Google
This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project
to make the world’s books discoverable online.
It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover.
Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.
‘We also ask that you:
+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual
personal, non-commercial purposes.
and we request that you use these files for
+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.
About Google Book Search
Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web
alkttp: /7sooks. google. com/]
600088083V
᾿ς -. ἃ
Ignatius von Antiochien.
--- ----
τὰν
Ignatius von Antiochien.
Von
Theodor Zahn,
Doctor und ausserordentlichem Profensor der Theologie in Göttingen.
Gotha.
Friedrich Andreas Perthes.
1873.
Io. R- dar.
Perthes’ Bouchdruckerei in Gotha.
Der hochwürdigen
theologischen Facultät zu Göttingen
zur Bezeugung
ehrerbietigen Dankes
für die mir verliehene Doctorwürde
gewidmet.
_ Vorrede.
Die Untersuchungen über die Briefe des Igna-
tius und die sonstige ihn betreffende Literatur,
welche ich hiermit der Oeffentlichkeit tbergebe,
mögen in mancher Hinsicht der Bevorwortung und
in Vielem der Entschuldigung bedürfen; ich be-
schränke mich darauf, den Sinn, in welchem ich
denselben den Namen des Ignatius zum Titel ge-
geben habe, etwas deutlicher auszusprechen, als
es die in viele verwickelte Einzeluntersuchungen
sich verlierende Darstellung vermochte.
Die geschichtliche Aufgabe auf dem Gebiete,
dessen Erforschung auf die Schriften der soge-
nannten apostolischen Väter als Hauptquellen an-
gewiesen ist, erkenne ich nicht darin, in irgend
welchem Sinne des Ausdrucks die Entstehung
via
der „allgememen Kirche“ zu erklären; denn diese
bestand vor Clemens und Hermas, vor Ignatius
und Polykarp. Einer erklärenden Antwort bedarf
aber .die Frage, wodurch in den Gemeinden der
nachapostolischen Zeit das durch die äusseren Um-
stände so wenig beglinstigte Bewusstsein von
der „allgemeinen Kirche“ sich ungebrochen er-
halten hat. Es fehlte nicht nur an rechtlichen
Formen, sondern auch an Personen und an Hand-
lungen, durch welche die Zusammengehörigkeit
der autonomen Gemeinden, die Einheit der Kirche
zu einem einigermassen deutlichen und stetigen
Ausdruck hätte kommen können. Die Apostel,
deren Beauftragung alle Länder und in gewissem
Sinne auch alle Zeiten umspannte, innerhalb deren
Gemeinden entstehen, hatten nach der Anschauung
jener Zeit keine Nachfolger ihres Berufs und ihres
Rechts. Ein tber die Ortsgemeinde übergreifendes
Kirchenamt, Versammlungen, welche grössere Kreise
vertreten hätten, Regeln der gemeingültigen Lehre
und des kirchlichen Handelns, welche durch Ueber-
einkunft festgestellt worden oder auf dem Wege
der sich ausbreitenden Sitte allgemeines Gesetz ge-
worden wären, gab es noch nicht, und doch wussten
und benannten sich die Gemeinden „von Syrien
bis Rom“ und darüber hinaus „bis zur Grenze
des Westens“ als „Brüderschaft“, als „einen
ΙΧ
Körper“ τη einer Seele, als ein nach einheit-
lichem Plane ausgeführtes „Bauwerk“, als „die
Kirche“, welche im Unterschied von der Orts-
gemeinde atıch schon „die allgemeine“ genannt
wurde. Zur Erklärung hiervon genügt es .aller-
dings nicht, auf die der äusserlichen geschichtlichen
Betrachtung sich entziehenden Kräfte der geschicht-
lichen Bewegung zu verweisen, obwohl die Dar-
stellung der Entwicklung der Kirche, je höher
hinauf man sie verfolgt, um so weniger dieses
Hintergrunds entrathen kann. Aber jene Kräfte
wirken auch in den Formen gemeingeschichtlichen
Verlaufs, und deshalb ist die beregte Frage eine
geschichtliche im gewöhnlichen niederen Sinn des
Worts.. Die Antwort ist nicht mit einem Worte
gegeben, und nur ein einzelnes Moment zu be-
‚ tonen, gibt die gegenwärtige Aufgabe Anlass.
Nächst den Erinnerungen und den schriftlichen
Denkmälern aus apostolischer Zeit sind es vor allem
Persönlichkeiten gewesen, welche, übergreifend tiber
den engen Kreis der Einzelgemeinde, auf das Ge-
meinbewusstsein der Kirche bestimmend einwirkten;
Persönlichkeiten, sage ich, nicht denkende und
schriftstellernde Geister. Wenn sie zur Feder
greifen, so ist das ein Nothbehelf, ein unterge-
ordnetes Mittel ihrer Einwirkung auf das kirchliche
Leben. Was sie schrieben, war zumeist deshalb
Χ
für ihre Zeit bedeutsam, weil diese Männer es
schrieben, in welchen das, was Allen als das Er-
strebenswerthe und Nothwendige vorschwebte, greif-
bare, zur Nachfolge und zur Unterordnung auf-
fordernde Gestalt gewonnen hatte.
Das merkwürdigste Beispiel dieser Art von
Persönlichkeiten ist Ignatius. Neben ihm steht
Polykarp, der durch sein langes Leben zwei beinah
durch ein Jahrhundert getrennte Generationen mit
einander verbinde. Auf der langen Dauer seines
im Dienst seiner Gemeinde und der Kirche würdig
geführten und würdig beschlossenen Lebens beruht
nicht am wenigsten seine stille, aber nachhaltige
Wirkung. Er ist eine ehrwürdige, keine charakte-
ristische Erscheinung; weder sein Wollen noch sein
Denken zeigt eigenthümliche Gestalt. Durchaus
eigenartig dagegen steht Ignatius da, überall das.
Maass der Alltäglichen überschreitend, seiner Eigen-
thümlichkeit bewusst, und ‚dennoch der Wahrheit,
- die für Alle die gleiche ist, in religiöser und in
sittlicher Hinsicht sich unterwerfend. Wir würden
von ikm ‚wahrscheinlich nur den Namen wissen
— ohne doch darum sagen zu können, dass er
nicht ein Mann von durchschlagender Wirkung auf
seine Zeitgenossen gewesen sei —, wenn nicht die
wenigen Tage, die er unfreiwillig in Smyrna und
Troas zubrachte, in den sieben damals von ihm
ΧΙ
geschriebenen Briefen ein treues und lebensvolles
Bild zurückgelassen hätten, auf welches sefort die
Verehrung übertragen wurde, welche dem bedeuten-
den Manne und dem Märtyrer zunächst galt. Der
Einfluss, welchen die in jedem Betracht ausser-
ordentliche Lage des Ignatius auf Ton und Fassung
seiner Briefe augtben musste, ist freilich nicht
ausser Acht zu lassen. Es wird dem, wie ich hoffe,
in meiner Darstellung ihres Inhalts mehr Recht
widerfahren, als bisher geschehen ist. Aber die
vorübergehende Lage hat nicht diesen christlichen
Charakter geschaffen; sie veranlasste nur dessen
rücksichtslose Asusserung.
Mein Versuch, den Kchten Kern der ignatiani-
schen Literatur und die darin beurkundete Er-
schemung dem Verständnis näherzubringen, hätte
‚kürzer ausfallen können, wenn der Director der
- Domschule zu Ratzeburg, K. Fr. Τὶ, Arndt (F als
Kirchenrath und Pastor zu Schlagsdorf 1862),
welcher sich durch einen Aufsatz über die ignatia-
nische Frage in den Studien und Kritiken (1839)
als ttichtigen Kenner derselben erwiesen hat, sein
grösseres Werk veröffentlicht hätte, welches schon
damals acht Jahre lang auf einen Verleger wartete.
Nachdem ein grosser 'Theils meines Manuscripts
bereits in die Druckerei geschickt war, erhielt ich
durch die Güte des Herm Probst Russwurm zu
ΧΙ
Ratzeburg das vollständig druckfertige Werk unter
dem Titel: „Die sieben ächten Briefe des Ignatius
‘von Antiochien und der Brief des Polykarp von
Smyrna, kritisch bearbeitet von K. Fr. L. Arndt.“
Erster 'Theil: Einleitende Abhandlung und Text
[mit textkritischem Commentar. Zweiter Theil:
Uebersetzung und [erklärende] Anmerkungen. Im
Anhang die Acta martyrii Ignatıi. Vorrede vom
17. October 1831. — Besonders deshalb ἰδὲ zu be-
dauern, dass dieses durch philologische Gelehrsamkeit,
genaue Kenntnis der älteren Arbeiten über Ignatius
und gediegenes Urtheil ausgezeichnete Werk nicht
seiner Zeit gedruckt worden ist, weil dann die
deutschen Theologen .nicht so unvorbereitet, wie
es nun der Fall war, in die alte Streitfrage ein-
getreten wären, als die Entdeckung der syrischen
Uebersetzung sie aufs neue anregte. Von der
mir bereitwilligst gegebenen Erlaubnis, mich auf
Arndt’s Werk berufen zu dürfen, habe ich ın der
zweiten Hälfte meines Buchs zuweilen Gebrauch
gemacht. Etwas früher ging mir Mösingers „Sup-
plementum corporis Ignatiani“ zu, so dass ich es
fir meine im wesentlichen fertige Arbeit noch
vollständig benutzen konnte. Die in der Vorrede
enthaltene Ankündigung des Herausgebers, dass er
sich zur Abfassung neuer Vindiciae Ignatianae
rüste, konnte mich, auch abgesehn davon, dass es
ΧΙ
meine Absicht nicht war, ein Seitenstück zu
Pearsons Werk zu liefern, nicht abhalten, sofort
mit dieser Arbeit hervorzutreten, zumal ich aus
eigener Erfahrung weiss, dass zwischen dem Ent-
schluss, über Ignatius zu schreiben, und seiner
Ausführung Jahr und Tag vergehn kann.
Es wäre erwünscht gewesen, einen gesicher-
ten oder doch nach richtigen Grundsätzen her-
gestellten Text der sieben Briefe zu Grunde legen
zu können. Wie wenig die bisherigen Ausgaben
und besonders die jüngsten auch nur zur Einsicht
in den Bestand der Ueberlieferung befähigen, sieht
Jeder, der sie studirt. Aber mehr als in anderen
Fällen steht in diesem die textkritische Arbeit mit
der literarhistorischen und exegetischen im Ver-
hältnis wechselseitiger Abhängigkeit. Daher glaubte
ich mich für diesmal darauf beschränken zu dür-
fen, dass ich aus dem textkritischen Commentar,
der meine erste Vorarbeit war, gelegentlich und
in dem ersten Anhang das Erforderliche mittheilte.
Die Absicht, den Text nicht nur der kürzeren
Recension, um die es sich zuletzt handelt, sondern
auch der längeren, welche zur Herstellung des ur-
sprünglichen Textes ganz unentbehrlich ist, her-
auszugeben, habe ich zurückgeschoben, aber nicht
aufgegeben.
Schliesslich habe ich noch besondere Ent-
ΧΙΝ
sehuldigung ir Bezug auf die syrischen Worte zu
erbitten. Die hier angewaudten Typen machen so
geringen Unterschied zwischen Jud und Schin, dass
aı manchen Stellen dadurch eine Verwechselung
stattgefunden hat. In Bezug auf andere Versehen,
die mir allein zur Last fallen, verweise ich auf
die Berichtigungen am Schluss des Buehs.
Göttingen, den 4. April 1873.
Th. Zahn.
Inhalt,
Vorrede .
1. Die Nachrichten über Ignatius 8. τ τῷ.
1. Uebersicht über die bisher bekannt gewordenen Martyrien
2. Die zwei ältesten Martyrien und ihr Verhältnis zu den
späteren Bearbeitungen
3. Kritik der vergleichsweise ursprünglichen Martyrien
4. Die ältere “ebertieferung und die späteren Sagen tiber
Ignatius . re
II. Geschichte der ignatianischen Briefe seit Eusebius
(S. 75—240).
1. Die verschiedenen Sammlungen ignatianischer Briefe
2. Der Fälscher . .
3. Die ignatianischen Briefe bei den Syrern
III. Der geschichtliche Gehalt der Briefe des Ignatius und
des Polykarpus (S. 241—399).
1. Die Christenverfolgung zu Antiochien und der Process
des Ignatius . En
. Die Reise des Ignatius
. Die Kirchenverfassungsverhälfnisse.
. Das Gemeindeleben und der Gottesdienst
. Die häretische Bewegung . . . 2 2 2.0.
mm
75
116
167
242
250
295
332
856
ΧΥΙ
IV. Die Persönlichkeit und die Denkweise des Ignatius
(ὃ. 400—490).
Seite
1. Der Mensch und Märtyrer 400
2. Der Kirchenmann 424
3. Der Theologe . 453
V. Die Aechtheit der Briefe des Ignatius und des Poly-
karpus (ὃ. 491 —541).
1. Die Aechtheit und Einheit des Polykarpbriefs . 495
2. Andere Zeugnisse für die ignatianischen Briefe . . 51
3. Die innere Kritik 529
Anhänge ($. 542-621):
I. Textkritisches . 542
II. Sachliches . . . 577
, III. Literarische Abhängigkeiten 594
Register 622
Berichtigungen und Zusätze . 630
1.
Die Nachrichten über Ignatius.
— nn nn
Will man den ursprünglichen Kern der weitschichtigen
Literatur, welche sich an den Namen des Ignatius gehängt
‚hat, sicher herausfinden, so darf man sich die Mühe einer vor-
sichtigen Untersuchung auch der jüngeren Schichten, welche
den Kern verdeckt, zugleich aber auch erhalten haben, nicht
verdriessen lassen. Sie sind nicht werthlos für die Geschichte
der Verbreitung und die Textgestalt der jedesmal früheren
Schicht und zuletzt des Kerns selbst. Dies gilt von den
Nachrichten über Ignatius mit Einschluss der martyrologischen
nicht minder, als von den Interpolationen, Vermehrungen und
Uebersetzungen der sieben Briefe, welche Euseb kannte. Der
Umstand, dass Forscher von der Bedeutung eines Ussher und
von der Nüchternheit eines Gieseler eines der Martyrien für
ein im wesentlichen ächtes und glaubwürdiges Document der
letzten Schicksale des Märtyrers hielten, würde an sich eine
umständliche Untersuchung noch nicht erforderlich machen.
Sie ist aber andererseits auch nicht dadurch überflüssig ge-
macht, dass heutzutage, soviel ich weiss, nur noch katholische
Theologen mit unzureichenden Mitteln die Aechtheit jenes
Martyriums verfechten.
Zahn, Ignatius. l
I. Uebersicht über die bisher bekannt gewordenen Mar-
tyrien.
1) Ein lateinisches Martyrium gab J. Ussher in der
appendix Ignatiana (1647) zuerst heraus nach zwei sehr
nahe verwandten Handschriften, über welche später zu reden
ist, da ein und dieselbe Uebersetzung ausser dem in das
Martyrium eingeschalteten Römerbrief eine ganze Sammlung
ignatianischer Briefe umfasst (m. angl.).
2) Aus einem cod. bibl. Cotton. theilte Ussher gleichzeitig
die erste Hälfte eines gleichfalls lateinischen Martyriums mit.
Soweit es nämlich dem vorigen entsprach, liess er es parallel
mit demselben abdrucken (m. cott.) 1).
3) Ein griechisches Martyrium fand Ussher in einer
oxforder Handschrift ?2) und charakterisirte es ausreichend durch
ausführliche Citate und Vergleichungen in der Vorrede und
den Noten zu den lateinischen Martyrien (m. oxon.).
. 4) Eine lateinische vita Ignatii gab G. Henschen in den
Act. SS. Febr. I, 29—33, cf. pag. 13 nach mehreren, „sehr
alten“ Handschriften heraus (m. boll.).
5) Nachdem schon Henschen bei seiner Ausgabe der
lateinischen Uebersetzung der Arbeit des Symeon Metaphrastes
zum 20. December (Act. SS. Febr. I, 24 sqq.) eine griechische
Handschrift benutzt hatte, veröffentlichte den griechischen
Text zuerst J. B. Cotelier (e mss. reg. [ed. Cler. von 1724,
II, 163 54ᾳ4ᾳ.}. Von Dressel (Patr. ap., 350 864. proll. LVII.
LX) wurden drei römische, von Mösinger (Supplem. corp. Ign.,
p. 21 sq.) eine münchener Handschrift verglichen.
- 1) C£. Ussh. praef. (Cler. II, 172). Zwei Handschriften derselben
Recension scheinen die bei Grabe I, 5 und Smith, p. 45 charakte-
risirten zu sein. Eine offenbar viel jüngere Bearbeitung, aus welcher
Smith 1. ὁ. Einiges mittheilt, verdient nicht besonders aufgeführt zu
werden.
2) Nach Smith, p. 45 = barocc. CXCO. Eine andre Handschrift
derselben Acten citirt Grabe II, 4.
ἃ
6) Im Anhang seiner Acta prim. mart. sincerg ver-
öffentlichte Ruinart ein griechisches Martyrium !) nach cod.
colb. 460, den Jakobson als cod. reg. 1451 wieder ver»
gliehen hat (m, colb.).
7) Unter den von Jos. Sim. Assemani nach Rom gebrach-
ten syrischen Handschriften fanden sich zwei meist identische
Sammlungen von Acta martyrum orientalium et occidenta-
lium, in der zuerst genannten, und zwar unter den Occiden-
talen als n. 28 ein Martyrium des Ignatius . Aus einer
Sammlung von 39 syrischen Martyrien, worunter eins van
Ignatius "handelt, liess Stoph. Euod. Assemani nur 14 in-
haltlich bis dahin unbekannte, aber nicht das des Ignatius
abdrucken ὃ. Nur zu vermuthen ist demnach, dass dies
syrische Maytyrium identisch ist mit dem m, colk., dann
aber auch mit dem syrischen Martyrium, von welchem Cure-
ton ein bedeutendes Bruchstück nach einer ziemlich jungen
Handschrift bekannt machte ἢ). Vollständig ist letzteres nach
einer im Anftrag der Propaganda angefertigten Abschrift
einer älteren Handschrift erst neuerdings von Mösinger °) edirt
(m. syr.),
8) Ein armenisches Martyrium gab Petermann nebst
lateinischer Uebersetzung nach J. B. Aucher in Ign. epp,,
p. 496 844. heraus (m, arm.).
9) Ein griechisches liess Dressel nach einem cod. vatic.
866, angeblich aus dem 10. Jahrhundert, drucken (m. vat.) ὅ).
1) Von mir benutzt in der 2. Ansg, von 1713 p. 13agqq., aber
nach der gegen Ende abweichenden Kapitelzählung der neuen Ausgaben
eitirt.
2) Bibl. or. I, 606. Auch p. 614 in einer brevis historia patrum
kommt nach Petrus, Paulus, Dionysius Areop. auch Ignatius an die
Reihe.
3) Acta SS. orient. et occident. II, praef., ἢ, 5.
4) Corp. Ign., 222 sqq. 252sqq. 361 qq.
5) 1. 1, p. 1—11 des syrischen Textes, p. 4. 7sqq. des lateinischen.
6) Patr. ap., p. 368sqgq.; cf. prolegg. XXXII. LVU. Hiermit
scheint identisch das eine der koptischen Martyrien, worüber Cur., p. 362
aus Peyron Einiges mittbeil. Das andre, worüber ein Brief Tattams
1 %
4
Das m. 6010. ist das Original des m. angl., das wegen
strenger Wörtlichkeit der Uebersetzung, auch wo Misverständ-
nisse vorliegen, einer griechischen Handschrift gleichzu-
schätzen ist. Sieht man von Schreib- oder Lesefehlern wie
τετάρτῳ Statt ἐννάτῳ (c. 2) ab, so ist der dieser lateinischen
Uebersetzung zu Grunde liegende griechische Text dem des
cod. colb. durchweg vorzuziehen. Mit diesem m. colb. —
angl. ist ferner identisch das m. syr. Schon das von Cureton
herausgegebene Fragment, welches im 2. Kapitel des darin ein-
geschalteten Römerbriefs abbricht, von der Erzählung also
nicht viel mehr als die Hälfte enthält, liess das zu Grunde
liegende griechische Original sowohl in seiner Identität mit
m. colb., als in seiner Verschiedenheit von anderen Martyrien,
welche nur theilweise hiermit verwandt sind, wie cott. und
boll., erkennen. Es stimmt z. B. im Eingange in folgenden Punk-
ten mit colb. gegen cott. und boll. überein. Syr. las offenbar !),
obwohl seine Uebersetzung hier nichts weniger als wörtlich
zu nennen ist, ἐκυβέρνα und nicht das gubernandam suscepit des
cott. und des boll. Es erwähnt syr. (Cur. 222, 8; Moes. 3, 6) den
Domitian. Ebendort las der Uebersetzer τῷ οἴακι τῆς προς-
ευχῆς καὶ τῆς νηστείας, wenn er auch, wie das Pluralzeichen
in der cureton’schen Handschrift über λό bezeugt, wegen
der Doppelheit der als ein Steuern vorgestellten Thätigkeiten
das Steuerruder multiplicirt haben sollte. Mehrfach schliesst
sich syr. dem vorzüglicheren Text des angl. gegen colb. an.
So bestätigt z. B. das la Sal ;As „io (Üur. 222, 18.
Moes. 3, 15), wenn man von dem Zahlenfehler des angl. ab-
sieht, dessen post quartum annum gegenüber dem μετὰ ταῦτα
an Cureton berichtet, würde sich von allen bekannt gewordenen Mar-
tyrien durch den Anspruch, ein Werk des Diakonus Heron zu sein,
unterscheiden, wenn dem nämlich wirklich so sein sollte. — Ueber die
von Mösinger herausgegebene Passio 8. Ignatii (p. 18sqgq.), welche nicht
hieher, sondern mit Ado’s und seiner Nachfolger Arbeiten zusammengehört,
s. weiter unten.
1) Cur. 222, 7, dessen Text Mösinger in der adn. auf p. 23 hier
mit Recht den Vorzug vor der römischen Handschrift gibt.
5
Zvvarın ἔτει des colb. Das ἐμὴν vor ἁμαρτίαν (colb., 6. 2)
fehlt im syr. (Cur. 223, 15. Moes. 4, 22) ebenso wie in
angl., übrigens auch in cott., boll., $ 2, metaphr., c. 6. Die
bedeutenderen Abweichungen des syr. beruben meist auf Mis-
verständnis verwickelter Sätze (colb., c. 3 fin. 4 in). Von
schriftstellerischer Bemühung ist nichts zu bemerken, man
müste denn etwa dahin rechnen die Ersetzung von IX Kal.
Sept. im Datum des Römerbriefs durch den 11. Ab (Moes.
10, 11) oder des 20. December, des Todestags des Ignatius,
durch den 17. Tag des anderen Teschri (Moes. 12, 1), oder
so harmlose Erweiterungen, wie wenn statt der Worte εἰς
τέρψιν τοῦ δήμου der ganze Satz steht: „und (dass) an ihm
sich freue das Volk der Römer, wenn sie sehen, was ihm be-
gegnet‘‘ (Cur. 223, 21. Moes. 4, 29). Das m. syr. erweist
sich als eine nicht gerade wortgetreue, aber aus gutem Text
geflossene Uebersetzung des m. colb.
Identisch sind ferner m. oxon. und vat., wovon Dressel
bei seiner Herausgabe nichts geahnt zu haben scheint. Die
Vergleichung der Mittheilungen Usshers, welche sich theils
direct auf das oxon., theils auf das cott. in seiner von Ussher
richtig erkannten Abhängigkeit von dem griechischen biographus
recentior beziehen, zeigt, dass die Abweichungen zwischen oxon.
und vat. nicht wesentlich hinausgehen über die Verschieden-
heit zweier Handschriften derartiger Schriftstücke, in welche
man einzelne Notizen nach Willkür oder nach anderen Be-
richten zu allen Zeiten leicht eingetragen hat. Der Gang der
Erzählung ist durchaus der gleiche ἢ). Die Uebereinstimmung
des Wortlauts wird folgende Zusammenstellung veranschau-
lichen. Der Anfang lautet:
m.oxon. (Cler.171,ef. 173,not.1) | m. vat. (Dress. 368)
Ἔν ἔτει ἐννάτῳ τῆς βασιλείας | Ἐν ἔτει πέμπτῳ τῆς βασιλείας
Τραϊανοῦ Καίσαρος ἐν ὑπατίᾳ | Τραϊανοῦ Καίσαρος καὶ δευ-
) “ῸΦ « ) ἦ
“Ἵττιχοῦ καὶ Σουρβανοῦ χαὶ τέρῳ ἔτει ἐνυπατίας Δττγκου
1) Vgl. ausser der praef. Ussh. (Cler. II, 171) besonders p. 175,
not. 6.
ἹΜαρκέλλου ᾿Ιγνάτιος ἐπίόκο-
nos τῆς ἐν Ἀντιοχείᾳ ἁγίας
τοῦ ϑεσῦ ἐκκλησίας δεύτερος
μετὰ τοὺς ἀποστόλους γενό-
μένος — Εὐώδιον γὰρ διεδέ-
Euro — μετὰ ἐπιμελεστάτης
φρουρῶν φυλακῆς ἀπὸ Συρίας
ἐπὶ τὴν Ῥώμην παρεπέμῳφϑή
τῆς εἷς Χριστὸν ἕνεκα μαρ-
τυρίας. Hieran schliesst sich
unmittelbar an Ussh. adn.,
p. 34: Ἦσαν δὲ οἱ φυλάσ-
σοντες αὑτὸν Τραϊανοῦ προ-
καὶ Σουρβίνου καὶ Μαρκέλλου
Ἰγνάτιος ἐπίσκοπος τῆς Avyrıo-
χέων τοῦ ϑεοῦ ἐκκλησίας δεύ-
τέρος μετὰ τοὺς ἀποστύλους
Εὐόδιον γὰρ
διεδέδβατο --- μετὰ ἐπιμελεσ-
τάτης φρουροφυλακῆς ἀπὸ Συ-
ρίας ἐπὶ τὴν Ῥωμαίων πόλιν
πιρεπέμφϑη τῆς εἰς τὸν Χρισ-
τὸν ἕνεκα μαρτυρίας. Ἦσαν δὲ
γενόμενος ---
οἱ φυλάσσοντες αὐτὸν Τραϊανοῦ
προτίκτορες δέκα τὸν ἀριϑμὸν
ἀνήμεροί τινὲς καὶ ϑηριωδὴ
ἀνήμεροί τινὲς καὶ ϑηρίων
|
τίχτορες δέχα τὸν =
τρόπους ἔχοντες.
Gegen Ende liest man
(Cler. 178, not. 1. 8):
Ἔδραμον ἐπ᾿ αὐτὸν οἱ λέοντες καὶ
ἐξ ἑκατέρων τῶν μερῶν σπαράξαντες
χατέδοντο αὐτοῦ, ὡς παρ᾽ αὐτὰ τοῦ
ἁγίου μάρτυρος ᾿Ιγνατίου πληροῦσϑαι
τὴν εὐχὴν καὶ τὴν ἐπιϑυμίαν —
κατὰ TO, γεγραμμένον", ἐπιϑυμία
δικαίου δεκτή“. --- ἵνα, ὥσπερ ἔγ-
ouyer ἐν τῇ ἐπιστολῇ ὁ ἅγιος, μη-
δενὲ τῶν ἀδελφῶν ἐπαχϑεὶς (leg.
ἐπαχϑῆὴς) εὑρεϑείη δι᾿ αὐτῆς συλ-
λογῆς τοῦ λειψάνου. not. 8: Κατὰ
γὰρ τὴν αὐτοῦ αἴτησιν μόνα τὰ
τραχύτερα τῶν ἁγίων αὐτοῦ ὀστέων
περιελείφϑη, (not. ὅ : &) φυλακτήριον
διετηροῦντο τῇ “Ῥωμαίων μεγαλο-
πόλει, ἔν 7 καὶ Πέτρος ἐσταυρώϑη
καὶ Παῦλος τῆν κεφαλὴν ἀπετμήϑη
καὶ Ὀνήσιμος τῇ τῶν σκελών κλάσει
\ ω ᾽
τὸν τροπὸν ἔχοντες.
m. vat. (]. 1. 374):
ἔδραμον πρὸς
αὐτὸν οἱ λέοντες καὶ ἐξ
ἑκατέρων τῶν μερῶν προ-
σπεσόντες ἀπέπνιξαν αὐ-
τὸν μόνον, οὐκ ἔϑιγον
αὑτοῦ τῶν σαρκῶν (WÄh-
rend sich hieran der
gleichfolgende Satz un-
mittelbar anschliesst, hat
m. oxon. seine Abwei-
chung und Erweiterung,
wie namentlich dieW orte
ὡς παρ᾽ αὐτά κ. τ. λ.
zeigen, durch eine Be-
rücksichtigung des m.
colb. gewonnen), ἵνα ro
λείψανον αὐτοῦ ἦν φυ-
λαχκτήριον τῇ Ῥωμαίων
7
τὸ τέλος ἐδέξατο ἐν δόξῃ Χρι- | πόλει, ἐν 7 καὶ Πέτρος
στοῦ. | ἐσταυρώϑη καὶ Παῦλος
ἀπετμήϑη τὴν κεφαλὴν
καὶ Ὀνήσιμος ἐτελειώϑη
ἐν δόξῃ Χριστοῦ.
Hieran schliesst sich, in m. vat. nur durch den Satz: Ὁ δὲ
Τραϊανὸς ἐξαναστὰς ἐν ϑαυμασμῷ ἦν ἐχπληττόμενος getrennt,
Folgendes in beiden Martyrien (die Abweichungen des vat.
bei Dressel sind in den Text des oxon. nach Cler. 182, not.
eingeschaltet): x. δὲ αὐτῷ (καὶ) γράμματα παρὰ Παιωνίου
(Πλινίου) Σεκούνδου ἡγεμόνος (ἡγεμῶνος), νικηϑέντος Κ(κινη-
ϑέντος) ἐπὶ τῷ πλήϑει τῶν γινομένων (γενομένων) μαρτύρων
καὶ ὅπως (ὡς ἀτρώτως Ohne καί) ὑπὲρ τῆς πίστεως ἀδίκως
(om.) ἀναιροῦντο (ἀναιρεϑέντων)" ἅμα δὲ ἐν ταὐτῷ καὶ (τῷ
αὐτῷ Ohne καί) μηνύοντος (μηνύοντα), μηδὲν ἀνόσιον μηδὲ
παράνομον (παρὰ τοὺς νόμους) πράττειν αὑτοὺς πλὴν τὸ
(τοῦ γε) ἅμα τῇ ἕω (Ewa) διεγειρομένους (καὶ τὸν) Χριστὸν
τὸν μονογενῆ υἱὸν (τὸν — υἱὸν 0M.) τοῦ ϑεοῦ (δίκην) προς-
χυνεῖν" (καὶ) ὑπὲρ τούτου μόνου (0M.) δίκην ὑπέχειν " τὸ
δὲ μοιχεύειν καὶ φονεύειν καὶ τὰ συγγενῆ τούτοις ἀϑέμιτα
πλημμελήματα καὶ αὐτοὺς ἀπαγορεύειν πάντας (ἀπαγορεύειν,
πάντα δὲ πράττειν ἀκολούϑως) Πρὸς & τὸν (πρός αὐτὸν,
Dress. add. γέγραπται) Τραϊανὸν ἔννοιαν (ἐπ ἐννοίᾳ) λαβόντα
τὰ κατὰ τὸν μακάριον (καὶ ἅγιον) Ἰγνάτιον (προβάντα) — ἦν
γὰρ πρόμαχος τῶν λοιπῶν μαρτύρων --- δόγμα τοιοῦτον τε-
ϑεικέναι (τεϑηκέναι)" τὸ τῶν (0M.) Χριστιανῶν φῦλον ἐκζη-
τεῖσϑαι μὲν, εὑρεϑὲν δὲ μὴ κολάζεσθαι (ἀναιρεῖσϑαι).
An den in beiden Drucken gemeinsamen Satz: καὶ ἔστιν
ἢ μνήμη τοῦ ϑεοφιλεστάτου καὶ γενναίου μάρτυρος ᾿Ιγνατίου
μηνὶ Iexeußglw κ΄. auf welchen in m. vat. nur noch eine
Doxologie folgt (p. 375), schliesst m. oxon. (l. 1. 179,
not. 5): ἐνεχϑώτων δὲ ἐν Avyriogeia τῶν τιμίων αὐτοῦ
λειμάνων μηνὶ ᾿Ιαννουαρίῳ εἴχάδι ἐννάτῃ. --- Nach alle dem
ist zu urtheilen, dass m. oxon. eine um einige Zusätze
aus anderen Quellen vermehrte Abschrift des in dem
von Dressel abgedruckten cod. vat. enthaltenen Martyri-
ums ist.
8
Ganz ähnlich verhalten sich zu einander cott. und boll.
Beide sind, wie später nachzuweisen ist, nichts weiter als eine
Combination von colb. und vat., und zwar eine ziemlich me-
chanische. Ersterem folgen sie bis zur Ankunft des Ignatius
in Rom, ohne jedoch den darin eingeschalteten Römerbrief
mit den unmittelbar vorangehenden Worten aufzunehmen.
Von da an geben sie ebenso wörtlich das m. vat. wieder.
Mit den Worten: Denique una die et ea nocte prosperis ven-
tis usi pervenerunt ad urbem Romam (cott. bei Cler. 177; boll.,
8 5 fin.) machen beide den Uebergang von der ersten Quelle
zur zweiten. Wie der völlige Gleichlaut der eben angeführ-
ten Worte, so beweist die Vergleichung, soweit überhaupt das
nur bis zur Mitte zusammenhängend abgedruckte, von da an
bruchstückweise bekannt gewordene cott. mit boll. verglichen
werden kann, dass hier nicht etwa zwei verwandte Combina-
tionen älterer Quellen, sondern zwei Handschriften eines
Werks vorliegen, und zwar einer lateinischen Uebersetzung
einer griechischen Schrift dieses Inhalts. Der an sich ebenso
denkbare Fall, dass erst ein Lateiner aus zwei in’s Lateinische
übersetzten griechischen Quellen dieses Werk zusammenge-
stellt hätte, wird wenigstens dadurch sehr unwahrscheinlich,
dass die einzige uns erhaltene und bekannte lateinische Ueber-
setzung der einen der beiden Quellen, des m. colb., nicht dem
lateinischen Bearbeiter des cott. zu Grunde gelegen hat. Die
Abweichungen aber vom colb. sowohl als von seiner wört-
lichen Uebersetzung, dem angl., sind bei cott. und boll.
wesentlich die gleichen. Das Verhältnis wird durch folgende
Zusammenstellungen deutlich werden (die Abweichungen des
boll. und cott. sind eingeschaltet):
eott. (boll., 8 1) | angl.
tamquam bonus (pastor atque) | quemadmodum gubernator bo-
gubernator omnes infestatio- | nus gubernaculo orationis et
nes suis orationibus repelle- | jejunii, continuitate doctrinae,
bat et jejuniis atque assidua | robore spirituali fluctuationi
doctrina (doctrina assidua) | adversanti se opposuit poten-
et labore spirituali (spiritali) | tiae, timens, ne aliquem
incumbentem tempestatem sua | eorum qui pusillanimes et
9
virtute avertebat timens, ne |; magis simplices, prosterne-
aliquem pusillanimem (— um) | ret..... se 20000.
aut infirmum amitteret. ... .
Et cum inde ascenderet ad Et illine (cod. Caj. illuc)
Tyranicum (Tyrannicum et | ascendens Tyrannicum (Turan-
transiret insulas et civitates), | nicum) et; transiens insulas et
ostensum est sancto Pontiolo | ceivitates, ostensis sancto Po-
(Potiolo) episcopo, quod ipse | ciolis, ipse quidem exire festi-
transiturus esset. Et obviam | navit, secundum vestigia am-
ei exiens festinabat sequi ejus | bulare volens apostoli Pauli.
vestigia (vestigia ejus) tam- | Ut autem incidens violentus
gquam apostoli Pauli. Et non | non concessit ventus, nave ἃ
potuit sequi, spiritu navis | prora repulsa, beatificans illam,
prorae incumbente. Et Igna- | quae in illo loco, fratrım cha-
tius (om.) beatificans in eo Ä ritatem, sic transnavigavit.
loco fratrem suum in dilec-
tione ita navigarvit. |
Gegen Ende liest man in cott. (Cler. 179, not. 5) und
boll., ὃ 18: ut reliquiae ejus tuitio essent Romanorunı 1)
magnae urbi, in qua Petrus crucifixus est et Paulus de-
collatus et Onesimus lapidatus. Sodann (cott. 1. 1., not. 6;
boll., 8 21): Passus est autem consulatu Attici et Marcelli
Kalendis Februarii, quo die etiam memoria ejus a fidelibus
solemniter celebratur, wozu nur eine Handschrift des boll.
noch einen Zusatz über die Translation nach Antiochien am
17. December macht. Die Abweichungen des cott. von boll.
sind überhaupt kaum erheblicher, wie die zwischen den Hand-
schriften des boll. selbst. Nur selten wie in der obigen
Stelle über die Fahrt auf dem tyrrhenischen Meer haben alle
Handschriften des boll. kleine Zusätze aus derselben zweiten
Quelle, welcher boll. im übrigen ebenso wie cott. erst von
der Ankunft in Rom an folgt. Bei der Einfacheit des Ab-
hängigkeitsverhältnisses zwischen boll. und cott. einerseits
1) cott. fügt et hinzu; cf. Ado de festiv. ed Georg. 1, 45, wo aber
dann urbis statt urbi folgt.
10
und colb. (angl.) und vat. (oxon.) andererseits leuchtet von
selbst ein, dass in Fällen der bezeichneten Art cott. den ur-
sprünglichen Text darstellt, boll. aber durch nachträgliche
Vergleichung mit einer der beiden Quellen, woraus das grie-
chische Original eompilirt war, die wenigen Zusätze gewonnen
hat. Es bleibt also dabei, dass boll. und cott. ein nur in
diesen beiden wesentlich identischen Recensionen seiner
lateinischen Uebersetzung erhaltenes griechisches Martyrium
darstellen.
Weitere Nachweise durchgängiger Identität mehrfach
überlieferter Martyrien lassen sich nicht führen, und es bleiben
als schriftstellerische Arbeiten übrig: 1) m. colb. mit seiner
lateinischen (angl.) und syrischen Uebersetzung; 2) m. vat.,
welches in m. oxon. eine unbedeutende Umarbeitung erfahren
hat; 3) m. cott. (= boll.); 4) m. arm.; 5) metaphr.
2. Die zwei ältesten Martyrien und ihr Verhältnis zu
den späteren Bearbeitungen.
Untersucht man diese Martyrien unbeirrt durch die An-
sprüche, welche einzelne von ihnen für sich oder die gelehrte
Ueberlieforung für sie erhebt, so erkennt man leicht, dass die
beiden zuerst genannten zwei geschichtlich-etwa gleichwerthige,
jedenfalls von einander und vollends von den drei übrigen
durchaus unabhängige Dichtungen sind, aus deren mannig-
faltiger Verschmelzung die übrigen entstanden sind. Der
Kritik schicke ich eine Mittheilung des charakteristischen
Inhalts der beiden Originale voraus.
Das m. colb. schildert im Eingang die bischöfliche Wirk-
samkeit des Ignatius während der ersten Regierungsjahre
Trajans, unter dessen Vorgänger Domitian er das Schiff seiner
antiochenischen Kirche glücklich an den damaligen Ver-
11
folgungen vorbeigelenkt'). Neben dieser auch jetzt unter
Trajan noch obwaltenden Absicht des Ignatius geht sein per-
sönlicher Wunsch her, durch das Martyrium Christo näher
zu kommen (c. 1). Im neunten Jahre Trajans bietet dessen
ausgesprochener Entschluss, das Christenthum zu unterdrücken,
und ein Aufenthalt des Kaisers in Antiochien bei Gelegen-
heit eines Feldzugs gegen die Armenier und Parther dazu den
Anlass. Ignatius lässt sich freiwillig vor den Kaiser führen,
und es entspinnt sich ein kurzes Gespräch. Die gleich in
der ersten Frage Trajans gebrauchte Anrede χακοδαῖμον gibt
dem Bischof Anlass, sich vielmehr als ϑεοφόρος zu bezeichnen
und diese Selbstbezeichnung dann auf Verlangen zu deuten.
Trajans Anspruch, dass er seine Götter gleichfalls im Geist
trage, ruft ein Bekenntnis zu Gott und Christus und weiter-
hin das Geständnis hervor, dass er allerdings den gekreuzigten
Christus nach der Verheissung der Schrift in sich trage ?).
Des Kaisers Urtheil, dass Ignatius um dieses Bekenntnisses
willen unter militärischer Begleitung gefesselt nach Rom
transportirt und dort zur Belustigung des Volks von wilden
Thieren zerrissen werden soll, wird von Ignatius mit Dank
gegen Gott besonders auch wegen dieser Verähnlichung mit
deın Schicksal des Apostels Paulus aufgenommen (c. 2). Die
Reise geht zu Füss nach Seleucia, von da zur See bis
Smyrna, wo Ignatius sich beeilt, den Bischof Polykarp, mit
welchem zusammen er ehedem ein Schüler des Apostels
Johannes gewesen, zu besuchen. Diesen, wie die dort ihn
begrüssenden Vorsteher der umliegenden städtischen Gemein-
den bittet er, durch ihr Gebet seiner Sehnsucht tach dem
Martyrium zu Hülfe ztı kommen (6. 3). Der gleichen Ge-
sihnung gibt er auch in Daukschreiben an die Gemeinden,
welche ihn durch ihre Vorsteher haben begrüssen lassen,
geistgesalbten Ausdruck. Da ihn äber die überall erfahrene
Liebe fürchten lässt, dass eben diese auch in Rom für ihn
1) Cf. Smith, schol. 105.
2) Nur in 2Kor. 6, 16 und nicht in Lev. 21, 11 ist der Wort-
laut zu finden. Vgl. Ign. Eph. 15.
12
wirken und dadurch die Thür zum Martyrium ihm ver-
schliessen werde, schreibt er auch an die römische Gemeinde
einen davon abmahnenden Brief, welcher an dieser Stelle voll-
ständig der Erzählung einverleibt ist (c. 4).
Gedrängt von den Soldaten, welche rechtzeitig zu den
Festspielen in Rom eintreffen wollen, fährt er zu Schiff nach
Troas, von da nach Neapolis und wandert zu Fuss über
Philippi nach Epidamnus, von wo auf dem weiten Umweg
einer Fahrt durch’s adriatische und tyrrhenische Meer Portus
erreicht wird. Als der Märtyrer Puteoli’s ansichtig wird,
möchte er gerne von dort in den Fusstapfen des Paulus nach
Rom wandern; aber der Wind treibt ilın fort. Von diesem
Punkt der Erzählung an enthüllen sich die Erzähler als Be-
gleiter des Ignatius (c. 5). Auf dem Wege von Portus bis
Rom begegnen sie römischen Christen, welche sie mit ge-
mischten Gefühlen begrüssen. Ignatius richtet an diejenigen,
an welchen er sonderbarer Weise „im Geist erkennt“, was
sie selber aussprechen, dass sie nämlich das Volk für seine
Verschonung zu gewinnen trachten werden, Mahnungen ent-
gegengesetzten Inhalts und wird dann nach kurzer Begrüssung
der römischen Christen insgesammt in’s Amphitheater geführt.
Da die Festspiele zu Ende gehen — es war der 20. Decem-
ber — wird er sofort den Thieren vorgeworfen, so dass
ihm sofort der schon im Römerbrief ausgesprochene Wunsch,
keinem der Brüder durch die sonst erforderliche Sammlung
seiner Ueberreste lästig zu werden, erfüllt wurde und zwar
nach Prov. 10, 24. Nur die festern Körperbestandtheile
nämlich blieben übrig, die nach Antiochien transportirt und
in Leinwand gelegt wurden (c. 6). Dies geschah am ange-
gebenen Tag unter dem Consulat des Sura und Senecio II.
Die Erzähler und Augenzeugen haben in der folgenden Nacht,
nachdem sie lange gewacht und Gott um Stärkung ihres
Glaubens in Bezug auf das Geschehene gebeten, verschiedene
Erscheinungen des Märtyrers gehabt. Fröhlich erwacht, haben
sie diesen Bericht aufgesetzt und den angeredeten Lesern so-
gar Tag und Zeit kundgethan, um mit ihnen zur Zeit seines
Martyriums das Gedächtnis des Ignatius feiern zu können (c. 7).
18
Das m. vat., dessen Eingang oben $. 5f. mitgetheilt ist,
setzt ohne alle Einleitung bei dem Transport des Ignatius
nach Rom ein. Dass irgend eine gerichtliche Verhandlung
in Antiochien stattgefunden habe 1), ist nicht angedeutet und
lässt sich daraus nicht schliessen, dass er um des christlichen
Bekenntnisses willen gefesselt nach Rom transportirt wird.
Die Bezeichnung seiner militärischen Begleiter als kaiserlicher
προτίχτορες ?), SOwie der Eingang der Verhandlungen in Rom
führt vielmehr darauf, dass Trajan ihn als staatsgefährlichen
Lehrer des Christenthums nach Rom hat holen lassen, eine
Darstellung, worauf vielleicht ein Wort des Ignatius geführt
hat?®). Wenn daher das m. oxon. (nach Ussh. Cler. 175,
not. 6) wirklich ausdrücklich von einer Uebersendung des
Ignatius von Seiten des syrischen Statthalters sagt, so wird
das einer jener Zusätze sein, worum erst diese jüngere Be-
arbeitung bereichert wurde. Die Reise geht durch Asien
hindurch, also zu Land nach Thracien, von da nach Rhegium.
und Rom. Zu Land und zu Wasser, Tag und Nacht hat
Ignatius die Mishandlungen der rohen Soldaten zu ertragen,
welche nach einer sofort auch wörtlich eitirten Stelle des
Römerbriefs geschildert werden *). Sowie Trajan von seiner
Ankunft hört, beruft er ihn vor sich und beginnt im Beisein
1) Gegen Volkmar, Handbuch der Einl. in die Apokr. I, 126.
2) Vgl. Thilo, cod. apoer. N. T., p. 490g.
3) Rom. 2, wo das med. μεταπεμψάμενος zu beachten ist.
4) p. 368: ὡς που χαὶ αὐτὸς ἐν ἐπιστολὴ γράφει λέγων" and
Συρίας μέχρι Ῥώμης ϑηριομαχῶν (so das me.) die γῆς καὶ ϑαλάσσης
ἀγόμενος, ἐνδεδεμένος δέχα λεοπώρδοις, οἵτινές εἰσι στρατιωτικὸν
τάγμα, οἵ καὶ εὐεργετούμενοι χείρους γίνονται (Rom. 5). An dasselbe
Kapitel des Römerbriefes erinnert auch sehr bestimmt p. 368 fin. οὔτε
γὰρ πῦρ οὔτε σταυρὸς οὔτε ϑηρίων ϑυμὸς οὔτε ἀφαίρεσις μελῶν
ποιοῦσίν με ἀποστῆναι ἀπὸ ϑεοῦ ζώντος. Ebenso stammt aus Rom. 6
der folgende Satz; οὐ γὼρ τὸν νῦν ἐγαπῶ αἰῶνα, ἀλλὰ τὸν ὑπὲρ
ἐμοῦ ἐποθανόντα xai ἀναστάντα Χριστόν. Aus Rom. 5 fin. wiederum
Ρ. 370: οὔτε πὺρ τὸ καυστιχὸν οὔτε ϑηρίων ὀδόντες, οὔτε σκυρπισμός
ὀστέων, οὐ συγχοπαὶ μελῶν οὔτε ὠλεσμοὶ ὅλου τοῦ σώματος, οὐχ al τοῦ
διαβόλου χολάσεις μεταστήσουσίν μὲ τῆς πρὸς ϑεὸν ἀγάπης.
en
14
des Senats, welcher sich gelegentlich in die Verhandlung ein-
mischt, ein ausführliches Verhör. Die Anklage, dass er An-
tiochien aufhetze und ganz Syrien zum Christenthum ver-
führe, erwidert Ignatius durch den Wunsch, dass es ihm ge-
lingen möge, auch den Kaiser zu bekehren und ihm dadurch
seine Herrschaft zu befestigen. Das Anerbieten des
Kaisers, ihn, wenn er opfere, zum Priester Jupiters und zum
Mitregenten zu erheben, findet ebenso, wie die Drohung der
Folter würdige, an biblische Worte erinnernde Antwort. An
ein Wort vom gekreuzigten und auferstandenen Christus
knüpft sich eine langwierige Streitunterredung über Sterb-
lichkeit und Sündigkeit der heidnischen Götter, welche von
Ignatius in der bekannten Manier geführt, von Trajan aber
anfangs noch durch immer dringendere Warnungen, später
durch Folterungen unterbrochen wird. Die Befehle hiezu
folgen so auf einander: ταῖς μολυβδίσιν αἰχίσατε αὐτοῦ τὰ
μετάφρενα (1), τοῖς ὄνυξι τὰς πλευρὰς αὐτοῦ καταξάνετε καὶ
ἅλαιν ἀνατρίψατε (2), ἁπλώσαντες αὑτοῦ χείρας πλήσατε
πυρύς (8), πάπυρον ἐλαίῳ βάψαντες χαὶ ἅψαντες τὰς
πλευρὰς αὐτοῦ φλέξατε (4), ἐνέγκαντες πῦρ καὶ ἁπλώσαν»-
τες εἷς τὸ ἔδαφος τὴν ἀνθϑρακιὰν στήσατε ἐπ᾿ αὐτὴν τὸν
Iyvarıov (5).
Eine interessantere Wendung nimmt die Verhandlung
erst wieder nach Trajans Drohung, die christliche „ Häresie “
zu vernichten und sie den „Dogmen der Römer“ zu unter-
werfen (p. 371 init... In längerer nicht ungeschickter Rede
verbreitet sich darauf Ignatius über die siegreiche Macht des
Christenthums, welches den Namen „Häresie“ nicht verdiene,
über die politische Ungefährlichkeit der christlichen Moral,
über das providentielle Zusammentreffen der Geburt Christi
mit der Begründung der Monarchie und der Vollendung der
Reichseinheit unter Augustus. Obwohl der Senat hiegegen
nichts einzuwenden hat, begründet er doch seinen Widerwillen
gegen Christus durch die Anklage, dass Christus den Götter-
dienst zerstört habe !), worauf Ignatius die Unterwerfung der
1) Dieser Satz sowohl, wie die Entgegnung des Ignatius wird erst
15
barbarischen Völker unter. römische Herrschaft geradezu als
Werk Christi und Erfüllung der Weissagung vom eisernen
Scepter bezeichnet, zugleich aber die Befreiung der Römer
und der Menschheit überhaupt von heidnischen Gräueln als
Seitenstück daneben stellt. Nach dem wohlverdienten Aus-
druck der Verwunderung Trajans über des Märtyrers viel-
seitige Bildung wird schliesslich noch die göttliche Verehrung
der Naturkräfte bestritten. Wieder folgen drei Folterungen ),
welche Ignatius mit paulinischen Sprüchen erwidert. Das
kaiserliche Urtheil lautet auf fünftägigen Kerker ohne Nahrung
und darauf folgenden Thierkampf. Im Amphitheater selbst
erfolgt noch eine letzte Aufforderung zur Verleugnung. Als
die Löwen losgelassen werden, redet Ignatius das römische
Volk unter anderem mit einem Wort seines Römerbhriefs
ἃη 3. Die beiden Löwen ersticken ihn nur, ohne sein
Fleisch zu berühren, damit sein Leib der Stadt Rom, in
welcher vordem sehon Petrus, Paulus und Onesimus Märtyrer
geworden, als Talisman verbleibe. Es folgt noch die Nach-
richt von dem bekannten Brief des Plinius an Trajan 3), wel-
cher nächst dem Eindruck vom Martyrium des Ignatius den
Kaiser zu einer milden Verordnung in Bezug auf die Christen
veranlasst und den römischen Christen die Erlaubnis zur Be-
stattung des Ignatius erwirkt haben soll, welche denn auch
an einem zu .gottesdienstlicher Feier seines Martyriums ge-
eigneten Ort stattfand. Die Notiz über Plinius und Trajan
ist so mechanisch aus Eus., ἢ. e. III, 33, 1. 2 herüberge-
verständlich, wenn man nach arm., 6. 28 (cf. boll., 8 12 „ille“) ein
ὃ Χριστὸς ὑμῶν als Subject einschiebt.
1) χραβατοπυρίαις σε ἀναιρα (6), τοῖς ὄνυξι τὸν νῶτον αὐτοῦ χατα-
ξέσαγτες (7), ὄξος σὺν ἀλσὶ καταχέετε αὐτοῦ τῶν πληγῶν (8).
2) Aus Rom. 4: σῖτος γάρ εἰμι τοῦ ϑεοῦ καὶ di’ οδόντων 9ϑη-
θων ἀλήϑομαι, ἵνα ἄρτος χαϑαρὸς γίνωμαι (p. 374). Aus Rom. 7
stammt auch, was kurz vorher in der letzten Anrede des Ignatius an
Trajan vorkommt . . . διὰ Ἰησοῦν, ὃν ποθῶν ἄπειμι πρὸς αὐτόν"
σῖτος γάρ ἐστιν ἀϑανασίας καὶ πόμα ζωῆς αἰωνέου,
3) Vgl. oben 8. 7.
10
nommen, dass selbst die nur im Context des Eusebius, nicht
aber des Martyriums veranlasste Form des acc. c. inf. wieder-
kehrt: πρὸς ἃ τὸν !) Τραϊανὸν . . . δόγμα τοιοῦτον τεϑει--
κέναι x. τ. A. Also die Kirchengeschichte und nicht etwa die
Chronik ?) des Eusebius liegt zu Grunde. Während aber hier
der Verfasser durch Umsetzung der Negation in der kaiser-
lichen Verfügung deren Sinn auf den Kopf stellt, schreibt er
in treuer Wörtlichkeit aus Eus., h. e. III, 36, 12—15 die
Zeugnisse des Irenäus und Polykarp mit ihrer Einfassung
durch Euseb ab. Selbst der Schlusssatz Eusebs: καὶ τὰ μὲν
περὶ Iyvurıov τοιαῦτα᾽ διαδέχεται δὲ μετ᾽ αὐτὸν τὴν Ἀντιοχείας
ἐπισκοπὴν Ἥρως klingt noch nach im Martyrium: τοιοῦτον
γὰρ Ἰγνατίου τὸ μαρτύριον" διαδέχεται dE.... . “How.
Darauf wird noch der 20. December als Gedächtnistag des
Ignatius bemerkt.
So völlig ihren eigenen Weg geht jede dieser beiden Er-
zählungen, dass man nicht einmal von Abweichungen reden
kann, weil es ganz an Berührungspunkten fehlt. Der spätere
Schriftsteller hat das Werk des früheren sichtlich nicht ge-
kannt. Nur die jüngere Bearbeitung des vat. in oxon. zeigte
gegen Ende (8. oben S. 6) eine wörtliche Einschaltung aus
m. colb. oder einem diesem hierin ähnlichen Werk. Dort-
her wird dann auch die Nachricht von der Translation der
Reliquien nach Antiochien (S. 7) und das dem oxon. eigen-
thümliche 9. Jahr Trajans statt des ö5ten im vat. stammen.
Dabei vergass der Schreiber nur, auch die Consuln nach der
abweichenden Angabe des m. colb. zu ändern. Sehen wir
von solchen späteren Verähnlichungen des m. vat. mit m. colb.
ab, so tragen weder .die Uebereinsimmungen beider Martyrien
den Charakter der Abhängigkeit des einen vom andern, noch
auch die Verschiedenheiten den der Nachbesserung. Den
gleichen Gedächtnistagg werden beide aus der kirchlichen
1) Ueber die Richtigkeit dieser LA. des oxon. gegen vat. wäre auch
ohnedies kein Zweifel.
2) ed. Schoene II, 162sqg. In diesem Falle wäre auch das „, fünfte
Jahr Trajans‘ nicht erklärlich.
17
Tebung ihrer Zeitgenommen haben. Die Regierung Trajans wird
als Zeit des Martyriums in der Ueberlieferung festgestanden
haben. Der Verfasser des m. vat. ersah sie überdies aus der
Kirchengeschichte Eusebs, deren fleissige Benutzung gegen
Ende deutlich wurde. Dorther stammt aber auch, wie die
auffällige Wortübereinstimmung der ersten Sätze des m.
vat.!) mit Eus. ἢ. 6. III. 36, 2sq. zeigt, die Einsicht, dass
Ignatius durch Asien hindurch, also bis Smyrna oder Troas
zu Fuss, transportirt worden sei. Dazu passt es, dass der
Verfasser, wenn er auch an einer Stelle wenigstens (vgl.
$. 15, Anm. 2, auch 5. 13, Anm. 4) selbständige Kenntnis
des ignatianischen Römerbriefs verräth, doch ganz überwiegend
die von Euseb citirten Stellen desselben benutzt und zwar in
einer gerade durch Euseb bezeugten Textgestalt 5). Aus Euseb
wird daher auch unbedenklich der Consul Atticus herzuleiten
sein. Verderbt freilich ist hier (s. oben S. 5) der Text be-
sonders des cod. vat. Sehr unwahrscheinlich ist es auch, dass
der nicht gerade ungebildete Verfasser drei Consuln ange-
geben haben sollte, und Usshers ?) Vermuthung, dass der un-
mögliche Name Σουρβανοῦ aus Novo und Οὐρβανοῦ ZU-
sammengeflossen sei, so dass ursprünglich Arzıxov καὶ Σούρα,
Orpßuavov καὶ ἸΠαρκέλλου geschrieben wäre, ist wahrschein-
licher, als dass etwa die im chron. pasch. (bonn. I, 470) zum
7. Jahr Trajans genannten Consuln Συριανοῦ τὸ β' καὶ Mup- .
χέλου *) zu Grunde liegen. Aber damit ist der Name Atticus
nicht erklärt, der sich von da an in m. cott. und boll., bei
Symcellus und anderwärts erhalten hat, obwohl er in keinem
1) S. oben δ. 5. Man vergleiche nur ἀπὸ Συρέας ἐπὶ τὴν Ῥωμαίων
πόλιν παρεπέμφϑη (Eus. ἀναπεμφϑέντα) τῆς Eis τὸν Χριστὸν ἕνεκα
μαρτυρέας (Eus. μαρτυρίας ἕνεχεν) oder vorher μετὰ ἐπιμελεστάτης
φρουρῶν φυλακῆς.
2) Dahin gehört (S. 13, Anm. 4) ἐνδεδεμένος (statt δεδεμένος),
σιρατιωτικοὸν (statt oreaTriwrov).
3) Cler. 179, not. 6. |
4) Dafür gelegentlich auch Suburano II et Marcello (chron. pasch.
lI, 160), aber auch Urbano et Marcello (Mommsen über den Chrono-
graphen von 354, S. 660).
Zahn, Ignatius, 2
18
Consulverzeichnis sich findet. Hat unser Verfasser sichtlich
in Eus. h. e. III, 33--36 geblättert, hat er sich durch Rück-
blick von c. 36 auf die vorigen in die Zeit Trajans und
näher in die des Martyriums des Simeon von Jerusalem weisen
lassen, so hat er dort in c. 32, 3 (vgl. $ 6) auch gelesen:
ἐπὶ Τραϊανοῦ Καίσαρος καὶ ὑπατικοῦ Artızov. Daher also
seine sonderbare Angabe ἢ). Sein geschichtliches Wissen ist
nichts weniger als original, aber durchaus unabhängig von
dem viel anspruchsvolleren m. colb. ?)
Steht die gegenseitige Unabhängigkeit dieser beiden
Martyrien fest, trägt: ferner jedes für sich ein in sich ein-
heitliches Gepräge, so folgt, dass jedes andere Martyrium,
welches Stoff und Wortlaut mit beiden zugleich theilt, eine
Verschmelzung dieser beiden Originale ist. Dies gilt von
cott. (boll.), wie schon oben ὃ. 8 vorläufig behauptet wurde.
In seiner ersten Hälfte bis zur Ankunft in Rom bietet cott.
nicht eine einzige Notiz, die inhaltlich über colb. hinausginge
und verhält sich zu angl. wie eine selbständige, hier und da
kürzende Uebersetzung des colb. zu einer wörtlichen. Der
Anfang lautet:
eott. | angl.
Cum Trajanus Romanorum : Nuper recipiente principa-
sugcepit imperium, Ignatius | tum BRomanorum Trajano
diseipulns . sancti. Johannis | apostoliet evangelistae Johannis
apostoli et evangelistae, vir | discipulus, Ignatius, vir in
in omnibus apostolicus 3), sus- | omnibus apostolicus, guberna-
1) Dies möchte die richtige Verwerthung des von Henschen (Acta
SS. Febr. I, 19 c.) und neuerdings von Volkmar (Handb. I, 129f.) Ge-
sagten sein.
᾿ 9) Vgl. Lipsius II, S. 8.
3) Hier hat boll. eingeschaltet: secundus post apostolos factus, qui
post Euodium, so dass das Folgende von qui abhängt. Dass diese
Notiz aus m. vat. stammt, darf als selbstverständlich gelten (vgl. oben
S. 6), da vat. jedenfalls für die zweite Hälfte von cott. (boll.) Quelle
ist, und zwar das ganze vat. Auch die Angabe consulatu Attici et
Marcelli in cott. (Cler. 179, not. 6) und boll.,, 8 4 ist ja der im übrigen
nicht benutzten ersten Hälfte des vat. entlehnt. So schaltete boll., $ 3
19
capit ecelesiam Antiochenerum | bat ewelesiam Antiochenorum,
gubernandam, quae olim a : Qui quondam procellas vix
tempestatibus et persecutioni- : mitigans multaram sub Do-
bus agitahatur (9. das Weitere | mitiano persecutionum etc.
oben 8. 8). |
Scheinbar Originelles in dieser ersten Hälfte von cott.-
boll. beruht auf Misverständnis des griechischen Textes, auf
unbedentender Textverschiedenheit oder auf Nachlässigkeit,
Das wesentlich gleiche Verhältnis besteht zwischen der zweiten
Hälfte dieses lateinischen Martyriums und m. yat. Kaum ein
Satz des letzteren fehlt in boll.!) Wenn 2. B. in bollL, ὃ 11
die Drohung Trajans, die christliche Häresie auszurotten, und
die nächstfolgenden Worte des Ignatius ausgestossen sind, so
scheint nur eine Abirrung sei es des griechischen Compilators,
sei es des lateinischen Uebersetzers von στεναγμός auf χριστια-
»suog Stattgefunden zu haben; denn wunderlieh genug setzt
sich der des letzteren Worts, seines Subjeets, beraubte Spatz
in boll. fort. Misverständnisse und gröbliche Nachlässigkeiten
der Debersetzung sind nicht selten, wie z. B. wenn die Worte:
οὐ γὰρ εἶ συ τῆς γερουσίας ἀμείνων übersetzt werden: qued
est aptum tune senectuti (boll., $ 8, cf, vat., p. 369), Aehn-
liches findet sich in boll, 8 12. 13; aber nirgendwo zeigt
sich eine Spur selbständiger Diehtung oder einer anderen
schriftlichen Quelle. Die Näherbezeichnung der Hinrichtung
des On«esimus als Steinigung (boll., ὃ 18), während in oxon, aua
dem ursprünglichen, allgemeineren Ausdruck des wat. (ive-
λει 9) EIN κλάσις τῶν σκελῶν geworden ist (8. ohan S, 6f.),
erfordert nicht die Annahme einer solchen. Den ı. Februar
als Todes- und Gedächtnistag hat unser lateinisches Martyrium
(a oben 3. 9) nach dem späteren abendländischen Brauch
ne Uebersetzung der Worte des vat.: ἦσαν δὲ οἱ φυλάσσοντες αὐτόν
x. τ. A. (s. oben 8. 6) nachträglich in den übrigens von colb. abhängigen
ersten Theil ein (vgl. über derartige Nachträge in boll. oben S. 9f.).
1) Nur boll. kann hier verglichen werden, da cott., wie gesagt, in
Bezug auf diese zweite Hälfte nur aus wenigen Noten Usshers be-
kannt ist.
2*
20
aufgenommen. Welches Geistes aber die ganze Arbeit ist,
tritt vor allem in dem Umstand zu Tage, dass man nun in
einer fortlaufenden Erzählung von einer ersten Verhandlung
mit Trajan in Antiochien, von einer zweiten in Rom, von
einer definitiven Verurtheilung durch den Kaiser hier wie
dört liest, ohne dass doch begreiflich wird, wie Trajan, der
nach boll., $ 2 auf eiligem Marsch gegen die Parther begriffen
ist, bei der Ankunft des Märtyrers in Rom wieder dort sein
kann. Hiermit ist cott.-boll. als eine mechanische Ver-
schmelzung des colb. und des vat. erwiesen. Es kann nur
noch als Textquelle für die beiden Originale, und auch in
dieser Hinsicht nur vorsichtig benutzt werden.
Nicht grösser ist der geschichtliche Werth desjenigen
Martyriums, welches zuerst Aucher aus einer armenischen
Martyriensammlung als das allein ursprüngliche, von den Be-
gleitern des Ignatius aufgezeichnete und in Form eines en-
cyklischen Briefs der antiochenischen Kirche verbreitete Mar-
tyrium herausgab. Der naivste Grund war jedenfalls der,
dass dies arm. sich im Anhang auf Eusebs Kirchengeschichte
berufe und deshalb zu den von Euseb gesammelten Martyrien
gehört haben müsse ἢ. Aber auch der blosse Umstand, dass
es den ganzen Stoff von cott.-boll. nur in anderer Vertheilung
darbietet, hätte schon damals nicht die Behauptungen her-
vorrufen dürfen, dass colb. ein Auszug aus arm., dass der
Metaphrast eine Erweiterung und Verwirrung desselben dar-
biete, und dass Henschens Vermuthung, die Verschiebung
einiger Blätter habe die vom metaphr. abweichende Ordnung
des boll. geschaffen, eine ingeniosa dispositio sei. Ein Mann
wie Henschen würde selbst anders geurtheilt haben, wenn
ihm colb. schon vorgelegen hätte. Nach Auffindung des vat.
ist der obige Nachweis über das Verhältnis von cott.-boll.
zu colb. einerseits und vat. andrerseits unanfechtbar, aber auch
leicht zu zeigen, dass arm. im Vergleich zu cott.-boll. eine
nur viel künstlichere, geschicktere und gewiss jüngere Com-
pilation derselben beiden Quellen ist.
1) S. Auchers Worte bei Petermann, S. 498f.
21
Das arm. ist nach Aucher (a. a. O., S. 496) und Peter-
mann (proll. XXVI) Uebersetzung aus dem Griechischen, und
es könnte anmasslich erscheinen, wenn ein' des Armenischen
völlig Unkundiger Bedenken dagegen erhebt. Aber Fragen
sind erlaubt. Konnte das pascebat eccelesiam (arm. 1) nicht
leichter aus ἴωσι ;o,0 (Cur. 222, 7) als aus ἐχυβέρνα ent-
stehen ? Sollte die Uebersetzung von ϑεοφόύρος durch Deo vestitus
(arm. 6), zu welcher das daran angeknüpfte Gespräch so
wenig passt, unabhängig von dem syrischen σι ἢ ans
(Cur. 197, 2; 201, 6) oder σὰ „ahbso (Cur. 224, 24)
entstanden sein? Es will ferner die Uebereinstimmung zwischen
der syrischen Uebersetzung des colb. (Cur. 222) mit arm.
(6. 1) erklärt sein, wenn beide pluralisch von Steuerrudern
reden, statt συνεχείᾳ ein Adjectiv lesen und dies mit τῆς
νηστείας Statt mit τῆς διδασκαλίας verbinden. Dazu kommt,
dass die im m. arm. enthaltene Uebersetzung des Römerbriefs
auch nach Petermanns Beobachtung sehr häufig nicht nur mit
der aus syrischer Uebersetzung geflossenen armenischen Ueber-
setzung desselben Briefs in der Sammlung der Briefe über-
einstimmt (vgl. z. B. Petermann, $. 150), sondern auch da,
wo sie von dieser abweicht, auf syrische Grundlage zurück-
weist (Ὁ. 173) und gerade mit dem Text des Römerbriefs
im syrischen Martyrium übereinstimmt (S. 132). Sollten
denn nicht die häufigen Plurale statt des Singulars auf syri-
sches Ribbui zurückgehen 1), oder die Uebersetzung von οἷς
γράφω ὑμῖν (Rom. 7) durch quoniam (oder quo) scribo ad vos
auf das mehrdeutige syrische Relativ? Wahrscheinlich wenig-
stens möchte es sein, dass das m. arm. aus einem syrischen
übersetzt ist, welches aber seinerseits unabhängig von dem
uns erhaltenen syrischen Martyrium aus dem griechischen
übersetzt sein könnte. Für das Alter der Composition
gewinnen wir auf diesem Wege keine Bestimmung; denn
wenn auch die Armenier nach dem 5. Jahrhundert Syri-
sches nicht mehr übersetzt haben sollen, so wird doch
1) Rom. 7: cogitationes meas; Rom. 9: in precibus vestris.
22
geride Martytologisches von dieser Behauptung ausge-
nommen !).
Der Hauptunterschied dieser Versehmelzung der beiden
Urmartyrien von der in cott.- boll. vorliegenden besteht darfn,
dass arın. die gerichtlieken Verhandlungen, welche mach vat.
m Rom stattgefunden, an die antischenischen Verhandlungen,
wis siecolb. darstellt, angeschlossen und einigermassen damit
versehmolzen hat. Dadurch entgeht arm. der ungeschiekten
Depheitä& m eott.-boll., muss dafür aber auch den Senat in
Antiochien mit riekten lassen (6. 34). Sieht man von Neben-
sächlichem ab, so entspricht arm., ὁ. 1—6 fin. dem eolb.;
6, 6 fin. — 35 dem vat.; c. 36—48 wieder dem colb. Anr
eigenthärnlichsten verfährt arm. im ersten Theil: Abgesehen
nämlich von kleinen Erweiterungen ?), geschichtlich orientiren-
den Bemerkungen 3) und unbedeuterderen Einschaltungen aus
vat., wie sie auch im koll, sich finden Ὁ), mischt er im Be-
rieit von der Gerichtsverhandlerig von vorhherein den zu
Grunde‘ liegenden Text des eolb. mit vat., wie es folgende
Zusammenstellung zeigt:
art. 6. ὃ. eolb. 6. 2.
OÖ malo daemone obsesse τίς εἶ κακοδαΐμον, τὰς Nus-
vir! quis es tu, «αὶ nostra | τέρας σπουδάξων διατάξεις ὕπερ-
präecepta contempthi habes et | βαίνειν, μετὰ τὸ καὶ ἑτέρους
älios seducis, ut non obediant ! ἀναπείϑειν, ἵνα κακῶς ἀπο-
mostris mandatis, ut male | λοῦνίαι (weiter nach. vat.
fereart, Qui et Attiochenorum | p. 368:) ὁ τὴν ᾿Αντιοχέων
ürbem et regionem pertur- [ πόλιν ἀνάστατον ποιήσας, ὡς
basti, ita uf ad αὔγοβ meas Ä καὶ εἷς ἀκοὰς ἐμὰς ἐλϑεῖν, ὅτι
|
dı
pervenerit, quod totam ran πᾶσαν τὴν Συρίαν μετέβαλες
reduteris ἃ paganismo ἀπὸ τοῦ ἑλληνισμοῦ εἰς τὸν
christianismum. Ignatius det: | χοιστιανιόμόν. (Weiter nach
|
t) Peterm. proll,, p. ZXVL
2) So c. 2: quod non fuit dignus morte martyris, oder die Zwischen-
frage Trajans in c. 6.
3) z.B. c. 3 init.
4) So die Angabe der antiochenischen dudoyA, ce. 1.
23
Deo vestituli virum imalo | dolb.:) ᾿Ιγνάτιος εἶπεν" οὐδεὶς
daemone obsessum nemo vo- ϑεοφόρον ἀποχαλεῖ κακοδαίμονα
cat etc. Ι χ. τ. λ.
Mit den Worten utinam possem, c. 9, geht er wieder zu
vat. über, und zwar genau zu derselben Stelle, wö er diese
Quelle verlassen hatte, um ihn von da an bis ὁ. 85 nicht wieder
mit einer anderen Quelle zu vertauschen. Kleine Zusätze und
Weglassungen, Misverständnisse und Textvarianten, endlich
auch Aenderungen, welche die veränderte Situation nothwendig
machte, abgeröchnet 1), hat er nur zweimal Eigenthämliches.
Von den Worten sicut et priusquam crucifigeretur c. 9 bis
ὁ. 10 fin., findet sich eine breite Ausführung des im Original
nur kurz ausgesprochenen Gedanketis, dass Christus von un-
dankbaren Menschen züm Lohn für seine Wohlthaten ge-
kreuzigt worden sei. Sodann ist c. 17 eine eigenthümliche
demonstratio ad hominein.
Im dritten Theil hat arm. bis zum Wort theatrum
c. 46 den colb. streng befolgt, auch den Römerbrief mit auf-
genommen. Nur selten werden Bemerkungen eingeschaltet
wie die, dass Igmatius sich in der Ueberschrift aller Briefe
ϑεοφόρος nemme (6. 41). Die Anrede des Ignatius ans Volk
im Amphitheater und die Angabe, dass zwei Löwen ihn er-
stiekten, nahin er aus vat. (Dressel, p. 374), was ihn aber
nicht abhielt, auch die damit unverträgliche Angabe über das
Ende des Märtyrers aus colb. ziemlich wörtlich aufzunehmen
(c. 46. 47). Ebenso bringt er es fertig, der aus vat. ent-
nommenen Nachricht von gottesdienstlicher Feier an der römi-
schen Begräbnisstätte des Ignatius (c. 48) die wörtlich aus
colb. entlehnte Nachricht vor der Translation nach Antiochien
vorauszuschicken und den drohenden Widerspruch beider
Traditionen durch ein hier eingeschobenes postea zu vermei-
den 2). Endlich wird nach colb. vom den nächtlichen Er-
sheinungen des Ignatius berichtet und ak Todestag IX Kal.
1) So z. B. c. 34 init. cf. c. 46 die Weglassung der Worte
Trajans.
2) c. 47. Vgl. das ὕστερον in metaphr., c. 24.
24
Jan. angegeben (6. 49). Was weiterhin folgt (ὁ. 50 --53)
sind Bemerkungen Auchers, der: sich auch sonst manchmal
erlaubt hat, seinem Martyrologen ins Wort zu fallen. Man
sieht hier, dass er den den Ignatius betreffenden Inhalt seiner
collectio nicht vollständig hat abdrucken lassen. Nach c. 5 fin.
und 52 (2. Satz) hat das m. arm. auch die aus Eus. h. e.
III, 36 abgeschriebenen Stellen in gleicher Abgrenzung und
fast gleichlautend mit vat. enthalten, und wie dort folgt auch
hier die Angabe des Gedächtnistages, welche aber als Objekt
in den sonst mit colb. identischen Schlusssatz verschmolzen
ist. Wenn Aucher (c. 52) sagt: At pone has Eusebianas sec-
tiones rursus profert collectio nostra tamquam .ex ore veri
auctoris sic: „Memoriam etc.“, so soll damit wohl nur ge-
sagt sein, dass arm. ohne sichtliche Scheidung von dem an-
geblichen Bericht der Augenzeugen auch diese Notizen aus
Euseb und was weiter folgt, gibt. Das muss in der That so
sein, da arm. nach colb. auch hier in erster Person des
Plurals redet (manifestavimus); und Aucher hat den Um-
stand, dass die eusebianischen Worte ungeschickter Weise in
den augenzeugenschaftlichen Bericht verwebt sind, nur wenig
verwischt. Es ist also in jeder Hinsicht klar, dass arm. im
Vergleich zu cott.-boll. eine zwar künstlichere, aber keines-
wegs glücklichere Gruppirung des Stoffs und Wortlauts von
6010. und vat. ist ohne irgend welche andere Quelle. Die
angegebenen Zusätze erfordern kaum so viel Erfindungsgabe
als die Anordnung des Vorgefundenen.
Noch einen Schritt weiter in bunter Mischung und freier
Gestaltung des Stoffs der beiden Urmartyrien geht endlich der
jedenfalls spätere Metaphrast. Auch er verlegt die Verhand-
lung mit Trajan und dem Senat nach Antiochien (c. 4—7),
nimmt vorher und nachher den Inhalt des colb. mit Ein-
schluss des Römerbriefs ziemlich vollständig auf und gibt zum
Schluss wie vat., nur in angemessener umgekehrter Ordnung
sowohl die Zeugnisse des Irenäus und Polykarp nach Euseb,
als die eben dorther stammende Nachricht über Trajans
Rescript (6. 26. 27). Der Versuch einer . Verbindung der
widersprechenden Nachrichten über die Behandlung des Mär-
25
iyrers durch 16 Löwen mislingt ihm völlig). Das einzige
Neue ist die Sage, dass Ignatius das von Christus gesegnete
Kind sei, oder mit anderen Worten, dass der ϑεοφόύρος viel-
mehr ein ϑεόφορος sei (6. 1). Die übrigen Zuthaten sind
Phrasen und pragmatische Reflexionen (z. B. ὁ. 8). Häufiger
als die Neigung zur Erweiterung zeigt sich die Unlust, das
massenhafte Material abzuschreiben. Neben den Skythen
lässt er die Dacier weg, neben den Parthern, die bei ihm
Perser sind, die Armenier (c. 3), neben Trajan den Plinius
(0. 27). Es scheint der eigene Gedanke des Stylisten zu sein,
den er dem Kaiser in den Mund legt: τὰ μὲν πολλὰ ταῦτα
χαίρειν ἐῶμεν (c. 5). Die Verhandlung ist nicht bloss stark
verkürzt, so dass die Folterungen, aber auch die gedanken-
reicheren Partieen wegfallen, sondern auch vergröbert. Es
ist daher nur ein Schein, durch den auch Uhlh., 5. 249f.
sich irreführen liess, als ob metaphr. eine ältere Gestalt der
Sage vertrete als cott.-boll. und arm. Die Frage ist wohl
vicht mehr zu entscheiden, aber auch kaum von Bedeutung,
ob metaphr. ebenso wie cott.-boll. und arm. die beiden Ur-
martyrien selbst vor sich gehabt, oder eine Verarbeitung
beider, welche dann wahrscheinlich das griechische Original
ἐθ arm. sein würde. Jedenfalls ist metaphr. auch nur ein
Leuge für die Verbreitung und den Text des colb. und vat.,
sber der werthloseste, weil eigenmächtigste von allen.
nn nn
3 Kritik der vergleichsweise ursprünglichen Martyrien.
Für die Bestimmung der Entstehungzeit des m. vat.
bptet uns einen zuverlässigen Anhalt die wörtliche und reich-
1) 6. 23. Durch Ausstossung der Worte μόνων bis ὠπεχόμενοι
odes bis πληρωϑείσης erhält man erst einen lesbaren Satz.
26
liche Benutzung. der Kirchengeschichte Ensehs, welche diesär
erst nach Vollendung seiner Chronik, also noch 325 abzufassen
begonnen und wahrscheinlich vor 330 volletidet hat. Um die
Mitte des 4. Jahrhunderts könnte demnach m. vat. frühstens
entstanden sein. Einen terminus ad quem der Abfassung
beider Urmärtyrien würden uns abgesehen vom metaphr., der
wahrscheinlich in den Anfang des 10. Jahrhtnderts zu setzen
ist ἢ), die viel älteren, weil in jeder Hinsicht alterthämlicheren
Compilationen darbieten, welche in m. arm. und m. cott.-boll.
vorliegen, wenn deren Entstehungszeit genauer zu bestimmen
wäre. Die erstere ist vorausgesetzt in denjenigen griechischen
Menäen, aus welchen Henschen (ἃ. a. O., S. 28) berichtet,
Diese kennen erstlich eine lange Verhandlung mit Trajan und
geben die Folterungen, wenn auch nicht ganz vollständig, so
doch genau in der Reihenfolge des vat. und seiner Ver-
arbeitungen ἢ. Mit arm. insbesondere stimmen: sie überein
ie dem Zusatz ferreis zu ungulis (ärm. 14. 31), verlegen wie
arm. die Verhandlung nach Antiochien, lassen den Wunsch
des Märtyrers, reines Brot zu werden, erst bei der Ankunft in
Rom laut werden (cf. arm. 46), kennen die Zerreissung
durch die Thiere und die Translation der festeren Gebeine
nach Antiochien (ef. arm. 47). Sie schöpfen also nicht aus
vat. selbst, sondern ats der in arm. erhaltenen Verarbeitung.
Andererseits stellen sie im Vergleich zum metaphr. eine ältere
Form dar; denn, statt wie dieser die Sage vom Kind Ignatius
in den Zusammenhang der Erzählung aufzunehmen, bringen sie
dieselbe nachträglich an, wie sie ja in der That dem mar-
tyrologischen Zusammenhang nicht ursprünglich angehört °".
Aber ein bestimmteres Datum für die Entstehungszeit de
arm. lässt sich ay% diesem Weg nicht gewinnen. Auf en
1) C£. Jo. Boll. in Acta SS. Jan. I, praef. XVlsaq.
2) Nämlich von den oben ὃ. 14f. aufgezählten 8 Nummern: 1. 3.
4.5.7.
3) Wie sie in dem Venedig 1628-1629 abgedruckten Menaion vor-
liegt, scheint sie vom metaphr. abhängig, der sie wahrscheinlich zwrst
mit dem Martyriam verschmolzen Hat.
27
Stadium vor dieser und jeder anderen Compilation verweist
uns das auf Befehl des Basilius Prophyrogenneta um 980 an-
gefertigte, aber seinem Inhalt nach viel ältere Menologion.!).
Zum 20. Desember erzählt dasselbe von einer Verurtheilung
zum Thierkampf durch Trajan in Antiochien und der Aus-
führung des Urtheils durch den Senat in Rom. Streichen wir
den Senat, so steht atı dieser Stelle nichts über colb. Hin-
ausgehendes. Dagegen findet sich unter dem 29. Januar
(p. 142) die Sage, dass er von den Löwen erstickt worden,
unverändert wie im vat. Nur die Translation ist hinzugefügt,
welche eben an diesem Tage gefeiert wurde. Darnach scheinen
hier die beiden Quellen noch unvermischt neben einander her-
zugehen. Aber das konnte geschehen, lange nachdem eine Ver-
arbeitung derselben wie arm. existirte.
Auch die in eott.-boll. erhaltene Verarbeitung, welche
dem Abendland angehört, oder doch im Abendland hauptsäch-
lieh Verbreitung gefunden hat, wie jene im Morgenland, lässt
sich nieht sonderlich hoch hinauf verfolgen. Ziemlich spät hat
mim im Abendland überhaupt den Märtyrer Ignatius kennen
gelemt. Die noch in Kalenderform gehaltenen Martyrologien
haben vielfach gar keinen Igriatius 57, oder doch so unbe-
stimmte Angaben, dass zweifelhaft bleibt, welcher Märtyrer
deses Namens gemeint sei. Das von Florentinius zuerst
kerausgegebene z. B. (a. a. O., 5. 179) notirt zum 25. Decem-
bu neben der nativitas domini unter anderen römischen
Märtyrern .. . Timedi, Ignati ?), Cyriaei... Das martyr.
Gllon. 4) hat am 14. Juni Ignatii episcopi. Aber letzterer
Ttel verbürgt nieht, dass der Bischof von Antiochien ur-
1) Menol. Graec. ed. Albani (Urbino 1727) II, 43. Ueber das Alter
des Werks vgl. die dort T. I, praef. zusammengestellten Urtheile und
Bamage zu Canis. Iect. ant. III, 1. 410.
2) 8% der parv. Hieron. hinter Vetustius occid. 6061. martyrol. ed.
Ploentinius Lucc. 1668; das dem 9. saec. angehörige calendarium bei
dAgery (ed. 2) II, 64sqq.; Raban. Maur. bei Canis. lect. ant. (ed. Bas-
mge, IL, 2. |
Ὁ) So auch der Hieron. bei d’Achery II, 1.
4 Geschrieben im Jahre 804, aber inhaltlich älter.
28
sprünglich gemeint ist; es steht vielmehr zu erweisen, dass
. darunter der schon von Cyprian gefeierte afrikanische Märtyrer
Ignatius versteckt liegt. Dieser wurde zwar in den späteren
Martyrologien auf den 3. Februar angesetzt. So schon im
sogenannten vetus Romanum vor dem Werk des Ado und bei
Ado selbst mit Berufung auf Cyprians Brief, bei Usuard und
Wandelbert. Aber das calend. Carthag. aus dem 5. Jahr-
hundert, in welchem der berühmte afrikanische Märtyrer Ignatius
doch schwerlich gefehlt haben wird, hat gleich hinter VIII
Kal. Jul., also hinter dem Datum des „Bischof Ignatius“
im mart. Gellon. die abgerissenen Worte: .... Jul...
saneti Εἰ... martyris (Ruinart, Act. pr. mart., p. 618). Das
ist dann aber, da Egnatius nur die echt lateinische Form
für Ignatius ist 1), eben der Afrikaner dieses Namens, welcher
im Gellon. zum Bischof geworden ist, und in der gleich-
folgenden Lücke des cal. Carthag. werden seine Genossen zu
suchen sein. Wenn nun der metrische „Beda“ (d’Achery
ΠῚ, 24) einen nicht näher bezeichneten Ignatius zum 20. De-
cember, dem spätern Gedächtnistag des antiochenischen Märtyrers
in der griechischen Kirche, notirt, so scheint das, wie auch
die spätere Translationsfeier am 17. December, vermöge einer
ebensolchen Attraction des neuen orientalischen Märtyrers
gleichen Namens vom 25. December geschehen zu sein, wie
die später im Abendland allgemeine Feier des antiochenischen
Ignatius am 1. Februar durch die ältere Feier des afrikani-
schen Ignatius am 3. Februar herbeigeführt wurde. Das erste
Martyrologium, welches unzweideutig den antiochenischen
Ignatius (am 1. Februar) und daneben den afrikanischen (am
3. Februar) aufzählt, scheint das vetus Romanum vor Ado
(ed. Georg. I, 29) zu sein?2). Dass aber der Afrikaner im
Anfang Februar vor dem Antiochener sich festgesetzt hatte,
zeigt z. B. noch Wandelbert (d’Achery II, 56), welcher den
Afrikaner am 3. Februar hat, den Antiochener aber, ınd
1) Egnatius liest auch die wiener Ausgabe I, 583 in Cypr ep.
39, 3, wo zwei mas. Ignatius haben.
2) Vgl. J. B. Soller in Act. SS. Jun. VI, b, 76.
29
zwar sein Martyrium, nicht die Translation, am 17. Decem-
ber). Es sind das lauter spätere Zurechtstellungen, welche
vielleicht nicht vor dem Jahr 800 begonnen haben. Von da
an aber zeigt sich auch sofort vollständige Abhängigkeit der
Martyrologen von dem m. cott.-boll. So im unechten Beda
(bei Cur., p. 186), bei dem damit wörtlich bis auf den
Schlusssatz übereinstimmenden Ado von Vienne im libellus de
festiv. (ed. Georg. I, p. XLV) und dem nur wenig abweichen-
den Usuard (Acta SS. Jun. VI, b, 75) 2). Vergleichen wir
den Text des Ado, so haben wir hier die vollständige Reihen-
folge der 8 Folterungen des vat. wie in arm. und cott.-boll.,
aber abweichend von arm. und übereinstimmend mit cott.-boll.
Rom als Schauplatz der Verhandlung vor Kaiser und Senat,
endlich die Consuln Atticus und Marcellus sowie den 1. Fe-
hruar, also die gleiche Abhängigkeit und die gleiche charakte-
ristische Abweichung vom vat. wie im cott.-boll. Aber auch
bis ins Kleinste setzt Ado sammt den verwandten Martyro-
logen den Text des cott.-boll. voraus. Im Befehl zur zweiten
Folterung heisst es anstatt des ursprünglichen καὶ ἁλσὶν ἀνα-
τρίψατε (Dress., p. 369, cf. arm. 14) bei boll., 8 9, et lapi-
dibus asperis confricate. Daher haben Ado und seine Nach-
folger ihr et lapidibus asperis confrieata sunt (sc. latera ejus).
Die durchgängige Uebereinstimmung des Wortlauts und die
gleichmässigen Abweichungen vom vat. besonders auch in der
Anrede ans Volk und der Erzählung vom Tode selbst ®), be-
weisen, dass es sich hier nicht um stoffliche Abhängigkeit
von einer mit cott.-boll. verwandten Darstellung handelt, dass
vielmehr die uns erhaltene lateinische Uebersetzung dieses
Martyriums den abendländischen Martyrologen vom 9. Jahr-
1) So auch der ursprüngliche Beda (Act. SS. Mart. II, p. XLI),
der aber am 3. Februar auch den Afrikaner nicht hat.
ες 2) Wandelbert (d’Achery II, 56) und Notker (Canis. lect. ant. II,
2, 98) sind zu kurz, um verglichen werden zu können.
3) Die Worte haec illo diceente — Onesimus lapidatus sind bei
boll., 8 18, cott., Ado, Beda völlig identisch bis auf die oben ὃ. 9,
Anm. 1. erwähnten Varianten.
80
hundert an vorlag. Die einzige scheinbar eigenthümliche
Angabe, welche Ado hier, Beda und Usuard nur zum 17. De-
cember liefern, über die Translation nach Antiochien, welche
mehrfach in ältere Urkunden nachträglich eindrang (vgl. oben
$. 9. 16) hat Ado in einer wörtlich an Hieronymus (eatal. 16)
erinnernden Form, Diese Herkunft erhellt auch aus der An-
gabe des 11. Jahres Trajans, welche Hieronymus aufgebracht
hat. Ferner klingt der Text des Hieronymus bei Ado deut-
lich durch in dem Satz: Cumque jam projectus bestias
rugientes andiret, ardore patiendiait:.... Fru-
mentum Christi (boll. triticum Dei) sum, dentibus besti-
arum molar, ut panis mundus inveniar (boll. efficiar).
Während die Abweichungen des boll. meist aus Rufins Deher-
setzung von Eus. III, 36 herrühren, welcher auch Beda im
Commentar zur Apokalypse und Gildas 1) folgen, scheint Ado,
welcher des Hieronymus Katalog anderwärts geradezu citirt 3),
bier unmittelbar aus Hieronymus zu schöpfen; seine Haupt-
quelle ist aber holl.-cott. Erst aus Ado schöpft die von
Mösinger nach einer dem 13. Jahrhundert zugeschriebenen
vatisanischen Handschrift herausgegebene Passio 8. Ignatii,
In der ersten Hälfte gibt sie einen Auszug aus Eus, h. e.
IN, 33. 36 nach Rufin ?). Mit den Worten postquam autem
a militibus (p. 19 med.) geht sie zur Darstellung der Ver-
handlungen vor Kaiser und Senat in Rom nach m. vat. oder
vielmehr nach m. boll.- cott. über. Dieselbe Reihenfolge der
Martern, aber auch dieselbe dieser lateinischen Uebersetzung
und den von ihr abhängigen Martyrologen eigenthümlichen
Ausdrücke dafür. Auch jenes lapidibus asperis confricata
und die Paronomasie pravitatem --- pietatam in der letzten
Anrede ans Volk. Aber auch hier wesentlich die gleichen
Spuren untergeordneter Abhängigkeit von Hieronymus, wie bei
#„Ado. Unabhängig von einander können beide demnach nicht
1) Abgedruckt bei Cur, p. 175. 187.
2) z. B. Ed. Georg. II, 248.
8) Trotz einiger Sanderbarkeiten, wie wenn Plinius zum Statthalter
Syriens gemacht wird, ist das Verhältnis deutlich, vgl. Mösinger,
8. 31.
31
wohl aya m. eoti.-boll, einerseits und Hieronymus andrerseise
geschöpft haben; es fragt sich vielmehr, ob diese passio dem
Ado, pder Ados libellus de festiv. dem Verfasser dieser passio
zur Quelle gedient hat. Ersteres ist unmöglich; denn es bliebe
wnerklärlich, wie Ado den eleganteren Ausdruck der passig
ohne ersichtlichen Zweck oft; vereinfacht hätte und auf diegem
Weg zum griginalan Ausdruck des Hieronymus zurückgekehrt
wäre, 0 2. B, wenn er in dem oben angeführten Satz ein
stimnlatus, welches die passio zwischen ardore und patiendi
eingeschoben hat, nicht hat, oder wenn er das effictar, welches
die passio fratz ihrer hier abwaltenden Abhängigkeit von
Hieronymus aus Rufin hat einfliessen lassen, durah das igveniar
des Hieronymus ersetzt. Es ist deutlich, dass die passio
Alles, was ie nicht aus Rufin entlehnt hat, durch Vermitt-
lung von Ados libellus bekommen hat, Dem widerspricht ex
nicht, dass sie statt der trockenen Aufzählungen der Folte-
rungen bei Ada eine ziemlich ordentlich: stilisirte Erzählung
gibt. Bei näherer Betrachtung enthält diese Kinrahmung nichts,
wag auf nmmittelbare Benutzung der Quelle (m. cott.-boll.)
schliessen liese, Auch hier arkennen wir nur denselben
Stilisten, welchem ea z, B. gefiel, anstatt des quellenmässigen
non prapter pravitatem haee patior, sed propter pietatem (boll.
5 18, cf. vat. Dres, p. 374) zu schreiben: non hoc propter
meorym criminym patior pravitatem, sed prapter divini cultus
pietatem. Wir gewinnen also an dieser passio kein Mittel,
um der Entstehungszeit des m. eott.-boll, näher zu kommen.
Um etliche Jahrhunderte älter ala Ado (starb 875) mögen
allerdings beide Compilationen der Urmartyrien, cokt.- ball.
und arm. sein; aber nichts nöthigt una aueh nur die heiden
Grundschriften, aus welchen sie in verschiedener Weise zu-
sunmengesetzt sind, vor dem 5. Jahrhundert entskauden zu
denken. Was zunächst das m. vat. anlangt, so müsste Kennt-
nis desselben sich vor allem durch Erwähnung der grausamen
Folterungen verrathen. Aber kein Schriftsteller, welcher vom
Martyrium des Ignatius redet, von Irenäus bis auf Johannes
Malalas, deutet Derartiges an. Wohl aber ist nachzuweisen,
dass einzelne chargkteristische Züge der Darstellyng des m. ναί.
32
gegen Ende des 4. Jahrhunderts in der Ueberlieferung feste
Gestalt gewonnen hatten und, wie die Natur der Sache es
dann auch fordert, schriftlich aufgezeichnet worden waren.
Nachdem Hieronymus (cat. 16) von der zur Zeit der Ver-
folgung unter Trajan erfolgten Verurtheilung des Ignatius
zum Thierkampf, vom Transport'nach Rom und seinen Briefen
geredet und das schon von Euseb mitgetheilte Kapitel des
Römerbriefs übersetzt hat, fährt er fort: quumque jam dam-
natus esset ad bestias, ardore patiendi, quum rugientes audiret
leones, ait: „Frumentum Christi sum, dentibus bestiarum
molar, ut panis mundus inveniar.“ Es ist allerdings nicht
zu leugnen, dass Hieronymus auch dies Wort aus dem Römer-
brief des Ignatius in seiner Vorlage und zwar so angeführt
fand, dass man es bei nicht allzu genauer Lesung auf die Auc-
torität des Irenäus hin leicht als ein mündlich ausgesprochenes
ansehen konnte ). Aber darüber sollte auch kein Zweifel be-
stehen, dass Hieronymus das Wort nicht als briefliche, sondern
als mündliche Aeusserung einführt ὃ. Zu bestimmt unter-
scheidet er sie durch den vorausgeschickten Temporalsatz von
dem vorher Mitgetheilten. Obwohl er schon im Eingang eine
in Antiochien erfolgte Verurtheilung erwähnt hat, muss er
doch auch von einer der Reise nach Rom und der Abfassung
des Römerbriefs erst folgenden Verurtheilung oder doch von
einer Näherbestimmung der Strafe erst in Rom gehört haben,
und das Hören des Löwengebrülls muss eigentlich gemeint
sein. Nun findet sich aber eine erst in Rom erfolgte Ver-
urtbeilung zum Thierkampf in m. vat. und den davon ab-
hängigen Bearbeitungen, und eben dort wird das von Hiero-
nymus citirte Wort ebenso angesichts der losgelassenen Löwen
von Ignatius ausgesprochen. Abhängigkeit des m. vat. von
Hieronymus ist schon deshalb höchst unwahrscheinlich, weil
1) Eus. ἢ. 6. III, 36, 12: οἶδε δὲ αὐτοῦ τὸ μαρτιίριον καὶ ὁ Εἰρη-
ναῖος καὶ τῶν ἐπιστολῶν αὐτοῦ μνημονεύει λέγων οὕτως" ὡς εἶπέ τις τῶν
ἡμετέρων, διὰ τὴν πρὸς ϑεὸν μαρτυρίαν καταχριϑεὶς τρὸς Imola;. ὅτι
σῖιός εἰμι ϑεοῦ x. τὶ A.
2) Gegen Pears. II, 87; 2165ᾳ. und Uhlh. 268.
