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Full text of "Ignatius von Antiochien"

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600088083V 


᾿ς -. ἃ 


Ignatius von Antiochien. 


--- ---- 


τὰν 


Ignatius von Antiochien. 


Von 


Theodor Zahn, 


Doctor und ausserordentlichem Profensor der Theologie in Göttingen. 


Gotha. 
Friedrich Andreas Perthes. 
1873. 


Io. R- dar. 


Perthes’ Bouchdruckerei in Gotha. 


Der hochwürdigen 


theologischen Facultät zu Göttingen 


zur Bezeugung 


ehrerbietigen Dankes 


für die mir verliehene Doctorwürde 


gewidmet. 


_ Vorrede. 


Die Untersuchungen über die Briefe des Igna- 
tius und die sonstige ihn betreffende Literatur, 
welche ich hiermit der Oeffentlichkeit tbergebe, 
mögen in mancher Hinsicht der Bevorwortung und 
in Vielem der Entschuldigung bedürfen; ich be- 
schränke mich darauf, den Sinn, in welchem ich 
denselben den Namen des Ignatius zum Titel ge- 
geben habe, etwas deutlicher auszusprechen, als 
es die in viele verwickelte Einzeluntersuchungen 
sich verlierende Darstellung vermochte. 

Die geschichtliche Aufgabe auf dem Gebiete, 
dessen Erforschung auf die Schriften der soge- 
nannten apostolischen Väter als Hauptquellen an- 
gewiesen ist, erkenne ich nicht darin, in irgend 
welchem Sinne des Ausdrucks die Entstehung 


via 


der „allgememen Kirche“ zu erklären; denn diese 
bestand vor Clemens und Hermas, vor Ignatius 
und Polykarp. Einer erklärenden Antwort bedarf 
aber .die Frage, wodurch in den Gemeinden der 
nachapostolischen Zeit das durch die äusseren Um- 
stände so wenig beglinstigte Bewusstsein von 
der „allgemeinen Kirche“ sich ungebrochen er- 
halten hat. Es fehlte nicht nur an rechtlichen 
Formen, sondern auch an Personen und an Hand- 
lungen, durch welche die Zusammengehörigkeit 
der autonomen Gemeinden, die Einheit der Kirche 
zu einem einigermassen deutlichen und stetigen 
Ausdruck hätte kommen können. Die Apostel, 
deren Beauftragung alle Länder und in gewissem 
Sinne auch alle Zeiten umspannte, innerhalb deren 
Gemeinden entstehen, hatten nach der Anschauung 
jener Zeit keine Nachfolger ihres Berufs und ihres 
Rechts. Ein tber die Ortsgemeinde übergreifendes 
Kirchenamt, Versammlungen, welche grössere Kreise 
vertreten hätten, Regeln der gemeingültigen Lehre 
und des kirchlichen Handelns, welche durch Ueber- 
einkunft festgestellt worden oder auf dem Wege 
der sich ausbreitenden Sitte allgemeines Gesetz ge- 
worden wären, gab es noch nicht, und doch wussten 
und benannten sich die Gemeinden „von Syrien 
bis Rom“ und darüber hinaus „bis zur Grenze 
des Westens“ als „Brüderschaft“, als „einen 


ΙΧ 


Körper“ τη einer Seele, als ein nach einheit- 
lichem Plane ausgeführtes „Bauwerk“, als „die 
Kirche“, welche im Unterschied von der Orts- 
gemeinde atıch schon „die allgemeine“ genannt 
wurde. Zur Erklärung hiervon genügt es .aller- 
dings nicht, auf die der äusserlichen geschichtlichen 
Betrachtung sich entziehenden Kräfte der geschicht- 
lichen Bewegung zu verweisen, obwohl die Dar- 
stellung der Entwicklung der Kirche, je höher 
hinauf man sie verfolgt, um so weniger dieses 
Hintergrunds entrathen kann. Aber jene Kräfte 
wirken auch in den Formen gemeingeschichtlichen 
Verlaufs, und deshalb ist die beregte Frage eine 
geschichtliche im gewöhnlichen niederen Sinn des 
Worts.. Die Antwort ist nicht mit einem Worte 
gegeben, und nur ein einzelnes Moment zu be- 
‚ tonen, gibt die gegenwärtige Aufgabe Anlass. 
Nächst den Erinnerungen und den schriftlichen 
Denkmälern aus apostolischer Zeit sind es vor allem 
Persönlichkeiten gewesen, welche, übergreifend tiber 
den engen Kreis der Einzelgemeinde, auf das Ge- 
meinbewusstsein der Kirche bestimmend einwirkten; 
Persönlichkeiten, sage ich, nicht denkende und 
schriftstellernde Geister. Wenn sie zur Feder 
greifen, so ist das ein Nothbehelf, ein unterge- 
ordnetes Mittel ihrer Einwirkung auf das kirchliche 
Leben. Was sie schrieben, war zumeist deshalb 


Χ 


für ihre Zeit bedeutsam, weil diese Männer es 
schrieben, in welchen das, was Allen als das Er- 
strebenswerthe und Nothwendige vorschwebte, greif- 
bare, zur Nachfolge und zur Unterordnung auf- 
fordernde Gestalt gewonnen hatte. 

Das merkwürdigste Beispiel dieser Art von 
Persönlichkeiten ist Ignatius. Neben ihm steht 
Polykarp, der durch sein langes Leben zwei beinah 
durch ein Jahrhundert getrennte Generationen mit 
einander verbinde. Auf der langen Dauer seines 
im Dienst seiner Gemeinde und der Kirche würdig 
geführten und würdig beschlossenen Lebens beruht 
nicht am wenigsten seine stille, aber nachhaltige 
Wirkung. Er ist eine ehrwürdige, keine charakte- 
ristische Erscheinung; weder sein Wollen noch sein 
Denken zeigt eigenthümliche Gestalt. Durchaus 
eigenartig dagegen steht Ignatius da, überall das. 
Maass der Alltäglichen überschreitend, seiner Eigen- 
thümlichkeit bewusst, und ‚dennoch der Wahrheit, 
- die für Alle die gleiche ist, in religiöser und in 
sittlicher Hinsicht sich unterwerfend. Wir würden 
von ikm ‚wahrscheinlich nur den Namen wissen 
— ohne doch darum sagen zu können, dass er 
nicht ein Mann von durchschlagender Wirkung auf 
seine Zeitgenossen gewesen sei —, wenn nicht die 
wenigen Tage, die er unfreiwillig in Smyrna und 
Troas zubrachte, in den sieben damals von ihm 


ΧΙ 


geschriebenen Briefen ein treues und lebensvolles 
Bild zurückgelassen hätten, auf welches sefort die 
Verehrung übertragen wurde, welche dem bedeuten- 
den Manne und dem Märtyrer zunächst galt. Der 
Einfluss, welchen die in jedem Betracht ausser- 
ordentliche Lage des Ignatius auf Ton und Fassung 
seiner Briefe augtben musste, ist freilich nicht 
ausser Acht zu lassen. Es wird dem, wie ich hoffe, 
in meiner Darstellung ihres Inhalts mehr Recht 
widerfahren, als bisher geschehen ist. Aber die 
vorübergehende Lage hat nicht diesen christlichen 
Charakter geschaffen; sie veranlasste nur dessen 
rücksichtslose Asusserung. 

Mein Versuch, den Kchten Kern der ignatiani- 
schen Literatur und die darin beurkundete Er- 
schemung dem Verständnis näherzubringen, hätte 
‚kürzer ausfallen können, wenn der Director der 
- Domschule zu Ratzeburg, K. Fr. Τὶ, Arndt (F als 
Kirchenrath und Pastor zu Schlagsdorf 1862), 
welcher sich durch einen Aufsatz über die ignatia- 
nische Frage in den Studien und Kritiken (1839) 
als ttichtigen Kenner derselben erwiesen hat, sein 
grösseres Werk veröffentlicht hätte, welches schon 
damals acht Jahre lang auf einen Verleger wartete. 
Nachdem ein grosser 'Theils meines Manuscripts 
bereits in die Druckerei geschickt war, erhielt ich 
durch die Güte des Herm Probst Russwurm zu 


ΧΙ 
Ratzeburg das vollständig druckfertige Werk unter 
dem Titel: „Die sieben ächten Briefe des Ignatius 
‘von Antiochien und der Brief des Polykarp von 
Smyrna, kritisch bearbeitet von K. Fr. L. Arndt.“ 
Erster 'Theil: Einleitende Abhandlung und Text 
[mit textkritischem Commentar. Zweiter Theil: 
Uebersetzung und [erklärende] Anmerkungen. Im 
Anhang die Acta martyrii Ignatıi. Vorrede vom 
17. October 1831. — Besonders deshalb ἰδὲ zu be- 
dauern, dass dieses durch philologische Gelehrsamkeit, 
genaue Kenntnis der älteren Arbeiten über Ignatius 
und gediegenes Urtheil ausgezeichnete Werk nicht 
seiner Zeit gedruckt worden ist, weil dann die 
deutschen Theologen .nicht so unvorbereitet, wie 
es nun der Fall war, in die alte Streitfrage ein- 
getreten wären, als die Entdeckung der syrischen 
Uebersetzung sie aufs neue anregte. Von der 
mir bereitwilligst gegebenen Erlaubnis, mich auf 
Arndt’s Werk berufen zu dürfen, habe ich ın der 
zweiten Hälfte meines Buchs zuweilen Gebrauch 
gemacht. Etwas früher ging mir Mösingers „Sup- 
plementum corporis Ignatiani“ zu, so dass ich es 
fir meine im wesentlichen fertige Arbeit noch 
vollständig benutzen konnte. Die in der Vorrede 
enthaltene Ankündigung des Herausgebers, dass er 
sich zur Abfassung neuer Vindiciae Ignatianae 
rüste, konnte mich, auch abgesehn davon, dass es 


ΧΙ 


meine Absicht nicht war, ein Seitenstück zu 
Pearsons Werk zu liefern, nicht abhalten, sofort 
mit dieser Arbeit hervorzutreten, zumal ich aus 
eigener Erfahrung weiss, dass zwischen dem Ent- 
schluss, über Ignatius zu schreiben, und seiner 
Ausführung Jahr und Tag vergehn kann. 

Es wäre erwünscht gewesen, einen gesicher- 
ten oder doch nach richtigen Grundsätzen her- 
gestellten Text der sieben Briefe zu Grunde legen 
zu können. Wie wenig die bisherigen Ausgaben 
und besonders die jüngsten auch nur zur Einsicht 
in den Bestand der Ueberlieferung befähigen, sieht 
Jeder, der sie studirt. Aber mehr als in anderen 
Fällen steht in diesem die textkritische Arbeit mit 
der literarhistorischen und exegetischen im Ver- 
hältnis wechselseitiger Abhängigkeit. Daher glaubte 
ich mich für diesmal darauf beschränken zu dür- 
fen, dass ich aus dem textkritischen Commentar, 
der meine erste Vorarbeit war, gelegentlich und 
in dem ersten Anhang das Erforderliche mittheilte. 
Die Absicht, den Text nicht nur der kürzeren 
Recension, um die es sich zuletzt handelt, sondern 
auch der längeren, welche zur Herstellung des ur- 
sprünglichen Textes ganz unentbehrlich ist, her- 
auszugeben, habe ich zurückgeschoben, aber nicht 
aufgegeben. 

Schliesslich habe ich noch besondere Ent- 


ΧΙΝ 


sehuldigung ir Bezug auf die syrischen Worte zu 
erbitten. Die hier angewaudten Typen machen so 
geringen Unterschied zwischen Jud und Schin, dass 
aı manchen Stellen dadurch eine Verwechselung 
stattgefunden hat. In Bezug auf andere Versehen, 
die mir allein zur Last fallen, verweise ich auf 
die Berichtigungen am Schluss des Buehs. 


Göttingen, den 4. April 1873. 


Th. Zahn. 


Inhalt, 


Vorrede . 
1. Die Nachrichten über Ignatius 8. τ τῷ. 
1. Uebersicht über die bisher bekannt gewordenen Martyrien 


2. Die zwei ältesten Martyrien und ihr Verhältnis zu den 


späteren Bearbeitungen 

3. Kritik der vergleichsweise ursprünglichen Martyrien 

4. Die ältere “ebertieferung und die späteren Sagen tiber 
Ignatius . re 


II. Geschichte der ignatianischen Briefe seit Eusebius 
(S. 75—240). 
1. Die verschiedenen Sammlungen ignatianischer Briefe 
2. Der Fälscher . . 
3. Die ignatianischen Briefe bei den Syrern 


III. Der geschichtliche Gehalt der Briefe des Ignatius und 
des Polykarpus (S. 241—399). 
1. Die Christenverfolgung zu Antiochien und der Process 
des Ignatius . En 
. Die Reise des Ignatius 
. Die Kirchenverfassungsverhälfnisse. 
. Das Gemeindeleben und der Gottesdienst 
. Die häretische Bewegung . . . 2 2 2.0. 


mm 


75 
116 
167 


242 
250 
295 
332 
856 


ΧΥΙ 


IV. Die Persönlichkeit und die Denkweise des Ignatius 
(ὃ. 400—490). 


Seite 


1. Der Mensch und Märtyrer 400 

2. Der Kirchenmann 424 

3. Der Theologe . 453 

V. Die Aechtheit der Briefe des Ignatius und des Poly- 

karpus (ὃ. 491 —541). 

1. Die Aechtheit und Einheit des Polykarpbriefs . 495 

2. Andere Zeugnisse für die ignatianischen Briefe . . 51 

3. Die innere Kritik 529 
Anhänge ($. 542-621): 

I. Textkritisches . 542 

II. Sachliches . . . 577 

, III. Literarische Abhängigkeiten 594 

Register 622 

Berichtigungen und Zusätze . 630 


1. 
Die Nachrichten über Ignatius. 


— nn nn 


Will man den ursprünglichen Kern der weitschichtigen 
Literatur, welche sich an den Namen des Ignatius gehängt 
‚hat, sicher herausfinden, so darf man sich die Mühe einer vor- 
sichtigen Untersuchung auch der jüngeren Schichten, welche 
den Kern verdeckt, zugleich aber auch erhalten haben, nicht 
verdriessen lassen. Sie sind nicht werthlos für die Geschichte 
der Verbreitung und die Textgestalt der jedesmal früheren 
Schicht und zuletzt des Kerns selbst. Dies gilt von den 
Nachrichten über Ignatius mit Einschluss der martyrologischen 
nicht minder, als von den Interpolationen, Vermehrungen und 
Uebersetzungen der sieben Briefe, welche Euseb kannte. Der 
Umstand, dass Forscher von der Bedeutung eines Ussher und 
von der Nüchternheit eines Gieseler eines der Martyrien für 
ein im wesentlichen ächtes und glaubwürdiges Document der 
letzten Schicksale des Märtyrers hielten, würde an sich eine 
umständliche Untersuchung noch nicht erforderlich machen. 
Sie ist aber andererseits auch nicht dadurch überflüssig ge- 
macht, dass heutzutage, soviel ich weiss, nur noch katholische 
Theologen mit unzureichenden Mitteln die Aechtheit jenes 
Martyriums verfechten. 


Zahn, Ignatius. l 


I. Uebersicht über die bisher bekannt gewordenen Mar- 
tyrien. 


1) Ein lateinisches Martyrium gab J. Ussher in der 
 appendix Ignatiana (1647) zuerst heraus nach zwei sehr 
nahe verwandten Handschriften, über welche später zu reden 
ist, da ein und dieselbe Uebersetzung ausser dem in das 
Martyrium eingeschalteten Römerbrief eine ganze Sammlung 
ignatianischer Briefe umfasst (m. angl.). 

2) Aus einem cod. bibl. Cotton. theilte Ussher gleichzeitig 
die erste Hälfte eines gleichfalls lateinischen Martyriums mit. 
Soweit es nämlich dem vorigen entsprach, liess er es parallel 
mit demselben abdrucken (m. cott.) 1). 

3) Ein griechisches Martyrium fand Ussher in einer 
oxforder Handschrift ?2) und charakterisirte es ausreichend durch 
ausführliche Citate und Vergleichungen in der Vorrede und 
den Noten zu den lateinischen Martyrien (m. oxon.). 

. 4) Eine lateinische vita Ignatii gab G. Henschen in den 
Act. SS. Febr. I, 29—33, cf. pag. 13 nach mehreren, „sehr 
alten“ Handschriften heraus (m. boll.). 

5) Nachdem schon Henschen bei seiner Ausgabe der 
lateinischen Uebersetzung der Arbeit des Symeon Metaphrastes 
zum 20. December (Act. SS. Febr. I, 24 sqq.) eine griechische 
Handschrift benutzt hatte, veröffentlichte den griechischen 
Text zuerst J. B. Cotelier (e mss. reg. [ed. Cler. von 1724, 
II, 163 54ᾳ4ᾳ.}. Von Dressel (Patr. ap., 350 864. proll. LVII. 
LX) wurden drei römische, von Mösinger (Supplem. corp. Ign., 
p. 21 sq.) eine münchener Handschrift verglichen. 


- 1) C£. Ussh. praef. (Cler. II, 172). Zwei Handschriften derselben 
Recension scheinen die bei Grabe I, 5 und Smith, p. 45 charakte- 
risirten zu sein. Eine offenbar viel jüngere Bearbeitung, aus welcher 
Smith 1. ὁ. Einiges mittheilt, verdient nicht besonders aufgeführt zu 
werden. 

2) Nach Smith, p. 45 = barocc. CXCO. Eine andre Handschrift 
derselben Acten citirt Grabe II, 4. 


ἃ 


6) Im Anhang seiner Acta prim. mart. sincerg ver- 
öffentlichte Ruinart ein griechisches Martyrium !) nach cod. 
colb. 460, den Jakobson als cod. reg. 1451 wieder ver» 
gliehen hat (m, colb.). 

7) Unter den von Jos. Sim. Assemani nach Rom gebrach- 
ten syrischen Handschriften fanden sich zwei meist identische 
Sammlungen von Acta martyrum orientalium et occidenta- 
lium, in der zuerst genannten, und zwar unter den Occiden- 
talen als n. 28 ein Martyrium des Ignatius . Aus einer 
Sammlung von 39 syrischen Martyrien, worunter eins van 
Ignatius "handelt, liess Stoph. Euod. Assemani nur 14 in- 
haltlich bis dahin unbekannte, aber nicht das des Ignatius 
abdrucken ὃ. Nur zu vermuthen ist demnach, dass dies 
syrische Maytyrium identisch ist mit dem m, colk., dann 
aber auch mit dem syrischen Martyrium, von welchem Cure- 
ton ein bedeutendes Bruchstück nach einer ziemlich jungen 
Handschrift bekannt machte ἢ). Vollständig ist letzteres nach 
einer im Anftrag der Propaganda angefertigten Abschrift 
einer älteren Handschrift erst neuerdings von Mösinger °) edirt 
(m. syr.), 

8) Ein armenisches Martyrium gab Petermann nebst 
lateinischer Uebersetzung nach J. B. Aucher in Ign. epp,, 
p. 496 844. heraus (m, arm.). 

9) Ein griechisches liess Dressel nach einem cod. vatic. 
866, angeblich aus dem 10. Jahrhundert, drucken (m. vat.) ὅ). 


1) Von mir benutzt in der 2. Ansg, von 1713 p. 13agqq., aber 
nach der gegen Ende abweichenden Kapitelzählung der neuen Ausgaben 
eitirt. 

2) Bibl. or. I, 606. Auch p. 614 in einer brevis historia patrum 
kommt nach Petrus, Paulus, Dionysius Areop. auch Ignatius an die 
Reihe. 

3) Acta SS. orient. et occident. II, praef., ἢ, 5. 

4) Corp. Ign., 222 sqq. 252sqq. 361 qq. 

5) 1. 1, p. 1—11 des syrischen Textes, p. 4. 7sqq. des lateinischen. 

6) Patr. ap., p. 368sqgq.; cf. prolegg. XXXII. LVU. Hiermit 
scheint identisch das eine der koptischen Martyrien, worüber Cur., p. 362 
aus Peyron Einiges mittbeil. Das andre, worüber ein Brief Tattams 

1 % 


4 


Das m. 6010. ist das Original des m. angl., das wegen 
strenger Wörtlichkeit der Uebersetzung, auch wo Misverständ- 
nisse vorliegen, einer griechischen Handschrift gleichzu- 
schätzen ist. Sieht man von Schreib- oder Lesefehlern wie 
τετάρτῳ Statt ἐννάτῳ (c. 2) ab, so ist der dieser lateinischen 
Uebersetzung zu Grunde liegende griechische Text dem des 
cod. colb. durchweg vorzuziehen. Mit diesem m. colb. — 
angl. ist ferner identisch das m. syr. Schon das von Cureton 
herausgegebene Fragment, welches im 2. Kapitel des darin ein- 
geschalteten Römerbriefs abbricht, von der Erzählung also 
nicht viel mehr als die Hälfte enthält, liess das zu Grunde 
liegende griechische Original sowohl in seiner Identität mit 
m. colb., als in seiner Verschiedenheit von anderen Martyrien, 
welche nur theilweise hiermit verwandt sind, wie cott. und 
boll., erkennen. Es stimmt z. B. im Eingange in folgenden Punk- 
ten mit colb. gegen cott. und boll. überein. Syr. las offenbar !), 
obwohl seine Uebersetzung hier nichts weniger als wörtlich 
zu nennen ist, ἐκυβέρνα und nicht das gubernandam suscepit des 
cott. und des boll. Es erwähnt syr. (Cur. 222, 8; Moes. 3, 6) den 
Domitian. Ebendort las der Uebersetzer τῷ οἴακι τῆς προς- 
ευχῆς καὶ τῆς νηστείας, wenn er auch, wie das Pluralzeichen 
in der cureton’schen Handschrift über λό bezeugt, wegen 
der Doppelheit der als ein Steuern vorgestellten Thätigkeiten 
das Steuerruder multiplicirt haben sollte. Mehrfach schliesst 
sich syr. dem vorzüglicheren Text des angl. gegen colb. an. 
So bestätigt z. B. das la Sal ;As „io (Üur. 222, 18. 
Moes. 3, 15), wenn man von dem Zahlenfehler des angl. ab- 
sieht, dessen post quartum annum gegenüber dem μετὰ ταῦτα 


an Cureton berichtet, würde sich von allen bekannt gewordenen Mar- 
tyrien durch den Anspruch, ein Werk des Diakonus Heron zu sein, 
unterscheiden, wenn dem nämlich wirklich so sein sollte. — Ueber die 
von Mösinger herausgegebene Passio 8. Ignatii (p. 18sqgq.), welche nicht 
hieher, sondern mit Ado’s und seiner Nachfolger Arbeiten zusammengehört, 
s. weiter unten. 

1) Cur. 222, 7, dessen Text Mösinger in der adn. auf p. 23 hier 
mit Recht den Vorzug vor der römischen Handschrift gibt. 


5 


Zvvarın ἔτει des colb. Das ἐμὴν vor ἁμαρτίαν (colb., 6. 2) 
fehlt im syr. (Cur. 223, 15. Moes. 4, 22) ebenso wie in 
angl., übrigens auch in cott., boll., $ 2, metaphr., c. 6. Die 
bedeutenderen Abweichungen des syr. beruben meist auf Mis- 
verständnis verwickelter Sätze (colb., c. 3 fin. 4 in). Von 
schriftstellerischer Bemühung ist nichts zu bemerken, man 
müste denn etwa dahin rechnen die Ersetzung von IX Kal. 
Sept. im Datum des Römerbriefs durch den 11. Ab (Moes. 
10, 11) oder des 20. December, des Todestags des Ignatius, 
durch den 17. Tag des anderen Teschri (Moes. 12, 1), oder 
so harmlose Erweiterungen, wie wenn statt der Worte εἰς 
τέρψιν τοῦ δήμου der ganze Satz steht: „und (dass) an ihm 
sich freue das Volk der Römer, wenn sie sehen, was ihm be- 
gegnet‘‘ (Cur. 223, 21. Moes. 4, 29). Das m. syr. erweist 
sich als eine nicht gerade wortgetreue, aber aus gutem Text 
geflossene Uebersetzung des m. colb. 

Identisch sind ferner m. oxon. und vat., wovon Dressel 
bei seiner Herausgabe nichts geahnt zu haben scheint. Die 
Vergleichung der Mittheilungen Usshers, welche sich theils 
direct auf das oxon., theils auf das cott. in seiner von Ussher 
richtig erkannten Abhängigkeit von dem griechischen biographus 
recentior beziehen, zeigt, dass die Abweichungen zwischen oxon. 
und vat. nicht wesentlich hinausgehen über die Verschieden- 
heit zweier Handschriften derartiger Schriftstücke, in welche 
man einzelne Notizen nach Willkür oder nach anderen Be- 
richten zu allen Zeiten leicht eingetragen hat. Der Gang der 
Erzählung ist durchaus der gleiche ἢ). Die Uebereinstimmung 
des Wortlauts wird folgende Zusammenstellung veranschau- 
lichen. Der Anfang lautet: 
m.oxon. (Cler.171,ef. 173,not.1) | m. vat. (Dress. 368) 

Ἔν ἔτει ἐννάτῳ τῆς βασιλείας | Ἐν ἔτει πέμπτῳ τῆς βασιλείας 
Τραϊανοῦ Καίσαρος ἐν ὑπατίᾳ | Τραϊανοῦ Καίσαρος καὶ δευ- 


) “ῸΦ « ) ἦ 
“Ἵττιχοῦ καὶ Σουρβανοῦ χαὶ τέρῳ ἔτει ἐνυπατίας Δττγκου 


1) Vgl. ausser der praef. Ussh. (Cler. II, 171) besonders p. 175, 
not. 6. 


ἹΜαρκέλλου ᾿Ιγνάτιος ἐπίόκο- 
nos τῆς ἐν Ἀντιοχείᾳ ἁγίας 
τοῦ ϑεσῦ ἐκκλησίας δεύτερος 
μετὰ τοὺς ἀποστόλους γενό- 
μένος — Εὐώδιον γὰρ διεδέ- 
Euro — μετὰ ἐπιμελεστάτης 
φρουρῶν φυλακῆς ἀπὸ Συρίας 
ἐπὶ τὴν Ῥώμην παρεπέμῳφϑή 
τῆς εἷς Χριστὸν ἕνεκα μαρ- 
τυρίας. Hieran schliesst sich 
unmittelbar an Ussh. adn., 
p. 34: Ἦσαν δὲ οἱ φυλάσ- 
σοντες αὑτὸν Τραϊανοῦ προ- 


καὶ Σουρβίνου καὶ Μαρκέλλου 
Ἰγνάτιος ἐπίσκοπος τῆς Avyrıo- 
χέων τοῦ ϑεοῦ ἐκκλησίας δεύ- 
τέρος μετὰ τοὺς ἀποστύλους 
Εὐόδιον γὰρ 
διεδέδβατο --- μετὰ ἐπιμελεσ- 
τάτης φρουροφυλακῆς ἀπὸ Συ- 
ρίας ἐπὶ τὴν Ῥωμαίων πόλιν 
πιρεπέμφϑη τῆς εἰς τὸν Χρισ- 
τὸν ἕνεκα μαρτυρίας. Ἦσαν δὲ 


γενόμενος --- 


οἱ φυλάσσοντες αὐτὸν Τραϊανοῦ 
προτίκτορες δέκα τὸν ἀριϑμὸν 
ἀνήμεροί τινὲς καὶ ϑηριωδὴ 


ἀνήμεροί τινὲς καὶ ϑηρίων 


| 
τίχτορες δέχα τὸν = 
τρόπους ἔχοντες. 


Gegen Ende liest man 

(Cler. 178, not. 1. 8): 
Ἔδραμον ἐπ᾿ αὐτὸν οἱ λέοντες καὶ 
ἐξ ἑκατέρων τῶν μερῶν σπαράξαντες 
χατέδοντο αὐτοῦ, ὡς παρ᾽ αὐτὰ τοῦ 
ἁγίου μάρτυρος ᾿Ιγνατίου πληροῦσϑαι 
τὴν εὐχὴν καὶ τὴν ἐπιϑυμίαν — 


κατὰ TO, γεγραμμένον", ἐπιϑυμία 
δικαίου δεκτή“. --- ἵνα, ὥσπερ ἔγ- 


ouyer ἐν τῇ ἐπιστολῇ ὁ ἅγιος, μη- 
δενὲ τῶν ἀδελφῶν ἐπαχϑεὶς (leg. 
ἐπαχϑῆὴς) εὑρεϑείη δι᾿ αὐτῆς συλ- 
λογῆς τοῦ λειψάνου. not. 8: Κατὰ 
γὰρ τὴν αὐτοῦ αἴτησιν μόνα τὰ 
τραχύτερα τῶν ἁγίων αὐτοῦ ὀστέων 
περιελείφϑη, (not. ὅ : &) φυλακτήριον 
διετηροῦντο τῇ “Ῥωμαίων μεγαλο- 
πόλει, ἔν 7 καὶ Πέτρος ἐσταυρώϑη 
καὶ Παῦλος τῆν κεφαλὴν ἀπετμήϑη 
καὶ Ὀνήσιμος τῇ τῶν σκελών κλάσει 


\ ω ᾽ 
τὸν τροπὸν ἔχοντες. 


m. vat. (]. 1. 374): 

ἔδραμον πρὸς 
αὐτὸν οἱ λέοντες καὶ ἐξ 
ἑκατέρων τῶν μερῶν προ- 
σπεσόντες ἀπέπνιξαν αὐ- 
τὸν μόνον, οὐκ ἔϑιγον 
αὑτοῦ τῶν σαρκῶν (WÄh- 
rend sich hieran der 
gleichfolgende Satz un- 
mittelbar anschliesst, hat 
m. oxon. seine Abwei- 
chung und Erweiterung, 
wie namentlich dieW orte 
ὡς παρ᾽ αὐτά κ. τ. λ. 
zeigen, durch eine Be- 
rücksichtigung des m. 
colb. gewonnen), ἵνα ro 
λείψανον αὐτοῦ ἦν φυ- 
λαχκτήριον τῇ Ῥωμαίων 


7 


τὸ τέλος ἐδέξατο ἐν δόξῃ Χρι- | πόλει, ἐν 7 καὶ Πέτρος 
στοῦ. | ἐσταυρώϑη καὶ Παῦλος 
ἀπετμήϑη τὴν κεφαλὴν 
καὶ Ὀνήσιμος ἐτελειώϑη 

ἐν δόξῃ Χριστοῦ. 
Hieran schliesst sich, in m. vat. nur durch den Satz: Ὁ δὲ 
Τραϊανὸς ἐξαναστὰς ἐν ϑαυμασμῷ ἦν ἐχπληττόμενος getrennt, 
Folgendes in beiden Martyrien (die Abweichungen des vat. 
bei Dressel sind in den Text des oxon. nach Cler. 182, not. 
eingeschaltet): x. δὲ αὐτῷ (καὶ) γράμματα παρὰ Παιωνίου 
(Πλινίου) Σεκούνδου ἡγεμόνος (ἡγεμῶνος), νικηϑέντος Κ(κινη- 
ϑέντος) ἐπὶ τῷ πλήϑει τῶν γινομένων (γενομένων) μαρτύρων 
καὶ ὅπως (ὡς ἀτρώτως Ohne καί) ὑπὲρ τῆς πίστεως ἀδίκως 
(om.) ἀναιροῦντο (ἀναιρεϑέντων)" ἅμα δὲ ἐν ταὐτῷ καὶ (τῷ 
αὐτῷ Ohne καί) μηνύοντος (μηνύοντα), μηδὲν ἀνόσιον μηδὲ 
παράνομον (παρὰ τοὺς νόμους) πράττειν αὑτοὺς πλὴν τὸ 
(τοῦ γε) ἅμα τῇ ἕω (Ewa) διεγειρομένους (καὶ τὸν) Χριστὸν 
τὸν μονογενῆ υἱὸν (τὸν — υἱὸν 0M.) τοῦ ϑεοῦ (δίκην) προς- 
χυνεῖν" (καὶ) ὑπὲρ τούτου μόνου (0M.) δίκην ὑπέχειν " τὸ 
δὲ μοιχεύειν καὶ φονεύειν καὶ τὰ συγγενῆ τούτοις ἀϑέμιτα 
πλημμελήματα καὶ αὐτοὺς ἀπαγορεύειν πάντας (ἀπαγορεύειν, 
πάντα δὲ πράττειν ἀκολούϑως) Πρὸς & τὸν (πρός αὐτὸν, 
Dress. add. γέγραπται) Τραϊανὸν ἔννοιαν (ἐπ ἐννοίᾳ) λαβόντα 
τὰ κατὰ τὸν μακάριον (καὶ ἅγιον) Ἰγνάτιον (προβάντα) — ἦν 
γὰρ πρόμαχος τῶν λοιπῶν μαρτύρων --- δόγμα τοιοῦτον τε- 
ϑεικέναι (τεϑηκέναι)" τὸ τῶν (0M.) Χριστιανῶν φῦλον ἐκζη- 

τεῖσϑαι μὲν, εὑρεϑὲν δὲ μὴ κολάζεσθαι (ἀναιρεῖσϑαι). 
An den in beiden Drucken gemeinsamen Satz: καὶ ἔστιν 
ἢ μνήμη τοῦ ϑεοφιλεστάτου καὶ γενναίου μάρτυρος ᾿Ιγνατίου 
μηνὶ Iexeußglw κ΄. auf welchen in m. vat. nur noch eine 
Doxologie folgt (p. 375), schliesst m. oxon. (l. 1. 179, 
not. 5): ἐνεχϑώτων δὲ ἐν Avyriogeia τῶν τιμίων αὐτοῦ 
λειμάνων μηνὶ ᾿Ιαννουαρίῳ εἴχάδι ἐννάτῃ. --- Nach alle dem 
ist zu urtheilen, dass m. oxon. eine um einige Zusätze 
aus anderen Quellen vermehrte Abschrift des in dem 
von Dressel abgedruckten cod. vat. enthaltenen Martyri- 

ums ist. 


8 


Ganz ähnlich verhalten sich zu einander cott. und boll. 
Beide sind, wie später nachzuweisen ist, nichts weiter als eine 
Combination von colb. und vat., und zwar eine ziemlich me- 
chanische. Ersterem folgen sie bis zur Ankunft des Ignatius 
in Rom, ohne jedoch den darin eingeschalteten Römerbrief 
mit den unmittelbar vorangehenden Worten aufzunehmen. 
Von da an geben sie ebenso wörtlich das m. vat. wieder. 
Mit den Worten: Denique una die et ea nocte prosperis ven- 
tis usi pervenerunt ad urbem Romam (cott. bei Cler. 177; boll., 
8 5 fin.) machen beide den Uebergang von der ersten Quelle 
zur zweiten. Wie der völlige Gleichlaut der eben angeführ- 
ten Worte, so beweist die Vergleichung, soweit überhaupt das 
nur bis zur Mitte zusammenhängend abgedruckte, von da an 
bruchstückweise bekannt gewordene cott. mit boll. verglichen 
werden kann, dass hier nicht etwa zwei verwandte Combina- 
tionen älterer Quellen, sondern zwei Handschriften eines 
Werks vorliegen, und zwar einer lateinischen Uebersetzung 
einer griechischen Schrift dieses Inhalts. Der an sich ebenso 
denkbare Fall, dass erst ein Lateiner aus zwei in’s Lateinische 
übersetzten griechischen Quellen dieses Werk zusammenge- 
stellt hätte, wird wenigstens dadurch sehr unwahrscheinlich, 
dass die einzige uns erhaltene und bekannte lateinische Ueber- 
setzung der einen der beiden Quellen, des m. colb., nicht dem 
lateinischen Bearbeiter des cott. zu Grunde gelegen hat. Die 
Abweichungen aber vom colb. sowohl als von seiner wört- 
lichen Uebersetzung, dem angl., sind bei cott. und boll. 
wesentlich die gleichen. Das Verhältnis wird durch folgende 
Zusammenstellungen deutlich werden (die Abweichungen des 
boll. und cott. sind eingeschaltet): 

eott. (boll., 8 1) | angl. 
tamquam bonus (pastor atque) | quemadmodum gubernator bo- 
gubernator omnes infestatio- | nus gubernaculo orationis et 
nes suis orationibus repelle- | jejunii, continuitate doctrinae, 
bat et jejuniis atque assidua | robore spirituali fluctuationi 
doctrina (doctrina assidua) | adversanti se opposuit poten- 
et labore spirituali (spiritali) | tiae, timens, ne aliquem 
incumbentem tempestatem sua | eorum qui pusillanimes et 


9 


virtute avertebat timens, ne |; magis simplices, prosterne- 
aliquem pusillanimem (— um) | ret..... se 20000. 
aut infirmum amitteret. ... . 

Et cum inde ascenderet ad Et illine (cod. Caj. illuc) 
Tyranicum (Tyrannicum et | ascendens Tyrannicum (Turan- 
transiret insulas et civitates), | nicum) et; transiens insulas et 
ostensum est sancto Pontiolo | ceivitates, ostensis sancto Po- 
(Potiolo) episcopo, quod ipse | ciolis, ipse quidem exire festi- 
transiturus esset. Et obviam | navit, secundum vestigia am- 
ei exiens festinabat sequi ejus | bulare volens apostoli Pauli. 
vestigia (vestigia ejus) tam- | Ut autem incidens violentus 
gquam apostoli Pauli. Et non | non concessit ventus, nave ἃ 
potuit sequi, spiritu navis | prora repulsa, beatificans illam, 
prorae incumbente. Et Igna- | quae in illo loco, fratrım cha- 
tius (om.) beatificans in eo Ä ritatem, sic transnavigavit. 
loco fratrem suum in dilec- 
tione ita navigarvit. | 

Gegen Ende liest man in cott. (Cler. 179, not. 5) und 
boll., ὃ 18: ut reliquiae ejus tuitio essent Romanorunı 1) 
magnae urbi, in qua Petrus crucifixus est et Paulus de- 
collatus et Onesimus lapidatus. Sodann (cott. 1. 1., not. 6; 
boll., 8 21): Passus est autem consulatu Attici et Marcelli 
Kalendis Februarii, quo die etiam memoria ejus a fidelibus 
solemniter celebratur, wozu nur eine Handschrift des boll. 
noch einen Zusatz über die Translation nach Antiochien am 
17. December macht. Die Abweichungen des cott. von boll. 
sind überhaupt kaum erheblicher, wie die zwischen den Hand- 
schriften des boll. selbst. Nur selten wie in der obigen 
Stelle über die Fahrt auf dem tyrrhenischen Meer haben alle 
Handschriften des boll. kleine Zusätze aus derselben zweiten 
Quelle, welcher boll. im übrigen ebenso wie cott. erst von 
der Ankunft in Rom an folgt. Bei der Einfacheit des Ab- 
hängigkeitsverhältnisses zwischen boll. und cott. einerseits 


1) cott. fügt et hinzu; cf. Ado de festiv. ed Georg. 1, 45, wo aber 
dann urbis statt urbi folgt. 


10 


und colb. (angl.) und vat. (oxon.) andererseits leuchtet von 
selbst ein, dass in Fällen der bezeichneten Art cott. den ur- 
sprünglichen Text darstellt, boll. aber durch nachträgliche 
Vergleichung mit einer der beiden Quellen, woraus das grie- 
chische Original eompilirt war, die wenigen Zusätze gewonnen 
hat. Es bleibt also dabei, dass boll. und cott. ein nur in 
diesen beiden wesentlich identischen Recensionen seiner 
lateinischen Uebersetzung erhaltenes griechisches Martyrium 
darstellen. 

Weitere Nachweise durchgängiger Identität mehrfach 
überlieferter Martyrien lassen sich nicht führen, und es bleiben 
als schriftstellerische Arbeiten übrig: 1) m. colb. mit seiner 
lateinischen (angl.) und syrischen Uebersetzung; 2) m. vat., 
welches in m. oxon. eine unbedeutende Umarbeitung erfahren 
hat; 3) m. cott. (= boll.); 4) m. arm.; 5) metaphr. 


2. Die zwei ältesten Martyrien und ihr Verhältnis zu 
den späteren Bearbeitungen. 


Untersucht man diese Martyrien unbeirrt durch die An- 
sprüche, welche einzelne von ihnen für sich oder die gelehrte 
Ueberlieforung für sie erhebt, so erkennt man leicht, dass die 
beiden zuerst genannten zwei geschichtlich-etwa gleichwerthige, 
jedenfalls von einander und vollends von den drei übrigen 
durchaus unabhängige Dichtungen sind, aus deren mannig- 
faltiger Verschmelzung die übrigen entstanden sind. Der 
Kritik schicke ich eine Mittheilung des charakteristischen 
Inhalts der beiden Originale voraus. 

Das m. colb. schildert im Eingang die bischöfliche Wirk- 
samkeit des Ignatius während der ersten Regierungsjahre 
Trajans, unter dessen Vorgänger Domitian er das Schiff seiner 
antiochenischen Kirche glücklich an den damaligen Ver- 


11 


folgungen vorbeigelenkt'). Neben dieser auch jetzt unter 
Trajan noch obwaltenden Absicht des Ignatius geht sein per- 
sönlicher Wunsch her, durch das Martyrium Christo näher 
zu kommen (c. 1). Im neunten Jahre Trajans bietet dessen 
ausgesprochener Entschluss, das Christenthum zu unterdrücken, 
und ein Aufenthalt des Kaisers in Antiochien bei Gelegen- 
heit eines Feldzugs gegen die Armenier und Parther dazu den 
Anlass. Ignatius lässt sich freiwillig vor den Kaiser führen, 
und es entspinnt sich ein kurzes Gespräch. Die gleich in 
der ersten Frage Trajans gebrauchte Anrede χακοδαῖμον gibt 
dem Bischof Anlass, sich vielmehr als ϑεοφόρος zu bezeichnen 
und diese Selbstbezeichnung dann auf Verlangen zu deuten. 
Trajans Anspruch, dass er seine Götter gleichfalls im Geist 
trage, ruft ein Bekenntnis zu Gott und Christus und weiter- 
hin das Geständnis hervor, dass er allerdings den gekreuzigten 
Christus nach der Verheissung der Schrift in sich trage ?). 
Des Kaisers Urtheil, dass Ignatius um dieses Bekenntnisses 
willen unter militärischer Begleitung gefesselt nach Rom 
transportirt und dort zur Belustigung des Volks von wilden 
Thieren zerrissen werden soll, wird von Ignatius mit Dank 
gegen Gott besonders auch wegen dieser Verähnlichung mit 
deın Schicksal des Apostels Paulus aufgenommen (c. 2). Die 
Reise geht zu Füss nach Seleucia, von da zur See bis 
Smyrna, wo Ignatius sich beeilt, den Bischof Polykarp, mit 
welchem zusammen er ehedem ein Schüler des Apostels 
Johannes gewesen, zu besuchen. Diesen, wie die dort ihn 
begrüssenden Vorsteher der umliegenden städtischen Gemein- 
den bittet er, durch ihr Gebet seiner Sehnsucht tach dem 
Martyrium zu Hülfe ztı kommen (6. 3). Der gleichen Ge- 
sihnung gibt er auch in Daukschreiben an die Gemeinden, 
welche ihn durch ihre Vorsteher haben begrüssen lassen, 
geistgesalbten Ausdruck. Da ihn äber die überall erfahrene 
Liebe fürchten lässt, dass eben diese auch in Rom für ihn 


1) Cf. Smith, schol. 105. 
2) Nur in 2Kor. 6, 16 und nicht in Lev. 21, 11 ist der Wort- 
laut zu finden. Vgl. Ign. Eph. 15. 


12 


wirken und dadurch die Thür zum Martyrium ihm ver- 
schliessen werde, schreibt er auch an die römische Gemeinde 
einen davon abmahnenden Brief, welcher an dieser Stelle voll- 
ständig der Erzählung einverleibt ist (c. 4). 

Gedrängt von den Soldaten, welche rechtzeitig zu den 
Festspielen in Rom eintreffen wollen, fährt er zu Schiff nach 
Troas, von da nach Neapolis und wandert zu Fuss über 
Philippi nach Epidamnus, von wo auf dem weiten Umweg 
einer Fahrt durch’s adriatische und tyrrhenische Meer Portus 
erreicht wird. Als der Märtyrer Puteoli’s ansichtig wird, 
möchte er gerne von dort in den Fusstapfen des Paulus nach 
Rom wandern; aber der Wind treibt ilın fort. Von diesem 
Punkt der Erzählung an enthüllen sich die Erzähler als Be- 
gleiter des Ignatius (c. 5). Auf dem Wege von Portus bis 
Rom begegnen sie römischen Christen, welche sie mit ge- 
mischten Gefühlen begrüssen. Ignatius richtet an diejenigen, 
an welchen er sonderbarer Weise „im Geist erkennt“, was 
sie selber aussprechen, dass sie nämlich das Volk für seine 
Verschonung zu gewinnen trachten werden, Mahnungen ent- 
gegengesetzten Inhalts und wird dann nach kurzer Begrüssung 
der römischen Christen insgesammt in’s Amphitheater geführt. 
Da die Festspiele zu Ende gehen — es war der 20. Decem- 
ber — wird er sofort den Thieren vorgeworfen, so dass 
ihm sofort der schon im Römerbrief ausgesprochene Wunsch, 
keinem der Brüder durch die sonst erforderliche Sammlung 
seiner Ueberreste lästig zu werden, erfüllt wurde und zwar 
nach Prov. 10, 24. Nur die festern Körperbestandtheile 
nämlich blieben übrig, die nach Antiochien transportirt und 
in Leinwand gelegt wurden (c. 6). Dies geschah am ange- 
gebenen Tag unter dem Consulat des Sura und Senecio II. 
Die Erzähler und Augenzeugen haben in der folgenden Nacht, 
nachdem sie lange gewacht und Gott um Stärkung ihres 
Glaubens in Bezug auf das Geschehene gebeten, verschiedene 
Erscheinungen des Märtyrers gehabt. Fröhlich erwacht, haben 
sie diesen Bericht aufgesetzt und den angeredeten Lesern so- 
gar Tag und Zeit kundgethan, um mit ihnen zur Zeit seines 
Martyriums das Gedächtnis des Ignatius feiern zu können (c. 7). 


18 


Das m. vat., dessen Eingang oben $. 5f. mitgetheilt ist, 
setzt ohne alle Einleitung bei dem Transport des Ignatius 
nach Rom ein. Dass irgend eine gerichtliche Verhandlung 
in Antiochien stattgefunden habe 1), ist nicht angedeutet und 
lässt sich daraus nicht schliessen, dass er um des christlichen 
Bekenntnisses willen gefesselt nach Rom transportirt wird. 
Die Bezeichnung seiner militärischen Begleiter als kaiserlicher 
προτίχτορες ?), SOwie der Eingang der Verhandlungen in Rom 
führt vielmehr darauf, dass Trajan ihn als staatsgefährlichen 
Lehrer des Christenthums nach Rom hat holen lassen, eine 
Darstellung, worauf vielleicht ein Wort des Ignatius geführt 
hat?®). Wenn daher das m. oxon. (nach Ussh. Cler. 175, 
not. 6) wirklich ausdrücklich von einer Uebersendung des 
Ignatius von Seiten des syrischen Statthalters sagt, so wird 
das einer jener Zusätze sein, worum erst diese jüngere Be- 
arbeitung bereichert wurde. Die Reise geht durch Asien 
hindurch, also zu Land nach Thracien, von da nach Rhegium. 
und Rom. Zu Land und zu Wasser, Tag und Nacht hat 
Ignatius die Mishandlungen der rohen Soldaten zu ertragen, 
welche nach einer sofort auch wörtlich eitirten Stelle des 
Römerbriefs geschildert werden *). Sowie Trajan von seiner 
Ankunft hört, beruft er ihn vor sich und beginnt im Beisein 


1) Gegen Volkmar, Handbuch der Einl. in die Apokr. I, 126. 

2) Vgl. Thilo, cod. apoer. N. T., p. 490g. 

3) Rom. 2, wo das med. μεταπεμψάμενος zu beachten ist. 

4) p. 368: ὡς που χαὶ αὐτὸς ἐν ἐπιστολὴ γράφει λέγων" and 
Συρίας μέχρι Ῥώμης ϑηριομαχῶν (so das me.) die γῆς καὶ ϑαλάσσης 
ἀγόμενος, ἐνδεδεμένος δέχα λεοπώρδοις, οἵτινές εἰσι στρατιωτικὸν 
τάγμα, οἵ καὶ εὐεργετούμενοι χείρους γίνονται (Rom. 5). An dasselbe 
Kapitel des Römerbriefes erinnert auch sehr bestimmt p. 368 fin. οὔτε 
γὰρ πῦρ οὔτε σταυρὸς οὔτε ϑηρίων ϑυμὸς οὔτε ἀφαίρεσις μελῶν 
ποιοῦσίν με ἀποστῆναι ἀπὸ ϑεοῦ ζώντος. Ebenso stammt aus Rom. 6 
der folgende Satz; οὐ γὼρ τὸν νῦν ἐγαπῶ αἰῶνα, ἀλλὰ τὸν ὑπὲρ 
ἐμοῦ ἐποθανόντα xai ἀναστάντα Χριστόν. Aus Rom. 5 fin. wiederum 
Ρ. 370: οὔτε πὺρ τὸ καυστιχὸν οὔτε ϑηρίων ὀδόντες, οὔτε σκυρπισμός 
ὀστέων, οὐ συγχοπαὶ μελῶν οὔτε ὠλεσμοὶ ὅλου τοῦ σώματος, οὐχ al τοῦ 
διαβόλου χολάσεις μεταστήσουσίν μὲ τῆς πρὸς ϑεὸν ἀγάπης. 


en 


14 


des Senats, welcher sich gelegentlich in die Verhandlung ein- 
mischt, ein ausführliches Verhör. Die Anklage, dass er An- 
tiochien aufhetze und ganz Syrien zum Christenthum ver- 
führe, erwidert Ignatius durch den Wunsch, dass es ihm ge- 
lingen möge, auch den Kaiser zu bekehren und ihm dadurch 
seine Herrschaft zu befestigen. Das Anerbieten des 
Kaisers, ihn, wenn er opfere, zum Priester Jupiters und zum 
Mitregenten zu erheben, findet ebenso, wie die Drohung der 
Folter würdige, an biblische Worte erinnernde Antwort. An 
ein Wort vom gekreuzigten und auferstandenen Christus 
knüpft sich eine langwierige Streitunterredung über Sterb- 
lichkeit und Sündigkeit der heidnischen Götter, welche von 
Ignatius in der bekannten Manier geführt, von Trajan aber 
anfangs noch durch immer dringendere Warnungen, später 
durch Folterungen unterbrochen wird. Die Befehle hiezu 
folgen so auf einander: ταῖς μολυβδίσιν αἰχίσατε αὐτοῦ τὰ 
μετάφρενα (1), τοῖς ὄνυξι τὰς πλευρὰς αὐτοῦ καταξάνετε καὶ 
ἅλαιν ἀνατρίψατε (2), ἁπλώσαντες αὑτοῦ χείρας πλήσατε 
πυρύς (8), πάπυρον ἐλαίῳ βάψαντες χαὶ ἅψαντες τὰς 
πλευρὰς αὐτοῦ φλέξατε (4), ἐνέγκαντες πῦρ καὶ ἁπλώσαν»- 
τες εἷς τὸ ἔδαφος τὴν ἀνθϑρακιὰν στήσατε ἐπ᾿ αὐτὴν τὸν 
Iyvarıov (5). 

Eine interessantere Wendung nimmt die Verhandlung 
erst wieder nach Trajans Drohung, die christliche „ Häresie “ 
zu vernichten und sie den „Dogmen der Römer“ zu unter- 
werfen (p. 371 init... In längerer nicht ungeschickter Rede 
verbreitet sich darauf Ignatius über die siegreiche Macht des 
Christenthums, welches den Namen „Häresie“ nicht verdiene, 
über die politische Ungefährlichkeit der christlichen Moral, 
über das providentielle Zusammentreffen der Geburt Christi 
mit der Begründung der Monarchie und der Vollendung der 
Reichseinheit unter Augustus. Obwohl der Senat hiegegen 
nichts einzuwenden hat, begründet er doch seinen Widerwillen 
gegen Christus durch die Anklage, dass Christus den Götter- 
dienst zerstört habe !), worauf Ignatius die Unterwerfung der 


1) Dieser Satz sowohl, wie die Entgegnung des Ignatius wird erst 


15 


barbarischen Völker unter. römische Herrschaft geradezu als 
Werk Christi und Erfüllung der Weissagung vom eisernen 
Scepter bezeichnet, zugleich aber die Befreiung der Römer 
und der Menschheit überhaupt von heidnischen Gräueln als 
Seitenstück daneben stellt. Nach dem wohlverdienten Aus- 
druck der Verwunderung Trajans über des Märtyrers viel- 
seitige Bildung wird schliesslich noch die göttliche Verehrung 
der Naturkräfte bestritten. Wieder folgen drei Folterungen ), 
welche Ignatius mit paulinischen Sprüchen erwidert. Das 
kaiserliche Urtheil lautet auf fünftägigen Kerker ohne Nahrung 
und darauf folgenden Thierkampf. Im Amphitheater selbst 
erfolgt noch eine letzte Aufforderung zur Verleugnung. Als 
die Löwen losgelassen werden, redet Ignatius das römische 
Volk unter anderem mit einem Wort seines Römerbhriefs 
ἃη 3. Die beiden Löwen ersticken ihn nur, ohne sein 
Fleisch zu berühren, damit sein Leib der Stadt Rom, in 
welcher vordem sehon Petrus, Paulus und Onesimus Märtyrer 
geworden, als Talisman verbleibe. Es folgt noch die Nach- 
richt von dem bekannten Brief des Plinius an Trajan 3), wel- 
cher nächst dem Eindruck vom Martyrium des Ignatius den 
Kaiser zu einer milden Verordnung in Bezug auf die Christen 
veranlasst und den römischen Christen die Erlaubnis zur Be- 
stattung des Ignatius erwirkt haben soll, welche denn auch 
an einem zu .gottesdienstlicher Feier seines Martyriums ge- 
eigneten Ort stattfand. Die Notiz über Plinius und Trajan 
ist so mechanisch aus Eus., ἢ. e. III, 33, 1. 2 herüberge- 


verständlich, wenn man nach arm., 6. 28 (cf. boll., 8 12 „ille“) ein 
ὃ Χριστὸς ὑμῶν als Subject einschiebt. 

1) χραβατοπυρίαις σε ἀναιρα (6), τοῖς ὄνυξι τὸν νῶτον αὐτοῦ χατα- 
ξέσαγτες (7), ὄξος σὺν ἀλσὶ καταχέετε αὐτοῦ τῶν πληγῶν (8). 

2) Aus Rom. 4: σῖτος γάρ εἰμι τοῦ ϑεοῦ καὶ di’ οδόντων 9ϑη- 
θων ἀλήϑομαι, ἵνα ἄρτος χαϑαρὸς γίνωμαι (p. 374). Aus Rom. 7 
stammt auch, was kurz vorher in der letzten Anrede des Ignatius an 
Trajan vorkommt . . . διὰ Ἰησοῦν, ὃν ποθῶν ἄπειμι πρὸς αὐτόν" 
σῖτος γάρ ἐστιν ἀϑανασίας καὶ πόμα ζωῆς αἰωνέου, 


3) Vgl. oben 8. 7. 


10 


nommen, dass selbst die nur im Context des Eusebius, nicht 
aber des Martyriums veranlasste Form des acc. c. inf. wieder- 
kehrt: πρὸς ἃ τὸν !) Τραϊανὸν . . . δόγμα τοιοῦτον τεϑει-- 
κέναι x. τ. A. Also die Kirchengeschichte und nicht etwa die 
Chronik ?) des Eusebius liegt zu Grunde. Während aber hier 
der Verfasser durch Umsetzung der Negation in der kaiser- 
lichen Verfügung deren Sinn auf den Kopf stellt, schreibt er 
in treuer Wörtlichkeit aus Eus., h. e. III, 36, 12—15 die 
Zeugnisse des Irenäus und Polykarp mit ihrer Einfassung 
durch Euseb ab. Selbst der Schlusssatz Eusebs: καὶ τὰ μὲν 
περὶ Iyvurıov τοιαῦτα᾽ διαδέχεται δὲ μετ᾽ αὐτὸν τὴν Ἀντιοχείας 
ἐπισκοπὴν Ἥρως klingt noch nach im Martyrium: τοιοῦτον 
γὰρ Ἰγνατίου τὸ μαρτύριον" διαδέχεται dE.... . “How. 
Darauf wird noch der 20. December als Gedächtnistag des 
Ignatius bemerkt. 

So völlig ihren eigenen Weg geht jede dieser beiden Er- 
zählungen, dass man nicht einmal von Abweichungen reden 
kann, weil es ganz an Berührungspunkten fehlt. Der spätere 
Schriftsteller hat das Werk des früheren sichtlich nicht ge- 
kannt. Nur die jüngere Bearbeitung des vat. in oxon. zeigte 
gegen Ende (8. oben S. 6) eine wörtliche Einschaltung aus 
m. colb. oder einem diesem hierin ähnlichen Werk. Dort- 
her wird dann auch die Nachricht von der Translation der 
Reliquien nach Antiochien (S. 7) und das dem oxon. eigen- 
thümliche 9. Jahr Trajans statt des ö5ten im vat. stammen. 
Dabei vergass der Schreiber nur, auch die Consuln nach der 
abweichenden Angabe des m. colb. zu ändern. Sehen wir 
von solchen späteren Verähnlichungen des m. vat. mit m. colb. 
ab, so tragen weder .die Uebereinsimmungen beider Martyrien 
den Charakter der Abhängigkeit des einen vom andern, noch 
auch die Verschiedenheiten den der Nachbesserung. Den 
gleichen Gedächtnistagg werden beide aus der kirchlichen 


1) Ueber die Richtigkeit dieser LA. des oxon. gegen vat. wäre auch 
ohnedies kein Zweifel. 

2) ed. Schoene II, 162sqg. In diesem Falle wäre auch das „, fünfte 
Jahr Trajans‘ nicht erklärlich. 


17 


Tebung ihrer Zeitgenommen haben. Die Regierung Trajans wird 
als Zeit des Martyriums in der Ueberlieferung festgestanden 
haben. Der Verfasser des m. vat. ersah sie überdies aus der 
Kirchengeschichte Eusebs, deren fleissige Benutzung gegen 
Ende deutlich wurde. Dorther stammt aber auch, wie die 
auffällige Wortübereinstimmung der ersten Sätze des m. 
vat.!) mit Eus. ἢ. 6. III. 36, 2sq. zeigt, die Einsicht, dass 
Ignatius durch Asien hindurch, also bis Smyrna oder Troas 
zu Fuss, transportirt worden sei. Dazu passt es, dass der 
Verfasser, wenn er auch an einer Stelle wenigstens (vgl. 
$. 15, Anm. 2, auch 5. 13, Anm. 4) selbständige Kenntnis 
des ignatianischen Römerbriefs verräth, doch ganz überwiegend 
die von Euseb citirten Stellen desselben benutzt und zwar in 
einer gerade durch Euseb bezeugten Textgestalt 5). Aus Euseb 
wird daher auch unbedenklich der Consul Atticus herzuleiten 
sein. Verderbt freilich ist hier (s. oben S. 5) der Text be- 
sonders des cod. vat. Sehr unwahrscheinlich ist es auch, dass 
der nicht gerade ungebildete Verfasser drei Consuln ange- 
geben haben sollte, und Usshers ?) Vermuthung, dass der un- 
mögliche Name Σουρβανοῦ aus Novo und Οὐρβανοῦ ZU- 
sammengeflossen sei, so dass ursprünglich Arzıxov καὶ Σούρα, 
Orpßuavov καὶ ἸΠαρκέλλου geschrieben wäre, ist wahrschein- 
licher, als dass etwa die im chron. pasch. (bonn. I, 470) zum 
7. Jahr Trajans genannten Consuln Συριανοῦ τὸ β' καὶ Mup- . 
χέλου *) zu Grunde liegen. Aber damit ist der Name Atticus 
nicht erklärt, der sich von da an in m. cott. und boll., bei 
Symcellus und anderwärts erhalten hat, obwohl er in keinem 


1) S. oben δ. 5. Man vergleiche nur ἀπὸ Συρέας ἐπὶ τὴν Ῥωμαίων 
πόλιν παρεπέμφϑη (Eus. ἀναπεμφϑέντα) τῆς Eis τὸν Χριστὸν ἕνεκα 
μαρτυρέας (Eus. μαρτυρίας ἕνεχεν) oder vorher μετὰ ἐπιμελεστάτης 
φρουρῶν φυλακῆς. 

2) Dahin gehört (S. 13, Anm. 4) ἐνδεδεμένος (statt δεδεμένος), 
σιρατιωτικοὸν (statt oreaTriwrov). 

3) Cler. 179, not. 6. | 

4) Dafür gelegentlich auch Suburano II et Marcello (chron. pasch. 
lI, 160), aber auch Urbano et Marcello (Mommsen über den Chrono- 
graphen von 354, S. 660). 

Zahn, Ignatius, 2 


18 


Consulverzeichnis sich findet. Hat unser Verfasser sichtlich 
in Eus. h. e. III, 33--36 geblättert, hat er sich durch Rück- 
blick von c. 36 auf die vorigen in die Zeit Trajans und 
näher in die des Martyriums des Simeon von Jerusalem weisen 
lassen, so hat er dort in c. 32, 3 (vgl. $ 6) auch gelesen: 
ἐπὶ Τραϊανοῦ Καίσαρος καὶ ὑπατικοῦ Artızov. Daher also 
seine sonderbare Angabe ἢ). Sein geschichtliches Wissen ist 
nichts weniger als original, aber durchaus unabhängig von 
dem viel anspruchsvolleren m. colb. ?) 

Steht die gegenseitige Unabhängigkeit dieser beiden 
Martyrien fest, trägt: ferner jedes für sich ein in sich ein- 
heitliches Gepräge, so folgt, dass jedes andere Martyrium, 
welches Stoff und Wortlaut mit beiden zugleich theilt, eine 
Verschmelzung dieser beiden Originale ist. Dies gilt von 
cott. (boll.), wie schon oben ὃ. 8 vorläufig behauptet wurde. 
In seiner ersten Hälfte bis zur Ankunft in Rom bietet cott. 
nicht eine einzige Notiz, die inhaltlich über colb. hinausginge 
und verhält sich zu angl. wie eine selbständige, hier und da 
kürzende Uebersetzung des colb. zu einer wörtlichen. Der 
Anfang lautet: 

eott. | angl. 

Cum Trajanus Romanorum : Nuper recipiente principa- 
sugcepit imperium, Ignatius | tum BRomanorum Trajano 
diseipulns . sancti. Johannis | apostoliet evangelistae Johannis 
apostoli et evangelistae, vir | discipulus, Ignatius, vir in 
in omnibus apostolicus 3), sus- | omnibus apostolicus, guberna- 


1) Dies möchte die richtige Verwerthung des von Henschen (Acta 
SS. Febr. I, 19 c.) und neuerdings von Volkmar (Handb. I, 129f.) Ge- 
sagten sein. 

᾿ 9) Vgl. Lipsius II, S. 8. 

3) Hier hat boll. eingeschaltet: secundus post apostolos factus, qui 
post Euodium, so dass das Folgende von qui abhängt. Dass diese 
Notiz aus m. vat. stammt, darf als selbstverständlich gelten (vgl. oben 
S. 6), da vat. jedenfalls für die zweite Hälfte von cott. (boll.) Quelle 
ist, und zwar das ganze vat. Auch die Angabe consulatu Attici et 
Marcelli in cott. (Cler. 179, not. 6) und boll.,, 8 4 ist ja der im übrigen 
nicht benutzten ersten Hälfte des vat. entlehnt. So schaltete boll., $ 3 


19 


capit ecelesiam Antiochenerum | bat ewelesiam Antiochenorum, 
gubernandam, quae olim a : Qui quondam procellas vix 
tempestatibus et persecutioni- : mitigans multaram sub Do- 
bus agitahatur (9. das Weitere | mitiano persecutionum etc. 
oben 8. 8). | 

Scheinbar Originelles in dieser ersten Hälfte von cott.- 
boll. beruht auf Misverständnis des griechischen Textes, auf 
unbedentender Textverschiedenheit oder auf Nachlässigkeit, 
Das wesentlich gleiche Verhältnis besteht zwischen der zweiten 
Hälfte dieses lateinischen Martyriums und m. yat. Kaum ein 
Satz des letzteren fehlt in boll.!) Wenn 2. B. in bollL, ὃ 11 
die Drohung Trajans, die christliche Häresie auszurotten, und 
die nächstfolgenden Worte des Ignatius ausgestossen sind, so 
scheint nur eine Abirrung sei es des griechischen Compilators, 
sei es des lateinischen Uebersetzers von στεναγμός auf χριστια- 
»suog Stattgefunden zu haben; denn wunderlieh genug setzt 
sich der des letzteren Worts, seines Subjeets, beraubte Spatz 
in boll. fort. Misverständnisse und gröbliche Nachlässigkeiten 
der Debersetzung sind nicht selten, wie z. B. wenn die Worte: 
οὐ γὰρ εἶ συ τῆς γερουσίας ἀμείνων übersetzt werden: qued 
est aptum tune senectuti (boll., $ 8, cf, vat., p. 369), Aehn- 
liches findet sich in boll, 8 12. 13; aber nirgendwo zeigt 
sich eine Spur selbständiger Diehtung oder einer anderen 
schriftlichen Quelle. Die Näherbezeichnung der Hinrichtung 
des On«esimus als Steinigung (boll., ὃ 18), während in oxon, aua 
dem ursprünglichen, allgemeineren Ausdruck des wat. (ive- 
λει 9) EIN κλάσις τῶν σκελῶν geworden ist (8. ohan S, 6f.), 
erfordert nicht die Annahme einer solchen. Den ı. Februar 
als Todes- und Gedächtnistag hat unser lateinisches Martyrium 
(a oben 3. 9) nach dem späteren abendländischen Brauch 


ne Uebersetzung der Worte des vat.: ἦσαν δὲ οἱ φυλάσσοντες αὐτόν 
x. τ. A. (s. oben 8. 6) nachträglich in den übrigens von colb. abhängigen 
ersten Theil ein (vgl. über derartige Nachträge in boll. oben S. 9f.). 

1) Nur boll. kann hier verglichen werden, da cott., wie gesagt, in 
Bezug auf diese zweite Hälfte nur aus wenigen Noten Usshers be- 
kannt ist. 

2* 


20 


aufgenommen. Welches Geistes aber die ganze Arbeit ist, 
tritt vor allem in dem Umstand zu Tage, dass man nun in 
einer fortlaufenden Erzählung von einer ersten Verhandlung 
mit Trajan in Antiochien, von einer zweiten in Rom, von 
einer definitiven Verurtheilung durch den Kaiser hier wie 
dört liest, ohne dass doch begreiflich wird, wie Trajan, der 
nach boll., $ 2 auf eiligem Marsch gegen die Parther begriffen 
ist, bei der Ankunft des Märtyrers in Rom wieder dort sein 
kann. Hiermit ist cott.-boll. als eine mechanische Ver- 
schmelzung des colb. und des vat. erwiesen. Es kann nur 
noch als Textquelle für die beiden Originale, und auch in 
dieser Hinsicht nur vorsichtig benutzt werden. 

Nicht grösser ist der geschichtliche Werth desjenigen 
Martyriums, welches zuerst Aucher aus einer armenischen 
Martyriensammlung als das allein ursprüngliche, von den Be- 
gleitern des Ignatius aufgezeichnete und in Form eines en- 
cyklischen Briefs der antiochenischen Kirche verbreitete Mar- 
tyrium herausgab. Der naivste Grund war jedenfalls der, 
dass dies arm. sich im Anhang auf Eusebs Kirchengeschichte 
berufe und deshalb zu den von Euseb gesammelten Martyrien 
gehört haben müsse ἢ. Aber auch der blosse Umstand, dass 
es den ganzen Stoff von cott.-boll. nur in anderer Vertheilung 
darbietet, hätte schon damals nicht die Behauptungen her- 
vorrufen dürfen, dass colb. ein Auszug aus arm., dass der 
Metaphrast eine Erweiterung und Verwirrung desselben dar- 
biete, und dass Henschens Vermuthung, die Verschiebung 
einiger Blätter habe die vom metaphr. abweichende Ordnung 
des boll. geschaffen, eine ingeniosa dispositio sei. Ein Mann 
wie Henschen würde selbst anders geurtheilt haben, wenn 
ihm colb. schon vorgelegen hätte. Nach Auffindung des vat. 
ist der obige Nachweis über das Verhältnis von cott.-boll. 
zu colb. einerseits und vat. andrerseits unanfechtbar, aber auch 
leicht zu zeigen, dass arm. im Vergleich zu cott.-boll. eine 
nur viel künstlichere, geschicktere und gewiss jüngere Com- 
pilation derselben beiden Quellen ist. 


1) S. Auchers Worte bei Petermann, S. 498f. 


21 


Das arm. ist nach Aucher (a. a. O., S. 496) und Peter- 
mann (proll. XXVI) Uebersetzung aus dem Griechischen, und 
es könnte anmasslich erscheinen, wenn ein' des Armenischen 
völlig Unkundiger Bedenken dagegen erhebt. Aber Fragen 
sind erlaubt. Konnte das pascebat eccelesiam (arm. 1) nicht 
leichter aus ἴωσι ;o,0 (Cur. 222, 7) als aus ἐχυβέρνα ent- 
stehen ? Sollte die Uebersetzung von ϑεοφόύρος durch Deo vestitus 
(arm. 6), zu welcher das daran angeknüpfte Gespräch so 
wenig passt, unabhängig von dem syrischen σι ἢ ans 
(Cur. 197, 2; 201, 6) oder σὰ „ahbso (Cur. 224, 24) 
entstanden sein? Es will ferner die Uebereinstimmung zwischen 
der syrischen Uebersetzung des colb. (Cur. 222) mit arm. 
(6. 1) erklärt sein, wenn beide pluralisch von Steuerrudern 
reden, statt συνεχείᾳ ein Adjectiv lesen und dies mit τῆς 
νηστείας Statt mit τῆς διδασκαλίας verbinden. Dazu kommt, 
dass die im m. arm. enthaltene Uebersetzung des Römerbriefs 
auch nach Petermanns Beobachtung sehr häufig nicht nur mit 
der aus syrischer Uebersetzung geflossenen armenischen Ueber- 
setzung desselben Briefs in der Sammlung der Briefe über- 
einstimmt (vgl. z. B. Petermann, $. 150), sondern auch da, 
wo sie von dieser abweicht, auf syrische Grundlage zurück- 
weist (Ὁ. 173) und gerade mit dem Text des Römerbriefs 
im syrischen Martyrium übereinstimmt (S. 132). Sollten 
denn nicht die häufigen Plurale statt des Singulars auf syri- 
sches Ribbui zurückgehen 1), oder die Uebersetzung von οἷς 
γράφω ὑμῖν (Rom. 7) durch quoniam (oder quo) scribo ad vos 
auf das mehrdeutige syrische Relativ? Wahrscheinlich wenig- 
stens möchte es sein, dass das m. arm. aus einem syrischen 
übersetzt ist, welches aber seinerseits unabhängig von dem 
uns erhaltenen syrischen Martyrium aus dem griechischen 
übersetzt sein könnte. Für das Alter der Composition 
gewinnen wir auf diesem Wege keine Bestimmung; denn 
wenn auch die Armenier nach dem 5. Jahrhundert Syri- 
sches nicht mehr übersetzt haben sollen, so wird doch 


1) Rom. 7: cogitationes meas; Rom. 9: in precibus vestris. 


22 


geride Martytologisches von dieser Behauptung ausge- 
nommen !). 

Der Hauptunterschied dieser Versehmelzung der beiden 
Urmartyrien von der in cott.- boll. vorliegenden besteht darfn, 
dass arın. die gerichtlieken Verhandlungen, welche mach vat. 
m Rom stattgefunden, an die antischenischen Verhandlungen, 
wis siecolb. darstellt, angeschlossen und einigermassen damit 
versehmolzen hat. Dadurch entgeht arm. der ungeschiekten 
Depheitä& m eott.-boll., muss dafür aber auch den Senat in 
Antiochien mit riekten lassen (6. 34). Sieht man von Neben- 
sächlichem ab, so entspricht arm., ὁ. 1—6 fin. dem eolb.; 
6, 6 fin. — 35 dem vat.; c. 36—48 wieder dem colb. Anr 
eigenthärnlichsten verfährt arm. im ersten Theil: Abgesehen 
nämlich von kleinen Erweiterungen ?), geschichtlich orientiren- 
den Bemerkungen 3) und unbedeuterderen Einschaltungen aus 
vat., wie sie auch im koll, sich finden Ὁ), mischt er im Be- 
rieit von der Gerichtsverhandlerig von vorhherein den zu 
Grunde‘ liegenden Text des eolb. mit vat., wie es folgende 
Zusammenstellung zeigt: 

art. 6. ὃ. eolb. 6. 2. 

OÖ malo daemone obsesse τίς εἶ κακοδαΐμον, τὰς Nus- 
vir! quis es tu, «αὶ nostra | τέρας σπουδάξων διατάξεις ὕπερ- 
präecepta contempthi habes et | βαίνειν, μετὰ τὸ καὶ ἑτέρους 
älios seducis, ut non obediant ! ἀναπείϑειν, ἵνα κακῶς ἀπο- 
mostris mandatis, ut male | λοῦνίαι (weiter nach. vat. 
fereart, Qui et Attiochenorum | p. 368:) ὁ τὴν ᾿Αντιοχέων 
ürbem et regionem pertur- [ πόλιν ἀνάστατον ποιήσας, ὡς 
basti, ita uf ad αὔγοβ meas Ä καὶ εἷς ἀκοὰς ἐμὰς ἐλϑεῖν, ὅτι 

| 
dı 


pervenerit, quod totam ran πᾶσαν τὴν Συρίαν μετέβαλες 
reduteris ἃ paganismo ἀπὸ τοῦ ἑλληνισμοῦ εἰς τὸν 
christianismum. Ignatius det: | χοιστιανιόμόν. (Weiter nach 


| 


t) Peterm. proll,, p. ZXVL 

2) So c. 2: quod non fuit dignus morte martyris, oder die Zwischen- 
frage Trajans in c. 6. 

3) z.B. c. 3 init. 

4) So die Angabe der antiochenischen dudoyA, ce. 1. 


23 


Deo vestituli virum imalo | dolb.:) ᾿Ιγνάτιος εἶπεν" οὐδεὶς 
daemone obsessum nemo vo- ϑεοφόρον ἀποχαλεῖ κακοδαίμονα 
cat etc. Ι χ. τ. λ. 

Mit den Worten utinam possem, c. 9, geht er wieder zu 
vat. über, und zwar genau zu derselben Stelle, wö er diese 
Quelle verlassen hatte, um ihn von da an bis ὁ. 85 nicht wieder 
mit einer anderen Quelle zu vertauschen. Kleine Zusätze und 
Weglassungen, Misverständnisse und Textvarianten, endlich 
auch Aenderungen, welche die veränderte Situation nothwendig 
machte, abgeröchnet 1), hat er nur zweimal Eigenthämliches. 
Von den Worten sicut et priusquam crucifigeretur c. 9 bis 
ὁ. 10 fin., findet sich eine breite Ausführung des im Original 
nur kurz ausgesprochenen Gedanketis, dass Christus von un- 
dankbaren Menschen züm Lohn für seine Wohlthaten ge- 
kreuzigt worden sei. Sodann ist c. 17 eine eigenthümliche 
demonstratio ad hominein. 

Im dritten Theil hat arm. bis zum Wort theatrum 
c. 46 den colb. streng befolgt, auch den Römerbrief mit auf- 
genommen. Nur selten werden Bemerkungen eingeschaltet 
wie die, dass Igmatius sich in der Ueberschrift aller Briefe 
ϑεοφόρος nemme (6. 41). Die Anrede des Ignatius ans Volk 
im Amphitheater und die Angabe, dass zwei Löwen ihn er- 
stiekten, nahin er aus vat. (Dressel, p. 374), was ihn aber 
nicht abhielt, auch die damit unverträgliche Angabe über das 
Ende des Märtyrers aus colb. ziemlich wörtlich aufzunehmen 
(c. 46. 47). Ebenso bringt er es fertig, der aus vat. ent- 
nommenen Nachricht von gottesdienstlicher Feier an der römi- 
schen Begräbnisstätte des Ignatius (c. 48) die wörtlich aus 
colb. entlehnte Nachricht vor der Translation nach Antiochien 
vorauszuschicken und den drohenden Widerspruch beider 
Traditionen durch ein hier eingeschobenes postea zu vermei- 
den 2). Endlich wird nach colb. vom den nächtlichen Er- 
sheinungen des Ignatius berichtet und ak Todestag IX Kal. 


1) So z. B. c. 34 init. cf. c. 46 die Weglassung der Worte 
Trajans. 
2) c. 47. Vgl. das ὕστερον in metaphr., c. 24. 


24 


Jan. angegeben (6. 49). Was weiterhin folgt (ὁ. 50 --53) 
sind Bemerkungen Auchers, der: sich auch sonst manchmal 
erlaubt hat, seinem Martyrologen ins Wort zu fallen. Man 
sieht hier, dass er den den Ignatius betreffenden Inhalt seiner 
collectio nicht vollständig hat abdrucken lassen. Nach c. 5 fin. 
und 52 (2. Satz) hat das m. arm. auch die aus Eus. h. e. 
III, 36 abgeschriebenen Stellen in gleicher Abgrenzung und 
fast gleichlautend mit vat. enthalten, und wie dort folgt auch 
hier die Angabe des Gedächtnistages, welche aber als Objekt 
in den sonst mit colb. identischen Schlusssatz verschmolzen 
ist. Wenn Aucher (c. 52) sagt: At pone has Eusebianas sec- 
tiones rursus profert collectio nostra tamquam .ex ore veri 
auctoris sic: „Memoriam etc.“, so soll damit wohl nur ge- 
sagt sein, dass arm. ohne sichtliche Scheidung von dem an- 
geblichen Bericht der Augenzeugen auch diese Notizen aus 
Euseb und was weiter folgt, gibt. Das muss in der That so 
sein, da arm. nach colb. auch hier in erster Person des 
Plurals redet (manifestavimus); und Aucher hat den Um- 
stand, dass die eusebianischen Worte ungeschickter Weise in 
den augenzeugenschaftlichen Bericht verwebt sind, nur wenig 
verwischt. Es ist also in jeder Hinsicht klar, dass arm. im 
Vergleich zu cott.-boll. eine zwar künstlichere, aber keines- 
wegs glücklichere Gruppirung des Stoffs und Wortlauts von 
6010. und vat. ist ohne irgend welche andere Quelle. Die 
angegebenen Zusätze erfordern kaum so viel Erfindungsgabe 
als die Anordnung des Vorgefundenen. 

Noch einen Schritt weiter in bunter Mischung und freier 
Gestaltung des Stoffs der beiden Urmartyrien geht endlich der 
jedenfalls spätere Metaphrast. Auch er verlegt die Verhand- 
lung mit Trajan und dem Senat nach Antiochien (c. 4—7), 
nimmt vorher und nachher den Inhalt des colb. mit Ein- 
schluss des Römerbriefs ziemlich vollständig auf und gibt zum 
Schluss wie vat., nur in angemessener umgekehrter Ordnung 
sowohl die Zeugnisse des Irenäus und Polykarp nach Euseb, 
als die eben dorther stammende Nachricht über Trajans 
Rescript (6. 26. 27). Der Versuch einer . Verbindung der 
widersprechenden Nachrichten über die Behandlung des Mär- 


25 


iyrers durch 16 Löwen mislingt ihm völlig). Das einzige 
Neue ist die Sage, dass Ignatius das von Christus gesegnete 
Kind sei, oder mit anderen Worten, dass der ϑεοφόύρος viel- 
mehr ein ϑεόφορος sei (6. 1). Die übrigen Zuthaten sind 
Phrasen und pragmatische Reflexionen (z. B. ὁ. 8). Häufiger 
als die Neigung zur Erweiterung zeigt sich die Unlust, das 
massenhafte Material abzuschreiben. Neben den Skythen 
lässt er die Dacier weg, neben den Parthern, die bei ihm 
Perser sind, die Armenier (c. 3), neben Trajan den Plinius 
(0. 27). Es scheint der eigene Gedanke des Stylisten zu sein, 
den er dem Kaiser in den Mund legt: τὰ μὲν πολλὰ ταῦτα 
χαίρειν ἐῶμεν (c. 5). Die Verhandlung ist nicht bloss stark 
verkürzt, so dass die Folterungen, aber auch die gedanken- 
reicheren Partieen wegfallen, sondern auch vergröbert. Es 
ist daher nur ein Schein, durch den auch Uhlh., 5. 249f. 
sich irreführen liess, als ob metaphr. eine ältere Gestalt der 
Sage vertrete als cott.-boll. und arm. Die Frage ist wohl 
vicht mehr zu entscheiden, aber auch kaum von Bedeutung, 
ob metaphr. ebenso wie cott.-boll. und arm. die beiden Ur- 
martyrien selbst vor sich gehabt, oder eine Verarbeitung 
beider, welche dann wahrscheinlich das griechische Original 
ἐθ arm. sein würde. Jedenfalls ist metaphr. auch nur ein 
Leuge für die Verbreitung und den Text des colb. und vat., 
sber der werthloseste, weil eigenmächtigste von allen. 


nn nn 


3 Kritik der vergleichsweise ursprünglichen Martyrien. 


Für die Bestimmung der Entstehungzeit des m. vat. 
bptet uns einen zuverlässigen Anhalt die wörtliche und reich- 


1) 6. 23. Durch Ausstossung der Worte μόνων bis ὠπεχόμενοι 
odes bis πληρωϑείσης erhält man erst einen lesbaren Satz. 


26 


liche Benutzung. der Kirchengeschichte Ensehs, welche diesär 
erst nach Vollendung seiner Chronik, also noch 325 abzufassen 
begonnen und wahrscheinlich vor 330 volletidet hat. Um die 
Mitte des 4. Jahrhunderts könnte demnach m. vat. frühstens 
entstanden sein. Einen terminus ad quem der Abfassung 
beider Urmärtyrien würden uns abgesehen vom metaphr., der 
wahrscheinlich in den Anfang des 10. Jahrhtnderts zu setzen 
ist ἢ), die viel älteren, weil in jeder Hinsicht alterthämlicheren 
Compilationen darbieten, welche in m. arm. und m. cott.-boll. 
vorliegen, wenn deren Entstehungszeit genauer zu bestimmen 
wäre. Die erstere ist vorausgesetzt in denjenigen griechischen 
Menäen, aus welchen Henschen (ἃ. a. O., S. 28) berichtet, 
Diese kennen erstlich eine lange Verhandlung mit Trajan und 
geben die Folterungen, wenn auch nicht ganz vollständig, so 
doch genau in der Reihenfolge des vat. und seiner Ver- 
arbeitungen ἢ. Mit arm. insbesondere stimmen: sie überein 
ie dem Zusatz ferreis zu ungulis (ärm. 14. 31), verlegen wie 
arm. die Verhandlung nach Antiochien, lassen den Wunsch 
des Märtyrers, reines Brot zu werden, erst bei der Ankunft in 
Rom laut werden (cf. arm. 46), kennen die Zerreissung 
durch die Thiere und die Translation der festeren Gebeine 
nach Antiochien (ef. arm. 47). Sie schöpfen also nicht aus 
vat. selbst, sondern ats der in arm. erhaltenen Verarbeitung. 
Andererseits stellen sie im Vergleich zum metaphr. eine ältere 
Form dar; denn, statt wie dieser die Sage vom Kind Ignatius 
in den Zusammenhang der Erzählung aufzunehmen, bringen sie 
dieselbe nachträglich an, wie sie ja in der That dem mar- 
tyrologischen Zusammenhang nicht ursprünglich angehört °". 
Aber ein bestimmteres Datum für die Entstehungszeit de 
arm. lässt sich ay% diesem Weg nicht gewinnen. Auf en 


1) C£. Jo. Boll. in Acta SS. Jan. I, praef. XVlsaq. 

2) Nämlich von den oben ὃ. 14f. aufgezählten 8 Nummern: 1. 3. 
4.5.7. 

3) Wie sie in dem Venedig 1628-1629 abgedruckten Menaion vor- 
liegt, scheint sie vom metaphr. abhängig, der sie wahrscheinlich zwrst 
mit dem Martyriam verschmolzen Hat. 


27 


Stadium vor dieser und jeder anderen Compilation verweist 
uns das auf Befehl des Basilius Prophyrogenneta um 980 an- 
gefertigte, aber seinem Inhalt nach viel ältere Menologion.!). 
Zum 20. Desember erzählt dasselbe von einer Verurtheilung 
zum Thierkampf durch Trajan in Antiochien und der Aus- 
führung des Urtheils durch den Senat in Rom. Streichen wir 
den Senat, so steht atı dieser Stelle nichts über colb. Hin- 
ausgehendes. Dagegen findet sich unter dem 29. Januar 
(p. 142) die Sage, dass er von den Löwen erstickt worden, 
unverändert wie im vat. Nur die Translation ist hinzugefügt, 
welche eben an diesem Tage gefeiert wurde. Darnach scheinen 
hier die beiden Quellen noch unvermischt neben einander her- 
zugehen. Aber das konnte geschehen, lange nachdem eine Ver- 
arbeitung derselben wie arm. existirte. 

Auch die in eott.-boll. erhaltene Verarbeitung, welche 
dem Abendland angehört, oder doch im Abendland hauptsäch- 
lieh Verbreitung gefunden hat, wie jene im Morgenland, lässt 
sich nieht sonderlich hoch hinauf verfolgen. Ziemlich spät hat 
mim im Abendland überhaupt den Märtyrer Ignatius kennen 
gelemt. Die noch in Kalenderform gehaltenen Martyrologien 
haben vielfach gar keinen Igriatius 57, oder doch so unbe- 
stimmte Angaben, dass zweifelhaft bleibt, welcher Märtyrer 
deses Namens gemeint sei. Das von Florentinius zuerst 
kerausgegebene z. B. (a. a. O., 5. 179) notirt zum 25. Decem- 
bu neben der nativitas domini unter anderen römischen 
Märtyrern .. . Timedi, Ignati ?), Cyriaei... Das martyr. 
Gllon. 4) hat am 14. Juni Ignatii episcopi. Aber letzterer 
Ttel verbürgt nieht, dass der Bischof von Antiochien ur- 


1) Menol. Graec. ed. Albani (Urbino 1727) II, 43. Ueber das Alter 
des Werks vgl. die dort T. I, praef. zusammengestellten Urtheile und 
Bamage zu Canis. Iect. ant. III, 1. 410. 

2) 8% der parv. Hieron. hinter Vetustius occid. 6061. martyrol. ed. 
Ploentinius Lucc. 1668; das dem 9. saec. angehörige calendarium bei 
dAgery (ed. 2) II, 64sqq.; Raban. Maur. bei Canis. lect. ant. (ed. Bas- 
mge, IL, 2. | 

Ὁ) So auch der Hieron. bei d’Achery II, 1. 

4 Geschrieben im Jahre 804, aber inhaltlich älter. 


28 


sprünglich gemeint ist; es steht vielmehr zu erweisen, dass 
. darunter der schon von Cyprian gefeierte afrikanische Märtyrer 
Ignatius versteckt liegt. Dieser wurde zwar in den späteren 
Martyrologien auf den 3. Februar angesetzt. So schon im 
sogenannten vetus Romanum vor dem Werk des Ado und bei 
Ado selbst mit Berufung auf Cyprians Brief, bei Usuard und 
Wandelbert. Aber das calend. Carthag. aus dem 5. Jahr- 
hundert, in welchem der berühmte afrikanische Märtyrer Ignatius 
doch schwerlich gefehlt haben wird, hat gleich hinter VIII 
Kal. Jul., also hinter dem Datum des „Bischof Ignatius“ 
im mart. Gellon. die abgerissenen Worte: .... Jul... 

saneti Εἰ... martyris (Ruinart, Act. pr. mart., p. 618). Das 
ist dann aber, da Egnatius nur die echt lateinische Form 
für Ignatius ist 1), eben der Afrikaner dieses Namens, welcher 
im Gellon. zum Bischof geworden ist, und in der gleich- 
folgenden Lücke des cal. Carthag. werden seine Genossen zu 
suchen sein. Wenn nun der metrische „Beda“ (d’Achery 
ΠῚ, 24) einen nicht näher bezeichneten Ignatius zum 20. De- 
cember, dem spätern Gedächtnistag des antiochenischen Märtyrers 
in der griechischen Kirche, notirt, so scheint das, wie auch 
die spätere Translationsfeier am 17. December, vermöge einer 
ebensolchen Attraction des neuen orientalischen Märtyrers 
gleichen Namens vom 25. December geschehen zu sein, wie 
die später im Abendland allgemeine Feier des antiochenischen 
Ignatius am 1. Februar durch die ältere Feier des afrikani- 
schen Ignatius am 3. Februar herbeigeführt wurde. Das erste 
Martyrologium, welches unzweideutig den antiochenischen 
Ignatius (am 1. Februar) und daneben den afrikanischen (am 
3. Februar) aufzählt, scheint das vetus Romanum vor Ado 
(ed. Georg. I, 29) zu sein?2). Dass aber der Afrikaner im 
Anfang Februar vor dem Antiochener sich festgesetzt hatte, 
zeigt z. B. noch Wandelbert (d’Achery II, 56), welcher den 
Afrikaner am 3. Februar hat, den Antiochener aber, ınd 


1) Egnatius liest auch die wiener Ausgabe I, 583 in Cypr ep. 
39, 3, wo zwei mas. Ignatius haben. 
2) Vgl. J. B. Soller in Act. SS. Jun. VI, b, 76. 


29 


zwar sein Martyrium, nicht die Translation, am 17. Decem- 
ber). Es sind das lauter spätere Zurechtstellungen, welche 
vielleicht nicht vor dem Jahr 800 begonnen haben. Von da 
an aber zeigt sich auch sofort vollständige Abhängigkeit der 
Martyrologen von dem m. cott.-boll. So im unechten Beda 
(bei Cur., p. 186), bei dem damit wörtlich bis auf den 
Schlusssatz übereinstimmenden Ado von Vienne im libellus de 
festiv. (ed. Georg. I, p. XLV) und dem nur wenig abweichen- 
den Usuard (Acta SS. Jun. VI, b, 75) 2). Vergleichen wir 
den Text des Ado, so haben wir hier die vollständige Reihen- 
folge der 8 Folterungen des vat. wie in arm. und cott.-boll., 
aber abweichend von arm. und übereinstimmend mit cott.-boll. 
Rom als Schauplatz der Verhandlung vor Kaiser und Senat, 
endlich die Consuln Atticus und Marcellus sowie den 1. Fe- 
hruar, also die gleiche Abhängigkeit und die gleiche charakte- 
ristische Abweichung vom vat. wie im cott.-boll. Aber auch 
bis ins Kleinste setzt Ado sammt den verwandten Martyro- 
logen den Text des cott.-boll. voraus. Im Befehl zur zweiten 
Folterung heisst es anstatt des ursprünglichen καὶ ἁλσὶν ἀνα- 
τρίψατε (Dress., p. 369, cf. arm. 14) bei boll., 8 9, et lapi- 
dibus asperis confricate. Daher haben Ado und seine Nach- 
folger ihr et lapidibus asperis confrieata sunt (sc. latera ejus). 
Die durchgängige Uebereinstimmung des Wortlauts und die 
gleichmässigen Abweichungen vom vat. besonders auch in der 
Anrede ans Volk und der Erzählung vom Tode selbst ®), be- 
weisen, dass es sich hier nicht um stoffliche Abhängigkeit 
von einer mit cott.-boll. verwandten Darstellung handelt, dass 
vielmehr die uns erhaltene lateinische Uebersetzung dieses 
Martyriums den abendländischen Martyrologen vom 9. Jahr- 


1) So auch der ursprüngliche Beda (Act. SS. Mart. II, p. XLI), 
der aber am 3. Februar auch den Afrikaner nicht hat. 
ες 2) Wandelbert (d’Achery II, 56) und Notker (Canis. lect. ant. II, 
2, 98) sind zu kurz, um verglichen werden zu können. 
3) Die Worte haec illo diceente — Onesimus lapidatus sind bei 
boll., 8 18, cott., Ado, Beda völlig identisch bis auf die oben ὃ. 9, 
Anm. 1. erwähnten Varianten. 


80 


hundert an vorlag. Die einzige scheinbar eigenthümliche 
Angabe, welche Ado hier, Beda und Usuard nur zum 17. De- 
cember liefern, über die Translation nach Antiochien, welche 
mehrfach in ältere Urkunden nachträglich eindrang (vgl. oben 
$. 9. 16) hat Ado in einer wörtlich an Hieronymus (eatal. 16) 
erinnernden Form, Diese Herkunft erhellt auch aus der An- 
gabe des 11. Jahres Trajans, welche Hieronymus aufgebracht 
hat. Ferner klingt der Text des Hieronymus bei Ado deut- 
lich durch in dem Satz: Cumque jam projectus bestias 
rugientes andiret, ardore patiendiait:.... Fru- 
mentum Christi (boll. triticum Dei) sum, dentibus besti- 
arum molar, ut panis mundus inveniar (boll. efficiar). 
Während die Abweichungen des boll. meist aus Rufins Deher- 
setzung von Eus. III, 36 herrühren, welcher auch Beda im 
Commentar zur Apokalypse und Gildas 1) folgen, scheint Ado, 
welcher des Hieronymus Katalog anderwärts geradezu citirt 3), 
bier unmittelbar aus Hieronymus zu schöpfen; seine Haupt- 
quelle ist aber holl.-cott. Erst aus Ado schöpft die von 
Mösinger nach einer dem 13. Jahrhundert zugeschriebenen 
vatisanischen Handschrift herausgegebene Passio 8. Ignatii, 
In der ersten Hälfte gibt sie einen Auszug aus Eus, h. e. 
IN, 33. 36 nach Rufin ?). Mit den Worten postquam autem 
a militibus (p. 19 med.) geht sie zur Darstellung der Ver- 
handlungen vor Kaiser und Senat in Rom nach m. vat. oder 
vielmehr nach m. boll.- cott. über. Dieselbe Reihenfolge der 
Martern, aber auch dieselbe dieser lateinischen Uebersetzung 
und den von ihr abhängigen Martyrologen eigenthümlichen 
Ausdrücke dafür. Auch jenes lapidibus asperis confricata 
und die Paronomasie pravitatem --- pietatam in der letzten 
Anrede ans Volk. Aber auch hier wesentlich die gleichen 
Spuren untergeordneter Abhängigkeit von Hieronymus, wie bei 
#„Ado. Unabhängig von einander können beide demnach nicht 


1) Abgedruckt bei Cur, p. 175. 187. 

2) z. B. Ed. Georg. II, 248. 

8) Trotz einiger Sanderbarkeiten, wie wenn Plinius zum Statthalter 
Syriens gemacht wird, ist das Verhältnis deutlich, vgl. Mösinger, 
8. 31. 


31 


wohl aya m. eoti.-boll, einerseits und Hieronymus andrerseise 
geschöpft haben; es fragt sich vielmehr, ob diese passio dem 
Ado, pder Ados libellus de festiv. dem Verfasser dieser passio 
zur Quelle gedient hat. Ersteres ist unmöglich; denn es bliebe 
wnerklärlich, wie Ado den eleganteren Ausdruck der passig 
ohne ersichtlichen Zweck oft; vereinfacht hätte und auf diegem 
Weg zum griginalan Ausdruck des Hieronymus zurückgekehrt 
wäre, 0 2. B, wenn er in dem oben angeführten Satz ein 
stimnlatus, welches die passio zwischen ardore und patiendi 
eingeschoben hat, nicht hat, oder wenn er das effictar, welches 
die passio fratz ihrer hier abwaltenden Abhängigkeit von 
Hieronymus aus Rufin hat einfliessen lassen, durah das igveniar 
des Hieronymus ersetzt. Es ist deutlich, dass die passio 
Alles, was ie nicht aus Rufin entlehnt hat, durch Vermitt- 
lung von Ados libellus bekommen hat, Dem widerspricht ex 
nicht, dass sie statt der trockenen Aufzählungen der Folte- 
rungen bei Ada eine ziemlich ordentlich: stilisirte Erzählung 
gibt. Bei näherer Betrachtung enthält diese Kinrahmung nichts, 
wag auf nmmittelbare Benutzung der Quelle (m. cott.-boll.) 
schliessen liese, Auch hier arkennen wir nur denselben 
Stilisten, welchem ea z, B. gefiel, anstatt des quellenmässigen 
non prapter pravitatem haee patior, sed propter pietatem (boll. 
5 18, cf. vat. Dres, p. 374) zu schreiben: non hoc propter 
meorym criminym patior pravitatem, sed prapter divini cultus 
pietatem. Wir gewinnen also an dieser passio kein Mittel, 
um der Entstehungszeit des m. eott.-boll, näher zu kommen. 

Um etliche Jahrhunderte älter ala Ado (starb 875) mögen 
allerdings beide Compilationen der Urmartyrien, cokt.- ball. 
und arm. sein; aber nichts nöthigt una aueh nur die heiden 
Grundschriften, aus welchen sie in verschiedener Weise zu- 
sunmengesetzt sind, vor dem 5. Jahrhundert entskauden zu 
denken. Was zunächst das m. vat. anlangt, so müsste Kennt- 
nis desselben sich vor allem durch Erwähnung der grausamen 
Folterungen verrathen. Aber kein Schriftsteller, welcher vom 
Martyrium des Ignatius redet, von Irenäus bis auf Johannes 
Malalas, deutet Derartiges an. Wohl aber ist nachzuweisen, 
dass einzelne chargkteristische Züge der Darstellyng des m. ναί. 


32 


gegen Ende des 4. Jahrhunderts in der Ueberlieferung feste 
Gestalt gewonnen hatten und, wie die Natur der Sache es 
dann auch fordert, schriftlich aufgezeichnet worden waren. 
Nachdem Hieronymus (cat. 16) von der zur Zeit der Ver- 
folgung unter Trajan erfolgten Verurtheilung des Ignatius 
zum Thierkampf, vom Transport'nach Rom und seinen Briefen 
geredet und das schon von Euseb mitgetheilte Kapitel des 
Römerbriefs übersetzt hat, fährt er fort: quumque jam dam- 
natus esset ad bestias, ardore patiendi, quum rugientes audiret 
leones, ait: „Frumentum Christi sum, dentibus bestiarum 
molar, ut panis mundus inveniar.“ Es ist allerdings nicht 
zu leugnen, dass Hieronymus auch dies Wort aus dem Römer- 
brief des Ignatius in seiner Vorlage und zwar so angeführt 
fand, dass man es bei nicht allzu genauer Lesung auf die Auc- 
torität des Irenäus hin leicht als ein mündlich ausgesprochenes 
ansehen konnte ). Aber darüber sollte auch kein Zweifel be- 
stehen, dass Hieronymus das Wort nicht als briefliche, sondern 
als mündliche Aeusserung einführt ὃ. Zu bestimmt unter- 
scheidet er sie durch den vorausgeschickten Temporalsatz von 
dem vorher Mitgetheilten. Obwohl er schon im Eingang eine 
in Antiochien erfolgte Verurtheilung erwähnt hat, muss er 
doch auch von einer der Reise nach Rom und der Abfassung 
des Römerbriefs erst folgenden Verurtheilung oder doch von 
einer Näherbestimmung der Strafe erst in Rom gehört haben, 
und das Hören des Löwengebrülls muss eigentlich gemeint 
sein. Nun findet sich aber eine erst in Rom erfolgte Ver- 
urtbeilung zum Thierkampf in m. vat. und den davon ab- 
hängigen Bearbeitungen, und eben dort wird das von Hiero- 
nymus citirte Wort ebenso angesichts der losgelassenen Löwen 
von Ignatius ausgesprochen. Abhängigkeit des m. vat. von 
Hieronymus ist schon deshalb höchst unwahrscheinlich, weil 


1) Eus. ἢ. 6. III, 36, 12: οἶδε δὲ αὐτοῦ τὸ μαρτιίριον καὶ ὁ Εἰρη- 
ναῖος καὶ τῶν ἐπιστολῶν αὐτοῦ μνημονεύει λέγων οὕτως" ὡς εἶπέ τις τῶν 
ἡμετέρων, διὰ τὴν πρὸς ϑεὸν μαρτυρίαν καταχριϑεὶς τρὸς Imola;. ὅτι 
σῖιός εἰμι ϑεοῦ x. τὶ A. 


2) Gegen Pears. II, 87; 2165ᾳ. und Uhlh. 268. 


33 


der Verfasser des vat., welcher ohne alle Polemik gegen 
andersartige Ansprüche die Reliquien des Ignatius für Rom in 
Anspruch nimmt, au der bestimmten Angabe seines Begräb- 
nisses in Antiochien bei Hieronymus nicht so glatt hätte 
vorbeigleiten können. Sodann bedarf die Angabe des Hiero- 
nymus, nicht die des vat., einer literarischen Erklärung. Ab- 
hängigkeit des Hieronymus vom vat., wie es uns vorliegt, 
lässt sich freilich nicht wahrscheinlich machen. Nur soviel ist 
deutlich 1), dass die im vat. zusammenhängend vor uns liegende 
Veberlieferung in zwei charakteristischen Punkten zur Zeit 
des Hieronymus bereits fixirt war und auch von diesem gelehrten 
Abschreiber angeeignet wurde, ohne dass er sich des Wider- 
spruchs mit- dem Anfang seines Berichts bewusst wurde, 
Hieronymus hat sich vom Jahre 373 an mehrmals längere 
Zeit in Antiochien aufgehalten und Jahre lang mit der antio- 
chenischen Kirche in engster Beziehung gestanden (vgl. 
Zöckler, Hieronymus, S. 43—81). Von dort wird er die An- 
gabe über die Begräbnisstätte des Ignatius mitgebracht haben. 
Vielleicht hat er dort oder bei den Anachoreten von Chalecis 
auch den bezeichneten Ueberlieferungstypus kennen gelernt, 
Auffallen wenigstens muss es, dass die wenigen individuellen 
Züge, welche dem Chrysostomus zur Verfügung standen, als 
er seine Rede am Gedächtnistag des Ignatius hielt, auf die- 
selbe Quelle hinweisen. Wiederum ist es nicht die uns vor- 
liegende Gestalt des m. vat., durch welche sich Chrysostomus 
beeinflusst zeigt. Eine Schrift, welche den Leichnam des 
Heiligen in Rom bleiben liess und von gottesdienstlicher Feier 
an seinem dortigen Grab sagte, hätte ihm als völlig unglaub- 
würdig erscheinen müssen, da er die gleich nach dem Tode 
erfolgte Translation des Leichnams nach Antiochien mit leb- 
hafter Phantasie ausschmückt 3. Obwohl der wortreiche Red- 
ner sich anstellt, als-ob er vor lauter Ueberfülle des Stoffs 
nicht zu Wort kommen könnte (l. 1. 593 B), so zeigt er sich 
bei näherer Betrachtung doch sehr um Stoff verlegen, wo es 


1) Das wesentlich Richtige hat schon Uss. adn. p. 34. 
2) Opp. ed. Montfaucon II, 600g. 
Zahn, Ignatius. J 


34 


auf Charakteristik des Heiligen ankommt. Eine sichere 
Anspielung an irgend einen ignatianischen Brief finde ich in 
dieser Rede nicht !.. Am wenigsten kann man eine solche 
an das bei Ignatius selbst (Rom. 3) unächte Citat aus 2Kor. 
4, 18 gelten lassen, welche Denzinger S. 901. unleugbar 
fand ?). Ueberhaupt ist bisher aus den Werken des Chryso- 
stomus noch kein stichhaltiger Beweis seiner Kenntnis der 
ignatianischen Briefe beigebracht worden. Die einzige An- 
führung, welche namentlich auf Ignatius (ad Pol. 4) zurück- 
geführt wird, findet sich in einer Rede ?), welche wahrschein- 
lich gar nicht von Chrysostomus herrührt. Ein längerer, in 
unserem Ignatius nicht nachweisbarer Ausspruch, den Chry- 
‚sostomus allerdings anführt, bietet kein Recht, ihn als Citat 
aus einer verlorenen Schrift des Ignatius in Anspruch zu 
nehmen. Denn Chrysostomus nennt den Heiligen, der so 
‚gesprochen, nicht seinen Vorgänger im Bisthum von An- 
tiochien, sondern einen früheren Heiligen unter den Nach- 
‚folgern der Apostel, welcher auch des Martyriums gewürdigt 
worden sei *). Der Wortlaut gestattet nicht einmal sicher auf 


- 1) Gegen Pears. I, 131; Lips. IL, 2186. u, A. Des Ersteren Argu- 
mentation gegen Abhängigkeit des Chrysostomus von einem Martyrium 
beruht auf den beiden Voraussetzungen, dass das m. colb. ächt und die 
anderen Acten (oxon.-vat.) jünger seien. 

2) Wie Denz. a. a. O., so übersieht auch sein Gegner Lips. II, 21f., 
dass hier nicht cod. med., sondern colb. in Betracht kommt, welcher 
soviel bedenkliche Uebereinstimmungen mit metaphr. und ΟΣ zeigt, dass 
er gegenüber der Uebereinstimmung des L!, beider syrischer (Cur. 44; 
Moesing. 7) und beider armenischer Uebersetzungen und einem Citat bei 
Timotheus von Alexandrien (Cur. 210, 90 Β44.) nichts gilt. 

3) Homil de legisl. (Opp. VI, 410 C), welche Montfaucon wie Ussher 
in die Zeit Justinians setzt. Mühsam jedenfalls sucht Pears. I, 132 544. 
ihre. Aechhtheit aufrechtzuerhalten, und Neuere, welche sonst keine 
Verehrer Pearsons sind, sollten sie wenigstens nicht ohne Bechtfertigung 
eitiren. 

4) Opp. I, 693 ec: ἅγιός τις πρὸ ἡμῶν (cf. Iren. IV, 41, 2) τῆς 
διαδοχῆς τῶν εποστόλων γενόμενος (cf. Eus. ἢ. 6. III, 4, 12) ὃς καὶ 
μαρτυρίον ἠξέωτος. Fine Näherbestimmung wie πρώτης bei διωδοχῆς 
(cf. Eus. III, 37, 1. 4; V, 20, 1; VI, 13, 8) ist vielleicht nicht er- 


35 


eneg Mann der unmittelbar nachapostolischen Zeit zu 
schliessen, geschweige denn auf einen Bischof von Antiochien, 
80 dass es der Erinnerung kaum bedarf, dass es unter den 
antiochenischen Bischöfen vor Chrysostomus mehr als einen 
Märtyrer gibt. Das letzte der von Our. p. 170 aufgeführten 
‚Ignatiuscitate bei Chrysostomus, führt nicht dieser (opp, 
ΧΙ, 86 C), sondern ein sehr viel jüngerer ‚Johannes yon 
Antiochien !) in etwas abweichender Form auf Ignatius zurück, 
und eg fragt sich doch noch sehr, ob nicht vielleicht Cyprian ?) 
die Quelle ist. Jedenfalls kann Chrysostomus nicht für die 
Gelehrsamkeit oder den Irrthum eines Schriftstellers so später 
Zeit verantwortlich gemacht werden, und es bleibt unerweis- 
lich, dass er jemals etwas von Briefen des Ignatius gelesan 
hat. Nur der gegentheiligen Vorausseizung entspricht die 
ganze Haltung seiner Rede auf den Märtyrer, Aus der bJossen 
Thatsache, dass Ignatius ein den Aposteln persönlich bekannter 
und von ihnen zum Nachfolger des Petrus eingesetzter Bischof 
gewesen, gewinnt er auf dem mühsamen Umweg einer Schlusg- 
folgerung aus den apostolischen Grundsätzen über die erfor- 
derlichen Eigenschaften des Bischofs ?) auf deren Befolgung 
seitens der Apostel einigen Inhalt zur Ausführung seiner 
Disposition (p. 594sqgq.). Vom Martyrium weiss er nicht viel; 
den Trajan erwähnt er nicht, und erst in Rom scheint er 
sich das die Todesart bestimmende Urtheil gefällt und sofort 
vollstreckt zu denken. Es ist dies ein dem m. vat. 


forderlich zur Bezeichnung der unmittelbar nachapastolischen ‚Generation 
(εἰ Eus. V, 21, 2). 

1) Cotel. monum. eccl. Gr. I, 176: τῷ de ἐχχλησίαν ϑεοῦ σχανδα- 
λίσαντι οὐδὲ μαρτυρίου αἷμα κατὰ τὸν ϑεοφόρον Ἰγνάτιον ἀρκεῖ εἰς 
συγχώρησιν. Naeh Cotel. 1. 1. p. 747 gehört dieser Johannes dem 
12. Jahrhundert an. 

2) De unit. ecel. 14 init. cf. Pears. I, 130; de orat. dom. 24 cf. 
Grabe II, 26. 

8) Tit. 1, 7. 1 Tim. 3, 1; 5, 22. 

4) p. 599 D. Die Rede ist bei der Schilderung der Wirkung des 
Mertyriums auf die Römer angelangt: od γὰρ ἔξω rar τειχῶν ἐν βαρά- 
sw οὐδὲ ἐν δικαστηρίῳ οιδὲ ἐν γωνίᾳ τινὶ τὴν καταβικχιίζουσαν 

5% 


36 


charakteristischer Zug, welchen, wie gezeigt, auch Hieronymus 
diesem Ueberlieferungstypus entlehnt hat. Auf eine ähnliche 
Quelle führt die gleich folgende Anführung eines Worts, 
welches Ignatius unmittelbar vor seinem Tode (μέλλων ano- 
ϑνήσκειν»ν) gesprochen habe. Als er gehört habe, dass diese 
Todesart seiner warte, habe er ausgerufen: ἐγὼ τῶν ϑηρίων 
ἐχείνων ὀναίμην (p. 599 E). Das Wort findet sich ebenso 
wie der von Hieronymus dem Ignatius beigelegte Ausspruch 
im Römerbrief (c. 5), ist aber von Chrysostomus gleichfalls 
in einem bestimmten geschichtlichen Zusammenhang vorge- 
bracht, den nicht erst die Phantasie des Redners geschaffen 
haben kann. Wenn dies Wort gerade in unserem m. vat. 
nicht steht, so bestätigt sich nur, dass es nicht das m. vat., 
sondern ein demselben in manchen hervorstechenden Zügen und 
besonders auch in starker Benutzung des Römerbriefs ver- 
wandter Bericht war, woraus Chrysostomus und Hieronymus ° 
schöpften. Nachdem Chrysostomus das angeführte Wort noch 
einmal wiederholt hat, fährt er (p. 600 A) fort: καὶ πολλῷ 
τούτων ἡμερώτερα τὰ στόματα ἐνόμιζεν εἶναι τῆς τοῦ τυράννον 
γλώσσης, καὶ μάλα εἰκότως. "Exeivn μὲν γὰρ πρὸς γέενναν ἐχά- 
λει, τὰ δὲ τούτων στόματα πρὸς βασιλείαν παρέπεμπεν. Schon 
das μάλα εἰκότως lehrt, dass der Redner hier nicht phantasirt, 
sondern ein Ueberliefertes berichtet und dann würdigt. Er 
kennt also eine Verhandlung, in welcher „der Tyrann“, ohne 
Frage der damalige Kaiser, durch freundliche Worte den 
Ignatius zum Abfall zu verlocken suchte, Ignatius aber, wie 
es scheint, solche Reden nicht bloss als Verlockungen zum 
Verderben zurückwies, sondern sich mit Bezug auf diese einen 
Vergleich zwischen dem Kaiser und den Bestien erlaubte. 
Wiederum finden wir wesentlich Verwandtes im m. vat., 
nicht aber im m. colb. oder bei einem Geschichtschreiber. 
Hier wird das Anerbieten Trajans, den Märtyrer zum Jupiters- 


-..--.»..-.-...-  . ...- -- .-.- 


ἐδέξατο ψῆφον, ἀλλ᾽ ἐν μέσῳ τῷ ϑεάώτρῳ τὴς πόλεως ἄνω χαϑεζο- 
μένης ἁπάσης τὸν τοῦ μαρτυρίου τρόπον ὑπέμεινε ϑηρίων En’ αὐτὸν 
ἀφεϑέντων. An diesen Worten scheitert die sophistische Behandlung 
der Frage bei Pears. II, 217. 


37 


priester und Mitregenten zu erheben, als eine seelengefährliche 
zur höllischen Qual führende Versuchung zurückgewiesen 
(Dress. p. 368); und als Trajan zum letzten Mal, am Tag 
der Execution angesichts des im Amphitheater versammelten 
Volks — also in demselben Moment, bei welchem Chrysosto- 
mus hier verweilt — in der huldvollsten Weise als Preis der 
Nachgiebigkeit seine Freundschaft anbietet, antwortet dieser: 
„Du scheinst mir die Gestalt eines Menschen, aber den 
Charakter des Fuchses zu haben, der mit dem Schweif wedelt, 
aber arglistigen Sinnes ist; denn du redest menschenfreund- 
lich und räthst doch nichts Heilsames‘“‘ (Dress. p. 373). Auf 
die Verschiedenheit braucht nicht besonders aufmerksam ge- 
macht zu werden; die Aehnlichkeit bleibt auffallend. 

Zu Hieronymus und Chrysostomus gesellt sich Pseudo- 
ignatius. Höchst auffällig ist die Uebereinstimmung zwischen 
dessen Ermahnung: τῷ Καίσαρι ὑποτάγητε, ἐν οἷς ἀκίνδυνος 
ἡ ὑποταγή (Antioch. 11) und dem Satz des m. vat.!): τίνα 
δὲ ἡμῶν ἔγνως στάσιν καὶ πόλεμον ἀγαπᾶν, οὐχὶ δὲ ὑποτασσο- 
μένους ἄρχουσιν ?), οἷς ἀκίνδυνος ἡ ὑποταγή. Es ist möglich, 
dass das so vielfach späteren ähnlichen Arbeiten zum Muster 
dienende mart. Polycarpi das Original dieser Sätze enthält °); 
aber doch nicht unabhängig von einander können die unter 
sich so gleichlautenden und vom Original so weit abweichen- 


1) Dress. p. 371 cf. die oxforder Handschriften bei Ussher (Cler. 
107). 

2) Unter anderen Abweichungen hat oxon. das hier erforderliche 
ἐν οἷς. | 

3) c. 10: δεδιϑάγμεθϑα γὰρ ἀρχαῖς καὶ ἐξουσίαις ὑπὸ τοῦ ϑεοῦ TE- 
ταγμέναις τιμὴν χατὰ τὸ προσῆχον τὴν μὴ βλάπτουσαν ἡμὰς ἀπονέμειν. 
Diesen Satz mochte der Verfasser des m. vat. oder der Grundschrift, 
welcher nachgewiesener Massen die Kirchengeschichte Eusebs stark be- 
nutzt hat, dorther kennen (h. e. IV, 15, 22). — Noch an zwei anderen 
Stellen bietet m. vat. Anklänge an diesen und einen ähnlichen Ausspruch 
Polykarps, nämlich Dress. p. 368: χάριτας dei παρέχειν, βασιλεῦ, τὰς 
μὴ βλαπτούσας ψυχήν (cf. m. Polyc. 10) und p. 370: τὸ χαυστικοὸν τοῦ 
πυρός σοῦ εἰς ὑπόμνησίν μὲ ἄγει ἐχείνου τοῦ πυρὸς χαὶ αἰωνέον καὶ 
ἐσβέστου καίτοι πρόςχαιρον ὃν (cf. m. Polyc. 11). 


88 


den Nachbildungen entstanden sein. Ist nun aber dem Ver- 
fasser des m. vat. allem Anschein nach selbst von den sieben 
älteren Igmatiusbriefen nur der an die Römer bekannt gewesen, 
80 erscheint wörtliche Benutzung eines der jüngeren Briefe bei 
ihm kaum annehmbar. Somit wird Pseudoignatius der überhaupt 
neuere, wie ältere Literatur stark benutzt hat, aus dem m.vat. 
oder &us either älteren Grundlage desselben geschöpft haben. 
Ueber allem Zweifel würde das stehen, wenn die laus Heronis 
in b. Ignatium, welche Baronius !) zuerst herausgab, wirklich, 
wie Ussher (Cler. 123) vermuthete, ein Werk des Pseudo- 
ienatius wäre. Denn in diesem Gebet lesen wir: confudisti 
Trajanum et senatum Romae prudentiam nunc non habentem. 
Aber nur in Handschriften der lateinischen Uebersetzung der 
längeren Recension ist diese laus bisher gefunden worden 2). 
Der Stil erinnert an die Heiligenanrufungen in den Sacra- 
mentärien und macht eine Uebersetzung aus griechischem 
Original sehr tnwährscheinlich. Vom Uebersetzer der längeren 
Recension mag das Stück herrühren und bestätigt nur, was 
wir ohnedies wissen, dass die im m. vat. vorliegende Ueber- 
lieferung für das Abendland massgebend wurde. Doch, auch 
abgesehen von dieser unsicheren laus Heronis scheint be- 
hauptet werden zu dürfen, dass Pseudoignatius, welcher nicht 
lange vor Hieronymus und Chrysostomus den Antiochenerbrief 
verfertigt haben wird, von derselben, für uns nur noch durch 
die im vat. vorliegende Bearbeitung erkennbaren schriftlichen 
Ueberljeferung über den Tod des Ignatius abhängig ist, wie 
die beiden Kirchenväter. Um so weniger wird man geneigt 
sein, die auffällige Uebereinstimmung dieser mit dem m. vat. 
aus Abhängigkeit des letzteren von ihnen oder einem von 
ihnen zu erklären. Auch in diesem Falle müsste man zur 


1) Baron. ann. 110 ed. Luccae 1738, II, 65; sein cod. Vatic. ist 
wohl derselbe, welchen Dressel proll. XXI benutzte. 

2) Auch in den von Dressel (pro. XXI. LVII, n. 8. 9) ver- 
glichenen. — Die Vermuthung, dass eben diese laus Heronis dem 
einen der koptischen Martyrien angehängt sei, lässt sich auf die An- 
gaben bei Cur. 363 wenigstens nicht sicher gründen. Vgl. auch oben 
S. 4. 


| ““ 


89 ᾿ 


Erklärung der Aussagen des Chrysostomus und Hieronymus 
eine schriftgewordene Ueberlieferung zu Hülfe nehmen, welche 
dann aber viel wahrscheinlicher als die gelegentlichen Be- 
merkungen zweier Väter zur Grundlage des m. vat. gemacht 
wird. Das eben ist es, worauf alle vorstehenden Beobach- 
tungen hindrängen. Auf Grund eines älteren Berichts über 
den Transport und den Tod des Ignatius, welcher gegen Ende 
des 4. Jahrhunderts nicht ganz selten gelesen wurde, ist 
vielleicht nicht viel später unser m. vat. entstanden. Der 
Bildungsgrad seines Verfassers ist nicht der niedrigste; die 
Vertheidiger der Aechtheit des m. colb., wie z. B. Smith 
$. 44f., haben im Eifer der Verurtheilung des „jüngeren 
Biographen‘ zu viel gethan, dessen Werk vor Dressels Ver- 
öffentlichung nur unvollständig bekannt war und meist nur 
durch das trübe Medium der späteren Verarbeitungen be- 
trachtet wurde. Trotz der zahlreichen Martern, welche die 
Phantasie des Redactors des m. vat. in die ältere Grundschrift 
eingeflochten hat, haftet sein Interesse nicht an diesen dem 
Zeitgeschmack wohl unentbehrlichen Zuthaten !), sondern an 
den durch sie hervorgerufenen Aussagen des Märtyrer. Der 
Ton der Polemik gegen heidnische Religion und Sitte ist der 
einer alternden Apologetik, aber das ernstliche Streben, nicht 
bloss, wie es von jeher Bedürfnis und üblich war, die poli- 
tische Ungefährlichkeit des Christenthums, sondern auch seine 
epochemachende Bedeutung für das römische Reich und die 
Cultur der Menschheit darzuthun, erinnert an die Anregung, 
welche die christliche Apologetik durch den letzten Kampf 
des antiken Römerthums und Griechenthums seit Julian em- 
pfangen hatte, an die Zeit etwa, da Cyrill gegen Julian und 
Augustin über den Staat Gottes schrieben. Wenn die Grund- 
schrift, wie sie Chrysostomus und Hieronymus gelesen haben, 
jedenfalls die Bemerkung über den Verbleib der Reliquien in 
Rom noch nicht enthielt, so muss die Umgestaltung, welche 
unter anderem auch diesen Zusatz eintrug, ohne Wissen um 


1) Vgl. z. B. selbst eines Hieronymus epist. 1 δὰ Innocentium de 
muliere septies icta. 


40 


die antiochenische Ueberlieferung und jedenfalls westwärts 
von Antiochien entstanden sein. Für ein im Interesse der 
„päpstlichen Kirche‘ gearbeitetes römisches Werk wird das 
m. vat. in seiner gegenwärtigen Gestalt sehr mit Unrecht er- 
klärt ἢ; denn zur Zeit seiner Entstehung schrieb man in 
Rom nicht mehr griechisch; und weit: entfernt davon, dass 
ein gegen die antiochenische Ueberlieferung polemisches 
Interesse für Rom sich darin ausspräche, sehen wir hier das 
Selbstverständliche, dass der Märtyrer begraben wurde, wo er 
starb, mit wenigen Worten von einem Fernstehenden be- 
richtet. Wäre der Verfasser in Rom bekannt und hätte es 
zu 'seiner Zeit eine ihm bekannte Begräbnisstätte und Ge- 
dächtnisfeier daselbst gegeben, so könnte er nicht mit so 
farblosen Worten über das Begräbnis hinweggehen. Nur das 
ist sehr begreiflich, dass, seit man in Rom den antiochenischen 
Märtyrer Ignatius feierte, dies Martyrium, welches Rom seine 
Ehre liess, für das Abendland hauptsächlich massgebend wurde. 
Der Kampf zwischen dieser Sage und der im m. colb. ver- 
tretenen endigte damit, dass man zwar letzterer zu Lieb eine 
Translation nach Antiochien annahm, aber, da doch auch Rom 
und zuletzt Frankreich und Böhmen seiner Reliquien sich 
rühmte, eine Translation von Antiochien nach Rom er- 
dichtete 3). 

Bedeutung hat das m. vat. für uns durch sein Verhält- 
nis zu den Briefen des Ignatius. Der Verfasser kennt den 
Römerbrief nicht bloss aus der Kirchengeschichte Eusebs; er 
hat ihn gelesen. Die übrigen Briefe aber erwähnt er nicht, 
wie es das m. colb. thut; er übergeht auch Alles, was er 
aus denselben über die Reise des Ignatius hätte mittheilen 
können. Die Richtung des Wegs entnahm er aus Euseb, 
und nur aus dem von ihm citirten Satz des Römerbriefs hat 
er erschlossen, dass die Christen der Städte, durch welche 
Ignatius reiste, die begleitenden Soldaten durch Wohlthaten 
freundlich zu stimmen suchten. Das weist uns auf eine 


----- .. 


1) Volkmar, Handbuch der Einleitung in die Apokr. I, 123. 126. 
2) Οὗ Act. 8S. Febr. I, 88 5α. 


41 


später genauer zu ermittelnde Thatsache schon jetzt hin, 
auf eine merkwürdige Isolirung des Römerbriefs von den 
übrigen. 

Sehr anders als in Bezug auf dies Martyrium lautet die 
kritische Frage in Bezug auf das m. colb. In Folge des 
Anspruchs, den das Schriftstück selbst erhebt, gibt’s hier eine 
Aechtheitsfrage, welche bis heute vielfach bejaht worden ist. 
Zwar haben die meisten, selbst die eifrigsten Vertheidiger 
der Aechtheit, die Möglichkeit von Interpolationen zugegeben, 
zum Theil auch solche nachzuweisen gesucht. Usshers ἢ) 
Anstoss an den Worten, welche den Römerbrief einführen, 
beruhte auf einem Uebersetzungsfehler in seinem lateinischen 
m. angl. und ist durch den griechischen Text beseitigt. 
Hefele nahm bei seinem Bemühen, die Aechtheit des Wesent- 
lichen zu retten, Unsicherheit des Textes in den chrono- 
logischen Angaben an, erklärte zuletzt die entscheidende An- 
gabe für ein jüngeres Einschiebsel 2. Durchgreifender ver- 
fuhr schon Grabe (II, 4. 22f.), indem er gerade diejenigen 
Stellen, in welchen sich die Erzähler offen als Augenzeugen 
des Berichteten darstellen, des Selbstwiderspruchs und des 
geschichtlichen Irrthums zieh. Indem Grabe alles im m. cott. 
nicht Enthaltene, also alles auf die Ankunft des Ignatius in 
Rom Folgende für jüngere Zuthat erklärte, ohne doch zu 
sagen, was er sich an dessen Stelle als das Ursprüngliche 
denke, glaubte er, wie es scheint, das schon früher in dem 
Bericht auftauchende „Wir“ (c. 5 fin. 6 init.) für baare 
Münze nehmen zu dürfen, und rüttelte nicht an der Glaub- 
würdigkeit des angeblich augenzeugenschaftlichen Berichts. 
Und doch widerlegt sich dieser Anspruch des Martyriums 
gleich da, wo er zuerst erhoben wird. Man könnte daran 
denken, die Aechtheitsfrage gegenstandslos zu machen, indem 
man sämmtliche Stellen, an welchen die Erzähler sich in das 
Subjekt der Erlebnisse miteinschliessen, auf Grund von eott. 


1) Cler. 171. 176. Vgl. über Pearsons Zustimmung Smith S. 42. 
2) ed. IV, p. 255. So schon Clericus in seiner Ausg. II, 161. 
YgL sonst noch Hefele proll. LXXI. LXXIIL 


42 


und boll. ὃ 5 auszuscheiden, wenn nur nicht im m. arm., 
also gerade in derjenigen Verarbeitung der Urmartyrien, 
weiche vom m. colb. in erster Linie und erst in zweiter vom 
m. vat. sich abhängig zeigt, das „Wir“ sich fände (arm. 
c. 45. 49). So wird dasselbe ursprünglich sein, und das 
m. colb. umfasste, soweit wir seine Geschichte zurückverfolgen 
können, von Anfang an denjenigen Theil, welchen Grabe an- 
focht. Es erscheint ebenso willkürlich, die ausdrückliche Be- 
hauptung der Augenzeugenschaft (c. 7) von den vorangehenden 
Andeutungeu zu trennen (c. 5. 6), als durch Preisgebung 
alles dessen, was für die Erzählung geschichtlichen Werth 
beansprucht, den werthlosen Rest retten zu wollen. 

Während man im Verlauf der Erzählung einen von einem 
fernerstehenden Erzähler verfassten und durchaus auf Ferner- 
stehende berechneten Bericht zu lesen meint, tritt plötzlich, 
nachdem von dem vergeblichen Wunsch des Ignatius, in 
Puteoli auszusteigen, berichtet ist, das ἡμεῖς ein (c. 5 fin.). 
Das erinnert ebenso wie der Wunsch des Heiligen !) an die 
Apostelgeschichte, aber nur zum Nachtheil des Martyriums. 
Der biblische Erzähler begleitet den Apostel von Troas bis 
Philippi (Act. 16, 10; 17, 1) und schliesst sich ihm später 
in Philippi wieder an (20, 6). Aber wo haben sich die 
Begleiter des Ignatius ihm zugesellt? Spätestens in Epi- 
damnus; denn seitdem ist Ignatius nicht wieder ans Land 
gestiegen; aber dann sollte man früher schon das ἡμεῖς zu 
lesen erwarten. Man nahm meist als unzweifelhaft an, dass 
die in den Briefen erwähnten Begleiter Philon und Agathopus 
die Erzähler seien 2). In diesem Falle sollte man das ἡμεῖς 
von Troas an erwarten, wo ihn diese Männer erreicht haben; 
die Aehnlichkeit mit dem Bericht des Lucas wäre noch 


1) inodayserıwv τῷ ἁγίῳ Ποτιόλων αὐτὸς μὲν ἐξελϑεῖν ἔσπευδεν 
χατ᾽ ἴχνος βαδίζειν ἐθέλων τοῦ ἀποστόλου Παύλου. Vgl. schon c. 2 
im Gebet: τῷ ὠποστόλῳ σου Παύλῳ δεσμοῖς συνδήσας σιδηροῖς. 

2) Uss. (Cler. 171); Ruinart p. 7; Smith p. 42; Nirschl, Briefe 
des Ignatius, S. 201. Nach Gallandi nahm auch Hefele proll. LXIX 
den Rom. 6; Eph. 2 erwähnten Crocus hinzu. 


48 


schöner gewesen. Der Annahme, dass die Berichterstatter 
erst an dem Punkt auf ihre Augenzeugenschaft aufmerksam 
machen, wo sie von Belang ist, bei der Annäherung an Rom, 
steht entgegen, dass sie gerade da zu verschwinden scheinen, : 
wo ihre Augenzeugenschaft erst recht von Werth wäre, beim 
Tode selbst. Ins Amphitheater möchten sie sich nicht hin- 
eingewagt haben, wenn sie nur nicht hinterher nachdrücklich 
versicherten, dass sie Augenzeugen des zuvor Berichteten, der 
besonderen Umstände des Märtyrertodes gewesen. Freilich 
ist es hiermit völlig unvereinbar !), dass sie in der darauf 
folgenden Nacht den Herrn gebeten haben wollen, er möge 
sie die Schwachgläubigen in Bezug auf das vorher Geschehene 
mit Zuversicht erfüllen. Es liegt ja am Tage, dass der Er- 
zähler sich in die Stimmung ungläubiger Leser versetzt und 
dabei übersieht, dass er als Augenzeuge, zumal wenn er aus 
einer Mehrheit von Personen bestand, gar keiner Versicherung 
über die Thatsachen bedurfte, und Neuere 3) hätten sich die 
gegen Wortlaut und Zusammenhang streitende, übrigens von 
Ihrem Urheber selbst bedenklich gefundene Erklärung des 
Clerieus nicht aneignen sollen, es handle sich nur um die 
Gewissheit der Gottwohlgefälligkeit des Martyriums. Die 
Angenzeugen beanspruchen übrigens mehr, als von Seiten 
ihrer Vertheidiger bemerkt worden ist. Sie sagen: „Nach- 
dem wir dies (die nächtlichen Erscheinungen) mit vieler Freude 
gesehen und (am Morgen) die Traumgesichte verglichen, Gott 
als den Geber des Guten gepriesen und den Heiligen selig ge- 
priesen, haben wir euch auch Tag und Zeit kundgethan “ u. 8. w. 
Es besteht kein exegetisches Recht, zwischen Vordersätze und 
Nachsatz Wochen und Monate zwischeneinzuschieben ; viel- 
mehr am Tag nach dem Tode des Ignatius will der Bericht 
aufgesetzt sein, der unter anderem auch von der Translation 
seiner Gebeine nach Antiochien erzählt! — In sich wider- 
spruchsvoll ist der Bericht vom Endgeschick des Märtyrers. 


ἢ Cf. Grabe II, 22. Die Worte sind: πληροφορῆσαι τοὺς ἀσϑενεῖς 
ἡμᾶς ἐπὶ τοῖς προγεγονόσιν. 
2) So Hefele LXXIII; Dressel 215; Nirschl 206. 


44 


Eine wirkliche Erfüllung seines Wunsches, dass die Thiere 
sein Grab werden und nichts von ihm übrig lassen, damit 
er seinen Brüdern nicht durch die widrigen Falls nothwendige 
Erwerbung und Bestattung seiner Leiche beschwerlich werden 
möchte (Rom. 4), wäre doch nur ein solcher Tod im Thier- 
kampf gewesen, welcher eine Bestattung unmöglich gemacht 
hätte.- Was nach dieser Erzählung geschehen ist, ist weder 
ein geeigneter Gegenstand für irgend welchen besonderen 
Wunsch, da es das durchaus Natürliche ist, noch ist es Er- 
füllung des Zweckes, den Ignatius erreicht sehn wollte; denn 
kaum konnte er seinen Brüdern beschwerlicher fallen. Offen- 
bar ist die Erzählung ursprünglich auf einen anderen Schluss 
angelegt und hinterdrein erst den Reliquien zu Lieb geändert 
worden. Der dadurch geschaffene Widerspruch hat sich fortan 
behauptet 1). — Es wäre ferner die Frage zu beantworten, 
wer die am Schluss angeredeten Adressaten dieses übrigens 
nicht briefartigen Berichts sind. Am nächsten läge es, dass 
der Antiochener Agathopus seiner heimathlichen Gemeinde 
vom Tod ihres Bischofs berichtete und der Tag nach dem 
Ereignis wäre kein zu frühes Datum. Aber der Antiochener 
kann den Antiochenern nicht über“ die in Antiochien selbst 
stattgehabten Verhandlungen berichten ; ebensowenig dem nach 
zuverlässigen Nachrichten über seinen Freund ausschauenden 
Polykarp (Pol. 13), welcher Tage lang mit Ignatius verkehrt 
hatte. In einem gleichzeitigen augenzeugenschaftlichen Be- 
richt an Zeitgenossen und Bekannte des Ignatius ist der ganze 
Eingang des m. colb., die Erzählung von Zeit und Art der 
Amtsführung des Ignatius, von der Entstehung der Verfolgung 
unter Trajan und der Veranlassung des Martyriums des 


| nn nn 


1) Euagr. ἢ. e. I, 16; Niceph. Call. ἢ. e. III, 19; m. arm. 47; 
metaphr. 23. Auch in diejenige Gestalt der Sage, welche im vat. ver- 
gleichsweise ursprünglich erhalten ist, drang der Widerspruch schon mit 
dem oxon. ein (s. oben ὃ. 6). Das dortige χατέδοντο αὐτοῦ und die 
Worte des metaphr.: διεσπάσιντό τε αὐτὸν εὐθὺς χαὶ χατέφαγον . .. 
ὥστε τάφον αὐτῷ τὰ ϑηρία γενέσϑαι καὶ μηδὲν ὑπολειφϑῆναι τοῦ σώ- 
ματος lassen noch deutlicher als das m. colb. selbst die ursprüngliche 
Gestalt der Sage erkennen. 


45 


Ignatius eine Unmöglichkeit. Nimmt man aber an, dass die 
antiochenische Gemeinde auf Grund theils der eigenen Er- 
innerung, theils eines Berichts der Begleiter des Ignatius diese 
Erzählung für fernerstehende Gewneinden und für die Nachwelt 
aufgezeichnet habe, so bleibt der unvermittelte Uebergang 
aus dem „Wir‘ der Begleiter in das „Wir“ der redigirenden 
Hand unverständlich. Scheidet man endlich aus, was nach- 
gewiesener Massen in sich selbst unhaltbar ist, so bleibt 
nichts übrig, was die Begleiter des Ignatius bezeugen könnten, 
es sei denn etwa der Reiseweg. Aber gerade dieser ist un- 
richtig angegeben. Es wird sich zeigen, dass, wie oft es 
auch unter dem störenden Einfluss der Auctorität des m. colb. 
verkannt worden ist, Ignatius nach dem unzweideutigen Zeug- 
nis seiner Briefe durch das innere Kleinasien nach Smyrna 
transportirt worden ist. Das m. colb. lässt ihn zur See von 
Seleucia nach Smyrna gelangen (6. 3), ein Irrthum, den 
ausserdem Hieronymus zuerst vertritt !). Darnach allein schon 
kann das m. colb. nicht einmal auf alter Ueberlieferung be- 
ruhen; es ist ein sehr mangelhaftes Gedicht, dem wir fast 
nur für die treue Aufbewahrung des Römerbriefs Dank schul- 
den. Hätte der Verfasser die übrigen Briefe näher gekannt 
oder aufmerksamer gelesen, würde er auch nicht von einer 
allgemeinen, durch Trajan angeordneten Christenverfolgung 
fabeln (c. 2), um deren Aufhören Ignatius noch in Rom zu 
beten hat (c. 6). Nach den Briefen erfreuen sich sämmtliche 
Gemeinden Vorderasiens, mit denen Ignatius in Berührung 
kommt, eines beneidenswerthen äusseren Friedens, und die 
Nachricht vom Aufhören der Verfolgung der Christen in 
Antiochien erreicht den Märtyrer schon, während er noch 
auf asiatischem Boden weilt 2). Bei einem Erzähler, der seine 


1) eat. 16: quumgque navigans Smyrnam venisset etc. Rufin hat 
schwerlich ohne Einfluss des schon 392/93 geschriebenen Buchs seines da- 
maligen Freundes in seiner freien Uebersetzung Eusebs geschrieben: 
cum per Asiam sub custodia navigaret. — Schon Whiston, ὃ. 99f. hat 
diesen entscheidenden Grund gegen die Aechtheit der Acten geltend ge- 
macht. 

2) Phil. 10. Sm. 11; ad Pol. ἡ. Vgl. Uhlh. 256, 


46 


nächsten Quellen so wenig zu Rathe zu ziehen weiss, darf 
man nicht erwarten, Weltgeschichte und Chronologie richtig 
behandelt zu finden, und es wäre überflüssige Mühe, die ver- 
fehlten Versuche noch einmal zu kritisiren, die man seit 
langem gemacht hat, durch Umdeutung und Aenderung der 
Zeitangaben des m. colb. für die Verurtheilung des Ignatius, 
wie sie von ihm erzählt wird, einen Zeitpunkt zu gewinnen, 
in welchem sich Trajan zu Antiochien aufhielt, oder auch 
einen sonst nicht sicher bezeugten orientalischen Feldzug 
Trajans anzunehmen, welcher zu den Zeitangaben des m. colb. 
passt ἢ). 

Nur um die Entstehungszeit des Berichts zu bestimmen, 
hebe ich noch Einzelnes hervor. Gleich an der Spitze heisst 
Ignatius ein Schüler des Apostels Johannes, und bei Gelegen- 
heit der Begegnung mit Polykarp heisst dieser sein συταχροα- 
τής, was dann noch nachdrücklich erläutert wird: ἐγεγόνεισαν 
γὰρ nal μαϑηταὶ τρῦ [ἀγέον ἀποστόλου] ᾿Ιωάννουν (c. 3). 
Sehr richtig bemerkt Smith (schoL, p. 105): de Jiseipulatu 
5. Ignatii sub cura et institutione S. Joannis apostoli altum 
silent scriptores eeclesiastici, forderte dann aber Glauben an 
das m. colb. Es schweigen hiervon aber nicht bloss alle 
alten Schriftsteller, welche des Ignatius Verhältnis zur aposto- 
lischen Zeit berühren 3); es liegt hier wiederum ein unver- 
söhnlicher Widerspruch zwischen Briefen und Acten vor. 
Za geschweigen, dass Ignatius in seinen Briefen durch nichts 
andeutet, dass er je einen Apostel gesehen habe, und dass er 


1) So zuletzt Nirschl, Das Todesjahr des heiligen Ignatius und die 
.drei orientalischen Feldzüge des Kaisers Trajan, 1869. Während Hefele 
(4. Aufl., 8. 254) die Consulatsangabe des m. colb. als corrumpirt oder 
spätestens eingeschoben fallen liess, hat Nirschl a. a. O., 8. 8 ohne alle 
Rechtfertigung gegenüber den Einwendungen z. B. von Uhlh. 254, 
Anm. 16 die von Hefele aufgegebene Erklärung wiederholt, wonach ὑπα- 
τϑυόντων παρὰ Ῥωμαίοις Σύρα καὶ Eevexiov τὸ δεύτερον das Jahr be- 
zeichnen soll, in welchem Sura und Senecio zum zweiten Mal Collegen 
waren, d. h. das Jahr 107. 

2) Vgl. die Sammlung der Zeugnisse bei Cur. 158—189. Dazu 
kommen noch die Syrer, wie Johannes Monachus vom Ende des 4. Jahr- 
hunderts (Cur. 2068ᾳ4.). 


47 


den Apostel Johannes nicht einmal erwähnt, so ist der Eingang 
seines Briefs an Polykarp unverträglich mit der Annahme, dass er 
diesen vordem gekannt, oder gar sein συναχροατής gewesen 1). 
Es lässt sich auch noch leicht” erkennen, wie der Irrthum 
entstanden ist. Hieronymus, welcher cat. 16 nur Polykarp, 
nicht Ignatius, einen Schüler des Johannes nennt, schreibt in 
seiner Bearbeitung der Chronik Eusebs (ed. Schoene II,.162 54.) : 
Johannes apostolus . . . post quem auditores ejus insignes 
fuerunt Papias Hieropolitanus episcopus et Polycarpus Zmyr- 
naeus et Ignatius Antiocenus. Der dritte Name ist seine 
eigene, durch die sonstigen Zeugen nicht bestätigte, schliess- 
lich wohl aus flüchtiger Lesung der Zusammenstellung der 
drei Männer in Eus. ἢ. e. III, 36, 1. 2 entstandene Zuthat 
zum eusebianischen Text. Es ist möglich, dass Hieronymus 
nicht allein, oder auch nur zuerst den Namen des Ignatius 
hinzugefügt hat, denn in einer von der Chronik des Eusebius, 
unmöglich aber von des Hieronymus Bearbeitung derselben 
abhängigen syrischen Chronik ?) findet er sich auch, aber aus- 
drücklich unterschieden von den beiden vorhergenaanten 
Johannesschülern, Es wird also wahrscheinlich sehon vor des 
Hieronymus Bearbeitung dieser Zusatz einige Verbreitung ge- 
funden habem; aber Hieronymus, der uns in seiner Vorrede 
zur Chronik naiv genug erzählt, wie er daran gearbeitet, ist 
der Erste, der ihn unseres Wissens dahin misverstanden hat, 
dass auch Ignatius ein Schüler des Johannes gewesen sei. 
Desselben Fehlers machte sich die Paschachronik schuldig 
(ed. bonn. p. 416); das nöthigt aber keineswegs dazu, den 
leicht miswerständlichen Zusatz zum eusebianischen Text bis 
zum Jahr 354 hinaufzudatiren, in welchem (der erste Theil 


----- — 


1) Οὗ Peare. III, 23: nunguam igitur ante widerat Polycarpum. 

2) Bei Schöne a. a. O. 8. 214: Jobannem apestelum .... : post 
gquem qni eum audiverant, innotuerunt Papias Jerapolitanus et Polycarpus 
episcopus eorum, qui Smyrnae sedem suam collocaverat, praeterea 
autem Ignatius episcapus Antiochenerum. Noch im der ‚ Biene“ Salomos 
von Perat Maischan (um 1200) erkennt man einerseits die Unterscheidung 
des Ignatius von den beiden andern (Our. 221, i2sqggq.), andererseits die 
Vermischung (220, 17sgg.; 221, 17). 


48 


der Paschachronik abschliesst,; denn bekanntlich hat der, 
welcher das Werk bis zu seiner Gegenwart um 630 fort- 
führte, den älteren Theil mannigfach interpolirt. Sogut als 
in diesen Theil Basilius der Grosse, Gregor von Nazianz, 
selbst Pseudodionys eitirt werden, wird auch hier, wo der 
interpolirte Text des ignatianischen Trallianerbriefs ceitirt wird, 
eine Interpolation vorliegen ἢ). Das ist um so gewisser, da 
an dem angemessensten Ort für die Bemerkung des Ver- 
hältnisses zwischen Johannes und Ignatius, bei Erwähnung des 
Martyriums (p. 472), der Ehrentitel fehlt. Wenn das m. 
colb. ihm denselben ertheilt, so ist das aus seiner Abhängig- 
keit von der Chronik Eusebs, sei es in der Bearbeitung des 
Hieronymus ?), sei es in der vielleicht schon von Hieronymus 
vorgefundenen Textgestalt mit dem misverständlichen Zusatz, 
zu erklären. In beiden Fällen ist m. colb. frühestens gegen 
Ende des 4. Jahrhunderts entstanden. Gerade die Chronik 
und nicht die Kirchengeschichte Eusebs hat seinem Verfasser 
zur geschichtlichen Orientirung gedient. Nach dem 1. Jahre 
Trajans notirte die Chronik den Tod des Johannes und die 
Blüthe seiner zwei oder — nach manchen Exemplaren — 
drei Schüler, zum 4. oder 5. Jahr die Besiegung der Dacier 
und Scythen, zum 10ten oder nach dem 10ten die Christen- 
verfolgung unter Trajan 2). Aus der ersten Angabe entstand 


1) Dies übersieht z. B. Düsterdieck $S. 40. Die irrthümlichen An- 
gaben Bunsens (II, 205) widerlegt die Vergleichung von Trall. 10 interp. 
mit Chron. pasch. ed. bonn., p. 416. — Die Interpolation reicht wahr- 
scheinlich von dem ersten ὅτι δὲ τρεῖς ἐνιαυτούς p. 416, 1 bis zum zweiten 
p. 417, 6. 

2) Darauf scheint zu führen, dass m. colb. mit Hieronymus den 
Irrthum von einer Seereise bis Smyrna {161}. Da Hieronymus, soweit 
er sich durch ein Martyrium beinflusst zeigt, nicht vom. colb., sondern 
vom vat. abhängt (s. oben S. 33), so scheint er dem Verfasser des colb. 
vorangegangen zu sein, und nicht umgekehrt. Nur bleibt die Möglich- 
keit zufälligen Zusammcentreffens in einem vereinzelten Irrthum dieser 
Art. Vgl. jedoch oben $. 45. 

3) Selbstverständlich liegt allen diesen Angaben die Ausgabe von 
A. Schöne zu Grunde. 


Er DE Vo 


49 


der Anfang des m. colb.: ἄρτι διαδεξαμένου τὴ Ῥωμαίων 
ἀρχὴν Tooiuvov ᾿Ιγνάτιος ὃ τοῦ ἀποστόλου Ἰωάννου μαϑητής 
x. Δ. Aus der zweiten und dritten Angabe der Chronik 
entstand der Anfang des 2. Kapitels. Der Triumph über 
Dacier und ‚Scythen ist die Voraussetzung; und, wenn man 
das Schicksal der Zeitangaben dieser Chronik bedenkt, wird 
man die wesentliche Identität der chronologischen Bestimmung 
der Verfolgung hier und im m. colb. nicht verkennen, vollends 
wenn man mit syr. und angl. 1) statt μετὰ ταῦτα ἐννάτῳ ἔτει 
vielmehr μετὰ τὸ ἔννατον ἔτος liest. Vor allem aber ist die ge- 
schichtswidrige Annahme einer damals von Trajan angeordneten 
systematischen Christenverfolgung ?) aus den Worten der 
Chronik geflossen: Trajano adversus Christianos persecutio- 
nem movente, während ein Blick auf die Kirchengeschichte 
eine richtigere Deutung der kurzen Notiz dargeboten haben 
würde ὃ). Die Chronik gab keine chronologische Bestimmung 
des Feldzugs gegen Parther und Armenier; um so leichter 
konnte der unkundige Actenverfasser ihn mit dem 9. Jahr 
Trajans verbinden und so Kaiser und Märtyrer in Antiochien 
zusammenbringen. Zu den Quellen des m. colb. gehörs ferner 
allem Anschein nach die schon erwähnte Rede des Chryso- 
stomus. Während an eine Abhängigkeit des Chrysostomus 
vom m. 6010. nach obiger Erörterung (S. 33 ff.) nicht zu denken 
ist, finden sich doch Aehnlichkeiten, die kaum zufällig sein 
können. Die Disposition der Rede, welche 1) vom Bischof, 
2) vom Märtyrer, 3) vom Apostel handeln sollte, den dritten 
Theil aber unausgeführt lässt, liegt der Anordnung der Ein- 
leitung des m. colb. zu Grunde. Ebenso wie Chrysostomus 
in der Ausführung des ersten Theils handelt das Martyrium 


1) Abgesehen von der Vertauschung von ἔννατον mit τέταρτον bei 
letzterem (s. oben Κα. 4). 

2) Aehnliches berichtet das Martyrium des Scharbil vom 15. Jahr 
Trajans (Cur. anc. docum. p. 41 der englischen Uebersetzung). 

3) Eus. ἢ. e. III, 32, 1; 33. Auch die mit richtigem Verständnis 
der Briefe unverträgliche Seefahrt bis Sınyrna hätte ein Kenner der 
Kirchengeschichte Eusebs (III, 36, 4) nicht erfunden oder einer geringeren 
Auctorität nachgeschrieben. \ 


Zahn, Ignatius, 4 


50 


im ersten Kapitel zuerst von der seelsorgerischen, sodann von 
der lehrhaften Seite der bischöflichen Aıntsführung; und in 
der Beschreibung der ersteren redet Chrysostomus ganz wie 
das Martyriurn nicht bloss von der besonderen Rücksicht auf 
die Schwächeren, wie die gefahrvolle Zeit sie erheischte 
(p. 595 DE; 596 C), sondern bedient sich auch des Bildes vom 
Steuermann, der sein Schiff glücklich durch die stärmischen 
Wogen führt (596 B). Ein von jeher so viel gebrauchtes 
Bild wie dies beweist an sich gar nichts Ὁ), aber alles, wenn 
es in so gleichem Zusammenhang hier wie dort uns begegnet. 
In diesem Fall wird die Nachahmung auf Seiten des Mar- 
tyriums vollends offenbar durch den Selbstwiderspruch, den 
das entlehnte Bild hineinbriagt. Von den ersten Jahren 
Trajans wird gesagt, dass Ignatius damals wie ein geschickter 
Steuermann dem widrigen Wogendrang Widerstand geleistet 
habe; und doch soll gerade in diesen Jahren, wie in c. 2 
im Gegensatz sowohl zur Zeit Domitians als zur Verfolgung 
nach dem 9. Jahr Trajans gesagt wird, die Kirche Frieden 
geliabt haben. Einen Anklang an den Schluss der Rede des 
Ohrysostomus enthält auch die Nachricht von der Translation 
nach Antiochien, wenn die Reliquien dort (p. 600 D) ein 
ϑησαυρὸς διηνεχῆς, hier (c. 6 fin.) ein ϑησαυρὴς ἀτέμητος 
heissen. Nun ist aber diese Nachricht mit Allem, was ihr 
zu Lieb von der Todesart des Ignatius gesagt ist, wie oben 
S. 44 gezeigt wurde, offenbar Zuthat einer jüngeren Hand. 
Hat diese hier aus der Rede geschöpft, welche als beste Quelle 
für das Schicksal der Reliquien sich darbot ἢ). und eben da- 
durch eine Altes und Neues übel verbindende Darstellung des 
bebensausgangs des Ignatius geschaffen, so wird der vorhin 
besprochene innere Widerspruch der Einleitung den gleichen 
Grund haben. Ein Kenner der chrysostomischen Rede hat 
dem m. colb. erst seine gegenwärtige, sehr unvortheilhafte 
Gestalt gegeben; am Anfang und am Ende gewahren wir 


1) Vgl. Uhlh. 8. 353, welcher auf ad Pol. 2 verweist. 
2) Die oben 8. 26 nach Act. SS. vitirten Menäen berufen sich 
ausdrücklich auf diese Rede. 


δ1 


seine Hand, sonst aber nicht. Es läge allerdings nahe, 
auf diesen Interpolator auch die Beweise der Abhängigkeit 
von der Chronik Eusebs in einer an Hieronymus erinnernden 
Redaction derselben (S. 47ff.), die in sich widersprechenden 
Ansprüche auf Augenzeugenschaft der Berichterstatter (S. 42f.), 
und am Ende Alles, was an diesem m. colb. zur Kritik her- 
ausfordert, zurückzuführen. Aber was bliebe dann übrig? 
Der verrätherische „Schüler des Johannes‘, den man aus dem 
Eingang als späteres Einschiebsel beseitigen könnte, kehrt doch 
viel nachdrücklicher in ὁ. 3 wieder; das unleidliche „Wir“ 
durchzieht den ganzen letzten Theil des Berichts; die Nach- 
äffungen der Apostelgeschichte und anderer naheliegender 
Muster !) lassen sich nicht ebenso, wie jene auf Chrysostomus 
fussenden Interpolationen, ausscheiden, ohne dass das Ganze 
aufgelöst würde. Also enthielt schon die ältere, erst später 
nach Chrysostomus interpolirte Gestalt des m. colb. Beweise 
genug dafür, dass sie nicht vor dem Ausgang des 4. Jahr- 
hunderts entstanden ist. Dazu stimmt es, dass zugestandener 
Massen sichere Spuren einer Kenntnis unseres Martyriums 
vor Ende des 6. Jahrhunderts nicht nachgewiesen werden 
können ?. Es ist nicht einmal unzweifelhaft, dass der 


1) Steht erst fest, dass das m. colb. kein zeitgenössischer Bericht 

ist, so unterliegt es auch keiner Frage, dass die Worte ὥσπερ χριὸς 
ἐπίσημος nicht hier (c. 2), sondern in m. Pol. c. 14 original sind. 
2)S. z. B. Hefele proll. LXX, welcher freilich daneben es für 
möglich erklärt, dass z. B. Euseb aus dem m. colb. geschöpft habe, 
Schon die Differenz in Bezug auf die Reise bis Smyrna verbietet dies 
(8. oben 8. 45 Anm. 1). Ausser den Briefen des Ignatius, die er anführt, 
und den Notizen aus Polykarp und Irenäus, die er beibringt, hat Euseb 
überhaupt keine andere Quelle für seine Mittheilungen über Ignatius, 
als die ungeschriebene Ueberlieferung. Das λόγος δ᾽ ἔχει, womit er sie 
einführt, bezeichnet bei Euseb stets eine, wenn auch durchaus glaub- 
würdige, so doch der ausreichenden urkundlichen Beglanbigung ent- 
behrende Ueberlieferung (II, 7; 17, 1; II, 18; 19; 37, 1). Auch wenn 
er nachher schriftliche Zeugnisse folgen lässt, decken diese nicht völlig 
den Inhalt des Aoyos, oder sie reichen nicht hoch genug hinauf, um als 
urkundlicher Beweis gelten zu können. So hält es Euseb in diesem Fall 
für angemessen, die Ueberlieferung, dass Ignatius in Rom von den 
4 * 


52 


antiochenische Kirchenhistoriker Euagrius, der um 593 an 
seinem Werk arbeitete, oder sein Gewährsmann Johannes 
Rhetor, welcher sein Geschichtswerk bis zum Jahr 526/527 
herabführte '), dies Martyrium kannte. Allerdings begegnen 
uns hier (1, 16) die beiden widersprechenden Sagen, welche 
der Interpolator des m. colb. mit einander zu verschmelzen 
strebte. Aber die Sage, nach welcher der Wunsch des 
Ignatius, den Leib der Thiere zum Grab zu haben, in Er- 
füllung ging, braucht nicht erst vom Actenverfasser erdichtet 
worden zu sein; sie lag jedem Leser des ignatianischen Römer- 
briefs nahe. Die andere, von der Translation der festern Ge- 
beine nach Antiochien, war mit dem anerkannten Grabmal 
zu Antiochien gegeben und war, wie wir aus Hieronymus und 
Chrysostomus sahen, vor dem Ende des 4. Jahrhunderts und 
‚unabhängig vom m. 0010. entstanden. Aber wahrscheinlich 
ist es, dass an das frühestens um diese Zeit entstandene m. 
colb. nicht allzu lange nachher, noch im 5. Jahrhundert, die 
letzte Hand gelegt wurde, und dass es in seiner gegen- 
wärtigen Gestalt dem Euagrius vorlag. 

Wenn es in seiner anfänglichen Gestalt kein anderes 


Thieren getödtet worden sei, durch Berufung auf Irenäus zu stützen. 
Kannte er ein Martyrium, welches von den Reisegefährten des Märtyrers 
verfasst sein will, so musste er es erwähnen, auch wenn er nichts weiter 
darüber zu sagen hatte, als dass er ihm nicht traue. Er kennt aber 
überhaupt kein älteres Martyrium als das Schreiben der Gemeinde zu 
Smyrna über Polykarps Ende; denn nach richtiger Lesart sagt er IV, 
15, 1, dass Polykarps Märtyreıtod bereits schriftlich vorliege, offenbar 
im Gegensatz zu den älteren und früher von ihm erwähnten Märtyrern 
wie Ignatius (vgl. Uhlh. 253, auch Valesius z. d. St., obwohl dieser wie 
auch Heinichen, durch Bevorzugung der weniger gut beglaubigten und 
aus begreiflichem Anstoss entstandenen Lesart ἔτε statt ἤδη der richtigen 
Folgerung sich entzieht). Diese positive Behauptung eines Mannes, der 
es sich grosse Mühe bat kosten lassen, gerade die ältesten Märtyreracten 
zu sammeln, dem an sich schon das Factum ihrer Aufzeichnung inter- 
essant ist (cf. IV, 15, 46; V prooem. 1), und der bei jeder Gelegenheit 
auf dieselben verweist (IV, 15, 47; V prooem. ὃ; V, 4, 3; 21, 5), ist 
eine werthvolle Bestätigung der Resultate der innern Kritik. 
1) Euagr. III, 33; IV, 29 und Valesius zu 1, 16. 


53 


Grab des Ignatius kannte, als den Leib der Thiere, so kann 
es nicht in Antiochien entstanden sein, wo man zur Zeit 
seiner Entstehung das Grab vor dem daphnitischen Thor be- 
reits zeigte, und Chrysostomus die feierliche Ueberführung 
seiner Leiche von Rom nach Antiochien als eine in der Ge- 
meindeüberlieferung feststehende Thatsache ausmalte.. Dem 
entspricht es, dass alle Spuren einer fixirten antiochenischen 
Ueberlieferung nicht auf das m. colb., sondern auf das m. 
vat. hinwiesen. Dazu kommt ferner, dass das m. colb. ent- 
sprechend dem späteren griechischen Kalender den 20. December 
als Todes- und Gedächtnistag angibt, und zwar wegen des 
Schauplatzes der Geschichte in römischer und daneben in 
griechischer Datirung (c. 7 cf. 6), aber nicht wie das m. 
vat. in einem leicht ablösbaren Schlusssatz, sondern im Ver- 
lauf der Erzählung. Zur Zeit des Chrysostomus feierte die 
antiochenische Gemeinde den Tag des Ignatius im Juni; denn 
am Tage nach dem Fest der antiochenischen Pelagia, welches 
im Abend- und Morgenland am 9. oder 10. Juni gefeiert 
wurde !), hielt Chrysostomus seine Gedächtnisrede. Die Ver- 
muthung wird nicht zu gewagt sein, dass jener 20. December 
das grosse antiochenische Ignatiusfest ist, welches nach Euagr. 
I, 16 zur Erinnerung an die unter Theodosius II. (408-—450) 
geschehene Ueberführung der Reliquien aus dem Cömeterium 
in das ehemalige Tychäon gestiftet und am Ende des 6. Jahr- 
hunderts dort sehr glänzend gefeiert wurde. Buagrius redet ᾿ 
davon in einem Ton, welcher die Möglichkeit eines daneben 
bestehenden anderen Ignatiustages ausschliesst. Sehr bald 
wird ein Gedächtnistag den andern verschlungen, und der 
20. December zum Todestag geworden sein. Ist dem so, so 
könnte das m. colb. jedenfalls erst nach Theodosius II. seine 
jetzige Gestalt gewonnen haben, was zu den bisherigen Er- 
gebnissen passt. Sollte auch der letzte Redactor desselben, 
welcher jedenfalls mit Rücksicht auf die antiochenische Ueber- 


— π.-.-.-.. .. -.. 


1) Οἵ. Ruin. p. 517. Daneben findet sich bei den Griechen vermöge 
Attraction durch eine andere Pelagia auch der 8. October. Cf. Act. SS. 
Jun. Π, 154. 160. 


54 


lieferung die Urschrift umgestaltet hat, der antiochenischen 
Kirche angehört haben, so hätte er doch nichts aus älterer 
Ueberlieferung derselben geschöpft; aus der erst nach Chry- 
sostomus in Antiochien entstandenen und von da in der 
_ griechischen Kirche sich verbreitenden liturgischen Ueber- 
lieferung nahm er den Gedächtnistag und wusste von Ignatius 
nichts Anderes, als was ihm die Rede des Chrysostomus und 
das ausserhalb Antiochiens entstandene Martyrium darbot, 
welches er bearbeitete. 

Für die weitere Untersuchung ergibt vorstehende Kritik 
des m. colb. eben das, was schon die Untersuchung des m. 
vat. herausstellte, dass der Römerbrief des Ignatius sich gegen 
Ende des A. Jahrhunderts einer vom Schicksal der übrigen 
Briefe unabhängigen Verbreitung erfreute. Eine gewisse 
Kenntnis von anderen Briefen des Ignatius hat allerdings der 
Verfasser des m. colb. Es soll auch nicht die Verkennung des 
Reisewegs als Beweis dafür angerufen werden, dass er sie nicht 
gelesen habe, denn dasselbe würde damit von den gelehrten 
Bearbeitern der ignatianischen Literatur gesagt sein, welche 
dem Irrthum des m. colb. gefolgt sind. Aber der Verfasser 
redet doch sehr unklar von den Briefen. Nachdem er erzählt 
hat, wie Ignatius den Polykarp und die ganze asiatische 
Kirche, die ihn durch ihre Vorsteher in Smyrna begrüsst, um 
ihre Fürbitte angefleht habe, fährt er fort: „So sprach er 
und so versicherte er, so hoch spannend seine Liebe zu 
Christus, dass er den Himmel zu erlangen im Begriff war !) 
durch das schöne Bekenntnis und durch den Eifer der mit 
ihm für seinen Kampf Betenden, und dass er den Gemeinden, 
welche ihn durch ihre Vorsteher ?) begrüsst hatten, den Lohn 


% 


ne 


1) Der inf. μέλλειν, welchem dann ἀποδοῦναι entspricht, wird mit 
Unrecht meist (auch wieder von Nirschl S. 198) durch μέλλων ersetzt, ohne 
dass man die dadurch nothwendige Emendation des Folgenden auch nur 
andeutet. Nicht die Form, welche durch das auf τοσοῦτον zurück- 
weisende ws erfordert ist, sondern der ganze Ausdruck ist sonderbar. 

2) Der lateinische Uebersetzer verband διὰ τῶν ἡγουμένων fälsch- 
lich mit dem Folgenden und kam so zu der Uebersetzung per praece- 


55 


dafür zahlte durch Uebersendung dankbarer (oder anmuthiger) 
Briefe, die von geistlicher Gnade sammt Ütebet und Ermahnung 
trieften.“ Es scheint darnach so, als wären die Briefe des 
Ignatius nur an solche Gemeinden gerichtet, deren Gesandt- 
schaften mit ihm in Smyrna zusammentrafen, und als wären 
sie sämmtlich von Smyrna aus geschrieben, was doch beides 
von den Briefen an die Philadelphier, Smyrnäer und Polykarp 
nicht gilt. Bedenkt man, wie inhaltsarm der weitere Bericht 
ist, so sollte man denken, speciellere Mittheilungen aus den- 
selben und über dieselben wären dem Verfasser sehr will- 
kommen gewesen. Aber er erwähnt nicht nur nicht, dass 
auch von Troas aus Briefe geschrieben wurden, er verschweigt 
auch alle die Reiseerlebnisse, welche wir aus diesen späteren 
Briefen erfahren, und lässt sich in seiner Ausdrucksweise 
lieber durch biblische und andere Schriften bestimmen als 
durch die ignatianischen Briefe. Nur an den Römerbrief, den 
er abschreibt, spielt er auch im Verlauf der Erzählung merk- 
lich δὴ). Man muss daher ‚annehmen, dass die übrigen 
Briefe ihm ebenso wenig zur Hand sind, als dem Verfasser 
des m. vat. Erst im Mittelalter findet sich unser Martyrium 
einer Sammlung ignatianischer Briefe angeschlossen. In dem 
griechischen Original der lateinischen Uebersetzung, welche 
sowohl das Martyrium als die Briefe umfasst, muss jenes 
bereits mit diesen verbunden gewesen sein; denn sonst wäre 
das vorhin (Anm. 2) besprochene Misverständnis des Ueber- 


deates literas. -Der Text des ın. colb. ist durch ın. syr. (Cur. 224, 18) 
und m. arm. c. 41 bestätigt. Frsteres hat auch richtig εὐχαρίστων 
statt des üblichen sinnlosen εὐχαριστῷν gelesen. Grabes Vorschlag 
(11, 12) ersetzt ohne Noth das hier vorliegende εὐχάριστος mit dem 
selteneren εὐχαριστικός. 

1) Vgl. z. B. m. colb. 3: ἕνα διὰ τῶν ϑηρίων Järror εἰφανὴς τῷ 
χύσμῳ γενόμδνος ἐμφανισϑῇ τῷ προσώπῳ εοῦ Χριστοῦ mit Rom. ὃ. 
Ferner die Berufung auf den Bom. 4 ausgesprochenen Wunsch in c. 6, 
wo auch das bestimmte und hier nicht wie in c. 5 init. durch den Zu- 
sammenhang veranlasste ἐν τῇ ἐπιστολὴ auffällt. Dahingegen bedürfen 
die Worte χατ᾽ ἴχνος βαδίζειν ἐθέλων τοῦ ἀποστόλου Παύλου keiner 


Herkitung aus Eph. 12. 


56 


setzers nicht begreiflich, als ob im Martyrium von den ihm 
vorangehenden Briefen die Rede wäre. 


4. Die ältere Ueberlieferung und die späteren Sagen über 
Ignatius. 


Handelt es sich darum, aus den Nachrichten über Ignatius 
einen irgend haltbaren Rahmen für die ihm zugeschriebenen 
Briefe zu gewinnen, so ist nach den bisherigen Nachweisungen 
auf jede Benutzung eines der Martyrien zu verzichten; denn 
selbst die beiden vergleichsweise ursprünglichen enthalten 
nichts, was sie nicht entweder aus älteren, uns noch zu- 
gänglichen Quellen geschöpft, oder im Widerspruch mit diesen 
und im Widerspruch gegen einander erdichtet haben. Das 
gilt zumal von den chronologischen und welthistorischen An- 
gaben, welche in einem Fall aus der Kirchengesichte Eusebs 
zusammengelesen, im andern dessen Chronik entnommen waren. 
Auf diese werthvolleren Quellen verweisen uns demnach die 
Martyrien selbst. 

"Es ist bekannt, wie grossen Werth Euseb auf die Herstellung 
genauer Verzeichnisse der Bischöfe der Hauptkirchen gelegt 
hat; es unterliegt keinem Zweifel, dass er sich, ehe er an 
die Ausarbeitung der Chronik ging, möglichst zuverlässige 
officielle Kataloge zu verschaffen gewusst, und dass er auch 
in der Zwischenzeit bis zur Abfassung der Kirchengeschichte 
in diesen Bemühungen fortgefahren hat. Man muss an- 
nehmen, dass er im Besitz der zu Antiochien anerkannten 
Liste dortiger Bischöfe war; seine bekannte theologische Ge- 
sinnung konnte schwerlich schon vor dem Concil zu Nicäa 
ein Hindernis des Verkehrs mit dem dortigen Bischofssitz ab- 
geben. Um so bemerkenswerther ist die chronologische Un- 


57 


stimmtheit seiner Angaben über die Bischöfe Antiochiens in 
der Chronik. Während.er zu den Namen der römischen und 
alexandrinischen Bischöfe von Anfang an die Jahre, theilweise 
auch die Monate der Amtsdauer bemerkt, unterlässt er dies 
in Bezug auf die antiochenischen. Er entschuldigt sich hier 
zwar nicht wie in Bezug auf die Bischöfe Jerusalems mit dem 
Mangel chronologischer Nachrichten darüber, dass er sie in 
wenige Gruppen vereinigt ohne speciellere Vertheilung auf- 
gezählt habe 1), er verzeichnet ihren Amtsantritt zu bestimmten 
Jahreszahlen. Aber aus der Weglassung der jedesmaligen 
Amtsdauer darf man sicher schliessen, dass die ihm vor- 
liegende antiochenische Liste nichts darüber enthielt ?.. Er 
wird sich also durch die im Vergleich zur Geschichte der 
jerusalemischen Kirche offener daliegende Geschichte der 
antiochenischen Kirche und ihrer Bischöfe ermächtigt gefühlt 
haben, die Bischöfe Antiochiens so zu vertheilen, wie er thut. 
Daher die Unsicherheit und Dunkelheit im Anfang der Reihe. 
Obwohl nach ἢ. 6. III, 36. 2 von Petrus an eine διαδοχή 
vorhanden sein soll, so liegen doch nach den Ansätzen der 
Chronik drei Jahre zwischen dem Aufbruch des Petrus von 
Antiochien und der Einsetzung seines Nachfolgers Euodius ὃ). 
Der Amtsantritt des zweiten Bischofs nach Petrus, des Ig- 
natius, ist zum ann. Abr. 2085 (p. Chr. 69) vermerkt; aber 
für seinen Tod und den Amtsantritt seines Nachfolgers Heron 
vermisst man die genaue chronologische Bestimmung. Nur 
im Zusammenhang der Erwähnung der Verfolgung unter 
Trajan wird sein Martyrium neben dem des Simeon von Je- 
rusalem angeführt, aber ebensowenig zu diesem, als zu dem 
darnach erwähnten Bericht des Plinius in ein chronologisches 


1) Chron. p. 172sq. cf. 164. 166. Wo er etwas weiss, gibt er es; 
so notirt er die Amtsdauer des ersten heidenchristlichen Bischofs von 
Jerusalem, Marcus, p. 168. 

2) Eine gewisse chronologische Unsicherheit verräth auch das 
χατέχει λόγος V, 19, 1; vgl. oben 8. 51. 

3) Ersteres zu ann. Abr. 2055 (p. Chr. 39), letzteres zu ann. Abr. 
2058 (p. Chr. 42). Nach Hieronymus ist ersteres um drei, letzteres um 
zwei Jahre herabgedrückt. 


58 


Verhältnis gestellt ἢ. Da die Verfolgung nach ann. Abr. 
2123. Traj. 10 (p. Chr. 107) angesetzt, über ihre Dauer aber 
nichts gesagt ist, so gewinnt man auch für den Tod des 
Ignatius keine nähere Bestimmung, als dass er zwischen dem 
angegebenen Jahr und ann. Abr. 2132. Traj. 19 (p. Chr. 116) 
erfolgt ist ἢ. Bessere chronologische Kunde hat Euseb bei 
Abfassung der Kirchengeschichte nicht gehabt. Nur noch 
zweifelhafter müssen uns die scheinbar festen Punkte in der 
Chronik erscheinen, wenn Euseb in der Kirchengeschichte 
weder des Ruodius noch des Ignatius Amtsantritt anzugeben 
wagt. Nur im allgemeinen gleichzeitig mit den ersten 
Regierungsjahren Trajans und den letzten Lebensjahren des 
Apostels Johannes setzt er das Bischofsein des Ignatius wie 
des Simeon von Jerusalem (III, 22 cf. 21. 23). Sodann be- 
zeichnet er den Ignatius wieder als Zeitgenossen des Polykarp 
und des Papias (III, 36); und dass er ihm wie diese als 
Apostelschüler oder doch als Angehöriger der unmittelbar 
nachapostolischen Generation gilt, ist in dem Zusammenhang 


1) Trajano adversus Christianos persecutionem movente Simon 
Cleopae (filius) Hierosolymitanae eccelesiae episcopus martyrium subiit, 
successit Jostus. Itidem Antiochensium episcopus martyrium passus est, 
post quem III Antiochensium episcopus eonstitutus est Eron. Plinius 
Secundus etc. Eine armenische Handschrift fügt hinter „itidem“ ein „et 
Ignatius“. So auch die syrische Chronik (simili modo Ignatius), Hierony- 


mus (Ignatius quoque ..... Romam perductus bestiis traditur) und die 
Paschachronik (ed. bonn. 471: ὁμοέως δὲ zei Ἰγνάτιος. . .. ἐν Ῥωμῇ 
ἐμαρτύρησε). 


2) Ebenso verhält sichs mit der Paschschronik, welche hier (ed. 
bonn. p. 471sq.) ziemlich wörtlich Eusebs Chronik ausschreibt, nur dass 
sie ausserdem nach anderer Ueberlieferung noch einmal von einem ebenso 
alt gewordenen Bischof Simeon von Jerusalem berichtet (p. 471, 1sqq.). 
Sie beweist aber durch Einscheltung von 20 Jahren zwischen die Er- 
wähnung der trajanischen Verfolgung mit den Martyrien des Ignatius 
und Simeon und den Amtsantritt von Simeons Nachfolger Justus, dass 
sie durch jene Zusammenstellung nichts weniger gesagt haben wollte, 
als das Simeon in dem Jahr gestorben sei, zu welchem die trajanische 
Verfolgung notirt ist (105 p. Chr.). Vollends in Bezug auf ]gnatius 
ist nichts weiter bestimmt, als dass er unter Trajan gestorben sei. 


59 


der folgenden Kapitel (37, 1. 4; 38, 1. 5) mit dem von 
Ignatius handelnden deutlich ausgesprochen. Die Zeit seines 
Martyriums wird noch weniger als die von Simeons Tod be- 
stimmt, welcher doch einen gewissen chronologischen Halt 
durch die Aneinanderreihung der Amtsantritte des Euarestus 
von Rom im 3. Jahr Trajans und des Justus von Jerusalem, 
des Nachfolgers Simeons (III, 34. 35) erhält. Nur das erkennt 
man an der Stelle, welche Euseb dem Bericht über Mar- 
tyrium *) und Briefe des Ignatius anweist, besonders auch an 
der Einschaltung der allgemeinen Schilderung aus Trajans 
Zeit (c. 37) und der Bemerkungen über die Schriften des 
römischen Clemens (c. 38) in den Bericht über Ignatius ?), 
dass Euseb das Ende des Igmatius noch in die Zeit Trajans 
setzt. Aber nicht einmal das ist zu behaupten, dass die 
nächstfolgende Zeitangabe, das Jahr 109 ?), die Grenze sei, 
über die wir nicht hinausgehen dürften. 

Steht es derart mit dem chronologischen Wissen des ge- 
lehrten Forschers, so dürfen wir nicht erwarten, anderwärts 
Genaueres zu erfahren. Vor Euseb bestätigt uns nur Ori- 
genes 4), dass Ignatius schon seit langem als zweiter Bischof 
Antiochiens nach Petrus galt. Nur ein anderer Ausdruck 
der gleichen Ueberlieferung ist es, wenn Spätere, den Petrus 
mitzählend, ihn den dritten nach Petrus nennen ὅ. Aber 
eine ernstliche Trübung der Tradition über die ersten Bischöfe 
Antiochiens, ganz ähnlich der über die ersten römischen Bischöfe, 
veranlasste die Unberühmtheit des Euodius und die sich ver- 
festigende Meinung, dass Ignatius ein Apostelschüler gewesen. 
Wenn Ignatius der Apostelschüler in der unmittelbar nach- 
apostolischen Zeit Bischof gewesen 5), so war er auch von den 


««- ---. -. — m 


1) Vgl. dagegen über Polykarp IV, 14. 

2) Erst ὁ. 38, 5 heisst es abschliessend: εἴρηται δὲ xai ra Ἰγνατίου 
χαὶ Πολυχέρπου. 

5) IV, 1: ἀμφὶ δὲ τὸ δωδέχατον ἔτος Τραϊανοῦ, d. i. nach der 
Chronik 2125 Abr. oder 109 p. Chr. 

4) Opp. ed. Delarue III, 988 A. 

5) Hieron. cat. 16. Soer. ἢ. e. VI, 8. 

6) Bei Euseb (Quaest. ad Steph. bei Mai ser. vet. πον. coll. I, 1, 


60 


Aposteln, das sind aber in Bezug auf Antiochien Paulus und 
Petrus!), zum Bischof eingesetzt. Daher gewinnt es bei 
Chrysostomus den Anschein, als sei Euodius ganz aus dem 
Gedächtnis der antiochenischen Kirche verschwunden. Zwischen 
Ignatius und den Aposteln, mit welchen er noch aufs innigste 
verkehrt (1. 1. 593 D), und von denen er zum Bischof ein- 
gesetzt wurde (594 A), gibt es kein Zwischenglied; unmittel- 
bar an die Stelle des gewaltigen Grundsteins Petrus wird er 
gesetzt (597 B). Von den Aposteln ist er auch nach der 
Paschachronik (p. 416, 4), von Petrus nach Theodoret (ed. 
Schulze IV, 1312) ordinirt worden; und Maximus Confessor ἢ 
verwendet es als chronologisch beweisende Thatsache, dass er 
gleich nach der Uebersiedelung Petri nach Rom Bischof ge- 
worden sei. Eine Vermittelung zwischen der älteren Ueber- 
lieferung, wonach er der zweite Bischof nach Euodius, und 
der einfachsten Gestalt der jüngern Ueberlieferung, wonach 
-er von den Aposteln ordinirt worden sei, wird in const. ap. 
VII, 46 versucht: Petrus ordinirt: den Euodius und — später, 
wie es scheint — Paulus den Ignatius 5. Chronologische 
Anhaltspunkte bieten alle diese Variationen und Specialisirungen 
des geringen Ueberlieferungsstoffes, den schon Eusebius kannte, 
ebensowenig als die künstlich zurechtgemachten Zahlen eines 
Syncellus und noch Spätere. Es bleibt uns als achtungs- 
wertbe bis in den Anfang des 3. Jahrhunderts zurückreichende 
Ueberlieferung der antiochenischen Gemeinde, dass Ignatius 
zweiter Bischof der früh gestifteten Gemeinde gewesen; und 
spätestens am Anfang des 4. Jahrhunderts war ebenso aus- 
gemacht, dass sein Martyrium in die Zeit der Christenver- 


p. 2) heisst es noch τῆς Ἀντιοχέων ἐχκλησίας δεύτερος γεγοναὶς μετὰ 
τοὺς εἰποστόλους ἐπίσχοπος. Bei Athanasius (Opp. ed. Montf. I, 2, 761 
A) ist das δειΐτερος verschwunden. 

1) Auf diese führt Pseudoignatius ad Antioch. 7 ausdrücklich die 
Ordination des Euodius zurück. 

2) Dionysii opp. ed. Lanssel. et Cord. Ven. 1755. 56. II, 138sg. 

3) Ucber spätere Versuche dieser Art vgl. Henschen, Act. SS. Febr. 
I, 1654. 


61 


folgungen unter Trajan falle, welche nicht gleich in den 
ersten Jahren von dessen Regierung begonnen haben. An 
diesem chronologischen Stützpunkt zu rütteln, besteht kein 
Grund; aber er lässt uns völlige Freiheit, in eins der Jahre 
105—117 Reise, Briefe und Tod des Ignatius zu legen. 
Bedeutend höher hinauf reicht die Ueberlieferung, dass 
Ignatins um des christlichen Bekenntnisses willen in Rom 
von wilden Thieren getödtet, also zu dem Ende von Antiochien 
dorthin transportirt worden sei. Eine zusammenhängende 
geschichtliche Nachricht darüber hatte Euseb, wie gesagt, 
nicht; aber seine Worte zeigten, dass er dies auch nicht 
bloss aus den Briefen erschlossen, sondern der allgemeinen Ueber- 
lieferung über „den weltberühmten Ignatius‘“ entnommen hat. 
Eben diese setzt schon Origenes als bekannt voraus. Denn 
er bezeichnet den Märtyrer, aus dessen Briefen er ein Wort 
anführen will, nachträglich als „den Ignatius, zweiten Bischof 
Antiochiens nach Petrus, welcher während der Verfolgung in 
Rom mit den Thieren gekämpft hat“ . Nur noch etwa 
70 Jahre vom Ereignis entfernt, steht das schon von Euseb 
angeführte Zeugnis des Irenäus ἢ). Dass dieser nur von einer 
Verurtheilung zum Thierkampf und daher von Rom nicht 
redet, ändert nichts an der Identität der dem Irenäus und der 
dem Origenes bekannten Ueberlieferung, denn Irenäus führt 
‚einen Ausspruch des schon verurtheilten, aber noch nicht in 
Rom befindlichen Märtyrers an. Nun lässt sich zwar gegen ἢ 
alle Bezeugung des Factums vor Euseb — denn diesen selbst 
würde dieser Einwand nicht treffen — geltend machen, dass 
sie nur bei Schriftstellern sich finde, welche Briefe des 
Ignatius kennen und citiren, also als Zeugnis einer vom 
eigentlichen Object der Kritik unabhängigen Ueberlieferung 


— mn nn nn 


1) Hom. 6 in Lucam ed. Delarue III, 938 A. 

2) Eus. h. e. III, 36, 12: οἶδε δὲ αὐτοὺ τὸ μαρτι' θέον χαὶ ö Eion- 
valos xal τῶν ἐπιστολῶν αὐτοῦ μνημονεύει λέγων οὕτως", ὡς εἰπέ τις 
τῶν ἡμετέρων dw τὴ; πρὸς 8εὸν μαρτυρίαν καταχριϑεὶς πρὸς ϑηρία, 
ὅτι σῖτός εἰμι ϑεοῦ χαὶ δι᾿ ὑδόντων ϑηρίων ἀλήϑομαι, ἵνα καϑαρὸς 
ἄρτος εἰρεϑὼ “, cf. Iren. V, 28, 4. 


62 


nicht dienen könne. Aber die blosse Existenz irgend welcher 
Briefe des Ignatius in der zweiten Hälfte des zweiten Jahr- 
hunderts ist das allerstärkste Zeugnis für das Alter der Tra- 
dition, um die es sich hier handelt. Auch diejenigen, welche 
die 7 Briefe, welche Eusebius kannte, erst um die Mitte des 
2. Jahrhunderts oder bald nachher entstanden sein lassen !), 
können ihre Entstehung nicht erklären ohne die Annahme, 
dass der Märtyrertod des Ignatius in Rom und seine unfrei- 
willige Reise nach Rom wenigstens um die Mitte des 2. Jahr- 
hunderts eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte. Es mögen 
alle näheren Umstände, von welchen die Briefe uns unter- 
richten, die einzelnen Stationen der Reise, die Gesandtschaften 
und Begrüssungen der Gemeinden, selbst die Begegnung mit 
Polykarp in Smyrna blosses Gedicht sein; aber das so ein- 
gekleidete und ausgeschmückte nackte Factum selbst, wie es 
Irenäus und Origenes angeben, muss damals in der kirch- 
lichen Sage gelebt haben, wenn der Verfasser der Briefe den 
unentbehrlichen Schein geschichtlicher Glaubwürdigkeit für 
sich haben wollte. Wie aber sollte sich vor 150, während 
- die ganze ältere Generation der Kirchenleiter und Gemeinde- 
glieder von den Ereignissen zur Zeit Trajans als eigenen Er- 
lebnissen berichten konnte, eine Sage bilden, welche in ihrem 
Kern nicht etwa nur erfunden war, sondern auch den offen- 
kundigen Verhältnissen der Zeit Trajans widersprach! Das 
wäre allerdings der Fall, wenn Neander 3) es mit Recht in 


1) So Baur 1, 170 vgl 173; Schwegler, nachapost. Zeitalter 
II, 158£.; Hilgenf. S. 273f. — „nach 161 “, spätestens ‚, kurz nach Polykarps 
Tod (167)“ soll dessen Brief, das Vorwort der igmatianischen, ge- 
schrieben sein. — Volkmar, Rel. Jesu, 8. 491: „nach Polykarps Tod 168 
n. Chr.“ die 7 Briefe (nach Handb. ἃ. Einl. in die Apokr. I, 122 wohl 
nur die drei kürzeren syrisch erhaltenen) geschrieben und der des Poly- 
karp interpolirt. Der noch spätere Ansatz von Bunsen II, 136. 203 ff. 
208 (zwischen 200 und 250) kommt hier nicht in Betracht, da von 
Bunsen die drei Briefe an die Römer, Epheser und Polykarp in kürzerer 
Gestalt für ächt gehalten werden. 
2) Allgem. Gesch. der christl. Religion und Kirche (3. Aufl.) I, 55. 
Anm. 0. 


63 


Zweifel gezögen hätte, dass schon unter Trajan Christen den 
wilden Thieren vorgeworfen worden sein sollten. Aber auch 
abgesehn von der Unmöglichkeit, in diesem Fall die Ent- 
stehung der ignatiauischen Briefe zu erklären, wäre ein solches 
Bedenken nur dänn gerechtfertigt, wenn man wüsste oder 
wahrscheinlich machen könnte, dass die Anwendung dieser 
Strafe auf Christen durch Verordnung Hadrians eingeführt 
worden sei. Denn von den vierziger Jahren an reiht sich 
ein Beispiel für solche und noch härtere Bestrafung der 
Christen ans ändre '), und unter Marc Aurel verhängten die 
Statthalter, wie es scheint, kaum eine andre Todesstrafe so 
häufig über die Christen als gerade diese 2). Wie Plinius, 
ehe er seine berühmte Anfrage an Trajan richtete, die Christen 
als solche in Menge mit dem Schwert hinrichten liess, und 
auch nachher in Bezug auf die Form der Todesstrafe An- 
weisung weder erbat noch erhielt, so ist auch in der Folge- 
zeit die Todesart vom Provincialrichter nach eigenem Er- 
messen bestimmt worden 3). Von Regeln, welche Trajan in 
dieser Hinsicht zur Geltung gebracht, die Nachfolger aber 
hätten fallen lassen, verlautet nichts; und so war schon da- 
mals wie in der Folgezeit die regelmässige Strafe „die Todes- 
strafe und zwar nach den Umständen, insbesondere nach der 
Qualität der Personen, die einfache oder eine qualificirte “ *). 
So wenig die Rücksicht auf den persönlichen Charakter Trajans 
ein Hindernis tagelanger Folterung und schliesslicher Kreuzigung 
Simeons von Jerusalem war, wird der syrische Statthalter ein 


1) Ep. ad Diogn. c. 7; Just. Dial. c. 110 p. 337 B. Die ge- 
wöhnlich mit angeführte Stelle Herm,. Past. vis. III, 2 kommt nach 
dem, was ich in meiner Schrift über Hermas S. 130 ff. bemerkte, 
füglich in Wegfall. 

2) Ep 606]. Lugd. bei Eus. ἢ. e. V, 1, 37. 47. 50; mart. Polye. 2, 
wo der Mangel eines Artikels vor 24 τὼ ϑηρία χριϑέντες nöthigt, es 
auf alle Märtyrer zu beziehn. Cf. c. 3. 4. 12. In jener Zeit spätestens 
ist das Christianos ad leonem (Tertull. apol. 40) aufgekommen. 

3) Mart. Polye. c. 11. Act. Perp. et Felic. e. 6. 

4) Vgl. Bickell, Geschichte des Kirchenrechts I, 2, 235. 


64 


Bedenken gekannt haben, den Ignatius zum Thierkampf zu 
verurtheilen, zumal diese Strafe nicht wie Kreuzigung oder 
Verbrennung !) für sonderlich hart galt und schon um des 
grossstädtischen Bedürfnisses willen sehr häufig über jede Art 
von personae humiles verhängt wurde 3. Römischer Bürger 
wird darnach Ignatius allerdings nicht gewesen sein 3); inso- 
fern ist das Dilemma nicht ganz unbegründet, welches Joseph 
Scaliger der Nachricht von der Ueberführung des Ignatius 
nach Rom entgegenstellte 4). Entweder sei Ignatius römischer 
Bürger gewesen, habe als solcher an den Kaiser appelliren 
und nach Rom transportirt, dann aber nicht ad bestias ver- 
urtheilt werden können, oder diese Strafe habe ihn als Nicht- 
bürger treffen können, dann aber habe der Provincialstatt- 
halter in letzter Instanz zu richten und die Strafe zu voll- 
strecken gehabt. Wenn Ussher (Cler. 175) erwidern konnte, 
seine Acten, welche den Kaiser selbst in Antiochien das 
Urtheil sprechen lassen, würden davon nicht berührt, so gilt 
das nicht minder von dem einfachen Factum, wie es die 
ältere Ueberlieferung in Uebereinstimmung mit den Briefen 
darbietet.. Diese weiss nichts von einer Begegnung mit 
Trajan in Antiochien, setzt also voraus, dass der syrische 
Statthalter dort das Urtheil gesprochen habe, und zwar ein 
endgültiges. Schon nach der Anführung einer Stelle des 
Römerbriefs bei Irenäus (s. oben $. 61) ist bereits in 
Antiochien die Verurtheilung zum Thierkampf erfolgt. Also 
hat die Ueberführung nach Rom nicht den Zweck der Ab- 
lieferung an das zuständige Gericht, sondern lediglich den ᾿ 
der Execution in Rom, und gerade die Möglichkeit, durch 


1) Rein, Criminalrecht der Römer, S. 917. 

2) Vgl. Rein a. a. O., 5. 420f. 537. 914. 

3) In Lugdunum wurden unter Marc Aurel die römischen Bürger mit 
dem Schwert hingerichtet, die Uebrigen zum Thierkampf verurtheilt 
(Eus. ἢ. 6. V, 1, 47). Wie vorsichtig aber solche Regeln zur Kritik 
geschichtlicher Nachrichten verwendet werden müssen, sieht man eben- 
dort, wo doch auch ein einzelner römischer Bürger den Thieren vorge- 
worfen wird (8 50 cf. 44). 

4) In den animadv. hinter dem thes. temp. (ed. 1606), p. 189. 


65 


welche Scaliger in Erinnerung an das Schicksal des Paulus 
die römische Reise des Ignatius allein glaubte erklären zu 
können, ist, wie später zu zeigen ist, durch die Haltung des 
Ignatius geradezu ausgeschlossen. Er hat nicht nur selbst keine 
Appellation eingelegt, sondern sucht auch jeden ähnlichen 
Schritt, den Andere für ihn thun könuten, zu hindern. Die 
Vollstreckung gerade dieser Todesstrafe an anderem Ort als 
dem der richterlichen Entscheidung muss sehr gewöhnlich ge- 
wesen sein. Aus der oft angeführten Stelle der Digesten ') 
geht hervor, dass im 2. Jahrhundert und auch noch im 
Anfang des dritten Provincialstatthalter vielfach solches Ma- 
terial für die Öffentlichen Spiele ohne Anfrage beim Kaiser 
in andere Provinzen ablieferten; denn Antoninus (Pius) und 
wieder (Septimius oder Alexander) Severus haben dies unter- 
sagen müssen. Wie die Anführung dieser Rescripte zeigt, 
bildet dies ‚ex provincia in provinciam transduci‘ einen Gegen- 
satz zur Ueberführung nach Rom, in Betreff deren die ge- 
nannten Kaiser demnach noch kein Verbot und auch keine 
einschränkende Regel erlassen haben 32. Es liegt in der Natur 
der Sache, dass, wenn auch die Provincialhauptstädte der 
Thierspiele nicht entbehrten, doch das ungleich grössere Be- 
dürfnis Roms grossen Theils durch persönliches Material aus 
den Provinzen befriedigt werden musste. Der Fall des Ignatius 
muss also ein sehr gewöhnlicher gewesen sein und bedarf gar 
keiner Erklärung aus juristischen oder persönlichen Gründen. 
Hätte zu seiner Zeit schon das Gesetz gegolten, welches die 
Uebersendung solcher Verurtheilter nach Rom von vorgängiger 
Anfrage des Statthalters beim Kaiser abhängig machte und 
ausserdem die Bedingung stellte, dass die Körperkraft oder 
Kunstfertigkeit der Verurtheilten sie als ein für das verwöhnte 


------- 00 .».. 


1) Dig., ib. XLVII, tit. 19, 1. 31: Ad bestias damnatos favore 
populi Praeses dimittere non debet; sed si ejus roboris vel artificii sint, 
ut digne populo Romano exhiberi possint, principem consulere debet. Ex 
provineia autem in provinciam transduci damnatos sine permissione prin- 
cipis non licere, Divus Severus et Antoninus rescripserunt. 

2) Gegen Hilgenf., S. 216. 

Zahn, Ignatius. ῦ 


66 


römische Publikum geeignetes Material und somit des um- 
ständlichen Transports werth erscheinen lasse, so würden wir 
allerdings annehmen müssen, was keine weiteren Schwierig- 
keiten hätte, dass Ignatius ein kräftiger Mann gewesen, und 
dass auf die Anfrage des syrischen Statthalters, ob seine 
Uebersendung nach Rom genehm sei, von Rom aus nichts 
zu erinnern gewesen sei. Aber nicht einmal auf kaiserliche 
Rescripte aus dem 2. oder 3. Jahrhundert wird dieses jüngere 
Gesetz gegründet; wie kann man also danach ein Ereignis 
aus der Zeit Trajans beurtheilen, welches die jüngeren Zeit- 
genossen des Ignatius sich erzählen! 

Im Gegensatz zu solchen Bemängelungen macht es beinah 
einen erfrischenden Eindruck, wenn Volkmar trotz der zum 
Theil sehr gegründeten Einwendungen von Lipsius immer 
wieder es versucht hat, auf Grund positiver geschichtlicher 
Ueberlieferung entgegengesetzten Inhalts die Nachricht von 
der Reise des Ignatius nach Rom für eine Fiction zu erklären 
und auf diesem kurzen Wege allen Briefen, die seinen Namen 
tragen, die Aechtheit abzusprechen !). Dazu soll die „zweifel- 
lose Kunde“ 5 nöthigen, welche Johannes Malalas ®) auf- 
bewahrt hat, dass Ignatius zur Zeit des grossen Erdbebens, 
wovon Antiochien am 13. December 115 n. Chr. betroffen 
wurde, vor dem dort verweilenden Trajan Märtyrer geworden 
sei. Es geht schon über die Nachricht des Schriftstellers 
hinaus, wenn Volkmar (S. 121 vgl. 51) versichert, dass 
Ignatius in Folge der durch das Erdbeben gegen die ἀϑεοι 
erregten Volkswuth verurtheilt worden sei. Malalas bringt 


1) Zuletzt ausführlich im Handb. der Einl. in die Apokr. I, 49ff. 
121 ff. 

2) So Relig. Jesu, S. 492. 

3) Lib. XI, p. 276 ed. bonn.: Ὁ δὲ αὐτὸς βασιλεὺς Τραϊανὸς ἐν τῃ 
αὐτῇ πόλει διῆγεν, ὅτε ἡ ϑεομηνία (ἃ. bh. das Erdbeben) ἐγένετο. 
Ἐμαρτύρησε δὲ ἐπὶ αὐτοῦ τύτε ὁ ἅγιος Ἰγνάτιος ὁ ἐπίσχοπος τῆς πό- 
λεως Ἀντιοχείας. ἠγανάχτησε γὰρ rar’ αὐτοῦ, ὅτι ἐλοιδόρει αὐτόν. 
Die Zeitangabe in Betreff des Erdbebens 8. vorher p. 275. Das ἐπὲ 
αὐτοῦ kann neben τότε nur coram Trajano bedeuten und ἐμάρτυρησε nur 
die Execution. 


67 


die Nachrichten über die Martyrien jener Zeit in keine andere 
als rein chronologische Verbindung mit dem Erdbeben, worüber 
er aus anderer Quelle berichtet hat, und nennt als Grund der 
Verurtheilung etwas ganz Anderes, dass nämlich Ignatius sich 
beleidigende Ausdrücke gegen den Kaiser herausgenommen 
habe. Die Notiz ist bis zur Unverständlichkeit abgerissen 
und steht unter den Nachrichten über Ignatius so völlig ver- 
einsamt, dass man sich des Verdachts nicht erwehren kann, 
es sei hier durch ungeschickte Abkürzung der im m. colb. 
vertretenen Sage von einer schliesslich zum Märtyrertod 
führenden Verhandlung vor Trajan in Antiochien, vielleicht 
auch durch Misverstand eines zeitlich gemeinten ἐπὶ Τραϊανοῦ 
der Schein einer selbständigen Ueberlieferung entstanden. 
Aber gesetzt auch, es wäre der unzweifelhafte Wortsinn des 
Berichts die Meinung der Quelle, aus welcher Malalas schöpfte, 
so verdiente das doch nicht mehr Beachtung als viele andere 
Nachrichten dieses Compilators, dem wir z. B. das bekannte 
Schreiben des Präses Tiberianus an Trajan verdanken (1. XI, 
p. 273), und von dem wir nur wissen, dass er nach Justinian 
(gest. 565) und vor Johannes Damascenus !) (gestorben nach 
754) geschrieben hat. Dass er ein Antiochener war, thut 
nichts zur Sache, da wir durch ganz andere Antiochener, 
Chrysostomus und Euagrius (vgl. oben ὃ. 35. 52) wissen, dass 
am Ende des 4. wie des 6. Jahrhunderts die dortige Ueber- 
lieferung nichts Anderes wusste, als dass Ignatius in Rom 
mit den Thieren gekämpft habe. Vergeblich bemüht sich 
Volkmar (Hdb. I, 124f.), den Schein zu erwecken, als ob seine 
Annahme keineswegs auf die bedenkliche Auctorität des 
Malalas allein sich gründe; und die kühne Behauptung, dass 
„die gesammte ältere Kunde“ in Bezug auf die Zeit des 
Martyriums, „welche sofort wie den Ort, so auch den Grund 
desselben angebe“ (S. 122) mit Malalas übereinstimme, scheint 
darauf berechnet, bequemer Unwissenheit zu imponiren. Das 


------.Ψ. 


1) In der 3. Rede über die Bilder (opp. ed. Le Quien I, 368; vgl. 
die dortigen Bemerkungen des Editors gegen Hody) eitirt er den Ma- 
lalas, 

5* 


68 


Thatsächliche ist dies: Während die ältere Ueberlieferung von 
den Ignatiusbriefen an bis nach Euseb eine genauere Zeit- 
angabe überhaupt nicht enthält und von einer persönlichen 
Berührung des Märtyrers mit Trajan nichts weiss, lässt nur 
der eine Zweig jüngerer Ueberlieferung, das m. colb., den 
Ignatius durch Trajan bei Gelegenheit seines parthischen Feld- 
zugs in Antiochien verurtheilt werden, aber in Rom sterben ; 
der andere dagegen, den wir aus Hieronymus, Chrysostomus 
und zusammenhängend aus dem m. vat. kennen, lässt ihn erst 
in Rom mit Trajan zusammentreffen und dort gerichtet und 
hingerichtet werden. Es ist daher eine schwer zu begreifende 
Umkehrung des Sachverhalts, wenn Volkmar (S. 125) den 
Verdacht ausspricht, dass die Martyrologen und Chronisten 
erst nach Euseb das Martyrium des Ignatius vom Parther- 
krieg getrennt hätten. Euseb muss hinter Malalas, Briefe, 
welche Irenäus mit Verehrung las, hinter martyrologischen 
Machwerken vom Ende des vierten Jahrhunderts und aus noch 
späterer Zeit zurückstehen: alles dies aus dem einzigen Grunde, 
weil das Erdbeben, in dessen zeitliche Nähe Malalas das Mar- 
 tyrium des Ignatius setzt, auf den 13. December fiel, die 
griechische Kirche aber später am 20. December das Ge- 
dächtnis des Ignatius feierte. Zwar hat Volkmar !) mit Recht 
daran festgehalten, dass der 20. December in den ältesten 
Zeugnissen für seine Feier dem Tod und nicht der Translation 
des Ignatius galt ?); aber zur Zeit des Chrysostomus war dieser 
Tag noch nicht der des Ignatius 3). Der 20. December wird 
also kein Denkmal alter Erinnerung der antiochenischen Ge- 
meinde sein, woran man jüngere Nachrichten zu prüfen hätte, 
sondern Malalas, zu dessen Zeit der erst vom 5. Jahrhundert 
an aufgekommene 20. December bereits alte Praxis war. ist 
eben hierdurch verleitet worden, die ihm überlieferte Kunde 


— (u. 


1) Handb. I, 123f., gegen Lips. I, 9. 

2) Der Sinn der bezüglichen Angabe des m. colb. ist unzweideutig 
(vgl. oben S. 12). Daneben bestand in späterer Zeit eine Translations- 
feier am 29. Januar (s. oben 8. 27). 

3) Vgl. oben 8, 58. 


69 


von der Begegnung des Ignatius mit Trajan bei Gelegenheit 
des Partherfeldzugs mit der anderweitigen Nachricht vom 
Erdbeben am 13. December in eine chronologische Verbindung 
zu setzen. Dem Scharfsinn neuerer Gelehrten überliess er es, 
aus einem so unbegründeten post hoc ein noch unbegründeteres 
propter hoc zu machen. 

Geschichtliche Kunde über Ignatius ausser dem Wenigen, 
was in Vorstehendem herausgestellt und gegen die dagegen 
erhobenen Bedenken aufrecht erhalten worden ist, besitzen 
wir überhaupt nicht. Was man sich in späterer Zeit sonst 
noch von ihm erzählte, ist theils bewusste Dichtung, wie das 
Meiste, was der Interpolator und Vermehrer der älteren Brief- 
sammlung seiner pseudoignatianischen Briefe zur Voraus- 
setzung gab, theils aus vereinzelten Worten und Andeutungen 
der älteren Briefe sagenhaft herausgesponnen. So scheint aus 
den dunklen Worten Tr. 5 die Sage erwachsen zu sein, 
Ignatius sei der Erfinder des Wechselgesangs in der antioche- 
nischen Gemeinde und der Kirche überhaupt und habe den 
Anstoss dazu durch eine Vision empfangen, in welcher er die 
Engel in antiphonischem Gesang die Dreieinigkeit preisen 
hörte ἢ. Um so näher lag es dann, auch ihm wie so vielen 
Anderen eine ἀναφορά zuzuschreiben, welche in der jakobi- 
tischen Kirche zu Antiochien gebraucht 3) und von Jakob von 
Edessa ins Syrische übersetzt wurde®). Aus den Grussüber- 
schriften der Briefe. griff das m. colb. den Beinamen des Ver- 
fassers ὁ ϑεοφόρος auf, um daraus dem Mangel an detaillirter 
Veberlieferung über Ignatius abzuhelfen und insbesondere für 
das Gespräch mit Trajan einigen Inhalt zu gewinnen. Frei- 
lich hat man über die Aechtheit gerade dieses Textbestand- 
theils verschieden geurtheilt, obwohl die Geschichte des Textes, 
soweit wir sie zurückverfolgen können, keinen Anlass zu 


1) Socr. ἢ. b. VI, 8. Dasselbe kürzer bei einem Syrer des Mittel- 
alters, Cur., p. 221, 3—11. 

2) Renaudot, Liturg. orient. II, 215—226 gibt eine lateinische 
Uebersetzung aus dem Syrischen. Unter den Heiligen, für welche darin 
gebetet wird, steht Ignatius zuerst. Severus zuletzt, p. 221, cf. p. 483. 

3) Assem. bibl. or. I, 476, cf. 562. 


10 


kritischen Bedenken gibt. Die alte syrische Uebersetzung 
(Scur.), welche spätestens um die Mitte des 4. Jahrhunderts 
entstanden ist, fand bereits das Ἰγνάτιος ὃ καὶ ϑεοφόρος Vor 
und hat den zweiten Namen ebenso wie den ersten als un- 
übersetzbaren Eigennamen in seiner griechischen Form bei- 
behalten ἢ. Erst etwas später, aber wohl schon vor Ent- 
stehung der armenischen Uebersetzung aus der syrischen, 
taucht bei den Syrern die Uebersetzung auf „der mit Gott 
Bekleidete“ 3. Noch im 4. Jahrhundert hat der Interpolator 
und Vermehrer der dem Eusebius vorliegenden Briefsammlung 
gearbeitet, und sowohl in den hinzugedichteten als in den 
älteren Briefen mit einziger Ausnahme desjenigen an Polykarp 
bietet diese Recension sammt ihrer lateinischen Uebersetzung 
das ὁ καὶ $eogooos. Die kürzere Recension im Original 
wie in der lateinischen Uebersetzung erkennt nicht einmal 
diese Ausnahme an, welche gewiss ein Rest ursprünglicher 
Differenz der Grussüberschriften ist. Sehen wir hiervon ab, 
so steht für die 6 übrigen Briefe ein Consensus aller 
spätestens seit 350 unabhängig von einander verbreiteten 
Textzeugen fest, welcher nöthigt, das ὁ καὶ ϑεοφόρος auf 
den ihnen gemeinsamen Stamm und, solange kein Zeugnis 
für einen anderen Text beigebracht ist, auf die Wurzel aller 
Ignatiustexte zurückzuführen. Mindestens vor Euseb las man 
so; es ist also unberechtigt, es deshalb für ein Einschiebsel 


1) Cur. p. 2, 1; 16, 1; 40, 1. So auch in dem originalsyrischen 
Fragment, p. 219, 1. 

2) In den Ueberschriften Sfr. 197, 2; 201, 6; 221, 7, 365, 2. 
inf Δ... Im Römerbrief des Martyriums (Cur. 224, 24; Moes. 


[, 1 Inälo ua. Wie völlig sich dies zur Zeit der Uebersetzung 
des ın. colb. bereits festgesetzt hatte, zeigt sich besonders darin, dass es 
selbst in der Erzählung vorkommt, wo doch die Deutung: „welcher die 
_ Wohnung Gottes ist“ (Cur. 223, 2, 5sq.) es ausschliessen sollte. Wie die 
Faust aufs Auge passt auf die Frage: „Wer ist der, welcher Gott sich 
als Kleid] angelegt hat?“ die Antwort: ,,χ Der, welcher Christus im 
Herzen hat“ (cf. Cur. 218, 1sq... Der A mit Einschluss der Ueber- 
setzung des Römerbriefs im Martyrium hat beständig übersetzt: qui est 
Deum induens oder Deo vestitus. Nur Her. inser.: qui et Deum 
induens, 


71 


zu halten, weil Euseb und Hieronymus diesen Namen des 
Ignatius noch nicht erwähnen (Buns. I, 33). Es erwähnen den- 
selben ebensowenig der Syrer Johannes Monachus, welcher 
gegen Ende des 4. Jahrhunderts die alte syrische Uebersetzung 
der Briefe benutzte und alle Ehrentitel auf Ignatius häufte !), 
Athanasius und Theodoret, das m. vat. und Socrates in der 
Kirchengeschichte. Auch in der Lobrede des Chrysostomus 
auf Ignatius wie in der ihm fälschlich zugeschriebenen homilia 
de legislatore (s. oben S. 34), bei dem späteren Johannes von 
Antiochien in einem Brief an Proclus von Konstantinopel 3) 
und bei dem alexandrinischen Patriarchen Timotheus 5) sucht 
man den Titel vergeblich. Plötzlich seit dem Anfang des 
6. Jahrhunderts taucht er bei einer Reihe von Schriftstellern, 
besonders der antiochenischen Kirche auf, und zwar zuerst 
‚bei Severus *) in drei Reden auf Basilius und Gregor, welche 
er in der Kirche des Ignatius hielt. Ihm schliesst sich der 
antiochenische Bischof Ephraim 5) und dann der antiochenische 
Kirchenhistoriker Euagrius (I, 16) an, und kaum einer der 
nachfolgenden griechischen Schriftsteller lässt es an diesem 
Namen fehlen; er ist zum Ehrentitel geworden, über den 
man erbaulich redet 6), während die Kirchenschriftsteller des 
4. und 5. Jahrhunderts, welche ihn in den Briefüberschriften 
lasen, ihn nicht der Erwähnung werth fanden. Daraus folgt, 
dass man ihn damals nicht für einen Ehrentitel, sondern für 
einen Namen unbekannten Ursprungs hielt. Um so :unwahr- 


1) Cur. 206, 22sq. Ueber seine Zeit und sein Verhältnis zu Scur. 
s. weiter unten. . 

2) Gallandi, bibl. patr. IX, 694 A, um das Jahr 440. 

3) S. die syrischen Fragmente bei Cur. 210sgg. 

4) Bischof von Antiochien in den Jahren 513—518/s. Die "syrischen 
Texte bei Cur. 215, 17. 25; 217, 4. 

5) Phot. bibl. cod. 228 u. 229. Nebenbei sei bemerkt, dass es 
einen „Ephraim von Theopolis‘“ wohl nur bei Lips. II, 15 gibt. An- 
tiochien führte seit dem Jahre 526 den Ehrentitel ϑεούπολις (Euagr. h. 6. 
IV, 6). 

6) 8. dieAnführungen bei Cur., p. 175sqgq., besonders p. 176 Antioch. 
mon. hom. 1 (Magn. bibl. Par. 1654. XII, 15 C) und hom. 124 (bei Cur., 
p. 178 fälschlich 126) 1. 1. p. 219 Ὁ. 


N 


72 


scheinlicher wird es,. dass er eine Glosse des 2. oder 3. Jahr- 
hunderts sein sollte. Auch die Schriftsteller dieser Zeit, 
welche den Ignatius erwähnen, Irenäus und ÖOrigenes, ge- 
brauchen den Beinamen nicht. Lasen auch sie ihn schon an 
der Spitze der Briefe, so müssen auch sie nichts von 
dem Ursprung und einer besonders ehrenvollen Bedeutung 
desselben gewusst haben, obwohl seine appellative Bedeutung 
(s. Anhang II, 1) sie leicht dazu hätte verführen können, 
zu erfinden, was sie nicht wussten. Jedenfalls kennt die alte 
Kirche vom 2. bis 5. Jahrhundert den Ignatius nicht unter 
dem Namen ϑεοφόρος; dann kann auch in diesem Zeitraum 
niemand auf den Gedanken gekommen sein, ihn in den Text 
einzuschieben. Er hat ursprünglich dagestanden. Schon die 
Form der Anführung ist eine andere als die bei den Schrift- 
stellern vom 6. Jahrhundert an, welche ihn als Ehrentitel, 
gebrauchen, und kennzeichnet ihn als einen zweiten Namen, 
welchen Ignatius neben dem anderen führte ἢ). Da aber keine 
Ueberlieferung seinen Ursprung erklärte oder ihn sonst be- 
deutsam erscheinen liess, so blieb er unbenutzt, bis das m. 
colb. ihn sinnig deutete. Es ist also nicht zufällig, dass erst 
nach dessen Entstehungszeit und ziemlich gleichzeitig mit 
anderen Spuren von dessen Einfluss auf die kirchliche Ueber- 
lieferung der Name ϑεοφόρος als Ehrentitel des Ignatius in 
Aufnahme kam. Eine plumpe Sage schöpfte aus dem Namen 
„Gottesträger“ das Abendland im Mittelalter 2). — Eine 
ganz andere Deutung des Namens ergab sich späteren Griechen 
aus der Accentuation ϑεύφορος, welche bei einem wirklichen 
Eigennamen die regelmässige ist?). Dachte man gleich- 
wohl an die Bedeutung des Worts, so war Ignatius „der von 


1) Schon Pears. III, 3 verglich mit Recht Act. 13, 9. Stimmt 
man dem zu, so kann man nicht gleichzeitig sagen, Ignatius lege sich 
den Beinamen ‚, Gottesträger‘ bei (Hilgenf., S. 190 vgl. 193). 

2) Vincent. Bellov. spec. histor. X, 57 ed. Bened. IV, 388: Hujus 
cur quum minutatim divisum esset, nomen domini Jesu Christi, literis 
aureis inscriptum (ut legitur), in singulis partibus inventum est. Dixe- 
rat eniın, se habere Christum in corde. 

3) Vgl. Pears. II, 150; Kühner, ausführliche Grammatik I, 256. 


73 


Gott Getragene“; und war er andererseits kein jüngerer Zeit- 
genosse der Apostel, war er ein Kind, als diese junge Männer 
waren, so lag nichts näher, als ihn zu dem Kind zu machen, 
welches der menschgewordene Gott einst auf den Armen ge- 
tragen hatte !), und Marc. 9, 33—41 war die angemessene 
Leetion für den Tag des Ignatius?). — Die Syrer, welche 
für Ignatius ein begreifliches Interesse hatten, übersetzten 
seinen lateinischen Namen in ihre Sprache, indem sie ihn 
Nurono „den Feurigen“ nannten. Die Quelle davon wird 
eine der Reden sein, welche Severus als Patriarch von An- 
tiochien hielt und Jakob von Edessa (gest. 710) und Andere 
ins Syrische übersetzten ?). In der schon angeführten Rede 4) 
helehrt Severus seine Gemeinde etwa so: „Auf dieselbe Weise 
wurde auch der Gottesträger Ignatius — der, welcher jetzt 
dies geistliche Mahl in seinem Haus, dem Bethaus, uns 
vorsetzt, und welcher sich freut an den preiswürdigen Tugen- 
den seiner Schüler — von den feurigen Thaten, davon, 
dass man das Zukünftige im voraus wusste, Ignatius ge- 
nannt. Denn wer in der Sprache der Römer auch nur einiger- 
massen bewandert ist, weiss, dass Nurono, ‚der Entbrannte‘, 
wie wir sagen, davon seinen Namen hat. Denn ignis nennen 
die Römer das Feuer, welches angezündet und entbrannt ist. 
Wer aber ist der, welcher die Gluth, d. h. die Fackel der 
göttlichen Liebe, in sich hat und von Begierde, für Christus 
zu leiden, entbrannt ist? Er, der auch, als er an die Römer 
schrieb, sagte: ‚Feuer und Thiere und zehntausend Arten 
von Qualen mögen über mich kommen; nur Jesu Christi 
möge ich würdig werden‘. Der syrische Uebersetzer setzt 
an die Stelle des Namens Ignatius, wo er zum zweiten Mal 
vorkommt, sofort die Uebersetzung Nurono, was er selbst und 
seine aufmerkasmen Leser gewiss nicht anders verstanden haben 


1) Vgl. Pears. II, 124. 144sgg. 

2) Menolog. ed. Morcelli I, 368. 

3) Assemani, bibl. or. I, 469. Bickell, conspectus rei Syror. liter., 
p. 54. 
4) Cur. 216. Ueber die nothwendige Emendation s. Anhang I, 4. 


74 


werden, als der griechische Redner es verstehen lehrte, als 
Bezeichnung der glühenden Liebe, womit Ignatius im Mar- 
tyrium Christum suchte. Mag man sich in der Folgezeit, als 
Nurono ein geläufiger Ehrenname des Ignatius geworden war, 
des ursprünglichen Sinns und vollends des Ursprungs des Namens 
nicht mehr bewusst gewesen sein !), so ist doch für uns beides 
kaum noch zweifelhaft. Er ist kein einheimisches Gewächs 
des eigentlich syrischen Bodens, auf dem man kaum wusste, 
was ignis bedeute ?), sondern vom Boden der griechisch reden- 
den Kirche, wo man nur nicht bedachte, dass der allerdings 
lateinische Name Ignatius oder Egnatius ?) mit ignis nichts 
zu schaffen habe, dorthin verpflanzt. 


1) Ein spätes Misverständnis s. bei Grabe II, 1. 

2) Das zeigt z. B. der syrische Scholiast zu Severus bei Cur., p. 216; 
vgl. Anh. 1, 4. 

3) Cf. Pears. Ill, 1 und oben Κ. 28. 


1. 


Geschichte der ignatianischen Briefe 
seit Eusebius. 


I. Die verschiedenen Sammlungen ignatianischer Briefe. 


Der einzige Schriftsteller des kirchlichen Alterthums, 
dem wir eine ausdrückliche Nachricht über eine ihm vor- 
liegende Sammlung von Briefen des Ignatius verdanken, ist 
Eusebius. Neben ihm verdient sein leichtfertiger Abschreiber 
Hieronymus, um von dessen Nachtretern ganz zu schweigen, 
kaum genannt zu werden, und es war ein böser Misgriff, 
wenn Ussher (diss., p. 7844.) nicht allein von der Voraus- 
setzung ausging, Hieronymus rede über Ignatius auf Grund 
einer ihm vorliegenden Sammlung der Briefe des Ignatius, 
sondern auch allem Anschein nach durch dessen abkürzende 
Wiedergabe der Worte Eusebs in der Auffassung dieser sich 
bestimmen lies), Hieronymus hat, wenn nicht Alles trügt, 
die Briefe des Ignatius nie gelesen, jedenfalls aber an keiner 
Stelle seiner Werke gleichzeitige Einsicht in dieselben be- 
kundet. Das einzige den Ignatius Betreffende, was er nicht 
aus Eusebs Kirchengeschichte und der oben (S. 32f.) nach- 


1) Vgl. dagegen Pears. I, 21sqgq. 


76 


gewiesenen martyrologischen Quelle und endlich äus einem 
angeblich von Theophilus von Antiochien verfassten Commen- 
tar zu den Evangelien geschöpft hat 1), ist eine geschmack- 
lose rbetorische Wendung, worin er Ignatius neben Polykarp, 
Irenäus und Justin als Verfasser antihäretischer volumina 
nehnt, und ein Irrtthum, nämlich die Anführung eines Aus-. 
spruchs des Barnabas als ignatianisch ?). Jedenfalls aber haben 
wir uns bei Hieronymus nicht über das Verständnis der Worte 
Eusebs Rath zu holen. Ignatius ist überhaupt der erste nach- 
biblische kirchliche Schriftsteller, welchen Euseb in der 
Kirchengeschichte erwähnt. Daher sagt er auch von Ignatius 
(II, 36, 4): zoovurgen® τε ἀπρὶξ ἔχεσϑαι τῆς τῶν ἀποστόλων 
παραδόσεως, ἣν ὑπὲρ ἀσφαλείας καὶ ἐγγράφως ἤ δη μαρτυρό- 
μενος διατυποῦσϑαι ἀναγκαῖαν ἡγεῖτο. Vor den Nachrichten 
über die dem Clemens von Rom zugeschriebenen Schriften, 
dessen Amtsantritt er sich später denkt, als den des Ignatius, 
und vor Besprechung des Werks des Papias, den er über- 
haupt für ein Glied erst der zweiten nachapostolischen Gene- 


1) Curetons Meinung (introd., p. LXVII sq.), dass Hieronymus die 
ungenaue Anführung von Eph. 19 aus den von ihm übersetzten Homilien 
des Origenes zum Lucas (Orig. ed. Delarue III, 938 A) geschöpft habe, 
ist unhaltbar; denn Origenes eitirt wörtlich: xai ἔλαϑε τὸν ἄρχοντα 
τοῦ αἰῶνος τούτου ἡ παρϑενία Μαρίας; Hieronymus dagegen schreibt: 
Martyr Ignatius etiam quartam addidit causam, cur a desponsata con- 
ceptus sit: ut partus, inquiens, ejus celaretur diabolo, dum putat eum 
non de virgine, sed de uxore generatum. Schon die Aufzählung der vier . 
Gründe und der Gleichlaut der vom ignatianischen Text so weit ab- 
weichenden Anführung mit den Worten des Theophilus (quarto, ut partus 


᾿ ejus falleret diabolum. putantem Jesum de uxorata non de virgine natum) 


beweist, dass Hieronymus aus dessen ihm bekannten Commentar (vatal. 
25), schöpft, wie schon Pears. I, 5sq. zeigte. Da aber Theophilus den 
Ignatius nicht nennt, muss Hieronymus anderswoher, wahrscheinlich aus 
der angeführten Stelle des Origenes, gewusst haben, dass der Gedanke 
ursprünglich dem Ignatius gehöre. Vgl. Lips. II, 19. 

2) S. die Stellen bei Cur., p. 166. Freilich darf man sich, wenn 
man „zurKritik der Worte“ des Hieronymus etwas bemerken will, nicht 
auf die „Interpunction‘ dieses oder eines andern Abdrucks stützen, an 
welcher Hieronymus völlig unschuldig ist. 


77 


ration hält, gibt er seinen „Katalog“ der ignatianischen 
Briefe‘). Wenn es sich nicht von selbst verstünde, würde 
dieser sein Ausdruck beweisen, dass er eine vollständige Auf- 
zählung zu geben meint. Die Briefe liegen ihm vor, während 
er schreibt, und dienen ihm neben der mündlichen Ueber- 
lieferung von der Reise des Ignatius zum Martyrium in Rom 
als einzige Quelle seiner Darstellung dieser Reise und der 
Entstehung der Brief. Nach Ort und Zeit der Abfassung 
ordnet er die Briefe. Von Smyrna aus schrieb Ignatius 
an die Gemeinden zu Ephesus (1), Magnesia am Mäan- 
der (2), Tralles (3), Rom (4),- von Troas aus an die zu 
Philadelphia (5) und Smyrna (6) und endlich noch besonders 
an Polykarp, dem er seine antiochenische Gemeinde ans Herz 
legte (7). Hieronymus freilich scheint die Worte seiner Vor- 
lage in der Eile so verstanden zu haben 3), als ob der Brief 


1) II, 38, 1: τοῦ Ἰγνατίου ἐν αἷς κατελέξαμεν ἐπιστολαῖς (cf. 
36, 10). Vgl. auch 38, 5; wo es nach Besprechung der clementinischen 
Literatur im Rückblick auf c. 36 heisst: εἴρηται δὲ χαὶ τὰ Ἰγνατίου χαὶ 
Πολυχάρπου. Von Letzterem hat er zwar nur den einen Brief an die 
Philipper genannt und macht es ebenso, wo er aus Anlass des Irenäus 
wieder auf ihn zu reden kommt (IV, 14, 8sq.), obwohl er gerade aus 
Irenäus auch von andern Briefen Polykarps weiss (V, 20, 8). Er nennt 
eben nur die seiner Zeit vorhandenen und ihm aus eigener Anschauung 
bekannten Schriften. 

2) Des Is. Casaubonus Vorschlag (exerec. ad Baron. ann. ed. Gen. 
1663. p. 601sq.), den auch Pears. I, 24 billigte, zu schreiben: inde 
egrediens scripsit ad Philadelphenos et ad Smyrnaeos -- et proprie ad 
Polycarpum, commendans illi Antiochensem ecclesiam — in qua et de 
evangelio, quod nuper a me translatum est, super persona Christi ponit 
testimonium ete. (Hier. cat. 16), bürdet dem Hieronymus eine vollends 
unverständliche Satzbildung auf, und der Schein, dass er einen und den- 
selben Brief an die Smyrnäer und Polykarp gerichtet sein lässt, wird nur 
verstärkt. Nimmt man an, Hieronymus habe zwei Briefe verstanden, so 
würde er seine Unkenntnis der ignatianischen Briefe noch offenbarer be- 
weisen, indem er dann die Stelle aus Sm. 3 auf den Brief ad Pol. 
zurückgeführt hätte Vgl. Lips. II, 17f. Da dies aber durch die aus- 
drückliche Bemerkung Eusebs (Σμυρναίοις γρώφρων) ausgeschlossen war, 
so ist auch gewiss, dass Hieronymus seine Quelle dahin misverstanden 
hat, der eine Brief an die Smyrnäer enthalte die Stelle Sm. 3 und die 


78 


an die Smyrnäer nur zugleich noch besonders an Polykarp 
gerichtet gewesen wäre, und als ob in diesem an Bischof und 
Gemeinde von Smyrna gerichteten Brief die von Euseb mit- 
getheilte Stelle aus Sm. 3 stünde. Aber auch abgesehn 
davon, dass im Smyrnäerbrief Polykarp weder angeredet noch 
auch erwähnt ist, und dass die auf die Antiochener bezüg- 
licher Bitten dort nicht an den Bischof, sondern an die Ge- 
meinde gerichtet sind (Sm. 11), so sind auch die Worte 
Eusebs unmisverständlich ἢ. Von einem brieflichen Verkehr 
sowohl mit den Smyrnäern als auch mit ihrem Bischof 
Polykarp sagt er. Nachdem er mit Bezug auf ad Pol. 7. 8 
über den dem Polykarp gegebenen Auftrag geredet hat, kehrt 
er zu Ignatius und, um jedes Misverständnis zu vermeiden, 
ausdrücklich zu dem an vorletzter Stelle genannten Smyrnäer- 
brief zurück. Alles, was Euseb über die 7 Briefe mittheilt, 
die Orte und die Reihenfolge ihrer Abfassung, die Namen 
der darin genannten Bischöfe, die allgemeine Charakteristik 
ihres Inhalts, sowie die Angabe einiger merkwürdiger Einzel- 
heiten, hat er selbstverständlich nicht aus irgend welcher 
Ueberlieferung , sondern aus den vor ihm liegenden Briefen 
genommen ?). Er schreibt ja ein ganzes Kapitel aus dem 
Römerbrief und einen kürzeren Satz aus dem an die Smyrnäer 
wörtlich ab und leitet ersteres als Beweis für die vorauf- 
gehende, noch unvollständige Darstellung der Entstehung und 
des Inhalts der Briefe ein®). Indem er aber das Citat aus 


4 


Privataufträge an Polykarp betreffis der antiochenischen Gemeinde, und 
einen besonderen Brief an Polykarp gebe es nicht. 

1) Unbeholfen ist der Satzbau allerdings; aber das αὐτῷ zeigt doch, 
dass zu Πολυκάώρπῳ nicht etwa παρατίϑεται, sondern διὰ γραφῆς ὁμιλεῖ 
gehört, welches letztere durch ze — χαὶ — ἐδίως re auf die Philadel- 
phener, Smyrnäer und Polykarp bezogen ist. — Vgl. Voss, S. 265. 

2) Die Ausdehnung des λόγος ἔχει (vgl. oben 8. 51, Anm. 2) auf 
das ganze Kapitel über Ignatius (Buns. U, 17; Cur., p. LXXI) ist erstlich 
willkürlich und zweitens sinnlos. 

3) 8 6: ἐξ ὧν — was nur auf die theilweise schon aufgezählten 
Briefe überhaupt sich beziehen kaun — xel βραχύτατα εἰς ἐπίδειξιν τῶν 
εἰρημένων παραϑέσϑαι ἄξιον. 


79 


dem Römerbrief, ohne die Quelle näher anzugeben, als An- 
führung aus den Briefen gibt, lässt er erkennen, dass ihm 
die Briefe als Ganzes, als Buch bekannt sind und vorliegen. 
Daher nimmt er auch die Anführung eines ignatianischen 
Ausspruchs bei Irenäus, obwohl dieser weder den Namen des 
Ignatius, noch eine schriftliche Quelle nennt, ohne weiteres 
als eine Erwähnung der Briefe des Ignatius in Anspruch !), 
und bezieht auf die ihm selbst vorliegende Sammlung auch 
schon die von Briefen des Ignatius handelnden Worte in 
Polykarps Brief an die Philipper ($ 13sqq.). Vergleicht man 
ferner, wie Euseb über die unter Clemens’ Namen verbreiteten 
Schriften, über den Barnabasbrief und den Hirten des Hermas, über 
die Antilegomena und Apokrypha des neutestamentlichen Kanons 
redet, so leuchtet ein: Euseb hat nie von der Existenz anderer 
ignatianischer Briefe, als dieser sieben, die ihm vorliegen, 
und nie von einem Zweifel an der Aechtheit dieser gehört. 
Das Gegentheil letzterer Behauptung ergibt sich ebenso 
wenig ?2), ja noch viel weniger aus der Anführung jener 
Stelen aus Irenäus und Polyc., als aus dem ähnlichen 
Verfahren in Bezug auf den allgemein anerkannten ersten Brief 
des Clemens sich folgern lässt °), dass Euseb diesen eines 
Beweises der Aechtheit bedürftig gehalten habe. Die 
Stelle aus Irenäus und die aus Polyc. 9 führt er in erster 
Linie als älteste schriftliche Zeugnisse für die mündliche 
Ueberlieferung von der Reise und dem Martyrium des Ignatius 
an; die zweite Stelle aber aus Polykarps Brief (c. 13) war 
nicht sowohl ein Zeugnis für die Aechtheit, als eine 
wichtige Nachricht über die erste Sammlung der Briefe des 
Ignatius. Es ist ihm literarhistorisch interessant, die Be- 
nutzung der ältesten kirchlichen Literatur bei den nächst- 
folgenden Schriftstellern nachzuweisen, auch wenn, wie in 
Bezug auf Justin den Märtyrer, ein kritischer Zweifel gar 
nicht zu beseitigen war (V, 8, 9). 


1)1.1, 8 12 cf. V, 8 9. — Iren. V, 28, 4. 

2) Gegen Cur., p. LXXI sqq. u. 881. 

3) h. e. IV, 22. 23; VI, 13, 6. Ein indirectes Zeugnis für den 
Clemensbrief ist auch die Berufung auf Hegesipp III, 17. 


80 


Euseb hat den Inhalt und die Textgestalt der ihm vor- 
liegenden Sammlung durch seine directen und indirecten Mit- 
theilungen aus derselben 1) hinreichend charakterisirt, so dass 
die historische Kritik von jeher in Stand gesetzt und darauf 
angewiesen war, diese Sammlung, welche am Anfang des 
4. Jahrhunderts dem grössten Bücherkenner der alten Kirche 
allein bekannt war, wiederzugewinnen und an dem durch 
Euseb dargebotenen Kanon Alles zu messen, was sich für 
ignatianisch ausgab. Was zuerst durch den Druck bekannt 
wurde, war nur durch den Namen des Ignatius mit jener 
Sammlung des Alterthums verknüpft. Hinter einem sehr 
andersartigen Werk wurden in Paris 1495 zur Ausfüllung 
eines leer gebliebenen Blatts vier lateinische Stücke, zwei 
Briefe des Ignatius an den Senior d. h. den Apostel Johannes, 
einer an Maria, die Mutter Jesu, und eine Antwort der 
Letzteren hierauf abgedruckt?). In allen Handschriften, 
welche diese Stücke enthalten, bilden sie eine Gruppe für 
sich, und es ist mehr als zweifelhaft, ob die Andeutung von 
noch anderen derartigen Briefen, welche sich in dem an die 
Mutter Jesu allerdings findet 8), wirklich auf eine grössere 
Sammlung hinweisen soll. Es war nur ein Fehler der 
älteren Ausgaben der Werke des heiligen Bernhard, in Folge 
dessen frühere Gelehrte schon bei diesem eine Anführung 


m mn -.ὄ-.-ς. 


1) Zu den beiden wörtlichen Citaten aus Rom. 5 und Sm. 3 in 
h. e. III, 36 kommt ein drittes aus Eph. 19 in seinem nur im Auszug 
erhaltenen Gutachten an Stephanus bei Mai, script. vet. nov. collectio, 
I, 1, 2 ed. alt. 1831. 

2) S. den vollständigen Titel des mir nicht zu Gesicht gekommenen 
Werks bei Cur., introd., p. Isq. Die dortige fehlerhafte Angabe über 
den 4. Brief corrigirt die Note auf p. II. Die vollständigste Ver- 
gleichung der Handschriften und älteren Ausgaben liefert Ussher in der 
appendix (bei Cler. II, 121sq.), eine gediegene Besprechung in diss,, 
p. 142 sggq. 

