs If., Wilhelm und Richard, erteilten
Rechte und Freiheiten ausgeschlossen wissen, deren Königtum er
bekanntlich niemals als rechtmäßig anerkannt hat,^ Daß erst
Friedrich El. die Stadt privilegiert habe^ soll nicht bestritten werden,
616
Literaturbericht
15, 351., 5^, 64, 84, 9^, 101 f., 112«,, 121, 130 ff., 176), durch
Bündnisse neben die übrigen Reichsstädte der Wetterau sich
zu stellen (Nr. 30, 67, 82, 124, 216, 294, 325, 334). Lüdwi|
der Bayer gewährt ihr zahlreiche Vergünstigungen (Nr 206 fL.
229, 234, 268, 277, 279, 310, 318, 347, 350 f., 354 ff,). tl<e ihreo
Anschluß an den Gegner des luxemburgischen Königtums
erklären (Nr, 381 fi)- Die Periode Karls IV, entscheidet über
das Schicksal der Stadt: immer neue Streitigkeiten mit den
Burginsassen, die wie früher so jetzt und später äosbrecheo.
um stets nur vorübergehend geschlichtet zu werden (vglz^K
Nr. 61, 162, 285 1., 3871., 595 f., 608 ff., 745 ff , 840 ft), sind
wenig geeignet, ihr Gedeihen zu fördern (vgLNr. 571); Brand-
schäden, Pehden und die zweimal verhängte Reichsacht
(Nr, 529 und 534) tun das Ihrige; im Jahre 1349 wird Fried-
berg von Kar! IV, an die Grafen van Schwarzburg und die
von Hohenstein verpfändet (Nn 390, leider nur in einem Aus-
zug, dessen zweiter Paragraph überdies gekürzt ist; vgl
Nr, 398li). Büeb es Reichsstadt? Es hält schwer, diese
Frage mit voller Klarheit zu beantworten. Nicht entscheidend
ist das auch nach 1349 geführte städtische Siegel mit dem
einköpfigen gekrönten Adler (vgl S* XIV), ebensowenig die
Bezeichnung der Stadt als „des heiligen richis stad tzü Fride-
berg" (Nr. 712). Nach wie vor nimmt sie an den Tagungen
der Reichsstädte und an Landfriedenseinigungen teil (vgl. z. B.
Nr. 421 f., 550, 641 f,, 648 HOt erhält es vom König Weisungen,
dem Landvogt oder dem Reichsvikar zu gehorchen (Nr. 443»
536, 561, 605 f., 808, 810 L), erfreut es sich zahlreicher könig-
licher Privilegien (vgl, z. B. Nr. 407 lU 574 f„ 660 f„ 728 R,,
804 H.)» dient es dem Reichsoberhaupt (vgl, z. B, 444, 489,
513 L, 541); es zahlt ihm nicht unbeträchtliche Summen (Nr. 433^
471, 502, 578, 809) und huldigt endlich dem Sohne Karls [V.
und dessen Nachfolger (Nr; 762 und 777). Von Zeit zu Zeit
jedoch wird die Verpfändung erwähnt: als die Stadt 1376
Wenzel huldigte, nahm sie aus ^sollch pantschafft, als wir
wohl aber die Begründung des Herausgebers: man hat an die
Wiederholung einer Formel zu denken, die für Priedberg nicht
paßte, während sie für andere Städte zutreffend war. — Die im
folgenden angemerkten Belege erstreben keinerlei Vollständigkeit,
sondern sollen nur Beispiele sein.
fc
Deutsche Landschaften»
617
viipant sin den . . » graven und Herren zfi Hohinsteyn und zu
Swarczburg** (Nr, 590, vgl. Nr, 592). Die Pfandinhaber selbst
treten nur selten hervor (vgl Nr. 759), und man könnte denken,
ihnen sei die Stadt mit Gedinge versetzt worden in der Art,
daß Friedberg ihnen ausgeliefert werden ^sollte, sobald ihre
anderen Fordenmgen an das Reich nicht erfüllt wurden. Diese
Annahme scheint unstatthaft: bei einer Pfandsetzung mit Ge-
dinge wäre die Vereidigung der Bürger zu Händen des Gläu-
bigers, dessen Anerkennung der städtischen Freiheiten über-
flüssig gewesen (vgL Nr, 390, 400), Nicht minder ausge-
schlossen ist die andere Vermutung, es handle sich hier um
eine Verpfändung ohne Gewere des Gläubigers oder die
sog* jüngere Satzung: die Stadt führte ihre Steuern regel-
mäßig [an den Pfandinhaber ab (vgL S. 501 oben, Nr, 834
Zusatz d), und dies wird trotz einer Reihe widersprechender
Zeugnisse (Nr, 514, 543, 622, 801 1, 807, 821, 827, 834, s. auch
Nn 781) das Normale gewesen sein. Ich zweifle nicht, daß
eine eingehendere Untersuchung die sich aufdrängenden Fragen
besser beantworten wird, als wir es hier zu tun vermochten;
jedenfalls wäre sie ein willkommener Beitrag zur Geschichte
der Reichspfandschaf ten und darüber hinaus des Reichsgutes
im 14. Jahrhundert; sie würde den Wert des Bandes noch
von einer anderen Seite her kennen lehren, nachdem ihn be-
reits A, Niese für seine Darlegungen über die Verwaltung des
Reichsgutes im 13, Jahrhundert (bes. St 248 ff.) ausgebeutet
hat. Schade, wenn er das Schicksal so vieler anderer Samm-
lungen teilte, nur veröffentlicht zu sein und nicht benutzt zu
werden. Ich konnte nur eine Oedan kenreihe andeuten, die er
anregt; in anderen werden andere wach werden und ^ur Ver-
wertung des reichen Materials auffordern.
Greifswald. A. Werminghaff,
Di özesan Synoden und Domherrn-Generalkapitel des Stifts Hildes-
heim bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts, Ein Beitrag
zur geistlichen Verfassungsgeschichte des Bistums Hildes-
heim, Von Joli. Marlng. (Quellen und Darstellungen zur
Geschichte Niedersachsens ßd, 20,) Hannover und Leipzig^
Hahnsche Buchhandlung, XlII u, 124 S, 2,80 M,
Während man sich früher für die deutschen Bischöfe und
Diözesen im Mittelalter fast nur interessierte, soweit ihre Ge-
HUtoriBcbe 2eiUctirilt (97, Bd,) 3, Folge I, Bei 40
m^
618
Literaturbencht
schichte in die allgemeine Reichs* und Kirchengescbicli«
verflochten ist, hat man sich neuerdings dem inneren Leb-"
von Klerus und Laienvolk in den einzelnen Diözesen und ut:
Veriaasung und Verwaltung derselben zugewandt. Diesen Ar*
beiten, als deren letzte wir die verdienst voüe Dissertation von
Kunz v/ Brunn, genannt v, Kauffungen, über das Domkapil^l
von Meißen im Mittelalter kennen gelernt haben (vgl *M,
564 lt)f reiht sich die vorliegende tüchtige Abhandlung t^
Schülers von Heinrich Finke an. Das Quellenmaterial.
Maring zur Verfügung stände besteht vor allem in Urkur
Bis 1260 bzw. 1310 konnte er sich gan^; auf die Urkunden^
Sammlungen des Hochstilts Hildesheim von Janicke und
Hoogeweg stützen. Für die folgende Zeit lieferten die acht
Urkundenbücher der Stadt Hildesheim von Doebner, die zebß
Urkundenbücher der Herzoge von Braunschweig und Lüne*
bürg von Sudendorl und das Urkündenbuch der Stadt Brauih
schweig von L. Hänselmann nur geringe Ausbeute; in 4^
Hauptsache sah sich der Vf. auf ungedrucktes Urkundeih
material im Kgl. Staatsarchiv zp Hannover (und der Beveiin-
sehen Bibliothek zu Hildesheim) angewiesen. Daneben konnte
er zwei gedruckte Sammlungen von Synodalstatuten benutzen.
Die erstere ist aus einer Abschrilt des 15. Jahrhunderts in der
Zeitschrift für Niedersachsen 1899 von Doebner herausgegeben
worden. Während dieser sie aber ins Jahr 1478 set^t» möchte
sie M. dem Bischof Gerhard von Bergen (1365 — -98) zuweisen
Die andere Sammlung wurde von Bischof Valentin von Teut-
leben am 17. März 1539 erlassen und zuerst 154S zu Vened^
und 1553 zu Antwerpen gedruckt. In der Schlußbetrachtung
zu dem über die Organisation und Tätigkeit der Diözesan-
Synoden handelnden ersten Teil betont M. nachdrücklich (Sw^),
daß die Synodalurkunden auf keinen Fall den ganzen InhiH
der Synodalverhandlungen wiedergeben. Sonst gewänne mafl
allerdings ganz den Eindruck, daß hier nur Kaufs- und Rechts-
geschäfte abgeschlossen oder bestätigt worden seien und die
kirchliche oder pastorelle Wirksamkeit des Bischofs und der
Synode in rein weltlichen Geschäften untergegangen sei. Eitse
ähnliche Warnung findet man am Schlüsse des den Geneial-
kapiteln gewidmeten zweiten Teils: man soüe sich hüten, aus
den häufig gerügten Mißständen in dem Sinne Kapital iu
Deutsche Landschaften. §lf
I schlagen, daß man sich die mittelalterlichen Domherrn samt
I und sonders in unchristlichem Treiben und Wohlleben be-
fangen vorstellt, ,lch glaube, die Zeiten, in denen man den
Mut hat, Fehler und Mißstände einzugestehen, und energisch
daran geht, hierin Wandel zu schaffen, sind jedenfalls die
schlechtesten noch nicht" (S. 125). — n^
Hanserezesse von 1477 bis 1530. Bearbeitet von Dietrich Schafen
7, Bd, Leipa^ig, Duncker 6 Humblot. 1905. XIV u. 941 S*
31 M.
Allmählich nähert sich auch die letzte Reihe der Hanse-
rezesse, welche Dietrich Schäfer bearbeitet, dem Ende. Von
der ganzen Serie, welche die 54 Jahre von 1477 bis 1630 um-
faßt, stehen nach dem Erscheinen des vorliegenden 7. Bandes
nur mehr 9 Jahre aus. Obwohl der neue Band sich nur auf
5 Jahre erstreckt, hat er den gewaltigen Umfang von 955 Seiten
(mit der Einleitung). Freilich entfallen auf diesen kurzen Zeit-
raum nicht weniger wie 3 allgemeine Hansetage neben zahl-
reichen Tagen der verschiedenen Städtegnippen und Verhand-
lungen mehrerer Gesandtschaften in London, Kopenhagen,
Brügge, Antwerpen und Mecheln. Eine kurze Einleitung orien-
tiert außer über die Quellen über die wichtigeren Fragen^ welche
durch die Publikation erläutert werden, jedem Einzeltage
sind wertvolle Vorbemerkungen voraufgeschickt; durch dies
Verfahren ist es möglich gewesen, an den sachlichen An-
merkungen zu sparen; fast nur Verweisungen vertreten ihre
^telle. Die Sorgfalt des Herausgebers zeigt sich namentlich
auch in der philologischen Akribie, mit der die Varianten
der häufig in verschiedener Fassung überlieferten Texte be-
handelt sind.
Überall auf den allgemeinen Hanse- und den Einzel-
Städtetagen tritt die innere Zerrissenheit der Hansa zutage.
Unerquickliche Sessionsstreitigkeiten erschweren die Verhand-
lungen, daneben der stets betonte, aber oft in scharfen Zu-
sammenstößen sich äußernde Gegensatz der führenden Städte
Köln und Lübeck. Im Jahre 1518 wurden auf dem Lübecker
Hansetage die Städte Stavoren und Bolsward abgewiesen, ob-
wohl sie durch Köln geladen worden waren. Den vorauf-
gegangenen Kölner Drittelstag zu Emmerich beitei ebnete man
40*
620
Literaturbencht
in Lübeck als „die neue Hansa", die süderseeischen SVkik
als die , allezeit widerwärdgen" ; letztere hatten gewünscbt
um die Verhandlungen zu erleichtern, möge Lübeck den über-
sandten Artikeln seine eigene Ansicht zufügen.
Weiterhin stehen im Vordergrunde des Interesses die be-
absichtigte Verlegung des niederländischen Kontors von Brügge
nach Antwerpen» die schwierigen Verhandlungen mit den übef-
mütigen Engländern, deren allgewaltiger Kanzler Karc^
Wolsey aus seiner ungünstigen Gesinnung gegen die har.^
sehen Vorrechte kein Hehl machte» und dem sie durch die
Gegnerschaft zwischen Köln und Lübeck erleichtert wurde,
die schroffe Stellungnahme des Dänenkönigs gegen wohl-
berechtigte hansische Forderungen, die bedrohte Lage des
Nowgorod er Kontors, Letztere wird mehrfach durch drastische
Berichte illustriert, so Seite 671/3 und 728/9, wo dieses Kontor
bezeichnet wird als eine Schule, wo die Kinder Grmmniitik
lernen, und van wo aus sie in die anderen Kontore kämen.
Jedenfalls will dieses Gleichnis den urwüchsigen Handelsver-
kehr mit fremden Völkerschaften kennzeichnen, unter denen
die Armenier namentlich hervorgehoben werden- Besonden
anschaulich sind auch die ausführlichen Berichte des Danziger
Ratssekretärs Ambrosius Storm über seine dänische Gesandt-
schaft, Die eigenartige Gestalt der Niederländerin Sigbrit mit
ihrem beherrschenden Einfluß auf den Dänenkonig, den Lieb-
haber ihrer Tochter, mit ihrer Sachkunde und Willenskraft
aber auch in ihrer hochfahrenden Schroffheit hebt sich deut*
lieh aus den Berichten heraus. Gerade das diese Gesandt-^
Schaft behandelnde Kapitel läßt einen Mangel der Edition her-
vortreten, der freilich nur durch das in den Hanserezessen
befolgte Schema bedingt ist. Das Kapitel setzt sich zu*
sammen aus A* Vorakten, B. Bericht, G Vertrag, D, Beilagen
E. Korrespondenz und F, Nachträgliche Verhandlungen. Durcb
das Festhalten an diesem Schema sind verschiedene Stücke.
deren Kenntnis für B. und C* notwendig ist» an eine spätere
Stelle gerückt, wodurch die sachliche Benutzung erschwert
wird* So würde die Instruktion Storms vom 21, Juni zweck-
mäßiger unter A. statt unter D. stehen, ebenso wurden die
Briefe vom % 18* und 2L Juli, auf welchen sich der zu-
sammenfassende Bericht B. aufbaute, und deren Kenntnis auch
ti.
Deutsche Landschaften.
621
im Hauptbericht vorausgesetzt wird^ besser diesem vorauf-
gehen.
Auch bei den Registern würden durch Abweichungen vom
Schema kleine Verbesserungen emelt werden können. Ref.
würde ein gemeinsames Orts- und Personenregister wie beim
hansischen Urkundenbuche der Trennung vorziehen* Das
dankenswerte Personenverzeichnis nach Ständen ließe steh sehr
vereinfachen durch Verweise auf das Hauptregister; aliein bei
König Christian IL. von Dänemark würden dadurch 22 Zeilen
erspart, bei dem Kölner Doktor Jost von Erpach 8 Zeilen usf.
Auch die enggedrängte Spalte, welche Lübeck gewidmet ist,
die halben Spalten mit den Erwähnungen Kölns und Danzigs
hätten eingeschränkt werden können. Wer sich über die
hansischen Beziehungen dieser Hauptstädte unterrichten will,
wird den ganzen Band durcharbeiten müssen. Den Rezefl-
bänden sind Glossar und Sachregister im Gegensatz zum
Urkundenbuche nicht beigegeben. So findet man Handels-
artikel nur, wenn sie durch Angabe des Herkunftsortes lokali-
siert sind, unter diesem, z, ß. holländische Leinwand unter
Holland. Dagegen wird man andere Waren, z. B. Wachs,
Feigen, Unzengold (S, 137) usw. im Register nicht finden.
Ein Gesamtsachregister und Glossar zu den Gesamtrezessen,
deren Abschluß in absehbarer Zeit zu erwarten ist, würde ein
verdienstliches Werk für den Hansischen Geschichtsverein
darstellen, wenn auch die ältere Serie nicht von ihm veröffent-
licht ist; die Benutzung der Riesenpublikation mit ihren statt-
lichen bisher 22 Bänden für wirtschaftsgeschichtliche und
sprachliche Zwecke würde erheblich erleichtert werden,
Köln, Herrn, Keussen.
Beiträge zur Verfassungs- und Ständegeschichte der Mark Bran-
denburg im Mittelalter, Von W, v. Sommerfeld, (Veröffent-
Uchungen des Vereins f, Gesch. der Mark Brandenburg.)
I. Teil. Leipzig 1904, V u. 168 S.
Auf breiterer Basis, als es gewöhnlich geschieht, baut
V. Sommerleld seine sorgfältigen Forschungen auf, wie er
denn „hauptsächlich von einer Erweiterung des Untersuchungs-
feldes Gewinn für die Territorialforschung" erwartet. Seine
V Beiträge" — im ersten Buch zur nordmirkischen, im zweiten
622
Literaturbericht.
Buch zur askanischen Periode — umfassen im ganzen df
Kapitel» deren jedes nach Absicht des Vf. „eine besondert
Untersuchung für sich enthält **< Sie erörtern auch die Erwei-
terung des Markgebiets, VeHassungszustände bei den Wenden
Nationalitäts Verhältnisse in der Altmark und einiges andere,
doch läßt sich ihr wesentlicher Inhalt um die beiden Themau
gruppieren: 1. Verhältnis des Markgrafen ^um Reich und m
den Insassen der Mark, den Bistümern und dem Adel, 2. £irt>
Wicklung des Burggraf enamts^ Ministen alität und Ritterstaiid
Abweichend von Kuhns, Raumer u, a. beweist v. S*» difi
die markgräüiche Würde wenigstens bis zur Mitte des 12. Jahr-
hunderts den Amtscharakter gewahrt habe* Seine Darlegung
über die stufenweise sich vollziehende Entwicklung zur Landes-
herrlichkeit berichtigt unsere Kenntnis in wesentlichen Dingen.
Freilich ist mit diesen Ausführungen die in Kap- 5^ S* 64 t
gegebene Erklärung der beiden wichtigen Sachsenspiegelstellen
11, 12, § 6 (in der Mark fehlt der Königsbann) und III, 64, §7
(der Markgraf dingt ,bi sines selves Hulden*) nicht vereinbai.
V. S. faßt das Wort „Bann* als » höchste richterliche Zwangs-
gewalt* (vgL S- 65), Wie es scheint, ist er geneigt, dem könig-
lichen Bann der Grafen den «eigenen Bann des Markgrafen'
gegenüberzustellen (vgl S. 76); doch entschließt er sich m
keiner ganz bestimmten Antwort und gelangt endlich «zu dem
negativen Resultat, daß mit dem Satze ^dinget bei seiner selbst
Hulden* für eine Bestimmung der dem Markgrafen als solchem
prinzipietl und von Anfang an zustehenden Gerich tsgewilt
schlechterdings nichts anzufangen ist' (vgL S. 75). Entgangen
sind ihm die jedenfalls beachtenswerten Ausführungen Ernst
Mayers , Deutsche und französische Verfassungsgeschiclite
vom 9. bis zum 14, Jahrhundert*, Leipzig 1899, Bd. 2, S. 92,
97 i, 101 1, 103, 367, 376, 377, 399 (vgl hierzu die Besprechung
von Ulr, Stütz in der Zeitschr, d. Savigny-Stift. f, RechtsgescL
1900, Bd. 21, S. 169). Mach Mayer ist der Markgraf gleich d^n
Könige und den Herzogen befugt gewesen, Beleidigungen, die
er durch Mißachtung des Siegels, durch Mißachtung seiner
persönlichen Befehle « vor allem durch Verletzung seiner Be-
amten und Schutzbefohlenen erfahren^ nach eigenem Ermessen
zu bestrafen. Während der Graf in solchen Fällen nur den
Königsbann, das Gewedde von 60 Schillingen, besessen, hat
Deutsche Landschaften. 623
der Markgraf außerhalb des ordentlichen Gerichtes eine arbiträre
Strafgewalt ^neben und über dem Königsbann* geübt. So seien
die Worte zu verstehen „der Markgraf dinget bi sines selves
Huiden**. Der HuJdeverlust erscheint hiernach als eine mildere
Form der Friedlosigkeit*
Diese Erklärung findet eine auffallende Bestätigung aus
anderen Rechtsquelleti. Man vergleiche mit der Stelle des
Sachsenspiegels IIl, 65, § 1 (bei Homeyer) z. B. § 32 des im
12. Jahrhundert entstandenen Freiburger Stadtrechts oder § 39
des Berner Stadtrechts von 1218 (bei F. Keutgen, Urkunden
zur städtischen Verfassungsgeschichte, Berlin J90I, S, 121
und 131). Auf die Bedeutung dieser Urkunden für unsere
Frage hat mich Prof» K. Beyerle freundUchst aufmerksam ge-
macht, der unabhängig von Ernst Mayer zum gleichen Ergebnis
wie dieser gelangt ist. ^)
Ernst Mayers Erklärungsversuch besitzt den Vorzug, in
Einklang zu stehen mit der eigentümlichen staatsrechtlichen
Stellung des Markgrafen, die sich nach Brunners treffendem
Ausdruck nicht sowohl durch Unabhängigkeit nach oben als
durch Straffheit nach unten charakterisiert. Mit der Befugnis»
Mißachtung seiner Befehlsgewalt arbiträr (bei eigener Hulde)
zu strafen, hat der Markgraf nach unten größeres Ansehen
und stärkere Zwangsgewalt erhalten, ohne daß sein Abhängig-
keitsverhältnis zum Reich dadurch wesentlich berührt worden
wäre. Alle diejenigen dagegen, welche „Bann" im Sachsen-
spiegel M, 12, §6, als ßanngewalt (nicht, wie E. Mayer, als
Bann strafe) auffaßten und dem Königsbann in irgendeiner
Form den eigenen Bann des Markgrafen gegen überstellten^
gerieten notwendig in das Dilemma, mit dem Besitz eigenen
Bannes schon den Amtsvorgängern der Askanier (vgl* v. S*j
S, 69, Zeile 4 i) eines der wesentlichsten Befugnisse landes-
herrlicher Gewalt beilegen zu müssen. Dies aber steht in
Widerspruch zu sicheren urkundlichen Nachrichten: „Man
sieht"*, so faßt v. S. selbst ein wichtiges Resultat seiner For-
schung zusammen (vgl. S. 86), ,so wenig wie im Gerichts-
wesen speziell, kann in der allgemeinen Landesverwaltung
0 Vgl neuerdings Ph, Heck, „Der Sachsenspiegel und die
1 Stände der Freien*, 1905, Halle a. S., S. 747—761.
624
Literaturbericht
von einer dem Markgrafen zustehenden exzeptionetleii Selb-
ständigkeit .... in Wahriieit die Rede sein,*
im zweiten Bucii (Kap. 3) stellt v. S- die Tatsache einer
2um Teil gewaltsamen, planvollen Beseitigung der Burg- und
Vizegrafschaften fest (Kuhns spricht bekanntlich von allmäh-
lichem inneren Zerfall). Erst sie ermöglicht uns eine zutreffende
Vorstellung von der Entstehung der neuen Vogt ei Verfassung.
Der Ministerialität und „Herausbildung des Ritterstandes^ ist
das letzte größere Kapitel {II, 4) gewidmet- Da es sich Jedig-
lich mit dem allgemeinen Ritterstande beschäftigt^ dem Edle,
Freie und Ministerialen angehörten — v. S, bezeichnet ihn auf
S. 158 als Geburtsstand; vgl dazu 0, Gierke, Genossenschafts-
recht I, S. 200 — , so ist die Frage, wie die von dem Adel
scharf getrennten, aus der Dienstmannschaft erwachsenen
ritterschaftlichen Korporationen entstanden, ob ihnen
ledighch Unfreie angehört haben etc*, nur gestreift worden*
Nicht gerade wahrscheinlich ist es, daß die Nobilität für die
Verluste, welche sie mit dem Eintritt Adliger in die Dienstmann-
schaft erlitten, um 1300 einen Zuwachs erhalten habe durch
Erhebung von Ministerialen in den Adelsstand, Neben einigen
angeblich nobititierten lausitzer Edlen führt v, S. zum Be-
weise allein die Putlitze an, die in den Zeugenreihen der
Urkunden von 1200, 12b9, 1272 zwischen Dienstmannen, ,zum
erstenmal im Jahre 130P (vgl, S, 153 Anm, 1) als aobiies mti
genannt seien. Die hier ausgesprochene Voraussetzung trifft ■
aber nicht zu; denn bereits in der Urkunde Kaiser Friedrichs™
von 1179^) wird ein Johann Gans unter den ^burones* auf-
gezählt. Daher liegt es wohl näher anzunehmen, daß einige
Mitglieder dieser ursprünglich adligen Familie, wie es so oft
damals geschehen, in die MinisterialitMt übergetreten, die
anderen Putlitze dagegen dem Adelsstande treugeblieben sind.
Noch weniger läßt sich obige These für lausitzer Adelige
beweisen. Und wäre sie hier selbst richtig, so dürften die ■
eigenartigen Verhältnisse der Lausitz nicht ohne weiteres auf
die Mark übertragen werden. G. Knothe, dessen ausfuhrliche
„Geschichte des oberlausitzer Adels" (Leipzig IS79) Beacb*
tung verdient, bejEweifelt sogar, daß es in der Oberlausiti
0 Vgl. v. Sommerfeld a, a, 0, S. lA^ Anm. 1 und S, 87 Arniu I
Deuttctie Landschaften.
625
überhaupt eine Ministerialitat gegeben habe; „es fehhe näm*
hch dasjenige, wodurch erst ein besonderer Dienstadel sich
bilden konnte: ein fürstlicher Hofhalt im eigenen Lande*
(vgl. S. 10).
Bei der besonderen Schwierigkeit der hier behandelten
Probleme wird es kaum ausbleiben können^ daß selbst ein
Autor, der so viel Liebe zur Sache, Sorgfalt und Gründlich-
keit aufweist wie v. S., im einzelnen abweichenden Meinungen
begegnet Gewißhch haben wir auch von der Fortsetzung
dieses Teiles* die hoffentlich bald erscheint, wertvolle Be-
reicherung unserer Kenntnisse zu erwarten,
Königsberg i, Pr, //, Spangenberg.
Dafi Tiroler Volk in seinen Weistümern, Von F. Arens* {Ge-
schichtliche Untersuchungen. Herausgegeben von K. Lam-
precht 3. Heft.) Gotha 1901
Die zahlreich erhaltenen und bequem benutzbar gemachten
Weistümer Tirols luden den Vt zu dem Versuche ein, aus
ihnen das innere, seelische Leben des Tirolervolkes der Ver-
gangenheit herauszulösen. Er beschränkt sich dabei ausdrück-
lich au! die bäuerliche Bevölkerung, die höheren Stände blie-
ben auiäer Betracht; auch soll nicht etwa das System des
Weistumrechtes geschildert werden : vielmehr gilt es die Fest-
stellung der Fähigkeiten, Anschauungen, Wertungen und Be-
gehrungen des Tiroler Landvolkes: die Arbeit gehört so etwa
zu einer künftigen historischen Vofkspsychologie. Als Unter-
bau schildert der Vf. die äußeren Bedingungen des Volks-
lebens: Naturumgebung, soziale, wirtschaftliche, politische Zu*
stände. Dann werden die verschiedenen Seiten des Innen-
lebens erörtert: die Kräfte des Verstandes und Gemütes; die
Stellung zur Natur; die sozialen Triebe, die sittüchen An-
schauungen, die Grundsätze der Rechtsbildung. — Arens
versteht es^ nach allen diesen Richtungen aus den Weistümern
eine Fülle volkspsychologischer Tatsachen zu gewinnen; die
Betrachtung tritt von allen denkbaren Standpunkten an die
Quelle heran und dringt bis in überraschende Feinheiten.
Innerhalb der selbstgesteckten Grenze; zu zeigen, wie sich
der Volksgeist im Volksrechte spiegelt, ist die Untersuchung
ebenso anziehend als wohl erschöpfend»
626 LUeraturbencht.
Eine andere Frage ist €S, ob die Beschränkung auf b1o&
eine Quelle — nur sehr beiläufig sind auch Märchen, Sagen
und Bräuche herangezogen — überhaupt ein artiverlassig^i
Bild dieses Volksinnern ermöglicht Zwar geht, wie A, beiont,
das Volksrecht aus dem gesamten inneren Zustand herv^or;
allein darum läßt es noch nicht entfernt auf alle Seiten dem-
selben zurUckschtießen« Zunächst bietet es Einblick in dieRecbts-
begriffe und sittlichen Anschauungen des Volkes: und diese
Teile des Buches sind in der Tat die ergebnisreichsten. Schon
minder zuverlässig lassen sich aus der Rechtsquelle die Ver-
Btandesanlagen, noch weniger jene der Phantasie und des
Gemütes erkennen. Dadurch wird die Darstellung ungleicli-
mäßig und sprunghaft^ aus wenigen, oft einem einzigen Beleg
verallgemeinernd; den gewichtigen Quellenfolgertingen gegen-
über nehmen sich die Queüenslellen oft äußerst irmlich aus.
Den Leser verläßt das Gefühl nicht, daß er für vieles doch
nach allem anderen zuerst gegriffen hätte als nach den Wejs-
tümern. Wer wendet sich z. B., um den Sinn des Volkes für
behagliches Wohnen zu erkennen, nicht zunächst an die alte
tirolische Volkskunst (die es trotz A» gegeben hat). Und be-
rührt es nicht seltsam, über das Verhältnis der Bauern cn
Land und Herrschaft, über die Herausbildung des Standes-
geflihls spärliche Weistümerstellen zu sammeln, statt die Tat-
sachen der politischen und Verfassungsgeschichte zu fragen?
Im Grunde kann eben das Innere des Volkes nur aus der
Gesamtheit seiner geschichtlichen Schöpfungen und Taten er-
sehen werden: diese Vorarbeit ist noch nicht abgeschlossen« ■
— Dennoch wirken freilich die meisten Ergebnisse unmittelbar
einleuchtend: es beruht dies aber nicht auf hinreichenden
Quellenbelegen, sondern vielfach darauf, daß es sich um Er-
scheinungen handelt, die auf dieser Stufe durchaus nicht bloß
dem tirolischen j sondern vielleicht dem ganzen deutschen
Land Volke eigen waren, ja zum Teil allgemeine Merkmale der
Zeit sind. _
Noch nach einer anderen Seite schränkt der Charakter der f
Quelle Ergebnisse und Methode des Buches ein. A. stellt
das Innenleben der Tiroler für die ganze „Periode der Weis-
tümer", d. h* die Zelt vom Ende des 13. bis zum Beginn des
19* Jahrhunderts dar Dabei gibt er einerseits fiir die
>.
i
Deutsclie Landschaften.
&27
zelnen Äußerungen des Volksgeistes Belege aus Weistümern
von beliebigem AJter der Niederschrift, wenn sie im gleichen
Sinne sprechen; anderseits schließt er, wenn später aufge-
zeichnete Weistümer in Gegensatz zu früher aufgezeichneien
treten, auf eine Entwicklung, Allein die Altersbestimmung
des Rechtsinhalts aus der Zeit der Niederschrift ist in dieser
Weise nicht zulässig« Einmal bedürfen die Jahresansätze der
ältesten Aufzeichnung, welche die Herausgeber der Weistümer
machten und an welche sich A. hält, einer ausgiebigen Kor-
rektur, schon weil sich seither vielfach ältere Handschriften
fanden. Aber selbst zweifellos erste Niederschriften geben ja
meist Überkommenes f möglicherweise längst mUndUch ge-
wiesenes Recht wieder Daher kann zunächst eine Entwick-
lung nur aus Weistümerstellen ersehen werden, die in be-
stimmbarer Zeit hinzugefügt wurden. Solche Zusätze sind
vorläufig nur in den wenigen Fällen zu erkennen, wo uns
mehrere abweichende Handschriften desselben Weistums vor-
liegen; darüber hinaus muß erst eine auf genaue Rechts-
und Sprachvergleichung gegründete Untersuchung Altes und
Neues in den Weistümern scheiden* Bis dahin ist es unstatt-
haft, Weistümerbestimmungen als Zeichen des Fortschrittes
zu nehmen, die vielleicht längst vor der schriftlichen Fassung
schon gegolten haben« — Auf der anderen Seite aber kann,
wenn späte Aufzeichnungen keinen Fortschritt zeigen, das
Innenleben in Wirklichkeit weitergerückt sein. Denn es ist
sehr fraglich, wie weit diese Volksrechle mit den inneren Zu-
ständen Schritt hielten. Zumeist wurden sie, einmal aufge-
zeichnet, einfach immer wieder verlesen und bestätigt; es kam
— A. bringt selbst ein sprechendes Beispiel aus dem Münster-
tal von 1427 bei — vielfach nicht einmal dann zur Änderung
des Rechtstextes, wenn das Volk selbst schon den Gegensatz
zwischen der Rechtsaufzeichnung und dem lebendigen recht-
lichen und sittlichen Empfinden merkte; und wie oft wurde
es dessen überhaupt nicht deutlich inne? — Im groben werden
allerdings Stillstand und Entwicklung so verteilt gewesen sein,
wie es geschildert wird; aber den Feinheiten gegenüber er^
wacht der Zweifel*
Das wirkliche Ergebnis der Arbeit unterliegt so ein-
schränkenden Erwägungen; unzweifelhaft ist ihr beispiel-
i^ Literaturbericht
gebender Wert. Sie ist ein in dieser Art wohl erstmaliger
Versuch, innere Geschichte nicht bloß durch Charakteristik
der ins Dasein tretenden Werke, sondern der wirkenden Volks-
seele selbst, gewissermaßen Geschichte des geschieh tlicheo
Subjekts zu geben. Sie teilt damit vielleicht Vorzüge und
Nachteile jener Richtung, die die historische Wissenschaft auf
neue innerste Aufgaben hinzulenken bestrebt ist, dabei aber
freilich über notwendige Vorarbeiten hinweg vorauseüL
Innsbruck. Heinrich Hammer.