33
der Verfasser des vat., welcher ohne alle Polemik gegen
andersartige Ansprüche die Reliquien des Ignatius für Rom in
Anspruch nimmt, au der bestimmten Angabe seines Begräb-
nisses in Antiochien bei Hieronymus nicht so glatt hätte
vorbeigleiten können. Sodann bedarf die Angabe des Hiero-
nymus, nicht die des vat., einer literarischen Erklärung. Ab-
hängigkeit des Hieronymus vom vat., wie es uns vorliegt,
lässt sich freilich nicht wahrscheinlich machen. Nur soviel ist
deutlich 1), dass die im vat. zusammenhängend vor uns liegende
Veberlieferung in zwei charakteristischen Punkten zur Zeit
des Hieronymus bereits fixirt war und auch von diesem gelehrten
Abschreiber angeeignet wurde, ohne dass er sich des Wider-
spruchs mit- dem Anfang seines Berichts bewusst wurde,
Hieronymus hat sich vom Jahre 373 an mehrmals längere
Zeit in Antiochien aufgehalten und Jahre lang mit der antio-
chenischen Kirche in engster Beziehung gestanden (vgl.
Zöckler, Hieronymus, S. 43—81). Von dort wird er die An-
gabe über die Begräbnisstätte des Ignatius mitgebracht haben.
Vielleicht hat er dort oder bei den Anachoreten von Chalecis
auch den bezeichneten Ueberlieferungstypus kennen gelernt,
Auffallen wenigstens muss es, dass die wenigen individuellen
Züge, welche dem Chrysostomus zur Verfügung standen, als
er seine Rede am Gedächtnistag des Ignatius hielt, auf die-
selbe Quelle hinweisen. Wiederum ist es nicht die uns vor-
liegende Gestalt des m. vat., durch welche sich Chrysostomus
beeinflusst zeigt. Eine Schrift, welche den Leichnam des
Heiligen in Rom bleiben liess und von gottesdienstlicher Feier
an seinem dortigen Grab sagte, hätte ihm als völlig unglaub-
würdig erscheinen müssen, da er die gleich nach dem Tode
erfolgte Translation des Leichnams nach Antiochien mit leb-
hafter Phantasie ausschmückt 3. Obwohl der wortreiche Red-
ner sich anstellt, als-ob er vor lauter Ueberfülle des Stoffs
nicht zu Wort kommen könnte (l. 1. 593 B), so zeigt er sich
bei näherer Betrachtung doch sehr um Stoff verlegen, wo es
1) Das wesentlich Richtige hat schon Uss. adn. p. 34.
2) Opp. ed. Montfaucon II, 600g.
Zahn, Ignatius. J
34
auf Charakteristik des Heiligen ankommt. Eine sichere
Anspielung an irgend einen ignatianischen Brief finde ich in
dieser Rede nicht !.. Am wenigsten kann man eine solche
an das bei Ignatius selbst (Rom. 3) unächte Citat aus 2Kor.
4, 18 gelten lassen, welche Denzinger S. 901. unleugbar
fand ?). Ueberhaupt ist bisher aus den Werken des Chryso-
stomus noch kein stichhaltiger Beweis seiner Kenntnis der
ignatianischen Briefe beigebracht worden. Die einzige An-
führung, welche namentlich auf Ignatius (ad Pol. 4) zurück-
geführt wird, findet sich in einer Rede ?), welche wahrschein-
lich gar nicht von Chrysostomus herrührt. Ein längerer, in
unserem Ignatius nicht nachweisbarer Ausspruch, den Chry-
‚sostomus allerdings anführt, bietet kein Recht, ihn als Citat
aus einer verlorenen Schrift des Ignatius in Anspruch zu
nehmen. Denn Chrysostomus nennt den Heiligen, der so
‚gesprochen, nicht seinen Vorgänger im Bisthum von An-
tiochien, sondern einen früheren Heiligen unter den Nach-
‚folgern der Apostel, welcher auch des Martyriums gewürdigt
worden sei *). Der Wortlaut gestattet nicht einmal sicher auf
- 1) Gegen Pears. I, 131; Lips. IL, 2186. u, A. Des Ersteren Argu-
mentation gegen Abhängigkeit des Chrysostomus von einem Martyrium
beruht auf den beiden Voraussetzungen, dass das m. colb. ächt und die
anderen Acten (oxon.-vat.) jünger seien.
2) Wie Denz. a. a. O., so übersieht auch sein Gegner Lips. II, 21f.,
dass hier nicht cod. med., sondern colb. in Betracht kommt, welcher
soviel bedenkliche Uebereinstimmungen mit metaphr. und ΟΣ zeigt, dass
er gegenüber der Uebereinstimmung des L!, beider syrischer (Cur. 44;
Moesing. 7) und beider armenischer Uebersetzungen und einem Citat bei
Timotheus von Alexandrien (Cur. 210, 90 Β44.) nichts gilt.
3) Homil de legisl. (Opp. VI, 410 C), welche Montfaucon wie Ussher
in die Zeit Justinians setzt. Mühsam jedenfalls sucht Pears. I, 132 544.
ihre. Aechhtheit aufrechtzuerhalten, und Neuere, welche sonst keine
Verehrer Pearsons sind, sollten sie wenigstens nicht ohne Bechtfertigung
eitiren.
4) Opp. I, 693 ec: ἅγιός τις πρὸ ἡμῶν (cf. Iren. IV, 41, 2) τῆς
διαδοχῆς τῶν εποστόλων γενόμενος (cf. Eus. ἢ. 6. III, 4, 12) ὃς καὶ
μαρτυρίον ἠξέωτος. Fine Näherbestimmung wie πρώτης bei διωδοχῆς
(cf. Eus. III, 37, 1. 4; V, 20, 1; VI, 13, 8) ist vielleicht nicht er-
35
eneg Mann der unmittelbar nachapostolischen Zeit zu
schliessen, geschweige denn auf einen Bischof von Antiochien,
80 dass es der Erinnerung kaum bedarf, dass es unter den
antiochenischen Bischöfen vor Chrysostomus mehr als einen
Märtyrer gibt. Das letzte der von Our. p. 170 aufgeführten
‚Ignatiuscitate bei Chrysostomus, führt nicht dieser (opp,
ΧΙ, 86 C), sondern ein sehr viel jüngerer ‚Johannes yon
Antiochien !) in etwas abweichender Form auf Ignatius zurück,
und eg fragt sich doch noch sehr, ob nicht vielleicht Cyprian ?)
die Quelle ist. Jedenfalls kann Chrysostomus nicht für die
Gelehrsamkeit oder den Irrthum eines Schriftstellers so später
Zeit verantwortlich gemacht werden, und es bleibt unerweis-
lich, dass er jemals etwas von Briefen des Ignatius gelesan
hat. Nur der gegentheiligen Vorausseizung entspricht die
ganze Haltung seiner Rede auf den Märtyrer, Aus der bJossen
Thatsache, dass Ignatius ein den Aposteln persönlich bekannter
und von ihnen zum Nachfolger des Petrus eingesetzter Bischof
gewesen, gewinnt er auf dem mühsamen Umweg einer Schlusg-
folgerung aus den apostolischen Grundsätzen über die erfor-
derlichen Eigenschaften des Bischofs ?) auf deren Befolgung
seitens der Apostel einigen Inhalt zur Ausführung seiner
Disposition (p. 594sqgq.). Vom Martyrium weiss er nicht viel;
den Trajan erwähnt er nicht, und erst in Rom scheint er
sich das die Todesart bestimmende Urtheil gefällt und sofort
vollstreckt zu denken. Es ist dies ein dem m. vat.
forderlich zur Bezeichnung der unmittelbar nachapastolischen ‚Generation
(εἰ Eus. V, 21, 2).
1) Cotel. monum. eccl. Gr. I, 176: τῷ de ἐχχλησίαν ϑεοῦ σχανδα-
λίσαντι οὐδὲ μαρτυρίου αἷμα κατὰ τὸν ϑεοφόρον Ἰγνάτιον ἀρκεῖ εἰς
συγχώρησιν. Naeh Cotel. 1. 1. p. 747 gehört dieser Johannes dem
12. Jahrhundert an.
2) De unit. ecel. 14 init. cf. Pears. I, 130; de orat. dom. 24 cf.
Grabe II, 26.
8) Tit. 1, 7. 1 Tim. 3, 1; 5, 22.
4) p. 599 D. Die Rede ist bei der Schilderung der Wirkung des
Mertyriums auf die Römer angelangt: od γὰρ ἔξω rar τειχῶν ἐν βαρά-
sw οὐδὲ ἐν δικαστηρίῳ οιδὲ ἐν γωνίᾳ τινὶ τὴν καταβικχιίζουσαν
5%
36
charakteristischer Zug, welchen, wie gezeigt, auch Hieronymus
diesem Ueberlieferungstypus entlehnt hat. Auf eine ähnliche
Quelle führt die gleich folgende Anführung eines Worts,
welches Ignatius unmittelbar vor seinem Tode (μέλλων ano-
ϑνήσκειν»ν) gesprochen habe. Als er gehört habe, dass diese
Todesart seiner warte, habe er ausgerufen: ἐγὼ τῶν ϑηρίων
ἐχείνων ὀναίμην (p. 599 E). Das Wort findet sich ebenso
wie der von Hieronymus dem Ignatius beigelegte Ausspruch
im Römerbrief (c. 5), ist aber von Chrysostomus gleichfalls
in einem bestimmten geschichtlichen Zusammenhang vorge-
bracht, den nicht erst die Phantasie des Redners geschaffen
haben kann. Wenn dies Wort gerade in unserem m. vat.
nicht steht, so bestätigt sich nur, dass es nicht das m. vat.,
sondern ein demselben in manchen hervorstechenden Zügen und
besonders auch in starker Benutzung des Römerbriefs ver-
wandter Bericht war, woraus Chrysostomus und Hieronymus °
schöpften. Nachdem Chrysostomus das angeführte Wort noch
einmal wiederholt hat, fährt er (p. 600 A) fort: καὶ πολλῷ
τούτων ἡμερώτερα τὰ στόματα ἐνόμιζεν εἶναι τῆς τοῦ τυράννον
γλώσσης, καὶ μάλα εἰκότως. "Exeivn μὲν γὰρ πρὸς γέενναν ἐχά-
λει, τὰ δὲ τούτων στόματα πρὸς βασιλείαν παρέπεμπεν. Schon
das μάλα εἰκότως lehrt, dass der Redner hier nicht phantasirt,
sondern ein Ueberliefertes berichtet und dann würdigt. Er
kennt also eine Verhandlung, in welcher „der Tyrann“, ohne
Frage der damalige Kaiser, durch freundliche Worte den
Ignatius zum Abfall zu verlocken suchte, Ignatius aber, wie
es scheint, solche Reden nicht bloss als Verlockungen zum
Verderben zurückwies, sondern sich mit Bezug auf diese einen
Vergleich zwischen dem Kaiser und den Bestien erlaubte.
Wiederum finden wir wesentlich Verwandtes im m. vat.,
nicht aber im m. colb. oder bei einem Geschichtschreiber.
Hier wird das Anerbieten Trajans, den Märtyrer zum Jupiters-
-..--.»..-.-...- . ...- -- .-.-
ἐδέξατο ψῆφον, ἀλλ᾽ ἐν μέσῳ τῷ ϑεάώτρῳ τὴς πόλεως ἄνω χαϑεζο-
μένης ἁπάσης τὸν τοῦ μαρτυρίου τρόπον ὑπέμεινε ϑηρίων En’ αὐτὸν
ἀφεϑέντων. An diesen Worten scheitert die sophistische Behandlung
der Frage bei Pears. II, 217.
37
priester und Mitregenten zu erheben, als eine seelengefährliche
zur höllischen Qual führende Versuchung zurückgewiesen
(Dress. p. 368); und als Trajan zum letzten Mal, am Tag
der Execution angesichts des im Amphitheater versammelten
Volks — also in demselben Moment, bei welchem Chrysosto-
mus hier verweilt — in der huldvollsten Weise als Preis der
Nachgiebigkeit seine Freundschaft anbietet, antwortet dieser:
„Du scheinst mir die Gestalt eines Menschen, aber den
Charakter des Fuchses zu haben, der mit dem Schweif wedelt,
aber arglistigen Sinnes ist; denn du redest menschenfreund-
lich und räthst doch nichts Heilsames‘“‘ (Dress. p. 373). Auf
die Verschiedenheit braucht nicht besonders aufmerksam ge-
macht zu werden; die Aehnlichkeit bleibt auffallend.
Zu Hieronymus und Chrysostomus gesellt sich Pseudo-
ignatius. Höchst auffällig ist die Uebereinstimmung zwischen
dessen Ermahnung: τῷ Καίσαρι ὑποτάγητε, ἐν οἷς ἀκίνδυνος
ἡ ὑποταγή (Antioch. 11) und dem Satz des m. vat.!): τίνα
δὲ ἡμῶν ἔγνως στάσιν καὶ πόλεμον ἀγαπᾶν, οὐχὶ δὲ ὑποτασσο-
μένους ἄρχουσιν ?), οἷς ἀκίνδυνος ἡ ὑποταγή. Es ist möglich,
dass das so vielfach späteren ähnlichen Arbeiten zum Muster
dienende mart. Polycarpi das Original dieser Sätze enthält °);
aber doch nicht unabhängig von einander können die unter
sich so gleichlautenden und vom Original so weit abweichen-
1) Dress. p. 371 cf. die oxforder Handschriften bei Ussher (Cler.
107).
2) Unter anderen Abweichungen hat oxon. das hier erforderliche
ἐν οἷς. |
3) c. 10: δεδιϑάγμεθϑα γὰρ ἀρχαῖς καὶ ἐξουσίαις ὑπὸ τοῦ ϑεοῦ TE-
ταγμέναις τιμὴν χατὰ τὸ προσῆχον τὴν μὴ βλάπτουσαν ἡμὰς ἀπονέμειν.
Diesen Satz mochte der Verfasser des m. vat. oder der Grundschrift,
welcher nachgewiesener Massen die Kirchengeschichte Eusebs stark be-
nutzt hat, dorther kennen (h. e. IV, 15, 22). — Noch an zwei anderen
Stellen bietet m. vat. Anklänge an diesen und einen ähnlichen Ausspruch
Polykarps, nämlich Dress. p. 368: χάριτας dei παρέχειν, βασιλεῦ, τὰς
μὴ βλαπτούσας ψυχήν (cf. m. Polyc. 10) und p. 370: τὸ χαυστικοὸν τοῦ
πυρός σοῦ εἰς ὑπόμνησίν μὲ ἄγει ἐχείνου τοῦ πυρὸς χαὶ αἰωνέον καὶ
ἐσβέστου καίτοι πρόςχαιρον ὃν (cf. m. Polyc. 11).
88
den Nachbildungen entstanden sein. Ist nun aber dem Ver-
fasser des m. vat. allem Anschein nach selbst von den sieben
älteren Igmatiusbriefen nur der an die Römer bekannt gewesen,
80 erscheint wörtliche Benutzung eines der jüngeren Briefe bei
ihm kaum annehmbar. Somit wird Pseudoignatius der überhaupt
neuere, wie ältere Literatur stark benutzt hat, aus dem m.vat.
oder &us either älteren Grundlage desselben geschöpft haben.
Ueber allem Zweifel würde das stehen, wenn die laus Heronis
in b. Ignatium, welche Baronius !) zuerst herausgab, wirklich,
wie Ussher (Cler. 123) vermuthete, ein Werk des Pseudo-
ienatius wäre. Denn in diesem Gebet lesen wir: confudisti
Trajanum et senatum Romae prudentiam nunc non habentem.
Aber nur in Handschriften der lateinischen Uebersetzung der
längeren Recension ist diese laus bisher gefunden worden 2).
Der Stil erinnert an die Heiligenanrufungen in den Sacra-
mentärien und macht eine Uebersetzung aus griechischem
Original sehr tnwährscheinlich. Vom Uebersetzer der längeren
Recension mag das Stück herrühren und bestätigt nur, was
wir ohnedies wissen, dass die im m. vat. vorliegende Ueber-
lieferung für das Abendland massgebend wurde. Doch, auch
abgesehen von dieser unsicheren laus Heronis scheint be-
hauptet werden zu dürfen, dass Pseudoignatius, welcher nicht
lange vor Hieronymus und Chrysostomus den Antiochenerbrief
verfertigt haben wird, von derselben, für uns nur noch durch
die im vat. vorliegende Bearbeitung erkennbaren schriftlichen
Ueberljeferung über den Tod des Ignatius abhängig ist, wie
die beiden Kirchenväter. Um so weniger wird man geneigt
sein, die auffällige Uebereinstimmung dieser mit dem m. vat.
aus Abhängigkeit des letzteren von ihnen oder einem von
ihnen zu erklären. Auch in diesem Falle müsste man zur
1) Baron. ann. 110 ed. Luccae 1738, II, 65; sein cod. Vatic. ist
wohl derselbe, welchen Dressel proll. XXI benutzte.
2) Auch in den von Dressel (pro. XXI. LVII, n. 8. 9) ver-
glichenen. — Die Vermuthung, dass eben diese laus Heronis dem
einen der koptischen Martyrien angehängt sei, lässt sich auf die An-
gaben bei Cur. 363 wenigstens nicht sicher gründen. Vgl. auch oben
S. 4.
| ““
89 ᾿
Erklärung der Aussagen des Chrysostomus und Hieronymus
eine schriftgewordene Ueberlieferung zu Hülfe nehmen, welche
dann aber viel wahrscheinlicher als die gelegentlichen Be-
merkungen zweier Väter zur Grundlage des m. vat. gemacht
wird. Das eben ist es, worauf alle vorstehenden Beobach-
tungen hindrängen. Auf Grund eines älteren Berichts über
den Transport und den Tod des Ignatius, welcher gegen Ende
des 4. Jahrhunderts nicht ganz selten gelesen wurde, ist
vielleicht nicht viel später unser m. vat. entstanden. Der
Bildungsgrad seines Verfassers ist nicht der niedrigste; die
Vertheidiger der Aechtheit des m. colb., wie z. B. Smith
$. 44f., haben im Eifer der Verurtheilung des „jüngeren
Biographen‘ zu viel gethan, dessen Werk vor Dressels Ver-
öffentlichung nur unvollständig bekannt war und meist nur
durch das trübe Medium der späteren Verarbeitungen be-
trachtet wurde. Trotz der zahlreichen Martern, welche die
Phantasie des Redactors des m. vat. in die ältere Grundschrift
eingeflochten hat, haftet sein Interesse nicht an diesen dem
Zeitgeschmack wohl unentbehrlichen Zuthaten !), sondern an
den durch sie hervorgerufenen Aussagen des Märtyrer. Der
Ton der Polemik gegen heidnische Religion und Sitte ist der
einer alternden Apologetik, aber das ernstliche Streben, nicht
bloss, wie es von jeher Bedürfnis und üblich war, die poli-
tische Ungefährlichkeit des Christenthums, sondern auch seine
epochemachende Bedeutung für das römische Reich und die
Cultur der Menschheit darzuthun, erinnert an die Anregung,
welche die christliche Apologetik durch den letzten Kampf
des antiken Römerthums und Griechenthums seit Julian em-
pfangen hatte, an die Zeit etwa, da Cyrill gegen Julian und
Augustin über den Staat Gottes schrieben. Wenn die Grund-
schrift, wie sie Chrysostomus und Hieronymus gelesen haben,
jedenfalls die Bemerkung über den Verbleib der Reliquien in
Rom noch nicht enthielt, so muss die Umgestaltung, welche
unter anderem auch diesen Zusatz eintrug, ohne Wissen um
1) Vgl. z. B. selbst eines Hieronymus epist. 1 δὰ Innocentium de
muliere septies icta.
40
die antiochenische Ueberlieferung und jedenfalls westwärts
von Antiochien entstanden sein. Für ein im Interesse der
„päpstlichen Kirche‘ gearbeitetes römisches Werk wird das
m. vat. in seiner gegenwärtigen Gestalt sehr mit Unrecht er-
klärt ἢ; denn zur Zeit seiner Entstehung schrieb man in
Rom nicht mehr griechisch; und weit: entfernt davon, dass
ein gegen die antiochenische Ueberlieferung polemisches
Interesse für Rom sich darin ausspräche, sehen wir hier das
Selbstverständliche, dass der Märtyrer begraben wurde, wo er
starb, mit wenigen Worten von einem Fernstehenden be-
richtet. Wäre der Verfasser in Rom bekannt und hätte es
zu 'seiner Zeit eine ihm bekannte Begräbnisstätte und Ge-
dächtnisfeier daselbst gegeben, so könnte er nicht mit so
farblosen Worten über das Begräbnis hinweggehen. Nur das
ist sehr begreiflich, dass, seit man in Rom den antiochenischen
Märtyrer Ignatius feierte, dies Martyrium, welches Rom seine
Ehre liess, für das Abendland hauptsächlich massgebend wurde.
Der Kampf zwischen dieser Sage und der im m. colb. ver-
tretenen endigte damit, dass man zwar letzterer zu Lieb eine
Translation nach Antiochien annahm, aber, da doch auch Rom
und zuletzt Frankreich und Böhmen seiner Reliquien sich
rühmte, eine Translation von Antiochien nach Rom er-
dichtete 3).
Bedeutung hat das m. vat. für uns durch sein Verhält-
nis zu den Briefen des Ignatius. Der Verfasser kennt den
Römerbrief nicht bloss aus der Kirchengeschichte Eusebs; er
hat ihn gelesen. Die übrigen Briefe aber erwähnt er nicht,
wie es das m. colb. thut; er übergeht auch Alles, was er
aus denselben über die Reise des Ignatius hätte mittheilen
können. Die Richtung des Wegs entnahm er aus Euseb,
und nur aus dem von ihm citirten Satz des Römerbriefs hat
er erschlossen, dass die Christen der Städte, durch welche
Ignatius reiste, die begleitenden Soldaten durch Wohlthaten
freundlich zu stimmen suchten. Das weist uns auf eine
----- ..
1) Volkmar, Handbuch der Einleitung in die Apokr. I, 123. 126.
2) Οὗ Act. 8S. Febr. I, 88 5α.
41
später genauer zu ermittelnde Thatsache schon jetzt hin,
auf eine merkwürdige Isolirung des Römerbriefs von den
übrigen.
Sehr anders als in Bezug auf dies Martyrium lautet die
kritische Frage in Bezug auf das m. colb. In Folge des
Anspruchs, den das Schriftstück selbst erhebt, gibt’s hier eine
Aechtheitsfrage, welche bis heute vielfach bejaht worden ist.
Zwar haben die meisten, selbst die eifrigsten Vertheidiger
der Aechtheit, die Möglichkeit von Interpolationen zugegeben,
zum Theil auch solche nachzuweisen gesucht. Usshers ἢ)
Anstoss an den Worten, welche den Römerbrief einführen,
beruhte auf einem Uebersetzungsfehler in seinem lateinischen
m. angl. und ist durch den griechischen Text beseitigt.
Hefele nahm bei seinem Bemühen, die Aechtheit des Wesent-
lichen zu retten, Unsicherheit des Textes in den chrono-
logischen Angaben an, erklärte zuletzt die entscheidende An-
gabe für ein jüngeres Einschiebsel 2. Durchgreifender ver-
fuhr schon Grabe (II, 4. 22f.), indem er gerade diejenigen
Stellen, in welchen sich die Erzähler offen als Augenzeugen
des Berichteten darstellen, des Selbstwiderspruchs und des
geschichtlichen Irrthums zieh. Indem Grabe alles im m. cott.
nicht Enthaltene, also alles auf die Ankunft des Ignatius in
Rom Folgende für jüngere Zuthat erklärte, ohne doch zu
sagen, was er sich an dessen Stelle als das Ursprüngliche
denke, glaubte er, wie es scheint, das schon früher in dem
Bericht auftauchende „Wir“ (c. 5 fin. 6 init.) für baare
Münze nehmen zu dürfen, und rüttelte nicht an der Glaub-
würdigkeit des angeblich augenzeugenschaftlichen Berichts.
Und doch widerlegt sich dieser Anspruch des Martyriums
gleich da, wo er zuerst erhoben wird. Man könnte daran
denken, die Aechtheitsfrage gegenstandslos zu machen, indem
man sämmtliche Stellen, an welchen die Erzähler sich in das
Subjekt der Erlebnisse miteinschliessen, auf Grund von eott.
1) Cler. 171. 176. Vgl. über Pearsons Zustimmung Smith S. 42.
2) ed. IV, p. 255. So schon Clericus in seiner Ausg. II, 161.
YgL sonst noch Hefele proll. LXXI. LXXIIL
42
und boll. ὃ 5 auszuscheiden, wenn nur nicht im m. arm.,
also gerade in derjenigen Verarbeitung der Urmartyrien,
weiche vom m. colb. in erster Linie und erst in zweiter vom
m. vat. sich abhängig zeigt, das „Wir“ sich fände (arm.
c. 45. 49). So wird dasselbe ursprünglich sein, und das
m. colb. umfasste, soweit wir seine Geschichte zurückverfolgen
können, von Anfang an denjenigen Theil, welchen Grabe an-
focht. Es erscheint ebenso willkürlich, die ausdrückliche Be-
hauptung der Augenzeugenschaft (c. 7) von den vorangehenden
Andeutungeu zu trennen (c. 5. 6), als durch Preisgebung
alles dessen, was für die Erzählung geschichtlichen Werth
beansprucht, den werthlosen Rest retten zu wollen.
Während man im Verlauf der Erzählung einen von einem
fernerstehenden Erzähler verfassten und durchaus auf Ferner-
stehende berechneten Bericht zu lesen meint, tritt plötzlich,
nachdem von dem vergeblichen Wunsch des Ignatius, in
Puteoli auszusteigen, berichtet ist, das ἡμεῖς ein (c. 5 fin.).
Das erinnert ebenso wie der Wunsch des Heiligen !) an die
Apostelgeschichte, aber nur zum Nachtheil des Martyriums.
Der biblische Erzähler begleitet den Apostel von Troas bis
Philippi (Act. 16, 10; 17, 1) und schliesst sich ihm später
in Philippi wieder an (20, 6). Aber wo haben sich die
Begleiter des Ignatius ihm zugesellt? Spätestens in Epi-
damnus; denn seitdem ist Ignatius nicht wieder ans Land
gestiegen; aber dann sollte man früher schon das ἡμεῖς zu
lesen erwarten. Man nahm meist als unzweifelhaft an, dass
die in den Briefen erwähnten Begleiter Philon und Agathopus
die Erzähler seien 2). In diesem Falle sollte man das ἡμεῖς
von Troas an erwarten, wo ihn diese Männer erreicht haben;
die Aehnlichkeit mit dem Bericht des Lucas wäre noch
1) inodayserıwv τῷ ἁγίῳ Ποτιόλων αὐτὸς μὲν ἐξελϑεῖν ἔσπευδεν
χατ᾽ ἴχνος βαδίζειν ἐθέλων τοῦ ἀποστόλου Παύλου. Vgl. schon c. 2
im Gebet: τῷ ὠποστόλῳ σου Παύλῳ δεσμοῖς συνδήσας σιδηροῖς.
2) Uss. (Cler. 171); Ruinart p. 7; Smith p. 42; Nirschl, Briefe
des Ignatius, S. 201. Nach Gallandi nahm auch Hefele proll. LXIX
den Rom. 6; Eph. 2 erwähnten Crocus hinzu.
48
schöner gewesen. Der Annahme, dass die Berichterstatter
erst an dem Punkt auf ihre Augenzeugenschaft aufmerksam
machen, wo sie von Belang ist, bei der Annäherung an Rom,
steht entgegen, dass sie gerade da zu verschwinden scheinen, :
wo ihre Augenzeugenschaft erst recht von Werth wäre, beim
Tode selbst. Ins Amphitheater möchten sie sich nicht hin-
eingewagt haben, wenn sie nur nicht hinterher nachdrücklich
versicherten, dass sie Augenzeugen des zuvor Berichteten, der
besonderen Umstände des Märtyrertodes gewesen. Freilich
ist es hiermit völlig unvereinbar !), dass sie in der darauf
folgenden Nacht den Herrn gebeten haben wollen, er möge
sie die Schwachgläubigen in Bezug auf das vorher Geschehene
mit Zuversicht erfüllen. Es liegt ja am Tage, dass der Er-
zähler sich in die Stimmung ungläubiger Leser versetzt und
dabei übersieht, dass er als Augenzeuge, zumal wenn er aus
einer Mehrheit von Personen bestand, gar keiner Versicherung
über die Thatsachen bedurfte, und Neuere 3) hätten sich die
gegen Wortlaut und Zusammenhang streitende, übrigens von
Ihrem Urheber selbst bedenklich gefundene Erklärung des
Clerieus nicht aneignen sollen, es handle sich nur um die
Gewissheit der Gottwohlgefälligkeit des Martyriums. Die
Angenzeugen beanspruchen übrigens mehr, als von Seiten
ihrer Vertheidiger bemerkt worden ist. Sie sagen: „Nach-
dem wir dies (die nächtlichen Erscheinungen) mit vieler Freude
gesehen und (am Morgen) die Traumgesichte verglichen, Gott
als den Geber des Guten gepriesen und den Heiligen selig ge-
priesen, haben wir euch auch Tag und Zeit kundgethan “ u. 8. w.
Es besteht kein exegetisches Recht, zwischen Vordersätze und
Nachsatz Wochen und Monate zwischeneinzuschieben ; viel-
mehr am Tag nach dem Tode des Ignatius will der Bericht
aufgesetzt sein, der unter anderem auch von der Translation
seiner Gebeine nach Antiochien erzählt! — In sich wider-
spruchsvoll ist der Bericht vom Endgeschick des Märtyrers.
ἢ Cf. Grabe II, 22. Die Worte sind: πληροφορῆσαι τοὺς ἀσϑενεῖς
ἡμᾶς ἐπὶ τοῖς προγεγονόσιν.
2) So Hefele LXXIII; Dressel 215; Nirschl 206.
44
Eine wirkliche Erfüllung seines Wunsches, dass die Thiere
sein Grab werden und nichts von ihm übrig lassen, damit
er seinen Brüdern nicht durch die widrigen Falls nothwendige
Erwerbung und Bestattung seiner Leiche beschwerlich werden
möchte (Rom. 4), wäre doch nur ein solcher Tod im Thier-
kampf gewesen, welcher eine Bestattung unmöglich gemacht
hätte.- Was nach dieser Erzählung geschehen ist, ist weder
ein geeigneter Gegenstand für irgend welchen besonderen
Wunsch, da es das durchaus Natürliche ist, noch ist es Er-
füllung des Zweckes, den Ignatius erreicht sehn wollte; denn
kaum konnte er seinen Brüdern beschwerlicher fallen. Offen-
bar ist die Erzählung ursprünglich auf einen anderen Schluss
angelegt und hinterdrein erst den Reliquien zu Lieb geändert
worden. Der dadurch geschaffene Widerspruch hat sich fortan
behauptet 1). — Es wäre ferner die Frage zu beantworten,
wer die am Schluss angeredeten Adressaten dieses übrigens
nicht briefartigen Berichts sind. Am nächsten läge es, dass
der Antiochener Agathopus seiner heimathlichen Gemeinde
vom Tod ihres Bischofs berichtete und der Tag nach dem
Ereignis wäre kein zu frühes Datum. Aber der Antiochener
kann den Antiochenern nicht über“ die in Antiochien selbst
stattgehabten Verhandlungen berichten ; ebensowenig dem nach
zuverlässigen Nachrichten über seinen Freund ausschauenden
Polykarp (Pol. 13), welcher Tage lang mit Ignatius verkehrt
hatte. In einem gleichzeitigen augenzeugenschaftlichen Be-
richt an Zeitgenossen und Bekannte des Ignatius ist der ganze
Eingang des m. colb., die Erzählung von Zeit und Art der
Amtsführung des Ignatius, von der Entstehung der Verfolgung
unter Trajan und der Veranlassung des Martyriums des
| nn nn
1) Euagr. ἢ. e. I, 16; Niceph. Call. ἢ. e. III, 19; m. arm. 47;
metaphr. 23. Auch in diejenige Gestalt der Sage, welche im vat. ver-
gleichsweise ursprünglich erhalten ist, drang der Widerspruch schon mit
dem oxon. ein (s. oben ὃ. 6). Das dortige χατέδοντο αὐτοῦ und die
Worte des metaphr.: διεσπάσιντό τε αὐτὸν εὐθὺς χαὶ χατέφαγον . ..
ὥστε τάφον αὐτῷ τὰ ϑηρία γενέσϑαι καὶ μηδὲν ὑπολειφϑῆναι τοῦ σώ-
ματος lassen noch deutlicher als das m. colb. selbst die ursprüngliche
Gestalt der Sage erkennen.
45
Ignatius eine Unmöglichkeit. Nimmt man aber an, dass die
antiochenische Gemeinde auf Grund theils der eigenen Er-
innerung, theils eines Berichts der Begleiter des Ignatius diese
Erzählung für fernerstehende Gewneinden und für die Nachwelt
aufgezeichnet habe, so bleibt der unvermittelte Uebergang
aus dem „Wir‘ der Begleiter in das „Wir“ der redigirenden
Hand unverständlich. Scheidet man endlich aus, was nach-
gewiesener Massen in sich selbst unhaltbar ist, so bleibt
nichts übrig, was die Begleiter des Ignatius bezeugen könnten,
es sei denn etwa der Reiseweg. Aber gerade dieser ist un-
richtig angegeben. Es wird sich zeigen, dass, wie oft es
auch unter dem störenden Einfluss der Auctorität des m. colb.
verkannt worden ist, Ignatius nach dem unzweideutigen Zeug-
nis seiner Briefe durch das innere Kleinasien nach Smyrna
transportirt worden ist. Das m. colb. lässt ihn zur See von
Seleucia nach Smyrna gelangen (6. 3), ein Irrthum, den
ausserdem Hieronymus zuerst vertritt !). Darnach allein schon
kann das m. colb. nicht einmal auf alter Ueberlieferung be-
ruhen; es ist ein sehr mangelhaftes Gedicht, dem wir fast
nur für die treue Aufbewahrung des Römerbriefs Dank schul-
den. Hätte der Verfasser die übrigen Briefe näher gekannt
oder aufmerksamer gelesen, würde er auch nicht von einer
allgemeinen, durch Trajan angeordneten Christenverfolgung
fabeln (c. 2), um deren Aufhören Ignatius noch in Rom zu
beten hat (c. 6). Nach den Briefen erfreuen sich sämmtliche
Gemeinden Vorderasiens, mit denen Ignatius in Berührung
kommt, eines beneidenswerthen äusseren Friedens, und die
Nachricht vom Aufhören der Verfolgung der Christen in
Antiochien erreicht den Märtyrer schon, während er noch
auf asiatischem Boden weilt 2). Bei einem Erzähler, der seine
1) eat. 16: quumgque navigans Smyrnam venisset etc. Rufin hat
schwerlich ohne Einfluss des schon 392/93 geschriebenen Buchs seines da-
maligen Freundes in seiner freien Uebersetzung Eusebs geschrieben:
cum per Asiam sub custodia navigaret. — Schon Whiston, ὃ. 99f. hat
diesen entscheidenden Grund gegen die Aechtheit der Acten geltend ge-
macht.
2) Phil. 10. Sm. 11; ad Pol. ἡ. Vgl. Uhlh. 256,
46
nächsten Quellen so wenig zu Rathe zu ziehen weiss, darf
man nicht erwarten, Weltgeschichte und Chronologie richtig
behandelt zu finden, und es wäre überflüssige Mühe, die ver-
fehlten Versuche noch einmal zu kritisiren, die man seit
langem gemacht hat, durch Umdeutung und Aenderung der
Zeitangaben des m. colb. für die Verurtheilung des Ignatius,
wie sie von ihm erzählt wird, einen Zeitpunkt zu gewinnen,
in welchem sich Trajan zu Antiochien aufhielt, oder auch
einen sonst nicht sicher bezeugten orientalischen Feldzug
Trajans anzunehmen, welcher zu den Zeitangaben des m. colb.
passt ἢ).
Nur um die Entstehungszeit des Berichts zu bestimmen,
hebe ich noch Einzelnes hervor. Gleich an der Spitze heisst
Ignatius ein Schüler des Apostels Johannes, und bei Gelegen-
heit der Begegnung mit Polykarp heisst dieser sein συταχροα-
τής, was dann noch nachdrücklich erläutert wird: ἐγεγόνεισαν
γὰρ nal μαϑηταὶ τρῦ [ἀγέον ἀποστόλου] ᾿Ιωάννουν (c. 3).
Sehr richtig bemerkt Smith (schoL, p. 105): de Jiseipulatu
5. Ignatii sub cura et institutione S. Joannis apostoli altum
silent scriptores eeclesiastici, forderte dann aber Glauben an
das m. colb. Es schweigen hiervon aber nicht bloss alle
alten Schriftsteller, welche des Ignatius Verhältnis zur aposto-
lischen Zeit berühren 3); es liegt hier wiederum ein unver-
söhnlicher Widerspruch zwischen Briefen und Acten vor.
Za geschweigen, dass Ignatius in seinen Briefen durch nichts
andeutet, dass er je einen Apostel gesehen habe, und dass er
1) So zuletzt Nirschl, Das Todesjahr des heiligen Ignatius und die
.drei orientalischen Feldzüge des Kaisers Trajan, 1869. Während Hefele
(4. Aufl., 8. 254) die Consulatsangabe des m. colb. als corrumpirt oder
spätestens eingeschoben fallen liess, hat Nirschl a. a. O., 8. 8 ohne alle
Rechtfertigung gegenüber den Einwendungen z. B. von Uhlh. 254,
Anm. 16 die von Hefele aufgegebene Erklärung wiederholt, wonach ὑπα-
τϑυόντων παρὰ Ῥωμαίοις Σύρα καὶ Eevexiov τὸ δεύτερον das Jahr be-
zeichnen soll, in welchem Sura und Senecio zum zweiten Mal Collegen
waren, d. h. das Jahr 107.
2) Vgl. die Sammlung der Zeugnisse bei Cur. 158—189. Dazu
kommen noch die Syrer, wie Johannes Monachus vom Ende des 4. Jahr-
hunderts (Cur. 2068ᾳ4.).
47
den Apostel Johannes nicht einmal erwähnt, so ist der Eingang
seines Briefs an Polykarp unverträglich mit der Annahme, dass er
diesen vordem gekannt, oder gar sein συναχροατής gewesen 1).
Es lässt sich auch noch leicht” erkennen, wie der Irrthum
entstanden ist. Hieronymus, welcher cat. 16 nur Polykarp,
nicht Ignatius, einen Schüler des Johannes nennt, schreibt in
seiner Bearbeitung der Chronik Eusebs (ed. Schoene II,.162 54.) :
Johannes apostolus . . . post quem auditores ejus insignes
fuerunt Papias Hieropolitanus episcopus et Polycarpus Zmyr-
naeus et Ignatius Antiocenus. Der dritte Name ist seine
eigene, durch die sonstigen Zeugen nicht bestätigte, schliess-
lich wohl aus flüchtiger Lesung der Zusammenstellung der
drei Männer in Eus. ἢ. e. III, 36, 1. 2 entstandene Zuthat
zum eusebianischen Text. Es ist möglich, dass Hieronymus
nicht allein, oder auch nur zuerst den Namen des Ignatius
hinzugefügt hat, denn in einer von der Chronik des Eusebius,
unmöglich aber von des Hieronymus Bearbeitung derselben
abhängigen syrischen Chronik ?) findet er sich auch, aber aus-
drücklich unterschieden von den beiden vorhergenaanten
Johannesschülern, Es wird also wahrscheinlich sehon vor des
Hieronymus Bearbeitung dieser Zusatz einige Verbreitung ge-
funden habem; aber Hieronymus, der uns in seiner Vorrede
zur Chronik naiv genug erzählt, wie er daran gearbeitet, ist
der Erste, der ihn unseres Wissens dahin misverstanden hat,
dass auch Ignatius ein Schüler des Johannes gewesen sei.
Desselben Fehlers machte sich die Paschachronik schuldig
(ed. bonn. p. 416); das nöthigt aber keineswegs dazu, den
leicht miswerständlichen Zusatz zum eusebianischen Text bis
zum Jahr 354 hinaufzudatiren, in welchem (der erste Theil
----- —
1) Οὗ Peare. III, 23: nunguam igitur ante widerat Polycarpum.
2) Bei Schöne a. a. O. 8. 214: Jobannem apestelum .... : post
gquem qni eum audiverant, innotuerunt Papias Jerapolitanus et Polycarpus
episcopus eorum, qui Smyrnae sedem suam collocaverat, praeterea
autem Ignatius episcapus Antiochenerum. Noch im der ‚ Biene“ Salomos
von Perat Maischan (um 1200) erkennt man einerseits die Unterscheidung
des Ignatius von den beiden andern (Our. 221, i2sqggq.), andererseits die
Vermischung (220, 17sgg.; 221, 17).
48
der Paschachronik abschliesst,; denn bekanntlich hat der,
welcher das Werk bis zu seiner Gegenwart um 630 fort-
führte, den älteren Theil mannigfach interpolirt. Sogut als
in diesen Theil Basilius der Grosse, Gregor von Nazianz,
selbst Pseudodionys eitirt werden, wird auch hier, wo der
interpolirte Text des ignatianischen Trallianerbriefs ceitirt wird,
eine Interpolation vorliegen ἢ). Das ist um so gewisser, da
an dem angemessensten Ort für die Bemerkung des Ver-
hältnisses zwischen Johannes und Ignatius, bei Erwähnung des
Martyriums (p. 472), der Ehrentitel fehlt. Wenn das m.
colb. ihm denselben ertheilt, so ist das aus seiner Abhängig-
keit von der Chronik Eusebs, sei es in der Bearbeitung des
Hieronymus ?), sei es in der vielleicht schon von Hieronymus
vorgefundenen Textgestalt mit dem misverständlichen Zusatz,
zu erklären. In beiden Fällen ist m. colb. frühestens gegen
Ende des 4. Jahrhunderts entstanden. Gerade die Chronik
und nicht die Kirchengeschichte Eusebs hat seinem Verfasser
zur geschichtlichen Orientirung gedient. Nach dem 1. Jahre
Trajans notirte die Chronik den Tod des Johannes und die
Blüthe seiner zwei oder — nach manchen Exemplaren —
drei Schüler, zum 4. oder 5. Jahr die Besiegung der Dacier
und Scythen, zum 10ten oder nach dem 10ten die Christen-
verfolgung unter Trajan 2). Aus der ersten Angabe entstand
1) Dies übersieht z. B. Düsterdieck $S. 40. Die irrthümlichen An-
gaben Bunsens (II, 205) widerlegt die Vergleichung von Trall. 10 interp.
mit Chron. pasch. ed. bonn., p. 416. — Die Interpolation reicht wahr-
scheinlich von dem ersten ὅτι δὲ τρεῖς ἐνιαυτούς p. 416, 1 bis zum zweiten
p. 417, 6.
2) Darauf scheint zu führen, dass m. colb. mit Hieronymus den
Irrthum von einer Seereise bis Smyrna {161}. Da Hieronymus, soweit
er sich durch ein Martyrium beinflusst zeigt, nicht vom. colb., sondern
vom vat. abhängt (s. oben S. 33), so scheint er dem Verfasser des colb.
vorangegangen zu sein, und nicht umgekehrt. Nur bleibt die Möglich-
keit zufälligen Zusammcentreffens in einem vereinzelten Irrthum dieser
Art. Vgl. jedoch oben $. 45.
3) Selbstverständlich liegt allen diesen Angaben die Ausgabe von
A. Schöne zu Grunde.
Er DE Vo
49
der Anfang des m. colb.: ἄρτι διαδεξαμένου τὴ Ῥωμαίων
ἀρχὴν Tooiuvov ᾿Ιγνάτιος ὃ τοῦ ἀποστόλου Ἰωάννου μαϑητής
x. Δ. Aus der zweiten und dritten Angabe der Chronik
entstand der Anfang des 2. Kapitels. Der Triumph über
Dacier und ‚Scythen ist die Voraussetzung; und, wenn man
das Schicksal der Zeitangaben dieser Chronik bedenkt, wird
man die wesentliche Identität der chronologischen Bestimmung
der Verfolgung hier und im m. colb. nicht verkennen, vollends
wenn man mit syr. und angl. 1) statt μετὰ ταῦτα ἐννάτῳ ἔτει
vielmehr μετὰ τὸ ἔννατον ἔτος liest. Vor allem aber ist die ge-
schichtswidrige Annahme einer damals von Trajan angeordneten
systematischen Christenverfolgung ?) aus den Worten der
Chronik geflossen: Trajano adversus Christianos persecutio-
nem movente, während ein Blick auf die Kirchengeschichte
eine richtigere Deutung der kurzen Notiz dargeboten haben
würde ὃ). Die Chronik gab keine chronologische Bestimmung
des Feldzugs gegen Parther und Armenier; um so leichter
konnte der unkundige Actenverfasser ihn mit dem 9. Jahr
Trajans verbinden und so Kaiser und Märtyrer in Antiochien
zusammenbringen. Zu den Quellen des m. colb. gehörs ferner
allem Anschein nach die schon erwähnte Rede des Chryso-
stomus. Während an eine Abhängigkeit des Chrysostomus
vom m. 6010. nach obiger Erörterung (S. 33 ff.) nicht zu denken
ist, finden sich doch Aehnlichkeiten, die kaum zufällig sein
können. Die Disposition der Rede, welche 1) vom Bischof,
2) vom Märtyrer, 3) vom Apostel handeln sollte, den dritten
Theil aber unausgeführt lässt, liegt der Anordnung der Ein-
leitung des m. colb. zu Grunde. Ebenso wie Chrysostomus
in der Ausführung des ersten Theils handelt das Martyrium
1) Abgesehen von der Vertauschung von ἔννατον mit τέταρτον bei
letzterem (s. oben Κα. 4).
2) Aehnliches berichtet das Martyrium des Scharbil vom 15. Jahr
Trajans (Cur. anc. docum. p. 41 der englischen Uebersetzung).
3) Eus. ἢ. e. III, 32, 1; 33. Auch die mit richtigem Verständnis
der Briefe unverträgliche Seefahrt bis Sınyrna hätte ein Kenner der
Kirchengeschichte Eusebs (III, 36, 4) nicht erfunden oder einer geringeren
Auctorität nachgeschrieben. \
Zahn, Ignatius, 4
50
im ersten Kapitel zuerst von der seelsorgerischen, sodann von
der lehrhaften Seite der bischöflichen Aıntsführung; und in
der Beschreibung der ersteren redet Chrysostomus ganz wie
das Martyriurn nicht bloss von der besonderen Rücksicht auf
die Schwächeren, wie die gefahrvolle Zeit sie erheischte
(p. 595 DE; 596 C), sondern bedient sich auch des Bildes vom
Steuermann, der sein Schiff glücklich durch die stärmischen
Wogen führt (596 B). Ein von jeher so viel gebrauchtes
Bild wie dies beweist an sich gar nichts Ὁ), aber alles, wenn
es in so gleichem Zusammenhang hier wie dort uns begegnet.
In diesem Fall wird die Nachahmung auf Seiten des Mar-
tyriums vollends offenbar durch den Selbstwiderspruch, den
das entlehnte Bild hineinbriagt. Von den ersten Jahren
Trajans wird gesagt, dass Ignatius damals wie ein geschickter
Steuermann dem widrigen Wogendrang Widerstand geleistet
habe; und doch soll gerade in diesen Jahren, wie in c. 2
im Gegensatz sowohl zur Zeit Domitians als zur Verfolgung
nach dem 9. Jahr Trajans gesagt wird, die Kirche Frieden
geliabt haben. Einen Anklang an den Schluss der Rede des
Ohrysostomus enthält auch die Nachricht von der Translation
nach Antiochien, wenn die Reliquien dort (p. 600 D) ein
ϑησαυρὸς διηνεχῆς, hier (c. 6 fin.) ein ϑησαυρὴς ἀτέμητος
heissen. Nun ist aber diese Nachricht mit Allem, was ihr
zu Lieb von der Todesart des Ignatius gesagt ist, wie oben
S. 44 gezeigt wurde, offenbar Zuthat einer jüngeren Hand.
Hat diese hier aus der Rede geschöpft, welche als beste Quelle
für das Schicksal der Reliquien sich darbot ἢ). und eben da-
durch eine Altes und Neues übel verbindende Darstellung des
bebensausgangs des Ignatius geschaffen, so wird der vorhin
besprochene innere Widerspruch der Einleitung den gleichen
Grund haben. Ein Kenner der chrysostomischen Rede hat
dem m. colb. erst seine gegenwärtige, sehr unvortheilhafte
Gestalt gegeben; am Anfang und am Ende gewahren wir
1) Vgl. Uhlh. 8. 353, welcher auf ad Pol. 2 verweist.
2) Die oben 8. 26 nach Act. SS. vitirten Menäen berufen sich
ausdrücklich auf diese Rede.
δ1
seine Hand, sonst aber nicht. Es läge allerdings nahe,
auf diesen Interpolator auch die Beweise der Abhängigkeit
von der Chronik Eusebs in einer an Hieronymus erinnernden
Redaction derselben (S. 47ff.), die in sich widersprechenden
Ansprüche auf Augenzeugenschaft der Berichterstatter (S. 42f.),
und am Ende Alles, was an diesem m. colb. zur Kritik her-
ausfordert, zurückzuführen. Aber was bliebe dann übrig?
Der verrätherische „Schüler des Johannes‘, den man aus dem
Eingang als späteres Einschiebsel beseitigen könnte, kehrt doch
viel nachdrücklicher in ὁ. 3 wieder; das unleidliche „Wir“
durchzieht den ganzen letzten Theil des Berichts; die Nach-
äffungen der Apostelgeschichte und anderer naheliegender
Muster !) lassen sich nicht ebenso, wie jene auf Chrysostomus
fussenden Interpolationen, ausscheiden, ohne dass das Ganze
aufgelöst würde. Also enthielt schon die ältere, erst später
nach Chrysostomus interpolirte Gestalt des m. colb. Beweise
genug dafür, dass sie nicht vor dem Ausgang des 4. Jahr-
hunderts entstanden ist. Dazu stimmt es, dass zugestandener
Massen sichere Spuren einer Kenntnis unseres Martyriums
vor Ende des 6. Jahrhunderts nicht nachgewiesen werden
können ?. Es ist nicht einmal unzweifelhaft, dass der
1) Steht erst fest, dass das m. colb. kein zeitgenössischer Bericht
ist, so unterliegt es auch keiner Frage, dass die Worte ὥσπερ χριὸς
ἐπίσημος nicht hier (c. 2), sondern in m. Pol. c. 14 original sind.
2)S. z. B. Hefele proll. LXX, welcher freilich daneben es für
möglich erklärt, dass z. B. Euseb aus dem m. colb. geschöpft habe,
Schon die Differenz in Bezug auf die Reise bis Smyrna verbietet dies
(8. oben 8. 45 Anm. 1). Ausser den Briefen des Ignatius, die er anführt,
und den Notizen aus Polykarp und Irenäus, die er beibringt, hat Euseb
überhaupt keine andere Quelle für seine Mittheilungen über Ignatius,
als die ungeschriebene Ueberlieferung. Das λόγος δ᾽ ἔχει, womit er sie
einführt, bezeichnet bei Euseb stets eine, wenn auch durchaus glaub-
würdige, so doch der ausreichenden urkundlichen Beglanbigung ent-
behrende Ueberlieferung (II, 7; 17, 1; II, 18; 19; 37, 1). Auch wenn
er nachher schriftliche Zeugnisse folgen lässt, decken diese nicht völlig
den Inhalt des Aoyos, oder sie reichen nicht hoch genug hinauf, um als
urkundlicher Beweis gelten zu können. So hält es Euseb in diesem Fall
für angemessen, die Ueberlieferung, dass Ignatius in Rom von den
4 *
52
antiochenische Kirchenhistoriker Euagrius, der um 593 an
seinem Werk arbeitete, oder sein Gewährsmann Johannes
Rhetor, welcher sein Geschichtswerk bis zum Jahr 526/527
herabführte '), dies Martyrium kannte. Allerdings begegnen
uns hier (1, 16) die beiden widersprechenden Sagen, welche
der Interpolator des m. colb. mit einander zu verschmelzen
strebte. Aber die Sage, nach welcher der Wunsch des
Ignatius, den Leib der Thiere zum Grab zu haben, in Er-
füllung ging, braucht nicht erst vom Actenverfasser erdichtet
worden zu sein; sie lag jedem Leser des ignatianischen Römer-
briefs nahe. Die andere, von der Translation der festern Ge-
beine nach Antiochien, war mit dem anerkannten Grabmal
zu Antiochien gegeben und war, wie wir aus Hieronymus und
Chrysostomus sahen, vor dem Ende des 4. Jahrhunderts und
‚unabhängig vom m. 0010. entstanden. Aber wahrscheinlich
ist es, dass an das frühestens um diese Zeit entstandene m.
colb. nicht allzu lange nachher, noch im 5. Jahrhundert, die
letzte Hand gelegt wurde, und dass es in seiner gegen-
wärtigen Gestalt dem Euagrius vorlag.
Wenn es in seiner anfänglichen Gestalt kein anderes
Thieren getödtet worden sei, durch Berufung auf Irenäus zu stützen.
Kannte er ein Martyrium, welches von den Reisegefährten des Märtyrers
verfasst sein will, so musste er es erwähnen, auch wenn er nichts weiter
darüber zu sagen hatte, als dass er ihm nicht traue. Er kennt aber
überhaupt kein älteres Martyrium als das Schreiben der Gemeinde zu
Smyrna über Polykarps Ende; denn nach richtiger Lesart sagt er IV,
15, 1, dass Polykarps Märtyreıtod bereits schriftlich vorliege, offenbar
im Gegensatz zu den älteren und früher von ihm erwähnten Märtyrern
wie Ignatius (vgl. Uhlh. 253, auch Valesius z. d. St., obwohl dieser wie
auch Heinichen, durch Bevorzugung der weniger gut beglaubigten und
aus begreiflichem Anstoss entstandenen Lesart ἔτε statt ἤδη der richtigen
Folgerung sich entzieht). Diese positive Behauptung eines Mannes, der
es sich grosse Mühe bat kosten lassen, gerade die ältesten Märtyreracten
zu sammeln, dem an sich schon das Factum ihrer Aufzeichnung inter-
essant ist (cf. IV, 15, 46; V prooem. 1), und der bei jeder Gelegenheit
auf dieselben verweist (IV, 15, 47; V prooem. ὃ; V, 4, 3; 21, 5), ist
eine werthvolle Bestätigung der Resultate der innern Kritik.
1) Euagr. III, 33; IV, 29 und Valesius zu 1, 16.
53
Grab des Ignatius kannte, als den Leib der Thiere, so kann
es nicht in Antiochien entstanden sein, wo man zur Zeit
seiner Entstehung das Grab vor dem daphnitischen Thor be-
reits zeigte, und Chrysostomus die feierliche Ueberführung
seiner Leiche von Rom nach Antiochien als eine in der Ge-
meindeüberlieferung feststehende Thatsache ausmalte.. Dem
entspricht es, dass alle Spuren einer fixirten antiochenischen
Ueberlieferung nicht auf das m. colb., sondern auf das m.
vat. hinwiesen. Dazu kommt ferner, dass das m. colb. ent-
sprechend dem späteren griechischen Kalender den 20. December
als Todes- und Gedächtnistag angibt, und zwar wegen des
Schauplatzes der Geschichte in römischer und daneben in
griechischer Datirung (c. 7 cf. 6), aber nicht wie das m.
vat. in einem leicht ablösbaren Schlusssatz, sondern im Ver-
lauf der Erzählung. Zur Zeit des Chrysostomus feierte die
antiochenische Gemeinde den Tag des Ignatius im Juni; denn
am Tage nach dem Fest der antiochenischen Pelagia, welches
im Abend- und Morgenland am 9. oder 10. Juni gefeiert
wurde !), hielt Chrysostomus seine Gedächtnisrede. Die Ver-
muthung wird nicht zu gewagt sein, dass jener 20. December
das grosse antiochenische Ignatiusfest ist, welches nach Euagr.
I, 16 zur Erinnerung an die unter Theodosius II. (408-—450)
geschehene Ueberführung der Reliquien aus dem Cömeterium
in das ehemalige Tychäon gestiftet und am Ende des 6. Jahr-
hunderts dort sehr glänzend gefeiert wurde. Buagrius redet ᾿
davon in einem Ton, welcher die Möglichkeit eines daneben
bestehenden anderen Ignatiustages ausschliesst. Sehr bald
wird ein Gedächtnistag den andern verschlungen, und der
20. December zum Todestag geworden sein. Ist dem so, so
könnte das m. colb. jedenfalls erst nach Theodosius II. seine
jetzige Gestalt gewonnen haben, was zu den bisherigen Er-
gebnissen passt. Sollte auch der letzte Redactor desselben,
welcher jedenfalls mit Rücksicht auf die antiochenische Ueber-
— π.-.-.-.. .. -..
1) Οἵ. Ruin. p. 517. Daneben findet sich bei den Griechen vermöge
Attraction durch eine andere Pelagia auch der 8. October. Cf. Act. SS.
Jun. Π, 154. 160.
54
lieferung die Urschrift umgestaltet hat, der antiochenischen
Kirche angehört haben, so hätte er doch nichts aus älterer
Ueberlieferung derselben geschöpft; aus der erst nach Chry-
sostomus in Antiochien entstandenen und von da in der
_ griechischen Kirche sich verbreitenden liturgischen Ueber-
lieferung nahm er den Gedächtnistag und wusste von Ignatius
nichts Anderes, als was ihm die Rede des Chrysostomus und
das ausserhalb Antiochiens entstandene Martyrium darbot,
welches er bearbeitete.
Für die weitere Untersuchung ergibt vorstehende Kritik
des m. colb. eben das, was schon die Untersuchung des m.
vat. herausstellte, dass der Römerbrief des Ignatius sich gegen
Ende des A. Jahrhunderts einer vom Schicksal der übrigen
Briefe unabhängigen Verbreitung erfreute. Eine gewisse
Kenntnis von anderen Briefen des Ignatius hat allerdings der
Verfasser des m. colb. Es soll auch nicht die Verkennung des
Reisewegs als Beweis dafür angerufen werden, dass er sie nicht
gelesen habe, denn dasselbe würde damit von den gelehrten
Bearbeitern der ignatianischen Literatur gesagt sein, welche
dem Irrthum des m. colb. gefolgt sind. Aber der Verfasser
redet doch sehr unklar von den Briefen. Nachdem er erzählt
hat, wie Ignatius den Polykarp und die ganze asiatische
Kirche, die ihn durch ihre Vorsteher in Smyrna begrüsst, um
ihre Fürbitte angefleht habe, fährt er fort: „So sprach er
und so versicherte er, so hoch spannend seine Liebe zu
Christus, dass er den Himmel zu erlangen im Begriff war !)
durch das schöne Bekenntnis und durch den Eifer der mit
ihm für seinen Kampf Betenden, und dass er den Gemeinden,
welche ihn durch ihre Vorsteher ?) begrüsst hatten, den Lohn
%
ne
1) Der inf. μέλλειν, welchem dann ἀποδοῦναι entspricht, wird mit
Unrecht meist (auch wieder von Nirschl S. 198) durch μέλλων ersetzt, ohne
dass man die dadurch nothwendige Emendation des Folgenden auch nur
andeutet. Nicht die Form, welche durch das auf τοσοῦτον zurück-
weisende ws erfordert ist, sondern der ganze Ausdruck ist sonderbar.
2) Der lateinische Uebersetzer verband διὰ τῶν ἡγουμένων fälsch-
lich mit dem Folgenden und kam so zu der Uebersetzung per praece-
55
dafür zahlte durch Uebersendung dankbarer (oder anmuthiger)
Briefe, die von geistlicher Gnade sammt Ütebet und Ermahnung
trieften.“ Es scheint darnach so, als wären die Briefe des
Ignatius nur an solche Gemeinden gerichtet, deren Gesandt-
schaften mit ihm in Smyrna zusammentrafen, und als wären
sie sämmtlich von Smyrna aus geschrieben, was doch beides
von den Briefen an die Philadelphier, Smyrnäer und Polykarp
nicht gilt. Bedenkt man, wie inhaltsarm der weitere Bericht
ist, so sollte man denken, speciellere Mittheilungen aus den-
selben und über dieselben wären dem Verfasser sehr will-
kommen gewesen. Aber er erwähnt nicht nur nicht, dass
auch von Troas aus Briefe geschrieben wurden, er verschweigt
auch alle die Reiseerlebnisse, welche wir aus diesen späteren
Briefen erfahren, und lässt sich in seiner Ausdrucksweise
lieber durch biblische und andere Schriften bestimmen als
durch die ignatianischen Briefe. Nur an den Römerbrief, den
er abschreibt, spielt er auch im Verlauf der Erzählung merk-
lich δὴ). Man muss daher ‚annehmen, dass die übrigen
Briefe ihm ebenso wenig zur Hand sind, als dem Verfasser
des m. vat. Erst im Mittelalter findet sich unser Martyrium
einer Sammlung ignatianischer Briefe angeschlossen. In dem
griechischen Original der lateinischen Uebersetzung, welche
sowohl das Martyrium als die Briefe umfasst, muss jenes
bereits mit diesen verbunden gewesen sein; denn sonst wäre
das vorhin (Anm. 2) besprochene Misverständnis des Ueber-
deates literas. -Der Text des ın. colb. ist durch ın. syr. (Cur. 224, 18)
und m. arm. c. 41 bestätigt. Frsteres hat auch richtig εὐχαρίστων
statt des üblichen sinnlosen εὐχαριστῷν gelesen. Grabes Vorschlag
(11, 12) ersetzt ohne Noth das hier vorliegende εὐχάριστος mit dem
selteneren εὐχαριστικός.
1) Vgl. z. B. m. colb. 3: ἕνα διὰ τῶν ϑηρίων Järror εἰφανὴς τῷ
χύσμῳ γενόμδνος ἐμφανισϑῇ τῷ προσώπῳ εοῦ Χριστοῦ mit Rom. ὃ.
Ferner die Berufung auf den Bom. 4 ausgesprochenen Wunsch in c. 6,
wo auch das bestimmte und hier nicht wie in c. 5 init. durch den Zu-
sammenhang veranlasste ἐν τῇ ἐπιστολὴ auffällt. Dahingegen bedürfen
die Worte χατ᾽ ἴχνος βαδίζειν ἐθέλων τοῦ ἀποστόλου Παύλου keiner
Herkitung aus Eph. 12.
56
setzers nicht begreiflich, als ob im Martyrium von den ihm
vorangehenden Briefen die Rede wäre.
4. Die ältere Ueberlieferung und die späteren Sagen über
Ignatius.
Handelt es sich darum, aus den Nachrichten über Ignatius
einen irgend haltbaren Rahmen für die ihm zugeschriebenen
Briefe zu gewinnen, so ist nach den bisherigen Nachweisungen
auf jede Benutzung eines der Martyrien zu verzichten; denn
selbst die beiden vergleichsweise ursprünglichen enthalten
nichts, was sie nicht entweder aus älteren, uns noch zu-
gänglichen Quellen geschöpft, oder im Widerspruch mit diesen
und im Widerspruch gegen einander erdichtet haben. Das
gilt zumal von den chronologischen und welthistorischen An-
gaben, welche in einem Fall aus der Kirchengesichte Eusebs
zusammengelesen, im andern dessen Chronik entnommen waren.
Auf diese werthvolleren Quellen verweisen uns demnach die
Martyrien selbst.
"Es ist bekannt, wie grossen Werth Euseb auf die Herstellung
genauer Verzeichnisse der Bischöfe der Hauptkirchen gelegt
hat; es unterliegt keinem Zweifel, dass er sich, ehe er an
die Ausarbeitung der Chronik ging, möglichst zuverlässige
officielle Kataloge zu verschaffen gewusst, und dass er auch
in der Zwischenzeit bis zur Abfassung der Kirchengeschichte
in diesen Bemühungen fortgefahren hat. Man muss an-
nehmen, dass er im Besitz der zu Antiochien anerkannten
Liste dortiger Bischöfe war; seine bekannte theologische Ge-
sinnung konnte schwerlich schon vor dem Concil zu Nicäa
ein Hindernis des Verkehrs mit dem dortigen Bischofssitz ab-
geben. Um so bemerkenswerther ist die chronologische Un-
57
stimmtheit seiner Angaben über die Bischöfe Antiochiens in
der Chronik. Während.er zu den Namen der römischen und
alexandrinischen Bischöfe von Anfang an die Jahre, theilweise
auch die Monate der Amtsdauer bemerkt, unterlässt er dies
in Bezug auf die antiochenischen. Er entschuldigt sich hier
zwar nicht wie in Bezug auf die Bischöfe Jerusalems mit dem
Mangel chronologischer Nachrichten darüber, dass er sie in
wenige Gruppen vereinigt ohne speciellere Vertheilung auf-
gezählt habe 1), er verzeichnet ihren Amtsantritt zu bestimmten
Jahreszahlen. Aber aus der Weglassung der jedesmaligen
Amtsdauer darf man sicher schliessen, dass die ihm vor-
liegende antiochenische Liste nichts darüber enthielt ?.. Er
wird sich also durch die im Vergleich zur Geschichte der
jerusalemischen Kirche offener daliegende Geschichte der
antiochenischen Kirche und ihrer Bischöfe ermächtigt gefühlt
haben, die Bischöfe Antiochiens so zu vertheilen, wie er thut.
Daher die Unsicherheit und Dunkelheit im Anfang der Reihe.
Obwohl nach ἢ. 6. III, 36. 2 von Petrus an eine διαδοχή
vorhanden sein soll, so liegen doch nach den Ansätzen der
Chronik drei Jahre zwischen dem Aufbruch des Petrus von
Antiochien und der Einsetzung seines Nachfolgers Euodius ὃ).
Der Amtsantritt des zweiten Bischofs nach Petrus, des Ig-
natius, ist zum ann. Abr. 2085 (p. Chr. 69) vermerkt; aber
für seinen Tod und den Amtsantritt seines Nachfolgers Heron
vermisst man die genaue chronologische Bestimmung. Nur
im Zusammenhang der Erwähnung der Verfolgung unter
Trajan wird sein Martyrium neben dem des Simeon von Je-
rusalem angeführt, aber ebensowenig zu diesem, als zu dem
darnach erwähnten Bericht des Plinius in ein chronologisches
1) Chron. p. 172sq. cf. 164. 166. Wo er etwas weiss, gibt er es;
so notirt er die Amtsdauer des ersten heidenchristlichen Bischofs von
Jerusalem, Marcus, p. 168.
2) Eine gewisse chronologische Unsicherheit verräth auch das
χατέχει λόγος V, 19, 1; vgl. oben 8. 51.
3) Ersteres zu ann. Abr. 2055 (p. Chr. 39), letzteres zu ann. Abr.
2058 (p. Chr. 42). Nach Hieronymus ist ersteres um drei, letzteres um
zwei Jahre herabgedrückt.
58
Verhältnis gestellt ἢ. Da die Verfolgung nach ann. Abr.
2123. Traj. 10 (p. Chr. 107) angesetzt, über ihre Dauer aber
nichts gesagt ist, so gewinnt man auch für den Tod des
Ignatius keine nähere Bestimmung, als dass er zwischen dem
angegebenen Jahr und ann. Abr. 2132. Traj. 19 (p. Chr. 116)
erfolgt ist ἢ. Bessere chronologische Kunde hat Euseb bei
Abfassung der Kirchengeschichte nicht gehabt. Nur noch
zweifelhafter müssen uns die scheinbar festen Punkte in der
Chronik erscheinen, wenn Euseb in der Kirchengeschichte
weder des Ruodius noch des Ignatius Amtsantritt anzugeben
wagt. Nur im allgemeinen gleichzeitig mit den ersten
Regierungsjahren Trajans und den letzten Lebensjahren des
Apostels Johannes setzt er das Bischofsein des Ignatius wie
des Simeon von Jerusalem (III, 22 cf. 21. 23). Sodann be-
zeichnet er den Ignatius wieder als Zeitgenossen des Polykarp
und des Papias (III, 36); und dass er ihm wie diese als
Apostelschüler oder doch als Angehöriger der unmittelbar
nachapostolischen Generation gilt, ist in dem Zusammenhang
1) Trajano adversus Christianos persecutionem movente Simon
Cleopae (filius) Hierosolymitanae eccelesiae episcopus martyrium subiit,
successit Jostus. Itidem Antiochensium episcopus martyrium passus est,
post quem III Antiochensium episcopus eonstitutus est Eron. Plinius
Secundus etc. Eine armenische Handschrift fügt hinter „itidem“ ein „et
Ignatius“. So auch die syrische Chronik (simili modo Ignatius), Hierony-
mus (Ignatius quoque ..... Romam perductus bestiis traditur) und die
Paschachronik (ed. bonn. 471: ὁμοέως δὲ zei Ἰγνάτιος. . .. ἐν Ῥωμῇ
ἐμαρτύρησε).
2) Ebenso verhält sichs mit der Paschschronik, welche hier (ed.
bonn. p. 471sq.) ziemlich wörtlich Eusebs Chronik ausschreibt, nur dass
sie ausserdem nach anderer Ueberlieferung noch einmal von einem ebenso
alt gewordenen Bischof Simeon von Jerusalem berichtet (p. 471, 1sqq.).
Sie beweist aber durch Einscheltung von 20 Jahren zwischen die Er-
wähnung der trajanischen Verfolgung mit den Martyrien des Ignatius
und Simeon und den Amtsantritt von Simeons Nachfolger Justus, dass
sie durch jene Zusammenstellung nichts weniger gesagt haben wollte,
als das Simeon in dem Jahr gestorben sei, zu welchem die trajanische
Verfolgung notirt ist (105 p. Chr.). Vollends in Bezug auf ]gnatius
ist nichts weiter bestimmt, als dass er unter Trajan gestorben sei.
59
der folgenden Kapitel (37, 1. 4; 38, 1. 5) mit dem von
Ignatius handelnden deutlich ausgesprochen. Die Zeit seines
Martyriums wird noch weniger als die von Simeons Tod be-
stimmt, welcher doch einen gewissen chronologischen Halt
durch die Aneinanderreihung der Amtsantritte des Euarestus
von Rom im 3. Jahr Trajans und des Justus von Jerusalem,
des Nachfolgers Simeons (III, 34. 35) erhält. Nur das erkennt
man an der Stelle, welche Euseb dem Bericht über Mar-
tyrium *) und Briefe des Ignatius anweist, besonders auch an
der Einschaltung der allgemeinen Schilderung aus Trajans
Zeit (c. 37) und der Bemerkungen über die Schriften des
römischen Clemens (c. 38) in den Bericht über Ignatius ?),
dass Euseb das Ende des Igmatius noch in die Zeit Trajans
setzt. Aber nicht einmal das ist zu behaupten, dass die
nächstfolgende Zeitangabe, das Jahr 109 ?), die Grenze sei,
über die wir nicht hinausgehen dürften.
Steht es derart mit dem chronologischen Wissen des ge-
lehrten Forschers, so dürfen wir nicht erwarten, anderwärts
Genaueres zu erfahren. Vor Euseb bestätigt uns nur Ori-
genes 4), dass Ignatius schon seit langem als zweiter Bischof
Antiochiens nach Petrus galt. Nur ein anderer Ausdruck
der gleichen Ueberlieferung ist es, wenn Spätere, den Petrus
mitzählend, ihn den dritten nach Petrus nennen ὅ. Aber
eine ernstliche Trübung der Tradition über die ersten Bischöfe
Antiochiens, ganz ähnlich der über die ersten römischen Bischöfe,
veranlasste die Unberühmtheit des Euodius und die sich ver-
festigende Meinung, dass Ignatius ein Apostelschüler gewesen.
Wenn Ignatius der Apostelschüler in der unmittelbar nach-
apostolischen Zeit Bischof gewesen 5), so war er auch von den
««- ---. -. — m
1) Vgl. dagegen über Polykarp IV, 14.
2) Erst ὁ. 38, 5 heisst es abschliessend: εἴρηται δὲ xai ra Ἰγνατίου
χαὶ Πολυχέρπου.
5) IV, 1: ἀμφὶ δὲ τὸ δωδέχατον ἔτος Τραϊανοῦ, d. i. nach der
Chronik 2125 Abr. oder 109 p. Chr.
4) Opp. ed. Delarue III, 988 A.
5) Hieron. cat. 16. Soer. ἢ. e. VI, 8.
6) Bei Euseb (Quaest. ad Steph. bei Mai ser. vet. πον. coll. I, 1,
60
Aposteln, das sind aber in Bezug auf Antiochien Paulus und
Petrus!), zum Bischof eingesetzt. Daher gewinnt es bei
Chrysostomus den Anschein, als sei Euodius ganz aus dem
Gedächtnis der antiochenischen Kirche verschwunden. Zwischen
Ignatius und den Aposteln, mit welchen er noch aufs innigste
verkehrt (1. 1. 593 D), und von denen er zum Bischof ein-
gesetzt wurde (594 A), gibt es kein Zwischenglied; unmittel-
bar an die Stelle des gewaltigen Grundsteins Petrus wird er
gesetzt (597 B). Von den Aposteln ist er auch nach der
Paschachronik (p. 416, 4), von Petrus nach Theodoret (ed.
Schulze IV, 1312) ordinirt worden; und Maximus Confessor ἢ
verwendet es als chronologisch beweisende Thatsache, dass er
gleich nach der Uebersiedelung Petri nach Rom Bischof ge-
worden sei. Eine Vermittelung zwischen der älteren Ueber-
lieferung, wonach er der zweite Bischof nach Euodius, und
der einfachsten Gestalt der jüngern Ueberlieferung, wonach
-er von den Aposteln ordinirt worden sei, wird in const. ap.
VII, 46 versucht: Petrus ordinirt: den Euodius und — später,
wie es scheint — Paulus den Ignatius 5. Chronologische
Anhaltspunkte bieten alle diese Variationen und Specialisirungen
des geringen Ueberlieferungsstoffes, den schon Eusebius kannte,
ebensowenig als die künstlich zurechtgemachten Zahlen eines
Syncellus und noch Spätere. Es bleibt uns als achtungs-
wertbe bis in den Anfang des 3. Jahrhunderts zurückreichende
Ueberlieferung der antiochenischen Gemeinde, dass Ignatius
zweiter Bischof der früh gestifteten Gemeinde gewesen; und
spätestens am Anfang des 4. Jahrhunderts war ebenso aus-
gemacht, dass sein Martyrium in die Zeit der Christenver-
p. 2) heisst es noch τῆς Ἀντιοχέων ἐχκλησίας δεύτερος γεγοναὶς μετὰ
τοὺς εἰποστόλους ἐπίσχοπος. Bei Athanasius (Opp. ed. Montf. I, 2, 761
A) ist das δειΐτερος verschwunden.
1) Auf diese führt Pseudoignatius ad Antioch. 7 ausdrücklich die
Ordination des Euodius zurück.
2) Dionysii opp. ed. Lanssel. et Cord. Ven. 1755. 56. II, 138sg.
3) Ucber spätere Versuche dieser Art vgl. Henschen, Act. SS. Febr.
I, 1654.
61
folgungen unter Trajan falle, welche nicht gleich in den
ersten Jahren von dessen Regierung begonnen haben. An
diesem chronologischen Stützpunkt zu rütteln, besteht kein
Grund; aber er lässt uns völlige Freiheit, in eins der Jahre
105—117 Reise, Briefe und Tod des Ignatius zu legen.
Bedeutend höher hinauf reicht die Ueberlieferung, dass
Ignatins um des christlichen Bekenntnisses willen in Rom
von wilden Thieren getödtet, also zu dem Ende von Antiochien
dorthin transportirt worden sei. Eine zusammenhängende
geschichtliche Nachricht darüber hatte Euseb, wie gesagt,
nicht; aber seine Worte zeigten, dass er dies auch nicht
bloss aus den Briefen erschlossen, sondern der allgemeinen Ueber-
lieferung über „den weltberühmten Ignatius‘“ entnommen hat.
Eben diese setzt schon Origenes als bekannt voraus. Denn
er bezeichnet den Märtyrer, aus dessen Briefen er ein Wort
anführen will, nachträglich als „den Ignatius, zweiten Bischof
Antiochiens nach Petrus, welcher während der Verfolgung in
Rom mit den Thieren gekämpft hat“ . Nur noch etwa
70 Jahre vom Ereignis entfernt, steht das schon von Euseb
angeführte Zeugnis des Irenäus ἢ). Dass dieser nur von einer
Verurtheilung zum Thierkampf und daher von Rom nicht
redet, ändert nichts an der Identität der dem Irenäus und der
dem Origenes bekannten Ueberlieferung, denn Irenäus führt
‚einen Ausspruch des schon verurtheilten, aber noch nicht in
Rom befindlichen Märtyrers an. Nun lässt sich zwar gegen ἢ
alle Bezeugung des Factums vor Euseb — denn diesen selbst
würde dieser Einwand nicht treffen — geltend machen, dass
sie nur bei Schriftstellern sich finde, welche Briefe des
Ignatius kennen und citiren, also als Zeugnis einer vom
eigentlichen Object der Kritik unabhängigen Ueberlieferung
— mn nn nn
1) Hom. 6 in Lucam ed. Delarue III, 938 A.
2) Eus. h. e. III, 36, 12: οἶδε δὲ αὐτοὺ τὸ μαρτι' θέον χαὶ ö Eion-
valos xal τῶν ἐπιστολῶν αὐτοῦ μνημονεύει λέγων οὕτως", ὡς εἰπέ τις
τῶν ἡμετέρων dw τὴ; πρὸς 8εὸν μαρτυρίαν καταχριϑεὶς πρὸς ϑηρία,
ὅτι σῖτός εἰμι ϑεοῦ χαὶ δι᾿ ὑδόντων ϑηρίων ἀλήϑομαι, ἵνα καϑαρὸς
ἄρτος εἰρεϑὼ “, cf. Iren. V, 28, 4.
62
nicht dienen könne. Aber die blosse Existenz irgend welcher
Briefe des Ignatius in der zweiten Hälfte des zweiten Jahr-
hunderts ist das allerstärkste Zeugnis für das Alter der Tra-
dition, um die es sich hier handelt. Auch diejenigen, welche
die 7 Briefe, welche Eusebius kannte, erst um die Mitte des
2. Jahrhunderts oder bald nachher entstanden sein lassen !),
können ihre Entstehung nicht erklären ohne die Annahme,
dass der Märtyrertod des Ignatius in Rom und seine unfrei-
willige Reise nach Rom wenigstens um die Mitte des 2. Jahr-
hunderts eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte. Es mögen
alle näheren Umstände, von welchen die Briefe uns unter-
richten, die einzelnen Stationen der Reise, die Gesandtschaften
und Begrüssungen der Gemeinden, selbst die Begegnung mit
Polykarp in Smyrna blosses Gedicht sein; aber das so ein-
gekleidete und ausgeschmückte nackte Factum selbst, wie es
Irenäus und Origenes angeben, muss damals in der kirch-
lichen Sage gelebt haben, wenn der Verfasser der Briefe den
unentbehrlichen Schein geschichtlicher Glaubwürdigkeit für
sich haben wollte. Wie aber sollte sich vor 150, während
- die ganze ältere Generation der Kirchenleiter und Gemeinde-
glieder von den Ereignissen zur Zeit Trajans als eigenen Er-
lebnissen berichten konnte, eine Sage bilden, welche in ihrem
Kern nicht etwa nur erfunden war, sondern auch den offen-
kundigen Verhältnissen der Zeit Trajans widersprach! Das
wäre allerdings der Fall, wenn Neander 3) es mit Recht in
1) So Baur 1, 170 vgl 173; Schwegler, nachapost. Zeitalter
II, 158£.; Hilgenf. S. 273f. — „nach 161 “, spätestens ‚, kurz nach Polykarps
Tod (167)“ soll dessen Brief, das Vorwort der igmatianischen, ge-
schrieben sein. — Volkmar, Rel. Jesu, 8. 491: „nach Polykarps Tod 168
n. Chr.“ die 7 Briefe (nach Handb. ἃ. Einl. in die Apokr. I, 122 wohl
nur die drei kürzeren syrisch erhaltenen) geschrieben und der des Poly-
karp interpolirt. Der noch spätere Ansatz von Bunsen II, 136. 203 ff.
208 (zwischen 200 und 250) kommt hier nicht in Betracht, da von
Bunsen die drei Briefe an die Römer, Epheser und Polykarp in kürzerer
Gestalt für ächt gehalten werden.
2) Allgem. Gesch. der christl. Religion und Kirche (3. Aufl.) I, 55.
Anm. 0.
63
Zweifel gezögen hätte, dass schon unter Trajan Christen den
wilden Thieren vorgeworfen worden sein sollten. Aber auch
abgesehn von der Unmöglichkeit, in diesem Fall die Ent-
stehung der ignatiauischen Briefe zu erklären, wäre ein solches
Bedenken nur dänn gerechtfertigt, wenn man wüsste oder
wahrscheinlich machen könnte, dass die Anwendung dieser
Strafe auf Christen durch Verordnung Hadrians eingeführt
worden sei. Denn von den vierziger Jahren an reiht sich
ein Beispiel für solche und noch härtere Bestrafung der
Christen ans ändre '), und unter Marc Aurel verhängten die
Statthalter, wie es scheint, kaum eine andre Todesstrafe so
häufig über die Christen als gerade diese 2). Wie Plinius,
ehe er seine berühmte Anfrage an Trajan richtete, die Christen
als solche in Menge mit dem Schwert hinrichten liess, und
auch nachher in Bezug auf die Form der Todesstrafe An-
weisung weder erbat noch erhielt, so ist auch in der Folge-
zeit die Todesart vom Provincialrichter nach eigenem Er-
messen bestimmt worden 3). Von Regeln, welche Trajan in
dieser Hinsicht zur Geltung gebracht, die Nachfolger aber
hätten fallen lassen, verlautet nichts; und so war schon da-
mals wie in der Folgezeit die regelmässige Strafe „die Todes-
strafe und zwar nach den Umständen, insbesondere nach der
Qualität der Personen, die einfache oder eine qualificirte “ *).
So wenig die Rücksicht auf den persönlichen Charakter Trajans
ein Hindernis tagelanger Folterung und schliesslicher Kreuzigung
Simeons von Jerusalem war, wird der syrische Statthalter ein
1) Ep. ad Diogn. c. 7; Just. Dial. c. 110 p. 337 B. Die ge-
wöhnlich mit angeführte Stelle Herm,. Past. vis. III, 2 kommt nach
dem, was ich in meiner Schrift über Hermas S. 130 ff. bemerkte,
füglich in Wegfall.
2) Ep 606]. Lugd. bei Eus. ἢ. e. V, 1, 37. 47. 50; mart. Polye. 2,
wo der Mangel eines Artikels vor 24 τὼ ϑηρία χριϑέντες nöthigt, es
auf alle Märtyrer zu beziehn. Cf. c. 3. 4. 12. In jener Zeit spätestens
ist das Christianos ad leonem (Tertull. apol. 40) aufgekommen.
3) Mart. Polye. c. 11. Act. Perp. et Felic. e. 6.
4) Vgl. Bickell, Geschichte des Kirchenrechts I, 2, 235.
64
Bedenken gekannt haben, den Ignatius zum Thierkampf zu
verurtheilen, zumal diese Strafe nicht wie Kreuzigung oder
Verbrennung !) für sonderlich hart galt und schon um des
grossstädtischen Bedürfnisses willen sehr häufig über jede Art
von personae humiles verhängt wurde 3. Römischer Bürger
wird darnach Ignatius allerdings nicht gewesen sein 3); inso-
fern ist das Dilemma nicht ganz unbegründet, welches Joseph
Scaliger der Nachricht von der Ueberführung des Ignatius
nach Rom entgegenstellte 4). Entweder sei Ignatius römischer
Bürger gewesen, habe als solcher an den Kaiser appelliren
und nach Rom transportirt, dann aber nicht ad bestias ver-
urtheilt werden können, oder diese Strafe habe ihn als Nicht-
bürger treffen können, dann aber habe der Provincialstatt-
halter in letzter Instanz zu richten und die Strafe zu voll-
strecken gehabt. Wenn Ussher (Cler. 175) erwidern konnte,
seine Acten, welche den Kaiser selbst in Antiochien das
Urtheil sprechen lassen, würden davon nicht berührt, so gilt
das nicht minder von dem einfachen Factum, wie es die
ältere Ueberlieferung in Uebereinstimmung mit den Briefen
darbietet.. Diese weiss nichts von einer Begegnung mit
Trajan in Antiochien, setzt also voraus, dass der syrische
Statthalter dort das Urtheil gesprochen habe, und zwar ein
endgültiges. Schon nach der Anführung einer Stelle des
Römerbriefs bei Irenäus (s. oben $. 61) ist bereits in
Antiochien die Verurtheilung zum Thierkampf erfolgt. Also
hat die Ueberführung nach Rom nicht den Zweck der Ab-
lieferung an das zuständige Gericht, sondern lediglich den ᾿
der Execution in Rom, und gerade die Möglichkeit, durch
1) Rein, Criminalrecht der Römer, S. 917.
2) Vgl. Rein a. a. O., 5. 420f. 537. 914.
3) In Lugdunum wurden unter Marc Aurel die römischen Bürger mit
dem Schwert hingerichtet, die Uebrigen zum Thierkampf verurtheilt
(Eus. ἢ. 6. V, 1, 47). Wie vorsichtig aber solche Regeln zur Kritik
geschichtlicher Nachrichten verwendet werden müssen, sieht man eben-
dort, wo doch auch ein einzelner römischer Bürger den Thieren vorge-
worfen wird (8 50 cf. 44).
4) In den animadv. hinter dem thes. temp. (ed. 1606), p. 189.
65
welche Scaliger in Erinnerung an das Schicksal des Paulus
die römische Reise des Ignatius allein glaubte erklären zu
können, ist, wie später zu zeigen ist, durch die Haltung des
Ignatius geradezu ausgeschlossen. Er hat nicht nur selbst keine
Appellation eingelegt, sondern sucht auch jeden ähnlichen
Schritt, den Andere für ihn thun könuten, zu hindern. Die
Vollstreckung gerade dieser Todesstrafe an anderem Ort als
dem der richterlichen Entscheidung muss sehr gewöhnlich ge-
wesen sein. Aus der oft angeführten Stelle der Digesten ')
geht hervor, dass im 2. Jahrhundert und auch noch im
Anfang des dritten Provincialstatthalter vielfach solches Ma-
terial für die Öffentlichen Spiele ohne Anfrage beim Kaiser
in andere Provinzen ablieferten; denn Antoninus (Pius) und
wieder (Septimius oder Alexander) Severus haben dies unter-
sagen müssen. Wie die Anführung dieser Rescripte zeigt,
bildet dies ‚ex provincia in provinciam transduci‘ einen Gegen-
satz zur Ueberführung nach Rom, in Betreff deren die ge-
nannten Kaiser demnach noch kein Verbot und auch keine
einschränkende Regel erlassen haben 32. Es liegt in der Natur
der Sache, dass, wenn auch die Provincialhauptstädte der
Thierspiele nicht entbehrten, doch das ungleich grössere Be-
dürfnis Roms grossen Theils durch persönliches Material aus
den Provinzen befriedigt werden musste. Der Fall des Ignatius
muss also ein sehr gewöhnlicher gewesen sein und bedarf gar
keiner Erklärung aus juristischen oder persönlichen Gründen.
Hätte zu seiner Zeit schon das Gesetz gegolten, welches die
Uebersendung solcher Verurtheilter nach Rom von vorgängiger
Anfrage des Statthalters beim Kaiser abhängig machte und
ausserdem die Bedingung stellte, dass die Körperkraft oder
Kunstfertigkeit der Verurtheilten sie als ein für das verwöhnte
------- 00 .»..
1) Dig., ib. XLVII, tit. 19, 1. 31: Ad bestias damnatos favore
populi Praeses dimittere non debet; sed si ejus roboris vel artificii sint,
ut digne populo Romano exhiberi possint, principem consulere debet. Ex
provineia autem in provinciam transduci damnatos sine permissione prin-
cipis non licere, Divus Severus et Antoninus rescripserunt.
2) Gegen Hilgenf., S. 216.
Zahn, Ignatius. ῦ
66
römische Publikum geeignetes Material und somit des um-
ständlichen Transports werth erscheinen lasse, so würden wir
allerdings annehmen müssen, was keine weiteren Schwierig-
keiten hätte, dass Ignatius ein kräftiger Mann gewesen, und
dass auf die Anfrage des syrischen Statthalters, ob seine
Uebersendung nach Rom genehm sei, von Rom aus nichts
zu erinnern gewesen sei. Aber nicht einmal auf kaiserliche
Rescripte aus dem 2. oder 3. Jahrhundert wird dieses jüngere
Gesetz gegründet; wie kann man also danach ein Ereignis
aus der Zeit Trajans beurtheilen, welches die jüngeren Zeit-
genossen des Ignatius sich erzählen!
Im Gegensatz zu solchen Bemängelungen macht es beinah
einen erfrischenden Eindruck, wenn Volkmar trotz der zum
Theil sehr gegründeten Einwendungen von Lipsius immer
wieder es versucht hat, auf Grund positiver geschichtlicher
Ueberlieferung entgegengesetzten Inhalts die Nachricht von
der Reise des Ignatius nach Rom für eine Fiction zu erklären
und auf diesem kurzen Wege allen Briefen, die seinen Namen
tragen, die Aechtheit abzusprechen !). Dazu soll die „zweifel-
lose Kunde“ 5 nöthigen, welche Johannes Malalas ®) auf-
bewahrt hat, dass Ignatius zur Zeit des grossen Erdbebens,
wovon Antiochien am 13. December 115 n. Chr. betroffen
wurde, vor dem dort verweilenden Trajan Märtyrer geworden
sei. Es geht schon über die Nachricht des Schriftstellers
hinaus, wenn Volkmar (S. 121 vgl. 51) versichert, dass
Ignatius in Folge der durch das Erdbeben gegen die ἀϑεοι
erregten Volkswuth verurtheilt worden sei. Malalas bringt
1) Zuletzt ausführlich im Handb. der Einl. in die Apokr. I, 49ff.
121 ff.
2) So Relig. Jesu, S. 492.
3) Lib. XI, p. 276 ed. bonn.: Ὁ δὲ αὐτὸς βασιλεὺς Τραϊανὸς ἐν τῃ
αὐτῇ πόλει διῆγεν, ὅτε ἡ ϑεομηνία (ἃ. bh. das Erdbeben) ἐγένετο.
Ἐμαρτύρησε δὲ ἐπὶ αὐτοῦ τύτε ὁ ἅγιος Ἰγνάτιος ὁ ἐπίσχοπος τῆς πό-
λεως Ἀντιοχείας. ἠγανάχτησε γὰρ rar’ αὐτοῦ, ὅτι ἐλοιδόρει αὐτόν.
Die Zeitangabe in Betreff des Erdbebens 8. vorher p. 275. Das ἐπὲ
αὐτοῦ kann neben τότε nur coram Trajano bedeuten und ἐμάρτυρησε nur
die Execution.
67
die Nachrichten über die Martyrien jener Zeit in keine andere
als rein chronologische Verbindung mit dem Erdbeben, worüber
er aus anderer Quelle berichtet hat, und nennt als Grund der
Verurtheilung etwas ganz Anderes, dass nämlich Ignatius sich
beleidigende Ausdrücke gegen den Kaiser herausgenommen
habe. Die Notiz ist bis zur Unverständlichkeit abgerissen
und steht unter den Nachrichten über Ignatius so völlig ver-
einsamt, dass man sich des Verdachts nicht erwehren kann,
es sei hier durch ungeschickte Abkürzung der im m. colb.
vertretenen Sage von einer schliesslich zum Märtyrertod
führenden Verhandlung vor Trajan in Antiochien, vielleicht
auch durch Misverstand eines zeitlich gemeinten ἐπὶ Τραϊανοῦ
der Schein einer selbständigen Ueberlieferung entstanden.
Aber gesetzt auch, es wäre der unzweifelhafte Wortsinn des
Berichts die Meinung der Quelle, aus welcher Malalas schöpfte,
so verdiente das doch nicht mehr Beachtung als viele andere
Nachrichten dieses Compilators, dem wir z. B. das bekannte
Schreiben des Präses Tiberianus an Trajan verdanken (1. XI,
p. 273), und von dem wir nur wissen, dass er nach Justinian
(gest. 565) und vor Johannes Damascenus !) (gestorben nach
754) geschrieben hat. Dass er ein Antiochener war, thut
nichts zur Sache, da wir durch ganz andere Antiochener,
Chrysostomus und Euagrius (vgl. oben ὃ. 35. 52) wissen, dass
am Ende des 4. wie des 6. Jahrhunderts die dortige Ueber-
lieferung nichts Anderes wusste, als dass Ignatius in Rom
mit den Thieren gekämpft habe. Vergeblich bemüht sich
Volkmar (Hdb. I, 124f.), den Schein zu erwecken, als ob seine
Annahme keineswegs auf die bedenkliche Auctorität des
Malalas allein sich gründe; und die kühne Behauptung, dass
„die gesammte ältere Kunde“ in Bezug auf die Zeit des
Martyriums, „welche sofort wie den Ort, so auch den Grund
desselben angebe“ (S. 122) mit Malalas übereinstimme, scheint
darauf berechnet, bequemer Unwissenheit zu imponiren. Das
------.Ψ.
1) In der 3. Rede über die Bilder (opp. ed. Le Quien I, 368; vgl.
die dortigen Bemerkungen des Editors gegen Hody) eitirt er den Ma-
lalas,
5*
68
Thatsächliche ist dies: Während die ältere Ueberlieferung von
den Ignatiusbriefen an bis nach Euseb eine genauere Zeit-
angabe überhaupt nicht enthält und von einer persönlichen
Berührung des Märtyrers mit Trajan nichts weiss, lässt nur
der eine Zweig jüngerer Ueberlieferung, das m. colb., den
Ignatius durch Trajan bei Gelegenheit seines parthischen Feld-
zugs in Antiochien verurtheilt werden, aber in Rom sterben ;
der andere dagegen, den wir aus Hieronymus, Chrysostomus
und zusammenhängend aus dem m. vat. kennen, lässt ihn erst
in Rom mit Trajan zusammentreffen und dort gerichtet und
hingerichtet werden. Es ist daher eine schwer zu begreifende
Umkehrung des Sachverhalts, wenn Volkmar (S. 125) den
Verdacht ausspricht, dass die Martyrologen und Chronisten
erst nach Euseb das Martyrium des Ignatius vom Parther-
krieg getrennt hätten. Euseb muss hinter Malalas, Briefe,
welche Irenäus mit Verehrung las, hinter martyrologischen
Machwerken vom Ende des vierten Jahrhunderts und aus noch
späterer Zeit zurückstehen: alles dies aus dem einzigen Grunde,
weil das Erdbeben, in dessen zeitliche Nähe Malalas das Mar-
tyrium des Ignatius setzt, auf den 13. December fiel, die
griechische Kirche aber später am 20. December das Ge-
dächtnis des Ignatius feierte. Zwar hat Volkmar !) mit Recht
daran festgehalten, dass der 20. December in den ältesten
Zeugnissen für seine Feier dem Tod und nicht der Translation
des Ignatius galt ?); aber zur Zeit des Chrysostomus war dieser
Tag noch nicht der des Ignatius 3). Der 20. December wird
also kein Denkmal alter Erinnerung der antiochenischen Ge-
meinde sein, woran man jüngere Nachrichten zu prüfen hätte,
sondern Malalas, zu dessen Zeit der erst vom 5. Jahrhundert
an aufgekommene 20. December bereits alte Praxis war. ist
eben hierdurch verleitet worden, die ihm überlieferte Kunde
— (u.
1) Handb. I, 123f., gegen Lips. I, 9.
2) Der Sinn der bezüglichen Angabe des m. colb. ist unzweideutig
(vgl. oben S. 12). Daneben bestand in späterer Zeit eine Translations-
feier am 29. Januar (s. oben 8. 27).
3) Vgl. oben 8, 58.
69
von der Begegnung des Ignatius mit Trajan bei Gelegenheit
des Partherfeldzugs mit der anderweitigen Nachricht vom
Erdbeben am 13. December in eine chronologische Verbindung
zu setzen. Dem Scharfsinn neuerer Gelehrten überliess er es,
aus einem so unbegründeten post hoc ein noch unbegründeteres
propter hoc zu machen.
Geschichtliche Kunde über Ignatius ausser dem Wenigen,
was in Vorstehendem herausgestellt und gegen die dagegen
erhobenen Bedenken aufrecht erhalten worden ist, besitzen
wir überhaupt nicht. Was man sich in späterer Zeit sonst
noch von ihm erzählte, ist theils bewusste Dichtung, wie das
Meiste, was der Interpolator und Vermehrer der älteren Brief-
sammlung seiner pseudoignatianischen Briefe zur Voraus-
setzung gab, theils aus vereinzelten Worten und Andeutungen
der älteren Briefe sagenhaft herausgesponnen. So scheint aus
den dunklen Worten Tr. 5 die Sage erwachsen zu sein,
Ignatius sei der Erfinder des Wechselgesangs in der antioche-
nischen Gemeinde und der Kirche überhaupt und habe den
Anstoss dazu durch eine Vision empfangen, in welcher er die
Engel in antiphonischem Gesang die Dreieinigkeit preisen
hörte ἢ. Um so näher lag es dann, auch ihm wie so vielen
Anderen eine ἀναφορά zuzuschreiben, welche in der jakobi-
tischen Kirche zu Antiochien gebraucht 3) und von Jakob von
Edessa ins Syrische übersetzt wurde®). Aus den Grussüber-
schriften der Briefe. griff das m. colb. den Beinamen des Ver-
fassers ὁ ϑεοφόρος auf, um daraus dem Mangel an detaillirter
Veberlieferung über Ignatius abzuhelfen und insbesondere für
das Gespräch mit Trajan einigen Inhalt zu gewinnen. Frei-
lich hat man über die Aechtheit gerade dieses Textbestand-
theils verschieden geurtheilt, obwohl die Geschichte des Textes,
soweit wir sie zurückverfolgen können, keinen Anlass zu
1) Socr. ἢ. b. VI, 8. Dasselbe kürzer bei einem Syrer des Mittel-
alters, Cur., p. 221, 3—11.