3) Ign. ad S. Mariam: Scripsi tibi etiam alias et rogavi de eisdem. 
Die Gegenstände seiner Wissbegier berühren sich, nach dem ersten Brief 
an Johannes zu urtheilen, mit den widerwärtigsten apokryphischen Phan- 
tasien. Cf. Thilo, cod. apoer. 247. 251. 879 βα. 


. 81 


Jieser Briefe und zugleich ein Zeugnis für den ursprünglich 
grösseren Bestand dieser Sammlung zu finden meinten. Bern- 
hards Worte !), wie sie nach den Handschriften lauten, zeigen, 
was schon der Fortgang seiner Rede hätte lehren können, 
dass er den Brief des Ignatius an Maria von Kastabala im 
Sinn hatte. Wenn er gleichwohl von mehreren Briefen an 
die fragliche Maria redet, so wird nicht eine Verwechselung 
einer Maria mit einer anderen vorliegen — denn in keiner 
Handschrift fanden sich die Briefe an beide Marien zusammen- 
gestellt —, sondern der mit den Briefen des Ignatius ver- 
bundene Brief der Maria von Kastabala an Ignatius gab ihm, 
wie auch noch Spätern ?) Anlass, von Briefen des Ignatius 
an diese Maria zu reden. Möglich wäre es auch, dass ihm 
eine Handschrift vorgelegen, in welcher der an der Spitze 
stehende Brief des Ignatius an diese Maria so, wie in mehreren 
noch vorhandenen Handschriften πρὸς Παρίων, ἐπιστολὴ a’ 
überschrieben war (s. Dressel S. 223), wodurch dann der 
Schein einer Mehrheit von Briefen an dieselbe Person ent- 
stand. Noch weniger kann der Dionysius Carthusianus, den 
Ussher anführt, als Zeuge für einen grössern Umfang dieser 
Fietion gelten; denn seine Worte ®) sind, wie Jeder sieht, 
auch andrer Deutung fähig. Die unbestimmte Kunde von 
Briefen des Ignatius an eine Maria Christifera, worunter man 
am natürlichsten die Mutter Jesu verstand 5), und der durch 
Hieronymus verbreitete Irrthum, dass Ignatius ein Schüler des 
Johannes gewesen, mag ihre Erdichtung veranlasst haben, 
vielleicht erst zur Zeit des lyoner Concils unter Innocenz IV. 


1) Bernhardi opp. ed. Mabillon 1680 I, 839 F in der 7. Predigt 
über Ps. 90 (91): Magnus ille Ignatius, diseipuli quem diligebat Jesus 
anditor, martyr noster, cujus pretiosis reliquiis nostra ditata est pauper- 
iss, Mariam quamdam (fehlt in den älteren Ausgaben) in pluribus 
quas ad eam scripsit, epistolis Christiferam consalutat. Vgl. die krit. 
Note Mabillons. 

2) S. das Inhaltsverzeichnis vor dem cod. Cusan. bei Dressel p. LXI; 
aber auch schon Antonius in seiner Melissa citirt den Brief der Maria 
von Kastabala mit Ἰγνατίον Θεοφόρον (ed. Tigur. 1546, p. 96). 

3) C£. Uss. diss,, p. 143. Voss, p. 302 μα. 


Aahn, Ignatius. 6 


82 


(im Jahre 1245), in welche ein Handschriftenkatälog ihre 
Auffindung und angebliche Uebersetzung aus dem Griechischen 
setzt (Cotel. bei Cler. II, 119). Dass sie je griechisch existirt 
haben, möchte ich wenigstens nicht auf die Angabe des ar- 
menisehen Bischofs Menas von Bagrevand gründen, welcher 
ein griechisches !) Exemplar von 9 ignatianischen Briefen ge- 
sehn haben will, worunter sich neben den voreusebianischen 
(mit Ausnahme des Römerbriefs) in interpolirtem Text auch 
zwei an Johannes und einer an Maria befanden. Schnell 
genug ist 65 allerdings diesen dürftigen Machwerken gelungen, 
in Handschriften besseren igmatianischen Gehalts einzudringen, 
aber, soviel wir sonst wissen, nur in lateinische und immer 
nur anhangsweise ἢ, Sie scheinen noch weniger wie das, 
was, von allem Ignatianischen zuletzt, in äthiopischer und 
arabischer Uebersetzung bekannt geworden ist’), eine orga- 
nische Fortbildung einer aus dem Alterthum überkommenen 
Briefsaammlung zu sein. 

J. Faber Stapulensis wärdigte sie, wenn anders er sie kannte, 
nicht einmal des Wiederabdrucks, als er bald darauf eine alte 
lateinische Uebersetzung von 11 anderen Briefen des Ignatius 
und Polykarps Brief an die Philipper hinter Pseudodionysius 
veröffentlichte (Paris 1498). Einen 12ten fügte Champerius in 
der Ausgabe von 1536 hinzu, den an Maria von Kastabala. Die 


1) Der Mechitarist Katergi, der dies in der Zeitschrift für katho- 
lische Theologie von Scheiner und Häusler IV, 316 (1852) mittheilt, 
fügt hinzu „‚(gedrucktes)“; aber von einem Drucke dieses Inhalts würden 
wir doch wohl wissen. 

2) Uss. diss., p. 143 und in der append. bei Cler. II, 121 sq. Smith, 
praef. 

3) Aethiopisch durch Dillmann bei Cur., p. 256 sq., arabisch durch 
Moesiuger, p. 13 sq. Allerdings erinnert der erste Satz des zweiten 
Fragments an Trall. 9 und zwar mehr an die kürzere Recension dieses 
Briefs. Es ist möglich, dass ein syrischer Monophysit — denn syrisch 
wird wohl das Original beider Uebersetzungen sein —, welcher den Ig- 
natius zum Vertreter seiner Lehre machen wollte, im Anschluss an die 
kürsere Recension und Sammlung von 6 oder 7 Briefen weiter minde- 
stens bis zu Nr. 13 fingirt hat. Ex epistola decima tertia ist das 
zweite Fragment genommen. ᾿ 


83 


dieser lateinischen Sammlung in Bezug auf Anordnung und 
Text im allgemeinen entsprechende griechische Sammlung gab 
zuerst Valentin Hartung, genannt Frid (Paceus, Εἰρηναῖος) '), 
nach einer Handschrift der augsburger Stadtbibliothek heraus. 
Ohne hierum zu wissen, liess der gelehrte Buchhändler Andreas 
Gesner bald darauf dieselben 12 Briefe nach einer Hand- 
schrift aus der Bibliothek des Gaspar von Nydprugek ab- 
drucken ?). In den diesen ersten Drucken zu Grunde liegen- 
den, sowie in den später von Ussher, Cotelier und Dressel be- 
nutzten griechischen und lateinischen Handschriften (s. Anh. 
I, 1) derselben Recension herrscht, soweit darüber Kunde vor- 
handen ist, durchweg die gleiche Ordnung. Aber es ist nicht 
völlig deutlich, wie viele derselben die Reihe unverkürzt von 
Anfang an enthalten. Ein Zufall ist es, dass die griechischen 
Handschriften v und o (s. Anh. I, 1), welche auf dieselbe 
Quelle zurückgehn, mit dem seines Anfangs beraubten Tral- 
lianerbrief beginnen. Aber in manchen Handschriften jeden- 
falls und in allen älteren Ausgaben des griechischen und des 
lateinischen Textes fehlte der Brief der Maria von Kastabala an 
Ignatius, obwohl er die unerlässliche Voraussetzung des darauf 
antwortenden Briefs des Ignatius ist. Lateinisch gab ihn 
zuerst Ussher p. 127 sqq. cf. 223, griechisch Voss p. 55 sqq. 
cf. 302 heraus, aber beide aus Handschriften einer ganz 
anderen Sammlung. Dazu kommt, dass er in den von Dressel 
verglichenen vollständigern Handschriften sowohl des Originals 
als der Uebersetzung unserer Sammlung fehlt®). Aber der 
Umstand, dass Herausgeber wie Faber Stapulensis und Ab- 


1) So mannigfaltig nennt er sich selbst auf dem weitläufigen Titel 
seiner Ausgabe (Dillingen 1557) und über der Vorrede. 

2) Als zweite Abtheilung des Sammelwerks: Theologorum aliquot 
veterum orthodoxorum libri, mit besonderer Paginirung und dem Sonder- 
titel: Ignatii beatissimi martyris et archiepiscopi Antiocheni epistolae 
duodecim. Joanne Brunnero Tigurino interprete. Per Andream Gesnerum, 
1560. — Wer eigentlich für den griechischen Text verantwortlich ist, 
weiss man nicht. An diesem Sammelwerk waren verschiedene Gelehrte 
betheiligt. 

3) Nämlich in b sind 12 Briefe mit dem an Maria von Kastabala an 
der Spitze, in f gar nur 11 Briefe enthalten, also auch nicht die Antwort 

68 


84 


schreiber, wie der des cod. f, auch den jedenfalls dieser Samm- 
lung angehörigen Brief des Ignatius an Maria stillschweigend 
weglassen, verwehrt die äusserlich nahegelegte Annahme, dass der 
Brief der Maria von Kastabala nicht ursprünglich der Sammlung 
angehört habe. Von der augsburger Handschrift, welche der 
dillinger Ausgabe zu Grunde liegt, wissen wir es zuverlässig, 
dass in derselben vor den 12 Briefen des Ignatius eine ihres 
Anfangs beraubte epistola a quadam sancta ad patrem quem- 
dam missa stand. Der im Katalog der augsburger Bi- 
-bliothek abgedruckte Briefschluss wurde schon von Ussher als 
Stück des Briefs der Maria Kastabala erkannt und vor Wieder- 
entdeckung des ganzen griechischen Textes der Ausgabe von 
1644 einverleibt. An der Spitze der griechischen Sammlung 
hat also dieser Brief gewiss gestanden, und zwar nicht erst 
zu der Zeit, als junge Handschriften wie a geschrieben wur- 
den. Schon der dem 8. Jahrhundert angehörige Antonius 
hat in seiner Melissa ?) ein längeres Excerpt aus dem Brief der 
Maria von Kastabala mit /ysariov ϑεοφόρου angeführt, diesen 
Brief also mit den Briefen des Ignatius verbunden gefunden. 
Nicht so sicher lässt sich behaupten, dass er auch im Original 
der lateinischen Uebersetzung vorhanden war. Die Spur bei 
Bernhard von Clairvaux ist unsicher (s. oben S. 81), und in 
den erhaltenen Handschriften. der lateinischen Uebersetzung 
fehlt er; aber die scheinbar imposante Uebereinstimmung 
derselben will im Grunde wenig besagen, da sie sämmtlich 
auf einen ziemlich secundären Archetypus zurückgehn. Alle 
haben sinnlose Schreibfehler wie corusca statt chorus Eph. 19 
mit einander gemein. Alle brechen den Brief an Polykarp 
am Schluss von ὁ. 3 ab?) und zwar die anscheinend älteste 


des Ignatius an Maria. Die engverwandten lateinischen Handschriften 
rg und pl haben denselben Inhalt wie die griechische b. 

1) Catalogus, codd. qui sunt in bibliotheca reipublicae Augustanae 
Vindelicae [auctore D. Hoeschelio] 1595, p. 21 854. 

2) ed. Tigur. 1546, p. 96. Woher eigentlich die barbarische An- 
führung „Antonius Melissa‘ bei Gelehrten, soviel ich weiss, nur unsres 
Jahrhunderts stammt, weiss ich nicht. 

3) Uss., p. 138; Dressel, p. 304. 


85 


von Allen (rg) schon mit einem explicit octava, worauf dann 
der Antiochenerbrief folgt. Der Schreiber von rg muss eine 
Handschrift vor sich gehabt haben, welche die Verstümnie- 
lung nicht mehr anzeigte, also mindestens durch zwei Glieder 
von der Urschrift des L? getrennt sein, durch eine sichtbar 
defeete Handschrift und eine Handschrift, welcher der Defect 
nicht ınehr anzusehen war, man müsste denn annehmen, es habe 
der Uebersetzer (L?) von den vielen griechischen Handschriften 
dieser Sammlung zufällig eine gefunden, welche den Brief 
an Polykarp nur verstümmelt enthielt. So unwahrscheinlich 
Letzteres ist, so unsicher ist der Schluss vom Bestand der 
uns bekannt gewordenen Handschriften des L? auf den Bestand 
der lateinischen Urschrif. In dieser kann der Brief der 
Maria ebensogut enthalten gewesen sein, als gefehlt haben. 
Wenn Letzteres !), dann aus demselben einfachen Grund, um 
deswillen er aus vielen griechischen Handschriften verschwand, 
weil man unter den Briefen des Ignatius nicht solche an ihn 
haben wollte. Nach alle dem dürfen wir die vollständige 
Reihenfolge der Briefe im cod. Augustanus als die ursprüng- 
liche, dieser Sammlung charakteristische betrachten. Es ist 
diese 3): 1) Mariae Castab. ad Ignatium, 2) Ignatii ad Mariam, 
3) Trallianos, 4) Magnesios, 5) Tarsenses, 6) Philippenses, 
7) Philadelphenos, 8) Smyrnaeos, 9) Polycarpum, 10) Antioche- 
nos, 11) Heronem, 12) Ephesios, 13) Romanos. 

Die Sammlung enthielt also sämmtliche Titel der euse- 
bianischen, aber untermischt mit anderen Briefen, welche, 
wie später gezeigt werden soll, jedenfalls nach Euseb ent- 
standen und mindestens 2 Jahrhunderte jünger als die dem 
Euseb bekannten sind. Die Vertheilung lässt es so erscheinen, 
als ob es dem Ordner darum zu thun gewesen wäre, Altes 
und Junges möglichst bunt zu mischen. Auf 2 jüngere 
Titel folgen 2 ältere und wieder auf 2 jüngere 3 alte und 


1) So lässt sich z. B. auch nichts daraus folgern, dass Vincent. 
Bellov. specul. hist. X, 57 (ed. Bened. IV, 388) schreibt: Scripsit autem 
δι Ignatius epistolas duodecim. 

2) Vgl. die dillinger und die züricher Ausgabe mit den Angaben 
bei Uss. diss.,, p. 39 und Dress., proll. LVI sq. LX. 


86 


zum dritten Mal auf 2 jüngere 2 alte. Bei näherer Be- 
trachtung waren aber auch die älteren Briefe in dieser Samm- 
lung nicht die alten, welche Euseb las. Zwar das grosse 
Citat aus Rom. 5 in Eus. h. e. III, 36 zeigte keine stärkeren 
Abweichungen von dem Text dieser Sammlung, als sie zwischen 
Handschriften eines und desselben Werks vorzukommen pflegen. 
Aber schon Sm. 3 zeigte im Vergleich mit dem daraus citirten 
Stück bei Euseb eine starke Erweiterung durch biblische 
Worte und eine dadurch veranlasste Aenderung des Schluss- 
satzes.. Vollends im Vergleich mit den zahlreichen Anfüh- 
rungen aus Ignatius bei Theodoret und spätern Vätern erwies 
sich der Text dieser Sammlung als das Werk einer syste- 
matischen Interpolation. Mit kritischem Scharfblick und 
grosser Umsicht wies das zuerst Abraham Scultetus !) nach, 
auf dessen Schultern der unbedeutendere und unvorsichtigere 
Nicolaus Vedelius steht. Der Beweis dafür, dass die Briefe, 
wie sie nun griechisch und lateinisch vorlagen, ihre dermalige 
Gestalt und Zahl erst vermöge einer bewussten schrift- 
stellerischen Umgestaltung und Erweiterung erlangt hatten, 
und die Sonderung des Aechten vom Unächten konnte erst 
nach Entdeckung einer anderen Sammlung gründlich vollzogen 
werden. indessen hatte man eine handschriftlich weit ver- 
breitete und spätestens um das Jahr 800 ins Lateinische 
übersetzte Sammlung ignatianischer Briefe, welche mit der 
Eusebs nicht bloss durch einige gleichlautende Titel überein- 
stimmte. Mindestens bis zum angegebenen Jahr nöthigt uns 
das vorhin erörterte Verhältnis der lateinischen Handschriften 
hinauszugehn. Daher gewinnen wir nichts Neues durch die 
Thatsache, dass Ado von Vienne (um 870) diese lateinische 
Uebersetzung benutzt hat. Was mit erheblichen Abweichungen 
in 3 Handschriften seines Werks aus dem 11. und 12. Jahr- 
hundert als Zusatz zum ursprünglichen Text des Martyro- 
logiums steht ?), gibt Ado selbst im lib. de festivitatibus app. 3) 


1) Medulla theologiae Patrum, Ambergae 1598, p. 439 sqg. 

2) ed. Dom. Georg. I, 194; cf. praef. p. 9. 

8) 1.1.1, p.XLV. Die Varianten in Klammern sind aus den Zusätzen 
zum Martyrolog genommen. 


87 


zum 6. Mai: Natalis sancti Euodii episcopi, qui ab apostolis 
Antiochiae episcopus ordinatus est, de quo beatus Ignatius ad 
Antiochenam ecclesiam (ita seribit): „Pauli et Petri (Petri 
et Pauli) facti estis diseipuli, nolite perdere (prodere !)) de- 
positum, quod vobis commendaverunt. Mementote digne bea- 
tissimi Euodii pastoris vestri, qui primus vobis ab apostolis 
antistes ordinatus est. Non confundamus patrem, sed efliciamur 
certi (digni) filii et non adulterini.“ Khbenso deutlich ist die 
Entlehnung eines Citats aus Eph. 12). Aelter als Ado ist 
das m. boll.-cott. in seiner jetzigen lateinischen Gestalt, aber 
wenn auch dessen triticum Dei ($ 18) sicher auf die Ueber- 
setzung dieser Sammlung zurückzuführen wäre (s. oben $. 30), 
höher hinauf als die erkennbare Vorgeschichte schon der 
ältesten Handschrift dieses lateinischen Ignatius würde uns 
das nicht führen. Was abendländische Schriftsteller . früherer 
Zeit aus Ignatius anführen, beschränkt sich meist anf die 
bei Hieronymus und Euseb angeführten Stellen und wurde 
aus dem vielgelesenen Buch de viris illustribus ?) oder aus 
Rufins Bearbeitung der eusebianischen Kirchengeschichte ab- 
geschrieben (vgl. oben S. 80. Einen lateinischen Ignatius 
scheint es zur Zeit des römischen Bischofs Gelasius (gestorben 
496) überhaupt noch nicht gegeben zu haben, wenn dieser 
in seiner Schrift über die beiden Naturen in Christus zwei 
Stellen des Epheserbriefs in einer von beiden uns bekannten 
lateinischen Uebersetzungen desselben sehr abweichenden Form, 
also in selbständiger Uebersetzung aus dem Griechischen und 
zwar aus einem von unsrer Sammlung stark abweichenden 
griechischen Text anführt ἡ. Ein nicht ganz verwerfliches 


1) Ant. 7. Cf. L2 pl und rg bei Dressel, p. 309. 

2) 1.1. XLIV. Eine Anspielung an Her. 7 findet sich noch im 
Martyrolog zu XVI Kal. Novembr. 

3) Es wird z. B. von Vincentius Bellovacensis ausdrücklich als Quelle 
seiner Bemerkungen über die scripts Ignatii angeführt, obwohl zeime 
Kunde über Hieronymus hinausgeht. 8. oben S. 85. 

4) Magna bibl., Paris 1664, tom. IV, par 1, p. 423 E. Die Be- 
denken gegen die Autorschaft des Papstes Gelasius scheinen heute auch 
bei Katholiken nichts mehr zu gelten. S. Alzog, Patrologie (2. Aufl.), 
8. 413. 


no 


88 


Zeugnis für die erheblich spätere Abfassung des L? ist auch 
die völlige Unkenntnis der ignatianischen Briefe, welche Gregor 
der Grosse in einem Brief an den Patriarchen Anastasius von 
Antiochien bekundet, worin .er diesem zu seiner im Jahre 
592 erfolgten Wiedereinsetzung in seine Würde gratulirt 1). 
Nur aus dem Brief dieses Kirchenfürsten an ihn kennt Gregor 
die Worte des Ignatius, die er in seinem Antwortschreiben 
wiederholt. Man sieht deutlich, dass Anastasius den sinnlosen 
Gruss „Amen, Gratia“ mit namentlicher Berufung auf seinen 
Amtsvorgänger Ignatius gebraucht hatte. So schliessen aber 
die ignatianischen Briefe an die Epheser und Polykarp nur in 
dieser Sammlung von 13 Briefen und zwar nur im griechischen 
Text, da aber nach überwiegender Bezeugung ?). Während also 
um 592 Gregor zwar den Märtyrer Ignatius, aber nicht seine 
Briefe kennt und somit bestätigt, was ohnehin das Wahrschein- 
liche ist, dass erstspäter durch Anfertigung der lateinischen Ueber- 


‚setzung unserer Sammlung die ignatianischen Briefe im Abend- 


land bekannter wurden 8), las man unsere Sammlung damals in 
Antiochien. Anastasius von Antiochien ist nächst Stephanus 
Gobarus *), welcher sich auf den interpolirten Trallianerbrief 


---.-«---αο.--Ο--ῬἘῬςῬὕ...... 


1) Greg. M. opp. ed. Bened. II, 764 epist. 39 (al. 37). Der Schluss 
des Briefs p. 765: Amen. Gratia. Quae videlicet verba de scriptis ve- 
stris accepta ideirco in meis epistolis pono, ut de sancto Ignatio vestra 
beatitudo cognoscat, quia non solum vester est, sed etiam noster etc. 
Vielleicht ist beachtenswerth, dass von den Sacramentarien erst das 
Gregors und nur dies des Märtyrers Ignatius nach Stephanus, Matthias, 
Barnabas gedenkt. Muratori, Liturgia Rom. II, 5. - 

2) Eph. 21 haben aov nach Uss. adnot., p. 13, not. 100 und Dressel, 
p. 338: ἀμήν 7 χάρις, während in n und L2 ἡ χάρις fehlt, pl und rg 
auch kein amen haben. — ad Pol. 8 steht a mit seinem ἀμὴν ἡ 
χάρις auch nicht allein; die nicht ganz deutlichen Angaben über die Lesart 
in f (Uss., Cler. 94) und o (Dressel 305) gestatten die Annahme ur- 
sprünglicher Uebereinstimmung dieser Handschriften mit a. Iı2 existirt 
für diese Stelle nicht. 

3) In’s eigentliche Alterthum reicht diese Uebersetzung auch schon 
wegen solcher Ausdrücke wie missas celebrare Sm. 8 nicht hinauf. Er 
kommt wohl zuerst bei Caesar. Arel. ( 543) vor, 8. Dufresne, 
Glossar. TV, 814. 

4) Nach Phot. cod. 232 nennt er unter Anderen den Ignatius als 


89 


bezieht, der älteste Zeuge für unsere Sammlung ; ihnen schliesst 
sich dann der Bearbeiter der Paschachronik an, welcher in 
den älteren Theil dieses Werks um 630 unter anderem auch 
eine Stelle des interpolirten Trallianerbriefs interpolirte 1), so 
dass wir also von der Mitte des 6. Jahrhunderts an eine 
ziemlich eng schliessende Kette von Zeugen für unsere 
Sammlung haben 3), während die antiochenischen Patriarchen 
aus der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts, Severus 5) und 
Ephraim 4), einen ganz anderen Text citiren und von einem 
andern nichts zu wissen scheinen. Ich spreche von Zeugen 
nfeht für diesen oder jenen Text dieses oder jenes Briefs, 
sondern für die bisher erörterte Sammlung der Ignatiusbriefe. 
Teberall da dürfen wir sie voraussetzen, wo einer der vor- 


Bestreiter der nikolaitischen Secte, was nur auf Trall. 11 interp. sich 
beziehen kann. Die Zeit dieses Stephanus ist ziemlich ungewiss, 
520— 600. 

1) Vgl. hierüber oben S. 48, Anm. 1. 

2) Lips. II, 15f. kommt zu seiner Behauptung, dass der interpolirte 
Text ebenso wie der kürzere 100 Jahre vor seiner allgemeineren- Verbreitung 
durch einen einzigen Schriftsteller bezeugt werde, nur. indem er den 
Anastasius von Antiochien übersieht, dessen Text wir durch Gregor kennen. 
Ist es ferner dieser Anastasius, dem die von Pears. I, 15 sq. aus einer 
Handschrift mitgetheilte und besprochene Anspielung auf Eph. 19 an- 
gehört, so kann demselben dabei ebensogut der interpolirte Text zu Grunde 
gelegen haben. Derselbe Anastasius und nicht der spätere Sinait wird 
es auch wohl sein, welcher in der ἐκλογὴ χρήσεων δογματικῶν eine 
Stelle aus dem Philipperbrief (c. 9) als aus dem Tarsenserbrief eitirt. 
Dis vermisst man freilich bei Cur., p. 175, findet es aber erwähnt schon 
bei Uss. diss., p. 129 und abgedruckt bei Mai, script. vet. nova coll. 
VI, 1, 22: Ἰγνατίου τοῦ ϑεοφόρου καὶ μάρτυρος ἐκ τῆς ἐπιστολῆς πρὸς 
τοὺς ἐν Τάρσῳ᾽ εἰ γὰρ ἤδεις, ὅτι ϑεοὺῦ υἱὸς nv bis ὅτι καὶ ἄνϑρωπος. 
Der Sinait Anastasius scheint allerdings eine andere Saınmlung zu 
eitiren, wenn er in dein oft eitirten Satz aus Rom. 6 das dem Römerbrief 
unserer Sammlung angehörige Χριστοῦ vor τοῦ ϑεοὺῦ μου nicht gibt 
(Opp. Gretseri XIV, 2, 97). Aber gerade beim Römerbrief lässt sich 
aus einem Wort nichts Sicheres schliessen. 

3) Ueber diesen ist weiter unten mehrfach zu reden. 

4) Dessen Worte: καὶ ὃ ϑεοφόρος δὲ Ἰγνάτιος, Σμυρναίοις ἐπιστέλ-- 
λων, ὑμόιως χέχρηται τῷ ἄρϑῳ (Phot. cod. 229 cf. cod. 228) gehen auf 
das τὸν ϑεὸν Sm. 1 zurück, welches dem interpolirten Text fehlt. 


90 


eusehianischen Briefe in interpolirtem Text citirt wird; denn 
nur in dieser Sammlung hat dieser Text Verbreitung ge- 
funden. Denn allzuvereinzelt in Bezug auf Ordnung und 
Umfang steht der von Pearson 1) beschriebene cod. Leicest- 
rensis, welcher die 7 Briefe Eusebs, aber in interpolirtem Text 
enthielt, als dass sich die Vermuthung irgend welcher Ver- 
breitung einer solchen Sammlung darauf gründen liesse. 
Durch die Berufung auf drei Schriftsteller, denen er über- 
haupt nur je eine Anführung aus Ignatius nachweisen konnte, 
nämlich Stephanus Gobarus, Anastasius von Antiochien ?) und 
den Verfasser der Paschachronik, hat Pearson dieselbe Mur 
scheinbar gestützt; denn erst, wenn bewiesen wäre, dass sie 
die nacheusebianischen Briefe nicht kannten, wäre die nächste 
Voraussetzung widerlegt, dass sie aus der weitverbreiteten 
grösseren Sammlung schöpften, welche die interpolirten Briefe 
mit den nacheusebianischen verbunden darbietet. Die weitere 
Hypothese Peärsons. dass diese Handschrift die zweite auf die 
dem Euseb vorliegende zunächst folgende Sammlung entbalte, 
welcher als dritte die später zu untersuchende mediceische 
und als vierte die von mir bis jetzt besprochene gefolgt sei, 
beruht auf einer Reihe undurchführbarer Annahmen. Vor 
allem müsste dann der Interpolator der 7 Briefe von dem 
Verfertiger der nacheüsebianischen verschieden sein, und auch 
des Letzteren Werk müsste selbständig verbreitet worden sein, 
bis der Veranstalter der mediceischen Sammlung dasselbe mit 
den 7 alten Briefen in ursprünglichem Text, und der Veran- 
stalter unsrer Sammlung es mit den 7 Briefen in interpolirtem 
Text verband. Aber selbständige Existenz und Verbreitung 
der nacheusebianischen Briefe ist weder bezeugt noch wahr- 
scheinlich. Bei keinem einzigen Schriftsteller lässt sich aus- 
schliessliche Kenntnis dieser Briefe nachweisen, ausser dem 
heiligen Bernhard gibt es zufälligerweise nicht einmal einen 


1) Vind. provem. p. 27 sq.; vgl. unten Anhang 1, 1. Die Ordnuug 
ist folgende: Trall. Magn. Philad. Smyrn. Polyc. Eph. Rom. 

2) Diesen führt Pearson wohl mit Rücksicht auf den Brief Gregors 
dafür an, denn die aus Anastasius selbst mitgetheilte Anspielung auf 
Eph. 19 entscheidet nichts, 


91 


Einzigen, der die nacheusebianischen Briefe citirte, ohne 
zugleich aus den voreusebianischen in ursprünglichem oder 
interpolirtem Text zu schöpfen. Ferner wird sich zeigen, dass 
ein Geist und eine Zeit das doppelte Werk der Interpolation 
und Fiction hervorgebracht hat. Also kann cod. Leicestrensis 
nur ein Auszug aus unsrer Sammlung sein, herrübrend von 
einem Mann, welcher nur diejenigen Briefe derselben haben 
wollte, deren Titel ihm aus Euseb bekannt waren, und wel- 
cher daher aus unserer Sammlung die jüngeren Titel wieder 
ausstiess, die Ordnung derselben aber beibehielt. Läge um- 
gekehrt der cod. Leicestrensis unsrer Sammlung zu Grunde, 
so wäre die Künstlichkeit ihrer Ordnung nicht mehr zu er- 
klären. Die weisliche Mischung von Altem und Neuem, die 
darin sich verrathende Absicht, die Leser zu dem Irrthum 
zu verführen, als sei beides aus demselben Schatz hervorgeholt, 
ist nur dem bösen Gewissen des Fälschers selbst zuzutrauen. 
Ein gelehrter oder ungelehrter Abschreiber, welcher die bis 
dahin gesondert existirenden älteren und jüngeren Titel zu- 
sammen besitzen und beisammen haben wollte, hätte die 
beiden Sammlungen einfach an einander geschoben, anstatt in 
unbequemer Abwechselung aus dem einen und dem anderen 
Volumen je 2 oder 3 Briefe abzuschreiben. 

Demnach sind die angeblichen Zeugen für Pearsons editio 
secunda vielmehr Zeugen für unsre Sammlung, welche also 
spätestens seit der Mitte des 6. Jahrhunderts existirt haben 
muss. Sehr unsicher würde der Versuch sein, an der Hand 
der Handschriften zu einem noch bestimmteren Resultat zu 
gelangen. Nähme man nämlich an, dass die Verbindung 
dieser ignatianischen Sammlung mit den in Eins verschmol- 
zenen Briefen des Polykarp und des Barnabas, wie sie in den 
codd. fvo vorliegt, eine ursprüngliche, unsrer Sammlung 
charakteristische sei, so würde uns die in jenen codd. be- 
stehende Verschmelzung von Polykarp und Barnabas auf einen 
sehr alten Archetypus zurückführen; denn diese Verschmelzung 
findet sich zwar nicht 1) im cod. Medic. (plut. LVII, no. 7), 


1) Das muss man bei Müller, Barnabasbrief, S. 22 lesen. 


92 


der überhaupt von Polykarp und Barnabas nichts enthält, 
wohl aber im cod. Casanatensis G. V. 14, welcher in Bezug 
auf Ignatius mit dem Medic. sich deckt, und in einer durch 
L. Holsten gefertigten Abschrift eines verlornen cod. biblio- 
thecae S. Silvestri in Quirinali, welcher aber, soviel wir wissen 
gar nichts von Ignatius enthielt ). Diese Verschmelzung ist 
also sehr alt, wenn sie auch. nicht in die Zeit des Hieronymus 
hinauf verfolgt werden kann ?); aber ihre Verbindung mit 
Briefen des Ignatius ist weder unsrer Sammlung eigenthüm- 
lich, wie der cod. Casan. zeigt, noch auch mit der Ver- 
schmelzung von Polykarp und Barnabas sofort gegeben, wie 
der cod. Silv. zeigt. Vor dem 11. Jahrhundert, welchen 
cod. v angehören soll, braucht jene Verbindung unsrer igna- 
tianischen Sammlung mit den Bruchstücken aus Polykarp und 
Barnabas nicht existirtt zu haben. Der lateinische Ueber- 
setzer unsrer Sammlung fand zwar wahrscheinlich, wie man 
aus den codd. rg und pl und der editio princeps von 1498 
schliessen muss, in seinem griechischen Original bereits den 
Polykarpbrief mit den ignatianischen verbunden, aber nur 
diesen und zwar vollständig ohne die Verstümmelung in 
fvo und ohne die Verschmelzung mit Barnabas. Es ist also 
auf diesem Wege das Alter unserer Sammlung nicht zu er- 
mitteln. 

Eine sehr andersartige Sammlung in lateinischer Ueber- 
setzung entdeckte Ussher auf dem Weg einer ebenso einfachen 
als glücklichen Divination ?) und benutzte seine Entdeckung 
sofort zu einer durchgreifenden Kritik der vordem verbreiteten 


1) S. über beide Handschriften Dress., proll. LX, no. 12; LXI, 
no. 14 extr. 

2) Gegen Müller a. a. O., 8. 21. 144. Die Verwechselung von 
Ignatius und Barnabas bei Hieronyınus (ed. Vallarsi 1734 sygq. UI, 769 A) 
bedarf gar keiner Erklärung und findet jedenfalls keine darin, dass 
schon damals der Brief Polykarps mit dem des Barnabas in Eins ver- 
schmolzen war, wenn man nicht gleichzeitig eine Verschmelzung beider 
ınit ignatianischen Briefen behaupten will. 

3) Seine Erzählung davon steht dissert.. p. 15 sq. Die dort und 
p. 141 gemachten Angaben sind zu vervollständigen aus Smith. praefatio 
oder Jakobson, proll., p. 33. 8. Anh. I, 2. 


98 


Sammlung !.. Die jüngere der beiden lateinischen Hand- 
schriften, welche allein noch erhalten ist (s. Anh. I, 2), 
enthält folgende ihrem Inhalt, soweit er den Ignatius betrifft, 
. entsprechende Angabe, ich weiss nicht, ob vor oder hinter 
den Briefen, oder gleich nach dem Gesammttitel der Hand- 
schrift: 
Epistolae 8. Ignatii. 
Smyrnaeis. 
. Smyrnaeis a Troade Polycarpo. 
Ephesiis. 
Magnesiis. 
. Philadelphicis. 
. Trallesiis Asiae. 
. Epistola Mariae Proselytae Chassaobolorum ad Igna- 
natium, Episcopum Antiochiae. 
8. Responsio Ignatii Mariae Proselytae super eadem 
epistola. | 

1) Wegen der oft sehr ungenauen Angaben über dessen, wie ea 
scheint, sehr selten gewordenes Werk Polycarpi et Ignatii epistolae etec., 
Oxoniae 1644, sei sein Inhalt angegeben: 1) de Ignatii martyris epistolis 
indeque occasione data de Polycarpi quoque scriptis atque apostolicis 
vonstitutionibus et canonibus Clementis Romano tributis dissertatio 
p. I-CXLVI. 2) Veteram testimonis de Ignatio, dann de Polycarpo, 
p. 1—12. 3) Polycarpiana epistolarfim Ignatianarum sylloge, p. 13— 128. 
4) Epistolae, B. Ignatio adscriptae ad mediae aetatis Graccis, sex, ἃ 
recentioribus T,aatinis additae tres. Prioribus praemissa est Mariae Casso- 
bolitae, posterioribus subjuncta B. Mariae Deiparae nomine ad Ignatium 
edita epistola ete., p. 125—192. 5) Epistolarum Ignatii vetus Latina 
versio ex duobus manuscriptis in Anglia repertis, nunc primum in lucenı 
edita, mit fortlaufender Paginirung, p. 193—243, aber der neuen Angabe 
Oxoniae 1642. Im Druckfehlerverzeichnis p. 241 ist zwar die Jahres- 
zahl in 1644 umgeändert, aber 1642 ist doch nicht einfacher Druck- 
fehler, erklärt sich vielmehr aus dem Umstand, dass eine Feuersbrunst 
einen grossen Theil des schon 1642 beinah vollendeten Druckwerks ver- 
nichtete, und daher erst 1644 das Ganze mit Benutzung der geretteten 
Reste von 1642 erscheinen konnte (cf. p. 242. Es wurde neu hinrr- 
gefügt, aber bei einem andren Drucker gedruckt: 6) In Polycarpiaram 
epistolarum Ignatianarum syllogen annotationes, Oxonise 1644, 
p. 1—53. Ich ceitire No. 1 als Uss. diss., No. 3—5 als Uss., No. 6 - 
als Uss. adn. 


apnmevne 


94 


9. Tharsensibus. 

10. Antiochenis. 

11. Eroni, Diacono ecclesiae Antiochenorum. 

12. Martyrium $. Ignatii, Episcopi Antiochiae Syn 186. 

13. Romanis. 

Scripsit beatus Ignatius Smyrnaeis a Troade, Polycarpo 
a Troade, Ephesiis a Smyrna, Magnesiis a Smyrna, Phila- 
delphicis a Troade, Trallesiis a Smyrna, Mariae Proselytae ab 
Antiochia, Tarsensibus a Philippensibus, Antiochenis a Phi- 
lippensibus, Eroni Diacono a Philippensibus, RomanisaS...., 
Martyrium Ignatii cum Epistola ad Romanos, scripta ab ipso 
ad populum Romanum. 

14. Joanni Evangelistae. 

15. Joanni Evangelistae. 

16. 8. Mariae. 

17. Ignatio Sancta Maria 1). 


Irreführend ‚könnte daran nur sein, dass der Römerbr ief 
nach der Liste auf das Martyrium ‘zu folgen scheint, während 
er im Martyrium enthalten ist. Deutlich aber sind von den 
aus dem Griechischen übersetzten 13 Nummern die vier mittel- 
alterlichen Apokrypha (vgl. oben S. 80 f.) durch die ausführliche 
Zwischenbemerkung getrennt. Sie sind, obwohl auch m sie 
schon enthält ?), in dieser Sammlung, ebenso wie in einzelnen 
Handschriften von L?, ein bloses Anhängsel, kommen also 
nicht in Betracht bei der Erörterung der in m und c oder 
mit einem Wort in L! vorliegenden Sammlung. Die schon 
von Ussher ausgesprochene Hoffnung, den seiner lateinischen 
Uebersetzung zu Grunde liegenden Text aus Florenz zu er- 


— 


1) So nach Smith, praef., fol. b2. Jakobson, der nicht aus der 
Handschrift, sondern aus Smith dies entlehnt zu haben scheint, hat sehr 
undeutlich drucken lassen, z. B. das, was Smith durch anderen Druck 
als seine Zuthat vom Text der Handschrift unterschieden hatte, nicht 
unterschieden, die Worte „ibi hoc ordine oocurrunt“ in der Ueberschrift 
der Liste, ebenso hinter No. 12 ‚, Epist. XII. Sic enim ibi appellatur “, 
um von gleichgültigen Kleinigkeiten zu schweigen. 

2) Das ist bei Uss. diss., p. 141 sqq. noch nicht deutlich, wohl 
aber in der append. bei Cler. Il, 121 sqg. 


et ἃ 


9ὅ 


halten (diss., p. 26), erfüllte bald darauf Isaak Voss, indem 
er nach dem cod. Medic. (plut. LVII, no. 7), den er auf einer 
italienischen Reise nicht allzu sorgfältig abgeschrieben hatte, 
einen griechischen Ignatius herausgab (Amstelod. 1646), wel- 
cher dieselbe Sammlung und im ganzen auch denselben Text 
darstellt, als Usshbers lateinischer Ignatius. Auch hier wie 
in L! fehlte der aus der früher erörterten Sammlung bekannte 
Philipperbrief, die gleiche, übrigens von Voss wie von Ussher 
verlassene, Ordnung der Briefe hier wie dort; aber die me- 
diceische Handschrift bricht in Tars. 7 mit den Worten 
ἀνεπιστατοι γὰρ εἶσι (fehlt τοῦ vor) τοῦ x... ab. Somit fehlt 
von den voreusebianischen Briefen der an die Römer, von den 
nacheusebianischen ausser dem Philipperbrief noch die an die 
Antiochener und an Heron. DBedauerlich ist das besonders 
deshalb, weil das Verhältnis des Römerbriefs zu dieser Samın- 
lung ein unsicheres ist. Die Entdeckung und Veröffentlichung 
des griechischen martyr. colb. mit Einschluss des Römerbriefs 
durch Ruinart (s. oben S: 3) konnte den Schaden nicht er- 
setzen; denn, abgesehen davon, dass das Verhältnis der werth- 
vollen lateinischen Uebersetzung zu diesem griechischen Text 
des Römerbriefs ein anderes ist als zu dem griechischen Text 
des cod. Med., und Jdem colbertinischen Text als einen ziemlich 
verderbten erkennen lässt, so konnte die gesonderte Ver- 
breitung !) dieses Martyriums mit Einschluss des Römerbriefs 
den Verdacht höchstens bestätigen, dass der so eingeschachtelte 
Römerbrief dieser Sammlung nicht ursprünglich angehört 
habe. Entstehen muss der Verdacht schon darum, weil über- 
haupt die Verbindung irgend welchen Martyriums mit irgend 
welcher ignatianischen Briefsammlung beispiellos ist. Dem 
L! ist sie von jeher eigen; schon im Archetypus von m und 
c und, wenn die Urschrift noch zu unterscheiden ist, auch in 
dieser und in ihrem griechischen Original folgte das m. colb. 


1) Von eimer solchen kann man reden nicht bloss auf Grund der 
dem griechischen m. colb. entsprechenden syrischen Uebersetzung, sondern 
aueb der weiteren Verarbeitungen des m. colb. in ım. arm. und im 
metaphr. 


96 


sammt dem Römerbrief den übrigen Briefen, denn sonst hätte 
der Uebersetzer die Worte im mart. colb. 4 διὰ τῶν ἡγου- 
μένων nicht zum folgenden γραμμάτων ziehen und mit per 
praecedentes literas übersetzen können ἢ. Aber daraus folgt 
nichts für den ursprünglichen Bestand des cod. Med. und für 
Alter und Verbreitung dieser unnatürlichen Verbindung. 
Unnatürlich muss sie doch schon darum heissen, weil ver- 
möge derselben der Römerbrief gegen das deutliche Ordnungs- 
princip dieser Sammlung getrennt von den eusebianischen 
Briefen hinter lauter nacheusebianischen seine Stelle findet. 
So erscheint das Martyrium mit Einschluss des Römerbriefs 
als ein Anhängsel; dann enthielt diese Sammlung ursprünglich 
den Römerbrief gar nicht und wurde deshalb dieser Ergänzung 
bedürftig gefunden. Doch damit berühre ich einen dunklen 
Punkt in der Geschichte der ignatianischen Briefe, zu dessen 
Beleuchtung alle übrigen Sammlungen, insbesondere die einzige 
noch zu erörternde, die uns vollständig vorliegt, heranzuziehen 
sind. | 

‘Was in syrischem Text an Briefen und Brieffragmenten bis- 
her bekannt geworden ist, befähigt uns nicht, eine Sammlung 
von bestimmter Ordnung sicher zu beschreiben. Es ist nur mög- 
lich durch Vermittlung der armenischen Uebersetzung, welche 
zuerst 1783 in Konstantinopel gedruckt wurde und von Peter- 
mann in seiner Ausgabe vollständig ausgenutzt worden ist. 
Nach Petermanns ausführlicher auch dem Nichtkenner des 
Armenischen verständlicher Beweisführung ist sie aus einem 
syrischen Original geflossen 3. Selbst der Brief an Heron, 
welcher schon durch die ihm eigene wörtliche Wiedergabe 
des überschriftlichen ὁ καὶ Θεοφόρος (vgl. oben 8. 70) vor 
den übrigen sich auszeichnet, enthält doch entscheidende Be- 
weise seiner Herkunft aus syrischem Original; nur tritt hier 
die nachträgliche Benutzung einer griechischen Handschrift 


(ar m nn 


1) Smiths Versuch, auch in L! die Worte zu trennen (schol. 
p. 106), bleibt unklar. 

2) Ignatii epist., proll. p. VI sqq. Vgl. besonders noch das Zeugnis 
des Armeniers Katergi a. a. O., 8. 318f. 


97 


auffälliger hervor. Da nun nach der gelehrten Ueberlieferung 
der Armenier 1), welche Petermann uurch sprach- und literar- 
geschichtliche Gründe rechtfertigt ?), diese Uebersetzung im 
5. Jahrhundert entstanden ist, so dürfen wir annehmen, dass 
die in derselben vorliegende Sammlung wenigstens bald nach 400 
bei den Syrern existirte, sei es, dass sie dort entstanden, oder 
schon als Ganzes von den Griechen zu den Syrern gelangt 
war. Im letzteren Fall würden wir den Zeitpunkt, vor wel- 
chem sie entstand, noch etwas früher ansetzen müssen. Diese 
Sammlung muss vor allem deshalb zur Aufklärung der Bil- 
dungsgeschichte der ignatianischen Sammlungen an diesem 
Punkt herangezogen werden, weil sie in der Hauptsache, 
d. h. in der Verbindung der voreusebianischen Briefe in einem 
von der systematischen Interpolation freien Text mit mehreren 
nacheusebianischen Briefen mit der durch Ussher entdeckten 
Sammlung übereinstimmt ὃ. Dadurch ist eg βορὰ wie un- 
möglich, auszumachen, ob ein Schriftsteller die eine oder die 
andre Sammlung gebraucht hat. Abgesehen von einiger Ver- 
schiedenheit der Ordnung bestehen nur die beiden Unterschiede 
zwischen der in der armenischen Uebersetzung erhaltenen 
Sammlung, welche im Folgenden A heissen soll, und der 
ussherschen, die ich U nennen will, dass in A der Philipper- 
brief vorhanden ist, und der Römerbrief frei von der Ein- 
rahmung durch ein Martyrium erscheint. Ueberall, wo wir 
bei einem Schriftsteller oder gar in einem einzelnen Schrift- 
werk nacheusebianische Briefe neben voreusebianischen in 
kürzerem Text eitirt finden, dürfen wir Benutzung von A oder 


t) Vgl. K. Fr. Neumann, Versuch einer Geschichte der armenischen 
Literatur nach den Werken der Mechitaristen, δ. 71, Anm. 2; 8. τὸ ἢ 

2) Proll. p. 25 sq. Der Widerspruch Katergi’s S. 317 hat nichts 
Üeberzeugendes. 

3) Freilich ist nicht ganz sicher, inwieweit der Veranstalter der 
editio princeps von 1783, der schon genannte Bischof Menas, durch seine 
ὕ Handschriften von verschiedenem Inhalt und Umfang zu seiner An- 
ordnung und Zusammenstellung der 13 Briefe ermächtigt war (s. Katergi 
ἃ. ἃ. Ο., S. 3löf.).. Von untergeordnetem Werth für meinen diesmaligen 
Zweck muss daher diese armenische Sammlung bleiben. 

Zahn, Ignatius, 1 


98 


U voraussetzen; denn von einer dritten Sammlung, welche 
ebenso Altes und Neues verbunden hätte, wissen wir nichts, 
und nur sehr selten werden Fälle sein, wie der des Theodorus 
von Studium, welcher in verschiedenen Schriften einmal den 
kürzeren, einmal den interpolirten Text anführt ἢ. Aber bei 
derartigen Untersuchungen will mehr, als gewöhnlich ge- 
schehen ist, bedacht sein, dass der Text der Sammlung U 
nicht identisch ist mit dem der mediceischen Handschrift: 
er will erst hergestellt sein durch äussere und innere Kritik 2). 
Die wesentlich identische Sammlung A wird dazu beizutragen 
‘haben, aber, wo innere Gründe entscheiden, selbst der Text 
der ganz anderen Sammlung, welche vor Ussher allein bekannt 
war und hier B heissen soll; denn sehr wohl kann ja in B 
erhalten sein, was auch in A und U ursprünglicher Text war. 
Es ist eine offenkundige und in neuerer Zeit kaum ausdrück- 
lich angezweifelte Thatsache, dass der Text der voreusebiani- 
schen Briefe in B durch eine bewusst verfahrende schrift- 
stellerische Hand entstanden ist, welche der Text derselben 
Briefe in U (und A) nicht erfahren hat, dass also der vom 
Interpolator vorgefundene und bearbeitete Text im grossen und 
ganzen, d. h. schriftstellerisch und nicht diplomatisch be- 
traehtet, identisch ist mit dem von dieser Interpolation frei 
gebliebenen Text von U (und A). Nun hat aber der Inter- 
polator, wie nachher bewiesen werden soll, noch im 4. Jahr- 
hundert gearbeitet. Gelingt es also den dem Interpolator zu 
Grunde liegenden Text zu erkennen, was in vielen Fällen sehr 
leicht ist, so haben wir daran einen Zeugen des nicht inter- 
polirten Textes, welcher die armenische Uebersetzung und 


1) Ersteres catech. 127, das andere in einer epistola ad Theophilum 
Ephesi. S. den Abdruck bei Cur., p. 187. Das Citat aus Rom. 7 
ὁ ἐμὸς ἔρως ἐσταιΐρωται ὁ Χριστὸς in catech. 3 (Cotel. Cler. 11, 29; 
Grabe II, 229) lässt sich auf keinen sonst überlieferten Text zurück- 
fhren. 

2) Das hat namentlich Cureton behärrlich übersehn,, obwohl doch 
längst Pears. 1, 20; Rothe, S. 757£, besonders aber Arndt S. 140 ff, vor 
Vermengung der textkritischen Frage mit der literarhistorischen gewarnt 
hatten. 


99 


vollends die Handschriften der Sammlung U an Alter weit 
übertrifft, und zwar einen ganz unabhängigen, der seit der 
Entstehung der Interpolation seine eigene Geschichte gehabt 
hat und wegen seiner durchgreifenden Verschiedenheit einer 
nachträglichen Beeinflussung durch den nichtinterpolirten Text 
nicht ausgesetzt war. Nur umgekehrt kann der nichtinterpolirte 
Text von U (und A) durch den interpolirten Text in B be- 
einflusst worden sein, denn er ist ja verbunden mit nach- 
eusebianischen Briefen, die Sammler U und A haben also aus 
dem Werk des Interpolators, welches die älteren Briefe in 
interpolirttem Text sammt den hinzugedichteten Briefen ent- 
hielt, geschöpft. Dann können sie diesem Werk auch einen 
untergeordneten Einfluss auf die Textgestalt der voreusebiani- 
schen Briefe eingeräumt haben, und nicht jede Ueberein- 
stimmung des Textes von U oder A mit dem Text von B 
ist ein sicherer Beweis dafür, dass man damit den zur Zeit 
des Interpolators allgemein verbreiteten Text hatte, wie andrer- 
seits nicht jede eigenthümliche Lesart von B ein Werk des 
Interpolators oder seiner Abschreiber zu sein braucht, sondern 
dem zur Zeit des Interpolators und noch später herrschenden 
Text angehört haben kann. Mit Vorsicht muss demnach der 
Text der eusebianischen Briefe in B zur Kritik des Textes 
von U und A verwendet werden; aber auf textkritische Ver- 
werthung desselben zu verzichten, wäre ebenso verkehrt, als 
wenn man, wie es Lipsius in seiner zweiten Abhandlung ge- 
than hat, ohne Rücksicht auf die erkennbare Bildungsgeschichte 
der Sammlungen die Handschriften aller möglichen Samm- 
lungen und Uebersetzungen in Familien theilt und ohne Rück- 
sicht auf die von einem Schriftsteller benutzte Sammlung ikn 
um dieser oder jener Lesart willen dieser oder jener Familie 
zuweist ἢ). 


1) Es würde viele Worte kosten und wenig Gewinn hringen, wollte 
ich diese Abhandlung in allen Einzelheiten widerlegen. Wie sehr sie 
jedes sicheren Bodens entbehrt, kann man sehen an den verwirrten An- 
gaben über die vornehmsten Textquellen (Lips. II, 48f.), welche unten 
in Anh. 1, 1 ihre Erledigung finden, an. der selavischen Abhängigkeit 
von der Sammlung patristischer Zeugnisse Lei Cureton, an der unter- 


8 


100 


Den reichsten Schatz ignatianischer Citate bieten von 
allen Werken des Alterthums die dem Johannes von Damascus 
zugeschriebenen ἱερὰ παράλληλα, wie sie Lequien aus einem 
cod. Rupefucaldinus im Auszug herausgegeben hat!). Nach 
Lequien wäre diese Sammlung unter Heraclius entstanden 
(610—641), also mehr als ein Jahrhundert vor dem angeb- 
lichen Verfasser. Die aus einem cod. Vaticanus von Lequien 
gegebenen, jedenfalls viel jüngeren ἱερὰ παράλληλα (II, 278—730) 
mögen im übrigen mittelbar oder unmittelbar von der älteren 
Gnomologie abhängen, in Bezug auf die Citate aus Ignatius 
sind sie völlig unabhängig von einander. Nur ein einziges 
der 11 (resp. 15) Citate in Vat., das aus Sm. 8. 9,9. 514 Ὁ, 
hat in Rup., p. 779 B eine einigermassen vollständige ?) 
Parallele, bietet aber hier in den 11 Zeilen seines Textes 
bei Lequien nicht weniger als 10 meist sehr erhebliche Ab- 
weichungen von Rup., darunter sowohl Zusätze als Auslassungen. 
Die beiden Sammlungen müssen also in Bezug auf ihr Ver- 
hältnis zu Ignatius isolirt betrachtet werden. Rup. eitirt 
meist mit Angabe der Adresse, wobei nur einmal ein Fehler 


schiedslosen Verwerthung zweier so verschiedener Werke wie parall. 
Rup. und Vat. als „Johannes Damascenus‘“ und an der Verkennung des 
eigenthümlichen Verhältnisses, in welchem der Römerbrief zu allen 
Sammlungen und Recensionen des Ignatius steht. 

1) Opp. Jo. Damasceni, Paris. 1712, vol. LI, p. 730— 790." Der Abdruck 
bei Curet., p. 182 sqg. stimmt abgesehn von manchen Accentfehlern und 
der Correctur zweier Druckfehler der pariser Ausgabe mit dieser überein. 
Nur ist im ersten Citat (Lequien, p. 747 C) ἡμῖν ven Cur. in ὑμῖν, und 
im vorletzten Citat (Lequien, p. 788 B) ὑμῶν in nuw» verändert. Aus- 
gelassen hat Cur. die Anführung aus Eph. 11 bei Lequien, 
p. 777 E. Nahezu identisch mit diesen parall. Rupef. ist ein grosses 
Fragment des Buchstabeus A in einem cod. Laurentianus, über dessen 
gnomologischen Inhalt C. Wachsmuth in seinen commentationes II de 
florilegio q. d. Joannis Damasceni Laurentiano (Göttinger Lectionskataloge 
von 1871) berichtet hat; 8. besonders 1, 4. 

2) Nur theilweise decken sich die Citate aus Sm. 11 in Vat. 
p. 314 E und Rup. p. 747 C, zugleich auch mit Max. Conf. ed. Com- 
befis II, 534. Bei letzteren beiden geht dem in allen drei vorhandenen 
Satz noch voran: τέλδιοι ὄντες τέλεια φρονεῖτε, 


® 
„... 


101 


vorkommt !), im ganzen 26mal, wenn man auch die ohne 
Unterbrechung aneinander geschlossenen Citate aus vergchiede- 
nen Stellen desselben Briefs mitzählt. Darunter befinden sich 
9 Citate aus Eph. ?), 4 aus Pol., 4 aus Mgn., 3 aus Trall., 
3 aus Phil., 2 aus Sm., 1 aus Antioch., also von den nach- 
eusebianischen nur einmal einer und die voreusebianischen 
alle ausser dem Römerbrief. Der Text ist aber durchweg der der 
Sammlung U und zeigt bei mannigfacher Abweichung von 
den einzelnen Zeugen derselben doch nie eine deutliche An- 
näherung an den Text der Sammlung B, was besonders an 
den längeren Citaten aus Sm. 8. 9, p. 779 C, Mgn. 3. 4, 
p. 779 E, Eph. 14,p. 785 B anschaulich wird. Wenn Rup. 
in einem sonst fast wörtlich mit der ınediceischen Hand-. 
schrift übereinstimmenden und von den eigenthümlichen Ver- 
änderungen des Textes in der Sammlung B völlig reinen 
Citat einmal eine Lesart mit G? theilt °), so sehen wir daraus, 
dass der Interpolator eine Variante bereits vorfand und auf- 
nahm, die auch sonst verbreitet war und noch 3 Jahrhunderte 
nach ihm von einem Gmomologen, der von der Sammlung B 
nichts wusste, gelesen und abgeschrieben wurde. Nichts- 
destoweniger ist diese Gnomologie ein unverdächtiger Zeuge 
der Sammlung U (oder A). 

Viel undeutlicher ist das Verhältnis der drei übrigen 
Gnomologien, in welchen Ignatianisches nachgewiesen worden 
ist, der loci communes des Maximus Confessor, der Melissa 
des Antonius und der Parallelen unter dem Namen des Johannes 


1) p- 789 B steht Ἐφεσίους statt Μαγνησίους. 

2) S. die vorige Anm. und Anm. 1 auf voriger Seite. 

3) Da das Citat aus Eph. 11 bei Cur. fehlt, stehe es hier: Τοῦ 
ἁγίου Ἰγνατίου τοὺ Θεοφόρου, ἐκ τῆς πρὸς Ἐφεσίους ἐπιστολῆς. "Eoyaroı 
χαιροὶ, ἀδελφοί, λοιπὸν κἰσχυνϑῶμεν. φοβηϑώμεν τὴν μακροθυμίαν τοῦ 
ϑεοῦ, μὴ εἰς χρίμα ἡμῖν γένηται. ἢ γὰρ τὴν μέλλουσαν ὀργὴν φοβη- 
ϑώμεν, ἢ τὴν ἐνεστῶσαν χάριν ἀγαπήσωμεν ἐν τῷ νῦν βίῳ, μόνον 
ἐν Χριστῷ Ἰησοὺ εὐρεϑώμεν, p. 777 E. Ob L2 dies las, muss zweifelhaft 
sein. Arm. (gratiam, quam habemus in hoc mundo) bezeugt, obwohl er 
τὴν ἐνεστῶσαν unübersetzt lässt, ebenso wie Rup., dass die Lesart von 
Gl LI ἕν τῶν δυο der Sammlung U oder A nicht allgemein angehörte. 


102 


- 


Damascenus nach dem cod. Vatie., zu den uns bekannten 
Sammlengen ignatianischer Briefe. Es ist dies besonders 
deshalb schwer zu erkennen, weil die Verwandtschaftsverhältnisse 
dieser Gnomologien unter einander noch nicht ausreichend 
aufgeklärt sind. Ohne mich auf eine gründliche Erörterung 
einlassen zu wollen, darf ich doch bemerken, dass Maximus 
Oonfessor, wie die ihm gleichzeitigen parall. Rup., eine ver- 
gleichsweise selbständige Sammlung gibt, welche von den 
jedenfalls jüngeren Sammlern benutzt zu sein scheint, dass 
Antonius von Rup. oder einer hiermit theilweise identischen 
Gnomologie abhängt, und dass Vatic., die secundärste aller 
dieser Gnomologien, ausser aus Maximus auch noch aus Anto- 
nius, oder, was wahrscheinlicher sein möchte, aus einer von 
diesen benutzten Quelle geschöpft hat. 

Maximus eitirt in seiner Gnomologie !) nur zwei Stellen 
aus Sm. 11 τέλειοι ovrec — παρέχειν (ed. Combefis II, 534) 
und aus Trall. 4 (II, 638). Erstere findet sich, wie schon be- 
merkt, ebenso abgegrenzt, auch in Rup. 747C; eine Abhängig- 
keit von Maximus folgt daraus natürlich nicht. Die einzige 
Abweichung vem mediceischen Text besteht in Weglassung des 
καί vor φρονεῖτε ?), und die Uebereinstimmung hierin zwischen 
Rup. und Maximus wird aufgewogen durch die Abweichung 
in Bezug auf ὑμῖν und ἡμῖν, worin Maximus mit dem Text 
aller ignatianischen Sammlungen übereinstimmt. Dahingegen 
zeigt sich Vat. von Maximus abhängig; denn erstlich eitirt 
er beide Stellen, die Maximus überhaupt hat, wenn auch die 
erste vorne gekürzt, sodann aber die textkritisch interessante 
zweite in einem wörtlich mit Maximus übereinstimmenden 


1) Die Besprechung des berühmten Worts aus Rom. 7, welches der 
Areopagit eitirt hatte (opp. Dion. ed. Lanssel. et Corder., Ven. 1755/b, 
II, 139 A, cf. I, 363 D), zeigt nur, dass Maximus den Römerbrief 
irgend welcher Sammlung kannte, und in vielen Briefen das ϑεοφόρος 
gelesen hatte. 

2) Auch L! hat „et“, ebenso G2; es fehlt inL?2. — Die weiteren Ab- 
weichungen von ΟΣ, wo χαὶ ὁ vor ϑεὸς ziemlich sicher und ἐσὶί» vor εἰς 
gut genug bezeugt ist, sind zu unerheblich, als dass über Abhängigkeit 
von G1 oder ΟἽ von hier aus entschieden werden könnte. 


108 


Text p. 522 C. Ich stelle die Texte zusammen und setze 
die geringen Abweichungen des Maximus in Parenthese. 
6: | Purall. Vat. u. Max. 62 
Νὺῦν γάρ με δεῖ Κἀν ἐῤῥωμένος ὦ Kuv ἐῤῥωμένος 
πλέον φοβεῖσθαι καὶ | (τὰ) χατὰ τὸν (0m. | ὦ τὰ κατὰ ϑεὸν, 
μὴ προσέχειν τοῖς | M) ϑεὸν, πλεῖόν | πλεῖόν μὲ δεῖ φο- 
φυσιοῖ σίν με" οἵ γὰρ | (πλέον) μὲ δεῖ φο- ᾿ βεῖσϑαι καὶ μὴ 
λέγοντές μοι μαστι- | Bodum καὶ προς- | προςέχειν τοῖς εἰχῇ 
γοῦσίν με. ἔχειν τοῖς εἰκῆ φυ- | φυσιοῦσί ne’ οἱ 
σῶσίν (φυσιοῦσι) us‘ | γάρ μὲ ἐπαι- 
| γοῦντες μᾶστι- 


| 

| 

| 

| ἐπαινοῦντες γάρ με 
| μαστιγοῦσιν. | γοῦσιν. 

Dass Maximus hier G? und nicht @! ausschreibt, liegt auf 
der Hand; die Abweichung von G! ist so durchgreifend, 
dass nicht an eine vom Interpolator schon vorgefundene Aen- 
derung zu denken ist. Ueberdies wird αἴ durch A bestätigt, 
soweit dieser reicht. Ebenso deutlich ist aber auch, dass zwei 
Schriftsteller nicht unabhängig von einander den Text von 
G? so gleichmässig verändern konnten, wie Maximus und 
Vatic. durch Streichung des «ἡ und Aenderung der Wort- 
stellung gethan haben,.und endlich, dass der ohnehin ältere 
Maximus ( 662), welcher viel enger als Vatic. an ΟΣ sich 
anschliesst, der Vermittler des Citats für Vatic. gewesen ist. 
Maximus also hat die Sammlung B gebraucht, welche schon 
vor ihm Stephanus Gobarus, Anastasius von Antiochien und 
ziemlich gleichzeitig mit: ihm der Bearbeiter der Paschachronik 
benutzten. Die Abweichung von diesem Text in der Anführung 
aus Sm. 11 ist zu unbedeutend, um gleichzeitige Benutzung 
der Sammlung U (oder A) begründen zu können. 

Antonius eitirt einmal einen nacheusebianischen Brief; 
den der Maria von Kastabala an Ignatius, mit der Rand- 
bemerkung ᾿Ιγνατίου Θεοφύρου, fünfmal ad Pol., zweimal Eph., 
einmal Trall. und ausserdem zwei apokryphische Sätze. Aber 
es erscheint zweifelhaft, ob er überhaupt direct aus Ignatius 
schöpft. Zu seinen Quellen gehören entweder die Parall. Rup. 
selbst, oder eine mit diesen theilweise identische Gnomologie. 
Die Annahme einer Textverwandtschaft der von Rup. und 


104 


Antonius benutzten Exemplare des Ignatius reicht nicht 
aus, die Uebereinstimmungen zu erklären. Entscheidend ist 
schon die von aller sonstigen Textüberlieferung abweichende 
Anführung aus Pol. 4. 
Gr (62) Rup. p. 778 C (Anton. p. 98) 
ἀλλ᾽ εἰς δόξαν ϑεοῦ πλέον οἱ δοῦλοι μὴ ἐράτωσαν ἀπὸ 
(πλεῖον oder πλείονα G?) δού- | (τοῦ Ant.) χοινοῦ ἐλενϑεροῖ- 
σϑαι, ἀλλ᾽ εἷς δόξαν τοῦ (0m. 
ϑερίας ἀπὸ ϑεοῦ τύχωσιν (τύχ. | Ant.) ϑεοῦ τὸ πλεῖον (πλέον 
ἀπὸ 9. G2). Mn ἐράτωσων | ohne τὸ Ant.) dorsrirwour, 
(αἱρέτωσαν mehrere Hand- 
schriften von G2) ἀπὸ τοῦ κοι- 
vov ἐλευϑεροῦσϑαι, ἵγα um | 
δοῦλοι εὑρεθῶσιν ἐπιϑυμίας. 

Dann hat es auch etwas zu bedeuten, wenn Anton. p. 152 
wie Rup. p. 788B gegen G! und G? in Pol. 3 στῆκε statt 
στῆϑι lesen und wie G? τό vor δέρεσϑαι auslassen, dagegen 
aber, was für die Abhängigkeit von ΟἹ entscheidet, nicht 
ἀναμείνῃ εἰς τὴν βασιλείαν, sondern bloss ὑπομείνῃ am Schluss 
des Satzes lesen, und dass beide, Rup. mit einem ἐκ τῆς 
αὐτῆς, daran einen Satz aus Pol. 6 anschliessen, in welchem 
sie, von einem ὑμῶν zum andern überspringend, die Worte 
ὀναίμην ὑμῶν auslassen. Aus dieser Quelle, seien es nun die ' 
parall. Rup. selbst, oder eine sehr ähnliche Gnomologie, hat 
dann Antonius auch die beiden apokryphischen Sätze, welche 
er an ein inhaltlich verwandtes Wort aus Pol. 5 anschliesst ἢ). 
Sie haben nach Lequien’s Bemerkung (p. 642) als Citat aus 
dem Antiochenerbrief auch in Rup. gestanden, obwohl Lequien 
sie in seinen Auszug aus diesem nicht aufgenommen hat 2). 


λευέτωσαν, ἵνα κρείττονος &ev- 


. « \ 
ἵνα χρείττονος ἐλευϑερίας τπὸ 


(ἀπὸ Ant.) ϑεοῦ τύχωσιν. 


1) p. 15: Παρϑενίας ζυγὸν μηϑενὶ ἐπιτίϑει" ἐπισφαλὲς γὴρ To 
κτῆμα καὶ δυςφύλακτον, ὅταν κατ᾿ ἀνάγκην γένηται, --- Τοῖς νεωτέροις 
ἐπίτρεπε γαμεῖν, πρὶν διαφϑαρῶσιν εἰς ἑταίρας. 

2) In einem ungedruckten cod. Clarom. der parall. werden dieselben 
beiden Sätze mit einem πρὸς Avrioyeis und &x τῆς αὐτῆς ἐπιστολῆς ein- 
geführt (Cotel. bei Cler. II, 104 not. 3). Die Varianten sind: πράγμα 
statt χτῆμα, καὶ μελιστα vor ὅταν, πρινή statt πρίν. Die gelegentlich 
durchblickende Meinung, dass solche Apokrypha gerade in ignatianischen 


105 


Aber ausserdem hat Antonius entweder selbst aus einem 
Exemplar der ignatianischen Sammlung B. oder aus einer 
Gnomologie, welche diese benutzt hatte, geschöpft. Seine 
Anführung aus Eph. 5. 6 (p. 82) ist wegen der Verwandlung 
der dritten Person in die Anrede nur auf den interpolirten 
Text zurückzuführen. Darin kann es nicht irremachen, dass 
er die grossen Zusätze von G? ausgelassen hat; denn er ver- 
fährt ebenso frei excerpirend in seinem Citat aus dem Brief 
der Maria (p. 96). Aus c. 2. 3. 4 sind die Sätze zusammen- 
gelesen und überdies noch stark gemodelt. Auf dieselbe 
Quelle wird es dann auch zurückgehn, wenn er p. 147 in 
einem Citat aus Trall. 4 zu ὁ ἀρχων τοῦ αἰῶνος τούτου mit 
G? L? gegen die abendländischen und morgenländischen Zeugen 
der Sammlung U (oder A) διάβολος zusetzt ἢ). Hat Antonius 
nun andrerseits, sowohl da, wo seine Abhängigkeit von einer 
mit Rup. eng verwandten Gnomologie ersichtlich ist (8. vorher 
über Pol. 3), als da, wo sie wenigstens nicht mehr nachge- 
wiesen werden kann, den nichtinterpolirten Text angeführt ?); 
so ist er eben nicht unmittelbarer Zeuge für diese oder jene 
Sammlung. | 

Aehnlich verhält sich’s mit den parall. Vatic. Es ist 
eine im Vergleich zu den bisher besprochenen besonders 
unzuverlässige Compilation, welche wahrscheinlich nirgendwo 
mehr aus den Quellen selbst schöpft. Selbst in biblischen 
Citaten kommt sehr Sonderbares vor ὃ. An Röm. 13, 1 mit 


mm mn nn m -ς-Θ-Θ--.-.Ἕ.Ἕ 


Schriften gestanden haben müssten, die wir nicht mehr besitzen, ist ganz ᾿ 
verwerflich, wie eben auch cod. Clarom. zeigt. Eine einzige Verschrei- 
bung von ΤΟΥ͂ ΑΥ̓ΤΟΥ͂ in ITNATIOY kann in dieser Literatur einmal für 
inner solche Apokrypha geschaffen haben. 

1) G2 hat ὁ διάβολος. — Auf das Citat aus Philad. 6, welches 
nur in der lateinischen Ausgabe des Antonius (Bibl. Patr. ed. Paris. 
1589, toın. V, p. 815 D), nicht aber an der entsprechenden Stelle der 
ed. Tig., p. 14 steht, wird nichts zu geben sein. 

2) Das gilt vom Citat aus Eph. 13, p. 131 trotz der Abweichungen 
von beiden Texten. 

3) z. B. Jes. 35, 1, p. 724 C; Matth. 18, 7 sqq, Luc. 17, 1, 
p. 686 B. 


106 


einem πρὸς Ῥωμαίους am Rand wird ohne neue Randbe- 
merkung Hebr. 13, 17 angeschlossen (p. 358D). Auf dem 
Wege müssen die Apokrypha natürlich anwachsen, wenn 
ınan nämlich jeden Satz, welcher ohne einen heuen Schrift- 
stellernamen, aber auch ohne ein τοῦ αὐτοῦ, auf das Vorige 
folgt, dem letztgenaunten Schriftsteller zuschreibt. So führt 
Cur. p. 181 nach älterem Vorgang einen Satz, der zwischen 
Citaten aus Ign. Antioch. 11 und aus Gregor von Nazianz 
(p. 358D) steht, als ignatianisch auf. Dann muss aber auch 
als ignatianisch gelten, was p. 522C hinter dem Citat aus 
Trall. 4 folgt: Mn πρὸς ἐπαίνους χαυνωθῶμεν τοὺς ὑπὲρ τὴν 
ἀληϑείαν, und ein Satz auf p. 515B, welchen Rup. dem Cyrill 
von Alexandrien zuspricht. Sehen wir von diesen gar nicht 
hergehörigen Sätzen ab, so begegneten uns hier nur noch die 
beiden apokryphen Sätze (p. 642C), welche Antonius (p. 15) 
mit Rup. und einem cod. Clarom. theilt (s. vorher S. 104, 
Anm. 3), und zwar in wörtlicher !) Uebereinstimmung mit Anto- 
nius und erheblich abweichend von dem Clarom. Hat Vatic. hier 
nicht direct aus Antonius geschöpft, dann aus der einen der 
beiden Quellen von dessen Ignatiuseitaten. Nur können dies 
dann nicht die parall. Rup. sein, denn von diesen sind die 
parall. Vatic., wie vorhin gezeigt wurde, in Bezug auf Ignatius 
unabhängig. Auf Antonius (p. 147) oder auf eine von dessen 
Quellen mag es dann auch zurückgehn, wenn Vat. p. 650 B 
in Trall. 4 das artikellose διάβολος zugesetzt ist, und wenn 
Vatic. p. 515 A ebenso wie Anton., p. 114 gegen die in den 
Ignatiussammlungen vorliegende Textüberlieferung ἀπειϑεστέρους 
statt λοιμοτέρους (Pol. 2) steht ?). Das Citat in Vatic. greift 
über das bei Anton. hinaus; somit schöpfen beide nur aus 
gleicher Quelle und Antonius erscheint wieder als Excerptor. 
Dies ist aber eine aus der Sammlung U (oder A) schöpfende 
Gnomologie gewesen; denn in dem Citat aus Pol. 2, wie es 


1) Das ἑτέρας am Schluss statt ἑταίρας ist kaum Variante. 

2) In diesem vereinzelten Punkt scheint freilich die Uebereinstimmung 
auch von Antioch. Mon. hom. 111 auf eine erleichternde Lesart im Ignatius 
selbst hinzuweisen. 


107 


vollständiger in Vatic. steht, wird die Reinheit dieser Quelle 
von den Interpolationen der Sammlung B wieder ebenso often- 
bar wie in mehreren Citaten des Antonius. Aus derselben 
Quelle werden alle auf G! zurückgehenden Citate in Vatic. 
stammen !), und ein zuverlässig auf G? zurückzuführendes ausser 
denjenigen, welche er aus Maximus Confessor und Antonius 
oder dessen zweiter Quelle herübergenommen hat, findet sich 
δα Vatic. nicht. Aus alle dem folgt, dass die parall. Vatic. 
und Antonius aus der Reihe der selbständigen Zeugen für irgend 
welche ignatianische Sammlung zu streichen sind. Dahin- 
gegen erkennen wir zwei ältere gnomologische Werke aus 
ihnen, von denen das eine, von Antonius und Vatic. unab- 
hängig benutzte, mit Rup. theilweise identisch war und wie 
Rup. nur aus der Sammlung U (oder A) geschöpft hat, das 
andre aber, von Vatic. vielleicht nur durch Vermittlung von 
Antonius benutzte, der Sammlung B seine Ignatiuscitate ent- 
nommen hat. Bemerkenswerth ist noch, dass in allen diesen 
Blüthenlesen der Römerbrief nicht mit einem einzigen Citat 
bedacht ist. 
Hiermit sind die griechischen Zeugen für die Sammlung 
U (oder A) erschöpft, und auch was an Fragmenten aus 
griechischen und syrischen Schriftstellern syrisch erhalten ist, 
zeigt mit einer einzigen Ausnahme ?) nie die dieser Sammlung 


1) Das gilt von p. 354 C aus Eph. 13, was in gleicher Abgrenzung 
wie bei Anton. p. 131, aber ohne dessen sonderbare Abweichung vun 
aller Textüberlieferung angeführt wird; ferner von den Sätzen aus Sm. 
8. 9, p. 514 D, denn die einzige Uebereinstimmung mit G2 ἐντολὴν 
διαχονοῦντας statt ἐντολὴν Gl kann das im übrigen klare Verhältnis 
uicht verdunkeln, beweist vielmehr, dass diese naheliegende Erleichterung 
vom Interpolator bereits vorgefunden war. Ferner geht mit ΟἹ Ὁ. 702 E 
aus Trall. 8 Unentschieden sind p. 515 A aus Pol. 1; p. 687 A aus 
Eph. 8; p. 724 E aus Pol. 7. — Die Meinung von Lips. 11, 55, die 
bisher besprochenen Uebereinstimmungen der Gmnomologien sei aus ge- 
ıneinsamer Benutzung eines eigenthümlichen Ignatiustextes zu erklären, 
bedarf wohl keiner Widerlegung. Es genügt die Frage: Woher stammt 
die gleichmässige Abgrenzung so vieler Citate ? 

2) Die Excerpte „aus dem Buch des heiligen Ignatius, des Gott- 
bekleideten, Bischofs von Antiochien‘, welche Cur. p. 201 sq. 235 βα. 


108 


charakteristische Verbindung der niehtinterpolirten voreusebia- 
nischen Briefe mit nacheusebianischen. Wir können also an 
der Hand schriftstellerischer Zeugnisse die Existenz der Samm- 
lung U — ich sehe bier von A absichtlich ab — nicht 
höher hinauf, als bis zum Anfang des 7. Jahrhunderts ver- 
folgen, während die Sammlung B schon von der Mitte des 
6. Jahrhunderts an ihre Zeugen hat. Diese scheint die ältere 
zu sein, und ist es’ gewiss, wenn sie ein Werk des Inter-@ 
polators ist (vgl. oben 5. 901). Dahingegen sehen wir die 
voreusebianischen Briefe in kürzerem Text so beharrlich von 
Schriftstellern bis ins 7. Jahrhundert hinein ohne gleichzeitige 
Anführung der nacheusebianischen eitirt, dass wir zuverlässig 
behaupten dürfen: wenigstens bis zu dem Zeitpunkt, von 
welchem an die Sammlung U bezeugt ist, ist auch noch die dem 
Eusebius vorliegende Sammlung, die ich E nenne, verbreitet 
gewesen, und zwar weit verbreitet. Es kommen natürlich 
nur Schriftsteller in Betracht, welche durch zahlreiche Citate einen 
Wahrscheinlichkeitsschluss auf ihren „Ignatius“ zulassen. Der 
Jüngste ist der Mönch Antiochus aus dem Anfang des 7. Jahr- 
hunderts, welcher in seinen Homilien sehr oft Ignatianisches 
reprodueirt, aber nur einmal förmlich eitirt: ὁ ϑεοφόρος 
Tyvarıos ἐπιστέλλει λέγων (hom. 124). Es ist in der erbau- 
lichen Absicht begründet, dass die Stellen meist sehr frei 
wiedergegeben werden. Trotzdem ist keine Spur des inter- 
polirten Textes zu entdecken 3. Er verwendet 7mal ad Pol., 
5mal Eph., 2mal Mgn., je einmal Trall., Phil., Sm., gebraucht 


als frg. 2 gibt und in’s 11. oder 12. Jahrhundert setzt (p. 348), bringen 
zum Schluss zwei Sätze aus Her. 1. 2 nach Citaten aus Rom. Eph. 
Mgn. Sm. Vgl. Cur., p. 350 gegen die irrthümliche Angabe p. 236. — 
Auch arabisch haben sich in einer jakobitischen Schrift ungewissen 
Alters zwei ziemlich ungenaue Citate aus dem nichtinterpolirten Sm. 1 
und aus Ant. 6 erhalten, Pears. I, 22 sq. 

1) Die Stellen sind abgedruckt beiCur., p. 176 sqq. (Cf. Magn. bibl. 
PP., Paris. 1654, vol. XIL) Nur hom. 124 muss es statt 126 bei Cur. 
178 heissen. 

2) Nur wer den Text des cod. Med. mit dem Text der Sammlung U 
verwechselt, kann in der Lesart τῆς σαρχὸς τοῦ χυρίου ad Pnl. 5 bei An- 
tiochus (hom. 21) die Sammlung B wiedererkennen. S. Anh. 1 2. d. St. 


109 


also die Sammlung E, zu welcher aber der Römerbrief nicht 
gehört zu haben scheint. Zu zweit kommt der schon mehrfach 
erwähnte Severus von Antiochien in Betracht. Sein ungewöhn- 
liches Interesse für Ignatius hat er auch durch Vergleichung 
verschiedener Handschriften des Römerbriefs bekundet ἢ). Von 
seinen zahlreichen Citaten aus Ignatius ist meines Wissensnur eins 
griechisch erhalten ?), die übrigen in den syrischen Ueber- 
setzungen vieler seiner Werke. Er eitirt 5mal Rom., 4mal 
Mgn., 4mal Trall., je imal Eph. Sm. Pol., von den Briefen 
der Sammlung E also nur Phil. nicht, alle aber in einen 
von der Sammlung B gründlich abweichenden, von deren 
Interpolationen reinen Text. Unvollständiger erkennen wir 
die gleiche Sammlung aus den syrisch erhaltenen Fragmenten 
des Timotheus von Alexandrien ?) und aus Theodoret. Dieser 
gibt 6 Citate aus Sm., von denen drei durch sein oder seiner 
Abschreiber Versehn, auf den Römerbrief zurückgeführt werden, 
3 aus Eph. und eins aus Tral. (Cur., p. 171 sq.). Endlich 
kommt noch die reiche Citatensammlung in einer später zu 
besprechenden syrischen Sammlung kirchenrechtlicher Schriften 
und Sätze in Betracht (Cur., p. 197—201). Darin findet sich 
von den nacheusebianischen Briefen ebensowenig als von den 
Interpolationen der Sammlung B eine Spur, dahingegen werden 


1) In seiner Schrift advers. impium Grammatic. (s. das syrisch er- 
haltene Fragment bei Cur., p. 213, 1 sqq.) sagt er nach Anführung des 
Satzes: „Lasst mich werden einen Nachalımer des Leidens meines 
Gottes‘ aus Rom. 6: „Es findet sich aber in anderen Exemplaren, von 
denjenigen, welche älter sind, so: ‚Lasst mich werden einen Jünger des 
Jeidens meines Gottes ‘.“ 

2) Obwohl schon zweimal gedrückt bei J. Chr. Wolf, anecdota Gr., 
Hamb. 1724, tom. IV, p. 72 sq. und Cramer, catena in epp. cathol., Oxon. 
184), p. 61, 35 sqq., pflegt dieses Citat aus Mgn. 9 übersehn zu wer- 
den. Von πὼς ἡμεῖς bis ἐκ νεχρῶν reicht es und weicht von G! ab 
durch Weglassung des of vor προφῆται, durch προςεδύχων, παρων. Das- 
selbe syrisch bei Land, anecdota I, 32 neben zwei anderen Citaten. Das 
Vebrige bei Cur., p. 212— 217. 

3) Bei Cur., p. 210 sy. Der Römerbrief wird dreimal eitirt, je ein- 
mal Sn. Mgn. Eph. 


110 


alle Briefe der Sammlung E mit Ausnahme des Römerbriefs 
eitirt 1), und zwar alle mit namentlicher Anführung. 

Zu oft ist uns nun schon die Thatsache begegnet, dass 
bei reichlicher Benutzung der ignatianischen Briefe der Römer- 
brief‘ unberücksichtigt blieb, sowohl bei denen, welche wie 
die sämmtlichen Gnomologen des 7. und der folgenden Jahr- 
hunderte, die Sammlungen U (oder A) und B benutzten, als 
bei denen, welche wie Antiochus, Theodoret und der Veran- 
stalter der syrischen kirchenrechtlichen Sammlung die Samm- 
lung E benutzten, als dass der Zufall zur Erklärung aus- 
reichte. Nehmen wir hinzu, was der Augenschein über das 
Verhältnis des Römerbriefs zur Sammlung U lehrte (S. 96), 
und was die Untersuchung der Martyrien in Bezug auf die 
Verbreitung des Römerbriefs ergab (S. 40. 54), und endlich, dass 
der Römerbrief vielfach auch von Schriftstellern angeführt 
wird, die nur diesen anführen 2), so entsteht die Frage, woher 
diese Isolirung des Römerbriefs stamme, welcher doch anerkannter- 
massen wenigstens ebenso alt ist, als die 6 übrigen Briefe 
der Sammlung E. Sie wird zunächst nicht anders beantwortet 
werden können, als dass der Römerbrief zu E ebensowenig 
als zu U (oder A) und B ursprünglich gehört hat, sondern 
sei es in Verbindung mit einem Martyrium oder ohne eine 
solche für sich verbreitet worden ist. Näheres kann nur die 
noch hinter Eusebius zurückzuverfolgende Bildungsgeschichte 
der ignatianischen Sammlungen ergeben. Einen Einblick in 
dieselbe gewährt schon die Zusammenstellung der Reihenfolge 
der Briefe in den Sammlungen U und A, woneben auch der 
Ordnung der vorhin erwähnten syrischen Fragmente eine 
Stelle gebührt; denn diese sind nicht nach den Sachen, sondern 
nach irgend einer Reihenfolge von Briefen geordnet, was 
. dadurch ganz unzweideutig wird, dass dieselbe Reihe wenn 


1) Es kommen vor 3 Citate aus Eph., 2 aus Mgn., 4 aus Trall, 
2 aus Pol, 3 aus Phil, 1 aus Sm. 

2) Pseudodion. de div. nomin., c. 4 (opp. ed. Ven. 1755 sq. I, 363 Ὁ), 
Anast. Sin. (opp. Gretseri XIV, 2, 97). Joann. monach. syr. bei Cur., 
p. 205 gg. 


111 


auch unvollständig zum zweiten Mal wiederkehrt. Die Reihen- 
folge des Eusebius aber, welcher in dieser Hinsicht nicht eine 
ihm vorliegende Sammlung befolgt haben wird, da er die 
Entstehungsgeschichte der Briefe schreibt und dem Reiseweg 
des Ignatius nachgeht, möge eben deshalb zur Vergleichung 
daneben stehn. 


υ. Α. Syr. fr. I. Ess. 
(G! bis Tars. ὁ. 1,1 
von da nur Li) ᾿ 


1. Smyrn, 1. Smyrn. 'ı. Eph. 1. Eph. 
2. Polyec. 2. Polye. | 2. Magn. 2. Magn. 
3. Eph. 3. Eph. 3. Trall 3. Trall. 
4. Magn. 4. Magn. 4. Polye, 4. Rom. . 
5. Philad. 5. Trall. ι. 5. Philad. 5. Philad. 
6. Trall. ı 6. Philad. | 6. Sınyrn. , 6. Smyrn. 
** * | 7. Rom. | 7. Polye. 
7. Mar.adlIgn. | 8. Antioch. | 
8. ad Mar. | 9, Mar.adlgn. | 
9. Tars. ‚10.a2d Mar. Ä 
10. Antioch. | 11. Tars. | | 
11. Heron. ι 12. Heron. | 
12. Mart. incl. 13. Philipp. | 
Rom. Ä 


Die Sammlungen U und A zeichnen sich vor B durch 
reinliche Sonderung der voreusebianischen Briefe von den 
späteren aus. Wenn man, anstatt dies zu würdigen, aus der 
blossen Thatsache der Verbindung von Altem und Neuem in 
diesen Sammlungen ungünstige Folgerungen in Bezug auf die 
erste Hälfte derselben zu ziehen versucht hat 1), so wüsste ich 
darauf nur mit dem noch geistreicheren Einfall älterer und 
grösserer Gelehrter zu antworten, welche dieser Verbindung 
einen Probabilitätsgrund für die Aechtheit der nacheusebianischen 
Briefe entnahmen 5. Ein kritisches Urtheil dürfen wir freilich 
bei den Ordnem dieser Sammlungen ebensowenig als bei dem 


1) So besonders Cur., introd., p. LXXVII sq. u. p. 388 sqg. 
2) So noch G. Henschen in Acta SS. Febr. I, 20 B, 


.... u 


112 


armenischen Uebersetzer und den Schreibern der Handschriften 
von G! und L! suchen. Sie würden nicht aufgenommen haben, 
was sie nicht für ächt igmatianisches Product hielten. Aber 
noch unrichtiger war die gegen diesen, meines Wissens von 
niemand verfochtenen Irrthum gerichtete Behauptung Curetons 
(p. 338), die Briefe ad Tars., Antioch., Heron., seien unter chronolo- 
gischemGesichtspunct, weil erst von Philippi aus geschrieben, hin- 
ter die eusebianischen gestellt, und deshalb könne aus der Reihen- 
folge der Sammlung U überhaupt nicht auf ein höheres Alter 
der vorangestellten 6 Briefe geschlossen werden. Chronologisch 
betrachtet, kommt dem Brief der Maria an Ignatius die erste 
und der Antwort des Ignatius darauf die zweite Stelle zu; 
denn noch in Antiochien befindet sich Ignatius, als er jenen 
empfängt und diesen schreibt. Das wird der Grund gewesen 
sein, warum diese Briefe in der Sammlung B (s. oben $S. 85), 
und so auch noch in der zweiten Hälfte der Sammlung U 
voranstehn. Aber als Ganzes ist letztere nicht chronologisch 
geordnet, und so auch nicht in ihrer ersten Hälfte. InA ist 
sogar der Ansatz einer chronologischen Ordnung der zweiten 
Hälfte, welcher in U sich findet, verwischt, indem Antioch. 
vor die beiden Privatbriefe gerückt ist. Nur die syrische 
Fragmentensammlung lässt einmal auf drei von Smyrma aus 
geschriebene Briefe drei von Troas aus geschriebene folgen 
und noch einmal auf zwei von Smyrna einen von Troas, so 
dass die Nummern 2. 3. 4 hier zweimal in gleicher Folge 
wiederkehren. Aber nicht von diesem sehr jungen Zeugnis 
aus können wir die Entstehungsgeschichte der viel älteren 
Sammlungen erkennen. 

Den festen Stock bilden die allen vier Reihen gemein- 
samen 6 Briefe. Auch die Ordnung ist hier in U und A, 
abgesehn von der Umstellung von 5 und 6, die gleiche. 
Selbst die weiter abliegende Ordnung der syrischen Fragmente 
und die Eusebs finden ihre Nummern 1—3 in gleicher Folge 
bei A 3—5 wieder; und vielleicht ist es nicht zufällig, dass 
A 2—5 in der ununterbrochenen Fragmentenreihe bei Severus 
(Cur., p. 213) auch als 2—5 wiederkehren. Es steht dort 
statt Smyrn. (A 1) der Römerbrief (A 7) an der Spitze, und 


113 


Smyrn. macht den Schluss. Es finden sich in diesem Kreis 
allerlei Abweichungen in Bezug auf die Ordnung. Nur Eph. 
und Men. sind in den zusammengestellten Sammlungen und 
bei deren Zeugen 1) unzertrennlich, während B sie möglichst 
weit aus einander gerissen hat. Aber der Bestand der Grund- 
sammlung ist aus U und A noch deutlich zu erkennen, es 
ist die Sammlung E mit Ausschluss des Römerbriefs. Aber 
dass es eine Sammlung E im eigentlichen Sinne des Worts, 
eine Sammlung von 7 Briefen in einem Band wenigstens auf 
griechischem Boden jemals gegeben habe, musste nach einer 
Menge constant wiederkehrender Beobachtungen als unwahr- 
scheinlich bezeichnet werden. Dass ein Mann von der Bücher- 
kenntniss Eusebs und ein Verehrer des Ignatius wie Severus 
ausser der Sammlung von 6 Briefen auch den Römerbrief 
besassen, beweist natürlich nicht, dass er im 4. und im 6. 
Jahrhundert mit denselben verbunden gewesen ist. Und 
wenn es in vereinzelten Fällen vorgekommen wäre, das Ge- 
wöhnliche kann es nicht gewesen sein, wenn der häufige 
Ausschluss des anziehendsten der 7 Briefe bei denen, welche 
die 6 übrigen kennen, nicht unerklärt bleiben soll. Der 
Veranstalter der Sammlung U kann ihn vor allem nicht in 
der Grundsammlung gefunden haben, die er durch Aufnahıne 
von Briefen aus einer andern Sammlung erweiterte. Dann 
hätte er ihn an seiner Stelle gelassen, wie er im übrigen 
das Neue als Ganzes auf die unveränderte Grundsammlung 
folgen liess. Aber er hat den Römerbrief überhaupt auch 
noch nicht aufgenommen; denn wie. sollten die Gnomologen, 
die sein Werk benutzten, diesen sententiösen Brief unbenutzt 
gelassen haben? Erst ein Späterer fügte das m. colb. sammt 
dem Römerbrief hinzu. Aber schon vor der Abfassung dieses 
Martyriums (8. oben $. 52) entstand die Sammlung A, ganz 
unabhängig von der Sammlung U. Das zeigt die Vergleichung 
der zweiten Hälften beider. Nicht nur den Römerbrief hat 


1) Dazu gehört der zweite Fragmentencomplex bei Cur., p. 201 sq., 
wo überdies wie bei U, A, Eus. auch Smyrn., Polyc. beisammen stehn. 
Vgl. ferner Cur., p. 211, 16 sg. 

Zahn, Ignatius, ὃ 


114 


A dahin gestellt, wohin er gehörte, wenn man einmal die 
Grundsammlung nicht verändern, sondern nur vergrössern 
wollte. Er löste auch den Antiochenerbrief aus seiner natür- 
liehen Verbindung mit dem an Heron und nahm den Philipper- 
brief auf. Es ist also ein nur im allgemeinen ähnliches 
Verfahren, wodurch aus der Grundsammlung von 6 Briefen 
U und A entstanden. Ist es richtig, dass die Sammlung B 
ein Werk des Interpolators aus der zweiten Hälfte des 4. Jahr- 
hunderts ist, so ist dieselbe nicht bloss älter als U und A, 
sondern ist auch die einzige Quelle, aus welcher die Ordner 
‚von U und A die nacheusebianischen Briefe schöpfen konnten, 
wie das schon Ussher (diss., p. 128) richtig erkannt hat. Dass 
man sich die Interpolationen der älteren Briefe nicht aneignete, 
oder mit anderen Worten, dass man die Grundsammlung nicht 
völlig aufgab zu Gunsten der Sammlung B, würde sich für 
den Fall, dass man es überhaupt bemerkt hät, sehr einfach 
daraus erklären, dass man Briefe gleicher Adresse in einer 
damals fast allein bekannten Textgestalt bereits besass. Das 
auch von aussen Neue zog an, weil es ein bisher nur über- 
sehenes Altes zu sein schien. Der Redactor von U nahm 
nach einander die neuen Titel, wie sie ihm B darbot. Den 
Briefwechsel zwischen Maria von Kastabala und Ignatius zuerst, 
dann den an die Tarsenser ; den Philipperbrief übersah sein Auge 
wegen der Aehnlichkeit der Adresse mit dem gleich folgenden an 
die Philadelphener !), welchen er bereits in der Grundsammlung 
besas. Den Schluss machten die in B passend zusammen- 
gestellten Briefe an die Antiochener und Heron. Der Römer- 
brief, welcher jetzt den Schluss der Sammlung B bildet, wird 
ihr damals noch nicht angehört haben, denn sonst würde er 
sofort in U aufgenommen worden sein und zwar in einem 
Text, welcher dem des Römerbriefs der Sammlung B genau 
entsprieht, anstatt dass er erst nachträglich als Bestandtheil 
des m. colb. in merklich anderem Text der Sammlung U 


1) Mir scheint eine solche äusserliche Erklärung besser angebracht, 
als Usshers Meinung, der Sammler habe aus richtigem kritischen Gefühl 
diesen Brief als besonders bedenklich ausgestossen (diss., p. 79. 128). 


115 


hinzugefügt worden ist. Die ursprüngliche Abwesenheit des 
Römerbriefs auch von der Sammlung B wird ferner dadurch 
wahrscheinlich gemacht, dass auch die aus ihr schöpfenden 
Gnomologen ihn nicht ausnutzen. Entscheidend aber ist für 
meine Behauptung dies, dass der Römerbrief, wie er jetzt am 
Schluss aller Handschriften der Sammlung B steht, zwar allerlei 
Textverderbnisse, aber nicht die systematische Interpolation 
erfahren hat, welche die voreusebianischen Briefe dieser Samm- 
lung charakterisirt. Er lag dem Interpolator gar nicht vor, 
gehörte nicht zu der Sammlung, welche dieser gegen Einde 
des 4. Jahrhunderts zur Grundlage seiner Umarbeitung machte, 
wie das Alles im nächsten Kapitel zu beweisen ist. Die 
Richtigkeit hiervon vorausgesetzt, ist dieser Interpolator ein 
neuer und bedeutsamer Zeuge für die Grundsammlung von 
6 Briefen, neben welcher der gleich alte Römerbrief selbständig 
fortgepflanzt und verbreitet wurde. 

Die einzig denkbare Lösung des hiermit aufgegebenen 
Räthsels gibt die Entstehungsgeschichte der 7 Briefe des 
Ignatius und des Polykarpbriefs, wie wir sie aus ihnen selbst 
erkennen, also unter der Voraussetzung ihrer Aechtheit. Die 
Gemeinde zn Philippi, welche von Ignatius bei seiner Durch- 
reise durch Philippi gehört haben muss, dass er während einer 
mehrtägigen Rast in Smyrna und dann wieder in Troas an 
einige Gemeinden Briefe kirchlichen und christlichen Gehalts 
geschrieben, richtete an Polykarp von Smyrna die Bitte, ihr diese 
Briefe zu schicken, damit auch ihr eine bleibende Erinnerung 
an den merkwürdigen Mann nicht fehle. Polykarp antwortet 
bald darauf, ehe noch eine Nachricht über das fernere Schick- 
sal des Ignatius von Rom aus nach dem Osten gelangt ists 
er habe die Briefe des Ignatius, soviel er deren selbst bei sich 
gehabt, seinem Antwortschreiben beigefügt. Die Briefe an 
den Bischof und an die Gemeinde von Smyrna sind jedenfalls 
darunter; aber es hatte auch keine Schwierigkeiten, sich die 
an die nahe gelegenen Gemeinden zu Ephesus, Tralles, Magnesia 
und Philadelphia gerichteten Briefe des Ignatius von Smyrna 
aus zu verschaffen, um die Bitte der Philipper zu erfüllen, 
wenn man es nicht schon in eigenem Interesse an der Person 

8% 


116 


und Sache vorher gethan hatte. Nur ein Brief war nach 
dem fernen Westen abgegangen, und war vielleicht eben 
erst an seinem Bestimmungsort Rom eingetroffen. An diesen 
Brief denkt Polykarp bei den Worten: Τὰς ἐπιστολὰς ᾿Ιγνατίου 
τὰς πεμφϑείσας ἡμῖν ὑπ᾿ αὐτοῦ καὶ ἄλλας, ὅσας εἴχομεν παρ᾽ 
ἡμῖν ἐπέμψαμεν ὑμῖν, καϑὼς ἐνετείλασϑε᾽ αἵτινες ὑποτεταγμέναι εἰσὶ 
τῇ ἐπιστολῇ ταύτῃ (ad Phil. 18). So entstand die Sammlung 
von 6 Briefen, welche ganz unabhängig von jeder ausdrück- 
lichen literargeschichtlichen Nachricht als fester Grundstock 
aller späteren Sammlungen sich erwiesen hat, welche aber auch 
noch unverändert wenigstens bis ins siebente Jahrhundert 
hinein existirte. 


2. Der Fälscher. 


Es ist bisher vorausgesetzt worden, dass die 7 ignatia- 
nischen Briefe, welche die Väter von Eusebius bis zu Severus 
allein kannten, uns in der Sammlung U (oder A) im 
grossen und ganzen, d. h. literargeschichtlich und nicht 
textkritisch betrachtet, ebenso erhalten sind, wie sie Euseb 
gelesen hat, und dass die Sammlung B, oder falls deren Ver- 
anstalter nicht identisch sein sollte mit dem Verfertiger ihres 
eigenthümlicheu Inhalts, dass die längere Recension der bis 
um 550 nur in kürzerer Gestalt bezeugten 7 (oder 6) Briefe 
und ebenso die ὁ von den älteren Schriftstellern noch nicht 
citirten Briefe, das Werk eines systematisch verfahrenden Be- 
arbeiters sind, welcher dabei die uns erhaltene kürzere Recension 
und nicht irgend eine erst zu errathende vor sich hatte. Seit 
Ussher seine epochemachende und beinah in keinerlei Hinsicht 
von irgend einem Nachfolger übertroffene dissertatio de Ignatii 
epistolis geschrieben hatte, hätte das feststehn sollen. Es 
gehörte die ganze Leichtfertigkeit des J. Daill& dazu, um in 


117 


dem Werk, welches auch neuere Kritiker noch ehrend anzu- 
führen wagten, bei aller Abhängigkeit von Ussher gerade das 
bleibende Ergebnis der Entdeckung und der Arbeit Usshers 
stillschweigend zn beseitigen und nicht hier und dort einmal, 
sondern durchweg zu mehrerer Bequemlichkeit unterschiedslos 
gegen den wiederentdeckten alten Ignatius und gegen dessen 
Interpolator seine salzlose Kritik zu richten ἢ. Und nur bei 
völliger Unkenntniss der gediegenen Arbeiten des 17. Jahr- 
hunderts und auf Grund ganz sporadischer Benutzung der 
Quellen selbst konnte E. Chr. Schmidt seine Hypothese durch- 
führen 3), wonach die kürzere Recension ebenso wie die längere 
und beide unabhängig von einander auf Grund einer verlorenen 
dritten Recension im Interesse der katholischen Kirche an- 
gefertigt sein sollten. In neuerer Zeit sind derartige Versuche 
nicht mehr förmlich und ernstlich angestellt worden. Zwar 
hat Lipsius wie vor ihm Cureton, wo immer es möglich schien, 
die Differenz zwischen dem Text unserer Sammlung U und 
dem Eusebs als sehr erheblich und es sogar als „gar nicht 
80 ausgemacht“ hingestellt, dass Euseb in seinem Ignatius 
schon die der noch kürzeren syrischen Recension fehlenden 
Stellen gelesen habe. Aber schon die geringe Mühe, in Mai’s 
script. vet. coll. I, 1. p. 2sq. den Zusammenhang nachzu- 
lesen, in welchem Euseb Eph. 19 citirt, hätte ihn davon 
überzeugen können, dass Euseb nicht blos das dritte μυστήριον 
χραυγῆς las, welches in zwei Handschriften des Syrers fehlt 
und unächt sein soll, sondern auch das 18. Kapitel, welches 
der Syrer verstümmelt hat, insbesondre das xar’ οἶχο- 


1) Z. B. p. 285, 290. 310fE Man beachte die Uebergänge p. 293f. 
338. 8641. 

2) „Versuch über die gedoppelte Recension der Briefe des Ignatius “ 
in Henke’s Magazin, Bd. III (1795), S. 91ff.; vgl. Bibl. für Kritik und 
Exegese, Bd. I. II. III an verschiedenen Stellen. Auf Aehnliches verfiel 
Netz in Stud. u. Krit. 1835, 8. 881ff., nur dass hier vollends der Begriff 
Textrecension ohne alle Abgrenzung bleibt gegen die bei aller Textfort- 
pfanzung unvermeidliche Veränderung des Ursprünglichen, und überdies 
mit Gründen gearbeitet wird, welche, um mit dem trefflichen Arndt 
S. 145 zu reden, nur der Kindheit der Kritik zu verzeihen waren. 


118 


νομίαν ϑεοῦ. Und schliesslich bestreitet auch Lips. TI, 24 
gar nicht, worauf es hier allein ankommt, dass Euseb allerdings 
„in der Hauptsache den jetzigen kürzeren griechischen Text, 
insbesondere des codex Mediceus vor sich gehabt“. Bei Cureton 
gewinnt es zuweilen den Anschein, als sei ihm die kürzere 
Recension, wie sie ung vorliegt, das Ergebnis einer durch 
viele Jahrhunderte hindurchgehenden neben der Entstehung 
der Sammlung B hergehenden Fortwucherung, wenn er nicht 
nur in einzelnen Lesarten von B Spuren des angeblich syrisch 
wiedergefundenen Urtextes zu finden meinte, welche die kürzere 
Recension schon völlig verwischt hat, sondern sich auch durch 
ganze Sätze und Wendungen der kürzeren Recension verleiten 
liess, deren Urheber, welcher ihm ein Interpolator ist oder 
auch „der Interpolator“ heisst, in die Zeit nach den aria- 
nischen Streitigkeiten, ja sogar an’s Ende des 5. Jahrhunderts 
zu setzen ). Aber durchdacht scheint diese Vorstellung nicht 
zu sein, denn es wird doch andrerseits anerkannt, dass Euseb 
und Theodoret die 7 Briefe nach der kürzeren Recension 
gekannt haben, dass also der vermeintliche Interpolator, der 
diese aus einer noch kürzeren Recension von drei Briefen 
verfertigt haben soll, vor Euseb gelebt hat (introd. LXVI; 
LXXIV). So wenig dies verständigerweise zu beanstanden ist, 
so wenig auch das Andre, dass der Urheber der längeren 
Recension oder der Veranstalter der Sammlung B die dem Euseb 
vorliegende Recension vor sich gehabt und eben diese verändert 
hat, wie das gleichfalls von den Beschützern des syrisch wieder- 
gefundenen Ignatius gelegentlich anerkannt wird 5. Da diese 
Voraussetzung in der folgenden Untersuchung, ohne dass der 
Beweis förmlich angetreten würde, nebenher vollständige Be- 
stätigung finden wird, und da sich ferner zeigen wird, dass 


-..“ 


1) Introd. LXIX; S. 266. 276f. 281. 290. 307. 316. Das un- 
schuldige Wort ἕνωσις 2. B. erinnert ihn an das ἑνώτιχον des Kaisers 
Zeno vom Jahr 482 und muss daher ebenso wie ἑνοῦσϑαι getilgt werden. 
Dabei wurde nur nicht bedacht, dass Hegesipp (Eus. h. e. IV, 22, 6), 
Irenäus (Iren. IV, 33, 7), Tertullian (praeser. 43) ebenso reden. 

2) Cur. introd. LXIV; 8. 316. Buns. I, Vorrede S. 19. 24; II, 16. 


119 


die Interpolation der voreusebianischen Briefe mit der Ver- 
fertigung der nacheusebianischen ein einziges Werk ist, so 
gewiunt die Untersuchung des ganzen Inhalts der Sammlung B 
ein bedeutendes Interesse für die Geschichte der ihr zu Grunde 
liegenden Sammlung. Eine derartige Untersuchung wäre nicbt 
deshalb nothwendig, weil auch nach Auffindung der Samm- 
lung U wenigstens in jedem Jahrhundert einmal mit mehr 
oder weniger Begründung der Versuch gemacht worden ist, 
die längere Recension für das ursprüngliche Werk des Ignatius 
oder doch für eine vergleichsweise ursprüngliche Form desselben 
zu erklären !.. Es wäre erlaubt, abzuwarten, ob auch das 
nächste Jahrhundert eine Erneuerung solchen Unverstands 
bringen werde. Hat aber der Urheber der Sammlung B 
und ihres eigenthümlichen Inhalts die schon vor Euseb ver- 
breitete Grundsammlung von 6 Briefen, welche uns wesentlich 
unverändert in der Sammlung U erhalten ist, zur Voraus- 
setzung und Grundlage seiner Arbeit gehabt, so ist es von 
grösstem Interesse, die Zeit zu bestimmen, in welcher die 
Grundsammlung dieser Bearbeitung unterworfen wurde, und 
damit die Zeit eines der Grundsammlung geltenden Zeugnisses, 
welches vereinzelte Anführungen bei Theodoret oder noch Spä- 
teren an Werth übertrifft, eben weil es der ganzen Sammlung gilt. 
Nicht irgend etwas Ignatianisches, sondern eben das, was zu 
seiner Zeit als Werk des „weltberühmten Ignatius“ galt und 
in hohem Ansehn stand, musste der Fälscher in Angriff 
nehmen, um es durch Eintragung seiner Desiderien und Be- 
seitigung Alles dessen, was seinem Zweck zuwiderlief, zu einem 
Mittel der Einwirkung auf Dogma und Disciplin in seinem 
Sinn zu machen. Dass er von eigenen oder fremden Zweifeln an 
der Aechtheit der ihm vorliegenden Sammlung beunruhigt und 


1) Noch in's 17. Jahrhundert fällt Morinus, über welchen Düsterdieck 
S. 7£ berichte. Der weitaus bedeutendste Versuch ist der von 
W. Whiston in Primitive Christianity reviv’d, vol. I, London 1711, gegen 
den Clericus 11, 501ff. seine dissertatio altera richtete. F. K. Meier 
endlich in den Stud. u. Krit. 1836, S. 340ff. fand durch Arndt und 
Rothe reichliche Widerlegung. 


120 


daher bemüht gewesen sein sollte, die Briefe durch seine Be- 
arbeitung glaubwürdiger zu machen, war ein abenteuerlicher 
Einfall des Dalläus (p. 294. 362), den Cureton (introd. LXIV; 
336 f.) nicht hätte erneuern sollen, ohne die genügende Wider- 
legung Pearsons (II, 27 854.) auch nur zu beachten. Wie 
sollte denn ein Schriftsteller, der sich selbst die ärgsten Ana- 
chronismen zu Schulden kommen lässt, Anstoss genommen 
haben an den bis heute strittigen Fällen derartiger Fehlgriffe, 
welche dem älteren Ignatius nachgesagt werden, und welche 
einem so genauen Kenner der älteren kirchlichen Literatur, 
wie Euseb, nicht aufgefallen waren? Und wie konnte er sich 
einen bereits verdächtigten Namen zum Schirm seiner Fiction 
wählen? Von kritischen Bedenken gegen die ignatianischen 
Briefe schweigt überhaupt die Geschichte bis zum 16. Jahr- 
hundert; denn dass seine Briefe neben dem Polykarps und 
anderen nachapostolischen Schriften in der Stichometrie des 
Nicephorus unter den Apokryphen des Neuen Testaments 1) 
aufgezählt- werden, wird heute niemand mehr als Ausdruck 
eines kritischen Bedenkens gegen ihre Aechtheit verstehen 
wollen. 

Die Zeit des Fälschers ist nicht ohne Erkenntnis 
seiner Zwecke zu bestimmen, und diese ist nicht ohne Ein- 
sicht in die Art und die Hülfsmittel seines Verfahrens zu 
gewinnen. Eine auf alles dies ausgedehnte Untersuchung wird 
den Vortheil mit sich bringen, dass wir die Gestalt der vom 
Fälscher vorgefundenen Sammlung in ziemlich deutlichen Um- 
rissen erkennen. Den äussersten Termin, vor welchem die 
Interpolation geschehen sein muss, und in dessen nächste 


1) Bei Credner, Gesch. des Kanon, ὃ. 244. Ob freilich die nackten 
Namen Ἰγνατίου, DoAvxaonov auf deren Briefe zu beziehen sind, und 
nicht etwa auf jene Ἰγνατέου und Πολυχάρπου διδασχαλία, die das Ver- 
zeichnis hinter Anastasius (Cler. I, 197) nennt, oder ob vielmehr der 
Titel διδασχαλία, welchen das Alterthum sonst nicht mit Ignatius’ und 
Polykarps Namen verbindet, nur durch Misverständnis zu diesen Namen 
hinzugesetzt ist, weil eine διδασχαλία Κλήμεντος voranging, will ich 
nicht entschieden haben. 


121 


Nähe Ussher wirklich herabging '), bilden die drei An- 
führungen aus den interpolirten Briefen bei Stephanus Gobarus, 
Anastasius von Antiochien oder Gregor dem Grossen und in 
der Paschachronik aus der Zeit von 540—640 (8. oben S. 88f.). 
Die armenische Uebersetzung mit ihrer Voraussetzung eines 
syrischen Mittelgliedes zwischen ihr und dem griechischen 
Original rückt die Entstehung der 6 nacheusebianischen bis 
um 400 hinauf (s. oben $S. 97). Dass aber diese in der 
That nicht vor 325 entstanden, sondern ebenso wie die 
Interpolation der übrigen nacheusebianisch sind, ist nach dem, 
was oben S. 77f. über den Werth des Zeugnisses Eusebs be- 
merkt wurde, von vornherein wahrscheinlich. Es lässt sich 
überdies aus notorischer Abhängigkeit des Pseudoignatius von 
Eusebs Kirchengeschichte erweisen. 

Der kläglichste Mangel an Erfindungsgabe veranlasste den 
Pseudoignatius, nicht allein die ‚älteren Briefe des Ignatius 
stark auszubeuten für die neuen und εὐχαίρως ἀκαίρως die 
Bibel anzuführen mit Einschluss von Ps. 151, diesem ψαλμὸς 
ἰδιόγραφος τοῦ Auptö ?), und des ἐν ᾿Εφέσῳ in Eph. 1, 13), 
welches Basilius nur erst in den jüngeren Handschriften fand, 
wie es noch heute im Sin. und Vat. fehlt, sondern auch zu 
manchem Buch jüngeren Ursprungs ὁ) zu greifen. Es mag 
bestritten werden, dass er die sonderbare Verwendung der 
Ueberschrift von Ps. 6 u. 11 als einer Weissagung auf den 
Sonntag (Mgn. 9) dem Psalmencommentar Eusebs von Cäsarea 
verdankt 5), in welchem diese Idee vielleicht nicht original 
ist. Gewiss aber ist Ussher im Recht, wenn er (adn., p. 42, 
n. 50) die Uebersetzung des Namens ’Eß/w» Philad. 6 aus 


1) diss, p. 29. 33 sq. 37. Ebenso noch Buns. II, 205 ff. Noch 
weiter ging Arndt, S. 166: „im 7. oder 8. Jahrhundert“. 

2) Mar. ad Ign. 4. Vgl. Cotelier bei Cler. II, 97. 

3) Eph. 9: τοῖς ἁγίοις τοῖς οὖσιν ἐν Ἐφέσῳ τοῖς πιστοὶ; ἐν Χριστῷ 
Ἰησοῦ. 

4) Interessant wäre es vielleicht zu wissen, woher das mit παραινεὶ 
τις τῶν παλαιῶν eingeleitete Citat Trall. 9 stammt: μηδεὶς ἐγαϑὸς λε- 
γέσϑω, χαχῷ τὸ ἀγαϑὸν κερίννυς. 

5) Coll. πον. PP. GG. ed. Montfaucon I, 88 A; 44 C. 


122 


Eus. ἢ. 6. III, 27, 6 herleitet. Denn, wenn auch schon 
'Origenes die Sache hat !), so klingen doch die Worte Eusebs 3) 
deutlich bei Pseudoignatius 3) durch. Nun findet sich aber 
eine ganze Reihe solcher Zusammenhänge zwischen Euseb und 
Pseudoignatius, aus welcher man einzelne durch künstliche 
Erklärung beseitigen mag, ohne doch den auf ihrer Ge- 
sammtheit rubenden Beweis damit aufzuheben. Es theilt 
Euseb ἢ. e. I, 13 ein grösseres Bruchstück aus einer Ge- 
schichte des Thaddäus, des Apostels von Edessa, mit, welches 
er selbst aus den syrisch geschriebenen Urkunden entnommen 
haben will. Wenn er selbst des Syrischen nicht mächtig 
war 4), so hat er sich dieses Apokryphum also zum Behuf 
der Abfassung seiner Kirchengeschichte in’s Griechische über- 
setzen lassen und als eine Neuigkeit in die griechische 
Kirchenliteratur eingeführt’. Dann beweist aber folgende 
Zusammenstellung seines Excerptes mit einer Stelle des 
Pseudoignatius die Abhängigkeit des Letzteren von ihm. 


1) Vgl. Heinichen z. ἃ. St., ed. 2, tom. 111, p. 94. 

2)... τοῦ Ἐβιωναίων ὀνόματος, τὴν τῆς διανοίας πτωχείων 
αὐτὼν ὑποφαίνοντος" ταύτῃ γὰρ ἐπίκλην ὅ πτωχὸς παρ᾽ Ἑβραίοις 
ovou«terai. 

3) xal ἔστεν ὁ τοιοῦτο; πένης τὴν διώνοιαν ὡς Enixiny 
Ἐρίων. So corrigirt schon Morelius das sinnlose ὡς ἐπεὶ κλεινὴ βιων von 
aovt, und es findet sich wirklich in b. Die erleichternde Correctur 
des hieran reichen n kann das üblich gewordene ὡς ἐπικαλεῖται nicht 
rechtfertigen. Was f und 1 haben, weiss ich nicht. 

4) Vgl. die Literatur hierüber bei Heinichen III, 20 ἢ 

5) h. e. I, 13, 5: οὐδὲν δὲ οἷον zei αὐτῶν ἐπακοῦσαι τῶν ἐπιστο-- 
λών, ἀπὸ τῶν ἀρχείων ἡμῖν ἀγναληφϑεισῶν, καὶ τόνδε αὐτοῖς ῥήμασιν 
&x τῆς Σύρων φωνῆς μεταβληϑεισῶν τὸν τρόπον. Es unterliegt keiner 
‚Frage, dass dies ein Auszug aus der originalsyrischen doctrina Addaei 
ist, von welcher Cureton (ancient documents etc.) zusammenhängende 
Bruchstücke syrisch und englisch (p. 6 sqq. 108 sq.) herausgegeben hat. 
Es beginnt das syrisch Erhaltene mit χαὶ ὁ 8addaios x. τ. A. Eus. 8 17. 
Die Vergleichung der parallelen Abschnitte lässt die grössere Ausführ- 
lichkeit des Syrers als ursprünglich erscheinen. Die von Cureton p. 142 
erneuerte Hypothese, dass Euseb seinen Auszug aus Julius Africanus habe, 
hat die Gewohnheit Eusebs (I, 6, 2; 7, 1. VI, 31) gegen sich, wie seine 
Ausdrucksweise hier. 


Die syrische Quelle stehe in Curetons Uebersetzung da- 
neben. 


Eus. h. ὁ. I, 13, 20 | doctrina Addaei (anc. 


tion, which had ne- 
ἀνήγαγεν) νεκροὺς | τὸ μεσότοιχον au- | ver been broken 
χαὶ κατέβη (καταβὰς Tor ἔλυσεν. (Letz- | through, and gave 
γὰρ) μόνος, ἀνέβη de . teres will Anklang | life to the dead by 
μετὰ πολλοῦ ὄχλου ı an Eph.2,14 sein.) | being slain himself; 


καὶ ἀνήγειρε (Oder αἰῶνος φραγμὸν καὶ 


(al. 19). Trall. 9. doe., p- 7). 
καὶ κατέβη εἰς τὸν καὶ κατῆλϑεν εἰς | and descended to the 
ἄδην καὶ ὁιέσχισε | ἄδην μόνος, ἀνῆλθε | place of the dead 
φραγμὸν τὸν ἐξ αἰῶ- | δὲ μετὰ πλήϑους | and broke through 
γος μὴ σχισϑέντα | καὶ ἔσχισε τὸν ἀπ᾿ | the wall of parti- 
| 


(εἰϑ᾽ οὕτως ἀνέβη. and descended alone 
ohne weiteren Zu- and ascended with 
satz) πρὸς τὸν πα- . many to his glorious 
τέρα αὐτοῦ }). | father ?). 


Eine Anspielung an dieses Apokryphum bei Cyrill von 
Jerusalem 3), sowie im Mund seines Zeitgenossen Makarius 
von Jerusalem nach dem Bericht des Gelasius von Kyzi- 
kus *), kann nicht eine von Eusebs Kirchengeschichte unab- 
hängige Verbreitung der syrischen Schrift oder einer grie- 
chischen Uebersetzung derselben beweisen. In Jerusalem 
wird man Eusebs Werk bald nach der Abfassung gekannt 
haben. | 

In gleicher Abhängigkeit von demselben finden wir aber 
auch den Verfasser der 6 jüngeren Briefe; denn der Anfang 


_ —. 


1) Ueber die Varianten vgl. Heivichen, ed. 2, z. d. St. 

2) Ein Anklang auch noch in dem Fragment anc. doc., p. 108: 
he rose again and came out of the sepulchre with many. 

3) catech. 14, 18 ed. Touttöe, p. 214 B: τοῦ μόνου μὲν xaraßavıos 
eis (δην, πολλοστοὺ δὲ ἀναβάντος. Κατῆλϑε γὰρ Eis τὸν ϑώνατον καὶ 
πολλιξ σώματα τῶν κεκοιμημένων ἡγέρϑη κι τ. Δ. Es folgt weiter c. 19 
anderes Apokryphische. 

4) In dessen Geschichte des nicänischen Concils II, 23 bei Mansi, 
conc. II, 876 C: μόνος κατελϑὼν μετὰ πλήϑους ὠνελήλυϑεν. Makarius 
legt Nachdruck auf das χατῆλϑεν im Gegensatz zu χατηνέχϑη. 


124 


des Antiochenerbriefs stimmt wörtlich überein mit dem von 
Euseb (VI, 11, 5) aufbewahrten Anfang eines anderen An- 
tiochenerbriefs, welchen der nachmalige Bischof Alexander 
von Jerusalem ums Jahr 210 im Gefängnis schrieb: ἐλαφρά 
μοι καὶ κοῦφα τὰ δεσμὰ ὁ κύριος πεποίηκε μαϑόντι (Alex. 
ἐποίησε κατὰ τὸν καιρὸν τῆς εἱρχτῆς πυϑομένῳθ. Die Frage, 
ob der gefangene Alexander diesen Ignatius abgeschrieben 
habe, oder umgekehrt, brauchte Cur. p. 340 wahrlich nicht 
erst aufzuwerfen.. Aber höchst sonderbar wäre es, wenn 
Pseudoignatius hier wieder eine alte Urkunde, die kein alter 
Schriftsteller ausser Euseb erwähnt, benutzt hätte und zwar 
nur soweit, als sie aus Euseb bekannt war. Hat er aber, da 
er einen Brief an die Antiochener anfertigen wollte, aus 
Euseb richtig einen Brief an dieselbe Gemeinde herausge- 
funden, so wird er erst recht dessen Bericht über Ignatius 
aufmerksam gelesen haben. Ein Beweis dafür ist schon 
der Satz: Πουλυκάρπῳ παρεϑέμην ὑμᾶς ἐν κυρίῳ Her. 7. Auf- 
fallen muss derselbe um so mehr, da wir Ant.'ı3 in Bezug 
auf dieselbe Beauftragung Polykarps wieder lesen: ᾧ καὶ 
παρεϑέμην ὑμᾶς ἐν κυρίῳ, und sogar die Fürbitte oder Für- 
sorge der Gemeinde zu Tarsus für die antiochenische in dieser 
Form erbeten wird παρατίϑεμαι ὑμῖν τὴν ἐν Avrioyeia ἐκκλη-- 
σίαν Tars. 10. Der Verfasser zeigt hier eine ähnliche Be- 
harrlichkeit in der Anwendung eines — wenn man das zu 
bezeichnende Verhältnis nach Sm. 11. Pol. 7. 8 in’s Auge 
fasst — jedenfalls fernliegenden Ausdrucks, wie da, wo er 
die älteren Briefe aussaugt. Und doch war dieser Ausdruck 
gar nicht bei dem alten Ignatius, sondern nur in Eusebs Be- 
richt über ihn zu finden !. Aus Euseb hat dann Pseudo- 
ignatius gewiss auch seine Reihenfolge der antiochenischen 
und römischen Bischöfe. Die erstere, nämlich die Namen 
Euodius, Ignatius, Heron ?), konnte allerdings ein jedenfalls 
nicht fern von Antiochien wohnhafter Scribent auch aus 


1) Eus. h. 6. III, 36, 10: τὴν xar’ ᾿Αντιοχείαν αὐτῷ ποίμνην. .- 
παρ ατίϑεται. 


2) Ant. 7; Her. 8. Vgl. oben 8. 56fl. 


128 


anderweitiger Ueberlieferung wissen; aber bemerkenswerth ist, 
dass er von Compromissen, wie einer in const. ap. VII, 46 
vorliegt, noch nichts weiss, und dass er ebenso wie Euseb von 
irgend welcher Apostelschülerschaft und apostolischer Ein- 
setzung des Ignatius, wovon seit Chrysostomus die Rede ist, 
nichts weiss, vielmehr seinem Vorgänger Euodius diese Ehre 
lässt. Entschiedener muss Abhängigkeit von Euseb in Bezug 
auf die römischen Bischöfe behauptet werden; denn, ehe 
Euseb seine Studien über die Bischofsreihen der Hauptkirchen 
in Chronik und Kirchengeschichte veröffentlichte, war deren 
Kenntnis gewiss nicht Gemeingut, und bekanntlich herrscht 
über die Folge der ersten römischen Bischöfe im Alterthum 
wenig Uebereinstimmung. Bei Pseudoignatius ad Mar. 4 folgt 
auf „den seligen Papa Anegkletos“ „der der Seligkeit aller- 
würdigste Clemens, der Schüler des Paulus und Petrus“ !). 
Dass Linus dem Anaclet vorangegangen sei, wird an dieser 
Stelle nur vorausgesetzt, sofern nämlich Pseudoignatius seiner 
ganzen Art nach es sich nicht hätte versagen können, den 
Anaclet als von den Aposteln eingesetzten ersten Bischof zu 
bezeichnen. Er kennt, wenn er anders mit dem Interpolator 
identisch ist, den Linus allerdings als einen Diaconus des 
Paulus neben Timotheus und nennt ihn vor Anaclet und 
Clemens, den Diaconen des Petrus (Trall. 7). Er hat also die 
Reihe Eusebs: Linus, Anaclet, Clemens, und steht auch hier 
in Widerspruch mit const. ap. VII, 46. Aus der Anordnung 
der Berichte über Clemens und Ignatius bei Euseb. welcher 
den Tod des Clemens erst kurz vor dem Martyrium des 


1) Soviel man aus den mangelhaften Notizen der Ausgaben zu- 
sammenlesen kann, haben alle Handschriften von G2 hier AveyxAntw (n) 
oder Avayxkjtw (ab), die von 1,3 Anemcletum (rg p) oder Cletum (pl 
mit sichtlicher Rasur). Da nun auch A Enacletum, Li Cletum bieten, 
so ist offenbar das Anrw d. ji. Μίνῳ, welches in ΟἹ d. i. med. und 
seiner Abschrift casan. sich findet, eine ziemlich späte Correctur, ein.r 
anderen Ueberlieferung zu lieb gemacht, vgl. m. Schr. über Hermas, S. 61f. — 
Ebenso wird hier mit A gegen alle anderen Zeugen Paulus vor Petrus 
zu stellen sein, cf. Ant. 7, wohingegen Phil. 4 interp. und Rom. 4 nach 
allen Zeugen Petrus passend voransteht. 


126 


Ignatius und die Schriften des Clemens sogar erst nach den 
Briefen des Ignatius erwähnt (h. 6. Il, 34. 36. 38) hat 
Pseudoignatius auch wohl seine sonderbare Chronologie, nach 
welcher Clemens noch auf dem Bischofsstuhl sitzt, während 
Ignatius noch in Antiochien, aber doch schon unter militäri- 
scher Bewachung sich befindet. Erst als Ignatius von Troas 
aus an die Philadelphener schreibt (c. 4 interp.), gehört Cle- 
mens zu den Seligen. ΄ 

Nach alle dem darf schon an diesem Punct auf das Ver- 
hältnis des Tarsenserbriefs zu demjenigen Stück des Römer- 
briefs, welches auei Euseb angeführt hatte, hingewiesen wer- 
den. Zu dem Ende ist etwas weiter auszaholen. Es ist eine 
Eigenthümlichkeit der jüngeren 6 Briefe, sich durch Nach- 
ahmung ignatianischer Wendungen und Aufnahme ganzer Sätze 
aus den älteren Briefen ein ignatianisches Gepräge und zu- 
gleich einigen briefartigen Inhalt zu geben (cf. Uss., diss., 
p. 30 sqq.).. Dem Grüssen am Schluss von Phil. und Sm. sind 
die von Ant. und Tars. nachgebildet, dem Schluss vou ad Pol. 
der von Her. Ausdrücke des ächten Ignatius werden nicht 
bloss in den neuen angebracht, sondern auch in die alten 
eingetragen ἢ), und in welcher Weise der alte Ignatius vom 
neuen ausgenutzt wird, sieht man, wenn man Sätze wie οὐ 
διατάσσομαι ὑμῖν ὡς ὦν τις x. τ. A., Eph. 3, oder den ähn- 
lichen Trall. 3 beim Interpolator in Tars. 9; Philad. 4 cf. 
Ant. 11 wieder aufsucht. Der Brief an Heron ist so durch- 
weg dem an Polykarp nachgebildet, dass 68 scheint, als sollte 
Letzterer auf diese Weise entgelten, dass er bei der Inter- 
polation so besonders schonend behandelt worden. Man ver- 
gleiche die Anfänge beider Briefe, ad Her. 1 von παρακαλῶσε 
bis ἀμέτρως mit ad Pol. 1 vom gleichen Wort bis adı«- 


u m nn en rn 


1) z. B. ὀναίμην ὑμῶν Eph. 2; Mgn. 2. 12; ad Pol. 1. 6 kehrt 
wieder in Tars. 8. 10; Antioch. 12; Her. 8; ad Mar. 2, aber auch in 
Trall. 13 interp. Das ὠντέψυχον ἐγὼ ὑμὼν u. dgl. Eph. 21; Sm. 10: ad 
Pol. 2. 6 kehrt wieder in Ant. 7. 12; Her. 9; ad Mar. 3; Tars. ὃ; 
Pbilipp. 14 und zwar zum Theil mit denselben Zusätzen. Die bei 
Ignatius beliebten Bildungen mit -@Yogos und ἀξιο- werden bir zum 
Ueberdruss vervielfältigt. 


127 


λείπταεις. Nur das alterthümliche τόπος des alten Briefs !) 
erschien dem späteren Schriftsteller für den künftigen Bischof 
Heron wie für jeden Geistlichen weniger schicklich als 
ἀξίωμα ὃ. Noch in demselben Kapitel weist auf ad Pol. 2. 3 
das ὡς ϑεοῦ ἀϑλητής und dessen breite Ausführung, obwohl 
die Ermahnung zu fleissigem Schriftstudium, welches sich 
Pseudoignatius offenbar bei Lampenlicht vorstellt, und durch 
diese Ideenverbindung aus der ursprünglichen Ermahnung ge- 
wonnen hat 3), jenes Bild gar nicht nahelegte.e Die δοχοῦν- 
τες ἀξιόπιστοι εἶναι καὶ Erepndidaonuloörres (ad Pol. 3) 
sind Her. 2 verarbeitet; die Ermahnungen in Bezug auf 
die Scelaven, die Weiber, die Wittwen, den fleissigen Kir- 
chenbesuch (ad Pol. 3. 4. 5) findet man Her. 3. 4. 5 
wieder, wörtlieh z. B. das ἐξ ὀνόματας πάντας ζήτει Her. 3, 
wo nur das intensivere ἐπεζήτει steht. Die bösen Künste, 
deren Polykarp sich enthalten soll (c. 5) werden hier 
(Her. 5) specificirt als Hochmuth, Lüge, Neid u. dgl. Der 
Epheserbrief wurde besonders für den an die Philipper aus- 
gebeutet. Philipp. 8 sq. ist eine breite Ausführung des ersten 
Satzes in Eph. 19. Der Satz προσεύχεσϑε — ἀπάγομαι 
Eph. 21 findet sich Philipp. 14 wieder. Die von dem eigenen 
Martyrium des Ignatius ausgehende Beweisführung gegen die 
Doketen Trall. 10 ist verbreitert und verallgemeinert Tare. 3. 
Die hohe Meinung, welche Ignatius von den Ephesern wegen 


1) Auch Scur. las es hier; vgl. Merx, 8. 31 gegen Cureton. ΟἿ 
Sm. 6. 

2) Οὗ Ant. 8. Der Interpolator hat es Sm. ὁ neben das ursprüng- 
liche τόπος gestellt. Curetons Meinung, dass man erst im Verlauf der 
Ausbildung der Hierarchie das, was in nachapostolischer Zeit „Würde “ 
geheissen, „Platz“ oder „Stelle“ genannt habe (p. 265 sq.), charakteri- 
sirt eine gewisse Art historischer Kritik ebenso wie die Meinung, dass 
das in’s 5. Jahrhundert weisende ἕνωσις ein ursprüngliches &vosns ver- 
drängt habe (p. 266; vgl. oben S. 118, Anm. 1). Aber warum hätte es 
Curetons angeblicher Interpolator verdrängt, und warum der wirkliche 
Interpolator in Her. 1 das mit &vorns gleichbedeutende συμφωνέα an die 
Stelle gesetzt? 

3) Nämlich γρηγύρει, ἀκοίμητον πνεῦμα xexınusvos ad Pol. 1 und 
γῆφε ad Pol. 2. 


128 


ihres nahen Verhältnisses zum Apostel Paulus hegt (Eph. 12), 
wird unpassender Weise auf die Gemeinde von Tarsus, dem 
Geburtsort des Apostels, übertragen Tars. 2. Die „menschen- 
ähnlichen Thiere“ Sm. 4 cf. Tars. 1 sind hier geradezu 
„menschennachahmende Affen‘ geworden Ant. 6. Diese Bei- 
spiele mögen genügen, um das Verhältnis dieses πίϑηκος 
ἰγνατιύμιμος zu den älteren Briefen zu veranschaulichen. 
Keinen derselben hat er verschont; aber den Römerbrief hat 
er nur soweit benutzt, als er ihn aus Euseb kannte. Mit den 
Worten ἀπὸ Συρίας μέχρι Ῥώμης ϑηριομαχῶ, wit welchen 
Eusebs Citat aus Rom. 5 beginnt, beginnt der Brief an die 
Tarsenser, und nachdem Pseudoignatius dieselben ganz in der 
trivialen Weise des Interpolators der älteren Briefe gegen 
das Misverständnis sichergestellt hat, als ob sie eigentlich 
gemeint wären, lenkt er in den Text des Ignatius oder viel- 
mehr Eusebs wieder ein mit dem Satz διὸ ἕτοιμός εἶμε πρὸς 
πῦρ x. τ. A. Auch das vorher weggelassene διὰ γῆς καὶ ϑα- 
λάσσης bringt er sofort nach; das ὀναίμην τῶν ϑηρίων τῶν 
ἐμοὶ ἑιοίμων oder ἡτοιμασμένων wird ad Mar. 2 nachgeahmt 
durch ὀναίμην τῶν δεινῶν τῶν ἐμοὶ ἡτοιμασμένων, und eben- 
dort lesen wir wörtlich nach Rom. 5 oder vielmehr nach 
Euseb ἐν δὲ τοῖς ἀδικήμασιν αὐτῶν μᾶλλον μαϑητεύομαι, als 
ob kein Wort von dem eusebianischen Citat verloren gehn 
sollte). Dagegen zeigt sich in keinem dieser Briefe die 
geringste Spur einer Erinnerung an irgend eine der merk- 
würdigen Sentenzen des BRömerbriefs, welche Euseb nicht 
citirt hatte. Nicht einmal das berühmte ὁ ἐμὸς ἔρως ἐσταύ- 
owra.ı scheint Pseudoignatius zu kennen. Demnach ist seine 
starke Ausbeutung von Rom. 5 ein schlagender Beweis 
sowohl seiner Abhängigkeit von Euseb, als seiner Unkenntnis 
des Römerbriefs selbst. Dann begreift man, warum der 
Interpolator, welcher eben kein Andrer als der Verfertiger 
der nacheusebianischen Briefe ist, den Römerbrief, wie sich 
noch zeigen wird, nicht interpolirt hat. 


1) Auch der Interpolator hat einmal Eph. 11 ein dnö Συρίας μέχρι 
Pouns eingeflickt. 


129 


Der feste terminus a quo für die Entstehung dieses 
ıweitheiligen Werks ist also die Veröffentlichung der Kirchen- 
geschichte Eusebs um 325, und um 400 etwa muss seine 
bessere Hälfte bereits in’s Syrische übersetzt worden sein. 
Dem letztern Zeitpunkt werden wir wegen der hier voraus- 
gesetzten Verhältnisse in Kirche und Theologie sehr nahe 
rücken müssen. Wäre der Verfasser gegen Anachronismen 
sehr empfindlich, so würde man sich durch eine Beobachtung, 
die schon Uss. diss. p. 115 sq. machte, so tief herabdrücken 
lassen müssen, als der theologisch -polemische Charakter des 
Werks und die übrigen Zeichen der Zeit es irgend zulassen. 
Pseudoignatius nennt Ant. 12 unter den Kirchendienern nach 
den Thürhütern auch τοὺς κοπιῶντας. Es unterliegt keiner 
Frage, dass darunter die sonst gewöhnlich χοπιαταί genannten 
Todtengräber und Leichenträger zu verstehen sind ἢ. Nun 
heisst es aber in einem Gesetz vom Jahre 360: clerici vero 
vel hi, quos copiatas recens usus instituit nuncu- 
pari, ita a sordidis muneribus debent immunes esse ete. 3) 
Pgeudoignatius scheint Sache und Namen nicht mehr für jung 
zu halten, da er keinen Anstand nimmt den Bischof aus 
Trajans Zeit davon reden zu lassen; darnach scheint er ge- 
raume Zeit nach 360 geschrieben zu haben. Aber andrerseits 
will doch beachtet sein, dass er eben nicht χοπιατάς, sondern 
κοπιῶντας sagt und dies Wort im Unterschied von den um- 
gebenden Amtsbezeichnungen mit dem Artikel versieht. Für 
die Thätigkeit hat sich bereits ein Kunstausdruck gebildet, 
aber der daraus gebildete Titel scheint noch nicht festgeprägt 
zu sein. Jedenfalls werden wir in die zweite Hälfte des 
4. Jahrhunderts gewiesen. Erst in dieser konnte man sich 


-.--.-......... . 


1) Epiph. expos. fid. 21: λοιπὸν δὲ καὶ xonıerei, οἱ τὰ σώματα ne- 
θιστέλλοντες τῶν χοιμωμένων x. τ. Δ. Der Zusatz scheint anzudeuten, 
dass der Titel zur Zeit dieser Worte (im Jahre 375) noch einer Er- 
läuterung bedurfte. Vgl. sonst noch Cotelier bei Cler. II, 107, not. 23. 

2) Cod. Theod. L. 15, lib. XVI, tit. 2. Auch in L. 1, Iib. XIII, 
tit. 1 vom Jahr 357 werden sie erwähnt als cleriei, qui copiatae appel- 
lantur. Auch darin spricht sich deutlich die Neuheit des Instituts und 
des Namens aus. | 

Zahn, Ignatius. 9 


180 


bereits in der Anschauung eines so zu sagen christlichen Staats- 
und Gesellschaftswesens so völlig festgesetzt haben wie Pseudo- 
ignatius, der die dadurch hervorgerufenen Anachronismen gar 
nicht mehr bemerkt‘), Es wird nicht etwa auf die Fälle 
Rücksicht genommen, dass ein christlicher Sclave einem heid- 
nischen Herrn dient, oder ein: Christ ausnahmsweise Soldat 
oder kaiserlicher Beamter ist. sondern diesen Ständen werden 
ohne Einschränkung christliche Ermahnungen ertheilt. Sol- 
daten. Officiere und Kaiser gehören mit ‚zu dem λαύς ?). 
welcher sammt dem χλῆρος dem Bischof gehorchen soll; und 
über den Bischof hinauf steigt die Stufenleiter zu Christus 
und Gott empor. So wird die Einheit der ganzen Theokratie 
gewahrt (Philad. 4). Nach dem Bischof, dem Hohenpriester, 
weleber als Regent Gottes, als Priester Christi Ebenbild trägt, 
kommt der Kaiser als Gegenstand der Ehrerbietung, weil 
Geistliches höher gilt als Weltliches; aber auf.je ihrem be- 
sonderen Gebiet stehen sie sich gleich, der Bischof, welcher 
für das Heil der ganzen Welt Priesterdienst übt (Sm. 9) und 
von seinem „Thron“ (Her. 7) aus über die Gemeinde 
„herrscht“ (Ant. 14), und der König, welcher für Frieden 
und Ordnung im Reich zu sorgen hat (Sm. 9; ef. Eus. vita 
Const. IV, 24). Aber der König muss auch darnach sein, 
vor allem in orthodoxem Glauben stehn, so gut wie der 
Selave, wenn er selig werden will (Sm. 6). Darnach scheint 
denn auch bei dem Gebot, dem Kaiser Gehorsam zu leisten, 
so lange es ohne Seelengefahr möglich sei (Ant. 11), nicht 
mehr darauf Rücksicht genommen zu sein, dass der Kaiser 
Götzendienst, sondern nur. darauf, dass er ein heterodoxes Be- 
kenntnis fordern könnte. Uebrigens zeigt unser Kirchen- 
politiker fast grösseres Zutrauen zu den Königen, als zu den 
Bischöfen. „Ein umsichtiger und thatkräftiger Mann muss 
sich zu den Königen halten“ (Eph. 6). Beim Bischof fragt 
sieh’s viel ernstlicher, wie viel er tauge. Wie hoch dessen 


1) CH. A. Seultetus p. 451 und die breitere Ausführung bei Vede- 
lius I), 180 99. 
2) Cf. Eus. vita Const, I, 44, 2. 


13} 


Würde sowohl an sich als im Vergleich mit allen anderen 
Gewalten auf Erden hinaufgeschraubt wird (vgl. auch Trall. 7), 
und wie offensichtlich hier ein Mitglied jener bischöflichen 
Aristokratie redet, welche den Titel des Arianismus glaubte 
damit ablehnen zu können, dass Arius ja nur ein Presbyter 
gewesen sei !), so nimmt dieser Bischof doch andrerseits An- 
stoss daran, dass Ignatius naiver Weise vorausgesetzt hatte, 
die Bischöfe in aller Welt seien fromme und rechtgläubige 
Männer. Stellen, die das besagen, wie Eph. 3, streicht er, 
und 68 ist keineswegs ein ehrendes Beiwort, es ist aus bittrer 
Krfahrung geredet, wenn in die Ermahnung zum Anschluss 
an den Bischof eingeschoben wird: τοῦ κατὰ ϑεὸν ποιμαίνοντος 
ὑμᾶς (Eph. 4). Das weist auf die Zeit, wo ein arianischer 
Bischof dem Nicäner und jenem wieder ein Semiarianer in 
jähem Wechsel folgte oder auch wie in Antiochien Jahrzehnte 
lang zwei und drei Gemeinden neben einander bestanden. 
da musste man freilich „vom Geist gewitzigt‘‘ sein, um den 
rechten Weg zu finden. Wenn der, welcher die wahre Lehre 
Christi fälscht oder ausser Acht setzt, feist und fett in die 
Hölle fahren wird ?), so wird gleicherweise auch jeder Mensch, 
welcher von Gott die Gabe der Unterscheidung empfangen 
hat und dennoch einem verwerflichen Hirten folgt und statt 
des wahren einen falschen Glauben annimmt, Strafe leiden 
(Eph. 16). Wo es einen solchen Hirten gibt, gilt vielmehr 
die apostolische Forderung der Separation nach 2 Kor. 6, 14f. 
Daher muss denn auch die Warnung vor Anschluss an einen 
Separatisten (Philad. 3) in die andre verwandelt werden: 
„Wenn einer dem, welcher sich von der Wahrheit losreisst, 
iolgt, wird er Gottes Reich nicht ererben, und wenn einer 
von dem lügnerischen Prediger sich nicht lossagt, wird er in 
die Hölle hineinverdammt werden. Denn, sowenig man von 


1) Athan. de syn. Arim., c. 22. — Vgl. die Umgestaltung von 
Mgn. 7, auch Mgn. 3 (χρὴ οὖν καὶ ὑμᾶς αἰδεῖσϑαι τοὺς κρείττονας) und 
Eph. 5 fin. 

2) Wahrscheinlich eine Erinnerung an die Erzählung vom Ende 
des Judas bei Papias; 5. Stud. und Krit. 1866, S. 680 ft. 

. 95 


᾿ 


— 


132 


den Frommen sich trennen darf. sowenig auch zu den Gott- 
losen sieh halten“ u. s. w. Das ist deutlich geredet. So 
selir ist der Verfasser bereits daran gewöhnt, Belial und 
Christus, rechten und falschen Glauben neben einander in der 
von Bischöfen regierten Kirche zu wissen. dass er durch den 
alten Ignatius die Laien seiner Zeit zu selbständigem Urtheil 
in Glaubenssachen und zu einem dem entsprechenden Ver- 
halten gegenüber heterodoxen Bischöfen auffordern lässt. Das 
führt uns, wenn wir einmal auf die Zeit von 325—400 an- 
gewiesen sind, in die mit der Alleinherrschaft des Constantius 
beginnende und mit der des Theodosius schliessende Zeit. Die 
nächsten Jahrzehnte nach (er Mitte des 4. Jahrhunderts mit 
ihren Parteistellungen und Streitigkeiten. von welchen sich 
‚lie Geister schon ziemlich abgekühlt hatten, als die sehr 
undersartigen Streitigkeiten des 5. Jährhunderts begannen, 
sie sind es auch. welche in diesem Werk sich wiederspiegeln 
nd den Hauptzweck desselben an die Hand geben. 

Deutlicher als in den 6 jüngeren Briefen zeigt sich der 
theologische Charakter des Fälschers in der Interpolation der 
üilteren, denn gerade auf christologisch und trinitarisch eigen- 
thünliehe Stellen hat der Interpolator vor allem sein Augen- 
merk gerichtet. An denı, was ihm anstössig ist, wie an dem, 
was er an dessen Stelle setzt, um den Ignatius zu einem 
Zeugen für seine Orthodoxie zu ınachen, verräth er am deut- 
liehsten seinen dogmatischen Standpunkt. Dies ist aber so 
völlig derjenige der 6 jüngeren Briefe, dass es genügt, die 
Identität des Verfassers beider Theile des Werks durch gleich- 
mässige Anführung von Belegstellen aus beiden für jeden 
eigentaümlichen Satz zu erweisen. 

Eins der Dogmen, (deren deutliches Bekenntnis er bei 
Ignutius vermisste, war die Superiorität Gottes des Vaters 
über den Sohm und die Beschräukung des eigentlich ge- 
meinten Gottnamens auf den Vater. Daher wird jetzt mit 
jpolemischem Nachdruck gelehrt, dass Moses und die Pro- 
pheten, wenn sie von Gott als dem einen und einzigen 
(oft reden, neben und nach welchen es keinen Gott gibt, 
von Vater oder Gott des Alls und Aller im Unterschied vom 


123 


Sohne Gottes reden 3), und dass die Evangelien nur den Vater 
den allein wahren Gott genannt haben (Philad. 9: Ant. 4). 
Daher wird denn auch' der hier so verschärfte und seinem 
ursprünglichen Sinn entfremdete Spruch Joh. 17, 3, an wel- 
chen Ignatius nie auch nur anspielt, in eine Stelle einge- 
tragen, wo es galt, mit einem Wort zu sagen, welches der 
seligmachende Glaube sei (Sm. 6). Zufällig ist es daher auch 
nicht, wenn Gott neben Christus gelegentlich erst durch den 
Interpolator das Attribut :yroros erhält (Sm. inser.),. An- 
stössig musste dann Sm. 1 das Ιησοῦν Χριστὸν τὸν ϑεὸν τὸν 
οὕτως x. τ. λ. sein und einem rov ϑεὸν καὶ πατέρα τοῦ κυρίον 
ἡμῶν "I. Χρ. Platz machen (cf. Eph. 18), ebenso das I. Xo. 
τοῖ ϑεοῦ ἡμῶν Eph. inser. einem 7. Xo. τοῦ σωτῆρος ὑμῶν. 
Vollends in Verbindung mit ἐν αἵματι erschien ϑεοῦ uner- 
träglich und musste durch Xoro ersetzt werden, Eph. 1?). 
Wenn man diesen Thatsachen gegenüber daran erinnert hat °), 
dass der Interpolator anderwärts nicht selten Christus Gott 
nenne, also nicht häretische, arianisirende Theologie treibe, 
übersah man sowohl den Zusammenhang dieser Aenderungen 
mit den Aussagen über die ausschliessliche Gottheit des Vaters, 
als auch den Sinn, in welchem Christus von Pseudoignatius 
Gott genannt wird. Allerdings ist es eine Ketzerei, Christo 
die Gottheit durchaus abzusprechen und ihn für einen blossen 
Menschen zu halten (Ant. 5); aber ein viel grösseres Interesse 
hat der Verfasser, den Gedanken einer auf Wesenseinheit be- 
ruhenden Weseusgleichheit abzuwehren. Einige Male sagt er 
sogar aus freien Stücken die Gottheit Christi aus, wie Tars. 1: 


1) Eph. ὁ; Ant. 2. 5; Her. 7; Philipp. 2. Ct. Eus. theol. eceles. 
II, 19—22 und weine Schrift über Marcellus S. 140 ff. 37, Anm. 5. 

2) ϑεοῦ als Lesart der Sammlung U steht fest nach αἰ, Sev. bei 
Cur. 213, 11; 217, 24, Scur. Auch Christi Dei Li, welches dem vor- 
angehenden Jesum Christum Deum nachgebildet ist, ist ein mittel- 
bares Zeugnis. A hat die Stelle ausgelassen. 

3) So z. B. Cotelier bei Cler. II, 45 not. 3; Arndt, 8. 16%; 
Duesterd., p. 27. Von den bei Letzteren angeführten Stellen sind die 
aus Rom. zu streichen. Eine Anspielung an das nicänische &x τῆς οὐσίας 
τοῦ πατρός hat Duesterd. p. 33 nicht nachgewiesen. 


134 


τὸν σωτῆρά μουν καὶ ϑεὴὸν τὸν ὑπὲρ ἐμοῦ ἀποθανόντα. oder 
Eplı. 15: ὃ κύριος ἡμῶν καὶ ϑεὸς Ἰησοῦς ὁ Χριστός. Aber 
sehr charakteristisch ist es, wenn er än letzterer Stelle sofort 
zusetzb: ὃ υἱὸς τοῦ ζῶντος. Auf das Sohnsein, oder das Er- 
zeugtsein und die dadurch begründete Ungleichheit fällt 
überall der Ton. Dass Gott ebenso der Gott wie der Vater 
Christi ist, muss der alte Ignatius erst lernen (Eph. 5, οἵ. 
Tars. 5). Christus betet, um die ὑπεροχή des Vaters zu be- 
zeugen (Sm. 7). Dem Teufel, welcher ihn zum Gegentheil 
verführen will, antwortet er: οἶδα τὸν ἕνα, ἐπίσταμαι τὸν 
οὔχ εἶμι ἀντίϑεος, ὁμολογῶ τὴν ὑπεροχήν. ἐπίσταμαι 


μένον 


τὸν τῆς ἐμῆς γεννήσεως αἴτιον. τὸν πατέρα (Philipp. 12). 
Cotelier bei Cler. II, 87, not. 7 eitirt Stellen aus Basilius. 
Gregor von Nazianz und Hilarius, um dies Bekenntnis der 
ὑπεροχή des Vaters vom Schein des Arianismus zu reinigen. 
‚Jene jüngeren Verfecher des nicänischen Bekenntnisses ') be- 
tonten allerdings die im Begriffe der Erzeugung ausgesprochene 
Superiorität des Vaters, um die Unterscheidung der Hypostasen 
sich möglich zu erhalten. Aber der Gedanke, auf diesem 
‘Weg den Monotheismus zu retten ?), war und blieb eine Lieb- 
lingsidee der arianisirenden Theologie, welche seit den dreissiger 
‚Jahren in mannigfachen Schattirungen die Majorität beherrschte. 
Ihr Vertreter ist auch Pseudoignatius. Gott- Logos ist Christus 
auch ihm; aber fast immer nur mit dem Zusatz, dass er der 
vor den Aeonen erzeugte eingeborene Sohn, der Erstgeborene 
aller Oreatur, oder auch „eingeborener Gott“ ist (Tars. 4: 
Eph. 16. 20; Philad. 4. 6; Mgn. 6; Sm. 1), lauter Ausdrücke, 
welche im alten Ignatius schmerzlich vermisst und reichlich 
in denselben eingetragen werden. Das Alleranstössigste an 
seiner Vorlage ist ihm, dass dort der Begriff einer die Existenz 
Christi begründenden und das Wesen schon des Präexistenten 


1) Dass sie in der Auffassung des nicänischen Bekenntnisse von 
dessen Urhebern erheblich abwichen, ist dabei nicht zu übersehn; vgl. 
mein» Schrift über Marcellus S. 87 f. mit 8, 21. 23 f. 30 f. Sie eben 
witterten in manchem älteren Nicäner sabellianischen Beigeschmack, und 
sahen in Marcell und Photin den Sabellius wieder lebendig werden. 

2) Vgl. Marcellus S. 87 ἢ, 


135 


charakteristisch bestimmenden Erzeugung völlig fehlt. Wenn 
Ignatius Eph. 18 gesagt hatte: „Unser Gott, Jesus Christus 
ward im Leibe getragen von Maria nach Gottes Veranstaltung, 
aus Davids Geschlecht zwar. aber aus heiligem Geist‘, so 
schien das Gottsein dessen, der als Mensch .Tesus Christus 
heisst, nicht auf die übernatürliche Empfängnis, aber erst recht 
nicht auf eine verschwiegenr vorzeitliche Erzeugung gegründet, 
sondern eine auf sich selbst ruhende zu sein. Daher musste 
es jetzt heissen: „Der Sohn Gottes, der vor den Aeonen er- 
zeugt worden und Alles nach dem Willen Gottes hergestellt 
hat, dieser ward im Leibe getragen von Maria nach Gottes 
Veranstaltung, aus Davids Geschlecht zwar, aber durch heiligen 
Geist.“ Und dass dadurch nicht ein blosser Schein beseitigt 
worden, zeigt Eph. 1. Da war unzweideutig gesagt, dass der 
eine ‚Christus nach seiner göttlichen oder geistigen Seite 
ἀγέννητος und nur nach seiner menschlichen γεννητός sei. Die 
Schreibung mit doppeltem » sollte wenigstens hier bei Ignatius 
nicht zweifelhaft sein (s. Anh. I, 17), wo ja offenbar Christo 
nach seiner Gottheit, im Gegensatz zu seiner menschlichen 
Geburt Unerzeugtheit zugeschrieben wird. Von der sehr viel 
später durchgeführten strengen Unterscheidung von γεννητός 
und γενητύς weiss auch der Interpolator noch nichts: zugleich 
aber verbietet ihm seine Theologie eine so wohlwollende, aber 
unrichtige Deutung, wie sie Athanasius (s. Anh. II, 2) dieser 
Stelle angedeihen liess; dass nämlich Ignatius durch ἀγέννητος 
dem präexistirenten Christus als dem aus dem Vater erzeugten 
Sohn das Gewordeusein, die Geschöpflichkeit, habe absprechen 
wollen. während er ihn als den Fleischgewordenen γεννητός 
nenne. Dass der Sohn in irgend welcher Beziehung ἀγέννητος 
(oder ἀγένητος) sei, ist dem Interpolator eine unleidliche Ab- 
weichung von dem obersten arianischen und semiarianischen 
Dogma von dem eis oder μόνος ἀγέννητος (oder ἀγένητος) ὃ). 
Daher musste so geändert werden: „Unser Arzt aber ist der 
allein wahre Gott, der Unerzeugte und Unzugängliche, der 
Herr des Alls, Vater aber und Erzeuger des Eingebornen; 


1) Her. 6; Ant. 14; Eph. 7; Mgn. 7; Philad. 4, 


136 


wir haben als Arzt auch unseren Herrn Gott Jesus Christus, 
der vor den Aeonen eingeborner Sohn und Logos, später aber 
auch Mensch aus der Jungfrau Maria war‘ etc.!) Alle diese 
Aussagen haben hier aber eine bestimmte polemische Tendenz 
gegen eine Theorie, nach welcher Christus gar nicht erzeugt, 
nicht Sohn des Schöpfers (Trall. 6; Philipp. 7), nicht ein 
Andrer neben dem Vater (Tars. 5), sondern selbst „der Gott 
über Alles“ (Tars. 2. 5; Philipp. 7) ist, nach welcher über- 
haupt Vater, Sohn und Geist ein und dasselbe sind (ταὐτόν 
Trall. 6), nämlich der εἷς τριώνυμος, wogegen die rechte 
Lehre τρεῖς ὁμοτίμους bekennt (Philipp. 2), Letzteres aber 
nicht im Sinn der Wesensgleichheit oder auch nur ernstlich 
gemeinter Aehnlichkeit; denn hoch über allen Engeln, dem 
heiligen Geist und dem erhöhten Christus steht die „Unver- 
gleichlichkeit des allgewaltigen Gottes“ (Trall. 5). 

Die bestrittene Lehre it, um den Ausdruck der 
Zeit zu gebrauchen, Sabbellianismus, wie er von der 
semiarianischen Partei allen strengen Nicänern vorgeworfen 
wurde. Hier aber erscheint diese Anklage mit anderen ver- 
bunden, welche auch von dem ungerechtesten Polemiker 
‚nicht wohl gegen Athanasius erhoben werden konnten. Die 
voräonische Zeugung leugnete unter den namhaften Nicänern 
nur Marcellus von Ancyra, und gegen diesen, welcher auf der 
αἰδιότης des Logos fussend gegen jene Theorie polemisirt, ist 
es gerichtet, wenn der Aoyos ἀΐδιος von der einzigen Stelle 
weichen muss, wo Ignatius den Ausdruck gebraucht hatte 
(Mgn. 8. Man meint eine Stelle aus Eusebs „kirchlicher 
Theologie“ oder den 2 Büchern „gegen Marcellus“ zu lesen 3), 


1) Vgl. noch die Umgestaltung Trall. 9; Mgn. 11. 

2) Vgl. meine Schrift über Marcellus S. 136 f. 207, in Bezus auf 
das obige τριώνυμος ὃ. 158. Bei aller Schiefheit der Beobachtungen 
und Aufstellungen Whistons zeugte es von einem richtigen (Gefühl und 
namentlich von aufmerksamer Lectüre der genannten eusebianischen 
Streitschriften, dass er den dogmatischen Gegensatz der längeren und 
der kürzeren Recension als den des milderen Arianismus und der in 
Marcellus gipfelnden entgegengesetzten Theorie auffasste. Vgl. besonders 
Whiston p. 80 sqq. 89. 93. Selbst seine Zeitbestimmung für Abfassung 


137 


wenn es statt dessen nun heissen muss: εἰς ϑεὸς ὁ παντοκράτωρ, 
ὃ φανερώσας ἑαυτὸν διὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ, ὡς 
ἐστιν αὐτοῦ λόγος, οὐ ῥητὸς ἀλλ᾽ οὐσιώδης, οὐ γάρ ἐστιν λα- 
λιᾶς ἐνάρϑρου φώνημα ἀλλ᾽ ἐνεργείας ϑεικῆς οὐσία γεννητγ" ὃς 
πάντα κατευαρέστησε τῷ ὑποστήσαντι ἢ αὐτόν. Daran eben 
fehlt es jenem „Sabellianiemus“, dass er den Logos zu wirk- 
licher ὑπόστασις oder, was damals noch damit gleichbedeutend 
war, zu einer eigenen οὐ oi« nicht gelangen liess, dass er ihn wie 
eines Menschen gesprochenes Wort aus dem Schweigen Gottes 
hervorgehn und wieder in dasselbe zurücksinken, dass er ihn 

e „göttliche Wirkung“ anstatt ein „durch göttliche Wir- 
kung erzeugtes Wesen‘ oder ein „erzeugtes Wesen von gött- 
licher Wirkung‘ sein lässt. Gegen des Marcellus und seines 
Schülers Photin Verwerthung des alten Testaments waren die 
oben angeführten Stellen Philipp. 2; Ant. 2. 3 gerichtet; 
schon die Vergleichung der Anathematismen der sirmischen 
Synode von 351 macht das klar. Gegen eine nur von Mar- 
cellus vertretene Lehre, welche von seinen Gegnern so dar- 
gestellt wurde, dass Christi Reich in dem 1 Kor. 15, 24--28 
bezeichneten Moment ein Ende haben, und dass Christus zu- 
vleich aufhören werde Mensch und Gottes Sohn zu sein ?), 
wird in Mgn. 6 polemisirt. Der Satz, dass Christus „vor 
den Aeonen beim Vater war“, musste ohnedies geändert 
werden, weil die ἀϊδιότης sich dahinter versteckte. Darum 
heisst es jetzt: ὃς πρὸ αἰῶνος παρὰ τῷ πατρὶ γεννηθεὶς ἦν 
λόγος ϑεὸς, μονογενὴς υἱός, aber unmittelbar schliesst sich an: 
καὶ ἐπὶ συντελείᾳ τῶν αἰώνων ὁ αὑτὸς διαμένει" τῆς γὰρ βασι- 
λεέας αὐτοῦ οὐχ ἔσται τέλος, «Ἕησὶ lavını 0 προφήτης (ef. Acac. 
contra Marc. bei Epiph. haer. 72, 7). Obwohl Marcellus aus- 
drücklich behauptet hatte, dass der Logos wenigstens bei der 


der kürzeren Recension „340—359° bedarf fast nur der Uebertragung 
auf die längere Recension. Zur Umkehrung des Sachverhalts musste er 
kommen, weil ihm der gemässigte Arianismus urkirchliches Christen- 
thum war. 
1) Es bedarf wohl keines Beweises, dass so mit ovt und L2 zu 
lesen ist statt des trivialen πέωψαντι. | 
2) Vgl. Marcellus, S. 166 ff. 208. 


138 


Parusie noch mit menschlichem Fleisch bekleidet sein werde, 
so ist es doch nur eine Wiederholung der von Anfang an 
gegen ihn gerichteten Polemik und passt schlecht auf die 
ılort bestrittenen Doketen. wenn Pseudoignatius Sm. 3 ohne 
Rücksicht auf die Unterscheidung von Parusie und Synteleia 
diejenigen angreift, welche behaupten, Christus werde am Ende 
ler Zeit ohne Leib wiederkehren (cf. Acac. 1. 1. $ 9). Schon 
hei Euseb geht neben der auf Sabellianismus lautenden An- 
klage die auf Samosatenismus oder Ebjonismus her; gerade 
‚iese Verbindung war die Form, in welcher man eine Zeit 
lang die Nichtunterscheidung der Lehren des Marcellus und 
ıles Photinus durchzusetzen suchte. Seit der Mitte des Jahr- 
hunderts wurde es Sitte. die beiden Häresien auf Lehrer und 
Schüler zu vertheilen '). Auf diesem Standpunct steht Pseudo- 
ignatius; die von ihm so oft und zwar meist gleich hinter 
dem Sabellianismus bekämpfte Irrlehre von Jesus als ψιλὸς 
ἄνϑρωπος ?) war der Photinianismus. Man vergleiche etwa 
Tars, 6 (πῶς οὖν ὁ τοιοῦτος ψιλὸς ἄνϑρωπος καὶ ἐκ ἸΜαρίας 
ἤχων τὴν ἀρχὴν τοῦ εἶναι. ἀλλ᾽ οὐχὶ ϑεὸς λόγος καὶ υἱὸς μο- 
»ογενῆς) mit Epiph. haer. 71. 1 und dazu meinen Marcellus 
S. 192. Den Menschen Jesus lässt Photin in gemeinmensch- 
licher Weise von Maria geboren sein. wahrscheinlich sogar 
als ‚Josephssohn, obwohl seine orientalischen Gegner das nicht 
sofort erkannten; aber des ewigen Logos fand er es unwäürdig, 
ass er dies niedrige Schicksal sollte erduldet haben, und auf 
ziemlich starken Protest dagegen lässt es schliessen, wenn 
Kaiser Julian ihm nachrühmte, dass er den Gott, an welchen 
er glaube, wenigstens nicht in eines Weibes Leib einführe. 
Darauf zielt es, wenn dem Teufel, der ja in allen Häretikern 
der treibende Geist ist. der Selbstwiderspruch vorgehalten 
wird, dass er den Herrn für einen blossen Menschen erkläre 
und dennoch die menschliche Geburt für etwas Unreines er- 
kläre und daher den Christ von der Geburt ausnehme 
Philipp. 5—7, cf. Trall. 6. 10; Her. 4; Ant. 4. Gegen 


1) Vgl. Marcellus, $. 79 f. 189 f. 
3) Tars, 6; Ant. 5; Her. 2; Philad. 6; Eph. 19, 


139 


Photins damit zusammenhängende Meinung. dass nicht der 
logos Mensch geworden. sondern der blosse Mensch Jesus bei 
der Taufe zum Christus erhoben sei (vgl. Marcellus S. 191 ἢ), 
wird nun nachdrücklich gepredigt. dass Maria einen Leib ge- 
boren habe, in welchem von Anfang an Gott gewohnt, dass 
der Gott Logos selbst aus der Jungfrau mit einem dem 
unsrigen gleichartigen Leib geboren worden, Trall. 10; Sm. 2. 
Von da aus sind auch diejenigen Stellen zu verstehn. worin 
man bald Apolinarismus !), bald Polemik gegen denselben ?) 
gefunden hat» Zweimal entwickelt der Verfasser in Philad. 6 
seine Forderungen in Bezug auf orthodoxe Christologie, zuerst 
in der Schilderung eines Heterodoxen. dann in der Schilderung 
eines in diesem Ῥαποὺ Orthodoxen. welcher nach andrer Seite 
hin fehlgeht. Jener bekennt den einen Gott und Jesus als 
Christ, hält diesen aber für einen hlossen Menschen, der wie 
alle Anderen aus Leib und Seele besteht, anstatt ihn für den 
eingebornen Gott und die Weisheit und den Logos zu halten. 
Das ist eben Photin. und von einer dichotomischen Vorstellung 
geht der Referent aus. Auf Grund derselben erscheint ihm 
an der zweiten Stelle als rechte Lehre, dass der Gott Logos 
in einem menschlichen Leibe gewohnt habe als der Logos, die 
Vernunft in ıhm, als Seele im Leibe, weil eben statt einer 
menschlichen Seele Gott in ihm wohnt 8. Der Verfasser be- 
streitet also ebensowenig einen Theologen, der wie Apolina- 
rıus den göttlichen Logos die Stelle des zu Leib und Seele 
hinzutretenden menschlichen Logos oder Nous vertreten lässt, 
als er selbst ein solcher ist. Er kennt, wie auch Trall. 10 
zeigt, nur zwei die Person des Gottmenschen constituireude 
Theile, Logos und menschlichen Körper. Dunkler ist aller- 


1) So Uss. diss., p. 85. 108. 

2) So Germon, de vet. haeret. eccl. codic. corrupt., p. 259. 

3) ὅτι ϑεὸς λόγος ἐν ἀνθρωπίνῳ owuarı χατῴκει, ὧν ἐν αὐτῷ ὁ 
λόγος, ὧν ψυχὴ ἐν σώματι, διὰ τὸ ἔνοιχον εἶναι ϑεὸν, εαλλ᾽ oryi av- 
ϑρωπείαν ννυχήν. Gegenüber früheren Misdeutungen erkannte Vedel. 
ll. 134 sq. zwar die Construction richtig, versuchte aber vergeblich. or- 
thodoxen Sinn herauszubringen. Vgl. noch Ant. 4 ἐνσωμάτησις. 


140 


ings die in rhetorischen Fragen an den Teufel sich ergehende 
antiphotinianische Stelle Philipp. 5. Die sämmtlichen grie- 
ischen Handschriften schreiben allerdings: τί παράνομον 
λέγεις τὸν νομοϑέτην, τὸν ἀνϑρωπείαν ψυχὴν ὄντα. Aber 
ebenso steht in sämmtlichen lateinischen Handschriften: qui 
non humanam animam habuit; und dass dieser heterodoxe 
Satz wirklich ursprünglich sei (cf. Uss. diss. 85), folgt erst- 
liea aus der vorhin erkannten Christologie des Verfassers, 
sodann aus der Unbegreiflichkeit einer derartigen Aenderung 
ins Heterodoxe von Seiten des lateinischen Uebersetzers, und 
endlich aus A, welcher den Partieipialsatz offenbar seiner Be- 
denklichkeit wegen strich. Auch passt in den Zusammen- 
hang nur eine Betonung der specifischen Differenz Christi von 
‚len übrigen Menschen. Darnach muss denn auch der fol- 
gende Satz erklärt werden: ὁ λόγος σὰρξ ἐγένετο καὶ τέλειος 
ἄνϑρωπος, οὐκ ἐν ἀνϑρώπῳ κατοικήσας, wenn nämlich wirklich 
so zu lesen ist und nicht vielmehr nach ΠΡ. ... ἐγένετο, 6 λόγος 
ἄνϑρωπος, ἀλλ᾽ οὐκ ἐν ἀνθρώπῳ. Auch A hat das bedenk- 
liche τέλειος nicht, und zu beachten ist jedenfalls, dass der 
Interpolator Sm. 4 das ursprüngliche τοῦ τελείου ἀνθρώπου 
γενομένου gestrichen hat. Gesetzt, es wäre hier ächt, so wäre 
es aus dem Gegensatz zu deuten. Die Irrlehre, dass der 
Logos in einem Menschen als inspirirender Geist gewohnt 
habe, während er nach dem Verfasser in einem menschlichen 
Leibe als dessen Seele gewohnt hat, soll durch die Berufung 
auf die Fleischwerdung und wahre Menschwerdung des Logos 
abgewehrt werden. Jedenfalls liegt also nicht darauf der 
Nachdruck, dass Jesus ein mit allen menschlichen Natur- 
hestandtheilen ausgestatteter Mensch gewesen, sondern dass 
der Logos Fleisch und Mensch geworden sei. Aus welchen 
Blementen dieser Logos-Mensch zusammengesetzt gewesen, 
war vorher nach richtiger Lesart, unzweifelhaft aber Philad. 6 
und Trall. 10 ausgesprochen. Es ist das aber ein Stück 
arianischer Theologie ἢ. Dass Pseudoignatius in der Lehre 


1) Vgl. F. Nitzsch, Dogniengeschichte I, 312; die Belege bei Grabe 
11, 225 sq. 


111 


vom Logos und von der Trinität stark arianisire, braucht nicht 
stärker hervorgehoben zu werden, als es in der Darstellung 
seiner Polemik geschehen ist. Es fehlen hier die heraus- 
fordernden Schroffheiten, welche schon Asterius überwunden 
und die Eusebianer stets vermieden hatten, und so fehlt auch 
die ausgebildetere Theorie des Eunomius. Aber fern genug 
hält sich dieser Theologe von derjenigen Species des. gemil- 
derten Arianismus, welche durch basilius von Ancyra und die 
ancyranische Synode vertreten wurde und sich durch ab- 
wechselnde Verdammung des strengen Arlanismus und des 
wiedererwachten „Sabellianismus‘ charakterisirte (Epiphan. 
haer. 73, 12 sqq.). Hier dagegen findet man neben eifriger 
Polemik in letzterer Richtung kein antiarianisches Wort. 
Wenn es erlaubt wäre, zu rathen, würde ich sagen, was 
jetzt nur zur Verauschaulichung des Postulats dienen möge, 
dass Pseudoignatius jener Acacius gewesen sei, der Schüler 
und Biograph Eusebs von Cäsarea (Socrat. ἢ. 6. II, 4) und 
dessen Nachfolger wie im Bisthum, so auch in der Be- 
streitung des Marcellus, welcher auf den arianisirenden Synoden 
der vierziger und fünfziger Jahre und noch 359 zu Seleucia 
keine unbedeutende Rolle spielte, und, obwohl er auf der 
letzteren von den Anomöern sich lossagte, um Führer einer 
schwer zu definirenden Partei zu werden, doch ein heftiger 
Gegner der zun Frieden mit den Nicänern neigenden Semi- 
arianer blieb und schliesslich, sowie Jovinian zur Regierung 
gekommen, doch noch durch eine verclausulirte Unterzeichnung 
des Niecänums seiner Charakterlosigkeit die Krone aufsetzte !). 
Bei Acacius wäre die nachgewiesene durchgängige Abhängig- 
keit von Eusebs Werken besonders erklärlich, und sein ganzes 
Verfahren fände eine treffliche Beleuchtung durch die 
charakteristische Schilderung bei Sozomenus (IV, 23): 4xa- 


1) Dies auf einer meletianischen Synode zu Antiochien im Jalıre 
363. Seinen Tod setzt Touttee (Cyrill. Hier. opp. proll. LXX) nach 
Epiph. 73, 37 ins Jahr 365 oder 366. Ueber seine Wahrhaftigkeit ur- 
theilten schliesslich die Arianer nicht besser als die Nicäner. cf. Philet. 
iu, 12; ΥἹ, 4. 


142 


κιος. . ., Εὐσέβιον τὸν Παμφίλου, μεϑ᾽ ὃν αὐτὸς τὴν ἐπισχο- 
πὴν ἤνυε, διδάσκαλον αὐχῶν καὶ τῇ δοχήσει καὶ διαδοχῇ 
τῶν αὐτοῦ βίβλων πλείω τῶν ἄλλων ἀξιῶν εἰδέναι. Kai 
ὃ μὲν, τοιϑῦτος ὧν, ῥᾳδίως ἅγε ἐβοίλετο διεσκεύαζεν. 
Er war der berufene Diaskeuast der ignatianischen Briefe. 
Der ungewöhnlich rohe Ton des Acacius (Epiph. haer. 
72, 5 sqq.), im Vergleich mit dem die Sprache eines Epi- 
phanius gutmüthig und milde klingt, klingt wieder bei 
Pseudoignatius. Von einem religiös motivirten Zorn über den 
Irrthum ist da nichts zu spüren. Es macht dem Verfasser 
vielmehr sichtliches Vergnügen, in einer Seiten langen Apo- 
strophe dem Teufel alle seine Dummheiten und Schlechtig- 
keiten vorzuhalten (Philipp. 5—11), und die Häretiker, die 
damit eigentlich gemeint sind, heissen nicht bloss Christus- 
mörder und Christusverkäufer, sondern gelegentlich auch in 
einem Athemzug Hunde, Schakale, Füchse, Affen und Schlangen 
aller Arten (Ant. 6). Auf Acacius, der mit seinen Genossen 
auf der Synode zu Konstantinopel vom Jahre 360 unter anderem 
auch die Absetzung des Eustathius von Sebaste durchsetzte, 
liesse sich besonders bequem die häufige Polemik gegen die 
asketischen Grundsätze der Eustathianer zurückführen, welche 
wir nur nach der Auffassung der Gegner aus den Beschlüssen 
der Synode von Gangra kennen !). Es sind im übrigen oder 
doch in der Hauptsache orthodoxe Leute ?), welche die ge- 
setzmässige Geschlechtsgemeinschaft und Kindererzeugung eine 
Schändung und Befleckung und manche Speise verabscheuungs- 
würdig nennen (Philad. 6). Gegen biblische Argumente 
für den ersten Satz ist es gerichtet, wenn bestritten wird, 
dass in der übernatürlichen Geburt Christi eine Herabsetzung 
der μίξις νόμιμος von Seiten Gottes liege (Her. 4), oder wenn 


1) Vgl. den Commentar dazu bei Hefele, Conciliengesch. I, 751—765. 
Dass Pseudoignatius seine regelmässig wiederkehrende T'hemata nicht aus 
der Luft gegriffen, sondern aus den Bewegungen seiner Zeit genommen 
hat, bedarf wohl an dieser Stelle keines Beweises mehr. Dann hat zu 
den von ihm bekämpften Parteien die eustathianische gehört. 

2) Eustathius stand dem Acacius dogmatisch zeitweise nahe genug. 
Vgl. die Klage des Epiphanius haer. 75, 2. 


143 


die grosse Zahl der verehelichten Heiligen, wozu nach älteren 
Vorgang, 2. B. des Clemens Alexandr., auch Paulus gehört !), 
namhaft gemacht wird (Philad. 4). Weder die Männer sollen 
die Weiber, noch die Jungfrauen die Ehe als etwas Unreines 
verabscheuen (Her. 4; Philad. 4; Philipp. 6). Des Weins und 
des Fleisches soll sich Heron nicht enthalten, und die härteste 
Askese ist keine unbedingte Empfehlung (Her. 1. 2). 

Weiterhin hat Pseudoignatius ein grosses Interesse an 
rechter Ordnung der Festtage und besonders an Unterdrückung 
der quartodecimanischen Osterfeier (Pilipp. 13. 14). Die 
antijudaistischen Aeusserungen des Ignatius werden in diesem 
Sinn aufgegriffen, und wenn sie auch insofern abgeschwächt 
werden müssen, als die orientalische Sitte den Sabbath als 
Gottesdiensttag neben dem Sonntag auszeichnete (Mgn. 9), so 
werden sie doch andrerseits verbreitert (Mgn. 8) und 
deutlich auf die Paschafrage hingewendet (Mgn. 10). Dabei 
entwickelt der Verfasser wiederum einen Fanatismus, welcher 
gegen die energischesten Symodalbeschlüse des 4. Jahr- 
hunderts ?) von wesentlich gleicher Richtung und die Be- 
handlung der Streitfrage bei Athanasius, Epiphanius, Chryso- 
stomus 5) und vollends bei Socrates unangenehm absticht, aber 
auch darauf hinzuweisen scheint, dass der Widerstand der 
Quartodecimaner noch zäh und nicht so hoffnungslos war, als 
am äussersten Ende des 4. Jahrhunderts. 

Aus den bisherigen Beobachtungen ergibt sich als Zweck 
der ganzen Fiction. vermittelst der Auctorität des Märtyrers 
Ignatius erstlich in Sachen kirchlicher Sitte für eine mittel- 
schlächtige und gleichförmige Loyalität zu wirken, im 
Gegensatz sowohl zu zähem Festhalten an provincieller Eigen- 
thümlichkeit und Alterthümlichkeit, als zu neueren Extra- 
vaganzen, sodann aber — und das ist das weitaus Wich- 


l) Auch dies konnte Pseudoignatius aus Euxs. ἢ. ὁ. III, 30 wissen. 

2) Das Schreiben der nicänischen Synode Soer. h. e. I, 9; das des 
Kaisers Eus. vit. Const. III, 17 sqq. Can. Antioch. 1. Laodic. 49 πα. 
(rangr. 18. Die kühlste Erörterung bei Socr. ἢ. e. IV, 28: V, 21 sq. 

3) Mittelbar gehören dessen hom. I—IV adv. Jud., OpP- ed. Monttf. 
1, 587sqq. wenigstens auch hierher. 


144 


tigere — einer arianisirenden Theologie, welche die nicänische 
Formel sammt allen ihr sich annähernden der folgenden Jahr- 
zehnte verwarf, den Schein ehrwürdigsten Alters zu geben 
und sie gegenüber den in Marcell und Photin offenkundig ge- 
wordenen Ausschreitungen ihrer Gegner als biblische Wahr- 
heit darzustellen. Die literarische Polemik gegen Marcell 
zieht sich bis zum letzten Viertel des Jahrhunderts hin 1), 
während er sammt Photin nach dem Concil von 381 bald 
der häreseologischen Nomenclatur anheimfiel 33. Da auch die 
hier ins Feld geführte Theologie um 380 zwar nicht aus- 
gestorben war, aber olıne Hoffnung, in der griechisch redenden 
Kirche durchzudringen, verstummte, und da andrerseits die 
hier vorausgesetzten socialen und kirchlichen Verhältnisse, 
welche Pseudoignatius voraussetzt, merklich über die Mitte 
des Jahrhunderts hinabführen, so werden wir als Entstehungs- 
zeit dieses Werks die Jahre 360—380 bezeichnen dürfen. 
Dazu passt ebensosehr die Erwähnung der Kopiaten (vgl. oben 
S. 129), als die ziemlich sichere Vermuthung, welche weiter 
unten neue Bestätigung finden wird, dass eine von Hieronymus 
und Chrysostomus unseres Wissens zuerst benutzte marty- 
rologische Schrift, welche durch spätere Umarbeitung zum 
m. vatic. wurde, schon von Pseudoignatius benutzt wurde 
(vgl. oben S. 37f.). Hiermit verträgt sich endlich auch das 
Verhältnis unsres Verfassers zur kirchenrechtlichen 
Literatur. 

Nachdem schon Turrianus u. A. auf die vielfachen Be- 
züge zwischen dem damals allein vorhandenen Pseudoignatius 
und den apostolischen Constitutionen aufmerksam gemacht 
und unter Voraussetzung der Aechtheit beider Werke gemeint 
hatten, dass Ignatius jenes Werk des Clemens fleissig benutzt 
habe, während Scultetus und nach ihm Vedelius eine Inter- 
polation der Briefe des Ignatius aus den apostolischen 


1) Vgl. meinen Marcellus S. 85 f., wo etwa noch Didym. de trin. 
I, 81 zu nennen war. 

2) Οἵ, Cyrill. de trin. e. 28 in Patr. nova bibl., Rom. 1844, II. 30. 
Y'heodor. haer. fab. 11, 11. 


145 


Constitutionen annahmen, versuchte Ussher zu beweisen, dass 
die nachweisliche Interpolation der Constitutionen und der 
ignatianischen Briefe von völlig gleichem Geist und von auf- 
fällend ähnlicher Ausdrucksweise und darum eines einzigen 
Fälschers Werk sei. Darnach ist allerdings die Untersuchung 
über die Constitutionen und die mit ihnen stammverwandte 
Literatur von der Untersuchung der Geschichte der ignatia- 
nischen Literatur nicht ganz zu trennen. Dennoch glaube 
ich von einer ernstlichen Einmischung in jene ziemlich ver- 
wickelte Angelegenheit, welche nach der Veröffentlichung so 
vier neuer Quellen nothwendig auf’s neue monographisch 
behandelt werden muss, absehn zu dürfen. Pseudoignatius hat 
uns so reichlich über seine Absichten und seine Zeitlage 
orientirt, dass vielleicht von hier aus der viel schwierigern 
Aufgabe einer chronologisch bestimmten Bildungsgeschichte 
der Didaskalien - und Diataxenliteratur einige Erleichterung 
m Theil werden könnte, schwerlich aber umgekehrt. Das 
möchten die folgenden Bemerkungen näher darthun. Die 
Bücher I—VI der apostolischen Constitutionen, wie wir sie 
griechisch lesen, sind durch eine weitgreifende Interpolation 
aus einer älteren Schrift erwachsen, welche vor der Inter- 
polation ins Syrische übersetzt wurde unter dem Titel „Di- 
daskalia d. i. katholische Lehre der heiligen zwölf Apostel 
und Jünger unsres Heilands“ 1), ein Titel, welcher in den 
griechischen Constitutionen noch mehrfach durchklingt ?2).. Da 
ıun aber dieselben 6 Bücher unter gleichem Titel in arabischer 
und äthiopischer Uebersetzung die im griechischen Octateuch 
(. I-VI) vorliegende Erweiterung und Veränderung der Haupt- 
sache nach enthalten, so scheint allerdings zu folgen, dass die 
Interpolation der 6 Bücher vor sich ging, ohne dass sofort 
die beiden Bücher eonst. VII. VIII hinzutraten, dass also der 
Interpolator von 1. I—-VI mit dem Redactor von 1. 1---ΥἹ 
nicht identisch ist. Dem dient’s zur Bestätigung, dass die 


1) Didascalia apostol. syr. ed. [de Lagarde] 1854. Οἵ, Rell. jur. 
666], graece ed. de Lagarde 1856, p. IV. LVL 

2) Const. ap. I praef.; II, 39, besonders aber VI, 14: ἐγράψαμεν 
ὑμῖν τὴν χαϑολικὴν ταύτην διδϑασχαλίαν. 

Zahn, Ignatius. 10 


146 


Berührungen zwischen Pseudoignatius und den Constitutionen 
sich, wie man längst bemerkt hat !), auf die 6 ersten Bücher 
wenigstens hauptsächlich beziehen. Nachdem sich gezeigt hat, 
dass Pseudoignatius mit constit. VII, 46 sich mehrfach in 
Widerspruch setzt (s. oben S. 125 f.), so wird eine Abhängig- 
keit desselben von diesem Buch nicht für wahrscheinlich gelten 
können. Andrerseits reichen die Berührungen, die namentlich 
Ussher nachgewiesen hat, nicht aus, das Verhältnis umzukehren. 
Es hat nichts zu bedeuten, wenn constit. VII. 8 ebenso. wie 
Her. 5 aus Prov. 14, 29 eine Ermahnung gemacht wird; denn 
abgesehn von der Verschiedenheit des Zusammenhangs und 
des Wortlauts der Anführung, greift das Citat in constit. 
über das Her. 5 Angeführte hinaus; also schöpft der Ver- 
fasser von constit. VII aus der Bibel selbst. So hat er auch 
nicht aus Her. 1 die zur Bestreitung der Enthaltung von Wein 
und Fleisch verwendeten Stellen Jes. 1, 19; Gen. 9, 3; 
Cohel. 2, 25; Sach. 9, 17 entlehnt const. VII, 20. Erstlich 
ist die Ordnung der Stellen eine andre; sodann fehlt in const. 
das Citat aus Ps. 104, 15, welches er gewiss nicht ausge- 
stossen hätte, um Gen. 45, 18; Deut. 32, 23; Matth. 15, 11 
erst selbst in der Bibel aufzusuchen; ferner ist der Text 
z. B. in Gen. 9, 3 bei beiden abweichend genug, und Ueber- 
einstimmungen wie das παρ᾽ αὐτοῦ in der Anführung von 
Sach. 9, 17 gehen auf Varianten der LXX zurück. Endlich aber 
waren diese Stellen ein zum Theil seit Urzeiten in dieser 
Streitfrage verwendetes Beweismaterial (Just. dial. c. 20, 
p. 237 C; const. IV, 5). Vollends unrichtig ist es, wenn 
man in der Anordnung, den Sabbath neben dem Sonntag als 
Gottesdiensttag zu feiern (Mgn. 9) und an dem Sabbath vor 
Ostersonntag zu fasten, während das sonst am Sabbath verboten 
ist (Philipp. 13), eine Abhängigkeit von const. VII, 23, ef. 36 
oder umgekehrt die Quelle hiervon erkennt. Wortlaut und 
Gedankengang sind sehr verschieden. Die Regel selbst aber 
und deren Begründung durch die Beziehung der Sabbathfeier 


1) Vgl. die Zusammenstellung bei Bickell, Geschichte des Kirchen- 
rechts I, 58. 


447 


auf die vollhrachte Sehöpfung und des: Sonntags anf die Aufr 
erstehung (Mgn. 9) sind viel älter als congt. VIL Vgl. z.B, 
lagarde rell. jur. 6001. gr. 12, 3% sqq. Daher oder aus (ΟΣ 
auch dort benutzten Quelle ging es auch in const. VIII, 32 
über. Dagegen fehlt in const. VII, 23 cf. 36 der ausge 
sprochene Gegensatz christlicher und jüdischer Sabbathfeier, 
den man const. II, 36 cf, V, 15 ebenso wie Mgn, 9 findet; 
md auch die positivg Zweckangabe der Sahhathfeier, die 
μελέτη wauov. Ein directes Abhängigkeitsverhältnig zwigchen 
Pseudoignatius und eonst. VII ist demnach nicht zu erweisen 
und der aus dem obenerwähnten Widerspruch entnommene 
Beweis gegenseitiger Unabhängigkeit bleibt in Kraft. 
Schwieriger ist es über das Verhältnis unseres „Ignatius “ 
m const, VIII zu urtheilen, weil das Verhältnis dieses Buchg 
m anderen kirchenrechtlichen Schriften, namentlich zu den 
ἐικτάξεις τῶν ἀποστόλων» περὲ χειροτονιῶν διὰ Ἱππρλύτου, auch 
nach dem, was Bickell ἃ. ἃ, O. I, 221fl. und Lagarde rel], 
jur. 6660}. gr. p, VIII gesagt haben, noch nicht ausgamacht, 
sein dürfte. Denn, wie blosse Auszüge aus dem celemanr 
tinisyhen Oktateuch zu dem Naman des Hippelytus kenımen, 
it doch dadurch nicht; erklärt, dass man in Egypten anf 
Hippelytua als einen γνῴριμος τῶν ἀποστόλων überhaupt 
Achnliches zurückführte, als anderwärtse auf Clemeng; und 
das mir übrigens nicht ganz verständliche Sehelion der mün- 
chenuer Handschrift leitet die beiden kleinen Stücke, die .es 
angiht, doch nicht: aus dem, clementinischen Oktateuch, sondern 
eben nur aus irgend welchen ἀποστομκαὶ διατάξεις her !). 
Aber was hat nicht alles so geheissen!| Die Schrift selbst, 
um deren Verhältnis zu cons$. VIE es sich handelt, jedenfalls 
mit grösserom Becht, als die διατῳγαὶ τῶν ἀποστόλων, welche 
doch nur gelegentlich auch ἀποστολικαὶ διακάξεις haissen ?), 
In demjenigen Fällen, in walchen Barührungen zwisehen 


1) S. bei Lagardo rell. j. ecel. gr., p. 11. Der Text der Djataxen 
dort p. 5—18. ᾿ 
2) Cf. const. ed. Lagarde, p. ΠῚ. Epiphanius bezeichnet die ihm 
vorliegende ältere Form der Constitatienen wenigstens eiumal anch 
yluralisab als διατάξεις τῶν ἀποστήλωμ haar, 80, 7. 
105 


148 


Pseudoignatius und const. VIII zugleich in jenen Diataxen 
unter Hippolyts Namen ihre Parallele finden, können alle 
drei abhängen von einer Schrift, welche der Verfasser jener 
Diataxen excerpirend, der Verfasser von const. VIII ampli- 
ficirend benutzte. Jedenfalls steht eine directe Abhängigkeit 
des Pseudoignatius von letzterem oder dieses von jenem nicht 
zu erweisen. Die Ermahnung z. B. an die Eheleute διδασ- 
κέσϑωσαν ἀρκεῖσϑαι ἑαυτοῖς (const. VIII, 31; diat. Hippol. 
p. 10, 3) kann ebensowohl aus dem ächten Ignatius (ad 
Pol. 5) entstanden, oder auch selbständig gebildet. als durch 
Zusammenziehung der breiteren Ausführung desselben Ge- 
dankens in Her. 5 entstanden sein. Die an sich nicht be- - 
sonders auffällige Bemerkung, dass Adams Leib aus den 
vier Elementen gebildet sei, steht const. VIIL, 12 im Gegensatz 
zur Erschaffung seiner Seele aus nichts, Her. 4 dagegen im 
Gegensatz zur Erschaffung Evas aus seiner Seite. Es erscheint, 
wenn man die in beiden Schriften folgenden Worte beachtet, 
als blosse Ergänzung von etwas Selbstverständlichem, wenn in 
den Satz ἐπίσκοπος εὐλογεῖ, οὐκ εὐλογεῖται, χειροτονεῖ, προς- 
φέρει (diat. p. 9, 17) in const. VIII, 27 ein χειροϑετεῖ einge- 
schoben ist. Eine Abhängigkeit von dieser Fassung in const. 
VIII, 27 kann es doch nicht beweisen, wenn Her. 3 von den 
Bischöfen im Gegensatz zu den Diakonen und ohne Rücksicht 
auf die Presbyter gesagt wird: AuntiLovow, ἱερουργοῦσι, χεερο-- 
τονοῦσι, χειροτεϑοῦσιν. Dass die Diakonissen Ant. 12; const. 
VII, 27, aber auch diat. Hippol. p. 9, 30 als Thürhüterinnen 
bezeichnet werden, bezeugt höchstens einen gleichmässigen 
kirchlichen Brauch; und selbst, wenn irgendwo in den Con- 
stitutionen die κοπιαταί erwähnt wären, würde die Vergleichung 
von Ant. 12 höchstens das ergeben, dass der Redactor der 
Constitutionen und der Interpolator des Ignatius nach der 
Mitte des 4. Jahrhunderts gearbeitet haben. Es kann aber 
auch daraus, dass Pseudoignatius allein sie erwähnt, nicht ge- 
folgert werden, dass die Constitutionen ihre jetzige Gestalt 
früher erhalten haben. Erwähnung verdienen eigentlich nur 
zwei Stellen. Mit Recht fand es schon Ussher (diss., p. 109) 
auffällig, dass es von Christus Mgn. 4 heisst: ὁ ἀληϑινὸς καὶ 


149 


πρῶτος ἐπίσκοπος καὶ μόνος φύσει ἀρχιερεύς und Sm. 9: τὸν 
πρωτύτοχον καὶ μόνον τῇ φύσει τοῦ πατρὸς ἀρχιερέα (cf. 
Mgn. 7) und so auch const. VIEL, 46 πρῶτος τοίνυν τῇ φύσει 
ἀρχιερεὺς ὃ μονογενὴς Χριστός !). Die ähnlichen Stellen der 
Diataxen des Hippolytus enthalten das auffällige φύσει nicht. 
Aber es scheint hier eben einer jener Fälle vorzuliegen, 
wo jenes Excerpt unter Hippolyts Namen ein kirchenrechtlich 
gleichgültiges, #heologisch auch wohl anstössiges Wort ausstiess, 
welches der gemeinsamen Quelle getreu von den beiden andern 
Schriftstellern beibehalten wurde. An der zweiten noch frag- 
lichen Stelle kann jedenfalls der Verfasser von const. VIII, 33 
nicht aus Pseudoignatius geschöpft haben; denn, so wohl 
motivirt dort in der Erörterung der christlichen Betstunden 
die genaue Angabe dessen, was um die 3., 6. und 9. Stunde 
des Todestags Jesu geschehen ist, erscheint, so unpassend 
bringt Ignatius diese Gelehrsamkeit an einer Stelle an 
(Trall. 9), wo es sich auch nach seiner Umarbeitung nur um 
die Realität des menschlichen Lebens und Sterbens Jesu 
handelt. Irgend welche pracktische Absicht leuchtet wenig- 
stens nicht deutlich durch; denn aus: dem Vorhergehenden 
folgt gar nicht das, womit er schliesst: περιέχει οὖν ἡ μὲν 
παρασχευὴ τὸ πάϑος, τὸ σάββατον τὴν ταφὴν, ἡ κυριακὴ τὴν 
ἀνάστασιν. Soviel ist klar, Pseudoignatius ist hier der Ab- 
hängige, jedoch nicht von const. VIII, auch nicht von diat. 
Hippol. p. 13, 21 sqq., sondern von const. V, 14. 

Nur zwischen const. I—VI und Pseudoignatius findet 
ein weitgreifender Parallelismus statt, welcher allernächste 
literarische Verwandtschaft voraussetzt. Dies, aber auch nur 
dies hat Ussher ausreichend bewiesen. Seine Hypothese aber 
von der Identität der beiden Interpolatoren scheitert sofort 
an der ersten Parallele ἢ. Wenn man die Idee gegenwärtig 


1) ed. Lag. p. 280, 10 ef. 278, 18; 280, 3; 281, 8; aber auch diat. 
Hippol. p. 16, 12; 17, 17. 24. 

2) Kaum zu verwerthen ist die, soviel ich weiss, einzige, die in 
const. I nachgewiesen ist. Es ist doch nur eine ähnlich lautende und in 
verschiedenem Zusammenhang gebrauchte Redensart: μεμετρημένως καὶ 
εὐτάχτως, Her. 1, εὐτάχτως μετὰ αἰδοῦς μεμετρημένως const. I, 9. 


150 


hat, weiche, wie gleich nachher gezeigt werden soll, die 
Correspondenz zwischen Ignatius und Maria von Kastabala er- 
zeugt hat, aber auch den Brief an Heron durchweg beherrscht 
und die umfangreiche Einschaltung in Mgn. 3 veranlasst hat, 
sd muss es auffallen, const. II, 1 als allererstes Gesetz in 
Bezug auf die Bischöfe zu lesen, dass unbescholtene Männer 
nicht unter 50 Jahren dazu zu bestellen seien. Wer diesen 
Kanon aufstellt, oder auch nur gelten lässt, kann nicht eine 
löngere Dichtung ersonnen und seine Schriftgelehrsamkeit auf- 
geboten haben, um zu beweisen, dass ganz junge Männer eben- 
sogut wie der 12jährige Salomo und der 8jährige Josias zu 
den höchsten Aemtern gelangen können, und dass sogar in 
der Metropole Antiochien ein Diakonus, welcher ermahnt 
werden muss, seine Jugend nicht verachten zu lassen, dem 
Ignatius sofort nach seinem nahebevorstehenden Tode im Amt 
folgen dürfe. _ Allerdings kennt dieser Ignatius den Inhalt 
und Wortlaut von const. II, 1, wie er auch in der syrischen 
Didaskalia enthalten ist, und setzt sich damit, so gut es gehn 
will, auseinander. Nach Aufstellung jenes Kanons heisst es 
const. II, 1 in genauer Uebereinstimmung mit didasc., p. 10, 
12 864ᾳ.: „Wenn aber in einer kleinen Parochie kein be- 
jahrter Mann sich findet, der gutes Zeugnis für sich hat und 
geeignet ist, zum Bischof bestellt zu werden, es ist aber ein 
junger Mann vorhanden, welcher von seinen Bekannten das 
Zeugnis empfängt, dass er des Bisthums würdig sei, indem er 
trotz seiner Jugend durch Sanftmuth und gute Haltung 
Greisenalter bekundot, so möge er, nachdem untersucht 
worden ist, ob Alle ihm solches Zeugnis ausstellen, getrost 
eingesetzt werden.“ So gewiss Pseudoignatius dies nicht 
teschrieben haben kann und, wenn ihm dies als Object seiner 
interpolirenden Thätigkeit vorgelegen hätte, es gründlich 
interpolirt hätte, so unzweideutig ist es doch, dass er aus 
dieser Stelle starke Anregung bei Anfertigung jener Briefe 
empfangen hat. Die „kleine Parochie' ist „die Neustadt 
bei Anazarbus", Maris ist „der junge Mann“, welcher, wie 
es Mar. ad Ign. 2 heisst, „in frischer Jugend des 
Priesterthums Greisenthum ausstrahlt“. Aber micht 


451 


mehr als Ausnahme von einer Regel erscheint hier die Ein- 
setzung eines jugendlichen Bischofs, sondern Regel geworden 
ist: οὐχ οἱ πολυχρόνιοί εἶσι σοφοὶ οὐδὲ οἱ γέροντες ἐπίστανται 
σύνεσιν, ἀλλὰ πεῦμά ἐστιν ἐν βροτοῖς Men. 3, und mit starker 
Betonung wird dem 90jährigen Eli das Knäblein Samuel als 
Strafprediger gegenübergestellt und auch sonst das Beweis- 
material vermehrt. Ist nun hier die Abhängigkeit dieses 
Ignatius von const. I—VI, soweit sie mit der Didaskalia 
identisch und von dem Interpolator unberührt geblieben sind, 
evident geworden, so fragt sich nur noch, vb er auch mit 
dem Interpolator der Didaskalia Berührungen hat, und ob er 
auch da als secundärer Schriftsteller sich erweist. Auch 
letztere Frage muss erhoben werden; denn möglich wäre es 
ja, dass dieser Ignatius die noch unverfälschte Didaskalia be- 
nutzt hätte, und ihn wiederum der Interpolator von const. 
I—VI, so dass wir also die Genealogie gewännen: 1) Dida- 
scalia, 2) Pseudoignatius, 3) const. I—VI. In der That ge- 
bührt unserem Ignatius. die dritte Stelle. Das beweist schon 
die Interpolation von Mgn. 3 und Sm. 9 in Vergleich mit 
const. VL, 1. 2, ἃ. 1. mit einer grossen Interpolation, welche, 
wie der Vergleich mit didasc. p. 96 lehrt, von der ersten 
bis zur zweiten Erwähnung Dathams und Abirams reicht 
(const. ed. Lag. 156, 15 — 157, 15). Der Gleichlaut im Ein- 
zelnen !) und die Verwechselung des Σαββεαΐ (2Sam. 20, 1 84.) 
mit Aßeddudav lassen keinen Zweifel an der Abhängigkeit 
eines Schriftstellers oder vielmehr Interpolators vom andern. 
Αβεδδαδάν ist Aßsdödupn oder ᾿4“βεόδαδώμ, d. i. Obed Edom 
aus 2Sam. 6, 10, wohin ein von Οζίας zu Ὀζά 2 Sam. 6, 6 
abirrendes Gedächtnis führte. Dass der Interpolator der 
Didaskalia wirklich den Seba von 2Sam. 20 meint, zeigt die 
Zusammenstellung mit Absalom, und was er selbst von ihm 
sagt. Hätte ihm aber Mgn. interp. 3 als Quelle seiner 
Kenntnis wie seines Irrthums vorgelegen, so wäre unbegreiflich, 


1) Οὐ Sm. 9 mit const. VI, 2: δὲ γὰρ ὁ βασιλεῦσιν x. τ. A.; ferner 
Mgn. 3 mit const. VI, 2: «uuwonzos; endlich Sm. 9 (κατατολμήσας 
ἱερέων xai lepweurns) mit const. VI, 1 (χαταξολμήσας τῆς ἱδρωσύνης). 


152 


wie er aus dem falschen Namen den richtigen Mann hätte 
errathen können, oder, wenn ihm dies doch gelungen wäre, 
wie er dann den falschen Namen hätte beibehalten können. 
Somit hat Peudoignatius vielmehr aus dem bereits inter- 
polirten Text von const. I—VI geschöpf. Die Schlus- 
folgerung von dem minus einer Auflehnung gegen das König- 
thum zum majus einer Empörung gegen das Priesterthum hat 
er Sm. 9 verwendet; die geschichtlichen Beispiele aber hat 
er Mgn. 3 beigebracht, wo er, ohne jenen Unterschied zu 
machen, von Auflehnung gegen die Oberen überhaupt redet. 
Schon vorhin wurde bemerkt, dass die Chronologie der Lei- 
densgeschichte in Trall. 9 aus einem anderen Zusammen- 
hang entlehnt sein müsse und zwar aus const. V, 14. Wie- 
derum ist es, wie die Vergleichung mit didasc., p. 88 zeigt, 
ein interpolirter Text, aus welchem dieser Ignatius schöpft. 
Ebenso verhält sich’s mit der Mgn. 9 benutzten Stelle const. 
II, 36, deren unverfälschter Urtext didasc., p. 42 steht. Es 
ist ferner eine grosse Interpolation in const. V, 13 sq. cf. 
didasc., p. 87, 18 sqq., deren Benutzung in Philipp. 13 bei 
Empfehlung der 40Otägigen Fasten allein schon durch die 
Worte μέμησιν περιέχει τῆς τοῦ κυρίου πολιτείας Sich ver- 
räth. Auch alle weiteren Uebereinstimmungen gerade in 
dieser Materie zwischen Philipp. 13. 14 und const. V, 15. 17 
sind ebensoviele grelle Widersprüche gegen den unverfälschten 
Text der Didaskalia. 

Pseudoignatius hat demnach eine Gestalt der interpolirten 
Didaskalia benutzt, welche in const. I—VI wesentlich unver- 
sehrt erhalten zu sein scheint, und zwar hat er sie, wenn 
nicht Alles trügt, vor ihrer Verlängerung um const VII. 
VIII oder vielmehr ohne dieselbe gelesen. Auf diese Schrift 
scheint er ausdrücklich mit den Worten hinzuweisen: ,2]δεῖσϑε 
δὲ καὶ τὸν ἐπίσκοπον ὑμῶν ὡς Χριστόν, καϑ᾽ ὃ ὑμῖν οἱ μακά- 
οιοι διετάξαντο ἀπόσοτολοι (Trall. 7 cf. Her. 2 und Us. 
diss., .Ρ. 67 sq.).. Dem so empfohlenen Gebot Aehnliches 
lesen wir öfter in den Constitutionen. Besonders nahe liegt 
die Annahme einer bestimmten Erinnerung an const. II, 
34. 35, besonders an Worte wie οὕτως καὶ ἡμεῖς ὑμῶν περὶ 


153 


τῶν ἐπισχύπων διατασσόμεϑα und διὸ τὸν ἐπίσκοπον στέρ-- 
γεν ὀφείλετε ὡς πατέρα, φοβεῖσϑαι ὡς βασιλέα τιμᾶν τε 
ὡς κύριον ὃ). 

Eine genauere Zeitbestimmung für die Entstehung des 
pseudoignatianischen Werks gewinnen wir auf dem Wege 
dieser Untersuchung nicht. Denn daraus, dass Epiphanius um 
375 die διάταξις oder die διατάξεις τῶν ἀποστόλων in einer 
jedenfalls viel ursprünglicheren, der syrischen Didaskalia viel 
ähnlicheren Gestalt benutzte, folgt selbstverständlicher Weise 
nicht, dass ein Schriftssteller, welcher bereits die vom Redactor 
des clementinischen Oktateuchs aufgenommenen Bücher const. 
I—-VI in der jetzt vorliegenden Gestalt benutzt hat, nach 
375 gearbeitet haben müsse. Es kann kurz vorher, wie kurz 
nachher geschehen sein. Wie lange vor der anderweitig fest- 
gestellten Zeit des Pseudoignatius (360—380) die Bücher 
const. I— VI die von jenem benutzte Interpolation erlebt 
haben, habe ich nicht zu untersuchen; nur wird feststehn 
müssen, dass Pseudoignatius nicht selbst auch Pseudoclemens 
ist, und zwar weder der Redactor des Oktateuchs, dessen Werk 
ihm noch unbekannt ist, noch der Interpolator von const. 
I-VI, von dem er in einer Art und Weise abhängig ist, in 
welcher Einer nicht-von sich selbst abhängig sein kann. _ - 

Endlich ist auch noch auf die so zu sagen romanhafte 
Seite der Fiction ein Blick zu werfen. Die beiden an der 
Spitze stehenden Briefe von und an Maria sind auch der 
fingirten Entstehungszeit nach die ersten. Ignatius befindet 
sich zwar schon unter militärischer Bewachung, die ihn an 
freier Bewegung hindert, aber doch noch in Antiochien, als 
er den Brief Marias beantwortet (ad Mar. 4). Diese Maria 
nennt sich selbst in der Grussüberschrift zeogjAvıosg ᾿Ιησοῦ 
Χριστοῦ, was man geneigt sein möchte von einer kürzlich 
geschehenen Bekehrung vom Judenthum oder Heidenthum zum 
Christentbum ?) zu verstehn, zumal dem Ausdruck in der 


1) Vgl. jedoch auch die viel älteren diarayai bei Lagarde, rell. jur. 
600]. gr., p. 76, 21. 
2) Just. dial. c. 122, p. 531 B: οὐχὶ τὸν παλαιὸν νόμον ἀχουσό--: 


154 


Grrussüberschrift des Antwortschreibens ein ἠλεημένη ὑπὸ ϑεοῦ 
entspricht, und sie im Namen einer eben erst bekehrten 
Schaar cilicischer Christen den ihr persönlich unbekannten 
Bischof der Metropole Antiochien um Geistliche zur Organi- 
sirung der Gemeinde bittet (Mar. ad Ign. 1). Aber sie soll 
schon unter dem Vorgänger des dermaligen römischen Bischofs 
Clemens, unter dem πάπας Anaclet !), um diesen oder um die 
römische Gemeinde sich Verdienste erworben haben (ad 
Mar. 4); man kann kaum daran zweifeln, dass sie die Mapası, 
ἥτις πολλὰ ἐχυπίασεν εἷς ὑμᾶς sein 501] ἢ. Also nur über- 
haupt als eine zum Christenthum bekehrte Jüdin wird sie 
dadurch bezeichnet sein sollen. Sie stammt aber nicht aus 
Rom, sondern aus der ceilicischen Stadt Καστάβαλα; denn, 
wie die Uebereinstimmung der wenigen Textzeugen für den 
Brief der Maria und die Unerfindbarkeit einer solchen Spe- 
cialität Seitens eines Abschreibers beweist, hat schon der 


---- - oo... 


μεϑα καὶ τοὺς προςηλύτους αὐτοῦ, ἀλλὰ τὸν Χριστὸν χαὶ τοὺς προςηλύ- 
τους αὐτοῦ ἡμᾶς τὰ ἔϑνη, οὖς ἐφώτισεν. 

1) Vgl. oben ὃ. 125. Die Freude des Mästräus (not. 20 zu ad 
Mar. 4), so früh schon den römischen Bischof ‚Papst‘ genannt zu finden, 
war natürlich sehr voreilig. Wäre der Titel πώπας für Pseudoignatius 
ein den Bischöfen der Hauptkirchen oder gar der römischen insbesondere 
eigenthümlicher Ehrentitel, so würde er ihn dem Clemens oder dem 
Euodius (ad Mar. 4; Ant. 7; Trall. 7; Philad. 4) gewiss nicht ver- 
sagen. Passend wendet er diesen Ehrennamen besonders älterer Geist- 
lichen da an, wo es sich um das Verhältnis eines Frauenzimmers zum 
Bischof handelt. In act. Perpet. et Felic. c. 13, Ruinart p. 99 cf. Tert. 
de pudic. 13 mit de pud. 1, auch Cypr. ep. 8; 30 inser., 31 inscr., 
36 inser.; 30, 8 scheint der Bischof allein im Unterschied von den 
übrigen Geistlichen papa zu heissen, vgl. aber Mabillon, vetera analecta 
IV, 104. Dass die alexandrinischen Bischöfe besonders häufig so ge- 
nannt wurden, ist bekannt. Cf. Eus. ἢ. e. VII, 7, 4; Athan. opp. ed. 
Montt. I, 2, 729 C. E; Epiphan. haer. 68, 9 sqq. Eutych. ann. interpr., 
Pocockio I, 332. 335. 

2) Rom. 16, 6 wo an der Lesart ὑμῶς statt ἡμᾶς doch wohl nicht 
zu zweifeln ist. Dieser schon älteren Vermuthung scheint auch Uss. 
Clier. II, 95 nicht haben entgegentreten zu wollen. Er hält sie auch 
für eine proselyta Hebraici nominis im doppelten Sinn dieses 
Worts. 


155 


Veranstalter der Sammlung B, welcher sich auch hierdurch 
als Verfasser des Werks bezeichnet, der Grussüberschrift noch 
die Adresse vorgesetzt: ᾿γνατίῳ Muolu ἐκ Κασσοβήλων oder 
wie sonst der Name verunstaltet wurde, welchen schon Ca- 
aubonus richtig wiederhergestellt hat (s. Auh. I, 6). Aber 
sie befindet sich nicht in Kastabala, sondern in der Neu- 
stadt bei Anazarbus (Mar. ad ἴσῃ. 1: Ign. ad Mar. inser.; 
Her. 9). Eine dortige Stadt mit Namen Neapolis erwähnt 
kein alter Geograph; aber auch Pseudoignatius will nicht so 
verstanden werden, sonst würde er nicht die bekanntere Stadt 
daneben nennen und schwerlich auch, was doch nur viel 
ältere Schriftsteller thun, beide Stücke des Namens decli- 
niren ἢ und vollends Maria von „unserer hiesigen neuen 
Stadt bei Zarbus‘“ reden lassen (Mar. ad ἴσῃ. 1). Das sollte 
doch wenigstens keines Beweises bedürfen, dass Voss das sinn- 
lose τῆς ἡ μελάπης νέας πόλεως in ΟἹ L! richtig in ἡ μεδα- 
πῆς emendirte, während es Dressel vorzog, stillschweigend das 
Unmögliche zu wiederholen. Um den Ausdruck zu verstehn, 
muss man sich der theilweise sagenhaften Geschichte von 
Auazarbus erinnern 3). Anazarbus wird sie von Pseudoignatius 
nur Her. 9, und vielleicht auch dort nicht genaunt, denn 
L! 1 A setzen hier gegen G! ΟΣ ein τῇ πρὸς τῷ Zuoße 
voraus, wie es alle Zeugen Mar. ad Ign. 1 und G! im Titel 
von Ign. ad Mar. geben. Man wird diese Form wohl überall 
gelten lassen müssen, wie unbequem auch der masculinische 
Artikel neben dem Stadtnamen ist, und wie verzeihlich das 
Misverständnis der armenischen oder der zu Grunde liegenden 
syrischen Uebersetzung war, dass hier ein Fluss genannt sei ὃ). 


1) 8o Ign. ad Mar. 1; Her. 9; in der Titelüberschrift von Ign. ad 
Mar. hat med. ohne Bestätigung durch irgend einen andern Zeugen εἰς 
VerrroA® τῆς (ἃ. i. τὴν) πρὸς τῷ Ζάρβῳ. 

9) Bei Mannert. Geographie VI, 2. 8. 105 8, Forbiger, Handbuch 
1. 5 885 f. findet man nicht ganz deutliche Auskunft. 

3) Her. 3 „prope ad Derbim fluvium“. Die Erweichung des Z in 
δ oder τ — denn darüber lässt sich nach A nicht entscheiden — ist jeden- 
falls syrischer Herkunft. 


166 


Einen Fluss oder Berg dieses Namens gibt es in Cicilien 
nicht, sondern Zarbus oder Anazarbus, richtiger Zarba oder 
Ainzarba !) ist die oft genannte Stadt ‚nicht weit von der 
Einmündung des Salakat in den Pyramus. Unter Julius 
Cäsar oder wohl richtiger uuter Augustus in Folge eines Erd- 
bebens wiederaufgebaut, hiess sie eine Zeit lang Caesarea 
Augusta oder “Πιοκαισάρεια ?), wurde aber unter Nerva aber- 
mals durch Erdbeben zerstört und wiederaufgebaut, um fortan 
wieder den alten Namen Anazarbus zu führen. Die spätere 
Sage hielt ihn für einen neuen, den sie von einem mit ihrem 
Wiederaurbau beauftragten römischen Senator Zarbus oder 
Anazarbus auf Nervas Befehl erhalten haben sollte’). Von 
dieser Sage weiss Pseudoignatius nichts, wohl-aber von dem 
Wiederaufbau des alten Anazarbus und späteren Üaesarea 
Augusta unter Nerva. Da dies noch zu Clemens’ Lebzeiten 
(vgl. oben 8. 126), also nach seiner auf Euseb fussenden 
Chronologie in der allerersten Zeit Trajans geschrieben sein 
sollte, so lag es dem Verfasser nahe, die in der Nähe der 
nach einander dort entstandenen und zerstörten Städte kurz 
zuvor neu gegründete, noch in der Entstehung begriffene 
Stadt „die neue Stadt bei Anazarbus‘“ zu nennen. Es ist auch 
eine eben erst entstehende christliche Gemeinde, in deren An- 
gelegenheiten sich Maria an Ignatius wendet. Sie erscheint 
als die Patronin der noch aller geistlichen Leitung entbehren- 
den Christen zu Anazarbus; auch nachdem dieselben den er- 


1) Vgl. Ritter, Erdkunde von Asien (2. Aufl.) IX, 2. 5, 58. Vgl. 
auch Aeltere bei Bernhardy zu Suidas I, 328. 

2) Daher heisst es bei Plin. h. n. V, 27, 22: Intus (d. i. landein- 
wärts) dicendi Anazarbeni, qui nunc Caesarea Augusta (von Sillig fälsch- 
lich durch Komma getrennt), Castabala, Epiphania etc. Cf£. Ptolem. V, 
ed. Bas. 1533, p. 322: Καισάρεια πρὸς ᾿Αναζάρβῳ, worauf dann Mo- 
woveoria, Καστάβαλα folgen. | 

3) Suidas 5. v. ᾿ἀνάζαρβος, J. Malal., lib. X, p. 257 ed. bonn.; aber 
‘in Kürze auch wohl schon Amm. Marcell. XIV, 8: Anazarbus auctoris 
vocabulum referens. Erst viel später sollte die Stadt noch einmal aus 
gleichem Anlass ihren Namen ändern Euagr. ἢ. e. IV, 8; Malal., lib. 
XVII, p. 418; aber die Orientalen haben sich daran nicht gekehrt, 
s. Ritter a. a. O., 8. 58. 


157 


betenen Bischof erhalten haben, wird von einer in ihrem Haus 
sich versammelnden Gemeinde so gesprochen, dass man darunter 
die ganze junge Gemeinde verstehen muss (Her. 9). Ihre 
Bitte an Ignatius !) misverstand Ussher, wenn er meinte, jener 
Maris, dessen Zusendung sie wünscht, sei bereits Bischof von 
„Neapolis“. Aber dann wären ja die dortigen Christen nicht 
ohne Vorsteher und der ganze Briefwechsel wäre sinnlos, in 
welchem aus Schrift und Vernunft bewiesen wird, dass es 
ganz angemessen sei, so junge Leute zu geistlicher Würde zu 
befördern, wie Maris, Eulogius und Sobelus. Also stehen diese 
noch nicht in geistlichen Aemtern, sondern zur Uebernahme 
des bischöflichen Amts in der neuen Gemeinde soll der 
Bischof der nächstgelegenen grossen Kirche seinen ?) jungen 
Freund Maris herüberschicken und ebenso zu Presbytern die 
gleichfalls in der Umgebung des Ignatius zu suchenden Eulo- 
gius und Sobelus bestimmen. Diese Fietion entspricht im 
allgemeinen altem Kirchesirechtsgrundsatz 5): auch die Zahl 
der Geistlichen ist wohl nicht willkürlich gewählt, aber eigen- 
thümlich ist dem Verfasser und gerade der kirchlichen Regel 
gegenüber der Rechtfertigung bedürftig, dass junge Männer 
zum Bisthum und Presbyterat befördert werden dürfen (vgl. 
oben S. 150). Das ist die im Brief der Maria ὁ. 2—4 breit 


1) c. 1: παρακαλοῦμεν ἀξιοῦντες ἀποσταλῆναι ἡμῖν παρὰ τῆς σῆς 
συνέσεως Μάριν τὸν ἑταῖρον ὑμῶν ἐπίσχυπον τῆς ἡμεδαπῆς νέας πόλεως 
τῆς πρὸς τῷ Ζάρβῳ χαὶ Εἰ λόγιον καὶ Σύβηλον πρεσβύτερον (ὃ πρεςβυτέ- 
ρους), ὅπως μὴ ὦμεν ἔρημοι τῶν προστατῶν τοῦ ϑείου λόγου. Anh. 1, 6. 

2) Das richtige ὑμῶν nach ΟἹ (ἡμῶν 1,1) hat allerdings schon Voss 
in der Ausg. von 1646. 

3) Vgl. die alten dierayal οιὰ Κλήμεντος nach Lagarde, rell. jur. 
606]. gr. p. 77: ἐὰν ολιγανδρία ὑπίρχῃ ταὶ μήπου (f. unnw) πληϑος 
τυγχάνῃ τῶν δυναμένων ψηφίσασθαι περὶ ἐπισχύπου ἐντὸς δεκαδύο 
ἀνδρῶν, εἰς τὰς πλησίον ἐκκλησίας͵ ὅπου τυγχάνει πεπηγυῖα, γραφέτωσαν, 
ὅπως ἐχεῖϑεν ἐχλεχτοὶ τρεῖς ἄνδρες παραγενόμενοι δοκιμῇ δοχιμάσωσι 
τὸν ἄξιον ὄντα x. τ. Δ. Der so Ernannte soll zwei Presbyter einsetzen, 
wohingegen freilich bald nachber in einer nicht ganz deutlichen Stelle 
drei passender befunden werden. Vgl. Bickell, Geschichte des Kirchen- 
rechts I, 94. 122. Es wird das eine zeitgemässe Umgestaltung sein, dass 
Pseudoignatius die drei von Antiochien aus herübergeschickten Männer 
Belbst die Aemter in der neuen Gemeinde übernehmen lässt. 


158 


ausgeführte und diesen Theil der Diehtung beberrschende 
Idee. Dem gelehrt aussehenden Schriftheweis für dieselbe 
kann Igmatius nur beistimmen, so dass ihm für seine Ant- 
wort nur schwülstige Höflichkeiten und zum Schluss eine un- 
vermeidliche Ermahnung zur Orthodoxie an die junge Ge- 
meinde übrigbleibt. Mit dem gleichen biblischen Material 
wird derselbe Gedanke noch einmal in einer langen Inter- 
polation von Mgn. 3 ausgeführt im Anschluss an ein Lob der 
Presbyter, welche ihren Bischof trotz seiner Jugend in Ehren 
halten. Diesem Anlass entsprechend wird dort der Schrift- 
beweis bis zur paulinischen Ermahnung an Timotheus fort- 
gesetzt: Mnöes σου τῆς νεύτητος καταφρονείτω x. τ. Δ. Hier- 
mit ist wiederum der Grundton des Briefs an Heron gegeben 
(Her. 3). Nächst: dem Brief an Polykarp sind es die beiden 
. Briefe an Timotheus, welche hiefür als Muster dienen und 
fleissig ausgebeutet werden. Wie Timotheus 1), so ist auch 
Heron, dessen Namen Euseb darbot, Diakon und noch sehr 
jung wie jener, eben erst der väterlichen Pflege des Ignatius 
entwachsen (c. 3. 6). Dennoch hat ihn Ignatius schon 
im prophetischen Geist als Nachfolger im Bisthum von 
Antiochien erkannt (c. 8; cf. Antioch. 12. 14). Auf Heron 
bereitete schon ad Mar. 5 vor, und in gebeimnisvoller, für 
uns jedoch sehr verständlicher Weise, wird im Brief an 
die Antiochener unmittelbar hinter den Grüssen an die 
Diakonen auf ihn hingewiesen (c. 12 cf. 8. 14). Man sieht, 
hier ist Alles von der einen Idee zusammengehalten, dass 
junge Männer von Talent, insbesondere auch Diakonen zur 
bischöflichen Würde gelangen können, ohne vorher eine Zeit- 
lang Presbyter gewesen zu sein. Der 10. sardicensische Kanon, 
welcher dies verbietet, zeigt, dass um die Mitte des Jahr- 
-hunderts Urtheil und Praxis in diesem Punct variirten. Es 
müssen sehr persönliche Motive den Verfasser bestimmt haben, 
auf die Ausführung dieses Gedankens so viel Fleiss zu ver- 
wenden. Vielleicht ist eg ein Stück seiner Lebensgeschichte, 
das zu Grunde liegt. Welche ganz concrete Rücksichten und 


1) Trall. 9. Erwähnt wird er nach Philad. 4 als Cäleba. 


159 


Absichten der Erfindung der historischen Kinrahmung hier 
ud da zu Grunde liegen, würden wir wahrscheinlich er- 
kennen,. wenn wir die Kirchengeschichte der antiochenischen 
Diöcese bis in’s Einzelne kennten. Die Nachdrücklichkeit in 
der Betonung der Oertlichkeiten, zu welchen ausser den ge- 
nannten noch Tarsus und Laodicea als zur antiochenischen 
Eparchie gehörig hinzukommen (Her. 8), wird ihren Grund 
in den besonderen Verhältnissen jener Gemeinden zur Me- 
tropole Antiochien während der zweiten Hälfte des 4. Jahr- 
hunderts haben. Wie leicht konnte es kommen, dass einer 
der cilicischen Bischöfe sich der Autorität des antiochenischen 
Bischofs entzog, und dass ein Freund z. B. des Eudoxius, wie 
Acacius einer war, jenem nebenher einen Dienst erweisen 
wollte! Auffallen muss es ohnedies und zeugt jedenfalls von 
dem Mangel an Erfindungsgabe des Verfassers, dass mehr als 
einer seiner Namen seiner Zeit entlehnt ist. Zu seinen Partei- 
genossen gehörte ein Maris von Chalcedon,.ein Athanasius 
von Anazarbus (Philost. II, 15; Theedoret 1, 5. V, 7), 
zu den dem Nicänum sich anbeguemenden Semiarianern neben 
einem Eustathius von Sebaste und Silvanıs von Tarsus auch 
ein Theophilus von Kastabala (Socrat. h. 6. III, 25; IV, 12). 
Aehnliche Analoga weiss ich für den Bischof Vitalius oder 
Vitus von Philippi !), den Lector Euphanius (Philipp. 15) 
und den Hauswirth des Ignatius in Antiochien, Casianus ἢ), 
nicht anzufübren. Aber diese Namen werden auch nicht in 
einen näheren, geschichtlich aussehenden Zusammenhang mit: 
Ignatius gebracht. Nur weil doch in Briefen auch Grüsse auf- 


1) Die Form Biros (Vitus) steht Her. 8, wo ohne Frage der Bischof 
von Philippi gemeint ist, fest. In Philipp. 14 schreibt A ebenso, G2 da- 
gegen Βιταλιος, 1,3 Vitalem. 

2) Die richtige Schreibung Kasıavös scheint nur ΟἹ in ad Mar. 5 
bewahrt zu haben, während er mit allen übrigen Her. 9; Ant. 18 Kao- 
σιανός schreibt. A mit seinem Casianos, Kisaneus, Kisianus kann 
nichts verbürgen. Jedenfalls aber ist das doppelte σ verdächtig, durch 
Erinnerung an einen bekannten römischen Namen entstanden zu scin, 
während Kooıavus als Name eines Antiocheners entweder auf Κώσιον 
ὅρος (Strabo XVI, 1, 12; 2, 8) oder auf die kleine Festung Κασιανά bei 
Apamea am Orontes (Strabo XVI, 2, 10) hinweist. 


160 


getragen und ausgerichtet werden müssen. wird das Wenige 
erfunden. a 

Wie der Brief an Heron, so sollen auch die. an die 
Antiochener und Tarsenser von Philippi aus geschrieben sein 
(Her. 8; Ant. 14; Tars. 10). Den Ignatius an seine eigene 
Gemeinde schreiben zu lassen, um ihr zum Aufhören der Ver- 
folgung Glück zu wünschen und für die Zeit bis zur Er- 
wählung seines Nachfolgers Mahnungen und Verhaltungs- 
massregeln zu ertheilen, lag so nahe, dass 2. B. Grabe (spieil. 
Il, 8. 24) an einen verlorenen ächten Antiochenerbrief glaubte 
und diesem einige ignatianische Apokrypha zuschob. Für 
einen Brief nach Tarsus bot der eilicische Diakon Philon, 
welcher nach den älteren Briefen eine Zeit lang in der Be- 
gleitung des Ignatius sich befunden haben sollte, den natür- 
lichen Anknüpfungspunct. Im Uebrigen mag es in den zur 
Zeit des Pseudoignatius obwaltenden Zuständen der dortigen 
Kirche begründet gewesen sein, gerade an diese Gemeinde eine 
besonders eindringliche Predigt des orthodoxen Bekenntnisses 
gerichtet sein zu lassen. Am wenigsten historisch motivirt 
erscheint der Brief an die Philipper. Die, übrigens in ἢ und 
A fehlende Ueberschrift περὶ βαπτίσματος trifft wenigstens 
insofern zu, als hier eine dogmatische Abhandlung vorliegt, 
welche vom Taufbekenntnis ausgeht (c. 1. 2). Dass Ignatius 
über Philippi gereist sei, wusste der Verfasser aus der von 
Euseb (ἢ. e. III, 36, 13) mitgetheilten Stelle des Polykarp- 
briefs. Ob der Lector Euphanius, welcher den Brief des 
Ignatius nach Philippi bringt, der dortigen Gemeinde ange- 
hören soll (Philipp. 15), ist mindestens zweifelhaft; so auch 
der Ort der Abfassung des Briefs. Ignatius will περὶ Pr- 
γίονα 1) mit Euphanius zusammengetroffen sein, wo dieser zu 
Schiff stieg. Da die Varianten keinen nachweisbaren Orts- 
namen an die Hand geben, so wird, wie schon Halloix sah, 
das’ « als Verdoppelung des Anfangsbuchstabens des folgenden 
ἀναγομένου zu streichen sein. Bei Rhegium also hat Ignatius 


1) So ovf, Ῥηγείονα an, Ρηγειύνα Ὁ, in regionem L? (regione pl), 
in tempore A. 