I
I
Die landesJürstlichen Lehen in Steiermark von 1421 bis 1546. Von
Albert Starier, Graz^ Selbstverlag der histor. Landeskom-
mission für Steiermark. 1902. 28b S. (Veröffentlichungen
der histor Landeskommission für Steiermark XVÜ und
Beiträge zur Kunde stelermärkischer Geschieh tsquetlen
XXXII, 171-456.)
Da man in letzter Zeit, namentlich durch die Arbeiien
W. Lipperts angeregt, den mit Unrecht vernachlässigten Lehen-
büchern wieder mehr Aufmerksamkeit zugewendet hat, war es
ein guter Gedanke, die Bearbeitung der reichhaltigen und
wichtigen österreichischen Lehenbücher in Angriff zu nehmen^
fortzusetzen, was vor gerade fünfzig Jahren Chmel begonnen
hatte, indem er das Lehenbuch des Königs Ladislaus und die
auf das Land unter der Eons bezugnehmenden Eintragungen
in dem Lehenbuche Albrechts V. veröffentlichte (Notizenblatt
der Wiener Akademie IV, VI 11, IX). Wie Chmel au! das Land
unter der Enns, so beschränkt sich die vorliegende Zusammen- ■
Stellung au! Steiermark, ihr Titel erfäfirt aber in dem allzu
knapp gehaltenen Vorworte noch eine Einschränkung einer-
seits auf das „in den Lehenbüehern zu Wien erliegende ■
Material über die landesfürstlichen Lehen in Steiermark',
anderseits dadurch, daß jene Lehen, welche der Landesfürst
aus dem ihm zugefallenen Besitze adeliger Lehenshemi
weitergab, vorläufig ausgeschieden wurden, obwohl auch sie
in die landesfürstlichen LehenbUcher aufgenommen sind. Es
wird sich erst nach Erscheinen des diese Lehen um-
fassenden Nachtrages erkennen lassen, ob diese weitgehende
Zerstückelung des Stoffes nicht doch empfindliche Nachteile
mit sich bringt. Daß aber die Beschränkung auf die in Wien
i
De utsche Landschaften
liegenden Lehenbücher wenigstens in einem Falle nicht ge-
rechtfertigt war, darauf glaube ich, ohne der von Starzer
angekündigten Abhandlung über das Verhältnis der im steier-
märkischen Landesarchiv befindlichen Lehenbücher zu den
in den Wiener Archiven verwahrten vorzugreifen, hinweisen
zu dürfen. Das stejermärkische Lehenbuch Nr* l enthält Ab-
schriften der landesfürstlichen Lehenbücher E — ^J = St. Nr, 5 — %
dann aber (f, 539 ff.) auch die Abschrift des Lehenbuches K
über die Jahre 1517 und 1518, das verloren gegangen ist und
in St.s Reihe fehlt. Er hätte diesem Lehenbuche ein Lehen
für Sebold Pögl (L 539), dann die seinen Notizen 159 Nn 5
und 165 Nr. 5 entsprechenden Eintragungen entnehmen
können.
Da der Herausgeber eine territorial begrenzte Aufgabe
übernommen hat und eine vollständige Bearbeitung der von
ihm benutzten Lehenbücher nicht geplant war, so wäre es
unbillig, an seine mühevolle Veröffentlichung einen strengeren
Maßstab anzulegen, an sie jene Anforderungen zu stellen,
welche Lipperts Buch über die deutschen Lehenbücher an die
Hand gibt. Es könnte höchstens die Frage aufgeworfen werden,
üb die nach dem Muster mancher Lehenbücher und nach dem
Vorgange Chmels eingehaltene Anordnung der Eintragungen
nach der alphabetischen Folge der Lehensträger die glücklichste
ist, etwa die zeitliche nicht eine bessere Übersicht und eine
knappere Fassung des sehr umfangreichen Namensverzeichnisses
ermöglicht hätte? Jedenfalls legen aber die von dem Heraus-
geber selbst zusammengestellten Ergänzungen und Berichti-
gungen (S. 285 — 288) die Annahme nahe, daß eine genaue Über-
arbeitung des Manuskriptes vor der Drucklegung wünschens-
wert gewesen wäre. Die im Vorwort enthaltene Bemerkung,
daß die Eigennamen stets so gegeben sind, wie sie sich in
der Vorlage finden j ist nach den von mir durch Vergleichung
mit Lehenbuch l angestellten Stichproben etwas einzuschränken.
Ich merke an: Nr. 44 Kristanen, Mittreg; Nr. 265, 1 Pernhart,
Freyaltai, GrMnicz, Niclas Sneider innehat und stoßet auf die
tavern; Nr, 272 Lucei; aus dem steiermärkischen Lehen-
buch I, 1544 zu Nr, 165,5: Premhof, Sannd Georgen, Kynnd-
berg, den auen statt deren.
Graz, Karl Uhlir^.
630
Literaturbericht.
The coutit Lützüw: Leciures on the hisionans öf B&k^mia, Lümdon,
Henry Frowäe, 1905. 120 S. ' ^
Graf Franz Lützow, ehemals im österreichischen diplo-™
matischen Dienste tätig, hat schon 1886 einen historischen
Essay ,Bohemia'j dann außer verschied entlichen Aufsitzen
in englischen Zeitschriften 1899 ,vt hisiory öf Bohemian Ukra-
iure' In dem Sammelwerk ^Literatures of ihe worid* erscheinen
lassen. Das neueste Schriftchen verdankt seine Entstehung
vier Vorträgen, die Graf L. im Jahre 1904 an der OxfortJer^
Universität gehalten hat, für die er ein Thema aus der Ge-fl
schichte seiner Heimat wählte. Graf L. ist zwar in Hamburg "
geboren, aber seit 1890 Besitzer des böhmischen Gutes Zam-
pach* Den Zwecken, den das Büchlein bzw. die Vortrat
dienen sollten, einem mit böhmischer Geschichte und Ge-
schichtschreibung wenig oder gar nicht vertrauten Auditorium
einige interessante Bilder und Charaktere vorzuführen, wird
es voll entsprochen haben, denn die Auswahl ist nicht unge-
schickt getroffen, kürzere und längere Zitate aus den be-
sprochenen Schriftwerken geben der von innerer Wärme er^fl
füllten Darstellung Anschaulichkeit und der überall durch-™
scheinende Hintergrund des Aktuellen verleiht auch den längst
vergangenen Perioden Interesse, Auf die „Feindseligkeit
zwischen Slawen und Teutonen, die ohne Unterbrechung seit
den Zeiten des mythischen Cech fortdauert"*, wird der Hörer
oder Leser schon "m der Einleitung aufmerksam gemacht und
dieser wie ein roter Faden sich fortziehende Gedanke schließ-
lich zu einer Prophetie verknotet, daß ^die Wiederaufrichtung
(reconstruction) eines slawischen Staates in Mitteleuropa^
eines slavischen Vorpostens mitten in teutonischen Landen
wahrscheinlich (probably) 'einen bedeutsamen Einfluß auf die
Zukunft Europas ausüben werde". M
Die Anordnung des Stoffes ist chronologisch ; der erste ■
Vortrag schließt mit dem Zeitalter Karls IV*, der zweite be*
handelt die Hussitenzeit und die weitere Entwicklung bis 1526,
die Grenzscheide zwischen dem dritten und vierten bildet die
Weißenburger Schlacht. Deutsche Leser finden in Palackys
^Würdigung der alten böhmischen Geschichtschreiber*, in
Wattenbachs und Lorenz' bekannten Werken mehr als vollen
Ersatz für den Hauptteil des Büchleins, abgesehen etwa von
1
Frankreich*
Ui
der stellenweisen Berücksichtigung neuerer und neuester For-
schurtgen^ wie der Pekars über Christian, wobei ihn aber der
von verschiedenen Seiten erhobene lebhafte Widerspruch
gegen Pekars Deduktionen von einer entscheidenden Stellung-
nahme abhält, oder der grundlegenden Forschungen GoUs
Über die Böhmischen Brüder u. a. Wichtig hätte das letzte
Kapitel, die Darstellung der Entwicklung der neuesten böhmi*
sehen Geschichtschreibung Böhmens, werden können, allein
hier tut sich in der getroffenen Auswahl die der Schrilt zu-
grunde liegende Tendenz deutlich kund. Dem englischen
Hörer werden die Leistungen einiger slawischer Historiker
von Ruf vorgeführt (Tomek, Kalousek, Goll, Rezek), daß
deutsche Forscher — Schlesinger, Bachmann, Werunsky» Lo-
serth, Lippert — arbeiten, bleibt verschwiegen, und einen
Konstantin Höfler lernt man nur als Widersacher Palackys
kennen*
Wie Ernest Denis in Frankreich (s* meine Besprechung
in H. Z, 95, 1 10), so scheint Graf L. auf englischem Boden
sich die Aufgabe gestellt zu haben, die Kenntnis der Ge-
schichte und Literatur Böhmens daselbst zu verbreiten; daß
dies von ausgesprochen einseitigem Standpunkt geschieht,
beeinträchtigt allerdings den wissenschaftlichen Wert ihrer
Arbeiten-
Brunn, Or. B. ßreihüU.
ArcHives Hlstoriques du Maine ^ Actus PonUficum Cenamannis in
urbe degentium^ publi^s par ta SoMt^ des archives histO'
riques du M^ par MM. les abb^s C Basson ei A, ledm,
Le Maus, au siige de la Sociitä. 1W2, CXLVII, 606 p.
Es wäre an sich schon freudig zu begrüßen, daß ein
Werk wie die Biographien der Bischöfe von Le Mans endlich
in einem neuen Drucke vorliegt; bisher mußte man die Aus-
gabe Mabillons benutzen, die selten zu werden beginnt. Aber
die rührige ^SocUU des Archives historiques du Maine' hat
dem sorgfältig hergestellten und kommentierten Texte ferner
eine 147 Seiten starke Introduktion vorausgeschickt, die alle
Probleme dieser Quelle eingehend behandelt. Den Abb^s
Busson und Ledru gebührt das Verdienst, endlich eine brauch-
632
Ute raturbe rieht.
bare Ausgabe geschahen zu haben* Zum besseren Ver-
ständnis sei bemerkt, daß von den beiden Handschriften der
^ Actus' Mabillon die jüngere erst während des Druckes be-
kannt wurde; er ließ den nun völlig unzulänglichen Test m
der Hauptsache, wie er war^ und gab das wichtige, besonders
Aldrlch und seine Nachfolger (832— IC^5), umfassende Stück
in einem Nachtrage aus der zweiten Handschrtfu so daß An-
fang und Ende nur auf der ersten, die Mitle nur auf der
zweiten Handschrift beruht. Die Willkurlichkeit» mit du
Mahillons Zeitalter seine Texte verunstaltete, in der ntiveo
Meinung» sie zu verschönen, ist ja bekannt; schon J, Havel
hatte in diesem Falle darauf hingewiesen.
Die Herausgeber betonen mit Recht die Sttleinheit der
,Acius'^ und stellen in der inserierten Translaüe ä, ßeneäkti
ei $, StholasUcae die einzige Ausnahme lest; sie behaupten
gegen Duchesne, daß sie nicht auf Adrevald zurückgeht» son*
dern eine gemeinsame Quelle treuer wiedergibt. Die beid«
Editoren wenden sich nun zur Frage nach dem Verfasser der
, Actus'' und weisen nach, daß der Stil von den gleichzeitigen,
nach dem alten Titel von Aldrichs Schülern verfaßten ^Gisfä
Alärici' verschieden ist, die Simson gemeinsam mit Pseudo-
isidor und Benedictus Levita dem gleichen Verfasser zuschrieb.
Daß die f,Gesta' Aldrichs Selbstbiographie seien, woran Havet
dachte, geht wegen des Lobes, das in ihnen diesem gezollt
wird, nicht wohl an. Sind nun den ^ Actus' und ^Gesla'- Zeit»
Milieu und die benutzten Archivalien gemeinsam, so wird mm
gegenüber der einheitlichen , individuellen DarsteUungsweise
der ^Actus' auf geringe Stilanklänge nicht all zu vielen Wert
legen, Havets These, die ^Actus' seien später als die ^Gesla*,
die sie benutzt hätten» wird dadurch ins Wanken gebracht:
es scheint ganz unverdächtig» daß Aldrich in den ^Ac/us* als
noch lebend erwähnt wird, und man braucht nicht gleich be-
trügerische Absichten anzunehmen. Vor dem Jahre 835 wur-
den die „Actus" verfaßt und bis zu Aldrichs Amtsantritt im
Jahre 832 geführt; gleichzeitig waren die Verfasser der ^Gesta*
an der Arbeit, die als direkte Fortsetzung des andern Werkes
gedacht war, wie S- XXXI recht wahrscheinlich gemacht wird
Daß beides au! Aldrichs Wunsch geschehen sei, der als Frem*
der, als wahrscheinlicher Franke oder Sachse, wie ihn difc
r
Frankreich,
633
,Gesta' bezeichnen, schnell über die Verhältnisse seiner Diö*
zese unterrichtet sein wollte, Ist ein glücklicher Gedanke der
Herausgeber
Die Introduktion kommt zum Mittelpunkte der Kontro-
verse, den beriichtigten Fälschungen* Die nachweisbaren An-
deningen an der Chronologie der älteren Bischöfe wird man
nicht für böswillig halten. Daß die Polemik gegen einen Ge-
lehrten wie Havel schroffe Formen annimmt, kann der ge-
kränkte Lokalpatriotismus kaum rechtfertigen* Havet und
Duchesne hatten Tatsachen und Personen für erfunden erklärt;
daß das bei kaum zwei Menschenalter zurückliegenden Zeiten
ein übermäüig kühnes Verfahren sei, wird mit Recht betont,
und dabei wird Simsons bekannte Hypothese von dem ge-
meinsamen Ursprung Pseudoisidors mit unserer Quelle wegen
des verschiedenen Standpunktes abgelehnt In der Tendenz,
ihren Autor reinzuwaschen, wollen B. und L. die unleugbaren
Beziehungen seiner V. s. JuUanl zu der V. s, Fursaei so er-
klären^ daß diese das Plagiat begangen habe; aber da wir
eine Stelle haben, die in der V. s, fursael recht passend, in
der V. s. Juiiani aber unangebracht ist (S. LXXVII), werden
wir wohl nicht Im Zweifel sein, wo der Plagiator steckt. Bei
der Untersuchung der älteren Bischofsviten , der Quellen
der fAcius'f können B. und L. nichts Abschließendes leisten^
weil sie vom rhythmischen Satzschluß, dem sog. Cursus Lea~
ninuSf nur eine dumpfe Vorstellung haben. Immerhin ist es
anerkennenswert, daß B. und L. die bei uns traditionelle Feind-
schaft gegen die mittelalterliche Philologie nicht hegen.
Endlich sind wir bei der Frage der Urkundenfälschungen in
unserer Quelle angelangt. Ein Meer von Tinte ist wegen der in
unsere »Äcttis' inserierten Urkunden geflossen, deren Fälschung
iJs zweifellos erscheint, da die auf Saint-Calais bezügliche
Gruppe vom Königsgericht Karls des Kahlen zu Verberie (863)
als unecht verurteilt wurde. Wer etwas von der Geschichte
geschichtlicher Kritik weiß, wird ein karolingisches Gerichts-
verfahren für keine zu erhabene Autorität auf dem Gebiete
der Diplomatik halten können, interessant ist (was die Edi-
toren hinwegdisputieren wollen), daß zu Verberie die Behaup-
tung aufgestellt wurde^ der Bischof habe drei Schreiben des
Papstes Nikolaus !< verborgen gehalten. Das ist doch nicht
Hintorische ZciUcbrift (97. B<t> r Folge \, Bd. 41
tM
Litertturbericht
lo widersinnig. Waren sie ihm günstige so hat er sie ehi
fUr den Termin aJs Hauptschlag aufgesparl Waren zwd da-
von mcht an ihn gerichtet^ so haben wir vielleicht eine Spar
davon, daß schon damalSf wie es im J3. Jahrhundert üblich
war, alle auf eine Streitsache bezüglichen Papst briete zur Be-
förderung der Partei eingehändigt wurden ^ die sie enrirli
hatte. Daß der König, zugleich Richter und Partei, unsere
Urkundengruppe in Bausch und Bogen als Fälschungen m-
wad, ohne sie gesehen zu haben, daß die ^anze Sitzung eine
von Hinkmar arrangierte Komödie war und daß dieser in^-
gante Prälat zuletzt auch dem Papste, der sich als Appellatioof-
Instanz fühlte, eine diplomatische Schlappe beibrachte, dts
soll ja nicht bestritten werden, und es ist recht gut, daß die
ganze Armseligkeit dieses bisher so überschätzten Gencbts-
Verfahrens einmal ins rechte Licht gestellt wird. Aber rcttti
der negative Beweis wirklich die Privilegien von Le Maas?
Bleiben nicht gegen die einzelnen so viele begründete Ein-
wände einer fleißigen Detailiorschung? Halten wir ein; i^
verlohnt nicht, Bekanntes zu wiederholen. Gerade die deutsche
Wissenschaft hat sich genug mit den Fälschungen von Le Mans
beschäftigt, und was B, und L, gegen sie vorbringen, ist problc*
matisch und bedarf der Nachprüfung von Seiten der Meister
karolingischer Diplomatik. Sind schon bei den KaroFmger-
dlplomen die Gründe gegen die allgemeine Athetese nicbt
recht stichhaltig, so wird der Verteidigungsversuch der Mero-
wingerurkunden ein seichtes Hin und Her, das gegen die
gerade auf diesem Gebiete unerschütterliche Autorität Havels
nicht bestehen kann* Fast möchte man hier an Tenderu
glauben*
Wir hätten uns nun mit den Fortsetzungen der eigent-
lichen fActus' zu beschäftigen, die die meist gleichzeitigen
Biographien der späteren Bischöfe enthalten. Aber hier
sind wenig Probleme; alles ist klar und wahr, dafür aber un-
wichtig.
Die Ausgabe befriedigt alle Ansprüche der Editionstechnik*
Der Text ist gut und mit peinlicher Treue gegen die Über-
lieferung hergestellt; die paläographische Arbeit war übrigen!^
Seicht» Verderbnisse sind mit guter Kenntnis des Mittellateins*
vielleicht mit zu häufigen Konjekturen, beseitigt* Die sach-
Frankreich*
6S5
liehen Noten konnten typographtsch vom Apparat unter-
schieden werden. Dieser genügt; daß Flüchtigkeiten Duchesnes
wegblieben^ ist verständig. Der Index ist exakt und ausführ-
lich, recht verdienstvoll die Feststellung der Ortsnamen,
Ebenso erfreulich ist die Beigabe von zwei Faksimiles aus der
Handschrift 224 der Bibliothek zu Le Mans*
Siena. Fdix Schneider.
Gasparä de Cüligny^ Äämirai of France, By Am W, WAiie^
head, M, A, Stanhope Mision'cai Frize Essayisi, 1896. With
Iliustrations and Plans. London^ Methuen £ Co* (First
puhlisheä, 1904.) 387 S.
Diese neueste Biographie Colignys, das Werk eines jungen
englischen Gelehrten, ist als treffliche Leistung zu begrüßen.
Der Vf. beherrscht das gesamte gedruckte und ungedruckte
Quellenmaterial von Grund aus und hat auch bisher noch un-
gedruckte Briefe in Rom, Turin, Parma, Mantua^ Modena (hier
die sehr wichtige Korrespondenz des ferraresischen Gesandten
Alvarotto), Florenz und Neapel herangezogen- Seine in prä-
ziser Sprache gehaltene, häufig von voller Durchdringung
des Stoffes zeugende und bei aller Sympathie für den Helden
objektive Darstellung, die auch vor dem Tadel nicht zurück-
scheut, wo ihm ein solcher gerechtfertigt erscheint, läßt die
Hauptlinien der Persönlichkeit Colignys innerhalb des Rahmens
der Zeitereignisse im ganzen genügend hervortreten. Ein Ver-
gleich mit E, Marcks vorbildlicher, aber leider unvollendeter
Biographie zeigt freilich, welcher Vorteile sich eine so knappe
Schilderung aus freien Stücken begibt. Aber Über die Anlage,
die gerade durch den Umstand bedingt gewesen sein mag,
daß die Geschichte Colignys bis 1560 von dem deutschen
Biographen geschrieben ist, darf mit dem Vf, nicht gerechtet
werden. Und immaJ für die Jugendgeschichte vermag White-
head doch auch einige recht wertvolle Ergänzungen aus den
itaUenischen Archiven zu bieten. Wir hören hier zum ersten
Male von der Freundschaft des jungen Coligny mit Peter
Strozzi und werden über die näheren Umstände der italieni-
schen Reise (1546 — 47) unterrichtet, die bisher ganz im Dunkel
lag und nun auch eine gewisse politische Beleuchtung erfährt.
41*
mm
636
L Iterat urberi ch t
Einzelne Bemerkungen aus anderen bisher unveröffentliditea
oder wenigstens noch in keiner Biographie benutzten itilienh
sehen Briefen werfen auch auf die allgemeine Situatioti unti
auf die Ereignisse im späteren Leben des Admlrals neue
Streiflichter (z. B. S. 66 U 75, 246 f.). Hinsichtlich der Schuld-
frage bei der Ermordung des Herzogs von Goise kommt der
Vf. trotj; de Rubfe auf Rankes und Marcks Anschauung zumdL
Auch die Frage, oh Coligny und Cond6 für die im Vertng
von Hampton Court stipulierte zeitweilige Abtretung Le Hivres
an Elisabeth verantwortlich zu machen seien» wird zifgunsten
der beiden Hugenottenführer entschieden und in einem kri^
sehen Anhang der Nachweis geführt, daß der Vidame vor!
Chartres allein für den fraglichen Artikel haftbar zu machen
sei. Die durch viele Skizzen unterstützte gründliche Schilde-
rung der f^eldzüge und Schlachten ist um so dankenswerter,
als verschiedene bisherige Irrtümer berichtig werden. Je em
besonderes Kapitel, deren etwas befremdliche Anordnung der
künstlerischen Abrundung des Werkes allerdings einigen
Eintrag tut, ist den Problemen der Bartholomäusnacht, deo
Ursachen des Aufstiegs und Niedergangs der hugenotti-
schen Bewegung und der Kolonisationstätigkeit Colignys ge*
widmet. Das Scfilußkapltel faßt das Bild des Admirals unter
Zugrundelegung der .Vita*" von 1575 in summarischen Zügen
zusammen.
Die Persönlichkeit von Colignys erster Gemahlin^ die docb
auch auf seine religiöse Wandlung Einfluß hatte, bleibt bei W.
zu sehr im Hintergrund» Man vermißt ferner ungern jede
nähere Angabe über den Inhalt des für Colignys VerhälUiis
zum Königtum und zum Protestantismus so wertvollen Briefes
vom 26. August 1556 (S. 54). Der Auffassungf daß die ganze
Vorgeschichte Frankreichs ein Gelingen von Coligriys religiösen
Plänen vereiteln mußte, vermag ich mich nur mit starkem
Vorbehalt anzuschließen: die Gewinnung des Königtums hätte
wohl die Frankreichs nach sich gezogen.
Die Beigabe interessanter Porträts und sonstiger bildlicher
Darstellungen sowie eines Stammbaumes erhöhen den Wert
des Werkes»
Heidelberg, K, Sidhiin.
Frankreich.
637
L'intindance de Sohsons sous Louis XIV, 1643—1715. Par Fierre
Dabac^ Paris, Aiberi Fontemoing. 1902. 504 S,
Gegen das vorliegende Werk läßt sich mancherlei ein-
wenden. Es Ist nicht gut geschrieben; es wirken in ihm, wie
in so vielen französischen Untersuchungen, zahlreiche und
lange wörtliche Zitate im Text außerordentlich störend, die in
diesem Falle nicht nur den Quellen , sondern häufig sogar
modernen Autoren entstammen; auch ist es vielfach zu breit
Sehr ungleichmäßig und vielfach unerfreulich verfährt der Vf,
beim Zitieren. Allein auf der andern Seite ist das, was Dubuc
bietet^ sehr interessant und wertvoll Das Buch sei also ixoiz
seiner unerfreulichen Form zum Studium warm empfohlen.
Im folgenden kann nur auf einiges Wenige aus seinem Inhalt
hingewiesen werden. D. schildert in sechs Büchern die Tätig-
keit der Intendanten auf folgenden Gebieten : Lokalverwaltungp
Militärwesen, Rechtspflege und Polizei, kirchliche Angelegen-
heiten, Steuern, Volkswirtschaft Die Generalität Solssons be-
stätigt, was wir über die vielseitige Tätigkeit und die gewaltige
Bedeutung der Intendanten schon wußten; auf den meisten
der genannten Gebiete ist sie entscheidend. Es sei hierzu
noch folgende Bemerkung erlaubt: D. betont (S* 11), wie es
heutzutage häufig geschieht (gegen Tocquevilles berühmte
These), daß die Intendanten ihren Bezirken gegenüber trotz
aller Befugnisse nicht so stark dastanden» wie die heutigen
Präfekten den ihrigen; daß sie je nach den Provinzen durch
verschiedene lokale Gewalten Hemmungen erfuhren* welche
heutzutage fehlen; vor allem kamen dabei die (wenigen) Pro-
vtnzialständeversammlungen und die Parlamente in Betracht,
welche in der Tat ja die übliche Einmischung der Verwaltung
in die Rechtsprechung mit Zinsen heimzuzahlen pflegten«
Allein es scheint uns — und auch gerade wieder nach der
Lektüre von D.s Buch — , daß diese Hemmungen für die Zeit,
in der die absolute Monarchie stark war (also unter Lud-
wig XIV*) heutzutage bedeutend übertrieben zu werden pflegen,
was hier freilich nicht des Näheren bewiesen werden kann* —
Auffallend ist es, wie kurze Zeit die Regierung damals die
Intendanten auf ihren Posten beließ* Soissons sah in 72 Jahren
16 Intendanten^ von denen nur einer im Amte starb. Es war
m
638
LiteraturberichL
das zweilellos eine Vorsichtsmaßregeh Hierher gehört auch«
daü Colbert keine dauernd angestellten Subdelegierten duldete,
während sein Nachfolger Le Pelletier hierin allerdings anders
verfuhr. (D* zitiert S- 61 ein Wort Le Telliers über diesen
Mann: ,quUi n'avait pas le tmur assez diir', im Gegensatz
zu Colbert, — ein Wortj das allen Historikern der absoluten
Monarchie in Frankreich zum Nachdenken warm empfohlen
sei.) — Es ist nach der Lektüre von D.s Buch leider nicht
möglich, sich ein Bild von den einzelnen Intendanten von
Soissons und ihren Leistungen zu machen. Allein man ge-
winnt doch einen allgemeinen Eindruck, und zwar den^ da&
die meisten von ihnen sich durch Eifer und Pflichttreue aus-
zeichneten und ernste Sorge für das Wohlergehen ihres Be-
zirkes an den Tag legten» Die Erhöhung der Lasten suchen
sie zu verhindern. Die empörenden Anordnungen der Re-
gierung betreffend die religiösen Verfolgungen haben sie in
dieser Generalität anfangs nur widerwillig und lissig, später
gar nicht mehr ausgeführt. Wenn von den preußischen Be-
amten gerühmt worden ist, daß sie sich vielfach als Vertreter
des Volkes ihres Bezirkes der Regierung gegenüber gefühlt,
so wird man doch auch den französischen Intendanten der
Zeit dieses hohe Lob nicht ganz vorenthalten dürfen. Es
geht auch aus D.s Buch ganz deutlich hervor, daß es nicht
nur die (allerdings unleugbaren) Schäden des Verwaltungs-
sy Sterns waren, welche Frankreich unter Ludwig XIV, niinicr-
ien, sondern in erster Linie die ewigen Kriege- — Auch
auf andere Dinge, als die Verwaltung der Intendanten im
engeren Sinne fällt in dem vorliegenden Werke manches
StretfHcht. Es sei hier auf die ganz allgemeine, sehr weit-
gehende Korruption der Munizipalbeamten verwiesen ; femer
auf die vollkommene Unfähigkeit vieler Richter (wozu man
die Leiires Fersanes vergleiche). Von den wirren Verhält-
nissen der indirekten Steuern gibt D. eine interessante, wenn
auch nicht überall fehlerfreie Darstellung. Coiberts Ver-
diensten um die Beseitigung vieler innerer Zollschranken wtnl
er nicht gerecht.
Freiburg i. B. Adaiberi WakL
Frankreich»
639
Li Distrid de Redon. (h Julllel 1790 ä 18. Ventäse au IVJ Fat
Lion Dübtcail, Rennes 1903. 218 S. 3,50 fr»
i Jede Arbeit, weiche uns einen Einblick in das Funkdo-»
Eueren der von der Revolution eingerichteten Verwaitungs-
Organe gewährt« ist uns wiltkominen und so begrij0en wir
denn auch die vorliegende tüchtige Monographie mit Freude»
Sie ist zwar nicht ganz so wertvoll, wie mehrere andere der-
artige Schritten» welche uns die letzte Zelt geschenkt hat, tn^
dem sie mehr Persönliches und weniger Sachliches enthält,
als jene» Indessen ist sie auch so» wie gesagt, sehr dankens-
wert. Daran kann auch der Umstand nichts ändern, daß der
Vt, in seinem Urteil ein ganz blinder Parteigänger der Jako-
biner ist — z, B. nennt er S. 97 die Wahl des Schurken Le
Batteux eine glückliche — ; er schildert deswegen doch die
Tatsachen durchaus gewissenhaft. — Nach einer sehr ober-
flächlichen Einleitung berichtet Dubreuil zuerst über die Er-
richtung des bretonischen Distrikts Redon (Departement llle
et Vilaine). Er erzählt weiterhin von dem Eiler der zunächst
noch streng monarchisch gesinnten DistriktsbehÖrden ; wie sie
dann immer radikaler werden und schließlich, unter dem Druck
des blutbefleckten Konventskommissars Carrier im Sinne der
Bergpartei ^epuriert", ihre Bedeutung den Vertrauensmän-
nern des Konvents gegenüber fast ganz verlieren, bis sie zu-
letzt durch die Verfassung des Jahres Hl. auch der Form
nach abgeschafft werden» Im Distrikt Redon sind in einer
ganzen Reihe von Punkten dieselben Beobachtungen zu
machen, wie anderswo. Auch hier erzeugt die Revolution
seit 1790 nur wirtschaftliches Elend, das seit 1793 noch an-
wächst (S. 115/6, 141); Diebstähle und Morde sind an der
Tagesordnung (S» 71). Auch hier kauft der Bauer vom
Kirchenland nichts und nur einen verschwindend kleinen
Teil des Emigrantengutes (S. 108, 163). Finden wir also auf
vielen Gebieten nichts von dem üblichen Bilde abweichendes,
so verlief dagegen die Schreckensherrschaft in Redon in außer-
gewöhnlicher Weise, nämlich — trotzdem ein Carrier hier
wenigstens zeitweilig in letzter Linie herrschte — verhältnis-
mäßig, wenn auch keineswegs ganz, unblutig* Der Vf. wundert
sich (S. 161) darüber, daß es in diesem durch die Chouan-
nerie aus nächster Nachbarschaft bedrohten und von ihr zum
640 LiteraturbeKcht.
Teil angesteckten Distrikt damals so gnädig abging* Ret
glaubt, diese , seltsame Anomalie* erklären zu können : gerade
hier wagte man dem Volke nicht zu viel zu bieten^ während
in ungelährdeten oder mit Waffengewalt unter^worfenen Gegenden
jene feigen Tyrannen ohne Bedenken wüten konnten. — Die
Aktenstucke im Anhang sind zum Teil interessant Die sek*
same Neuerung eines Index Nominum ohne Angabe der
Seitenzahlen ßndet hoffentlich keine Nachahmung«
Freiburg i. B. Adalteri Wahl
les Origmes des Cultes Rivülutionnaires (1789—1792}. Par Aibtri
NLmihi€£. Paris 1904, 151 S.