2) Renaudot, Liturg. orient. II, 215—226 gibt eine lateinische
Uebersetzung aus dem Syrischen. Unter den Heiligen, für welche darin
gebetet wird, steht Ignatius zuerst. Severus zuletzt, p. 221, cf. p. 483.
3) Assem. bibl. or. I, 476, cf. 562.
10
kritischen Bedenken gibt. Die alte syrische Uebersetzung
(Scur.), welche spätestens um die Mitte des 4. Jahrhunderts
entstanden ist, fand bereits das Ἰγνάτιος ὃ καὶ ϑεοφόρος Vor
und hat den zweiten Namen ebenso wie den ersten als un-
übersetzbaren Eigennamen in seiner griechischen Form bei-
behalten ἢ. Erst etwas später, aber wohl schon vor Ent-
stehung der armenischen Uebersetzung aus der syrischen,
taucht bei den Syrern die Uebersetzung auf „der mit Gott
Bekleidete“ 3. Noch im 4. Jahrhundert hat der Interpolator
und Vermehrer der dem Eusebius vorliegenden Briefsammlung
gearbeitet, und sowohl in den hinzugedichteten als in den
älteren Briefen mit einziger Ausnahme desjenigen an Polykarp
bietet diese Recension sammt ihrer lateinischen Uebersetzung
das ὁ καὶ $eogooos. Die kürzere Recension im Original
wie in der lateinischen Uebersetzung erkennt nicht einmal
diese Ausnahme an, welche gewiss ein Rest ursprünglicher
Differenz der Grussüberschriften ist. Sehen wir hiervon ab,
so steht für die 6 übrigen Briefe ein Consensus aller
spätestens seit 350 unabhängig von einander verbreiteten
Textzeugen fest, welcher nöthigt, das ὁ καὶ ϑεοφόρος auf
den ihnen gemeinsamen Stamm und, solange kein Zeugnis
für einen anderen Text beigebracht ist, auf die Wurzel aller
Ignatiustexte zurückzuführen. Mindestens vor Euseb las man
so; es ist also unberechtigt, es deshalb für ein Einschiebsel
1) Cur. p. 2, 1; 16, 1; 40, 1. So auch in dem originalsyrischen
Fragment, p. 219, 1.
2) In den Ueberschriften Sfr. 197, 2; 201, 6; 221, 7, 365, 2.
inf Δ... Im Römerbrief des Martyriums (Cur. 224, 24; Moes.
[, 1 Inälo ua. Wie völlig sich dies zur Zeit der Uebersetzung
des ın. colb. bereits festgesetzt hatte, zeigt sich besonders darin, dass es
selbst in der Erzählung vorkommt, wo doch die Deutung: „welcher die
_ Wohnung Gottes ist“ (Cur. 223, 2, 5sq.) es ausschliessen sollte. Wie die
Faust aufs Auge passt auf die Frage: „Wer ist der, welcher Gott sich
als Kleid] angelegt hat?“ die Antwort: ,,χ Der, welcher Christus im
Herzen hat“ (cf. Cur. 218, 1sq... Der A mit Einschluss der Ueber-
setzung des Römerbriefs im Martyrium hat beständig übersetzt: qui est
Deum induens oder Deo vestitus. Nur Her. inser.: qui et Deum
induens,
71
zu halten, weil Euseb und Hieronymus diesen Namen des
Ignatius noch nicht erwähnen (Buns. I, 33). Es erwähnen den-
selben ebensowenig der Syrer Johannes Monachus, welcher
gegen Ende des 4. Jahrhunderts die alte syrische Uebersetzung
der Briefe benutzte und alle Ehrentitel auf Ignatius häufte !),
Athanasius und Theodoret, das m. vat. und Socrates in der
Kirchengeschichte. Auch in der Lobrede des Chrysostomus
auf Ignatius wie in der ihm fälschlich zugeschriebenen homilia
de legislatore (s. oben S. 34), bei dem späteren Johannes von
Antiochien in einem Brief an Proclus von Konstantinopel 3)
und bei dem alexandrinischen Patriarchen Timotheus 5) sucht
man den Titel vergeblich. Plötzlich seit dem Anfang des
6. Jahrhunderts taucht er bei einer Reihe von Schriftstellern,
besonders der antiochenischen Kirche auf, und zwar zuerst
‚bei Severus *) in drei Reden auf Basilius und Gregor, welche
er in der Kirche des Ignatius hielt. Ihm schliesst sich der
antiochenische Bischof Ephraim 5) und dann der antiochenische
Kirchenhistoriker Euagrius (I, 16) an, und kaum einer der
nachfolgenden griechischen Schriftsteller lässt es an diesem
Namen fehlen; er ist zum Ehrentitel geworden, über den
man erbaulich redet 6), während die Kirchenschriftsteller des
4. und 5. Jahrhunderts, welche ihn in den Briefüberschriften
lasen, ihn nicht der Erwähnung werth fanden. Daraus folgt,
dass man ihn damals nicht für einen Ehrentitel, sondern für
einen Namen unbekannten Ursprungs hielt. Um so :unwahr-
1) Cur. 206, 22sq. Ueber seine Zeit und sein Verhältnis zu Scur.
s. weiter unten. .
2) Gallandi, bibl. patr. IX, 694 A, um das Jahr 440.
3) S. die syrischen Fragmente bei Cur. 210sgg.
4) Bischof von Antiochien in den Jahren 513—518/s. Die "syrischen
Texte bei Cur. 215, 17. 25; 217, 4.
5) Phot. bibl. cod. 228 u. 229. Nebenbei sei bemerkt, dass es
einen „Ephraim von Theopolis‘“ wohl nur bei Lips. II, 15 gibt. An-
tiochien führte seit dem Jahre 526 den Ehrentitel ϑεούπολις (Euagr. h. 6.
IV, 6).
6) 8. dieAnführungen bei Cur., p. 175sqgq., besonders p. 176 Antioch.
mon. hom. 1 (Magn. bibl. Par. 1654. XII, 15 C) und hom. 124 (bei Cur.,
p. 178 fälschlich 126) 1. 1. p. 219 Ὁ.
N
72
scheinlicher wird es,. dass er eine Glosse des 2. oder 3. Jahr-
hunderts sein sollte. Auch die Schriftsteller dieser Zeit,
welche den Ignatius erwähnen, Irenäus und ÖOrigenes, ge-
brauchen den Beinamen nicht. Lasen auch sie ihn schon an
der Spitze der Briefe, so müssen auch sie nichts von
dem Ursprung und einer besonders ehrenvollen Bedeutung
desselben gewusst haben, obwohl seine appellative Bedeutung
(s. Anhang II, 1) sie leicht dazu hätte verführen können,
zu erfinden, was sie nicht wussten. Jedenfalls kennt die alte
Kirche vom 2. bis 5. Jahrhundert den Ignatius nicht unter
dem Namen ϑεοφόρος; dann kann auch in diesem Zeitraum
niemand auf den Gedanken gekommen sein, ihn in den Text
einzuschieben. Er hat ursprünglich dagestanden. Schon die
Form der Anführung ist eine andere als die bei den Schrift-
stellern vom 6. Jahrhundert an, welche ihn als Ehrentitel,
gebrauchen, und kennzeichnet ihn als einen zweiten Namen,
welchen Ignatius neben dem anderen führte ἢ). Da aber keine
Ueberlieferung seinen Ursprung erklärte oder ihn sonst be-
deutsam erscheinen liess, so blieb er unbenutzt, bis das m.
colb. ihn sinnig deutete. Es ist also nicht zufällig, dass erst
nach dessen Entstehungszeit und ziemlich gleichzeitig mit
anderen Spuren von dessen Einfluss auf die kirchliche Ueber-
lieferung der Name ϑεοφόρος als Ehrentitel des Ignatius in
Aufnahme kam. Eine plumpe Sage schöpfte aus dem Namen
„Gottesträger“ das Abendland im Mittelalter 2). — Eine
ganz andere Deutung des Namens ergab sich späteren Griechen
aus der Accentuation ϑεύφορος, welche bei einem wirklichen
Eigennamen die regelmässige ist?). Dachte man gleich-
wohl an die Bedeutung des Worts, so war Ignatius „der von
1) Schon Pears. III, 3 verglich mit Recht Act. 13, 9. Stimmt
man dem zu, so kann man nicht gleichzeitig sagen, Ignatius lege sich
den Beinamen ‚, Gottesträger‘ bei (Hilgenf., S. 190 vgl. 193).
2) Vincent. Bellov. spec. histor. X, 57 ed. Bened. IV, 388: Hujus
cur quum minutatim divisum esset, nomen domini Jesu Christi, literis
aureis inscriptum (ut legitur), in singulis partibus inventum est. Dixe-
rat eniın, se habere Christum in corde.
3) Vgl. Pears. II, 150; Kühner, ausführliche Grammatik I, 256.
73
Gott Getragene“; und war er andererseits kein jüngerer Zeit-
genosse der Apostel, war er ein Kind, als diese junge Männer
waren, so lag nichts näher, als ihn zu dem Kind zu machen,
welches der menschgewordene Gott einst auf den Armen ge-
tragen hatte !), und Marc. 9, 33—41 war die angemessene
Leetion für den Tag des Ignatius?). — Die Syrer, welche
für Ignatius ein begreifliches Interesse hatten, übersetzten
seinen lateinischen Namen in ihre Sprache, indem sie ihn
Nurono „den Feurigen“ nannten. Die Quelle davon wird
eine der Reden sein, welche Severus als Patriarch von An-
tiochien hielt und Jakob von Edessa (gest. 710) und Andere
ins Syrische übersetzten ?). In der schon angeführten Rede 4)
helehrt Severus seine Gemeinde etwa so: „Auf dieselbe Weise
wurde auch der Gottesträger Ignatius — der, welcher jetzt
dies geistliche Mahl in seinem Haus, dem Bethaus, uns
vorsetzt, und welcher sich freut an den preiswürdigen Tugen-
den seiner Schüler — von den feurigen Thaten, davon,
dass man das Zukünftige im voraus wusste, Ignatius ge-
nannt. Denn wer in der Sprache der Römer auch nur einiger-
massen bewandert ist, weiss, dass Nurono, ‚der Entbrannte‘,
wie wir sagen, davon seinen Namen hat. Denn ignis nennen
die Römer das Feuer, welches angezündet und entbrannt ist.
Wer aber ist der, welcher die Gluth, d. h. die Fackel der
göttlichen Liebe, in sich hat und von Begierde, für Christus
zu leiden, entbrannt ist? Er, der auch, als er an die Römer
schrieb, sagte: ‚Feuer und Thiere und zehntausend Arten
von Qualen mögen über mich kommen; nur Jesu Christi
möge ich würdig werden‘. Der syrische Uebersetzer setzt
an die Stelle des Namens Ignatius, wo er zum zweiten Mal
vorkommt, sofort die Uebersetzung Nurono, was er selbst und
seine aufmerkasmen Leser gewiss nicht anders verstanden haben
1) Vgl. Pears. II, 124. 144sgg.
2) Menolog. ed. Morcelli I, 368.
3) Assemani, bibl. or. I, 469. Bickell, conspectus rei Syror. liter.,
p. 54.
4) Cur. 216. Ueber die nothwendige Emendation s. Anhang I, 4.
74
werden, als der griechische Redner es verstehen lehrte, als
Bezeichnung der glühenden Liebe, womit Ignatius im Mar-
tyrium Christum suchte. Mag man sich in der Folgezeit, als
Nurono ein geläufiger Ehrenname des Ignatius geworden war,
des ursprünglichen Sinns und vollends des Ursprungs des Namens
nicht mehr bewusst gewesen sein !), so ist doch für uns beides
kaum noch zweifelhaft. Er ist kein einheimisches Gewächs
des eigentlich syrischen Bodens, auf dem man kaum wusste,
was ignis bedeute ?), sondern vom Boden der griechisch reden-
den Kirche, wo man nur nicht bedachte, dass der allerdings
lateinische Name Ignatius oder Egnatius ?) mit ignis nichts
zu schaffen habe, dorthin verpflanzt.
1) Ein spätes Misverständnis s. bei Grabe II, 1.
2) Das zeigt z. B. der syrische Scholiast zu Severus bei Cur., p. 216;
vgl. Anh. 1, 4.
3) Cf. Pears. Ill, 1 und oben Κ. 28.
1.
Geschichte der ignatianischen Briefe
seit Eusebius.
I. Die verschiedenen Sammlungen ignatianischer Briefe.
Der einzige Schriftsteller des kirchlichen Alterthums,
dem wir eine ausdrückliche Nachricht über eine ihm vor-
liegende Sammlung von Briefen des Ignatius verdanken, ist
Eusebius. Neben ihm verdient sein leichtfertiger Abschreiber
Hieronymus, um von dessen Nachtretern ganz zu schweigen,
kaum genannt zu werden, und es war ein böser Misgriff,
wenn Ussher (diss., p. 7844.) nicht allein von der Voraus-
setzung ausging, Hieronymus rede über Ignatius auf Grund
einer ihm vorliegenden Sammlung der Briefe des Ignatius,
sondern auch allem Anschein nach durch dessen abkürzende
Wiedergabe der Worte Eusebs in der Auffassung dieser sich
bestimmen lies), Hieronymus hat, wenn nicht Alles trügt,
die Briefe des Ignatius nie gelesen, jedenfalls aber an keiner
Stelle seiner Werke gleichzeitige Einsicht in dieselben be-
kundet. Das einzige den Ignatius Betreffende, was er nicht
aus Eusebs Kirchengeschichte und der oben (S. 32f.) nach-
1) Vgl. dagegen Pears. I, 21sqgq.
76
gewiesenen martyrologischen Quelle und endlich äus einem
angeblich von Theophilus von Antiochien verfassten Commen-
tar zu den Evangelien geschöpft hat 1), ist eine geschmack-
lose rbetorische Wendung, worin er Ignatius neben Polykarp,
Irenäus und Justin als Verfasser antihäretischer volumina
nehnt, und ein Irrtthum, nämlich die Anführung eines Aus-.
spruchs des Barnabas als ignatianisch ?). Jedenfalls aber haben
wir uns bei Hieronymus nicht über das Verständnis der Worte
Eusebs Rath zu holen. Ignatius ist überhaupt der erste nach-
biblische kirchliche Schriftsteller, welchen Euseb in der
Kirchengeschichte erwähnt. Daher sagt er auch von Ignatius
(II, 36, 4): zoovurgen® τε ἀπρὶξ ἔχεσϑαι τῆς τῶν ἀποστόλων
παραδόσεως, ἣν ὑπὲρ ἀσφαλείας καὶ ἐγγράφως ἤ δη μαρτυρό-
μενος διατυποῦσϑαι ἀναγκαῖαν ἡγεῖτο. Vor den Nachrichten
über die dem Clemens von Rom zugeschriebenen Schriften,
dessen Amtsantritt er sich später denkt, als den des Ignatius,
und vor Besprechung des Werks des Papias, den er über-
haupt für ein Glied erst der zweiten nachapostolischen Gene-
1) Curetons Meinung (introd., p. LXVII sq.), dass Hieronymus die
ungenaue Anführung von Eph. 19 aus den von ihm übersetzten Homilien
des Origenes zum Lucas (Orig. ed. Delarue III, 938 A) geschöpft habe,
ist unhaltbar; denn Origenes eitirt wörtlich: xai ἔλαϑε τὸν ἄρχοντα
τοῦ αἰῶνος τούτου ἡ παρϑενία Μαρίας; Hieronymus dagegen schreibt:
Martyr Ignatius etiam quartam addidit causam, cur a desponsata con-
ceptus sit: ut partus, inquiens, ejus celaretur diabolo, dum putat eum
non de virgine, sed de uxore generatum. Schon die Aufzählung der vier .
Gründe und der Gleichlaut der vom ignatianischen Text so weit ab-
weichenden Anführung mit den Worten des Theophilus (quarto, ut partus
᾿ ejus falleret diabolum. putantem Jesum de uxorata non de virgine natum)
beweist, dass Hieronymus aus dessen ihm bekannten Commentar (vatal.
25), schöpft, wie schon Pears. I, 5sq. zeigte. Da aber Theophilus den
Ignatius nicht nennt, muss Hieronymus anderswoher, wahrscheinlich aus
der angeführten Stelle des Origenes, gewusst haben, dass der Gedanke
ursprünglich dem Ignatius gehöre. Vgl. Lips. II, 19.
2) S. die Stellen bei Cur., p. 166. Freilich darf man sich, wenn
man „zurKritik der Worte“ des Hieronymus etwas bemerken will, nicht
auf die „Interpunction‘ dieses oder eines andern Abdrucks stützen, an
welcher Hieronymus völlig unschuldig ist.
77
ration hält, gibt er seinen „Katalog“ der ignatianischen
Briefe‘). Wenn es sich nicht von selbst verstünde, würde
dieser sein Ausdruck beweisen, dass er eine vollständige Auf-
zählung zu geben meint. Die Briefe liegen ihm vor, während
er schreibt, und dienen ihm neben der mündlichen Ueber-
lieferung von der Reise des Ignatius zum Martyrium in Rom
als einzige Quelle seiner Darstellung dieser Reise und der
Entstehung der Brief. Nach Ort und Zeit der Abfassung
ordnet er die Briefe. Von Smyrna aus schrieb Ignatius
an die Gemeinden zu Ephesus (1), Magnesia am Mäan-
der (2), Tralles (3), Rom (4),- von Troas aus an die zu
Philadelphia (5) und Smyrna (6) und endlich noch besonders
an Polykarp, dem er seine antiochenische Gemeinde ans Herz
legte (7). Hieronymus freilich scheint die Worte seiner Vor-
lage in der Eile so verstanden zu haben 3), als ob der Brief
1) II, 38, 1: τοῦ Ἰγνατίου ἐν αἷς κατελέξαμεν ἐπιστολαῖς (cf.
36, 10). Vgl. auch 38, 5; wo es nach Besprechung der clementinischen
Literatur im Rückblick auf c. 36 heisst: εἴρηται δὲ χαὶ τὰ Ἰγνατίου χαὶ
Πολυχάρπου. Von Letzterem hat er zwar nur den einen Brief an die
Philipper genannt und macht es ebenso, wo er aus Anlass des Irenäus
wieder auf ihn zu reden kommt (IV, 14, 8sq.), obwohl er gerade aus
Irenäus auch von andern Briefen Polykarps weiss (V, 20, 8). Er nennt
eben nur die seiner Zeit vorhandenen und ihm aus eigener Anschauung
bekannten Schriften.
2) Des Is. Casaubonus Vorschlag (exerec. ad Baron. ann. ed. Gen.
1663. p. 601sq.), den auch Pears. I, 24 billigte, zu schreiben: inde
egrediens scripsit ad Philadelphenos et ad Smyrnaeos -- et proprie ad
Polycarpum, commendans illi Antiochensem ecclesiam — in qua et de
evangelio, quod nuper a me translatum est, super persona Christi ponit
testimonium ete. (Hier. cat. 16), bürdet dem Hieronymus eine vollends
unverständliche Satzbildung auf, und der Schein, dass er einen und den-
selben Brief an die Smyrnäer und Polykarp gerichtet sein lässt, wird nur
verstärkt. Nimmt man an, Hieronymus habe zwei Briefe verstanden, so
würde er seine Unkenntnis der ignatianischen Briefe noch offenbarer be-
weisen, indem er dann die Stelle aus Sm. 3 auf den Brief ad Pol.
zurückgeführt hätte Vgl. Lips. II, 17f. Da dies aber durch die aus-
drückliche Bemerkung Eusebs (Σμυρναίοις γρώφρων) ausgeschlossen war,
so ist auch gewiss, dass Hieronymus seine Quelle dahin misverstanden
hat, der eine Brief an die Smyrnäer enthalte die Stelle Sm. 3 und die
78
an die Smyrnäer nur zugleich noch besonders an Polykarp
gerichtet gewesen wäre, und als ob in diesem an Bischof und
Gemeinde von Smyrna gerichteten Brief die von Euseb mit-
getheilte Stelle aus Sm. 3 stünde. Aber auch abgesehn
davon, dass im Smyrnäerbrief Polykarp weder angeredet noch
auch erwähnt ist, und dass die auf die Antiochener bezüg-
licher Bitten dort nicht an den Bischof, sondern an die Ge-
meinde gerichtet sind (Sm. 11), so sind auch die Worte
Eusebs unmisverständlich ἢ. Von einem brieflichen Verkehr
sowohl mit den Smyrnäern als auch mit ihrem Bischof
Polykarp sagt er. Nachdem er mit Bezug auf ad Pol. 7. 8
über den dem Polykarp gegebenen Auftrag geredet hat, kehrt
er zu Ignatius und, um jedes Misverständnis zu vermeiden,
ausdrücklich zu dem an vorletzter Stelle genannten Smyrnäer-
brief zurück. Alles, was Euseb über die 7 Briefe mittheilt,
die Orte und die Reihenfolge ihrer Abfassung, die Namen
der darin genannten Bischöfe, die allgemeine Charakteristik
ihres Inhalts, sowie die Angabe einiger merkwürdiger Einzel-
heiten, hat er selbstverständlich nicht aus irgend welcher
Ueberlieferung , sondern aus den vor ihm liegenden Briefen
genommen ?). Er schreibt ja ein ganzes Kapitel aus dem
Römerbrief und einen kürzeren Satz aus dem an die Smyrnäer
wörtlich ab und leitet ersteres als Beweis für die vorauf-
gehende, noch unvollständige Darstellung der Entstehung und
des Inhalts der Briefe ein®). Indem er aber das Citat aus
4
Privataufträge an Polykarp betreffis der antiochenischen Gemeinde, und
einen besonderen Brief an Polykarp gebe es nicht.
1) Unbeholfen ist der Satzbau allerdings; aber das αὐτῷ zeigt doch,
dass zu Πολυκάώρπῳ nicht etwa παρατίϑεται, sondern διὰ γραφῆς ὁμιλεῖ
gehört, welches letztere durch ze — χαὶ — ἐδίως re auf die Philadel-
phener, Smyrnäer und Polykarp bezogen ist. — Vgl. Voss, S. 265.
2) Die Ausdehnung des λόγος ἔχει (vgl. oben 8. 51, Anm. 2) auf
das ganze Kapitel über Ignatius (Buns. U, 17; Cur., p. LXXI) ist erstlich
willkürlich und zweitens sinnlos.
3) 8 6: ἐξ ὧν — was nur auf die theilweise schon aufgezählten
Briefe überhaupt sich beziehen kaun — xel βραχύτατα εἰς ἐπίδειξιν τῶν
εἰρημένων παραϑέσϑαι ἄξιον.
79
dem Römerbrief, ohne die Quelle näher anzugeben, als An-
führung aus den Briefen gibt, lässt er erkennen, dass ihm
die Briefe als Ganzes, als Buch bekannt sind und vorliegen.
Daher nimmt er auch die Anführung eines ignatianischen
Ausspruchs bei Irenäus, obwohl dieser weder den Namen des
Ignatius, noch eine schriftliche Quelle nennt, ohne weiteres
als eine Erwähnung der Briefe des Ignatius in Anspruch !),
und bezieht auf die ihm selbst vorliegende Sammlung auch
schon die von Briefen des Ignatius handelnden Worte in
Polykarps Brief an die Philipper ($ 13sqq.). Vergleicht man
ferner, wie Euseb über die unter Clemens’ Namen verbreiteten
Schriften, über den Barnabasbrief und den Hirten des Hermas, über
die Antilegomena und Apokrypha des neutestamentlichen Kanons
redet, so leuchtet ein: Euseb hat nie von der Existenz anderer
ignatianischer Briefe, als dieser sieben, die ihm vorliegen,
und nie von einem Zweifel an der Aechtheit dieser gehört.
Das Gegentheil letzterer Behauptung ergibt sich ebenso
wenig ?2), ja noch viel weniger aus der Anführung jener
Stelen aus Irenäus und Polyc., als aus dem ähnlichen
Verfahren in Bezug auf den allgemein anerkannten ersten Brief
des Clemens sich folgern lässt °), dass Euseb diesen eines
Beweises der Aechtheit bedürftig gehalten habe. Die
Stelle aus Irenäus und die aus Polyc. 9 führt er in erster
Linie als älteste schriftliche Zeugnisse für die mündliche
Ueberlieferung von der Reise und dem Martyrium des Ignatius
an; die zweite Stelle aber aus Polykarps Brief (c. 13) war
nicht sowohl ein Zeugnis für die Aechtheit, als eine
wichtige Nachricht über die erste Sammlung der Briefe des
Ignatius. Es ist ihm literarhistorisch interessant, die Be-
nutzung der ältesten kirchlichen Literatur bei den nächst-
folgenden Schriftstellern nachzuweisen, auch wenn, wie in
Bezug auf Justin den Märtyrer, ein kritischer Zweifel gar
nicht zu beseitigen war (V, 8, 9).
1)1.1, 8 12 cf. V, 8 9. — Iren. V, 28, 4.
2) Gegen Cur., p. LXXI sqq. u. 881.
3) h. e. IV, 22. 23; VI, 13, 6. Ein indirectes Zeugnis für den
Clemensbrief ist auch die Berufung auf Hegesipp III, 17.
80
Euseb hat den Inhalt und die Textgestalt der ihm vor-
liegenden Sammlung durch seine directen und indirecten Mit-
theilungen aus derselben 1) hinreichend charakterisirt, so dass
die historische Kritik von jeher in Stand gesetzt und darauf
angewiesen war, diese Sammlung, welche am Anfang des
4. Jahrhunderts dem grössten Bücherkenner der alten Kirche
allein bekannt war, wiederzugewinnen und an dem durch
Euseb dargebotenen Kanon Alles zu messen, was sich für
ignatianisch ausgab. Was zuerst durch den Druck bekannt
wurde, war nur durch den Namen des Ignatius mit jener
Sammlung des Alterthums verknüpft. Hinter einem sehr
andersartigen Werk wurden in Paris 1495 zur Ausfüllung
eines leer gebliebenen Blatts vier lateinische Stücke, zwei
Briefe des Ignatius an den Senior d. h. den Apostel Johannes,
einer an Maria, die Mutter Jesu, und eine Antwort der
Letzteren hierauf abgedruckt?). In allen Handschriften,
welche diese Stücke enthalten, bilden sie eine Gruppe für
sich, und es ist mehr als zweifelhaft, ob die Andeutung von
noch anderen derartigen Briefen, welche sich in dem an die
Mutter Jesu allerdings findet 8), wirklich auf eine grössere
Sammlung hinweisen soll. Es war nur ein Fehler der
älteren Ausgaben der Werke des heiligen Bernhard, in Folge
dessen frühere Gelehrte schon bei diesem eine Anführung
m mn -.ὄ-.-ς.
1) Zu den beiden wörtlichen Citaten aus Rom. 5 und Sm. 3 in
h. e. III, 36 kommt ein drittes aus Eph. 19 in seinem nur im Auszug
erhaltenen Gutachten an Stephanus bei Mai, script. vet. nov. collectio,
I, 1, 2 ed. alt. 1831.
2) S. den vollständigen Titel des mir nicht zu Gesicht gekommenen
Werks bei Cur., introd., p. Isq. Die dortige fehlerhafte Angabe über
den 4. Brief corrigirt die Note auf p. II. Die vollständigste Ver-
gleichung der Handschriften und älteren Ausgaben liefert Ussher in der
appendix (bei Cler. II, 121sq.), eine gediegene Besprechung in diss,,
p. 142 sggq.
3) Ign. ad S. Mariam: Scripsi tibi etiam alias et rogavi de eisdem.
Die Gegenstände seiner Wissbegier berühren sich, nach dem ersten Brief
an Johannes zu urtheilen, mit den widerwärtigsten apokryphischen Phan-
tasien. Cf. Thilo, cod. apoer. 247. 251. 879 βα.
. 81
Jieser Briefe und zugleich ein Zeugnis für den ursprünglich
grösseren Bestand dieser Sammlung zu finden meinten. Bern-
hards Worte !), wie sie nach den Handschriften lauten, zeigen,
was schon der Fortgang seiner Rede hätte lehren können,
dass er den Brief des Ignatius an Maria von Kastabala im
Sinn hatte. Wenn er gleichwohl von mehreren Briefen an
die fragliche Maria redet, so wird nicht eine Verwechselung
einer Maria mit einer anderen vorliegen — denn in keiner
Handschrift fanden sich die Briefe an beide Marien zusammen-
gestellt —, sondern der mit den Briefen des Ignatius ver-
bundene Brief der Maria von Kastabala an Ignatius gab ihm,
wie auch noch Spätern ?) Anlass, von Briefen des Ignatius
an diese Maria zu reden. Möglich wäre es auch, dass ihm
eine Handschrift vorgelegen, in welcher der an der Spitze
stehende Brief des Ignatius an diese Maria so, wie in mehreren
noch vorhandenen Handschriften πρὸς Παρίων, ἐπιστολὴ a’
überschrieben war (s. Dressel S. 223), wodurch dann der
Schein einer Mehrheit von Briefen an dieselbe Person ent-
stand. Noch weniger kann der Dionysius Carthusianus, den
Ussher anführt, als Zeuge für einen grössern Umfang dieser
Fietion gelten; denn seine Worte ®) sind, wie Jeder sieht,
auch andrer Deutung fähig. Die unbestimmte Kunde von
Briefen des Ignatius an eine Maria Christifera, worunter man
am natürlichsten die Mutter Jesu verstand 5), und der durch
Hieronymus verbreitete Irrthum, dass Ignatius ein Schüler des
Johannes gewesen, mag ihre Erdichtung veranlasst haben,
vielleicht erst zur Zeit des lyoner Concils unter Innocenz IV.
1) Bernhardi opp. ed. Mabillon 1680 I, 839 F in der 7. Predigt
über Ps. 90 (91): Magnus ille Ignatius, diseipuli quem diligebat Jesus
anditor, martyr noster, cujus pretiosis reliquiis nostra ditata est pauper-
iss, Mariam quamdam (fehlt in den älteren Ausgaben) in pluribus
quas ad eam scripsit, epistolis Christiferam consalutat. Vgl. die krit.
Note Mabillons.
2) S. das Inhaltsverzeichnis vor dem cod. Cusan. bei Dressel p. LXI;
aber auch schon Antonius in seiner Melissa citirt den Brief der Maria
von Kastabala mit Ἰγνατίον Θεοφόρον (ed. Tigur. 1546, p. 96).
3) C£. Uss. diss,, p. 143. Voss, p. 302 μα.
Aahn, Ignatius. 6
82
(im Jahre 1245), in welche ein Handschriftenkatälog ihre
Auffindung und angebliche Uebersetzung aus dem Griechischen
setzt (Cotel. bei Cler. II, 119). Dass sie je griechisch existirt
haben, möchte ich wenigstens nicht auf die Angabe des ar-
menisehen Bischofs Menas von Bagrevand gründen, welcher
ein griechisches !) Exemplar von 9 ignatianischen Briefen ge-
sehn haben will, worunter sich neben den voreusebianischen
(mit Ausnahme des Römerbriefs) in interpolirtem Text auch
zwei an Johannes und einer an Maria befanden. Schnell
genug ist 65 allerdings diesen dürftigen Machwerken gelungen,
in Handschriften besseren igmatianischen Gehalts einzudringen,
aber, soviel wir sonst wissen, nur in lateinische und immer
nur anhangsweise ἢ, Sie scheinen noch weniger wie das,
was, von allem Ignatianischen zuletzt, in äthiopischer und
arabischer Uebersetzung bekannt geworden ist’), eine orga-
nische Fortbildung einer aus dem Alterthum überkommenen
Briefsaammlung zu sein.
J. Faber Stapulensis wärdigte sie, wenn anders er sie kannte,
nicht einmal des Wiederabdrucks, als er bald darauf eine alte
lateinische Uebersetzung von 11 anderen Briefen des Ignatius
und Polykarps Brief an die Philipper hinter Pseudodionysius
veröffentlichte (Paris 1498). Einen 12ten fügte Champerius in
der Ausgabe von 1536 hinzu, den an Maria von Kastabala. Die
1) Der Mechitarist Katergi, der dies in der Zeitschrift für katho-
lische Theologie von Scheiner und Häusler IV, 316 (1852) mittheilt,
fügt hinzu „‚(gedrucktes)“; aber von einem Drucke dieses Inhalts würden
wir doch wohl wissen.
2) Uss. diss., p. 143 und in der append. bei Cler. II, 121 sq. Smith,
praef.
3) Aethiopisch durch Dillmann bei Cur., p. 256 sq., arabisch durch
Moesiuger, p. 13 sq. Allerdings erinnert der erste Satz des zweiten
Fragments an Trall. 9 und zwar mehr an die kürzere Recension dieses
Briefs. Es ist möglich, dass ein syrischer Monophysit — denn syrisch
wird wohl das Original beider Uebersetzungen sein —, welcher den Ig-
natius zum Vertreter seiner Lehre machen wollte, im Anschluss an die
kürsere Recension und Sammlung von 6 oder 7 Briefen weiter minde-
stens bis zu Nr. 13 fingirt hat. Ex epistola decima tertia ist das
zweite Fragment genommen. ᾿
83
dieser lateinischen Sammlung in Bezug auf Anordnung und
Text im allgemeinen entsprechende griechische Sammlung gab
zuerst Valentin Hartung, genannt Frid (Paceus, Εἰρηναῖος) '),
nach einer Handschrift der augsburger Stadtbibliothek heraus.
Ohne hierum zu wissen, liess der gelehrte Buchhändler Andreas
Gesner bald darauf dieselben 12 Briefe nach einer Hand-
schrift aus der Bibliothek des Gaspar von Nydprugek ab-
drucken ?). In den diesen ersten Drucken zu Grunde liegen-
den, sowie in den später von Ussher, Cotelier und Dressel be-
nutzten griechischen und lateinischen Handschriften (s. Anh.
I, 1) derselben Recension herrscht, soweit darüber Kunde vor-
handen ist, durchweg die gleiche Ordnung. Aber es ist nicht
völlig deutlich, wie viele derselben die Reihe unverkürzt von
Anfang an enthalten. Ein Zufall ist es, dass die griechischen
Handschriften v und o (s. Anh. I, 1), welche auf dieselbe
Quelle zurückgehn, mit dem seines Anfangs beraubten Tral-
lianerbrief beginnen. Aber in manchen Handschriften jeden-
falls und in allen älteren Ausgaben des griechischen und des
lateinischen Textes fehlte der Brief der Maria von Kastabala an
Ignatius, obwohl er die unerlässliche Voraussetzung des darauf
antwortenden Briefs des Ignatius ist. Lateinisch gab ihn
zuerst Ussher p. 127 sqq. cf. 223, griechisch Voss p. 55 sqq.
cf. 302 heraus, aber beide aus Handschriften einer ganz
anderen Sammlung. Dazu kommt, dass er in den von Dressel
verglichenen vollständigern Handschriften sowohl des Originals
als der Uebersetzung unserer Sammlung fehlt®). Aber der
Umstand, dass Herausgeber wie Faber Stapulensis und Ab-
1) So mannigfaltig nennt er sich selbst auf dem weitläufigen Titel
seiner Ausgabe (Dillingen 1557) und über der Vorrede.
2) Als zweite Abtheilung des Sammelwerks: Theologorum aliquot
veterum orthodoxorum libri, mit besonderer Paginirung und dem Sonder-
titel: Ignatii beatissimi martyris et archiepiscopi Antiocheni epistolae
duodecim. Joanne Brunnero Tigurino interprete. Per Andream Gesnerum,
1560. — Wer eigentlich für den griechischen Text verantwortlich ist,
weiss man nicht. An diesem Sammelwerk waren verschiedene Gelehrte
betheiligt.
3) Nämlich in b sind 12 Briefe mit dem an Maria von Kastabala an
der Spitze, in f gar nur 11 Briefe enthalten, also auch nicht die Antwort
68
84
schreiber, wie der des cod. f, auch den jedenfalls dieser Samm-
lung angehörigen Brief des Ignatius an Maria stillschweigend
weglassen, verwehrt die äusserlich nahegelegte Annahme, dass der
Brief der Maria von Kastabala nicht ursprünglich der Sammlung
angehört habe. Von der augsburger Handschrift, welche der
dillinger Ausgabe zu Grunde liegt, wissen wir es zuverlässig,
dass in derselben vor den 12 Briefen des Ignatius eine ihres
Anfangs beraubte epistola a quadam sancta ad patrem quem-
dam missa stand. Der im Katalog der augsburger Bi-
-bliothek abgedruckte Briefschluss wurde schon von Ussher als
Stück des Briefs der Maria Kastabala erkannt und vor Wieder-
entdeckung des ganzen griechischen Textes der Ausgabe von
1644 einverleibt. An der Spitze der griechischen Sammlung
hat also dieser Brief gewiss gestanden, und zwar nicht erst
zu der Zeit, als junge Handschriften wie a geschrieben wur-
den. Schon der dem 8. Jahrhundert angehörige Antonius
hat in seiner Melissa ?) ein längeres Excerpt aus dem Brief der
Maria von Kastabala mit /ysariov ϑεοφόρου angeführt, diesen
Brief also mit den Briefen des Ignatius verbunden gefunden.
Nicht so sicher lässt sich behaupten, dass er auch im Original
der lateinischen Uebersetzung vorhanden war. Die Spur bei
Bernhard von Clairvaux ist unsicher (s. oben S. 81), und in
den erhaltenen Handschriften. der lateinischen Uebersetzung
fehlt er; aber die scheinbar imposante Uebereinstimmung
derselben will im Grunde wenig besagen, da sie sämmtlich
auf einen ziemlich secundären Archetypus zurückgehn. Alle
haben sinnlose Schreibfehler wie corusca statt chorus Eph. 19
mit einander gemein. Alle brechen den Brief an Polykarp
am Schluss von ὁ. 3 ab?) und zwar die anscheinend älteste
des Ignatius an Maria. Die engverwandten lateinischen Handschriften
rg und pl haben denselben Inhalt wie die griechische b.
1) Catalogus, codd. qui sunt in bibliotheca reipublicae Augustanae
Vindelicae [auctore D. Hoeschelio] 1595, p. 21 854.
2) ed. Tigur. 1546, p. 96. Woher eigentlich die barbarische An-
führung „Antonius Melissa‘ bei Gelehrten, soviel ich weiss, nur unsres
Jahrhunderts stammt, weiss ich nicht.
3) Uss., p. 138; Dressel, p. 304.
85
von Allen (rg) schon mit einem explicit octava, worauf dann
der Antiochenerbrief folgt. Der Schreiber von rg muss eine
Handschrift vor sich gehabt haben, welche die Verstümnie-
lung nicht mehr anzeigte, also mindestens durch zwei Glieder
von der Urschrift des L? getrennt sein, durch eine sichtbar
defeete Handschrift und eine Handschrift, welcher der Defect
nicht ınehr anzusehen war, man müsste denn annehmen, es habe
der Uebersetzer (L?) von den vielen griechischen Handschriften
dieser Sammlung zufällig eine gefunden, welche den Brief
an Polykarp nur verstümmelt enthielt. So unwahrscheinlich
Letzteres ist, so unsicher ist der Schluss vom Bestand der
uns bekannt gewordenen Handschriften des L? auf den Bestand
der lateinischen Urschrif. In dieser kann der Brief der
Maria ebensogut enthalten gewesen sein, als gefehlt haben.
Wenn Letzteres !), dann aus demselben einfachen Grund, um
deswillen er aus vielen griechischen Handschriften verschwand,
weil man unter den Briefen des Ignatius nicht solche an ihn
haben wollte. Nach alle dem dürfen wir die vollständige
Reihenfolge der Briefe im cod. Augustanus als die ursprüng-
liche, dieser Sammlung charakteristische betrachten. Es ist
diese 3): 1) Mariae Castab. ad Ignatium, 2) Ignatii ad Mariam,
3) Trallianos, 4) Magnesios, 5) Tarsenses, 6) Philippenses,
7) Philadelphenos, 8) Smyrnaeos, 9) Polycarpum, 10) Antioche-
nos, 11) Heronem, 12) Ephesios, 13) Romanos.
Die Sammlung enthielt also sämmtliche Titel der euse-
bianischen, aber untermischt mit anderen Briefen, welche,
wie später gezeigt werden soll, jedenfalls nach Euseb ent-
standen und mindestens 2 Jahrhunderte jünger als die dem
Euseb bekannten sind. Die Vertheilung lässt es so erscheinen,
als ob es dem Ordner darum zu thun gewesen wäre, Altes
und Junges möglichst bunt zu mischen. Auf 2 jüngere
Titel folgen 2 ältere und wieder auf 2 jüngere 3 alte und
1) So lässt sich z. B. auch nichts daraus folgern, dass Vincent.
Bellov. specul. hist. X, 57 (ed. Bened. IV, 388) schreibt: Scripsit autem
δι Ignatius epistolas duodecim.
2) Vgl. die dillinger und die züricher Ausgabe mit den Angaben
bei Uss. diss.,, p. 39 und Dress., proll. LVI sq. LX.
86
zum dritten Mal auf 2 jüngere 2 alte. Bei näherer Be-
trachtung waren aber auch die älteren Briefe in dieser Samm-
lung nicht die alten, welche Euseb las. Zwar das grosse
Citat aus Rom. 5 in Eus. h. e. III, 36 zeigte keine stärkeren
Abweichungen von dem Text dieser Sammlung, als sie zwischen
Handschriften eines und desselben Werks vorzukommen pflegen.
Aber schon Sm. 3 zeigte im Vergleich mit dem daraus citirten
Stück bei Euseb eine starke Erweiterung durch biblische
Worte und eine dadurch veranlasste Aenderung des Schluss-
satzes.. Vollends im Vergleich mit den zahlreichen Anfüh-
rungen aus Ignatius bei Theodoret und spätern Vätern erwies
sich der Text dieser Sammlung als das Werk einer syste-
matischen Interpolation. Mit kritischem Scharfblick und
grosser Umsicht wies das zuerst Abraham Scultetus !) nach,
auf dessen Schultern der unbedeutendere und unvorsichtigere
Nicolaus Vedelius steht. Der Beweis dafür, dass die Briefe,
wie sie nun griechisch und lateinisch vorlagen, ihre dermalige
Gestalt und Zahl erst vermöge einer bewussten schrift-
stellerischen Umgestaltung und Erweiterung erlangt hatten,
und die Sonderung des Aechten vom Unächten konnte erst
nach Entdeckung einer anderen Sammlung gründlich vollzogen
werden. indessen hatte man eine handschriftlich weit ver-
breitete und spätestens um das Jahr 800 ins Lateinische
übersetzte Sammlung ignatianischer Briefe, welche mit der
Eusebs nicht bloss durch einige gleichlautende Titel überein-
stimmte. Mindestens bis zum angegebenen Jahr nöthigt uns
das vorhin erörterte Verhältnis der lateinischen Handschriften
hinauszugehn. Daher gewinnen wir nichts Neues durch die
Thatsache, dass Ado von Vienne (um 870) diese lateinische
Uebersetzung benutzt hat. Was mit erheblichen Abweichungen
in 3 Handschriften seines Werks aus dem 11. und 12. Jahr-
hundert als Zusatz zum ursprünglichen Text des Martyro-
logiums steht ?), gibt Ado selbst im lib. de festivitatibus app. 3)
1) Medulla theologiae Patrum, Ambergae 1598, p. 439 sqg.
2) ed. Dom. Georg. I, 194; cf. praef. p. 9.
8) 1.1.1, p.XLV. Die Varianten in Klammern sind aus den Zusätzen
zum Martyrolog genommen.
87
zum 6. Mai: Natalis sancti Euodii episcopi, qui ab apostolis
Antiochiae episcopus ordinatus est, de quo beatus Ignatius ad
Antiochenam ecclesiam (ita seribit): „Pauli et Petri (Petri
et Pauli) facti estis diseipuli, nolite perdere (prodere !)) de-
positum, quod vobis commendaverunt. Mementote digne bea-
tissimi Euodii pastoris vestri, qui primus vobis ab apostolis
antistes ordinatus est. Non confundamus patrem, sed efliciamur
certi (digni) filii et non adulterini.“ Khbenso deutlich ist die
Entlehnung eines Citats aus Eph. 12). Aelter als Ado ist
das m. boll.-cott. in seiner jetzigen lateinischen Gestalt, aber
wenn auch dessen triticum Dei ($ 18) sicher auf die Ueber-
setzung dieser Sammlung zurückzuführen wäre (s. oben $. 30),
höher hinauf als die erkennbare Vorgeschichte schon der
ältesten Handschrift dieses lateinischen Ignatius würde uns
das nicht führen. Was abendländische Schriftsteller . früherer
Zeit aus Ignatius anführen, beschränkt sich meist anf die
bei Hieronymus und Euseb angeführten Stellen und wurde
aus dem vielgelesenen Buch de viris illustribus ?) oder aus
Rufins Bearbeitung der eusebianischen Kirchengeschichte ab-
geschrieben (vgl. oben S. 80. Einen lateinischen Ignatius
scheint es zur Zeit des römischen Bischofs Gelasius (gestorben
496) überhaupt noch nicht gegeben zu haben, wenn dieser
in seiner Schrift über die beiden Naturen in Christus zwei
Stellen des Epheserbriefs in einer von beiden uns bekannten
lateinischen Uebersetzungen desselben sehr abweichenden Form,
also in selbständiger Uebersetzung aus dem Griechischen und
zwar aus einem von unsrer Sammlung stark abweichenden
griechischen Text anführt ἡ. Ein nicht ganz verwerfliches
1) Ant. 7. Cf. L2 pl und rg bei Dressel, p. 309.
2) 1.1. XLIV. Eine Anspielung an Her. 7 findet sich noch im
Martyrolog zu XVI Kal. Novembr.
3) Es wird z. B. von Vincentius Bellovacensis ausdrücklich als Quelle
seiner Bemerkungen über die scripts Ignatii angeführt, obwohl zeime
Kunde über Hieronymus hinausgeht. 8. oben S. 85.
4) Magna bibl., Paris 1664, tom. IV, par 1, p. 423 E. Die Be-
denken gegen die Autorschaft des Papstes Gelasius scheinen heute auch
bei Katholiken nichts mehr zu gelten. S. Alzog, Patrologie (2. Aufl.),
8. 413.
no
88
Zeugnis für die erheblich spätere Abfassung des L? ist auch
die völlige Unkenntnis der ignatianischen Briefe, welche Gregor
der Grosse in einem Brief an den Patriarchen Anastasius von
Antiochien bekundet, worin .er diesem zu seiner im Jahre
592 erfolgten Wiedereinsetzung in seine Würde gratulirt 1).
Nur aus dem Brief dieses Kirchenfürsten an ihn kennt Gregor
die Worte des Ignatius, die er in seinem Antwortschreiben
wiederholt. Man sieht deutlich, dass Anastasius den sinnlosen
Gruss „Amen, Gratia“ mit namentlicher Berufung auf seinen
Amtsvorgänger Ignatius gebraucht hatte. So schliessen aber
die ignatianischen Briefe an die Epheser und Polykarp nur in
dieser Sammlung von 13 Briefen und zwar nur im griechischen
Text, da aber nach überwiegender Bezeugung ?). Während also
um 592 Gregor zwar den Märtyrer Ignatius, aber nicht seine
Briefe kennt und somit bestätigt, was ohnehin das Wahrschein-
liche ist, dass erstspäter durch Anfertigung der lateinischen Ueber-
‚setzung unserer Sammlung die ignatianischen Briefe im Abend-
land bekannter wurden 8), las man unsere Sammlung damals in
Antiochien. Anastasius von Antiochien ist nächst Stephanus
Gobarus *), welcher sich auf den interpolirten Trallianerbrief
---.-«---αο.--Ο--ῬἘῬςῬὕ......
1) Greg. M. opp. ed. Bened. II, 764 epist. 39 (al. 37). Der Schluss
des Briefs p. 765: Amen. Gratia. Quae videlicet verba de scriptis ve-
stris accepta ideirco in meis epistolis pono, ut de sancto Ignatio vestra
beatitudo cognoscat, quia non solum vester est, sed etiam noster etc.
Vielleicht ist beachtenswerth, dass von den Sacramentarien erst das
Gregors und nur dies des Märtyrers Ignatius nach Stephanus, Matthias,
Barnabas gedenkt. Muratori, Liturgia Rom. II, 5. -
2) Eph. 21 haben aov nach Uss. adnot., p. 13, not. 100 und Dressel,
p. 338: ἀμήν 7 χάρις, während in n und L2 ἡ χάρις fehlt, pl und rg
auch kein amen haben. — ad Pol. 8 steht a mit seinem ἀμὴν ἡ
χάρις auch nicht allein; die nicht ganz deutlichen Angaben über die Lesart
in f (Uss., Cler. 94) und o (Dressel 305) gestatten die Annahme ur-
sprünglicher Uebereinstimmung dieser Handschriften mit a. Iı2 existirt
für diese Stelle nicht.
3) In’s eigentliche Alterthum reicht diese Uebersetzung auch schon
wegen solcher Ausdrücke wie missas celebrare Sm. 8 nicht hinauf. Er
kommt wohl zuerst bei Caesar. Arel. ( 543) vor, 8. Dufresne,
Glossar. TV, 814.
4) Nach Phot. cod. 232 nennt er unter Anderen den Ignatius als
89
bezieht, der älteste Zeuge für unsere Sammlung ; ihnen schliesst
sich dann der Bearbeiter der Paschachronik an, welcher in
den älteren Theil dieses Werks um 630 unter anderem auch
eine Stelle des interpolirten Trallianerbriefs interpolirte 1), so
dass wir also von der Mitte des 6. Jahrhunderts an eine
ziemlich eng schliessende Kette von Zeugen für unsere
Sammlung haben 3), während die antiochenischen Patriarchen
aus der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts, Severus 5) und
Ephraim 4), einen ganz anderen Text citiren und von einem
andern nichts zu wissen scheinen. Ich spreche von Zeugen
nfeht für diesen oder jenen Text dieses oder jenes Briefs,
sondern für die bisher erörterte Sammlung der Ignatiusbriefe.
Teberall da dürfen wir sie voraussetzen, wo einer der vor-
Bestreiter der nikolaitischen Secte, was nur auf Trall. 11 interp. sich
beziehen kann. Die Zeit dieses Stephanus ist ziemlich ungewiss,
520— 600.
1) Vgl. hierüber oben S. 48, Anm. 1.
2) Lips. II, 15f. kommt zu seiner Behauptung, dass der interpolirte
Text ebenso wie der kürzere 100 Jahre vor seiner allgemeineren- Verbreitung
durch einen einzigen Schriftsteller bezeugt werde, nur. indem er den
Anastasius von Antiochien übersieht, dessen Text wir durch Gregor kennen.
Ist es ferner dieser Anastasius, dem die von Pears. I, 15 sq. aus einer
Handschrift mitgetheilte und besprochene Anspielung auf Eph. 19 an-
gehört, so kann demselben dabei ebensogut der interpolirte Text zu Grunde
gelegen haben. Derselbe Anastasius und nicht der spätere Sinait wird
es auch wohl sein, welcher in der ἐκλογὴ χρήσεων δογματικῶν eine
Stelle aus dem Philipperbrief (c. 9) als aus dem Tarsenserbrief eitirt.
Dis vermisst man freilich bei Cur., p. 175, findet es aber erwähnt schon
bei Uss. diss., p. 129 und abgedruckt bei Mai, script. vet. nova coll.
VI, 1, 22: Ἰγνατίου τοῦ ϑεοφόρου καὶ μάρτυρος ἐκ τῆς ἐπιστολῆς πρὸς
τοὺς ἐν Τάρσῳ᾽ εἰ γὰρ ἤδεις, ὅτι ϑεοὺῦ υἱὸς nv bis ὅτι καὶ ἄνϑρωπος.
Der Sinait Anastasius scheint allerdings eine andere Saınmlung zu
eitiren, wenn er in dein oft eitirten Satz aus Rom. 6 das dem Römerbrief
unserer Sammlung angehörige Χριστοῦ vor τοῦ ϑεοὺῦ μου nicht gibt
(Opp. Gretseri XIV, 2, 97). Aber gerade beim Römerbrief lässt sich
aus einem Wort nichts Sicheres schliessen.
3) Ueber diesen ist weiter unten mehrfach zu reden.
4) Dessen Worte: καὶ ὃ ϑεοφόρος δὲ Ἰγνάτιος, Σμυρναίοις ἐπιστέλ--
λων, ὑμόιως χέχρηται τῷ ἄρϑῳ (Phot. cod. 229 cf. cod. 228) gehen auf
das τὸν ϑεὸν Sm. 1 zurück, welches dem interpolirten Text fehlt.
90
eusehianischen Briefe in interpolirtem Text citirt wird; denn
nur in dieser Sammlung hat dieser Text Verbreitung ge-
funden. Denn allzuvereinzelt in Bezug auf Ordnung und
Umfang steht der von Pearson 1) beschriebene cod. Leicest-
rensis, welcher die 7 Briefe Eusebs, aber in interpolirtem Text
enthielt, als dass sich die Vermuthung irgend welcher Ver-
breitung einer solchen Sammlung darauf gründen liesse.
Durch die Berufung auf drei Schriftsteller, denen er über-
haupt nur je eine Anführung aus Ignatius nachweisen konnte,
nämlich Stephanus Gobarus, Anastasius von Antiochien ?) und
den Verfasser der Paschachronik, hat Pearson dieselbe Mur
scheinbar gestützt; denn erst, wenn bewiesen wäre, dass sie
die nacheusebianischen Briefe nicht kannten, wäre die nächste
Voraussetzung widerlegt, dass sie aus der weitverbreiteten
grösseren Sammlung schöpften, welche die interpolirten Briefe
mit den nacheusebianischen verbunden darbietet. Die weitere
Hypothese Peärsons. dass diese Handschrift die zweite auf die
dem Euseb vorliegende zunächst folgende Sammlung entbalte,
welcher als dritte die später zu untersuchende mediceische
und als vierte die von mir bis jetzt besprochene gefolgt sei,
beruht auf einer Reihe undurchführbarer Annahmen. Vor
allem müsste dann der Interpolator der 7 Briefe von dem
Verfertiger der nacheüsebianischen verschieden sein, und auch
des Letzteren Werk müsste selbständig verbreitet worden sein,
bis der Veranstalter der mediceischen Sammlung dasselbe mit
den 7 alten Briefen in ursprünglichem Text, und der Veran-
stalter unsrer Sammlung es mit den 7 Briefen in interpolirtem
Text verband. Aber selbständige Existenz und Verbreitung
der nacheusebianischen Briefe ist weder bezeugt noch wahr-
scheinlich. Bei keinem einzigen Schriftsteller lässt sich aus-
schliessliche Kenntnis dieser Briefe nachweisen, ausser dem
heiligen Bernhard gibt es zufälligerweise nicht einmal einen
1) Vind. provem. p. 27 sq.; vgl. unten Anhang 1, 1. Die Ordnuug
ist folgende: Trall. Magn. Philad. Smyrn. Polyc. Eph. Rom.
2) Diesen führt Pearson wohl mit Rücksicht auf den Brief Gregors
dafür an, denn die aus Anastasius selbst mitgetheilte Anspielung auf
Eph. 19 entscheidet nichts,
91
Einzigen, der die nacheusebianischen Briefe citirte, ohne
zugleich aus den voreusebianischen in ursprünglichem oder
interpolirtem Text zu schöpfen. Ferner wird sich zeigen, dass
ein Geist und eine Zeit das doppelte Werk der Interpolation
und Fiction hervorgebracht hat. Also kann cod. Leicestrensis
nur ein Auszug aus unsrer Sammlung sein, herrübrend von
einem Mann, welcher nur diejenigen Briefe derselben haben
wollte, deren Titel ihm aus Euseb bekannt waren, und wel-
cher daher aus unserer Sammlung die jüngeren Titel wieder
ausstiess, die Ordnung derselben aber beibehielt. Läge um-
gekehrt der cod. Leicestrensis unsrer Sammlung zu Grunde,
so wäre die Künstlichkeit ihrer Ordnung nicht mehr zu er-
klären. Die weisliche Mischung von Altem und Neuem, die
darin sich verrathende Absicht, die Leser zu dem Irrthum
zu verführen, als sei beides aus demselben Schatz hervorgeholt,
ist nur dem bösen Gewissen des Fälschers selbst zuzutrauen.
Ein gelehrter oder ungelehrter Abschreiber, welcher die bis
dahin gesondert existirenden älteren und jüngeren Titel zu-
sammen besitzen und beisammen haben wollte, hätte die
beiden Sammlungen einfach an einander geschoben, anstatt in
unbequemer Abwechselung aus dem einen und dem anderen
Volumen je 2 oder 3 Briefe abzuschreiben.
Demnach sind die angeblichen Zeugen für Pearsons editio
secunda vielmehr Zeugen für unsre Sammlung, welche also
spätestens seit der Mitte des 6. Jahrhunderts existirt haben
muss. Sehr unsicher würde der Versuch sein, an der Hand
der Handschriften zu einem noch bestimmteren Resultat zu
gelangen. Nähme man nämlich an, dass die Verbindung
dieser ignatianischen Sammlung mit den in Eins verschmol-
zenen Briefen des Polykarp und des Barnabas, wie sie in den
codd. fvo vorliegt, eine ursprüngliche, unsrer Sammlung
charakteristische sei, so würde uns die in jenen codd. be-
stehende Verschmelzung von Polykarp und Barnabas auf einen
sehr alten Archetypus zurückführen; denn diese Verschmelzung
findet sich zwar nicht 1) im cod. Medic. (plut. LVII, no. 7),
1) Das muss man bei Müller, Barnabasbrief, S. 22 lesen.
92
der überhaupt von Polykarp und Barnabas nichts enthält,
wohl aber im cod. Casanatensis G. V. 14, welcher in Bezug
auf Ignatius mit dem Medic. sich deckt, und in einer durch
L. Holsten gefertigten Abschrift eines verlornen cod. biblio-
thecae S. Silvestri in Quirinali, welcher aber, soviel wir wissen
gar nichts von Ignatius enthielt ). Diese Verschmelzung ist
also sehr alt, wenn sie auch. nicht in die Zeit des Hieronymus
hinauf verfolgt werden kann ?); aber ihre Verbindung mit
Briefen des Ignatius ist weder unsrer Sammlung eigenthüm-
lich, wie der cod. Casan. zeigt, noch auch mit der Ver-
schmelzung von Polykarp und Barnabas sofort gegeben, wie
der cod. Silv. zeigt. Vor dem 11. Jahrhundert, welchen
cod. v angehören soll, braucht jene Verbindung unsrer igna-
tianischen Sammlung mit den Bruchstücken aus Polykarp und
Barnabas nicht existirtt zu haben. Der lateinische Ueber-
setzer unsrer Sammlung fand zwar wahrscheinlich, wie man
aus den codd. rg und pl und der editio princeps von 1498
schliessen muss, in seinem griechischen Original bereits den
Polykarpbrief mit den ignatianischen verbunden, aber nur
diesen und zwar vollständig ohne die Verstümmelung in
fvo und ohne die Verschmelzung mit Barnabas. Es ist also
auf diesem Wege das Alter unserer Sammlung nicht zu er-
mitteln.
Eine sehr andersartige Sammlung in lateinischer Ueber-
setzung entdeckte Ussher auf dem Weg einer ebenso einfachen
als glücklichen Divination ?) und benutzte seine Entdeckung
sofort zu einer durchgreifenden Kritik der vordem verbreiteten
1) S. über beide Handschriften Dress., proll. LX, no. 12; LXI,
no. 14 extr.
2) Gegen Müller a. a. O., 8. 21. 144. Die Verwechselung von
Ignatius und Barnabas bei Hieronyınus (ed. Vallarsi 1734 sygq. UI, 769 A)
bedarf gar keiner Erklärung und findet jedenfalls keine darin, dass
schon damals der Brief Polykarps mit dem des Barnabas in Eins ver-
schmolzen war, wenn man nicht gleichzeitig eine Verschmelzung beider
ınit ignatianischen Briefen behaupten will.
3) Seine Erzählung davon steht dissert.. p. 15 sq. Die dort und
p. 141 gemachten Angaben sind zu vervollständigen aus Smith. praefatio
oder Jakobson, proll., p. 33. 8. Anh. I, 2.
98
Sammlung !.. Die jüngere der beiden lateinischen Hand-
schriften, welche allein noch erhalten ist (s. Anh. I, 2),
enthält folgende ihrem Inhalt, soweit er den Ignatius betrifft,
. entsprechende Angabe, ich weiss nicht, ob vor oder hinter
den Briefen, oder gleich nach dem Gesammttitel der Hand-
schrift:
Epistolae 8. Ignatii.
Smyrnaeis.
. Smyrnaeis a Troade Polycarpo.
Ephesiis.
Magnesiis.
. Philadelphicis.
. Trallesiis Asiae.
. Epistola Mariae Proselytae Chassaobolorum ad Igna-
natium, Episcopum Antiochiae.
8. Responsio Ignatii Mariae Proselytae super eadem
epistola. |
1) Wegen der oft sehr ungenauen Angaben über dessen, wie ea
scheint, sehr selten gewordenes Werk Polycarpi et Ignatii epistolae etec.,
Oxoniae 1644, sei sein Inhalt angegeben: 1) de Ignatii martyris epistolis
indeque occasione data de Polycarpi quoque scriptis atque apostolicis
vonstitutionibus et canonibus Clementis Romano tributis dissertatio
p. I-CXLVI. 2) Veteram testimonis de Ignatio, dann de Polycarpo,
p. 1—12. 3) Polycarpiana epistolarfim Ignatianarum sylloge, p. 13— 128.
4) Epistolae, B. Ignatio adscriptae ad mediae aetatis Graccis, sex, ἃ
recentioribus T,aatinis additae tres. Prioribus praemissa est Mariae Casso-
bolitae, posterioribus subjuncta B. Mariae Deiparae nomine ad Ignatium
edita epistola ete., p. 125—192. 5) Epistolarum Ignatii vetus Latina
versio ex duobus manuscriptis in Anglia repertis, nunc primum in lucenı
edita, mit fortlaufender Paginirung, p. 193—243, aber der neuen Angabe
Oxoniae 1642. Im Druckfehlerverzeichnis p. 241 ist zwar die Jahres-
zahl in 1644 umgeändert, aber 1642 ist doch nicht einfacher Druck-
fehler, erklärt sich vielmehr aus dem Umstand, dass eine Feuersbrunst
einen grossen Theil des schon 1642 beinah vollendeten Druckwerks ver-
nichtete, und daher erst 1644 das Ganze mit Benutzung der geretteten
Reste von 1642 erscheinen konnte (cf. p. 242. Es wurde neu hinrr-
gefügt, aber bei einem andren Drucker gedruckt: 6) In Polycarpiaram
epistolarum Ignatianarum syllogen annotationes, Oxonise 1644,
p. 1—53. Ich ceitire No. 1 als Uss. diss., No. 3—5 als Uss., No. 6 -
als Uss. adn.
apnmevne
94
9. Tharsensibus.
10. Antiochenis.
11. Eroni, Diacono ecclesiae Antiochenorum.
12. Martyrium $. Ignatii, Episcopi Antiochiae Syn 186.
13. Romanis.
Scripsit beatus Ignatius Smyrnaeis a Troade, Polycarpo
a Troade, Ephesiis a Smyrna, Magnesiis a Smyrna, Phila-
delphicis a Troade, Trallesiis a Smyrna, Mariae Proselytae ab
Antiochia, Tarsensibus a Philippensibus, Antiochenis a Phi-
lippensibus, Eroni Diacono a Philippensibus, RomanisaS....,
Martyrium Ignatii cum Epistola ad Romanos, scripta ab ipso
ad populum Romanum.
14. Joanni Evangelistae.
15. Joanni Evangelistae.
16. 8. Mariae.
17. Ignatio Sancta Maria 1).
Irreführend ‚könnte daran nur sein, dass der Römerbr ief
nach der Liste auf das Martyrium ‘zu folgen scheint, während
er im Martyrium enthalten ist. Deutlich aber sind von den
aus dem Griechischen übersetzten 13 Nummern die vier mittel-
alterlichen Apokrypha (vgl. oben S. 80 f.) durch die ausführliche
Zwischenbemerkung getrennt. Sie sind, obwohl auch m sie
schon enthält ?), in dieser Sammlung, ebenso wie in einzelnen
Handschriften von L?, ein bloses Anhängsel, kommen also
nicht in Betracht bei der Erörterung der in m und c oder
mit einem Wort in L! vorliegenden Sammlung. Die schon
von Ussher ausgesprochene Hoffnung, den seiner lateinischen
Uebersetzung zu Grunde liegenden Text aus Florenz zu er-
—
1) So nach Smith, praef., fol. b2. Jakobson, der nicht aus der
Handschrift, sondern aus Smith dies entlehnt zu haben scheint, hat sehr
undeutlich drucken lassen, z. B. das, was Smith durch anderen Druck
als seine Zuthat vom Text der Handschrift unterschieden hatte, nicht
unterschieden, die Worte „ibi hoc ordine oocurrunt“ in der Ueberschrift
der Liste, ebenso hinter No. 12 ‚, Epist. XII. Sic enim ibi appellatur “,
um von gleichgültigen Kleinigkeiten zu schweigen.
2) Das ist bei Uss. diss., p. 141 sqq. noch nicht deutlich, wohl
aber in der append. bei Cler. Il, 121 sqg.
et ἃ
9ὅ
halten (diss., p. 26), erfüllte bald darauf Isaak Voss, indem
er nach dem cod. Medic. (plut. LVII, no. 7), den er auf einer
italienischen Reise nicht allzu sorgfältig abgeschrieben hatte,
einen griechischen Ignatius herausgab (Amstelod. 1646), wel-
cher dieselbe Sammlung und im ganzen auch denselben Text
darstellt, als Usshbers lateinischer Ignatius. Auch hier wie
in L! fehlte der aus der früher erörterten Sammlung bekannte
Philipperbrief, die gleiche, übrigens von Voss wie von Ussher
verlassene, Ordnung der Briefe hier wie dort; aber die me-
diceische Handschrift bricht in Tars. 7 mit den Worten
ἀνεπιστατοι γὰρ εἶσι (fehlt τοῦ vor) τοῦ x... ab. Somit fehlt
von den voreusebianischen Briefen der an die Römer, von den
nacheusebianischen ausser dem Philipperbrief noch die an die
Antiochener und an Heron. DBedauerlich ist das besonders
deshalb, weil das Verhältnis des Römerbriefs zu dieser Samın-
lung ein unsicheres ist. Die Entdeckung und Veröffentlichung
des griechischen martyr. colb. mit Einschluss des Römerbriefs
durch Ruinart (s. oben S: 3) konnte den Schaden nicht er-
setzen; denn, abgesehen davon, dass das Verhältnis der werth-
vollen lateinischen Uebersetzung zu diesem griechischen Text
des Römerbriefs ein anderes ist als zu dem griechischen Text
des cod. Med., und Jdem colbertinischen Text als einen ziemlich
verderbten erkennen lässt, so konnte die gesonderte Ver-
breitung !) dieses Martyriums mit Einschluss des Römerbriefs
den Verdacht höchstens bestätigen, dass der so eingeschachtelte
Römerbrief dieser Sammlung nicht ursprünglich angehört
habe. Entstehen muss der Verdacht schon darum, weil über-
haupt die Verbindung irgend welchen Martyriums mit irgend
welcher ignatianischen Briefsammlung beispiellos ist. Dem
L! ist sie von jeher eigen; schon im Archetypus von m und
c und, wenn die Urschrift noch zu unterscheiden ist, auch in
dieser und in ihrem griechischen Original folgte das m. colb.
1) Von eimer solchen kann man reden nicht bloss auf Grund der
dem griechischen m. colb. entsprechenden syrischen Uebersetzung, sondern
aueb der weiteren Verarbeitungen des m. colb. in ım. arm. und im
metaphr.
96
sammt dem Römerbrief den übrigen Briefen, denn sonst hätte
der Uebersetzer die Worte im mart. colb. 4 διὰ τῶν ἡγου-
μένων nicht zum folgenden γραμμάτων ziehen und mit per
praecedentes literas übersetzen können ἢ. Aber daraus folgt
nichts für den ursprünglichen Bestand des cod. Med. und für
Alter und Verbreitung dieser unnatürlichen Verbindung.
Unnatürlich muss sie doch schon darum heissen, weil ver-
möge derselben der Römerbrief gegen das deutliche Ordnungs-
princip dieser Sammlung getrennt von den eusebianischen
Briefen hinter lauter nacheusebianischen seine Stelle findet.
So erscheint das Martyrium mit Einschluss des Römerbriefs
als ein Anhängsel; dann enthielt diese Sammlung ursprünglich
den Römerbrief gar nicht und wurde deshalb dieser Ergänzung
bedürftig gefunden. Doch damit berühre ich einen dunklen
Punkt in der Geschichte der ignatianischen Briefe, zu dessen
Beleuchtung alle übrigen Sammlungen, insbesondere die einzige
noch zu erörternde, die uns vollständig vorliegt, heranzuziehen
sind. |
‘Was in syrischem Text an Briefen und Brieffragmenten bis-
her bekannt geworden ist, befähigt uns nicht, eine Sammlung
von bestimmter Ordnung sicher zu beschreiben. Es ist nur mög-
lich durch Vermittlung der armenischen Uebersetzung, welche
zuerst 1783 in Konstantinopel gedruckt wurde und von Peter-
mann in seiner Ausgabe vollständig ausgenutzt worden ist.
Nach Petermanns ausführlicher auch dem Nichtkenner des
Armenischen verständlicher Beweisführung ist sie aus einem
syrischen Original geflossen 3. Selbst der Brief an Heron,
welcher schon durch die ihm eigene wörtliche Wiedergabe
des überschriftlichen ὁ καὶ Θεοφόρος (vgl. oben 8. 70) vor
den übrigen sich auszeichnet, enthält doch entscheidende Be-
weise seiner Herkunft aus syrischem Original; nur tritt hier
die nachträgliche Benutzung einer griechischen Handschrift
(ar m nn
1) Smiths Versuch, auch in L! die Worte zu trennen (schol.
p. 106), bleibt unklar.
2) Ignatii epist., proll. p. VI sqq. Vgl. besonders noch das Zeugnis
des Armeniers Katergi a. a. O., 8. 318f.
97
auffälliger hervor. Da nun nach der gelehrten Ueberlieferung
der Armenier 1), welche Petermann uurch sprach- und literar-
geschichtliche Gründe rechtfertigt ?), diese Uebersetzung im
5. Jahrhundert entstanden ist, so dürfen wir annehmen, dass
die in derselben vorliegende Sammlung wenigstens bald nach 400
bei den Syrern existirte, sei es, dass sie dort entstanden, oder
schon als Ganzes von den Griechen zu den Syrern gelangt
war. Im letzteren Fall würden wir den Zeitpunkt, vor wel-
chem sie entstand, noch etwas früher ansetzen müssen. Diese
Sammlung muss vor allem deshalb zur Aufklärung der Bil-
dungsgeschichte der ignatianischen Sammlungen an diesem
Punkt herangezogen werden, weil sie in der Hauptsache,
d. h. in der Verbindung der voreusebianischen Briefe in einem
von der systematischen Interpolation freien Text mit mehreren
nacheusebianischen Briefen mit der durch Ussher entdeckten
Sammlung übereinstimmt ὃ. Dadurch ist eg βορὰ wie un-
möglich, auszumachen, ob ein Schriftsteller die eine oder die
andre Sammlung gebraucht hat. Abgesehen von einiger Ver-
schiedenheit der Ordnung bestehen nur die beiden Unterschiede
zwischen der in der armenischen Uebersetzung erhaltenen
Sammlung, welche im Folgenden A heissen soll, und der
ussherschen, die ich U nennen will, dass in A der Philipper-
brief vorhanden ist, und der Römerbrief frei von der Ein-
rahmung durch ein Martyrium erscheint. Ueberall, wo wir
bei einem Schriftsteller oder gar in einem einzelnen Schrift-
werk nacheusebianische Briefe neben voreusebianischen in
kürzerem Text eitirt finden, dürfen wir Benutzung von A oder
t) Vgl. K. Fr. Neumann, Versuch einer Geschichte der armenischen
Literatur nach den Werken der Mechitaristen, δ. 71, Anm. 2; 8. τὸ ἢ
2) Proll. p. 25 sq. Der Widerspruch Katergi’s S. 317 hat nichts
Üeberzeugendes.
3) Freilich ist nicht ganz sicher, inwieweit der Veranstalter der
editio princeps von 1783, der schon genannte Bischof Menas, durch seine
ὕ Handschriften von verschiedenem Inhalt und Umfang zu seiner An-
ordnung und Zusammenstellung der 13 Briefe ermächtigt war (s. Katergi
ἃ. ἃ. Ο., S. 3löf.).. Von untergeordnetem Werth für meinen diesmaligen
Zweck muss daher diese armenische Sammlung bleiben.
Zahn, Ignatius, 1
98
U voraussetzen; denn von einer dritten Sammlung, welche
ebenso Altes und Neues verbunden hätte, wissen wir nichts,
und nur sehr selten werden Fälle sein, wie der des Theodorus
von Studium, welcher in verschiedenen Schriften einmal den
kürzeren, einmal den interpolirten Text anführt ἢ. Aber bei
derartigen Untersuchungen will mehr, als gewöhnlich ge-
schehen ist, bedacht sein, dass der Text der Sammlung U
nicht identisch ist mit dem der mediceischen Handschrift:
er will erst hergestellt sein durch äussere und innere Kritik 2).
Die wesentlich identische Sammlung A wird dazu beizutragen
‘haben, aber, wo innere Gründe entscheiden, selbst der Text
der ganz anderen Sammlung, welche vor Ussher allein bekannt
war und hier B heissen soll; denn sehr wohl kann ja in B
erhalten sein, was auch in A und U ursprünglicher Text war.
Es ist eine offenkundige und in neuerer Zeit kaum ausdrück-
lich angezweifelte Thatsache, dass der Text der voreusebiani-
schen Briefe in B durch eine bewusst verfahrende schrift-
stellerische Hand entstanden ist, welche der Text derselben
Briefe in U (und A) nicht erfahren hat, dass also der vom
Interpolator vorgefundene und bearbeitete Text im grossen und
ganzen, d. h. schriftstellerisch und nicht diplomatisch be-
traehtet, identisch ist mit dem von dieser Interpolation frei
gebliebenen Text von U (und A). Nun hat aber der Inter-
polator, wie nachher bewiesen werden soll, noch im 4. Jahr-
hundert gearbeitet. Gelingt es also den dem Interpolator zu
Grunde liegenden Text zu erkennen, was in vielen Fällen sehr
leicht ist, so haben wir daran einen Zeugen des nicht inter-
polirten Textes, welcher die armenische Uebersetzung und
1) Ersteres catech. 127, das andere in einer epistola ad Theophilum
Ephesi. S. den Abdruck bei Cur., p. 187. Das Citat aus Rom. 7
ὁ ἐμὸς ἔρως ἐσταιΐρωται ὁ Χριστὸς in catech. 3 (Cotel. Cler. 11, 29;
Grabe II, 229) lässt sich auf keinen sonst überlieferten Text zurück-
fhren.
2) Das hat namentlich Cureton behärrlich übersehn,, obwohl doch
längst Pears. 1, 20; Rothe, S. 757£, besonders aber Arndt S. 140 ff, vor
Vermengung der textkritischen Frage mit der literarhistorischen gewarnt
hatten.
99
vollends die Handschriften der Sammlung U an Alter weit
übertrifft, und zwar einen ganz unabhängigen, der seit der
Entstehung der Interpolation seine eigene Geschichte gehabt
hat und wegen seiner durchgreifenden Verschiedenheit einer
nachträglichen Beeinflussung durch den nichtinterpolirten Text
nicht ausgesetzt war. Nur umgekehrt kann der nichtinterpolirte
Text von U (und A) durch den interpolirten Text in B be-
einflusst worden sein, denn er ist ja verbunden mit nach-
eusebianischen Briefen, die Sammler U und A haben also aus
dem Werk des Interpolators, welches die älteren Briefe in
interpolirttem Text sammt den hinzugedichteten Briefen ent-
hielt, geschöpft. Dann können sie diesem Werk auch einen
untergeordneten Einfluss auf die Textgestalt der voreusebiani-
schen Briefe eingeräumt haben, und nicht jede Ueberein-
stimmung des Textes von U oder A mit dem Text von B
ist ein sicherer Beweis dafür, dass man damit den zur Zeit
des Interpolators allgemein verbreiteten Text hatte, wie andrer-
seits nicht jede eigenthümliche Lesart von B ein Werk des
Interpolators oder seiner Abschreiber zu sein braucht, sondern
dem zur Zeit des Interpolators und noch später herrschenden
Text angehört haben kann. Mit Vorsicht muss demnach der
Text der eusebianischen Briefe in B zur Kritik des Textes
von U und A verwendet werden; aber auf textkritische Ver-
werthung desselben zu verzichten, wäre ebenso verkehrt, als
wenn man, wie es Lipsius in seiner zweiten Abhandlung ge-
than hat, ohne Rücksicht auf die erkennbare Bildungsgeschichte
der Sammlungen die Handschriften aller möglichen Samm-
lungen und Uebersetzungen in Familien theilt und ohne Rück-
sicht auf die von einem Schriftsteller benutzte Sammlung ikn
um dieser oder jener Lesart willen dieser oder jener Familie
zuweist ἢ).
1) Es würde viele Worte kosten und wenig Gewinn hringen, wollte
ich diese Abhandlung in allen Einzelheiten widerlegen. Wie sehr sie
jedes sicheren Bodens entbehrt, kann man sehen an den verwirrten An-
gaben über die vornehmsten Textquellen (Lips. II, 48f.), welche unten
in Anh. 1, 1 ihre Erledigung finden, an. der selavischen Abhängigkeit
von der Sammlung patristischer Zeugnisse Lei Cureton, an der unter-
8
100
Den reichsten Schatz ignatianischer Citate bieten von
allen Werken des Alterthums die dem Johannes von Damascus
zugeschriebenen ἱερὰ παράλληλα, wie sie Lequien aus einem
cod. Rupefucaldinus im Auszug herausgegeben hat!). Nach
Lequien wäre diese Sammlung unter Heraclius entstanden
(610—641), also mehr als ein Jahrhundert vor dem angeb-
lichen Verfasser. Die aus einem cod. Vaticanus von Lequien
gegebenen, jedenfalls viel jüngeren ἱερὰ παράλληλα (II, 278—730)
mögen im übrigen mittelbar oder unmittelbar von der älteren
Gnomologie abhängen, in Bezug auf die Citate aus Ignatius
sind sie völlig unabhängig von einander. Nur ein einziges
der 11 (resp. 15) Citate in Vat., das aus Sm. 8. 9,9. 514 Ὁ,
hat in Rup., p. 779 B eine einigermassen vollständige ?)
Parallele, bietet aber hier in den 11 Zeilen seines Textes
bei Lequien nicht weniger als 10 meist sehr erhebliche Ab-
weichungen von Rup., darunter sowohl Zusätze als Auslassungen.
Die beiden Sammlungen müssen also in Bezug auf ihr Ver-
hältnis zu Ignatius isolirt betrachtet werden. Rup. eitirt
meist mit Angabe der Adresse, wobei nur einmal ein Fehler
schiedslosen Verwerthung zweier so verschiedener Werke wie parall.
Rup. und Vat. als „Johannes Damascenus‘“ und an der Verkennung des
eigenthümlichen Verhältnisses, in welchem der Römerbrief zu allen
Sammlungen und Recensionen des Ignatius steht.
1) Opp. Jo. Damasceni, Paris. 1712, vol. LI, p. 730— 790." Der Abdruck
bei Curet., p. 182 sqg. stimmt abgesehn von manchen Accentfehlern und
der Correctur zweier Druckfehler der pariser Ausgabe mit dieser überein.
Nur ist im ersten Citat (Lequien, p. 747 C) ἡμῖν ven Cur. in ὑμῖν, und
im vorletzten Citat (Lequien, p. 788 B) ὑμῶν in nuw» verändert. Aus-
gelassen hat Cur. die Anführung aus Eph. 11 bei Lequien,
p. 777 E. Nahezu identisch mit diesen parall. Rupef. ist ein grosses
Fragment des Buchstabeus A in einem cod. Laurentianus, über dessen
gnomologischen Inhalt C. Wachsmuth in seinen commentationes II de
florilegio q. d. Joannis Damasceni Laurentiano (Göttinger Lectionskataloge
von 1871) berichtet hat; 8. besonders 1, 4.
2) Nur theilweise decken sich die Citate aus Sm. 11 in Vat.
p. 314 E und Rup. p. 747 C, zugleich auch mit Max. Conf. ed. Com-
befis II, 534. Bei letzteren beiden geht dem in allen drei vorhandenen
Satz noch voran: τέλδιοι ὄντες τέλεια φρονεῖτε,
®
„...
101
vorkommt !), im ganzen 26mal, wenn man auch die ohne
Unterbrechung aneinander geschlossenen Citate aus vergchiede-
nen Stellen desselben Briefs mitzählt. Darunter befinden sich
9 Citate aus Eph. ?), 4 aus Pol., 4 aus Mgn., 3 aus Trall.,
3 aus Phil., 2 aus Sm., 1 aus Antioch., also von den nach-
eusebianischen nur einmal einer und die voreusebianischen
alle ausser dem Römerbrief. Der Text ist aber durchweg der der
Sammlung U und zeigt bei mannigfacher Abweichung von
den einzelnen Zeugen derselben doch nie eine deutliche An-
näherung an den Text der Sammlung B, was besonders an
den längeren Citaten aus Sm. 8. 9, p. 779 C, Mgn. 3. 4,
p. 779 E, Eph. 14,p. 785 B anschaulich wird. Wenn Rup.
in einem sonst fast wörtlich mit der ınediceischen Hand-.
schrift übereinstimmenden und von den eigenthümlichen Ver-
änderungen des Textes in der Sammlung B völlig reinen
Citat einmal eine Lesart mit G? theilt °), so sehen wir daraus,
dass der Interpolator eine Variante bereits vorfand und auf-
nahm, die auch sonst verbreitet war und noch 3 Jahrhunderte
nach ihm von einem Gmomologen, der von der Sammlung B
nichts wusste, gelesen und abgeschrieben wurde. Nichts-
destoweniger ist diese Gnomologie ein unverdächtiger Zeuge
der Sammlung U (oder A).
Viel undeutlicher ist das Verhältnis der drei übrigen
Gnomologien, in welchen Ignatianisches nachgewiesen worden
ist, der loci communes des Maximus Confessor, der Melissa
des Antonius und der Parallelen unter dem Namen des Johannes
1) p- 789 B steht Ἐφεσίους statt Μαγνησίους.
2) S. die vorige Anm. und Anm. 1 auf voriger Seite.
3) Da das Citat aus Eph. 11 bei Cur. fehlt, stehe es hier: Τοῦ
ἁγίου Ἰγνατίου τοὺ Θεοφόρου, ἐκ τῆς πρὸς Ἐφεσίους ἐπιστολῆς. "Eoyaroı
χαιροὶ, ἀδελφοί, λοιπὸν κἰσχυνϑῶμεν. φοβηϑώμεν τὴν μακροθυμίαν τοῦ
ϑεοῦ, μὴ εἰς χρίμα ἡμῖν γένηται. ἢ γὰρ τὴν μέλλουσαν ὀργὴν φοβη-
ϑώμεν, ἢ τὴν ἐνεστῶσαν χάριν ἀγαπήσωμεν ἐν τῷ νῦν βίῳ, μόνον
ἐν Χριστῷ Ἰησοὺ εὐρεϑώμεν, p. 777 E. Ob L2 dies las, muss zweifelhaft
sein. Arm. (gratiam, quam habemus in hoc mundo) bezeugt, obwohl er
τὴν ἐνεστῶσαν unübersetzt lässt, ebenso wie Rup., dass die Lesart von
Gl LI ἕν τῶν δυο der Sammlung U oder A nicht allgemein angehörte.
102
-
Damascenus nach dem cod. Vatie., zu den uns bekannten
Sammlengen ignatianischer Briefe. Es ist dies besonders
deshalb schwer zu erkennen, weil die Verwandtschaftsverhältnisse
dieser Gnomologien unter einander noch nicht ausreichend
aufgeklärt sind. Ohne mich auf eine gründliche Erörterung
einlassen zu wollen, darf ich doch bemerken, dass Maximus
Oonfessor, wie die ihm gleichzeitigen parall. Rup., eine ver-
gleichsweise selbständige Sammlung gibt, welche von den
jedenfalls jüngeren Sammlern benutzt zu sein scheint, dass
Antonius von Rup. oder einer hiermit theilweise identischen
Gnomologie abhängt, und dass Vatic., die secundärste aller
dieser Gnomologien, ausser aus Maximus auch noch aus Anto-
nius, oder, was wahrscheinlicher sein möchte, aus einer von
diesen benutzten Quelle geschöpft hat.
Maximus eitirt in seiner Gnomologie !) nur zwei Stellen
aus Sm. 11 τέλειοι ovrec — παρέχειν (ed. Combefis II, 534)
und aus Trall. 4 (II, 638). Erstere findet sich, wie schon be-
merkt, ebenso abgegrenzt, auch in Rup. 747C; eine Abhängig-
keit von Maximus folgt daraus natürlich nicht. Die einzige
Abweichung vem mediceischen Text besteht in Weglassung des
καί vor φρονεῖτε ?), und die Uebereinstimmung hierin zwischen
Rup. und Maximus wird aufgewogen durch die Abweichung
in Bezug auf ὑμῖν und ἡμῖν, worin Maximus mit dem Text
aller ignatianischen Sammlungen übereinstimmt. Dahingegen
zeigt sich Vat. von Maximus abhängig; denn erstlich eitirt
er beide Stellen, die Maximus überhaupt hat, wenn auch die
erste vorne gekürzt, sodann aber die textkritisch interessante
zweite in einem wörtlich mit Maximus übereinstimmenden
1) Die Besprechung des berühmten Worts aus Rom. 7, welches der
Areopagit eitirt hatte (opp. Dion. ed. Lanssel. et Corder., Ven. 1755/b,
II, 139 A, cf. I, 363 D), zeigt nur, dass Maximus den Römerbrief
irgend welcher Sammlung kannte, und in vielen Briefen das ϑεοφόρος
gelesen hatte.
2) Auch L! hat „et“, ebenso G2; es fehlt inL?2. — Die weiteren Ab-
weichungen von ΟΣ, wo χαὶ ὁ vor ϑεὸς ziemlich sicher und ἐσὶί» vor εἰς
gut genug bezeugt ist, sind zu unerheblich, als dass über Abhängigkeit
von G1 oder ΟἽ von hier aus entschieden werden könnte.
108
Text p. 522 C. Ich stelle die Texte zusammen und setze
die geringen Abweichungen des Maximus in Parenthese.
6: | Purall. Vat. u. Max. 62
Νὺῦν γάρ με δεῖ Κἀν ἐῤῥωμένος ὦ Kuv ἐῤῥωμένος
πλέον φοβεῖσθαι καὶ | (τὰ) χατὰ τὸν (0m. | ὦ τὰ κατὰ ϑεὸν,
μὴ προσέχειν τοῖς | M) ϑεὸν, πλεῖόν | πλεῖόν μὲ δεῖ φο-
φυσιοῖ σίν με" οἵ γὰρ | (πλέον) μὲ δεῖ φο- ᾿ βεῖσϑαι καὶ μὴ
λέγοντές μοι μαστι- | Bodum καὶ προς- | προςέχειν τοῖς εἰχῇ
γοῦσίν με. ἔχειν τοῖς εἰκῆ φυ- | φυσιοῦσί ne’ οἱ
σῶσίν (φυσιοῦσι) us‘ | γάρ μὲ ἐπαι-
| γοῦντες μᾶστι-
|
|
|
| ἐπαινοῦντες γάρ με
| μαστιγοῦσιν. | γοῦσιν.
Dass Maximus hier G? und nicht @! ausschreibt, liegt auf
der Hand; die Abweichung von G! ist so durchgreifend,
dass nicht an eine vom Interpolator schon vorgefundene Aen-
derung zu denken ist. Ueberdies wird αἴ durch A bestätigt,
soweit dieser reicht. Ebenso deutlich ist aber auch, dass zwei
Schriftsteller nicht unabhängig von einander den Text von
G? so gleichmässig verändern konnten, wie Maximus und
Vatic. durch Streichung des «ἡ und Aenderung der Wort-
stellung gethan haben,.und endlich, dass der ohnehin ältere
Maximus ( 662), welcher viel enger als Vatic. an ΟΣ sich
anschliesst, der Vermittler des Citats für Vatic. gewesen ist.
Maximus also hat die Sammlung B gebraucht, welche schon
vor ihm Stephanus Gobarus, Anastasius von Antiochien und
ziemlich gleichzeitig mit: ihm der Bearbeiter der Paschachronik
benutzten. Die Abweichung von diesem Text in der Anführung
aus Sm. 11 ist zu unbedeutend, um gleichzeitige Benutzung
der Sammlung U (oder A) begründen zu können.
Antonius eitirt einmal einen nacheusebianischen Brief;
den der Maria von Kastabala an Ignatius, mit der Rand-
bemerkung ᾿Ιγνατίου Θεοφύρου, fünfmal ad Pol., zweimal Eph.,
einmal Trall. und ausserdem zwei apokryphische Sätze. Aber
es erscheint zweifelhaft, ob er überhaupt direct aus Ignatius
schöpft. Zu seinen Quellen gehören entweder die Parall. Rup.
selbst, oder eine mit diesen theilweise identische Gnomologie.
Die Annahme einer Textverwandtschaft der von Rup. und
104
Antonius benutzten Exemplare des Ignatius reicht nicht
aus, die Uebereinstimmungen zu erklären. Entscheidend ist
schon die von aller sonstigen Textüberlieferung abweichende
Anführung aus Pol. 4.
Gr (62) Rup. p. 778 C (Anton. p. 98)
ἀλλ᾽ εἰς δόξαν ϑεοῦ πλέον οἱ δοῦλοι μὴ ἐράτωσαν ἀπὸ
(πλεῖον oder πλείονα G?) δού- | (τοῦ Ant.) χοινοῦ ἐλενϑεροῖ-
σϑαι, ἀλλ᾽ εἷς δόξαν τοῦ (0m.
ϑερίας ἀπὸ ϑεοῦ τύχωσιν (τύχ. | Ant.) ϑεοῦ τὸ πλεῖον (πλέον
ἀπὸ 9. G2). Mn ἐράτωσων | ohne τὸ Ant.) dorsrirwour,
(αἱρέτωσαν mehrere Hand-
schriften von G2) ἀπὸ τοῦ κοι-
vov ἐλευϑεροῦσϑαι, ἵγα um |
δοῦλοι εὑρεθῶσιν ἐπιϑυμίας.
Dann hat es auch etwas zu bedeuten, wenn Anton. p. 152
wie Rup. p. 788B gegen G! und G? in Pol. 3 στῆκε statt
στῆϑι lesen und wie G? τό vor δέρεσϑαι auslassen, dagegen
aber, was für die Abhängigkeit von ΟἹ entscheidet, nicht
ἀναμείνῃ εἰς τὴν βασιλείαν, sondern bloss ὑπομείνῃ am Schluss
des Satzes lesen, und dass beide, Rup. mit einem ἐκ τῆς
αὐτῆς, daran einen Satz aus Pol. 6 anschliessen, in welchem
sie, von einem ὑμῶν zum andern überspringend, die Worte
ὀναίμην ὑμῶν auslassen. Aus dieser Quelle, seien es nun die '
parall. Rup. selbst, oder eine sehr ähnliche Gnomologie, hat
dann Antonius auch die beiden apokryphischen Sätze, welche
er an ein inhaltlich verwandtes Wort aus Pol. 5 anschliesst ἢ).
Sie haben nach Lequien’s Bemerkung (p. 642) als Citat aus
dem Antiochenerbrief auch in Rup. gestanden, obwohl Lequien
sie in seinen Auszug aus diesem nicht aufgenommen hat 2).
λευέτωσαν, ἵνα κρείττονος &ev-
. « \
ἵνα χρείττονος ἐλευϑερίας τπὸ
(ἀπὸ Ant.) ϑεοῦ τύχωσιν.
1) p. 15: Παρϑενίας ζυγὸν μηϑενὶ ἐπιτίϑει" ἐπισφαλὲς γὴρ To
κτῆμα καὶ δυςφύλακτον, ὅταν κατ᾿ ἀνάγκην γένηται, --- Τοῖς νεωτέροις
ἐπίτρεπε γαμεῖν, πρὶν διαφϑαρῶσιν εἰς ἑταίρας.
2) In einem ungedruckten cod. Clarom. der parall. werden dieselben
beiden Sätze mit einem πρὸς Avrioyeis und &x τῆς αὐτῆς ἐπιστολῆς ein-
geführt (Cotel. bei Cler. II, 104 not. 3). Die Varianten sind: πράγμα
statt χτῆμα, καὶ μελιστα vor ὅταν, πρινή statt πρίν. Die gelegentlich
durchblickende Meinung, dass solche Apokrypha gerade in ignatianischen
105
Aber ausserdem hat Antonius entweder selbst aus einem
Exemplar der ignatianischen Sammlung B. oder aus einer
Gnomologie, welche diese benutzt hatte, geschöpft. Seine
Anführung aus Eph. 5. 6 (p. 82) ist wegen der Verwandlung
der dritten Person in die Anrede nur auf den interpolirten
Text zurückzuführen. Darin kann es nicht irremachen, dass
er die grossen Zusätze von G? ausgelassen hat; denn er ver-
fährt ebenso frei excerpirend in seinem Citat aus dem Brief
der Maria (p. 96). Aus c. 2. 3. 4 sind die Sätze zusammen-
gelesen und überdies noch stark gemodelt. Auf dieselbe
Quelle wird es dann auch zurückgehn, wenn er p. 147 in
einem Citat aus Trall. 4 zu ὁ ἀρχων τοῦ αἰῶνος τούτου mit
G? L? gegen die abendländischen und morgenländischen Zeugen
der Sammlung U (oder A) διάβολος zusetzt ἢ). Hat Antonius
nun andrerseits, sowohl da, wo seine Abhängigkeit von einer
mit Rup. eng verwandten Gnomologie ersichtlich ist (8. vorher
über Pol. 3), als da, wo sie wenigstens nicht mehr nachge-
wiesen werden kann, den nichtinterpolirten Text angeführt ?);
so ist er eben nicht unmittelbarer Zeuge für diese oder jene
Sammlung. |
Aehnlich verhält sich’s mit den parall. Vatic. Es ist
eine im Vergleich zu den bisher besprochenen besonders
unzuverlässige Compilation, welche wahrscheinlich nirgendwo
mehr aus den Quellen selbst schöpft. Selbst in biblischen
Citaten kommt sehr Sonderbares vor ὃ. An Röm. 13, 1 mit
mm mn nn m -ς-Θ-Θ--.-.Ἕ.Ἕ
Schriften gestanden haben müssten, die wir nicht mehr besitzen, ist ganz ᾿
verwerflich, wie eben auch cod. Clarom. zeigt. Eine einzige Verschrei-
bung von ΤΟΥ͂ ΑΥ̓ΤΟΥ͂ in ITNATIOY kann in dieser Literatur einmal für
inner solche Apokrypha geschaffen haben.
1) G2 hat ὁ διάβολος. — Auf das Citat aus Philad. 6, welches
nur in der lateinischen Ausgabe des Antonius (Bibl. Patr. ed. Paris.
1589, toın. V, p. 815 D), nicht aber an der entsprechenden Stelle der
ed. Tig., p. 14 steht, wird nichts zu geben sein.
2) Das gilt vom Citat aus Eph. 13, p. 131 trotz der Abweichungen
von beiden Texten.
3) z. B. Jes. 35, 1, p. 724 C; Matth. 18, 7 sqq, Luc. 17, 1,
p. 686 B.
106
einem πρὸς Ῥωμαίους am Rand wird ohne neue Randbe-
merkung Hebr. 13, 17 angeschlossen (p. 358D). Auf dem
Wege müssen die Apokrypha natürlich anwachsen, wenn
ınan nämlich jeden Satz, welcher ohne einen heuen Schrift-
stellernamen, aber auch ohne ein τοῦ αὐτοῦ, auf das Vorige
folgt, dem letztgenaunten Schriftsteller zuschreibt. So führt
Cur. p. 181 nach älterem Vorgang einen Satz, der zwischen
Citaten aus Ign. Antioch. 11 und aus Gregor von Nazianz
(p. 358D) steht, als ignatianisch auf. Dann muss aber auch
als ignatianisch gelten, was p. 522C hinter dem Citat aus
Trall. 4 folgt: Mn πρὸς ἐπαίνους χαυνωθῶμεν τοὺς ὑπὲρ τὴν
ἀληϑείαν, und ein Satz auf p. 515B, welchen Rup. dem Cyrill
von Alexandrien zuspricht. Sehen wir von diesen gar nicht
hergehörigen Sätzen ab, so begegneten uns hier nur noch die
beiden apokryphen Sätze (p. 642C), welche Antonius (p. 15)
mit Rup. und einem cod. Clarom. theilt (s. vorher S. 104,
Anm. 3), und zwar in wörtlicher !) Uebereinstimmung mit Anto-
nius und erheblich abweichend von dem Clarom. Hat Vatic. hier
nicht direct aus Antonius geschöpft, dann aus der einen der
beiden Quellen von dessen Ignatiuseitaten. Nur können dies
dann nicht die parall. Rup. sein, denn von diesen sind die
parall. Vatic., wie vorhin gezeigt wurde, in Bezug auf Ignatius
unabhängig. Auf Antonius (p. 147) oder auf eine von dessen
Quellen mag es dann auch zurückgehn, wenn Vat. p. 650 B
in Trall. 4 das artikellose διάβολος zugesetzt ist, und wenn
Vatic. p. 515 A ebenso wie Anton., p. 114 gegen die in den
Ignatiussammlungen vorliegende Textüberlieferung ἀπειϑεστέρους
statt λοιμοτέρους (Pol. 2) steht ?). Das Citat in Vatic. greift
über das bei Anton. hinaus; somit schöpfen beide nur aus
gleicher Quelle und Antonius erscheint wieder als Excerptor.