101 


dem ihm begegnenden Euphanius den wohl auf dem Schiff 
geschriebenen Brief mitgegeben. Das weist uns dann aber, je 
befremdlicher es ist, um so sicherer auf das m. vat.-oxon., nach 
welchem die Reise des Ignatius von Asien aus ἐπὶ Θράκην καὶ 
Ῥήγιον und dann weiter ἐκ 'Prylov nach Rom ging'). Eine 
Umkehrung des Abhängigkeitsverhältnisses wird sich hier 
ebensowenig als in Bezug auf das oben S. 37f. besprochene 
Zusammentreffen des Pseudoignatius mit m. vat. empfehlen. 
An der Dürftigkeit der von hier und dort zusammengelesenen 
Namen und Daten erkennt man, wie sehr alles dies blosse 
Zuthat ist, um den Briefen einigermassen briefartiges Ansehn 
zu geben. Soweit der so zu sagen historische Stoff in 
schärferen Umrissen uns entgegentritt, weist er uns, nur nicht 
mit solcher Deutlichkeit, wie die zum Beweis verwendeten 
Zeichen der Zeit, in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts. 
Was nun den Umfang der von Pseudoignatius ver- 
arbeiteten Briefsammlung anlangt, so ist bereits bewiesen 
worden, dass der Römerbrief, welchen er nur so weit kennt, 
als Euseb ihn excerpirt hat, ihm im übrigen unbekannt war 
(vgl. oben S. 128). Dazu passt es, dass er erst nachträglich 
der vom Interpolator selbst angefertigten Sammlung B an- . 
gefügt zu sein schien, und dass auch der Redactor der Samm- 
lung U, welcher die Grundsammlung mit den neuen Titeln 
der Sammlung B verband, den Römerbrief noch nicht auf- 
nahm, weil er ihn in der Sammlung B ebensowenig als in 
der Grundsammlung vorfand (vgl. oben S. 114). In der That 
zeigt auch der Text des Römerbriefs, wie er in der Samm- 
lung B enthalten ist und schon vor der Entstehung ihrer 
lateinischen Uebersetzung (L?) enthalten war, keine Spuren 
einer Interpolation, wie sie die 6 übrigen Briefe erfahren 
haben. Allerdings scheint das nicht so leicht bewiesen wer- 
den zu können, weil wir für den Römerbrief keinen so zuver- 
lässigen Massstab der vergleichenden Kritik haben, als ihn 
für die übrigen 6 Briefe die Uebereinstimmung der armenischen 


— 


2) Dressel, p. 368, Uss. Cler. II, 119 ag. Es geht das ebenso auf 
Actor. 28, 13 zurück, wie das Puteoli ins ın. colb., vgl. oben 8. 42, 
Zahn, Ignatjus. 11 


162 


Vebersetzung mit dem cod. medic. und L! darbietet. Die 
Fortpflanzung des Römerbriefs war hauptsächlich durch die 
Martyrien vermittelt, und daher auch sein Text ganz anderen 
Schwankungen. unterworfen, als der der übrigen Briefe. 
Während der cod. colb. manche Zusätze aufgenommen hat, 
welche in der Handschrift, aus welcher L! übersetzte, noch 
fehlten und theils durch innere Gründe, theils durch das 
ältere Zeugnis der syrischen und armenischen Uebersetzung 
von allem Anspruch auf Ursprünglichkeit ausgeschlossen sind, 
wie z. B. die biblischen Citate und Anspielungen in ὁ. 3. 6. 7, 
hat der Mgtaphrast neben derartigen und noch anderen Er- 
weiterungen auch manche Ausstossung unzweifelhaft ächter 
Sätze vorgenommen und dasselbe Abkürzungsverfahren, welches 
sein Martyrium charakterisirt (vgl. oben S. 25), auch auf 
den Römerbrief darin ausgedehnt. Aber auch die zunächst 
zusammengehörigen Texte des Römerbriefs im m. colb. und 
seinen Uebersetzungen, dem m. anglic. und syr., und wie- 
derum G? und L? weichen hier stärker von einander ab, als 
sonst die Zeugen der Sammlungen U (oder A) und B je unter 
sich abweichen; und es kreuzen sich die sonst parallelen, 
Linien so häufig, dass man überhaupt gar nicht von zwei 
Recensionen des Römerbriefs reden kann. Auch ohne den 
Versuch, das im Einzelnen hier zu beweisen, und ohne den- 
jenigen Text des Römerbriefs, welchen Euseb las und der 
Interpolator hätte lesen und interpoliren können, in allen 
Puneten für mich festgestellt zu haben, glaube ich doch aus 
der Beschaffenheit des Textes von ΟΣ im Römerbrief sicher 
schliessen zu dürfen, dass dieser Text nicht wie der der 
übrigen Briefe in G? das Werk des uns nun hinreichend 
bekannt gewordenen‘ Interpolators ist. Erstlich fehlt jede 
längere Einschaltung, wie deren jeder andere Brief ausser 
einer gleich zu besprechenden Ausnahme aufzuweisen hat. 
Die sichtlich unächten Bibelstellen theilt er meist mit colb. 
und dem metaphr.; derjenige, welcher den Römerbrief der 
Sammlung B anfügte, hat ihn vielleicht einem Martyrium 
entnommen, in welchem er diese erbaulichen Amplificationen 
bereits angenommen hatte. Neu hinzu that er in c. 3 


163 


Joh. 15, 19, in 6. 8 Gal. 2, 19; Pa. 116, 12, in c. 9 Joh. 
10. 11. Sodann sind die Eigenthümlichkeiten des Textes B 
nicht die charakteristischen des Interpolators; und Stellen, 
welche dieser geändert hätte, sind unverändert geblieben. 
Nach dem oben 8. 131 Bemerkten musste der Interpolater an 
den Worten ἐπετρέψατέ μοι μιμητὴν εἶναι τοῦ πάϑους τοῦ 
ϑεοῦ μὸν ἢ Rom. 6 heftigen Anstoss nehmen. Aber das 
Apıozor: vor τοῦ ϑεοῦ μου, welches in ΟΣ wie es scheint aus- 
nahmelos steht und allerdings als eine Milderung des dog« 
matisch Anstössigen gelten könnte, ist nicht ursprünglicher 
Text dieser Sammlung, denn mit Aumahme von pl rg bietet 
L? (Uss. adn., p. 37, not. 68; Cler. II, 128)'nur Dei mei. 
Nachträgliche Ausstossung”des Christi, wodurch in dem meisten 
Zeugen von L? zufällig das Ursprüngliche wiederhergestellt 
wäre, ist um so undenkbarer, weil bei der Netürlichkeit der 
Verbindung passionis Christi viel eher Dei mei ausgefallen 
wäre, wie ja auch der metaphr. nur τοῦ Χριστοῦ, und das 
m. arm. nur domini mei schreibt. Also ist in G? erst nach- 
träglich die Glosse Xpeoror in den Text gedrungen, wie un- 
abhängig davon in einige Handschriften von L?. Wenn G? in 
Rom. 7 schreibt: τὴν εἰς τὸν ϑεύν μου γνώμην, 80 epricht 
sich in der Zusetzung des Artikels sicherlich das Misver- 
ständnis aus, welches beide lateinische Uebersetzer sich haben 
zu Schulden kommen lassen, dass μοῦ zu ϑεοῦ gehöre; denn 
nur bei dieser Verbindung war der ursprüngliche Mangel des 
Artikels unbequem 3. Dann hat aber ΟΣ, welcher zwei 
Zejlen vorher ὁ. 6 unter dem Jess μου des Ignatäus nur 
Christus verstehen konnte, auch hier Christus dazunter ver- 
standen, hat also seinerseite die Stellen vermehrt, wo Christas 
80 heisst, Wenn das wegen der deutlichen Unterscheidung 


m— 


1) So eulb. Li Ai Timoth. 211, 9; 212, 212, 2, Sever. p. 213, 2; 
216, 22; Sfragm. 217, 22; 219, 19; 220, 7; 296, 10; wart. syr. Moer. 
Ῥ. 8, 20, — Woher Lips. 11, 78 seine Angabe über Anastasius hat, weiss 
ich nicht. In der Ausgabe von Gretser (opp. Gretseri XIV, 2, 97 A) heisst 
e8 τοῦ πάϑους τοῦ ϑεοῦ μου. 80. eitirten es Monophysiten, aber Ana- 
stasius lässt den Text ihrer Citate gelten (p. 101 a. a. O.). 

2) Vgl. ad Pol. 1 init. in beiden Reoensionen. , 

11* 


ᾳ 


164 


des Sohnes vom Vater viel weniger bedenkliche Sätzchen ὁ 
γὰρ ϑεὸς ἡμῶν, ᾿Ιησοῦς Χριστὸς, ἐν πατρὶ ὧν μᾶλλον φαίνεται 
c. 3 bei G?, aber auch beim metaphr. verschwunden ist, 50 
kann nicht diese ohnehin vom Interpolator nicht perhorrescirte 
Benennung Jesu der Grund davon sein. Eher könnte die 
Dunkelheit des Gedankens den Satz aus derjenigen Gestalt 
des m. colb. beseitigt haben, welche der metaphr. und wahr- 
scheinlich auch derjenige, welcher die Sammlung B um den 
Römerbrief bereicherte, benutzt hat. Den Interpolator er- 
kennt man auch nicht wieder, wenn man die Variation des 
Textes der Grussüberschrift in Bezug auf die Benennungen 
Gottes und Christi bei allen Zeugen vergleicht, oder die stark 
von einander abweichenden Texte von G? und ΤΣ in dem Satz, 
welcher im colb. lautet: ἐκεῖνον ζητῶ τὸν ὑπὲρ ἡμῶν ἀποϑα- 
γνόντα, ἐκεῖνον ϑέλω τὸν δι᾿ ἡμῶς ἀναστάντα (6. 6), hier aber, 
besonders in G?, zusammengezogen ist. Der statt dessen zur 
Erläuterung vorausgeschickte Satz: τὸν κύριον ποϑῶ, τῶν zlor 
τοῦ ἀληϑινοῦ ϑεοῖ καὶ πατρὸς ᾿Ιησοῦν τὸν Χριστὸν (1? χαὶ τὸν 
πατέρα Ἰησοῦ Χρ.) schmeckt einigermassen nach Peudo- 
ignatius, aber schwerlich hätte dieser das μόνου vor ἀλῃϑυ οὔ 
weggelassen (cf. Sm. 6; Philad. 9; Ant. 4.5). Es ist ferner 
nur ein Schein, als ob die pseudoignatianische Theologie in 
den Worten 'Inoov τοῦ Χριστοῦ τοῦ υἱοῦ τοῦ ϑεοῦ Ὦ 
τοῦ γενομένου ἐν ὑστέρῳ ἐκ σπέρματος Jupiö ὁ. 7 wirk- 
sam sei. Aber abgesehn davon, dass 'die gesperrt gedruckten, 
durch L! A! A® mart. Syr. als unächt erwiesenen Worte, 
ebenso in colb. und beim metaphr. sich finden, so ist dach 
der Anklang an die Interpolationen in Eph. 7; Mgm. 11 
(cf. Eph. 18) ein rein äusserlicher. Denn dort wird durch 
ein ὕστερον die Geburt aus der Jungfrau der voräonischen 
Erzeugung vom Vater gegenübergestellt, hier dagegen von. 
letzterer ganz geschwiegen und durch das ἐν ὑστέρῳ, welches 
einem ἐπ᾿ ἐσχάτου τῶν ἡμερῶν gleichbedeutend ist, der ewigen 
Glottessohnschaft Christi die am Ende der Zeit erfolgte Erschei- 


1) τοῦ haben nur ἴον. 
2) L® vulg. setzt zu ζώντος, 


165 


nung als Davidssohn gegenübergestellt. Wenn ein dogmatisches 
Interesse in dieser Amplification sichtbar wäre, so könnte es 
höchstens das Bedürfnis sein, den Schein abzuwehren, als ob 
Jesus erst mit der menschlichen Geburt angefangen habe zu 
existiren. Das liegt aber dem Interpolator der übrigen 6 Briefe 
fern. 

Wenn man nur an dogmatisch charakteristischen Aende- 
rungen die Hand des Interpolators erkennen könnte, so müsste 
auch in Bezug auf den Brief an Polykarp die’Frage entstehn, 
ob er der Sammlung angehörte, die Pseudoignatius vor sich 
hatte. Aber schon die starke Ausnutzung dieses Briefs, von 
dem er nicht wie vom Römerbrief eine partielle Kenntnis 
durch Vermittlung Eusebs haben konnte, im Brief an Heron 
beweist das vollständig (vgl. oben S. 126f.). Anlass zu längeren 
Eintragungen war hier nicht, da die dazu zu verwendenden 
Gedanken kaum ausreichten, den Brief an Heron zu füllen; 
Nöthigung zu dogmatischen Verbesserungen bot dieser Brief 
auch kaum. Die Ueberzeitlichkeit und zeitlose Ewigkeit 
Christi (Pol. 3) wurde doch abgeschwächt, indem sie zu einer 
seinem irdisch -zeitlichen Leben immanenten Erhabenheit über 
die Zeit gemacht wurde (τὸν ἄχρονον ἐν χρόνῳ). Im übrigen 
sehen wir hier und sonst in diesem Brief fast nur das Stre- 
ben nach glatter Verständlichkeit. Anstatt des eigenthüm- 
lich gebrauchten κολακεύειν ἢ wird ἐπανορϑοῦν gebraucht; das 
kühne Bild vom Wind und Hafen c. 2 wird elend zu Grunde 
gerichtet; das gleichfolgende Bild vom Athleten ist vielleicht 
unabsichtlich durch eine Variante ϑέλημα statt ϑέμα ver- 
kümmert, dafür aber c. 3 zur Unzeit nachgebracht; passend 
schien es auch in diesem Brief des Bischofs an den Bischof 
dem Schreiber den Titel nicht zu versagen, und die Ver- 
suchung, einen Bibelspruch förmlich zu citiren, an welchen 
der ächte Ignatius nur angestreift hatte, war gleich in ὁ. 1 
unwiderstehlich.. Aber dies sind lauter Eigenheiten des uns 
aus den übrigen Briefen bekannten Interpolators, dessen 
Aenderungen keineswegs alle aus kirchenpolitischen und 


1) c. 2 = blande tractare. 


166 


theologischen Absichten zu erklären sind. Pseudoignatius 
wollte auf seine Zeit wirken, welcher nicht bloss manche alter- 
thümliche Verhältnisse, auf welche Ignatius Bezug ge- 
nommen !), sondern vor allem auch die kühne Originalität 
ignatianischer Schreibweise unverständlich war. Eine per- 
sönliche Abneigung gegen alles Aussergewöhnliche, dieselbe 
Beschränktheit und Plattheit, welche in den hinzugedichteten 
Briefen herrscht, und welche sich zu allen Zeiten in Be- 
arbeitung und Auslegung alterthümlicher Werke fanatisch 
bewiesen hat, kommt hinzu, um die ganze Verwüstung zu 
erklären, welehe Pseudoignatius angerichtet hat. Kaum eine 
kühnere Wendung des Gedankens, kaum ein gewagteres oder 
nicht ganz ausgeführtes Bild, oder eine aus lebhaftem 
Aftest erklärliche Satzbildung bleibt unangefochten. Durch 
Partikeln, durch langweilige Umschreibungen und noch lang- 
weiligere Nutzanwendungen, durch erläuternde Bibelsprüche 
und sonstige erleichternde Zusätze wird nachgeholfen, um 
ein erbaulich lesbares Buch zu bekommen, und wo nicht zu 
heifen ist, wird unbarmherzig gestrichen und entweder sofort 
weitergagangen oder eine jener Interpolationen angebracht, 
aus denen wir die Ansichten und Absichten des Mannes 
kennen lernten. Jede einigermassen eindringende Ver- 
gleichung beider Recensionen der 6 Briefe, welche die Grund- 
sammlung bildeten, zeigt aber auch einen Gegensatz, welcher 
durch die individuella Verschiedenheit zweier Schriftsteller 
oder durch den Abstand zweier sie trennender Jahrbunderte 
nicht erklärt wird, sondern auf den Unterschied des wirk- 
Hiehen Originals und seines äussarsten Ghegentheils zurückgeht. 
Die 6 Briefe kürzerer Recension mit dem zu ihnen gehörigen 
Rönmerbrief sind das Werk eines ungewöhnlichen christlichen 
Charakters, das man ebensowenig hinterher schaffen kann, 
als den hereischen Charakter selbst; und die Briefe der 
Sammlung B bis auf den- letzten, den ı3ten, der nicht ur- 


1) Daher heisst es z. B. Sm. 8 statt οὔτε βαπτίζειν οὔτε ἀγώπην 
ποιεῖν in G2: οὔτε βαπτίζειν οὔτε προςφέρειν οὔτε ϑυσίαν προςχομέ- 
ζειν οὔτε δοχὴν ἐπιτελεῖν. 


167 


sprünglich dazu gehörte, sind das -Machwerk eines geriebenen 
theologischen Literaten aus einer der traurigsten Zeiten der 
Kirche. 


3. Die ignatianischen Briefe ‚bei den Syrern. 


Die erste Kunde von einer syrischen Uebersetzung der 
Briefe des Ignatius erhielt Ussher (diss., p. 26) durch ein 
von H. Savilius nach England gebrachtes Verzeichnis der 
hinterlassenen Bücher eines antiochenischen Patriarchen Igna- 
tius, welcher sich bei Gelegenheit der Kalenderreform unter 
Gregor XII. längere Zeit in Rom aufgehalten und dort ger 
storben war ἢ). Aber von den Büchern selbst hat sich bis 
heute nichts gefunden ἢ). Vergeblich blieben auch die An- 
strengungen Fell’s, durch Vermittelung des Kaplans Hutting- 
ton zu Aleppo der syrischen „Schriften des Ignatius“ hab- 
haft zu werden, welche Ebed Jesu erwähnt hatte. Den ersten 
Schritt zur Hebung des Schatzes that Eus. Renaudot ®), den 
seine Studien über die orientalischen Liturgieen so vielfach auf 
Citate aus den Briefen des Ignatius bei syrischen Schrift- 
stellern führten, dass er das Vorhandensein einer alten syri- 
schen Uebersetzung derselben behaupten durfte. Besonders 
machte er auf ein kirchenrechtliches Sammelwerk aufmerksam, 
in welchem zahlreiche und bedeutende Stücke aus Ignatius 
als gleichwerthig mit kirchlichen Canones zusammengestellt 
seien und zwar nur aus den von Euseb anerkannten Briefen 
und in einem dem cod. med. (G!) sehr nahestehenden Text. 
Eben diese Stücke wurden auf Curetons Veranlassung aus dem 


“τ. ,ἰ΄΄.... eG 


1) Οἵ. Assemani, bibl. or. III, 1, 17. 

2) Vgl. Denzinger S. 76 Anm. über einen: letzten Versuch, sie 
wiederzufinden. 

3) Liturgiarum orient. colleotio II, 226. 491. 


168 

ehemals Renaudot gehörigen und von ihm der Abtei St. 
Germain des Prös vermachten codex 1) von Th. Munk abge- 
schrieben und von Cureton (corp. Ign., p. 197—--201 cf. 
341—348) veröffentlicht. Wahrscheinlich hätten die Ver- 
handlungen über den syrischen Ignatius von vornherein eine 
bessere Wendung genommen, wenn seine Entdeckung mit 
Wiederauffindung der renaudot'schen Fragmente begonnen 
hätte. Nun aber machte Cureton den Anfang mit der Ver- 
öffentlichung eines syrischen Ignatius nach zwei kurz vorher, 
1839 und 1843 durch Tattam aus einem nitrischen Kloster 
dem britischen Museum zugeführten Handschriften, von 
welchen die eine (cod. «) den Brief an Polykarp, die andre 
(cod. ὺ) ausser diesem auch noch die an die Epheser und 
die Römer enthält, und zwar in einem im Vergleich mit der 
kürzeren griechischen Recension sehr kurzen und mannigfach 
eigenthümlichen Text ?). 

Aehnlich der Entdeckung Usshers, an dessen treffliche 
Leistung Cureton eben deshalb mit Vorliebe anknüpfte, schien 
diese Auffindung eines kürzesten Ignatius Epoche machen zu 
sollen. Der Erfolg jener ersten Zurückführung einer zweifel- 
haften Masse auf einen jedenfalls relativ ächten Kern, das 
auch bei den Gegnern der Aechtheit der kürzeren griechischen 
Recension' verbreitete Gefühl, dass es etwas Aechtes, aber aus 
Mangel kritischer Hülfsmittel nicht mehr reinlich Darzu- 
stellendes in den 7 Briefen geben müsse 5), die ‚Bedenken, 
welche von den Verfechtern der Aechtheit dieser hier und 
dort geäussert worden waren, und endlich die grössere Leich- 
tigkeit, ein soviel kleineres Gebiet, welches weniger An- 
stössiges enthielt, weil es überhaupt weniger umfasste, gegen 
kritische Anfechtungen zu vertheidigen, das Alles legte den 


-.----.-.-..-".-.-..--. 


1) Es ist derselbe, aus welchem de Lagarde die didascalia aposto- 
lorum 1854 und die reliquiae juris ecclesiastici syriace 1856 edirte. Vgl. 
die Vorrede zu beiden Schriften. 

2) The ancient syriac version of the epistles of St. Ignatius. 
1845. ι 
3) Vgl. 2. Β. die Berufung auf Niebuhr bei Buns. II, 5. 


169 


Gedanken nahe !), dass in den drei syrisch erhaltenen Briefen 
der ächte Kern der ignatianischen Literatur entdeckt sein 
möchte, und dass somit eine doppelte Interpolation und eine 
doppelte Vermehrung der geringen literarischen Hinter- 
lasssenschaft des Ignatius widerfahren sei. Vom Jüngsten und 
Werthlosesten zu immer Aelterem und Aechterem fortschrei- 
tend, schien man 1845 am Ziel der Bewegung angelangt zu 
sein, welche 1495 mit der Veröffentlichung der vier nur 
lateinisch geschriebenen mittelalterlichen Machwerke begonnen 
hatte. Diese Stellung hatte Cureton von Anfang an einge- 
nommen und sofort auch gegen einen wenig geschickten An- 
griff in ‚seinen Vindiciae Ignatianae 1846 vertheidigt und 
sodann an Bunsen einen phantasie- und wortreichen Bundes- 
genossen gefunden. Inzwischen aber mehrte sich das urkund- 
liche Material. In einer dritten nitrischen Handschrift (cod. ,), 
welche vollständig erst durch Pacho 1847 erworben wurde, 
fanden sich dieselben drei Briefe in gleicher Ordnung und 
wesentlich identischem Text wie in #, aber mit anderen Schrif- 
ten verbunden, als dort. Dadurch war erwiesen, dass dieser 
Ignatius, welcher der Kürze halber Scur. heissen mag, eine 
gewisse Verbreitung und irgend welche Geschichte gehabt hat. 
Gleichzeitig vermehrte Cureton seine in der ersten Ausgabe 
noch wenig lehrreiche Sammlung syrischer Ignatiusfragmente 
durch fortgesetzte Nachforschungen in den Handschriften des 
britischen Museums und Anschaffung der renaudot’schen Frag- 
mente. Alles dies wurde im Corpus Ignatianum 1849 »u- 
sammengefasst; aber Cureton machte es sich nicht klar, dass 
es nun nach so bedeutender Erweiterung des Stoffs auch einer 
Erweiterung des Gesichtskreises bedürfe, und dass die erste 
Aufstellung nur dann aufrecht erhalten werden könne, wenn 
eg gelinge, bei derselben eine vollständige und deutliche Ant- 
wort auf die Frage nach dem Schicksal der ignatianischen 
Briefe unter den Syrern zu finden. Cureton hat diese Frage 
nicht einmal aufgeworfen, und eine halbwegs befriedigende 


en nn nn 


1) Vgl. besonders Cur. introd., p. 22 sq. 36; 47 sq.; 53; 56; 59: 64; 
ἴθ 8q.; 86 54. | 


170 


Antwort sucht man bei denen, die sich ausführlich darüber 
verbreitet haben, vergeblich. Die Geschichte der Verhand- 
lungen, welche durch die syrischen Publicationen veranlasst 
wurden, bietet kein sonderliches Interesse; es ist nur noch 
zu bemerken, dass das Material zur Eutscheidung der Streit- 
frage über den Werth des Scur. noch durch die in der Aus- 
gabe Petermanns vollständig zugänglich gemachte und mit 
ihrer syrischen Grundlage verglichene armenische Uebersetzung 
der 13 Briefe (8. oben S. 96f.), durch eine unbedeutende 
Nachlese syrischer Fragmente in Land’s anecdota syr. I, 32 sq. 
und durch Mösingers Supplementum corporis Ignatiani (8. oben 
S. 3. 4f,) vermehrt worden ist. 

Die erste Aufgabe ist, aus diesem eher durch Mannig- 
faltigkeit verwirrenden als durch Reichthum befriedigenden 
Stoff diejenigen Stücke auszusondern, von welchen von vorne- 
herein nicht angenommen werden darf !), dass sie überhaupt 
einer syrischen Uebersetzung des Ignatius entnommen seien, 
nämlich die Ignatiuscitate in Werken griechischer Schrift- 
steller, welche ins Syrische übersetzt worden sind. Dass ein 
Syrer, welcher sich an die Uebersetzung umfangreicher Werke 
des Pseudodionysius, des Timotheus von Alexandrien und des ᾿ 
Severus von Antiochien wagte, zu seiner Bequemlichkeit 
die darin vorkommenden Citate aus Ignatius in einer syrischen 
Uebersetzung desselben aufgesucht und daraus_entlehnt haben 
sollte, ist mehr als unwahrscheinlich und wird um so un- 
denkbarer, je kürzer und vereinzelter diese Citate sind, und 
je deutlicher die gedächtnismässige Freiheit der Anführung noch 
durch die syrische Uebersetzung hindurchleuchtet. Eher schon 
dürfte man zur Erklärung etwa vorkommender Gleichmäseig- 
keiten in der Wiedergabe ignatianischer Worte bei ver- 
schiedenen Schriftstellern und verschiedenen Uebersetzern 
griechischer Werke die Annahme zu Hülfe nehmen, welche 
bei biblischen Citaten selbstverständlich im Recht ist, dass 
diese syrischen Uebersetzer sich einzelner ignatianischer Sen- 


— 


1) Οἵ. Bickell, conspectus rei Syrorum literariae, p. 48; Lips. 
I, 39. 


171 


tenzen nach dem Wortlaut einer bereits sehr bekannt ge- 
wordenen syrischen Uebersetzung des Ignatius erinnerten 
und durch solche Erinnerung in ihrer übrigens selbständi- 
gen Uebersetzung der vereinzelten Ignatiuscitate bestimmt 
waren. 

Wenn man irgendwo Benutzung einer bereits vorhandenen 
Tebersetzung der ignatianischen Briefe erwarten sollte, dann 
beim syrischen Uebersetzer des m. colb., welchem die schwierige 
Aufgabe zufiel, den ganzen Römerbrief mitübersetzen zu müssen, 
und. welcher schon wegen der Entstehungszeit seines griechi- 
schen Originals (s. oben S. 49f.) erst im 5. Jahrhundert ge- 
arbeitet haben kann, das ist zu einer Zeit, als es bereits eine 
syrische Uebersetzung mehrerer, vielleicht aller 13 ignatiani- 
schen Briefe !) gab. Aber die einzige syrische Uebersetzung, 
deren Existenz keines Beweises bedarf, Scur., ist von dem 
Uebersetzer des m. colb. nicht benutzt worden. Weniger, um 
dies zu beweisen, als um eine für die folgenden Unter- 
suchungen erforderliche Vorstellung davon zu geben, was 
gegenseitige Unabhängigkeit zweier syrischer Uebersetzungen 
ignatianischer Briefe bedeutet, stelle ich einige Sätze des 
Römerbriefs nach beiden syrischen Uebersetzungen hier in 
möglichst wörtlicher deutscher Uebersetzung neben einander, 
womit den griechischen Text Jeder vergleichen kann. 


Rom. 1. Scur. p. 40 56. 
Seit langem habe ich zu 


Gott gebetet, dass ich ge- ! 
᾿ gesichter derer zu sehn, welche 


würdigt werde, eure Ange- 
sichter zu sehn, welche Gottes 
wärdig sind. ‚Jetzt aber als 
Gefangener in Jesus Christus 
hoffe ich euch zu begegnen 


—. -- - - -ὄ«. -. 


| M. syrT. Cur., Ῥ. 


225, 3 846. 
"Moesinger p. 6, 10 sqq- 
Ich habe gebetet und es ist 

mir gegeben worden, die An- 


Gottes würdig sind, was ich 
seit vieler Zeit erbeten habe, 


“dass ich es im Fleisch er- 


lange ἢ. In Christus Jesus 


1) Vgl. oben S. 97 über das Alter der dies voraussetzenden arme- 


nischen Uebersetzung. 


2) Moes. p. 25 sucht die Abweichung beider Handschriften vom 
Griechischen auf syrische Schreibfehler zurückzuführen. 


172 


und euch zu grüssen, wenn 
[es] ‘sein wird der Wille, 
dass ich der Vollendung ge- 
würdigt werde. Denn der 
Anfang ist gut besorgt, wenn 
ich gewürdigt werde zu ge- 
langen zur Vollendung, dass 
ich empfange mein Erbtheil 
ohne Hindernis leidender 
Weise. Denn ich fürchte 
mich vor eurer Liebe, dass 
sie mir schade. Euch aber, 
euch ist es leicht zu thun, 
was ihr wollt; mir aber, mir 
ist es schwer, dass ich Gottes 
gewürdigt werde, wenn [näm- 
lich] 2) ihr mich nicht schonen 
werdet. 


hoffe ich zu kommen und euch 
zu grüssen, wenn dieser Wille 
sein wird, und ich werde ge- 
würdigt werden, bis zu Ende 
zu ertragen dieses. Denn, 
wenn auf den Anfang und 
wenn auf das Ende in den 
guten Führungen, worin ich an- 
gefangen habe, ich blicke')...., 
dass bis zu Ende ich erlange 
diese Gnade, dass ohne Hin- 
dernis ich erlange mein Erbe. 
Ich fürchte mich aber vor 
eurer Liebe, dass sie mir 
schade. Denn ich weiss, dass 
es euch leicht ist, alles, was 
ihr wollt, zu thun; mir aber, 
mir ist es schwer, Gott zu 
finden, besonders wenn eure 
Schonung über mir ist. Ich 
| bitte aber von euch, weil nicht 


Denn « es ist nicht eine andre β Begierde mir ist, dass ihr den 


solche Zeit [für mich] ?), dass 
ich Gottes gewürdigt werde; 
auch ihr werdet nicht, wenn 
ihr schweigt, in einem vor- 
züglicheren Werk als dieses 


| 


nn ὦ... 


Menschenkindern gefallt; denn 
siehe, ihr gefallt auch. Denn 
auch ich finde nicht eine solche 
Zeit, Gott zu nahen, und nicht 
findet ihr, wenn ihr stille 


1) Wie sehr man eine Apodosis wünschen möchte, so wenig scheint 


sich doch 1,2] ὁᾷξω dazu zu eignen, dessen Uebersetzung bei Cur. 254 
‚„I look forward“ und bei Moes. 10 „desidero‘“ mir gleich bedenklich 
scheint. Die Auffassung des Satzes bei beiden wie bei Peterm. 137 ist 
mir undeutlich. Nach Bedeutung und gewöhnlicher Construction, auch 
nach der Interpunction beider Handschriften gehört | δω zu den 


beiden, vielleicht zu allen drei mit > eingeleiteten Substantiven. 


2) Das lästige ja, fehlt in y. 


3) Das erforderliche a findet sich in 7. 


178 


erfunden werden. Wenn ihr seid 3), ein solches Werk; und 

mich verlassen werdet ?), | werdet davon mehr ruhig sein. 

werde ich ein Wort Gottes Denn wenn ihr stille seid von 

sein; wenn ihr aber mein mir, bin ich ein Wort Gottes: 

Fleisch liebt, bin ich wieder Ä wenn ihr aber mein Fleisch 

eine Stimme. ει Mebt, bin ich wieder eine 
Stimme. 

Nicht jede Abweichung in der Wahl des Ausdrucks ?) 
und der Stellung der Worte ist in der Uebersetzung ausge- 
drückt worden; aber es wird auch so schon ersichtlich sein, 
dass selbst grosse ignatianische Stücke von den Uebersetzern 
der griechischen Werke, in deren Zusammenhang sie vor- 
kamen, mitübersetzt wurden ohne alle Rücksicht auf die, 
wie bald gezeigt werden soll, längst vorhandene, ziemlich 
weit verbreitete und einzig nachweisbare Uebersetzung der 
ignatianischen Briefe ins Syrische. Dann versteht es sich 
von selbst, dass der Uebersetzer der pseudodionysischen Schrift 
de divinis nominibus um des einzigen kleinen Satzes willen, 
den dieser aus Ignatius eitirt, 6 ἐμὸς ἔρως ἐσταύρωται, nicht 
m einer syrischen Uebersetzung der ignatianischen Briefe 
gegriffen haben wird. So weicht er denn auch in der Wieder- 
gabe desselben von der syrischen Uebersetzung des Ignatius, 
welche wir kennen, fundamental ab. Nicht nur ein anderes 
Wort für σταυροῦῖσϑαι gebraucht er, sondern schliesst auch 
die bei Scur. mögliche Auffassung „Meine Liebe ist der Ge- 
kreuzigte‘, oder gar „Meine Liebe ist das Kreuz‘ *) durch 
Weglassung der Kopula geradezu aus. Das m. syr. hat mit 
Seur. die Construction, mit dem .syrischen Dionys das Wort 
für σταυροῦσϑαι gemein, weicht aber von beiden in der 


— 


1) Nach der nothwendigen Besserung bei Peterm. 140; Moes. 26. 

2) Vielleicht ist auch hier nur durch syrische Schreibfehler die grosse 
Abweichung vom Original entstanden, s. Cur. 291. Aber das Wort für 
σιωπᾶν ist auf alle Fälle bei Scur. ein andres als im martyr. syr. 

3) En ist z. Β. εὐχερές durch ganz verschiedene Worte wiederge- 
geben. 

4) So verstand den Scur. der Ai, 


114 


Uebersetzung von ἔρως ab!). Gleiche Unabhängigkeit von 
jeder syrischen Uebersetzung ignatianischer Briefe ergibt sich 
für die Uebersetzungen der Werke des Timotheus Aelurus 
von Alexandrien ?) und des Severus von Antiochien und anderer 
jener Zeit und Richtung angehöriger Schriften, welche von 
den syrischen Monophysiten bald übersetzt wurden ὃ. Es 
musste für die Untersuchung dieser Fragmente in den mele- 
temata Ignatiana von Merx verhängnisvoll werden, dass dieser, 
ohne eine so gründliche Abweichung von aller geschichtlichen 
Kunde auch nur zu bemerken, den Severus von Antiochien 
für einen syrisch schriftstellernden Syrer hielt und aus den 
bei ihm vorkommenden Citaten aus Ignatius schloss, dass eine 
diesen Citaten zu Grunde liegende syrische Uebersetzung des 
Ignatius, von Merx versio Severiana genannt, mindestens vor 
der Zeit, nicht etwa der syrischen Uebersetzung der be-, 
treffenden Stücke, sondern des Severus selbst, also vor dem 
Anfeng des 6. Jahrhunderts existirt haben müsse. (Merx 
p. 40). Nun ist aber Severus bekanntlich ein Grieche ὁ) und 
zwar einer der fruchtbarsten griechischen Kirchenschriftsteller, 
welcher sich an den in griechischer Sprache geführten mono- 
physitischen Streitigkeiten aufs lebhafteste und mannigfaltigste 
betheiligt hat). Auch ohne dass Merx sich so nachdrück- 


— 


1) Die drei Uebersetzungen lauten so: 
om Fand, «δ; Msauso Scur. p. 52, 1 vgl. p. 302. 
tar a0 {dan Dion. syr. Cur., p. 210, 10. 
om am] wa? usa Mart. ayr. Moes. p. 9, 6. 


2) Dass dieser gemeint sei, bedarf keines Beweises, da seine Schritt 
gegen das chalcedonensjsche Concil, woraus die Excerpte bei Cur. 
p. 210 sq. genommen sind, auch sonst bekannt ist. Er wurde 457 
Bischof von Alexandrien, starb 477. 

3) Cur., p. 210-218, fragm. VI—XI. 

4) Vgl. die Nachrichten bei dem noch demselben Jahrhundert an- 
gehörigen Euagrius III, 33. 36. 44; IV, 4. 11. Gebürtig aus Sozupolis, 
Advocat in Berytus, Presbyter in Tripolis, endlich Bischof ven Antiochien 
513—519, zuletzt in Alexandrien privatisirend. 

ἢ) Ausser dem, was Fabric. bibl. Gr. ed. Harles X, 614 sqg. zu- 
sammengestellt ist, kommen noch die zahlreichen Fragmente in Mei 


175 


lich wie z. B. p. 10 von den Theologen absonderte, hätte 
man gemerkt, was dem zu Grunde liegt. Einige theologische 
Kenntnis hätte auch die nähere Bestimmung des terminus ad 
quem der Entstehungszeit der angeblichen versio Severiana 
verhüten müssen, welche jetzt p. 64 sq. 79 zu lesen ist. Vor 
den arianischen Streitigkeiten nämlich soll sie entstanden 
sein, weil sie Eph. 7 „gemacht und nicht gemacht‘ von 
Christus prädieirt (Cur., p. 218, 11. 17; 219, 5). Dann 
wird auch wohl Papst Gelasius (8. oben S. 87) vor Arius 
und Athanasias gelebt haben, weil er γεννητὸς χαὶ ἀγέννητος 
durch „factus et non factus“ übersetzt. Selbst wenn dies auf 
ein γενητὸς καὶ ἀγένητος oder gar auf ein ποιητὸς καὶ ἀποίη- 
roc zurückzuführen wäre, so würde das viel eher auf die Zeit 
der ausgeprägten antiarianischen Orthodoxie schliessen lassen, 
in welcher man die Geschöpflichkeit der göttlichen Natur 
Christi zu leugnen für gut fand, während man seine 
menschliche Natur für ein Geschöpf hielt ἢ). 

Kehren wir nach dieser unfreiwilligen Abschweifung zur 
Sache zurück, 50 ist zu bedenken, dass alle Handschriften dieser 
Gruppe syrischer Uebersetzungswerke, welche sämmtlich erst vom 
6. Jahrhundert an entstanden sein können, dem 6. bis 8. Jahr- ' 


— 


seript. vet. coll. nova VII, 1, 8 sqq.; IX, 725—760; spiceileg. Rom. 
X, 169 sqq. und in Catenen in Betracht. Ueber syrische Uebersetzungen 
seiner Werke 8. Bickell, conspeotus, p. 54. Dass ein antiochenischer 
Bischof um 515 ein Grieche sein musste, bedarf ja auch wohl keines 
Beweises. Es war Antiochien damals so gut wie zu des Chrysostomus 
Jeiten eine griechische Stadt, in welcher nur Wenige etwas von der 
syrischen Sprache verstanden (Chrysost. opp. ed. Montf. IV, 26 C; VII, 
105 A), welche die Bauern der Umgegend sprachen (II, 189 B; 651 A). 

1) S. über die orthodoxe Auslegung von Prov. 8, wonach &äxzıoe 
gerade auf die Menschwerdung Christi zu beziehen ist, meinen Marcellus 
δι 118. Die Ausführung der bestrittenen Hypothese ist zum Theil ihrer 
historischen Begründung ähnlich. Bei Timotheus und Severus, aber auch 
bei Pseudodionysius soll die severianische Uebersetzung vorliegen. Der 
Beweis in Bezug auf letzteren wird so geführt, dass das einzige Ignatius- 
citat desselben (vgl. vorige Seite) zuerst versehentlich auf Timotheus von 
Alerandrien zurückgeführt wird p. 54, dann richtig auf Dionysius p. δῦ 
mit genauer Angabe der gleichen Stelle. Die Uebereinstimmung dieses 
Dionysius mit jenen Timotheus ist dann freilich auffallend! 


4 


176 


hundertangehören (Cur., p. 353. 355.357 sq.). Da die Uebersetzer 
sich nach Zeit und Richtung jedenfalls sehr nahe standen, 90 
ist nicht zu verwundern, dass die Uebersetzungsart in diesen 
Fragmenten durchweg die gleiche ist. Strenge Wörtlichkeit 
zeichnet sie aus. Sie lassen z. B. den Unterschied von 6 
χύριος mit oder ohne ἡμῶν, welcher in Scur. wie in der 
Peschito verwischt wird, stets hervortreten ἢ. Während Scur. 
in der Uebersetzung der Partikeln aufs allerfreiste verfährt, 
werden sie hier mit. ängstlicher Treue nachgeahmt ?2). Hier 
fehlen die dem Scur. eigenthümlichen umständlichen Um- 
schreibungen einfacher Ausdrücke, worüber nachher zu reden 
ist, u. dgl. m. Aber alles dies berechtigt natürlich nicht 
dazu, eine syrische Uebersetzung der ignatianischen Briefe 
anzunehmen, welche diesen Charakter an sich getragen hätte 
und von den Uebersetzern jener monophysitischen Werke be- 
nutzt worden wäre. Man müsste zu dem Ende erstlich einen 
merklichen Unterschied der Uebersetzungsmanier in den 
lgnatiuscitaten und in den sie umgebenden Worten des 
Severus und der Anderen, sodann durchgängige Ueberein- 
stimmung der in dieser Gruppe doppelt vorkommenden Citate 
- aus Ignatius nachweisen und endlich begreiflich machen, wie 
bei Benutzung einer „severianischen Uebersetzung‘“ überhaupt 
so freie Anführungen entstehen konnten, wie sie besonders in 
den Predigten des Severus vorkommen. Die Worte: καλὸν 
᾿τὸ δῦναι ἀπὸ χύσμου πρὸς ϑεὸν, ἵνα εἷς αὐτὸν ἀνατείλω 
(Rom. 2) werden von Sev. p. 215, 18 so angeführt: „Schön 
ist es unterzugehn von der Welt und aufzugehn in Christus.“ 
So las man in keinem syrischen ὅ) und griechischen Ignatius; 

1) Bei Sever. p. 214, 13. 14 gi, dagegen p. 214, 8 Yuss0, wo 
die parallele Uebersetzung fragm. II, p. 200, 21 das blosse χύριος auch 
durch N wiedergibt. 


2) χαὶ — xai durch ©... eo p. 210, 16; 218, 12, εἴτε — εἴτε 
durch de ἊΝ ἡ p. 214, 20, δὲ καὶ durch Φ a) p. 214, 7. Es 
wird ἄρα oder «g« uud οὖν durch | und Wo unterschieden 
p. 214, 8. 


3) Scur. 44, 3: „Schön ist es, dass ich untergehe von der Welt 


177 


vielmehr hat der syrische Uebersetzer des Severus dessen ge- 
dächtnismässige freie Anführung treu wiedergegeben. So ver- 
hält sich’s auch mit der Uebersetzung eines Satzes aus 
Rom. 5°): „Feuer und Thiere und Myriaden Arten von 
Qualen mögen über mich kommen; nur Jesu Christi möge ich 
gewürdigt werden“, oder aus Rom. 7 ?): „Von innen sagt er 
mir: Komme [dir] zu meinem Vater.“ Andere Stellen auch 
in diesen Reden sind wörtlich angeführt, wie in den dog- 
matischen Schriften alle. Da zeigt sich aber auch überall 
nicht nur völlige Unabhängigkeit von Scur. in Bezug auf 
Text und Uebersetzungsweise, sondern auch so wenig Ueber- 
einstimmung der Citate in den verschiedenen Schriften dieser 
Gruppe, dass eine gemeinsam benutzte Uebersetzung des 
Ignatius nicht zu Grunde liegen kann. Der dreimal bei 
Severus 8), zweimal bei Timotheus *), aber ausserdem noch 
dreimal in Fragmenten einer anderen Gattung °) citirte Spruch 
ἐπιιρέψατέ μοι μιμητὴν εἶναι τοῦ πάϑους τοῦ ϑεοῦ μου Rom. 6 
bietet nicht Gelegenheit zu grossen Verschiedenheiten der 
Uebersetzung. Abhängigkeit oder Unabhängigkeit lässt sich 
nach solchen für den Sinn gleichgültigen Variationen wie die 
wechselnde Stellung des jomj oder der Wechsel von u und 


um um so weniger beurtheilen, da der Uebersetzer des 
Severus sich hierin selbst nicht treu bleibt; und dass die 
beiden Fragmente p. 219, 19 und 296, 10 gegen sämmtliche 
syrische Zeugen pluralisch „seiner Leiden‘ schreiben, würde 


in Gott, damit ich in ihm aufgehe im Leben“. Cf. Joann. mon. 
p. 207, 10. Dagegen im m. syr. Moes. p. 7, 2: „Schön ist es aber, 
unterzugehn von der Welt in Gott, damit ich in ihm zuletzt aufgehe.‘“ 

1) p. 216, 9. Vgl. dagegen Scur. 50, 4; fragm. 201, 14; ın. syr. 
Moes. 8, 11; Eus. syr. Cur. 203, 20. 

2) p. 216, 12. Hier fehlt Scur., aber der auf ihm ruhende A weicht 
völlig ab. M. syr. p. 9, 8 übersetzt: „weil in mir der Herr ist, vun 
innen zu mir sprechend: Komme zum Vater“. 

3) p. 213, 2; 216, 22; 217, 22. 

4) p. 211, 9; 212, 2. 

5) 219, 19; 220, 7; 296, 10. — Es fehlt hiefür Scur. Durchaus 
originell und in der Uebersetzung von ἐπιτρέψατε und μιμητή»ν von allen 
anderen Anführungen abweichend ist m. syr. Moes, 8, 320. 

Zahn, Ignatius. 12 


2 


178. 
höchstens dazu berechtigen, sie auf eine gemeinsame Ueber- 
lieferung zurückzuführen. Verschiedenheit von Text und Ueber- 


setzung zeigt sich in der kleineren Parallele aus Men. 8, 
welche die Sammlungen patristischer Zeugnisse bei Timotheus 


und Severus darbieten. 
Timoth., p. 311, 26. 

Ein Gott ist, welcher sich 
offenbart hat "durch Jesus 
Christus seinen Sohn, welcher 
ist sein ewiges Wort. Nicht 
war er aus dem Schweigen 
hervorgegangen, er, der in 
allem wohlgefiel Dem, der ihn 


Sever., ἢ. 213, 20. 

. . Das ein Gott ist, 
welcher sich offenbart hat durch 
Jesus Christus, ihn seinen 
Sohn, ihn, welcher ist sein 
Wort, das aus dem Schweigen 
hervorging, ihn, der in allem 
wohlgefiel Dem, der ihn ge- 


gesandt. sandt. 

Bei Timotheus wird ἑαυτόν durch mia, also mit Hülfe 
der aus der Peschito bekannten nota accusativi ausgedrückt 
(vgl. Uhlemaun, syr. Gr., 8. 219) bei Severus dureh sus (om). 
Timotheus hat υἱοῦ, bei Severus λύγος die einfachere Form 
des Possesivs und umgekehrt. Das Uebrige zeigt die deutsche 
Uebersetzung. Dass namentlich die Weglassung von ἀΐθιτος 
ünd ov= nicht dem syrischen Schreiber, wie Merx p. 59 
meint, oder dem Uebersetzer zur Last fällt, zeigt die folgende 
Erläuterung des Schriftstellers selbst. Also nicht einmal in 
solchen geordneten Sammlungen patristischer Zeugnisse, wie 
sie seit Anfang des 5. Jahrhunderts dogmatisch - polemischen 
Schriften angehängt zu werden pflegten, haben die syrischen 
Uebersetzer syrische Uebersetzungen der eitirten Väter zu 
Rath gezogen. 

Besonders lehrreich und in jeder Hinsicht hieherzuziehn 
sind auch die drei Fragmente aus Mgn. 8. 9; Thrall. 5, 
welche Land herausgegeben hat')., Schon ehe der Heraus- 
geber selbst sich durch Merx’ voreilige Kritik ?) veranlasst 
sah, genauere Mittheilungen über den Zusammenhany zu 


.— “-- 


1) Anecdota syr. I, 82 58αά. $. die Berichtigung p. XI, und über den 
Inhalt der Handschrift die Angaben auf p. 26, ferner vol. 11, 7 2q. 
2) Zeitschr. für wiss. Theol. 1867, 8. 91 ff. 


119 


machen, in dem gie gich finden, zeigte der Wortlaut des 
Stücks, in welches die ignatianischen Oitate eingefügt sind, 
dass hier ein: syrischer Compilator grosse Excerpte aus einem 
späteren Kirchenlehrer gebe, welcher seinerseits den Ignatius 
eitirt hatte. Unmittelbar au das Citat aus Mgn. 9 schliesst 
sich mit den Worten ἡ if (Land I, 32, lin. 5 van unten) 
eine theologische Verwerthung desselben, und diese, nicht aber 
das ignatianische Citat, wird durch ein Aal] ὁδῷ p. 33,1 
mit einem anderen Fragment verknüpft, welches demnach. nicht 
dem Ignatius, sondern dem ihn eitirenden Schriftsteller angehört, 
Aus einem Brief eben diegeg Schriftstellers an. eine Digkonisge 
Anastasia Ὁ) theilt der Compilator: dany noch ein andres Stück 
mit. Dass nun dieser den Ignatius citirende Schriftsteller 
Severus sei, konnte man wissen; .unter den Briefen: desselben 
befinden sich solche an eine Avaazucia διάκφνος ?), wie auch 
an eine ‚draszuote vrarıooa, und die Entdeckung zweier nauer- 
pseudoignatianjscher Briefe, von demen einer an Anastasig 
gerichtet gein soll, hätte sich wenigstens gegenüber Lande 
Warnyng vor solchem Irrthum nicht breit machen sollen. 
Die Handschrift selbst bestätigt, was man ohnehin sehen 
musste. Der den ignatignischen Citaten vorangehende Inhalt 
des Kapitels ?) rührt her „vom heiligen Severus aus der 
Schrift gegen die codieilli Alexanders“. Wir gewinnen alsn 
für Ignatius nichts weiter als eine Vermehrung der zahl 
reichen Zeugnisse für das begondere Interesge, welches Severug 
an ibm nahm, ja nicht einmal neue Citate; denn die Stellen 
aus Men. 8 und Trall. 5 besitzen wir bereits in anderen 
syrisch erhaltenen Fragmenten des Severus, beida nur etwag 
weiter fortgeführt (Cur., p. 213, 18 .βηᾳ. 247, 7 sqg.), und 


1) p. 34 med.: lass Galar Zai Hin = m, 

2) Fabric. bibl. ed. Harles X, 619; Mai, vet. script. nova coll. 
IX, 736; Cramer, caten. in Act., p. 188, 20; 298, 26. 

3) Es ist das 102. Kapitel einer collectio demonstrationum variarum 
e sanctis patribus contra Julianistas und trägt die Ueberschrift: „In 
Bezug auf diejenigen Todten, welche zur Zeit der Kreuzigung aufer- 
standen‘ (Land IE, 7 2q.). 


12* 


180 


das dritte Citat aus Mgn. 9 sogar im griechischen Original 
(8. oben S. 109). Gäbe es eine „severianische Uebersetzung “ 
des Ignatius, so müssten wir sie hier wie dort vom Ueber- 
setzer des Severus benutzt finden. Aber die Verschiedenheit 
der parallelen Citate ist fundamental. In Trall. 5 ist es 
nicht bloss die abweichende Uebersetzung von τοποϑεσίας 
ἀγγελικάς 1), welche die Unabhängigkeit der Uebersetzer von 
einander und von einer gemeinsam von ihnen benutzten 
Uebersetzung des Ignatius beweist. Es scheint auch der zu 
Grunde liegende griechische Text nicht der gleiche zu sein. 
Der syrische Severus bei Cur. 217, 7 scheint?) in seinem 
Original gegen alle Tradition des ignatianischen Textes ge- 
lesen zu haben: χαὶ γὰρ ἐγὼ λέγω" οὐ καϑότι δέδεμαι x. τ. λ. 
Ferner finden sich in den wenigen Worten aus Mgn. 8, welche 
bei Cur. 213, 18 sqq. und Land p. 32 sich entsprechen, 
nicht weniger als acht mehr oder weniger erhebliche Ab- 
weichungen in Bezug auf Construction, Wahl der Worte und 
zu Grunde liegenden Text. In den wenigen Worten, worin 
dies Citat ausserdem noch mit dem vorhin ὃ. 178 ver- 
slichenen Citat bei Timotheus parallel läuft, hat es das ein- 
fachere n;> mit diesem, aber die Uebersetzung von ἑαυτόν 
mit Sever. Cur. gemein. Während Merx a. ἃ. O.,S. 93f. hierauf 
flugs die Annahme einer dritten syrischen Uebersetzung des 
Ignatius glaubte gründen zu können, folgt doch in der That 
daraus nur, dass die vermeintliche zweite ebensowenig existirt 
hat, als diese dritte, dass vielmehr die Uebersetzer der griechi- 
schen Werke, in welchen Ignatius eitirt war, dessen Worte 
mit denen der Schriftsteller, die ihn angeführt, neu übersetzt 
haben. Sonst käme man dazu, noch mehr selbständige 
Uebersetzungen der ignatianischen Briefe anzunehmen, als 
griechische Väter, die ihn citiren, ins Syrische übersetzt wor- 
den sind. 


\ 
1) Sever. Cur., p. 217, 8: ‚.die Orte. der Engel“; Sever. Land. 
p. 32 (vgl. dessen berichtigte, aber auch noch ungenaue Üebersetzung 
"I, 6): „die Stellung der engelischen Orte.“ 
2) Oder sollte das ;so] ein φησί des citirenden Severus sein? 


181 


Allerdings finden in dieser Fragmentenmasse auch nicht 
ganz selbstverständliche Uebereinstimmungen statt, welche 
leichter beurtheilt werden könnten, wenn die Schriften voll- 
ständiger vorlägen und genauer charakterisirt worden wären, 
worin sie enthalten sind. Zwar die wörtliche Ueberein- 
stimmung des Citats aus Eph. 7 in zwei gegen Julius von 
Halicarnass gerichteten severianischen Schriften 1) bedarf kaum 
einer besondern Erklärung; denn, was zunächst den Grund- 
text betrifft, so kann ein Schriftsteller, welcher in den dog- 
matischen Händeln seiner Zeit sich mit Vorliebe auf Ignatius 
beruft und sich sogar um die Varianten älterer und jüngerer 
Handschriften bekümmert (Cur., p. 213, 2), eine dogmatisch 
wichtige Stelle auch einmal an verschiedenem Ort gleich- 
mässig citiren. Der gleiche Text aber konnte hier bei einer 
im allgemeinen gleichartigen Weise der Uebersetzung von 
zwei verschiedenen Uebersetzern kaum verschieden übersetzt 
werden. Und doch scheint ein Uebersetzer den andern noch 
an Treue der Uebersetzung übertreffen zu wollen, indem er 
das χαὶ — καί wirklich ausdrückt (218, 12), während der 
andre sich mit Einem χαί begnügt (218, 18). Anderes er- 
klärt sich aus einem, wie es scheint, noch einigermassen er- 
kennbaren literarischen Zusammenhang ἢ. Als fr. IX hat 
Car. 217, 17 sag. cf. 357 wenige Stücke aus einem Werk 
mit dem Titel „Buch der Beweise der heiligen Väter gegen 
den gottlosen Grammaticus“ gegeben. Schon der Titel legt 
es nahe, einen Zusammenhang desselben mit der ähnlichen 
Sammlung des Severus in einer Schrift gegen denselben „gott- 
losen Grammaticus“ zu vermuthen (fr. VII, p. 212 cf. 355). 
Der besondere Titel letzterer Sammlung ist „Zeugnisse der 
heiligen Väter, welche von den apostolischen Zeiten her in 

1) Fragm. X, p. 218, 11 sy.; XI, p. 218, 17 sq. Ueber die Hand- 
schriften vgl. Cur., p. 358. 

2) Zu einer gründlicheren Untersuchung fehlen mir die Mittel. Es 
wäre jene von Land (II, 7 sq.) benutzte collectio demonstrationum, aber 
auch die Sammlung, aus welcher P. Zingerle (monum. syr. I, 1; οἵ. 


adnot., p. 1—6) unter anderem zwei Fragmente des Polykarpbriefs ge- 
geben hat, heranzuziehen. 


180 


gesunder Weise ἈΠ 'Grehsimnis Yıberlisferten das rechte Wort 
des Glaubens u. 8. w:“ Es scheint die Reihenfolge dieser Zeug- 
nisse in fr. IX wiellerzukehren. Derselbe Satz aus Rom. 6 steht 
ih beiden an der Spitze; nur fehlt in fr. IX die textkritische 
@losse des Severtes. Ein Citat aus Eph. 1 ist in fr. VL von 
dem :#raten durch &in Citat aus ad Polyc. 3, in fr. IX da- 
geben durch ein Tu] So ‘getrennt. Es scheint die spätere 
antijulhanistische Semmlung ein !erst auf syrischem Boden ge- 
nachtes Excerpt Aus der älteren ins Syrische übersetzten 
Sammlung des Severus zu sein, wenigstens Im Bezug auf ein- 
zeitte Theile, wie z. B. die Öitate atıs Ignatius. Dann kann 
es nicht Wunder nehmen, dass die 'ungeschickte Abgrenzung 
‚des Citats aus Bph. 1 ünd die keineswegs selbetverständliche 
Übersetzung sich hier wie dort findet: „Entflammt im Biute 
rottes hebt ihr das Werk würdig im Geschlecht vollkommen 
ΜΟΙ ΘΗ δὲ“. ἢ). 

Schwieriger ist über Abhängigkeit oder Unabhängigkeit 
von einem syrischen ’Ignatius zu entscheiden in Bezug auf die 
in der syrischen Uebersetzung von Eusehs Kirchengeschichte 
enthalehen ignätihnischen Säcke. Es muss vorher Art und 
Umfäng der syrischen Uebersetzung 'üsr igmatianischen Briefe 
writersicht werden. Dis einfkche Resultat dieser -Unter- 
süchung ist: Alles’ Igtätianische 3), was ausser den Bisher 'be- 


= 


1) p. 213, 11 sq.; 217, 24. Dasselbe telı>, welches 'man gerne 
in tal geändert sähe (cf. Petermann), an beiden Stellen. Die einzige 


Der iedanheit ‚ist getrennte Schreibuug von al ne N 

2) Also alles das, was Cur. als fr. I. II, IV, XIII hat abdrucken 
lassen; ferner die Sätze bei Cur., p. 296, vielleicht auch das auf p. 563. 
565. Ziweifelhaft muss !bleiben fr. XIV,-p. 220. Die Handschrift ist im 
Jahre 718 geschrieben. Die Schrift unter dem Titel ‚Plerdphoria ‘ 'ent- 
'HElt- etwas aus der Kirchengeschichte des Johannes ‘von Epherus (Land, 
“recdöte'II, 28), kann ‘Also nicht 'vor Ende des 6. Jahrhunderts ent- 
standen söm. Das "kurze Citat aus 'Rom. 6 'geht 'mit allen übrigen 
"Anführungen gegen p. 219, '119'und p. 296, 10 im 'Bingular τοῦ nadsaus 
zusammen, weicht aber von allen Anführungen sb durch das tummtänd- 


183 


sproohenen Stücken in syrischer Sprache enthalten ist, gehört 
einer einzigen Uebersetzung an, aus welcher im 5. Jahr- 
hundert die armenische Uebersetzung geflossen und vielleicht 
erst etwas später der Auszug gemacht worden ist, welaher 
als Scur. mit den 7 Briefen, die Euseb las, um den Vorzug 
der Ursprünglichkeit streitet. Nur insofern muss :man dieser 
Tebersetzung den einheitlichen Charakter absprechen, als die 
7 voreusebianischen Briefe in dieser Uehersetzung eine ‚Zeit 
lang cursirt zu haben scheinen, dhe ihnen eine Uebersetzung 
der nacheusebianischen Briefe hinzugefügt wurde. 

Die zusammenhängendsten Ueberreste dieser Uebersatzwng . 
bieten die drei Handschriften, auf Grund deren Cureton 
seinen Ignatius construist hat. Cod. « enthält nur den Brief 
an Polykarp. Cureton (introd., :p. 99) gewinnt an der Hand 
einer nicht mehr ganz leserlichen Angabe, welche sich zu- 
nächst auf den zweiten Theil des -Doppelbandes 'bezieht, 
zugleich aber, wegen augenscheinlicher Identität der Hand, 
für die zweite Hälfte des ersten Theils gilt, worin der Brief 
des Ignatius steht, als Termin, vor welchem diese Abschrift 
angefertigt wurde, die Mitte des :6. Jahrhunderts. Sehr un- 
vorsichtig bestimmte Lips. IL, 34 als Entstehungszeit ‚der in 
diesem Band vereinigten Schriftensammlung die zweite Hälfte 
des 4. Jahrhunderts. 

Schon die griechischen Schriften, deren syrische ‚Ueber- 
setzungen hier gesammelt sind, reichen bis ans äusserste Einde 
des 4. Jahrhunderts, theilweise wohl auch in den Anfang des 
hten hinein. ‘Des Basilius schriftstellerische Wirksamkeit (hat 
erst nach 360 begonnen; der Euagrius, welchen Hbed Jesu 
erst nach dem auch in dieser Handschrift mit ihm ver- 
bunden Marcus aufführt (Assemani bibl. or. III, 1, 45), ist 
von Gregor von Nazianz erst, als dieser Bischof von Ken- 
siantinopel war :(von 381 an), zum :Diakonus geweibt ‘worden, 
und seine literarische Thätigkeit fällt in die (darauf folgenden 


liche As’ jet. — Das eigenthümliche Verhältniss von fr. XII 
zum syrisohen kgnatius ‚ist unten :ausführlicher zu erörtern. 


184 


Jahrzehnte; der Tod des Mareus Monachus wird um 410 an- 
gesetzt. (Gresetzt, es wären die Schriften dieser Männer noch 
im Jahrzehnt ihrer Abfassung ins Syrische übersetzt und noch 
im Jahrzehnt ihrer Uebersetzung in diese Verbindung ge- 
bracht, so müssten wir doch mindestens in den Anfang des 
5. Jahrhunderts hinabgehn. Aber die Zusammenstellung dieser 
Schriften: . „Asketikon des Vaters Pachomius‘“, „Erzählung 
von einem alten Mönch -Malchus‘“, „Fragen und Antworten 
ägyptischer Väter‘, „Die Briefe des Euagrius an Melania “, 
„Der Brief des Herrn Ignatius, des Bischofs“, asketische 
Werke des Euagrius und Marcus, „Leben ägyptischer 
Väter“, „Peschito des Jesaja“, „Brief des Basilius an 
Gregor von Nazianz“, macht doch wahrlich nicht den 
Eindruck einer „Sammlung“, deren Entstehungszeit nach 
ihrem Inhalt bestimmt werden könnte. Die Zusammen- 
stellung kann genau so alt sein, wie die Handschrift selbst. 

Cod. 6, welcher die drei Briefe enthält, wird von Cur. 
(introd., p. 30) ins 7. oder 8. Jahrhundert gesetzt. Er ent- 
hält eine noch buntere Zusammenstellung von Schriften als «, 
neben ursprünglich Syrischem Uebersetzungen aus griechischen 
Schriftstellern, neben Theologischem Philosophisches. Die 
Behauptung, dass auch diese Sammlung auf die zweite Hälfte 
des 4. Jahrhunderts zurückgehe, weil darin die Namen 
Gregor von Nazianz, Euagrius u. a. vorkommen, liest sich 
sonderbar (Lips. II, 35), wenn man unmittelbar vorher ge- 
lesen hat, dass in dieser Handschrift Predigten des .Jakob 
'von Sarug oder Batnä und des Issak [von Antiochien] ent- 
halten sind. Der letztere lebte wenigstens bis 450, der 
erstere starb 521 !). Vor dem 6. Jahrhundert, welchem cod. « 
angehört, ist also auch diese „Sammlung“ nicht veran- 
staltet, oder das Original, woraus # abgeschrieben ist, wenn 
er überhaupt Abschrift einer Handschrift gleichen Inhalts ist, 
nicht geschrieben worden. | 

Endlich cod. y ist nach Cur. (introd., p. 31) etwa im 
6. öder 7. Jahrhundert geschrieben worden. Nehmen wir 


1) Assemani, bibl. or. I, 210. 290; Bickell, conspectus, p. 23. 25. 


188 


Ersteres an !), so hätten wir einen Zeitgenossen von « und 
dem etwaigen Original von 8. Zu beachten ist die ungefähre 
Gleichzeitigkeit und die inhaltliche Verwandtschaft der drei 
Handschriften jedenfalls. Zwar kommen in y einige andere 
Schriftsteller vor, wie Cyrill Al. und Prochus von Konstanti- 
nopel, aber doch, wie es scheint, nichts auf die nestorianischen 
und die monophysitischen Streitigkeiten Bezügliches. In allen 
drei Handschriften sind Euagrius und die Kappadocier ver- 
treten, in « und y Marcus Monachus, in # und y Johannes 
Monachus und Isaak der Lehrer. Das asketische Interesse 
überwiegt in allen Dreien. Demnach ist der Kreis, aus wel- 
chem diese drei Handschriften stammen, ebenso wie die Zeit, 
in der sie geschrieben wurden, eng umgränzt zu denken. 
Auf einen sehr nahen Zusammenhang weist auch die Be- 
schaffenheit ihres Ignatiustextes. Die Varianten sind zum 
weitaus grössten Theil nur orthographischer Art. Offenbare 
und sinnlose Schreibfehler theilen sie, wie sich besonders in 
den Briefen an die Epheser und Römer zeigt, welche in « 
fehlen. Eph. 1 p. 18, 2 schreiben # und γ 31,36.» (That) ἢ 
statt Wan (Syrien), nur mit dem Unterschied, dass # das 
falsche Wort noch mit Ribbui versieht, also den Schreib- 
fehler förmlich bestätigt. Beide lesen Rom. 2 p. 42, 6 
“Uianas/ (ihr werdet mich verlassen) statt „ao ον 
(ihr werdet von mir schweigen). Die Richtigkeit des Letz- 
teren beweist auch die von der syrischen abhängige armenische 
Uebersetzung vgl. Petermann S. 141, und die Uebersetzung 
bei Johannes Monachus p. 206, 26; 207, 13, während an 
sich auch eine freie Wiedergabe des prägnanten σιωπᾶν ἀπό 
tıvos vorliegen könnte. Vgl. Ronı. 4 p. 46, 3. Beide Hand- 
schriften schreiben ferner Eph. 1 p. 16, 3 für ἐν πάϑει = 


1) Der Inhalt gestattet dies wohl. Der Johannes von Rom, dessen 
Leben sich darin befindet, ist ohne Frage Johannes I. von 523—526. Die 
Zeithestimmung von Lips. II, 35f. ist also wieder unhaltbar. 

2) Curetons ausführliche Rechtfertigung dieser Lesart p. 278 sa. 
erklärt sich nur aus dem Bedürfnis, seinen anfänglichen Irrthum zu 
corrigieren, dass hier ein Fehler des syrischen Uebersetzers vorliege. 
Es ist ein syrischer Schreibfehler; vgl. Merz, p. 41; Lips. U, 139. 


186 


Wu durch Schreibfehler Taız. was gewiss mit Unrecht auf 
eine griechische Variante προϑέσει zurückgeführt wird; denn 
erstlich hat der von Scur. abhängige A mit allen abend- 
ländischen Zeugen ἐν πάϑει;: sodann wird in der Peschito 
πρόϑεοις nie so übersetzt, und endlich findet sich Sm. 1 und 
Trall. 11 dasselbe Versehn als Lesefehler des A oder Schreib- 
fehler seines syrischen Originals, während fr. I p. 200, 24 
das richtige as bewahrt δαὶ". Beide geben Eph. 10 
Ρ. 28, 6 ρος ‚cs (ihr sollt staunen über sie) statt 
wor oa (ihr sollt ihnen gleichen) ?). Im Polykarpbrief, 
der allein eine Vergleichung von « mit #7 möglich macht, 
gehen £y ziemlich regelmässig gegen « zusammen. Sie 
haben 2. B. Pol. 3 p. 6, 9 das in « ausgefallene „io vor 
to bewahrt, ὁ. 6 p. 12, 7 das gewiss wisprüngliche _,o2aS 
statb oo. Gelegentlich steht auch 8 gegen «y in un- 
günstiger Vereinsamung p. 10, 2; 12, 4. Alle drei haben 
den sinnlosen Satz Pol. 2 p. 6, 1 .sqq.: „Die Zeit farderte 
(oder hat gefoxdert oder fordert) wie der Steuermann das 
Schiff (deutlich accus.), und wie der, welcher im Sturm steht, 
den Hafen, dass du Gott erlangest.* Wenigstens das auch 
von A vorgefundene Object des Hauptsatzes „Dich“ kann 
der Uebersetzer nicht ausgelassen haben ?). Liegt hier ein 
Verselın des Schreibars vor, auf dessen Rechnung dann auch 
noch Andres kommt, so müssen alle drei Handschriften in 
naher Verwandtschaft zu einem Archetypus stehn. Die Ver- 
‚gleichung von β' und y untereinander fällt durchaus zu Gun- 
‚sten von y aus, was im einzelnen Fall auch Cureton aner- 
kannte, z. B. p. 303. Den entscheidenden Einfluss auf die 
Gestaltung des Textes räumte er ihm nicht ein, weil er diesen 


1) Vgl. Lips. UI, 95; 101; 153. 

2) Wie oft, hat'Cur. p. 184 auch hier seine ursprünglich riehtigere 
Einsicht hinterher aufgegeben. Vgl. dagegen Lips. U, 189. 

3) Anf den Uebersetzer ;sullte man auch nicht wie Lips. II, 137 den 
diakritischen Punct zurückführen, welcher den Sinn posce allerdings er- 
gibt. Die in diesem Fall ganz unnatürliche Voranstellung des Objects 
ist dem "Vebersetzer nicht ‚zuzutrauen. 


187 


schon vor seiner Bekamtschaft mit y festgöstellt hatte Es 
hat „ nicht nur durch vorwiegend getrennte Schreibung der 
in # zusammengeschweissten Wörter ein ursprüngliches Ge- 
präge bewahrt (Cur., p. 46, 1; 54, 6. 8. 9), er hat auch oft 
klene aber wmentbehrliche W‘orte allein behalten wie ὦ 
p. 42, 5, oder > p. 44,7; 54, 3, oder ; p. 18, 1, oder ἢ 
p. 54, 2. Im letzten Fall, in der Uebersetzung von αἱ um 
προζτήχουσαί μοι τῇ ὁδῶ Rom. 9 hat y alle abendländischen 
und morgenländischen Zeugen”) und den später zu er- 
örternden Zusammenhang der Stelle für sich, und es gehört viel 
dazu, in «8 den ursprünglichen 'Text zu finden, welcher 
schon in y hier und an einigen anderen Stellen nach dem 
griechischen Text der Sammlung U corrigirt sein soll 3). 
Aber eime solche Correctur würde doch wenigstens solche Ver- 
sehen, wie das inEph. 1 p. 18, 2 aus y getilgt haben. Die 
Annahme passt aber auch nicht zu dem vorhin nachge- 
wiesenen ursprünglichen Gepräge des Textes in y. Das Ur- 
sprüngliche hat y auch Eph. 19 p. 36, 1 gerettet, indem er 
das im Zusammenhang unerlässliche dritte Mysterium, „den 
Tod ‘des Herrn“, in Uebereinstimmung mit allen "Zeugen 9) 
bietet, welches in # wegen der Aehnlichkeit des vorangehenden 
maasso, mit dem fraglichen mZ2asoo ausgefallen ist. Läge 
es darnach nahe, 'cod. y für die Quelle von « und # zu halten, 
80 scheitert das doch wieder an manchen Fehlern in y, von 


1) Auch m. syr. Moes. p. 10, 4. 

2) So Lips. II, 36. 186. Als Retter des Scur. muss dagegen y 
Ῥ. 134 dienen. 

8) Darunter A, ferner fr. XIII p. 219, 16. Eine Anspielung auf 
diese drei dem Teufel verborgenen Geheimnisse enthält jedenfalls der von 
Cur. p. 285 nach der Handschrift citirte syrische Commentar. Viel 
älter, näinlich aus dem Ἐπ. des 4. Jahrhunderts ist die nicht minder 
deutliche Anspielung hei dem Dichter Cyrillonas, aus dessen Handschrift 
Bickell im conspectus p. 35 übersetzt: Meridies (d. i. Palästina), qui 
plenus est omnium magnalium tuorum, conceptionis, nativitatis, 
erucifixiomis tuae, e quo aroma vestigiorum tuorum .adhuc spirat. 
Die originelle Zusammenstellung fällt hier um so mehr auf’, da erst 
nadhher :die Maufe im Jordan erwähnt wird. Das Original uber ist 
Ignatius. 


188 


welchen « und 9 freigeblieben sind, z. B. p. 14, 3; 36, 8: 
42, 1. δ: 48, 2. Somit besitzen wir den Archetypus nicht 
mehr. Aber die äusserst geringe Verschiedenheit aller drei 
Handschriften lässt ihn nur in nächster Nähe derselben 
suchen; vielleicht ist er von y durch kein einziges Zwischen- 
glied getrennt. Jedenfalls berechtigt uns der Thatbestand 
nur zu der Behauptung, dass diese drei Briefe in dieser 
Ordnung und Textgestalt wahrscheinlich im Lauf des 6. 
und des 7. Jahrhunderts einige Male abgeschrieben worden 
sind. 

Es war daher ein Uebergriff, wenn Cureton und seine 
Nachfolger hier eine Bezeugung dieser drei Briefe zu finden 
meinten, welche diesen einen Vorzug vor den übrigen vier 
voreusebianischen Briefen gäbe. Es ist möglich, dass schon 
im Archetypus unsrer Handschriften nur diese drei sich 
fanden; aber sogut wie in derartige „Sammlungen aus den 
heiligen Vätern“ !) einzelne Reden, Briefe, Abhandlungen 
anderer gefeierter Kirchenlehrer Aufnahme fanden, ohne dass 
damit auf deren übrige Werke ein Schatten des Verdachts 
fiele, kann auch der, welcher die drei Briefe des Ignatius 
zuerst zusammenstellte, eine Auswahl getroffen haben, ohne 
damit ein literarhistorisches Urtheil über den Umfang der 
ihm vorliegenden ignatianischen Briefsammlung zu fällen 
oder uns zu ermöglichen. Ausgesprochen hat er jedenfalls 
keins. Bunsen freilich wollte (I, Vorrede S. 16. 18) in der 
Unterschrift der drei Briefe in # das kritische .Zeugnis eines 
wohl unterrichteten, des Griechischen kundigen Syrers, also 
wohl des Uebersetzers gefunden haben, dass Ignatius nur 
diese Briefe geschrieben habe. Sie lautet: „Es sind zu 
Ende ?) [die] drei Briefe des Ignatius, Bischofs und Mär- 
tyrers“. Weniger geeignet scheint es mir, wenn man dagegen 


1) So nennt sich cod. y selbst (Cur., introd., p. 32). 

2) Eine grammatische Nöthigung kann doch nicht vorliegen, dieses 
„explicit“ des Schreibers (cf. Cur., introd., p. 80) mit Petermann, p. XXI 
substantivisch zu übersetzen wegen der Incongruenz des vorausgestellten 
Prädicats. 


‘ 


189 


an den unbestimmteren, keineswegs dem griechischen und 
deutschen Artikel analogen Werth des syrischen stat. em- 
phaticus erinnert hat!). Denn es ist das Natürliche, dass 
der Schreiber, welcher das Ende des dem Ignatius ange- 
hörigen Theils seiner Arbeit markiren wollte, die von ihm 
mitgetheilten Briefe, deren Zahl er ja auch angibt, dabei 
allerdings als discrete Grösse vorstellt. Aber eine Silbe der 
Art auf den Uebersetzer zurückzuführen, ist reine Willkür. 
Nicht einmal im Archetypus unsrer Handschriften hat Der- 
artiges gestanden; sonst würde dasselbe in y sich finden, und 
das Misverständnis gerade dieser besten Handschrift, welche 
zwei Briefe des Johannes Monachus an die ignatianischen 
Briefe anschliesst und als ignatianisch mit unter die Unter- 
schrift ?2) befasst, wäre vollends unerklärlich. Aber auch das 
ist nicht zuzugeben, dass der Schreiber von # nur drei Briefe 
kenne, oder dass von ihm die Sonderexistenz dieser drei 
bezeugt werde (so Lips. I, 159). Mit grösserem Recht könnte 
man behaupten, der wenigstens 100 Jahre ältere Schreiber 
von «, welcher den Brief an Polykarp allein enthält und ihm 
die Ueberschrift gibt: ‚Brief des Herrn Ignatius, des Bischofs“, 
kenne und anerkenne nur diesen Brief; und es ist nicht ein- 
zusehn, warum diese sehr nachlässigen Angaben mehr be- 
deuten sollen, als etwa die Unterschrift der renaudot’schen 
Fragmente: „Zu Ende ist dies vom heiligen Ignatius, dem 
Gottbekleideten und Märtyrer“, nämlich dies Vorstehende, 
oder das, was ich von ihm mittheilen wollte. Es bleibt also 
nicht einmal das kritische Urtheil eines vielleicht sehr un- 
kundigen Schreibers des 7. oder 8. Jahrhunderts übrig. Die 
Frage, ob 7 oder 3 Briefe ächt seien, wird durch alle drei 


m nn 


1) Petermann, p. XXI; Uhlh., S. 15; Merx, S. 13. 

2) Sie lautet hier nur: „Es endigt [das] von Ignatius.“ (Cur., 
introd., p. 32.) Dass man von eineın Misverständnis des Schreibers redın 
muss, beweist die Wiederkehr einer ähnlichen Angabe an späterer Stelle. 
Daraus ergibt sich, dass der Schreiber glaubte, nur Schriften des Eua- 
grius und des Ignatius. von letzterem also 5 Briefe abgeschrieben zu 
haben. 


180 


Handschriften gar nicht einmal gestellt, geschweige denn: be- 
antwortet. Nur so kann die Frage lauten, ob Sceur. ein 
Excerpt aus einer vollständigeren, der griechischen kürzeren 
Recension der voreusebianischen Briefe entsprechenden syrischen 
Uebersetzung sei, oder ob er selbst eine Tebersetzung einer 
entsprechenden griechischen Recension dieser drei Briefe sei, 
aus welcher erst durch Interpolation der his dahin bekannte 
Text derselben Briefe entstanden wäre. Im letzteren Fall 
würde noch keinerlei Verdacht gegen die Abfassung der vier 
übrigen voreusebianischen Briefe begründet sein, sondern nur 
das würde wahrscheinlich werden, dass auch diese ihre in 
der Sammlung U vorliegende Gestalt erst: einem Interpolator 
verdanken, eine Hypothese, welche dann freilich aus Mangel 
an Hülfsmitteln nicht bis zur Ausscheidung des Unächten 
durchgeführt werden könnte. Man wäre schneller zum Ziel 
gekommen, wenn man sich dies von Anfang an gesagt hätte. 
Aber nicht bloss bei Cureton und Bunsen begegnet fort- 
während die Verwechselung von Schreiber und Uebersetzer 
und als gegnerische Meinung, dass hier eine excerpirende 
Uebersetzung statt des Excerpts aus einer Uebersetzung vor- 
liege, auch die Gegner der Ursprünglichkeit yon Scur. haben 
sich von dieser Voraussetzung nicht durchweg freigehalten. 
So konnte es kommen, dass Nirschl !) neuerdings in denı 
Gefühl, damit etwas lange Unterlassenes endlich zu thun, die 
Meinung bestritten hat, dass Ignatius seine Briefe syrigch 
geschrieben habe, als ob irgend ein Mensch in diesem. Sinn 
von Ursprünglichkeit des Scur. geredet hätte! Jene Voraus- 
setzung aber einer excarpirenden Uebersetzung, welche an 
‚sich schon wegen der Schwierigkeit des vorausgesetzten Ver- 
fahrens unwahrscheinlich ist, wird es vollends dadurch, dass 
mehr als 100 Jahre vor der Zeit, bis zu welcher Scur. zu- 
rückverfolgt werden kann, eine syrische Uebersetzung der 
Sammlung U oder A vorhanden war. Ist also Scur. nicht 
Uebersetzung einer ihr genau entspreehenden griechischen 
Recension dieser Briefe, so wird er Excerpt aus jener Ueber- 


1) Die Briefe des Ignatius, 3. 22 ἵ, 


191 


setzung sein. Die Beantwortung der worhin gestellten Alter- 
native wird. aber nieht glücklich mit Abschäfzung der Vor- 
züge begonnen, welche der von Scur. verausgesetzte griechische 
Text vor dem der Sammlung U oder ΑΙ, oder welche dieser 
vor jenem in Bezug auf Gedankengang und geschichtliche 
Wahrscheinlichkett aufzuweisen habe, oder mit Abwägung der 
Schwierigkeiten, welche die Annahme einer Interpolation in 
einen, die einer Abkürzung im anderen Fall an jeder einzelnen 
Stelle bietet. Sicherer. ist es, die leichter objeetiv zu führende 
Untersuchung des Verhältnisses der originalsyrischen Ignatius- 
citate zu Scur. voraufzuschicken. Den richtigen Weg für 
diese Untersuchuag hat zuerst Benzinger gewiesen, dessen in 
manchen Theilen recht tüchtige Schrift von protestantischen 
Schriftstellern, welche in Bezug auf Ignatius. viel weniger ge- 
leistet und viel äsger geirrt haben, ungebührlich misachtet 
worden ist. Ist es wirklich so, dass die in jenen ofiginal- 
syrischen Citaten vorliegende Uebersetzung des Ignatius nicht 
wabhängie von der in Scur. vorliegenden aus dem Griechischen 
geflessen sein kann, so ist auch der Excerptcharakter des Scur. 
erwiesen. Denn von vornherein ist der Ausweg als unweg- 
sam: zu bezeichnen, den Lipsius. betreten hat. Es soll näm- 
lich allerdings eine weitere syrische Resension von. 13 Briefen 
existirt haben, welche aus einer Reihe syrischer Fragmente 
und der armenischen Uebersetzung nach Text und Umfang 
erkannt werden kann; sie soll auch in einem nahen Ver- 
wandtschaftsverhältnis zu Scur. stehn (II, 158 f. 166. 168 Ik 
173. 175 ff.), aber nicht die Grundlage des Scur., sondern 
eine Ueberarbeitung. und Erweiterung desselben nach einem 
griechischen Exemplar sein (I, 165 f. u. s. w.). Wie sich 
diese Ansicht mit der chranologischen Thatsache abfindet, 
dass die angebliche Ueberarbeitung mindesiens 100. ‚Fahre 
höher hinaufverfolgt werden kann, als die angebliche Grund- 
schrift, wurde schon gezeigt. Es wird sich noch zeigen, dass 
der werthvollere Theil der angeblichen Ueberarbeitung, näuı- 
“ lich eine syrische Uebersetzung der 7 voreusebianischen Briefe 
schon einige Zeit vor dem Jahre 400, also nahezu 2 Jahr- 
hunderte vor dem nachweisbaren Alter von Scur. existirt hat. 


192 


Aber es lässt sich auch keine vollziehbare Vorstellung von 
der angenommenen Ueberarbeitung gewinnen, was allerdings 
erst aus einer genaueren Untersuchung des nahen Verwandt- 
schaftsverhältnisses der syrischen Uebersetzung von 7 Briefen 
zu Scur. deutlich erhellen wird. Eins jedoch genügt, soviel 
ich sehe. Es müsste der Ueberarbeiter, der schon um die 
Mitte des 4. Jahrhunderts arbeitete, unter ängstlicher Schonung 
einer noch älteren Uebersetzung (Scur.) mit Hülfe einer 
Handschrift wie cod. med. die zahlreichen Lücken der älteren 
Uebersetzung ausgefüllt, deren kleine Zusätze beseitigt, deren 
Umstellungen wieder zurechtgestellt und schliesslich die fehlen- 
den Briefe genau im Stil der älteren Uebersetzung hinzu- 
gefügt haben. Ganz zu schweigen von der Mühseligkeit und 
Beispiellosigkeit !) einer solchen Arbeit, so ist sie undenkbar 
wegen des inneren Widerspruchs zwischen sclavischer Ab- 
hängigkeit des Bearbeiters von der älteren Uebersetzung (Scur.) 
auf der einen Seite und völliger Hintansetzung ihres Zeug- 
nisses' in literarischer Hinsicht auf der andern. Wie wäre 
es zu erklären, dass dieser Bearbeiter die beiden Kapitel 
Trall. 4. 5, welche in seiner angeblichen Grundlage, dem 
Seur., zu einem Bestandtheil des Römerbriefs gemacht waren, 
seiner griechischen Handschrift zulieb aus dieser Stelle 
entfernte und dem Brief an die Trallianer einverleibte? Bei 
einiger Anhänglichkeit an seine Grundlage hätte er wenig- 
stens hier ihr folgen oder, wenn er ebenso eifrig auf Ver- 
mehrung als auf Berichtigung aus war, die Duplette nicht 
scheuen müssen. 

Recht im Unterschied von der gelehrten Buchstäblichkeit, 
mit welcher die theologischen Werke späterer Zeit von noch 
späteren Monophysiten ins Syrische übersetzt wurden (s. oben 
S. 176), erscheint die Uebersetzung, welche zunächst nach 


---.- Ύ -.-.-.. -.... -. 


1) Die Vergleichung mit dem Verhältnis der Peschito zur Philo- 
xeniana bei Lips. II, 29 f. schemt nicht sehr ernstlich gemeint-zu sein, 
da sie im entscheidenden Moment gar nicht verwerthet wird. Sonst 
wäre auch leicht zu zeigen, wieviel an einer 'ernstlichen Analogie des 
Falles fehlt. 


198 


ihren unzweifelhaften Urkunden, den drei Handschriften des 
Seur. zu charakterisiren ist, als volksthümlich. Im ganzen 
unbekümmert um ängstliche Treue ἢ), sucht sie den dem 
jedesmaligen Zusammenhang entsprechenden und vor allem den 
ächt orientalischen Ausdruck. Die Briefe des Ignatius sollen 
ein syrisches, nicht bloss nützlich, sondern auch erbaulich zu 
lesendes Buch werden. Daher der unverkennbare Anschluss 
an die Peschito 5), daher die Vorliebe für Umschreibung des bei 
Ignatius neben aller Ueberschwänglichkeit doch auch oft bis 
zu Unverständlichkeit knappen Ausdruckes, daher die Freiheit 
in Weglassung und Zusetzung und im Wechsel der Ueber- 
setzung desselben Ausdrucks je nach dem Zusammenhang, 
wie in Assimilirung verschiedener Worte von verwandtem 
Sinn. Einige Beispiele, welche ich aus möglichst unbe- 
strittenen Texten wähle, mögen das Gesagte veranschaulichen. 
Das ϑηριομαχῶ wird Rom. 5 p. 48, 5, wo es wie 1 Cor. 
15, 32 nur bildliche Bezeichnung der gefahrvollen Lage unter 
bestialischen Menschen ist, übersetzt: „Zwischen die Thiere 
bin ich geworfen‘ 3), dagegen Eph. 1 p. 18, 3, wo die 
Execution vorgestellt wird: „dass ich von den Thieren ge- 
fressen werde‘, während das Wort z. B. im syrischen Severus 
Trall. 10 p. 214, 7, im syrischen Euseb Cur., p. 203, 10, in 
einer syrischen Uebersetzung aus Chrysostomus bei Cur., 
p. 279 stets wörtlich. übersetzt ist‘). In Eph. 8 wird das 
ziemlich dunkle περίψημα ὑμῶν (sc. ἐγώ) übersetzt: „ich 
freue mich an euch“, ganz ähnlich wie Pol. 6 p. 12, 10; 


.— 


1) Die Beispiele übertriebener Wörtlichkeit auf Kosten des syrischen 
Sprachgebrauchs scheinen mir nicht so zahlreich und erheblich, als dass 
die Aeusserungen von Merx, p. 34. 38 gerechtfertigt erschienen. Die 
Syrer können darin viel vertragen, und mehr in der Verlegenheit um 
den rechten Sinn dürfte dieser Syrer manchmal unverstandenes Griechisch 
treu übertragen haben. 

2) Vgl. Lee bei Cur., introd., p. 85; Merx, p. 29 sga. 

3) Trotz des verschiedenen Verbs ist 1 Cor. 15, 32 Peschito zu 
vergleichen: asus δ δαὶ. : 

4) M. syr. Moes., p. 8, 1 übersetzt Rom. 5 eigenthümlich: „Mein 
Kampf ist mit den Thieren “. 

Zahn, Ignatius,. 13 


| 194 


Rom. 5 Ὁ. 48, 8 das ὀναίμην !), dagegen Eph. 18 p. 34, 1 
„es betet an mein Geist das Kreuz“. Rom. 4 p. 48, 3 
ἀνασεήσομαι „ich werde aufstehn aus dem Haus der Todten 2), 
wie Peschito „war nicht gewöhnlich, aber doch dreimal (Rom. 
1, 4; Actor. 24, 15; Matth. 14, 2) paraphrasirt, während die 
Uebersetzer des Timotheus (p. 211, 6) und des Severus 
(p. 214, 21) sich dessen enthalten ἢ. Für ϑεοῦ οἰκονόμοι καὶ 
πάρεδροι heisst es Pol. 6 p. 12, 5: „Vorsteher des Hauses 
Gottes und Söhne seines Hauses“, ἃ. 1. also Haussclaven, wie 
A richtig übersetzt, vgl. Merx p. 36. Von der Uebersetzung 
von ὁ κύριος wurde schon oben S. 176 geredet. Durch solche 
und ähnliche Eigenthümlichkeiten gewinnen auch sinngetreu 
übersetzte Sätze manchmal ein fremdartiges Aussehn, so z.B. 
heisst πάντας βάσταζε ὡς καί σε ὁ κύριος hier „Trage jeden Men- 
schen, wie Dich trägt unser Herr“ Pol. 1 p. 2, 99. Wenn 
Scur. dicht neben einander zwei Synonyma wie τύπτεσθαι uud 
δέρεσϑωιε Pol. 3 p. 6, 7. 8, auch fr. Ip. 198, 25. 26, und 
sogar zwei so verschiedene Verben wie das transitive ὑπερηφαν εῖν 
und φυσιοῦσϑαι Pol. 4 p. 8, 8 durch das gleiche Wort über- 
setzt, so muss er nicht, wie Cur. p. 276 meint, deshalb Eph. 
inser. statt ἡνωμένην gelesen haben ἀπηρτισμένην ‚oder χατηρ- 
τισμένην, weil er Eph. 1 p. 18, 1 dasselbe „sau zur 
Vebersetzung von ἀπαρείζειν gebraucht, dessen passives Particip 
bier p. 16, 3 steht, und zwar um so weniger, da die gleiche 
Form dort p. 16, 2 auch ein πληρώμωτι ersetzt, als ob ein 


1) Die Verba sind nur synonym, aber man würde von syrischen 
Text Eph. 8 eher auf ein ovadunv vuw» als auf περίψημα ὑμῶν schliessen. 
Dass hier schwerlich, wie Lips. 11, 141 meint, ein Schreibfehler von 
ßy vorliegt, zeigt die Uebereinstimmung von A. VUebrigens heisst das | 
vorgeschlagene #u „Sand“ und schwerlich „Staub“ im Sinn von 
„Unrath“. Und was wird aus aan? 

2) So fassen es Schaff (Lex. Pesch, p. 57) und Uhlemann (Gramm., 
δ. 208), es könnte auch übersetzt werden „von zwischen den Todten‘. 

3) Nur einmal im severianischen Fragmente aus Mgn. 9 bei Land 
(5. oben ὃ. 178) findet sich jene ‚Paraphrage. 

4) Cur. hat sebr mit Unrecht daraufhin das xa‘ gestrichen, welches 
ja reichlich durch Wiederholung des Verbs ersetzt ist. 


195 


πεπληρωμένῃ daägestanden hätte 1), während dae ἀπηρτισμένὸόν 
Eph. 19 p. 36, 6 durch das ähnliche, aber nicht nah ver- 
wandte part. Ethpaal von sus ausgedrückt ist. Bei solcher 
Willküörlichkeit des Scur. wird man, auch nicht sicher be- 
haupten können, dass er durch jau immer προςβλέπειν über- 
setze, dies also auch Pol. 6 p. 12, 1; Trall. 4 p. 54, 5 statt 
προςέχειν gelesen 8060 3). In der Uebersetzunig von ἄνευ; 
χωρίς, πλήν wechseln ohne Regel die syrischen Synonyma 
dafür; Pol. 4 p. 8, 6 cf. p. 271 variiren sogar die Hand- 
schriften von Scur. Wo es für den Sinn wenig oder nichts 
austrägt, ist nie sicher darauf zu rechnen, dass einem syrischen 
Plural, auch wo dieser dureh die Wortform unzweideutig dasteht, 
und einem Singular der gleiche Numerus im Original entsproche , 
2.B. bei προςευχαῖς, νόσους Pol. 1, μαϑητάς, τραῦμα, χαρίσ- 
ματος Pol. 2. Beispiele freiester Wiedergabe ohne Absicht 
einer Sinnänderung sind Pol. 1 p. 2,8: „verfolge oder richte 
aus das Nothwendige‘“, als ob statt zo» τύπον dastünde τὰ 
δέοντα oder dergleichen, und Rom. 5 p. 50, 4 „und Thiere, die 
bereitet sind" statt ϑηρίων re σύστασις oder συστάσεις ?), eine 
dureh das kurz Vorhergehende dargebotene Umschreibung. 
Der Deutlichkeit wegen wird Pol. 1 p. 2, 5 das objectlose 
ὑπερδοξάζω durch ϑεόν und Pol. 3 p. 8, 4 das objectlose 
ὑπομείναντα durch πάντα und Trall. 4 p. 54, 6 das vollends 
dunkle οἱ γὰρ λέγοντές μοι durch τοιοῦτα ergänzt. Dunkles 
aber Entbehrliches wie das ἐν σαρκέ bei ὑμῶν δὲ ἐπισχύπῳ 
Eph. 1 p. 18, 6 wird weggelassen. Auch an bewussten 
Aenderungen des Sinns fehlt es micht: ganz. Es ist dem 
Uebersetzer anstössig, dass Ignatius Rom. 4 sagt: „Ich schreibe 


1) Vgl. Peterm. 2. d. St..und Rom. inser., p. 40, 4. 

2) Peschito gibt 2 Petr. 1, 19 προςέχειν so wieder, und ebenso die 
didascalia p. 2, 21 cf. const. ap. I, 2. — Das fr. I stimmt Pol. 6 
p. 198, 8 mit Scur. überein, während es Eph. 6 p. 197, 9 auch προς- 
βλέπειν durch 3a übersetzt und Philad. 6 p. 199, 12 ein προςέχειν 
ebenso wiedergibt, wie Peschito Actor. 10, ὦ προςκχαρτερεῖν. 

3) So auch fr. Il p. 201, 14 und A. Dagegen Eus. syr., p. 203, 20 
und mart. syr. Moes., p. 8, 11 „und Versammlung von Thieren “. 

13* 


196 


allen Gemeinden und gebiete Allen“, während doch eigentlich 
kein Gebot folgt, sondern der Ausdruck seiner Willigkeit zu 
sterben, und weil im selben Kapitel noch Ignatius es ablehnt, 
dass er wie ein Apostel ihnen Befehle ertheile. Daher ersetzt 
er ἐντέλλομαι durch Yı%’aso „ich thue kund“ ἢ. Wenn er 
Pol. 1 p. 2, 7 die Aufforderung πάντας παρακαλεῖν ἵνα σώ- 
ζωνται in die andre verwandelt: „bete für alle Menschen- 
kinder, dass sie leben“, so nahm er erstlich Anstoss daran, 
dass das „Gerettetwerden‘‘ Inhalt einer Ermahnung sein 
sollte, und andrenfalls kein Inhalt derselben angedeutet sei, 
und machte daher die Errettung zum Inhalt und Zweck einer 
Fürbitte 2); sodann aber übersetzte er nach Art der Peschito 
σώζεσϑαι durch am (vgl. Merx p. 30). BReminiscenzen an 
die syrische Bibel bestimmten ihn oft zu sehr freiem Ver- 
fahren. In Erinnerung an Gal. 2, 6 übersetzte er Pol. 3 
p. 6, 6 οἱ δοκοῦντες ἀξιόπιστοι εἶναι: „Diejenigen, welche dafür 
gehalten werden, etwas zu sein“). Wahrscheinlich ist’s nur 
Erinnerung an die Peschito Col. 4, 2, was ihn bestimmte, 
Pol. 1 p. 4, 1 προςευχαῖς σχόλαζε ἀδιαλείπτοις zu übersetzen: 
„im Gebet sei beständig‘ ἢ). Beweisen lässt sich nicht, dass 
er kein ἀδιαλείπτοις gelesen hat. Es ist möglich, dass die 
abendländischen Zeugen es aus 1 Thess. 5, 17 einfügten 5), 


ne 


1) Vorsichtiger half m. syr. p. 7, 1 nach: „ich gebiete und thue 
kund Allen“. 

2) Luc. 22, 32 ist ya AuS> VUebersetzung von ἐδεήϑην περί 
σου, also ist die Bemerkung, dass jenem Verb kein προςεύχεσϑαι oder 
dergleichen zu Grunde liegen könne (Merx, p. 30), unrichtig. 

3) Cf. Merz, p. 33. Weniger passend verglich Cur. p. 270 
Gal. 6, 3. 

4) Vgl. den ganz ähnlichen Ausdruck in Zingerle, monum. syr. 
I, 1 für προςκαρτεροῦντες νηστείαις Pol. ad Philipp. 7. In der Didaskalia 
p. 58, 19 οἷ. const. ap. III, 58 wird eis τὴν ἐκχλησίαν ἐνδελεχίζειν 
übersetzt ἰδ) Wins «αδδοῖ so), 

5) So Cur. p. 266 und seine Nachfolger. Der spätere Uebers etzer 
der Parallelstelle Her. 1 fr. II p. 202, 10, welcher das blosse σχόλαζε 
durch ««ἀοὐδὶ gibt, kann nichts beweisen. Er kann von dem älteren 
. Vebersetzer der ähnlichen Stelle abhängig sein. 


197 


wie im ähnlichen Fall Eph. 10 vielleicht wahrscheinlich ist; 
aber es konnte Scur. auch meinen, es mit übersetzt zu haben, 
da Peschito 1 Thess. 2, 13 ἀδιαλείπτως, 2 Tim. 1, 3 ἀδιάλει- 
πτον durch das Adverb Autısso] wiedergibt (cf. Merz, p. 16. 31). 
In 1Cor. 7, 5 hätte er eine genauere Uebersetzung von 
σχολάζειν finden können; aber sie fiel ihm auch nicht ein, 
als er Pol. 7 p. 14, 1 ϑεῷ σχολάζει übersetzte: „Gotte ist 
er bereit zu dienen“ oder „sich zu unterwerfen“, eine dem 
Zusammenhang wohl entsprechende Umschreibung, die man 
nur nicht, wie es Cur. p. 274 versucht, wörtlich ins Griechische 
zurückübersetzen darf. 

Durch Vorstehendes möchte obige Charakteristik dieser 
Vebersetzung gerechtfertigt und eine Vergleichung anderer 
Uebersetzungsreste mit Scur. ermöglicht sein. Die umfang- 
reichsten und zu einer überzeugenden Vergleichung völlig 
ausreichenden Fragmente sind die von Cureton als fr. I. II 
p. 197—202 herausgegebenen. Die ersteren sind in einem 
grossen Sammelband vorwiegend kirchenrechtlichen Inhalts 
enthalten, worin unter 48 Nummern in einer im grossen und 
ganzen ziemlich chronologischen Ordnung kirchliche Canones 
und Schriften ähnlichen Inhalts von den Zeiten der Apostel 
bis auf Jakob von Edessa (f 710) aneinandergereiht sind. 
Die Zeit der Abfassung oder Abschrift ist nicht angegeben, 
aber nach dem Inhalt und den zu einzelnen Schriften notirten 
Jahreszahlen 1) kann das Eine oder das Andere nicht wohl 
vor 700 stattgefunden haben. Als Nr. 17 stehen dort 16 
Sätze aus den voreusebianischen Briefen des Ignatius mit 
Ausnahme des Römerbriefs, durch ein „wiederum“ oder 
„bald nachher“ von einander getrennt, und zwar in einer 
doppelten, je in sich nach gleicher Ordnung angelegten Reihe 
(vgl. oben ἃ. 110f.), mit genauer Angabe der Briefe und mit 
der gemeinsamen Ueberschrift: „Worte, welche ausgewählt 
sind aus den Briefen des heiligen Ignatius, des Schülers der 
Apostel, des Gottbekleideten und Märtyrers, zweiten Bischofs 
von Antiochien, welche die Kraft kirchlicher Canones haben.“ 


1) Das Jahr 687 u. Z. kommt unter Nr. 15 und 48 vor. 


198 


Die von Renaudot hieraus gezogenen Folgerungen (8. oben 
8. 167) waren richtig. Denti es war doch mehr kühn, als 
einer ernstlichen Widerlegung werth, wenn Cur. p. 345 
versicherte, diese Sammlung, d. i. der gesammte Inhalt der 
Handschrift, sei als Ganzes aus dem Griechischen übersetzt, 
und so auch das Ignatianische ἢ). Aber sie enthält oriwinal- 
syrische Stücke in Menge, die doch nicht auf dem Umweg 
einer Rückübersetzung aus dem Griechischen in ihr Original 
hierher gerathen sein können. Ohne Frage gilt dies von den 
Canones des Rabulas von Edessa Nr. 29, den Synodalacten 
der Synode zu Seleucia und Ctesiphon Nr. 31 und den Fra- 
gen eines syrischen Priesters Addi an Jakob von Fidessa und 
deren Beantwortung Nr. 48. Aber auch die Uebersetzungen 
aus dem Griechischen sind älter als die Sammlung. Die 
Acten des carthagischen Goncils von 258 Nr. 15 sind nach 
der Angabe der Handschrift selbst schon in demselben Jahr 
687 u. Z. ins Syrische ‘übersetzt, in welchem das letzte Stück 
der Sammlung erst verfasst wurde. Die Angabe hätte über- 
haupt keinen Sinn, wenn der Sammler dies Stück nicht schon 
syrisch vorgefunden hätte Das Gleiche gilt aus anderen 
Gründen von der Didaskalia Nr. 1, von zahlreichen Schriften 
der hier excerpirten griechischen Kirchenlehirer. Es ist nicht 
einmal wahrscheinlich, dass der Sammler auch nur ein 
einziges Stück neu aus dem Griechischen übersetzt habe. Da 
es um 700 längst einen syrischen Ignatius gab, so ist von 
vornherein nicht daran zu zweifeln, dass diese Fragmente aus 
einer syrischen Uebersetzung des Ignatius geriommen sind. 
Ein ähnlicher vorläufiger Beweis lässt sich für fr. II nicht 
führen. Nur fallen hier alle Gründe weg, welche bei den 
Brachstüeken aus Timotheus und Severus gegen Entlehnung 
aus einer syrischen Uebersetzung des Ignatius sprechen. "Die 
Auszüge, womit nach Cur., p. 348 erst im 11. oder 12. Jahr- 
hundert der leergebliebene Deckel und Rand eines älteren 
Bandes ausgefällt wurde, sind laut Ueberschrift genommen 
„aus dem Buch des heiligen Ignatius, des Gottbekleideten, 


1) Vgl. dagegeti auch Lips. HH, 28 £. 


199 


Bischofs von Antiochien“. Dieses „Buch“ enthielt damals 
ausser den voreusebianischen Briefen, von welchen Rom. Eph. 
Mgn. Sm. vertreten sind, auch die nacheusebianischen; denn 
am Schluss sind noch zwei kurze Sätze aus Her. 1 ange- 
führt). Eine Analogie zu Scur. bildet diese Fragmenten- 
gruppe insofern, als hier Ignatianisches ohne Angabe der 
Auslassungen aneinandergereiht ist. Nur zwei stärkere Inter- 
punctionen p. 202, 4. 10 theilen die aus viel mehr Stücken 
zusammengesetzte Masse. In Rom. 4 lässt es ohne weiteres 
ἐάνπερ — κωλύσητε, was auch bei Scur. erhalten ist, weg, in 
Eph. 15 die Worte ἡμῶν" ὅπερ — προσώπου ἡμῶν Und 
schliesst daran einen halben Satz aus Eph. 20 so an, als ob 
er Bestandtheil des vorigen wäre. 

In diesen Fragmenten I. II erkennt man sofort denselben 
Uebersetzer wieder, dessen Werk in Scur. auch nur frag- 
mentarisch erhalten ist?).. Dieselbe Umschreibung von 
ϑηριομαχεῖν, welche Scur. Eph. 1 gebraucht, hat fr. I 
p. 200, 20 Trall. 10. Die Amplification „er stand auf aus 
dem Haus der Todten“ finden wir wieder fr. I p. 200, 15 
Trall. 9, fr. I p. 201, 19 Rom. 6; an letzterer Stelle ent- 
spricht ihr nicht einmal ein ἀπὸ oder ἐκ vexgwv. Aehinlich 
hiermit ist die Umschreibung von ἐκ γένους Jußiö fr. ‘I 
p. 200, 12 Trall. 9, fr. II p: 201, 26 Eph. 20 durch „aus 
dem Geschlecht des Hauses David“, mit dem geringen Unter- 


1) Das Versehn auf p. 236, als ob sie aus Pol. 1 stammten, hat . 
Cur. selbst p. 350 verbessert. Wenn Lips. II, 180 von diesem Citat 
sagt, was nur aus Verwechselung von fr. 1 und II zu erklären ist, so 
ist das apologetischem Eifer zu gut zu halten. 

2) Es gilt dies nicht von einem in jenem renaudot’schen Codex er- 
haltenen einzelnen Satz aus Polyc. 2, welcher mit seiner griechischen 
Umgebung ins Syrische übersetzt ist. Lagarde, religu. jur. 660]. syr., 
p. 99 (ins Griechische zurückübersetzt rel. jur. ecel. gracce, p. XLV]): 
tell WS ans „2 σῷ Was 0 al Die 
Stelle ist ohne den Namen des Ignatius eingeführt mit den Worten 
„weil wir überdies hören“. Von Scur. p. 4, 5 weicht die Uebersetzung 
natürlich weit ab. \ 


200 


schied, dass fr. I hal, fr. II 5) schreibt ἢ). Ganz dahin 
gehört die Wiedergabe von ὄντας μυστηρίου I. Χρ. Trall. 2 
durch „welche sind Söhne des Geheimnisses Christi“ fr. I 
p. 198, 8, oder die von πρεςβυτέρους ὡς συνέδριον ϑεοῦ καὶ 
σύνδεσμον ἀποστόλων Trall. 3 durch „vor den Presbytern, 
wie vor den Söhnen des Raths Gottes und Gliedern der 
Apostel“ 3. Aehnlich ist die Paraphrase von ovußoviıor 
ἀγαγεῖν ϑεοπρεπέσταιον Pol. 7 p. 200, 27: „dass du dir ver- 
sammelst Söhne des Raths zu einem Rath, der Gott gefällt “. 
Statt ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου Trall. 9 heisst es p. 200, 13: „in 
den Jahren des Pilatus Pontius“. Auch in diesen Frag- 
menten entspricht jedem χύριος ein 9; die gleiche Freiheit 
in Bezug auf Numerus der Nomina, in Weglassung des 
Ueberflüssigen oder Dunkeln, in Beifügung erläuternder Zu- 
sätze findet sich hier wie dort. Ohne Nöthigung und ohne 
Bestätigung durch abendländische Zeugen heisst es Pol. 7 
p. 201, 1: „welcher vermag zu sein und genannt zu werden 
ein Bote Gottes“. Es soll eine Uebersetzung von μηδὲ πει- 
ράσητε εὔλογον τι φαίνεσϑαι ἰδίᾳ ὑμῖν Mon. 7 sein: „auch 
versucket ja nicht, dass erscheine irgend etwas, dass es passend 5) 


1) Anders d. h. im Griechischen begründet ist die gleiche Variation. 
zwischen Timoth. p. 211, 20 Eph. 18 und Sever. p. 214, 15 Sm. 1. 
Bei beiden fehlt das umschreibende Aus, 

2) Letzteres nach Col. 2, 19 Peschito. --- Nach dieser Stelle Trall. ὃ 
ist auch die Uebersetzung von Mgn. 6 im selben Fragwent p. 197, 25 
zu verstehen, also vor allem faäso im gleichen Sinn zu nehmen = 
concilium. Aber dass darum die Lesart ἀποστόλων τοῦ συνεδρίου zu 
Grunde liege (Lips. Il, 168 ἢ), ist doch rein undenkbar. Anoorokos 
heisst nicht Bote und kann nicht durch Lollso übersetzt werden. 
Es liegt hier eine ganz freie Umgestaltung des griechischen Originals 
seitens des syrischen Uebersetzers vor, dem dann wieder A mit einigem 
Misverstand folgte. Das Bedürfnis, eine rhetorisch angemessenere Folge zu 
gewinnen, setzte an die Stelle des ursprünglichen „Bischof = Gott, 
Presbyter = Apostel, Diakonen= Christus “, hier „ Bischof= Gott, Pres- 
byter = Engel des Raths, Diakonen = Apostel“. 

3) Sollte man nicht entweder nach Actor. 18, 14 {\uNas = xera 


λόγον erwarten oder „m statt om? CA. fr. I p. 199, 25 Sm. 9. 


201 


si, dem. Einzelnen von euch, von ihm und zu ihm“. Bei- 
piele einer Ergänzung des fehlenden Objects gibt es auch 
hier z. B. Philad. 3 fr. I p. 199, 6 statt des absoluten 
σχίζοντε „dem, welcher die Kirche Gottes spaltet“. Aehnlich 
ist die Ergänzung eines Χριστοῦ hinter τῷ πάϑει ebendort 
p. 199, 8, oder τοῦ χυρίου hinter τὸ ὄνομα Philad. 10 fr. I 
p. 199, 18. Weggelassen wird hier ein τὴν ἐν “Ἀντιοχείᾳ 
wischen ἐχχλησίαν und τῆς Συρίας Phil. 10 p. 199, 16; 
% heisst auch die Gemeinde von Smyrna hier einfach „die 
Gemeinde Asiens“ p. 199, 22 Sm. inser. Als Beispiel be- 
deutender Aenderung des nichtverstandenen Originals diene 
die Uebersetzung eines schwierigen Satzes aus Thrall. 11 
p. 200, 22: „Denn diese sind nicht eine Pflanzung des 
Vaters; denn, wenn sie wären eine Pflanzung des Vaters, 
wären sie erschienen als Zweige des Kreuzes und ihre unver- 
gänglichen Früchte wären geblieben !) im Leiden des Kreuzes 
eures Herrn, dessen Glieder ihr seid.“ 

Alle diese Eigenthümlichkeiten ?) weisen fr. I. II dem 
Uebersetzer zu, dessen Werk auch in den Handschriften des 
δια], fragmentarisch erhalten ist. Die parallelen Abschnitte 
sind so völlig gleichlautend, dass an Identität der Ueber- 
setzung nicht zu zweifeln ist. Eph. 15 Scur. p. 32, 2 
ef. fr. I p. 197, 15 heisst es zuerst übereinstimmend: „ Vor- 
züglicher ist es, dass Einer schweigend sei, während er etwas 
ist, als dass er redend sei, während er nicht ist.“ Aber 
anstatt der in Scur. folgenden Worte aus der Mitte desselben 
Kapitels liest man in fr. I entsprechend dem abendländischen 


1) Ich hoffe richtiger zu übersetzen als Cur., p. 235. Das voraus- 
gesetzte ἔμειναν ὧν wird nach 1 Cor. 3, 14 zu erklären sein. 

2) Lips. II, 174 nennt als Eigenthümlichkeit des angeblichen 
späteren Uebersetzers in fr. I p. 197, 5 die wörtliche Uebersetzung von 
σπουδάσωμεν durch „au, während Scur. Eph. 10 p. 28, 6; 30, 1 
σπουδαζεῖν mehr umgeht, als übersetzt. Aber Eph. 1 p. 18, 4 hat auch 
Seur. ein unzweifelhaftes £&onovdasare durch paul übersetzt. Und 
wenn dem auch nicht so wäre, so ist gerade das diesem Uebersetzer 
eigenthümlich, dasselbe Wort je nach dem Zusammenhang so oder so 
zu übersetzen. 


202 


Text: „Denn schön ist es, dass Einer lehre, wenn es geschieht, 
dass er, was er lehrt, thut.“ Die Uebersetzung, soweit sie 
bei beiden sich findet, ist nicht selbstverständlich; sie scheint 
sogar auf eine vom sonst beglaubigten Text abweichende 
Lesart ἢ λαλεῖν μὴ ὄντα hinzuweisen. Trotzdem keine 
Variante zwischen fr. I und Seur. ausser dem wm vor: Im, 
welches aber auch nur in cod. ὁ fehlt, während der bessere 
cod. y mit fr. I übereinstimmt. Letzteres ist ein werthvoller 
Zeuge für den Text dieser einzigen syrischen Uebersetzung 
des Ighnatius, aus welcher Scur. ein Excerpt ist. Man ver- 
gleiche ferner die Uebersetzung von Pol. 3 Scur. p. 6, 6; 
fr. 1 p. 198, 24. Die Varianten des Fragments sind ein- 
geklammert. „Diejenigen [aber], welche dafür gehalten 
werden, dass sie etwas seien und lehren fremde Lehren, 
mögen dich nicht in Staunen setzen. Stehe aber in der 
Wahrheit wie ein Athlet [Starker], der geschlagen wird. 
Denn eines grossen Athleten ist es, dass er geschlagen werde 
und siege. Besonders [aber] um Gottes willen müssen wir 
Alles ertragen, damit (Scur. >, fr. 5 2...) uns ertrage auch 
er.“ Dass nicht zwei verschiedene Uebersetzer so gleich- 
lautend übersetzen können mit gleicher Erinnerung an 
Gal. 2, 6 (s. oben 8. 196), gleicher Umschreibung von στῆϑι 
ἑδραῖυς, gleicher Nichtunterscheidung von τύπτεσϑαι und 
δέρεσϑαι, gleicher Hinzufügung eines δέ hinter σεῆϑι, eines 
γάρ hinter μεγάλου, versteht sich von selbst. Die Ab- 
weichungen des Fragments sind aber nicht Correceturen nach 
dem Griechischen. Wenn er ein δέ hinter μάλιστα las, 
welches in Scur. fehlt, im griechischen Text sich findet, so 
hat er dagegen ein andres δέ am Anfang des Citats, welches 
keinen abendländischen Zeugen für sich hat; und Jie Er- 
setzung von {4uS2} durch Au kann selbst Lips. II, 161 
nicht geradezu für Correetur nach dem Griechischen ausgeben, 
denn es ist ebensowenig als das Wort des Scur. eine Ueber- 
setzung von ἄχμων. Nach Lips. a. a. Ὁ. und Merx p. 38 
soll es Interpretation des fremden Wortes Athlet sein, obwohl 
derselbe Fragmentist in der folgenden Zeile dieses frennde 
Wort, wie so manches andere, das in dieser Uebersetzung zu 


208 


finden ist, nicht interpretirt bat. Aber im Grunde soll nach 
Lipsius der Ueberarbeiter zu der sonderbaren Inconsequenz 
nicht durch die Erklärungsbedürftigkeit des Wortes „Athlet“, 
sondern durch den griechischen Text bestimmt sein, wo 
zwar nicht von einem „Starken“, aber doch von einem 
„Amboss“ und nachher erst von einem Athleten die Rede 
ist! Die fraglichen syrischen Worte haben Buchstaben genug 
mit einander gemein, um mit einander verwechselt werden 
zu können. Da aber A mit fi. I vir fortis übersetzt und da 
Gleichlaut zweier nahe bei einander stehender Worte, wenn 
daneben auch Verschiedenheit derselben bezeugt ist, immer 
den Verdacht mechanischer Assimilirung erregt, so ist nicht 
daran ztı zweifeln, dass fr. I auch hier wieder den ursprüng- 
lichen Text dieser'syrischen Uebersetzung bewahrt hat. Dann 
liegt hier wieder eines jener Quidproquo unsrer Uebersetzung 
und überdies ein Peschitowort (Mare. 1, 7; Hebr. 11, 34) 
vor; und es heisst den Charakter des Uebersetzers verkennen, 
wenn fMnan ihn hier ἄχμων in der höchst zweifelhaften Be- 
deutung des Worts = ἀχμής nehmen lässt ἢ). In einem 
Citat aus Pol. 6 weichen Scur. p. 12, 1 sqq. und fr. I 
p. 198, 28 sqq. nur darin von einander ab, dass Letzteres 
gezsen den oriechischen Text zu arılyv χον ἐγώ ein ὑμῶν 
hinzesetzt. Alle Incongruenzen mit dem griechischen Text 
hätte also der angebliche Bearbeiter des Scur. hier unver- 
ändert gelassen, und seine einzige Aenderung wäre gerade eine 
Eutfernung vom griechischen Text. Etwas erheblicher sind 
die Varianten in den beiden noch übrigen Parallelen zwischen 
fr. I und Scur., aber sie übersteigen nicht das Mass dessen, 
was zwischen weit getrennten Handschriften vorkommt. Bei 
Scur. p. 14, 1 heisst es: „Dem Christen ist nicht Vollma-ht 
über ihn selbst, sondern Gotte ist er bereit sich zu unter- 
werfen“ oder „zu dienen“. In fr. I p. 201, 3 ist das Dativ- 
zeichen vor „Christ“ ausgefallen, was aber hier, wo ein 
aD das vorausgeschickte Object wiederaufnimmt, nichts be- 
deutet, ferher ein je, eingeschoben, welches im Griechischen 


— .—- 


1) So Car. 270; Lips. U, 138. 


204 


fehlt wie in Scur. Also wieder sind die Aenderungen nicht 
Zeichen einer Ueberarbeitung nach dem Griechischen. Un- 
wahrscheinlich ist dies auch von der Einschiebung des Adverbs 
„beständig“, denn dadurch nähert sich die Uebersetzung dem 
Original, dem einfachen σχολάζει, nicht um ein Haar. Eind- 
lich lässt das fr. ebenso wie A das Wort „aslu» fort. 
Aber ein von einem Bearbeiter nach dem Griechischen be- 
seitigter Zusatz des ersten Uebersetzers ist dies doch schwerlich, 
da der angebliche Bearbeiter, wie wir sahen, die ärgsten Ver- 
breiterungen und Umschreibungen der syrischen Tebersetzung 
unangetastet gelassen und, wenn er wirklich die in Scur. fehlen- 
den Stücke neu übersetzt hätte, selbst sich erlaubt hat. Eswird 
also vielmehr ein die folgende Lücke in Scur. ersetzender oder 
verdeckender Zusatz des Excerptors sein !)... Curetons Meinung, 
dass in fr. I eine von Scur. unabhängige Uebersetzung vorliege, 
tritt mit besondrer Zuversicht auf in Bezug auf das Citat 
aus Trall. 5 fr. I p. 198, 14, welches mit allem Umgebenden 
von Scur. dem Römerbrief einverleibt ist, während das fr. I 
p. 198, 1 in Uebereinstimmung mit allen anderen Zeugen 
die Stelle im Briefe an die Trallianer gelesen hat. Es will 
dabei bedacht sein, dass auch die abendländischen Zeugen an 
dieser schwierigen Stelle stark variiren.. Um so deutlicher 
wird die Identität der Uebersetzung in Scur. und fr. I aus 
folgender Zusammenstellung mit zwei von einander vielleicht 
unabhängigen Anführungen derselben in Uebersetzungen seve- 


rianischer Schriften erhellen. 


Cur. 


Sev. Fi 
Senr. p. 56, 1.:fr.Ip.198,14. 217,7. ‚Ber. Land 1,32. 


Denn auch |(weicht nur in: Denn auch' Denn auch 
ich, nicht weil | Folgendem ab) jch sage, nicht ich nicht da- 
ich gebunden ‚weil ich ge-|durch, dass ich 
bin und im 'bunden und im'gebunden und 
Stande bin zu Stande bin zu im Stande bin, 


1) Darauf, dass die in der ursprünglichen syrischen Tebersetzung 
nach fr. I p. 201, 4 folgenden Worte {„aS u σι 4 von den 
7 fraglichen Buchstaben enthalten, soll kein Gewicht gelegt werden. 


205 


wissen die Ε εν dass ich erkennen jene dassich erkenne 
himmlischen wisse . . . himmlischen die himnli- 
[Dinge]und die . . 0. .'[Dinge] und schen [Dinge] 


Orte der Engel. auch die Orte die Orte der | und die Lage 
und die Stel- . . Engel und jene der Wohnungen 
lung der Herr- \ nn ‚Stellungen der'der Engel und 
schaften, der- ‚ Fürstenthünmer, |die fürstlichen 
jenigen, welche ‘die sichtbaren |Schaaren, die 
gesehn werden ‚ nämlich und die | sichtbaren wie- 
und welche! | unsichtbaren, 'derum und die 
nicht gesehn ‚davon siehe!; unsichtbaren, 
werden, bin um |seid ihr um schon längst davon siehe! 
deswillen mir |deswillen mir | auch Jünger bin bin ich Jünger. 
ein Jünger. |Jünger. Denn ich. Denn viele : (DerSchlussfehlt.) 
Denn viel ent- | vielentbehren [Dinge] fehlen ' 
behre ich von|wir, dass wir | uns, dass wir 
der Vollkom- |Gottes nicht | von Gott nicht 
menheit, welche |ermangeln.. verlassen seien. 
Gottes würdig | | 
ist. | | 

Die Abweichungen zwischen Scur. und fr. I sind im Syrischen 
selbst unbedeutender als in der deutschen Uebersetzung. Es be- 
durfte, da der Zusatz eines Pluralzeichens zu ,ssa&2 keine Text- 


änderung ist, nur der Verwandlung des luon in ‚oluom, um 
dem Nachsatz ganz anderen Sinn zu geben. Das pleonastische 
ων des Scur. gab den Anstoss dazu, freilich nicht einem Be- 
arbeiter desselben nach irgend welchem griechischen Text, 
sondern nur einem Leser und Abschreiber des syrischen 
Ignatius. Während hier Scur. offenbar das Ursprüngliche be- 
wahrt hat, hat er durch leise Aenderung des in fr. I erhaltenen ur- 
sprünglichen Aujams in 1] zum Sich vom griechischen Text 
entfernt. In den Schlussworten aber ist Scur. gar nicht mehr 
Zeuge der Uebersetzung, söndern er. muss den aus dem Zu- 
sammenhang herausgerissenen Worten eine andre Gestalt 
geben, um einen würdigen Schluss des Römerbriefs zu ge- 
winnen, und greift zu -dem Ende auf Rom. 1 p. 42, 2 
zurück. 


206 


Auch fr. II bietet grössere Parallelen zu Scur., aus denen 
die Identität der "Uebersetzuns erhell. Das Citat .aus 
Rom. 4 fr. II, p. 201, 7 844. findet sich ausserdem noch in 
gleicher Abgrenzung in dem Fragment auf p. 296, so dass 
dessen Verhältnis zugleich mit veranschaulicht werden kann. 
Die Anführung der Varianten zeigt, dass die Fragmente auf 
‘p. 201 und 296!) ganz wie die beiden Handschriften von 
Scur. behandelt werden können. Die Zusammenstellung mit 
der Uebersetzung im mart. syr. Moes. p. 7, 12 sqq. zeigt, 
was selbständige Uebersetzung aus demselben Text macht. 

Scur. fr. II und fr. XV. Mart. syr. ed. Moes. 

‚Ich schreibe allen Kirchen | Denn ich schreibe den Kir- 
und thue kund 3) Jedermann, , chen und befehle und thue 
das» willig ich sterbe, ich für | kund Jedermann, dass mit 
Gott 3), wenn es ist, dass ihr | meinem Willen für Gott ich 
mich nichthindert 4). Ich bitte | sterbe. Seid ihr daher nicht 
von euch, seid nicht gesen | mir eine Last. Ich bitte da- 
mich °) in Liebe, die nicht an | her, macht mich nicht be- 
der Zeit ist. Lasst mich, dass €) | trübt ohne Ursache. Werdet 
ich der Thiere werde (d. 1. mir nicht eitle Liebhaber °). 
ihnen verfalle), durch deren | Last mieh, dass ich der 
Hände ich Gottes gewürdigt 1 Thiere werde, durch deren 
"werde. Waizen Gottes bin ; Hände ich &ott erlangen kann. 
ich ?), und durch die Zähne ὅ) | Waizen bin ich nämlich Gottes, 
der Thiere werde ich ge- | der ich durch die Zähne der 


1) Der Bequemlichkeit wegen heisse es fr. XV. 

2) Scur. 8 WIraw; γ fr. XV Μὲ wann; fr. II a] Waas, 

3) fr. II. XV stimmen in der Stellung mit mart. Letzteres über- 
setzt ὑπέρ ganz abweichend durch «οἱ SS, 

4) Der ganze Bedingungssatz fehlt fr. 11. 

5) Lan fehlt fr. H. 


6) ? fehlt fr. XV. 

7) fr. II. XV haben die Wortstellung wie mart. 

8) fr. XV „durch den Mund“. 

9) Es liegt hier offenbar eine doppelte Uebersetzung des Satzes παρα- 
xaAw . . . γένησϑέ μοι Vor. 


207 


mahlen, dass ich erfunden Thiere gemahlen werde, dass 
werde als reines Brot Gottes. ich erfunden werde als reines 
Lockt, lockt sie, die Thiere, : Brot Christi. Reizt also, reizt 
das sie mir Grab !) werden die Thiere, dass sie mir ein 
und nichts von meinem Kör- . Begräbnis ?) werden und nichts 
per übriglassen 3). | von meinem Körper übrig- 
| lassen. | 

Etwas schwieriger ist es, über einige Varianten zwischen 
fr. II und Scur. in der zweiten Hälfte von Rom. 5 zu ent- 
scheiden. Aber auch hier ergibt sich das gleiche Resultat 
bei Vergleichung einer unabhängigen Uebersetzung, wozu ich 
auch diesmal den Römerbrief des Martyriums wähle, weil die 
dritte Uebergetzung der Stelle, welche im syrischen Euseb er- 
halten ist, nicht durchaus selbständig ist. 
ΝΟΣ. und fr. Il, dessen Ab- | 
weichungen in.Klammern stehn. | 


 Mart. syr. ed. Moes. 

Beklagt euch nicht über 
mich, meine Brüder; ich weiss, 
was ınir hilf. Denn jetzt 
fange ich an Jünger zu wer- 
den und Christ zu sein, weil 
ich nicht lobpreise diejenigen 
Dinge, die gesehen werden. 
Im Verborgenen und Offen- 
baren wünsche ich Jesu Christi 
gewürdigt zu werden. Denn 
Feuer und Kreuz und Ver- 
Kreuz und Thiere, die bereitet | sammlung von Thieren, und 
sind (mir), Abschneidung der ; dass ich zerrissen und zer- 
Glieder und Zerstreuung der : tleilt werde, und Zerstreuung 
Knochen und Zermalmung des | der Knochen und Abschnei- 


Erkennt mich von meiner | 
Seele *), was mir förderlich 
ist (fr. was mir befohlen ist; 
ich weiss, dass jetzt ich anfange 
ein Jünger zu sein). Nicht 
beneide mich irgend etwas 
von denjenigen Dingen, die ge- 
sehen werden und (vom den- ! 
jenigen, die) nicht gesehn 
werden, damit ich Jesu Christi 
gewürdigt. werde. Feuer und 


| 
| 
| 
| 
| 
Ä 


„" ᾿ ΟΝ DL 

N‘ \ : x9 Pe 

De re 
1) fr. II „zum Grab“. „DES τες 
PP... δι οὖς δα 

2) fr. 1I stellt das Verb ans Ende. u HE 

ὃ) Moesingers Uebersetzung „sepultores‘“ scheint bedenkligli," Wi hr; 
scheinlich ist δῶρον zu schreiben. PER ἢ 


N 


4) Oder „von mir selbst “. 


208 


ganzen Körpers und harte 
Qualen des Teufels (Zer- 
theilung und Zerstreuung der 
Knochen und Abschneidung der 
Glieder und Qual des ganzen 
Körpers und böse Zermal- 
mungen des Teufels) mögen 


dung der Glieder und Ver- 
derben des ganzen Körpers 
und alle Todesstrafen von 
Seiten des Widersachers mö- 
gen über mich kommen ἢ), 
und nur Jesum Christum möge 
ich finden. 


über mich kommen, und nur 
Jesu Christi möge ich ge- 
würdigt werden. 

Die Uebereinstimmungen des Fragments mit Scur. be- 
weisen zunächst Abhängigkeit beider von einer Uebersetzung. 
Entscheidend ist sofort die gleiche wunderliche Uebersetzung 
von συγγνώμην μοι ἔχετε, welche dasselbe fr. II p. 201, 20 
zur Wiedergabe von συγγνῶτέ μοι wiederholt und Scur. zur 
Uebersetzung von συγγνωμονεῖτέ μοι Trall. 5 p. 54, 10 ge- 
braucht. Dort Rom. 6 und Thrall. 5 fand sie in seinem 
syrischen Original auch A, während er an dieser Stelle das 
Sätzchen wegliess, um irgend einen Sinn zu gewinnen. 
Lips. II, 135 nennt dies zwar „die gewöhnliche Ueber- 
setzung‘ des Ausdrucks, aber doch wohl nur, weil sie sich 
an den genannten Stellen und ausserdem noch an derselben 
Stelle im syrischen Euseb findet. Dass es überhaupt keine 
Uebersetzung ist, liegt auf der Hand, und dass man den 
griechischen Ausdruck anders und sinngemässer übersetzen 
kann, zeigt die Paraphrase im Martyrium ?2) und das syrisch 
erhaltene Citat aus Timotheus 8). Das Zeugnis eines Kenners 


1) Dass in ‚cau3 ein Fehler steckt, zeigt Mösingers buchstäbliche, 
aber auch sinnlose Uebersetzung „ostendant‘“. In Ermangelung einer 
guten Emendation habe ich das griechische Wort übersetzt. 

2) p. 8, 8. 17. An letzterer Stelle etwas anders: „klagt mich 
nicht an“, oder „tadelt mich nicht“. 

3) Rom. 6 p. 211, 6 ὧς avanu, welches Petermann z. d. St. 
durch „sinite me‘ richtiger als Cur. p. 243 übersetzt. Das neue Testa- 
ment bietet kein Beispiel. In 1 Cor. 7, 6 umschreibt Peschito sehr frei. 
Es scheint also den Syrern überhaupt Schwierigkeit gemacht zu haben. 


209 


der syrischen Literatur, wie Uureton es war, genügt, um die 
Seltenheit des syrischen Ausdrucks und die Beispiellosigkeit 
seiner Verwendung zur Uebersetzung des συγγνῶτέ μοι und 
seiner Synonyma zu beweisen (p- 300). Dieselbe Umschreibung 
von ϑηρίων συστάσεις, während ınart. und Eus. syr. p. 203, 20 
gleich wörtlich übersetzen, dieselbe Uebersetzung von ἀλεσμοί 
durch os !), wo mart. und Eus. syr. Hroi setzen, das- 
selbe 5a] für διάβολος, während Eus. syr. {aJo, mart. 
gar ἴδ, setzen. Die Varianten zwischen fr. II und Scur. 
weisen nicht auf eine Correctur mit Hülfe des griechischen 
Textes hin, wie. Lips. II, 163 ff. zu beweisen sucht. Es ist 
„as (befohlen) statt „as (förderlich), wie schon Petermann 
$. 159 als Grundlage von A! errieth und Cur. p. 301. 349 in 
Bezug auf das inzwischen gefundene Fragment wahrscheinlich 
fand, einfach syrischer Schreibfehler, aber, wie die armenische 
Vebersetzung, die ihn voraussetzt, zeigt, ein alter. Es ist 
ferner nur eine orthographische Verschiedenheit, wenn Scur. 
«ὦ ἢ, fr. IT 4a schreibt (cf. Merx, p. 51). Abgesehn von der 
Verwirrung des Textes am Schluss des Fragments, welche, 
wie schon gezeigt, nicht auf eine Benutzung des griechischen 
Textes zurückgeht, aber auch, wie der abhängige A zeigt, 
nicht dieser syrischen Uebersetzung, sondern dem Schreiber 
des Fragments zufällt, so könnte an sich die Benutzung 
eines griechischen Textes den Anlass gegeben haben, das 
Wort διαιρέσεις Oder διαίρεσις, welches bei Scur. fehlt, in 


1) Peschito Rom. 3, 16 = σύντριμμα: fr. II hat nur unpassender 
Weise das Wort von seiner Stelle gerückt und dagegen das Aequivalent 
für xoAdosıs zu τοῦ σώματος gestellt. Stand in der vom Fragmentisten 


benutzten Handschrift ursprünglich wie in Scur. die mit alas 


gleichbedeutende Form faula2 oder nicht, so wurde es mit ἴδ... 
leicht genug verwechselt. Wie mechanisch das Versehen ist, zeigt die 
Beibehaltung des Pluralzeichens an zweiter Stelle, obwohl das nun dort 
stehende Wort ein andres geworden. Ein Corrector nach dem Griechischen 
hätte auch das erste Wort in den Plural gesetzt. 

2) So auch Joh. monachus p. 207, 11; Eas. syr. 203, 18. Ganz 
frei übersetzt mart.; s. obige Zusammenstellung. 

Zahn, Ignatius. 14 


210 


fr. II und A sich findet, einzuschieben; aber in diesem Fall 
würde auch das in fr. II und A ebenso wie in Scur. aus- 
gelassene ἀνατομαί, welches an „e G? L? Metaphr. Mart. syr. 
Mart. armen. «lieselbe Bezeugung hat, wie διαιρέσεις, mit auf- 
genommen worden sein. Erst wenn Lipsius zu den massen- 
haften Zeugen für den Römerbrief noch einen neuen entdeckt 
hätte, welcher weder so, wie die genannten, beide Worte ent- 
hält, noch so, wie Euseb und die von ihm abhängigen Ueber- 
setzer und Bearbeiter Rufin, Hieronymus, Eus. syr. und wie 
L!, beide Worte streicht, sondern διαερέσεις allein hat, hätte 
die Behauptung Grund und Boden, dass hier die alte syrische 
Uebersetzung aus einem solchen griechischen Mischtext 
corrigirt sei. Da die Entdeckung desselben unwahrscheinlich 
ist, so folgt vielmehr, dass in dem griechischen Text, welchen 
der Syrer übersetzte, beide Worte standen, dass es dem Ueber- 
setzer aber zu mühsam wurde und überflüssig schien, der 
ganzen Wortfülle gerecht zu. werden. Er übersetzte nur 
διαιρέσεις, und sein Excerptor Scur. strich auch dies. Mög- 
licher wäre es, dass die Vertauschung der ungenauen Ueber- 
setzung ao (Scur.) für κακαί mit Wu (fr. II und A) aus 
. Rücksicht auf den griechischen Text zu erklären wäre; denn 
in der That ist dort durch ΟἹ L!, indirect auch wohl durch 
ΟΣ L? Metaphr. (καὶ κολάσεις oder κόλασις) das κακαί gut 
genug bezeugt gegenüber dem blossen κολάσεις bei Euseb und 
den Veränderungen von dessen Text bei Rufin, Hieronymus. 
Aber wer bürgt dafür, dass nicht umgekehrt. in Scur. der 
Schreibfehler steckt, wodurch dann eine nachträgliche Ent- 
fernung vom griechischen Text in den syrischen hineinkam ? 
So urtheilte der hierin doch gewiss unparteiische Cureton 
p. 301, ohne jedoch die selbstverständliche Folgerung zu 
zielien, dass sein abgekürzter Syrer sich vom ursprünglichen 
Text dieser Uebersetzung weiter entfernt habe, als die Frag- 
mente, um die es sich hier handelt. Es hat fr. II auch die 
in Scur. ausgestossenen und, wie auch Lips. II, 135 einsieht, 
unentbehrlichen Worte zu Anfang des Kapitels bewahrt. Die 
natürlichere Folgerung ist dann doch wohl, dass sie der 
Uebersetzer von vornherein in seinen Text aufgenommen 


211 


hatte, als dass ein Corresir sie nachträglich nach dem 
vollständigeren griechischen Text in die lückenhafte Deber- 
setzung eintrug, zumal da alle bisher besprochenen Varianten 
in fr. JI sich gerade nicht aus einer solchen Benptzuag des 
griechischen Textes erklärten. Lipsius (II, 163) will eg dennoch 
bewiesen haben durch Berufung auf die Interpunetion des 
Fragments, wonach allerdings 80, wie oben geschehen, zu 
übersetzen ist. Aber, wenn der Satz, wie er in fr. II ge 
staltet ist, ebensosehr wie dessen kürzere Fassung hei Scur, 
der natürlichen Verbindung und vermünftigen Sinnes entbehrt, 
so ist das doch wahrlich leichter zu erklären bei einem ein- 
fachen Uebersetzer, der, wie geine Debersetzung von σνγγνῴ- 
μην μοι ἔχετε zeigt, hier überhaupt ungeschickt verfuhr, als bei 
einem Späteren, der die viel achwierigere Aufgabe übernahm, 
die alte Uebersetzung mit grösster Schonung und Kühnheit 
zugleich nach dem Original zu emendiren. Was sollte einen 
solchen abgehalten haben, die Interpunstion zu streichen, die 
zu seiner vollständigeren Uebersetzung nicht gepasst haben 
soll, wenn er doch ganz andre Dinge als Puncte änderte! Es 
ist alsp vielmehr so, dass der syrische Uebersetzer, dessen 
Worte mit Ausnahme des Schreibfehlers „ao in fr. II treu 
bewahrt sind, das τέ μοι συμφέρει zum Vorigen zog und 
darnaeh interpungirte, wodurch dann der Excerptor um so 
leichter hinter συμφέρει seinen Satz . überhaupt schliessen 
konnte. | 

Die einzige nech übrige Parallele zwischen Scur. und 
fr. II ist die Uebersetzung von ὁ τρχετός μρι dniseıraı Rom. 6. 
Corrigirt man in fr. II p. 201, 19 mit Cur., p. 301 14a 
in je>a30?, was um so mehr erlanbt ist, da in dar falgen- 
den Zeile „Zasao steht, so übersetzen beide: „Schmerzen 
der Geburt erheben sich‘, nur dass im fr. das nothwendige 
„wider mich“ dahinter ausgefallen und worne ein „und“ 
zugesetzt ist. Ganz ähnlich übersetzt auch mart. syr. Moes. 
pP. 8, 17, nur steht für „Geburt“ die einfachere Bildung 
ya. Orientalisches Gepräge trägt eben auch diese von Scur. 
völlig unabhängige Uebersetzung des Römerbriefs, während das 

14* 


212 


Citat bei Timoth. syr. p. 211, 16 lautet: „die Geburt aber 
liegt auf mir“, 

Zur alten syrischen Uebersetzung des Ignatius gehört, 
wie schon an einem Stück sich zeigte, fr. XV p. 296, über 
dessen Herkunft Curetön nichts mittheilt. Es sind darin 
ausser dem angeführten noch zwei Citate aus dem Römerbrief, 
aus ὁ. 4 λιτανεύσατε τὸν Χριστόν — ἐν αὐτῷ ἐλεύϑερος. Die 
Uebereinstimmung mit der zum Theil sehr eigenthümlichen 
Uebersetzung von Scur. ist wörtlich zu nennen ἢ. Das Citat 
aus c. 6 geht zum Theil parallel mit fr. II p. 201, 22, dessen 
verderbter Text von hier aus Licht empfängt. „Lasst mich, 
dass ich empfange das reine Licht; wenn ich dorthin ge- 
gangen bin, werde ich ein vollkommener Mensch sein.“ Dass 
fr. II hiervon nur durch Schreibfehler abweicht, dass vor allem 
das dortige Jjmaı> eine durch das Vorhergehende veran- 


_ lasste Verschreibung von [4.0 ist, bestätigt überdies A: 


homo fio perfectus. Was selbständige Uebersetzung nach dem 
Griechischen hier bedeuten würde, kann wieder der syrische 
Timotheus p. 211, 8 beweisen. Nicht so deutlich kann natür- 
lich die Abweichung von diesen in dem bei ihm wie in 
fr. XV gleichfolgenden Satz erkannt werden: „Lasst mich 
einen Nachahmer des Leidens meines Gottes sein‘ (vgl. oben 
8. 177). Doch aber ist der Plural una in fr. XV eine 
allen griechischen Citaten fremde Aenderung, ganz im Stil 
der altsyrischen Uebersetzung des Ignatius (vgl. oben S. 195). ' 
Anlass dazu bot vielleicht schon dem Uebersetzer die Er- 
innerung an Stellen wie 2 Cor. 1, 5ff. und der Gedanke, dass 
Ignatius nicht gerade das Leiden Christi, nämlich den 
Kreuzestod erlitten habe. Wenn auch A! wieder den Singular 
setzt (?), so wird die Vermuthung doch ziemlich zuverlässig 
dadurch, dass dieselbe Lesart auch in fr. XIII p. 219, 19 
sich findet, in einem monophysitischen Werk, dessen Ignatius- 


1) fr. XV stellt oda ν. 46, 9 und {„aS p. 48, 2 an den 


Schluss der betreffenden Sätze. Das erste we Ρ. 48, 2 fehlt nur in 
fr. XV, das zweite in derselben Zeile fehlt ausserdem in cod. y. 


218 


citate unsrer Uebersetzung entlehnt sind. Letzteres wird 
schon durch die Uebereinstimmung mit fr. XV in dem soeben 
besprochenen Punct wahrscheinlich. Es wird bewiesen durch 
das kurze Citat aus Eph. 18 p. 219, 20. Es lassen sich 
die Varianten in die Uebersetzung von Scur. p. 34, 1 ein- 
tragen. „Es betet an mein Geist das (fr. dein) Kreuz, 
welches ist ein Aergernis Denen, welche nicht überzeugt 
(gläubig) sind, euch (uns) aber zur Erlösung und zum ewigen 
Leben.“ Entscheidend scheint mir die sehr freie Ueber- 
setzung von περέψημα (vgl. oben S. 198 ἢ). Die Abweichungen 
bedürfen kaum der Entschuldigung, dass die immer nur ganz 
kurzen Citate in diesem Werk möglicher Weise aus dem Ge- 
dächtnis augeführt sind. Daher mag auch das völlig apo- 
kryphische Citat kommen !). Das ἡμῖν statt ὑμῖν, welches 
letztere durch Scur. und A als orientalischer Text feststeht, 
bot sich leicht dar, sei es durch die unvermeidliche Er- 
innerung an 1 Cor. 1, 18, woran Ignatius nahe genug streift 
(vg. 1 Cor. 1, 23), sei es bei der Verwandlung des 
brieflichen Worts in einen dogmatischen Satz. Das „a,,I 
könnte eine ältere Variante sein. Denn sehr wahrscheinlich ist 
es doch gewiss, dass Ephräm an diese Stelle anspielt mit dem 
Wort: „Dich liebe ich und dein Kreuz bete ich an, und an 
deinem Fleisch und Blut ergötze ich mich.“ ®2) Das einzige 


1) p. 219, 22: „Wer den Priester ehrt, ehrt Christus.“ Es fehlt 
par bei diesem Citat die Angabe des Briefs. In seiner Art (z. B. 
ἱερεύς) erinnert es an den Interpolator, etwa an die Interpolation von 
Sm. 8. 

2) Ephr. opp. syr. ed. Assemani III, 494E: „ass no Aunu5 ya 
μου Σ yo yaZso Zug Auch die letzten Worte möch- 
ten eine Anspielung an Ignatius enthalten, und zwar an die von fr. I 
Ρ. 200, 9 aufbewahrte altsyrische Uebersetzung von Trali. 8. Der 
syrische Text ist verderbt und auch: von A schon verderbt vorge- 
fünden. Aber die Uebersetzung von αγάπη durch ἴω „Ergötzung, 
Festmahl“ (2 Chron. 1, 3. 13; 2 Petr. 2, 13 = τρυφή, cf. Knös, 
Chrestom., p. 90), bei A coena ist erhalten. Das (am> „in der Hoff- 


nung“, bei A „in spe“, ist verschrieben aus {5=.> cf. Merz, p. 61. Also 
war übersetzt: „im Glauben, welcher ist das Fleisch, und in dem Fest- 


214 


hoch übrige Citat in fr. XTIE p. 219, 16 aus Eph. 19 ist 
weriger vergleichbar, weil der ohnehin kurze Satz in Scur. 
offenbar verstümmelt ist. Dass die einzige beachtenswerthe 
Variatite, ein anderes Wort für ἔλαϑεν, auch bei Timoth. 
p. 211, 21 steht, mrüss eine Zufälligkeit sein, die das ander- 
weitig Bewiesene nicht zweifelhaft machen kann. Wieder 
einem zmionophysitischen Werke unter dem Titel „Tafel der 
Beweise der heiligen Väter gegen verschiedene -Häresien“ 
sind die bedeutenden Citate fr. XII p. 218, 20 sqg. ent 
fiommen. Sehot solche Aewsserlichkeiten, wie die einfachere 
Betiennung des Ignatius „Bischof von Antiochien und Märtyrer“ 


mahl, welches [180] das Blut Jesu Christi,“ Dann ist aber dies Verb 
δ Σὶ in dieser Verbindung und an einer Stelle, wo ohnedies Igna- 
tianisches nachklingt, bedeutsam für das Verhältnis Ephräms zu unsrer 
Uebersetzung des Ignatius. — Anspielungen an Ignatius wird bei 
Ephräm gewiss viele fimden, wer sie sucht. Ich notire nur, was ich 
zufällig gefanden habe. Wenn es in einer mit biblischen Anspielungen 
übersäeten Lobpreisung der Heiligen heisst: ädvdav und χόσμον καὶ 
πρὸς Χριστὸν ἀνέτειλαν, opp. Gr. III, 261 B, so ist doch wohl nicht 
zweifelhaft, dass das Original dazu bei Ignatius steht Rom. 2: χαλὸν 
τὸ δῦναι ἀπὸ κόσμου πρὸς ϑεόν, ἵνα εἰς αὐτὸν ἀνατείλω. Die An- 
fährung bei Sever. syr., p. 215, 18: „Schön ist es unterzugehn von der 
Welt, und aufzugehn in Christus “, ist des Schlusses wegen vergleichbar. 
Den Zusatz des altsyrischen Uebersetzers „im Leben“ (Scur., p. 44, 2; 
Jo. monach. p. 207, 11) brauchte Ephräm nicht aufzunehmen, auch 
wenn er aus ihm schöpft. Noch Einiges im dortigen Zusammenhang 
p. 261 Ε; 262 A erinnert an Ignatius und Polykarp. — Eine ganz un- 
verkennbare Berührung nicht mit einem einzelnen Satz, sondern dem 
ganzen Zusammenhang von ad Pol. ὃ enthält der Passus opp. Gr. 
ΤΙ, 367 B: γενώμεϑε, σῦν ἄκμονες runtousvor χαὶ μὴ ἐνδιδόντες 
ον. δεφόμενοι νιχήσωμϑν τὸν ἀντίπαλον διὰ τῆς ὑπομονὴς 
und endlich das Beispiel Christi, welcher πάντα ὑπήνεγκε» du 
τὴν ἡμῶν σωτηρίαν. Die dreifache Berührung mit drei in derselben 
Folge in einem ignatienischen Kapitel vorfindlichen Gedanken muss schon 
dem Uebersetzer Ephräms so auffällig gewesen sein, dass er des igna- 
tianischen Wortlauts sich erinnerte und ihn glücklich wiederherstellte. 
Zufällig hätte er den Unterschied von τύπεεσϑαι und δέρεσθαι schwer- 
lich gefunden und das bei Ephräm, wenn er auch hier von unsrer Ueber- 
setzung abhängig war, verwischte ὥκμονες nicht wiederhergestellt. 
8. oben 8. 194. 202, 


215 


ohne den Zusatz „der Gottbekleidete“ p. 218, 20; 219, 8, 
vgl. die Ueberschrift des Briefs an Polykarp in y p. 263 und 
Joh. monachus p. 206, 23; die Beibehaltung des griechischen 
ϑεοφύρος Ὁ. 219, 1, cf. Scur. p. 2, 1; 16, 1; 40, 1, die An- 
führung des Smyrnäerbriefs als „Brief, den er schrieb, an die 
Kirche, die in Asien ist“ (p. 219, 1. cf. fr. I p. 199, 22), 
der ächtsyrische Zusatz „Stadt“ zum Stadtnamen (p. 218, 21, 
ef. fr. Ip. 198, 23; 199, 3; Joh. mon. 206, 25) unterscheiden 
dies fr. XII von den durch griechische Schriftsteller ver- 
mittelten Citaten und weisen es der alten Ignatiusübersetzung . 
zu. Dies bestätigt auch die einzige Vergleichung mit der- 
selben, welche möglich ist. Die Abweichungen des fr. I 
p. 199, 6 schalte ich in die Uebersetzung von fr. XII 
p. 218, 22 ein. „Irrt euch nicht, meine Brüder, der, welcher 
sich hängt an denjenigen, welcher spaltet die Kirche [Gottes], 
erbt nicht [wird nicht erben] das Reich Gottes“, Philad. ὃ. 
Die in deutscher Uebersetzung nicht auszudrückenden Varianten 
sind nicht der Rede wert. Auch μὰ und 2,2 ist eine 
Sehreibervariante. Hierin steht fr. XII dem Griechischen näher 
als fr. 1, so auch darin, dass es wenigstens nur ein ἐχκλησίαν 
zugesetzt hat. Dass es hierin die altsyrische Uebersetzung 
bewahrt hat, dass also ϑεοῦ ein eigener Zusatz und das 
Futurum eine willkärliche Aenderung des fr. I ist, zeigt A 
„separatoris ecclesiae ... . . aceipit“. Darnach scheint 
fr. XI ein guter Zeuge für unsere Uebersetzung zu sein. 
Ohne alle syrische Parallele steht leider das Citat aus Sm. 4 
p. 219, 10; aber die für Scur. und die verwandten Fragmente 
charakteristische Freiheit der Uebersetzung zeigt sich gleich 
zu Anfang: „Ich warne euch aber vor den bösen Menschen, 
welche Thiere sind und die Aehnlichkeit nur besitzen von 
Menschen.“ Die gleiche Anlehnung an die Peschito zeigt 
sich am Schluss, wenn es für τούτου δὲ ἔχει ἐξουσίαν 1. Xo. 
heisst: „Darüber aber ist Gebieter Jesus Christus‘, cf. Rom. 
9, 21; 1Cor. 7, 4 Peschito ἢ. Wenn nun in den beiden 
noch übrigen Citaten aus Sm. 6 p. 219, 2 und Eph. 7 


1) Allerdings weicht A völlig ab von dieser Uebersetzung. 


210 


Ῥ. 219, 4 eine starke Aehnlichkeit mit den Anführungen bei 
Timoth. p. 210, 15 und Sever. p. 218, 11. 17 stattfindet, so 
ist das nicht etwa daraus zu erklären, dass in diesen Fällen die 
Uebersetzer jener griechischen Schriftsteller ausnahmsweise ein- 
mal die syrische Uebersetzung des Ignatius zu Rathe gezogen 
hätten ; denn erstlich wären sofort zwei, vielleicht gar drei Ueber- 
setzer ihrer sonstigen Praxis ungetreu geworden, sodann trägt 
die Uebersetzung beider Stellen durchaus nicht den Charakter 
des syrischen Ignatius, sondern ganz den der übrigen Ignatius- 
citate bei Timotheus und Severus. Sonach muss umgekehrt 
fr. XII, welches einmal vorher und vielleicht noch einmal 
nachher ‘von dem syrischen Ignatius sich abhängig erwiesen 
hat, diese beiden mittleren, unmittelbar durch ein πάλιν an 
einander geschlossenen Citate aus der syrischen TUebersetzung 
jener älteren monophysitischen Lehrer entlehnt haben. Es 
hat das durchaus nichts Befremdliches bei einem solchen 
Sammelwerk !), welches Sentenzen aus der ganzen kirchlichen 
Vergangenheit bis auf Severus enthält. Die Sammlung von 
Zeugnissen hinter des Timotheus Schrift gegen das Concil 
von Chalcedon war spätestens um 550 schon von seinen 
syrischen Glaubensgenossen übersetzt, und noch im selben 
Jahrhundert auch severianische Schriften, wie z. B. die, worin 
Eph. 7 fast wörtlich gleichlautend mit der Anführung in 
fr. XI ceitirt ist®2); dahingegen wird die Handschrift des 
fr. XII von Cur. p. 359 dem 8. Jahrhundert zugewiesen. 
Chronologische Schwierigkeiten stehen also der gegebenen 
Erklärung nicht im Wege. Aber auch sachlich spricht nichts 
dagegen, dass ein Sammler dogmatisch wichtiger Aussprüche 
theils ältere von griechischen Monophysiten angelegte, aber 
längst ins Syrische übersetzte Sammlungen ausbeutete, theils 
aus eigener Lectüre derselben Schriftsteller, aus welchen 
schon jene geschöpft hatten, soweit sie ihm in Uebersetzungen 
zugäuglich waren, den Schatz vermehrte. 


1) Vgl. über derartige Zusammenhänge oben S. 181f. 
2) Vgl. die Angaben über das Alter der Handschriften bei Cur., 
p. 352. 355. 358. Paulus Collin war Zeitgenosse Sever's. 


217 


Ernstlicher will die Frage erörtert sein, ob vielleicht die 
ignatianischen Stücke in Eus. ἢ. 6. III, 36 vom Uebersetzer 
des Eusebius wenigstens theilweise mit Benutzung des syrischen 
Igenatius übersetzt worden sind. Das Citat aus Sm. 3 hat 
Eus. syr., p. 203, 38 stark abweichend von seinem Original 
übersetzt; aber soweit A als Zeuge für den syrischen Ignatius 
gelten kann, findet sich keine Berührung mit diesem. A z.B. 
setzt ein τὸν χύριον zu, welches Eus. syr. nicht hat; Eus. syr. 
ein χαὶ μαρτυρῶ, welches A nicht hat. A übersetzt τοὺς 
περὶ Πέτρον wörtlich ; Eus. syr. umschreibt „ Diejenigen, welche 
vom Hause des Petrus“ u. s. w. Der Satz aus Rom. 4 liegt 
ausser in Eus. syr., p. 204, 5 noch in Seur. 46, 4; fr. II 
p. 201, 9; fr. XV p. 296; mart. syr. Moes. 7, 15 syrisch vor. 
Die Vergleichung der beiden Fragmente mit Scur. ergab 
deren Zugehörigkeit zum syrischen Ignatius, die Zusammen- 
stellung des mart. syr. mit ihnen völlige Unabhängigkeit des- 
selben (8. oben 83. 206f.). Ebenso unabhängig von beiden 
ist aber auch Eus. syr. Das einführende or. des Eusebius 
oder vielmehr des Irenäus übersetzt er durch χὰ, das in 
seinem Original fehlende ϑεοῦ oder Χριστοῦ hinter εὐρεϑῶ 
felılt auch hier. Für χαϑαρός wird das im mart. syr. ge- 
brauchte Wort gesetzt, aber genauer als von diesem der 
Wortlaut καὶ de” ὀδόντων x. τ. A. übersetzt, und die hierin 
schwer vermeidliche Uebereinstimmung mit Scur. wird wieder 
aufgewogen durch die Stellung der Worte „Waizen bin ich 
Gottes“, oder, da hierin auch fr. II u. XV von Seur. ab- 
weichen, durch Verschiedenheit der Uebersetzung von χαϑαρός. 
Gleiche Unabhängigkeit von sonstiger syrischer Uebersetzung 
zeigt theilweise auch das 5. Kapitel des Römerbriefs bei 
Eus. syr. 203, 10. So gleich der Anfang. 

Seur. 48, 4. | Eus. syr. 203, 10. | M. syr. p. 8 1. 

Von Syrien und ! VonSyrien (näm- | ... von Syrien 
bis Rom zwischen | lich) bis Rom mit | bisRom. Denn mein 
die Thiere bin ich | den Thieren kämpfe | Kampf ist mit den 
geworfen auf dem ; ich, auf dem Meer | Thieren auf dem 
Meer und auf deın ‚ und auf dem Land, |; Land und auf dem 
Land. Bei Nacht bei Nacht und bei | Meer, bei Nacht 


218 


und bei Tage bin Tage. Als Ge- | und bei Tage. Denn 
ich als Gefesselter . fesselter bin ich , gefesselt bin ich 
zwischen 10 Leo- ; mit 10 Leoparden, | mit 10 Leoparden, 
parden, welche | welche sind eine ; denjenigen, welche 
sind eine Schaar | Schaar von Solda- | sind eine Schaar 
von Soldaten, | ten, welche, je mehr | von Soldaten, diesen, 
welche, auch wenn | wirihnen wohlthun, | welche, wenn ich 
ich ihnen wohl- | um so mehr Böses | ihnen wohlthue, um 
thue, mehr mir | thun. so mebr Böses thun. 
Böses thun. 

Ich hoffe die Untersehiede anschaulich gemacht zu haben, 
was zumal am Schluss nur einigermassen geschehen konnte. 
Eus. syr. hat ein „je mehr — um so mehr‘ durch zwei- 
malige Anwendung des Infinitivs neben dem verbum finitum 
ausgedrückt. Mart. syr. gebraucht die Construction einmal, 
Scur. gar nicht. Wenn im allgemeinen Unabhängigkeit des 
Eus. syr. von beiden Uebersetzungen deutlich ist, 80 fällt doch 
auf die Umstellung von διὰ γῆς καὶ ϑαλάσσης, welche nicht 
bloss in Scur., sondern, wie A! zeigt, auch in dem syrischen 
Ignatius selbst sich fand und nun auch in Eus. syr. Aber 
es wird wohl Curetons Erklärung ausreichen, dass man unter 
dem Einfluss der übrigens irrthümlichen Meinung, Ignatius 
sei zur See nach Smyrna gelangt, die Voranstellung des 
Meeres passender fand. Denn gerade Hieronymus, bei dem 
jene Meinung zuerst auftaucht (8. oben S. 45. 48) übersetzt 
ebenso: in mari et in terra. Höchst sonderbar ist es, dass 
wiederum Hieronymus sich an noch einem Punct mit Scur. und 
Eus. syr. berührt, in welchem diese zusammentreffen. Die Worte 
ἃ καὶ κολακεύσω συντόμως μὲ καταφαγεῖν, οὐχ ὥσπερ τινῶν 
δειλαινόμενα οὐχ ἥψαντο !), übersetzen die drei Syrer so: 

Seur. p. 48, 9. | Eus. syr. 208, 15. | Mart. ayr. p. 8, 6. 
Und ich werde Ι Und ich werde Diese also rege 
sie reizen, dass im 3810 reizen, dass im | ich auf, dass leicht 


| 
Augenblick sie | Augenblick siemich | sie mich fressen, 


1) Abendländische Varianten gibt es nicht, nur dass einige codd. 
des Eusebius schulmeisterlich ἥψατο corrigiren. 


219 


mich fressen, und fressen, nicht wie | nicht wie vor Vie- 
nict wie wer | wer sich fürchtet | len sie erschracken 
sich fürchtet vor | vor Anderen und | und nicht näherte 
anderen Menschen | ihnen nicht naht. | er sich ihnen. 

und ihnen nicht 

naht. 

Die sinnlose Veränderung des genus und numerus am 
Schluss hat der Uebersetzer des Martyriums nur gewinnen 
können, wenn in seinem Original das grammatisch regel- 
mässigere ἥψατο neben dem plur. neutr. desAmmwonu stand. 
Ebenso aber lasen Scur. und Eus. syr. und liessen sich da 
durch verführen, auch δειλαινόμενος zu lesen. Ferner setzen 
beide ein ἄλλων oder ἄλλων τινῶν voraus. Wenn nun dies 
auch an des Hieronymus Paraphrase „aliorum martyrum“ 
eine gewisse Bestätigung findet 1), so reicht doch offenbar die 
Annahme einer gleichen Textgestalt nicht aus, eine Ueber- 
einstimmung wie diese zu erklären; und an sich schon ist 
jene Annahme, sowie sie über derartige Correcturen wie 
ἥψατο statt ἥψαντο hinausgreift, hier ungeeignet, wo es sich 
a um eine Vebersetzung des Ignatius und eine Ueber- 
setzung des ihn nur citirenden Eusebius handelt. Es hat 
als der Verfasser der letzteren erstere benutzt, aber nicht 
von Anfang an, sondern erst bei einer Stelle, welche, 
wie der dritte Uebersetzer zeigt, den Syrern schwierig war. 
Noch unmittelbar vorher hat Eus. syr. ὀναίμην τῶν ϑηρίων 
ganz abweichend von Scur. und wiederum vom mart. syr. 
übersetzt 2). Aber von dem Punct an, wo seine-Abhängigkeit 
vom syrischen Ignatius offenbar wurde, bleibt sie unverkennbar 
bis zu dem Schlusssatz des Kapitels πῦρ χαὶ σταυρός x. τ. A. 
Auch wenn man nicht am mart. syr. sähe, wie ein selb- 


— 


1) Ich verzichte darauf, die merkwürdigen Uebereinstimmungen 
zwischen Hieronymus und syrischen Uebersetzungen und Bearbeitungen 
euschianischer Schriften (vgl. oben S. 47. 220) zu erklären. 


2) Seur. ως 1] 165. 
Eus. (las) ads Fa Ka. 


Mart. las u (501. 


220 


ständiger Uebersetzer mit der gleichen Vorlage umgehn würde, 
würde sich das aus der Uebereinstimmung mit Scur., grossen 
Theils auch mit fr. TI (8. oben $. 207f.) wie aus den Ab- 
weichungen vom griechischen Text ergeben. Die Varianten 
des Eus. syr. lassen sich in den Text des Scur. einschalten. 
„[Da] auch wenn sie [gehindert werden und] sich mir nicht 
nähern wollen, gehe ich mit Gewalt gegen sie. Erkennt mich 
von meiner Seele. Was mir förderlich ist [weiss ich. Jetzt 
fange ich an ein Jünger zu werden]. Nicht reize mich irgend 
etwas von denjenigen Dingen, die gesehn werden und [von 
denjenigen,] die nicht gesehn werden, damit ich Jesu Christi 
gewürdigt werde.“ Beweisend wäre hier allein schon die 
Uebersetzung von συγγνώμην μοι ἔχετε (8. oben S. 208), 
ebenso aber auch die Uebersetzung der Worte, für deren ur- 
sprünglichen Text ich halte: κἂν αὐτὰ δὲ ἑκόντα μὴ ϑέλῃ με 
(oder ϑελήσῃ), ἐγὼ προςβίασομαι !). Die syrische Uebersetzung 
scheint wieder in sonderbarer Uebereinstimmung mit Hierony- 
mus (quodsi venire noluerint, ego vim faciam) ein ἥκειν für 
ἑκόντα (oder «xovza) gelesen zu haben. Die richtige intran- 
sitive Fassung von προςβιάσομαι verstand sich, wie z. B. 
mart. syr., p. 8, 8 und L? zeigen, keineswegs von selbst. 
Die hier angewandte Umschreibung (vgl. Matth. 11, 12 
Peschito) aber kann nicht zufällig bei Scur. und Eus. syr. 
entstanden sein. Von dem, was Eus. syr. mehr hat, als 
Scur., ist der Satz in der Mitte, wie schon oben gezeigt 
wurde (5. 210), ursprünglicher Bestandtheil des syrischen 
Ignatius, ebenso (8. oben Κα. 207) die breitere Umschreibung 
von καὶ ἀοράτων. Dann wird auch der im Text Eusebs 
wie im Römerbrief selbst sonst nicht bezeugte Zusatz „ge- 
hindert werden und“ vielleicht eine der vielen Amplificationen 
des syrischen Ignatius sein, welche in diesem Fall sein 
Excerptor Scur. wieder ausgestossen hat. Doch, mag dem 
sein, wie ihm wolle, zweierlei ist gewiss: Eus. syr. ist in 
den beiden Citaten aus Rom. 4. Sm. 3 und ebenso in den 


1) Li hat diesen Text gehabt, aber ἔχοντα fälschlich zu dem ge- 
schriebenen oder zu supplirenden μὲ statt zum Subject αὐτά gezogen. 


921 
ersten und letzten 1) Sätzen von Rom. 5 selbständiger Ueber- 
setzer. In der Mitte des letzteren Kapitels aber veranlassten 
ihn die besonderen Schwierigkeiten seines Originals, die Ueber- 
setzung des Ignatius aufzuschlagen und daraus ein Stück ab- 
zuschreiben.. In diesem syrischen Ignatius standen aber 
damals die in Scur. ausgefallenen Sätze des griechischen 
Textes. Die Handschrift des Eus. syr. soll augenscheinlich 
dem 6. Jahrhundert angehören (Cur., p. 350), ist also etwa 
gleichzeitig mit cod. « des Scur. (8. oben S. 184). Bedeutend 
älter ist die syrische Uebersetzung der ignatianischen Briefe. 

Sehen wir von der nicht über allen Zweifel erhabenen 
Abfassungszeit der: von ihr abhängigen armenischen Ueber- 
setzung ab, so nöthigen schon die meines Erachtens unzweifel- 
haften Anspielungen auf Ignatius bei Cyrillonas (s. oben 
$. 187 Anm. 3) und Ephräm (} 373, s. oben $. 213 Anm. 2) 
zu der Annahme, dass es wenigstens bald nach der Mitte 
des 4. Jahrhunderts einen syrischen Ignatius gegeben hat. 
Speciell auf die durch Scur. und die verwandten Fragmente 
uns bekannt gewordene Uebersetzung wies wenigstens eine 
Anspielung bei Ephräm. Es ist aber, wenn Cyrillonas wirk- 
lich als Zeuge gelten kann, wenigstens nicht der von Cureton 
und Lipsius bevorzugte, sondern ein vollständigerer Text, 
welchen die Syrer gegen Ende des 4. Jahrhunderts be- 
sassen. 

Das bestätigt auch der Brief Johannes des Einsiedlers 
au Eutropius und Eusehius (Cur., p. 205 sqg.; fr. IV). Dieser 
ziemlich fruchtbare Schriftsteller ?) ist jedenfalls der von 
Ebedjesu zwischen Marcus monachus und Euagrius Ponticus 
gestellte Johannes 3), ein Zeitgenosse dieser, ohne Frage der- 


1) Hier weicht er von ΒΟΌΣ. ab durch wörtliche Uebersetzung von 
ϑηρίων TE συστάσεις, durch richtige Voranstellung der „Knochen“ vor 
die „Glieder“, worin übrigens auch fr. II gegen Scur. zeugt, durch 
freie Uebersetzung von ἀλεσμοί (,„Verderben“), durch die Lesart καὶ 
χολάσεις (χόλασις), durch die Uebersetzung von διάβολος (, Satan“). 

2) Cur., introd., p. 30. 32. Corp. Ign., p. 352. Land, anecdota I, 15; 
II, 29, 

3) Assemani, bibl. or. III, 1, 45, nicht zu verwechseln ınit dem 


222 


selben, an welchen der um etwa 80 Jahre ältere Ephräm 
einen Brief richtete ἢ. Dass dieser in seinen wenigen, aber 
charakteristischen Citaten aus dem Römerbrief ?) der auch in 
Scur. vorliegenden Uebersetzung folgt, wurde, wie es in der 
That unleugbar ist, selbst von Cureton p. 291. 294 axer- 
kannt und seitdem von den Verfechtern des kürzeren Syrers 
nicht beanstandet, weil Johannes nur vier kleine Sätze eitirt, 
welche auch vor den Augen des Excerptors Scur. Ginade 
fanden. Daraufhin glaubte Lipsius II, 25 ihn als einzigen 
positiven Zeugen für das, was er „unsern Syrer“ nennt, an- 
führen zu dürfen, und zwar deshalb, weil er in der An- 
führung des letzten Satzes von Rom. 2 p. 207, 10 ebenso 
wie Scur. ein ἐν ζωῇ zusetzt. In Wirklichkeit folgt daraus 
natürlich nur, dass die syrische Uebersetzung, aus welcher 
Scur. seinen verstümmelten Text, Johannes Monachus aber 
einzelne Sätze schöpfte, diesen Zusatz bereits enthielt, was 
als dritter Zeuge A! bestätigt ὃ. Aber Johannes Monachus 
ist nicht nur kein Zeuge dafür, dass schon zu seiner Zeit die 
drei Briefe an die Römer, Epheser und Polykarp, für die 


nn nn nm 


von Assemani in der Note erwähnten Johannes won Lycopolis in der 
Thebais (cf. Theodoret. h. e. V, 24; Sozom. VII, 22) und noch weniger 
mit dem späteren Johannes von Apamea (Assemani III, 1, 50). Cureton 
hat es durch seine undeutliche Darstellung p. 351 sq. selbst verschuldet, 
dass Denzinger S. 105 ihm selbst die Verwechselung des fraglichen 
Johannes mit dem von Lycopolis nachsagt. 

1) Assem. bibl. I, 150. Opp. Ephr. Graec. II, 186 sqq. πρὸς 
Ἰωάννην μονάζοντα. Vgl. die Proll. desselben Bandes p. 41. 49, dar- 
nach dem höheren Alter Ephräms zuzuweisen. 

2) Aus Rom. 2 p. 246, 26; 207, 13. 24; aus demselben Kapitel 
p. 207, 10; aus Rom. 3 p. 207, 9; aus Rom. 5 p. 207, 11. 

3) Nach Lips. II, 25 Anm. soll der Zusatz sich ausserdem noch im 
m. syr. finden, welches vor dem Jahre 1872 überbaupt noch nicht bis 
zu dieser Stelle edirt war, bei Moes. p. 7, 3 aber von diesem Zusatz 
frei ist. Ebenso irrig ist die Berufung auf „die von Cur. p. 291 an- 
geführte alte lateinische Version“. Diese ‚Iateinische Version cexistirt 
nicht, und Cureton hat sie nicht angeführt. Er handelt von unserer 
Stelle p. 294. Auf p. 291 eitirt er zu einer anderen Stelle nach Jakob- 
son das corpus Christi ıus., ἃ. h. den cod. caj., 5. Anh. I, 2, 


223 


einzig ächten galten, sondern, wenn ich recht. sehe, ein Zeuge 
gerade für den yrösseren Umfang der ihm vorliegenden Brief- 
sammlung. Das erste, lange vorbereitete, auch weiterhin aus- 
führlich besprochene Citat aus Rom. 2 leitet er ein mit den 
Worten: „Der selige Ignatius, der glorreiche Märtyrer, welcher 
zweiter Bischof nach den Aposteln im syrischen Antiochien 
war, welcher, im Martyrium für Christus nach Ram hinauf- 
ziehend, Briefe an die berühmten Städte schrieb, 
sagt in dem [nach] Rom [bestimmten] indem er [sie] über- 
redet, dass sie ihn nicht am Martyrium Christi hindern: 
Wenn ihr von mir schweigt u. 5. w.“ Wenn man ji 
unverändert lässt, kann man auch nicht wie Cureton über- 
setzen: to certain cities. Es müssen die bedeutenden, her- 
vorragenden Städte gemeint sein !), ein Ausdruck, der seine 
nothwendige Bestimmtheit nur dann erhält, wenn man dem 
Zusammenhang gemäss an die bedeutenderen Städte denkt, 
weiche an seinem Weg von Antiochien nach Rom lagen. 
Jedenfalls wäre der Ausdruck lächerlich, wenn Johannes ausser 
dem Römerbrief, den er eitirt, nur einen einzigen an eine 
andere Stadtgemeinde gerichteten Brief, den an die Epheser, 
kannte. Der syrische Ignatius, den wir bisher kennen lernten, 
enthielt 6 Briefe an „bedeutende Städte“ und einen an 
einen Bischof. Nach der Mitte des 4. Jahrhunderts war er 
spätestees vorhanden; ob noch früher ?), lässt sich nicht er- 
weisen. Im Unterschied von den abendländischen Samm- 
lungen hat die vom Syrer übersetzte Sammlung den Römer- 
brief mitenthalten, oder der Uebersetzer hat den möglicher- 
weise selbständig an ihm gelangten Römerbrief in seiner 
Uebersetzung mit den übrigen 6, mit der sylloge Polycarpiana 
verbunden; denn ganz dieselbe Uebersetzungsweise ist überall 
im Römerbrief und den übrigen zu finden. Wenn daher 
fr. 1 alle anderen Briefe ausser dem Römerbrief citirt, so 
wird das wohl nicht Zeichen einer auch auf syrischem Boden 
noch fortdauernden Isolirung desselben sein, sondern aus dem 


1) Vgl. Peschito Matth, 27, 16; Act. 21, 39. 
2) S. Lee bei Cur., introd., p. 85 sq.; Merx, p. 79. 


224 


besonderen kirchenrechtlichen Gesichtspunct der Auswahl dieser 
Citate erklärt werden dürfen. In dieser Hinsicht bot der 
Römerbrief nichts Interessantes. Dass der Römerbrief dieser 
altsyrischen Uebersetzung angehörte, beweist auch seine Stellung 
in der armenischen Sammlung und Uebersetzung. 

Mit der Interpolation dieser 7 Briefe blieben die Syrer !) 
und in Folge dessen auch die Armenier verschont, nicht aber 
mit den hinzugedichteten 6 Briefen, und es fragt sich, wann 
dieser Zuwachs ins Syrische übersetzt und mit den älteren 
Briefen verbunden wurde. Steht es fest, dass die 6 jüngeren 
Briefe 360—380 verfertigt wurden, so kann ihre syrische 
Uebersetzung nicht von Anfang an zum syrischen Ignatius 
gehört haben, dessen Bezeugung mindestens ebensohoch hin- 
aufreicht. Will man nicht eine Conspiration zwischen 
Pseudoignatius und einem gleichzeitigen Syrer annehmen, so 
können die von ihm neu gefertigten Briefe frühestens um 
400 übersetzt worden sein. Hat es mit der Abfassung der 
armenischen Uebersetzung im Lauf noch des 5. Jahrhunderts 
seine Richtigkeit, so müssen wir näher sagen, etwa um 
400—450 sind jene 6 Briefe ins Syrische übersetzt worden. 
Dass A auch in den nacheusebianischen Briefen von einer 
syrischen Uebersetzung abhänge, hat Petermann bewiesen, 
und niemand bestritten. Dass es aber diejenige gewesen ist, 
von welcher wir nur wenige kümmerliche und zweifelhafte 
Reste besitzen, ist von vornherein wahrscheinlich, da die 
jüngeren Briefe doch schwerlich durch doppelte Uebersetzung 
ins Syrische vor den älteren werden ausgezeichnet worden 
sein. Zudem wissen wir, dass die syrische Uebersetzung der 
nacheusebianischen Briefe der älteren Uebersetzung der vor- 
eusebianischen angeschlossen worden ist. Denn aus „dem 
Buch des heiligen Ignatius“ hat der dem 11. oder 12. Jahr- 
hundert angehörige Excerptor, dem wir fr. II verdanken, 
sowohl die Stücke aus Rom. Eph. Mgn. Sm., als die am Ende 


1) Nur aus Versehen hat Merx in der Zeitschrift für wissenschaft- 
liche Theologie 1867, S. 94 zu den Land’schen Fragmenten den inter- 
polirten griechischen Text gesetzt. 


nn ὐὐὐ 


225 


stehenden Sätze aus Her. 1 genommen. Da nun ebenso A 
auf die voreusebianischen Briefe ohne die Interpolation die 
nacheusebianischen Briefe folgen lässt, so ist nicht daran zu 
zweifeln, dass der syrische Uebersetzer der letzteren sie der 
älteren Uebersetzung von 7 Briefen anschloss, ohne diese 
anzutasten. Er verfuhr also ebenso wie der Veranstalter 
der Sammlung U. Was man hatte, liess man sich nicht 
nehmen oder schlecht machen; darum verschmähte man die 
Interpolation; aber die neuen Titel hielt man für Gewinn. 
Was zunächst die Sätze aus Her. 1 fr. II, p. 202, 10sg. 
anlangt, so macht erstlich ihre Kürze eine Einsicht in den 
Charakter dieser Uebersetzung fast unmöglich. Sodann sind 
es Reminiscenzen aus Pol. 1, was auch dem Fortsetzer der 
alten Tebersetzung aufstossen und auf seinen Ausdruck ein- 
wirken konnte. Endlich sind sie uns nur in dem jüngsten, 
besonders nachlässig geschriebenen Fragment erhalten. Den- 
noch ist die Uebereinstimmung mit A bemerkens'verth. Beide 
lassen das ἐν ϑεῷ hinter παραχαλῶ oe weg, welches alle 
τς abendländischen Zeugen haben (L? „in domino“). Und wenn 
es an sich schon auffallen muss, dass fr. II die von dem- 
selben παρακαλῶ abhängige zweite Ermahnung καὶ &xdıxeiv σου 
τὸ ἀξίωμα nicht mit aufgenommen hat, so erkennen wir aus 
A, dass diese Worte in der Uebersetzung selbst gefehlt haben. 
Die Tebersetzung von σχόλαζε in dem zweiten Satz durch 
wol] ist deutlich wiederzuerkennen in dem „frequens esto ‘ des 
Armeniers').,. Dem’fr. II eigenthümlich ist nur die gewiss 
dem Schreiber zur Last fallende Weglassung eines σέ im 
ersten Satz und die Zusetzung eines πρὸς Feuv im zweiten ?). 
Etwas älter ist nach Cur., p. 363 die Handschrift, nach 
‘ welcher er ein Stück aus Tars. 2 mittheilt; dem 6. Jahr- 
hundert soll sogar die Handschrift angehören, in welcher ein 
Satz aus Tars. 1 gerettet ist p. 365, und ausserdem jener 
Satz aus Tars. 2 wiederkehrt. Deutlich zeigt sich sofort, 
dass hier in andrer Art übersetzt ist, als vom alten Uebersetzer 


m nn nn 


1) Vgl. denselben Pol. 1 und die Bemerkungen oben 8. 196f. 
2) Vgl. Eph. 18 fr. I, p. 197, 11 ϑεοῦ ohne Bestätigung durch A, 
Zahn, Ignatius. 15 


226 


des Ignatius. Die Anfangsworte des Tarsenserbriefs stammen 
aus Rom. 5, so dass wir dies Fragment (p. 365) mit Scur. 
vergleichen können. Statt der Umschreibung des letzteren 
(8. oben 8. 193), heisst es hier in wörtlicher Uebersetzung: 
„von Syrien bis Rom kämpfe ich mit den Thieren“. Auch 
A, welcher Rom. 5; Eph. 1; Trall. 10 mit Scur. über- 
einstimmt, übersetzt Tars. 1 so wörtlich. Zwischen A und 
dem anderen Fragment p. 363 84. aus Tars. 2 ist keine 
andere Berührung, als dass beide sich mit einem zwiefachen 
δοκήσει begnügen, während im Griechischen dreimal das Wort 
steht. Wenn es sonst wahrscheinlich sein sollte, dass diese 
Stücke der von A benutzten syrischen Uebersetzung angehört 
haben, so lässt es sich durch die übrigen Abweichungen in 
Tars. 2 nicht unwahrscheinlich machen. Eine andere Manier 
zeigt diese Uebersetzung jedenfalls in der Wiedergabe von 
δοκήσει (ef. fr. I, p. 200, 18f.; fr. II, p. 202, 4. 5; Trall. 10; 
Sm. 4). Aber es wird nicht auszumachen sein, ob diese 
Fragmente nicht mitsammt ihrer Umgebung aus dem 
Griechischen übersetzt sind. Die ältere Handschrift citirt 
Eusebs Kirchengeschichte und Schriften des Severus; die jüngere 
gibt Auszüge aus Julius von Rem und Pseudodionysius. Ob 
alles das aus schon früher vorhandenen Uebersetzungen dieser 
griechischen Schriften genommen ist, kann ınan nach den 
Angaben Curetons nicht entscheiden. 

Wir müssen uns begnügen, an der armenischen Ueber- 
setzung und fr. II zwei zuverlässige untl übereinstimmende 
Zeugen für die Erweiterung des syrischen Ignatius zu besitzen, 
welche noch im 5. Jahrhundert stattgefunden zu haben scheint. 
Chronologisch erlaubt ist dann jedenfalls die Frage, eb der 
Excerptor und Epitomator, als welchen wir Scur. erkannt haben, 
die ältere Uebersetzung des Ignatius olme ihre Erweiterung oder 
mit derselben vor sich gehabt hat; denn höher hinauf, als bis in 
den Anfang des 6. Jahrhunderts, kann man die Existenz des 
Scur. nicht verfolgen. Ich will kein grosses Gewicht darauf 
legen, dass die Ordnung der Briefe in den Handschriften des 
Scur. (Pol. Eph. Rom.) abweicht von der Ordnung des fr. I, 
welches nur voreusebianische Briefe eitirt, und dagegen wie 


927 


ein Auszug aus der wollständigeren Reihe der beiden Samm- 
lungen aussieht, welche die älteren Briefe mit den jüngeren 
verbunden haben. Es entsprechen die drei Briefe des Scur. 
den Nummern 2. 3. 7 der Sammlung A, den Nummern 
2. 3. 12 der Sammlung U (8. oben ὃ. 111). Wichtiger 
möchte es sein, dass Lectüre der Briefe ad Ant. und Her. 
etwas zu dem Miswerständnis der Worte des Interpolators 
beigetragen zu haben scheint, als ob Ignatius yon Troas aus 
seiner Gemeinde einen Nachfolger im bischöflichen Amt aus 
Smyrna verschrieben hätte. Pseudoigpatiug selbst hat sich einen 
80 groben Anachronismus nicht zu Schulden kommen lassen. 
Er hat Sm. 11; Pol. 7 den Zweck der Sendung jenes Ge- 
saadten nach Antiochien unverwischt gelassen, und auch wenn 
ΔΙ Philad. 10 aus dem Diaconus einen Bischof macht, hat 
das ja nicht den Sinn, als ob dieser Bischof nun Bischof 
yon Antiochien werden sollte ἡ. Pseudoignatius hat vielmehr 
ganz bestämmzıt den autiochenischen Discpnus Heron als seinen 
Nachfolger ius Ange gefasst (Her. 8 cd. 7), gibt ihm Auf- 
προ, 418 ob er es schon wäre (c. 9), und obwohl er sich 
nicht anmasst, ihn geradezu zu designiren, was ein Verstogs 
gegen die zur Zeit des Pseudoignatiug gültige Regel gewesen 


᾿ wäre (ean. Antioeh. 28), so weist er doch schon im Brief 


an die Gemeinde sehr bestimmt auf ihn hin). Aber bei 
»icht sehr aufmerksemer Leotüre gewann es doch den An- 
schein, als ob die dem Polykarp aufgetragene Fürsorge für 
die antioehenische (demeinde 5) sich auf die Zeit bis zur Er- 
nennung eines nenen Bischofs und auf diese selbst irgendwie 
witbezieke. Von da war es dann nur ein Schritt bis zu dem 


1) So Vedelius I, 159 8ᾳβ. Auch Denzinger (S. 48) scheint dieser 
Auffassung zuzuneigen. 

2) Antioch. 12: ro ποϑεινόν μοι ὄνομα; cf. Her. inser. und c. 6. 

8) Antioeh. 12: ἀσπάζομαι τοὺς ἱεροὺς διακόνους καὶ τὸ ποϑεινόν 
μοι ὄνομα, ὃν ἐπίδοιμε ἀντὶ ἐμοὺ ἐν πνεύματι ἁγίῳ, ὅταν Χριστοῦ 
ἐπιτύχω. — ο, 14: ἀσπάζομαι τὸν avı’ ἐμοῦ μέλλοντα ἄρχει» ὑμῶ». --- 
ς. 13: ἀσπάζεται ὑμᾶς Ἰολύχαρμος, ὁ ἀξιοπρεπὴς ἐπίσχοπος, ᾧ καὶ 
μέλει περὶ ὑμῶν, ᾧ καὶ παρεθέμην ὑμᾶς ἐν κυρίῳ. ὙαΙ, übrigens 
Denzinger 8. 47 f. 

15* 


228 


Irrthum, welchem andrerseits für spätere Leser durch den 
Ausdruck χειροτονῆσαί τινα Pol. 7 Vorschub geleistet wurde, 
es handle sich direct um Ernennung eines Nachfolgers für 
Ignatius. Dieser Irrthum tritt aber bei Scur. in einer solchen 
Form auf, dass selbst Cur., p. 275 die angeführten pseudo- 
ignatianischen Worte darin durchklingen hörte. Es heisst am 
Schluss des Briefs an Polykarp bei Scur. p. 14, 2: „Ich 
grüsse Den, welcher gewürdigt werden wird, nach Antiochien 
zu gehn statt meiner.“ Dass nicht etwa Pseudoignatius, 
welcher den Text der Sammlung U oder A vor sich hatte, 
aus diesen Worten des Scur. geschöpft hat 1), bedarf keines 
anderen Beweises, als des vorhin gelieferten Nachweises, dass 
Pseudoignatius den in diesem Gruss ausgesprochenen Irrthum 
gar nicht theilt. Aber auch das sollte keines Beweises be- 
dürfen, dass weder Ignatius, noch irgend ein Schriftsteller 
früherer Jahrhunderte diesen Gruss geschrieben, oder gemeint 
haben könnte, Polykarp oder die Gemeinde von Smyrna solle, 
sei es nach eigenem Ermessen, sei es auf den Vorschlag des 
Ignatius, den Antiochenern einen Bischof zuschicken. Die 
Versuche z. B. von Cureton (introd., p. 44), das angebliche Ver- 
fahren des Iguatius psychologisch erklärlich zu machen, 
zeigen nur, dass man von der geschichtlichen Unmög- 
lichkeit keine Ahnung hat?). In den Zeiten vom 4. Jahr- 
hundert an mag man etwa Beispiele finden, die eine entfernte 
Aehnlichkeit mit solcher Bischofswahl haben, und doch. wäre 
die Aehnlichkeit nur eine scheinbare. Denn entweder sind 
es grössere Synoden, welche in strittigen Fällen einen bischöf- 
lichen Stuhl besetzen, oder doch die Anerkennung einer be- 
anstandeten Wahl durchsetzen, oder es ist der Metropolit, der 
von seiner Gewalt Gebrauch macht, ohne, wie es die Regel 
erforderte ®), die übrigen Bischöfe der Provinz zu Rathe zu 


1) So Lips. I, 84. 998. 108. 

2) Besonders deutlich ist das auch bei Buns. II, 32, welcher sogar 
die dem Polykarp in Bezug auf seine eigene Gemeinde ertheilten Rath- 
schläge als Anweisungen für die interimistische Verwaltung der antioche- 
nischen Gemeinde glaubte verstehen zu können (I, 941.). 

3) Can. Nic. 4; Antioch. 16. 19. 


229 


ziehn. Die Besetzung des antiochenischen Bischofsstuhls durch 
Bischof und Gemeinde von Smyrna war zu allen Zeiten un- 
möglich. Lipsius freilich urtheilt, der syrische Text nöthige 
gar nicht, an einen Nachfolger des Ignatius zu denken. Aber 
in welcher anderen Beziehung sollte der von Smyrna nach 
Antiochien zu sendende Mann an des Ignatius Stelle treten? 
Dass aber der Syrer, d. h. der Epitomator der alten syrischen 
Uebersetzung, den ursprünglichen Text des Ignatius im Traume 
gelesen haben müsste, wenn die Sache sich so verhielte, wie 
vorhin gezeigt wurde, hätte am wenigsten Lipsius (l, 100 
Anm.) dagegen geltend machen sollen, der sogar annahm, 
Pseudoignatius habe aus dem nackten ἀντ᾽ ἐμοῦ, welches bei 
Scur. erhalten sei, seinen Irrthum geschöpft, während Pseudo- 
ignatius, wenn man seine Worte nicht im Traume liest, den 
Irrthum geradezu ausschliesst. Aber damit ist nicht ausge- 
schlossen, was sich als einzige Erklärung des sonderbaren ἀντ᾽ 
ἐμοῦ darbietet, dass der unrichtig verstandene Antiochener- 
brief den Epitomator des syrischen Ignatius in seiner Auf- 
fassung des Briefs an Polykarp bestimmt habe. Ist dem 
80 — und ich wüsste nicht, was dagegen zu erinnern 
wäre —, so hat Scur. „das Buch des heiligen Ignatius“ in 
derselben vermehrten Auflage vor sich gehabt, in welcher es 
der armenische Uebersetzer und der Fragmentist II, jener 


vielleicht ein Jahrhundert vor ihm, dieser vielleicht 5 oder 


6 Jahrhunderte nach ihm, benutzt haben. 

Damit sind wir schon zur Betrachtung des Scur. für 
sich als eines literarischen Products übergegangen. Das Erste, 
was sich sofort der äusserlichen Betrachtung aufdrängt, ist 
das Zeugnis des Werks selbst, dass die drei Stücke, die es 
enthält, nur ein Bruchstück der ignatianischen Briefe seien. 
Nach allen Zeugen der altsyrischen Uebersetzung, nämlich 
ausser den Handschriften des Scur. noch nach fr. ΠῚ p. 201, 7; 
fr. XV p. 296 und A! hat der Anfang von Rom. 4 von 
jeher gelautet: „Ich schreibe allen Kirchen und thue kund 
Jedermann.“ Dies ist ohne Frage auch die richtige Lesart, 
denn zu den genannten Zeugen tritt A?, ferner sämmtliche 
griechische und lateinische Handschriften der Sammlung 


280 


Β Ἢ und eine Anführung bei Timoth. p. 210, 3. Ks konimit 
hinzu, dass die Rücksicht auf Pol. 8 (ἐπεὶ πάσαις ταῖς ἐχκλή: 
σίαις οὐκ ἠϑυνίϑὴν γράφειν) und das Gefühl allzu grosser 
Hyperbolie des Ansdrucks die Beseitigung des πάσαις nahe- 
legte ®). Nun leuchtet aber ein, dass Ignatius, gleichviel ob 
der geschichtliche oder der aus seiner Rolle schriftstellernde, 
80 nicht an die Römer schreiben konnte, wenn er ausser an 
diese Gemeine nur noch an die τὰ Ephesus einen Brief ge- 
richtet hat, Nicht einmal den Brief an Polykarp, als einen 
indireet an die Gemeinde zu Smyma gerichteten, kann man 
zu Hülfe nehmen; denn erst von Troas aus ist der geschrieben, 
und als Ignatius vorher von Smyrna aus nach Rom schrieb, 
konnte er nicht wissen, ob er überhaupt noch einen Brief 
schreiben werde. Es redet hier Einer, der eben jetzt, im 
jenen Tagen damit beschäftigt ist — denn γράφω sagt er, 
nicht ἔγραψα —, an eine Reihe von Gemeinden Briefe za 
richten, in welchen unter anderem duch seine Freudigkeit 
zum Martyrium Ausdruck fand. Die zaghaft genug ausge- 
sprochene Meinung, Ignatius spreche hiermit den Wunsch aus, 
dass alle Kirchen es erführen, wie er zum Martyrium stehe 
(Cur., p. 396 sq.), ist doch keine Auslegung, sondern wine 
klägliche Ausflucht. Selbst wenn Ignatius diesem sonderberen 
Wunsch diesen sonderbaren Ausdruck gegeben und damit die 
Römer aufgefordert hätte, zur Verwirklichung desselben etwas 
beizutragen, so wäre doch ein Brief an die Römer nicht det 
Ort, solchen Wunsch auszusprechen. Für die meisten Kirchen 
des Erdkreises wäre der Umweg über Rom, welchen der 
Wunsch des Ignatins darnach zu nehmen hätte, um ans Ziel 
zu kommen, doch gar zu wunderlich. Sieht man aber in 
diesen Worten auch mur die Aussage, dass er „einigen 
Kirchen“ seinen Wunsch schriftlich gemeldet habe und 
anderen ihn in andrer Weise melden lasse (Burns. I, 118), 
so sollte man auch einsehn, dass man mit dem einen Epheser- 


1) In pl ist der Schreiber vom ersten „omnibus“ zum zweiten ab- 
gäirrt, 
2) So colb. L1 Metaphr. art syr. 


281 


brief nicht ausreicht. Es kennt also Scur., wenn nicht aus 
einer ihm vorliegenden Sammlung, dann wenigstens aus 
dieser von ihm selbst unangetastet gelassenen Stelle des 
Römerbriefs ausser diesem noch eine grössere Zahl von Ge- 
meindebriefen, und da er nirgendwo bezeugt, dass er alle 
ignatianischen Briefe, und dass er sie vollständig mittheile, 
und da seine Landsleute längst eine grössere Sammlung igna- 
tianischer Briefe in ihrer Sprache lasen, so fällt jeder Grund 
hinweg, an andere Briefe zu denken, als an diejenigen, welche 
Ignatius ebenso wie den an die Römer während seines mehr- 
tägigen Aufenthalts in Smyrna schrieb, nämlich an Eph. 
Mon. Trall. 

Die Briefe, welche Scur. enthält, können aber überhaupt 
nicht in der Gestalt ursprünglich abgefasst sein, in welcher 
sie Scur. darbietet, und zwar gilt dies wiederum ganz abge- 
sehn von der Aechtheit oder Unächtheit der ignatianischen 
Briefe überhaupt. Es bedarf zum Beweise keiner durch- 
gängigen Vergleichung des Zusammenhangs im griechischen 
Ignatius mit der Zusammenhangslosigkeit in diesem syrischen. 
Ein Beispiel aus jedem der drei Briefe wird den Epitomator 
ausreichend charakterisiren. Der Epheserbrief, welcher auch 
in Scur. mit einer sehr feierlichen Grussüberschrift beginnt, 
entbehrt hier jedes entsprechenden Schlusses. Da derselbe 
auch in dieser abgekürzten Gestalt ein Dankschreiben für 
die freundliche Begrüssung des in Smyrna eingetroffenen Ver- 
fassers von Seiten der ephesischen Gemeinde durch ihren 
Bischof Onesimus ist, und da sich Ignatius während der Ab- 
fassung noch in der nahegelegenen, den Ephesern jedenfalls 
wohlbekannten Gemeinde aufhält, so erwartet man, dass gerade 
am Schluss diese Beziehungen noch zum Ausdruck kommen. 
Aber dieser vermeintliche Brief schliesst mit dem Satz: „Und 
es war der Anfang demjenigen, was in Gott vollendet war.“ 
Kein ἀσπασμός irgend welcher Art, kein ἔρρωσθε, oder ἡ χάρις 
T. Xg. μεϑ᾽ ὑμῶν, kurz nichts von dem, was christliche und 
menschliche. Höflichkeit jener Zeit erforderte, lenkt von der 
heilsgeschichtlichen Betrachtung zum Anlass des Briefes und 
und zum persönlichen Verhältnis des Verfassers zu den Lesern 


232 


um. Vergeblich beruft sich Bunsen II, 44 darauf, dass ja 
auch einer der nach seiner Meinung erdichteten Briefe, der 
an die Trallianer, des ἔρρωσϑε ermangele. Die Stelle dieses 
in den übrigen Briefen mannigfaltig erweiterten Schlussgrusses 
würde hier völlig ausreichend der Wunsch vertreten, dass 
die Trallianer in Christus untadelig möchten erfunden werden. 
Aber es fehlt auch das ἔρρωσθε gar nicht und ist nur durch 
allerlei noch nach demselben sich aufdrängende Herzenser- 
güsse um einige Zeilen vom letzten Wort des Briefs entfernt. 
Schon früh wurde selbst diese Form des Schlusses ungenügend 
gefunden '), und ΟΣ hat durch sein ὀναίμην ὑμῶν ἐν χυρίῳ 
geradezu Bunsen vorgearbeitet, welcher dem in Scur. gleich- 
falls ohne Gruss schliessenden Brief an Polykarp einen eben- 
solchen Schlussgruss andichtete (II, 31). Aehnlich hat Lipsius 
in dem Lu ἃ. i. explicit des Schreibers, welches in cod. ἃ 
hinter dem Polykarpbrief steht, ein Schlusswort entdecken 
wollen. Früher (I, 100.. 137. 159) schien er geneigt, in 
allen drei Briefen den mangelnden oder ungenügenden Schluss 
aus diesem Wort zu ergänzen; in seinen Text ist schliesslich 
nur am Ende des Polykarpbriefs (II, 188) ein ἡ χάρις als 
Uebersetzung von δ, übergegangen. Nun steht freilich 
hier in # deutlicher: „Sie (ἃ. i. die Epistel) ist zu Ende“ 
(alr), in y: „Es ist zu Ende die erste“, und ganz ebenso 
hinter Eph. und Rom. Es ist ferner aus allen syrischen 
Drucken zu sehn, dass die Schreiber mit einem solchen aLu 
ihre Arbeit zu schliessen pflegen. Es ist auch bekannt, dass 
das substantivische LS“ weder χάρις noch χαέρειν heisst ?); 
und es ist der syrische Brief, welcher mit diesem Worte 
schlösse, ebensogut noch erst zu entdecken, wie der griechische, 
der auf ἡ χάρις auslautete. Aber Ignatius ist eben ein eigen- 
tbümlicher Schriftsteller, der eigenthümlich behandelt sein 
will. Schon im 6. Jahrhundert hatte allerdings das Versehn 
eines Schreibers und Einiger, die ihm nachfolgten, dem 


1) Vgl. die verschiedenen Erweiterungen in A G® Lr. 
2) Wenn nicht εἰρήνη, dann etwa ἀσπασμός Matth. 23, 7; Col. 
4, 18, 


233 


Polykarpbrief den Schluss gegeben: ἀμήν᾽ ἡ χάρις, aber 
weniger abgeschmackt ist dies darum doch nicht, weil Gregor 
der Grosse es schön fand (vgl. oben $. 88). 

Doch auch, was diesem „ Punctum“ der syrischen Schreiber 
vorangeht, kann ein Verständiger nicht geschrieben haben, am 
wenigsten am Schluss eines Briefes. Die Uebersetzung wird 
viele Worte ersparen und andere begründen. „Es betet an 
mein Geist das Kreuz, welches ist ein Anstoss den Ungläubigen, 
euch aber zur Erlösung und zum- ewigen Leben. Es wurde 
verborgen vor dem Fürsten dieser Welt die Jungfrauschaft der 
Maria und die Geburt des Herrn (und sein Tod) 1), und drei 
Geheimnisse des Geschreies, welche vollbracht wurden in der 
Stille Gottes von Seiten des Sterns. Und von da an?), in 
der Offenbarung des Sohnes begann aufzuhören die Zauberei 
und alle Fesseln zu verschwinden, und das alte Reich und der 
Irrtthum der Bosheit war vernichtet. Von da an wurde Alles 
zumal erschüttert, und Auflösung ‘des Todes wurde bedacht, 
und es nahm seinen Anfang, was in Gott vollendet war.“ Es 
war doch wohl gerathener, wenn Cur., p. 286 angesichts 
dieses Textes und insbesondre in Bezug auf die drei Ge- 
heimnisse urtheilte, es sei nicht leicht, den genauen Sinn 
dieser Worte zu erkennen, als so eigenthümliche Auslegungen 
zu wagen, wie sie z. B. Lips. I, 128—136 erwähnt und 
weiterführt. Nach dem, was oben $S. 212f. vgl. 187 über 
das Verhältnis des Fragments XIII zu Scur. und über den 
Werth des cod. y bemerkt worden ist, ist es gerathen, Jie 
Lesart χαὶ ὁ ϑάνατος αὐτοῦ mit oder ohne vorangehendes 
ὁμοέως, in den Text aufzunehmen. Aber die Anknüpfung der 
drei Geheimnisse durch x« ist beiden Handschriften des Scur. 
gemein. Dass dies für Den, der vom griechischen Text her- 
kommt und diesen richtig versteht, „unsinnig‘ erscheint, ist 
gewiss, aber darum auch das Weitere, dass weder Ignatius, 
noch sein syrischer Uebersetzer so geschrieben hat, wohl aber 
der Schreiber des Archetypus von 8 und y. Dessen „Un- 


1) Vgl. über diese und andere Varianten oben $. 187. 213 £. 
2) Vgl. Petermann ὃ. δῦ. 


234 


sinnigkeit“ und „Unverstand“ bestand aber, wenn er wirk- 
lich so harte Worte verdient haben sollte, darin, dass er 
nicht merkte, die drei vorher genannten Thatsachen seien eben 
die drei Geheimnisse, und daher diese durch sein καί geradezu 
absonderte, indem er es wahrscheinlich dem Leser völlig 
überliess, die drei Geheimnisse zu errathen. Dann war es 
völlig gleichgültig, ob vorher der Tod des Herm erwähnt 
war oder nicht, und dieser kam, um so leichter in Wegfall, 
wenn in der syrischen Uebersetzung entsprechend dem griechi- 
schen Text ursprünglich ὁμοίως καὶ ὃ ϑάνατος αὐτοῦ oder 
τοῦ κυρίου stand, wodurch das dritte Stück als Anhängsel 
charakterisirt war, über welches hinweg sich das Folgende 
wieder an die Erwähnung der Geburt Jesu anschloss. Was 
sich Scur., sei er nun Uebersetzer oder Epitomator einer 
Uebersetzung, bei seinen Worten eigentlich gedacht habe, hat 
Niemand deutlich gemacht. Auch Lips. I, 132 verzichtet 
darauf und begnügt sich, nachdem er die Worte zu, io 
tasao als eine sinnlose Uebersetzung auf ἀπὸ τοῦ ἀστέρος ZU- 
rückgeführt, dem so entstandenen griechischen Text zu einem Sinn 
zu verhelfen. Dem Uebersetzer würde ich nun schon von 
vornherein nicht gerne zutrauen, dass er den baaren Unverstand 
niedergeschrieben habe, es fehlt dafür an unzweideutigen Bei- 
spielen bei ihm. Es empfiehlt sich mehr, ein grändliches 
Textverderbnis anzunehmen, welches entweder durch das etwas 
gewaltsame Abkürzungsverfahren des Scur. entstanden, oder 
schon von ihm vorgefunden ist. Aber das gewagte Unter- 
nehmen, einen zugestandener Massen sinnlosen syrischen Text 
auf einen griechischen Text zurückzuführen, hilft auch zu 
nichts. Denn ἀπὸ τοῦ ἀστέρος !) kann ja ebensowenig heissen 
„vom Stern an“, d. i. „seit Erscheinung des Sterns“, als 
ἀπὸ τῆς πόλεως „seit Gründung der Stadt“. Aber auch diese 
Unmöglichkeit zugegeben, so wäre gesagt, dass unmittelbar 


1) 80. heisst’s auch noch im Text bei Lips. II, 194. Die Deutung 
davon I, 132. Die Auslegung der Stelle überhaupt wird festgehalten 
0,9 Anm. 1. 


28ὅ 


nach 1) der Erscheinung des Sterns die drei Geheimnisse des 
Gesehreies in der Stille Gottes vollbracht worden seien. Auf 
die unmittelbare Folge würde gerade Gewicht gelegt; es bliebe 
freilieh unbegreiflich, warum überhaupt die Erscheinung des 
Sterns statt der dadurch angezeigten Geburt Christi als Aus- 
gangspunct dieser göttlichen Thätigkeit genannt wäre; aber 
jedenfalls wäre man verpflichtet, die drei Geheimnisse des 
Geschreies in der nächsten Zeit nach dem Matth. 2 Erzählten 
nachzuweisen, was Niemand auch nur versucht zu habeh 
scheint. Man hat sich ferner gestattet, die drei Geheimnisse 
des Gresehreies in drei geheimnisvolle Rufe zu verwandeln ver- 
möge einer Exegese, die allerdings auch auf biblischen Gebiet 
noch vorkommt ?), und diese dann entweder in dem drei- 
thenigen Engelgesang Luc. 2, 14 (Cur. 286) oder in den 
Himmelsstimmen Matth. 3, 17; 17, 5, — und endlich sei es 
Ime. 1, 26 ff. oder Matth. 1, 20f. wiederzufinden ὃ. Was 
die Vollbringung dieser Rufe eigentlich sein soll, ist mir 
nicht verständlieh. Sind die drei Rufe selbst die Ereignisse, 
die unmittelbar nach Erscheinung des Sterns geschehen sein 
sollen, 80 passt weder ein Engelgruss, der vor der Geburt 
Christi erfolgt ist, noch die Himmelsstimmen, die ans Ende 
des Lebens Christi fallen; aber diese Rufe sind auch nicht 
in der Stille Gottes „vollbracht worden“ und sind keine 
dem Teufel verborgene Geheimnisse. Gerade bei Matthäus, 
der sichtlich su Grunde liegt (vgl. Lips. II, 9f.), besteht ein 
80 deutlicher Zusamimenhang zwischen den durch wenige Zeilen 
getrennten Worten der Himmelsstimme Matth. 3, 17 und 
dem Wort des Teufels Matth. 4, 3, dass kein auf Matthäus 
fussender Schriftsteller daran denken konnte, jener Ruf sei 
dem Teufel verborgen geblieben. Sind aber nicht die Rufe 


1) Wie man sagt ano deinvov; vgl. Kühner, ausführliche griechische 
Gr. II, 396 (2. Aufl.). 

2) Ich denke an die noch immer gewöhnliche Erklärung von τὸ 
βδέλυγμα τῆς ἐρημώσεως Matth. 24, 15. 

3) So Lips. I, 133. In II, 9 erklärt er sich nicht ganz abgeneigt, 
nach Volkmar als letzten Ruf Marc. 14, 37 oder Matth. 27, 54 gelten 
zu lassen. 


236 

gemeint, sondern vielmehr das darin ausgesprochene Ge- 
heimnis selbst, so schmilzt die Dreiheit zur Einheit zusammen, 
und das eine Geheimnis der Gottessohnschaft Christi wird 
gerade vom Teufel und seinen Geistern nach der synoptischen 
Darstellung früher und unverhohlener bezeugt. als von irgend 
welchen Menschen ’). Ich bekenne, es nicht zu verstehen, 
wie man sich bei einer solchen Fülle von Unmöglichkeiten 
beruhigen kann. Vergeblich sncht man auch nach einer 
Antwort auf die Frage, was dieser ganze Erguss am Schluss 
eines Briefs bedeute. An einen Satz, welcher den Vorzug 
schweigsamer Tüchtigkeit vor redseliger Nichtigkeit ausspricht, 
schliesst dieser angebliche Ignatius die Versicherung seiner 
Verehrung des Kreuzes Christi, welches den Ungläubigen ein 
Aergernis ist, den Gläubigen aber zum Heil gereicht, und 
kommt von da auf die Verborgenheit der Heilsthatsachen . vor 
dem Tenfel. Soll überhaupt hier noch ein Zusammenhang 
erkanut werden, 80. bestelt ein solcher zwischen der Erkennt- 
nislosigkeit der Ungläubigen und der des Teufels und dann 
wieder zwischen dieser und dem Untergang der Herrschaft des 
Teufels. Aber was die mit c. 18 beginnende Gedankenreihe 
hervorgerufen habe, bleibt bei Scur. ein μυστήριον σεσιγημένον, 
weil er die Warnung vor den Irrlehrern, welche das Kreuz 
wie den geheimnisvollen Lebensanfang Jesu nicht erkennen, 
aus seinem Text verloren hat. So kann es denn in der That 
den Anschein gewinnen, als habe sich Ignatius durch eine 
schlechthin unmotivirte Anspielung an 1 Cor. 1, 18—24 ver- 
leiten lassen „im Folgenden das Christenthum als die neue 
Religionsökonomie erscheinen zu lassen“ (Lips. I, 126) und 
damit dann seinen Brief ebenso geschmacklos als dem Anlass 
unangemessen zu schliessen. 

Am Polykarpbrief ist wiederum der Schluss sonderlich 
bezeichnend, an welchem sich, wie schon gezeigt wurde, 
Kenntnis der nacheusebianischen Briefe verrieth. Aber die Er- 
innerung an den Antiochenerbrief diente dem Epitomator nur 


1) Vgl. ausser Matth. 4 noch 8, 29; Marc. 3, 11; 5, 7. 


237 


dazu, einen verständlichen Satz zu gewinnen und damit den ganzen 
Text abzubrechen. Die letzten Sätze lauten: „Ich freue mich 
an euch zu aller Zeit“ (ὁ. 6). „Der Christ hat nicht Gewalt 
über sich selbst, sondern Gott zu dienen, ist er bereit“ (c. 7). 
„Ich grüsse Den, welcher gewürdigt werden wird, nach 
Antiochien zu gehn statt meiuer, wie ich dir befohlen habe“ 
(6. 8). Das ist’s, was von c. 7 u. 8 des ursprünglichen Briefs 
übriggeblieben ist. Die Nachrichten über die persönliche 
Lage des Briefverfassers, die Aufträge an Polykarp, die Grüsse 
an viele Einzelne, deren Liebe Ignatius in Smyrna erfahren 
hat, kurz Alles, was dem Brief den Briefcharakter sichert, 
liess der Epitomator weg. Was für ein Interesse hätte auch 
für ihn die Familie des Epitropus und der liebe Attalus und 
die theure Alke haben sollen! Aber die Sentenz in c. 7 
gefiel ihm. Einen besseren Beweis dafür, dass sie ihrem ur- 
sprünglichen Zusammenhang entrissen sei, gibt es gar nicht, 
als das Urtheil von Lipsius I, 99, es sei eben eine ganz 
allgemein gehaltene Sentenz, gerade in ihrer Isolirung 
wirksam, nach deren Zusammenhang zu fragen unerlaubt 
sein soll. | 

Mehrere solche wirksame Sentenzen hat Scur. auch aus 
Rom. 6—10 ausgewählte Diese 5 Kapitel sind bei ihm 
nach Abrechnung der eingeschobenen Stücke aus Trall. 4. 5 
auf 7—8 Zeilen des syrischen Drucks zusammengeschmol- 
zen. Eine der Sentenzen ist das berühmte ὁ ἑμὸς ἔρως 
ἐσταύρωται (c. 7); aber unmittelbar davor steht: „Schmerzen 
der Geburt erheben sich wider mich“ (c. 6). Im griechischen 
Text fliesst dort Alles so untadelig fort, dass Lipsius in Bezug 
auf c. 6 bekennt, von den gewöhnlichen Kriterien, an wel- 
chen er den Interpolator sonst erkannt habe, im Stich ge- 
lassen zu sein (I, 142; II, 177f.) So wird denn auch in der 
Ausgabe II, 200 die zu zweit genannte Sentenz ihrem Zu- 
sammenhang wiedergegeben. Die syrischen Fragmente werden 
zu Hülfe genommen, um die Lücke auszufüllen, und es wird 
somit principiell anerkannt, dass Scur. wenigstens stellenweise 
nur Auszug aus der in den Fragmenten und in A vor- 
liegenden inhaltreicheren Uebersetzung der ignatianischen 


288 


Briefe ist. Und das eben ist's, was die obigen Unter- 
suchungen erwiesen haben. 

Im ersten Stadium der durch die Auffindung des Scur. 
veranlassten Verhandlungen hat man seitens der Vertheidiger 
seiner Ursprünglichkeit den Gegnern bis zur Ermüdung oft 
eine Beantwortung der Frage abgefordert, welche Gründe 
den Epitomator zu seinen Weglassungen bestimmt haben 
sollten. Aber erstlich wurde die Frage ganz unrichtig ge- 
stellt, wenn man an einen exeerpirenden Uebersetzer dachte 
(8. oben 8. 190). Nur unter dieser Voraussetzung hatte es 
ja einen Sinn, von unverantwortlicher Nachlässigkeit, be- 
trüglicher Unterdrückung kostbarer Relignien eines hoch- 
verehrten Märtyrers und überdies eines syrischen Apostel- 
schülers zu reden. Existirte aber längst vor dem Urheber 
dieser abgekürzten Textgestalt eine ziemlich weit verbreitete 
Uebersetzung der 7 Briefe, so konnte ein Mönch des 6., viel- 
leicht auch des 5. Jahrhunderts bei allem Respect vor dem 
Ganzen das Beste aus dem Guten auswählen, so gut wie 
Andere einzelne Reden und Briefe des Basilius oder Enagrins 
oder Johannes Monachus abschrieben und auch Auszüge aus 
solchen Schriften veranstalteten (Cur., introd., p. 33; Corp., 
p. 341f. 348f. 357. 359). Nach einem Grund der Aus- 
lassungen ist da niemals zu fragen, am allerwenigsten aber 
auf kirchenpolitische oder dogmatische oder gar historisch 
kritische Bedenken als Motiv zu rathen (so Cur., introd., 
p. 35. 37. 65). Höchstens nach dem Gesichtspunct und 
Zweck der Auswahl wäre zu fragen. Deutlich ausgesprochen, 
aber nicht streng befolgt ist derselbe in fr. I (8. oben 8. 197). 
Gar keinen besonderen Zweck werfolgte der Schreiber des 
fr. I. Er schrieb aus, was ihm besonders wohlgefiel, er- 
baulich oder geistvoll erschien, und nachdem er den Ignatius 
durchblättert hatte, nahm er die apostolischen Constitutiomen 
vor. Auch in Scur. ist ein bestimmter Zweck der Auswahl 
nicht erkennbar; gewiss aber darf man diesem Epitomator 
nicht wie Merx (p. 80) das kirchenrechtliche Interesse des 
fr. I unterschieben. Denn er gibt nicht Sätze, welche Art 
und Geltung kirchlicher Canones haben; dann würde ar gewiss 


239 


Kapitel wie Eph. 4—6 nicht weggelassen und den Römer- 
brief nicht aufgenommen haben. Er gibt aber überhaupt 
nicht Sätze, sondern gerade dadurch steht Scur. eigenthümlich 
da, dass er den Briefen einigermassen das Ansehn von Briefen 
lässt, dass er nieht Auszüge aus ihnen, sondern dass er sie 
im Auszug gibt und daher, wo er grössere Stücke ausstiess, 
einen gewissen Zusammenhang herzustellen sucht. Wie wenig 
ängstlich er dabei verfährt und wie wenig er dabei auf 
Täuschung abzielende Künste anwendet, haben die vorhin 
angeführten Beispiele doch wohl zur Genüge gezeigt. Er be- 
ginnt jeden Brief anscheinend mit der besten Absicht, alles 
Wesentliche, für apätere Zeiten noch Werthvolle daraus auf- 
zunehmen; aber allmählig erlahmt er. Daher die auffallende 
Erscheinung, dass Pol. 1-6 fast unverkürzt geblieben sind, 
e 7 u. 8 dagegen fast ganz ausfielen. Gerade so verhält 
sich’s mit Rom. 1—5 einerseits und 6—10 ‚andrerseits. Nur 
der Epheserbrief trägt eigentlichen Excerptcharakter. Ein 
Grund davon wird der verhältnismässig grosse Umfang des- 
selben sein, sodann enthält dieser schon in c. 2, wie der 
Brief an Polykarp erst am Schluss, der Römerbrief so gut wie 
gar nicht, Personalien, für welche man schon nach einem 
Menschenalter kaum mehr Interesse haben konnte. Dadurch 
kam der Schreiber von vorneherein ins Excerpiren und wählte 
nun hauptsächlich mehr oder weniger sententiöse Stücke aus. 
Erst gegen den Schluss zogen die vorhin besprochenen heils- 
geschichtlichen Erörterungen seine Aufmerksamkeit auf sich, 
aber sie festzuhalten gelang auch diesen nicht. Es zeigt sich 
eine Flüchtigkeit, welche das sehnliche Verlangen des Schreibers 
nach dem La verräh. Ob dieser Schreiber bei seiner 
Arbeit an andere Leser dachte, oder ob er nur für sich den 
wesentlichen Inhalt eines Buchs, das er nicht besass, er- 
werben wollte; ob er eine Vorstellung von der späteren Ver- 
wendung seiner Epitome hatte oder nicht; ob er vielleicht 
nur schrieb, weil er schreiben sollte, alles das sind Fragen, 
welche man ebensogut aufwerfen könnte, welche aber ebenso- 
wenig beantwortet zu werden verdienen, als diejenige, deren 
Beantwortung ich hiermit schliesse. Es erscheint mir auch 


240 


unnöthig, noch zu zeigen, dass im Fall der Ursprünglichkeit 
der in Scur. vorliegenden Textgestalt, dem Interpolator, welcher 
diesen ächten Ignatius zu den 7 Briefen, wie sie Euseb las, 
erweitert hätte, ein durchaus undenkbares Verfahren zuge- 
schrieben werden müsste. Es ist in dieser Hinsicht schon von 
Denzinger und Uhlhorn das Ausreichende geleistet worden. 

Dieselben 7 Briefe, welche Euseb als die einzigen ibm 
bekannten und von Niemand bezweifelten Briefe des Ignatius 
aufzählte, welche Athanasius las und vielleicht noch zu dessen 
Lebzeiten Pseudoignatius *) umarbeitete und erweiterte, sind 
spätestens um die Mitte des 4. Jahrhunderts ins Syrische 
übersetzt worden. In derjenigen Gestalt, welche in der medi- 
ceischen Handschrift, der lateinischen Uebersetzung der 
gleichen Sammlung und der armenischen Uebersetzung wesent- 
lich unversehrt erhalten ist und auch aus den Trämmern der 
syrischen Uebersetzung wie aus der Umarbeitung des Inter- 
polators wiedererkannt werden kann, sind diese Briefe der 
Gegenstand der folgenden Untersuchungen. 


1) Die Ausnahme, von der oben $. 128. 161 ff, die Rede war, kann 
hier ausser Betracht bleiben. 


1 


Der geschichtliche Gehalt der Briefe des 
Ignatius und des Polykarpus. 


rn 


Die bisherige Untersuchung der Verbreitung und mannig- 
fachen Verarbeitung der ignatianischen Briefe führte 'uns 
nicht über die Zeit Eusebs hinauf, bot aber auch weder An- 
regung noch Mittel zur Ausdehnung der Kritik auf die 
7 Briefe, welche sich als ursprünglicher Kern der ignatiani- 
schen Literatur herausgestellt haben. In ihnen selbst müsste 
beides liegen. Daher muss vor jeder Erörterung der Aecht- 
heitsfrage der im weiteren Sinn geschichtliche Gehalt der 
Briefe auf exegetischem Wege gewonnen werden, was um 80 
leichter gelingen wird, wenn man diese Briefe vorläufig für 
das nimmt, als was sie sich geben und wofür das kirchliche 
Alterthum sie gehalten hat. Mit ihnen muss aber und 
kann unbedenklich Polykarps Brief an die Philipper ver- 
bunden werden; denn wenige Wochen. oder höchstens Monate 
nach jenen und mit deutlicher Beziehung auf dieselben will 
dieser geschrieben sein, so dass Diejenigen, welche die Briefe 
des Ignatius überhaupt oder ihre in den Sammlungen U und 
A erhaltene Gestalt für eine literarische Fiction erklärt haben, 
sich genöthigt sahen, ihr Urtheil auf den Brief Polykarps 


Zahn, Ignatius. 16 


242 


auszudehnen, während eine Beanstandung der Aechtheit des 
Polykarpbriefes bei gleichzeitiger Annahme der Aechtheit der 
ignatianischen weder bisher vorgekommen ist, noch auch zu 
erwarten steht, da die kritische Thätigkeit stets von der 
Verwendbarkeit ihrer Ergebnisse abhängig ist. 


1. Die Christenverfolgung zu Antiochien und der Process 
des Ignatius. 


Die vier Briefe an die Gemeinden zu Rom, Ephesus, 
Magnesia und Tralles schreibt Ignatius in Smyrna, nahe der 
Mitte des Wegs von Antiochien nach Rom, wohin er unter 
Bewachung von 10 Soldaten transportirt wird, um dort im 
Thierkampf zu sterben. Dass wir über alles das, was ihn in 
diese Lage gebracht hat, aus seinen Briefen überaus wenig 
auch nur errathen können, hat nicht bloss in seiner energisch 
dem bevorstehenden Martyrium zugewandten Stimmung seinen 
Grund; es fehlte auch der Anlass zu Mittheilungen dieses 
Inhalts, da die drei genannten asiatischen Gemeinden ihn 
durch Gesandte in Smyrna begrüsst hatten, und durch 
diese, welchen Ignatiuss nach mehrtägigem Verkehr seine 
Briefe mitgab, Alles erfahren konnten, was sie in dieser 
Hinsicht zu wissen wünschen mochten. Dass auch den Römern 
sein Brief durch persönlich Bekannte überbracht wurde, kann 
man noch nicht aus den Worten γράφω δὲ ὑμῖν ταῦτα δι᾿ 
᾿Εφεσίων (ὁ. 10) schliessen. So konnte er sich füglich aus- 
drücken, wenn die ephesischen Gesaudten den Brief auch nur 
bis Ephesus mitnahmen, um ihn von dort aus durch irgend 
eine passende Gelegenheit auf dem Seeweg nach Rom zu be- 
fördern. Sehr wahrscheinlich aber ist es doch, dass jener 
Croeus, welcher offenbar als Glied der ephesischen Gemeinde 
die übrigens aus Geistlichen zusammengesetzte Gesandtschaft 
der Epheser nach Smyrna begleitet und dort dem Märtyrer 


248 


ganz "besondere Liebe bewiesen hat (Eph. 2), eben deshalb 
auch im Römerbrief allein von allen Christen, mit denen 
Ignatius in jenen Tagen verkehrt hat, und unmittelbar nach 
den vorhin angeführten Worten genannt wird !), weil Crocus 
sich erboten hat, Ueberbringer des Briefs nach Rom zu sein. 
Aber schon von Syrien aus sind mehrere Christen ihrem Bischof 
vorangeeilt ?), so dass auch die römische Gemeinde nicht erst 
durch seinen Brief von seiner Verurtheilung und der Christen- 
verfolgung in Antiochien zu benachriehtigen war. So verstand 
sie auch unmittelbar, was wir erst aus den Angaben der 
später von Troas aus geschriebenen Briefe sicher erkennen, 
welche besondere Lage seiner Gemeinde Ignatius im Sinn 
hatte, wenn er bat: „Gedenket in eurem Gebet der Gemeinde 
in Syrien, welche statt meiner Gott zum Bischof hat. Jesus 
Christus allein wird sie [als Bischof] beschützen und euere 
Liebe.“ 3) 

Die Christenverfolgung, deren Opfer Ignatius ist, ist nach 
seiner Voraussetzung noch im Gang, während er in Smyrna 
verweilt.e. Aber in Troas erreicht ihn die Nachricht, dass 
seiner Gemeinde der Friede wiedergeschenkt ist (Phil. 10. 
Sm. 11. Pol. 7). Die Ausdehnung oder vielmehr die örtliche 
Beschränkung der Verfolgung ist deutlich angezeigt. Die 
römische Gemeinde, wie die sämmtlichen asiatischen Ge- 
meinden, mit welchen Ignatius in Berührung kommt, er- 


1) c. 10. Wie eine Erläuterung des δι᾿ Ἐφεσίων wird diese Be- 
merkung durch de ans Vorige angeknüpft. Damit möchte auch die 
Frage von Lips. I, 87 erledigt sein. 

2) c. 10: περὲ τῶν προελθόντων μὲ ἐπὸ Συρίας εἰς Ῥωμην εἰς 
δόξαν τοῦ ϑεοῦ, πιστεύω ὑμᾶς ἐπεγνωχένω, οἷς καὶ δηλώσατε ἐγγύς μὲ 
ὄντα. Dieser Text des oolb. bedarf keiner Correctur; das selbstverständ- 
liche αὐτούς ergänzt sich leicht zu ἐπεγνωχέναι. Die Aenderungen 
προςελϑόντων Li G? L2, vielleicht auch A?, συνελϑόντων Metaphr. 
taugen nichts. Mit colb. stimmt wahrscheinlich Al. Völlig abweichend 
ist mart. syr. Moes., p. 10, 7. 

3) Bom. 9. Cf. Eph. 21. Trall. 13. Mgn. 14. An letzterer Stelle 
ist die antiochenische Gemeinde als ein von der glühenden Hitze der 
Verfolgung versengtes Feld vorgestellt, das nach einem erfrischenden . 
Thaue verlangt. 


16* 


244 


freuen sich ungestörter Ruhe. Abgesehn davon, dass jede im 
anderen Fall unvermeidliche Andeutung des Gegentheils fehlt, 
und dass die Bemühungen dieser Christen um den Märtyrer 
und die Zumuthungen, welche er ihnen in Bezug auf seine 
Gemeinde macht, dies voraussetzen, so betont Ignatius auch 
wiederholt den Unterschied seiner und ihrer Lage in einer 
Weise, dass man erkennt, die asiatischen Gemeinden stehen 
nicht unter dem Druck einer Verfolgung ἢ). Wir hören nicht 
einmal eine deutliche Warnung vor allzugrossem Vertrauen 
auf diesen Frieden, welche dem Ignatius nach seinen Er- 
fahrungen besonders nahe liegen musste. Nur die Gemeinde 
der Stadt Antiochien ist betroffen worden; denn der in allen 
vier von Smyrna aus geschriebenen Briefen wiederkehrende 
Ausdruck τῆς ἐν Συρίᾳ ἐκκλησίας (Rdm. 9. Eph. 21. Mgn. 14. 
Tr. 13) kann nichts Anderes bedeuten, als der an den ent- 
sprechenden Stellen der drei späteren Briefe (Phil. 10. 
Sm. 11. Pol. 7) ebenso constante Ausdruck τὴν ἐκκλησίαν τὴν 
ἐν ᾿Ἡντιοχείᾳ τῆς Συρίας. Dass es sich in.der That nur um 
diese städtische Gemeinde handelt, deren Bischof Ignatius ist, 
zeigt sich auch darin, dass er sich diese Gemeinde, welche 
jetzt wieder „in den Hafen eingelaufen‘“ ist, gottesdienstlich 
versammelt vorstellt, wenn die Abgesandten der asiatischen 


1) Mgn. 12. Eph. 12. Vgl. dazu Smith, schol., p. 73. Vielleicht 
gehört auch Trall. inser. dahin, wenn nämlich dort nach ΟΝ 1,3 nvev- 
ματι statt einer, dann aber doch τῷ πώϑει (ohne das χαί des 1,1 und 
die Aenderungen in 65) nach G1 gelesen wird: „welche Frieden hat im 
Fleisch und Geist (ἃ. i. innerlich und äusserlich, cf. Rom. inser. 
Mgn. 13. Trall. 12) durch das Leiden Jesu Christi“. Uebrigens finden 
sich gerade in diesem Briefe leise Andeutungen davon, dass eine 
feindliche Reibung mit der heidnischen Umgebung keine fernliegende 
Möglichkeit ist, ο. 8: μὴ ἀφορμὰς δίδοτε τοῖς ἔϑνεσιν, ἵνα μὴ di’ 
ὀλίγους ἄφρονας τὸ ἐν ϑεῷ πλῆϑος βλασφημῆται. Darauf führt auch, 
was Ignatius c. 3 von dem Bischof der Trallianer urtheilt: ὃν λογέ- 
ζομαι καὶ τοὺς ἀϑέους ἐντρέπεσϑαι, nämlich wegen derselben Tugend 
der πραότης, welche Ignatius dieser Gemeinde ganz besonders empfiehlt 
e. 7. 8. Aber auf einen Zustand förmlicher Bedrängnis um des christ- 
lichen Bekenntnisses willen weist dies alles ebensowenig als die Er- 
mahnungen Eph. 10. 


245 


Gemeinden ihr ihre Glückwünsche bringen (Phil. 10). Somit 
werden auch „die nächstgelegenen Gemeinden“, welche das 
bereits gethan haben, worum Ignatius die fernerliegenden 
bittet (Phil. 10), wirklich in nächster Nähe Antiochiens, 
gleichfalls in Syrien zu suchen sein. Auch diese sind dann 
aber von der Verfolgung nicht mitbetroffen worden, zu deren 
glücklichem Ende sie der antiochenischen Gemeinde haben 
Glück wünschen lassen. Es handelt sich also nicht um eine 
von der Obrigkeit angeordnete, systematisch betriebene und 
auf Unterdrückung des Christenthums im Reich oder auch 
nur in einer Provinz berechnete, sondern um eine ganz locale 
und ganz momentane Verfolgung, wie sie zuerst unter Trajan 
der steigende Volkshass in einzelnen Städten und Gegenden 
hervorrief ἢ. Ueber den besonderen Anlass ebenso wie über 
den Verlauf und den Grund des Aufhörens sich unwissend 
zu bekennen, ist gerathener, als der späten Fabel bei Johannes 
Malalas zu folgen (vgl. oben S. 66ff. und Anh. II, 3). Als 
Fabel erweist sich die Nachricht, dass Ignatius in Antiochien 
aus Anlass eines Erdbebens im Beisein Trajans das Martyrium 
erlitten habe, auch in der Hinsicht, als die Briefe, welche 
doch jedenfalls die ältesten Zeugnisse für die Geschichte des 
Ignatius sind, von einer Begegnung desselben mit dem Kaiser 
überhaupt nichts verrathen. Gerade ein solches Ereignis 
müsste sich irgendwie wiederspiegeln in der Darstellung seiner 
Folgen. Es ist aber nur die Welt überhaupt, unter deren 
Hass das Christenthum dermalen steht ?), und es sind die 


1) Eus. ἢ. 6. III, 32: Mer« Νέρωνα χαὶ Δομετιανὸν χατὰὶ τοῦτον, 
οὐ νῦν τοὺς χρόνους ἐξετάζομεν, μερικῶς χαὶ κατὰ πόλεις ἐξ ἐπανα- 
στάσεως δήμων τὸν χαϑ᾽ ἡμῶν κατέχει λόγος ὠνακινηϑῆναι διωγμόν. 

2) Rom. 3: ov πεισμονῆς τὸ ἔργον, ἀλλὰ μεγέϑους ἐστὶν ὁ Χριστια- 
γισμός, ὅταν μισῆται ὑπὸ χόσμου. Der Schreibfehler des colb. σιωπῆς 
μόνον für πεισμονῆς hat alle anderen Zeugen gegen sich. Ebenso steht 
colb. vereinsamt mit seiner Weglassung von ὅταν — χόσμου. Li (3 
(wo fov τοῦ χόσμου schreiben) L2 Scur. Mart. syr. Α1 A2 Timoth. 
Ρ. 210 stimmen hier wesentlich überein, Metaphr. hat ein grösseres Stück 
ausgestossen (Cler. II, 167; Dress. p. 360), so dass Jakobsons und 
Dressels Bemerkungen zu der Stelle mir völlig unverständlich sind. Die 


240 


ἄϑεοι, die ἔϑνη, vor denen man auf seiner Hut sein muss 
(Trall. 8. 3). 

Als anerkannt kann jetzt wohl gelten, dass Ignatius nach 
dem Zeugnis seiner Briefe in Antiochien rechtskräftig zum 
Tode verurtheilt worden ist. Er nennt sich nicht nur wieder- 
holt einen χατάχριτος au Stellen (Rom. 4. Eph. 12. Tr. 3), 
deren Zusammenhang jede, ohnedies schon unleidliche, geist- 
liche Deutung des Ausdrucks ansschliesst, sondern spricht 
auch vom Thierkampf als dem ihm bevorstehenden Schicksal 
mit einer Bestimmtheit, welche bei der Unsicherheit des 
Ausgangs derartiger Processe nur dann denkbar ist, wenn das 
dahin lautende Urtheil bereits in aller Form gefällt war. 
Seine ganze Reise unter der lästigen Begleitung und unfreund- 
lichen Behandlung der 10 Soldaten nennt er darum einen 
beständigen Thierkampf. Auf die Thiere, die für ihn bereit- 
stehn, freut er sieh; er sieht schon, wie sie ihn umringen 
und er sie reizen oder mit Gewalt auf sie losgehn wird, 
wenn sie ihn nicht anpacken wollen. Ihre Zähne sollen ihn 
zermalmen, ihr Leib sein Grab werden (Rom. 4. 5. Eph. 1. 
Tr. 10. Sm. 4). Wenn er neben so breiter Ausführung und 
häufiger Wiederholung dieser einen Vorstellung von seinem 
Ende auch einmal „Feuer und Kreuz“ und alle „bösen 
Qualen des Teufels“ als Uebel nennt, die ihn nicht mehr er- 
schrecken, so werden das steigernde Ausdrücke dafür sein, dass 
er bereit sei, noch Schlimmeres, als was ihm bevorsteht, 
— denn für härter als der Kampf mit den Bestien galten jene 
Todesstrafen — zu erdulden. Es kann an der Bestimmtheit 
seines Schicksals auch nichts ändern, wenn er einmal fragt 
(Sm. 4): Τί δὲ καὶ ἑαυτὸν ἔκδοτον δέδωκα τῷ ϑανάτῳ πρὸς 
πῦρ, πρὸς μάχαιραν, πρὸς ϑηρία; Denn in der That hat er 
sich allen diesen möglichen Todesarten preisgegeben, als er 
im entscheidenden Augenblick mit seinem Bekenntnis nicht 
zurückhielt, ohne zu wissen, wie das Urtheil lauten werde. 


Zusetzung eines μώλιστα hat gar keinen Grand in Lı, welcher durch 
„utique“ stets das ἄν in ὅταν übersetzt. Χριστιανισμιός ist gegen Χριστια- 
vös geschützt dnrch eolb. 14 Bcur. At ΑΞ, 


247 


Wenn er in der Antwort auf jene Frage (ἐγγὺς μαχαίρας, 
ἐγγὺς ϑεοῦ, μεταξὺ ϑηρίων, μεταξὺ ϑεοῦ) ausser den Thieren 
nur noch das Messer nennt, so wird er hier, wo er vom 
Standpunct der Gegenwart nach der Verurtheilung redet, an 
das Schwert des Confectors denken, welches bekanntlich 
den Opfern des Thierkampfes oft den Todesstoss versetzen 
musste. 