Derselbe, La Thäophilanthropie et te Culte D^eadair^ (i796-^tW!h
Paris 1904. 753 S.
In dem ersten dieser Werke sucht Mathiez einer neuen
Erklärung und Einschätzung der ephemeren Reügionsgriiiv
düngen der Revolution das Wort zu reden. Er geht dabei
von der Definition des Begriffs ^^ Religion'' aus, die E, Durk-
heim in der ,Annäe Sociolagi^ue* H (1899) gegeben hat. Di-
nach (8. 21) «nennt man religiöse Phänomene Zwangsglaubeos-
Sätze (croyances obligatoires) und gemeinsame HandEungen,
welche sich auf Gegenstände beziehen, die diese Glaubens-
sätze liefern (ob/eis äonnäs dans ces croyances)*^. Diese
„Gegenstände** brauchen aber keineswegs Götter oder ein Gott
zu sein — ^die Idee der Gottheit ist im religiösen Leben nur
eine Episode zweiten Ranges* (S* 13) — sondern können
auch lalques (sie) seinl Z, B. kann eine Fahne * . , eine Form
politischer Organisation , , , ein historisches Ereignis (die
französische Revolution) ein derartiger «laienhafter Gegen-
stand'' sein. Nachdem M. diese Definition^ welche uns fast
zum Lächeln zwingt, übernommen hat, kommt er mühelos zu
dem Ergebnis^ daß revolutionär, ,, Patriot* sein = religiös sein,
resp. Revolution =^ Religion ist Denn hat nicht in der Tat
der »Patriotismus* seinen Zwangsglauben und seine gemein-
samen Handlungen in bezug auf ».laienhalte Gegenstände%fl
wie z* Bt Fahnen, Kokarden etc»? Und so stellen sich denn "
die einzelnen Religionsgründungen der Zeit nicht als künst-
liche Gebilde mit politischem Zweck dar, sondern es sind all-
Frankreich
mählich und natürlich erwachsende Emanationen der Retigion
des Patriotismus.
Wir müssen diese Hauptlhese M.s unbedingt ablehnen^
da wir schon ihren Obersat^ — die Durkheimsche Definition
— nicht anzuerkennen vermögen. Wir verstehen eben unter
Religion etwas ganz anderes; für uns gehört z. ß. der «geist-
liche Gegenstand* Gott dazu. Was den Gedankengängen und
dem Gefühl M.s Richtiges zugrunde liegt, hat längst Tocqueville
erkannt und ausgesprochen* „Wie die französische Revolution
eine politische war, aber nach Art der religiösen Revolutionen
verfuhr, und warum" *- überschreibt er eines seiner Kapitel
([, 3) und führt diesen Gedanken dann geistvolJ durch. Inso-
fern M» über ihn hinausgeht i)» irrt er.
Im übrigen ist anzuerkennen, daß M. in dieser Schrift
zahlreiche, zum Teil interessante neue Einzelheiten» vor allem
über die Debatten der Nationalversammlungen über die reli-
giöse Frage und über die Feste und Schaustellungen der
Revolution beigebracht hat; s. z. B, S, 47 H. den Bericht über
die uns Germanen unsäglich albern erscheinende Veranstaltung
im Bois de Boulogne zur Erinnerung an den 20. Juni.
In dem zweiten Werke behandelt derselbe Vf, sehr aus-
führlich und fleißig eine jener revolutionären ReligionsgrUn-
dungen, welche nach ihm Emanationen der Revolution = Reli-
gion sind, nämlich die sog. Theophilanthropie, jene deistische
Religion, welche im Herbst 17% entstand, einige Jahre lang
ein ziemlich kümmerliches Dasein fristete, um dann 1801/2
nicht ohne Mitwirkung Bonapartes wieder zu verschwinden.
Daß in Wirklichkeit diese Gründung durchaus politischer Be-
rechnung, u, a* dem Wunsch, den Katholizismus zu verdrängen,
entsprang, zeigt gleich einer der wichtigsten Sätze des Kate-
chismus (Manuel) dieser Religion. Hier lesen wir folgendes
(S. 93): j^Die Theophilanthropen glauben an das Dasein Gottes
und an die Unsterblichkeit der Seele. Warum aber sind diese
Glaubenssätze wahr? Weil sie notwendig sind für die Erhal-
tung der , Gesellschaften', weil sie , sozial nützlich* sind/ Dalä
ein derartiger Glaube, zu dem man sich aus politischen
>) Warum aber zitiert er ihn nicht? Kennt er sein Werk nicht
oder sucht er es, wie üblich, totzuschweigen?
fM
L 1 te rat urbe rieht.
Zweckmäßigkeitsgründen entschloß, keine Berge versetjrte imd
keine Massen warb, ist aus mehreren Gründen nicht erstaiir^
lieh- — Es mag noch hervorgehoben werden, daß der tref-
liche Dupont de Nemours der Theophilanthropie bettrat
Zum Schlüsse sei nur noch eine Bemerkung allgemeiner
Art erlaubt Wir haben hier über diese zum baJdIgen Unter-
gänge prädestinierte Religion, welche keinen Glauben und
keinen Enthusiasmus, keine Heiden und keine Märtyrer her-
vorbrachte, die nicht einmal zahlreiche Anhänger hatte und
ja auch ihren politischen Zweck nicht in der geringsten Weist
edülitei ein Buch von 753 Seiten vor uns. Derartige Breite
kann jeden denkenden und ernst strebenden Historiker nur
mit Mißbehagen und Sorge erfüllen: Denn diese Erscheinung
ist keine vereinzelte I Wohin sollen wir gelangen^ wenn über
Hunderte von Gegenständen, welche allenfalls einen ausluhr-
liehen Aufsatz oder eine kurze Dissertation verdienen, Bücher,
dicke Blicher, ja Monstrebände geschrieben werden» wie dieser?
Wann wird die Mehrzahl der Historiker, deutscher wie
französischer, wieder den gesunden Blick haben, das meistCt
was sie in den Archiven finden, dort in Frieden ruhen m
lassen, und nur das wesentliche zu veröffentlichen, statt un*
bannherzig den Leser mit dem unwichtigen, wie mit dm
wichtigen zu überschütten? — In derartiger Überschwemmung
mit Stoff liegt ohne Zweifel eine große Gefahr für unsere
Wissenschaft.
Freiburg i. B, Aä alber i Wahl
Commissian Royale d^fustoire, Recueil de textts pour s^rvir ä
Viiuäe de l*hlstalre de Belglque. La Chronique de GistetiH
de Mons, nouv, äd, pubL par Lioa VmatierJt/adert^
ßmxeiles, Kiessiing d Cie. 1904. XX XV 11, 430 p.
Die ^Commission royale d'hisioire* der belgischen Aka-
demie der Wissenschaften hat mit dieser Neuausgabe des
Chronicon Manoniense keinen geringeren als den um seine
heimische Geschichte so verdienten Forscher Vanderkindcre
betraut und eröffnet mit diesem wichtigen Geschieh ts werk die
Reihe einer Sammlung belgischer Quellen. Ein vielverheißen-
der Anfang und ein neues Zeichen der Rührigkeit^ mit der
die Belgier — so sehr im Gegensatz zu ihren niededändi-
I
J
Belgien.
sehen Nachbarn — ihre mittelalterliche Geschichte pflegen.
Daß man V. für die Aufgabe gewann, verbürgte natürlich von
vornherein den schönsten Erfolg.
Bisher galt die Ausgabe Wilhelm Arndts (MG. SS. XXI,
490 — 601) nicht ohne Grund als abschließend; nach V.s sach-
kundigem Urteil ist Arndt der Uberlieierung gegenüber in der
Schreibung der Eigennamen zu konservativ gewesen und hat viel
Orte ungenau bestimmt, wie überhaupt, darf man sagen, den histo-
rischen Kommentar vernachlässigt; auf diesen hat der Marquis
de Godefroy M^niglaise (Tournay IS74) das Hauptgewicht ge-
legt, freilich nicht ohne für einen gelehrten und exakten For-
seher wie V. viel zu tun übrig zu lassen« Auch das handliche
Format und die französische Sprache der Einleitung und der
Noten sind Vorzüge der neuen Ausgabe« Die ziemlich schlechte
Überlieferung geht auf eine Handschrift s. XV (jetzt in Paris)
zurück, ihre Kopie s* XVll ex, oder XVIll in. in der Harrach-
schen Bibliothek zu Wien ist gänzlich wertlos, wenn auch die
Abschreiber falsche Eigennamen verbesserten; V, hätte sich
die Mühe sparen können, sie ganz zu kollationieren und ihre
Varianten in den Apparat aufzunehmen, denn das gehört der
Literatur, nicht der Überlieferung an* Bessere Dienste leisteten
die Annaies Hanoniae des jacobus de Guisia, eine Kompila-
tion, die große Teile unseres Werkes enthält. V- konstatiert,
daß die Vorlage des Guise besser und wahrscheinlich die
Pariser Handschrift eine Kopie von ihr ist; ihre Varianten
wären besser in den Apparat genommen worden. Die fran-
zösischen Quellen, die den Gislebert benutzten, boten wenig
Hilfe für die Textgestaltung, Die Lebensgeschichte Gisleberts
konnte V, sehr ergänzen; 55 urkundliche Erwähnungen hatte
Arndt, 68 Reusens zusammengestellt, V, hat deren 94, die er
mit den aus der Ghronik zu schöpfenden Notizen zu über-
sichtlichen Regesten verbindet. Wichtig ist der Nachweis^
daß der am L September 1224 gestorbene Autor sein Werk
bald nach 1 196, sicher vor 1200 vollendet hat, spätere Korrek-
turen nahm er nicht mehr vor; die Stelle p. 66, in der Hugo
de Petraponte als Abt ^bI pastea episcopus' (von LUtticb,
eL 1200 März 3, cons. 1202 April 21) bezeichnet wird und
aus der Arndt eine spätere Abfassungszeit folgerte, erklärt V.
als späteren Einschub* Mit gleichem Recht läßt V. Arndts
644 Literaturbencht
Hypothese fallen, wir hätten von der Chronik nur einen Ent-
wurf,
Selbstverständlich hebt auch V, den großen Wert der
Quelle hervor, deren Verfasser Kanzler des Grafen BaidyiuV
von Hennegau war und als dessen offizieller Htstoriognpli
anzusehen ist; daraus erklären sich alle Vorzüge und Mängtl
Die rechtsgeschichtliche Bedeutung ist bekannt; für das Kriegs-
wesen ist wichtig» daß die Zahlen der Ritler (Balduin hat SO
bis 700 um sich) als exakt betrachtet werden müssen« Da-
gegen darf man die — zufällig, wie auch sonst^ stets auf Zehn-
lausende abgerundeten — Zahlen der regeltosen Horden m
Fu0, der Milizen oder Landwehren, wie wir heute sagen.
keinesfalls Irgendwie verwerten, was der Autor nicht gani ab-
weist Für solche Massen konnte damals niemand Blick
haben, es ist selbst heute schwer Trotz einzelner Irrtümer
weist V. die Möglichkeit, daß Gislebert Genealogien benulit
habe, nicht von der Hand; diese erklären sich, woran er nicht
denkt, dadurch, daß solche Aufzeichnungen oft in Klöstem
entstanden. Hier in Siena ist eins der interessantesten Bei-
spiele, Original des spMten 12. Jahrhunderts» ein Stammbauin
mit vollkommen graphisch dargestellten Verwandtschaftsgraden,
verbunden mit einer Zwischenstufe zwischen Landschaf tsbili
Landkarte und Urbar für die Besitzverteilung. Weitere An-
gaben darüber macht der von englischer Seite bevorstehende
Druck überflüssig Für die genealogischen Dinge sind die
25 Stammtafeln eine nicht genug zu rühmende Zugabe; wamm
sie bei uns so selten sindl Eine reiche ^tabie anaiyiiqsie di$
noms'f die nur nach den lateinischen Formen geordnet sein
müßte, und ein Glossar verdienen alle Anerkennung; letzteres
bezieht sich leider nicht auf die beigegebenen ^Minisieriä
curiae Nanontensis' , doch wird der Philologe manches für
das Mittellatein daraus lernen, z. B, den Unterschied zwischen
,€onsanguinetis* und ,cansobrifms' . Dankenswert ist femer
das Literaturverzeichnis und die Karte des damaligen Henne-
gaus. S. 45 N. 1 braucht die Hypothese von Gumplowici,
Balduin IL sei nicht auf dem ersten Kreuzzug gestorben,
sondern später Kardina! und Erzbischof von Pisa geworden,
nicht erwähnt zu werden. S. 231 haben wir, worauf mich
mein verehrter Freund und Kollege, Herr Dn Hans Niese,
rl
Belgien.
aufmerksam macht, wirklich, wie V, daselbst N* 4 sagt, einen
neuen Reichsbeamten aus dem Jahre 128S in Hugo miles de
Wormatia, der auch von der Viia Alb. Leoä. (SS, XXV, 151)
zu 1192 erwähnt wird; seine Prokuration umfaßte das Gebiet
zwischen Maas und Rhein bis nach Aachen hin, und wir
haben in ihm einen Vorgänger des in Nieses Straßburger
Dissertation »Prokurationen und Landvogteien* (1904) S. 29
erwähnten Gerhard von Sinzig zu sehen. Interessant ist, daß
auch er Ministeriale ist S. 278 N. 2 übergeht V. mit guter
Kritik die Nachricht der VUa Alb. Lead.^ Bischof Albert von
Lüttich sei von Cölestin ilL zum Kardinaldiakon geweiht
worden; ein deutscher Kirchenhistoriker, SägmUlJerf fiel un^
längst auf diese monströse Renommage hinein«
Siena. Fedor Schneider.
M^langes Paul Fr^ddricq. Brüssel, fi. Lamertin. 1904. 375 S.
Diese von der SacUii pour le progr^s des Maäes philo-
logiqaes et hisioriques dargebrachten Studien enthalten neben
Beiträgen zur Philologie und Pädagogik, unter denen die von
F* C u m o n t (Pourquai le laiin fut la seule langue liiurgiqae
de tOccideni) und E. Monseur (Vorigine danutienne des
Francs) genannt seien, 18 kleine historische Studien* L, Le-
dere beschäftigt sich mit der Krönung des Jahres 800. Nach
ihm war nicht die Erneuerung des Imperiums, sondern nur der
Akt der Krönung eine eigenmächtige Improvisation des Papstes,
der die verabredeten Formen einzuhatten vermied, um seine
Unterordnung unter den neuen Kaiser möglichst wenig hervor-
treten zu lassen. Ch. Moeller teilt eine wahrscheinlich in
Saint-Omer zu Anfang des 12. Jahrhunderts aufgezeichnete
gereimte Liste der aus der Diözese Th^rouane stammenden
flämischen Ritter und Prälaten des Königreichs Jerusalem mit.
Die Ausführungen von E. Dupr^el über die Ministerialen
von Cambrai zeigen, wie die innerhalb der bischöflichen curiis
ansässigen casaU von Bischof Liethard 1131 abgeschtchtet
werden, indem die Erlangung eines Amtes von der Annahme
eines feodum abhängig gemacht wird. Daß es dem Bischof
darauf ankam, die gewohnheitsrechtliche Umbildung der casae
zu herediiates zu verhindern und innerhalb der curlis Herr
^
646 LltefaturberlchL
des Bodens zu bleiben (tabaral eius crudeilias, in sua curU
ne sU hereäi'tasjj hätte schärfer hervorgehoben werden
müssen. Lehrreich ist die Studie von Vanderkindere 'ühtt
das Gemeinderecht, das von Nikolaus von Avesnes 1 J58 dem
Dorie Frisches verliehen und noch im Laufe des 12* Jslir-
Hunderts auf Landr^cies und eine Reihe anderer Ortschaften
im Hennegau übertragen wurde. KommunaJe Freiheiten $mi
hier in einer ganzen kleinen Herrschaft zu verhältnismifläg
früher Entwicklung bzw. rechtlicher Festlegung gekommen
M. Huisman behandelt den durch ritterlicfie Tugenden m^
gezeichneten Sohn Guidos von Dampierre, Güiot von Naraur,
der Heinrich VIL nach Italien begleitete und Im Oktober 13M
zu Pavia starb. V. Fris veröffentlicht und erläutert Doku-
mente über die Verwicklungen zwischen Herzog Philipp dem
Guten von Burgund und seinen flandrischen Städten wegen
der Haltung der stMdtischen Truppen bei der Belagerung von
Galais 1436. L. Willems erörtert die im 17, Jahrhundert auf-
tauchende Nachricht, daß die Ketzer Wilhelm van Hitdernissem
und Egidius Cantor (um 1410) geistigen Zusammenhang mit
der von Bloemardinne (1320 — 1336) in Brüssel gestifteten Sekte
gehabt hätten. Fi renne macht darauf aufmerksam^ daß das
1477 von Maria von Burgund den General Staaten verliehene
Recht, sich ohne Berufung zu versammeln, zwar niemals aus-
geübt worden, aber in dem Frieden von 1488^ der die Be-
freiung Maximilians aus der Gefangenschaft zu Brügge be-
zweckte, auf Betreiben der von Frankreich gestützten Flamen,
namentlich Gents, nochmals stipuSiert worden ist. Van der
Haeghen hat die Charte wieder ans Licht gezogen, die
Maria wenige Tage vor jenem Großen Privileg, am 30- Januar
1477, der Stadt Gent verliehen hat- Des Marez erzählt die
Geschichte der Bogardeni einer Brüsseler Laienbruderschaft
von Webern, die 1359 durch Aufnahme in den dritten Orden
des hl. Franz Anschluß an die kirchliche Organisalion fand
und in der Folge unablässig um Lösung ihrer AbhängigkeU
von der Tuchergilde kämpfte, bis sie 1623 als rein religiöse
Körperschaft anerkannt wurde. Für die hilflose Pedanterie, mit
der Philipp IL arbeitete, teilt G< Kurth einen bezeichnenden
Zug miL J< Cuvelier macht uns mit Elisabeth van Elderea
Augustiner-Konventualin von St Elisabeth zu Brüssel, bekannt
i
Belgien; England
die im 16, Jahrhundert ein großes Kopiar herstellen ließ tind
so mehr als 2000 Urkunden dem Untergang entrissen hat, dem
fast das ganze Stiftsarchiv anheimgefallen ist. Die Bevöl-
kerung von Löwen ist nach van der Lindens Berechnung
in der zweiten Hälfte des 16, Jahrhunderts von 14 bis 16000
auf 8 bis 9000 Einwohner gesunken H. Lonchay beleuchtet
die Bemühungen Philipps UL, sich die Nachfolge Alberts und
Esabellas in den Niederlanden zu sichern. A. Cauchie er*
läutert an zwei Briefen von 1615 und 1642 die Formalitäten
bei Ankunft und Abreise des Nuntius in Brüssel. E. Hubert
berichtet über eine bei den Bischöfen der spanischen Nieder-
lande 1663 veranstaltete Rundfrage, welche Maßregeln gegen
den Protestantismus in Limburg und rechts der Maas zu er-
greifen seien. Durch A. H a n s a y erfahren wir von den Kämpfen»
die die Eisenindustrie des Lütticher Landes im 17. und IB. Jahr-
hundert gegen die Wirtschaftspolitik des französischen Henne-
gau zu bestehen hatte. E. Discailles endlich handelt von
Metternich und den deutschen Universitäten auf Grund des
3. Bandes von Metternichs nachgelassenen Papieren. Da die
allgemeine Orientierung nur aus zusammenfassenden französi-
schen Darstellungen geschöpft ist, sind einige Ungenauigkeiten
und schiefe Urteile untergelaufen, so, daß die Gründung der
Burschenschaft ^yers ISf6' erfolgt und eine Manifestation der
Unzufriedenheit und des Zornes über die politische Enttäu-
schung gewesen sei*
Utrecht. 0< Oppermann,
Lee tu res on earty English hlstory. By William SitifobSj D. D*,
formedy hishop of Oxford and Regius professor of modern
kisiory in the Universlty of Oxford ^ edited by Arthur Hassall,
M. A.f Sttident of Christ Churchf Oxford, London, Long-
mans Green S Co. 1906. VIII u. 391 S,
Als Stubbs seine Meisterwerke veröffentlichte, besaß die
Englisch redende Welt kein Publikum und kein Organ fUr
geschichtswissenschaftliche Monographien. Nie druckte er
, Forschungen**, nie rezensierte en Je weniger nun einst jene
vollendeten Schöpfungen die Mühe emsiger Vorarbeit verrieten,
um so mehr Reiz verspricht jetzt dem verehrenden Nach-
&4S Literaturbeneht.
kommen ein Blick in die bisher verborgene Werkstatt um
z, 6, die Anglonormannischen Staatseinkünfte zu beurteilen,
addierte er, wie er hier erzähU, die schrecklich unhAndlicben
Pipe-Rollen des Staatsarchivs und rekonstruierte sich so den
um 1178 vorhanden gewesenen Ratuius e^aciorius der Krone.
Nach St>s Tode erschienen, außer Predigten und Briefen, dit
vom selben Herausgeber wie vorliegender Band besorgten
^historischen Einleitungen zu Sl.s Ausgaben in der Ralis Siria
(Rerum Brii. medii aevi S5J' und Oxford er Vorlesungen über
, Europäische üeschichte'.
Die vorliegende Sammlung teilt Hassall In 3t Abschnitte,
die einander etwa chronologisch folgen. Er sagt aber nirgends»
wann und wo diese Vorlesungen gehalten wurden» noch auch,
daß der Inhalt vielmehr in zwei Klassen verschiedensten
Zweckes und Wertes zerfällt* Zwei Oxforder Kursen nämlicb
gehen voran „Angelsächsische Verfassung* und «Feudalismus*»
Jugendarbeiten, deren Irrtümeri nur Vorgängern (darunter auch
Grimm über Dacier = Dänen) nachgesprochen, schon in der
ersten Ausgabe der ConsUtutional kUtary verschwunden sind,
und hoffentlich von niemandem jetzt dem Verstorbenen auf-
gemutzt werden dürfen. Wie St. für die Geschichte vor 1066
hauptsächlich Kirchliches selbständig erforschte, so ist auch
in diesem Bande der gedrängte Überblick über Kirchen-
geschichte das beste über Angelsachsenzeit. Dauernd unter-
schätzte er das keltische Element im englischen Blule w*ie das
nordische und franco-normannische in der englischen Ver-
fassung. Ein angelsächsisches Dorfgericht , unterhalb der
Hundertschaft, hielt er, glaub ich, mit Recht fest (S. 323).
Cnuts Kodex aber ist nicht identisch mit der 1018 beschwo-
renen Verfassung (gegen S. 49). Richtig bezeichnet er die
Gesetze der Angelsachsen mehr als Ausfluß des Vofks willens
denn die der normannischen Krone. — Die Feudalität, namendicli
das Ritterlehn, hat seit St besonders Round in richtigeres
Licht gestellt. Dessen Bücher, neben Maitland, Vinogradoff,
Seebohm zitiert Herausgeber zwar an 21, nicht immer passen-
den, Stellen dem Titel nach; allein nirgends stigmatisiert er
einen über dreißig Jahre veralteten Fehler, oder bemerkt er, wa
sich St. selbst verbessert hat. Friedlich steht z. B, auf S« 367,
Adolf von Nassau sei ermordet worden, hinter dem Richtigen
\
England.
aul S, 282, — ^Das Wachsen des Verfassungsgrund^atzes im
13, und 14, Jahrhundert** betitelt sich das vorletzte Kapitel. Es
muß früh entstanden sein, da St. darin noch glaubt an Johanns
Absicht, Mohammedaner zu werden, und an einen Verzicht
Wilhelms L aufs taUagium, den er S* 64 als Fälschung des
13, Jahrhunderts erkennt. , Später" nennt die Vorrede diese
Vorlesung also mit Unrecht. — Mit nur angedeutetem Stoffe
überladen und, weil zu kurz, trotz Gelehrsamkeit und Scharf-
blick schwerlich eindrucksvoll ist das populär gehaltene
Schlußstlick: „Die Anfänge von Englands auswärtiger Politik,*
Die genannten vier Vorträge, die doch nur ein Fünftel
des Bandes füllen, hätte St. selbst jetzt gewiß nicht mehr ge-
druckt. Aber uns kennzeichnen sie den Stand des Wissens
um 1850; und, was mehr gilt, samt den ungleich wertvolleren
beiden Kursen, beleuchten sie klar ihres Verfassers Streben
und Ethos, literarische Begabung und historischen Genius»
Gelehrsamkeit und Methode, Lehrtalent und Anregungskraft,
Weltanschauung und Parteistellung.
Zwar von Sts äußerem Leben erfahren wir hier nichts;
nur des Urgroßvaters in Yorkshire geschieht Erwähnung St 125.
Aber seine Meinungen bekennt er offen. Er war royalistischer
Tory, konservativ bis in die Orthographie hinein. In Englands
innerer Staatsgröße betete er den Sieg des Besseren an; er
freute sich, daß dessen Freiheit seit dem 12, Jahrhundert stetig
fortgeschritten, vom Volke sittlich verdient, nicht durch einen
Cavour errungen sei, Karl L erschien ihm verbrecherisch er-
mordet. Für Imperialismus und Kriegsruhm besaß er keine
Ader> In Frankreich haßte er stark parteilich die Gewissen-
losigkeit der Könige und die unhistorische Gleichmacherei der
Revolution. Vom gallischen Besitz der englischen Krone
hatte das Volk nur den Vorteil, daß sie seine Beihilfe zu frem-
dem Kriege durch Gewährung von Freiheiten erkaufte. (Eine
entgegengesetzte Anschauung sieht die halb skandinavisierte
Insel 1066 doch auch der Kultur Mitteleuropas gerettet,)
Deutschland fühlt sich St eng verwandt, wenn er auch bei
unseren fiistorikern die Konstruktion frühesten Altertums be-
spöttelt und bedauert, daß flume, zum Glück nur ein Schotte,
unserer aufklärerischen Theologie das Vorbüd gab, Eng-
länder und Deutsche lieben nicht kriegerischen Angriff, son-
HUtoriach« ZelUchrlft (97, Bd«> 3. Fol^e I, Bd. 42
Ffiedcii bdber als Eroberung; sie
pttriotisch, eiffig für Frci-
tm Mittelalter sind zumeist
Kdvt öl Kfic^ vie der gegen Napoleon 1
4^m c&e alteD Verbimdeten wiederfinden,
ii i«r den Ausgaiig:*! Mit Stolz sah er
Ichslsche Glaubensboten
tr, schrieb er der Ktrche die
tf 3£u, ais die Monarchie zur
normannischen Jahrhtiadeii
neun Zehnteln Kirchengeschichte !
Verfassung außer durch Ver-
■ete er ganz; aber auch die
Festlands schienen ihm nur
Die Freiheit der Griechen und
von der der christlichen Nationen.
We)f und besonders die Entwicklung
L geführt won gütiger Vorsehung ; deren
EU erkennen hielt er für anmassend
Gcsdichte wies er, in Opposition wohl gegen
ab. Tiefste Fragen der Geschichtsphilo^
iwar, doch, wie mir scheint^ ohne wissen-
f RMliitng. Gelegentlich scho0 er sarkastische Pfeile
er doch nur kenntnislose Inhaltsleere traf.
«e Vef ii%t ■nJHerung und höchste Gesichtspunkte er-
be&Ütigt die genetische Verfassungsgeschtchte
au entwickeln; nur bewahrte er stets heilige Scheu
4^ WiftJtehkeit des Einzelnen und bekannte oft, daß
»anchr kMiie technische Einrichtung später wichtigen Zwecken
iKente oder Eig^bnisse förderte, die nicht im Sinne des Cr-
findtrs ftkgen hatten« Bezeichnend ist seine Duldsamkeit
ligtttlber der Nationalitätenfrage und das Schlußwort seines
Kvrüts: ,Es steht Ihnen frei aus tneinen Prämissen Schlüsse
tti aiehen, die mir diametral entgegenstehen.*
Die Vorsicht in Einzelfragen, die ja im allgemeinen jeder
Kritiker übt, verband sich bei ihm mit genialem Instinkt zu
wittern« wo die Autorität, der er folgte, nicht sicher stehe.
So wenn er in der Jugend von der Hörigkeit nach Blackstone
oder Über die früheste Landeinteilung aus der urkundlosen
4
4
4
I
England.
MI
Zeit handelte. — Den Meister sachgemäßen, plastisch anschau-
lichen Ausdrucks verrät auch in diesem Bande manch glück-
liches Bild: die eiserne Hand des Königs drückte unter
Heinrich I. so schwer wie unter beiden Vorgängern, aber
vielleicht gleichmäßiger Eine leichte Prüderie eignete eng-
lischer Rede damals allgemein (lesiicuH: muiilaied p, 113).
Weniger als gerade von Vorlesungen zu erwarten, kommt der
aus St«s Briefen und Biographien bekannte köstliche Humor
hier zutage (S< 354); hinreißende Rhetorik oder blendende
GeistesbUtze zeigte er weder sonst noch hier; in langweilige
Trockenheit aber verfiel er so wenig wie in platte Umschmei-
chelung teünahmloser Zuhörer; so freundlich er auch dem
Auditorium entgegenkam ^ er setzte bei ihm in den Kursen
doch mindestens so viel voraus wie der Seminarprofessor
Göttingens. Höchst erfolgreich waren seine organisatorischen
Anregungen, z, B. zu Gaukarten, zu einer Damesday sociefy^
zum Drucke der Gutshof rechte. 8ein Königsmantel fiel auf
Maitland, Round« Vinogradoff und Stevenson; nur die beschei-
denen Kärrner fehlen noch immer dem Bau der englischen
Geschichte des Mittelalters.
Von den beiden Kursen scheint mir ^die vergleichende
Verfassungsgeschichte des Mittelalters'', nämlich in England,
Deutschland, Frankreich und Spanien, um 1868 gelesen. Wie
lehrreich müßte ein Vergleich sein mit dem, was von Waitz
über dasselbe Thema damals gelehrt, aber leider nie gedruckt
wurde. Unzweifelhaft wußte dieser von der Fremde mehr als
St., der selbst Über Heinrich den Löwen, den Gemahl der
Engländerin, ungenügend unterrichtet war^ über Spanien kaum
mehr als Hallam studierte und in Frankreich doch manche
fernere Ähnlichkeit mit Englands Verfassung, wie 1890 dann
Langlois gezeigt hat, hätte erkennen können. Aber wo das
einzelne Material ausreichte — und er selbst bedauert und
bekennt mit großartiger Offenheit seine Schranken — ^ da hat
niemand kritischer gesichtet, schärfer oder weiter geblickt,
tiefer gefolgert, kräftiger geurteilt, ohne doch je geistreiche
Paradoxien zu erhaschen. Wo er den Geschlechterstaat der
Kelten den Germanen gegenüberstellte^ vergaß er wohl, daß
man nicht verschiedene Stadien der Entwicklung vergleichen
darf* In Aragon hatte auch Ranke Parallelen zu England
42*
652
Literaturbericht
nachgewiesen* Nur immer cum grano saiis wagte St so iB-
gemeine Urteile wie die Zusanimenfassung, da0 allodialer
Besitz zur Freiheit, feudaler zur Treue erziehe» jener einem
seßtiaften Einheitsvolk, dieser einer erobernden Herrscherklassc
entspreche. Und er warnte sofort, daß der englische Feudal-
staat nicht aus dem Feudaf besitz entstand. Gewinnt gleich
der Betrachter des besonderen Landes aus dem Vergleiche
keine neue Einzelheit, so lernt er doch das wesentlich Wurzel-
hafte der Institutionen zu scheiden von zufälliger Umrankung
örtlichen Einflußes und hütet sich, das auf jenem Gegründete
zurückzuführen auf nationale Besonderheit Auch kann, wer
romano- germanisches Mittelalter universal lehrt, an dieser
originalen Behandlung Methode studieren.