Dies ist aber eine aus der Sammlung U (oder A) schöpfende
Gnomologie gewesen; denn in dem Citat aus Pol. 2, wie es
1) Das ἑτέρας am Schluss statt ἑταίρας ist kaum Variante.
2) In diesem vereinzelten Punkt scheint freilich die Uebereinstimmung
auch von Antioch. Mon. hom. 111 auf eine erleichternde Lesart im Ignatius
selbst hinzuweisen.
107
vollständiger in Vatic. steht, wird die Reinheit dieser Quelle
von den Interpolationen der Sammlung B wieder ebenso often-
bar wie in mehreren Citaten des Antonius. Aus derselben
Quelle werden alle auf G! zurückgehenden Citate in Vatic.
stammen !), und ein zuverlässig auf G? zurückzuführendes ausser
denjenigen, welche er aus Maximus Confessor und Antonius
oder dessen zweiter Quelle herübergenommen hat, findet sich
δα Vatic. nicht. Aus alle dem folgt, dass die parall. Vatic.
und Antonius aus der Reihe der selbständigen Zeugen für irgend
welche ignatianische Sammlung zu streichen sind. Dahin-
gegen erkennen wir zwei ältere gnomologische Werke aus
ihnen, von denen das eine, von Antonius und Vatic. unab-
hängig benutzte, mit Rup. theilweise identisch war und wie
Rup. nur aus der Sammlung U (oder A) geschöpft hat, das
andre aber, von Vatic. vielleicht nur durch Vermittlung von
Antonius benutzte, der Sammlung B seine Ignatiuscitate ent-
nommen hat. Bemerkenswerth ist noch, dass in allen diesen
Blüthenlesen der Römerbrief nicht mit einem einzigen Citat
bedacht ist.
Hiermit sind die griechischen Zeugen für die Sammlung
U (oder A) erschöpft, und auch was an Fragmenten aus
griechischen und syrischen Schriftstellern syrisch erhalten ist,
zeigt mit einer einzigen Ausnahme ?) nie die dieser Sammlung
1) Das gilt von p. 354 C aus Eph. 13, was in gleicher Abgrenzung
wie bei Anton. p. 131, aber ohne dessen sonderbare Abweichung vun
aller Textüberlieferung angeführt wird; ferner von den Sätzen aus Sm.
8. 9, p. 514 D, denn die einzige Uebereinstimmung mit G2 ἐντολὴν
διαχονοῦντας statt ἐντολὴν Gl kann das im übrigen klare Verhältnis
uicht verdunkeln, beweist vielmehr, dass diese naheliegende Erleichterung
vom Interpolator bereits vorgefunden war. Ferner geht mit ΟἹ Ὁ. 702 E
aus Trall. 8 Unentschieden sind p. 515 A aus Pol. 1; p. 687 A aus
Eph. 8; p. 724 E aus Pol. 7. — Die Meinung von Lips. 11, 55, die
bisher besprochenen Uebereinstimmungen der Gmnomologien sei aus ge-
ıneinsamer Benutzung eines eigenthümlichen Ignatiustextes zu erklären,
bedarf wohl keiner Widerlegung. Es genügt die Frage: Woher stammt
die gleichmässige Abgrenzung so vieler Citate ?
2) Die Excerpte „aus dem Buch des heiligen Ignatius, des Gott-
bekleideten, Bischofs von Antiochien‘, welche Cur. p. 201 sq. 235 βα.
108
charakteristische Verbindung der niehtinterpolirten voreusebia-
nischen Briefe mit nacheusebianischen. Wir können also an
der Hand schriftstellerischer Zeugnisse die Existenz der Samm-
lung U — ich sehe bier von A absichtlich ab — nicht
höher hinauf, als bis zum Anfang des 7. Jahrhunderts ver-
folgen, während die Sammlung B schon von der Mitte des
6. Jahrhunderts an ihre Zeugen hat. Diese scheint die ältere
zu sein, und ist es’ gewiss, wenn sie ein Werk des Inter-@
polators ist (vgl. oben 5. 901). Dahingegen sehen wir die
voreusebianischen Briefe in kürzerem Text so beharrlich von
Schriftstellern bis ins 7. Jahrhundert hinein ohne gleichzeitige
Anführung der nacheusebianischen eitirt, dass wir zuverlässig
behaupten dürfen: wenigstens bis zu dem Zeitpunkt, von
welchem an die Sammlung U bezeugt ist, ist auch noch die dem
Eusebius vorliegende Sammlung, die ich E nenne, verbreitet
gewesen, und zwar weit verbreitet. Es kommen natürlich
nur Schriftsteller in Betracht, welche durch zahlreiche Citate einen
Wahrscheinlichkeitsschluss auf ihren „Ignatius“ zulassen. Der
Jüngste ist der Mönch Antiochus aus dem Anfang des 7. Jahr-
hunderts, welcher in seinen Homilien sehr oft Ignatianisches
reprodueirt, aber nur einmal förmlich eitirt: ὁ ϑεοφόρος
Tyvarıos ἐπιστέλλει λέγων (hom. 124). Es ist in der erbau-
lichen Absicht begründet, dass die Stellen meist sehr frei
wiedergegeben werden. Trotzdem ist keine Spur des inter-
polirten Textes zu entdecken 3. Er verwendet 7mal ad Pol.,
5mal Eph., 2mal Mgn., je einmal Trall., Phil., Sm., gebraucht
als frg. 2 gibt und in’s 11. oder 12. Jahrhundert setzt (p. 348), bringen
zum Schluss zwei Sätze aus Her. 1. 2 nach Citaten aus Rom. Eph.
Mgn. Sm. Vgl. Cur., p. 350 gegen die irrthümliche Angabe p. 236. —
Auch arabisch haben sich in einer jakobitischen Schrift ungewissen
Alters zwei ziemlich ungenaue Citate aus dem nichtinterpolirten Sm. 1
und aus Ant. 6 erhalten, Pears. I, 22 sq.
1) Die Stellen sind abgedruckt beiCur., p. 176 sqq. (Cf. Magn. bibl.
PP., Paris. 1654, vol. XIL) Nur hom. 124 muss es statt 126 bei Cur.
178 heissen.
2) Nur wer den Text des cod. Med. mit dem Text der Sammlung U
verwechselt, kann in der Lesart τῆς σαρχὸς τοῦ χυρίου ad Pnl. 5 bei An-
tiochus (hom. 21) die Sammlung B wiedererkennen. S. Anh. 1 2. d. St.
109
also die Sammlung E, zu welcher aber der Römerbrief nicht
gehört zu haben scheint. Zu zweit kommt der schon mehrfach
erwähnte Severus von Antiochien in Betracht. Sein ungewöhn-
liches Interesse für Ignatius hat er auch durch Vergleichung
verschiedener Handschriften des Römerbriefs bekundet ἢ). Von
seinen zahlreichen Citaten aus Ignatius ist meines Wissensnur eins
griechisch erhalten ?), die übrigen in den syrischen Ueber-
setzungen vieler seiner Werke. Er eitirt 5mal Rom., 4mal
Mgn., 4mal Trall., je imal Eph. Sm. Pol., von den Briefen
der Sammlung E also nur Phil. nicht, alle aber in einen
von der Sammlung B gründlich abweichenden, von deren
Interpolationen reinen Text. Unvollständiger erkennen wir
die gleiche Sammlung aus den syrisch erhaltenen Fragmenten
des Timotheus von Alexandrien ?) und aus Theodoret. Dieser
gibt 6 Citate aus Sm., von denen drei durch sein oder seiner
Abschreiber Versehn, auf den Römerbrief zurückgeführt werden,
3 aus Eph. und eins aus Tral. (Cur., p. 171 sq.). Endlich
kommt noch die reiche Citatensammlung in einer später zu
besprechenden syrischen Sammlung kirchenrechtlicher Schriften
und Sätze in Betracht (Cur., p. 197—201). Darin findet sich
von den nacheusebianischen Briefen ebensowenig als von den
Interpolationen der Sammlung B eine Spur, dahingegen werden
1) In seiner Schrift advers. impium Grammatic. (s. das syrisch er-
haltene Fragment bei Cur., p. 213, 1 sqq.) sagt er nach Anführung des
Satzes: „Lasst mich werden einen Nachalımer des Leidens meines
Gottes‘ aus Rom. 6: „Es findet sich aber in anderen Exemplaren, von
denjenigen, welche älter sind, so: ‚Lasst mich werden einen Jünger des
Jeidens meines Gottes ‘.“
2) Obwohl schon zweimal gedrückt bei J. Chr. Wolf, anecdota Gr.,
Hamb. 1724, tom. IV, p. 72 sq. und Cramer, catena in epp. cathol., Oxon.
184), p. 61, 35 sqq., pflegt dieses Citat aus Mgn. 9 übersehn zu wer-
den. Von πὼς ἡμεῖς bis ἐκ νεχρῶν reicht es und weicht von G! ab
durch Weglassung des of vor προφῆται, durch προςεδύχων, παρων. Das-
selbe syrisch bei Land, anecdota I, 32 neben zwei anderen Citaten. Das
Vebrige bei Cur., p. 212— 217.
3) Bei Cur., p. 210 sy. Der Römerbrief wird dreimal eitirt, je ein-
mal Sn. Mgn. Eph.
110
alle Briefe der Sammlung E mit Ausnahme des Römerbriefs
eitirt 1), und zwar alle mit namentlicher Anführung.
Zu oft ist uns nun schon die Thatsache begegnet, dass
bei reichlicher Benutzung der ignatianischen Briefe der Römer-
brief‘ unberücksichtigt blieb, sowohl bei denen, welche wie
die sämmtlichen Gnomologen des 7. und der folgenden Jahr-
hunderte, die Sammlungen U (oder A) und B benutzten, als
bei denen, welche wie Antiochus, Theodoret und der Veran-
stalter der syrischen kirchenrechtlichen Sammlung die Samm-
lung E benutzten, als dass der Zufall zur Erklärung aus-
reichte. Nehmen wir hinzu, was der Augenschein über das
Verhältnis des Römerbriefs zur Sammlung U lehrte (S. 96),
und was die Untersuchung der Martyrien in Bezug auf die
Verbreitung des Römerbriefs ergab (S. 40. 54), und endlich, dass
der Römerbrief vielfach auch von Schriftstellern angeführt
wird, die nur diesen anführen 2), so entsteht die Frage, woher
diese Isolirung des Römerbriefs stamme, welcher doch anerkannter-
massen wenigstens ebenso alt ist, als die 6 übrigen Briefe
der Sammlung E. Sie wird zunächst nicht anders beantwortet
werden können, als dass der Römerbrief zu E ebensowenig
als zu U (oder A) und B ursprünglich gehört hat, sondern
sei es in Verbindung mit einem Martyrium oder ohne eine
solche für sich verbreitet worden ist. Näheres kann nur die
noch hinter Eusebius zurückzuverfolgende Bildungsgeschichte
der ignatianischen Sammlungen ergeben. Einen Einblick in
dieselbe gewährt schon die Zusammenstellung der Reihenfolge
der Briefe in den Sammlungen U und A, woneben auch der
Ordnung der vorhin erwähnten syrischen Fragmente eine
Stelle gebührt; denn diese sind nicht nach den Sachen, sondern
nach irgend einer Reihenfolge von Briefen geordnet, was
. dadurch ganz unzweideutig wird, dass dieselbe Reihe wenn
1) Es kommen vor 3 Citate aus Eph., 2 aus Mgn., 4 aus Trall,
2 aus Pol, 3 aus Phil, 1 aus Sm.
2) Pseudodion. de div. nomin., c. 4 (opp. ed. Ven. 1755 sq. I, 363 Ὁ),
Anast. Sin. (opp. Gretseri XIV, 2, 97). Joann. monach. syr. bei Cur.,
p. 205 gg.
111
auch unvollständig zum zweiten Mal wiederkehrt. Die Reihen-
folge des Eusebius aber, welcher in dieser Hinsicht nicht eine
ihm vorliegende Sammlung befolgt haben wird, da er die
Entstehungsgeschichte der Briefe schreibt und dem Reiseweg
des Ignatius nachgeht, möge eben deshalb zur Vergleichung
daneben stehn.
υ. Α. Syr. fr. I. Ess.
(G! bis Tars. ὁ. 1,1
von da nur Li) ᾿
1. Smyrn, 1. Smyrn. 'ı. Eph. 1. Eph.
2. Polyec. 2. Polye. | 2. Magn. 2. Magn.
3. Eph. 3. Eph. 3. Trall 3. Trall.
4. Magn. 4. Magn. 4. Polye, 4. Rom. .
5. Philad. 5. Trall. ι. 5. Philad. 5. Philad.
6. Trall. ı 6. Philad. | 6. Sınyrn. , 6. Smyrn.
** * | 7. Rom. | 7. Polye.
7. Mar.adlIgn. | 8. Antioch. |
8. ad Mar. | 9, Mar.adlgn. |
9. Tars. ‚10.a2d Mar. Ä
10. Antioch. | 11. Tars. | |
11. Heron. ι 12. Heron. |
12. Mart. incl. 13. Philipp. |
Rom. Ä
Die Sammlungen U und A zeichnen sich vor B durch
reinliche Sonderung der voreusebianischen Briefe von den
späteren aus. Wenn man, anstatt dies zu würdigen, aus der
blossen Thatsache der Verbindung von Altem und Neuem in
diesen Sammlungen ungünstige Folgerungen in Bezug auf die
erste Hälfte derselben zu ziehen versucht hat 1), so wüsste ich
darauf nur mit dem noch geistreicheren Einfall älterer und
grösserer Gelehrter zu antworten, welche dieser Verbindung
einen Probabilitätsgrund für die Aechtheit der nacheusebianischen
Briefe entnahmen 5. Ein kritisches Urtheil dürfen wir freilich
bei den Ordnem dieser Sammlungen ebensowenig als bei dem
1) So besonders Cur., introd., p. LXXVII sq. u. p. 388 sqg.
2) So noch G. Henschen in Acta SS. Febr. I, 20 B,
.... u
112
armenischen Uebersetzer und den Schreibern der Handschriften
von G! und L! suchen. Sie würden nicht aufgenommen haben,
was sie nicht für ächt igmatianisches Product hielten. Aber
noch unrichtiger war die gegen diesen, meines Wissens von
niemand verfochtenen Irrthum gerichtete Behauptung Curetons
(p. 338), die Briefe ad Tars., Antioch., Heron., seien unter chronolo-
gischemGesichtspunct, weil erst von Philippi aus geschrieben, hin-
ter die eusebianischen gestellt, und deshalb könne aus der Reihen-
folge der Sammlung U überhaupt nicht auf ein höheres Alter
der vorangestellten 6 Briefe geschlossen werden. Chronologisch
betrachtet, kommt dem Brief der Maria an Ignatius die erste
und der Antwort des Ignatius darauf die zweite Stelle zu;
denn noch in Antiochien befindet sich Ignatius, als er jenen
empfängt und diesen schreibt. Das wird der Grund gewesen
sein, warum diese Briefe in der Sammlung B (s. oben $S. 85),
und so auch noch in der zweiten Hälfte der Sammlung U
voranstehn. Aber als Ganzes ist letztere nicht chronologisch
geordnet, und so auch nicht in ihrer ersten Hälfte. InA ist
sogar der Ansatz einer chronologischen Ordnung der zweiten
Hälfte, welcher in U sich findet, verwischt, indem Antioch.
vor die beiden Privatbriefe gerückt ist. Nur die syrische
Fragmentensammlung lässt einmal auf drei von Smyrma aus
geschriebene Briefe drei von Troas aus geschriebene folgen
und noch einmal auf zwei von Smyrna einen von Troas, so
dass die Nummern 2. 3. 4 hier zweimal in gleicher Folge
wiederkehren. Aber nicht von diesem sehr jungen Zeugnis
aus können wir die Entstehungsgeschichte der viel älteren
Sammlungen erkennen.
Den festen Stock bilden die allen vier Reihen gemein-
samen 6 Briefe. Auch die Ordnung ist hier in U und A,
abgesehn von der Umstellung von 5 und 6, die gleiche.
Selbst die weiter abliegende Ordnung der syrischen Fragmente
und die Eusebs finden ihre Nummern 1—3 in gleicher Folge
bei A 3—5 wieder; und vielleicht ist es nicht zufällig, dass
A 2—5 in der ununterbrochenen Fragmentenreihe bei Severus
(Cur., p. 213) auch als 2—5 wiederkehren. Es steht dort
statt Smyrn. (A 1) der Römerbrief (A 7) an der Spitze, und
113
Smyrn. macht den Schluss. Es finden sich in diesem Kreis
allerlei Abweichungen in Bezug auf die Ordnung. Nur Eph.
und Men. sind in den zusammengestellten Sammlungen und
bei deren Zeugen 1) unzertrennlich, während B sie möglichst
weit aus einander gerissen hat. Aber der Bestand der Grund-
sammlung ist aus U und A noch deutlich zu erkennen, es
ist die Sammlung E mit Ausschluss des Römerbriefs. Aber
dass es eine Sammlung E im eigentlichen Sinne des Worts,
eine Sammlung von 7 Briefen in einem Band wenigstens auf
griechischem Boden jemals gegeben habe, musste nach einer
Menge constant wiederkehrender Beobachtungen als unwahr-
scheinlich bezeichnet werden. Dass ein Mann von der Bücher-
kenntniss Eusebs und ein Verehrer des Ignatius wie Severus
ausser der Sammlung von 6 Briefen auch den Römerbrief
besassen, beweist natürlich nicht, dass er im 4. und im 6.
Jahrhundert mit denselben verbunden gewesen ist. Und
wenn es in vereinzelten Fällen vorgekommen wäre, das Ge-
wöhnliche kann es nicht gewesen sein, wenn der häufige
Ausschluss des anziehendsten der 7 Briefe bei denen, welche
die 6 übrigen kennen, nicht unerklärt bleiben soll. Der
Veranstalter der Sammlung U kann ihn vor allem nicht in
der Grundsammlung gefunden haben, die er durch Aufnahıne
von Briefen aus einer andern Sammlung erweiterte. Dann
hätte er ihn an seiner Stelle gelassen, wie er im übrigen
das Neue als Ganzes auf die unveränderte Grundsammlung
folgen liess. Aber er hat den Römerbrief überhaupt auch
noch nicht aufgenommen; denn wie. sollten die Gnomologen,
die sein Werk benutzten, diesen sententiösen Brief unbenutzt
gelassen haben? Erst ein Späterer fügte das m. colb. sammt
dem Römerbrief hinzu. Aber schon vor der Abfassung dieses
Martyriums (8. oben $. 52) entstand die Sammlung A, ganz
unabhängig von der Sammlung U. Das zeigt die Vergleichung
der zweiten Hälften beider. Nicht nur den Römerbrief hat
1) Dazu gehört der zweite Fragmentencomplex bei Cur., p. 201 sq.,
wo überdies wie bei U, A, Eus. auch Smyrn., Polyc. beisammen stehn.
Vgl. ferner Cur., p. 211, 16 sg.
Zahn, Ignatius, ὃ
114
A dahin gestellt, wohin er gehörte, wenn man einmal die
Grundsammlung nicht verändern, sondern nur vergrössern
wollte. Er löste auch den Antiochenerbrief aus seiner natür-
liehen Verbindung mit dem an Heron und nahm den Philipper-
brief auf. Es ist also ein nur im allgemeinen ähnliches
Verfahren, wodurch aus der Grundsammlung von 6 Briefen
U und A entstanden. Ist es richtig, dass die Sammlung B
ein Werk des Interpolators aus der zweiten Hälfte des 4. Jahr-
hunderts ist, so ist dieselbe nicht bloss älter als U und A,
sondern ist auch die einzige Quelle, aus welcher die Ordner
‚von U und A die nacheusebianischen Briefe schöpfen konnten,
wie das schon Ussher (diss., p. 128) richtig erkannt hat. Dass
man sich die Interpolationen der älteren Briefe nicht aneignete,
oder mit anderen Worten, dass man die Grundsammlung nicht
völlig aufgab zu Gunsten der Sammlung B, würde sich für
den Fall, dass man es überhaupt bemerkt hät, sehr einfach
daraus erklären, dass man Briefe gleicher Adresse in einer
damals fast allein bekannten Textgestalt bereits besass. Das
auch von aussen Neue zog an, weil es ein bisher nur über-
sehenes Altes zu sein schien. Der Redactor von U nahm
nach einander die neuen Titel, wie sie ihm B darbot. Den
Briefwechsel zwischen Maria von Kastabala und Ignatius zuerst,
dann den an die Tarsenser ; den Philipperbrief übersah sein Auge
wegen der Aehnlichkeit der Adresse mit dem gleich folgenden an
die Philadelphener !), welchen er bereits in der Grundsammlung
besas. Den Schluss machten die in B passend zusammen-
gestellten Briefe an die Antiochener und Heron. Der Römer-
brief, welcher jetzt den Schluss der Sammlung B bildet, wird
ihr damals noch nicht angehört haben, denn sonst würde er
sofort in U aufgenommen worden sein und zwar in einem
Text, welcher dem des Römerbriefs der Sammlung B genau
entsprieht, anstatt dass er erst nachträglich als Bestandtheil
des m. colb. in merklich anderem Text der Sammlung U
1) Mir scheint eine solche äusserliche Erklärung besser angebracht,
als Usshers Meinung, der Sammler habe aus richtigem kritischen Gefühl
diesen Brief als besonders bedenklich ausgestossen (diss., p. 79. 128).
115
hinzugefügt worden ist. Die ursprüngliche Abwesenheit des
Römerbriefs auch von der Sammlung B wird ferner dadurch
wahrscheinlich gemacht, dass auch die aus ihr schöpfenden
Gnomologen ihn nicht ausnutzen. Entscheidend aber ist für
meine Behauptung dies, dass der Römerbrief, wie er jetzt am
Schluss aller Handschriften der Sammlung B steht, zwar allerlei
Textverderbnisse, aber nicht die systematische Interpolation
erfahren hat, welche die voreusebianischen Briefe dieser Samm-
lung charakterisirt. Er lag dem Interpolator gar nicht vor,
gehörte nicht zu der Sammlung, welche dieser gegen Einde
des 4. Jahrhunderts zur Grundlage seiner Umarbeitung machte,
wie das Alles im nächsten Kapitel zu beweisen ist. Die
Richtigkeit hiervon vorausgesetzt, ist dieser Interpolator ein
neuer und bedeutsamer Zeuge für die Grundsammlung von
6 Briefen, neben welcher der gleich alte Römerbrief selbständig
fortgepflanzt und verbreitet wurde.
Die einzig denkbare Lösung des hiermit aufgegebenen
Räthsels gibt die Entstehungsgeschichte der 7 Briefe des
Ignatius und des Polykarpbriefs, wie wir sie aus ihnen selbst
erkennen, also unter der Voraussetzung ihrer Aechtheit. Die
Gemeinde zn Philippi, welche von Ignatius bei seiner Durch-
reise durch Philippi gehört haben muss, dass er während einer
mehrtägigen Rast in Smyrna und dann wieder in Troas an
einige Gemeinden Briefe kirchlichen und christlichen Gehalts
geschrieben, richtete an Polykarp von Smyrna die Bitte, ihr diese
Briefe zu schicken, damit auch ihr eine bleibende Erinnerung
an den merkwürdigen Mann nicht fehle. Polykarp antwortet
bald darauf, ehe noch eine Nachricht über das fernere Schick-
sal des Ignatius von Rom aus nach dem Osten gelangt ists
er habe die Briefe des Ignatius, soviel er deren selbst bei sich
gehabt, seinem Antwortschreiben beigefügt. Die Briefe an
den Bischof und an die Gemeinde von Smyrna sind jedenfalls
darunter; aber es hatte auch keine Schwierigkeiten, sich die
an die nahe gelegenen Gemeinden zu Ephesus, Tralles, Magnesia
und Philadelphia gerichteten Briefe des Ignatius von Smyrna
aus zu verschaffen, um die Bitte der Philipper zu erfüllen,
wenn man es nicht schon in eigenem Interesse an der Person
8%
116
und Sache vorher gethan hatte. Nur ein Brief war nach
dem fernen Westen abgegangen, und war vielleicht eben
erst an seinem Bestimmungsort Rom eingetroffen. An diesen
Brief denkt Polykarp bei den Worten: Τὰς ἐπιστολὰς ᾿Ιγνατίου
τὰς πεμφϑείσας ἡμῖν ὑπ᾿ αὐτοῦ καὶ ἄλλας, ὅσας εἴχομεν παρ᾽
ἡμῖν ἐπέμψαμεν ὑμῖν, καϑὼς ἐνετείλασϑε᾽ αἵτινες ὑποτεταγμέναι εἰσὶ
τῇ ἐπιστολῇ ταύτῃ (ad Phil. 18). So entstand die Sammlung
von 6 Briefen, welche ganz unabhängig von jeder ausdrück-
lichen literargeschichtlichen Nachricht als fester Grundstock
aller späteren Sammlungen sich erwiesen hat, welche aber auch
noch unverändert wenigstens bis ins siebente Jahrhundert
hinein existirte.
2. Der Fälscher.
Es ist bisher vorausgesetzt worden, dass die 7 ignatia-
nischen Briefe, welche die Väter von Eusebius bis zu Severus
allein kannten, uns in der Sammlung U (oder A) im
grossen und ganzen, d. h. literargeschichtlich und nicht
textkritisch betrachtet, ebenso erhalten sind, wie sie Euseb
gelesen hat, und dass die Sammlung B, oder falls deren Ver-
anstalter nicht identisch sein sollte mit dem Verfertiger ihres
eigenthümlicheu Inhalts, dass die längere Recension der bis
um 550 nur in kürzerer Gestalt bezeugten 7 (oder 6) Briefe
und ebenso die ὁ von den älteren Schriftstellern noch nicht
citirten Briefe, das Werk eines systematisch verfahrenden Be-
arbeiters sind, welcher dabei die uns erhaltene kürzere Recension
und nicht irgend eine erst zu errathende vor sich hatte. Seit
Ussher seine epochemachende und beinah in keinerlei Hinsicht
von irgend einem Nachfolger übertroffene dissertatio de Ignatii
epistolis geschrieben hatte, hätte das feststehn sollen. Es
gehörte die ganze Leichtfertigkeit des J. Daill& dazu, um in
117
dem Werk, welches auch neuere Kritiker noch ehrend anzu-
führen wagten, bei aller Abhängigkeit von Ussher gerade das
bleibende Ergebnis der Entdeckung und der Arbeit Usshers
stillschweigend zn beseitigen und nicht hier und dort einmal,
sondern durchweg zu mehrerer Bequemlichkeit unterschiedslos
gegen den wiederentdeckten alten Ignatius und gegen dessen
Interpolator seine salzlose Kritik zu richten ἢ. Und nur bei
völliger Unkenntniss der gediegenen Arbeiten des 17. Jahr-
hunderts und auf Grund ganz sporadischer Benutzung der
Quellen selbst konnte E. Chr. Schmidt seine Hypothese durch-
führen 3), wonach die kürzere Recension ebenso wie die längere
und beide unabhängig von einander auf Grund einer verlorenen
dritten Recension im Interesse der katholischen Kirche an-
gefertigt sein sollten. In neuerer Zeit sind derartige Versuche
nicht mehr förmlich und ernstlich angestellt worden. Zwar
hat Lipsius wie vor ihm Cureton, wo immer es möglich schien,
die Differenz zwischen dem Text unserer Sammlung U und
dem Eusebs als sehr erheblich und es sogar als „gar nicht
80 ausgemacht“ hingestellt, dass Euseb in seinem Ignatius
schon die der noch kürzeren syrischen Recension fehlenden
Stellen gelesen habe. Aber schon die geringe Mühe, in Mai’s
script. vet. coll. I, 1. p. 2sq. den Zusammenhang nachzu-
lesen, in welchem Euseb Eph. 19 citirt, hätte ihn davon
überzeugen können, dass Euseb nicht blos das dritte μυστήριον
χραυγῆς las, welches in zwei Handschriften des Syrers fehlt
und unächt sein soll, sondern auch das 18. Kapitel, welches
der Syrer verstümmelt hat, insbesondre das xar’ οἶχο-
1) Z. B. p. 285, 290. 310fE Man beachte die Uebergänge p. 293f.
338. 8641.
2) „Versuch über die gedoppelte Recension der Briefe des Ignatius “
in Henke’s Magazin, Bd. III (1795), S. 91ff.; vgl. Bibl. für Kritik und
Exegese, Bd. I. II. III an verschiedenen Stellen. Auf Aehnliches verfiel
Netz in Stud. u. Krit. 1835, 8. 881ff., nur dass hier vollends der Begriff
Textrecension ohne alle Abgrenzung bleibt gegen die bei aller Textfort-
pfanzung unvermeidliche Veränderung des Ursprünglichen, und überdies
mit Gründen gearbeitet wird, welche, um mit dem trefflichen Arndt
S. 145 zu reden, nur der Kindheit der Kritik zu verzeihen waren.
118
νομίαν ϑεοῦ. Und schliesslich bestreitet auch Lips. TI, 24
gar nicht, worauf es hier allein ankommt, dass Euseb allerdings
„in der Hauptsache den jetzigen kürzeren griechischen Text,
insbesondere des codex Mediceus vor sich gehabt“. Bei Cureton
gewinnt es zuweilen den Anschein, als sei ihm die kürzere
Recension, wie sie ung vorliegt, das Ergebnis einer durch
viele Jahrhunderte hindurchgehenden neben der Entstehung
der Sammlung B hergehenden Fortwucherung, wenn er nicht
nur in einzelnen Lesarten von B Spuren des angeblich syrisch
wiedergefundenen Urtextes zu finden meinte, welche die kürzere
Recension schon völlig verwischt hat, sondern sich auch durch
ganze Sätze und Wendungen der kürzeren Recension verleiten
liess, deren Urheber, welcher ihm ein Interpolator ist oder
auch „der Interpolator“ heisst, in die Zeit nach den aria-
nischen Streitigkeiten, ja sogar an’s Ende des 5. Jahrhunderts
zu setzen ). Aber durchdacht scheint diese Vorstellung nicht
zu sein, denn es wird doch andrerseits anerkannt, dass Euseb
und Theodoret die 7 Briefe nach der kürzeren Recension
gekannt haben, dass also der vermeintliche Interpolator, der
diese aus einer noch kürzeren Recension von drei Briefen
verfertigt haben soll, vor Euseb gelebt hat (introd. LXVI;
LXXIV). So wenig dies verständigerweise zu beanstanden ist,
so wenig auch das Andre, dass der Urheber der längeren
Recension oder der Veranstalter der Sammlung B die dem Euseb
vorliegende Recension vor sich gehabt und eben diese verändert
hat, wie das gleichfalls von den Beschützern des syrisch wieder-
gefundenen Ignatius gelegentlich anerkannt wird 5. Da diese
Voraussetzung in der folgenden Untersuchung, ohne dass der
Beweis förmlich angetreten würde, nebenher vollständige Be-
stätigung finden wird, und da sich ferner zeigen wird, dass
-..“
1) Introd. LXIX; S. 266. 276f. 281. 290. 307. 316. Das un-
schuldige Wort ἕνωσις 2. B. erinnert ihn an das ἑνώτιχον des Kaisers
Zeno vom Jahr 482 und muss daher ebenso wie ἑνοῦσϑαι getilgt werden.
Dabei wurde nur nicht bedacht, dass Hegesipp (Eus. h. e. IV, 22, 6),
Irenäus (Iren. IV, 33, 7), Tertullian (praeser. 43) ebenso reden.
2) Cur. introd. LXIV; 8. 316. Buns. I, Vorrede S. 19. 24; II, 16.
119
die Interpolation der voreusebianischen Briefe mit der Ver-
fertigung der nacheusebianischen ein einziges Werk ist, so
gewiunt die Untersuchung des ganzen Inhalts der Sammlung B
ein bedeutendes Interesse für die Geschichte der ihr zu Grunde
liegenden Sammlung. Eine derartige Untersuchung wäre nicbt
deshalb nothwendig, weil auch nach Auffindung der Samm-
lung U wenigstens in jedem Jahrhundert einmal mit mehr
oder weniger Begründung der Versuch gemacht worden ist,
die längere Recension für das ursprüngliche Werk des Ignatius
oder doch für eine vergleichsweise ursprüngliche Form desselben
zu erklären !.. Es wäre erlaubt, abzuwarten, ob auch das
nächste Jahrhundert eine Erneuerung solchen Unverstands
bringen werde. Hat aber der Urheber der Sammlung B
und ihres eigenthümlichen Inhalts die schon vor Euseb ver-
breitete Grundsammlung von 6 Briefen, welche uns wesentlich
unverändert in der Sammlung U erhalten ist, zur Voraus-
setzung und Grundlage seiner Arbeit gehabt, so ist es von
grösstem Interesse, die Zeit zu bestimmen, in welcher die
Grundsammlung dieser Bearbeitung unterworfen wurde, und
damit die Zeit eines der Grundsammlung geltenden Zeugnisses,
welches vereinzelte Anführungen bei Theodoret oder noch Spä-
teren an Werth übertrifft, eben weil es der ganzen Sammlung gilt.
Nicht irgend etwas Ignatianisches, sondern eben das, was zu
seiner Zeit als Werk des „weltberühmten Ignatius“ galt und
in hohem Ansehn stand, musste der Fälscher in Angriff
nehmen, um es durch Eintragung seiner Desiderien und Be-
seitigung Alles dessen, was seinem Zweck zuwiderlief, zu einem
Mittel der Einwirkung auf Dogma und Disciplin in seinem
Sinn zu machen. Dass er von eigenen oder fremden Zweifeln an
der Aechtheit der ihm vorliegenden Sammlung beunruhigt und
1) Noch in's 17. Jahrhundert fällt Morinus, über welchen Düsterdieck
S. 7£ berichte. Der weitaus bedeutendste Versuch ist der von
W. Whiston in Primitive Christianity reviv’d, vol. I, London 1711, gegen
den Clericus 11, 501ff. seine dissertatio altera richtete. F. K. Meier
endlich in den Stud. u. Krit. 1836, S. 340ff. fand durch Arndt und
Rothe reichliche Widerlegung.
120
daher bemüht gewesen sein sollte, die Briefe durch seine Be-
arbeitung glaubwürdiger zu machen, war ein abenteuerlicher
Einfall des Dalläus (p. 294. 362), den Cureton (introd. LXIV;
336 f.) nicht hätte erneuern sollen, ohne die genügende Wider-
legung Pearsons (II, 27 854.) auch nur zu beachten. Wie
sollte denn ein Schriftsteller, der sich selbst die ärgsten Ana-
chronismen zu Schulden kommen lässt, Anstoss genommen
haben an den bis heute strittigen Fällen derartiger Fehlgriffe,
welche dem älteren Ignatius nachgesagt werden, und welche
einem so genauen Kenner der älteren kirchlichen Literatur,
wie Euseb, nicht aufgefallen waren? Und wie konnte er sich
einen bereits verdächtigten Namen zum Schirm seiner Fiction
wählen? Von kritischen Bedenken gegen die ignatianischen
Briefe schweigt überhaupt die Geschichte bis zum 16. Jahr-
hundert; denn dass seine Briefe neben dem Polykarps und
anderen nachapostolischen Schriften in der Stichometrie des
Nicephorus unter den Apokryphen des Neuen Testaments 1)
aufgezählt- werden, wird heute niemand mehr als Ausdruck
eines kritischen Bedenkens gegen ihre Aechtheit verstehen
wollen.
Die Zeit des Fälschers ist nicht ohne Erkenntnis
seiner Zwecke zu bestimmen, und diese ist nicht ohne Ein-
sicht in die Art und die Hülfsmittel seines Verfahrens zu
gewinnen. Eine auf alles dies ausgedehnte Untersuchung wird
den Vortheil mit sich bringen, dass wir die Gestalt der vom
Fälscher vorgefundenen Sammlung in ziemlich deutlichen Um-
rissen erkennen. Den äussersten Termin, vor welchem die
Interpolation geschehen sein muss, und in dessen nächste
1) Bei Credner, Gesch. des Kanon, ὃ. 244. Ob freilich die nackten
Namen Ἰγνατίου, DoAvxaonov auf deren Briefe zu beziehen sind, und
nicht etwa auf jene Ἰγνατέου und Πολυχάρπου διδασχαλία, die das Ver-
zeichnis hinter Anastasius (Cler. I, 197) nennt, oder ob vielmehr der
Titel διδασχαλία, welchen das Alterthum sonst nicht mit Ignatius’ und
Polykarps Namen verbindet, nur durch Misverständnis zu diesen Namen
hinzugesetzt ist, weil eine διδασχαλία Κλήμεντος voranging, will ich
nicht entschieden haben.
121
Nähe Ussher wirklich herabging '), bilden die drei An-
führungen aus den interpolirten Briefen bei Stephanus Gobarus,
Anastasius von Antiochien oder Gregor dem Grossen und in
der Paschachronik aus der Zeit von 540—640 (8. oben S. 88f.).
Die armenische Uebersetzung mit ihrer Voraussetzung eines
syrischen Mittelgliedes zwischen ihr und dem griechischen
Original rückt die Entstehung der 6 nacheusebianischen bis
um 400 hinauf (s. oben $S. 97). Dass aber diese in der
That nicht vor 325 entstanden, sondern ebenso wie die
Interpolation der übrigen nacheusebianisch sind, ist nach dem,
was oben S. 77f. über den Werth des Zeugnisses Eusebs be-
merkt wurde, von vornherein wahrscheinlich. Es lässt sich
überdies aus notorischer Abhängigkeit des Pseudoignatius von
Eusebs Kirchengeschichte erweisen.
Der kläglichste Mangel an Erfindungsgabe veranlasste den
Pseudoignatius, nicht allein die ‚älteren Briefe des Ignatius
stark auszubeuten für die neuen und εὐχαίρως ἀκαίρως die
Bibel anzuführen mit Einschluss von Ps. 151, diesem ψαλμὸς
ἰδιόγραφος τοῦ Auptö ?), und des ἐν ᾿Εφέσῳ in Eph. 1, 13),
welches Basilius nur erst in den jüngeren Handschriften fand,
wie es noch heute im Sin. und Vat. fehlt, sondern auch zu
manchem Buch jüngeren Ursprungs ὁ) zu greifen. Es mag
bestritten werden, dass er die sonderbare Verwendung der
Ueberschrift von Ps. 6 u. 11 als einer Weissagung auf den
Sonntag (Mgn. 9) dem Psalmencommentar Eusebs von Cäsarea
verdankt 5), in welchem diese Idee vielleicht nicht original
ist. Gewiss aber ist Ussher im Recht, wenn er (adn., p. 42,
n. 50) die Uebersetzung des Namens ’Eß/w» Philad. 6 aus
1) diss, p. 29. 33 sq. 37. Ebenso noch Buns. II, 205 ff. Noch
weiter ging Arndt, S. 166: „im 7. oder 8. Jahrhundert“.
2) Mar. ad Ign. 4. Vgl. Cotelier bei Cler. II, 97.
3) Eph. 9: τοῖς ἁγίοις τοῖς οὖσιν ἐν Ἐφέσῳ τοῖς πιστοὶ; ἐν Χριστῷ
Ἰησοῦ.
4) Interessant wäre es vielleicht zu wissen, woher das mit παραινεὶ
τις τῶν παλαιῶν eingeleitete Citat Trall. 9 stammt: μηδεὶς ἐγαϑὸς λε-
γέσϑω, χαχῷ τὸ ἀγαϑὸν κερίννυς.
5) Coll. πον. PP. GG. ed. Montfaucon I, 88 A; 44 C.
122
Eus. ἢ. 6. III, 27, 6 herleitet. Denn, wenn auch schon
'Origenes die Sache hat !), so klingen doch die Worte Eusebs 3)
deutlich bei Pseudoignatius 3) durch. Nun findet sich aber
eine ganze Reihe solcher Zusammenhänge zwischen Euseb und
Pseudoignatius, aus welcher man einzelne durch künstliche
Erklärung beseitigen mag, ohne doch den auf ihrer Ge-
sammtheit rubenden Beweis damit aufzuheben. Es theilt
Euseb ἢ. e. I, 13 ein grösseres Bruchstück aus einer Ge-
schichte des Thaddäus, des Apostels von Edessa, mit, welches
er selbst aus den syrisch geschriebenen Urkunden entnommen
haben will. Wenn er selbst des Syrischen nicht mächtig
war 4), so hat er sich dieses Apokryphum also zum Behuf
der Abfassung seiner Kirchengeschichte in’s Griechische über-
setzen lassen und als eine Neuigkeit in die griechische
Kirchenliteratur eingeführt’. Dann beweist aber folgende
Zusammenstellung seines Excerptes mit einer Stelle des
Pseudoignatius die Abhängigkeit des Letzteren von ihm.
1) Vgl. Heinichen z. ἃ. St., ed. 2, tom. 111, p. 94.
2)... τοῦ Ἐβιωναίων ὀνόματος, τὴν τῆς διανοίας πτωχείων
αὐτὼν ὑποφαίνοντος" ταύτῃ γὰρ ἐπίκλην ὅ πτωχὸς παρ᾽ Ἑβραίοις
ovou«terai.
3) xal ἔστεν ὁ τοιοῦτο; πένης τὴν διώνοιαν ὡς Enixiny
Ἐρίων. So corrigirt schon Morelius das sinnlose ὡς ἐπεὶ κλεινὴ βιων von
aovt, und es findet sich wirklich in b. Die erleichternde Correctur
des hieran reichen n kann das üblich gewordene ὡς ἐπικαλεῖται nicht
rechtfertigen. Was f und 1 haben, weiss ich nicht.
4) Vgl. die Literatur hierüber bei Heinichen III, 20 ἢ
5) h. e. I, 13, 5: οὐδὲν δὲ οἷον zei αὐτῶν ἐπακοῦσαι τῶν ἐπιστο--
λών, ἀπὸ τῶν ἀρχείων ἡμῖν ἀγναληφϑεισῶν, καὶ τόνδε αὐτοῖς ῥήμασιν
&x τῆς Σύρων φωνῆς μεταβληϑεισῶν τὸν τρόπον. Es unterliegt keiner
‚Frage, dass dies ein Auszug aus der originalsyrischen doctrina Addaei
ist, von welcher Cureton (ancient documents etc.) zusammenhängende
Bruchstücke syrisch und englisch (p. 6 sqq. 108 sq.) herausgegeben hat.
Es beginnt das syrisch Erhaltene mit χαὶ ὁ 8addaios x. τ. A. Eus. 8 17.
Die Vergleichung der parallelen Abschnitte lässt die grössere Ausführ-
lichkeit des Syrers als ursprünglich erscheinen. Die von Cureton p. 142
erneuerte Hypothese, dass Euseb seinen Auszug aus Julius Africanus habe,
hat die Gewohnheit Eusebs (I, 6, 2; 7, 1. VI, 31) gegen sich, wie seine
Ausdrucksweise hier.
Die syrische Quelle stehe in Curetons Uebersetzung da-
neben.
Eus. h. ὁ. I, 13, 20 | doctrina Addaei (anc.
tion, which had ne-
ἀνήγαγεν) νεκροὺς | τὸ μεσότοιχον au- | ver been broken
χαὶ κατέβη (καταβὰς Tor ἔλυσεν. (Letz- | through, and gave
γὰρ) μόνος, ἀνέβη de . teres will Anklang | life to the dead by
μετὰ πολλοῦ ὄχλου ı an Eph.2,14 sein.) | being slain himself;
καὶ ἀνήγειρε (Oder αἰῶνος φραγμὸν καὶ
(al. 19). Trall. 9. doe., p- 7).
καὶ κατέβη εἰς τὸν καὶ κατῆλϑεν εἰς | and descended to the
ἄδην καὶ ὁιέσχισε | ἄδην μόνος, ἀνῆλθε | place of the dead
φραγμὸν τὸν ἐξ αἰῶ- | δὲ μετὰ πλήϑους | and broke through
γος μὴ σχισϑέντα | καὶ ἔσχισε τὸν ἀπ᾿ | the wall of parti-
|
(εἰϑ᾽ οὕτως ἀνέβη. and descended alone
ohne weiteren Zu- and ascended with
satz) πρὸς τὸν πα- . many to his glorious
τέρα αὐτοῦ }). | father ?).
Eine Anspielung an dieses Apokryphum bei Cyrill von
Jerusalem 3), sowie im Mund seines Zeitgenossen Makarius
von Jerusalem nach dem Bericht des Gelasius von Kyzi-
kus *), kann nicht eine von Eusebs Kirchengeschichte unab-
hängige Verbreitung der syrischen Schrift oder einer grie-
chischen Uebersetzung derselben beweisen. In Jerusalem
wird man Eusebs Werk bald nach der Abfassung gekannt
haben. |
In gleicher Abhängigkeit von demselben finden wir aber
auch den Verfasser der 6 jüngeren Briefe; denn der Anfang
_ —.
1) Ueber die Varianten vgl. Heivichen, ed. 2, z. d. St.
2) Ein Anklang auch noch in dem Fragment anc. doc., p. 108:
he rose again and came out of the sepulchre with many.
3) catech. 14, 18 ed. Touttöe, p. 214 B: τοῦ μόνου μὲν xaraßavıos
eis (δην, πολλοστοὺ δὲ ἀναβάντος. Κατῆλϑε γὰρ Eis τὸν ϑώνατον καὶ
πολλιξ σώματα τῶν κεκοιμημένων ἡγέρϑη κι τ. Δ. Es folgt weiter c. 19
anderes Apokryphische.
4) In dessen Geschichte des nicänischen Concils II, 23 bei Mansi,
conc. II, 876 C: μόνος κατελϑὼν μετὰ πλήϑους ὠνελήλυϑεν. Makarius
legt Nachdruck auf das χατῆλϑεν im Gegensatz zu χατηνέχϑη.
124
des Antiochenerbriefs stimmt wörtlich überein mit dem von
Euseb (VI, 11, 5) aufbewahrten Anfang eines anderen An-
tiochenerbriefs, welchen der nachmalige Bischof Alexander
von Jerusalem ums Jahr 210 im Gefängnis schrieb: ἐλαφρά
μοι καὶ κοῦφα τὰ δεσμὰ ὁ κύριος πεποίηκε μαϑόντι (Alex.
ἐποίησε κατὰ τὸν καιρὸν τῆς εἱρχτῆς πυϑομένῳθ. Die Frage,
ob der gefangene Alexander diesen Ignatius abgeschrieben
habe, oder umgekehrt, brauchte Cur. p. 340 wahrlich nicht
erst aufzuwerfen.. Aber höchst sonderbar wäre es, wenn
Pseudoignatius hier wieder eine alte Urkunde, die kein alter
Schriftsteller ausser Euseb erwähnt, benutzt hätte und zwar
nur soweit, als sie aus Euseb bekannt war. Hat er aber, da
er einen Brief an die Antiochener anfertigen wollte, aus
Euseb richtig einen Brief an dieselbe Gemeinde herausge-
funden, so wird er erst recht dessen Bericht über Ignatius
aufmerksam gelesen haben. Ein Beweis dafür ist schon
der Satz: Πουλυκάρπῳ παρεϑέμην ὑμᾶς ἐν κυρίῳ Her. 7. Auf-
fallen muss derselbe um so mehr, da wir Ant.'ı3 in Bezug
auf dieselbe Beauftragung Polykarps wieder lesen: ᾧ καὶ
παρεϑέμην ὑμᾶς ἐν κυρίῳ, und sogar die Fürbitte oder Für-
sorge der Gemeinde zu Tarsus für die antiochenische in dieser
Form erbeten wird παρατίϑεμαι ὑμῖν τὴν ἐν Avrioyeia ἐκκλη--
σίαν Tars. 10. Der Verfasser zeigt hier eine ähnliche Be-
harrlichkeit in der Anwendung eines — wenn man das zu
bezeichnende Verhältnis nach Sm. 11. Pol. 7. 8 in’s Auge
fasst — jedenfalls fernliegenden Ausdrucks, wie da, wo er
die älteren Briefe aussaugt. Und doch war dieser Ausdruck
gar nicht bei dem alten Ignatius, sondern nur in Eusebs Be-
richt über ihn zu finden !. Aus Euseb hat dann Pseudo-
ignatius gewiss auch seine Reihenfolge der antiochenischen
und römischen Bischöfe. Die erstere, nämlich die Namen
Euodius, Ignatius, Heron ?), konnte allerdings ein jedenfalls
nicht fern von Antiochien wohnhafter Scribent auch aus
1) Eus. h. 6. III, 36, 10: τὴν xar’ ᾿Αντιοχείαν αὐτῷ ποίμνην. .-
παρ ατίϑεται.
2) Ant. 7; Her. 8. Vgl. oben 8. 56fl.
128
anderweitiger Ueberlieferung wissen; aber bemerkenswerth ist,
dass er von Compromissen, wie einer in const. ap. VII, 46
vorliegt, noch nichts weiss, und dass er ebenso wie Euseb von
irgend welcher Apostelschülerschaft und apostolischer Ein-
setzung des Ignatius, wovon seit Chrysostomus die Rede ist,
nichts weiss, vielmehr seinem Vorgänger Euodius diese Ehre
lässt. Entschiedener muss Abhängigkeit von Euseb in Bezug
auf die römischen Bischöfe behauptet werden; denn, ehe
Euseb seine Studien über die Bischofsreihen der Hauptkirchen
in Chronik und Kirchengeschichte veröffentlichte, war deren
Kenntnis gewiss nicht Gemeingut, und bekanntlich herrscht
über die Folge der ersten römischen Bischöfe im Alterthum
wenig Uebereinstimmung. Bei Pseudoignatius ad Mar. 4 folgt
auf „den seligen Papa Anegkletos“ „der der Seligkeit aller-
würdigste Clemens, der Schüler des Paulus und Petrus“ !).
Dass Linus dem Anaclet vorangegangen sei, wird an dieser
Stelle nur vorausgesetzt, sofern nämlich Pseudoignatius seiner
ganzen Art nach es sich nicht hätte versagen können, den
Anaclet als von den Aposteln eingesetzten ersten Bischof zu
bezeichnen. Er kennt, wenn er anders mit dem Interpolator
identisch ist, den Linus allerdings als einen Diaconus des
Paulus neben Timotheus und nennt ihn vor Anaclet und
Clemens, den Diaconen des Petrus (Trall. 7). Er hat also die
Reihe Eusebs: Linus, Anaclet, Clemens, und steht auch hier
in Widerspruch mit const. ap. VII, 46. Aus der Anordnung
der Berichte über Clemens und Ignatius bei Euseb. welcher
den Tod des Clemens erst kurz vor dem Martyrium des
1) Soviel man aus den mangelhaften Notizen der Ausgaben zu-
sammenlesen kann, haben alle Handschriften von G2 hier AveyxAntw (n)
oder Avayxkjtw (ab), die von 1,3 Anemcletum (rg p) oder Cletum (pl
mit sichtlicher Rasur). Da nun auch A Enacletum, Li Cletum bieten,
so ist offenbar das Anrw d. ji. Μίνῳ, welches in ΟἹ d. i. med. und
seiner Abschrift casan. sich findet, eine ziemlich späte Correctur, ein.r
anderen Ueberlieferung zu lieb gemacht, vgl. m. Schr. über Hermas, S. 61f. —
Ebenso wird hier mit A gegen alle anderen Zeugen Paulus vor Petrus
zu stellen sein, cf. Ant. 7, wohingegen Phil. 4 interp. und Rom. 4 nach
allen Zeugen Petrus passend voransteht.
126
Ignatius und die Schriften des Clemens sogar erst nach den
Briefen des Ignatius erwähnt (h. 6. Il, 34. 36. 38) hat
Pseudoignatius auch wohl seine sonderbare Chronologie, nach
welcher Clemens noch auf dem Bischofsstuhl sitzt, während
Ignatius noch in Antiochien, aber doch schon unter militäri-
scher Bewachung sich befindet. Erst als Ignatius von Troas
aus an die Philadelphener schreibt (c. 4 interp.), gehört Cle-
mens zu den Seligen. ΄
Nach alle dem darf schon an diesem Punct auf das Ver-
hältnis des Tarsenserbriefs zu demjenigen Stück des Römer-
briefs, welches auei Euseb angeführt hatte, hingewiesen wer-
den. Zu dem Ende ist etwas weiter auszaholen. Es ist eine
Eigenthümlichkeit der jüngeren 6 Briefe, sich durch Nach-
ahmung ignatianischer Wendungen und Aufnahme ganzer Sätze
aus den älteren Briefen ein ignatianisches Gepräge und zu-
gleich einigen briefartigen Inhalt zu geben (cf. Uss., diss.,
p. 30 sqq.).. Dem Grüssen am Schluss von Phil. und Sm. sind
die von Ant. und Tars. nachgebildet, dem Schluss vou ad Pol.
der von Her. Ausdrücke des ächten Ignatius werden nicht
bloss in den neuen angebracht, sondern auch in die alten
eingetragen ἢ), und in welcher Weise der alte Ignatius vom
neuen ausgenutzt wird, sieht man, wenn man Sätze wie οὐ
διατάσσομαι ὑμῖν ὡς ὦν τις x. τ. A., Eph. 3, oder den ähn-
lichen Trall. 3 beim Interpolator in Tars. 9; Philad. 4 cf.
Ant. 11 wieder aufsucht. Der Brief an Heron ist so durch-
weg dem an Polykarp nachgebildet, dass 68 scheint, als sollte
Letzterer auf diese Weise entgelten, dass er bei der Inter-
polation so besonders schonend behandelt worden. Man ver-
gleiche die Anfänge beider Briefe, ad Her. 1 von παρακαλῶσε
bis ἀμέτρως mit ad Pol. 1 vom gleichen Wort bis adı«-
u m nn en rn
1) z. B. ὀναίμην ὑμῶν Eph. 2; Mgn. 2. 12; ad Pol. 1. 6 kehrt
wieder in Tars. 8. 10; Antioch. 12; Her. 8; ad Mar. 2, aber auch in
Trall. 13 interp. Das ὠντέψυχον ἐγὼ ὑμὼν u. dgl. Eph. 21; Sm. 10: ad
Pol. 2. 6 kehrt wieder in Ant. 7. 12; Her. 9; ad Mar. 3; Tars. ὃ;
Pbilipp. 14 und zwar zum Theil mit denselben Zusätzen. Die bei
Ignatius beliebten Bildungen mit -@Yogos und ἀξιο- werden bir zum
Ueberdruss vervielfältigt.
127
λείπταεις. Nur das alterthümliche τόπος des alten Briefs !)
erschien dem späteren Schriftsteller für den künftigen Bischof
Heron wie für jeden Geistlichen weniger schicklich als
ἀξίωμα ὃ. Noch in demselben Kapitel weist auf ad Pol. 2. 3
das ὡς ϑεοῦ ἀϑλητής und dessen breite Ausführung, obwohl
die Ermahnung zu fleissigem Schriftstudium, welches sich
Pseudoignatius offenbar bei Lampenlicht vorstellt, und durch
diese Ideenverbindung aus der ursprünglichen Ermahnung ge-
wonnen hat 3), jenes Bild gar nicht nahelegte.e Die δοχοῦν-
τες ἀξιόπιστοι εἶναι καὶ Erepndidaonuloörres (ad Pol. 3)
sind Her. 2 verarbeitet; die Ermahnungen in Bezug auf
die Scelaven, die Weiber, die Wittwen, den fleissigen Kir-
chenbesuch (ad Pol. 3. 4. 5) findet man Her. 3. 4. 5
wieder, wörtlieh z. B. das ἐξ ὀνόματας πάντας ζήτει Her. 3,
wo nur das intensivere ἐπεζήτει steht. Die bösen Künste,
deren Polykarp sich enthalten soll (c. 5) werden hier
(Her. 5) specificirt als Hochmuth, Lüge, Neid u. dgl. Der
Epheserbrief wurde besonders für den an die Philipper aus-
gebeutet. Philipp. 8 sq. ist eine breite Ausführung des ersten
Satzes in Eph. 19. Der Satz προσεύχεσϑε — ἀπάγομαι
Eph. 21 findet sich Philipp. 14 wieder. Die von dem eigenen
Martyrium des Ignatius ausgehende Beweisführung gegen die
Doketen Trall. 10 ist verbreitert und verallgemeinert Tare. 3.
Die hohe Meinung, welche Ignatius von den Ephesern wegen
1) Auch Scur. las es hier; vgl. Merx, 8. 31 gegen Cureton. ΟἿ
Sm. 6.
2) Οὗ Ant. 8. Der Interpolator hat es Sm. ὁ neben das ursprüng-
liche τόπος gestellt. Curetons Meinung, dass man erst im Verlauf der
Ausbildung der Hierarchie das, was in nachapostolischer Zeit „Würde “
geheissen, „Platz“ oder „Stelle“ genannt habe (p. 265 sq.), charakteri-
sirt eine gewisse Art historischer Kritik ebenso wie die Meinung, dass
das in’s 5. Jahrhundert weisende ἕνωσις ein ursprüngliches &vosns ver-
drängt habe (p. 266; vgl. oben S. 118, Anm. 1). Aber warum hätte es
Curetons angeblicher Interpolator verdrängt, und warum der wirkliche
Interpolator in Her. 1 das mit &vorns gleichbedeutende συμφωνέα an die
Stelle gesetzt?
3) Nämlich γρηγύρει, ἀκοίμητον πνεῦμα xexınusvos ad Pol. 1 und
γῆφε ad Pol. 2.
128
ihres nahen Verhältnisses zum Apostel Paulus hegt (Eph. 12),
wird unpassender Weise auf die Gemeinde von Tarsus, dem
Geburtsort des Apostels, übertragen Tars. 2. Die „menschen-
ähnlichen Thiere“ Sm. 4 cf. Tars. 1 sind hier geradezu
„menschennachahmende Affen‘ geworden Ant. 6. Diese Bei-
spiele mögen genügen, um das Verhältnis dieses πίϑηκος
ἰγνατιύμιμος zu den älteren Briefen zu veranschaulichen.
Keinen derselben hat er verschont; aber den Römerbrief hat
er nur soweit benutzt, als er ihn aus Euseb kannte. Mit den
Worten ἀπὸ Συρίας μέχρι Ῥώμης ϑηριομαχῶ, wit welchen
Eusebs Citat aus Rom. 5 beginnt, beginnt der Brief an die
Tarsenser, und nachdem Pseudoignatius dieselben ganz in der
trivialen Weise des Interpolators der älteren Briefe gegen
das Misverständnis sichergestellt hat, als ob sie eigentlich
gemeint wären, lenkt er in den Text des Ignatius oder viel-
mehr Eusebs wieder ein mit dem Satz διὸ ἕτοιμός εἶμε πρὸς
πῦρ x. τ. A. Auch das vorher weggelassene διὰ γῆς καὶ ϑα-
λάσσης bringt er sofort nach; das ὀναίμην τῶν ϑηρίων τῶν
ἐμοὶ ἑιοίμων oder ἡτοιμασμένων wird ad Mar. 2 nachgeahmt
durch ὀναίμην τῶν δεινῶν τῶν ἐμοὶ ἡτοιμασμένων, und eben-
dort lesen wir wörtlich nach Rom. 5 oder vielmehr nach
Euseb ἐν δὲ τοῖς ἀδικήμασιν αὐτῶν μᾶλλον μαϑητεύομαι, als
ob kein Wort von dem eusebianischen Citat verloren gehn
sollte). Dagegen zeigt sich in keinem dieser Briefe die
geringste Spur einer Erinnerung an irgend eine der merk-
würdigen Sentenzen des BRömerbriefs, welche Euseb nicht
citirt hatte. Nicht einmal das berühmte ὁ ἐμὸς ἔρως ἐσταύ-
owra.ı scheint Pseudoignatius zu kennen. Demnach ist seine
starke Ausbeutung von Rom. 5 ein schlagender Beweis
sowohl seiner Abhängigkeit von Euseb, als seiner Unkenntnis
des Römerbriefs selbst. Dann begreift man, warum der
Interpolator, welcher eben kein Andrer als der Verfertiger
der nacheusebianischen Briefe ist, den Römerbrief, wie sich
noch zeigen wird, nicht interpolirt hat.
1) Auch der Interpolator hat einmal Eph. 11 ein dnö Συρίας μέχρι
Pouns eingeflickt.
129
Der feste terminus a quo für die Entstehung dieses
ıweitheiligen Werks ist also die Veröffentlichung der Kirchen-
geschichte Eusebs um 325, und um 400 etwa muss seine
bessere Hälfte bereits in’s Syrische übersetzt worden sein.
Dem letztern Zeitpunkt werden wir wegen der hier voraus-
gesetzten Verhältnisse in Kirche und Theologie sehr nahe
rücken müssen. Wäre der Verfasser gegen Anachronismen
sehr empfindlich, so würde man sich durch eine Beobachtung,
die schon Uss. diss. p. 115 sq. machte, so tief herabdrücken
lassen müssen, als der theologisch -polemische Charakter des
Werks und die übrigen Zeichen der Zeit es irgend zulassen.
Pseudoignatius nennt Ant. 12 unter den Kirchendienern nach
den Thürhütern auch τοὺς κοπιῶντας. Es unterliegt keiner
Frage, dass darunter die sonst gewöhnlich χοπιαταί genannten
Todtengräber und Leichenträger zu verstehen sind ἢ. Nun
heisst es aber in einem Gesetz vom Jahre 360: clerici vero
vel hi, quos copiatas recens usus instituit nuncu-
pari, ita a sordidis muneribus debent immunes esse ete. 3)
Pgeudoignatius scheint Sache und Namen nicht mehr für jung
zu halten, da er keinen Anstand nimmt den Bischof aus
Trajans Zeit davon reden zu lassen; darnach scheint er ge-
raume Zeit nach 360 geschrieben zu haben. Aber andrerseits
will doch beachtet sein, dass er eben nicht χοπιατάς, sondern
κοπιῶντας sagt und dies Wort im Unterschied von den um-
gebenden Amtsbezeichnungen mit dem Artikel versieht. Für
die Thätigkeit hat sich bereits ein Kunstausdruck gebildet,
aber der daraus gebildete Titel scheint noch nicht festgeprägt
zu sein. Jedenfalls werden wir in die zweite Hälfte des
4. Jahrhunderts gewiesen. Erst in dieser konnte man sich
-.--.-......... .
1) Epiph. expos. fid. 21: λοιπὸν δὲ καὶ xonıerei, οἱ τὰ σώματα ne-
θιστέλλοντες τῶν χοιμωμένων x. τ. Δ. Der Zusatz scheint anzudeuten,
dass der Titel zur Zeit dieser Worte (im Jahre 375) noch einer Er-
läuterung bedurfte. Vgl. sonst noch Cotelier bei Cler. II, 107, not. 23.
2) Cod. Theod. L. 15, lib. XVI, tit. 2. Auch in L. 1, Iib. XIII,
tit. 1 vom Jahr 357 werden sie erwähnt als cleriei, qui copiatae appel-
lantur. Auch darin spricht sich deutlich die Neuheit des Instituts und
des Namens aus. |
Zahn, Ignatius. 9
180
bereits in der Anschauung eines so zu sagen christlichen Staats-
und Gesellschaftswesens so völlig festgesetzt haben wie Pseudo-
ignatius, der die dadurch hervorgerufenen Anachronismen gar
nicht mehr bemerkt‘), Es wird nicht etwa auf die Fälle
Rücksicht genommen, dass ein christlicher Sclave einem heid-
nischen Herrn dient, oder ein: Christ ausnahmsweise Soldat
oder kaiserlicher Beamter ist. sondern diesen Ständen werden
ohne Einschränkung christliche Ermahnungen ertheilt. Sol-
daten. Officiere und Kaiser gehören mit ‚zu dem λαύς ?).
welcher sammt dem χλῆρος dem Bischof gehorchen soll; und
über den Bischof hinauf steigt die Stufenleiter zu Christus
und Gott empor. So wird die Einheit der ganzen Theokratie
gewahrt (Philad. 4). Nach dem Bischof, dem Hohenpriester,
weleber als Regent Gottes, als Priester Christi Ebenbild trägt,
kommt der Kaiser als Gegenstand der Ehrerbietung, weil
Geistliches höher gilt als Weltliches; aber auf.je ihrem be-
sonderen Gebiet stehen sie sich gleich, der Bischof, welcher
für das Heil der ganzen Welt Priesterdienst übt (Sm. 9) und
von seinem „Thron“ (Her. 7) aus über die Gemeinde
„herrscht“ (Ant. 14), und der König, welcher für Frieden
und Ordnung im Reich zu sorgen hat (Sm. 9; ef. Eus. vita
Const. IV, 24). Aber der König muss auch darnach sein,
vor allem in orthodoxem Glauben stehn, so gut wie der
Selave, wenn er selig werden will (Sm. 6). Darnach scheint
denn auch bei dem Gebot, dem Kaiser Gehorsam zu leisten,
so lange es ohne Seelengefahr möglich sei (Ant. 11), nicht
mehr darauf Rücksicht genommen zu sein, dass der Kaiser
Götzendienst, sondern nur. darauf, dass er ein heterodoxes Be-
kenntnis fordern könnte. Uebrigens zeigt unser Kirchen-
politiker fast grösseres Zutrauen zu den Königen, als zu den
Bischöfen. „Ein umsichtiger und thatkräftiger Mann muss
sich zu den Königen halten“ (Eph. 6). Beim Bischof fragt
sieh’s viel ernstlicher, wie viel er tauge. Wie hoch dessen
1) CH. A. Seultetus p. 451 und die breitere Ausführung bei Vede-
lius I), 180 99.
2) Cf. Eus. vita Const, I, 44, 2.
13}
Würde sowohl an sich als im Vergleich mit allen anderen
Gewalten auf Erden hinaufgeschraubt wird (vgl. auch Trall. 7),
und wie offensichtlich hier ein Mitglied jener bischöflichen
Aristokratie redet, welche den Titel des Arianismus glaubte
damit ablehnen zu können, dass Arius ja nur ein Presbyter
gewesen sei !), so nimmt dieser Bischof doch andrerseits An-
stoss daran, dass Ignatius naiver Weise vorausgesetzt hatte,
die Bischöfe in aller Welt seien fromme und rechtgläubige
Männer. Stellen, die das besagen, wie Eph. 3, streicht er,
und 68 ist keineswegs ein ehrendes Beiwort, es ist aus bittrer
Krfahrung geredet, wenn in die Ermahnung zum Anschluss
an den Bischof eingeschoben wird: τοῦ κατὰ ϑεὸν ποιμαίνοντος
ὑμᾶς (Eph. 4). Das weist auf die Zeit, wo ein arianischer
Bischof dem Nicäner und jenem wieder ein Semiarianer in
jähem Wechsel folgte oder auch wie in Antiochien Jahrzehnte
lang zwei und drei Gemeinden neben einander bestanden.
da musste man freilich „vom Geist gewitzigt‘‘ sein, um den
rechten Weg zu finden. Wenn der, welcher die wahre Lehre
Christi fälscht oder ausser Acht setzt, feist und fett in die
Hölle fahren wird ?), so wird gleicherweise auch jeder Mensch,
welcher von Gott die Gabe der Unterscheidung empfangen
hat und dennoch einem verwerflichen Hirten folgt und statt
des wahren einen falschen Glauben annimmt, Strafe leiden
(Eph. 16). Wo es einen solchen Hirten gibt, gilt vielmehr
die apostolische Forderung der Separation nach 2 Kor. 6, 14f.
Daher muss denn auch die Warnung vor Anschluss an einen
Separatisten (Philad. 3) in die andre verwandelt werden:
„Wenn einer dem, welcher sich von der Wahrheit losreisst,
iolgt, wird er Gottes Reich nicht ererben, und wenn einer
von dem lügnerischen Prediger sich nicht lossagt, wird er in
die Hölle hineinverdammt werden. Denn, sowenig man von
1) Athan. de syn. Arim., c. 22. — Vgl. die Umgestaltung von
Mgn. 7, auch Mgn. 3 (χρὴ οὖν καὶ ὑμᾶς αἰδεῖσϑαι τοὺς κρείττονας) und
Eph. 5 fin.
2) Wahrscheinlich eine Erinnerung an die Erzählung vom Ende
des Judas bei Papias; 5. Stud. und Krit. 1866, S. 680 ft.
. 95
᾿
—
132
den Frommen sich trennen darf. sowenig auch zu den Gott-
losen sieh halten“ u. s. w. Das ist deutlich geredet. So
selir ist der Verfasser bereits daran gewöhnt, Belial und
Christus, rechten und falschen Glauben neben einander in der
von Bischöfen regierten Kirche zu wissen. dass er durch den
alten Ignatius die Laien seiner Zeit zu selbständigem Urtheil
in Glaubenssachen und zu einem dem entsprechenden Ver-
halten gegenüber heterodoxen Bischöfen auffordern lässt. Das
führt uns, wenn wir einmal auf die Zeit von 325—400 an-
gewiesen sind, in die mit der Alleinherrschaft des Constantius
beginnende und mit der des Theodosius schliessende Zeit. Die
nächsten Jahrzehnte nach (er Mitte des 4. Jahrhunderts mit
ihren Parteistellungen und Streitigkeiten. von welchen sich
‚lie Geister schon ziemlich abgekühlt hatten, als die sehr
undersartigen Streitigkeiten des 5. Jährhunderts begannen,
sie sind es auch. welche in diesem Werk sich wiederspiegeln
nd den Hauptzweck desselben an die Hand geben.
Deutlicher als in den 6 jüngeren Briefen zeigt sich der
theologische Charakter des Fälschers in der Interpolation der
üilteren, denn gerade auf christologisch und trinitarisch eigen-
thünliehe Stellen hat der Interpolator vor allem sein Augen-
merk gerichtet. An denı, was ihm anstössig ist, wie an dem,
was er an dessen Stelle setzt, um den Ignatius zu einem
Zeugen für seine Orthodoxie zu ınachen, verräth er am deut-
liehsten seinen dogmatischen Standpunkt. Dies ist aber so
völlig derjenige der 6 jüngeren Briefe, dass es genügt, die
Identität des Verfassers beider Theile des Werks durch gleich-
mässige Anführung von Belegstellen aus beiden für jeden
eigentaümlichen Satz zu erweisen.
Eins der Dogmen, (deren deutliches Bekenntnis er bei
Ignutius vermisste, war die Superiorität Gottes des Vaters
über den Sohm und die Beschräukung des eigentlich ge-
meinten Gottnamens auf den Vater. Daher wird jetzt mit
jpolemischem Nachdruck gelehrt, dass Moses und die Pro-
pheten, wenn sie von Gott als dem einen und einzigen
(oft reden, neben und nach welchen es keinen Gott gibt,
von Vater oder Gott des Alls und Aller im Unterschied vom
123
Sohne Gottes reden 3), und dass die Evangelien nur den Vater
den allein wahren Gott genannt haben (Philad. 9: Ant. 4).
Daher wird denn auch' der hier so verschärfte und seinem
ursprünglichen Sinn entfremdete Spruch Joh. 17, 3, an wel-
chen Ignatius nie auch nur anspielt, in eine Stelle einge-
tragen, wo es galt, mit einem Wort zu sagen, welches der
seligmachende Glaube sei (Sm. 6). Zufällig ist es daher auch
nicht, wenn Gott neben Christus gelegentlich erst durch den
Interpolator das Attribut :yroros erhält (Sm. inser.),. An-
stössig musste dann Sm. 1 das Ιησοῦν Χριστὸν τὸν ϑεὸν τὸν
οὕτως x. τ. λ. sein und einem rov ϑεὸν καὶ πατέρα τοῦ κυρίον
ἡμῶν "I. Χρ. Platz machen (cf. Eph. 18), ebenso das I. Xo.
τοῖ ϑεοῦ ἡμῶν Eph. inser. einem 7. Xo. τοῦ σωτῆρος ὑμῶν.
Vollends in Verbindung mit ἐν αἵματι erschien ϑεοῦ uner-
träglich und musste durch Xoro ersetzt werden, Eph. 1?).
Wenn man diesen Thatsachen gegenüber daran erinnert hat °),
dass der Interpolator anderwärts nicht selten Christus Gott
nenne, also nicht häretische, arianisirende Theologie treibe,
übersah man sowohl den Zusammenhang dieser Aenderungen
mit den Aussagen über die ausschliessliche Gottheit des Vaters,
als auch den Sinn, in welchem Christus von Pseudoignatius
Gott genannt wird. Allerdings ist es eine Ketzerei, Christo
die Gottheit durchaus abzusprechen und ihn für einen blossen
Menschen zu halten (Ant. 5); aber ein viel grösseres Interesse
hat der Verfasser, den Gedanken einer auf Wesenseinheit be-
ruhenden Weseusgleichheit abzuwehren. Einige Male sagt er
sogar aus freien Stücken die Gottheit Christi aus, wie Tars. 1:
1) Eph. ὁ; Ant. 2. 5; Her. 7; Philipp. 2. Ct. Eus. theol. eceles.
II, 19—22 und weine Schrift über Marcellus S. 140 ff. 37, Anm. 5.
2) ϑεοῦ als Lesart der Sammlung U steht fest nach αἰ, Sev. bei
Cur. 213, 11; 217, 24, Scur. Auch Christi Dei Li, welches dem vor-
angehenden Jesum Christum Deum nachgebildet ist, ist ein mittel-
bares Zeugnis. A hat die Stelle ausgelassen.
3) So z. B. Cotelier bei Cler. II, 45 not. 3; Arndt, 8. 16%;
Duesterd., p. 27. Von den bei Letzteren angeführten Stellen sind die
aus Rom. zu streichen. Eine Anspielung an das nicänische &x τῆς οὐσίας
τοῦ πατρός hat Duesterd. p. 33 nicht nachgewiesen.
134
τὸν σωτῆρά μουν καὶ ϑεὴὸν τὸν ὑπὲρ ἐμοῦ ἀποθανόντα. oder
Eplı. 15: ὃ κύριος ἡμῶν καὶ ϑεὸς Ἰησοῦς ὁ Χριστός. Aber
sehr charakteristisch ist es, wenn er än letzterer Stelle sofort
zusetzb: ὃ υἱὸς τοῦ ζῶντος. Auf das Sohnsein, oder das Er-
zeugtsein und die dadurch begründete Ungleichheit fällt
überall der Ton. Dass Gott ebenso der Gott wie der Vater
Christi ist, muss der alte Ignatius erst lernen (Eph. 5, οἵ.
Tars. 5). Christus betet, um die ὑπεροχή des Vaters zu be-
zeugen (Sm. 7). Dem Teufel, welcher ihn zum Gegentheil
verführen will, antwortet er: οἶδα τὸν ἕνα, ἐπίσταμαι τὸν
οὔχ εἶμι ἀντίϑεος, ὁμολογῶ τὴν ὑπεροχήν. ἐπίσταμαι
μένον
τὸν τῆς ἐμῆς γεννήσεως αἴτιον. τὸν πατέρα (Philipp. 12).
Cotelier bei Cler. II, 87, not. 7 eitirt Stellen aus Basilius.
Gregor von Nazianz und Hilarius, um dies Bekenntnis der
ὑπεροχή des Vaters vom Schein des Arianismus zu reinigen.
‚Jene jüngeren Verfecher des nicänischen Bekenntnisses ') be-
tonten allerdings die im Begriffe der Erzeugung ausgesprochene
Superiorität des Vaters, um die Unterscheidung der Hypostasen
sich möglich zu erhalten. Aber der Gedanke, auf diesem
‘Weg den Monotheismus zu retten ?), war und blieb eine Lieb-
lingsidee der arianisirenden Theologie, welche seit den dreissiger
‚Jahren in mannigfachen Schattirungen die Majorität beherrschte.
Ihr Vertreter ist auch Pseudoignatius. Gott- Logos ist Christus
auch ihm; aber fast immer nur mit dem Zusatz, dass er der
vor den Aeonen erzeugte eingeborene Sohn, der Erstgeborene
aller Oreatur, oder auch „eingeborener Gott“ ist (Tars. 4:
Eph. 16. 20; Philad. 4. 6; Mgn. 6; Sm. 1), lauter Ausdrücke,
welche im alten Ignatius schmerzlich vermisst und reichlich
in denselben eingetragen werden. Das Alleranstössigste an
seiner Vorlage ist ihm, dass dort der Begriff einer die Existenz
Christi begründenden und das Wesen schon des Präexistenten
1) Dass sie in der Auffassung des nicänischen Bekenntnisse von
dessen Urhebern erheblich abwichen, ist dabei nicht zu übersehn; vgl.
mein» Schrift über Marcellus S. 87 f. mit 8, 21. 23 f. 30 f. Sie eben
witterten in manchem älteren Nicäner sabellianischen Beigeschmack, und
sahen in Marcell und Photin den Sabellius wieder lebendig werden.
2) Vgl. Marcellus S. 87 ἢ,
135
charakteristisch bestimmenden Erzeugung völlig fehlt. Wenn
Ignatius Eph. 18 gesagt hatte: „Unser Gott, Jesus Christus
ward im Leibe getragen von Maria nach Gottes Veranstaltung,
aus Davids Geschlecht zwar. aber aus heiligem Geist‘, so
schien das Gottsein dessen, der als Mensch .Tesus Christus
heisst, nicht auf die übernatürliche Empfängnis, aber erst recht
nicht auf eine verschwiegenr vorzeitliche Erzeugung gegründet,
sondern eine auf sich selbst ruhende zu sein. Daher musste
es jetzt heissen: „Der Sohn Gottes, der vor den Aeonen er-
zeugt worden und Alles nach dem Willen Gottes hergestellt
hat, dieser ward im Leibe getragen von Maria nach Gottes
Veranstaltung, aus Davids Geschlecht zwar, aber durch heiligen
Geist.“ Und dass dadurch nicht ein blosser Schein beseitigt
worden, zeigt Eph. 1. Da war unzweideutig gesagt, dass der
eine ‚Christus nach seiner göttlichen oder geistigen Seite
ἀγέννητος und nur nach seiner menschlichen γεννητός sei. Die
Schreibung mit doppeltem » sollte wenigstens hier bei Ignatius
nicht zweifelhaft sein (s. Anh. I, 17), wo ja offenbar Christo
nach seiner Gottheit, im Gegensatz zu seiner menschlichen
Geburt Unerzeugtheit zugeschrieben wird. Von der sehr viel
später durchgeführten strengen Unterscheidung von γεννητός
und γενητύς weiss auch der Interpolator noch nichts: zugleich
aber verbietet ihm seine Theologie eine so wohlwollende, aber
unrichtige Deutung, wie sie Athanasius (s. Anh. II, 2) dieser
Stelle angedeihen liess; dass nämlich Ignatius durch ἀγέννητος
dem präexistirenten Christus als dem aus dem Vater erzeugten
Sohn das Gewordeusein, die Geschöpflichkeit, habe absprechen
wollen. während er ihn als den Fleischgewordenen γεννητός
nenne. Dass der Sohn in irgend welcher Beziehung ἀγέννητος
(oder ἀγένητος) sei, ist dem Interpolator eine unleidliche Ab-
weichung von dem obersten arianischen und semiarianischen
Dogma von dem eis oder μόνος ἀγέννητος (oder ἀγένητος) ὃ).
Daher musste so geändert werden: „Unser Arzt aber ist der
allein wahre Gott, der Unerzeugte und Unzugängliche, der
Herr des Alls, Vater aber und Erzeuger des Eingebornen;
1) Her. 6; Ant. 14; Eph. 7; Mgn. 7; Philad. 4,
136
wir haben als Arzt auch unseren Herrn Gott Jesus Christus,
der vor den Aeonen eingeborner Sohn und Logos, später aber
auch Mensch aus der Jungfrau Maria war‘ etc.!) Alle diese
Aussagen haben hier aber eine bestimmte polemische Tendenz
gegen eine Theorie, nach welcher Christus gar nicht erzeugt,
nicht Sohn des Schöpfers (Trall. 6; Philipp. 7), nicht ein
Andrer neben dem Vater (Tars. 5), sondern selbst „der Gott
über Alles“ (Tars. 2. 5; Philipp. 7) ist, nach welcher über-
haupt Vater, Sohn und Geist ein und dasselbe sind (ταὐτόν
Trall. 6), nämlich der εἷς τριώνυμος, wogegen die rechte
Lehre τρεῖς ὁμοτίμους bekennt (Philipp. 2), Letzteres aber
nicht im Sinn der Wesensgleichheit oder auch nur ernstlich
gemeinter Aehnlichkeit; denn hoch über allen Engeln, dem
heiligen Geist und dem erhöhten Christus steht die „Unver-
gleichlichkeit des allgewaltigen Gottes“ (Trall. 5).
Die bestrittene Lehre it, um den Ausdruck der
Zeit zu gebrauchen, Sabbellianismus, wie er von der
semiarianischen Partei allen strengen Nicänern vorgeworfen
wurde. Hier aber erscheint diese Anklage mit anderen ver-
bunden, welche auch von dem ungerechtesten Polemiker
‚nicht wohl gegen Athanasius erhoben werden konnten. Die
voräonische Zeugung leugnete unter den namhaften Nicänern
nur Marcellus von Ancyra, und gegen diesen, welcher auf der
αἰδιότης des Logos fussend gegen jene Theorie polemisirt, ist
es gerichtet, wenn der Aoyos ἀΐδιος von der einzigen Stelle
weichen muss, wo Ignatius den Ausdruck gebraucht hatte
(Mgn. 8. Man meint eine Stelle aus Eusebs „kirchlicher
Theologie“ oder den 2 Büchern „gegen Marcellus“ zu lesen 3),
1) Vgl. noch die Umgestaltung Trall. 9; Mgn. 11.
2) Vgl. meine Schrift über Marcellus S. 136 f. 207, in Bezus auf
das obige τριώνυμος ὃ. 158. Bei aller Schiefheit der Beobachtungen
und Aufstellungen Whistons zeugte es von einem richtigen (Gefühl und
namentlich von aufmerksamer Lectüre der genannten eusebianischen
Streitschriften, dass er den dogmatischen Gegensatz der längeren und
der kürzeren Recension als den des milderen Arianismus und der in
Marcellus gipfelnden entgegengesetzten Theorie auffasste. Vgl. besonders
Whiston p. 80 sqq. 89. 93. Selbst seine Zeitbestimmung für Abfassung
137
wenn es statt dessen nun heissen muss: εἰς ϑεὸς ὁ παντοκράτωρ,
ὃ φανερώσας ἑαυτὸν διὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ, ὡς
ἐστιν αὐτοῦ λόγος, οὐ ῥητὸς ἀλλ᾽ οὐσιώδης, οὐ γάρ ἐστιν λα-
λιᾶς ἐνάρϑρου φώνημα ἀλλ᾽ ἐνεργείας ϑεικῆς οὐσία γεννητγ" ὃς
πάντα κατευαρέστησε τῷ ὑποστήσαντι ἢ αὐτόν. Daran eben
fehlt es jenem „Sabellianiemus“, dass er den Logos zu wirk-
licher ὑπόστασις oder, was damals noch damit gleichbedeutend
war, zu einer eigenen οὐ oi« nicht gelangen liess, dass er ihn wie
eines Menschen gesprochenes Wort aus dem Schweigen Gottes
hervorgehn und wieder in dasselbe zurücksinken, dass er ihn
e „göttliche Wirkung“ anstatt ein „durch göttliche Wir-
kung erzeugtes Wesen‘ oder ein „erzeugtes Wesen von gött-
licher Wirkung‘ sein lässt. Gegen des Marcellus und seines
Schülers Photin Verwerthung des alten Testaments waren die
oben angeführten Stellen Philipp. 2; Ant. 2. 3 gerichtet;
schon die Vergleichung der Anathematismen der sirmischen
Synode von 351 macht das klar. Gegen eine nur von Mar-
cellus vertretene Lehre, welche von seinen Gegnern so dar-
gestellt wurde, dass Christi Reich in dem 1 Kor. 15, 24--28
bezeichneten Moment ein Ende haben, und dass Christus zu-
vleich aufhören werde Mensch und Gottes Sohn zu sein ?),
wird in Mgn. 6 polemisirt. Der Satz, dass Christus „vor
den Aeonen beim Vater war“, musste ohnedies geändert
werden, weil die ἀϊδιότης sich dahinter versteckte. Darum
heisst es jetzt: ὃς πρὸ αἰῶνος παρὰ τῷ πατρὶ γεννηθεὶς ἦν
λόγος ϑεὸς, μονογενὴς υἱός, aber unmittelbar schliesst sich an:
καὶ ἐπὶ συντελείᾳ τῶν αἰώνων ὁ αὑτὸς διαμένει" τῆς γὰρ βασι-
λεέας αὐτοῦ οὐχ ἔσται τέλος, «Ἕησὶ lavını 0 προφήτης (ef. Acac.
contra Marc. bei Epiph. haer. 72, 7). Obwohl Marcellus aus-
drücklich behauptet hatte, dass der Logos wenigstens bei der
der kürzeren Recension „340—359° bedarf fast nur der Uebertragung
auf die längere Recension. Zur Umkehrung des Sachverhalts musste er
kommen, weil ihm der gemässigte Arianismus urkirchliches Christen-
thum war.
1) Es bedarf wohl keines Beweises, dass so mit ovt und L2 zu
lesen ist statt des trivialen πέωψαντι. |
2) Vgl. Marcellus, S. 166 ff. 208.
138
Parusie noch mit menschlichem Fleisch bekleidet sein werde,
so ist es doch nur eine Wiederholung der von Anfang an
gegen ihn gerichteten Polemik und passt schlecht auf die
ılort bestrittenen Doketen. wenn Pseudoignatius Sm. 3 ohne
Rücksicht auf die Unterscheidung von Parusie und Synteleia
diejenigen angreift, welche behaupten, Christus werde am Ende
ler Zeit ohne Leib wiederkehren (cf. Acac. 1. 1. $ 9). Schon
hei Euseb geht neben der auf Sabellianismus lautenden An-
klage die auf Samosatenismus oder Ebjonismus her; gerade
‚iese Verbindung war die Form, in welcher man eine Zeit
lang die Nichtunterscheidung der Lehren des Marcellus und
ıles Photinus durchzusetzen suchte. Seit der Mitte des Jahr-
hunderts wurde es Sitte. die beiden Häresien auf Lehrer und
Schüler zu vertheilen '). Auf diesem Standpunct steht Pseudo-
ignatius; die von ihm so oft und zwar meist gleich hinter
dem Sabellianismus bekämpfte Irrlehre von Jesus als ψιλὸς
ἄνϑρωπος ?) war der Photinianismus. Man vergleiche etwa
Tars, 6 (πῶς οὖν ὁ τοιοῦτος ψιλὸς ἄνϑρωπος καὶ ἐκ ἸΜαρίας
ἤχων τὴν ἀρχὴν τοῦ εἶναι. ἀλλ᾽ οὐχὶ ϑεὸς λόγος καὶ υἱὸς μο-
»ογενῆς) mit Epiph. haer. 71. 1 und dazu meinen Marcellus
S. 192. Den Menschen Jesus lässt Photin in gemeinmensch-
licher Weise von Maria geboren sein. wahrscheinlich sogar
als ‚Josephssohn, obwohl seine orientalischen Gegner das nicht
sofort erkannten; aber des ewigen Logos fand er es unwäürdig,
ass er dies niedrige Schicksal sollte erduldet haben, und auf
ziemlich starken Protest dagegen lässt es schliessen, wenn
Kaiser Julian ihm nachrühmte, dass er den Gott, an welchen
er glaube, wenigstens nicht in eines Weibes Leib einführe.
Darauf zielt es, wenn dem Teufel, der ja in allen Häretikern
der treibende Geist ist. der Selbstwiderspruch vorgehalten
wird, dass er den Herrn für einen blossen Menschen erkläre
und dennoch die menschliche Geburt für etwas Unreines er-
kläre und daher den Christ von der Geburt ausnehme
Philipp. 5—7, cf. Trall. 6. 10; Her. 4; Ant. 4. Gegen
1) Vgl. Marcellus, $. 79 f. 189 f.
3) Tars, 6; Ant. 5; Her. 2; Philad. 6; Eph. 19,
139
Photins damit zusammenhängende Meinung. dass nicht der
logos Mensch geworden. sondern der blosse Mensch Jesus bei
der Taufe zum Christus erhoben sei (vgl. Marcellus S. 191 ἢ),
wird nun nachdrücklich gepredigt. dass Maria einen Leib ge-
boren habe, in welchem von Anfang an Gott gewohnt, dass
der Gott Logos selbst aus der Jungfrau mit einem dem
unsrigen gleichartigen Leib geboren worden, Trall. 10; Sm. 2.
Von da aus sind auch diejenigen Stellen zu verstehn. worin
man bald Apolinarismus !), bald Polemik gegen denselben ?)
gefunden hat» Zweimal entwickelt der Verfasser in Philad. 6
seine Forderungen in Bezug auf orthodoxe Christologie, zuerst
in der Schilderung eines Heterodoxen. dann in der Schilderung
eines in diesem Ῥαποὺ Orthodoxen. welcher nach andrer Seite
hin fehlgeht. Jener bekennt den einen Gott und Jesus als
Christ, hält diesen aber für einen hlossen Menschen, der wie
alle Anderen aus Leib und Seele besteht, anstatt ihn für den
eingebornen Gott und die Weisheit und den Logos zu halten.
Das ist eben Photin. und von einer dichotomischen Vorstellung
geht der Referent aus. Auf Grund derselben erscheint ihm
an der zweiten Stelle als rechte Lehre, dass der Gott Logos
in einem menschlichen Leibe gewohnt habe als der Logos, die
Vernunft in ıhm, als Seele im Leibe, weil eben statt einer
menschlichen Seele Gott in ihm wohnt 8. Der Verfasser be-
streitet also ebensowenig einen Theologen, der wie Apolina-
rıus den göttlichen Logos die Stelle des zu Leib und Seele
hinzutretenden menschlichen Logos oder Nous vertreten lässt,
als er selbst ein solcher ist. Er kennt, wie auch Trall. 10
zeigt, nur zwei die Person des Gottmenschen constituireude
Theile, Logos und menschlichen Körper. Dunkler ist aller-
1) So Uss. diss., p. 85. 108.
2) So Germon, de vet. haeret. eccl. codic. corrupt., p. 259.
3) ὅτι ϑεὸς λόγος ἐν ἀνθρωπίνῳ owuarı χατῴκει, ὧν ἐν αὐτῷ ὁ
λόγος, ὧν ψυχὴ ἐν σώματι, διὰ τὸ ἔνοιχον εἶναι ϑεὸν, εαλλ᾽ oryi av-
ϑρωπείαν ννυχήν. Gegenüber früheren Misdeutungen erkannte Vedel.
ll. 134 sq. zwar die Construction richtig, versuchte aber vergeblich. or-
thodoxen Sinn herauszubringen. Vgl. noch Ant. 4 ἐνσωμάτησις.
140
ings die in rhetorischen Fragen an den Teufel sich ergehende
antiphotinianische Stelle Philipp. 5. Die sämmtlichen grie-
ischen Handschriften schreiben allerdings: τί παράνομον
λέγεις τὸν νομοϑέτην, τὸν ἀνϑρωπείαν ψυχὴν ὄντα. Aber
ebenso steht in sämmtlichen lateinischen Handschriften: qui
non humanam animam habuit; und dass dieser heterodoxe
Satz wirklich ursprünglich sei (cf. Uss. diss. 85), folgt erst-
liea aus der vorhin erkannten Christologie des Verfassers,
sodann aus der Unbegreiflichkeit einer derartigen Aenderung
ins Heterodoxe von Seiten des lateinischen Uebersetzers, und
endlich aus A, welcher den Partieipialsatz offenbar seiner Be-
denklichkeit wegen strich. Auch passt in den Zusammen-
hang nur eine Betonung der specifischen Differenz Christi von
‚len übrigen Menschen. Darnach muss denn auch der fol-
gende Satz erklärt werden: ὁ λόγος σὰρξ ἐγένετο καὶ τέλειος
ἄνϑρωπος, οὐκ ἐν ἀνϑρώπῳ κατοικήσας, wenn nämlich wirklich
so zu lesen ist und nicht vielmehr nach ΠΡ. ... ἐγένετο, 6 λόγος
ἄνϑρωπος, ἀλλ᾽ οὐκ ἐν ἀνθρώπῳ. Auch A hat das bedenk-
liche τέλειος nicht, und zu beachten ist jedenfalls, dass der
Interpolator Sm. 4 das ursprüngliche τοῦ τελείου ἀνθρώπου
γενομένου gestrichen hat. Gesetzt, es wäre hier ächt, so wäre
es aus dem Gegensatz zu deuten. Die Irrlehre, dass der
Logos in einem Menschen als inspirirender Geist gewohnt
habe, während er nach dem Verfasser in einem menschlichen
Leibe als dessen Seele gewohnt hat, soll durch die Berufung
auf die Fleischwerdung und wahre Menschwerdung des Logos
abgewehrt werden. Jedenfalls liegt also nicht darauf der
Nachdruck, dass Jesus ein mit allen menschlichen Natur-
hestandtheilen ausgestatteter Mensch gewesen, sondern dass
der Logos Fleisch und Mensch geworden sei. Aus welchen
Blementen dieser Logos-Mensch zusammengesetzt gewesen,
war vorher nach richtiger Lesart, unzweifelhaft aber Philad. 6
und Trall. 10 ausgesprochen. Es ist das aber ein Stück
arianischer Theologie ἢ. Dass Pseudoignatius in der Lehre
1) Vgl. F. Nitzsch, Dogniengeschichte I, 312; die Belege bei Grabe
11, 225 sq.
111
vom Logos und von der Trinität stark arianisire, braucht nicht
stärker hervorgehoben zu werden, als es in der Darstellung
seiner Polemik geschehen ist. Es fehlen hier die heraus-
fordernden Schroffheiten, welche schon Asterius überwunden
und die Eusebianer stets vermieden hatten, und so fehlt auch
die ausgebildetere Theorie des Eunomius. Aber fern genug
hält sich dieser Theologe von derjenigen Species des. gemil-
derten Arianismus, welche durch basilius von Ancyra und die
ancyranische Synode vertreten wurde und sich durch ab-
wechselnde Verdammung des strengen Arlanismus und des
wiedererwachten „Sabellianismus‘ charakterisirte (Epiphan.
haer. 73, 12 sqq.). Hier dagegen findet man neben eifriger
Polemik in letzterer Richtung kein antiarianisches Wort.
Wenn es erlaubt wäre, zu rathen, würde ich sagen, was
jetzt nur zur Verauschaulichung des Postulats dienen möge,
dass Pseudoignatius jener Acacius gewesen sei, der Schüler
und Biograph Eusebs von Cäsarea (Socrat. ἢ. 6. II, 4) und
dessen Nachfolger wie im Bisthum, so auch in der Be-
streitung des Marcellus, welcher auf den arianisirenden Synoden
der vierziger und fünfziger Jahre und noch 359 zu Seleucia
keine unbedeutende Rolle spielte, und, obwohl er auf der
letzteren von den Anomöern sich lossagte, um Führer einer
schwer zu definirenden Partei zu werden, doch ein heftiger
Gegner der zun Frieden mit den Nicänern neigenden Semi-
arianer blieb und schliesslich, sowie Jovinian zur Regierung
gekommen, doch noch durch eine verclausulirte Unterzeichnung
des Niecänums seiner Charakterlosigkeit die Krone aufsetzte !).
Bei Acacius wäre die nachgewiesene durchgängige Abhängig-
keit von Eusebs Werken besonders erklärlich, und sein ganzes
Verfahren fände eine treffliche Beleuchtung durch die
charakteristische Schilderung bei Sozomenus (IV, 23): 4xa-
1) Dies auf einer meletianischen Synode zu Antiochien im Jalıre
363. Seinen Tod setzt Touttee (Cyrill. Hier. opp. proll. LXX) nach
Epiph. 73, 37 ins Jahr 365 oder 366. Ueber seine Wahrhaftigkeit ur-
theilten schliesslich die Arianer nicht besser als die Nicäner. cf. Philet.
iu, 12; ΥἹ, 4.
142
κιος. . ., Εὐσέβιον τὸν Παμφίλου, μεϑ᾽ ὃν αὐτὸς τὴν ἐπισχο-
πὴν ἤνυε, διδάσκαλον αὐχῶν καὶ τῇ δοχήσει καὶ διαδοχῇ
τῶν αὐτοῦ βίβλων πλείω τῶν ἄλλων ἀξιῶν εἰδέναι. Kai
ὃ μὲν, τοιϑῦτος ὧν, ῥᾳδίως ἅγε ἐβοίλετο διεσκεύαζεν.
Er war der berufene Diaskeuast der ignatianischen Briefe.
Der ungewöhnlich rohe Ton des Acacius (Epiph. haer.