Ein entscheidender Beweis dafür, dass die förmliche Ver- 
urtheilung in Antiochien stattgefunden hat, liegt im Inhalt 
und in der Absicht des Römerbriefs. Während in den übrigen 
Briefen die Erfüllung seiner Sehnsucht nach dem Martyrium 
nur insofern von dem Willen und Verhalten der angeredeten 
Christen abhängig erscheint, als Ignatius ihrer Fürbitte bedarf, 
um bis ans Ende fest bleiben und alle inneren und äusseren 
Versuchungen überwinden zu können, steht im Vordergrund 
des Römerbriefs nicht die Bitte um Fürbitte, welche begreif- 
licherweise auch hier nicht ganz fehlt (c. 3. 4. 8), sondern 
die Bitte, Alles zu unterlassen, was ihn an der Erreichung 
seines Ziels hindern könnte. Von ihrem Verhalten (c. 4. 6), 
und zwar von ihrem Schweigen (c. 2), hängt es so völlig ab, 
ob sein Wunsch in Erfüllung geht oder nicht, dass er sagen 
kann: „Wenn ich leide, habt ihr es gewollt; wenn ich ver- 
worfen werde, d. i. wenn ich des Martyriums verlustig gehe, 
habt ihr mich gehasst“ (c. 8).. Wenn sie nur wollen, wird 
sein Wunsch, nicht ferner nach Menschenweise zu leben, un- 
fehlbar in Erfüllung gehn (6. 8), und indem sie schweigen, 
setzen sie ihren Namen als Stifter und Erbauer auf ein un- 
vergleichlich schönes Werk (c. 2). An die Stelle der gött- 
lichen Hülfe als Bedingung des Gelingens, welche nur im 
Eingang eben nicht verschwiegen wird (c. 1), tritt ein ἐάν 
und ἐάνπερ nach dem andern, welches ein Einschreiten der 
römischen Christen zu seinen Gunsten als einzig denkbares 
Hindernis hinstellt.e. Mag man der Aufregung, in welcher 
dieser Brief mehr als die anderen geschrieben ist, noch soviel 
zugut schreiben, so wäre diese Ausdrucksweise doch durch- 
aus unverständlich, wenn das, was Ignatius fürchtet, eine 
Intercession der Römer bei Gott, eine Fürbitte für seine Er- 


248 


haltung wäre ἢ. Was könnte er von einem Gebet fürchten, 
welches ihm nur als Ausfluss fleischlicher Liebe und un- 
würdiger Menschengefälligkeit (c. 2), also als Auflehnung 
gegen Gottes Willen erscheinen müsste! Denkt er aber an 
eine Intercession bei den irdischen Gewalthabern, so wäre 
dennoch sein Ausdruck unerklärlich, wenn erst in Rom der 
Process geführt werden sollte. Freisprechung, Deportation, 
Bergwerksarbeit und dergleichen mehr waren Möglichkeiten, 
welche ihn dem Tod entreissen konnten, und zwar vom Ver- 
halten der Römer unabhängige Möglichkeiten, solange das Urtheil 
noch nicht gesprochen war. In den Gang des Processes 
konnten die Römer schwerlich eingreifen; am wenigsten war 
es ihnen ein Leichtes (c. 1), bestimmend darauf einzu- 
wirken. Wohl aber war es ihnen ein Leichtes gerade in Rom, 
zu thun, was Ignatius fürchtet, nämlich Appellation beim 
Kaiser einzulegen. Man hat längst nachgewiesen, wie durch- 
sichtig bei dieser Deutung der Bitte des Ignatius an die 
Römer der ganze Brief wird (vgl. besonders Uhlh., S. 267 £.). 
Es war Rechtsgrundsatz, Appellationen anzunehmen, gleichviel 
ob der Verurtheilte selbst oder ein Andrer in seinem Namen 
sie einlegte, ob der Appellirende vom Verurtheilten Auftrag 
hatte oder nicht, ihm verwandt war, oder nicht. Selbst eine 
wider den Willen des Verurtheilten eingelegte Appellation 
war wirksam. Das wäre der Fall der römischen Christen 
Ignatius gegenüber gewesen, aber nur dann, wenn, wie er 
sagt, der Anfang wohl besorgt war (c. 1), wenn er in An- 
tiochien verurtheilt worden war. Und nur, wenn ein Andrer 
als der Kaiser sein Richter gewesen war, war überhaupt eine 
Appellation möglich, nämlich die an den Kaiser (vgl. Rein, 
Criminalrecht, S. 234. 269). Das m. colb., welches den 
Kaiser in Antiochien das Todesurtheil sprechen lässt, wider- 
spricht also ebensosehr dem Römerbrief, wie das m. vat., 
welches den Process nach Rom verlegt. Beide lassen keine 
Möglichkeit für ein wirksames Einschreiten der Römer.” Es 
fragt sich nur, was dem Ignatius den Gedanken an ein solches 


1) So Hilgenfeld, apostolische- Väter, S. 200f. 


249 


Einschreiten 1), so nahe legte, dass er eben deshalb einen ab- 
mahnenden Brief an sie richtete. Vorbereitet auf ihn und 
interessirt für ihn sind sie durch die antiochenischen Christen, 
welche ihrem Bischof nach Rom vorangereist sein werden, 
um ihm in seinen letzten Augenblicken nahe zu sein und 
alle erdenkliche Liebe zuzuwenden (c. 10). Aber gerade. von 
diesen scheint Ignatius keine Beeinflussung der Römer in der 
bezeichneten Richtung zu befürchten. Er hat für sie nur 
Worte der Empfehlung. Es wird also die Erwägung der be- 
sondern Art und Stellung gerade der römischen Christen sein, 
was ihm Furcht vor ihrer Liebe (vgl. c. 1) einflösst. Schon 
in der Grussüberschrift betont er die hervorragende Stellung, 
welche die römische Gemeinde als Gemeinde der Welthaupt- 
stadt und ganz besonders in Werken der Liebe einnehme. 
Wir wissen ferner, dass es schon am Einde des ersten Jahr- 
hunderts der römischen Gemeinde nicht an vornehmen Mit- 
gliedern und mannigfachen Beziehungen zu den höchsten 
Kreisen fehlte 3); erfreute sie sich ausserdem damals einer un- 
belästigten Lage, so lag der Gedanke besonders nahe, dass die 
römischen Christen versuchen würden, eine Revision des wahr- 
scheinlich unter dem Druck einer feindseligen Volksstimmung 
geführten antiochenischen Processes zu veranlassen. Leicht 
war das allerdings, weil durch die Gesetze geschützt. Ignatius 
sagt nicht, dass es den Römern ein Leichtes sei, seine Frei- 
sprechung zu bewirken, oder mit anderen Worten, dass ihre 
Appellation gewiss von Erfolg sein werde 8), sondern nur dies 


1) Ob ein Beispiel solcher Appellation zu Gunsten eines verurtheilten 
Christen nachzuweisen ist, weiss ich nicht. Die von Cotelier zu Rom. 1 
angeführten Stellen zeigen nur, wie sehr sich die Christen bemühten, 
gefangene Christen zu befreien (Luc. de morte Petegr. 12; Eus. h. e. 
VI, 40; const. ap. V, 1. 2) und selbst Verurtheilte durch Geld los- 
zukaufen (const. ap. IV, 9. Das war dann von Seiten der Behörden 
ein unerlaubtes dimittere (vgl. oben S. 65 Anm. 1; cf. Plin. ad Tra). 31 
[al. 40], 5), woran aber in Rom selbst nicht zu denken war. 

2) Vgl. meinen Hirt des Hermas, ὃ. 45 ff. 118f. 243. 2971. 

3) Ganz im Stil des Dalläus, der in dieser Hinsicht von Pearson 
für immer hätte widerlegt sein sollen, fragt auch noch Hilgenfeld 


250 


sagt er, dass, wenn irgend etwas,. dann die unzeitige Liebe 
der Römer, ihr Reden und Einschreiten, seinem Wunsch 
binderlich werden könnte, und dass somit die Römer allein 
die Verantwortung für den einen oder andern Ausgang der 
Sache tragen. 


2. Die Reise des Ignatius. 


Wie in Bezug auf die strafrechtliche Seite der Geschichte 
des Ignatius die Martyrien in unversöhnlichem Widerspruch 
mit den Briefen selbst und der älteren Ueberlieferung stehen, 
so gerade das Anspruchsvollste derselben auch rücksichtlich 
des Reisewegs und der Reiseerlebnisse. Es ist merkwürdig 
zu sehen, wie selbst ein Ussher (Cler. II, 775), weil er durch 
das von ihm entdeckte Martyrium gefangen ist, sich gegen- 
über Baronjus in empfindlichen Nachtheil setzen muss, um 
die Uebereinstimmung zwischen Martyrium und Briefen auf- 
recht zu erhalten. Auch Uhlhorn, welcher gegenüber dem 
unkritischen Verfahren Baur's mit Recht so energisch auf 
reinliche Sonderung der durch die Briefe bezeugten That- 
sachen von allen martyrologischen Nachrichten dringt (S. 248) 
lässt sich in diesem Punete durch das m. colb. beherrschen 
($. 270), ohne sich mit dem unüberwindlichen Widerspruche 
der Briefe gegen dasselbe irgendwie auseinanderzusetzen. Nach 
diesem Martyrium ist Ignatius zur See nach Smyrna gelangt; 
dagegen haben die älteren Historiker '), welche die Briefe 
wirklich gelesen haben, meines Wissens sämmtlich heraus- 
gelesen, dass er zu Land durch Asien transportirt worden sei. 


8. 200: „War denn aber das, was die Römer auf dem Weg der Appel- 
lation ausrichten konnten, ein so leicht zu erreichender Erfolg?“ 

1) In Bezug auf Hieronymus und Rufin, die hier nicht in Betracht 
kommen, vgl. 8. 45, Anm. 1; 8. 48, Anm. 2. 


251 


Eusebius ist unmisverständlich: „Und während er nun die 
Reise (ἀναχομιδήν) durch Asien unter sehr sorgfältiger Be- 
wachung machte und von Stadt zu Stadt die Gemeinden, in 
welchen er sich aufhielt, durch mündliche Reden und An- 
weisungen stärkte, ermahnte er sie vor allem, sich vor den 
eben damals zuerst aufkommenden Häresieen zu hüten, und 
ermunterte sie, festzuhalten an der Ueberlieferung der Apostel, 
welche er der Sicherheit halber auch bereits durch schrift- 
liches Zeugnis darzustellen für nöthig hielt. So in Smyrna 
eingetroffen, wo Polykarp war, schreibt er einen Brief an die 
Gemeinde zu Ephesus“ u. s. w. Also vor seiner Ankunft in 
Smyrna ist alles das schon geschehen, was der erste Haupt- 
satz sagt; nur der angehängte Relativsatz greift vor; und ein 
anderes Ergebnis wird keine unbefangene Lektüre der Briefe 
herausbringen. Man hat freilich in diesen selbst Widersprüche 
finden wollen, welehe die Beziehung der fraglichen Stellen un- 
deutlich machen würden. Wenn der Römerbrief von Smyrna 
aus geschrieben sein wolle (c. 10), so vertrage sich damit 
nicht der dort zu lesende Auftrag, den syrischen Christen in 
Rom zu melden, dass er nahe sei’); und da von letzterem 
Satz eine Spur in Scur. geblieben ist, von ersterem nicht, so 
muss die Ortsangabe des griechischen Briefs ein Irrthum 
heissen. Selbst das m. colb. wird, sobald es den Wünschen 
entspricht, unbedenklich zur Kritik der griechischen Briefe 
herangezogen 3. Aber nur die abkürzende Fassung des Scur.: 
„nunmehr bin ich nahe [daran], nach Rom zu kommen“ ’°), 
schliesst einen Widerspruch gegen die Abfassung in Smyrna 
ein, oder wäre doch befremdlich bei der grossen Entfernung 
von Rom, die man jedoch nicht nach den Daten des Mar- 
tyriums auf eine Reise von vier Monaten taxiren sollte. Der 
griechische Text setzt nur voraus, dass Ignatius nahe bei 
Rom sein wird, wenn die Römer in Besitz seines Briefes und 


1) So Cur., p. 323ff. und Bunsen 11, 47. 

2) Cur., p. 324 cf. introd. LXXXIIlsag. 

3) p. 54, 3. Das ? des cod. y (p. 304) scheint unerlässlich; was 
aber das oo bedeute, weiss ich nicht. 


252 


und somit in der Lage sind, seinen Auftrag auszurichten. 
Und wie sollte er dann, nach wochenlanger Reise des Brief- 
überbringers, nicht in der Nähe von Rom sein? Eher 
könnte man fragen, wie Ignatius mit Bestimmtheit darauf 
rechnen konnte, dass sein Brief, welcher von Smyyna über 
Ephesus, also auf dem damals unberechenbaren Seewege be- 
fördert wird, vor ihm in Rom eintreffen werde. Aber es ist 
noch gute Jahreszeit !), und während die zu Fuss marschiren- 
den Soldaten mit ihrem Gefangenen sich unter der Gluth 
der Augustsonne nicht allzusehr beeilen werden, hat das Schiff, 
welches den Brief nach Italien trägt, noch keine Stürme zu 
fürchten. Noch weniger lässt sich die grössere Nähe des 
Abfassungsortes bei Rom aus den Anfangsworten des Briefes 
schliessen ®); denn auch eine Begegnung mit einigen nach 
Puteoli oder sonstwohin ihm entgegenreisenden Römern würde 
ihn nicht berechtigen, zu sagen: „weil ich's auf mein Gebet 
zu Gott erlangt habe, eure sehenswürdigen Angesichter zu 
sehen“ (s. Anh. I, 8). Es versteht sich von selbst, dass 
Ignatius, da er noch nicht in Rom ist, sein ἐπέτυχον nicht 
im Sinn einer vollkommenen Erfüllung seiner Bitte meinen 
kann. Sein Gebet ist erhört, und er ist dieser Erhörung 
gewiss geworden durch den Richterspruch oder die möglicher- 
weise davon zu unterscheidende Anordnung seiner Ueberführung 
nach Rom. Dass er die Römer sehen wird, ist hiemit ent- 
schieden; daher hofft er nun auch, dass das Weitere, was 


1) e. 10: ἔγραψα δὲ ὑμῖν ταῦτα τῇ πρὸ ἐννέα Καλανδῶν Zenreu- 
βρίων d. i. am 24. August, wie A®, oder wahrscheinlich vielmehr der 
Herausgeber des mart. arm., richtig hinzusetzt, während ΟἹ den 
23. August, ΑἹ den 22., mart. syr. (Moes., not. 53) den 21. August 
angeben. Den ursprünglichen Text, welcher nur die lateinische Datirung 
bietet, haben L! ΟΣ L? Metaphr. bewahrt. 

2) So Cur., p. 325 mit Berufung auf Voss, p. 293, von dem er sich 
nur auch ein richtigeres Verständnis der Stelle hätte aneignen sollen. 
Unverständlich bleibt auch, wie Cur., indem er au Act. 28, 15 erinnert 
nicht bedenkt, dass das Martyrium, welchem er in diesem Zusaminen- 
hang Gewicht beilegt, nur auf dem kurzen Weg von Portus bis Rom 
für eine solche Begegnung Raum hat. 


253 


Inhalt seines Gebetes war (vgl. Buns. I, 115), ihm gewährt 
werde, dass er nämlich zum Martyrium gelange, oder, wie 
hier mit starker Betonung des δεδεμένος gesagt wird, dass 
er als Gefesselter in Christus und nur so sie begrüsse. 
Dies hängt noch davon ab, ob es Gottes Wille ist, dass er 
bis ans Ende sei, was er ist, nämlich ein Gefesselter, ein 
zum Martyrium Bestimmter ἢ. Der Ausdruck ist nicht glück- 
lich, aber über eine Begegnung mit römischen Christen in 
der Nähe Roms sagt die Stelle nichts, und ein Selbstwider- 
spruch des griechischen Römerbriefs, der alle weitere Mühe 
illusorisch machen würde, liegt nicht vor. 

Wie Ignatius nach Smyrna gekommen ist, sagt er nicht 
deutlich mit den Worten: ἀπὸ Συρίας μέχρι Ῥωμης ϑηριο- 
μαχῶ διὰ γῆς καὶ ϑαλάσσης (c. 5). Es ist nicht viel dagegen 
zu sagen, wenn Voss (ad Riv., p. 23 cf. p. 7), welcher nach 
den Briefen und Euseb eine Landreise nach Smyrna annahm, 
darauf hinwies, dass hier eben nicht von der Reise bis 
Smyrna geredet sei; und dass im Blick auf die ganze Reise 
bis Rom auch an die damals noch bevorstehende Ueberfahrt 
über das ägäische und nachher über das jonische Meer ge- 
dacht sein könne; oder wenn Ussher (Cler. II, 175) und 
Pearson (III, 54) das διὰ γῆς auf die kurze Landreise von 
Antiochien bis Seleucia ?) und den Aufenthalt in Smyrna be- 
zogen, die Ueberfahrt von Seleucia nach Smyrna aber fest- 
hielten. Eine dritte Möglichkeit, welche mir den Ausdruck 
natürlicher erscheinen lässt als jene beiden, wäre die, dass 
der Soldatentrupp, um den Umweg zu vermeiden, eine Fahr- 
gelegenheit von Seleucia bis zu einem cilicischen oder pam- 
phylischen Hafen benutzt und erst von da aus den Landweg 
genommen hätte, geradeso wie er später von Troas nach 


1) Es liegt kein Grund vor, das εἰς τέλος εἶναι zu ändern oder 
etwas Anderes zu ergänzen als ein tonloses es aus δεδεμένος, oder wie 
Metaphr. interpretirt: οὕτως. Auch Eph. 14 bildet eis τέλος nicht etwa 
mit εὐρεϑὴ zusammen das Prädikat nach Analogie von Rom. 2. Eph. 21, 
sondern ist ein ‚bis ans Ende “ zur Näherbestimnung des ohnedies voll- 
ständigen Prädikats. 

2) Nach Strabo XVI, 2, 7 beträgt die Entfernung 120 Stadien, 


204 


Neapolis überfuhr, um erst in Philippi in die via Egnatia 
einzulenken, anstatt auf der Heerstrasse zu bleiben, der er 
bis dahin gefolgt, und bei Dyme die Egnatia zu erreichen. 
Dass die Reise wenigstens vorwiegend Landreise war, folgt 
unweigerlich aus Rom. 9, zu welcher Stelle Pears. III, 57 
bemerkt: hie locus accuratam explicationem postulat ut cum 
passione conspiret. „Es grüsst euch mein Geist und die 
Liebe der Gemeinden, welche mich aufgenommen haben auf 
den Namen Jesu Christi, nicht wie einen Vorüberreisenden.“ 
Den Gegensatz ZU οὐχ ὡς παροδεύοντα positiv auszudrücken 
fand Ignatius nicht nöthig, aber es versteht sich auch wohl 
von selbst, dass er nicht, wie bei Smith (schol., p. 103), lauten 
würde: ac si essem eorum episcopus, sondern: „als ob ich 
bei ihnen zu Hause wäre“? Von mehreren Gemeinden ist 
er so aufgenommen worden, und es fragt sich doch sehr, ob 
die Begrüssung durch Gesandte der Gemeinden von Ephesus, 
Tralles und Magnesia eine Aufnahme von Seiten dieser Ge- 
meinden genannt und so die erforderliche Mehrzahl heraus- 
gebracht werden kann, zumal Ignatius sich umgekehrt so aus- 
zudrücken pflegt (Eph. 1. Trall. 1), er habe in Smyrua die 
Gemeinden in ihren Vertretern empfangen. Das Folgende 
entscheidet dagegen: καὶ γὰρ ai μὴ προσήκουσαί μοι τῇ ὁδῷ, 
τῇ κατὰ σάρκα, κατὰ πόλιν μὲ προῆγον. ewiss ist zunächst, 
dass Ignatius unter ὁδός nicht seine bischöfliche Jurisdietion ver- 
stehen kann, wie Smith (schol., p. 103) meint. Abgesehn davon, 
dass Ignatius nur Bischof von Antiochien ist, wäre nicht zu 
zu sagen, wo diejenigen Gemeinden zu suchen wären, von 
welchen er die μὴ προσήκουσαι steigernd (χαί) unterscheidet, 
da es sich überhaupt nur um kleinasiatische Gemeinden 
handeln kann. Wie schon die Nähe von παροδεύοντα an 
die Hand gibt, ist ὁδός der Reiseweg, und fleischlich nennt 
er diesen im Gegensatz zu der innerlichen Zugehörigkeit 1), 

1) Vgl. Buns. I, 121. Darnach ist zu verstehen das unmittelbar 
vorhergehende ἐσπάζεται ὑμᾶς τὸ ἐμὸν πνεῦμα und Eph. 1: Ὀνησίμῳ 
τῷ ἐν ἀγάπῃ ἐδιηγήτῳ, ὑμῶν δὲ ἐν σαρκὶ ἐπισχόπῳ. Vermöge der 
Liebe gehört er Allen und so auch dem Ignatius an, äusserlich nur den 
Ephesern und zwar als ihr Bischof. 


255 


durch welche er sich wie mit allen Christen, so auch mit 
denjenigen Gemeinden verbunden weiss, „welche nicht an 
seinen Weg heranreichten‘“, oder, was sowohl dem μοι statt 
μου, als dem προσίκειν am meisten entsprechen dürfte: 
„welche nicht vermöge des Weges schon, den er machte, mit 
ihm in Berührung kamen‘. Diese zogen vor ihm her, kamen 
ihm zuvor von Stadt zu Stadt, so dass er überall oder doch 
an mehreren Puncten seiner Reise ausser der Gemeinde des 
Ortes auch noch Vertreter abseits gelegener Gemeinden antraf 
und somit von den asiatischen Gemeinden überhaupt sagen 
konnte, nicht wie einen Vorübergehenden nur hätten sie ihn 
begrüsst. „Geleiten‘“ !) heisst προάγειν nicht, sondern wenn 
nicht „hervor- und herausführen“ (Act. 12, 6; 25, 26) oder 
„vorwärts drängen‘, was beides hier keinen Sinn gibt, nur 
noch „vor einem hergehen * 5) im Gegensatz zum Nachfolgen. 
Auch sachlich ist jene Auffassung unmöglich; denn es fehlt 
in den Briefen jede Andeutung davon, dass Ignatius bis 
Smyrna in Begleitung irgend eines Christen gereist sei. Erst 
von Smyrna aus fand ein προπέμπειν von seiten der Epheser 
und Smyrnäer durch den Diakonus Burrhus statt (Eph. 2. 
Sm. 12. Phil. 11); und Pearson gibt eine schlechte Probe 
von der erforderlichen „genauen Erklärung“, wenn er sich 
dieses Geleiten so denkt, dass die Gemeinden oder ihre Ver- 
treter an der Küste hingelaufen seien, während Ignatius zu 
Schiff reiste. Die Küstenfahrt, selbst wenn man sich dieselbe 
gegen den Sinn des Martyriums durch häufige Landungen 
unterbrochen denkt), bot keine Gelegenheit zu einem 
προάγειν κατὰ πόλιν im wirklichen Sinne des Ausdrucks; denn 
woher sollten die Gemeinden der nicht an diesem Wege, also 


1) Pearson (III, 57) und Andere, wie z. B. Dressel (S. 173), die ihm 
folgen, erklären es für synonym mit προπέμπειν und vergleichen Tit. 3, 13. 
Näher hatte schon wegen der Verbindung mit δέχεσθαι Pol. 1 ge- 
legen. 

2) So Pol. ὃ; Marc. 11, 9 und überall bei den Synoptikern. Scur. 
und Li haben es auch hier so verstanden. 

3) Dies hält Denzinger S. 67 für möglich, erklärt sich aber 8. 68 
bereit, nöthigenfalls die Acten preiszugeben. 


warn 


256 


landeinwärts gelegenen Städte, wie Magnesia und Tralles, die 
Nachricht von der Reise des Ignatius und von den einzelnen 
in Absicht genommenen Landungsplätzen rasch genug be- 
kommen haben, um die jedesmal nächste Hafenstadt vor ihm 
zu erreichen, und wie wäre es zu erklären, dass das Schiff 
gerade bei Ephesus, der bedeutendsten Stadt auf dem Wege 
von Seleucia bis Smyrna und der einzigen, wo damals unsers 
Wissens eine christliche Gemeinde existirte, nicht anlegte! In 
Ephesus aber ist Ignatius nicht gewesen, denn nur in ihren 
Abgesandten, welche ihn in Smyrna begrüssten, hat er die 
dortige Gemeinde kennen gelernt (Eph. 1), und nur brieflich 
setzt er sich mit ihr in Verbindung (Eph. 9). Also bliebe 
schliesslich doch wieder die Gemeinde zu Smyrna allein 
übrig als Vertreterin der Classe von Gemeinden, welche schon 
vermöge des Weges, den Ignatius nahm, mit ihm in Be- 
rührung kamen. So viel Unmöglichkeiten sich bei dieser 
Erklärung ergeben, so einfach gestaltet sich die Sache bei 
Annahme des Landweges. Derselbe führte ihn ebensowenig 
über Magnesia und Tralles als über Ephesus. Denn obwohl 
dies nur von den Ephesern ausdrücklich gesagt wird, gilt es 
doch ohne Frage von allen drei Gemeinden, dass sie auf die 
Nachricht von seinem Transport von Syrien nach Rom nach 
Smyına herbeigeeilt seien, ihn zu sehen 1), d. ἢ. ihn durch 
Gesandtschaften zu begrüssen, deren Grösse im umgekehrten 
Verhältnis zur Entfernung von Smyrna steht. Vom nächst- 
gelegenen Ephesus kommt der Bischof Onesimus, die Presbyter 
Euplus und Fronto ®2) und der Diakonus®) Burrhus, endlich 
noch Crocus (vgl. oben 8. 242f.), von Magnesia der Bischof 
Damas, die Presbyter Bassus und Apollonius und der Diako- 
nus Zotion (Magn. 2), von Tralles nur der Bischof Polybius 


1) Eph. 1, 8. Anh, I, z. ἃ, St.; Mgn. 2. 15; Tr. 1. 

2) Dass diese Presbyter sind, ergibt sich aus der Art, wie Eph. 4 
das Verhältnis des ephesischen Pres byteriums zum Bischof beschrieben 
wird. 

3) Vgl. das τοῦ συνδούλου μοῦ Eph. 2 mit demselben Ausdruck 
als ständigem Prädikat der Diakonen Mgn. 2; Phil. 4; Sm. 12. 


257 


(Tr. 1. 3). Die Schwierigkeiten, welche Cureton !) in diesen 
Thatsachen gefunden hat, könnten überhaupt nur entstehen, 
wenn es Eph. 1 hiesse, dass die Nachricht von des Ignatius 
Ankunft in Smyrna die Gesandtschaften veranlasst habe, 
in welchem Fall ein noch längerer Aufenthalt in Smyrna als 
ohnedies angenommen werden müsste. Und in der That, wäre 
Ignatius zur See gereist, ohne in Ephesus oder einer nahe- 
gelegenen Stadt vor Smyrna zu landen, so würde man zu der 
Annahme genöthigt sein, dass erst nach seiner Ankunft in 
Smyrna eine Kunde von ihm zu den übrigen Gemeinden ge- 
langt wäre und seinen ganzen Verkehr mit ihnen veranlasst 
hätte. Aber die Nachricht, welche denselben veranlasste, 
lautet eben anders und zwar so, dass sie von jedem landein- 
wärts gelegenen Orte, welchen. Ignatius berührt, viel eher 
nach Tralles, Magnesia und Ephesus gelangen konnte, als 
Ignatius selbst in Smyrna eintraf. Aus Rom. 9 ferner haben 
wir gesehen, dass die Gesandten in mehreren Fällen, also doch 
wohl auch in dem vorliegenden, bei dessen Anlass Ignatius 
den Römerbrief schreibt, vor ihm hergezogen, also vor ihm 
in Smyrna eingetroffen sind. 

Mit Bestimmtheit ergibt sich die Wahl des Landwegs 


1) p. 314. 326 ff. 330. Uebrigens erweckt Cureton übertriebene Vor- 
stellungen von den Entfernungen, wenn er für den hier fraglichen Fall 
von Magnesia bis Smyrna 3 Tagereisen rechnet. Von Smyrna bis 
Ephesus sind’s nach Strabo (XIV, 2, 29: cf. XIV, 1, 2) 320 Stadien. 
Thomas Smith (Septem eccles. Asiae notit., ed. 2, p. 44), der 1671 die 
Gegend bereiste, schätzte die Entfernung auf 46 miles. Prokesch (Denk- 
würdigkeiten II, 90) machte den Weg in einem Ritt von 13 Stunden. 
Von Ephesus nach Magnesia sind’s 120 Stadien (Strabo 1. 1.) oder 15 mil. 
(Plin. h.n. V, 29 8 114 ed. Sillig). Wenn Cureton nach Chandler 
(Travels in Asia ‚minor, p. 208) anführt, dass Picenini auf diesem kleinen 
Weg sich 11 Stunden aufgehalten hat, so hätte er auch bemerken sollen, 
dass schon Chandler p. 209 erinnert, der müsse Umwege gemacht 
haben. Die Wege sind dort heute nicht wie zur Zeit Trajans be- 
schaffen; aber Welcker (griechische Reise II, 153f.) ritt den Weg in 
6 Stunden, dann in 9 Stunden trotz einiger Umwege von Magnesia bis 
Tralles, was nach Strabo 1. 1. 140 Stadien, nach Plinius 1. 1. wenig mehr, 
nämlich 18 mil., nach Smith p. 44 etwa 16 miles sind. 

Zahn, Ignatins, 17 


258 


auch daraus, dass einige jener Irrlehrer, vor welchen die Ge- 
meinden so vielfach gewarnt werden, von Ephesus kommend, 
dem Ignatius auf seinem Wege begegnet sind (Eph. 9). Die 
leicht verständlichen, aber sonderbar misverstandenen Worte 
sind: Ἔγνων δὲ παροδεύσαντάς τινας ἐκεῖϑεν, ἔχοντας κακὴν 
διδαχήν ἢ. Die Meinung zunächst, dass in einem von Smyrna 
aus nach Ephesus gerichteten Briefe ἐκεῖϑεν heissen könne 
„von hier (Smyrna) aus“, gedenke ich nicht zu bestreiten, 
obwohl sie von Jakobson, Bunsen (II, 38), Dressel u. A. ver- 
treten wird. Noch weniger ist einzusehn, warum Ignatius 
in mysteriösem Tone — denn dies und nicht Nachlässigkeit 
wäre es — auf den famosen Ausgangsort jener: Irrlehrer hin- 
weisen sollte, anstatt ihn einfach zu nennen, wenn er ihn 
nicht völlig auf sich beruhen lassen wollte®). Der Grund, 
welchen man gegen die einzig mögliche Beziehung auf 
Ephesus °) anzuführen pflegt, dass nämlich nach Eph. 6 dort 
keine Häresie zu Hause sein soll, spricht doch dagegen nicht, 
dass jene Iırlehrer von Ephesus aus eine Reise gemacht haben, 
auf welcher sie dem Ignatius begegneten. Dass sie Glieder 
der dortigen Gemeinde gewesen oder auch nur dauernd und 
mit Erfolg dort gewirkt haben, wird freilich durch c. 6 
ausgeschlossen, zumal es dort weiter heisst: „Ja, ihr hört 


1) Nur die unrichtige Vorstellung vom Reiseweg bestimmt Arndt 
(Handschrift) hier eine prägnante Construction anzunehmen: „die bei 
der Durchreise d’ort (d. h. durch Ephesus) ohne Aufenthalt von dort 
abgereist sind“. 

2) Gegen Uhlhorn, 8. 38, dessen Auslegung Lips. I, 114 billigt. 
Weım übrigens letzterer mit G® und A statt ἐχεῖϑεν gelesen haben will 
δι᾽ ὑμῶν, so ist zu bemerken, dass A nach Petermann „ad vos“ gibt und, 
wie Petermann richtig bemerkt, &xeisev unübersetzt lässt. Da ein 
Aufenthalt der Irrlehrer in Ephesus in Folgenden vorausgesetzt ist, so 
lag es nahe, das &xeisev, worin das nur mittelbar gesagt war, durch 
einen deutlicheren Ausdruck zu ersetzen. Uebrigens ist in ΟΣ das δι᾽ 
ἡμῶν nicht einmal sicher; denn des 18. ex vobis, welches bei diesem 
Uebersetzer = vestrum ist, führt auf ἐξ ὑμῶν, was ein älterer Ersatz 
für ἐχεῖϑεν sein muss als du’ ὑμῶν. Der dreifache Versuch, das ἐκεῖϑεν. 
zu verdrängen, bestätigt nur die Acchtheit dieser Lesart von G1 Li. 

3) Vgl. Baur II, 29; Hilgf., 8. 191. 


259 


nicht einmal auf einen Anderen ausser Christus“. Aber ganz 
dasselbe wird ja aueh hier von den Ephesern gerühmt: sie 
haben jene ihren bösen Samen dort nicht ausstreuen lassen, 
haben ihre Ohren verstopft, um das, was jene säen, nicht 
aufzunehmen ). 80 „wohnt“ also in der That dort „keine 
Häresie“. Aber von dort aus sind jene Leute, nachdem sie 
in Ephesus keinen Eingang gefunden, weitergegangen, und 
als Vorbeireisende hat Ignatius sie kennen gelemt. Etwas 
anderes heisst παροδεύσαντας ἔγνων nicht. Die von Baur 
(II, 29; vgl. Hilgf., S. 191) behauptete, aber nicht belegte Be- 
deutung „einen Nebenweg oder einen vom rechten völlig 
verschiedenen Weg gehn‘, was dann „euphemistische Be- 
zeichnung des unvermeidlichen Verderbens‘“ dieser Leute sein 
soll , ist jedenfalls unzulässig, solange ἐχεῖϑεν dasteht; und 
die sehr seltene Bedeutung „hindurchwändeln oder durch- 
wandern“ 3) erfordert erstlich ein Accusativobject des Ortes 
und würde zweitens an der Thatsache doch nichts ändern, 
dass Ignatius sie als Reisende kennen gelernt 8), ihnen also 
irgendwo begegnet ist‘). Da kein anderer Punct genannt ist, 
an welchem sie vorbeireisten, so versteht sich von selbst, dass 
Ignatius dieser Punct ist. So kann also dieser nicht zu Schiff 
nach Smyrna gekommen sein; denn in diesem Falle war 
kaum ein solches παροδεύειν der Irrlehrer, geschweige denn 
eine persönliche Berührung mit ihnen möglich. Die gewöhn- 


1) Uhlh. a. a. Ὁ. verdirbt den Sinn, indem er das textkritisch 
feststehende εἀέσατε (G! 1,1, indirect auch G2 1,3, zweideutig ist A, und 
Seur. fehlt) zum Imperativ macht. 

2) Lucian Scytb. 10: παροδεύσας τηλικαύτην πόλιν. Das πάροδος 
des Ignatius (Eph. 12) führt sich, wie später zu zeigen, nicht auf diese 
Bedeutung des Verbs zurück. 

3) γινώσκειν mit acc. cum part. bedeutet bei Ignatius nie die Be- 
nachrichtigung von einer Thatsache, sondern stets das, wenn auch nur 
zwittelbare, Kennenlernen des Objects in der bezeichneten Eigenschaft. 
Men. 3. 11. Tr. 1. 

4) Wenn Uhlhorn einträgt „bei euch“, so scheint das auf Einfluss 
von ΟΣ zurückzugehen, welcher wie so oft ohne alles Verständnis für 
die individuelle Charakteristik der Situation eine Plattheit an die Stelle 
der scheinbaren Dummheit setzt. 

17* 


260 


liche Reise von Antiochien nach Ephesus oder Smyrna war 
überhaupt die Laudreise. Darnach berechneten syrische 
Bischöfe späterer Zeit die Entfernung (vgl. Euagr. I, 3). Der 
Antiochener Agathopus, der, wie wir nachher sehen werden, 
hinter Ignatius hergereist ist, um ihn so bald wie möglich 
zu erreichen, reist durch Cicilien und über Philadelphia nach 
Smyrna; und als später Ignatius die Smyrnäer auffordert, 
einen Gesandten nach Antiochia zu schicken, ist ihm dieser 
ein ϑεοδρόμος (ad Polye. 7), wahrlich ein wunderlicher 
Ausdruck, wenn er ihn sich zu Schiff reisend vorstellt. Wie 
wenig er an diese Möglichkeit auch nur denkt, zeigt sich 
recht, wo er solche Boten im Gegensatz zu Briefen, die man 
einem von ihnen mitgibt, Fussgänger nennt (ad Pol. 8). 

Die vier von Smyrna aus geschriebenen Briefe geben uns 
nur die Gewissheit, dass Ignatius auf dem Landweg, und dass 
er nicht über Tralles, Magnesia und Ephesus, also nicht auf 
der alten κοινὴ ὁδός. die von Apamea herkommend das 
phrygische Laodiceea mit den genannten drei Städten und 
weiterhin mit Smyrna verbindet 1), dorthingekommen ist. 
Daraus schliessen wir aber mit Sicherheit, dass er von Sardes 
hergekommen ist; und es muss von vornherein für wahrschein- 
lich gelten, dass er in Sardes die grosse Strasse verlassen hat, 
welche sich in Laodicea mit der vorhin. genannten kreuzte 
und über Hierapolis und Philadelphia nach Sardes führte, dann 
aber weiter über Thyatira, Pergamus, Troas ging und bei 
Dyme in die via Egnatia einmündete ἢ. Dann hat er vor 
Smyrna eine Reihe von Städten berührt, in welchen christ- 
liche Gemeinden zuverlässig existirten, Laodicea, Hierapolis, 
Philadelphia, Sardes, vielleicht vorher schon Colossä u. a.; 
dann konnte z. B. von Laodicea aus die Nachricht von seiner 
Durchreise, von Richtung und nächstem Ziel der Weiterreise 
viel früher in Tralles, Magnesia und Ephesus eintreffen, als er 
selbst in Smyrna. Wenn er nun von allen Gemeinden, mit 
denen er direct oder durch Vermittelung ihrer Gesandtschaften 


1) Strabo XIV, 2, 29; ef. XIV, 1, 38. 89, 42. 
2) Itin. Anton. ed. Wesseling, p. 33629. 


261 


in Berührung gekommen war, den Römern Grüsse bestellt, so 
wird er wahrscheinlich nur die gewiss oft vorgekommene 
Bitte, „alle Brüder zu grüssen“, so specialisirt haben. Ganz 
ebenso bestellt er den Magmesiern (c. 15) Grüsse von „den 
übrigen Kirchen“, ausser von den Ephesern und den an dieser 
Stelle durch Polykarp vertretenen Smyrnäern. Da der Weg 
des Bischofs von Tralles über Magnesia zurückführt, können 
die Trallianer nicht gemeint sein, und ohnedies erfordert der 
Plural auch hier eine Mehrheit von Gemeinden, mit welchen 
ausser den genannten Ignatius in letzterer Zeit in Berührung 
gekommen ist. Dass darunter die zu Philadelphia gewesen 
ist ἢ, erfahren wir aus dem später von Troas aus an dieselbe 
gerichteten Briefe. Gleich der Eingang desselben zeigt, dass 
Ignatius unter Anderen ihren Bischof persönlich kennen ge- 
lernt hat; denn nur den unmittelbaren Eindruck der Per- 
sönlichkeit können die Worte wiedergeben: οὗ καταπέπληγμαι 
τὴν ἐπιείκειαν, ὃς σιγῶν πλείονα δύναται τῶν μάταια λαλούν- 
των. . .«.- «Τιὸ μακαρίζει μου ἡ ψυχὴ τὴν εἰς Θεὸν αὐτοῦ 
γνώμην, ἐπιγνοὺς ἐνάρετον καὶ τέλειον οὖσαν. So wird er 
denn, obwohl die Form des vorangehenden Satzes eine solche 
Auffassung zuliesse, es nicht von Anderen erfahren, sondern 
in persönlichem Verkehr erkannt haben 3), dass dieser Bischof 
sein Amt nicht von sich selbst oder durch Menschen oder 
gar vermöge eitlen Ehrgeizes, sondern in Liebe. zu Gott und 
Christus empfangen habe und führe. Man hat angenommen, 

1) Eingesehen haben dies Whiston (primit. Christianity reviv'd 
I, 76 sq.), Smith (schol., p. 83 sq.), Hilgenfeld (S. 202), Kist (ὃ. 81), 
Dressel (S. 176); aber nirgend finde ich daraus die richtigen Consequenzen 
gezogen. Nirschl's Meinung (die Briefe des Ignatius, S. 136 f.), dass 
Ignatius von Smyrna aus mitsammt seiner militärischen Begleitung 
einen „Abstecher‘ nach dem ein „paar Stunden “ entfernten Philadelphia 
habe machen können, ist nur ein warnendes Beispiel kritikloser Ver- 
ehrung des m. colb. Auch Whistons Versuch (p. 76 sqq.), zu zeigen, 
dass ursprünglich ein in Cilicien gelegenes Philadelphia gemeint und erst 
durch den Zusatz τῆς “σίας in Gl οὗ Li A verdrängt sei, bedarf heute 
keiner Widerlegung mehr. 

2) Das ἔγνων cum inf. ist nach dem Enıyvovs cum part. zu er- 
klären, vgl. oben S. 259, Anm. 3, 


262 


dass Gesandte der Philadelphener in Troas den Märtyrer be- 
grüsst haben 1), wie andere vorher in Smyrna. Aber es liegt 
auf der Hand, dass dann eine dankbare Erwähnung davon im 
Brief an die Philadelphener ebensowenig fehlen konnte, als 
in Eph. 1; Magn. 2; Trall. 1. Es würde ferner, um vom 
Brief an Polykarp zu schweigen, der etwas hastig zum Schluss 
eilt, in dem an die Smyrnäer ein Gruss der Philadelphener neben 
dem der Christen zu Troas um so unzweifelhafter eine Stelle 
gefunden haben (Sm. 12; cf. Phil. 11), da Ignatius dort sogar 
von einem einzelnen Mann und an viele einzelne Personen 
Grüsse ausrichtet (c. 13). Endlich aber — und das macht 
jeden Zweifel unmöglich — wird der Brief den Philadelphenern 
nicht etwa durch Glieder der Gemeinde, sondern durch den 
ephesischen Diakonus Burrhus übermittelt, welcher im Auftrag 
der Epheser und Smyrnäer den Ignatius bis Troas geleitet 
hat, nun aber mit den beiden Briefen an die Smyrnäer und 
Philadelphener zurückgeschickt wird 2). 

Nur in Philadelphia selbst kann also Ignatius den dor- 
tigen Bischof kennen gelernt haben, und dass er die ganze 
Gemeinde persönlich kennen gelernt, folgt aus ὁ. 3: οὐχ 
ὅτι παρ᾽ ὑμῖν μερισμὸν εὗρον, ἀλλ᾽ ἀποδιὕλισμόν. Eine leere 
Ausflucht ist es ja, wenn man Stellen vergleicht, wo er von 
den Gemeinden zu Tralles, Magnesia ‘oder Ephesus redet, als 
ob sie ihm persönlich bekannt wären; denn von diesen sagt 
er ausdrücklich, dass er sie in ihren Vertretern nach der 
Liebe gesehen ὅ), oder dass er sie im Glauben geschaut und 
lieb gewonnen habe +); gegen die Philadelphener dagegen 

1) 80 z. B. Düsterd, p. 19; Hefele, p. 212. Nirschl a. a. O., 8. 186 
vermuthet gar in Smyrna. 

2) Sm. 12; Phil. 11. Der Sinn des γράφω ὑμὶν διὰ Βούῤῥου steht 
im Allgemeinen nach Rom. 10; Pol. 14; 1Petr. 5, 12 fest. Erstere 
Stelle aber zeigt auch (vgl. oben 8. 242), dass Burrhus für die nicht 
an seinem nächsten Wege liegende Strecke bis Philadelphia auch eine 
andere Gelegenheit benutzen konnte. 

3) Eph. 2: δι᾿ ὧν πάντας ὑμᾶς κατὰ ἀγάπην εἶδον. Tr. 1: ὥστε 
με τὸ πὰν πλῆϑος ὑμῶν ἐν ἀυτῷ (sc. τῷ ἐπισχόπῳ) ϑεωρεῖσϑαι. Dar- 
nach also ist Tr. 8 zu verstehn. 

4) Mgn. 6: ἐπεὶ οὖν ἐν τοῖς προγεγραμμένοις προσαΐποις τὸ πᾶν 


263 


ergiesst sich seine Liebe unmittelbar ἢ. Der ganze Brief 
an diese bleibt ein Räthsel, wenn :man nicht erkennt, dass 
dort sehr bedeutsame Ereignisse bei Gelegenheit der An- 
wesenheit des Ignatius und bald nachher stattgefunden haben. 
In Troas ist Ignatius von einem antiochenischen Christen 
Rheos Agathopus und dem cilicischen Diakonus Philon er- 
reicht worden ?). Dass diese nicht etwa schon von Antiochien’ 
oder irgend einem anderen Puncte aus ihn begleitet haben, 
folgt aus jedem Worte über sie. Wie konnte Ignatius, nach- 
dem er den Smyrnäern für alle Liebe, die er selbst bei ihnen 
und noch nach seiner Abreise 8) von ihnen erfahren, förm- 
lichst gedankt hat (c. 9), ebenso ausdrücklich dafür danken, 
dass sie diese beiden Männer als Diakonen Gottes aufge- 
nommen haben, und der Gemeinde erzählen, wie diese jetzt 
Gotte für alle in Smyrna erfahrene Unterstützung danken. 
Hinter ihm drein sind sie in Smyrna eingetroffen, wahrschein- 
lich in Erwartung, ihn dort noch anzutreffen. Das Gleiche 
folgt aus Phil. 11. Die Aufnahme, welche diese Männer in 
Philadelphia gefunden haben, gibt ihm Anlass, Gott um die 
dortige Gemeinde zu danken. Sie selbst geben derselben dem 
Ignatius gegenüber Zeugnis, bezeugen nämlich den im All- 
gemeinen löblichen Stand des dortigen Gemeindelebens und 


πλῆϑος ἐθεώρησα ἐν πέστει καὶ ἠγάπησα. Die triviale Aenderung des 
letzten Wortes in ἀγάπῃ kann trotz ihrer weiten Verbreitung (L!, 1,3 Sfr. 
197, 23, A) nicht aufgenommen werden, und ΟἹ hat an allen Zeugen 
von (ἐδ mit Ausnahme von n — auch cod. angl. (ἃ. ἢ. wohl leicestr.) 
hat nach Pears. III, 42 ἠγάπησα — ausreichende Stütze. 

1) Phil. 5: ἐδελφοί μου, λίαν ἐχκέχυμαι ἀγαπῶν ὑμᾶς. 

2) Phil. 11; Sm. 10. 13. Schon Voss 8. 261 erkannte, dass Ῥέος 
Ayasonovs der Doppelname einer Person sei, von ΟἹ Phil. 11 durch 
Interpunction, von L1 Sm. 10 vollends durch ein „et“ getrennt. Die 
Häufigkeit des zweiten Namens bei den Griechen, aber auch bei semitisch 
Redenden, zeigt Pears. IU, 19; vgl. Schröder, die phönicische Sprache, 
S. 17. 

3) Das «novre wird sich theils auf die Begleitung des von ihnen 
abgesandten und ausgerüsteten Burrhus beziehen, theils auf das, was 
gleich darnach erwähnt wird, auf die Liebe, welche sie um seinetwillen 
den ihm nachreisenden Freunden erwiesen. 


264 


die dort erfahrene Liebe. Nur Einzelne, welche eben hiedurch 
von der Gemeinde unterschieden werden, haben ihnen Unehre 
angethan und werden darum Gegenstand einer Fürbitte für 
ihre Besserung. Also über Philadelphia und Smyrna sind sie 
nach Troas gereist. Jetzt erst ') sind sie bei ihm und konn- 
ten in den früher geschriebenen Briefen nicht erwähnt werden. 
Ausdrücklich wird ja auch gesagt, dass sie in Sachen Gottes, 
um Gottes willen, hiuter ihm drein ihm gefolgt seien ®), 
und nach dem unzweideutigen ἐπηκολούϑησαν in Sm. 10, 
welches eine Begleitung des Tgnatius durch sie ausschliesst, 
muss die an sich zweideutige Aussage über Agathopus: ὅς 
ἀπὸ Svglas μοι ἀκολουϑεῖ (Phil. 11) verstanden werden. 
Einige Zeit nach dem Aufbruch der Soldaten mit ihrem Ge- 
fangenen von Antiochien wird sich Agathopus in der Hoff- 
nung, sie irgendwo zu erreichen, auf den Weg gemacht haben. 
Die za Fuss marschirenden und schon durch die Fesselung 
des Verurtheilten in rascher Bewegung gehemmten Soldaten, 
welche möglicher Weise noch hier und dort einen Neben- 
auftrag auszurichten hatten, konnten schon zu der Reise bis 
Smyrna leicht 10—15 Tage.mehr gebrauchen, als Agathopus, 
wenn er sich Eile angelegen sein liess®). In Cilicien wird 


1) Das νῦν in Phil. 11 kann, da es den Dienst des Agathopus mit 
umfasst, nicht etwa einen Gegensatz dazu bilden, dass Agathopus schon 
länger bei ihm wäre, sondern nur zu der Zeit vor beider Ankunft, in 
welcher der gleich nachher erwähnte und „zugleich mit ihm“ von 
Sınyrna gekommene Burrkus (ef. Sm. 12) ihm Hülfsleistung that. Durch 
χαί wird diese Bemerkung über Philons jetzige Thätigkeit steigernd und 
bestätigend daran angeschlossen, dass er schon ein gutes Zeugnis mitge- 
bracht habe. 

2) Sm. 10: οἱ ἐπηχολούϑησάν μοι εἰς λόγον ϑεοῦ. Zu letzterem 
Ausdruck vgl. ἐν λόγῳ ϑεοῦ und εἰς λέγον τιμῆς (Phil. 11) oder 
εἰς ϑεοῦ τιμήν (Eph. 21 zweimal); zu ἐπακολουϑεῖν vgl. 1 Tim. ὅ, 94. 
Uebrigens bildet Joh. 20, 6 auch das einfache ἔρχεται... ἀχολουϑῶν 
αὐτῷ einen Gegensatz zu gleichzeitigem Ankommen. 

3) Von Antiochien bis Ephesus rechneten Bischöfe späterer Zeit, die 
über Reitthiere, vielfach auch über die Transportmittel des cursus pabli- 
cus zu verfügen hatten (gl. Stephan, das Verkehrsleben im Alterthum; 
in Raumers historischem Taschenbuch 1868, 8. 95. 98), 30 Tagereisen 
(Euagr. 1, 3). 

᾿ 


265 


sich ihm Philon angeschlossen haben; in jedem Wohnsitz 
von Christen, den Ignatius berührt hatte, erhielten sie neue 
Weisung, und in Philadelphia haben sie entweder gehört, 
dass der Transport nach der langen und beschwerlichen Land- 
reise eine etwas längere Rast in Smyrna zu machen beab- 
sichtige, oder sie erfuhren dort noch nicht, was ja nicht 
selbstverständlich war, dass das weitere Ziel Troas sei; sonst 
würden sie sich natürlich den Umweg über Smyrna erspart 
haben. Der eigentliche Zweck dieser aufopferungsvollen Reise 
(Phil. 11), wenigstens des Agathopus, ist offenbar der, dem 
Ignatius möglichst schnell die Nachricht vom Aufhören der 
Verfolgung in Antiochien zu bringen. Man hätte sich die 
Verwunderung darüber, dass Ignatius schon in Troas darum 
wisse, und die wunderliche Meinung, dass er diese Kenntnis 
einer göttlichen Offenbarung verdanken wolle 1), ersparen 
können. Letztere Meinung ist schon dadurch ausgeschlossen, 
dass er Phil. 10 schreibt: ἀπηγγέλη μοι, εἰρηνεύειν τὴν ἐκκλη- 
σίων τὴν ἐν Avrioxela τῆς Συρίας. Einen anderen Sinn hat 
das entsprechende ἐδηλώϑη μοι ad Pol. 7 natürlich nicht, und 
nur sehr ungeschickte Auslegung könnte das Eintreffen dieser 
Nachricht im Unterschied von der gemeldeten Thatsache als 
Frucht des Gebets der angeredeten Gemeinden an beiden 
Stellen bezeichnet finden. Wird doch in den von Smyrna 
aus geschriebenen Briefen beharrlich die noch in Gefahr 
schwebende antiochenische Gemeinde der Fürbitte der Ge- 
meinden empfohlen, jetzt dagegen von Troas aus den Smyr- 
näern geschrieben: „Euer Gebet ist über die Gemeinde im 
syrischen Antiochien gekommen“ (Sm. 11). Wenn auch die 


‘Erwähnung dieser erfreulichen Nachricht nicht das eine 


Mal der Erwähnung des Agathopus und Philon unmittelbar 
folgte (Sm. 10. 11), das andere Mal ihr vorangienge (Phil. 
10. 11), so zwingen ja schon die nackten Thatsachen, dass 
erst in Troas Agathopus zu Ignatius stösst, während kein 
sonstiger Bote von Antiochien erwähnt wird, und dass Ignatius 
in Troas jene Nachricht empfängt, zu der einfachen Com- 


m nn ὀο Ν — 


1) So z. B. Buns, II, 73; Denz., 5. 45f. 


206 


bination, dass Agathopus sie ihm gebracht hat. Dieser hat 
ihm dann auch schon melden können, dass die zunächst bei 
Antiochien gelegenen Gemeinden auf die Nachricht vom 
Aufhören der antiochenischen Verfolgung, welche auch ihnen 
Agathopus gemeldet haben wird, Geistliche zur Beglück- 
wünschung der Antiochener abgeordnet haben (Phil. 10). Ibm 
und Philon verdankt Ignatius auch die Nachrichten über 
Philadelphia, welche es ihm nothwendig erscheinen liessen, 
einen Brief dorthin zu richten. Wenn Agathopus und Philon 
nicht bei allen Philadelphenern freundliche Aufnahme ge- 
funden haben (c. 11), so verdanken sie dies ohne Frage ihrem 
Verhältnis zu Ignatius ἢ). Sie müssen dort misliebige Aeusse- 
rungen über Ignatius gehört haben: denn sonst wäre es un- 
begreiflich, wie er nach einer Warnung vor Irrlehrern und 
einer Ermahnung zur Pflege der Gemeindeeinheit in die 
Worte ausbrechen kann: „Ich danke aber meinem Gott, dass 
ich guten Gewissens unter euch bin, und Keiner sich zu 
rühmen hat, es sei heimlich oder öffentlich, dass ich Einem 
im Kleinen oder, Grossen zur Last gefallen bin“ (c. 6). 
Schon die Vergleichung mit 2 Cor. 11, 9; 12, 13, welche 
Hefele nicht unterlässt, hätte ihn abhalten sollen, unter der 
Belastung eine Auferlegung des judaistischen Joches zu ver- 
stehen. Wie hätte ihm auch von seiten der judaistischen 
Gegner aufgerückt werden können, dass er gemeinsame Sache 
mit ihnen gemacht habe! Auf die äussere Unterstützung und 
die überschwänglichen Ehrenbezeugungen, welche die Ge- 
meinden dem Bischof und Märtyrer entgegenbrachten, muss 
sich die üble Nachrede beziehen, über deren Grundlosigkeit 
Ignatius hier seine Freude ausspricht. Nach seiner Abreise 


hat man von gewisser Seite — dem Zusammenhange nach 
von seiten jener Irrlehrer, auf welche er c. 8 wieder zurück- 
kommt — seine Gesinnung und sein Auftreten unter den 


asiatischen Christen mehr oder weniger hinterlistig verleumdet. 


1) Auf traurige Erfahrungen aus letzter Zeit bezieht sich auch das 
ὥφελον πάντες αὐτὸν ἐμιμοῦντο. Sm. 12. 


267 


Man muss ihm vorgeworfen haben, dass er seine ausser- 
ordentliche Stellung und sein moralisches Uebergewicht zu 
tyrannischer Unterdrückung selbständiger Bewegungen im 
Leben der Gemeinden misbraucht habe, und eben dies wird 
man seine Freunde haben fühlen lassen. Dem gegenüber 
beruft sich Ignatius auf sein gutes Gewissen im Rückblick 
auf seinen Verkehr unter den Philadelphenern. Unzweideutig 
wird dies, wenn er nun von jenen Wenigen sich zu allen 
Denen wendet, unter denen er geredet hat, und ihnen 
wünscht, dass sein Wort ihnen nicht im schlimmen Sinn zum 
Zeugnis gereiche ἢ. Der ganze Inhalt des folgenden Capitels 
und die Vergleichung mit der Bitte an die Trallianer: 
Εὔχομαι ὑμᾶς ἐν ἀγάπῃ ἀκοῦσαί μου, ἵνα un εἰς μαρτύριον ὦ 
ἐν ὑμῖν γράψας (6. 12), zeigt, dass es sich nicht etwa um 
eine zusammenfassende Erinnerung an alles das, was er unter 
den kleinasiatischen Christen geredet hat 3), handelt, sondern 
um ein Reden in einem grösseren Kreise philadelphenischer 
Christen, und zwar um ein einzelnes Factum dieser Art, dessen 
Beschreibung erst ὁ. 8 mit den Worten schliesst: „Ich 
meinerseits that, was mir natürlich war als ein auf die Ein- 
heit angelegter Mensch“. Um die Anwendung jenes bi- 
blischen εἰς μαρτύριον zu rechtfertigen, beruft er sich be- 
sonders auf eine einzelne damals von ihm ausgesprochene 
Mahnung, sich zu den Vorstehern der Gemeinde zu halten, 
der Heiligung sich zu befleissigen und vor allem die Spal- 
tungen zu vermeiden. Der schwierige Satz lautet, soweit der 
Text mit den vorhandenen Mitteln herzustellen ist: Ἐχραύγασα, 


m nn .. 


1) καὶ πᾶσι δέ, ἐν οἷς ἐλάλησα, εὔχομαι, ἵνα μὴ εἰς μαρτύριον 
αὐτὸ χτήσωνται. Nirschl z. d. St. verdirbt den Sinn, indem er trotz 
des trennenden zad — δέ aus dem vorigen Satz anstatt aus ἐλάλησα 
ein Object zu χτήσωνται ergänzt und letzteres falsch durch „ansehen “ 
wiedergibt. Sie sollen sich, was er geredet hat, nicht so aneignen, dass 
sie daran ein sie verurtheilendes Zeugnis haben. 

2) Darauf will anscheinend Denz. S. 70 hinaus. Bunsens Paraphrase 
von Phil. 7 (IE, 73): „ich schrieb einen Brief, als ich unter ihnen war“ 
u. 8 w. ist unwiderleglich. 


268 


μεταξὺ ὧν 1) ἐλάλουν, μεγάλῃ φωνῇ, ϑεοῦ φωνῇ Ἶγ᾽ τῷ ἐπισχόπῳ 
προσέχετε zul τῷ πρεσβυτερίῳ καὶ διαχύόνοις. ΕἸ δὲ ἢ ὑπο- 
πιεύετέ “) μὲ (oder ὑπώπτευσάν [τινές] με) ὡς προειδότα 5) (oder 
ὥσπερ εἰδότα) τὸν μερισμόν τινων λέγειν ταῦτα, μάρτυς δέ μοι, 
ἐν ᾧ δέδεμαι, ὅτι ἀπὸ σαρκὸς ἀνθρωπίνης οὐκ ἔγνων x. τ. λ. 
Ignatius erkennt in jenen mit lauter Stimme, also in be- 
sonderer Erregung gesprochenen Worten hinterdrein eine 
Weissagung auf eine inzwischen eingetretene Absonderung 
Einiger von der Gemeinde. Während er seinerseits nur that, 
was seiner immer gleichen Gesinnung entsprach, so spricht 
doch das Zusammentreffen jener auffallenden Erregung und 
des nichtgeahnten Erfolgs gegen die nahe liegende Ver- 


1) Dass ΟἹ οὖν accentuirte und Lt Sfr. 199, 11 so verstanden, ist 
textkritisch gleichgültig. G®, dem 108. folgt, hat die Grammatik für 
ich; denn der Tempuswechsel verbietet eine einfache Coordinirang von 
ἐχραύγασα und ἐλάλουν. Aus einem andauernden Reden hebt sich dieser 
einzelne Ruf herans. 

2) ϑεοῦ φωνῇ ist durch Li Sfr. 199, 12 A, indirect auch durch 
ΟἹ gesichert. 

3) Die ganze Verwirrung dieses Satzes wird darin ihren Grund haben, 
dass ınan zu einem εἰ δέ, welches ΟΣ bewahrt hat, keine Apodosis fand und 
daher entweder, wie z. B. 15, den Bedingungssatz verselbständigte, oder, 
wie 65, das δέ hinter μάρτυς ausstiess, welches doch in der That nicht 
hindert, mit μάρτυς den Nachsatz beginnen zu lassen (vgl. Kühner, aus- 
führl. Gr. ΤΙ, 816f. 2. Aufl). Ferner ist οἱ δέ (G1) nicht ohne weiteres 
= τινὲς δέ, sondern hat ein ausgesprochenes oder leicht sich ergänzen- 
des οἱ μέν zur Voraussetzung; cf. ad Pol. 8. Phil. 10. 

4) Statt des sinnlosen πτέσαντες (61) bieten L! ΟΣ eine Form von 
ὑποπτεύειν, ohme dass A und Sfr. 199, 13 auf Anderes hinwiesen. 
LE las wohl ὑπερηφάνησαν οἵ, Sm. 10. Jedenfalls ist eine Participial- 
form hier unerträglich. 

5) Dies ist nur zu dulden, wenn man mit ΘΒ dnontevere oder sonst 
ein Präsens liest; dann könnte das Vorherwissen einfach 'ein früheres 
Wissen des Ignatius im Vergleich zum Wissen der Uebrigen sein. Be- 
streitet hingegen Ignatius eine damals aufgetauchte Vermuthung, so 
kann er nur ablehnen wollen, dass er es im gewöhnlichen Sinn des 
Worts gewusst habe. Auf ein ὥσπερ mit verb. simpl., also jedenfalls 
εἰδότα, führen in der That A und Sfr. 199, 13, während alle abend- 
ländischen Zeugen, auch LA, dessen „prohibentem“ erst aus „praeri- 
dentem‘“ entstanden ist, προειδότα stützen. 


“| 
“ 
δ: 


269 


muthung, dass er damals schon, d. h. also vor dem äusser- 
lichen Hervortreten der Spaltung, um sie gewusst habe. Da er 
wirklich nun bezeugen kann, dass er nicht vermöge natürlich- 
menschlicher Diagnose oder in Folge empfangener mensch- 
licher Belehrung ') über eine den Uebrigen noch verborgene 
Gefahr so geredet habe, so trägt er kein Bedenken, die laute 
Stimme, mit der er gesprochen, als Gottes Stimme zu be- 
zeichnen und als das eigentlich redende Subject den Geist zu 
nennen 33. Wenn Ignatius dem allen die Bemerkung vor- 
ausschickt, wenn auch Etliche ihn fleischlicher Weise oder ihn, 
sofern er natürlicher Mensch ist, hätten irreführen wollen, so 
irre doch der Geist nicht, da er von Gott stamme, so muss 
es eben jenen Gegnern gelungen sein, ihn in irgendwelcher 
Hinsicht und in irgendwelchem Masse einmal zu täuschen, 
was dann der Beachtung seiner Warnungen Eintrag thun 
musste. Um so mehr fühlt er sich jetzt verpflichtet, die 
durch den Erfolg bestätigte Warnung auf den über sein 
eigenes damaliges Bewusstsein übergreifenden Geist Gottes zu- 
rückzuführen. Dass es in der That in der Zwischenzeit zu 
einer Separation in Philadelphia gekommen ist, zeigt sich 
sofort, wenn Ignatius auf die Erinnerung an sein damaliges 
Auftreten ὅ die Worte folgen lässt: „Allen, die sich be- 
kehren, vergibt Gott, wenn sie sich zur göttlichen Einheit 
und zur Rathsversammlung des Bischofs bekehren. Ich ver- 
traue der Gnade Jesu Christi, welcher von jeder Fessel euch 
befreien wird“. Gebunden, gehemmt ist die gedeihliche Ent- 
wickelung der Gemeinde, so lange Solche, die zu ihr gehört 
haben und noch gewissermassen zu ihr gehören, von Bischof 


— en __.. 


1) Die Beziehung auf andere Menschen scheint sich wegen des 
Attributs bei σαρχός mehr zu empfehlen, vgl. übrigens Matth. 16, 17; 
Gal. 1, 16. 

2) So feierlich wie möglich nimmt er für seine damalige Aeusserung 
den Character inspirirter Rede in Anspruch, und der Versuch Nirschls 
(S. 145 f.), dies zu verdecken, ist mislungen. Vgl. meine Schrift über 
Hermas, S. 109, wo nur fälschlich zwei prophetische Stimmen unter- 
schieden werden. 

3) Das zweite οὖν in ὁ. 8 zeugt von einem Rückblick auf c. 3. 


270 


und Presbyterium sich fern halten, was ohne heftige Reibung 
mit der treu gebliebenen Mehrheit nicht zu denken ist. Als 
Ignatius bei ihnen war, hat er keine Spaltung dort vorge- 
funden, sondern ein von allem häretischen Wesen reines 
Gemeindeleben (c. 3). Dem dient es zur Bestätigung, dass 
noch jetzt alle Frommen sich zum Bischof halten; denn nicht 
ein allgemeiner Satz, sondern, wie das Weitere zeigt, eine 
Beschreibung der Zustände in Philadelphia soll dies sein. 
Von den Presbytern und Diakonen dort gilt dies insbesondere, 
denn im Gegensatz zu einzelnen verirrten Gemeindegliedern 
wird in der Grussüberschrift nicht einfach wie sonst, Einheit 
mit dem Bischof oder mit den Vorstehern überhaupt als Be- 
dingung des richtigen Zustandes benannt, sondern ausdrück- 
lich wird durch ein eingeschobenes σὺν αὐτῷ Ton darauf 
gelegt, dass die Presbyter und Diakonen mit dem Bischof 
einig sind: und es wird später noch sich zeigen, dass das 
„Synedrium des Bischofs“, zu welchem die Verirrten zurück- 
kehren müssen, das Collegium der Presbyter ist. Bei solchem 
Stand der Dinge konnte die angeredete Gemeinde ebenso, wie 
es ec. 11 aus anderem Anlass geschieht, von den Wenigen 
unterschieden werden, welche eine Sonderstellung einnehmen 
und erst durch Busse zur Gemeindeeinheit zurückkehren 
müssen. Es hat daher guten Sinn, wenn die Leser davor 
gewarnt werden, Einem, der Spaltung verursacht, zu folgen 1) 

1) Phil. 3: Οὐχ ὅτι παρ᾽ ὑμῖν μερισμὸν εὗρον, ἀλλὰ ἀποϑδιυλισ- 
ον Μὴ πλανᾶσϑε, ἀδελφοί μου, εἴ τις σχίζοντι εἰκολουϑεῖ, βασιλείαν 
εἰ χληρονομεῖ. Der Versuch das ἐποδιυλισμένον des ΟἹ durch 
Ergänzung von μερισμόν zu schützen (z. B. bei Kist 8. 65) ergibt doch 
nur eine unerträgliche Härte, und ist jetzt vollends unveranlasst, seit 
der durchweg vorzüglichere Text des L! (abstractionem — ἐποδιυλισμόν) 
indireet auch durch clamorem in A bestätigt ist. Dies geht jedenfalls 
auf ein syrisches Wort derselben Wurzel ἃ, (οἵ, Castellus ed. 
Michaelis 5, v.) zurück, womit Matth. 23, 24 διυλίζειν und Ign. Rom. 
inser. im m. syr. (Cur. 225, 2; Moesinger 6, 8) enodälgew übersetzt 
ist, welche aber auch den Sinn: claram sonum reddere hat (8, Bern- 
stein s. v.). — Wäre übrigens hiermit die Ausscheidung einiger bereits 
vorhandener häretischer Elemente gemeint, und wäre dies die Trennung 
Etlicher von der kirchlichen Einheit, wie z. B. Hilgf. 234 annimmt, so 


211 


und wiederholt ermahnt werden, Irrlehre wie Spaltung noch 
erst zu fliehen (c. 2. 6). 

Nach alle dem ist es unanfechtbar, dass Ignatius über 
Philadelphia nach 'Smyrna transportirt wurde. Auf diesem 
Wege ist er jenen Irrlehrern begegnet, welche von Ephesus 
aus in umgekehrter Richtung die vorderasiatischen Gemeinden 
bereisten (Eph. 9), und wenn nicht alles trügt, sind eben 
diese es gewesen, welche nicht ohne allen Erfolg dort die 
natürliche Urtheilskraft des Ignatius auf die Probe gestellt 
hatten. In Philadelphia wird darnach auch die Begegnung 
stattgefunden haben (Eph. 9), welche ihm den bestimmtesten 
Antrieb zur Warnung aller jener Gemeinden vor diesen und 
ähnlichen Leuten geben musste. Auch die Disputation mit 
ihnen oder doch mit Leuten derselben Richtung, von welcher 
Phil 8 berichtet, könnte sehr wohl erst dort und damals 
stattgefunden haben. Denn die Harmlosigkeit, mit welcher 
er damals vor Spaltuagen gewamt haben will, ist nicht 
als Sorglosigkeit in Bezug auf die Gefahr der Irrlehre zu 
verstehen, sondern im Gegensatz zu distinctem Wissen von 
der nun eingetretenen Thatsache, von einer durch die Irrlehrer 
veranlassten Separation. Erst nach seiner Abreise haben jene 
es im Interesse der Ausbreitung ihrer Lehre nützlich ge- 
funden, der Auctorität des Ignatius entgegenzuwirken und 
ist es ihnen gelungen, einen gewissen Erfolg zu erringen. 
Ein Beweis für die Identität der Leute, welche in Phila- 
delphia, so lange Ignatius dort war, versteckt, dann aber 
offen gegen ihn aufgetreten sind, mit den Irrlehrern, vor 
welchen er in den übrigen Briefen warnt, liegt auch darin, 
dass er erst, in den von Troas aus geschriebenen Briefen aus- 
drücklich der verkehrten Stellung der Irrlehrer zu seinem 
Martyrium gedenkt. Es spiegeln sich die Erfahrungen, 


— -.ὕ.ὕ.» 


könnte Ignatius erstlich hier nicht verneinen, dass er einen μερισμός 
dort vorgefunden, denn das wäre eben ein μερισμός, wie besonders c. ὃ 
deutlich ist; er könnte aber auch nicht jene Hinweisung auf den μερισ- 
μός Etlicher (c. 7) bei Gelegenheit seiner Anwesenheit in Philadelphia 
als Weissagung auf ein damals schlechthin zukünftiges Ereignis deuten, 


272 


welche er in Philadelphia gemacht, und die Nachrichten, 
welehe er nachher von dort empfangen, deutlich wieder, wenn 
er in der Ermahnung an Polykarp, sich durch die Irrlehrer 
nicht erschrecken und die von ihrer Bestreitung unzertrenn- 
licher Unbequemlichkeiten sich nicht verdriessen zu lassen, 
plötzlich in die erste Person übergeht‘). Diese Leute haben 
ihn ins Gesicht gelobt, aber er weiss, dass sie im Grunde 
des Herzens sein Martyrium ebenso für eine Illusion halten, 
als das Leiden Christi. Sie entziehen sich der überzeugenden 
Kraft, welche im Leiden um Gottes willen liegt ?). 

Doch hiermit greife ich schon über in die Untersuchung 
de: damaligen häretischen Bewegung, welche an anderem Orte 
zusammenhängend zu führen ist. Für jetzt kam es nur 
darauf an, nachzuweisen, was Ignatius vor seinem Eintreffen 
in Troas erlebte, und was Philon und Agathopus ihm zu 
melden hatten. Mag Einzelnes, was ich wahrscheinlich zu 
machen suchte, Vermuthung bleiben, so ist doch Wesentliches 
auf exegetischem Wege gewonnen: der Reiseweg durchs’ 
innere Asien, die persönliche Begegnung mit Irrlehrern vor 
der Ankunft in Snyrna, das Eingreifen des Ignatius in augen- 
blickliche Bewegungen des kirchlichen Lebens der vorder- 
asiatischen Gemeinden und der Zweck der Reise des Philon 
und des Agathopus. Dabei hat sich herausgestellt, dass die 
kurze Zusammenfassung des geschichtlichen Gehaltes dieser 
Briefe bei Euseb weit genauer ist, als was die neueren 
Historiker herauszulesen pflegen. 

Auch die Veranlassung der von Smyrna aus geschriebenen 
Briefe ist deutlich geworden. Wie völlig der an die Römer 
von Sehnsucht nach Vollendung des begonnenen Martyriums 
und von wohlbegründeter Furcht vor einer Hinderung durch 
jene Gemeinde dictirt ist, wurde schon oben gezeigt. Aber 

1) Ad Pı Μάλιστα δὲ ἕνεχεν Θεοῦ πάντα ὑπομένειν ἡμᾶς δεῖ, 
ἵνα χαὶ αὐτὸς ἡμᾶς ὑπομείνῃ. 

2) Sm. 5. Der allgemeine Gedanke wird schon Trall. 10 (ef. Sm. 4) 
ausgesprochen; aber der Unterschied von den späteren Stellen ist unver- 
kennbar. — Dasselbe τινές (Trall. 10; Eph. 7. 9; Sm. 5) findet sich 
auch Phil. 7 und ὁ. 8 med. Vgl. etwa Gal. 1, 7. 


273 


auch die Briefe an die asiatischen Gemeinden verdanken ihre 
Entstehung nicht einer ihren Gegenstand und ihre Adresse 
willkürlich wählenden schriftstellerischen Neigung. Offen- 
bares Misverständnis ist es, wenn man die Worte προειλόμην -. 
ἐν πίστει Ἰησοῦ Χριστοῦ προςλαλῆσαι ὑμῖν Mgn. 1 paraphra- 
sirt: elegi vos, quibus literas mitterem 1); denn die folgende 
Erläuterung bezieht sich gerade nicht auf die Magnesier ins- 
besondere, sondern auf die Kirchen überhaupt, in deren Kreise 
Ignatius verkehrt hat, und die Parallele Eph. 3 zeigt, dass 
προιιρεῖσϑαι hier wie so oft nur den Sinn eines προλαμβάνειν 
hat. Was ihn veranlasst hat, an diese bestimmten Gemeinden 
- zu schreiben, ist die Liebe, die er eben nur von ihnen er- 
fahren hat. Es sind zunächst Dankschreiben. Dass dieselben 
nicht in leeren Formalitäten aufgehen, sondern den Gemein- 
den einen geistlichen Dienst leisten wollen, bringt sie nicht 
um den besonderen Character, welchen die Lage des Schreibers 
und der Leser erfordert. Vor den Häretikern zu warnen 
musste er um so mehr sich berufen fühlen, als er ihnen un- 
gesucht eben jetzt begegnet war und ihre Lehren wahrschein- 
lich von Haus aus genauer kannte, als diese Gemeinden, in 
welchen sie nun erst festen Fuss zu fassen suchten. Durch 
diesen Gegensatz sind aber alle lehrhaften Auseinandersetzungen 
in den Briefen und auch die das Gemeindeleben betreffenden 
Ermahnungen sichtlich hervorgerufen. Endlich hat es für 
Igmatius selbständigen Werth, die Bande christlicher Ge- 
meinschaft. welche sein Schicksal zwischen ihm und diesen 
Gemeinden geknüpft hat, zu befestigen und sich wie seine 
bedrängte Gemeinde ihrer Fürbitte zu empfehlen. An der 
oceasio scribendi, deren deutliche Hervorhebung die Magde- 
burger Centuriatoren ?) vermissten, hat es also dem Ignatius 
in Bezug auf diese vier Briefe jedenfalls nicht gefehlt. 

Ehe wir die weitere Reise verfolgen, scheint es nützlich, 
einen Blick auf die Lage des Ignatius während seiner Durch- 


1) So Dressel, p. 140, n. 4. Amndt (Handschrift) vergleicht 2Kor. 9, 7 
und übersetzt: „habe ich mich voller Freude entschlossen “. 

2) Centur. Magdeb. ed. Basil. 1560. Centur. secunda II, 165, 

Zahn, Ignstius, 18 


274 


reise durch die genannten Gemeinden zu werfen. Nur einmal 
hören -wir, dass er die ganze Reise an zelın Soldaten gebunden 
zu machen hat'); seiner Fesselung gedenkt er in allen 
Briefen 3. Durch eine Kette wird er an einen der Soldaten 
gefesselt gewesen sein 8), die sich in diesem lästigsten Stücke 
ihres Auftrags abgelöst haben mögen. Nur am Entlaufen 
oder an gewaltsamer Entführung und gewiss nicht an freier 
körperlicher Bewegung sollte er dadurch gehindert werden. 
In der That erfreut er sich mannigfacher Freiheit. Schon in 
Philadelphia ist es zwar nicht eine Gemeindeversammlung, 
in welcher er predigt *), aber doch ein grösserer Kreis von 
Christen, in welchem er frei sich aussprechen darf. In 
Sınyrna kann er einen sehr eingehenden Verkehr sowohl mit 
den Abgesandten der drei benachbarten Gemeinden als mit 
den Smyrnäern pflegen. Im Vergleich zu dauernder Lebens- 
gemeinschaft war es freilich nur eine flüchtige Berührung, 
aber durch diesen „nicht menschlichen, sondern geistlichen 
Verkehr‘ (Eph. 5) hat er doch einen sehr bestimmten Ein- 
druck von den einzelnen Persönlichkeiten und ihrem Ver- 
hältnis zu einander empfangen (Magn. 2. 3; Eph. 4). Ueber 
die Zustände der einzelnen Gemeinden muss er ausführliche 
Unterredungen mit ihren Vorstehern geführt haben; denn er 
behandelt sie durchaus verschieden und bewährt auch in dieser 
Hinsicht, was er den Ephesern schreibt: οἶδα τίς εἶμι, καὶ τίσιν 
γράφω (c. 12). Den Ephesern begegnet er mit besonderer 
Hochachtung, nicht bloss wegen ihrer geschichtlichen Stellung 
seit den Anfängen der dortigen Gemeinde (c. 8. 11. 12); 
er weiss durch ihren Bischof Onesimus, wie standhaft sie sich 


1) Rom. 5: γυχτὸς χαὶ ἡμέρας δεδεμένος δέχα λεοπάώρδοις, 6 ἐστι 
στρατιωτιχὸν τάγμα. Man kann kaum darüber entscheiden, ob mit Euseb 
und G2,, vielleicht auch Scur., Smoes., Al A2 ἐνδεδεμένος vorzuziehen 
ist. Das στρατιωτῶν in G! entbehrt jeder anderweitigen Bezeugung; denn 
orientalische Uebersetzungen kommen hiefür nicht in Betracht. 

2) Eph. 1. 8. 11. 21. Mgn. 1. 12. Tr. 1. 5. 10. 12. Rom. 1. 4. 
Phil. 5. 7. Sm. 4. 10. 11. ad Pol. 2. 

3) Οὗ, Joseph. ant. XVIL, 6, 7 und die Ausleger zu Actor. 28, 16. 

4) So Whiston, S. 77; Nirschl, S. 188, 


275 


dem Eindringen der Häresie kürzlich widersetzt haben (c. 9), 
wie trefflich überhaupt; der geordnete Stand ihres Gemeinde- 
lebens, wie ausnahmslos der christliche Lebenswandel der 
Einzelnen ist (e. 6). Daher entschuldigt er sich fast, wenn 
er ihnen gegenüber in ermahnenden oder lehrhaften Ton ver- 
fällt. Besonders häufig begleitet er hier Derartiges mit der 
Versicherung, dass die Leser ohnedies tbun, wozu er sie auf- 
fordert, und wissen, was er sie lehrt ').. In diesem Briefe 
liebt- er es besonders, in Form der Selbstaufforderung sich 
mit der Gemeinde zusammenzufassen (c. 5. 10. 11.15). Nur 
die Liebe lässt ihn nicht schweigen und hat ihn zu dem Ent- 
schluss gebracht, diese brieflichen Worte an sie als seine 
Mitschüler oder Mitjünger 3) zu richten, in dem vollen Be- 
wusstsein seiner geistlich gefahrvollen Lage und seiner per- 
sönlichen Unfertigkeit, wonach er eigentlich eher von ihnen 
für seinen bevorstelienden Kampf gestärkt 8) werden müsste. 


N 


1) c. 4 in.; c. 8 in. fin. In theoretischer Hinsicht ist trotz der an- 
gehängten Bedingung zu vergleichen das ὧν οὐδὲν λανϑάνει ὑμῶς 
c. 14. 

2) Eph.3. Wie man συνδιδασχαλίτης durch „condoctores ‘“, Mitlehrer 
(so z. B. Hilgf., S. 190; Nirschl, 8. 40; Dressel, p. 122, n. 3) oder gar 
durch Lehrer (so Hefele z. d. St. und wiederum Hilgf., S. 192. 222) über- 
setzen mag, ist schwer begreiflich. Der Genosse im Lehramt würde 
συγδιδίσκαλος sein, und ableitungsmässig (vgl. συνοδίτης und andere 
Beispiele bei Kühner, ausf. Gr. I, 711) bezeichnet συνδιδασκαλίτης den, 
mit welchem man den gleichen διδάσχαλος .(oder διδασκαλεῖον) hat. Der 
einzige gemeinsame διδάσχαλος ist, aber nach Eph. 15 Christus. 
Vgl. Pearson III, 35, auch Bunsen 11, 86 u. Uhlh., S. 32 f. 

3) Das ὑπαλειφϑῆναι (Eph. 3), statt dessen 1,1 ὑποληφϑῆναι las, 
deutet auf den Athleten, der vor dem Kampf mit Salbe sich selbst ein- 
reibt oder einreiben lässt, Pearson III, 35. Die übertragene Bedeutung 
„zum Kampf und jeder schweren Thätigkeit vorbereiten“ ist auch in 
christlicher Literatur häufig (Clem. Strom. II Pott. p. 436. 484; auch 
ἀλθέπτης Quis div., p. 958. Chrysostomus sagt gerade in Bezug auf 
Ignatius von den Gemeinden, durch die er reiste: ἤλειφον τὸν ἀϑλητή»). 
Uebrigens scheint Ignatius nach Eph. 17 ἀλείφεδιν geradezu im Sinne 
von „lehren“ zu nehmen und dadurch auf die dortigen Bilder gebracht 
zu sein. Ein unbewusster Einfluss des anklingenden syrischen Wortes 
dieser Bedeutung möchte nicht unwahrscheinlich sein. Uebrigens füllt 

18* | 


276 


Das Bild einer ganz andersartigen Gemeinde gewährt 
der Brief an die Trallianer. Vergleichsweise kühl redet 
Ignatius von dem ihm durch die Sendung des Bischofs Poly- 
bius bewiesenen frommen Wohlwollen (6. 1). Auch hier 
erkennt er zwar an, dass er von einer unter ihnen bereits 
vorhandenen Häresie nichts wisse (Ὁ. 8), und dass sie im 
richtigen Verhältnis zu ihrem Bischof stehen (c. 2); aber die 
Ermahnungen an die Diakonen, sich vor Anklagen zu hüten 
(c. 2), an die Presbyter, dem Bischof sein Amt leicht zu 
machen (c. 12), an Alle, sich vor Zänkereien unter einander 
und vor selbstverschuldeter Feindschaft der Heiden zu hüten 
᾿(6. 8, vgl. 6. 3) und dergleichen mehr bleiben ohne formellen 
Widerruf. Zufällig wird es auch nicht sein, dass Ignatius 
in diesem Brief die Sanftmuth des Bischofs rühmt (6. 3), 
sich selbst diese Tugend .als Waffe gegen die Anfechtungen des 
Teufels wünscht (c. 4) und den Trallianern eben diese em- 
pfiehlt (c. 8). Ein Zusammenhang besteht ferner offenbar 
zwischen den Bemerkungen über seine Vorsicht gegenüber 
Denen, welche ihn durch Lob aufgeblasen machen könnten 
(c. 4), und der Versicherung, dass die Leser vor den Irr- 
lebrern am sichersten geschützt sein werden, wenn sie nicht 
aufgeblasen seien (c. 7). Igmatius scheut sich nicht, die 
Trallianer geradezu als Kinder an Verständnis zu bezeichnen, 
welche an allzufester Speise, die er ihnen bieten könnte, er- 
sticken möchten (c. 5), und sowohl die Bitte, sein Wort in 
Liebe aufzunehmen, damit es nicht zu einem Zeugnis wider 
᾿ sie ausschlage (6. 12), als auch die pathetische Form des 
Grusses in der Ueberschrift zeigt, dass diese Gemeinde nach 
des Briefschreibers Urtheil vor allem zur Bescheidenheit an- 
gehalten werden muss. 

Diese und ‘andere Beobachtungen beweisen, dass Ignatius 
in Sınyrna ausser der nöthigen Zeit auch hinreichende Ruhe 
gehabt hat, um sich mit den Zuständen der Gemeinden be- 
kannt zu machen, deren Vertreter er persönlich kennen lernte. 


auf, dass der Doppelsinn der Worte ὀφϑαλμοὶ ὑπαληλιμμένοι λόγῳ 
Clem. paed. 11 Pott. p. 248 gleichfalls die Bedeutung „lehren“ fordert, 


277 


Es macht auch nicht den Eindruck von Mangel an Zeit oder 
Ruhe, wenn er die Kürze seines Briefs an die Magnesier mit 
seiner Kenntnis ihres reichen Lebens rechtfertigt (Mgn. 14), 
oder wenn er die Abfassung eines zweiten Briefs an die 
Epheser in Aussicht nimmt, worin er die am Schluss des 
einzigen, den er wirklich geschrieben hat, kaum, erst be- 
gonnene Darlegung der heilsgeschichtlichen Grundthatsachen 
gegenüber der Häresie fortsetzen wollte (c. 20). Abhand- 
lungen oder Bücher sind es freilich nicht, die er schreibt, 
und es ist unverzeihlich, wenn man das Wort βιβλίδιον an 
letzterer Stelle in diesem Sinn glaubt betonen zu dürfen '), 
obwohl längst erinnert worden ist, dass kleine wie grosse 
Briefe sehr gewöhnlich AfA heissen ?), und dass βιβλίδιον, 
welches die Deminutivbedeutung viel strenger festgehalten hat, 
jedes kleinste Schriftstück, auch ein einzelnes beschriebenes 
Blatt, bezeichnet 3). Dictirte Ignatius, wie bei seiner Lage 
anzunehmen ist, einem der Christen, die sich um ihn be- 
mühten, so wird Pearson (II, 139) nicht so unrichtig be- 
rechnen, dass er zur Abfassung mehrerer dieser Briefe nicht 
viel mehr als eine Stunde und auch zum längsten nicht mehr 
als drei gebrauchte. Bei der ausserordentlichen Verschieden- 
heit der im Stil sich widerspiegelnden Stimmung werden 
sich diese Stunden auf mehrere Tage vertheilt haben. Einen 
etwa zehntägigen Aufenthalt in Smyrna werden wir auf alle 
Fälle anzunehmen haben, um ausser dem Gesagten auch noch 
einen sehr eingehenden Verkehr mit den smyrnäischen Christen 
unterbringen zu können. Wenn er in den beiden von Troas 
aus dorthin gerichteten Briefen hier eine Frau sammt ihrem 
Hause mit ihrem eigenen Namen 4), dort eine andere nach 


1) So Hilgf., S. 217. 218; Lipsius I, 83. 92. 

2) Vgl. ausser Steph. Thes. z. B. Liban. epp. ed. Wolf, p. 638, 
not. 2, Wie wenig Worte den Inhalt eines βιβλίον ausmachen können, 
zeigt Lucian. Alex. 53. 

3) Ausser Plut. Cimon 12 (ed. Ruald. I, 486b) schon von Pears. 
U, 136 eitirt, muss man nur etwa Plut. Caesar 65 (I, 738e) lesen, wo 
sowohl die dem Cäsar unterwegs überreichten Bittschriften als das 
Warnungsbillet des Artemidorus βιβλίδια (letzteres auch βιβλίον) heissen. 
4) Sm. 13. Die Uebereinstimmung von A ΟΣ 1,3 — denn die un- 


278 


ihrem verstorbenen Mann nennt 1), hier einen einzelnen Mann, 
dort zwei ?2) und in beiden Briefen mit besonderer Herzlich- 
keit eine gewisse Alke 5) namentlich grüsst, während er die 
Gemeindevorsteher nur als solche grüssen lässt (Sm. 12); 
wenn er beide Male alle Gemeindeglieder einzeln gegrüsst 
haben will (ad Pol. 8. Sm. 13), so fordert diese weitgehende 
Personalkenntnis allein schon einen längeren Aufenthalt. Es 
fehlen uns alle Mittel, um anzugeben, was die militärische 
Begleitung zu einem solchen veranlasste, aber eben so sehr 
auch, um diese Voraussetzung der ignatianischen Briefe un- 
wahrscheinlich zu nennen. Sehr leicht dagegen erklärt sich 
die Situation des Ignatius aus allen ältesten Nachrichten über 
die Behandlung gefangener Christen. Schon die Reise des 


bedeutenden Verschreibungen einiger lateinischen Handschriften (8. Usslı. 
adnott., p. 53) kommen nicht in Betracht — fordert Γαυΐας statt Taovies 
in ΟἹ und Thaviae in 1,1 (cf. Pears. ΠῚ, 21). 

1) Ad Pol. 8. Da „ihr ganzes Haus und die Kinder“, nicht aber 
Epitropus selbst neben ihr gegrüsst werden, so wird schwerlich an die 
Frau eines noch Lebenden zu denken sein, er müsste denn allein von 
seiner ganzen Familie Heide geblieben sein. 

2) Attalus (ad Pol. 8), Daphnus und Euteknus (Sm. 18). Da τόν 
vor ἀσύγκριτον durch G1 G2 feststeht, so ist daraus nicht mit Smith 
(scholl., p. 66) nach Roın. 16, 14 ein neuer Name zu machen. Eher 
könnte man denken, eusexvov als zweites Attribut zu fassen wie I,2 mit 
seiner verkehrten Uebersetzung ;,‚et bonum filium ‘“. - 

8) Sm. 13; ad Pol. 8. An der Identität dieser Sinyrnäerin mit der 
im mart. Pol. 17 erwähnten ist kein Grund zu zweifeln. Wenn diese nicht 
Christin und zwar eine unter den Christen notable Persönlichkeit ge- 
wesen wäre, so wäre die Bezeichnung des Niketes als ihres Bruders in 
einem an auswärtige Christen gerichteten Berichte und zwar nicht etwa 
bei der ersten Erwähnung c. 8, sondern da, wo sein bissigster Hohn 
gegen den Christenglauben berichtet wird, ganz unverständlich. Ein 
chronologisches Hindernis existirt nicht, da Alke erstlich jünger als 
Polykarp und zweitens längst vor ihm gestorben sein kann. Niketes, 
dessen Sohn Herodes damals bereits das wichtige Amt eines Irenarchen 
- verwaltete (mart. 6. 8) muss schon deshalb um 166 ein alter Mann ge- 
wesen sein, wenn auch nicht so alt, dass er ohne weiteres mit dem 
schon unter Nerva einflussreichen smyrnäischen Rhetor Niketes identiflcirt 
werden dürfte (Philostr. vitae soph. I, 19; 21, 3. 5. Tae. dial. 15. 
Plin. epp. VI, 6, 3). οι 


279 


Paulus nach Rom zeigt, dass hier nicht überhaupt Unwalır- 
scheinliches vorausgesetzt wird; denn, wenn auch Paulus 
als römischer Bürger seinem Urtheil erst entgegensah, so 
war doch die Verantwortung der begleitenden Soldaten dort 
die gleiche wie ΠΟΥ ἢ. Aber auch alle Nachrichten über ἢ 
Behandlung zum Tode verurtheilter Christen aus dem 2. und 
3. Jahrhundert dürfen wie gleichzeitige verglichen werden, 
denn dass das Verfahren gegen dieselben im Laufe des 
2. Jahrhunderts sich gemildert haben sollte, ist ebenso unbe- 
zeugt als undenkbar. Daher ist die blosse Thatsache, dass die 
ignatianischen Briefe eine Situation voraussetzen, welche nicht 
etwa auf Grund gleichzeitiger Nachrichten, sondern vermöge 
blosser Verimuthung unwahrscheinlich befunden worden ist, ἡ 
ein ausreichender Beweis der Geschichtlichkeit dieser Situation, 
mögen die Briefe um 110, um: 140 oder um 170 geschrieben 
sein. Es kann sich nur um Erläuterung durch andere Bei- 
spiele handeln (vgl. Pears. II, 137 ff). Es "fehlt meines 
Wissens ein völlig Analoges, nämlich ein Bericht über die 
Behandlung verurtheilter Christen auf einem längeren Transporte, 
und es liegt auf der Hand, dass schon zum Behuf des Marsches 
dem Ignatius nöch mehr freie Bewegung gelassen werden 
musste, als eingekerkerten Christen. Somit wäre man be- 
rechtigt, alles in Bezug auf diese Bezeugte in gesteigertem 
Mass für unseren Fall in Angpruch zu nehmen; aber es ist 
nicht nöthig. Lucian erzählt in seiner Schrift über den Tod 
des Peregrinus (c. 12, vgl. 16), dass die Christen zuerst Alles 
daran gesetzt hätten, diesen Proteus, welcher als christlicher 
Gemeindevorsteher ins Gefängnis gerathen, daraus zu be- 
freien ἢ. Da dies unmöglich gewesen, hätten sie ihm alle 
Pflege angedeihen lassen; vom frühen Morgen an sei das 
Gefängnis von alten Weibern und Kindern belagert gewesen; 
durch Bestechung der Wärter hätten die Vorsteher es sich er- 
wirkt, mit ihm im Gefängnis übernachten zu dürfen. Was 


1) Act. 27, 3. 42; 28, 18, 14: 
2) Οὗ, const. app. IV, 9; V, 2. Eus.h. 6. VI, 40. Petr. Alex. in 
Lagarde, rell. jur. Gr., p. 70, 204 


280 


er weiter von „mannigfaltigen Speisen“ und „heiligen 
Worten“ dabei sagt, bedeutet ohne Frage eine in diesem 
Kreise veranstaltete Abendmahlsfeier (cf. Cypr. epp. 5, 2). 
Gemeinden wie einzelne Christen hielten es für eine selbst- 
verständliche Pflicht, deren Erfüllung gewöhnlich ohne alle 
Schwierigkeiten gewesen sein muss, den Märtyrern Speisen 
ins Gefängnis zu schicken !), ein Liebeswerk, dessen Ueber- 
treibung der Montanist den Katholiken vorwirft (Tert. de 
jej, 12). Die Verwandten der Perpetua und, zwei Diakonen 
haben freien Zutritt ins Gefängnis und erreichen durch eine 
Belohnung der Wächter, dass ihnen für einige Stunden ein . 
besseres Zimmer überlassen wird (Act. Perp. et Felic. 
3. 5. 16). Als alte Sitte erwähnt es Cyprian (epp. 15, 1), 
dass die Diakonen, welche Märtyrer im Gefängnis besuchen, 
sie auch mit geistlichem Rath und Schriftermahnung versehen, 
und erwartet ein Gleiches von den Presbytern; er warnt 
davor, in allzu grossen Haufen sich zum Besuch der ge- 
fangenen Confessoren zu drängen, ne ex hoc ipso invidia con- 
citetur et introeundi aditus denegetur (epp. 5, 2). Briefe 
werden an sie gerichtet ?) und von ihnen geschrieben, und 
zwar nicht bloss ungezählte libelli pacis®), sondern auch 
Sendschreiben in allgemeinen kirchlichen Angelegenheiten 4). 
Perpetua und Saturus haben im Gefängnis Berichte schreiben 
können, welche nicht viel kürzer als der längste Brief des 
Ignatius sind, und noch am Tage vor ihrem Tode schreibt 
Perpetua daran (c. 2. 10. 14). Gelehrte vollends wie Pam- 
philus von Cäsarea befassten sich, wie man unter anderem 
aus dem Cod. Sin. sehen kann, in gleicher Lage gelegentlich 
mit sehr trockenen gelehrten Arbeiten. Hat es also dem 
Ignatius nicht an Zeit gefehlt, so ist weder an seinem schrift- 
lichen noch an seinem mündlichen Verkehr mit den asiati- 
schen Christen in Smyrna irgend etwas Auffälligs. Die 


1) Tert. ad mart. 1. 2. Cypr. epp. 5, 1. Const. app. V, 1. 

2) Cypr. epp. 10. 15. 17, 3. Auch Tertullians Schrift an die 
Märtyrer wandert ins Gefängnis. 

3) Cypr. epp. 15, 4. 17, 1 ἢ. 18, 1. 19, 2. 20, 3. 

4) Eus. ἢ, e. V, 3, 4; VI, 11, 5. 


281 


heidnische Bevölkerung, welche übrigens damals dort die 
Christen in Ruhe liess, braucht wenig oder nichts von: ihm 
erfahren zu haben, und die Soldaten werden bald erkannt 
haben, dass gerade bei diesem Gefangenen, der seine Ketten 
Perlen nannte (Eph. 11), ein Fluchtversuch nicht zu fürchten 
si. Reichliche Bewirthung (cf. mart. Pol. 7) und Be- 
zahlung ἢ) der Soldaten von Seiten seiner Freunde wird so 
ziemlich Alles möglich gemacht haben, was er in der an- 
gegebenen Richtung wünschen konnte. Darauf wird es sich 
hauptsächlich beziehen, wenn er so oft der Erquickung in 
jeder, auch äusserer Hinsicht gedenkt, welche er den Ge- 
meinden oder Einzelnen verdankt ?). Auf ein directes Zeugnis 
hiefür wies schon Pearson II, 139 nachdrücklich und un- 
widerleglich ὅ) hin. Seinen Worten ist nichts hinzuzufügen: 
Hine recte intelligitur, quod de militibus, quos leopardos 
vocat, seribit: οὗ καὶ εὐεργετούμενοι χείρους γίνονται (Rom. 5); 
scilicet quo plus peruniae ἃ fidelibus acciperent pro relaxatione 
vexationum, eo acrius ex intervallo s. martyrem vexabant, 
quo majorem pecuniae vim extorquerent et Christianos co- 
piosius emungerent. | 
Die Aufgabe, die Soldaten bei guter Laune zu er- 
halten und die Lage des Märtyrers nach Kräften zu er- 
leichten, war der Grund, weshalb die Epheser ihren 
Diakonus Burrhus ihm zur Begleitung bis Troas mitgaben, 
und wenn die Smyrnäer sich an dieser Sendung mit betheiligt 
haben sollen (Sm. 12; Phil. 11), so ist das nicht anders zu 
denken, als dass sie auch ihre Beisteuer zur Unterstützung 
des Ignatius dem Epheser einhändigten. Da in Troas Philon 
und Agathopus zu ihm stiessen, um ihm von da an gleiche 


.-— - —_- 


1) Was bei Lucian ein diapdelgew τοὺς δεσμοφιίλαχας heisst, ist 
const. app. V, 1 μισϑαποδοσία τῶν στρατιωτῶν und Act. Perp. et Fel., 
c. 16 constituere praemio. 

2) Trall. 12: οὗ κατὰ πάντα us ἀνέπαυσαν σαρχέ TE καὶ πνεύματι, 
Eph. 2; Mgn. 15; Sm. 9. 1. 

3) Einer Widerlegung bedarf es jedenfalls nicht, wenn noch Cureton 
p. 323 die sehr greifbaren Wohlthaten (Rom. 5) in christliche Er- 
mahnungen und Bekehrungsversuche verwandelt. 


282 


Dienste zu leisten, so kann Burrhus zurückkehren; und es 
wäre sonderbar gewesen, wenn Ignatius diese Gelegenheit 
nicht benutzt hätte, schnell und sicher an die Smyrnäer ein 
Dankschreiben ähnlicher Art gelangen zu lassen wie die 
früheren, zumal ihre Liebe ihn sehr fühlbar begleitet (Sm. 9) 
und in der freundlichen Aufnahme der beiden nachreisenden 
Freunde sich aufs Neue bethätigt hat (Sm. 10). Aehnlich 
veranlasst war der gleichzeitig abgehende Brief an die Phila- 
delphener. War der dortige Aufenthalt sowohl des Ignatius 
als seiner Freunde nicht so ungetrübt und jedenfalls kürzer 
wie der in Smyrna, so mussten dagegen die neuen Nach- 
richten über die inzwischen zum Ausbruch gekommene schis- 
matische Bewegung in Philadelphia ihn um so mehr zum 
Schreiben drängen, als seine persönliche Haltung jener Be- 
wegung gegenüber dem Misverständnisse ausgesetzt war. Dass 
der Brief an Polykarp nicht gleichzeitig mit diesen beiden 
geschrieben ist, ist dadurch angedeutet, dass Burrhus hier nicht 
als Ueberbringer genannt wird, wäre aber von vornherein auch 
schon deshalb gewiss, weil kein Grund zu einer Trennung der 
Briefe an Bischof und Gemeinde zu Smyrna zu denken wäre. . 
Auch der an den Bischof gerichtete enthält nichts in dem 
Sinne Persönliches, dass es der Kenntnis der Gemeinde ent- 
zogen werden müsste. Ignatius scheint sogar Mittheilung an 
die Gemeinde vorauszusetzen, denn unvermerkt geht er von 
Anweisungen für den Bischof (0. 1—5 init.) zu Regeln für 
das Gemeindeleben (c. 5 fin.) und dann geradezu in er- 
mahnende Anrede der Gemeinde über (c. 6). Daher markirt 
er die Rückkehr zur Anrede des Adressaten durch Nennung 
des Namens (c. 7); aber auch nachher noch wechseln Anrede 
des Bischofs und der Gemeinde in einer Weise, welche nur dann 
natürlich erscheint, wenn der Brief der Gemeindeversammlung 
mitgetheilt werden sollte. Deutlich wird die spätere Absendung 
dieses Briefs am Schluss. Während wir aus Phil. 11; Sm. 12 
nur erfahren, dass Ignatius sich in Troas befindet, mit den 
dortigen Christen verkehrt und Zeit hat, Briefe zu schreiben, 
motivirt er seinen Auftrag an Polykarp, an gewisse Ge- 
meinden statt seiner zu schreiben, damit, dass er wegen der 


289 


plötzlich befohlenen Abfahrt von Troas nach Neapolis nicht 
allen Gemeinden schreiben könne !). Er ist noch nicht dahin 
abgefahren ?);, denn die präsentischen Formen προστάσσει und 
πλεῖν weisen auf einen nun erst auszuführenden Befehl; und 
da οὐκ ἠδυνήϑην nach bekanntem Briefstil sein gegenwärtiges 
Unvermögen bezeichnet, so müsste er, wenn er bereits in 
Neapolis wäre, vielmehr angeben, was ihn dort daran hindere. 
Also unmittelbar vor der plötzlich angeordneten Abreise 
schreibt er an Polykarp. Unter dem ‘Willen, der dies an- 
ordnet, ist jedenfalls nicht nach Eph. 20; Sm. 11 der gött- 
liche zu verstehen, der den Soldaten nichts befiehlt; und da 
als Empfänger des Befehls nicht der unfreie Ignatius, sondern 
die Soldaten zu verstehen sind, so kann auch nicht deren 
Entschluss, etwa eine Fahrgelegenheit zur Abkürzung des 
Weges zu benutzen, verstanden werden, sondern nur ein 
höherer Befehl, den sie abzuwarten hatten. Es wäre leicht, 
aber auch nutzlos, irgend einen der vielen möglichen Fälle 
zu ersinnen; Jeder bemerkt, dass wir hier wirkliche Ver- 
hältnisse unter den Füssen haben, welche der fernstellende 
Leser nur sehr unvollständig erkennen kann. Der eigentliche 
Anlass dieses Briefs liegt offenbar darin, dass sich Ignatius 
durch den plötzlichen Aufbruch von Troas wider Erwarten 
gehindert sieht, noch einer Reihe anderer Gemeinden als 
denen zu Smyrna und Philadelphia die Sendung von Boten 
oder Briefen nach Antiochien zu empfehlen, und darum Poly- 
karp bittet, statt seiner dieselben dazu aufzufordern. Das πάσωις 
ταῖς ἐκκλησίαις ?) ist natürlich irgendwie näher bestimmt zu 
denken. Am nächsten liegt der Gedanke an Tralles, Mag- 
nesia und Ephesus; der letzteren Gemeinde war ohnedies 
noch ein Brief zugedacht (vgl. Eph. 20). Aber dieselben 
Gründe walteten ob bei allen asiatischen Gemeinden, die er 


1) ad Pol. 8: ἐπεὶ πάσαις ταῖς ἐχχλησίαις οὐκ ndurndnv γράψαι 
διὰ τὸ ἐξαίφνης πλεῖν ue ano Τρωάδος εἰς Νεάπολιν, ὡς τὸ ϑέλημα 
προστάσσει, γράψεις ταῖς ἔμπροσϑεν ἐχκλησίαις x. τι A. 

2) So Lipsius I, 86; vgl. jedoch II, 14. 

3) Vgl. Rom. 4 und dazu oben S, 229, 


284 


berührt und mit der Lage seiner Gemeinde bekannt gemacht 
hat. Leider scheint das ταῖς ἔμπροσϑεν ἐκκλησίωις keine deut- 
liche Anweisung zu geben. Die temporelle Fassung von 
ἔμπροσθεν ergäbe immer nur den Unsinn „die früheren 
Gemeinden“ und natürlich nicht, wie Lipsius II, 13 will, 
den Sinn „alle Gemeinden, an welche Ignatius früher ge- 
schrieben hat“. Mit Uhlhorn (ΒΘ. 31) an die östlich von 
Smyrna gelegenen und somit an semitischen Sprachgebrauch 
zu denken, eınpfiehlt: sich nicht, weil zwar den Hebräern 
op Osten und vorne zugleich bedeutet !), nicht aber den 
Syrern, auf die es hier ankäme, und gerade das südlich von 
Smyrna gelegene Ephesus wäre ausgeschlossen. „In der 
Nähe‘ heisst ἔμπροσϑεν vollends nicht, es können also auch 
nicht die dem Polykarp gleichsam vor dem Gesicht liegenden, 
‘ mit Smyrna verbundenen kleineren Gemeinden gemeint sein 3), 
von deren Existenz wir nichts wissen, und an welche Briefe 
zu schicken ein unerhörter Luxus gewesen wäre, wenn Poly- 
karp ihr Bischof war. Es bleibt nur die gewöhnliche örtliche 
Bedeutung übrig, welche schon Pearson Ill, 33 vertrat und 
richtig anwandte. Nur hätte er durch einen terminus a quo 
und einen terminus ad quem die Richtung angeben sollen, in 
welcher die betreffenden Städte weiter vorwärts liegen. 
Ignatius, der von Troas aus‘ nach Smyrna schreibt und von 
- Briefen und Gesandten für Antiochia redet, macht in Ge- 
. danken den Weg über Smyrna dorthin und denkt, dass der 
in. Smyrna sitzende Leser ihn mitmacht. Auf diesem Wege 
liegen von Smyına aus weiter vorwärts 2. B. Ephesus, Tralles 
und Magnesia ὃ). 


1) Vgl. für den späteren Sprachgebrauch Levy, lex. chald. 11, 345. 

2) So Hilgf., S. 206, Anm. 26. 

3) So verstanden vergleicht sich diese Stelle allerdings mit Herodot 
VII, 126; nur darf man nicht wie .Uhlh. S. 31 von einem Sprach- 
gebrauch der classischen Gräcität reden, nach welchem ἡ ἔμπροσθεν 
Evewnn für irgendeinen Leser ein an sich verständlicher Ausdruck 
gewesen wäre, und nach welchem hier die Gemeinden des vorderen, d. h. 
westlichen Kleinasiens genannt sein könnten. Nur weil der Standpunct 
des Darstellers und die Richtung seines Blickes durch die übrigen Orts- 


285 


Der Gedanke, den Polykarp ausführen helfen soll, ist 
durch die Meldung des Agathopus angeregt, dass die zunächst 
bei Antiochia gelegenen Gemeinden theils Bischöfe, theils 
Presbyter und Diakonen zur Beglückwünschung der An- 
tiochener wegen des Aufhörens der Verfolgung dorthin ge- 
schickt haben. Ignatius greift ihn mit demselben Eifer auf, 
der alle seine Rathschläge auszeichnet. Den Segen persön- 
licher Gemeinschaft schätzt er überaus hoch, und an der 
Aufnahme von Seiten der Kleinasiaten wird er es gemerkt 
haben, welchen Werth auch diese darauf legten, einen fremden 
Bischof und Märtyrer kennen zu lernen. Seine Sehnsucht, nach 
Rom zu kommen, ist wesentlich auch ein Verlangen, die 
dortige Gemeinde zu sehn (Rom. 1); und keine Gelegenheit 
lässt er vorübergehn, alle Christen für seine heimatliche Ge- 
meinde zu interessiren (Eph. 21; Mgn. 14; Trall. 13; Rom. 
9. 10). Es ist der Gedanke der allgemeinen Kirche (Sm. 8), 
welchem er durch Steigerung des persönlich vermittelten 
Verkehrs der zerstreuten Gemeinden grössere Lebendigkeit zu 
geben versucht. So lange die Verfolgung andauerte, wäre 
eine Sendung von Abgesandten anderer Gemeinden zwecklos 
gewesen. Eine in ihrer Existenz bedrohte Gemeinde hätte 
keine Widerstandskraft daraus schöpfen können, und die 
fremden Ankömmlinge hätten die Lage der Antiochener nur 
verschlimmern können. Jetzt aber muss es erhebend für sie 
sein, wenn sie, die allein gelitten haben, erfahren, dass der 
Dank für ihre: Errettung eine allgemeine Sache der Kirche 
ist, doppelt erfreulich, wenn sie darin ein Lebens- und 
Liebeszeichen des bis zum Tode um sie besorgten Bischofs 
erkennen. Einen andern Zweck der Sendung nennt Ignatius 
an keiner Stelle, als die Vereinigung der asiatischen Abge- 
sandten mit der antiochenischen Gemeinde zu gottesdienst- 
licher - Dankfeier ). Wie ihm die Wiederherstellung des 


angaben bezeichnet ist, ist er zu verstehen, und zwar so, dass er den 
östlich vom Nestus gelegenen Theil Europas meint. Vgl. Abicht 
Ζ, ἃ, St. 

1) Am einfachsten Phil. 10: εἰς τὸ συγχαρῆναι αὐτοῖς ἐπὶ τὸ αὐτὸ 
γενομένοις καὶ δοξιίσαι τὸ ὄνομα. 


286 


Friedens in Antiochia als Erhörung des Gebets der asiatischen 
Christen gilt, so erscheint ihm diese Beglückwänschung als 
Vollendung des damit begonnenen Werkes (vgl. besonders 
Sm. 11), als ein würdiges zur Ehre Gottes und zur Ver- 
herrlichung der christlichen Bruderliebe gereichendes gutes 
Werk. Dass die Zumuthung vom gewöhnlichen Wege ein 
wenig abliege, verbirgt er in keinem der drei Briefe; aber 
nur um so eifriger betont er, wie schön und wie möglich 
die Sache sei. Die Philadelphener fordert er nur auf, einen 
Diakonus hinzusenden. Die Gemeinde von Smyrna soll in 
einer eigens dazu berufenen Gemeindeversammlung einen 
ihr besonders werthen und eifrigen Mann dazu erwählen und 
ihm überdies einen Brief mitgeben (ad Pol. 7 sq.; Sm. 11). 
Es versteht, sich von selbst, dass Ignatius nicht einen von 
ihm verfassten Brief an die Antiochener diesem Boten mit- 
gegeben haben will, wenn er unter Anderem sagt: ἐφάνη μοι 
οὖν ἀξιον πρᾶγμα πέμψαι τινὰ τῶν ὑμετέρων μετ᾽ ἐπιστολῆς 
(Sm. 11). Sind es ohne alle Frage nach Allem, was voran- 
geht und nachfolgt, die Smyraäer oder ihr Bischof !), welche 
den Boten absenden, so muss auch „ein Brief“, den dieser 
mitnehmen soll, ein zu dem Einde von den Smyrnäern abzu- 
fassender sein. So setzt Ignatins ja auch voraus, dass die- 
jenigen Gemeinden, welche keine Boten senden können, 
wenigstens Briefe dem Boten der Smyrnäer mitgeben wer- 
den . Die Wichtigkeit, welche Ignatius der Sache beilegt, 
zeigt sich besonders auch in den Benennungen dieses Boten 
wie seiner Sendung. Diese ist ihm ϑεοῦ πρεσβεία (Phil. 10) 
und glücklich der ϑεοπρεσβύτης (Sm. 11) und ϑεοδρόμος 3) 


1) ad Pol. 8; Pol. ad Phil. 18, 

2) ad Pol. 8: διὼ "τῶν ὑπό σου πεμπομένων. Da vorher c. 7 und 
nachher c. 8 fin. (cf. Sm. 11; Pol. ad Phil. 13) immer nur von Einem 
Boten die Rede ist, so wird der hiesige Plural ein Plural der Gattung 
sein; vgl. Matth. 2, 20 oder Ign. ad Her. 4. 

3) Diese Bezeichnung der Christen überhaupt Phil 2 als solcher, 
welche Eile haben, das vorgesteckte Ziel zu erreichen (cf. ad Pol. 1), 
ist hier wohl mit Anspielung auf die ἡμεροδρόμοι, die berufsmässigen 
Eilboten, gewählt. Vgl. Stephan in Raumer’s Histor. Taschenb. 1868, 
δ, 80 ff. 


281 


(ad Pol. 7), der damit betraut wird! Er bekommt einen 
eigenen Gruss und Segenswunsch, ehe er noch ernannt ist 
(ad Pol. 8). Durch alle diese Mittel bat Ignatius die - Sache 
80 wichtig zu machen gewusst, dass Polykarp daran denkt, 
wo möglich selbst nach Antiochia zu reisen (Pol. 13). Daher 
kann es auch nicht auffallen, dass Ignatius noch andere 
asiatische Gemeinden zur Betheiligung auffordern wollte, und 
dass er nun, da ihn der plötzliche Aufbruch von Troas daran 
hindert, Polykarp bittet, dies statt seiner zu thun. Das ist 
der eigentliche Anlass seines Briefs an diesen. Eine ge- 
wisse Indolenz des Bischofs von Smyrna, ohne welche er 
schwerlich sein Alter erreicht haben würde, ist die Voraus- 
aussetzung des Tones, in welchem Ignatius an ihn schreibt, 
und zwar nicht bloss an den Stellen, welche die Gesandt- 
schaften betreffen. Allerdings haben wir nur diesen Brief 
des Ignatius an einen jüngeren Amitsgenossen; aber in allen 
Ermahnungen, welche den grösseren Theil des Briefs aus- 
machen, spricht sich das Urtheil aus, dass Polykarp grössere 
Energie zeigen müsste. Eine gewisse Neigung, mit dem Er- 
reichten oder doch leicht Erreichbaren sich zu begnügen, von 
der Bedeutung seiner Person und Stellung gering zu denken 
und sich gelegentlich durch trotziges Auftreten Widerstreben- 
der einschüchtern zu lassen, muss dem so ganz anders ge- 
arteten Ignatius Bedenken eingeflösst haben, ein Eindruck, 
welchem er jetzt unbefangener, als da er ihn empfing, Aus- 
druck geben konnte. Um so natürlicher war es dann, dass er 
sich mit der geschäftlichen Sache nicht begnügte. 

Nur einige Wochen, höchstens wenige Monate nach diesem 
letzten uns erhaltenen Briefe des Ignatius hat Polykarp an die 
Philipper geschrieben. Die so dringend empfohlene und nach 
Jahresfrist schon sinnlose Sendung nach Antiochien ist noch nicht 
ins Werk gesetzt, und kürzlich erst ist Ignatius durch Philippi 
gereist, wohin ihn die via Egnatia von Neapolis aus führte 1). 
Polykarp beantwortet hiermit ein Schreiben der Philipper an 
ihn, welches sofort nach der Durchreise des Ignatius abge- 


1) Οἵ, Tafel, de via milit. Rom. Egnatia II, 10 £f. 


288 


gangen sein muss; denn in der Erwartung, mit dieser Bitte 
noch nicht zu spät zu kommen, haben sie dem Polykarp ein 
Glückwunschschreiben an die Antiochener mit der Bitte zu- 
gehen lassen, es dem smyrnäischen Abgesandten mitzugeben. 
Sie werden sich beeilt haben, den durch Ignatius auch bei 
ihnen angeregten Gedanken auszuführen. Noch bestimmter 
würde dies sich ergeben, wenn der betreffenden Stelle sicher 
zu entnehmen wäre 1), dass Ignatius von Philippi aus einen 
zweiten Brief an Polykarp gerichtet hätte, worin er ihm den 
nach Antiochien bestimmten Brief der Philipper zur Weiter- 
beförderung empfahl. Unmöglich ist es jedenfalls, diese Be- 
merkung direct auf den uns erhaltenen Brief an Polykarp 
(ὁ. 8) zu beziehen ?). Denn mag man jenes dunkle ἔμπροσϑεν 
deuten, wie man will, jedenfalls konnte weder Ignatius noch 
Polykarp dabei an die Gemeinde zu Philippi denken, welche 
Ignatius viel eher zu sehen bekam, als ein Brief von Smyrna 
δ dorthin gelangen konnte (cf. Uss., diss., p. 10 sq.). Es 
bedarf kaum noch der Beobachtung, dass im Briefe Polykarps 
keine Andeutung davon vorhanden ist, dass er jenes früheren 
Auftrags sich dieser Gemeinde gegenüber entledigt habe, also 
zum zweiten Male dorthin schreibe. Nur zeugmatisch hätte 
Polykarp jenen zunächst die Philipper nicht mit umfassenden 
Auftrag mit der Bitte der Philipper in diesen Satz zu- 
sammenfassen können. Ein Widerspruch mit den uns 
erhaltenen Briefen wäre das immerhin nicht; aber es ist 
auch nicht abzusehen, warum Ignatius, wenn er in Philippi, 
wie aus Polykarps Briefe unzweideutig hervorgeht, einen 
Aufenthalt gehabt und mit den dortigen Christen verkehrt 
hat, die Gelegenheit nicht benutzt haben sollte, einige Zeilen 
an Polykarp zu schreiben, welche der Ueberbringer der beiden 
Briefe der Philipper an Polykarp und die Antiochener bald 


— - om — 0 


1) ὁ. 13 (griechisch bei Eus. ἢ, 6. III, 36, 14): ἐγρώψατέ μοι χαὶ 
ὑμεῖς xai Ἰγνίτιος, ἵνα, ἐών τις ἀπέρχηται εἰς Συρίαν, χαὶ Tu παρ᾽ 
ὑμῶν ἀποχομίσῃ γράμματα. 

2) So z. Β. Vedelius, apol. pro Ign., c. 4. Voss., p. 265. Düsterd., 
p. 44sqq. Uhlhorn, ὃ. 12ff. u. A. 


289 


darauf nach Smyrna mitnahm. Dass dieses βϑιβλίδιον nicht 
erhalten ist, wird man doch nicht verwunderlicher finden, als 
dass mehr als Ein Brief des Paulus und alle des Polykarp 
bis auf diesen einen !) verloren gingen. Jedenfalls der ersten 
Sammlung, die zunächst für Philippi bestimmt war, konnte 
es nicht einverleibt werden, und warum sollte es mehr ent- 
. halten haben als einen Gruss, eine kurze Nachricht über die 
Aufnnhme in Philippi und eine nochmalige, diesmal die 
Philipper mit einschliessende Bitte, die von Troas aus aus- 
führlich erörterte Angelegenheit in die Hand zu nehmen? 
Ist also gegen diese literae privatae (Uss., diss., p. 8) kein ge- 
schichtliches Bedenken zu erheben, so wird auch der Brief 
der Philipper an Polykarp spätestens unmittelbar nach der 
Abreise des Ignatius und gleichzeitig mit dessen Billet nach 
Smyroa abgegangen sein. Recht bald muss dann Polykarps 
Antwort gefolgt sein. Einen unangemessen grossen Zwi- 
schenraum würde man gewinnen, wenn man annehmen müsste, 
Polykarp habe schon eine Nachricht über den Tod des Igna- 
tius 'empfangen ?). Er setzt denselben voraus; aber das konnte 
er, da das in Antiochien gefällte Urtheil ein endgültiges und 
die letzte Möglichkeit einer Aenderung desselben durch den 
Brief an die Römer abgeschnitten war. Vielleicht war auch 
der Tag der Festspiele, für welche Ignatius bestimmt war, 
und damit der späteste Termin, bis zu welchem ‘die Soldaten 
sich in Rom zu stellen hatten, bekannt (cf. m. colb., c. 6). 


1) Iren. ep. ad Flor., Eus. h. c. V, 20, 8. 

2) Die Länge der via-Egn. von Philippi bis Dyrrhachium betrug 
etwas über 70 geographische Meilen, von Brundisiun bis Rom eben- 
soviel. Diese etwa 150 Meilen oder, wenn man den weiteren der beiden 
in Brundisium sich abzweigenden Wege wählte (Strabo VI, 3, 7), wenig 
längere Landreise würde sich nach gewöhnlicher Rechnung (vgl. Stephan 
8, 8, Ο., S. 81) auf nicht ganz 40 Tagemärsche vertheilen. Mehr als 
zwei Monate brauchten also jedenfalls seit des Ignatius Abreise von 
Philippi nicht verstrichen zu sein, als Polykarp so schrieb; aber minde- 
stens drei Monate müssten dazwischen liegen, wenn bereits eine Nach- 
richt über den Tod des Ignatius in Sınyrna angelangt wäre, ehe 
Polykarp schrieb. 

Zahn, Ignatius, 19 


290 


Eine zuverlässige Nachricht über das Schicksal des Ignatius 
hat er noch nicht, denn er bittet ὁ. 13: Et de ipso Ignatio 
et de his qui cum eo sunt quod certius agnoveritis significate. 
Dass aus dem sunt der lateinischen Uebersetzung nicht etwa 
im Widerspruch mit c. 9 sich ergebe, dass Ignatius und seine 
Gefährten noch am Leben sind, wie noch Schwegler II, 154, 
Baur II, 129 und, da Dall. p. 427 sq. es bemerkt hatte, 
selbstverständlich auch Bunsen II, 108 fi. behaupten, hatte 
schon Pearson 11, 72 durch seine BRückübersetzung ins 
Griechische gezeigt: x«i περὶ Ἰγνατίου καὶ περὶ τῶν μετ᾽ 
αὐτοῦ ἢ. Auch ein Gegensatz zu einer unvollständigen Nach- 
richt, die Polykarp bereits empfangen ?), kann hierin nicht 
liegen, denn certius heisst eben nicht ausführlicher, sondern 
zuverlässiger. Ebenso wenig aber kann auch der Comparativ 
zu einer bereits eingetroffenen, aber .unglaubwürdigen Nach- 
richt den Gegensatz bilden, denn gerade dann würde Polykarp 
nicht so bestimmt vom Tode des Ignatius reden, sondern im 
Gegensatz zu unbestimmten Gerüchten, wie sie brieflichen 
Nachrichten voranzueilen pflegen (vgl. Stephan a. a. O,, 
S.. 61 ff.), in diesem Fall aber werthlos sein würden, bittet 
Polykarp nur um Mittheilung jeder einigermassen zuverlässigen 
Nachricht, welche die Philipper bekommen könnten. 

Nach dieser Stelle allein würde man - unter den Ge- 
fährten des Ignatius, von deren Schicksal Polykarp gleichfalls 
unterrichtet sein will, nur Philon und Agathopus verstehen 
können; und wenn wir aus c. 1 sehen, dass Ignatius nicht 
der einzige Christ in Ketten gewesen ist, den die Philipper 
kürzlich liebevoll aufgenommen haben, so würden wir, anstatt 
einen Widerspruch mit den übrigen Briefen hierin zu finden, 
aus welchen wir wissen, dass Burrhus an der Rückkehr von 
Troas nicht gehindert war, und dass Philon und Agathopus 
wenigstens nicht gleich bei ihrer Ankunft in Troas gefesselt 
worden sind, daraus vielmehr erfahren, dass diese beiden, sei 


1) Besser: χαὶ περὶ αὐτοῦ τοῦ Ἰγνατίου χαὶ πδρὶ τῶν μετ᾽ αὐτοῦ 
.(vgl. Ritschl, S. 586) oder σιὶν αὐτῷ. 
2) So Jakobson z. d. St. Aehnlich Ritschl, S. 586. 


291 


es in Troas oder in Neapolis, aus irgend welchem Grunde 
gefesselt worden seien, was Polykarp ebenso wie alles Andere, 
was wir durch ihn erfahren, aus dem Briefe der Philipper 
erfahren haben konnte. Jedenfalls wäre es unnatürlich ge- 
redet, wenn Polykarp unter den „Nachbildern der wahr- 
haftigen Liebe“, unter den „mit den Ketten, welche Heiligen 
wobl anstehen, Gefesselten“, welche die Philipper aufge- 
nommen und weiter geleitet haben, den Einen Ignatius ver- 
stünde; und sonderbar wäre der Ausdruck auch, wenn nur 
das erste Prädicat auf alle drei, das zweite auf Ignatius 
allein passte. Unmöglich ist es ferner, den Satz auf ver- 
schiedene zeitlich weit auseinander liegende Fälle zu be- 
ziehen !); denn die das ganze Capitel beherrschenden An- 
fangsworte συνεχάρην ὑμῖν μεγάλως weisen auf ein kürzlich 
stattgehabtes Ereignis hin, ganz so wie das λίαν συνελυπήϑην 
περὶ Οὐάλεντος ὁ. 11. Freude und Betrübnis, welche der 
Gehalt des Schreibens der Philipper ihm verursacht hat, ist 
hier und dort ausgedrückt. Aber auf die uns bisher bekannt 
gewordenen Begleiter des Ignatius werden die Worte trotz- 
dem nicht bezogen sein sollen; denn wo'einer zuerst nament- 
lich gedacht wird, werden neben ihm zwei Andere genannt 3). 
Schon die Zusammenfassung von Zosimus und Rufus mit. 
Ignatius unter einen einzigen Artikel macht es unzweifelhaft, 
dass eben diese mit ihm zusammen durch Philippi gekommen 
sind. Als eine Kruppe für sich werden diese drei von 


1) So Hilgenf., S. 207 ἢ, besonders Anm. 29. 

2) 6. 9: παρακαλῶ οὖν πάντας ὑμᾶς... ἀσκεῖν πᾶσαν ὑπομονὴν, 
iv καὶ εἴδετε χατ᾽ ὀφϑαλμοὺς οὐ μόνον ἐν τοῖς μοχαρίοις Ἰγνατίῳ καὶ 
Ζωσίμῳ καὶ Ῥούφῳ, ἀλλὰ καὶ ἐν ἄλλοις τοῖς ἐξ ὑμῶν xa ἐν αὐτῷ 
Παύλῳ χαὶ τοῖς λοιποῖς ἀποστόλοις, πεπεισμένους ὅτι x. τ. A, 80- 
wohl bei Euseb, welchen Dressel ohne weiteres fürs Gegentheil ver- 
wendet, als hier ist ὑμῶν überwiegend bezeugt. Bei ἡμῶν könnte nur 
an Smyrnäer gedacht werden, denn „die zu uns Christen Gehören- 
den“ können nicht von den Vorhergenannten unterschieden werden. 
Vollends unmöglich ist es, von diesem ἡμῶν ein kaum bezeugten neneı- 
σμένων abhängen zu lassen. Dieser Genitiv ist ehensolche Schreiber- 
weisheit als der Dativ in cod. b. 

19* 


292 


anderen Beispielen todesfreudiger Geduld und zwar zunächst 
von Angehörigen der philippischen Gemeinde unterschieden. 
Schon durch diese Beobachtung hätte man sich abhalten 
lassen sollen, aus späten martyrologischen Nachrichten und 
‘ vollends aus dem „martyrologium Romanum“ seine Kenntnis 
dieser Personen zu bereichern '). Bei Ado ist noch deutlich 
genug zu sehn, dass diese Heiligen ihre späte Canonisirung 
ebenso dem Briefe Polykarps verdanken, wie Onesimus dem 
Epheserbrief des Ignatius?). Sie wurden daher ebenso wie 
dieser in nächster Nähe des Ignatius im Kalender unterge- 
bracht und zu Märtyrern in Philippi gemacht, weil sie in 
einem Brief an die Philipper vorkommen; und weil Rufins 
Uebersetzung des Eusebius, welche Ado hier abschrieb, die 
im griechischen Text deutliche Unterscheidung von den 
Philippern verwischt hat. Wir sind, wie das bei wirklichen 
Briefen aus einer uns fremden Zeit so oft der Fall ist, durch- 
aus auf Vermuthung angewiesen, während ein künstlich 
diehtender Literat oder ein Interpolator, der einen gegebenen 
Faden weiter zu spinnen hatte, sich‘ wohl gehütet haben 
würde, von Philon und Agathopus zu schweigen und statt 
ihrer zwei völlig unbekannte Persönlichkeiten als Leidens- 
gefährten des Ignatius einzuführen. Es könnten bithynische 
Christen sein ?), welche in Philippi oder Neapolis der Be- 
gleitung des Ignatius zum Weitertransport nach Rom über- 
geben wurden. Möglich auch, dass der höhere Befehl, welcher 
die schleunige Abfahrt von Troas veranlasste, dies Zusammen- 
treffen anordnete, oder dass die 10 Soldaten schon in Troas 


1) So noch Hilgf., S. 208 zugleich mit dem Irrthum, als ob ein ‚, Phi- 
lippis “ in diesen Schriftstücken auf eine zu irgend welcher Zeit in Philippi 
übliche Feier der betreffenden Heiligen hinwiese. 

2) Ado lib. de festiv. p. XIL,VI zu XV Kal. Jan. cf. das Martyrolog 
desselben II, 628. Ueber Onesimus zu XIV Kal. Jan. im lib. de festiv. 
p. XLIV. 

3) Οὐ Plin. ep. ad Traj. 96 (al. 97), $ 4: fuerunt alii similis amen- 
tiae, quos, quia cives Romani erant, adnotavi in urbem remitten- 
dos. Er wartet also schickliche Gelegenheit ab, wie sie ihm z. B. der 
Transport des Ignatius bot. 


298 


auf diesen Zuwachs der Reisegesellschaft gewartet hatten. 
Die Philipper haben diese drei Christen eine Strecke weit ge- 
leitet oder wie vorher die Epheser und Smyrnäer durch Einen 
der Ihrigen geleiten lassen (Pol. 1). Schon dieser konnte 
dann, wenn er etwa bis Dyrrhachium mitging, zuverlässige 
Nachrichten über des Ignatius weiteres Ergehn nach Philippi 
zurückzubringen, welche auch für Polykarp von Interesse waren 
(vgl. Denz. S. 81). Uns ist keine aufbewahrt, und wir 
können nur als selbstverständlich annehmen, dass Ignatius 
auf dem schon bezeichneten Weg über Dyrrhachium (Epidam- 
nus) oder Apollonia nach Brundisium und Rom gelangte. 
Dass er das Ziel seiner Sehnsucht wirklich erreicht hat, be- 
zeugt ausreichend die einhellige Ueberlieferung von seinem 
Martyrium in Rom (vgl. oben 8. 61ff.). | 
Nur noch über das Schicksal seiner Briefe verdanken 
wir dem Brief Polykarps eine Nachricht 1), die schon vor-. 
läufig benutzt wurde (vgl. oben S. 115 £.).. Die Philipper haben 
‘um Mittheilung von Briefen des Ignatius gebeten, und zwar, 
wie es scheint, zunächst der nach Smyrna gerichteten. Denn 
nur diese führt Polykarp als etwas Bekanntes an und unter- 
scheidet davon andere, welche er mitschickt, soweit sie in 
Smyrna vorhanden sind. Da Polykarp stets im Singular von 
sich redet (c. 1. 3. 9. 11. 12. 13), so umfasst das hier ge- 
brauchte „Wir“ und „Uns“ seine Gemeinde mit, und 
schwerlich bezeichnet ἐπιστολάς hier einen einzelnen Brief, 
sei es den an die Smyrnäer oder den an Polykarp, welcher 
ja allenfalls auch als ein an Alle gerichteter Brief bezeichnet 
werden konnte, denn dasselbe ἐπιστολάς muss zu ἄλλας im 
pluralischen Sinne-gezogen werden, und vom eigenen Briefe 
spricht Polykarp gleich darauf singularisch. Also sind die 
beiden Briefe zu verstehen, welche Ignatius von Troas aus 
kurz nach einander nach Smyrna schickte. Auch andere 


1) c. 13 (cf. Eus. h. e III, 36, 15): τὰς ἐπιστολὰς Ἰγνατίου τὰς 
πεμφϑείσας juiv Un’ αὐτοῦ, καὶ ἄλλας, ὅσας εἴχομεν παρ᾽ ἡμῖν, ἐπέμ- 
ψαμεν ὑμῖν καϑὼς ἐνετείλασϑε, αἵτινες ὑποτεταγμέναι εἰσὶ τῇ ἐπιστολῇ 
ταύτῃ x. τ. A, 


᾿ 


294 


Briefe fügt Polykarp in Abschrift bei, aber nicht alle, von 
denen er weiss. Es wurde schon $. 166 gezeigt, dass der 
an die Römer sich nicht darunter befinden konnte, und be- 
achtenswerth ist es jedenfalls, dass unter den zahlreichen 
Anklängen an die ignatianischen Briefe in denen des Polykarp 
keiner auf den Römerbrief hinweist. Es ist möglich, dass 
dieser allein die von Polykarp gemeinte Ausnahme bildet; 
denn bei ihrem lebhaften Interesse für Ignatius konnten die 


. benachbarten Gemeinden zu Smyrna, Ephesus, Magnesia und 


Tralles, schon ehe die Bitte der Philipper dorthin kam, 
diese Reliquien mit einander ausgetauscht haben, und auch 
von Philadelphia könnte Burrhus, wenn anders er den ihm 
mitgegebenen Brief bis dorthin gebracht und der ersten Vor- 
lesung desselben beigewohnt hat, schon eine Abschrift mit 
zurückgebracht haben. Eine Abschrift der sechs Briefe an- 
fertigen zu lassen, wird dem Polykarp um so näher gelegen 
haben, je lebhafter er fühlte (c. 3), dass er nicht der Mann 
sei, der Bitte der Philipper um ein Wort christlicher Lehre 
von seiner Seite in der rechten Weise zu genügen. ,Vor- 
ausgesetzt“ ist ‚hier keine Sammlung ignatianischer Briefe, 
und über „das Vorhandensein “ einer solchen brauchte man 
sich aus Anlass dieser Stelle nicht zu verwundern ?). Es wird 
uns vielmehr so deutlich und natürlich wie möglich veran- 
schaulicht, wie aus vereinzelten Briefen, die man damals in 
Smyrna besass, oder vielleicht auch jetzt erst zu diesem Zweck 
sich verschaffte, aus genügendem Anlass eine erste noch un- 
vollständige Sammlung entstand. Gelegentlich wie die Ent- 


1) Abhängigkeit von Ignatius zeigt Polykarp z.B. c. 10 fin. in dem 
Citat aus Jes. 52, 5 durch Zusetzung des οὐαί. Vgl. aber auch const. 
apost. I, 10; III, 5. Die Ermahnung an die Jünglinge ὑποτασσομένγους 
τοῖς πρεσβυτέροις ὡς ϑεῷ καὶ Χριστῷ ὁ. 5 erinnert an Stellen wie 
Tr. 2. 8: Eph. 6; die Vergleichung der Diakonen mit Christus c. 5 an 
Mgn. 6; die Ermahnung der Presbyter ὁ. 6 μὴ ὠμελοῦντες χήρας an 
ad Pol. 4; das di’ ἡμᾶς... . πώντα ὑπέμεινεν c. 8 an ad Pol. 3; 
Sm. 2; die Bezeichnung der von Ignatius getragenen Fesseln als Diademe 
c. 1 an Eph. 11. 

2) So Lipsius II, 12 ff. 


295 


stehung der Sammlung ist auch die Ueberbringung nach 
Philippi; denn der Crescens, welchen Polykarp damit betraut, 
siedelte offenbar von Smyrna nach Philippi über; seine 
Schwester wird ihm bald nachfolgen; darum stellt ihm Poly- 
karp ein Zeugnis über seinen bisherigen Lebenswandel aus 
und wünscht ihm das Beste für sein ferneres Leben in Phi- 
lippi. Aber damit wiederholt er nur, was er schon bei früherer 
Gelegenheit im Hinblick auf die damals beabsichtigte und 
jetzt stattfindende Reise des Crescens gethan hat !). 


3. Die Kirchenverfassungs- Verhältnisse. 


Die Erlebnisse des Ignatius und die Zwecke aller seiner 
Briefe, mit Ausnahme desjenigen an die Römer, bringen es 
mit sich, dass sie uns ein verhältnismässig deutliches Bild 
der Kirchenverfassungsverhältnisse auf dem Schauplatze ihrer 
Entstehung geben, während z. B. die Zustände des gottes- 
dienstlichen Lebens, in welches Ignatius keinen unmittelbaren 
Einblick thun konnte, nur aus wenigen characteristischen 
Zügen erkennbar sind. Schwierig wird die Aufgabe dadurch 
dass Ignatius fast gar keine bestimmten Rathschläge in Be- 
zug auf Aenderung. und Fortbildung der vorhandenen Ein- 


1) c. 14. Die Lesart „in praesentem diem“ scheint aller handschrift- 
lichen Begründung zu entbehren. Reg. Pal. Laur. Magd. lesen „in prae- 
senti“. Ob in. Petav. etwas Anderes gestanden, weiss ich nicht. So 
bleibt nur die zweifelhafte Auctorität der edit. prince. des Faber Stapu- 
lensis, Wer das Verhältnis - dieser Uebersetzung zum Original kennt, 
weiss, dass hier so ziemlich alles möglich ist; aber μέχρε τοῦ παρόντος 
(Routh) ergäbe zwar den erforderlichen Gegensatz zu ‚„nunc“, zugleich aber 
auch die unmögliche Vorstellung eines bisher. ununterbrochenen Em- 
pfehlens. Warum also nicht einfach εἰς τὸ παρόν, ἃ. h. für den gegen- 
wärtigen Augenblick, im Hinblick auf denselben? 


296 


richtungen zu ertheilen hat, sondern meist nur auffordert, das 
Bestehende zu pflegen. 

In den städtischen Gemeinden Kleinasiens, an welche 
Ignatius schreibt, besteht überall das dreifache Amt des 
Bischofs, der Presbyter und der Diakonen (vgl. oben 8. 256). 
Die Titel ἐπίσκοπος und πρεσβύτερος müssen dort durch 
längeren Gebrauch deutlich unterschieden gewesen sein. Ein 
handgreiflicher Irrthum war es, wenn Dall. p. 395 unter 
Anderem aus der Grussüberschrift 1) des Briefs Polykarps glaubte 
schliessen zu dürfen, dass nach dem Zeugnis dieses Briefs im 
Widerspruch mit den ignatianischen ein unterschiedsloser Ge- 
brauch der beiden Titel damals und dort üblich gewesen sei. 
Polykarp, welchen Ignatius Bischof nennt und als solchen von 
den Presbytern unterscheidet (ad Pol. inscr. Sm. 12), nennt 
sich allerdings nicht selber Bischof, aber ebenso wenig thut 
das Ignatius in den Ueberschriften; und Polykarp coordinirt 
sich den bei ihm befindlichen Presbytern nur darin, dass er 
sie zu Mitverfassern des Briefes macht. Da er trotzdem stets 
in der ersten Person sing. redet, so wird das zu Grunde 
liegende thatsächliche Verhältnis dies sein, dass er sich mit 
dem Presbyterium über den Inhalt seines Schreibens be- 
sprochen, es aber selbständig abgefasst hat. Wie in Klein- 
asien, ist es auch in Syrien. Ignatius ist Bischof von An- 
tiochien, und solange er von seiner Gemeinde abwesend oder 
nicht wieder ersetzt ist, hat sie nur Gott oder Christus zum 
Hirten und Bischof (Rom. 9). Auch die Gemeinden in der 
Nähe. von Antiochien, also die syrischen oder cilieischen, haben 
je einen. Bischof im specifischen Sinn; denn es werden Die- 
jenigen, welche Bischöfe, von Denjenigen, welche Presbyter 
und Diakonen nach Antiochien geschickt haben, unterschieden 
(Phil. 10). Hiermit sind aber auch die sicheren Anzeichen 
der Verbreitung dieser Verfassungsform erschöpft. Es soll 
freilich kein Gewicht darauf gelegt werden, dass Ignatius in 
keinem der von Troas aus geschriebenen Briefe des dortigen 


1) Πολύκαρπος καὶ οἱ σὺν αὐτῷ πρεσβύτεροι x, τ. A. cf. Ign. 
Philad. inser, 


297 


‚. sondern nur der „Brüder in Troas“ gedenkt 

Sm. 12), während von Smyrna aus Polykarp wenig- 

Ἢ genannt wird (Eph. 21; Mgn. 15). Auch das 

‚ein, oder mit der durchgreifenden Verschieden- 

‘ des Römerbriefs zusammenhängen, dass in - 

Bischof nur einmal und zwar in Bezug auf 

ommt (c. 2). Dass es aber in Philippi 

gab, zeigt Polykarps Brief (vgl. bes. 

. 1108). Als Auctoritäten, welchen man Ge- 

‚uuldig ist, werden nur Presbyter und Diakonen ge- 

„ut, und den Presbytern werden die sämmtlichen Amts- 
pflichten eingeschärft, welche Ignatius dem Verfasser dieses 
Briefs in seiner Eigenschaft als Bischof ans Herz gelegt: hatte 
(6. 5. 6). Dass hier (ὁ. 6) die Presbyter und nicht die 
älteren Gemeindeglieder mit Einschluss der gleichnamigen 
Beamten gemeint seien (Buns. II, 110), zeigt der Zusammen- . 
hang mit der vorangehenden Ermahnung zum Gehorsam gegen 
Presbyter und Diakonen, wenn diese auch durch ein kurzes 
Wort an die .Jungfrauen getrennt ist; mehr noch der Inhalt 
von c. 6, welcher in ad Pol. 1—6 die vollständigsten Pa- 
rallelen hat. Deutlich scheint mir auch, dass sich Polykarp 
in c. 4 mit den dortigen Presbytern als -Träger des gleichen 
Berufs zusammenfasst, obwohl er sie nicht ausdrücklich nennt. 
Schon-der Uebergang von der in c. 5 in. (cf. 6. 4 in.) wieder 
aufgenommenen Selbstaufforderung zur Schilderung der Pflich- 
‘ten der Diakonen durch ein ὁμοίως (cf. Tıall. 3) weist darauf 
hin, dass alles Voranstebende einem bestimmten Stande, zu 
welchem Polykarp sich rechnet, also den Gemeindevorstehern 
galt. In der That hängen ja auch die Accusative ἑαυτοὺς 
πρῶτον. . . ἔπειτα καὶ τὰς γυναῖχας ὑμῶν. . . . τὰς χήρας 
gleichmässig von διδάξωμεν ab.. Dass sie auch andere als 
ihre eigenen Frauen zu rechtem Verhalten gegen ihre Ehe- 
gatten wie gegen die Männer überhaupt und insbesondere zu 
christlicher Kindererziehung anhalten sollen, versteht sich 
freilich von selbst. Aber es ist doch deutlich die Erfüllung 
der hausväterlichen Pflichten der Gemeindevorsteher (vgl. 
1 Tim. 3, 4f.) in die nächste Nähe neben die nöthige Selbst- 


ne 
— nr 


298 


unterweisung gestellt. Es handelt sich zunächst um ihren 
christlichen Lebenswandel überhaupt (c. 6 in.); erst in c. 7 
kommt die Rede auf die eigentlichen Berufspflichten. Die 
Veranlassung ist deutlich, sowie man sich durch den Spruch 
an der Spitze ἀρχὴ δὲ πάντων χαλεπῶν φιλαργυρία auf c. 11 
verweisen lässt und sieht, dass die Frau des Presbyters Valens 
sich der Sünden ihres Mannes mitschuldig gemacht hat, und 
dass auch dort der Widerspruch mangelnder Selbstzucht und 
berufsmässiger Belehrung Anderer betont wird. Aber mag 
ich hier richtig auslegen oder nicht, so ist aus dem, was 
Polykarp von den Presbytern zu Philippi sagt, ebenso wie aus 
seinem Schweigen über einen dortigen Bischof auf alle Fälle 
klar, dass es dort einen solchen nicht gab. Dass er einen 
Bischof nicht in dem Tone wie die unter ihm stehenden 
Presbyter und Diakonen habe ermahnen können (Rothe, S. 410), 
erklärt ja keineswegs, warum er an allen Stellen, wo man 
den Bischof erwartet, ihn überhaupt nicht nennt, und setzt 
die Herrschaft einer niedrigen kirchlichen Convenienz voraus, 
welche allein schon der Brief des Ignatius an Polykarp wider- 
legt, denn auch die dortigen sehr dringenden Ermahnungen 
des Bischofs durch den Bischof waren zur Mittheilung an die 
Gemeinde bestimmt und wurden von Polykarp selbst nach 
Philippi weiter geschickt. Auch die Ausflucht einer Sedis- 
vacanz in Philippi; deren man sich in ähnlichen Fällen be- 
dient hat, ist verwerflich; denn wie sollte Polykarp, indem er 
seine Ermahnungen auf sämmtliche Stände der Gemeinde 
vertheilt (ὁ. 4— 6), die leere Stelle unberührt lassen oder 
seinen Rathschlägen eine Form geben, welche in kürzester 
Zeit nicht mehr zutraf! Pearsons Vermuthung (11, 168 ff.) 
vollends, dass die Philipper ihn wegen augenblicklichen 
Mangels an einem Bischof um seinen Rath in der Ange- 
legenheit des Valens gebeten haben sollen, beruht erstlich 
auf der wunderlichen Vorstellung, als ob die Männer, zwischen 
denen man bei der Wahl eines Bischofs schwanken mochte, 
nicht jetzt schon den nöthigen Rath hätten ertheilen können, 
schwebt aber überhaupt in der: Luft, weil Polykarp in jener 
Angelegenheit kaum einen Hath ertheilt und am wenigsten 


299 


andeutet, däss er darum gebeten sei. Es stand also in Philippi 
in dieser Hinsicht noch ebenso, wie zu der Zeit, als Paulus 
dorthin schrieb; nur der Unterschied ist bemerkbar, dass 
Polykarp, in dessen Kreise nur der eine Bischof jeder Ge- 
meinde ἐπίσκοπος hiess, die Gemeindevorsteher zu Philippi 
nicht mehr wie Phil. 1, 1 ἐπίσκοποι, sondern immer nur 
πρεσβέτεροι nennt, obwohl sie in Philippi diejenigen Be- 
fugnisse haben, welche in Smyrna grösstentheils dem Bischofe 
zustehen. Dann ist es nicht bloss möglich, sondern auch 
wahrscheinlich, dass 2. B. in Korinth, wo im Jahre’ 97 nur 
erst das zweifache Amt der Presbyter oder Episkopen und der 
Diakonen existirte, auch jetzt noch der gleiche Zustand un- 
verändert fortdauert, und es fehlt wenigstens jedes sichere 
Zeugnis dafür, dass es in Rom inzwischen wesentlich anders 
geworden, als es zur Zeit des Clemens und Hermas war). 
Eine von jeder kritischen Meinung über unsere acht Briefe 
unabhängige Thatsache ist es, dass zur Zeit ihrer Entstehung 
der monarchische Episkopat in Asien völlig feststand, aber 
keineswegs über die ganze Kirche verbreitet war. Dann 
scheint allerdings eine Hyperbel in den Worten zu liegen: 
ὡς καὶ οἱ ἐπίσκοποι οἱ κατὰ τὰ πέρώτα ὑρισϑέντες ἐν Inoor 
Χρισιοῦ γνώμῃ εἰσίν (Eph. 3, s. Anh. 1 2. ἃ. St.). Freilich irrt 
Pearson (I, 153), wenn er ὁρισϑέντες — εἰσίν als Prädicat zu- 
sammenzieht und als einzig möglichen Sinn den Satz ge- 
winnt, auf welchen auch Rothe $. 472 hinauskommt: „episco- 
patum fuisse ab apostolis ex voluntate Christi institutum “. 
Nicht vom Episkopat ?) oder von der Einsetzung von Bischöfen 
ist die Rede, sondern von den vorhandenen Bischöfen, soweit 
Ignatius von solchen weiss, sagt er, dass sie sich in der 
Willensmeinung Christi befinden, d. h. christlich gesinnt 
sind. Es galt den Ausdruck der voranstehenden Ermahnüng 
zu rechtfertigen, mit der Willensmeinung Gottes sich in Ein- 


1) Vgl. m. Schrift über Hermas, 5. 117. 98 ff. 
. 2) So auch z. B. Uhlh., S: 34, welcher dann vermöge der Lesart 
ohne ἐν den Gedanken gewinnt, dass die Einigkeit der Kirche sich im 
Episkopat darstelle, vgl. S. 36. | 


800 


klang zu setzen oder zu erhalten und in derselben sich zu 
vereinigen, während die Ermahnung c. 2 a. E. auf Heiligung 
in Unterordnung unter Bischof und Presbyterium lautete. 
Der Gedanke ist demnach: Gottes Meinung sage ich, denn 
in der That ist ja Christus der persönliche Ausdruck der 
Meinung des Vaters, und in dessen Meinung befinden sich 
die Bischöfe allerorten. Darum kann die Ermahnung zur 
Unterordnung unter den betreffenden Bischof durch die 
andere zur Unterordnung unter Gott ersetzt werden. Selbst’ 
wenı man das sehr bedenkliche πέρατα im Text belässt, folgt 
doch aus diesem Satze, der keine statistische Belehrung über 
die Ausdehnung des Episkopats geben will, nichts gegen die 
. bemerkte Begrenzung desselben. Da Ignatius zu Leuten redet, 
welche ebenso wie er selbst nur Gemeinden mit Bischöfen in 
ihrer Nähe haben, so wäre die Forderung pedantisch, er solle 
an die westwärts gelegenen Gemeinden ausdrücklich erinnern, 
bei denen eim Presbyterium ohne monarchische Spitze die 
bischöflichen Functionen ausübte, zumal hier, wo οἱ ἐπίσκοποι, 
wie der nachgewiesene Zusammenhang zeigt, nur der bündige 
Ausdruck für das ist, was vorher „Bischof und Presbyterium“ - 
und anderswo „Bischof, Presbyter und Diakonen‘“ heisst. 
Noch weniger will es besagen, wenn er einmal nach einer 
Ermahnung, nichts ohne den Bischof zu thun, und den 
Trägern des kirchlichen Amtes überhaupt die schuldige Ehre 
zu erweisen, sagt: χωρὶς τούτων ἐκκλησία οὐ καλεῖται (Trall. 3). 
. Des Vedelius (II, 125) unglücklicher Versuch, τούτων auf die 
vorher eingeschärften Pflichten zu beziehen, reizt nicht zur 
Nachahmung. Der Sinn ist obne Frage der: „was ohne die 
Träger des dreifachen Kirchenamtes ist, heisst nicht Kirche“ ; 
aber den Gegensatz bildet nicht eine Gemeinde, welche dieser 
Institute oder eines derselben entbehrt, sondern ein kirchliches 
Handeln, wie Abendmahlsfeier oder sonstige gottesdienstliche 
Versammlungen, welches ohne Wissen und Willen, ohne 
directe oder indirecte Leitung des an der Spitze stehenden 
Bischofs und der ihm untergeordneten Presbyter und Diakonen 
vor sich geht (cf. ὁ. 2. 6. 7; Sm. 8; Phil. 3. 4. 7; Eph. 5). 
Um zum. Bewusstsein zu bringen, wie sehr dies dem Wesen 


901 


einer kirchlichen Handlung widerspreche, werden diese Christen 
von Tralles daran erinnert, dass sie ohne ihre geistliche 
Obrigkeit gar keine Gemeinde, sondern ein Haufe ohne Orga- 
nisation sind. Es wird hier so wenig wie irgendwo bei 
Ignatius oder Polykarp ein gemeingültiger Kirchenverfassungs- 
grundsatz verfochten, sondern unter Voraussetzung der Episko- 
palverfassung werden diese Gemeinden, die sie alle längst 
haben, vor einem separatistischen Streben gewarnt, welches 
damals von den dort eindringenden Häretikern ausging. ΕΒ 
geschieht dies selbstverständlich in der Form, welche die dort 
allgemein anerkannte Verfassung darbot. Von ‚ Begründung “ 
oder „Einführung der bischöflichen Gewalt“ in den asiati- 
schen Gemeinden durch Ignatius ἢ oder auch nur von einer 
„angelegentlichen Empfehlung des Episkopats“, von einer 
„durchschimmernden Aengstlichkeit‘‘, welche die verhältnis- 
mässige Neuheit des Instituts erkennen lasse, also von einer 
Empfehlung dieser Verfassungsform im Gegensatz zu einer 
anderen älteren, von einer Einschärfung des Unterschieds 
zwischen Bischof und Presbytern u. s. w. hat man zwar viel 
geredet ?), aber keinen Beweis geliefert. 

Auch ein Seitenblick auf andre Gegenden der Kirche 
wäre nur dann veranlasst gewesen, wenn man sich von irgend 
einer Seite auf die abweichende Verfassung anderer Kirchen 
berufen hätte, oder wenn man überhaupt das bischöfliche Amt 
im Unterschied von anderen Gemeindeämtern angefochten 
hätte; aber davon verlautet eben nichts. Wie Ignatius etwa 
geredet haben würde, wenn in jenen Gemeinden grundsätz- 
licher Widerspruch gegen den Episkopat erhoben worden 
wäre, zeigt das Verfahren des Clemens von Rom in der Ver- 
theidigung des kirchlichen Amtes, dort des Presbyterats, 
gegen die korinthischen Empörer 8). Selbst Diejenigen, welche 
‚nach dem Urtheile des Ignatius nicht die richtige Stellung 


1) So namentlich Kist, 5. 79. 81f. vgl. 68 ff. 72. 76. 

2) So z. B. Rothe, 5. 434f.; Baur II, 117, Uhlh., 5. 880 ἢ. 

3) Vgl. auch die Vertheidigung ‘des Episkopats als eigenthümlichen 
Regierungsamtes in Clem. hom. III, 61—64. | 


802 


zu ihrem Bischof einnehmen, führen seinen Titel im Munde '). 
Auch die Irrlehrer, welche zugleich separatistische Tendenzen 
verfolgen, können mit keinem Worte den Episkopat im Unter- 
schiede von einem andern Gemeindeamte für minder be- 
rechtigt erklärt haben; denn der Vorwurf gegen sie lautet, 
wie namentlich der Brief an die Philadelphener von Anfang 
bis zu Ende beweist, immer nur auf Losreissung von der 
kirchlichen Einheit überhaupt, von der unter Bischof, Pres- 
bytern und Diakonen verfassten Gemeinde. Der natürliche 
Sitz einer Opposition gegen den Episkopat als eine noch 
nicht ausreichend befestigte Institution wären die niederen 
geistlichen Grade gewegen.. Aber wie die Gemeinden über- 
haupt, so werden insbesondere Presbyter und Diakonen oft 
wegen ihrer schönen Eintracht mit dem Bischof und wegen 
ehrerbietiger Unterordnung unter ihn belobt (Eph. 4. 6; 
Mgn. 2. 3); und man sollte doch nicht das Gegentheil aus 
der einzigen Stelle herauslesen, an welcher den Presbytern 
insbesondere anempfohlen wird, was sich für alle schickt, dem 
Bischof seine Amtsführung leicht zu machen ἢ. Verdächtig 
muss daher von vornherein auch die einzige ausdrückliche 
Spur der Neuheit des Episkopats erscheinen, welche man in 
Mgn. 3 finden wollte®). Nach einem Lob des Diakonus 
Zotion wegen seines Gehorsarmıs gegen Bischof und Presbyter 
heisst es: καὶ ὑμῖν δὲ πρέπει μὴ συγχρᾶσϑωι τῇ ηλικίᾳ τοῦ 
ἐπισκύπου, ἀλλὰ κατὰ δύναμιν ϑεοῦ πατρὸς πᾶσαν ἐντροπὴν 


1) Mgn. 4: ὥσπερ καί τινες ἐπίσχοπον μὲν καλοῦσι, χωρὶς δὲ αὐτοῦ 
πάντα πράσσουσιν. Ob hier nicht statt χαλοῦσι, das aus ungeschickter 
Assimilirung an den vorigen Satz entstand, λαλοῦσι zu lesen ist 
(cf. c. 10)? Dass hier nicht, wie Uhlh. S. 289 annimmt, Häretiker 
gemeint sind, wird sich später zeigen. 

2) Trall. 12. Diese eine Stelle wird die Grundlage der amplificiren- 
‚den Bemerkung Rothe’s S. 445 sein. Auch Kist (S. 71), auf den sich 
Rothe bezieht, weiss nichts weiter beizubringen. Des Letzteren Ver- 
werthung von Phil. 7 S. 72ff. glaube ich nach der ausführlichen Er- 
örterung der Stelle (oben S. 267f.) nicht mehr widerlegen zu müssen. 

3) So zuerst Salmasius (apparat. ad lihr. de primatu Papae, Lugd. 
᾿ Bat. 1645, p. 56 eq.), dann die Schüler des L. Capellus in einer Dispu- 
tation, über welche Pears. ad lect. berichtet, u. A. 


303 


αὐτῷ ἀπονέμειν, κωϑὼς ἔγνων χαὶ τοὺς ἁγίους πρεσβυτέρους 
οὐ προσειληφότας τὴν φαινομένην νεωτερικὴν τάξικ, ἀλλ᾽ ὡς 
φρονίμους ἐν ϑεῷ συγχωροῦντας αὐτῷ. Obwohl συγχρῆσϑαι ἢ) 
auffallend ist, so herrscht doch darüber keine Meinungsver- 
schiedenheit, dass die Leser ermahnt werden, nicht um des 
noch jugendlichen Alters ihres Bischofs willen 3) ihm die 
schuldige Ehrerbietung zu versuchen. Das Gleiche wird den 
Presbytern nachgerühmt, und die Meinung, das οὐ προσειλη- 
φώτας einen zweiten Vorwand ausser der Jugend des Bischofs 
einführen müsse, dessen sich die Presbyter hätten bedienen 
können, um ihm sein Vorrecht abzusprechen (Uhlh., 5. 329) 
beruht auf dem Irrthum, dass προσλαμβάνειν heisse oder 
vielmehr heissen müsse „noch dazu einen Vorwand woher 
nehmen“. Aber das Andere, wozu etwas hinzugenommen 
wird, ist sehr häufig der Hinzunehmende selbst, so bei dem 
häufigen Gebrauch des Wortes „einen als Bundesgenossen sich 
attachiren“. Daraus bat sich die ziemlich gewöhnliche Be- 
deutung entwickelt „sich etwas zu Nutze machen‘, besonders 
im schlimmen Sinne 3). So ist es hier offenbar gemeint, denn 
Wenn προσειληφότᾳας τὴν φαινομένην νεωτερικὴν τάξιν nicht 
wesentlich synonym mit dem Inhalt der Ermahnung an die 
Gemeinde wäre, so müsste man schon in den Worten χαϑὼς 
— πρεσβυτέρους einen solchen Gedanken ausgedrückt finden 
und ἔγνων seines unentbehrlichen Complementes berauben. 
Das Weitere würde zu einer grammatisch entbehrlichen 


1) Es heisst, um kirchliche Beispiele zu nennen, entweder über- 
haupt „gebrauchen, anwenden“ (Glem. str. VII, p. 897 Pott.), daher 
„eitiren“ (str. I, p. 351) oder „mit Anderen zugleich etwas ge 
brauchen “ (Tatian. or. 4) und daher dann „in Verkehr, Lebensgemein- 
schaft mit jemand stehen “ (Joh. 4, 9). 

2) Rothes Einfall S. 438f., dass‘n ἡλικία τοῦ ἐπισχόπαυ das Alter 
des Episkopats bedeuten könne, bedarf der Widerlegung nicht. 

3) Demosth. 20, 7 sagt von Philipp: τὴν γὰρ ἑχάστων ἄνοιαν asl 
τῶν ἀγνοούντων αὐτὸν ἐξαπατῶν καὶ προςλαμβάνων οὕτῳς ηιξήϑη. 
S. Schäfer z. ἃ, St. C£. p. 417, 17 vom Misbrauch eines Sprichworts. 
In Dio Cass. 60, 2 liegt das Accessorische nicht in προς λαμβάνειν, 
sondern in χαί vor τοῦτο. 


304 


Näherbestimmung herabsinken, welche aber μὴ statt οὐ er- 
forderte ').. Ferner soll νεωτερικὴ τάξις Sich auf „die Neuheit 
des Episkopats“ beziehen, also „moderne Institution‘ heissen 
in Widerspruch mit der Bedeutung beider Worte. Τάξις 
bezeichnet doch zunächst wie alle Worte dieser Bildung die 
Handlung des τάττειν in activem oder passivem Sinne; und 
da τάττειν nicht bloss heisst „eine Menge in Reih’ und Glied 
aufstellen‘, sondern auch „dem Einzelnen eine Stelle in der 
Reihe, einen Rang anweisen“ und daher dann „zu einem 
Amte oder einer Thätigkeit bestellen“, so wäre die aller- 
nächste hier in Betracht kommende Bedeutung „Bestellung 
zum Bischofsamt‘“ oder „Ordination“; und ich verstehe nicht, 
wie man das einen späteren Gebrauch des Wortes nennen 
kann 3), da die Bedeutung „Amt, Stellung, Rang“ sich erst 
aus dieser nächsten entwickelt hat. Allerdings heisst auch 
das Resultat des τάττειν eine τάξις, die aufgestellte Reihe, 
der Rang, den einer einnimmt, das Amt, das einer führt, in 
Folge dessen, dass er dazu bestellt ist. Aber Amt im Sinne 
einer bestehenden Institution oder deutlicher eines Instituts 
heisst es gar nicht, sondern immer nur Amt als Stellung des 
Einzelnen. Wollte man es aber im abstracten Sinne für 
Stiftung nehmen, so wäre ein Genitiv des Objects τῆς ἐπι- 
σκοπῆς oder dergleichen unerlässlich. Aber νεωτερικός heisst 
auch weder neu noch neuerlich 3), sondern jugendlich oder 


1) Es müsste etwa heissen: ὥσπερ ἔγνων χαὶ τοὺς πρεσβυτέρους 
ποιοῦντας, un προςειληφότας x. τ. A. 

2) So z. B. Uhlh., S. 329. Der Kunstausdruck wäre z&porori«, aber 
gerade dieser war es damals noch nicht (Phil. 10; Sm. 11; ad Pol. 7). — 
Petavius (theol. dogm., tom. IV, p. 162, ed. Antwerp. 1700) erklärt τάξις 
richtig durch ordinatio, misversteht aber vewrspixds = mudern. 

3) Pears. ad lect., dem dann Smith schol. p. 78 (tempus nuperae recen- 
tisque ordinationis) blindlings folgt, eitirt dafür, ohne jedoch, wie z. B. 
Hilgf. S. 194 ihm nachsagt, die darauf gegründete Erklärung sich anzu- 
eignen, Epiph. haer. 67, 3. Aber anter ψαλμοιὶς vewrsgixovs wird man 
nicht mehr ‚neuere‘ oder „moderne“ Psalmen verstehn, wenn man 
Plut. Dion. 7, 4 (ed. Ruald I, 961 B) cf. 8, 1 gelesen hat, dass μέϑαι 
xal σχώμματα καὶ ψαλμοὶ καὶ ὀρχήσεις unter die vewrsgixa gezählt 
werden. Cf. Eus, ἢ. 6. VII, 30, 10: ψαλμοὺς . .. παύσας ὡς δὴ νεω- 


908 


eigentlich „Jünglings‘‘ (in Zusammensetzung mit einem Sub- 
stantiv). Es kann, wie Pearson und nach ihm Arndt (Hand- 
schrift) richtig bemerkte, aber schlecht verwerthete, nach 
Analogie der gleichgebildeten Adjectiven geradezu τάξις vew- 
τέρου oder νεωτέρων dafür gesetzt-werden. Aber Jugendlich- 
keit !) bedeutet dies dann nicht; denn aus der Bedeutung 
„Rang, Classe‘“ kann man nimmermehr den ganz anders- 
aıtigen Begriff der Beschaffenheit herausbringen. Was aber, 
„wenn man den griechischen Sprachgebrauch ins Auge 
fasst“, unerklärlich ist, sollte man nicht als „gezierten “ 
Ausdruck gelten lassen (Bunsen I, 131). Ganz einfach ist 
der Ausdruck, wenn man übersetzt „Anstellung“ oder „Ordi- 
nation eines jungen Mannes‘, was rein grammatisch betrachtet 
im Griechischen wie im Deutschen ebenso wohl eine von 
einem jungen Manne, als eine an ihm vollzogene Handlung 
bezeichnen kann 2. Hier macht der Zusammenhang Letzteres 
unzweifelhaft. Die Presbyter haben den „äusserlichen Um- 
stand‘, dass ein jüngerer Mann zum Bischof bestellt worden 
ist 3), sich nicht zu Nutze gemacht oder als Vorwand einer 
unehrerbietigen Gleichstellung mit ihm gebraucht. Der Aus- 
druck ist gewählt, um den Gegensatz des νεώτερος und der 
πρεσβύτεροι hörbar zu machen, und durch φαινομένη 4) ist 


τέρους καὶ νεωτέρων ἀνδρῶν συγγράμματα. Neben das erste Attribut 
(„modern “) tritt das zweite, welches auch durch νεωτερικὰ συγγράμ-- 
ματα hätte wiedergegeben werden können. 

1) So Pearson a. a. O. Hefele z. d. St. („sichtliche Jugendlich- 
keit“); Buns. II, 65 vgl. I, 131; Hilgf., S. 119 Anm. 

2) Wie die Adjectiven überhaupt die verschiedensten Genitive er- 
setzen können (vgl. Kühner, ausf. Gr. Il, 224), so insbesondere die so 
gebildeten. Ein Subjectsgenitiv (νεωτέρου oder νεωτέρων») liegt zu Grunde 
Polyb. fragm. ex libr. de virt. et vit. ed. Gron. II, 1388: νεωτερικῆς 
aywyis‘ — νεωτεριχῶν ζήλων,,. ein Objectsgenitiv Herod. VII, 170: 
φόνος Ἑλληνιχός, ein sehr loses Objectsverhältnis in βασιλικὰ ἐγχλήματα 
Schweighäuser, lex. Polyb. 8. v. βασιλικός. 

3) Cf. Const. app. I, 1 ed. Lag., p. 14, 2. 11ft. 

4) Rothe (S. 439) bereitet sich künstliche Schwierigkeiten durch die 
falsche Uebersetzung „scheinbar“. Auch ein χατὰ σάρχα hätte stehen 
können, vgl. Eph. 1 ἐν σαρχί = „äusserlich betrachtet “. 

Zahn, Ignatius. 20 


306 


noch angedeutet, dass der junge Bischof an Erfährung und 
Tüchtigkeit über das »ewrepıxov hinaus sei. Dass irgendwer 
den Damas misachtet hätte, wird nicht gesagt, aber auch 
ohnedies ist begreiflich, wie Ignatius den eigenthümlichen 
Eindruck, welchen es auf ihn machte, einen jungen Bischof 
von den alten Presbytern respektvoll behandelt zu sehen, 
eben diesen Ausdruck gab. Es wird also durch diese Stelle 
nicht im Geringsten verdunkelt, dass der Episkopat als ein 
vom Presbyterat deutlich unterschiedenes Amt in den asiati- 
schen Gemeinden seit geraumer Zeit bestand und weder von 
den Presbytern noch von den Häretikern angefochten wurde. 

Dieser Episkopat ist aber Gemeindeamt und in keiner 
Weise, was man im Unterschied davon Kirchenamt nennt. 
Jede durch gleichen Wohnsitz und gemeinsamen Gottes- 
dienst !) abgegrenzte Gemeinde hat einen Bischof und hat 
nur Einen, während unter ihm mehrere Presbyter und 
Diakonen stehen. Schon die unendlich oft wiederkehrende 
Verbindung von Bischof, Presbytern und Diakonen als Vor- 
stehern der Gemeinde schliesst die Möglichkeit aus, dass die 
Befugnis des Bischofs auf einen weiteren Umkreis sich er- 
strecke als die des Presbytercollegiums, dass also etwa kleinere 
Gemeinden unter einem oder mehreren Presbytern, welche 
nicht zu diesem Collegium gehört hätten, dem Bischofe der 
grösseren Nachbargemeinde untergeordnet gewesen wären. Es 
werden nur städtische ?) Gemeinden genannt und wie in 
apostolischer Zeit (2 Kor. 6, 11) werden sie als Bewohner 
der betreffenden Städte benannt (Eph. 8. 11; Sm. 12; 
Phil. 11; Rom. 10). Wenn es damals auf dem platten Lande 
Christen gegeben hat), müssen sie entweder ohne alle 


1) Vgl. besonders Eph. 5; Phil. 4; Sm. 8. 

2) Auch das χατὰ πόλιν Rom. 9 gehört dahin, cf. Herm. vis. 2, 4: 
αἱ ἔξω πόλεις im Gegensatz zu αὕτη ἡ πόλις, ἃ. ἢ. der römischen Ge- 
meinde. 

3) Plin. ad Traj. 96 (al. 97), 9: neque eivitates tantum, sed vicos 
etiam atque agros superstitionis istius contagio pervagata est. — Just. 
apol. I, 67: xar« πόλεις ἢ dypovs. 


907 


selbständige Organisation der nächstgelegenen städtischen Ge- 
meinde angehört oder völlig selbständige Gemeinden mit 
eigenen Bischöfen und Presbyterien gebildet haben. Aber 
vom Einen wie vom Anden zeigt sich keine Spur. Man 
hat aus mehreren Stellen herausglesen wollen, dass Ignatius 
selbst ganz Syrien zum Sprengel gehabt habe. Er nennt 
allerdings in den vier von Smyrna aus geschriebenen Briefen 
fünf Ma] seine Gemeinde „die Gemeinde in Syrien“ 1), aber 
es wurde schon oben S. 244 daran erinnert, dass dieselbe in 
den drei späteren Briefen „die Gemeinde im syrischen An- 
tiochien“ heisst und deutlich als Ortsgemeinde vorgestellt 
wird, in deren Nähe andere Gemeinden mit eigenen Bischöfen 
sich befinden (Phil. 10). Dass er im einen Fall τῆς Συρίας 
zum Stadtnamen hinzusetzt, im anderen nur Syrien nennt, 
zeigt, das ersteres nicht eine in diesem Fall überflüssige 
geographische Angabe zur Unterscheidung dieses Antiochiens 
von einem anderen sein soll; und einem Interpolator hätte 
Cureton 8. 275 diese Absicht schon darum nicht zuschreiben 
sollen, weil das τῆς “σίας Eph. Trall. Sm. inser. 3), welches 
Cureton 5. 277 überflüssig, also gewiss nicht absichtsvoll 
findet, auf diese Weise nicht zu erklären ist. Aber über- 
flüssig war es auch, wenn Irenäus in seinem gelehrten Werke 
(UL, 1, 1) ἐν ᾿Εφέσῳ τῆς Aclag schrieb. Wir sehen daraus 
nur, dass es den Christen der alten Zeit, wenn sie sich wie 
Ignatius und Irenäus in der Fremde befanden, natürlich war, 
den landschaftlichen Unterschied von ihrer Umgebung aus- 
zudrücken. Ignatius reist nicht von Antiochia nach Seleucia 
u. 8. w., sondern von Syrien nach Rom (Rom. 5; Eph. 1), 
oder vollends aus dem Orient in den Oceident (Rom. 2); die, 


1) Pears. III, 56: ergo non tantum in urbe sed in provincia Syriae 
jurisdietionem habuit Ignatius. 

2) Phil. inser. ist auszunehmen, weil es mehrere Städte dieses. 
Namens ausserhalb des eigentlicheu Asiens gab. Das Μαγνησίᾳ τῇ 
πρὸς Μαιάώνδρῳ war sehr üblich wegen der Nähe des anderen, aber 
überflüssig doch auch, da der Bischof dieser Gemeinde den Brief über- 
bringt. 

20* 


808 


welche ihm von Antiochia aus vorangeeilt und nachgefolgt 
sind, kommen aus Syrien (Rom. 10; Philad. 11), und die Ge- 
sandten der asiatischen Gemeinden reisen nach Syrien 
(Sm. 12; ad Polyc. 7. 8). So ist es auch zu verstehen, wenn 
er den Römern, die er bei seinem Opfertode gegenwärtig 
denkt (cf. Rom. 7), einen Altargesang ‘in den Mund legt des 
Inhaltes: ὅτε τὸν ἐπίσκοπον Συρίας ὁ ϑεὶς κατηξίωσεν εὑρεϑῆναι 
εἰς δύσιν, ἀπὸ ἀνατολῆς μεταπεμψάμενος !). Schon dass der 
Artikel vor Συρίας fehlt, hätte den Gedanken fern halten 
sollen, als ob Ignatius sich hier bischöfliche Jurisdiction über 
Syrien zuspreche 5), und wenn Bunsen (I, 117) in diesem 
dem syrischen Text Curetons fehlenden Συρίας einen Anachro- 
nismus entdeckt zu haben glaubte, so hätte er bedenken sollen, 
dass es einen „Bischof von Syrien‘ im dritten und vierten 
Jahrhundert ebenso wenig gegeben hat, als im zweiten und 
neunzehnten. Aber für die Römer, sogar für die Heiden im 
Amphitheater ist Ignatius „der syrische Bischof“, auf den 
man mit dem Finger weist. Ein Beitrag zur kirchlichen 
Statistik lässt sich daraus nicht gewinnen. Häufiger und in 
sehr mannigfaltiger Weise sind in dieser Richtung die räthsel- 
haften Worte der Ueberschrift des Römerbriefs verwendet 
worden: ἥτις καὶ προκάϑηται ἐν τόπῳ χωρίου Ρωμαίων. Noch 
immer ist die Mahnung des Casaubonus 8) zu beachten: „qui 
eo trahere conantur haec tituli verba — quod alicubi facit 
Bellarminus — rogandi sunt, ut barbaram lectionem prius 
nobis explicent, quam ullum ex eis argumentum ducant, quae 
ne ipsi quidem intelligunt‘. Barbarisch ist nämlich vor allem 
die Verbindung von τόπῳ χωρίου 4) und doppelt dunkel, weil 
schon χωρίον Ῥωμαίων undeutlich ist. Letzteres könnte einen 


1) Rom. 2. Die gewöhnliche Interpunction vor statt hinter εἰς 
δύσιν beruht auf Verkennung der Construction, vgl. Act. 8, 40. 

2) So Pears. III, 54; Smith, schol., p. 195. Ueber deren Misdeutung 
von Rom. 9 8. oben 8. 254. 

3) de rebus sacr. et eccl. exercc. XVI ed. Genev. 1663, p. 669. 

4) Ganz unpassend, wie schon richtige Interpunction zeigen wird, 
ist die Vergleichung von Orig. ed. De la Rue IV, 1124: ἐχεὶ τοῦ τόπου, 
χωρίου παρακλήσεως κ᾿ τι λ. 


809 


den Römern gehörigen Platz oder. auch das ganze von ihnen 
bewohnte oder beherrschte Gebiet bezeichnen 1), nimmermehr 
aber die Stadt Rom selbst ?), die Umgegend derselben °), oder 
die Stadt mit Vorstädten und nächster Umgegend ἡ. Was 
sollte es auch bedeuten, dass die römische Gemeinde in Rom 
und Umgegend, oder gar nur in letzterer ihren Sitz habe, 
und in Bezug worauf hiesse ihr dortiges Wohnen ein Präsi- 
diren? Richtig erkannte schon Voss ®), dass dies προκάϑηται 
einen dasselbe näher bestimmenden Genitiv erfordere, wie 
gleich darauf dasselbe Verb τῆς ἀγάπης bei sich hat; denn so 
selbstverständlich wie da, wo vom Vorsitz des Bischofs und 
der Presbyter die Rede ist δ), ergänzt sich ja hier nicht der 
Bereich, worüber die römische Gemeinde den Vorsitz führt; 
und gar zu bequem ist es doch, wenn man aus dem ver- 
meintlichen Mangel einer Angabe dieses Inhalts folgert, dass 
Ignatius hier „die Präsidialwürde der römischen Kirche 
schlechthin“ ausspreche ἢ, während man doch nicht anzu- 


1) Letzteres wäre frejlich nicht gut griechisch; aber es ist unbe- 
denklich (cf. Cur., p. 288), den syrischen Sprachgebrauch bei Ignatius 
wirksam zu denken und sich an das gewöhnliche awon5? 132] 
(Kirsch - Bernstein, Chrestom., 8. 18, 2; 19, 6) erinnern zu lassen, welches 
Seur. 40, 2 und Smoes. 6, 4 (cf. Cur. 224, 26), letzterer ohne Aequi- 
valent für ἐν τόπῳ hier anwenden, als ob χώρας Ῥωμαίων dastünde. 

2) Die Vergleichung von ἐν τόπῳ Ἰεροσολύμων im Brief Abgars 
Eus. h. e. I, 13, 6 (syrisch in Cur., anc. docum., p. >) bei Pears. III, 53 
trägt, abgesehn davon, dass die Verbindung von τόπος und χωρίον 
fehlt, auch deshalb gar nichts aus, weil Jerusalem Stadt- und nicht 
Volksname ist. Das Gleiche gilt für Luc. 9, 10 (text. rec. und Lach- 
mann). 

3) Luc. 4, 37 (auch von Cur.-p. 288 angeführt) lässt sich durch- 
aus nicht vergleichen, denn dort heisst‘ nicht die πέρέχωρος ein τόπος, 
sondern alle zur Umgegend gehörigen Orte sind πᾶς τόπος τῆς περιχώρου. 

4) So Pears. ΠῚ, 53; Smith, schol., p. 92; Dressel, S. 164. 

5) p. 292. Hierin folgte ihm Buns. I, 114; II, 123f. 

6) So zweimal Mgn. 6, wo übrigens auch noch andere Näherbe- 
stimmungen ein τῆς &xxAnoies unbequem gemacht hätten. 

Ἢ So Nirschl, S. 115. Dessen unsichere Vermuthung χωρίων führt _ 
vermöge der interessanten Kunde, dass Rom” schon „von Papst Cle- 


810 


geben weiss, was „das Gebiet der Römer‘ sei, und inwiefern 
die Stadt Rom der Ort dieses Gebietes heissen könne. In 
ersterer Hinsicht war die Conjectur χοροῦ !) keine Abhülfe; 
denn selbst wenn die römische Gemeinde vom Chor der 
Römer, d. h. der römischen Christen, wie das Ganze von der 
Summe der Einzelnen unterschieden werden könnte, bliebe 
unverständlich, wie jenes über diese den Vorsitz führe. Der 
Dunkelheit des ἐν τόπῳ, welches Voss ganz unerklärt liess, 
hat auch Bunsen (I, 123f.) durch seine Uebersetzung des 
überlieferten Textes nicht abgeholfen: „welche da in Würde 
(oder amtlich) den Vorsitz führt über die Landschaft der 
Römer‘ ®), was dann, um mit Smith (schol., p. 93) zu 
reden, zu dem „suave insomnium “ einer Oberhoheit Roms über 
die sogenannten suburbicarischen Kirchen führt ὃ. Aber ab- 
gesehn davon, dass ein Metropolitanrecht des römischen 
Bischofs nicht ohne weiteres eine Oberhoheit der römischen 
Gemeinde wäre, und dass von einer amtlichen ‘Würde dieser 
kein Begriff zu gewinnen ist, so heisst τόπος überhaupt nicht 
„amtliche Würde“. Es bezeichnet die Stelle oder Stellung, 
die einer einnimmt, gleichviel ob sie amtlich oder nicht, hoch 
oder niedrig ist. Der Apostel 4), der Bischof 5), der Pres- 


mens I.“ auch in kirchlicher Hinsicht in Regionen (χωρέαι) eingetheilt 
worden, zu der Annahme, dass „Ort der römischen Regionen “ oder 
„ Regionenstadt“ eine „figürliche Bezeichnung‘ Roms sei! 

1) So Voss nach Li. Seine Auffassung bleibt undeutlich, in der 
ep. ad Riv., p. 85 gerieth er auf den Einfall, ἥτις von ἀγάπην Ἰησ. X. 
abhängen zu lassen. 

2) Aehnlich, aber noch unverständlicher Hilgf., 5. 196, Anm. 8: 
„führt den Vorsitz in der Würde, dem Rang des römischen Gebiets“. 
Ich verstehe auch nicht, wie hieran mit einem ‚‚d. h.‘“ der balb richtige 
Gedanke angeschlossen werden kann: „die kirchliche Auszeichnung der 
Welthauptstadt entspricht der politischen “. 

3) Ueber die gebrechliche Stütze des 6. can. Nicsen. vgl. Hefele 
Conciliengesch. I, 880 ff. 

4) Act. 1, 25, wenn dort τόπος ächt sein sollte. 

. 5) ad Pol. .1; Alex. Hieros. bei Eus. ἢ. e. VI, 11, 3; const. ap. 
. 21, 35 (= didasc. ed. Lagarde p. 42, 6). — Orig. (ed. de la Rue 
IM, 581 B: ἐπεὶ δὲ οἱ τὸν ἑόπον τῆς ἐπισκοπῆς ἐκδικοῦντες χρῶνται 


811 


byter 1), aber auch der Anagnost und der Laie (rell. jur. eccl. 
gr., p. 78, 15; 79, 9; vgl. 1 Kor. 14, 16) haben je ihren 
τόπος. Der Priester hat auch nur seinen ἴδιος τόπος, wie 
jeder Andre, er sei Levit oder Laie (Clem. ad Cor. I, 40). 
Das aller Näherbestimmung entbehrende τόπος aber gibt nicht 
die Vorstellung irgend welcher Qualität oder Rangstufe, und 
doch findet es an χωρίου, welches für προχάϑηται unent- 
behrlich ist, keine verständliche Näherbestimmung. Einen 
erträglichen Sinn gewinnt man meines Erachtens nur, wenn 
man sich entschliesst, trotz Mangels handschriftlicher Be- 
zeugung τύπῳ zu lesen un mit Voss und Bunsen zu con- 
struiren. Der ursprüngliche Text ist hier völlig, aber auch 
Tr. 3; Mgn. 6 beinah völlig aus der Ueberlieferung ver- 
schwunden (8. Anh. 1, z. d. St.). Wie nach jenen Stellen Bischof 
und Presbyter ihrer Gemeinde als Vorbild voranleuchten, so 
die römische Gemeinde dem Gebiet der Römer. Ἔν: τύπῳ 
heisst es passend anstatt des εἷς τύπον dort, weil nicht die 
Bestimmung, zu welcher, sondern die Eigenschaft, in welcher, 
und damit der Sinn, in welchem die römische Gemeinde 
anderen vorsteht, auszudrücken war ἢ). Sie ist thatsächlich 
ein Vorbild für andere Gemeinden; und dass nur ein solcher 
idealer Vorsitz gemeint sei, zeigt überdies das gleichfolgende 
Attribut προκαϑημένη τῆς ἀγάπης. Vermöge einer etwas 


τῷ ῥητῷ Matth. 16, 19) zeigt, dass jener Ausdruck des Ignatius (ad 
Pol. 1) zur Phrase geworden war. Anderes liefert Pears. III, 17. 24. 

1) Clem. ad Cor. I, 44; Polyc. 11; ep. mart. Lugd. bei Eus. ἢ. e. 
 V,4, 2. An Presbyterat und Episkopat zugleich wird zu denken sein 

bei rell. jur. eccl. gr. ed. Lagarde p. 79, 7 (ef. 7, 16). Noch allge- 

gemeiner ist Jgn. Sm. 6 gemeint. Lehrreich ist besonders Eus. h. e. 
VII, 15, 2. Die Stellung eines Centurio heisst τιμή oder ἀξία, wo es 
sich um den Rang handelt, τόπος aber, wo von der Vacanz die Rede 
ist. Es weist aber zunächst nur auf die leere Stelle hin, die Einer mit 
seiner Person und Thätigkeit ausfüllt. ._ Was ad Pol. 1 τόπος ist, heisst 
Philad. 1 diexovie, Eph. 6 oixovoufe, und dass mit dem τόπος eine den 
Inhaber empfehlende Würde verbunden sei, leugnen noch die Zeitgenossen 
des Irenäus Eus. h. e. V, 4, 2. 

2) Vgl. für solchen Gebrauch von ἐν Hebr. 4, 11, eine allerdings 
nur bei richtiger Auslegung brauchbare Parallele. 


8312 


anderen Wendung des Bildes heisst hier die Liebe und deren 
Bethätigung das Gebiet, worin sie obenansteht'!.. Unter 
dem „Gebiet der Römer‘ aber, dem die römische Gemeinde 
als Vorbild in Liebeswerken vorsteht, sind selbstverständlich 
die christlichen Bewohner desselben zu verstehen ?), und es 
fragt sich nur, wie weit dasselbe reicht. Es leuchtet aber 
nun von selbst ein, dass nicht etwa die nächste Umgebung 
der Stadt Rom gemeint sein kann, sondern nur ein grosses 
Gebiet, dessen christliche Gemeinden an der römischen ein 
leuchtendes Vorbild christlicher Liebe haben. Der Ausdruck 
gestattet aber auch nicht, was däs Verhältnis des Redenden 
zu den Angeredeten nahelegen könnte, an das Abendland 
oder die lateinische Hälfte des . Reichs, deren älteste Ge- 
meinde die zu Rom ist, im Gegensatz zum Morgenlande zu 
denken ὃ. Es wird vielmehr der römischen Gemeinde in 
. Bezug: auf das ganze römische Reich hier eine Bedeutung 
zugesprochen, wie sie Paulus der Gemeinde zu Thessalonich 
in Bezug auf Macedonien und Griechenland zuspricht *). Enger 
ist freilich das Verhältnis zwischen der römischen und den 
von dort aus gestifteten Gemeinden des Westens, an welches 
Ignatius deutlich genug erinnert an einer anderen Stelle, 
welche zugleich die allgemeine kirchliche Bedeutung der 
römischen Gemeinde hervorhebt. Wenn er Rom. 3 schreibt: 
οὐδέποτε ἐβασκάνατε οὐδένα, ἄλλους ἐδιδάξατε" ἐγὼ δὲ ϑέλω, 


1) Mit Recht verweist man man auf das ähnliche Lob der römischen 
Gemeinde im Brief des Dionysius von Korinth Eus. h. e. IV, 23, 10. 
Wer die Leser des Hebräerbriefsg in Rom sucht, denkt auch an Hebr. 
6, 10. — Dass. ἀγάπη hier abstractum pro concreto im Sinn von 
„christliche Kirche, Christenheit‘‘ sein könne, hat Nirschl, S. 115 durch 
Berufung auf Phil. 11; Sm. 12; Tr. 13; Rom. 1; Mgn. 1 nicht be- 
greiflich gemacht. 

2) Röm. 15, 26; 16, 5; vgl. Act. 8, 14. 

3) Hiefür wäre δύσδως der Ausdruck; cf. Rom. 2fin. Clem. Rom. 
ad Corinth. I, 5, ferner die Bezeichnung Antiochiens als προχαϑημένη 
τῆς xolAns Συρίας oder auch τῆς αενατολὴς bei Späteren 8. Pears. 
1Π, 53. 

4) 1 Thess. 1, 7fl.; vgl. aber auch Röm, 1, 8. 


918 


ἵνα κἀκεῖνα βέβαια 7, & μαϑητεύοντες ἐντέλλεσϑε, so will er 
seine Bitte, ihn nicht am Martyrium zu hindern, . verstärken 
durch Hinweis zunächst auf das frühere Verhalten der Römer, 
auf ihre an Andere gerichtete Belehrungen, womit sie sich 
durch jeden Versuch, ihn um seine Hoffnung zu bringen, in 
Widerspruch setzen würden. Es’ müssen Aeusserungen der 
römischen Gemeinde an auswärtige Christen in irgend welcher 
Form vorliegen und dem Ignatius bekannt sein, worin zum 
᾿ todesfreudigen Bekenntnis aufgefordert war. Wir brauchen 
nicht bei dem Postulat stehen zu bleiben, da wir solche 
Aeusserungen noch jetzt besitzen. Der Brief, welchen die 
römische Gemeinde um das Jahr 97, also 10-20 Jahre vor 
der präsumtiven Entstehungszeit der Ignatiusbriefe durch 
Clemens schreiben liess und an die Gemeinde zu Korinth 
richtete 1), wurde zur wirklichen Entstehungszeit der Briefe des 
Ignatius und des Polykarp, wie der des Letzteren beweist, in 
Asien gelesen (8. Anh. II). Aber höchstens zwei oder drei 
Jahre nach Abfassung des Clemensbriefs war durch Clemens 
der Hirt des Hermas „in die auswärtigen Städte“ geschickt 
worden ?), und es wird später nachgewiesen werden, dass 
Igmatius dies Buch gelesen hat. Auch dies war, schon wegen 
der Art seiner Verbreitung, eine lehrhafte Aeusserung der 
römischen Gemeinde zu nennen; und gerade hier finden wir 
deutlicher als im Clemensbrief, was die unerlässliche Vor- 
aussetzung dieser Stelle des Römerbriefs ist, nämlich ein noto- 
risches geschichtliches Zeugnis darüber, wie sich die römische 
Gemeinde vor der Zeit des Ignatius anderen Christen gegenüber 
in Bezug auf die Pflicht des Martyriums ausgesprochen hatte 8). 
Aber von diesem ehemaligen Lehren der Römer unterscheidet 
Ignatius ein anderes, welches in der Gegenwart stattfindet. 
Es kann nämlich der durch κἀκεῖνα angedeutete Gegensatz 


1) Vgl. meine Schrift über Hermas, S. 69. 
2) Herm. Pastor vis. II, 4; vgl. meine Schrift über Hermas, 
Ss. 411. 151. ᾿ - ᾿ 
- 8) Vgl. meine Schrift über Hermas, $S. 119 f. 182 ff., aber auch 
Clem. ad Cor. 1, ὅ 844. 


814 


nicht ein Gegensatz zwischen dem Wunsch des Ignatius und 
dem Gebet der Römer sein;. ein ὑμεῖς vor μαϑητεύοντες wäre 
dann unerlässlich ; andrerseits aber heisst es auch nicht: ἵνα 
καὶ βέβαια ἡ ἐκεῖνα, so dass nur ein Gegensatz des Gebietens 
und der Befolgung des eigenen Gebots obwaltete, sondern 
zu den Lehren, die sie ehemals anderen Christen ertheilt 
haben und nun bethätigen sollen, tritt auch das hinzu, was 
sie als μαϑητεύοντες gebieten. Die Betonung, welche dem 
μαϑητεύοντες seine Stellung gibt, und der nächste Sinn des 
Worts „zum Christen machen “ 3) nöthigt, darunter die Missions- 
predigt zu verstehn, welche von Rom ausgegangen ist und 
noch ausgeht und in andauernder Versorgung der Tochter- 
kirchen mit Lehre und Anweisung sich fortsetzt 2). Welchen 
sittlichen Gehalts diese Unterweisung im Christenthum war, 
wusste Der, welcher die Schriften der römischen Kirche kannte; 
und wirksamer konnte Einer diese Gemeinde kaum an ihrer 
Ehre fassen als durch die doppelte Anwendung des καλὸν τὸ 
διδάσκειν, ἐὰν ὃ λέγων ποιῇ (Eph. 15). 

Die römische Gemeinde hat also nach dem Urtheil des 
Ignatius ohne Frage eine hervorragende Bedeutung für die 
Kirche vermöge ihres Wohnsitzes in der Hauptstadt des 
Reichs und ihres mit der geographischen Lage gegebenen 
.Missionsberufs, aber auch vermöge der für alle Christen vor- 
bildlichen Liebe und der Tüchtigkeit, womit sie sowohl ihren 
Missionsberuf erfüllt, als auch älteren Gemeinden aus freiem 
Antrieb christliche Lehre hat angedeihen lassen. Aber die 
hierauf gegründete Auctoritätsstellung ist nicht kirchenrecht- 
licher Art), sie wird auch nicht wie bei Irenäus und Ter- 
tullian durch einen geschichtlichen Nachweis apostolischer 
Tradition und Succession gestützt, und vom römischen Bischof 


1) Οὗ Eph. 10; Matth, 28, 19; Act. 14, 21. 

2) Tertull. praeser. 36: Si autem Italiae adjaces, habes Romam, 
unde nobis quoque auctoritas praesto est. . . . Videamus, quid didi- 
cerit, quid docuerit, quid cum Africanis quoque ecclesiis contesse- 
rarit. 

3) Dies auch gegen Hilgf., S. 267 vgl. 195 ἢ. 


81ὅ 


insbesondere hören wir kein Wort, so dass es zweifelhaft 
bleiben muss, ob es dort schon, wie in Asien, einen Bischof 
im eigentlichen Sinn des Namens gab. Der nächste Eindruck, 
den man aus den ignatianischen Briefen gewinnt, dass sämmt- 
liche städtische Gemeinden autonom, und dass der Episkopat, 
wo er überhaupt existirt, nur das höchste Amt in der Einzel- 
gemeinde sei, wird durch nichts corrigirt. Allerdings fehlt 
dem Verfasser nicht der Begriff einer Kirche, welche die 
Einzelgemeinden unter sich befasst, oder richtiger, in den- 
selben als in ihren verkürzten Nachbildern sich darstellt. 
Ignatius ist der Erste, bei welchem sich der Name „allge- 
meine Kirche“ findet 1), aber von einer Organisation dieser 
Kirche, d. h. von irgend welchen Organen oder feststehenden 
Formen des Verkehrs und des Zusammenwirkens der Theile 
verlautet nichts. Aus jener Idee 'auf diese Thatsache zu 
schliessen ?), ist ein Fehler. Daraus, dass er wie Hermas 
die Gesammtheit der Christen aller Zeiten und Orte „die 
Kirche“ nennt), oder dass er wie Paulus die Kirche als 
einen Leib vorstellt, in welchem Juden und Heiden geeinigt 
sind (Sm. 1), folgt doch nicht, dass sie eine organisirte mit 
Organen ihres Gemeinlebens versehene Corporation ist. Gerade 


1) Sm. 8. Die Ideen des Ignatius von Kirche und Kirchenver- 
fassung kommen hier nur erst insofern in Betracht, als man sie un- 
richtig zur Ermittlung von Thatsächlichem verwendet hat. 

2) So z. B. Rothe, 8. 348. 

3) Phil. 9 geht, wie später zu zeigen, auf Herm. Past. sim. 9 zu- 
rück. Dass hier „die Kirche“ neben Patriarchen, Propheten und 
Apostel gestellt wird, liegt freilich auf der Hand; aber es bleibt dunkel, 
wiefern das ein Beleg für den Satz sein soll, dass die ignatianischen 
Briefe das Bild einer förmlich organisirten Kirche vorführen (Rothe, 
S. 349). Kirche ist dort die Gesammtheit derer, welche ausser den 
Vorhergenannten durch Christi Vermittelung zur Einheit mit Gott ge- 
langen. Die Apostel gehören zur Kirche, können aber doch als hervor- 
ragende (lieder derselben ebensogut neben der allgemeinen Kirche ge- 
nannt werden, wie Eph. 5 der Bischof neben der Einzelgemeinde. — 
Völlig unzutreffend führt Rothe noch Phil. 3 für seine These an; denn 
dort ist es die Einheit der unter ihrem Bischof stehenden Einzelgemeinde, 
zu welcher die Schismatiker zurückkehren müssen. 


316 


da, wo er von der katholischen Kirche spricht (Sm. 8), sagt 
er, dass sie mit der [unsichtbaren] Gegenwart Christi ge- 
geben sei und an Christus ihren Sammelpunct habe, wie die 
Einzelgemeinde am Bischof. Gott oder Christus allein ist der 
unsichtbare Bischof aller Christen (Mgn. 3), welcher die 
ihres Bischofs zeitweilig "beraubte Gemeinde unmittelbar über- 
wacht (Rom. 9), welcher den Gemeinden ihre rechtschaffenen 
Vorsteher gibt (Phil. inser. und c. 1) und auch die Bischöfe 
unter seine bischöfliche Obhut nimmt (ad Pol. inser. und 
ὁ. 8 fin.; s. Anh. I, z. 1. St). Wenn etwas aus diesen Stellen 
hervorgeht, dann ist es dies, dass die allgemeine Kirche viel 
weniger als die Einzelgemeinde eine äusserliche Einheit und 
greifbare Gestalt hate. Nur in den aller äusserlichen Ver- 
bindung entbehrenden Einzelgemeinden mit ihren der Sicht- 
barkeit angehörenden Institutionen kommt die katholische 
Kirche zur Erscheinung. Wenn 2. B. Rothe (ὃ. 448 vgl. 463) 
- urtheilt, Ignatius betrachte es „als eine Bestimmung des 
Episkopats, ein Organ oder vielmehr das Organ der Ver- 
bindung der einzelnen Gemeinden unter einander zur kirch- 
lichen Einheit zu bilden“, und sein Kritiker Baur (I, 64 ff.) 
sich dies vollständig aneignet, so wird das nur durch den 
Trugschluss erzwungen, dass, weil die Gemeinschaft des 
Einzelnen mit der Kirche durch seine Verbindung mit dem 
Bischof vermittelt oder von ihr abhängig erscheine, darum 
auch für die Einzelgemeinde der Episkopat das specifische 
Medium ihrer Zugehörigkeit zur katholischen Kirche sein 
müsse (Rothe, S. 464. 466). Geradezu ausgesprochen soll der 
Gedanke in Eph. 3 vorliegen ἢ. Aber Niemand hat bisher 
den Versuch gemacht, exegetisch zu erweisen, dass die gute 
Zuversicht, welche Ignatius zu den Bischöfen seiner Zeit hat, 
irgend ein Urtheil über die Bestimmung des Episkopats, ge- 
schweige denn eine Nachricht über seine Stellung in der 
damaligen Kirche enthalte. Freilich kann man als Meinung 
des Ignatius hieraus folgern, was er nicht ausspricht, dass die 


1) So wiederum Rothe, S. 471. Vgl. oben S. 299 und Anh. I, 
z. Eph. 3. 


317 


Epheser, wenn sie mit ihrem Bischof und ihrem Presbyterium 
sich in Einklang ‘erhalten, zugleich auch mit den Bischöfen 
aller Orten in Einklang sich befinden. Aber anstatt dass 
dies auf eine göttliche Bestimmung des Episkopats zur Re- 
präsentirung der Gesammtkirche gegründet würde, folgt es 
einfach daraus, dass nach seinem Urtheil die Bischöfe überall 
in den Schranken des Willens und der Gesinnung Christi sich 
bewegen. Dass hier die Bischöfe der einzelnen Gemeinden 
unter den Begriff eines einheitlichen Episkopats, einer 
„souveränen Gesammtheit‘“ zusammengefasst seien (Rothe, 
S. 411 ἢ. 518£.), entbehrt vollends allen Anhalts im Wortlaut. 

Es ist die Persönlichkeit, nicht die amtliche Stellung, 
welche einen Polykarp zum Rathgeber der philippischen Ge- _ 
meinde und zum Vermittler des Verkehrs dieser wie der 
vorderasiatischen Gemeinden mit der antiochenischen macht, 
und es sind ausserordentliche Ereignisse, wie die Reise des 
Ignatius und das Aufhören der Verfolgung in Antiochien, 
welche einen lebhafteren Verkehr der Gemeinden veranlassen. 
Wie angelegentlich Ignatius diese Anlässe benutzte, haben 
wir gesehen; aber auch darauf ist noch hinzuweisen, dass er 
nicht zufällig den Polykarp, und nicht einen Onesimus oder 
Polybius, dazu ausersah, ihm dem brieflichen und persönlichen _ 
Verkehr der vorderasiatischen Gemeinden mit der antiocheni- 
schen in die Hand zu legen. Deutlich spricht sichs in seinem 
Brief an Polykarp aus, dass er dieser Persönlichkeit eine über 
die Grenzen ihrer Gemeinde hinausgreifende Bedeutung zu- 
schreibt; in diesem Sinn muss er auch in Philippi von ibm 
gesprochen haben, wenn der Brief dieser Gemeinde an 
Polykarp, soweit sich sein Inhalt aus der Antwort er- 
schliessen lässt, verständlich sein soll !). Wenn Ignatius seinen 
Amtsgenossen zu tapferem Widerstand gegen die Irrlehrer 
auffordert, denkt er nicht nur an die Abwehr derartiger Ein- 
flüsse. auf die smyrnäische Gemeinde. Der Ton dessen, was 
vorangeht und nachfolgt, erscheint nur dann angemessen, wenn 
Ignatius den von ihm selbst nur im Vorübergehn geführten 


— mn nn -.-- -.. 


1) Vgl. besonders Pol. 3. 12 und unten Abschnitt V, 1. 


318 


Kampf von Polykarp stetig fortgesetzt sehn will. „Die Zeit- 
lage“ soll er ins Auge fassen. „Die Zeit“ bedarf seiner 
und fordert ihn auf; dieser gefahrvollen Epoche, der Kirche 
dieser Zeit ist Polykarp ebenso unentbehrlich, wie den Steuer- 
leuten, wenn sie aus der Stelle kommen sollen, der Wind und 
Dem, der mit dem Sturm kämpft, der Hafen (ad Pol. 2. 3; 
s. Anh. I, z. d. St.). Die Geschichte beweist, dass Ignatius den 
Polykarp nicht vergeblich zu einer grossartigeren A uffassung 
seines persönlichen Berufs aufgerufen hat. Polykarp hat in 
die Bewegungen seiner Zeit nachhaltig eingegriffen, durch 
Sendschreiben an benachbarte Gemeinden und einzelne Per- 
sonen !), durch jene Reise, welche ihn fast ein halbes Jahr- 
hundert später als Ignatius nach Rom führte ?), durch Her- 
‚anbildung einer jüngeren Generation kirchenleitender Persön- 
lichkeiten, welche mit neuen Mitteln, aber in seinem Geist 
die kirchlichen und theologischen Aufgaben ihrer Zeit zu er- 
füllen versuchten. Wenn man den Einfluss, den er geübt, 
benennen will, so ist es viel zu wenig, ihn mit den Heiden 
den Lehrer Asiens zu nennen); aber, kirchenrechtlich 
betrachtet, ist er Bischof der Gemeinde von Smyrna ge- 
blieben. | | 
Nicht so leicht wie der ortsgemeindliche Charakter des 
Episkopats lässt sich seine Stellung zur Gemeinde und den 
übrigen Aemtern erkennen. Ignatius spricht eine sehr hohe 
Meinung von der Bedeutung des Bischofs aus, wenn er von 
seiner eigenen Gemeinde Rom. 9 sagt: ἥτις ἀντὶ ἐμοῦ ποι--: 
ulvı τῷ Θεῷ χρῆται. Movog αὐτὴν ᾿Ιησοῦς Χριστὸς ἐπισκοπήσεε 
καὶ ἡ ὑμῶν ἀγάπη. Je stärker er ebendort und anderwärts 
gerade seiner eigenen Gemeinde gegenüber seine persönliche 
Unwürdigkeit betont, um so mehr fällt der Ton dieser Aus- 
sage auf den Bischof als Bischof. Er scheint .von Haus aus 
an eine straffere Zusammenfassung der Gemeindeleitung in 


1) Iren. ep. ad Flor. bei Eus. ἢ. 6. V, 20, 8. 

2) Iren. III, 3, 4 und ep. ad Victor. bei Eus. h. e. V, 24, 16. 

3) mart. Polyc. 12: οὗτός ἐστιν ὃ τῆς σίας διϑάσκαλος. ὁ πατὴρ 
τῶν Χριστιανῶν x..t. A. Die Lesart ἀσεβείας verdient keine sonderliche 
Beachtung. “ ; 


319 


der Hand des Bischofs gewöhnt zu sein, als er in den asiati- 
schen Gemeinden üblich fand; denn so gewiss der monarchische 
Episkopat dort festgestanden haben muss, so wenig würde 
doch ein grosser Theil seiner Desiderien verständlich sein, 
wenn das, was er empfiehlt, dort ebenso sehr in Uebung war, 
als es ihm selbstverständlich ist. Als der eine Hirt der Ge- 
meinde ist der Bischof anerkannt (Phil. 2), und alle Die, 
welche sich nicht gerade unter dem Einflusse der häretischen 
Bewegung von der Gemeindeeinheit lossagen (Phil. 3), halten 
sich zu dem „einen Bischof sammt Presbytern und Diakonen “ 
(Phil. 4). Wenn trotzdem so oft ermahnt wird, nichts ohne 
den Bischof oder ohne die Träger des dreifachen Amtes zu 
thun, wenn auch da, wo eine Versuchung zum Schisma nicht 
unmittelbar vorliegt, vor aller Vornahme kirchlicher Hand- 
lungen ohne den Bischof oder einen von ihm beauftragten 
Vertreter, ohne seine ausdrückliche Billigung oder gar mit 
absichtlicher Umgehung desselben gewarnt wird (Sm. 8. 9), so 
muss in dieser Hinsicht dort eine laxere Praxis herrschen, 
- als Ignatius der Zeitlage. angemessen findet. Er findet es 
unter Anderem auch schicklich, dass die Eheschliessung 
unter Zustimmung des Bischofs geschehe !), damit die Ehe 
eine christliche sei; dann wird das nicht als kirchliche Ord- 
nung festgestanden haben. Wir gewinnen aus ad Pol, 
c. 1--6 die allgemeine Vorstellung einer patriarchalischen 
Regierung der Gemeinde durch den Bischof, deren haupt- 
sächliche Form die persönliche Seelsorge ist. Alle Einzelnen 
soll Polykarp persönlich aufsuchen, mit den Einzelnen in 
christlicher Brüderlichkeit ?) reden, sie zu fleissigem Besuch 


en 


1) ad Pol. 5. Einsegnung der Ehe durch den Bischof haben 
Pears. III, 31; Smith, schol., p. 69 ohne Weiteres daraus gemacht. 

2) ad Pol. 1 ὁμοήϑειαν ist durch Lı, der auch Magn. 6 das 
selbe Wort durch ‘consuetudo übersetzt, G2 L2 vertreten, während 
das βοήϑειαν des ΟἹ an Scur. u. A jedenfalls keine Stütze hat. Das 
Wort bedeutet Magn. 6 und Clem. strom. VII, p. 878 Pott. nicht 
bloss die den Christen gemeinsame, sondern auch die allen Christen 
gleichmässig zugewendete Gesinnung. Polykarp soll weder unter 
den Gemeindegliedern noch zwischen sich und ihnen .bösen Unter- 


920 


des Gottesdienstes anhalten, die einzelnen : Stände auf ihre 
besonderen Pflichten hinweisen und die einzelnen Personen 
nach ihrer besonderen Individualität behandeln, die Wider- 
späustigen wie die Gutartigen. Die Fürsorge für die Wittwen 
(ad Pol. 4) insbesondere wird ihm empfohlen. Es ist ein 
mühsames Amt (ad Pol. 1 fin.), diese. ἰδία οἰκονομία (Eph. 6) 
und διακονία (Phil. 1) des Bischofs, welche Alle und be- 
sonders die. Presbyter verpflichtet sind, ihm so leicht wie 
möglich zu machen (Tr. 12). Der Bischof leitet selbstver- 
ständlich den Gottesdienst; „unter ihm“ geht die Abend- 
mahlsfeier vor sich (Sm. 8), und das gemeinsame Gebet ‘der 
ganzen Gemeinde ist ein Gebet des Bischofs (Eph. 5); er ist 
also der im Namen der Gemeinde handelnde Liturg. Eigent- 
liche Lehrthätigkeit tritt im Bilde des Bischofs nach dem 
Herzen des Ignatius jedenfalls sehr zurück. Wie er über- 
haupt ein Mistrauen gegen das Reden hat, dem die That 
etwa nicht entsprechen könnte (vgl. z. B. Eph. 15), so scheint 
er ein besonderes Wohlgefallen an dem schweigsamen Bischof 
von Philadelphia gehabt zu haben (Phil. 1); und gerade dem 
schweigenden Bischof, welcher im Uebrigen seine Amtspflicht 
thut, ist man doppelte Ehrfurcht schuldig (Eph. 6; cf. Trall. 3). 
Nur an Einer Stelle scheint auf Predigt des Bischofs hin- 
gewiesen zu sein. Τὰς xuxoreyrius φεῦγε᾽ μᾶλλον δὲ περὶ 
τούτων ὁμιλίαν ποιοῦ 1), heisst es unmittelbar nach einer Er- 
mahnung, die Sklaven nicht übermüthig zu behandeln, aber 
auch nicht übermüthig werden zu lassen, und vor einer An- 
weisung, die Ehegattinnen zur richtigen Führung der Ehe 
anzuhalten. Bunsens Aenderung τὰς κακοτέχνους und seine 
Deutung auf „gefallsüchtige Weiber“, mit denen sich 


schied machen. Das ϑεοῦ ist an beiden Stellen ebenso wie bei ὁμόνοια 
Magn. 15; Phil. inser. oder ἐπιείχεια Phil. 1 rein attributiv. Wir 
würden sagen „christlich“ in einem Sinne, den Ignatius mit dem 
Adjectiv χριστιανός (Trail. 6) noch nicht ausdrücken kann. 

1) ad Pol. 5. Das in ΟΣ ἢ a vorfindliche μή hat nicht bloss 
ΟἹ Li A Scur., sondern auch alle übrigen Handschriften von ΟΣ gegen 
sich. _ Uebrigens könnte auch nur ein μηδέ die erforderliche Steigerung 
ausdrücken. 


321 


Polykarp nicht einlassen soll, hat keinen Beifall gefunden ἢ): 
aber eine Warnung vor „falschen Redekünsten‘ 5 zerreisst 
nuch viel offenbarer den Zusammenhang der auf die ver- 
schiedenen Stände und Verhältnisse, der Reihe nach auf 
Sklaven, Ehegatten, Ehelosigkeit, Eheschliessung sich be- 
ziehenden Rathschläge an den Bischof; und wenn Uhlhorn, 
wie schon Pearson (III, 30) vorschlug und Arndt (Handschrift) 
billigte, das τούτων auf die nun folgenden Ermahnungen be- 
“ zogen haben will, so gewinnt man einen schiefen Gegensatz 
zwischen einem umfassenden, aber doch zunächst formalen 
Fehler der Predigt und einer ganz einseitigen Angabe rich- 
tiger Predigtmaterien. Als Inhalt der öffentlichen Lehre 
hätte ebensogut das vorher über die Sklaven Gesagte genannt 
werden können, und mich dünkt, gerade was er den Ehe- 
frauen und ihren Ehemännern zu sagen hat, eignet sich viel 
weniger dazu. Soll überhaupt ein Zusammenhang bestehen, 
so sind unter χαχοτεχνίαι unehrliche Gewerbe zu verstehen 5), 
freilich nicht, als ob Polykarp davor gewarnt würde, sich 
selbst auf eine des Christen und Bischofs unwürdige Weise 
den Lebensunterhalt zu verschaffen. Wie die Philadelphener 
nicht ermmahnt werden, die bösen Künste und Ränke des 
Teufels selbst nicht zu treiben, sondern den Häretikern aus- 
zuweichen, welche der Teufel dazu gebraucht (Phil. 6), so 
soll auch Polykarp mit denen, welche schmutzige Geschäfte 
treiben, sich gar nicht einlassen. Der Uebergang von den 
Sklaven und einem verwerflichen Streben derselben zu den 
histriones, saltatores, lenones, mathematici, von denen grosse 
Städte, wie Smyrna, wimmelten, erscheint natürlich, und ebenso 


— 


1) Vgl. Baur 1Π, 10; Uhlh., S. 26; Hilgf., S. 206; Merx, S. 68. 
Letzterer, der die aus Bunsen angeführten deutschen Worte nicht ver- 
standen hat, thut diesem überhaupt Unrecht, indem er übersieht, dass 
Bunsen I, 37; II, 28 ein μη im Text fordert und andernfalls eine andere 
Textbesserung bereit hat. 

2) So Uhlh.,, S. 26. Die Bedeutung ist unanfechtbar. Clem. strom. 
I, 340 Pott. heisst die Sophistik ἡ στώμυλος αὕτη xaxorsyvie. 

3) Vgl. die Citate bei Cur., p. 272, dessen eigene Ansicht jedoch 
dunkel bleibt. 

Zahn, Ignatius, 21 


822 


der Fortschritt zu dem Satz: „Predige vielmehr darüber“, 
d. h. warne die Gemeinde vor Umgang mit zweideutigen 
Menschen und vor Theilnahme an heidnischen Lustbarkeiten. 
Gerade weil keine bestimmte Classe der Gemeinde genannt 
ist, an welche er diese Homilia richten soll, wird öffentliche 
Predigt zu verstehen sein, eine jener διαλέξεις, ἃς ἐποιεῖτο 
πρὸς τὸ πλῆϑος ἢ. Eine sehr natürliche Ideenassociation führte 
von diesem Gegenstand auf die Reinheit des ehelichen Lebens. 
Aber die öffentliche Predigt ist nichts dem Bischof Eigen- 
thümliches. Gerade an der einzigen Stelle, wo die Lehre als 
Berufsziel genannt wird {Magn. 6), sind es die Presbyter ent- 
weder allein oder mit Bischof und Diakonen zusammen, denen 
sie zugewiesen wird. Das Letztere ist das Wahrscheinlichere, 
denn gerade vom Bischof war unmittelbar vorher zunächst 
das προκαϑῆσϑαι ausgesagt, was dann weiterhin zu πρεσβυτέ-- 
ρων und διακόνων supplirt sein will. Es ist also zu über- 
setzen: „Seid einig mit dem Bischof und [überhaupt] mit 
denen, welche zum Vorbild und zur Lehre [über euch] den 
Vorsitz führen.“ Ob von allen drei Classen der Gemeinde- 
vorsteher beides in gleichem Masse gilt, was 1 Tim. 4, 12 
und 2 Tim. 4, 2 getrennt ist, lässt sich aus den Worten nicht 
bestimmen. Die Diakonen jedenfalls haben nicht von Amts- 
wegen zu lehren, sondern im engeren Sinn des Wortes zu 
dienen 3. Die Geleitung des Ignatius durch Burrhus, die 
nicht näher angegebenen Dienste, welche ihm Philon und 
Agathopus in Troas leisteten 5), die Botendienste, welche der 
Letztere gethan hat und Burrhus thun soll, sind Beispiele 
ihrer Obliegenheiten. „Diener der Geheimnisse Jesu Christi‘* 
sind sie freilich auch und sollen bedenken, dass sie nicht 
„Diener in Bezug auf Speisen und Getränke“, sondern 


1) Iren. ep. ad Florin. bei Eus. h. e. V, 20, 6. Vgl. zum Ausdruck 
schon Act. 20, 11. 

2) Die wiederholte Vergleichung der Diakonen mit Christus Trall. 3; 
Magn. 6; Pol. ad Phil. 5 wird nach Joh. 13, 4—17 zu deuten sein, 
wenn auch Matth. 20, 28 zunächst zu Grunde liegen mag. 

3) Vgl. das ὑπηρετεῖν Phil. 11 mit ὑπηρέται Trall. 2 


823 


- „ Handlanger der Gemeinde Gottes" sind (Trall. 2; 5. Anh. I, 
z. d. St.). Der letztere, scheinbar ganz schiefe Gegensatz zeigt, 
dass sie es allerdings mit Speisen und Getränken zu thun 
haben und nur nicht bei dieser Aeusserlichkeit stehen bleiben 
sollen. Gelegenheit zur Veruntreuung müssen sie aber hier- 
bei haben 3), wenn sie auch nur die auf Pflege der Armen 
und Wittwen bezügliehen Anordnungen des Bischofs und der 
Presbyter ausführen. Nebenbei mag atıch auf ihre Hand- 
reichung bei der Abendmahlsfeier Bezug genommen sein, demn 
hierauf, vielleicht auch auf ähnliche Dienste bei Taufe und 
Schriftvorlesung, bezieht es sich ohne Frage, dass sie διάκονοι 
μυστηρίων heissen. Aber der Uebergang vom einen zum 
andern Gedanken lag sehr nahe, so lange die bei den Agapen 
und in der Abendmahlsfeier selbst verwendeten Elemente mit 
den Opfern der Wohlthätigkeit unter den einen Begriff der - 
δῶρα oder πρόσφοραί fielen ?), und beides durch die Hand der 
Diakonen an die Einzelnen gelangte 3. Viel undeutlicher 
bleibt, was den Presbytern im Unterschied vom Bischof zu- 
steht. Den Presbytern zu Philippi, welche keinen Bischof 
über sich haben, wird von Polykarp ähnlich wie ihm selbst 
von Ignatius, Seelsorge besonders an den Verirrten, Be- 
schützung aller Kranken, Fürsorge für Wittwen, Waisen und 
Arme, besonders ausführlich aber gerechte und milde Hand- 
habung einer richterlichen Befugnis *) anempfohlen, ein Zug, 
welcher im ignatianischen Bilde sowohl des Bischofs, als der 


1) Vgl. die hiesige Warnung der Diakonen vor ἐγχλήματα mit 
Herm. past. sim. 9, 26. Ihre Abhängigkeit von den ἐπέσχοποι in diesem 
Pancte versteht sich von selbst, . ergibt sich aber auch aus der Ver- 
gleichung mit c. 27. Es werden Pol. 5 auch die Diakonen vor Geldgier 
gewarnt, obwohl es zunächst ein Presbyter war, der dort Gemeindegelder 
unterschlagen hatte. 

2) Vgl. Höfling, die Lehre der altkatholischen Kirche vom Opfer, 
S. 228. 5if. 

3) Justin. apol. I, 65, p. 97e; 1, 67, p. 98 6. 

4) Pol. 6: ἀπεχόμενοι πέσης voyüs, προσωποληψίας, χρίσεως ἀδίκου, 
peaxpiv ὄντες πάσης φιλαβγυρίας, μὴ ταχέως πιστεύοντες κατιί τινος, 
ger “πύτομοι ἐν χρίσει χ. τ. A. ΟἿ, Clem. ad Jacob. 10; homil. III, 67, 

21* 


824 


Presbyter völlig fehlt ἢ. Dass Polykarp sie ausserdem wahr- : 
scheinlich als Lehrer der Gemeinde mit sich zusammenfasst, 
wurde schon ἃ. 297 gezeigt. Vergeblich sucht man nach 
einem eigenthümlichen Berufe der Presbyter. Die beständige 
Betonung ihrer Verbindung mit dem Bischof auch da, wo die 
Diakonen nicht erwähnt werden ?2), und die gelegentliche 
Unterscheidung der Ausdrücke für das richtige Verhalten 
gegen Bischof und Presbyter einerseits und gegen die Diakonen 
andrerseits (Sm. 8; Trall. 2), lässt nur den Eindruck zurück, 
dass sie in Unterordnung unter den Bischof und im Unter- 
schied von den Diakonen an den Geschäften des Ersteren 
theilnehmen. Ein Presbyter wird es sein, dem der Bischof 
gelegentlich aufträgt, statt seiner die Abendmahlsfeier zu leiten 
(Sm. 8); aber sie sind nicht bloss gelegentlich Vikare des 
Bischofs, wogegen schon ihre anscheinend grosse Zahl spricht. 
Die häufige Vergleichung mit dem Apostelcollegium (Trall. 
2. 3; Magn. 6; Phil. 5; Sm. 8) oder mit einem „würdig 
gewundenen Kranze‘“ (Magn. 13) ist nur dann erträglich, wenn 
. der Regel nach an der Zwölfzahl nicht allzuviel fehlte. Als 

geschlossenes Collegium sind sie durch das in der älteren 
kirchlichen Literatur ziemlich seltene, von Ignatius aber 
13mal gebrauchte πρεσβυτέριον gekennzeichnet, deutlicher 
noch durch die Vergleichung mit dem συνέδριον ϑεοῖ und 
dem σύνδεσμος τῶν ἀποστόλων Trall. 3. Die Apostel selbst 
werden dabei als Mitberather Gottes und Berather der Ge- 
meinde vorgestellt, denn als irdisches Abbild des συνέδριον 
τῶν ἀποστίλων erscheint das Presbyterium 8. Da nun aber 


1) Denzinger (8. 35) hat nicht deutlich gesagt, geschweige denn be- 
gründet, dass und inwiefern ad Pol. 2 von beichtväterlicher Strafgewalt 
des Bischofs die Rede sei. Es handelt sich dem Zusammenhang nach 
um die rechte Erkenntnis der Zeitlage, und die nur erst drohenden, noch 
zukünftigen Gefahren der Kirche sind es, um deren Offenbarung Polykarp 
bitten soll. Vgl. oben 8. 317f. 

2) Vgl. z. B. Eph. 4. 20; Trall. 13; Pol. inser. 

3) Mgn. 6. Es wird daher nicht sowohl Apok. 4, 4. 10, als viel- 
mehr Matth. 19, 28 zu Grunde liegen; oder eine Combination beider 
Stellen wie bei Clem. strom. VI, p. 793 Pott. — Vgl. übrigens noch 
1 Petr. 5, 1. | 


325 


an beiden Stellen der Bischof in seinem Verhältnis zur Orts- 
gemeinde und ihrem Presbyterium als Abbild Gottes im Ver- 
hältnis zur allgemeinen Kirche ') und zum Apostelcollegium 
vorgestellt wird, so gewinnen wir vom Presbyterium die Vor- 
stellung eines dem Bischof zur Seite stehenden berathenden 
Collegiums. Das Presbyterium mit Einschluss des Bischofs 
wird dann auch unter dem συνέδριον τοῦ ἐπισκόπου Phil. 8 
zu verstehen sein, zu welchem diejenigen, welche sich in 
Philadelphia separirt haben, bussfertig zurückkehren müssen. 
Eine Versammlung dieses Senates soll Polykarp veranstalten, 
um in derselben den Gesandten für Antiochien wählen zu 
lassen (ad Pol. 7). Allerdings ist es die smyrnäische Ge- 
meinde, welche den Gesandten wählt (Sm. 11), aber der hier 
gebrauchte Ausdruck ?) fordert doch zu bestimmt eine Raths- 
versammlung, als dass an eine kirchliche Volksversammlung 
zu denken wäre, und es besteht ein Widerspruch zwischen 
dieser nähern Angabe der Art der Wahl und dem allge- 
meinen Ausdruck in Sm. 11 ebenso wenig, als wenn ad 
Pol. 8 der Bischof, Sm. 11 dagegen die Gemeinde als Ab- 
sender des Boten erscheint. In diesem Rathscollegium führt 
selbstverständlich der Bischof den Vorsitz; aber es hiesse doch 
einen durchaus fremden Zug in das Bild der Kirchenver- 
fassung eintragen, wie es unsere Briefe wiederspiegeln, wollte 
man die Bischöfe jener Gegenden wesentlich unter diesem 
Gesichtspunet als Präsidenten der Presbyterien betrachten 
oder, was damit sofort gegeben wäre, wollte man sich diesen 
Episkopat in der Art aus dem Presbyterat erwachsen denken, 
dass nur das Bedürfnis grösserer Stetigkeit und Einheit der 
Gemeinderegierung allmählig die ständige und die lebens- 
längliche Uebertragung des Vorsitzes im Presbyterium und 
der Vertretung der Gemeinde bei allen gemeinsamen Arten 
auf einen Presbyter veranlasst hätte So etwa mag der 


1) Dieser Gedanke ist hier nur mittelbar ausgesprochen, aber ohne 
Zweifel Voraussetzung; cf. Phil. 5: τοῖς ἀποστόλοις ὡς πρεσβυτερίῳ 
ἐχχλησίας. --- Phil. 9: οἱ ἀπόστολοι καὶ ἡ ἐκκλησία, vgl. auch Sm. 8. 

2) Vgl. alle neutestamentlichen Stellen für συμβούλιον. 


826 


Episkopat überall da sich entwickelt kaben, wo er am Ende 
des 1. Jahrhunderts noch nicht existirte, wie in Rom und 
Korinth und auch in Philippi, wo der gleiche Zustand noch 
für die Zeit Trajans bezeugt ist, mit einem Wort also in den 
Kirchen Europe’'s. Es ist kein epochemachendes Ereignis denkbar, 
welches dort später eine förmliche Stiftung oder plötzliche Ein- 
führung des Episkopats veranlasst haben könnte. Aber daraus 
folgt nichts für die Art der Entstehung des Episkopate in 
Asien. Schon ein sehr äusserlieher Umstand spricht dagegen, 
dass in den kleinasiatischen Gemeinden eine ähnliche Eni- 
wickelung des Episkopats aus dem Presbyterat stattgefunden 
hat, wie wir sie in den weiter westlichen Gemeinden voraus- 
setzen müssen. - Die Presbyter jener Zeit waren durchweg 
ältere Männer; es hatte ihr Amtstitel immer eine gewisse 
Doppelsinnigkeit ἢ. Die asiatischen Bischöfe aber waren 
keine Greise. Damaäs von Magnesia ist ein junger Mann, 
und nicht nur zum Titel, auch zum Alter der πρεσβύτεροι 
steht dieser νεώτερος in einem Gegensatz (vgl. oben S. 305f.). 
Polykarp wird die Höhe seines Lebens kaum schon erreicht 
haben, als er mit Ignatius sich berührt. (Gestorben ist er 
jedenfalls nach 160 3), nachdem er „86 Jahre lang seinem 
Herrn gedient hat‘ (mart. Pol. 9). Wollte man das, wie 
schen oft geschehen ist, von seinen Lebensjahren verstehn, so 
wäre er um 110 erst 30—40 Jahre alt gewesen. Aber auch 
abgesehn davon, dass die ignatianischen Briefe nicht die 
geringste Andeutung daräber enthalten, vielmehr durch die 


1) Clem. Rom. ’ep. I, 44. Vgl. den nicht technischen Gebrauch 
des Worts im Gegensatz zu νέοι ο, 1, 21, wo trotzdem die Stellung der 
πρεσβύτεροι neben den ἡγούμενοι oder προηγούμενοι den Sinn gibt: 
„die Gemeindevorsteher und überhaupt die älteren Männer“. Die Er- 
hebung der Jungen gegen die Alten ist thatsächlich eine Empörung 
gegen die Gemeindeältesten ὁ. 3 cf. 47. Vgl. 1 Petr. ὅ, 1. 5. 

2) Bestimmtere Ansätze wie das Jahr 169 (bei Uss. Cler. II, 203), 
166 (z. Β. bei Ruinart, p. 28 sqg.), 161 (bei Stieren in Zeitschrift 
fir historische Theologie 1842, 8. 881.) u. dergl. m. entbehren meines 
Erachtens der sicheren Grundlage. Vgl. such Steitz in Studien und 
Kritiken 1868, 8. 514. | | 


327 


Stellung, welche sie dem Polykarp anweisen, dem ent- 
schieden widersprechen, dass er erst seit wenigen Jahren sein 
Amt geführt babe, was doch der Fall sein müsste, wenn er 
die dreissiger Jahre noch nicht überschritten hatte, so ist doch 
jene Auslegung des Ausspruchs Polykarps an sich selbst ver- 
werfiich.. Selbst wenn man annehmen wollte, dass er als 
kleines Kind getauft worden, müsste man es höchst wunder- 
lich finden, wenn er von solcher Taufe an seine Dienstjahre 
rechnete. Auch reicht die Zahl 86 schwerlich aus, um die 
starken Ausdrücke für sein hohes Alter zu erklären, welche ' 
seine Gemeinde und besonders sein Schüler Irenäus gebrau- 
chen ἢ. Schon als Irenäus in seinem Jünglingsalter in seiner 
Umgebung lebte, also spätestens um 150, muss Polpkarp seine 
Altersgenossen grosgn Theils überlebt haben, denn schon 
damals war eg ihm zur Gewohnheit geworden, auszurufen ; 
Ὦ καλὲ Bel, εἰς οἷούς μὲ καωροὺς τετήρηκας (Bus. h. e. V, 20, 7). 
Er wird wahrscheinlicher vor als nach dem Jahre 70 geboren 
sein, war also zur Zeit seiner Begegnung mit Ignatius etwa 
40—50 Jahr alt und offenbar längst Bischof ὃ). Dazu stimmt 
es, dass er nach Iren. III, 3, 4; οἵ, II, 22, 5 noch von den 
Aposteln, deren Umgang er genossen, oder, wie wir nach 
Allem, was Irenäus dort und anderwärts sagt, mit grösster 
Wahrscheinlichkeit statt dessen sagen dürfen, von dem. letzten 
der Apostel, von- Johannes, als Bischof von Smyrna eingesetzt, 
worden sein soll (cf. Tertull. praeser. 32; adv. Marc. IV, 5). 
Mag man den Irenäus noch so grosser Verwirrung für fähig 
halten, sowohl in denjenigen Puncten der Ueberlieferung, 
welche vor ihm und neben ihm die ganze kleinasiatische 


1) mart. Pol. 7; Iren. III, 8, 4: ἐπιπολὺ γὰρ παρέμεινε, καὶ πάνυ 
ynauides . . . ἐξῆλϑε τοῦ βίου, Was man ein ungewöhnlich hohes Alter 
nannte, zeigen die naheliegenden Beispiele des 120jährigen Simeon (Hoges. 
Eus. III, 33, 3), des, Wjährigen Pothinus (epäst. 9001. Lugd. Eus. 
vV, 1, 29; 5, 8), des 1l16jährigen Narkissus (Alex. hieros. Eua. 
VI, 11, 3). 

2) Seine hervorragende Stellung unter den asiatischen Bischöfen be- 
weisen nicht bloss die Aufträge ad Pol. 8; Pol. ad Phil. 13, sondern 
viel mehr noch Berafungen auf ibn, wie. die Eph. 21 cf. Mgn. 16. 