Weitaus überstrahlt den Rest des Bandes der Glanzpunkt,
der Kursus von 18 Vorlesungen über die englischen Recfits-
denkmäler 1067—1136, 8,37—193. Vor fast einem Menschen-
alter entstanden, zeigt er St auf der Höhe methodischer
Quellenforschung und verfassungsgeschichtlicher Einsicht und
bietet noch heute den bisher besten Kommentar zu Wilhelms
Gesetzen, sowie aus unvergleichlichem Wissen wertvolle Paral-
lelen* So zitiert er die Wilhelm I, betreffenden Gerüchte über
Vergiftung zum Kapitel der Leis Willelme vom Giftmord (der
jedoch nicht ohne römischen Einfluß und nicht zuerst hier
in den Gesetzen vorkommt, sondern unter morS sich ver-
birgt, was die Lateiner richtig, wenn auch zu eng^ als venä-
fidum übertragen). So belegt er die Ausdehnung des geist-
lichen Forums unter Stephan durch einen Brief des Johann
von Salisbury, wonach der Patronatsprozeß der Kirche gehört
den Heinrich IL dem Staate dann zurückgewann. Manches J
Großgut durfte noch im 19. Jahrhundert Testamente eröffnen "
und Nachlaßpfleger bestellen kraft uralter Zuständigkeit, die in
der Regel anderswo seit dem 12. Jahrhundert dem Klerus zu-
fiel. Die Geschichte der Beziehung von Kirche und Staat im
13. und 14 Jahrhundert kann man in Kürze nicht besser dar-
stellen als auf S< 1Q5 geschieht*
Das Gesetz des englischen Mittelalters ist aufgezeichnetes
juB und vermeidet sogar den Namen tex. — Manches seit j
etwa 15 Jahren mühsam Erforschte sehe ich nun vom Meister
bestätigt. Die Unordnung in den L^ges H$nrki fand z, B, auch
England.
ich in der Monographie, die Sts Andenken gewidmet ist,
verursacht durch die Einteilung nach mehr als Einem prin-
cipium ämsionis; im c. 17 entdeckte auch ich den Rest
einer Farstassise und in den Judices Urteil Ein der* Freilich
daß der Verfasser Engländer oder Flambard gewesen sein
könne oder den Londoner Freibrief einschaltete, ist unhaltbar»
Wann und woraus derselbe arbeitete, entnahm Si schon
meinem kurzen Erstlingsaufsatz, nicht ohne den unbekannten
Anfängefj der ihm nie danken konnte, über Gebühr anzu-
erkennen* Richtig fühlte St., Heinrich f. habe London padi-
monia, nicht wardimota, und Befreiung nur von scoi, nicht
von loi gewährt, bevor Round jenes bewies, und ich dies
laut handschriftlicher Stütze aus dem Texte strich. Daß
jene Leges aus lateinischer Kompilation schöpften , daß
regnum Brlianniae nur eingeschwärzt sei, ahnte St., bevor
ich den Quadrlpartilus ^ bzw. den Londoner Interpolator
nachwies. Letzteren setzte er um zwei und das Französisch
der Leis Willelme um vier Menschenalter zu spät an. Deren
c* 24< 31 mißverstand er, ebenso wie, durch unvollkommene
Texte verführt, fieinrichs Grafschaftsorganisation und im
Londoner Freibrief nisi statt vL Unzweifelhaft würde SL
heute manches bessern, nicht Hoveden den Prolog des
Edward Confessor zuschreiben, noch das darin genannte
Dänenrecht mit Cnuts Kodex identifizieren. Den Stabeid hat
seitdem Brunner erklärt. Mit der dealbatio (Aufschlag von V40
zur Zahlung in gemeiner Münze, um deren Nominalbetrag in
Reinsilber darzustellen) kann moneiagium nicht identisch sein.
Eadmers Angabe über den königlichen Anspruch erklärt, im
Schisma zwischen den beiden Päpsten zu wählen, würde ihm
nicht mehr zweifelhaft erscheinen, seitdem uns Lanfrancs Briefe
die Neutralität beweisen. Daß kein Erzbischof bis zum
Palliumsempfang eine BischoFsweihe wagte, widerlegt St.s
eigenes Regisirum sacrum zu 1094. Und Ansei ms Konkordat
errang nicht den Domkapiteln die Bischofswahl. Daß kein
englischer Graf zum unabhängigen Fürstentum strebte, läßt
fiich, seitdem Round den MandevtlU schrieb, leicht leugnen.
An die Jury speziell dachte Magna Charta c. 39 nicht; sie
unterstellte nicht jede Besteuerung dem Reichsrate; und will-
küriiches iaUagiam perhorres^ierten die ArUcuH baronum
Litcraturbe rieht
schon vor ihr. Dte Genauigkeit des Diala^us de scaicam
überschätzte St,; daß Nigel, der Vater des Verfassers (f 116^^
noch von WuUstan (f 1095) informiert war^ ist unglaublich.
Der Herausgeber hat leider die von St. kommentiertea
Texte, geschweige denn neuere Drucke» nicht eingesehen;
denn er führt das parenthetisch Erklärende mit als Überset-
zung an (S, Ml, U9) und ergänzt nicht Unleserliches (S* 14<t.
152). Et stellt S. 9 die Anmerkung zur falschen Stelle (tls
erhebe König Stephan Unfreie zu Grafen), Lies auch S. ^
Dalriada für Dalnada^ S. 93 Dionysius Exiguus für Gaignm,
S. 73: 1178 für 1188, S, 48 impaiieni für impariiaU S. 107
impassable (un übers teigbar) für impassibi^. Aber er verdteni
lebhaften Dank für den ausführlichen Index.
Berlin.
F, Liebermann.
The british army. 1783^1802. Faar iectnres deiivered at ihe staff
College and cavalry sckool. By ihe Mon. */, W, Füt*
tescme* London^ MacmUlan. 1905. XII u. 148 S.
Inhalt und Titel des Buches decken sich nicht gaiu.
Es enthält im wesentlichen eine Darstellung der britischen
Armee vor den Revolutionskriegen. Diese trug noch gmi
den Charakter der alten Söldnerarmeen, wie sie der Kontinent
seit mehr als 100 Jahren nicht mehr kannte. Stehende Truppen
im Frieden gab es wenige und da diese von militärischen
Unternehmern durch Werbung aulgebracht wurden, zeigten sie
alle mit dem Soldwesen von jeher verbundenen Übelstände:
mangelhafte Disziplin bei Offizieren und Mannschaften, Be-
trügereien aller Art durch die Kommandeure. Bei Ausbruch
des Krieges mußten schleunigst die Truppen durch Werbung
vermehrt werden; da von den im Frieden unterhaltenen Sol-
daten viele unbrauchbar waren, viele zur Bemannung der Flotte
abgegeben werden mußten, so war es schwiengj starke Cadres
aufzustellen^ zumal der Sold gering war« Zu diesen Übel-
ständen kam noch, daß Verwaltung und Kommando keines-
wegs einheitlich war« Mehrere Amter konkurrierten mitein-
ander in der Besoldung, Verpflegung und Kontrolle der Dis-
ziplin; bei Kontinentalkriegen hatte die Leitung das Auswärtige
Amt, bei Kolonialkriegen das Kolonialamt; endlich gab es
Engl and.
655
eine besondere englische, irische und koloniale Armee. Die
unvermeidliche Ressorteifersucht , veibunden mit häufigem
Übelwollen der höheren Offiziere, erzeugte schwer zu über*
windende Friktionen, so besonders im amerikanischen Kriege*
Infolgedessen suchte Pitt die oberste Verwaltung der Armee
ine Eine Hand zu legen , aber seine Reformbestrebungen
scheiterten teils an der Auswahl ungenügender Persönlich-
keiten, teils an seiner Sparsamkeit* So war England beim
Ausbruch des Revolutionskrieges durchaus ungerüstet« — Aus
den späteren Jahren behandelt der Vf. nur einige Spezial-
f ragen.
Berlin. G. Röio/f.
^
Notizen und Nachrichten.
Die Herren Verfasser ersuchen wir, Sortderabzüge ihrer
in Zeitschriften erschienenen Autsätze, welche sie an dieser
Steile berücksichttgt wünschen, uns freundlichst einzusenden
Die Redaktion.
AÜgeEneines.
Gesammelte Aufsätze von Rudolf Haym. Berlin, Weidmann.
1903. 628 S. 12 M. Hayms Schriften werden noch lange nicht
veralten, trotzdem er zu den Schriftstellern gehört, deren Art und
Methode in gewisser Welse aufgesogen wird von den Nachfolgem.
Ungemein vieles haben sie von ihm entnehmen können; die Nei*
gung und das Vermögen, Systeme und Formeln auf persönliche
Erlebnisse^ auf Individualität zurückzuführen, verwickelte innere
Fäden auseinanderzulösen und dann wieder anschaulich ziis^mmeo-
zubinden, diese von ihm an Herder, an Humboldt und den Roman-
tikern einschmeichelnd geübte Kunst wird heute fast bis xur be-
denklichen VirtuosenhaftJgkeit getrieben. Eben deswegen aber
kann er sich auch seinen heutigen Nachfolgem gegenüber immer
noch behaupten, weil er der Ursprünglichere und Kräftigere ist,
weil er sich selbst erst mit Mühe den Weg gebahnt hat, der jetit
so leicht gangbar ist, weil die Synthese des philosophischen und
des polltiachen Deutschland, die er repräsentierti bei ihm ganz
juijendiriach ist. Manches schrieb er darum in Kamplesstimmung,
was er selbst später überholt hat. Deswegen hat sein Preunü*
Wilhelm Schrader, der die vorliegende Sammlung besorgt hat,
die Aufsätze über Macaulay, über Fichte u. a. fortgelassen und nur
folgende hier vereinigt: L Ulrich v. Hütten (an Strauß anknüpfende
2 Schiller an seinem hundertjährigen Jubiläum^ 3. E, M. AmdL
4. Varnhagen von Ense, 5* Arthur Schopenhauer^ 6> Die Dilthev-
Aügemeineft.
sehe Biographie Schleiermachers, 7- Ein deutsches Frauenleben
aus der Zeit unserer Literaturblüte (KaroUne Schlegel), 8. Die
Hartmannsche FhDosophte des Unbewußten, 9. Eine Nachlese
zu Novalis Leben und Schrilten, 10. Hermann ßaumgarten. In
diesen zehn Aufsätzen spiegeln steh alle Richtungen und Fähig-
keiten seines feinen und elastischen Geistes und seiner dach auch
sehr bestimmt immer mitsprechenden sittlichen Persönlichkeits
Fr. M.
In ausgezeichneter Weise, eine Fillle von teils bekannten,
teils entlegenen Tatsachen kombinierend und mit selbständiger
Auffassung durchdringend, hat 0. Hintze das Thema „Staats-
verfassung und Heeresverfassung'' behandelt („Neue Zeit- und
Streitfragen*', herausg- von der Gehestiftung, 111^ 4^ Dresden, v.
Zahn £ Jaensch, 1906, 44 S.), Form und Geist der Staatsver-
fassungen ist, so führt er aus^ nicht allein durch wirtschaftlich-
soziale Verhältnisse, sondern in erster Linie durch die Notwen-
digkeit von Abwehr und Angriff, d. h» durch die Kriegs- und
Heeresverfassung bedingL Sehr lein entwickelt er von hier aus
eine oft übersehene Ursache Für den Untergang des römischen
Reiches. Es fehlte ihm, da es zuletzt keine ebenbürtlf^e Nachbar-
macht mehr zu fürchten hatte, die „Spannung der auswärtigen
Lage* und damit ein Impuls zur Steigerung seiner Kraft In dem
überblick über die Entwicklung der neueren Staats- und Heeres-
verfassungen wird der (von Gierke bekanntlich zuerst besonders
hervorgehobene) Gegensat2, zugleich aber auch die Verflech-
tung zweier verschiedener, in die altgermanische Zeit zurück-
reichender Prinzipien, des genossenschaftlichen (Schweiz, England,
preuö. Landwehr) und des herrschaftlich-monarchischen in höchst
geistvollen und einleuchtenden Konstruktionen entwickelt. Ebenso
wie im Staatsleben, ist auch auf dem Gebiete der Heeres Verfassung
ein Ausgleich und eine gegenseitige Annäherung der britischen
und der kontinentalen fnstitutionen zu erwarten.
Bei einer von der Revue dt Synthese bistorique veranstalteten
Enquete über die Neugestaltung des historischen Universitäts-
unterrjchts in Frankreich hat zwar die Mehrzahl der Befragten
nicht geantwortet, aber die 13 Historiker und 2 Juristen, die eine
Auskunft erteilt haben, entschieden sich fast durchgängig für eine
engere Verbindung von Geschichte und Recht und gegen eine
Abtrennung der Geschichte von der Geographie (Rev, de Synth^
hist.f Sonderheft mit dem Titel ^^Nos Enquites*', 1906).
In der Re\f, de Synth, hlst XII, 2 bespricht J- Second aus<r
führlich das Buch von ßenedetto Croce ^LineamenU dt una lögka
658
Notizen und Nachnchten«
come BcUnza dtt cancetfo puro^\ auf dae wir Früher schon hk^
wiesen haben, und H. Berr das Euch des Btikarester Prolevon
Draghicesco pZ>« r6tt dt Vindiviäu dans U ddiermmUme $em^*
X^nopol Übt bei Besprechung einer sehr brauchbires
soziologischen Schrift von Cesare Rivcra (// determmism& sadp-
togkü^ 1903) eine scharfe Kntik an dem Treiben der land-
läufigen Soziologen (Saciologie et Hi&toire, Rev^ de Sj^mtk. koL
XII, 2). Mit Rivera weist er das Vorhandensein von Gesetzen k
der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften zurUclc; erbe*
leichnet das Aufkommen solcher ruhig abwägenden An schau iinpta
in den Kreisen der Soziologen als einen erfreulichen Forlschriit
Max Kemmerich In München erörtert in der pWaUulU*
I! (1906) den .Kulturwert der Germanen*, Man erfährt daraus» dil
Woltmann mit seinem Buche pDie Germanen und die Renaitsmee
in Italien" die ganze Rassenfrage ^.^i^rch Induktion auf eine
festere Basis gehoben" habe. Woltmann hat bekanntlich »nidn
gewiesen*« daß alle großen Geister Italiens vom Mittelalter bis
zum 19. Jahrhundert aus dem Germanentum hervorgegangen tbd:
Staatsmänner und Päpste, Künstler, Dichter, Musiker und Gelehrt«.
Auf das Ungeheuerliche dieses angeblichen Nachweises hat Fr^oi
Eulenburg in der Deutschen Lii-Ztg. 1906 n. 3 mit so schlagendeA
und selbstverständlichen Ausführungen hingewiesen, daß wcitcit
Widerlegung überflüssig ist. Aber Kemmerich vermag seinen iin^
schuldigen Lesern trotzdem zu sagen, daß die Rassenfrage nun-
mehr auf eine festere Basis gehoben seij und daß die Ergebnisfc
Woltmanns für ftalien .»wohl unanfechtbar* seien. Wann wird wähl
einmal der Zustand aufhören, daß die Popularisierer der Wissen-
schaft von den Dingen^ über die sie schreiben^ nichts zu verstelteD
brauchen ? — Es berührt gegenüber dem Dilettantismus der Rasset>*
theoretiker wie eine Aussicht auf bessere Zeiten, daß Afbrecbf
Wirth in München sein Bekenntnis zur Wichtigkeit der Rassen-
frage mit einer scharfen Kritik an der Arbeitsweise seiner GesiH'
nungsgenossen verbindet (^De ia race*^ Rev. de Synth. A£sL Xll, 2K
Er gibt der Rassenfrage unter der Voraussetzung methodiicbef
Bearbeitung ihren Platz neben andern geschichtlichen Grundfragen
und er meint mit einem Hinblick auf andre Systematiker der hislo*
rischen Wissenschaft — er nennt Lamprecht und Breysig — , difi
die Geschichte kein Park von Versailles sei, sondern etwas ut^
regelmäßiger, als wir es vielleicht wünschen.
Ober die mittelalterliche Liebe handelt in der Rev. äe Symik
kisL XUj 2 Faul Herrn an t {j,Le sentimmt amauremx dmis iM
lUtärature m^di^vaie'). Er läBt die völlig hingebende Liebe dcf
Allgemeines. 659
Troubadours usw» hervorgehen aus dem rnittelalterlichen Grund-
begriff der Subordination; er sieht in ihr eine Parallelerscheinung
der Mystik, die ebendaher ihre seelischen Wurzeln ziehe* Die
Mystik ist völlige Hingabe an Gott^ die Troubadon Hiebe an die
Frau — das eigene Dasein wird ausgelöscht, und in beiden Fällen
tritt eine Art Ekstase ein. Hermant weist auf Indien und Persien
hin, wo sich derselbe ParalleUsmus von Mystik und Liebe vorfinde.
!n den Jahrbüchern für Nationalökonamie und Statistik 31^4/5
bespricht Biermann die Sozialphilosophie in der neuesten Lite*
ratur; im Archiv für die gesamte Psychologie 7, 3/4 erstattet
Vierkandt einen Jahresbericht über die Literatur zur Kultur-
und Geseltschaftslehre für die Jahre 1904 und L905.
Aus der Zeitschrift für Theologie und Kirche 16, 3 erwähnen
wir Hermann, Moderne Theologie des alten Glaubens; aus der
Zeitscfirift für Kirchengeschichte 27, 2 Leipoldt, Christentum
und Stoizismus f aus dem Hochland 3,9 eine der letzten Arbeiten
Hermann S c h e 1 1 s , Die Gotteskräfte des Christentums ; aus Nr. IQ
desselben Blattes Maus b ach, Die Entwicklung des katholischen
Dogmas*
G. Schnürer untersucht in den historisch-politischen Blat^
tern 137^ n/12 die historischen Grundlagen unserer Kultur, In
wenigen Strichen zeichnet er ihre drei Elemente Römertum,
Christentum und Germanentum und endet mit dem Freiä der be-
lebenden Kraft der Kirche*
Im Katholik 86, 4/5 stellt ein Ungenannter aus zwölf viel ge-
brauchten Lehrbüchern der Geschichte zusammen, wie an unseren
höheren Lehranstalten von glaubenslosen oder protestantischen
Schnftstellern der Jugend systematisch ein falsches Bild der katho-
lischen Kirche und des Katholizismus mit ins Leben gegeben wird*
Der Verfasser widersteht „der Lockung, kritische Beleuchtung zu
geben '^, doch genügt schon die Art der Auswahl, um in ihm einen
Nachtreter janssens und Denifles in schlechtem Sinne zu erkennen«
Im Archiv für Sozialwissenschaft 22, 3 entwickelt Otto
Schlüter in einem interessanten Aufsatz die leitenden Gesichts-
punkte der Anthropogeographie, insbesondere der Lehre Friedrich
Ratzeis* Er charakterisiert sie als die Lehre von der Natur-
bedingtheit im Leben der Volker^ als die Lehre von dem Einfluß
der Natur auf den Menschen, seine Lebensverhältnisse und seine
Geschichte. Eine historische Skizze von der Entwicklung der
Wissenschaft und von der Stellung des Geographen und Histo-
rikers zu ihr leitet über zur Erläuterung der Lehre Ratzeis.
«60
Notizen und Nachnchten.
Von kleineren Aufsätzen notieren wir aus der Deutschen
Literaturzeitung 27^ 25/26: H, Reich, Die völkerpsychotogischen
Grundlagen der Kunst und Literatur; aus den Preußischen Jatr-
büchern 125, 1 : Hie m er, Das Problem des Ursprungs der Sprache,
aus der Geographischen Zeitschrift 12, bz Robert Gradmaniif
Beziehungen zwischen Pflanzengeographie und Siedlungsgeschichtep
aus der Beil. z. Allg* Zeitung Nr, 169, 170 und 173: Seilliferc,
Germanen und Lateiner bei Stendhal (Henry Beyle).
Neue B&cher: Wiener, J* 0. Fichtes Lehre vom Wesea
und Inhalt der Geschichte, (Berlin, Mayer « M Ulier. 2,40 M>) -
Klemm, G. B. Vico als Geschichtsphilosoph und Volkerpsycholog.
(Leipzig, Engelmann. 5 M.) — Reiner, Berühmte Utopisten und
ihr Staatsideal (Plato» MoruSj Catnpanella, Cabet). (Jena, Coste-
noble. 2,50 M-) — Rocquain, Notes et fragmenis ä'ßustoift,
(Paris f Pion-Nourrit i> Cie. 7,50 fn) — Fisch b ach, Beiträge
zur Mythologie. (Leipzig, Teutonia. 2 M,) — Brissofi^ Misttßirt
du travail et des iravailieurs. (Paris^ Deiagrave.) — Hulbtrl,
History af Korea, 2 \fols, ( London , Paul. 30 sh.J — Jacob,
Quellenkunde der deutschen Geschichte, l.ßd. [Sammig. Göschen,]
(Leipzig, Göschen. 0,80 M.) — Ginzel, Handbuch der mathe-
matischen und technischen Chronologie* L Bd. Zeitrechnung der
Babylontei^ Ägypter^ Mohammedaner, Perser^ Inder, Südostasiateo,
Chinesen, Japaner und Zentralamerikaner. (Leipzig, Hlnrichs* Ver
19 M.)
Alte Geschichte.
In der Revue de i'hisioire des religions 53,3 (19M) veröffent-
licht J* Capart: Buüttin criiique des religions de l'£gypte 1905,
das durch seine vottreffliche Übersicht über die neuen Forschungen ^
vielen gute Dienste leisten wird. H
Sehr interessant ist ein Aufsatz von A- Conrad y: Indischer
Einfluß in China im 4. Jahrhundert v. Chr. (Zeitschrift der Deut*
sehen Morgenländischen Gesellschaft 60, L) fl
Die Revue des questhns historiques 1906, Juii bringt Aufsätze
von E. R e V i 1 1 o u t : Amasis et la ckute de rempire ^gypti^n und
von C* Daux: Un incident ä la basiiique d'Hippone en 4!l^ der
sehr ausfuhrlich und befriedigend eine Episode aus dem Leben
des heiligen Augustin behandelt« Weiter sei hingewiesen auf die
lichtvolle Anzeige von H. Delahayes Les legendes hagiographiqmes
durch P Allard.
in der Neuen Philologischen Rundschau 1906, 16 setzt sich
A. Gruhn: Das Schlachtfeld von Issus mit den Kritikern seines
d
Alte Gescbichte.
unter demselben Titel erschienenen Buches auseinander und hält
an seiner Ansicht fest, daß der Pmaros der Alten der heutige
Pajas sei, daß also die Schlacht am Pajas (nicht am Deli Tscha'i)
geschtagen wurde. An der Art dieser Kritik ist manches aus-«
zusetzen, abgesehen davon, daß Jankes gegen den Pajas vorge-
brachte Gründe doch sehr beachtenswert sind und seine Annahme
der Identität des Pinaros mit dem Deii TschaY sehr empfehlen.
Aus dem Archiv für Religionswissenschaft 9, 2 notieren wir
A* V. Domaszewski: Die Schutzgötter von Mainz; Fn Schwally:
Die biblischen Schöpfungsberichte; K. Völlers: Die solare Seite
des alttestamentlichea Gottesbegriffs; S. Sud haue: Lautes und
leises Beten, L. Weniger: Feralis exeniius,
tn den Neuen Jahrbüchern für das klassische Altertum, Ge-
schichte und deutsche Literatur 1906^6/7 bringt G. FInsler seine
hier schon angezeigte Abhandlung: Das homerische Königtum
zum Abschluß. Weiter veröffentlicht U* Wilcken seine Leipziger
Antrittsrede: Hellenen und Barbaren, voll weiter Gesichtspunkte
und klug abwägend die alten und neuerdings wieder schärfer in
den Vordergrund gerückten Fragen nach dem Einfluß des Orients
au! Hellas erörternd.
Lehrreich handelt Fr, Cumont über Rome ei l^Oneni in
der Revae de rinstruciion publique en ßelgique 49, 2/3.
Wegen der für Kuhurgeschichte wichtigen Fragen wie de
heroum Momericorum curribus beUicis oder de thoracis in carmi^
nibas Harne ricis usa sei auf J. van Leeuwens Aufsatz : Home-
rica in Mnemosyne 64, 3 verwiesen.
Im Jahrbuch der GesellschaFt f, lothringische Geschichte und
Altertumskunde 17 (19Q5) spricht R. Forrer über keltische Numis-
matik der Rhein- und Donaulande.
Klärend und förderlich ist der Aufsatz von H, Dessau: Die
Entstehung der Aren von Gangra und Amasta in der Zeitschrift
für Numismatik 25, 4.
Scharfsinnig und überzeugend ist die Arbeit von H. Pom-
tow: Ein delphisches^ Exemplar von ,,Kassanders Ehrentafel*
und die delphischen Inschriften aus Bd. 8 d. Z. im Hermes 41, 3^
Ebendort handelt A. Gercke über die Myrmidonen in Kyrene,
Einen fordernden und wenigstens in einem Punkte weiter-
führenden Beitrag stur Erklärung der oft besprochenen und immer
noch nicht genügend erklärten Duenos-fnschrift bringt P,
Kretsebmer in der Zeitschrift für die österreichischen Gym-
nasien bly 6,
^2 Notizen und Nachrichten.
Im Rheinischen Museum 61^ S fifiden sich einige iricbti|<
Arbeiten von J. E. Kirchner: Beiträge zur griechischeo Epi*
graphlk 1. Die Asklepios pries ter. Z* HoraßiAo* ^««^^wrai; F. {^üitl^
Herakleides von Mybsa, der^ an das von Wilcken herausgegebene
Sosyiosfragment anknüpfend, scharfsinnig die darin genannte Sto
achlacht bei Artemlsion nicht Eür die bekannte des Jähret 4ffi
V, Chr. gegen Xerxes hält; A* v. Meß: Untersuchungen flbet
Ephoros. Ephoros und Ktesias ; F. R c u 0 : Der Leichcnvigea
Alexanders des Großen ; F, R ü h 1 : Die Zeitansätze für Hellanjko%
der gewiß richtig behauptet, daß wir für die wirkliche Lebensieit
des Hellanikos au! eigene Kombinationen angewiesen sind^ uixi
endlich A. Körte: AnaKtmenes von Lampsakos als Alexander*
historiker.
Aus den Mitteilungen des Kais. Deutschen Archäologiacha
Instituts^ Athenische Abteilung 31,1/2 notieren wird F. Stach Hn:
Zur Landeskunde der Fhthiotis; C. Fred rieh: Lemnoa uvA
Skiathos und Peparethos, A. J. ß*Wace: Skiathos und Skopekii^
A, S, Arvanitopultos: Phylen-Heroen am Parthenonfries; k
Wilhelm: Inschrift aus Megara und Inschrift aus Tegea; L
Nachmanson und E. Herkenrath: MitteiJungen au» Ko-
ronta ; M, H o M e a u x : Itiscription d' Äthan es ; L, C u r t i u s : Sa
miaca. I und W. Dörpleld: Das Alter des Heiligtum« von,
Olympia.
Die Revue arch/clogique 1906, Mai-Juni bringt eine nützliche
Beschreibung einer durch Kilikten und Lykaonten unternommenen
Reise von G* U Bell Weiter setzt P. Monceaux seine E»q»il9
sur Vdpigrapkie chr^iienne ä'Afrique fort
Aus den Comptes-renäas des siances de VAcadimU des m-
scriptions et beiles-leitres 1906^ März^Mai notieren wir A. HäröB
de Villcfosse: inscription trouvie ä Carthage und itiscnptien
trouväe entre la Goalette et Rades; L. Ja labert: Nouvelies d4S*
euces ä la Triade Hilhpolitaine ; G. Mendel: Seconäe note smf
ies fouilles ejcäcutSes ä Aphrodistas par M, /* Gaudin^ Campagni
de 1905 und A. Blanchet: Vittes de ia Gaule r omaine ümi
l*r gt lY^ siicies de noire ire.
In dem BuUetm de corresp&ndance hellen Ique 1906» 6 — S vef^
öffentlichen G*Seure und A. Degrand die Resultate ihrer er-
gebnisreichen Forschungen in den Tumuli Thrakiens und F.
Gratndor die bei seinen Ausgrabungen in Karthala (auf Keot)
gefundenen Inschriften, und zwar diesmal: Comptes du t^mpk
d^Apoiion; nicht ohne Interesse sind auch die i^scriptions iniMH^
de Mistra von G« Mille t und förderlich sind die von M. Hcl-
■^
Alte Geschichte,
663
I e a u X beigesteuerten Observations sur une inscriptwn dt L/bü'
äeia (veröHentllcht von Vollgraff im Bulhtin 1901, p, 365), wonach
freilich diese wichtige Inschrift erst in das Ende des 2* oder An-
fang des L vorchristL Jahrhunderts fällt, nicht wie Vollgraff an-
nahm in das 3. Jahrhundert.
Aus der Revue de pkiMogie de Hit^rature et ä'hisimre an-
ciennes 30, 2 notieren wir R. Dareste: La Särr^ i^avk^e en droÜ
attique; A. Dieudonn^: Campte dälien de Metiichidis conservä
au Caöinel des M^daiUes und B, HatissouHier: fnscripiicn
ürchaiqtie de Citmes.
In den M^langes d'arch^ütogU et d'histmre 26, 1/2 handelt
A. D u f o u r c q über le passionnaire Occidental au VI!* siicief
worin er zu dem Schluß kommt, daß c'est au milieu du VI!* sUcle
que le passionnaire romain e'largi est devenu le passionnaire occi^
dental^ und L* Halphen über tes consals et les ducs de Rome
du Vi!!* au Xf!l* siede. Weiter sei noch die topographische Er-
örterung: Ager Vellscif von P. Fedele erwähnt.
Die M^moirts de la Soci^t^ nationale des Anfiquaires de
France 65 (1^5) enthalten Arbeiten von C* Pallu de Lessert:
La syntaxe des rouiiers romains et des d/formations des noms
de lieux dans l*Afrique romaine; von A. H^ron deVUlefoBse:
Äntiquitis romain es trauväes ä Alise-Sainte- Reine und vonO.Vau-
viJI^: L'enceinte de Pommters (Aisne) (Noviodununt des Sises-
siones}*
Im Bulletin derselben Gesellschaft 1906« 2 bekämpft d'Ar-
bois de Jubainville: Le Heu de baptime de Clovis mit Recht
Krusch, der Tours als Taufort Chlodwigs erwiesen zu haben glaubte;
ebendort teilen P. Monceaux griechische Inschriften von Mac-
taris und E* Michon un poiäs antique de piomb (von Seleu-
keia) mit.
Aus dem joumai of hellenic studies 26, I notieren wir F. W>
H a s 1 u c k : Poemanenum ; J. G, M i I n e : Ciay seatings from the
Fayum; J. L. Myres: On the list of thaiassocracies in Eusebius;
F. U r e : Tke origin of the tyrannis ; Ä, J. B. W a c e : The topo^
grapHy of Pelion and Magnesia; H. R. Hall: The pyramiä of
Moens; W, H. D. Rouse: Inscriptions from Astypalaea.
Aus der Rivista dt filotogia e d^istmzione classica Anno 34,
fast* ! (1906) notieren wir A, Solari: / Lutazi e st&rica Lutazio
Catuio (Contributa ai fasti deiie famigUe Romane),
Einen sehr instruktiven Bericht über die Ausgrabungen der
Italiener auf Kreta vom 15. Dezember 1903 bis 15. August 1905
^M Notizen und Nachrichten.
teilt F/Halbherr in den Renäiconti äetia n Accaäemia äeilmtd^
ctasse äi seien ze moralif storiche e ßiatagUhe 1^06, H,J2 nÄ
Ebenda veröffentlicht S, Monaci nach emem caäi£e giä apptf-
ienuio al Conte Carlo Lochis die MirabHia Rome^
In den Atonumenii anticki \bj l veröffentJtchen Q, QuaglUtl
und D* Ridola eine ausführliche und reich tlJustrserte Abbin4«
lung: NecrapoH arcaka ad incinera^ione presso Tim man «rf
Maierana,
E. Hesselmeyer, Hannibals Alpeniibergang imLichledr
neueren Kriegsgeschichte. Tübingen, ], C, B. Mohr, 1906. OßOlL
Dieser in der Tübinger Dienstagigesellschaft gehaltene, flott uU
anregend geschriebene Vortrag behandelt ein altes, oft und bb
in die neueste Zeil hinein lebhaft erörtertes Problem, Welchca
Alpenpaß hat Hannibal benutzt? Darüber gehen die Mcinun^ca
auseinander und, wenn man von vereinzelten Stimmen absieli;^
welche für den Großen S, Bernhard, für den Col du Clapler oder
für den Col de Vars eintreten, kämpfen je nach ihrer Stelliüi^
lur Oberlieferung für den Mt. Genfevre oder für den Mt Ccais
oder für den Kleinen S, Bernhard. Hesselmeyer kommt mdk
Erörterung der Alpenübergänge des Prinzen Eugen und dci
Konsuls Napoleon und nach einer Auseinandersetzung über
unsere Quellen (Caeliut Antipater — Polyblus — Ltvius — CIncioi
Alimentus) und über deren vermutlich kartha^sche Urquellea
zu dem Resultat, daß Hannibal nicht einen» wie man gewöhnücb
bis jetzt annahm, sondern Ewei Pässe benutzt hat, den Mt Cems-
Pafl und den Kleinen S, Bernhard. In der Tat vereingt sich trcfi-
lich Antipaters Angabe, daß Hannibal über das Cremonts iugurii
marschiert sei, mit dem Livianischen Bericht, wonach das, «ti
von dem Aufenthalt auf der Paßhöhe erzählt wird, nur auf den
Mt. Cents paßt. Mir scheint das, was Hesselmeyer vorträgt, nkht
nur neu, sondern auch gut erwogen und durch bekannte Ana-
logien gestützt zu sein. Freilich kennen unsere Quellen nur einen
Paßübergang; aber auch so ist es bisher noch nicht gelungen,
alle Schwierigkeiten und Widersprüche der Überlieferung zu hebea
und über diesen einen Paß sich zu einen. Hesselmeyers Hypo-
these hat viel für sich und verdient beachtet 2u werde tu Ob
aber je volle Klarheit hier geschaffen werden wird? ßr.