72, 5 sqq.), im Vergleich mit dem die Sprache eines Epi-
phanius gutmüthig und milde klingt, klingt wieder bei
Pseudoignatius. Von einem religiös motivirten Zorn über den
Irrthum ist da nichts zu spüren. Es macht dem Verfasser
vielmehr sichtliches Vergnügen, in einer Seiten langen Apo-
strophe dem Teufel alle seine Dummheiten und Schlechtig-
keiten vorzuhalten (Philipp. 5—11), und die Häretiker, die
damit eigentlich gemeint sind, heissen nicht bloss Christus-
mörder und Christusverkäufer, sondern gelegentlich auch in
einem Athemzug Hunde, Schakale, Füchse, Affen und Schlangen
aller Arten (Ant. 6). Auf Acacius, der mit seinen Genossen
auf der Synode zu Konstantinopel vom Jahre 360 unter anderem
auch die Absetzung des Eustathius von Sebaste durchsetzte,
liesse sich besonders bequem die häufige Polemik gegen die
asketischen Grundsätze der Eustathianer zurückführen, welche
wir nur nach der Auffassung der Gegner aus den Beschlüssen
der Synode von Gangra kennen !). Es sind im übrigen oder
doch in der Hauptsache orthodoxe Leute ?), welche die ge-
setzmässige Geschlechtsgemeinschaft und Kindererzeugung eine
Schändung und Befleckung und manche Speise verabscheuungs-
würdig nennen (Philad. 6). Gegen biblische Argumente
für den ersten Satz ist es gerichtet, wenn bestritten wird,
dass in der übernatürlichen Geburt Christi eine Herabsetzung
der μίξις νόμιμος von Seiten Gottes liege (Her. 4), oder wenn
1) Vgl. den Commentar dazu bei Hefele, Conciliengesch. I, 751—765.
Dass Pseudoignatius seine regelmässig wiederkehrende T'hemata nicht aus
der Luft gegriffen, sondern aus den Bewegungen seiner Zeit genommen
hat, bedarf wohl an dieser Stelle keines Beweises mehr. Dann hat zu
den von ihm bekämpften Parteien die eustathianische gehört.
2) Eustathius stand dem Acacius dogmatisch zeitweise nahe genug.
Vgl. die Klage des Epiphanius haer. 75, 2.
143
die grosse Zahl der verehelichten Heiligen, wozu nach älteren
Vorgang, 2. B. des Clemens Alexandr., auch Paulus gehört !),
namhaft gemacht wird (Philad. 4). Weder die Männer sollen
die Weiber, noch die Jungfrauen die Ehe als etwas Unreines
verabscheuen (Her. 4; Philad. 4; Philipp. 6). Des Weins und
des Fleisches soll sich Heron nicht enthalten, und die härteste
Askese ist keine unbedingte Empfehlung (Her. 1. 2).
Weiterhin hat Pseudoignatius ein grosses Interesse an
rechter Ordnung der Festtage und besonders an Unterdrückung
der quartodecimanischen Osterfeier (Pilipp. 13. 14). Die
antijudaistischen Aeusserungen des Ignatius werden in diesem
Sinn aufgegriffen, und wenn sie auch insofern abgeschwächt
werden müssen, als die orientalische Sitte den Sabbath als
Gottesdiensttag neben dem Sonntag auszeichnete (Mgn. 9), so
werden sie doch andrerseits verbreitert (Mgn. 8) und
deutlich auf die Paschafrage hingewendet (Mgn. 10). Dabei
entwickelt der Verfasser wiederum einen Fanatismus, welcher
gegen die energischesten Symodalbeschlüse des 4. Jahr-
hunderts ?) von wesentlich gleicher Richtung und die Be-
handlung der Streitfrage bei Athanasius, Epiphanius, Chryso-
stomus 5) und vollends bei Socrates unangenehm absticht, aber
auch darauf hinzuweisen scheint, dass der Widerstand der
Quartodecimaner noch zäh und nicht so hoffnungslos war, als
am äussersten Ende des 4. Jahrhunderts.
Aus den bisherigen Beobachtungen ergibt sich als Zweck
der ganzen Fiction. vermittelst der Auctorität des Märtyrers
Ignatius erstlich in Sachen kirchlicher Sitte für eine mittel-
schlächtige und gleichförmige Loyalität zu wirken, im
Gegensatz sowohl zu zähem Festhalten an provincieller Eigen-
thümlichkeit und Alterthümlichkeit, als zu neueren Extra-
vaganzen, sodann aber — und das ist das weitaus Wich-
l) Auch dies konnte Pseudoignatius aus Euxs. ἢ. ὁ. III, 30 wissen.
2) Das Schreiben der nicänischen Synode Soer. h. e. I, 9; das des
Kaisers Eus. vit. Const. III, 17 sqq. Can. Antioch. 1. Laodic. 49 πα.
(rangr. 18. Die kühlste Erörterung bei Socr. ἢ. e. IV, 28: V, 21 sq.
3) Mittelbar gehören dessen hom. I—IV adv. Jud., OpP- ed. Monttf.
1, 587sqq. wenigstens auch hierher.
144
tigere — einer arianisirenden Theologie, welche die nicänische
Formel sammt allen ihr sich annähernden der folgenden Jahr-
zehnte verwarf, den Schein ehrwürdigsten Alters zu geben
und sie gegenüber den in Marcell und Photin offenkundig ge-
wordenen Ausschreitungen ihrer Gegner als biblische Wahr-
heit darzustellen. Die literarische Polemik gegen Marcell
zieht sich bis zum letzten Viertel des Jahrhunderts hin 1),
während er sammt Photin nach dem Concil von 381 bald
der häreseologischen Nomenclatur anheimfiel 33. Da auch die
hier ins Feld geführte Theologie um 380 zwar nicht aus-
gestorben war, aber olıne Hoffnung, in der griechisch redenden
Kirche durchzudringen, verstummte, und da andrerseits die
hier vorausgesetzten socialen und kirchlichen Verhältnisse,
welche Pseudoignatius voraussetzt, merklich über die Mitte
des Jahrhunderts hinabführen, so werden wir als Entstehungs-
zeit dieses Werks die Jahre 360—380 bezeichnen dürfen.
Dazu passt ebensosehr die Erwähnung der Kopiaten (vgl. oben
S. 129), als die ziemlich sichere Vermuthung, welche weiter
unten neue Bestätigung finden wird, dass eine von Hieronymus
und Chrysostomus unseres Wissens zuerst benutzte marty-
rologische Schrift, welche durch spätere Umarbeitung zum
m. vatic. wurde, schon von Pseudoignatius benutzt wurde
(vgl. oben S. 37f.). Hiermit verträgt sich endlich auch das
Verhältnis unsres Verfassers zur kirchenrechtlichen
Literatur.
Nachdem schon Turrianus u. A. auf die vielfachen Be-
züge zwischen dem damals allein vorhandenen Pseudoignatius
und den apostolischen Constitutionen aufmerksam gemacht
und unter Voraussetzung der Aechtheit beider Werke gemeint
hatten, dass Ignatius jenes Werk des Clemens fleissig benutzt
habe, während Scultetus und nach ihm Vedelius eine Inter-
polation der Briefe des Ignatius aus den apostolischen
1) Vgl. meinen Marcellus S. 85 f., wo etwa noch Didym. de trin.
I, 81 zu nennen war.
2) Οἵ, Cyrill. de trin. e. 28 in Patr. nova bibl., Rom. 1844, II. 30.
Y'heodor. haer. fab. 11, 11.
145
Constitutionen annahmen, versuchte Ussher zu beweisen, dass
die nachweisliche Interpolation der Constitutionen und der
ignatianischen Briefe von völlig gleichem Geist und von auf-
fällend ähnlicher Ausdrucksweise und darum eines einzigen
Fälschers Werk sei. Darnach ist allerdings die Untersuchung
über die Constitutionen und die mit ihnen stammverwandte
Literatur von der Untersuchung der Geschichte der ignatia-
nischen Literatur nicht ganz zu trennen. Dennoch glaube
ich von einer ernstlichen Einmischung in jene ziemlich ver-
wickelte Angelegenheit, welche nach der Veröffentlichung so
vier neuer Quellen nothwendig auf’s neue monographisch
behandelt werden muss, absehn zu dürfen. Pseudoignatius hat
uns so reichlich über seine Absichten und seine Zeitlage
orientirt, dass vielleicht von hier aus der viel schwierigern
Aufgabe einer chronologisch bestimmten Bildungsgeschichte
der Didaskalien - und Diataxenliteratur einige Erleichterung
m Theil werden könnte, schwerlich aber umgekehrt. Das
möchten die folgenden Bemerkungen näher darthun. Die
Bücher I—VI der apostolischen Constitutionen, wie wir sie
griechisch lesen, sind durch eine weitgreifende Interpolation
aus einer älteren Schrift erwachsen, welche vor der Inter-
polation ins Syrische übersetzt wurde unter dem Titel „Di-
daskalia d. i. katholische Lehre der heiligen zwölf Apostel
und Jünger unsres Heilands“ 1), ein Titel, welcher in den
griechischen Constitutionen noch mehrfach durchklingt ?2).. Da
ıun aber dieselben 6 Bücher unter gleichem Titel in arabischer
und äthiopischer Uebersetzung die im griechischen Octateuch
(. I-VI) vorliegende Erweiterung und Veränderung der Haupt-
sache nach enthalten, so scheint allerdings zu folgen, dass die
Interpolation der 6 Bücher vor sich ging, ohne dass sofort
die beiden Bücher eonst. VII. VIII hinzutraten, dass also der
Interpolator von 1. I—-VI mit dem Redactor von 1. 1---ΥἹ
nicht identisch ist. Dem dient’s zur Bestätigung, dass die
1) Didascalia apostol. syr. ed. [de Lagarde] 1854. Οἵ, Rell. jur.
666], graece ed. de Lagarde 1856, p. IV. LVL
2) Const. ap. I praef.; II, 39, besonders aber VI, 14: ἐγράψαμεν
ὑμῖν τὴν χαϑολικὴν ταύτην διδϑασχαλίαν.
Zahn, Ignatius. 10
146
Berührungen zwischen Pseudoignatius und den Constitutionen
sich, wie man längst bemerkt hat !), auf die 6 ersten Bücher
wenigstens hauptsächlich beziehen. Nachdem sich gezeigt hat,
dass Pseudoignatius mit constit. VII, 46 sich mehrfach in
Widerspruch setzt (s. oben S. 125 f.), so wird eine Abhängig-
keit desselben von diesem Buch nicht für wahrscheinlich gelten
können. Andrerseits reichen die Berührungen, die namentlich
Ussher nachgewiesen hat, nicht aus, das Verhältnis umzukehren.
Es hat nichts zu bedeuten, wenn constit. VII. 8 ebenso. wie
Her. 5 aus Prov. 14, 29 eine Ermahnung gemacht wird; denn
abgesehn von der Verschiedenheit des Zusammenhangs und
des Wortlauts der Anführung, greift das Citat in constit.
über das Her. 5 Angeführte hinaus; also schöpft der Ver-
fasser von constit. VII aus der Bibel selbst. So hat er auch
nicht aus Her. 1 die zur Bestreitung der Enthaltung von Wein
und Fleisch verwendeten Stellen Jes. 1, 19; Gen. 9, 3;
Cohel. 2, 25; Sach. 9, 17 entlehnt const. VII, 20. Erstlich
ist die Ordnung der Stellen eine andre; sodann fehlt in const.
das Citat aus Ps. 104, 15, welches er gewiss nicht ausge-
stossen hätte, um Gen. 45, 18; Deut. 32, 23; Matth. 15, 11
erst selbst in der Bibel aufzusuchen; ferner ist der Text
z. B. in Gen. 9, 3 bei beiden abweichend genug, und Ueber-
einstimmungen wie das παρ᾽ αὐτοῦ in der Anführung von
Sach. 9, 17 gehen auf Varianten der LXX zurück. Endlich aber
waren diese Stellen ein zum Theil seit Urzeiten in dieser
Streitfrage verwendetes Beweismaterial (Just. dial. c. 20,
p. 237 C; const. IV, 5). Vollends unrichtig ist es, wenn
man in der Anordnung, den Sabbath neben dem Sonntag als
Gottesdiensttag zu feiern (Mgn. 9) und an dem Sabbath vor
Ostersonntag zu fasten, während das sonst am Sabbath verboten
ist (Philipp. 13), eine Abhängigkeit von const. VII, 23, ef. 36
oder umgekehrt die Quelle hiervon erkennt. Wortlaut und
Gedankengang sind sehr verschieden. Die Regel selbst aber
und deren Begründung durch die Beziehung der Sabbathfeier
1) Vgl. die Zusammenstellung bei Bickell, Geschichte des Kirchen-
rechts I, 58.
447
auf die vollhrachte Sehöpfung und des: Sonntags anf die Aufr
erstehung (Mgn. 9) sind viel älter als congt. VIL Vgl. z.B,
lagarde rell. jur. 6001. gr. 12, 3% sqq. Daher oder aus (ΟΣ
auch dort benutzten Quelle ging es auch in const. VIII, 32
über. Dagegen fehlt in const. VII, 23 cf. 36 der ausge
sprochene Gegensatz christlicher und jüdischer Sabbathfeier,
den man const. II, 36 cf, V, 15 ebenso wie Mgn, 9 findet;
md auch die positivg Zweckangabe der Sahhathfeier, die
μελέτη wauov. Ein directes Abhängigkeitsverhältnig zwigchen
Pseudoignatius und eonst. VII ist demnach nicht zu erweisen
und der aus dem obenerwähnten Widerspruch entnommene
Beweis gegenseitiger Unabhängigkeit bleibt in Kraft.
Schwieriger ist es über das Verhältnis unseres „Ignatius “
m const, VIII zu urtheilen, weil das Verhältnis dieses Buchg
m anderen kirchenrechtlichen Schriften, namentlich zu den
ἐικτάξεις τῶν ἀποστόλων» περὲ χειροτονιῶν διὰ Ἱππρλύτου, auch
nach dem, was Bickell ἃ. ἃ, O. I, 221fl. und Lagarde rel],
jur. 6660}. gr. p, VIII gesagt haben, noch nicht ausgamacht,
sein dürfte. Denn, wie blosse Auszüge aus dem celemanr
tinisyhen Oktateuch zu dem Naman des Hippelytus kenımen,
it doch dadurch nicht; erklärt, dass man in Egypten anf
Hippelytua als einen γνῴριμος τῶν ἀποστόλων überhaupt
Achnliches zurückführte, als anderwärtse auf Clemeng; und
das mir übrigens nicht ganz verständliche Sehelion der mün-
chenuer Handschrift leitet die beiden kleinen Stücke, die .es
angiht, doch nicht: aus dem, clementinischen Oktateuch, sondern
eben nur aus irgend welchen ἀποστομκαὶ διατάξεις her !).
Aber was hat nicht alles so geheissen!| Die Schrift selbst,
um deren Verhältnis zu cons$. VIE es sich handelt, jedenfalls
mit grösserom Becht, als die διατῳγαὶ τῶν ἀποστόλων, welche
doch nur gelegentlich auch ἀποστολικαὶ διακάξεις haissen ?),
In demjenigen Fällen, in walchen Barührungen zwisehen
1) S. bei Lagardo rell. j. ecel. gr., p. 11. Der Text der Djataxen
dort p. 5—18. ᾿
2) Cf. const. ed. Lagarde, p. ΠῚ. Epiphanius bezeichnet die ihm
vorliegende ältere Form der Constitatienen wenigstens eiumal anch
yluralisab als διατάξεις τῶν ἀποστήλωμ haar, 80, 7.
105
148
Pseudoignatius und const. VIII zugleich in jenen Diataxen
unter Hippolyts Namen ihre Parallele finden, können alle
drei abhängen von einer Schrift, welche der Verfasser jener
Diataxen excerpirend, der Verfasser von const. VIII ampli-
ficirend benutzte. Jedenfalls steht eine directe Abhängigkeit
des Pseudoignatius von letzterem oder dieses von jenem nicht
zu erweisen. Die Ermahnung z. B. an die Eheleute διδασ-
κέσϑωσαν ἀρκεῖσϑαι ἑαυτοῖς (const. VIII, 31; diat. Hippol.
p. 10, 3) kann ebensowohl aus dem ächten Ignatius (ad
Pol. 5) entstanden, oder auch selbständig gebildet. als durch
Zusammenziehung der breiteren Ausführung desselben Ge-
dankens in Her. 5 entstanden sein. Die an sich nicht be- -
sonders auffällige Bemerkung, dass Adams Leib aus den
vier Elementen gebildet sei, steht const. VIIL, 12 im Gegensatz
zur Erschaffung seiner Seele aus nichts, Her. 4 dagegen im
Gegensatz zur Erschaffung Evas aus seiner Seite. Es erscheint,
wenn man die in beiden Schriften folgenden Worte beachtet,
als blosse Ergänzung von etwas Selbstverständlichem, wenn in
den Satz ἐπίσκοπος εὐλογεῖ, οὐκ εὐλογεῖται, χειροτονεῖ, προς-
φέρει (diat. p. 9, 17) in const. VIII, 27 ein χειροϑετεῖ einge-
schoben ist. Eine Abhängigkeit von dieser Fassung in const.
VIII, 27 kann es doch nicht beweisen, wenn Her. 3 von den
Bischöfen im Gegensatz zu den Diakonen und ohne Rücksicht
auf die Presbyter gesagt wird: AuntiLovow, ἱερουργοῦσι, χεερο--
τονοῦσι, χειροτεϑοῦσιν. Dass die Diakonissen Ant. 12; const.
VII, 27, aber auch diat. Hippol. p. 9, 30 als Thürhüterinnen
bezeichnet werden, bezeugt höchstens einen gleichmässigen
kirchlichen Brauch; und selbst, wenn irgendwo in den Con-
stitutionen die κοπιαταί erwähnt wären, würde die Vergleichung
von Ant. 12 höchstens das ergeben, dass der Redactor der
Constitutionen und der Interpolator des Ignatius nach der
Mitte des 4. Jahrhunderts gearbeitet haben. Es kann aber
auch daraus, dass Pseudoignatius allein sie erwähnt, nicht ge-
folgert werden, dass die Constitutionen ihre jetzige Gestalt
früher erhalten haben. Erwähnung verdienen eigentlich nur
zwei Stellen. Mit Recht fand es schon Ussher (diss., p. 109)
auffällig, dass es von Christus Mgn. 4 heisst: ὁ ἀληϑινὸς καὶ
149
πρῶτος ἐπίσκοπος καὶ μόνος φύσει ἀρχιερεύς und Sm. 9: τὸν
πρωτύτοχον καὶ μόνον τῇ φύσει τοῦ πατρὸς ἀρχιερέα (cf.
Mgn. 7) und so auch const. VIEL, 46 πρῶτος τοίνυν τῇ φύσει
ἀρχιερεὺς ὃ μονογενὴς Χριστός !). Die ähnlichen Stellen der
Diataxen des Hippolytus enthalten das auffällige φύσει nicht.
Aber es scheint hier eben einer jener Fälle vorzuliegen,
wo jenes Excerpt unter Hippolyts Namen ein kirchenrechtlich
gleichgültiges, #heologisch auch wohl anstössiges Wort ausstiess,
welches der gemeinsamen Quelle getreu von den beiden andern
Schriftstellern beibehalten wurde. An der zweiten noch frag-
lichen Stelle kann jedenfalls der Verfasser von const. VIII, 33
nicht aus Pseudoignatius geschöpft haben; denn, so wohl
motivirt dort in der Erörterung der christlichen Betstunden
die genaue Angabe dessen, was um die 3., 6. und 9. Stunde
des Todestags Jesu geschehen ist, erscheint, so unpassend
bringt Ignatius diese Gelehrsamkeit an einer Stelle an
(Trall. 9), wo es sich auch nach seiner Umarbeitung nur um
die Realität des menschlichen Lebens und Sterbens Jesu
handelt. Irgend welche pracktische Absicht leuchtet wenig-
stens nicht deutlich durch; denn aus: dem Vorhergehenden
folgt gar nicht das, womit er schliesst: περιέχει οὖν ἡ μὲν
παρασχευὴ τὸ πάϑος, τὸ σάββατον τὴν ταφὴν, ἡ κυριακὴ τὴν
ἀνάστασιν. Soviel ist klar, Pseudoignatius ist hier der Ab-
hängige, jedoch nicht von const. VIII, auch nicht von diat.
Hippol. p. 13, 21 sqq., sondern von const. V, 14.
Nur zwischen const. I—VI und Pseudoignatius findet
ein weitgreifender Parallelismus statt, welcher allernächste
literarische Verwandtschaft voraussetzt. Dies, aber auch nur
dies hat Ussher ausreichend bewiesen. Seine Hypothese aber
von der Identität der beiden Interpolatoren scheitert sofort
an der ersten Parallele ἢ. Wenn man die Idee gegenwärtig
1) ed. Lag. p. 280, 10 ef. 278, 18; 280, 3; 281, 8; aber auch diat.
Hippol. p. 16, 12; 17, 17. 24.
2) Kaum zu verwerthen ist die, soviel ich weiss, einzige, die in
const. I nachgewiesen ist. Es ist doch nur eine ähnlich lautende und in
verschiedenem Zusammenhang gebrauchte Redensart: μεμετρημένως καὶ
εὐτάχτως, Her. 1, εὐτάχτως μετὰ αἰδοῦς μεμετρημένως const. I, 9.
150
hat, weiche, wie gleich nachher gezeigt werden soll, die
Correspondenz zwischen Ignatius und Maria von Kastabala er-
zeugt hat, aber auch den Brief an Heron durchweg beherrscht
und die umfangreiche Einschaltung in Mgn. 3 veranlasst hat,
sd muss es auffallen, const. II, 1 als allererstes Gesetz in
Bezug auf die Bischöfe zu lesen, dass unbescholtene Männer
nicht unter 50 Jahren dazu zu bestellen seien. Wer diesen
Kanon aufstellt, oder auch nur gelten lässt, kann nicht eine
löngere Dichtung ersonnen und seine Schriftgelehrsamkeit auf-
geboten haben, um zu beweisen, dass ganz junge Männer eben-
sogut wie der 12jährige Salomo und der 8jährige Josias zu
den höchsten Aemtern gelangen können, und dass sogar in
der Metropole Antiochien ein Diakonus, welcher ermahnt
werden muss, seine Jugend nicht verachten zu lassen, dem
Ignatius sofort nach seinem nahebevorstehenden Tode im Amt
folgen dürfe. _ Allerdings kennt dieser Ignatius den Inhalt
und Wortlaut von const. II, 1, wie er auch in der syrischen
Didaskalia enthalten ist, und setzt sich damit, so gut es gehn
will, auseinander. Nach Aufstellung jenes Kanons heisst es
const. II, 1 in genauer Uebereinstimmung mit didasc., p. 10,
12 864ᾳ.: „Wenn aber in einer kleinen Parochie kein be-
jahrter Mann sich findet, der gutes Zeugnis für sich hat und
geeignet ist, zum Bischof bestellt zu werden, es ist aber ein
junger Mann vorhanden, welcher von seinen Bekannten das
Zeugnis empfängt, dass er des Bisthums würdig sei, indem er
trotz seiner Jugend durch Sanftmuth und gute Haltung
Greisenalter bekundot, so möge er, nachdem untersucht
worden ist, ob Alle ihm solches Zeugnis ausstellen, getrost
eingesetzt werden.“ So gewiss Pseudoignatius dies nicht
teschrieben haben kann und, wenn ihm dies als Object seiner
interpolirenden Thätigkeit vorgelegen hätte, es gründlich
interpolirt hätte, so unzweideutig ist es doch, dass er aus
dieser Stelle starke Anregung bei Anfertigung jener Briefe
empfangen hat. Die „kleine Parochie' ist „die Neustadt
bei Anazarbus", Maris ist „der junge Mann“, welcher, wie
es Mar. ad Ign. 2 heisst, „in frischer Jugend des
Priesterthums Greisenthum ausstrahlt“. Aber micht
451
mehr als Ausnahme von einer Regel erscheint hier die Ein-
setzung eines jugendlichen Bischofs, sondern Regel geworden
ist: οὐχ οἱ πολυχρόνιοί εἶσι σοφοὶ οὐδὲ οἱ γέροντες ἐπίστανται
σύνεσιν, ἀλλὰ πεῦμά ἐστιν ἐν βροτοῖς Men. 3, und mit starker
Betonung wird dem 90jährigen Eli das Knäblein Samuel als
Strafprediger gegenübergestellt und auch sonst das Beweis-
material vermehrt. Ist nun hier die Abhängigkeit dieses
Ignatius von const. I—VI, soweit sie mit der Didaskalia
identisch und von dem Interpolator unberührt geblieben sind,
evident geworden, so fragt sich nur noch, vb er auch mit
dem Interpolator der Didaskalia Berührungen hat, und ob er
auch da als secundärer Schriftsteller sich erweist. Auch
letztere Frage muss erhoben werden; denn möglich wäre es
ja, dass dieser Ignatius die noch unverfälschte Didaskalia be-
nutzt hätte, und ihn wiederum der Interpolator von const.
I—VI, so dass wir also die Genealogie gewännen: 1) Dida-
scalia, 2) Pseudoignatius, 3) const. I—VI. In der That ge-
bührt unserem Ignatius. die dritte Stelle. Das beweist schon
die Interpolation von Mgn. 3 und Sm. 9 in Vergleich mit
const. VL, 1. 2, ἃ. 1. mit einer grossen Interpolation, welche,
wie der Vergleich mit didasc. p. 96 lehrt, von der ersten
bis zur zweiten Erwähnung Dathams und Abirams reicht
(const. ed. Lag. 156, 15 — 157, 15). Der Gleichlaut im Ein-
zelnen !) und die Verwechselung des Σαββεαΐ (2Sam. 20, 1 84.)
mit Aßeddudav lassen keinen Zweifel an der Abhängigkeit
eines Schriftstellers oder vielmehr Interpolators vom andern.
Αβεδδαδάν ist Aßsdödupn oder ᾿4“βεόδαδώμ, d. i. Obed Edom
aus 2Sam. 6, 10, wohin ein von Οζίας zu Ὀζά 2 Sam. 6, 6
abirrendes Gedächtnis führte. Dass der Interpolator der
Didaskalia wirklich den Seba von 2Sam. 20 meint, zeigt die
Zusammenstellung mit Absalom, und was er selbst von ihm
sagt. Hätte ihm aber Mgn. interp. 3 als Quelle seiner
Kenntnis wie seines Irrthums vorgelegen, so wäre unbegreiflich,
1) Οὐ Sm. 9 mit const. VI, 2: δὲ γὰρ ὁ βασιλεῦσιν x. τ. A.; ferner
Mgn. 3 mit const. VI, 2: «uuwonzos; endlich Sm. 9 (κατατολμήσας
ἱερέων xai lepweurns) mit const. VI, 1 (χαταξολμήσας τῆς ἱδρωσύνης).
152
wie er aus dem falschen Namen den richtigen Mann hätte
errathen können, oder, wenn ihm dies doch gelungen wäre,
wie er dann den falschen Namen hätte beibehalten können.
Somit hat Peudoignatius vielmehr aus dem bereits inter-
polirten Text von const. I—VI geschöpf. Die Schlus-
folgerung von dem minus einer Auflehnung gegen das König-
thum zum majus einer Empörung gegen das Priesterthum hat
er Sm. 9 verwendet; die geschichtlichen Beispiele aber hat
er Mgn. 3 beigebracht, wo er, ohne jenen Unterschied zu
machen, von Auflehnung gegen die Oberen überhaupt redet.
Schon vorhin wurde bemerkt, dass die Chronologie der Lei-
densgeschichte in Trall. 9 aus einem anderen Zusammen-
hang entlehnt sein müsse und zwar aus const. V, 14. Wie-
derum ist es, wie die Vergleichung mit didasc., p. 88 zeigt,
ein interpolirter Text, aus welchem dieser Ignatius schöpft.
Ebenso verhält sich’s mit der Mgn. 9 benutzten Stelle const.
II, 36, deren unverfälschter Urtext didasc., p. 42 steht. Es
ist ferner eine grosse Interpolation in const. V, 13 sq. cf.
didasc., p. 87, 18 sqq., deren Benutzung in Philipp. 13 bei
Empfehlung der 40Otägigen Fasten allein schon durch die
Worte μέμησιν περιέχει τῆς τοῦ κυρίου πολιτείας Sich ver-
räth. Auch alle weiteren Uebereinstimmungen gerade in
dieser Materie zwischen Philipp. 13. 14 und const. V, 15. 17
sind ebensoviele grelle Widersprüche gegen den unverfälschten
Text der Didaskalia.
Pseudoignatius hat demnach eine Gestalt der interpolirten
Didaskalia benutzt, welche in const. I—VI wesentlich unver-
sehrt erhalten zu sein scheint, und zwar hat er sie, wenn
nicht Alles trügt, vor ihrer Verlängerung um const VII.
VIII oder vielmehr ohne dieselbe gelesen. Auf diese Schrift
scheint er ausdrücklich mit den Worten hinzuweisen: ,2]δεῖσϑε
δὲ καὶ τὸν ἐπίσκοπον ὑμῶν ὡς Χριστόν, καϑ᾽ ὃ ὑμῖν οἱ μακά-
οιοι διετάξαντο ἀπόσοτολοι (Trall. 7 cf. Her. 2 und Us.
diss., .Ρ. 67 sq.).. Dem so empfohlenen Gebot Aehnliches
lesen wir öfter in den Constitutionen. Besonders nahe liegt
die Annahme einer bestimmten Erinnerung an const. II,
34. 35, besonders an Worte wie οὕτως καὶ ἡμεῖς ὑμῶν περὶ
153
τῶν ἐπισχύπων διατασσόμεϑα und διὸ τὸν ἐπίσκοπον στέρ--
γεν ὀφείλετε ὡς πατέρα, φοβεῖσϑαι ὡς βασιλέα τιμᾶν τε
ὡς κύριον ὃ).
Eine genauere Zeitbestimmung für die Entstehung des
pseudoignatianischen Werks gewinnen wir auf dem Wege
dieser Untersuchung nicht. Denn daraus, dass Epiphanius um
375 die διάταξις oder die διατάξεις τῶν ἀποστόλων in einer
jedenfalls viel ursprünglicheren, der syrischen Didaskalia viel
ähnlicheren Gestalt benutzte, folgt selbstverständlicher Weise
nicht, dass ein Schriftssteller, welcher bereits die vom Redactor
des clementinischen Oktateuchs aufgenommenen Bücher const.
I—-VI in der jetzt vorliegenden Gestalt benutzt hat, nach
375 gearbeitet haben müsse. Es kann kurz vorher, wie kurz
nachher geschehen sein. Wie lange vor der anderweitig fest-
gestellten Zeit des Pseudoignatius (360—380) die Bücher
const. I— VI die von jenem benutzte Interpolation erlebt
haben, habe ich nicht zu untersuchen; nur wird feststehn
müssen, dass Pseudoignatius nicht selbst auch Pseudoclemens
ist, und zwar weder der Redactor des Oktateuchs, dessen Werk
ihm noch unbekannt ist, noch der Interpolator von const.
I-VI, von dem er in einer Art und Weise abhängig ist, in
welcher Einer nicht-von sich selbst abhängig sein kann. _ -
Endlich ist auch noch auf die so zu sagen romanhafte
Seite der Fiction ein Blick zu werfen. Die beiden an der
Spitze stehenden Briefe von und an Maria sind auch der
fingirten Entstehungszeit nach die ersten. Ignatius befindet
sich zwar schon unter militärischer Bewachung, die ihn an
freier Bewegung hindert, aber doch noch in Antiochien, als
er den Brief Marias beantwortet (ad Mar. 4). Diese Maria
nennt sich selbst in der Grussüberschrift zeogjAvıosg ᾿Ιησοῦ
Χριστοῦ, was man geneigt sein möchte von einer kürzlich
geschehenen Bekehrung vom Judenthum oder Heidenthum zum
Christentbum ?) zu verstehn, zumal dem Ausdruck in der
1) Vgl. jedoch auch die viel älteren diarayai bei Lagarde, rell. jur.
600]. gr., p. 76, 21.
2) Just. dial. c. 122, p. 531 B: οὐχὶ τὸν παλαιὸν νόμον ἀχουσό--:
154
Grrussüberschrift des Antwortschreibens ein ἠλεημένη ὑπὸ ϑεοῦ
entspricht, und sie im Namen einer eben erst bekehrten
Schaar cilicischer Christen den ihr persönlich unbekannten
Bischof der Metropole Antiochien um Geistliche zur Organi-
sirung der Gemeinde bittet (Mar. ad Ign. 1). Aber sie soll
schon unter dem Vorgänger des dermaligen römischen Bischofs
Clemens, unter dem πάπας Anaclet !), um diesen oder um die
römische Gemeinde sich Verdienste erworben haben (ad
Mar. 4); man kann kaum daran zweifeln, dass sie die Mapası,
ἥτις πολλὰ ἐχυπίασεν εἷς ὑμᾶς sein 501] ἢ. Also nur über-
haupt als eine zum Christenthum bekehrte Jüdin wird sie
dadurch bezeichnet sein sollen. Sie stammt aber nicht aus
Rom, sondern aus der ceilicischen Stadt Καστάβαλα; denn,
wie die Uebereinstimmung der wenigen Textzeugen für den
Brief der Maria und die Unerfindbarkeit einer solchen Spe-
cialität Seitens eines Abschreibers beweist, hat schon der
---- - oo...
μεϑα καὶ τοὺς προςηλύτους αὐτοῦ, ἀλλὰ τὸν Χριστὸν χαὶ τοὺς προςηλύ-
τους αὐτοῦ ἡμᾶς τὰ ἔϑνη, οὖς ἐφώτισεν.
1) Vgl. oben ὃ. 125. Die Freude des Mästräus (not. 20 zu ad
Mar. 4), so früh schon den römischen Bischof ‚Papst‘ genannt zu finden,
war natürlich sehr voreilig. Wäre der Titel πώπας für Pseudoignatius
ein den Bischöfen der Hauptkirchen oder gar der römischen insbesondere
eigenthümlicher Ehrentitel, so würde er ihn dem Clemens oder dem
Euodius (ad Mar. 4; Ant. 7; Trall. 7; Philad. 4) gewiss nicht ver-
sagen. Passend wendet er diesen Ehrennamen besonders älterer Geist-
lichen da an, wo es sich um das Verhältnis eines Frauenzimmers zum
Bischof handelt. In act. Perpet. et Felic. c. 13, Ruinart p. 99 cf. Tert.
de pudic. 13 mit de pud. 1, auch Cypr. ep. 8; 30 inser., 31 inscr.,
36 inser.; 30, 8 scheint der Bischof allein im Unterschied von den
übrigen Geistlichen papa zu heissen, vgl. aber Mabillon, vetera analecta
IV, 104. Dass die alexandrinischen Bischöfe besonders häufig so ge-
nannt wurden, ist bekannt. Cf. Eus. ἢ. e. VII, 7, 4; Athan. opp. ed.
Montt. I, 2, 729 C. E; Epiphan. haer. 68, 9 sqq. Eutych. ann. interpr.,
Pocockio I, 332. 335.
2) Rom. 16, 6 wo an der Lesart ὑμῶς statt ἡμᾶς doch wohl nicht
zu zweifeln ist. Dieser schon älteren Vermuthung scheint auch Uss.
Clier. II, 95 nicht haben entgegentreten zu wollen. Er hält sie auch
für eine proselyta Hebraici nominis im doppelten Sinn dieses
Worts.
155
Veranstalter der Sammlung B, welcher sich auch hierdurch
als Verfasser des Werks bezeichnet, der Grussüberschrift noch
die Adresse vorgesetzt: ᾿γνατίῳ Muolu ἐκ Κασσοβήλων oder
wie sonst der Name verunstaltet wurde, welchen schon Ca-
aubonus richtig wiederhergestellt hat (s. Auh. I, 6). Aber
sie befindet sich nicht in Kastabala, sondern in der Neu-
stadt bei Anazarbus (Mar. ad ἴσῃ. 1: Ign. ad Mar. inser.;
Her. 9). Eine dortige Stadt mit Namen Neapolis erwähnt
kein alter Geograph; aber auch Pseudoignatius will nicht so
verstanden werden, sonst würde er nicht die bekanntere Stadt
daneben nennen und schwerlich auch, was doch nur viel
ältere Schriftsteller thun, beide Stücke des Namens decli-
niren ἢ und vollends Maria von „unserer hiesigen neuen
Stadt bei Zarbus‘“ reden lassen (Mar. ad ἴσῃ. 1). Das sollte
doch wenigstens keines Beweises bedürfen, dass Voss das sinn-
lose τῆς ἡ μελάπης νέας πόλεως in ΟἹ L! richtig in ἡ μεδα-
πῆς emendirte, während es Dressel vorzog, stillschweigend das
Unmögliche zu wiederholen. Um den Ausdruck zu verstehn,
muss man sich der theilweise sagenhaften Geschichte von
Auazarbus erinnern 3). Anazarbus wird sie von Pseudoignatius
nur Her. 9, und vielleicht auch dort nicht genaunt, denn
L! 1 A setzen hier gegen G! ΟΣ ein τῇ πρὸς τῷ Zuoße
voraus, wie es alle Zeugen Mar. ad Ign. 1 und G! im Titel
von Ign. ad Mar. geben. Man wird diese Form wohl überall
gelten lassen müssen, wie unbequem auch der masculinische
Artikel neben dem Stadtnamen ist, und wie verzeihlich das
Misverständnis der armenischen oder der zu Grunde liegenden
syrischen Uebersetzung war, dass hier ein Fluss genannt sei ὃ).
1) 8o Ign. ad Mar. 1; Her. 9; in der Titelüberschrift von Ign. ad
Mar. hat med. ohne Bestätigung durch irgend einen andern Zeugen εἰς
VerrroA® τῆς (ἃ. i. τὴν) πρὸς τῷ Ζάρβῳ.
9) Bei Mannert. Geographie VI, 2. 8. 105 8, Forbiger, Handbuch
1. 5 885 f. findet man nicht ganz deutliche Auskunft.
3) Her. 3 „prope ad Derbim fluvium“. Die Erweichung des Z in
δ oder τ — denn darüber lässt sich nach A nicht entscheiden — ist jeden-
falls syrischer Herkunft.
166
Einen Fluss oder Berg dieses Namens gibt es in Cicilien
nicht, sondern Zarbus oder Anazarbus, richtiger Zarba oder
Ainzarba !) ist die oft genannte Stadt ‚nicht weit von der
Einmündung des Salakat in den Pyramus. Unter Julius
Cäsar oder wohl richtiger uuter Augustus in Folge eines Erd-
bebens wiederaufgebaut, hiess sie eine Zeit lang Caesarea
Augusta oder “Πιοκαισάρεια ?), wurde aber unter Nerva aber-
mals durch Erdbeben zerstört und wiederaufgebaut, um fortan
wieder den alten Namen Anazarbus zu führen. Die spätere
Sage hielt ihn für einen neuen, den sie von einem mit ihrem
Wiederaurbau beauftragten römischen Senator Zarbus oder
Anazarbus auf Nervas Befehl erhalten haben sollte’). Von
dieser Sage weiss Pseudoignatius nichts, wohl-aber von dem
Wiederaufbau des alten Anazarbus und späteren Üaesarea
Augusta unter Nerva. Da dies noch zu Clemens’ Lebzeiten
(vgl. oben 8. 126), also nach seiner auf Euseb fussenden
Chronologie in der allerersten Zeit Trajans geschrieben sein
sollte, so lag es dem Verfasser nahe, die in der Nähe der
nach einander dort entstandenen und zerstörten Städte kurz
zuvor neu gegründete, noch in der Entstehung begriffene
Stadt „die neue Stadt bei Anazarbus‘“ zu nennen. Es ist auch
eine eben erst entstehende christliche Gemeinde, in deren An-
gelegenheiten sich Maria an Ignatius wendet. Sie erscheint
als die Patronin der noch aller geistlichen Leitung entbehren-
den Christen zu Anazarbus; auch nachdem dieselben den er-
1) Vgl. Ritter, Erdkunde von Asien (2. Aufl.) IX, 2. 5, 58. Vgl.
auch Aeltere bei Bernhardy zu Suidas I, 328.
2) Daher heisst es bei Plin. h. n. V, 27, 22: Intus (d. i. landein-
wärts) dicendi Anazarbeni, qui nunc Caesarea Augusta (von Sillig fälsch-
lich durch Komma getrennt), Castabala, Epiphania etc. Cf£. Ptolem. V,
ed. Bas. 1533, p. 322: Καισάρεια πρὸς ᾿Αναζάρβῳ, worauf dann Mo-
woveoria, Καστάβαλα folgen. |
3) Suidas 5. v. ᾿ἀνάζαρβος, J. Malal., lib. X, p. 257 ed. bonn.; aber
‘in Kürze auch wohl schon Amm. Marcell. XIV, 8: Anazarbus auctoris
vocabulum referens. Erst viel später sollte die Stadt noch einmal aus
gleichem Anlass ihren Namen ändern Euagr. ἢ. e. IV, 8; Malal., lib.
XVII, p. 418; aber die Orientalen haben sich daran nicht gekehrt,
s. Ritter a. a. O., 8. 58.
157
betenen Bischof erhalten haben, wird von einer in ihrem Haus
sich versammelnden Gemeinde so gesprochen, dass man darunter
die ganze junge Gemeinde verstehen muss (Her. 9). Ihre
Bitte an Ignatius !) misverstand Ussher, wenn er meinte, jener
Maris, dessen Zusendung sie wünscht, sei bereits Bischof von
„Neapolis“. Aber dann wären ja die dortigen Christen nicht
ohne Vorsteher und der ganze Briefwechsel wäre sinnlos, in
welchem aus Schrift und Vernunft bewiesen wird, dass es
ganz angemessen sei, so junge Leute zu geistlicher Würde zu
befördern, wie Maris, Eulogius und Sobelus. Also stehen diese
noch nicht in geistlichen Aemtern, sondern zur Uebernahme
des bischöflichen Amts in der neuen Gemeinde soll der
Bischof der nächstgelegenen grossen Kirche seinen ?) jungen
Freund Maris herüberschicken und ebenso zu Presbytern die
gleichfalls in der Umgebung des Ignatius zu suchenden Eulo-
gius und Sobelus bestimmen. Diese Fietion entspricht im
allgemeinen altem Kirchesirechtsgrundsatz 5): auch die Zahl
der Geistlichen ist wohl nicht willkürlich gewählt, aber eigen-
thümlich ist dem Verfasser und gerade der kirchlichen Regel
gegenüber der Rechtfertigung bedürftig, dass junge Männer
zum Bisthum und Presbyterat befördert werden dürfen (vgl.
oben S. 150). Das ist die im Brief der Maria ὁ. 2—4 breit
1) c. 1: παρακαλοῦμεν ἀξιοῦντες ἀποσταλῆναι ἡμῖν παρὰ τῆς σῆς
συνέσεως Μάριν τὸν ἑταῖρον ὑμῶν ἐπίσχυπον τῆς ἡμεδαπῆς νέας πόλεως
τῆς πρὸς τῷ Ζάρβῳ χαὶ Εἰ λόγιον καὶ Σύβηλον πρεσβύτερον (ὃ πρεςβυτέ-
ρους), ὅπως μὴ ὦμεν ἔρημοι τῶν προστατῶν τοῦ ϑείου λόγου. Anh. 1, 6.
2) Das richtige ὑμῶν nach ΟἹ (ἡμῶν 1,1) hat allerdings schon Voss
in der Ausg. von 1646.
3) Vgl. die alten dierayal οιὰ Κλήμεντος nach Lagarde, rell. jur.
606]. gr. p. 77: ἐὰν ολιγανδρία ὑπίρχῃ ταὶ μήπου (f. unnw) πληϑος
τυγχάνῃ τῶν δυναμένων ψηφίσασθαι περὶ ἐπισχύπου ἐντὸς δεκαδύο
ἀνδρῶν, εἰς τὰς πλησίον ἐκκλησίας͵ ὅπου τυγχάνει πεπηγυῖα, γραφέτωσαν,
ὅπως ἐχεῖϑεν ἐχλεχτοὶ τρεῖς ἄνδρες παραγενόμενοι δοκιμῇ δοχιμάσωσι
τὸν ἄξιον ὄντα x. τ. Δ. Der so Ernannte soll zwei Presbyter einsetzen,
wohingegen freilich bald nachber in einer nicht ganz deutlichen Stelle
drei passender befunden werden. Vgl. Bickell, Geschichte des Kirchen-
rechts I, 94. 122. Es wird das eine zeitgemässe Umgestaltung sein, dass
Pseudoignatius die drei von Antiochien aus herübergeschickten Männer
Belbst die Aemter in der neuen Gemeinde übernehmen lässt.
158
ausgeführte und diesen Theil der Diehtung beberrschende
Idee. Dem gelehrt aussehenden Schriftheweis für dieselbe
kann Igmatius nur beistimmen, so dass ihm für seine Ant-
wort nur schwülstige Höflichkeiten und zum Schluss eine un-
vermeidliche Ermahnung zur Orthodoxie an die junge Ge-
meinde übrigbleibt. Mit dem gleichen biblischen Material
wird derselbe Gedanke noch einmal in einer langen Inter-
polation von Mgn. 3 ausgeführt im Anschluss an ein Lob der
Presbyter, welche ihren Bischof trotz seiner Jugend in Ehren
halten. Diesem Anlass entsprechend wird dort der Schrift-
beweis bis zur paulinischen Ermahnung an Timotheus fort-
gesetzt: Mnöes σου τῆς νεύτητος καταφρονείτω x. τ. Δ. Hier-
mit ist wiederum der Grundton des Briefs an Heron gegeben
(Her. 3). Nächst: dem Brief an Polykarp sind es die beiden
. Briefe an Timotheus, welche hiefür als Muster dienen und
fleissig ausgebeutet werden. Wie Timotheus 1), so ist auch
Heron, dessen Namen Euseb darbot, Diakon und noch sehr
jung wie jener, eben erst der väterlichen Pflege des Ignatius
entwachsen (c. 3. 6). Dennoch hat ihn Ignatius schon
im prophetischen Geist als Nachfolger im Bisthum von
Antiochien erkannt (c. 8; cf. Antioch. 12. 14). Auf Heron
bereitete schon ad Mar. 5 vor, und in gebeimnisvoller, für
uns jedoch sehr verständlicher Weise, wird im Brief an
die Antiochener unmittelbar hinter den Grüssen an die
Diakonen auf ihn hingewiesen (c. 12 cf. 8. 14). Man sieht,
hier ist Alles von der einen Idee zusammengehalten, dass
junge Männer von Talent, insbesondere auch Diakonen zur
bischöflichen Würde gelangen können, ohne vorher eine Zeit-
lang Presbyter gewesen zu sein. Der 10. sardicensische Kanon,
welcher dies verbietet, zeigt, dass um die Mitte des Jahr-
-hunderts Urtheil und Praxis in diesem Punct variirten. Es
müssen sehr persönliche Motive den Verfasser bestimmt haben,
auf die Ausführung dieses Gedankens so viel Fleiss zu ver-
wenden. Vielleicht ist eg ein Stück seiner Lebensgeschichte,
das zu Grunde liegt. Welche ganz concrete Rücksichten und
1) Trall. 9. Erwähnt wird er nach Philad. 4 als Cäleba.
159
Absichten der Erfindung der historischen Kinrahmung hier
ud da zu Grunde liegen, würden wir wahrscheinlich er-
kennen,. wenn wir die Kirchengeschichte der antiochenischen
Diöcese bis in’s Einzelne kennten. Die Nachdrücklichkeit in
der Betonung der Oertlichkeiten, zu welchen ausser den ge-
nannten noch Tarsus und Laodicea als zur antiochenischen
Eparchie gehörig hinzukommen (Her. 8), wird ihren Grund
in den besonderen Verhältnissen jener Gemeinden zur Me-
tropole Antiochien während der zweiten Hälfte des 4. Jahr-
hunderts haben. Wie leicht konnte es kommen, dass einer
der cilicischen Bischöfe sich der Autorität des antiochenischen
Bischofs entzog, und dass ein Freund z. B. des Eudoxius, wie
Acacius einer war, jenem nebenher einen Dienst erweisen
wollte! Auffallen muss es ohnedies und zeugt jedenfalls von
dem Mangel an Erfindungsgabe des Verfassers, dass mehr als
einer seiner Namen seiner Zeit entlehnt ist. Zu seinen Partei-
genossen gehörte ein Maris von Chalcedon,.ein Athanasius
von Anazarbus (Philost. II, 15; Theedoret 1, 5. V, 7),
zu den dem Nicänum sich anbeguemenden Semiarianern neben
einem Eustathius von Sebaste und Silvanıs von Tarsus auch
ein Theophilus von Kastabala (Socrat. h. 6. III, 25; IV, 12).
Aehnliche Analoga weiss ich für den Bischof Vitalius oder
Vitus von Philippi !), den Lector Euphanius (Philipp. 15)
und den Hauswirth des Ignatius in Antiochien, Casianus ἢ),
nicht anzufübren. Aber diese Namen werden auch nicht in
einen näheren, geschichtlich aussehenden Zusammenhang mit:
Ignatius gebracht. Nur weil doch in Briefen auch Grüsse auf-
1) Die Form Biros (Vitus) steht Her. 8, wo ohne Frage der Bischof
von Philippi gemeint ist, fest. In Philipp. 14 schreibt A ebenso, G2 da-
gegen Βιταλιος, 1,3 Vitalem.
2) Die richtige Schreibung Kasıavös scheint nur ΟἹ in ad Mar. 5
bewahrt zu haben, während er mit allen übrigen Her. 9; Ant. 18 Kao-
σιανός schreibt. A mit seinem Casianos, Kisaneus, Kisianus kann
nichts verbürgen. Jedenfalls aber ist das doppelte σ verdächtig, durch
Erinnerung an einen bekannten römischen Namen entstanden zu scin,
während Kooıavus als Name eines Antiocheners entweder auf Κώσιον
ὅρος (Strabo XVI, 1, 12; 2, 8) oder auf die kleine Festung Κασιανά bei
Apamea am Orontes (Strabo XVI, 2, 10) hinweist.
160
getragen und ausgerichtet werden müssen. wird das Wenige
erfunden. a
Wie der Brief an Heron, so sollen auch die. an die
Antiochener und Tarsenser von Philippi aus geschrieben sein
(Her. 8; Ant. 14; Tars. 10). Den Ignatius an seine eigene
Gemeinde schreiben zu lassen, um ihr zum Aufhören der Ver-
folgung Glück zu wünschen und für die Zeit bis zur Er-
wählung seines Nachfolgers Mahnungen und Verhaltungs-
massregeln zu ertheilen, lag so nahe, dass 2. B. Grabe (spieil.
Il, 8. 24) an einen verlorenen ächten Antiochenerbrief glaubte
und diesem einige ignatianische Apokrypha zuschob. Für
einen Brief nach Tarsus bot der eilicische Diakon Philon,
welcher nach den älteren Briefen eine Zeit lang in der Be-
gleitung des Ignatius sich befunden haben sollte, den natür-
lichen Anknüpfungspunct. Im Uebrigen mag es in den zur
Zeit des Pseudoignatius obwaltenden Zuständen der dortigen
Kirche begründet gewesen sein, gerade an diese Gemeinde eine
besonders eindringliche Predigt des orthodoxen Bekenntnisses
gerichtet sein zu lassen. Am wenigsten historisch motivirt
erscheint der Brief an die Philipper. Die, übrigens in ἢ und
A fehlende Ueberschrift περὶ βαπτίσματος trifft wenigstens
insofern zu, als hier eine dogmatische Abhandlung vorliegt,
welche vom Taufbekenntnis ausgeht (c. 1. 2). Dass Ignatius
über Philippi gereist sei, wusste der Verfasser aus der von
Euseb (ἢ. e. III, 36, 13) mitgetheilten Stelle des Polykarp-
briefs. Ob der Lector Euphanius, welcher den Brief des
Ignatius nach Philippi bringt, der dortigen Gemeinde ange-
hören soll (Philipp. 15), ist mindestens zweifelhaft; so auch
der Ort der Abfassung des Briefs. Ignatius will περὶ Pr-
γίονα 1) mit Euphanius zusammengetroffen sein, wo dieser zu
Schiff stieg. Da die Varianten keinen nachweisbaren Orts-
namen an die Hand geben, so wird, wie schon Halloix sah,
das’ « als Verdoppelung des Anfangsbuchstabens des folgenden
ἀναγομένου zu streichen sein. Bei Rhegium also hat Ignatius
1) So ovf, Ῥηγείονα an, Ρηγειύνα Ὁ, in regionem L? (regione pl),
in tempore A.
101
dem ihm begegnenden Euphanius den wohl auf dem Schiff
geschriebenen Brief mitgegeben. Das weist uns dann aber, je
befremdlicher es ist, um so sicherer auf das m. vat.-oxon., nach
welchem die Reise des Ignatius von Asien aus ἐπὶ Θράκην καὶ
Ῥήγιον und dann weiter ἐκ 'Prylov nach Rom ging'). Eine
Umkehrung des Abhängigkeitsverhältnisses wird sich hier
ebensowenig als in Bezug auf das oben S. 37f. besprochene
Zusammentreffen des Pseudoignatius mit m. vat. empfehlen.
An der Dürftigkeit der von hier und dort zusammengelesenen
Namen und Daten erkennt man, wie sehr alles dies blosse
Zuthat ist, um den Briefen einigermassen briefartiges Ansehn
zu geben. Soweit der so zu sagen historische Stoff in
schärferen Umrissen uns entgegentritt, weist er uns, nur nicht
mit solcher Deutlichkeit, wie die zum Beweis verwendeten
Zeichen der Zeit, in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts.
Was nun den Umfang der von Pseudoignatius ver-
arbeiteten Briefsammlung anlangt, so ist bereits bewiesen
worden, dass der Römerbrief, welchen er nur so weit kennt,
als Euseb ihn excerpirt hat, ihm im übrigen unbekannt war
(vgl. oben S. 128). Dazu passt es, dass er erst nachträglich
der vom Interpolator selbst angefertigten Sammlung B an- .
gefügt zu sein schien, und dass auch der Redactor der Samm-
lung U, welcher die Grundsammlung mit den neuen Titeln
der Sammlung B verband, den Römerbrief noch nicht auf-
nahm, weil er ihn in der Sammlung B ebensowenig als in
der Grundsammlung vorfand (vgl. oben S. 114). In der That
zeigt auch der Text des Römerbriefs, wie er in der Samm-
lung B enthalten ist und schon vor der Entstehung ihrer
lateinischen Uebersetzung (L?) enthalten war, keine Spuren
einer Interpolation, wie sie die 6 übrigen Briefe erfahren
haben. Allerdings scheint das nicht so leicht bewiesen wer-
den zu können, weil wir für den Römerbrief keinen so zuver-
lässigen Massstab der vergleichenden Kritik haben, als ihn
für die übrigen 6 Briefe die Uebereinstimmung der armenischen
—
2) Dressel, p. 368, Uss. Cler. II, 119 ag. Es geht das ebenso auf
Actor. 28, 13 zurück, wie das Puteoli ins ın. colb., vgl. oben 8. 42,
Zahn, Ignatjus. 11
162
Vebersetzung mit dem cod. medic. und L! darbietet. Die
Fortpflanzung des Römerbriefs war hauptsächlich durch die
Martyrien vermittelt, und daher auch sein Text ganz anderen
Schwankungen. unterworfen, als der der übrigen Briefe.
Während der cod. colb. manche Zusätze aufgenommen hat,
welche in der Handschrift, aus welcher L! übersetzte, noch
fehlten und theils durch innere Gründe, theils durch das
ältere Zeugnis der syrischen und armenischen Uebersetzung
von allem Anspruch auf Ursprünglichkeit ausgeschlossen sind,
wie z. B. die biblischen Citate und Anspielungen in ὁ. 3. 6. 7,
hat der Mgtaphrast neben derartigen und noch anderen Er-
weiterungen auch manche Ausstossung unzweifelhaft ächter
Sätze vorgenommen und dasselbe Abkürzungsverfahren, welches
sein Martyrium charakterisirt (vgl. oben S. 25), auch auf
den Römerbrief darin ausgedehnt. Aber auch die zunächst
zusammengehörigen Texte des Römerbriefs im m. colb. und
seinen Uebersetzungen, dem m. anglic. und syr., und wie-
derum G? und L? weichen hier stärker von einander ab, als
sonst die Zeugen der Sammlungen U (oder A) und B je unter
sich abweichen; und es kreuzen sich die sonst parallelen,
Linien so häufig, dass man überhaupt gar nicht von zwei
Recensionen des Römerbriefs reden kann. Auch ohne den
Versuch, das im Einzelnen hier zu beweisen, und ohne den-
jenigen Text des Römerbriefs, welchen Euseb las und der
Interpolator hätte lesen und interpoliren können, in allen
Puneten für mich festgestellt zu haben, glaube ich doch aus
der Beschaffenheit des Textes von ΟΣ im Römerbrief sicher
schliessen zu dürfen, dass dieser Text nicht wie der der
übrigen Briefe in G? das Werk des uns nun hinreichend
bekannt gewordenen‘ Interpolators ist. Erstlich fehlt jede
längere Einschaltung, wie deren jeder andere Brief ausser
einer gleich zu besprechenden Ausnahme aufzuweisen hat.
Die sichtlich unächten Bibelstellen theilt er meist mit colb.
und dem metaphr.; derjenige, welcher den Römerbrief der
Sammlung B anfügte, hat ihn vielleicht einem Martyrium
entnommen, in welchem er diese erbaulichen Amplificationen
bereits angenommen hatte. Neu hinzu that er in c. 3
163
Joh. 15, 19, in 6. 8 Gal. 2, 19; Pa. 116, 12, in c. 9 Joh.
10. 11. Sodann sind die Eigenthümlichkeiten des Textes B
nicht die charakteristischen des Interpolators; und Stellen,
welche dieser geändert hätte, sind unverändert geblieben.
Nach dem oben 8. 131 Bemerkten musste der Interpolater an
den Worten ἐπετρέψατέ μοι μιμητὴν εἶναι τοῦ πάϑους τοῦ
ϑεοῦ μὸν ἢ Rom. 6 heftigen Anstoss nehmen. Aber das
Apıozor: vor τοῦ ϑεοῦ μου, welches in ΟΣ wie es scheint aus-
nahmelos steht und allerdings als eine Milderung des dog«
matisch Anstössigen gelten könnte, ist nicht ursprünglicher
Text dieser Sammlung, denn mit Aumahme von pl rg bietet
L? (Uss. adn., p. 37, not. 68; Cler. II, 128)'nur Dei mei.
Nachträgliche Ausstossung”des Christi, wodurch in dem meisten
Zeugen von L? zufällig das Ursprüngliche wiederhergestellt
wäre, ist um so undenkbarer, weil bei der Netürlichkeit der
Verbindung passionis Christi viel eher Dei mei ausgefallen
wäre, wie ja auch der metaphr. nur τοῦ Χριστοῦ, und das
m. arm. nur domini mei schreibt. Also ist in G? erst nach-
träglich die Glosse Xpeoror in den Text gedrungen, wie un-
abhängig davon in einige Handschriften von L?. Wenn G? in
Rom. 7 schreibt: τὴν εἰς τὸν ϑεύν μου γνώμην, 80 epricht
sich in der Zusetzung des Artikels sicherlich das Misver-
ständnis aus, welches beide lateinische Uebersetzer sich haben
zu Schulden kommen lassen, dass μοῦ zu ϑεοῦ gehöre; denn
nur bei dieser Verbindung war der ursprüngliche Mangel des
Artikels unbequem 3. Dann hat aber ΟΣ, welcher zwei
Zejlen vorher ὁ. 6 unter dem Jess μου des Ignatäus nur
Christus verstehen konnte, auch hier Christus dazunter ver-
standen, hat also seinerseite die Stellen vermehrt, wo Christas
80 heisst, Wenn das wegen der deutlichen Unterscheidung
m—
1) So eulb. Li Ai Timoth. 211, 9; 212, 212, 2, Sever. p. 213, 2;
216, 22; Sfragm. 217, 22; 219, 19; 220, 7; 296, 10; wart. syr. Moer.
Ῥ. 8, 20, — Woher Lips. 11, 78 seine Angabe über Anastasius hat, weiss
ich nicht. In der Ausgabe von Gretser (opp. Gretseri XIV, 2, 97 A) heisst
e8 τοῦ πάϑους τοῦ ϑεοῦ μου. 80. eitirten es Monophysiten, aber Ana-
stasius lässt den Text ihrer Citate gelten (p. 101 a. a. O.).
2) Vgl. ad Pol. 1 init. in beiden Reoensionen. ,
11*
ᾳ
164
des Sohnes vom Vater viel weniger bedenkliche Sätzchen ὁ
γὰρ ϑεὸς ἡμῶν, ᾿Ιησοῦς Χριστὸς, ἐν πατρὶ ὧν μᾶλλον φαίνεται
c. 3 bei G?, aber auch beim metaphr. verschwunden ist, 50
kann nicht diese ohnehin vom Interpolator nicht perhorrescirte
Benennung Jesu der Grund davon sein. Eher könnte die
Dunkelheit des Gedankens den Satz aus derjenigen Gestalt
des m. colb. beseitigt haben, welche der metaphr. und wahr-
scheinlich auch derjenige, welcher die Sammlung B um den
Römerbrief bereicherte, benutzt hat. Den Interpolator er-
kennt man auch nicht wieder, wenn man die Variation des
Textes der Grussüberschrift in Bezug auf die Benennungen
Gottes und Christi bei allen Zeugen vergleicht, oder die stark
von einander abweichenden Texte von G? und ΤΣ in dem Satz,
welcher im colb. lautet: ἐκεῖνον ζητῶ τὸν ὑπὲρ ἡμῶν ἀποϑα-
γνόντα, ἐκεῖνον ϑέλω τὸν δι᾿ ἡμῶς ἀναστάντα (6. 6), hier aber,
besonders in G?, zusammengezogen ist. Der statt dessen zur
Erläuterung vorausgeschickte Satz: τὸν κύριον ποϑῶ, τῶν zlor
τοῦ ἀληϑινοῦ ϑεοῖ καὶ πατρὸς ᾿Ιησοῦν τὸν Χριστὸν (1? χαὶ τὸν
πατέρα Ἰησοῦ Χρ.) schmeckt einigermassen nach Peudo-
ignatius, aber schwerlich hätte dieser das μόνου vor ἀλῃϑυ οὔ
weggelassen (cf. Sm. 6; Philad. 9; Ant. 4.5). Es ist ferner
nur ein Schein, als ob die pseudoignatianische Theologie in
den Worten 'Inoov τοῦ Χριστοῦ τοῦ υἱοῦ τοῦ ϑεοῦ Ὦ
τοῦ γενομένου ἐν ὑστέρῳ ἐκ σπέρματος Jupiö ὁ. 7 wirk-
sam sei. Aber abgesehn davon, dass 'die gesperrt gedruckten,
durch L! A! A® mart. Syr. als unächt erwiesenen Worte,
ebenso in colb. und beim metaphr. sich finden, so ist dach
der Anklang an die Interpolationen in Eph. 7; Mgm. 11
(cf. Eph. 18) ein rein äusserlicher. Denn dort wird durch
ein ὕστερον die Geburt aus der Jungfrau der voräonischen
Erzeugung vom Vater gegenübergestellt, hier dagegen von.
letzterer ganz geschwiegen und durch das ἐν ὑστέρῳ, welches
einem ἐπ᾿ ἐσχάτου τῶν ἡμερῶν gleichbedeutend ist, der ewigen
Glottessohnschaft Christi die am Ende der Zeit erfolgte Erschei-
1) τοῦ haben nur ἴον.
2) L® vulg. setzt zu ζώντος,
165
nung als Davidssohn gegenübergestellt. Wenn ein dogmatisches
Interesse in dieser Amplification sichtbar wäre, so könnte es
höchstens das Bedürfnis sein, den Schein abzuwehren, als ob
Jesus erst mit der menschlichen Geburt angefangen habe zu
existiren. Das liegt aber dem Interpolator der übrigen 6 Briefe
fern.
Wenn man nur an dogmatisch charakteristischen Aende-
rungen die Hand des Interpolators erkennen könnte, so müsste
auch in Bezug auf den Brief an Polykarp die’Frage entstehn,
ob er der Sammlung angehörte, die Pseudoignatius vor sich
hatte. Aber schon die starke Ausnutzung dieses Briefs, von
dem er nicht wie vom Römerbrief eine partielle Kenntnis
durch Vermittlung Eusebs haben konnte, im Brief an Heron
beweist das vollständig (vgl. oben S. 126f.). Anlass zu längeren
Eintragungen war hier nicht, da die dazu zu verwendenden
Gedanken kaum ausreichten, den Brief an Heron zu füllen;
Nöthigung zu dogmatischen Verbesserungen bot dieser Brief
auch kaum. Die Ueberzeitlichkeit und zeitlose Ewigkeit
Christi (Pol. 3) wurde doch abgeschwächt, indem sie zu einer
seinem irdisch -zeitlichen Leben immanenten Erhabenheit über
die Zeit gemacht wurde (τὸν ἄχρονον ἐν χρόνῳ). Im übrigen
sehen wir hier und sonst in diesem Brief fast nur das Stre-
ben nach glatter Verständlichkeit. Anstatt des eigenthüm-
lich gebrauchten κολακεύειν ἢ wird ἐπανορϑοῦν gebraucht; das
kühne Bild vom Wind und Hafen c. 2 wird elend zu Grunde
gerichtet; das gleichfolgende Bild vom Athleten ist vielleicht
unabsichtlich durch eine Variante ϑέλημα statt ϑέμα ver-
kümmert, dafür aber c. 3 zur Unzeit nachgebracht; passend
schien es auch in diesem Brief des Bischofs an den Bischof
dem Schreiber den Titel nicht zu versagen, und die Ver-
suchung, einen Bibelspruch förmlich zu citiren, an welchen
der ächte Ignatius nur angestreift hatte, war gleich in ὁ. 1
unwiderstehlich.. Aber dies sind lauter Eigenheiten des uns
aus den übrigen Briefen bekannten Interpolators, dessen
Aenderungen keineswegs alle aus kirchenpolitischen und
1) c. 2 = blande tractare.
166
theologischen Absichten zu erklären sind. Pseudoignatius
wollte auf seine Zeit wirken, welcher nicht bloss manche alter-
thümliche Verhältnisse, auf welche Ignatius Bezug ge-
nommen !), sondern vor allem auch die kühne Originalität
ignatianischer Schreibweise unverständlich war. Eine per-
sönliche Abneigung gegen alles Aussergewöhnliche, dieselbe
Beschränktheit und Plattheit, welche in den hinzugedichteten
Briefen herrscht, und welche sich zu allen Zeiten in Be-
arbeitung und Auslegung alterthümlicher Werke fanatisch
bewiesen hat, kommt hinzu, um die ganze Verwüstung zu
erklären, welehe Pseudoignatius angerichtet hat. Kaum eine
kühnere Wendung des Gedankens, kaum ein gewagteres oder
nicht ganz ausgeführtes Bild, oder eine aus lebhaftem
Aftest erklärliche Satzbildung bleibt unangefochten. Durch
Partikeln, durch langweilige Umschreibungen und noch lang-
weiligere Nutzanwendungen, durch erläuternde Bibelsprüche
und sonstige erleichternde Zusätze wird nachgeholfen, um
ein erbaulich lesbares Buch zu bekommen, und wo nicht zu
heifen ist, wird unbarmherzig gestrichen und entweder sofort
weitergagangen oder eine jener Interpolationen angebracht,
aus denen wir die Ansichten und Absichten des Mannes
kennen lernten. Jede einigermassen eindringende Ver-
gleichung beider Recensionen der 6 Briefe, welche die Grund-
sammlung bildeten, zeigt aber auch einen Gegensatz, welcher
durch die individuella Verschiedenheit zweier Schriftsteller
oder durch den Abstand zweier sie trennender Jahrbunderte
nicht erklärt wird, sondern auf den Unterschied des wirk-
Hiehen Originals und seines äussarsten Ghegentheils zurückgeht.
Die 6 Briefe kürzerer Recension mit dem zu ihnen gehörigen
Rönmerbrief sind das Werk eines ungewöhnlichen christlichen
Charakters, das man ebensowenig hinterher schaffen kann,
als den hereischen Charakter selbst; und die Briefe der
Sammlung B bis auf den- letzten, den ı3ten, der nicht ur-
1) Daher heisst es z. B. Sm. 8 statt οὔτε βαπτίζειν οὔτε ἀγώπην
ποιεῖν in G2: οὔτε βαπτίζειν οὔτε προςφέρειν οὔτε ϑυσίαν προςχομέ-
ζειν οὔτε δοχὴν ἐπιτελεῖν.
167
sprünglich dazu gehörte, sind das -Machwerk eines geriebenen
theologischen Literaten aus einer der traurigsten Zeiten der
Kirche.
3. Die ignatianischen Briefe ‚bei den Syrern.
Die erste Kunde von einer syrischen Uebersetzung der
Briefe des Ignatius erhielt Ussher (diss., p. 26) durch ein
von H. Savilius nach England gebrachtes Verzeichnis der
hinterlassenen Bücher eines antiochenischen Patriarchen Igna-
tius, welcher sich bei Gelegenheit der Kalenderreform unter
Gregor XII. längere Zeit in Rom aufgehalten und dort ger
storben war ἢ). Aber von den Büchern selbst hat sich bis
heute nichts gefunden ἢ). Vergeblich blieben auch die An-
strengungen Fell’s, durch Vermittelung des Kaplans Hutting-
ton zu Aleppo der syrischen „Schriften des Ignatius“ hab-
haft zu werden, welche Ebed Jesu erwähnt hatte. Den ersten
Schritt zur Hebung des Schatzes that Eus. Renaudot ®), den
seine Studien über die orientalischen Liturgieen so vielfach auf
Citate aus den Briefen des Ignatius bei syrischen Schrift-
stellern führten, dass er das Vorhandensein einer alten syri-
schen Uebersetzung derselben behaupten durfte. Besonders
machte er auf ein kirchenrechtliches Sammelwerk aufmerksam,
in welchem zahlreiche und bedeutende Stücke aus Ignatius
als gleichwerthig mit kirchlichen Canones zusammengestellt
seien und zwar nur aus den von Euseb anerkannten Briefen
und in einem dem cod. med. (G!) sehr nahestehenden Text.
Eben diese Stücke wurden auf Curetons Veranlassung aus dem
“τ. ,ἰ΄΄.... eG
1) Οἵ. Assemani, bibl. or. III, 1, 17.
2) Vgl. Denzinger S. 76 Anm. über einen: letzten Versuch, sie
wiederzufinden.
3) Liturgiarum orient. colleotio II, 226. 491.
168
ehemals Renaudot gehörigen und von ihm der Abtei St.
Germain des Prös vermachten codex 1) von Th. Munk abge-
schrieben und von Cureton (corp. Ign., p. 197—--201 cf.
341—348) veröffentlicht. Wahrscheinlich hätten die Ver-
handlungen über den syrischen Ignatius von vornherein eine
bessere Wendung genommen, wenn seine Entdeckung mit
Wiederauffindung der renaudot'schen Fragmente begonnen
hätte. Nun aber machte Cureton den Anfang mit der Ver-
öffentlichung eines syrischen Ignatius nach zwei kurz vorher,
1839 und 1843 durch Tattam aus einem nitrischen Kloster
dem britischen Museum zugeführten Handschriften, von
welchen die eine (cod. «) den Brief an Polykarp, die andre
(cod. ὺ) ausser diesem auch noch die an die Epheser und
die Römer enthält, und zwar in einem im Vergleich mit der
kürzeren griechischen Recension sehr kurzen und mannigfach
eigenthümlichen Text ?).
Aehnlich der Entdeckung Usshers, an dessen treffliche
Leistung Cureton eben deshalb mit Vorliebe anknüpfte, schien
diese Auffindung eines kürzesten Ignatius Epoche machen zu
sollen. Der Erfolg jener ersten Zurückführung einer zweifel-
haften Masse auf einen jedenfalls relativ ächten Kern, das
auch bei den Gegnern der Aechtheit der kürzeren griechischen
Recension' verbreitete Gefühl, dass es etwas Aechtes, aber aus
Mangel kritischer Hülfsmittel nicht mehr reinlich Darzu-
stellendes in den 7 Briefen geben müsse 5), die ‚Bedenken,
welche von den Verfechtern der Aechtheit dieser hier und
dort geäussert worden waren, und endlich die grössere Leich-
tigkeit, ein soviel kleineres Gebiet, welches weniger An-
stössiges enthielt, weil es überhaupt weniger umfasste, gegen
kritische Anfechtungen zu vertheidigen, das Alles legte den
-.----.-.-..-".-.-..--.
1) Es ist derselbe, aus welchem de Lagarde die didascalia aposto-
lorum 1854 und die reliquiae juris ecclesiastici syriace 1856 edirte. Vgl.
die Vorrede zu beiden Schriften.
2) The ancient syriac version of the epistles of St. Ignatius.
1845. ι
3) Vgl. 2. Β. die Berufung auf Niebuhr bei Buns. II, 5.
169
Gedanken nahe !), dass in den drei syrisch erhaltenen Briefen
der ächte Kern der ignatianischen Literatur entdeckt sein
möchte, und dass somit eine doppelte Interpolation und eine
doppelte Vermehrung der geringen literarischen Hinter-
lasssenschaft des Ignatius widerfahren sei. Vom Jüngsten und
Werthlosesten zu immer Aelterem und Aechterem fortschrei-
tend, schien man 1845 am Ziel der Bewegung angelangt zu
sein, welche 1495 mit der Veröffentlichung der vier nur
lateinisch geschriebenen mittelalterlichen Machwerke begonnen
hatte. Diese Stellung hatte Cureton von Anfang an einge-
nommen und sofort auch gegen einen wenig geschickten An-
griff in ‚seinen Vindiciae Ignatianae 1846 vertheidigt und
sodann an Bunsen einen phantasie- und wortreichen Bundes-
genossen gefunden. Inzwischen aber mehrte sich das urkund-
liche Material. In einer dritten nitrischen Handschrift (cod. ,),
welche vollständig erst durch Pacho 1847 erworben wurde,
fanden sich dieselben drei Briefe in gleicher Ordnung und
wesentlich identischem Text wie in #, aber mit anderen Schrif-
ten verbunden, als dort. Dadurch war erwiesen, dass dieser
Ignatius, welcher der Kürze halber Scur. heissen mag, eine
gewisse Verbreitung und irgend welche Geschichte gehabt hat.
Gleichzeitig vermehrte Cureton seine in der ersten Ausgabe
noch wenig lehrreiche Sammlung syrischer Ignatiusfragmente
durch fortgesetzte Nachforschungen in den Handschriften des
britischen Museums und Anschaffung der renaudot’schen Frag-
mente. Alles dies wurde im Corpus Ignatianum 1849 »u-
sammengefasst; aber Cureton machte es sich nicht klar, dass
es nun nach so bedeutender Erweiterung des Stoffs auch einer
Erweiterung des Gesichtskreises bedürfe, und dass die erste
Aufstellung nur dann aufrecht erhalten werden könne, wenn
eg gelinge, bei derselben eine vollständige und deutliche Ant-
wort auf die Frage nach dem Schicksal der ignatianischen
Briefe unter den Syrern zu finden. Cureton hat diese Frage
nicht einmal aufgeworfen, und eine halbwegs befriedigende
en nn nn
1) Vgl. besonders Cur. introd., p. 22 sq. 36; 47 sq.; 53; 56; 59: 64;
ἴθ 8q.; 86 54. |
170
Antwort sucht man bei denen, die sich ausführlich darüber
verbreitet haben, vergeblich. Die Geschichte der Verhand-
lungen, welche durch die syrischen Publicationen veranlasst
wurden, bietet kein sonderliches Interesse; es ist nur noch
zu bemerken, dass das Material zur Eutscheidung der Streit-
frage über den Werth des Scur. noch durch die in der Aus-
gabe Petermanns vollständig zugänglich gemachte und mit
ihrer syrischen Grundlage verglichene armenische Uebersetzung
der 13 Briefe (8. oben S. 96f.), durch eine unbedeutende
Nachlese syrischer Fragmente in Land’s anecdota syr. I, 32 sq.
und durch Mösingers Supplementum corporis Ignatiani (8. oben
S. 3. 4f,) vermehrt worden ist.
Die erste Aufgabe ist, aus diesem eher durch Mannig-
faltigkeit verwirrenden als durch Reichthum befriedigenden
Stoff diejenigen Stücke auszusondern, von welchen von vorne-
herein nicht angenommen werden darf !), dass sie überhaupt
einer syrischen Uebersetzung des Ignatius entnommen seien,
nämlich die Ignatiuscitate in Werken griechischer Schrift-
steller, welche ins Syrische übersetzt worden sind. Dass ein
Syrer, welcher sich an die Uebersetzung umfangreicher Werke
des Pseudodionysius, des Timotheus von Alexandrien und des ᾿
Severus von Antiochien wagte, zu seiner Bequemlichkeit
die darin vorkommenden Citate aus Ignatius in einer syrischen
Uebersetzung desselben aufgesucht und daraus_entlehnt haben
sollte, ist mehr als unwahrscheinlich und wird um so un-
denkbarer, je kürzer und vereinzelter diese Citate sind, und
je deutlicher die gedächtnismässige Freiheit der Anführung noch
durch die syrische Uebersetzung hindurchleuchtet. Eher schon
dürfte man zur Erklärung etwa vorkommender Gleichmäseig-
keiten in der Wiedergabe ignatianischer Worte bei ver-
schiedenen Schriftstellern und verschiedenen Uebersetzern
griechischer Werke die Annahme zu Hülfe nehmen, welche
bei biblischen Citaten selbstverständlich im Recht ist, dass
diese syrischen Uebersetzer sich einzelner ignatianischer Sen-
—
1) Οἵ. Bickell, conspectus rei Syrorum literariae, p. 48; Lips.
I, 39.
171
tenzen nach dem Wortlaut einer bereits sehr bekannt ge-
wordenen syrischen Uebersetzung des Ignatius erinnerten
und durch solche Erinnerung in ihrer übrigens selbständi-
gen Uebersetzung der vereinzelten Ignatiuscitate bestimmt
waren.
Wenn man irgendwo Benutzung einer bereits vorhandenen
Tebersetzung der ignatianischen Briefe erwarten sollte, dann
beim syrischen Uebersetzer des m. colb., welchem die schwierige
Aufgabe zufiel, den ganzen Römerbrief mitübersetzen zu müssen,
und. welcher schon wegen der Entstehungszeit seines griechi-
schen Originals (s. oben S. 49f.) erst im 5. Jahrhundert ge-
arbeitet haben kann, das ist zu einer Zeit, als es bereits eine
syrische Uebersetzung mehrerer, vielleicht aller 13 ignatiani-
schen Briefe !) gab. Aber die einzige syrische Uebersetzung,
deren Existenz keines Beweises bedarf, Scur., ist von dem
Uebersetzer des m. colb. nicht benutzt worden. Weniger, um
dies zu beweisen, als um eine für die folgenden Unter-
suchungen erforderliche Vorstellung davon zu geben, was
gegenseitige Unabhängigkeit zweier syrischer Uebersetzungen
ignatianischer Briefe bedeutet, stelle ich einige Sätze des
Römerbriefs nach beiden syrischen Uebersetzungen hier in
möglichst wörtlicher deutscher Uebersetzung neben einander,
womit den griechischen Text Jeder vergleichen kann.
Rom. 1. Scur. p. 40 56.
Seit langem habe ich zu
Gott gebetet, dass ich ge- !
᾿ gesichter derer zu sehn, welche
würdigt werde, eure Ange-
sichter zu sehn, welche Gottes
wärdig sind. ‚Jetzt aber als
Gefangener in Jesus Christus
hoffe ich euch zu begegnen
—. -- - - -ὄ«. -.
| M. syrT. Cur., Ῥ.
225, 3 846.
"Moesinger p. 6, 10 sqq-
Ich habe gebetet und es ist
mir gegeben worden, die An-
Gottes würdig sind, was ich
seit vieler Zeit erbeten habe,
“dass ich es im Fleisch er-
lange ἢ. In Christus Jesus
1) Vgl. oben S. 97 über das Alter der dies voraussetzenden arme-
nischen Uebersetzung.
2) Moes. p. 25 sucht die Abweichung beider Handschriften vom
Griechischen auf syrische Schreibfehler zurückzuführen.
172
und euch zu grüssen, wenn
[es] ‘sein wird der Wille,
dass ich der Vollendung ge-
würdigt werde. Denn der
Anfang ist gut besorgt, wenn
ich gewürdigt werde zu ge-
langen zur Vollendung, dass
ich empfange mein Erbtheil
ohne Hindernis leidender
Weise. Denn ich fürchte
mich vor eurer Liebe, dass
sie mir schade. Euch aber,
euch ist es leicht zu thun,
was ihr wollt; mir aber, mir
ist es schwer, dass ich Gottes
gewürdigt werde, wenn [näm-
lich] 2) ihr mich nicht schonen
werdet.
hoffe ich zu kommen und euch
zu grüssen, wenn dieser Wille
sein wird, und ich werde ge-
würdigt werden, bis zu Ende
zu ertragen dieses. Denn,
wenn auf den Anfang und
wenn auf das Ende in den
guten Führungen, worin ich an-
gefangen habe, ich blicke')....,
dass bis zu Ende ich erlange
diese Gnade, dass ohne Hin-
dernis ich erlange mein Erbe.
Ich fürchte mich aber vor
eurer Liebe, dass sie mir
schade. Denn ich weiss, dass
es euch leicht ist, alles, was
ihr wollt, zu thun; mir aber,
mir ist es schwer, Gott zu
finden, besonders wenn eure
Schonung über mir ist. Ich
| bitte aber von euch, weil nicht
Denn « es ist nicht eine andre β Begierde mir ist, dass ihr den
solche Zeit [für mich] ?), dass
ich Gottes gewürdigt werde;
auch ihr werdet nicht, wenn
ihr schweigt, in einem vor-
züglicheren Werk als dieses
|
nn ὦ...
Menschenkindern gefallt; denn
siehe, ihr gefallt auch. Denn
auch ich finde nicht eine solche
Zeit, Gott zu nahen, und nicht
findet ihr, wenn ihr stille
1) Wie sehr man eine Apodosis wünschen möchte, so wenig scheint
sich doch 1,2] ὁᾷξω dazu zu eignen, dessen Uebersetzung bei Cur. 254
‚„I look forward“ und bei Moes. 10 „desidero‘“ mir gleich bedenklich
scheint. Die Auffassung des Satzes bei beiden wie bei Peterm. 137 ist
mir undeutlich. Nach Bedeutung und gewöhnlicher Construction, auch
nach der Interpunction beider Handschriften gehört | δω zu den
beiden, vielleicht zu allen drei mit > eingeleiteten Substantiven.
2) Das lästige ja, fehlt in y.
3) Das erforderliche a findet sich in 7.
178
erfunden werden. Wenn ihr seid 3), ein solches Werk; und
mich verlassen werdet ?), | werdet davon mehr ruhig sein.
werde ich ein Wort Gottes Denn wenn ihr stille seid von
sein; wenn ihr aber mein mir, bin ich ein Wort Gottes:
Fleisch liebt, bin ich wieder Ä wenn ihr aber mein Fleisch
eine Stimme. ει Mebt, bin ich wieder eine
Stimme.
Nicht jede Abweichung in der Wahl des Ausdrucks ?)
und der Stellung der Worte ist in der Uebersetzung ausge-
drückt worden; aber es wird auch so schon ersichtlich sein,
dass selbst grosse ignatianische Stücke von den Uebersetzern
der griechischen Werke, in deren Zusammenhang sie vor-
kamen, mitübersetzt wurden ohne alle Rücksicht auf die,
wie bald gezeigt werden soll, längst vorhandene, ziemlich
weit verbreitete und einzig nachweisbare Uebersetzung der
ignatianischen Briefe ins Syrische. Dann versteht es sich
von selbst, dass der Uebersetzer der pseudodionysischen Schrift
de divinis nominibus um des einzigen kleinen Satzes willen,
den dieser aus Ignatius eitirt, 6 ἐμὸς ἔρως ἐσταύρωται, nicht
m einer syrischen Uebersetzung der ignatianischen Briefe
gegriffen haben wird. So weicht er denn auch in der Wieder-
gabe desselben von der syrischen Uebersetzung des Ignatius,
welche wir kennen, fundamental ab. Nicht nur ein anderes
Wort für σταυροῦῖσϑαι gebraucht er, sondern schliesst auch
die bei Scur. mögliche Auffassung „Meine Liebe ist der Ge-
kreuzigte‘, oder gar „Meine Liebe ist das Kreuz‘ *) durch
Weglassung der Kopula geradezu aus. Das m. syr. hat mit
Seur. die Construction, mit dem .syrischen Dionys das Wort
für σταυροῦσϑαι gemein, weicht aber von beiden in der
—
1) Nach der nothwendigen Besserung bei Peterm. 140; Moes. 26.
2) Vielleicht ist auch hier nur durch syrische Schreibfehler die grosse
Abweichung vom Original entstanden, s. Cur. 291. Aber das Wort für
σιωπᾶν ist auf alle Fälle bei Scur. ein andres als im martyr. syr.
3) En ist z. Β. εὐχερές durch ganz verschiedene Worte wiederge-
geben.
4) So verstand den Scur. der Ai,
114
Uebersetzung von ἔρως ab!). Gleiche Unabhängigkeit von
jeder syrischen Uebersetzung ignatianischer Briefe ergibt sich
für die Uebersetzungen der Werke des Timotheus Aelurus
von Alexandrien ?) und des Severus von Antiochien und anderer
jener Zeit und Richtung angehöriger Schriften, welche von
den syrischen Monophysiten bald übersetzt wurden ὃ. Es
musste für die Untersuchung dieser Fragmente in den mele-
temata Ignatiana von Merx verhängnisvoll werden, dass dieser,
ohne eine so gründliche Abweichung von aller geschichtlichen
Kunde auch nur zu bemerken, den Severus von Antiochien
für einen syrisch schriftstellernden Syrer hielt und aus den
bei ihm vorkommenden Citaten aus Ignatius schloss, dass eine
diesen Citaten zu Grunde liegende syrische Uebersetzung des
Ignatius, von Merx versio Severiana genannt, mindestens vor
der Zeit, nicht etwa der syrischen Uebersetzung der be-,
treffenden Stücke, sondern des Severus selbst, also vor dem
Anfeng des 6. Jahrhunderts existirt haben müsse. (Merx
p. 40). Nun ist aber Severus bekanntlich ein Grieche ὁ) und
zwar einer der fruchtbarsten griechischen Kirchenschriftsteller,
welcher sich an den in griechischer Sprache geführten mono-
physitischen Streitigkeiten aufs lebhafteste und mannigfaltigste
betheiligt hat). Auch ohne dass Merx sich so nachdrück-
—
1) Die drei Uebersetzungen lauten so:
om Fand, «δ; Msauso Scur. p. 52, 1 vgl. p. 302.
tar a0 {dan Dion. syr. Cur., p. 210, 10.
om am] wa? usa Mart. ayr. Moes. p. 9, 6.
2) Dass dieser gemeint sei, bedarf keines Beweises, da seine Schritt
gegen das chalcedonensjsche Concil, woraus die Excerpte bei Cur.
p. 210 sq. genommen sind, auch sonst bekannt ist. Er wurde 457
Bischof von Alexandrien, starb 477.
3) Cur., p. 210-218, fragm. VI—XI.
4) Vgl. die Nachrichten bei dem noch demselben Jahrhundert an-
gehörigen Euagrius III, 33. 36. 44; IV, 4. 11. Gebürtig aus Sozupolis,
Advocat in Berytus, Presbyter in Tripolis, endlich Bischof ven Antiochien
513—519, zuletzt in Alexandrien privatisirend.
ἢ) Ausser dem, was Fabric. bibl. Gr. ed. Harles X, 614 sqg. zu-
sammengestellt ist, kommen noch die zahlreichen Fragmente in Mei
175
lich wie z. B. p. 10 von den Theologen absonderte, hätte
man gemerkt, was dem zu Grunde liegt. Einige theologische
Kenntnis hätte auch die nähere Bestimmung des terminus ad
quem der Entstehungszeit der angeblichen versio Severiana
verhüten müssen, welche jetzt p. 64 sq. 79 zu lesen ist. Vor
den arianischen Streitigkeiten nämlich soll sie entstanden
sein, weil sie Eph. 7 „gemacht und nicht gemacht‘ von
Christus prädieirt (Cur., p. 218, 11. 17; 219, 5). Dann
wird auch wohl Papst Gelasius (8. oben S. 87) vor Arius
und Athanasias gelebt haben, weil er γεννητὸς χαὶ ἀγέννητος
durch „factus et non factus“ übersetzt. Selbst wenn dies auf
ein γενητὸς καὶ ἀγένητος oder gar auf ein ποιητὸς καὶ ἀποίη-
roc zurückzuführen wäre, so würde das viel eher auf die Zeit
der ausgeprägten antiarianischen Orthodoxie schliessen lassen,
in welcher man die Geschöpflichkeit der göttlichen Natur
Christi zu leugnen für gut fand, während man seine
menschliche Natur für ein Geschöpf hielt ἢ).
Kehren wir nach dieser unfreiwilligen Abschweifung zur
Sache zurück, 50 ist zu bedenken, dass alle Handschriften dieser
Gruppe syrischer Uebersetzungswerke, welche sämmtlich erst vom
6. Jahrhundert an entstanden sein können, dem 6. bis 8. Jahr- '
—
seript. vet. coll. nova VII, 1, 8 sqq.; IX, 725—760; spiceileg. Rom.
X, 169 sqq. und in Catenen in Betracht. Ueber syrische Uebersetzungen
seiner Werke 8. Bickell, conspeotus, p. 54. Dass ein antiochenischer
Bischof um 515 ein Grieche sein musste, bedarf ja auch wohl keines
Beweises. Es war Antiochien damals so gut wie zu des Chrysostomus
Jeiten eine griechische Stadt, in welcher nur Wenige etwas von der
syrischen Sprache verstanden (Chrysost. opp. ed. Montf. IV, 26 C; VII,
105 A), welche die Bauern der Umgegend sprachen (II, 189 B; 651 A).
1) S. über die orthodoxe Auslegung von Prov. 8, wonach &äxzıoe
gerade auf die Menschwerdung Christi zu beziehen ist, meinen Marcellus
δι 118. Die Ausführung der bestrittenen Hypothese ist zum Theil ihrer
historischen Begründung ähnlich. Bei Timotheus und Severus, aber auch
bei Pseudodionysius soll die severianische Uebersetzung vorliegen. Der
Beweis in Bezug auf letzteren wird so geführt, dass das einzige Ignatius-
citat desselben (vgl. vorige Seite) zuerst versehentlich auf Timotheus von
Alerandrien zurückgeführt wird p. 54, dann richtig auf Dionysius p. δῦ
mit genauer Angabe der gleichen Stelle. Die Uebereinstimmung dieses
Dionysius mit jenen Timotheus ist dann freilich auffallend!
4
176
hundertangehören (Cur., p. 353. 355.357 sq.). Da die Uebersetzer
sich nach Zeit und Richtung jedenfalls sehr nahe standen, 90
ist nicht zu verwundern, dass die Uebersetzungsart in diesen
Fragmenten durchweg die gleiche ist. Strenge Wörtlichkeit
zeichnet sie aus. Sie lassen z. B. den Unterschied von 6
χύριος mit oder ohne ἡμῶν, welcher in Scur. wie in der
Peschito verwischt wird, stets hervortreten ἢ. Während Scur.
in der Uebersetzung der Partikeln aufs allerfreiste verfährt,
werden sie hier mit. ängstlicher Treue nachgeahmt ?2). Hier
fehlen die dem Scur. eigenthümlichen umständlichen Um-
schreibungen einfacher Ausdrücke, worüber nachher zu reden
ist, u. dgl. m. Aber alles dies berechtigt natürlich nicht
dazu, eine syrische Uebersetzung der ignatianischen Briefe
anzunehmen, welche diesen Charakter an sich getragen hätte
und von den Uebersetzern jener monophysitischen Werke be-
nutzt worden wäre. Man müsste zu dem Ende erstlich einen
merklichen Unterschied der Uebersetzungsmanier in den
lgnatiuscitaten und in den sie umgebenden Worten des
Severus und der Anderen, sodann durchgängige Ueberein-
stimmung der in dieser Gruppe doppelt vorkommenden Citate
- aus Ignatius nachweisen und endlich begreiflich machen, wie
bei Benutzung einer „severianischen Uebersetzung‘“ überhaupt
so freie Anführungen entstehen konnten, wie sie besonders in
den Predigten des Severus vorkommen. Die Worte: καλὸν
᾿τὸ δῦναι ἀπὸ χύσμου πρὸς ϑεὸν, ἵνα εἷς αὐτὸν ἀνατείλω
(Rom. 2) werden von Sev. p. 215, 18 so angeführt: „Schön
ist es unterzugehn von der Welt und aufzugehn in Christus.“
So las man in keinem syrischen ὅ) und griechischen Ignatius;
1) Bei Sever. p. 214, 13. 14 gi, dagegen p. 214, 8 Yuss0, wo
die parallele Uebersetzung fragm. II, p. 200, 21 das blosse χύριος auch
durch N wiedergibt.
2) χαὶ — xai durch ©... eo p. 210, 16; 218, 12, εἴτε — εἴτε
durch de ἊΝ ἡ p. 214, 20, δὲ καὶ durch Φ a) p. 214, 7. Es
wird ἄρα oder «g« uud οὖν durch | und Wo unterschieden
p. 214, 8.
3) Scur. 44, 3: „Schön ist es, dass ich untergehe von der Welt
177
vielmehr hat der syrische Uebersetzer des Severus dessen ge-
dächtnismässige freie Anführung treu wiedergegeben. So ver-
hält sich’s auch mit der Uebersetzung eines Satzes aus
Rom. 5°): „Feuer und Thiere und Myriaden Arten von
Qualen mögen über mich kommen; nur Jesu Christi möge ich
gewürdigt werden“, oder aus Rom. 7 ?): „Von innen sagt er
mir: Komme [dir] zu meinem Vater.“ Andere Stellen auch
in diesen Reden sind wörtlich angeführt, wie in den dog-
matischen Schriften alle. Da zeigt sich aber auch überall
nicht nur völlige Unabhängigkeit von Scur. in Bezug auf
Text und Uebersetzungsweise, sondern auch so wenig Ueber-
einstimmung der Citate in den verschiedenen Schriften dieser
Gruppe, dass eine gemeinsam benutzte Uebersetzung des
Ignatius nicht zu Grunde liegen kann. Der dreimal bei
Severus 8), zweimal bei Timotheus *), aber ausserdem noch
dreimal in Fragmenten einer anderen Gattung °) citirte Spruch
ἐπιιρέψατέ μοι μιμητὴν εἶναι τοῦ πάϑους τοῦ ϑεοῦ μου Rom. 6
bietet nicht Gelegenheit zu grossen Verschiedenheiten der
Uebersetzung. Abhängigkeit oder Unabhängigkeit lässt sich
nach solchen für den Sinn gleichgültigen Variationen wie die
wechselnde Stellung des jomj oder der Wechsel von u und
um um so weniger beurtheilen, da der Uebersetzer des
Severus sich hierin selbst nicht treu bleibt; und dass die
beiden Fragmente p. 219, 19 und 296, 10 gegen sämmtliche
syrische Zeugen pluralisch „seiner Leiden‘ schreiben, würde
in Gott, damit ich in ihm aufgehe im Leben“. Cf. Joann. mon.
p. 207, 10. Dagegen im m. syr. Moes. p. 7, 2: „Schön ist es aber,
unterzugehn von der Welt in Gott, damit ich in ihm zuletzt aufgehe.‘“
1) p. 216, 9. Vgl. dagegen Scur. 50, 4; fragm. 201, 14; ın. syr.
Moes. 8, 11; Eus. syr. Cur. 203, 20.
2) p. 216, 12. Hier fehlt Scur., aber der auf ihm ruhende A weicht
völlig ab. M. syr. p. 9, 8 übersetzt: „weil in mir der Herr ist, vun
innen zu mir sprechend: Komme zum Vater“.
3) p. 213, 2; 216, 22; 217, 22.
4) p. 211, 9; 212, 2.
5) 219, 19; 220, 7; 296, 10. — Es fehlt hiefür Scur. Durchaus
originell und in der Uebersetzung von ἐπιτρέψατε und μιμητή»ν von allen
anderen Anführungen abweichend ist m. syr. Moes, 8, 320.
Zahn, Ignatius. 12
2
178.
höchstens dazu berechtigen, sie auf eine gemeinsame Ueber-
lieferung zurückzuführen. Verschiedenheit von Text und Ueber-
setzung zeigt sich in der kleineren Parallele aus Men. 8,
welche die Sammlungen patristischer Zeugnisse bei Timotheus
und Severus darbieten.
Timoth., p. 311, 26.
Ein Gott ist, welcher sich
offenbart hat "durch Jesus
Christus seinen Sohn, welcher
ist sein ewiges Wort. Nicht
war er aus dem Schweigen
hervorgegangen, er, der in
allem wohlgefiel Dem, der ihn
Sever., ἢ. 213, 20.
. . Das ein Gott ist,
welcher sich offenbart hat durch
Jesus Christus, ihn seinen
Sohn, ihn, welcher ist sein
Wort, das aus dem Schweigen
hervorging, ihn, der in allem
wohlgefiel Dem, der ihn ge-
gesandt. sandt.