828 


Kirche vertritt. als in denjenigen. wofür er sich auf eigene 
treueste Erinnerung beruft, soviel muss man ihm in Bezug 
auf seinen Lehrer Polykarp glauben, dass dieser spätestens 
seit den letzten Jahren, in welchen nach des Irenäus Meinung 
in Ephesus ein Apostel gelebt hat, also seit den Jahren 
97—100, an der Spitze der smyrnäischen Gemeinde gestanden 
hat. Das unabhängige und selbst im Fall ihrer Unächtheit 
höchst werthvolle Zeugnis der igmatianischen Briefe von 
Polykarps hervorragender Stellung um r10 bestätigt das. 
Polykarp ist dann als Dreissigjähriger Bischof von Smyrna ge- 
worden, zum Presbyter zu jung, aber zum Bischof so wenig wie 
Damas von Magnesia. Diese Bischöfe sind nicht aus Pres- 
bytern dazu geworden, sondern von vornherein als Bischöfe 
eingesetzt worden. Eben dies ist die Voraussetzung sowohl 
der Ideen des Ignatius vom Episkopat, als auch der that- 
sächlichen Verhältnisse, welche uns seine Rathschläge er- 
kennen lassen. . Widrigenfalls müsste doch hier und dort 
einmal die ursprüngliche Flüssigkeit der Grenze zwischen 
Bischof und Presbytern zum Vorschein kommen. Dahingegen 
erscheint bei Ignatius der Episkopat stets ebenso scharf unter- 
schieden vom Presbyterat, wie dieser vom Diakonat. Freilich 
lassen uns die Briefe darüber im Dunkel, wer die dortigen 
und damaligen Bischöfe eingesetzt hat (vgl. Pears. I, 167). 
Vom Bischof der Philadelphener wird nur ebenso wie von 
den Presbytern und Diakonen gesagt, dass er durch eine 
Willensmeinung Christi dazu erklärt worden sei, und dass 
Christus ihn nach seinem eigenen Willen durch seinen heiligen 
Geist in sein Amt eingesetzt habe (Phil. inser.).. Vom Bischof 
allein heisst es dann c. 1 noch ausdrücklicher, dass er seinen 
Dienst nicht von sich selbst oder durch Menschen und nicht 
aus eitlem Ehrgeiz, sondern in Liebe zu Gott und Christus 
erlangt habe und besitze. Der weitere Verlauf zeigt aber, dass 
Ignatius dies nur durch einen Rückschluss vom Charakter und 
‘Verhalten dieses Bischofs erkannt hat. Hätte Ignatius sich 
für diesen Fall auf Ernennung des Bischofs durch einen 
Apostel oder auch nur auf eine durch die Apostel vor- 
geschriebene Form der Einsetzung berufen können, so hätte 


329 


er es gegenüber der Separation in Philadelphia nicht unter- 
lassen; und wüsste er von irgend welchen mit der legi- 
timen Einsetzung ins bischöfliche Amt gegebenen Bürg- 
schaften dafür, dass die Einsetzung durch Menschen zugleich 
eine Einsetzung durch Christus und seinen heiligen Geist sei, 
so müssten sie hier erwähnt sein. Nur das sieht man deut- 
lich aus dieser wie aus anderen Stellen 1), dass das bischöfliche 
Amt als ein vom Presbyterat längst deutlich unterschiedenes 
Amt durch einen besondern Act der Einsetzung und Be- 
stallung ein- für allemal übertragen wurde. 

Dies entspricht aber auch den zuverlässigsten Zeugnissen 
über die Ereignisse auf dem Boden der kleinasiatischen Kirche 
nach dem Tode des Paulus und des Petrus. Es ist hier nicht 
der Ort, die betreffenden Thatsachen gegen die Einfälle, denen 
sie in letzter Zeit ausgesetzt waren, sicherzustellen. Nur zur 
Erklärung dessen, was die ignatianischen Briefe für die Zeit 
um 110 bezeugen, sei hier daran erinnert. Diejenige Gestalt 
der Kirchenverfassung, welche nach dem Brief des Clemens 
und dem Hirten des Hermas in Rom und Korinth wenigstens 
bis zum Ende des 1. Jahrhunderts, und nach dem Brief Poly- 
karps in Philippi bis in den Anfang des zweiten hinein be- 
stand, ist auch in Kleinasien zur Zeit des ersten Petribriefs 
und der Briefe an Timotheus noch unverändert gewesen. 
Aber auf dasselbe Gebiet weisen uns die sieben apoka- 
Iyptischen Sendschreiben. Die Auslegung ist strittig wie 
das Urtheil über die Entstehungszeit. Aber in ersterer 
Hinsicht braucht die Hoffnung nicht aufgegeben zu wer- 
den, dass die älteste Auslegung schliesslich Recht behalte, 
nach welcher die ἄγγελοι der 7 asiatischen Gemeinden eben 
nichts Anderes als ihre Bischöfe, die persönlichen Einheits- 
punete und vor Gott verantwortlichen Häupter der Ge- 
meinden sind. In dem Masse, als dies anerkannt 


1) Vgl. mit «ἀποδεδειγμένοις Phil. inser. das ὁρισϑέντες Eph. 3, 
mit dem ἐστήριξεν hier die τάξις = ordinatio Mgn. 3, mit dem xe- 
κιῆσϑαι τὴν διαχονίαν τὴν sis τὸ xowor ἀνήκουσαν Phil. 1 die (die 
οἰκονομέα Eph. 6, 


330 


wird 1), empfiehlt sich dann auch wieder die alte Ueber- 
lieferung, welche die Entstehung der Apokalypse in die letzte 
Zeit Domitians verweist. Dadurch gewinnen wir einen 
dreissigjährigen Zeitraum für die Umgestaltung der Gemeinde- 
verfassung ‘ in Kleinasien nach dem Tode des Paulus. In 
diesen Zeitraum fällt der dortige Aufenthalt des Apostels 
Jobannes und anderer Apostel und apostolischer Männer, jeden- 
falls mehrerer ehemaliger Angehörigen der Kirche Palä- 
stina’s 3). Gerade auf den Apostel Johannes führt aber die 
achtbarste Ueberlieferung die Einsetzung von Bischöfen in den 
asiatischen Gemeinden zurück °), und die erste Einsetzung von 


1) Bei Buns. II, 85 wird dies anerkannt; aber die chronologische 
Schwierigkeit dieser Ansicht bei Annahme der Abfassung der Apoka- 
lypse im Jahre 69 wird nicht gehoben. 8. 88. 129. 

2) Vgl. in Bezug auf Johannes und Philippus Studien und Kritiken 
1866, S. 658f. 666f. und gegen Keim a. Steitz in Studien und Kritiken 

- 1868, 8. 487 ft. Die Voranstellung des Andreas vor Petrus hei Papias 
- (Eus. III, 39, 4) mag wie Anderes von einem Einfluss des 4. Evan- 
geliums auf Papias zeugen (vgl. Steitz, S. 497). Aber mindestens gleich- 
zeitig mit Polykrates von Ephesus, Irenäus und Clemens Alex. ist doch 
auch die Ueberlieferung im Can. Mur. lin. 13sqgq., also alt genug, um 
such dem Andreas eine Stelle in der grösseren Zahl von πρδσβύτεροι 
oder ὠπόστολοι, oder μαϑηταὶ τοῦ κυρίου zu sichern (vgl. Rothe, S. 352), 
welche nach Papias und Irenäus (Iren. II, 22, 5; IU, 3, 4; IV, 27,1; 
32, 1; V, 5, 1. 36, 2; ep. ad Flor. Eus. V, 20, 6; ep. ad Victor. 
Eus. V, 24, 16) im letzten Viertel des 1. Jahrhunderts längere Zeit in 
Kleinasien gelebt haben. Dass der Fragmentist die Soene in Asien denkt, 
folgt daraus, dass ihm der. Evangelist Johannes auch der Apokalyp- 
tiker ist. 

3) Vgl. ausser dem S. 327 aus Irenäus und Tertullian Angeführten be- 
sonders Clem. quis div., p. 959 Pott.: ἐπειδὴ γὰρ τοῦ τυράννου τελευτή- 
σαντος ἀπὸ τῆς Πάτμου τῆς νήσου μετῆλϑεν ἐπὶ τὴν Ἔφεσον, anne παρακα- 
Aovusvos καὶ ἐπὶ τὼ πλησιόχωρα τῶν ἐϑνῶν, ὅπου μὲν ἐπισχόπους κα- 
ταστήφων, ὅπον δὲ ὅλας ἐκκλησίας ἀρμόσων, ὅπου δὲ χλήρῳ ἕνα γέ τινα 
κληρώσων τῶν ὑπὸ τοῦ πνεύματος σημαινομένων. Der Plural ἐπισχό- 
ποὺς ist selbstverständlich ebenso wie ἐχχλησίας zu vertheilen (cf. Ign. 
Phil, 10). Daher ist es in der Gemeinde, in welcher die bekannte Er- 
zählung spielt, der eine „eingesetzte Bischof“, welcher als verant- 
wortlicher Hirt „der Gemeinde voreitzt“. In diesem Fall war es ein 
alter Mann, welcher vom Erzähler nicht allein ἐπίσχοπος genannt und 


821 


Bischöfen in Gemeinden, die kurz vorher keine gehabt haben, 
ist Einführung des Episkopats in dieselben. Dass es sich dabei 
nicht um Stiftung des Episkopats als einer nothwendigen 
Kirchenverfassungsforım durch einen Apcstel oder durch mehrere 
handelt, folgt schon daraus, dass die Einführung desselben in 
die kleinasiatischen Gemeinden ohne alle unmittelbaren Folgen 
für die europäischen Gemeinden geblieben ist. Erst nach 
Trajan kann das Beispiel der seit geraumer Zeit episkopal 
verfassten asiatischen Gemeinden auf die raschere Eintwicke- 
lung und schärfere Ausprägung des Episkopate auch im 
Westen einigen Einfluss geübt haben, welchen zu ermessen 
uns jedoch alle Mittel fehlen. Aber jene Einführung des 
Episkopats in Kleinasien bedeutet auch nicht Stiftung des- . 
seiben als einer für dies kirchliche Gebiet gebotenen 
Einrichtung, sondern Uebertragung einer Einrichtung, welche 
sich ebendort bewährt hatte, von wo jene Apostel und apo- 
&olischen Männer nach Kleinasien gekommen waren. Wenn 
die Bischofsliste irgend einer Kirche Vertrauen verdient, so 
ist es die jerusalemische. Das Interesse, welches Hegesipp 
für die Diadoche der Bischöfe der wichtigeren Kirchen, die er 
bereiste, an den Tag legt, ist heimatliche Mitgift. Der Ein- 
druck einer bischofsartigen Stellung des Jakobus in Jerusalem, 
welchen schon die Apostelgeschichte (21, 18 fl.; vgl. 12, 17; 
15, 13) macht, wird bestätigt durch die ältesten Bestandtheile 
der psendackementinischen Literatur 1), durch Hegesipps Er- 
zählungen über Jakobus und Simeon (Eus. II, 23, 4 564. 
IV, 22, 4 cf. III, 32), und die darüber hinausgehende Ueber- 
lieferung bei Clemens Alex. (Eus. II, 1, 3), bei Euseb (III, 11) 
und in der jerusalemischen Kirche seiner Zeit ?). Es spricht 
nichts dagegen, dass die Palästinenser, welche in den Jahren 
vom Apostel so angeredet wird, sondern auch πρεσβύτερος und πρεσβύ- 
της heisst in merklichem Gegensatz zu dem ihm befohlenen veaviaxos. 

1) Nämlich die Anabathmen des Jakobus racogn. I, 66. Vgl. ferner 
epist. Petr. ad Jacob. und diamart. Jacobi. 

2) Eus. VII, 19. Dies mag auch schan den Warten Tertullians zu 
Grunde liegen: perourse ecclesias spostolicas, apud quas ipsse adhuc 
cathedrae apostelorum suis locis praesidentur. Praaser. 96. 


332 


70—100 nach Kleinasien kamen, den durch Paulus und 
seine Schüler gestifteten Gemeinden die monarchische Zu- 
spitzung der Gemeinderegierung im Episkopat empfahlen. 
Ist es ferner gewiss, dass die syrische Kirche von Anfang an 
im innigsten Zusammenhang mit der palästinensischen ge- 
standen hat 1), so kann es nicht auffallen, dass Ignatius von 
Haus aus an eine stärkere Betonung der im Bischof repräsen- 
tirten Gemeindeeinheit: gewöhnt ist, als er in den klein- 
asiatischen Gemeinden üblich fand. Nur die oberbischöfliche 
Stellung, welche die pseudoclementinische Literatur dem 
Jakobus zunächst in Bezug auf die hebräische Kirche, damit 
aber für jenen Standpunct zugleich in. Bezug auf die Kirche 
. überhaupt, anweist und als Ideal wenigstens festhält 3), findet 
nach dem Zeugnis der ignatianischen Briefe weder in der 
Heimat des Ignatius, noch in Kleinasien eine Analogie. Sie 
war, soweit sie geschichtliche Grundlage hat, mit dem eigen- 
thümlichen Verhältnis der palästinensischen Christenheit zu 
ihrer Metropolis gegeben. 


4. Das Gemeindeleben und der Gottesdienst. 


Es lohnt sich sowohl an sich, als zum Zweck kritischer 
Verwerthung, die zerstreuten Züge zu sammeln, aus welchen 
sich, wenn sie zahlreicher wären, ein Bild des Gemeindelebens 
zur Zeit des Ignatius gewinnen liesse. Als Stände innerhalb 
der Gemeinde treten hervor die Verehelichten, die grund- 
sätzlich Ehelosen, die Wittwen, die Sklaven. Es müssen 
Sklaven: heidnischer Herren sein, welche ermahnt werden, 
nicht darauf zu dringen, dass sie von Gemeinde wegen los 


1) Vgl. Uhlhorn, die Homilien und Recognitionen, S. 407 ff. 424 fl. 
2) Ep. Petri ad Jacob. init.; Clem, ad Jacob. init.; recogn. 1, 73; 
homil. I, 20; XI, 35, 


333 


gekauft werden !). In einzelnen Fällen, in welchen das Ver- 
hältnis ein in religiöser und sittlicher Hinsicht unerträgliches 
geworden war, muss das vorgekommen sein, und es wird auf 
solche Fälle wenigstens ebensosehr als auf Schuldhaft und 
ähnliche Bedrängnisse zu beziehen sein, was man in der 
ältesten Kirchenliteratur von Loskauf gefesselter und be- 
drängter Brüder liest 2). Aber für ein Zeichen verwerflicher 
Begierde und Aufgeblasenheit hält es Ignatius, wenn die 
Sklaven meinten, als Christen für ihren Dienst zu gut zu sein, 
und darum ausserordentliche Hülfe der Gemeinde beanspruch- 
ten. Aus einzelnen Fällen konnte eine Gewohnheitsregel sich 
bilden, deren consequente Durchführung der Gemeinde eine 
unerschwingliche Last aufgelegt hätte. Ein wirkliches Anrecht 
auf deren Unterstützung haben die Wittwen und Waisen, 
welche unter diesem Gesichtspunct der Unterstützungsbedürf- 
tigkeit wie von Hermas), so auch von Ignatius (Pol. 4; 
Sm. 6) und Polykarp (c. 4. 6) wiederholt genannt werden. 
Wenn Polykarp die Wittwen „Altar Gottes“ nennt 4), so sind 


— 


1) Die Worte un ἐράτωσαν ano τοὺ χοινοῦ ἐλευϑεροῦδϑαι ad 
Pol. 4 sind keineswegs mehrdeutig. To χοινόν heisst nicht die Gemeinde- 
kasse, sondern das Gemeinwesen (Philad. 1; Luc. de morte Peregr. 18: 
τῶν Χριστιανῶν στελλόντων ἀπὸ τοῦ χοινοῦ) und seine officielle Ver- 
tretung (vgl. Wieseler, Beiträge zur Würdigung der Evangelien, S. 229, 
Anderes bei Jakobson z. u. St.). Aber ein von Gemeinde wegen statt- 
findender Loskauf muss freilich aus der Gemeindekasse bestritten werden. 
Die von Baur II, 13 gegen Bunsen verfochtene Paraphrase: „sie sollen 
sich vom Gemeindeverband nicht frei zu machen suchen “, erscheint keiner 
Widerlegung werth, mag man an den Gebrauch von ἀπὸ τοῦ χοινοῦ oder 
an den Begriff von ἐλευϑεροῦσϑαι im Gegensatz zu δοῦλοι denken. 

2) Herm. sim. I p. 79, 15; mand. VIII p. 58, 15; Ign. Sm. 6, wo 
natürlich nicht de podagricis et paralyticis die Rede ist (Smith, schol., 
p. 64). Es wird der Gedanke ungenau ausgedrückt sein: die Häretiker 
bekümmern sich nicht darum, ob Einer gebunden oder frei ist. Vgl. 
ferner const. ap. IV, 9, wo das ῥύεσθαι δούλους τὰ den ἀγορασμοὶ τῶν 
ἁγίων gerechnet wird. | 

3) mand. VII, p. 58, 15; sim. I p. 79, 16; V, 3p. 88, 1; IX, 26 
Ῥ. 137, 26; c. 27 p. 138, 31. Οὗ Justin. apol. I, 67. 

4) Pol. 4. Dies wird die Quelle des Sprachgebrauchs sein. 
C£. Tertull. ad ux. 1, 7; const. ap. II, 26; Pseudoign. Tars. 9. 


884 


darn dem Zusammenhang nach die beiden Vorstellungen ver- 
bunden, dass ihnen hauptsächlich die Opfer der Wohl- 
thätigkeit zugewendet werden, und dass sie vor Anderen, 
wie gleich zu Anfang ihnen anbefohlen wird, zu beständigem 
Gebet verpflichtet sind, ein Zug, der sowohl an 1 Tim. 5, 5 
abs an die Obliegenheiten der kirchlich angestellten Wittwen 
etwas späterer Zeit erinnert ἢ. Auf das Wittweninstitut und 
seine dunkle Geschichte weist uns auch der Gruss des Ignatius 
an τὰς πιρϑένους τὰς λεγομένας χήρας (Sin. 18. Am Text 
ist wichte zu ändern, da G! L! A übereinstimmen, und €: 
offenbar vom Standpunct einer späteren Zeit, in welcher ein | 
Coetus von Jungfrauen, welche lebenslängliche Ehelosigkeit 
gelobt haben, neben den Wittwen bestand, geändert hat: χαὶ 
ἀειπαρϑένους καὶ τὰς χήρας ἢ. Wenn Ignatius einem Gruss 
an die Häuser der Smyrnäer sammt ihren Weibern und Kindern 
einen Gruss an die Jungfrauen folgen lässt, so ist erstlich 
klar, dass darunter nicht sämmtliche unverehelichte Frauen- 
zimmer zu verstehen sind, sondern nur solche, welche ausser- 
halb der Familie stehn 3). Darum war eine Näherbestimmung 
des ungenauen, irgendwie zu beschränkenden Ausdrucks nicht 
überflüssig, und gegen den Verdacht, ein in den Text ge 
rathenes Interpretament zu sein, ist die Apposition τὰς λεγο- 
μένας χήρας um 80 sicherer, als ein späterer Sprachgebrauch 
nicht nachweisbar ist, nach welchem gewisse Jungfrauen den 
Wittwentitel geführt hätten. Das Sonderbare unsrer Stelle 
ist, dass statt einer unzweideutigen Näherbestimmung des 


1) Vgl. die διαταγαὶ did Κλήμδντος bei Lagarde,. reliqu. jur. ecol. 
gr., p. 78, 29: χῆραι παϑισιενέσϑωσαν τρεῖς, al δύο προσμένουσαι τῇ 
προσευχῇ περὶ πάντων [τῶν] ἐν πεέρᾳ χαὶ πρὸς τὰς ἐποχαλύψεις περὶ 
οὔ ἂν δέῃ, μία δὲ παρεδρεύουσα ταῖς ἐν νόσοις πειραζομέναις εὐἰδιαίπκονος 

ἶ κ. τ. λ. 
' 2) Die Bevorzugung dieser Lesart 5. B. bei Dressel bedarf wohl 
keiner Widerlegung. Auch Petermanns Vorschlag: res παρϑόνους λεγο" 
μένως χήρας, hat kemen Anhalt in der Ueberlieferung, denn Li kann 
sich gegen die Berufung auf ihn nur eben nicht wehren. Ueberdies 
wäre die Wortstellung höchst affeetirt. 

3) Vgl. Böttger, Beiträge Zur histor.-krit. Einleitung V, 68 fl. 


335 


misverständlichen Ausdrucks ein zweiter gleichfalls ungenauer 

oder geradezu technischer Ausdruck folgt. Als solcher ist 
τὰς χήρας Äurch λεγομένας bezeichnet, mag man übersetzen - 
„die Jungfrauen, welche Wittwen heissen “ oder ‚die Jungfrauen, 
[nämlich} die sogenannten Wittwen [imter den Jungfrauen]“. 
Ein solches λεγόμενος führt immer, wenn nicht einen Namen, 
dann eine namenartige, irgendwie uneigentliche Bezeichnung 
ein. Eine conventionelle Verengerung oder Erweiterung des 
Wortbegriffs liegt immer zu Grunde. Es können diese „Jung- 
frauen‘ also jedenfalls nicht die sämmtlichen Wittwen der 
smyrnäischen Gemeinde sein. Es wäre aueh nicht abzusehn, 
_ warum Ignatius sie zuerst so mysteriös bezeichnet hätte mit 
einem Titel, welcher den unverehelichten älteren Frauen- 
zimmern mit viel grögserem Hecht gebührt hätte. -Aber es 
kann auch nicht ohne weiteres der Stand der Wittwen im 
kirchlich-technischen Sinn des Wortes, das γηρικόν, der viduatus 
gemeint sein; denn erstlich gibt es kein altes Zeugnis für die 
Benennung dieses Standes mit παρϑένοι !), sodann wäre es 
erst recht unverständlieh, warım Ignatius zuerst einen mis« 
verständlichen Ausdruck gebraucht hätte, den er dann doch 
durch den ‚gebräuchlichen ersetzt hätte, und warum er, wenn’s 
ihm doch so beliebte, durch λεγομένας auf eine Ineongruenz 
zwischen Wortsinn und Meinung hinwies, anstatt einfach zu 
sagen: λέγω δὲ τὰς χήρας. Noeh unhaltbarer ist Coteliers 
Meinung, dass die Diakonissen von Smyrna zu verstehen 
seien, welche Jungfrauen gewesen und Wittwen geheissen 
hätten. Sie beruht auf dem Irrthum, dass Diakonissen und 
Wittwen im technischen Sinn urspränglich identisch seien, 
und auf der Voraussetzung, ‘dass dieses Institut sich schon 


1) Man pflegt sich seit Voss, p. 263 auf Clem. strom. VII, 
p. 875 Pott. zu berufen, aber nicht den ganzen Satz anzuschn: ὁ γὰρ 
ἐπιϑυμήσας καὶ χατασχωὼν ἑαυποῦ, χαϑάπερ ἡ χήρα, διὰ σωφροσύνης 
αὖϑις παρϑένος. Cf. stxom. “11, p. 558. Dass man einer Wittwe, 
welche ehelos bleibt, das Prädicat παρϑένος geben kann, reicht nicht 
aus, um die Benennung der Wittwen mit αὐ παρϑένοι zu recht- 
fertigen. 


336 


zu des Ignatius Zeit so völlig von seinem im Namen ausge- 
sprochenen Wesen entfremdet: hätte, wie es selbst für die 
spätesten Zeiten nicht nachzuweisen ist. Wir hätten ja an- 
zunehmen, dass in Smyrna die sogenannten Wittwen sämmt- 
lich nicht wirkliche Wittwen, sondern Jungfrauen gewesen 
seien. Voraussetzung des richtigen Verständnisses ist, dass es 
ein τάγμα τῶν χηριῶν gab, zu welchem entweder nicht alle 
Wittwen der Gemeinde, oder auch Andere als Wittwen ge- 
hörten, wenn nicht beides zugleich der Fall war. Das Erste 
versteht sich von selbst; denn gleichviel, an welche Be- 
dingungen die Aufnahme in diesen kirchlichen Stand geknüpft 
war, nicht jede Frau, deren Mann gestorben war, konnte dazu 
gehören ; sonst gab es kein besonderes τάγμα τῶν χηρῶν und 
keinen technischen Sinn des Wortes row. Das Zweite ist 
jedenfalls hier bezeugt; denn gewisse Jungfrauen werden da- 
durch von den übrigen unterschieden, dass sie Wittwen 
heissen. Dies bezeichnet ein Stadium der Entwickelung des 
Wittweninstituts, welches den Pastoralbriefen noch fremd ist; 
denn nach 1 Tim. 5, 3—16 wurden damals nur verwittwete 
Frauen in den Katalog der Wittwen aufgenommen (s. Anh. 
IL, 4). Aber ganz so selten wird im 2. Jahrhundert die 
Aufnahme älterer Jungfrauen in den Wittwenstand nicht 
stattgefunden haben, wie es nach Tertullians heftiger Polemik 
gegen einen katholischen Bischof, der eine überdies erst 
20jährige Jungfrau in den viduatus aufgenommen hatte, 
scheinen könnte (de virg. vel. 9), Die eigenthümliche Ent- 
wickelung, welche das Wittweninstitut im Orient im Gegen- 
satz zum zäheren Occident nahm, führt vielmehr darauf, dass 
‘dort sehr früh die der Diakonie sich widmenden und zu 
bleibender Ehelosigkeit entschlossenen Jungfrauen mit den 
„Wittwen“, von welchen beides auch galt, in allernächste 
Verbindung traten. Diese Annahme hat an Ignatius und, 
wenn man annehmen darf, dass jener von Tertullian getadelte 
Bischof eine in Afrika fremde orientalische Sitte befolgte, an 
Tertullian zuverlässige Zeugen. Gab es eine Wittwengenossen- 
schaft oder vielleicht sogar ein Wittwenhaus (Clem. hom. 
XI, 36), so lag nichts näher, als dass die alleinstehenden 


337 


Jungfrauen, welche ehelog bleiben wollten, und der Gemeinde- 
unterstützung um so weniger entbehren konnten, je älter sie 
wurden, in das χηρικόν aufgenommen und auch nominell zu 
den χῆραι gerechnet wurden, mochten sie ein förmliches Amt 
weiblicher Diakonie führen, oder in freierer Weise die Wohl- 
that, die sie genossen, erwidern. Irgend welche Erklärung über 
den Entschluss fernerer Ehelosigkeit wird bei diesen Jung- 
, frauen, wie bei den Wittwen Voraussetzung der Aufnahme 
gewesen sein (vgl. 1 Tim. 5, 12). Es fehlt bei Ignatius nicht 
an einem ausdrücklichen Zeugnis für die Hochschätzung der 
Virginität in den damaligen Gemeinden. Ignatius selbst 
theilt sie, wenn er schreibt: ei’ zus δύναται ἐν ἀγνείᾳ μένειν, 
εἰς τιμὴν τῆς σαρκὸς τοῦ κυρίου ἐν ἀκαυχησίᾳ μενέτω" ἐὰν 
καυχήσηται, ἀπώλετο, καὶ ἐὰν γνωσθῇ πλέον τοῦ ἐπισκόπου, 
ἔφϑαρται (ad Pol. 5; Anh. I, 32). Wenn er für mehr an- 
gesehen wird und gilt als der Bischof, ist's um den Werth 
seiner Keuschheit geschehn; er hat, wie der starke Ausdruck 
besagen will, eben das, worauf er sich etwas zu gute that, 
innerlich verloreır!). Ein Mehrgelten als der Bischof setzt 
in diesem Fall ein Mehrgeltenwollen voraus 3); es erscheint 
ja als Folge der Prahlerei mit dem Charisma der Enthalt- 
samkeit. Dass gerade in Smyrna Solches vorgekommen sei, 
ist nicht gesagt; aber schon aus etwas früherer Zeit wissen 
wir von Opposition gegen die Träger des kirchlichen Amts 
auf Grund asketischer Leistung und individueller Begabung 
gerade in diesem Stück ?). Das setzt voraus, dass Bischöfe 
wie Presbyter der Regel nach in der Ehe standen. Wie es 
vom Presbyter Valens in Philippi erwähnt wird (Pol. 11), 
80 wird es von seinen Amtsgenossen vorausgesetzt, wenn anders 
mit Recht angenommen wurde (8. oben ὃ. 297), dass Polykarp 


1) Im Gegensatz zur ayvan ist das Wort ἔφϑαρται gewählt. 
C£. Justin. apol. I, 15 ἄφϑοροι διαμένουσιν von den lebenslänglich Ehe- 
losen. . 
2) Cf. Clem. hom. III, 64: εἰ δὲ παντελῶς οὐ ϑέλεις γνωσϑῆναι, 
ὅτι BEovalıın διοικήσεως ἔχεις x. τ. A, 

3) Clem. Rom. I, 38. 48. Οὗ Lipsius, de Ciem. Rom. ep. priore, 
p. 113. 

Zahn, Ignatius, 22 


338 


in c. 5 sich zunächst .mit den Aeltesten von Philippi zu- 
sammenfasse.. Um so auffallender ist es dann, dass er in, 
hartem Wechsel aus der ersten in die zweite Person übergeht, 
wo er auf die Frauen zu reden kommt. Polykarp selbst lebt 
eheled. Auch dies wird zu den Charismen gehören, von 
welchen er die meisten schon besitzt (ad Pol. 2), und woran 
seine Gemeinde überhaupt reich ist (Sm. inser.). 

Ein Bild des gottesdienstlichen Lebens aus den igmatia- 
nischen Briefen zu gewinnen, ist schon dadurch erschwert, 
dass nicht auf der Hand liegt, wie weit die Bildlichkeit des 
ignatianischen Ausdrucks reicht, und wie der vielfach bild- 
liche und: uneigentliche Ausdruck zu übersetzen ist. Eher 
einem heidnischen, als einem christlichen Cultusact entspricht 
es, wenn Ignatius den Altar, auf welchem er geopfert werden 
soll, schon zugerüstet sieht, und die Opferung von einem 
Chorgesang der römischen Christen begleitet sehn möchte 
(Rom. 2). An heidnische Festaufzüge und Wallfahrten sollen 
die Epheser denken bei der Aufforderung : ἐστὲ οὖν καὶ σύνοδοι 
πάντες, ϑεοφόροι καὶ ναοφόροι, χριστοφύροι, ἀἁγιοφόροι, κατὰ 
'πάντα κεκοσμημένοι ἐντολαῖς Ιησοῦ Χχριστοῦ (Eph. 9). Das 
vorher gebrauchte Bild von der Liebe als einem zu Gott hin- 
aufführenden Weg, welches an sich "die folgenden Ausdrücke 
noch gar nicht erklärt 1), rief nur die Erinnerung an die 
heidnischen Wallfahrten und Umzüge hervor ?), und nur aus 
dem Brauch, bei solchen Processionen wie auf. Reisen über- 
haupt kleine Bilder von Gottheiten und Tempeln mit sich zu 
führen ?), lässt sich das Weitere erklären. Die Tempel, 
welche die Christen selber sind, können sie doch nieht wohl 
tragen, es ist vielmehr daran zu denken, dass dieser Brief 
eben nach Ephesus geht, wo mit den Nachbildungen des 
Artemistempels ein grosser Handel getrieben wurde. So wird 


1) Gegen Baur II, 29. — Uebrigens fusst das Bild wahrscheinlich 
auf 1Cor. 12, 31. ᾿ 
| 2) Cf. Pears. III, 37; Buns. II, 39. Vgl. auch 1Cor. 12, 2 und 
dazu Hofmann, neues Testament II, 1, 274. 
3) Vgl. ‘Winer, Realwörterbuch I, 331 und Act. 19, 241. 


339 


auch das ἀγιοφόῤοι, welches dem γαοψόρσοε ebenso antspricht, 
wie das χγρισεοφύροι dem Fengyöscı, nicht unmittelbar auf den 
᾿ Heiligen, ἃ. i. Christus, zu beziehen sein, sondern auf die 
heiligen Geräthe und Siembilder 1), und ebenso det Schmuck 
auf die Kränze tind Zweige, die bei keinen heidnischen Fest- 
aufzug fehlten?.. An jüdischen Cultüs, aa die Schaubrote 
oder die Pfingstbrote oder die Speisopfer möchte Igmatius 
denken, wenz er sich als gottgeweihtes Korn ansieht, welches 
durch Me Zähne der Thiete gemahlen und zum reinen Brot 
Christi werden 9011] ὴ. Da er nicht durchs Schwert umzu- 
kornmen gedenkt, war die Vorstellung des unblutigen Speis- 
opfers die natürlichere. Sie wird trotz des Wortes Hola 
gleich nachher an dieser Stelle obwalten; auch das unovdı- 
σϑῆναι Bew (Rom. 2) fübrt darauf. Aber aus solchen bildlichen 
Verwendungen von Cultusausdrücken lässt sich nicht einmal 
entnehmen, inwiefern Ignatius deh christlichen Gottesdienst 
vom Gesichtspunet seiner antitypischen Congruenz mit vor- 
christlichen Culten, insbesondere mit dem alttestumentlichen, 
betrachtet, und noch viel weniger, wieweit selche Betrach- 
tungsweise anf die Gestaltung des christlichen Gottesdienstes 


1) Als Attribut der Gemeinde (Sm. inser.) heisst «yıogyogos wohl 
„Heilige hervorbringend “, „fruchtbar an Heiligen “. 

2) Auf heidnisches Religionswesen führt auch MNavlov σύυμμύσται 
Eph. 12. 

8) Rom. 4. Ich lese: oxds sim ϑευῦ zei di’ ὀδόντων ϑηρίων 
ἀλήϑομαι, ἵνα παϑαρὸς ἄρτος εὐρεϑῶ τοῦ Χριστοῦ nach ΟἹ Lı 
Metaphr. Märt. syr. Der Wechsel zwischen ϑεοόῦ und Χριστοῦ verdient 
an sich den Vorzug vor zweimaligem ϑεοῦ in ΟΣ L® βοῦν, Sfr. 201, 9; 
296, 7; Al ΑΞ und ist überdies ignatianisch, cf. Rom. 9. Irenäus 
(V, 28, 4) muss den Sata ohne τοῦ Χριστοῦ oder ϑεοῦ hinter εὐὑρεϑῶ 
angeführt haben; denn Eusöbs Anführung des Citats aus Iretiäus wird 
in diesem Panet durch zwei FPlandschriften des lateinischen Irenäus 
gesetzt. Zweifelhaft dagegen ist, ob Irenäus an erster Stelle ϑεοῦ 
{80 Eus.) oder Χρισεοῦ geschrieben hat. Das dAfsoutus (1 ἐλέϑοριαι) 
wird durch βου, A ΟΣ, Metaphr.; Eus. ΠῚ, 86, 12 (und dessen Ueber- 
setanngen); Iren. V, 28, 4 (molor) ausreichend geschützt gegen das 
molar des Hieronymits und Li! L®, Dies ist aber futur. und nicht conj. 
praes., also nicht auf ein αλήϑωμιιν zurückzuführen. _ 

Ὁ ἃ 


340 


jener Zeit Einfluss gewonnen hatte. Man scheint nicht über 
einzelne Parallelisirung hinausgekommen zu sein. Die wahr- 
scheinlich dem Hebräerbrief entlehnte Vorstellung von Christus 
als dem Hohenpriester, der mit dem Allerheiligsten betraut 
ist (Phil. 9), findet keine weitere Anwendung. Indem dort 
an die Stelle des Allerheiligsten sofort Gottes verborgenes 
Wesen (τὰ χρυπτὰ τοῦ ϑεοῦ) tritt, zeigt sich, wie wenig fest- 
geprägt die symbolische Form des Gedankens ist. Sowie die 
Gemeinde als Tempel Gottes vorgestellt. war (Eph. 9; Mgn. 7), 
war auch der Altar gegeben, und sofern gerade in der gottes- 
dienstlichen Versammlung die Gemeinde sich als heilige Ge- 
meinschaft, als Behausung Gottes im Geist darstellte, war 
auch der Altar in die Vorstellungen vom christlichen Gottes- 
dienst eingetragen (Eph. 5; Mgn. 7; Phil. 4). Die Er- 
mahnung, keine gottesdienstlichen Handlungen ohne Bischof 
und Presbyter im Privatkreis vorzunehmen, sondern Alles, 
was Sache der Gemeinde ist, auch dem gemeinsamen Gottes- 
dienst vorzubehalten, lautet daher: „Kommt alle zusammen, 
als zu einem Tempel Gottes, als zu einem Altar, [als] zu 
einem Christus“ 1); und „im Bereich des Altars sein‘ 2) ist 
Bild der Zugehörigkeit zur gottesdienstlichen Gemeinde. Von 
Opfern, welche auf diesem Altar dargebracht würden, wird 


1) Mgn. 7. Entweder wird man mit L1 A ὡς εἰς ἕνα ναόν, oder 
nach ΟΣ us εἷς Eis τὸν ναόν lesen müssen. Das dritte αἷς hat an 
ΟἹ ovt L2 keine ausreichende Bezeugung. 

2) Eph. 5. Trall. 7: ἐντὸς (τοῦ) ϑυδσιαστηρίου δἶναι, Ich denke die 
Präposition richtig übersetzt zu haben, wie in der Verbindung ἐντὸς 
βελῶν im Gegensatz zu ἐκ βελῶν. Auch Polyc. 3. heisst ἐντός τενος 
eivaı „in der Sphäre von etwas sich befinden“. — Arndt (Handschrift), 
welcher zwar anerkennt, dass ϑυσιαστήριον bei Ignatius nie einen wirk- 
lichen Altar bezeichne, und an diesen beiden Stellen von der „Gemein- 
schaft des Heils oder der christlichen Gemeinde “ zu verstehen sei (nach 
Gruner, de unitate ecclesiae, p. 23: esse in communione ecclesiae), meint 
doch, dass die übertragene Bedeutung einen eigentlichen Altar im göttes- 
dienstlichen Gebäude voraussetze. Das ἐντός weise dann auf ein Gehege 
um den Altar, wodurch er vor der Berührung durch Unheilige bewahrt 
werde. Diese Vorstellungen passen nicht in die Zeiten, wo die Abend- 
maählsfeier ein Brotbrechen, ein Speisenehmen war. 


941 


nicht unmittelbar geredet, und wine besondere Beziehung 
zwischen Altar und Abendmahl ist wenigstens nicht deutlich 
ausgedrückt durch die Warnung: μηδεὶς πλανάσϑω" ἐὰν un τις 
ἦ ἐντὸς τοῦ ϑυσιαστηρίου, ὑστερεῖται τοῦ ἄρτου τοῦ ϑεοῦ (Eph. 5). 
Es kann dies sehr wohl eine von den Opfermahlzeiten (vgl. 
1 Kor. 10, 18) oder dem priesterlichen Antheil an den Opfer- 
gaben 1) entlehnter bildlicher Ausdruck für die sämmtlichen 
mit der Zugehörigkeit zur gottesdienstlichen Gemeinde ge- 
gebenen geistlichen Segnungen sein, wie denn gleich darauf 
nur des gemeinsamen Gebets des Bischofs und der ganzen 
Gemeinde gedacht wird 2). Aber es kann auch an das Abend- 
mahl mitgedacht und durch diesen Gedanken der Ausdruck 
mitbestimmt sein, ähnlich wie Rom. 7 der Genuss der himm- 
lischen Seligkeit als Abendmahlsfeier vorgestellt und mit daher 
entlehnten Ausdrücken bezeichnet wird. Bestimmter tritt die 
Zusammengehörigkeit des Abendmahls mit dem idealen Altar 
Philad. 4 hervor. Aber es bleibt undeutlich, inwiefern das 
Abendmahl mit den im jüdischen Cultus an den Altar ge- 
knüpften Handlungen, und mit welchen Handlungen es ver- 
glichen werden soll. Dürften wir die bildliche Bezeichnung 
der Wittwen als Altar bei Polykarp (ad Philipp. 4; vgl. oben 
8. 333f.) heranziehen, so würden die mit der Abendmahlsfeier 
verbundenen wohlthätigen Spenden und das Dankgebet die 
Opfer des christlichen Altars sein. 

Die Abendmahlsfeier heisst Phil. 4; Sm. 8 εὐχαριστία, in 
Sm. 7 ist der Name sogar schon auf die Materie der Abend- 
mahlshandlung übertragen. Aber das Bewusstsein der Wort- 
bedeutung „Danksagung“ zeigt sich eben dort noch deutlich, 
wenn der εὐχαριστία die προςευχή coordinirt wird, ebenso 
Eph. 13 in der Verbindung εἰς εὐχαριστίαν ϑεοῦ καὶ . δόξαν 5). 


1) Vgl. 1Kor. 9, 13. An das dortige παρεδρεύοντες erinnert auch 
das πάρεδροι ad Pol. 6. 

2) Vgl. die Aufzählung vor der Erwähnung des Altars Mgn. 7. 

3) Rothe’s (8. 451) Conjectur δοχήν trägt ohne Noth einen sehr 
späten Sprachgebrauch — Pseudoign. Sm. 8; const. ap. II, 28 zur Be- 
zeichnung der vom Abendmahl längst getrennten Agape — in Igna- 
tius ein, 


342 


Es wäre dies eine höchst wunderliche Bezeichnung der Gottes- 
dienste überhaupt, in welchen dia προςενχή (Eph. 5; Mgn. 7; 
Tr. 12; Sm. 7), die ὁμιλία (ad Pol. 5; vgl. oben 9. 322) und 
gewiss doch auch die Schriftvorlesung (dust. 880]. I, 67) 
hedeutende Stellen einnahmen; aber &8 war eine ange- 
messene Bezeichnung der besonderen ' Gottesdienste, deren 
"Mittelpunct die Abendmahlsfeier, die εὐχαριατέα im technischen 
Sinn des Worts, bildete. Dass Ignatius solche Ahendmahlk- 
gottesdienste kennt, steht zu erweisen.. Schan die Art, wie 
ermahnt wird, das Abendmahl gemeinsam zu feiern, oder nur 
ein Abendmahl zu feiern !), weist darauf hin, das sich das 
von dieser Handlung nieht in dem Masse wie von anderen 
von selbst verstand, oder mit anderen Worten, dass das Abend- 
mahl nicht Bestandtheil des Öffentlichen, unter allen Um- 
ständen gemeinsamen Gottesdienstes der Gemeinde war. Aller: 
dings sind diese Ermahnungen, wenigstens in Phil. 4 durch 
die Gefahr des Schisma’a hervorgerufen, aber sie fordern doch 
nicht Enthaltung von einer abgesonderten Abendmahlsfeier der 
Häretiker und Schismatiker. Einer solchen gegenüber, welche 
an jedem einzelnen Ort doch auch nur eine war uud welche 
unmöglich neben der kirchlichen von gewissen Individuen mit- 
begangen werden konnte, müsste nicht die Einheit, sondern 
die Kirchlichkeit der rechten Eucharistie betont sein. Die 
Ermahnung, sich um einheitliche Abendmahlsfeier zu be- 
mühen, darnach zu streben ®), zeigt: deutlich, dass es sich hier 
nicht um Warnung vor dem „Teufelsdienst“* (Sm. 9) einer 
‘ wider den Willen des Bischofs abgebaltenen Sonderfeier 
handelt, sondern um Empfehlung eines Ideals, das nicht 


1) Phil. 4: σπουδάσατε οὖν μιᾷ εὐχαριστίᾳ χρῆσϑαι" ula γὰρ σὼρξ 
τοῦ χυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ καὶ ἕν ποτήριον εἰς ἕνωσιν τοῦ αἵματος 
αὐταῦ, ἕν ϑυσιασεήριον αἷς εἷς ἐπίσχοπος ἅμα τῷ πρεᾳβιτερέῳ καὶ δια- 
χόνοις, τοῖς συνδούλοις μοῦ" ἵνα ὃ ἐὰν πράσσητϑ, κατὰ ϑδεὸν πράσσῃᾷ. 
Mittelbar wenigstens gehört auch das ἕνα ἄρτον χλῶντες Eph. 20 hier- 
her, wenn man auch ὅτε an der Spitze des Batzes liest, sa dasa dies 
nioht eine Ermahnung, sondern ein Lob der Epbeser int. 5. jedoch 
Auh. I, 20. 

2) Vgl. den Gebrauch von σπουδάζειν Eph. 13; Mgn. 13. 


343 


immer verwirklicht war. Es muss damals das Abendmahl von 
den asiatischen Christen vielfach in kleinerem Kreise gefeiert 
worden sein. Darum hütet sich Ignatius sehr wohl davor, 
eine solche Abendmahlsfeier geradezu für eine Gottlosigkeit 
zu erklären. Er fordert noch erst Zustimmung zu dem Ur- 
theil, dass diejenige Abendmahlsfeier, welche unter Leitung 
des Bischofs oder eines von ihm Beauftragten stattfindet, allein . 
zuverlässig sei '). Die Gotigemässheit und Gottwohlgefällig- 
keit der Handlung soll dadurch erzielt und verbürgt werden, 
dass sie stets von der gottesdienstlich versammelten Gemeinde 
gefeiert wird (Phil. 4). In anderem Ton, als in welchem 
er Einheitlichkeit und Gemeinsamkeit der Abendmahlsfeier 
fordert, beurtheilt er die ‘Vornahme kirchlicher Handlungen 
ohne Rücksicht auf den Bischof ?). Ignatius hält gelegentlich 
nicht mit dem Urtheil zurück, dass diejenigen, die so verfahren, 
kein gutes Gewissen dabei haben können, weil sie sich nicht 
in zuverlässiger Weise und nach dem Gebot, ἃ. i. nach kirch- 
licher Ordnung, versammeln 3. Aber Teufelsdienst ist doch 
erst kirchliches Handeln mit absichtlicher Verheimlichung 
vor dem Bischof (Sm. 9). Der Ton dieses Urtheils ist gründ- 
lich verschieden von dem der vorhin angeführten Ermahnungen 
und Rathschläge an die Gemeinden, und ist der gleiche hier 
wie in den Aussagen über die Häretiker. Diese sind schlimme 


1) Sm. 8: μηδεὶς γωρὶς τοῦ ἐπισχόπου τι πρασσέτω τῶν ενηκον- 
των Eis τὴν ἐχχλησίαν. ἐχείνη βεβαία εὐχαρισεία ἡγείσϑω ἡ ὑπὸ τὸν 
ἐπίσκοπον οἷσα, ἢ ᾧ ἂν αὐτὸς ἐπιτρέψῃ. 

9) S. den ersten Satz voriger Anmerkung im Vergleich zum zweiten. 
Wo der Bischof nicht ebenso wie Ignatius auf Gemeinsamkeit und Kirch- 
lichkeit des Abendmahls hielt, konnte man dem zweiten Satz mit Wort 
und That widersprechen, obne sich eines πράσσειν χωρὶς ἐπισχόπου 
schuldig zu machen. 

3) Mgn. 4. Noch bestimmter Tr. 7: ὃ χωρὶς ἐπισχόπου καὶ πρεσ- 
Bursgiov χαὶ διαχόνου πράσαῳν τι, οὗτος οὐ καϑαρός ἐστιν τῇ συνει- 
δήσει. Daher kann er auch sagen: οὐκ ἐξὸν ἐστιν χωρὶς τοῦ ἐπι- 
σχόπου οὔτε βαπτέζειν οὔτε ἀγάπην ποιδῖν Sm. 8. Aber in dem gleich 
folgenden Satz wird dies Urtheil doch erst durch Angabe des Zwecks 
(v’ ἀσφαλὲς ἢ καὶ βέβαιον πᾶν ὁ πράσσεται) begründet. 


944 


Pflanzen, die der Vater nicht gepflanzt hat und Christus 
nicht als Gärtner pflegt (Phil. 3), geile Nebenschösslinge, 
nicht Zweige des Kreuzes (Tr. 11), wilde Thiere in Menschen- 
gestalt (Sm. 4), Wölfe (Phil. 2) und schwer heilbare tolle 
Hunde (Eph. 7). Ihre Lehre ist eine übelriechende Teufels- 
lehre (Eph. 17); ihre Angriffe auf die Kirche sind Ränke 
‘und Listen des Teufels (Phil. 6; Tr. 8); sie selbst sind des 
‚Teufels irdische Streitkräfte (Eph. 13). Das ewige Ver- 
derben scheint ihr unentrinnbares Schicksal zu sein, und in 
dasselbe ziehen sie auch diejenigen, welche ihnen folgen 
(Eph. 16; Phil. 3). Die durch sie in Philadelphia Verführten 
werden gar nicht mit zu der Gemeinde gerechnet, an welche 
der Brief gerichtet ist, sondern auf ihre Busse wird gewartet. 
Darnach ist es unmöglich, Urtheile wie die in Mgn. 4; Tr. 7; 
Eph. 5 auf die Irrlehrer und deren Anhänger 1), oder War- 
nungen und Mahnungen wie die in Phil. 4; Eph. 5. 20; 
Sm. 8 auf den Gegensatz kirchlichen und häretisch - schis- 
matischen Gottesdienstes zu beziehn. Es wird vielmehr deut- 
lich, dass in den Gemeinden selbst, obwohl sie sich noch rein 
halten von Häresie und Schisma, die nur in Philadelphia 
einen kleinen Erfolg errungen haben, eine laxere Praxis in 
Bezug auf die kirchliche Ausprägung des gottesdienstlichen 
Lebens herrschte, als Ignatius zumal angesichts der drohenden 
Gefahr der Häresie für zulässig hielt. Mit der Abendmahls- 
feier aber muss es in dieser Hinsicht noch anders gestanden 
haben, als mit dem sonstigen Gottesdienst. Allerdings wird 
zu fleissigem Besuch ebensowohl' des gemeinen 3), als des 


1) Dies besonders gegen Uhlh., S. 288f. Es sind da zu viele 
Unterschiede verwischt, als dass die Zeichnung nicht schief gerathen 
sollte. Unrichtig ist z. B. auch, das „Christ heissen und nicht sein“ 
Mgn. 4 auf dieselben Leute zu beziehn, von denen es gleich nachher 
heisst, dass sie den Bischof im Munde führen, aber ohne ihn handeln. 
Letzteres sind, .wie gesagt, auch nicht die Häretiker, aber Ersteres steht 
in einer Regel, unter welche sich Ignatius selbst ebensogut stellt, als 
die sämmtlichen angeredeten Christen Magnesia’s. Vgl. das parallele 
πρέπον ἐστίν in Mgn. 3 und Rom. 3. 

2) Eph, 5, Nach den oben 8, 341 angeführten Worten heisst es; 


345 


Abendmahlsgottesdienstes 1), ermahnt; aber den Gegensatz zu 
dem Gottesdienst, in welchem „der Bischof und die ganze Ge- 
meinde“* betet, bildet nicht wie beim Abendmahl eine Mehrheit 
mehr privater Zusammenkünfte, welche Ignatius abgestellt sehn 
möchte, sondern das einfache Wegbleiben aus dem Gottesdienst, 
welches er als verderblichen Hochmuth verurtheilt. Dasselbe 
Ergebnis liefert eine sorgfältige Betrachtung von Mgn. 7. 
Nach einer Warnung vor Vornahme kirchlicher Handlungen 
ohne die Geistlichen wird ähnlich wie Sm. 8 zunächst auf die 
zu Grunde liegende Ansicht eingewirkt in dem etwas schwer- 
fälligen Satz: „Versucht nicht, dass irgend etwas vernünftig 
erscheine euch privatim, sondern gemeinsam “, d. h. eine 
kirchliche Handlung soll ihnen nicht als sachgemäss vollzogen 
gelten, wenn sie in privatem Kreise vorgenommen wird, sie 


&i γὰρ ἑνὸς καὶ δευτέρου προςευχὴ τοσαύτην ἰσχὺν ἔχει, πόσῳ μᾶλλον 
7 τε τοῦ ἐπισχόπου καὶ πάσης τῆς ἐκκλησίας" ὁ οὖν μὴ ἐρχόμενος ἐπὶ 
τὸ αὐτὸ, οὗτος ἤδη ὑπερηφανεῖ καὶ ἑαυτὸν χατέχρινεν. Statt διέχρινεν 
des ΟἹ oder διαχρένει in parall. Rupef. p. 772D wird nach 11 (condem- 
navit oder nach cod. c condemnat) χατέχρινδν zu lesen sein. Jenes 
Synonymon von ὑπερηφανεξὲ schlich zu leicht aus 1Cor. 4, 7 ein, und 


nur χατέχρινεν passt; denn nicht, dass Versäumnis des Gottesdienstes 


Hochmuth sei, sondern dass solcher Hochmuth Verderben bringe, wird 
im Folgenden erhärtet. — Aus A G2 1,2 lässt sich nichts gewinnen. — 
Dass dieser Hauptgottesdienst ein die ganze Ortsgemeinde umfassender 
ist, zeigt auch Phil. 10; s. oben $. 244. 

1) Eph. 13. In Bezug auf diese Stelle hat Pears. III, 39 ohne 
Frage Recht, wenn er das πυχνότερον συνέρχεσϑαι und das πυχνῶς ἐπὶ 
τὸ αὐτὸ γίνεσθαι nicht von häufigeren, sondern von stärker besuchten 
Gottesdiensten verstanden haben will; denn nur davon kann sich Ignatius 
versprechen, dass dadurch des Teufels Macht an der Einmüthigkeit des 
Glaubens kräftigeren Widerstand finden werde (cf. Phil. 2, besonders 
aber Herm. mand. XI, p. 70, 2 sqq., wo die Ohnmacht des pseudopro- 
phetischen Geistes gegenüber einer συναγωγὴ πλήρης ἀνδρῶν δικαίων . 
geschildert wird). Aber ebenso gewiss ist Pears. III, 29 im Unrecht, 
wenn er das πυχνότερον ovvaywyai γινέσϑωσαν ad Pol. 4 eben 80 fassen 
will. Die sprachlich allein zulässige Uebersetzung ist: „Häufiger sollen Ver- 
sammlungen stattfinden“. "Das hier und dort sehr verschieden verbundene 
πυχνότερον (πυχνῶς) hat die meisten Ausleger (z. B. auch Harnack 
a. ἃ. O., S. 217) dazu verleitet, in beiden Stellen den gleichen Gedanken 
zu finden, 


346 


sollen vielmehr alles Derartige gemeinsam oder, was dasselbe 
sagt, in Gemeinschaft mit den Vorstehern thun'). Wenn 
nun weiterhin „ein Gebet, eine Bitte, eine Gesinnung, 
‚eine Hoffnung in Liebe, in untadeliger Freude, und als das 
Beste von’ Allem, ein Christus“ genannt werden, go soll das 
selbstverständlich nicht eine Aufzählung der Handlungen sein, 
für welche Gemeinsamkeit erforderlich ist, sondern vielmehr 
eine Erinnerung an die thatsächlich vorhandenen Einheits- 
bande des Gemeindelebens. Nun erst wird zu der praktischen 
Folgerung fortgeschritten, in Anbetracht der so mannigfaltig 
.verbürgten Einheit des christlichen Lebens aller Gemeinde- 
glieder auch alles gotteadienstliche Handeln ein gemeinsames 
sein zu lassen (vgl. oben 5. 340). Da die πρφοευχή und 
δέησις vorher als ein selbstverständlich Gemeinsames ?) neben 
Gesinnung, Hoffnung, Liebe, Freude und Christus genannt 
war, so wird damit auf denjenigen Gottesdienst, dessen Cha- 
rakteristisches das Bittgebet ist, als einen durchweg gemein- 
samen hingawiesen, und die Ermahnung, keine kirchlichen 
Handlungen privatim vorzunehmen oder, wie es nun positiv 
heisst, „wie zu einem Altar‘ zusammenzukommen, wird sich 
vornehmlich auf die Abendmahlsgottesdienste beziehen (vgl. 
Phil. 4). Dieselbe. Unterscheidung zwischen Abendmahls- 


1) Mgn. 7: und: πειράσητε δὔλογόν τι φαίνεσϑαι ἰδίᾳ ὑμῖν, ἀλλ᾽ 
ἐπὶ τὸ αὐτό. Μίᾳ προςευχὴ, μία δέησις x. τ. A. Die herkömmliche 
starke Ipterpunetion vor ἐλλ᾽ ist zu offenbar falsch, um eine Wider- 
. legung veranlassen zu können. Bunsen II, 66 findet hier den Gedanken, 
dass die einzelnen Gläubigen und überhaupt die Laienschaft sich nicht 
einmal vermessen soll, für sich irgend etwas Vernünftiges zu denken, 
und ruft dann aus: „O welche grauenvolle Auslegung der Worte des 
Herrn Joh. 6, 45!“ Man darf hinzufügen „und der Worte des Igna- 
‚tius“. Φαίνεσϑαι bedarf der Vervollständigung durch εὔλογον, und 
vom Denken ist hier gar keine Rede, sondern von einem praktischen 
. Urtbeil, aus welchem sich sofort ein entsprechendes kirchliches Handeln 
ergibt. Cf. Eph. 11: χωρὶς τούτου μηδὲν ὑμῖν πρεπέτω. Das ἐπὶ τὸ 
αὐτά muss nach der alterthümlichen Bezeichnung des Gemeindegottes- 
dienstes ἐπὶ τὸ αὐτὸ koysasaı oder γίνεσϑαι Eph. 5. 13. Phil. 10 ver- 
standen werden und dernach day gegensätzliche (die. 

2) Οἵ, Mgn. 14: τῆς ἡνωμένης ὑμῶν ἐν ϑεῷ προςευχῆς. CA. Tr. 12. 


347 


gottesdienst (suxgomilg) und Gebetsgoktesdienst (προςευχή) 
liegt offenbar auch der Bemerkung über die Irrlehrer zu 
Grunde: εὐχαριστίας καὶ προςευχῆς ἀπέχονται (Sm. 7), wenn 
auch die folgende Erklärung dieser doppelten Enthaltung (die 
τὸ μὴ ὁμολογεῖκ τὴν εὐχαριστίαν αὔάρχα εἶναι τοῦ αωτῆρας 
x. τ. A.) das zweite Moment gar nicht berücksichtigt. Der ent- 
scheidende Beweis für das Vorhandensein besonderer Abend- 
mahlsgottesdieuste liegt aher darin, dass Ignatius die Abend- 
mahlsfeier ἀγάπῃ nennt, dass also zur Zeit der Ahfassung 
dieser Briefe die Trennung des Abendmahls von den Agapen 
und dia Verlegung derselben in den öffentlichen Gottesdienst 
noch nicht stattgefunden hat. Nachdem (Sm. 7) die Ent- 
haltung der Irrlehrar vom kirchlichen Abendmahl aus ihrer 
Abweichung vom kirchlichen Glauben in: Bezug auf das 
Abendmahl erklärt ist, heisst es von ihnen; οἱ οὖν ἀντιλέγον- 
τες τῇ ἥωρᾷ τοῦ ϑεοῦ συζητοῦντες ἀπηϑνήσκουσιν. Dass 
unter der Gabe Gottes, der sie widersprechen, nichts Andere 
verstanden werden kann, alg das Fleisch. Christi, wofür sie 
„die Eucharistie“ nicht wollen gelten lassen, ist klar. Ueber 
ihrem Disputiren (vgl. Eph. 18) in Bezug auf das Abendmahl, 
also. durch ihren ebenso theoretischen als praktischen Wider- 
spruch gegen die kirchliche Ahendmahlsfeier, herauben sie sich 
der Gottesgabe, die darin liegt und üher den Tod hinaus 
Leben gibt. Wenn es nun im Gegensatz dazu weiter heisst: 
συνέφερεν δὲ αὐτοῖς ἀγαπᾶν, ἵνᾳ καὶ ἀναστῶαιν, 80 kann dies’ 
picht eine gang unveranlasste Empfehlung der Liehe sein, 
sondern nur eine Betonung der Heilsamkeit eben derjenigen 
kirchlichen Handlung, deren sich jene Irrlehrer enthalten 1). 
Die Correspondenz zwischen dem Leiden und Auferstehen des 
Fleisches Christi einergeitg und dem Sterban und Auferstehen 


.---΄---.... 
T 


1) Das Richtige gab schon Cotelier z. ἃ. St., auch Peam. Ill, 18 
u. A, Die Bemerkung von Smith (schol., p. 66),. dass ἐγαπᾷν dem arıı- 
λέγειν gegenübertrete, ist richtig und kommt bei obiger Erklärung zum 
Recht; da aber der Widerspruch ein praktischer ist, wird auch sein 
Gegentheil ein Handeln sein. Die Uebersetzung von ἀγαπᾶν „cum 
amore amplecti hoc donum Dei“ lässt den Mangel eines Objects nur er- 
kennen, ohne ihn zu erkläsen. 


348 


derer, welche das kirchliche Abendmahl verschmähen oder 
gebrauchen, anderseits ist zwingend. Ayunav heisst also hier 
soviel als ἀγάπην ποιεῖν (Sm. 8), und dies muss dann nach 
dem Zusammenhang hier (Sm. 7) die Feier der Eucharistie 
bedeuten. Wollte man dem absoluten ἀγαπᾶν die Bedeutung 
von ἀγάπην ποιεῖν auch nicht einräumen, so wäre doch die 
Anspielung auf den Namen der bestimmten Liebesübung, um 
die es sich hier handelt, unverkennbar und damit auch gewiss, 
dass ἀγάπη mit εὐχαριστία synonym ist. Dasselbe ergibt sich 
aus den schon angeführten Worten: οὐκ ἐξόν ἐστιν χωρὶς τοῦ 
ἐπισκόπου οὔτε βαπτίζειν οὔτε ἀγάπην ποιεῖν (Sm. 8). Die Zu- 
sammenstellung mit der Taufe wäre mindestens sehr unge- 
‚ schickt, wenn hier ἀγάπη das vom Abendmahl getrennte 
Liebesmahl bedeutete; und dass der Eucharistie schon vorher 
gedacht war, ist kein Grund dagegen, sie hier wieder erwähnt 
zu finden. Vorher war noch nicht eine unabhängig vom 
Bischof abgehaltene Abendmahlsfeier für anerlaubt erklärt, 
wie hier, sondern es war der im Beisein und unter Leitung des 
Bischofs oder eines von ihm Beauftragten vollzogenen Feier 
der Vorzug gegeben und damit ein Rath ertheilt, welcher 
ebensosehr dem Bischof ') als den Gemeindegliedern galt. 
Jetzt erst werden zwei Beispiele für den allgemeinen Satz 
angeführt, welcher den Laien galt: „Niemand soll unabhängig 
vom Bischof irgend eine der die Gemeinde angehenden Hand- 
lungen vollziehen.“ Der Wechsel des Ausdrucks für das 
Abendmahl, welcher sich schon 6. 7 fand, ist hier besonders 
angemessen. Wo es gilt, zu zeigen, wo man sich zuverlässig 
den Segen des Sacraments hole, heisst 68 εὐχαριστία; wo 68 
sich darum handelt, wer die ganze Feier, in welcher der 
sacramentale Act nur ein Moment bildet, veranstalten dürfe, 
heisst es ἀγάπη. Das Liebesmahl mit Einschluss des 
Abendmahls bezeichnet ἀγάπη auch Rom. 7. Der gereinigte 
Text lautet: 4orov ϑεοῦ ϑέλω, ὅς ἐστιν σὰρξ ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ 
τοῦ ἐκ σπέρματος Δαβὶδ, καὶ πόμα ϑέλω τὸ αἶμα αὐτοῦ, ὃ ἐστιν 


1) Οἔ ad Pol. 4: μηδὲν ἄνευ γνωμῇῃς σου γινέσϑω. 


349° 


ἰγάπη ἄφϑαρτος !). Gewiss ist zunächst aus dem Zusammen- 
hang, dass hier nicht vom Abendmahl, sondern von dem- 
jenigen Genuss der Gemeinschaft mit Christus die Rede ist, 
zu welchem Ignatius durch den Märtyrertod zu gelangen hofft; 
aber ebenso deutlich ist auch, dass die Bilder hiefür vom 
Abendmahl entlehnt sind 2). Ferner erkennt man, dass ὃ 
ἐστιν ἀγάπη ἄφϑαρτος nur scheinbar dem Relativsatz hinter 
ϑέλω entspricht; denn in dem Satz: „als Trank begehre ich 
sein Blut‘‘ ist bereits zusammengefasst, was im .Parallelglied 
in Haupt- und Relativsatz zerlegt war. Demnach wird der 
letzte Relativsatz auch nicht zu αἷμα gehören. Es ist mir 
kein ernstlicher Versuch bekannt geworden, dem Satz: „Christi 
Blut ist unvergängliche Liebe“ einen wirklichen Gedanken 
abzugewinnen, Allerdings ist Ignatius kühn in der Gleich- 
setzung sehr verschiedenartiger Begriffe gerade auch in dieser 
Form °); aber die Vergleichung der zunächst anklingenden 
Stelle 4) ist‘ doch trügerisch. Fleisch und Blut Christi sind 
dort die Güter, zu welchen man durch Glauben und Liebe ge- 
langt, also die eigentlichen Mittel der durch Glauben und 
Liebe sich vollziehenden Erneuerung; an eine ernstliche 


1) So nach Li ΑἹ ΑΞ im wesentlichen auch Scur., welcher nur 
noch Ἰησοῦ und τοῦ ἐχ σπέρματος 4αβίδ᾽ ausgestossen hat. Auch Mart. 
syr. Moes. p. 9, 9 führt auf keinen anderen Text. Es übersetzt nur frei 
und falsch in Erinnerung an Rom. 4: ‚‚Brot Gottes will ich werden, 
welches der Leib Jesu Christi ist, der aus dem Geschlecht Davids ist, 
und trinken will ich “von seinem Blut, welches unvergängliche Liebe 
ist.“ Die Zusätze in colb. metaphr. G2 1.3 bedürfen keiner Widerlegung. 
Nicht einmal das γενομένου vor &x σπέρματος hat an dem facti e prole 
Davidis der beiden A eine sichere Stütze. 

2) Οὗ Casaub., exercc., p. 468 Βα. 

3) Sm. 5: eis τὸ πάϑος, ὅ ἐστιν ἡμῶν ἀνάστασις, Tr. 11: τοῦ 
ϑεοῦ ἕνωσιν ἐπαγγελλομένου, ὅς ἐστιν αὐτός, „und das, nämlich die 
Einheit, ist er selbst“, ἃ. h. in und mit Gott ist sie gegeben. Gegen 
Smith und Hefele z. d. St. vgl. Dressel. Da übrigens ΟἹ in Tr. 8 ein- 
mal ein dort unmögliches ὅς für 6 gibt, so ist möglicherweise auch hier 
δ᾽ ursprünglich. Cf. Eph. 17. 

4) Tr. 8: ἀναχτίσασϑε ἑαυτοὺς ἐν πίστει, ὃ ἐστιν σὼρξ τοῦ χυρίου, 
καὶ ἐν ἀγάπῃ, 6 ἐστιν αἷμα Ἰησοῦ Χριστοῦ, 


350 


Identifieirung der gleichgesetzten Dinge ist da wicht zu denken. 
Nur der Gebrauch des ὅ ἐστιν im Sinn eines τουτέστιν oder 
τοῦτο δέ ἐστιν !) findet an beiden Stellen statt; ein solches ὁ 
ἐστι» kann sich aber ebensogut Auf einen vorher wrnstähdlich 
beschriebenen Vorgang, als auf ein einzelnes Wort beziehn 3}. 
Von dem ganzen Vorgang, den er herbeiwünscht, von dem . 
Essen des Brotes Gottes oder Fieisches Christt utd dem 
Trinken seines Blutes βαρ Ignatius: „das ist eine wnver- 
gängliche Agape“ (vgl. Lips. I, 73). Dass wirklich die Vor- 
stellung eines heiligen Mahles hier ubwaltet, lehrt der Gögeh- 
satz von ἄφϑαρτος und der vorher erwähnten τρυφὴ ῳϑορᾶς. 
Der angemessene Ausdruck war dann aber ἀγάπη und nicht 
εὐχαριστία, denn es handelt sich nicht zunächst um ein voll- 
kotnntenes himmlisches Gegenbild der irdischen: Abendmahls- 
feier, sondern um das reine Gegentheil irdischer Tafelfreuden. 
Dazu bildet schon das irdische Liebesmahl der Christen eineh 
Gegensatz; aber erst durch die in ἄφϑαριος letende Steige- 
rung wird der Name desselben zum angemesserren Ausdruck 
für die jenseitige Seligkeit. “Aber die Speise und der Trink 
der irdischen und der himmlischen Agape sind keine anderen, 
als das Abendmahlsbrot und der Abendmahlstrank, als Fleisch 
und Blut Christi. Daraus folgt, dass ἀγάπη damals Name des 
ganzen das Abendmahl im engeren Sinn einschliesseriden Ge- 
meindemahls war, oder mit anderen Worten, dass das Abend- 
mahl, die Eucharistie, damals von der Agape noch nicht ge- 
trennt war. Dann begreift man, dass das Abendmahl damals 
häufig in kleinerem Kreise gefeiert wurde 3), und dass Ignatius 
erst noch zu fordern hätte, dass auch die Abendmählsgottes- 


1) Recht deutlich ist diese Bedeutung Eph. 17: Seol γνῶσιν, ὁ 
ἐστιν Ἰησοῦς Χριστός. 

2) CE. Phil, inser., wo ἥτις ἐστὶν χαρὼ αἰώνως καὶ παράμονος anf 
das ziemlich weit zurückliegende ἐγαλλιωμένῃ x. τ. A. zürückgreift. 
Ebenso geht Eph. 14 das ἥτις ἐστίν nicht auf nyann, sondern auf das 
ἔχειν τὴν πίστιν καὶ τὴν εἰγάπην, und nur vermöge der Attraction durch 
dern heisst es ἥτις statt ὅτι oder 0. 

3) Vgl. Harnack, der christliche Gemeindegvttesdienst, 9. 144 
Anm.. 


8δ1 


dienste wo ‚möglich die ganze Gemeinde vereinigen, und dass 
sie unter Leitung des Bischofs oder eines von ihm Beauf- 
tragten,, jedenfulls aber nie ohne Mitwissen und Billigung des 
Bischofs stattfinden. Zugleich aber besitzen wir hieran ein 
für die Frage nach der Entstehung der ignatianischen Briefe 
sohr bedeutsames Zeichen der Zeit. Die Trennung der Abend- 
mahlsfeier von der Agape und die Verlegung jener in den 
sonntäglichen Hauptgottesdienst ist gegen die Mitte des 
2. Jahrhunderts in der Kirche ziemlich allgemein vollzogen 
gewesen; denn Justin 1), welcher diese Entwickelungsstufe be- 
zeugt, schildert nicht den gottesdienstlichen Brauch einer 
einzelnen Gegend, sondern den m der Kirche seiner Zeit 
herrschenden. _ Dagegen erfahren wir aus dem Brief des 
Plinius an Trajan (s. Anh. II, 5), dass der Gottesdienst der 
Christen Bithymiens um das Jahr 112°) in einen Morgen- 
und einen Abendgottesdienst zerfiel, und dass das Eigenthtim- 
.Jiche des letzteren in einem gemeinsamen Mahl bestand, näm- 
lich in demjenigen, worauf sich die bekannten heidnischen 
Verläumdungen bezogen. Es ist das die mit dem Abendmahl 
noch verbundene Agape 3). Welche Gründe in der nächsten 
Folgezeit die Trennung des Abendmahls von der Agape ver- 
anlassten und bald allgemein machten, können wir nür er- 
rathen, und auch die Zeit dieser bedeutsamen Aenderung 
lässt sich nicht anders bestimmen, als dürch die Termine, 
welche die Briefe des Plinius und. des Ignatius einer- 
seits und Justins Schriften andrerseits setzen. Zwischen 
110 und 150 ist das geschehen, und die Briefe des Igna- 
tius bezeichnen in diesem Punct wie in änderen das 
gleiche Stadium in der Entwickelung des christlichen Cultus 
mit dem Bericht des Plinius, mit dem sie, wenn sie ächt 
sind, zeitlich wie örtlich zunächst zusammengehören. War in 
den asiatischen Gemeinden, die Ignatius um 110 kennen lernte, 


1) Vgl. Harnack a. a. O., 8. 281. 236 ff. 

2) Nach Th. Mommsen, zur Lebensgeschichte des jüngeren Plinius, 
Flermes III, 55 ff. fällt die Statthalterschaft des Plinius in Bithynien 
am 111—113, die Briefe ad Traj. 96. 97 ans Ende dieser Zeit. 

3) Vgl. Harnack a. a. O., 5. 230. 234, aber auch Anh. II, 5, 


352 


die Eucharistie mit der Agape noch verbunden, so versteht es 
sich von selbst, dass neben diesem Gottesdienst, welcher oft 
nur einzelne Theile der Gemeinde und jedenfalls nur Ge- 
taufte vereinigte, wie in der apostolischen Zeit noch ein andrer 
bestand von weniger privatem Charakter, welcher in fried- 
lichen Zeiten auch lernbegierigen Nichtchristen geöffnet war. 
(vgl. Harnack, 8. 96fl. 143 fl... Diese Zweitheilung des 
Gottesdienstes, welche wir aus Ignatius zwar sicher, aber 
nicht ohne exegetische Mühe erkannten, bezeugt uns Plinius 
mit dürren Worten. Das ist aber ein in der Natur der bei- 
den Documente begründeter Unterschied. Plinius berichtet 
das Resultat seiner Inquisition als eine bis dahin nur wenig 
oder gar nicht bekannte Thatsache; Ignatius will selbstver- 
ständlich uns spätere Leser ebensowenig wie die Empfänger 
seiner Briefe von der bei ihnen herrschenden kirchlichen Sitte 
unterrichten; er kann nur nicht von ihrem kirchlichen Leben 
reden, ohne uns einige Grundzüge desselben erkennen zu lassen. 
Aus Ignatius gewinnen wir die Einsicht, welche der Bericht 
des römischen Statthalters nicht geben konnte, dass derjenige 
Gottesdienst, welcher die εὐχαριστία zum Mittelpunct hatte, 
vorwiegend den Charakter der Danksagung an sich trug, 
während in dem anderen Gottesdienst das Bittgebet im Vor- 
dergrund stand. Dem entspricht es, wenn auch noch nach 
der Vereinigung des zwiefachgn Gottesdienstes zu einem ein- 
zigen die Bittgebete und insbesondre die Fürbitten der Ge- 
meinde den Schluss des ersten homiletischen Theils des Gottes- 
dienstes bildeten, während das Charakteristische der die Abend- 
mahlshandlung einleitenden Gebete die Lobpreisung und die 
Danksagung war ἢ. Aus Plinius wiederum erfahren wir, was 


1) Vgl. die Besprechung der betreffenden Stellen aus Justin bei 
Harnack, S. 247—252. 261—268. Auch bei den Agapen der späteren 
Zeit nahm der Psalmgesang eine bedeutsame Stellung ein. Tertull. 
apol. 39; Cypr. ad Donat. 16 ed. Vindob., p. 16, 11. — Es bedarf 
wohl nicht der ausdrücklichen Verwahrung gegen eine undurchführbare 
Pressung der angegebenen Unterscheidung. A potiori fit denominatio. 
Die Fürbitten für Ignatius und die bedrängten Antiochener (Eph. 21; 


908 


ἴῃ sagen Ignatius keinen Anlass hatte, dass der stets die 
ganze Gemeinde versammelnde Gottesdienst am Morgen, die 
Agape aber später am Tage, wir können sofort sagen: am 
Abend, stattfand. So war es in der Entstehungsgeschichte 
des Abendmahls und in der allmähligen Entwickelung seiner 
kirchlichen Feier aus der gewöhnlichen Hauptmahlzeit bei 
den ersten Christen begründet !), Dadurch gewinnt dann die 
Unterscheidung von προςευχή und εὐχαριστία erst ihre natür- 
liche Erklärung. Mit Bitte beginnt, mit Danksagung schliesst 
die Gemeinde den Tag. Ich glaube aber auch bei Ignatius 
selbst eine Hinweisung auf die Morgen- und Abendzeit dieser 
Gottesdienste zu finden, nämlich in den schon von Vedelius 
II, 138 anstössig befundenen Worten: συγκοπιᾶτε ἀλλήλοις, 
συναϑλεῖτε, συντρέχετε, συμπάσχετε, συγκοιμᾶσϑε, ovveyel- 
ρεσϑε, ὡς ϑεοῦ οἰκονόμοι καὶ πάρεδροι καὶ ὑπηρέται (ad Pol. 6). 
ÜUnrichtig ist jedenfalls die Beziehung der beiden letzten Im- 
perative auf Sterben und Auferstehen, selbst wenn man den 
Imperativ nicht pressen und nur den Gedanken darin finden 
wollte: „ein gläubiges Sterben; eine herrliche Aufer- 
stehung!“ Es wäre die Ungleichartigkeit der bei diesen 
Erlebnissen und der bei den vorhergenannten Thätigkeiten 
stattfindenden Gemeinschaftlichkeit unerträglich ; und nicht bloss 
die Bezeichnung der Christen als Verwalter .und Gehülfen 
Gottes, was sie doch auf Erden sind, sondern auch die weiter- 


Mgn. 14; Tr. 13; Rom. 9; Phil. 10; Sm. 11; ad Pol. 7), für alle 
Menschen, auch die noch unbekehrten oder gar feindseligen, selbst für 
die Irrlehrer und besonders für die Obrigkeiten (Eph. 10; Sm. 4; Polyc. 
ad Phil. 12; cf. Just. apol. I, 14. 17; dial. 35. 96. 133), sind als Ele- 
mente des durchweg gemeinsamen Morgengottesdienstes vorzustellen. 
Aber ein solcher wird auch die Versammlung der ganzen antiochenischen 
Gemeinde mit Einschluss der fremden Gesandten zum Dank für die 
überstandene Gefahr sein (Phil. 10; cf. Sm. 11). 

1) Auch die Eucharistie der clementinischen Ebjoniten, das „Salz 
und Brot“ oder kurzweg „Salz nehmen “ (Clem. hom. ΧΙ, 36; XIV, 1 
ef. diamart. Jacob. 4; hom. IV, 6; VI, 26; XIIL, 11) fand stets Abends 
statt (hom. XI, 34). So auch Jdie des Abendmahls beraubten Agapen 
späterer Zeit. 

Zahn, Ignatins. 23 


354 


hin vom Kriegsdienst entlehnten Bilder nöthigen uns, im 
Diesseits zu bleiben. Der allgemeine Gedanke „omnia facite 
concorditer‘“ (Smith, schol., p. 69) nimmt hier die Gestalt an: 
Beschliesst den Tag gemeinsam und beginnt ebenso wieder 
den neuen! Die Forderung täglichen Früh- und Abend- 
gottesdienstes liegt darin natürlich ebensowenig, als durch 
die vorangehenden Ermahnungen eine Verschiedenheit der 
Thätigkeiten der Einzelnen und eine verschiedene Vertheilung 
von Arbeit und Ruhe, Handeln und Leiden verboten sein 
sollte. Aber natürlich dünkt mich der Ausdruck doch nur, 
wenn gerade am Abend und am Morgen regelmässige gottes- 
dienstliche Versammlungen stattfanden. | 

Der Sonntag ist als Auferstehungstag Christi Feiertag. 
In einer Polemik gegen die Verführung zu jüdischem Leben ἢ 
kann sich Ignatius darauf berufen, dass auch Solche, welche 
vordem im alten Wesen gewandelt, dann aber zur neuen 
christlichen Hoffnung gelangt sind, nicht mehr Sabbath feiern, 
sondern dem Herrentag gemäss leben, an welchem das Leben 
der Christen aufgegangen ist?). Dass darunter nicht etwa 
die Propheten des Alten Bundes zu verstehen seien 8), folgt 
doch wohl daraus, dass Ignatius doch nicht, den Barnabasbrief 
überbietend, von diesen gemeint haben kann, sie hätten den 
Sabbath nicht mehr gefeiert; und nicht weniger, als dies, 


.— --... 


1) Mgn. 8: εἰ γὰρ μέχρι. νῦν κατὼ Ἰουδαισμὸν ζῶμεν, ὑμολο- 
γοῦμεν χάριν μὴ εἰληφέναι. Statt dieser Lesart von 1,1 hat A sowie 
G2 1,2 νόμον Ἰουδαιχόν. Eine Mischung beider Texte ist das sinnlose 
νόμον Ἰουδαισμόν in Gl. Sehr kühn übersetzt Arndt (Handschrift) den 
mediceischen Text: „nach dem Gesetz ein Judenthum leben“ und ver- 
gleicht «xirdvvov βίον ζὴν und ähnliche Redensarten. 

2) Men. 9: εἰ οἷν οἱ ἐν παλαιοῖς πράγμασιν ἀναστραφέντες εἰς 
καινότητα ἐλπίδος ἦλθον, μηκέτι σαββατίζοντες, ἀλλὰ κατὰ κυριακὴν 
ζῶντες, ἐν ἢ καὶ ἡ ζωὴ ἡμῶν ἀνέτειλεν δι᾿ αὐτοῦ καὶ τοῦ ϑαγάτου 
αἰτοῦ x, τ. A. Der Zusatz des G! ζωήν hinter χυριαχήν, welcher keinen 
anderen Zeugen für sich und 1,1 A gegen 'sich hat, beruht auf demselben 
 Nichtverstehn , welches die Seitensprünge des ΟΣ veranlasst hat. 

3) So z. B. noch Hilgenfeld (apostol. Väter, 8. 232), der auch in 
ὁ. 8 den feindlichen Gegensatz zwischen dein vorchristlichen Christen- 
thum der Propheten und der Gesetzcsreligion hineinliest. j 


— 
l 


355 


ist doch von den fraglichen Personen deutlich ausgesagt, wie 
sehr man auch geneigt sein mag, das hiezu gegensätzliche 
κατὰ χυριακὴν ζῇν symbolisch zu fassen. Schon der An- 
klang !) an Gal. 1, 13 zeigt deutlich, dass geborne Juden, 
wie die Apostel, und alle anderen Beispiele für den Satz, 
dass das Judenthum an das Christenthum gläubig geworden _ 
(Mgn. 10), gemeint sind. Es folgt zunächst die Folgerung, 
dass noch viel weniger Christen aus den Heiden, wie Ignatius 
und seine Leser es sind, ohne den auferstandenen Christus 
leben können (c. 9); aber das bildet nur den Uebergang zu 
der praktischen Forderung, die Güte Christi dankbar zu er- 
widern durch ein specifisch christliches, von allem judaisti- 
schen Wesen freies Leben (c. 10). Darnach muss unter den 
Versuchungen zu judaistischem Wesen, wovor hier gewarnt wird, 
vor allem auch die Forderung der Sabbathsfeier gewesen sein. 
Dem jüdischen Sabbath, den selbst geborne Juden nach ihrer 
Bekehrung zum Christenthum zu feiern aufgehört haben, 
wird die χυριακή ?), der Auferstehungstag Christi, als christ- 
licher Feiertag gegenübergestelt. Dann ist der Sonntag 
selbstverständlich auch Hauptgottesdienst-Tag. Aber auf den 
Sonntag sind die Gottesdienste nicht beschränkt; denn sonst 
könnte Ignatius nicht 50 bestimmt auf Vermehrung der 
gottesdienstlichen Zusammenkünfte dringen (ad Pol. 4; vgl. 
oben Κα. 345, Anm. 1), sondern sein Rath müsste die be- 
stimmte Form angenommen haben, dass die Gemeinde sich 
nicht bloss am Sonntag, sondern auch zuweilen in der Woche 
ZUr προςευχή und zur εὐχαριστία versammle. Es setzt diese 
Ermahnung, so wie sie lautet, überhaupt eine Flüssigkeit 
der kirchlichen Sitte voraus, welche zu dem alterthümlichen 
Bild der kirchlichen Zustände, welches die ignatianischen 
Briefe uns zeigen, sehr wohl passt (vgl. Anh. II, 6). 


1) Auch 1Petr. 1, 3 u. 18 ist vergleichbar, wenn auch geborne 
Heiden da angeredet sind. 

2) Apokal. 1, 10; vgl. 1Kor. 16, 2; Act. 20, 7; „der achte Tag“ 
bei Barnabas, c. 15, 8. 9; der „status dies“ des Plinias (vgl. Harnack, 
8. 217), der „Sonntag“ des Justin, apol. I, 67. 


23° 


356 


5. Die häretische Bewegung. 


Warnung vor Irrlehrern durchzieht alle Briefe des Igna- 
tius mit Ausnahme des an die Römer. In diesem findet man 
. auch keinerlei Ermahnung zur strengeren Wahrung der Ge- 
meindeeinheit und zur Unterordnung unter die Gemeindevor- 
“ steher. Der Zusammenhang des Einen mit dem Anden 
leuchtet ein, wenn man erkennt, dass es nach den 6 übrigen 
Briefen vor allem die Besorgnis vor dem Eindringen der 
Häresie ist, was den Verfasser veranlasst, auf die Einheit des 
vottesdienstlichen und gemeindlichen Lebens so ausserordent- 
lichen Nachdruck zu legen. Die römische Gemeinde scheint 
ihm zum Einen ebensowenig Anlass zu bieten als zum Andern. 
Dies zu erklären genügt es nicht, wenn man auf die beherr- 
schende Hauptabsicht des Römerbriefs verweist; denn sie lässt 
dem Verfasser Raum, in der langen Grrussüberschrift und gegen 
Ende (c. 9) allerlei zu sagen, was in keinem deutlichen Zu- 
sammenhang mit der Hauptabsicht des Briefs steht. Auch 
damit ist nicht viel erklärt, dass Ignatius dieser Gemeinde 
Reinheit von aller fremden Farbe, d. h. von allem häretischen 
Wesen, nachrühmt (vgl. Anh. II, 7); denn wesentlich dasselbe 
lobt er an den asiatischen Gemeinden oft genug. Die Gefahr, 
_ welche Ignatins im Auge hat, muss eine örtlich begrenzte 
sein, und Rom liegt weit ab von dem bedrohten Gebiet. 
Das bestätigen auch die 6 übrigen Briefe Jedem, der es der 
Mühe werth hält, ihren geschichtlichen Gehalt zu erheben, 
und der vor allem die kleinen Einzelheiten, woran derselbe 
greifbar wird, sich klar macht, ehe er sich auf allgemeine 
Betrachtungen und Vergleichungen einlässt. 

Es wurde bereits bewiesen (ὃ. 258f.), dass Ignatius auf 
seiner Reise über Philadelphia nach Smyrna mit Iırlehrern 
zusammengetroffen ist und Gelegenheit gehabt hat, sie per- 
sönlich kennen zu lernen, Von Ephesus herkommend, sind 
sie ihm begegnet; also in der -seiner Reise entgegengesetzten 
Richtung drangen sie. von der Küste: aus ins Innere des 
Landes ein. Sie sind nicht Glieder der ephesischen Ge- 


357 


meinde, sondern reisonde Lehrer, welche sich vergeblich be- 
müht haben, bei den ephesischen Christen mit ihrer Lehre 
Eingang zu finden ἢ. Daher konnte der Bischof Onesimus 
den geordneten Zustand der Gemeinde zu Ephesus rühmen 
und ihr bezeugen, dass alle ihre Glieder der Wahrheit gemäss 
leben, und dass keine Häresie bei ihnen ihren Sitz hat, ja 
dass sie auf niemand weiter als auf Christus hören (c. 6). 
Sie lassen sich nicht betrügen, und es ist in der That. 
keinerlei Zwiespalt in sie hineingeschleudert, oder wie ein 
Keil in sie hineingetrieben worden (Eph. 8: 5. Anh. I, 18). 
Es ist daher von vorneherein als Misverständnis abzuweisen, 
wenn man auch in diesem Brief Zeichen einer bereits ein- 
getretenen häretischen Separation zu entdecken meint. Das 
wäre das reine Gegentheil der gerühmten εὐταξία. Aber die 
Ermahnung zu fleissigem Besuch des allgemeinen Gebets- 
gottesdienstes (c. 5) und besonders auch zu zahlreicher Be- 
theiligung am Abendmahl (c. 13) klingt nicht wie Rüge 
separatistischer oder gar häretischer Winkelgottesdienste (vgl. 
oben $. 342ff.). Der Zusammenhang der letzteren Stelle zeigt 
vielmehr deutlich, dass dem Ignatius eifrige Pflege besonders 
des Abendmahlsgottesdienstes als Mittel zur Erhaltung des 
Friedens und der Gemeindeeinheit und insofern als Schutz- 
mittel gegen alle Angriffe irdischer und überirdischer Feinde 
der Kirche, besonders auch der Irrlehrer, gilt, ein häufig bei 
ihm wiederkehrender Gedanke ?.. Es mag sein, dass der 


1) Eph. 9: ἔγνων δὲ negodevoavras τινας ἐκεῖϑεν, ἔχοντας καχὴν 
διδαχὴν, οὖς οὐχ εἰάσατε σπεῖραι εἰς ὑμῶς, βύσαντες τὰ ὦτα, εἰς τὸ 
μὴ παραδέξασϑαι τὰ σπειρόμενα ὑπ᾿ αὐτῶν. Vgl. oben S. 259. 

2) Tr. 7. Phil. 2: ἐν τῇ ἑνότητι ὑμῶν οὐγ ἕξουσι τόπον. --- Die 
Streitheere (ἃ. i. αὖ δυνάμεις Eph. 13), womit der Teufel seine Kriege 
gegen die Kirche führt, sind theils ἐπουράνιοι, Geister (vgl. den pau- 
linischen Epheserbrief 6, 12), theils ἐπίγειοι, die menschlichen Werkzeuge 
des Teufels, besonders die Irrlehrer (vgl. Trall. 8; Eph. 17). Von 
Kriegen der Geister und’ der Menschen unter einander kann nicht die 
Rede sein, wenn man nicht die Plattheit herausbringen will, dass mit 
dem Frieden der Krieg aufhöre. Es ist vielmehr πόλεμος der Angriffs- 
krieg; vgl. Tr. 4. 


358 


Besuch der Gottesdienste in Ephesus und den anderen Ge- 
meinden für Ignatius etwas zu wünschen übrig liess, aber es 
kann auch Ausdruck einer anderwärts gemachten Erfahrung 
sein, wenn er angesichts der häretischen Propaganda besonders 
auf Pflege der gottesdienstlichen Gemeinschaft dringt und zur 
Verschärfung der bezüglichen Ermahnungen das Fernbleiben 
vom Gottesdienst für ein Zeichen verderblichen Hochmuths 
erklärt (Eph. 5; vgl. oben S. 344f.). Vom Gegensatz schisma- 
tischer Versammlungen schimmert hier nichts durch. Die 
Entdeckung des offenbaren Widerspruchs, welche Lipsius 
I, 41 zuerst gemacht haben will‘, dass der Verfasser „überall 
bestimmte Spaltungen voraussetze‘“ und dennoch „fast in allen 
Briefen ‚versichere, dass in der betreffenden Gemeinde noch 
keine αἵρεσις aufgetreten sei“, muss jedenfalls in Bezug auf 
Ephesus wieder aufgegeben werden; denn dort sind allerdings 
Vertreter einer Häresie aufgetreten, haben nur nichts aus- 
gerichtet (Eph. 9), nicht einmal einen Streit in die Gemeinde 
hineinzuwerfen (Eph. 8) und noch weniger Ephesus zu einem 
Sitz ihrer Bestrebungen zu machen vermocht (Eph. 6). Von 
Sondergottesdiensten ihrer Anhänger ist daher auch keine 
Rede an der Stelle, wo von solchen geredet werden musste 
(Eph. 5). Selbst jene noch harmlose Ungebundenheit des 
gottesdienstlichen Lebens, besonders in Bezug anf die Feier 
der Agape, welche Ignatius abgestellt sehen möchte (s. oben 
5. 342 ff.), müsste sich in Ephesus nicht gefunden haben, wenn 
man sich bei dem herkömmlichen Text von Eph. 20 beruhigt 
(s. Anh. I, 20); denn dann wäre den Ephesern nachgerühnit, 
dass sie sich alle in einem Glauben zu versammeln und 
ein Brot zu brechen pflegen. Wahrscheinlich liegt hier jedoch 
eine Ermahnung vor, nämlich der oft vorkommende Rath, 
gerade auch das Abendmahl stets gemeinsam zu feiern. Ein 
Schisma gab’s in Ephesus sowenig wie eine Häresie. Warnung 
vor den Irrlehrern jener Tage ist darum doch angebracht; 
denn die Lehrer, welche in Ephesus aufgetreten und von da 
aus ins Innere des Landes vorgedrungen sind, werden es nicht 
bei einem ersten Versuch bewenden lassen. Sie haben ja die 
Gewohnheit, umherzureisen und in den Gemeinden, zu 


359 


denen sie kommen, Anhänger für ihre Lehre zu gewinnen. 
Das besagt der Satz: εἰώϑασι γάρ τινὲς δόλῳ πονηρῷ τὸ ὄνομα 
περιφέρειν (Eph. 7). Die heuchlerische Gesinnung und die 
arglistige Absicht, die ihnen hier nachgesagt wird, kann nicht 
ihre Gewohnheit sein; das εἰώϑασι weist also auf das 
περεφέρειν, und dies weist ebenso bestimmt auf ein Wandern 
dieser Prediger der Irrlehre !), wie das δεσμὰ περιφέρειν des 
Ignatius.auf dessen Reise (Eph. 11; Mgn. 1; Tr. 12). Als 
Vorüberreisende hat sie Ignatius denn auch kennen gelernt 
(Eph. 9). Es versteht ‚sich im voraus von selbst, dass alles 
das, was Ignatius von falscher Lehre und ihren Vertretern 
den Ephesern schreibt, an die jüngst von dieser Gemeinde 
und von Ignatius selbst gemachte Erfahrung sich anschliesst; 
also auch auf diese bestimmten, eben jetzt in den asiatischen 
Gemeinden missionirenden Irrlehrer und auf die Lehrsätze der 
von ihnen vertretenen Richtung sich bezieht. Das Gegentheil 
müsste erst erwiesen werden; es müsste nachgewiesen werden, 
dass Ignatius irgendwo von Lehrverschiedenheiten unter den 
Irrlehrern redete und deutlich zwischen diesen bestimmten 
Personen, die er auf seiner Reise kennen gelernt hat, nach- 
dem sie Ephesus unverrichteter Dinge wieder verlassen hatten, 
und anderen Vertretern, sei es derselben, sei es einer anderen 
Irrlehre, unterschiede. Aber davon zeigt sich weder im Epheser- 
brief, noch in irgend einem anderen eine Spur. Da ferner 
für diese Irrlehrer Ephesus nur der Ausgangspunct einer 
Mission ins Innere war, so besteht auch das Vorurtheil zu 
Recht, Jass eben sie es sind, auf welche sich die Warnungen 
auch in den übrigen Briefen beziehen. Jedenfalls ist es eine 
einzige häretische Richtung, welche Ignatius überall im Auge 
hat 2). Ein Vergleich der Polemik in Phil. 6—9 mit der 


1) Polykarp, der nicht diese bestimmten Personen, sondern die Irr- 
lehrer der Zeit überhaupt im Sinn hat, sagt daher auch: ἀπεχόμενοι 
τῶν σχανδάλων χαὶ τῶν ψευδαδέλφων καὶ τῶν Ev ὑποκρίσει φερόν - 
των τὸ ὄνομα τοῦ xuolov, οἵτινες ἀποπλανῶσι κενοιὶς ἀνθρώπους (c. 6; 
vgl. Anh. III, 5). 

2) Vgl. besonders Uhlh., S. 283 ff, auch Lips. I, 31ff. Arndt (Hand- 


360 


in Mgn. 8—10 zeigt zunächst, dass hier wie dort eine und 
dieselbe judaistische Häresie bestritten wird. Aber durch eine 
ganze Reihe von Stellen wird es unzweifelhaft, dass der 
Judaismus nur eine Seite derselben Häresie ist. deren christo- 
logische Lehren hauptsächlich in den übrigen Briefen bekämpft 
werden. Nachdem in Mgn. 8—10 die Warnung vor judai- 
stischen Verlockungen ausführlich motivirt ist, wird eben 
diese Ausführung als eine Warnung vor derjenigen κενοδοξία 
bezeichnet, deren Gegentheil ein fester Glaube an die Realität 
von Christi Geburt, Leiden und Auferstehung ist, und es folgt 
eine gedrängte regula fidei, wie sie Ignatius sonst dem doke- 
tischen Iırthum entgegenstellt (Mgn. 11; cf. Tr. 9sq.; 
Sm. 1s8q.).. Aber auch schon mitten in der antijudaistischen 
Polemik (Mgn. 9) wird die Heilswirkung des Todes und 
der Auferstehung Christi betont und von Leuten geredet, 
welche den Tod Christi verleugnen, wie sonst gegenüber 
dem Doketismus (cf. Sm. 5; Tr. 9). Bei solcher Ver- 
quickung antijudaistischer ünd antidoketischer Sätze ist es 
unstatthaft, die an der Spitze der ganzen Darlegung 
stehende Warnung: μὴ πλανᾶσϑε ταῖς Erepodoktus,: μηδὲ μυ- 
ϑεύμασιν τοῖς παλαιοῖς ἀνωφελέσιν οὖσιν (Mgn. 8), auf die 
beiden Abweichungen zu vertheilen 1). - Auch im Brief an 
die Philadelphener wird den dort bestrittenen Judaisten Wider- 
spruch gegen das Leiden Christi vorgeworfen (c. 3), und 
ihnen gegenüber, die nicht ohne weiteres das, was die Kirche 
als Evangelium verkündigt, glauben wollen (c. 8), wird auf 
die Thatsachen der irdischen Erscheinung, des Leidens und 
der Auferstehung Christi als den auszeichnenden Inhalt des 
Evangeliums hingewiesen (c. 9). Wenn Mgn. 10 den Judaisten, 


schrift) näherte sich dieser Einsicht besonders in später eingetragenen 
Zusätzen. 

1) So Hilgf., S. 231. Die Anknüipfung der speciellen Angabe an die 
allgemeine durch unde hat im negativen Satz ebensowenig Auffälliges, 
als die durch χαί im positiven, vgl. z. B. Marc. 13, 15. Ferner könnte 
«εἰ ἑτεροδοξίαι doch nur dann Bezeichnung einer einzelnen Art der Irr- 
lehre im Unterschied vom Judaismus sein, wenn dieser das Bekenntnis 
des Redenden selbst wäre. 


861 


die nicht bloss Christen, sondern auch Juden heissen wollen, 
die Einheit der aus allen Zungen zum Christenglauben vereinigten 
Gemeinde entgegengehalten wird, so müssen auch die Doketen 
Judaisten sein; denn auch in einem gegen diese gerichteten 
Zusammenhang (Sm. 1) wird energisch hervorgehoben, dass 
die an Christus Gläubigen, gleichviel ob Juden oder Heiden, 
in dem einen Leibe der Gemeinde Christi vereinigt sind. 
Sind aber die Judaisten identisch mit den Doketen, und wird 
gegen die eine judaistisch -doketische Irrlehre überall pole- 
misirt, so. muss eben dies die Lehre der Leute sein, mit 
welchen Ignatius persönlich zusammengetroffen war, nachdeın 
sie in Ephesus vergeblich Eingang gesucht hatten. In Tralles 
und Magnesia können dieselben inzwischen nicht gewesen sein; 
denn dann hätten sie dem Ignatius, der beträchtlich nördlicher 
reiste, nicht begegnen können. Dem entspricht es, dass 
Ignatius in den Briefen an diese Gemeinden sagt, was er den 
Ephesern nicht sagen konnte, er warne sie im voraus, in 
Voraussicht künftiger listiger Angriffe des Teufels (Tr. 8; 

Mgn. 11), Im Smyrnäerbrief (c. 4) finden wir das προφυ- 
λάσσω wieder, woraus zu schliessen ist, dass jene Lehrer auch 
in Smyrna noch nicht aufgetreten sind. Wenn sich dort 
weniger das Streben -fühlbar macht, den Schein eines Tadels 
wegen Duldung einer Häresie zu beseitigen, so erklärt sich 
das aus der persönlichen Bekanntschaft des Ignatius mit den 
Smyrnäern. Argloser als die ihm unbekannten Magnesier und 
Trallianer werden diese die Warnung vor einer allen diesen 
Gemeinden noch erst drohenden Gefahr hinnehmen, wie sie 
Aehnliches auch schon mündlich von Ignatius werden gehört 
haben. Eine Separation hat selbstverständlich in Magnesia, 
Tralls und Smyrna ebensowenig wie in Ephesus stattge- 
funden, weil die Leute, welche mit der Irrlehre zugleich den 
Streit säen, gar nicht dorthin gekommen sind. . Will man 
den Briefschreiber nicht in einem Athemzug sich selbst wider- 
sprechen lassen, so muss man ihm glauben, wenn er nach 
scharfem Urtheil über alle Vornahme kirchlicher Handlungen . 
mit\Umgehung der Vorsteher versichert, dass er von solchem 
Treiben unter den Angeordneten nichts wisse (Tr. 8 cf. 7; 


362 


Mgn. 11 cf. 4). Welche Zustände des gottesdienstlichen 
Lebens den betreffenden Ermahnungen und Warnungen zu 
Grunde lagen, wurde oben S. 312 ff, gezeigt. Es leuchtet ein, 
wie jener Mangel streng ausgeprägter Kirchlichkeit den Irr- 
lehrern Gelegenheiten darbot, sich in kleineren Kreisen mit 
ihren Vorträgen hören zu lassen, welche in den von den Vor- 
stehern geleiteten Gottesdiensten nicht laut werden konnten. 
Dringend werden die Mahnungen zur Einheit und Kirchlich- 
keit alles gottesdienstlichen Lebens aber erst, nachdem Ignatius 
in Troas erfahren hat, was sich seit seiner Durchreise durch 
Philadelphia dort zugetragen, In Philadelphia lagen die Dinge 
anders als in allen übrigen Gemeinden. Da galt es noch 
weniger als in Ephesus ein προφυλάσσειν, vielmehr eine Be- 
stärkung !) der grossen Mehrheit der Gemeinde in ihrem 
treuen Festhalten an der Gemeindeeinheit, von welcher Etliche 
sich abgesondert hatten, und in ihrem Widerspruch gegen 
die Irrlehre, von welcher Etliche sich hatten verführen lassen. 
Schon oben (S. 271) wurde wahrscheinlich gefunden, dass 
Philadelphia der Ort sei, wo Ignatius mit den von Ephesus 
kommenden Irrlehrern zusammentraf. Wäre dem nicht 80, 
wären also die Leute, welche dort den Ignatius in irgend 
einem Punct hinters Licht zu führen verstanden hatten 
(Phil. 7; oben ὅδ. 269), nicht die Reiseprediger in Eph. 9, so 
müsste die Begegnung mit Letzteren auf dem Weg von 
Philadelphia bis Smyrna stattgefunden haben; denn sehr bald 
nach der Durchreise des Ignatius durch Philadelphia haben 
sie dort der unbewussten Weissagung desselben zur Erfüllung 
verholfen (vgl. S. 269). Es ist nämlich klar, dass die dort 
ausgebrochene Separation nicht von einer einheimischen Oppo- 
sition gegen das kirchliche Amt, sondern von den fremden 
Irrlehrern ausging. Häresie und Schisma sind nicht bloss 
verwandte und gleich schädliche Erscheinungen, vor welchen 
deshalb in einem Satz gewarnt werden kann ?), sondern so 
völlig ist Eins mit dem Anderen gegeben, dass als Gegentheil 


1) Phil. 5: ὑπεραγαλλόμενος ἐσφαλίζομαι ὑμᾶς. 
2) Phil. 2: φϑύγετε τὸν μερισμὸν zu τὰς χακοθιδακκαλίας. 


363 


des μεριαμός gelegentlich nicht die Gemeindeeinheit, sondern 
die Reinheit von fremdartiger Lehre ἢ) auftritt. Es sind 
synonyme Ausdrücke, σχίζυντε ἀκολουϑεῖν und ἐν ἀλλοτρίᾳ 
γνώμῃ περιπατεῖν (Phil. 3). Die Art, wie Igmatius (Phil. 
5—9) von der Irrlehre auf die Spaltung und von dieser wieder 
- auf jene übergeht, macht es unzweideutig, dass Eins mit dem 
Anderen gegeben war. Von einer grundsätzlichen Opposition 
dieser Irrlehrer gegen das geistliche Amt oder speciell gegen den 
Episkopat ist auch im Philadelphenerbrief nichts zu lesen; aber 
es lag in der Natur der Sache, dass dieselben erstlich Alles, was 
von Sitte freier Vereinigung dort sich vorfand, für ihre Zwecke 
benutzten, und dass sie zweitens, wenn ihren Sondermeinungen 
von den Gemeindevorstehern und der Mehrheit der Gemeinde- 
glieder das Recht in der Kirche abgesprochen wurde, die ge- 
wonnenen Anhänger zur Separation drängten. Einen be- 
sonderen Antrieb dazu gab ihnen ihre doketische Christologie. 
Wenigstens führt Ignatius hierauf ihre Enthaltung vom Abend- 
mahls- und Gebetsgottesdienst zurück (Sm. 7). Das granum ἡ 
salis, welches die Leser dieser Stelle vor solchen Folgerungen 
hätte bewahren müssen, wie sie 2. B. bei Dall., p. 366. 388 zu 
lesen sind, ist nicht schwer zu finden. Da auch ein faua- 
tischer Polemiker diesen Irrlehrern, welche sich für Christen 
ausgaben, nicht wohl vorgeworfen haben kann, dass sie ein 
Christenthum ohne Gebet wollten ?), so muss unter der προς- 
ευχή, deren sie sich enthalten, der kirchliche Gottesdienst 9) 
und ebenso dann unter der εὐχαριστία die kirchliche Abend- 
mahlsfejer verstanden werden. Was Ignatius als Grund ihrer 
Enthaltung anführt, dass sie nicht mit der Kirche bekennen, 
die Eucharistie sei das Fleisch Christi, passt natürlich zu- 
nächst nur auf die Enthaltung vom Abendmahl *), wie denn 
auch im weiteren Verlauf auf das Gebet keine besondere 
Rücksicht genommen wird. Aber die Betonung des Leidens 


1) Phil. 3; vgl. oben 8. 270. 
2) Vgl. Uhlh., S. 288; Hilgf., 5. 262. 
“ 8) Eph. 5; vgl. oben 5. 844, 
4) Οὗ Justin. apol. I, 66. Iren. IV, 18, 5. 


364 


und der Auferstehung des Fleisches Christi weist auf die 
Verkennung dieser Thatsachen durch dieselben Irrlehrer als 
den tieferen Grund ihrer Heterodoxie in Bezug auf das Abend- 
mahl. Dann begreift man, dass sie sich in den kirchlichen 
Gottesdiensten überhaupt unbehaglich fühlen mussten, in 
welchen diese Heilsthatsachen Mittelpunct aller liturgischen 
und homiletischen Aeusserung waren, und dass Ignatius gerade 
in diesem Zusammenhang zum Festhalten an den Propheten 
“und besonders am Evangelium, ‚als der Verkündigung jener 
Heilsthatsachen, ermahnen konnte. Dass die Häretiker in 
Ephesus und Philadelphia niemals an einem Öffentlichen 
Gottesdienst theilgenommen haben, kann man aus dieser Stelle 
ebensowenig schliessen, als etwa aus Sm. 6, dass sie niemals 
‚einem Hungrigen etwas gegeben haben. Nur die charakte- 
ristische Gewohnheit der Leute galt es χὰ zeichnen. Bei dem 
theilweise noch privaten Charakter der Agapen mögen sie es 
versucht haben, mit absichtlicher Verheimlichung vor dem 
Bischof eine besondere Abendmahlsfeier zu veranstalten !), bei 
welcher ihre Auffassung zum Ausdruck kam und auch sonst 
bequeme Gelegenheit zur Ausbreitung ihrer Lehre sich bot. 
Gelang es ihnen, für solche Conventikel Glieder der Ge- 
meinde zu gewinnen, so war die Separation vollzogen. Sie 
begannen natürlich nicht mit Stiftung einer Sonderkirche, 
aber ihr Auftreten musste sofort zur Separation führen, wenn 
sie bei der Mehrheit und den. Leitern einer Gemeinde festen 
Widerstand fanden. Noch weniger fanden sie in den Ge- 
meinden separatistische Neigungen vor; aber jeder Mangel an 
fest geprägter kirchlicher Ordnung bot ihnen Mittel und Wege, 
in die Gemeinde einzudringen. Daher die Warnung vor 
Spaltungen nicht bloss als Folge der Häresie, sondern auch 
als Anfang weiterer Uebel 3); daher die unermüdlich wieder- 


ll ἃ 


1) Darauf führt Sm. 9: ὁ λάϑρα ἐπισκόπου τι πράσσων, τῷ δια- 
βόλῳ λατρειΐει im Vergleich mit c. 8. Vgl. oben S. 342f. Vielleicht 
nahmen sie statt des Weins Wasser (Clem. Al. strom. I, p. 375 Pott.) 
oder Salz (Clem. homil. XI, 34. 36; XIV, 1). 

2) Sm. 7: τοὺς δὲ μερισμοιὶῖς φδύγετε᾽ ὡς doyyv κακῶν. ξἘ,5 ist 


365 


holten Mahnungen zur Pflege der Einheit des kirchlichen 
und besonders auch des gottesdienstlichen Lebens als eines 
Schutzmittels gegen das Eindringen der Häresie !). 

Hat sich nun gezeigt, dass Alles, was Ignatius in Bezug ᾿ 
auf Irrlehre und Spaltung sagt, durch Erlebnisse der nächsten 
Vergangenheit veranlasst ist, so ist damit nicht gesagt, dass 
Ignatius seine Kenntnis der von ihm bestrittenen Irrlehre 
ausschliesslich diesen Erlebnissen verdanke. Seine Schilderung 
macht vielmehr den Eindruck genauerer Kenntnis, als sie auf 
slchem Wege zu gewinnen war. Sein rücksichtslos ver- 
dammendes Urtheil (s. oben δ. 344) setzt eine Erfahrung vor- 
aus, welche Ignatius sowenig wie die asiatischen Gemeinden 
in den wenigen Wochen gemacht haben können, in welche 
die dortige Wirksamkeit der Irrlehrer sammt der Durchreise 
des Ignatius fällt. Sichtlich belehrt Ignatius die Gemeinden, 
in welchen diese Irrlehrer nun zum ersten Mal auftreten, 
über deren Theorie und Praxis als Einer, der sie genauer 
kennt. Wenn auch die Berufung auf eine Disputation, die 
er einst mit Leuten dieser Richtung gehabt (Phil. 8), .nicht 
sicher einer früheren Periode seines Lebens zugewiesen werden 
kann, so ist doch aus dem ganzen Ton seiner Besprechung 
ihrer Erscheinung zu schliessen, dass er schon in Antiochien, 
dem Ursitz aller häretischen Gnosis, dieselbe Lehrpartei kennen 
gelernt hat, welche nun im vorderen Kleinasien missionirt. 
Und nicht bloss diese eine Häresie scheint er zu kennen; 
denn obwohl ihm die Lage der kleinasiatischen Gemeinden 
immer nur zur Bestreitung dieser bestimmten Häresie Anlass 
bietet, so weisen doch seine Ausdrücke vielfach auf eine Viel- 
heit ähnlicher, Erscheinungen ?). Die natürlichste Erklärung 


der Plural zu beachten statt des Singulars μερισμός (Phil. 2. 3. 8). 
Trennungen, Uneinigkeiten, Mangel an bewusster Pflege des Gemein- 
schaftslebens bereiten der Häresie und damit dem eigentlichen μερισμός, 
den Schisma, den Weg. So hatte Ignatius auch schon in Philadelphia, 
als ob er den künftigen μερισμός dprt geahnt hätte, gerufen: τὴν 
ἕνωσιν ἐγαπῶτε, τοὺς μερισμοὺς φεύγετε (Phil. 7). 

1) Phil. 2. 4. Tr. 7, Eph. 5. 13. 20. Vgl. oben S. 357. 

2) Beachtet man das häufige τινές Eph. 7. 9; Tr. 10; Phil. 7; 


366 


wird die sein, dass damals Antiochien und Syrien ein an 
derartigen „Pflanzen“ fruchtbarer Boden war, während eine 
einzelne Species erst jetzt auf dem Seeweg nach der jonischen 
Küste importirt wurde. Nur mit dieser haben wir es 
zu thun. 

Die Namen der Irrlehrer oder ihres Parteihauptes zu 
nennen, hat Ignatius leider unter seiner Würde gehalten !). 
Wie er den Gemeinden anräth, sich gar nicht mit ihnen 
einzulassen, sondern ihnen einfach auszuweichen wie tollen 
Hunden und wilden Thieren (Eph. 7; Sm. 4), so findet er 
es auch angemessen, dass man gar nicht von ihnen rede, 
sondern sie namenlos ins Gebet einschliesse und ihre Heilung 
dem einen Arzt überlasse, der dazu Macht hat (Sm. 4. 7; 
Eph. 7). Dahingegen weist er oft auf ihre äussere Er- 
scheinung, ihr Thun und Treiben als Deckmantel, aber auch 
Merkmal ihrer Gesinnung hin. Es müssen Leute von Talent 
und einer gewissen Würde des Auftretens gewesen sein. 
Wenn sie ad Pol. 3 οἱ δοχοῦντες ἀδιόπεστοι εἶναε und Phil. 2 
geradezu λύχοι ἀξιόπιστοι heissen, so will beides sagen, dass 
ihnen ein ehrbares, Vertrauen erweckendes Aussehen und 


Sm. 2. 5 zur Bezeichnung der in Ephesus und Philadelphia aufge- 
tretenen Irrlehrer, so folgt Obiges aus Phil. 2: moAAoi γὰρ λύκοι 
ἀξιόπιστοι ἡδονῇ καχῇ αἰχμαλωτίζουσι τοὺς ϑεοδρόμους, dasselbe aus 
Eph. 6: ὅτι ἐν ὑμῖν οὐδὲ μέα αἵρεσις κατοικεῖ, Dann sind auch die 
Plurale χαχοδιδασκαλίαάι Phil. 2, ἑτεροδοξίαι Mgn. 8 zu beachten. Zahl- 
reiche Erscheinungen dieser Art hat auch Polykarp im Sinn, so oft er 
von Irrlehrern redet, besonders in ὁ. 2 u. 7. Das οὗ πολλοί an beiden 
Stellen ist wie bei Papias (Eus. ἢ. e. III, 39, 8) zu verstehn. Vgl. 
2Kor. 2, 17 und die Note Tischendorfs z. ἃ. St. ed. VIII und Winer, 
Grammatik, S. 100 (6. Aufl.). 

1) Sm. 5: τὰ δὲ ὀνόματα αὐτῶν, ὄντα ἄπιστα, οὐχ ἔδοξέν μοι 
ἐγγράψαι. ᾿Αλλὰ μηδὲ γένοιτό μοι αὐτῶν μνημονϑούξιν, μέχρις οὗ μετα- 
γοήσωσιν x. τ. A. Die wunderliche Uebertragung des Attributs von den 
Personen auf deren Namen, kann man nicht mit Pears. III, 16 aus dem 
Gebrauch von ὄνομα == Person erklären; denn nicht die Personen, 
sondern deren Namen schreibt man. — Deütlich ist hier, dass Ignatius 
es mit wenigen bestimmten Menschen zu thun hat, deren Eigennamen 
ihm bekannt sind. 


387 


Auftreten eigen τῶν ἢ). In christlichen Schein wissen sie ihr 
Wesen wie ihre Lehre zu hüllen und täuschen. und fangen 
darum leicht die Arglosen 3). Darum gilt es sie schärfer ins 
Auge zu fassen, um auch an ihrem äusseren Verhalten ihre 
gottwidrige Gesinnung zu erkennen (Sm. 6). Wenn nun im 
Gegensatz zu ihrer trügerischen Führung des Christennamens 
auf gewisse Gottes unwürdige Dinge, die sie thun, hingewiesen 
wird (Eph. 7), so zeigt schon der massvolle Ausdruck, dass 
nicht an frechen Libertinismus und Antinomismus zu denken 
ist 3), sondern an das, was ihnen Sm. 6. 7 deutlich nach- 
gesagt wird, ihre Gleichgültigkeit gegen die kirchlichen 
Liebeswerke und die gottesdienstliche Gemeinschaft. Je 
schärfer das Verdammungsurtheil sonst über sie lautet, um 
so zuverlässiger entnehmen wir diesen Andeutungen, dass 
diesen Irrlehrern sittliche Vorwürfe im gemeinen Sinn des 
Worts nicht zu machen waren. Sie sind keine Pflanzen des 
Vaters, keine Zweige des Kreuzes, sondern geile Nebenschöss- 
linge; aber die todbringenden Früchte, woran man das er- 


1) Buns. I. 149, der es für vergebliche Mühe erklärt, ἀξιόπι- 
στος seiner ursprünglichen Bedeutung ‚würdig des Vertrauens“ zu ent- 
fremden, hätte schon aus Voss, S. 281; Pears. III, 46 den wirklichen. 
Sprachgebrauch kennen lernen können. Luc. Alex. 4: ὅλως γὰρ &r- 
γύησον μοε. .. . ποιχιλοτάτην τινὰ ψυχῆς χρᾶῶσιν. .. φιλόπονον ἐξερ- 
γάσασϑαι τὰ νοηϑέντα καὶ πιϑανὴν καὶ εξιόπιστον χαὶ ὑποχριτικὴν τοῦ 
βελτίονος καὶ τῷ ἐναντιωτάτῳ τῆς βουλήσεως ἐοικυῖαν. Es bedarf also 
keines Zusatzes wie τὴν ὄψιν (Lue. de morte Peregr. 40). Vgl. Ep. ad 
Diogn. 8; Tatian. or. 2; cf. Tertull. apol. 46 und den Gegensatz von 
πιστός und ἀξιόπιστος Clem. Al. paed. III, p. 302 Pott. Anderes bei 
Arndt, S. 155. In lex. Seguer. (Bekker, anecd. I, 413) wird bemerkt, 
dass die παλαιοί es noch nicht in dem Sinn von χαχόπλαστος und τερα- 
Teig χρώμενος gebrauchen, sondern = πιστός u. 8. W. 

2) Eph. 7. 17; Phil. 2; Tr. 6 (s. Anh. 1, 27). 

3) Mit Unrecht bezieht Uhlh. S. 281 auf die Häretiker Tr. 8: 
un ἀφορμὰς δίδοτε τοῖς ἔϑνεσιν, ἵνα un δι᾽ ὀλίγους ἄφρονας τὸ ἐν 
ven πλῆϑος βλασφημῆται. Cf. Clem. ad Corinth. I, 47; Polyc. 10. 
Die 6Afyoı müssen unter den Angeredeten gesucht werden, unter denen 
sich nach dem Anfang von c. 8 keine Häretiker befinden; und schon die 
vorangehende Ermahnung zeigt, dass es sich hier um Störungen des 
Gemeindelebens handelt, die von aller Häresie unabhängig sind. 


368 


kennen soll (Tr. 11 cf. 6), scheinen doch vor allem ihre den 
Einzelnen wie der kirchlichen Einheit gefährlichen Lehren zu 
sein. Ihre Tendenz ist eine vorwiegend theoretische. Schlechte 
Lehre !) führen sie, und ihre thatsächlich kirchenzerstörende 
Wirksamkeit ist doch zunächst ein Corrumpiren des Glaubens 
durch solche Lehre ?); und im Gegensatz zu diesen Leuten 
betont es Ignatius, dass Christus der Christen einziger Lehrer 
ist (Mgn. 9; Eph. 15 cf. 6 extr.).. „Disputirend sterben 
sie“ (Sm. 7), und mit deutlicher Beziehung auf sie wird 
nach 1Kor. 1, 20 gefragt: ποῦ 60905 ; ποῦ συζητητής; ποῦ 
καύχησις τῶν λεγομένων συνετῶν; (Eph. 18.) Eine Anspielung, 
wenn nicht auf den Namen Gnosis, so doch auf den Anspruch 
höherer Erkenntnis bei diesen Leuten, liegt auch in der kurz 
vorhergehenden Frage: διὰ τί δὲ οὐ πάντες φρόνιμοι γινόμεϑα, 
λαβόντες ϑεοῦ γνῶσιν, ὃ ἐστιν ᾿Ιησοῦς Χριστός; τέ μωρῶς 
ἀπολλύμεθα, ἀγνοοῦντες τὸ χάρισμα, ὃ πέπομφεν ἀληϑῶς 0 
κύριος; (Eph. 17.) 

Ihre Lehre bezeichnet Ignatius erstlich als „Judenthum“ 
(Phil. 6; cf. Mgn. 8—10); denn so und nicht durch blosse 
Umschreibung in deutsche Schrift will Ἰουδαϊσμός wieder- 
gegeben sein. Es bildet den Gegensatz zu Χριστιανισμύς. 


‚Da es Träger des christlichen Namens sind, welche dies 
_ Judenthum predigen, so fragt es sich freilich, wieweit ihr 


προςέχειν τῷ ἰουδαϊσμῷ ἀπὸ μέῤους (Epiph. haer. 28, 1) sich 
erstreckt. Ob sie selbst geborne Juden oder doch Beschnittene 
waren, lässt sich vielleicht nicht mehr entscheiden. Ein Be- 
weis dagegen liegt nicht in dem Satz: ἐὰν δέ τις Ἰουδαϊσμὸν. 


1) Eine Zusammenstellung der Ausdrücke wird bequem sein: ἔχοντας 
xexnv διδαχήν Eph. 9; ἐν κακῇ διδασκαλίᾳ Eph. 16; dvawdiev τῆς dıda- 
σκαλίας τοῦ ἄρχοντος τοῦ αἰῶνος τοιτου Eph. 17; ταῖς ἑτεροδοξίαις 
Mgn. 8; τῆς κενοδοξίας Mgn. 11; ἑτεροδιδασκαλοῦντες ad Pol. 3; τοὺς 
ἑτεροδοξοῦντας εἰς τὴν yüpıw 1. X. τὴν εἰς ἡμᾶς ἐλθοῦσαν Sm. 6. 

2) Dies wird besonders deutlich Eph. 16, wo die Anwendung des 
Begriffs οἰχκοφϑόροι auf die Irrlehrer als Object ihrer verderblichen 
Thätigkeit statt des Glaubens vielmehr die Kirche, das Haus Gottes, her- 
vorrufen musste, zumal der Erinnerung des Ignatius offenbar 1 Kor. 
6, 9£. und 1Kor. 3, 17f. zugleich vorschwebten. 


369 


ἑρμηνεύῃ ὑμῖν, μὴ ἀκούετε αὐτοῦ" ἄμεινον γάρ ἐστιν παρὰ 
ἀνδρὸς περιτομὴν ἔχοντος Χριστιανισμὸν ἀκούειν ἡ παρὰ ἀκρο- 
βύστου ᾿Ιουδαϊσμόν. Es scheint hier der sonderbare Gedanke 
zu Grunde zu liegen, dass es schon recht lästig sei, einen 
Beschnittenen wie Paulus und Petrus Christenthum predigen 
zu hören, und nur eben erträglicher, als das noch Schlimmere, 
einen Christen Judenthum lehren zu hören. Doppelt sonder- 
bar erscheint dies als Begründung der vorangehenden Warnung, 
weın man das παρὰ ἀκχροβύστου ᾿Ιουδαϊσμὸν ἀκούειν für, 
identisch hält mit dem verbotenen ἀχούεεν τινὸς ᾿Ιουδαϊσμὸν 
ἑρμηνεύοντος. Denn wenn auch bei dieser Warnung an die 
bestimmten Irrlehrer zu denken ist, so war doch, formell be- 
trachtet, nur der Fall gesetzt, dass. irgend Jemand, gleichviel 
wer, Judenthum verkündige. Wie kann dann in dem be- 
gründenden Satz ohne weiteres vorausgesetzt werden, dass 
dieser τίς ein ἀχρύβυστος sei, als ob nicht vor allem auch 
Beschnittene Prediger des Judenthums wären? Will man 
sich dies daraus erklären, dass die Irrlehrer, die Ignatius dabei 
im Sinn hat, unbeschnitten waren, wie die angeredeten Chri- 
sten, so bleibt unverständlich, woher überhaupt der Gegensatz 
von Beschnittenen und Unbeschnittenen kommt, dem in der 
Wirklichkeit gar nichts entsprochen hätte. Allen diesen 
Schwierigkeiten entgeht man, wenn man annimmt, Ignatius 
denke bei dem begründenden Satz an die Folgen einer er- 
folgreichen Verkündigung des Judenthums, daran nämlich, 
dass Einer, der darauf gehört, der es gläubig angenommen, - 
nun selber auch jüdische Lehre im Munde führt und also 
hören lässt. Dann kommt es zu dem gleich nachher gesetzten 
Fall, dass beide, sowohl der Beschnittene, der von Haus aus 
jüdische Lehre im Munde führt, als der Unbeschnittene, der 
es von ihm erst gelernt hat, nicht von Christus reden. Ver- 
führer wie Verführte gelten dann dem Igmatius als blosse 
Gräber und Grabdenkmäler, auf welchen nur Namen von 
Menschen geschrieben stehn !). Besser wäre die umgekehrte 


1) Ἐὰν δὲ ἀμφύτεροι περὶ Ἰησοῦ Χριστοῦ un λαλῶσιν, οὗτοι ἐμοὶ 
στὴλαί εἰσιν καὶ τώφοι νεκρῶν, ἐφ᾽ οἷς γέγραπται μόνον ὀνόματα dv- 
Zahn, Ignatius, 24 


370 


Folge einer Berührung unbeschnittener Christen mit Juden, 
dass diese von jenen wahres Christenthum lernten, so dass 
mam fortan von einem Beschnittenen, der ‚sonst Judenthum 
lehren würde, Christenthum zu hören bekäme. Somit wäre 
der ἀκρόβυστος ein Glied der asiatischen Gemeinden, das sich 
von den fremden Lehrern verführen liesse, und diese selbst 
wären beschnitten. Nur bei dieser Auffassung kommt auch 
der Unterschied von ἀκούειν τινὸς (Eph. 6. 16) und ἀκούειν 
τι παρά τινος zu seinem Recht; ünd vor allem erklärt sich nun 
die sonst unverständliche Vergleichung; von den zwei wirk- 
lich vorhandenen Möglichkeiten wird der einen, in der That 
allein erfreulichen, der Vorzug gegeben '. Im Judenthum 
aufgewachsen sind diese Irrlehrer jedenfalls auch noch Sm. 5. 
Nur von Leuten, welche von jeher unter der Anctorität des 
Alten Testaments und erst seit einiger Zeit unter dem Ein- 
fluss des Evangeliums stehn, kann gesagt werden: οὖς οὐχ 
ἔπεισαν αἱ προφητεῖαι οὐδ᾽ ὃ νόμος ἸΠωσέως, ἀλλ᾽ οὐδὲ μέχρι 
νῦν ?) τὸ εὐαγγέλιον. Sie müssen sich auch mit Stolz Juden 
genannt haben; denn in dem Zusammenhang von Mgn. 10, 
wo die Namen ’/ovöciouös und Χριστιανεσμύς einander gegen- 
. überstehn und die Verbindung von Χριστὸν Ἰησοῦν λαλεῖν 
καὶ Ἰουδαΐζειν als unverträglicher Widerspruch erscheint, kann 
man bei den Worten ὃς γὰρ ἄλλῳ ὀνόματι καλεῖται πλέον 
τούτου, οὐχ ἐστιν τοῦ ϑεοῦ unmöglich an den Namen irgend 
eines Häresiarchen denken. Da sich τούτου auf das unmittel- 
᾿ bar vorangehende Χριστιανισμός bezieht, dieser Name aber 
von den Christen in der Form Χριστιανός geführt wird, so 
ist der gedachte Gegensatz Ἰουδαῖος. Jene nennen sich Christen, 
aber auch Juden, was dann ein recht eigentliches Ἰουδαῖος 
ἐπονομάζεσθαι (Rom. 2, 17) ist. Sind nun die Irrlehrer ge- 


ϑρώπων. Cf. Lucian. Timon 5. Entfernter ist die Aehnlichkeit mit 
Just. dialog. 35, p. 288 Ε. 

1) Es vergleicht sich mit diesem ὥμεινον — ἢ das συνέφερε 
Sm. 7, 

2) Vgl. das μέχρι νῦν Mgn. 8 = auch jetzt noch nach der Er- 
scheinung des Christenthums und der Bekehrung zu demselben, 


371 


borne Juden, oder doch durch Beschneidung und Leben dem 
Judenthum angehörige. Christen, so folgt daraus natürlich 
nicht, dass sie von den Heidenchristen Kleinasiens Beschnei- 
dung forderten; denn bekanntlich hat das in die Heiden- 
kirche eindringende Judenchristenthum fast überall auf die 
Durchführung dieser Forderung verzichtet. Ist die obige 
Erklärung von Phil. 6 richtig, so ist dort geradezu bezeugt, 
dass diese Judaisten ihre Anhänger unter den Heidenchristen 
unbeschnitten liessen. Aber das völlige Schweigen des Ignatius 
über eine so weit gehende Forderung ist allein schen aus- 
reichender Beweis dafür. Im DUebrigen jedoch forderten sie 
das, was Ignatius ein ζῆν xura Iovdaiouor (oder νόμον 
Mga. 8), ein ἐουδαΐζειν AMgn. 10) nennt. Sie drängen den 
Heidenehristen „den schlechten, alt und sauer gewordenen 
Teig‘ des Judenthums auf (Mgn. 10). Durch die Polemik 
gegen sie leuchtet der Gedanke durch, dass das mosaische 
Gesetz noch jetzt, auch nach der Erscheinung Christi, ver- 
bindlich sei, und dass das Christenthum nur eine zeitgemässe 
Fortentwicklung der ewig wahren jüdischen Religion sei, so 
dass Bekehrung zum Christentkum auch Bekehrung zum 
Judentham wäre ἢ. Nur eine einzige specielle Forderung, 
die der Sabbathsfeier (Mgn. 9; vgl oben 5. 354f.), ist geradezu 


- angedeutet. 


Es versteht sich von selbst, dass diese Judaisten ihre 
Lehre hauptsächlich aus dem Alten Testament zu erweisen 
suchten. Ignatius sieht sich daher wiederholt veranlasst, den 
Sehein zu beseitigen, als ob seine Polemik gegen diese Ju- 
daisten mit Geringschätzung des Alten Testaments verbunden 
sei. In einem Ton, welcher erst verständlich wird, wenn 
man "sieht, dass dadurch eine ausführliche antijudaistische 
Polemik eingeleitet wird (Phil. 6—9) spricht er Phil. 5 seine 
und seiner Gesinnungsgenossen Verehrung für die Propheten 
aus, und ebenso werden am Schluss dieses Absehnitts wieder 
die alttestamentlichen Institutionen und Heroen,, insbesondere 


-——— I) 


1) Mgn. 10 fin. c. 8: εἰ γὰρ uE χοι νῦν κατιὶ lovdaisuov ζώμεν, 
ὁμολογοῦμεν χώριν μὴ εἰληφέναι. Vgl. vorige Seite, Ann. 2. 
24 


372 


„die lieben Propheten“ in ihrer vorbereitenden Bedeutung 
für die christliche Offenbarung und ihrer Zugehörigkeit zu 
den Gnadengütern des neuen Bundes anerkannt (Phil. 9). 
Den Judaisten gegenüber werden die Propheten geradezu als 
von der Gnade inspirirte (Mgn. 8) Jünger Christi (Mgn. 9), 
als Muster eines Lebens nach seiner Norm (Mgn. 8) und 
neben Gesetz und Evangelium als Zeugen gegen den Un- 
glauben der Irrlehrer (Sm. 5) in Anspruch genommen. Von 
den Irrlehrern sich fernhalten, hat zur Kehrseite gerade ein 
. Festhalten an den Propheten, freilich ein solches, welches 
dem Evangelium seinen überwiegenden Werth und seinen 
unterscheidenden Charakter lässt (Sm. 7; cf. Phil. 5. 9). Es 
scheint, dass diese Lehrer innerhalb, des Alten Testaments 
das Gesetz über die Propheten stellten, oder dass sie diese 
in andrer, als der in der Kirche üblichen Weise deuteten. 
Darin wird sich ihre höhere Erkenntnis gezeigt, darum ihr 
Disputiren (Eph. 17. 18; Sm. 7) 'gedreht haben, und „die 
bösen Künste und Listen des Teufels“, durch welche sie die 
Christen in die Enge trieben (Phil. 6), werden hauptsächlich 
exegetische Künste gewesen sei. Dabei werden dann die 
Ueberlieferungen jüdischer Schriftgelehrsamkeit vielfach dazu 
gedient haben, zu Tage zu fördern, was kein schlichter Ver- 
stand im Text gefunden hätte. Darauf weist der Satz: μὴ 
πλανᾶσϑε ταῖς ἑτεροδοξίαις μηδὲ μυϑεύμασιν τοῖς παλαιοῖς, ἀνω- 
φελέσιν οὖσιν Mgn. 8. Der Ausdruck erinnert an 1 Tim. 1, 4; 
4, 7; Tit. 1, 13 einerseits und Tit. 3, 9 andrerseits; aber 
noch viel weniger als an diesen paulinischen Stellen 1) kann 
hier an gnostische Aeonenlehren nnd an Travestieen alttesta- 
mentlicher Stoffe oder gar heidnischer Mythologeme gedacht 
werden, welche Irenäus und Tertullian bei Paulus im voraus 
beschrieben fanden 2). Denn, in welchem Sinn sie alt und 
für den Christen unnütz seien, zeigt sofort die Begründung 
der Warnung: „denn, wenn wir bis jetzt [noch immer] nach 


1) Vgl. Wiesinger, Pastoralbriefe, S. 211ff. 354. 
2) Iren. I prooem. $ 1; II, 14sq.; Tertull. adv. Val. 3; praeser. 
33 cf. 34 fin. 


373 


dem Judenthum leben, so gestehen wir damit ein, dass wir 
[die] Gnade [des neuen Bundes] nicht empfangen haben“. 
Die Fabeln gehören zu dem alten, sauer gewordenen Teig des 
Judenthums (Mgn. 10) und unterscheiden sich von den ge- 
setzlichen Institutionen, in welchen alle jüdisch geborenen 
Christen vor ihrer Bekehrung gewandelt sind (Mgn. 9), da- 
durch, dass sie nicht πράγματα, sondern μυϑεύματα sind. 
Wenn sie auch als solche eines ausreichenden Schriftgrundes 
entbehren, so werden sie darum nicht minder an alttestament- 
liche Stellen angelehnt und bei deren Auslegung verwendet 
worden sein. Eine Andeutung davon, dass diese Lehrer vor- 
nehmlich durch Schriftauslegung ihre Ansichten zu erweisen 
suchten, liegt wohl auch in der Bezeichnung ihres Lehrver- 
trags als eines Ἰουδαϊσμὸν ἑρμηνεύειν !).. Ob sie dabei auch 
schon neutestamentliche Schriften benutzten, hängt haupt- 
sächlich ab von der Deutung des Berichts über eine Dispu- 
tation, welche Ignatius mit Leuten dieser. Richtung gehabt 
haben will (Phil. 8). Dass es sich dort um Vertreter der- 
selben oder doch einer ganz verwandten Partei handelt, folgt 
daraus, dass sich das darauf folgende c. 9 durchaus in dem- 
selben Gegensatz gegen die Judaisten bewegt, wie Alles von 
c. 6 an. Ignatius will durch die Erinnerung an dies Erlebnis 
erklären, was ihn auf die Ermahnung gebracht hat: μηδὲν 
κατ᾽ ἐριϑείαν πράσσειν ἀλλὰ κατὰ χριστομαϑίαν. Ein Beispiel 
mangelnder χριστομαϑία und verwerflicher ἐριϑεία führt er im 
Folgenden an. Versteht man unter letzterer im engen An- 
schluss an das Etymon „die Gesinnung des Tagelöhners, 
banause Denkweise“, so findet man dafür im Folgenden 
bei keinerlei Auslegung ein Beispiel; denn, nur durch äusser- 
liche Beweisgründe, sei es alttestamentliche Schriften oder 
archivalische. Urkunden, sich überführen lassen zu wollen, 


1) Phil. 6. Es könnte an sich auch eine einigermassen orakelhafte 
Verkündigung ihrer verborgenen Weisheit durch ἑρμηνεύειν ausgedrückt 
sein, cf. Tatian. or. 12; dem Object entsprechender versteht man darunter 
einen Vortrag. judaistischer J,ehren, welcher sich in der Form tenden- 
ziöser Schriftauslegung vollzog. 


974 


konnte doch kein Grieche ein πράσσειν κατ᾽ ἐριϑείαν nennen ἢ). 
Es bedeutet aber überhaupt selbstsüchtige Gesinnung, mit 
welcher sich ein wahres Interesse für die Sache nicht ver- 
trägt ?), und bildet einen passenden Gegensatz zu der Bereit- 
willigkeit, von Christus zu lernen. Im Wortstreit zeigt sich 
solche Gesinnung als Rechthaberei, und eben diese schildert 
Ignatius im Folgenden. Ich lese: Ἐπεὶ ἤχουσά τινων λεγόν- 
των, ὅτι ,, ἐὰν μὴ ἐν τοῖς ἀρχείοις εὕρω, ἐν τῷ εὐαγγελίῳ, οὐ 
πιστεύω“. καὶ λέγοντός μου αὐτοῖς ὅτε, γέγραπται“, üns- 
κρίϑησάν μοι, ὅτι ,, πρόκειται". ἐμοὶ δὲ ἀρχεῖά ἐστιν Ἰησοῦς 
Χριστὸς, τὰ ἀϑικτα ἀρχεῖα ὁ σταυρὸς αὐτοῦ καὶ 0 ϑάνατος 
καὶ ἡ ἀνάστασις αὐτοῦ καὶ 7 πίστις ἢ δι᾿ αὐτοῦ. Verbindet 
man, wie allgemein geschieht, ἐν τῷ εὐαγγελίῳ mit dem 
Folgenden und liest ἀρχαίοις, so soll das heissen: „wenn ich 
es nicht in den Alten (den alttestamentlichen Schriften) finde, 
so glaube ich nicht an das Evangelium“ °). Aber abgesehen 
davon, dass sich ein so offenkundiger Bruch mit dem Be- 
wusstsein von der selbständigen Wahrheit der neutestament- 
lichen Offenbarung schwerlich mit der angeblichen ἀξιοπιστία 
der Irrlehrer verträgt, so müsste doch erst nachgewiesen wer- 
den, dass jemals die alttestamentlichen Schriften τὰ ἀρχαῖα 
oder die alttestamentlichen Schriftsteller οἱ ἀρχαῖοι genannt 
worden seien. Im Gegensatz nicht zu irgend etwas Moder- 
nem ?), sondern zum Evangelium, als der neuen Offenbarung, 
würden die-Irrlehrer Moses und die Propheten „die Alten“ 
nennen; aber für diesen Gegensatz waren längst und für 


1) Gegen Credner, Beiträge 1, 15. Anm. 1. 

2) Vgl. Hofmann, n. Test. II, 1, 192; III, 55. Nach dessen rich- 
tiger Deutung von Röm. 2, 8 ist dies eine passende Parallele z. u. St. 

3) So z. B. Clericus z. d. St.; Credner a. a. O. I, 15f.; Buns. 
I, 150; IL, 73; Merx, S. 9. 

4) Daher ist auch die Anführung von Matth. 5, 21 ff. (Hilgf., 
S. 236) ebenso unzutreffend wie die von Joseph. ant. X, 10, 6, wo sich 
Joseph im Gegensatz zu eigener Kritik und Darstellung der Geschichte 
auf die nationalen Geschichtsquellen (τὰ ἀρχαῖα βιβλέα) zurückzieht, die 
er unverändert wiedergegeben habe. 


375 


immer παλωιός und xuwos üblich ἢ. Und würde nicht eine 
solche Betonung der alten Schriften im Gegensatz zum 
Evangelium einen der älteren Zeit und diesen Irrlehrern ge- 
wiss fremden Gegensatz eines alttestamentlichen und eines 
neutestamentlichen Kanons voraussetzen? Behält man ferner 
trotz der sicheren Bezeugung des Gegentheils ?) auch an zweiter 
und dritter Stelle ἀρχαῖα, so wird das feierliche Bekenntnis, 
in welches Ignatius in Erinnerung an jene Disputation aus- 
bricht, geradezu sinnlos und unübersetzbar. Tod und Auf- 
erstehung Christi möchten allenfalls „die alten Dinge‘ heissen 
im Sinn ehrwärdiger Heiligthümer; aber zu dem Glauben, 
der gerade als gegenwärtige, beweisende Kraft in Betracht 
kommt, passt das Prädicat ἀρχαῖος nicht, und zu "Inaovs 
Χριστός, wozu ἀρχαῖα zunächst ohne Rücksicht auf das Weitere 
gehört, passt der Plural nicht ὃ. Liest man aber an zweiter 
und dritter Stelle ἀρχεῖα, so muss mans auch an erster Stelle 
gelten lassen. Soll Ignatius in diesem wahrlich pathetischen 
Zusammenhang nicht einen läppischen Scherz gemacht haben, 
so muss seine Meinung die sein, dass er an dem persönlichen 
Christus und an den Thatsachen der Erlösung und an dem 
dadurch gewirkten Glauben eben das besitze und nur viel 
zuverlässiger besitze, wovon jene ihren Glauben abhängig 
machen, ohne je mit der Untersuchung fertig zu werden. 
Es heisst einen textkritischen Kanon misbrauchen, wenn man 
trotzdem denjenigen Zeugen, welche zuerst «., dann εἰ bieten, 
den Vorzug vor denjenigen gibt, welche dreimal dasselbe Wort 
geben. Bei näherer Betrachtung *) variirt vielleicht doch 


1) 2Kor. 3, 14; Hebr. 8, 13. Ign. Mgn. 9. 10. Melito Sard. bei 
Eus. ἢ. 6. IV, 26 extr. 

2) G! G2 gegen die hier schwer zu reducirenden Uebersetzungen. 

3) Credners Uebersetzung: „mir ist das Alte Jesus Christus“, ver- 
wischt die Schwierigkeit und bedürfte überdies selbst wieder einer Ueber- 
setzung in’s Verständliche. 

4) ἀρχαίοις . ἀρχεῖα. . . ἀρχεῖα Gl, ἀρχείοις . . ἀρχεῖα... 
ἐρχεῖον G2, so auch wohl 12, denn wenn er an zweiter Stelle jedenfalls 
dasselbe Wort ‚gelesen hat, wie an erster (antiquis . .. . antiquitas), so 
scheint nur der Wechsel des Numerus an- dritter Stelle die andere 


376 


nur G!; aber wie leicht konnte hier an erster Stelle das ge- 
wöhnlichere Wort ἀρχαῖα sich einschleichen, während an 
zweiter und dritter Stelle das richtige ἀρχεῖα durch die 
offenbare Sinnlosigkeit des Anderen geschützt wurde. Ent- 
scheidet man sich demnach für ἀρχείοις . . ἀρχεῖα... ἀρχεῖα, 
go kann das freilich hier nicht Archiv !) bedeuten; denn ein 
Schreien nach den authentici codices evangeliorum ?), eine 
Verdächtigung der umlaufenden Abschriften der Evangelien, 
passt erstlich nicht in diese Urzeit, in welcher Kirche und 
Häresien gleich wenig auf die Authentie ihres Buchstabens 
gaben, konnte aber auch zu keiner Zeit diese Form annehmen: 
„wenn ich es nicht in den Archiven finde, glaube ich nicht 
an’s Evangelium“; denn es ist gar kein Archiv denkbar, 
welches die Unverfälschtheit der darin aufbewahrten Evan- 
gelienschriften gerade diesen Irrlehrern verbürgt hätte. Und 
doch muss, wie die Gegenäusserung des Ignatius zeigt, ἀρχεῖα 
eben das sein, wovon die Zuversicht des Glaubens abhängig 
gemacht wird. Unvorstellbar bleibt auch, wie Ignatius Christum 
. selbst und die Heilsthatsachen als Archiv, als Aufbewahrungs- 
ort glaubwürdiger Urkunden bezeichnen konnte. Sie sind 
vielmehr diese Urkunden selbst; und das ist eine unzweifel- 
hafte Bedeutung von ἀρχεῖα ὃ. Ihre angeerbte schriftgelehrte 


Uebersetzung: ‚principatus“ hervorgerufen zu haben. Sie entspricht einer 
Bedeutung von ἀρχεῖον. A lässt das dritte Wort ganz weg, setzt aber 
an erster und zweiter Stelle das gleiche Wort voraus (in libris primis ... 
liber primus). Sehr sonderbar ist Li: veteribus . . . prineipium... 
principia. Der Wechsel des Numerus erklärt sich aus Rücksicht auf den 
Sinn als freie Uebersetzung; dann wahrscheinlich auch der Wechsel des 
Worts, denn auf «eyeiov lässt sich prineipium nicht zurückführen. 

1) Diese Bedeutung hätte Credner a. a. Ὁ. nicht anzweifeln sollen. 
Eus. V, 18, 9 ist τὸ τῆς Aolas δημόσιον ἀρχεῖον das Gebäude, worin die 
Processacten aufbewahrt werden. Jos. bell. jud. II, 17, 6 ist τὰ εἰρχεῖα 
sichtlich gleichbedeutend mit γραμματοφυλακεῖον — Aufbewahrungsort 
der Schuldbriefe u. dergl. Vgl. die Inschriften Hermes IV, 211f. 

2) So Smith, schol., p. 84. Cf£. Tertull. praescr. 36. 

3) Vgl. Voss, 5. 283. Bei Eus. h. e. I, 13, 5 ist es identisch mit 
δημόσιαι χάρται und nicht etwa mit den yoruuaropviexeie zu Edesss, 
welche Euseb nie gesehen hat. So wird es auch bei Africanus (Eu. 


877 


Manier in die Kirche übertragend, fordern diese Irrlehrer für 
das, was in der Kirche als Gemeinglaube in Cultus und 
Lehre bezeugt wird, Beweis aus schriftlichen Urkunden, und 
Ignatius antwortet ihnen auch nicht, wie er antworten müsste, 
wenn 'sie Beweis aus den alten Schriften im Gegensatz zu 
neuen und zweifelhafteren gefordert hätten: „Gesetz und Pro- 
pheten bezeugen es“. Er antwortet vielmehr, wie er es 
musste, wenn überhaupt nur Beweis aus Schriften im Gegen- 
satz zur Selbstgewissheit des kirchlichen Glaubens gefordert 
war:- „es steht geschrieben“. Wenn er aber meinte, damit 
ihren Widerspruch überwunden zu haben, so antworteten sie: 
πρόκειται 1). Sollte dies, um von ganz unmöglichen Erklärungs- 
versuchen abzusehn ?), heissen: „so ist die Sache ausgemacht, 
so hat es seine Richtigkeit‘ 8), so hätte sich Ignatius wahr- 
lich nicht über die ἐριϑεία seiner Gegner zu beklagen gehabt. 
Nur wenn das Wort eine Antithese enthält, in welcher die 
Disputation stecken blieb, begreift sich, dass Ignatius dies 
überhaupt erzählt und dann ihrem unverbesserlichen BEigensinn 
entgegenstellt, was ihm beweiskräftige Urkunde des kirchlichen 
Glaubens ist. Die ziemlich gewöhnliche Bedeutung von προ- 
κεῖσϑαι, „als Gegenstand der Verhandlung oder Untersuchung 
vorliegen “, reicht völlig aus zur Rechtfertigung der Ueber- 
setzung: „es ist der Gegenstand des Streits, das ist eben die 
Frage“ ἢ). Sie hatten anfänglich das Bedenken erhoben, ob 


h. e. I, 7, 13) dasselbe sein, was nachher δημοσία συγγθαφή heisst. 
Arndt (Handschrift) vergleicht noch Dion. Halic. ant. II, 26. 

1) 65 hat das hier ausgelassen, dagegen nachher dem Ignatius in 
den Mund gelegt: οὐ γὰρ πρόκειται (abov oder προχέχριται n 12) ro 
ἀρχεῖα τοῦ πνεύματος. | 

2) Dahin rechne ich den von Hug (Einl. 3. Aufl. I, 111): „dieses (ἢ) 
verdient auch (!) den Vorzug“, und den von Bunsen (I, 150). 

8) So Credner a. a. O. Aehnlich Rothe, S. 339: „das liegt frei- 
lich am Tage“. 

4) So Ruchat: „c’est cela qui est en question “; Arndt, S. 183 f. mit 
ausreichendem Beweis. In der Handschrift hatte er die Uebersetzung 
„das ist die Frage“ wie mehrere andere durchstrichen und zuletzt 
stehen lassen: „es ist .offenbar“. Vgl. auch Delitzsch, neue Unter- 
suchungen über die Evangelien, 8. 2. 


> 


378 


die fragliche Lehre in den schriftlichen Urkunden, auf die es 
ankommt, sich finde. Da ihnen Ignatius nun Stellen nach- 
weist, worin sie sich finde 3), verschärfen sie ihre skeptische 
Haltung. Auch dem nachgewiesenen Schriftbuchstaben gegen- 
über fragt sieh’s erst, ob sie darin finden, was der Mann der 
Kirche herausliest. Nun soll die Disputation erst angehen und 
auf exegetischem Boden mit deu Mitteln ihrer Gelehrsamkeit 
geführt werden; aber Ignatius bricht ab, weil er kein Ende 
absieht, und während jene „disputirend zu Grunde gehn“ 
(Sm. 7), hält er sich an die Urkunden, an welche kein Zweifel 
und keine exegetische Kunst der „sogenannten Einsichtsvollen “ 
(Eph. 18) heranreicht. Nicht alten Urkunden stellt er neue 
gegenüber, sondern dem Buchstaben schriftlicher Zeugnisse, 
über die man endlos streiten kann, die für sich selbst zeugen- 
den und im Glauben fortlebenden Thatsachen der Offenbarung. 
Nun erst lässt sich fragen, welcherlei Schriften die ἀρχεῖα 
sind. Die Frage entsteht wirklich, da ein Gegensatz alt- 
und neutestamentlicher Schriften nicht ausgedrückt ist. Auf 
den alttestamentlichen Kanon will der seltsame Ausdruck am 
wenigsten im Munde dieser Judaisten passen, denen ὁ νόμος 
(καὶ οἱ πρυφῆται) oder ἡ γραφή einzig natürlich gewesen wäre. 
Ferner erscheint die Forderung, das mündliche Zeugnis an 
den betreffenden Urkunden zu bewähren, als eine von der 
Kirche vernachlässigte, einigermassen neue, während doch Er- 
weisung der christlichen Wahrheit am Alten Testament so 
alt ist, wie christliche Predigt. Daher werden vielmehr Ur- 
kunden der christlichen Offenbarung gemeint sein im Gegen- 
satz zu der flüssigen Ueberlieferung und mündlichen Ver- 
kündigung des christlichen Glaubens. Sollte dann aber nicht 
Lucas Holsten das Richtige gesehn haben, wenn er & zw 


1) Es versteht sich von selbst, dass Ignatius nur eine Skizze des 
Gesprächs gibt. Im wirklichen Disput wird es sich um eine bestimmte 
kirchliche Lehre gehandelt haben, welche das Object zu εὕρω und das 
Subject zu γέγραπται war. So muss Ignatius, der hiermit auf ihre 
Forderung einging, auch bestimmte Stellen genannt haben, worin das 
geschrieben steht, was sie in den Urkunden nachgewiesen haben 
wollen. 


879 


εὐαγγελίω als Apposition zu ἐν τοῖς ἀρχείοις fasst‘). Dafür 
spricht erstlich, dass im anderen Fall τὸ εὐαγγέλιον hier das 
mündlich verkündigte Evangelium in ausschliessendem Gegen- 
satz zu jeder schriftlichen Fixirung bedeuten müsste, was nie 
Sprachgebrauch gewesen sein kann und, wie später zu zeigen, 
dem Sprachgebrauch des Ignatius widerstrebt. Es ist ferner 
zu beachten, dass Ignatius πιστεύω nie mit ἔν τινι COn- 
struirt ?2). Es ist endlich allein natürlich, dass πεστεύω ebenso 
wie εὕρω vorher objectlos ist, wie ja auch die Subjecte zu 
γέγραπται und πρόκειται unausgedrückt bleiben. Worum es 
sich in dem einzelnen Fall handelte, soll ganz ausser Betracht 
bleiben. „In den Urkunden“ wollen sie die strittige Sache 
nachgewiesen haben und erklären den noch undeutlichen Aus- 
druck durch den andern, welcher an sich noch gar nicht 
auf geschriebene Urkunden hinweist, hier aber deutlich das 
Gebiet bezeichnet, auf welchem sich der Streit bewegt, „im 
Evangelium“. Einfacher und deutlicher und daher von G? an 
die Stelle gesetzt, wäre ἐν τοῖς ἀρχείοις τοῦ εὐωγγελίου, in den 
evangelischen Urkunden. Diese Forderung der Irrlehrer ist 
nicht befremdlich, wenn man in dem gleichzeitigen Brief des 
Polykarp liest, dass die Irrlehrer jener Zeit die Aussprüche 
des Herrn nach ihrem Gelüste umdeuten (c. 7), und wenn 
man bedenkt, dass die Häresie der Kirche in exegetischer 
Bearbeitung der Reden Jesu und „des Evangeliums‘ zuvorge- 
kommen ist 3). 


1) Bei Dressel, p. 181: nisi in archivis, hoc est in evangelio, inve- 
nero, non credo. Diese an manchen Stellen treffliche Uebersetzung ver- 
dient überhaupt beachtet zu werden. Ueber die Handschrift s. Dressel, 
proll. LX. Wie A hat auch ΟΣ οὐ πιστεύω absolut gefasst und, wenn 
mit abov gegen n L? τοῖῖ εὐαγγελίου gelesen wird, ebenso verstanden, 
wie Holsten. 

2) Sm. 6; Tr. 2. Mgn. 10 mit eis. Tr. 9; Rom. 8; Phil. 8; ad 
Pol. 7 mit dem Dativ. Phil. 5 ist ἐν ᾧ = per quem mit ἐσώϑησαν zu 
verbinden. Phil. 9 bezeichnet ἐν ὠγάπῃ die Gesinnung, in und mit 
welcher ınan glauben soll. Im Neuen Testament findet man nur Marc. 
1, 15 (nicht Joh. 3, 15) πιστεύειν ἔν τινι. 

3) Schon Papias hat bei den Büchern, aus denen er nichts Zu- 


880 


Dass die Irrlehrer auch an den Urkunden der evange- 
lischen Geschichte ihre Auslegungskünste übten, ergibt sich 
unter der Voraussetzung, dass die beliebteste Form ihres 
Lehrvertrags ein ἑρμηνεύειν war (9. oben S. 337), von selbst 
aus den Hauptstücken ihrer Lehre. Für. ihre Christologie 
konnten sie im Alten Testament kaum Stützpuncte zu finden 
meinen, wohl aber in den geschichtlichen Berichten über 
Christus. Eine einigermassen vollständige Christologie dieser 
Leute zu entwerfen, ist freilich unmöglich. Sie denken über- 
haupt abweichend in Bezug auf die neutestamentliche Gnaden- 
offenbarung Gottes (Sm. 6) oder die „auf den neuen Menschen 
Jesus Christus abzielende Heilsveranstaltung‘, die sogenannte 
Oekonomie ?), welche Ignatius deshalb in ihren Grundzügen 
den Ephesern darzulegen begann. Ein durchgreifender Doke- 
tismus ist das Einzige, was ihnen Ignatius deutlich, aber auch 
unermüdlich vorwirft. Sie leugnen, dass Christus in mensch- 
licher Natur auf Erden gelebt habe ὃ. Ihre eigenen Worte 
scheinen es zu sein, ‚dass Christus nur scheinbar gelitten 
habe 8). So beseitigen sie den Anstoss, den ihnen das Kreuz, 
der Gedanke eines gekreuzigten Heilsmittlers, bereitet (Eph. 18). 
Sie glauben nicht an das Leiden (Phil. 3; Sm. 5), leugnen 
den Tod Jesu (Mgn. 9). Aber dieselbe doketische Vorstellung 
müssen sie consequent auf das ganze irdische Leben Jesu an- 
wandt haben; denn ihnen gegenüber wird die Realität sämmt- 
licher Hauptereignisse des Lebens Jesu betont ἢ), die leibliche 
Abstammung aus Davids Geschlecht, die leibliche Geburt aus 


verlässiges glaubte lernen zu können, exegetische Schriften solcher 
Leute im Sinn, welche viel reden und fremde Gebete verkündigen (Bus. 
h. e. 1II, 39, 3. 4), und älter als dessen Werk sind gewiss die 24 Bücher 
des Basilides über ‚, das Evangelium ‘“ (Eus. ἢ. 6. IV, 7, 7; Clem. A. 
strom. IV, p. 599 Pott... Zu beachten ist auch Iren. II, 10, 1. 

1) Eph. D cf. 18: xar’ οἰχονομίαν ϑεοῦ. 

2) Sm. 5: μὴ ὁμολογῶν αὐτὸν σαρκοφόρον. 

3) Sm. 2: καὶ ἀληϑῶς ἔπαϑεν ὡς zei ἀληϑῶς ἀνέστησεν ἑαυτὸν, 
οὐχ ὥσπερ ἄπιστοί τινες λέγουσιν, τὸ δοχεῖν αὐτὸν πεπονϑέναι, αἰὐτοὶ 
τὸ doxsiv ὄντες. Cf. ο. 4; Tr. 10. 

4) Eph. 7. 18—20; Tr. 9; Mgn. 11; Sm. 1—3. 7; Phil. 9. 


381 


der Jungfrau Maria, die Taufe durch Johannes, die offen- 
kundige Geschichtlichkeit des Kreuzestodes, die Wirklichkeit 
der Auferstehung des Gekreuzigten zu einem neuen gleichfalls 
leiblichen Leben. Wie das Essen und Trinken Jesu nach der 
Auferstehung und seine Betastung durch die Jünger Letsteres 

beweisen muss (Sm. 3), so muss auch sein Essen und Trinken 
“vor seinem Tode zum Zeugnis gegen die Häretiker dienen 
(Tr. 9). Die übermenschliche Hoheit Christi scheint ihnen. 
festzustehn ; aber damit finden sie es unverträglich, dass er 
im Fleisch und leidensfähig gewesen (Eph. 7; ad Pol. 3), 
wahrhaft menschlich sich offenbart (Eph. 19), kurz ein τέλειος 
ἄνθρωπος geworden sei (Sm. 4). Dass diese Bedenken in er- 
höhtem Mass den kirchlichen Glauben an die Menschlichkeit 
des durch die Auferstehung verklärten Lebens Jesu und an 
die Mittheilung dieses Lebens im Abendmahl (Sm. 7; vgl. 
oben 8. 363) treffen mussten, ist von selbst klar. Da ferner 
die Auferstehung Christi von selbst wegfällt, wo sein Tod als 
ein nur scheinbarer gedacht wird, so ist von vorneherein 
wahrscheinlich, dass auch .die Auferstehung der Christen ge- 
leugnet wurde. Daher wird die wiederholte Begründung der 
christlichen Auferstehungshoffnung auf Tod und Auferstehung 
Christi eine polemische Beziehung auf die Irrlehrer haben 
(Tr. 9; Sm. 5; Mgn. 9); und wenn es ihnen dereinst ergehen 
soll, wie sie denken, dass sie ein leibloses, gespenstisches 
Leben führen, wie die Dämonen, so ist damit wohl nicht 
bloss eine Vergeltung dessen, was sie an Christus thun, ge- 
meint, sondern vielmehr angedeutet, dass sie der Auferstehung 
zum ewigen Leben, die sie den Christen überhaupt rauben, 
selbst allerdings verlustig gehen werden !'). Polykarp wird 
auch diesen Zug in seiner Schilderung der Irrlehrer der jüng- 
sten Vergangenheit entnommen haben 3). 


-—_ — 


1) Sm. 2. Ich übersetze: „und wie sie denken, wirds ihnen auch 
ergehn, wenn sie [dann] leiblos und dämonisch sind“. Das ihrer 
Meinung von Christus Entsprechende war schon vorher ausgedrückt 
durch αὐτοὶ τὸ doxsiw ὄντες. 

2) ad Phil. 2. Die Zusammenstellung von Christi Auferstehung, 
Gericht und der Christen Auferstehung ist nach der Ermahnung und 


382 


Auch auf ihre Ansichten vom präexistenten Christus fällt 
wenigstens ein Streiflicht. Mitten in einer gegen sie ge- 
richteten Polemik wird als Inhalt der Heilswahrheit, für 
welche schon die Propheten zum Zweck der Ueberzeugung der 
Ungläubigen gelitten haben, dies angegeben: orı εἷς ϑεύς ἐστιν, 
ὁ φανερώσας ἑαυτὸν διὰ ᾿ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ, ὃς 
ἐστιν αὐτοῦ λόγος ἀΐδιος, οὐκ ἀπὸ σιγῆς προελϑών, ὃς κατὰ 
πάντα εὐηρέστησεν τῷ πέμψαντι αὐτόν (Mgn. 8). Für Ignatius 
ist, wie schon hieraus erhellt, der vom Vater in die Welt 
gesandte Jesus Christus der Logos und heisst so, weil er der 
Mittler der neutestamentlichen Offenbarung ist; aber derjenige, 
welcher inmitten oder vielmehr am Ende der Geschichte !) 
als Jesus Christus und Gottes Sohn und Logos erschienen ist, 
gilt ihm für ein ewiges Ich. Das Attribut «doc ist keines- 
wegs eine selbstverständliche Zugabe zu λύγος, sondern eine 
nachdrückliche Verwahrung dieses Namens Christi gegen das 
Misverständnis, als ob dem so bemannten Ich damit eine 
innerzeitliche Entstehung nachgesagt würde. Der dem Ignatius 
dabei vorschwebende Gegensatz wird dann noch ausdrücklich 
verneint. Christus ist nicht ein λύγος, der aus einem 
Schweigen hervorgegangen oder auf ein Schweigen gefolgt 
ist 2), sondern ist ewig. Ganz richtig hat dies Verhältnis des 


-- -.- ----- . - 


Warnung am Anfang des Kapitels zu verstehn. Auch c. 7 enthält 
nichts, was nicht auf die von Ignatius bestrittenen Irrlehrer passte. 

1) Cf. Mgn. 6. Der Beweis für Obiges kann erst in der zusammen- 
hängenden Darstellung der theologischen Anschauungen des Ignatius ge 
liefert werden. Die Gleichzeitigkeit der in φανερώσας und πέμψας 
ausgedrückten göttlichen Thätigkeiten (Mgn. 8) leuchtet von selbst ein. 
Die hier gemeinte Selbstoffenbarung Gottes, von welcher der Sohn Gottes, 
„durch welchen sie sich vermittelt, den Namen Logos führt, ist Eph. 19 
durch ϑεοῦ εανϑθϑρωπίνως φανερσυμένου ausgedrückt und ist identisch 
mit der am Ende der Geschichte erfolgten Erscheinung (&pavn) dessen, 
der vor den Aeonen beim Vater war (Mgn. 6). 

2) Pears. Il, 42 wollte das ὠπὸ im Unterschied von ἐκ pressen, um 
den letzteren Sinn als den einzig wahrscheinlichen zu erweisen. Aber 
auch ἔχ zıvog kann heissen „unmittelbar nach etwas“, und gerade ἐφ΄ 
ἑνὸς πατρὸς προελθόντα schreibt Ignatius .Mgn. 7 offenbar in anderem 
Sinn. 


988 


negativen Attributs zum positiven schon Pearson !) erkannt; 
aber sehr mit Unrecht behauptete er weiter, der so ver- 
standene Satz treffe direct die Ebjoniten, d. h. diejenigen, 
welche Euseb (III, 27, 3) schildert, Pearson aber mit den von 
- Ignatius bestrittenen Judaisten identifieirt. Jene Ebjoniten 
lehnen den Logosbegriff überhaupt ab; der Satz des Ignatius 
dagegen, wenn man ihn so richtig wie Pearson versteht ?), 
setzt Gegner voraus, welche den Logosbegriff in einer Weise 
verwertheten, dass die Ewigkeit der Person Christi, auf welche 
Ignatius nicht minder grosses Gewicht legt 8), als auf ihre 
wahrhaft geschichtliche und menschliche Erscheinung, darüber 
verloren ging. Sie nahmen den Logosnamen beim Wort und 
schlossen von dieser Bezeichnung Christi als des Wortes 
Gottes auf ein seiner Existenz vorangehendes Schweigen Gottes 
und auf ein seine Existenz begründendes Hervorgehn aus dem 
vordem schweigenden, wortlosen Gott. Ob sie dies Schwei- 
gen Gottes in der Weise mehrerer gnostischer Schulen als 
weiblichen Aeon und somit als Mutter des Logos vorstellten, 
lässt sich aus der flüchtigen Andeutung nicht schliessen. Es 
ist möglich, dass die Einheit Gottes hier und so auch Mgn. 7 
im Gegensatz zu solcher „gnostischen Auseinanderlegung “ 
Gottes betont sein soll (vgl. Lips. I, 34), womit sich die 
praktische Verwendung des Gedankens Mgn. 7 sehr wohl ver- 
trüge. Es ist auch möglich, dass diese Irrlehrer angelologische 
Vorstellungen in einer Weise cultivirten, dass dadurch die 
Einzigkeit Gottes gefährdet schien (vgl. Uhlh., S. 296). Dass 
ihnen ihr Judaismus dazu den Weg nicht versperrte, zeigt 
Ceriath. Aber beim Mangel aller Parallelen in unseren Briefen 
lässt sich darüber nichts Beweisbares behaupten. Gewiss ist 
nur, dass diesen Leuten der Logosname Christi zu Reflexionen 


nn men om 


1) Π, 8454. Vgl. auch Petav. theol. dogm., tom. IV ed. Antw. 
1700, p. 163. Rothe, S. 726 Anm. Denz., 8. 26 

2) Pears. II, 35: monet, Christum, cum λόγος dieitur, aeternum 
ta men esse. Auch die patristischen Belege von Clemens Al. bis auf 
Augustin, die er p. 36sq. gesammelt hat, hätten ihm von da aus zu 
besserer Einsicht verhelfen können. 

3) Mgn. 6; Eph. 7; ad Pol. 3. 


384 


über das Wesensverhältnis desselben zu Gott Anstoss gab, 
und dass sie unter dem Hervorgehn des Logos-Christus aus 
Gott dem Vater nicht wie Ignatius 1) seinen Eintritt in irdisch- 
menschliche Existenz verstanden, sondern einen jenseitigen 
Act annahmen, durch welchen Gott sein Schweigen gebrochen, - 
seine Selbstoffenbarung begonnen und eben damit dem Logos 
Existenz gegeben habe. | 

‘ Wie wir uns mit einem sehr unbestimmten Bild ihrer 
Speculation begnügen müssen, so. bleibt auch über ihrer Vor- 
stellung von der geschichtlichen Erscheinung Christi, auf 
welche Ignatius soviel öfter sich bezieht, ein gewisses Dunkel. 
Fraglich erscheint vor allem, wie sie sich mit dem geschicht- 
lichen Gehalt der evangelischen Ueberlieferung auseinander- 
setzten, ob sie wirklich die ganze evangelische Geschichte für 
eine fortlaufende Vision und. Hallucination der Augen-- und 
Ohrenzeugen hielten, oder ob sie von dem Menschen Jesus, der 
Alles, was von ihm erzählt wird, wirklich erlebt hat, den über- 
irdischen Christus derart unterschieden, dass sie von diesem 
sagen konnten, er habe das nicht miterlebt oder nur scheinbar 
erlebt. Der Wortlaut der Polemik begünstigt die erstere 
Auffassung, und die Spuren der letzteren sind trügerisch. 
Wenn es z. B. Eph. 7, nachdem die Irrlehrer als schwer heil- 
bare tolle Hunde charakterisirt sind, heisst: εἷς ἰατρός ἔστιν, 
σαρκικός τε καὶ πνευματικός κ. τ. λ. (Anh. I, 17), so ist dieses εἷς 
gewiss nicht durch die folgenden Antithesen bestimmt und soll 
nicht in die Einheit einer Person. zusammenfassen, was die 
Häretiker in einen überirdischen Christus und einen mensch- 
lichen Jesus zerlegen; Christus kann auch nicht den vielen 
Irrlehrern als der eine Arzt gegenübertreten (so Uhlh., S. 35), 
denn diese sind vorher nicht als Charlatans, sondern als 
Objecte. ärztlicher Thätigkeit vorgestellt. Der Gedanke ist 
vielmehr dieser, dass die Christen darauf verzichten müssen, 
die gefährliche Krankheit jener Leute zu heilen, wobei sie 
nur ihr ‘eigenes Leben aufs Spiel setzen würden, und dass 
sie deshalb die Heilung jener dem einen und einzigen Arzt, 


1) Als Beweis genüge vorläufig Mgn. 7 und dazu Pears. II, 40sg. 


885 

der es vermag, überlassen sollen !). Die Paare gegensätzlicher 
Attribute, welche dem Namen Jesus Christus vorangeschickt 
sind, können also, da das sie beherrschende εἷς (ἰατρός) eine 
ganz andere Beziehung hat, nicht dazu dienen, von dem einen 
Subject die beiden Reihen von Eigenschaften zu prädiciren, 
welche nach gegnerischer Lehre auf zwei Subjecte sich be- 
ziehen; sie sind aber auch keineswegs „eine hier ziemlich ' 
möüssige Doxologie‘“ (Baur II, 27). Der Ton liegt auf dem 
jedesmal ersten Glied des Gegensatzes. Dass Christus o«exı- 
»ös ebensowohl als πνευματικός, γεννητός ebensowohl als ἀγέν- 
vrros, dass er wirklich im Fleisch erschienen unbeschadet 
seiner Gottheit, dass er in wirklichem Tode sich als das 
wahre Leben erwiesen, wird mit Nachdruck behauptet gegen- 
über den Häretikern, welche eben dieses leugnen. Der Einzige, 
welcher ihre Krankheit heilen könnte, ist Christus, aber nicht 
ihr doketischer Christus, sondern der von der Kirche bekannte, 
von ihnen verleugnete Christus, zu dessen Erkenntnis sie sich 
bekehren müssen, wenn er ihnen helfen soll. Durchaus ver- 
anlasst ist also, was hier von Christus prädicirt wird, durch 
den Gegensatz einer doketischen Christologie. Wäre aber die 
“solchem Doketismus zu Grunde liegende Theorie die Unter- 
scheidung des Menschen Jesus von dem übermenschlichen 
Christus, so müsste doch "wohl irgendwo einmal die Antithese 
hervortreten: Jesus selbst ist der Christ. 

Je unvollständiger das Bild der von Ignatius bestrittenen 
Häresie sich aus dieser Bestreitung erkennen lässt, um so 
näher scheint es zu liegen, es durch etwa gleichzeitige Nach- 
richten zu vervollständigen. Sucht man geschichtliche Parallelen 
unter der Voraussetzung, dass Ignatius um 110 geschrieben 
hat, so ist man abgesehn von den jüngsten Schriften des 
Neuen Testaments auf die Andeutungen im sogenannten Bar- 
nabasbrief, die Erzählung Hegesipps und die wenigen An- 
gaben der Väter des 2. und 3. Jahrhunderts über die, älte- 
sten Gestalten der Häresie vor Basilides und Valentin ange- 


- «--- ---.-ὄ--.-..-.-.-.....-.-. 


1) Vgl. zur Sache Sm. 4, zum Ausdruck Eph. 15: εἰς οὖν ϑιδιέ- 
σχαλος χι τ. A. 


Zahn, Ignatius, 25 


386 


wiesen. Valentin. ist jedenfalls von aller Vergleishung: aus- 
geschlossen; denn, wenn man auch viel mehr, als oft geschieht, 
bei Verwendung der patristischen Zeitangaben in Bezug auf. 
die gnostischen Hauptschulen — und nur auf diese beziehen 
sie sich — die offenkundige Absicht in Anschlag bringt,. sae 
als jung im Vergleich zur. katholischen Kirche darzustellen:'), 
so wird doch daran nicht zu rütteln sein, dass Valentin erst 
unter Hadrian als Schulhaupt aufgetreten ist, Es bleibt Zeit 
genug, um zu erklären, wie er, ehe er unter Hygin (137 
[135] — 141 |139]) nach Rom übersiedelte, im Orient seine 
Schule hegründen konnte, deren orientalischer Zweig später in 
Antiochien. einen Hauptsitz halte. Er ist allerdings älter 
als Marcion (8. Anh. II, 8); er ist in Rom unter demselben 
Anicet 8) und demselben Antoninus Pius *) gestorben, zu deren 
Zeit Mareion dort seine grösste Wirksamkeit entfaltete. Es 
ist auch möglich, dass Valentin, welcher für einen Schüler: 
des Paulusschülers Theodas galt, ziemlich lange vor dem 
Jahre 100 geboren war, also zur Zeit der Reise des Ignatius 
schon selbständige Gedanken hatte 5). Auch dagegen ist nichts 
einzuwenden, dass der azmtiochenische Diakonus Agathopus, 


1) Clemens Al. 2. Β., welcher nach Quis div. p. 959 Pott. die Zeit 
der apostolischen Predigt füglich bis nach Domitians Tod ausdehnen 
könnte, lässt sie Strom. VII, p. 818 mit dem Tod des Paulus schliessen, 
um einen möglichst grossen Zwischenraum zwischen ihr und dem Auf- 
treten des Basilides und des Valentin unter Hadrian zu gewinnen. Die 
gleiche Tendenz beherrscht die Angaben Iren. III, 4, 3; Tert. praescr. 
30.. 32; Firmilian. Caes. (Cypr. ep. 75, 5). 

2) Tertull. adv. Val. 4; Hippol. ref. VI, 35. ἡ 

3) Von 156 [154] — 167 [166]. Die vereinzelte Nachricht des Epi- 
phanius (haer. 31, 7) von einer späteren Wirksamkeit Valentins in 
Cypern (vgl. Lipsius, Quellenkritäk des Epiphanius, 8. 156f.) darf nicht 
hindern, das παρέμεινε ἕως ᾿Ανικήτου Iren. III, 4, 3 ebenso zu: verstehn, 
wie es von Johannes und Polykarp gebraucht wird (Iren. III, 3, 4) näm- 
lich von der Lebensdauer. 

4) Vgl. Tert. adv. Marc. I, 19 mit Clem. strom. VII, p. 898. 
Ueber die-confuse Angabe in Tert. praescr. 30 vgl. Pears. II, 76 und 
Lipsius in der Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie 1867, 8. 77. 

5) Cf. Clem. strom. VII, p. 898 und Massuet bei Stieren II, 60. 


387 


welcher seinem Bischof Ignatius nachreiste, Eine Person ist 
mit dem Agathopus, an welchen Valentin ein von Clemens 
(strom. III, p. 538) eitirtes theolbgisches Sendschreiben ge- 
richtet hat ἢ. Aber eine auch nur gelegentliche Bezugnalime 
des Ignatius auf das valeritinianische System würde zur Vor- 
aussetzung Haben, dass Valentin um 110 bereits: eine weit 
über seinen damaligen Wohnort Alexandrien hinausgreifende 
Bedeutung erlangt hätte, was alle Nachrichten und alle ge- 
schichtliche Wahrscheinlichkeit gegen sich hat?): Anders 
verbält sichs mit Basilides, welcher jedenfalls älter als Valentin 
ist 5), schon’ unter Hadrian von Agrippa Kastor literarisch 
angefochten worden sein soll (Eus. ἢ. 6. IV, 7) und, ehe er 
unter Hadrian in Alexandrien als Haupt einer selbständigen 
Schule auftrat *), in Antiochien gelebt hat’). Noch älter ist 
Saturnin, der in der traditionellen Diadöche der Gnöstiker von 
den Häreseologen regelmässig die Stelle vor Basilides ange- 
wiesen erhält®). Hat Ignatius bis um 110 in Antiöchien 
gelebt, so kann ihm demnach Saturnin Kaum unbekannt ge- 
wesen sein”); und chronologisch unmöglich wäre es durchaus 
nicht, dass Schüler oder Gesinnungsverwändte Saturhins um’ 


1) Das fanden Voss (ὃ. 261), Pearson (TII, 19),.Bunsen (I, 159) wahr- 
scheinlich. 

2) Dies besonders gegen Peare. II, 74 μα. 

3) Das spricht sich auch darin deutlich aus, dass, während die 
valentinianische Schule ihrem Meister ebenso wie die basilidianische dem 
ihrigen persönlichen Umgang nur mit einem Apostelschüler nachrühmte 
(Clem. strom. VII, p. 898), Basilides selbst ebenso wie sein Sohn Isidor 
ausserdem noch auf persönliche Mittheilumgen des Apostels Matthias 
sich berufen haben sollen (Clem. strom. VII, p. 900; Hippol. ref. 
VII, 20). “ 

4) Vgl. Iren. I, 24, 1 mit Clem. strom. VII, p. 898. Eus. h. 6. 
IV, 7,3. _ 

5) Epiph. haer. 23, 1. 7; 24, 1. 

6) Deutlich auch in der umgekehrten Aufzählung Just. dial. 35, ὁ 
p-. 253 E und bei Hegesipp (Eus. h. e. IV, 22, 5). 

7) Cf. Cotelier, Cler. II, 66, not. 3, Die Chronologie, nach welcher 
„früher als Saturnin“ gleichbedeutend ist mit „früher als 130“ (Lips. 
I, 37), taugt nichts. 

25* 


388 
jene Zeit in Kleinasien missionirten. Gleichzeitig mit Satur- 
nin sind auch diejenigen Gnostiker im engeren Sinn anzu- 
setzen, welche Irenäus als Vorfahren der valentinianischen 
Schule betrachtet ἢ. Aber schon vor Saturnin scheint gerade 
Antiochien ein Hauptheerd der gnostischen Bewegung gewesen 
zu sein. Man mag über die Geschichtlichkeit der altkirchlichen 
Ansicht von Simon und Menander als den Erzvätern der Gnosis 
urtheilen, wie man will; dass es im 2. und 3. Jahrhundert 
eine simonianische Secte gab, welche sich auf den Goeten und 
Pseudomessias Simon zurückführte und dennoch für christlich 
sich ausgab 2), das beweisen die durch den ganzen Zeitraum 
hindurchgehenden Nachrichten und die von Hippolytus aufbe- 
wahrten Reste ihrer Literatur). Dann ist.aber auch nicht 
einzusehn, warum die Nachrichten *) von einem durch Me- 
nander vermittelten Zusammenhang zwischen Simon und den 
grösseren gnostischen Schulen der hadrianischen Zeit aller 
geschichtlichen Grundlage entbehren sollen. Von Justin 
(apol. I, 26) an wird Antiochien als der Ort bezeichnet, wo 
diese noch sehr wenig christlichen Lehrbildungen eine mehr 
christliche Gnosis vorbereiten halfen, und als Zeit dieser Ent- 
wicklung bleibt nur die Wende des 1. und des 2. Jahrhunderts 
übrig. Auf die nächsten Jahre vor der Abfassung der igna- 


1) Iren. IH, 13, 10; cf. 8 8 und I, 11, 1; IV, 33, 3. Hipp. refut. 
VII, 36. 

2) Just. apol. I, 26: πώντες οἱ ano τούτων ἀρχόμενοι Χριστιανοὶ 
χαλοῦνται, nachdem Simonianer, Menandrianer und Marcioniten genannt 
waren. Schon an dieser Stelle scheitert man, wenn man, wie seit Baur 
(I, 18) noch oft geschehen ist, unter Berufung auf „alle kirchlichen 
Schriftsteller“ Cerinth für den ältesten christlichen Häretiker, für den 
Anfänger in der Reihe der Gnostiker ausgibt und den nach Simon und 
Menander sich nennenden Secten den christlichen Charakter, wenn nicht 
gar die geschichtliche Existenz, abspricht. 

3) Vgl. die Belege bei Uhlhorn, Homil. u. Recogn., S. 290ff. Aus 
. der meines Wissens neuesten Schrift über den Gegenstand: De Simonis 
magi vita atque doctrina (Charlottenburg 1868, 4°), ist wenig zu 
lernen. 

4) Vgl. besonders Iren. I, 23, 2; 24, 1; 27, 1; II, praef.; III, praef. 
u. 4, 3; IV, 33, 3. 


989 


tianischen Briefe bezieht sich auch die bekannte Nachricht 
Hegesipps über das Eingreifen der Häresie ins Leben der 
Kirche. Zwar schon in die Zeit nach dem Tode des Jakobus 
. verlegt er die ersten versteckten Versuche der Häresie, in die 
Kirche Palästinas oder Jerusalems einzudringen (Bus. IV, 
22, 4 sq.).. Damit steht aber nicht im Widerspruch, was wir 
nur durch das Medium einer Umschreibung Eusebs von Hegesipp 
erfahren (III, 37, 7 sq.), dass erst nach dem Tode der letzten 
Apostel und Ohrenzeugen der Predigt Jesu, deren letzter 
Simeon von Jerusalem war, die bis dahin mehr im Finstern 
schleichenden und noch schüchternen Angriffe der Irrlehrer 
auf die Kirche offen hervorgetreten seien. Ist nun Simeon 
wenige Jahre vor Ignatius gestorben (vgl. oben 8. 57f.), so 
ist die Bereisung der kleinasiatischen Gemeinden durch die 
von Ignatius bestrittenen Irrlehrer ein trefflicher Beleg für 
die Richtigkeit der allgemeinen Schilderung Hegesipps. Die- 
selbe ist zunächst vom Standpunct der palästinensischen Kirche 
an die Nachricht von Simeons Tod angeknüpft. Dadurch ist 
aber nicht ausgeschlossen, dass anderwärts, wo die auf Augen- 
und Ohrenzeugenschaft gegründete Verkündigung von Christus 
schon früher ihren letzten Träger verloren hatte, auch schon 
früher die Irrlehrer mit ‚gleicher Kühnheit auftraten. Cerinth 
ist sogar noch zu des Johannes Lebzeiten in Kleinasien als 
Irrlehrer bekannt gewesen; denn Polykarps Erzählung von ' 
einer Begegnung des Johannes mit ihm, für welche sich 
Irenäus (III, 3, 4) auf mehrere Zeugen berufen kann, ist un- 
anfechtbar, und kann am wenigsten dadurch verdächtigt wer- 
den, dass man sich in späteren Jahrhunderten ziemlich das 
Gleiche von „Ebjon“ erzählte !). 

Bei dem Versuch, die Irrlehrer der ignatianischen Briefe 
in der Geschichte der Häresie unterzubringen, findet man 
leicht, dass eine völlig congruente Erscheinung in der Zeit 


1) Wie fest dem Irenäus die der Erzählung zu Gründe liegende 
chronologische Vorstellung steht, zeigt seine sonderbare Meinung, dass 
Johannes sein Evangelium mit polemischer Beziehung auf Cerinths Lehre 
geschrieben habe (Iren. IH, 11, 1). 


390 


vor Valentin nicht nachzuweisen ist, aber noch viel weniger 
in der folgenden Zeit. Zwar haben nach dem Vorgang des 
Salmasius !) und des Dalläus (p. 262. 265. 293 sqq.) auch 
in neuerer Zeit noch Bunsen (11, 68) und Cureton ἢ) in 
Mgn. 8 (vgl. oben S. 382f.) eine direct gegen Valentin ge- 
richtete Polemik finden wollen. Hat man aber erst erkannt, 
dass Ignatius es überhaupt nur mit der einen häretischen 
Partei zu thun hat, die damals in Kleinasien Eingang suchte, 
und dass jenes angeblich antivalentinianische Wort mitten in 
einer Polemik gegen deren Judaismus steht, so bedarf man 
kaum noch der Erinnerung; dass Ignatius oder vielmehr 
Pseudoignatius die Lehre Valentins sehr ungenau gekannt 
haben müsste, wenn er ihm ein Hervorgehn des Logos aus 
der Sige nachgesagt hätte. Nach allen beachtenswerthen 
Nachrichten über die Lehre Valentins und seiner Schüler ist 
der λύγος durch eine ganze Syzygie von der σιγή getrennt’) 
und durch seine Unkenntnis des βυϑός tief unter das männ- 
liche Product der ersten Syzygie, den νοῦς oder μονογενής 
gestellt. Wenn also wirklich Ignatius hier dem λόγος 
genau dieselbe Stelle anwiese, welche im valentinianischen 
System der μονογενής einnimmt (so Hilgf., S. 246), so müsste 
er von der Lehre, die er bestreitet, nichts wissen. Es ist 
ferner mit Unrecht behauptet worden, dass Valentin allein 
- oder zuerst einen Aeon σιγή eingeführt habe °). Irenäus er- 
innert gerade da an den Zusammenhang der valentinianischen 


1) Apparatus ad libr. de papatu (I,ugd. Bat. 1645), p. 59. 

2) Introd. LXIsq. und p. 329. Auch Hilgenfeld, S. 246f. Eine 
Verbesserung dieses schon im 17. Jahrhundert mit den damaligen Mitteln 
gründlich widerlegten Einfalls (Voss, ep. ad Riv., p. 4sq. 18sq.; Pears. 
ΤΠ, 33—-73) ist es auch nicht, wenn Merx p. 7sq. an die Stelle der 
valentinianischen Schule den yagen Begriff der gnostischen Doketen 
setzt. 

3) Iren. I, 1, 1. 11, 1 (12, 2). Tert. adv. Valent. 7. Hippol. ref. 
VI, 29. Ganz vereinzelt steht die unklare Angabe bei Cyrill. catech. 
VL 17, p. 97 8ᾳ. ed. Touttee. 

4) Iren. I, 2, 1; II, 17, 8sq. 28, 5. 

5) Vgl. dagegen besonders Denzinger, ὃ. 15 ff. 


391 


Lehre mit ‘den älteren Systemen, wo er Valentins 'eigene 
Lehre von der Ogdoas entwickelt!. Wenn er ferner 
(I, 1, 1) ἔννοια, χάρις und σιγή für gleichbedeutende Namen 
desselben valentinianischen Aeons erklärt, und andrerseits so- 
wohl Simon und Menander (I, 23, 2. 5), als auch anderen 
nächstverwandten Häretikern (I, 29, 1; 30, 1), welche er 
für Vorgänger Valentins hält (I, 30, 15), als erste Emanation 
des obersten Prineips eine ἔννοια zuschreibt, so muss Valentin 
gerade in diesem Punct nicht original sein?. Es mag 
Simons ἀπόφασις μεγάλη jünger als Valentin sein 3); wenn 
aber nach dieser Schrift der simonianischen Secte die σιγή 
die Wurzel ist, aus welcher die beiden Schösslinge, der γνοὺς 
τῶν ὅλων und die ἐπίνοια (= ἔννοια) μεγάλη, hervorgehn ἢ), 
so ist die Verwandtschaft mit der ersten valentinianischen 
Tetraktys deutlich und zugleich erwiesen, dass in gnostischen 
Lehrgebilden, welche jedenfalls nicht von Valeatin’s Schule 
abhängen, die σιγή eine hervorragende Stelle einnahm. Von 
einer Bekämpfung der simonianischen Lehre durch Ignatius 
kann erst recht keine Rede sein; denn judaistisch war diese 
keineswegs; auch ist gerade von ihr eine speculative Ver- 
wendung des Logosbegrifis, wie sie Ighatius bekämpft, nicht 


— -- —— 


1) I, 11, 1; of. II, 13, 8. In Bezug auf das Verhältnis des μονο- 
γενής zum λύγος III, 11, 1. Vgl. auch Nitzsch, Dogmengeschichte I, 
5. 821, 

2) Hippol. refut. VI, 20 extr. versucht die meisten Glieder der 
valentinianischen Ogdoas auf die entsprechenden ‚Wurzeln “ des Simon 
zurückzuführen. 

3) Ein ziemlich hohes Alter müsste man annehmen, wenn eine von 
Irenäus benutzte Schrift sie schon citirt hätte. Aber diese Annahme 
stützt Lipsius (Quellenkritik des Epiphanius, S. 76f.) auf eine unglück- 
liche Conjectur. Das „habent quoque et vocabulum a principe “ Iren. 
I, 23, 4 ist eine ganz gewöhnliche Uebersetzung von ἔχουσι δὲ καὶ 
ὄνομα x. τ. 4. und wird erklärt dureh „vocati Simoniani “. Was letztere 
Notiz im anderen Fall bedeuten sollte, und wie ein Uebersetzer darauf 
gekommen sein sollte, ἀπόφασις durch vocabulum zu übersetzen, müsste 
wenigstens erklärt werden. 

4) Hippol. tef. VI, 18; cf. Eus. theol. ecci., p. 114C und meine 
Schrift über Marcellus, 8. 138, Anm. 1. 


992 


bezeugt. Aber wer will sagen, wann zuerst eine häretische 
Speculation des Logosnamens sich bemächtigt hat! Schon 
dem Cerinth und seinen Zeitgenossen sagt jedenfalls Irenäus 
(II, 11, 1) dies nach, und die sozusagen grammatische 
Ideenassociation, welche die Gegner des Ignatius von dem 
Namen λύγος auf eine vorangehende σιγή schliessen liess, ist 
untrügliches Merkmal einer allereinfachsten Reflexion, welche 
älter sein wird, als alle diejenigen Systeme, welche dem 
Logosbegriff eine Stelle einräumen und von einer σιγή wissen, 
aber keinen Zusammenhang mehr zwischen Reden und 
Schweigen Gottes erkennen lassen. 
Bestimmteren Anhalt zu einer Vergleichung mit anderen 
zeitlich nächstliegenden Erscheinungen, als die in einer 
einzigen Zeile gegebene Andeutung einer Logosspeculation 
der von Ignatius bestrittenen Häretiker, bietet ihre doketische 
Christologie. Schon die beiden ersten Briefe des Johannes 
warnen vor Irrlehrern, welche leugnen, dass Christus in 
menschlicher Natur in der Welt erschienen sei (1Joh. 4, 1f. 
2Joh. 7). Die angeführten Worte würden auf unsere Irr- 
lehrer passen, und Polykarp dachte, indem: er sie anführte 
(c. 7), ohne Zweifel auch an diese Leute. Ist jedoch. oben 
(S. 384f.) der Doketismus derselben richtig aufgefasst, so ist 
ihnen gerade diejenige Scheidung des überirdischen Christus 
von dem geschichtlichen Jesus fremd, welche Johannes be- 
kämpft. Sie leugnen die Realität dieser geschichtlichen Er- 
scheinung überhaupt, während die johanneischen Irrlehrer 
Jesus nur insofern verleugnen, als sie diese Person nicht mit 
dem Christ, dem Sohn Gottes, identificiren wollen (1 Joh. 
. 4, 3. 15; 5, 1. 5). Es scheint dies eher auf diejenige 
Christologie zu führen, welche Irenäus dem Cerinth, aber ganz 
ähnlich auch anderen Ungenannten zuschreibt ). Der Ver- 
such, die ignatianischen Irrlehrer unmittelbar an Cerinth, 
den judaistischen Gnostiker, anzuschliessen, scheitert daran, 


1) Iren. I, 26, 1; cf. Hippol. ref. VII, 33. Iren. UI, 11, 1. 3. 7; 
10, 4; 16, 1; ähnlich auch von den sogenannten Ophiten I, 30, 12—14. 


393 


dass Cerinth den Christus oder Christusgeist 1) nur in der 
Zeit zwischen Taufe und Tod Jesu mit diesem Menschen ver- 
bunden sein lässt und, weit entfernt davon, die Realität der 
Erlebnisse Jesu zu leugnen, ihn sogar für einen Josephssohn 
erklärt 2. Doketisch im allgemeinen Sinn ist die Christo- 
logie aller Gnostiker, mit am wenigsten die der unbedeuten- 
den Secte unter dem Namen Doketen, welche Serapion von 
Antiochien (Eus. h. 6. VI, 12) und Clemens (strom. VII, 
Ρ. 900 Pott.) erwähnen, und von denen Hippolytus (refut. 
VII, 11), ohne ibren Namen zu erklären, sagt, dass sie selbst 
ihn sich gaben. Ihr Christus hat Alles erlebt, was die 
Evangelien von ihm berichten, aber in der Taufe hat er sich 
einen zweiten ätherischen Leib geschaffen, damit er nach der 
Kreuzigung des früheren Leibes nicht leiblos sei. Doketisch 
im Sinn einer Leugnung der Realität des irdischen Lebens 
und des Leidens Jesu ist nur die Christologie Saturnins, 
Mareions und der Ungenannten, welche Irenäus eben nur 
hierdurch charakterisirt. Es. kommen, soviel ich weiss, abge- 
sehen von den Nachrichten über Saturnin, bei Irenäus nur 
vier Stellen in Betracht. Nach kurzer Beschreibung der 
Lehre von Jesus als blossem receptaculum Christi und vor 
Anführung der Valentinianer sagt er (III, 16, 1): alii vero 
putative eum passum,, naturaliter impassibilem existentem. 
Auffallend ist es schon, dass er gerade die Lehre vom Leiden 
Christi hervorhebt, während er von Saturnin ganz allgemein 
berichtet: salvatorem . . . putative visum hominem (1, 24, 2). . 
Nachdem er von denjenigen gesprochen, welche Christum vor 
dem Leiden Jesu von diesem davonfliegen lassen, und welche 
demgemäss auch die Märtyrer verachten ὃ, fährt er fort 
(III, 18, 6): hoc autem idem et illis occurrit, qui dicunt eum 
putative passum. Sie nehmen dadurch, wie es weiter 
heisst, nicht bloss dem Leiden Christi alle Verdienstlichkeit, 
sondern machen auch die Christen, welche sich auf Christi 


1) Vgl. Nitzsch, Dogmengeschichte 1, 68. 
2) Iren. I, 26, 1; cf. III, 19, 1. 
3) III, 18, 5; cf. Ign. Sm. 5; Sm. 4; Tr. 10. 


894 


Geheiss dem Leiden unterziehen, zu betrogenen Schwärmer. 
Wieder .also haben, wir die ignatianische Benennung einer 
Irrlebre, über welche Irenäus sonst nichts zu sagen weiss als 
dies τὸ δοκεῖν αὐτὸν πεπονϑέναι, diesmal überdies in einer 
Gedankenverbindung, welche an zweien von den drei Stellen, 
wo Ignatius jenes ro δοκεῖν gebraucht (Tr. 10; Sm. 4), sehr 
ähulich zu lesen ist, und ausserdem noch einmal in der Be- 
᾿ streitung derselben Irrlehrer von ihm berührt wird (Sm. 5). 
An die dritte Stelle, wo Ignatius den Satz τὸ doxeiv" αὐτὸν 
πεπονϑέναι geisselt (Sm. 2), erinnert wiederum aufs deut- 
lichste die dritte Stelle, wo Irenäus nach einer fast voll- 
ständigen Aufzäblung aller Häresien ?) schliesslich auch den- 
jenigen, qui putativum indueunt (Christam), das Grericht 
Christi andıokt (IV, 33, 5). Nach Aufdeckung des Selbst- 
widerspruchs, der darin liegt, von einem solchen Christus . 
eine sichere Erkenntnis haben zu wollen und Heil zu er- 
warten, schliesst er: Putativum est igitur et non veritas 
omne apud eos, et nunc jam quaeretur, ne forte, quam et 
ipsi homines non sint, sed muta animalia, hominum umbras 
apud plurimos perferant?.. Nimmt man die Anspielung 
an andere Worte des Ignatius hinzu 3), so ist die Herkunft 
des Gedankens aus Ignatius und besonders aus Sm. 2 offenbar. 
Namenlos stehen dieselben Häretiker V, 1, 2 an der Spitze 
einer ähnlichen Aufzählung, wie die, deren Schluss sie 
IV, 33, 5 bilden. Es ist nämlich von selbst klar, dass hier 
($ 2 in.) nicht von den nachher (8 2 fin.) genannten Valen- 
tinianern die Rede ist. Irenäus kommt auf die Valentinianer 
erst vermittelst des Satzes: ἀπεδείξαμεν δὲ, ὅτε τὸ αὐτό ἐστιν, 


1) Es gehen voran die Marcioniten, Valentinianer, Gnostiker über- 
haupt und Ebjoniten, es folgen die Pseudopropheten und Schis- 
matiker. 

2) Der Schluss ist undeutlich. Ist perferre Uebersetzung von negı- 
φέρειν Vgl. oben S. 359. 

3) Die ϑηρέα͵ ἀνϑρωπόμορφα Bın. 4 liegen sehr nahe, aber auch 
die xuves ... .„ λαϑροδῆκται Eph. 7. Sie bellen nicht, ehe sie beissen, 
sind also muta animalia. 


395 


δοχήσει λέγειν΄ πεφηνέναι (was kein Valentinianer lehrte), καὶ 
οὐδὲν ἐκ τῆς Παρίας εἰληφέναι (was valentinianische Lehre ist) ’). 
Auch Letzteres heisse, Christo wirklichen Besitz von Fleisch 
und Blut absprechen. Somit treffe auch die Valentinfaner 
das Urtheil, dass sie „eitel“ sind. Die Abfertigung aber 
jener Namenlosen ist abermals nichts Anderes als Reproduction , 
eigenthümlicher Gedanken des Ignatius. Das Unterscheidende 
der neutestamentlichen Offenbarung Christi von derjenigen, 
welche Abralam und die Propheten empfangen haben, sei 
gerade die leibhaftige Parusie, auf welche man im anderen 
Fall als eine noch zukünftige warten müsste (cf. Phil. 9; 
ef, Mgn. 8; Sm. 7). Irenäus hat bekanntlich sehr viele Schrif- 
ten früherer christlicher Schriftsteller benutzt, ohne sie zu 
nennen, und hat aus dem Römerbrief des Ignatius, ohne ihn 
namentlich zu citiren, eine Stelle angeführt ἢ. Dann bedarf 
meine Behauptung keiner weiteren Begründung mehr, dass: er 
seine sonderbare Kenntnis der Lehre vom putativen Leiden 
Christi seiner Lectüre der ignatianischen Briefe, besonders des 
Smyrnäerbriefs, verdankt. 

So scheint denn von „den Doketen des 2. und 3. Jahr- 
hunderts‘“, welche Ignatius bekämpft haben soll (Buns. Il, 75), 
kein Andrer übrigzubleiben, als Saturnin, der Zeitgenosse und 
Mitbürger des Ignatius, welcher, wenn wir irgend zuverlässig 
berichtet sind 8), allerdings einen Doketismus lehrte, der nichts 
zu wünschen übrig liess. Auf seine Lehre würde jedes in dieser 
Richtung geschriebene Wort des Ignatius passen. Ehen da, 
wo wir eine gaschichtliche Continuität der gnostischen Lehr- 
entwicklung einigermassen zuverlässig nachweisen können, auf 
dem Wege, welchen die Namen Saturnin, Basilides, Valentin, 
Ptolemäus und Herakleon bezeichnen, sehen wir die Gmnosis 


—- [no 


1) Iren. I, 6, 1. 7, 2; ef. IH, 11, 8. Philastr. baer. 38. Epiph. 
haer. 31, 7. 

2) Nachdem Pears. I, 83sq. des Dalläus (p. 267) Beanstandung 
dieses Citats überreichlich gegeisselt hat, ist pichts Ernsthaftes mehr 
dagegen bemerkt worden. 

3) Iren. I, 24, 2. Hipp. ref. VII, 28. Epiph. haer. 23, 1, 


396 


in dem Mass, als sie sich von ihrer orientalischen Heimat 
entfernt, darauf bedacht, der geschichtlichen Erscheinung 
Christi mehr gerecht zu werden. fs ist das eine Con- 
cession der auf dem Boden Syriens und Palästina’s erwach- 
senen Geheimweishert an den abendländischen Geschmack. 
Ihre älteste Christologie ist schroffster Doketismus. Wenn 
der alten Tradition, welche die Namen Simon, Menander, Sa- 
turnin eine Kette bilden lässt, etwas Geschichtliches zu Grunde 
liegt, so wird gerade der allmählig sich ermässigende Doke- 
'tismus der Gnosis auf diesem Wege sich eingeführt haben. 
Die Einmündung der ursprünglich ausserchristlichen simonia- 
nischen Lehre in christliche Gedankenkreise ist damit be- 
zeichnet, (ass „Simon“ nicht ınehr, wie anfangs, sich selbst 
mit Ausschluss. der Person Jesu für den Christ und zugleich 
für die oberste Macht 1) ausgibt, sondern dem geschichtlichen 
Christus eine Stelle einräumt, indem er den Juden als Sohn, 
den Samaritern als Vater, den Heiden als heiliger Geist er- 
schienen sein will?2). Damit ist aber auch sofort der voll- 
kommenste Doketismus gegeben 8). Somit wird diese Vor- 
stellung von Christus nicht eine Erfindung Saturnins sein, 
welche von den ihm folgenden Schulen sofort wieder aufge- 
geben wäre, sondern vielmehr ein Gemeingut jener älteren 
gnostischen Lehrbildungen. Deren Hauptheerd ‚war Syrien und 
Antiochien, und die Zeit ihrer productiven und aggressiven 
Kraft muss zwischen 90 und 120 liegen. Anhänger Saturnins 
können die ignatianischen Irrlehrer freilich nicht gewesen 
sein; denn wiewohl dieser eine noch viel .freundlichere Stellung 
zum Judenthum und zum Alten Testament einnahm, als 


1) Clem. hom. H, 22 u. XVII, 6. 7. 12; recogn. I, 72 u. 11, 7. 12. 
Hippol. ref. VI, 9. . 

2) Iren. I, 23, 1. Vgl. Uhlhorn (Homil. u. Recogn., S. 296), dem 
ich nur nicht beistimmen könnte, wenn er, wie es scheint (ὃ, 293) den 
Uebertritt dieser Lehre auf christlichen Boden erst nach Justin voll- 
zogen denkt. Aber zu dessen Zeit hiessen die Simonianer sogut wie die 
Marcioniten Christen. S. oben 8. 388, Anın. 2. 

3) Hippol. ref, VI, 19. Tertull. de anima 54. 


897 


seine Nachfolger 1), so ist doch weder bezeugt noch denk- 
bar 3), dass seine Schule auch nur partielle Beobachtung des 
Ceremonialgesetzes sollte gefordert haben. Andrerseits kennen 
wir keine judaistisch-gnostische Partei, welche in dem Mass 
und Sinn wie Saturnin und die Irrlehrer des Ignatius doketisch- 
gelehrt hätten. Am nächsten läge es, an diejenigen zu 
denken, welche um 120 der segenannte Barnabas bestreitet. 
Auch dies sind Judaisten, welche in heidenchristlichen Kreisen 
die Verbindlichkeit des mosaischen Gesetzes zur Anerkennung 
zu bringen suchen (Barn. 3, 6; 4, 6), besonders die Sabbaths- 
feier (c. 15) und die Speiseverbote (c. 10), vielleicht auch die 
Beschneidung (6. 9) fordern. Neben der Abwehr dieser 
Forderungen stehen Warnungen vor gnostisch antinomistischen 
und damit gegebenen separatistischen Neigungen (6. 4, 1. 9ff.; 
19, 4; 2, 1). Aber diese Warnungen sind in ὁ. 2—4 der 
Art mit der antijudaistischen Polemik gemischt oder vielmehr 
verwachsen und im ganzen Brief wird der Hochschätzung des 
Ceremonialgesetzes nicht bloss der evangelische und weis- 
sagende Charakter des Alten Testaments, sondern auch das 
darin enthaltene Sittengesetz in einer Weise entgegengesetzt, 
das man der Annahme nicht ausweichen kann, dieselben 
Leute sind Vertreter sowohl des Judaismus als der Gnosis, 
und zwar einer nach dem Urtheil des Barnabas unsittlichen 
Gnosis. Wenn schon Letzteres über die Angaben des Ignatius 
hinausgeht (s. oben S. 367), so findet sich bei Barnabas keine 
sichere Andeutung von christologischer hrlehre, geschweige 
von Doketismus. Allerdings wird dort mit Nachdruck von 
der Offenbarung des Sohnes Gottes im Fleisch . geredet 
(e. 5—7; 12, 10); aber erstlich geschieht dies ohne äusser- 
lich erkennbaren Zusammenhang mit der vorhin bestrittenen 
Polemik, sodann wird nicht die Thatsächlichkeit, sondern die 


1) Mit viel grösserem Recht hätte von Saturnin als von den älteren 
Basilidianern gesagt werden können: Et Judaeos quidem jam non esse 
dieunt, Christianos autem nondum. Iren. I, 24, 6. 

2) Saturnin soll nach Iren. I, 24, 2 gelehrt haben: advenisse 
Christum ad destructionem Judaeorum Dei et ad salutem credentium ei. 


398 


Nothwendigkeit der menschlichen Erscheinung und des Leidens 
Christi betont. Seite Erscheinung im Fleisch wird gerecht- 
fertigt gegenüber einer Verkennung der darin liegenden Her- 
ablassung des Sohnes Gottes; und gegenüber der Meiuung, 
dass Christus an sich selbst leidensfähig gewesen, wird der 
Glaubenssatz aufgestellt, dass Gottes Sohn nicht hätte leiden 
können, wenn er nicht um unsretwillen zu leiden gehabt hätte 
(7, 2). Wenn also hier ein häretischer Gegensatz obwaltet, 
so ist es gerade nicht, wie noch J. G. Müller (Barnabasbr., 
S. 11) meint, Doketismus, sondern eher eine gemein ebjoni- 
tische Meinung, nach welcher Christus als gewöhnlicher 
Mensch selbstverständlich leidensfähig war. Also auch bei 
Barnabas finden wir keine vollständige Parallele zu der von 
Ignatius gezeichneten Partei. Und doch muss sie existirt 
haben; sonst würde Ignatius, mag er nun um 110 oder um 
140 oder um 170 geschrieben haben, sie doch nicht als eine 
ihm in ihren Vertretern persönlich und namentlich bekannte 
Partei geschildert und so eifrig bestritten haben. Anstatt die 
ignatianischen Briefe um ihrer antihäretischen Polemik 
willen anzufechten und gegen ihre Aechtheit Gründe vorzu- 
bringen, welche im besten Fall beweisen würden, dass sie 
niemals geschrieben seien, sollte man sie als Quellen ersten 
Ranges benutzen, wo _es gilt von der Entwickelung der 
“ häretischen Lehrbildungen zur Zeit Trajans eine Vorstellung 
zu gewinnen. Hier haben wir ein nach dem Leben ge- 
zeichnetes Bild im geographischem und chronologischem 
Rahmen, hier eine Urkunde aus der dunkeln Epoche, über 
welche uns nur wenige undeutliche Worte Hegesipps und 
Justins und weiterhin nur sehr verschwommene Nachrichten 
vom Ende des 2. Jahrhunderts Kunde: geben. 

Neben den Häretikern, welche Ignatius bestreitet, 
müssen schon nach seiner eigenen Andeutung (s. oben 
S. 365f.), aber auch nach den vorhin durchmusterten späteren 
Nachrichten die mannigfaltigsten häretischen Lehrbildungen 
existirt ben. Wir haben über die ganze Breite der Ent- 
wicklung gnostischer und judaistischer Ideen noch viel weniger 

einen Ueberblick als über den Lauf ihres Hauptstroms. Aber 


999 


zwei geschichtliche Erkenntnisse, welche unabhängig von den 
ignatianischen Briefen feststehn, werden durch sie unter Vor- 
aussetzung ihrer Aechtheit bedeutsam bestätigt, dass nämlich 
die ältesten Gestalten der Gnosis dem Judenchristenthum an- 
gehören, und dass die Gnosis, je älter, um so doketischer 
über Christus gedacht hat. 


-- ._—— — 000 


IV. 


Die Persönlichkeit und die Denkweise 
des Ignatius. 


I. Der Mensch und Märtyrer. 


Die ignatianischen Briefe sind mehr, als irgend welche‘ 
Reliquien des kirchlichen Alterthums bis zu Gregor von Nazianz 
oder Basilius, Hieronymus oder Augustin hin, der treue Ab- 
druck einer eigenthümlich angelegten und entwickelten Persön- 
lichkeit, hierin wie keine anderen den paulinischen Briefen und 
. nur diesen vergleichbar '.. Das Bild dieses Charakters zu 
zeichnen, ist trotzdem schwierig genug. Es fehlt uns jede 
deutliche Vorstellung des Hintergrunds, von dem er sich ab- 
hebt, wie sie nur gleichlaufende Nachrichten über ihn und 
seine Zeit uns geben könnten. Es fehlen uns ferner die 
Urtheile der Zeitgenossen über ihn und über die von ihm 
ausgegangene Wirkung. Polykarps Brief ist da, wo er ihn 
erwähnt (c. 1. 9. 13) nur Ausdruck seiner Bewunderung für 
den Märtyrer; und Alles, was wir über sein Verhältnis zu der 


1) Wenn er es so gemeint hat, hat Theodor von Studium mit Recht 
von Ignatius gesungen: ἐπιστολαὶς σου Παῦλος ἄλλος τις πέλεις (Opp. 
Sirmondi V, 766). 


| | 401 


eigenen Gemeinde wie über sein Auftreten in den klein- 
asiatischen aus seinen eigenen Briefen erkennen, lässt nur den 
| allgemeinen Eindruck einer bedeutenden und für Gleichge- 
sinnte anziehenden Persönlichkeit zurück. Wie ungewöhnlich 
der Mann gewesen sein mag, die Lage, aus welcher heraus 
er binnen weniger Tage schreibt, was wir von ihm besitzen, 
ist zu ausserordentlich, als dass wir ohne weiteres diejenige 

Stimmung, welche das Ziel seiner Reise seinen Briefen gleich- 

- mässig mittheilt, für die herrschende Stimmung seiner Seele, 
und diejenigen Schwankungen, welche die mannigfaltigen und 
aufregenden Erlebnisse jener Tage bewirken, für den Puls- 
schlag seines Lebens halten dürften. Wir müssten mehr von 
ihm wissen und vor allem ihn als Bischof seiner Gemeinde 
in friedlichen Zeiten kennen, um so rohe Urtheile in Kürze 
widerlegen zu können, wie sie über ihn gerade von Leuten 
gefällt worden sind, denen ebensosehr das philologische Ver- 
ständnis seiner Briefe als der Sinn für das Grösste in der 
Geschichte, für die Persönlichkeit und vollends für die heroische 
Persönlichkeit eines christlichen Märtyrers abging. 

Dass Ignatius ein lateinischer Name ist (s. oben $. 28), 
sagt uns über die Herkunft seines Trägers ebensowenig, als 
die Namen Crispus, Justus, Capellus, Marcus bei palästinen- 
sischen Juden des 1. Jahrhunderts. Seine Sprache zeigt im 
Vergleich zu der des Polykarp, des Clemens und des Barnabas 
einen Ueberschuss von ungriechischen, besonders auch semitisch 
gefärbten Redewendungen und Ausdrücken, welcher bei einem 
so originellen Geist, wie es Ignatius auf alle Fälle ist, am 
wenigsten aus stärkerer Beeinflussung durch die biblischen 
Schriften erklärt werden kann, sondern vielmehr auf syrische 
Abkunft hinweist (s. Anh. II, 12). 

Eine für uns verständliche Hinweisung auf sein früheres 
Leben findet man bei Ignatius nicht. Es sollte wenigstens 
nicht mehr der Widerlegung bedürfen, dass Ignatius vorgebe, den 
auferstandenen Christus in leibhaftiger Erscheinung noch ge- 
sehn zu haben ἢ). Er sagt an der so misverstandenen Stelle 


ἢ 


1) Wenn man bei Merx p. 5 liest: „addit Trall. 5. Christum vere 
Zahn, Ignatius. 26 


402 


(Sm. 3) nur, er wisse und glaube, dass Christus auch nach 
der Auferstehung im Fleisch lebe. Auch persönliche Be- 
kanntschaft mit irgend einem Apostel ist an keiner der 
Stellen angedeutet, wo er die Apostel oder Einzelne von 
ihnen erwähnt (Eph. 11. 12; Tr. 3.7; Mgn. 7. 13; Rom. 4; 
Phil. 5). Ja er bezeichnet es Eph. 11, wenn man der 
Mehrzahl der Zeugen folgt, als einen charakteristischen Vor- 
zug der Epheser, dessen er entbehrt, dass sie beständig mit 
den Aposteln Umgang gehabt haben '). Es fehlt bei Ignatius 
auch jede leiseste Andeutung davon, wie man sie bei Polykarp 
finden kann ?), dass er noch aus apostolischem Mund die 
Predigt gehört habe. Den Johannes, zu dessen Schüler den 
Ignatius hauptsächlich die Nachlässigkeit des Hieronymus ge- 
macht hat (s. oben S. 46ff.), erwähnt Ignatius gar nicht, und 
dass ex nicht, wie das m. colb. dichtet, ein Mitschüler Poly- 
karps gewesen ist, beweist der Brief an diesen vom ersten 
Satz an. Dahingegen scheint Ignatius erst ziemlich spät 


edisse ac bibisse ... . immo ab ipso scriptore post resurrectionem visum 
esse ac creditum Sm. 3“, so erinnert das Jeden, der sich um die älteren 
Arbeiten bekümmert hat, an die Art des Dalläus, der es fertig brachte, nach- 
dem Ussher über die Stelle geschrieben und der mediceische Text längst 
bekannt geworden, den Fehler des Li durch die praecellens Hieronymi 
eruditio zu schützen (Dall., p. 360 sqq.). Durch die Uebereinstimmung 
von ΟἹ G2 1,2 (novi) A, Eus. III, 36, 11 (nach allen Zeugen mit Ein- 
fiass Rufins und der syrischen Ucbersetzung Cur. 203, 29), Theodoret (ed. 
Schulze) ist der Text unzweifelhaft: ἐγὼ γὰρ χαὶ usra τὴν ἀνάστασιν 
ἐν σαρκχὶ αἰτὸν οἶδα καὶ πιστεύω ὄντα. Vielleicht ist das vidi 1,1 nicht 
ohne Einfluss des vielgelesenen Hieronymus entstanden, der auch an dieser 
Stelle seiner Bearbeitung des eusebianischen Textes (catal. 16) zeigt, 
was in Sachen des Ignatius von seiner „eruditio‘“ zu halten sei. 

1) Eph. 11 lesen A 62 1,3 οὐ χαὶ τοῖς ἀποστόλοις πάντοτε συνῆ- 
σαν (ΟἹ Li συνήνεφαν) ἐν δυνάμει ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ. 

2) Beweisen kann man es nicht, dass οὗ εὐαγγελισάώμενοι ἡμᾶς 
ἀπόστολοι Pol. 6 dies besagt, aber der Unterschied des Ausdrucks von 
den ignatianischen Stellen ist beachtenswerth. Von Paulus redet auch 
Polykarp als dem Lehrer einer früheren Generation (c. 3. 4), welcher die 
Gründung der Gemeinde von Smyrna und Polykarps Bekehrung nicht 
mehr erlebt hat (c. 11). 


408 


nach einem sehr unchristlichen Leben, Glied der antiochenischen 
Gemeinde geworden zu sein und wird schon deshalb kaum 
noch Gelegenheit gehabt haben, einen Apostel zu hören. 
Fünfmal kehrt der Gedanke wieder, dass er von den antioche- 
nischen Christen der Geringste, ja nicht werth sei, zu ihnen 
gezählt zu werden (Eph. 21; Mgn. 14; Tr.. 13; Rom. 9; 
Sm. 11). Im Wortlaut ist es jedenfalls nicht begründet, 
wenn Smith (schol., p. 66) dabei an die bischöfliche Würde 
denkt, deren sich Ignatius unwerth gefühlt habe. Es handelt 
sich vielmehr um eine Zugehörigkeit zu den „Gläubigen “ 
in Antiochien (Eph. 21), welche er der von menschlichem 
Verdienst unabhängigen Gnade Gottes verdankt, und deren 
völlige Auswirkung er jetzt durch das Martyrium zu erlangen 
hofft . Die Ausdrücke für diesen Gedanken sind grossen 
Theils aus 1 Kor. 15, 8—10; vgl. 7, 25 entlehnt 2). Aber 
es ist nicht einzusehn, warum Ignatius nicht auf Grund einer 
ähnlichen Vergangenheit so geschrieben haben sollte, wie die 
war, welche den Apostel bestimmte, von sich in seinem Ver- 
hältnis zu den andern Aposteln so zu reden. Weil die An- 
spielung an das bekannte paulinische Wort jedem christlichen 
Leser verständlich war, wird auch Jeder, der sonst nichts von 
Ignatius wusste, daraus herausgelesen haben, dass Ignatius 


1) Vgl. besonders Sm. 11: οὐκ ὧν ἄξιος &xeidev εἶναι, ἔσχατος 
αὐτῶν ὦν, χατὰ ϑέλημα δὲ χατηξιώϑην, οὐχ ἐκ συνειδότος, εἐλλ᾽ ἐκ 
χάριτος ϑεοῦ, ἣν εὔχομαι τελείαν μοι δοϑῆναι, ἵνα ἐν τῇ προςευχῇ 
ὑμῶν ϑεοῦ ἐπιτύχω. Dressels Aenderung von ὧν in ὧν nach cod. Cas,, 
während cod. Med. nach Voss ὧν accentuirt hat, und die dadurch ge- 
botene Verbindung mit κατηξιώϑην empfiehlt sich in keiner Weise. Viel- 
mehr ist ὧν bei ἔσχατος αὐτῶν, was ja nicht pleonastische Apposition 
zum Vorigen, sondern Argument dafür ist, gar nicht zu entbehren. Das 
richtige Verständnis hat auch G2 bewahrt, wenn man mit ἢ L? das δέ 
hinter xare, welches abov weglassen, für ursprüngliche Lesart hält. 
Aueh in G?2 ist das erklärende ϑεοῦ (a) oder τοῦ ϑδοῦ (n; Dei L2) erst 
nachträgliche Glosse, denn bov bewahren den ursprünglichen Text 
von Gi. 

2) Rom. 9: ἐγω δὲ αἰσχύνομαι ἐξ αὐτῶν λέγεσϑαι, οὐδὲ γὰρ ἄξιός 
εἰμι, ὧν ἔσχατος αὐτῶν καὶ ἔχτρωμα. ᾿4λλ᾽ ἠλέημαί τις εἶναι, ἐὰν ϑεοῦ 
ἐπιτύχω. 

26* 


404 


. nach einem” Leben in Feindschaft gegen Christus und die 
Kirche zu einem Bekenner des Christenglaubens geworden 
war. Eine leidenschaftliche Seele wie die seinige konnte nur 
aus dem Hass zur Liebe geführt werden, und wer den Roman 
seines Lebens schreiben wollte, müsste die Geschichte einer 
jener „gebrochenen Naturen‘ nachdichten, aus. welchen Gott 
seine Helden formt. | 

Ein persönliches Schicksal ist es, das ihn mit den Chri- 
sten Kleinasiens zusammenführt und seinen brieflichen Ver- 
kehr mit ihnen veranlasst. Ob bei der Verfolgung in An- 
tiochien Blut geflossen ist, wissen wir nicht; aber jedenfalls 
ist Ignatius der Einzige, der damals von dort nach Rom 
transportirt wird, und als ein durch Stellung und Persönlich- 
keit ausgezeichneter Märtyrer erregt er die Theilnahme der 
im Frieden lebenden Gemeinden. Daher ist es natürlich, dass 
er in allen Briefen von sich und seinem Martyrium redet. 
In dem an die Römer redet er fast von nichts Anderem. In 
der eigenthümlichen Veranlassung dieses Briefs (8. oben $. 247 ff.) 
ist es auch begründet, dass er hier, wie in keinem anderen, die 
Freudigkeit bezeugt, mit welcher er seinem Tod entgegengeht. 
Obwohl er nicht verschweigt, wie zugänglich er der Ver- 
suchung zu andrer Stimmung noch ist; diesen Lesern gegen- 
über, welche glauben mochten, ihm eine Liebe zu erweisen, 
wenn sie die Vollstreckung seines Urtheils zu hindern suchten, 
galt es vor allem zu bezeugen, dass sie damit seine wahre 
Meinung gerade verfehlen würden. Sollte aber seine todes- 
freudige Gesinnung auf die andersartige Denkweise der Römer 
einen bestimmenden Einfluss üben, so genügte es nicht, ruhig 
zu sagen: „Willig sterbe ich für Gott“ (c. 4). Auch ohne 
alle Reflexion über den Ton, welcher dem Zweck seines 
Schreibens entspreche, musste sich sein Entschluss an dem 
Widerstand, den er voraussetzt, zur Begeisterung steigern und 
in Worten sich Luft machen, welche allen Zweifel an der 
Ernstlichkeit seines Willens ausschlossen. Die äussere Frei- 
heit, die Römer um ihre Intercession zu bitten, gab ihm ein 
Recht, Glauben zu fordern, wenn er alle Lust zu den Freuden 
des irdischen Lebens ableugnete und nur eine Sehnsucht nach 


40ὅ 


vollkommener Vereinigung mit Christus aussprach, welche 
ihm alle Schrecken des Todes gering erscheinen liess, und 
dann auch Gehorsam zu fordern, wenn er sie beschwört, ihm 
nichts in den Weg zu legen (c. 7; Anh. I, 14). Das leiden- 
schaftliche Verlangen nach dem Tod — denn so dürfen wir 
nach seinen eigenen Worten es nennen — ist nach ge- 
nauerem Ausdruck ein Verlangen nach dem Leben, zu welchem 
der Tod ihm den Eingang Öffnet. Wie es seine Reise von 
Ost nach West nahelegte, vergleicht er seinen Tod mit dem 
Untergang der Sonne, welchem ein herrlicherer Wiederaufgang 
folgt; nur ist. dieser von jenem nicht durch eine Nacht ge- 
trennt, sondern der Untergang von dieser Welt ist selbst 
schon, weil Untergang in Gott, auch Aufgang zu einem neuen 
nur noch Gott zugewandten Leben (c. 2). Das christliche 
Bewusstsein von der mit dem Sein in dieser Welt gegebenen 
Unvollkommenheit, Gebundenheit und Unsicherheit des dies- 
seitigen Christenstands im Gegensatz zum völligeren und 
sicheren Besitz des höchsten Guts im Jenseits kommt bei 
Ignatius zu mannigfaltigem Ausdruck. Als ob er Gott und 
Christus noch nicht 'besässe, bezeichnet er unendlich oft das 
durch den Tod zu erreichende Ziel als ἐπιτυχεῖν τοῦ ϑεοῦ 
oder Χριστοῦ. Im Streben nach dem Tod sucht er den für 
uns Gestorbenen, begehrt er den für uns Auferstandenen 
(Rom. 6). In Ausdrücken, welche an das Abendmahl er- 
innern sollen, spricht er sein Verlangen nach .einer Gemein- 
schaft mit dem auch jetzt noch leiblichen Leben Jesu aus, 
wie sie diesseits nur vorübergehend und annähernd im Abend- 
mahl zu finden ist (Rom. 7; 8. oben S. 348f.). Im Anschluss 
an das paulinische ἀλλ᾽ οὐκ ἐν τούτῳ δεδικαίωμωι (1 Kor. 4, 4; 
vgl. Gal. 5, 5) lehnt Ignatius es ab, dass er um der Unbilden 
willen, die er erduldet, schon gerechtfertigt sei (Rom. 5). 
Auch diejenige Rechtfertigung, welche auf den im Glauben 
aufgenommenen Thatsachen der Erlösung beruht, erscheint 
ihm als ein zukünftiges Gut, welches er mit der Seligkeit 
zugleich unter der fürbittenden Beihülfe der Christen zu er- 
langen hofft (Phil. 8). Allerdings ist er ein gottgeweihtes 
Korn; aber nur die Bestimmung ist damit ausgedrückt; das 


406. 


Korn muss erst gemahlen und dadurch gereinigt werden, da- 
mit ein reines, Gottes würdiges Brot daraus werde (Rom. 4; 
8. oben ὃ. 339). Die tiefgewurzelte Furcht vor einem Schein 
ohne Wesen, vor einem Namen ohne Sache, welche bei Igna- 
tius noch viel stärker als bei Hermas hervortritt ἢ), ruft sehr 
eigenthümliche Aeusserungen hervor. Selbst ein Christ möchte 
er eigentlich dann erst "heissen, wenn durch die That be- 
wiesen ist, dass er es ist, und wenn die Gefahr eines ‚Wider- 
spruchs zwischen Namen und Person für ewig überwunden 
ist. Wie überhaupt in der Welt der Sichtbarkeit nichts 
wahrhaft gut ist, wie selbst Christus durch seinen Hingang 
zu Gott noch eine Steigerung seiner Herrlichkeit erfahren hat, 
so gilt auch von dem Christen, dass er erst dann, wenn er 
dieser Welt nicht mehr angehört, wahrhaft ist, was er hier 
nur anfängt und lernt zu sein, ein Christ, wie die Nicht- 
christen sagen, „ein Gläubiger‘ oder „ein Jünger“, wie die 
Christen sagen ἢ. Wenn die Römer schweigend von ihm ab- 


'1) Vgl. besonders Rom. 3; Eph. 14. 15; Mgn. 4. 

2) Rom. 3; Anh, I, 10. Das hier emphatisch gebrauchte nuoros 
wird auch Eph. 21; Mgn. 5; Sm. 1 wenigstens nicht rein technisch im 
Sinn eines nominellen Gliedes der christlichen Gemeinde gebraucht (vgl. 
Hirt des Hermas, ἃ 186f.), sondern im Sinn des wahren Christen, 
wie auch ἄπιστος nicht den Nichtchristen, sondern den Unchristen be- 
zeichnet (Eph. 8; Mgn. 5; Tr. 10; Sm. 2. 5). Die Heiden heissen ἄϑεοι 
(Tr. 3), ein Wort, welches nur katachrestisch auch auf die falschen 
Christen angewandt wird (Tr. 10). — Μαϑητής bedeutet den wahren, 
vollkommenen Christen (Eph. 1; Tr. 5; Pol. 7); allerdings sind alle 
zum Christentbum Bekehrten eben damit Christi Jünger geworden 
(Mgn. 10), wie es die Propheten schon waren (Mgn. 9); man kann 
daher „gute Jünger“ von anderen Gemeindegliedern unterscheiden 
(Pol. 2); aber diejenigen, welche geschichtlicher Weise den Namen μα- 
ϑηταὶ τοῦ Χριστοῦ führen, sind so sehr Ideal der nachgeborenen Christen, 
dass diese doch erst, wenn sie der Welt entrissen sind, „wahrhaft Jünger 
Christi“ sind (Rom. 4) und im besten Fall „anfangen Jünger zu sein“ 
(Rom. 5; Eph. 3). Der Begriff schwankt zwischen der Vorstellung eines 
μανϑάνων (Rom. 4 extr.; Mgn. 10, μαϑητευόμενος Eph.3.10) und der eines 
μαϑών (= 13M5). — Χριστιανός ist der Name, womit die 'Christen 
genannt werden (Mgn. 4; Rom. 3), Χρισειανισμός die christliche 
Religion und ihre Bekenner als weltgeschichtliche Erscheinung im Gegen- 


407 


sehn, wird er ein Wort Gottes werden, während er wieder 
ein verklingender Schall werden wird, wenn sie in fleisch- 
‚licher Liebe zu ihm ein Wort für ihn einlegen (Rom. 2; 
Anh: I, 9). Wie Gottes Wort ein wahrer Ausdruck des 
Willens Gottes ist und ewig bleibt, so hofft auch Ignatius, 
wenn er als Christ stirbt, einerseits zu ewigem Stand und 
Wesen zu gelangen, und andrerseits ein wahrer Ausdruck des 
göttlichen Willens, eine thatsächliche Verkündigung desselben 
an die Menschen zu werden, während im anderen Fall sein 
Leben ohne Gehalt und Bestand und bleibende Wirkung da- 
hinschwindet. Er hofft überhaupt erst dann durch Gottes 
Gnade etwas Wesentliches, der Rede Werthes zu werden, 
wenn er sein Ziel erlangt (Rom. 9). Selbst ein Mensch wird 
er erst dann wahrhaft sein, wenn er dort zum reinen Licht 
gelangt ist (Rom. 6), während er diesseits nur eine, wahren 
Lebens unfähige, Fehlgeburt ist. So wird ihm der Tod 
zur Geburt, schmerzhaft für den irdischen Menschen, aber Vor- 
aussetzung des Lebens des neuen Menschen, der ame Licht 
der jenseitigen Welt kommen soll. Daan freilich ist jede 
Hinderung seines Todes auch eine Hinderung seines Lebens 
(Rom. 6; Anh. I, 13), eine Schädigung seines wahren, ihm 
wohlbewussten Interesses (Rom. 5), eine Auflehnung gegen 
Gottes Willen (Rom. 7. 8). ὁ 

Fragen wir nach den Gründen der Gewissheit des Igna- 
tius, dass der Märtyrertod für ihn der einzig mögliche, aber 
auch der unbedingt gebotene Weg zur Seligkeit sei, dass 
jedes Lebenwollen bei ihm sündliche Weltliebe, jede Ueber- 
‘redung dazu eine teuflische Versuchung sei, so scheint er sich 
auf einen jeder sittlichen Beurtheilung sich entziehenden 
Standort zu erheben, wenn er sich Rom. 7 auf die inwendige 
Stimme des Geistes beruft, welche ihm zuruft: „Hierher zum 
Vater!“ In der That liegt in solchem inwendigen Zeugnis 
die Voraussetzung alles christlichen Heldenthums und jeder 


satz zur heidnischen Welt und dem Judenthum (Rom. 3; Mgn. 10; 
Phil. 6). Eigenthümlich ist der Gebrauch des Ersteren ad Pol. 7. 
1) Rom. 9; vgl. 1Kor. 15, 8 und dazu Hofmann, N. Test. IL|2, 353. 