Aus der Re\fue ktstorique 1906, juti- August notieren wir die
treffliche Übersicht über die Putiications relatives ä i'empirt
Byzantin (Ann^es 1904105) von L. Br^hier,
Einen wertvollen Bettrag zu einem historischen Kommentai
des Buches vom Kaiser Constantin VII. de administrando imptm
Alte Geschichte*
mB
gibt j* B* Bury in der Byzantinischen Zeitschrift 15, 3/4. Eben-
dort handelt E, W. Brooks über Ihe sources of Thcophanes and
the Syriac chraniclerSj E. K u r t z über Georgios Bardanes^ Metro-
polit von Kerkyra^ worin ein wichtiger Beitrag zur Geschichte
der Kaisers Friedrich II. und des Manuel, des Despoten von Thes-
salonich und Epirus gegeben wird; L, Schmidt über die Volks-
zahl der Vandalen^ der gegen Haury dieselbe auf 80000 Köpfe
(inkl. Weiber und Sklaven) annimmt.
In der Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und
die Kunde des Urchristentums 7, 1 veröffentlicht E. Schwartz:
Osterbetrachtungen, die gelesen zu werden verdienen ; 0, Klein:
Die ursprüngliche Gestalt des Vaterunsers; E, Schürer: Die
^v^a oder nriUij üt^aia Act* 3^2u. 10; 0. Loeschke: Contra Mar-
cellum^ eine Schrift des Eusebius von Caesarea; R. Sillib: Ein
Bruchstück der Augustini sehen BibeL
In der Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie 49^ 2 handelt
A, Wächter über Israelitische Namen und A. Hilge nf e Id :
J. Wellhausen und die synoptischen Evangelien setzt sich sehr
ausführlich mit Wellhausen auseinander. F. Görres: Die Reli-
gionspolitik des spanischen Westgotenkönigs Swinthila, des ersten
katholischen Leovigiid (621— 631) gibt weitere Bausleine zurKirchen-
und Kulturgeschichte der Pyrenäenhalbinsel im Mittelalter.
Aus der Neuen kirchlichen Zeitschrift 17, 3/5 notieren wir
den Schluß der H, 2. 97, 2 angezeigten Arbeit von G. Hönnicke:
Neuere Forschungen zum Vaterunser bei Matthäus und Lukas;
Koberle: Heilsgeschichtliche und religionsgeschichtliche Be-
trachtungsweise des Alten Testaments; G, Wohlenberg: Die
bibüschen Abendmahlsberichte und ihre neuere Kritik und Ph.
Bacbmanni Der Schöpfungsbericht und die Inspiration.
Aus den Theologischen Studien und Kritiken 1906, 4 notieren
wir K* Budde: War die Lade Jahwes ein leerer Thron? welcher
sich gegen die zuletzt von Dibelius und Gunkel vertretene Ansicht
wendet und die aufgeworfene Frage mit Nein beantwortet ; G.
Ficker: Der Häretiker Eleutherius (unter Veröffentlichung einer
neuen Urkunde).
J, Friedrieh: Die eeclesia Augu&iana in dem Schreiben
der istrischen Bischöfe an Kaiser Mauritius vom Jahre 591 und
die Synode von Gradus zwischen 572 und 577 in den Sitzungs-
berichten der philos^-philoL u, d. histor, Klasse der Kgl. Bayer.
Akademie der Wissenschaften zu München 1906, 2.
Neue Bücher ; Cousin j itudts de gäographie ancienne*
(Paris-Nancy^ Berger- LevrauU <£ Cie, 40 fr,) — ßreasiedj An-
f1iitori»cbe ZeHwchriit (97. Bd.) X Folge K BcL 43
fm
Notizen und Naehrichten
cient recürds of EgypL VoLllL The nineieenih äynasiy, (Ckküp,
The Üniversity press.) — Weißbach, Die Inschriften Nebukid-
nezars IL ini Wädt Brbä und am Nahr el-ICelb* (Leiprtg. Ht^
richs'Veri. 20 M.) — Baentsch, Alton enta Lischer und isradiü-
scher Monothelsrnus. (Tübingen, Mohr, 2,40 M*) — K ü c h ) er. Die
Stellung des Propheten Jesaja zur Politik seiner Zeit (Tübitig«
Mohr, U60 M,) — Ettinghausen^ Harsa Vardhana^ tmfiam
ei poHe de Vlnäe septeninonale (606^648 A />.>. ( Paris ^ Umu4
— V. Lichtenberg, Beitrage lu ältesten Geschichte von Kjpfoi
(Berlin, Pdser. 4 M.) — Griechiache Urkunden der Papyrussanv^
lung zu Leipzig, L Bd. Mit Beiträgen von Wilcken Hrsg, v<»
Mittels, (Leipzig, Teubner. 28 M*) — Dessatt^ InscnpUmm
Laiinae setectae, VoL 11, pars Z (Berlin, Weidmann. 10 MJ -
S c h j 0 1 1 , Die römische Geschichte im Licht der neuesten For-
schungen, (Christiana, Dybwad^ 1 M.) ^^ Eliaeson, Beitraft
zur Geschichte Sardiniens und Gorsicas im ersten ptiniscbefl
Kriege. (Uppsala, Almquist & Wiksell, 5 M.) — Werner, Dt m-
cenäiis urbis Ramae aetati imperatomm. (Leipzig, Gräfe. LbOÜI
— forquei de Dame, Les c^smrs africains ei Syriens ei roMMr-
chie mint alte. (Angers, Siraudeaa.)
Rftmisch-gerinanische Zeit und frühes Mittelalter bis 125«.
An kleineren Beiträgen zur römischen Periode der deutsckai
Geschichte notieren wir den Aufsatz von A. v, DomaszewslEl
über die Schutzgütter von Maini (Archiv für Religionswissensclitft
9, 2) und den Jahresbericht des römisch-gennanischen Zentnl-
museums in Mainz 1905/6 (Korrespondenzblatt des Gesamt verelns
54, 67).
Aus den Göttinglschen Gelehrten Anzeigen 1906 Nr. 6 mögen
drei eingehende Kritiken erwähnt werden. E, Mayer bespricbl
L, M. Hartmanns Geschichte von Italien (2^ 2); den Gedanken dcf
Beseitigung römischer Verfassungselemente hält er für unzutreffend.
K. ühlirz erstattet Bericht über das Buch von K. A, Kehr (Die
Urkunden der normannisch-sizilischen Könige) und den vierteo
Band von A. Haucks Kirchengeschichte Deutschlands.
In Anlehnung an die von H. Delbrück in seiner pGeschtchte
der Kriegakunst** gegebenen Anregungen unternimmt es P, Rohr-
bach, die wirtschaftliehen Faktoren In der arabischen tnvasioo
gegen Byzanz aufzudecken* Er legt den Hauptnachdruck darvul
daß die Rückkehr zur Naturalwirtschaft im römischen Reiche tuid
die Verschlechterung des Heerwesens einwirkte auf die Zustände
Frühes Mittelalter
in Arabien und Persien, daß eben darum auch die Fortschritte
und Erfolge der arabischen Invasion möglich wurden (Deutsche
Rundschau 32, 9).
A. IHüfners Aufsatz über das Rechtstnstitut der klöster^
liehen Exemtion in der abendländischen Kirche bringt in seinem
ersten, bis Gregor den Großen reichenden Teile nicht eben Neues,
das vielleicht der Fortsetzung vorbehalten ist; Archiv für katho-
lisches Kirchenrecht 86, 2,
E. Mayer repliziert in den Mitteilungen des Instituts für
österreichische Geschichtaiorschung 27, 2 auf die Anzeige seines
Buches über die (angeblichen?) Fälschungen des Dragoni durch
L. M. Hart mann, der am gleichen Orte noch einmal seine Ab-
lehnung begründet (vgl. 97, 427),
j. Walters Polemik gegen W. Ohrs Ausführungen über das
Zeremoniell der Kaiserkrönung Karls des Großen (vgL %, 347 f*)
erscheint wenig überzeugend (Theologisches Literaturblatt 1906
Nn 29), — Gleichzeitig mag aus der Mtinchener Allgemeinen Zei-
tung 1906 Nr, U6 der kurs^e Bericht über die Eröffnung des Sarko-
phags Karls des Großen angemerkt sein, die am 17. Juli ds* Js.
vorgenommen wurde und der näheren Untersuchung der in ihm
erhaltenen Gewebe des 10, und 12, Jahrhunderts dienen soll,
J, Schmidts Panegyrikus auf Rhabanus Maurus mag als
Festrede nicht ohne Wirkung gewesen sein, in seiner Veröffent*
lichung durch den Druck wird man keine erhebUche Bereicherung
der Literatur erblicken. Mancher Satz vertrüge ein oder gar
mehrere Fragezeichen, so z. ß. der, daß um die Mitte des 9, Jahr-
hunderts „im ganzen weiten Gebiete des karolingischen Reiches
auch nicht ein Zweifler oder Ungläubiger war*^ — , ein Satz, der
sich nicht recht damit vertragen will, daß, wie Schmidt selbst be-
merkt, Rhabanus Maurus gegen heidnischen Aberglauben hat an-
kämpfen müssen (Katholik 86, 4)*
In der Btblhtki^^e de P^cole des ckartes 67, 1/2 veröffent-
licht J* Calmette den Text einer unbekannten fränkischen Ge*
richtsurkunde vom Jahre 898 für das Kloster Amer in der jetzt
spanischen Provinz Gerona.
Kürzlich hatte Hermann Suchier in der Zeitschrift für ro-
manische Philologie 29, 6 den Nachweis versucht, daß der Graf
Vivien aus dem Sagenkreis des Guiltaume d'Orange idenüsch sei
mit dem historischen Grafen Vivtanus, der In der großen Bretonen-
schlacht des Jahres 851 fiel, daß ferner der epische Schlachtort
TArchant oder Larehamp in dem heutigen Ort Larchamp (D^p»
Mayenne, Kanton Ern^e) wiederzufinden sei, und daß man hierin
43*
66S
Notizen und Nachnchtem
also den bisher unbekannten Ori der BretonenschJacht zu ^hea
habe. Gegen beide Identifikationen wendet sich Ferdinand Lot
in der Romania 35 mit ziemlicher Schärfe, wobei er seinerseiti
auf Grund der von Suchier in der Tat nur ung^eniigend herange*
rogenen Vita Conwoionis die ßretanensch lacht nach Jengland
bei Fougeray (Ille-et-Vilaine). links von der Vilaine^ verlegen wilJ.
Völlig schlagend scheint mir der Beweis hinsichtlich der Unmög-
lichkeit Larchamps als Schlachtort geführt zu sein* Bei der auf
jengland bezüglichen Erzählung des Biographen dürfte es indessen
doch auch fraglich sein, ob sie wirklich auf die Hauptschlacht iü
beziehen ist. Daß anderseits Vivianus in dem epischen Vivieti
fortlebte, scheint mir trotz der Bemerkungen Lots wenigstens
nicht ganz ausgeschlossen ; denn im Gedicht kann weder der
Altersunterschied der beiden* noch die Verwechslung von Bretonea
und Sarazenen so sehr auffallen ; hat doch^ was letzteres anlangt,
die Karlssage mit den Basken dasselbe gemacht. M H.
Richtig hat W. A. Fischer erkannt» daß es trotz vielfacher
Bearbeitung, die das Leben der Kaiserin Adelheid, der zweiten
Gemahlin Ottos des Großen, seit Breitenbauch {178S) gefunden
hat, an ausreichendem Aufschlüsse über das Wesen und die Stel-
lung der hoher» Frau fehlt, und er hat zunächst das Verhältnis zu
ihrem Gemahle zum Gegenstande eingehender Untersuchung ge-
macht. (Das Verhältnis Ottos des Großen zu seinem Sohne Liu-
dolf und zu seiner Gemahlin Adelheid. Innsbruck, Wagner 1903*
141 S*) Dabei geht er von der Ansicht aus, daß die Art^ wie das
Verhältnis Ottos gegen seinen Sohn Liudolf in neueren Darstel-
lungen geschildert wird, geeignet sei, den großen Kaiser in ein
schlechtes Licht zu bringen^ da, wie Fischer meint, nach diesen
Otto aus Vorliebe für seine zweite Gemahlin stell zu Treulosigkeit
und Härte gegen den Sohn erster Ehe habe verleiten lassen. Dem
gegenüber sucht er zunächst nachzuweisen, daß von einer Vor-
liebe des Königs für Adelheid nicht die Rede sein darf, diese nie-
mals einen hervortretenden Einfluß auf ihren Gemahl ausgeübt
habe ; in einem zweiten Abschnitte bemüht er sich, das Verfahren
Ottos gegen seinen aufrührerischen Sohn von dem Vorwurfe des
»Wortbruches und empörender Härte'* zu befreien* Wenn auch
einzelne Einwendungen Fischers Beachtung finden, Im ganzen Ist
seine Beweisführung abzulehnen* Er hat es nicht verstanden, sich
mit dem inneren Wesen der Quellenberichte vertraut zu machen.
Was er über die Interventionen ausführt (S* 49), zeigt, daß er sich
über die Bedeutung der Fürbitte in Urkunden jener Zeit nicht ge-
nügend unterrichtet hat. Und nicht besser steht es mit der Ver-
wertung der erzählenden Quellen, die er nicht im Originaltext,
Frühes Mittelalter
sondern in deutscher Obersetzung benutzt hat. Wte er da in die
irre gehen mußte, sei an ein paar Beispielen gezeigt. Er be-
hauptet (S. 19), daß Otto durch goldene Geschenke die »Liebe
und Treue" seiner künftigen Gemahlin erprobt habe. Widukind
II ij c. 9 aber berichtet: Ctimqae eum virius praefetae regln ae rton
latersij simuiato iiinere Rom am proßcisci statuit Cumque Lan^
gobaräiam venium essei, aureis maneribus amorem reginae super
se probare temptavlt. Quo fideliter experta, in cöniugium stbi
eam sociavlL Oder er rügt es als einen Irrtum, daß im Jahre
952 die Marken Verona und Istrien an Bayern gegeben worden
seien. Der Fortsetzer Reginos spreche nur von einer Mark,
Verona, und der Stadt Aqulleja. Das ruht auf dem Mißverständnis
der Übersetzung i ^Dle Mark Verona und Aquileja wird allein aus-
genommen,** Cont. Regln, 952: Marca auiem Veronensis et Äqui-
ieiensis excipitur. Diesem Verfahren entsprechen sonderbare Na-
mensiormen: Hrosuith^ Aquilea, Heriman Kontractus (S. 106),
Hunnen für Ungarn, Viennes, Reimes, und die mangelhafte Be-
nutzung der neueren Literatur, aus der Haucks Kirchengeschtchte,
die Abhandlung von Steffanldes (Kaiserin Adelheld, Jahresbertcht
der Staatsrealschule ß. Lelpa IS92/3), meine Geschichte des Erz-
bistums Magdeburg unter den Kaisern aus sächsischem Hause,
die Jahrbücher Ottos IL fehlen. Dafür verwertet Fischer allen
Ernstes die Magdeburger Schöppenchronik (S* 29, 55 Anm* 2).
Unangenehm berührt es, daß der Verfasser Dümmlers Jahrbücher
Ottos des Großen, die ihm doch ersichtlich (vgLS. 13 Anm. 3) die
quellenmäßige Grundlage seiner Arbeit lieferten, nur dort erwähnt,
wo er sich gegen sie aussprechen zu müssen glaubt.
Karl Uhllrz,
Ein durch ausgebreitete Belesenheit bemerkenswerter Aufsatz
von K. G^ Hu gelmann versucht den Nachweis, daß im Jahre
1056 Heinrich IV, nochmals zum Könige gewählt worden sei und
an der Wahl auch Papst Viktor IL in seiner Eigenschaft als
Bischof von Eichstätt — er hatte das Bistum trotz der Bestei-
gung des päpstlichen Stuhles beibehalten — sich beteiligt habe.
Der Verfasser vermutet, der Papst habe im Namen Heinrichs II L
mit den Fürsten verhandelt und die förmliche electio vorgenom-
men (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichts-
forschung 27, 2).
Eine interessante Urkunde, die Ergebung einer freien Frau
in die Cerocensualität zugunsten der Kirche St Georg in Kastei
bei Mainz aus dem IL Jahrhundert teilt H. Hirsch mit (Mit-
teilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung
^70
Notizen und Nachrichten,
Im Jahrbuch für Schweizerische GcBchichte 31 polemisiert
H» Hirsch gegen H. Steltiacker, der in der Zeitschrift für die
Geschichte des Oberrhe'ms (N, F. 19) die Einheitlfchkeit der Aäs
Murensia bestritten und Entstehungsieit wie Tendenz der ge-
iälsehten Grundungsurkunde für Muri abweichend beurteilt h^ttc
(vgl. 93, 531 L>.
Glerchzeltig mit der (Berliner) Dissertation von F^Fliedner
(Die ronkalmchen Felder in der deutschen Kaiserzeit« Berlin,
G. Möhs 1906. 42 S»; vgL die Anzeige von F- Oüterbock in der
Deutschen Literatura:eitung 1906 Nr. 30) ist die Abhandlung vor
F. Güterbock über denselben Gegenstand erschienen. Die Re-
sultate beider hinsichtlich der Lage jener Ebene decken einander;
am klarsten hat sie Güterbock zusammengefaOt in den Worten:
, Unter Heinrich V., Lothar und Friedrich L finden die ronkaliscben
Reichsversammlungen stromaufwärts von Piacenza statt und zirar
in der Regel nördlich vom Po bei Somaglia^ einmal, im Jahre 115S,
gegenüber bei Cotrebbia; die ronkalische Ebene befand sich hier
nördlich vom Po gegenüber von Cotrebbia und Mezaano Vigo*
leno, befand sich also sicherlich nicht bei dern weiter ostwärts
Heißenden Roncaglla, das jahrhundertelang fälschlich als Ort der
Reichsversammlungen gegolten haf* (Quellen und Forschungen
aus italienischen Archiven 9, 2; auch gesondert erschienen unter
dem Titel: Die Lage der roncalischen Ebene. Rom, Loescher 4
Co. 1906, 26 S,).
In seiner Studie über «Die Imperialpolitik König Heinrichs JL
von England" (Heidelberger Abhandlungen^ Winter, 12. Heft, S. l
bis 72) bringt Friedrich Hardegen an die bekannten Ausfalle
Johanns von Salisbury gegen den Kaiser und die Ansprüche der
deutschen Nation als „wahren Grund" „die Rivalität zwischen
Engländern und Deutschen*' heran. Statt des kirchenpolitischen
Gegensatzes zu Friedrich Barbarossa sucht Hardegen die englische
Nationalität des Papstes hladrians IV, als Quelle seiner Hand-
lungen hinzustellen. Unter dem Einfluß dieser Stimrrtung seines
Volkes soil nun Heinrich IL den ihm von seiner Mutter, der
, Kaiserin" Mathilde, eingepflanzten Plan verfolgt haben, ^die
Kaiserkrone seiner Mutter sich aufs Haupt zu setzen,** Hardegen
gibt selbst zu^ »diesen Plan des großen Normannenkönigs nur
undeutlichj verschwommen" erkennen zu können. Was dazu nicht
paßt, wie der Brief bei Ragewin, 111 c. 7 wird als der wahren Ge-
sinnung des Königs widersprechend abgetan, oder, wie die An-
wesenheit eines Gesandten Friedrichs bei einem von Hardegen
vermuteten Komplott gegen den Kaiser ,»zwar höchst merkwürdig*
PrUhes Mittelalter.
aber nichi obige Auffassung widerlegend gefunden. Ein Vergleich
Heinrichs des Löwen mit WaUenstein und die Beurteilung seines
Abfalls bei Legnano ais einer ^großen^ zielbewußten, nationalen
Tat** leitet dann unvermittelt zur Beschuldigung Heinrichs IL von
Engtand, es „in letzter Linie" verursacht zu haben, „daß weifische
und anttkaiserliche Gesinnung in Deutschland und Italien identische
Begriffe wurden*. Die S. 39—40 dem englischen Könige imputierte
Sehnsucht nach dem Kaisertitel wird völlig unverständlich durch
den im Exkurs ausgeführten Zusatz, daß im Mittelalter dieser
Titel für die Beherrscher Marokkos^ Englands, Bulgariens, Serbiens
und Kastiliens ohne Widerspruch in Anwendung war.
Ludwig Riefl,
Ein Aufsatz von W* Meyer gewährt lehrreiche Einblicke
in die Geschichte des 1124 begründeten Ordens von Grandmont
und die Streitigkeiten in ihm zwischen seinen klerikalen Mitgliedern
und den Laienbrüdern. Vier Rhythmen, die der Verfasser mitteilt^
sind Zeugnisse des lebhaften Kampfes in der Zeit von 1185 bis
1188 (Nachrichten der KgL Gesellschaft der Wissenschaften zu
Göttingen, philol-histor, Klasse 1906, 1).
Die Ausführungen von J* Fr v* Schulte über die Verdienste
des Bürgertums der Städte im Mittelalter um die Staats- und
Rechtsentwicklung sind lesenswert, wenn sie gleich keine wesent-
lich neuen Resultate aufdecken wollen (Deutsche Revue 31, l);
vgL diese Zeitschrift 95, S49 L
Wir müssen uns an dieser Stelle mit einem Hinweis auf die
inhaltsvollen Ausführungen von H. Fehr in den Berichten über
die Verhandlungen der Kgl. sächsischen Gesellschaft der Wissen-
schaften 58, 1 begnügen. Ihr Gegenstand sind «Fürst und Graf
im Sachsenspiegel", derart daß die lehnt- und amtsrechtlichen
Grundlagen des Fürstenstandes, die Amtsgewalt der Fürsten und
die deutsche Gerichtsverfassung zu Beginn des 13. Jahrhunderts
in vielfach neuer Beleuchtung erscheinen*
Ein Vortrag von F, Schneider schildert in kurzen Zügen,
die aber die wesentlichen Entwicklungsmomente hervortreten
lassen, die Kulturverhältnisse Toskanas vor der Renaissance, deren
geschichtliche Vorbedingungen aufgedeckt werden sollen. Für
Verfassung, Wirtschaft und geistiges Leben ergibt sich die Zeit
Friedrich Barbarossas als Einschnitt; die Eigenart der städtischen
Kultur des 13, Jahrhunderts wird ansprechend veranschaulicht,
freilich nur in Umrissen, die auch auf die Quellenbelege verzichten
mußten (Deutsche Rundschau 32, 10),
672
Notizen und Hachrichlefi.
Sehr beachtenswert Ist eine Untersuchung ^zut Entil^imi
des Kapitaüsmus in Venedig"*, die Reinhold Heynen, ein SchuJ«r
Brentanos, in den Münchener Volkswirtschaftlichen Studien rtr-
öfientUcht hat« <7LStUck, J. G*Cottasche Buchhandlung NadiJolger.
Stuttgart u. Berlin 1905.) Sombarts bekannte Theorie ron dem
angeblich durchaus handwerksmäßigen Charakter des friihmittci-
alteHichen Handels wird hier an einem besonders instniktiTcn
Beispiel aufs neue achlagend widerlegt, Kapitel 1 — 3, die sieb
über die au&ere Entwicklung des venezianischen Handels vod
seinen Anfängen bis zum Beginn des 13, Jahrhunderts verbreiten,
dürften dem Kenner wohl kaum etwas Neues bringen; auch iit im
einzelnen manches ungenau und von der neueren Forschunf
überholt* Im ganzen aber ist doch vortrefflich beobachtet, wie
nach einer früh überwundenen feudalistischen Durehgangsttttk
die Förderung des Handels das eigentliche Lebensefement des
Staates wird, Kapitel 4 erörtert die Innere Organisation des vene-
zianischen Seehandeis: die Stellung der Unternehmer, die Schub-
ausrüstung, die Schlffahrlstermine, die Technik der verschiedenen
Kreditgeschäfte. Der Verfasser zieht hierbei u, a, mehrere hundert
meist ungedruckte Privaturkunden des IL und 12. Jahrhunderts
im venezianischen Staatsarchiv lu Rate; nur ist ihm merkwürdiger-
weise entgangen, daü bereits Sacerdotl in einer Abhandlung
venezianischen Instituts (Bd. b% 1899) das gleiche Matedaf zu rech
geschichtüchen Zwecken durchgearbeitet hat. So ist z, B. der
Collegantla-Vertrag vom August 1073, den der Verfasser als den
ältesten erhaltenen inn Anhange mitteilt, schon von Sacerdotl nelüt
einem noch älteren vom Mal 1072 abgedruckt. Anderseits bleibt
es das unantastbare Verdienst des Verfassers» zuerst erkannt m
haben^ daß auf Grund jenes Urkundenapparats die Geschäfts-
praxis einzelner Unternehmer und Kapitalisten schon für diese
frühen Jahrhunderte ermittelt werden kann, und so erläutert er
im 5. Kapitel den Handelsbetrieb eines mittelalterlichen Beruf»*
händlers, des Kapitäns und Reeders Romanus Mairano in dett
Jahren 1152— 1201, dessen schlechthin kapitalistische Struktur hier-
bei mit Überraschender Anschaulichkeit zutage tritt. Nachzutragen
wäre hier noch, daß ein durch seine außergewöhnliche Große be-
rühmtes Schiff des Mairano, der Kosmos, auch bei der Belagerung
von Ancona Im Jahre f 173 eine Rolle spielte (vgl. Buoncampagno,
Bulleitino IstiL HaL 15, 168). W. LentL
Die Historische Gesellschaft von Pistoja hat begonnen
den Jiber censuum Pisio/ae', eine Hauptquelle für das 12, und
13» Jahrhundert, in Registerform, von Quinto Santoli bearbeileC,
herauszugeben (vollständig in 3 Lieferungen).
Späteres Mittelalter.
Neue Bücher! Kunze, Die Germanen in der antiken Lite-
ratur, U Tl.: Römische Literatur. Mit einer Karte von Altger-
manien* (Leipzig, Freylag; Wien, Tempsky, 1,20 M,)'— Bang^
Die Germanen im römischen Dienst bis zum Regierungsantritt
Constantins L (Berlin, Weidmann. 4,80 M.) — Gramer, Die Ver-
fassungsgeschichte der Genmanen und Kelten. (Berlin, Siegismund.
4,80 M.) — Gutmann^ Die soziale Gliederung der Bayern zur
2elt des Volksrechtes. (Straßburg, Trübner, 8 M.) — Boysen,
Den aeläre miääelalder. fKjebenhavn^ Akaäemisk boghandei. 3 KrJ
— Vogel, Die Normannen und das Fränkische Reich bis zur
Gründung der Normandie (799^9JI). (Heidelberg, Winter. 12 M.)
— L o k y s j Die Kämpfe der Araber mit den Karolingern bis zum
Tode Ludwigs IL (Heidelberg, Winter. 2,40 M.) — Rudorff,
Zur Erklärung des Wormser Konkordats. (Weimar» Böhlaus Nachf.
3 M,) — Codex diplomatkus regni Croattae, Dalmatiae et Sla-
voniae. Ed. Smiliklas, VoL ///. Diplom aia anno mm 1201 — 1235
contlnens. (Agram, Trpinac. 10 M.) — Schaube, Handels-
geschtchte der romanischen Völker des Mittelmeergebiets bis zum
Ende der KreuzzUge. (München^ Oldenbourg* 18 M.) — Cara-
bellese, L'Apulia e il sao comune neWalto media evo, (Barij
Commiss. prav, di archeoL e storia.) — / de Pas, LVchevinage
de Saint'Omer (1144^! 790). (Saint-Omer, D'HomonL)
Späteres MitteLalter (1250—1500).
Schon vor Jahren sind die Testamente König Alfons' X. von
Kastilien aus den Jahren 1282 und 1284, die durch die in ihnen
verfügte, freilich als fruchtlos sich erweisende Ausschließung
seines zweitgeborenen Sohnes Sancho von der Thronfolge ein be-
sonderes Interesse haben, in der spanischen Fassung verÖEfentlicht
worden. Jetzt gibt in der Bibiiotheque de i'^coie des ekartes 1906,
Januar-April Daumet aus dem Pariser Nationalarchiv auch die
Lateinische Übersetzung der Testamente bekannt^ die dem an der
Regelung der Nachfolge zu Ungunsten Sanchos stark beteiligten
französischen Hof übersandt worden ist. — Aus dem gleichen
Heft verzeichnen wir noch E. Bergen Les teures doses äe Saini-
Ömer (131b— 1319, äußere Merkmale) und E. Teilhard de Char-
d\n: Comp t es de poyage d'habitanls de Moniferrand ä Arrus
en 1479 mit ausführlicher Einleitung.
Beredte Zeugnisse für die zagha!te Haltung Papst Clemens* V*
bilden die beiden in die Zeit der Lyoner Tagung fallenden Privi-
legien für Philipp den Schönen vom 23. und 29. Dezember 1306
&74
Notizen und Nachrichten.
(VcHügung über das gesamte Kirchengut zug^unsten des Kmlp
und Kreuzzugsprivüeg), die Karl Wenck in der Zeitschrift für
Kirchenge seh. 27, 2 eiagehend gewürdigt hat.
O. Sommerf eidt handelt in den Mitteilungen des [nsdtuts
L österr. Gesch. 27, 2 über das Itinerar Ludwigs des Bayern inr
Jahre 13H, indem er u* a. neue Belege für dessen Anwesenlidt
vor Brescia aus dem Gedichte ,Les vmujr dt iVpervUr* bei-
bringt.
Unter Heranziehung der bisher unbekannten Aufzeichnungen
aus dem archivalischen Nachlai^ des kaiserlichen Kammernotai^
Bernardus de Mercato widmet V* Samanek der Verfassung^
rechtlichen Stellung Genuas in den Jahren 1311 — J3I3 eine um-
fangreiche Studie^ deren Anfang ebenfalls in den Mitteilungen
des Instituts f. österr. Gesch. 27, 2 erschienen isL Hier wird die
Obernahm e der Regterungsgewalt durch Heinrich Vit, im November
1311 behandelt und der Charakter der V^ertragsurkunde festge-
stellt, sodann gezeigt, wie durch die Maßnahmen des königlichen
Vikars die Durchführung der übernommenen Gewalt in offenbarem
Gegensatz zu dem Vertrag sich vollzogen hat.
Im Histor. Jahrbuch 17,3 gibt Sägmüller kleine Ver-
besserungen zu der oben S. 436 erwähnten Arbeit von A, Huy»-
kens über den Verfall des kirchlichen Lebens im Kapitel von
St, Peter in der ersten Hälfte des 14, Jahrhunderts^ Fr. B He-
rne tzried er bringt ein Schreiben der aufrührerischen Kardinäle
an das Breslauer Domkapitel aus dem Sommer I37S zum Abdruck,
und G. Sommerfei dt fügt seinen in allen möglichen Zeit-
schriften verstreuten Miszellen über kirchenpolitische Traktate dc$
i4. und 15* Jahrhunderts einen neuen Splitter hinzu, indem er dat
Vorwort zu Johann Falken bergs Schrift »De monarchia mundi^
und seine Erwiderung auf eine von Matthäus von Krakau einge-
gebene Klage (aus dem Jahre 1406) veröffentlicht
Ungedruckte Aktenstücke aus der Zeit Karls IV., die zumeist
mit der Person des späterhin während der großen Kirchenspaltung
hervortretenden Kardinals Pietro Corsini in Beziehung stehen,
veröffentlicht H. Otto in den Quellen Ut Forschungen aus itaüe-
nischen Archiven und Bibliotheken 9^ 1»
Proben aus dem im Vatikanischen Archiv bewahrten Brief-
register des Pierre Ameilj 1363 bis 1365 Erzbischof von Neapel, 1365
bis 1379 von Embrun, gibt E, M artin -Chabot in den von der
icoh franfaise de Rame herausgegebenen M^ianges ä'arth/öiogie
et d'histoire 25, 3 u. 4. Das Register umfaßt die Jahre 1363—1369
und igt namentlich für die Geschichte des Dauphin^ und des
Späteres Mittelalter.
675
■
Königreichs Sizilien von Wichtigkeit. — An der gleichen Stelle
teilt Jos, Calmette Gedichte und Grabschriften auf König
Karl VIL von Frankreich mit, die sich in Handschriften aus der
Bibliothek der Königin Christine gefunden haben.