Bei Timotheus wird ἑαυτόν durch mia, also mit Hülfe
der aus der Peschito bekannten nota accusativi ausgedrückt
(vgl. Uhlemaun, syr. Gr., 8. 219) bei Severus dureh sus (om).
Timotheus hat υἱοῦ, bei Severus λύγος die einfachere Form
des Possesivs und umgekehrt. Das Uebrige zeigt die deutsche
Uebersetzung. Dass namentlich die Weglassung von ἀΐθιτος
ünd ov= nicht dem syrischen Schreiber, wie Merx p. 59
meint, oder dem Uebersetzer zur Last fällt, zeigt die folgende
Erläuterung des Schriftstellers selbst. Also nicht einmal in
solchen geordneten Sammlungen patristischer Zeugnisse, wie
sie seit Anfang des 5. Jahrhunderts dogmatisch - polemischen
Schriften angehängt zu werden pflegten, haben die syrischen
Uebersetzer syrische Uebersetzungen der eitirten Väter zu
Rath gezogen.
Besonders lehrreich und in jeder Hinsicht hieherzuziehn
sind auch die drei Fragmente aus Mgn. 8. 9; Thrall. 5,
welche Land herausgegeben hat')., Schon ehe der Heraus-
geber selbst sich durch Merx’ voreilige Kritik ?) veranlasst
sah, genauere Mittheilungen über den Zusammenhany zu
.— “--
1) Anecdota syr. I, 82 58αά. $. die Berichtigung p. XI, und über den
Inhalt der Handschrift die Angaben auf p. 26, ferner vol. 11, 7 2q.
2) Zeitschr. für wiss. Theol. 1867, 8. 91 ff.
119
machen, in dem gie gich finden, zeigte der Wortlaut des
Stücks, in welches die ignatianischen Oitate eingefügt sind,
dass hier ein: syrischer Compilator grosse Excerpte aus einem
späteren Kirchenlehrer gebe, welcher seinerseits den Ignatius
eitirt hatte. Unmittelbar au das Citat aus Mgn. 9 schliesst
sich mit den Worten ἡ if (Land I, 32, lin. 5 van unten)
eine theologische Verwerthung desselben, und diese, nicht aber
das ignatianische Citat, wird durch ein Aal] ὁδῷ p. 33,1
mit einem anderen Fragment verknüpft, welches demnach. nicht
dem Ignatius, sondern dem ihn eitirenden Schriftsteller angehört,
Aus einem Brief eben diegeg Schriftstellers an. eine Digkonisge
Anastasia Ὁ) theilt der Compilator: dany noch ein andres Stück
mit. Dass nun dieser den Ignatius citirende Schriftsteller
Severus sei, konnte man wissen; .unter den Briefen: desselben
befinden sich solche an eine Avaazucia διάκφνος ?), wie auch
an eine ‚draszuote vrarıooa, und die Entdeckung zweier nauer-
pseudoignatianjscher Briefe, von demen einer an Anastasig
gerichtet gein soll, hätte sich wenigstens gegenüber Lande
Warnyng vor solchem Irrthum nicht breit machen sollen.
Die Handschrift selbst bestätigt, was man ohnehin sehen
musste. Der den ignatignischen Citaten vorangehende Inhalt
des Kapitels ?) rührt her „vom heiligen Severus aus der
Schrift gegen die codieilli Alexanders“. Wir gewinnen alsn
für Ignatius nichts weiter als eine Vermehrung der zahl
reichen Zeugnisse für das begondere Interesge, welches Severug
an ibm nahm, ja nicht einmal neue Citate; denn die Stellen
aus Men. 8 und Trall. 5 besitzen wir bereits in anderen
syrisch erhaltenen Fragmenten des Severus, beida nur etwag
weiter fortgeführt (Cur., p. 213, 18 .βηᾳ. 247, 7 sqg.), und
1) p. 34 med.: lass Galar Zai Hin = m,
2) Fabric. bibl. ed. Harles X, 619; Mai, vet. script. nova coll.
IX, 736; Cramer, caten. in Act., p. 188, 20; 298, 26.
3) Es ist das 102. Kapitel einer collectio demonstrationum variarum
e sanctis patribus contra Julianistas und trägt die Ueberschrift: „In
Bezug auf diejenigen Todten, welche zur Zeit der Kreuzigung aufer-
standen‘ (Land IE, 7 2q.).
12*
180
das dritte Citat aus Mgn. 9 sogar im griechischen Original
(8. oben S. 109). Gäbe es eine „severianische Uebersetzung “
des Ignatius, so müssten wir sie hier wie dort vom Ueber-
setzer des Severus benutzt finden. Aber die Verschiedenheit
der parallelen Citate ist fundamental. In Trall. 5 ist es
nicht bloss die abweichende Uebersetzung von τοποϑεσίας
ἀγγελικάς 1), welche die Unabhängigkeit der Uebersetzer von
einander und von einer gemeinsam von ihnen benutzten
Uebersetzung des Ignatius beweist. Es scheint auch der zu
Grunde liegende griechische Text nicht der gleiche zu sein.
Der syrische Severus bei Cur. 217, 7 scheint?) in seinem
Original gegen alle Tradition des ignatianischen Textes ge-
lesen zu haben: χαὶ γὰρ ἐγὼ λέγω" οὐ καϑότι δέδεμαι x. τ. λ.
Ferner finden sich in den wenigen Worten aus Mgn. 8, welche
bei Cur. 213, 18 sqq. und Land p. 32 sich entsprechen,
nicht weniger als acht mehr oder weniger erhebliche Ab-
weichungen in Bezug auf Construction, Wahl der Worte und
zu Grunde liegenden Text. In den wenigen Worten, worin
dies Citat ausserdem noch mit dem vorhin ὃ. 178 ver-
slichenen Citat bei Timotheus parallel läuft, hat es das ein-
fachere n;> mit diesem, aber die Uebersetzung von ἑαυτόν
mit Sever. Cur. gemein. Während Merx a. ἃ. O.,S. 93f. hierauf
flugs die Annahme einer dritten syrischen Uebersetzung des
Ignatius glaubte gründen zu können, folgt doch in der That
daraus nur, dass die vermeintliche zweite ebensowenig existirt
hat, als diese dritte, dass vielmehr die Uebersetzer der griechi-
schen Werke, in welchen Ignatius eitirt war, dessen Worte
mit denen der Schriftsteller, die ihn angeführt, neu übersetzt
haben. Sonst käme man dazu, noch mehr selbständige
Uebersetzungen der ignatianischen Briefe anzunehmen, als
griechische Väter, die ihn citiren, ins Syrische übersetzt wor-
den sind.
\
1) Sever. Cur., p. 217, 8: ‚.die Orte. der Engel“; Sever. Land.
p. 32 (vgl. dessen berichtigte, aber auch noch ungenaue Üebersetzung
"I, 6): „die Stellung der engelischen Orte.“
2) Oder sollte das ;so] ein φησί des citirenden Severus sein?
181
Allerdings finden in dieser Fragmentenmasse auch nicht
ganz selbstverständliche Uebereinstimmungen statt, welche
leichter beurtheilt werden könnten, wenn die Schriften voll-
ständiger vorlägen und genauer charakterisirt worden wären,
worin sie enthalten sind. Zwar die wörtliche Ueberein-
stimmung des Citats aus Eph. 7 in zwei gegen Julius von
Halicarnass gerichteten severianischen Schriften 1) bedarf kaum
einer besondern Erklärung; denn, was zunächst den Grund-
text betrifft, so kann ein Schriftsteller, welcher in den dog-
matischen Händeln seiner Zeit sich mit Vorliebe auf Ignatius
beruft und sich sogar um die Varianten älterer und jüngerer
Handschriften bekümmert (Cur., p. 213, 2), eine dogmatisch
wichtige Stelle auch einmal an verschiedenem Ort gleich-
mässig citiren. Der gleiche Text aber konnte hier bei einer
im allgemeinen gleichartigen Weise der Uebersetzung von
zwei verschiedenen Uebersetzern kaum verschieden übersetzt
werden. Und doch scheint ein Uebersetzer den andern noch
an Treue der Uebersetzung übertreffen zu wollen, indem er
das χαὶ — καί wirklich ausdrückt (218, 12), während der
andre sich mit Einem χαί begnügt (218, 18). Anderes er-
klärt sich aus einem, wie es scheint, noch einigermassen er-
kennbaren literarischen Zusammenhang ἢ. Als fr. IX hat
Car. 217, 17 sag. cf. 357 wenige Stücke aus einem Werk
mit dem Titel „Buch der Beweise der heiligen Väter gegen
den gottlosen Grammaticus“ gegeben. Schon der Titel legt
es nahe, einen Zusammenhang desselben mit der ähnlichen
Sammlung des Severus in einer Schrift gegen denselben „gott-
losen Grammaticus“ zu vermuthen (fr. VII, p. 212 cf. 355).
Der besondere Titel letzterer Sammlung ist „Zeugnisse der
heiligen Väter, welche von den apostolischen Zeiten her in
1) Fragm. X, p. 218, 11 sy.; XI, p. 218, 17 sq. Ueber die Hand-
schriften vgl. Cur., p. 358.
2) Zu einer gründlicheren Untersuchung fehlen mir die Mittel. Es
wäre jene von Land (II, 7 sq.) benutzte collectio demonstrationum, aber
auch die Sammlung, aus welcher P. Zingerle (monum. syr. I, 1; οἵ.
adnot., p. 1—6) unter anderem zwei Fragmente des Polykarpbriefs ge-
geben hat, heranzuziehen.
180
gesunder Weise ἈΠ 'Grehsimnis Yıberlisferten das rechte Wort
des Glaubens u. 8. w:“ Es scheint die Reihenfolge dieser Zeug-
nisse in fr. IX wiellerzukehren. Derselbe Satz aus Rom. 6 steht
ih beiden an der Spitze; nur fehlt in fr. IX die textkritische
@losse des Severtes. Ein Citat aus Eph. 1 ist in fr. VL von
dem :#raten durch &in Citat aus ad Polyc. 3, in fr. IX da-
geben durch ein Tu] So ‘getrennt. Es scheint die spätere
antijulhanistische Semmlung ein !erst auf syrischem Boden ge-
nachtes Excerpt Aus der älteren ins Syrische übersetzten
Sammlung des Severus zu sein, wenigstens Im Bezug auf ein-
zeitte Theile, wie z. B. die Öitate atıs Ignatius. Dann kann
es nicht Wunder nehmen, dass die 'ungeschickte Abgrenzung
‚des Citats aus Bph. 1 ünd die keineswegs selbetverständliche
Übersetzung sich hier wie dort findet: „Entflammt im Biute
rottes hebt ihr das Werk würdig im Geschlecht vollkommen
ΜΟΙ ΘΗ δὲ“. ἢ).
Schwieriger ist über Abhängigkeit oder Unabhängigkeit
von einem syrischen ’Ignatius zu entscheiden in Bezug auf die
in der syrischen Uebersetzung von Eusehs Kirchengeschichte
enthalehen ignätihnischen Säcke. Es muss vorher Art und
Umfäng der syrischen Uebersetzung 'üsr igmatianischen Briefe
writersicht werden. Dis einfkche Resultat dieser -Unter-
süchung ist: Alles’ Igtätianische 3), was ausser den Bisher 'be-
=
1) p. 213, 11 sq.; 217, 24. Dasselbe telı>, welches 'man gerne
in tal geändert sähe (cf. Petermann), an beiden Stellen. Die einzige
Der iedanheit ‚ist getrennte Schreibuug von al ne N
2) Also alles das, was Cur. als fr. I. II, IV, XIII hat abdrucken
lassen; ferner die Sätze bei Cur., p. 296, vielleicht auch das auf p. 563.
565. Ziweifelhaft muss !bleiben fr. XIV,-p. 220. Die Handschrift ist im
Jahre 718 geschrieben. Die Schrift unter dem Titel ‚Plerdphoria ‘ 'ent-
'HElt- etwas aus der Kirchengeschichte des Johannes ‘von Epherus (Land,
“recdöte'II, 28), kann ‘Also nicht 'vor Ende des 6. Jahrhunderts ent-
standen söm. Das "kurze Citat aus 'Rom. 6 'geht 'mit allen übrigen
"Anführungen gegen p. 219, '119'und p. 296, 10 im 'Bingular τοῦ nadsaus
zusammen, weicht aber von allen Anführungen sb durch das tummtänd-
183
sproohenen Stücken in syrischer Sprache enthalten ist, gehört
einer einzigen Uebersetzung an, aus welcher im 5. Jahr-
hundert die armenische Uebersetzung geflossen und vielleicht
erst etwas später der Auszug gemacht worden ist, welaher
als Scur. mit den 7 Briefen, die Euseb las, um den Vorzug
der Ursprünglichkeit streitet. Nur insofern muss :man dieser
Tebersetzung den einheitlichen Charakter absprechen, als die
7 voreusebianischen Briefe in dieser Uehersetzung eine ‚Zeit
lang cursirt zu haben scheinen, dhe ihnen eine Uebersetzung
der nacheusebianischen Briefe hinzugefügt wurde.
Die zusammenhängendsten Ueberreste dieser Uebersatzwng .
bieten die drei Handschriften, auf Grund deren Cureton
seinen Ignatius construist hat. Cod. « enthält nur den Brief
an Polykarp. Cureton (introd., :p. 99) gewinnt an der Hand
einer nicht mehr ganz leserlichen Angabe, welche sich zu-
nächst auf den zweiten Theil des -Doppelbandes 'bezieht,
zugleich aber, wegen augenscheinlicher Identität der Hand,
für die zweite Hälfte des ersten Theils gilt, worin der Brief
des Ignatius steht, als Termin, vor welchem diese Abschrift
angefertigt wurde, die Mitte des :6. Jahrhunderts. Sehr un-
vorsichtig bestimmte Lips. IL, 34 als Entstehungszeit ‚der in
diesem Band vereinigten Schriftensammlung die zweite Hälfte
des 4. Jahrhunderts.
Schon die griechischen Schriften, deren syrische ‚Ueber-
setzungen hier gesammelt sind, reichen bis ans äusserste Einde
des 4. Jahrhunderts, theilweise wohl auch in den Anfang des
hten hinein. ‘Des Basilius schriftstellerische Wirksamkeit (hat
erst nach 360 begonnen; der Euagrius, welchen Hbed Jesu
erst nach dem auch in dieser Handschrift mit ihm ver-
bunden Marcus aufführt (Assemani bibl. or. III, 1, 45), ist
von Gregor von Nazianz erst, als dieser Bischof von Ken-
siantinopel war :(von 381 an), zum :Diakonus geweibt ‘worden,
und seine literarische Thätigkeit fällt in die (darauf folgenden
liche As’ jet. — Das eigenthümliche Verhältniss von fr. XII
zum syrisohen kgnatius ‚ist unten :ausführlicher zu erörtern.
184
Jahrzehnte; der Tod des Mareus Monachus wird um 410 an-
gesetzt. (Gresetzt, es wären die Schriften dieser Männer noch
im Jahrzehnt ihrer Abfassung ins Syrische übersetzt und noch
im Jahrzehnt ihrer Uebersetzung in diese Verbindung ge-
bracht, so müssten wir doch mindestens in den Anfang des
5. Jahrhunderts hinabgehn. Aber die Zusammenstellung dieser
Schriften: . „Asketikon des Vaters Pachomius‘“, „Erzählung
von einem alten Mönch -Malchus‘“, „Fragen und Antworten
ägyptischer Väter‘, „Die Briefe des Euagrius an Melania “,
„Der Brief des Herrn Ignatius, des Bischofs“, asketische
Werke des Euagrius und Marcus, „Leben ägyptischer
Väter“, „Peschito des Jesaja“, „Brief des Basilius an
Gregor von Nazianz“, macht doch wahrlich nicht den
Eindruck einer „Sammlung“, deren Entstehungszeit nach
ihrem Inhalt bestimmt werden könnte. Die Zusammen-
stellung kann genau so alt sein, wie die Handschrift selbst.
Cod. 6, welcher die drei Briefe enthält, wird von Cur.
(introd., p. 30) ins 7. oder 8. Jahrhundert gesetzt. Er ent-
hält eine noch buntere Zusammenstellung von Schriften als «,
neben ursprünglich Syrischem Uebersetzungen aus griechischen
Schriftstellern, neben Theologischem Philosophisches. Die
Behauptung, dass auch diese Sammlung auf die zweite Hälfte
des 4. Jahrhunderts zurückgehe, weil darin die Namen
Gregor von Nazianz, Euagrius u. a. vorkommen, liest sich
sonderbar (Lips. II, 35), wenn man unmittelbar vorher ge-
lesen hat, dass in dieser Handschrift Predigten des .Jakob
'von Sarug oder Batnä und des Issak [von Antiochien] ent-
halten sind. Der letztere lebte wenigstens bis 450, der
erstere starb 521 !). Vor dem 6. Jahrhundert, welchem cod. «
angehört, ist also auch diese „Sammlung“ nicht veran-
staltet, oder das Original, woraus # abgeschrieben ist, wenn
er überhaupt Abschrift einer Handschrift gleichen Inhalts ist,
nicht geschrieben worden. |
Endlich cod. y ist nach Cur. (introd., p. 31) etwa im
6. öder 7. Jahrhundert geschrieben worden. Nehmen wir
1) Assemani, bibl. or. I, 210. 290; Bickell, conspectus, p. 23. 25.
188
Ersteres an !), so hätten wir einen Zeitgenossen von « und
dem etwaigen Original von 8. Zu beachten ist die ungefähre
Gleichzeitigkeit und die inhaltliche Verwandtschaft der drei
Handschriften jedenfalls. Zwar kommen in y einige andere
Schriftsteller vor, wie Cyrill Al. und Prochus von Konstanti-
nopel, aber doch, wie es scheint, nichts auf die nestorianischen
und die monophysitischen Streitigkeiten Bezügliches. In allen
drei Handschriften sind Euagrius und die Kappadocier ver-
treten, in « und y Marcus Monachus, in # und y Johannes
Monachus und Isaak der Lehrer. Das asketische Interesse
überwiegt in allen Dreien. Demnach ist der Kreis, aus wel-
chem diese drei Handschriften stammen, ebenso wie die Zeit,
in der sie geschrieben wurden, eng umgränzt zu denken.
Auf einen sehr nahen Zusammenhang weist auch die Be-
schaffenheit ihres Ignatiustextes. Die Varianten sind zum
weitaus grössten Theil nur orthographischer Art. Offenbare
und sinnlose Schreibfehler theilen sie, wie sich besonders in
den Briefen an die Epheser und Römer zeigt, welche in «
fehlen. Eph. 1 p. 18, 2 schreiben # und γ 31,36.» (That) ἢ
statt Wan (Syrien), nur mit dem Unterschied, dass # das
falsche Wort noch mit Ribbui versieht, also den Schreib-
fehler förmlich bestätigt. Beide lesen Rom. 2 p. 42, 6
“Uianas/ (ihr werdet mich verlassen) statt „ao ον
(ihr werdet von mir schweigen). Die Richtigkeit des Letz-
teren beweist auch die von der syrischen abhängige armenische
Uebersetzung vgl. Petermann S. 141, und die Uebersetzung
bei Johannes Monachus p. 206, 26; 207, 13, während an
sich auch eine freie Wiedergabe des prägnanten σιωπᾶν ἀπό
tıvos vorliegen könnte. Vgl. Ronı. 4 p. 46, 3. Beide Hand-
schriften schreiben ferner Eph. 1 p. 16, 3 für ἐν πάϑει =
1) Der Inhalt gestattet dies wohl. Der Johannes von Rom, dessen
Leben sich darin befindet, ist ohne Frage Johannes I. von 523—526. Die
Zeithestimmung von Lips. II, 35f. ist also wieder unhaltbar.
2) Curetons ausführliche Rechtfertigung dieser Lesart p. 278 sa.
erklärt sich nur aus dem Bedürfnis, seinen anfänglichen Irrthum zu
corrigieren, dass hier ein Fehler des syrischen Uebersetzers vorliege.
Es ist ein syrischer Schreibfehler; vgl. Merz, p. 41; Lips. U, 139.
186
Wu durch Schreibfehler Taız. was gewiss mit Unrecht auf
eine griechische Variante προϑέσει zurückgeführt wird; denn
erstlich hat der von Scur. abhängige A mit allen abend-
ländischen Zeugen ἐν πάϑει;: sodann wird in der Peschito
πρόϑεοις nie so übersetzt, und endlich findet sich Sm. 1 und
Trall. 11 dasselbe Versehn als Lesefehler des A oder Schreib-
fehler seines syrischen Originals, während fr. I p. 200, 24
das richtige as bewahrt δαὶ". Beide geben Eph. 10
Ρ. 28, 6 ρος ‚cs (ihr sollt staunen über sie) statt
wor oa (ihr sollt ihnen gleichen) ?). Im Polykarpbrief,
der allein eine Vergleichung von « mit #7 möglich macht,
gehen £y ziemlich regelmässig gegen « zusammen. Sie
haben 2. B. Pol. 3 p. 6, 9 das in « ausgefallene „io vor
to bewahrt, ὁ. 6 p. 12, 7 das gewiss wisprüngliche _,o2aS
statb oo. Gelegentlich steht auch 8 gegen «y in un-
günstiger Vereinsamung p. 10, 2; 12, 4. Alle drei haben
den sinnlosen Satz Pol. 2 p. 6, 1 .sqq.: „Die Zeit farderte
(oder hat gefoxdert oder fordert) wie der Steuermann das
Schiff (deutlich accus.), und wie der, welcher im Sturm steht,
den Hafen, dass du Gott erlangest.* Wenigstens das auch
von A vorgefundene Object des Hauptsatzes „Dich“ kann
der Uebersetzer nicht ausgelassen haben ?). Liegt hier ein
Verselın des Schreibars vor, auf dessen Rechnung dann auch
noch Andres kommt, so müssen alle drei Handschriften in
naher Verwandtschaft zu einem Archetypus stehn. Die Ver-
‚gleichung von β' und y untereinander fällt durchaus zu Gun-
‚sten von y aus, was im einzelnen Fall auch Cureton aner-
kannte, z. B. p. 303. Den entscheidenden Einfluss auf die
Gestaltung des Textes räumte er ihm nicht ein, weil er diesen
1) Vgl. Lips. UI, 95; 101; 153.
2) Wie oft, hat'Cur. p. 184 auch hier seine ursprünglich riehtigere
Einsicht hinterher aufgegeben. Vgl. dagegen Lips. U, 189.
3) Anf den Uebersetzer ;sullte man auch nicht wie Lips. II, 137 den
diakritischen Punct zurückführen, welcher den Sinn posce allerdings er-
gibt. Die in diesem Fall ganz unnatürliche Voranstellung des Objects
ist dem "Vebersetzer nicht ‚zuzutrauen.
187
schon vor seiner Bekamtschaft mit y festgöstellt hatte Es
hat „ nicht nur durch vorwiegend getrennte Schreibung der
in # zusammengeschweissten Wörter ein ursprüngliches Ge-
präge bewahrt (Cur., p. 46, 1; 54, 6. 8. 9), er hat auch oft
klene aber wmentbehrliche W‘orte allein behalten wie ὦ
p. 42, 5, oder > p. 44,7; 54, 3, oder ; p. 18, 1, oder ἢ
p. 54, 2. Im letzten Fall, in der Uebersetzung von αἱ um
προζτήχουσαί μοι τῇ ὁδῶ Rom. 9 hat y alle abendländischen
und morgenländischen Zeugen”) und den später zu er-
örternden Zusammenhang der Stelle für sich, und es gehört viel
dazu, in «8 den ursprünglichen 'Text zu finden, welcher
schon in y hier und an einigen anderen Stellen nach dem
griechischen Text der Sammlung U corrigirt sein soll 3).
Aber eime solche Correctur würde doch wenigstens solche Ver-
sehen, wie das inEph. 1 p. 18, 2 aus y getilgt haben. Die
Annahme passt aber auch nicht zu dem vorhin nachge-
wiesenen ursprünglichen Gepräge des Textes in y. Das Ur-
sprüngliche hat y auch Eph. 19 p. 36, 1 gerettet, indem er
das im Zusammenhang unerlässliche dritte Mysterium, „den
Tod ‘des Herrn“, in Uebereinstimmung mit allen "Zeugen 9)
bietet, welches in # wegen der Aehnlichkeit des vorangehenden
maasso, mit dem fraglichen mZ2asoo ausgefallen ist. Läge
es darnach nahe, 'cod. y für die Quelle von « und # zu halten,
80 scheitert das doch wieder an manchen Fehlern in y, von
1) Auch m. syr. Moes. p. 10, 4.
2) So Lips. II, 36. 186. Als Retter des Scur. muss dagegen y
Ῥ. 134 dienen.
8) Darunter A, ferner fr. XIII p. 219, 16. Eine Anspielung auf
diese drei dem Teufel verborgenen Geheimnisse enthält jedenfalls der von
Cur. p. 285 nach der Handschrift citirte syrische Commentar. Viel
älter, näinlich aus dem Ἐπ. des 4. Jahrhunderts ist die nicht minder
deutliche Anspielung hei dem Dichter Cyrillonas, aus dessen Handschrift
Bickell im conspectus p. 35 übersetzt: Meridies (d. i. Palästina), qui
plenus est omnium magnalium tuorum, conceptionis, nativitatis,
erucifixiomis tuae, e quo aroma vestigiorum tuorum .adhuc spirat.
Die originelle Zusammenstellung fällt hier um so mehr auf’, da erst
nadhher :die Maufe im Jordan erwähnt wird. Das Original uber ist
Ignatius.
188
welchen « und 9 freigeblieben sind, z. B. p. 14, 3; 36, 8:
42, 1. δ: 48, 2. Somit besitzen wir den Archetypus nicht
mehr. Aber die äusserst geringe Verschiedenheit aller drei
Handschriften lässt ihn nur in nächster Nähe derselben
suchen; vielleicht ist er von y durch kein einziges Zwischen-
glied getrennt. Jedenfalls berechtigt uns der Thatbestand
nur zu der Behauptung, dass diese drei Briefe in dieser
Ordnung und Textgestalt wahrscheinlich im Lauf des 6.
und des 7. Jahrhunderts einige Male abgeschrieben worden
sind.
Es war daher ein Uebergriff, wenn Cureton und seine
Nachfolger hier eine Bezeugung dieser drei Briefe zu finden
meinten, welche diesen einen Vorzug vor den übrigen vier
voreusebianischen Briefen gäbe. Es ist möglich, dass schon
im Archetypus unsrer Handschriften nur diese drei sich
fanden; aber sogut wie in derartige „Sammlungen aus den
heiligen Vätern“ !) einzelne Reden, Briefe, Abhandlungen
anderer gefeierter Kirchenlehrer Aufnahme fanden, ohne dass
damit auf deren übrige Werke ein Schatten des Verdachts
fiele, kann auch der, welcher die drei Briefe des Ignatius
zuerst zusammenstellte, eine Auswahl getroffen haben, ohne
damit ein literarhistorisches Urtheil über den Umfang der
ihm vorliegenden ignatianischen Briefsammlung zu fällen
oder uns zu ermöglichen. Ausgesprochen hat er jedenfalls
keins. Bunsen freilich wollte (I, Vorrede S. 16. 18) in der
Unterschrift der drei Briefe in # das kritische .Zeugnis eines
wohl unterrichteten, des Griechischen kundigen Syrers, also
wohl des Uebersetzers gefunden haben, dass Ignatius nur
diese Briefe geschrieben habe. Sie lautet: „Es sind zu
Ende ?) [die] drei Briefe des Ignatius, Bischofs und Mär-
tyrers“. Weniger geeignet scheint es mir, wenn man dagegen
1) So nennt sich cod. y selbst (Cur., introd., p. 32).
2) Eine grammatische Nöthigung kann doch nicht vorliegen, dieses
„explicit“ des Schreibers (cf. Cur., introd., p. 80) mit Petermann, p. XXI
substantivisch zu übersetzen wegen der Incongruenz des vorausgestellten
Prädicats.
‘
189
an den unbestimmteren, keineswegs dem griechischen und
deutschen Artikel analogen Werth des syrischen stat. em-
phaticus erinnert hat!). Denn es ist das Natürliche, dass
der Schreiber, welcher das Ende des dem Ignatius ange-
hörigen Theils seiner Arbeit markiren wollte, die von ihm
mitgetheilten Briefe, deren Zahl er ja auch angibt, dabei
allerdings als discrete Grösse vorstellt. Aber eine Silbe der
Art auf den Uebersetzer zurückzuführen, ist reine Willkür.
Nicht einmal im Archetypus unsrer Handschriften hat Der-
artiges gestanden; sonst würde dasselbe in y sich finden, und
das Misverständnis gerade dieser besten Handschrift, welche
zwei Briefe des Johannes Monachus an die ignatianischen
Briefe anschliesst und als ignatianisch mit unter die Unter-
schrift ?2) befasst, wäre vollends unerklärlich. Aber auch das
ist nicht zuzugeben, dass der Schreiber von # nur drei Briefe
kenne, oder dass von ihm die Sonderexistenz dieser drei
bezeugt werde (so Lips. I, 159). Mit grösserem Recht könnte
man behaupten, der wenigstens 100 Jahre ältere Schreiber
von «, welcher den Brief an Polykarp allein enthält und ihm
die Ueberschrift gibt: ‚Brief des Herrn Ignatius, des Bischofs“,
kenne und anerkenne nur diesen Brief; und es ist nicht ein-
zusehn, warum diese sehr nachlässigen Angaben mehr be-
deuten sollen, als etwa die Unterschrift der renaudot’schen
Fragmente: „Zu Ende ist dies vom heiligen Ignatius, dem
Gottbekleideten und Märtyrer“, nämlich dies Vorstehende,
oder das, was ich von ihm mittheilen wollte. Es bleibt also
nicht einmal das kritische Urtheil eines vielleicht sehr un-
kundigen Schreibers des 7. oder 8. Jahrhunderts übrig. Die
Frage, ob 7 oder 3 Briefe ächt seien, wird durch alle drei
m nn
1) Petermann, p. XXI; Uhlh., S. 15; Merx, S. 13.
2) Sie lautet hier nur: „Es endigt [das] von Ignatius.“ (Cur.,
introd., p. 32.) Dass man von eineın Misverständnis des Schreibers redın
muss, beweist die Wiederkehr einer ähnlichen Angabe an späterer Stelle.
Daraus ergibt sich, dass der Schreiber glaubte, nur Schriften des Eua-
grius und des Ignatius. von letzterem also 5 Briefe abgeschrieben zu
haben.
180
Handschriften gar nicht einmal gestellt, geschweige denn: be-
antwortet. Nur so kann die Frage lauten, ob Sceur. ein
Excerpt aus einer vollständigeren, der griechischen kürzeren
Recension der voreusebianischen Briefe entsprechenden syrischen
Uebersetzung sei, oder ob er selbst eine Tebersetzung einer
entsprechenden griechischen Recension dieser drei Briefe sei,
aus welcher erst durch Interpolation der his dahin bekannte
Text derselben Briefe entstanden wäre. Im letzteren Fall
würde noch keinerlei Verdacht gegen die Abfassung der vier
übrigen voreusebianischen Briefe begründet sein, sondern nur
das würde wahrscheinlich werden, dass auch diese ihre in
der Sammlung U vorliegende Gestalt erst: einem Interpolator
verdanken, eine Hypothese, welche dann freilich aus Mangel
an Hülfsmitteln nicht bis zur Ausscheidung des Unächten
durchgeführt werden könnte. Man wäre schneller zum Ziel
gekommen, wenn man sich dies von Anfang an gesagt hätte.
Aber nicht bloss bei Cureton und Bunsen begegnet fort-
während die Verwechselung von Schreiber und Uebersetzer
und als gegnerische Meinung, dass hier eine excerpirende
Uebersetzung statt des Excerpts aus einer Uebersetzung vor-
liege, auch die Gegner der Ursprünglichkeit yon Scur. haben
sich von dieser Voraussetzung nicht durchweg freigehalten.
So konnte es kommen, dass Nirschl !) neuerdings in denı
Gefühl, damit etwas lange Unterlassenes endlich zu thun, die
Meinung bestritten hat, dass Ignatius seine Briefe syrigch
geschrieben habe, als ob irgend ein Mensch in diesem. Sinn
von Ursprünglichkeit des Scur. geredet hätte! Jene Voraus-
setzung aber einer excarpirenden Uebersetzung, welche an
‚sich schon wegen der Schwierigkeit des vorausgesetzten Ver-
fahrens unwahrscheinlich ist, wird es vollends dadurch, dass
mehr als 100 Jahre vor der Zeit, bis zu welcher Scur. zu-
rückverfolgt werden kann, eine syrische Uebersetzung der
Sammlung U oder A vorhanden war. Ist also Scur. nicht
Uebersetzung einer ihr genau entspreehenden griechischen
Recension dieser Briefe, so wird er Excerpt aus jener Ueber-
1) Die Briefe des Ignatius, 3. 22 ἵ,
191
setzung sein. Die Beantwortung der worhin gestellten Alter-
native wird. aber nieht glücklich mit Abschäfzung der Vor-
züge begonnen, welche der von Scur. verausgesetzte griechische
Text vor dem der Sammlung U oder ΑΙ, oder welche dieser
vor jenem in Bezug auf Gedankengang und geschichtliche
Wahrscheinlichkett aufzuweisen habe, oder mit Abwägung der
Schwierigkeiten, welche die Annahme einer Interpolation in
einen, die einer Abkürzung im anderen Fall an jeder einzelnen
Stelle bietet. Sicherer. ist es, die leichter objeetiv zu führende
Untersuchung des Verhältnisses der originalsyrischen Ignatius-
citate zu Scur. voraufzuschicken. Den richtigen Weg für
diese Untersuchuag hat zuerst Benzinger gewiesen, dessen in
manchen Theilen recht tüchtige Schrift von protestantischen
Schriftstellern, welche in Bezug auf Ignatius. viel weniger ge-
leistet und viel äsger geirrt haben, ungebührlich misachtet
worden ist. Ist es wirklich so, dass die in jenen ofiginal-
syrischen Citaten vorliegende Uebersetzung des Ignatius nicht
wabhängie von der in Scur. vorliegenden aus dem Griechischen
geflessen sein kann, so ist auch der Excerptcharakter des Scur.
erwiesen. Denn von vornherein ist der Ausweg als unweg-
sam: zu bezeichnen, den Lipsius. betreten hat. Es soll näm-
lich allerdings eine weitere syrische Resension von. 13 Briefen
existirt haben, welche aus einer Reihe syrischer Fragmente
und der armenischen Uebersetzung nach Text und Umfang
erkannt werden kann; sie soll auch in einem nahen Ver-
wandtschaftsverhältnis zu Scur. stehn (II, 158 f. 166. 168 Ik
173. 175 ff.), aber nicht die Grundlage des Scur., sondern
eine Ueberarbeitung. und Erweiterung desselben nach einem
griechischen Exemplar sein (I, 165 f. u. s. w.). Wie sich
diese Ansicht mit der chranologischen Thatsache abfindet,
dass die angebliche Ueberarbeitung mindesiens 100. ‚Fahre
höher hinaufverfolgt werden kann, als die angebliche Grund-
schrift, wurde schon gezeigt. Es wird sich noch zeigen, dass
der werthvollere Theil der angeblichen Ueberarbeitung, näuı-
“ lich eine syrische Uebersetzung der 7 voreusebianischen Briefe
schon einige Zeit vor dem Jahre 400, also nahezu 2 Jahr-
hunderte vor dem nachweisbaren Alter von Scur. existirt hat.
192
Aber es lässt sich auch keine vollziehbare Vorstellung von
der angenommenen Ueberarbeitung gewinnen, was allerdings
erst aus einer genaueren Untersuchung des nahen Verwandt-
schaftsverhältnisses der syrischen Uebersetzung von 7 Briefen
zu Scur. deutlich erhellen wird. Eins jedoch genügt, soviel
ich sehe. Es müsste der Ueberarbeiter, der schon um die
Mitte des 4. Jahrhunderts arbeitete, unter ängstlicher Schonung
einer noch älteren Uebersetzung (Scur.) mit Hülfe einer
Handschrift wie cod. med. die zahlreichen Lücken der älteren
Uebersetzung ausgefüllt, deren kleine Zusätze beseitigt, deren
Umstellungen wieder zurechtgestellt und schliesslich die fehlen-
den Briefe genau im Stil der älteren Uebersetzung hinzu-
gefügt haben. Ganz zu schweigen von der Mühseligkeit und
Beispiellosigkeit !) einer solchen Arbeit, so ist sie undenkbar
wegen des inneren Widerspruchs zwischen sclavischer Ab-
hängigkeit des Bearbeiters von der älteren Uebersetzung (Scur.)
auf der einen Seite und völliger Hintansetzung ihres Zeug-
nisses' in literarischer Hinsicht auf der andern. Wie wäre
es zu erklären, dass dieser Bearbeiter die beiden Kapitel
Trall. 4. 5, welche in seiner angeblichen Grundlage, dem
Seur., zu einem Bestandtheil des Römerbriefs gemacht waren,
seiner griechischen Handschrift zulieb aus dieser Stelle
entfernte und dem Brief an die Trallianer einverleibte? Bei
einiger Anhänglichkeit an seine Grundlage hätte er wenig-
stens hier ihr folgen oder, wenn er ebenso eifrig auf Ver-
mehrung als auf Berichtigung aus war, die Duplette nicht
scheuen müssen.
Recht im Unterschied von der gelehrten Buchstäblichkeit,
mit welcher die theologischen Werke späterer Zeit von noch
späteren Monophysiten ins Syrische übersetzt wurden (s. oben
S. 176), erscheint die Uebersetzung, welche zunächst nach
---.- Ύ -.-.-.. -.... -.
1) Die Vergleichung mit dem Verhältnis der Peschito zur Philo-
xeniana bei Lips. II, 29 f. schemt nicht sehr ernstlich gemeint-zu sein,
da sie im entscheidenden Moment gar nicht verwerthet wird. Sonst
wäre auch leicht zu zeigen, wieviel an einer 'ernstlichen Analogie des
Falles fehlt.
198
ihren unzweifelhaften Urkunden, den drei Handschriften des
Seur. zu charakterisiren ist, als volksthümlich. Im ganzen
unbekümmert um ängstliche Treue ἢ), sucht sie den dem
jedesmaligen Zusammenhang entsprechenden und vor allem den
ächt orientalischen Ausdruck. Die Briefe des Ignatius sollen
ein syrisches, nicht bloss nützlich, sondern auch erbaulich zu
lesendes Buch werden. Daher der unverkennbare Anschluss
an die Peschito 5), daher die Vorliebe für Umschreibung des bei
Ignatius neben aller Ueberschwänglichkeit doch auch oft bis
zu Unverständlichkeit knappen Ausdruckes, daher die Freiheit
in Weglassung und Zusetzung und im Wechsel der Ueber-
setzung desselben Ausdrucks je nach dem Zusammenhang,
wie in Assimilirung verschiedener Worte von verwandtem
Sinn. Einige Beispiele, welche ich aus möglichst unbe-
strittenen Texten wähle, mögen das Gesagte veranschaulichen.
Das ϑηριομαχῶ wird Rom. 5 p. 48, 5, wo es wie 1 Cor.
15, 32 nur bildliche Bezeichnung der gefahrvollen Lage unter
bestialischen Menschen ist, übersetzt: „Zwischen die Thiere
bin ich geworfen‘ 3), dagegen Eph. 1 p. 18, 3, wo die
Execution vorgestellt wird: „dass ich von den Thieren ge-
fressen werde‘, während das Wort z. B. im syrischen Severus
Trall. 10 p. 214, 7, im syrischen Euseb Cur., p. 203, 10, in
einer syrischen Uebersetzung aus Chrysostomus bei Cur.,
p. 279 stets wörtlich. übersetzt ist‘). In Eph. 8 wird das
ziemlich dunkle περίψημα ὑμῶν (sc. ἐγώ) übersetzt: „ich
freue mich an euch“, ganz ähnlich wie Pol. 6 p. 12, 10;
.—
1) Die Beispiele übertriebener Wörtlichkeit auf Kosten des syrischen
Sprachgebrauchs scheinen mir nicht so zahlreich und erheblich, als dass
die Aeusserungen von Merx, p. 34. 38 gerechtfertigt erschienen. Die
Syrer können darin viel vertragen, und mehr in der Verlegenheit um
den rechten Sinn dürfte dieser Syrer manchmal unverstandenes Griechisch
treu übertragen haben.
2) Vgl. Lee bei Cur., introd., p. 85; Merx, p. 29 sga.
3) Trotz des verschiedenen Verbs ist 1 Cor. 15, 32 Peschito zu
vergleichen: asus δ δαὶ. :
4) M. syr. Moes., p. 8, 1 übersetzt Rom. 5 eigenthümlich: „Mein
Kampf ist mit den Thieren “.
Zahn, Ignatius,. 13
| 194
Rom. 5 Ὁ. 48, 8 das ὀναίμην !), dagegen Eph. 18 p. 34, 1
„es betet an mein Geist das Kreuz“. Rom. 4 p. 48, 3
ἀνασεήσομαι „ich werde aufstehn aus dem Haus der Todten 2),
wie Peschito „war nicht gewöhnlich, aber doch dreimal (Rom.
1, 4; Actor. 24, 15; Matth. 14, 2) paraphrasirt, während die
Uebersetzer des Timotheus (p. 211, 6) und des Severus
(p. 214, 21) sich dessen enthalten ἢ. Für ϑεοῦ οἰκονόμοι καὶ
πάρεδροι heisst es Pol. 6 p. 12, 5: „Vorsteher des Hauses
Gottes und Söhne seines Hauses“, ἃ. 1. also Haussclaven, wie
A richtig übersetzt, vgl. Merx p. 36. Von der Uebersetzung
von ὁ κύριος wurde schon oben S. 176 geredet. Durch solche
und ähnliche Eigenthümlichkeiten gewinnen auch sinngetreu
übersetzte Sätze manchmal ein fremdartiges Aussehn, so z.B.
heisst πάντας βάσταζε ὡς καί σε ὁ κύριος hier „Trage jeden Men-
schen, wie Dich trägt unser Herr“ Pol. 1 p. 2, 99. Wenn
Scur. dicht neben einander zwei Synonyma wie τύπτεσθαι uud
δέρεσϑωιε Pol. 3 p. 6, 7. 8, auch fr. Ip. 198, 25. 26, und
sogar zwei so verschiedene Verben wie das transitive ὑπερηφαν εῖν
und φυσιοῦσϑαι Pol. 4 p. 8, 8 durch das gleiche Wort über-
setzt, so muss er nicht, wie Cur. p. 276 meint, deshalb Eph.
inser. statt ἡνωμένην gelesen haben ἀπηρτισμένην ‚oder χατηρ-
τισμένην, weil er Eph. 1 p. 18, 1 dasselbe „sau zur
Vebersetzung von ἀπαρείζειν gebraucht, dessen passives Particip
bier p. 16, 3 steht, und zwar um so weniger, da die gleiche
Form dort p. 16, 2 auch ein πληρώμωτι ersetzt, als ob ein
1) Die Verba sind nur synonym, aber man würde von syrischen
Text Eph. 8 eher auf ein ovadunv vuw» als auf περίψημα ὑμῶν schliessen.
Dass hier schwerlich, wie Lips. 11, 141 meint, ein Schreibfehler von
ßy vorliegt, zeigt die Uebereinstimmung von A. VUebrigens heisst das |
vorgeschlagene #u „Sand“ und schwerlich „Staub“ im Sinn von
„Unrath“. Und was wird aus aan?
2) So fassen es Schaff (Lex. Pesch, p. 57) und Uhlemann (Gramm.,
δ. 208), es könnte auch übersetzt werden „von zwischen den Todten‘.
3) Nur einmal im severianischen Fragmente aus Mgn. 9 bei Land
(5. oben ὃ. 178) findet sich jene ‚Paraphrage.
4) Cur. hat sebr mit Unrecht daraufhin das xa‘ gestrichen, welches
ja reichlich durch Wiederholung des Verbs ersetzt ist.
195
πεπληρωμένῃ daägestanden hätte 1), während dae ἀπηρτισμένὸόν
Eph. 19 p. 36, 6 durch das ähnliche, aber nicht nah ver-
wandte part. Ethpaal von sus ausgedrückt ist. Bei solcher
Willküörlichkeit des Scur. wird man, auch nicht sicher be-
haupten können, dass er durch jau immer προςβλέπειν über-
setze, dies also auch Pol. 6 p. 12, 1; Trall. 4 p. 54, 5 statt
προςέχειν gelesen 8060 3). In der Uebersetzunig von ἄνευ;
χωρίς, πλήν wechseln ohne Regel die syrischen Synonyma
dafür; Pol. 4 p. 8, 6 cf. p. 271 variiren sogar die Hand-
schriften von Scur. Wo es für den Sinn wenig oder nichts
austrägt, ist nie sicher darauf zu rechnen, dass einem syrischen
Plural, auch wo dieser dureh die Wortform unzweideutig dasteht,
und einem Singular der gleiche Numerus im Original entsproche ,
2.B. bei προςευχαῖς, νόσους Pol. 1, μαϑητάς, τραῦμα, χαρίσ-
ματος Pol. 2. Beispiele freiester Wiedergabe ohne Absicht
einer Sinnänderung sind Pol. 1 p. 2,8: „verfolge oder richte
aus das Nothwendige‘“, als ob statt zo» τύπον dastünde τὰ
δέοντα oder dergleichen, und Rom. 5 p. 50, 4 „und Thiere, die
bereitet sind" statt ϑηρίων re σύστασις oder συστάσεις ?), eine
dureh das kurz Vorhergehende dargebotene Umschreibung.
Der Deutlichkeit wegen wird Pol. 1 p. 2, 5 das objectlose
ὑπερδοξάζω durch ϑεόν und Pol. 3 p. 8, 4 das objectlose
ὑπομείναντα durch πάντα und Trall. 4 p. 54, 6 das vollends
dunkle οἱ γὰρ λέγοντές μοι durch τοιοῦτα ergänzt. Dunkles
aber Entbehrliches wie das ἐν σαρκέ bei ὑμῶν δὲ ἐπισχύπῳ
Eph. 1 p. 18, 6 wird weggelassen. Auch an bewussten
Aenderungen des Sinns fehlt es micht: ganz. Es ist dem
Uebersetzer anstössig, dass Ignatius Rom. 4 sagt: „Ich schreibe
1) Vgl. Peterm. 2. d. St..und Rom. inser., p. 40, 4.
2) Peschito gibt 2 Petr. 1, 19 προςέχειν so wieder, und ebenso die
didascalia p. 2, 21 cf. const. ap. I, 2. — Das fr. I stimmt Pol. 6
p. 198, 8 mit Scur. überein, während es Eph. 6 p. 197, 9 auch προς-
βλέπειν durch 3a übersetzt und Philad. 6 p. 199, 12 ein προςέχειν
ebenso wiedergibt, wie Peschito Actor. 10, ὦ προςκχαρτερεῖν.
3) So auch fr. Il p. 201, 14 und A. Dagegen Eus. syr., p. 203, 20
und mart. syr. Moes., p. 8, 11 „und Versammlung von Thieren “.
13*
196
allen Gemeinden und gebiete Allen“, während doch eigentlich
kein Gebot folgt, sondern der Ausdruck seiner Willigkeit zu
sterben, und weil im selben Kapitel noch Ignatius es ablehnt,
dass er wie ein Apostel ihnen Befehle ertheile. Daher ersetzt
er ἐντέλλομαι durch Yı%’aso „ich thue kund“ ἢ. Wenn er
Pol. 1 p. 2, 7 die Aufforderung πάντας παρακαλεῖν ἵνα σώ-
ζωνται in die andre verwandelt: „bete für alle Menschen-
kinder, dass sie leben“, so nahm er erstlich Anstoss daran,
dass das „Gerettetwerden‘‘ Inhalt einer Ermahnung sein
sollte, und andrenfalls kein Inhalt derselben angedeutet sei,
und machte daher die Errettung zum Inhalt und Zweck einer
Fürbitte 2); sodann aber übersetzte er nach Art der Peschito
σώζεσϑαι durch am (vgl. Merx p. 30). BReminiscenzen an
die syrische Bibel bestimmten ihn oft zu sehr freiem Ver-
fahren. In Erinnerung an Gal. 2, 6 übersetzte er Pol. 3
p. 6, 6 οἱ δοκοῦντες ἀξιόπιστοι εἶναι: „Diejenigen, welche dafür
gehalten werden, etwas zu sein“). Wahrscheinlich ist’s nur
Erinnerung an die Peschito Col. 4, 2, was ihn bestimmte,
Pol. 1 p. 4, 1 προςευχαῖς σχόλαζε ἀδιαλείπτοις zu übersetzen:
„im Gebet sei beständig‘ ἢ). Beweisen lässt sich nicht, dass
er kein ἀδιαλείπτοις gelesen hat. Es ist möglich, dass die
abendländischen Zeugen es aus 1 Thess. 5, 17 einfügten 5),
ne
1) Vorsichtiger half m. syr. p. 7, 1 nach: „ich gebiete und thue
kund Allen“.
2) Luc. 22, 32 ist ya AuS> VUebersetzung von ἐδεήϑην περί
σου, also ist die Bemerkung, dass jenem Verb kein προςεύχεσϑαι oder
dergleichen zu Grunde liegen könne (Merx, p. 30), unrichtig.
3) Cf. Merz, p. 33. Weniger passend verglich Cur. p. 270
Gal. 6, 3.
4) Vgl. den ganz ähnlichen Ausdruck in Zingerle, monum. syr.
I, 1 für προςκαρτεροῦντες νηστείαις Pol. ad Philipp. 7. In der Didaskalia
p. 58, 19 οἷ. const. ap. III, 58 wird eis τὴν ἐκχλησίαν ἐνδελεχίζειν
übersetzt ἰδ) Wins «αδδοῖ so),
5) So Cur. p. 266 und seine Nachfolger. Der spätere Uebers etzer
der Parallelstelle Her. 1 fr. II p. 202, 10, welcher das blosse σχόλαζε
durch ««ἀοὐδὶ gibt, kann nichts beweisen. Er kann von dem älteren
. Vebersetzer der ähnlichen Stelle abhängig sein.
197
wie im ähnlichen Fall Eph. 10 vielleicht wahrscheinlich ist;
aber es konnte Scur. auch meinen, es mit übersetzt zu haben,
da Peschito 1 Thess. 2, 13 ἀδιαλείπτως, 2 Tim. 1, 3 ἀδιάλει-
πτον durch das Adverb Autısso] wiedergibt (cf. Merz, p. 16. 31).
In 1Cor. 7, 5 hätte er eine genauere Uebersetzung von
σχολάζειν finden können; aber sie fiel ihm auch nicht ein,
als er Pol. 7 p. 14, 1 ϑεῷ σχολάζει übersetzte: „Gotte ist
er bereit zu dienen“ oder „sich zu unterwerfen“, eine dem
Zusammenhang wohl entsprechende Umschreibung, die man
nur nicht, wie es Cur. p. 274 versucht, wörtlich ins Griechische
zurückübersetzen darf.
Durch Vorstehendes möchte obige Charakteristik dieser
Vebersetzung gerechtfertigt und eine Vergleichung anderer
Uebersetzungsreste mit Scur. ermöglicht sein. Die umfang-
reichsten und zu einer überzeugenden Vergleichung völlig
ausreichenden Fragmente sind die von Cureton als fr. I. II
p. 197—202 herausgegebenen. Die ersteren sind in einem
grossen Sammelband vorwiegend kirchenrechtlichen Inhalts
enthalten, worin unter 48 Nummern in einer im grossen und
ganzen ziemlich chronologischen Ordnung kirchliche Canones
und Schriften ähnlichen Inhalts von den Zeiten der Apostel
bis auf Jakob von Edessa (f 710) aneinandergereiht sind.
Die Zeit der Abfassung oder Abschrift ist nicht angegeben,
aber nach dem Inhalt und den zu einzelnen Schriften notirten
Jahreszahlen 1) kann das Eine oder das Andere nicht wohl
vor 700 stattgefunden haben. Als Nr. 17 stehen dort 16
Sätze aus den voreusebianischen Briefen des Ignatius mit
Ausnahme des Römerbriefs, durch ein „wiederum“ oder
„bald nachher“ von einander getrennt, und zwar in einer
doppelten, je in sich nach gleicher Ordnung angelegten Reihe
(vgl. oben ἃ. 110f.), mit genauer Angabe der Briefe und mit
der gemeinsamen Ueberschrift: „Worte, welche ausgewählt
sind aus den Briefen des heiligen Ignatius, des Schülers der
Apostel, des Gottbekleideten und Märtyrers, zweiten Bischofs
von Antiochien, welche die Kraft kirchlicher Canones haben.“
1) Das Jahr 687 u. Z. kommt unter Nr. 15 und 48 vor.
198
Die von Renaudot hieraus gezogenen Folgerungen (8. oben
8. 167) waren richtig. Denti es war doch mehr kühn, als
einer ernstlichen Widerlegung werth, wenn Cur. p. 345
versicherte, diese Sammlung, d. i. der gesammte Inhalt der
Handschrift, sei als Ganzes aus dem Griechischen übersetzt,
und so auch das Ignatianische ἢ). Aber sie enthält oriwinal-
syrische Stücke in Menge, die doch nicht auf dem Umweg
einer Rückübersetzung aus dem Griechischen in ihr Original
hierher gerathen sein können. Ohne Frage gilt dies von den
Canones des Rabulas von Edessa Nr. 29, den Synodalacten
der Synode zu Seleucia und Ctesiphon Nr. 31 und den Fra-
gen eines syrischen Priesters Addi an Jakob von Fidessa und
deren Beantwortung Nr. 48. Aber auch die Uebersetzungen
aus dem Griechischen sind älter als die Sammlung. Die
Acten des carthagischen Goncils von 258 Nr. 15 sind nach
der Angabe der Handschrift selbst schon in demselben Jahr
687 u. Z. ins Syrische ‘übersetzt, in welchem das letzte Stück
der Sammlung erst verfasst wurde. Die Angabe hätte über-
haupt keinen Sinn, wenn der Sammler dies Stück nicht schon
syrisch vorgefunden hätte Das Gleiche gilt aus anderen
Gründen von der Didaskalia Nr. 1, von zahlreichen Schriften
der hier excerpirten griechischen Kirchenlehirer. Es ist nicht
einmal wahrscheinlich, dass der Sammler auch nur ein
einziges Stück neu aus dem Griechischen übersetzt habe. Da
es um 700 längst einen syrischen Ignatius gab, so ist von
vornherein nicht daran zu zweifeln, dass diese Fragmente aus
einer syrischen Uebersetzung des Ignatius geriommen sind.
Ein ähnlicher vorläufiger Beweis lässt sich für fr. II nicht
führen. Nur fallen hier alle Gründe weg, welche bei den
Brachstüeken aus Timotheus und Severus gegen Entlehnung
aus einer syrischen Uebersetzung des Ignatius sprechen. "Die
Auszüge, womit nach Cur., p. 348 erst im 11. oder 12. Jahr-
hundert der leergebliebene Deckel und Rand eines älteren
Bandes ausgefällt wurde, sind laut Ueberschrift genommen
„aus dem Buch des heiligen Ignatius, des Gottbekleideten,
1) Vgl. dagegeti auch Lips. HH, 28 £.
199
Bischofs von Antiochien“. Dieses „Buch“ enthielt damals
ausser den voreusebianischen Briefen, von welchen Rom. Eph.
Mgn. Sm. vertreten sind, auch die nacheusebianischen; denn
am Schluss sind noch zwei kurze Sätze aus Her. 1 ange-
führt). Eine Analogie zu Scur. bildet diese Fragmenten-
gruppe insofern, als hier Ignatianisches ohne Angabe der
Auslassungen aneinandergereiht ist. Nur zwei stärkere Inter-
punctionen p. 202, 4. 10 theilen die aus viel mehr Stücken
zusammengesetzte Masse. In Rom. 4 lässt es ohne weiteres
ἐάνπερ — κωλύσητε, was auch bei Scur. erhalten ist, weg, in
Eph. 15 die Worte ἡμῶν" ὅπερ — προσώπου ἡμῶν Und
schliesst daran einen halben Satz aus Eph. 20 so an, als ob
er Bestandtheil des vorigen wäre.
In diesen Fragmenten I. II erkennt man sofort denselben
Uebersetzer wieder, dessen Werk in Scur. auch nur frag-
mentarisch erhalten ist?).. Dieselbe Umschreibung von
ϑηριομαχεῖν, welche Scur. Eph. 1 gebraucht, hat fr. I
p. 200, 20 Trall. 10. Die Amplification „er stand auf aus
dem Haus der Todten“ finden wir wieder fr. I p. 200, 15
Trall. 9, fr. I p. 201, 19 Rom. 6; an letzterer Stelle ent-
spricht ihr nicht einmal ein ἀπὸ oder ἐκ vexgwv. Aehinlich
hiermit ist die Umschreibung von ἐκ γένους Jußiö fr. ‘I
p. 200, 12 Trall. 9, fr. II p: 201, 26 Eph. 20 durch „aus
dem Geschlecht des Hauses David“, mit dem geringen Unter-
1) Das Versehn auf p. 236, als ob sie aus Pol. 1 stammten, hat .
Cur. selbst p. 350 verbessert. Wenn Lips. II, 180 von diesem Citat
sagt, was nur aus Verwechselung von fr. 1 und II zu erklären ist, so
ist das apologetischem Eifer zu gut zu halten.
2) Es gilt dies nicht von einem in jenem renaudot’schen Codex er-
haltenen einzelnen Satz aus Polyc. 2, welcher mit seiner griechischen
Umgebung ins Syrische übersetzt ist. Lagarde, religu. jur. 660]. syr.,
p. 99 (ins Griechische zurückübersetzt rel. jur. ecel. gracce, p. XLV]):
tell WS ans „2 σῷ Was 0 al Die
Stelle ist ohne den Namen des Ignatius eingeführt mit den Worten
„weil wir überdies hören“. Von Scur. p. 4, 5 weicht die Uebersetzung
natürlich weit ab. \
200
schied, dass fr. I hal, fr. II 5) schreibt ἢ). Ganz dahin
gehört die Wiedergabe von ὄντας μυστηρίου I. Χρ. Trall. 2
durch „welche sind Söhne des Geheimnisses Christi“ fr. I
p. 198, 8, oder die von πρεςβυτέρους ὡς συνέδριον ϑεοῦ καὶ
σύνδεσμον ἀποστόλων Trall. 3 durch „vor den Presbytern,
wie vor den Söhnen des Raths Gottes und Gliedern der
Apostel“ 3. Aehnlich ist die Paraphrase von ovußoviıor
ἀγαγεῖν ϑεοπρεπέσταιον Pol. 7 p. 200, 27: „dass du dir ver-
sammelst Söhne des Raths zu einem Rath, der Gott gefällt “.
Statt ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου Trall. 9 heisst es p. 200, 13: „in
den Jahren des Pilatus Pontius“. Auch in diesen Frag-
menten entspricht jedem χύριος ein 9; die gleiche Freiheit
in Bezug auf Numerus der Nomina, in Weglassung des
Ueberflüssigen oder Dunkeln, in Beifügung erläuternder Zu-
sätze findet sich hier wie dort. Ohne Nöthigung und ohne
Bestätigung durch abendländische Zeugen heisst es Pol. 7
p. 201, 1: „welcher vermag zu sein und genannt zu werden
ein Bote Gottes“. Es soll eine Uebersetzung von μηδὲ πει-
ράσητε εὔλογον τι φαίνεσϑαι ἰδίᾳ ὑμῖν Mon. 7 sein: „auch
versucket ja nicht, dass erscheine irgend etwas, dass es passend 5)
1) Anders d. h. im Griechischen begründet ist die gleiche Variation.
zwischen Timoth. p. 211, 20 Eph. 18 und Sever. p. 214, 15 Sm. 1.
Bei beiden fehlt das umschreibende Aus,
2) Letzteres nach Col. 2, 19 Peschito. --- Nach dieser Stelle Trall. ὃ
ist auch die Uebersetzung von Mgn. 6 im selben Fragwent p. 197, 25
zu verstehen, also vor allem faäso im gleichen Sinn zu nehmen =
concilium. Aber dass darum die Lesart ἀποστόλων τοῦ συνεδρίου zu
Grunde liege (Lips. Il, 168 ἢ), ist doch rein undenkbar. Anoorokos
heisst nicht Bote und kann nicht durch Lollso übersetzt werden.
Es liegt hier eine ganz freie Umgestaltung des griechischen Originals
seitens des syrischen Uebersetzers vor, dem dann wieder A mit einigem
Misverstand folgte. Das Bedürfnis, eine rhetorisch angemessenere Folge zu
gewinnen, setzte an die Stelle des ursprünglichen „Bischof = Gott,
Presbyter = Apostel, Diakonen= Christus “, hier „ Bischof= Gott, Pres-
byter = Engel des Raths, Diakonen = Apostel“.
3) Sollte man nicht entweder nach Actor. 18, 14 {\uNas = xera
λόγον erwarten oder „m statt om? CA. fr. I p. 199, 25 Sm. 9.
201
si, dem. Einzelnen von euch, von ihm und zu ihm“. Bei-
piele einer Ergänzung des fehlenden Objects gibt es auch
hier z. B. Philad. 3 fr. I p. 199, 6 statt des absoluten
σχίζοντε „dem, welcher die Kirche Gottes spaltet“. Aehnlich
ist die Ergänzung eines Χριστοῦ hinter τῷ πάϑει ebendort
p. 199, 8, oder τοῦ χυρίου hinter τὸ ὄνομα Philad. 10 fr. I
p. 199, 18. Weggelassen wird hier ein τὴν ἐν “Ἀντιοχείᾳ
wischen ἐχχλησίαν und τῆς Συρίας Phil. 10 p. 199, 16;
% heisst auch die Gemeinde von Smyrna hier einfach „die
Gemeinde Asiens“ p. 199, 22 Sm. inser. Als Beispiel be-
deutender Aenderung des nichtverstandenen Originals diene
die Uebersetzung eines schwierigen Satzes aus Thrall. 11
p. 200, 22: „Denn diese sind nicht eine Pflanzung des
Vaters; denn, wenn sie wären eine Pflanzung des Vaters,
wären sie erschienen als Zweige des Kreuzes und ihre unver-
gänglichen Früchte wären geblieben !) im Leiden des Kreuzes
eures Herrn, dessen Glieder ihr seid.“
Alle diese Eigenthümlichkeiten ?) weisen fr. I. II dem
Uebersetzer zu, dessen Werk auch in den Handschriften des
δια], fragmentarisch erhalten ist. Die parallelen Abschnitte
sind so völlig gleichlautend, dass an Identität der Ueber-
setzung nicht zu zweifeln ist. Eph. 15 Scur. p. 32, 2
ef. fr. I p. 197, 15 heisst es zuerst übereinstimmend: „ Vor-
züglicher ist es, dass Einer schweigend sei, während er etwas
ist, als dass er redend sei, während er nicht ist.“ Aber
anstatt der in Scur. folgenden Worte aus der Mitte desselben
Kapitels liest man in fr. I entsprechend dem abendländischen
1) Ich hoffe richtiger zu übersetzen als Cur., p. 235. Das voraus-
gesetzte ἔμειναν ὧν wird nach 1 Cor. 3, 14 zu erklären sein.
2) Lips. II, 174 nennt als Eigenthümlichkeit des angeblichen
späteren Uebersetzers in fr. I p. 197, 5 die wörtliche Uebersetzung von
σπουδάσωμεν durch „au, während Scur. Eph. 10 p. 28, 6; 30, 1
σπουδαζεῖν mehr umgeht, als übersetzt. Aber Eph. 1 p. 18, 4 hat auch
Seur. ein unzweifelhaftes £&onovdasare durch paul übersetzt. Und
wenn dem auch nicht so wäre, so ist gerade das diesem Uebersetzer
eigenthümlich, dasselbe Wort je nach dem Zusammenhang so oder so
zu übersetzen.
202
Text: „Denn schön ist es, dass Einer lehre, wenn es geschieht,
dass er, was er lehrt, thut.“ Die Uebersetzung, soweit sie
bei beiden sich findet, ist nicht selbstverständlich; sie scheint
sogar auf eine vom sonst beglaubigten Text abweichende
Lesart ἢ λαλεῖν μὴ ὄντα hinzuweisen. Trotzdem keine
Variante zwischen fr. I und Seur. ausser dem wm vor: Im,
welches aber auch nur in cod. ὁ fehlt, während der bessere
cod. y mit fr. I übereinstimmt. Letzteres ist ein werthvoller
Zeuge für den Text dieser einzigen syrischen Uebersetzung
des Ighnatius, aus welcher Scur. ein Excerpt ist. Man ver-
gleiche ferner die Uebersetzung von Pol. 3 Scur. p. 6, 6;
fr. 1 p. 198, 24. Die Varianten des Fragments sind ein-
geklammert. „Diejenigen [aber], welche dafür gehalten
werden, dass sie etwas seien und lehren fremde Lehren,
mögen dich nicht in Staunen setzen. Stehe aber in der
Wahrheit wie ein Athlet [Starker], der geschlagen wird.
Denn eines grossen Athleten ist es, dass er geschlagen werde
und siege. Besonders [aber] um Gottes willen müssen wir
Alles ertragen, damit (Scur. >, fr. 5 2...) uns ertrage auch
er.“ Dass nicht zwei verschiedene Uebersetzer so gleich-
lautend übersetzen können mit gleicher Erinnerung an
Gal. 2, 6 (s. oben 8. 196), gleicher Umschreibung von στῆϑι
ἑδραῖυς, gleicher Nichtunterscheidung von τύπτεσϑαι und
δέρεσϑαι, gleicher Hinzufügung eines δέ hinter σεῆϑι, eines
γάρ hinter μεγάλου, versteht sich von selbst. Die Ab-
weichungen des Fragments sind aber nicht Correceturen nach
dem Griechischen. Wenn er ein δέ hinter μάλιστα las,
welches in Scur. fehlt, im griechischen Text sich findet, so
hat er dagegen ein andres δέ am Anfang des Citats, welches
keinen abendländischen Zeugen für sich hat; und Jie Er-
setzung von {4uS2} durch Au kann selbst Lips. II, 161
nicht geradezu für Correetur nach dem Griechischen ausgeben,
denn es ist ebensowenig als das Wort des Scur. eine Ueber-
setzung von ἄχμων. Nach Lips. a. a. Ὁ. und Merx p. 38
soll es Interpretation des fremden Wortes Athlet sein, obwohl
derselbe Fragmentist in der folgenden Zeile dieses frennde
Wort, wie so manches andere, das in dieser Uebersetzung zu
208
finden ist, nicht interpretirt bat. Aber im Grunde soll nach
Lipsius der Ueberarbeiter zu der sonderbaren Inconsequenz
nicht durch die Erklärungsbedürftigkeit des Wortes „Athlet“,
sondern durch den griechischen Text bestimmt sein, wo
zwar nicht von einem „Starken“, aber doch von einem
„Amboss“ und nachher erst von einem Athleten die Rede
ist! Die fraglichen syrischen Worte haben Buchstaben genug
mit einander gemein, um mit einander verwechselt werden
zu können. Da aber A mit fi. I vir fortis übersetzt und da
Gleichlaut zweier nahe bei einander stehender Worte, wenn
daneben auch Verschiedenheit derselben bezeugt ist, immer
den Verdacht mechanischer Assimilirung erregt, so ist nicht
daran ztı zweifeln, dass fr. I auch hier wieder den ursprüng-
lichen Text dieser'syrischen Uebersetzung bewahrt hat. Dann
liegt hier wieder eines jener Quidproquo unsrer Uebersetzung
und überdies ein Peschitowort (Mare. 1, 7; Hebr. 11, 34)
vor; und es heisst den Charakter des Uebersetzers verkennen,
wenn fMnan ihn hier ἄχμων in der höchst zweifelhaften Be-
deutung des Worts = ἀχμής nehmen lässt ἢ). In einem
Citat aus Pol. 6 weichen Scur. p. 12, 1 sqq. und fr. I
p. 198, 28 sqq. nur darin von einander ab, dass Letzteres
gezsen den oriechischen Text zu arılyv χον ἐγώ ein ὑμῶν
hinzesetzt. Alle Incongruenzen mit dem griechischen Text
hätte also der angebliche Bearbeiter des Scur. hier unver-
ändert gelassen, und seine einzige Aenderung wäre gerade eine
Eutfernung vom griechischen Text. Etwas erheblicher sind
die Varianten in den beiden noch übrigen Parallelen zwischen
fr. I und Scur., aber sie übersteigen nicht das Mass dessen,
was zwischen weit getrennten Handschriften vorkommt. Bei
Scur. p. 14, 1 heisst es: „Dem Christen ist nicht Vollma-ht
über ihn selbst, sondern Gotte ist er bereit sich zu unter-
werfen“ oder „zu dienen“. In fr. I p. 201, 3 ist das Dativ-
zeichen vor „Christ“ ausgefallen, was aber hier, wo ein
aD das vorausgeschickte Object wiederaufnimmt, nichts be-
deutet, ferher ein je, eingeschoben, welches im Griechischen
— .—-
1) So Car. 270; Lips. U, 138.
204
fehlt wie in Scur. Also wieder sind die Aenderungen nicht
Zeichen einer Ueberarbeitung nach dem Griechischen. Un-
wahrscheinlich ist dies auch von der Einschiebung des Adverbs
„beständig“, denn dadurch nähert sich die Uebersetzung dem
Original, dem einfachen σχολάζει, nicht um ein Haar. Eind-
lich lässt das fr. ebenso wie A das Wort „aslu» fort.
Aber ein von einem Bearbeiter nach dem Griechischen be-
seitigter Zusatz des ersten Uebersetzers ist dies doch schwerlich,
da der angebliche Bearbeiter, wie wir sahen, die ärgsten Ver-
breiterungen und Umschreibungen der syrischen Tebersetzung
unangetastet gelassen und, wenn er wirklich die in Scur. fehlen-
den Stücke neu übersetzt hätte, selbst sich erlaubt hat. Eswird
also vielmehr ein die folgende Lücke in Scur. ersetzender oder
verdeckender Zusatz des Excerptors sein !)... Curetons Meinung,
dass in fr. I eine von Scur. unabhängige Uebersetzung vorliege,
tritt mit besondrer Zuversicht auf in Bezug auf das Citat
aus Trall. 5 fr. I p. 198, 14, welches mit allem Umgebenden
von Scur. dem Römerbrief einverleibt ist, während das fr. I
p. 198, 1 in Uebereinstimmung mit allen anderen Zeugen
die Stelle im Briefe an die Trallianer gelesen hat. Es will
dabei bedacht sein, dass auch die abendländischen Zeugen an
dieser schwierigen Stelle stark variiren.. Um so deutlicher
wird die Identität der Uebersetzung in Scur. und fr. I aus
folgender Zusammenstellung mit zwei von einander vielleicht
unabhängigen Anführungen derselben in Uebersetzungen seve-
rianischer Schriften erhellen.
Cur.
Sev. Fi
Senr. p. 56, 1.:fr.Ip.198,14. 217,7. ‚Ber. Land 1,32.
Denn auch |(weicht nur in: Denn auch' Denn auch
ich, nicht weil | Folgendem ab) jch sage, nicht ich nicht da-
ich gebunden ‚weil ich ge-|durch, dass ich
bin und im 'bunden und im'gebunden und
Stande bin zu Stande bin zu im Stande bin,
1) Darauf, dass die in der ursprünglichen syrischen Tebersetzung
nach fr. I p. 201, 4 folgenden Worte {„aS u σι 4 von den
7 fraglichen Buchstaben enthalten, soll kein Gewicht gelegt werden.
205
wissen die Ε εν dass ich erkennen jene dassich erkenne
himmlischen wisse . . . himmlischen die himnli-
[Dinge]und die . . 0. .'[Dinge] und schen [Dinge]
Orte der Engel. auch die Orte die Orte der | und die Lage
und die Stel- . . Engel und jene der Wohnungen
lung der Herr- \ nn ‚Stellungen der'der Engel und
schaften, der- ‚ Fürstenthünmer, |die fürstlichen
jenigen, welche ‘die sichtbaren |Schaaren, die
gesehn werden ‚ nämlich und die | sichtbaren wie-
und welche! | unsichtbaren, 'derum und die
nicht gesehn ‚davon siehe!; unsichtbaren,
werden, bin um |seid ihr um schon längst davon siehe!
deswillen mir |deswillen mir | auch Jünger bin bin ich Jünger.
ein Jünger. |Jünger. Denn ich. Denn viele : (DerSchlussfehlt.)
Denn viel ent- | vielentbehren [Dinge] fehlen '
behre ich von|wir, dass wir | uns, dass wir
der Vollkom- |Gottes nicht | von Gott nicht
menheit, welche |ermangeln.. verlassen seien.
Gottes würdig | |
ist. | |
Die Abweichungen zwischen Scur. und fr. I sind im Syrischen
selbst unbedeutender als in der deutschen Uebersetzung. Es be-
durfte, da der Zusatz eines Pluralzeichens zu ,ssa&2 keine Text-
änderung ist, nur der Verwandlung des luon in ‚oluom, um
dem Nachsatz ganz anderen Sinn zu geben. Das pleonastische
ων des Scur. gab den Anstoss dazu, freilich nicht einem Be-
arbeiter desselben nach irgend welchem griechischen Text,
sondern nur einem Leser und Abschreiber des syrischen
Ignatius. Während hier Scur. offenbar das Ursprüngliche be-
wahrt hat, hat er durch leise Aenderung des in fr. I erhaltenen ur-
sprünglichen Aujams in 1] zum Sich vom griechischen Text
entfernt. In den Schlussworten aber ist Scur. gar nicht mehr
Zeuge der Uebersetzung, söndern er. muss den aus dem Zu-
sammenhang herausgerissenen Worten eine andre Gestalt
geben, um einen würdigen Schluss des Römerbriefs zu ge-
winnen, und greift zu -dem Ende auf Rom. 1 p. 42, 2
zurück.
206
Auch fr. II bietet grössere Parallelen zu Scur., aus denen
die Identität der "Uebersetzuns erhell. Das Citat .aus
Rom. 4 fr. II, p. 201, 7 844. findet sich ausserdem noch in
gleicher Abgrenzung in dem Fragment auf p. 296, so dass
dessen Verhältnis zugleich mit veranschaulicht werden kann.
Die Anführung der Varianten zeigt, dass die Fragmente auf
‘p. 201 und 296!) ganz wie die beiden Handschriften von
Scur. behandelt werden können. Die Zusammenstellung mit
der Uebersetzung im mart. syr. Moes. p. 7, 12 sqq. zeigt,
was selbständige Uebersetzung aus demselben Text macht.
Scur. fr. II und fr. XV. Mart. syr. ed. Moes.
‚Ich schreibe allen Kirchen | Denn ich schreibe den Kir-
und thue kund 3) Jedermann, , chen und befehle und thue
das» willig ich sterbe, ich für | kund Jedermann, dass mit
Gott 3), wenn es ist, dass ihr | meinem Willen für Gott ich
mich nichthindert 4). Ich bitte | sterbe. Seid ihr daher nicht
von euch, seid nicht gesen | mir eine Last. Ich bitte da-
mich °) in Liebe, die nicht an | her, macht mich nicht be-
der Zeit ist. Lasst mich, dass €) | trübt ohne Ursache. Werdet
ich der Thiere werde (d. 1. mir nicht eitle Liebhaber °).
ihnen verfalle), durch deren | Last mieh, dass ich der
Hände ich Gottes gewürdigt 1 Thiere werde, durch deren
"werde. Waizen Gottes bin ; Hände ich &ott erlangen kann.
ich ?), und durch die Zähne ὅ) | Waizen bin ich nämlich Gottes,
der Thiere werde ich ge- | der ich durch die Zähne der
1) Der Bequemlichkeit wegen heisse es fr. XV.
2) Scur. 8 WIraw; γ fr. XV Μὲ wann; fr. II a] Waas,
3) fr. II. XV stimmen in der Stellung mit mart. Letzteres über-
setzt ὑπέρ ganz abweichend durch «οἱ SS,
4) Der ganze Bedingungssatz fehlt fr. 11.
5) Lan fehlt fr. H.
6) ? fehlt fr. XV.
7) fr. II. XV haben die Wortstellung wie mart.
8) fr. XV „durch den Mund“.
9) Es liegt hier offenbar eine doppelte Uebersetzung des Satzes παρα-
xaAw . . . γένησϑέ μοι Vor.
207
mahlen, dass ich erfunden Thiere gemahlen werde, dass
werde als reines Brot Gottes. ich erfunden werde als reines
Lockt, lockt sie, die Thiere, : Brot Christi. Reizt also, reizt
das sie mir Grab !) werden die Thiere, dass sie mir ein
und nichts von meinem Kör- . Begräbnis ?) werden und nichts
per übriglassen 3). | von meinem Körper übrig-
| lassen. |
Etwas schwieriger ist es, über einige Varianten zwischen
fr. II und Scur. in der zweiten Hälfte von Rom. 5 zu ent-
scheiden. Aber auch hier ergibt sich das gleiche Resultat
bei Vergleichung einer unabhängigen Uebersetzung, wozu ich
auch diesmal den Römerbrief des Martyriums wähle, weil die
dritte Uebergetzung der Stelle, welche im syrischen Euseb er-
halten ist, nicht durchaus selbständig ist.
ΝΟΣ. und fr. Il, dessen Ab- |
weichungen in.Klammern stehn. |
Mart. syr. ed. Moes.
Beklagt euch nicht über
mich, meine Brüder; ich weiss,
was ınir hilf. Denn jetzt
fange ich an Jünger zu wer-
den und Christ zu sein, weil
ich nicht lobpreise diejenigen
Dinge, die gesehen werden.
Im Verborgenen und Offen-
baren wünsche ich Jesu Christi
gewürdigt zu werden. Denn
Feuer und Kreuz und Ver-
Kreuz und Thiere, die bereitet | sammlung von Thieren, und
sind (mir), Abschneidung der ; dass ich zerrissen und zer-
Glieder und Zerstreuung der : tleilt werde, und Zerstreuung
Knochen und Zermalmung des | der Knochen und Abschnei-
Erkennt mich von meiner |
Seele *), was mir förderlich
ist (fr. was mir befohlen ist;
ich weiss, dass jetzt ich anfange
ein Jünger zu sein). Nicht
beneide mich irgend etwas
von denjenigen Dingen, die ge-
sehen werden und (vom den- !
jenigen, die) nicht gesehn
werden, damit ich Jesu Christi
gewürdigt. werde. Feuer und
|
|
|
|
|
Ä
„" ᾿ ΟΝ DL
N‘ \ : x9 Pe
De re
1) fr. II „zum Grab“. „DES τες
PP... δι οὖς δα
2) fr. 1I stellt das Verb ans Ende. u HE
ὃ) Moesingers Uebersetzung „sepultores‘“ scheint bedenkligli," Wi hr;
scheinlich ist δῶρον zu schreiben. PER ἢ
N
4) Oder „von mir selbst “.
208
ganzen Körpers und harte
Qualen des Teufels (Zer-
theilung und Zerstreuung der
Knochen und Abschneidung der
Glieder und Qual des ganzen
Körpers und böse Zermal-
mungen des Teufels) mögen
dung der Glieder und Ver-
derben des ganzen Körpers
und alle Todesstrafen von
Seiten des Widersachers mö-
gen über mich kommen ἢ),
und nur Jesum Christum möge
ich finden.
über mich kommen, und nur
Jesu Christi möge ich ge-
würdigt werden.
Die Uebereinstimmungen des Fragments mit Scur. be-
weisen zunächst Abhängigkeit beider von einer Uebersetzung.
Entscheidend ist sofort die gleiche wunderliche Uebersetzung
von συγγνώμην μοι ἔχετε, welche dasselbe fr. II p. 201, 20
zur Wiedergabe von συγγνῶτέ μοι wiederholt und Scur. zur
Uebersetzung von συγγνωμονεῖτέ μοι Trall. 5 p. 54, 10 ge-
braucht. Dort Rom. 6 und Thrall. 5 fand sie in seinem
syrischen Original auch A, während er an dieser Stelle das
Sätzchen wegliess, um irgend einen Sinn zu gewinnen.
Lips. II, 135 nennt dies zwar „die gewöhnliche Ueber-
setzung‘ des Ausdrucks, aber doch wohl nur, weil sie sich
an den genannten Stellen und ausserdem noch an derselben
Stelle im syrischen Euseb findet. Dass es überhaupt keine
Uebersetzung ist, liegt auf der Hand, und dass man den
griechischen Ausdruck anders und sinngemässer übersetzen
kann, zeigt die Paraphrase im Martyrium ?2) und das syrisch
erhaltene Citat aus Timotheus 8). Das Zeugnis eines Kenners
1) Dass in ‚cau3 ein Fehler steckt, zeigt Mösingers buchstäbliche,
aber auch sinnlose Uebersetzung „ostendant‘“. In Ermangelung einer
guten Emendation habe ich das griechische Wort übersetzt.
2) p. 8, 8. 17. An letzterer Stelle etwas anders: „klagt mich
nicht an“, oder „tadelt mich nicht“.
3) Rom. 6 p. 211, 6 ὧς avanu, welches Petermann z. d. St.
durch „sinite me‘ richtiger als Cur. p. 243 übersetzt. Das neue Testa-
ment bietet kein Beispiel. In 1 Cor. 7, 6 umschreibt Peschito sehr frei.
Es scheint also den Syrern überhaupt Schwierigkeit gemacht zu haben.
209
der syrischen Literatur, wie Uureton es war, genügt, um die
Seltenheit des syrischen Ausdrucks und die Beispiellosigkeit
seiner Verwendung zur Uebersetzung des συγγνῶτέ μοι und
seiner Synonyma zu beweisen (p- 300). Dieselbe Umschreibung
von ϑηρίων συστάσεις, während ınart. und Eus. syr. p. 203, 20
gleich wörtlich übersetzen, dieselbe Uebersetzung von ἀλεσμοί
durch os !), wo mart. und Eus. syr. Hroi setzen, das-
selbe 5a] für διάβολος, während Eus. syr. {aJo, mart.
gar ἴδ, setzen. Die Varianten zwischen fr. II und Scur.
weisen nicht auf eine Correctur mit Hülfe des griechischen
Textes hin, wie. Lips. II, 163 ff. zu beweisen sucht. Es ist
„as (befohlen) statt „as (förderlich), wie schon Petermann
$. 159 als Grundlage von A! errieth und Cur. p. 301. 349 in
Bezug auf das inzwischen gefundene Fragment wahrscheinlich
fand, einfach syrischer Schreibfehler, aber, wie die armenische
Vebersetzung, die ihn voraussetzt, zeigt, ein alter. Es ist
ferner nur eine orthographische Verschiedenheit, wenn Scur.
«ὦ ἢ, fr. IT 4a schreibt (cf. Merx, p. 51). Abgesehn von der
Verwirrung des Textes am Schluss des Fragments, welche,
wie schon gezeigt, nicht auf eine Benutzung des griechischen
Textes zurückgeht, aber auch, wie der abhängige A zeigt,
nicht dieser syrischen Uebersetzung, sondern dem Schreiber
des Fragments zufällt, so könnte an sich die Benutzung
eines griechischen Textes den Anlass gegeben haben, das
Wort διαιρέσεις Oder διαίρεσις, welches bei Scur. fehlt, in
1) Peschito Rom. 3, 16 = σύντριμμα: fr. II hat nur unpassender
Weise das Wort von seiner Stelle gerückt und dagegen das Aequivalent
für xoAdosıs zu τοῦ σώματος gestellt. Stand in der vom Fragmentisten
benutzten Handschrift ursprünglich wie in Scur. die mit alas
gleichbedeutende Form faula2 oder nicht, so wurde es mit ἴδ...
leicht genug verwechselt. Wie mechanisch das Versehen ist, zeigt die
Beibehaltung des Pluralzeichens an zweiter Stelle, obwohl das nun dort
stehende Wort ein andres geworden. Ein Corrector nach dem Griechischen
hätte auch das erste Wort in den Plural gesetzt.
2) So auch Joh. monachus p. 207, 11; Eas. syr. 203, 18. Ganz
frei übersetzt mart.; s. obige Zusammenstellung.
Zahn, Ignatius. 14
210
fr. II und A sich findet, einzuschieben; aber in diesem Fall
würde auch das in fr. II und A ebenso wie in Scur. aus-
gelassene ἀνατομαί, welches an „e G? L? Metaphr. Mart. syr.
Mart. armen. «lieselbe Bezeugung hat, wie διαιρέσεις, mit auf-
genommen worden sein. Erst wenn Lipsius zu den massen-
haften Zeugen für den Römerbrief noch einen neuen entdeckt
hätte, welcher weder so, wie die genannten, beide Worte ent-
hält, noch so, wie Euseb und die von ihm abhängigen Ueber-
setzer und Bearbeiter Rufin, Hieronymus, Eus. syr. und wie
L!, beide Worte streicht, sondern διαερέσεις allein hat, hätte
die Behauptung Grund und Boden, dass hier die alte syrische
Uebersetzung aus einem solchen griechischen Mischtext
corrigirt sei. Da die Entdeckung desselben unwahrscheinlich
ist, so folgt vielmehr, dass in dem griechischen Text, welchen
der Syrer übersetzte, beide Worte standen, dass es dem Ueber-
setzer aber zu mühsam wurde und überflüssig schien, der
ganzen Wortfülle gerecht zu. werden. Er übersetzte nur
διαιρέσεις, und sein Excerptor Scur. strich auch dies. Mög-
licher wäre es, dass die Vertauschung der ungenauen Ueber-
setzung ao (Scur.) für κακαί mit Wu (fr. II und A) aus
. Rücksicht auf den griechischen Text zu erklären wäre; denn
in der That ist dort durch ΟἹ L!, indirect auch wohl durch
ΟΣ L? Metaphr. (καὶ κολάσεις oder κόλασις) das κακαί gut
genug bezeugt gegenüber dem blossen κολάσεις bei Euseb und
den Veränderungen von dessen Text bei Rufin, Hieronymus.
Aber wer bürgt dafür, dass nicht umgekehrt. in Scur. der
Schreibfehler steckt, wodurch dann eine nachträgliche Ent-
fernung vom griechischen Text in den syrischen hineinkam ?
So urtheilte der hierin doch gewiss unparteiische Cureton
p. 301, ohne jedoch die selbstverständliche Folgerung zu
zielien, dass sein abgekürzter Syrer sich vom ursprünglichen
Text dieser Uebersetzung weiter entfernt habe, als die Frag-
mente, um die es sich hier handelt. Es hat fr. II auch die
in Scur. ausgestossenen und, wie auch Lips. II, 135 einsieht,
unentbehrlichen Worte zu Anfang des Kapitels bewahrt. Die
natürlichere Folgerung ist dann doch wohl, dass sie der
Uebersetzer von vornherein in seinen Text aufgenommen
211
hatte, als dass ein Corresir sie nachträglich nach dem
vollständigeren griechischen Text in die lückenhafte Deber-
setzung eintrug, zumal da alle bisher besprochenen Varianten
in fr. JI sich gerade nicht aus einer solchen Benptzuag des
griechischen Textes erklärten. Lipsius (II, 163) will eg dennoch
bewiesen haben durch Berufung auf die Interpunetion des
Fragments, wonach allerdings 80, wie oben geschehen, zu
übersetzen ist. Aber, wenn der Satz, wie er in fr. II ge
staltet ist, ebensosehr wie dessen kürzere Fassung hei Scur,
der natürlichen Verbindung und vermünftigen Sinnes entbehrt,
so ist das doch wahrlich leichter zu erklären bei einem ein-
fachen Uebersetzer, der, wie geine Debersetzung von σνγγνῴ-
μην μοι ἔχετε zeigt, hier überhaupt ungeschickt verfuhr, als bei
einem Späteren, der die viel achwierigere Aufgabe übernahm,
die alte Uebersetzung mit grösster Schonung und Kühnheit
zugleich nach dem Original zu emendiren. Was sollte einen
solchen abgehalten haben, die Interpunstion zu streichen, die
zu seiner vollständigeren Uebersetzung nicht gepasst haben
soll, wenn er doch ganz andre Dinge als Puncte änderte! Es
ist alsp vielmehr so, dass der syrische Uebersetzer, dessen
Worte mit Ausnahme des Schreibfehlers „ao in fr. II treu
bewahrt sind, das τέ μοι συμφέρει zum Vorigen zog und
darnaeh interpungirte, wodurch dann der Excerptor um so
leichter hinter συμφέρει seinen Satz . überhaupt schliessen
konnte. |
Die einzige nech übrige Parallele zwischen Scur. und
fr. II ist die Uebersetzung von ὁ τρχετός μρι dniseıraı Rom. 6.
Corrigirt man in fr. II p. 201, 19 mit Cur., p. 301 14a
in je>a30?, was um so mehr erlanbt ist, da in dar falgen-
den Zeile „Zasao steht, so übersetzen beide: „Schmerzen
der Geburt erheben sich‘, nur dass im fr. das nothwendige
„wider mich“ dahinter ausgefallen und worne ein „und“
zugesetzt ist. Ganz ähnlich übersetzt auch mart. syr. Moes.
pP. 8, 17, nur steht für „Geburt“ die einfachere Bildung
ya. Orientalisches Gepräge trägt eben auch diese von Scur.
völlig unabhängige Uebersetzung des Römerbriefs, während das
14*
212
Citat bei Timoth. syr. p. 211, 16 lautet: „die Geburt aber
liegt auf mir“,
Zur alten syrischen Uebersetzung des Ignatius gehört,
wie schon an einem Stück sich zeigte, fr. XV p. 296, über
dessen Herkunft Curetön nichts mittheilt. Es sind darin
ausser dem angeführten noch zwei Citate aus dem Römerbrief,
aus ὁ. 4 λιτανεύσατε τὸν Χριστόν — ἐν αὐτῷ ἐλεύϑερος. Die
Uebereinstimmung mit der zum Theil sehr eigenthümlichen
Uebersetzung von Scur. ist wörtlich zu nennen ἢ. Das Citat
aus c. 6 geht zum Theil parallel mit fr. II p. 201, 22, dessen
verderbter Text von hier aus Licht empfängt. „Lasst mich,
dass ich empfange das reine Licht; wenn ich dorthin ge-
gangen bin, werde ich ein vollkommener Mensch sein.“ Dass
fr. II hiervon nur durch Schreibfehler abweicht, dass vor allem
das dortige Jjmaı> eine durch das Vorhergehende veran-
_ lasste Verschreibung von [4.0 ist, bestätigt überdies A:
homo fio perfectus. Was selbständige Uebersetzung nach dem
Griechischen hier bedeuten würde, kann wieder der syrische
Timotheus p. 211, 8 beweisen. Nicht so deutlich kann natür-
lich die Abweichung von diesen in dem bei ihm wie in
fr. XV gleichfolgenden Satz erkannt werden: „Lasst mich
einen Nachahmer des Leidens meines Gottes sein‘ (vgl. oben
8. 177). Doch aber ist der Plural una in fr. XV eine
allen griechischen Citaten fremde Aenderung, ganz im Stil
der altsyrischen Uebersetzung des Ignatius (vgl. oben S. 195). '
Anlass dazu bot vielleicht schon dem Uebersetzer die Er-
innerung an Stellen wie 2 Cor. 1, 5ff. und der Gedanke, dass
Ignatius nicht gerade das Leiden Christi, nämlich den
Kreuzestod erlitten habe. Wenn auch A! wieder den Singular
setzt (?), so wird die Vermuthung doch ziemlich zuverlässig
dadurch, dass dieselbe Lesart auch in fr. XIII p. 219, 19
sich findet, in einem monophysitischen Werk, dessen Ignatius-
1) fr. XV stellt oda ν. 46, 9 und {„aS p. 48, 2 an den
Schluss der betreffenden Sätze. Das erste we Ρ. 48, 2 fehlt nur in
fr. XV, das zweite in derselben Zeile fehlt ausserdem in cod. y.
218
citate unsrer Uebersetzung entlehnt sind. Letzteres wird
schon durch die Uebereinstimmung mit fr. XV in dem soeben
besprochenen Punct wahrscheinlich. Es wird bewiesen durch
das kurze Citat aus Eph. 18 p. 219, 20. Es lassen sich
die Varianten in die Uebersetzung von Scur. p. 34, 1 ein-
tragen. „Es betet an mein Geist das (fr. dein) Kreuz,
welches ist ein Aergernis Denen, welche nicht überzeugt
(gläubig) sind, euch (uns) aber zur Erlösung und zum ewigen
Leben.“ Entscheidend scheint mir die sehr freie Ueber-
setzung von περέψημα (vgl. oben S. 198 ἢ). Die Abweichungen
bedürfen kaum der Entschuldigung, dass die immer nur ganz
kurzen Citate in diesem Werk möglicher Weise aus dem Ge-
dächtnis augeführt sind. Daher mag auch das völlig apo-
kryphische Citat kommen !). Das ἡμῖν statt ὑμῖν, welches
letztere durch Scur. und A als orientalischer Text feststeht,
bot sich leicht dar, sei es durch die unvermeidliche Er-
innerung an 1 Cor. 1, 18, woran Ignatius nahe genug streift
(vg. 1 Cor. 1, 23), sei es bei der Verwandlung des
brieflichen Worts in einen dogmatischen Satz. Das „a,,I
könnte eine ältere Variante sein. Denn sehr wahrscheinlich ist
es doch gewiss, dass Ephräm an diese Stelle anspielt mit dem
Wort: „Dich liebe ich und dein Kreuz bete ich an, und an
deinem Fleisch und Blut ergötze ich mich.“ ®2) Das einzige
1) p. 219, 22: „Wer den Priester ehrt, ehrt Christus.“ Es fehlt
par bei diesem Citat die Angabe des Briefs. In seiner Art (z. B.
ἱερεύς) erinnert es an den Interpolator, etwa an die Interpolation von
Sm. 8.
2) Ephr. opp. syr. ed. Assemani III, 494E: „ass no Aunu5 ya
μου Σ yo yaZso Zug Auch die letzten Worte möch-
ten eine Anspielung an Ignatius enthalten, und zwar an die von fr. I
Ρ. 200, 9 aufbewahrte altsyrische Uebersetzung von Trali. 8. Der
syrische Text ist verderbt und auch: von A schon verderbt vorge-
fünden. Aber die Uebersetzung von αγάπη durch ἴω „Ergötzung,
Festmahl“ (2 Chron. 1, 3. 13; 2 Petr. 2, 13 = τρυφή, cf. Knös,
Chrestom., p. 90), bei A coena ist erhalten. Das (am> „in der Hoff-
nung“, bei A „in spe“, ist verschrieben aus {5=.> cf. Merz, p. 61. Also
war übersetzt: „im Glauben, welcher ist das Fleisch, und in dem Fest-
214
hoch übrige Citat in fr. XTIE p. 219, 16 aus Eph. 19 ist
weriger vergleichbar, weil der ohnehin kurze Satz in Scur.
offenbar verstümmelt ist. Dass die einzige beachtenswerthe
Variatite, ein anderes Wort für ἔλαϑεν, auch bei Timoth.
p. 211, 21 steht, mrüss eine Zufälligkeit sein, die das ander-
weitig Bewiesene nicht zweifelhaft machen kann. Wieder
einem zmionophysitischen Werke unter dem Titel „Tafel der
Beweise der heiligen Väter gegen verschiedene -Häresien“
sind die bedeutenden Citate fr. XII p. 218, 20 sqg. ent
fiommen. Sehot solche Aewsserlichkeiten, wie die einfachere
Betiennung des Ignatius „Bischof von Antiochien und Märtyrer“
mahl, welches [180] das Blut Jesu Christi,“ Dann ist aber dies Verb
δ Σὶ in dieser Verbindung und an einer Stelle, wo ohnedies Igna-
tianisches nachklingt, bedeutsam für das Verhältnis Ephräms zu unsrer
Uebersetzung des Ignatius. — Anspielungen an Ignatius wird bei
Ephräm gewiss viele fimden, wer sie sucht. Ich notire nur, was ich
zufällig gefanden habe. Wenn es in einer mit biblischen Anspielungen
übersäeten Lobpreisung der Heiligen heisst: ädvdav und χόσμον καὶ
πρὸς Χριστὸν ἀνέτειλαν, opp. Gr. III, 261 B, so ist doch wohl nicht
zweifelhaft, dass das Original dazu bei Ignatius steht Rom. 2: χαλὸν
τὸ δῦναι ἀπὸ κόσμου πρὸς ϑεόν, ἵνα εἰς αὐτὸν ἀνατείλω. Die An-
fährung bei Sever. syr., p. 215, 18: „Schön ist es unterzugehn von der
Welt, und aufzugehn in Christus “, ist des Schlusses wegen vergleichbar.
Den Zusatz des altsyrischen Uebersetzers „im Leben“ (Scur., p. 44, 2;
Jo. monach. p. 207, 11) brauchte Ephräm nicht aufzunehmen, auch
wenn er aus ihm schöpft. Noch Einiges im dortigen Zusammenhang
p. 261 Ε; 262 A erinnert an Ignatius und Polykarp. — Eine ganz un-
verkennbare Berührung nicht mit einem einzelnen Satz, sondern dem
ganzen Zusammenhang von ad Pol. ὃ enthält der Passus opp. Gr.
ΤΙ, 367 B: γενώμεϑε, σῦν ἄκμονες runtousvor χαὶ μὴ ἐνδιδόντες
ον. δεφόμενοι νιχήσωμϑν τὸν ἀντίπαλον διὰ τῆς ὑπομονὴς
und endlich das Beispiel Christi, welcher πάντα ὑπήνεγκε» du
τὴν ἡμῶν σωτηρίαν. Die dreifache Berührung mit drei in derselben
Folge in einem ignatienischen Kapitel vorfindlichen Gedanken muss schon
dem Uebersetzer Ephräms so auffällig gewesen sein, dass er des igna-
tianischen Wortlauts sich erinnerte und ihn glücklich wiederherstellte.