408 


sicheren Entscheidung zwischen den Möglichkeiten, welche die 
moralische Reflexion übrig lässt. Ignatius ist sich auch be- 
wusst, hiermit von sich nichts Anderes auszusagen, als was 
von jedem Christen unter gegebenen Verhältnissen gelten würde. 
Die Behauptung, dass er sich als Bischof den Besitz des in- 
spirirenden Geistes zuschreibe, entbehrt jeden Anhalts in 
seinen Briefen. Es ist lediglich der Christ, welcher von einer 
gelegentlichen Aeusserung hinterher erkannt hat, dass sie ein 
Ausspruch des durch ihn weissagenden Geistes gewesen sei 
(Phil. 7; s. oben S. 267 ff.). Selbstverständlich ist solche pro- 
pbetische Rede eine Sache individueller Begabung, und 
Mehreres weist. darauf hin, dass Ignatius ihrer nicht ganz 
entbehrt. Von Gesichten und Offenbarungen, die ihm zu Theil 
geworden, scheinen die Trallianer gehört und daher sehr 
ausserurdentliche Mittheilungen von ihm erwartet zu haben. 
Ignatius leugnet nicht, dass er auf Grund solcher Erlebnisse 
von himmlischen -Dingen und Verhältnissen der Geisterwelt 
reden könnte, aber er unterlässt es theils aus Rücksicht auf 
die unentwickelte geistige Verfassung dieser Christen, theils 
weil er den Schein fernhalten möchte, als ob er sich um 
dieser Erlebnisse willen für einen sonderlich hochstehenden 
Christen halte (Tr. 5; Anh. I, 26). Welcher Art seine Ein- 
blicke in die jenseitige Welt gewesen, scheint er Sm. 6 an- 
zudeuten, wo er von dem kühnen Satz, dass auch die Geister 
und Engelfürsten, wenn sie nicht an das Blut Christi glauben, 
dem Gericht verfallen werden, mit einem ὁ χωρῶν χωρείτω 
abbiegt. Aber denselben Geist, welcher ihm Solches zu er- 
kennen gibt, glaubt er in allen Christen wirksam (Sm. inser. 
c. 1; Mgn. 14. 15; Eph. 9). Auch von den Römern er- 
wartet er, dass ihnen Christus innerlich die Wahrheit seines 
schriftlichen Zeugnisses offenbaren werde (Rom. 8), und hof 
von Jedem, der Christus in sich trägt, dass er ihn verstehn 
und mit ihm sympathisiren werde (Rom. 6). Aber allerdings 
will Ignatius durch den Geist, welcher aller Christen Ge- 
meingut ist, seiner besonderen Bestimmung zum Martyrium 
gewiss geworden sein. Während andere Christen, die er sonst 
über sich zu stellen geneigt ist, noch verschieden darüber 


409 


urtheilen mögen, „weiss er, was ihm zuträglich ist“ 
(Rom. 5). Es ist das ihm von Gott zugewiesene Loos 
(Rom. 1; Tr. 12), auf diesem Weg zur Seligkeit zu gelangen ; 
ja er weiss jetzt, dass es ihm von Anfang seines Christen- 
standes an zugewiesen ist (Phil. 5) und wünscht, dass die in 
seiner Berufung zum Christenstand wirksame Gnade sich in 
seinem Martyrium an ihm vollende (Sm. 11); darum gilt ihm 
Märtyrertod und Seligkeit gleich (Rom. 8; Tr. 12). Aber 
gleich im Eingang des Römerbriefs ist deutlich, dass diese 
seine Ueberzeugung nicht vom Himmel gefallen, sondern aus 
seiner Lebensführung von ihm erkannt ist (Rom. 1; s. oben 
$. 262). Das in Antiochien über ihn gefällte Urtheil gilt 
ihm als Gottesurtheil.. Wie es zu seiner Verhaftung und 
Verurtheilung gekommen ist, wissen wir nicht, und eben- 
sowenig, wie er sich vor seinem Richter benommen hat. Wir 
vermuthen ein tapferes Bekenntnis, aber es fehlt jedes Recht 
zu der Annahme, dass er sich zum Martyrium gedrängt, oder 
dass er auch nur vor dem Urtheil des Richters jene Gewiss- 
heit über sein Schicksal gehabt habe. Wir hören ihn erst 
reden, nachdem es längst gefällt war, und er auf einer lang- 
wierigen Reise, unter der rauhen Behandlung seiner Wächter 
und der bewundernden Theilnahme der Gemeinden sich in den 
Gedanken eingelebt hatte, dass er in Rom um Gottes willen 
sterben werde. Er hat es über sich vermocht, Gott dafür zu 
danken als für eine Gnade, von der er nur nicht weiss, ob 
er derselben würdig sei. Seitdem weist er jeden Gedanken | 
an eine Aenderung seines Schicksals als menschlichen Eingriff 
in die offenbare Regierung Gottes zurück. Aber was er ver- 
ehrt und anerkannt haben will, ist die göttliche Leitung eben 
nur seines persönlichen Lebens. Eine Regel für Andere 
daraus zu abstrahiren 1) oder gar Andern einen Rathschlag 
zur Nachfolge zu ertheilen, kommt ihm nicht in den Sinn. 
Wir sehen ihn in Bezug auf Andere über irdisches Leiden 


1) Das Gegentheil des Richtigen liest man bei Dall., p. 347 sq.: 
plane ac si nemo Christi vere discipulus sit, cujus corpus non fuerit vel 
bestiarum vel flammarum vi absumptum. Ganz ebenso Baur II, 56. 


410 


und Wohlsein ganz anders urtheilen. Die Verfolgung der 
antiochenischen Gemeinde ist ihm ein Gegenstand ernster 
Sorge, und er fordert alle Christen auf, dafür zu beten, das 
ihr das Gut des Friedens wieder geschenkt werde, und ihrer 
Freude darüber Ausdruck zu geben, dass es ihr wieder ge- 
schenkt ist. Er warnt davor, durch kleinliche Zänkereien 
den Heiden Anlass zur Verlästerung nicht bloss Gottes, son- 
“dern auch der christlichen Gemeinde zu geben (Tr. 8). Alle 
Ermahnungen in Bezug auf das Verhalten gegen die Heiden 
haben, wenn nicht den Zweck, so doch, wenn sie befolgt wer- 
den, den Erfolg, dass die Christen in Frieden mit ihnen leben 
(Eph. 10; Anh, I, 19). Eine ungeheuchelte Freude hat er 
an der Sanftmuth des Bischofs Polybius von Tralles, der 
schon durch seine Haltung eine Predigt und selbst den Hei- 
den ehrwürdig ist (Tr. 3; Anh. I, 24). Von Fanatismus ist 
da nichts zu merken und auch nichts von dem Aberglauben, 
dass das Martyrium eine Ehre sei, nach der man trachten 
müsse. Im Gegentheil, es ist dem Ignatius demüthigend, dass 
er auf diesem Weg zur Seligkeit geführt werden muss. Nicht 
nur im Vergleich zu den Aposteln, da sie die Kirche leiteten, 
kommt er sich als ein zum Tode Verurtheilter und Gefesselter 
ohnmächtig und unansehnlich vor); auch den Gemeinden 


1) Rom. 4: Or'y ὡς Πέτρος καὶ Παῦλος διατάσσομαι ὑμὶν" Exeivoi 
πόστολοι, ἐγὼ χατάχριτος " ἐκεῖνοι ἐλεύϑεροι, ἐγω δὲ μέχρι νῦν δοῦλος, 
ελλ᾽ ἐὰν πάϑω, ἀπελεύϑερος Ἰησοῦ καὶ ἀναστήσομαι ἐν αὐτῷ ἐλειΐϑε- 
eos. Zu Grunde liegt zunächst 1 Kor. 9, 1; aber darum ist gerade nicht 
daran zu denken, dass Ignatius hier seine gegenwärtige Lage mit 
der gegenwärtigen Lage der seligen Apostel vergleiche (so Bunsen 
DH, 210). Er vergleicht sie mit derjenigen, in welcher Paulus an die 
Römer schrieb, und Petrus in Rom verweilte. Als Apostel konnten sie 
Verordnungen geben; er kann es nicht nur deshalb nicht, weil er kein 
Apostel, sondern Bischof einer fremden Gemeinde ist, mehr noch deshalb, 
weil es lediglich sein persönliches Schicksal ist, das ihn an die Römer 
zu schreiben veranlasst. Er entbehrt auch derjenigen Freiheit und Auc- 
torität, welche etwa einem Missionar wie Justin, oder einem Bischof 
wie Polykarp eigneten, als sie nach Rom kamen. Diese Lage beschreibt 
auch δοῦλος, womit ebensowenig an eiuen früheren Sclavenstand des 
Ignatius erinnert sein kann, als an sein Knechtsverhältnis zu Christus; 


411] 


gegenüber, welche durch Gottes Barmherzigkeit eines fried- 
lichen und gedeihlichen Lebens sich erfreuen, erscheint er 
sich gering, weil er verurtheilt und über die Gefahren, die 
auf dem Weg zu seinem Ziele liegen, noch nicht hinaus ist 
(Eph. 12). Während die Gemeinden ihn als todesmuthigen 
Bekenner bewundern, lehnt er diese Beurtheilung nicht nur 
ab (Mgn. 12; Tr. 5; Eph. 3), sondern sieht gerade darin, 
dass er verurtheilt und gebunden ist, einen Gruml, nicht einen 
einseitig ermahnenden oder gar gebieterischen Ton anzu- 
schlagen (Tr. 3. 4). Er erkennt in seiner Lage einen Beweis 
dafür, dass er vor Anderen dieses Erziehungsmittels bedarf. 
Unter dem Gesichtspunct der Schule betrachtet er besonders 
oft seine gegenwärtige Lage. Auf diesem Wege muss er 
lernen, nichts zu begehren ?); unter der rohen Behandlung 
der Soldaten wird er immer mehr zum Jünger; jetzt fängt 
er eigentlich erst an es zu werden 3): und während die Er- 
fahrung der Heilsamkeit dieser Uebung ihn dankbar und 
hoffnungsvoll stimmt, empfindet er doch andrerseits jetzt erst 
seine sittliche und religiöse Unreife ?), wie viel ihm nämlich 


Ersteres hätte für sein Verhältnis zu den Römern nichts zu bedeuten, 
in letzterem standen auch die Apostel. Es ist vielmehr dieser uneigent- 
liche Ausdruck statt des gewöhnlichen, sofort an die Stelle tretenden 
δεδεμένος gewählt, weil der nächstliegende Gegensatz zu ἐλειίϑερος aus- 
gedrückt und ein Uebergang zu der Anspielung auf 1Kor. 7, 22 ge- 
wonnen werden sollte. Wie lieb ihm sein Loos mit Einschluss der gegen- 
wärtigen Unfreiheit ist, so ist es doch an sich ein Uebel, eine Hemmung, 
welche ihn ebensosehr treibt, gering von sich zu denken, als nach dem 
guten Ausgang sich zu sehnen. 

1) Im Anschluss an die in der vorigen Anmerkung eitirten Worte 
(Rom. 4): νῦν μανϑάνω δεδεμένος μηδὲν ἐπιϑυμεῖν. 

2) Rom. 5: ἐν δὲ τοῖς ἀδικήμασιν αὐτῶν μᾶλλον μαϑητειίομαι. .. 
νῦν ἤρχομαι μαϑητής εἶναι. Οἵ, Eph. 8: νῦν γὰρ ἀρχὴν ἔχω τοῦ μα- 
ϑητειίεσϑαι. Vgl. oben 83. 406, Anm. 2. 

3) Tr. 5; Anh. I, 26. Οἵ, Tr. 4: νῦν γάρ μὲ dei πλέον φοβδῖσϑαι 
χαὶ μὴ noaseyew τοῖς φυσιοῦσίν με. — Phil. 5: Ἰησοῦς Χριστὸς, ἐν ᾧ 
δεδεμένος φοβοῦμαι μᾶλλον, ὡς ἔτι ὧν ἀναπάρτιστος, αλλ᾽ ἡ προςευχὴ 
"uoy εἰς θεόν μὲ ἀπαρτίσει. Das ἀνάρπαστος in ΟἹ (gegen A 
Li ( 1,3) verdient nicht die Entschuldigung, die ihm Voss (S. 281), 


412 


noch fehlt an derjenigen inneren Verfassung, ohne welche der 
Tod kein Heil bringt. Weil ihm als Ideal eines Jüngers 
Christi ein ausgelernter Schüler dieses Meisters, ein zur Reife 
gelangter Christ (vgl. Luc. 6, 40) vorschwebt, darum lehnt 
er als der Unfertige den Titel eines Jüngers ab (Tr. 5), der 
ihm in Wahrheit erst zukommt, wenn er bei Gott ist?'). 
Darüber ist Ignatius völlig klar, dass der Märtyrertod an sich 
gar keine beseligende Wirkung hat ἢ). Er sagt wohl: ἐγγὺς 
μαχαίρας, ἐγγὺς ϑεοῦ, μεταξὺ ϑηρίων, μεταξὺ ϑεοῦ, aber er setzt 
auch hinzu: μόνων ἐν τῷ ὀνόματι ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ Sm. 4. Das 
ist die unerlässliche, aber nichts. weniger als selbstverständ- 
liche Bedingung. Daher denn auch die Bedingtheit, in der 
er 80 oft von seinem bevorstehenden Martyrium redet, das 
fast ermüdende ἐάν und ἐάνπερ (Rom. 1. 2. 4; Mgn. 12; 
ad Pol. 7). Dass es Gottes Wille so ist, steht ihm fest; aber 
bedingt ist dessen Verwirklichung insofern, als er nach Gottes 
Willen durch den Tod zur Seligkeit gelangen soll, diese aber 
sittlich bedingt ist. Wenn er es also als problematisch hin- 
stellt, ob er zum Martyrium gelangen werde, so liegt dem 


Pearson (111, 47) u. A. angedeihen liessen. Solange ἔτε dasteht, ist es 
sinnlos und macht den durch ἔτε im Gegensatz zum folgenden Futur 
ausgedrückten Gedankenfortschritt unmöglich. 

ΟΠ Δ Eph. 1; Rom. 4: τότε ἔσομαι ἀληϑῶς μαϑητὴς τοῦ Χριστοῦ, 
ὅτε οὐδὲ τὸ σώμα μου ὁ κόσμος ὄψεται ad Pol. 7: κάγω εὐϑυμότερος 
ἐγενόμην ἐν ἀμεριμνίᾳ ϑεοῦ --- ἐώνπερ διὰ τοὺ παϑεῖν ϑεοῦ ἐπιτύχω — 
εἰς τὸ εὑρεϑῆναί με ἐν τῇ αἰτήσει ὑμῶν μαϑητήν. Ganz vereinzelt steht 
der Schreibfehler παϑητήν ΟἹ. Aber auch dessen αναστάσει ist sinnlos, 
denn es nöthigt zu der Verbindung von ὑμῶν mit μαϑητήν. Es findet 
sich in cod. Montac. (s. Anh. I, 2) und cod. b und lag nahe, wenn man 


- wider den Sinn des Verfassers den finalen Infinitivsatz von ἐπιτύχω ab- 


hängen liess. Der Zusammenhang lehrt vielmehr, dass die Erfüllung der 
Fürbitte für die Antiochener den Jgnatius auch in Bezug auf seine 
Person das Beste von der Fürbitte der Angeredeten erwarten lässt, dass 
also der Infinitivsatz von χογω εὐϑυμότερος ἐγενόμην abhängt. Dann 
ist αἰτήσει zu lesen, welches G2 mit Ausnahme von b, ferner A und cod. 
Cajensis darbieten. Dasselbe Wort Tr. 13, das Verb ausserdem noch 
Rom. 1. 3. 8 und ad Pol. 1. 2 ebenso gebraucht, die Sache Sm. 11. 
2) Dies gegen Baur I, 161; II, 54. 


418 


die Furcht zu Grunde, er möge des Heils, welches gerade 
ihm in der Form des Martyriums sich .darbietet, nicht werth 
sein, oder vielmehr unwürdig werden ἢ. Wenn er dann wie- 
der an anderen Stellen ohne solche ausdrückliche Versicherung 
der Bedingtheit des im Martyrium liegenden Heils die Zu- 
versicht ausspricht, durch den Tod zur Freiheit, Seligkeit, 
Gerechtigkeit zu gelangen, so beruht diese Zuversicht auf 
dem Vertrauen zur Treue Gottes, welcher sein und der Mit- 
christen Gebet erhören wird (Tr. 13; Phil. 8). Dies Gebet 
aber, um welches er so oft die Gemeinden direct und indirect 
bittet (Eph. 21; Mgn. 14; Tr. 12. 13; Rom. 4.8; Phil. 5; 
ad Pol. 7), bezieht sich nicht auf das äussere Factum seines 
Todes, sondern auf die sittliche Zubereitung zum rechten 
Sterben, auf die Ueberwindung der inneren Gefahren, welche 
ihn der rechten Verfassung und damit eines seligen Todes 
berauben könnten. Eine erste Gefahr ist die, dass er in Furcht 
vor dem Tod zurückweichen könnte, den er jetzt noch herbei- 
sehnt. Gegen dieselbe Versuchung, welche ihm die Liebe 
der römischen Christen zu bereiten droht, hat er auch einen 
innerlichen Kampf zu bestehn. Es ist der Teufel, der ihn 
hin- und herzerren und seinen auf Gott gerichteten Entschluss 
zunichte machen will®). Schon jetzt hat er dagegen zu 
kämpfen und fühlt einen Mangel an innerer wie an äusserer 
Kraft dazu, dem das Gebet und die Aufmunterung der Mit- 
christen abhelfen soll (Rom. 3; Eph. 3). Aber auch den 
Fall setzt er, dass diese Versuchung, nachdem er sie bis 
dahin überwunden, mit neuer Gewalt angesichts des Todes 


1) Tr. 4: ἀγαπῶ μὲν γὰρ τὸ παϑεῖν, ἀλλ᾽ οὐκ οἶδα, εἰ ἄξιός εἰμι. 
Tr. 12; Mgn. 12; Rom. 1. 

2) Rom. 7: ὁ ἄρχων τοῦ αἰῶνος τούτου διαρπάσαι μὲ βούλεται 
χαὶ τὴν εἰς ϑεόν μου γνώμην διαφϑεῖραι- μηδεὶς οὖν τῶν παρόντων 
ὑμῶν βοηϑεῖτω αὐτῷ, μᾶλλον ἐμοὶ γίνεσϑε, τουτέστιν τοῦ ϑεοῦ. Zwar 
ΑἹ Jiest ἐμοῦ γένεσϑε, was (nach Thucyd. V, 84 εἶναί τινος) heissen 
könnte „tretet auf meine Seite“. Aber die Incongruenz zwischen ϑεοῦ 
und ἐμοί (so metaphr. ΟΣ abfov, nur'n hat ϑεῷ) scheint ursprünglich 
zu sein. Nur muss man dann ἐμοί, wie Voss (S. 296) erklärte und 
Li wohl verstand, fassen = „die Meinigen, meine Bundesgenossen “. 


414 


selbst über ihn kommen könnte '., Daher tritt neben die 
Versicherung, dass alle Weltlust von ihm verleugnet sei, der 
Wunsch, dass ihn nichts-mehr zu leidenschaftlieher Begierde 
reizen möge (Rom. 5). Daher die Vorstellung, dass das Schwerste, 
nämlich die schmerzhafte Entbindung des neuen Lebens aus 
dem alten noch erst bevorstehe (Rom. 6). Aber dies ist nur 
eine der Besorgnisse, die es ihm eng ums Herz machen und 
den freudigen Ausblick auf das Ziel noch hindern ?2). Er 
befindet sich überhaupt noch in Gefahr (Tr. 13; Eph. 12). 
Auch die entgegengesetzte innere Anfechtung, die Versuchung 
zu leidenschaftlicher Begierde nach dem ersehnten Ziel 5) und 
zum Hochmuth führt er auf den Fürsten dieser Welt zurück. 
Die Menschen sehen von diesen inneren Kämpfen nicht viel, 
weil er sie nämlich ins Innere zurückdrängt; aber nur um 
80 heftiger greifen sie ihn an. Als Mittel dagegen gilt ihm 
die Sanftmuth, die Gelassenheit. Um seine Todesfreudigkeit 
u bezeugen, muss er ja freilich rühmen, und er bekennt es 
nicht als eine Sünde, sondern bezeugt es als seine wahre Ge- 
müthsverfassung, dass sein Sinn auf Hohes gerichtet 56] 2). 
Aber er fühlt die Verpflichtung, sich in der Aeusserung dieser 
Stimmung zu mässigen, weil er sonst gerade durch das 
Rühmen zu Grunde gehn möchte. Wenn vollends Andere 
ihn um seines Heldenmuths willen geradezu rühmen, so er- 
kennt er die darin liegende Versuchung zum Hochmuth und 
empfindet jedes Wort des Lobs als einen Geisselhieb, weil es 
ihn an die wenig entsprechende Wirklichkeit seines inneren 
Lebens mahnt und ebensogut, wie die von Menschen aus- 
gehende Versuchung zur Schwachheit, eine Unterstützung der 
ohnedies vorhandenen inneren Anfechtung ist. 


1) Mnd’ ἂν ἐγὼ παρὼν παρακαλῶ ὑμᾶς, πείσϑητέ μοι, τούτοις δὲ 
μᾶλλον πείσϑητε, οἷς γράφω ὑμῖν (Rom. 7). 

2) Rom. 6 nennt er dies τὰ συνέχοντά με. Vgl. I,uc. 12, 50. 

3) Tr. 4 liegt allem Obigen zu Grunde. Vielleicht ist dort τὸ 
ζῆλος nicht so, wie oben nach Voss S. 287 u. A., sondern von neidischer 
Misgunst des Teufels zu verstehn. S. auch noch Anh. I, 25. 

4) So ist πολλὰ φρονὼώ ἐν ϑεῷ zu verstehn, wie sonst μέγα φρονεῖν 
(ταπεινοφρονεῖν u. dergl.). 


415 


Es gehört nicht sonderlich viel Phantasie und guter 
Wille dazu, um diese mannigfaltigen Stimmungsäusserungen 
und auch die überschwänglichsten Ausdrücke des Ignatius zu 
begreifen. Schon. die äusseren Thatsachen, welche ich den 
Briefen entnommen habe, zeugen dafür, wie elektrisirend seine 
Erscheinung auf die kleinasiatischen . Christen gewirkt hat; 
und das geistvolle Pathos aller seiner Briefe stellt Jedem, 
der auch geschriebene Rede hört, eine Persönlichkeit dar, 
welche auch ausserordentliche Gegenäusserungen der Liebe und 
der Bewunderung hervorrufen musste. Geküsst hat Polykarp 
seine Ketten !), und kein Mittel, keine Mühe wurde gescheut, 
ihm seine Lage zu erleichtern. Die Worte, womit man solche 
Behandlung begleitete, müssen in der That überschwänglich . 
gewesen sein. Wenn Ignatius es wiederholt ablehnt, wie ein 
Apostel gebieten und überhaupt einseitig belehren zu wollen ?), 


1) Ohne Frage richtig hat Bunsen (I, 35) so verstanden ad Pol. 2: 
τὰ δεσμά μου, ἃ ἠγάπησας. Ich finde Tert. ad uxor. II, 4: ad oscu- 
landa vincula martyris. 

2) Tr. 3; Rom. 4; cf. Eph. 3. 12. In grellen Widerspruch nicht 
mit dem syrischen Ignatius allein, nämlich mit Rom. 4, wie Lips. I, 54 
vgl. 56 urtheilt, sondern mit sich selbst würde sich der Verfasser des 
Trallianerbriefs setzen, ‚wenn er in der Ueberschrift desselben, kaum 
30 Zeilen vor der feierlichen Ablehnung apostolischer Auctorität, sich 
eben diese zugeschrieben hätte mit den Worten: ἣν χαὶ ἀσπάζομαι ἐν 
τῷ πληρωματι, ἐν εποστολιχῷ χαραχτῆρι. Dieses Bedenken beseitigt 
Lipsius (I, 59) nicht, wenn er nachträglich Tr. 3 für eine Nachbildung 
von Rom. 4 erklärt; denn was hätte diesen Pseudoignatius, der für sich 
apostolische Würde in Anspruch nimmt, veranlasst, eine Stelle des 
Römerbriefs nachzuahmen, worin sie abgelehnt wird? Aber auch abge- 
sehn davon, bedürfte die Behauptung, dass Ignatius nach Tr. inscr. sein 
Ansehn auf das Amt, auf die apostolische Succession und Geistesweihe 
gründe (Lips. I, 56), doch wohl einiger Begründung. Die jedenfalls er- 
klärungsbedürftigen Worte sagen das wenigstens nicht. Sprachlich un- 
möglich ist die Paraphrase: in plenitudine potestatis apostolicae (Buns. 
I, 139). Eph. inscr. heisst τῇ εὐλογημένῃ ἐν μεγέϑει ϑεοῦ πληρώματι 
„der durch Gottes Grossmacht völlig, reichlich gesegneten Gemeinde “ 
(vgl. Röm. 15, 29). Darnach wird auch hier ἐν τῷ πληρωματε nicht 
des Grüssenden äussere Stellung oder der Gegrüssten innere Verfassung, 
sondern die Art des Grusses, wie dort die Art der Segnung bezeichnen; 


416 


so muss das auf Aeusserungen seiner dermaligen Umgebung 
zurückgehn. Einen apostolischen Mann muss man ihn ge- 
nannt (cf. mart. Pol. 16) und besonders dem gefesselten Paulus 
ihn verglichen haben. Andere Aeusserungen weisen auf 
Ehrentitel wie „ein ächter Jünger Christi“, „ein treuer 
Zeuge“ (vgl. Apokal. 2, 13). Auf einen derselben, der vor 
anderen oft vorgekommen sein muss, weist das objectlose οἱ 
λέγοντές μοι Tr. 4. Ignatius will das Wort nicht aussprechen 
und hat dadurch verschiedenen Vermuthungen Raum gegeben. 
Aber der Satz, wodurch er erläutert, warum ihm dies Reden 
eine Qual ist, „denn ich liebe zwar das Leiden, weiss aber 
nicht, ob ich [dessen] würdig bin“, hat ja nur dann Sinn, 
wenn die betreffende Aussage auf sein Martyrium hinwies. 
Also ist jedenfalls nicht ϑεοφόρος gemeint, denn dies ist, wie 
schon allein Eph. 9 zeigt, gar nicht Bezeichnung des Märtyrers 
als solchen !). Wahrscheinlich hat Ignatius ein μάρτυς ἔσῃ 
(vgl. Smith, schol., p. 88; Thlh., p. 23) oder vielmehr ein ὁ 
μάρτυς! unterdrückt 3. Es ist überhaupt sehr unwahrschein- 
lich, dass man ihn mit Emphase ϑεοφόρος genannt haben 
sollte. Es wäre dann nicht zu begreifen, wie dieser angebliche 
Ehrentitel aus dem Gedächtnis der Väter bis auf Severus 
völlig verschwunden wäre. Schon in Polykarps Brief müsste 
man ihn vermissen. Um so mistrauischer werden wir gegen 
vermeintliche Anspielungen auf denselben in den ignatianischen 


und ebenso wird die hinzutretende Näherbestimmung ἐν ἀποστολιχῷ 
χαρακτὴρι Art und Weise des Grusses, nicht der Person angeben. Also, 
„mit der Fülle christlicher Segenswünsche. und in der Weise, wie die 
Apostel zu grüssen pflegten“, grüsst Ignatius die Gemeinde. Der Fehler 
der älteren Ausleger (z. B. Smith, schol., p. 87) war nur der, dass sie zu 
sehr an die Wortform der apostolischen Grüsse dachten, während Ignatius 
vielmehr mit drei Worten sagen will, welchen Gedankeninhalt die ab- 
geschliffene Grussformel πλεῖστα χαίρειν bei ihm habe, anstatt wie in 
andern Briefen seinen Gruss ausführlich zu gestalten. 

1) S. oben S. 69 ff. und Anh. II, 1. 

2) Cf. epist. Lugdun. Eus. V, 2, 2: our’ αὐτοὶ μάρτυρας ἑαυτοὶς 
ἀνεχήρυττον, οὐτε μὴν ἡμῖν ἐπέτρεπον τούτῳ τῷ ὀνόματι προςαγορεύει» 
᾿ αὐτοὺς, ἀλλ᾽ εἴποτέ τις ἡμῶν δι᾽ ἐπιστολῆς ἢ διὰ λόγου μάρτυρες 

αὐτοὺς προςεῖπεν, ἐπέπλησσον πιχρὼς x. τ, A, ᾿ 


417 


Briefen sein dürfen. Man hat eine solche in Sm. 5 gefunden. 
Aber über Inhalt und Form der Lobsprüche, welche selbst 
die Irrlehrer ihm angedeihen liessen, ist damit gar nichts 
gesagt, dass Ignatius in ihrer Verleugnung Christi als Fleisch- 
trägers eine Lästerung findet, welche ihm ihr Lob werthlos 
macht. Die Bildung σαρκοφόρος hat nichts Auffallendes, 
damit war dann der Gegensatz νεκροφύόρος (wandelnde Leiche) 
nahe genug gelegt. Die Art, wie Ignatius Eph. 9 9ϑεοφόροι 
und χριστοφόροι Mit vuogopo: und ἀγεοφόροι abwechseln und 
alles dies auf σύνοδοι folgen lässt, erweckt auch nicht die 
Vorstellung, dass die ersten beiden Attribute für ihn eine 
besondere Bedeutung haben !). Noch weniger enthält Mgn. 1 
eine deutliche Anspielung auf den Namen ϑεοφόρος. Begnügt 
man sich mit dem höchst bedenklichen überlieferten Text 
(Anh. I, 21), so würde der Umstand, dass er einen gottes- 
würdigen Namen empfangen hat, als Anlass oder doch irgend- 
wie als Voraussetzung seiner Lobpreisung der Gemeinden be- 
zeichnet, in deren Kreis er als Gefangener jetzt verkehrt. 
Selbst wenn man der Fabel des m. colb. glauben wollte, ver- 
stünde man noch nicht, wie dem Namen ϑεοφύρος 3) diese Bedeu- 
tung zukäme. Der Christenname passt auch nicht, denn Ignatius 
preist die Gemeinden doch nicht, weil er Christ heisst, oder 
nachdem er diesen Namen empfangen hat. Es bliebe wieder 
nur der Märtyrername übrig (so z. B. Lips. I, 90), und die 
Verurtheilung in Antiochien wäre sonderbar genug als Ueber- 
tragung dieses Namens zu deuten. Glaublich ist dieser Ge- 
danke, also auch dieser Text auch deshalb gewiss nicht, weil 
er mit allen vorhin besprochenen Stellen, an denen Ignatius 
viel weniger hohe Namen von sich abweist, in einem sonst 
beispiellosen. Widerspruch stünde. Doch, wenn auch diese 
Stelle ebenso wie der Name Theophorus in Wegfall kommt, 
so bleiben ehrende Worte und Aeusserungen der Bewunderung 


1) Welche Gedankenreibe ihn auf die Ausdrücke führte, wurde oben 
δ, 338f. nachgewiesen. 

2) Daran dachten Pearson (ΗΠ, 41), Smith (schol., p. 77), Hilgenfeld ὁ 
(S. 193) u. A. . 

Zahn, Ignatius, 27 


418 . 


genug übrig, deren sich Ignatius erwehren muss. Er thut es, 
wie Alles, mit feuriger Energie. Phantasiereich von Natur, 
überreizt durch die augenblickliche Lage, drückt er sich über- 
haupt lebhafter und stärker aus, als dem Abendländer und 
vollends dem gelehrten Leser gefällt. Das gilt auch von den 
Aeusserungen seiner Demuth. Ist es aber so, dass er den 
gedeihlichen Friedensstand der asiatischen Gemeinden als einen 
Beweis göttlichen Wohlgefallens und seine eigene Lebens- 
führung als ein Zeichen seiner besonderen Erziehungsbedürf- 
tigkeit ansieht, so ist an der Wahrhaftigkeit seiner Selbst- 
schätzung nicht zu zweifeln. Wenn er in dieser Hinsicht 
einen starken Ausdruck gebraucht, so empfindet er das selbst, 
und bedenkt, dass er den Lesern, wenn sie nicht in christ- 
licher Selbstzucht stehn, damit eben so schaden könnte, als sie 
ihm durch ihre übertriebene Bewunderung (Mgn. 12). Wir 
sahen, wie verschieden er auch hierin die Gemeinden be- 
handelt (vgl. oben S. 274ff.). Die Trallianer lobt er kaum; 
wenn er dagegen die Gemeinde zu Ephesus besonders hoch- 
stellt, so ist kein Grund, daran zu zweifeln, dass er damit sein 
Urtheil wahr wiedergibt. Wenn man seit den Anfängen der 
Kritik bei Ignatius oft unwürdige Schmeichelei und sich 
wegwerfende Demuth zu finden meinte, so übersah man nicht 
bloss diesen Unterschied, sondern auch dies, dass die stärksten 
derartiger Misdeutung ausgesetzten Sätze sich auf sein Ver- 
hältnis zur antiochenischen Gemeinde beziehen, an die er nicht 
schreibt ἢ. Auf Schmeichelei wirds dabei also gewiss nicht 
abgesehn sein, und eine Versuchung dazu musste ihm in seiner 
Lage ebenso fern liegen, als einem späteren Schriftsteller, der 
sich in seine Rolle hineindachte und keine andere Grundlage 
seiner Dichtung hatte, als die Ueberlieferung von dem helden- 
müthigen Todesgang des Märtyrers. Viel eher sollte man 
erwarten, dass Hochmuth, wie er in solcher Lage leicht ge- 
zeitigt wird, oder Eitelkeit, welche bekanntlich auch auf dem 


1) S. oben S. 403. — Einzelne Misverständnisse wie das von owr- 
θιδασχαλίτης Eph. 3 und in entgegengesetzter Richtung das von 
Trall. inser. wurden schon beseitigt S. 275, Anm. 2 und S. 415, Anm. 2. 


419 


Weg zum Tode nicht Jeden verlässt, hier μα da durchblicke. 

Ich finde bei Ignatius nichts davon; und wer etwas davon 
findet, sollte seine sittliche Entrüstung darüber durch das 
Zeugnis ernsten Kampfes gegen diese Gefahren (Tr. 4) ver- 
söhnen lassen. Allerdings denkt er hoch von dem Segen, 
welchen zunächst ihm selbst sein Martyrium bringen soll. 
Betrachtet man aber die affectvollen Worte ohne Affect, so ist 
doch Gegeustand seiner persönlichen Hoffnung nichts Anderes, 
als was er für jedes Christen Lebensziel hält. Ein des Namens 
werther Chris& und Jünger Christi, ein in reinem Licht und 
unverlierbarer Freiheit und ungatrübtem Genusse Gottes und 
Christi seliger Mensch hofft er durch den Tod zu werden. 
An dem seligen Loos der ephesischen Christen Theil zu haben, 
ist sein höchster Ehrgeiz (Eph. 9). Dies- Loos der Seligkeit 
zieht er allem Erdenglück vor (Rom. 6; Anh. I, 12). Von 
einem besonderen Ehrenlohn der Märtyrer, wovon man frühe 
in der Kirche redete ἢ), weiss er nichts, oder er hat solche 
Gedanken absichtlich von sich ferngehalten. Allerdings stirbt 
der Märtyrer um Gottes und Christi willen, zum Besten der 
Sache Gottes ?), ist in besonderem Sinn ein Nachahmer des 
leidenden Christus (Rom. 6), betheiligt sich an dessen Leiden 
(Sm. 4) noch in anderem Sinn als die Christen, die natür- 
lichen Todes sterben, obwohl von allen Gläubigen gilt, dass 
sie durch Christi Wirkung im guten Sinne selbstmörderisch 
in das Leiden Christi sich versenken und so sterben müssen, 
um das Leben Christi in sich zu haben ὃ. Der Märtyrer 
stirbt nicht bloss für sich, sondern dient sterbend der Wahr- 
heit, deren Bekenntnis ihm den Tod bringt. Gilt überhaupt 
sehon: vom Verhalten der Christen, dass es oft mehr als viele 
Worte dazu geeignet ist, von der Wahrheit des Christenthums 
zu überzeugen (Eph. 11; Tr. 3), so vollends von den Leiden, 


—— mn nn 


1) Vgl. meine Schrift über Hermas, ὅ. 183. 119. 

2) Rom. 4: ὑπὲρ ϑεοῦ ἀποθνήσχω οἵ, Eph. 1. 

3) Mgn. 5: Ἰησοῦ Χριστοῦ, δι᾿ οὗ ἐὰν μὴ αὐθαιρέτως ἔχωμεν τὸ 
εἰποθανεῖν εἰς τὸ αὐτοῦ πάϑος͵ τὸ ζῆν αὐτοῦ οὐκ ἔστιν ἐν ἡμῖν. Statt 
δι᾽ ev (ΟἹ 1.1 63) las IA διό, A Sfr. 197, 21 di’ ὅν. 

27* 


420 


welche die Christen um Gottes willen über sich nehmen 
(Sm. 5). Daher ist die Willigkeit, mit welcher sich Ignatius 
dem gewissen Tode preisgegeben hat, in seinen eigenen Augen 
ein Beweis von der Macht und Wirklichkeit des gekreuzigten 
Christus, der solche Gesinnung in den an ihn Glaubenden 
wirkt, ein Beweis, ‘den auch die Zweifelnden und anders 
Lehrenden gelten lassen müssten (Sm. 4; Tr. 10; Anh. I, 28), 
zumal wenn sie mit Worten den Werth des Martyriums an- 
erkennen (Sm. 5). So eben wird der, welcher seinen Glauben 
durch den Tod besiegelt, ein Wort Gottes, ein mächtiges 
Zeugnis Gottes an die Welt (Rom. 2; 8. oben ὅ. 407). Min- 
der deutlich ist, ob Ignatius den später nicht seltenen Ge- 
danken !) einer auf Andere sich erstreckenden Sühnkraft des Mar- 
tyriums theilt. Damit jedenfalls ist er noch nicht ausgesprochen, 
dass er sich den Sterbenden nach paulinischem Vorgang als 
eine Gotte dargebrachte Opferspende ansieht 3. Es bedeutet 
nur die willige Aufopferung um Gottes willen. Ganz dasselbe 
besagen, nur mit einer durch 'den Zusammenhang veranlassten 
eigenthümlichen Färbung, die Worte: Περίψημα τὸ ἐμὸν 
πνεῦμα τοῦ σταυροῦ Eph. 18. Dass hier περέψημα nicht 
„Auswurf, Kehricht‘ heisst und nicht gar der Gedanke aus- 
gedrückt ist, seine Leiden seien nichts gegen die Leiden Christi ?), 
ist klar. Am Kreuz Christi haftet kein Unrath — und 
doch müsste dies der πῃ der Genitivverbindung sein ἢ) —, 


— 


1) Bei Origenes weist ihn Höfling (Lehre der ältesten Kirche vom 
Opfer, S. 134. 143) nach. 

2) Rom. 2. 4. Vgl. Philipp. 2, 17; 2Tim. 4, 6. 

3) So Bunsen (I, 91), der dann aber in seiner Weise noch andere 
Gedanken mit diesem verbindet. 

4) Auch 1Kor. 4, 13, wo die Apostel als ein der Welt und den 
Menschen anhaftender Unrath vorgestellt werden, dessen sich diese mög- 
lichst bald zu entledigen suchen. Vgl. Hofmann, neues Testament, 
IT, 2, 95. Anderen Sinn hat der Genitiv, wo es Sühnopfer heisst, 
Tob. 5, 18; Eus. h. e. VII, 22, 7. Letztere Stelle zeigt den völlig ab- 
geschliffenen Gebrauch des Worts. Dionysius von Alexandrien sagt dort, 
die fast nichts sagend gewordene Höflichkeitsbezeugung περέψημαά σου 
ἐγὼ hätten manche Christen, welche durch treue Pflege der Pestkranken 
sich den Tod zugezogen hätten, während ihre Pfleglinge genasen, durch 


421 


und der Geist des Ignatius könnte denselben am wenigsten 
vorstellen. Gerade das betont er, dass sein Geist die be- 
zeichnete Stellung zum Kreuz einnehme. Im Gegensatz zu 
denen, welche der Heilserkenntnis sich verschliessen (Eph. 17) 
und den Heilsglauben, zu dessen Bestem Christus gestorben 
ist, verderben (Eph. 16), welchen das Kreuz Christi ein 
Aergernis ist (Eph. 18), bezeugt Ignatius seine Bereitwilligkeit, 
für diesen Mittelpunct des Glaubens und Grund des Heils 
seinen Geist !), d. i. sein Leben hinzugeben, indem er ihn 
ein Opfer des Kreuzes d. i. für das Kreuz nennt. Selbst- 
verständlich meint er nicht, dass das Kreuz einer Sühne, eines 
Reinigungsopfers bedürfe; er will vielmehr seine zu jedem 
Opfer um des Gekreuzigten willen bereite Gesinnung aus- 
drücken 3). - Ebenso oder ähnlich drückt er sich den Gemein- 
den gegenüber aus. Ihr περέψημα, ihr ἀντέψυχον, vielleicht 
auch ihr ἅγνισμα ?) nennt er sich wiederholt; „Auswurf‘“ und 
„Sehund“ dieser Gemeinden oder einzelner Christen kann 
Ignatius freilich nicht sein wollen (Buns. I, 88f.), schon des- 
halb nicht, weil er gar nicht zu ihnen gehört. Aber, wenn 
die nächstliegende Parallele Eph. 18 massgebend sein soll, so 
sagt er auch nicht, dass er zu ihrer Versöhnung oder auch 
nur zu ihrem Besten sterben werde. Das vertrüge sich auch 
nicht mit der gerade im Epheserbrief stark“ betonten Meinung, 
dass er viel mehr als die Angeredeten der Stärkung durch 
die Gnade Gottes und ihrer Unterstützung bedürfe, um seligen 


die That wahrgemacht, ἐπιόντες αὐτῶν περίψημα, Unklar ist die Aus- 
einandersetzung von Heinichen (ed. 2; III, 710sq.), welche schliesslich 
auf das Quidproquo „ihre allerergebensten Diener‘ hinausläuft. ° Diony- 
sius meint, es sejen jene ein stellvertretendes Sühnopfer für die Anderen 
insofern geworden, als sie durch ihr Sterben diesen das Sterben er- 
sparten. Uebersetzen kann man .das nicht, da bei uns „dein Sühnopfer “ ' 
kein Kompliment und unsere Komplimente keines so tiefen Wortsinns 
sind. 

1) Vgl. Philipp. 1, 29; 2Kor. 12, 10; Act. 5, 41. 

2) Die syrische Paraphrase 3. oben S. 194, ist also zwar ungenau, 
aber richtiger als eine buchstäbliche Ausdeutung. 

3) Eph. 8; Anh. 1, 19. Tr. 13, 


422 


Todes zu sterben. Auch ein ἀντάψυχον im eigentlichen Sinn, 
ein Lösegeld !), kann er nicht sein wollen für die Festge- 
gründeten, unter allen Segnungen der göttlichen Barmherzig- 
keit Stehenden (Eph. 12) und Freien (Mgn. 12). Vollends 
wäre nicht abzusehn, wie seine Ketten auf Polykarp und die 
Smyrnäer diese Wirkung üben sollten (ad Pol. 2; Sm. 10). 
Stünde Ignatius zu diesen Gemeinden in einem Verhältnis 
regelmässigen und ausserordentlichen Dienstes, welcher ihm 
Bande und Tod zugezogen hätte, so möchte es allenfalls zu 
verstehen sein, wie sich daraus die Vorstellung eines Leidens 
für sie entwickeln konnte ?). So aber muss man annehmen. 
dass alle diese Ausdrücke nur abgeschliffene Bedeutung haben, 
dem Verkehrsleben entlehnte Bezeichnungen hingebender Liebe 
sind. Gerade im Zusammenhang von Lobeserhebungen und 
Aeusserungen der Verehrung, die er ablehnt, bezeichnet er 
sich so, denkt also gewiss nicht daran, sich und seinem 
Tode dadürch eine ungewöhnliche Bedeutung für die Ange- 
redeten zu geben. Wie wenig er dabei gerade an sein Sterben 
denkt, zeigt die Versicherung, dass er nicht bloss jetzt, sondern 
auch wenn er Gott erlangt habe, gleichsam zum Lohn für 
ihre Beihülfe hiezu, so zu den Trallianern stehen werde 
(Tr. 13; Anh. I, 19). Seine Liebe zu den Gemeinden, seine 
Freude an ihnen, seine Bereitwilligkeit, ihnen zu dienen, soll 
den Tod überdauern ®). Stark ist das Alles gesagt, und nicht 
Alles schön. Es zeugt nicht jeder Anklang an biblische, 
namentlich paulinische Aussprüche von richtigem Verständnis 
derselben *), und es lässt sich auch nicht jedes neugeschaffene 


1) Eph. 21. Vgl. über das Wort Pears. II, 206g. 

2) Ephes. 3, 1; epist. Lugd. Eus. V, 1, 10. 
3) Darauf weist wegen des angehängten Relativsatzes (vgl. Tr. 4) 
das ὀναίμην ὑμῶν διαπαντός Eph. 2; ad Pol. 6, ebenso auch das οὗ 
ὀναίμην ἐν ϑεῷ ad Pol. 1. 

4) Das gilt von der Anspielung an 1Kor. 9, 1 in Rom. 4 (s. oben 

S. 410), weniger von der an 1Kor. 15, ΒΓ. in Rom. 9, wenn auch Paulus 
sich den erst zu Bekehrenden, Ignatius sich den Bekehrten ein ἔχτρωμα 
nennt (vgl. oben 8. 407). Möglich ist es auch, dass Ignatius sich mit 
seinem περέψημα Eph. 8 an das falsch verstandene Wort 1Kor. 4, 13 


428 


Bild lange festhalten, ohne zum Zerrbild zu werden ').. Aber 
Veberschätzung seines Martyriums oder seiner Person lässt 
sich dem Ignatius nicht nachweisen, und ebensowenig ein 
Selbstwiderspruch anderer Art, als die scheinbaren, lediglich 
auf der Oberfläche der Rede spielenden, welche jedem Men-- 
schen von lebhafter Phantasie und reizbarem Gemüth in 
ausserordentlichen Lebenslagen natürlich sind. Seine Grund- 
gesinnung ist eine mit ernster Selbstzucht und ungeheuchelter 
Demuth verbundene sehnsüchtige Liebe zu Christus. 

Den Eindruck haben seine Zeitgenossen empfangen und 


die nachfolgenden Geschlechter der Kirche bewahrt. Mit 


denen, die es vorziehn, den ἔρως τοῦ ἀποϑανεῖν, in welchem 
die Liebe zu Christus hier sich darstellt, mit Lucian als 
einen ἔρως τῆς δόξης zu verunglimpfen, sollte man nicht 
streiten. Wer der altkatholischen Kirche mehr Urtheil über 
den sittlichen Werth ihrer Heiligen zutraut, als ihren Ver- 
ächtern unter den Heiden, wird es auch bewundernswerth finden, 
dass derselbe Mann, der nur von dem einen Gedanken seines 
Hingangs zu Gott erfüllt scheint, gleichzeitig mit dem regsten 
Interesse die irdische Entwicklung des kirchlichen Lebens 
verfolgt und die ganze Kraft seiner Persönlichkeit einsetzt, 
um den Gefahren, welche damals besonders den asiatischen 
Gemeinden drohten, vorzubeugen. Wie die Kleinasiaten ihn 
nicht als einen vorübereilenden Fremdling aufgenommen haben, 


mn nn 


anschliesst, wie Barnabas (4, 9; 6, 5) wieder an Ignatius. Aber bei 
der Häufigkeit des Ausdrucks anch in ausserchristlichen Kreisen (ro 
ϑημῶδες ῥῆμα Eus. h. 6. VII, 22, 7) lässt sich das ebensowenig be- 
weisen, als dass das häufige ὀναίμην des Ignatius (Eph. 2; Mgn. 2. 12, 
Rom. 5; ad Pol. 1. 6) aus Philemon 20 stamme, wie man seit Uss., 
adn., p. 20. 35 zu bemerken pflegt. Es war im gewöhnlichen Leben 
zum Werth eines freundlichen Grusses herabgesunken. Auf den häufigen 
Gebrauch bei Lucian machte schon Vedelius II, 126sq. aufmerksam. 
Vgl. ausserdem die Stellen bei Pears. II, 203sq.; UI, 23 und Lagarde, 
tel. jur. 606], gr., p. 81. Vedel sagt nicht übel: Germani dicunt ‚Gott 
geb, dass ich freud an euch erleben möge“. 

1) z. B. Eph. 11: τὰ δεσμὰ περιφέρω, τοὺς πνευματιχοὶς μαργα- 
olras,”Ev οἷς γένοιτό μοι ἀναστῆναι τῇ προςευχῇ ὑμῶν. 


424 


so hat auch er sich nicht als ein Fremder zu ihnen gestellt, 
den ihre Angelegenheiten nichts angingen, und der mit sich 
selbst genug zu thun habe. Er beobachtet genau und ver- 
kehrt mit den einzelnen ‘Gemeinden je nach ihrer besonderen 
Art und Lage. Auch für die Pflege persönlicher Beziehungen 
untergeordneter Art ist sein Gemüth noch frei: Für seine 
eigene Gemeinde beweist er die vorsorglichste Liebe, soweit wir 
ihn verfolgen können. Nur der Gedauke kommt ihm nicht, 
den wir nach dem Vorbild des Apostels Paulus bei ilım ver- 
missen möchten, dass ein längeres Leben im Fleisch noth- 
wendiger, weil nützlicher sei, als die ersehnte Vereinigung mit 
Christus. Aber mit der Gewissheit, dass dies und nicht jenes 
der Wille Gottes sei, lässt sich nicht rechten, und wirksamer 
für die Kirche, als er je hätte werden können, ist er durch 
sein Martyrium, seine Reise nach Rom und seine hierdurch 
veranlassten Briefe geworden. 


2. Der Kirchenmann: 


Sind die Reiseerlebnisse des Ignatius und- die kirchlichen 
Zustände der asiatischen Gemeinden von mir im wesentlichen 
richtig gezeichnet worden, so ergibt sich fast von selbst, in 
welcher Richtung und in welchem Ton ein Mann von der 
Eigenthümlichkeit des Ignatius über die dermaligen Aufgaben 
der dortigen Kirche reden musste. Die meisten hierher ge- 
hörigen Aussagen mussten schon oben herangezogen werden 
und, Misverständnisse abwehrend und unvollständige Beob- 
achtungen berichtigend, habe ich mehr als eins seiner pia 
desideria berühren müssen. Aber es lohnt sich, sie zum 
Gegenstand besonderer Untersuchung zu machen. 

Ueber die richtige Verfassungsform der Gemeinden und 
der Kirche zu reden, hatte Ignatius keinen Anlass; denn die- 
selben drei Aemter des Bischofs, der Presbyter und der Dia- 


425 


konen, welche seine heimathliche Kirche besass, fand er in 
den kleinasiatischen Gemeinden festbegründet. Eine Opposition 
gegen eins derselben im Gegensatz zu dem anderen, ernst- 
liche Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Abgrenzung 
der Befugnisse des einen Amts gegen die der anderen scheint es 
damals dort nicht gegeben zu haben, und ebensowenig eine 
principielle Auflehnung gegen die amtliche Ordnung des kirch- 
lichen -Lebens überhaupt. Daher war auch kein Anlass, von 
der Nothwendigkeit oder dem göttlichen Recht oder den unter- 
scheidenden Rechten und Pflichten irgend eines kirchlichen 
Amtes ausdrücklich zu handeln. Nur praktisch kam die in 
den Gemeindebesmten und besonders im Bischof sich dar- 
stellende Einheit der Ortsgemeinde nicht in dem Mase zur 
Geltung, als Ignatius der Idee entsprechend und besonders - 
durch die dermalige Lage geboten achtete. Die besondere 
Lage des Augenblicks und die durchgängige Abhängigkeit der 
auf die Kirchenregierung bezüglichen Auslassungen vom Zweck 
der Abwehr der augenblicklich drohenden Häresie muss man 
stets gegenwärtig haben, wenn man die Urtheile und Rath- 
schläge in Bezug auf’s kirchliche Leben richtig würdigen will. 
Ausserdem muss mehr, als meist geschehen, bedacht werden, 
dass Ignatius nicht ein der Briefform sich bedienender Schrift- 
steller ist und auch nicht an einen aus mehreren Gemeinden 
bestehenden Leserkreis sich wendet, sondern aus bestimmten 
Anlässen an einzelne Gemeinden schreibt, und dass sich daher 
auch die unmittelbar ausgesprochenen Ermahnungen und Rath- 
schläge durchweg im Kreis der Ortsgemeinde bewegen. 

.Die beherrschende Idee ist die der Einheit!) des ge- 
meindlichen Lebens. Sie zu betonen, treibt ihn vor allem die 
Ueberzeugung, dass die festgeschlossene Einheit der Gemeinde 
der auf dem Wege der Disputation mit Einzelnen und des 
Lehrvortrags im kleineren Conventikel eindringenden Häresie 


1) Als werdende, stets neu zu erstrebende heisst sie ἕνωσις (Mgn. 


1. 13; Tr. 11; Phil. 4. 7. 8; ad Pol. 6), als erreichter Zustand und _ 


Thatbestand &vorns (Eph. 4. 5; Phil, 2. 3. 8. 9; Sm. 12; ad Pol. 8). 


426 


den Zugang versperrt δ. Etwas Besseres gibt es überhaupt 
nicht als Friede oder Einheit (Eph. 13); es ist das der nor- 
male Zustand, welchen Ignatius, der sich selbst einen für die 
Einheit geschickten Menschen nennt (Phil. 8; Anh. II, 9), 
allen Gemeinden wünscht (Mgn. 1; Anh. I, 21). Jede 
Störung der Einheit hindert das wirksame Wohnen Gottes in 
der Gemeinde (Phil. 8) und ist daher Anfang aller weiteren 
Uebelstände (Sm. 7). Daher soll sie sich der Bischof ange- 
legen sein lassen (ad Pol. 1) wie die Gemeinden (Phil. 7; 
Eph. 4). Sie soll eine innere und äussere zugleich sein 
(Mgn. 13), d. h. nieht allein in gleicher christlicher Ge- 
sinnung bestehn ?), sondern auch in einem entsprechenden 
Handeln sich darstellen 8). Vor allem soll sie ihren Ausdruck 
in der Gemeinsamkeit aller gottesdienstlichen Handlungen 
finden (vgl. oben S. 344 ff.). Da der Brauch der kleinasiatischen 
Gemeinden in dieser Hinsicht nicht den Idealen des Ignatius 
entspricht, so sucht er die Heilsamkeit, ja Nothwendigkeit 
durchweg einheitlichen Gottesdienstes der Ortsgemeinde zu 
begründen. Durch einen Schluss von der Wirksamkeit des 
Gebets eines Einzelnen oder Zweier, die sich dazu vereinigt 
haben, auf die viel grössere Wirkung des im Namen der 
ganzen versammelten Gemeinde vom Bischof gesprochenen 
Grebets wird die Theilnahme am gemeinsamen Gottesdienst 
als christliche Pflicht erwiesen (Eph. 5; vgl. oben 9. 344). 
Ebenso ergibt sich diese Pflicht aus der defensiven Kraft der 
in dichtgedrängter Versammlung sich darstellenden Gemeinde- 
einheit gegen alle verderblichen Einflüsse (Eph. 13; vgl. 
Phil. 2; Tr. 7). Die besonders scharf betonte Forderting ge- 
meinsamer Abendmahlsfeier (vgl. oben S. 342ff.) begründet, 
Ignatius Phil. 4 wenig geschickt durch Hinweisung darauf, 


1) Phil. 2; Eph. 13; Tr. 7; Mgn. 1. Vgl. oben S. 357. 

2) Das ist die oft erwähnte ὁμόνοια (ohne Zusatz Eph. 4; Tr. 12; 
Phil. 11, mit τῆς πίστεως Eph. 13, mit $soö Mgn. 6. 15; Phil. inser.). 
Auf ihre Bethätigung weist schon ὁμοήϑεια (Mgn. 6; ad Pol. 1; vgl. 
oben S. 319, Anm. 2). 

3) Οἵ, Phil. 4; Mgn. 4 und die Aufzählung ad Pol. 6. 


427 


dass es ja nur ein Fleisch Christi gebe und einen Kelch, 
welcher den Zweck habe, mit dem Blute Christi zu einigen. 
Ist die Einzigkeit des Kelchs nicht anders gemeint, als die 
Einzigkeit des Fleisches Christi, so scheint daraus entweder 
nichts oder die Absurdität zu folgen, dass nur die zu gemein- 
samem Handeln versammelte Christenheit des Erdkreises das 
Abendmahl recht feiern könne. Man hilft dem auch nicht ab, 
wenn man μέα σάρξ für einen aus der dogmatischen Ansicht des 
Ignatius vom Abendmahl (vgl. Sm. 7) zu rechtfertigenden 
Ausdruck für εἷς ἄρτος (Eph. 20; vgl. 1Kor. 10, 17) nimmt; 
denn die Einzigkeit des Brotes und des Kelches, an dem die 
Communicanten Theil nehmen, wäre ja nicht Voraussetzung 
der Forderung einheitlicher Abendmahlsfeier, sondern nur ein 
anderer Ausdruck für diese Forderung selbst. Es ist also vielmehr 
umgekehrt das ἐν ποτήριον nach dem vorangehenden μία σάρξ 
zu verstehen. Aus der Einzigkeit der leiblichen Natur Christi, 
welche aller Orten Object des Abendmahlsgenusses ist, wird 
die Forderung :der Einheitlichkeit der Abendmahlsfeier der 
Ortsgemeinde abgeleitet. Die Voraussetzung, welche ausge- 
sprochen sein müsste, wenn die Folgerung logisch richtig er- 
scheinen sollte, ist die, dass die Einzelgemeinde je an ihrem 
Theil und Ort die Christenheit, die Kirche, der Tempel, 
der Leib Christi ist, und dass in ihr das an sich selbst un- 
sichtbare Wesen, die sonst nicht darzustellende Einheit der 
Kirche zur Darstellung kommen soll. Ganz ähnlich wird 
Mgn. 7 (vgl. oben S. 340 und Κ΄. 345f.) das gleichfalls an eine 
einzelne Gemeinde gerichtete Gebot der Einheitlichkeit und 
Kirchlichkeit des Lebens durch Berufung auf die der Kirche 
gemeinsamen Güter begründet. Dass die Einzelgemeinde als 
gottesdienstliche ein einheitliches Ganze sein müsse, erscheint 
Phil. 4 dadurch begründet, dass sie eine einheitlich verfasste 
und regierte ist. Dem äusseren Thatbestand, dass es in diesen 
Gemeinden nur je „einen Bischof sammt Presbyterium und 
Diakonen gibt“, entspricht die Forderung, dass es nur „einen 
Altar‘ geben dürfe, oder, wie es vorher eigentlich ausgedrückt 
war, dass die Gesammtgemeinde des Orts nach gemeinsamer 
Feier der Eucharistie streben müsse. Aber, wie gesagt, im 


428 


Hintergrund solcher Ermahnungen steht die Idee einer noth- 
wendigen Congruenz zwischen Ortsgemeinde und Gesammt- 
kirche. 

Die Ortsgemeinde ist das verkürzte Abbild der Kirche, 
und nur in den Ortsgemeinden hat die Kirche ihre irdisch 
sichtbare Erscheinung. Im Gegensatz zu.der unter dem Bischof 
verfassten Ortsgemeinde spricht Ignatius — und seine Briefe 
sind das älteste Document dieses Sprachgebrauchs — von der 
allgemeinen Kirche!), welche auch schlechtweg_ die 
Kirche 3) heisst. Diese allgemeine Kirche ist überall da, wo 
Christus ist (Sm. 8); Christus oder Gott ist ihr Bischof’); 


a EEE 


1) Sm. 8: Ὅπου ἂν φανῇ 6 ἐπίσχοπος, &xei τὸ πλῆϑος ἔστω, ὥσπερ, 
ὅπου ὧν 1 Χριστὸς Ἰησοὺς, ἐκεῖ ἡ καϑολικὴ ἐχκλησία. Schon anders, 
nämlich im Gegensatz zu häretischen Sondergemeinden ist der Begriff 
der katholischen Kirche ınart. Polyc. 16 gerade auf die Einzelgemeinde 
von Smyrna angewandt. Wenn daher auch im Munde Polykarps selber 
ἁπάσης τῆς χατὰ τὴν οἰχουμένην χαϑολικὴς ἐκχλησίας (]. 1. 8 cf. 19) 
noch ganz gleichbedeutend sein mag mit τῶν xara τὴν οἰκουμένην €x- 
κλησιῶν (1. 1. 5), so wird doch in der Ueberschrift dieses Schreibens der 
Sınyrnäer „die heilige und katholische Kirche“, an deren „‚sämmtliche 
Parochien “ es gerichtet ist, zuverlässig auch im Gegensatz zu den 
Secten so genannt sein. Nur so erklärt sich auch die Ordnung der 
Attribute πάσαις, ἁγίας, καϑολικῆς. Ignatius dagegen spricht, wie viel- 
leicht auch noch Polykarp, von der katholischen Kirche im Sinn von 
Gesammtkirche im Gegensatz zur Einzelgemeinde. 

2) ad Pol. 5; Sm. 1; Phil. 5. 9; Eph. 17. Besonders deutlich ist 
Eph. 5: ὑμᾶς μακαρίζω τοὺς ἐνχεχραμένους αὐτῷ (sc. τῷ ἐπισκόπῳ) ὡς 
ἡ ἐκκλησία Ἰησοῦ Χριστῷ. Vielleicht ist statt ἐνχεχραμένους, welches 
durch ἀναχεχραμένους (f, mit doppeltem u in orvt) indireet, und wahr- 
scheinlich durch A L1 bestätigt wird, ἐνχρεμαμένους zu lesen, oder 
geradezu (nach an) ἐναχρεμαμένους (1,2 pendentes ad eum). Jedoch lässt 
. sich die Lesart des ΟἹ rechtfertigen durch Sm. 3, wo an seiner Iesart 
χραϑέντες nicht zu ändern ist. Das οὕτως ΟἹ L! muss dem αὐτῷ 
G2 L2 A weichen. 

3) Rom. 9: τῆς ἐν Συρίᾳ ἐκχλησίας, ἥτις ἀντὶ ἐμοῦ ποιμένι τῷ 
ϑεῷ χρῆται. Μόνος αὐτὴν Ἰησοῦς Χριστὸς ἐπισχοπήσει χαὶ ἡ ὑμῶν 
ἀγάπη. Dasselbe sagt die Vergleichung Eph. 5 (8. vorige Anmerkung) 
und das Wortspiel ad Pol. inser. cf. ad Pol. 8, wo an ἐπισχοπῇ (nach 
@1 Li und den meisten codd. G2) statt ἐπισκόπου (Aabl) festzuhalten 
ist. 8, ferner Mgn. 8: οὐκ αὐτῷ (dem Bischof) δὲ, ἀλλὰ τῷ πατρὶ 


429 


Christus selbst ist der untrennbare oder untheilbare Geist 1), 
welcher in dem einen aus Juden. und Heiden gesammelten 
Leibe seiner Kirche wohnt ?). Glieder dieser einen allge- 
meinen Kirche sind alle Christen als Glieder Christi (Tr. 11; 
Eph. 4); was sie aber dazu macht, ist nichts Aeusserliches, 
irgend wie örtlich Gebundenes und Individualisirtes, sondern 
ein Unsichtbares. Das Einheitsband der allgemeinen Kirche 
ist mit einem Wort das Christenthum, nämlich der gleiche 
von allen Zungen der Gläubigen in der Welt bekannte Glaube 3), 
die über alle räumlichen Grenzen übergreifende Liebe der 
Christen untereinander (Rom. 9), der gemeinsame Christenname 
und die gemeinsame Christenhoffnung *), der eine Gott, der 


. 
— 


Ἰησοῦ Χριστοῦ, τῷ πάντων ἐπισχόπῳ .... ἐπεὶ οὐχὶ (so nach Parall. 
rupef., p. 779, nequaquam 1,1 A, οὐχ ὅτι (1) τὸν ἐπίσχοπον τοῦτον τὸν 
βλεπόμενον πλανᾷ τις, αλλὰ τὸν ἀόρατον παραλογίζεται. ΟἿ, 1Petr. 
2, 20, Hebr. 18, 20; mart. Polye. 19. 

1) Mgn. 15: ἔρρωσϑε ἐν ὁμονοίᾳ ϑεοῦ, κεχτημένοι ἀδιάχριτων 
πνεῦμα, ὥς ἐστιν Ἰησοῦς Χριστός. In Tr. 1 bedeutet ἀδιώχριτος unge- 
schieden, einig, Eph. 3 entweder in sich untrennbar, d. 1. unauflöslich, 
oder untrennbar von Anderem, womit etwas verbunden ist; dagegen 
ἀδιακρέτως Phil. inser. zweifellos (cf. Clem. paed. II, p. 190 Pott. = μὴ 
ϑιαχρινόμενος Jacob. 1, 6), wieder anders ἀδιάχριτος Jacob. 3, 17 = or 
διαχρένων (cf. Clem., strom. II p. 474 extr.). 

2) Sm. 1 wird als Zweck der Annagelung Christi ans Kreuz oder 
seines gottseligen Leidens angegeben: iva don σύσσημον εἰς τοιὶς αἰῶνας 
διὰ τῆς ἀναστάσεως Eis τοὺς ἁγίους καὶ πιστοὺς αὐτοὺ εἴτε ἐν Ἰουδαίοις 
εἴτε ἐν ἔϑνεσιν ἐν Evi σώματι τὴς ἐχκλησίας αὐτοῦ. Vgl. Anh. I, 80. 

3) Mgn. 10: ὁ γὼρ Χριστιανισμός οὐχ εἰς Ἰουδαϊσμὸν ἐπίστευσεν, 
ἀλλ᾽ Ἰουδαϊσμοὸς εἰς Χριστιανισμόν, εἰς ὃν πᾶσα γλῶσσα πιστεύσασα εἰς 
ϑεὸν συνήχϑη. Da das letzte Verb durch alle Zeugen bestätigt wird, 
darf man dem sinnlosen @s — συνήχϑη (ΟἹ, Li congregaretur, oder 
nach caj. congregetur) nicht durch Aenderung in συνηχηϑῇ aufhelfen 
(so Dressel). Sfr. 202, 3 und dessen freie Wiedergabe in A führt auf 
eis ὃν πῶς ὁ πιστεύσας εἰς ϑεὸν συνήχϑη. Dadurch ist des G2 εἰς or 
als ursprüngliche Lesart bestätigt. Die gläubige Zuwendung zum 
Christenthum war die Form, in welcher alle Völker zu Gott. versammelt 
wurden. 

4) Eph. 1:... δεδεμένον ... ὑπὲρ τοῦ κοινοῦ ὀνόματος καὶ ἐλπίδος. 
Auch absolut wird τὸ ὄνομα Eph. 8. 7 gebraucht für den Christen- 
namen oder den Namen Christi, welchen die Christen tragen (cf. Rom. 9; 


480 


sich durch Christus offenbart hat, und der eine Christus 
(Mgn. 8. 7), das Kreuz Christi als das Feldzeichen, um wel- 
ches sich die Heiligen und Gläubigen aus Juden und Heiden 
zu einem Leibe sammeln (Sm. 1), und als dessen Zweige oder 
Früchte sich die Christen, die es wahrhaft sind, durch ihr 
Leben beweisen '), und überhaupt die in ihren Wirkungen 
fortlebenden geschichtlichen Erlösungsthatsachen, ferner das 
Evangelium, welches diese Heilsthatsachen verkündigt, und 
die Apostel, welche es nicht nur ehedem verkündigt haben, 
sondern noch immer eine darauf gegründete Auctoritätsstellung 
in der Kirche einnehmen als das Presbyterium der allge- 
meinen Kirche (Phil. 5; Anh. I, 29). Nur die zuletzt ge- 
nannten Stücke bedürfen einer näheren Betrachtung, da nicht 
unzweifelhaft ist, was dem Ignatius das Evangelium ist, und 
nicht sofort deutlich, inwiefern die verstorbenen Apostel neben 
dem lebendigen Gott oder Christus als Bischof der Kirche 
das Presbyterium desselben bilden sollen. 

An der zunächst angezogenen Stelle kann τὸ εὐαγγέλιον 
nicht das geschriebene Buch, sei es eine einzelne evange- 
lische Schrift, oder „das viergestaltige Evangelium‘, be- 
deuten, sondern nur ebenso, wie gleich nachher, wo es als 
Ziel schon der prophetischen Verkündigung erscheint ?), die 


Rom. inser.;, Sm. 12; Mgn. 10), aber auch für den Namen Gottes 
(Pbil. 10, wo gleich nachher ὑπὲρ τοῦ ὀνόματος ϑεοῦ). — Besonders 
häufig wird Christus selbst ἡ κοινὴ ἐλπὶς ἡμῶν genannt: Eph. 21; 
Phil. 11; cf Mgn. 11; Tr. inser. und 2. In Phil. 5 wird wahrschein- 
lich ἐν τῷ εὐαγγελίῳ, τῆς καιψῆς (statt des überlieferten ποινῆς) ἐλπίδος 
zu lesen sein (cf. Mgn. 9). 

1) Tr. 11 heisst es von den schleehten Nebenschösslingen, den 
Häretikern: „Diese sind nicht eine Pflanzung des Vaters; denn, weun 
sie es wären, würden sie als Zweige des Kreuzes erscheinen, und würde 
ihre Frucht unvergänglich sein — durch welches [Kreuz] er (d. i. Chri- 
stus) euch zu sich ruft, die ihr seine Glieder seid. Daher kann das 
Haupt nicht ohne Glieder sein, da Gott Einigung verheisst, welche er 
selbst ist.“ Vgl. oben 8. 349, Anm. 3. Ueber Sm. 1 9. Anh. 1, 30 

2) Phil. 5: καὶ τοὺς προφήτας δὲ ἀγαπῶμεν, διὰ τὸ καὶ αὐτοὺς 
εἰς τὸ εὐαγγέλιον χατηγγελκέναι καὶ εἰς αὐτὰν ἐλπίζειν x. τ. Δ. Ch. c.9: 
Οἱ γὰρ ἀγαπητοὶ προφῆται κατήγγειλαν εἰς αὐτόν (ἃ, i. Christus), τὸ 
δὲ εὐαγγέλιον ἐπάρτισμά ἐστιν ἀφϑαρσίας. 


431 


neutestamentliche Heilsbotschaft, ganz abgesehn davon, in 
welcher Form sie an die Einzelnen gelangt. An dieser Ver- 
kündigung hat die geschichtliche Erscheinung Jesu, die durch 
ihn geschehene Erlösung eine dauernde Vergegenwärtigung. 
Indem der Mensch zum Evangelium seine Zuflucht nimmt, 
kommt er zu dem im Fleisch erschienenen Christus. In der 
Gestalt des Evangeliums tritt der geschichtliche Christus den 
Heilsbedürftigen entgegen, und in Gestalt des Glaubens an 
das Evangelium gewinnen diese Christum. Das will die Ver- 
gleichung des Evangeliums mit dem Fleisch Jesu besagen !). 
Die Apostel aber sind die vornehmsten Verkündiger desselben. 
Unmittelbar hat das Ignatius weder hier noch sonst auszu- 
sprechen Gelegenheit gehabt ?); aber mittelbar ist es doch 
deutlich genug damit ausgesprochen, dass auch die Propheten 
auf das Evangelium hin gepredigt haben sollen. Die Apostel 
also zunächst haben es gepredigt. Da sie aber ebensowenig 
wie die Propheten und die Geschichte Christi an sich selbst 
eine irdische Gegenwart haben, so setzt das, was Ignatius von 
ihnen sagt, nothwendig voraus, dass sie ebenso wie das Fleisch 
Christi und die Propheten an etwas Anderem, als sie selbst 
sind, ein Mittel zur Vergegenwärtigung und dauernden Wir- 
kung haben. Zu den Aposteln seine Zuflucht nehmen kann 
man nur dann, und das, was das Presbyterium für die Einzel- 
gemeinde ist, können sie nur dann sein, wenn ihr Wort 
ebenso wie das der Propheten in einer der dermaligen Kirche 
gegenständlichen Gestalt, also in apostolischen Schriften, vor- 
liegt. Da die Apostel hier nicht in ausschliessendem Gegen- 
satz zu dem Evangelium stehn, sondern vielmehr vor und 
neben den Propheten als Verkündiger des Evangeliums in 
Betracht kommen, so ist von vornherein ausgeschlossen, dass 
hier die apostolischen Briefe im Gegensatz zu den angeblich 
vorher genannten Evangelien gemeint sein sollen ?). Es treten 


1) Ein Vergleich ists allerdings; cf. Pears. II, 197. 

2) Vgl. dagegen Clem. ad Corinth, I, 42; Herm. sim. IX, 16. 17; 
Pol. 6. 
3) Gegen dies alte Misverständnis vgl. schon Lessing, Ausg. von 


452 


vielmehr neben die stets neu entstehende Heilsverkündigung, 
welche ihren Lauf fortsetzen würde, gleichviel, wer sie ver- 
kündigt, und ob sie auch schriftlich vorhanden ist, die mas- 
gebenden ersten Verkündiger derselben, die Apostel, diese aber 
nicht als geschichtliche Erscheinung der Vergangenheit, sondern 
als gegenwärtige Auctorität, an die man sich anlehnt, und 
bei der man Rath holt. Hat nun dies zur :unerlässlichen 
᾿ Voraussetzung, dass die Apostel Denkmäler hinterlassen 
haben, durch welche sie zu der Kirche auch der Folgezeit 
reden, so folgt weiter auch, dass diese Denkmäler, dies 
apostolischen Schriften, nicht einen ausschliessenden Gegen- 
satz zum Evangelium bilden sollen, sondern gerade als die 
massgebende schriftliche Verkündigung desselben gedacht wer- 
den. Es ist im Anhang III nachgewiesen, in welchem Mass 
und Umfang apostolische Schriften für Ignatius und die Kirche 
seiner Zeit bereits Auctorität geworden sind. Hier gilt es 
zunächst nur festzuhalten, dass ihm die Apostel und zwar 
nicht die verstorbenen, sondern die in ihren Schriften ver- 
ewigten Apostel zu dem bleibenden Bestand der Kirche ge- 
hören, zu welchem jeder zum christlichen Glauben sich be- 
kehrende Mensch ein Verhältnis gewinnt. Ferner ist deutlich, 
dass hier [mündliches] Evangelium und [Schriften der] Apostel 
zur alttestamentlichen Offenbarung einen Gegensatz bilden, 
welcher sonst kürzer durch „Evangelium“ und ‚ Propheten“ 
ausgedrückt wird !). Das blosse Wort τὸ εὐαγγέλιον weist, 
wie gesagt, nicht auf schriftliche Urkunden der neutestament- 


Maltzahn XI, B, 237 vgl. 188. — Es würden hierdurch die Apostel in 
einer schwer denkbaren Weise von jeder Autorschaft in Bezug auf die 
Evangelien ausgeschlossen. Dies auch gegen Jo. Delitzsch (de inspir. 
script. sacrae quid statuerint patres apostolici οἷο, 1872, p. 64sgq.). 
welcher selbst ähnlich gegen die Meinung argumentirt, dass hier münd- 
liche Heilsverkündigung und apostolische Lehre unterschieden würden. 
1) So Phil. 9; Sm. 7: προςέχειν δὲ τοῖς προφήταις, ἐξαιρέτως δὲ 
τῷ εὐαγγελίῳ, ἐν ᾧ τὸ πάϑος ἡμῖν δεδήλωται xal ἡ ἀνάστασις TEIE- 
λείωται. Sm. 5: οὗς οικ ἔπεισαν αἱ προφητεῖαι οὐδ᾽ ὁ νόμος Μωσέως, 
daR” οὐδὲ μέχοι νῦν τὸ εὐαγγέλιον οὐδὲ τὰ ἡμέτερα τῶν χατ᾽ ἄνδρα 


παϑήματα, --- Vgl. die Aufzählung bei Clem. Al. quis div., p. 961 Pott, 


433 


lichen Offenbarung. Es kann z. B. auch Sm. 5 die flüssige 
mündliche Verkündigung bedeuten, obwohl es den „Prophe- 
tieen“ und dem „Gesetz Mosis“ coordinirt ist, also den schrift- 
lichen Urkunden der alttestamentlichen Offenbarung, welche 
überhaupt gar nicht anders als in ihren schriftlichen Ur- 
kunden den Christen zugänglich sind und auf die Gegen- 
‘wart wirken. Denn den gleichen Rang «eines Zeugnisses gegen ἢ 
die Irrlehrer erhalten dort die je und dann sich ereignenden 
Martyrien. Wieviel mehr kann die stetige Predigt des Evan- 
geliums dazu dienen! Anders steht’s mit Sm. 7; denn schon 
die Tempusform 3), in welcher dort der das Evangelium vor den 
Propheten auszeichnende Offenbarungsinhalt angegeben wird, 
zeigt, dass es dem Ignatius geläufig ist, das Evangelium auch 
als die ein- für allemal vollbrachte und seitdem objectiv vor- 
liegende, als Auctorität der Gemeinde gegenüberstehende neu- 
testamentliche Heilsverkündigung vorzustellen. Das heisst mit 
anderen Worten, die neutestamentliche Offenbarung, das Evan- 
gelium im weitesten Sinn des Worts, ist für ihn bereits schrift- 
geworden, wie die alttestamentliche. Das bezeugt auch sein 
Bericht über die Disputation mit den Irrlehrern (Phil. 8; 
8. oben 8. 373ff.). Es gibt bereits ἀρχεῖα, welche die neu- 
testamentlichen Heilsthatsachen beurkunden, und auch diese 
Schriften können τὸ εὐαγγέλιον genannt werden, und deshalb 
kann dies Wort als näherbestimmende Apposition zu τὰ 
ἀρχεῖα hinzutreten. Ignatius selbst weist mit einem γέγραπ- 
ται ?) auf-diese anerkannten Urkunden der christlichen Offen- 


1) Den Aorist oder das Präsens hätte Ignatius wählen müssen, wenn er 
an das geschichtliche Factum der grundlegenden Predigt der Apostel 
oder an die fortlaufende kirchliche Verkündigung gedacht hätte. 

2) Nur noch zweimal gebraucht es Ignatius und zwar zur Ein- 
führung alttestamentlicher Aussprüche: Eph. 5 wird Prov. 3, 34; 
Mgn. 12 Prov. 18, 17 so eitirt. Ausserdem scheint nur noch Tr. 8, 
wie schon der Uebergang in Rede Gottes zeigt, eine wörtliche Anführung . 
beabsichtigt. Genau ist sie nicht, denn das einleitende ovai di’ οὐ 
findet sich weder Jes. 52, 5, noch Röm. 2, 24 (vgl. 1Tim. 6, 1), noch 
auch Clem. ad Cor. I, 1. 47 (vgl. meine Schrift über Hermas, S. 407f.), 
sondern nur bei Schriftstellern, die sonst von Igmatius sich abhängig 
zeigen (8. oben 5. 294, Anm. 1). Wichtiger für die vorliegende Frage. 

Zahn, Ignatius. 28 


434 


barung hin; der Streit dreht sich nur darum, ob diese Ur- 
kunden eben das bezeugen, was Ignatius mit der Kirche 
darin findet, was er aber auch als unverrückbare Grundlage 
des Christenthums festhalten würde, wenn es kein schrift- 
liches Zeugnis dafür gäbe. Dass aber Ignatius, anstatt einen 
ziellosen exegetischen Streit mit Leuten fortzusetzen, welche 
nicht von Christus lernen, sondern Recht behalten wollen, 
sich auf die Selbstgewissheit des kirchlichen und seines per- 
sönlichen Glaubens zurückzieht, beweist nichts gegen die Be- 
deutung des schriftgewordenen Evangeliums für die Kirche 
seiner Zeit. Die Coordinirung von ‚Evangelium und Aposteln 
in Phil. 5 beweist vielmehr, dass ihm gewisse Schriften, in 
welchen das Evangelium concret geworden ist, als apostolische 
Verkündigung des Evangeliums und Halt der Kirche gelten. 

Die neutestamentliche Offenbarung, deren Verkündigung 
das schriftliche wie das mündliche Evangelium ist, besteht in 
Thaten und Leiden, aber auch in Worten Christi. Wenn in 
der Bezeichnung Christi als λόγος ϑεοῦ (Mgn. 8), als γνώμη 
τοῦ πατρός (Eph. 3), als γνῶσις ϑεοὺῦ (Eph. 17) zunächst auch 
nur der allgemeinere Gedanke ausgesprochen ist, dass Christus 
in seiner ganzen geschichtlichen Erscheinung die vollkommene 
Offenbarung Gottes, der zur Person gewordene Heilsgedanke 
und Heilswille Gottes ist, so ist doch, wenn man verstehen 
will, was „das Evangelium‘ des Ignatius ist, nicht zu über- 
sehn, welches Gewicht er gerade auch 'auf die Worte Jesu, 
sowohl auf die Gebote 1) als auf die Lehre, legt. Christus ist 
der untrügliche Mund, durch welchen der Vater wahrhaft ge- 


ist, dass bei Ignatius altttestamentliche Anklänge unvergleichlich seltener 
sind als neutestamentliche. Unverkennbare Bezugnahmen finden sich 
Sin. 1 auf Jes. (5,.26;) 49, 22: 62, 10 und Mgn. 13 auf Ps. 1, 21. 
An letzterer Stelle ist unbedingt mit Li (prosperentur cf. Ps. 1, 3 nıl- 
gata) χατευοδωθῇ zu lesen (cf. G2). Die Bevorzugung von χατευοδωϑῆτε 
Gi würde dem Ignatius einen ihm völlig fremden griechischen Accusativ 
πάντα aufbürden, er entstand aus der unrichtigen Verbindung dieses 
Verbs mit σαρκὶ καὶ πνεύματι. | 

1) Eph. 9; Rom. inser.; Mgn. 2. Vgl. hiezu und zu allem Folgen- 
den die Charakteristik der pseudoclementinischen Ansichten in meiner 
Schrift über Hermas, ὃ. 145f. 


435 


redet hat ). Seine Worte waren Thaten, wie seine stummen 
Thaten ein würdiger Ausdruck des göttlichen Willens waren ?). 
Wie die köstliche Salbe, die er sich übers Haupt giessen liess, 
das Haus mit Duft erfüllte, so hat sich von ihm aus die be- 
lebende Heilslehre in der Kirche verbreitet 8), ἃ. 1. der Gottes- 
glaube, um dessentwillen er sich hat kreuzigen lassen (Eph. 16; 
Mg. 9). Wer das Wort Jesu wahrhaft besitzt, kann ihn 
auch jetzt vernehmen, wo er äusserlich betrachtet schweigt 
(Eph. 15). In der That redet er auch jetzt noch zu 
den Christen und ist ihr einziger Lehrer, ausser dem sie 
keinen anderen hören (vgl. auch Eph. 6; Mgn. 9). So konnte 
man von den Worten Jesu nicht reden und hat es, wie die 
neutestamentlichen Briefe zeigen, nicht gethan, ehe die münd- 
liche Predigt Jesu selber in anerkannt glaubwürdigen Schriften 
der Kirche vorlag, ehe auch diese Seite seiner geschichtlichen 
Erscheinung, um mit Phil. 5 zu reden, an einem [geschrie- 
benen] Evangelium eine zweite, nun aber bleibende sarkische 
Existenz gewonnen hatte. Nur dann ist es auch zu verstehn, 
wie neben das Zeugnis, welches Jesus den Propheten ertheilt 
hat, die Erwähnung derselben im Evangelium der neuen 
Hoffnung treten kann‘), Da das mündliche Zeugnis Jesu 
Bestandtheil des Evangeliums geworden ist, so haben die 


1) Rom. 8; of. Clem. ep. ad Jacob. 1. 

2) Eph. 15. Das von A G2 L2 (autem) nicht bestätigte οὖν zwi- 
schen εἰς und διδάσχαλος (GI 1,1. Antioch. mon. hom. 22, p. 50E) ist 
festzuhalten. Da es nur dann etwas Schönes ist, zu lehren, wenn dem 
Wort die That entspricht, so sei Christus unser Meister, d. h. so lasst 
uns ihm nachfolgen, bei dem beides in schönstem Einklang stand. 
Δδιδάσχαλος ist er zunächst als der Redende; aber auch in seinem Thun 
ohne Worte will er als Lehrmeister erkannt und gleichsam gehört werden 
von denen, welche durch Aneignung seines Worts seine Schüler geworden 
sind. Durch Nachahmung Jesu sollen und. können sie nach der Voll- 
kommenheit streben, dass auch sie durch ihre Worte Thaten thun und 
dureh ihr schweigsames Handeln als das, was sie sind, erkannt werden. 

3) Eph. 17. Das ἀφϑαρσίαν ist nach Phil. 9fin. zu erklären. Vgl. 
auch 2Kor. 2, 16. 

4) Phil. 5 heisst es von den Propheten: ὄντες «dieyannrol καὶ 
εἐξιοϑαιΐμαστοι üyıo, ὑπὸ Ἰησοῦ Χριστοῦ μεμαρτυρημένοι χαὶ συνηριϑαη- 
μένοι ἐν τῷ εὐαγγελίῳ τῆς καὶν ἧς (8. oben S. 429, Anm. 4) ἐλπίδος. 

28} 


486 


Propheten, denen jenes gilt, ebem damit eine Stelle in diesem 
gefunden ; sie finden sich in diesem mitaufgezählt als Genossen 
der neutestamentlichen Hoffnung. Es heisst nicht, dass man 
sie, wo man das Evangelium predigt, mitaufzählt; somit kann 
auch τὸ εὐαγγέλιον nur das schriftlich fixirte Evangelium sein, 
die in Schriften objectivirte apostolische Verkündigung der 
neutestamentlichen Offenbarung. Dass Ignatius darum die 
Verfasser dieser Schriften durchweg für Apostel gehalten habe, 
oder dass er nur diejenigen apostolischen Schriften, welche 
Evangelium im engeren Sinn des Wortes enthalten, als Auc- 
torität betrachtet habe, folgt natürlich nicht aus Phil. 5. 
Schon, dass er die Apostel als das Presbyterium der Kirche 
betrachtet 1), verwehrt diese Einschränkung. Der eigenthüm- 
liche Beruf der Presbyter ist nicht die Predigt .des Evange- 
liums, sondern die Regierung der Gemeinde unter der oberen 
Leitung des Bischofs, und die damit ihnen obliegende Lehre 
ist zunächst Anweisung zum richtigen Verhalten. Und gerade 
unter diesem (Gesichtspunct betrachtet Ignatius vornehmlich 
die Lehre der Apostel. Das διατάσσεσθϑαι ist die den Aposteln 
zustehende Form schriftlicher Belehrung der (Gemeinden, 
welche Ignatius sich nicht anmassen will (Tr. 3; Rom. 4). 
Die διατάγματα. τῶν ἀποστόλων (Tr. 7) sind Normen, von 
welchen sich das Gemeindeleben nicht entfernen darf. Da 
aber die Apostel „sich Christo und dem Vater und dem 
heiligen Geiste unterordneten‘‘ (Mgn. 13), da ferner Christus 
ebenso durch sie, als vorher unmittelbar durch sich selbst 
handelte (Mgn. 7), und da endlich das Evangelium, welches 
auch die Worte Jesu enthält, durch die mündliche und schrift- 
liche Verkündigung der Apostel der Kirche vermittelt ist, so 
liegt nur ein ampflificirender Ausdruck desselben Gedankens 
vor in der Ermahnung: σπουδάζετε οὖν βεβαιωθϑῆναι ἐν τοῖς͵ 
δόγμασιν Tor κυρίου καὶ τῶν ἀποστόλων (Mgn. 18). Darum 
eben, weil die Apostel die Gebote und Anordnungen des 
obersten Bischofs, Christi oder Gottes, der Kirche nicht bloss 
einmal verkündigt haben, sondern noch immer durch ihre 


1) Vgl. ausser Phil. 5 noch Tr. 2. 3; Sm. 8; Mgn. 6. 7. 


437 


Schriften verkündigen, vergleicht sich ihre Stellung zur Ge- 
sammtkirche mit der des Presbyteriums zur Einzelgemeinde. 
Sie bilden ein einheitliches Collegium wie die Presbyter jeder 
Gemeinde. Ignatius weiss nichts von einem trennenden Unter- 
sehied unter ihnen. Er nennt neben Paulus den Petrus 
(Rom. 4), spricht von einem συνέδριον τῶν ἀποστόλων Men. 6, 
einem σύνδεσμος ἀποστόλων (Tr. 3) und sieht „die Apostel“ 
ohne Unterschied als Organ der regierenden und gesetz- 
geberischen Thätigkeit Christi (Mgn. 7. 13), und als mass- 
gebende Verkündiger des Evangeliums an (Phil. 5). Er theilt 
also die Ueberzeugung der altkatholischen Kirche, dass es eine 
einheitliche apostolische Lehre gibt, an welche die nach- 
folgenden Generationen der Kirche gebunden sind 1). 

Es ist nicht die Gewohnheit des Ignatius, sich auf einzelne 
evangelische Mittheilungen, Lehraussagen und Anordnungen 
der Apostel und damit auf die ἀρχεῖα des Christenthums zu 
berufen; sondern dieses selbst, die geschehenen Heilsthat- 
sachen, welche im Glauben der Kirche und in ihren beseligen- 
den F'olgen fortleben, die Stiftungen Christi und der Apostel, 
welche überall in der Kirche gehalten werden, und vor allem 
die dermalen unsichtbare Einwohnung Christi ?), diese Gemein- 
güter aller Christen sind die Einheitsbande, welche sie zur 
Kirche vereinigen. Diese allgemeine Kirche, zu welcher die 
auf einander folgenden Geüerationen der Christenheit, und 
selbst die alttestamentlichen Frommen, die Jesus auferweckt 
hat 3), gehören, ist ihrem Wesen und ihren wesentlichen 


— --.Ῥ.Ὕ -᾿ -- 


1) Vgl. z. B. Clem. Al. strom. VII, p. 900: μέα γὰρ ἡ πάντων γέγονε 
ἀποστόλων ὥσπερ διδασκαλία οὕτως δὲ καὶ ἡ παράδοσις. 

2) Vgl. besonders Eph. 15fin. mit Mgn. 15fin.; Rom. 6 fin. 

3) Phil. 9 heisst es nach Aufzählung aller derer, welche durch 
Christus als die Thür zu Gott eingehn, nämlich der Patriarchen, Pro- 
pheten, Apostel und der Kirche: πάντα ταῦτα eis ἑνότητα ϑεοῦ, Dies 
ist aber nur ein Ausdruck für die „communio sanctorum “ (cf. Phil. 5 in 
ähnlichem Zusammenhang ἐν ἑνότητι Ἰησοῦ Χριστοῦ: cf. Phil. 8. 8), 
während ἡ ἐκχλησία vorher die gläubigen Christen im Unterschied von 
den vorchristlichen Frommen bezeichnet. S. oben S. 315, Anm. 3. Die 
Sache versteht sich nach den sonstigen Aussagen über die Propheten 
Phil. 5; Mgn. 8. 9 von selbst. 


438 


Elementen nach unsichtbar. Aber trotz des Mangels äusserer 
Darstellung ihrer Ganzbeit und Einheit ist Einheit ihr wesent- 
lich. Haupt und Glieder, Christus und Gemeinde, aber auch 
die Glieder der Gemeinde unter einander sind untrennbar. 
Gott selbst, mit dessen Gegenwart Einheit gegeben ist, ver- 
heisst der Kirche die Erreichung des in ihrer Idee als Leib 
Christi ausgesprochenen Zieles (Tr. 11; cf. Eph. 5). Vor- 
läufig kommt die Einheit der Kirche und die allgemeine 
Kirche selbst nur in der Einzelgemeinde zur Erscheinung. 
Die Glieder der Einzelgemeinde aber theilen nicht nur das 
miteinander, was aller Christen Gemeingut ist, sondern unter 
ihnen kommt auch die innere Zusammengehörigkeit und geist- 
liche Einheit der Christen zu einer stetigen Darstellung in 
örtlicher Begrenzung und sichtbarer Aeusserlichkeit. Es gibt 
für die Vorstellung des Ignatius wie in der damaligen Wirk- 
lichkeit nur Einzelgemeinden ohne äusserliche Verbindung 
‚unter einander, aber auch eine ihrem Wesen nach unsichtbare 
allgemeine Kirche, welche mehr ist als die Summe der Ein- 
zelgemeinden, weil sie über die irdische Sichtbarkeit über- 
greift. In jeder Einzelgemeinde, also in jedem ihrer sicht- 
baren Theile, stellt sich diese allgemeine Kirche abbildlich 
dar !). Was aber die Einzelgemeinde zu einem besonderen 
Theile der Kirche macht, worin sich das Ganze nach ver- 
jüngtem Massstab darstellt, ist zunächst der Ort, an dem sie 
wolnt, der Raum, der sie von anderen Christen trennt, also 
nach der Ausdrucksweise des Ignatius etwas Fleischliches 
(Rom. 9). Daher scheut er sich auch nicht, das besondere 
Verhältnis zwischen der Einzelgemeinde und ihrem Bischof 
als ein sarkisches zu bezeichnen 3. Wie heilsam und heilig 


1) Dieselbe Anschauung liegt übrigens der Ausdrucksweise des 
Paulus (vgl. 1Kor. 3, 9—17 wit Eph. 2, 20—22) zu Grunde, und ebenso 
den Visionen des Hermas, dem die römische Gemeinde mit der Kirche 
aller Orte und Zeiten in Eins zusammenfliesst. 

2) Eph. 1; 8. oben S. 254, Anm. 1. Vgl. den Gegensatz des sicht- 
baren und des unsichtbaren Bischofs, an dessen Stelle nachher der von 
σέρξ und ϑεός tritt, Mgn. 3. 


459 


es sein mag, es gehört der Welt der Erscheinung an. Gerade 
im Gegensatz zu der aller sichtbaren Organisation ermangeln- 
den Gesammtkirche ist die Ortsgemeinde für die nächste Be- 
trachtung eine irdisch menschliche Genossenschaft. Aber sie. 
ist Kirche, in ihr wohnt Gott und Christus. Ist überall da, 
wo Christus ist, die katholische Kirche, so ist diese in jeder 
Einzelgemeinde, das Unsichtbare im Sichtbaren, das Allge- 
meinen im Besonderen. Dass die Gemeinde einen Menschen 
zum Bischof hat, hebt ihre Beziehung zu dem ‚unsichtbären 
Bischof“ (Mgn. 3) natürlich nicht auf und. macht sie nicht 
überflüssig. Man kann von einer augenblicklich ihres Bischofs 
beraubten Gemeinde sagen, Gott oder Christus allein sei ihr 
Hirt und Bischof (Rom. 9); aber eben damit ist gesagt, dass 
er es auch da ist, wo es einen sichtbaren Bischof gibt (ad 
Pol. inser. u. 8; Mgn. 3). Von da aus wollen die Ver- 
gleichungen zwischen den Gemeindevorstehern und den un- 
sichtbaren Regierungsgewalten der Kirche verstanden werden. 

Ist die Ortsgemeinde Typus der Kirche, so ist der Bischof, 
welcher einzig in seiner Art die Gemeinde regiert, selbst- 
verständlich Typus Gottes oder Christi (Tr. 2. 3; Mgn. 6; 
Anh. I, 22), Typus aber mit der zwiefachen Bestimmtheit, 
dass er sichtbarer oder sarkischer Weise ist, was Gott oder 
Christus unsichtbarer oder geistlicher Weise ist, und dass er 
es in dem engeren Kreis der Ortsgemeinde ist, während Gott 
oder Christus es für die Kirche des Erdkreises und aller 
Zeiten ist, nämlich Aufseher, Hirt ἢ), Regent. Sehr nahe lag 
es dann weiterhin, das Presbytercollegium dem Apostelcolle- 
gium zu vergleichen, zumal wenn ihm bekannt war, dass ein 
Apostel die Gemeindeältesten als ihr συμπρεσβύτερος ange- 
redet hatte (1 Petr. 5, 1) und ein anderer freilich in anderem 
Sinn den Namen ὁ πρεσβύτερος ständig geführt hatte ?). 
Wie Christus die Apostel von seinen Rathschlüssen in Kennt- 
nis gesetzt und zur Ausführung seiner Entschliessungen in 


-..............-..- 


1) Vgl. ausser Roın. 9 noch Phil. 2. 
2) 2Joh. 1; 3Joh. 1. Vgl. Stud. u. Krit. 1866, 5. 664f. und Vor- 
rede zum Hermas, ὃ. VIff. 


440 


Bezug auf die Kirche berufen hat, so ähnlich wird sich 
innerhalb der Einzelgemeinde das Verhältnis des Bischofs zu 
den Presbytern ganz abgesehn von den Wünschen des Ignatius 
gestaltet haben, wo der monarchische Episkopat bestand. Für 
die Diakonen blieb keine Stelle in dieser Vergleichung; es 
findet sich keine ebenso stetige Parallelisirung derselben mit 
einem Element der unsichtbaren allgemeinen Kirche. Wo 
Gott und nicht Christus als Urbild des Bischofs vorgestellt 
wird (Mgn. 6; Tr. 3), werden die Diakonen mit Christus, 
dem διάχονος πάντων, um mit Polykarp zu reden (ad Philipp. 6), 
verglichen. Wo dagegen Christus statt Gottes als oberster 
Bischof und Urbild des Bischofs vorgestellt wird, wird die 
Ehrerbietung gegen die Diakonen der Achtung vor den Ge- 
boten Gottes gleichgestellt 1). 

Sind die Christen eines Ortes erst dadurch, dass sie ein 
unter Bischof, Presbytern und Diakonen verfasstes Gremein- 
wesen sind, eine Kirche, ein die Idee der Kirche darstellen- 
des Ganze (Tr. 3; 8. oben S. 300), so ergibt sich die Forde- 
rung der Unterordnung unter die Gemeindevorsteher von selbst 
aus dem Wesen der Kirche, welche in der Einzelgemeinde 
zur Darstellung kommen soll. Aber auch ohne Rücksicht auf 
die Idee der allgemeinen Kirche gilt die Einheit des ge- 
‘meindlichen Lebens als der normale, dem religiösen Leben- 
förderlichste Zustand und Kirchlichkeit aller Cultushandlungen 
als die dem Wesen dieser Handlungen entsprechende Ausübung. 
Nun aber hat die Gemeinde an ihrer Obrigkeit, und be- 
sonders an dem-einen Bischof ihre in die Erscheinung tretende 
Einheit, und alles, materiell betrachtet, kirchliche Handeln ?) 


nen 


1) Sm. 8: τοὺς δὲ διαχόνους ἐντρέπεσϑε ὡς ϑεοῦ ἐντολήν. Dasselbe 
wird Tr. 13 vom Bischof gesagt; Mgn. 2 wird der Diakonus Zotion gelobt, 
ὅτι ὑποτάσσεται ἐπισχόπῳ ὡς χάριτι ϑεοῦ καὶ τῷ πρεσβυτερίῳ ὡς νόμῳ 
Ἰησοῦ Χριστοῦ. Dass damit nicht etwa die einzelnen Aemter als gött- 
liche Gebote, als von Gott und Christus gebotene Institutionen bezeichnet 
werden sollen, sondern nur rücksichtlich ihrer Ehrwürdigkeit damit ver- 
glichen werden, sieht man deutlich in Tr. 13: τῷ ἐπισχόπῳ ὡς τῇ 
ἐντολῇ. Der Bischof kann doch nicht das eine Gebot Gottes sein. 

2) Sm. 8: τὰ ενήχοντα εἰς τὴν ἐκκλησίαν. 


441 


wird formell kirchlich erst dadurch, dass es dürch die die 
Gemeinde vertretenden Vorsteher und unter deren Leitung 
geschieht, während es im anderen Fall ein privates Handeln 
ist ἢ). Daher gehen bei Ignatius die Ermahnungen zur Pflege 
der Gemeindeeinheit und zu kirchlicher Ausgestaltung des 
religiösen Lebens stets Hand in Hand mit der Ermahnung 
zur Unterordnung unter die Vorsteher. Enger Zusammen- 
schluss aller Gemeindeglieder in einmüthigem Gehorsam und 
fester Anschluss Aller an Bischof und: Presbyter ist allseitige 
Heiligung des Gemeindelebens 3. Weil in Ephesus die Pres- 
byter mit dem Bischof zusammenstimmen, und die Gemeinde- 
glieder sich der Uebereinstimmung mit dem Bischof befleissigen, 
so bilden sie insgesammt einen Christus preisenden Sänger- 
chor 5. In göttlicher Eintracht Alles thun, heisst, es unter 
der Leitung der Vorsitzenden thun (Mgn. 6). Absonderung 
von dem gemeinsamen Gottesdienst ist geradezu Auflehnung 
gegen den ihn leitenden Bischof, und ein von den Vorstehern 
unabhängiges kirchliches Handeln ist Selbstausschluss aus der 
in gemeinsamem Gottesdienst sich darstellenden kirchlichen Ge- 
meinschaft (Eph. 5; Tr. 7; oben 8. 340 f.). 

Der gewöhnliche Ausdruck für das richtige Verhalten 


1) Vgl. besonders Mgn. 7, wo ἄνευ τοῦ ἐπισκόπου καὶ τῶν πρεσβυ- 
τέρων soviel heisst wie ἐδίᾳ und den Gegensatz bildet zu ἐπὶ τὸ ao 
(8. oben S. 345£.). Nach Eph. 5 ist das Gebet der ganzen Gemeinde das 
(tebet des in ihrem Namen betenden Bischofs. Es ist das keine Theorie, 
sondern einfachste Wiederspiegelung der Wirklichkeit. 

2) Eph. 2. Der von ΟΣ beeinflusste mediceische Text ist nach 
Li A zu purificiren und so zu lesen: ἕνα, ἐν μιᾷ ὑποταγῇ κατηρτισ- 
μένοι, ἐπιτασσόμενοι τῷ ἐπισκόπῳ καὶ τῷ πρεσβυτερίῳ, κατὰ πάντα 
ἦτε ἡγιασμένοι. Dass sich statt des seltenen ἐπιτασσόμενοι ein ὑπο- 
τασσόμενοι einschlich, bedarf keiner Erklärung; eine Spur des Ursprüng- 
lichen zeigt 1,3, nur an verkehrter Stelle, wenn man mit mrgpl „in una 
praeceptione “ (ἐπιταγῇ statt ὑποταγῇ) liest statt „,perfectione“ der Uebrigen. 
Hinter dem Bischof und den Presbytern drein sollen sich Alle in Reih 
und Glied aufstellen. Bei κατηρτισμένοι fiel dem Iıtterpolator die richtige 
Parallele 1Kor. 1, 10 ein. 

3) Eph. 4. Die Cither (Bischof) mit ihrem Saitenspiel (Presbyter) 
leitet den Gesang des Chors (Gemeinde). 


442 


gegen die Vorsteher ist ὑποτάσσεσϑαι !), daneben ἐντρέπε- 
σϑαι ἢ. Aber es ist wohl zu beaclıten, dass Ignatius mit 
beiden Worten auch das gegenseitige Verhalten aller Ge- 
meindeglieder beschreibt, welche sich gegenseitig nicht fleisch- 
lich, sondern als Glieder der Gemeinde ansehn und darauf 
bedacht sein sollen, Einheit und Frieden zu wahren 8). Im ge- 
gliederten Gemeinwesen ist überhaupt, wie schon Clemens im 
Brief an die Korinther eifrig gepredigt hatte, Einheit und 
Einigkeit nicht möglich: ohne eine mannigfach abgestufte und 
auch wechselseitige Unterordnung. Im Verhältnis zu den 
von Amts wegen Leitenden ist selbstverständlich die Einheit 
mit ihnen *) wesentlich nur in Form der Unterordnung unter 
sie zu pflegen. Aber es ist wiederum nicht zu übersehn; 
dass die stärksten Vergleiche, wodurch die erforderliche 
Unterordnung unter die Oberen veranschaulicht wird, auch 
für das gegenseitige Verhältnis der Christen zu einander ge- 
braucht werden (vgl. Mgn. 13 mit Mgn. 7). Es ist ferner 
nur eine Mannigfaltigkeit. des Ausdrucks für den gleichen 
Gedanken, wenn Ignatius bald die Träger aller drei Ge- 
meindeämter 5), bald Bischof und Presbyter ©), bald den 


1) Men. 2. 13; Tr. 2. 13; ad Pol. 6. Das Substantiv Eph. 2; in 
einer Erınahnung an den Bischof (ad Pol. 2): τοὺς λοιμοτέρους ἐν 
πραύτητι ὑπότασσε. Sehr häufig gebraucht ὑποτάσσεσϑαι Clemens (ad 
Corinth. I, 1. 2. 38. 57). Weitere Synonyma sind ἐπιτέσσεσϑαι Eph. 2 
(s. 5. 441, Anın. 2), ὑπακούειν Eph. 20, ἐπακοιίειν Mgn. 3, συντρέχειν 
τῇ τοῦ ἐπισχόπου γνώμῃ Eph. 4, προσέχειν τῷ ἐπισχόπῳ Phil. 7; ad 
Pol. 6 (cf. Tr. 4; Sm. 7 dasselbe Verb). 

2) Tr. 3; Sm. 8; Mgn. 3: πᾶσαν ἐντροπὴν ἀπονέμειν. 

3) Mgn. 6: πώντες οὖν, ὁμοήϑειαν ϑεοῦ λαβόντες, ἐντρέπεσϑε πλ- 
λήλοις, καὶ μηδεὶς κατὰ σιίρκα βλεπέτω τῷ πλησίον, ἀλλ᾽ ἐν Ἰησοῦ 
Χριστῳ ἀλλήλους διαπαντὸς ἀγαπᾶτε. Mgn. 8: ὑποτώγητε τῷ ἐπισχόπῳ 
χαὶ ἀλλήλοις. Cf. Clem. ad Cor. I, 38; Pol. ad Philipp. 10. Die 
Grundstelle ist Eph. 5, 21. | 

4) Gerade auch für das Verhältnis zu den Oberen dieser Ausdruck 
Phil. inscer.; Mgn. 6fin.; cf. 7 init. Vgl. die Bilder Eph. 4. 5. 

- δ) Mgn. 6. 13; Tr. 2. 3. 7; Phil. inser. 4. 7; Sm. 8. 12; ad 
Pol. 6. 
6) Eph. 2; Tr. 13; Mgn. 7, nachdem kurz vorher alle drei Aemter 


448 


Bischof allein 1) als Auctoritätspersonen nennt. Wenn dabei 
besonders die Diakonen zurücktreten, so entspricht es ihrer 
Stellung und Befugnis; aber charakteristisch ist es jedenfalls 
für die Denkweise des Ignatius, dass er gerade von den Dia- 
konen stets mit besonderer Auszeichnung redet. Schon die 
vorhin (S. 440) besprochenen Vergleichungen zeigen das, wie 
die regelmässig wiederkehrenden Beiwörter ?2) und die Ange- 
legentlichkeit, mit welcher gerade für sie von Allen Respect 
gefordert wird (Tr. 3), und endlich die starke Betonung der 
Heiligkeit gerade ihres verhältnismässig untergeordneten 
Dienstes (Tr. 2; Sm. 10). Tritt hierin das Streben zu Tage, 
gerade demjenigen Ehre zuzuwenden, dessen saurer Dienst sie 
nicht unmittelbar mit sich bringt, so war andrerseits eine 
besonders dringende Empfehlung der Unterordnung Aller unter 
den Bischof in dem Grundgedanken der ignatianischen Er- 
malınungen begründet.: Denn worin hätte sich die Einheit 
der Ortsgemeinde greiibarer dargestellt als in dem einen 
Bischof (Phil. 4), der als Hirte der ganzen Heerde vorangeht 
(Phil. 2), durch welchen die ganze Gemeinde ihr gemein- 
sanres Gebet vor Gott bringt (Eph. 5) und durch den alles 
wirklich gemeindliche Handeln 8) sich vollzieht. Bei einem 
Presbytercollegium war es möglich, dass Jemand im Einklang 
mit einem Glied dieses Collegiums und doch sammt diesem 
unabhängig von der Gesammtheit, also unkirchlich handelte. 
Nur der Bischof repräsentirt die ganze Gemeinde und reprä- 
sentirt sie ganz; an ihm hat auch das Presbyterium seine 


genannt waren. Auch Tr. 2. 3 ist die Abstufung und namentlich eine 
Unterscheidung zwischen den beiden oberen und dem dritten Amte er- 
kennbar. | 

1) Eph. 3—6; Mgn. 3. 4; Phil. 3. 7 (nachdem im selben Kapitel 
alle drei genannt waren, ebenso Sm. 8); ad Pol. 5. 6 (aber unmittelbar 
darauf die drei, ebenso Tr. 7); Sm. 9. 

2) Er nennt sie seine σύνδουλοι Phil. 4; Sm. 12; Eph. 2; Mgn. 2 
oder οὐ κατὰ ϑεὸν διάχονοι Mgn. 13; cf. Eph. 2 (τῶν διαπύνων τῶν 
ἐμοὶ γλυκυτάτων Mgn. 6). 

3) Vgl. oben S. 325 in Bezug auf die Gesandtschaften. 


444 

Einheit !). Daher ist es natürlich, dass die Ermahnung zur 
Unterordnung unter die Gemeindeobrigkeit zum Zweck der 
Wahrung der Gemeindeeinheit, sehr häufig die kurze Form 
einer Ermahnung zum Anschluss an den Bischof, der Unter- 
ordnung unter ihn annimmt. „Wo der Bischof ist, da er- 
scheine die Menge“ (Sm. 8); wohin der Hirte führt, dahin folge 
ihm die Heerde (Phil. 2)! 

Aus dieser Darlegung wird erhellen, wie unrichtig man 
den Ignatius verstanden hat, wenn man ihm die Absicht zu- 
geschrieben hat, den Episkopat zu empfehlen oder diesem 
Amt im Unterschied von den übrigen zu mehrerer Herrlich- 
keit zu verhelfen. Wie er überhaupt starken Ausdruck liebt, 
so redet er auch vom Beruf des Bischofs in Ausdrücken, die 
man in einer kirchenrechtlichen Abhandlung nicht ertragen 
könnte. Aber z. B. die Vorstellung vom Bischof als Typus 
Gottes oder Christi hat doch keinerlei Aehnlichkeit mit der 
Phrase, dass „der Bischof wesentlich der Repräsentant und 
das Organ Gottes und Christi“ sei (Baur I, 65), und besagt 
bei näherer Betrachtung ziemlich wenig, wenn gleichzeitig 
auch die Diakonen, die als Küster, Boten und Briefträger 
dienen, als Typus Christi betrachtet und das Presbyterium 
mit einer Rathsversammlung Gottes verglichen wird. Diese 
Typologie erklärte sich uns aüs der nachgewiesenen Idee einer 
Congruenz zwischen der allgemeinen Kirche und der Einzel- 
gemeinde. Selbstverständlicher Weise meint Ignatius, dass 
diese Idee nicht nur wahr, sondern auch fruchtbar sei; er 
würde sie nicht so oft aussprechen, wenn er nicht der Mei- 
nung wäre, dass das Verhalten der Gemeindeglieder gegen 
ihren Bischof sich darnach bemessen sollte, dass der Bischof 
in seinem kleinen Kreise und in sarkischer, Weise ein Abbild 
des allgemeinen unsichtbaren Bischofs ist. Es gilt ihm als 
Merkmal wahrhaft christlicher Gesinnung, wenn die Trallianer 


1) Das liegt in der Vergleichung Eph. 4. Die übrigen Gremeinde- 
vorsteher werden auch Phil. inser. und c. 3 im Ausdruck so mit den 
Bischof zusaınmengeschlossen, dass der Bischof als Eimheitspunct der 
Träger kirchlichen Amtes innerhalb der Ortsgemeinde erscheint. 


445 


ihrem Bischof, wie Jesu Christo, sich unterordnen (Tr. 2). Die 
Presbyter von Magnesia, welche ihrem jungen Bischof Ehre 
erweisen, erweisen sie eigentlich nicht ihm, sondern dem 
Vater Christi, dem allgemeinen Bischof (Mgn. 3). Aber 
solche Aeusserungen verlieren den Schein einer Vergötterung 
der Bischöfe sofort, wenn man die Erläuterungen beachtet. 
Nur die volle Aufrichtigkeit und die religiöse Wurzel des 
Respects vor dem Bischof soll ausgedrückt sein; denn es wird 
die allgemeine Regel daraus gefolgert, dass die Christen zur 
Ehre dessen, der sie gewollt, d. h. zum Heil bestimmt hat, 
und ohne alle Heuchelei [dem Bischof] Gehorsam leisten 
sollen, weil ein heuchlerischer, auf Täuschung des Bischofs 
berechneter Gehorsam noch etwas Anderes als Täuschung 
des Bischofs, nämlich der Tendenz nach eine TUeber- 
listung des unsichtbaren Bischofs, Gottes, ist. Darüber 
aber hat man nicht menschlichem Fleisch, nicht dem der 
Täuschung ausgesetzten irdischen Bischof, sondern dem Gott, 
der das Verborgene sieht, Rechenschaft zu geben (Mgn. 3). 
Auch die geradezu ausgesprochene Forderung, dass man den 
Bischof wie den Herrn selbst ansehn müsse (Eph. 6), verliert 
. ihr Befremdliches, sowie man die voraufgeschickte Begründung 
beachtet. S® ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz, 
dass Jeder, welchen Gott, der Herr des Hauses, mit einem 
besonderen Verwalteramte betraut hat, wie sein Auftraggeber 
aufgenommen werden soll. Aber einen „das Gemeinwesen be- 
treffenden Dienst“, wie das bischöfliche Amt Phil. 1 genannt 
wird, haben die Presbyter und die Diakonen, „die Diener der 
Geheimnisse Gottes“ und „der Kirche Gottes“ (Tr. 2) nicht 
minder, als der Bischof. Nur in dem Masse, als das Amt 
des Bischofs einflussreicher ist, wird auf diesen die allge- 
meine Regel mit grösserem Nachdruck und häufiger ange- 
wandt. Es muss hier ferner wieder daran erinnert werden, 
dass nach der Ansicht des Ignatius, wie in der Wirklichkeit, 
der Episkopat lediglich Gemeindeamt war (oben $. 306 ff.), und 
dass Ignatius nie auf den Gedanken geräth, dadurch für den 
Bischof eine auszeichnende Stellung zu gewinnen, dass er 
ihm im Unterschied von den übrigen Gemeindevorstehern eine 


446 


über die Grenzen der Ortsgemeinde übergreifende Bedeutung 
zuschriebe. Die Bischöfe sind ihm nicht Nachfolger der ' 
Apostel 1), denn der Apostolat ist nach Ignatius das Presby- 
terium der allgemeinen Kirche und ebensowenig wie der 
Episkopat Christi oder Gottes in eine besondere Beziehung 
zu irgend einer einzelnen Gemeinde :oder mehreren gesetzt, 
der Episkopat dagegen durchaus local beschränkt. Wäre 
Ignatius des Gedankens der späteren Kirche fähig, dass die 
Bischöfe die Nachfolger der Apostel, Erben ihres Amtes seien, 
so würde er nicht beharrlich die Presbyter der Gemeinde mit: 
ihnen vergleichen können. Noch weniger sind die Presbyter 
Nachfolger der Apostel; es gab deren ja schon, als noch die 
Apostel die Kirche regierten, und die Beziehung der Apostel 
zu Christus und zur allgemeinen Kirche, deren Abbild das 
Verhältnis des Presbyteriums zum Bischof und zur .Ortsge- 
meinde ist, besteht noch in Kraft (Phil. 5; s. oben S. 430 ff.), 
ebenso wie der allgemeine unsichtbare Episkopat Christi und 
Gottes über dem sichtbaren menschlichen Episkopat der Orts- 
gemeinde. Eine speeifische Würde des Episkopats im Unter- 
schied von den übrigen Gemeindeämtern ist in dieser Typo- 
logie gerade nicht ausgesprochen 3. Alle drei Aemter haben 
in den unsichtbaren Elementen der Gesammtkirdhe ihre Ur- 
bilder, haben darum zwar nicht gleiche, aber gleichartige 
Würde und Auctorität als Leiter des Gemeindelebens und 


EEE SEES 


1) Dass ihnen insbesondere die Verordnungen der Apostel überliefert 
seien, hat Lipsius I, 56f. zwisehen den Zeilen von Tr. 7 gelesen. Ueber 
das Misverständnis von Tr. inser. s. oben 8. 415. 

2) Wenn Baur I, 72 schon darin einen Grundanterschied zwischen 
dem Bild der Kirchenverfassung bei Clemens von Rom und dem (65 
Ignatius gefunden haben wollte, dass bei jenem dem alttestamentlichen 
Hohepriester nicht etwa der Bischof, sondern Christus entspreche (c. 40 
cf. 58), so übersah or, dass auch Ignatius nie den Bischof, sondern nor. 
einmal Christus als Hohepriester bezeichnet (Phil. 9). Es fehlt bei Igna- 
tius jede Andeutung priesterlichen Charakters der Gemeindevorsteher, 
wie sie bei Cleinens zu finden ist (vgl. meinen Hermas, S. 117), obwohl 
Ignatius vom alttestamentlichen Cultus Bezeichnungen des christlichen 
entlehnt (s. oben S. 339 ff.). 


447 


Organe der Gemeindeeinheit Ὁ). Die hervorragende Würde des 
Bischofs besteht einzig darin, dass er thatsächlich an der 
Spitze der von ihm geleiteten Gemeinde und der ihm 
untergeordneten anderen Vorsteher steht. Dass es in Rom 
damals noch keinen Bischof nach der Art der Bischöfe Asiens 
gab, hindert den Ignatius ebensowenig, auch diese Gemeinde 
als eine ächt christliche „mit jedem Grebot Christi geeinigte “ 
Gemeinde von hervorragender Bedeutung für die Kirche zu 
betrachten, als Polykarp sich veranlasst sah, den Philippern 
zu rathen, dass sie für einen Bischof sorgen sollten. Es 
fehlte diesen Gemeinden eben nur eine der Formen, in wel- 
chen sich die Gemeindeeinheit ausprägte, aber darum nicht 
diese selbst und auch nicht die Möglichkeit und Pflicht, sie 
sich angelegen sein zu lassen. 
Die Pflicht, die Einheit des Gemeindelebens zu pflegen 
durch Unterordnung unter die Vorsteher und besonders unter 
den Bischof, wird ebenso wie die allgemeiner ausgedrückten 
christlichen und kirchlichen Pflichten auf Gott bezogen, 
religiös motivirt. Die Versäumnis derselben wird je nach 
dem Grad ihrer Bewusstheit und Absichtlichkeit als Mangel 
an Gewissenhaftigkeit, als Auflehnung gegen Gott, als 
Teufelsdienst charakterisirt (vgl. oben 8. 542 1), und die 
Pflege der Gemeindeeinheit, das Streben nach kirchlicher 
Gestaltung alles seiner Natur nach gemeinsamen religiösen 
Handelns und die davon unzertrennliche Unterordnung 
unter die (Gemeindeobrigkeit erscheint als Bedingung der 
Theilnahme an den Heilsgütern (Eph. 2. 4. 5. 20; 
Tr. 2. 7; Phil. inser.; Sm. 9; ad Pol. 6), weil es christliche 
Pflicht, weil es das gottgemässe Verhalten (Phil. 4; cf. 
Eph. 8) und das Christo entsprechende Leben (Phil. 3; 
Tr. 2) ist. Aber diese Urtheile, welche in den gewöhnlichen 
Darstellungen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt sind ?), gründet 


1) Vgl. die beredte Darstellung bei Pearson 11, 6. 

2) Dahin gehört es z. B., wenn Bunsen II, 7U dem Ignatius der 
7 Briefe die Idee unterschicbt, ‚dass die Christen sich nur an die Geist- 
lichkeit als die Bürgen ibrer Seligkeit halten sollen“, oder wenn Baur 


448 


Ignatius weder auf einen historischen Beweis, noch auf ein 
positives Gebot, sondern erstlich auf die ideale Auffassung 
der Ortsgemeinde als der concreten Erscheinung und des genau 
entsprechenden Gegenbilds der allgemeinen Kirche, und sodann 
auf die einleuchtende Zweckmässigkeit einer Einrichtung des 
Gemeindelebens nach jener Idee. Allerdings wird den inde- 
pendentistisch Verfahrenden das gute Gewissen darum abge- 
sprochen, weil sie nicht „zuverlässig nach dem Gebot sich 
. versammeln“ (Mgn. 4) und in ähnlichem Zusammenhang an 
die Verordnungen der Apostel erinnert ἢ. Aber auf einzelne 
Gebote Gottes und Christi oder einzelne Verordnungen der 
Apostel beruft sich Ignatius nie. Kein kirchliches Amt wird 
auf unmittelbare oder mittelbare göttliche Stiftung gegründet ?), 
keine kirchliche Sitte auf apostolische Verordnung zurückge- 
führt. „Das Gebot“, welchem gemäss das kirchliche Leben 
sich gestalten soll 3), ist nicht ein einzelnes Gebot, sondern 
die Summe der Gebote, mit welchen geschmückt (Eph. 9), 
geeinigt (Rom. inscr.) und einstimmig (Phil. 1) rechte Chri- 
sten leben. Es liegt also die Vorstellung zu Grunde, dass in 
dem allgemeinen durch Christus und die Apostel verkündigten 
göttlichen Willen, obwohl sein Wortausdruck nicht zur Be- 
stätigung der einzelnen Forderungen der Gegenwart ange- 
rufen werden soll oder kann, diese Forderungen eingeschlossen 
sind, und dass aus der frommen Gesinnung von selbst der 


I, 64 urtheilt, dass hier „die Gemeinschaft des einzelnen Christen mit 
der Kirche einzig nur von seiner Verbindung mit dem Bischof abhängig 
gemacht wird“ (vgl. Hilgenfeld, S. 268), auch was Baur II, 99 von 
„unbedingter Auctorität‘ des Bischofs sagt. 

1) Tr. 7. Vgl. auch Mgn.' 13 init. mit dem Ende des Kapitels. 

2) In Bezug auf Eph. 3 vgl. oben S. 299, über Phil. inser. und 
ὁ. 1 8. 328f., über die Vergleichungen Sm. 8; Mgn. 2; Tr. 13 S. 440, 
Anm. 1. 

3) Mgn. 4. Vgl. zu dem absoluten xaz’ ἐντολήν auch Tr. 13 
(τῇ ἐντολῇ) und Mgn. 2 (νόμῳ Ἰησοῦ Χριστοῦ) und hiermit wieder das 
Attribut der römischen Gemeinde γριστονόμος (so ist mit 1,1 Scur. 
Mart. Syr. Al A2 gegen ΟἹ ΟΣ zu lesen). Die Mehrheit der Gebote auch 
Rom. inser.; Eph. 9; Phil. 1; Polye. ad Phil. 2, aber auch bei Polykarp 
der Singular c. 3. 4. 


449 


rechte kirchliche Sinn sich ergebe ). Darum fühlt Ignatius 
das Bedürfnis der Anlehnung seiner einzelnen Ermahnungen 
und Forderungen an die Auctorität einzelner Aussprüche 
Christi und der Apostel ebenso wenig, wie ihm sein christ- 
“ licher Glaube von der Schrift abhängt. Noch weniger bean- 
sprucht er für sich selbst eine Auctorität, kraft deren man 
ihm folgen müsse, sondern wehrt auch den Schein, als ob er 
sich apostolische Auctorität anmasse, ausdrücklich ab (Tr. 3; 
Rom. 4. Er ist nur ein Christ, den „die Liebe nicht - 
schweigen lässt‘ (Eph.. 3). 

Viel auffälliger als dieser Mangel der Begründung seiner 
Rathschläge durch Berufung auf äussere Auctoritäten, und in 
der That misverständlich für Jeden, welcher die Briefe des 
Ignatius nicht als Briefe von bestimmter Veranlassung und 
mit bestimmtem Leserkreis betrachtet, ist dies, dass Ignatius 
auch das andere Bedürfnis kaum zu fühlen scheint, auf die 
Bedingtheit seiner Forderung kirchlichen Gehorsams durch die 
entsprechenden Eigenschaften und Leistungen der Gemeinde- 
obrigkeiten hinzuweisen. Allerdings ermahnt er einmal die 
Diakonen zu untadeligem Wandel (Tr. 2), ehe er für sie Ehr- 
erbietung von Allen fordert (Tr. 3), und dem Bischof von 
Smyrna legt er seine mannigfaltigen Pflichten dringend ans 
Herz (ad Pol. 1—5), darunter auch die der liebevollen Ge-: 
duld mit Schwachheiten und Verkehrtheiten und der Unpartei- 
lichkeit gegen Alle und auch des brüderlichen Tons im Ver- 
kehr mit dem Einzelnen 2). Die Forderung der Abhängigkeit 
alles gemeindlichen Lebens vom Bischof erscheint hier, wenn 
nicht bedingt, so doch unmittelbar ergänzt durch die For- 
derung ebenso durchgängiger Abhängigkeit des Bischofs von 
Gott (c. 4). Es kann auch nur natürlich erscheinen, dass 
Ignatius in dem einzigen an einen Bischof gerichteten Briefe 
den Bischof an seine Pflichten erinnert, dahingegen in den 
an Gemeinden gerichteten Briefen die Pflichten der Laien 


1) Im einzelnen Fall wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass 

die Frommen sich ausnahmslos von der Separation fernhalten (Phil. 3). 
2) Vgl. über ὁμοήϑεια ad Pol. 1 oben S. 319, Anm. 2. 
Zebn, Ignatius, 29 


450 


gegen die’Geistlichen betont. Trotz alle dem bleibt es wahr, 
was der Katholik sagt ἢ: „Er führt eine Sprache, die man 
nie von einem Protestanten hören wird‘, und es ist unwahr, 
was der Protestant von seiner syrischen Blumenlese aus Igna- 
tius sagt, dass hier das Urtheil darüber, ob ein Bischof in 
rechtem Glauben und christlicher Lehre stehe, „ausdrücklich 
auf das Gebiet des Gewissens, also des auf das Wort von 
Christus gestützten Glaubens‘ gesetzt werde (Buns. II, 94). 
Eher das Gegentheil könnte man daraus folgen, dass er „das 
Verhältnis zum Bischof unmittelbar mit dem Verhältnis zu 
Gott in Verbindung setzt‘, oder dass er schreibt: τῷ ἐπισκόπῳ 
προσέχετε, ἵνα καὶ ὁ ϑεὸς ὑμῖν (ad Pol. 6). 

Ignatius setzt den Fall gar nicht, dass ein Bischof oder 
Presbyter auch unchristlich lehren und leben könnte, und 
gibt den Gemeinden weder Anweisung zur Bildung eines 
Urtheils darüber, noch zu einem dem entsprechenden Handeln 
im gegebenen Fall; und zwar aus dem einfachen Grunde thut 
er das. nicht, weil er nicht Schriftsteller über kirchliches 
Leben ist, sondern an fünf Gemeinden Kleinasiens schreibt, 
von denen er zwei bei Gelegenheit seines Aufenthalts in 
Philadelphia und Smyrna aus eigener Anschauung kennen ge- 
lernt bat, und deren Bischöfe er ausnahmslos genauer zu 
kennen glaubt. In dem persönlichen Charakter dieser Bischöfe 
ist die unerlässliche Voraussetzung seiner Ermahnungen zum 
Gehorsam gegen sie bereits erfüllt, und eben deshalb wird 
“ auf deren persönlichen Charakter so oft hingewiesen. Als 
was für ein Mann Polykarp über die Grenze seiner Gemeinde 
hinaus bekannt war, sieht man schon daraus, dass Ignatius 
seine den Ephesern noch ziemlich unbekannte Gesinnung mit 
den Worten charakterisirt: γράφω ὑμῶν εὐχαριστῶν τῷ κυρίῳ, 
ἀγαπῶν Πολύκαρπον (Eph. 21); und aus dem Brief Polykarps 
an die Philipper, wie aus dem des Ignatius an ihn gewinnt 
Jeder den Eindruck, dass eine Gemeinde wohl berathen war, 
wenn man sie anwies, diesem Bischof zu folgen. Onesimus 
von Ephesus ist nach des Ignatius Urtheil ein Mann von un- 


1) So Denzinger, S. 82 mit Bezug auf den syrischen Ignatius. 


451 


beschreiblicher Liebe, ein Bischof, zu dessen Besitz man seiner 
Gemeinde Glück wünschen muss (Eph. 1). Von der Befriedigung, 
welche Ignatius in dem Verkehr mit ihm gefunden, schliesst 
er auf das Glück der beständig mit ihm verbundenen Ge- 
meinde (Eph. 5). Was kann er dann Besseres wünschen, als 
dass alle Epheser diesen Bischof „christlich lieben und ihm 


ähnlieh werden“ (Eph. 1)! Die Liebe, Würde und Sanftmuth Ὁ 


des Polybius von Tralles, welcher selbst den Heiden ehrwürdig 
ist (Tr. 1. 3), berechtigt zu den von solcher Charakteristik 
eingerahmten . Ermahnungen in Bezug auf ihn. Die Jugend- 
lichkeit des Damas von Magnesia ist ein besonderer Anlass, 
ihn als einen Gottes würdigen Bischof zu bezeichnen und das 
schöne Verhältnis zwischen ihm und seinen Presbytern der 
Gemeinde als Muster vorzustellen (Mgn. 2. 3. 6). Am 
stärksten wird der treffliche christliche Charakter des unge- 
nannten Bischofs von Philadelphia betont, weil eben damit 
für jedes Glied der dortigen Gemeinde jeder Vorwand zum 
Anschluss an das dort ausgebrochene Schisma wegfiel, und die 
Pflicht treuen Festhaltens an der Gemeinschaft mit dem 
Bischof und den mit ihm einigen Presbytern und Diakonen 
ausser Zweifel gesetzt wurde. Dies ist der Gesichtspunct, 
unter welchem Phil. 1 der schöne Einklang des Bischofg mit 
den göttlichen Geboten, seine treffliche, ganz auf Gott ge- ' 
richtete Gesinnung, seine unerschütterliche Festigkeit, aber 
auch seine Reinheit von aller selbstwilligen Leidenschaftlich- 
keit geprissen wird. In Form einer Folgerung aus dieser 
Charakteristik des Bischofs tritt die Ermahnung auf, alle 
Spaltung und Irrlehre zu fliehen und dem Bischof als Hirten 
zu folgen (Phil. 2). Weil es sich um Anerkennung des 
durch das eingetretene Schisma thatsächlich in Frage ge- 
stellten Rechts von Bischof und Geistlichkeit zu Philadelphia 
handelt, wird auf ihre unwiderrufliche Einsetzung durch Chri- 
stus und seinen heiligen Geist hingewiesen (Phil. inser.), nicht 
in dem Sinn, als ob sich dies beim Bischof und den Geist- 
lichen überhaupt von selbst verstünde. Es wird vielmehr aus 
dem Charakter und der Amtsführung dieses Bischofs auf die 


Art, wie er es geworden, und auf sein Recht, das Amt zu 
298 


452 


führen, geschlossen (Phil. 1; vgl. oben $. 328f.). Die Er-- 
mahnung zum engen Anschluss-an ihn gründet sich also auf 
ein aus persönlicher ‚Erfahrung geschöpftes Urtheil über ihn, 
Damit ist die Möglichkeit gesetzt, dass der Bischof allerdings 
auch „von sich selbst oder durch Menschen“ und ‚aus eitlem 
Ehrgeiz‘ sein Amt erlangt habe und ohne „Liebe zu Gott 
und Christus“ und alle zu seinem Amt erforderlichen Tugen- 
den es führe, dann aber auch nicht den Gehorsam’ verdiene, 
welcher dem Bischof von Philadelphia deshalb gebührt, weil 
von ihm das Gegentheil gilt. Aber diese Möglichkeit als 
wirklich zu setzen, war Ignatius durch nichts veranlasst, sie 
liegt ausserhalb seiner nächsten Erfahrung und seines Ge- 
sichtskreises. Soweit er von Bischöfen auf Erden weiss, stehen 
sie in rechter christlicher Gesinnung (Eph. 3; vgl. oben 
5. 299). Daher redet er, unbedenklich von der Auctoritäts- 
stellung des Bischofs, ohne seine Urtheile und Ermahnungen 
ängstlich auf diese Bischöfe der kleinasiatischen Gemeinden 
zu beschränken, und ohne sie ausdrücklich von den bei diesen 
Bischöfen erfüllten Bedingungen abhängig zu machen. Das 
widerspräche seiner. Natur und seiner 'dermaligen Stimmung. 
Rücksichtslos und arglos ergreift er die vorliegende Aufgabe 
mit ganzer Seele, und mit derselben Begeisterung, womit er 
seinem persönlichen Lebensziel entgegeneilt, tritt er ein für 
die Einheit der Kirche und der Gemeinden und für ihre 
Reinerhaltung von häretischen und schismatischen Einflüssen. 
Ignatius redet nicht wie ein Protestant, weil er und die 
Kirche seiner Zeit die traurige Erfahrung: noch nicht gemacht 
hat, welche zum Protest gegen eine hierarchisch und über- 
haupt gesetzlich entartete Kirche und vom Protest zur Neu- 
gestaltung der Kirche auf Grund des wiederentdeckten Evan- 
geliums geführt hat. Aber hierarchische Bestrebungen be- 
kunden diese Briefe ebensowenig, als eine Ahnung von der 
Gefahr zukünftiger Hierarchie. Ignatius ist kein Prophet, 
obwohl er im Recht war, wenn er meinte, unter dem leiten- 
den Einfluss des heiligen Geistes zu stehn, wenn er gegen 
Irrlehre und Spaltung zeugte. Dem Augenblick entsprungen 
und dem Augenblick dienend, haben seine Briefe es nicht 


453 


hindern können, dass man ihre arglosen Mahnungen später 
misbrauchte. Die nächste Gefahr der Kirche im nachaposto- 
lischen Zeitalter war nicht eine ungeistliche Herrschaft der 
Geistlichen, sondern die Untergrabung der kirchlichen und 
gemeindlichen Einheit durch die eindringende Häresie. Da- 
gegen hat Ignatius nicht vergeblich gestritten. Wie tonan- 
gebend sein Zeugnis auch auf sehr anders angelegte Männer 
wirkte, ersieht man aus Polykarps Brief. Polykarp ist sein 
Schüler und der vornehmste Vollstrecker seines Vermächt- 
nisses geworden. Die Gesinnungen, welche er noch unter 
dem unmittelbaren Eindruck der Persönlichkeit des Ignatius 
in seinem Brief kundgibt, hat er in seinem langen Leben 
bewährt. Intoleranz gegen jede den christlichen Gemein- 
glauben verleugnende Irrlehre, ein Dringen auf Bethätigung 
des christlichen Bokenntnisses, ein über die Grenzen der 
Einzelgemeinde übergreifendes Wirken für die Einheit der 
Kirche, frei von dem Aberglauben an die Nothwendigkeit 
äusserlicher Einförmigkeit, aber eifrig in der Benutzung aller 
Gelegenheiten und Mittel, wodurch in den zerstreuten Ge- 
meinden das Bewusstsein, die Kirche zu sein, wach erhalten 
‘ werden mochte: das wollte Ignatius, und das charakterisirt 
die kirchliche Haltung Polykarps bis zu seiner römischen 
Reise und seinen letzten Gebeten. 


3. Der T heologe. 


Obwohl die βιβλίδια, welche Ignatius hinterlassen hat, 
‚noch weniger als irgend eine andere Schrift der nachaposto- 
lischen Periode den Charakter theologischer Abhandlungen an 
sich tragen, so sind sie doch reicher als alle übrigen zu- 
sammen an theologischem Gedankeninhalt. Der Versuch, die 
mehr geistreich hingeworfenen als bedachtsam ausgeführten 
Gedanken auf einige beherrschende Grundgedanken zurückzu- 


454 


führen, ist unerlässlich, wenn man aus der ganz unsicheren 
Verwerthung flüchtiger Beobachtungen herauskommen will, 
welche die neueren Auslassungen über die theologische Stellung 
des Ignatius charakterisirt. Während Baur (II, 108) seine 
Christologie mit einem Wort als Patripassianismus glaubte 
bezeichnen zu können, fand Lipsius (I, 21. 28 £.), dass derselbe 
Ignatius, der Ueberarbeiter der drei angeblich: ächten, syrisch 
erhaltenen Briefe, den Patripassianismus seiner Vorlage bereits 
überwunden, das Theologumenon vom Logos acceptirt und den 
Schwerpunct seiner christologischen Betrachtung in die Be- 
hauptung der wahren Menschheit verlegt habe. Bunsen 
(II, 154f.) fand auch in seinem gereinigten Ignatius „ein in 
speoulative Gegensätze auslaufendes Bewusstsein der Logos- 
lehre des johanneischen' Evangeliums und ersten Sendschrei- 
bens“, und zwar an einer Stelle (ad Pol. 3), welche nach 
Baur (II, 110) und Lipsius (I, 21) gar nicht vom Sohn, sondern 
vom Vater handeln soll; und obwohl Ignatius nur an einer 
einzigen Stelle, welche Baur (11, 111) durch die Vermuthang 
einer Interpolation verdächtigt hatte, Christus den Logos 
Gottes nennt, so sollen sich nach Merx (p. 5) diese Briefe fast 
ausschliesslich um die beiden. Lehren vom Kirchenregiment ' 
und von Christus als Logos bewegen. 

Die bedeutsameren theologischen Aeusserungen des Igna- 
tius sind durch den Gegensatz der damals in Kleinasien Ein- 
gang suchenden Häresie hervorgerufen. Der schlechten, 
schliesslich vom Teufel stammenden Lehre, durch welche jene 
Irrlehrer den wahren Glauben und damit die Kirche ver- 
derben (Eph. 9. 16. 17), stellt er die wahre Gotteserkenntnis 
gegenüber, welche für ihn in der Person des geschichtlichen 
Christus selbst gegeben ist, die lebenathmende Lehre, welche 
von ihm aus der Kirche zugeströmt ist (Eplı. 17), den durch 
ihn ermöglichten (Phil. 8) und insbesondere durch seinen 
Kreuzestod begründeten und verbreiteten Glauben ?). Aber 


1) Eph. 16: ... . ἐάν τις πίστιν ϑεοῦ ἐν χαχῇ διδασκαλίᾳ φϑείρῃ, 
ὑπὲρ ἧς Ἰησοῦς Χριστὸς ἐσταυρώϑη (nur in GH ist τὶς vor πίστιν 808- 
gefallen). Der Gegensatz zeigt, dass πίστις hier mit dem gliubigen 


455 


er will dies nicht als Lehrer seiner Leser thun, sondern als 
ihr Mitjünger (Eph. 3), welcher gleich ihnen auf keinen 
andern Lehrer hört als Christus (Eph. 6. 15; Tr. 9; Mgn. 9). 
In der That verfällt er nie in den Ton einer polemischen Ab- 
handlung, als ob er sich unter seinen Lesern Anhänger der 
Irrlehre dächte, sondern nur soweit beleuchtet er die Puncte, 
an welchen die Irrlehre vom Gemeinglauben abweicht, als 
nothwendig ist, dies ersichtlich zu machen. 

Verhältnismässig unerheblich ist, was er dem von den 
- Irrlehrern gepredigten Judaismus, der, wenn auch beschränkten, 
Forderung gesetzlichen Lebens entgegenstelli. Der Ton, in 
welchem diese abgewiesen wird, zeigt schon bei oberflächlicher 
Vergleichung mit dem, in welchem früher Paulus und etwas 
später „Barnabas“ davon ‚handeln, dass es nicht eine innere 
Lebensfrage der kleinasiatischen Kirche war, deren Verhand- 
lung die judaistischen Sendlinge mit dieser Forderung in 
Gang gebracht oder verschärft hatten. Anknüpfungspuncte 
für eine religiöse Begründung dieser Forderung müssen sie im 
Bewusstsein der dortigen Gemeinden entweder kaum gefunden 


Verhalten zugleich den Lehrgehalt des Glaubens als geglaubten zu- 
sammenfasst. Auch ἡ πίστις ἡ di’ αὐτοῦ Phil. 8 erhält durch die vor- 
angehende Aufzählung der Heilsthatsachen seinen Inhalt, Dass der 
Kreuzestod als ein die Lehre Jesu bestätigendes Zeugnis das Glauben 
erst möglich macht, spricht besonders deutlich aus Mgn. 9... ἢ ζωὴ 
ἡμῶν ἀνέτειλεν δι᾽ αὐτοῦ καὶ τοῦ ϑανάτου αὐτοῦ — ὅ τινες ἀρνοῦν- 
ται — δι᾿ οὗ μυστηρίου ἐλάβομεν τὸ πιστεύειν. Der Schreibfehler oi 
τινες Οἱ ist nach Li (quod quidam negant) wohl in ὅ᾽ τινὲς und nicht, 
wie seit Voss üblich ist, in ὅν τινὲς zu ändern, was an A und dem in 
ganz anderem Zusammenhang verlorenen ὃν τὰ τέχνα τῆς ἀπωλείας 
ἀρνοῦνται GR keine sichere Stütze hat. — L1 hat, wenn man die Rand- 
bernerkung Usshers nach Jakobson gegen Smith deuten darf, im mont. 
per quod mysterium (ds’ οὐ μυσεηρίον wie GI), im caj. per quem 
misterium acoepimus etc. (dı’ ol μυστήριον ἐλάβομεν). Vgl. zur Sache 
Tr. 2 und Clem. ad Corinth. I, 7: ὅτε (sc. τὸ αἷμα) διὰ τὴν ἡμετέραν 
σωτηρίαν ἐχχυϑὲν παντὶ τῷ κόσμῳ μετανοίας yapıy ὑπήνεγχεν. Fast 
wie eine Erinnerung an Mgn. 9 lautet der Satz Justins: χερατισϑέντες 
γῶρ, τουτέστι χατανυγέντες, οἱ ἐχ πάντων τῶν ἐϑνὼν διὰ τούτου τοῦ 
μυστηρίου (sc. τοῦ σταυροῦ) εἰς τὴν ϑεοσέβειαν ἐτράπησαν, dial. 91, 
p._318 E;£cf. 131, p-A360 Ο. 


456 


oder nicht wirksam benutzt haben. Ignatius lässt sich nicht 
darauf ein, die mit dem christlicher Bekenntnis verbundene 
Behauptung fortdauernder Geltung des mosaischen (iesetzes 
durch eindringende religionsgeschichtliche Betrachtung von 
Verheissung und Gesetz, von Glauben und Werken, oder durch 
Erörterung des Verhältnisses der menschlichen Natur zum 
fordernden Willen Gottes dialektisch zu überwinden. Er lässt 
sich aber auch nicht verleiten, wie Barnabas Jie alttestament- 
liche Anbahnung des in Christus erschienenen Heils zu einer 
Geschichte der Misverständnisse zu machen. Die dem Glau- 
ben feststehende Thatsache, dass in der geschichtlichen Er- 
scheinung Christi der göttliche Rathschluss verwirklicht und 
diejenige Offenbarung Gottes erfolgt ist, im Vergleich zu 
welcher alle vorangehende Kundmachung kaum noch Offen- 
barung zu sein scheint 1), setzt einen Gegensatz zwischen 
Judenthum und Christenthum, vermöge dessen jenes als eine 
schlechthin überwundene Religionsstufe zu betrachten ist. Die 
Neuheit der in Christus geschehenen Offenbarung wird in 
mannigfacher Weise betont, auch wo der Gegensatz zum Alten 
Testament und den Judaisten nicht unmittelbar fühlbar ist. 
Der Anfang der Heilsverwirklichung, welcher in der Geburt 
Christi liegt, ist von Erscheinungen begleitet, deren befremd- 
liche Neuheit Sinnbild der durchaus neuen Thatsache ist, wo- 
durch die Vernichtung „des alten Königreichs“, vor allem 
der Herrschaft des Todes, ihren Anfang nahm. Im Gegensatz 


1) Eph. 19: ... . ἄγνοια καϑῃρεῖτο, παλαιὰ βασιλεία διεφϑείρετο 
ϑεοῦ ἀνθρωπίνως φανερουμένου Eis καινότητα ἀϊδίου ζωῆς, ἀρχὴν δὲ 
ἐλάμβανεν τὸ παρὰ ϑεῷ ἀπηρτισμένον (nämlich mit der Geburt Chrieti). 
Während hier die „menschliche Offenbarung Gottes“ als Gegensatz 
zu einer früheren gefasst werden kann, in welcher er sich nicht als 
Mensch offenbarte, welche dann aber auch noch nicht Verwirklichung 
des bei Gott Bereiteten gewesen ist, wird Mgn. 8 der geschichtliche 
Christus als Mittler der Selbstoffenbarung Gottes schlechtweg bezeichnet. 
Aehnlich. wird die Gnade Jesu Christi (Sm. 6), deren Wirksamkeit die 
gegenwärtige Weltperiode auszeichnet (Eph. 11) auch schlechtweg als 
Gnade bezeichnet, welche empfangen zu haben das die Christen von 
den Frommen der Vorzeit Unterscheidende ist (Mgn. 8). 


407 


zu den bisherigen Bedingungen menschlichen Lebens ist es 
neues, ewiges Leben, zu dessen Stiftung Gott sich in Christus 
menschlich offenbart hat (Eph. 19), und Christus selbst ist 
der neue Mensch, auf welchen die in seinem ganzen mensch- 
lichen Leben sich vollziehende Heilsveranstaltung Gottes ab- 
zielte 1). Die Hoffnung, zu welcher Christi Tod und Auf- 
erstebung ermächtigt, und nach welcher als seinem wesent- 
lichen Inhalt das Evangelium genannt werden kann, ist neu 
auch im Gegensatz zu den durch die alttestamentliche Offen- 
barung begründeten Verhältnissen (Mgn. 9; Phil. 5; s. oben 
S. 435). Seitdem das Neue da ist, ist das Alte auch ver- 
altet; seitdem mit der Person Jesu der neue Teig gegeben 
ist, welcher sich die Menschheit assimiliren, oder in welchen 
sich die Menschheit verwandeln soll, ist das Judenthum ein 
schlechter, alt und sauer gewordener Teig, den Christen sich 
nicht aufdrängen lassen dürfen, wenn nicht der üble Geruch 
desselben sie verrathen soll ?). Unvernünftig ist es, den Christ, 


1) Eph. 20: .. . προςδηλώσω ὑμῖν, ἧς ἠρξάμην οἰχονομίας εἰς τὸν 
χαινὸν ἀνϑρωπον Ἰησοῦν Χριστὸν ἐν τῇ αὐτοῦ πίστει χαὶ ἐν τῇ αὐτοῦ 
ἀγώπῃ, ἐν πάϑει αὐτοῦ καὶ ἀναστάσει. Das manifestabo L! darf nicht 
dazu verleiten, mit Nolte und Hefele προδηλωσω zu schreiben. Ignatius 
will in einem zweiten Brief fortfahren, den Ephesern die göttliche Heils- 
veranstaltung klar zu machen. Ihre Realisirung beginnt mit der Em- 
pfängnis, Geburt und Taufe Jesu (c. 18), setzt sich fort in. seinem 
irdischen Leben als eines gläubigen und liebenden Menschen, und voll- 
endet sich in Tod und Auferstehung. Durch die Stellung von πέστις 
und ἀγάπη als Momenten in der οἰκονομία ϑεοῦ (cf. ὁ. 18) ist klar, dass 
hier von Glaube und Liebe als Verhalten des Menschen Jesus die Rede 
ist. Daher auch die zweimalige betonte Voranstellung des αὐτοῦ, sein 
eigener Glaube im Gegensatz zum Glauben an ihn, seine eigene Liebe 
im Gegensatz zur Liebe zu ihm. Die vollkommene Treue, die Personi- 
fication der Treue heisst Christus auch Sm. 10. 

2) Mgn. 10: ὑπέρϑεσϑε οὖν τὴν xaxıv ζύμην, τὴν παλαιωϑεῖσαν 
καὶ ἐνοξίσασαν͵ καὶ μεταβάλλεσϑε εἰς νέαν ζύμην, ὅ ἐστιν Ἰησοῦς Χριστός. 
Ἡλέσϑητε ἐν αὐτῷ, ἵνα μὴ διαφϑαρῇ τις ἐν ὑμῖν, ἐπεὶ ἀπὸ τῆς ὀσμῆς 
ἐλεγχϑήσεσϑε. Das ὑπέρϑεσϑε ΟἹ ΟΣ wird durch die ungenauen Ueber- 
setzungen deponite L1, abjieite 1,3. A, und auch durch ἐπόϑεσϑε des 
einen n, der hier wie oft eine bedenkliche Aehnlichkeit mit L? zeigt 
nicht ernstlich angefochten und durch die Sache erfordert. Nicht abthun 


458 


der in Jesus erschienen ist, im Munde zu führen, und jüdisch 
zu leben; denn es wäre die gerade Umkehr des Weges, den 
die Religionsgeschichte genommen hat, vom Judenthum zur 
Universalreligion des Christenthums, wenn sich das Christen- 
thum nun nachträglich wieder zum Judenthum als seiner 
selbst Vollendung wenden wollte. Ich meine hiermit nichts 
Fremdes in die Worte gelegt zu haben: asonor ἐστιν, Χριστὸν 
᾿Ιησοῖν λαλεῖν καὶ ἰουδαΐζειν.. Ὁ γὰρ Χριστιανισμὸς οὐχ εἰς 
᾿Ιουδαϊσμὸν ἐπίστευσεν, ἀλλ᾽ ᾿Ιουδαϊσμὸς εἰς Χριστιανισμὸν, εἰς 
ὃν πᾶσα γλῶσσα πιστεύσασα εἰς ϑεὸν συνήχϑη (Mgn. 10; 
8. oben 8. 429). Es ist hier die Zunge als Subject des Glau- 
bens gesetzt nicht bloss vermöge einer prägnanten Ineins- 
setzung des Glaubens und Bekennens 1), sondern auch mit der 
Absicht, im Gegensatz zur nationalen Beschränktheit des 
Judenthums an die Mannigfaltigkeit der vielsprachigen Völker 
zu erinnern, welche im Glauben an das Christenthum den 
Weg zu Gott und zugleich ihre Vereinigung unter einander 
gefunden haben. „In dem einen Leibe der Kirche“ sind ja 
Juden und Heiden, soweit sie „Heilige und Gläubige“ ge- 
worden sind, vereinigt (Sm. 1). Noch fremdartiger sind hier 
Ἰουδαϊσμός und Χριστιανισμός, was ja nicht Judenschaft und 
Christenheit, sondern deren religiöse Denkweise und Lebensart 
bedeutet, als Subjecte des Gläubigwerdens eingeführt; aber es 
sollte in kühner Kürze gesagt werden, dass jüdische Religion, 
Denkweise und Lebensart durch gläubige Aufnahme der christ- 
lichen Offenbarung zum Christentbum sich fortentwickelt habe, 
im Christenthum untergegangen sei. Damit ist denn ein- für 


sollen sie den judaistischen Sauerteig, als ob sie schon damit behaftet 
wären, sondern ablehnen und von sich weisen. Wenn hier Christus 
selbst der neue Teig heisst, in welchen die Christen sich verwandeln, 
gleichsam einkneten lassen müssen, so liegt offenbar eine jener kühnen 
Gleichsetzungen vor, über welche schon oben S. 899 das Nöthige gesagt 
ist. Der neue Teig ist die von Christus durchdrungene Menschheit, aber 
diese neue Menschheit ist er selbst dem Princip nach. Vgl. Gal. 3, 16. 

1) 65 hat in richtiger Erinnerung an Philipp. 2, 11 die Prägnanz 
wieder aufgelöst, und auch die in γλώσσα liegende Hinweisung auf die 
vielen Völker verdeutlicht. 


489 


allemal die Regel aufgestellt, dass innerhalb des Gegensatzes 
von Judenthum und Christenthum eine Fortbewegung nur 
von dem früheren und niedrigeren Judenthum zum späteren 
und erhabeneren Christenthum vernünftiger Weise stattfinden 
. kann, während die judaistische Forderung, dass Christen 
jüdische Lebensweise annehmen, das umgekehrte Verhältnis 
voraussetzen würde. Die Irrlehrer. werden selbstverständlicher 
Weise nicht in geschiehtlichem Sinn behauptet haben, dass 
das Judenthum die Vollendung des Christenthums sei, aber 
sie werden das Christenthum als eine die ewig gleiche Reli- 
gion der Offenbarung nicht wesentlich alterirende Entwick- 
lungsstufe des Judenthums aufgefasst und darum von den 
Christen Zugehörigkeit zum Judenthum gefordert haben. Dem 
gegenüber betont Ignatius unermüdlich die Neuheit der durch 
Christus geschehenen Offenbarung. Für geborene Heiden, wie 
er selbst und seine Leser es sind !), dünkt ihn die Versuchung 
zur Annahme jüdischer Lebensweise nicht gross. Sie brauchen 
nur auf das Vorbild derjenigen zu sehn, welche, im Juden- 
thum aufgewachsen, zu christlichem Glauben gelangt, damit 
aber auch, wie ihre Feier des Sonntags statt des Sabbaths 
beweist, vom Judenthum losgekommen sind (Mgn. 9). Auch 
- jetzt noch gesetzlich jüdische Lebensweise festhalten zu 
wollen, hiesse den Empfang der Gnade verleugnen (Mgn. 8). 
Es scheint hiernach so, als ob Ignatius, den Standpunct des 
Apostels Paulus überschreitend, ein Leben in den Formen 
des Judenthums überhaupt für mit dem Christenthum unver- 
einbar hielte und damit einer judenchristlichen Kirche das 
"Existenzreoht abspräche. Möglich ist aber auch, dass er, wie 
auch Paulus gelegentlich (vgl. Gal. 5, 2ff.), ohne Räcksicht 


— 


1) Das zeigt sich Mgn. 9 in der Gegenüberstellung von οὗ ἐν πα- 
Amis πράγμασιν εἰναστραφέντες und ἡμεῖς, auch Phil. 6 (s. oben 
S. 369 ἢ) in dem. Gegensatz des Beschnittenen und des Unbeschnittenen. 
Nur von Heidenchristen gilt ja eigentlich auch, dass erst der Tod Jesu 
ihnen das Glauben gebracht habe (Mgn. 9; Tr. 2; Eph. 16; οἵ, Sm. 1 
und die oben 8. 455 Anm. angeführten Stellen aus Clemens von Rom 
und Justin). Alle diese Sätze mögen auf Joh. 12, 32, wenn man’s dem 
Zusammenhang gemäss verstand (vgl, Joh. 3, 14 ff), zurückgehn, 


460 


auf das Vorhandensein einer solchen nur vom Standpunct der 
heidenchristlichen Gemeinde aus, welcher jüdisch gesetzliches 
Leben als Vervollkommnung des Christenstandes zugemuthet 
wird, das Leben nach dem Gesetz als Verleugnung der Gnade 
brandmarkt. Nur dies erfordert des Ignatius Ueberzeugung 
von der Genugsamkeit der über die Christen gekommenen Gnade 
Christi und des ihr entsprechenden Verhaltens, des Glaubens 
und der Liebe '); und nur dies verträgt sich mit seiner durch- 
aus affırmativen Stellung zur alttestamentlichen Offenbarung. 
Nicht nur die Propheten sind Gegenstand liebevoller Ver- 
ehrung für die Christen, der Liebe und der Bewunderung 
werthe Heilige (Phil. 5), Märtyrer der göttlichen Offen- 
barungswahrheit (Mgn. 8), Vorausverkündiger des Evangeliums 
(Phil. 5. 9) und eine Auctorität, an welche sich die Christen 
nächst dem Evangelium zu halten haben (Sm. 7); auch das 
Gesetz Mosis enthält wie die Weissagungen und das Evan- 
gelium Zeugnis der Wahrheit gegen die Verleugner des Heils- 
werthes des Todes und der wahrhaftigen Menschheit Jesu 
(Sm. 5). Auch das Institut des alttestamentlichen Priester- 
thums verdient Lob, wenn nur zugleich der überragende 
Werth des Hohepriesterthums Christi anerkannt wird; über- 
haupt „Alles zusammen ist schön für den mit Liebe ver- 
bundenen Glauben“ 3), ἃ. ἢ. für Christen, welche die Aner- 
kennung der alttestamentlichen Offenbarung und ihrer Träger 
nicht als Anlass zur Herabsetzung der unvergleichlich höheren 
neutestamentlichen benutzen, besteht ein schöner Zusammen- 
hang und Fortschritt zwischen beiden. Der Unterschied ist 
der, dass die Propheten, welche gewöhnlich allein als Ver- 
treter der alttestamentlichen Offenbarung genannt werden, auf 
Christus gewartet und gehofft (Mgn. 9; Phil. 5) und nur auf 


1) Sm. 6: τὸ γὰρ ὅλον ἐστὶν πίστις καὶ ἀγάπη, ὧν οὐδὲν προχέ- 
χριται x. τ. A. Falsch deutet der Scholiast des cod. Casan. dies 80, 
dass Glaube und Liebe von unterschiedslosem Werth seien. Es heisst 
vielmehr: Glaube und Liebe sind von Allem das Beste, sind das Ganze, 
worauf es ankommt. Vgl. Eph. 14; Phil. 9 extr.; Sm. 13; Eph. 1. 

2) Phil. 9: navra ὁμοῦ καλά ἐστιν, ἐὰν ἐν ἀγάπῃ πιστεύητε. 


461 


Christus hin gepredigt haben, während das Evangelium die 
geschichtliche Erscheinung Christi, die vollbrachten That- 
sachen seines Todes und seiner Auferstehung zum Inhalt hat 
(Ph. 9; Sm. 7). Wenn so das Evangelium als Wort von der 
“ geschehenen Erlösung den Propheten und ihrer Verkündigung’ 
gegenübertritt, so kann auch das Evangelium mit Einschluss 
seines thatsächlichen Inhalts als das Ziel betrachtet werden, dem 
die prophetische Verkündigung zustrebte (Phil. 5), und in 
diesem Sinn eines seinen Inhalt mit sich führenden Worts 
heisst das Evangelium „die unvergängliche Vollendung“ oder 
„die hergestellte Unvergänglichkeit“ 1), und kann von ihm 
gesagt werden, dass Leiden und Auferstehung Christi in ihm 
vollendet sei ἢ. Also wie Weissagung und Erfüllung ver- 
halten sich alt- und neutestamentliche Offenbarung. Aber 
darum ist das Ergebnis der ersteren doch nicht werthlos für 
diejenigen, die im Besitz der letzteren sind. Denn erstlich 
legen die schriftlichen Denkmäler der alttestamentlichen Offen- 
barung, „die Prophetien und das Gesetz Mosis“ ein zum 
Glauben an die neutestamentlichen Heilsthatsachen bewe- 
gendes Zeugnis ab, welches neben dem Evangelium und 
den Thatbeweisen wahren Christenglaubens gehört sein 
will°). Daher die Auctoritätstellung, welche den Propheten 


1) Phil. 9: τὸ δὲ εὐαγγέλιον ἀπάρτισμά ἐστιν ἀφϑαρσίας. Es be- 
deutet ἀπάρτισμα, verschieden von ὠπαρτισμός Luc. 14, 28 oder ἀπάρ- 
τισις, nicht Herstellung, Feertigmachung, sondern das Resultat dieser 
Thätigkeit, kann daher auch nicht einen Objectsgenitiv bei sich haben. 
Entweder ist «psagotas attributiv = ἄφϑαρτον (cf. Mgn. 6) oder 
Genitiv der Apposition, was den Vorzug verdienen möchte. Im Gegen- 
satz zur Unfertigkeit der alttestamentlichen Religionsstufe ist mit dem 
Evangelium ein fertiges, vollkommenes Wesen gegeben, welches in Un- 
vergänglichkeit oder ewigem Leben besteht (cf. ad Pol. 2; Eph. 17). 

2) Sm. 7. Die Vertheilung der beiden Subjecte πάϑος, ἀνάστασις 
auf die beiden Prädicate δεδήλωται, τετελείωται ist nur rhetorisch. 

3) Sm. 5. Hierhin ist es auch zu ziehen, wenn Mgn. 8 als Zweck 
der Inspiration der Propheten angegeben wird, dass die -Ungläubigen 
überzeugt werden, dass ein Gott sei, der sich durch Christus offenbart 
hat, Da hier in historischer Form von Jesus Christus geredet ist, so 


462 


oder, wie wir statt dessen sofort sagen können, dem Alten 
Testament aüch in der Kirche gebührt (Sm. 7; Phil. 5. 9). 
Sodann aber ist es nicht bei dem nur idealen Zusammen- 
hang zwischen den Frommen des alten Bundes und Chri- 
stus geblieben, den ihr Hoffen und Warten und Weis- 
sagen auf ihn darstellt. Schon dieser ideale Zusammenhang 
ist real begründet gewesen. Sie waren durch die Gnade 
Christi inspirirt, und Christo gemäss haben sie gelebt (Mg. 8). 
Die Gnade Christi, deren Empfang unmittelbar vor dieser 
Aussage als das Auszeichnende der Christen erscheint (vgl. 
auch Sm. 6), hat auch im voraus schon eine gewisse Wirkung 
geübt, und zwar nicht bloss als ein die Zukunft offenbarender 
prophetischer Geist, sondern auch als eine Gesinnung und 
Leben bestimmende Kraft!). Daher können die Propheten 
auch „Jünger Jesu im Geist“ genannt werden, die auf ihren 
zukünftigen Meister warteten ἢ). Im gewöhnlichen Sinn des 
Worts, im Sinn eines persönlichen Verkehrs mit dem leib- 
haftigen Christus, oder auch nur einer solchen Gemeinschaft 
mit dem Fleisch Christi, wie sie selbst dem spät geborenen 
Christen nicht fehlt, welcher ans Evangelium glaubt (Phil. 5) 
und das Abendmahl feiert (Sm. 6; Phil. 4), waren sie noch 
nicht seine Jünger, sie waren es nicht τῇ σαρχί, wohl aber 
τῷ πνεύματι, weil der sie inspirirende Geist Christi sie zu 
Christus in ein dem Verhältnis des Jüngers zum Meister ana- 
loges Verhältnis gesetzt hat. Dies Verhältnis aber hat Chri- 
stus bestätigt, indem er ihnen Zeugnis gegeben hat, und noch 
mehr, indem er sie zum Besitz des Heils, auf welches sie 


-- --ψ---- -------. —- 


können auch nicht die ungläubigen Zeitgenossen der Propheten gemeint 
sein, sondern nur die Ungläubigen der christlichen Gegenwart, besonders 
die aus dem Judenthum hervorgegangenen Irriehrer, deren Lehre hier 
bestritten wird. 

1) Es sind hier die Gedanken des Petrus (1Petr. 1, 10. 11; vgl. 
Barnabas, c. 5) und des Hermas (sim. IX, 15. 16) verbunden. 

2) Mgn. 9: πῶς ἡμεῖς δυνησόμεθα ζῆσαι χωρὶς αὐτοῦ, οὗ καὶ ol 
προφῆται μαϑηταὶ ὄντες τῷ πνεύματι, ὡς διδϑάσχαλον προςεδόχων. Dass 
βἰπηΐοβα προςεδόκουν (sie schienen ausserdem noch) des ΟἹ festzuhalten, 
besteht kein Grund. Das Richtige haben Sever. Ant. (Wolf, anecdota 


468 


warteten, wirklich hat gelangen lassen !). Wie ernstlich auch 
das Letztere gemeint sei, sehen wir aus den dem letzten Citat.. 
aus Mgn. 9 unmittelbar folgenden Worten: χαὶ διὰ τοῦτο, ὃν 
δικαίως ἀνέμενον, παρὼν ἤγειρεν αὐτούς. Also Lohn ihres 
treuen Wartens (vgl. Eph. 15 'extr.) ist es, dass Christus, da 
er nun erschien, sie vom Tode auferweckte. Die Frage, 
welche Propheten gemeint seien (Cureton, p. 330), beant- 
wortet sich von selbst durch den Artikel bei προφῆται 
(Men. 8. 9; Phil. 5. 9) und aus dem ganzen Zusammenhang: 
die alttestamentlichen Propheten überhaupt, und aus Phil. 9 
erfahren wir dazu, dass auch von den Patriarchen, also wohl 
von den alttestamentlichen Frommen überhaupt, dasselbe gilt. 
Denn, wenn dort auch präsentisch ausgesagt wird, dass die 
Patriarchen und Propheten sogut wie die Apostel und die 
Glieder der christlichen Gemeinde durch Christus als die zum 
Vater führende Thür zu Gott eingehn, so zeigen doch die 
deutlicheren Aussagen (Mgn. 9; Phil. 5), dass sie nach 
Ignatius in den Besitz des durch Christus erworbenen Heils 
bereits eingetreten sind. In welchem Moment seines geschicht- 
lichen Lebens Christus sie auferweckt und beseligt hat, wird 
nicht gesagt, und erst die Untersuchung der literarischen Her- 
kunft dieser Meinung kann darüber Aufschluss geben. An 
dieser Stelle genügt es, zu bemerken, wie Ignatius die An- 


IV, 72) G2 und die Uebersetzungen. Eine Interpunction vor τῷ nvev- 
ματι zeugt von Misverständnis. 

1) Phil. 5:. ... . ἐν ᾧ (sc. Χριστῷ) καὶ πιστεύσαντες ἐσώϑησαν, ἐν 
ἑνότητι Ἰησοῦ Χριστοῦ. Das zweite ἐν exponirt das erste. In ihm .oder 
durch ihn, d. h. vermöge ihrer Gemeinschaft mit Christus wurden sie 
errettet. Oder ist hier an das εἰς ἑνότητα ϑεοῦ Phil. 9 zu denken und 
das folgende ὄντες hierzu zu ziehen? „In der Gemeinschaft mit Christus, in 
der Gemeinde der Erlösten seiend “ bezeichnete das Resultat ihrer Errettung 
in Folge ihres Gläubigwerdens an ihn. Jedenfalls kann πιστεύσαντες 
schon des Tempus wegen (s. vorher das perfeet. und zweimal praes.) nicht 
ein in ihr irdisches Leben fallendes Glauben bezeichnen; es wäre eine 
ungeschickt gestellte und durch den Wechsel des Ausdrucks ungeschickte 
Wiederaufnahme der vorhergehenden Angabe des in ihrem irdischen Leben 
liegenden Grundes ihrer Errettung. Es bildet vielmehr zu ihrem Weis- 
sagen, Hoffen und Warten auf den Zukünftigen das, Gläubigwerden an 
den Erschienenen einen Gegensatz. 


464 


erkennung der alttestamentlichen Offenbarung und Religiosität 
mit der Ueberzeugung von der Neuheit und dem unersetz- 
lichen Werth der neutestamentlichen zu vereinigen weiss. 
Zom Heil gelangen die, welche auf jener Stufe gestanden 
haben, weil es eine von Gott gewollte Vorstufe der in Chri- 
stus erfolgten Heilsoffenbarung ist, auf der sie treu ausgeharrt 
haben; aber sie gelangen dazu doch erst, indem sie nach- 
träglich an der ihrem irdischen Leben erst folgenden Heils- 
offenbarung betheiligt werden. Aus Hoffenden müssen sie 
Glaubende, aus Jüngern im Geist und im uneigentlichen Sinn 
müssen sie Jünger des im Fleisch erschienenen Christus wer- 
den; ein Gedanke, welchem die alte Kirche mannigfache Ge- 
stalt zu geben gewagt hat (vgl. meinen Hermas, $. 425fl. 
449 ff). Der Nachdruck, mit welchem Ignatius ihn geltend 
macht, stimmt zu dem Satz, dass auch die Engel, wenn sie 
nicht an das Blut Christi glauben, dem Gericht verfallen 
(Sm. 6). : In beiden spricht sich das starke Bewusstsein von 
der Heilsnothwendigkeit der in dem geschichtlichen Christus 
erfolgten Offenbarung Gottes aus, welche die Polemik des 
Ignatius gegen die Irrlehrer und besonders auch gegen ihren 
Doketismus auszeichnet. 

Während die Verkennung der Gnadenoffenbarung Gottes 
in Christus, worauf die Lehre dieser Häretiker zurückgeht . 
(Sm. 6; ef. Eph. 17), darin ihren Ausdruck findet, dass sie 
an die Stelle der wesenhaften und durch den ganzen Bereich 
der Schöpfung hin wirksamen Verwirklichung des Heilsrath- 
schlusses Gottes in den Thatsachen der evangelischen Ge- 
schichte eine schattenhafte Darstellung religiöser Ideen in dem 
nur scheinbaren Verlauf der Geschichte Jesu setzen, legt 
Ignatius allen Nachdruck auf die Wirklichkeit dieser Ge- 
schichte, womit für ihn ihre Wirkung steht und fällt. Die 
häretische These, ὅτε τὸ δοκεῖν ταῦτα ἐπράχϑη ὑπὸ τοῦ κυρίου 
ἡμῶν (Sm. 4. 2; Tr. 10), veranlasst das beharrlich. wieder- 
kehrende ἀληθῶς als Bestimmtheit aller. einzelnen Acte der 
Geschichte Jesu !) wie der durch ihn vermittelten Wort- und 


1) Tr. 9; Sm. 1—3; Mgn. 11. Οὗ, Eph. inser. ἐν nase ἀληϑινῷ. 


465 


Thatoffenbarung Gottes (Rom. 8; Eph. 17). Wie sehr die 
so gemeinte, durch ihren Gegensatz deutlich bestimmte Wahr- 
heit, d. i. Wirklichkeit der evangelischen Geschichte die 
Voraussetzung ihrer Heilswirkung ist, zeigt sich, so oft jene 
behauptet wird. Weil die Jünger Jesu in sinnenfälliger Weise 
von der Wirklichkeit seiner Auferstehung überzeugt wurden, 
bewiesen sie im Leben Todesverachtung und erwiesen sich 
sterbend als Ueberwinder des Todes (Sm. 3). Die opfer- 
freudige Gesinnung der Märtyrer wäre Wahnsinn ohne die 
Realität des Todes Jesu (Sm. 4; Tr. 10). Daher sind die 
Leiden der Christen ein beweiskräftiges Zeugnis für diese ihre 
Voraussetzung (Sm. 5); und, wie sich auf die Wirklichkeit 
der Auferstehung Chrsiti die Möglichkeit und Gewissheit der 
Auferstehung des Christen gründet (Tr. 9), so straft sich 
der Unglaube an diese Grundthatsachen der Erlösung durch 
schliessliche Verdammung zu einem leiblosen und gespensti- 
schen Dasein, wie das der höllischen. Geister ist (Sm. 2; 
s. oben 5. 381). Kurz, Christus ist „das wahrhaftige 
Leben‘ !) der Menschen nur dann, wenn er wahrhaft der ist, 
welchen das Evangelium predigt und die Kirche in der bereits 
sich bildenden Glaubensregel bekennt (s. Anh. II, 10). Es 
ist durchaus das Leben eines leibhaftigen, im Fleisch leben- 
den Menschen, worauf die Christen ihr Heil gründen. Hier 
lässt sich Form und Inhalt nicht scheiden, und es bleibt von 
den Grundthatsachen des Heils, der Geburt, dem Leiden, der ἡ 
Auferstehung nichts übrig, wenn man leugnet, dass Christus 
Fleisch an sich getragen habe. Somit liegt in der Leugnung 
der Realität der Leiblichkeit Jesu eine Leugnung der evan- 
gelischen Geschichte und der wahrhaft epochemachenden Heils- 
offenbarung selbst 3. Daher kann Ignatius auch umgekehrt 


1) Eph. 7 (Anh. I, 17); Sm. 4; Eph. 3: τὸ ὠδιάχριτον ἡμῶν ζῆν, 
„unser unauflösliches oder - unentreissbares Leben‘; vgl. oben S. 429, 
Anm. 1. Ueber Mgn. 1; 5. Anh. 1, 21. 

2) Sm. 5: τί γάρ μὲ ὠφελεῖ τις, εἰ ἐμὲ ἐπαινεῖ, τὸν δὲ κύριόν 
μου βλασφημεῖ, μὴ ὁμολογῶν αὐτὸν σαρχοφόρον; Ὁ δὲ τοῦτο μὴ λέγων 
τελείως «αὐτὸν ἀπήρψηται͵ ὧν νεκροφόρος. Auch das bald Folgende 

Zahn, Ignatius. 30 


468 


ihrer Leugnımg der Realität der Geschichte Jesu die leib- 
lichkeit oder Fleischlichkeit der geschichtlichen Person Jesu 
entgegensetzen. Es sind ἀληϑῶς und ἐν σαρκί durchaus 
synonyme Bezeichnungen der Art des Lebens Jesu!) So 
sehr bezeugt das Evangelium den im Fleisch Erschienenen, 
dass es als ein Ersatz für die der unmittelbaren Wahmehmung 
entzogene σάρξ Christi zu betrachten ist (Phil. 5; vgl. 5. 431), 
und der Glaube hat es so sehr mit der σάρξ Christi zu thun, 
dass auch er mit der σάρξ identificirt werden kanı (Tr. 8). 
Neben dem Fleisch (Tr. 8; Sm. 12; Phil. 4; Rom. 7) oder 
statt des Fleisches (Eph. 1; Sm. 1. 6; Phil. inser.) wird 
gelegentlich auch das Blut genannt, um durch diese andere 
oder jene erweiterte Bezeichnung der Leiblichkeit Jesu 
daran 2u erinnern, das er dieselbe Leiblichkeit, in welcher 
er sein Erdenleben geführt, welche er aus dem Tode wieder 
empfangen hat, und welche den Gläubigen im Abendmahl 
wie den Seligen im ‚enseits Gegenstand des Genusses wird, 
in den Tod gegeben habe ?). Zugleich wird durch die voll- 
ständigere Angabe „Fleisch und Blut“ noch nachdrücklicher 
die Gleichheit der leiblichen Natur Jesu mit der anderer 
Menschen ausgesagt (vgl. Hebr. 2, 14). In diesem Sinn wird 
auch die Betastung des Auferstandenen dureh die Jünger, sein 


. μέχρις οὗ μεοτανοήσωσιν εἰς τὸ πάϑος (cf. c. ὁ ἐὰν μὴ πιστεύσωσιν εἰς 
τὸ αἷμα Χριστοῦ) zeigt, dass Ignatius ihnen wegen ihrer doketischen 
Auffassung der Geschichte den Glauben an üie Geschichte selber ab- 
spricht. Sie sind Ungläubige (Sm. 2. 5; Tr. 10). 

1) Vgl. Sm. 2: ὠληϑῶς ὠνέστηφεν ἑαυτόν, Tr. 9: ἀλῃϑῶς ἡγέρϑη 
mit Sm. 3 init.; Sm. 7 init, oder Sm. 2: ἀληϑῶς ἔπαϑεν mit Sm. 1: 
ἀληϑῶς . . . καϑηλωμένον ὑπὲρ ἡμῶν ἐν σαρχί. 

2) Wenn Tr. 8 der Glaube mit dem Fleisch, die Liebe mit dem 
Blut Christi identificirt scheint, oder wenn Sm. 1 der Glaube auf das 
Kreuz, die Liebe auf das Blut bezogen wird, so ist die Vertheilung mehr 
rhetorisch als logisch (cf. Sm. 7 extr.), und nur insofern sachlich be- 
gründet, als die durch das vergossene Blut symbolisirte Hingabe des 
Lebens Jesu vor allem Anderen die Gegenliebe und die gegenseitige 
Liebe der Christen herausfordert (Eph. 1. Aber auch ans Blut glaubt 
man (Sm. 6) und Fleisch und Blut, Auferstehung und Tod zusammen 
sind Grund liebevoller Begrüssung (Sm. 12; cf. Phil. inser.). 


ἀθῖ 


Mitessen und Mittrinken mit ihnen (Sm. 3). die dayidische 
Abstammung '), die Geburt ans Maris (Eph, 7. 18, 19; Tr. 9) 
betong, Alles dien heweist, dass Christen euosogeang gewenen 
ist und noeh ist, dans Gnkt sieh in ihm in menschlicher Weise 
offenbart hat (Epb. 19), und dass der au sieh selbst über 
ale Bediagangen menschlichen Lebens Eirhabeue „eim voll 
kommener Mensch geworden ist“ (Sm. 4), Dieser Satz steht 
im Zusammenhang antidoketischer Polemik, Schen deshalb 
ib eg ein Misverstand, wenn Lips, I, 23, 99 in einem Zur 
sammenhang, wo ea sich um den Gagemsatg dar Gettheit und 
Menschheit Christi handelt, unnerem Ignatiws »achsegt, der 
Schwerpnnet seiner Christelogie liege in der Behauptung der 
völligen, nioht auf die menschliche aae5 allein beschränkten 
Menschheit Christi. Die Erwägung des Zusammenhangs nad 
der Veranlassung jenes Satzeg zeigt, dass damit Chrisko night 
ausser der φάρξ noeh eine apdene Seite der Menseheynatar, 
sondern statt einer nar scheinbaren Menschheit; per geistigen 
Menschenähnlichkeit, die wirkliche, garkische Mensehennatur 
zugesprochen werden gollte, Ein τῴλμιος ἀἄκμβοωπρς ist Ahen 
ein σφρκηφόρος (Sm. 5) oder awoxımc (Eph. 7), und als solaker 
erweist; sieh auch nach der Anfersigadene (Sm. 3 artr.). Ink 
die Behaupfung des wirklichen und wölligen Menschseins 
Christ} synonym mik der Rehanpiaug seinar sarkischen Beine 
weise, po steht ie wie diene im Dienst des gegen die [τς 
lehrer zu führenden Beweises, des die dam indischen Lehen 
Christi angekörigen ’Thaisachen der Erlösung wirkliche Thatr 
sachen sind, ohne welche Voraussetzung sie nicht eine wahre 
und wirkliche Offenbarung Gottes sein können. 

Die religiöse Bedeutung dieser Thatsachen, von weicher 
freilich keine Rede sein kann, wenn es keine Thatsachen sind, 
ist mit der Behauptung ihrer Wirklichkeit oder deg wahren 
Menschseins noch gar nicht ausgesprochen. Sie beryht viel- 
mehr darin, dass Jesus der aeue Mensch isk (Eph. 20), ader 
mit anderen Worten, dass Gott es ist, der sich zum Zweck 


30 Ἐ 


468 
der Verwirklichung seines Rathschlusses in ihm menschlich 
offenbart hat !). Der letztere an sich verschiedener Deutung 
fähige Ausdruck erhält seine Bestimmtheit, wenn man be- 
achtet, worin Ignatius „die auf den neuen Menschen ab- 
zielende Heilsveranstaltung “ Gottes sich verwirklichen und die 
menschliche Offenbarung Gottes bestehen lässt. Christus .ist ihm 
die menschliche Offenbarung Gottes und der 'neue Mensch, 
weil er nach Gottes Veranstaltung vermöge eines doppelten 
Ursprungs aus Davids Geschlecht und aus heiligem Geist von 
der Jungfrau empfangen und geboren wurde ?). Ein und der- 
selbe geschichtliche Christus wird auf Grund dieses seines zwei- 
seitigen Lebensanfangs bald darnach Eph. 20 Menschen- und 
Gottessohn genannt. Das also ist das Neue an diesem Men- 
schen, dass er nicht bloss Menschensohn, sondern auch Gottes- 
sohn ist; und beides zugleich ist er, weil seine durch Maria 
vermittelte Herkunft aus Davids Geschlecht zugleich eine 
durch den heiligen Geist vermittelte Herkunft aus Gott war. 
Diesen doppelten simultanen Ursprung bezeichnet Ignatius 
noch schärfer durch καὶ ἐκ Mopius καὶ ἐκ ϑεοῦ (Eph. 7; 
Anh, I, 17). Dass hier nicht etwa auf eine der Geburt aus 
Maria vorangehende, vorweltliche Erzeugung des Sohns aus 
Gott Rücksicht genommen ist, zeigt ausser der Vergleichung 
voh Eph. 18. 19 die Verbindung durch xai . . . καί und der 
Zusammenhang des Satzes, in welchem durchaus von der ge- 
schichtlichen Person, von Jesus dem (Christ die Rede ist, 
welcher zuerst leidensfähig war und dann erst über das 


— 


1) Eph. 19. Mit Rücksicht auf die Geburt Jesu heisst es ϑεοῦ 
ἀἐνϑρωπίνως pavsgovusvov Eis καινότητα ἀϊδίου ζωῆς. Dass des Scur. 
υἱοῦ statt ϑεοῦ (Gl Li G2 L? Sev. syr. 218, 4) nicht auf Bechnung de 
syrischen Uebersetzers, oder gar seines griechischen Originals zu setzen 
ist, zeigt A. Es ist aber auch nicht gerathen, als Subject der Selbst- 
offenbarung den vom Vater unterschiedenen Sohn zu verstehen, da das 
artikellose ϑεός vorher und: nachher beharrlich Gott schlechtweg oder 
Gott den Vater bezeichnet. Vgl. Mgn. 8: ὅτε εἷς ϑεός ἐστιν, ὁ φανε- 
θώσας ἑαυτὸν du: Ἰησοῦ Χριστοῦ. 

2) Eph. 18: ὁ γὼρ eos ἡμῶν Ἰησοῦς ὁ Χριστὸς ἐχυοφορήϑη ὑπὸ 
Μαρίας κατ᾽ οἰκονομίαν ϑεοῦ, ἐκ σπέρματος μὲν Δαβὶδ, πνεύματος δὲ 
, ἁγίου, ὃς ἐγεννήϑη καὶ ἐβαπτίσϑη x. τ. A. 


469 


Leiden erhoben wurde. Allerdings setzen die Prädicate ἀγέν- 
γητος, ϑεύς, vielleicht auch 'rveuuwiınog, eine dem mensch- 
lichen Sein Jesu vorangehende Existenz dieses Subjects voraus, 
wie das τότε ἀπαϑής in den dem geschichtlichen Leben Jesu 
folgenden. Stand seiner Erhöhung weist. Aber die Voran- 
stellung von σαρκικός VOL πνευματικύς, VON γεννητός ΥΟΥ ἀγέν- 
νητος, VOR ἐν σαρκί Vor ϑεύς, von ἐν ϑανάτῳ vor ζωΐ ἀληϑινή, 
von ἐκ Μαρίας vor ἐκ ϑεαῦ, und die ausdrückliche Erklärung, 
dass der Stand der Leidensfähigkeit und des Leidens dem ent- 
gegengesetzten zeitlich vorangegangen sei, lehrt uns, dass der 
Standpunct, von welchem aus einem und ‚demselben Subject 
diese gegensätzlichen Attribute ertheilt werden, diesseits des 
irdischen Lebensanfangs Christi liegt. Vom Sohn der Maria 
und Gottes, von dem Jesus Christus, welchen die Christen als 
ihren Herrn kennen, gelten beide Reihen von Aussagen. 
Weil das Leben, in welches er eingetreten, ein Leben in 
leiblicher Menschennatur war und ist, heisst er σαρκικός und 
der Eintritt in dasselbe ἐν σαρκὶ γενέσϑαι; weil er überhaupt 
einen Lebensanfang hat, heisst er yevvnros; aber nach einer 
anderen Seite, nämlich abgesehn von seinem Eintritt in 
irdisches Leben, seiner γέννησις oder γένεσις, ist er ἀγέννητος. 
Wenn ihm in solchem Zusammenhang Herkunft sowohl aus- 
Maria als aus Gott zugeschrieben wird, so kann das natärlich 
von ihm nur gelten, sofern er überhaupt eine Herkunft, eine 
γέννησις oder γένεσις hat oder γεννητός ist, und die spätere 
kirchliche Theorie von einer vorgeschichtlichen Erzeugung des 
Sohnes aus dem Vater und jeder, wenn auch noch so sehr 
sublimirte Gedanke einer Entstehung dieses Subjects ist durch 
ἀγέννητος geradezu ausgeschlossen. Also ist Christus für 
Ignatius zwar ewiges Ich, aber Gottes Sohn doch erst als der . 
„ins Fleisch Gekommene“, als der „aus Maria und Gott“ 
oder „aus Davids Geschlecht und heiligem Geist“ zugleich 
Entsprossene, und es beschreibt der Name Sohn Gottes den 
gleichen Umfang wie der Name Menschensohn, und zu beiden 
bildet die Ewigkeit, Unerzeugtheit, Gottheit des Ichs, welches 
Gottes- und Menschensohn: geworden ist, einen (Gegensatz. 
Das zeigen auch die Worte τὸν κύριον ὑμῶν, ἀληθῶς ὄντα ἐκ 


478 


γέρους Hapıd “κατὰ σάδκα, ἦὸν ϑεοῦ κατὰ Bee μοὶ δύναμιν 
ϑεοῦ, μεγεμημένυν ἀχηϑῶς ir παρϑένου (Seh. 1). Wie sebief 
και (die Gidktessohndchufs hier Ywischen davidischer Alketft 
uni Gebart aus üdr Iimgfran u wtöhen, wurm damit dus Dr» 
'gehmis einer Ahherg@llichen Löbemibawerrung Wehlaımt ΣΙΝ, 
welshe der mienschläöhen '&eburt ‘oder, 'wie es ker Keisss, der 
Entstehung ἢ aus der Jungfrau vordagitige. Vielmelrt, sofern 
er uk ἀδί, δα ναὶ ur ἀπο Veermitlung seiner Mitber aus 
Davids Geschleckk ; ass dieser Fleisch 'Giewordenb ‘aber Bilekch- 
wohl Gottes Som ibt, verdankt ’er dam μον γα "Willen wird 
er Kraft Gottes, wodurch Ale weunderbire Gelsurt ven Wiktr 
Aringften möglich werd ἢ. Von du Ads veistukt ‘us sich voh 
seibät, ünss Intatius, wo er von ὅσ Hervonsehn Christi 
αὶ Gott ıoller dem Vater redet, dnmit τὰν Beim Üeber- 
trikt es der Unsiehtkarkeit wöltdichun Lebens in die Sicht- 
barkeit Imanschläcken Jebens, seite Monschwerdumg, »e- 
zeichnet ἢ. Nicht voh tindın Sohn 'Gbttes, weldher in der ' 


— 


1) Es ist hier an der Schreibung mit einem » nicht zu rütteln trotz 
des ἐγεννήϑη Eph. 18; Tr. 9 und des γεννητὸς καὶ ἀγέννητος Eph. 7; 
γέ. At. I, 17. Es 4δ Ὁ absichtlich gewählt, weil nicht die Thiatsache, 
äklts dr ‘Y6n Εἰπὸν -Jungfiku Yebdren "Wöhden (de δ ϑένοιν, Wunklehn Hei 
Biritvikt in menschliches Lebm als ein Herkemmen veh οὐδὸς ‚Fungkel, 
wie Eph. 7 als ein Eintreten in menschliche Natur (ἐν σαρχὶ yerkada) 
bezeichnet sein sollte. — Die Aenderung von ϑέλημα in ϑεότητα (Theo- 
doret ed. Sirm. IV, 38) oder φύσιν A, wo dann folgerichtig ϑεοὺ hinter 
δόναμειν 'susgestössen ist, zeigt beide, Wie die Aechdertiig des Miter- 
polntors, wie wenig 'sich 'Hie spättrim Theslogen Yait το Vorfilhren 
verständigen konnten. Der obige Weit fist durch (01 δὲ Swen. dir. 
214, 15 gesichert. 

2) Der Anklang an Rom. 1, 3f. ist unverkennbar. (cf. Eph. 20). 
Wer einsieht, dass oh, 1, 188. die Erzeugung der Gotteskinder mit der 
übernätürtichen Kg Christi parallelisitt θὲ, Wird in des Tgnatiın 
ϑέλημν (ϑεοῦ Ak podiiieh Mtisdkuek für die Hoftigen Mebkalkveih Erkerisehn. 
Vgl. Ic. 1,:35. Zar duslagung vgl. Poison IH, 10. 

3) Mgn. 7: .. Ἰησοῦν Χριστὸν, τὸν up’ Evös πατρὸς προελϑόντα 
καὶ εἰς ἕνα ὄντα Pr χωρήσαντα. Zu Bunsens Aenderung δὲς ὅνα dva- 
ζώρήδαντα Tiegt kein Grund vor, obwöhl A Ähnlich gekürzt hat. Das 
gerenwäläige Sein Christi in Gott, welches dttrch die Consttuctiön init 
δὲς (vgl. Joh. 1, 18 oder ipedipen εἰς dh Tl, 3) als ῬΥ ΟΜΝ 


471 


Person Jesu Mensch geworden wäre, sondern von Jesus dem 
Christ wird das ausgesagt. Dem Hervorgehn desselken aus 
Gott entspricht gegensätzlich dasjenige Eingehn in Golf, 
womit sein gegenwärtiges Sein in Gott angehoben hat, Dies 
εἶναι εἰς σὺν πωτέρᾳ oder ἐν τῷ πατρί (Bom. 8) bezeishnet, - 
wie besonders dentlich ἀφ. 3 zeigt, das gegenwärtige Sein 
Christi und hildet den Gegensatz zu seinem vormaligen εὗναι 
iv τῷ κόσμῳ. Es drückt die Deberweltlichkeit und Unsicht- 
barkeit des erhöhten Ohristus aus. Ist aber das dieses erw. 
ἐν τῷ πατρί einleitende χωρεῖν εἰς τὸν παεέρω seine Rückkehr 
aus irdischem Leben in die Ueberweltlichkeit, 859 mus auch 
das ihm gegensätzlich entsprechende προελθεῖν ix τοῦ παξφός 
den. Eintritt ins irdische Leben benennen, welchem nur ein 
ewiges Sein in Golk vormmmging. Hs bezeichnet denselben 
Act als That Christi, welcher kurz vorher Mgn. 6 als die am 
Ende der Zeit geschehene Erscheinung dessen, der vor. den 
Aconen beim Vater war, bezeishnet war, und gleich nachher 
6. 8 als That des Vaters Sendung des Sohnes heisst, Eben 
der, welcher in allen Stücken wohlgefisl dem, der ihn ge 
sandt hat, ist ihm der Sohn Gottes, durch welchen sich Gott 
geoffenbart hat (Mgn. 8); und wie Hph. 7 durch ἀγέννητος 
der Gedanke förmlich ausgeschlossen ist, dass die Erzeugung 
und Entstehung des Sohnes 6tottes aus Gott und Maria die 
Existenz dieser Person in jeder Hinsicht gesetzt habe, und 
ausdrücklich gesagt ist, dass jene Erzeugung. nur ein ing Fleisch 
Kommen dessen, der Gott ist, bedeutet, so wird auch Mgn. 8 
von dem Bubject der evangelischen Geschichte und dem ge- 
schichtlichen Mistler der Offenbarung Gottes Ewigkeit aus- 
gesagt. Die Verbindung dieses Attributs (ἀΐδιος) mit dem 
Ingesnamen darf nicht zu dem Irrtum verführen, als ob 
Christus darum, weil er Gottes Logos ist, ewig wäre. Es 
wurde 5. 382ff. schon soviel bewiesen, dass in der hier ob- 


einer Bewegung dorthin bezeichnet ist, konmte Ignatius füglich dem 
durch das Hervorkommen von Gett %egründeten Sein in dar Welt sofort 
gegenübertreten lassen und dann erst nachträgliob die rückgängige Be- 
wegung ausdrücklich nemuen. 


472 


waltenden Polemik gegen gewisse auf dem Logosnamen fussende 
christologische Reflexionen, nicht der Logosbegriff selbst, son- 
dern die trotz der Berechtigung desselben festzuhaltende Ewig- 
keit der Person, welche Logos Gottes heisst, betont sein 
wollte. Weit entfernt, dass der Logosname das ewige, an- 
fangslose Sein des so Benannten verbürgte ἢ), nöthigt der Zu- 
sammenhang vielmehr dazu, diese Benennung. ebenso auf den 
Menschgewordenen zu beziehen, wie die vorangehenden Jesus 
Christus und Gottes Sohn. Sie sind alle eingerahmt von den 
beiden geschichtlichen Aussagen, dass Gott sich durch ihn 
offenbart, und dass er das ungetheilte Wohlgefallen seines 
Auftraggebers sich erworben habe. Tıogos heisst Christus um 
des Ersteren willen als Mittler der Selbstoffenbarung Gottes. 
Unter dieser aber ist nur die neutestamentliche zu verstehen. 
Wenn Jesus als Mittler. der neutestamentlichen Selbstoffen- 
barung Gottes dessen Logos heisst, so ist damit wesentlich 
dasselbe gesagt, als wenn derselbe Jesus Christus „der un- 
trügliche Mund, durch welchen der Vater wahrhaft geredet 
hat“ (Rom. 8), oder „die Willensmeinung des Vaters“ 
(Eph. 3), oder „die Erkenntnis Gottes“ (Eph. 17) heisst. 
Während es für Menschen schon höchstes Lob ist, dass sie 
sich in der Willensmeinung Gottes und Christi befinden 
(Eph. 3), und das einzige Heil für sie darin besteht, dass 
sie das von Gott gesandte Gnadengut sich aneignen und die 
in Christus zu findende Erkenntnis Gottes gewinnen (Eph. 17), 
ist Christus alles dies selbst; er als Person ist der voll- 
kommene Ausdruck des göttlichen Willens und Rathschlusses, 
er ist die Person gewordene Gnade und Erkenntnis Gottes. 
So ist er auch nicht in dem Sinne ÖOffenbarungsmittler,, dass 
er wie Andere Empfänger und Verkündiger eines an ihn ge- 


1) Obwohl Ignatius Rom. 2 gewiss nicht, wie Johannes Monachus 
meinte, eine Erinnerung an Joh. 1, 1ff. und Joh. 1, 23 und den Gegen- 
satz von Christus als dem Wort und Johannes als einer Stimme Gottes 
beabsichtigt hat, so beweist doch die Stelle, dass für Ignatius die Be 
zeichnung einer Person als Wort Gottes keineswegs die Behauptung 
ihrer anfangslosen Ewigkeit einschliesst. S. Anh. I, 9. 


.478 


langten, Gotteswortes wäre, sondern diese aus der Ueberwelt- 
lichkeit Gottes herausgetretene, in die Welt eingetretene 
Person ist selbst Gottes Wort, Gottes vollkommene Offen- 
barung. Er beweist sich als dies natürlich auch dadurch, dass 
er redet und lehrt (Mgn. 9; Eph. 6. 15), oder Gott durch 
ihn als sein Organ redet (Rom. 8); aber das ist nur eine der 
Formen, wodurch er Gottes Willen an die Menschen bringt; 
auch seine Thaten sind Worte (Eph. 15), und schon in seiner 
Empfängnis und Geburt „oflenbart sich Gott menschlich“ 
(Eph. 19). Der so gesetzte „neue Mensch“ (Eph. 20) selbst 
ist also Gottes Wort. Diese von aller Speculstion über das 
Verhältnis des präexistenten Christus zu Gott fernliegende 
Gedankenreihe eine Logoslehre zu nennen, wäre abgeschmackt. 
Nicht einmal vom Logomamen macht Ignatius weiter Ge- 
brauch '); es ist ihm nur einer der mannigfaltigen bildlichen 
Ausdrücke für den Charakter Christi als Offenbarung und 
Offenbarers Gottes. In dem Masse aber, als für ihn der 
Gegensatz von Leben und Tod den Gegensatz von Erkenntnis 
und Unwissenheit überwiegt, sind auch die auf den letzteren 
bezüglichen Begriffe seltener angewandt, als die .auf den 
ersteren bezüglichen. Die einzige Stelle, an welcher er Chri- 
stus Logos Gottes nennt und in welcher man eine Logoslehre 
zu finden meint, enthält nur Bestreitung einer Logoslehre, 
und zwar eine solche, welche erkennen lässt, dass Ignatius 
den Logosnamen lediglich als Bezeichnung der heilsamtlichen 
Stellung Christi verwendet haben will, und dass er jedem 
Gedanken an eine aus diesem Namen zu gewinnende Be- 
stimmung dss Wesens der ewigen Person Christi und ihres 
Verhältnisses zu Gott abhold ist. Auch an dieser Stelle zeigt 
sich, dass Ignatius von einer anderen Erzeugung oder Ent- 
stehung Christi aus Gott als der Menschwerdung ebenso- 


1) Bei den Worten ἐν ἀμώμῳ πνεύματι καὶ λόγῳ ϑεοῦ πλεῖστα 
χαέρειν Sm. inscr. ist es mindestens sehr fraglich, vb an den heiligen Geist 
und Christus zu denken ist. Das Attribut ἄμωμος scheint nur auf die 
mnere Verfassung der Begrüssten zu passen, wie sonst in der Verbindung 
mit χαρά Mgn. 7; cf. Rom. inser. 


474 


wenig etwas weiss, als er von der häretischen’ Benutzung des 
Logomamens zum Behuf einer Herleitung des Wesens Christi 
aus Gott etwas wissen will. Wüsste er von. einem die 
Existenz des, Logos genannten, Subjects begrändenden προ- 
ελϑεῖν, BO müsste er dieses der häretischen Lehre vom προ- 
ἐλϑεῖν ἀπὸ σιγῆς gegenüberstellen, und nicht die Verneinung 
des Gewordenseins, die αϊδοότης, das voräonische Sein beim 
Vater. Richtig dagegen ist sein Verfahren, wenn er von 
demselben Subject, welches am Ende der Zeiten aus Maria und 
Gott, aus Davids Geschlecht und aus heiligem Geist geboren 
worden, also geworden ist, zugleioh Ungewordenheit und Un- 
erzeugtheit nussagt. Letzteres könnte er selbstverstämdlich 
nicht sagen, wenn er den simultanen Ursprung Christi aus 
Gott und Maria als Entstehung des Ichs fasste, welches als 
geschichtliche Erscheinung Jesus Christus, Gottes Sohn, Logos 
u. 5. w. heisst. Aber jener Ursprung ist ihm ein Gesendet- 
werden dessen, der nie einen Anfang gehabt hat (Mpn. 6; 
εἴ. Eph. 17), ein Hervorsreten vom Vater her, welches 
: ebenso notkwendig ein vorheriges distinctes Bein bei Goit vor- 
wussetrt, wie das entsprechende - Zurücktreien in Gott ein 
solches zur Folge hat (Men. 7). Es ist ihm eine Er- 
scheinung dessen, der vor den Asonen beine ‚Vater war 
(Mgn. 6); es ist ihm Menschwerduag; also eine Ver- 
änderung oder Umgestaltuug eines Solchen, der vorher nicht 
Mensch war, zu einem völligen Menschen (Sm. 4); es ist ein 
Eintreten dessen, der wesentlich Gott ist, ins Fleisch. 
So nämlich, als Attribut des einen Arztes Christi, ist das 
ἂν σαραὶ γενόμιενος ϑεός Eph. 7 zu fassen. Während in den 
beiden ersten Paaren von Attribaten je zwei gegensätzliche 
Seiten der Person Christi, dass er fleischlich oder erzeugt 
(«= Mensch), und dass er geistig oder unerzaugt (== Koll) 
ist, coordinirt sind, wird im fünften und sechsten Attribut 
die menschliche Seite zu einer Bestimmtheit der göttlichen 
gemacht. Der πνευματικός und ἀγέννητος ist als solcher Jeos, 
aber er ist es in der durch ougxıxös, γεννητός und ἐν σαρκὶ 
γενόμενος angegebenen geschichtlichen Form. Hierdurch ist 
dann der Sinn der Ausdrücke wi ἐκ :Mapias καὶ ἐκ ϑεοῦ 


478 


(Eyh. Τὴ, du wrloneree μὲν Sad, πνεύματος δὲ ἁγίου 
(Biph. 18), υἱὸς ἀνθριόκου καὶ υἱὸς Heu (Eph. 90) völlig be- 
stimmt. Während mäarhlich diese Ausdräcke die Möglichkeit 
offen liessen, dam durch eine ausserordentliche Veranstaltung 
(EPh. 18) und wunderbare Wirkung Cioites (Sm. 1) auf die 
Jünpfrau Marla „der neue Mensch“ (Bph. 20) producirt wor- 
den sei, wolcher um dieses seines Lebensanfangs willen der 
Sohn Gottes in einem Andere ausschliessenden Sinne hiesse '), 
is6 wus den zaletzt besprochenen Btellen deutlich, dass dem 
Hetvorgehn aus Gott ein Sein in und bei Gstt, dem ins 
Fleisch Kommen ein Geist Sein, dem Mensch Werden ein 
Gott Sera vorangeht, zugleich aber auch, dass dieses Geist 
and Gott Sein durch das Mensch Werden und ins Fleisch 
Kommen nicht aufgehoben ist, sondern als das ewige Wesen 
dieser Poison ihrem geschichtlichen Sein innewohnt, und dass 
umgekehrt das Ergebnis les ins Fleisch Kommens von diesem 
Breignie un der Person für immer anhaftet. Er ist „Aeisch- 
lich“, Menschensohn und Gottessohn, Jesus und Chrisies ge- 
bHuben, wwitdlern er 886 geworden ist. Die mit diesen Namen 
beseichnete geschichtliche Persönlichkeit ist nicht ein einem 
bestimnien Mement der Offenbarungsgeschiohte angehöriger 
Mölus des inmerweitlichen Seins und Wirkens Gottes, sonderh 
is Für #nmer, sowohl das, was sie von Ewigkeit her, nis 
des, was wie sbit ihrer Menschwerdang ist. Auch der Auf- 
arstandene und Wrhöhte hat Fieisch an sich, welches neben 
dem Gieist us constitutives Element seiner Person für den 
GHauben von allergrömter Bedantung ἰδὲ . Nur diejenige 


1) Darüber binaus geht auch nicht das πατρὸς ὑψέσεου καὶ Ἰησοῦ 
Χρεδτοῦ τοῦ μόνου υἱοῦ αὐτοῦ Rom. inscr. Vgl. den artikellosen Ge- 
bauch beider Wolke υἱοῦ πατρός ebendott und Mgn. 13. 

ὃ) Sm. 8 gehört ganz hierber. Mit LA (convieti) κρατηϑένεες statt 
πραϑέντος zu lesen, empfehlt sich am «0 weniger, da auch die Um- 
schreibung des A, welcher dies aufs Abendmahl bezieht und αἵματι 
statt πνεύματι voraussetzt, die Lesart χραϑέντες voraussetzt. ‚ Gemischt, 
d. h. innig verbunden mit Fleisch wie Geist Christi, kamen sie zum 
Axtden“. Wi. noch Man. 1. 


410 


Beschaffenheit der σάρξ, vermöge deren sie dem Leiden uuter- 
worfen war (Eph. 7; ad Pol. 3), hat aufgehört, seit Gott sie 
vom Tode aufgeweckt hat (Sm. 7). Diese Umgestaltung der 
σάρξ ist mit dem Zweck der Erscheinung Christi im Fleisch 
gegeben, welcher in der Auflösung der Todesherrschaft und der 
Stiftung eines neuen ewigen Menschenlebens durch den neuen 
Menschen besteht (Eph. 19). Gerade durch das Erleiden des 
Todes, welches die Sünden der Menschen veranlasst haben 
(Sm. 7), wird der Grund dieses neuen Lebens gelegt; gerade 
im Tode erweist sich Christus als das wahrhaftige Leben 
(Epb. 7), welches man sich durch freiwillige Versenkung in 
seinen Tod aneignet (Mgn. 5; cf. Tr. 2). Daher kann Christi 
Leiden selbst die Auferstehung der Christen heissen (Sm. 5; 
οἵ. Mgn. 9). Aber dieser Wendepunct ist der Tod Jesu nur, 
weil die σάρξ, in welcher er und welche selbst gelitten hat, 
wiederauferweckt worden ist (Sm. 7; cf. 1), nun aber in 
einer ihrem nunmelrigen Zweck entsprechenden Beschaffenheit 
fortlebt. | 

Aehnlich wie Eph. 7 werden auch ad Pol. 3 gegensätz- 
liche Attribute auf Christus gehäuft. Aber, weil es sich um 
den wiederkehrenden Christus handelt, auf welchen die Chri- 
sten zu warten haben, werden neben seine ewigen, in der 
Zwischenzeit zwischen erster und zweiter Parusie actuellen 
Eigenschaften die entgegengesetzten, sein irdisches Leben 
charakterisirenden gestellt, welche. seine Wiedererscheinung 
glaubhaft machen. An sich selbst ist er überzeitlich und 
zeitlos, unsichtbar, unbetastbar und dem Leiden nicht unter- 
worfen; aber um der Menschen willen war er sichtbar und 
leidensfähig und duldete er in jeder Beziehung. Um der 
letzten rein historischen Aussage willen muss man auch die 
beiden parallelen Attribute ὁρατὸς und παϑητός durch einen 
Satz im Imperfect auflösen, obwohl mit dem ersten gesagt 
sein soll, dass er im Stande ist, um des Heilszweckes willen 
sich wieder sichtbar zu machen, wie das zweite und dritte 
an die in der ersten Parusie bewiesene Gesinnung erinnert, 
vermöge deren er auch die Heilsvollendung herbeiführen wird. 
Baur (II, 110) hat in dieser Stelle, ohne nach dem Zusammen- 


477 
hang derselben auch nur zu fragen, den gröbsten Patripas- 
sianismus entdeckt und geradezu behauptet, alle jene negativen 
Attribute bezeichneten Gott den Vater, und Lipsius (I, 21), 
welcher hier einen stehen gebliebenen Rest seines Urignatius 
findet, stimmt dem zu, während er gleichzeitig in milderer 
Form bemerkt, dass keins jener Prädicate dazu nöthige, an 
den von Gott geschiedenen Logos zu denken. Vom Logos- ist 
hier freilich nicht die Rede und vollends nicht von dem, 
was man sich unter Logos vorzustellen pflegt, wohl aber, wie 
τὸν ὑπομείναντα zeigt, vom geschichtlichen Christus. Es 
müsste also, da nicht von zwei Wesen die Rede ist, dach erst 
nachgewiesen werden, dass die Prädicate der Ueberzeitlichkeit, 
Unsichtbarkeit, Unkörperlichkeit, Leidenslosigkeit nicht auf 
den Christus des Ignatius passen. Aber wie sollten sie nicht, 
da Jesus vor den Aeonen beim Vater gewesen sein soll, ehe 
er am Ende der Zeiten erschien (Mgn. 6)! Sodann hätte 
man sich, wenn auch keine so ausdrücklichen Aussagen vor- 
lägen, wie die in Mgn. 6. 8; Eph. 7, welche dem deutlich 
vom Vater unterschiedenen Sohn Ewigkeit beilegen, die Mühe 
nicht sparen sollen, eine einzige Stelle nachzuweisen, wo 
Ignatius „Gott den Vater“ als das Subject der Erlöserthaten 
Jesu einführte. Aber er unterscheidet den historischen Chri- 
stus eben da, wo er ihn Gottes ewigen Logos nennt, als den 
von Gott gesandten Sohn von dem ihn sendenden Gott, dem 
er wohlgefallen hat (Mgn. 8), an einer Stelle, welche Baur 
vermöge der naivsten Art von Kritik als ein späteres Ein- 
schiebsel verdächtigt hat (TI, 111), nachdem er (Il, 109) über 
„Willkür philologischer Kritik‘ geklagt hatte. Ignatius 
unterscheidet den historischen Christus von Gott überall da, 
wo er. ihn Gottes Sohn nennt, und der staunenswerthen Be- 
hauptung, dass in den ignatianischen Briefen mit Ausnahme 
der verdächtigten Stelle Mgn. 8 „nie von einem υἱός (soll 
heissen von Christus als Sohn Gottes) die Rede sei“ (Baur 
I, 111), lässt sich nur antworten, dass Christus Sm. 1; 
Eph. 20; Mgn. 13; Rom. inser. (zweimal) ausdrücklich Sohn 
Gottes oder Sohn genannt wird, und dass er ausserdem überall 
da als Sohn Gottes vorgestellt ist, wo Gott neben ihm als 


418 


Vater (Rom. 2. 3. 8; Mon. 1. 6. 7. 13 orte; Tr. 18. 13; 
Pel. inser.; Eph. 3. 4. 5. 15; Sm. 3) oder als Gott Vater 
(Eph. 9; Mgn. inser. und c. 5; Phil. inser. und c. 1}, oder 
als Vater Jesu Christi (Eph. 2; Mgn. 3; cf. Tr. 9; Phil, 7) 
benannt ist. Diess 29 Stellen hat Baur übersehn, Die Au 
flucht, welche er für dem Fall, dass irgendwo der Sohn vom 
Vater unterschieden werde, bereit, hielt, dem der Sohn dann 
nicht das zur memschlichen Erscheinung sich hestimmende 
Subjeot, sondern nur das Menschliche dieser Eirseheinusg 
selbst sein solle !), widerlegt. sich durch die ausführlich be- 
sprochene Thatssche, dass Ignakins das Menschliche an der 
geschichtlichen Erscheinung Christi als σώρΣ bezeichnet und 
von dieser einen Seite der geschichtlichen Eimscheinnag Christi 
eine andere unterseheidet, nach welcher demelbe Christus 
geistig, unerzeugt, ewig, Gott ist. Christus keisst hei ihm 
räcksichtlich seiner menschliohen Natur gerade nicht Sohn 
Gottes, sondern „völliger Mensch, neuer Mensch, Menschex- 
sohn“, „Gottessohn‘“ aber nach seiner Herkunft aus Gott. 
Ignatius vermeidet ferner das der Misdeutwag zugängliche mei 
ἐγένετο und betrachtet die σάφξ stets als ain der Pezsen Jesu 
Anhaftendes, von ihr Unterscheidbares. Er trikk in die «wei 
ein (Eph. 7), trägt sie (Sm. 5), hat eine hierdureh hedingte 
Beschaffenheit (σαρκικός Eph. 7; Bm. 8), aber er ist diese 
σύρξ ehensowenig, als er der Vater ist, der ikm gerandt hat. 
Wollte man Letzteres daraus folgern, dass einmal er selbst 
(Sm. 2), sonst aber der Vater (Tr. 9; Sm. 7) als Subjeot der 


1) Dies eignet sich Lipsins I, 26 für seinen Urignatius an. Dezsalbe 
erkennt ad Pol. 3 auch darin einen stehen gebliebenen urignatjanischen 
Gedanken, dass dem αἀψηλάφητον kein Gegensatz entspreche, weil die 
modalistische Auffassung des Urignatias im Unterschied von der weiter- 
fortgeschrittenen Ohristologie unseres Igmatins (8a. 3) dem Gedanke 
eimer menschlichen Betsstung Mokteg χάρι zugelasenn habe, als ab 
ὑπέρχαμρον und Aygovor hier einen entsprechenden Gegenastz hätten, der 
wie ὁρατόν und παϑητόν von der menschlichen Erscheinung hergenommen 
‚wäre, und als ob das xard πάντα τρόπον ὑπομείναντα nicht an noeh 
ganz andere Dinge, als an Betastung durch menschliebe Hände denken 


liesse, an Geisselung, Bespeiumg und Annsgelung. 


479 


Auferweckung Jesa auftritt, so könnte man ebensogut die 
Identität Christi mit seiner oug& daraus folgern, dass einmal 
die σάρξ (Sm. 7), sonst aber Christus selbst (Sm. 2; Tr. 9). 
als Object der Auferweckung genannt ist. Beides aber wäre 
Misverstand.. Wo es darauf ankommt, die Identität der im 
Abendmahl sich mittheilenden menschlichen Natur mit der- 
jenigen, welche am Kreuz gelitten hat, zu behaupten, wird 
von eben dieser leiblichen Natur gesagt, dass der Vater sie 
vermöge seiner Güte auferweckt habe, während die unge- 
nauere Bezeichnung Christi selbst als des Auferweckten und 
Auferstandenen auch bei Ignatius die gewöhnliche ist, statthaft 
neben der anderen, weil die σάρξ, welche ins Grab gelegt und 
wieder belebt wurde, die σάρξ dieser Person ist, welche in 
und mit ihrer σάρξ lebt, stirbt und aufersteht. Der gleich- 
falls seltenere Ausdruck ἀληϑῶς ἀνέστησεν ἑαυτόν (Sm. 2), 
welcher übrigeus an Joh. 2, 19ff.; 10, 17 seine Analogieen 
hat, scheint sich absichtslos als Fortsetzung des ἀληθῶς ἔπα- 
ϑὲν darzubieten. Aehnlich ist es, wenn Sm. 4 in Bezug auf 
alle Thatsachen der evangelischen Geschichte mit Einschluss 
der Auferstehung, als deren leidendes Object Christus ge- 
wöhnlich bezeichnet wird, und mit Einschluss des Leidens, 
welches doch zunächst kein Thun ist, gesagt wird ταῦτα 
ἐπράχϑη ὑπὸ τοῦ κυρίον ἡμῶν (cl. Mgn. 11). Immer ist es 
ein und dasselbe persönliche Suhject und nicht die demselben 
anhaftende leiblioehe Menschemnatur, was Ignatius deutlich 
von Gott als seinem Vater unterscheidet. Gerade da, wo er 
Christus nicht als Natur, sondern als sittliche Persönlichkeit 
betrachtet, ist die Unterscheidung ani allerdeutlichsten. Jesus 
Christus ist Nachahmer seines Vaters (Phil. 7), folgt seinem 
Vater (Sm. 8), gefiel wohl seinem Auftraggeber (Mgn. 8), 
handelte würdig des Vaters (Eph. 15), that nichts ohne den 
Vater {Mgn. 7), führte ein Leben des Glaubens und der Liebe 
(Eph. 20; vgl. oben S. 457) und war dem Vater unterthänig 
(Mgan. 13). Wenn letztere Aussage durch ein κατὰ σάρχα 
eingeschränkt wird, so gilt das nicht minder von allen 
anderen, welche das geschichtliche Leben Christi als ein ächt 
menschliches erkennen lassen. Es ist damit selbstverständlich 


480 


nicht gesagt, dass nur die σάρξ Christi jene, eine deutliche 
persönliche Unterscheidung von Gott voraussetzende, Stellung 
zu Gott eingenommen habe, dass die σάρξ geglaubt und ge- 
liebt und Gehorsam bewiesen habe; sondern das Ich, welches 
in menschliche Natur eingetreten ist, hat, sofern es ein Fleisch 
an sich tragendes, gewordenes Subject, sofern es Gottes- und 
Menschensohn ist, in einem Verhältnis der Unterordnung zu 
Gott als seinem Vater gestanden, während es an sich selbst 
als zvevumtızog und ἀγέννητος und ϑεύς Gott gleich steht. 
Da nun aber überall beiderlei Prädicate mit polemischem Nach- 
druck auf eine und dieselbe Person Jesus Christus bezogen 
werden, und da von dieser Person gesagt wird, dass sie vor 
den Aeonen bei und neben und in dem Vater existirt habe, 
dann aber in die Welt gesandt und erschienen sei (Mgn. 6-8), 
so folgt, dass dieses Ich, welches als Mensch Gottes-- und 
Menschensohn und Logos und Jesus Christus heisst, „das zur 
menschlichen Erscheinung sich bestimmende Subject“ ist und 
von dem Vater sowohl als das ewig Existirende, wie als das 
menschlich Erschienene persönlich unterschieden wird. Der 
Menschgewordene ist freilich aufs engste mit dem Vater ge- 
einigt (Mgn. 7), und namentlich auch nach der Auferstehung 
trotz seiner fortdauernden leiblichen Existenz geistig mit dem 
Vater geeinigt zu denken (Sm. 3). Aber wie wenig damit 
Identität ausgesagt werden soll, zeigt die Verwendung de 
Gedankens. Während Mgn. 7 dadurch die für das Verhältnis 
der Gemeindeglieder zu den Gemeindevorstehern vorbildliche 
Abhängigkeit des Handelns Jesu von Gott motivirt wird, wird 
Eph. 5 die innige Gemeinschaft zwischen Christus und Gott, 
ebenso wie die zwischen Christus und der Kirche, mit der- 
jenigen verglichen, welche zwischen Bischof und Gemeinde 
besteht. Während diese Aussagen sogar einer arianischen 
Theologie Raum lassen würden, ergibt sich aus den vorher 
erörterten Gedanken über das ewige Wesen der Person Christi, 
dass Ignatius mit ganz anderer Energie, als die späteren 
Lehrer, welche auf den Abweg einer unbiblischen Lehre vom 
Logos und vom Sohne Gottes gerathen waren, die Gleichheit 
und die Einheit des in Jesus menschlich erschienenen Subjects 


481 


mit dem, welcher des Menschgewordenen Vater ist, geltend 
machen konnte. Er hatte in seinen theologischen Grund- 
anschauungen auch die stärksten Antriebe, eben dies zu be- 
tonen. 

. Wir sahen, dass für Ignatius die Heilsbedeutung der in 
Christus geschehenen Offenbarung zwar einerseits durchaus 
abhängig erscheint von der Wirklichkeit der Thatsachen, 
in welchen sie sich vollzieht, von der Wirklichkeit der evan- 
gelischen Geschichte, dass aber andrerseits die Heilsbedeutung 
dieser in geschichtlichen Thatsachen sich vollziehenden Offen- 
barung darin besteht, dass mit Christus ein neues Prineip 
ewigen Lebens in die der Todesherrschaft unterworfene Mensch- 
heit eingetreten ist. Dieses neue Princip, „der neue Mensch“, 
aber ist er, weil er im Fleisch erschienener Gott ist. Aller- - 
dings fällt auch auf diejenigen Prädicate, welche die Gestalt 
seines irdischen Lebens beschreiben, ein Ton, aber doch nur 
deshalb, weil die Irrlehrer mit der leibhaftigen Wirklichkeit 
des Lebens Jesu zugleich alle Wirklichkeit der darin ge- 
schehenen Offenbarung leugneten. Für die‘ Reflexion des 
Offenbarungsgläubigen ist das Menschsein, das menschliche 
Geboren- und Gestorbensein Christi das zunächst sich Dar- 
bietende, das Selbstverständliche; religiös werthvoll aber ist 
dies nur darum, weil es ein seinem Wesen nach über mensch- 
liches Leben und Leiden erhabenes, ewiges Ich ist, welches 
um der Menschen willen, zum Zweck ihrer Erlösung unter 


der Bedingung des Glaubens sich unter alle Bedingungen - . 


menschlichen Lebens stellte (ad Pol. 3; Sm. 2; Tr. 2). Nur 
dieses ewige Ich kann diese Bedingungen erfüllen und damit 
aufheben, ohne ihnen zu erliegen. Weil es ein seiner Natur 
nach ewiges, unauflösliches Leben ist, welches Christus in 
den Tod gibt, ist sein Sterben die Auferstehung der Christen, 
und nur, weil seine Geburt ein Eintritt dessen, der wesent- 
lich Gott ist, in menschliches Leben ist, ist ihr Ergebnis der 
Gottessohn und der neue Mensch. Darum liebt es Ignatius, 
die Gottheit des Sohnes Gottes, worauf die Erlösung beruht, 
zu betonen. Er hat an der Gottessohnschaft Christi nicht 
wie spätere Theologen ein Hindernis, sondern gerade einen 
Zahn, Ignatius, al 


482 


Antrieb, Christus Gott zu nennen. Zweimal folgt Rom. inser. 
auf die Bezeichnung Christi als „einzigen Sohnes“ Gottes 
oder „Sohnes des Vaters“ die andere als „unser Gott“. An 
eine gröbliche Identificirung der daneben deutlich unter- 
schiedenen Subjecte Vater und Sohn ist hier nicht zu denken; 
das ist an der ersten Stelle durch den Inhalt des Satzes selbst 
verwehrt, in welchem Christus der Christen Gott genannt wird; 
denn in demselben wird der Wille dessen, der Alles, was da 
ist, gewollt hat, als durch die Liebe Jesu Christi unsres Gottes 
normirt vorgestellt, also ebenso persönlich unterschieden von 
_ dem Willen Christi, wie in dem vorangehenden Partieipialsatz . 
der höchste Vater von seinem einzigen Sohn (vgl. Anh. ], 7). 
Ganz ähnlich wird Eph. inser. die Erwählung der ephesischen 
Gemeinde auf den Willen des Vaters und unsres Gottes Jesus 
Christus zurückgeführt (vgl. Rom. 3). An der Spitze des- 
selben Kapitels (Sm. 1), in welchem so nachdrücklich von 
der Davids- und Gottessohnschaft Christi geredet ist, liest 
man doch auch δοξάζων Ἰησοῦν Χριστὸν τὸν ϑεὸν τὸν οὕτως 
ὑμᾶς σοφίσαντα. Auf den Artikel ist hier kein Gewicht zu 
legen 1), er ist lediglich durch die Absicht dietirt, einen von 
ϑεός abhängigen Participialsatz anzuhängen. Ignatius preist 
Christum als den Gott, welcher die Smyrnäer mit Weisheit 
ausgestattet hat.: Den Schein, als ob er damit aus der Classe 
der Götter diesen einzelnen Gott heraushöbe, brauchte er 
nicht ängstlich zu meiden, und der Schein, als ob er Chri- 
stus mit dem, welcher sonst ὁ ϑεός heisst, identificire, entsteht 
gar nicht. Christus heisst bei Ignatius unbedenklich ϑεύός, 
aber darum gilt er ihm nicht als ὁ ϑεός und wird auch 
nicht etwa nur so von ὁ ϑεύς unterschieden, dass er Gott in 
der näheren Bestimmtheit seiner menschlichen Selbstoffen- 
barung wäre. Es hat sich vielmehr gezeigt, dass Christus 
auch neben dem, welcher zunächst [Ὁ] 9söc oder auch [0] 
πατήρ heisst, als Gott gedacht wird. Am häufigsten geschieht 


1) Er fehlt Sm. 10. (ws διακόνους Χριστοῦ ϑεοῦ); Tr. 7 (ϑεοῦ Ἰησοῦ 
Xgi6rod), aber auch sehr oft, wo Gott selbst, Gott der Vater ge 
meint ist. 


488 


es in der Form [Ὁ] ϑεός ἡμῶν ἢ. Er ist es für die Christen, 
aber nicht bloss in dem Sıun, dass er es nach dem Glauben 
der Christen ist, er steht vielmehr zu den Christen in einem 
objectiven Verhältnis, vermöge dessen er als ihr Gott ihnen 
einwohnt und sich bezeugt ?). Objectiv ist dasselbe, obwohl 
es sowobl in seiner gegenwärtigen, mannigfacher Steigerung 
fähigen Bethätigung als in seiner schliesslichen Offenbarung 
vom sittlichen Verhalten der Christen abhängt. Die schliess- 
liche Erscheinung Christi als Gottes vor dem Angesicht derer, 
die ihn geliebt haben, bildet einen Gegensatz zu der jetzigen 
. Verborgenheit Christi, welche aber insbesondere als Verbor- 
genheit seines Gottseins und seiner Einwohnung in der Ge- 
meinde gedacht ist. Im Gegensatz zu seinem irdisch-mensch- 
lichen Dasein bezeichnet das jetzige verborgene Sein des Er- ' 
höhten allerdings schon eine Steigerung der Offenbarung und 
Bethätigung seines Gottseins (Rom. 3). Das Oxymoron, dass 
unser Gott Jesus Christus jetzt, da er im Vater, also ver- 
borgen ist, nur um so mehr erscheine oder offenbar sei, klärt 
sich auf, wenn man aus Eph. 15 die Beziehung ergänzt, in 
welcher er jetzt mehr als während seines irdischen Wandels 
offenbar ist. Als das, was er wesentlich ist, als Gott, war er 
gerade in den Tagen seines sichtbaren Erdenlebens am meisten 
verhüllt auch für die Glaubenden; sein wahres göttliches 
Wesen ist ihnen offenbarer, seit er durch Tod und Aufer- 
stehung zum Vater gegangen ist. Aber Gott war er auch 


1) Eph. inser., c. 15. 18; Rom. inser. (zweimal), 6. 3; ad Pol. 8. 

2) Eph. 15: πάντα οὖν ποιῶμεν ὡς αὐτοῦ ἐν ἡμῖν κατοικοῦντος 
ἵνα ὦμεν αἰὐτοῖ ναοὶ καὶ αὐτὸς ἢ ἐν ἡμῖν ϑεὸς ἡμῶν, ὅπερ καὶ ἔστιν 
καὶ φανήσεται πρὸ προςώπου ἡμῶν, ἐξ ὧν δικαίως ἀγαπῶμεν αὐτόν. 
Der, wie man an διό und διότι sehen kann, in solehen Dingen eigen- 
sinnige Sprachgebrauch erlaubt es schwerlich, ἐξ ὧν als ein demonstra- 
tives „daher, darum‘ und, was damit gegeben ist, den Satz cohortativ 
zu fassen (so Uhlh., S. 44). Vielmehr „in Gemässheit dessen, in Folge 
davon, dass wir ihn rechtschaften lieben “ wird er sich als das, was er 
ist, als Gott der Christen, der in ihnen und unter ihnen wohnt, auch 
äusserlich offenbaren. Vgl. Mgn. 9 extr. in formeller Hinsicht, ausserdem 
‚auch Joh. 14, 21. 

81" 


484 


damals, als er „völliger Mensch“ war; er ist „ins Fleisch 
gekommener Gott“ und hat nie angefangen noch aufgehört, 
Gott zu sein. Daher kann Ignatius ohne alles Bedenken 
vom „Blut Gottes“ (Eph. 1) und vom „Leiden seines 
Gottes“ (Rom. 6) reden. Von seinem christologischen Stand- 
punct aus erscheint solche Ausdrucksweise jedenfalls natür- 
licher, als von dem der Logoslehrer späterer Zeit !). So hätte 
Ignatius auch vor dem Misverständnis sicher sein sollen, als 
ob er sich dadurch in groben Widerspruch mit seiner Ueber- 
zeugung von der ewigen Subsistenz Christi setzte. Lag für 
ihn die Heilskraft der Person und Geschichte Christi darin, 
dass er „ins Fleisch gekommener Gott“ war, und gipfelte 
für ihn die Heilsoffenbarung im Kreuzestod Christi, so musste 
es ihm naheliegen, den Gegensatz des Wesens dieser Person 
und der Seinsweise, in welche sie sich- zum Zweck der Er- 
lösung begeben hat, eben da aufzusuchen und ins Wort zu 
fassen, wo dieser Gegensatz am schärfsten gespannt ist: im 
Leiden und Blutvergiessen dessen, der wesentlich Gott ist. 
Es entspricht seinem natürlichen Charakter und seiner reli- 
giösen Stimmung, gerade zu dem, was den Ungläubigen ein 
Aergernis, und was zur Beschämung der weltlichen Weisheit 
von Gott geordnet ist, sich mit aller Energie zu bekennen 
(Eph. 18), zum Mysterium des Todes Christi (Mgn. 9). 
So wird nächst der wunderbaren Empfängnis und Geburt 
auch der Tod aufgefasst (Eph. 19), und aus dieser Stelle ist 
ersichtlich, dass der Tod Jesu ebenso wie seine Menschwer- 
dung wegen der darin gebundenen Gegensätze göttlichen 
Wesens und menschlichen Erlebnisses ein Mysterium ist. 
Vom Bekenntnis opferfreudiger Liebe zum Kreuz, welches den 
Irrlehrern ein Aergernis ist (c. 18), geht die ganze Darlegung 
aus. Dass dies jenen ein Aergernis sei, bestätigen die pau- 
linischen Fragen: ποῦ σοφός; ποῦ συζητητής; ποῦ καύχησις 
τῶν λεγομένων συνετῶν; und dass es nicht anders sein könne, 
dass dieser Gegensatz zwischen den selbstgemachten Gedanken 


—— mn. -- 


1) Vgl. z. Β. Clem. protr., p. 84 Pott. oder Matian., 6. 13, wo der 
heilige Geist διάκονος τοῦ nenovdöros ϑεοῦ heisst. 


485 


menschlicher Scheinweisheit und der Heilsoffenbarung, -be- 
sonders des Kreuzestodes in der Natur der Heilsoffenbarung 
selbst begründet sei, soll alles Weitere darthun. Obwohl 
Ignatius, wie er c. 20 sagt, die begonnene Darlegung nicht 
zu Ende geführt hat, so ist seine Meinung doch im wesent- 
lichen deutlich. Schon der erste Satz, welcher von der Em- 
pfängnis Christi bis zu der auf seinen Tod hinweisenden Taufe 
fortschreitet, verbindet das menschlichem Denken Unverein- 
bare. Der Gott der Christen, mit dem ein Weib schwanger 
ging, ein Ursprung aus Davids Geschlecht und aus heiligem 
- Geist zugleich, ein Geborenwerden und ein Getauftwerden, 
welches zwar auf sein Leiden hinwies, zugleich aber auch 
darauf, dass das Wasser, womit er sich taufen liess, durch 
sein Leiden zu einem Heilsmittel geweiht werden solle! Auf 
das dem natürlichen Denken unzugängliche Geheimnis des 
Todes Christi ist es aber vor allem abgesehn. Daher wird 
auch in c. 19 sofort neben der jungfräulichen Empfängnis 
und Geburt der Tod als eins der drei μυστήρια κραυγῆς ge- 
nannt, welche in der Stille Gottes vollbracht wurden und dem 
Fürsten dieser Welt verborgen blieben und daher auch den 
Weisen dieser Welt verschlossene Geheimnisse bleiben. Schon 
der hiermit nachgewiesene Zusammenhang zwischen c. 19 
und dem Vorigen stellt den Sinn des Einzelnen im wesent- 
lichen fest. Die Verborgenheit dieser Thatsachen vor dem 
Teufel muss analog sein der Verkennung desselben seitens der - 
Ungläubigen (vgl. c. 17. 18 mit 1Kor. 2, 8). Die äusseren 
Tbatsachen sind ihm so wenig als den Ungläubigen unbe- 
kannt geblieben. Zumal der Tod Jesu ist ein Schauspiel 
aller Geister der oberen und unteren Welt gewesen (Tr. 9); 
aber es handelt sich hier nicht um historische Kenntnis, 
sondern um Heilserkenntnis, nicht um die auch den Un- 
gläubigen wie ihrem Lehrmeister bekannten Ereignisse, sondern 
um das darin beschlossene, Glauben fordernde Geheimnis. 
Beim Tode Jesu besteht dies darin, dass hier das wahrhaftige 
Leben sich in den Tod gegeben hat (Eph. 7), dass der, wel- 
cher Gott ist, gelitten (Rom. 6) und geblutet hat (Eph. 1), 
oder dass der an sich selbst über das Leiden Erhabene zum 


486 


Behuf der Erlösung der Menschheit alles Leiden hat über 
sich ergehen lassen (ad Pol. 3). Ebenso ist die Geburt Jesu 
eine notorische Thatsache;, aber dass sie eine Geburt dessen 
ist, der Gott war und ist, ist ein nur dem Glauben sich er- 
schliessendes Geheimnis. Nur scheinbar verhält es sich mit 
dem ersten Mysterium, der παρϑενία Μαρίας, anders. Lässt 
man sich durch den offenbaren Parallelismus von c. 18 exir. 
und ὁ. 19 init. leiten, so entspricht παρϑενία ebenso dem 
ἐχυοφορήϑη, Wie 'τοχετός dem ἐγεννήϑη und ϑάνατος dem 
ἐβωττίσϑη, {va τῷ πάϑει τὸ ὕδωρ καϑαρίσῃς. Ignatius hätte 
genauer σύλληψις sagen können; denn statt des äusseren- 
Factums, wie in den beiden anderen Fällen, ist diesmal das 
der Welt und dem Teufel verborgene Geheimnis selbst ge- 
nannt, welches darin bestand, dass Maria, als sie schwanger 
ging, noch eine Jungfrau war. Verkorgen war diese Moda- 
hität ihrer Empfängnis und Schwangerschaft deshalb, weil 
Maria, als die Sache offenbar wurde, rechtlich und förmlich 
Josephs Eheweib war. Diese’drei Thatsachen heissen aber 
μυστήρια κραυγῆς Ὁ) schwerlich deshalb, weil sie jetzt laut 
gepredigt werden; denn nicht um den Gegensatz ehemaliger 
Verborgenheit und nunmehriger Weltkundigkeit handelt es 

sich nach dem Zusammenhang, sondern um den Gegensatz 
der Verborgenheit vor der ungläubigen Welt und der uner- 
messlichen Bedeutung für den zu Gottes Heilsveranstaltung 
sich bekennenden Glauben. Wie man von himmelschreienden 
Sünden, vom Racheruf vergossenen Bluts redet, wie Ignatius 
selbst ὁ. 15 von stummem Handeln spricht, welches-der Ein- 
verstandene wie Rede hört, so wird hier von diesen geheim- 
nisvollen Ereignissen gesagt, dass sie für den, welcher sie 
versteht, eine laute Predigt von dem im Fleisch erschienenen 
Gott sind, obwohl sie geschehen sind, ohne dass Gott sie mit 
τ einem Allen vernehmlichen Wort begleitet hätte. Es sollte 
sich von selbst verstehen, dass ἐπράχϑη als Aussage von diesen 


| —— 


1) So nach allen Zeugen ausser Andreas Cretensis (Cur., p. 180), 
welcher unter anderen Abweichungen auch μυστήρια φρικτα bietet. 
Bunsen (1, 91) conjieirt ohne Noth ἐναργῆ. 