Wie die antipäpatliche Liga, voran Florenz, seit 1375 die von
dem Kardinal Albornoz mit so glücklichem Erfolg betriebene
Wiederherstellung des Kirchenstaates in Frage stellte und tatsäch-
lich rückgängig machte, schildert M. Brosch (Ein Krieg mit dem
Papsttum im 14» Jahrhundert) in der Hist. Vierteljahrschrift 9, 3.
In der Römischen Quartalschrift 19, 4 veröffentlicht P* M.
Baumgarten Miscellanea Cameralia (ergänzende Angaben zu
Eubels Hierarchia aus einem von diesem nicht benutzten Obli-
gationsband Clemens' VIL, Bemerkungen zur Register- und Bullen-
ta^ce sowie zur Vergebung des roten Huts, urkundliche Beiträge
zur Geschichte der Servientes Armeram), — E. G ö 1 1 e r legt
ebenda eine Reihe weiterer Ftindlein aus dem Vatikanischen
Archiv zur Geschichte des 14. Jahrhunderts vor^ die diesmal
unserer Kenntnis von der Kriminal Justiz und dem Gefängniswesen
am Avignonesischen Hofe und von der Einführung der SuppUken-
rcgister zugute kommen (vgl. 93, 355 L; 95, 535).
Fr. Pick bietet in den Mitteilungen des Vereins L Gesch. d,
Deutschen in Böhmen 44, 4 eine Fortsetzung seiner Beiträge zur
Wirtschaftsgeschichte der Stadt Prag im Mittelalter (vgl 97, 202),
Indem er das Gästerecht, seine Entwicklung und Durchführung,
in längeren Ausführungen behandelt.
Mit vielen, vornehmlich aus archivaUschen Quellen südwest-
deutscher Städte geschöpften Beispielen belegt A. Nuglisch in
der Zeitschrift L Sozialwissenschaft 9, 6— S die bedeutende wirt-
ßchaftUche Leistungsfähigkeit der Städte im Mittelalter.
Von erheblichem wirtschaftsgeschichtlichen Interesse ist die
Quellenveröffentlichung des Genfer Privatdozenten 0. Karmin
(La legge dei catasto Floren Unü äet 1427. Firenze^ Seeben 1906*
79 S.)j die vornehmlich aus dem wichtigen, dem Florentiner Staats-
archiv angehörenden Bande: Ordini del catasto 1427 schöpfend
uns mit dem Hauptinhalt des Gesetzes und einigen von seiner
Ausführung handelnden Maßnahmen bekannt macht.
H. Baraude beginnt in der Hevue des questions hisioriques
1906, Juli l mit einer breit angelegten Abhandlung über die Be-
lagerung von Orleans und jeanne d' Arc^ die infolge ihrer gar zu
aphoristischen Darstellungsweise gerade keine angenehme Lektüre
bildet.
676
Notizen und Nachrichten,
Einer erneuten Polemik gegen Kochne (vgl* 96, 357| gül tli;
in TiUes Deutschen Ceschichtsblätlern 7, 9 veröKentJjchte Ab-
handlung von H* Werner, die die Reformation Kaiser Sigmunds
im Zusammenhang mit anderen Schriften bürg^erJicher Reforroc:
betrachtet und auch von dem Glauben an die Autorschaft Valentm
Ebers nicht zu lassen gewillt ist
In den Hansischen Geschichtsbiättern 1906, 1 behandelt
O. Meltzing den langwierigen Prozeß, den der in Briiggt m-
sässtge Florentiner Tommaso Portinari im Jahre 1473 zunächit
gegen Da nz ig, dann gegen die ganze Hanse angestrengt hat
Einen Einblick in den Haushalt einer kleinen mittelalterlicheB
Stadt gestattet cm von G. P^rouse mitgeteiltes Verzeichnis^ üi
dem die Schulden des Gemeinwesens Mäcot (Arrondissement
Moütiers) und die Abgaben mitgeteilt werden, die von den in
1^ Stufen gegliederten Einwohnern im Jahre 1476 2ur Deckung
dieser Summen erhoben wurden {M/moires et docu/nenis^ puU^ p,
ia Soci^tä savaisienne ä*fusl. et d'artkeol. 43, 2)^
Neue Bficher: Kisky, Die Domkapitel der geistlichen Kur-
fürsten in ihrer persönlichen Zusammensetzung im 14. und 15. Jahr-
hundert (Weimar, Böhlaus Nacht 5,40 M,) — Recueil de docu-
menis reiatifs ä l'kisiaire de l'indtistrie ärapiire en Fiandrt. T* L
(BruxttleSf Imbregkfs.) — Hus , Opera omnia. Tom. IL Fase. 2.
Super fV senfenfiarum, ili^iV^ Hrsg. von FlajShans und Komfo*
kovä* (Prag, ViKmek* 10 M*) — Meltzing, Das Bankhaus der
Medici und seine Vorläufer. (Jena, Fischer, 3,50 M.)
Reformatian und Gegenreformation (1500— I64a).
Eine Untersuchung Über den Ursprung der französischen
Nuntiatur beginnt P. R i c h ar d im 80. Band der Revue des quesiiem
hhtoriques (Nr* 159, Juli 1906), indem er die Anfänge einer ständigen
Vertretung der Kurie in Frankreich unter teo X. beleuchtet
Von kleineren Beiträgen zur Luther-Forschung erwähnen
wir zunächst die vernichtende Kritik , der G> Kawerau in den
Deutsch^evangelischen Blättern 31, 7 die in diesem Jahre er*
schienene „Lutherpsychologie* von A. M, Weiß unterzieht Aul
der Gegenseite wird die Kritik, welche Otto Scheel in den beiden
Ergänzungsbänden zur Berliner Volks-Lutherausgabe an den Be-
merkungen Denifles gegen Luthers Schrift über die MÖnchsgeliibde
geübt hat, von N* Paulus im Hist. Jahrbuch 27, 3 und vou
Martin Grabmann In den Historisch -politischen Blättern 138,
1 u. 2 zu entkräften versucht^ wenn beide auch zugeben daB
Reformation
Scheel In einigen Punkten mit Recht Luther gegen Denlfle in
Schutz nimmt. Insonderheit will Paulus den Katholizismus gegen
den Vorwurf eines doppelten Lebensideals und einer Rechtferti-
gung durch den Eintritt in einen Orden verteidigen. O* Albrecht
beschließt im IL Heft des Archivs f. Reformationsgesch, (3, Jahrg., 3)
seine Untersuchungen zur Bibliographie und Textkritik des kleinen
Lutherschen Katechismus (vgl. H. Z. 95, 541), In der Frage der
Lutherlieder beginnt F. Spitta in der Monatsehnlt ft Gottesdienst
u. kiichl. Kunst 1 L 7 u, 8 eine Auseinandersetzung mit seinen drei
oben S. 442 genannten Kritikern, Georg Lösche teilt in der
Zeftschr. f. Kirchengesch. 27, 2 eine Äußerung König Ferdinands L
mit, in welcher dieser selbst seinen angeblichen Brief an Luther
vom Jahre 1537 als Fälschung kennzeichnet Ebenda veröfientlicht
Georg ß erb ig ein Schreiben Johann Friedrichs des Großmütigen
an Luthers Söhne Martin und Paul vom 22, Oktober 1553 mit der
Bitte um einen Bericht über Luthers literarischen Nachlaß,
Auf Grund des von F. Geß herausgegebenen I. Bands der
Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen
handelt Gustav Wolf in den Neuen Jahrbüchern f. das klass«
Altertum 17, 6 ausführlich über die Kirchenpolitik des Herzogs
und beleuchtet namentlich das gan^ allmähliche Fortschreiten auf
der relormationsfeindlichen Bahn.
Eine Reihe von Untersuchungen beschäftigt sich mit der Ge-
schichte der HohenzoUern im 16. Jahrhundert. Paul Kalk off be-
leuchtet in den Quellen und Forschungen 9, l auf Grund reichen, vati-
kanischen Materials die Beziehungen der HohenzoUern zur Kurie
unter dem Einfluß der lutherischen Frage (1518 — 25), indem er
zeigt, wie einerseits die Kurie sich unter dem Druck der lutherischen
Bewegung den Anliegen der HohenzoUern geneigter zeigte,
während anderseits die Fürsten ihre Forderungen unter Hinweis
auf die kirchliche Lage verschärften. Im einzelnen handelt es
sich dabei um die Wünsche Albrechts v, Mainz, um die Angelegen-
heit der Havel berger Bischofs wähl (Eintreten Joachims L für
Hieron. Schulz und für die Anerkennung des kurfürstlichen
Nominationsrechtes an den drei Landesbistümern) und um die
Frage der Versorgung der jüngeren fränkischen Markgrafen durch
kirchliche Pfründen. — Im 53. Jahresbericht des Hist, Vereins L
MitteUranken veröffentlicht Schornbaum einige MitteUungen zur
Geschichte Georgs von Ansbach, namentlich zur zweiten Kirchen-
visitation 1536. Martin Haß macht in den Forschungen zur ßran-
denburgischen und Preußischen Geschichte 19, 1 einige kritische
Bemerkungen über die handschriftUche OberUeferung und das
678
Notizen und Nachrichten,
Alter der drei Redaktionen der Hofordnung Joachims IL so^
über die Verwaltung der Amts- und Kammeraachen ufitr
Joachim IL und Johann Georg. C v. Barde leben ichließM
spricht im 36. bis 37. Jahresbericht des Hist Vereins zu Brandenburg
a. d, H, über das Kriegswesen der Ait- und Neustadt Branden*
bürg zur 2eit des Kurfürsten Johann Georg (der danach ^
militärische Bereitschaft dea Staates nach der vorausgegangene
Friedenszeit wieder zu erhöhen suchte).
Das Schreiben des Kurfürsten Friedrich von Sachsen an
Hans von der Pknitz vom 26. November 1522, das in dessen Be*
richten aus dem Reichsregiment in Nürnberg" S* 257 Anm* 2 its
verloren bezeichnet ist^ wurde wieder aufgefunden und von
H, Virck in der Zeitschr. L Kirchengesch, 27^ 2 verÖHcntlichl
Ober eine unveröffentlicht gebliebene Schrift ßtigenhagen»
handelt Kawerau in den Theolog* Studien u. Kritiken 1906,4.
nämlich über einen Kommentar zum ganzen I, Korinlherbriei,
wovon K^ einige Vorarbeiten auf der Bresiauer Univertitlts-
bibliothek fand.
Ludwig Cardauns druckt in den Quellen u, Forschungen 9,1
einen Programmentwurf des Jahres 1540 zur WiederhersteUuag
der kirc buchen Einheit, der aus dem Kreis Georg Witzeis und
seiner Mittelpartei herrührt.
In der Altpreuflischen Monatsschrift 43, 1—2 teilt A. Seraphin
ein Pasquill au! Andreas Oslander aus dem Frühjahr 1551 mlll
es stammt wahrscheinlich aus dem Mörünschen Kreis.
Die landesherrlichen Verwaltungsbehörden im Bistum Osna-
brück vom Regierungsantritt Johanns IV, von Hoya bis zum Tod
Franz Wilhelms (1553—1661) erfahren in Bd, 30 der Mitteilungen
des Vereins f, Gesch, u. Landesk. v. Osnabrück durch Heinrich
Rehker eine ausführliche^ auf archivaüsche Studien gegründete
Darstellung.
Der Versuch einer Einführung der Reformation in Trier ISS^
wird von Julius Ney in den Schriften des Vereins f. Refor-
matio nsg es eh. Nr, 88— 89 (t8.Jg., 3— 4; Halle, Rud. Haupt 1906* lll
u*]I4S, 1,80 M.) sehr ausführlich geschildert« Er knüpft sich
namentlich an das Auftreten Olevlans und schien^ nachdem ein
Einschreiten des Kurfürsten im September glücklich abgewehrt
war, gute Aussicht auf Erfolg zu bieten. Der Rückschlag soll in
einem späteren Heft geschildert werden.
Die neue englische Knojt-Literatur, die namentlich bei Ge-
legenheit der Zentenarleier erschien^ wird von R, S. Rait in der
Reformation
Quarte Hy Review Nr* 408 (Juli 1906) nach ihrem Wert und ihren
Ergebnissen für die Geschichte der schottischen Reformation be-
sprochen; das Buch von Andrew Lang, Jahn Knox and the Re-
form a Hon (1905) wird als der wichtigste Ertrag der Zentenar-
literatur bezeichnet Die deutsche Arbeit Mulots (vgl H, Z. 95, 362)
ist dem Verfasser unbekannt.
Über die geheime Sendung, in welcher Canislus 1565 von
Pius IV, an die deutschen Bischöfe und einige weltlichen Stände
zur Überbringung der beglaubigten Drucke der Trienter Beschlüsse
und in Sachen des bevorstehenden Reichstags geschickt wurde,
macht Otto Braunsberger in den Stimmen aus Maria-Laach
nähere Mitteilungen; die beiden ersten Aufsätze (Jahrg. 1906, 6
u> 7) betreffen die Ausrichtung des Canisius in DilLingenj Würz-
burg, Mainz, Aschaffenburg, Koblenz, Hinwegen und bei den west^
fälischen Bischöfen. Auf S. 64 lesen wn^ daÖ das Reservatum
tcciesiastUum die Protestanten hinderte, „durch List oder Gewalt*
manche Bischofsstühle zu gewinnen; ist es denn wirklich unmög-
lich, über tatsächliche Erscheinungen objektiv zu urteilen? S. 58
Anm. 2 findet sich ein falsches Zitat aus Le Breis Magazin, R, M.
Über den vielgewandten und als Erbauer der wichtigsten
sächsischen und brandenburgischen Festungen berühmt gewordenen
Grafen Rochus zu Linar bringt das Buch von Richard Korn,
Kriegsbaumeister Graf Rochus zu Linar^ sein Leben und Wirken.
Dresden ^^ o.J. [1905] sehr erwünschte, reichliche Mitteilungen,
namentUch aus dem Dresdener und Berliner Archiv, die unsere
Kenntnis nach verschiedenen Richtungen hin erweitern. Die Auf-
schlüsse, die wir über Linars Tätigkeit im Festungsbau erhalten,
machen die flelssige Arbeit zu einem beachtenswerten Beitrag zur
Geschichte der Befestigungstechnik in Deutschland; auch das
Charakterbild Linars hat der Verfasser, dank — müssen wir sagen
— der vielfachen Anfeindungen, denen der „welsche Einaug** all-
zeit ausgesetzt gewesen ist, durch manchen neuen Zug zu be-
reichern vermocht. Leider ist das Material in wenig geschickter
Weise verarbeitet und eine gleichmäßig ausgeführte Lebens-
beschreibung stellt das Buch, wie weit es auch über die bisher
vorhandenen biographischen Skizzen hinausgeht, nicht dar; die
früheren Perioden in dem Leben dieses internationalen Menschen
sind allzu summarisch behandelt und die abfällige Beurteilung
Linars als Architekt hätte wohl eine eingehendere Begründung
erfordert* M, //,
Einige Briefe Olevians vom Jahre 1586 teilt Knodt in den
Theo log. Studien u. Kritiken 1906, 4 mit ; sie betreffen seinen un-
680
Notizen und NachnchtenH.
glücklichen Fall zu Kerborn und die Einführung des reformierffs
Abendmahlritus in Nassau a. L.
Zur Gegenreformation im Sal^kammerg^ut verö0eistMcbt
Georg Lösche im IL Heft des Archivs L Refaifnjitionsgcsck
(a Jahrg-j 3) einige Akten von 15^, die zur Vorgeschichte ^"
groBen Aufstands der Saizarbelter und Bauern 1601 02 gfb
— Der Versuch, die Gegenreformation im ünterengadin and
Prätigau znt Durchführung xu bringen, den Erzherzog LeopoW
1621 machte, und der mit dem Aufstand vom April 1622 ein End
nahm, wird von A, Ludwig im 35. Jahresbericht der HisloHicii-^
antiquar. Geselischaft von Graubünden S. 95 — 146 anschaulich
geschildert.
Zur Ergänzung seiner Schrift über die Bekehrung der Ober-
plalz beantwortet M. Hög] in den Historisch-politischen Blatte
138, 2 die Frage^ warum Maximilian^ der schon 162] das Ltnd '
besetzte, erst 1525 mit der katholischen Restauration begann, da-
hin, daß dabei Rücksicht auf Kursachsen, das sich mehrmab der
Oberpfälzer annahm, maßgebend gewesen sei.
Die ephemere Tätigkeit der Jesuiten in Goslar 1630 — $2 und
ihr Plan, die Stadt zu einem Mittelpunkt katholischer Wissen-
schalt zu machen, wird von H, Kloppenburg in der Zeitschr«
des Harz-Vereins Z% 1 besprochen.
Ein Gedicht auf den Oberfalt bei Tuttlingen 1643, das Ado
Schmidt in den Württembergischen Vierteljahrsheften N, F- 15^2
mitteilt, rührt von Moscheroschs Freund Melchior Erhard (ge
Melander) her.
Neue Bücher: Holderness, The story af pralestaniisn
(London, CasseL 6 sh.) — Lindsay, Ä histary af ihe re/ormi
tian. Voi. L (Edinburgh, Ctark. 12 sk.) — H e g I e r , Beitri
zur Geschichte der Mystik in der Reformationszeit* Hrsg, vc
Köhler, (Berlin, Schwetschke & Sohn* tO M.) — Briefe an Deil
derius Erasmus von Rotterdam. Hrsg. von Enthoven* (Stra
bürg, Heitz. 10 M,) — Nonclatures de France. Nonciaturrs
CUment VI!, pubL p. Frmkin. Tome / (1325— 1527). (Paris, Pküt
et fils. W fr.) — Marlin , Gustave Wasa ei la r/forme en Sm
(Paris, Fontemoing* 10 fr.) — Corpus Reform atorum^ V^i:
Zwingiis Werke, L u, 2. Lfg, (Berlin, Schwetschke ^ Sohn, 6 M.)
— Bossen, Calvin, (Paris, Hachetie £ Cie. 2 fn) — Picard,
Theodore de Beze. (CahorSf Coueslantj — Gassier^ Les cinq
Cents immortels. Hisloire de l'acad/mie franfalse (t634- — 1906),
(Paris, Jouve, 7,50 fr,) — imtert, La vita fiorentina ne$ seicsnio
secondo memcrie slncrone, 1644 — 1670* (Firenze, Bemborad. 5 fnf
1648—1789,
mi
1648—1789,
In den Forschungen zur brandenburgmchen und preußischen
Geschichte 1% I schildert Hötzsch den Fürsten Johann Moritz
von Nassau-Siegen als brandenburgischen Staatsmann (1647 bis
1679). Charakteristisch Ist, daß alles Entscheidende schließlich
stets der Kurfürst selbst tun muß^ der Statthalter wiederholt
gegenüber den starken Ansprüchen des Kurfürsten gleich Croy
in Ostpreußen ein gutes Wort für das Land einlegt, so in Steuer-
fragen einmal — ob nur aus taktischen Interessen? — der adligen
Freiheit gegenüber den Städten die Stange hält, und endlich seit
1666 in wachsendem Maße durch den General Spaen In den Hinter-
grund gedrängt wird*
Eine Anzahl sachlich nicht allzu erheblicherj eigenhändiger,
aber aus diesem Grunde beachtenswerter Briefe des Großen Kur-
fürsten an den Fürsten Johann Moritz von Nassau aus den Jahren
1651—1679, die schon Hötzsch mitbenutzt hat, sowie Korrespon-
denzen zwischen dem Kurfürsten und seiner holländischen Schwie-
germutter über die preußisch-englische Allianz und das gleich-
zeitig vergeblich geplante engUsch-oranische Heiratsprojekt ver-
öffentlicht ebendort Meinardus.
Prinz Eugen. Von Karl Ritter v. Landmann. München,
Kirchheimsche Verlagsbuchh. 1905* 100 S. Der zweite Titeh Die
Begründung der Groß macht Stellung Österreich- Ungarns Ist wohl
nur gewählt worden, um die äußere Zugehörigkeit des Buches zu
dem monographischen Sammelwerke: Weltgeschichte in Charakter-
bildern (Hrsg* von Kampers, Merkle, Spahn) zu rechtfertigen- Er
ist nicht sehr glücklich* Die österreichisch-ungarische Großmacht
war doch schon eine Schöpfung des 16. Jahrhunderts gewesen.
Der Versuch, das Thema von dem höheren Standpunkte euro-
päischer Gesamtgeschichte zu erlassen, ist nicht allzuhäufig und
dann zumeist in unzulänglicher Welse gemacht worden. Im wesent-
lichen beschränkt sich Verfasser auf die Aneinanderreihung der
bekannten kriegerischen Ereignisse. Ob die Gründung des Augs-
burger Bundes Ludwig XIV. allen Ernstes mißtrauisch gemacht hat^
könnte bestritten werden, Max Emanuel auf Kosten Wilhelms llf-
als Eroberer von Namur zu bezeichnen (S. 19)^ läßt sich durch
nichts rechtfertigen. S. 47, Z Spalte, 10 Z. v. o, lies Mundeisheim.
— Auch dieses Buch ist, wie alle der Sammlung, vorzüglich aus-
gestattet worden. Preuß,
Graf Haussonville setzt in der Revue des deux mondes vom
l. Juli 1906 seine Studien über die Bf^e^2ogin von Burgund und
Hütori«che Zeitfchnlt (97. Bd.) 3. Folge K B(L 44
682
Notizen und Nachrichten.
die savoyardische AlUanz" mit einer Schilderung der Tätigte
des Herzogs von Burgund im KgK Geheimen Rat, insbesondt
im conseit ä'en hauty fort* Der Herzog nimmt, seitdem er Throft-
(olger geworden war, lebhaft und unvorein^enornmen teil an den
schwebenden Fragen und ist z. B. aus Nattonalstok 1709 iind
1710 Im Innern gegen die starke Fnedensströmung in Frankmcb
gewesen.
Stieda schildert in den Forschungen zur Geschichte Bayctr.s
14^ I die Anfänge der keramischen Industrie in Bayern, nachdesi
die Grund aog der Meißener Fabrik 1710 den aJIgemeinen Wett-
bewerb hervorgerufen hatte. Es handelt sich bis in die iveiu
Hälfte des 18. Jahrhunderts im wesentlichen um einen GroßbelrieK
der der Kosten wegen zumeist von Fürsten unterhalten werden
mußte und zahlreiche Mißerfolge insbesondere wegen mangelhifter
Absatzpolitik im Gefolge hatte,
Rosenlehner schildert im ersten TeiJ seines Aufsatie*
über pMiinchen und Wien** 1725 und 1726 in den Forschungen lui
Geschichte Bayerns \% I, wie der Münchener Hof von den di-
mallgen sich entgegenstehenden Koalitionen: Österreich-Spanien
und Frankreich-Engiand-PreuÖen zum Beitritt umworben wurde
und sich schUeßlich für die kaiserliche Partei entschied, nicht
ohne daß der phantastische Max Emanuel den Gedanken faüt, die
S jährige Maria Theresia für einen noch gar nicht geborenen
bayerischen Prinzen zu gewinnen.
Den im wesentlichen bereits von Johannes Falke benutTlen
Briefwechsel zwischen dem Kronprinzen Friedrich von F^euflen
und dem Fürsten Joseph Wenzel von Liechtenstein insbesondere
aus den Jahren 1734—1737 macht Hans Droysen In den For-
schungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte i% I
bekannt. Die 1734 begründeten persÖnUchen Beziehungen des
Fürsten Liechtenstein suchte man in Wien politisch zu verwerten*
daher denn auch nach dem Hubertusburger Frieden der lange
unterbrochene Briefwechsel von Liechtensteins Seite, aber ohne
wieder lebhaft zu werden, neuerdings angeknüpft wurde.
Zwei Weisungen Friedrichs des Großen aus dem kritischen
Jahre 174^ publiziert J. Strieder in den Forschungen zur brande»-
burgischen und preußischen Geschichte 19, 1 als Ergänzung lur
Politischen Korrespondenz. Der Verfasser meldet eine Arbeit an,
die im Gegensatz zu Beer u. a. unter Rückkehr zu Arneth zeigen
soll, daß die österreichische Politik von 1749 — 1755 keineswegs
nur platonisch den Gedanken einer Wiedereroberung Schlesiens
erwogen hatte.
1648—1789.
683
In den Preußischen Jahrbüchern 125, l will Frensdorff,
Friedrichs des Großen Schrift über die deutsche Literatur und die
deutsche Rechts- und GeschichtswlssenschaEtf die Aufmerksamkeit
auf eine bisher vernachlässigte Seite lenken^ indem er aus dem
[nhalt der Broschüre die auf den önterricht in der Geschichte
sowie auf die Jurisprudenz bezüglichen Stellen herausholt und
erläutert.
Das Journal einer französischen Gesandtschalt nach Marokko
und den Text eines daraufhin abgeschlossenen französisch-marok-
kanischen Vertrages von 1767 veröffentlicht Baudry in der Revue
des quesUons hisionques vom l. Juli 1906,
F* Gh, Roux beendet in der Revue hisiorique 91| 2 (Juli
J906) seine Studie über „Die französische Politik in Ägypten am
Ende des 18. Jahrhunderts** (vgl* 97, 450). Hauptsache war stets
der Weg nach Indien als dem Wunderlande des Handels und
Reichtums. Als eines unter mehreren Mitteln gilt die französische
Einwurzelung in dieser oder jener Form in Ägypten als Etappe
nach Indien. Seit 1783 — 87 verfolgt man den Plan^ die ent-
sprechenden Verhandlungen statt in Konstantinopel wieder direkt
in Kairo zu führen. Der Verfasser findet es richtig, daß die alt-
französische Politik nicht auf die alsbaldige Auflösung der Türkei
spekuliert und dadurch den Franzosen eine Zukunft in Ägypten
offen gehalten habe.
Neue Bficher: Andr/, Michil ie Tellier et l'organisaüan de
Varm^e monarchique. (Paris, Ale an. 14 fr.) — v, Schlippen-
bach, Zur Geschichte der hohenzollerischen Souveränität in
Preußen. Diplomatischer Briefwechsel des Königs Karl Gustav
von Schweden und des Gesandten Grafen Chr. K. v. Schlippen-
bach aus den Kriegsjahren 1654 — 1657. (Berlin, Fleischel & Co.
12 M.) — H. G. Schmidt, Die Konvention von Altranstedt vom
22. August 1707, (Leipzig, Strauch, 1,20 M.) — Skrine^ Fön-
ten oy and Greai Briiain's share in the war of the Anstrian sac-
cession (1 715 — / 748). (L an don , Bla ck w ao rf. 21 shj — Gundlach^
Friedrich Wilhelm L und die Bestellung der städtischen Beamtem
(Jena, Gostenoble. 2,50 M,) — Politische Korrespondenz Friedrichs
des Großen. 31. Bd. (Berlin, Duncker. 24 M.) — Briefwechsel
zwischen der Kaiserin Katharina 11. von Rußland und Joh. Georg
Zimmermann. Hrsg. von Bodemann. (Hannover, Hahn, 4 M,) —
V, der Goltz, Von RoGbach bis Jena und Auerstedt. 2., neubearb.
Aufl. von ^Roßbach und Jena". (Berlin, Mittler £ Sohn. 10 M.) —
Heussif Johann Lorenz Mosheim. Ein Beitrag zur Kirchenge-
schichte des fS. Jahrhunderts. (Tübingen, Mohr. 5 M.) — Franz,
44*
tM
Notizen und Nachrichten.
Die Kolonisation des Mississippitales bis Eum Ausgang der Itm-
2ösiachen Herrschalt. (Leipzigs Wigand, 10 M.) — De R Ocke-
rn 0 nie ix ^ Les Jesuit fs et ta Mouvetie- Francs au XVill* sOäL
(Paris, Ricard et fits. i2 frj — Ageorges, Le dergä rural sim
i'ancien regime. (Paris^ Bloud <£ Cie^)
Neuere Geschiclife seit I7S9.
Im Mal-Heft der Revolution Franpaise setzt Aulard seinen
Angriff auf Taine fort, indem er sich — zum Teif mit höchst un-
gerechten und seitsamen Einwänden — gegen dessen la Re\*otM*
tion t (f Anarchie) vfGnötL—Buily beendigt seine Arbeit über
Mokilin^ dessen Integrität er betont, dessen MittelmMßigkelt er aber
nicht hin wegzuleugnen vermag. Im Juni -Heft veröffentlicht L
Cahen einen lesenswerten Aufsatz über das Verhältnis Condor-
cets zur ^Gesellschaft der Negerfreunde*. Er findet darin seinen,
auch in seinem bekannten Werke ausgesprochenen^ übrigens in
dieser Form durchaus anfechtbaren Satz bestätigt, daß Condorcet
zwar in seinen Zielen radikal, aber in seinen Mitteln vorsichtig
und auf die Wahrung erworbener Rechte und fnteressen bedacht
gewesen sei. — Die statistikfrohe Zeitschrift bringt dann weiterhin
eine ausfiihrhche Arbeit Dejeans über eine vor 100 Jahren unter
Beugnot begonnene Statistik des Departements Seine-fnf^rieure,
Diese wird im Juli* Heft zu Ende geführt. Beugnot behauptet
in allgemeinen Wendungen immer wieder eine hohe Bfüte seines
Bezirks. Allein, manche Einzelheit^ die er mitteilt, redet eine
andere Sprache: die Bevölkerungszahl um 1806 hat die von 178^
noch lange nicht wieder erreicht: die Bodenpreise sind um ein
Fünftel niedriger als damals. Die Steuereintreibung gelingt zwar
besser als In den nächsten vier bis fünf Jahrzehnten^ Aber lag
das nicht vielleicht mehr an der Härte der napoleonischen Re-
gierung, als an der Blüte des Departements?
Die frei maurerische Verschwörung des Jahres 1 789 wird auch
durch einen zweiten Artikel G, Bords im Correspandani vom
10. Juni nicht erwiesen (vgl. Hist. Zeltschr* 97, 453)» — Auch ein
Artikel der Edinburgh Review (Juli 1906) über IKuminism and tk£
french revoiution hält in der Aufdeckung des Treibens der ge-
hetmen Gesellschaften und ihrer Bedeutung für den Ausbruch der
Revolution die Grenzen methodischer Kritik nicht ein.
Der Eindruck f daß das genaue Studium des Lebens so
manchen Revolutionärs wenig Interessantes bietet, wird bestärkt
durch die Fortsetzung der Arbeit Guyots u. Thdnards übef
Neuere Geschichte.
Goujon in der Rev, MisL Juli< August 1%6 (vgl, Hist* Zettschr.
^7, 453),
Zu welchen abscheutichen Ausschreitungen verschiedener Art
der Kult der Vernunft während der Schreckensherrschaft ftahrtep
zeigt A. Bonnefons in der Rev, des QuesL hisL v> 1. Juli 1906.
Paul Gautier ergänzt die Anfänge seines Werkes über
Frau V- Stael durch einen Aufsatz m der Rev. des deux mondes
vom 15, Juni 1906, betitelt U premier exil de Mme^ de StaiL— Die
Gedanken der Frau v. Stael über Revolution und Republik be-
handelt ein Aufsatz W e b e r - L u t k o w s in der Beilage zur AUg.
Zeitung Nr. 161,
W. Bröcking kommt im Anschluß an Aulard zu dem un^
zweifelhaft richtigen Ergebnis, daß am L9. Brumaire kein einziger
Dolch gegen Napoleon gezückt wurde, und daß der Grenadier
Thom^ erst nachträglich erfuhr, er habe den General gerettet.
Der Verlasser hatte aber auch Vandals Meisterwerk hinzuziehen
sollen j aus dem (S- 380) hervorgeht, daß nicht Luden, sondern
Napoleon das Attentat erfunden hat. (Bonaparte und die Dolche der
600. BeiK zur Allg, Ztg. 159.)
Die Angriffe auf Taine mehren sichl Madelin wendet
sich gegen seine berühmte Auffassung Napoleons, welche aber
trot^ allem eine großartige Konzeption bleibt Madelin unter-
schätzt die kriegerischen Neigungen des Kaisers; überdies ist er
zu sehr geneigt, Übereinstimmung der Auffassung bei den Histo-
rikern (Chuquet, Masson, Sorel^ Houssaye, Aulard, Vandal) anzu-
nehmen. (Napoi/pn NouveaUf le Correspondanif 10, Juni 1906),
Die /?#v, des deux mondeSj 15, Juli u, 1. Aug,, veröffentlicht
zahlreiche Briefe B. Consta nts an Prosper Barante^ die sich bis
in das Jahr f8f4 erstrecken (nur einer ist wenige Wochen vor
C.s Tod, am 18. Oktober 1830 geschrieben). Sie sind von nicht
geringem fnteresse für die Erkenntnis des Verfassers, S* z. B.
das Urteil (2, Juli 1809), daß die Geschichte der Vend^e „der
einzige ehrenvolle Teil der letzten 20 Jahre** sei.