Zufällig hätte er den Unterschied von τύπεεσϑαι und δέρεσθαι schwer-
lich gefunden und das bei Ephräm, wenn er auch hier von unsrer Ueber-
setzung abhängig war, verwischte ὥκμονες nicht wiederhergestellt.
8. oben 8. 194. 202,
215
ohne den Zusatz „der Gottbekleidete“ p. 218, 20; 219, 8,
vgl. die Ueberschrift des Briefs an Polykarp in y p. 263 und
Joh. monachus p. 206, 23; die Beibehaltung des griechischen
ϑεοφύρος Ὁ. 219, 1, cf. Scur. p. 2, 1; 16, 1; 40, 1, die An-
führung des Smyrnäerbriefs als „Brief, den er schrieb, an die
Kirche, die in Asien ist“ (p. 219, 1. cf. fr. I p. 199, 22),
der ächtsyrische Zusatz „Stadt“ zum Stadtnamen (p. 218, 21,
ef. fr. Ip. 198, 23; 199, 3; Joh. mon. 206, 25) unterscheiden
dies fr. XII von den durch griechische Schriftsteller ver-
mittelten Citaten und weisen es der alten Ignatiusübersetzung .
zu. Dies bestätigt auch die einzige Vergleichung mit der-
selben, welche möglich ist. Die Abweichungen des fr. I
p. 199, 6 schalte ich in die Uebersetzung von fr. XII
p. 218, 22 ein. „Irrt euch nicht, meine Brüder, der, welcher
sich hängt an denjenigen, welcher spaltet die Kirche [Gottes],
erbt nicht [wird nicht erben] das Reich Gottes“, Philad. ὃ.
Die in deutscher Uebersetzung nicht auszudrückenden Varianten
sind nicht der Rede wert. Auch μὰ und 2,2 ist eine
Sehreibervariante. Hierin steht fr. XII dem Griechischen näher
als fr. 1, so auch darin, dass es wenigstens nur ein ἐχκλησίαν
zugesetzt hat. Dass es hierin die altsyrische Uebersetzung
bewahrt hat, dass also ϑεοῦ ein eigener Zusatz und das
Futurum eine willkärliche Aenderung des fr. I ist, zeigt A
„separatoris ecclesiae ... . . aceipit“. Darnach scheint
fr. XI ein guter Zeuge für unsere Uebersetzung zu sein.
Ohne alle syrische Parallele steht leider das Citat aus Sm. 4
p. 219, 10; aber die für Scur. und die verwandten Fragmente
charakteristische Freiheit der Uebersetzung zeigt sich gleich
zu Anfang: „Ich warne euch aber vor den bösen Menschen,
welche Thiere sind und die Aehnlichkeit nur besitzen von
Menschen.“ Die gleiche Anlehnung an die Peschito zeigt
sich am Schluss, wenn es für τούτου δὲ ἔχει ἐξουσίαν 1. Xo.
heisst: „Darüber aber ist Gebieter Jesus Christus‘, cf. Rom.
9, 21; 1Cor. 7, 4 Peschito ἢ. Wenn nun in den beiden
noch übrigen Citaten aus Sm. 6 p. 219, 2 und Eph. 7
1) Allerdings weicht A völlig ab von dieser Uebersetzung.
210
Ῥ. 219, 4 eine starke Aehnlichkeit mit den Anführungen bei
Timoth. p. 210, 15 und Sever. p. 218, 11. 17 stattfindet, so
ist das nicht etwa daraus zu erklären, dass in diesen Fällen die
Uebersetzer jener griechischen Schriftsteller ausnahmsweise ein-
mal die syrische Uebersetzung des Ignatius zu Rathe gezogen
hätten ; denn erstlich wären sofort zwei, vielleicht gar drei Ueber-
setzer ihrer sonstigen Praxis ungetreu geworden, sodann trägt
die Uebersetzung beider Stellen durchaus nicht den Charakter
des syrischen Ignatius, sondern ganz den der übrigen Ignatius-
citate bei Timotheus und Severus. Sonach muss umgekehrt
fr. XII, welches einmal vorher und vielleicht noch einmal
nachher ‘von dem syrischen Ignatius sich abhängig erwiesen
hat, diese beiden mittleren, unmittelbar durch ein πάλιν an
einander geschlossenen Citate aus der syrischen TUebersetzung
jener älteren monophysitischen Lehrer entlehnt haben. Es
hat das durchaus nichts Befremdliches bei einem solchen
Sammelwerk !), welches Sentenzen aus der ganzen kirchlichen
Vergangenheit bis auf Severus enthält. Die Sammlung von
Zeugnissen hinter des Timotheus Schrift gegen das Concil
von Chalcedon war spätestens um 550 schon von seinen
syrischen Glaubensgenossen übersetzt, und noch im selben
Jahrhundert auch severianische Schriften, wie z. B. die, worin
Eph. 7 fast wörtlich gleichlautend mit der Anführung in
fr. XI ceitirt ist®2); dahingegen wird die Handschrift des
fr. XII von Cur. p. 359 dem 8. Jahrhundert zugewiesen.
Chronologische Schwierigkeiten stehen also der gegebenen
Erklärung nicht im Wege. Aber auch sachlich spricht nichts
dagegen, dass ein Sammler dogmatisch wichtiger Aussprüche
theils ältere von griechischen Monophysiten angelegte, aber
längst ins Syrische übersetzte Sammlungen ausbeutete, theils
aus eigener Lectüre derselben Schriftsteller, aus welchen
schon jene geschöpft hatten, soweit sie ihm in Uebersetzungen
zugäuglich waren, den Schatz vermehrte.
1) Vgl. über derartige Zusammenhänge oben S. 181f.
2) Vgl. die Angaben über das Alter der Handschriften bei Cur.,
p. 352. 355. 358. Paulus Collin war Zeitgenosse Sever's.
217
Ernstlicher will die Frage erörtert sein, ob vielleicht die
ignatianischen Stücke in Eus. ἢ. 6. III, 36 vom Uebersetzer
des Eusebius wenigstens theilweise mit Benutzung des syrischen
Igenatius übersetzt worden sind. Das Citat aus Sm. 3 hat
Eus. syr., p. 203, 38 stark abweichend von seinem Original
übersetzt; aber soweit A als Zeuge für den syrischen Ignatius
gelten kann, findet sich keine Berührung mit diesem. A z.B.
setzt ein τὸν χύριον zu, welches Eus. syr. nicht hat; Eus. syr.
ein χαὶ μαρτυρῶ, welches A nicht hat. A übersetzt τοὺς
περὶ Πέτρον wörtlich ; Eus. syr. umschreibt „ Diejenigen, welche
vom Hause des Petrus“ u. s. w. Der Satz aus Rom. 4 liegt
ausser in Eus. syr., p. 204, 5 noch in Seur. 46, 4; fr. II
p. 201, 9; fr. XV p. 296; mart. syr. Moes. 7, 15 syrisch vor.
Die Vergleichung der beiden Fragmente mit Scur. ergab
deren Zugehörigkeit zum syrischen Ignatius, die Zusammen-
stellung des mart. syr. mit ihnen völlige Unabhängigkeit des-
selben (8. oben 83. 206f.). Ebenso unabhängig von beiden
ist aber auch Eus. syr. Das einführende or. des Eusebius
oder vielmehr des Irenäus übersetzt er durch χὰ, das in
seinem Original fehlende ϑεοῦ oder Χριστοῦ hinter εὐρεϑῶ
felılt auch hier. Für χαϑαρός wird das im mart. syr. ge-
brauchte Wort gesetzt, aber genauer als von diesem der
Wortlaut καὶ de” ὀδόντων x. τ. A. übersetzt, und die hierin
schwer vermeidliche Uebereinstimmung mit Scur. wird wieder
aufgewogen durch die Stellung der Worte „Waizen bin ich
Gottes“, oder, da hierin auch fr. II u. XV von Seur. ab-
weichen, durch Verschiedenheit der Uebersetzung von χαϑαρός.
Gleiche Unabhängigkeit von sonstiger syrischer Uebersetzung
zeigt theilweise auch das 5. Kapitel des Römerbriefs bei
Eus. syr. 203, 10. So gleich der Anfang.
Seur. 48, 4. | Eus. syr. 203, 10. | M. syr. p. 8 1.
Von Syrien und ! VonSyrien (näm- | ... von Syrien
bis Rom zwischen | lich) bis Rom mit | bisRom. Denn mein
die Thiere bin ich | den Thieren kämpfe | Kampf ist mit den
geworfen auf dem ; ich, auf dem Meer | Thieren auf dem
Meer und auf deın ‚ und auf dem Land, |; Land und auf dem
Land. Bei Nacht bei Nacht und bei | Meer, bei Nacht
218
und bei Tage bin Tage. Als Ge- | und bei Tage. Denn
ich als Gefesselter . fesselter bin ich , gefesselt bin ich
zwischen 10 Leo- ; mit 10 Leoparden, | mit 10 Leoparden,
parden, welche | welche sind eine ; denjenigen, welche
sind eine Schaar | Schaar von Solda- | sind eine Schaar
von Soldaten, | ten, welche, je mehr | von Soldaten, diesen,
welche, auch wenn | wirihnen wohlthun, | welche, wenn ich
ich ihnen wohl- | um so mehr Böses | ihnen wohlthue, um
thue, mehr mir | thun. so mebr Böses thun.
Böses thun.
Ich hoffe die Untersehiede anschaulich gemacht zu haben,
was zumal am Schluss nur einigermassen geschehen konnte.
Eus. syr. hat ein „je mehr — um so mehr‘ durch zwei-
malige Anwendung des Infinitivs neben dem verbum finitum
ausgedrückt. Mart. syr. gebraucht die Construction einmal,
Scur. gar nicht. Wenn im allgemeinen Unabhängigkeit des
Eus. syr. von beiden Uebersetzungen deutlich ist, 80 fällt doch
auf die Umstellung von διὰ γῆς καὶ ϑαλάσσης, welche nicht
bloss in Scur., sondern, wie A! zeigt, auch in dem syrischen
Ignatius selbst sich fand und nun auch in Eus. syr. Aber
es wird wohl Curetons Erklärung ausreichen, dass man unter
dem Einfluss der übrigens irrthümlichen Meinung, Ignatius
sei zur See nach Smyrna gelangt, die Voranstellung des
Meeres passender fand. Denn gerade Hieronymus, bei dem
jene Meinung zuerst auftaucht (8. oben S. 45. 48) übersetzt
ebenso: in mari et in terra. Höchst sonderbar ist es, dass
wiederum Hieronymus sich an noch einem Punct mit Scur. und
Eus. syr. berührt, in welchem diese zusammentreffen. Die Worte
ἃ καὶ κολακεύσω συντόμως μὲ καταφαγεῖν, οὐχ ὥσπερ τινῶν
δειλαινόμενα οὐχ ἥψαντο !), übersetzen die drei Syrer so:
Seur. p. 48, 9. | Eus. syr. 208, 15. | Mart. ayr. p. 8, 6.
Und ich werde Ι Und ich werde Diese also rege
sie reizen, dass im 3810 reizen, dass im | ich auf, dass leicht
|
Augenblick sie | Augenblick siemich | sie mich fressen,
1) Abendländische Varianten gibt es nicht, nur dass einige codd.
des Eusebius schulmeisterlich ἥψατο corrigiren.
219
mich fressen, und fressen, nicht wie | nicht wie vor Vie-
nict wie wer | wer sich fürchtet | len sie erschracken
sich fürchtet vor | vor Anderen und | und nicht näherte
anderen Menschen | ihnen nicht naht. | er sich ihnen.
und ihnen nicht
naht.
Die sinnlose Veränderung des genus und numerus am
Schluss hat der Uebersetzer des Martyriums nur gewinnen
können, wenn in seinem Original das grammatisch regel-
mässigere ἥψατο neben dem plur. neutr. desAmmwonu stand.
Ebenso aber lasen Scur. und Eus. syr. und liessen sich da
durch verführen, auch δειλαινόμενος zu lesen. Ferner setzen
beide ein ἄλλων oder ἄλλων τινῶν voraus. Wenn nun dies
auch an des Hieronymus Paraphrase „aliorum martyrum“
eine gewisse Bestätigung findet 1), so reicht doch offenbar die
Annahme einer gleichen Textgestalt nicht aus, eine Ueber-
einstimmung wie diese zu erklären; und an sich schon ist
jene Annahme, sowie sie über derartige Correcturen wie
ἥψατο statt ἥψαντο hinausgreift, hier ungeeignet, wo es sich
a um eine Vebersetzung des Ignatius und eine Ueber-
setzung des ihn nur citirenden Eusebius handelt. Es hat
als der Verfasser der letzteren erstere benutzt, aber nicht
von Anfang an, sondern erst bei einer Stelle, welche,
wie der dritte Uebersetzer zeigt, den Syrern schwierig war.
Noch unmittelbar vorher hat Eus. syr. ὀναίμην τῶν ϑηρίων
ganz abweichend von Scur. und wiederum vom mart. syr.
übersetzt 2). Aber von dem Punct an, wo seine-Abhängigkeit
vom syrischen Ignatius offenbar wurde, bleibt sie unverkennbar
bis zu dem Schlusssatz des Kapitels πῦρ χαὶ σταυρός x. τ. A.
Auch wenn man nicht am mart. syr. sähe, wie ein selb-
—
1) Ich verzichte darauf, die merkwürdigen Uebereinstimmungen
zwischen Hieronymus und syrischen Uebersetzungen und Bearbeitungen
euschianischer Schriften (vgl. oben S. 47. 220) zu erklären.
2) Seur. ως 1] 165.
Eus. (las) ads Fa Ka.
Mart. las u (501.
220
ständiger Uebersetzer mit der gleichen Vorlage umgehn würde,
würde sich das aus der Uebereinstimmung mit Scur., grossen
Theils auch mit fr. TI (8. oben $. 207f.) wie aus den Ab-
weichungen vom griechischen Text ergeben. Die Varianten
des Eus. syr. lassen sich in den Text des Scur. einschalten.
„[Da] auch wenn sie [gehindert werden und] sich mir nicht
nähern wollen, gehe ich mit Gewalt gegen sie. Erkennt mich
von meiner Seele. Was mir förderlich ist [weiss ich. Jetzt
fange ich an ein Jünger zu werden]. Nicht reize mich irgend
etwas von denjenigen Dingen, die gesehn werden und [von
denjenigen,] die nicht gesehn werden, damit ich Jesu Christi
gewürdigt werde.“ Beweisend wäre hier allein schon die
Uebersetzung von συγγνώμην μοι ἔχετε (8. oben S. 208),
ebenso aber auch die Uebersetzung der Worte, für deren ur-
sprünglichen Text ich halte: κἂν αὐτὰ δὲ ἑκόντα μὴ ϑέλῃ με
(oder ϑελήσῃ), ἐγὼ προςβίασομαι !). Die syrische Uebersetzung
scheint wieder in sonderbarer Uebereinstimmung mit Hierony-
mus (quodsi venire noluerint, ego vim faciam) ein ἥκειν für
ἑκόντα (oder «xovza) gelesen zu haben. Die richtige intran-
sitive Fassung von προςβιάσομαι verstand sich, wie z. B.
mart. syr., p. 8, 8 und L? zeigen, keineswegs von selbst.
Die hier angewandte Umschreibung (vgl. Matth. 11, 12
Peschito) aber kann nicht zufällig bei Scur. und Eus. syr.
entstanden sein. Von dem, was Eus. syr. mehr hat, als
Scur., ist der Satz in der Mitte, wie schon oben gezeigt
wurde (5. 210), ursprünglicher Bestandtheil des syrischen
Ignatius, ebenso (8. oben Κα. 207) die breitere Umschreibung
von καὶ ἀοράτων. Dann wird auch der im Text Eusebs
wie im Römerbrief selbst sonst nicht bezeugte Zusatz „ge-
hindert werden und“ vielleicht eine der vielen Amplificationen
des syrischen Ignatius sein, welche in diesem Fall sein
Excerptor Scur. wieder ausgestossen hat. Doch, mag dem
sein, wie ihm wolle, zweierlei ist gewiss: Eus. syr. ist in
den beiden Citaten aus Rom. 4. Sm. 3 und ebenso in den
1) Li hat diesen Text gehabt, aber ἔχοντα fälschlich zu dem ge-
schriebenen oder zu supplirenden μὲ statt zum Subject αὐτά gezogen.
921
ersten und letzten 1) Sätzen von Rom. 5 selbständiger Ueber-
setzer. In der Mitte des letzteren Kapitels aber veranlassten
ihn die besonderen Schwierigkeiten seines Originals, die Ueber-
setzung des Ignatius aufzuschlagen und daraus ein Stück ab-
zuschreiben.. In diesem syrischen Ignatius standen aber
damals die in Scur. ausgefallenen Sätze des griechischen
Textes. Die Handschrift des Eus. syr. soll augenscheinlich
dem 6. Jahrhundert angehören (Cur., p. 350), ist also etwa
gleichzeitig mit cod. « des Scur. (8. oben S. 184). Bedeutend
älter ist die syrische Uebersetzung der ignatianischen Briefe.
Sehen wir von der nicht über allen Zweifel erhabenen
Abfassungszeit der: von ihr abhängigen armenischen Ueber-
setzung ab, so nöthigen schon die meines Erachtens unzweifel-
haften Anspielungen auf Ignatius bei Cyrillonas (s. oben
$. 187 Anm. 3) und Ephräm (} 373, s. oben $. 213 Anm. 2)
zu der Annahme, dass es wenigstens bald nach der Mitte
des 4. Jahrhunderts einen syrischen Ignatius gegeben hat.
Speciell auf die durch Scur. und die verwandten Fragmente
uns bekannt gewordene Uebersetzung wies wenigstens eine
Anspielung bei Ephräm. Es ist aber, wenn Cyrillonas wirk-
lich als Zeuge gelten kann, wenigstens nicht der von Cureton
und Lipsius bevorzugte, sondern ein vollständigerer Text,
welchen die Syrer gegen Ende des 4. Jahrhunderts be-
sassen.
Das bestätigt auch der Brief Johannes des Einsiedlers
au Eutropius und Eusehius (Cur., p. 205 sqg.; fr. IV). Dieser
ziemlich fruchtbare Schriftsteller ?) ist jedenfalls der von
Ebedjesu zwischen Marcus monachus und Euagrius Ponticus
gestellte Johannes 3), ein Zeitgenosse dieser, ohne Frage der-
1) Hier weicht er von ΒΟΌΣ. ab durch wörtliche Uebersetzung von
ϑηρίων TE συστάσεις, durch richtige Voranstellung der „Knochen“ vor
die „Glieder“, worin übrigens auch fr. II gegen Scur. zeugt, durch
freie Uebersetzung von ἀλεσμοί (,„Verderben“), durch die Lesart καὶ
χολάσεις (χόλασις), durch die Uebersetzung von διάβολος (, Satan“).
2) Cur., introd., p. 30. 32. Corp. Ign., p. 352. Land, anecdota I, 15;
II, 29,
3) Assemani, bibl. or. III, 1, 45, nicht zu verwechseln ınit dem
222
selben, an welchen der um etwa 80 Jahre ältere Ephräm
einen Brief richtete ἢ. Dass dieser in seinen wenigen, aber
charakteristischen Citaten aus dem Römerbrief ?) der auch in
Scur. vorliegenden Uebersetzung folgt, wurde, wie es in der
That unleugbar ist, selbst von Cureton p. 291. 294 axer-
kannt und seitdem von den Verfechtern des kürzeren Syrers
nicht beanstandet, weil Johannes nur vier kleine Sätze eitirt,
welche auch vor den Augen des Excerptors Scur. Ginade
fanden. Daraufhin glaubte Lipsius II, 25 ihn als einzigen
positiven Zeugen für das, was er „unsern Syrer“ nennt, an-
führen zu dürfen, und zwar deshalb, weil er in der An-
führung des letzten Satzes von Rom. 2 p. 207, 10 ebenso
wie Scur. ein ἐν ζωῇ zusetzt. In Wirklichkeit folgt daraus
natürlich nur, dass die syrische Uebersetzung, aus welcher
Scur. seinen verstümmelten Text, Johannes Monachus aber
einzelne Sätze schöpfte, diesen Zusatz bereits enthielt, was
als dritter Zeuge A! bestätigt ὃ. Aber Johannes Monachus
ist nicht nur kein Zeuge dafür, dass schon zu seiner Zeit die
drei Briefe an die Römer, Epheser und Polykarp, für die
nn nn nm
von Assemani in der Note erwähnten Johannes won Lycopolis in der
Thebais (cf. Theodoret. h. e. V, 24; Sozom. VII, 22) und noch weniger
mit dem späteren Johannes von Apamea (Assemani III, 1, 50). Cureton
hat es durch seine undeutliche Darstellung p. 351 sq. selbst verschuldet,
dass Denzinger S. 105 ihm selbst die Verwechselung des fraglichen
Johannes mit dem von Lycopolis nachsagt.
1) Assem. bibl. I, 150. Opp. Ephr. Graec. II, 186 sqq. πρὸς
Ἰωάννην μονάζοντα. Vgl. die Proll. desselben Bandes p. 41. 49, dar-
nach dem höheren Alter Ephräms zuzuweisen.
2) Aus Rom. 2 p. 246, 26; 207, 13. 24; aus demselben Kapitel
p. 207, 10; aus Rom. 3 p. 207, 9; aus Rom. 5 p. 207, 11.
3) Nach Lips. II, 25 Anm. soll der Zusatz sich ausserdem noch im
m. syr. finden, welches vor dem Jahre 1872 überbaupt noch nicht bis
zu dieser Stelle edirt war, bei Moes. p. 7, 3 aber von diesem Zusatz
frei ist. Ebenso irrig ist die Berufung auf „die von Cur. p. 291 an-
geführte alte lateinische Version“. Diese ‚Iateinische Version cexistirt
nicht, und Cureton hat sie nicht angeführt. Er handelt von unserer
Stelle p. 294. Auf p. 291 eitirt er zu einer anderen Stelle nach Jakob-
son das corpus Christi ıus., ἃ. h. den cod. caj., 5. Anh. I, 2,
223
einzig ächten galten, sondern, wenn ich recht. sehe, ein Zeuge
gerade für den yrösseren Umfang der ihm vorliegenden Brief-
sammlung. Das erste, lange vorbereitete, auch weiterhin aus-
führlich besprochene Citat aus Rom. 2 leitet er ein mit den
Worten: „Der selige Ignatius, der glorreiche Märtyrer, welcher
zweiter Bischof nach den Aposteln im syrischen Antiochien
war, welcher, im Martyrium für Christus nach Ram hinauf-
ziehend, Briefe an die berühmten Städte schrieb,
sagt in dem [nach] Rom [bestimmten] indem er [sie] über-
redet, dass sie ihn nicht am Martyrium Christi hindern:
Wenn ihr von mir schweigt u. 5. w.“ Wenn man ji
unverändert lässt, kann man auch nicht wie Cureton über-
setzen: to certain cities. Es müssen die bedeutenden, her-
vorragenden Städte gemeint sein !), ein Ausdruck, der seine
nothwendige Bestimmtheit nur dann erhält, wenn man dem
Zusammenhang gemäss an die bedeutenderen Städte denkt,
weiche an seinem Weg von Antiochien nach Rom lagen.
Jedenfalls wäre der Ausdruck lächerlich, wenn Johannes ausser
dem Römerbrief, den er eitirt, nur einen einzigen an eine
andere Stadtgemeinde gerichteten Brief, den an die Epheser,
kannte. Der syrische Ignatius, den wir bisher kennen lernten,
enthielt 6 Briefe an „bedeutende Städte“ und einen an
einen Bischof. Nach der Mitte des 4. Jahrhunderts war er
spätestees vorhanden; ob noch früher ?), lässt sich nicht er-
weisen. Im Unterschied von den abendländischen Samm-
lungen hat die vom Syrer übersetzte Sammlung den Römer-
brief mitenthalten, oder der Uebersetzer hat den möglicher-
weise selbständig an ihm gelangten Römerbrief in seiner
Uebersetzung mit den übrigen 6, mit der sylloge Polycarpiana
verbunden; denn ganz dieselbe Uebersetzungsweise ist überall
im Römerbrief und den übrigen zu finden. Wenn daher
fr. 1 alle anderen Briefe ausser dem Römerbrief citirt, so
wird das wohl nicht Zeichen einer auch auf syrischem Boden
noch fortdauernden Isolirung desselben sein, sondern aus dem
1) Vgl. Peschito Matth, 27, 16; Act. 21, 39.
2) S. Lee bei Cur., introd., p. 85 sq.; Merx, p. 79.
224
besonderen kirchenrechtlichen Gesichtspunct der Auswahl dieser
Citate erklärt werden dürfen. In dieser Hinsicht bot der
Römerbrief nichts Interessantes. Dass der Römerbrief dieser
altsyrischen Uebersetzung angehörte, beweist auch seine Stellung
in der armenischen Sammlung und Uebersetzung.
Mit der Interpolation dieser 7 Briefe blieben die Syrer !)
und in Folge dessen auch die Armenier verschont, nicht aber
mit den hinzugedichteten 6 Briefen, und es fragt sich, wann
dieser Zuwachs ins Syrische übersetzt und mit den älteren
Briefen verbunden wurde. Steht es fest, dass die 6 jüngeren
Briefe 360—380 verfertigt wurden, so kann ihre syrische
Uebersetzung nicht von Anfang an zum syrischen Ignatius
gehört haben, dessen Bezeugung mindestens ebensohoch hin-
aufreicht. Will man nicht eine Conspiration zwischen
Pseudoignatius und einem gleichzeitigen Syrer annehmen, so
können die von ihm neu gefertigten Briefe frühestens um
400 übersetzt worden sein. Hat es mit der Abfassung der
armenischen Uebersetzung im Lauf noch des 5. Jahrhunderts
seine Richtigkeit, so müssen wir näher sagen, etwa um
400—450 sind jene 6 Briefe ins Syrische übersetzt worden.
Dass A auch in den nacheusebianischen Briefen von einer
syrischen Uebersetzung abhänge, hat Petermann bewiesen,
und niemand bestritten. Dass es aber diejenige gewesen ist,
von welcher wir nur wenige kümmerliche und zweifelhafte
Reste besitzen, ist von vornherein wahrscheinlich, da die
jüngeren Briefe doch schwerlich durch doppelte Uebersetzung
ins Syrische vor den älteren werden ausgezeichnet worden
sein. Zudem wissen wir, dass die syrische Uebersetzung der
nacheusebianischen Briefe der älteren Uebersetzung der vor-
eusebianischen angeschlossen worden ist. Denn aus „dem
Buch des heiligen Ignatius“ hat der dem 11. oder 12. Jahr-
hundert angehörige Excerptor, dem wir fr. II verdanken,
sowohl die Stücke aus Rom. Eph. Mgn. Sm., als die am Ende
1) Nur aus Versehen hat Merx in der Zeitschrift für wissenschaft-
liche Theologie 1867, S. 94 zu den Land’schen Fragmenten den inter-
polirten griechischen Text gesetzt.
nn ὐὐὐ
225
stehenden Sätze aus Her. 1 genommen. Da nun ebenso A
auf die voreusebianischen Briefe ohne die Interpolation die
nacheusebianischen Briefe folgen lässt, so ist nicht daran zu
zweifeln, dass der syrische Uebersetzer der letzteren sie der
älteren Uebersetzung von 7 Briefen anschloss, ohne diese
anzutasten. Er verfuhr also ebenso wie der Veranstalter
der Sammlung U. Was man hatte, liess man sich nicht
nehmen oder schlecht machen; darum verschmähte man die
Interpolation; aber die neuen Titel hielt man für Gewinn.
Was zunächst die Sätze aus Her. 1 fr. II, p. 202, 10sg.
anlangt, so macht erstlich ihre Kürze eine Einsicht in den
Charakter dieser Uebersetzung fast unmöglich. Sodann sind
es Reminiscenzen aus Pol. 1, was auch dem Fortsetzer der
alten Tebersetzung aufstossen und auf seinen Ausdruck ein-
wirken konnte. Endlich sind sie uns nur in dem jüngsten,
besonders nachlässig geschriebenen Fragment erhalten. Den-
noch ist die Uebereinstimmung mit A bemerkens'verth. Beide
lassen das ἐν ϑεῷ hinter παραχαλῶ oe weg, welches alle
τς abendländischen Zeugen haben (L? „in domino“). Und wenn
es an sich schon auffallen muss, dass fr. II die von dem-
selben παρακαλῶ abhängige zweite Ermahnung καὶ &xdıxeiv σου
τὸ ἀξίωμα nicht mit aufgenommen hat, so erkennen wir aus
A, dass diese Worte in der Uebersetzung selbst gefehlt haben.
Die Tebersetzung von σχόλαζε in dem zweiten Satz durch
wol] ist deutlich wiederzuerkennen in dem „frequens esto ‘ des
Armeniers').,. Dem’fr. II eigenthümlich ist nur die gewiss
dem Schreiber zur Last fallende Weglassung eines σέ im
ersten Satz und die Zusetzung eines πρὸς Feuv im zweiten ?).
Etwas älter ist nach Cur., p. 363 die Handschrift, nach
‘ welcher er ein Stück aus Tars. 2 mittheilt; dem 6. Jahr-
hundert soll sogar die Handschrift angehören, in welcher ein
Satz aus Tars. 1 gerettet ist p. 365, und ausserdem jener
Satz aus Tars. 2 wiederkehrt. Deutlich zeigt sich sofort,
dass hier in andrer Art übersetzt ist, als vom alten Uebersetzer
m nn nn
1) Vgl. denselben Pol. 1 und die Bemerkungen oben 8. 196f.
2) Vgl. Eph. 18 fr. I, p. 197, 11 ϑεοῦ ohne Bestätigung durch A,
Zahn, Ignatius. 15
226
des Ignatius. Die Anfangsworte des Tarsenserbriefs stammen
aus Rom. 5, so dass wir dies Fragment (p. 365) mit Scur.
vergleichen können. Statt der Umschreibung des letzteren
(8. oben 8. 193), heisst es hier in wörtlicher Uebersetzung:
„von Syrien bis Rom kämpfe ich mit den Thieren“. Auch
A, welcher Rom. 5; Eph. 1; Trall. 10 mit Scur. über-
einstimmt, übersetzt Tars. 1 so wörtlich. Zwischen A und
dem anderen Fragment p. 363 84. aus Tars. 2 ist keine
andere Berührung, als dass beide sich mit einem zwiefachen
δοκήσει begnügen, während im Griechischen dreimal das Wort
steht. Wenn es sonst wahrscheinlich sein sollte, dass diese
Stücke der von A benutzten syrischen Uebersetzung angehört
haben, so lässt es sich durch die übrigen Abweichungen in
Tars. 2 nicht unwahrscheinlich machen. Eine andere Manier
zeigt diese Uebersetzung jedenfalls in der Wiedergabe von
δοκήσει (ef. fr. I, p. 200, 18f.; fr. II, p. 202, 4. 5; Trall. 10;
Sm. 4). Aber es wird nicht auszumachen sein, ob diese
Fragmente nicht mitsammt ihrer Umgebung aus dem
Griechischen übersetzt sind. Die ältere Handschrift citirt
Eusebs Kirchengeschichte und Schriften des Severus; die jüngere
gibt Auszüge aus Julius von Rem und Pseudodionysius. Ob
alles das aus schon früher vorhandenen Uebersetzungen dieser
griechischen Schriften genommen ist, kann ınan nach den
Angaben Curetons nicht entscheiden.
Wir müssen uns begnügen, an der armenischen Ueber-
setzung und fr. II zwei zuverlässige untl übereinstimmende
Zeugen für die Erweiterung des syrischen Ignatius zu besitzen,
welche noch im 5. Jahrhundert stattgefunden zu haben scheint.
Chronologisch erlaubt ist dann jedenfalls die Frage, eb der
Excerptor und Epitomator, als welchen wir Scur. erkannt haben,
die ältere Uebersetzung des Ignatius olme ihre Erweiterung oder
mit derselben vor sich gehabt hat; denn höher hinauf, als bis in
den Anfang des 6. Jahrhunderts, kann man die Existenz des
Scur. nicht verfolgen. Ich will kein grosses Gewicht darauf
legen, dass die Ordnung der Briefe in den Handschriften des
Scur. (Pol. Eph. Rom.) abweicht von der Ordnung des fr. I,
welches nur voreusebianische Briefe eitirt, und dagegen wie
927
ein Auszug aus der wollständigeren Reihe der beiden Samm-
lungen aussieht, welche die älteren Briefe mit den jüngeren
verbunden haben. Es entsprechen die drei Briefe des Scur.
den Nummern 2. 3. 7 der Sammlung A, den Nummern
2. 3. 12 der Sammlung U (8. oben ὃ. 111). Wichtiger
möchte es sein, dass Lectüre der Briefe ad Ant. und Her.
etwas zu dem Miswerständnis der Worte des Interpolators
beigetragen zu haben scheint, als ob Ignatius yon Troas aus
seiner Gemeinde einen Nachfolger im bischöflichen Amt aus
Smyrna verschrieben hätte. Pseudoigpatiug selbst hat sich einen
80 groben Anachronismus nicht zu Schulden kommen lassen.
Er hat Sm. 11; Pol. 7 den Zweck der Sendung jenes Ge-
saadten nach Antiochien unverwischt gelassen, und auch wenn
ΔΙ Philad. 10 aus dem Diaconus einen Bischof macht, hat
das ja nicht den Sinn, als ob dieser Bischof nun Bischof
yon Antiochien werden sollte ἡ. Pseudoignatius hat vielmehr
ganz bestämmzıt den autiochenischen Discpnus Heron als seinen
Nachfolger ius Ange gefasst (Her. 8 cd. 7), gibt ihm Auf-
προ, 418 ob er es schon wäre (c. 9), und obwohl er sich
nicht anmasst, ihn geradezu zu designiren, was ein Verstogs
gegen die zur Zeit des Pseudoignatiug gültige Regel gewesen
᾿ wäre (ean. Antioeh. 28), so weist er doch schon im Brief
an die Gemeinde sehr bestimmt auf ihn hin). Aber bei
»icht sehr aufmerksemer Leotüre gewann es doch den An-
schein, als ob die dem Polykarp aufgetragene Fürsorge für
die antioehenische (demeinde 5) sich auf die Zeit bis zur Er-
nennung eines nenen Bischofs und auf diese selbst irgendwie
witbezieke. Von da war es dann nur ein Schritt bis zu dem
1) So Vedelius I, 159 8ᾳβ. Auch Denzinger (S. 48) scheint dieser
Auffassung zuzuneigen.
2) Antioch. 12: ro ποϑεινόν μοι ὄνομα; cf. Her. inser. und c. 6.
8) Antioeh. 12: ἀσπάζομαι τοὺς ἱεροὺς διακόνους καὶ τὸ ποϑεινόν
μοι ὄνομα, ὃν ἐπίδοιμε ἀντὶ ἐμοὺ ἐν πνεύματι ἁγίῳ, ὅταν Χριστοῦ
ἐπιτύχω. — ο, 14: ἀσπάζομαι τὸν avı’ ἐμοῦ μέλλοντα ἄρχει» ὑμῶ». ---
ς. 13: ἀσπάζεται ὑμᾶς Ἰολύχαρμος, ὁ ἀξιοπρεπὴς ἐπίσχοπος, ᾧ καὶ
μέλει περὶ ὑμῶν, ᾧ καὶ παρεθέμην ὑμᾶς ἐν κυρίῳ. ὙαΙ, übrigens
Denzinger 8. 47 f.
15*
228
Irrthum, welchem andrerseits für spätere Leser durch den
Ausdruck χειροτονῆσαί τινα Pol. 7 Vorschub geleistet wurde,
es handle sich direct um Ernennung eines Nachfolgers für
Ignatius. Dieser Irrthum tritt aber bei Scur. in einer solchen
Form auf, dass selbst Cur., p. 275 die angeführten pseudo-
ignatianischen Worte darin durchklingen hörte. Es heisst am
Schluss des Briefs an Polykarp bei Scur. p. 14, 2: „Ich
grüsse Den, welcher gewürdigt werden wird, nach Antiochien
zu gehn statt meiner.“ Dass nicht etwa Pseudoignatius,
welcher den Text der Sammlung U oder A vor sich hatte,
aus diesen Worten des Scur. geschöpft hat 1), bedarf keines
anderen Beweises, als des vorhin gelieferten Nachweises, dass
Pseudoignatius den in diesem Gruss ausgesprochenen Irrthum
gar nicht theilt. Aber auch das sollte keines Beweises be-
dürfen, dass weder Ignatius, noch irgend ein Schriftsteller
früherer Jahrhunderte diesen Gruss geschrieben, oder gemeint
haben könnte, Polykarp oder die Gemeinde von Smyrna solle,
sei es nach eigenem Ermessen, sei es auf den Vorschlag des
Ignatius, den Antiochenern einen Bischof zuschicken. Die
Versuche z. B. von Cureton (introd., p. 44), das angebliche Ver-
fahren des Iguatius psychologisch erklärlich zu machen,
zeigen nur, dass man von der geschichtlichen Unmög-
lichkeit keine Ahnung hat?). In den Zeiten vom 4. Jahr-
hundert an mag man etwa Beispiele finden, die eine entfernte
Aehnlichkeit mit solcher Bischofswahl haben, und doch. wäre
die Aehnlichkeit nur eine scheinbare. Denn entweder sind
es grössere Synoden, welche in strittigen Fällen einen bischöf-
lichen Stuhl besetzen, oder doch die Anerkennung einer be-
anstandeten Wahl durchsetzen, oder es ist der Metropolit, der
von seiner Gewalt Gebrauch macht, ohne, wie es die Regel
erforderte ®), die übrigen Bischöfe der Provinz zu Rathe zu
1) So Lips. I, 84. 998. 108.
2) Besonders deutlich ist das auch bei Buns. II, 32, welcher sogar
die dem Polykarp in Bezug auf seine eigene Gemeinde ertheilten Rath-
schläge als Anweisungen für die interimistische Verwaltung der antioche-
nischen Gemeinde glaubte verstehen zu können (I, 941.).
3) Can. Nic. 4; Antioch. 16. 19.
229
ziehn. Die Besetzung des antiochenischen Bischofsstuhls durch
Bischof und Gemeinde von Smyrna war zu allen Zeiten un-
möglich. Lipsius freilich urtheilt, der syrische Text nöthige
gar nicht, an einen Nachfolger des Ignatius zu denken. Aber
in welcher anderen Beziehung sollte der von Smyrna nach
Antiochien zu sendende Mann an des Ignatius Stelle treten?
Dass aber der Syrer, d. h. der Epitomator der alten syrischen
Uebersetzung, den ursprünglichen Text des Ignatius im Traume
gelesen haben müsste, wenn die Sache sich so verhielte, wie
vorhin gezeigt wurde, hätte am wenigsten Lipsius (l, 100
Anm.) dagegen geltend machen sollen, der sogar annahm,
Pseudoignatius habe aus dem nackten ἀντ᾽ ἐμοῦ, welches bei
Scur. erhalten sei, seinen Irrthum geschöpft, während Pseudo-
ignatius, wenn man seine Worte nicht im Traume liest, den
Irrthum geradezu ausschliesst. Aber damit ist nicht ausge-
schlossen, was sich als einzige Erklärung des sonderbaren ἀντ᾽
ἐμοῦ darbietet, dass der unrichtig verstandene Antiochener-
brief den Epitomator des syrischen Ignatius in seiner Auf-
fassung des Briefs an Polykarp bestimmt habe. Ist dem
80 — und ich wüsste nicht, was dagegen zu erinnern
wäre —, so hat Scur. „das Buch des heiligen Ignatius“ in
derselben vermehrten Auflage vor sich gehabt, in welcher es
der armenische Uebersetzer und der Fragmentist II, jener
vielleicht ein Jahrhundert vor ihm, dieser vielleicht 5 oder
6 Jahrhunderte nach ihm, benutzt haben.
Damit sind wir schon zur Betrachtung des Scur. für
sich als eines literarischen Products übergegangen. Das Erste,
was sich sofort der äusserlichen Betrachtung aufdrängt, ist
das Zeugnis des Werks selbst, dass die drei Stücke, die es
enthält, nur ein Bruchstück der ignatianischen Briefe seien.
Nach allen Zeugen der altsyrischen Uebersetzung, nämlich
ausser den Handschriften des Scur. noch nach fr. ΠῚ p. 201, 7;
fr. XV p. 296 und A! hat der Anfang von Rom. 4 von
jeher gelautet: „Ich schreibe allen Kirchen und thue kund
Jedermann.“ Dies ist ohne Frage auch die richtige Lesart,
denn zu den genannten Zeugen tritt A?, ferner sämmtliche
griechische und lateinische Handschriften der Sammlung
280
Β Ἢ und eine Anführung bei Timoth. p. 210, 3. Ks konimit
hinzu, dass die Rücksicht auf Pol. 8 (ἐπεὶ πάσαις ταῖς ἐχκλή:
σίαις οὐκ ἠϑυνίϑὴν γράφειν) und das Gefühl allzu grosser
Hyperbolie des Ansdrucks die Beseitigung des πάσαις nahe-
legte ®). Nun leuchtet aber ein, dass Ignatius, gleichviel ob
der geschichtliche oder der aus seiner Rolle schriftstellernde,
80 nicht an die Römer schreiben konnte, wenn er ausser an
diese Gemeine nur noch an die τὰ Ephesus einen Brief ge-
richtet hat, Nicht einmal den Brief an Polykarp, als einen
indireet an die Gemeinde zu Smyma gerichteten, kann man
zu Hülfe nehmen; denn erst von Troas aus ist der geschrieben,
und als Ignatius vorher von Smyrna aus nach Rom schrieb,
konnte er nicht wissen, ob er überhaupt noch einen Brief
schreiben werde. Es redet hier Einer, der eben jetzt, im
jenen Tagen damit beschäftigt ist — denn γράφω sagt er,
nicht ἔγραψα —, an eine Reihe von Gemeinden Briefe za
richten, in welchen unter anderem duch seine Freudigkeit
zum Martyrium Ausdruck fand. Die zaghaft genug ausge-
sprochene Meinung, Ignatius spreche hiermit den Wunsch aus,
dass alle Kirchen es erführen, wie er zum Martyrium stehe
(Cur., p. 396 sq.), ist doch keine Auslegung, sondern wine
klägliche Ausflucht. Selbst wenn Ignatius diesem sonderberen
Wunsch diesen sonderbaren Ausdruck gegeben und damit die
Römer aufgefordert hätte, zur Verwirklichung desselben etwas
beizutragen, so wäre doch ein Brief an die Römer nicht det
Ort, solchen Wunsch auszusprechen. Für die meisten Kirchen
des Erdkreises wäre der Umweg über Rom, welchen der
Wunsch des Ignatins darnach zu nehmen hätte, um ans Ziel
zu kommen, doch gar zu wunderlich. Sieht man aber in
diesen Worten auch mur die Aussage, dass er „einigen
Kirchen“ seinen Wunsch schriftlich gemeldet habe und
anderen ihn in andrer Weise melden lasse (Burns. I, 118),
so sollte man auch einsehn, dass man mit dem einen Epheser-
1) In pl ist der Schreiber vom ersten „omnibus“ zum zweiten ab-
gäirrt,
2) So colb. L1 Metaphr. art syr.
281
brief nicht ausreicht. Es kennt also Scur., wenn nicht aus
einer ihm vorliegenden Sammlung, dann wenigstens aus
dieser von ihm selbst unangetastet gelassenen Stelle des
Römerbriefs ausser diesem noch eine grössere Zahl von Ge-
meindebriefen, und da er nirgendwo bezeugt, dass er alle
ignatianischen Briefe, und dass er sie vollständig mittheile,
und da seine Landsleute längst eine grössere Sammlung igna-
tianischer Briefe in ihrer Sprache lasen, so fällt jeder Grund
hinweg, an andere Briefe zu denken, als an diejenigen, welche
Ignatius ebenso wie den an die Römer während seines mehr-
tägigen Aufenthalts in Smyrna schrieb, nämlich an Eph.
Mon. Trall.
Die Briefe, welche Scur. enthält, können aber überhaupt
nicht in der Gestalt ursprünglich abgefasst sein, in welcher
sie Scur. darbietet, und zwar gilt dies wiederum ganz abge-
sehn von der Aechtheit oder Unächtheit der ignatianischen
Briefe überhaupt. Es bedarf zum Beweise keiner durch-
gängigen Vergleichung des Zusammenhangs im griechischen
Ignatius mit der Zusammenhangslosigkeit in diesem syrischen.
Ein Beispiel aus jedem der drei Briefe wird den Epitomator
ausreichend charakterisiren. Der Epheserbrief, welcher auch
in Scur. mit einer sehr feierlichen Grussüberschrift beginnt,
entbehrt hier jedes entsprechenden Schlusses. Da derselbe
auch in dieser abgekürzten Gestalt ein Dankschreiben für
die freundliche Begrüssung des in Smyrna eingetroffenen Ver-
fassers von Seiten der ephesischen Gemeinde durch ihren
Bischof Onesimus ist, und da sich Ignatius während der Ab-
fassung noch in der nahegelegenen, den Ephesern jedenfalls
wohlbekannten Gemeinde aufhält, so erwartet man, dass gerade
am Schluss diese Beziehungen noch zum Ausdruck kommen.
Aber dieser vermeintliche Brief schliesst mit dem Satz: „Und
es war der Anfang demjenigen, was in Gott vollendet war.“
Kein ἀσπασμός irgend welcher Art, kein ἔρρωσθε, oder ἡ χάρις
T. Xg. μεϑ᾽ ὑμῶν, kurz nichts von dem, was christliche und
menschliche. Höflichkeit jener Zeit erforderte, lenkt von der
heilsgeschichtlichen Betrachtung zum Anlass des Briefes und
und zum persönlichen Verhältnis des Verfassers zu den Lesern
232
um. Vergeblich beruft sich Bunsen II, 44 darauf, dass ja
auch einer der nach seiner Meinung erdichteten Briefe, der
an die Trallianer, des ἔρρωσϑε ermangele. Die Stelle dieses
in den übrigen Briefen mannigfaltig erweiterten Schlussgrusses
würde hier völlig ausreichend der Wunsch vertreten, dass
die Trallianer in Christus untadelig möchten erfunden werden.
Aber es fehlt auch das ἔρρωσθε gar nicht und ist nur durch
allerlei noch nach demselben sich aufdrängende Herzenser-
güsse um einige Zeilen vom letzten Wort des Briefs entfernt.
Schon früh wurde selbst diese Form des Schlusses ungenügend
gefunden '), und ΟΣ hat durch sein ὀναίμην ὑμῶν ἐν χυρίῳ
geradezu Bunsen vorgearbeitet, welcher dem in Scur. gleich-
falls ohne Gruss schliessenden Brief an Polykarp einen eben-
solchen Schlussgruss andichtete (II, 31). Aehnlich hat Lipsius
in dem Lu ἃ. i. explicit des Schreibers, welches in cod. ἃ
hinter dem Polykarpbrief steht, ein Schlusswort entdecken
wollen. Früher (I, 100.. 137. 159) schien er geneigt, in
allen drei Briefen den mangelnden oder ungenügenden Schluss
aus diesem Wort zu ergänzen; in seinen Text ist schliesslich
nur am Ende des Polykarpbriefs (II, 188) ein ἡ χάρις als
Uebersetzung von δ, übergegangen. Nun steht freilich
hier in # deutlicher: „Sie (ἃ. i. die Epistel) ist zu Ende“
(alr), in y: „Es ist zu Ende die erste“, und ganz ebenso
hinter Eph. und Rom. Es ist ferner aus allen syrischen
Drucken zu sehn, dass die Schreiber mit einem solchen aLu
ihre Arbeit zu schliessen pflegen. Es ist auch bekannt, dass
das substantivische LS“ weder χάρις noch χαέρειν heisst ?);
und es ist der syrische Brief, welcher mit diesem Worte
schlösse, ebensogut noch erst zu entdecken, wie der griechische,
der auf ἡ χάρις auslautete. Aber Ignatius ist eben ein eigen-
tbümlicher Schriftsteller, der eigenthümlich behandelt sein
will. Schon im 6. Jahrhundert hatte allerdings das Versehn
eines Schreibers und Einiger, die ihm nachfolgten, dem
1) Vgl. die verschiedenen Erweiterungen in A G® Lr.
2) Wenn nicht εἰρήνη, dann etwa ἀσπασμός Matth. 23, 7; Col.
4, 18,
233
Polykarpbrief den Schluss gegeben: ἀμήν᾽ ἡ χάρις, aber
weniger abgeschmackt ist dies darum doch nicht, weil Gregor
der Grosse es schön fand (vgl. oben $. 88).
Doch auch, was diesem „ Punctum“ der syrischen Schreiber
vorangeht, kann ein Verständiger nicht geschrieben haben, am
wenigsten am Schluss eines Briefes. Die Uebersetzung wird
viele Worte ersparen und andere begründen. „Es betet an
mein Geist das Kreuz, welches ist ein Anstoss den Ungläubigen,
euch aber zur Erlösung und zum- ewigen Leben. Es wurde
verborgen vor dem Fürsten dieser Welt die Jungfrauschaft der
Maria und die Geburt des Herrn (und sein Tod) 1), und drei
Geheimnisse des Geschreies, welche vollbracht wurden in der
Stille Gottes von Seiten des Sterns. Und von da an?), in
der Offenbarung des Sohnes begann aufzuhören die Zauberei
und alle Fesseln zu verschwinden, und das alte Reich und der
Irrtthum der Bosheit war vernichtet. Von da an wurde Alles
zumal erschüttert, und Auflösung ‘des Todes wurde bedacht,
und es nahm seinen Anfang, was in Gott vollendet war.“ Es
war doch wohl gerathener, wenn Cur., p. 286 angesichts
dieses Textes und insbesondre in Bezug auf die drei Ge-
heimnisse urtheilte, es sei nicht leicht, den genauen Sinn
dieser Worte zu erkennen, als so eigenthümliche Auslegungen
zu wagen, wie sie z. B. Lips. I, 128—136 erwähnt und
weiterführt. Nach dem, was oben $S. 212f. vgl. 187 über
das Verhältnis des Fragments XIII zu Scur. und über den
Werth des cod. y bemerkt worden ist, ist es gerathen, Jie
Lesart χαὶ ὁ ϑάνατος αὐτοῦ mit oder ohne vorangehendes
ὁμοέως, in den Text aufzunehmen. Aber die Anknüpfung der
drei Geheimnisse durch x« ist beiden Handschriften des Scur.
gemein. Dass dies für Den, der vom griechischen Text her-
kommt und diesen richtig versteht, „unsinnig‘ erscheint, ist
gewiss, aber darum auch das Weitere, dass weder Ignatius,
noch sein syrischer Uebersetzer so geschrieben hat, wohl aber
der Schreiber des Archetypus von 8 und y. Dessen „Un-
1) Vgl. über diese und andere Varianten oben $. 187. 213 £.
2) Vgl. Petermann ὃ. δῦ.
234
sinnigkeit“ und „Unverstand“ bestand aber, wenn er wirk-
lich so harte Worte verdient haben sollte, darin, dass er
nicht merkte, die drei vorher genannten Thatsachen seien eben
die drei Geheimnisse, und daher diese durch sein καί geradezu
absonderte, indem er es wahrscheinlich dem Leser völlig
überliess, die drei Geheimnisse zu errathen. Dann war es
völlig gleichgültig, ob vorher der Tod des Herm erwähnt
war oder nicht, und dieser kam, um so leichter in Wegfall,
wenn in der syrischen Uebersetzung entsprechend dem griechi-
schen Text ursprünglich ὁμοίως καὶ ὃ ϑάνατος αὐτοῦ oder
τοῦ κυρίου stand, wodurch das dritte Stück als Anhängsel
charakterisirt war, über welches hinweg sich das Folgende
wieder an die Erwähnung der Geburt Jesu anschloss. Was
sich Scur., sei er nun Uebersetzer oder Epitomator einer
Uebersetzung, bei seinen Worten eigentlich gedacht habe, hat
Niemand deutlich gemacht. Auch Lips. I, 132 verzichtet
darauf und begnügt sich, nachdem er die Worte zu, io
tasao als eine sinnlose Uebersetzung auf ἀπὸ τοῦ ἀστέρος ZU-
rückgeführt, dem so entstandenen griechischen Text zu einem Sinn
zu verhelfen. Dem Uebersetzer würde ich nun schon von
vornherein nicht gerne zutrauen, dass er den baaren Unverstand
niedergeschrieben habe, es fehlt dafür an unzweideutigen Bei-
spielen bei ihm. Es empfiehlt sich mehr, ein grändliches
Textverderbnis anzunehmen, welches entweder durch das etwas
gewaltsame Abkürzungsverfahren des Scur. entstanden, oder
schon von ihm vorgefunden ist. Aber das gewagte Unter-
nehmen, einen zugestandener Massen sinnlosen syrischen Text
auf einen griechischen Text zurückzuführen, hilft auch zu
nichts. Denn ἀπὸ τοῦ ἀστέρος !) kann ja ebensowenig heissen
„vom Stern an“, d. i. „seit Erscheinung des Sterns“, als
ἀπὸ τῆς πόλεως „seit Gründung der Stadt“. Aber auch diese
Unmöglichkeit zugegeben, so wäre gesagt, dass unmittelbar
1) 80. heisst’s auch noch im Text bei Lips. II, 194. Die Deutung
davon I, 132. Die Auslegung der Stelle überhaupt wird festgehalten
0,9 Anm. 1.
28ὅ
nach 1) der Erscheinung des Sterns die drei Geheimnisse des
Gesehreies in der Stille Gottes vollbracht worden seien. Auf
die unmittelbare Folge würde gerade Gewicht gelegt; es bliebe
freilieh unbegreiflich, warum überhaupt die Erscheinung des
Sterns statt der dadurch angezeigten Geburt Christi als Aus-
gangspunct dieser göttlichen Thätigkeit genannt wäre; aber
jedenfalls wäre man verpflichtet, die drei Geheimnisse des
Geschreies in der nächsten Zeit nach dem Matth. 2 Erzählten
nachzuweisen, was Niemand auch nur versucht zu habeh
scheint. Man hat sich ferner gestattet, die drei Geheimnisse
des Gresehreies in drei geheimnisvolle Rufe zu verwandeln ver-
möge einer Exegese, die allerdings auch auf biblischen Gebiet
noch vorkommt ?), und diese dann entweder in dem drei-
thenigen Engelgesang Luc. 2, 14 (Cur. 286) oder in den
Himmelsstimmen Matth. 3, 17; 17, 5, — und endlich sei es
Ime. 1, 26 ff. oder Matth. 1, 20f. wiederzufinden ὃ. Was
die Vollbringung dieser Rufe eigentlich sein soll, ist mir
nicht verständlieh. Sind die drei Rufe selbst die Ereignisse,
die unmittelbar nach Erscheinung des Sterns geschehen sein
sollen, 80 passt weder ein Engelgruss, der vor der Geburt
Christi erfolgt ist, noch die Himmelsstimmen, die ans Ende
des Lebens Christi fallen; aber diese Rufe sind auch nicht
in der Stille Gottes „vollbracht worden“ und sind keine
dem Teufel verborgene Geheimnisse. Gerade bei Matthäus,
der sichtlich su Grunde liegt (vgl. Lips. II, 9f.), besteht ein
80 deutlicher Zusamimenhang zwischen den durch wenige Zeilen
getrennten Worten der Himmelsstimme Matth. 3, 17 und
dem Wort des Teufels Matth. 4, 3, dass kein auf Matthäus
fussender Schriftsteller daran denken konnte, jener Ruf sei
dem Teufel verborgen geblieben. Sind aber nicht die Rufe
1) Wie man sagt ano deinvov; vgl. Kühner, ausführliche griechische
Gr. II, 396 (2. Aufl.).
2) Ich denke an die noch immer gewöhnliche Erklärung von τὸ
βδέλυγμα τῆς ἐρημώσεως Matth. 24, 15.
3) So Lips. I, 133. In II, 9 erklärt er sich nicht ganz abgeneigt,
nach Volkmar als letzten Ruf Marc. 14, 37 oder Matth. 27, 54 gelten
zu lassen.
236
gemeint, sondern vielmehr das darin ausgesprochene Ge-
heimnis selbst, so schmilzt die Dreiheit zur Einheit zusammen,
und das eine Geheimnis der Gottessohnschaft Christi wird
gerade vom Teufel und seinen Geistern nach der synoptischen
Darstellung früher und unverhohlener bezeugt. als von irgend
welchen Menschen ’). Ich bekenne, es nicht zu verstehen,
wie man sich bei einer solchen Fülle von Unmöglichkeiten
beruhigen kann. Vergeblich sncht man auch nach einer
Antwort auf die Frage, was dieser ganze Erguss am Schluss
eines Briefs bedeute. An einen Satz, welcher den Vorzug
schweigsamer Tüchtigkeit vor redseliger Nichtigkeit ausspricht,
schliesst dieser angebliche Ignatius die Versicherung seiner
Verehrung des Kreuzes Christi, welches den Ungläubigen ein
Aergernis ist, den Gläubigen aber zum Heil gereicht, und
kommt von da auf die Verborgenheit der Heilsthatsachen . vor
dem Tenfel. Soll überhaupt hier noch ein Zusammenhang
erkanut werden, 80. bestelt ein solcher zwischen der Erkennt-
nislosigkeit der Ungläubigen und der des Teufels und dann
wieder zwischen dieser und dem Untergang der Herrschaft des
Teufels. Aber was die mit c. 18 beginnende Gedankenreihe
hervorgerufen habe, bleibt bei Scur. ein μυστήριον σεσιγημένον,
weil er die Warnung vor den Irrlehrern, welche das Kreuz
wie den geheimnisvollen Lebensanfang Jesu nicht erkennen,
aus seinem Text verloren hat. So kann es denn in der That
den Anschein gewinnen, als habe sich Ignatius durch eine
schlechthin unmotivirte Anspielung an 1 Cor. 1, 18—24 ver-
leiten lassen „im Folgenden das Christenthum als die neue
Religionsökonomie erscheinen zu lassen“ (Lips. I, 126) und
damit dann seinen Brief ebenso geschmacklos als dem Anlass
unangemessen zu schliessen.
Am Polykarpbrief ist wiederum der Schluss sonderlich
bezeichnend, an welchem sich, wie schon gezeigt wurde,
Kenntnis der nacheusebianischen Briefe verrieth. Aber die Er-
innerung an den Antiochenerbrief diente dem Epitomator nur
1) Vgl. ausser Matth. 4 noch 8, 29; Marc. 3, 11; 5, 7.
237
dazu, einen verständlichen Satz zu gewinnen und damit den ganzen
Text abzubrechen. Die letzten Sätze lauten: „Ich freue mich
an euch zu aller Zeit“ (ὁ. 6). „Der Christ hat nicht Gewalt
über sich selbst, sondern Gott zu dienen, ist er bereit“ (c. 7).
„Ich grüsse Den, welcher gewürdigt werden wird, nach
Antiochien zu gehn statt meiuer, wie ich dir befohlen habe“
(6. 8). Das ist’s, was von c. 7 u. 8 des ursprünglichen Briefs
übriggeblieben ist. Die Nachrichten über die persönliche
Lage des Briefverfassers, die Aufträge an Polykarp, die Grüsse
an viele Einzelne, deren Liebe Ignatius in Smyrna erfahren
hat, kurz Alles, was dem Brief den Briefcharakter sichert,
liess der Epitomator weg. Was für ein Interesse hätte auch
für ihn die Familie des Epitropus und der liebe Attalus und
die theure Alke haben sollen! Aber die Sentenz in c. 7
gefiel ihm. Einen besseren Beweis dafür, dass sie ihrem ur-
sprünglichen Zusammenhang entrissen sei, gibt es gar nicht,
als das Urtheil von Lipsius I, 99, es sei eben eine ganz
allgemein gehaltene Sentenz, gerade in ihrer Isolirung
wirksam, nach deren Zusammenhang zu fragen unerlaubt
sein soll. |
Mehrere solche wirksame Sentenzen hat Scur. auch aus
Rom. 6—10 ausgewählte Diese 5 Kapitel sind bei ihm
nach Abrechnung der eingeschobenen Stücke aus Trall. 4. 5
auf 7—8 Zeilen des syrischen Drucks zusammengeschmol-
zen. Eine der Sentenzen ist das berühmte ὁ ἑμὸς ἔρως
ἐσταύρωται (c. 7); aber unmittelbar davor steht: „Schmerzen
der Geburt erheben sich wider mich“ (c. 6). Im griechischen
Text fliesst dort Alles so untadelig fort, dass Lipsius in Bezug
auf c. 6 bekennt, von den gewöhnlichen Kriterien, an wel-
chen er den Interpolator sonst erkannt habe, im Stich ge-
lassen zu sein (I, 142; II, 177f.) So wird denn auch in der
Ausgabe II, 200 die zu zweit genannte Sentenz ihrem Zu-
sammenhang wiedergegeben. Die syrischen Fragmente werden
zu Hülfe genommen, um die Lücke auszufüllen, und es wird
somit principiell anerkannt, dass Scur. wenigstens stellenweise
nur Auszug aus der in den Fragmenten und in A vor-
liegenden inhaltreicheren Uebersetzung der ignatianischen
288
Briefe ist. Und das eben ist's, was die obigen Unter-
suchungen erwiesen haben.
Im ersten Stadium der durch die Auffindung des Scur.
veranlassten Verhandlungen hat man seitens der Vertheidiger
seiner Ursprünglichkeit den Gegnern bis zur Ermüdung oft
eine Beantwortung der Frage abgefordert, welche Gründe
den Epitomator zu seinen Weglassungen bestimmt haben
sollten. Aber erstlich wurde die Frage ganz unrichtig ge-
stellt, wenn man an einen exeerpirenden Uebersetzer dachte
(8. oben 8. 190). Nur unter dieser Voraussetzung hatte es
ja einen Sinn, von unverantwortlicher Nachlässigkeit, be-
trüglicher Unterdrückung kostbarer Relignien eines hoch-
verehrten Märtyrers und überdies eines syrischen Apostel-
schülers zu reden. Existirte aber längst vor dem Urheber
dieser abgekürzten Textgestalt eine ziemlich weit verbreitete
Uebersetzung der 7 Briefe, so konnte ein Mönch des 6., viel-
leicht auch des 5. Jahrhunderts bei allem Respect vor dem
Ganzen das Beste aus dem Guten auswählen, so gut wie
Andere einzelne Reden und Briefe des Basilius oder Enagrins
oder Johannes Monachus abschrieben und auch Auszüge aus
solchen Schriften veranstalteten (Cur., introd., p. 33; Corp.,
p. 341f. 348f. 357. 359). Nach einem Grund der Aus-
lassungen ist da niemals zu fragen, am allerwenigsten aber
auf kirchenpolitische oder dogmatische oder gar historisch
kritische Bedenken als Motiv zu rathen (so Cur., introd.,
p. 35. 37. 65). Höchstens nach dem Gesichtspunct und
Zweck der Auswahl wäre zu fragen. Deutlich ausgesprochen,
aber nicht streng befolgt ist derselbe in fr. I (8. oben 8. 197).
Gar keinen besonderen Zweck werfolgte der Schreiber des
fr. I. Er schrieb aus, was ihm besonders wohlgefiel, er-
baulich oder geistvoll erschien, und nachdem er den Ignatius
durchblättert hatte, nahm er die apostolischen Constitutiomen
vor. Auch in Scur. ist ein bestimmter Zweck der Auswahl
nicht erkennbar; gewiss aber darf man diesem Epitomator
nicht wie Merx (p. 80) das kirchenrechtliche Interesse des
fr. I unterschieben. Denn er gibt nicht Sätze, welche Art
und Geltung kirchlicher Canones haben; dann würde ar gewiss
239
Kapitel wie Eph. 4—6 nicht weggelassen und den Römer-
brief nicht aufgenommen haben. Er gibt aber überhaupt
nicht Sätze, sondern gerade dadurch steht Scur. eigenthümlich
da, dass er den Briefen einigermassen das Ansehn von Briefen
lässt, dass er nieht Auszüge aus ihnen, sondern dass er sie
im Auszug gibt und daher, wo er grössere Stücke ausstiess,
einen gewissen Zusammenhang herzustellen sucht. Wie wenig
ängstlich er dabei verfährt und wie wenig er dabei auf
Täuschung abzielende Künste anwendet, haben die vorhin
angeführten Beispiele doch wohl zur Genüge gezeigt. Er be-
ginnt jeden Brief anscheinend mit der besten Absicht, alles
Wesentliche, für apätere Zeiten noch Werthvolle daraus auf-
zunehmen; aber allmählig erlahmt er. Daher die auffallende
Erscheinung, dass Pol. 1-6 fast unverkürzt geblieben sind,
e 7 u. 8 dagegen fast ganz ausfielen. Gerade so verhält
sich’s mit Rom. 1—5 einerseits und 6—10 ‚andrerseits. Nur
der Epheserbrief trägt eigentlichen Excerptcharakter. Ein
Grund davon wird der verhältnismässig grosse Umfang des-
selben sein, sodann enthält dieser schon in c. 2, wie der
Brief an Polykarp erst am Schluss, der Römerbrief so gut wie
gar nicht, Personalien, für welche man schon nach einem
Menschenalter kaum mehr Interesse haben konnte. Dadurch
kam der Schreiber von vorneherein ins Excerpiren und wählte
nun hauptsächlich mehr oder weniger sententiöse Stücke aus.
Erst gegen den Schluss zogen die vorhin besprochenen heils-
geschichtlichen Erörterungen seine Aufmerksamkeit auf sich,
aber sie festzuhalten gelang auch diesen nicht. Es zeigt sich
eine Flüchtigkeit, welche das sehnliche Verlangen des Schreibers
nach dem La verräh. Ob dieser Schreiber bei seiner
Arbeit an andere Leser dachte, oder ob er nur für sich den
wesentlichen Inhalt eines Buchs, das er nicht besass, er-
werben wollte; ob er eine Vorstellung von der späteren Ver-
wendung seiner Epitome hatte oder nicht; ob er vielleicht
nur schrieb, weil er schreiben sollte, alles das sind Fragen,
welche man ebensogut aufwerfen könnte, welche aber ebenso-
wenig beantwortet zu werden verdienen, als diejenige, deren
Beantwortung ich hiermit schliesse. Es erscheint mir auch
240
unnöthig, noch zu zeigen, dass im Fall der Ursprünglichkeit
der in Scur. vorliegenden Textgestalt, dem Interpolator, welcher
diesen ächten Ignatius zu den 7 Briefen, wie sie Euseb las,
erweitert hätte, ein durchaus undenkbares Verfahren zuge-
schrieben werden müsste. Es ist in dieser Hinsicht schon von
Denzinger und Uhlhorn das Ausreichende geleistet worden.
Dieselben 7 Briefe, welche Euseb als die einzigen ibm
bekannten und von Niemand bezweifelten Briefe des Ignatius
aufzählte, welche Athanasius las und vielleicht noch zu dessen
Lebzeiten Pseudoignatius *) umarbeitete und erweiterte, sind
spätestens um die Mitte des 4. Jahrhunderts ins Syrische
übersetzt worden. In derjenigen Gestalt, welche in der medi-
ceischen Handschrift, der lateinischen Uebersetzung der
gleichen Sammlung und der armenischen Uebersetzung wesent-
lich unversehrt erhalten ist und auch aus den Trämmern der
syrischen Uebersetzung wie aus der Umarbeitung des Inter-
polators wiedererkannt werden kann, sind diese Briefe der
Gegenstand der folgenden Untersuchungen.
1) Die Ausnahme, von der oben $. 128. 161 ff, die Rede war, kann
hier ausser Betracht bleiben.
1
Der geschichtliche Gehalt der Briefe des
Ignatius und des Polykarpus.
rn
Die bisherige Untersuchung der Verbreitung und mannig-
fachen Verarbeitung der ignatianischen Briefe führte 'uns
nicht über die Zeit Eusebs hinauf, bot aber auch weder An-
regung noch Mittel zur Ausdehnung der Kritik auf die
7 Briefe, welche sich als ursprünglicher Kern der ignatiani-
schen Literatur herausgestellt haben. In ihnen selbst müsste
beides liegen. Daher muss vor jeder Erörterung der Aecht-
heitsfrage der im weiteren Sinn geschichtliche Gehalt der
Briefe auf exegetischem Wege gewonnen werden, was um 80
leichter gelingen wird, wenn man diese Briefe vorläufig für
das nimmt, als was sie sich geben und wofür das kirchliche
Alterthum sie gehalten hat. Mit ihnen muss aber und
kann unbedenklich Polykarps Brief an die Philipper ver-
bunden werden; denn wenige Wochen. oder höchstens Monate
nach jenen und mit deutlicher Beziehung auf dieselben will
dieser geschrieben sein, so dass Diejenigen, welche die Briefe
des Ignatius überhaupt oder ihre in den Sammlungen U und
A erhaltene Gestalt für eine literarische Fiction erklärt haben,
sich genöthigt sahen, ihr Urtheil auf den Brief Polykarps
Zahn, Ignatius. 16
242
auszudehnen, während eine Beanstandung der Aechtheit des
Polykarpbriefes bei gleichzeitiger Annahme der Aechtheit der
ignatianischen weder bisher vorgekommen ist, noch auch zu
erwarten steht, da die kritische Thätigkeit stets von der
Verwendbarkeit ihrer Ergebnisse abhängig ist.
1. Die Christenverfolgung zu Antiochien und der Process
des Ignatius.
Die vier Briefe an die Gemeinden zu Rom, Ephesus,
Magnesia und Tralles schreibt Ignatius in Smyrna, nahe der
Mitte des Wegs von Antiochien nach Rom, wohin er unter
Bewachung von 10 Soldaten transportirt wird, um dort im
Thierkampf zu sterben. Dass wir über alles das, was ihn in
diese Lage gebracht hat, aus seinen Briefen überaus wenig
auch nur errathen können, hat nicht bloss in seiner energisch
dem bevorstehenden Martyrium zugewandten Stimmung seinen
Grund; es fehlte auch der Anlass zu Mittheilungen dieses
Inhalts, da die drei genannten asiatischen Gemeinden ihn
durch Gesandte in Smyrna begrüsst hatten, und durch
diese, welchen Ignatiuss nach mehrtägigem Verkehr seine
Briefe mitgab, Alles erfahren konnten, was sie in dieser
Hinsicht zu wissen wünschen mochten. Dass auch den Römern
sein Brief durch persönlich Bekannte überbracht wurde, kann
man noch nicht aus den Worten γράφω δὲ ὑμῖν ταῦτα δι᾿
᾿Εφεσίων (ὁ. 10) schliessen. So konnte er sich füglich aus-
drücken, wenn die ephesischen Gesaudten den Brief auch nur
bis Ephesus mitnahmen, um ihn von dort aus durch irgend
eine passende Gelegenheit auf dem Seeweg nach Rom zu be-
fördern. Sehr wahrscheinlich aber ist es doch, dass jener
Croeus, welcher offenbar als Glied der ephesischen Gemeinde
die übrigens aus Geistlichen zusammengesetzte Gesandtschaft
der Epheser nach Smyrna begleitet und dort dem Märtyrer
248
ganz "besondere Liebe bewiesen hat (Eph. 2), eben deshalb
auch im Römerbrief allein von allen Christen, mit denen
Ignatius in jenen Tagen verkehrt hat, und unmittelbar nach
den vorhin angeführten Worten genannt wird !), weil Crocus
sich erboten hat, Ueberbringer des Briefs nach Rom zu sein.
Aber schon von Syrien aus sind mehrere Christen ihrem Bischof
vorangeeilt ?), so dass auch die römische Gemeinde nicht erst
durch seinen Brief von seiner Verurtheilung und der Christen-
verfolgung in Antiochien zu benachriehtigen war. So verstand
sie auch unmittelbar, was wir erst aus den Angaben der
später von Troas aus geschriebenen Briefe sicher erkennen,
welche besondere Lage seiner Gemeinde Ignatius im Sinn
hatte, wenn er bat: „Gedenket in eurem Gebet der Gemeinde
in Syrien, welche statt meiner Gott zum Bischof hat. Jesus
Christus allein wird sie [als Bischof] beschützen und euere
Liebe.“ 3)
Die Christenverfolgung, deren Opfer Ignatius ist, ist nach
seiner Voraussetzung noch im Gang, während er in Smyrna
verweilt.e. Aber in Troas erreicht ihn die Nachricht, dass
seiner Gemeinde der Friede wiedergeschenkt ist (Phil. 10.
Sm. 11. Pol. 7). Die Ausdehnung oder vielmehr die örtliche
Beschränkung der Verfolgung ist deutlich angezeigt. Die
römische Gemeinde, wie die sämmtlichen asiatischen Ge-
meinden, mit welchen Ignatius in Berührung kommt, er-
1) c. 10. Wie eine Erläuterung des δι᾿ Ἐφεσίων wird diese Be-
merkung durch de ans Vorige angeknüpft. Damit möchte auch die
Frage von Lips. I, 87 erledigt sein.
2) c. 10: περὲ τῶν προελθόντων μὲ ἐπὸ Συρίας εἰς Ῥωμην εἰς
δόξαν τοῦ ϑεοῦ, πιστεύω ὑμᾶς ἐπεγνωχένω, οἷς καὶ δηλώσατε ἐγγύς μὲ
ὄντα. Dieser Text des oolb. bedarf keiner Correctur; das selbstverständ-
liche αὐτούς ergänzt sich leicht zu ἐπεγνωχέναι. Die Aenderungen
προςελϑόντων Li G? L2, vielleicht auch A?, συνελϑόντων Metaphr.
taugen nichts. Mit colb. stimmt wahrscheinlich Al. Völlig abweichend
ist mart. syr. Moes., p. 10, 7.
3) Bom. 9. Cf. Eph. 21. Trall. 13. Mgn. 14. An letzterer Stelle
ist die antiochenische Gemeinde als ein von der glühenden Hitze der
Verfolgung versengtes Feld vorgestellt, das nach einem erfrischenden .
Thaue verlangt.
16*
244
freuen sich ungestörter Ruhe. Abgesehn davon, dass jede im
anderen Fall unvermeidliche Andeutung des Gegentheils fehlt,
und dass die Bemühungen dieser Christen um den Märtyrer
und die Zumuthungen, welche er ihnen in Bezug auf seine
Gemeinde macht, dies voraussetzen, so betont Ignatius auch
wiederholt den Unterschied seiner und ihrer Lage in einer
Weise, dass man erkennt, die asiatischen Gemeinden stehen
nicht unter dem Druck einer Verfolgung ἢ). Wir hören nicht
einmal eine deutliche Warnung vor allzugrossem Vertrauen
auf diesen Frieden, welche dem Ignatius nach seinen Er-
fahrungen besonders nahe liegen musste. Nur die Gemeinde
der Stadt Antiochien ist betroffen worden; denn der in allen
vier von Smyrna aus geschriebenen Briefen wiederkehrende
Ausdruck τῆς ἐν Συρίᾳ ἐκκλησίας (Rdm. 9. Eph. 21. Mgn. 14.
Tr. 13) kann nichts Anderes bedeuten, als der an den ent-
sprechenden Stellen der drei späteren Briefe (Phil. 10.
Sm. 11. Pol. 7) ebenso constante Ausdruck τὴν ἐκκλησίαν τὴν
ἐν ᾿Ἡντιοχείᾳ τῆς Συρίας. Dass es sich in.der That nur um
diese städtische Gemeinde handelt, deren Bischof Ignatius ist,
zeigt sich auch darin, dass er sich diese Gemeinde, welche
jetzt wieder „in den Hafen eingelaufen‘“ ist, gottesdienstlich
versammelt vorstellt, wenn die Abgesandten der asiatischen
1) Mgn. 12. Eph. 12. Vgl. dazu Smith, schol., p. 73. Vielleicht
gehört auch Trall. inser. dahin, wenn nämlich dort nach ΟΝ 1,3 nvev-
ματι statt einer, dann aber doch τῷ πώϑει (ohne das χαί des 1,1 und
die Aenderungen in 65) nach G1 gelesen wird: „welche Frieden hat im
Fleisch und Geist (ἃ. i. innerlich und äusserlich, cf. Rom. inser.
Mgn. 13. Trall. 12) durch das Leiden Jesu Christi“. Uebrigens finden
sich gerade in diesem Briefe leise Andeutungen davon, dass eine
feindliche Reibung mit der heidnischen Umgebung keine fernliegende
Möglichkeit ist, ο. 8: μὴ ἀφορμὰς δίδοτε τοῖς ἔϑνεσιν, ἵνα μὴ di’
ὀλίγους ἄφρονας τὸ ἐν ϑεῷ πλῆϑος βλασφημῆται. Darauf führt auch,
was Ignatius c. 3 von dem Bischof der Trallianer urtheilt: ὃν λογέ-
ζομαι καὶ τοὺς ἀϑέους ἐντρέπεσϑαι, nämlich wegen derselben Tugend
der πραότης, welche Ignatius dieser Gemeinde ganz besonders empfiehlt
e. 7. 8. Aber auf einen Zustand förmlicher Bedrängnis um des christ-
lichen Bekenntnisses willen weist dies alles ebensowenig als die Er-
mahnungen Eph. 10.
245
Gemeinden ihr ihre Glückwünsche bringen (Phil. 10). Somit
werden auch „die nächstgelegenen Gemeinden“, welche das
bereits gethan haben, worum Ignatius die fernerliegenden
bittet (Phil. 10), wirklich in nächster Nähe Antiochiens,
gleichfalls in Syrien zu suchen sein. Auch diese sind dann
aber von der Verfolgung nicht mitbetroffen worden, zu deren
glücklichem Ende sie der antiochenischen Gemeinde haben
Glück wünschen lassen. Es handelt sich also nicht um eine
von der Obrigkeit angeordnete, systematisch betriebene und
auf Unterdrückung des Christenthums im Reich oder auch
nur in einer Provinz berechnete, sondern um eine ganz locale
und ganz momentane Verfolgung, wie sie zuerst unter Trajan
der steigende Volkshass in einzelnen Städten und Gegenden
hervorrief ἢ. Ueber den besonderen Anlass ebenso wie über
den Verlauf und den Grund des Aufhörens sich unwissend
zu bekennen, ist gerathener, als der späten Fabel bei Johannes
Malalas zu folgen (vgl. oben S. 66ff. und Anh. II, 3). Als
Fabel erweist sich die Nachricht, dass Ignatius in Antiochien
aus Anlass eines Erdbebens im Beisein Trajans das Martyrium
erlitten habe, auch in der Hinsicht, als die Briefe, welche
doch jedenfalls die ältesten Zeugnisse für die Geschichte des
Ignatius sind, von einer Begegnung desselben mit dem Kaiser
überhaupt nichts verrathen. Gerade ein solches Ereignis
müsste sich irgendwie wiederspiegeln in der Darstellung seiner
Folgen. Es ist aber nur die Welt überhaupt, unter deren
Hass das Christenthum dermalen steht ?), und es sind die
1) Eus. ἢ. 6. III, 32: Mer« Νέρωνα χαὶ Δομετιανὸν χατὰὶ τοῦτον,
οὐ νῦν τοὺς χρόνους ἐξετάζομεν, μερικῶς χαὶ κατὰ πόλεις ἐξ ἐπανα-
στάσεως δήμων τὸν χαϑ᾽ ἡμῶν κατέχει λόγος ὠνακινηϑῆναι διωγμόν.
2) Rom. 3: ov πεισμονῆς τὸ ἔργον, ἀλλὰ μεγέϑους ἐστὶν ὁ Χριστια-
γισμός, ὅταν μισῆται ὑπὸ χόσμου. Der Schreibfehler des colb. σιωπῆς
μόνον für πεισμονῆς hat alle anderen Zeugen gegen sich. Ebenso steht
colb. vereinsamt mit seiner Weglassung von ὅταν — χόσμου. Li (3
(wo fov τοῦ χόσμου schreiben) L2 Scur. Mart. syr. Α1 A2 Timoth.
Ρ. 210 stimmen hier wesentlich überein, Metaphr. hat ein grösseres Stück
ausgestossen (Cler. II, 167; Dress. p. 360), so dass Jakobsons und
Dressels Bemerkungen zu der Stelle mir völlig unverständlich sind. Die
240
ἄϑεοι, die ἔϑνη, vor denen man auf seiner Hut sein muss
(Trall. 8. 3).
Als anerkannt kann jetzt wohl gelten, dass Ignatius nach
dem Zeugnis seiner Briefe in Antiochien rechtskräftig zum
Tode verurtheilt worden ist. Er nennt sich nicht nur wieder-
holt einen χατάχριτος au Stellen (Rom. 4. Eph. 12. Tr. 3),
deren Zusammenhang jede, ohnedies schon unleidliche, geist-
liche Deutung des Ausdrucks ansschliesst, sondern spricht
auch vom Thierkampf als dem ihm bevorstehenden Schicksal
mit einer Bestimmtheit, welche bei der Unsicherheit des
Ausgangs derartiger Processe nur dann denkbar ist, wenn das
dahin lautende Urtheil bereits in aller Form gefällt war.
Seine ganze Reise unter der lästigen Begleitung und unfreund-
lichen Behandlung der 10 Soldaten nennt er darum einen
beständigen Thierkampf. Auf die Thiere, die für ihn bereit-
stehn, freut er sieh; er sieht schon, wie sie ihn umringen
und er sie reizen oder mit Gewalt auf sie losgehn wird,
wenn sie ihn nicht anpacken wollen. Ihre Zähne sollen ihn
zermalmen, ihr Leib sein Grab werden (Rom. 4. 5. Eph. 1.
Tr. 10. Sm. 4). Wenn er neben so breiter Ausführung und
häufiger Wiederholung dieser einen Vorstellung von seinem
Ende auch einmal „Feuer und Kreuz“ und alle „bösen
Qualen des Teufels“ als Uebel nennt, die ihn nicht mehr er-
schrecken, so werden das steigernde Ausdrücke dafür sein, dass
er bereit sei, noch Schlimmeres, als was ihm bevorsteht,
— denn für härter als der Kampf mit den Bestien galten jene
Todesstrafen — zu erdulden. Es kann an der Bestimmtheit
seines Schicksals auch nichts ändern, wenn er einmal fragt
(Sm. 4): Τί δὲ καὶ ἑαυτὸν ἔκδοτον δέδωκα τῷ ϑανάτῳ πρὸς
πῦρ, πρὸς μάχαιραν, πρὸς ϑηρία; Denn in der That hat er
sich allen diesen möglichen Todesarten preisgegeben, als er
im entscheidenden Augenblick mit seinem Bekenntnis nicht
zurückhielt, ohne zu wissen, wie das Urtheil lauten werde.
Zusetzung eines μώλιστα hat gar keinen Grand in Lı, welcher durch
„utique“ stets das ἄν in ὅταν übersetzt. Χριστιανισμιός ist gegen Χριστια-
vös geschützt dnrch eolb. 14 Bcur. At ΑΞ,
247
Wenn er in der Antwort auf jene Frage (ἐγγὺς μαχαίρας,
ἐγγὺς ϑεοῦ, μεταξὺ ϑηρίων, μεταξὺ ϑεοῦ) ausser den Thieren
nur noch das Messer nennt, so wird er hier, wo er vom
Standpunct der Gegenwart nach der Verurtheilung redet, an
das Schwert des Confectors denken, welches bekanntlich
den Opfern des Thierkampfes oft den Todesstoss versetzen
musste.
Ein entscheidender Beweis dafür, dass die förmliche Ver-
urtheilung in Antiochien stattgefunden hat, liegt im Inhalt
und in der Absicht des Römerbriefs. Während in den übrigen
Briefen die Erfüllung seiner Sehnsucht nach dem Martyrium
nur insofern von dem Willen und Verhalten der angeredeten
Christen abhängig erscheint, als Ignatius ihrer Fürbitte bedarf,
um bis ans Ende fest bleiben und alle inneren und äusseren
Versuchungen überwinden zu können, steht im Vordergrund
des Römerbriefs nicht die Bitte um Fürbitte, welche begreif-
licherweise auch hier nicht ganz fehlt (c. 3. 4. 8), sondern
die Bitte, Alles zu unterlassen, was ihn an der Erreichung
seines Ziels hindern könnte. Von ihrem Verhalten (c. 4. 6),
und zwar von ihrem Schweigen (c. 2), hängt es so völlig ab,
ob sein Wunsch in Erfüllung geht oder nicht, dass er sagen
kann: „Wenn ich leide, habt ihr es gewollt; wenn ich ver-
worfen werde, d. i. wenn ich des Martyriums verlustig gehe,
habt ihr mich gehasst“ (c. 8).. Wenn sie nur wollen, wird
sein Wunsch, nicht ferner nach Menschenweise zu leben, un-
fehlbar in Erfüllung gehn (6. 8), und indem sie schweigen,
setzen sie ihren Namen als Stifter und Erbauer auf ein un-
vergleichlich schönes Werk (c. 2). An die Stelle der gött-
lichen Hülfe als Bedingung des Gelingens, welche nur im
Eingang eben nicht verschwiegen wird (c. 1), tritt ein ἐάν
und ἐάνπερ nach dem andern, welches ein Einschreiten der
römischen Christen zu seinen Gunsten als einzig denkbares
Hindernis hinstellt.e. Mag man der Aufregung, in welcher
dieser Brief mehr als die anderen geschrieben ist, noch soviel
zugut schreiben, so wäre diese Ausdrucksweise doch durch-
aus unverständlich, wenn das, was Ignatius fürchtet, eine
Intercession der Römer bei Gott, eine Fürbitte für seine Er-
248
haltung wäre ἢ. Was könnte er von einem Gebet fürchten,
welches ihm nur als Ausfluss fleischlicher Liebe und un-
würdiger Menschengefälligkeit (c. 2), also als Auflehnung
gegen Gottes Willen erscheinen müsste! Denkt er aber an
eine Intercession bei den irdischen Gewalthabern, so wäre
dennoch sein Ausdruck unerklärlich, wenn erst in Rom der
Process geführt werden sollte. Freisprechung, Deportation,
Bergwerksarbeit und dergleichen mehr waren Möglichkeiten,
welche ihn dem Tod entreissen konnten, und zwar vom Ver-
halten der Römer unabhängige Möglichkeiten, solange das Urtheil
noch nicht gesprochen war. In den Gang des Processes
konnten die Römer schwerlich eingreifen; am wenigsten war
es ihnen ein Leichtes (c. 1), bestimmend darauf einzu-
wirken. Wohl aber war es ihnen ein Leichtes gerade in Rom,
zu thun, was Ignatius fürchtet, nämlich Appellation beim
Kaiser einzulegen. Man hat längst nachgewiesen, wie durch-
sichtig bei dieser Deutung der Bitte des Ignatius an die
Römer der ganze Brief wird (vgl. besonders Uhlh., S. 267 £.).
Es war Rechtsgrundsatz, Appellationen anzunehmen, gleichviel
ob der Verurtheilte selbst oder ein Andrer in seinem Namen
sie einlegte, ob der Appellirende vom Verurtheilten Auftrag
hatte oder nicht, ihm verwandt war, oder nicht. Selbst eine
wider den Willen des Verurtheilten eingelegte Appellation
war wirksam. Das wäre der Fall der römischen Christen
Ignatius gegenüber gewesen, aber nur dann, wenn, wie er
sagt, der Anfang wohl besorgt war (c. 1), wenn er in An-
tiochien verurtheilt worden war. Und nur, wenn ein Andrer
als der Kaiser sein Richter gewesen war, war überhaupt eine
Appellation möglich, nämlich die an den Kaiser (vgl. Rein,
Criminalrecht, S. 234. 269). Das m. colb., welches den
Kaiser in Antiochien das Todesurtheil sprechen lässt, wider-
spricht also ebensosehr dem Römerbrief, wie das m. vat.,
welches den Process nach Rom verlegt. Beide lassen keine
Möglichkeit für ein wirksames Einschreiten der Römer.” Es
fragt sich nur, was dem Ignatius den Gedanken an ein solches
1) So Hilgenfeld, apostolische- Väter, S. 200f.
249
Einschreiten 1), so nahe legte, dass er eben deshalb einen ab-
mahnenden Brief an sie richtete. Vorbereitet auf ihn und
interessirt für ihn sind sie durch die antiochenischen Christen,
welche ihrem Bischof nach Rom vorangereist sein werden,
um ihm in seinen letzten Augenblicken nahe zu sein und
alle erdenkliche Liebe zuzuwenden (c. 10). Aber gerade. von
diesen scheint Ignatius keine Beeinflussung der Römer in der
bezeichneten Richtung zu befürchten. Er hat für sie nur
Worte der Empfehlung. Es wird also die Erwägung der be-
sondern Art und Stellung gerade der römischen Christen sein,
was ihm Furcht vor ihrer Liebe (vgl. c. 1) einflösst. Schon
in der Grussüberschrift betont er die hervorragende Stellung,
welche die römische Gemeinde als Gemeinde der Welthaupt-
stadt und ganz besonders in Werken der Liebe einnehme.
Wir wissen ferner, dass es schon am Einde des ersten Jahr-
hunderts der römischen Gemeinde nicht an vornehmen Mit-
gliedern und mannigfachen Beziehungen zu den höchsten
Kreisen fehlte 3); erfreute sie sich ausserdem damals einer un-
belästigten Lage, so lag der Gedanke besonders nahe, dass die
römischen Christen versuchen würden, eine Revision des wahr-
scheinlich unter dem Druck einer feindseligen Volksstimmung
geführten antiochenischen Processes zu veranlassen. Leicht
war das allerdings, weil durch die Gesetze geschützt. Ignatius
sagt nicht, dass es den Römern ein Leichtes sei, seine Frei-
sprechung zu bewirken, oder mit anderen Worten, dass ihre
Appellation gewiss von Erfolg sein werde 8), sondern nur dies
1) Ob ein Beispiel solcher Appellation zu Gunsten eines verurtheilten
Christen nachzuweisen ist, weiss ich nicht. Die von Cotelier zu Rom. 1
angeführten Stellen zeigen nur, wie sehr sich die Christen bemühten,
gefangene Christen zu befreien (Luc. de morte Petegr. 12; Eus. h. e.
VI, 40; const. ap. V, 1. 2) und selbst Verurtheilte durch Geld los-
zukaufen (const. ap. IV, 9. Das war dann von Seiten der Behörden
ein unerlaubtes dimittere (vgl. oben S. 65 Anm. 1; cf. Plin. ad Tra). 31
[al. 40], 5), woran aber in Rom selbst nicht zu denken war.
2) Vgl. meinen Hirt des Hermas, ὃ. 45 ff. 118f. 243. 2971.
3) Ganz im Stil des Dalläus, der in dieser Hinsicht von Pearson
für immer hätte widerlegt sein sollen, fragt auch noch Hilgenfeld
250
sagt er, dass, wenn irgend etwas,. dann die unzeitige Liebe
der Römer, ihr Reden und Einschreiten, seinem Wunsch
binderlich werden könnte, und dass somit die Römer allein
die Verantwortung für den einen oder andern Ausgang der
Sache tragen.
2. Die Reise des Ignatius.
Wie in Bezug auf die strafrechtliche Seite der Geschichte
des Ignatius die Martyrien in unversöhnlichem Widerspruch
mit den Briefen selbst und der älteren Ueberlieferung stehen,
so gerade das Anspruchsvollste derselben auch rücksichtlich
des Reisewegs und der Reiseerlebnisse. Es ist merkwürdig
zu sehen, wie selbst ein Ussher (Cler. II, 775), weil er durch
das von ihm entdeckte Martyrium gefangen ist, sich gegen-
über Baronjus in empfindlichen Nachtheil setzen muss, um
die Uebereinstimmung zwischen Martyrium und Briefen auf-
recht zu erhalten. Auch Uhlhorn, welcher gegenüber dem
unkritischen Verfahren Baur's mit Recht so energisch auf
reinliche Sonderung der durch die Briefe bezeugten That-
sachen von allen martyrologischen Nachrichten dringt (S. 248)
lässt sich in diesem Punete durch das m. colb. beherrschen
($. 270), ohne sich mit dem unüberwindlichen Widerspruche
der Briefe gegen dasselbe irgendwie auseinanderzusetzen. Nach
diesem Martyrium ist Ignatius zur See nach Smyrna gelangt;
dagegen haben die älteren Historiker '), welche die Briefe
wirklich gelesen haben, meines Wissens sämmtlich heraus-
gelesen, dass er zu Land durch Asien transportirt worden sei.
8. 200: „War denn aber das, was die Römer auf dem Weg der Appel-
lation ausrichten konnten, ein so leicht zu erreichender Erfolg?“
1) In Bezug auf Hieronymus und Rufin, die hier nicht in Betracht
kommen, vgl. 8. 45, Anm. 1; 8. 48, Anm. 2.
251
Eusebius ist unmisverständlich: „Und während er nun die
Reise (ἀναχομιδήν) durch Asien unter sehr sorgfältiger Be-
wachung machte und von Stadt zu Stadt die Gemeinden, in
welchen er sich aufhielt, durch mündliche Reden und An-
weisungen stärkte, ermahnte er sie vor allem, sich vor den
eben damals zuerst aufkommenden Häresieen zu hüten, und
ermunterte sie, festzuhalten an der Ueberlieferung der Apostel,
welche er der Sicherheit halber auch bereits durch schrift-
liches Zeugnis darzustellen für nöthig hielt. So in Smyrna
eingetroffen, wo Polykarp war, schreibt er einen Brief an die
Gemeinde zu Ephesus“ u. s. w. Also vor seiner Ankunft in
Smyrna ist alles das schon geschehen, was der erste Haupt-
satz sagt; nur der angehängte Relativsatz greift vor; und ein
anderes Ergebnis wird keine unbefangene Lektüre der Briefe
herausbringen. Man hat freilich in diesen selbst Widersprüche
finden wollen, welehe die Beziehung der fraglichen Stellen un-
deutlich machen würden. Wenn der Römerbrief von Smyrna
aus geschrieben sein wolle (c. 10), so vertrage sich damit
nicht der dort zu lesende Auftrag, den syrischen Christen in
Rom zu melden, dass er nahe sei’); und da von letzterem
Satz eine Spur in Scur. geblieben ist, von ersterem nicht, so
muss die Ortsangabe des griechischen Briefs ein Irrthum
heissen. Selbst das m. colb. wird, sobald es den Wünschen
entspricht, unbedenklich zur Kritik der griechischen Briefe
herangezogen 3. Aber nur die abkürzende Fassung des Scur.:
„nunmehr bin ich nahe [daran], nach Rom zu kommen“ ’°),
schliesst einen Widerspruch gegen die Abfassung in Smyrna
ein, oder wäre doch befremdlich bei der grossen Entfernung
von Rom, die man jedoch nicht nach den Daten des Mar-
tyriums auf eine Reise von vier Monaten taxiren sollte. Der
griechische Text setzt nur voraus, dass Ignatius nahe bei
Rom sein wird, wenn die Römer in Besitz seines Briefes und
1) So Cur., p. 323ff. und Bunsen 11, 47.
2) Cur., p. 324 cf. introd. LXXXIIlsag.
3) p. 54, 3. Das ? des cod. y (p. 304) scheint unerlässlich; was
aber das oo bedeute, weiss ich nicht.
252
und somit in der Lage sind, seinen Auftrag auszurichten.
Und wie sollte er dann, nach wochenlanger Reise des Brief-
überbringers, nicht in der Nähe von Rom sein? Eher
könnte man fragen, wie Ignatius mit Bestimmtheit darauf
rechnen konnte, dass sein Brief, welcher von Smyyna über
Ephesus, also auf dem damals unberechenbaren Seewege be-
fördert wird, vor ihm in Rom eintreffen werde. Aber es ist
noch gute Jahreszeit !), und während die zu Fuss marschiren-
den Soldaten mit ihrem Gefangenen sich unter der Gluth
der Augustsonne nicht allzusehr beeilen werden, hat das Schiff,
welches den Brief nach Italien trägt, noch keine Stürme zu
fürchten. Noch weniger lässt sich die grössere Nähe des
Abfassungsortes bei Rom aus den Anfangsworten des Briefes
schliessen ®); denn auch eine Begegnung mit einigen nach
Puteoli oder sonstwohin ihm entgegenreisenden Römern würde
ihn nicht berechtigen, zu sagen: „weil ich's auf mein Gebet
zu Gott erlangt habe, eure sehenswürdigen Angesichter zu
sehen“ (s. Anh. I, 8). Es versteht sich von selbst, dass
Ignatius, da er noch nicht in Rom ist, sein ἐπέτυχον nicht
im Sinn einer vollkommenen Erfüllung seiner Bitte meinen
kann. Sein Gebet ist erhört, und er ist dieser Erhörung
gewiss geworden durch den Richterspruch oder die möglicher-
weise davon zu unterscheidende Anordnung seiner Ueberführung
nach Rom. Dass er die Römer sehen wird, ist hiemit ent-
schieden; daher hofft er nun auch, dass das Weitere, was
1) e. 10: ἔγραψα δὲ ὑμῖν ταῦτα τῇ πρὸ ἐννέα Καλανδῶν Zenreu-
βρίων d. i. am 24. August, wie A®, oder wahrscheinlich vielmehr der
Herausgeber des mart. arm., richtig hinzusetzt, während ΟἹ den
23. August, ΑἹ den 22., mart. syr. (Moes., not. 53) den 21. August
angeben. Den ursprünglichen Text, welcher nur die lateinische Datirung
bietet, haben L! ΟΣ L? Metaphr. bewahrt.