487 


Geheimnissen, welche Thatsachen sind, nur ihren Vollzug 
(ef. Mgn. 11; Sm. 4), und nicht etwa den göttlichen Ent- 
schluss ihres zukünftigen Vollzugs bedeuten kann. Mit Un- 
recht beruft sich Uhlhorn S. 48 für diese Auffassung auf den 
Schluss des Kapitels, wo dieselben Thatsachen τὸ παρὰ ϑεῷ 
ἀπηρτισμένον heissen. Bereitet, fertiggestellt bei Gott waren 
sie, ehe sie anfingen, ins Werk gesetzt zu werden; aber nur 
Letzteres, nicht Ersteres kann ein Vollzug der drei That- 
sachen heissen. Die Forderung, dass die im Folgenden er- 
wähnte Kundmachung der drei Geheimnisse dem ἐπράχϑη, 
also auch dem Vollzug des Todes zeitlich folgen müsse, und 
dass eben deshalb nur der Vollzug im Rathschluss Gottes ge- 
meint sein könne, ist im Text nicht begründet. Nachdem 
vom Vollzug der drei, sehr verschiedenen Zeiten angehörigen 
Thatsachen gesagt: ist, wird ‘die Frage aufgeworfen, wie sie 
nun trotz ihrer Verborgenheit aller Welt!) kundgeworden 
seien. ‘Aber nur erst in Bezug auf die beiden zusammenge- 
hörigen Thatsachen der Empfängnis und Geburt wird die 
Frage zunächst beantwortet. Dass diese beiden Thatsachen 
nur der Anfang der Verwirklichung des göttlichen Rath- 
schlusses sind, dass die Vernichtung des Todes, welche im 
Tode Jesu geschieht (Sm. 5; Eph. 7), dadurch nur erst an- 
gebahnt war, sagt Ignatius ausdrücklich und verschiebt die 
. Fortsetzung des begonnenen Gedankengangs auf gelegenere 
Zeit. Es liegt ja auch auf der Hand, dass der Stern der - 
Magier das dritte Geheimnis, den Tod des Herrn, der Welt 
noch nicht verkündigt hat. Wir können aus Sm. 1 ergänzen, - 
dass Christus erst durch seine Auferstehung das Feldzeichen 
seines Kreuzes in der Richtung auf die Welten erhoben hat. 
Nur bei dieser Auffassung kommt man auch mit ἐν ἡσυχίᾳ. 
ϑεοῦ ?) zurecht. Dies kann im Gegensatz dazu, dass diese 


1) Vgl. zu diesem τοῖς αἰῶσιν Sm. 1. 

2) Eph. 15 heisst τῆς ἡσυχίας αὐτοῦ nichts Anderes als σιγώντος 
αὐτοῦ. Schon Pearson sagt von diesem Gebrauch: Philo Judaeus saepe, 
und Arndt (Handschrift) citirt Philo in Flace., p. 753 ed. Colon., wo 
ἡσυχάζειν ganz gleich σιωπῶν ist. 


488 


Thatsachen den Empfänglichen und Gläubigen laut predigen, 
nur ein Schweigen Gottes bedeuten, in Begleitung wovon 
sie geschehen sind, und damit dann eine stille Verborgenheit, 
wie sie den Thatsachen der Heilsoffenbarung Gottes überhaupt 
eigen ist. In der Stille eines Frauengemachs zu Nazareth, in 
der Verborgenheit des Stalles zu Bethlehem sind die beiden 
ersten μυστήρια geschehen, ehe eine Kundmachung derselben 
an die Welt erfolgte. Auch der Kreuzestod ist ein an sich 
selbst stummes Ereignis, und was dabei geredet wurde, ist 
nichts weniger als eine Verkündigung seiner Bedeutung für 
die Welt an die Welt. So ist auch dieser ein zwar laut 
predigendes, aber ohne begleitende göttliche Verkündigung 
vollzogenes thatsächliches Geheimnis. 

Gerade das Mysterium des Lebens und Sterbens Jesu, 
das den Ungläubigen anstössige Ineinsein des Göttlichen und 
Menschlichen in dieser geschichtlichen Erscheinung, ergreift der 
Glaube und die Liebe der Christen mit um so grösserer Energie, 
je mehr diese geschichtliche Erscheinung durch Leugnung ver- 
nichtet oder durch Umdeutung entleert zu ‚werden droht. Der 
Gedanke, dass der Glaube auch ‘den Trieb erzeugt, die in 
seinem Inhalt liegenden Gegensätze zu vermitteln und dem 
Denken erträglich zu machen, tritt bei Ignatius wenigstens 
noch nicht hervor. Der Gegensatz gegen die Häretiker, wie 
er ihn auffasst, bietet ihm gar keinen Anlass dazu; Wenn 
diese leugnen das Object des Glaubens und damit auch das 
Object jeder die Denkbarkeit des Mysteriums nachweisenden 
- Lehrdarstellung, und es wäre vergebliche Mühe, sie durch 
eine solche Darstellung zur gläubigen Annahme desselben be- 
wegen zu wollen. Was zum Glauben bewegt, ist vielmehr 
die Offenbarung Gottes als Mysterium (Mgn. .9), ist der von 
den Irrlehrern geleugnete Christus des Gemeinglaubens selbst 
(Phil. 8 extr.).. Der Glaube ist nicht begriffliche Aneignung 
der Heilsthatsachen oder Zustimmung zu einer widerspruchs- 
los erfundenen Wahrheit, sondern ein προςφυγεῖν τῷ. εὐαγγελίῳ 
(Phil. 5), ein ἐκφυγεῖν τὸ ἀποθανεῖν (Tr. 2). Das ist der 
Fehler der Irrlehrer, dass sie sich aufs Disputiren legen 
(Sm. 7), statt sich einfach zur Heilswahrheit zu bekehren 


489 


(Sm. 5), und es würde nur dazu dienen, sie in ihrem for- 
malen Irrthum zu bestärken, wenn man es versuchen wollte, 
‘ihren Widerspruch gegen den Gemeinglauben durch gelehrten 
Beweis und dialektische Vermittlung von Gegensätzen, die 
für sie gar nicht existiren, zum Schweigen zu bringen. Sie 
stehen ausserhalb der Kirche, und da ihre Bekehrung durchaus 
Gott zu überlassen ist (Sm. 4; Eph. 7), so gibt ihr Auftreten 
der Kirche auch keinen Anlass, um ihretwillen über die Position 
des Evangeliums hinauszugehn, welches bestimmt ist, die mit 
der Heilswahrheit Unbekannten zum Glauben zu führen. Die 
fast durchweg durch den Gegensatz zur Häresie veranlassten 
theologischen Aussagen des Ignatius lassen nicht erkennen, in 
wie weit er von berechtigten Versuchen weiss und selbst 
solche zu machen geneigt ist, über die im Gemeinglauben 
beschlossenen Sätze, welche bereits eine gewisse stereotype 
Form angenommen haben (Anh. II, 10), und deren polemische 
Zuspitzung hinaus zu theologisiren. Die gleich starke Be- 
tonung des Göttlichen und Menschlichen in Christus hätte 
nach einer doppelten Richtung hin dazu veranlassen können. 
Es hätte erstlich die Aufgabe vorgelegen, irgendwie zwar 
nicht anschaulich, aber doch denkbar zu machen, kraft welcher 
Macht über sich selbst und über die Natur der, welcher 
wesentlich und ewig Gott ist, ein wirklicher Mensch wer- 
den konnte, ohne aufzuhören, jenes zu sein. Von einem 
derartigen Versuch findet man bei Ignatius nichts. Er be- 
gnügt sich, den Grund und den Zweck dieser menschlichen 
Offenbarung Gottes zu nennen. Es wäre ferner theologische 
‚ Aufgabe gewesen, die Behauptung der Einheit Gottes (Mgn. 8) 
irgendwie auszugleichen mit der ernstlich gemeinten Behaup- 
‘tung der Gottheit dessen, der als der Menschgewordene im 
Verhältnis zu Gott Sohu Gottes des Vaters ist. Wir fanden 
nur dies, dass weder der Sohnesname noch der Logosname 
von Ignatius dazu verwendet wurde, das wesentliche und ewige 
Verhältnis des in Jesus menschlich erschienenen göttlichen 
Subjects, zu dem, welcher sein Vater ist, auszudrücken. Er 
begnügt sich mit der Behauptung sowohl der Einzigkeit Gottes 
als der anfangslosen ewigen Gottheit des Ichs, welches als 


490 


Menschgewordenes Gott seinen Vater nennt. Auf irgend 
welche theologische Erklärung führen uns auch nicht die ziem- 
lich spärlichen trinitarischen Aussagen 1). Sie sind nur insofern 
beachtenswertb, als die zweimalige Voranstellung des Sohnes 
vor Vater und Geist beweist, dass nicht eine mechanische Ein- 
wirkung der Taufformel oder des Taufbekenntnisses, sondern 
ein Antrieb der eigenen religiösen Anschauung die Zusammen- 
stellung der drei Subjecte veranlasst. Aber bei alle dem will 
bedacht sein, dass auch der Theologe in der Lage des Ignatius 
nicht theologisirt. 


1) Mgn. 13: ἐν οἱῷ καὶ πατρὶ καὶ ἐν πνεύματι, und am Schluss: 
καὶ τῷ Χριστῷ καὶ τῷ πατρὶ χαὶ τῷ πνεύματι. Nur Anklänge an die 
Gewohnheit, die Drei zusammenzudenken, liegen vor in Eph. 9 (ὡς ὄντες 
λέϑοι ναοῦ πατρὸς, ἡτοιμασμένοι εἰς οἰκοδομὴν ϑεοῦ πατρὸς, ἀναφερό- 
μενοι εἰς τὰ ὕψη διὰ τῆς μηχανῆς Ἰησοῦ Χριστοῦ, ὅς ἐστιν σταυρός, 
σχοινίῳ χρώμενοι τῷ πνεύματι τῷ ἁγίῳ) und Mgn. 15: ἔρρωσϑε ἐν 
ὁμονοίᾳ ϑεοῦ, χεχτημένοι ἰδιμίχριτον πνεῦμα, ὅς ἐστιν Ἰησοῦς Χριστος. 
Das adıazoırov des ΟΣ wird durch Li L®2 A bestätigt, während διάχριτον 
des ΑἹ sinnlos ist. Die Uebersetzung  inseparabilis ist richtig (vgl. 
Epb. 3 und oben S. 429, Anm. 1). Charakteristisch ist auch hier der 
Anstoss, welchen ΟΣ an der kühnen Wendung nahm, dass Christus selbst 
der unentreissbare heilige Geist der Gemeinde sein soll, welche sich aus 
dem Gebrauch von © (ὅς) ἐστιν bei Ignatius (vgl. oben S. 349f.) völlig 
erklärt und au 2Kor. 3, 17 seine Analogie hat. — Vgl. noch Rom. 7. 
Der heilige Geist ruft in der Seele des Christen: Komm zum Vater! 
und was dieser bei Gott findet, ist völlige Gemeinschaft mit Christus. 


nn 


V 


Die Aechtheit der Briefe des Ignatius 
und des Polykarp. 


Dass die acht Briefe, deren geschichtlicher Gehalt im 
dritten Abschnitt vollständig dargelegt worden ist, ein. un- 
trenubares Ganze bilden, wird, denke ich., durch diese Dar- 
legung selbst und, was die sieben Briefe des Ignatius anlangt, 
durch die Darstellung der aus ihnen erkennbaren Persönlichkeit 
und Denkweise ihres Verfassers noch deutlicher geworden sein, 
als es schon beim ersten Ueberblick erscheint. Am Faden 
einer unzerreissbaren Kette von Ereignissen oder richtiger 
eines in sich widerspruchslosen 'Hergangs reihen sich die 
innerhalb weniger Wochen geschriebenen Briefe des Ignatius 
und des Polykarp an einander. Der letzte enthält aber zu- 
gleich ein Zeugnis für alle übrigen, welches fast jeden anderen 
Beweis für die Aechtheit der ignatianischen Briefe überflüssig 
macht, wenn es nur zuverlässig ist. Wir sahen aus Pol. 13 
(oben S. 293f.), dass Polykarp ausser den beiden nach Smyrna 
gerichteten Briefen des Ignatius, um deren Mittheilung die 
Gemeinde von Philippi ihn gebeten hatte, noch mehrere 
andere Briefe desselben nach Philippi geschickt hat. Da nun 
ausser denjenigen, welche Euseb allein kannte, bis über die 


492 


Mitte des 4. Jahrhunderts hinaus keine anderen Briefe unter 
Ignatius’ Namen existirt haben, so versteht sich von selbst, 
dass die Briefe, welche Polykarp oder Pseudopolykarp nach 
Philippi gesandt haben will, unter den von Euseb aufgezählten 
und uns als kürzere Recension aufbewahrten Briefen zu 
suchen sind. Dass der Römerbrief nicht . darunter gewesen, 
wurde sehr wahrscheinlich gemacht (S. 116). Es bleiben 
also für die nicht ganz unerhebliche Zahl ignatianischer 
Briefe, welche Polykarp ausser den beiden an ihn und die 
smyrnäische Gemeinde gerichteten nach Philippi schickte, 
noch die Briefe an die Epheser, Trallianer, Magnesier und 
Philadelphener übrig. Sollte ausser dem Römerbrief noch 
einer oder der andere der Sammlung Polykarps gefehlt haben, 
so würde doch die ausdrückliche Beschränkung seiner Aussage 
auf diejenigen Briefe, die er bei sich habe, ein unanfecht- 
bares Zeugnis für die übrigen sein, von deren Existenz er 
weiss, die er aber nicht mitschickt, weil er ihrer noch nicht 
habhaft geworden ist. Ueber den Sinn des Zeugnisses Poly- 
karps ist man auch meist einverstanden und hat sich der 
Einsicht nicht verschlossen, dass Polykarps Brief in der über- 
lieferten Gestalt die eusebianische Sammlung von 7 igna- 
tianischen Briefe voraussetze. Mit Recht haben daher die- 
jenigen, welche diese 7 Briefe für die künstliche, aber ein- 
heitliche Schöpfung eines Schriftstellers aus der zweiten 
Hälfte des 2. Jahrhunderts erklärten, dieses Urthreil auf den 
Brief Polykarps ausgedehnt 1); und ebenso haben diejenigen, 
welche die 7 Briefe für eine auf Grund der drei ächten Briefe 
entstandene Fiction erklärten, eine nachträgliche Interpolation 
des Polykarpbriefs angenommen, welche im Interesse der 
7 ignatianischen Briefe vom Interpolator dieser vorgenommen 
sein soll 2). Beiderlei kritische Urtheile gehen von der 


% 


1) So z. B. Schwegler, nachapostol. Zeitalter II, 155; Hilgenfeld, 
apostol. Väter, S. 274. 

2) So Buns. II, 107ff. 198; Ritschl, Entstehung der altkatholischen 
Kirche (2. Aufl.), 5. 584 ff. — Schon Dallaeus, welcher die ignatianischen 
. Briefe für durchaus unächt erklärte, hielt den Verfertiger derselben für 


498 


richtigen Einsicht aus, dass: Polykarps Brief, wenn er ächt 
ist, die Aechtheit der ignatianischen beweist. Nur Lipsius, 
welchem sich übrigens „die Rätschl’sche Kritik in allen 
Puncten bestätigt hat‘ (II, 14), spricht unter anderem den 
Verdacht aus, dass der Verfasser von Pol. 13 „eine noch 
mehr als 7 Briefe des Ignatius enthaltende Sammlung vor 
sich hatte“, und urtheilt, dass in diesem Falle Polykarps 
Brief nicht mehr als Zeugnis für die Aechtheit der 7 Briefe 
angeführt werden dürfe, weil es zuviel beweise. Das sieht 
aus wie ein Gemeinplatz aus der Logik, während es doch in 
der That ein grober Verstoss gegen die Regeln gesunden 
Denkens ist. Oder ist denn etwa, um ein naheliegendes 
Beispiel zu nennen, das Zeugnis des Irenäus von einem Brief 
seines Lehrers an die Philipper deshalb werthlos für uns, weil 
Irenäus noch andere Briefe desselben kennt, die wir nicht 
mehr besitzen? Einen Sinn hätte das Bedenken doch nur 
dann, und ein unzulässiges nimium würde Polykarps Zeug- 
nis nur dann enthalten, wenn es sich auf einen der nach- 
eusebianischen Briefe mit bezöge.e Dann müsste hier ein 
Pseudopolykarp aus der Zeit nach 370 hierdurch dem Pseudo- 
ignatius des 4. Jahrhunderts einen Dienst haben leisten wollen. 
Aber, weit entfernt, dieses kritische Abenteuer zu wagen, 
glaubt Lipsius vielmehr, wenn anders er der Ritschl’schen 
Kritik in allen Puncten beistimmt, dass ein und derselbe 
Mann die Briefe des Ignatius und den Polykarps interpolirt 
habe. Der Interpolator der ignatianischen Briefe aber soll 
um 130—140 gearbeitet haben !.. Wie sollte denn aber 
dieser Pseudoignatius eine andere, als die von ihm selbst an- 
gefertigte Sammlung durch seine Interpolation des Polykarp- 
briefs empfohlen haben? Oder, wenn er wirklich einen zwei- 


——— (en α 


den Interpolator des ursprünglich ächten Polykarpbriefs (p. 425 sqq.). 
Dalläus brachte es fertig, hinterdrein dann noch die Beziehung des 
Zeugnisses Polykarps auf die 7 ignatianischen Briefe zu bestreiten 
(p. 430 8qq.). 

1) Lips. I, 47; vgl. S. 37f. 56. 62. Eine direct auf die Interpo- 
"Jation des Polykarpbriefs bezügliche Zeitangabe vermisse ich bei Lipsius, 


494 


ten Brief des Ignatius an Polykarp verfertigt hatte (8. oben 
S. 288f.), welcher später wieder abhanden kam, so ist wieder 
nicht einzusehn, warum durch diesen Umstand sein Zeugnis 
für die uns erhaltenen ‘Briefe seiner eigenen Feder an Werth 
verlieren sollte. Es steht also allerdings so, dass, wie ziem- 
lich allgemein erkannt worden ist, Polykarps Brief in seiner 
überlieferten Gestalt aus der Feder eines Mannes geflossen 
ist, welcher die kürzere Recension der ignatianischen Briefe, 
wenn nicht vollständig, 90 doch beinah vollständig vor sich 
hatte !). Ist also der Polykarpbrief ächt, ist er wenige 
Wochen nach der Entstehung der ignatianischen Briefe von 
dem Bischof von Smyrna geschrieben, unter dessen Augen 
vier von den Briefen des Ignatius geschrieben sein wollen, 
und in dessen Hände zwei andere von Troas aus geschriebene 
gelangten, so sind auch die ignatianischen Briefe Documente 
von unzweifelhafter Aechtheit. Es fragt sich also vor allem, 
ob ein ‚sicheres Urtheil über den Brief Polykarps zu gewinnen 
ist, abgesehen von denjenigen Bedenken, welche seine Ver- 
bindung mit denen des Ignatius gegen ihn hervorgerufen hat. 


I. Die Aechtheit und Einheit des Polykarphriefs. 


Polykarps Schüler Irenäus, welcher versichert, dass er 
sich der äusseren Umstände seines ehemaligen Verkehrs mit 
seinem Lehrer und der aus seinem Munde gehörten Lehr- 
vorträge genauer erinnere, als späterer Erlebnisse, sagt im 
demjenigen Theil seines grossen Werks, welchen er zur Zeit 
des römischen Bischofs Eleutherus, also 174/5—189, geschrie- 
ben hat: ἔστε δὲ καὶ ἐπιστολὴ Πολυκάρπου πρὸς (ιλιππησίους 


-1) Vgl. das oben 8. 294, Anm. 1 und bei Peara. I, 7984., auch bei 
Ritschl, S. 594f. 598 über Nachklänge aus Ignatius bei Polykarp Be- 
merkte. 


495 


γεγραμμένη ἱκανωτάτη, ἐξ ἧς καὶ τὸν χαρακτῆρα τῆς πίστεως 
αὐτοῦ καὶ τὸ χήύρυγμα τῆς ἀληϑείας οἱ βουλόμενοι καὶ φροντί- 
ζοντες τῆς ἑαυτῶν σωτηρίας δύνανται μαϑεῖν !). Irenäus er- 
wähnt, wie gesagt, im Brief an Florin (Eus. V, 20, 8) 
mehrere Briefe Polykarps sowohl an benachbarte Gemeinden, 
als an einzelne Personen, aus welchen seine Gesinnung in 
Bezug auf Häresie erkennbar sein soll; aber den an die Phi- 
lipper hält er für allgemein bekannt und Jedem zugänglich, 
sogut wie den kurz vorher (III, 3, 3) erwähnten Brief des 
Clemens, und er selbst erkennt darin dieselbe Denkweise wieder, : 
deren mündlicher Ausdruck ilım unvergesslich ist. Eine 
Steigerung des Gewichts dieses Zeugnisses wäre höchstens 
das, wenn Irenäus erzählen könnte, er habe zugesehn, als 
Polykarp den Brief schrieb; und der kritische Standpunet 
bedarf keiner weiteren Beleuchtung, auf welchem man’ trotz 
Irenäus bestreitet, dass Polykarp einen Brief an die Philipper 
geschrieben. habe, und behauptet, dass der uns vorliegende 
und von Irenäus gelesene Brief entweder nuch zu Lebzeiten 
Polykarps, oder kurz nach dessen Tod. von einem Anderen 
als nachträgliches Vorwort zu den gleichfalls fingirten igna- 
tianischen Briefen geschrieben sei. Ein, wenn man mit 
Hilgenfeld (apost. Väter, S. 274) Polykarps Tod auf 167 
ansetzt, kaum zwanzig Jahr altes Machwerk soll um 180 nicht 
nur in der Kirche als Brief Polykarps verbreitet gewesen, 
sondern auch von Irenäus als treuer Spiegel der Denkweise 
seines Lehrers erkannt worden sein. Abgesehn von denjenigen 
Gründen, welche zugleich die ignatianischen Briefe treffen, 
sind es nur zwei Beobachtungen, auf welche sich diese kühne 
Annahme gründet. Es soll bedenklich sein 2), dass Polykarp 
schon zur Zeit des Martyriums’ des Ignatius ein Urtheil über 
die Häretiker gefällt bat 5), welches wesentlich ebenso in der 


1) Iren. III, 3, 4; cf. Eus. ἢ. 6. IV, 14, 8. Bei Stieren, p. 436 
ist gegen den Text Eusebs und des lateinischen Irenäus das xe/ vor 
ἐπιστολή weggelassen. 

2) Schwegler Il, 156; Hilgenfeld, 8. 272. 

3) c. 7: ὃς ὧν μεϑοδεύῃ τὰ λόγια τοῦ κυρίου πρὸς τὰς ἐδίας ἐπι- 


4906 


Erzählung des Irenäus von seiner Begegnung mit Marcion 
- wiederkehrt ἢ. Für Irenäus selbst, der den Polykarpbrief mit 
Einschluss jener Stelle gelesen und für ächt gehalten haben 
soll, ist diese Congruenz zwischen einem um 110 geschrie- 
benen und einem jedenfalls erheblich später ?) gethanen münd- 
lichen. Ausspruch seines Lehrers nicht anstössig gewesen, 
zumal er sich erinnerte, dass Polykarp es liebte, gewisse 
Wahrheiten wiederholt auszusprechen 5. Nicht einmal eine 
unbewusste Assimilirung des mündlich überlieferten Worts an 
das geschriebene hat man anzunehmen Grund, und einen 
Sinn hätte das aus dieser Stelle genommene Bedenken nur 
dann, wenn man annähme, Irenäus habe in seinem Polykarp- 
brief sie noch nicht gelesen, und später sei sie entweder aus 
mündlicher Ueberlieferung oder aus dem Werk des Irenäus 
eingetragen worden. Das zweite Bedenken gründet sich auf den 
ersten Plural in der Ermahnung: orate etiam pro regibus 
et potestatibus. et principibus atque pro persequentibus et 
odientibus vos et pro inimicis crucis (c. 12). Das weise in 
die Zeit nach 161, weil es vorher stets nur einen Kaiser und 
Augustus gegeben habe (Hilgf., S. 273). Dies Argument 
hätte auch die Form annehmen können, dass der Polykarp- 
brief, welcher in diesem Punct mit 1Tim. 2, 2 überein- 
stimmt, auch sonst unzweifelhafte Zeichen seiner Abhängigkeit 
von diesem paulinischen Brief an sich trägt. Ein Plural der 


ϑυμίας. καὶ λέγῃ μήτε ἀνάστασιν μήτε κρίσιν εἶναι, οὗτος πρωτότοκός 
ἐστι τοῦ Σατανᾶ. ΝΕ 

1) Iren. III, 3, 4 (Eus. h. 6. IV, 14, 7): καὶ αὐτὸς δὲ ὁ Πολύχαρ-- 
πος, Μαρχίωνί ποτε Eis ὄψιν αὐτῷ EAdovrı καὶ φήσαντι", ἐπιγινώσκεις 
ἡμᾶς“; ἀπεχκρίϑη",, ἐπιγινώσχω τὸν πρωτότοχον τοῦ Σατανᾶ“. 

2y Die gewöhnliche Annahme, dass dies in Rom bei Gelegenheit 
von Polykarps Reise dorthin geschehen sei, hat im Text des Irenäus 
nicht den mindesten Halt. Im Gegentheil weist das ποτέ auf einen 
anderen Zeitpunct, als den kurz vorher erwähnten römischen Aufenthalt 
Polykarps. 

3) Epist. ad Flor. Eus. ἢ. 6. V, 20, 7: τὸ συνηϑὲς αὐτῷ εἰπών 
κι τ. Δ. . 


497 


Kategorie 3) wird hier freilich nicht vorliegen, da die folgen- 
den Plurale nicht so verstanden werden können. Aber warum 
soll Polykarp nicht an alle Fürsten der Erde auch ausserhalb 
des Römerreichs denken, unter denen Christen leben, nachdem 
er eben noch an alle Menschen unter dem Himmel, auch an 
die, welche erst in Zukunft‘ zum Glauben gelängen werden, 
erinnert hat! In einer allgemeinen Ermahnung, die nicht 
auf den Moment der Abfassung des Briefs beschränkt ist, 
welche doch jedenfalls auch auf die, welche in der Folgezeit 
als Feinde und Verfolger der Gemeinde sich herausstellen, 
bezogen sein will, kann Polykarp, der seit Vespasian, unter 
dem er geboren war, schon viermal einen BRegierungswechsel 
erlebt hatte, füglich auch an die einander folgenden römischen 
Kaiser denken. Undenkbar dagegen ist es, dass ein Pseudo- 
polykarp höchstens 5—7 Jahre, nachdem man mehr als einen 
βασιλεύς hatte und im Gemeindegebet erwähnen konnte, in 
ein Schriftstück, welches aus Trajans Zeit herrühren sollte, 
einen Ausdruck allerneusten Gepräges ohne alle Noth sollte 
haben einfliessen lassen. 

Eine erfolgreiche Auseinandersetzung ist nur mit den- 
jenigen Gelehrten möglich, welche auf Grund des Zeugnisses 
des Irenäus anerkennen, dass Polykarp einen Brief an die 
Philipper geschrieben hat, welchen Irenäus so, wie er ur- 
sprünglich geschrieben war, gelesen hat. Von diesem Stand- 
punct aus hat Ritschl, dem dann Andere ohne neue Prüfung 
sich angeschlossen haben, in viel gründlicherer und scharf- 
sinnigerer Weise als seiner Zeit Dalläus 3) eine Interpolation 
des Briefs nachzuweisen gesucht. Die Schwierigkeit, welcher 
Bunsen (11, 111) die ältere Interpolationshypothese aussetzt, 
indem er die Interpolation um die Mitte des 2. Jahrhunderts, 
also noch zu Lebzeiten Polykarps geschehen sein lässt, be- 


1) So zuletzt noch Jo. Delitzsch, de inspiratione, p. 66. An der 
sprachlichen Zulässigkeit ist freilich nicht zu zweifeln. Vgl. Act. 19, 38; 
8. jedoch oben 8. 293. 

2) Dieser erklärte c. 13. 14 für späteren Zusatz, p. 427 sqq., ebenso 
Bunsen II, 107 ff. 

Zahn, Ignatiu, © 32 


498 


seitigt Ritschl (5. 594. 599) ‘dadurch, dass er den Pseudo- 
ignatius seine Interpolation auch des Polykarphriefes erst um 
170 nach Polykarps Tode unternehmen lässt. Dadurch wird 
es erklärlicher, wie der Betrug gewagt werden konnte, und 
wie Irenäus wenige Jahre nachher, ohne von der Interpolation 
zu wissen, den ächten Brief lesen und als allgemein bekannt 
ansehn konnte. Aber eine andere erst recht bedenkliche 
Schwierigkeit ergibt sich daraus. Aus Irenäus wissen wir, 
dass der ihm bekannte ächte Brief Polykarps um 180 ver- 
breitet und Jedem, dem es darum zu thun war, zugänglich 
war. leicht war es schon deshalb nicht, den ächten Brief 
durch einen völlig umgestalteten so völlig zu verdrängen, dass 
man schon zu Eusebs Zeit von einer doppelten Recension 
nichts wusste. Ferner muss spätestens um die Mitte des 
2. Jahrhunderts die Sitte der kleinasiatischen Kirche aufge- 
kommen sein, diesen Brief zuweilen in Öffentlicher, jedenfalls 
gottesdienstlicher Versammlung vorzulesen, welche nach Hie- 
ronymus noch zu seiner Zeit bestand 1). Schon am Ende des 
- 2. Jahrhunderts sehen wir den Kreis der kirchlichen Vor- 
lesebücher oder den Kanon sich verengern, und nachaposto- 
lische Schriften, welche aus früherer Zeit her eine annähernd 
kanonische Geltung besawen, haben schon Noth, sich darin 
zu behaupten (vgl. meinen Hermas, 8. 9 ἢ. 31 1). Die kirch- 
liche Vorlesung des Polykarpbriefs kann spätestens gleich 
nach dem Tode Polykarps, also spätestens gleichzeitig mit der 
angeblichen Interpolation eingeführt worden sein Denkbar 
ist es dann doch wohl nicht, dass man in Smyraa oder Ephesus, 
wo man den Polykarp genau kannte, um :170 statt des ächten 
Briefes, dessen Verbreitung für dieselbe Zeit Irenäus bezeugt, 


—— 


1) Hieron. catal. 17: scripsit ad Philippenses valde utilem epistolam, 
quae usque hodie in Asiae conventü legitur. Der Ausdruck ist höchst 
sonderbar, conventibus wäre erwünscht. Aber jedenfalls ist eine kirch- 
liche σύναξες zu verstehen, und nicht etwa, wie noch Arndt (Hand- 
schrift) meint, das κοινὸν τῆς Aoles, welches zu Hieronymus’ Zeiten wohl 
schon hauptsächlich aus Christen bestanden habe. Hieronymus spricht 
von einer alten bis zu seiner Zeit bewahrten Sitte. 


499 


die eben damals geschriebene neues Auflage zur öffentlichen 
Vorlesung zugelassen haben sollte. War aber einmal der 
‘ächte Brief gu dieser Ehre gelangt, so war er eben dadurch 
gagen Fälschung so gut wie versichert (vgl. Deazinger, δ, 82) 
Sonderbarer Zufall auch, dass Euseb nicht den Polykarpbrief, 
welcher vor 170 allein existirt haben soll, weleber um 180 dem 
Irenäus allein bekannt war und in der kleinasiatischem Kirche 
seit etwas frühener Zeit und bis ins 4. Jahrhundert hinein in 
öffentlichem Gebrauch war, sondern den interpolirten Brief in 
die Hände bekam. 

Ritschl gründet seine Hypothese auf innere Kritik. Es 
ist vor allem „‚die Klarheit im Verbältnis von Veranlassung, 
Zweck und Inhalt“ des überlieferfkan Briefe, was er vermisst 
(8. 587) und dadurch herzustellen sucht, dass er etwa ein 
Drittel des Textes und darunter alle Beziehungen auf 
Ignatius ala spätere Zuthat ausscheidet 1); der Rast soll wirk- 
lich von Polykarp in der Zeit von 140-168 geschrieben 
worden sein (9. 600). Aber es fragt sioh noch erst, was 
Veranlassung und Zweck des Brief gewesen ist, und 65 er- 
scheint: mir als eine Vorwegnahme des erstrebten Ziels der 
kritischen Bemüähung, wenn diese von der Voraussetzung aus- 
geht, dass die Disciplinarsache ds Presbyters Valens die Ver- 
aulassung des Briefs sei (8. 587. 599). Es wurde sohon oben 
(S. 297 ff.) gezeigt, wie mannigfaltig veranlasst der Brief erscheint, 
wie er:uns vorlieg. Ein Brief der Philipper an Polykarp 
ging ihm voraus mit Nachrichten über des Igmatius Durch- 
reise durch Philippi und mit verschiedenen Bitten. Ihrem 
Brief an die Antiochener soll Polykarp befördern und ihnen 
Briefe des Ignatius mittheilen, und er soll diese Gelegenheit - 
benutzen zu einem eigenen Wort christlichen Zuspruchs. 
Ausserdem haben sie ihm — wir wissen nicht, in welchem 
Zusammenhang — von dem Fall der Valens und seiner Fran 


-}) Ea werden ausgeschieden aus 6. 1 ἐὠποδεξαμένοις . . . . ἐκλε- 
λεγμέμων" καί, 6. 3 ganz, ebenso c. 9 mit dem ersten Satz won a. 10, aus 
c. 10 auch der letzte Satz, aus c. 11 „qui antem ignorant ..... . nondum 
noveramus‘, c. 12 von Anfang bis „oxedo esse im vobis“, ὁ. 13 ganz, 

32* | 


500 


Mittheilung gemacht. Nimmt man Alles, was sich auf jene 
dreifache Bitte der Philipper und auf Igmatius bezieht, weg, 
so bleibt freilich als Inhalt des Briefs der Philipper und als 
Anlass der Antwort Polykarps nur die Mittheilung über 
Valens übrig. Aber damit fällt auch jeder wirkliche Anlass 
zu dem brieflichen Verkehr zwischen den Philippern und 
Polykarp weg. Polykarp weiss ihnen in Bezug auf Valens 
nichts weiter zu sagen, als dass er an der Betrübnis der Ge- 
meinde über diesen Skandal theilgenommen habe, als er ihren 
Brief las '), und noch theilnehme, während er schreibt, und 
dass sie den Gefallenen die bussfertige Umkehr nicht durch 
unzeitige Schroffheit erschweren sollen.- Wiefern diese wenig 
eigenthümlichen Aeusserungen einer so umständlichen Vor- 
bereitung bedurften, wie sie alles Vorangehende, was Ritschl 
stehen lässt, bildet; und wie der Bischof von Smyrna mit 
seinen Presbytern sich zum Zweck dieser Mittheilung zu einem, 
feierlichen Sendschreiben an die Gemeinde zu Philippi ent- 
schlossen haben sollte, ist mir nicht verständlich, und es 
scheint mir, Denzingers Urtheil, das, was die Kritik vom 
Briefe übriglasse, sei „ein Schreiben ohne alle Specialitäten, 
ohne Angabe der Veranlassung, mit einem Wort ohne Alles, 
was einen Brief zum Briefe macht“ 3), wäre nicht bloss ernst- 
licher Erwägung, sondern auch unbedingter Zustimmung werth 
gewesen. Wie völlig ungezwungen der Brief; den wir be- 
sitzen, den in ihm selbst nach einander hervortretenden An- 
lässen sich anschmiegt und den damit gegebenen Zwecken 
entspricht, wäre nur dann durch eine ausführliche Reproduction 
seines Gedankengangs zu beweisen, wenn eben dies bean- 
standet worden wäre, was nicht geschehen ist. Es bleibt 
also nur übrig, einzelne Puncte kurz zu beleuchten, an wel- 
chen der Verdacht gegen die Einheit des Briefs eine Stütze 
gesucht hat. 


.------ -.-... m nn 


1) Darauf muss sich das contristatus sum ce. 11 init. im Unter- 
schied von dem contristor gegen Ende des Kapitels beziehn. Vgl. das 
συνεχάρην c. 1 und oben 8. 291. 

2) Theolog. Quartalschrift 1851, S. 40i. 


501 


Die Verdachtsgründe beruhen hauptsächlich auf dem 
„Grundsatz“, dass „logische und ästhetische Klarheit‘, 
welche „seit dem Mittelalter nicht immer ein Element christ- 
licher Schriftstellerei“ gewesen, „die formale Bildung in der 
griechisch redenden alten Kirche auszeichne“ (ὃ. 587). Ich 
will nicht untersuchen, ob die Briefe des Clemens und des 
Barnabas und die Schriften der philosophirenden Kirchenväter 
von Justin bis Clemens von Alexandrien den angegebenen 
Massstab ertragen. Auch die Frage möge unerörtert bleiben, 
ob man im Namen des Interpolators vom Jahr 170, welcher 
doch auch der griechisch redenden Kirche alter Zeit ange- 
hörte und, wie die Art seiner Arbeit voraussetzt, jedenfalls 
mehr Literat war, als Polykarp, auf den Anspruch geordneter 
Rede verzichten darf. Aber ist nicht die Verwandlung mis- 
fälliger Beobachtungen über Stil und Gedankengang in Ver- 
dachtsgründe gegen die Aechtheit einer Schrift an sich schon 
höchst bedenklich, wenn es sich um einen Schriftsteller han- 
delt, von dem man ausser dem Object der Kritik nichts be- 
sitzt? Unstatthaft erscheint dies Verfahren vollends bei dieser 
Schrift, deren Text uns durchweg sehr unzuverlässig, zum 
Theil nur durch das Medium einer ungewöhnlich nachlässigen 
lateinischen Uebersetzung überliefert ist. Oder sollte es Zu- 
fall sein, dass der Verdacht besonders oft gegen Stellen ge- 
richtet ist, deren Wortlaut in Ermangelung des griechischen 
Textes sehr schwer herzustellen ist? Das mittlere Haupt- 
stück von c. 11 soll wegen verschiedener Unklarheiten beseitigt 
werden. Unverständlich sollen die beiden Fragen sein: „qui 
autem ignorant judicium domini?“ „an nescimus, quia sancti 
mundum judicabunt? sicut Paulus docet?* (ὃ. 590) Aber 
unverständlich ist der erste Satz doch nicht, wenn man mit 
der editio princeps !) und den Handschriften rg pl autem 
streicht. Das Misverständnis des Uebersetzers oder vielmehr 
seiner Abschreiber und Herausgeber, denen wir die unbrauch- 


1) S. bei Cler. II, 191 und Jakobson am Rand. Wenn Faber Sta- 
pulensis ausserdem ‚„quis ignorat‘“ bietet, so ist das offenbar eine seiner 
Willkürlichkeiten. 


02 


bare Interpunction verdanken, ist dann sofort durchsichtig: 
Aus Anlass des Vergehens des Valens wird vor Habsucht ge- 
warnt. In Erinnerung daran, dass Valens als Presbyter die 
VUebrigen zu rechtem Wandel anzuhalten habe (cf. c. 4), 
schliesst sich hieran sehr natürlich der Satz: Ὁ δὲ ἐν τούτοις 
μὴ δυνώμενος ἑαυτὸν κυβερνῶν 1), πῶς ἑτέρῳ τοῦτο nagayyer- 
au’); ἐάν τις μὴ ἀπέχητωι τῆς πλεονεδίας, ὑπὸ εἰδωλολαξρείωας 
μιανϑήσειαιε καὶ ὥσπερ μετὰ τῶν ἐθνῶν λογισϑήσεται, οἵτινες 
ἀγνοοῦσι τὴν χρίσιν τοῦ κυρίου" ἢ οὐχ οἴδαμεν, ὅτε ol ἅγισι 
τὸν χύσμον κρινοῦσιν, καϑῶς Παῦλος διδάσκει; (Vgl. 1 Kor. 
6, 8) Die Abschreiber der lateinischen Uebersetzung, wen 
nicht gar der Uebersetzer selbst, nahmen Anstoss an dem 
Genuswechsel zwischen gentes und qui, ἔϑνη und οἵτινές, und 
machten daher aus dem Relativsatz eine allerdings unpassende 
Frage. Die Erinnerung daran, dass die Heiden, welchen sich 
der habsüchtige Christ beinah gleichstellt, von Gottes Gericht 
nichts wissen, ist von trefflicher rhetorischer Wirkung in einer 
Anrede an Solche, welche als Christen nicht nur von Gottes 
Gericht wissen, und es bedenken sollten (cf. ὁ. 6), sondern 
auch das wissen sollten, dass sie selbst einst als Mitrichter 
der Welt fungiren sollen. Statt sich heidnischer Unreinheit 
schuldig zu machen, welche dann von ihnen gerichtet werden 
soll, müssten sie gottgleicher Gerechtigkeit und Reinheit sich 
befleisigen.  Bitschl nimmt Anstoss an dem iamquam vor 
„inter gentes judicabitur“, wenn man Letzteres so, wie oben 
geschehen, ins Ciriechische übersetze, und schlägt deshalb an- 
statt der biblischen Reminiscenz den jedenfalls harten Aus- 
druck vor: ὡς dv ἔϑνεσι κριϑήσεται, was dann heissen soll: er 
wird Gottes Gericht an sich erfahren, als ob er zu den Hei- 
den gehörte. Aber, abgesehu davon, dass Polykarp diesen 
Gedanken gewiss einfacher durch ws τὰ ἔϑνη oder μετὰ τῶν 
ἐϑνῶν κριϑήσετοαιε ausgedrückt haben würde, so bedurfte der 
Gedanke der künftigen, im Gericht sich vollziehenden Gleich- 


Ὁ) Vielleicht ist nach ο, 5 χαμιναγωγεῖν zu schreiben. 
2) Vielleicht geht pronuncias auf ἐντόλλεται zurück. Arndt (Haad- 
schrift) weicht zu weit vom lateinischen Text ab mit ἐπεσέλλαι. 


503 


stellung des sündigen Christen mit den Heiden nicht der in 
- ὡς (ὥσπερ) liegenden Milderung. Sie ist sogar sachlich un- 
zulässig; denn das Gericht über den unwürdigen Christen muss 
eher schärfer als gelinder ausfallen, als das Gericht über die 
unwissenden Heiden. Sehr nothwendig dagegen war in dem 
Satz, wie er oben lautet, ein ὥσπερ oder ὡσπερεί, denn es 
musste der Misverstand abgewehrt werden, als ob die Ge- 
meinde einen Sünder wie Valens nach Matth. 18, 17 für 
einen Heiden achten und darnach behandeln solle, während 
Polykarp im Gegentheil gleich nachher nach 2Thess. 3, 15 
ermahnt: et non sicut inimicos tales existimetis. Polykarp 
will nur den Habsüchtigen selbst das Gewissen schärfen, in-- 
dem er ihnen sagt, dass die Habsucht eine dem Götzendienst 
vergleichbare Sünde sei (vgl. Kol. 3, 5), und dass der Hab- 
‚süchtige in diesem uneigentlichen Sinn sich unter die Heiden 
stelle und zwar nicht in irgend welcher Zukunft, sondern wie 
der Parallelismus der durch καί verbundenen Prädicate wur- 
ϑήσεται und λογισθήσεται zeigt, eben damit, dass er den 
Götzendienst der Habsucht treibe. Allerdings ist damit in- 
direct die Besorgnis ausgesprochen, dass habsüchtige Christen 
dem Gerichte Gottes verfallen werden. Aber die theil- 
nehmende Betrübnis Polykarpe über Valens braucht doch 
nicht, wie Ritschl S. 591 meint, durch Reflexion auf dies 
sein mögliches Endgeschick hervorgerufen zu sein. Poly- 
karps Betrübnis ist zunächst Theilnahme an der Betrüb- 
nis der philippischen Gemeinde. Darauf führt das doppelte 
συλλυπεῖσϑαι wie daB συγχαρῆναι am Anfang des Briefs, und 
wenn: Ritschl meint, in dem pro Valente und pro illo et 
conjuge ejus anstatt eines de ἐϊΐο sei vielmehr Theilnahme 
für Valens ausgesprochen, so scheint er übersehn zu haben, 
dass der Uebersetzer ὁ. 4 περὶ πάντων durch pro omnibus, 
6. 13 περὶ ὑμῶν durch pro vobis, ὁ. 3 περὶ τῆς δικαιοσύνης 
durch de justitia, c. 8 διὰ τὸ ὄνομα durch pro nomine, ὁ. 9 
ὑπὲρ ἡμῶν durch pro nobis übersetzt, dass also aus der latei- 
nischen Präposition keineswegs auf diese und nicht jene 
griechische .geschlossen werden kann. Aber auch ein ὑπέρ 
würde den Valens als Gegenstand und Anlass seiner Betrübnis 


δ04 


bezeichnen 1); seine Theilnahme aber bezeugt Polykarp den 
Philippern, welche zu ihrer eigenen Betrübnis dies haben er- 
leben müssen. Nun soll es aber ganz widersinnig sein 
(S. 590), dass Polykarp seine Warnung der Philipper durch 
die Bemerkung mildert, er habe bisher Derartiges nicht bei 
ihnen gefunden, und dass er hierdurch und durch das damit 
übereinstimmende Lob, welches Paulus dieser Gemeinde ge- 
spendet habe, seine Theilnahme an ihrer Betrübnis motivirt. 
Was das Letztere anlangt, so liegt doch gewiss in dem alten 
Ruhm der philippischen Gemeinde. (cf. ce. 1) sowohl für sie 
selbst als für Polykarp ein Grund gesteigerter Betrübnis über 
das Skandal der Gegenwart. Ganz ähnlich sehen wir bei 
ähnlichem Anlass den römischen Clemens auf die Vergangen- 
heit und gerade auch auf das hohe Alter der korinthischen 
Gemeinde hinweisen (ad Corinth. I, 1—3. 47). Andrerseits 
finde ich es sehr angemessen, dass Polykarp einer fremden 
Gemeinde gegenüber, welche in einem Schreiben an ihn ohne 
alle pflichtmässige Nöthigung den traurigen Fall erwähnt und, 
wir wir aus der Erwiderung schliessen müssen, nicht nur mit 
Betrübnis, sondern auch mit Entrüstung erwähnt hatte, den 
Ton einseitiger Ermahnung nicht lange festhalten mag und 
auch den Schein beseitigt haben will, als ob er in dem 
traurigen Fall ein Symptom der dortigen Gemeindezustände 
erblicke. Es ist eben nur ein Fall, eine Ausnahme, welche 
das Bild, das Polykarp von dieser Gemeinde hat, nicht wesent- 
lich trübt, aber darum nicht weniger ihn betrübt und auch 
den Besten zur Warnung dienen muss. Obwohl die Menschen, 
welchen Paulus gepredigt hat, nicht mehr leben (c. 3), sieht 
Polykarp doch hier wie c. 1 die philippische Gemeinde als 
ein die wechselnden Glieder und die aufeinanderfolgenden 
Generationen umfassendes Ganze an, ebenso wie Clemens an 
den vorhingenannten Stellen und auch Ignatius Eph. 8. 13, 
und wie er selbst ὁ. 11 die smyrnäische Gemeinde, welche 
zur Zeit des Apostels Paulus noch nicht gestiftet war, mit 
‚einem nos bezeichnet. Aber eine Uebertreibung soll es sein, 


1) Vgl. Hofmann, neues Testament Il, 3, 306. 


505 


dass Paulus die Philipper in allen damals gestifteten Ge- 
meinden rühme (8. 590). Ich würde lieber sagen, es sei eine 
Erfindung, die ich dann aber am wenigsten einem Interpolator 
zutrauen würde; denn aus dem Neuen Testament erfährt man 
nicht, dass Paulus die philippische Gemeinde auch nur in 
einer einzigen anderen gerühmt hat, man müsste denn etwa 
ein Lob der macedonischen Gemeinden überhaupt (2 Kor. 
8, 1—6) willkürlich auf die Philipper beschränken !). Es 
wird also wohl, wenn nicht der lateinische Uebersetzer, wie 
sonst öfter, arge Verwirrung angerichtet hat, ein etwas präg- 
nanter Ausdruck vorliegen : Περὶ ὑμῶν γὰρ ἐν πάσαις ταῖς ἐκ-- 
κλησίαις, αὖ μόναι τότε τὸν ϑεὸν ἐγνώκεσαν καυχᾶται. Die 
Meinung ist, dass unter allen und vor allen damals gestifteten 
Gemeinden ‘die philippische ein Gegenstand stolzer Freude 
für Paulus ist, was dann nur eine Anwendung von Phil. 
4, 1. 15 ist. Nur bei dieser Fassung kann ich mir das 
_ Präsens gloriatur neben laboravit und cognoverant erklären. 
Es ist die Gegenwart des schriftstellerischen Zeugnisses des 
Apostels, aber dies geschriebene Zeugnis bezieht sich auf die 
Zeit, als Paulus unter den Philippern wirkte und in Smyrna 
noch keine Gemeinde existirte Auf den Philipperbrief des 
Paulus hat sich Polykarp auch schon c. 3 berufen, und gerade 
auf Phil. 4, 15 wird sich, wie Anh. III zu zeigen ist, die 
dunkle Stelle unmittelbar vor den incriminirten Worten 
zurückbeziehn. Darauf aber ist schon hier aufmerksam zu 
machen, wie angemessen Polykarp gerade angesichts der dies- 
mal vorliegenden besonderen Versündigung an das apostolische 


1) Aus den an die Philipper selbst gerichteten Aeusserungen seiner- 
Freunde über sie (Phil. 1, 3f.; 2, 17£.; 4, 1. 15ff.) konnte auch weder 
Polykarp noch Pseudopolykarp geschlossen haben, was er zu sagen 
scheint. Denzingers Deutung (Theol. Quartalschrift 1851, S. 405), 
Paulus rühme sie in allen Gemeinden, sofern sein Brief an die Philipper' 
überall gelesen werde, scheitert an der Beschränkung der ‚‚omnes ecclesiae “ 
durch ‚„quae Deum solae tunc cognoverant “ und durch den Gegensatz ‚nos 
autem nondum noveramus “. Den Philipperbrief aber besassen jetzt auch 
die inzwischen gestifteten Gemeinden und, wie Polykarps Brief beweist, 
gerade auch die von Smyrna, 


806 


Lob erinnert, welches die Philipper in Bezug "auf freiwillige 
Dahingabe ihres Vermögens zum Besten seiner Missionswirk- 
samkeit über alle anderen Gemeinden stellt. 

Ein ferneres Bedenken Ritschls (5. 592 f.) richtet sich 
wieder gegen eine Stelle (c. 12), deren Text mit den vor- 
handenen Häülfsmitteln nicht mehr herzustellen sein möchte ἢ). 
Nur soviel ist klar, dass Polykarp, zum Schluss eilend, im 

Vertrauen auf die Schriftkenntnis der Leser, darauf verzichtet, 
ihnen ausfüährlichere Ermahnungen zu ertheilen.. Nachdem 
er die kurzen Worte aus Eph. 4, 26 angeführt hat, fährt er 
fort: beatus qui meminerit, was an das μνημονεύοντες δὲ ὧν 
εἶπεν ὃ χύριος διδάσκων in dem nicht beanstandeten c. 2 er- 
innert. Ob Polykarp das Citat aus Eph. 4, 26 wirklich als 
Schriftwort eingeführt hat ?), und ob er vielleicht dazu be- 


1} S. Jakobsens und Dressels Noten. Nach ood. Laurent. und pl: 
confido enim vus bene exercitatos esse in sacris litteris, et nichil vos 
latet; michi autem non est concessum modo uti his scripturis, dietum 
est enim „irascimini et nolite peccare“ et „sol non occidat super ira- 
cundiam vestram“. Arndt (Handschrift) beginnt wie Andere mit modo 
einen neuen Satz und übersetzt den gewöhnlichen Text (ut statt μέΐ, 
und ohne enim): Μόνον, χαϑοὶς ἐν ταύταις ταῖς γραφαῖς εἴρηται, 580 
dass die Imperative irascımini, nolite und occidat die Fortsetzung von 
μόνον bilden. 

2) Da der lateinische Uebersetzer c. 2 sich erlaubt hat, ein „et 
quod dictum est‘ aus eigenen Mitteln einzuschieben, so ist man be- 
rechtigt, mit Credner (Beiträge I, 20f.) auch hier eine Interpolation oder 
vielmehr eine Amplification anzunehmen. Jo. Delitzsch (1. L, p. 67 sq.) 
hat nicht klar gemacht, warum die Worte: uti his scripturis dietum est, 
hier durch den Zusammenhang erfordert sein sollen. Warum soll nicht 
-Pölykarp, nachdem er im Vertrauen auf die Schriftkenntnis und über- 
haupt die christliche Erkenntnis seiner Leser weitere Belehrungen abge- 
schnitten hat (cf. Clem. ad Corinth. I, 53), mit einem blossen μόνον 
die beiden Gebote anführen (vgl. das μόνον bei Ignatius Rom. 3. 5; 
Eph. 11; Sm. 4). Als Schriftworte sind dieselben dann gar nicht cha- 
rakterisirt; er hätte ebensogut eigene Worte so einführen können. Er 
bricht seine Ermahnung zu milder Behandlung des gefallenen Valens, 
anstatt sie noch ausführlicher zu begründen, mit einem kurzen senten- 
tiösen Wort ab, — Bedenklich ist an den verdächtigen Worten vor 
allem, dass das ταύταις ταῖς γραφαῖς auf die beiden biblischen Sätze 


507 


stimmt wurde, weil die erste Hälfte, die er durch ein ei von 
der zweiten tremmt, aus Ps. 4, 4 stammt, will ich nicht un- 
bedingt verneinen. Jedenfalls kann auf dıe Art, wie hier 
paulinische Worte angeführt werden (vgl. 2Petr. 3, 16) ein 
kritischer Verdacht nicht gegründet werden, ehe der sehr 
zweifelhafte Text durch neue Hülfsmittel hergestellt ist. Aber 
es soll auch ein wirksamer Gegensatz zwischen der Selbster- 
baunng, von welcher ὁ. 11 die Rede ist, und der Erbauung 
durch Gott, deren machher c. 12 gedacht wird, durch den 
Interpolator vernichtet sein. Mir erscheint der Gegensatz 
zwischen der thatsächlichen Selbsterbauung der Gemeinde, 
welche die Philipper durch das richtige - Verhalten gegen die 
Gefallenen vollbringen, und der Erbauung durchs Wort, 
die sie von Polykerp erwarten, aber auch in der Schrift 
finden können, nicht minder wirksam, dagegen aber, um mit 
Ritschl selbst zu reden, die lexicalische Gemeinschaft zwischen 
dem zweimaligeu aedificare verdächtig. Mit einem autem 
jedenfalls wüsste ich den Uebergang vom ersten zum zweiten 
nicht zu vermitteln, ein ἀλλὰ καί würde ich fordern; trefflich 
hingegen schreitet der Gedanke fort von dem Verzicht auf 
eigene erbauliche Belehrung der Leser zu der Hoffnung, dass 
Gott und Christus selbst sie in Allem, was christlich ist, er- 
bauen werden. 

Aehnlich wie in diesem Fall sucht Ritschl (8. 588f.) 
zu beweisen, dass c. 3 den noch deutlich erkennbaren Zu- 
sammenhang zerreisse. Es soll kein richtiger Gedankenfort- 
schritt sein von dem Satz: 0 ἔχων ἀγάπην μακράν ἐστι πάσης 
ἁμαρτίας ὁ. 3 zu der Reminiscenz aus 1 Tim. 6, 10: ἀρχὴ 
δὲ πάντων χαλεπῶν φιλαργυρία c. 4. Die Forderung, dass 
der Liebe als Schutzmittel gegen alle Sünde eine Sünde als 
Quelle aller übrigen Sünden gegenübertrete, ist nicht ein- 


als einzelne γραφαί hinweisen würde, und dass statt eines καϑὼς γέ- 
γραπται, geradeso wie c. 2 von dem glossirenden Uebersetzer, χαϑὼς 
εἴρηται gesagt ist. Sind die Worte nur Glosse, so soll das Demonstrativ 
ταύταις wahrscheinlich auf die heiligen Schriften schlechtweg als vorher 
erwähnte hinweisen. 


508 


leuchtend, und eine arge Uebertreibung wäre es gewesen, 
wenn die Geldgier als solche wäre bezeichnet worden. Es 
kann auch χαλεπά gar nicht Wechselbegriff mit ἁμαρτίαι sein, 
es bezeichnet die Uebel, welche Folgen der Sünde und so 
auch der Habgier sind. Es ist ferner nicht einzusehn, warum 
der Uebergang von der Ermahnung zu christlichem Lebens- 
wandel zur Warnung vor dem Gegentheil nicht in der Form 
gemacht werden könnte, dass sofort auf die verderblichen 
Folgen der besonderen Sünde hingewiesen würde, vor welcher 
die Philipper zu warnen besonderer Anlass vorlag. Der Zu- 
sammenhang, welchen Ritschl durch Ausscheidung von c. 3 
herstellt, hätte etwas Verlockendes nur dann, wenn wirklich 
am Schluss von c. 2 die Armen als Erben des Himmelreichs 
selig gepriesen würden. Aber Polykarp hat dort mit diesem 
ersten Makarismus der Bergpredigt den letzten verbunden, er 
hätte also, wenn er den Armen die Geizigen hätte gegenüber- 
stellen wollen, den Gegensatz durch fremdartige Beimischung 
selber getrübt (vgl. Denzingers theologische Quartalschrift 1851, 
S. 402). Das c. 3 soll aber auch in sich selbst bedenklich 
sein, vor allem deshalb, weil nicht vorstellbar sei, wie die 
Philipper den Polykarp um einen Lehrbrief sollten gebeten 
haben (ὃ. 589; vgl. S. 587). Habe ich S. 499 die Bitte 
der Philipper richtiger wiedergegeben, so wird nicht allein 
dies Bedenken gehoben, sondern auch begreiflich gemacht sein, 
wie Polykarp gerade hierdurch zu einer Vergleichung seiner 
selbst mit Paulus sich veranlasst fühlte. Die Einsicht, dass 
weder er, noch einer seinesgleichen dem Apostel gleich schrei- 
ben könne, hält ihn keineswegs ab, den Philippern seine Er- 
mahnungen angedeihen zu lassen, würde ihn aber abgehalten 
haben, es ohne ihre förmliche Bitte zu thun, und gegenüber 
dem allzu schmeichelhaften Ton, in welchem sie ihre Bitte 
ihm ausgesprochen haben werden, hält er es für nützlich, 
ihre Erwartungen in dieser Form herabzustimmen. Wenn 
ferner die Klarheit vermisst wird in dem Gedanken, dass die 
Hoffnung dem Glauben folge, die Liebe zu Gott und Christus 
und dem Nächsten demselben vorangehe (S. 589), so hat 
wenigstens Clemens von Alexandrien, dem doch die formale 


509 


Bildung der griechisch redenden alten Kirche zu Gebote stand, 
keinen Anstoss daran genommen, wenn er vielleicht unter 
Anregung dieser Stelle in Polykarps Brief wiederholt dieselbe 
Reihenfolge der drei Cardinaltugenden innehält (Quis div., 
Ρ. 937. 952 Pott... Polykarp selbst wollte vielleicht vom 
wohlwollenden Leser so verstanden werden, dass die Liebe, 
welche er ursprünglich nicht zu nennen beabsichtigte, nur der 
zuletzt genannten Hoffnung vorangehe. Ohne Bedeutung und 
den Zusammenhang störend soll auch der Satz „sobrietatem 
ergo docete omnes, in ‘qua et vos conversamini“ (c. 10) sein. 
Nach sehr mannigfaltigen Ermahnungen, und nachdem schliess- 
lich allerdings schon im Gedanken an den nachher zu be- 
sprechenden Einzelfall ein Wehe über den Einzelnen ausge- 
sprochen ist, ‚welcher durch sein Vergeben dem Namen Gottes 
Lästerung zuzieht, scheint mir die zwiefache Ermahnung !) 
an die Gemeinde, von der sich Polykarp eines Besseren ver- 
sieht, durchaus angemessen, erstlich alle Anderen zum Guten 
anzuweisen, sodann aber auch selbst demgemäss zu wandeln. 
Und gerade von da aus war der, übrigens syntaktisch nicht 
ausgedrückte Uebergang zu dem Fall des Valens besonders 
natürlich; denn dieser Presbyter hatte es versäumt, wie sofort 
von ihm gesagt wird, sich selbst im Zaum zu halten, 
während er von Amts wegen Anderen sittliche Anweisungen 
ertheilte. | | 

In denjenigen Theilen des Briefs, welche, abgesehn von 
den Berührungen mit der Geschichte und den Briefen des 
Ignatius, von Ritschl beanstandet worden sind, finde ich also 
ausnahmslos integrirende Bestandtheile eines natürlichen, brief- 
artigen Gedankengangs. Die den Ignatius betreffenden Stellen 
aber, welche Ritschl erst in Angriff nimmt, nachdem er den 
Mangel der Einheit an harmloseren Stoff glaubt erwiesen zu 
haben, entdecken uns erst die Hauptanlässe des Briefs. Sie 


1) Das ἐν ἢ καὶ. ὑμεῖς ἰγασερέφεσϑε ist selbstverständlich impera- 
tivisch zu fassen. Die Vergleichung von c. 4 legt es nahe, auch hier 
wieder den Polykarp zunächst an die Geineindevorsteher denken zu lassen. 
Vgl. oben S. 2971ff., aber auch Ign. Rom. 8; Eph. 15. 


610 


sind das Aechtesie des Aschten. Hier sind es wesentlich 
sachliche Bedenken, welchen die kritische Arbeit “überlassen 
wird; aber gerade diese meine ich durch die positive Dar- 
legung des von den 8 Briefen bezeugten geschichtlichen Her- 
gangs beseitigt zu haben, so z. B, gleich dasjenige, wadurch 
Ritachl (8. 598) sich bewogen fühlt, aus ὁ. 1 die Worte axs- 
δεξαμένοις — ἐκλελογμένωμ" καί Buszumersen, nämlich die 
Hinweisung auf andere christliche Gefangene, welche ausser 
Ignatius durch Philippi gekommen sein sellen (vgl. oben 
8. 290 ἢ). Gegen die Aunabme einer Interpolation gerade an 
diesar Stelle spricht ferner, dass. nicht zu sagen ist, wie der 
Anfang des Briefs ursprünglich gelautet haben sollte. Das 
erste Wort συνεχάρην weist ebenso wie das συνελυπήϑην 6. 11 
{vgl. Phil. 4, 10 und oben S. 291) auf einen einzelnen ge- 
schichtlichen Anlass seiner theilnehmenden Freude an den 
Philippera; dieser feklt: aher durchaus, wenn als Anlass dieser 
Freude aur der gute Stand des religiösen Lebens zu Philippi 
genannt wäre. Es müsste also der Interpalator dem ganzen 
Eingang umgestaltet, das ganze ὁ. 1 geschrieben haben, eine 
unthunliche Annahme schon deshalb, weil das Altertkum die 
Schriften, und zwar auch solche, welche Ueherschrift oder 
Titel hatten, sach den Aufangsworten auzuführen pälegte '). 
Wer auf Fälschung ausging, beachtete das, wie uns der Pseudo- 
ignatius des 4. Jahrhunderts zeigt. Enthielt also der Brief 
doch wohl ursprünglich gleich an der Spitze eine dentliche 
Beziehung auf die jüngst erfolgte Durchreise des Ignatius 
durch Philippi, und fällt somit der Verdacht gegem die gleich- 


1) Vgl. Augustins Retractationen von Anfaug bis zu Ende. Aber 
schon Cicero ad Attic. XVI, 3, 1 gebraucht die Anfangsworte seines 
Cato major (αἵ. ad Att. XIV, 21, 3) „o Tite si quid ego“ oder auch nur 
„o Tite“ (ad Attie. XVI, 11, 3) als indeclinabelen Titel des Buchs. Dar- 
nach ist auch das „o Theophile“ im muratorischen Kanon als Titel der 
Apostelgeschichte zu verstehen. Vgl. Schatt zum 1. Petrusbrief, S. 353; 
andere Beispiele bei Bentley zu Horat. serm. I, 8, 7. — Dass auch 
Briefe so awgeführt werden, s. Spicileg. Rom. X, 2, 141; Curet. car. 
Ign., p. 865. 


811 


artigen Stellen c. 9. 18 dahin, so wird es auch geboten sein, 
entweder die Stellen, welche eine Bekämpfung der Gnosis 
enthalten sollen, wie sie erst nach dem Tode des Ignatius 
möglich gewesen sein soll (Ritschl, S. 585. 595. 597), anders 
zu deuten oder, wie mir nothwendig scheint, die Vorstellung 
von der Entwicklung der häretischen Lehrmeinungen nach 
denjenigen Quellen zu berichtigen, welche wie die Briefe 
des Ignatius und des Polykarp selbst im Fall ihrer Unächtheit 
älter sind als die ältesten ausdrücklichen und ausführlichen 
häreseologischen Nachrichten, als die Werke des Irenäus ‚und 
des Clemens von Alexandrien (vgl. oben $. 398). . 

Es scheint mir hiernach überflüssig, die Unwahrsehein- 
lichkeit, von welcher die Hypothese einer Interpolation der 
ignatianischen Briefe gedrückt wird, auch noch in Bezug auf 
den Brief Polykarps im Einzelnen nachzuweisen. Vielleicht 
genügt die Frage, wie der für den Episkapat schwärmende 
Interpolator es über sich gewonnen haben sollte, der philippi- 
schen Gemeinde den fehlenden Bischof nicht zu geben. Es 
fehlt dem Briefe Polykarps das Gepräge eimer originalen Per- 
sönliehkeit, welches Igmatius jedem seiner Worte aufzuprägen 
verstand, aber er enthält auch nichts, was von dem Bild 
des ehrwürdigen Mannes, wie es Irenäus nach den Erinne- 
rungen seiner Jugend und die Gemeinde von Sınyrna im Jahr 
seines Todes gezeichnet, Lügen gestraft würde. 


3. Andere Zeugnisse für die ignatianischen Briefe. 


Diejenigen, welche in dem Seur. den ächten Ignatins 
wiedergefunden za haben meinten, haben Gewicht darauf ge- 
legt, dass die wenigen Anführungen aus Ignatius aus der Zeit 
vor Euseb auch im Scur. zu finden sind, und daraufhin be- 
hauptet, sie könnten füglich nur als Zeugnisse für den Scur. 
verwendet werden. Lipsius ging so weit, zw versichern, dass 


512 


vor Euseb niemand und nach Euseb erst wieder Theodoret 
Kenntnis der 4 Briefe und derjenigen Theile der drei übrigen, 
welche dem Scur. fehlen, zeige (II, 24 vgl. 15). Nun hat 
es zwar für die Frage von der Aechtheit der 7 Briefe kürzerer 
Recension kaum ein Interesse, das Mass ihrer. Verbreitung in 
der Zeit nach Euseb genauer zu bestimmen, da man weiss, 
dass der bücherkundige Euseb von der Existenz einer anderen 
an Zahl und Inhalt verschiedenen Sammlung ignatianischer 
Briefe nichts wusste. Aber der Zuversicht des Irrthums gegen- 
über muss doch in Kürze an den wirklichen Thatbestand er- 
innert werden. 

Aelter als Theorets Schriften ist das ursprüngliche mart. 
colb. (8. oben S. 51 f. 54f.), welches den ganzen Römerbrief, wie 
ihn Euseb las, ohne die Auslassungen und Zusätze des Scur. in 
sich aufnahm und ausserdem die Dankschreiben erwähnt, welche 
Ignatius an die asiatischen Gemeinden richtete, die ihn in 
Smyrna begrüsst hatten. Der Verfasser kennt also ausser dem 
Epheserbrief jedenfalls noch einen an eine asiatische Gemeinde 
gerichteten, von Smyrna geschriebenen Brief. Er zeugt also, 
was Zahl und Inhalt der Briefe anlangt, gegen Scur. und für 
die 7 Briefe kürzerer Recension. Gleiche Kenntnis zeigt, um 
von Ephräm und Cyrillanos zu schweigen (s. 5. 187. 213), 
jedenfalls Johannes Monachus im letzten Viertel des 4. Jahr- 
hunderts (8. oben ὃ. 222f.). Etwas älter als dieser ist Pseudo- 
ignatius, welcher die dem Euseb bekannten Briefe mit Aus- 
nahme des Römerbriefs zur Vorlage seiner Umarbeitung machte, 
wozu er selbstverständlich das wählte, was zu seiner Zeit als 
Werk des Ignatius in Ansehn stand und in den damaligen 
Streitigkeiten in einer seinen theologischen Absichten hinder- 
lichen Weise benutzt wurde. Derartige Verwendung bezeugt 
für ziemlich die gleiche, wahrscheinlich noch etwas frühere 
Zeit, nämlich für das Jahr 359, die Schrift „de synodis Arım. 
et Seleue.‘, selbst wenn man sie ohne rechtmässige Gründe 
ganz oder theilweise dem Athanasius absprechen wollte (s. oben 
S. 135 und Anh. II, 2). Wir sehen daraus nicht etwa nur, 
dass irgend ein Gelehrter den Epheserbrief im vollständigen 
Text kannte, sondern dass eben dieser . Text als dogmatische 


513 


Auctorität galt. Das sind lauter Zeugnisse aus der Zeit 
zwischen Euseb und Theodoret 3), und zwar solche Zeugnisse, 
welche ihrer Natur wegen die sechsfache Zahl vereinzelter 
Citate bei einzelnen Schriftstellern aufwiegen würden. Aber 
nicht ein einziges Citat aus dieser wie aus irgend einer anderen 
Periode christlicher Schriftstellerei haben die Freunde des 
Seur. anführen können, welches ein höheres Alter dieses Ex- 
cerptes bezeugte. Man sollte meinen, selbst vom Standpunct jener 
kritischen Ansicht, nach welcher unsere Briefe um 140 aus 
dem syrisch erhaltenen Urignatius entstanden sein sollen, hätte 
man sich nach Bürgschaften dafür umsehn sollen, dass nicht 
eben diese zur Zeit des Irenäus und vollends des Origenes 
ziemlich alte Recension, welche alles Erforderliche enthält, 
von Irenäus (V, 28, 4) und ÖOrigenes ?) citirt worden sei. 
Wer kein Zeugnis für sich aufzuweisen hat, das nicht wenig- 
stens ebensogüt ein Anderer ihm absprechen und für sich in 
Anspruch nehmen kann, hat eben keins aufzuweisen. Ist nun 
aber, wie mich dünkt, vollständig bewiesen worden, dass Scur. 
nur ein ziemlich junges Excerpt aus der syrischen Ueber- 
setzung der 7 Briefe ist, und dass diese überhaupt der älteste 
Kern ignatianischer Literatur sind, so ist die Verbreitung dieser 
7 Briefe durch Irenäus und ÖOrigenes bezeugt. Ich habe 
darauf verzichtet, die Werke des Origenes, in denen ich 
weniger bewandert bin, auf weitere Spuren seiner Kenntnis 
des Ignatius zu untersuchen. Dagegen scheint es mir ein- 
leuchtend, dass Clemens von Alexandrien den Ignatius kennt. 
Will man bei diesem belesenen . Schriftsteller Spuren älterer 
Literatur auffinden, so muss man erstlich wissen, dass er bei 
allem Prunken mit seiner Kenntnis ausserchristlicher Literatur, 
ältere christliche Schriftsteller kaum nennt, weder Polykarp, 


1) Um nicht die Streitfrage zu verwickeln, verzichte ich gerne 'auf 
den Nachweis, dass schon die ältere Gestalt der apostolischen Consti- 
tutionen, welche in der syrischen Didaskalia erhalten ist, aus den Briefen 
des Ignatius wie aus dem des Polykarp geschöpft hat. 

2) Er citirt Rom. 7 im prolog. in cant. vol. ΠῚ, 30D ed. Delarue 
und Eph. 19 in hom. 6 in Luc. vol. III, 938A. 

Zahn, Ignatius. | 33 


514 


noch Papias, weder Justin, noch Hegesipp, sodann aber, das 
er auf diejenigen Schriftsteller, welche er anderswo ausdrück- 
lich eitirt, gelegentlich auch ohne Citationsformel, unzwei- 
deutig anspielt. So 2. B. auf Hermas unaufhörlich in Quis 
div., p. 957 sqq., besonders p. 961. Ein Einfluss von Herm. 
sim. VID, 3 ist Paed. II, p. 205 wahrnehmbar, aber viel un- 
zweifelhafter ist in Ign. Eph. 17 die Quelle zu suchen für 
die unmittelbar vorangehende allegorische Deutung der Salbung 
in Bethanien: δύναται δὲ ταῦτα σύμβολον εἶναι τῆς διδασκαλίας 
τοῦ κυρίου x. τ. A. Nicht nur. die Person des Ignatius, 
sondern auch der Wortlaut und ganze Zusammenhang von 
Tr. 4. 5, vielleicht unter gleichzeitiger Berücksichtigung von 
Rom. 5, liegt der Schilderung der ἐχλεκεῶν ἐκλεκτόεεροι Quis 
div., p. 955 zu Grunde, und dieser Nachwirkung ignatia- 
nischer Sätze liegen schon örtlich die auch rücksichtlich des 
theologischen Charakters an Ignatius erinnernden Worte δυνά- 
us, ϑεοῦ πατρὸς καὶ αἵματι ϑεοῦ παιδὸς καὶ ὃ 000W πνεύματος 
ἁγίου p. 944 viel zu nahe, um nicht an das ignatianische 
δροσισϑῆναι Mgn. 14 als Bild für die geistliche Segnung zu 
erinnern !). Aehnliche Einflüsse zeigen sich in dem προς- 


1) Vgl. jedoch auch im Hymnus des Clemens, Ὁ. 313 Pott. nvev- 
unte doossew. Ohne Grund citirt Auch Pearson III, 54 als eine 
Nachabmung des ἀδιαχρίτως Rom. inscr. Clem. paed. I, p. 115 Pott. 
Vielleicht mit grösserem Recht behauptet Pearson I, 127 (vgl. 
auch Denzinger, S. 60), dass Eph. 19 in einem der Excerpte aus valen- 
tinianischen Schriften bei Clemens, Ὁ. 986 machklinge. Aber bei der 
Unsicherheit in Bezug auf Herkunft und Alter gerade Jieses Theils der 
Excerpte (vgl. Heinrici, valentin. Gnosis, S. 90£.) lässt sich hierauf am 
wenigsten etwas gründen. Aus ähnlichem Grunde verzichte ich darauf, 
den Eindruck geltend zu machen, welchen mir die Vergleichung des 
Barnabasbriefs mit den ignatianischen immer wieder macht. Es müsste 
erst-noch etwas deutlicher bewiesen werden, dass der Barnabasbrief um 
120—130 geschrieben ist; sodann wäre zu zeigen, in wie auffälligem 
Masse er von theilweise wenig älterer christlicher Literatur abhängig ist, 
und am Ende müsste ich es doch noeh dem Geschmacksurtheil über 
lassen, ob man einsehen will, dass Stimmungsäusserungen, die mir bei 
Ignatius sehr verständlich sind, von diesem Lehrer von Profession und 
selbstgefälligen Gelehrten (cf. Barn. 9, 9; 21, 1 nach der Abtheilung 
von. Müller) nicht original gebildet, sondern dem Ignatius nachgekflt 


515 
ηλωθϑῶμεν Paed. III, 303; ef. Sm. 1 und Paed. Il, 247 (ἐπὶ 
δὲ τῶν ποδῶν x. τ. A.) cf. ad Pol. 7. Die in Anti. I, 14 
angezogenen Worte sind, wenn man den Zusammenhang, den 
Uebergang auf τὴν βρῶσιν τὴν ἐπουράνεον und ἀγάπην (Paed. 
II, 165) erwägt, zuverlässig auf Rom. 7 als Quelle zurück- 
zuführen. Directer als Clemens zeugt Irenäus für unsere 
Briefe. Dieser „omnium doctrinarum ouriosissiraus explorator “, 
wie ihn Tertullian .nennt, hat ausser dem Römerbrief, den er 
eitirt, auch den an die Smyrnäer oder den an die Trallianer 
oder beide gekannt und aus ihnen jene häretische Lehrform 
kennen gelernt, welche er, so oft er auf sie zu reden kommt, 
nur mit den von Ignatius dargebotenen Mitteln darstellt und 
bestreitet (6. oben S. 893ff.). Darnach ist man berechtigt, 
gerade bei Irenäus, der so überaus wenige kirchliche Schrift- 
steller namentlich anführt 1), jeden deutlichen Anklang an 
Ignatius als weiteren. Beweis seiner Kenntnis der ienatianischen 
Briefe anzuführen. Dahin rechne ich manche Züge der Be- 
schreibung des arglistigen Verfahrens der Häretiker. Schon 
das ziemlich fernliegende Bild αἰχμαλωτέζουσιν ἀπὸ rc ἀλη- 
ϑείας (Iren. I; 3, 6 cf. prooem. 1) könnte ignatianischen Ur- 
sprungs sein ?). Uebersetzt man Iren. III, 4, 1 devitare mit 
ἐκκλίνειν 3), so erinnert das Wort διὸ δεῖ ἐκκλίνειν μὲν ἐκείνους 


sind. Ich finde in Eph. 3. 8 und anderen Stellen das Original für Sätze 
wie Barn. 1, 8; 4, 9; 6, 5. Wäre ferner der Text von Barn. 1, 6 
zuverlässiger überliefert, so würden wir den Zusammenhang mit Eph. 14 
wahrscheinlich deutlicher erkennen. 

1) Er citirt namentlich nur je einmal den Brief des Clemens an 
die Korinther (III, 3, 3), den des Polykarp an die Philipper (III, 3, 4), 
das Werk des Papias (V, 33, 4), zweimal Justin (IV, 6, 2; V, 26, 2). 
Sonst werden Aussprüche älterer Kirchenlehrer, z. B. auch des Hermas 
(IV, 20, 2), ohne Namen angefäßrt. 

2) Phil. 2; Eph. 17. Aber es kann auch 2 Tim. 8, 6 die gemeih- 
same Grundstelle sein. Sehr anders ist der Ausdruck Justins (Dial. 39, 
p. 258 B): αἐχμαλωτεῦσαι αὐτὸν (sc. τὸν Χριστόν) ἡμᾶς ἀπὸ τῆς 
πλάνης. 

3) Dies dünkt mich auf alle Fälle beuser, als παραιγεῖσϑιέ, wie 
Thiersch übersetzt hat (s. bei Stieten).. Auch das ‚paulinische ἐχκλένατε 
ἐπ᾿ αὐτῶν Rom. 16, 17 ist nicht zu übersehn. 

888 


δ16 

sehr deutlich an Eph. 7: οὖς δεῖ ὑμᾶς ὡς ϑηρία ἐχκλένειν. 
Das unmittelbar vorangehende ἀλλά τινα πράσσοντες ἀνάξια. 
klingt nach bei Iren. I, 6, 4. Aus Eph. 8 hat man θύσαντες 
τὰ ὦτα als Uebersetzung von „concludentes aures‘* Iren. 
III, 4, 2 zu nehmen, zumal das „ne audire quidem sustinentes“ 
an Eph. 6 extr. erinnert. Deutlich scheint mir ferner die 
Nachwirkung von Tr. 6 (cf. c. 11), einer freilich textkritisch 
unsicheren Stelle (8. Anh. I, 27), in Iren. I, 27, 4'); denn 
dass Ignatius Christus selbst, Irenäus den Namen Christi als 
das Mittel bezeichnet, durch dessen Beimischung die Irrlehrer 
das tödtliche Gift ihrer Lehre den Gläubigen annehmbar zu 
machen suchen, hebt die Aehnlichkeit nicht auf, zumal da 
Iguatius ihnen Eph. 7 ein doAw πονηρῷ τὸ ὄνομα περιφέρειν 
nachsagt, ein Ausdruck, welcher wahrscheinlich hier bei Ire- 
näus wörtlich wiederkehrt: Christi quidem Jesu nomen tam- 
quam irritamentum proferentes, wenn man nämlich annimmt, 
dass hier proferre ebenso wie IV, 33, 5 perferre (s. oben 
5. 394) ungeschickte Uebersetzung von περιφέρειν ist. Die 
Verknüpfung der Wirkung des Abendmahls mit der Aufer- 
stehung des Fleisches (Iren. IV, 18, 5 cf. $ 4) wurzelt nach 
ihrer thetischen und antithetischen Seite in Sm. 7. Die Be- 
tonung der Identität des in den Propheten und des in der 
Kirche waltenden Geistes in einem Zusammenhang, in welchem 
die Propheten als Märtyrer vorgestellt sind (Iren. IV, 33, 9), 
weist auf Mgn. 8 zurück. Auch was Irenäus III, 11, 8 von 
den Evangelien als Säulen der Kirche sagt: πανταχόϑεν πνέον- 
τες τὴν ἀφϑαρσίαν, erinnert an Eph. 17. 


1) Ferner liegen die bildlichen Ausdrücke des gleichen Gedankens 
Iren. I, 17, 4; prooem. 2, welcher dort auf ältere Kirchenlehrer zurück- 
geführt wird. — Eine ziemlich grosse Anzahl eigenthümlicher Ausdrücke 
theilt Irenäus mit dem zugestandener Massen älteren Ignatius, die ich 
nicht alle aufzählen mag. Als Beispiel diene noch ἡ ὁμόνοια τῆς ni- 
orews Eph. 13 und ep. ad Victor. Ens. h. e. V, 24, 13. Wie es mit 
den Anklängen an.Ignatius bei Tertullian bestellt ist, möge auch auf 
sich beruhen. Sachparallelen zu Eph. 7 sind jedenfalls contra Valent. 
27 extr.; de carne Christi, c. 5. Vgl. ferner zu ad Pol. 5 Anh. I, 32, 
auch S. 333, Anm. 4. 


517 


Etwa zwanzig Jahre älter als das Werk des Irenäus ist 
das Schreiben der smyrnäischen Gemeinde über Polykarps 
Ende. Darin wird die That des Germanicus mit Worten be- 
schrieben 3), welche von jeher an Rom. 5 erinnert haben. 
Lässt man dies -- wie 2. B. Bunsen I, 119 — als Zeugnis für 
den Römerbrief gelten, so ist es Parteilichkeit, wenn man den 
viel deutlicheren Anklang an eine von Scur. ausgestossene 
Stelle des Epheserbriefs 3) ignorirt, welchen Pearson II, 202 
ebensogut wie den andern nachgewiesen hat. Wer von den 
Anfängen kirchlicher Literatur einige Vorstellung hat, wird 
es ebenso natürlich finden, dass dem Smyrnäer, welcher unseres 
Wissens zuerst ein Martyrium beschrieb, bei der Abfassung 
seiner Schrift das Bild des grossen Märtyrers, der 50 Jahre 
vorher in Smyrna bewundert worden war, und die Briefe, die 
er dort geschrieben, vor der Seele standen, als dass dem 
Polykarp, als er an die Philipper schrieb, der Brief des 
Clemens an die Korinther sich als Muster eines derartigen 
Schreibens darbot. 

Ziemlich gleichzeitig mit dem Bericht von Polykarps 
Ende ist Lucians Schrift über den Tod des Peregrinus. Wie 
jener wenige Monate nach dem berichteten Ereignis geschrie- 
ben wurde (mart. Pol. 18. 20), so hat auch Lucian, wie die 
ganze Einrahmung zeigt, ein Tagesereignis geschildert, und 
ziemlich gleichzeitig sind Peregrinus in Olympia, Polykarp in 
Smyrna auf dem Scheiterhaufen gestorben ὃ). Es handelt sich 


1) Mart. Pol. ὃ: ὁ γὰρ γενναιότατος Γερμανικὸς ἐπερρώνυεν αὐτῶν 
τὴν δειλίαν διὰ τῆς ἐν αὐτῷ ὑπομονῆς, ὃς καὶ ἐπισήμως ἐϑηριο- 
μάχησεν. Βουλομένου yap τοῦ ἀνθυπάτου πείϑειν αὐτὸν καὶ λέγοντος, 
τὴν ἡλικίαν αὐτοῦ χατοικτεῖραι, ἑαυτῷ ἐπδσπαΐσατο τὸ ϑηρίον 
προςβιασάμενος. . 

2) Mart. Pol. 22: οὐ γένοιτο ἐν τῇ βασιλείᾳ Ἰησοῦ Χριστοῦ πρὸς 
τεὶ ἴχνη εὐροϑῆναι ἡμᾶς, ΟἿ, Eph. 12: οὗ γένοιτο μοι ὑπὸ τὰ ἴχνη εὐὑρε- 
ϑίναι, ὅταν ϑεοῦ ἐπιτύχω. 

3) Die einzige chronologische Angabe ist die in Eusebs Chronik 
(zu Olymp. 326, 2; Abrah. 2181; Marc. Aurel. 5 d. i. 165 u. Z.): Pisis 
ignem accendit Peregrinus philosophus in festo publico et se ipsum 
intus jecit. Erst nach den 4 Jahren dieser Olympiade wird die Ver- 


ὅ18 


also hei der alten, vom den Neuern meist leichtfertig genug 
ignorirten Streitfrage, ob Lucian die Briefe des Ignätius bei 
seiner Darstellung benutzt habe, schon chronologisch betrachtet, 
um ein Zeugnis ersten Rangs')., Um urtheilen zu können, 
muss man erstlich eine richtige Vorstellung von Lucians 
Stellung zum Christenthum und zur christlichen Literatur und 
zweitens Einsicht in die Composition dieser Schrift haben. 
Lucians Kenntnis der christlichen Denkweise und Lebensein- 
richtung bezeugt ebensowenig religiöses Interesse, als seine 
Polemik gegen dieselben aus besonderem Hass gerade gegen 
das Christenthym hervorging. Aber so oberflächlich, wie es 
der oberflächlichen Betrachtung erscheint, ist seine Kenntnis- 
nahme nicht gewesen. „Die wunderbare Weisheit der Chri- 
sten“, diese „neue Mysterienlehre“, welche „der grosse in 
Palästina gepfählte Mensch“ und „Sophist“, den die Christen 
„noch immer verehren‘“, „in dia Welt eingeführt“ hat (de 
morte Peregr. 11. 13), ist eine Erscheinung, an welcher man 
nicht mehr vorüberkann. Man achtete mehr darauf und wusste 
mehr davon, als man zu sagen liebte (vgl. Thiersch a. a. O., 
5. 19). Wer, wie Lucian, nach der Mitte des 2. Jahrhunderts 
offenen Auges für alle Lebensgestalten vom Euphrat bis zur 
Rhone die Welt kennen lernte, in Antiaghien und Smyrna, 
in Athen und Rom sich dauernd aufhielt, musste gieh über 
die schwer zu definirende Menschenelasse, die man Christen 
nannte, Gedanken machen; und dass diejenigen Lucians auf 
eigener Beobachtung beruhen, liegt auf der Hand. Er ent- 
hält sich völlig der im Volksmund umlaufenden Verläum- 
dungen, welche sein älterer Zeitgenasse Fronto nicht ver- 
schmäht hatte (Min. Fel. 31, 2; cf. 9, 6). Auch lächerlieh 


folgung erwähnt, in welcher Polykarp stirbt. Lucians Schrift wird daher 
nicht mit Unrecht um 165 angesetzt. Vgl. Preller in Pauly's Real- 
encyklopädie IV, 1169 vgl. S. 1166. 

1) Vgl. Pears. I, 5 sqg.; Düsterd., p. 47 sqq.; Denz., p. 8öff, be- 
sonders aber. die ohne Rücksicht auf Aeltere geschriebenen Andeutungen 
bei Thiersch, Politik und, Philosophie im Verhältnis zur Religion unter 
‚Trajan, Hadrian und den heiden Antoninen, 1853, ἃ. 19, 31 δ, 


519 


sind sie ihm viel weniger als die alten und neuen Narrheiten, 
die er sonst nicht müde wird zu geisseln. Es sind die Chri- 
sten ihm sichtlich eine unheimliche, unverständliche Gesell- 
schaft, welche er lächerlich zu machen sucht, weil gie ihm 
verhasst ist, ohne es dooh zu eigentlich komischer Wirkung 
zu bringen. Die Brüderlichkeit, die Geschäftigkeit, die Auf- 
᾿ opferungsfähigkeit in Sachen des Giemeinwesens, die Kritik- 
losigkeit gegenüber den Betrügern, die sich zu Lehram und 
Gesetzgebern unter ihnen aufwerfen, die Unsterblichkeits- 
hofinung und die Todesverachtung: das alles berichtet er im 
Ton mehr eines ärgerliohen Befremdens als vergnüglichen 
Spottes. Schon ihr Widerspruch gegen den Götterglauben, 
und das Ganklerwesen, welcher ihnen ebenso wie dem Eipiku- 
räern und dem Lucian selbst den Hass Alexanders von Ahonutei- 
chos zuzog (Luc. Alex. 25. 38), musste sie ihm interessant 
machen; und wenn sie wegen ihrer Leiohtgläubigkeit den 
Schwärmern des Aberglaubens verwandt schienen, so unter- 
schied sie von allen derartigen Erscheinungen dach auch 
wieder ihre Abschliessung gegen die Aussenwelt Ὁ und ihre 
über das ganze Reich verbreitete Organisation, von welcher 
Lueian einan lehhaften Eindruck empfangen hat. Er weiss 
von ihrer Literatur, und zwar sowohl von älterer, welche die 
Gremeindevorsteber und Lehrer auslegen, als von neuerer, welche 
eben diese produciren (de morte Peregr. 11). Darnach ist 
es von vornherein unwahrscheinlich, dass Lucign, welcher sich 
um die eljendeste zeitgenössische Literatur bekümmert hat, 
nicht versucht haben sollte, auf diesem bequemsten Wege sich 
vam Ohristenthum zu unterrichten, wenn ihm nicht wie seinem 
Landsmann und Zeitgenossen Tatian (orat. 29) ehristliche 
Schriften ungesucht in die Hände’ fielen. Ein sonderbares 
Misverständnis ist es, wenn Keim schon deshalb dem Lucian 
Kenntnis christlicher Literatur absprechen zu müssen meint, weil 
Lucian christliche Dinge nicht mit christlichen Namen nennt ?). 


1) de morta Peregr.. 18: xaragygonolla air. ἑπάντων ἐξ ians za) 
χριμὰ ἡγοῦνται. 
2) Herzogs Realencycl. VIII, 501 vgl. 500. 


520 


Sein ἀνασκολοπισϑείς statt oruvewdels (Peregr. 11. 13) ver- 
räth nicht Unkenntnis, sondern Absicht; ünd wenn er das 
Christenthum τελετή (ὁ. 11) und Christus σοφιστής und vouo- 
ϑέτης (c. 13) nennt, so will er nicht Kunstausdrücke wieder- 
holen, sondern macht einen Versuch, die sonderbare Er- 
scheinung hellenisch zu benennen, wie Josephus so oft auf 
seinem Gebiet. Der Thatbestand zeugt für ziemlich eingehende 
Beschäftigung Lucians mit neutestamentlichen und anderen 
christlichen Schriften (s. Anh. II, 11). Was nun die Novelle 
vom Ende des Peregrinus anlangt, so wird man sie im Ganzen 
wie im Einzelnen nicht verstehn, solange man entweder mit 
den Aelteren die ganze Erzählung für historisch hält 1), oder 
mit manchen Neueren ?) gerade das Hauptfactum, die Selbst- 
verbrennung Peregrins in Olympia, für blosse Fiction erklärt. 
Naiv ist namentlich der erste Grund, welchen Baur hiefür 
anführt, dass nämlich vor Lucian Niemand davon wisse, vor 
dem Lucian nämlich, welcher das kürzlich geschehene Ereig- 
nis erzählt. Vorher hätte es höchstens geweissagt werden 
können. Die abenteuerliche Meinung aber, dass sämmtliche 
christliche 3) und heidnische *) Schriftsteller, welche unab- 
hängig von einander das Ereignis als berühmte Merkwürdig- 
keit erwähnen, es aus Lucians Schrift geschöpft haben sollten, 
scheitert schon daran, dass heidnische Schriftsteller nicht mehr 


1) So z. B. Pears. I, 5sqq.; Wieland, Lucians Werke übersetzt, 
Leipzig 1788, ΤῊ]. 3, 5. 93 ff.; Gregorovius, Hadrian, 8. 254f. Auch 
Keim (a. a. O., S. 503) scheint sich dafür zu entscheiden. j 

2) So Baur, Christenthum und Kirche der drei ersten Jahrhunderte 
(2. Aufl.), S. 412, während er früher (Tübinger Zeitschrift für Theologie 
1832, 4. Heft, S. 136) richtiger geurtheilt hatte; ferner Plank in Studien 
und Kritiken 1851, S. 833 ff. 850. 

3) Athenag. leg. 26; Tertull. ad mart. 4; Eus. Chron. s. vorhin. 
Keim (a. a. O., 83. 504) macht es sich bei der Widerlegung Baurs zu 
bequem, wenn er auch Tatian unter denjenigen anführt, welche ‚sehr 
specielle besondere Nachrichten über Peregrin und seinen Tod geben“; 
denn or. 25 sagt Tatian vom Tode Peregrins nichts. Es muss sogar 
fraglich bleiben, ob er dies nach dem Tode desselben geschrieben hat. 

ı 4) Philostr. vit. Sophist. II, 1, 13 ed. Kayser, 1844, p. 243; Amımn. 
Marcell.._ XXIX, 1,_39. 


ν.». - 


521 


mit Bewunderung davon reden konnten !), wenn Lucians unbarm- 
herige Verspottung ihre einzige Quelle war. Deutlich zeigt 
auch die Anführung bei Tertullian, dass damals der Heroismus 
Peregrins mit Stolz von den Heiden gerühmt wurde, und 
aus Athenagoras, welcher vielleicht kaum 10 Jahre nach 
Peregrins Tod und Lucians Schrift geschrieben hat und eine 
von Lucian unabhängige Kenntnis der Geschichte Peregrins 
zeigt 3), sieht ınan, dass die Selbstverbrennung Peregrins um 
170—180 ein weltkundiges Ereignis war, das man Keinem 
zu erzählen nöthig hatte. Endlich sagt Lucian, welcher auch 
sonst die Thatsache als bekannt voraussetzt °), mit einer 
Nachdräcklichkeit *), welche durch den humoristischen Cha- 
rakter der Darstellung nothwendig gemacht, aber ernstlich 
gemeint ist, dass er das Drama seinem Freunde treu wieder- 
erzähle, während er Anderen, wie sie es verdient, noch Allerlei 
aufgebunden (c. 39) und an der sofort eintretenden sagen- 
haften Ausschmückung der Sache sich betheiligt habe (c. 40). 
Das Drama aber ist die Selbstverbrennung Peregrins in Olym- 
pia, deren Augenzeuge Lucian gewesen. ‚Im Uebrigen com- 
ponirt Lucian hier ebenso frei wie in allen seinen satirischen 
Schriften, zu welchen diese doch ohne Frage gehört. Fein ist 
das hier dadurch angedeutet, dass er die Erzählung der Lebens- 
geschichte Peregrins einem Fremden in den Mund legt, wel- 
cher mit „demokritischem Lachen“, statt mit „ heraklitischem 
Weinen‘ seinen Bericht beginnt (c. 7), aber auch ehrlich 
‘gesteht, dass er Manches nur aus zweiter Hand habe (c. 8). 
Dass dieser „Proteus“ wie er sich selbst zu nennen liebte 


1) Das gilt namentlich von: Ammianus Marcellinus; aber auch 
Aulus Gellius, welcher den Peregrinus persönlich gekannt und vor 
seinem Tode geschrieben hat und auch vorher um 161—164 gestorben 
ist (Pauly’s Realencyel. III, 665), redet nur mit höchster Achtung von 
ihm (Noect. Att. XD, 11; cf. VIII, 3). 

2) Durch seine Erzählung von der Bildsäule, welche die Parier ihreın 
Mitbürger gesetzt, und von welcher die Sage ging, dass sie Orakel er- 
theile. 

3) Fugit. 4; Indoct. 14; cf. Demonax 21. 

4) Man vgl. etwa Quomodo histor. conscr. 14. 


b22 


und von seinen Verehrern genannt wurde (de morte Peregr. 
1. 4; Gell. XII, 11; Amm. Marc. XXIX, 1, 39), vorüber- 
gehend einmal der christlichen Gemeinde angehört habe, wäre 
möglich !), obwohl ausser Lucian weder heidnische noch christ- 
liche Schriftsteller etwas davon wissen. Unmöglich aber ist 
es, dass er, wie Lucian. von ihm berichtet, als ein um des 
christlichen Glaubens willen gefesselter Gemeindevorsteher die 
Bewunderung der kleinasiatischen Christengemeinden auf sich 
gezogen habe, während er in Syrien gefangen sass, und dass 
er als christlicher Lehrer und Schriftsteller eine Berühmtheit 
der Kirche des 2. Jahrhunderts gewesen sei. Welcher Grund 
hätte jede Spur von diesem goefeierten Bischof und Schrift- 
steller aus den christlichen Schriften seiner eigenen und der 
nächstfolgenden Zeit fernhalten und überhaupt aus dem Gre- 
dächtnis der Kirche verwischen können! Sie hal: ja die Ab- 
trünnigen sonst nicht vergessen, auch wenn sie weniger welt- 
berühmt waren. Unverständlich wäre es-auch, warum Lucian 
so ausführlich hei der christlichen Periode seines Lebens ver- 
weilt hätte, wenn sie mit dem eigentlichen Gegenstand seiner 
Darstellung in keinem inneren Zusammenhang stünde. Der 
eine Titel ἄϑεος, welcher auf den Cyniker Peregrin viel weniger 
passte, als auf den ehemaligen Christen und auf den aus 
gesprochenen Epikurärer 8) Lucian selbst, beweist schon, dass 
ihm Peregrin auch als Märtyrer noch eine Carrikatur der 
Christen ist). Der Tod den Cynikers hätte als vereinzeltes 
Factum eine Satire wie diese nimmermehr herausgefordert. 
Man sieht aus den Reflexionen üher die moralische Wir- 
kung solcher Handlungen (c. 28 844. cf. 33), dass die nächste 
Empfindung Lucians bei Abfassung seiner Schrift keineswegs 


1) Vgl. Tzsobirner, Fall des Heidenthums, 8. 308. 

2) de morte Peregr. 11: xzai τῶν βίβλων τὰς μὲν ἐξηγεῖτο καὶ διε- 
σάφει, πολλὰς δὲ αὐτὸς καὶ συνέγραψϑ, καὶ ὡς 809 arrow ἐκχεῖνοι 
ἡγοῦντο καὶ νομοθέτῃ ἐχρῶντο χαὶ προστάτην ἐπέγραφομκμ. 

3) Luc. Alexander 17. 21. 25. 47. 

4) de morte Peregr. 21. Dass der Christenname ἄϑεος (Just. apol. 
I, 6. 13; mart. Polyc. 3. 9) dem Lucian bekannt war, beweist zum 
Veberfluss Alex. 25. 38, 


523 


Hohn über die Narrheit. eines Einzelnen, sondern die Be- 
sorgnis einer epidemischen Verbreitung solcher Gesinnung 
ist. Die Verspottung ist nur ein Mittel, welches dem 
wehren soll. Nun war aber dieselbe theatralische Selbst- 
aufopferung und ehrsüchtige Todesverachtung, welche Lucian 
an Peregrin meisterhaft veranschaulicht, ihm!) und seinen 
heidnischen Zeitgenossen gerade an den Christen besonders 
anstössig, und nur hier trat diese gefährliche Gesinnung als 
ansteckender Wahnsinn auf. Unter Marc Aurel, welcher an 
der einzigen Stelle seiner Selbstbetrachtungen, wo er von den 
Christen redet, ebendies ihnen vorwirft?), folgte ein durch 
die Persönlichkeit und den Schauplatz ausgezeichnetes Mar- 
᾿ tyrium auf das andere. Fast gleichzeitig ‘mit Peregrin war 
Polykarp äusserlich des gleichen Todes wie jener gestorben, 
und in weiteren Kreisen wurde dies Factum sofort auch von 
Heiden besprochen (mart. Polyc. 19). Kurz vorber war ein 
christlicher Philosoph in einem Aufzug, welcher den des Pere-. 
grin an Eleganz nicht übertroffen haben mag, missionirend 
wie Peregrin in der Welt umhergezogen von Palästina bis 
Rom, war an letzterem Ort mit nicht geringerer Freimüthigkeit 
als Peregrin aufgetreten ?) und als christlicher Märtyrer hin- 
gerichtet worden. Es ist kaum denkbar, dass Lucian von 
Justin nicht sollte gehört haben. Der Eine war ein christ- 
licher Schriftsteller und Philosoph, der Andere ein hochver- 
ehrter Bischof, wie Lucians Peregrin beides ist. Ein dritter 
Märtyrer war Bischof und Schriftsteller zugleich, nämlich Igna- 
tius. Aehnlich wie nicht lange nachher die clementinischen 


1) c. 13: nenelxacı γὰρ αὑτοὺς ol xaxodaiuoves τὸ μὲν ὅλον ἀϑά- 
varoı ἔαδσϑαι καὶ βιώσεσθαι τὸν dei χρόνον, παρ᾽ ὃ καὶ καταφρονοῦσι 
τοῦ Iavarov χαὶ ἕχόντες αὐτοὺς ἐπιδιϑόασιν οἱ πολλοί. Of. Ign. 
Sm. 3. 4. 

2) Magx. Aytwy. eis ἑαυτόν 11, 3: τὸ δὲ ἕτοιμον τοῦτο (die Todes- 
bereitschaft) ἕνα ἀπὸ ἰδικῆς χρίσεως ἔρχηται, μὴ κατὰ ψιλὴν παράταξιν, 
ὡς οἱ Χριστιανοί, ἀλλὰ λελογισμένως καὶ σεμνώς, καὶ ὥστε καὶ ἄλλον 
πεῖσαι ἀτραγῴϑως. 

3) Vgl. Thiersch, S. 31, wo de morte Peregr. 18 richtig ge- 
würdigt. ist. 


524 


“ 


Homilieen unter der einen Maske des Simon Magus diesen 
selbst und den Apostel Paulus und spätere Gnostiker zugleich 
an den Pranger stellten, hat Lucian den christlichen Märtyrer- 
hervisınus zugleich ‘mit der cynischen Rohheit in der Person 
Peregrins dem Spott preisgegeben und zu diesem Ende gerade 
dieser Schrift und der Lebensgeschichte Peregrins seine Schil- 
derung der Christen einverleibt. Der ominöse Name Proteus, 
an dessen Bedeutung gleich im Eingang erinnert wird, und 
die ungefähre Gleichzeitigkeit von Justins, Polykarps und 
Peregrins Tode luden zu dieser Combination ein. Aber die 
meisten individuellen Züge hat Lucian der älteren Gestalt 
des Ignatius und zwar unmittelbar aus seinen Briefen ent- 
lehnt. Man hat Kenntnis der Martyrien des Ignatius und des 
Polykarp bei Lucian vermuthen wollen. Aber wenn man für 
eine Benutzung des Ersteren keine besseren Beweise beibringt, 
als die Anwendung des überaus gewöhnlichen Schimpfnamens 
κακοδαίμων auf Peregrin bei Lucian, auf Ignatius im m. colb. 
(Düsterd., p. 48), oder die Erscheinungen des Verstorbenen, 
welche Peregrins. Freunde bei Lucian, wie die des Ignatius 
im m. colb. gehabt haben (Thiersch, S. 32; auch Plank, 
S. 854), so wird es doch wohl bei dem Ergebnis der oben 
5. 41—56 geführten Untersuchung dieses späten Mach- 
werks sein Bewenden haben. Aber auch das m. Polyc., 
welches wahrscheinlich ziemlich gleichzeitig mit Lucians 
Schrift, vielleicht etwas später als diese, abgefasst wurde, kann 
schon deshalb nicht zu seinen Quellen gehört haben. Der 
Geier, welcher von Peregrins Scheiterhaufen auffliegt, er- 
innert mehr an den Brauch, bei der Apotheose der Kaiser- 
einen Adler auffliegen zu lassen (vgl. Smith, schol., p. 116f.; 
Maranus zu Justin. apol. I, 21), als an die höchst zweifel- 
hafte Taube beim Tode Polykarps (Anh. I, 5). Anderes, was 
wirklich an die Erzählung von Polykarps Tode erinnert, mag 
Lucian als Gerücht zu Ohren gekommen sein (vgl. mart. 
Polyc., c. 19). Der Wohlgeruch, welchen die Christen vom 
Scheiterhaufen Polykarps her wahrgenommen haben wollen, 
wird von Peregrin mechanisch durch Räucherwerk erzeugt. 
Vielleicht ist auch die sehr natürliche 09097 gunwou ἀχριβῶς, 


525 * 
in welcher Peregrin zuletzt dasteht, eine Verspottung der 
09097; πλοίου ὑπὸ ἀνέμου πληρουμένη, deren Gestalt die Flamme 
in Smyrna annahm '(mart. Pol. 15; Peregr. 36). Die Rede 
Peregrins -(c. 33) erinnert an Polykarps berühmten Ausspruch 
vor dem Proconsul (mart., c. 9). Aber eben dies waren Dinge, 
ohne deren Erwähnung man von Polykarps Tode nieht er- 
zähler konnte, und "diese auch in heidnischen Kreisen um- 
laufenden Erzählungen waren .es, welche Lucian zu seiner Com- 
. position den Anstoss gaben. Eine literarische Abhängigkeit 
von dem christlichen Bericht anzunehmen, ist daher ebenso 
unnöthig als chronologisch unwahrscheinlich. 

Anders stand es mit Ignatius. In christlichen Kreisen 
brauchte er auch damals, nach mehr als 50 Jahren, noch nicht 
vergessen zu sein, selbst wenn er nichts Schriftliches hinter- 
lassen hätte. Aber ein heidnischer Literat konnte damals 
nur auf literarischom Wege, ἃ. ἢ. aus seinen Briefen, Näheres 
von ihm wissen. Will man die Spuren davon erkennen, so 
darf man natürlich nicht ein Portrait des Ignatius suchen, 
und wer die Unähnlichkeit an den Aehnlichkeiten gegen die 
Behauptung einer Carrikirung des Ignatius geltend macht, 
beweist damit nur, dass er die Anlage der Schrift nicht be- 
griffen hat, welche eben das ausschliesst, was man fordert. 
Gleich zu Anfang wird als Grund der Berühmtheit Peregrins 
bei seinen Freunden seine Fesselung in Syrien genannt !). Es 
liegt auf der Hand, dass die Freunde des historischen Pere- 
grin, die cynischen Philosophen, vor dem heidnischen Publi- 
cum mit dem christlichen Martyrium Peregrins von ehedem 
nicht grossgethan haben können. Es ist eben der δεδεμένος 
ἀπὸ Συρίας (Ign. Eph. 1), welchen erst Lucian mit Peregrin 
combinirt. Nachdem Peregrin in Palästina Christ und sehr 
bald hochangesehener Lehrer und Bischof bei den Christen 
geworden ist (c. 11), wird er als Christ ins Gefängnis ge- 
worfen (6. 12). Erst. nachträglich sehen wir, dass es in 
Antiochien geschehen ist; denn der syrische Statthalter ist 


1) ὁ. 4: Πρωτέα τὸν ἐν Συρίᾳ δεϑέντα. CA. c. 12. 13: ἐπὶ προ- 
φάσει τῶν δεσμῶν. 


- 528 


sein Richter, der ihn &us philosophischer Laune und Ver- 
achtung freispricht !. Wie sonderbar nun, dass nicht etwa 
syrische oder palästinensische, sondern die kleinasiatischen Ge- 
meinden ihm im seiner Gefangenschaft Gesandtschaften zu- 
schicken, um ihn in jeder Hinsicht, auch mit Geldmitteln, zu 
unterstützen ?)! Es sind dies die Gemeinden, welche Lucian 
aus den Briefen des Ignatius kannte. Aus diesen gewann er 
leicht die Vorstellung von der reichlichen Verpflegung und 
der überschwänglichen Verehrung, welche dem gefesselten 
Märtyrer von allen Seiten zu Theil wurde, und wahrscheinlich 
aus dem Römerbrief (vgl. besonders c. 5 und oben S. 281), 
was er von Befreiungsversuchen und von Bestechung der 
Wärter ru sagen weiss (6. 12). Nach einem schimpflichen 
Intermezzo in seiner Vaterstadt Parium findet Peregrin nur 
auf kurze Zeit noch bei den betrogenen Christen seinen Vor- 
theil, wird dann wegen eines Vergehens gegen deren Ge- 
setze — der Erzähler vermuthet Speiseverbote — aus der 
christlichen. Gemeinde ausgestossen und entwickelt sich in 
Egypten zum Cyniker, als welcher er fortan die Welt. durch- 
wandert. Sehr sonderbar wird c. 43 noch eine Seefahrt von 
Troas aus berichtet, welche Lucian mit Peregrin zusammen 
gemacht haben will, und zwar auf einer Reise von Syrien 
aus. Sie ist im Leben Peregrins gar nicht unterzubringen. 
Die dritte und letzte grosse Reise (c. 17) von der mysischen 
Stadt Parium über Egypten nach Italien kann Peregrin nicht 
mit dem von Syrien über Troas reisenden Lucian gemacht 
haben. Noch weniger ist an die beiden vorher genannten 


.1ὴ c. 14: Antiochien ist hiermit ebenso deutlich bezeichnet, als 
c. 18 ἐπὶ Ἰταλίαν ἔπλευσε eine Reise nach Rom bedeutet. 

2) c. 18: Καὶ μὴν καχ τῶν ἐν ᾿Ασίᾳ πόλεων doriv ὧν ἦχόν τινες 
τῶν Χριστεανὼῶν στελλόνίων ἀπὸ τοῦ χοινοῦ βοηθήσοντες καὶ ξυναγο- 
ρεύσοντες κοὶ παραμυϑησόμενοι τὸν ἄνδρα. ᾿μάῴχζανον δέ τι τὸ τιζχος 
ἐπιδείκνυνται, ἐπειδάν τι τοιοῦτον γένηται δημόσιον" ἐν βραχεῖ γὰρ 
ἀφειδοῦσι πάντων. Καὶ δὴ καὶ τῷ Περεγρίνῳ πολλὰ τότε ἧχε χρήματα 
nap’ αὐτῶν ἐπὶ προφαύει τῶν δεσμῶν χκὶ πρόςοδον οὐ μιοερὼν ταύτην 
ἐποιήσατο, λ 


527 


Reisen (6. 9. 11—14) zu denken. Die an sich gleichgültige 
Localität stammt aus Ign. ad Pol. 8, und die üppige Pflege, 
deren Peregrin auf der Fahrt sich zu erfreuen hat, soll an 
die Zeit seines Christseins erinnern (cf. c. 12. 13. 16). Hat 
man erst eingesehn, dass die scheinbar historische Eintheilung 
in eine christliche und eine cynische Periode des Lebens 
Peregrins vom Schriftsteller gar nicht als baare Münze aus- 
gegeben wird, dass auch der cynische Selbstmörder noch der 
christliche Märtyrer ist, so ist auch klar, dass nichts Anderes 
als die ignatianischen Briefe mit den Worten gemeint sind: 
Φασὶ δὲ πάσαις σχεδὸν ταῖς ἐνδόξοις πόλεσιν ἐπιστολὰς δια- 
πέμψαι αὐτὸν, διαϑήχας τινὰς καὶ παραινέσεις καὶ νύμους" καί 
τενας ἐπὶ τούτῳ πρεσβευτὰς τῶν ἑταίρων ἐχειρυτόνησε νεκραγγέ- 
λους οἰαὶ νερτεροδρόμους προςαγορεύσας. Dass Peregrin diese 
Briefe ebenso wie Ignatius die seinigen kurz vor seinem Tode 
geschrieben haben soll, zeigt schon das dıasrxus und die 
Verbindung des Folgenden durch ἐπὶ τούτῳ Mag Lucian die 
Worte des Ignatius misverstanden oder absichtlich aus den 
Gesandtschaften etwas Anderes gemacht haben, die Grundlage - 
seiner Worte ist ad Pol. 7: χειροτονῆσαί τινα, ὃν ἀγαπητὸν 
λέαν ἔχετε καὶ ἄοχνον, ὃς δυνήσεται ϑεοδρόμος καλεῖσϑαι !) 
und ad Pol. 8: ἐπεὶ πάσαις ταῖς ἐκκλησίαις οὐκ ἠδυνήϑην 
γράψαε. . . γράψεις ταῖς ἔμπροσϑεν ἐκκλησίαις . . . εἰς τὸ 
καὶ αὐτοὺς τὸ αὐτὸ ποιῖσαι, οἱ μὲν δυνάμενοι πεζοὺς neuen, 
οἱ δὲ ἐπιστολὰς διὰ τῶν ὑπό σου πεμπομένων. Wie sollte der 
historische Peregrin, welcher dem Herakles gleich in den 
Aether sich aufschwingen will (c. 33), diese Boten mit dem 
unerhörten Namen „Höllenläufer “ bezeichnet haben. Es ist 
also offenbar Lueians Witz, welcher die „Gottesiäufer“ des 
Ignatius dazu gemacht hat. 

Somit steht fest, dass Lucian : unter den christlichen 
Schriften, die er sich zu verschaffen gewusst hat, die ignatia- 
nischen Bfiefe hatte, darunter den an Polykarp vollständig, 


1) Οὗ .Sm. 11: χειροτονῆσαι τὴν ἐχχλησίαν ὑμῶν ϑεοπρεσβύτην. 
Phil. 10: χειροτονῆσαι διώχονον εἰς τὸ πρεσβεῦσαι ἐχεῖ ϑεοῦ πρεσ- 
βεέαν. ' : 


528 


nicht das Excerpt des Scur., welches gerade die von Lucian 
besonders beachteten Stellen "nicht enthält. Es ist sehr be 
greiflich, dass Lucian gerade den Brief an Polykarp besonders 
ins Auge fasste; denn Polykarps Märtyrertod hatte ihm zu- 
nächst den Anstoss zur Combination des christlichen Märtyrer- 
tbums mit dem widerlichen Schauspiel zu Olympia gegeben. 
Aber auch in den übrigen Briefen hat Lucian geblättert; denn 
nur aus den Briefen an die Epheser, Magnesier und Trallianer 
konnte er den Inhalt von c. 3 schöpfen; aber auch den 
Römerbrief scheint er gekannt zu haben, in welchem vor allen 
er in einer ihm unverständlichen Sprache die Gesinnung aus 
gesprochen fand, welche ihm als ein &ows, τῆς δόξης erschien ἢ. 
Jedenfalls hat Lucian um 165 eine Sammlung vor sich ge- 
habt, welche nicht mit Scur., sondern mit der durch Polykarp 
veranstalteten und der von Euseb allein gekannten Samınlung 
wesentlich identisch war. Dann versteht es sich vollends von 
selbst, dass Irenäus eben diese gelesen hat, und dass schon 
um die Mitte des 2. Jahrhunderts, noch zu Polykarps Leb- 
zeiten, eben diese Briefe verbreitet waren und von den Chri- 
sten als ein Werk des Ignatius verehrt wurden. Ist hiermit 
die Annahme einer Entstehung derselben um 160—170 aus- 
geschlosgen, so nicht minder die andere, dass sie durch Inter- 
polation und Vermehrung aus den ursprünglichen 3 Briefen 
um 140 erwachsen, aber erst von Theodoret an allgemein 
bekannt geworden seien. Oder wird man neben dem einen 
Euseb auch noch Athanasius und den Psendoignatius des 
4. Jahrhunderts und die Verfasser der Urmartyrien, Irenäus 
und Clemens von Alexandrien, Lucian und am Ende auch 
Polykarp als Opfer desselben ironischen Schicksals aufzählen, 
welches ihnen das Werk ‚eines Pseudoignatius statt der ächten 
Briefe des Ignatius in die Hände spielte? | 


1) c. 1 cf. 33. Auch c. 44 ist mit Rom. 5. 7 zu vergleichen. 


529 


- 3. Die innere Kritik. 


Die Kritik, unter welcher bis heute die Briefe des Igna- 
tius wie viele andere Documente des kirchlichen Alterthums 
zu leiden haben, muss jedem Unbefangenen, der zur Kritik 
auch des kritischen Verfahrens Neigung spürt, in einem 
höchst ungünstigen Licht erscheinen, wenn er diejenigen Ar- 
beiten, an deren Spitze das Werk des Dalläus steht, mit den 
kritischen Bemühungen vergleicht, zu deren Gegenstand die 
längere Recension vor Entdeckung der kürzeren und zum 
Zweck der Einführung der letzteren gemacht wurde, mit dem 
also, was die Magdeburger Centuriatoren, Abraham Scultetus, 
lsaak Casaubonus angedeutet und Ussher durchgeführt hat. 
Hätte Casaubonus seine Absicht, die ignatianischen Briefe zu 
bearbeiten, ausgeführt '), so würde es an einem Muster der- 
jenigen Kritik, welche das Aechte erst aus dem Haufen des 
Unächten herauszusuchen hat, nicht fehlen; nach den Ent- 
deckungen von Ussher und Voss fühlten sich die Entdecker 
selbst zu sicher in ihrem Besitz, und den sofort laut ge- 
wordenen kritischen Bedenken auch gegen den ächten Ignatius 
zu sehr überlegen, um die Unwissenschaftlichkeit dieses Ver- 
fahrens gründlich nachzuweisen 3). Vielleicht wäre des Dalläus 
Werk dann ungeschrieben geblieben und statt der geharnisch- 
ten Gegenschrift Pearsons ein- positives Werk von bleibendem 
Werth entstanden, wozu die Dunkelheit und Wichtigkeit des 
Gegenstands Anlass genug gab, und der gelehrte Scharfsinn 
Pearsons die Mittel darbot. Jene ältere Kritik vor 1644—1647 
fusste auf der Thatsache, dass die alte Kirche, bis Hieronymus 
wenigstens, nur einen Theil der überlieferten Briefe und auch 
diesen Theil in wesentlich anderer Gestalt gekannt habe. Der 
auch gegen die wiederentdeckte ursprüngliche Gestalt der 


1) Is. Casaub. exercitt. ad Baronii annales ed. Gen. 1663, p. 468 Βα. 
610 5ᾳ. 669; cf. Uss. dissert., p. 136. 
2) Voss sagte: certus sum paucos omnino fore, qui cum ipsis 
faciant, qui vero id cum ratione faciat, neminem. 
Zahn, Ignatius, 34 


520 


Igpatiusbriefe sich fortsetzenden Kritik fehlte dieser äussere 
Halt. Der Versuch des Dalläus, Euseb zur Hebamme des 
Ignatius zu erklären (p. 226), und in Bezug auf die voran- 
gegangenen Jahrhunderte ein argumentum e silentio gegen die 
ignatianischen Briefe zu führen, konnte seit Pearsons Wider- 
legung nicht mehr erneuert werden, bis der syrische Ignatius 
zu Aehnlichem wieder ermuthigte.e Um so mehr hätte die 
Kritik darauf bedacht sein sollen, ihrem auf den Inhalt der 
Briefe beschränkten Verfahren wissenschaftliche Haltung zu 
geben. . 

Zu dem Ende hätte man sich vor allem der Unart ent- 
ledigen müssen, jedes Misbehagen, das irgend eine auffällige 
Thatsache oder eine sonderbare Ausdruckweise erregte, in ein 
kritisches Bedenken gegen die Aechtheit zu verwandeln. Man 
hat z. B. an der auffälligen Bemerkung, dass Paulus der 
Epheser in jedem Brief gedacht haben soll (Eph. 12;s. Anh. ΠῚ 
Anstoss genommen, und noch Bunsen (II, 40) stellt sich an, 
als ob die darin liegende Tebertreibung einem Literaten späterer 
Zeit, welcher mit kühler Reflexion seine künstliche Arbeit 
thut, eher zuzutrauen wäre, als dem Märtyrer, der in sicht- 
lich erregter Stimmung des altbegründeten Adels der ephe- 
sischen Gemeinde gedenkt. Schon Pearson (II, 118) hatte 
mehr als genug darüber gesagt. Man hat sich von jeher 
über die lateinischen Worte bei Ignatius gewundert, und be- 
sonders den Brief an Polykarp, in welchem die meisten vor- 
kommen, deshalb verdächtigt). Man legte sich die Frage 
nicht einmal vor, ob es denn wahrscheinlicher sei, dass ein 
Interpolator oder ein Verfertiger unächter Briefe dem Bischof 
von Antiochien lateinische Worte in den Mund gelegt habe, 
als dass der wirkliche Ignatius, der Wochen lang in der Be- 
gleitung römischer Soldaten zu reisen hatte, zumal, wenn er 
vom Kriegsdienst Bilder entlehnen wollte, ein paar lateinische 
Worte brauchte. Was δεσέρτωρ, δεπόσιτα, üxxenta (ad Pol. 6) 
und ἐξεμπλάριον (Sm. 12; Tr. 3; Eph. 2) bedeute, wussten 
die Smyrnäer ebensogut, als was κουστωδία (Matth. 27, 66), 


1) So schon Scultetus, p. 453 und nach ihm Vedeliug II, 13899. 


691 


κεντυρίων (Mare. 15, 39), πραιτώριον (Joh. 18, 38), κομφέκτῳρ 
(mart. Pol. 16), στατέων (Herm. sim. V, 1), δουκενάριος, σή- 
κρητον (Ems. ἢ. 6. VII, 80, 8. 9), μίλιον (Matth. 5, 41), 
τίτλος (Joh. 19, 19), σουδάριον (Joh. 20, 7), χρδράντης (Matth, 
5, 26), δηνάριος (Matth. 20, 2) und andere lateinische Wörter 
bedeuteten, und man wusste das um 170 nicht besser, als um 
110. Jene militärischen Ausdrücke sind gerade ein Beweis 
dafür, dass wir hier ein aus der angeblichen Situation wirk- 
lich entsprungenes Schriftstück vor uns haben ἢ. Dasselbe 
gilt von der römischen Datirung des Römerbriefs (vgl. oben 
S. 252), Jeder kritische Leser hätte sich vor allem fragen 
müssen, warum dieser Brief überhaupt ein Datum trage, die 
übrigen nicht, Bei einem Literaten von dogmatischen und 
kirchenpolitischen Absichten ist das eine ganz unverständliche 
Anomalie. Der wirkliche Ignatius folgte einem sehr natär- 
lichen und verständigen Gefühl. Für die nahegelegenen 
asiatischen Gemeinden, welche die an sie gerichteten Briefe 
wenige Tage nach ihrer Aufzeichnung durch ihre Bischöfe 
und durch Burrhus empfingen, war es kein Bedürfnis, auf 
diesem Wege zu erfahren, an welchem Tage Ignatius die 
Briefe geschrieben habe. Dahingegen war es für die römi- 
schen Christen und die dort befindlichen Antiochener, die auf 
seine Ankunft in Rom warteten, und denen der Brief des 
Ignatius auf dem weiten und unsicheren Seeweg gebracht 
wurde, von Interesse, zu wissen, wann er in Smyrna gewesen 
sei. Dass Ignatius die im ganzen Reich bekannte römische 
Datirung anwandte, da er nach Rom schrieb, muss Jeder 
natürlich finden. Aus dem Munde der begleitenden Soldaten 
wird Ignatius wahrscheinlich nicht selten eine drohende Hin- 
weisung auf den Thierkampf und dabei auch das Wort λεό- 
παρδος gehört haben 3), welches man bis in die neuere Zeit 


1) Vgl. Voss, p. 269sq, epistola ad Rivet,, p. 2; Pears. II, 189; 
Jakobson z. ἃ, 8t., auch Cureton introd., p. LIXXIL. 
2).Das erscheint um ao natürlicher, da er es zur Besshreibung der 
wilden Art seiner Begleiter gebraucht. 
24% 


582 


als kritisches Mittel gebraucht hat. Samuel Bochart 1) hatte 

behauptet, das Wort komme in der vorconstantinischen Zeit 
weder bei römischen noch bei griechischen Schriftstellern vor 
und seit Constantin nur bei römischen; daher könnten: die 
ignatianischen Briefe nicht vor Constantin geschrieben sein. 
Die kindische Art dieses kritischen Verfahrens hatte schon 
Cotelier gerügt 3) und, ebenso wie gleichzeitig mit ihm und 
unabhängig von ihm Pearson (Il, 91ff.), beide Behauptungen 
urkundlich widerlegt, auf welche das Urtheil Bocharts sich 
. gründete. Baur hat es gut gefunden, dies einfach zu leugnen 
(1, 156). Aber es bleibt dabei, dass griechische Schriftsteller 
das Wort gebraucht haben 5), und dass es lange vor Con- 
stantin üblich war t). Aber gesetzt, es hätte Bochart Recht 
-gehabt, so hätte dies Argument doch Baur unbrauchbar finden 
müssen, nach dessen Meinung die ignatianischen Briefe bald 
nach der Mitte des 2. Jahrhunderts geschrieben sind. Aber 
willkommen war ihm und seinen Schülern das Wort als ein 


1) 8. Bochart, Hierozoikon ed. III (Leusden. Lugd. Bat. 1692), tom. I, 
p. 19186αᾳ. 

2) Zu Rom.’ 5 fragt er: Quis docuit Bochartum, omnia vocabula eo 
demum aevo nata esse, quo in libris posita cernuntur? _ 

3) Schon Cotelier und Pearson führten die Vita Antonii an. Athan. 
opp. ed. Montfaucon I, 2, 803C liest man λεόντων, ἄρχτων, λεοπάρϑων, 
ταύρων x. τ, Δ. Eine Handschrift und die älteren Ausgaben bieten 
λεοπαρδάλων. Das ohne Frage ursprünglich lateinisch gebildete Wort 
— es würde griechisch λεοντόπαρδος heissen — ist so wenig selten, 
dass ein späterer Grammatiker es als Beispiel griechischer Wortbildung 
anführen konnte (Bekker, anecdota, p. 1394). In noch späterer Zeit sagte 
man λεόμπαρδος (Ducange, glossar. med. et infim. Graecit. 8. v.), Vgl. 
Timoth. Gaz. ed. Haupt (Hermes III, 11) zeoi λεοπάρδου. 

4) Mehr als 100 Jahre vor Constantins Regierung sind die Acta 
Perpetuae et Felicitatis geschrieben, worin mehr als einmal leopardi er- 
wähnt werden (c. 19. 21), und aus Spartians Anton. Geta, c. 5 erfährt 
man, dass dieser Sohn des Septimius Severus, welcher als „tenax veterum 
scriptorum “ gerühmt wird, sich ein Vergnügen daraus gemacht habe, von 
den Grammatikern für die verschiedenen Thierlaute, unter deren Be 
zeichnungen auch ‚‚leopardi rictant“ vorkam, Belege aus alten Schrift 
stellern zu fordern. Darnach muss schon damals der Name leopardı 
wenigstens für alt gegolten haben. - 


533 


ursprünglich lateinische. Wenigstens Schwegler (Nach- 
apostolisches Zeitalter II, 179) und Hilgenfeld (S. 271) haben 
aus den lateinischen Worten’ bei Ignatius einen Beweis für 
den römischen Ursprung seiner Briefe machen wollen, welchen 
Baur ohne Beweis behauptet hatte!), Zu dem Ende hat 
man aus lateinischen Wörtern, die ein Grieche gebraucht, 
„Latinismen “ gemacht und von „latinisirender Dietion‘“ ge- 
redet. Wenn die dabei zu Tage tretende Verwechselung 
nicht allzu offenbar wäre ®), möchte es sich lohnen, einmal 
genauer nachzuforschen, wie weit sich in der Kaiserzeit Der- 
artiges in griechische Literatur eingeschlichen hat. Nun aber 
ist die Schreibweise des Ignatius viel eher semitisch als 
lateinisch gefärbt. Es handelt sich nur um einige Substantiva 
und überdies fast um lauter Kunstausdrücke 8), welche der 
Verkehr im ganzen Reich verbreiten musste. Will man 
darauf, dass — abgesehn von ad Pol. 6, wo die Häufung der 
lateinischen Soldatenausdrücke durch den Anlass dicetirt war — 
das Wort ἐξεμπλάριον dreimal vorkommt, die Behauptung 
gründen, die ignatianischen Briefe seien in Rom geschrieben, 
so wird man consequenter Weise auch die Evangelien des 
Matthäus und Johannes und das Schreiben der in Sachen des 
Paulus von Samosata in Antiochien versammelten Bischöfe ἢ) 
nach Rom verweisen müssen und umgekehrt die Acten der 
Perpetua und der Felicitas nach einer griechischen Stadt ὅ). 
Die Annahme römischen Ursprungs der ignatianischen Briefe 
rührt aber her von der ungeschichtlichen Vorstellung, dass die 
Wiege des Papstthums von jeher in monarchischer Gestaltung 


1) I, 184. So auch Volkmar, Handbuch zu den Apokryphen 
I, 122. ΝΣ ᾿ 

2) Nur beispielsweise verweise ich auf meinen Hermias, S. 487, 
Anm. 2. 

3) Ein nach attischer Eleganz strebender Schriftsteller musste sie 
vermeiden. Lucian. quomodo hist. conscrib., c. 15. 

4) Vgl. die Zusammenstellung ὃ. 530f. 

5) Hierin kommen vor zöxvov c. 4, ὅραμα c. 7, ἁφή c. 10, ἅγιος 
c. 12, 


634 


der Kirchenverfassung den übrigen Kirchen vorangegangen 
sein müsse. Die geschichtlichen Zeugnisse beweisen gerade 
das. Gogentheil (s. oben $. 299). Dies führt uns auf das 
Hauptargument gegen die Aschtheit unserer Briefe und das 
Hauptmotiv ihrer Bestreitung seit dem 17. Jahrhundert, 
nämlich auf das in denselben enthaltene Zeugnis für die früh- 
zeitife Hntwicklung des monarchischen Episkopats in den 
asiatischen Gemeinden. Aber ein Beweis gegen die Aechtheit 
unserer Briefe wäre es doch nur, wenn man wissensehaftliche 
Gründe hätte, eben diesen Thatbestäand zu beanstanden. Baur 
gidubte kritisch zu verfahren, wenn er argumentirte, da die 
Briefe, wenn ächt, dann auch dem Clemensbrief ziemlich gleich- 
zeitig seieh, 80 sei aus der Verschiedenheit des Bildes der 
kirchlichen Verfassung hier und dort „der sichere Schluss zu 
riehen, dass die sogenannten Briefe des Ignatias späteren Ur- 
sprungts seien“ ἢ). Das versichert derselbe Baur, welcher sich 
durch den angeblichen Fortschritt von der Idee der Bischöfe 
als Nachfolger der Apostel, welche sich bei Irenäus findet, zu 
der ignatianischen Idee des Bischofs als Repräsentanten Gottes 
(1, 88f.) doch nicht etwa veranlasst sah, die ignatianischen 
Briefe lange nach Irenäus geschrieben sein ru lassen. Zeit- 
geschichtlich charakteristisch fand es derselbe Gelehrte (I, 76), 
ses οὐ bei Iguatius schon heisse τῇ ἐκκλησίᾳ τῇ 'ovon ἐν 
’Eipeotw, ἐν Mayvnoig x. τ. %., wälirend Clemens von Rom 
noch schreibe τῇ παροικούσῃ Κύρινϑον. Nun findet sich 
freilich lötateres auch noch im Schreiben der Smyrnäer nach 
Polykarps Tode und ersteres schon bei Paulus (1 Kor. 1, 2), 
was alles Baur selbst bemerkt; und dennoch ist es für Igna- 
tius charakteristisch, dass er es schon wagt, zu sagen, dass 
die christlichen Gemeinden je an ihrem Ort sich befinden, 
was dann nach einer unverständlichen Rhetorik auf einen be- 
trächtäicheren Umfang derselben hinweisen soll, als wenn 
Clemens und die mit dem angeblichen Pseudoignatius gleich- 
zeitigen Sıhyrnäer von einer Geineinde sagen, sie wohne da 
oder dort in der ihr fremden Welt. Aber Paulus, heisst 68. 


1) Baur I, 63£. vgl. 66; Merx, p. 9. 


535 


sieht in der einzelnen Ortsgemeinde die Gemeinde Gottes im 
Ganzen, als ob dieser Gedanke nicht gerade von Ignatius mit 
besonderem Nachdruck geltend gemacht würde, und als ob er 
in jener Uebersehrift des Paulus und des Ignatius zu Tage 
träte! Was will man vom Standpunet einer derartigen Kritik 
gegen eine Argumentation einwenden, wie diese: „Da der in 
Bezug auf die Abfassungszeit zweifelhafte Brief des Clemens 
schon einen Ausdruck gebraucht, welchen ausserdem zuerst 
der gegen 170 geschriebene Bericht der Smyrnäer gebraucht, 
und da Ignatius noch ganz iu der alterthämlichen Weise des 
Paulus adressirt, so ist der Clemensbrief in der zweitsn Halfte 
des zweiten und die Briefe des Ignatius noch im ersten Jahr- 
hundert geschrieben.“ Aber auch abgesehn von soldhei Ver- 
irrangen einzelner Kritiker, bedütfte die allen auf die Kir- 
chenverfassungsverhältnisse bezüglichen kritischen Bedenken zu 
Grunde liegende Hypothese einer in alle Theilen der Kirdhe 
gleichmässigen und gleichzeitiger Entwicklung der äusseren 
Organisation doch erst des Beweises. Die Briefe selbst, die 
man um dieser unerwiesenen Arnahme willen beanstandet, 
widerlegen sie. Sie bezeigen uns, werih man ahders mit 
Recht, wie es die Tübinger Schule thut, den Polykarpbrief 
mit den ignatianischen zusarimenfasst, dass um 110 so wenig 
als zur Zeit des Clemensbriefes in den europäischen Gemein- 
den der monarchische Episkopat vorhanden war, während er 
in den asiatischen längst bestand (s. oben 9. 3971). Un» 
begreiflich müsste das freilich bleiben, wenn es dem Verfasser 
derselben um Durchführung der einen Idee des Episkopats 
als nothwendiger Form des kirchliehen Lebens wäre zu thtın 
gewesen. Ein Verfechter dieser Idee ist überhaupt um 170 
gar hicht mehr denkbar, weil es damals keine Gemeinden 
ohne wmonarchischen Episkopat mehr gab, dehen er erst hätte 
empfohlen werden niüssen. Damals wäre eine solche Em- 
pfehlung auch nicht mehr denkbar olıne einen geschichtlichen 
Beweis, ohne den Versuch, das, was man wünselit, auf aposte- 
lische Stiftung zurückzufülren. Dies Postalat würde für 
einen Schriftsteller vom Jahre 170 auch dann gelten, wenn 
es ihm nur darım zu thun gewesen wäre, das Amsehn dep 


536 


überall bestehenden Episkopats zu heben oder den Umfang 
seiner Befugnisse zu erweitern. Der eine Umstand, auf wel-. 
chen schon Pearson in wirksamster Weise aufmerksam machte, 
dass Ignatius nichts von dem, was ihm heilsam und wünschens- 
werth scheint, auf apostolische Stiftung zurückzuführen ver- 
sucht, ist ein Beweis für die Aechtheit seiner Briefe. 

Wie wenig gerechtfertigt die seit den Magdeburger Cen- 
turiatoren gegen die äusseren Thatsachen, welche die Briefe 
zur Voraussetzung haben, vorgebrachten Bedenken seien, hat 
die Darlegung dieser Thatsachen selbst bewiesen. Aber es 
bleibt für die Kritik, mit der man es bei Ignatius zu thun 
hat, charakteristisch, dass sie es nicht für nöthig hielt, mit 
exegetischer Sorgfalt aus den Briefen die fraglichen Thatsachen 
reinlich darzustellen. Zur Kritik gehört Gerechtigkeit sogut 
wie zu der Thätigkeit, von der sie den Namen hat. Was 
soll man aber von Urtheilen über die Zulässigkeit von That- 
sachen halten, welche gefällt wurden, ehe die quaestio facti, 
ich sage nicht erledigt, sondern nur ernstlich in Angriff ge- 
nommen war. Baur bezeichnet den Tiefpunct in dem fort- 
schreitenden Verfall historischer Kritik. Er erklärte es für 
eine nothwendige Vorfrage der Kritik, wie es sich mit dem 
Factum verhalte, welches diese Briefe zur Voraussetzung haben 
(I, 149; vgl. II, 53. 57), hielt es aber dabei für kritisch, den 
geschichtlichen Gehalt der Briefe mit der Fabel des m. colb. 
zusammenzuwerfen und 2. B. als eine erste unwahrscheinliche 
Seite an dem zu kritisirenden Factum das hinzustellen, 
dass Ignatius auf einen ausdrücklich vom Kaiser Trajan 
selbst gegebenen Befehl nach Rom transportirt worden sei 
(I, 149f.; vgl. II, 58), und dies nicht etwa versehentlich, 
sondern mit der ausdrücklichen Versicherung, dass das Marty- 
rium ganz in Uebereinstimmung mit den Briefen das Factische 
der Sache nur .näher angebe (I, 152). Und damit noch nicht 
zufrieden, wird schliesslich die Gestalt der Sage beim Meta- 
phrasten zu Grunde gelegt (I, 153f.). Es ist in dieser Hin- 
sicht seit Uhlhorns Abhandlung besser geworden. Aber um 
auf den Namen eines wissenschaftlichen Verfahrens Anspruch 
machen zu können, müsste die literarhistorische Kritik nach 


637 

Regeln verfahren, welche von den zahlreichen Beispielen un- 
zweifelhaft pseudepigrapher Literatur - alter Zeit abstrahirt 
sind. Wir haben, um bei Briefen dieser "Gattung stehen 
zu bleiben, die Correspondenz Abgars und Jesu, die der 
pseudoclementinischen Literatur angehörigen Briefe des Petrus 
und Clemens an Jakobus, die Anaphora des Pilatus mit den 
verwandten Schriftstücken, die nacheusebianischen Ignatius- 
briefe und Anderes mehr 

Ein erster Charakterzug dieser Sorte von Literatur ist 
die Unempfindlichkeit ihrer Verfasser gegen Anachronismen, 
besonders in Bezug anf kirchliche Zustände. Um vom Pseudo- 
ignatius des 4. Jahrhunderts zu schweigen, der den angeb- 
lichen Pseudoignatius des 2. Jahrhunderts jedenfalls an Ge- 
lehrsamkeit und literarischer Bildung 1) überragt und dennoch 
die kirchlichen Aemter allerneuesten Datums in die nach- 
apostolische Zeit versetzt, so nehme man den der vermeint- 
lichen Entstehungszeit. der ignatianischen Briefe sehr nahe- 
stehenden und talentvollen Verfasser der Clementinen. Die 
haarsträubende Chronologie desselben ist bekannt. Aber auch 
kirchliche Einrichtungen wie die ausgebildete Episkopalver- 
fassung, Wittwenhäuser, Katecheten verlegt er in die aller- 
ersten Jahre apostolischer Mission. Wie zäh das Gedächtnis 
der Alten im Bezug auf Facta ist, so nachgiebig in Bezug 
auf Zustände. Das zeigt uns auch die unbewusste Trübung 
des geschichtlichen Rückblicks bei den altkatholischen Kirchen- 
lehrern. Was seit einem Menschenalter ist, war von jeher 
so, und die wirklich vorhandene Continuität der Entwicklung 
wird zur Identität der Zustände. Vergleicht man die Briefe 
des Ignatius in dieser Hinsicht mit jenen künstlichen Pro- 
ducten, so sieht man leicht, dass sie nicht zu ihnen gehören. 
Ueber das Abendmahl und überhaupt über den Gottesdienst 
redet Ignatius in Ausdrücken, welche schon um 150 nicht 
mehr zutrafen und bald für die Mehrheit der christlichen 


1) Man beachte z. B. den Schluss des Briets der Maria von Kasta- 
bala und den Anfang des Briefs an sie. In Bezug auf Büchergelehr- 
samkeit vgl. oben S. 121 ff. 


᾿ὅ88 


Leser geradezu unverständlich waren (vgl. oben Κα. 351 ff.). 
Ignatius und Polykarp lassen die Verschiedenheit der Kirchen- 
verfassungsverhältnisse in den asistischen und den europäi- 
schen Gemeinden, welche um die Mitte des 2. Jahrhunderts 
ausgeglichen war, deutlich erkennen (vgl. oben 8. 296). Wie 
erklärt sich das bei einem Pseudoignatius von 170? 

Ein zweites Merkmal ist die sclavische Anlehnung der 
Fiction an die Celebritäten der apostolischen Zeit und die 
Worte der neutestamentlichen Schriften. Die Briefe Abgars 
und Jesu würde jeder Schüler, der in den Evangelien gelesen 
hat, ähnlich schreiben. Pseudoignatius erinnert seine An- 
tiochener an Paulus und Petrus in Antiochien und deren 
Nachfolger im Amt Euodius (Antioch. 7); er kann an Tarsus 
nicht denken, ohne zugleich an Paulus erinnert zu werden 
und in dessen Worten den Umfang seiner von Tarsus aus- 
gegangenen Wirksamkeit zu beschreiben (Tars. 2), und was 
er an Persönlichkeiten nicht dem alten Ignatius entlehnt, ist 
fast ausnahmslos dem Neuen Testament entnommen: Jakobus 
und Clemens und Linus und Timotheus und die Maria 
aus Röm. 16, 6. Pseudoclemens hat wohl keinen einzigen 
Namen völlig erdichtet und eine beträchtliche Menge dem 
Neuen Testament entlehnt: Petrus, Jakobus, Zakchäus, Bar- 
nabas, Simon Magus, Hauptmann Comelius u. 8. w. Bei 
Ignatius nichts der Art. Von den Aposteln nennt er 
Paulus und Petrus zweimal, aber sonst keine berühmte Per- 
sönlichkeit des apostolischen Zeitalters und aus dem nach- 
apostolischen nar Polykarp. Es mag sein, dass jene Alke in 
Smyrma (8. oben ὃ. 278) und der Antiochener Agathopus 
(8. 268.. 387) um 170 noch nicht vergessen waren. Aber alle 
jene anderen zum Theil seltenen Namen !): Damas, Polybius, 
Onesimus, Philon, Burrhus, Crocus, Euplus, Fronto, Dapknus, 
Euteknus, Gavia, Epitropus, Attalıs haben keine Spur sonstiger 
Berühmtheit hinterlassen. Für einen Sehriftsteller, sei es in 
Rom, sei es in Kleinasien, welcher um 170 seinen Helden 


1) Vgl. Voss, p. 262 sq.; auch Merx, p. 71, der nur nicht die notk 
wendige Consequenz seiner richtigen Beobachtung zieht. 


539 


den ‚kleinasiatischen Boden berühren und mit Polykarp zu- 
sammentreffen liess, war es nahezu unmöglich, nicht von der 
Apostelschülerschaft Polykarps zu reden und, wenn er den 
Ignatius an mehr als eine der sieben apokalyptischen Gemeinden 
schreiben liess, diese und andere Beziehungen zum apostolischen 
Zeitalter 1) nicht zu benutzen. In einem künstlichen Product 
jener Zeit musste der Bischof Onesimus von Ephesus der im 
Philemonbrief Erwähnte werden, und statt der unberäühmten 
Namen wären bekannte gewählt worden. Auch Ignatius wäre 
kaum ausser aller persönlichen Beziehung zu den Aposteln 
geblieben. 

Drittens ist alle pseudonyme Briefstellerei und geschicht- 
liche Fiction des kirchlichen Alterthums deutlich zu erkennen 
an dem Verhältnis der vorausgesetzten Thatsachen zur Form 
ihres Ausdrucks. Platt und handgreiflich werden die Anlässe 
aller Aeusserungen und Handlungen dargeboten, doppelt und 
dreifach erfährt man Alles, was man wissen muss, um die 
Worte zu verstehen. Wo einmal, wie im clementinischen 
Roman öfter, Dunkelheiten sich einstellen, rührt das her von 
ungeschickter Verarbeitung verschiedener Quellen, und auch 
dann wird so nachgeholfen, dass man versteht, was mah ver- 
stehen soll. Wer auch nur diese einzige Regel an die igna- 
tianischen Briefe anlegt, muss sich von ihrer Aechtheit über- 
zeugen. Die Schwierigkeit, aus dem Wortlaut die damit ge- 
meinten umd dabei vorausgesetzten Thatsachen, den Reiseweg, 
die HBeiseerlebnise, die mannigfaltigen persönlichen Berüh- 
rungen,. die verschiedenen Anlässe der Briefe zu erkennen, ist 
allein sehon &usreichender Beweis dafür, dass hier Urkunden 
eines wirklichen Hergangs vorliegen 3. Der Verfasser wirk- 
licher Briefe denkt nicht an Leser, die Alles erst von ihm 
erfahren müssen, weil sie ihm zeitlich und örtlich fernstehen ; 
wenn ımır die, an welche er schreibt, die mit seiner Lage 
bekannt und noch anders als brieflich von ihm unterrichtet 
sind, ihn verstehen. Der Anfertiger von. Briefen, die vor 


1) C£. Eus. h. 6. IH, 81. 39; V, 24. 
2) Vgl. meinen Hermas, 8. 761, vgl. 73f. 


540 


einem halben Jahrhundert geschrieben sein sollen, will von 
seinen Zeitgenossen, denen die fingirten Voraussetzungen der 
Briefe fremd sind, verstanden werden. Fast das Meiste von 
dem, was man in dieser Hinsicht wunderlich, unverständlich 
und darum für die Annahme der Aechtheit bedenklich ge- 
funden hat, enthält für eine kritische Betrachtung ebensoviele 
Merkmale der Aechtheit, als Anstösse für die sogenannte Kritik. 

Die pseudonyme Schriftstellerei des kirchlichen Alter- 
thums hat es endlich nie zu individueller Charakteristik 
auch nur der Situation gebracht. Ich erlaube mir auf die 
oben geschilderten Erlebnisse in Philadelphia und auf die 
Charakteristik der Irrlehrer zu verweisen (5. 258 ff. 266ff. u. 
356 ff.), auf letztere besonders deshalb, weil Bunsen (II, 70) 
den Muth gehabt hat, zu sagen, alles die Irrlehre Betreffende 
sei so allgemein gehalten, dass der .beste Beweis der Un- 
ächtheit dieser Briefe eben in dieser Unbestimmtheit liege. 
Man führe doch einen Beweis der Analogie für die Mög- 
lichkeit der Erfindung von Scenen, wie die in Phil. 7 und 
die in Phil. 8 angedeuteten sind, und man zeige bei 
einem einzigen Schriftsteller der Gattung, zu welcher man 
den Ignatius rechnen will, eine fingirte Persönlichkeit, 
die mit derjenigen, die in jedem Worte dieser Briefe ihre 
Eigenthümlichkeit erkennen lässt, sich an Eigenthümlichkeit 
auch nur entfernt vergleichen liesse! Wenn es einigermassen 
gelungen ist, diese Persönlichkeit zu schildern, so wird man 
zugestehen müssen, dass sie unerfindlich ist selbst für den 
Dichter, geschweige denn für den kirchenpolitischen Literaten 
von 170. Ein solcher hätte nur ein Heiligenbild zeichnen 
können, welches sich dann der Kritik vielleicht eher als das 
treue Bild eines „Solchen, der das Angesicht der Apostel ge- 
schaut‘ (Buns. II, 209) oder eines „apostolischen Mannes‘ 
und „Apostelschülers‘‘ (Baur I, 156. 166) documentirt hätte, 
als dies Bild des wirklichen Ignatius, der keinen Anspruch 
darauf erhebt, einen Apostel gesehen zu haben, oder gar einem 
Apostel ähnlich zu sein. Gelernt hat er freilich von ihnen, 
vor allem das, was er ihnen nachrühmt, den Tod verachten 
und den Tod überwinden (Sm. 3); aber „die höchst anziehende 


641 


Originalität“ (Baur I, 176), in welcher diese Gesinnung uns 
hier entgegentritt, das ergreifende Pathos der Rede, die Kühn- 
heit des phantasiereichen Denkens konnte er von niemand 
lernen; dies wird angeboren und durch Charakterbildung ge- 
wonnen; dies konnte auch der feingebildete Literat späterer 
Zeit dem Todten schon deshalb nicht geben, weil er es selbst 
nicht besitzen und zugleich sein künstliches Werk vollbringen 
konnte. Es wird daher wohl für immer bei dem Urtheil 
Rothe’s verbleiben (S. 715), dass demjenigen, der den ignatiani- 
schen Briefen, sofern er vorurtheilsfrei an sie herantrete, die 
für ihre Aechtheit bürgende Eigenthümlichkeit nicht abfühle, 
die Fähigkeit einer sicheren Auffassung schriftstellerischer 
Individualitäten nicht zuzutrauen sei. Es hat bei denen, 
welche sich in die ignatianischen Briefe nicht zu finden 
wussten, nicht immer an dieser Fähigkeit, aber um so mehr 
an der Neigung gefehlt, alte oder neue Vorurtheile den 
unanfechtbaren Zeugnissen der Geschichte zu opfern. 


a 5...“ . 
-----....--ὦὄ-ὦ-ὦ-Ἕ-Ὀ. 11 


Anhänge. 


Ι. Textkritisches. 


1. Zu S, 83. Um Anderen eine lästige Mühe zu ersparen 
und Irrungen zu verhüten, wie sie Dressels unklare Mittheilungen 
und vollends die Angaben eines Vertreters der „rein diplomatischen 
Kritik “ zur Folge haben könnten, so sei über die Handschriften 
der Sammlung B Folgendes bemerkt. Ausser den codd. Augu- 
stanus (a) und Nydpruccianus (n), welche der dillinger und der 
züricher Ausgabe zu Grunde lagen, sind folgende griechische 
Handschriften näher bekannt geworden: 1) cod. Florentinus (f), 
zuerst von Ussher nach Mittheilungen eines Anderen sporadisch 
verglichen, wie die Anmerkungen in der appendix darthun. Die 
Vergleichung der bei Ussher verzeichneten Varianten mit dem, 
was Dressel ohne Rücksicht auf die älteren Herausgeber mittheilt, 
beweist, dass Usshers Florentinus identisch ist mit Dressels F 
d. i. cod. Med. plut. VII n. 21, welcher nach Bandini, catol. codd. 
Gr., Flor. 1764, p. 269 sq. mit dem vorne unvollständigen Brief 
an die Trallianer beginnt und hinter der im übrigen vollständigen 
Reihe dieser Sammlung noch ein Stück von Polykarps Brief an 
die Philipper, nach Dressel, proll. LXII aber auch den halben Bar- 
nabasbrief in der oben S. 91f. besprochenen Verbindung mit jenem 
enthält. Dem saec. XV wird er von Bandini p. 270 zugewiesen. 
Wie es bei der Zusammenhangslosigkeit der textkritischen Arbei-- 
ten nicht zu verwundern ist, bleiben zahlreiche Angaben Usshers 
ohne Bestätigung, aber auch ohne Widerlegung durch Dressel 
und seine Freunde (Proll. LXID). Man weiss nur durch Ussher, 
dass f ebenso wie G! ad Pol. 2 αἴτει hat; dass auch in f wie 


643 


in bov die Worte ἡ εὐχὴ πρός im selben Kapitel fehlen, und 
dass er mit ov ad Pol. 4 πλείονα schreibt. Selbst bei so inter- 
essanten Puncten wie dem Schluss desselben Briefs bleibt man 
ohne Belehrung durch Dressel (Uss. Cler. II, 94. not. 5). Wo 
Ussher und Dressel beide über f berichten, stimmen die Angaben 
überein. Nach beiden hat f ad Pol. inser. κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ, 
ad Pol. 5 mit G' und δον kein μή, Tars. 6 mit αἱ sowie nbov 
den Artikel δ vor δι᾿ οὗ, Ant. 6 allein von allen Handschriften 
ὡς τοῦ Χριστοῦ νεολέᾳ, Herm. 4 mit ov γεγέννηκαν. Es irrt 
also Lips. I, 4Bf., wenn er Dressels cod. F nach Usshers cod. 
Florentinus besonders aufführt. Es ist ein und derselbe. Für 
den Brief Polykarps an die Philipper hat ihn Jakobson (Patr. 
app. proll. V) verglichen. — 2) cod. Thuaneus (t), so von Cotelier 
z. B. zu Mgn. 8 (ed. alt. Cleric. II, 56. not. 6) nach geinem 
ehemaligen Besitzer de Thou genannt und von Whiston in seiner 
Ausgabe von 10 Briefen als T am Rand aufgeführt; vgl. dessen 
Advertissement to the reader, p. 2 vor Primitive Christianity 
reviv’d, vol. I. Eben diese Handschrift hat aber Cotelier gewöhn- 
lich ohne nähere Bezeichnung als „ms.“ am Rand aufgeführt, und 
mit Recht hat Whiston, welcher den cod. Thuaneus nie gesehen _ 
hat, die von Cotelier mit ms. notirten Varianten als Lesarten 
seines T angegeben. Es ist blosse Unachtsamkeit, wenn neuere 
Ausgaben und 80 denn auch Lips. II, 48 den cod. Thuanus (soll 
heissen Thuaneus) von dem ungenannten Manuscript unterscheiden. 
Whiston hat keine einzige Lesart aus t mitgetheilt, welche er 
nicht von Cotelier als Lesart seines Manuscripts angegeben fand. 
Die Varianten des Magnesierbriefs werden als Beweis genügen. 
c. 3 Cler. 54, Whist. 162 ᾿Ηλί; Cler. 54, W. 164 μοχϑηρὸν 
x πεπαλαεωμέμον; Cl. 54, W. 166 ἡμᾶς; c. 7.01. 56, W. 174 
mg; 6. 8 Cl. 56, W. 176 ἐν πᾶσιν εὐάρεστος τῷ ὑποστήσαντι; 
c.9 6. 56, W. 178 ἐν; Cl. 57, W. 180 περί; c. 10 Cl. 58, 
W. 182 ᾧ; c. 11 C1. 58, W. 186 πεπληροφορεῖσϑαι und gleich 
nachher ὑμῶν; c. 18 Cl. 59, W. 190 ngsoßvregiov. Es ist 
also cod. Thuaneus jener cod, ms. Coteleri. — 3) cod. Leicest- 
rensis (]l) ist die von Pearson im Vorwort zu den Vindic., 
p. 27 sq. charakterisirte und gelegentlich angeführte Handschrift. 
Er nennt sie auch wohl z. B. III, 33. 44 cod. Anglicanus. 
Selten eitirt sie Smith, z. B. Sehol., p. 70. Näch Whiston (Ad- 
vertiss., p. 2; Dissertat. upon the epistles of Jgnatius, p. 2) befand 
sie sich später in der bodlejanischen Bibliothek, daher er sie als 
Ὁ eitirt. Ob daher die mir unverständliche Angabe Bunsens (I, 
p. XIX) entstanden ist, weiss ich nicht. Offenbar aber ist der 
Irrthum von Lipsius, welcher auch hier wieder aus Einer Hand- 
schrift zwei macht, indem er die von Pearson benutzte Handschrift 


544 


mit 7 Briefen in eigenthümlicher Ordnung als anonyme Hand- 
schrift"neben den namentlich aufgeführten, worunter der Leicest- 
rensis steht, aufführt. Es ist jene Handschrift der Leic.; sie 
gehört daher genau genommen nicht hieher, da sie nur einen 
Auszug aus der Sammlung enthält, von deren Handschriften hier 
die Rede ist (vgl. oben 8.°90). — Es kommen nun noch die 
von Dressel benutzten Handschriften in Betracht mit Ausnahme 
des schon als f unter Nr. 1 besprochenen, also 4) cod. Vati- 
canus 859 saec. XI nach Dressel, proll. LV; saec. XIII nach Mai 
.bei Jakobson im Monitum, p. V. Er beginnt die Reihe der Briefe 
mit dem vorne unvollständigen Brief ad Trall. und lässt auf die 
Ignatiusbriefe die schon erwähnte Verschlingung von Polykarp 
und Barnabas folgen (v). Von Jakobson wurde er für den Poly- 
karpbrief benutzt. 5) cod. Ottobonianus 348 (o) nach 
Dressel, proll. LVI in. saec. XIV mit genau .dem gleichen hieher 
gehörigen Inhalt wie v. 6) cod. Regius 30 (r), nach Dressel, 
proll. LVII in. saec. XI, enthält nur ein Fragment des Epheser- 
briefe.. 7) eod. Barberinus 68 (Ὁ), eine von Leo Albatius 
angefertigte Abschrift eines jetzt verlorenen -cod. vaticanus, ent- 
“hält die 12 Briefe dieser Sammlung. Obwohl Dressel in den 
Proll. LX verheisst, diese Handschrift C nennen zu wollen, nennt 
er sie beharrlich B, denn die von p. 223 an stets so bezeichnete 
Handschrift kann ja nicht die in den Proll., p. LX als B be- 
zeichnete gleichfalls barberinische Handschrift sein, welche von 
Ignatius gar nichts enthält. Dahingegen wird als C in der Aus- 
gabe selbst wie in den Proll., p. LXII der cod. Casanatensis der 
kürzeren Recension angeführt. Unzweifelhaft wird das sofort im 
Brief der Maria von Kastabala, p. 218 sqgq., welcher in dem cod. 
Barberinus 68 gar nicht existirt, wohl aber im Casanat. — Da 
ich einmal die heillose Verwirrung in Dressels Collationen be- 
rühren musste, sei auch das noch bemerkt, dass das in der Aus- 
gabe der interpolirten Briefe häufig vorkommende „Med.“ nicht 
etwa den cod. Medic. plut. VII, no. 21 (bei Dressel F, bei mir 
f) bedeutet und auch nicht den berühmten cod. Medic. plut. 
LVD, no. 7, sondern die Collation des Letzteren, welche Leo 
Allatins an den Rand seiner Abschrift der längeren Becension 
geschrieben hat (Proll. LX). Klarheit in dieser Verwirrung geben 
p. 223, not. 3. p. 236, not. 6. p. 242, not. 10. p. 248, not. 6; aber 
unklar bleibt, was diese sporadische Vergleichung der anderen 
Sammlung, und zwar nicht ihrer dem Herausgeber zugänglichen 
Originalhandschrift, des berühmten cod. Med., sondern einer, wie 
man theilweise erkennen kann, nicht gerade sorgfältigen Collation 
bedeuten 501. Dazu kommt nun in diesem Theil der Ausgabe 
noch ein D, ἃ. i. aber naeh Proll., p. LX wieder mur eine Ab- 


545 


schrift der Ignatiusbriefe aus dem berühmten Medic., welcher 
für die nacheusebianischen Briefe einer neuen Vergleichung nicht 
werthgehalten wurde. Aber warum beruhigt man sich dann nicht 
bei dem Zeugnis des Is. Voss oder confrontirt ilın wenigstens 
mit dem Schreiber des D, Lucas Holsten, wo dieser ihm wider- 
spricht. Es scheint, dass man theologischen Lesern glaubt Alles 
bieten zu dürfen. — An lateinischen Handschriften dieser 
Sammlung benutzte Ussher (1644) zwei in England vorhandene, 
Magdalenensis und Baliolensis, und eine, deren Collation 
ihm von Paris aus geschickt wurde, Petavianus. Dressel ver- 
glich einen cod. Regius 81 „indole atque aetate nobilis, cum 
accedat ad saeculum IX“ und einen cod. Palatinus 150 
„saeculi XIV“ (Proll. 011. Sie werden im Folgenden mit 
den Buchstaben m, Ὁ, p, rg, pl bezeichnet werden. Dressel hat 
auch in Bezug auf diesen lateinischen Text (L?) ohne Kenntnis 
der älteren Arbeiten geschrieben und durchweg als vulg. geboten, 
was vielmehr das Ergebnis sehr ernsthafter und fruchtbarer kri- 
tischer Arbeit war. 


2. Zu S. 93. Die beiden einzigen Handschriften des L!, 
welche bis jetzt bekannt wurden, sind die beiden von Ussher ge- 
fundenen, cod. Montacutii (bei mir m) und cod. Cajensis. Der 
letztere befand sich damals wie noch heute in der Bibliothek des 
collegium Gunwelli (s. Gonvilli) et Caji zu Cambridge (bei mir c) 
und ist nach Ussher noch von Pearson und Th. Smith stellen- 
weise, von Jakobson durchgängig verglichen worden (Smith, praef., 
fol. b; Jacobson. proll. V, XXXII), so dass über seinen Inhalt 
ziemliche Sicherheit vorhanden ist. Um so mehr ist zu bedauern, 
d#Ss der andere, welcher der Privatbibliothek des Bischofs von 
Norwich, Richard Montagu gehörte, seit Ussher, wie es scheint, 
niemand mehr zu Gesicht gekommen ist. Schon Smith musste 
klagen: „ubi jam reperiendus sit, ne investigando quidem expi- 
scari possum“ (Praef., fol. b!), und Jakobson kann das nur ab- 
drucken lassen (Proll., p. 34; vgl. Bunsen I, Vorrede, 5. 24). 
Was Pearson besonders in den Adnotationes postumae aus m, 
mittheilt, beruht entweder auf Usshers ausdrücklichen Angaben, 
oder ist aus Vergleichung von c mit dem ussherschen Text von 
1644 und den gelegentlichen unbestimmten Angaben über Diffe- 
renzen der beiden Handschriften erschlossen, 8. z. B. über oratione 
oder resurrectione ad Pol. 7; Pears. IH, 32 cf. Uss. Cler. 93, 
. not. 24, über qui oder guoniam im selben Kapitel Pears. III, 33; 
cf. Uss., p. 141. Gelegentlich hat er auf diesem Weg auch 
Fehler gemacht (Poars. IH, 43; cf. Uss., p. 204, cf. Adnot., p. 16, 
not. 42). Des Fehlers aber hat sich Pearson nicht schuldig ge- 

Zahn, Ignatius. 35 


546 


macht, welcher die Collationen des cod. c von Smith und Jakobson 
zum grossen Theil ihres Werthes beraubt, dass er irgend einen 
secundären Abdruck anstatt der edit. princ. vom Jahre 1644 
seinen Vergleichungen zu Grunde gelegt hätte. Dadurch ist eine 
gründliche Einsicht in das Verhältnis der beiden Handschriften 
und das Verhältnis des ussherschen Textes zu ihnen sehr er- 
schwert. Hätten Smith und Jakobson den Text Usshers ihren 
Collationen zu Grunde gelegt, so würden sie doch wenigstens dessen 
kritische Bemerkungen am Rand und in den Noten von 1644 und 
1647, auch im Druckfehlerverzeichnis von 1644 verificart oder 
aber widerlegt haben. Man kann z. B. nur aus dem Schwei- 
gen von Smith und Jakobson zu Eph. 8 schliessen, dass die 
Handschrift, in welcher nach Uss., p. 198 die Worte „haec 
spiritualia — operata sunt“ fehlen, wahrscheinlich m ist. Still- 
schweigend gibt Smitlı Eph. 21 „quem misistis“ statt „quos misistis“, 
wie Uss., p. 201 mit einem „al. quem“ am Rande und mit der 
nachträglichen Bemerkung, das dieser alter cod. der cod. Montac. 
sei (Adnot., p. 13, n. 96), angegeben hatte. Jakobson behauptet 
in geradem Widerspruch gegen Ussher, guem stehe in 6. —- Wenn 
Usshers Angaben so unzuverlässig sind, dass man sie glaubt 
ohne ausdrückliche Verneinung ignoriren zu dürfen, so bedurften 
sie da, wo sie richtig sind, auch der Bestätigung. Man wird 
durch Jakobson nicht darüber belehrt, ob Ussher (Aduot., p. 39, n. 5) 
mit Recht die Lesart „saneti spiritus ipsius“ auf ὁ zurückgeführt 
hatte, und ob die andre „sancto ipsius spiritu“ in m steht; denn 
Jakobson, welcher doch sonst die Eigenthümlichkeiten von c am 
Rande notirt, gibt Letzteres ebenso wie Ussher und seine Nach- 
folger mit einem al. am Rand. Zu Eph. 8 notirt Jakobson als 
Druckfehler der Ausgabe von Aldrich (?) formosa in saeculis, ἃ 

ebenso stehts bei Uss., p. 197, und hat, so lange nicht der Gegen- 
beweis geleistet werden kann, da in c statt dessen famosa steht, 
als Lesart von m zu gelten. Ebenso wirds mit „carni ipsius et 
spiritui“ in Sm. ὃ (ef. Uss., p. 219 ‘mit Jacobs., p. 405) stehen. 
Bei solcher Vernachlässigung der grundlegenden, allein auf eigener 
Anschauung beider Handschriften beruhenden Arbeit Usshers 
konnte es geschehn, dass Jakobson wiederholt als Text gibt, was 
aller handschriftlichen Beglaubigung entbehrt, z. B. „ut in unum 
Jesum‘“, während nach Uss., p. 204; cf. Adnot. p. 16, n. 42 
das μέ ım m gefehlt haben muss, ὁ aber ei unum bietet; quem- 
admodam vos Mgn. 15, was nach Uss. 241 nur ein Druckfehler 
seines Textes auf p. 206 ist, oder magia Eph. 19, während doch 
nicht bloss ὦ, sondern auch Uss., p. 201, also auch m, magica 
bietet. Das gleich folgende ommis. (hinter ignorantia) steht zwar 
in Ussher, aber nach Smith, p. 19 nicht in c, und doch gibt es 


541 


Jakobson stillschweigend als einzigen Text, während er es nütz- 
lich gefunden hat, jedes c statt ch, jedes ὁ statt y als besondere 
Lesart von c aufzuführen. Man sieht daraus, dass er Smith 
ebensowenig wie die editio princeps, sondern nur secundäre Drucke 
durchgängig vor sich gehabt hat. Daher herrscht nach wie vor 
an mehr als einer Stelle aim arges Dunkel über dem Sinn der 
vor allem wichtigen Glossen Usshers und den Werth der späteren 
Collationen von c. Nach Uss., p. 204 (cf. Adnot., p. 18, not. 61) 
hat eine Handschrift wenigstens Mgn. 9 „quod quidam negant, 
per quod mysterium“, während al. nach der Randbemerkung „quem 
mysterium“ haben soll. Smith (p. 23) machte zu dem ersten guod 
die Bemerkung, dass qguem statt dessen in c stehe, obwohl Pear- 
son in den von Smith selbst herausgegebenen Annot. post., p. A3sg. 
der Ausgabe von Voss den Vorwurf gemacht hatte, dass sie Usshers 
Bemerkung zum ersten statt zum zweiten quod gestellt habe. 
Jakobson hat Ussher wieder Recht gegeben in Bezug auf den 
Ort der Variante und gibt als Lesart von ὁ an: „quem misterium“. 
Der al. Usshers ist also c. In anderen Fällen aber ist nielrt aus- 
zumachen, was dessen al. bedeutet, und was: in c, also auch nicht, 
was in m steht; ausser den vorher erwähnten Fällen ist & 
z. B. ad Pol. 8 höchstens aus dem Schweigen von Smith und 
Jakobson zu errathen, dass in c ein blosses „idem et ipsos facgre“ 
steht, und dass der al. bei Uss, p. 142, welcher in davorsetat, 
m ist. Aber Smith und Jakobson schweigen auch manchmal, 
wo sie reden sollten. Es wäre also eine nochmalige Collation 
des cod. Caj. geboten, welche nur mit gründlicher Berücksichti- 
gung alles dessen, was Ussher mitgetheilt hat, aufzustellen wärg, 
um ein befriedigendes Resultat zu erzielen. 

Ussher hat seine Ausgahe allerdings laut Titel „ex duobus 
manuscriptis in Anglia repertis“ geschöpft und laut Vorrede 
„mutua duorum mss. oodicum collatione“ den Text thunlichst rein 
herstellen wollen (cf. Diss., p. 141); aber zu Grunde liegt durch- 
aus der verlorene m, welchen er bei seiner Arbeit auch 1647 
wieder beständig zur Hand gehabt haben muss, während er von ὁ 
wahrscheinlich nur eine Collation, höchstens eine Abschrift gehabt hat 
(cf. Smith, praef., wo von „illius, cujus opera usus est D. Usserius, 


& 


aberrationtbus“ die Rede ist. Dass dem ussherschen Text durch- 


weg m zu Grunde liegt, erkennt man nicht aus seinen wenigen 
ausdrücklichen Angaben am Rand und in den Noten über Ab- 
weichungen .beider Handschriften. Es sind deren in Bezug auf 
die voreusebianischen Briefe, wenn ich richtig zähle, nicht mehr 
als 13. In 6 Fällen .hat er ὁ zum Text gemacht, und die Les- 
art von m am Rand durch ein al. oder in den Noten durch: ein 
vet oder auch mit ausdrücklicher Nennung kenntlich gemacht, in 
35 * 


δ48 


6 Fällen umgekehrt m in den Text aufgenommen, in einem Fall 
eine eigenthümliche Mischung vorgenommen. Die 6 Fälle erster 
Art sind: 1) ad Pol. 7, p. 142 (cf. Smith, Jacobson) das in 
vor „idem et ipsos“ hat m; 2) Eph. 8, p. 198 hat er nur am 
Rand bemerkt, dass die in den Text aufgenommenen Worte spiri- 
tualia etc. in einer Handschrift fehlen, d. i. aber m; 3) Eph. 21, 
p. 201 quem misistis am Rand nach m, cf. Adnot., p. 13, n. 96; 
4) Phil. inser., p. 214, cf. Adn., p. 39, n. 2 hat er die Lesart 
aus m nicht einmal an den Rand gesetzt; wohl aber 5) am Ende 
der Grussüberschrift, cf. Adn., p. 39, n. 5; 6) Phil. 8, p. 216 
consilium muss m haben, da die Collatoren von ὁ stillschweigend 
concilium geben. Die Fälle der zweiten Art sind: 1) Mgn. 9, 
p. 204 ist quod mysterium Text nach m, quem Variante von c, 
s. meine Bemerkungen auf S. 547; 2) ad Phil. 9, p. 217 per- 
fectio Text nach m, perfectae Variante von 6, s. Jakobson; 
3) Sm. 5, p. 220 passionem Text nach m, panem Variante von 
c; 4) Rom. 5, p. 212 im Text et, si geschrieben, nach Adn,, 
p. 35 in ὁ eisi, jenes also nach m; 5) Trall. 3, p. 207, cf. Adn., p. 22, 
n. 11 conjunctionem Text nach m, communionem Variante von c; 
6) Mgn. 1, p. 202, cf. Adn., p. 14, n. 6 nos Text nach m, vos 
in c. — Eine eigenthümliche Textmischung gibt er ad Pol. 7, 
p. 141: „in inveniri me in oratione vestri discipulum“, während 
nach seinem eigenen Zeugnis eine Handschrift i” resurrectione 
hat, d. i. aber m, denn ὁ hat in oratione (Jacobs., p. 445; 
Pears. III, 32), im übrigen aber (ohne in) „inveniri in me in 
oratione vestrum discipullum“. — Nun sind aber im Bereich der 
7 Briefe im ganzen etwa 180 Abweichungen des cod. c vom 
ussherschen Text constatirt und darunter die aHerbedeutendsten ; 
in wenigen Fällen hat c sogar unfraglich die richtige Lesart. 
Bei einem Mann von Usshers Geist und Charakter, welcher es 
nicht unter seiner Würde hielt, sein Druckfehlerverzeichnis bis 
aufs Titelblatt und auf jedes verschobene Komma wie jeden ab- 
gesprungenen Accent auszudehnen, welcher jede Conjectur als 
solche an den Rand verwies (p. 200. 209. 211. 215. 220) und 
welcher so unbedeutende Abweichungen von seiner Hauptquelle 
m, wie concilium statt consilium p. 216, nicht stillschweigend 
auf die Auctorität der anderen Händschriften hin in den Text auf- 
nahm, sollte es sich von selbst verstehn, dass er an den etwa 170 
Stellen, wo er stillschweigend von c abweicht, nicht eigene Weis- 
heit gibt, sondern den Text von m treu abdrucken lässt. Einige 
Opfer menschlicher Schwachheit abgerechnet, kann und muss der 
usshersche Text an allen diesen Stellen die verlorene Handschrift 
ersetzen. Damit ist aber auch bewiesen, dass er c nur sporadisch 
verglichen und in wenigen ganz unumgänglichen Fällen der Be- 


549 


achtung werth gehalten hat. Im Martyrium berücksichtigt er ihn 


gar nicht, in den nacheusebianischen Briefen fast gar nicht. Sein 
interpres, sein Anglicanus ist immer, wenn nichts Näheres be- 
merkt ist, m. So z. B. gibt er Eph. 1, p. 195 nicht bloss im Text 
„cum bestiis pugnare, videre festinastis “, sondern versichert Adn., 
p. 5, n. 7 ausdrücklich, dass der Anglicanus an Stelle der Er- 
weiterungen in G? nur die Worte videre festinatis (sic!) habe. 
Allerdings ist das nicht ganz deutlich geredet, weil man nicht 
weiss, ob der in c ebenso wie im cod. Med. und wesentlich so 
auch in G? sich findende Zusatz hinter pugnare, nämlich „ut 
potiri possim discipulus esse“ wirklich auch in Usshers Anglica- 
nus, d. h. in m fehlt, oder ob er vielleicht durch Versehn auf 
p. 195 ausgefallen ist. Pearsons blosse Behauptung, dass die 
Lesart von ὁ Lesart der Handschriften sei (III, 84 sq.), gilt 
nichts, da er nicht behauptet und bewiesen hat, je den cod. m 
gesehn zu haben. . Auch sonst gibt Ussher oft als Lesart des 
Anglicanus, was nur m.sein kann, Eph. 20, p. 201, cf. Adn,, 
p. 13, n. 92: in ipsius dilectione, Mgn. 10, p. 204, cf. Adn., 
p. 18, n. 64 perseguatur, cf. Pears. II, 44. 

Diese Bevorzugung von m vor c gründete sich erstlich auf 
die richtige Erkenntnis, dass c einen durchweg secundären Text 
biete, sodann auf die Vermuthung, dass der Scholiast am Rande 
von m, dessen Identität mit dem Schreiber der Handschrift deut- 
lich gewesen sein muss, auch der Verfasser der Uebersetzung sei. 
Dann wäre also m die Urschrift von L!. Das ist aber unmög- 
lich, da ὁ an manchen Stellen Worte, welche dem griechischen 
Text angehört haben oder doch ihm genau entsprechen sollen, in 
m aber fehlen, bewahrt hat. Eph. 8 fin. (Uss., p. 198); Phil. 5 
(Uss., p. 215) fehlt existens = ὧν in m; Phil. 6 (Uss., p. 216) 
fehlt et zwischen sed und ommibus; Sm. 9 (Uss., p. 221) fehlt 
der ganze Satz: „Bene habet et Deum et episcopum cognoscere“; 
Eph. 6 (Uss., p. 197) entspricht das einfache ordinationem weniger 
als das superordinationem in ὁ dem Compos. εὐταξίαν ; Eph. 1 (Uss,., 
p. 195) ist, wie vorhin gezeigt wurde, nicht ganz sicher. Damit 
sind die Fälle dieser Art erschöpft. Ferner fehlen in c offenbar 
amplificirende Zusätze (amen Eph. 21 [Uss., p. 201]; sancto 
Mgn. 13 [Uss., p. 205]; omnis Eph. 19 [Uss., p. 201], wenn nämlich 
Smith gegen Jakobson, der nichts sagt, zu glauben ist) und 
Schreibfehler von m (sic statt πὲς Eph. 5 [Uss., p. 197]; formosa 
statt fumosa Eph. 8 [Uss., p. 1977}. Kann demnach ὁ nicht Kopie 
von m sein, und trägt andrerseits m doch durchweg einen ursprüng- 
licheren Charakter als c, was eines besonderen Nachweises nicht bedarf, 
so sind beide Handschriften nur Abschriften, und zwar steht m der 
Urschrift näher. Der Schreiber und Scholiast von m konnte da- 


, 


δῦ0 


- durch den Schein der Identität mit dem Verfasser der Ueber- 
setzung erregen, weil er nicht bloss ein des Griechischen kundiger 
Mann, sondern. auch ia Besitz einer griechischen Handschrift ist. 
Was bei der Seltenheit der Handschriften dieser Recension von 
vorneherein wahrscheinlich ist, bestätigt sich durch den Mangel 
jeder Andeutung des Gegentheils, dass nämlich der Glossator die- 
selbe Handschrift zur Hand gehabt hat, aus welcher die Ueber- 
setzung geflossen ist. Ist er zugleich der Schreiber des cod. m, 
so könnte man aus dessen wesurrectione statt oratione des ὁ zu 
schliessen geneigt sein, dass er eine griechische Handschrift vor sich 
gehabt habe, in welcher wie in Med. ἀναστάσει statt αἰτήσει ge- 
standen habe, was der Uebersetzer vorfand.. Denn unrichtig ist 
es doch jedenfalls, wenn Pears. IH, 32 oratione für Misverständ- 
nis einer Abkürzung von resurrectione ausgab. Viel ähnlicher 
sind sich die entsprechenden griechischen Wörter, und in Bezug 
auf diese variiren nicht bloss G! und Gs, sondern auch die Zeugen 
der kürzeren und der längeren Recension je unter sich. A hat 
αἰκήσει zur Voraussetzung, und von den Handschriften des G® hat 
wenigstens Ὁ ἀγαστάσει. Bei der grossen Aehnlichkeit der Worte 
wird 8 nicht erforderlich sein, anzunehmen, dass gegenseitige 
Benutzung der versehiedenen Zeugen beider Recensionen stattge- 
funden habe. Vielmehr wird das überall ursprüngliche αἰτήσει 
von Verschiedenen unabhängig ven einander als ἀνάστέσει ge- 
lesen und abgeschrieben worden sein. Dann ist auch nicht sicher, 
dass der Schreiber und Scheliast von “m eine andere Handschrift 
gehabt hat, als das Original der Webersetzung. Vielleicht stand 
in diesem als Correctur zweiter Hand ἀναστάσει. und erschien 
dem ziemlich nachdenklichen Scholiasten angemessener als das 
vom Uebersetzer festgehaltene οἰτήσεε. Wie aufmerksam er auf 
seinen griechischen Text war, beweisen seine Scholien. Zu Eph. 1 
bemerkt er zur Erklärung von τὸ πολναγάπητον ὄνομα ganz 
richtig: ἔφεσις graece, desiderium latine, Ephesii desidarabiles 
dicuntur (Uss., adaot., p. 4); zu σοφέσαντα Sm. 1: unum est 
verbum in Graeco, latine „sapientificavit“ (Adnot.,, p. 46); zu 

: Sm. 5: Graeei dicunt „secundum virum“ pro „singulum “ vel 
„singillatim “ (Adn., p. 49). Aohnliches Adn., p. 50; Cler. II, 93, 
n. 36. 37. p. 89, n. 5. Er ist ein tüchtig gebildeter Gelehrter, 
wie seine sachlichen Bemerkungen zeigen (Uss., adnot., p. 4. 12. 
39. 40. 48; diss., p. 128), und er ist Engländer; denn zu 
ad Pol. 3 bemerkt er: incus est instrumentum fabri, dieitur 
anglico „Anfeld“, ἃ. 1. anvel (Uss., diss., p. 142): Daher war 
Usshers Vermuthung, dieser Scholiast, welchen er zugleich für 
den Uebersetzer hielt, sei Robert Grosseteste, Bischof von Linceln 

® (ᾧ 1253), gewesen, nicht so fernliegend. Robert Grosseteste ist 


δ51 


der Erste, welcher nachweislich diese lateinische Uebersetzung 
benutzt hat (Uss., diss,, p. 15), wie sie denn auch in der Folge- 
zeit nur von Engländern gebraucht wurde und nur in ‚England 
Handschriften derselben gefunden worden sind. Grosseteste war 
nicht bloss, „quod rarum illo saeculo“, um mit Ussher zu reden, 
ein tüchtiger Kenner -des Griechischen, sondern auch Uebersetzer 
mancher griechischen Werke, welche bis dahin im Abendland un- 
bekannt gewesen waren. Ein geborener Grieche, aber englischer 
Geistlicher, Nikolaus, war ihm dabei behülflich. Aufmerksam ge- 
macht durch John Badingstokes (} 1252), welcher seiner Zeit in 
Athen Studien gemacht, aber mehr physikalische, mathematische 
und grammatische als theologische Interessen verfolgte, liess sich 
Grosseteste aus Griechenland griechische Handschriften kommen, 
darunter 2. B. eine Handschrift der Testamente der 12 Patriar- 
chen, welche er um 1242 selr gut ins Lateinische übersetzte 
(cf. Matthaeus Paris, hister. maj. ed. W. Wats, Lond. 1640, 
p. 597. 835). Bedenkt man, dass der griechische Text, welcher 
dem L! zu Grunde liegt, bisher nur in dem berühmten Med. und 
einer jüngeren Abschrift desselben entdeckt worden ist, und jeden- 
falls im.Vergleich mit dem oft abgeschriebenen Text des G? im 
Mittelalter sehr selten war, so liegt es nahe, zu vermuthen, dass 
die verlorene Handschrift, welche der englische Glossator des 
cod. m benutzte und welche, wie bemerkt, wahrscheinlich iden- 
tisch ist mit der, aus welcher die Uebersetzung gefertigt wurde, 
sich unter den in Grossetestes Hände gelangten Handschriften 
hefand. Er selbst könnte füglich der Uebersetzer sein. Wenn 
auch im Verzeichnis seiner Werke eine Uebersetzung des Ignatius 
fehlt (Baleus, illustr. M. Brittanniae scriptorum summarium 1568, 
fol. 106), so könnte sie doch unter den „yuaedam alia“ stecken, 
welche er nach Matthäus Paris übersetzt hat und unter den 
„alia adhuc plura“ des Baleus. Gleiche Treue und Gründlichkeit 
zeichnen die Uebersetzungen der Testamente (bei Grabe I, 145 qq. 
cf. p. 336) und des Ignatius aus, und auch im Einzelnen sind 
der Aehnlichkeiten nicht wenige. Beide übersetzen ἐών stets 
durch "si ὁ. conj., ἄν meist durch uZique, va “μή auch bei streng 
finaler Bedeutung durch «2 non. Ignatius ist noch wörtlicher 
übersetzt; das könnte aber in der grösseren. Schwierigkeit und 
Prägnanz des Originals seinen Grund haben. — Es kann natür- 
lich nicht bewiesen werden, dass Grosseteste der Uebersetzer 
war; aber soviel scheint mir gewiss, dass die Uebersetzung, 
welche ver seinem Tode existirte, nicht lange vorber in England 
"entstanden ist! Ist der Schreiber und Glossator von m im Besitz 
derselben griechischen Handschrift gewesen, woraus die Ueber- 
setzung geflossen ist, so muss er auch derselben Gegend und 


552 


Zeit angehört haben. Ist nun der Glossator ein Engländer, und 
zwar, wie man aus Worten, wie per comsequentiam , partibilia 
sieht, des vorgerückten Mittelalters, so kommen wir auch auf 
diesem Umweg zu gleichem Resultat. Um 1200—1250 ist L! 
in England entstanden und m geschrieben. Jünger wird c sein, 
ist aber auch schon im Jahre 1444 von einem Magister -Walter 
Brome der communis libraria sociorum Collegii annunciationis 
B. Mariae in Cantabrigia geschenkt worden (Uss., diss., p. 141). 

Schliesslich ist noch eine räthselhafte Angabe Curetons zu 
erwähnen, der vom cod. Montacutii, wie es scheint, nie etwas ge- 
hört hat, und dagegen spricht von „two copies of the correspond- 
ing (d. i. mit dem mediceischen Text) Latin version belonging 
to Cajus College, Cambridge, and Corpus Christi College, Oxford 
(Corp. Ign., p. 338)“. Darnach sollte man meinen, letzteres wäre 
die schmerzlich vermisste Handschrift m, welche sich in den 
Jahren nach Jakobsons erster Edition (1838) in Oxford wieder- 
gefunden hätte. Aber nach Cur., p. 308 sollen es die Varianten 
dieser oxforder Handschrift sein, welche Jakobson an den Rand 
gesetzt hat. Aber das ist ja nach dessen Angaben Proll. V; 
XXXIII sq. vielmehr cod. Cajensis. Hat sich Cureton vielleicht 
irreführen lassen durch dessen Bezeichnung mit C. C. und durch 
Usshers Notiz (Diss., p. 15), dass die Handschrift von Grossetestes 
Commentar zu Pseudodionys, worin das älteste Citat unsrer Ueber- 
setzung sich findet, in der Bibliothek des collegium corporis 
Christi zu Oxford liege? Man muss es glauben. 


3. Zu δ. 95. Der cod. Medic. (Plut. LVII, n. 7) kam 
schlechtweg G'! heissen; denn Dressels Versuch, dem von ihm 
zuerst benutzten cod. Casanatensis G. V. 14 saec. XV selbstän- 
digen, ja sogar im Vergleich zu Med. hervorragenden Werth zu- 
zuschreiben, ist als mislungen zu bezeichnen. Beide Handschriften 
schliessen mit dem gleichen abgerissenen Wort in Tars. 7, nur 
dass in Cas. die folgenden 44 Blätter leer geblieben sind. Es 
kann sein, dass dies auf Kenntnis der Unvollständigkeit des Mit- 
getheilten beruht; aber weiter ist auch nichts zu folgern, und 
nichts stelit im Wege der allernächstliegenden Annahme, dass der 
nach Dressels eigener Schätzung um 3 Jahrhunderte jüngere Cas. 
aus Med. abgeschrieben se. Die „notabilior lectionum discre- 
pentia“ (Dress., proll., p. LXI) beschränkt sich auf Kleinigkeiten, 
wie sie zwischen Original und unmittelbarer Abschrift immer 
varliiren. Sonst gäbe es überhaupt keine Textgeschichte. Cas. 
unterscheidet sich von Med. z. B. unzählig oft durch Weglassung, 
zuweilen auch Zusetzung des » ephelcyst. Das erstreckt sich 
aber auch auf manches andere », welches für den Sinn sehr 


553 


wesentlich ist. Z. B. schreibt C, «οἷς hier erst durch zweite 
Hand corrigirt ist, Sm. 7 προσέχει, etwa deshalb, weil das fol- 
gende Wort mit einem Consonanten beginnt und Med. sehr oft 
durch Festhaltung des » vor Consonanten seinem Abschreiber C zu 
bessern gegeben hat? Jedenfalls ist bemerkenswerth, dass Sm. 9 
ein μέ vor einem Vokal von C blindlings in μέν geändert wird. 
Er theilt sinnlose Schreibfehler mit M wie ὁρμῆς statt ὀσμῆς 
Mgn. 10, und vermehrt sie wie Phil. 5 ἐστε statt ἔτι, oder wenn 
er, wie sein Original] so oft, ὦ und o verwechselt und ein εὕρε- 
ϑησώμεθα schafft Tr. 2, eine allerdings mögliche Form (vgl. 
Winer, Gr., $ 13, 2), welche vielleicht auch dem inveniamur 
des L! zu Grunde liegt. Die einzige Variante, die wie Ausfluss 
eines besseren Textes aussieht, ist die Aenderung von παϑητήν 
(M) in μαϑητήν (C) ad Pol. 7. Aber auf diese durch alle 
übrigen Zeugen bestätigte Besserung. lässt sich nichts gründen, 
da jeder Abschreiber einen so sinnlosen Schreibfehler seines 
Originals bemerken und durch die ähnlichen Worte in Mgn. 9; 
Eph. 1; Rom. 4. 5 auf das richtige Wort sich konnte führen 
lassen. Er konnte auch wie Lucas Holsten (s. bei Dressel, 
S. 205, n. 3) und Voss und, soviel ich weiss, Alle, welche vor 
A. M. Salvini den cod. Med. gelesen und abgeschrieben haben, 
durch blossen Tesefehler das Richtige wiedergefunden haben. Die 
einzigen Stellen, durch welche der Schein der Unabhängigkeit des 
cod. C von M entstehen könnte, glaube ich damit genannt und 
bewiesen zu haben, dass es nur ein Schein ist. 

Ein selbständiges Mittel zur Herstellung des ursprünglichen 
Textes der Sammlung U neben dem Med. ist, um von dem un- 
hedeutenden Fragment aus Eph. 18. 19 zu schweigen, welches 
Jakobson in einem pariser cod. gefunden hat, nur noch L!. Sehr 
nah verwandt dem Med. ist das Original dieser lateinischen Ueber- 
setzung allerdings. Die sonderbare Anführung des Briefs an Poly- 
karp in dem Index des cod. Cajensis „Smyrnaeis a Troade Polycarpo“ 
weist auf eine griechische Handschrift, in welcher ebenso wie 
nach dem Zeugnis Ledgard’s (bei Smith, praef.) und des Antonio 
Maria Salvini (bei Aldrich, Ignat. epistolae, Oxon. 1708, p. 32) 
im Med. über den Brief an Polykarp zu lesen war: B. Zuvg- 
ναίοις ἀπὸ Τρωάδος πρὸς Πολύκαρπον 'Iyvarıos. Entstanden ist 
diese verkehrte Ueberschrift dadurch, dass die Unterschrift des 
voranstehenden Smyrnäerbriefs (cf. Aldrich, p. 38. 68. 112 die 
Unterschriften, besonders die letzte) mit der Ueberschrift des 
folgenden Briefs an Polykarp zusammenfloss, was dann durch das 
vorgesetzte B im Med., ebenso aber auch im Original von L! ver- 
ewigt wurde. Die sonderbare Randglosse zu δεσέρτωρ im Med. 
(8. Jakobson zu Pol. 6) und seiner Abschrift dem Casanat. (8. 


554 


Dress., p. 204), ἀργόν er von L! als Text vurausgesetzt, wenn 
er otiosus übersetzt. Auch sonst ist die Uebereinstimmung von 
Med. und L! gross. Aber eine Abschrift aus Med. oder gar 
dieser selbst kann gleichwohl das Original des L! nicht sein. 
Zwar die Unvollständigkeit des Med. spräche nicht dagegen, denn 
dieser ist am Ende verstümmelt und hat nicht von jeher mitten im 
Worte xwovvıog Tars. 7 seinen Schluss gehabt (Bandini, catal. 
codd. Graec. bibl. Laurent., tom. II, p. 347). Auch die Ent- 
stehungsgeschichte des L! und der Randglossen m m spräche nicht 
dagegen, dass wenigstens eine Abschrift des Med. der lateinischen 
Uebersetzung und den Scholien des m zu Grunde gelegen. Aber 
das Gegentheil folgt‘ aus zahlreichen Varianten. Obwohl, wie 
oben 5. 549 gezeigt wurde, nicht völlig sicher anzugeben ist, 
was m in Eph. 1 enthielt, so ist doch jedenfalls die Lesart des 
c: „sperantem oratione vestra potiri, in Roma cum bestiis pugnare, 
ut potiri possim discipulus esse, videre festinastis“, ursprünglicher 
Text der Uehersetzung. Deren Original hat also die unerläss- 
lichen Worte ἰδεῖν ἐσπουδάσατε, welche im Med. ausgefallen sind, 
enthalten und ist von dem biblischen Zusatz des Med. τοῦ ὑπὲρ 
ἡμῶν x. τ. A. noch rein gewesen. Ebenso fehlte ihm die Re- 
miniscenz von 1 Kor. 1, 10, welche Med. Eph. 2 eingeflickt hat. 
Diese beiden Beispiele genügen allein schon, zu beweisen, dass 
das Original des L! nicht in allernächstem Verwandtschaftsver- 
hältnis zum Med. stand, und Jass es einen viel besseren Text 
darbot. Darnach hat die Herstellung des ignatianischen Textes 
mit der Herstellung des griechischen Originals des L! zu be- 
ginnen. Bei dem Resultat der kritischen Vergleichung desselben 
mit Med. kann man aber nicht stehen bleiben; denn,. wenn auch 
der von manchem Verderbnis noch freie Text, aus welchem 
L! geflossen ist, erheblich älter als Med. sein mag, so führen 
uns doch, wie die vorhin angeführten Uebereinstimmungen zwi- 
schen Med. und L! beweisen, diese beiden Zeugen auf einen 
Archetypus zurück, welcher sich vom Original der Sammlung U 
schon ziemlich weit entfernt haben muss. Aelter aber als diese 
Sammlung selbst, sind die Anführungen der Schriftsteller bis auf 
Antiochus Monachus herab, welche nur die voreusebianischen 
Briefe in nichtinterpoelirtem Text benutzen; und älter als die 
Sammlung B, aus welcher der Veranstalter der Sammlung U die 
nacheusebianischen Briefe entlehnte, ist die syrische Uebersetzung 
der voreusebianischen, welche sich bald nachher, noch ehe die 
armenische Uebersetzung: entstand, durch Uebersetzung der nach- 
eusebianischen erweiterte. Dem Alter nach wären demnach die 
Zeugen für den ursprünglichen Text der 7 (oder, wenn man vom 
Römerbrief absieht, der sechs) voreusebianischen Briefe so zu 


555 


ordnen: 1) die patristischen Citate bis auf Athanasius; 2) die 
syrische Uebersetzung (erkennbar aus Scur., Sfragm., A); 3) der 
vom Interpolator vorausgesetzte Text; 4) die Citate bei denjenigen 
Schriftstellern des 5., 6., 7. Jahrhunderts, welche nur die vor- 
eusebianischen Briefe in unverfälschtem Text kennen; 5) der Text 
der Sammlung U (erkennbar aus L! G! und einigen Citaten, z. B. 
in den parall. Rupefalc.). Dieser jüngste Zeuge ist zwar der 
deutlichste und bequemste, aber doch nur einer von vielen und 
eben der jüngste. 


4. Zu S. 73. Der Text der Predigt des Severus bei Cur., 
p. 216 scheint mannigfach verderhbt zu sein. Die überlieferten 
Worte alt] la... . fans λα» ooulo 
können allerdings nicht anders übersetzt werden, als „von den 
Thaten ... . wurde er passender Weise Ignatius genannt“. Aber 
unmöglich kann der Sinn der zwischenliegenden Worte sein: 
„davon, dass er, was zukünftig war, vorauswusste“. Denn dieses 
sein Vorauswissen kann doch nicht appositionelle Erklärung von 
„den Thaten“ sein, hat auch nichts zu schaffen mit der angeb- 
lichen Wortbedeutung des Namens Ignatius, ‚‚der Feurige“. Es 
würde ferner diese Erklärung voraussetzen, dass Ignatius sich 
selbst diesen Namen ‚gegeben habe. Dass der Scholiast die 
Worte so las und verstand und durch die wunderliche Bemerkung 
rechtfertigte, ignis bedeute nicht einfach Feuer, sondern ein fern- 
hin leuchtendes Feuersignal, kann uns nicht hindern, den Severus 
richtiger zu verstehen: „davon, dass man das Zukünftige (seine 
zukünftigen Gesinnungen und Thaten) vorauswusste, nannte man 
ihn Ignatius“. Es bedarf dazu auch nicht der leisesten Text- 
änderung (vgl. Uhlemann, Grammatik, $ 66, 3). Wohl aber bedarfs 
einer solchen, um dem ganz sonderbar vorgeschobenen und von 


seinem Verb getrennten Aufksauu zum Sinn und dem unbe- 
stimmten T1ySan zur nöthigen Bestimmtheit zu helfen. Es ist 
also statt des erstern Yasau zu lesen und zu übersetzen „von 
den glühenden Thaten“. 


5..Zu 8. 524. Im mart. Polyc. 16 ist schon deshalb das 
überlieferte περιστερά mit Recht von jeher anstössig befunden 
worden, weil sich aus Eusebs theologischem Charakter die Be- 
seitigung dieses Wunders nicht erklären lässt. Hat das Wort 
nun im mart. Polyc. schon zur Zeit der Entstehung der lateini- 
schen Uebersetzung, also vor Gregor: von Tours gestanden, so ist 
es entweder eine in der Zeit nach Euseb eingeschlichene Inter- 
polation, oder es hat ursprünglich etwas Gleichgültiges dage- 


556 


standen, was Euseb bei seinem abkürzenden Verfahren arglos fort- 
liess, spätere Abschreiber aber in περιστερά verwandelten. Von 
den auf letzterer Annahme fussenden Conjecturen, die mir bekannt 
sind, scheint die ansprechendste die von Wordsworth, welche ich 
nur aus Lagarde, rel. jur. eccl. gr., p. 84 kenne: ἐξῆλϑε περὶ 
στύρακα᾽ πλῆϑος αἵματος. 


6. Zu 8. 155. Für den Brief Mar. ad Ign. kommen bekannt- 
lich, obwohl er zur Sammlung B ursprünglich gehörte, als vollstän- 
dige Textzeugen nur G! L! A in Betracht (s. oben $. 83f.). Deren 
Uebereinstimmung genügt aber, um das Alter jener adresseförmi- 
gen Ueberschrift zu sichern, wie denn auch der Brief des Igna- 
tius an sie eine wegen ihrer Eigenthümlichkeit nur auf den Ver- 
fasser zurückführende  Ueberschrift, in G! wenigstens zuverlässig 
an sich trägt. L? hat dort in den drei von Ussher benutzten 
Handschriften bmp und ebenso, wie es scheint, in rg gar keinen 
derartigen Titel, wohl aber in pl „ad Mariam Cassobolitam“, in 
dem Verzeichnis vor pl (s. Dressel, proll., p. -LVII) ad M. Casso- 
bolitanam. So auch im Verzeichnis von Ὁ (Dress., p. LX) πρὸς 
Muotuv Κασσοβολίτην und auch wohl an gleicher Stelle in 
anderen Handschriften von ΟΣ (cf. Uss. Cler. II, 95), während 
G! in der Adresse an sie ihre Herkunft unerwähnt lässt, wie 
auch A. Ueber ihrem Brief an Ignatius steht in αἱ ἐκ Κασσο- 
βήλων, in A e Capsalon oder Cabsalon urbe, in L! wahrschein- 
lich — denn Ussher berichtet nicht, inwieweit seine Ueberschrift. 
p. 127 cf. 223, dem Context seiner beiden Handschriften oder 
dem Index vor cod. ἃ (8. oben $. 93) entnommen ist — Mariae 
proselytae Chassaoholorum. Wir hätten also die vier gleich un- 
brauchbaren Formen des Stadtnamens Κασσόβολον, Κάπσαλον, 
Xuoouoßola, Κασσύόβηλα. Die Beibehaltung der letzteren Form 
auch in neueren Ausgaben beruht auf einer sonderbaren Ver- 
elırung des cod. Med., welcher in Bezug auf die nacheusebiani- 
schen Briefe ebenso wie A eine secundäre, weil erst aus der 
-.Sammlung B geflossene Quelle ist (s. oben 5. 114). Das Kun- 
σύβολον oder Κασσόβολη, welches die der Sammlung selbst an- 
gehörigen Zeugen bieten, muss von vörneherein dem mediceischen 
Text vorgezogen worden, welcher hier nicht einmal L! zur Stütze 
hat. Eine nur scheinbare Stütze hat Κασσόβηλα auch in der 
Zusammenziehung der Worte καὶ Σύβηλον c. 1 (so αἱ, wenig- 
stens nach Voss und der Abschrift des Med., dem cod. Cass., 
und L!) in Κασσόβηλον, welche sich Lucas Holsten in seiner 
Abschrift des Med. (bei Dress., p. 219 „D“) erlaubt hat. Wenig- 
stens musste man, wie A, ein Κασσοβήλων daraus machen, um 
es mit dem Folgenden verbinden und die Worte „Presbyter von 


557 


Kassobela“ als Apposition zu Eulogius ziehn zu können. Aber 
es ist unbegreiflich,. wie aus einer solchen Lesart ein zweiter 
Personname hätte entstehen können, während das nach allen 
Zeugen feststehende singularische πρεςβύτερον davon abhalten 
musste. Sehr erklärlich ist dagegen, dass die alte Titelüberschrift 
auf die Schreibung unsrer Stelle den in A ganz offenbaren Ein- 
fluss übte und den „Sobelus“ entfernte, oder auch umgekehrt der 
unsichere Stadtname in der Titelüberschrift nach dem Person- 
namen in 6. 1 geformt wurde. Zu lesen ist also hier χαὶ Σό- 
βηλον und für den Titel ein an KucooßoAov (oder —Au) an- 
klingender Stadtname zu suchen. Vorzüglicher scheint des Ca- 
saubonus Vermuthung ἐκ Κασταβάλων als die von Is. Voss 
danebengestellte ἐκ Kurußolwv. Schon wegen der Erwähnung 
von Anazarbus ist die erstere gemeint, eine viel häufiger erwähnte 
eilicische Stadt (Strabo XI, 1, 4; 2, 7; Ptolem. geogr. V ed. 
Basil. 1533, p. 322; Plin. ἢ. n. V, 27, sect. 22 ed. Sillig; 
Chrysost., ep. 204 opp. ed. Montfaucon II, 714 A; Socrat. h. 6. 
II, 25; IV, 12, vielleicht auch Plin. h.n. VI, 3, 3; Curt. Ruf. 
II, 17, 5; Itin. Anton. ed. Wesseling, p. 146 [vgl. des Heraus- 
gebers Bemerkungen z. d. St. und p. 580 gegen Voss]). Also ist 
Maria eine Κασταβαλῖτις. 


“. Rom. inser. ist doch wohl nach 6! Lt martyr. Byr. 
metaphr. A? ἡγαπημένῃ statt des gewöhnlicheren ἡγιασμένῃ 
ΟΣ L? A! festzuhalten, obwohl der Umstand, dass vt die Les- 
art von G! als Randglosse bieten, bedenklich scheint. Jeden- 
falls aber ist gleich nachher κατὰ ἀγάπην 'Imooü Χριστοῦ 
zu lesen nach denselben Zeugen mit Ausnahme .des hier nach 
A! corrigirten, A®?. Die bei Ignatius so gewöhnliche Verbindung 
πίστις καὶ ἀγάπη schlich sich wie Mgn. 6 auch hier ein. Nach 
dem richtigen Text ist hier nicht zu denken an eine Liebe der 
Römer zu Christus, sondern nur an die Liebe, welche Christus 
hat, und es fragt sich nur, wozu diese adverbielle Verbindung 
gehört, ob zu ἡγαπημένῃ καὶ nepwrioufvn oder zu ϑελήσαντος. 
Das Letztere verdient den Vorzug, weil so erst zwischen dem 
allgemeinen Schöpferwillen Gottes und seiner heiligenden Thätig- 
keit in Bezug auf die christliche Gemeinde eine Verbindung her- 
gestellt ist, welche die Erwähnung des Ersteren an dieser Stelle 
zweckmässig erscheinen lässt. Ignatius schreibt „der Gemeinde, 
welche geliebt und erleuchtet ist kraft des Willens dessen, der 
Alles, was da ist, gemäss der in Christus offenbarten Liebe ge- 
wollt hat“. 


8. Rom. 1. Ἐπεὶ εὐξάμενος 4) ϑεῷ ἐπέτυχον ἰδεῖν. ὑμῶν 
τὰ ἀξιόϑεα Ὁ) πρύόσωπα, ὡς καὶ πλέον °) ἡτούμην λαβεῖν, δεδεμέ- 


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- τσ nt us Ü 206 » 26 866: 207, 
- -τἹ merk τ τ pur ei; vgl. aber Pete!“ 
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-ὧν ‚er τοι τοῦ ontat- de usshel“ 
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- BREI ne yesgautlit gerettet αἱ, ven! 
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a er ὠὰ geiner Congo 
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559 


κλῆρος worher ein λύγος. Das ἐμαυτοῦ scheint sich auf das 
pleonastische a gründen zu sollen; aber ich sollte meinen, ein 


syrischer Grammatiker hätte in der sclavischen Rückübersetzung 
dieses Worts am wenigsten Bunsen folgen sollen, welcher ἔσομαι 
ἐμαυτοῦ ryw las (vgl. die doppelte Wiedergabe des ersten Satzes 
bei Johannes Mon. 206, 27; 207, 14), was dann auch Baur 
U, 55 seiner falschen Uebersetzung zu Grunde legte. ‚Ebenso 
unglücklich war Curetons späterer Gedanke (p. 292), ἡχώ durch 
φωνή zu ersetzen und hier nach dem Vorgang des Johannes 
Monachus eine Anspielung an die Bezeichnung Christi als λόγος 
und des Täufers als φωνή (Joh. 1, 1. 23) zu finden. Der alte 
Syrer, der den Ignatius in syrischer Uebersetzung las, konnte sich 
durch Kolo an Joh. 1, 23 erinnern lassen. Dass aber Origenes 
(s. die Stellen bei Cur., p. 292) und schon vor ihm Herakleon 
(Grabe II, 88) jenen Gegensatz in Joh. 1, 1. 23 gefunden hat, 
kann doch unmöglich den Gedanken empfehlen, dass Ignatius im 
Jenseits Christus , im Diesseits den Täufer darstellee Und wie 
soll aus φωνή: ein τρέχων entstanden sein. Ist aber schon aus 
graphischen Gründen ἠχώ als Wurzel der Varianten zu erkennen, 
so ist vollends an der Ursprünglichkeit von λόγος (statt ἐγὼ) 
nicht zu zweifeln. Es bedarf kaum der Erinnerung, 'wie un- 
passend hier ein betontes Ich wäre, und wie offenbar Ignatius 
einen Contrast zwischen Mittel und Wirkung beabsichtigt. Das 
Schweigen der Römer dient dazu, dass er ein Wort Gottes 
wird, ihre redselige Liebe aber macht ihn zu einem ver- 
hallenden Schall. Auch wenn man nxw statt ἦχος festhält, 
ist schwerlich mit Bunsen an den Wiederhall zu denken. Der 
blosse’ Schall ist gemeint, gleichsam als Stoff, welcher erst durch 
Gestaltung zum Wort wird und, wenn Gott seinen Willen hin- 
einlegt, ewigen Bestand gewinnt. 


10. Rom, 3. Οὐδὲν φαινόμενον ἀγαϑύν 5). Ὁ γὰρ ϑεὸς 
ἡμῶν ᾿Ιησοῦς Χριστὸς ἐν πατρὶ ὧν μᾶλλον φαίνεται ). Οὐ 
πεισμονῆς τὸ ἔργον, ἀλλὰ μεγέϑους ἐστὶν ὁ Χριστιανισμὸς, ὅταν. 
μισήται ὑπὸ xoouov ©). — a) So die älteren und von einander 
meist unabhängigen Zeugen L! Timoth. Alex. Cur., p. 210, 10. 
sı S® A! ΑΞ, wohingegen αἱ ΟΣ L? Metaphr. aus 2Kor. 4, 18, 
was sie an dieser Stelle dann auch förmlich eitiren, αἰώνιον ent- 
lehnten. — Ὁ) Da Auslassungen bei S! und Metaphr. kritisch 
gleichgültig sind, so ist dieser originelle Satz nur durch ΟΣ 1,3, 
also gar nicht angefochten. Es ist nicht geschickt, dass Ignatius 
hier φαίνεσθαι, anders wie vorher, die dem Wesen ent- 
sprechende Erscheinung bedeuten lässt, ohne ausdrücklich das 


560 


Oxymoron fühlbar zu machen, etwa durch μὴ φαινόμενος μᾶλλον 
φαίνεται. — 0) Ueber alles Weitere 5. oben S. 245, Anm. 2. 


11. Rom. 5. Ob wirklich der syrische Uebersetzer mit 
— das Peal gemeint und den Sinn hat ausdrücken wollen, 
den ich nach Cur., Ὁ. 231; Peterm., p. 160 oben S. 207 aus- 
gedrückt habe, ist mir zweifelhaft. Man muss nur „DS statt 
„2 lesen und das Verb als Aphel auffassen, so gewinnt man den 


viel angemesseneren Sinn: „nichts mache mich eifrig, d. i. reize 
mich zur Begierde“. Vgl. für diesen Gebrauch Peschittho Rom: 
11, 14; Deut. 32, 21 cf. Num. 21, 29; Ps. 106, 29. Der 
Syrer hat das einzig richtige ζηλώσωι gelesen, welches Heinichen 
zu Eus. h. e. IH, 36, 9 nicht beanstandet haben würde, wenn 
er es richtig nach 2 Kor. 11, 2; Gal. 4, 17 (vgl. dazu Hofmanı, 
die heilige Schrift Neuen Testaments II, 1, 137 f.) verstanden hätte. 


12. Rom. 6 init. Οὐδέν μοι ὠφελήσει τὰ τερπνὰ ") τοῦ 
κύσμου, οὐδὲ αἱ βασιλεῖαι τοῦ αἰῶνος τούτου. Καλόν Ὁ) μοι 
ἀποϑανεῖν εἰς Χριστὸν ᾿Ιησοῖν, ἢ βασιλεύειν τῶν περάτων τῆς 
γῆς. —a) Die Mehrzahl der Zeugen hat πέρατα L! αΣ 85 A? Sfr. 
201, 17, aber τερπνά (G! Metaphr., vielleicht auch A!, dessen 
„thesaurus terrae“ jedenfalls auf ein anderes Wort führt, als 
das gleich folgende „terminos terrae“) verdient den Vorzug. _ 
b) So nach allen Zeugen incl. Timoth., 211, 3 gegen αἱ μαλ- 
λον. — c) So, wenn man den Unterschied von εἰς und ἐν auf 
sich beruhen lässt, mit 6 Metaphr. A! A? Sfr. 201, 17 1,2, διά 
L! G2 Timoth. 211, 2, σύν 85. 


13. Rom. 6. Ὁ δὲ τοκετός ®) μοι ἐπίκειται. “Σέγγνωτέ 
μοι, ἀδελφοί; un ἐμποδίσητέ μοι ζῆσαι, rn ϑελήσητέ με ὃ) ἀπο- 
ϑανεῖν. Τὸν τοῦ ϑεοῖ ϑέλοντα εἶναι, κύσμῳ un χαρίσησϑε .), 
μηδὲ ὕλῃ ἐξαπατήσητε d), “Ἄφετε μὲ καϑαρόν φῶς λαβεῖν" ἐκεῖ 
παραγενόμενος ἄνϑρωπος 5) ἔσομαι. — ἃ) So 6: Timoth. 211, 6. 
51 S2, indirect auch Sfr. 201, 19 Αἱ 8. oben 5. 212. Des 
L! lucrum setzt vielleicht kein anderes Wort voraus; denn leicht 
konnte der Uebersetzer dem Wort τοχετός, das nur Geburt bedeutet 
(gegen Smith, schol., p. 99; Denzinger, S. 62 u. A.; vgl. Buns. 
I, 120), diejenige Bedeutung von τόχος geben, welche es dem 
Sprachgebrauch nach gerade nicht mit diesem Wort theilt. Nur 
„Geburt“ passt zu Znixeıra. Denn dies wird nicht von einem 
in Aussicht stehenden Vortheil gebraucht, sondern von einer auf- 
liegenden Last, einer hemmenden Schwierigkeit, einer anhaftenden 
Eigenschaft, vgl. Mgn. 5, wenn es da ächt ist. In der Ueber- 


561 


tragung des Bildes musste das Gebären und das Geborenwerden 
von demselben Subject gelten. Auf dem noch diesseits stehenden 
Ignatius lastet noch die schwierige Aufgabe, den neuen Menschen 
aus sich, dem alten, herauszugebären. Daher kann dieser Satz, 
welchen Metaphr. ΟΣ L? der Geistreichigkeit halber ausstiessen, 
gegensätzlich an die vorangehende Bezeugung seiner Sehnsucht 
nach Christus angefügt werden. Andrerseits ist doch wieder er 
selbst: das Ich, welches durch den Vorgang des Sterbens ans 
Licht einer besseren Welt gelangt. Somit ist er auch Object 
und Product der Geburt und freut sich auf das Geborenwerden. 
In diesem Gegensatz der activen und der passiven Geburt be- 
wegt sich der ganze Abschnitt. — Ὁ) Das ganz isulirte wo. des 
G! ist Assimilirung ans vorige μοι. — 6) So nach G? A? Timoth. 
211, 7, wo ass nothwendig zu lesen ist; das χαρύσησϑε 
G! ist gewöhnlicher Schreibfehler. Dunkel sind L? Sfr. 201, 21 
A!. Vereinzelt steht „per mundum non separetis me“ L! ἃ. ἢ. 
κύσμῳ μὴ χωρίσητέ μὲ ohne passenden Sinn. Gott und Welt 
ringen mit einander um Ignatius. Die Römer sollen nicht in 
Weltliebe ihn der Welt überlassen. — d) Dieser von αἱ @ 1,3 
Metaphr. ausgestossene Satz ist gesichert durch L! (neque per 
materiam seducatis) Timoth. 211, 8; Sfr. 201, 21 A! A?, im 
wesentlichen auch durch S? (neque seducatis).. — 6) So 1.1 S? 
Timoth. 211, 9; auch A! Sfr. 201, 22; 296, 8 (vgl. oben 
S. 212) wollen durch ihr komo perfectus nur die Emphase aus- 
drücken; A? angelus; αἱ G? Metaphr. L? setzen ϑεοῦ zu. Jetzt 
ist Ignatius ein ἔχσρωμα, eine nicht lebensfähige Frühgeburt 
(Rom. 9; vgl. Hofmann, Neues Testament II, 2, 353); ein Mensch 
im vollen Sinn des Worts wird er erst durch die bevorstehende 
Neugeburt. 


14. Rom. ἡ. Mnd’ ἂν ἐγὼ παρὼν παρακαλῶ ὑμᾶς, ‚nel- 
σϑητέ μοι" τούτοις δὲ μᾶλλον πείσϑητε "), οἷς ‚Yoapw ὑμῖν. 
Ζῶν γὰρ ®) γράφω ὑμῖν, ἐρῶν τοῦ ἀποϑανεῖν. Ὁ ἐμὸς ἔρως 
ἐσταύρωται 5), καὶ οὐκ ἔστιν ἐν ἐμοὶ πῦρ φιλόῦλον ὦ), ὕδωρ δὲ 
ζῶν καὶ λαλοῦν ἐν ἐμοὶ ὃ, ἔσωθϑέν μοι λέγει ἢ" δεῦρο, πρὸς 
τὸν πατέρας, Οὐχ ἥδομαι τροφῇ φϑορᾶς οὐδὲ ἡδοναῖς τοῦ βίου 
τούτου x. τ. λ.; vgl. oben S. 348f. — a) Allerdings haben 
55. A! A? ΟΣ an dieser Stelle πιστεύσατε, vielleicht genügen aber 
G! L! Metaphr. L? zur Rechtfertigung der Wiederholung des- 
selben Wortes. Ein Verblick auf Rom. 8 konnte zur Variation 
veranlassen. — b) So mit L! ΟΣ 1? (nur rg autem) Metaphr., 
weggelassen von αἱ A! 52. Den ganzen Satz strich A®. Freilich 
ist es selbstverständlich, dass er noch am Leben ist, während er 
schreibt, und andrerseits lebt er auch noch in dem vorhin ge- 


Zahn, Ignatius, 36 


562 


setzten Fall. Um so gewisser ist ζῶν emphatisch gemeint. Im 
Gegensatz zu einem schwachen Augenblick, in welchem er ange- 
sichts des unmittelbar bevorstehenden Todes ihre Hülfe sich er- 
bitten möchte, betont er es und begründet dadurch die Forderung 
des Gehorsams gegen sein briefliches Wort, dass er im Vollbesitz 
des Lebens und bei klarem Bewusstsein dies schreibe und das 
Gegentheil des Lebens herbeisehne. —: c) Der berühmte Aus- 
spruch ist von Origenes (opp. ed. Delarue III, 30 D), Pseudo- 
dionysius (opp. ed. Lansselius et Corderius, Venet. 1755, 
I, 363 Ὁ), Theodorus Studita (Grabe II, 299), von den orienta- 
lischer Uebersetzern (s. oben S. 173) und unter der Herrschaft 
der doppelsinnigen lateinischen Uebersetzung „meus amor cruci- 
fixus est‘ (L? und Rufins Uebersetzung des Origenes) auch im Abend- 
land vielfach (Pears. III, 56; Smith, schol., p. 101; Baur II, 47) 
fälschlich dahin verstanden worden, dass Ignatius hier vom 
Gegenstand seiner Liebe, nämlich von Christus, rede oder ge- 
radezu Christus als Gegenstand seiner Liebe angebe. Aber, wenn 
Ignatius mit ὁ ἐμὸς &owg- den Gegenstand seiner Liebe meinte 
und Christus darunter verstanden haben wollte, so würde er von 
diesem aussagen, dass er gekreuzigt worden ist, eine Bemerkung, 
welche hier völlig unveranlasst wäre. Deutlich zeigt aber auch 
der Fortschritt, dass Ignatius vielmehr vön seiner natürlichen 
Liebe, seiner Lust zu den Dingen und dem Leben auf Erden, 
und zwar mit Nachdruck von der seinigen im Gegensatz zu 
der vorausgesetzten anderen Stimmung der Römer (c. 2) sagt, 
dass sie gekreuzigt, in Christi Kreuzestod versenkt sei (vgl. Gal. 
6, 14). Er hat die sittliche That vollzogen, welche er Mgn. 5 
als Bedingung des Besitzes des Lebens Christi bezeichnet; er 
hat sich freiwillig in den Tod gegeben, welcher ein Versenken in 
Christi Tod ist. Diese richtige Auffassung des Spruchs liegt dem 
Lied Philipps von Zesen zu Grunde: „Welt tobe, wie du willst“, 
dessen Verse mit dem Refrain schliessen: „Denn ob mich Welt 
und Lust schon triebe, bleibt doch gekreuzigt meine 
Liebe“, während das alte Misverständnis in dem bekannteren 
Liede: „Der am Kreuz ist meine Liebe, meine Lieb’ ist Jesus 
Christ“, und in dem ähnlichen von Greding: „Der am Kreuz 
ist meine Liebe und sonst nichts‘ poetischen Ausdruck gefunden. 
Auch Theremins schönes Sonett mit dem Motto aus Ignatius be- 
ruht darauf, gibt ihm aber eine eigene Wendung, indem Christus 
als die personificirte active Liebe der Liebe der Weltkinder 
gegenübergestellt wird (Abendstunden III, 64). Der Versuch, 
jene beiden älteren sich gegenseitig ausschliessenden Erklärungen 
za combiniren, schickte sich mehr für das Fräulein von Ende, 
wovon Koch (Geschichte des Kirchenlieds, 2. Aufl, IV, 183) be- 


962. 


richtet, als für. Bunsen. (I, 121). — ἃ) Man kann schwanken, ob 
diese Lesart von αἱ Metaphr. Menaea (Uss., adnot., p. 79) oder 
das φμλοῦν τί von ΟΣ L! (dieser zog nur τι fälschlich zu ὕδωρ, 
amans aliquam. aquam) den Vorzug verdient. Letzteres könnte 
bestätigt scheinen durch S! (ignis in amore alio, cod. y amoris 
alius) 85 (ignis alienus) A! (alius aestus amoris) A? (ignis amandi 
alienam quidquam; s. jedoch Petermann, ὃ. 173). Das können 
lauter „Umsehreibungen von G? sein, sie können aber auch auf 
ein πῦρ, φιλοῦν [τι] ἄλλο (oder φιλίας ἀλλης) zurückgehn, was 
dann aus φιλαῦλαν entstanden sein würde. L? hat, zwischen ἐν 
ἐμοί und ὕδωρ nichts. Angemessener als alles Andere: ist φι- 
λόῦλον. Von. der begehrlichen Liebe kommt Ignatius leicht auf 
das lechzende, brennbaren Stoff suchende Feuer (ef. Clem. paed. 
I, 164 Pott.:- οἱ πάμφαγηι, καϑάπερ τὸ πῦρ τῆς ὕλης ἐξεχόμενοὺ), 
und von diesem auf das Feuer löschende Wasser, das Bild des 
heiligen Geistes, der alle Begierde auslöscht. — e) So G! Metaphr., 
Δ, S? (den. Mösinger falsch übersetzt), im’ wesentlichen auch 
‚ der nur durch die verkehrte Verbindung von ὕδωρ mit dem 
Vorigen zur Aenderung genöthigt war: ἀλλὰ ζῶν καὶ λαλῶν 
ἔστιν ἐν ἐμοί, ἔσωϑεν μοι λέγει, Aehnlich macht S? den. Herrn 
zum redenden Subject. G? liess sich durch den offenbaren An- 
klang an Joh. 4, 14 (vgl. 7, 88 ἢ; Pears. III, 56) veranlassen, 
den biblischen Wortlaut deutlicher hervortreten zu lassen. Daher 
ἁλλύμενον statt des ziemlich pleonastischen λαλοῦν, und aus 
jenem wieder das ἄλλο μένει des 1,3. — f) Das λέγον G! Metaphr. 
L? kann. nicht festgehalten werden gegen G? (λέγει L! (dieit ohne 
et) cf. A! A® Sever. Ant. Cur., p. 216, 12. Es entstand aus 
mechanischer Assimilirung an die vorigen Participien. 


15. Eph. 1. “Ἵκούσαντες γὰρ δεδεμένον ἀπὸ Συρίας ὑπὲρ 
τοῦ κοινοῦ ὀνόματος καὶ. ἐλπέδος, ἐλπίζοντα τῇ προςευχῇ ὑμῶν 
ἐσιτυχεῖν ἐν “Ριύμῃ ϑηριομαχῆσαι, Ἷ ἵνα ἐπιτυχεῖν δυμηϑῶ μᾳϑη- 
τὴς εἶναι, - ἰδεῖν &orovöuoure. So nach L!, wenn anders 
Uss., p. 195 nur versehentlich die Werte „ub potiri possim dis- 
eipulus esse“ ausfallen liess, welche cod. Caj. enthält (s. oben 
S. 549. 554). Wesentlich bestätigt wird dieser Text durch 
S A, welche den Partieipialsatz &Anilorza . . . ϑηριομαχῆσαι 
frei wiedergegeben haben; das in Οἱ 65 L? ausgefallene, ἰδεῖν 
ἐσπουϑάσατε haben sie auch und niehts von. denen Zusätzen: διὰ 
τοῦ μαρτυρίου “20. τοῦ ὑπὲρ ἡμῶν ἑαυτὸν ἀνενεγκύντος ϑεώ 
προσφορὰν καὶ ϑυσίαν (L? setzt vollends noch hinzu: in odorem 
bonae suavitatis), wodurch der Satz um seinen Schluss kam. 


16. Eph. ὃ, Καὶ γὰρ "Ἰησοῦς Χριστὸς, τὸ ἀδιάχριτον 
ἡμῶν 5) ζῇν, τοῦ πατρὸς γ γνώμη, ὡς καὶ οἱ ἐπίσκοποι, οἱ κατὰ 
36 * 


564 


τὰ ποίμνια ®) δρισϑέντες, ἐν ᾿ησοῖ Χριστοῦ γνώμῃ εἰσίν. — 
a) So L! A, ὑμῶν G! nach Jakobson und Dressel. — b) Diese 
Conjectur schlage ich statt πέρατα (G! L! A) vor, vgl. 1 Petr. 
5, 2; Clem. ad Corinth. I, 16. 44. 54. 57 und bei Ignatius 
selbst die Vorstellung von Hirt und Heerde (Rom. 9; Phil. 2). 
Der Mangel einer Näherbestimmung zu τὰ πέρατα (cf. Rom. 6; 
Herm. sim. VII, 3; Matth. 12, 42; Luc. 11, 31; Röm. 10, 18 
und LXX überall) ist empfindlich. Sodann heisst πέρατα nicht 
„Länder “, so dass κατά weder distributiv gemeint sein, noch 
„drüber hin“ bedeuten kann. Markland wollte ein unbiblisches 
und unkirchliches τῇ» χάριτα gelesen haben. Uebersetzungen wie 
die von Baur II, 68: „wie auch die Bischöfe der nach ver- 
schiedenen Gebieten abgegrenzte Wille Jesu Christi sind “, cha- 
rakterisiren den Grad philologischer Bildung des Urhebers. Es 
besteht auch kein Grund, das ἐν vor Ἰησοῦ (G! A; aus ΟΣ L? 
ist nichts zu entnehmen) mit L! zu streichen. Freilich ist bei 
diesem nicht, wie Ussher that, sententid zu schreiben, was dann 
möglicherweise auf ἐν γνώμῃ zurückginge, sondern sententia — 
γνώμη. Aber der Verdacht der Assimilirung zweier bei αἱ A 
variirender Sätze ist zu stark, und die Variation des Ausdrucks 
ist sachgemäss. 


17. Eph. ἡ. Εἷς Ἰατρός ἐστιν σαρκικός τε καὶ πνευματε- 
χὸς, γεννητὸς καὶ ἀγέννητος 8), ἐν σαρκὶ γενόμενος ϑεὸς ὃ, ἐν 
ϑανάτῳ ζωῇ ddr, καὶ ἐκ Magias καὶ ἐκ ϑεοῦ, πρῶτον πα- 
ϑητὸς καὶ τότε ἀπαϑὲς, Ἰησοῦς Χριστὸς, ὁ κύριος ἡμῶν. — a) Die 
Schreibung beider Worte mit »» wird zunächst vertreten durch 
G!.@2 (d. i durch sämmtliche Handschriften ausser Ὁ, der 
Gegensatz γεννητός beweist die Richtigkeit von ἀγέννητος) L! 
L? (ingenitus), ferner durch Theodoret, dessen Aenderung yerrr- 
τὸς ἐξ ἀγεννήτου (ed. Sirmond IV, 34, während Schulze IV, 51 
ohne Grund Theodorets Text nach Ignatius ändert) jedanfalls den 
durch doppeltes » ausgedrückten Gedanken erfordert, denn zur 
Zeit Theodorets weist ἐκ ϑεοῦ auf den vorweltlichen Ursprung 
aus dem Vater, vermöge dessen der Sohn nicht „geworden“ 
(γενητός), wohl aber „erzeugt“ (γεννητός) heisst im Gegensatz 
zum unerzeugten Vater. Bei Athanasius, dessen Handschriften 
im Citat aus Ignatius wie in der Besprechung desselben in 
Bezug auf » oder »» schwanken (ed. Montfaucon I, 1. 
p. 761 A), erfordert die gegebene Erklärung des ignatiani- 
schen Worts die Streichung eines » in beiden Worten, denn 
er meint, Ignatius nenne Christus als Menschen ein Geschöpf, 
während er ihn als den aus dem Vater stammenden Sohn 


δθὅ 


von den Geschöpfen unterscheide.e Aber die richtige Lesart 
bei Athanasius lässt sich darnach ebensowenig als der dem 
Gelasius (Magn. bibl. ed. Paris 1654, tom. IV, 1,423 E: factus 
et non factus) und dem armenischen wie mehreren syrischen 
Uebersetzern (Cur. 218, 11. 17; 219, 5: (“ai Po {“ai) zu 
Grunde liegende ignatianische Text sicher erkennen. Denn be- 
kanntlich beruhen die Schwankungen in der Schreibung dieser 
Worte bei den Vätern (s. z. B. Otto zu Justin. dial., c. 2, not. 5; 
c. 25, not. 8; c. 43, not. 17) nicht bloss auf Nachlässigkeit der 
Schreiber, sondern auf dem Mangel scharfer Unterscheidung bei 
den Schriftstellern selbst. Justin z. B. gebraucht ἀγέννητος 
immer im Sinn von οὐ γεγονώς Dial. 5, p. 223 A; Wechselbe- 
griffe sind ihm γεννητός und φϑαῤτός, p. 223 D, und Tatian. 
or. 5 braucht als Gegensatz zu γεννητός ein ἄναρχος. Lehrreich 
ist auch Clem. hom. XIX, 4. 9. 10. Dass man auch im 4. Jahr- 
hundert die ableitungsmässig völlig begründete Unterscheidung 
nicht durchgeführt hatte, bezeugt die Verlegenheit, welche Arianer 
und Semiarianer den Nicänern durch die Frage bereiteten: ἕν τὸ 
ἀγέϊνἼνητον ἡ δύο (vgl. meine Schrift über Marcellus, 3. 40 
Anm. S. 104. 222f., besonders auch Epiph. haer. 73, 19 54.). 
Obwohl dem Athanasius das yevvnI'nvaı des Sohnes nichts weniger 
als ein gemeines γενόσϑαι ist, er vielmehr ebenso wie Eustathius 
von Antiochien (Mai, script. vet. nov. coll. VII, 15) Christus 
γεννητός nennen und von den χειστά unterscheiden kann, so 
fällt es ihm doch nicht ein, jenes quälende Dilemma durch Hin- 
weisung auf den Unterschied von γεννητός und γενητός aufzu- 
heben. Er kennt den Unterschied gar nicht; sonst wären seine 
Auseinandersetzungen darüber und auch seine Besprechung der 
ignatianischen Stelle sinnlos. Erst bei Johannes Damascenus 
(de fide orthod. I, 8 ed. Lequien I, 135 C) findet man die völlige 
Klärung der Terminologie. Auch die grundgelehrte Darstellung 
bei Petav. theol. dogm. ed. Antwerp. 1700, tom. U, p. 270 sqgq. 
lässt dies nicht deutlich genug erkennen. Wenn daher in 
christologischen Aussagen älterer Väter ein gut bezeugtes ἀγέννη- 
τος bei späteren Schriftstellern und Uebersetzern um ein » ver- 
kürzt ist, so ist das Aenderung späterer Orthodoxie, für welche 
Christus nach seiner göttlichen Seite zwar ἀγένητος, aber keines- 
-wegs ἀγέννητος war. Auf Gelasius braucht dieser Kanon aber 
noch nicht angewendet zu werden, denn er kann ebenso wie 
 Athanasius ἀγέννητος gelesen und das, was die Späteren im 
Unterschied hiervon durch ἀγένητος ausdrückten, verstanden 
und deshalb auch in der Uebersetzung ausgedrückt haben. — 
b) Man kann ernstlich schwanken, ob diese Lesart von Οἱ L! 
gegen die von Athanasius, Theodoret, Gelasius und wenigstens 


566 


einem syrischen Fragment (Cur. 219, 5) vettretene Lesart ἐν 
ἀνθρώπῳ ϑεύς aufrecht zu erhalten sei. Die syrischen "Ueber- 
setzuagen Cur. 218, 12. 17 mit ihrem ἰσι δὶ 2] Aus führen 
wohl ‚auf-2v ἀνθρώποις «ϑεός (vgl. Petermann, 5. 25) und stützen 
jene Lesart einigermassen; während aus A G? L? nichts zu 
schliessen ist. "Wahrscheinlicher ist, dass 'man an dom scheinbar 
vorliegenden 'Gedanken eines γενόμενος ϑεός Anstoss nahm und 
'ein einfäches „im ‘Menschen Gott“ an die 'Stelle setzte, als um- 
gekehrt. Die Lesart von Αἱ etc. passt "besser zu 'dem gleich- 
folgenden Gegensätz, wenn man dort gerade nieht mit αἱ D! ἐν 
᾿αϑανάτῳ, sondern 'mit allen übrigen Zeugen ἐν ϑανάτῳ liest. 
Zu ‘den drei Kirchenvätern kommen 'hier jene syrischen 'Frag- 
‘mente (p. 218, 12. 18; 219,6 „im Tode wahres Leben“) und 
‘A (in morte vivus) bestätigend hinzu; und "es fragt sich ‘sogar 
noch sehr, öb nicht 'L! durch blosse Verdoppelung eines in sein 
immortali erhalten hät (vgl. 'Uss., adn., p. 6, n. 22). Die ver- 
worfene 'Lesart findet auch gar keine Stelle unter ‘diesen Paaren 
scheinbar sich 'ausschliessemder Gegensätze. ’Die gegentheilige 
"Behauptung 'Dressels ist &benso schwer zu begreifen, als dass 
“er sich dutch die föhlerhafte Accentuation ‘des ‘cod. Med. und 
seiner Abschrift'Casan. zu der‘Conjectur ἀϑάνατος dv ζωῇ ἀλη- 
ϑινῇ verführen lässt. Die ‘Architektonik ‘des Satzes ist diese: 
εἷς ἰατρὸς 


σαρκικὸς πνευματικὸς 
᾿γεννητὸς "ἀγέννητος 

ἐν σαρκὶ γενόμενος ϑεὸς 

ἐν ϑανάτῳ ζωὴ ἅληϑινὴ 
καὶ ἐκ Magiag ᾿κἀὶ ἐκ ϑεοῦ 
πρῶτον παϑητὸς καὶ τότε ἀπαϑῆς 


Ἰησοῦς “Χριστὸς ὁ κύριος ἡμῶν. 