Die zerfahrenen Verhältnisse bei den Verbündeten und die
Zweideutigkeit Bernadottes werden hübsch illustriert durch einen
Aufsatz V, Jansons (Herzog Karl August von Sachsen-Weimar
und der Kronprinz von Schweden während des Feldzugs von 1814
in den Niederlanden. D. Rundschau, Juli 1906). Für Karl August
ergibt sich dagegen wenig Erhebliches.
Die Vorgeschichte der Befreiung Hollands hellt P, J, Blök
durch interessante Mitteilungen über die diplomatische Tätigkeit
des Prinzen Wilhelm von Oranien auf, dessen staatsmännische
m
686 Notizen und NachrtühteiL
Persönlichkeit er sehr hoch einschätzt (Willem i en de tifbim-
ding der bevrijding van Nederland in ISIS. Verslagen en midi'
deellngeft der niederländ. Akademie. Abt. Lelierkünd^f 4^ reeks,
deel ViiL)
G. St eng er führt seine Hist, Ztschr. 97, 455 erwähnte Artieit
über »Die Bourbonen im Jahre 1815* zu Ende {La nouvrlie Kivm,
15. Juni 1906).
Über das Disziplinarverfahren gegen den bekannten Dichter
und Kammergerichtsrat E. T. A. Hoff mann kurz vor seinem Tode
(f 1822) berichtet des Dichters Biograph G. E Hinter auf Grund
der Akten des Geh, Staatsarchivs Berlin: ein neuer lehrreicher
Beitrag zur Ära der Kamptzschen Demagogen Verfolgungen in
Preußen.
In der Revue historigae (91, 2, Juli- August 1906) veröffentlicht
Gr^goire Yakschitch (ia Rttssie ei la Porte Oitamane de Uli
ä 1826, i) über die Verhandlungen des russischen Gesandten in
Konstantinopel (Graf Stroganow) mit der Pforte zwei Aktenstücke
nach Abschriften, die sich aus dem 1830 geplünderten Palast des
Großfürsten Konstantin ru Warschau in die Polnische Bibliothek
in Paris gerettet haben.
Nicht ohne historisches und zugleich aktuelles Interesse ist
die 1837 niedergeschriebene, in der Erfassung der entscheidenden
Fragen scharfsinnige, in ihren Vorschlägen vielfach höchst doktri-
näre Denkschrift des 1865 verstorbenen Legationsrats Heinrich
Kupfer „über die Germanisierung des Großherzo^tuins Posen»
die dahin führenden Mittel und die daraus für die äußeren sowohl
alt die inneren Verhähnjsse der preußischen Monarchie hert^or-
gehende (sicI) Folgen* (mit erläuternden Bemerkungen aus den
Akten des Berliner Archivs publiziert von M. Laubert in Forsch,
z. brand.>preuß. Gesch. 19, 1), vgl Treitschke 4, 562^
Die Entstehung der „oktroyierten preußischen Verfassung*
(vom 5» Dezember 1848) erörtert Paut Goldschmidt auf Grund
des zurzeit vorliegenden gedruckten Materials, ohne im einzelnen
»eine Ansichten zu belegen (Preuß. Jahrb* August 1906). Nalür-
!ich berührt er auch den von Meinecke letzthin (H, Z, 97, 127 t\
kräftig betonten Punkt des Zusammenhangs dieser Verfassungs-
oktroyierung mit der Stellung Preußens zur deutschen Frage am
Ausgange des Jahres 1848, unterläßt es aber, sich mit diesem
wichtigen Problem genügend auseinanderzusetzen. Immerhin
reicht die Idee der Oktroyierung an sich weiter zurück und scheint
in ihrem Ursprung nicht durch das bewußte Streben nach der
Selbstbehauptung des preußischen Staates gegenüber den deutsch-
Neuere Geschichte.
6S?
unitarischen Plänen der Frankfurter Versammlung veranlaßt zu
sein. Daß aber die von hier aus durch verschiedene Missionen
in Berlin gemachten Versuche den endlichen Entschluß zu schneller
Oktroyierung und die Zustimmung des Königs zur Rette gebracht
habeUj wird um so glaubhafter, da, wie auch Goldschmidts Aus-
führungen zeigen, gerade in der Gestaltung der inneren politischen
und parlamentarischen Lage Preußens Anfang Dezember 1848 ein
dringender Anlaß dazu nicht vorhanden war. Jacob.
Die Mitteilungen, welche G/K e n t e n t c h (Neue Heidelberger
Jahrbücher 14. 2) „aus den nachgelassenen Papieren eines ver-
gessenen Frankfurter Parlamentariers" macht, entstammen dem
Nachlaß des 1881 verstorbenen Trierer Stadtsyndikus und Admini'
strators des gräfL Kesselstadtschen Majorats Friedrich-Zeil ^ der
als Mitglied des Linken Zentrums den Wahlkreis Wittlich-Bern-
kastei in der Paulskirche vertrat - und behandeln vornehmlich
dessen Bemühungen 1849 als Kommissar der Nationalversamm-
lung um die Herstellung des Friedens in Baden und seine Berichte
über die Revolution.
Auszüge aus den pröcis-virbaux du Goavernemeni provisoire
et de la commisslon du pouvoir ex^cutif de 1848 veröffentlicht
Seignobos in Revue ä'hist, mod, et coniemp, 1906, Mai (7, 8),
Ernst V, Lasaulx (1805 — 61), ein Lebensbild^ dargestellt von
Remigius Stölzls Münster L W., AschendorfL 1904, 302 S, —
Lasaulx gehört zu den Führern jenes romantischen Katholizismus
um die Mitte des 19. Jahrhunderts, der auch in seiner ultramon-
tanen Phase immer noch die mannigfachen Elemente einer Freieren
Bildung erkennen läßt, von denen er sich ursprünglich genährt
hatte. Gewisse, nicht ganz streng kirchliche Gedanken sind selbst
noch in den letzten Lebensjahren des merkwürdigen Mannes nach-
zuweisen^ der als akademischer Lehrer in Würzburg und München^
als Philologe und Philosoph, als großdeutscher Politiker in der
Frankfurter Nationalversammlung und der bayerischen Kammer
gewirkt hat^ überall Charakter, Idealismus und Freimut^ aber auch
eine heißblütige und zuweilen polternde Leidenschaftlichkeit ge-
zeigt hat, der auf seine Zeitgenossen und Schüler w^ohl starken
Eindruck machen konnte, aber der Kritik der Nachwelt doch mehr
Blößen bietet, als sein für ihn begeisterter Biograph Wort haben
will. Denn bei aller Beweglichkeit der Phantasie und allem bunten
Reichtum von Ideen fehlt es ihm an geistiger Selbstdisziplin und
wohl auch an wahrer OriginaUtät, Immerhin aber wird es wegen
seiner Stellung in der katholischen Bewegung des 19. Jahrhunderts
eine lohnende Aufgabe sein, seine Geschichts- und Religlons-
AUl
philo Sophie, wie der Verfasser plant, noch einmal besonders dix-
zusteLlen. Hoffentlich wird er dabei etwas tiefer g^reilen wit k
dieser Biographie, die zwar großen SammeffleiB, aber wenig bio-
graphische Kunst zeigt und durch ihre äußerliche registratofcih
hafte Dispogition den Stoff verzettelt M.
Im Jufiheft der Preußischen Jahrbücher gibt E, Da nie b
unter dem Titel „Miiitärische Erinnerungen eines Deutsch^Ungam*
Auszüge aus den Memoiren des 1904 verstorbenen lt. u, k, FeW-
zeugmeisters Anton Freiherrn v. Mollinary (46 Jahre im osterreiefa*
ungarischen Heere, 1833—1879); Daniels eigene Zutaten b^
schränken sich auf gelegentliche Bemerkungen und verbindecide
Zusätze.
Die schon erwähnten (s. H* Z, 97, S, 224 u- 4W) Veröffenh
lichiingen aus dem Kriegstagebuche des Majors (späleren Genenl-
leutnants) v. Einsiedet werden im Augusthefl von Nord und Sud
fortgesetzt («Vor Paris" II).
Auch in den beiden letzten Monatsheften der ^^Deutscben
Revue* finden sich zahlreiche, zam Teil sehr bedeutsame Beiträgt
zur Geschichte des 19, Jahrhunderts* Wir heben daraus folgende
besonders hervor: L Die Fortsetzung der Mitteilungen von Fr*
Curtius „Aus den Denkwürdigkelten des Fürsten Chlodwig
Hohenlohe-Schillingsfürst« (vgl diesen Band S. 224 u. 457):
aus den Zeiten der Pariser Botschaft 1874 <u. a, vom Besud
König Ludwig K von Bayern), 1876, 1877, und vom Berliner Kon-
greß 1878, mit einer Fülle von beachtenswerten Details (Juli- und
Augustheft)* —■ 2, Die Mitteilungen aus den Tagebüchern des
österreichischen Staatsmannes K. Fr. Frhr, v. K ü b e c k aus den
Jahren 1830/31, mit charakteristischen Zügen für die Mettemich-
sche Ära (Juli- u. Augusthefl), — 3. Die Fortführung der von
H. Oncken gegebenen Auszüge „aus den Briefen Rudoll
V. Bennlgsens (vgl. diesen Band S, 225)^ Briefe von und in
V» Böhmert 186466; von Schulze-Delitzsch, Rochau und RoggCB-
bach 1366, die für die Entwicklung der Führer des LiberaUsmuf
in ihrer Stellung zu Bismarck, ihre Annäherungsversuche im Früh-
jahr 1366 und das Mißtrauen Benntgsens überaus instruktiv sind;
auch sei auf die lehrreichen Ausführungen des Herausgebers aus-
drücklich aufmerksam gemacht (Augustheft).
In ^Nord und Süd", Heft 349/50 behandelt Ernst Salier
ff Bismarck s Anschauungen über Bündnisse* — eine fleißige und
verständige Zusammenstellung des Materials,
Aus der Fortsetzung von Emile Olliviers, des bekannten
Staatsmannes in den Tagen Napoleons II L^ großem Werke ff Em-
Neuere Geschichte*
pin Hb^ral) bringen französische Zeltschriften größere Abschnitte,
so : /f Corresponäant 7H^ b u, 7 (ia r^organtsation miUtaire apris
1866) und namentlich die Revue des deux mondes: VaffaireBaudln
(15. Mai), les itectians de [869 (L Juni) — über diese beiden Ab-
schnitte Inhaltsangabe in der Revue d'hisi. med, et cantemp, 1906
Juni-HeJt — und la rävoluHon d^Espagne (15, Juni). Sie sind alle
ebenso sehr eingehender Beachtung wert wie sorgfältigster Kritik
bedürftig-
Zur Vorgeschichte des Krieges von 1870 sind neuerdings
verschiedene Veröffentlichungen von französischer und päpst-
licher Seite in den Zeitungen erfolgt, durch die trotr ihrer apologe-
titchen Tendenz doch mancherlei neues Licht auf die französisch-
österreichisch-italienischen Verhandlungen fällt: u. a. ein Brief
des Herzogs von Grammont an Beust vom 17. JuU I870j ein Artikel
von E, Ollivier im Gaulois — vgl die vorstehende Notiz über seine
Aulsätzef eine Note des Össervatare Romano vom 31. Juli 1906
und ein Artikel von Graf Fleury (Sohn des ehemaligen Botschafters
in St. Petersburg): s. Frankfurter Zeitung 1906, Nr, 211, 212, 217,
219 vom 2m 3*, 8. u, 10. August.
Neue Bücher, Cestre, La r/vclaiian franfaise et les poätes
anglais (1789— 1809). (Paris, Nachette S Cie, 7,50 fr.)- Clergei,
Tableaux des armefes franpaises pendant les gaerres de la r^wtu-
tion, (Paris, ChapeloL) — Lemml, Le origini del risorgimento
italiano (1789— 18 f 5). (Milano, MoeptL 6,50 fr.) — Fournier,
Napoleon I. 3« (Schluß-) Bd. 2., umgearb. Aufl. (Wien, Tempsky.
Leipzig, Freytag* 6 M,) — Kirch eisen, Die Königin Luise in
der Geschichte und Literatur, (Jena, Schmidt. 2,50 M,) — K. E.
Müller, Wie kam es zur Kapitulation von Prenzlau am 28. Ok-
tober 1806? (Prenzlau, Mleck. 1^50 M.)^ Meinecke^ Das Zeit-
alter der deutschen Erhebung 1795 — 1815. (Bielefeld, Velhagen
£ Klaslng, 4 M,) — ^Lasset re^ Les cent jours en Vendie. (Paris,
Plon-Nourrit <£ Co. 3,50 fr.) — Bianca , La rivolaziane siciliana
äel 1820. (Firenze^ Seeber.) — Latimer, France in the nine-
teenih Century, 1830—1890, (London, Hutchinson, 12,6 sh,) —
Schurz, Lebenserinnerungen. Bis zum Jahre 1852. (Berlin,
Reimer. 7 M.) — Gaulot, L^expäditian du Mexlque (1861—1867).
r. /. (Paris, Ollendorff) — Fleischer, Geschichte der k. k.
Kriegsmarine während des Krieges im Jahre 1866. (Wien, Gerold
& Co, MM.) — Friedjung, Julius Freiherr v. Horst, öster-
reichischer Minister für Landesverteidigung 1871—1880* (Wien,
Konegen* 1 M.)
690
Notizen und Nachrichten.
Deutsche Landschaften.
Im 35. Jahresbericht der hislorisch-antiquansehen Geseüschift
von Graubünden veröHentlichen F\ Jecklin und J, C. Moötti
Materialien über die Verwaltung der VIII Gerichte aus der Zeit
der Grälen von Montfort (15. Jahrhundert).
Aus der Zeitschrift f. d, Gesch, d, Oberrheins N. F. 2), 3 er-
wähnen wir an Beiträgen zur mittelalterlichen Geschichte die et»i4
ungelenke Untersuchung von Joh. Beinert über die StraÖburgrr
Rheinfahre im Mittelalter, die Arbeit von K. Baas über HeitiricH
Louffenberg und sein Gesundheitsregiment (1429) und die neuen
Beitrage zur Lebensgeschichte des Chronisten Johannes Mejrr
(f J485) von P> Albert. In die Neuzelt führen die Auf&ätie von
K.Engel über Beinheim als elsässischer Etappenort im IS. Jak-
hundert und M. v. G ulat -Wellen bürg über die Belagenmg
von Neubreisach im Jahre 1815.
Ebenda stellt F, Frankhauser die Bad i sehe Geschicht»-
literatur des Jahres 1905 zusammen*
Von Fortsetzungen früher erwähnter Arbeiten seien am
der Ripue ä'Alsace 1906» Mai- August verzeichnet die Arbeileo
von G. deDartein über das Evangeliar des Straßburger Bischeb
Erkenbald (vgl %, 183 u. 562) und von Chfevre über Basler Weih-
bischöfe des 18. Jahrhunderts (vgl. u. a. %, 183).
Mit gewohnter Beherrschung eines weltzerstreuten Qucllcn-
materlals entwirft 0. Knod in der wissenschaftlichen Beibge
zum Programm des Lyzeums zu Straßhurg (1W6, 57 S. Programm-
Nummer 649) ein farbenreiches Lebensbild des Straßburger Rats-
herrn Johann Schenckbecher, mit dessen Namen die Erinnerung
an die großartige^ heute noch Segen wirkende Studienstiitung
unzertrennlich verknüpft ist. Die Arbeit führt stellenweise weil
über die Grenzen des Elsaß hinaus und darf als ein willkommener
Beitrag auch für die allgemeine Geschichte der Relorniationszeit
betrachtet werden.
Aus den Württembergischen Vierteljahrsheften 15, 3 erwähnen
wir die Veröffentlichung des Seelbuchs des Klosters Reichenbach
(aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts) durch -|- A, Adam,
ferner H, Günter: Altwürttembergische geistliche Gefälle (nach
einer Aufstellung von 1641) und Marquarti Zur Geschichte der
Registratur der Stadt Stuttgart,
In populärer Form veröffentlicht Chr. Meyer In den Quellen
u, Forschungen der deutschen insbesondere hohenzollerischen
Geschichte 3^ 1 u. 2 „Aitreichsstädtische KuUurstudien^, die die
Vergangenheit Augsburgs ;£um Gegenstand haben»
\
Deutsche Landschaften
Einen wertvollen Beitrag zur Geschichte des deutschen
Konkursrechtes mit Abdruck einer Fülle von Archiv allen bietet
Friedrich HeHmann, Das Konkursrecht der Reichsstadt Augs-
burg (Gierkes Untersuchungen^ Heft 76)^ Breslau, M. £ N, Marcus
1905, 175 S, — die erste Spemlgeschichte des Konkurses inner-
halb eines reichsdeutschen Stadtrechtes, Für das materielle Kon-
kursrecht besonders hervorzuheben ist die Entwicklung vom Vor-
rang des früheren Klägers zur Gleichberechtigung der
Gläubiger, zunächst nach einem Gesetz von 1439 (Cod. manuscr.
des Allgemeinen bayrischen Reichsarchivs X A, 33 FoL MOL) jenerj
die an demselben Tage das Fürgebot des Schuldners auf den
nächsten Gerichtstag dem Waibel aufgetragen haben. Mögen
nun mit Rucksicht auf die Gesamtgesehichte des deutschen
Konkursrechts bald die niederdeutschen Handelsstädte in Angriff
genommen werden 1
Münster L W. //. Schreuen
In einem an tatsächlichen Mitteilungen sehr reichen Aufsatz
„Landgral Balthasar von Thüringen (f 1S> Mai 1406)*'
schildert H. Ermisch in der WissenschaftL Beilage der Leipz*
Zeitung 1906, Nr. 57 u. 58 aus seiner intimen Kenntnis des Quellen-
materials die politische Tätigkeit dieses begabten Wettiners während
eines halben Jahrhunderts* Besonders die thüringischen Historiker
seien darauf verwiesen, K. Wenck,
Mit der Verwaltung der Stadt Münster in der Zeit von
1802 bis 1813 befaßt sich eine Arbeit von Bruno Engler (die
Verwaltung der Stadt Münster von den letzten Zeiten der fürst-
bischöFlichen bis zum Ausgang der französischen Herrschaft), die
das zweite Heft der von Professor Erler herausgegebenen „Bei-
träge für dieGeschichte Niedersachsens und Westfalens**, Hildesheim,
A, Lax 1905» bildet* Der Verfasser behandelt vorwiegend die Finanz-
verwaltung, die es naturgemäß in den Übergangszeiten nicht zu
bleibenden Resultaten hat bringen können. Die Abhandlung, die
ganz fließend geschrieben ist, bringt eine Übersicht über die Ein-
nahmen und Auegaben der Stadt, ohne jedoch statistische Tabellen
zu Hilfe zu nehmen. Auf ein tieferes Eindringen in das Wesen
der franzosischen Verwaltungsorganisation ist wohl mit Rücksicht
auf die Darstellung der Verfassung der Stadt Münster, ebenfalls
für die Jahre 1802—1813, die K Hüismann in der Zeitschrift für
vaterländische Geschichte und Altertumskunde 63, 1—^ (Münster
1905) geliefert hat, Verzicht geleistet worden. Engler hätte sich
aber das Beispiel, das Ch, Schmidt, L^ granä-duchä de Berg
S. 145 gerade für Münster anzieht und das beweist, wie übel das
692
Notiien und Nachrichten.
französische Regime vielfach bei der Durchführung seiner Ver-
waltungsorganisation beraten gewesen Ist, nicht entgehen lassei
sollen. /
Die m erster Linie famillengeschichtliche Arbeit Paul Kauf-
manns i,Aus den Tagen des Kölner Kurstaats« Nachträge m
Kaufmann * von Pelzerschen Familiengeschichte* (Bonn, Haiisleiii
1904. 86 S.) sei hier erwähnt, weil sie über die Zustände in Kur-
köln im 18, Jahrhundert mancherlei enthält.
Die von Hemeling überarbeitete und fortgesetzte bremische
Chronik von Rynesberch und Schene bildet das Thema einer
eindringenden Untersuchung W, Steins in den Hansischen 0^
schichtsbkättern, Jahrg. 1906 Heft 1. Mit der Übertragung des
reichsunmittelbaren Butjadingerlandes an die Stadt Bremen {jm
1420), die hiermit zugleich ein Hauptziel ihrer damaligen PoÜlik,
die Herrschaft über die Unterweser, erreichte, bringt Stein die
Entstehung der Hemelingschen Tendenzschrift sowohl als rmütf
gefälschter Königsurkunden von 1252 und 1396 In ZusamnienhaiigH
Er berührt dabei auch das Rolandproblem, das unabhängig von
ihm soeben Ph* Heck ebenfalls an der Hand der Bremer Quellen
in der Hist, Vlerteljahrschr, 1906, S. 305 ff. („Die Rolandslelle des
Bremer Henricianums) erörtert. E* Baasch behandelt ebendi-
selbst den hamburgischen Heringshandel vom Ende des 15. tii&
zum ISi Jahrhundertl G. Arndt die Beziehungen Halberstadls
zur Hansa.
G, Sei los Schrift ^.Oldenburgs Seeschiffahrt in alter und
neuer Zeit*, Leipzig, Duncker & Humblot. 1906 bietet eine ge-
schickte, bis in die neueste Zeit geführte Verarbeitung verstreuten
archivalischen Materials.
Im Archiv f. Knlturgesch. {1906) IV, 2 handelt A. Hof*
meist er über «Rostocker Studentenleben vom 15, bis ins 19. Jahr-
hundert**, insbesondere über die nationalen Vereinigungen der
Studenten im 17. Jahrhundert, 0. Schell über «ßurgtünme und
Burghäuser auf bergischen Bauernhöfen und in bergischen
Dörfern"* Befestigte Zufluchtsorte auf Ein^elhöfen sind auch im
Lippischen und Osnabrückischen nicht selten gewesen.
Die orientierende Obersicht Sachsses über Wesen und
Geschichte der landständischen Verfassung Mecklenburgs (in d,
Deutschen Juristenzeitung v. L Dez. 1905) hebt kurz und klar die
Hauptpunkte der EntvirLcklung hervor. ^H
Der 19; Band der „Beiträge zur sächsischen Kirche ngeschicht^^
(Leipzig, Joh. Ambros» Barth, 1906» 220 S.) enthält drei größere
Abhandlungen, die sämtlich von allgemeinem Interesse und für
Deutiche Landschaftern
einen weiteren Leserkreis berechnet sind, Franz Btanckmetster
schildert auf Grund von Akten des Dresdener HauptstaatsarchivSf
denen sich eine Urkunde aus dem Teplitzer Museum zugesellte^
die mit der mehr als 200 Jahre später einsetzenden Arbeit de»
Gustav AdoHvereins vergleichbare reiche Liebestätigkeit, die nach
dem Majestätsbrief vom 9. Juli 1609 Kursachsen entfaltete, um
neue evangelische Kirchen in Prag^ Briix und Klostergrab bauen
zu helfen, fn das kirchliche Innenleben hinein führt uns der
folgende^ verstreute Nachrichten zu einem einheitlichen Bilde ver-
arbeitende Aufsatz von R. Franke: Geschichte der evan-
gelischen Prjvatbeichte in Sachsen. In der Einleitung skizziert
er die verschiedene Stellung, die Luther einer- und die Schweizer
Reformatoren anderseits zur Privatbeichte einnahmen, und die
Gegner dieser Einrichtung seit der Reformationszeit, Sehr gehalt-
voll, fast zu knapp in der Form, ist die fast ganz auf neu er-
schlossenem Quellenmaterial des Dresdener Hauptstaatsarchivs
sich aufbauende Abhandlung von S. I ß I e i b ; Herzog Heinrich
als evangelischer Fürst 1537— 154L Den Schluß des Heftes bildet
eine von R, Merkel beigesteuerte Miszelle : ein Gutachten des
milden Leipziger Superintendenten Johann Pfeffinger in einer Ehe-
bruchssache von 1571 aus dem Leipziger Ratsarchiv. 0^ CL
In der Zeitschr. d. Ven L Gesch. Schlesiens 1^06^ Bd. 40 ver-
sucht sich F. Friedensburg an der schwierigen Aufgabe, die
schlesischen Getreidepreise vor 1740 aus den Quellen festzustellen.
Das Ergebnis veranschaulicht er zum Schluß an einer tabellarischen
Obersicht über das Steigen und Sinken der Preise eines Breslauer
Scheffels für die Zeit von 1350 bis 1740. Beiträge zur Literatur-
geschichte des schlesischen Humanismus (Fortsetzung; vgL H, Z.
95, 380) und zur Siedlungskunde im ehemaligen Fürstentum
Schweidnitz liefern G. Bauch und M. Treblin, In einem an-
sprechenden Aufsatz „Zur Geschichte des schlesischen Schützen-
wesens** führt G. Schönaich die Entstehung der schlesischen
Schützenbrüdersehaften auf eine besonders durch die Hussiten-
kriege veraniaßte Reform der städtischen Wehrverfassung zurück«
Der gleichzeitig mit der Zeitschr. ausgegebene, von J. Krebs
bearbeitete 8, Band der Fürstentagsakten (Acta publica) be-
handelt das Jahr 1629, den Höhepunkt der schlesischen Gegen-
reformation (vgl. H. 2, 95, 380),
Aus dem ersten Hefte der neuen „Mitteilungen des Geschichts-
und Altertumsvereins f. d. Stadt und das Fürstent. Liegnitz'' (für
1904 und 1905) seien erwähnt D. Koffmane's Bemerkungen über
die Oori- und Flurnamen im Landkreise Liegtiitz»
6^
Notizen und Nachnchten-
Der 22. Band des Archivs für böhmische Geschichte (Änha
ceskv) enthalt zunäehst ein Inhaltsverzeichnis der Binde I— S
und des gleichfalls schon erschienenen 27* Bandes (s. H. Z %, 1!*i
Dieses Inhaltsverzeichnis ist an sich sehr lehrreich. Man tut-
nimmt daraus, daß und vielleicht auch, warum die Hussitcai«:
bisher von allen Geschichtschreibern Böhmens ausführlicher imfl
eindringlicher behandelt wird als et«ra die früheren Perioden dxs
Geschichte Böhmens. Sonst ist der Inhalt des vorliegenden Bandn
für die Wirtschaftsgeschichte Böhmens, für die er reiche Materialien
enthält» von großer Bedeutung. Wir finden hier landwirtschift-
liche Ordnungen und Wirtschaftsinstruktionen, die von der Mitte
des 14. Jahrhunderts, der Zeit der Majestas Karoftna, bis ^urldl
der großen politischen Umwälzung in Böhmen nach der SchUcKi
am weißen Berge reichen. Es kann hier nicht eine erschöpfend«
Angabe des Inhalts geboten, sondern es soU nur auf einxdsic
Stücke hingewiesen werden. Da finden sich Anordnungen Karls IV.
für die Anlage von Weingärten, Ordnungen über die Bezichunjfto
der Herrschaftsbeamten und -Untertanen zu den Herrschaftös,
Bestimmungen über bäuerliche Erbfolge, Dorfweistümer, In-
struktionen von Herrschaftsinhabern für ihre Beamten und Unkr-
tanen, Jagd- und Porstordnungen, Handwerksordnungen usr
Das meiste ist in tschechischer Sprache, einzelnes in deutscher
und tschechischer Sprache überliefert. Von Interesse ist es im
beobachten, wie in die eine oder andere Ordnung die Tendentffl
der Gegenrelormation eingeflochten werden (z, B. S. 373» ,dll
die Magister, ßakalari, Cantores und andere Schuivor Steher, dk
auf dieser [Kammer-] Herrschaft sein werden^ sich keiner anderen
fremden Lehr und Sekten getyrauchen usWi")^ Manches von dem
hier Mitgeteilten, war schon vordem bekannt. So hat namentlicli
schon Peter K* v* Chlumccky in seinen Dorfweistiimern iui
Mähren, so hat auch schon Schlesinger in seinen deutschböhmischeft
Dorfweistiimern (Mitteilungen d. Vereins f, Gesch, d, Deutschen
in Böhmen XV u. XX 11), so haben Morath und andere sich un»
die Erforschung dieser Dinge Verdienste erworben. Einzelne»
wird sich noch nachtragen lassen ; in jedem Fall ist es verdienst-
lich, den Gegenstand in einheitlicher Weise behandelt zu habeiL
Mancher würde vielleicht statt der chronologischen Anordnung
eine sachliche vorgezogen haben, ich gestehe aber gerne zu^ daß
die Übersicht bei der Menge von Unterabteilungen, die da hätten
gemacht werden müssen, auch keine vollständig« geworden wlie^
Ein gutes Personen-, Orts- und Sachregister erleichtern die Be-
nutzung des Buches^
J* Laserik
Deutsche Landschaften.
695
Adalbert R. Kräl von Dobrä Voda, Der Adel von
Böhmen, Mähren und Schlesien. Genealogisch'heraldisches Re-
pertorium sämtlicher Standeserhebungen, Prädikate, BefÖrderungeni
Inkolatserteilungenf Wappen und Wappenverbesserungen des ge-
samten Adels der Böhmischen Krone mit Quellen und Wappen-
nachweisen. Prag 1904. 311 S, — Dieses Nachschlagebuch in
alphabetischer Anordnung ist fleißig auf Grundlage der gedruckten
Literatur zusammengestellt^ durch Berücksichtigung der von dem
bekannten Genealogen August von Doerr zur Verfügung ge-
stellten Daten aus den Saalbüchern des Wiener Adelsarchivs
werden zahlreiche Lücken ausgefUllt und manche Irrtümer be-
seitigt. Daß deren noch zahlreiche vorhanden sind, konnten wir
an der Hand des mährischen Archivmaterials leicht konstatieren^
Z, B. ^Jelitowsky vonjelitow, Mathias aus Mähren. Adelsstand 1607'*,
So Krdl nach Kadisch und Schimon; nach den Landtagspamatken
erfolgt die Inkolatserteilung 1602. — „Dembinsky^ Alter Adel**, ohne
Datum, bloße Berufung auf Paprocky; nach derselben Quelle:
Jnkolat 1594* — Friedrich Napajedelsky von Zierotin kommt bei
Kräl nicht vor; wird nach den OlmÜtzer Puhonen 31, Mai 1&36 in
den alten Herrenstand erhoben. — Friedrich Breznicky von Nachod
wird bei K^ nach Schimon 1566 in den Adelsstand erhoben; nach
den Landtagspamatken wird der Vater Heinrich B. v. N. samt
seinem Sohne Friedrich und einigen Vettern schon t&4t in den
neuen Herrenstand aufgenommen usw. Jedenfalls ist bezüglich
Mährens neben Kräl zurate zu ziehen: Doerrs Verzeichnis der
Inkolatserteilungen und Aufnahmen in den Herrenstand in Mähren
aus den Jahren 1531^1620^ erschienen in den Sitzungsberichten
der böhmischen GesellschafI der Wissenschaften 1903, nach Ab-
schluß der Kreischen Arbeit. B.
J- M. Klimesch, Urkunden- und Regestenbuch des ehe-
maligen Klarissinnenklosters in Krummau. Prag 1904. Im Selbst-
verlage des Vereines für Geschichte der Deutschen in Böhmen.
XX u. 527 S. Das Kloster^ dessen Urkundenbestand eine eigene
PubUkation gewidmet wird, ist eine Gründung der Rosenberge aus
dem Jahre 1358, bezogen am 27, Mai 1S61 von 13 Nonnen aus
den verschiedenen KlarissinnenklÖstern der Provinz, Das Kloster
erlangte für den heimischen Adelj dessen weibliche Mitglieder
man nicht selten darin vertreten findet, einige Bedeutung, hatte
ansehnlichen Besitz, der rationell bewirtschaftet wurde, allein da-
rüber hinaus spielte es keine wichtigere Rolle, als andere Klöster.
An literarischem Material sind außer zwei Nekrologien und einem
Martyroiogium nur Urkunden, Briefschaften, Akten und kleine
Notizen und Naehnchten.
chronistische Aufzeichnungen vorhanden. Besonders die erst-
genannten Quellen waren schon vorher teilweise bekannt Du
Kloster wurde 6. Februar 1782 aufgehoben. Die überaus liebe-
volle Behandlung dieses histori&chen Materials ließe erwarten^
daß nun auch die Geschichte des Klosters und vora^üglich auch
mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Entwicklung folgen würde.
Die kurze Einleitung erläutert nur oberflächlich den Inhalt des
Bandes und einige damit mehr oder weniger im Zusammenhang
stehende Fragen, wie t. B, die Baugeachichte der Kirche. 2. ^m
Während der Jahre 1871—1877 hatte Engelbert Mohlfl
bacher an einer eingehenden Darstellung der wissenschaftlichen
und Uterarischen Arbeit in dem oberosterreichischen Chorherm-
stifte St. Florian, dem er seit dem Jahre 1862 angehört hattet %^'
arbeitet. Er hatte die ältere Zeit sowie von der neueren di^l
Theologie vollständig, die Geschichte bis auf Jodok Stülz lertig'iH
gestellt und diese Abschnitte waren auch schon gedruckt, als er
im Juli 1877 auf die Fortführung des WerkeSi für die er in eincni
Schreiben an den damaligen Abt ein umfassendes Programm ent-
worfen hatte, verzichtete» Die Wendung, die er in jenem Jahre
seinem Leben gab, die Entfremdung^ die zwischen ihm und seinem
Stifte eintrat, haben es verhindert, daß der schon gedruckte Teil
an die Oflentlichkelt kam. Erst jetzt, nach dem Tode MiihlbacherSr
erfolgte durch Oswald Redlich die von diesem schon früher (Milt
des Inst. f. Ost. Geschichtsf. XXV, 202) angekündigte V^eröffent-
Uchung (Die literarischen Leistungen des Stiftes St, Florian bis
zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Innsbruck 1905 Wagner. 8*. V.
u. 409 S.). Wenn auch, wie Mühlbacher selbst erkannt und der
Herausgeber neuerdings hervorgehoben hat, die einzelnen Ab-
schnitte des unvollendeten Werkes etwas ungleichmäßig geraten
sind, insbesondere der erste an vielen Stellen durch die neuere
Forschung überholt erscheint (man vergleiche die von dem Her-
ausgeber am Schlüsse beigefügten Nachträge und BerlchtigungenK
kann man für die Veröffentlichung nur dankbar sein. Denn es
wird dadurch unsere Kenntnis von den Anfängen der wissen*
schaftlichen Tätigkeit des Verstorbenen ergänzt und das Bitch
bietet in seiner aus den Akten und Korrespondenzen des Stifts-
archivs geschöpften Darstellung einen sehr lehrreichen Beitrag
zur Geschichte des geistigen und geistlichen Lebens in Oster-
reich während der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts. Mit bc^
sonderer Sorgfalt und Ausführlichkeit hat Mühlbacher den Lebens-
gang und die Tätigkeit der beiden dem Stifte angehöngen
Historiker Franz X. Kurz und Josef Chmel geschildert. Nach
meinem Gefühle ist er dem zweiten nicht ganz gerecht geworden.
Deutsche Landschaften.
697
^
Sind die Pläne, die Chmel mit lebhaftem Eifer vertrat, zym
großen Teile in seiner Zeit nicht auBführbar> die Ziele, die er der
historischen Forschung steckte, nicht sofort erreichbar gewesen,
daß er das Rechte getroffen hatte^ geht daraus hervor^ daß die
Tätigkeit der Wiener Akademie auf dem Gebiete der Erforschung
östirreichischer Geschichte und auch die der Kommission für
neuere Geschichte sich in den ßahnen bewegt^ die Chmel vor-
gezeichnet hat* Als Beilage sind des Jüngern Altmann Carmen
de consecratione ecclesiaej die Sequentia ä$ s. Flariatto des
XI L Jahrhunderts und der inzwischen auch von A, Frana? und
Konrad Schiff mann veröffentlichte Indus pasch alis abgedruckt.
Karl üklirz.
Neue Bücher: Die Zürcher Stadtbücher des 14. und 15. Jahr-
hunderts* Hrsg, von Nabholz. 3* Bd, (Leipzig, Htrzel. 12 M*) —
H e i e r 1 i ^ Vindonissa. I * Quellen und Literatur* ( Aarau, Sauer*
ländcr « Co* 3,80 M*) — Badische Biographien. 5. Teil* 1891— I90L
Hrsg. von Fr* v* Weech und Krieger. 2 Bde. (Heidelberg, Winter*
23,40 M.) — Sixtj Aus Württembergs Vor- und Frühzeit u* a.
(Stuttgart, Kohlhammer. 2 M.) — Norman , Ä brief hlstary of
Bavaria, (München, Jaffe. 2,50 M.) — Doeberl, Entwicklungs-
geschichte Bayerns* L Bd* (München, Oldenbourg* 12 M») —
Rosenthal, Geschichte des Gerichtswesens und der Verwal-
tungsorganisation Bayerns. 2. Bd. 1598 — 1745. (Würzburg, Stubers
Verl 15 M*) — Darstellungen aus der Geschichte der Technik
der Industrie und Landwirtschaft in Bayern. (München, Olden-
burg* 25 M») — Stiedaj Die keramische Industrie in Bayern
während des 18, Jahrhunderts. (Leipzig, Teubner. 8 M.) — Bei-
träge zur hessischen Schul- und Umversitätsgeschichte. Hrsg.
von Diehl und Messer* 1. Bd. 1. Heft. (Gießen, Roth. 2 M.) —
Grosch, Das spätmittelalterliche Niedergericht auf dem platten
Lande am Mittelrhein* (Breslau, Markus. 3 M.) — Rurig, Die
Entstehung der Landeshoheit des Trierer Erzbischofs zwischen
Saar, Mosel und Ruwer und ihr Kampf mit den paCrimoniaten Ge-
walten, (Trier, Lintz* 2,80 M.) — R i x e n , Geschichte und Orga-
nisation der Juden im ehemaligen Stift Münster* (Münster, Cop-
penrath* 1,60 M.) — Peßler, Das altsächsische Bauernhaus in
seiner geographischen Verbreitung. (Braunschweig , Vieweg 4
Sohn. 10 M*) — Ph. Meyer, Hannover und der ZusammenschluB
der deutschen evangelischen Landeskirchen im 19* Jahrhundert
(Hannover, Hahn, 1,20 M.) — Stuke, Geschichte der Verfassung
der Stadt Hildesheim von den letzten Zeiten der fürstbischöflichen
bis zum Ende der preußischen Herrschaft 1802 — 1806* (Hildesheim,
Lax. 2 M.) — Zenker, Zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der
Hifttürlscbe ZciUcbrlft (97. Bd.J ^ Fo1e<^ 1. Bd. 45
69S
Notixen und Nachrichten.
Lüneburger Saline für die Zelt von 950 bis J370, (Hannover, Hahn.
1,30 M.) — Gl low, Das Berliner Handelsschulwesen des IRJihr-
hunderts im Zusammenhang mit den pädagogischen Be^trebungrn
seiner Zeit dargestellt. (Berlin, Hofmann £ Co* 10 M,> — Pom*
mersches ürkundenbuch. 6. Bd. L Abtlg. 1321 — ^1324, ßearbeilei
von Heinemann. (Stettin, Niekammer. 7 M,) — Skalweit, Dit
Qstpreußische Domänenverwaltung unter Friedrich Wilhelni l unft
das Retabüssement Litauens. (Leipzigs Duncker £ Humblot. S,3u N!
— Pallas, Die Registraturen der Kirchenvisitationen im ehemals
sächsischen Kurkreise. 2. Abtlg, L TL (HallCj HendeL 13,50 Mj
— Erphuräiaaus antiquitatum Voriloquus incerti aucioris. Bearb.
von Thiele. (Halle a. S., Hendel, 8 M,) - W, Sc h u 1 1 c, Die poli-
tische Tendenz der Cronka principum Felonie. (Breslau, Wohk
farth. 3,50 M.) — G e b a u e r , Breslaus kammunale Wirtschalt am
die Wende des IS. Jahrhunderts. (Jena, Fischer. 9 M.) — Bondf,
Zur Geschichte der Juden in Böhmen, Mähren und Schlesien von
^06^1620. 2 Bde. (Prag, Neugebauer. 18 M.) — Kapras, Dai
Plandrecht im böhmisch-mährischen Stadt- und Bergrechte. (Brei*
lau, Markus. 2^80 M») — Fischel, Studien zur ösCerreichischeD
Reichsgeschichte, (Wien, Holder* 5,20 M.) — Urkunden über die
Beziehungen der päpstlichen Kurie zur Provinz und Diözese Sali*
bürg (mit Gurk, Chiemsec, Seckau und Lavant) in der Avignoni-
sehen Zeit: 1316-1378. Bearb. von Lang. 2. Abtlg.; 1352— I37a
(Graz, Styria. 12 M.) — Woplner, Das AlmendregaJ des Tiroler
Landesfürsten. (Innsbruck, Wagner. 6 M.)
Vermischtes.
Nachdem Holde r-£gger drei Jahre lang kommissarisch
die Leitung der M^/iif/ne/i/a Germaniae hisi&rica in Händen
hatte, land die diesjährige 32. Plenarversammlung vom 23. bis
25. April zum erstenmal unter dem Vorsitz des neuen Leiten
Koser statt, dem diese Stellung seit dem K Juni 1905 übertragen
ist. Da der Vorsitz in der Zentraldirektion bis auf weiteres nicht
mehr mit der Leitung einer Abteilung verbunden Ist, wurde ProL
WerminghofI mit der Leitung der Epistolae betraut. Seit Er-
scheinen des letzten Jahresbenchts wurden ausgegeben : in den
SS. tom. XXXll pars prior (Chiomik des Salimbene ed. Holder-
E g g e r), ferner Annales Mettenses priores ed. v. S i m s o n ; Viiae
Bcnifalii archiepiscopi Moguntini ed. L e v i s o n ; Einhardi »Ha
Karoli MagnL Eäiiio quinta; in der Abteilung Leges: ConsiUa*
tiones €t acta publica Hl, 2 und IV, 1 (1292—1310) ed. Schwalm.
Von den Diplomata werden in nächster Zeit die Urkunden der
i^
Vermischtea,
Karolinger Band J (751— SI 4) erscheinen unter Mitwirkung von
Dopsch^ Lechner und Tangl, bearbeitet von f Mühlbacher;
von den AfüiquUates hat Bau mann den 3, Teil der Necrologia
Germaniae : Dioeceses Bfixenensis Frisingensis Raiisbonensis her-
ausgegeben. Das Neue Archiv ist regelmäßig fortgesetzt worden:
Heft 3 des XXX* Bandes unter Leitung von Steinmeyer,
Band XXXI unter der Holder- Eggers,
Der Hansische Geschieht s verein hat, wie wir dem
35. Jahresbericht entnehmen, im Berichtsjahre ausgegeben: ein
zweites Pf in gstblatt: SeUo, Oldenburgs Seeschiffahrt in alter und
neuerer Zeit (o. S-692) und als Fortsetzung der Geschichts quellen
die Bürg er sprachen der Stadt Wismar (ed. Techen). Die Schrift-
feitung der Hansischen Geschichtsblätter hat nach Koppmanns
Tode ein Redaktionsausschuß, bestehend aus Prof, Stein, Dr. v.
Bippen und Prof, v. d Ropp, übernommen; die Ausgabe der
Geschichtsblätter soll von jetzt ab in Halbjahrsheften im Früh-
ling und Herbst erfolgen.
Im Korrespondenzblatt des Gesamtvereins 54, 6/7 bespricht
B e s c h o r n e r die Fortschritte der Flurnamenforschung in Deutsch-
land im Anschluß an die auf der Generalversammlung in Erfurt
1903 beschlossenen ^Ratschläge für das Sammeln von Flurnamen'^
die nunmehr an die einzelnen Vereine versandt sind. Dieselbe
Nummer enthalt den Jahresbericht des Römisch-Germanischen
Zentralmuseums zu Main^ 1905 — 06. Die Deutschen Geschichts-
blätter 7, 9 bringen einen Bericht über die Konferenz von Vertretern
landesgeschichtliciier Pubtikationsinstitute in Stuttgart (s. 97, 235).
Die Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde stellt aus
der Mevissen-Stiftung folgende Preisaufgaben: L Begründung
und Ausbau der Brandenburgisch-Preußischen Herr*
Schaft am Niederrhein. Zur Feier ihres 300 jährigen Be-
stehens. (Preis 2000 M. Frist: 1, Oktober t9<^,) - 2. Konrad
von Heresbach mit besonderer Rücksicht auf seine
Bedeutung als Pädagoge. (Preis 2000 M, Frist: I.Juli
1909.) ^- Bewerbungsschriften sind an den Vorsitzenden Archiv-
direktor Prof. Dr* Hansen in Köln einzusenden.
Der Verwaltungsrat der Wedekindschen Preisstiftung für
deutsche Geschichte stellt die Aufgabe: „Eine kritische Geschichte
4er sächsichen Bistumsgründungen in der Karolingischen Zeit'.
Bewerbungsschriften müssen vor dem I. August f910 an den
Direktor des Verwaltungsrats der Stiftung eingesandt werden*
Der Preis beträgt 3300 M. Alle weiteren Angaben sind in den
4 Nachrichten der GÖttinger Gesellschaft* 1906, Heft I zu finden.
45»
700
Nofi2en und Nachrichten,
Todesfälle: Es starb am H. Juli in Jena der o* Universität»«'
Professor Geh. Hof rat D, Dr, Heinrich Geizer (geb. 1847), Her-j
Ausgeber der Scriptores sacH et profanit wohl der beste Kenner
der byzantinischen Geschichte in Deutschland* Auch unsere
Zeitschrift verliert in ihm einen tätigen Mitarbeiter. — in Berlin
starb am 13* Juli im Alter von 56 Jahren der GelL Reg.-Rat Dr.
Sattler, zweiter Direktor der preußischen Staatsarchive. Ober
seine Tätigkeit afs nationalUberaler Politiker haben die Tages^;
Zeitungen genugsam berichtet; hier sei nur auf seine Arbdteis
Ober hansische und ostpreußische Geschichte hingewiesen* ^
Im Juli starb der Direktor des Haupt-Staatsarchivs in Dresden,
Geheimrat Dr. Paul Hassel Seine letzte gröEere Arbeit warj
die wertvolle Biographie von Radowitz <Bd* 1, f905). {
Femer seien hier erwähnt die ausführliche Würdigung Eduirdj
Richters von Lukas in der Geographischen Zeitschrift \% %i^
und ein Nekrolog auf Hermann ScheM im Ttlrmer 8^ 10.
Historische Bibliothek.
Herausgegeben
von der Redaktion der Historischen Zeitschrift.
tand I: Helnridi von Treitsdittes behr* und Wündtr|atire 1831—1867. EizähJt von
Theodor Schiern ann. XU nad 2^1 Seiten» 8°, 2. Auflaga. In
I je in wand gebunden Preis M. 5. — .
Band II: Briefe Samuel Pufendorfs an ehtistlan Tttomaslus <1M7— 16^3)* Heraus-
gegeben und erklärt von Emil Gigns. 78 Seiten 8^ In I^iowand
gebunden Preis M. 2. — .
Band IQ : Hetnridi uen Sybel, l^rtrdge und Abhandlungen, Mit einer biographischen
Einleitung von Professor Dr* Varren trapp. 378 Seiten, §*, In Lein-
wand gebunden Prein M* 7.—.
Band IV t Die Fortsdirllte der DIplomaHk seit ITIablllan Domehmltdi In DeuKdiland-
östenelch von Richard R o s e n m n n d. X und 125 Seiten. 8°. In
Leinwand jrebnnden Preis M, o, — .
BandV; marfloreta Don Pannct, Stottholterln der niederlande (1559—1567)» Von
Felix Kachfahl. VIII u. 276 Seiten. In Leinwand geb. Preis M. 5, — .
Hand VI : Studien zur ^ntwldtlung und theoreHscfien BegrQndung der nionardile Im
Hftertum* Von Julius Kaer st t09S. B"*. In Leinw. geb. Preis M. 3.— .
Bandvn: Die Berliner mSrilage UQn 1848, Von Proieösor Dr. W. Bnsch.
74 Seiten. 8**. In Leinwand gebunden IVeia M, 2. — .
Band VBl: Sf^ktQks und sein V^ik. Ein Beitrag %ut Geschichte der Lehr&eiheit
Von Dr. B o b e r t P ö h 1 m a n n. VI und 133 Seiten. 8**. In I^inwand
gebunden Preie M. 3.50.
Band IX : Hans Karl Don WlnterFeldt Ein General Friedrichs des Grolsen. Von
Ludwig Moll wo. XI u. 263 8, 8**. In Leinwand geb. Preis M. 5.— .
BandXr Die kolonial|»o[mb Ropolcons L Von Gustav Roloff. XIV und
258 Seiten. 8". In Leinwand gebunden Preis M, 5.—.
Band XI: Tenitarlum und StadL Aufsätze zur deutschen Verfassungs-, Ver-
waltungs* und Wirtschaftsgeschichte. Von Georg vonBelow. XXI
und 342 Seiten. 8^ In Leinwand gebunden Preis M. 1.^.
Band XII : Zauberwabn, Inqulsltlcn und Hexenproiesse Im ITIIttelalfer und die £nU
stehung der groben HexenverEolgung. Von Joseph Hansen. XVI nnd
538 Seiten. 8^ In Leinwand gebunden Preis M. 10.—.
BandXHI: Die Hnldnge des Humanismus In Ingolstadt Eine literarische Studie
Eur deutschen Umvensitätegesohichte. Von Professor G u s t Bauch.
XIU und 115 Seiten. 8". In I^inwand gebunden Preis M. 3.50.
Band XIV i Studien zur Vc^rgesdildite der RelormatlQn* Aus schleeiscben Quellen.
Von Dr. Arnold 0. Meyer. XIV und 170 Seiten. 0*. In Leinwand
gebunden Preis M. 4.50.
Band XV : Die Capita agendorum. Ein kritischer Beitrag zur Geschichte der
Reform Verhandlungen in Konstanz. Von PrivaldoKent Dr. Kehrmann,
67 Seiten, 8^. In l.einwand gebunden Preis M. 2. — .
Band XVI : VerFassungsgesdiidite der uustrallsdien Kolonien und des »Common-
wealth of Australiat. Von Dr. Doerk e a -Boppard. XI und 340 S.
8*. In Leinwand gebunden Preis M 8. — .
BandXVII: Gardin er^ Otfcer CromuelL Autorisierte ÜberaetEung aus dem
Englischen von E. Kirchner. Mit einem Vorwort von Professor
A. Stern. VII und 228 Seiten. In Leinwand gebunden Preis M. 5.50.
Band XVIII t Innozenz ÜL und England« Eine DarsteUang seiner Beziehungen
lu Staat nnd Kirche. Von Dr. K 1 s e G ü t s c h o w. VIII und 197 Seiten.
8**. In Leinwand gebunden Preis M. 4.50.
Band XIX : Die Uiladien der Rezeption des ROmlFdien Redits In Deutfditand« Von
Georg von Below. XII u. 166 8. 8^ In Leinw, ^eb. Pt'iiÄR ^^V5sRi.
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4
4
Verlag von R. Oldenbourg in München und Berlin W. it.
Handbuch
der
mittelalterlichen und neueren Geschichte
Herausgögeben von
G* V« Below und F* Mei necke
Du Zcttilter <Ier ctiiyklopädisclieti Darstellungen ist in der Wlmvemcb^ft därcb cii Zii^
aiter der Spejclalisierune der Arbeit abgelöst worden^ Allein {[ende die zunehmende Speziifr
iierung hat wiederum dA% BedUrEnU enjjfkJopädischer ZusammeDf<asunff berv^or^eniW k
kemer Disziplin wird dies Bedürfnis auf^enblkkücb weniger befriedig ali tn der mitttkN^
liehen und neueren Geschichte.
Diese LUcke wollen die Kerauiigebcr muszufflllcn suchen. Da» Ziel Ihrei» üolernelBiM
IM eine «streng Wissens chnftlichep iber zutimmeiif äsende uad überaichtHche DKntellEuif. &
■oll die Tatsachen und die Zusammenbknge der geschichtlichen ETitvickltuur rorfilhmv i>*
gleich jedoch auch ein ansehAuliche» Bild des dermaligen Standes der ForieSuHM in deaea-
telnen Zweigen unserer Wissenschalt bieten, beides in kiuppster Form. Es wUf des mmtf^
flchaftllcb lusgebildeten Hl»torjl£era wie den Studiereiiden und Oberhaupt allen Preuodeiiff
mittelalterlichen und neueren Geschichte dienen.
Ül^er^iclit über den Inhalt.
(Die klein gedruckten Titel bezeichnen die EtLnde^ über die die Verhikndliiageü nocli
abgeschloflsen sind.)
I. Allgemeines.
Kniffciopidle.
Geechichte der deutschen Geacfaicht'
Schreibung im Mittel alten Von Prof,
Dr. Hbem^kk Bloch.
< Ti^t^chJchte der neueren Histono-
graphie. Von Prof, Dr. Richaet)
Festeb,
Palltik anf hlitoriacher Grundlage.
Die mittelalterliche Weltanechauang,
Von Prof* Dr. Klembks BiXTjiatBR.
Die Wettansohauung dar RauaiBeänca
und der Eeformadon. Von Prof.
Dr. Waltbs 6o£T£.
Geschichte der Aufkläningshewegang.
Von Prof. Dr. E. Teoeltsch.
Die gelBtigeD Bewegungen de« 19. Jahi^
hundeiTta.
M
\L Politische Geschichte,
AJlgemeLne Geschichte der gennani-
sehen Völker bis zum Auftreten
Chlodwigs, Von Prof. Dr. Eehst
KoRNEJiijnc,
Allgemeine Geschichte vom Auftreten
Chlodwigs (mit Hückblick auf die
ältere Geschieh te der Frajiken") bis
zmn Vertrag von Verdun. Von
Pri vatdoB. Dr. Ä lbe at Wermin ghoff.
Allgemeine Geschieh le ä^H Mittelalters
von der Mitte des 9. bis zum Ende
des 12, Jahrhunderts. Von Prot Dt,
H. Bkesslaü.
Allgemeine G«9chichte des
Mittelalters vom Ende des 13.
zum Ende de» 15. Jahrhand«ti
(H97— 1492). Von Prof. Dr. JoHiff i
TxiiEaTH. Etvchleiiea«
Allgemeine Gescrhichte von U9t W
1660. Von Prof. Dr. Frlix RACHfiit-
Geschichte des euTt>päifichen StuHfr
Systems von 1660 bis 1789. ?«
weil. Privatdozent Dr. Max Doiw«.
Eriehtenen,
Geschichte des Zeitalters der trasa&'i
Bischen E^volatioD nnd der Befcttj
ungskriege. Von Pi^f, !>. An*
Wahl.
Geschichte des neaeren Si
Systems vom Wiener KongreCe
Ewr Gegenwart. Von Prot Dr, ~
BEJJfDBKBimo.
Brandenburgisch-pT^tiiWjche GescUiiehie.
MI, Verfassung, Recht» Wirtschaft
Deutsche Veriaeatings^ftchichte (bi^
aur Mitte des 13. Jahrhunderte). \m
Prof. Dr. GEEHAAn Sexlioss. j
Dmiteche VerfasstmgegeBohlchte foi
der Mitte des 13. Jahrhtmderto m
Äur Erhebung der aboolateu Um
archie. Von Prof. Dr, G. v. B^um\
Deutsche Verfaseunga- und Vsrwifc
tungBgeB{!hichte Reit der Erh«bnni
der absoluten Monarchie^ Vonfm
Dr* HEErmiCH Gsffce:bk. '
I
Französische Verfassungsjresohichte
von der Mitte des 9. Jahrhunderts
bis Eum Auebruch der Revolution,
Von Privatdoz. Dr. Rob, Hot.tihakk.
Grundlüge der GeßChiehte der katho-
liachei) Kirche nverfasBung, Von
Prof. Dr. TT LB. Stütz.
Grund liigv der Ge>!K? hiebt« der AvuigfellBcheEi:
Kirc h eti verf ft»mif .
Das abendländiBche Kriegs wescn vom
6. bis xum 15, Jahrhcindfirt Von
Prof. Dr. WiLi^tM Eebbk.
Geecbichte der neueren Heeres Ver-
fassungen vom IB. Jahrhundert ab.
Von PrivatdoÄ. Dr. Gustav Röloff.
Geachichle des deutschen Sträflich t».
Von Prof, Dt, R. His,
Geschichte dea Straf- und Zivllpro-
Fiesses. Von Prof, Dr, jur, KtmT
BURCHARD.
Geschichte des dtjtitechen Privat* und
Lehenrechtos. Von Prof. Dr. lliKa
V. VOLTSLINL
Deutsche Wirtschaftsgeschichte bis
aum 17. Jahihundert. Von Prof. Dr.
G. V. Bbi.ow
Allgemeine Wirtäcliaft*ge»chlobt« r. 17* J»Jit-
huadert blsj sur GegeawaH.
Handelsgeschichte der romanischen
Völker des Mitte IrnftOrgebiet« bis
auni Ende der KreuziÜge. Von
l*rof. AüOLF BCHAUBE. Encfalenem,
.Vllgemeine Münzkunde niid GaM-
geachichle der* MitteJalter« wnd der
neueren Zeit. Von Pr^»! Dr, AanoLn
Luscnn? V. Etuknorkuth KwpIiIi*!»*»»
J^pe»ielU> Mtinikumlo und iielil
geed nebte» Von Prof. Dr* AftKom
LüscifiN V. Ebk^i^rkuth.
IV. Hilfswissensohaften und Alter*
tümer,
Diplomatik. Von Prof. Dr. W, Ennitif,
0. Rbdlich und Privattlonent Dr.
Sc n M tT£ K A L l. IS KU KHil .
Paläographie. Von l*rof. !>r MiCKAVt*
Takgl.
Chronologie des MittotatterH und ric^r
Neuheit Von l*rof. Dr. MiriuicL
TAW0L.
aerikldlk und ^[»bimf^itjk.
Archiv- und Akletikutirte,
Historische (ieographie Von Prof* 5Jr
KoNftAD KaKTSCHMRIi. Erifhlimi^ti.
Grutidiüff« d«r mllii'lnUcirllobpü IruMiiM^ii
Deutüebe Alt^rtutnBltirti(J<?,
Da« häusliche f^ben der europftiachen
Kulturvölker vom MUU>laUt*r Id« «ur
zweiten HlLirte des 18. JahrliundortN,
Von Professor Dr. Alwih HcnVLJf,.
Das ODtcraEhmen, du» nich «einer VoUendunt; imgclMLlir 4i> BMnd« timliiicii wird, lit vm
vornberdn so eingericbtet worden» daß jeder Tett, gLciuhvlf^L wie tturk hlHik; BogcMiiAhl lit,
dnieln ali|ef ebtn wird. — Bin jctn »ind folgende ßitnde erichlenen i
Das häusliche Leben der europäischen Kulturvttlker
vom Mittelalter bis zur »weiten Hftlfte de« IS. Jalirhundert«. Von
Dr. Alwin Bchnitz, Professor an der deutschen tJnivnrNitlU tm VtUr'.
Vin u. 43ä S. gr. 8% reich illustriert. Preis broseh. M. 0.— . In Gsmst
leinen geb. M. 10 .50.
Oesohlchte des späteren Mittelalters von im— um Von
Dr. Jebaan LöiCrth, Profennur an dor Universität Graa. XV tind 737 H.
Ö". Preis broHch. M. 16.50, elegant geb. M. 18,—.
Historische Geographie* Von Dr. Eiinr»d KretAefemtr, Uhi^r ftn
der Kriegsakadetnie und Professor an der UniverMitiit ßerltn. VII
und 660 8, 8". Preis broseh. M. 15.—, elegant geb. M. 16.50.
Allgemeine Mttnzicunde und Oeldgeschichte 4f\^ Mitud
vdietn unri der neueren Zeit. Von Dr A. LniehJs reu EbftD|rreath,
UntversitätHprofessor in Grax. XVI u 286 B. 8* Mit 107 Abbflddiigen,
Preis broseh. M- 9.—, in Ganzleinen geb. H. 10.50.
Geschichte des europäischen Staatensystems von \m> bis
17^9. Von Dr. Max Immlcli, weiland Privatdozent an der Univeriltit
EOmgsbeTg i Pr. Xm nnd 402 3. 8«. Pr«i« broach. M. \2—, g«b.
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Handelsgesehichte der romanischen Vollmer des ifiueime«r
gebiets bis xum Ende der Kieuxzöge. Von Fr^iemiof A4o1f S«llU^i,
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Wahl in 2 Bänden hemaisageben, stammt Im Grundi
Kelbflt Nach dem Tode des grofeen Geographen ixaU
Schüler, Herr Dr« H&us Helmolt, der ftchirierij?eii Au^
1200 Arbeiten Ratseb die intereadanieeten and wertv<
und in einem tweib&ndigen Werke zn verein igen.
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Seit 1&69 erflcheiiit
Historische Zeitschrift.
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m Unter MitwirkuiiK von Paul Baflleu* Uoufs Erhardt« Otto Hititzc, Otto ^rauske,
B ntox Ltenz, Sigmund Riezter, IHorilz Bitter, Conrad ^^atrenfrapp, ßarl Zeumer,
uemiiBgegeben von FrledHch Mein6cke»
Dritte Folge.
Jibrlich 2 Bände zu je 3 Heften = 1440 Seiten B^. Preis eines Bandes M. L4. — .
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I Zweite Folge, Bd. 1—60 (der ganzen Reihe Bd. 37—961 kemplett mit Eeflster
statt M. 692.— Biir M. 22&.— .
Einzelne Bände dieser Folge (mit Ausnahme der seit 1900 erschienenen)
atatt M. 11.25 nur M. 5— ^
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Sachliches nnd alphabetisches Register m Band 57-96
der HISTORISCHEN ZEITSCHRIFT.
Umfang ca. 22 Bogen.
t^reiB ca. M, 7,—.
Forschungen zur Geschichte Bayerns
Vierteljahresschrift.
tinter Mitwirktmg Ton Johann FHedHdi, Walter Goeti, tiertnanfi Grauert,
Karl Theodor von Heigei, Georg Leidinger, Richard Graf Du IHoullrii
Georg PreuQ, Sigmund von RlezLer, Henry Simonsleld
herau.HgGgüben von
Michael Doeberl und Karl von Reinhardstöttner.
Freie pro BaDd (4 Vierteljahre shefte) M. 8. — .
Entwickelungsgeschichte Bayerns
von
Dr. M* Doeberl»
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Erster Band:
Ton den ältesten Zelten bis zum Westfälischen Frieden.
X nnd 594 Seiten gr, 8". Preis geh. M. 12.—, elegant geb. M. 13.50.
Der rweite Band wird die Entwickelung bis zur Gründung des Deutechen
Reiches führen und mit einem Aueblicke aujf die Stellung Bayerns im heutigen
Deutschen Reiche achlieBen. Beine Drucklegung wird in Bälde beginnen.
Verlag von R. Oldenbours in München und Berlin W, ll
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des Werkes:
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Die neue Ausgabe kaim komplett »af elamal oder In menatlJeheA
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DIE CALDERON-LITERATUR.
Eine bibliographisch-kritische Übersicht
XU und 314 SeJieii gn S*'. Preis broschiert M. 10.—«
CALDERON-STUDIEN
Dn H. Breymann,
Profenor der ronunlsehen PhiloLogLe mn der Untvenitlt £ti MüncfaeD^
INHALTSVERZEICHNIS: L Bibliographien, 2, Calderona Werke, 3, Über-
setzungen, Bearbeitungen, Nachahmungen^ 4 Bildnisse, 5, Gedichte
auf Calderon, 6, Aufführungen, 7. Erläuterungs- und Ergänzungs-
schriften, 8. Nachtrag.
Der zweite Band — Calderon, Se/n Leben und seine
Werke — befindet sich in Vorbereitung.
KONSTANTINOPEL
unter Sultan Suleiman dem Grossen.
Aufgenommen im Jahre 15 &9 durch
Melchior Loriehs aus Flensburg.
Nach der Handle ich nang des Künstlers in der Universitätsbibliotli^k zu Leiden
mit anderen alten Plänen heTaasgegeben und erläutert
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ProfeBOor der Geog7apliie an der UntT^railÄt 5fünch»n.
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bildungen im Tt*xt und 1 Karte. Preia in Leinw. geb.
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HEFT 111, Bezirksamt WaldoiÜodien, VI und 83 Seiten, gr.S\
fib Abbildangen iiu Text und 1 Karta, PreiB geb, M. SJ
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^ laut f» JlWjjfitfNtfii Mia, mfutk Nbol Mr hta «*i ti§/m$t ■at^tfisia fffivni. an i>firijttii»e
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3)«l ^fdi^ gftctoataMi Sttt^ttostn im tim Uftm be ngfi,
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^mkkm aai M^tfifci CaMotaa« «tf« gcaaa«{ie bat, frfM^<^ i»4tb. ri*i
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im Zusammenhang» d. h, in chrono i Reihenfolge
1^ eltgeschichtlichen Rahmen be!^:^^li^*H r_„: , .l hU?it>r n-irl^
oder Kolontaistaaten. In erste t t üle all
der Kobnicn, (bre territoriale Enr % btriid^^ : „ • rt
Zwecke dienen auch die zmbU Erdkarten, die den ersten
tischen koloniaigeschtchtlichen Attas bilden. Die
kärtchen erlauteni speileile Fragen.
Zu beariehen durch alle Buchhandluniren oder} wo der Bezug
Hindernisse stdSt^ direkt vom Vertag*
Hierzu eine BeUage vo^ 4^i ^,s^tov*Ätiv^^^^xs.^^i.^^«L\x«^>^
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