18. Eph. "8. Einen wirklich zutreffenden “ΕΔ]]. nennt der 
"Satz, 'dessen 'Wortstellung Dressel ohne Reöhtfertigung geändert 
Bat: ὅταν γὰρ “μηδεμία ἔρις ἐνήρεισται ἐν ὑμῖν, ἡ δυμαμένη 
᾿ὁμᾶς βασανίσαι, ἄρα ara ϑεὸν ζῆτε. Daher auch der Indicativ 
θπαδῃ" ὅταν. Das ἐνεέρισται' 61 heisst ‘garnichts. ‘Eine Ableitung 
"von ἐνερίζω schafft dies’ Compositum neu, gibt ihm ein unmög- 
"liches perf. pass. (vgl.''Kühner, ausführliche Grammatik, 2. Aufl, 
‘I,’ 821) und ’'argibt' den: Ungedanken, .dass'sin in der Gemeinde 
[zu 'Ende] geführter Streit. sie betreffenden :Falls noch :quälen 
Ikötnte. "Näher 'als ἐμεργῆται '(Buns. I, 88) und ' ἐρρίζωται 
"oder ἐνερρίξζωται' (Merx,-p. '41) hegt "die .Umschreibung des in 
den 'Vooalen 'stets unsicheren :mediceischen ‘Textes in. ἐνήρείσααι 
"von: ἐμεσείδω! (Kühner’I,-819). :Es. heisst..,, Hineinstessen , fest 


567 


hineinstecken“, auch vom Pfeil ihn „hineinschleudern “, so dass er 
festsitzt. Gemeint ist demnach, dass es niemand gelungen ist, 
in Ephesus eine Zwistigkeit (vgl. 1 Kor. 1, 11) zu erregen, 
welche dann fortgedauert hätte. S übersetzt gar nicht so un- 
richtig „gepflanzt“, und auch das „complexa est“ L! ist wohl nichts 
Anderes als Uebersetzung von ἐνήρεισται. 


19. Eph. 8. Περίψημα ὑμῶν καὶ ἅγνισμα ὑμῶν ἐγώ, 
᾿Εφεσίων ἐχκλησίας, τῆς διαβοήτου τοῖς αἰῶσιν. Das ἁγνίζομαι 
ὑμῶν G! ist ebenso sinnlos wie das ayrilere ὑμῶν τὸ ἐμὸν 
πνεῦμα Tr. 13 und wird meines Erachtens gar nicht gebessert 
durch den seit Coteliers Randbemerkung üblichen Conjunctiv nach 
dem castificer des cod. Caj. (nach Jakobson; Smith fand castoficet ; 
der cod. Montac. oder doch Uss., p. 197 castificetur). Aber L! 
wagt es Tr. 13 mit den Worten „castificate vestrum meum .spiri- 
tum“. Dort hat also ein ὑφ᾽ vor ὑμῶν jedenfalls am L! keine 
Stütze und auch nicht am L? „castificet vos spiritus meus“. Ein 
ὑπό ist aber an beiden Stellen auch deshalb unbrauchbar, weil 
nicht vorzustellen ist, wie Ignatius von den Ephesern und Tral- 
lianern als Opfer dargebracht oder durch ein Opfer gereinigt wer- 
den soll — denn beides könnte so ausgedrückt werden —, zu- 
mal wenn dies ἀγνίζεσθαι nach Tr. 13 auch bei und nach 
seinem Hingang zu Gott statthaben soll. Es wird daher Eph. 8 
᾿ mit Voss, p. 27 3 ἅγνισμα zu lesen und das schon für περέψημα 
erforderliche ἐγώ zu ergänzen sein. Letzteres aber konnte schwer- 
lich hinter dem ersten, sehr leicht dagegen hinter dem zweiten 
ὑμῶν, unmittelbar vor ἐφεσίων ausfallen. Mit ἐγώ war der Satz 
eigentlich zu Ende, nachträglich erst wurde die Apposition ange- 
fügt. Unzeitige Vergleichung von Tr. 13 verdarb dann den 
. Text. Dort ist wahrscheinlich ἃ γίζεται ὑπὲρ ὑμῶν τὸ ἐμὸν 

πνεῦμα zu lesen, ὑπὲρ fiel vor zum» leicht aus und ἁγνίζετε 
ist nichts anderes als ἁγνίζετα. Das ἀσπάζεται ὑμᾶς ΟΣ ist 
eine vielleicht ‚nicht sehr alte Aenderung, die L? noch nicht 
vorfand. Aus den ungenauen Uebersetzungen S A ist für beide 
Stellen ‚nichts zu gewinnen. 


19°. Eph. 10. ᾿Επιτρέψατε οὖν αὑτοῖς χἂν κ᾿ τῶν ἔογων 
ὑμῖν μαϑητευϑῆναι. Πρὸς τὰς ὀργὰς αὐτῶν ὑμεῖς πραεῖς. 
ur σπουδάζοντες ἄντιμιμήσασϑαι αὐτούς. “Ἵδελφοὶ αὐτῶν εὗρε: 
ϑώμεν τῇ ἐπιξικείᾳ » μιμηταὶ δὲ τοῦ κυρίου σπουδάζωμεν εἶναι 
— τίς πλέον ἠδικήϑη καὶ ἀπεστηρήϑηή καὶ γϑετήϑη --- ἵνα 
μὴ τοῦ διαβόλου βοτάνη τις εὑρεϑῇ ἐν vuiv. — So interpungire 
ich im wesentlichen mit den älteren Herausgebern und halte die 
abspreehenden Urtheile Neuerer über den dadurch entstehenden 


568 


Sinn für grundlos. Ein ἀντι μιμεῖσϑαι findet nicht statt zwi- 
schen Brüdern sondern zwischen Rivalen. Daher muss mit ἀδελ- 
gol ein neuer Satz beginnen. Die Christen sollen sich nicht 
bemühen, in feindlichen Wetteifer mit den Heiden einzutreten, 
indem sie Böses mit Bösem vergelten (vgl. Mgn. 10). Als Brü- 
der sollen sie sich ihnen allerdings erweisen, aber durch Nach- 
giebigkeit. Dies ist einerseits eine formelle Einräumung an das 
Streben nach Gleichstelluug mit den Heiden, aber andrerseits ein 
Gegensatz zu der falschen Gleichstellung mit ihnen im Böses- 
thun. Sie sollen sie als Solche behandeln, „in welchen Hoffnung 
auf Bekehrung ist“, als zukünftige Christen. Nachahmer aber, 
nicht der Heiden, sondern Christi, sollen sie sich bemühen zu 
sein. Uhlhorns Verbindung von τῇ ἐπιεικείᾳ mit dem Folgenden 
hat eine schlechte Stütze an S, denn dieser stösst das Voran- 
gehende aus, und A beweist, dass auch in der syrischen Ueber- 
setzung ursprünglich wie in Οἱ L! G? L? die Ermahnung zur 
ἐπιείκεια von der zur Nachahmung Christi getrennt war. — 
Weiterhin ist es unthunlich, nach αἱ (ἀδικηϑεῖ ἃ. 1.) ἀδικηϑῇ, 
(ἀποστερηϑεῖ ἃ. 1.) ἀποστερηϑῇ, (ἀϑετηϑεῖ ἃ. 1). ἀϑετηϑῇ fest- 
zuhalten und den Satz dennoch als fragenden .Ausruf zu fassen 
(Smith, schol., p. 73). Obige Aenderung Marklands ist am ein- 
fachsten; von den sonstigen Vorschlägen besonders unglücklich _ 
der von Dressel x&» τις πλέον ἀδικηϑῇ. Den Fall eines noch 
grösseren Leidens als das Leiden Christi zu setzen, liegt jedem 
christlichen Schriftsteller fern. Es liegt vielmehr in der über- 
wiegenden Grösse des Leidens Christi ein starkes Motiv, ihm 
in der Erduldung kleinerer Leiden nachzufolgen. 


20. Eph. 20. Das die zweite Hälfte des Kapitels be- 
herrschende ὅτε bereitet unüberwindliche Schwierigkeiten. Ueber- 
setzt man, wie z. B. auch Uhlh., p. 52, „dass“, so ist man ge- 
nöthigt, gegen allen biblischen und kirchlichen Sprachgebrauch | 
die Worte ἐὰν ὁ κύριος μοι ἀποκαλύψῃ von einer durch Men- 
schen oder Briefe vermittelten Nachricht zu verstehen. Durch- 
aus nicht vergleichbar sind ad Pol. 7; Phil. 10. Sodann könnte 
die Fortsetzung seiner schriftlichen Belehrungen doch kaum von 
einer sonderbareren Bedingung abhängig gemacht werden, als von 
der Meldung, dass es mit dem kirchlichen Leben zu Ephesus 
gut stehe. Es wäre der Ton des Schulmeisters, der seinen 
Schülern eine schöne Geschichte verspricht, wenn sie artig sind. 
Ignatius nimmt eine sehr andere Stellung zu diesen Lesern ein 
(Eph. 3. 12). Uebersetzt man „weil“, so wird die Verbindung 
des langen davon beherrschten Satzes mit dem Anfang von c. 21 
als Nachsatz nothwendig. Aber auch das geübte Ohr hat das ὅτε 


ὅ69 


dann längst vergessen, und nach Analogie aller Sätze, wo περί- 
ψημα, ἀντίψυχον, ὀναίμην u. dgl. bei Ignatius vorkommt, muss 
ἀντίψυχον ὑμῶν ἐγώ 6. 21 einen neuen Satz anfangen. Der 
Zusammenhang erfordert statt des dureir ὅτε eröffneten Satzes 
eine Ermahnung, wie sie G? L? und Gelasius bieten. Eine alte Text- 
unsicherheit an dieser Stelle hezeugt das εἴ τι Theodorets. (Was 
bedeutet inguit bei Gelasius, dicam A?) Man könnte daher ἔτη 
lesen, was dann natürlich zu ἀποκαλύψῃ gehört. _ Ich ziehe es 
vor, durch ein blosses rı dem ἀποκαλύψῃ zum fehlenden Object 
zu verhelfen. Ignatius hat die Absicht, den Ephesern einen 
zweiten Brief zu schreiben; zumal dann wird er es thun, wenn 
der Herr ihm etwas offenbart, ihm eine neue Erkenntnis gibt. 
Damit schliesst dieser Theil des Briefs.. Mit οἱ κατ᾽ ἀνδρα be- 
ginnt eine umfassende Ermahnung, welche zum ursprünglich an- 
gegebenen Thema des Briefs zurückkehrt (c. 3 cf. 2 fin.). 


21. Mgn. 1. Ich lese stark abweichend von der Ueber- 
lieferung: Καταξιωϑεὶς γὰρ de ὀνομάτων ϑεοπρεπεστάτων, ἐν 
οἷς περιφέρω δεσμοῖς, ἰδεῖν τὰς ἐκκλησίας 5), ἐν αἷς ἕνωσιν εὔχο- 
μαι σαρκὸς καὶ πνεύματος Ἰησοῦ Χριστοῦ, τοῦ διαπαντὸς ἡ ημᾶς ®) 
ζῆν, πίστεως ὃ καὶ ἀγάπης, ἧς οὐδὲν προκέκριται, τὸ δὲ κυ- 
ριώτερον ᾿Ιησοῦ καὶ πατρός. .. — a) Ich nehme ernstlich An- 
stoss an dem adw τὰς ἐκκλησίας αἱ G? L! 12 A. Ein Lobge- 
sang, dessen Gegenstand die Gemeinden wären, ist keiner der 
ignatianischen Briefe, und doch soll die Abfassung des Briefs an 
die Magnesier, deren im vorhergehenden Satz gedacht ist, eben 
hierdurch motivirt oder doch erklärt werlen. Es lenkt ferner 
die Angabe dessen, was er gleichzeitig den Gemeinden zu wün- 
schen hat, entschieden von der” sonderbaren Vorstellung ab. 
Endlich beginnt c. 2 ganz im Ton einer Wiederaufnahme des 
καταξιωϑείς c. 1 mit ἐπεὶ οὖν ἠξιι ϑην ἰδεῖν ὑμᾶς διὰ “΄άμα 
τοῦ ἀξιοϑέου ὑμῶν ἐπισκόπου x. τ. λ.; und nachdem die hier- 
mit begonnene Periode anakoluthisch im "Sande verlaufen ist, wird 
sie endlich c. 6 wieder aufgenommen mit ἐπεὶ οὖν ἐν τοῖς 
προγεγραμμένοις προσώποις τὸ πᾶν πλῆϑος ἐϑεώρησα 
ἐν πίστει. καὶ ἠγάπησα, παραινῶ x. τ. A. Es folgt kein Loblied, 
sondern eine Ermahnung. In jeder Hinsicht ist also ad ὦ bedenk- 
lich und ἴδω oder vielmehr, da es von χαταξιωϑείς abhängen 

ınuss, ἰδεῖν geboten. Hatte man einmal daraus ein Complement 
des in c. 1 unvollendet bleibenden Satzes gemacht (20), so 
musste dem χαταξιωϑείς durch Tilgung des διά vor ὀνόματος 
die nöthige Näherbestimmung gegeben werden. Das ὄνομα Yen- 
πρεπέστατον (cf. ad Pol. 8; Sm. 13 = πρύσωπον ad Pol. 1; 
Mgn. 6) durch dessen Vermittlung Ignatius die Gemeinde von 


570 


Magnesia gesehn hat, ist zunächst der „gotteswärdigste“ (Sm. 12; 
ad Pol. 7) Damas (cf. Eph. 1), neben ihm die Presbyter Bassus 
und Apollenius, der Diakonus Zotion. Kurasıovv.construirt Igna- 
tius auch Rom. 2 mit dem blossen Infinitiv, wie ἐπιτυχεῖν 
Eph. 1. — b) So L! („ad nos semper vivere“ Uss., p. 202; 
Adnot., p. 14, also Montac., während Caj. vos hat). Mit ad c. 
inf. übersetzt L! oft das finale τοῦ c. infin., z. B. Mgn. 8; ad 
Pol. 8. Er verstand also: „damit wir immer leben“. Die Les- 
art ἡμῶν α' A setzt voraus, dass τὸ ζῆν völlig = ἡ ζωή und 
Apposition zu I. Xo. sei (ef. Eph. 3. 11. 17; Tr. 9; Sm. 4). 
Aber die Parallelen zeigen, dass dann ein adjectivisches Attribut, 
nicht ein adverbielles wie διαπαντός wenigstens ignatianisch wäre. 
Anstatt sich durch jene scheinbaren Parallelen irre leiten zu 
lassen, hätten die Abschreiber Eph. 20 vergleichen sollen: ὃς 
ἐστι φάρμακον ἀϑανασίας, ἀντίδοτος τοῦ μὴ ἀποθανεῖν ἀλλὰ 
ζῆν ἐν Ἰησοῦ Χριστῷ δι απαντός. Schönes Griechisch ist 
das auch nicht. Der Gedanke unserer Stelle ist: Damit wir 
ewig leben, bedürfen wir der. Einigung mit Fleisch und Geist 
Christi. . Genau ist er damit nicht wiedergegeben; denn offen- 
bar hat ἕνωσις eine doppelte Beziehung, Einigung der Christen 
untereinander und Einigung mit Fleisch und Geist. Erstere 
ist mit der letzteren gegeben (Phil. 4. 8 9). Die zu 
einigenden Gegensätze sind natürlich in diesem ersten Paar 
„Fleisch und Geist“ nicht verbunden, so dann auch nicht in 
dem zweiten „Glauben und’ Liebe“, sondern diejenigen Stücke, 
in Bezug auf welche und in welchen die Christen einig sein 
sollen. — c) So L!, während A es weglässt, αἱ re ‚dafür setzt. 
Einigung im Glauben ist Einigung in der Liebe. Der Ausdruck 
dafür ist durchaus ignatianisch (vgl. oben S. 349, Anm. 3ff.); und 
nur so schliesst sich der auf ἀγάπη allein bezügliche Relativsatz 
natürlich an. 


22. Mgn. 6. Im Widerspruch mit den lateinischen und 
griechischen Zeugen — zu letzteren gehört natürlich auch Sev. 
‘Antioch., p. 213, 13 — ist nach Sfr. 197, 2dsq. und 
A zweimal εἷς τύπον statt εἰς τόπον zu schreiben. Curetons 
Einfall, dass in jenem Fragment {asal nicht, wie in der Peschittho 
immer (1 Kor. 10, 6. 11; 2 Thess. 3, 9; 1 Petr. 2, 21 u. 3, 21; 
Joh. 13, 15) Vorbild oder Abbild bedeute, sondern ein τόπος 
ersetze, bedarf wohl keiner Widerlegung. Dass dasselbe Frag- 
ment p. 200, 3 am Schluss des Kapitels ein drittes εἰς τύπον 
nicht - wieder ebenso, sondern durch (aui# übersetzt, ist bei 
diesem Uebersetzer nicht äuffällig (s. oben 8. 194f.), da τύπος 


Ὅ71 


hier etwas andere Bedeutung hat, und die 'Erinnerung an 2 ‘Im. 
1, 13 nahe lag. Gerade der Vorblick auf das dritte εἷς τύπον 
liess die beiden ersten unpassend erscheinen. Dort heisst es 
„zam Vorbild [für ‘die Gemeinde]“ vgl. 1Petr. 5, 3; an den 
beiden ersten Stellen hat es die ebenso zulässige Bedeutung des 
Abdrucks, Abbilds (vgl. Barnabas ὁ. 19: ὑποταγήσῃ κυρίοις ὡς 
τύπῳ ϑεοῦ). Nicht an der Stelle Gottes, des allgemeinen un- 
sichtbaren "Bischofs (Mgn. 3; Rom. 9; Sm. 8; 'Eph. 3), der ja 
nieht abgesetzt ist, sondern -als irdisches Abbild Gottes führt der 
Bischof den ‘Vorsitz in der Gemeinde, wie das Presbyterium als 
Abbild des Apostelcollegiums. — So ist auch Tr. 3 zu ‚lesen 
ὡς καὶ τὸν ἐπίσκοπον, ὄντα τύπον τοῦ πατρύς. So conjicirte 
schon Cotelier nach 63 1,3 statt des υἱόν 6΄. Völlig bestätigt 
wird dies durch ‘Sfr. 198, :10, indireet auch durch 'A "(ms Her 
πατέρω und \Antioch. ‘Monachus, 'homil. 124 (ὡς 'τὸν πατέρα). 
-Der künstlich zurechtgelegte Text des L! ist überdies sinnlos; 
denn eine Wergleichung erst der Diakonen mit dem Gebote 
‘Christi, dann :des Bischofs mit Christus selbst ist ebenso un- 
gehörig, als die Bezeichnung des Bischofs als Sohnes des 
"Vaters. 


'23. “Frall. 2. «Δεῖ δὲ καὶ τοὺς διακόνους ὄντας μυστη- 
οίων ᾿Ιησοῦ Χριστὸῦ χατὰ πάντα τρύπον πᾶσιν ἀρέσκειν. Die 
mediceische ‘Handschrift verwechselt oft ὦ und o, ‘daher kein 
-Grund, gegen 'L! G? (L? hat in ministerium) an μυστήριον fest- 
zuhalten, was -keinen Sinn gibt, wenn man nicht wie Arndt 
(Handschrift) ihm den Sinn „Bild, Gleichnis“ zu geben wagt. 
‘Die orientalische’ Umschreibung: „die Diakonen, welche‘ Söhne des 
- Geheimnisses Ohristi sind“ (Sfr..198, 8 A), setzt auch einen Genitiv, 
vielleicht den des Singulars, voraus. Zu übersetzen ist (vgl. 
-Bons. Π, 71): „Es müssen aber auch diejenigen, welche Diener 
der Geheimnisse Jesu Christi sind“ u. s. w. So ist also ὄντας 
-nicht überflüssig, und ein zweites διακόνους nicht erforderlich. 
'Eiher- möchte die Frage entstehen, ob nicht mit Antioch. Mon., 
hom. .124, der'hier wie oft zusammenzieht, dies noch auf die 
-Presbyter [und den Bischof] zu beziehen ist, so dass mit de. . καί 
‘der UVebergang von der Pflicht der Gemeindeglieder gegen die 
‘Vorsteher zu den Pflichten dieser gemacht würde -Mit dem 
ὁμοίως ὁ. 3 würde dann wieder zur Pflicht des Respects gegen 
die“Vorsteher zurückgekehrt. Unmöglich ist diese Fassung, zu 
welcher die Satzverbindung verlocken möchte, und über die man 
sich seit- Voss, S. 286 sehr mit Unrecht gewundert hat; un- 
"möglioh ist sie dennoch zumal bei richtiger Textgestaltung in 
c. 3:init. (8. vorigen Anhang). Es wird der Respect zunächst nur 


572 


gegen die Diakonen in Parallele gestellt mit der untadeligen 
Amtsführung derselben, welche also auch c. 2 fin. gemeint sind. 


24. Trall. 3. Ueber den Anfang 8. vorhin Nr. 22. Der . 
Schluss ist seit Salmasius Gegenstand fleissiger Conjecturalkritik. Ich 
bemerke nur, dass Arndt (Handschrift) nur ἑαυτοῦ statt ἑαυτόν αἱ 
änderte und so übersetzte: „... welchen, achte ich, auch die Un- 
göttlichen scheuen, welche es gerne sehen, dass ich meiner nicht 
schone (d. h. dass ich zum Martyrium hingehe). Sollte ich, da ich 
hierüber schreiben konnte, es so gemeint haben, dass ich, ob- 
schon ein Verurtheilter, als ein Apostel euch vorschreibe?“ 
Die Vergleichung der übrigen Zeugen gestattet, kühner zu bessern: 
ὃν (Πολύβιον) λογίζομαι καὶ τοὺς ἀϑέους ἐντρέπεσϑαι. Ayanav 
ὑμᾶς 5") φείδομαι συντονώτερον Ὁ) γράφειν καίπερ δυνάμενος 5). 
Οὐκ εἰς τοῦτο φήϑην, ἵνα ὧν κατάκριτος ὡς ἀπόστολος ὑμῖν 
διατάσσωμαι. — a) So A 65 L? Pears. II, 141 u. A., ayanwr- 
τας ws G! L! Pears. II, 51 u. A. — b) So 65 L? (frequentius) 
A (vehementer) Pears. II, 141; III, 51, ἑαυτὸν πότερον Οἱ (L! 
ipsum aliqualem). — c) γράφειν (oder ἐπιστεῖλαε G?) gleich 
hinter συντονώτερον A G? 1,2, während G! L! δυνάμενος vorge- 
schoben haben, wodurch dann das aller Näherbestimmung er- 
mangelnde γράφειν einer Ergänzung vollends bedürftig erschien. 
Man machte aus χαίπερ οὐκ ein ὑπὲρ τούτου. Die Negation 
war überdies unbrauchbar, nachdem man durch πότερον eine Frage 
geschaffen hatte. Fraglich wäre vielleicht auch, ob das δεδεμένος 
ΟΣ nicht statt δυνάμενος zu schreiben wäre. Ein Vorblick auf 
ὁ. 5 init. konnte Letzteres einschwärzen. — Wie in dem ganzen 
mit ἀγαπῶν ὑμᾶς eröffneten Stück bis στραγγαλωϑῆτε c. 5 
folgen sich lauter kurze Sätze. G! hat sie hier zu einer unver- 
ständlichen Periode zusammengeschüttelt. Ich übersetze so: „In 
Liebe zu euch (vgl. Phil. 5) erspare ich’s mir, in meinem Schrei- 
ben einen höheren (schärferen) Ton anzuschlagen, obwohl ichs ver- 
möchte (oder gebunden bin). Nicht soweit habe ich mich ver- 
stiegen, dass ich, der ich ein Verurtheilter bin, wie ein Apostel 
euch Verordnungen gebe.“ Das συντονώτερον verstand G? selbst 
unrichtig, wie seine Erweiterung zeigt, als ob es „kürzer“ (ovr- 
τομώτερον) hiesse. „Bascher“ könnte es heissen, aber das passt 
nicht in den Gedankengang des Interpolators. Der wirkliche 
Sinn „energischer, strenger‘ ergibt sich aus der Stimmung, in 
welcher er gerade an diese Gemeinde schreibt. Die Deutung des 
Worts geben c. 4. 5. 


25. Trall. 4. Οἱ γὰρ λέγοντες μοι μαστιγοῦσίν με. Die 
Conjectur μὲ statt wor (Voss, p. 287) ist ebenso überflüssig, als 


573 


die Ergänzung eines anderen Accusativs (Nolte bei Hefele καλά 
statt γάρ, während letzteres doch durch alle Zeugen verbürgt 
ist αἴ L!S @ L? Maxim. Conf., Parall. Vat. p. 522 C) oder 
einer directen Rede wie μάρτυς (Buns. I, 121). Die Aenderungen 
“von αΣ (οἱ γάρ μὲ ἐπαινοῦντες) und Scur. (τοιαῦτα) richten sich 
selbst. Ignatius liebt es sehr, seinen Lesern etwas zu denken 
zu gebeu. Vgl. die Menge ergänzungsbedürftiger Verba Rom. 8, 
besonders aber das λέγω Rom. 3, das nicht aus dem Vorigen 
oder Folgenden, sondern aus der Lage der Dinge erklärt 
sein will. 


26. Trall. ὅ. Καὶ γὰρ ἐγὼ οὐ καϑύτι δέδεμαι καὶ δύ- 
γαμαι νοεῖν "), τὰ ἐπουράνια καὶ τὰς τοποϑεσίας, τὰς ἀγγελικάς 
καὶ τὰς συστάσεις τὰς ἀρχοντικὰς, ὁρατά τε καὶ ἀόρατα Ὁ), παρὰ 
τοῦτο ἤδη καὶ μαϑητής εἶμι" πολλὰ γὰρ ἡμῖν λείπει, ἵνα ϑεοῦ 
un λειπώμεθϑα. — a) So 65 L? Scur. Sfr. 198, 14 A Sever. 
Antioch. Cur. 217, 7 (cf. Land, anecd. I, 32), δυνάμενος αἱ, 
δυνάμενος νοεῖν L!. — Ὁ) Vor παρὰ τοῦτο stark zu interpungi- 
ren, wie jetzt fast allgemein geschieht (auch Baur Π, 581 ἔ; 
Uhlh., 8. 60), und καὶ δύναμαι als Nachsatz zu χκαϑότι zu 
fassen, ist in jeder Hinsicht unmöglich. Erstlich würde Ignatius 
hiermit leugnen, dass er τὰ ἐπουράνια erkenne, während er un- 
mittelbar vorher behauptet hatte, er könnte wohl von solchen 
Dingen schreiben, unterlasse es aber, um seinen Lesern nicht zu 
schaden. Sodann würde er als Folge seines vermeintlichen Un- 
vermögens zu solcher Erkenntnis das hinstellen, dass er auch 
bereits Jünger sei, und dies sollte dann, als ob es hiesse, er 
sei noch ein Schüler, dadurch begründet werden, dass ihm noch 
viel fehle! Dass in einem positiven Satz ἤδη nicht „noch“ 
heissen kann, und παρὰ τοῦτο nicht „in diesem Stück“ (Uhlh,, 
S. 60), versteht sich. Die Bedeutung des Letzteren ersieht man 
aus Rom. 5. Es braucht daher kaum erinnert zu werden, dass 
“ Ignatius sich eben nicht als μαϑητῆς fühlt, sondern erst anfängt 
es zu sein und durch den Tod es wahrhaft zu werden hofft 
(vgl. oben S. 406). Es ist also mit allen alten Uebersetzungen, 
wenn man sie nur richtig versteht (s. über den Uebersetzer des 
Severus oben $. 204f.), auch mit dem Interpolator, welcher den 
allzu lang gerathenen Vordersatz durch ταῦτα γινώσκων wieder 
aufnimmt, der Nachsatz erst mit παρὰ τοῦτο zu beginnen. Weder 
dass er als Märtyrer gefesselt ist, noch dass er von himmlischen 
Geheimnissen zu reden weiss, macht ihn schon zu einem Jünger 
in seinem Sinn des Wort. Durch x«i γὰρ ἐγώ wird dieser 
Satz passend angeschlossen an die Erwähnung des unentwickelten 
Zustands der Trallianer. So kann er, ohne sie zu beleidigen 


574 ‚ 

reden, denn auch er selbst ist sich seiner grossen Unvellkommen- 
heit bewusst. Passend fasst er sich darum auch schliesslich mit 
den Lesern zusammen: „denn Vieles fehlt uns, damit wir [der 
Hülfe] Gottes nicht entrathen‘“. So und nicht, als- ob. es hiesse 
ὑπὸ ϑεοῦ μὴ καταλιπώμεϑα, ist nach bekanntem Gebrauch von 
λείπεσϑαί τινος zu übersetzen. Arndt (Handschrift), mit dem 
ich mich wesentlicher Tebereinstimmung erfreue, übersetzt: 
„Gottes nicht verfehlen“. Es ist ällerdings das Gegentheil. des 
ϑεοῦ ἐπιτυχεῖν. 


27. Trall. 6. Es ist da schwer zu rathen; aber zur 
Verhütung unbrauchbarer Besserungen.mögen die wirklichen Zeugen, 
zu welchen hier ΟΣ nicht gehört, dastehn. G!: αἵρεσις " οἱ καιροὶ 
παρεμπλέκουσιν Ἰησοῦν Χριστὸμ κατ΄ ἀξίαν πιστευάμενοι. -- 
Li: αἵρεσις, 7 καὶ μιαροῖς παρεμπλέκει Ἰησοῦν Χριστό». Das 
UVebrige fehlt. — Sfr. 193, 18 (cf. A): αἵρεσις. οἱ ἑαυτοὺς 
παρεμπλέκουσιν Ἰησοῦ Χριατῷ, ἃ iva πιστεύωνται (Ὁ). — Parall. 
Rupef., pn. 772: αἵρεσις᾽ καὶ παρεμπλέκουσιμ Ἰησηωῦν Χριστὸν 
καταξιοπιστευάμενοι. Das dem. L! anstössige Particip wird bei 
Parall. Rupef. richtig bewahrt sein, vielleicht lag es doch auch 
in futurischer Form den ÖOrientalen vor. „In feindlicher Weise 
seinen. moralischen Credit misbrauchen “ heisst χαταξιοπαστεώεσϑιμ 
auch wohl Polyb. ΧΙ], 17, 1. Im Uebrigen haben S A durch 
Umdrehung der Objeote den Satz wohl nur mechanisch der fol- 
genden Vergleichung asccommodirt, in welcher das den Irrlehrern 
entsprechende ϑαγάσιμον φάρμακον im Accus. steht. Sachlich 
angemessener ist es als das Beigemischte Christus, christliche 
Wahrheit und Rede, zu verstehen. Cf. Clem. strom. I, p. 325 
Pott. 


28. Trall. 10 fin. “ωρεὼν οὖν ἀποϑνήσχω᾽ ἄρα οὖν 
καταψεύδομαι τοῦ κυρίοῳ: Ein ἄρα οὐ (G! 1,1) ist jedenfalls 
unleidlich, mag man es fragand. oder behauptend fassen. In 
ersterem Fall wäre ebenso wie bei der Schreibung ἄρα ou eine 
bejahende Antwort: vorbereitet, und zwar eine exnstliche Bejahung, 
während Ignatius nur in ironischem Sinn sagen kann: „Ich lüge 
gegen den Herm.“ Dem wird nicht abgeholfen, wenn man anch 
die. voranstehende Folgerung fragend fasst Fasst man beide 
behanptend und liest doch οὐ, 80 ergibt sich der unleidliche 
Widerspruch zwisehen der Ironie des ersten und der ernstlichen 
Meinung des zweiten Satzes. Der oben angenommene Vorschlag 
von Voss, S. 289 wird bestätigt durch A und, was besonders 
wichtig ist, durch Severus Antioch., p. 214, 7, welche keine 
Negation anerkennen. Der Uebersetzer des Severus sucht nur 


575 
den Unterschied von ἄρα und’ ἄρα οὖν irgendwie wiederzugeben. 


Die Verwirrung in Sfr. 200, 19 für den gleichen Text zu ver- 
wenden, wäre zu umständlich. 


29. Philad. ὅ. M'n προσευχὴ ὑμῶν εἷς ϑεύν μὲ 
ἀπαρτίσει, | ἵνα ἐν ᾧ κλήρῳ ἡλεήϑην ἐπιτύχω, προσφυγὼν τῷ Evay- 
γελίῳ ὡς σαρχὶ ᾿ησοῦ καὶ τοῖς ἀποστύλοις ὡς πρεσβυτερίῳ 
ἐκκλησίας. Ein προσφύγωμεν, welches Pears. III, 48 vorschlug, 
würde den Zusammenhang zerstören. Zu ἐπιτύχω kann προσφυγών 
freilich nicht gehören; denn nicht erst in der Zukunft hofft 
Ignatinus bei Evangelium und Aposteln Zuflucht zu: finden, son- 
dern er hat sich dahin geflüchtet, indem er sich glaubend dem 
Evangelium und den Aposteln zuwandte, damals als ihm Er- 
barmung widerfuhr, und ihm zugleich sein besonderes Loos zu 
Theil wurde. Es gehört in diesem ziemlich verschränkten Satze 
προσφυγών τὰ ἠλεήϑην. In dem προσφυγεῖν vollzog sich das 
ἐλεηϑῆναι. — Auch Lessing hätte besser gethan, bei seiner 
Frage stehn zu bleiben (WW., Ausg. v. Maltzahn XI, B, 190), 
als eine radıcale Textänderung vorzuschlagen, für welche er ver- 
geblich auf den Beifall aller Unbefangenen gerechnet hat (XI, 
B, 197 £.). 


80. Sm. 1... . χαϑηλωμένον ὑπὲρ ἡμῶν. ἐν σαρκὶ — ἀφ᾽ 
οὗ καρποῦ ἡμεῖς ἀπὸ τοῦ ϑεομακαρίτου αὐτοῦ πάϑους --- ἵνα 
ἄρῃ σύσσημον εἷς τοὺς αἰῶνας x. τ. λ.; 8. oben 8. 429, Anm. 2. 
An dem etwas dunkel stilisirten, namentlich‘ durch Sever. Antioch., 
p. 214 bestätigten mediceischen Text ist nichte zu ändern. Der 
von τὸν χύριον ἡμῶν... καϑηλωμέναν abhängige parenthetische 
᾿ Relativsatz bezeichnet die Christen nicht eben als Frucht des 
Kreuzes (Pears. II, 11). Ein ἐν σταυρῷ hat nur A para- 
phrastisch zugesetzt. Richtig übersetzt der Uebersetzer des 
Severus: „von dessen Früchten wir sind“ Wir gehören zur 
Frucht Christi, zum Ertrag seiner Arbeit, und zwar von seinem 
gottseligen Leiden her, in Folge desselben. Einfacher wäre der 
Gedanke auszudrücken gewesen: die Christen sind die Frucht des 
Leidens und Sterbens Christi. Statt ϑεομακαρίτου bieten L! αΣ 
ϑεομακαρίστου; aber 88 auf μακαρίζω zurückgehende μακαριστός 
passt nicht zu 9ε0-, sondern etwas zu ἀξιο- Eph. 12; 
Rom. 10. Auch am Schluss des $atzes ist nichts zu ändern. 
Das Feldzeichen, welches Christus in der Richtung auf die Welten 
(vgl. Eph. 19) oder, wie es appositionsweise nachher heisst, in 
der Richtung auf seine Heiligen und Gläubigen, seine Gemeinde 
aus allen Völkern erhoben hat, ist das Kreuz. Vgl. Jes. 5, 26; 
49, 22; 62, 10. Justin. dial. 26, zum Ausdruck auch Lucian. 


576 


ver. hist. I, 17. Um dies Feldzeichen, welches Christus durch sein 
Aüferstehung zu einem Sammelpunct der. Völker gemacht hat, 
sammeln sich Juden und Heiden, sofern sie gläubig werden, und 
bilden eben dadurch den einen Leib seiner Gemeinde. 


31. ad Pol. 2. Ὁ xugos ἀπαιτεῖ σε, ὡς κυβερνῆται 
ἀνέμους καὶ ὡς χειμαζόμενος λιμένα, εἰς τὸ ϑεοῦ ἐπιτυχεῖν. 
Dieser Text des αἱ wird durch L! bestätigt, wenn man nur das 
gubernares in Usshers Druckfehlerverzeichnis, p. 241 wieder für 
einen Druckfehler statt gubernatores nehmen Jdarf, wie schon Voss, 
5. 267 forderte. Aus Smiths und Jakobsons Schweigen darf 
man wohl schliessen, dass Caj. wirklich so geschrieben hat. Ohne 
Frage ist auch nach Pears. III, 26 „ad (statt @) Deo potiendum“ 
zu lesen, was dann wörtliche Uebersetzung des αἱ ist. ΟἿ ὁ. 8 
„ad eundum in Syriam“. Die Aenderung κυβερνήτης, zuletzt von 
Merx (p. 67) gebilligt, kann nicht durch S empfohlen werden, der 
sich wie viele Andere nicht in die Stelle zu finden wusste. Die 
an sich verdächtige Assimilirung an den folgenden Singular kann 
sogar erst im syrischen Text durch Entfernung eines Ribbui be- 
werkstelligt sein. Sachlich angemessener ist der Plural; denn 
der einzelne Steuermann begnügt sich bekanntlich mit einem 
Winde. An dem Plural ἀνέμους hat der Plural κυβερνῆται seine 
Stütze. Natürlich ist es nicht Polykarp, welcher seiner selbst 
bedarf (so S), um sein Ziel bei Gott zu erreichen, sondern die 
personificirte Zeit. Dieser Gebrauch von καιρός gerade in solcher 
Verbindung ist bei den Griechen aller Zeiten so geläufig, dass 
mir Bunsens Anstoss (I, 35) nicht verständlich ist. Vgl. sogar 
jüdischen Sprachgebrauch bei Levy, Lex. chald. II, 51. Weg- 
lassung des Artikels, den Bunsen verdächtig findet, wäre mehr 
poetisch. Cf. Sophoel. Philoct. 466: καιρὸς γὰρ καλεῖ, dagegen 
Lucian. πλοῖον 11: ὅταν ὃ καιρὸς καλῇ oder Ζεῦς τραγ.-. 15: 
ὁ μὲν οὖν παρὼν καιρὸς ὦ ϑεοὶ μονονούχε, λέγει φωνὴν ἀφιείς, 
oder Hippol. refut. V, 6: προκαλεῖται ἡμᾶς ὁ χρόνος. Auch 
ἀπαιτεῖν mit einfachem Accus. ist in diesem Sinn gebräuchlich 
(cf. Clem. strom. II, 429). Eigenthümlich ist hier nur, aber auch 
völlig unanstössig, dass ὁ χαιρός, ähnlich wie aetas, saeculum 
oft, die Menschen dieser Zeit bedeutet. 


32. ad Pol. >. Ei τις δύναται ἐν ἁγνείᾳ μένειν εἷς τι- 
μὴν τῆς σαρκὸς τοῦ κυρίου, ἐν ἀκαυχησίᾳ μένέέω. Nur G! 
bietet τοῦ κυρίου τῆς σαρκύς gegen L! G? L? S A. Dass deren 
Lesart keinen Sinn gebe, hätte Voss S. 269 wahrscheinlich nicht 
gesagt, wenn er Tert. de monog. 11 gelesen hätte: „verebantur, 
ne non liceret eis matrimonio suo exinde uti, quia in carnem 


577 


sanctam Christi credidissent‘‘ Bunsen (I, 38) findet den Ge- 
danken falsch nystisch und erfindet ohne Noth: ἐν ἁγνείᾳ μένειν 
τῆς σαρκὸς εἷς τιμὴν τοῦ κυρίου Der Begriff der ἅγνεια bedarf 
dieser Vervollständigung nicht (Clem. ad Corinth. I, 21; Herm. 
mand. IV, 1. p. 40, 5), wenn er sie auch erträgt (Clem. ad 
Corinth. I, 38). Der Gedanke, dem Fleisch und dem irdischen 
Wandel Christi zu Ehren gerade ehelos zu bleiben, ergibt sich 
meines Erachtens ebenso natürlich aus der Vorbildlichkeit des 
ehelosen Christus, als der Gedanke einer Nachahmung der frei- 
willigen Armuth Christi. — Im folgenden Satz haben ΟΣ S A 
πλήν statt πλέον τοῦ Enıoxonov, was natürlich nicht wie noch 
Merx p. 11 thut, übersetzt werden darf wie ein ὑφ᾽ ἑτέρου 
πλὴν Tor ἐπισχύπου. Es gibt aber überhaupt keinen Sinn; denn 
der einzig denkbare: „unabhängig vom Bischof, ohne dessen 
Wissen und Zustimmung“ erfordert χωρίς oder allenfalls ἄνευ 
statt πλήν. Und auch dann wäre noch erst zu zeigen, was denn 
ein Ehelosbleiben „ohne Rücksicht auf den Bischof“ eigentlich 
bedeute. 


33. ad Pol. Sextr. ... ἐν ᾧ διαμείνητε ἐν ἐνότητι 
Feov καὶ ἐπισκοπῇ. So G! (ἐπισκοπὴ) L! und wie es scheint 
alle Handschriften von ΟΣ ausser 1 und h (hier aber corrigirt), 
welche mit A ἐπισχύπου bieten. Wenn Uss. Cler. II, 94 und 
Smith, schol., p. 70 auch a für ἐπισχόπου anführen, so ist das 
ein durch nichts begründetes Versehen. Die ed. dilling. bietet 
ἐπισχοπῆ. Dass aber διαμένειν ἐν &nıoxonn nicht heisst „in der 
Abhängigkeit vom Bischof“ verharren (Rothe, S. 463), versteht 
sich von selbst. Es ist ϑεοῦ von vorher zu ergänzen. 


ll. Sachliches. 


1. Zu S. %2. Eine Abhängigkeit von Geschichte und 
Briefen des Ignatius ist nirgendwo angedeutet, wo vor Abfassung 
des m. colb. der später in seinen Namen ϑεοφόρος gelegte Ge- 
danke ausgedrückt wird. Nach gnostischen Anregungen (excerpt. 


Zahn, Ignatius, 37 


578 


Theod., 8 27 bei Clem. Al. ed. Pott., p. 976) nennt Clemens 
Alex. (strom. VII, p. 882; cf. VT, p. 792) den wahren Gnostiker 
ϑεοφορῶν καὶ ϑεοφορούμενος, was als Uebersetzung von 9ε0- 
φόρος einerseits und ϑεόφορος andrerseits gelten kann. Das 
Erstere ist aber das Gewöhnlichere (cf. Iren. II, 16, 3: por- 
tante homine et capiente et complectente fillum Dei; V, 8, 1: 
paullatim assuescentes capere et portare Deum). Bei den 
Lateinern wurde die Vorstellung begünstigt durch die Lesart von 
1Kor. 6, 20: clarificate et portate Denm in corpore vestro 
Cypr. test. IH, 11; sehr gebräuchlich war sie aber auch bei den 
Griechen (cf. Pears. II, 144 sq.; Suicer. thes. I, 1391 sq.; 
Il, 1560), aber ohne irgend welche Einschränkung auch nur auf 
die Märtyrer, welche man ja daraus nicht erschliessen darf, 
dass der Bischof Phileas von Thmuis unter Diocletian von 
χριστοφύροι μάρτυρες redet Eus. ἢ. 6. ΥἼΠ, 10, 3. Weder der 
alte Ignatius (Eph. 9), noch Pseudoignatius (Mgn. 3; Sm. 12; 
ad Mar. inscr.) lassen irgend welche nicht in den Worten χριστο- 
φύρος oder ϑεοφόρος selbst liegende Einschränkung ihres Ge- 
brauchs erkennen. 

2, Zu ΚΝ 135. Die Schrift de synod. Arim. et Seleuc. 
unter den Werken des Athanasius (ed. Montfaucon I, 2, 716 844.) 
haben die Freunde des syrischen Ignatius aus der Reihe der älteren 
Zeugnisse für den Text der Sammlung U zu streichen versucht, und 
zwar Cureton (introd., p. 68 sq.) so, dass er das ganze’ Werk dem 
Athanasius absprach, Lipsius (II, 21) so, dass er nur den Abschnitt, 
in welchem das ignatianische Citat sich findet, für ein späteres 
Einschiebsel erklärte, gestützt auf die von Mentfaucon und vor 
diesem von Anderen gemachte Beobachtung, dass die beiden 
Kapitel 30 und 31 dieser Schrift, von p. 746 E an, Thatsachen 
erwähnen, welche der Abfassungszeit der Schrift (359) erst folgen. 
Schade nur, dass das Citat aus Ignatius sich gar nicht in diesem 
fraglichen Abschnitt, sondern erst in c. 47, p. 761 A befindet. 
Der „diplomatischen Kritik“ konnte dies nur entgehn, wenn sie 
die Urkunden gar nicht ansah. Was aber die durchgreifendere 
Kritik Curetons anlangt, so ist nicht abzusehn, wie die chrono- 
logische Incongruenz jenes Abschnitts die Aechtheit des Werks 
im übrigen anfechten helfen soll. Dass die Schrift, wenn nicht 
von Athanasius, dann von einem Zeitgenossen desselben und der 
in der Schrift besprochenen Ereignisse herrührt, kann ja kein 
Vernünftiger bezweifeln. Bei jedem anderen Verfasser aus jener 
Zeit aber wäre jenes Stück ebenso auffällig als bei Athanasius. 
Es könnte sich also nur fragen, von wem das mindestens zwei 
Jahre jüngere Stück eingeschoben sei, oh vom Verfasser selbst, 


679 


nem Anderen. Für uns ist das völlig gleichgültig; aber 
ons Vermuthung, dass der Verfasser selbst die Ein- 
‘orgenommen, ist die einzig natürliche, da ein Späterer 
:ler besonderen Tendenz freien Nachtrag einfach an- 
te, wie der Verfasser selbst es ausgesprochener 
ı Actenstücken in c. 55, p. 767 F saqq. gemacht 
mag dem sein, wie ihm wolle, die Schrift im übrigen 
.anasıus abzusprechen, besteht nicht der mindeste Grund. 
. Cave’s von Cureton wieder geltend gemachtes Bedenken, 
„ss hier ὁ. 17 dem Eusebius eine Lehre nachgesagt werde, die 
dieser nicht geführt habe, scheitert ja einfach daran, dass hier 
ein Sendschreiben Eusebs citirt wird, worin sie ausgesprochen 
war. Und gerade die Lehre, dass Gott der Vater der μόνος ἀλη- 
ϑινὸς ϑεύς auch im Gegensatz zum Sohne sei, ist Grunddogma 
der Partei, welcher Euseb anheimgefallen war, und wurde von 
Euseb bekannt (vgl. meine Schrift über Marcellus, δ. 37f. vgl. 
17). Curetons Bedenken endlich gegen die Art der Ausein- 
andersetzung in c. 47 aus Anlass des ignatianischen Worts be- 
ruhen auf so völliger Unkenntnis der damaligen Parteistellungen 
und ebensolchem Misverständnis des Sinns, in welchem Aths- 
nasius nach seiner bekannten Weise die Aeusserung eines ehr- ᾿ς 
würdigen Schriftstellers ältester Zeit zurechtlegt, ohne sich dessen 
Ausdrucksweise anzueignen, als dass mir eine Widerlegung schick- 
lich schiene. Gesetzt aber, Athanasius hätte die Schrift nicht 
geschrieben, so verliert das in derselben enthaltene Zeugnis für 
Ignatius kaum etwas an Gewicht; denn auf einen bedeutenderen 
Nicäner aus der Zeit des Athanasius geht es auf alle Fälle 
zurück, und Lipsius müsste wenigstens erst begreiflich machen, 
aus welchen Anlässen dies historische Sendschreiben zu Theodorets 
Zeit oder noch”später hätte entstehen können, ehe er behauptete, 
dass in der Zeit zwischen Euseb und Theodoret niemand den 
Text der dem Husebius vorliegenden Recension citirt habe 
(s. I, 15). Vgl. oben 85. 512. 


3. Zu S. 245. Ein eigenthümlicher Zug zur Charakteristik 
der damaligen Verfolgung darf vielleicht den Worten entnommen 
werden: ὅτε εἰρηνεύουσιν χαὶ ἀπέλαβον τὸ ἴδιον μέγεθος καὶ 
ἀπεχατεστάϑη -αὐτοῖς τὸ ἴδιον σωματεῖον Sm. 11. Dressel fragt: 
an intelligendum sit corpusculum seu collegium presbyterorum, 
an ipsa Christianorum grex persecutionis procella dissipata. Für 
lsetzteres entscheidet sich die gewöhnliche Auslegung, und den 
Vorzug vor Ersterem verdient es jedenfalls. Aber Jeder muss 
die Unangemessenheit des Ausdrucks empfinden, welche Nirschls 
Uebersetzung nackt hervortreten lässt: „dass sie Frieden xe- 

37* 


580 


niessen, auch ihre eigene Grösse wieder erlangt haben, und 
dass ihnen ihr eigenes Körperchen wieder hergestellt 
worden ist“ An sich wäre es ja möglich, dass Ignatius die 
Einzelgemeinde als das verkleinerte Abbild des σώμα der Ge- 
sammtkirche (Sm. 1) einmal so deminutiv bezeichnete; aber dieser 
Gegensatz waltet hier nicht ob. Ebenso unnatürlich erscheint 
der Ausdruck, wenn an den Gegensatz der grossen heidnischen 
Bevölkerung Antiochiens gedacht wird. Ignatius stellt die jünge- 
ren und wahrscheinlich kleineren Gemeinden der asiatischen 
Grossstädte als πλῆϑος vor (Sm. 8; cf. Eph. 1; Tr. 1. 8). Aller- 
dings hat σωμάτιον — 80 schreibt hier ΟΣ — sowohl, wo es 
vom menschlichen Körper gebraucht wird (Eus. h. e. V, 1, 23; 
Tertull. ad uxor. II, 5: corpusculum tuum; σαρκίον mart. 
Polyc. 17; Tatian. or. 6. 15. 25; Clem. quis div., p. 954), als wo es 
„Collegium“ bedeutet (vgl. Jakobson zu Sm. 11) seine deminutive 
Bedeutung so ziemlich eingebüsst; aber ein Beleg für diese Be- 
zeichnung einer ganzen Gemeinde wäre doch sehr erwünscht, 
jedenfalls. erscheint sie neben μέγεϑος unerträglich. Es möchte 
daher σωμάτιον die sehr gewöhnliche Bedeutung haben, ohne die 
man auch die wichtige Stelle Iren. I, 9, 4 schwerlich richtig und 
contextgemäss erklären kann: „das eng anschliessende und den 
Körper nachbildende Gewand“. Dem bilderreichen Ignatius, der 
vom Hafen und vom Stadium, von der Musik und vom heidni- 
schen Gottesdienst, aus dem Soldatenleben und von’ tollen Hunden 
seine Bilder hernimmt, mochte dies kein unpassendes Bild für 
das gottesdienstliche Gebäude, das Versammlungshaus der Ge- 
meinde zu sein scheinen, zumal ihm die Gemeinde ein σώμα ist 
(Sm. 1; ef. Pol. ad Philipp. 11) und er es liebt, die Gemeinde 
als gottesdienstliche Versammlung vorzustellen. Der Zutritt zum 
Bethaus war den Christen in Antiochien eine Zeit lang verwehrt; 
jetzt ist es ihnen wieder eingeräumt worden (cf. Herm. sim. VI, 
p. 99, 31 und dazu meine Schrift über Hermas, S. 81). Auch 
τὸ ἴδιον μέγεθος wird schwerlich auf die Zahl der Gemeinde- 
glieder sich beziehn, denn keine der beiden Möglichkeiten em- 
pfiehlt sich, weder dass antiochenische Christen in beträchtlicher 
Zahl aus der Stadt geflüchtet und nun zurückgekehrt waren, 
noch, dass die durch Abfall und Martyrium entstandenen Lücken 
durch neue Bekehrungen ausgefüllt waren. Es wird vielmehr die 
der antiochenischen Gemeinde vordem eigene Herrlichkeit, ihr 
blühender Zustand, gemeint sein. Me&ys$og bei Ignatius (Eph. 


inser. cf. Rom. 3) ist (da3. 


4. Zu 8. 336. Wenn an der Auslegung von 1 Tim. 
5, 3—16 etwas gewiss ist, so ist es dies, dass damals nur ver- 


- 581 
wittwete Frauen in den Katalog der Wittwen eingetragen wurden 
(vgl. besonders Wiesinger, Pastoralbriefe, S. 520, gegen Baur). 
Andrerseits sehen wir auch, dass die verwittweten Frauen nicht 
ohne weiteres als „Wittwen“ eingetragen wurden, sondern erst 
dann, wenn sie keine Angehörigen mehr hatten, die für sie sorgen 
konnten, wenn sie 60 Jahre alt waren, und wenn eine Wieder- 
verheirathung nicht mehr zu fürchten war. Ich glaube, dass 
sowohl der Wortlaut als auch die Vergleichung der geschicht- 
lichen Entwicklung des Instituts es verbietet, zwischen V. 3—8 
und V. 9—16 in der Art zu scheiden, dass dort von den 
Wittwen die Rede wäre, welche auf Gemeindeunterstützung an- 
gewiesen waren, hier von den Wittwen, welche eine Art von 
Gemeindeamt und eine öffentlich anerkannte Ehrenstellung ein- 
nahmen. Exegetisch unthunlich erscheint diese Auffassung immer 
wieder deshalb, weil die eigentlich charakteristischen Züge sich 
in beiden Reihen finden. Der Gegensatz zwischen den ὄντως 
χῆραι und solchen, welche noch nicht völlig der zu ihrer Ver- 
sorgung verpflichteten Angehörigen beraubt sind, begegnet in 
V. 16 wie in V. 3 ff.; es muss also auch in V. 9—15 von Wittwen 
die Rede sein, deren Unterhalt der Gemeinde zur Last fällt. 
Andrerseits handelt es sich in V. 3—8 nicht nur um Unter- 
stützungsbedürftigkeit; denn Timotheus wird vor allem angewiesen, 
sie zu ehren, was doch nur dann eine ehrenvolle Versorgung 
und Unterstützung bedeuten könnte, wenn schon vorher von der 
Versorgungsbedürftigkeit dieser Wittwen etwas gesagt wäre. Gab 
es damals ausser den von der Gemeinde verpflegten ὄντως χῆραι 
oder innerhalb dieses weiteren Kreises einen engeren Kreis von 
amtlich bestellten Wittwen, so musste Timotheus V. 3 misver- 
stehn. Ferner ist bei allem Unterschied die Aehnlichkeit zwischen 
5, 4 und 3, 4 so unverkennbar, dass hier ebenso, wie dort für 
den Bischof, ein tadelloses häusliches Leben als Vorbedingung 
einer über das Haus hinausgreifonden Stellung und Wirksamkeit 
aufgestellt sein muss. Eine gewisse Undeutlichkeit entsteht nur 
dadurch, dass Paulus die Pflicht der Wittwe in Bezug auf ihr 
noch bestehendes Hauswesen und die Pflicht ihrer Angehörigen 
gegen sie unter ein einziges μανϑανέτωσαν zusammenfasst. Das 
τὸν ἴδιον οἶκον εὐσεβεῖν bezieht sich auf die Wittwen, das ἀμοιβὰς 
ἀποδιδόναι τοῖς προγόνοις auf deren Angehörige. Hätte er 
Letztere allein als Subject von μανϑανέτωσαν im Sinn, so würde er 
entweder den Vordersatz wie in V. 16 gebildet, oder wenigstens 
durch ein οὗτοι (ταῦτα) im Nachsatz angedeutet haben, dass das 
Object des Vordersatzes nun Subject sein solle. Endlich aber 
musste Paulus, je irreführender er in V. 3 geredet hatte, um so 
deutlicher den Uebergang zu einem ganz anderen Kreis von 


582 


Personen markiren, wenn er den Schein vermeiden wollte, als 
kehre er V. 9, nachdem er von den Pflichten der Angehörigen 
gegen die Wittwen gehandelt, wieder zu denselben Wittwen 
zurück, von welchen er V. 3. 5 geredet hatte. — Es gab also 
damals eine einzige Classe von ‚Wittwen“, welche einerseits von 
der Gemeinde ernährt wurden, andrerseits aber eine nicht näher 
angegebene Verwendung im Dienst der Gemeinde fanden und 
eine dem entsprechende Ehrenstellung einnahmen. In ersterer 
Hinsicht war eine förmliche Immatriculation ebenso nothwendig 
als in letzterer; und wenn es in dieser Hinsicht wünschenswerth 
war, dass die Wittwen ohne häusliche Pflichten und Neigungen 
seien, und wenn deshalb ausser einem Gelübde fernerer Ehelosig- 
keit (V. 12) auch noch das Alter von 60 Jahren als Bürgschaft 
dafür und die völlige Verlassenheit von Angehörigen gefordert 
wurde, so war damit zugleich dafür gesorgt, dass gerade die Be- 
dürftigsten die Wohlthat des Instituts genossen. Vereinzelte 
Unterstützung jüngerer oder weniger verlassener oder weniger 
sittlich tüchtiger Wittwen, welche vielleicht nicht weniger be- 
dürftig waren, war dadurch ebensowenig ausgeschlossen, als dass 
eine wohlhabende Wittwe trotz aller sonst erforderlichen Eigen- 
schaften auf Eintragung in den Wittwenkatalog verzichtete. Sie 
‘ gehörten dann zu den ὑστερούμενοι, deren in aller altkirchlichen 
Literatur häufig neben Wittwen und Waisen gedacht wird. — 
Die von den Auslegern der Pastoralbriefe so oft versuchte Unter- 
scheidung hält auch nicht Stich gegenüber den Nachrichten aus 
nachapostolischer und altkatholischer Zeit. Polykarp drückt 
Pflicht und Vortheil des Wittwenstandes durch ein einziges Wort 
aus (8. oben S. 333 f.), und lange Zeit gingen Ehrenstellung oder 
Amt und Versorgung durch die Gemeinde Hand in Hand. Wenn 
man bei erster Organisirung von Gemeinden neben den Geist- 
lichen die Wittwen nur im Sinn eines weiblichen Gemeindeamts 
erwähnt zu finden erwartet, erscheinen sie doch mit den Waisen 
verbunden, also als Object kirchlicher Wohlthätigkeit (Clem. hom. 
III, 71); in gleichem Zusammenhang hört man sogar von Ein- 
richtung mehrerer Wittwenhäuser in einer einzelnen Gemeinde 
mit einem Bischof (Clem., hom. XI, 36). Der Name für diese 
Institute (τὸ χηρικόν) begegnet noch in späterer Zeit gerade da, 
wo die Bedingungen längerer Wittwenschaft und dauernder Ehbe- 
losigkeit eingeschärft werden (reliqu. jur. 660]. gr. 8, 27 864.) 
welche nur auf das Wittwenamt und nicht auf die Wittwenver- 
sorgung passen sollen. Ebenso ist noch bei Basil., ep. 199 
(ed. Bened. III, 293 Ὁ) als das Charakteristische des τάγμα τῶν 
χηρῶν die Versorgung durch die Kirche und die Bedingung 
dauernder Ehelosigkeit angegeben. In der abendländischen 


583 


Kirche, welche einen viduatus oder ordo viduarum ἢ) länger bewahrt 
hat, war zu Tertullians Zeit die Aufnahme in denselben, eben- 
sosehr eine materielle Wohlthat als eine kirchliche Ehre in Ver- 
bindung mit der Verpflichtung zu kirchlicher Thätigkeit, d. h. 
der von 1 Tim. 5 vorausgesetzte Zustand scheint dort im wesent- 
lichen unverändert fortbestanden zu haben. Im Orient dagegen hat 
sich wohl noch im 2. Jahrhundert eine Veränderung vollzogen. 
Schon die oben S. 334 angeführte Stelle aus den δεαταγαὶ διὰ 
Κλήμεντος zeigt, dass »einer ganz kleinen Zahl von Wittwen 
— dort heisst es dreien — diejenige Stellung zugewiesen wurde, 
welche nach 1 Tim. 5 allen in den Katalog eingetragenen Witt- 
wen ohne Unterschied zukam. Die Freude freilich, mit welcher 
Lagarde (rel. jur. gr., p. 76; cf. adnot. p. XIX) fand, dass eine 
Stelle dieser Schrift von Clemens Al. (strom. I, p. 377 Pott.) als 
γραφή citirt werde, vermag ich nicht zu theilen; denn wer bürgt 
uns dafür, dass diese pseudoclementinische Schrift hier nicht eine 
verlorene ältere Schrift ebensd wörtlich ausgebeutet hat, wie 
anderwärts den Barnabashrief? Aber alt genug, gleichzeitig mit 
Origenes mögen diese διαταγαί sein. Auch bei ÖOrigenes ge- 
hören „die Wittwen‘“ neben Bischof, Presbytern und Diakonen 
zu den „kirchlichen Würden“ (hom. 17 in Luc. opp. III, 953 D); 
es können also nur wenige, mit einem förmlichen Amt bekleidete 
Wittwen sein. Sie heissen auch πρεσβύτιδες, und daher werden 
auf diese „in den Kirchen eingesetzten Wittwen‘“ ohne weiteres 
die Ermahnungen aus Tit. 2, 3—5 angewandt (Orig. hom. in 
Jes. 6, 3; opp. IH, 117 D). Dunkel ist das Verhältnis derselben 
zu den Diakonissen. Liest man die merkwürdig fraglich ge- 
haltenen Andeutungen über eine διακονία der Frauen in den ge- 
nannten διαταγαὶ διὰ Κλήμεντος p. 79, 14 sqq. 25 sqg. oder 
die Auseinandersetzung des Origenes über die Diakonisse Phöbe 
Röm. 16, 1 (opp. IV, 681), so scheint es um jene Zeit ein Amt 
der Diakonissen neben dem jener beamteten Wittwen gar nicht 
gegeben zu haben; und doch 'ist für die ältesten Zeiten die 
Existenz eines solchen, um von ungewissen Andeutungen zu 
schweigen, nicht nur durch Röm. 16, 1, sondern auch durch den 
Brief des Plinius ?) verbürgt; und wiederum im 4. Jahrhundert 


1) Schon Herm. vis. II, 4 ist irgend welche Organisirung der von der Kirche 
versorgten „Wittwen und Waisen “, ein 1704x%0», vorausgesetzt. — Aus Tertull. 
de virg. vel. 9 sieht man, dass die Aufnahme in den viduatus eine äusserliche 
Unterstützung (refrigersum) war, aber nicht weniger eine amtliche Ehrenstellung. 
Gleich hinter den diaconus steht die vidua (de praeser. 3). Die nach den 
Regeln von 1 Tim. 5 immatriculirten Wittwen (ad uxor. I, 1 cf. 4) haben nach 
de monog. 11 bei Fheschliessungen mitzureden. 

2) Plin. ad Traj. 97, 8: quo magis necessarium credidi ex duabas anvillis, 
quae ministrae dicebantur, quid esset veri, et per tormenta quaerere. 


584 


hören wir überall von -Diakonissen (Const. ap. II, 26. 58; διατ. 
διὰ "InnoAvrov Rel. jur. 7, 20; 9, 29; Pseudoign. Antioch. 12; 
Basil., ep. 199, opp. III, 296 B; Epiph. expos. fil. 21; haer. 
79, 3), aber nicht mehr von Wittwen in dem vorhinbezeichneten 
Sinn. Wenn neben den Diakonissen ein τάγμᾳ τῶν χηρῶν und 
ein χηρικόν erwähnt wird, verlautet nichts mehr von kirchlicher 
Beschäftigung, sondern nur noch von Verpflegung durch die 
Kirche (Const. ap. II, 26; dıar. Ἵππολ. p. 8, 27 844.; Basil. 1. 1, 
p. 293 D). Dagegen erscheinen Wittwen neben Jungfrauen dem 
τάγμα τῶν διακονισσῶν eingeordnet (Const. apost. VI, 17; 
Epiph. expos. fid. 21), und auf die Diakonissen überhaupt, gleich- 
viel ob sie Wittwen oder Jungfrauen sind, fängt man an, die 
paulinischen Verordnungen zu beziehen !). Es ist also im Orient, 
obwohl man nicht aufgehört hat, die armen Wittwen von Ge- 
meinde wegen zu unterstützen, der Wittwenstand als Träger eines 
kirchlichen Amts im weiblichen Diakonat untergegangen. Ver- 
gleicht man den Gebrauch von πρεσβύτιδες bei Orig. IH, 117; 
Epiph. haer. 79, 4, so darf can. Laodic. 11 als Abschaffung des 
Wittwenamts neben dem weiblichen Diakonat bezeichnet werden. 
Umgekehrt ist im Abendland der weibliche Diakonat, wenn er 
je dort bestanden hat, sehr bald völlig im Viduat untergegangen. 
. Dieselben Functionen, welche nach den späteren Nachrichten im 
Orient den Diakonissen oblagen, stehen im Occident ebenso, wie 
nach den älteren morgenländischen Nachrichten ursprünglich auch 
im Orient, den Wittwen zu, nur dass diese Functionen in den 
occidentalischen und den älteren orientalischen Nachrichten weniger 
veräusserlicht erscheinen, als bei den morgenländischen Diako- 
nissen vom 4. Jahrhundert an. Aus Gründen des Anstands 
dienen die Diakonissen bei der Taufe von Frauen uud zur Pflege 
kranker Frauen (Const. apost. III, 15 sq.; διαταγαὶ διὰ Innoiv- 
του p. 9, 31; Epiph. expos. fid. 21; haer. 79, 3), so aber auch 
die Wittwen (διαταγαὶ διὰ Κλήμεντος, p. 78, 31 84ᾳ.; Tertull. 
de virg. rel. 9; Concil. IV Carthag., can. 12). Aber nur letztere 
Stellen lassen eine seelsorgerische Aufgabe erkennen (vgl. auch 
Origen. opp. ΠΙ, 117). Sogar eine geistliche Vorbereitung der 
weiblichen Täuflinge durch die Wittwen, welche sich an deren 
äusserliche Hülfsleistung bei der Taufe natürlich anschloss, be- 


1) Das Gesetz des Theodosius, welches die 60 Jahre einschärfte, bei Sozonr 


» VII, 16, während can. Chalced. 15 nur 40 Jahre erfordert werden. Auch Ba- 


silius a. a. Ὁ. setzt offenbar jüngeres Alter der Diakonissen voraus. Epiphaı. 
haer. 79, 4 ‚berichtet nur in gelehrtem Interesse, dass die Schrift die Diakonissen 
ange τ ὠνόμασϑ (1 Tim. 5) χαὶ τούτων τὰς ἔτι γραοτέρας πρεσβύτιδιις 
(Tit. 2 


585 


zeugt der genannte africanische Kanon. Es ist das ein Rest der 
ursprünglichen Stellung der Wittwen, wie sie der 1. Brief an 
Timotheus voraussetzt. Auch die Unterweisung der Wittwen 
und Waisen der römischen Gemeinde, welche Herm. vis. II, 4 
. der Grapte aufgetragen wird, weist auf eine Verwendung der 
„Wittwen“, wie Grapte eine gewesen sein wird, zu höheren, 
eigentlich geistlichen Zwecken. Dahingegen weist alles das, was 
von den Diakonissen des Orients in späterer Zeit berichtet wird, 
auf eine Veräusserlichung des Berufs, so z. B. wenn sie als Thür- 
hüterinnen oder, was wohl dasselbe bedeutet, als Vermittlerinnen 
des Verkehrs der Weiber mit den Geistlichen erscheinen (Pseudoign. 
Antioch. 12; διατ. Ἱἱππολ. p. 7,29; 9, 30; Const. apost. II, 26). 
Trotzdem wird es im allgemeinen der Wirklichkeit entsprochen 
haben, wenn später die Abendländer ihre „ Wittwen “ für identisch 
mit den „Diakonissen“ der Morgenländer hielten (can. Epaun. 21). 
Der Entwicklungsgang scheint demnach dieser zu sein. Auf 
einer ersten Stufe gibt es eine Genossenschaft von alten 
Wittwen, welche von der Gemeinde unterhalten werden, gewisse 
seelsorgerische Aufgaben in Bezug auf-das weibliche Geschlecht 
haben und eine dem entsprechende Ehrenstellung einnehmen, und 
ausserdem jüngere Diakonissen. Auf einer zweiten Stufe ver-. 
schwindet der weibliche Diakonat so gut wie ganz, und aus der 
Wittwengenossenschaft, welche als Gemeinschaft der kirchlich 
unterstützten Wittwen fortbesteht, werden einige wenige Wittwen 
oder Presbytiden ausgesondert zu den Dienstleistungen, welche 
vorher sämmtlichen kirchlich immatriculirten Wittwen und den 
Diakonissen obgelegen hatten. Auf einer dritten Stufe, welche 
dem Occident völlig fremd blieb, wurde der weibliche Diakonat 
erneuert, es wurden zu demselben auch Wittwen zugezogen oder, 
wo die kirchlich beamteten Wittwen der vorigen Stufe nicht ab- 
geschafft werden sollten, wurden sie dem τάγμα τῶν διακονισσῶν 
eingeordnet. Zur Erklärung des Uebergangs von der ersten 
Stufe zur zweiten ist erstlich die Annahme erforderlich, dass die 
Stellung der Diakonissen in der apostolischen und nachaposto- 
lischen Zeit eine sehr wenig amtlich ausgeprägte war. Zweitens 
müssen die Jungfrauen, welche, sei es mit, sei es ohne den Namen 
„Diakonissen “ ihre Dienste der Gemeinde widmeten, sehr frülı 
der Genossenschaft der Wittwen zugewiesen worden sein, mit 
welchen sie ähnlicher Dienst, ähnliche Vereinsamung und Be- 
dürftigkeit verband. Eben dies bezeugt Ignatius, wenn er ge- 
wisse Jungfrauen, welche den Wittwentitel führten, grüssen lässt, 
als anerkannte Einrichtung der Gemeinde zu Smyrna und Ter- 
tullian als eine in seiner Zeit und Gegend auffällige. Aus- 
nahme, 


΄ 


586 


5. Zu S. 351. Nach älterem Vorgang glaubte auch Har- 
nack (Der christl. Gemeindegottesdienst im apostol. und alt 
katholischen Zeitalter, S. 25. 231) den gerichtlichen Geständ- 
nissen, über welche Plinins dem Kaiser berichtet, entnehmen zu 
dürfen, dass eben damals die Christen, um dem erneuten Verbot 
der Hetärien soviel als möglich nachzukommen, die Abendmahls- 
feier von den Agapen getrennt und in den Hauptgottesdienst 
verlegt hätten. Man gelangt zu dieser Meinung erstlich nur 
vermöge des methodischen Fehlers, dem man nun einmal auf 
jedem Schritt scheint begegnen zu müssen, dass man einen für 
irgend eine Provinz bezeugten Thatbestand sofort für die ganze 
Kirche jener Zeit gelten lässt. Die ignatianischen Briefe wider- 
sprechen dem überall. Während in Antiochien die Verfolgung 
wüthet, haben die kleinasiatischen Gemeinden völlige Ruhe; 
während in Asien die Episcopalverfassung feststeht, ist in Philippi 
nicht ein Anfang davon zu finden. Selbst wenn bei Plinius zu 
lesen wäre, dass die Christen Bithyniens damals aus dem ge- 
nannten Grunde die Scheidung von Abendmahl und Agape 
vollzogen hätten, wäre es willkürlich, diese sonst zuerst durch 
Justin bezeugte Veränderung der Gottesdienstordnung der Kirche 
überhaupt in die Zeit des Plinius zu legen und auf das dort 
genannte Motiv zurückzuführen. Aber der Wortlaut des Berichts 
des Plinius verbietet auch durchaus die genannte Deutung. Nach- 
dem von denen gehandelt war, von welchen sich Plinius über- 
zeugte, dass sie Christen weder seien, noch gewesen seien, fährt 
der Bericht fort ($ 6 ed. H. Keil, p. 307, 25): Alii ab indice 
nominati esse se Christianos dixerunt et mox negaverunt; fuisse 
quidem, sed desisse, quidam ante trieninum, quidam ante 
plures annos, non nemo etiam ante viginti ... . . Adfirmabant 
autem hanc fuisse summam” vel culpae suae vel erroris, quud 
essent soliti stato die ante lucem convenire carmenque Christo 
quasi deo dicere secum invicem .. . . quibus peractis morem 
sibi discedendi fuisse, rursusque coeundi ad capiendum cibum, 
promiscuum tamen et innoxium; quod ipsum facere desisse 
post edicetum meum, quo secundum mandata tua hetaerias 
esse vetueram. Wollte man das „quod ipsum“ auf den zu- 
letzt genannten Abendgottesdient allein beziehen, so müsste man 
erstlich erklären, wie die Christen glauben konnten, ihre vor 
Sonnenaufgang gehaltenen Gottesdienste würden nicht vom Ver- 
bot der Hetärien und vom ärgsten Verdacht betroffen (vgl. 
Harnacks eigene Bemerkungen $S. 219), ferner wie sie die 
Trennung der Eucharistie von der Agape und die Verlegung der 
ersteren in den Hauptgottesdienst eine Abschaffung jener Abend- 
mahlzeiten nennen konnten, während doch diese fortbestanden 


587 


haben und auch später noch für verbrecherisch gehalten wurden 
(ef. Tertull., apol. 39: haec coitio christiana merito illicita, si 
illicitis par, merito damnanda, si quis de ea queritur eo titulo, 
quo de factionibus querela est), und endlich, wie Plinius meinen 
“konnte, so verstanden zu werden. Er berichtet ja hier nicht 
Geständnisse von Christen, die es noch sind — davon ist gleich 
nachher die Rede —, sondern Mittheilungen Selcher, welche 
aufgehört haben wollen, Christen zu sein. Als das Wesentliche 
ihrer früheren Schuld oder Verirrung nennen sie den doppelten 
Gottesdienst; sie seien gewohnt gewesen, am Morgen zu- 
sammenzukommen, und hätten die Sitte gehabt, am Abend 
wieder zusammenzukommen. Ein hierauf folgendes desisse kann 
ja nichts Anderes bedeuten als das Aufhören der genannten 
Gewohnheit dieser bestimmten Menschen. Die Identität der durcli 
das erste und das zweite desisse ausgesagten Veränderung ist 
offenbar. Indem sie aufhörten, Christen zu sein, hörten sie auch 
auf, an den gottesdienstlichen Bräuchen der Christen theilzu- 
nehmen, und zwar die Meisten in den letzten Jahren angeblich 
aus Gehorsam gegen das Edict des Plinius in Bezug auf die 
Hetärien. Die gottesdienstliche Sitte derer, die Christen blieben, 
wurda durch den Abfall dieser Leute gar nicht berührt. 
Sie war zur Zeit dieses Briefs um 112 in Bithynien dieselbe, 
wie zur Zeit der igmatianischen Briefe in den Gemeinden von 
Asia proconsularis. 


6. Zu S. 355. Die Benennungen der Cultusacte in den 
ignatianischen Briefen sind so alterthümlich wie nur in Schriften 
aus dem ersten und aus dem Anfang des 2. Jahrhunderts. Σὺν- 
ayıoyn ad Pol. 4, wofür später σύναξις gebräuchlich ist, findet 
sich ebenso gebraucht Jacob. 2, 2 (Hein. 10, 25); Herm. mand. 
XI, p. 69, 4. 6. 23; 70, 2. Zu ἐπὶ τὸ αὐτὸ ἔρχεσϑαι Eph. 5 
oder γίνεσϑαι Eph. 13; Phil. 6. 10 (auch abgekürzt ἐπὶ τὸ 
αὐτό —= in versammelter Gemeinde Mgn. 7) vgl. Actor. 1, 15; 
2, 1. 44; 1 Cor. 14, 2. 3; Barn. 4, 10. Der Gebrauch von 
συνέρχεσϑαι gerade in Bezug aufs Abendmahl Eph. 13. 20 er- 
innert an 1Kor. 11, 17. 20; ἄρτον κλᾶν Eph. 20 an Actor. 
2, 46. Der Name des Liebesmahls ἀγάπη (Sm. 8; οἵ. Rom. 7; 
Sm. 7; s. oben S. 347ff.) findet sich vor Ignatius nur Jud., 
v. 12; und εὐχαριστία im Sinn von Abendmahlsmaterie und Abend- 
mahlshandlung hat keine biblische Parallele, sondern nur eineu 
Anknüpfungspunct in Matth. 26, 27; 1Kor. 11, 24. Cf. Just. 
apol. I, 66: καὶ ἡ), τροφὴ αὕτη καλεῖται παρ᾽ ἡμῖν εὐχαριστία. 


ἡ. Zu Κ΄ 356. Der Sinn des Attributs der römischen 
Christen ἀποδιυλισμένοις ἀπὸ παντὸς ἀλλοτρίου χρώματος (Bom, 


588 


inser.) ist im allgemeinen durch den. vorangehenden (κατὰ σάρκα 
καὶ πνεῦμα ἡνωμένοις πάσῃ ἐντολῇ αὐτοῦ, πεπληρωμένοις χάρι- 
τὸς ϑεοῦ ἀδιακρίτως) sicher gestellt. Die Bildlichkeit des ἀπο- 
διυλισμένοις wahrt hier dem Wort χρῶμα die Bedeutung „Farb- 
stoff“ oder noch bestimmter die Bedeutung eines unreinen, Wein 
oder Wasser trübe färbenden Stoffs- ‘ Zu vergleichen ist Eph. 4: 
σύμφωνοι ὄντες ἐν ὁμονοίᾳ, χρῶμα ϑεοῦ λαβόντες, denn offenbar 
unrichtig fasst hier μὶ (vgl. auch Pears. III, 36) χρῶμα wegen 
des vorangehenden σύμφωνοι und der folgenden musikalischen 
Bilder in musikalischem Sinn. Dazu passt schwerlich λαβόντες. 
Die Grundstelle ist, vielmehr Herm. sim. IX, 17: οὕτω ποικίλα 
ὄντα τὰ ὄρη, eis τὴν οἰκοδομὴν ὅταν ἐτέϑησαν οἱ λίϑοι αὑτῶν, 
μία χρόα ἐγένοντο, ferner die Deutung: λαβόντες τὴν 
σφραγῖδα μέαν φρόνησιν ἔσχον καὶ ἕνα νοῦν, καὶ μία πίστις 
αὐτῶν ἐγένετο καὶ μία ἀγάπη x. τ. λ. (ef. sim. IX, 4. p. 116, 17; 
‚117, 5; c. 13, p. 127, 4). Im Gegensatz zu dieser einen der 

Kirche von Gott verliehenen Färbung ist χρῶμα ἀλλότριον eben 
das, was unter anderem Bilde ἀλλοτρία βοτάνη Tr. 6 und ohne 
Bild ἀλλοτρία γνώμη Phil. 3 heisst, die Häresie. Fraglich könnte 
nur sein, ob das Particip streng zu nehmen, und somit, ob auf 
ehemaliges Vorhandensein der Häresie in der römischen Ge- 
meinde hingewiesen wäre. Natürlicher erscheint, hier den ab- 
geschliffenen Gebrauch anzunehmen, .der z. B. in "dem Spruch des 
Archytas sich vorfindet: ϑεὸς εἰλικρινὴ καὶ διυλισμέναν ἔχει τὴν 
ἀρετάν (Steph. thes. s. v. διυλίζειν. Darmach ist oben S. 270 
ἀποδιυλισμός Phil. 3 durch „Reinheit“ übersetzt, wie es der Zu- 
sammenhang und die Sachlage erfordert. Die Bedeutung des 
Worts ist nicht zweifelhaft, obwohl nur διυλίζειν, διυλισμώς 
häufiger vorkommen. Vgl. Matth. 23, 24, und -den gnostischen 
Gebrauch bei Clem. eclog. prophet. 8 7, p. 991; Iren. I, 14, 8, 
von daher angeeignet von Clemens selbst Paed. I, p. 117, vgl. 
Heinrici, die valentinianische Gnosis, S. 113, Anm. 3. Von der 
Reinigung des zur Töpferarbeit geeigneten Thons von den geringeren 
Erdbestandtheilen gebraucht ἀποδιυλίζειν Cyr. hier. catech. XIII, 6 
ed. Touttee, p. 189 B. 


8. Zu S. 386. Das chronologische Verhältnis ist Clem., 
strom. VII, p. 898 deütlich angegeben, wenn man mit Voss (ad 
Rivet, 28 sq.; οἵ. Pears. II, 85) liest: Magxiwv γὰρ κατὰ τὴν 
αὐτὴν αὐτοῖς (Basilides und Valentin) ἡλικίαν γενόμενος ὡς 
πρεσβύταις νεώτερος συνεγένετο, ue$’ ὧν Σίμων, ὃς ἐπ᾿ 
ὀλίγον κηρύσσονιος τοῦ Πέτρου ὑπήκουσεν. Vgl. Lewald, Zeit- 
schrift für historische Theologie 1841, 3. Heft, S. 78f. Der 
überlieferte Text liesse nur die Annahme einer plumpen Ironie 


589 N 


übrig, für die ich ebensowenig als für die attische Feinheit, 
welche Lipsius (Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie 1867, 
S. 79) darin findet, bei dem allezeit ernsthaften, meist pathetischen 
Clemens ein Beispiel kenne. In der trockensten Weise setzt er 
gleich nachher seine chronologische Argumentation fort. 


9. Zu δ. 426. Wenn Ignatius in Bezug auf sein Auf- 
treten in Philadelphia sagt: ἐγὼ μὲν οὖν τὸ ἴδιον ἐποίουν ac 
ἄνϑρωπος εἷς ἕνωσιν κατηρτισμένος (Phil. 8), so beruft er sich 
nicht auf eine angeborne Charaktereigenthümlichkeit oder auf 
eine in der angeborenen Natur ausgedrückte Bestimmung; das 
lässt die Bedeutung von χατηρτισμένος nicht zu-(vgl. Röm. 9, 22 
und dazu Hofmann). Andrerseits ist doch mehr gesagt, als dass 
er die Einheit liebe. Er ist für sie zubereitet; in Folge der 
Bildung, die er empfangen hat, hat er eine Richtung auf die 
Einheit; es ist ihm zur anderen Natur geworden, überall auf 
Einigung des Zusammengehörigen zu dringen. Aehnlich rühmt 
er an den Trallianern, dass sie eine tadellose und in der Ge- 
duld niemals gchwankende Gesinnung besitzen οὐ κατὰ χρῆσιν 
ἀλλὰ κατὰ φύσιν (Tr. 1). Es ist nicht ein angelerntes und 
daher verlierbares, sondern zur Natur, zum unverlierbaren Eigen- 
thum gewordenes Gut. Smith (Schol., p. 87) vergleicht passend 
Barnab. 9: ὁ τὴν ἔμφυτον δωρεὰν τῆς διδαχῆς αὐτοῦ ϑέμενος 
ἐν ἡμῖν, wo ja auch nicht an ein angeborenes Talent zu denken 
ist. Vergleichbar ist auch Iren. I, 6, 4, wo ἐν χρήσει zum 
Gegensatz hat ἰδιόκτητος, vgl. Bunsen I, 139. Die schiefe Auf- 
fassung von Voss (S. 284), welche Dressel (S. 153) abgeschrieben 
hat, und die-argen Gedanken, welche sich Baur (II, 43f.) und 
Andere nach ihm gemacht haben, mögen auf sich beruhen. Es 
handelt sich hier und Mgn. 5 um einen sittlichen Habitus, den man 
durch Bekehrung, Wiedergeburt und Heiligung gewinnt und bewahrt. 
Schwierig sind die scheinbar hierher ‚gehörigen Worte Eph. 1: Ano- 
δεξάμενος ἐ ἐν ϑεῷ τὸ πολυα ἀπητόν σου ὄνομα, ὃ κέκτησϑε φύσει 
δικαίᾳ κατὰ πίστιν καὶ ἀγάπην ἐν Ἰησοῦ Χριστῷ, τῷ σωτῆρι 
ἡμῶν. Die Umschreibung des Scur. hilft zu keinem anderen 
Text. Den Namen, um den es sich handelt, besitzen die Ephoser 
von Natur, von selbst, nämlich abgesehn davon, dass 816. Christen 
sind, und dass sie so treflliche Christen sind; aber diese 
Epheser besitzen ihren schönen Namen mit Recht, es entspricht 
ihm ihr religiöser und sittlicher Charakter. Ignatius hat in 
Smyrna allerdings die Epheser in den die Gemeinde repräsen- 
tirenden Vorstehern empfangen; aber kein „hellenistischer Sprach- 
gebrauch“ rechtfertigt Bunsens Travestie von ὄνομά σου durch 
„euren Bischof“ Ebensowenig können die Epheser selbst ge- 


590 


meint sein (80 Voss, 8. 272); denn wie sollten sie als Be- 
sitzer der Collectivperson, die sie selbst bilden, vorgestellt 
werden! Als die ephesischen Gesandten kamen, hörte Ignatius: 
„das sind die Epheser“. Indem er jene Vorsteher empfing, 
empfing er den Namen. dieser Gemeinde, was daun natürlich 
nicht der Christenname, sondern der Name dieser Christen, 
Ἐφέσιοι, ist. Schon der Scholiast des cod. Montzc. erkannte 
richtig, dass Ignatius hier auf die Wortbedeutung dieses Namens 
anspiele (8. oben S. 550). „Die Reizenden, Begehrenswerthen“ 
heissen sie mit Recht. Wenn man diese jejuna paronomasia als 
des Märtyrers unwürdig verschmäht (Voss, S. 272; Pears. II, 196), 
so streiche man -auch des Apostels Spiel mit dem Namen One- 
simus (Philem. 10. 11. 20). So fernliegend kann der Gedanke 
doch nicht sein, da Vairlenius, ohne von jenem mittelalterlichen 
Scholiasten zu wissen, den Ignatius ebenso verstand, und Vitringa 
ohne sonderliche Veranlassung im Commentar zur Apokalypse 
den Namen ebenso etmylogisch zu deuten für passend hielt. 


10. Zu S. 489. Es ist fraglich, ob Ignatius ein formu- 
lirtes christliches Bekenntnis kennt. Er gebraucht πέστις im 
Sinn von Glaubenslehre und Glaubenserkenntnis, wenn er sie als 
Object einer Verfälschung durch die Irrlehrer vorstellt (Eph. 16 
vgl. 17 und oben S. 4841). Um so mehr gewinnt es den An- 
schein, als ob πέστεν ἐπαγγέλλεσθαι, welches mit ἐπαγγέλλεσϑαι 
Χριστιανὰς εἶναι synonym gebraucht wird (Eph. 14), die Ab- 
legung des Taurbekenntnisses bedeute. Ohnedies versetzt der 
zweite Ausdruck in den Moment des Uebertritts zum Christen- 
thum (cf. Justin., apol. I, 61), von wo aus betrachtet die Be- 
währung durch ein christliches Leben zukünftig erscheint und 
daber auch futurisch ausgedrückt wird. Ist aber mit dem Ge- 
lübde, durch welches sich Einer zum Christenthum bekennt, zu- 
gleich ein Gelübde des Glaubens gegeben, so wird Letzteres Ab- 
legung eines Glaubensbekenntnisses bei Gelegenheit des Eintritts 
in die Gemeinde d. i. der Taufe sein. Nun findet sich bei 
Ignatius dreimal eine Aufzählung einiger Hauptstücke des kirch- 
lichen Glaubens, welche bei aller Versehiedenbeit der drei Stellen 
eine solenne Formel vorauszusetzen scheint (Sm. 1; Tr. 9; 
Mgn. 11), ähnlich wie.die mannigfaltigen Gestalten der regal 
fidei bei den altkatholischen Kirchenlehrern Expositionen des da- 
maligen Taufbekenntnisses sind. Entsprechend dem polemischen 
Anlass gehören Jdie von Ignatius variirten Sätze dem zweiten 
Artikel an. Einer reyula fidei gleicht am meisten Sm. 1, am 
wenigsten Mgn. 11. Aber je kürzer gerade diese Aufzählung ist, 
um so auffälliger ist hier die gewichtige Erwähnung des Pontius 


ὅ91 


Pilatus, welcher diesen vollständigen Namen im Neuen Testament 
nur selten (Matth. 27, 2; Luc. 3, 1; Act. 4, 27; 1Tim. 6, 13), 
regelmässig dagegen in den Glaubensregeln und Symbolen führt. 
So auch bei Ignatius an den drei Stellen, die wie eine regula 
fidei ausssebn. Aber auch abgesehn von der Vollständigkeit der 
Benennung ist die Erwähnung des Pilatus gerade an diesen drei 
Stellen ein ziemlich sicherer Beweis dafür, dass Ignatius sich, so 
oft er die der Häresie gegenüber zu betonenden Hauptstücke des 
Gemeinglaubens aufzählt, an eine solenne Formel anschloss, in 
welcher Pontius Pilatus genannt wurde. Das ἐπὶ Ποντίου IIı- 
λάτου, welches in. fast allen Gestalten des apostolischen Sym- 
bolums (vgl. Hahn, Bibliothek der Symbole und Glaubensregeln, 
5, 3—59) und auch in manchen Reproductionen der Glaubens- 
regel (Iren. III, 4, 2; Tert. virg. vel. 1) wiederkehrt, mag 
schliesslich auf 1 Tim. 6, 13 zurückgehn; aber nicht unmittelbar 
dorther hat es Ignatius genommen, da er es ohne jeden sonstigen 
Anklang an die paulinische Stelle zweimal wörtlich (Sm. 1; 
Tr. 9) und einmal sachlich (Mgn. 11) gerade in dem Zusammen- 
hang vorbringt, in welchem es schon vor der Mitte des 2. Jahr- 
hunderts seine feste Stelle hatte. Das sieht man aus Justin., 
apol. I, 61. p. 94 E, wo das zweite Stück der Ρ. 94 A kürzer 
angeführten Taufformel so gefasst ist: χαὶ ἐπ᾿ ὀνόματος δὲ 
᾿Ιησοῦ Χριστοῦ τοῦ σταυρωϑέντος ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου. Vgl 
die Verwendung derselben Formel im Exorcismus dial., 0. 30, 
ferner den Uebergang ‘von γεννηϑέντα ᾿Ιησοῦν Χριστόν zu τὸν 
σταυρωθέντα ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου 800]. I, 13, an einer Stelle, 
wo schon die Aneinanderreihung von Christus an zweiter und 
heiligem Geist an dritter Stelle auf apol. I, 61 und damit_ aufs 
Taufbekenntnis hinweist. Somit wird auch Ignatius an jenen drei 
Stellen vom damaligen Taufbekenntnis abhängig sein, da ein po- 
lemischer Zweck der Erwähnung des Pilatus nicht ersichtlich ist, 
und die Annahme einer Abhängigkeit des Taufbekenntnisses zu 
Justins Zeit von diesen ignatianischen Stellen absurd wäre. Dass 
Ignatius einmal den Herodes neben Pilatus nennt (Sm. 1), wird 
eine ebenso auf Lucas zurückgehende Amplification sein, wie ‚das 
va πληρωθῇ πᾶσα δικιωμιοσύνη vn αὐτοῦ ebendort aus Matthäus 
stammt. — Es ist natürlicher Weise unmöglich, den Wortlaut 
des zu Grunde liegenden Taufbekenntnisses im übrigen genau 
festzustellen. Aber eine Vermuthung drängt sich doch auf. Zu 
den nieht variirenden Bestandtheilen seiner Glaubensregel gehört, 
wenn wir von der ganz kurzen Auführung Mgn. 11 absehn, ein 
ἐκ γένους Jupiö Tr. 9; Sm. 1. Dies erscheint um so bedeut- 
samer, da Eph. 18 dies m ‚ verbindung mit einem Bestandtlıeil 
des Symhols ἐκ πνεύματος ἁγίου vorkommt, und da es anch sonst 


592 


sich findet, wo es weder durch den Zusammenhang erfordert, 
noch durch eine biblische Reminiscenz hervorgerufen zu sein 
scheint (Rom. 7; 8. oben S. 349; Eph. 20). Es scheint daher 
in dem kirchlichen Kreis und der Zeit des Ignatius zum Tauf- 
bekenntnis gehört zu haben. — Ein Stück des Symbols ist auch 
ὃς ἔρχεται κριτὴς ζώντων καὶ νεκρῶν Pol. ad Phil. 2. 


11. Zu δ. 520. Ohne Rücksicht auf die umfangreiche 
Literatur des Gegenstands hat de Lagarde wiederholt auf das 
Verhältnis Lucians zur biblischen Literatur hingewiesen (de novo 
test. ad vers. orient. fidem edendo 1857, p 20; rel. j. 6. graec,, 
p. XVI: Lucianum scripta christiana legisse mihi quidem_ cer- 
tissimum est et quum neminem videam exposuisse de re ad 
quaestiones isagogicas recte judicandas gravissima, nisi quem 
peritiorem negotium suscepturum intellexero, ipse quae inveni 
editurus sum). Da er seinen Plan noch nicht ausgeführt, muss 
ich aus meiner sehr unvollständigen Sammlung einige be- 
weisende Beispiele anführen. Soloec. 6 wird als einer der So- 
löcismen, welche gewiss zum grössten Theil der Literatur ent- 
nommen sind, angeführt: βασανίζεσϑαι τὸν παῖδα αὐτῷ νοσοῦντα. 
Also hat Lucian unseren Matthäus gelesen, wo (8, 6) ὁ παῖς 
μου βέβληται ἐν τῇ οἰκίᾳ παραλυτικὸς δεινῶς βασανιζόμενος 
zu lesen war. Jene Erzählung in Philopseud. 34—36, in welcher, 
wie heute schon in Nationalbibliotheken zu lesen ist, Goethe das 
Motiv zu seinem „Zauberlehrling gefunden hat, enthält An- 
spielungen an Exod. 7, 9ff.; 8, 14f. Lucian könnte Jos. ant. 
II, 13, 3 oder Philo, vit. Mos. I, 16 (Mang. II, 95) gelesen 
haben; aber weder Josephus, noch Philo, noch der Pentateuch 
boten ihm die Charakteristik des grossen Zauberers in Egypten: 
ϑαυμάσιος τὴν σοφίαν καὶ τὴν παιδείων πᾶσαν εἰδὼς τὴν 
Αἰγυπτίων (ὁ. 34). Er wird ebenso wie Justin (cohort., c. 10: 
πάσης τῆς Alyuariov παιδεύσεως μετασχεῖν ἠξιώθη) in der 
Apostelgeschichte (7, 22) gelesen haben: καὶ ἐπαιδεύϑη 
Mwvoyg ἐν πάσῃ σοφίᾳ Altyuntiog. Die entsprechende Dar- 
stellung bei Philo (ἃ. a. 0. $5, p. 84) lässt nicht bloss 
den Ausdruck vermissen, sondern auch das Charakteristische 
der Sache. — Wer in dem „allen bekannten Syrer aus Pa- 
lästina“, der sich auf die Heilung Dämonischer versteht (τὸν 
ἐπὶ τούτων σοφιστήν Philope. 16, cf. Peregr. 13) des- 
halb Christus nicht wiedererkennen will, weil Lucian von 
ihm als einem Lebenden rede und darum lieber eine unbe- 
rühmte „palästinensische Berühmtheit“ gezeichnet glaubt, wie 
Keim (a. a. O., S. 499), wird freilich bei so völliger Ver- 
kennung der Schreibweise Lucians in jenem Pagkrates noch viel 


593 


weniger Moses wiederkennen. Die ganze Schilderung c. 16 ist 
aus den Evangelien abgeschrieben: ὅσους παραλαβὼν καταπσίπ-- 
τοντας πρὸς τὴν σελήνην καὶ τῶ ὀφϑαλμῶ διαστρέφοντας καὶ 
ἀφροῦ πιμπλαμένους τὸ στύμα ὅμως ἀνίστησιν x. τ. A. (cf. Matth. 
-17, 15; Marc. 9, 19f. 26f.; Luc. 9, 39). Das Reden des 
Dämons, während der Kranke schweigt, stammt aus Marc. 5, 9ff.; 
Matth. 8, 29. 31, das ἀπειλῶν ἐξελαύνει τὸν δαίμονα aus Matth. 
17, 18; Marc. 9, 25ff. Demselben Platoniker Jon, welcher er- 
lebt hat, was Keiner sonst, legt Lucian (Ὁ. 11) eine Heilungs- 
geschichte in den Mund, welche schliesst: καίτοι ö Μίδας αὑτὸς 
ἀράμενος τὸν σκίμποδα, ἐφ᾽ οὗ ἐκεκόμιατο, ᾧχετο ἐς τὸν ἀγρὸν 
ἀπιών. Jeder erkennt Marc. 2, 11; Matth. 9, 6f£.; Luc. 
5, 24f. wieder, und ebenso auch Joh. 14, 18 in dem, was von 
Peregrin c. 6 gesagt wird: ἀλλὰ νῦν ἐξ ἀνθρώπων εἰς ϑεοὺς τὸ 
ἄγαλμα τοῦτο οἴχήσεται. . . . ὀρφανοὺς ἡμᾶς καταλιπόν. Vgl. 
selbst Tzschirner, Fall des Heidenthums, S. 320. Solche Sätze 
konnte Lucian nicht aus Gesprächen mit Christen, sondern nur 
aus deren Schriften selbst schöpfen. Boshaft sind die meisten 
Anspielungen dieser Art, aber nicht alle. Es ist z. B. die offen- 
kundige Parodie der Kreuzigungsgeschichte im Prometheus 8. 
Caucasus weniger Satire, als ein Versuch, die Idee eines leiden- 
den Wohlthäters der Menschen in mythologischer Form darzu- 
stellen und damit als Fabel darzustellen. Jeder nachdenkliche 
lıeser jener Zeit, der von Christus auch nur etwas gehört hatte, 
musste den Dichter verstehen. Denn, wie sollte ein Solcher es 
sich erklären, dass Lucian der abweichenden Situation zum Trotz 
die Fesselung des Prometheus beharrlich als eine Kreuzigung 
mit ausgebreiteten Armen vorstellt. - Οὐτε γὰρ ταπεινὸν καὶ 
προςγαιον ἀνεσταυρῶσϑαι χρή νων οὔτε μὴν κατὰ τὸ 
ἄχρον . .. ἀλλ᾽ εἰ δοκεῖ κατὰ μέσον ἐνταῦϑά που ὑπὲρ τῆς 
φάραγγος ἀνεσταυριύσϑω ἐχπετασϑεὶς τὼ χεῖρε x. τ. λ. (6. 1 
cf. 4. 15. 17). Den Kaukasus nennt er „das Kreuz“ (0. 1 
cf. 9. 10). Wo er geradezu von der Kreuzigung Jesu redet, 
gebraucht er ἀνασχολοπίζειν (de morte Peregr. 11. 13; cf. jud. 
vocal. 12), aber auch dies Wort kommt dreimal in dieser Parodie 
vor c. 2, 7, 10. Aus diesem Grund ist auch zu beachten 
Philops. 29: τὰς τῶν βιαίως ἀποθανόντων “μόνας ψυχὰς περινο--- 
στεῖν, οἷον εἴ τις ἀπήγξατο ἢ ἀπετμήϑη τὴν κεφαλὴν ἢ ἀνεσχο- 
λοπίσϑη. Wer einmal von der Kreuzigung Jesu zwischen zwei 
Uebelthätern gehört hatte, verstand auch sofort, was Hermes in 
seinem ung des Hephästos Namen auf die Bitte um Gnade ant- 
wortet: ἢ οὐχ ἱκανὸς εἶναί σοι δοχεῖ ὁ Καύκασος καὶ ἄλλους 
ἂν χωρήῆσων δύο προςπατταλευϑέντας; (6. 2.) Sehr verständ- 
lich war auch, was dieser γενναῖος σοφιστής auf die Frage 


Zahn, Ignatius. 38 


δ94 


des Hermes antwortet, wie er als Prophet dies sein Schicksal 
nicht vorauserkannt habe. Er hats vorausgesehn, aber ebenso - 
auch seine nachfolgende Erlösung und seine Versetzung unter 
die schmausenden Götter (c. 20). Ich darf mir die Anführumg 
der Parallelen sparen, wennschon Lucian so schrieb, um ver- 
standen zu werden. — Ob er, wie Tzschirner S. 321 für fast 
selbstverständlich hielt, „die Schriften des Justin, des Athena- 
goras und insbesondre seines Landsmanns Tatian gekannt“ hat, 
will ich nieht entschieden haben; aber es ist möglich, dass er 
de fugit., c. 6sq. Angriffe christlicher Apologeten im Auge hat. 
Ueber sein Verhältnis zu Ignatius 8. oben S. 524 ff. 


12. Zu S. 533. Eine Charakteristik der Sprache des 
Ignatius gedenke ich nicht zu geben, begnüge mich vielmehr, auf 
die Bemerkungen über χωρίον “Ρωμαίων (8. 809), ἀλείφειν 
(ὃ. 275), εὑρεϑῆναι εἰς δύσιν (8. 808)" zu verweisen. Dahin 
“ gehört auch: καλύν μοι --- ἡ Rom. 6 (s. oben S. 560; vgl. 
Marc. 9, 48 ἢ; Winer, 6. Aufl., S. 215 ἢ); σιωπῶν ἀπό τινὸς 
Rom. 2; w πρὸς σάδκα 0 λόγος, ἀλλὰ πρὸς ϑεόν Mgn. 3; der 
Gebrauch von ἐν λόγῳ Phil. 11 im Sinn von eig λύγον 
Phil. 11 u. Sm. 10, überhaupt der Gebrauch von ἐν, z. Β. &Asei- 
σϑαι ἐν μεγαλειότητι πατρύς, φωτίξεσϑαι ἐν ϑελήματι Feov 
Rom. inser., ἐν τῇ προςευχῇ τινος δικαιωϑῆναι Phil. 8, ἐν τῇ 
προςευχῇ τινος ϑεοῦ ἐπιτυχεῖν Sm. 11 (cf. ad Pol. 7) bei rich- 
tiger Schreibung. Die häufige Vertauschung der Dativ- und 
Accusativconstruction weist aufs Syrische zurück, wenn auch die 
einzelnen Fälle anderweitig belegt werden können: ὠφελεῖν 
ὁ. dat. Rom. 6, c. acc. Sm. 6; φυλάττεσθαι ὁ. dat. Tr. 7, 6. acc. 
Eph. 7 u. Tr. 2; ἐντρέπεσϑαι ὁ. dat. Mgn. 6, ὁ. acc. Tr. 3 u. 
Sm. 8, absolut Men. 12; ἐμποδίζειν τινὶ ξῆσαι Rom. 6. Noch 
sei bemerkt, dass kein Dual und nur sehr wenige Optative vor- 
kommen: λυτρωϑείησαν Phil. 11; γένοιτο Sm. 5; Eph. 11. 12; 
ad Pol. 6; εὑρεϑείητε Tr. 12; ὀναίμην Eph. 2; Mgn. 2. 12; 
Rom. 5; ad Pol. 1. 6. 


Ill. Literarische Abhängigkeiten.. 


Es hat sich oben 5. 430ff. herausgestellt, dass Ignatins 
Schriften kennt und in der Kirche verbreitet weiss, an welchen 


595 


„das Evangelium“ und zwar die apostolische Verkündigung des- 
selben glaubwürdige Urkunden besitzt. Man fing bereits an, 
diese Urkunden der neutestamentlichen Offenbarung mit dem 
„Gesetz Mosis und den Prophetien “ in Parallele zu stellen, und 
was die Voraussetzung mehrerer anderer Stellen ist, bestätigte 
förmlich das γέγραπται Phil. 8, welches selbst, wenn die oben 
S. 379 angenommene Beziehung von ἐν τῷ εὐαγγελίῳ auf das 
geschriebene Evangelium, auf die ἀρχεῖα des Christenthums, un- 
richtig sein sollte, nur auf neutestamentliche Schriften sich be- 
ziehen kann und deshalb mit dem etwa 10—15 Jahre jüngeren 
ἧς γέγραπται Barnab. 4 zusammenzustellen ist (vgl. über Pol. 12 
oben 8. 506). Damit ist keineswegs gesagt, dass eine festbe- 
grenzte Sammlung mittelbar oder unmittelbar apostolischen Ur- 
sprungs gleichmässig in der Kirche verbreitet und als γραφή 
anerkannt war; aber der Begriff einer heiligen Schrift Neuen 
Testaments muss damals in der Bildung begriffen gewesen sein. 
Nun lässt sich freiich aus der mehr oder weniger deutlichen 
Abhängigkeit des Ignatius von kanonischen Schriften nicht sofort 
schliessen, dass eben diese der noch in der Bildung begriffenen 
Sammlung kirchlicher Vorlesebücher damals angehörten. Er kann 
durch Schriften unseres Kanons beeinflusst gewesen sein, ohne 
dass sie damals wie später allgemein verbreitet und in weiteren 
Kreisen neben den alttestamentlichen Schriften im Gottesdienst 
gebraucht wurden. Andrerseits kann Ignatius, da es sich für 
ihn nie um einen Schriftbeweis handelt, füglich eine Schrift ge- 
lesen, sich aus derselben Historisches wie Dogmatisches angeeignet 
haben, ohne durch Bezugnahme darauf ein persönliches oder 
kirchliches Urtheil über das Verhältnis der betreffenden Schrift 
zum werdenden Kanon auszusprechen. Immerhin aber ist es 
wichtig, die in den Briefen des Ignatius und des Polykarp vor- 
liegenden Bezüge auf Inhalt und Wortlaut der neutestamentlichen 
Schriften, sowie der älteren christlichen Literatur überhaupt voll- 
ständig nachzuweisen. Es wird dazu dienen, den 8 Briefen ihre 
Stellung im Entwicklungsgang der christlichen Literatur zu 
sichern und den von ihnen vorausgesetzten Schriften das be- 
deutsame Zeugnis ihres Vorhandenseins und ihrer Einwirkung 
auf das kirchliche Bewusstsein zu wahren, welches sie an den 
Briefen der beiden Bischöfe aus Trajans Zeit besitzen. 


1. Die Synoptiker und die Apostelgeschichte. 
Eine einzelne Schrift, worin Thaten und Worte Jesu aufgezeichnet 
sind, eitirt Ignatius sowenig wie Polykarp. Bei Ignatius wird 
nur ein einziges Wort Jesu ausdrücklich angeführt und zwar ein 
nicht sicher nachweisbares (Sm. 3). Das ist um so auffälliger, 

38 * 


696 


da Ignatius gerade auch auf die Worte, Lehren und Gebote Jesu 
Gewicht legt (vel. oben S. 434 f.). Wenn er es trotzdem nicht 
nöthig findet, an einzelne Worte des Herrn zu erinnern, so er- 
hellt, dass.er bei allen Gemeinden von Philadelphia bis Rom eine 
zuverlässige, wesentlich gleichmässige Kenntnis der Worte wie 
der Geschichte Jesu voraussetzt. Das allein schon würde die Frage 
nach den Quellen dieser gemeinkirchlichen Kenntnis der evan- 
gelischen Geschichte rechtfertigen. 

Die sichersten Zeichen führen zunächst zu der Einsicht, dass 
damals vor anderen Evangelien unser Matthäus verbreitet war, 
denn nur zu diesem und zwar zu sehr eigenthümlichen Bestand- 
theilen desselben findet sich eine ganze Reihe unverkennbarer 
Parallelen. Dies wird z. B. auch von Scholten (Die ältesten 
Zeugnisse, S. 52) anerkannt und durch eine in jeder Hinsicht 
kritiklose Zusammenstellung belegt. Während die starke Be- 
tonung der Herkunft Jesu aus Davids Geschlecht und von der 
Jungfrau Maria nur überhaupt auf Evangelien wie unser ᾿ erstes 
und drittes hinweist (Eph. 18. 20; Tr. 9; Rom. 7; Sm. 1), 
liegt in Eph. 19 eine rednerische Verwendung von Matth. 
2, 1—12 vor, wie sie sich nur der erlauben kann, welcher bei 
seinen Lesern Kenntnis jener Geschichte voraussetzen darf. Sie 
dient zur Beantwortung der Frage, wie die drei geheimnisvollen 
Thatsachen der Empfängnis, der Geburt und des Todes Christi 
der Welt trotz ihrer Verborgenheit kund geworden seien (s. oben 
5. 485ff.).. Nur der Kenner des Evangeliums nach Matthäus 
oder eines hierin mit demselben identischen Buchs, konnte wissen, 
dass jene Frage durch die Erinnerung an den wunderbaren Stern 
zunächst nur in Bezug auf Empfängnis url Geburt beantwortet 
sein sollte; und selbst in dieser Beschränkung war es eine Ant- 
wort nur für den, welcher anderswoher wusste, wem der . Stern 
erschienen sei. Erst aus den Worten am Schluss des 
Kapitels sieht man bei Ignatius, dass es sich um Erscheinung 
eines Sterns im Anfang der evangelischen Geschichte handelt. 
Nur, wenn man die Erzählung des Matthäus kennt, wird man 
durch das ὅϑεν ἐλύετο πᾶσα μαγεία x. τ. A. daran erinnert, 
dass es Magier waren, welchen durch den Stern die Geburt 
Christi verkündigt wurde. Zu der Meinung, dass der Stern ab- 
gesehn von dieser seiner nächsten Wirkung, der Verkündigung 
der Geburt Christi an heidnische Magier, eine vernichtende Wir- 
kung auf den heidnischen Aberglauben geübt habe, gibt Ignatius 
keinen Anlass, und nur wer die Frage übersieht, zu deren Be- 
antwortung das vom Stern Gesagte dient, kann wie Baur (II, 38) 
behaupten, Ignatius habe, selbst wenn er an die ‚Erzählung des 
Matthäus gedacht haben sollte, dem Stern doch eine ganz andere 


597 


Bedeutung gegeben. Er hat, wie es der erbaulichen Verwendung 
naheliegt, die Wirkung der Erscheinung des Sterns auf die 
Magier mit der ganzen geschichtlichen Entwicklung zusammenge- 
fasst, an deren Spitze diese ersten gläubigen Verehrer „des im 
Fleisch sich offenbarenden Gottes“ aus der Heidenwelt stehen. 
Von jener ersten Verkündigung des erschienenen Heilands an 
Heiden und der gläubigen Annahme derselben seitens dieser 
datirt er den allmählig sich vollziehenden (man beachte die 
Imperfecta) Sturz des heidnischen Aberglaubens (vgl. die Excerpta 
Theod. bei Clem. Al., p: 986 Pott... In den Schlusssatz: „in 
Folge davon ward Alles zusammen in Bewegung versetzt“, fasst 
er die wunderbare Wirkung auf die Natur und auf die Menschenwelt 
zusammen. Auf letztere ‚hatte auch der Satz sich bezogen: ταραχῇ 
TE ἥν, πόϑεν N καινότης N ἀνόμοιος αὑτοῖς, aber in Worten, welche 
nur der verstehen konnte, der aus Matth. 2, 3 wusste, wer sich 
durch den Stern in Unruhe hatte versetzen lassen. Sonderbar 
ist bei Ignatius nur die Beschreibung des Sterns selbst. Zwar 
dass er eine fremdartige Himmelserscheinung gewesen sein müsse, 
ergab sich durch einfachen Rückschluss von der Wirkung, welche 
er auf die sternkundigen Magier ausgeübt hatte. Aber ohne 
Anhalt im Matthäus ist das, dass die übrigen Sterne sammt Sonne 
und Mond im Reigentanz den Stern umkreist haben. Aber zu 
dieser Ausschmückung bedurfte Ignatius noch weniger als das 
Protevangelium des Jakobus (c. 21) zu seiner viel reicheren einer 
schriftlichen Quelle ausser Matthäus. 

Die Worte ‚Beßantıouevov ὑπὸ Ἰωάννου, ἵνα πληρωϑῇ 
πᾶσα δικαιοσύνη vn αὐτοῦ Sm. 1 stammen aus unserem Matthäus, 
während dessen Worte im Ebjonitenevangelium des Epiphanius 
gründlich umgestaltet und umgestellt sind, im Hebräerevange- 
lium des Hieronymus aber wahrscheinlich ganz gefehlt haben 
(vgl. Anger, SYnops. „8. 21£. ): — Zumal wenn man ad Pol. 1 
gelesen hat: πάντας βάσταξε, ὡς καί σὲ ὃ κύριος, muss man in 
dem folgenden πάντων τὰς νόσους βάσταζε eine bewusste An- 
spielung auf Matth. 8, 17 erkennen. An die Grundstelle Jes. 
53, 4 ist nicht zu denken, denn Ignatius theilt mit Matthäus 
nicht nur den von LXX abweichenden Wortlaut, sondern auch 
die von der gewöhnlichen Deutung des jesajanischen Kapitels 
abweichende Beziehung des Worts auf mühsame Berufserfüllung 
an Kranken, dort an leiblich, hier an geistlich Kranken. So 
etwas könnte doch auch in einem „alttestamentlichen Urevange- 
lium “ nicht gestanden haben. — Aus Matth. 10, 16 stammt 
φρόνιμος γίνου ὡς ὄφις ἐν ἅπασιν, καὶ ἀκέραιος εἰς ἀεὶ ὡς ἡ 
περιστερά ad Pol. 2. (Kein Artikel vor ὄφις nach G! und abfov; 
Petermann hat durch Misverständnis an dieser Stelle ὡσεί. Das 


598 


εἷς ἀεί ist aus Θ᾽ herüberzunehmen, wird durch ein dem S und 
A zu Grunde liegendes eis & δεῖ gestützt (vgl. Buns. I, 34) und 
empfiehlt sich als ursprüngliche Lesart, weil es vor ὡς ἡ leicht 
ausfiel, stilistisch aber sehr angemessen dem ἐν ἅπασιν entspricht. 
An ὡς ἡ περιστερά G! G2 ist nichts zur ändern (vgl. Dressel 
z. ἃ. St. und Anger, Synops., 8. 88). — Wenn man in Eph. 6 
im allgemeinen eine Erinnerung an Worte Jesu wie Matth. 
10, 40—42; Marc. 9, 37. 41; Luc. 9, 48; Joh. 13, 20 er- 
kennt, so weisen die Worte τῶν δεξαμένων us εἷς ὄνομα ᾿Ιησοῦ 
Χριστοῦ Rom. 9 speciell auf Matth. 10, 41f. — Auf den nur 
bei Matthäus (15, 13) aufbewahrten Ausspruch über die Pha- 
risäer spielt .Ignatius in seinen Warnungen vor den Häretikern 
sowohl Tr. 11, als Phil. 3 an. — Die Worte ed γὰρ ἑνὸς καὶ 
δευτέρου προςευχὴ τοσαύτην ἰσχὺν ἔχει x. τ. A. Eph. 5 scheinen 
auf eine allgemein anerkannte Aussage über die Macht des Ge- 
bets auch nur zweier Christen und somit auf Matth. 18, 191. 
hinzuweisen. — Das ὁ χωρῶν χωρείτω Sm. 6 verwandelte schon 
der armenische Uebersetzer oder dessen syrischer Vorgänger in 
den Spruch Matth. 19, 12. — Der Erinnerung an die Salbung 
in Bethanien (Eph. 17) liegt nicht Joh. 12, 3ff., sondern 
Matth. 26, 6 ff. oder Marc. 14, 3 ff. zu Grunde wegen des ἐπὶ 
τῆς κεφαλῆς αὑτοῦ. — Schon Ussher verwies zu Mgn. 9 mit 
Recht auf Matth. 27, 52f. als Quelle der .Vorstellung, dass 
Christus die Propheten und die alttestamentlichen Frommen über- 
haupt von den Todten auferweckt habe (Mgn. 9; Phil. 5. 9; 
oben 5. 462ff.). Dies geht über die allgemeine Vorstellung der 
alten Kirche hinaus, nach welcher Christus oder die Apostel, 
oder Christus und die Apostel, gelegentlich auch Johannes der 
Täufer, jenen im Hades das Evangelium gepredigt und sie zum 
Genuss der durch ihn erworbenen Seligkeit erhoben habe (vgl. 
meinen Hermas, ὃ. 425ff. 449). Bei Irenäus (IV, 22, 2), 
welcher diese Meinung theilt, wird die Auferweckung der alt 
testamentlichen Frommen ausdrücklich auf den zweiten Advent 
verlegt. Auch die Lebendigmachung derselben, wie sie Hermas 
beschreibt (Sim. IX, 16), beschränkt sich auf innere Beseligung. 
Sie werden dadurch nur zu derjenigen Lebendigkeit gebracht, 
welche den Christen die Taufe gibt und welche die Apustel im 
Tode bewahrt haben. Und doch tritt der Gedanke einer leib- 
lichen Auferweckung der Prophöten durch Christus bei Ignatius 
mit einer Unbefangenheit und Selbstverständlichkeit auf, die nur 
möglich ist bei einer überlieferten Jehrmeinung. In der That 
ist eine solche vertreten durch die doctrina Addaei, aus welcher 
durch Vermittlung Eusebs Pseudoignatius geschöpft hat (s. oben 
5. 122f.), und durch die Schrift von der Höllenfahrt, welche den 


599 


zweiten Theil des Evangeliums Nicodemi bildet (c. 17—27). An 
beiden Stellen verräth sich aber auch die Benutzung des Matthäus. 
Mögen die Worte der doctrina Addaei, welche bei Euseb lauten 
διέσχισε φραγμὸν τὸν ἐξ αἰῶνος μὴ σχισϑέντα, an Eph. 2, 14 
anklingen, so ist doch darum nicht undeutlich, dass dadurch der 
Matth. 27, 51 unmittelbar vorangehende Bericht vom Riss des 
Tempelvorhangs in eine symbolische Beziehung zum Bericht von 
der Auferstehung vieler Leiber der Heiligen gesetzt ist. Es ver- 
dient bemerkt zu werden, dass das Hebräerevangelium statt des 
zerrissenen Vorhangs den Einsturz der Oberschwelle eines Tem- 
pelthors erwähnt (vgl. Anger, Synopsis, S. 246 f.),. So kann also 
nicht dies Evangelium, sondern nur unser Matthäus zu Grunde 
liegen. Im Verlauf der doctrina Addaei liest man (p. 10 der 
englischen Uebersetzung von Cur. ancient docum.): nor was it 
by a man, that the vail of the temple of the Jews was 
rent from the top to the bottom, but by him, who said to 
them: „Lo, your house is left desolate“. Im Evang. Nicod., 
c. 17 wird der ausführliche Bericht geradezu an die Erzählung 
des Matthäus angeknüpft (1110, cod. apocr., p. 666). Dazu kommt, 
dass der älteste Schriftsteller, der meines Wissens nach Ignatius 
von leiblicher Auferweckung vorchristlicher &erechter zur Zeit Christi 
redet, diese Meinung nur in Form einer Berufung auf Matth. 
27, 52 vorträgt (Clem., strom. VI, p. 764 Pott.; der Ton liegt 
hier uf καὶ σώματα im Gegensatz zu der vorher besprochenen 
gewöhnlichen Meinung von der Predigt im Hades). Auch in so 
jungen Apokryphen wie die “ναφορὰ Πιλάτου wird Matth. 
27, 52 so gedeutet. Einen Nachklang des Wortlauts dieser 
Stelle wird man dann auch bei Ignatius an einer der Stellen, 
wo er den Gegenstand berührt, wiedererkennen, nämlich in dar 
auffälligen Beschreibung ὄντες ἀξιαγάπητοι καὶ ἀξιοϑαύμαστοι 
ἅγιοι Phil. 5. Jedenfalls aber ist unser Matthäus in einem 
seiner sonderbarsten Stücke der Text einer Deutung und die 
Quelle einer Lehrmeinung, welche bei Ignatius bereits als be- 
kannte Wahrheit gelegentlich ohne allen Beweis angezogen wird. 
Dann muss das Matthäusevangelium damals schon ein Buch von 
hohem kirchlichem Ansehn gewesen sein. 

Der Beweis hiefür würde nicht verstärkt, wenn man sich 
für das φανερὸν τὸ δένδρον ἀπὸ τοῦ καρποῦ αὑτοῦ Eph. 14, 
welches wörtlich bei keinem Evangelisten zu finden ist, auf 
Matth. 12, 33 und nicht auf Luc. 6, 44 berufen wollte, oder 
wenn man Rom. 6 mit G! Metaphr. (G? weicht einigermassen ab) 
gegen das überwiegende Zeugnis von L! A! A? Sfr. 201, 18; 
Timoth. Alex. 211, 5 ein ziemlich wörtliches Citat aus Matth. 
16, 26 liest. Matthäus ist jedenfalls von den Synoptikern der, 


600 


an welchen Ignatius sich hauptsächlich anlehnt. Eine Spur von 
Marcus finde ich nirgends, das ἀλίσϑητε ἐν αὐτῷ Mgn. 10 liegt 
von Marc. 9, 49f. noch weit ab, und ob das zweitheilige Werk 
des Lucas auf Ignatius erheblich eingewirkt hat, wird vielleicht 
zweifelhaft bleiben müssen. Auf Luc. 23, 7—12; vgl. 3, 1; 
Actor. 4, 27 scheint allerdings das ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου καὶ 
ἩΗρώδου τετράρχου (Sm. 1; cf. Justin, dial., c. 108) zurückzu- 
gehn, denn in keinem anderen Evangelium wird Hoerodes im 
Zusammenhang der Leidensgeschichte genannt. Durch ἕχαστος 
εἰς τὸν ἴδιον τύπον μέλλει χωρεῖν Mgn. 5 lässt man sich aller- 
dings, da es sich um die Bösen wie um die Guten handelt, 
passender .an Act. 1, 25 als an Clem. ad Corinth. I, 5 und 
Pol. ad Phil. 9 erinnern. Es mag nicht zufällig sein, dass 
Ignatius das in der Apostelgeschichte häufige καταγγέλλειν zwei- 
mal Phil. 5. 9 gerade auch von der Weissagung der Propheten 
gebraucht wie Act. 3, 24, und dass er in einem Zusammen- 
hang, in welchem er sein Martyrium als Betheiligung am Leiden 
Christi bezeichnet, an Act. 2, 23 erinnert mit den Worten: 
τί δὲ καὶ ἑαυτὸν ἔκδοτον δέδωκα τῷ ϑανάτῳ. — Am bedeut- 
samsten erscheint mir Sm. 3. Es geht voran eine aus nicht- 
kanonischer Quelle geflossene Erzählung aus dem Kreis der Auf- 
erstehungsgeschichten. Durch ein höchst auffälliges xaf (ὅτε 
πρὸς τοὺς περὶ Πέτρον ἦλϑεν) ist dieselbe als Citat charakterisirt, 
und durch die Bemerkung, dass die Apostel in Folge %olcher 
Ueberführung von der Wirklichkeit der Auferstehung Christi über 
den Tod erhaben gewesen seien, ist sie abgeschlossen. Darnach 
wird, als ob das Bisherige sich nicht auch auf die Zeit nach 
der Auferstehung bezogen hätte, fortgefahren: μετὰ δὲ τὴν ἀνά- 
στάσιν συνέφαγεν αὐτοῖς καὶ͵ συνέπιεν ὡς σαρκικὸς καίπερ πνεῦ- 
ματικῶς ἡνώμενος τῷ πατρί. Diese im Zusammenhang durchaus 
nicht motivirte -und daher von G? gänzlich umgestaltete Form 
der Einführung weist auf Benutzung eines fremden Textes, dies- 
mal auf die einzige biblische Stelle, wo nicht allein von einem 
Essen (Luc. 24, 41—43), sondern auch von einem Mittrinken 
des Auferstandenen mit den Jüngern berichtet ist, nämlich auf 
Act, 10, 41: οἵτινες συνεφάγομεν καὶ συνεπίομεν ἀὐτῷ μετὰ τὸ 
ἀναστῆναι αὐτὸν ἐκ νεκρῶν. — An Luc. 24, 36 ff. erinnert aller- 
dings auch die vorangehende Erzählung, welche Euseb (III, 36, 11) 
als Merkwürdigkeit aus Ignatius abschrieb mit der Bemerkung, dass 
er ihre Herkunft nicht kenne. Die Uebereinstimmung mit Lucas 
ist doch nur sachlich; hier wie dort ist es ein um Petrus ver- 
sammelter und bei Lucas durch das Hinzutreten zweier anderer 
Jünger von der Gesammtheit unterschiedener Jüngerkreis, welchem 
der Auferstandene durch die Aufforderung, seinen Körper zu 


601 


besichtigen und zu betasten, den Beweis liefert, dass er nicht 
ein Geist, sondern ein körperlich Lebender sei. Bei Lucas ist 
nicht, wie bei Ignatius, ausdrücklich gesagt, dass die Jünger der 
Aufforderung gefolgt seien, und bei Ignatius scheint ausge- 
schlossen, was Lucas berichtet, dass die Jünger sofort noch eines 
zweiten Beweises durch das Essen des Herrn bedürftig gewesen 
seien. Es könnte sehr wohl eine und dieselbe Thatsache in der 
Ueberlieferung diese doppelte Gestalt angenommen haben. Dass 
aber bei Ignatius nicht etwa eine gedächtnismässige Reproduction 
des lucanischen Textes, sondern ein Citat vorliegt, zeigt, wie 
schon bemerkt, die Einführung durch καί; und der Umstand, 
dass Ignatius hier gegen seine sonstige Gewohnheit einen Aus- 
spruch Jesu in directer Rede anführt und ihn in erzählender 
Form einleitet, deutet darauf hin, dass er etwas nicht in gleichem 
Masse, wie die sonst berührten Thatsachen der Geschichte Jesu, 
allgemein Bekauntes vorträgt. Eusebs Bemerkung war wohl ver- 
anlasst, und unvorsichtig war es, wenn Hieronymus in seine 
nachlässige Uebersetzung von Eusebs Mittheilungen über Ignatius 
die Bemerkung einflocht, Ignatius habe dies aus dem kürzlich 
von ihm übersetzten Hebräerevangelium genommen, woraufhin 
Schmidt (Bibliothek für Kritik und Exegese III, 390£f.) es für 
möglich erklärte, dass Ignatius alles Evangelische aus diesem 
Evangelium geschöpft habe. Es wurde vorhin schon auf zwei 
Uebereinstimmungen mit Matthäus hingewiesen, welche Ab- 
weichungen vom Hoebräerevangelium sind, und bei der Stellung 
des Ignatius zu jüdischem Christenthum (s. oben. S. 459ff.) ist 
es kaum denkbar, dass er das Evangelium der Nazaräer auch 
nur gelegentlich einmal wie etwa Hegesipp (Eus. h. e. IV, 22, 8) 
benutzt haben sollte. Dass im Hebräerevangelium etwas Aehn- 
liches gestanden hat, ist natürlich nicht zu bezweifeln. Ohne 
alle Beziehung auf Ignatius sagt Hieronymus (in Jes. lib. XVII 
ed. Bened., vol. III, p. 478): Quum enim apostoli eum putarent 
spiritum, vel juxta evangelium, quod Hebraeorum lectitant Na- 
zaraei, incorporale daemonium, dicit eis etc. Es folgen 
die Worte aus Luc. 24, 38 ff. Dass Jesus selbst gesagt habe 
οὔκ εἶμι δαιμόνιον ἀσώματον (Sm. 3), ist damit nicht gesagt. 
Es verdient daher jedenfalls grössere Beachtung, was ÖOrigenes 
im Vorwort seiner Schrift περὶ ,ἀρχῶν schreibt (ed. Delarue 
I, 47 A): Appellatio autem ἀσωμάτου i. 6. incorporei non solum 
apud multos alios verum etiam apud nostras scripturas est inu- 
sitata et incognita. Si vero quis velit nobis proferre ex 1110 
libello, qui Petri doctrina appellatur, ubi Salvator videtur ad 
discipulos dicere: „non sum daemonium incorporeum“, primo 
respondendum est ei, quoniam 1110 liber inter libros ecclesiasticos 


6002 


non habetur, et ostendendum, yuia neque Petri est ipsa (l. ista) 
scriptura, neque alterius cujusquam, qui spiritu Dei fuerit in- 
spiratus. Wäre es sicher, dass die hier von Origenes angezogene 
doctrina Petri identisch ist mit derjenigen, welche er selbst 
einmal (IV, 226 C) und Clemens sehr häufig (s. die Zusammen- 
stellung bei Hilgenfeld, Nov. Test. extra canon. IV, 66) als 
Πέτρου κήρυγμα citirt, so hätten wir es mit einer wenigstens seit 
der Mitte des 2. Jahrhunderts hochangesehenen Schrift zu thun, 
welche zwar gewiss nicht, wie Grabe (I, 62) annahm, bald nach 
dem Tode des Petrus, so doch vor Ignatius geschrieben sein 
mag und ihres dogmatischen Charakters. wegen von diesem 
ebensogut als von Clemens Al. und von Herakleon gebraucht 
sein könnte. Die Benutzung der Petruslebre (oder Petraspredigt; 
wollte Cureton (p. 335) dadurch wahrscheinlich machen, dass Igna- 
tius gleich nachher .mit den Worten ἐγγὺς μαχαίρας, ἐγγὺς ϑεοῦ 
Sm. 4 an eine andere Stelle derselben Schrift anspiele, welche 
wir aus Greg. Naz. (opp. od. Colon. 1690, tom. I, p. 778C) er- 
kennen: κάμνουσα γὰρ ψυχὴ ἐγγύς ἐστι ϑεοῦ, φησί που Yuv- 
μασιώτατα λέγων ὁ Πέτρος (vgl. I, 269 B nach Erwähnung 
der Geschichte aus Matth. 14, 28 ἢ. ἐπειδὴ κάμνουσα ψυχὴ 
ἐγγὺς ἐστι ϑεοῦ). Die Aehnlichkeit mit dem Satz des Ignatius 
ist gering, und überdies wissen wir nicht, aus welchem 'pe- 
trinischen oder auch nur den Petrus redend einführenden Apo- 
kryphum Gregor dies genommen hat. — Es fehlen uns alle 
Mittel, um anzugeben, wie die Erzählung bei Ignatius (Sm. 3) 
und in der Petrusiehre zu dem Hebräerevangelium sich verhält. 
Es können Petruslehre und Hebräerevangelium unabhängig von 
einander aus mündlicher Ueberlieferung dies geschöpft haben, 
und es kann Ignatius, welcher hier aus einem Buch zu citiren 
scheint, ebensogut in einer dritten Schrift, als in einer der beiden 
genannten die Geschichte gelesen haben. Selbst die Möglichkeit 
ist nicht ausgeschlossen, dass der Verfasser der Petruslehre, 
selbst wenn diese mit der Petruspredigt identisch, also von 
Herakleon und Clemens schon benutzt ist, die Sache aus Ignatius 
geschöpft habe. Abhängigkeit des Ignatius von der Petruslehre 
ist mir nur deshalb wahrscheinlich, weil der auffallende Schluss 
seiner Mittheilung : διὰ τοῦτο καὶ ϑανάτου χατεφρύνησαν, ηὑρέ- 
ϑησαν δὲ ὑπὲρ ϑάνατον besonders natürlich erscheinen würde, 
wenn er das Vorhergehende aus einer Schrift geschöpft hätte, 
welche die letzten Lebensschicksale des Petrus und des Paulus 
erzählte. Das gilt aber von der Petruslehre, wenn sie mit der 
Petruspredigt und mit dem, was Pseudocyprian „ praedicatio Pauli“ 
nennt, identisch ist (cf. Hilgenf., Nov. Test. IV, 57. 61). Auf 
diese Quelle braucht es nicht zurückgeführt zu werden, stimmt 


603 


aber mit derselben überein, was Ignatius deutlich genug bezeugt, 
dass Petrus sogut wie Paulus zur römischen Gemeinde ein 
näheres Verhältnis gehabt habe (vgl. Buns. II, 123; Hilfenf., 
Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie 1872, S. 358). Denn 
was sollte es sonst bedeuten, dass er den Römern (c. 4) 
schreibt: Οὐχ ws Πέτρος καὶ Παῦλος ὑμῖν διατάσσομαι, während 
er denselben Gedanken den Trallianern gegenüber c. ὃ allge- 
meiner fasst: ἵνα ὧν κατάκριτος ὡς ἀπόστολος ὑμῖν διατάσσωμαι. 
Auch wo er sonst gegen seine Gewohnheit einen einzelnen Apostel 
_ nennt, ist es das Verhältnis desselben zu der angeredeten Ge- 
meinde, was ihn dazu veranlasst (Eph. 12). Dass Petrus eine 
Zeit lang in Rom gewirkt, konnte Ignatius allerdings auch ohne 
schriftlichen Bericht wissen, und es wird zweifelhaft bleiben 
müssen, ob er seine Kenntnis der neutestamentlichen Geschichte 
aus der Petruspredigt oder Petruslehre bereichert hat. 

Es entspricht dem Mangel an Ursprünglichkeit in Gedanken 
und Ausdruck, welcher den Brief Polykarps von denen des 
Ignatius sehr auffällig unterscheidet, dass sich dort viel mehr 
ausdrückliche Bezugnahmen und deutliche Anklänge an neu- 
testamentliche und besonders auch evangelische Stellen finden. 
Dreimal führt er Worte J esu, als solche an. Vergleicht man 
das erste (μνημονεύοντες δὲ ὧν εἶπεν ὃ κύριος διδάσκων" μὴ 
χρίνετε, ἕνα μὴ κριϑῆτε, ἀφίετε καὶ ἀφεϑήσεται ὑμῖν, ἐλεεῖτε, 
ἵνα ἐλεηϑῆτε, ᾧ μέτρῳ μετρεῖτε, ἀντιμετρηϑήσεται ὑμῖν, ο. 2) 
mit Matth. 7, 1 u. Ine. 6, 37, so stimmt der erste Satz mit 
Matthäus gegen Lucas; auch im letzten Satz ist die Satzform 
die des Matthäus, mag man bei Polykarp nach dem Uebergewicht 
der Zeugen ἐν vor ᾧ μέτρῳ streichen oder nicht; aber ἄντι- 
μετρηϑήσεται stammt aus Lucas ‚ bei Matthäus hat es keine 
nennenswerthe Beglaubigung. Aber weder bei Matthäus noch bei 
Lucas finden sich die beiden mittleren Sätze einigermassen wört- 
lich wieder — Matth. 6, 14f. oder Marc. 11, 25f. liegen noch 
weit ab —, wohl aber in einem ähnlichen Convolut bei Clem. ad 
Corinth. I, 13. Auch die Form der Einführung des Citats und 
die Streichung des ἐν vor ᾧ μέτρῳ erinnert an Clemens. Die 
Sache liegt also so, dass Polykarp und nach ihm noch Ulem. 
strom. I, p. 476 Pott. unter dem mitbestimmenden Einfluss des 
Clemensbriefes seinen Text aus Matthäus und Lucas gemischt hat, 
was natürlich nur bei freier gedächtnismässiger Anführung denk- 
bar ist. — Wenigstens ein Uebergewicht des Matthäus (5, 3. 10) 
über hucas (6, 20. 22) zeigt das gleich folgende Citat: 
μακάριοι οἱ πτωχοὶ καὶ οἱ διωκόμενοι ἕνεκεν δικαιοσύνης, ὅτι 
αὐτῶν ἐστὶν ἡ βασιλεία τοῦ ϑεοῦ,, wenn 'man auch nicht mit 
dem lateinischen Uebörsetzer ein spiritu oder im spiritu (rg 


604 


pl) zu pauperes zusetzt. Es fragt sich sogar, ob der Text des 
Lucas hierbei irgendwie mit berücksichtigt ist; denn das ge- 
wöhnlichere τοῦ ϑεοῦ konnte Jeder mit τῶν οὐρανῶν ver- 
tauschen. — Die Anspielungen ans Vaterunser (e. 6: εἰ οὖν 
δεόμεϑα τοῦ κυρίου, \ ἵνα ἡμῶν ἀφῇ, ὀφείλομεν καὶ ἡμεῖς ἄφι- 
ἕται; 6. 7: δεήσεσιν αἰτούμενοι τὸν παντεπόπτην ϑεὸν, μὴ 
εἰςενεγκεῖν ἡμᾶς εἷς πειρασμόν) erinnern nicht an eins der 
kanonischen Evangelien vor dem andern. Dagegen zeigt die Er- 
mahnung zum Gebet für die Feinde eine entschiedene Erinnerung 
an den dem Matthäus eigenthümlichen Schluss des betreffenden 
Abschnitts (Matth. 5, 48; cf. Pol. 12: orate . . pro persequen- 
tibus et odientibus vos... . ut sitis in illo perfecti). So ist 
auch der dritte förmlich eitirte Ausspruch (c. 7: καϑὼς einer 
0 κύριος" τὸ μὲν πνεῦμα πρύόύϑυμον, ἡ δὲ σὰρξ ἀσϑενής) nicht 
bei Lucas, sondern nur Matth. 26, 41 und Marc. 14, 38 zu 
finden, bei beiden so wie bei Polykarp an das Gebet um Be- 
wahrung vor der Versuchung angeknüpfl. — An die Apostel- 
geschichte (2, 24; vgl. Tischendorfs Note in der ed. VIII) er- 
innert nur der Satz : ὃν ἤγειρεν ὁ ϑεὸς λύσας τὰς ὠδῖνας τοῦ 
ἅδου ὁ. 1. 

Es bezeugen also Polykarp und lIgnatius überwiegende 
Popularität unseres Matthäus, zeigen Kenntnis beider Bücher des 
Lucas, aber keine sichere Spur des Marcus (vgl. meinen Hermas, 
5. 463f. 479). 


2. Die johanneischen Schriften. Dass die ignatiani-_ 
schen Briefe das Evangelium des Johannes voraussetzen, muss 
sehr offenbar sein, wenn es von Solchen, welche die Aechtheit 
des Zeugen wie des bezeugten Evangeliums beanstanden, . aner- 
kannt wird, z. B. von Lipsius I, 73. Die Behauptung desselben, 
dass die offenbare Benutzung des Johannesevangeliums seitens 
des Verfassers der sieben ignatianischen Briefe die spätere Ab- 
fassung und die Unächtheit der letzteren beweise, muss man 
ihrem Schicksal überlassen, wenn man nicht dem fehlerhaften 
Kreislauf der sogenannten Kritik anheimfallen will. Die Briefe 
des Ignatins können aus inneren und äusseren Gründen nicht 
später als um 110 geschrieben sein; also ist das Johannes- 
evangelium, welches sie voraussetzen, damals in der Kirche ver- 
breitet gewesen. Ein unabweisbares Zeugnis für das Johannes- 
evangelium nennt Lipsius (I, 73) mit Recht die Worte: τὸ 
πνεῦμα οὐ πλανᾶται, ἀπὸ ϑεοῦ ὃν. Οἷδεν γὰρ, πόϑεν ἔρχεται, 
καὶ ποῦ ὑπάγει. (Phil. 7; vgl. Joh. 3, 8 [8, 14].) Wenn Schwegler 
(Nachapostolisches Zeitalter II, 169) urtheilte, das johanneische 
Wort müsse später geschrieben sein, weil os widerspreche, 50 


006 


übersah er nur, was denn bei Ignatius behauptet und bei Johannes 
verneint sei. Es ist ein ähnlich über den kanonischen Text ἡ 
hinausgehender, aber nur um so sicherer ihn voraussetzender 
Satz, wie der bei Herm. sim. IX, 25 im Verhältnis zu Joh. 
3, 3. 5; vgl. meinen Hermas, S. 474. — Auch der gereinigte 
Text von Rom. 7 (8. oben 8. 348 1) fordert Joh. 6, 33. 51fl. 
Ohne die Voraussetzung, dass in einer Schrift von anerkannter 
Auctorität das Fleisch Christi als Brot Gottes zum Genuss der 
Gläubigen und sein Blut als Trank für sie bezeichnet war, konnte 
nicht so kurz der kühne Gedanke ausgesprochen werden. 
Allerdings liegt hier eine Vergleichung des Genusses Christi in 
der künftigen Seligkeit mit der kirchlichen Abendmahlsfeier vor; 
aber nicht die Einsetzungsworte nach Paulus oder den Synoptikern, 
. sondern nur die Worte Jesu nach Joh. 6 haben den Sprach- 
gebrauch schaffen können, nach welchem die σάρξ Christi das 
Object des Abendmahlsgenusses ist (vgl. Sm. 7; Phil. 4; Justin. 
apol. I, 66). Johanneisch ist aber auch der ganze Zusammen-. 
hang in Rom. 7. Schon der Gegensatz des unaufhörlichen Ge- 
nusses von Gottes Brot und Trank zu vergänglicher Speise und 
irdischer Lust muss an den Ausgangspunct der johanneischen Rede 
erinnern. Die τροφή φϑορῶς des Ignatius ist die βρῶσις ἀπολ-- 
λυμένη bei Johannes 6, 27. Der vorhergehende Vergleich des 
im Christen wohnenden, redenden und zum ewigen Leben rufen- 
den Geistes mit einer im Innern des Menschen befindlichen 
Wasserquelle (s. oben S. 561) stammt aus Joh. 4, 14, wohin 
.sich schon der Interpolator des 4. Jahrhunderts weisen liess, 
indem er ἁλλόμενον statt λαλοῦν schrieb. Die Dunkelheit der 
Schlusssätze des ignatianischen Kapitels, die Kürze, in der hier 
die bedeutsamsten Gedanken nur gestreift werden, die kühne 
Mischung von bildlichem und eigentlichem Ausdruck setzt Leser 
voraus,-für welche alles dies Reminiscenzen waren und welche 
ebenso wie der Leser des 4. Jahrhunderts die Absicht des Ver- 
fassers, an klassische Stellen des Johannesevangeliums zu er- 
innern, verstanden. — Wenn Ignatius nicht in einer Schrift von , 
massgebender Auctorität Christus als Logos bezeichnet und zu- 
gleich seine Ewigkeit bezeichnet gefunden hätte (Joh. 1, 1ff.), 
so würde nach aller Analogie antihäretischer Polemik seine Be- 
streitung der häretischen Logoslehre nicht so affırmativ lauten 
wie Mgn. 8 (s. oben 5. 382f. und Κ΄. 471f.). — Ausserdem ist 
es noch eine Menge von Berührungen mit dem Sprachgebrauch 
des Johannesevangeliums, welchö sich am bequemsten aus Ab- 
hängigkeit von demselben erklären. Das beharrliche 6 ἄρχων 
τοῦ χύσμου τούτου (Rom. 7; Eph. 17. 19; Mgn. 1; Tr. 4) 
hat im Neuen Testament nur an ὦ ἄρχων τοῦ αἰῶνος τούτου 


606 


Joh. 12, 31; 14, 80; 16, 11 seine zutreffende Parallele. Nicht 
allein die Energie, mit welcher Ignatius die Gottheit Christi 
hervorhebt, auch die bestimmte Form des Bekenntnisses zu ihr 
Ὁ ϑεός μου Rom. 6 klingt johanneisch Joh. 20, 28; und gewiss 
ist das τοῦ μόνου υἱοῦ αὐτοῦ Rom. inser. ganz „im Sinn des 
johanneischen μονογενής“ (Lips. I, 29) zu verstehen. Die auf- 
fällige Verbindung υἱοῦ nuroöc Rom. inser. findet man 2 Joh. 3 
wieder. Das ἐν σαρκὶ γενόμενος Eph. 7 (vgl. das ἐν σαρκί 
Sm. 1. 3) berührt sich nahe mit 1 10}. 4, 2f. (vgl. 2 Joh. 7) 
mit einer Stelle, welche Polykarp unverkennbar wiedergibt c. 7, 
πᾶς γὰρ, ὃς ἂν μὴ ὁμολογῇ Ἰησοῦν Χριστὸν ἐν σαρκὶ ἐληλυϑέναι, 
ἀντίχριστύς-ἐστιν. Der Gedanke, dass gerade der Kreuzestod 
Jesu den Heiden das Heil zugewandt habe (s. oben S. 459), 
erinnert an Joh. 12, 32 (vgl. 3, 14f.; 11, 52). Der johanneische 
Gedanke, dass Christus zu der Höhe, zu welcher er durch .die 
Kreuzigung erhoben werde, die Menschen emporziehe, hat wohl die 
hildliche Redeweise erzeigt: ἀναφερόμενοι εἷς τὰ ὕψη διὰ τῆς μηχανῆς 
’Inoov Χριστοῦ ὃς ἐστιν σταυρὸς, Eph. 9, und bei Eph. 15 fin. 
muss man an Joh. 14, 21 denken. Ignatius hat es richtig auf 
die Parusie bezogen. — Die Zeugnisse des Ignatius und des 
Polykarp ergänzen sich gegenseitig. Polykarps Brief, in welchem 
eine deutliche Spur des Johannesevangeliums nicht zu finden ist, 
bestätigt, was man aus den ignatianischen Briefen nicht sicher 
schliessen kann, dass damals wenigstens der erste Brief des 
Johannes in Asien bekannt war, wie schen früher in Rom. Nach- 
klänge der Apokalypse dagegen sucht man bei beiden vergeblich 
(vgl. meinen Hermas, ὃ. 476). 


3. Geschichte und Briefe des Paulus. Es mag 
durch die Lage des Ignatius einerseits und durch die Adresse 
des Polykarpbriefs andrerseits veranlasst sein, dass bei beiden 
von Paulus ziemlich häufig namentlich die Rede ist, während 
Petrus nur einmal neben Paulus (Rom. 4; gar nicht in Betracht 
kommt Sm. 3), Johannes aber gar nicht erwähnt wird. Nur 
mitgemeint kann der Letztere sein, wenn Ignatius den Ephesen 
nachrühmt, dass sie stets mit den Aposteln verkehrt oder mit 
innen im Einklang gewesen seien (Eph. 11, wo die Lesart zwi- 
schen συνῆσαν A ΟΣ 1? und συνήνεσαν G! LI schwankt). 
Paulus wird von Polykarp als leuchtendes Beispiel einer auch 
im Martyrium bewährten Geduld unter den Aposteln besonders 
genannt c. 9. Seine eigene Reise erinnert den Ignatius an die 
Reise des Paulus an kphesus vorüber nach Rom. Bei den 
Worten: πάροδός ἐστε τῶν εἰς ϑεὸν ἀναιρουμένων ‚Eph. 12 muss 
er, wie das Weitere zeigt (Παύλον συμμύσται, τοῦ " ἡγιασμένου, 


δ07 
τοῦ μεμαρτυρημένου, ἀξιομακαρίστου, οὗ γένοιτο μοι ὑπὸ τὰ 
ἔχνη εὑρεϑῆναι), an Paulus wenigstens mitgedacht haben. Wahr- 
scheinlich denkt er nur an Paulus und an sich selbst, wenn er 
die Epheser als den Punct bezeichnet, an welchem der Weg der- 
jenigen, welche um Gottes willen getödtet werden, vorbeiführt. 
Ephesus selbst hat Ignatius nicht berührt; aber nahe daran vorbei 
ist er gekommen, ebenso wie Paulus nach Act. 20, 16—38. 
Für Paulus war Milet, was Smyrna für Ignatius. Dass Paulus 
zunächst nach Jerusalem und von da erst nach Rom kam, 
hinderte die vergleichende Zusammenstellung nicht; beide kamen 
auf dem Weg zum Martyrium in Rom an Ephesus vorüber. Nur 
der Misverstand des Wunsches des Ignatius, als ob er noch 
weitere Berührungspuncte mit der Reiseroute des Paulus sich 
wünsche (s. oben 5. 42f.), hätte dadurch ferngehalten sein 
müssen. Darf man annehmen (s. vorher S. 600), dass Ignatius 
die Kunde von der Reise des Apostels aus der Apostelgeschichte 
seschöpft hat, so liegt es auch sehr nahe, durch das Παύλου 
συμμύσται an des Apostels dortige Beschreibung seiner rück- 
haltlosen Verkündigung des ganzen Heilsrathschlusses -Gottes 
(V. 20. 27) sich erinnern zu lassen, was jedenfalls angemessener 
ist, als die Berufung auf den Epheserbrief, in welchem Paulus 
dieser Gemeinde das Mysterium Christi veranschaulicht habe 
(Eph. 3, 3sq.; Pears. ΠῚ, 38). Es hängt diese Erklärung mit 
der Meinung zusammen, dass Ignatius in den gleich folgenden 
Worten sieh ausdrücklich auf den paulinischen Epheserbrief be- 
rufe. Aber ἐν πάσῃ ἐπιστολῇ kann erstlich nicht heissen „im 
ganzen Brief“ (so nach Pears. II, 118sq.; II, 38 noch Den- 
zinger, ὃ. 5df.).. Die z. B. bei Kühner, ausf. Gramm. II, 546, 
Anm. 8 genannten Beispiele sind nicht vergleichbar, und in 
Eph. 5, würde πάσης &xximolas, auch wenn der Artikel nicht 
durch ein blosses Versehen von Voss ausgefallen wäre, immer 
nur heissen „einer ganzen Gemeinde“. Ferner müsste unter 
den paulinischen Briefen derjenige, in welchem Paulus von An- 
fang bis zu Ende der Epheser gedacht habe, doch erst genannt 
sein. Aber auch wenn der Brief, welcher im Kanon πρὸς 
᾿Εφεσίους überschrieben ist, angegeben wäre, könnte man mit 
dem, was von ihm gesagt wäre, nicht zurechtkommen. Denn 
μνημονεύεε ὑμῶν kann doch nicht heissen: er lobe sie (80 
Pears. II, 119; ähnlich Kirchhofer, Quellenkunde, S. 212), was 
dann zum Gegensatz haben soll, dass er in Briefen an andere 
(Gemeinden Lob und Tadel mische, oder er bete für sie (so 
nach ΟΣ Denzinger, welcher mit Unrecht ausser 3, 13—21 in 
1, 16—23 ein langes Gebet für die Epheser findet), oder gar: 
er schreibe an sie, und rede zu ihnen (so Voss ad Rivet., 


— 


608 


p. 4 cf. p. 16), als ob Paulus anderer Gemeinden nur in halben 
Briefen in diesem Sinne gedacht hätte, und als ob er an die 
Thessalonicher und die Korinther nicht mehr als je einen Brief 
gerichtet hätte. Ignatius sagt nicht mehr und nicht weniger, 
als dass Paulus in jedem Briefe der Epheser in Christo ge- 
- denke, ἃ. h. die Epheser als Christen oder die ephesischen 
Christen erwähne. Der Zweck dieser Bemerkung ist kein andrer 
als der der übrigen Aussagen über die ephesische Gemeinde, 
ihre Berühmtheit in der Geschichte der christlichen Kirche her- 
vorzuheben. Sie ist „weltberühmt‘“ Eph. 8. Mit den Aposteln, 
die dort,- wie Jeder weiss, verkehrt haben, haben die Epheser stets 
im Einklang. gestanden Eph. 11; Paulus insbesondere hat Jahr 
und Tag unter ihnen gewirkt und kein Geheimnis christlicher 
Erkenntnis für sich behalten; und Jeder weiss von der Reise, 
die ihn voller Ahnung seines Endes an Ephesus vorüber nach 
Jerusalem und Rom führte. Wüsste Ignatius, dass Paulus einen 
Brief gerade an diese Gemeinde gerichtet habe, so würde man 
allerdings erwarten, dies in diesem Zusammenhang erwähnt zu 
"finden,. wie es der Interpolator gelegentlich nicht unbemerkt lässt 
(s. oben S. 121). Ignatius wird also nichts davon wissen und 
erinnert statt dessen daran, dass die Leser der paulinischen 
Briefe darin oft genug Ephesus und ephesische Christen erwähnj 
finden. Der Ausdruck ist hyperbolisch, wie Vieles bei Ignatius. 
aber doch ziemlich unanstössig, wenn man bedenkt, dass es sich 
hier gar nicht um Lob oder Tadel, sondern um die .geschicht- 
liche Berühmtheit der ephesischen Gemeinde als einer uralten 
paulinischen Stiftung handelt. Sie stand in dieser Hinsicht einzig 
da unter den fünf asiatischen Gemeinden, an welche Ignatius 
schrieb. Von Ephesus aus schrieb Paulus an die Galater und 
die Korinther (1 Kor. 16, 8); von den ephesischen Christen be- 
stellt er Grüsse Gal. 1, 2; 1Kor. 16, 19f.; als Ort eines ge- 
fährlichen Kampfes in der Ausübung seines Berufes nennt er 
Ephesus 1 Kor. 15, 32; dem Timotheus hat er diese Gemeinde 
befohlen 1 Tim. 1, 3; Verdienste des Ephesers Onesiphorus um 
die dortige Gemeinde wie um den Apostel selbst erwähnt er 
2Tim. 1, 16—18 und lässt seine Familie grüssen 4, 19; den 
Epheser Trophimus (Act. 21, 29) erwähnt er 2Tim. 4, 20, 
und von den Reisen des wahrscheinlich auch der ephesischen 
Gemeinde angehörigen Tychicus nach Ephesus und anderen Orten 
im Dienst des Apostels las man mehrfach Kol. 4, 7; Eph. 6, 21f.; 
Tit. 3, 12; 2Tim. 4, 12. Demnach wurde jeder Leser der 
paulinischen Briefe oft genug daran erinnert, dass Ephesus 
eine der ältesten Christengemeinden sei. 

Aehnlichen Anstoss haben mehrere den Paulns betreffende 


609 - 


Bemerkungen Polykarps gegeben. Auch bei diesem zeigt sich 
ein lebhafter Sinn für die geschichtliche Ehrwürdigkeit derjenigen 
Gemeinden, deren Geschichte in die Anfänge der apostolischen 
Mission hinaufreicht. Man vgl. 6. 1: ὅτε ἡ βεβαία τῆς πίστεως 
ὑμῶν ῥίζα, ἐξ ἀρχαίων καταγγελλομένη χρύνων, μέχρι νῦν δια- 
μένει mit Clem. ad Corinth. I, 47: τὴν βεβαιοτάτην καὶ ἀρχαίαν 
Κουρινϑίων ἐκκλησίαν. Indem er wie Clemens und Ignatius die 
durch verschiedene Generationen hindurchgehende Gemeinde eines 
Orts als eine moralische Person betrachtet, sieht er einen sonder- 
lichen Beweggrund zu würdigem Verhalten und einen sonder- 
lichen Grund zur Betrübnis über das Gegentheil in der Be- 
rühmtheit einer Gemeinde, wie die zu Philippi, an welcher Paulus 
gearbeitet, mit welcher Paulus in brieflichem Verkehr gestanden, 
und welche er vor allen anderen Gemeinden gerühmt habe, und 
dies zu einer Zeit, in welcher andere Gemeinden, wie die zu 
Smyrna, noch gar nicht existirten (ὁ. 11; vgl. oben S. 504 f.). 
Nach dem unzweifelhaften Sinn des bisher Wiedergegebenen muss 
der dunkle Satz: „qui estis in principio epistolae (rg ecclesiae) 
ejus“ erklärt oder corrigirt werden. Ersteres scheint mir nicht 
möglich. Höchst fremdartig würde es doch jedenfalls sein, wenn 
Polykarp, der nirgendwo geistreich wird, seinen Lesern zumuthete, 
sie sollten sich sofort an 2Kor. 3, 2f. erinnern und aus dem 
Umstand, dass Paulus aus sehr eigenthümlichem Anlass die 
korinthische Gemeinde seinen Brief nennt, schliessen, dass Poly- 
karp unter der epistola Pauli die Gesammtheit der von ihm ge- 
stifteten Gemeinde verstanden haben wolle, und daraufhin sein 
räthselhaftes Wort dalıin verstehen, dass die Philipper in diesem 
sogenannten Brief des Paulus voranstünden (so Hofmann, Neues 
Testament IV, 3, 101; vgl. schon Nolte bei Hefele z. ἃ. St... Es ist 
nicht einmal denkbar, dass das’ ecclesiae, welches rg bietet, eine 
Interpretation des so verstandenen episiolae sein sollte; das 
würde eine Denkarbeit des Schreibers voraussetzen, bei der es 
ihm auch nicht hätte verborgen bleiben können,. dass eben nur 
der bildliche Ausdruck und nicht der eigentliche die Redensart 
zulasse: ‚im Anfang desselben sein“. Es wird also vielmehr 
ein unbequemer Ausdruck zu Grunde liegen, der von einem Schrei- 
ber so, vom anderen anders ersetzt wurde. Bedenkt man den 
Charakter dieser lateinischen Uebersetzung, welche z. B.c. 1 ἐξ ἀρχαίων 
καταγγελλομένη χρύνων durch a principio wiedergibt (s. auch 
oben S. 502f.), und vergleicht man, was die viel tüchtigeren 
Uebersetzer beider Recensionen des Ignatius aus ἀρχεῖα Phil. 8 
gemacht haben, so gewinnt man die Freiheit, nach Zusammenhang 
und sonstiger Wahrscheinlichkeit den unverständlichen Text be- 
Zahn, Ignatine. 39 


610 


liebig zu ändern. Mir ist am wahrscheinlichsten, dass urspräng- 
lich geschrieben war οἵτινές ἔστε ἐν ἀρχῇ Tor εὐαγγελίου αὐτοῦ. 
Das war ein wenig sonderbar geredet und wurde daher nicht 
unangetastet gelassen. Bezieht sich aber Polykarp in dem gleich 
folgenden Satz auf das im Philipperbrief selbst niedergelegte 
Lob des Paulus, so wird ihm auch hier schon Phil. 4, 15 vor- 
geschwebt haben: οἴδατε δὲ καὶ ὑμεῖς, (διλιππήσιοι, ὅτι ἐν ἀρχῇ 
τοῦ εὐαγγελίου, ὅτε ἐξγλϑὸον ἀπὸ Μακεδονίας, οὐδεμία μοι ἐκ- 
κλησία ἐκοινώνησεν εἰς λόγον δύσεως καὶ λήψεως εἶ μὴ ὑμεῖς 
μόνοι (vgl. zum Ausdruck auch Clem. ad Corinth. I, 47 init.). 
Wir haben hieran wie an Ign. Eph. 12 Beispiele von Ver- 
werthung der paulinischen Briefe zu geschichtlichen Zwecken. 
Der Vorstellung des Ignatins und des Polykarp drängt sich bei 
dem Gedanken an Gemeinden wie die zu Ephesus und Philippi 
sofort auf, was sie laut dem Zeugnis der paulinischen Briefe 
schon in frühester apostolischer Zeit gewesen waren. Aber nicht 
alle geschichtliche Kenntnis von Paulus und seiner Zeit brauchte 
damals auf diesem Wege gewonnen zu werden. Dass Petrus in 
Rom gewesen (Rom. 4; s. S. 603), dass die Gemeinde zu Smyrna 
erst nach der Zeit des Paulus gestiftet worden (Pol. ad Phil. 11), 
konnte man aus mündlicher Uebtrlieferung wissen. So ist 98 
mir auch nicht wahrscheinlich, dass Polykarp nur aus Pinil. 
3, 1. 18 erschlossen haben sollte, dass Paulus mehrere Briefe 
an die Philipper geschrieben habe (so Hofmann, Neues Testament, 
IV, 3, 102). Er spricht es zu sehr als notorische Thatsache 
aus, als dass man es für ein Ergebnis exegetischer Forschung 
gelten lassen könnte. Ueber den Sinn der Worte (ὃς καὶ ἀπιὼν 
ὑμῖν ἔγραψεν ἐπιστολάς, εἷς ἃς ἐὰν ἐγκύπτητε, δυνηϑήσεσϑε οἶχο- 
δομεῖσϑαι εἰς τὴν δοθεῖσαν ὑμῖν πίστιν, Pol. 8) kann man 
nicht zweifelhaft sein. Es widerspricht nicht bloss dem über- 
wiegenden Sprachgebrauch, sondern auch der Ausdrucksweise 
Polykarps selbst (c. 13 s. oben 5. 293), wenn man unter dem 
pluralischen ἐπιστολάς nur den einen uns erhaltenen Brief des 
Paulus an die Philipper versteht. Aber es ist nicht bloss die 
Thatsache wiederholter Correspondenz zwischen Paulus und den 
Philippern wahrscheinlich (vgl. Hofmann, Neues Testament, 
I, 360), sonderh auch das ist unbedenklich, dass um 110 in 
Philippi andere Philipperbriefe des Paulus ausser dem einen, den wir 
besitzen, vorhanden waren. Polykarp schrieb seinen Brief zu 
einer Zeit, in welcher Briefe des Paulus noch verloren gehen 
konnten, weil man von der später aufgekommenen Meinung frei 
war, dass Alles, was ein Apostel geschrieben, in die Sammlung 
kirchlicher Vorlesebücher gehöre und in der Kirche verbreitet 
werden müsse. Polykarp konnte die Philipper auffordern, in 


611 


die Briefe hineinzublicken, welche Paulus an sie gerichtet, 
wenn er selbst auch nur den einen kannte, der in der Kirche 
verbreitet war. Dass er diesen gelesen, zeigte sich schon. Er 
hat aus Phil. 3, 18 seine inimici erucis ὁ. 12. An Phil. 2, 18 
erinnert auch mehr als an Gal. 2, 2 oder 1Kor. 9, 26 das 
οὗτοι πάντες οὐκ εἷς κενὸν ἔδραμον, ἀλλ᾽ ἐν πίστει καὶ δικαιο-- 
σίνῃ ὁ. 9. Bei Ignatius erinnert das μηδὲν κατὰ ἐριϑείαν 
πράσσοντες Phil. 8 an Philipp. 2, 3, und an Philipp. 2, 17 
viel mehr als an 2Tim. 4, 6 der Satz πλέον μοι un παρά- 
σχησϑε τοῦ σπονδισϑῆναι ϑεῷ, ὡς ἔτι ϑυσιαστήριον ἕτοιμόν 
ἐστιν x. τ. A. Rom. 2. . 

Von allen paulinischen Briefen hat der erste Korintherbrief 
die stärksten Zeugnisse der Popularität im nachapostolischen Zeit- 
alter für sich. Es ist bekannt, wie ihn Clemens von Rom ver- 
werthet, und gerade aus ihm nimmt Polykarp den einzigen Satz, 


den er mit einem „sicut Paulus docet“ ausdrücklich auf seinen: 


Urheber zurückführt (c. 11 aus 1Kor. 6, 2; 8. oben S. 502). 
Aus 1Kor. 6, 9. 10 stammt οὔτε πόρνοι οὔτε μαλακοὶ οὔτε 
«οσενοκοῖται βασιλείων ϑεοῦ κληρονομήσουσιν 6. ὅ. Ignatius 
hat diesen Brief mit Vorliebe — wenn man den Ausdruck nicht 
misverstehen will — nachgeahmt. Die Folge der Sätze exeivos 
ἀπόστολοι. . . ἐκεῖνοι ἐλεύϑεροι Bom. 4 weist ebenso bestimmt 
auf 1Kor. 9, 1, wie das gleich folgende ἀπελεύϑερος Ἰησοῦ auf 
1Kor. 7, 22. Aus 1Kor. 4, 4 ist Rom. 5 ἀλλ᾽ οὐ παρὰ τοῦτο 
δεδικαίωμαιε genommen. Die Selbstbezeichnung als περίψημα im 
Verhältnis zu den Ephesern Eph. 8 und zum Kreuz Eph. 18 
ist Nachbildung des misverstandenen paulinischen Ausspruchs 
1Kor. 4, 13; ähnlich verhält sichs mit Rom. 9 im Verhältnis 
zu 1Kor. 15, 8f. (s. obeu 5. 403), nur dass hier die Ab- 
hängigkeit von Paulus über allem Zweifel stebtt. Was Mgn. 10 
von Sauerteig und neuem Teig gesagt ist, geht trotz der Ab- 
weichung auf 1Kor. 5, 7f. zurück. Die Aussagen über das 
Abendmahl Eph. 20; Phil. 4 erinnern besonders an. 1Kor. 
10, 16f.; und wenn 1Kor. 9, 16 χάρις statt καύχημα gelesen 
wird, ist aine paulinische Redensart in χάρις σοι οὐκ ἔστιν ad Pol. 2 
wiederholt, wie auch der uneigentliche Gebrauch von ϑηριομαχῶ 
Rom. 5 aus 1Kor. 15, 32 um so wahrscheinlicher entlehnt ist, 
als die dortige Argumentation des Apostels V. 30 ff. wiederholt 
bei Ignatius nachklingt (Tr. 10; Sm. 4). Der von der Thorheit 
der .Kreuzespredigt handelnde Abschnitt 1 Kor. 1, 17ff., besonders 
V. 18. 23. 26 liegt dem Anfang von Eph. 18 zu Grunde und 
noelı der Anfang des 19. Kapitels bewegt sich in demselben 
paulinischen Gedankenkreis 1 Kor. 2, 8 (vgl. Baur II, 36). 
Dahingegen ist das Citat aus 1Kor. 1, 10 in Eph. 2 eine 
39* 


- 


- 


612 


spätere Glosse (s. oben S. 441). — Viel undeutlicher sind jeden- 
falls die Spuren des 2. Korintherbriefs. Die Beziehung Polykarps 
auf 2 Kor. 3, 2 erschien sehr zweifelhaft S. 609. Zu Pol. 6: 
προνοοῦντες ἀεὶ τοῦ καλοῦ ἐνώπιον ϑεοῦ καὶ ἀνθρώπων pflegt 
man neben Röm. 12, 17 auch 2Kor. 8, 21 anzuführen. Im 
selben Kapitel mag auf die Worte πάντας δεῖ παραστῆναι τῷ 
βήματι τοῦ Χριστοῦ καὶ ἕκαστον ὑπὲρ ἑαυτοῦ λόγον δοῦναι 
2Kor. 5, 10 einen untergeordneten Einfluss geübt haben wegen 
τοῦ Χρισεοῦ statt τοῦ ϑεοῦ, die eigentliche Grundstelle ist 
aber Rom. 14, 10. 12; ef. Tert. adv. Marc. V, 14 extr. Bei 
Ignatius findet sich nur eine später -eingeschobene Anführung von 
2Kor. 4, 18 in Rom. 3 (s. oben 5. 559). 

Der Epheserbrief, welcher schon am Ende des 1. Jahr- 
hunderts in Rom auch wenig gebildeten Christen genau bekannt 


war (vgl. meinen Hermas, S. 412ff. 478), ist auch dem Polykarp 


bekannt gewesen. Aus Eph. 2, 8f. stammt χάριτί ἐστε σεσωσ- 
μένοι, οὐκ ἐξ ἔργων 6. 1, was an Clem. ad Corinth. I, 32 wohl 
nur deshalb erinnert, weil auch dort der paulinische Epheserbrief 
zu Grunde liegt. Mag man ferner den dunkeln Anfang von 
c. 12 (8. oben δ. 506) emendiren, wie man will, die Thatsache, 
dass die beiden Sätze: „irascimini et nolite peccare“ und „sol 
non vccidat super iracundiam vestram“ wörtlich mit Eph. 4, 26 
(Vuigata) übereinstimmen, lässt nicht daran zweifeln, dass Polykarp 
aus dieser Stelle schöpft, obgleich er den ersten Satz auch aus 
Ps. 4, 5 gewinnen konnte. Auch Ignatius kennt den Epheser- 
brief, aber nicht als einen an die ephesische Gemeinde ge- 
richteten Brief. Das zeigte sich gerade an der Stelle (Eph. 12), 
an welcher man eine ausdrückliche Bezugnahme auf den ganzen 
Epheserbrief hat finden wollen (s. S. 607). Das muss auch 
mistrauisch machen gegen die Beobachtung von Bunsen (1, 85), 
dass der Eingang ‘des paulinischen Epheserbriefs im Eingang des 
ignatianischen Eplıeserbriefs nachgeahmt sei. Daraus scheint 
dann unweigerlich zu folgen, dass schon Ignatius jenen Brief mit 
der Ueberschrift oder Unterschrift πρὸς ᾿Εφεσίους gekannt habe. 
Aber wenn man das τῇ εὐλογημένῃ ἐν μεγέϑει ϑεοῦ Eph. inser. 
auf Eplı. 1, 3 glaubt zurückführen zu müssen, so sollte man 
auch nicht unbemerkt lassen, dass das τῇ εὐλογημένη ἐν χάριτι 
ϑεοῦ πατρὺς Mgn. inser. wenigstens den gleichen Anspruch er- 
heben.könnte. Die Zurückführung des Christenstandes der Epheser 
auf das ϑέλημα τοῖ πατρὸς καὶ Ιησοῦ Χριστοῦ Eph. inser. er- 
innert nicht stärker an Eph. 1, 5, als das Aehnliche, was Rom. 
inscr. zu lesen ist; ja der dortige Zusammenhang weist noch 
entschiedener auf die paulinischen Sätze, wenn man sich durch 
das ἡγαπημένῃ καὶ πεφωτισμένῃ κι τ. Δ. (8. oben 8. 557) an 


" 


613 


das paulinische ἐν ἀγάπῃ προορίσας erinnern lässt. Es bleibt 
an: Beziehungen zwischen den Eingängen der beiden Epheser- 
briefe nur dies, dass in beiden von Prädestination (προορίζειν) 
und Erwählung (&xA&yeo$u.) die Rede ist. Aber gerade die 
eigenthümlichsten Gedanken des Ignatius, dass die Erwählung 
durch das Leiden Christi vermittelt sei, und dass die „Einzel- 
gemeinde als solche Object der Prädestination sei, haben im 
paulinischen Epheserbrief keine Grundlage. Es lässt sich also 
nur sagen, dass auch in Eph. inser. einige nicht sehr deutliche 
Anklänge an den paulinischen Epheserbrief sich finden. Solcher 
halbdeutlichen Anklänge finden sich noch manche. Auf Eph. 1, 6- 
mag zurückgehn das τοῦ ἠγαπημένου ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ Sm. 
inscr. vgl. meinen Hermas, S. 414. An Eph. 4, 4—6 erinnert 
Mgı. 7, an Eph. 6, 11—17 wegen der Worte πανοπλία und 
περικεφάλαιαι ad Pol. 6. Die Ermahnung an die Ehemänner 
ἀγαπᾶν τὰς συμβίους ὡς ὃ κύριος τὴν ἐκκλησίαν ad Pol. 5 wird 
mit Recht ziemlich allgemein auf Eph. 5, 25 zurückgeführt, wo- 
hingegen das sehr wörtliche Citat aus Eph. 5, 2 in Eph. 1 eine 
‘Glosse des Interpolators und Anderer, die ihm folgten, ist 
(8. oben S. 563). Wir sehen aus Polykarp ohnedies deutlich 
genug, dass der paulinische Epheserbrief um 110 zu den fleissig 
gelesenen gehörte. 

Was bei einem Fälscher um 140 oder 170 kaum vermeid- 
lich gewesen wäre, welcher Briefe an Gemeinden verfertigte, an 
welche auch Paulus geschrieben hatte, das vermisst man auch 
im Verhältnis des ignatianischen Römerbriefs zum paulinischen. 
Eine Anspielung an diesen ist gerade im Römerbrief des Ignatius 
nicht zu finden, geschweige denn eine Nachahmung. Es konnte 
sogar belıauptet werden, Ignatius und Polykarp hätten den 
paulinischen Römerbrief gar nicht - gekannt (Schmidt, Bibliothek 
für Kritik und Exegese II, 16); und in der That finde ich bei 
Polykarp nichts ausser den δ. 612 genannten Anklängen und 
bei Ignatius nur Sm. 1 (τὸν κύριον ἡμῶν; ἀληϑῶς ὄντα ἐχ 
γένους Jaßid κατὰ σάρκα, υἱὸν ϑεοῦ κατὰ ϑέλημα καὶ δύναμιν 
ϑεοῦ, cf. Eph. 20) eine wahrscheinliche Anspielung an Röm. 
1, 3f. Nicht viel besser stehts mit dem Galaterbrief. Das in 
ganz anderem Zusammenhang vorkommende ὡς ἔτι καιρὸν ἔγομεν 
Sm. 9 ist zu wenig Charakteristisch, um ernstlich an Gal. 6, 10 
zu erinnern. Eher möchte Gal. 1, 1 dem zu Grunde liegen, 
was Ignatius Phil. 1 vom Bischof der Philadelphener sagt: 
οὐκ ἀφ᾽ ἑαυτοῦ οὐδὲ δι᾿ ἀνθρώπων κεκι ἦσϑαι τὴν διακονίαν. 
Polykarp hat aus Gal. 6, 7 dem paulinischen Zusammenhang 
entsprechend εἰδύεες ὅτε ϑεὸς οὐ μυκτηρίζεται entlehnt ὁ. 5, 
und Gal. 4, 26 könnte, zumal wenn man da schon damals das 


614 


zweifelhafte πάντων las, einigen Einfluss geübt haben auf das, 
was Pol. 3 von der πίστις gesagt ist: ἥτις ἐστὶ μήτης πάντων 
ἡμῶν. — An die Thessalonicherbriefe erinnert eigentlich nur 
das „et non sicut inimicos tales existimetis“ Pol. 11 vgl. 2 Thess. 
3, 15; denn das προσευχαῖς σχόλαζε ἀδιαλείπτοις ad Pol. 1 ist 
selbst „dann, wenn das Attribut ursprünglich im Text stand 
(8. oben S. 196), kaum als Anspielung an 1Thess. 5, 17 zu be- 
zeichnen. 

Dass Polykarp den ersten. Timotheusbrief gelesen hat, liegt 
auf der Hand. Vgl. Pol. 4: ἀρχὴ δὲ πάντων χαλεπῶν φιλαρ- 
" yvola εἰδότες οὖν ὅτι οὐδὲν εἰρηνέγκαμεν εἷς τὸν κόσμον, ἀλλ᾽ 
οὐδὲ ἐξενεγκεῖν τι ἔχομεν x. τ. A, mit 1Tim. 6, 10 u. 7. Daher 
mag auch die Ermahnung: orate etiam pro regibus οὐ potestati- 
bus et principibus c. 12 aus 1Tim. 2, 2 geflossen sein, s. oben 
S. 496. Unpassend dagegen scheint es mir, sich für das eine 
Wort συμιβασιλεύσομεν ὁ. 5 auf 2Tim. 2, 12 zu berufen. Auch 
die Anklänge an Stellen der Pastoralbriefe in c. 2. 7 sind nicht 
deutlich. Dahingegen fusst Ignatius mit seinem un πλανᾶσϑε 
ταῖς ἑτεροδοξίαις μηδὲ μυϑεύμασιν τοῖς παλαιοῖς, ἀνωφελέσιν 
οὖσιν Mgn. 8 ganz und gar auf 1Tim. 1, 4 (vgl. 4, 7; Tit. 
1, 14) und Tit. 3, 9. Auch das Wort ἑτεροδιδασχαλεῖν ad Pol. 3 
theilt er mit 1 Tim. 1, 3; 6, 3 und die Bezeichnung der ver- 
führerischen Thätigkeit der Irrlehrer «lyuulwriew Eph. 17; 
Phil. 2 mit 2Tim. 3, 6. Die Einräumung, welche man kirch- 
licher Seits der häretischen Ueberschätzung des Alten Testaments 
zu machen hat, erinnert durch die Form, in welcher sie Phil. 9 
auftritt: καλοὶ καὶ οἱ ἱερεῖς und πάντα ὁμοῦ καλά ἐστιν, an 
1 Tim. 1, 8. Es ist ferner kaum denkbar, dass zwischen der 
Bezeichnung der Geistlichen als προκαϑύμενοι εἰς τύπον χαὶ 
διδαχήν ἀφϑαρσίας Men. 6 und Tit. 2, 7: σεαυτὸν παρεχόμενος 
τύπον καλῶν ἔργων, ἐν τῇ διδασκαλίᾳ ἀφϑορίαν kein Zusammen- 
hang bestehen sollte. Der Ausdruck ἐπαγγέλλεσθαι ϑεοσέβειαν 
1 Tim. 2, 10 kehrt wieder Eph. 14 in πίστιν ἐπαγγέλλεσθαι und 
ἐπαγγέλλεσθαι Χριστιανὸς εἶναι. Die oben 5. 608 ausgesprochene 
Vermuthung, dass die Hyperbel in Eph. 12 auch auf Stellen 
der Pastoralbriefe fusse, war demnach berechtigt. 


4. Andere neutestamentliche Briefe. Die Art, wie 
Ignatins (Phil. 9: κρείσσων δὲ ὁ ἀρχιερεὺς, ὃ πεπιστευμένος τὰ 
ἁγια τῶν ἁγίων, ὃς μόνος πεπίστευται τὰ κρυπτὰ τοῦ ϑεοῦ) 
und Polykarp (6. 12: ipse sempiternus pontifex, Dei filius, Jesus 
Christus) von Christus als Hohempriester wie von einer allbe- 
kannten Sache reden, erklärt sich am bequemsten durch die An- 
nahme, dass sie den Hebräerbrief kannten, der schon erheblich 


615 


früher in Rom eifrig gelesen wurde (s. meinen Hermas, 
S. 439 ff.). — Besonders deutlich ist die Benutzung des ersten 
Petrusbriefes bei Polykarp. Schon Euseb sagte h. e. IV, 14, 9: 
ὃ γέ τοι Πολύκαρπος ἐν τῇ δηλωϑείσῃ πρὸς Φιλιππησίους αὑτοῦ 
γραφῇ, φερομένῃ εἷς δεῦρο, κέχρηταί τισι μαρτυρίαις ἀπὸ τῆς 
Πέτρου προτέρας ἐπιστολῆς. Von der Grussüberschrift mag es 
zweifelhaft bleiben, ob sie nur Nachbildung der Grussüberschrift 
des Clemensbriefes ist, oder ob sich Polykarp gleichzeitig einer 
Abhängigkeit von 1 Petr. 1,.2 bewusst war. Aber unmittelbar 
an eine Reminiscenz aus der Pfingstpredigt des Petrus (c. 1, 
8. S. 604) schliesst sich an: eis ὅν οὐκ ἰδόντες πιστεύετε, πι- 
στεύοντες δὲ ἀγαλλιᾶσϑε χαρᾷ ἀνεκλαλήτῳ καὶ δεδοξασμένῃ. 
Sollten auch die Worte πιστεύοντες δὲ ἀγαλλιᾶσϑε ebenso wie 
die Zusätze des lateinischen Uebersetzers als Glosse zu streichen 
sein (s. Dressels Note), so bleibt doch die Abhängigkeit von 
1 Petr. 1, 8 deutlich. An 1Petr. 1, 12 erinnern die gleich 
folgenden Worte εἰς ἥν πολλοὶ ἐπιϑυμοῦσιν εἰςελϑεῖν, und ὁ. 2 
beginnt mit den Worten aus 1Petr. 1, 18: διὸ ἀναζωσάμενοι 
τὰς ὀσφύας ὑμῶν δουλεύσατε x. τ. λ. Nach kurzer Unter- 
brechung folgt πιστεύσαντες εἰς τὸν ἐγείρᾳντα τὸν κύριον ἡμῶν 
’Inoovv Χριστὸν ἐκ νεκρῶν καὶ δόντα αὐτῷ δόξαν aus 1 Petr. 
1, 21. Es besteht also bis dahin ein förmlicher Parallelismus 
beider Briefe. Aber auch weiterhin stammt aus 1Petr. 3, 9 
μὴ ἀποδιδύντες κακὸν ἀντὶ κακοῦ, ἢ λοιδορίαν ἀντὶ λοιδορίας 
Pol. 2, aus 1Petr. 2, 11 πᾶσα ἐπιϑυμία κατὰ τοῦ πνεύματος 
στρατεύεται Pol. ὅ, aus 1 Petr. 2, 21f. 24 in umgekehrter 
Ordnung ὃς ἀνήνεγκεν ἡμῶν τὰς ἁμαρτίας τῷ ἰδίῳ σώματι ἐπὶ 
τὸ ξυλόν, ὃς ἁμαρτίαν οὐχ ἐποίησεν οὐδὲ ευρέϑη δόλος ἐν τῷ 
στόματι αὐτοῦ UNd τοῦτον γὰρ ἡμῖν τὸν ὑπογραμμὸν ἔϑηκε 
Pol. 8, aus 1Petr. 2, 12 conversationem vestram irreprehen- 
sibilem ‚habentes in gentibus Pol. 10, aus 1Petr. 4, 7 νήφοντες 
πρὸς τὰς προςευχάς 6. 7. — Bei Ignatius sind die Beziehungen 
auf den ersten Petrusbrief wieder versteckter. Das δε ὀλίγων 
γραμμάτων αἰταῦμαι ὑμᾶς Rom. 8 und de’ ὀλίγων ὑμᾶς γραμ- 
μάτων παρεχάλεσα ad Pol. 7 erinnert allerdings an 1 Petr. 5, 12, 
und ich verstehe nicht, warum z. B. Dressel statt dessen Gal. 
6, 11 eitirt, und warum Bunsen I, 40 hierin eine ungeschickte 
Compilation aus beiden Stellen fand. Es wird Eph. 5 Prov. 
3, 34 mit dem aus Jakob. 4, 6 und 1Petr. 5, 5 (vgl. Clem. 
ad Corinth. I, 30 und ‘meinen Hermas, S. 447) bekannten ὁ ϑεός 
statt κύριος der LXX angeführt; die Quelle für Ignatius ist aber 
der Brief des Petrus, denn nur hier dient das Citat wie bei 
Ignatius zur Begründung einer Ermahnung, sich den Vorstehern 
unterzuordnen und die Gemeindeeinheit zu bewahren. Die Vor- 


616 


stellung von Gott oder Christus als Bischof und Hirte der Kirche 
(Sm. 8; Rom. 9) berührt sich zunächst mit 1Petr. 2, 25; 
5, 4. = 
Von den Briefen des Jakobus und Judas und dem zweiten 
_ Petrusbrief finde ich weder bei Polykarp noch bei Ignatius eine 
Spur. Nur sachliche Uebereinstimmungen mit Jak. 2, 14ff.; 
3, 1 liegen in Eph. 14. 15. Ebenso verhält sichs mit der Er- 
innerung an ‘die μακροϑυμία τοῦ ϑεοῦ Eph. 11 und 2Petr. 
3, 15 und mit dem Lob des Paulus bei Pol. 3 und in 2 Petr. 
3, 15. - 
Das Ergebnis ist dieses. An den Briefen des Ignatius und 
Polykarps haben folgende Schriften des Neuen Testaments ein 
zuverlässiges Zeugnis ihres Einflusses auf das kirchliche Denken 
und Reden, von den Evangelien: 1) Matthäus, 2) Johannes; . 
vom Werk des Lukas nur die Apostelgeschichte; von den pauli- 
nischen Briefen: 1) der erste Korintherbrief, 2) Philipper, 
3) Epheser, 4) erster Brief an Timotheus, 5) Galaterbrief; von 
den katholischen Briefen: 1) der erste des Petrus, 2) der erste 
dos Johannes. Zweifelhaft bleibt die Bezeugung des Römerbriefs, 
des zweiten an die Korinther, desjenigen an Titus und des 
Hebräerbriefs. 


5. Der Korintherbrief des Clemens und der Hirte 
des Hermas. Schon oben 5. 313 zeigte sich, dass dem Igna- 
tius Schriften bekannt waren, in welchen die römische Gemeinde 
auswärtigen Christen lehrend gegenübergetreten war. Die 
Aeusserungen, welche nach Ignatius Rom. 3 darin enthalten ge- 
wesen sein müssen, finden wir in dem Briefe, welchen die rö- 
mische Gemeinde durch Clemens an die Korinther richtete, und 
in dem Hirten des Hermas, welcher durch Vermittlung desselben 
Vorstehers der römischen Gemeinde. an die auswärtigen Ge- 
meinden gelangte. Dadurch allein schon ist erwiesen, dass 
Ignatius eine der beiden Schriften oder beide gekannt hat. Das 
muss auch denjenigen für wahrscheinlich gelten, welche die 
Briefe des Ignatius kürz vor oder nach der Mitte des 2. Jahr- 
hunderts geschrieben denken. Jünger sind sie dann jedenfalls 
als der Brief des Clemens und der Hirte des Hermas. Sie 
sind aber auch etwa 12 Jahre jünger als diese, wie ich be- 
wiesen zu haben meine, um 96—100 verfassten römischen Schrif- 
ten, wenn sie ein ächtes Werk des Ignatius und um 110 ge- 
schrieben sind. Steht Letzteres nunmehr so fest, wie es mir 
scheint, so haben jene römischen Schriften an den Briefen des 
Ignatius und Polykarp ein Zeugnis, welches vollends unzweifel- 
haft macht, dass geraume Zeit vor 110 die Verbreitung des 


617 


Clemensbriefs von Korinth aus und des Hirten des Hermas von 
Rom aus begonnen hat. 

Zuerst meines Wissens hat Uss. adnot. p. 1 darauf hinge- 
wiesen, dass Polykarp sich in Gedanke und Ausdruck vielfach 
an den Brief des Clemens auschliesse. Da Polykarp mit seinem 
Presbyterium, also im Namen seiner Gemeinde an die Philipper 
schrieb, musste es ihm naheliegen, dieses, soviel wir wissen, 
erste in weiteren Kreisen bekannt gewordene Schreiben einer 
Gemeinde an die andere sich zum Muster zu nehmen. Schon 
in der Grussüberschrift hat Polykarp, auch wenn er das älteste 
Vorbild aller ähnlichen Formen (vgl. 2Petr. 1, 2; ep. Smyrn. 
inscr.; constit. apost. init.), nämlich 1 Petr. 1, 2 im Gedächtnis 
gehabt lıaben sollte, sichtlich den Clemensbrief nachgeahmt. Es 
können nicht zufällig bei beiden die Worte entstanden sein: τῇ 
ἐχκλησίᾳ τοῦ ϑεοῦ τῇ παροικούσῃ «ν΄. ἔλεος (bei Clemens 
Läcke) ὑμῖν καὶ εἰρήνη παρὰ (Cl. ἀπὸ) ϑεοῦ παντοχράτόρος 
(Cl. πανε. 8.) καὶ (Cl. διὰ) Ἰησοῦ Χριστοῦ (Pol. add. τοῦ 
σωτῆρος ἡμῶν) πληϑυνϑείη. In dem evangelischen Citat c. 2 
verrieth Polykarp deutlich Abhängigkeit von Clemens, und die 
Art, wie er die philippische Gemeinde an ilıre Urgeschichte er- 
innert, ist geradezu Nachahmung des gleichen Verfahrens im 
Brief des Clemens (s. oben S. 504 und S. 609). Es verdient 
ferner zusammengestellt zu werden: 


Polycarp. 

ὁ. 4. ἔπειτα καὶ τὰς γυναῖς- 
κας ὑμῶν ἐν τῇ δοϑείσῃ αὐταῖς 
πίστει xui ἀγάπῃ καὶ- ἁγνείᾳ, 
στεργοῦσας τοὺς ἑαυτῶν ἄνδρας 
ἐν πάσῃ ἀληϑείᾳ καὶ ,ἀγαπώσας 
πάντας ἐξ inor ἐν πάσῃ ἐγκ 
zei, zu τὰ τέκνα παιδεῖειν 
τὴν παιδείαν τοῦ φόβου τοῦ 
ϑεοῦ. 


ὁ. 7: ἐπὶ τὸν ἐξ ἀρχῆς ἡμῖν 
παραδοϑέντα λόγον ἐπιστρέψω- 
μεν. 

ο, 2: ἀπολιπόντες τὴν 
χενὴν ματαιολογίαν καὶ τὴν 
τῶν πολλῶν πλανήν cf. c. T: 
ἀπολιπόντες τὴν ματαιότητα 
τῶν τιυλλῶν καὶ τὰς ψευδοδι- 


᾿δασκαλίας. 


Clemens. 

c. 1. γυναιξίν τε ἐν ἀμώμῳ 
καὶ σεμνῇ καὶ ἀγνῇ συνειδύσει 
πάντα ἐπιτελεῖν παρηγγέλλετε, 
στεργούσας καϑηχόντως τοὺς 
ἀνόρας ἑαυτῶν. 6. 21: τὴν 
ἀγάπην αὐτῶν un κατὰ προς- 
κλίσεις, ἀλλὰ πᾶσι τοῖς goßor- 
μένοις τὸν ϑεὸν ἐξ ἴσης παρε- 
χέτωσαν. Vorher τοὺς νέους 
παιδεύσωμεν τὴν παιδείαν τοῦ 
φόβου τοῦ ϑεοῦ. 

ὁ. 19: ᾿ἐπαναδράμωμεν ἐπὶ 
τὸν ἐξ ἀρχῆς παραδεδομένον 
ἡμῖν τῆς εἰρήνης σκοπόν. 

6. 9: ἐπιστρέψωμεν ἐπὶ τοὺς 
οἰκτιρμοὺς αὐτοῦ, ἀπολιπόντες 
τὴν ματαιοπονέαν. 


618 


c. 12: confido enim vos bene ' ὁ. ὅδ: ἐπίστασϑε ‚rap καὶ 
exercitatos esse in sacris literis καλῶς ἐπίστασϑε τὰς ἱερὰς 
et nichil vos latet. Cf. Tertull. γραφὰς καὶ ἐγκεκύφατε εἰς τὰ 
praeser. 17. 14. λόγια τοῦ ϑεοῦ. 

‚Dasselbe ἐγκύπτειν (vgl. noch Clem. I, 45) findet sich 
Pol. 3 in Bezug auf die Briefe des Paulus, das unbiblische ὁ 
παντεπύπτης ϑεύός Clem. 55. 58 in Pol. 7, μωμοσχοπεῖσϑαι in 
Bezug auf das, was auf den Altar kommt Clem. 41 in Pol. 4, 
ὑπογραμμός Clem. 5. 16. 18 in Pol. 8. Das ὑπέμεινεν. .. 
ἕως ϑανατοῖ' καταντῆσαι Pol. 1 erinnert an Clem. 6, und was 
Polykarp von Paulus und den übrigen Aposteln sagt: εἷς τὸν 
ὀφειλύμενον αὐτοῖς τύπον εἶσι παρὰ τῷ κυρίῳ c. 9, an das über 
Petrus und Paulus Gresagte: ἐπορεύϑη ᾿εἰς τὸν ὀφειλόμενον τόπον 
τῆς δύξης . .. εἷς τὸν ἅγιον τόπον ἐπορεύϑη bei Clem. 5. -- 
Auch bei Jgnatius fehlt es nicht an Anklängen an den Clemens- 
brief. Sie verhalten sich zu den förmlichen Nachbildungen 
Polykarps ebenso wie seine biblischen Reminiscenzen zu Polykarps 
Citaten. Schon Jakobsons Index 8. vv. ὁμόνοια, ὑποτάσσεσϑαι 
bietet Beachtenswerthes. Wenn Ignatius durch seine Reise von 
Syrien bis Rom an die des Paulus erinnert wurde (s. oben 
S. 607), so dünkt es mich wahrscheinlich, dass er bei Rom. 2 fiu. 
an das berühmte Wort des Clemens über Paulus (6. 5 κήρυξ 
γενόμενος x. r. λ.) dachte. Der Satz μὴ ἀφορμὰς δίδοτε τοῖς 
ἔϑνεσιν, ἵνα μὴ δι᾿ ὀλίγους ἄφρονας τὸ ἐν Fe πλῆϑος βλασ- 
φημῆται Tr. 8 wird zurückgehn auf Ulem. 1: τῆς ἀλλοτρίας καὶ 
ξενῆς. ον στάσεως, ἤν ὀλίγα πρόσωπα προπετῆ καὶ αὐθάδη 
ὑπάρχονια εἷς τοσοῦτον ἀπονοίας ἐξέκαυσαν, ὥστε τὸ σεμνὸν καὶ 
περιβόητον καὶ ἀξιαγάπητον ὄνομα ὑμῶν μεγάλως βλασφη- 
μηϑῆναι, und c. 47: WOTE καὶ βλασφημίας ἐπιφέρεσθαι 
τῷ ὀνόματι κυρίου διὰ τὴν ὑμετέραν ἀφροσύνη v. Das stehende 
Epitheton der korinthischen Ruhoestörer ist ἄφρων ὁ. 3. 21. 39. 
Das τὸ ὕψος, εἰς ὃ ἀνάγει ἡ ἀγάπη x. τ. A. Clem. 49 möchte 
auf Eph. 9 eingewirkt haben. 

Viel sicherer erkennt man, dass achtungsvolle Lectüre das 
Ποιμήν auf die theologischen Anschauungen und Ausdrucks- 
weisen des Ignatius erheblichen Einfluss geübt hat. Wenn es 
Phil. 9 von Christus heisst: αὐτὸς ὧν ϑύρα τοῦ πατρὸς, δι᾿ 
ἧς εἰσέρχονται “Ἵβραὰμ καὶ ᾿Ισαὰκ καὶ Ἰακὼβ καὶ οἱ προφῆται 
καὶ οἱ ἀπόστολοι καὶ ἡ ἐκκλησία" πώστα ταῦτα εἰς ἑνότητα ϑεοῦ, 
so vergleicht man ohne sonderlichen Nutzen Job. 10, 7. 9; 
denn die zu Gott oder zum Vater führende Thür ist Christus 
dort nicht, wohl aber bei Hermas sim. IX, 12, p. 125, 33 sqg.; 
126, 9syq. Der Gedanke, dass durch Ühristus, als die Thür, 
die alttestamentlichen Frommen ebenso wie die \ Apostel und die 


619 


durch sie gesammelte Gemeinde zu Gott eingehn, welcher bei 
Ignatius als bekannte Wahrheit auftritt und daher ebenso wie 
der von der Auferweckung jener Frommen und Propheten durch 
Christus eine Ueberlieferung, eine vorangegangene Auctorität 
voraussetzt (s. oben S. 598), ist der Hauptgedanke des neunten 
Gleichnisses (vgl. meinen Hermas, S. 153 ff. 164f. 1981. 475£.). 
Dort werden von der grossen Menge von Christen aus allen 
Völkern, welche durch Christus als das Thor zu Gott eingehn 
(sim. IX, 17 sqq.), als besondere ihnen vorangehende Classen 
unterschieden 10-25 gerechte Männer, 35 Propheten und 
Diener Gottes, 40 Apostel und Lehrer des Sohnes Gottes (sim. 
IX, 15). Genau diese Reihenfolge hält Ignatius inne, und schon 
das Präsens εἰςέρχονται zeigt, dass ihm diese zum Theil der 
Vergangenheit angelörigen Vorgänge als einheitliche Handlung 
vorschweben, wie sie nur im visionären Bild des Hermas sich 
darbot. Selbst die auffällige Bezeichnung der übrigen Christen 
ausser den Aposteln durch ἡ ἐκκλησία (s. oben 8. 315) stammt 
aus Hermas sim. IX, 18. — Auf Hermas gehen ferner die Sätze 
Eph. 14 zurück: . . . ἐὰν “τελείως εἰς Ἰησοῦν Χριστὸν ἔχητε 
τὴν πίστιν καὶ τὴν ἀγάπην, ἥτις ἐστὶν ὦ ἀρχὴ ζωῆς καὶ τέλος, ἀρχὴ 
μὲν πίστις, τέλος δὲ ἀγάπη" τὰ δὲ δύο ἐν ἑνότητι γενόμενα 
ϑεοῦ ἐστιν" τὰ δὲ ἄλλα πάντα εἰς καλοχαγαϑίαν ἀκύόλουϑά ἐστιν. 
Schon die Bezeichnung des Glaubens als Anfangs und der Liebe 
als Endes in einem Zusammenhang, in welchem doch eine Reihe 
christlicher Tugenden nicht vorgeführt wird, weist uns auf eine 
solche Reihe mit diesen beiden Endpuncten (s. vis. III, 8; 
sim. IX, 15; vgl. meinen Hermas, S. 434). Auffällig ist ferner, 
dass, nachdem die Liebe als τέλος bezeichnet ist, dennoch alle 
anderen zur Tugendhaftigkeit gehörigen Dinge der mit dem 
Glauben verbundenen Liebe erst nachfolgen sollen. Aus dem 
Weiteren sieht man, dass die Bethätigung der Gesinnung nach 
aussen gemeint ist. Der Ausdruck aber stammt aus mand. ΠῚ: 
πρῶτον navy πίστις, φόβος κυρίου, ἀγάπη «νον εἶτα 
τούτων τὰ ἀκόλουϑα ἄκουσον, χήραις ὑπηρετεῖν κι τ. λ. 
Die dazwischen stehenden Worte τούτων ἀγαϑώτερον οὐδέν 
ἐστιν ἐν τῇ ζωῇ τῶν. ἀνϑρώπων „klingen wenigstens an Sm. 6: 
τὸ γὰρ ὅλον ἐστὶν πίστις καὶ ἀγάπη, ὧν οὐδὲν προκέκριται. 
An Hermas erinnern, wenn erst sein Einfluss auf Ignatius an- 
orkannt ist, Sätze wie Sm. 9: εὔλογόν ἐστιν λοιπὸν ἀνανῆψαι 
καὶ, ὡς ἔτι καιρὸν ἔχομεν, εἷς ϑεὸν μετανοεῖν (οἵ. vis. II, 2; 
eine Modernisirung desselben, auch bei Ignatius noch durch die 
Nähe der Parusie bestimmten Gedankens Eph. 11. 15; Mgn. 5, 
findet sich Clem. ad Corinth. II, 7). Demselben Gedankenkreis 
gehört an und erinnert besonders an sim. VIII, 11 der Satz: 


620 


ἔσχατοι καιροί" λοιπὸν αἰσχυνϑῶμεν, φοβηϑῶμεν τὴν 
μακροθυμίαν τοῦ ϑεοῦ Eph. 11, vgl. jedoch auch meinen 
Hermas, S. 432. Aber auch unzweifelhafte Reminisconzen finden 
sich in diesem Gedankenkreis. Was Eph. 10 von den Heiden 
gesagt ist: ἔστιν γὰρ ἐν αὐτοῖς ἐλπὶς μετανοίας, berührt sich 
sachlich mit vis. II, 2. p. 10, 8, der Ausdruck stammt aus 
sim. VIII, 7: ἔτι, φησὶν, ἔστιν αὐτοῖς ἐλπὶς μετανοίας, oder 
sim. Im, 10: ἐν τούτοις οὖν ἔνεστιν μετανοίας ἐλπίς. Das 
τέλος τὰ πράγματα ἔχει Mgn. 5 vergleicht sich dem absoluten 
ἔχει τέλος vis. III, 8. Wenn Ignatius -im Gegensatz zu der 
Schwierigkeit, die es hat, gewisse Menschen „zu bekehren, Sm. 4 
yagt τούτου δὲ ἔχει ἐξουσίαν ᾿Ιησοῦς Χριστός, und in ähnlichem 
Zusammenhang Eph. 7 den Zustand derselben Menschen als 
schwer heilbare Krankheit, Christus aber als den einzigen dazu 
befähigten Arzt ansieht, so muss man ‚an mand. IV, 1 denken: περὶ 
δὲ τῆς προτέρας ἁμαρτίας ἔστιν ὃ δυνάμενος ἴασιν δοῦναι" 
αὐτὸς γάρ ἐστιν ὁ ἔχων πάντων τὴν ἐξουσίαν cf. sim. V, 1. 
Auch Polykarp kennt den Hirten des Hermas. Der Ge- 
danke, dass Gott die μετάνοιά schenkt, ist zwar an sich nicht so 
auffällig (vgl. 2Tim. 2, 25), dass schon darum die Worte: 
„quibus det dominus veram poenitentiam“ Pol. 11 an den Hirten 
erinnern müssten. Aber dieser gebraucht die ihm auch sonst ge- 
läufige Redensart διδόναι μετάνοιαν (vis. IV, 1. p. 30, 5; 
sim. VIII, 11. p. 111, 28) gerade auch in einem Zusammen- 
hang, wo es sich um den Gegensatz wahrer und heuchlerischer 
Bekehrung solcher Christen handelt, welche durch ihre Sünden 
den Namen Gottes entweiht haben (sim. VID, 6 p. 107, 18 ---18). 
Man muss nur den Ausgangspunct der Auseinandersetzung 
(Pol. 10fin.), an dessen Schluss Polykarp dies sagt, im Auge 
haben, um seine Abhängigkeit vom Hirten mit Händen zu grei- 
fon. Das ἐν ὑποκρίσει (μετανοεῖν sim. VII, 6, πιστεύειν „vie. 
III, 6) des Hirten ist um 80 gewisser in Pol. 6 (τῶν ἐν ὑπο- 
κρίσει φερόντων τὸ ὄνομα τοῦ κυρίου) wiederzuerkennen, als die 
gleichfolgenden Worte (οἵτινες ἀποπλανῶσι κενοὺς ἀνθρώπους) 
der Schilderung des falschen Propheten ‚bei Hermas entlehnt ist 
(mand. XI, p. 68, 2: αὐτὸς γὰρ κενὸς ὧν κενῶς καὶ ἀποκρίνεται 
κενοῖς, οἵ, p. 69, 3484ᾳ.. Zudem ist φέρειν τὸ ὄνομα τοῦ 
κυρίου bei Hormas stehende Bezeichnung der äusserlichen Zu- 
hörigkeit zur Gemeinde, und gerade von den ὑποχριταὶ καὶ διδά- 
σχαλοι τῆς πονηρίας wird es sim. IX, 19 wie von Polykarp ge- 
braucht. An sim. IX, 28 (μεῖς δὲ οἱ πάσχοντες ἕνεχεν τοῦ 
ὀνόματος δοξάζειν ὀφείλετε, τὸν eo») scheint sich Polykarp 
(6. 8: ἐὰν πάσχωμεν διὰ τὸ ὄνομα αὐτοῦ, δοξάζωμεν αὐτὸν) 
enger anzuschliessen, als an 1Petr. 4, 16. So ist es auch 


621 


möglich, dass Polykarp, der fast alle nicht ganz gewöhnlichen 
Ausdrücke seiner Lectüre älterer christlicher Literatur verdankt, 
sein χαλιναγωγεῖν ἑαυτόν 6. 5 (vgl. se gubernare ὁ. 11) in Er- 
innerung an mand. XI, 1 gebraucht. . 

Das Ergebnis dieser letzten Untersuchung ist dies: Die 
durch die Worte des Ignatius Rom. ὃ begründete Erwartung, 
dass der Brief des Clemens und der Hirte des Hermas in den 
östlichen Kirchen. damals verbreitet waren, hat sich bestätigt, 
und zwar so, dass Polykarp vorwiegend für Clemens, Ignatius 
vorwiegend für Hermas, beide aber auch fiir beide zeugen. 


‘ 


Register. 


—e 


I. Die nicht selbstverständlichen Abkürzungen. *) 


\ = armenische Uebersetzung der |  ächten und die vier unächten Briefe 
ignatianischen Briefe nach Peter- | des Ignatius von Antiochien. 
mann, iin Römerhrief als ΑἹ 1847. 

unterschieden von A2, der Ueber- | Buns. II = Derselbe, Ignatius 

setzung des mit dein Martyrium von Antiochien und seine Zeit. 

zugleich übersetzten Römer- Sieben Sendschreiben an Neander. 

briefs. 1847. 

Arndt = Beitrag zur Entscheidung | Cler. oder Cler. Il = der zweite 

des Streits über die Echtheit der Band von Coteliers Patres apo- 

Briefe des Ignatius von Antio- stolici in der zweiten Ausgabe 
chien in den Theol. Stud. u. Krit. des Joh. Clericus von 1724. 


1839, S. 136 ff. Cur. = Corpus Ignatianum by 
Arndt (Handschrift) = das in der W. Cureton. Berlin 1849. — 
Vorrede erwähnte handschriftliche Cur. introd. weist auf die Ein- 
Werk desselben. leitung desselben Werks mit be- 
Baur I = Ueber den Ursprung sonderer Paginirung. 
ıles Episkopats 1838. Dall. = 7. Dallaeus, de scriptis, 
Baur 1 = Die ignatianischen quae sub Dionysii Areop. et 
Briefe und ihr neuster Kritiker. Ignatii Ant. nominibus circum- 
1848. feruntur. 1666. 
Buns. 1 = DBunsen, die drei ! Denz. — Denzinger, über die 


*) Die ahgekürzten Bezeichnun:en der Handschriften sind im Anhang I, die 
der Sammlungen S. 97f. erklärt. — Der Barnabasbrief ist nach den Paragraphen 
der Ausgabe von Müller, der Pastor Hermae nach Hilgenfelds Nov. Testam. 
eitirt. - . 


628 


Aechtheit des bisherigen Tex- 
tes der ignatianischen Briefe. 
1849. 

Düsterd. — Düsterdieck, quae de 
Tgnatianarum epistolarum au- 
thentia etc. prolatae sunt senten- 
tiae enarrantur et dijudicantur. 
1843. 

61 — die kürzere Recension der 
sieben griechischen Briefe, im 
Römerbrief gelegentlich als colb., 
in den übrigen als med. be- 
zeichnet. . 

6? —= die längere Recension. 

(rabe I, II = die beiden Theile 
des Spicilegium von Grabe in 
der 2. Auflage 1714. 

Hilgf. = Hilgenfeld, die aposto- 
lischen Väter. 1853. 

Kist = Ueber den Ursprung der 
bischöflichen Gewalt, in Zeitschr. 
für histor. Theol. 1832, 2. Heft. 
S. 4171. 

Li = die lateinische Uebersetzung 
von Gl, 

L?2 = die lateinische Uebersetzung 
von ΟΞ. 

Lips. 1 = Lipsius in der Zeitschr. 
für histor. Theol. 1856, 1. Heft. 

Lips. I = Lipsius in den Ab- 
handlungen der deutschen mor- 
„genländischen Gesellschaft 1859, 
1. Band, Nr. 8. 

Merx — Meletemata Ignatiana 1861. 

Nirsehl = Die Briefe des heiligen 
Ignatius und sein Martyrium 
übersetzt u. 8. w. 1870. 

Pears. 1. 11 — die beiden Theile 
der Vindiciae Ignatianae. Canta- 
brig. 1672. Die Einleitung mit 
besonderer Paginirung ist als 
Pears. prooem. citirt. 

Pears. IH = die nachgelassenen 
Anmerkungen zu den Briefen, 


von Th. Smith hinter seiner 
Ausgabe veröffentlicht. 

Rothe = Die Anfänge der christ- 
‚lichen Kirche und ihrer Ver- 
fassung. 1837. 

Seult. — Abr. Scultetus, medulla 
theologiae patrum. Amberg. 1598. 

Seur, = das von Cureton heraus- 
gegebene Excerpt aus der syri- 
schen Uebersetzung der igna- 
tianischen Briefe, manchmal auch 
nur als S bezeichnet und im 
Römerbrief als Si von dem 
Römerbrief im Martyrium, S2, 
unterschieden. 

Sfr. —= die zu derselben Uebersetzung 
gehörigen Fragmente, nach Seite 
und Zeile von Curetons Corpus 
Ign. eitirt. 

Sever. = die syrischen Fragmente 
des Severus von Antiochien nach 
Curetons Corpus Ign. 

Smith = S. Ignatii epistolae ed. 
Th. Smith. Oxon. 1709. 

Smith, sehol. = die der Ausgabe 
angehängten Anmerkungen mit 
besonderer Paginirung. 

Timoth., = Die syrischen Frag- 
mente des Timotheus Aelurus 
nach Curetons Corpus Ign. 

Uhlh. = Uhlhorn in der Zeitschrift 
für historische Theologie 1851. 

Uss, = der mittlere Haupttheil des 
oben S. 93 beschriebenen Werks. 

Uss. diss. = die voraufgeschickte 
dissertatio mit besonderer Pagi- 
nirung. 

Uss, adn. = die angehängten Ad- 
notationes. 

Uss. Cler, — Usshers appendix 
Ignatiana, nach Cler. IT (r. vor- 
her) von mir eitirt. 

Vedel,. = 8. Ignatii . quae 
exstant omnia, in duos Jibros 


distincta . . 
Vedelio, 


. &uctore 
Genevae 1623. 


624 


Nicol. 
Die 


voraufgeschickte apologia pro 
Ignatio ist nicht paginirt. 
Voss = Epistolae genuinae 8. | 


Ignatii. 


Adduntur 8. Ign. ep. 


quales vulgo eireumferuntur. Ad- 


haec 8. Barnabae epist. ed. Is, 
Vossius. Amstelod. 1646. 


Voss ad Riv. — 


die beiden Send- 


schreiben an Rivet hinter Pear- 
son» Vindiciae. 

Whisten — Christianity reviv’d. 
Vol. I. London 1711. . 


2. Exegetisch oder kritisch erörterte Stellen aus Ignatius 
und Polykarp. 


"Ad Rom. 


inser.: 
1: 
2: 
8. 245. 312ff. 406. 471. 


8. 308 fl. 475. 
S. 252f. 5571. 
S. 308. 405. 407. 472. 


559. 


: 8. 229f. 339. 410. 
: 8. 253. 274. 281. 405. 
: 8. 109. 177. 212. 414. 
: 8. 98. 164. 173. 177. 848 HE. 


413. 561 fl. 


: 8. 254. 403. 407. 


10: S. 243. 251. 252. 


Ad Ephes. 


1: 


(0 0) 


INS m 


S. 133. 254. 256. 549. 
563. 589. 


: 8. 441. 


482. 


558. 
483. 


560. 
560. 


554. 


3. 275. 299. 316. 563 f. 


S. 340f. 344f. 428. 


8. 958. 
135. 359. 384. 468. 


S. 
564 ff. 


: 8. 357. 421. 566. 
9; 


8. 258f. 338. 357. 


10: δ. 567. 
11: S. 101. 402. 


414. 


557. | 


— --- -, -.. -.Ὀ .............-΄ὃὔὉὃὟΡ"-Ὁὦ. 


12: 
18: 
15: 
16: 
11: 
18: 
19: 


. 606 fl. 
. 341. 345. 357. 
. 435. 483. 487. 


368. 454. 
435. 


. 135. 213. 420 f. 484. 


117. 187. 233 ff. 456. 


468. 484 ff. 596. 


20:8. 
21:8. 


Ad Ma 


.. 


Οὐ «2 δὴ δ᾽ mn κα Mr 


: Κὶὶ 
: Κ. 
: δ. 
:S, 
: Κ΄. 
: 5, 
Ss. 
: Κ, 
88 
8. 


: 5, 


358. 457. 568. 
88. 


273, 417. 569. 

440. . 
302 ff. 429. 

302. 

419. 

322. 471. 570. 

340. 345f. 4106. 


136. 178. 354. 360. 372. 


2f. 390. 461. 471 ἢ. 


109. 354. 455. 462. 463. 
370. 429. 457f. 


Ad Trall. 
inser.: S. 244. 415. 


: Ν᾿ 
: δ. 
Ss. 


323. 571. 
300 f. 571. 572. 


102f. 105. 192. 414: 416. 


572. 


: Ν᾿ 
: ΒΚ. 
Ss. 


180. 192. 204 f. 408. 573, 


574. 
213. 466. 


10: S. 574. 
11: S. 349. 480. 
13: 8. ‚421f. 


Ad Philad. 


inser.: 
. 261. 328. 451. 

. 262. 270. 

. 342. 4266, 

. 411. 430f. 485. 463. 575. 
. 266 f. 8696, 

. 266 ff. 

. 269. 373 ff. 589. 

. 315. 437. 461. 618f. 


on 1m Om μὰ 


ζΏ ζῶ ζῶ Ὁ Ὁ Ὁ MU 


5. 828. 350. 


Ad Smyrn. 


inser.: 


8. 473. 


1: 8. 429. 470. 482. 575. 
2: 8. 381. 394. 

3: S. 402, 475. 600. 

4: 8.246. 412. 467. 


625 


11: 8, 408. 57IL. 
13: S. 8841. 


Ad Polye. 

inser.: S. 70. 
. 597. 
. 415. 576. 597£. 
. 4101 
84. 104. 333. 345. 
. 820, 337. 576. 
858 ἢ, 


MUND μὰ 
Ὁ ὍΣ ὯΩ ζΩ ζῶ Ὁ mM Un 


Pol. ad Philipp. 
ως 8. 296. 617. 
δ. 290f. 510. 609. 
S. 507f. 
S. 297f. 333. 
: 8. 402. 
S. 496. 
: 8. 291f. 
11: S. 5601 δ΄. 609 ἢ. 
12: S. 506 f. 
13: 5. 288. 290. 2931. 
14: S. 295. 


3. Wörter. 


eyanav 348. 415. 
ἀγάπη 213. 347 ff. 587. 


ἀγένητος (ἀγέννητος) 135. 175. 
470. 564. 


dyıopooos 3839. 
ἅγνισμα 567. 


Zahn, Ignatius. 


ἀδιάχριτος, -«τως 429. 465. 
ἄϑεος 406. 
ἀχολουϑεῖν 964. 
ἀλείφειν 275. 
ἀντέψυχον 196. 422. 
ἀξιόπιστος 867. 

40 


. 265. 286. 412. 548. 560. 
. 283f. 286. 292. 428. 577. 


626 


anodwällew, εποδιυλισμιός 270. | λεόπαρδος 531. 


588. 
ἀρχεῖον 816. 
βιβλίδιον 277. 
᾿γενητός (γεννητός) 8. ἐγένητος. 
γινώσχειν 259. 
γινώσκεσϑαι 337. 
γράφειν dui τινος 242. 262. 
ἔχερωμα 407. 
ἔμπροσϑεν 284. 
ἐνερείδω 566. 
ἐντὸς 840. 
ἐπίχειταε ὅθ0. . 
ἕνωσις 118. 425. 
εὐχαριστία 341. 587. 
ϑεοδρόμος 286. 527. 
ϑεομακαρίτης 575. 
ϑεοφόρος 21. 25. 69 ff. 4161. 577. 
κακοδαίμων 11. 524. 
χαϑολική ἐχχλησία 428. 
καιρὸς 576. 
χαχοιτεχνέα 821. 
τὸ χοιγὸν 888. 
κοπιατής 129. 


μαϑητής 406. 573. 
μαϑητεύειν 314. 


| νεωτεριχός 804 ἢ, 


ὁμοήϑειε 819. 

ὀναίμην 126. 492. 
πάπας 154. 

παροδεύειν 254. 259. 
πάροδος 606 
περιφέρειν 359. 894. 516. 
περίψημα 198. 420 ἢ. 
προάγειν 258. 

πρόχειται 377. 
προςλαμβάψειν 808. 

σάρξ 254. 
συνδιδασχαλέίτης 275. 
σωμάτιον 580. 

τάξις 804. 

τοχξτος 500. 

τόπος 127. 808. 810 
τύπος 311. 570. 
χειροτονεῖν 228. 304. 
χοιστιανός 320 Anm. 406. 
χωρίον 308 ff. 


4. Sachen und Namen. 


Abendmahl 323. 341 ff, 363. 516. 605. 

Acacius von Cäsarea 141f. 

Agathopus 42. 260. 263f. 387. 
538. 

Alke 278. 538. 

Altar 840 ἢ. 

Altes Testament, Citate daraus 
4331. 
455 ff.; vgl. 431—437. 


Stellung zu demselben ' 


Anaclet von Rom 125. 154. 

Anastasius von Antiochien 88t.; 
vom Sinai 89. 

Anazarbus 155f. 159. 

Antiochien, Bischofsliste von An- 
tiochien 56ff. 124. Brief an die 
Gemeinde von Antiochien 160. 
227f. Syrische Sprache bei A. 
175 Anm. 


627 


Antivchus Monachus 108f. 
Antonius, Verfasser der Melissa 
84. 108 1. ' 
Apokryphische Ignatinscitate 84, 
103f. 106. 120. 

Apostel 324f. 480 ff. 439; in Klein- 
asien 8807. 

Apostelgeschichte 42f. 161. 592. 
600. 604. 

- Apostolische Constitutionen 60. 
125. 144-153. 513. 

Arianismus 133ff. 

Armenische Uebersetzung des Ign. 
70. 968. 

Athanasius 135. 512. 564. 578. 

Attieus 17f.; vgl. die Berichtigung 
δ. 630. 


Barnabas 76. Yif. 397f. 455. 456. 
514. 

Basilides 387. 

Bischof, Alter dess. 150f. 157. 
326f. Amt und Würde dess. 
130f. 296 - 332. 439-452. 


Cerinth 388 f. 392f. 

Clemens von Rom 79. 125f. 313. 
412. 616ff. 

Clemens von Alexandrien 513ff. 
588. 608. 

Christologie des Ignatius 464— 489 
vgl. 434 f£,. des Pseudoignatius 
132ff. 163; der ignatianischen 
Irrlehrer 380 ff. 392 ff. 

Chrysostomus 33ff. 38. 49. 53. 60. 

Cyprian 28. 85. 

Cyrill von Jerusalem 123. 

Cyrillonas 187. 


Diakonen 256. 822, 440. 445. 
Diakonissen 148. 325. 
Doketen 393. 


Egnatia via 254. 260. 


| Egnatius oder Ignatius 28. 401. 


Ehelosigkeit 334 ff. 

Eheschliessung 319. 

Ephesus. Gemeinde zu Ephesus 
258f. 274f. 357f. 530. 589f. 
606f.; Brief des Paulus an die- 
selbe 121, 607. 612; Brief des 
Ignatius an dieselbe 127. 274. 
612. 

Ephraem Syr. 218f. 221f. 

Ephraim von Antiochien 71. 89. 

Euagrius, Kirchenhistoriker 52f.; 
Freund des Hieronymus 183. 

Eusebius, Nachrichten über Ignatius 
und seine Briefe 51f. 75ff. 111. 
113. 117. 251; Benutzung seiner 
Chronik 47ff. 57; seiner Kirchen- 
geschichte 15f. 17f. 26. 80. 82. 
40. 121 ff. 141. 

Eustathius von Sebaste 142. 

Evangelium 373ff. 430ff.; des 
Matthäus 591. 592f. 596ff. 
603f. Marcus 600... .; Lucas 


591. 600. 603; der Hebräer 597. . 


599. 601. S. u. Johannes. 


Gedächtnistag des Ignatius 5. 

7. 9. 12. 19. 27f. 43. 53. 68. 
Gelasius von Rom 87. 175. 565. 
Gregor der Grosse 88. 


Häretiker, die von Ignatius be- 
kämpften 258-272. 343£. 
356—399. 4548, 

Hermas 313. 315. 514. 585. 616 ff. 

Hero 16, Brief an ihn 126f. 158. 
165; laus Heronis 38. 

Hieronymus 30. 82, 38f. 47. 51. 
10, 92. 218. 


Jacob von Sarug 184. 

Johannes der Apostel, ub Lehrer 
des Ignatius 46ff. 402; Wirk- 
samkeit in Kleinasien 327. 330. 


628 


Apokalypee 329f. 539. 606. 
Evangelium 470. 593. GAR; 
erster Brief 606. 
Johannes von Antiochien 71, ein 
anderer 35. 
Johannes Damascenus 67. 100 ff. 
Johannes Malalas 66 ff. 245. 
Johannes Monachus 221 fi. 
Johannes Rhetor 52. 
Johannes I. von Rom 185. 
Irenäus 61. 79. 327f. 389. 393. 
495. 513. 515“. 
Judaismus 368 ff. 397. 


Korintherbriefe des Paulus 611 ἢ 


Lateinische Uebersetzung der kürze- 
ren Recension 93ff. 545ff., der 
längeren 84. 86f. 545. 

Lateinische Wörter 530 £. 

Logoslehre 382 ff. 390ff. 454. 471. 
477. 

Lucian 279£. 51Tff. 592. 


Marcellus von Ancyra 136ff. 144. 

Maria von Kastabala 81. 83f. 112. 
153 ff. 556. 

Maximus Confessor 60. 102 ἢ, 


Neutestamentliche Schriften 373, 
520. 592£. 595—616. 
Nurono 18 ἴ, 555. 


Origenes 59. 61. 122. 513. 


Paschachronik 47f. 58. 89. 

Paschastreitigkeiten 148. 

Paulus 60. 125. 410. 459. 606 ff. 

Peregrinus 517 ft. 

Petrus 59. 125. 410. 603; Predigt 
des Petrus 602f.; erster Brief 
615. 

Philadelphia, Brief des Ignatius 
an die dortige Gemeinde 261 ff. 
266 ff. 362. 


Philipperbrief des Paulus 505. 610; 
des Ignatius 89. 95. 114. 127. 
160. 

Photin 138 ff. 144. 

Plinius 15f. 63. 351f. 586. 

Polykarp 317f. 326ff. 453; Brief 
an die Philipper 79. 911. 115. 
287. 295. 4024: 609f.; ver- 
lorene Briefe 77. 289. 295; 
Martyrium 37. 51f. 517. 524 ἢ; 
Brief des Ignatius an ihn 77£. 
165. 282 ff, 288. 

Predigt 320. 322. 

Presbyter 297 ff. 302 ff. 323 ff. 326. 
439 f. 446. 

Pseudoignatius 37. 91. 
116—167. 


114f. 


Beiseweg des Ignatius 40. 45. 48. 
250 ff. 287. 289. 293. 

Römische Gemeinde 249. 308ff. 
8356; Brief des Paulus an sie 
410. 612. 613; Brief des Igna- 


tins an sie 12. 13. 15. 17. 32. 
36. 40. 54f. 89. 94f. 101. 
110 —116. 12%. 128. 161f. 


247 ff. 404 f.;, Datum des letzteren 
5. 252. 531. 


Saturnin 387. 393. 395 ff 

Sclaven 882 ἢ, 

Severus von Antiochien τι ff. 109. 
118. 114, 177f£. 216. 555. 

Simon Magus und die simonianische 
Secte 388. 391. 396. 

Smyrna, Gemeinde daselbst und 
Brief des Ignatius an sie 282. 
395. 402. 504. 


Tarsus, Brief des Ignatius an die 
dortige Gremeinde 160. 

Taufbekenntnis 590 ft. 

Tertullian 516 Anm. 576. 583. 
618. 


629 


Thaddäus (oder Addäus), syrischer | Trajan, seine orientalischen Feld- 


Bericht über ihn 122 f. 598f. züge 46; Christenverfolgnng 
Thierkampf 61ff. 246f. unter ihm 45. 49. 57. 61. 
Timotheus Aelurus von Alexandrien 242 ff. 

71. 109. 174. Tralles, Brief des Ignatius an die 
Timotheusbriefe des Paulus 158. dortige Gemeinde 276. 

580 ff. 591. 614. 

Titusbrief des Paulus 614. 
Todesjahr des Ignatius 4. 5. 16. 
58f. 


Valentin 386 f. 8907. 


Wittwen 333 ff. 581f. 


Berichtigungen und Zusätze. 


nn 


Zu 8. 17f. Durch das Datum einer bei Ephesus gefundenen Inschrift, 
welches Th. Mommsen im Hermes IlI, 132 zuerst bekannt gemacht 
hat, stehen die Namen der ordentlichen Consuln des Jahres 104 fest. 
Es lautet: Σέξτῳ Arrlo Σουβουρανῷ τὸ β΄, Μάρχῳ ᾿Ἡσινίῳ Μαρχέλλῳ 
ὑπάτοις πρὸ η΄ (Ὁ) χκαλανδῶν Μαρτίέων. Den richtigen Namen des 
Ersteren (Plin. ep. VII, 6, 1054.) hatte Idatius bewahrt (Mommsen 
a. ἃ. Ο., 8. 129). Das martyr. vatic. hat also ausser und vor den 
Namen der Consuln von 104 — denn Σουρβανοῦ oder Σουρβινοῦ 
sind Schreibfehler —- den Arrıxzos aus Euseb. Diese Herkunft ist 
nun erst recht gewiss; denn nach obiger Inschrift wird Hegesipps 
᾿Αττιχοῦ Eus. h. 6. III, 32, 3. 6 unbedingt in 4rriov zu ändern 
sein. Abschreiber schufen das Homöoteleuton mit ὑπατιχοῦ, was 
an beiden Stellen sein Titel ist. Martyrologen, welche von einem 
Consul Atticus reden, hängen also von emem alten Schreibfehler der 
Kirchengeschichte Eusebs ab. — Wann Sextus Attius Suburanus 
Syrien als Proconsul verwaltete, wann also Simeon von Jerusalem 
starb, wissen wir noch nicht. 

Zu S. 46, Anm. 1. Sura und Senecio sind nur einmal Collegen gewesen, 
in Jahre 107; denn des Ersteren zweites Consulat fällt ins Jahr 
102, in welchem Senecio nicht Consul war. In seinem ersten 
Consulat im Jahre 99 aber hatte Senecio nicht den Sura, sondern 
den A. Cornelius Palma zum Collegen. S. Mommsen im Hermes 
ΠῚ, 137£. vgl. 129, Anm. 8. 

S. 65, Anm. 1 lies permissu statt: permissione. 

S. 76, 2. 14 lies ἀναγκαῖον statt: ἀναγκαῖαν. 

S. 84, Anm. 1. Von den verschiedenen Katalogen der ehemals in der 
augsburger, jetzt in der münchener Bibliothek befindlichen Hand- 


ζ. ὍΣ Ὁ ζΏ ὍΩ ὍΣ ζῶ . Ὁ Ὁ Ὁ; ὍὨ 


Ὁ ὍΔ Ὁ ζῶ 


ζῶ 


681 


schriften ist der zweitälteste, der des David Höschel, ceitirt, weil nur 
dieser über den ignatianischen Inhalt des cod. a genau berichtet. 
M. A. Reiser in dem weitläufigeren Index mss. bibl. August. 1675, 
p. 13 erwähnt nur flüchtig die 12 ignatianischen Briefe hinter Cyrills 
Katechesen; Ign. Hardt im catal. codd. mss. bibl. reg. Bavar., 
vol. I, tom. 4, p. 221sqg. beschreibt zwar die Handschrift (cod. 
CCCXCIV, saec. X, membran.) äusserlich genau genug, hat aber 
die genaue Angabe Höschels über Cyrills letzte Katechese so wenig 
beachtet, dass er p. 222 schreiben kann: ultima desinit: προςεύχου 
μαχώριε ποιμήν. Das ist aber, wie schon Höschel vermuthete und 
längst offenbar ist, der Schluss des Briefs der Maria von Kastabala 
'an Ignatius. Hardt weiss in Folge dieses Versehns auch nur von 
12 ignatianischen Briefen in dieser Handschrift, p. 224. 226. 


. 89, 2.2 νι αὶ. ls ἄρϑρφ. 

. 106, Ζ. 19 ν. ο. lies ἀλήϑειαν. 

. 107, 2. 6 v. u. lies seien statt: sei. | 

. 179, Anm. 1 ist egartho mit Thau statt mit Teth zu lesen; im 


folgenden Wort Vau statt Koph; derselbe Fehler S. 193, 2. 3 v. u. 


. 183, 2.2 v. u. sowie ὃ. 186, Z. 14 und 15 v. o. lies Lomad statt Ee. 
. 216, letzte Zeile lies Paulus Callinicensis statt: Paulus Collin, 
. 249, 2. 8 v. u. lies Peregr. statt: Petegr. 

. 250, Z. 12 lies Cler. II, 175 statt: 775. - 

. 803, 2. 7 lies versagen statt: versuchen. 


350, 2.7 v. u. les eiwreos. 


. 879, 2. 2 v. u. ist hinter „Marc. 1, 15“ hinzuzufügen: vielleicht 


noch Eph. 1, 13. 
402, Z. 14 v. u. hinter „ed. Schulze‘ hinzuzufügen: IV, 127sq. 


. 458, 2.6 v. u. lies 5. 849, statt: S. 399. 
. 543, 2. 9 lies Heron statt: Herm. 
. 556, Ζ. 28 lies Κάψαλον statt Κάπσαλον; Z. 29 Κασσόβηλα 


statt Κασσόβῆλα. Z. 10 v. u. Κασσόβολα statt Κασσόβολη. 


. 565, 2. 5 lies zweimal Beth statt Coph. 


u 


EEE er” ER SEES GER Le u See 
ὦ