2) So Cur., p. 325 mit Berufung auf Voss, p. 293, von dem er sich
nur auch ein richtigeres Verständnis der Stelle hätte aneignen sollen.
Unverständlich bleibt auch, wie Cur., indem er au Act. 28, 15 erinnert
nicht bedenkt, dass das Martyrium, welchem er in diesem Zusaminen-
hang Gewicht beilegt, nur auf dem kurzen Weg von Portus bis Rom
für eine solche Begegnung Raum hat.
253
Inhalt seines Gebetes war (vgl. Buns. I, 115), ihm gewährt
werde, dass er nämlich zum Martyrium gelange, oder, wie
hier mit starker Betonung des δεδεμένος gesagt wird, dass
er als Gefesselter in Christus und nur so sie begrüsse.
Dies hängt noch davon ab, ob es Gottes Wille ist, dass er
bis ans Ende sei, was er ist, nämlich ein Gefesselter, ein
zum Martyrium Bestimmter ἢ. Der Ausdruck ist nicht glück-
lich, aber über eine Begegnung mit römischen Christen in
der Nähe Roms sagt die Stelle nichts, und ein Selbstwider-
spruch des griechischen Römerbriefs, der alle weitere Mühe
illusorisch machen würde, liegt nicht vor.
Wie Ignatius nach Smyrna gekommen ist, sagt er nicht
deutlich mit den Worten: ἀπὸ Συρίας μέχρι Ῥωμης ϑηριο-
μαχῶ διὰ γῆς καὶ ϑαλάσσης (c. 5). Es ist nicht viel dagegen
zu sagen, wenn Voss (ad Riv., p. 23 cf. p. 7), welcher nach
den Briefen und Euseb eine Landreise nach Smyrna annahm,
darauf hinwies, dass hier eben nicht von der Reise bis
Smyrna geredet sei; und dass im Blick auf die ganze Reise
bis Rom auch an die damals noch bevorstehende Ueberfahrt
über das ägäische und nachher über das jonische Meer ge-
dacht sein könne; oder wenn Ussher (Cler. II, 175) und
Pearson (III, 54) das διὰ γῆς auf die kurze Landreise von
Antiochien bis Seleucia ?) und den Aufenthalt in Smyrna be-
zogen, die Ueberfahrt von Seleucia nach Smyrna aber fest-
hielten. Eine dritte Möglichkeit, welche mir den Ausdruck
natürlicher erscheinen lässt als jene beiden, wäre die, dass
der Soldatentrupp, um den Umweg zu vermeiden, eine Fahr-
gelegenheit von Seleucia bis zu einem cilicischen oder pam-
phylischen Hafen benutzt und erst von da aus den Landweg
genommen hätte, geradeso wie er später von Troas nach
1) Es liegt kein Grund vor, das εἰς τέλος εἶναι zu ändern oder
etwas Anderes zu ergänzen als ein tonloses es aus δεδεμένος, oder wie
Metaphr. interpretirt: οὕτως. Auch Eph. 14 bildet eis τέλος nicht etwa
mit εὐρεϑὴ zusammen das Prädikat nach Analogie von Rom. 2. Eph. 21,
sondern ist ein ‚bis ans Ende “ zur Näherbestimnung des ohnedies voll-
ständigen Prädikats.
2) Nach Strabo XVI, 2, 7 beträgt die Entfernung 120 Stadien,
204
Neapolis überfuhr, um erst in Philippi in die via Egnatia
einzulenken, anstatt auf der Heerstrasse zu bleiben, der er
bis dahin gefolgt, und bei Dyme die Egnatia zu erreichen.
Dass die Reise wenigstens vorwiegend Landreise war, folgt
unweigerlich aus Rom. 9, zu welcher Stelle Pears. III, 57
bemerkt: hie locus accuratam explicationem postulat ut cum
passione conspiret. „Es grüsst euch mein Geist und die
Liebe der Gemeinden, welche mich aufgenommen haben auf
den Namen Jesu Christi, nicht wie einen Vorüberreisenden.“
Den Gegensatz ZU οὐχ ὡς παροδεύοντα positiv auszudrücken
fand Ignatius nicht nöthig, aber es versteht sich auch wohl
von selbst, dass er nicht, wie bei Smith (schol., p. 103), lauten
würde: ac si essem eorum episcopus, sondern: „als ob ich
bei ihnen zu Hause wäre“? Von mehreren Gemeinden ist
er so aufgenommen worden, und es fragt sich doch sehr, ob
die Begrüssung durch Gesandte der Gemeinden von Ephesus,
Tralles und Magnesia eine Aufnahme von Seiten dieser Ge-
meinden genannt und so die erforderliche Mehrzahl heraus-
gebracht werden kann, zumal Ignatius sich umgekehrt so aus-
zudrücken pflegt (Eph. 1. Trall. 1), er habe in Smyrua die
Gemeinden in ihren Vertretern empfangen. Das Folgende
entscheidet dagegen: καὶ γὰρ ai μὴ προσήκουσαί μοι τῇ ὁδῷ,
τῇ κατὰ σάρκα, κατὰ πόλιν μὲ προῆγον. ewiss ist zunächst,
dass Ignatius unter ὁδός nicht seine bischöfliche Jurisdietion ver-
stehen kann, wie Smith (schol., p. 103) meint. Abgesehn davon,
dass Ignatius nur Bischof von Antiochien ist, wäre nicht zu
zu sagen, wo diejenigen Gemeinden zu suchen wären, von
welchen er die μὴ προσήκουσαι steigernd (χαί) unterscheidet,
da es sich überhaupt nur um kleinasiatische Gemeinden
handeln kann. Wie schon die Nähe von παροδεύοντα an
die Hand gibt, ist ὁδός der Reiseweg, und fleischlich nennt
er diesen im Gegensatz zu der innerlichen Zugehörigkeit 1),
1) Vgl. Buns. I, 121. Darnach ist zu verstehen das unmittelbar
vorhergehende ἐσπάζεται ὑμᾶς τὸ ἐμὸν πνεῦμα und Eph. 1: Ὀνησίμῳ
τῷ ἐν ἀγάπῃ ἐδιηγήτῳ, ὑμῶν δὲ ἐν σαρκὶ ἐπισχόπῳ. Vermöge der
Liebe gehört er Allen und so auch dem Ignatius an, äusserlich nur den
Ephesern und zwar als ihr Bischof.
255
durch welche er sich wie mit allen Christen, so auch mit
denjenigen Gemeinden verbunden weiss, „welche nicht an
seinen Weg heranreichten‘“, oder, was sowohl dem μοι statt
μου, als dem προσίκειν am meisten entsprechen dürfte:
„welche nicht vermöge des Weges schon, den er machte, mit
ihm in Berührung kamen‘. Diese zogen vor ihm her, kamen
ihm zuvor von Stadt zu Stadt, so dass er überall oder doch
an mehreren Puncten seiner Reise ausser der Gemeinde des
Ortes auch noch Vertreter abseits gelegener Gemeinden antraf
und somit von den asiatischen Gemeinden überhaupt sagen
konnte, nicht wie einen Vorübergehenden nur hätten sie ihn
begrüsst. „Geleiten‘“ !) heisst προάγειν nicht, sondern wenn
nicht „hervor- und herausführen“ (Act. 12, 6; 25, 26) oder
„vorwärts drängen‘, was beides hier keinen Sinn gibt, nur
noch „vor einem hergehen * 5) im Gegensatz zum Nachfolgen.
Auch sachlich ist jene Auffassung unmöglich; denn es fehlt
in den Briefen jede Andeutung davon, dass Ignatius bis
Smyrna in Begleitung irgend eines Christen gereist sei. Erst
von Smyrna aus fand ein προπέμπειν von seiten der Epheser
und Smyrnäer durch den Diakonus Burrhus statt (Eph. 2.
Sm. 12. Phil. 11); und Pearson gibt eine schlechte Probe
von der erforderlichen „genauen Erklärung“, wenn er sich
dieses Geleiten so denkt, dass die Gemeinden oder ihre Ver-
treter an der Küste hingelaufen seien, während Ignatius zu
Schiff reiste. Die Küstenfahrt, selbst wenn man sich dieselbe
gegen den Sinn des Martyriums durch häufige Landungen
unterbrochen denkt), bot keine Gelegenheit zu einem
προάγειν κατὰ πόλιν im wirklichen Sinne des Ausdrucks; denn
woher sollten die Gemeinden der nicht an diesem Wege, also
1) Pearson (III, 57) und Andere, wie z. B. Dressel (S. 173), die ihm
folgen, erklären es für synonym mit προπέμπειν und vergleichen Tit. 3, 13.
Näher hatte schon wegen der Verbindung mit δέχεσθαι Pol. 1 ge-
legen.
2) So Pol. ὃ; Marc. 11, 9 und überall bei den Synoptikern. Scur.
und Li haben es auch hier so verstanden.
3) Dies hält Denzinger S. 67 für möglich, erklärt sich aber 8. 68
bereit, nöthigenfalls die Acten preiszugeben.
warn
256
landeinwärts gelegenen Städte, wie Magnesia und Tralles, die
Nachricht von der Reise des Ignatius und von den einzelnen
in Absicht genommenen Landungsplätzen rasch genug be-
kommen haben, um die jedesmal nächste Hafenstadt vor ihm
zu erreichen, und wie wäre es zu erklären, dass das Schiff
gerade bei Ephesus, der bedeutendsten Stadt auf dem Wege
von Seleucia bis Smyrna und der einzigen, wo damals unsers
Wissens eine christliche Gemeinde existirte, nicht anlegte! In
Ephesus aber ist Ignatius nicht gewesen, denn nur in ihren
Abgesandten, welche ihn in Smyrna begrüssten, hat er die
dortige Gemeinde kennen gelernt (Eph. 1), und nur brieflich
setzt er sich mit ihr in Verbindung (Eph. 9). Also bliebe
schliesslich doch wieder die Gemeinde zu Smyrna allein
übrig als Vertreterin der Classe von Gemeinden, welche schon
vermöge des Weges, den Ignatius nahm, mit ihm in Be-
rührung kamen. So viel Unmöglichkeiten sich bei dieser
Erklärung ergeben, so einfach gestaltet sich die Sache bei
Annahme des Landweges. Derselbe führte ihn ebensowenig
über Magnesia und Tralles als über Ephesus. Denn obwohl
dies nur von den Ephesern ausdrücklich gesagt wird, gilt es
doch ohne Frage von allen drei Gemeinden, dass sie auf die
Nachricht von seinem Transport von Syrien nach Rom nach
Smyına herbeigeeilt seien, ihn zu sehen 1), d. ἢ. ihn durch
Gesandtschaften zu begrüssen, deren Grösse im umgekehrten
Verhältnis zur Entfernung von Smyrna steht. Vom nächst-
gelegenen Ephesus kommt der Bischof Onesimus, die Presbyter
Euplus und Fronto ®2) und der Diakonus®) Burrhus, endlich
noch Crocus (vgl. oben 8. 242f.), von Magnesia der Bischof
Damas, die Presbyter Bassus und Apollonius und der Diako-
nus Zotion (Magn. 2), von Tralles nur der Bischof Polybius
1) Eph. 1, 8. Anh, I, z. ἃ, St.; Mgn. 2. 15; Tr. 1.
2) Dass diese Presbyter sind, ergibt sich aus der Art, wie Eph. 4
das Verhältnis des ephesischen Pres byteriums zum Bischof beschrieben
wird.
3) Vgl. das τοῦ συνδούλου μοῦ Eph. 2 mit demselben Ausdruck
als ständigem Prädikat der Diakonen Mgn. 2; Phil. 4; Sm. 12.
257
(Tr. 1. 3). Die Schwierigkeiten, welche Cureton !) in diesen
Thatsachen gefunden hat, könnten überhaupt nur entstehen,
wenn es Eph. 1 hiesse, dass die Nachricht von des Ignatius
Ankunft in Smyrna die Gesandtschaften veranlasst habe,
in welchem Fall ein noch längerer Aufenthalt in Smyrna als
ohnedies angenommen werden müsste. Und in der That, wäre
Ignatius zur See gereist, ohne in Ephesus oder einer nahe-
gelegenen Stadt vor Smyrna zu landen, so würde man zu der
Annahme genöthigt sein, dass erst nach seiner Ankunft in
Smyrna eine Kunde von ihm zu den übrigen Gemeinden ge-
langt wäre und seinen ganzen Verkehr mit ihnen veranlasst
hätte. Aber die Nachricht, welche denselben veranlasste,
lautet eben anders und zwar so, dass sie von jedem landein-
wärts gelegenen Orte, welchen. Ignatius berührt, viel eher
nach Tralles, Magnesia und Ephesus gelangen konnte, als
Ignatius selbst in Smyrna eintraf. Aus Rom. 9 ferner haben
wir gesehen, dass die Gesandten in mehreren Fällen, also doch
wohl auch in dem vorliegenden, bei dessen Anlass Ignatius
den Römerbrief schreibt, vor ihm hergezogen, also vor ihm
in Smyrna eingetroffen sind.
Mit Bestimmtheit ergibt sich die Wahl des Landwegs
1) p. 314. 326 ff. 330. Uebrigens erweckt Cureton übertriebene Vor-
stellungen von den Entfernungen, wenn er für den hier fraglichen Fall
von Magnesia bis Smyrna 3 Tagereisen rechnet. Von Smyrna bis
Ephesus sind’s nach Strabo (XIV, 2, 29: cf. XIV, 1, 2) 320 Stadien.
Thomas Smith (Septem eccles. Asiae notit., ed. 2, p. 44), der 1671 die
Gegend bereiste, schätzte die Entfernung auf 46 miles. Prokesch (Denk-
würdigkeiten II, 90) machte den Weg in einem Ritt von 13 Stunden.
Von Ephesus nach Magnesia sind’s 120 Stadien (Strabo 1. 1.) oder 15 mil.
(Plin. h.n. V, 29 8 114 ed. Sillig). Wenn Cureton nach Chandler
(Travels in Asia ‚minor, p. 208) anführt, dass Picenini auf diesem kleinen
Weg sich 11 Stunden aufgehalten hat, so hätte er auch bemerken sollen,
dass schon Chandler p. 209 erinnert, der müsse Umwege gemacht
haben. Die Wege sind dort heute nicht wie zur Zeit Trajans be-
schaffen; aber Welcker (griechische Reise II, 153f.) ritt den Weg in
6 Stunden, dann in 9 Stunden trotz einiger Umwege von Magnesia bis
Tralles, was nach Strabo 1. 1. 140 Stadien, nach Plinius 1. 1. wenig mehr,
nämlich 18 mil., nach Smith p. 44 etwa 16 miles sind.
Zahn, Ignatins, 17
258
auch daraus, dass einige jener Irrlehrer, vor welchen die Ge-
meinden so vielfach gewarnt werden, von Ephesus kommend,
dem Ignatius auf seinem Wege begegnet sind (Eph. 9). Die
leicht verständlichen, aber sonderbar misverstandenen Worte
sind: Ἔγνων δὲ παροδεύσαντάς τινας ἐκεῖϑεν, ἔχοντας κακὴν
διδαχήν ἢ. Die Meinung zunächst, dass in einem von Smyrna
aus nach Ephesus gerichteten Briefe ἐκεῖϑεν heissen könne
„von hier (Smyrna) aus“, gedenke ich nicht zu bestreiten,
obwohl sie von Jakobson, Bunsen (II, 38), Dressel u. A. ver-
treten wird. Noch weniger ist einzusehn, warum Ignatius
in mysteriösem Tone — denn dies und nicht Nachlässigkeit
wäre es — auf den famosen Ausgangsort jener: Irrlehrer hin-
weisen sollte, anstatt ihn einfach zu nennen, wenn er ihn
nicht völlig auf sich beruhen lassen wollte®). Der Grund,
welchen man gegen die einzig mögliche Beziehung auf
Ephesus °) anzuführen pflegt, dass nämlich nach Eph. 6 dort
keine Häresie zu Hause sein soll, spricht doch dagegen nicht,
dass jene Iırlehrer von Ephesus aus eine Reise gemacht haben,
auf welcher sie dem Ignatius begegneten. Dass sie Glieder
der dortigen Gemeinde gewesen oder auch nur dauernd und
mit Erfolg dort gewirkt haben, wird freilich durch c. 6
ausgeschlossen, zumal es dort weiter heisst: „Ja, ihr hört
1) Nur die unrichtige Vorstellung vom Reiseweg bestimmt Arndt
(Handschrift) hier eine prägnante Construction anzunehmen: „die bei
der Durchreise d’ort (d. h. durch Ephesus) ohne Aufenthalt von dort
abgereist sind“.
2) Gegen Uhlhorn, 8. 38, dessen Auslegung Lips. I, 114 billigt.
Weım übrigens letzterer mit G® und A statt ἐχεῖϑεν gelesen haben will
δι᾽ ὑμῶν, so ist zu bemerken, dass A nach Petermann „ad vos“ gibt und,
wie Petermann richtig bemerkt, &xeisev unübersetzt lässt. Da ein
Aufenthalt der Irrlehrer in Ephesus in Folgenden vorausgesetzt ist, so
lag es nahe, das &xeisev, worin das nur mittelbar gesagt war, durch
einen deutlicheren Ausdruck zu ersetzen. Uebrigens ist in ΟΣ das δι᾽
ἡμῶν nicht einmal sicher; denn des 18. ex vobis, welches bei diesem
Uebersetzer = vestrum ist, führt auf ἐξ ὑμῶν, was ein älterer Ersatz
für ἐχεῖϑεν sein muss als du’ ὑμῶν. Der dreifache Versuch, das ἐκεῖϑεν.
zu verdrängen, bestätigt nur die Acchtheit dieser Lesart von G1 Li.
3) Vgl. Baur II, 29; Hilgf., 8. 191.
259
nicht einmal auf einen Anderen ausser Christus“. Aber ganz
dasselbe wird ja aueh hier von den Ephesern gerühmt: sie
haben jene ihren bösen Samen dort nicht ausstreuen lassen,
haben ihre Ohren verstopft, um das, was jene säen, nicht
aufzunehmen ). 80 „wohnt“ also in der That dort „keine
Häresie“. Aber von dort aus sind jene Leute, nachdem sie
in Ephesus keinen Eingang gefunden, weitergegangen, und
als Vorbeireisende hat Ignatius sie kennen gelemt. Etwas
anderes heisst παροδεύσαντας ἔγνων nicht. Die von Baur
(II, 29; vgl. Hilgf., S. 191) behauptete, aber nicht belegte Be-
deutung „einen Nebenweg oder einen vom rechten völlig
verschiedenen Weg gehn‘, was dann „euphemistische Be-
zeichnung des unvermeidlichen Verderbens‘“ dieser Leute sein
soll , ist jedenfalls unzulässig, solange ἐχεῖϑεν dasteht; und
die sehr seltene Bedeutung „hindurchwändeln oder durch-
wandern“ 3) erfordert erstlich ein Accusativobject des Ortes
und würde zweitens an der Thatsache doch nichts ändern,
dass Ignatius sie als Reisende kennen gelernt 8), ihnen also
irgendwo begegnet ist‘). Da kein anderer Punct genannt ist,
an welchem sie vorbeireisten, so versteht sich von selbst, dass
Ignatius dieser Punct ist. So kann also dieser nicht zu Schiff
nach Smyrna gekommen sein; denn in diesem Falle war
kaum ein solches παροδεύειν der Irrlehrer, geschweige denn
eine persönliche Berührung mit ihnen möglich. Die gewöhn-
1) Uhlh. a. a. Ὁ. verdirbt den Sinn, indem er das textkritisch
feststehende εἀέσατε (G! 1,1, indirect auch G2 1,3, zweideutig ist A, und
Seur. fehlt) zum Imperativ macht.
2) Lucian Scytb. 10: παροδεύσας τηλικαύτην πόλιν. Das πάροδος
des Ignatius (Eph. 12) führt sich, wie später zu zeigen, nicht auf diese
Bedeutung des Verbs zurück.
3) γινώσκειν mit acc. cum part. bedeutet bei Ignatius nie die Be-
nachrichtigung von einer Thatsache, sondern stets das, wenn auch nur
zwittelbare, Kennenlernen des Objects in der bezeichneten Eigenschaft.
Men. 3. 11. Tr. 1.
4) Wenn Uhlhorn einträgt „bei euch“, so scheint das auf Einfluss
von ΟΣ zurückzugehen, welcher wie so oft ohne alles Verständnis für
die individuelle Charakteristik der Situation eine Plattheit an die Stelle
der scheinbaren Dummheit setzt.
17*
260
liche Reise von Antiochien nach Ephesus oder Smyrna war
überhaupt die Laudreise. Darnach berechneten syrische
Bischöfe späterer Zeit die Entfernung (vgl. Euagr. I, 3). Der
Antiochener Agathopus, der, wie wir nachher sehen werden,
hinter Ignatius hergereist ist, um ihn so bald wie möglich
zu erreichen, reist durch Cicilien und über Philadelphia nach
Smyrna; und als später Ignatius die Smyrnäer auffordert,
einen Gesandten nach Antiochia zu schicken, ist ihm dieser
ein ϑεοδρόμος (ad Polye. 7), wahrlich ein wunderlicher
Ausdruck, wenn er ihn sich zu Schiff reisend vorstellt. Wie
wenig er an diese Möglichkeit auch nur denkt, zeigt sich
recht, wo er solche Boten im Gegensatz zu Briefen, die man
einem von ihnen mitgibt, Fussgänger nennt (ad Pol. 8).
Die vier von Smyrna aus geschriebenen Briefe geben uns
nur die Gewissheit, dass Ignatius auf dem Landweg, und dass
er nicht über Tralles, Magnesia und Ephesus, also nicht auf
der alten κοινὴ ὁδός. die von Apamea herkommend das
phrygische Laodiceea mit den genannten drei Städten und
weiterhin mit Smyrna verbindet 1), dorthingekommen ist.
Daraus schliessen wir aber mit Sicherheit, dass er von Sardes
hergekommen ist; und es muss von vornherein für wahrschein-
lich gelten, dass er in Sardes die grosse Strasse verlassen hat,
welche sich in Laodicea mit der vorhin. genannten kreuzte
und über Hierapolis und Philadelphia nach Sardes führte, dann
aber weiter über Thyatira, Pergamus, Troas ging und bei
Dyme in die via Egnatia einmündete ἢ. Dann hat er vor
Smyrna eine Reihe von Städten berührt, in welchen christ-
liche Gemeinden zuverlässig existirten, Laodicea, Hierapolis,
Philadelphia, Sardes, vielleicht vorher schon Colossä u. a.;
dann konnte z. B. von Laodicea aus die Nachricht von seiner
Durchreise, von Richtung und nächstem Ziel der Weiterreise
viel früher in Tralles, Magnesia und Ephesus eintreffen, als er
selbst in Smyrna. Wenn er nun von allen Gemeinden, mit
denen er direct oder durch Vermittelung ihrer Gesandtschaften
1) Strabo XIV, 2, 29; ef. XIV, 1, 38. 89, 42.
2) Itin. Anton. ed. Wesseling, p. 33629.
261
in Berührung gekommen war, den Römern Grüsse bestellt, so
wird er wahrscheinlich nur die gewiss oft vorgekommene
Bitte, „alle Brüder zu grüssen“, so specialisirt haben. Ganz
ebenso bestellt er den Magmesiern (c. 15) Grüsse von „den
übrigen Kirchen“, ausser von den Ephesern und den an dieser
Stelle durch Polykarp vertretenen Smyrnäern. Da der Weg
des Bischofs von Tralles über Magnesia zurückführt, können
die Trallianer nicht gemeint sein, und ohnedies erfordert der
Plural auch hier eine Mehrheit von Gemeinden, mit welchen
ausser den genannten Ignatius in letzterer Zeit in Berührung
gekommen ist. Dass darunter die zu Philadelphia gewesen
ist ἢ, erfahren wir aus dem später von Troas aus an dieselbe
gerichteten Briefe. Gleich der Eingang desselben zeigt, dass
Ignatius unter Anderen ihren Bischof persönlich kennen ge-
lernt hat; denn nur den unmittelbaren Eindruck der Per-
sönlichkeit können die Worte wiedergeben: οὗ καταπέπληγμαι
τὴν ἐπιείκειαν, ὃς σιγῶν πλείονα δύναται τῶν μάταια λαλούν-
των. . .«.- «Τιὸ μακαρίζει μου ἡ ψυχὴ τὴν εἰς Θεὸν αὐτοῦ
γνώμην, ἐπιγνοὺς ἐνάρετον καὶ τέλειον οὖσαν. So wird er
denn, obwohl die Form des vorangehenden Satzes eine solche
Auffassung zuliesse, es nicht von Anderen erfahren, sondern
in persönlichem Verkehr erkannt haben 3), dass dieser Bischof
sein Amt nicht von sich selbst oder durch Menschen oder
gar vermöge eitlen Ehrgeizes, sondern in Liebe. zu Gott und
Christus empfangen habe und führe. Man hat angenommen,
1) Eingesehen haben dies Whiston (primit. Christianity reviv'd
I, 76 sq.), Smith (schol., p. 83 sq.), Hilgenfeld (S. 202), Kist (ὃ. 81),
Dressel (S. 176); aber nirgend finde ich daraus die richtigen Consequenzen
gezogen. Nirschl's Meinung (die Briefe des Ignatius, S. 136 f.), dass
Ignatius von Smyrna aus mitsammt seiner militärischen Begleitung
einen „Abstecher‘ nach dem ein „paar Stunden “ entfernten Philadelphia
habe machen können, ist nur ein warnendes Beispiel kritikloser Ver-
ehrung des m. colb. Auch Whistons Versuch (p. 76 sqq.), zu zeigen,
dass ursprünglich ein in Cilicien gelegenes Philadelphia gemeint und erst
durch den Zusatz τῆς “σίας in Gl οὗ Li A verdrängt sei, bedarf heute
keiner Widerlegung mehr.
2) Das ἔγνων cum inf. ist nach dem Enıyvovs cum part. zu er-
klären, vgl. oben S. 259, Anm. 3,
262
dass Gesandte der Philadelphener in Troas den Märtyrer be-
grüsst haben 1), wie andere vorher in Smyrna. Aber es liegt
auf der Hand, dass dann eine dankbare Erwähnung davon im
Brief an die Philadelphener ebensowenig fehlen konnte, als
in Eph. 1; Magn. 2; Trall. 1. Es würde ferner, um vom
Brief an Polykarp zu schweigen, der etwas hastig zum Schluss
eilt, in dem an die Smyrnäer ein Gruss der Philadelphener neben
dem der Christen zu Troas um so unzweifelhafter eine Stelle
gefunden haben (Sm. 12; cf. Phil. 11), da Ignatius dort sogar
von einem einzelnen Mann und an viele einzelne Personen
Grüsse ausrichtet (c. 13). Endlich aber — und das macht
jeden Zweifel unmöglich — wird der Brief den Philadelphenern
nicht etwa durch Glieder der Gemeinde, sondern durch den
ephesischen Diakonus Burrhus übermittelt, welcher im Auftrag
der Epheser und Smyrnäer den Ignatius bis Troas geleitet
hat, nun aber mit den beiden Briefen an die Smyrnäer und
Philadelphener zurückgeschickt wird 2).
Nur in Philadelphia selbst kann also Ignatius den dor-
tigen Bischof kennen gelernt haben, und dass er die ganze
Gemeinde persönlich kennen gelernt, folgt aus ὁ. 3: οὐχ
ὅτι παρ᾽ ὑμῖν μερισμὸν εὗρον, ἀλλ᾽ ἀποδιὕλισμόν. Eine leere
Ausflucht ist es ja, wenn man Stellen vergleicht, wo er von
den Gemeinden zu Tralles, Magnesia ‘oder Ephesus redet, als
ob sie ihm persönlich bekannt wären; denn von diesen sagt
er ausdrücklich, dass er sie in ihren Vertretern nach der
Liebe gesehen ὅ), oder dass er sie im Glauben geschaut und
lieb gewonnen habe +); gegen die Philadelphener dagegen
1) 80 z. B. Düsterd, p. 19; Hefele, p. 212. Nirschl a. a. O., 8. 186
vermuthet gar in Smyrna.
2) Sm. 12; Phil. 11. Der Sinn des γράφω ὑμὶν διὰ Βούῤῥου steht
im Allgemeinen nach Rom. 10; Pol. 14; 1Petr. 5, 12 fest. Erstere
Stelle aber zeigt auch (vgl. oben 8. 242), dass Burrhus für die nicht
an seinem nächsten Wege liegende Strecke bis Philadelphia auch eine
andere Gelegenheit benutzen konnte.
3) Eph. 2: δι᾿ ὧν πάντας ὑμᾶς κατὰ ἀγάπην εἶδον. Tr. 1: ὥστε
με τὸ πὰν πλῆϑος ὑμῶν ἐν ἀυτῷ (sc. τῷ ἐπισχόπῳ) ϑεωρεῖσϑαι. Dar-
nach also ist Tr. 8 zu verstehn.
4) Mgn. 6: ἐπεὶ οὖν ἐν τοῖς προγεγραμμένοις προσαΐποις τὸ πᾶν
263
ergiesst sich seine Liebe unmittelbar ἢ. Der ganze Brief
an diese bleibt ein Räthsel, wenn :man nicht erkennt, dass
dort sehr bedeutsame Ereignisse bei Gelegenheit der An-
wesenheit des Ignatius und bald nachher stattgefunden haben.
In Troas ist Ignatius von einem antiochenischen Christen
Rheos Agathopus und dem cilicischen Diakonus Philon er-
reicht worden ?). Dass diese nicht etwa schon von Antiochien’
oder irgend einem anderen Puncte aus ihn begleitet haben,
folgt aus jedem Worte über sie. Wie konnte Ignatius, nach-
dem er den Smyrnäern für alle Liebe, die er selbst bei ihnen
und noch nach seiner Abreise 8) von ihnen erfahren, förm-
lichst gedankt hat (c. 9), ebenso ausdrücklich dafür danken,
dass sie diese beiden Männer als Diakonen Gottes aufge-
nommen haben, und der Gemeinde erzählen, wie diese jetzt
Gotte für alle in Smyrna erfahrene Unterstützung danken.
Hinter ihm drein sind sie in Smyrna eingetroffen, wahrschein-
lich in Erwartung, ihn dort noch anzutreffen. Das Gleiche
folgt aus Phil. 11. Die Aufnahme, welche diese Männer in
Philadelphia gefunden haben, gibt ihm Anlass, Gott um die
dortige Gemeinde zu danken. Sie selbst geben derselben dem
Ignatius gegenüber Zeugnis, bezeugen nämlich den im All-
gemeinen löblichen Stand des dortigen Gemeindelebens und
πλῆϑος ἐθεώρησα ἐν πέστει καὶ ἠγάπησα. Die triviale Aenderung des
letzten Wortes in ἀγάπῃ kann trotz ihrer weiten Verbreitung (L!, 1,3 Sfr.
197, 23, A) nicht aufgenommen werden, und ΟἹ hat an allen Zeugen
von (ἐδ mit Ausnahme von n — auch cod. angl. (ἃ. ἢ. wohl leicestr.)
hat nach Pears. III, 42 ἠγάπησα — ausreichende Stütze.
1) Phil. 5: ἐδελφοί μου, λίαν ἐχκέχυμαι ἀγαπῶν ὑμᾶς.
2) Phil. 11; Sm. 10. 13. Schon Voss 8. 261 erkannte, dass Ῥέος
Ayasonovs der Doppelname einer Person sei, von ΟἹ Phil. 11 durch
Interpunction, von L1 Sm. 10 vollends durch ein „et“ getrennt. Die
Häufigkeit des zweiten Namens bei den Griechen, aber auch bei semitisch
Redenden, zeigt Pears. IU, 19; vgl. Schröder, die phönicische Sprache,
S. 17.
3) Das «novre wird sich theils auf die Begleitung des von ihnen
abgesandten und ausgerüsteten Burrhus beziehen, theils auf das, was
gleich darnach erwähnt wird, auf die Liebe, welche sie um seinetwillen
den ihm nachreisenden Freunden erwiesen.
264
die dort erfahrene Liebe. Nur Einzelne, welche eben hiedurch
von der Gemeinde unterschieden werden, haben ihnen Unehre
angethan und werden darum Gegenstand einer Fürbitte für
ihre Besserung. Also über Philadelphia und Smyrna sind sie
nach Troas gereist. Jetzt erst ') sind sie bei ihm und konn-
ten in den früher geschriebenen Briefen nicht erwähnt werden.
Ausdrücklich wird ja auch gesagt, dass sie in Sachen Gottes,
um Gottes willen, hiuter ihm drein ihm gefolgt seien ®),
und nach dem unzweideutigen ἐπηκολούϑησαν in Sm. 10,
welches eine Begleitung des Tgnatius durch sie ausschliesst,
muss die an sich zweideutige Aussage über Agathopus: ὅς
ἀπὸ Svglas μοι ἀκολουϑεῖ (Phil. 11) verstanden werden.
Einige Zeit nach dem Aufbruch der Soldaten mit ihrem Ge-
fangenen von Antiochien wird sich Agathopus in der Hoff-
nung, sie irgendwo zu erreichen, auf den Weg gemacht haben.
Die za Fuss marschirenden und schon durch die Fesselung
des Verurtheilten in rascher Bewegung gehemmten Soldaten,
welche möglicher Weise noch hier und dort einen Neben-
auftrag auszurichten hatten, konnten schon zu der Reise bis
Smyrna leicht 10—15 Tage.mehr gebrauchen, als Agathopus,
wenn er sich Eile angelegen sein liess®). In Cilicien wird
1) Das νῦν in Phil. 11 kann, da es den Dienst des Agathopus mit
umfasst, nicht etwa einen Gegensatz dazu bilden, dass Agathopus schon
länger bei ihm wäre, sondern nur zu der Zeit vor beider Ankunft, in
welcher der gleich nachher erwähnte und „zugleich mit ihm“ von
Sınyrna gekommene Burrkus (ef. Sm. 12) ihm Hülfsleistung that. Durch
χαί wird diese Bemerkung über Philons jetzige Thätigkeit steigernd und
bestätigend daran angeschlossen, dass er schon ein gutes Zeugnis mitge-
bracht habe.
2) Sm. 10: οἱ ἐπηχολούϑησάν μοι εἰς λόγον ϑεοῦ. Zu letzterem
Ausdruck vgl. ἐν λόγῳ ϑεοῦ und εἰς λέγον τιμῆς (Phil. 11) oder
εἰς ϑεοῦ τιμήν (Eph. 21 zweimal); zu ἐπακολουϑεῖν vgl. 1 Tim. ὅ, 94.
Uebrigens bildet Joh. 20, 6 auch das einfache ἔρχεται... ἀχολουϑῶν
αὐτῷ einen Gegensatz zu gleichzeitigem Ankommen.
3) Von Antiochien bis Ephesus rechneten Bischöfe späterer Zeit, die
über Reitthiere, vielfach auch über die Transportmittel des cursus pabli-
cus zu verfügen hatten (gl. Stephan, das Verkehrsleben im Alterthum;
in Raumers historischem Taschenbuch 1868, 8. 95. 98), 30 Tagereisen
(Euagr. 1, 3).
᾿
265
sich ihm Philon angeschlossen haben; in jedem Wohnsitz
von Christen, den Ignatius berührt hatte, erhielten sie neue
Weisung, und in Philadelphia haben sie entweder gehört,
dass der Transport nach der langen und beschwerlichen Land-
reise eine etwas längere Rast in Smyrna zu machen beab-
sichtige, oder sie erfuhren dort noch nicht, was ja nicht
selbstverständlich war, dass das weitere Ziel Troas sei; sonst
würden sie sich natürlich den Umweg über Smyrna erspart
haben. Der eigentliche Zweck dieser aufopferungsvollen Reise
(Phil. 11), wenigstens des Agathopus, ist offenbar der, dem
Ignatius möglichst schnell die Nachricht vom Aufhören der
Verfolgung in Antiochien zu bringen. Man hätte sich die
Verwunderung darüber, dass Ignatius schon in Troas darum
wisse, und die wunderliche Meinung, dass er diese Kenntnis
einer göttlichen Offenbarung verdanken wolle 1), ersparen
können. Letztere Meinung ist schon dadurch ausgeschlossen,
dass er Phil. 10 schreibt: ἀπηγγέλη μοι, εἰρηνεύειν τὴν ἐκκλη-
σίων τὴν ἐν Avrioxela τῆς Συρίας. Einen anderen Sinn hat
das entsprechende ἐδηλώϑη μοι ad Pol. 7 natürlich nicht, und
nur sehr ungeschickte Auslegung könnte das Eintreffen dieser
Nachricht im Unterschied von der gemeldeten Thatsache als
Frucht des Gebets der angeredeten Gemeinden an beiden
Stellen bezeichnet finden. Wird doch in den von Smyrna
aus geschriebenen Briefen beharrlich die noch in Gefahr
schwebende antiochenische Gemeinde der Fürbitte der Ge-
meinden empfohlen, jetzt dagegen von Troas aus den Smyr-
näern geschrieben: „Euer Gebet ist über die Gemeinde im
syrischen Antiochien gekommen“ (Sm. 11). Wenn auch die
‘Erwähnung dieser erfreulichen Nachricht nicht das eine
Mal der Erwähnung des Agathopus und Philon unmittelbar
folgte (Sm. 10. 11), das andere Mal ihr vorangienge (Phil.
10. 11), so zwingen ja schon die nackten Thatsachen, dass
erst in Troas Agathopus zu Ignatius stösst, während kein
sonstiger Bote von Antiochien erwähnt wird, und dass Ignatius
in Troas jene Nachricht empfängt, zu der einfachen Com-
m nn ὀο Ν —
1) So z. B. Buns, II, 73; Denz., 5. 45f.
206
bination, dass Agathopus sie ihm gebracht hat. Dieser hat
ihm dann auch schon melden können, dass die zunächst bei
Antiochien gelegenen Gemeinden auf die Nachricht vom
Aufhören der antiochenischen Verfolgung, welche auch ihnen
Agathopus gemeldet haben wird, Geistliche zur Beglück-
wünschung der Antiochener abgeordnet haben (Phil. 10). Ibm
und Philon verdankt Ignatius auch die Nachrichten über
Philadelphia, welche es ihm nothwendig erscheinen liessen,
einen Brief dorthin zu richten. Wenn Agathopus und Philon
nicht bei allen Philadelphenern freundliche Aufnahme ge-
funden haben (c. 11), so verdanken sie dies ohne Frage ihrem
Verhältnis zu Ignatius ἢ). Sie müssen dort misliebige Aeusse-
rungen über Ignatius gehört haben: denn sonst wäre es un-
begreiflich, wie er nach einer Warnung vor Irrlehrern und
einer Ermahnung zur Pflege der Gemeindeeinheit in die
Worte ausbrechen kann: „Ich danke aber meinem Gott, dass
ich guten Gewissens unter euch bin, und Keiner sich zu
rühmen hat, es sei heimlich oder öffentlich, dass ich Einem
im Kleinen oder, Grossen zur Last gefallen bin“ (c. 6).
Schon die Vergleichung mit 2 Cor. 11, 9; 12, 13, welche
Hefele nicht unterlässt, hätte ihn abhalten sollen, unter der
Belastung eine Auferlegung des judaistischen Joches zu ver-
stehen. Wie hätte ihm auch von seiten der judaistischen
Gegner aufgerückt werden können, dass er gemeinsame Sache
mit ihnen gemacht habe! Auf die äussere Unterstützung und
die überschwänglichen Ehrenbezeugungen, welche die Ge-
meinden dem Bischof und Märtyrer entgegenbrachten, muss
sich die üble Nachrede beziehen, über deren Grundlosigkeit
Ignatius hier seine Freude ausspricht. Nach seiner Abreise
hat man von gewisser Seite — dem Zusammenhange nach
von seiten jener Irrlehrer, auf welche er c. 8 wieder zurück-
kommt — seine Gesinnung und sein Auftreten unter den
asiatischen Christen mehr oder weniger hinterlistig verleumdet.
1) Auf traurige Erfahrungen aus letzter Zeit bezieht sich auch das
ὥφελον πάντες αὐτὸν ἐμιμοῦντο. Sm. 12.
267
Man muss ihm vorgeworfen haben, dass er seine ausser-
ordentliche Stellung und sein moralisches Uebergewicht zu
tyrannischer Unterdrückung selbständiger Bewegungen im
Leben der Gemeinden misbraucht habe, und eben dies wird
man seine Freunde haben fühlen lassen. Dem gegenüber
beruft sich Ignatius auf sein gutes Gewissen im Rückblick
auf seinen Verkehr unter den Philadelphenern. Unzweideutig
wird dies, wenn er nun von jenen Wenigen sich zu allen
Denen wendet, unter denen er geredet hat, und ihnen
wünscht, dass sein Wort ihnen nicht im schlimmen Sinn zum
Zeugnis gereiche ἢ. Der ganze Inhalt des folgenden Capitels
und die Vergleichung mit der Bitte an die Trallianer:
Εὔχομαι ὑμᾶς ἐν ἀγάπῃ ἀκοῦσαί μου, ἵνα un εἰς μαρτύριον ὦ
ἐν ὑμῖν γράψας (6. 12), zeigt, dass es sich nicht etwa um
eine zusammenfassende Erinnerung an alles das, was er unter
den kleinasiatischen Christen geredet hat 3), handelt, sondern
um ein Reden in einem grösseren Kreise philadelphenischer
Christen, und zwar um ein einzelnes Factum dieser Art, dessen
Beschreibung erst ὁ. 8 mit den Worten schliesst: „Ich
meinerseits that, was mir natürlich war als ein auf die Ein-
heit angelegter Mensch“. Um die Anwendung jenes bi-
blischen εἰς μαρτύριον zu rechtfertigen, beruft er sich be-
sonders auf eine einzelne damals von ihm ausgesprochene
Mahnung, sich zu den Vorstehern der Gemeinde zu halten,
der Heiligung sich zu befleissigen und vor allem die Spal-
tungen zu vermeiden. Der schwierige Satz lautet, soweit der
Text mit den vorhandenen Mitteln herzustellen ist: Ἐχραύγασα,
m nn ..
1) καὶ πᾶσι δέ, ἐν οἷς ἐλάλησα, εὔχομαι, ἵνα μὴ εἰς μαρτύριον
αὐτὸ χτήσωνται. Nirschl z. d. St. verdirbt den Sinn, indem er trotz
des trennenden zad — δέ aus dem vorigen Satz anstatt aus ἐλάλησα
ein Object zu χτήσωνται ergänzt und letzteres falsch durch „ansehen “
wiedergibt. Sie sollen sich, was er geredet hat, nicht so aneignen, dass
sie daran ein sie verurtheilendes Zeugnis haben.
2) Darauf will anscheinend Denz. S. 70 hinaus. Bunsens Paraphrase
von Phil. 7 (IE, 73): „ich schrieb einen Brief, als ich unter ihnen war“
u. 8 w. ist unwiderleglich.
268
μεταξὺ ὧν 1) ἐλάλουν, μεγάλῃ φωνῇ, ϑεοῦ φωνῇ Ἶγ᾽ τῷ ἐπισχόπῳ
προσέχετε zul τῷ πρεσβυτερίῳ καὶ διαχύόνοις. ΕἸ δὲ ἢ ὑπο-
πιεύετέ “) μὲ (oder ὑπώπτευσάν [τινές] με) ὡς προειδότα 5) (oder
ὥσπερ εἰδότα) τὸν μερισμόν τινων λέγειν ταῦτα, μάρτυς δέ μοι,
ἐν ᾧ δέδεμαι, ὅτι ἀπὸ σαρκὸς ἀνθρωπίνης οὐκ ἔγνων x. τ. λ.
Ignatius erkennt in jenen mit lauter Stimme, also in be-
sonderer Erregung gesprochenen Worten hinterdrein eine
Weissagung auf eine inzwischen eingetretene Absonderung
Einiger von der Gemeinde. Während er seinerseits nur that,
was seiner immer gleichen Gesinnung entsprach, so spricht
doch das Zusammentreffen jener auffallenden Erregung und
des nichtgeahnten Erfolgs gegen die nahe liegende Ver-
1) Dass ΟἹ οὖν accentuirte und Lt Sfr. 199, 11 so verstanden, ist
textkritisch gleichgültig. G®, dem 108. folgt, hat die Grammatik für
ich; denn der Tempuswechsel verbietet eine einfache Coordinirang von
ἐχραύγασα und ἐλάλουν. Aus einem andauernden Reden hebt sich dieser
einzelne Ruf herans.
2) ϑεοῦ φωνῇ ist durch Li Sfr. 199, 12 A, indirect auch durch
ΟἹ gesichert.
3) Die ganze Verwirrung dieses Satzes wird darin ihren Grund haben,
dass ınan zu einem εἰ δέ, welches ΟΣ bewahrt hat, keine Apodosis fand und
daher entweder, wie z. B. 15, den Bedingungssatz verselbständigte, oder,
wie 65, das δέ hinter μάρτυς ausstiess, welches doch in der That nicht
hindert, mit μάρτυς den Nachsatz beginnen zu lassen (vgl. Kühner, aus-
führl. Gr. ΤΙ, 816f. 2. Aufl). Ferner ist οἱ δέ (G1) nicht ohne weiteres
= τινὲς δέ, sondern hat ein ausgesprochenes oder leicht sich ergänzen-
des οἱ μέν zur Voraussetzung; cf. ad Pol. 8. Phil. 10.
4) Statt des sinnlosen πτέσαντες (61) bieten L! ΟΣ eine Form von
ὑποπτεύειν, ohme dass A und Sfr. 199, 13 auf Anderes hinwiesen.
LE las wohl ὑπερηφάνησαν οἵ, Sm. 10. Jedenfalls ist eine Participial-
form hier unerträglich.
5) Dies ist nur zu dulden, wenn man mit ΘΒ dnontevere oder sonst
ein Präsens liest; dann könnte das Vorherwissen einfach 'ein früheres
Wissen des Ignatius im Vergleich zum Wissen der Uebrigen sein. Be-
streitet hingegen Ignatius eine damals aufgetauchte Vermuthung, so
kann er nur ablehnen wollen, dass er es im gewöhnlichen Sinn des
Worts gewusst habe. Auf ein ὥσπερ mit verb. simpl., also jedenfalls
εἰδότα, führen in der That A und Sfr. 199, 13, während alle abend-
ländischen Zeugen, auch LA, dessen „prohibentem“ erst aus „praeri-
dentem‘“ entstanden ist, προειδότα stützen.
“|
“
δ:
269
muthung, dass er damals schon, d. h. also vor dem äusser-
lichen Hervortreten der Spaltung, um sie gewusst habe. Da er
wirklich nun bezeugen kann, dass er nicht vermöge natürlich-
menschlicher Diagnose oder in Folge empfangener mensch-
licher Belehrung ') über eine den Uebrigen noch verborgene
Gefahr so geredet habe, so trägt er kein Bedenken, die laute
Stimme, mit der er gesprochen, als Gottes Stimme zu be-
zeichnen und als das eigentlich redende Subject den Geist zu
nennen 33. Wenn Ignatius dem allen die Bemerkung vor-
ausschickt, wenn auch Etliche ihn fleischlicher Weise oder ihn,
sofern er natürlicher Mensch ist, hätten irreführen wollen, so
irre doch der Geist nicht, da er von Gott stamme, so muss
es eben jenen Gegnern gelungen sein, ihn in irgendwelcher
Hinsicht und in irgendwelchem Masse einmal zu täuschen,
was dann der Beachtung seiner Warnungen Eintrag thun
musste. Um so mehr fühlt er sich jetzt verpflichtet, die
durch den Erfolg bestätigte Warnung auf den über sein
eigenes damaliges Bewusstsein übergreifenden Geist Gottes zu-
rückzuführen. Dass es in der That in der Zwischenzeit zu
einer Separation in Philadelphia gekommen ist, zeigt sich
sofort, wenn Ignatius auf die Erinnerung an sein damaliges
Auftreten ὅ die Worte folgen lässt: „Allen, die sich be-
kehren, vergibt Gott, wenn sie sich zur göttlichen Einheit
und zur Rathsversammlung des Bischofs bekehren. Ich ver-
traue der Gnade Jesu Christi, welcher von jeder Fessel euch
befreien wird“. Gebunden, gehemmt ist die gedeihliche Ent-
wickelung der Gemeinde, so lange Solche, die zu ihr gehört
haben und noch gewissermassen zu ihr gehören, von Bischof
— en __..
1) Die Beziehung auf andere Menschen scheint sich wegen des
Attributs bei σαρχός mehr zu empfehlen, vgl. übrigens Matth. 16, 17;
Gal. 1, 16.
2) So feierlich wie möglich nimmt er für seine damalige Aeusserung
den Character inspirirter Rede in Anspruch, und der Versuch Nirschls
(S. 145 f.), dies zu verdecken, ist mislungen. Vgl. meine Schrift über
Hermas, S. 109, wo nur fälschlich zwei prophetische Stimmen unter-
schieden werden.
3) Das zweite οὖν in ὁ. 8 zeugt von einem Rückblick auf c. 3.
270
und Presbyterium sich fern halten, was ohne heftige Reibung
mit der treu gebliebenen Mehrheit nicht zu denken ist. Als
Ignatius bei ihnen war, hat er keine Spaltung dort vorge-
funden, sondern ein von allem häretischen Wesen reines
Gemeindeleben (c. 3). Dem dient es zur Bestätigung, dass
noch jetzt alle Frommen sich zum Bischof halten; denn nicht
ein allgemeiner Satz, sondern, wie das Weitere zeigt, eine
Beschreibung der Zustände in Philadelphia soll dies sein.
Von den Presbytern und Diakonen dort gilt dies insbesondere,
denn im Gegensatz zu einzelnen verirrten Gemeindegliedern
wird in der Grussüberschrift nicht einfach wie sonst, Einheit
mit dem Bischof oder mit den Vorstehern überhaupt als Be-
dingung des richtigen Zustandes benannt, sondern ausdrück-
lich wird durch ein eingeschobenes σὺν αὐτῷ Ton darauf
gelegt, dass die Presbyter und Diakonen mit dem Bischof
einig sind: und es wird später noch sich zeigen, dass das
„Synedrium des Bischofs“, zu welchem die Verirrten zurück-
kehren müssen, das Collegium der Presbyter ist. Bei solchem
Stand der Dinge konnte die angeredete Gemeinde ebenso, wie
es ec. 11 aus anderem Anlass geschieht, von den Wenigen
unterschieden werden, welche eine Sonderstellung einnehmen
und erst durch Busse zur Gemeindeeinheit zurückkehren
müssen. Es hat daher guten Sinn, wenn die Leser davor
gewarnt werden, Einem, der Spaltung verursacht, zu folgen 1)
1) Phil. 3: Οὐχ ὅτι παρ᾽ ὑμῖν μερισμὸν εὗρον, ἀλλὰ ἀποϑδιυλισ-
ον Μὴ πλανᾶσϑε, ἀδελφοί μου, εἴ τις σχίζοντι εἰκολουϑεῖ, βασιλείαν
εἰ χληρονομεῖ. Der Versuch das ἐποδιυλισμένον des ΟἹ durch
Ergänzung von μερισμόν zu schützen (z. B. bei Kist 8. 65) ergibt doch
nur eine unerträgliche Härte, und ist jetzt vollends unveranlasst, seit
der durchweg vorzüglichere Text des L! (abstractionem — ἐποδιυλισμόν)
indireet auch durch clamorem in A bestätigt ist. Dies geht jedenfalls
auf ein syrisches Wort derselben Wurzel ἃ, (οἵ, Castellus ed.
Michaelis 5, v.) zurück, womit Matth. 23, 24 διυλίζειν und Ign. Rom.
inser. im m. syr. (Cur. 225, 2; Moesinger 6, 8) enodälgew übersetzt
ist, welche aber auch den Sinn: claram sonum reddere hat (8, Bern-
stein s. v.). — Wäre übrigens hiermit die Ausscheidung einiger bereits
vorhandener häretischer Elemente gemeint, und wäre dies die Trennung
Etlicher von der kirchlichen Einheit, wie z. B. Hilgf. 234 annimmt, so
211
und wiederholt ermahnt werden, Irrlehre wie Spaltung noch
erst zu fliehen (c. 2. 6).
Nach alle dem ist es unanfechtbar, dass Ignatius über
Philadelphia nach 'Smyrna transportirt wurde. Auf diesem
Wege ist er jenen Irrlehrern begegnet, welche von Ephesus
aus in umgekehrter Richtung die vorderasiatischen Gemeinden
bereisten (Eph. 9), und wenn nicht alles trügt, sind eben
diese es gewesen, welche nicht ohne allen Erfolg dort die
natürliche Urtheilskraft des Ignatius auf die Probe gestellt
hatten. In Philadelphia wird darnach auch die Begegnung
stattgefunden haben (Eph. 9), welche ihm den bestimmtesten
Antrieb zur Warnung aller jener Gemeinden vor diesen und
ähnlichen Leuten geben musste. Auch die Disputation mit
ihnen oder doch mit Leuten derselben Richtung, von welcher
Phil 8 berichtet, könnte sehr wohl erst dort und damals
stattgefunden haben. Denn die Harmlosigkeit, mit welcher
er damals vor Spaltuagen gewamt haben will, ist nicht
als Sorglosigkeit in Bezug auf die Gefahr der Irrlehre zu
verstehen, sondern im Gegensatz zu distinctem Wissen von
der nun eingetretenen Thatsache, von einer durch die Irrlehrer
veranlassten Separation. Erst nach seiner Abreise haben jene
es im Interesse der Ausbreitung ihrer Lehre nützlich ge-
funden, der Auctorität des Ignatius entgegenzuwirken und
ist es ihnen gelungen, einen gewissen Erfolg zu erringen.
Ein Beweis für die Identität der Leute, welche in Phila-
delphia, so lange Ignatius dort war, versteckt, dann aber
offen gegen ihn aufgetreten sind, mit den Irrlehrern, vor
welchen er in den übrigen Briefen warnt, liegt auch darin,
dass er erst, in den von Troas aus geschriebenen Briefen aus-
drücklich der verkehrten Stellung der Irrlehrer zu seinem
Martyrium gedenkt. Es spiegeln sich die Erfahrungen,
— -.ὕ.ὕ.»
könnte Ignatius erstlich hier nicht verneinen, dass er einen μερισμός
dort vorgefunden, denn das wäre eben ein μερισμός, wie besonders c. ὃ
deutlich ist; er könnte aber auch nicht jene Hinweisung auf den μερισ-
μός Etlicher (c. 7) bei Gelegenheit seiner Anwesenheit in Philadelphia
als Weissagung auf ein damals schlechthin zukünftiges Ereignis deuten,
272
welche er in Philadelphia gemacht, und die Nachrichten,
welehe er nachher von dort empfangen, deutlich wieder, wenn
er in der Ermahnung an Polykarp, sich durch die Irrlehrer
nicht erschrecken und die von ihrer Bestreitung unzertrenn-
licher Unbequemlichkeiten sich nicht verdriessen zu lassen,
plötzlich in die erste Person übergeht‘). Diese Leute haben
ihn ins Gesicht gelobt, aber er weiss, dass sie im Grunde
des Herzens sein Martyrium ebenso für eine Illusion halten,
als das Leiden Christi. Sie entziehen sich der überzeugenden
Kraft, welche im Leiden um Gottes willen liegt ?).
Doch hiermit greife ich schon über in die Untersuchung
de: damaligen häretischen Bewegung, welche an anderem Orte
zusammenhängend zu führen ist. Für jetzt kam es nur
darauf an, nachzuweisen, was Ignatius vor seinem Eintreffen
in Troas erlebte, und was Philon und Agathopus ihm zu
melden hatten. Mag Einzelnes, was ich wahrscheinlich zu
machen suchte, Vermuthung bleiben, so ist doch Wesentliches
auf exegetischem Wege gewonnen: der Reiseweg durchs’
innere Asien, die persönliche Begegnung mit Irrlehrern vor
der Ankunft in Snyrna, das Eingreifen des Ignatius in augen-
blickliche Bewegungen des kirchlichen Lebens der vorder-
asiatischen Gemeinden und der Zweck der Reise des Philon
und des Agathopus. Dabei hat sich herausgestellt, dass die
kurze Zusammenfassung des geschichtlichen Gehaltes dieser
Briefe bei Euseb weit genauer ist, als was die neueren
Historiker herauszulesen pflegen.
Auch die Veranlassung der von Smyrna aus geschriebenen
Briefe ist deutlich geworden. Wie völlig der an die Römer
von Sehnsucht nach Vollendung des begonnenen Martyriums
und von wohlbegründeter Furcht vor einer Hinderung durch
jene Gemeinde dictirt ist, wurde schon oben gezeigt. Aber
1) Ad Pı Μάλιστα δὲ ἕνεχεν Θεοῦ πάντα ὑπομένειν ἡμᾶς δεῖ,
ἵνα χαὶ αὐτὸς ἡμᾶς ὑπομείνῃ.
2) Sm. 5. Der allgemeine Gedanke wird schon Trall. 10 (ef. Sm. 4)
ausgesprochen; aber der Unterschied von den späteren Stellen ist unver-
kennbar. — Dasselbe τινές (Trall. 10; Eph. 7. 9; Sm. 5) findet sich
auch Phil. 7 und ὁ. 8 med. Vgl. etwa Gal. 1, 7.
273
auch die Briefe an die asiatischen Gemeinden verdanken ihre
Entstehung nicht einer ihren Gegenstand und ihre Adresse
willkürlich wählenden schriftstellerischen Neigung. Offen-
bares Misverständnis ist es, wenn man die Worte προειλόμην -.
ἐν πίστει Ἰησοῦ Χριστοῦ προςλαλῆσαι ὑμῖν Mgn. 1 paraphra-
sirt: elegi vos, quibus literas mitterem 1); denn die folgende
Erläuterung bezieht sich gerade nicht auf die Magnesier ins-
besondere, sondern auf die Kirchen überhaupt, in deren Kreise
Ignatius verkehrt hat, und die Parallele Eph. 3 zeigt, dass
προιιρεῖσϑαι hier wie so oft nur den Sinn eines προλαμβάνειν
hat. Was ihn veranlasst hat, an diese bestimmten Gemeinden
- zu schreiben, ist die Liebe, die er eben nur von ihnen er-
fahren hat. Es sind zunächst Dankschreiben. Dass dieselben
nicht in leeren Formalitäten aufgehen, sondern den Gemein-
den einen geistlichen Dienst leisten wollen, bringt sie nicht
um den besonderen Character, welchen die Lage des Schreibers
und der Leser erfordert. Vor den Häretikern zu warnen
musste er um so mehr sich berufen fühlen, als er ihnen un-
gesucht eben jetzt begegnet war und ihre Lehren wahrschein-
lich von Haus aus genauer kannte, als diese Gemeinden, in
welchen sie nun erst festen Fuss zu fassen suchten. Durch
diesen Gegensatz sind aber alle lehrhaften Auseinandersetzungen
in den Briefen und auch die das Gemeindeleben betreffenden
Ermahnungen sichtlich hervorgerufen. Endlich hat es für
Igmatius selbständigen Werth, die Bande christlicher Ge-
meinschaft. welche sein Schicksal zwischen ihm und diesen
Gemeinden geknüpft hat, zu befestigen und sich wie seine
bedrängte Gemeinde ihrer Fürbitte zu empfehlen. An der
oceasio scribendi, deren deutliche Hervorhebung die Magde-
burger Centuriatoren ?) vermissten, hat es also dem Ignatius
in Bezug auf diese vier Briefe jedenfalls nicht gefehlt.
Ehe wir die weitere Reise verfolgen, scheint es nützlich,
einen Blick auf die Lage des Ignatius während seiner Durch-
1) So Dressel, p. 140, n. 4. Amndt (Handschrift) vergleicht 2Kor. 9, 7
und übersetzt: „habe ich mich voller Freude entschlossen “.
2) Centur. Magdeb. ed. Basil. 1560. Centur. secunda II, 165,
Zahn, Ignstius, 18
274
reise durch die genannten Gemeinden zu werfen. Nur einmal
hören -wir, dass er die ganze Reise an zelın Soldaten gebunden
zu machen hat'); seiner Fesselung gedenkt er in allen
Briefen 3. Durch eine Kette wird er an einen der Soldaten
gefesselt gewesen sein 8), die sich in diesem lästigsten Stücke
ihres Auftrags abgelöst haben mögen. Nur am Entlaufen
oder an gewaltsamer Entführung und gewiss nicht an freier
körperlicher Bewegung sollte er dadurch gehindert werden.
In der That erfreut er sich mannigfacher Freiheit. Schon in
Philadelphia ist es zwar nicht eine Gemeindeversammlung,
in welcher er predigt *), aber doch ein grösserer Kreis von
Christen, in welchem er frei sich aussprechen darf. In
Sınyrna kann er einen sehr eingehenden Verkehr sowohl mit
den Abgesandten der drei benachbarten Gemeinden als mit
den Smyrnäern pflegen. Im Vergleich zu dauernder Lebens-
gemeinschaft war es freilich nur eine flüchtige Berührung,
aber durch diesen „nicht menschlichen, sondern geistlichen
Verkehr‘ (Eph. 5) hat er doch einen sehr bestimmten Ein-
druck von den einzelnen Persönlichkeiten und ihrem Ver-
hältnis zu einander empfangen (Magn. 2. 3; Eph. 4). Ueber
die Zustände der einzelnen Gemeinden muss er ausführliche
Unterredungen mit ihren Vorstehern geführt haben; denn er
behandelt sie durchaus verschieden und bewährt auch in dieser
Hinsicht, was er den Ephesern schreibt: οἶδα τίς εἶμι, καὶ τίσιν
γράφω (c. 12). Den Ephesern begegnet er mit besonderer
Hochachtung, nicht bloss wegen ihrer geschichtlichen Stellung
seit den Anfängen der dortigen Gemeinde (c. 8. 11. 12);
er weiss durch ihren Bischof Onesimus, wie standhaft sie sich
1) Rom. 5: γυχτὸς χαὶ ἡμέρας δεδεμένος δέχα λεοπάώρδοις, 6 ἐστι
στρατιωτιχὸν τάγμα. Man kann kaum darüber entscheiden, ob mit Euseb
und G2,, vielleicht auch Scur., Smoes., Al A2 ἐνδεδεμένος vorzuziehen
ist. Das στρατιωτῶν in G! entbehrt jeder anderweitigen Bezeugung; denn
orientalische Uebersetzungen kommen hiefür nicht in Betracht.
2) Eph. 1. 8. 11. 21. Mgn. 1. 12. Tr. 1. 5. 10. 12. Rom. 1. 4.
Phil. 5. 7. Sm. 4. 10. 11. ad Pol. 2.
3) Οὗ, Joseph. ant. XVIL, 6, 7 und die Ausleger zu Actor. 28, 16.
4) So Whiston, S. 77; Nirschl, S. 188,
275
dem Eindringen der Häresie kürzlich widersetzt haben (c. 9),
wie trefflich überhaupt; der geordnete Stand ihres Gemeinde-
lebens, wie ausnahmslos der christliche Lebenswandel der
Einzelnen ist (e. 6). Daher entschuldigt er sich fast, wenn
er ihnen gegenüber in ermahnenden oder lehrhaften Ton ver-
fällt. Besonders häufig begleitet er hier Derartiges mit der
Versicherung, dass die Leser ohnedies tbun, wozu er sie auf-
fordert, und wissen, was er sie lehrt ').. In diesem Briefe
liebt- er es besonders, in Form der Selbstaufforderung sich
mit der Gemeinde zusammenzufassen (c. 5. 10. 11.15). Nur
die Liebe lässt ihn nicht schweigen und hat ihn zu dem Ent-
schluss gebracht, diese brieflichen Worte an sie als seine
Mitschüler oder Mitjünger 3) zu richten, in dem vollen Be-
wusstsein seiner geistlich gefahrvollen Lage und seiner per-
sönlichen Unfertigkeit, wonach er eigentlich eher von ihnen
für seinen bevorstelienden Kampf gestärkt 8) werden müsste.
N
1) c. 4 in.; c. 8 in. fin. In theoretischer Hinsicht ist trotz der an-
gehängten Bedingung zu vergleichen das ὧν οὐδὲν λανϑάνει ὑμῶς
c. 14.
2) Eph.3. Wie man συνδιδασχαλίτης durch „condoctores ‘“, Mitlehrer
(so z. B. Hilgf., S. 190; Nirschl, 8. 40; Dressel, p. 122, n. 3) oder gar
durch Lehrer (so Hefele z. d. St. und wiederum Hilgf., S. 192. 222) über-
setzen mag, ist schwer begreiflich. Der Genosse im Lehramt würde
συγδιδίσκαλος sein, und ableitungsmässig (vgl. συνοδίτης und andere
Beispiele bei Kühner, ausf. Gr. I, 711) bezeichnet συνδιδασκαλίτης den,
mit welchem man den gleichen διδάσχαλος .(oder διδασκαλεῖον) hat. Der
einzige gemeinsame διδάσχαλος ist, aber nach Eph. 15 Christus.
Vgl. Pearson III, 35, auch Bunsen 11, 86 u. Uhlh., S. 32 f.
3) Das ὑπαλειφϑῆναι (Eph. 3), statt dessen 1,1 ὑποληφϑῆναι las,
deutet auf den Athleten, der vor dem Kampf mit Salbe sich selbst ein-
reibt oder einreiben lässt, Pearson III, 35. Die übertragene Bedeutung
„zum Kampf und jeder schweren Thätigkeit vorbereiten“ ist auch in
christlicher Literatur häufig (Clem. Strom. II Pott. p. 436. 484; auch
ἀλθέπτης Quis div., p. 958. Chrysostomus sagt gerade in Bezug auf
Ignatius von den Gemeinden, durch die er reiste: ἤλειφον τὸν ἀϑλητή»).
Uebrigens scheint Ignatius nach Eph. 17 ἀλείφεδιν geradezu im Sinne
von „lehren“ zu nehmen und dadurch auf die dortigen Bilder gebracht
zu sein. Ein unbewusster Einfluss des anklingenden syrischen Wortes
dieser Bedeutung möchte nicht unwahrscheinlich sein. Uebrigens füllt
18* |
276
Das Bild einer ganz andersartigen Gemeinde gewährt
der Brief an die Trallianer. Vergleichsweise kühl redet
Ignatius von dem ihm durch die Sendung des Bischofs Poly-
bius bewiesenen frommen Wohlwollen (6. 1). Auch hier
erkennt er zwar an, dass er von einer unter ihnen bereits
vorhandenen Häresie nichts wisse (Ὁ. 8), und dass sie im
richtigen Verhältnis zu ihrem Bischof stehen (c. 2); aber die
Ermahnungen an die Diakonen, sich vor Anklagen zu hüten
(c. 2), an die Presbyter, dem Bischof sein Amt leicht zu
machen (c. 12), an Alle, sich vor Zänkereien unter einander
und vor selbstverschuldeter Feindschaft der Heiden zu hüten
᾿(6. 8, vgl. 6. 3) und dergleichen mehr bleiben ohne formellen
Widerruf. Zufällig wird es auch nicht sein, dass Ignatius
in diesem Brief die Sanftmuth des Bischofs rühmt (6. 3),
sich selbst diese Tugend .als Waffe gegen die Anfechtungen des
Teufels wünscht (c. 4) und den Trallianern eben diese em-
pfiehlt (c. 8). Ein Zusammenhang besteht ferner offenbar
zwischen den Bemerkungen über seine Vorsicht gegenüber
Denen, welche ihn durch Lob aufgeblasen machen könnten
(c. 4), und der Versicherung, dass die Leser vor den Irr-
lebrern am sichersten geschützt sein werden, wenn sie nicht
aufgeblasen seien (c. 7). Igmatius scheut sich nicht, die
Trallianer geradezu als Kinder an Verständnis zu bezeichnen,
welche an allzufester Speise, die er ihnen bieten könnte, er-
sticken möchten (c. 5), und sowohl die Bitte, sein Wort in
Liebe aufzunehmen, damit es nicht zu einem Zeugnis wider
᾿ sie ausschlage (6. 12), als auch die pathetische Form des
Grusses in der Ueberschrift zeigt, dass diese Gemeinde nach
des Briefschreibers Urtheil vor allem zur Bescheidenheit an-
gehalten werden muss.
Diese und ‘andere Beobachtungen beweisen, dass Ignatius
in Sınyrna ausser der nöthigen Zeit auch hinreichende Ruhe
gehabt hat, um sich mit den Zuständen der Gemeinden be-
kannt zu machen, deren Vertreter er persönlich kennen lernte.
auf, dass der Doppelsinn der Worte ὀφϑαλμοὶ ὑπαληλιμμένοι λόγῳ
Clem. paed. 11 Pott. p. 248 gleichfalls die Bedeutung „lehren“ fordert,
277
Es macht auch nicht den Eindruck von Mangel an Zeit oder
Ruhe, wenn er die Kürze seines Briefs an die Magnesier mit
seiner Kenntnis ihres reichen Lebens rechtfertigt (Mgn. 14),
oder wenn er die Abfassung eines zweiten Briefs an die
Epheser in Aussicht nimmt, worin er die am Schluss des
einzigen, den er wirklich geschrieben hat, kaum, erst be-
gonnene Darlegung der heilsgeschichtlichen Grundthatsachen
gegenüber der Häresie fortsetzen wollte (c. 20). Abhand-
lungen oder Bücher sind es freilich nicht, die er schreibt,
und es ist unverzeihlich, wenn man das Wort βιβλίδιον an
letzterer Stelle in diesem Sinn glaubt betonen zu dürfen '),
obwohl längst erinnert worden ist, dass kleine wie grosse
Briefe sehr gewöhnlich AfA heissen ?), und dass βιβλίδιον,
welches die Deminutivbedeutung viel strenger festgehalten hat,
jedes kleinste Schriftstück, auch ein einzelnes beschriebenes
Blatt, bezeichnet 3). Dictirte Ignatius, wie bei seiner Lage
anzunehmen ist, einem der Christen, die sich um ihn be-
mühten, so wird Pearson (II, 139) nicht so unrichtig be-
rechnen, dass er zur Abfassung mehrerer dieser Briefe nicht
viel mehr als eine Stunde und auch zum längsten nicht mehr
als drei gebrauchte. Bei der ausserordentlichen Verschieden-
heit der im Stil sich widerspiegelnden Stimmung werden
sich diese Stunden auf mehrere Tage vertheilt haben. Einen
etwa zehntägigen Aufenthalt in Smyrna werden wir auf alle
Fälle anzunehmen haben, um ausser dem Gesagten auch noch
einen sehr eingehenden Verkehr mit den smyrnäischen Christen
unterbringen zu können. Wenn er in den beiden von Troas
aus dorthin gerichteten Briefen hier eine Frau sammt ihrem
Hause mit ihrem eigenen Namen 4), dort eine andere nach
1) So Hilgf., S. 217. 218; Lipsius I, 83. 92.
2) Vgl. ausser Steph. Thes. z. B. Liban. epp. ed. Wolf, p. 638,
not. 2, Wie wenig Worte den Inhalt eines βιβλίον ausmachen können,
zeigt Lucian. Alex. 53.
3) Ausser Plut. Cimon 12 (ed. Ruald. I, 486b) schon von Pears.
U, 136 eitirt, muss man nur etwa Plut. Caesar 65 (I, 738e) lesen, wo
sowohl die dem Cäsar unterwegs überreichten Bittschriften als das
Warnungsbillet des Artemidorus βιβλίδια (letzteres auch βιβλίον) heissen.
4) Sm. 13. Die Uebereinstimmung von A ΟΣ 1,3 — denn die un-
278
ihrem verstorbenen Mann nennt 1), hier einen einzelnen Mann,
dort zwei ?2) und in beiden Briefen mit besonderer Herzlich-
keit eine gewisse Alke 5) namentlich grüsst, während er die
Gemeindevorsteher nur als solche grüssen lässt (Sm. 12);
wenn er beide Male alle Gemeindeglieder einzeln gegrüsst
haben will (ad Pol. 8. Sm. 13), so fordert diese weitgehende
Personalkenntnis allein schon einen längeren Aufenthalt. Es
fehlen uns alle Mittel, um anzugeben, was die militärische
Begleitung zu einem solchen veranlasste, aber eben so sehr
auch, um diese Voraussetzung der ignatianischen Briefe un-
wahrscheinlich zu nennen. Sehr leicht dagegen erklärt sich
die Situation des Ignatius aus allen ältesten Nachrichten über
die Behandlung gefangener Christen. Schon die Reise des
bedeutenden Verschreibungen einiger lateinischen Handschriften (8. Usslı.
adnott., p. 53) kommen nicht in Betracht — fordert Γαυΐας statt Taovies
in ΟἹ und Thaviae in 1,1 (cf. Pears. ΠῚ, 21).
1) Ad Pol. 8. Da „ihr ganzes Haus und die Kinder“, nicht aber
Epitropus selbst neben ihr gegrüsst werden, so wird schwerlich an die
Frau eines noch Lebenden zu denken sein, er müsste denn allein von
seiner ganzen Familie Heide geblieben sein.
2) Attalus (ad Pol. 8), Daphnus und Euteknus (Sm. 18). Da τόν
vor ἀσύγκριτον durch G1 G2 feststeht, so ist daraus nicht mit Smith
(scholl., p. 66) nach Roın. 16, 14 ein neuer Name zu machen. Eher
könnte man denken, eusexvov als zweites Attribut zu fassen wie I,2 mit
seiner verkehrten Uebersetzung ;,‚et bonum filium ‘“. -
8) Sm. 13; ad Pol. 8. An der Identität dieser Sinyrnäerin mit der
im mart. Pol. 17 erwähnten ist kein Grund zu zweifeln. Wenn diese nicht
Christin und zwar eine unter den Christen notable Persönlichkeit ge-
wesen wäre, so wäre die Bezeichnung des Niketes als ihres Bruders in
einem an auswärtige Christen gerichteten Berichte und zwar nicht etwa
bei der ersten Erwähnung c. 8, sondern da, wo sein bissigster Hohn
gegen den Christenglauben berichtet wird, ganz unverständlich. Ein
chronologisches Hindernis existirt nicht, da Alke erstlich jünger als
Polykarp und zweitens längst vor ihm gestorben sein kann. Niketes,
dessen Sohn Herodes damals bereits das wichtige Amt eines Irenarchen
- verwaltete (mart. 6. 8) muss schon deshalb um 166 ein alter Mann ge-
wesen sein, wenn auch nicht so alt, dass er ohne weiteres mit dem
schon unter Nerva einflussreichen smyrnäischen Rhetor Niketes identiflcirt
werden dürfte (Philostr. vitae soph. I, 19; 21, 3. 5. Tae. dial. 15.
Plin. epp. VI, 6, 3). οι
279
Paulus nach Rom zeigt, dass hier nicht überhaupt Unwalır-
scheinliches vorausgesetzt wird; denn, wenn auch Paulus
als römischer Bürger seinem Urtheil erst entgegensah, so
war doch die Verantwortung der begleitenden Soldaten dort
die gleiche wie ΠΟΥ ἢ. Aber auch alle Nachrichten über ἢ
Behandlung zum Tode verurtheilter Christen aus dem 2. und
3. Jahrhundert dürfen wie gleichzeitige verglichen werden,
denn dass das Verfahren gegen dieselben im Laufe des
2. Jahrhunderts sich gemildert haben sollte, ist ebenso unbe-
zeugt als undenkbar. Daher ist die blosse Thatsache, dass die
ignatianischen Briefe eine Situation voraussetzen, welche nicht
etwa auf Grund gleichzeitiger Nachrichten, sondern vermöge
blosser Verimuthung unwahrscheinlich befunden worden ist, ἡ
ein ausreichender Beweis der Geschichtlichkeit dieser Situation,
mögen die Briefe um 110, um: 140 oder um 170 geschrieben
sein. Es kann sich nur um Erläuterung durch andere Bei-
spiele handeln (vgl. Pears. II, 137 ff). Es "fehlt meines
Wissens ein völlig Analoges, nämlich ein Bericht über die
Behandlung verurtheilter Christen auf einem längeren Transporte,
und es liegt auf der Hand, dass schon zum Behuf des Marsches
dem Ignatius nöch mehr freie Bewegung gelassen werden
musste, als eingekerkerten Christen. Somit wäre man be-
rechtigt, alles in Bezug auf diese Bezeugte in gesteigertem
Mass für unseren Fall in Angpruch zu nehmen; aber es ist
nicht nöthig. Lucian erzählt in seiner Schrift über den Tod
des Peregrinus (c. 12, vgl. 16), dass die Christen zuerst Alles
daran gesetzt hätten, diesen Proteus, welcher als christlicher
Gemeindevorsteher ins Gefängnis gerathen, daraus zu be-
freien ἢ. Da dies unmöglich gewesen, hätten sie ihm alle
Pflege angedeihen lassen; vom frühen Morgen an sei das
Gefängnis von alten Weibern und Kindern belagert gewesen;
durch Bestechung der Wärter hätten die Vorsteher es sich er-
wirkt, mit ihm im Gefängnis übernachten zu dürfen. Was
1) Act. 27, 3. 42; 28, 18, 14:
2) Οὗ, const. app. IV, 9; V, 2. Eus.h. 6. VI, 40. Petr. Alex. in
Lagarde, rell. jur. Gr., p. 70, 204
280
er weiter von „mannigfaltigen Speisen“ und „heiligen
Worten“ dabei sagt, bedeutet ohne Frage eine in diesem
Kreise veranstaltete Abendmahlsfeier (cf. Cypr. epp. 5, 2).
Gemeinden wie einzelne Christen hielten es für eine selbst-
verständliche Pflicht, deren Erfüllung gewöhnlich ohne alle
Schwierigkeiten gewesen sein muss, den Märtyrern Speisen
ins Gefängnis zu schicken !), ein Liebeswerk, dessen Ueber-
treibung der Montanist den Katholiken vorwirft (Tert. de
jej, 12). Die Verwandten der Perpetua und, zwei Diakonen
haben freien Zutritt ins Gefängnis und erreichen durch eine
Belohnung der Wächter, dass ihnen für einige Stunden ein .
besseres Zimmer überlassen wird (Act. Perp. et Felic.
3. 5. 16). Als alte Sitte erwähnt es Cyprian (epp. 15, 1),
dass die Diakonen, welche Märtyrer im Gefängnis besuchen,
sie auch mit geistlichem Rath und Schriftermahnung versehen,
und erwartet ein Gleiches von den Presbytern; er warnt
davor, in allzu grossen Haufen sich zum Besuch der ge-
fangenen Confessoren zu drängen, ne ex hoc ipso invidia con-
citetur et introeundi aditus denegetur (epp. 5, 2). Briefe
werden an sie gerichtet ?) und von ihnen geschrieben, und
zwar nicht bloss ungezählte libelli pacis®), sondern auch
Sendschreiben in allgemeinen kirchlichen Angelegenheiten 4).
Perpetua und Saturus haben im Gefängnis Berichte schreiben
können, welche nicht viel kürzer als der längste Brief des
Ignatius sind, und noch am Tage vor ihrem Tode schreibt
Perpetua daran (c. 2. 10. 14). Gelehrte vollends wie Pam-
philus von Cäsarea befassten sich, wie man unter anderem
aus dem Cod. Sin. sehen kann, in gleicher Lage gelegentlich
mit sehr trockenen gelehrten Arbeiten. Hat es also dem
Ignatius nicht an Zeit gefehlt, so ist weder an seinem schrift-
lichen noch an seinem mündlichen Verkehr mit den asiati-
schen Christen in Smyrna irgend etwas Auffälligs. Die
1) Tert. ad mart. 1. 2. Cypr. epp. 5, 1. Const. app. V, 1.
2) Cypr. epp. 10. 15. 17, 3. Auch Tertullians Schrift an die
Märtyrer wandert ins Gefängnis.
3) Cypr. epp. 15, 4. 17, 1 ἢ. 18, 1. 19, 2. 20, 3.
4) Eus. ἢ, e. V, 3, 4; VI, 11, 5.
281
heidnische Bevölkerung, welche übrigens damals dort die
Christen in Ruhe liess, braucht wenig oder nichts von: ihm
erfahren zu haben, und die Soldaten werden bald erkannt
haben, dass gerade bei diesem Gefangenen, der seine Ketten
Perlen nannte (Eph. 11), ein Fluchtversuch nicht zu fürchten
si. Reichliche Bewirthung (cf. mart. Pol. 7) und Be-
zahlung ἢ) der Soldaten von Seiten seiner Freunde wird so
ziemlich Alles möglich gemacht haben, was er in der an-
gegebenen Richtung wünschen konnte. Darauf wird es sich
hauptsächlich beziehen, wenn er so oft der Erquickung in
jeder, auch äusserer Hinsicht gedenkt, welche er den Ge-
meinden oder Einzelnen verdankt ?). Auf ein directes Zeugnis
hiefür wies schon Pearson II, 139 nachdrücklich und un-
widerleglich ὅ) hin. Seinen Worten ist nichts hinzuzufügen:
Hine recte intelligitur, quod de militibus, quos leopardos
vocat, seribit: οὗ καὶ εὐεργετούμενοι χείρους γίνονται (Rom. 5);
scilicet quo plus peruniae ἃ fidelibus acciperent pro relaxatione
vexationum, eo acrius ex intervallo s. martyrem vexabant,
quo majorem pecuniae vim extorquerent et Christianos co-
piosius emungerent. |
Die Aufgabe, die Soldaten bei guter Laune zu er-
halten und die Lage des Märtyrers nach Kräften zu er-
leichten, war der Grund, weshalb die Epheser ihren
Diakonus Burrhus ihm zur Begleitung bis Troas mitgaben,
und wenn die Smyrnäer sich an dieser Sendung mit betheiligt
haben sollen (Sm. 12; Phil. 11), so ist das nicht anders zu
denken, als dass sie auch ihre Beisteuer zur Unterstützung
des Ignatius dem Epheser einhändigten. Da in Troas Philon
und Agathopus zu ihm stiessen, um ihm von da an gleiche
.-— - —_-
1) Was bei Lucian ein diapdelgew τοὺς δεσμοφιίλαχας heisst, ist
const. app. V, 1 μισϑαποδοσία τῶν στρατιωτῶν und Act. Perp. et Fel.,
c. 16 constituere praemio.
2) Trall. 12: οὗ κατὰ πάντα us ἀνέπαυσαν σαρχέ TE καὶ πνεύματι,
Eph. 2; Mgn. 15; Sm. 9. 1.
3) Einer Widerlegung bedarf es jedenfalls nicht, wenn noch Cureton
p. 323 die sehr greifbaren Wohlthaten (Rom. 5) in christliche Er-
mahnungen und Bekehrungsversuche verwandelt.
282
Dienste zu leisten, so kann Burrhus zurückkehren; und es
wäre sonderbar gewesen, wenn Ignatius diese Gelegenheit
nicht benutzt hätte, schnell und sicher an die Smyrnäer ein
Dankschreiben ähnlicher Art gelangen zu lassen wie die
früheren, zumal ihre Liebe ihn sehr fühlbar begleitet (Sm. 9)
und in der freundlichen Aufnahme der beiden nachreisenden
Freunde sich aufs Neue bethätigt hat (Sm. 10). Aehnlich
veranlasst war der gleichzeitig abgehende Brief an die Phila-
delphener. War der dortige Aufenthalt sowohl des Ignatius
als seiner Freunde nicht so ungetrübt und jedenfalls kürzer
wie der in Smyrna, so mussten dagegen die neuen Nach-
richten über die inzwischen zum Ausbruch gekommene schis-
matische Bewegung in Philadelphia ihn um so mehr zum
Schreiben drängen, als seine persönliche Haltung jener Be-
wegung gegenüber dem Misverständnisse ausgesetzt war. Dass
der Brief an Polykarp nicht gleichzeitig mit diesen beiden
geschrieben ist, ist dadurch angedeutet, dass Burrhus hier nicht
als Ueberbringer genannt wird, wäre aber von vornherein auch
schon deshalb gewiss, weil kein Grund zu einer Trennung der
Briefe an Bischof und Gemeinde zu Smyrna zu denken wäre. .
Auch der an den Bischof gerichtete enthält nichts in dem
Sinne Persönliches, dass es der Kenntnis der Gemeinde ent-
zogen werden müsste. Ignatius scheint sogar Mittheilung an
die Gemeinde vorauszusetzen, denn unvermerkt geht er von
Anweisungen für den Bischof (0. 1—5 init.) zu Regeln für
das Gemeindeleben (c. 5 fin.) und dann geradezu in er-
mahnende Anrede der Gemeinde über (c. 6). Daher markirt
er die Rückkehr zur Anrede des Adressaten durch Nennung
des Namens (c. 7); aber auch nachher noch wechseln Anrede
des Bischofs und der Gemeinde in einer Weise, welche nur dann
natürlich erscheint, wenn der Brief der Gemeindeversammlung
mitgetheilt werden sollte. Deutlich wird die spätere Absendung
dieses Briefs am Schluss. Während wir aus Phil. 11; Sm. 12
nur erfahren, dass Ignatius sich in Troas befindet, mit den
dortigen Christen verkehrt und Zeit hat, Briefe zu schreiben,
motivirt er seinen Auftrag an Polykarp, an gewisse Ge-
meinden statt seiner zu schreiben, damit, dass er wegen der
289
plötzlich befohlenen Abfahrt von Troas nach Neapolis nicht
allen Gemeinden schreiben könne !). Er ist noch nicht dahin
abgefahren ?);, denn die präsentischen Formen προστάσσει und
πλεῖν weisen auf einen nun erst auszuführenden Befehl; und
da οὐκ ἠδυνήϑην nach bekanntem Briefstil sein gegenwärtiges
Unvermögen bezeichnet, so müsste er, wenn er bereits in
Neapolis wäre, vielmehr angeben, was ihn dort daran hindere.
Also unmittelbar vor der plötzlich angeordneten Abreise
schreibt er an Polykarp. Unter dem ‘Willen, der dies an-
ordnet, ist jedenfalls nicht nach Eph. 20; Sm. 11 der gött-
liche zu verstehen, der den Soldaten nichts befiehlt; und da
als Empfänger des Befehls nicht der unfreie Ignatius, sondern
die Soldaten zu verstehen sind, so kann auch nicht deren
Entschluss, etwa eine Fahrgelegenheit zur Abkürzung des
Weges zu benutzen, verstanden werden, sondern nur ein
höherer Befehl, den sie abzuwarten hatten. Es wäre leicht,
aber auch nutzlos, irgend einen der vielen möglichen Fälle
zu ersinnen; Jeder bemerkt, dass wir hier wirkliche Ver-
hältnisse unter den Füssen haben, welche der fernstellende
Leser nur sehr unvollständig erkennen kann. Der eigentliche
Anlass dieses Briefs liegt offenbar darin, dass sich Ignatius
durch den plötzlichen Aufbruch von Troas wider Erwarten
gehindert sieht, noch einer Reihe anderer Gemeinden als
denen zu Smyrna und Philadelphia die Sendung von Boten
oder Briefen nach Antiochien zu empfehlen, und darum Poly-
karp bittet, statt seiner dieselben dazu aufzufordern. Das πάσωις
ταῖς ἐκκλησίαις ?) ist natürlich irgendwie näher bestimmt zu
denken. Am nächsten liegt der Gedanke an Tralles, Mag-
nesia und Ephesus; der letzteren Gemeinde war ohnedies
noch ein Brief zugedacht (vgl. Eph. 20). Aber dieselben
Gründe walteten ob bei allen asiatischen Gemeinden, die er
1) ad Pol. 8: ἐπεὶ πάσαις ταῖς ἐχχλησίαις οὐκ ndurndnv γράψαι
διὰ τὸ ἐξαίφνης πλεῖν ue ano Τρωάδος εἰς Νεάπολιν, ὡς τὸ ϑέλημα
προστάσσει, γράψεις ταῖς ἔμπροσϑεν ἐχκλησίαις x. τι A.
2) So Lipsius I, 86; vgl. jedoch II, 14.
3) Vgl. Rom. 4 und dazu oben S, 229,
284
berührt und mit der Lage seiner Gemeinde bekannt gemacht
hat. Leider scheint das ταῖς ἔμπροσϑεν ἐκκλησίωις keine deut-
liche Anweisung zu geben. Die temporelle Fassung von
ἔμπροσθεν ergäbe immer nur den Unsinn „die früheren
Gemeinden“ und natürlich nicht, wie Lipsius II, 13 will,
den Sinn „alle Gemeinden, an welche Ignatius früher ge-
schrieben hat“. Mit Uhlhorn (ΒΘ. 31) an die östlich von
Smyrna gelegenen und somit an semitischen Sprachgebrauch
zu denken, eınpfiehlt: sich nicht, weil zwar den Hebräern
op Osten und vorne zugleich bedeutet !), nicht aber den
Syrern, auf die es hier ankäme, und gerade das südlich von
Smyrna gelegene Ephesus wäre ausgeschlossen. „In der
Nähe‘ heisst ἔμπροσϑεν vollends nicht, es können also auch
nicht die dem Polykarp gleichsam vor dem Gesicht liegenden,
‘ mit Smyrna verbundenen kleineren Gemeinden gemeint sein 3),
von deren Existenz wir nichts wissen, und an welche Briefe
zu schicken ein unerhörter Luxus gewesen wäre, wenn Poly-
karp ihr Bischof war. Es bleibt nur die gewöhnliche örtliche
Bedeutung übrig, welche schon Pearson Ill, 33 vertrat und
richtig anwandte. Nur hätte er durch einen terminus a quo
und einen terminus ad quem die Richtung angeben sollen, in
welcher die betreffenden Städte weiter vorwärts liegen.
Ignatius, der von Troas aus‘ nach Smyrna schreibt und von
- Briefen und Gesandten für Antiochia redet, macht in Ge-
. danken den Weg über Smyrna dorthin und denkt, dass der
in. Smyrna sitzende Leser ihn mitmacht. Auf diesem Wege
liegen von Smyına aus weiter vorwärts 2. B. Ephesus, Tralles
und Magnesia ὃ).
1) Vgl. für den späteren Sprachgebrauch Levy, lex. chald. 11, 345.
2) So Hilgf., S. 206, Anm. 26.
3) So verstanden vergleicht sich diese Stelle allerdings mit Herodot
VII, 126; nur darf man nicht wie .Uhlh. S. 31 von einem Sprach-
gebrauch der classischen Gräcität reden, nach welchem ἡ ἔμπροσθεν
Evewnn für irgendeinen Leser ein an sich verständlicher Ausdruck
gewesen wäre, und nach welchem hier die Gemeinden des vorderen, d. h.
westlichen Kleinasiens genannt sein könnten. Nur weil der Standpunct
des Darstellers und die Richtung seines Blickes durch die übrigen Orts-
285
Der Gedanke, den Polykarp ausführen helfen soll, ist
durch die Meldung des Agathopus angeregt, dass die zunächst
bei Antiochia gelegenen Gemeinden theils Bischöfe, theils
Presbyter und Diakonen zur Beglückwünschung der An-
tiochener wegen des Aufhörens der Verfolgung dorthin ge-
schickt haben. Ignatius greift ihn mit demselben Eifer auf,
der alle seine Rathschläge auszeichnet. Den Segen persön-
licher Gemeinschaft schätzt er überaus hoch, und an der
Aufnahme von Seiten der Kleinasiaten wird er es gemerkt
haben, welchen Werth auch diese darauf legten, einen fremden
Bischof und Märtyrer kennen zu lernen. Seine Sehnsucht, nach
Rom zu kommen, ist wesentlich auch ein Verlangen, die
dortige Gemeinde zu sehn (Rom. 1); und keine Gelegenheit
lässt er vorübergehn, alle Christen für seine heimatliche Ge-
meinde zu interessiren (Eph. 21; Mgn. 14; Trall. 13; Rom.
9. 10). Es ist der Gedanke der allgemeinen Kirche (Sm. 8),
welchem er durch Steigerung des persönlich vermittelten
Verkehrs der zerstreuten Gemeinden grössere Lebendigkeit zu
geben versucht. So lange die Verfolgung andauerte, wäre
eine Sendung von Abgesandten anderer Gemeinden zwecklos
gewesen. Eine in ihrer Existenz bedrohte Gemeinde hätte
keine Widerstandskraft daraus schöpfen können, und die
fremden Ankömmlinge hätten die Lage der Antiochener nur
verschlimmern können. Jetzt aber muss es erhebend für sie
sein, wenn sie, die allein gelitten haben, erfahren, dass der
Dank für ihre: Errettung eine allgemeine Sache der Kirche
ist, doppelt erfreulich, wenn sie darin ein Lebens- und
Liebeszeichen des bis zum Tode um sie besorgten Bischofs
erkennen. Einen andern Zweck der Sendung nennt Ignatius
an keiner Stelle, als die Vereinigung der asiatischen Abge-
sandten mit der antiochenischen Gemeinde zu gottesdienst-
licher - Dankfeier ). Wie ihm die Wiederherstellung des
angaben bezeichnet ist, ist er zu verstehen, und zwar so, dass er den
östlich vom Nestus gelegenen Theil Europas meint. Vgl. Abicht
Ζ, ἃ, St.
1) Am einfachsten Phil. 10: εἰς τὸ συγχαρῆναι αὐτοῖς ἐπὶ τὸ αὐτὸ
γενομένοις καὶ δοξιίσαι τὸ ὄνομα.
286
Friedens in Antiochia als Erhörung des Gebets der asiatischen
Christen gilt, so erscheint ihm diese Beglückwänschung als
Vollendung des damit begonnenen Werkes (vgl. besonders
Sm. 11), als ein würdiges zur Ehre Gottes und zur Ver-
herrlichung der christlichen Bruderliebe gereichendes gutes
Werk. Dass die Zumuthung vom gewöhnlichen Wege ein
wenig abliege, verbirgt er in keinem der drei Briefe; aber
nur um so eifriger betont er, wie schön und wie möglich
die Sache sei. Die Philadelphener fordert er nur auf, einen
Diakonus hinzusenden. Die Gemeinde von Smyrna soll in
einer eigens dazu berufenen Gemeindeversammlung einen
ihr besonders werthen und eifrigen Mann dazu erwählen und
ihm überdies einen Brief mitgeben (ad Pol. 7 sq.; Sm. 11).
Es versteht, sich von selbst, dass Ignatius nicht einen von
ihm verfassten Brief an die Antiochener diesem Boten mit-
gegeben haben will, wenn er unter Anderem sagt: ἐφάνη μοι
οὖν ἀξιον πρᾶγμα πέμψαι τινὰ τῶν ὑμετέρων μετ᾽ ἐπιστολῆς
(Sm. 11). Sind es ohne alle Frage nach Allem, was voran-
geht und nachfolgt, die Smyraäer oder ihr Bischof !), welche
den Boten absenden, so muss auch „ein Brief“, den dieser
mitnehmen soll, ein zu dem Einde von den Smyrnäern abzu-
fassender sein. So setzt Ignatins ja auch voraus, dass die-
jenigen Gemeinden, welche keine Boten senden können,
wenigstens Briefe dem Boten der Smyrnäer mitgeben wer-
den . Die Wichtigkeit, welche Ignatius der Sache beilegt,
zeigt sich besonders auch in den Benennungen dieses Boten
wie seiner Sendung. Diese ist ihm ϑεοῦ πρεσβεία (Phil. 10)
und glücklich der ϑεοπρεσβύτης (Sm. 11) und ϑεοδρόμος 3)
1) ad Pol. 8; Pol. ad Phil. 18,
2) ad Pol. 8: διὼ "τῶν ὑπό σου πεμπομένων. Da vorher c. 7 und
nachher c. 8 fin. (cf. Sm. 11; Pol. ad Phil. 13) immer nur von Einem
Boten die Rede ist, so wird der hiesige Plural ein Plural der Gattung
sein; vgl. Matth. 2, 20 oder Ign. ad Her. 4.
3) Diese Bezeichnung der Christen überhaupt Phil 2 als solcher,
welche Eile haben, das vorgesteckte Ziel zu erreichen (cf. ad Pol. 1),
ist hier wohl mit Anspielung auf die ἡμεροδρόμοι, die berufsmässigen
Eilboten, gewählt. Vgl. Stephan in Raumer’s Histor. Taschenb. 1868,
δ, 80 ff.
281
(ad Pol. 7), der damit betraut wird! Er bekommt einen
eigenen Gruss und Segenswunsch, ehe er noch ernannt ist
(ad Pol. 8). Durch alle diese Mittel bat Ignatius die - Sache
80 wichtig zu machen gewusst, dass Polykarp daran denkt,
wo möglich selbst nach Antiochia zu reisen (Pol. 13). Daher
kann es auch nicht auffallen, dass Ignatius noch andere
asiatische Gemeinden zur Betheiligung auffordern wollte, und
dass er nun, da ihn der plötzliche Aufbruch von Troas daran
hindert, Polykarp bittet, dies statt seiner zu thun. Das ist
der eigentliche Anlass seines Briefs an diesen. Eine ge-
wisse Indolenz des Bischofs von Smyrna, ohne welche er
schwerlich sein Alter erreicht haben würde, ist die Voraus-
aussetzung des Tones, in welchem Ignatius an ihn schreibt,
und zwar nicht bloss an den Stellen, welche die Gesandt-
schaften betreffen. Allerdings haben wir nur diesen Brief
des Ignatius an einen jüngeren Amitsgenossen; aber in allen
Ermahnungen, welche den grösseren Theil des Briefs aus-
machen, spricht sich das Urtheil aus, dass Polykarp grössere
Energie zeigen müsste. Eine gewisse Neigung, mit dem Er-
reichten oder doch leicht Erreichbaren sich zu begnügen, von
der Bedeutung seiner Person und Stellung gering zu denken
und sich gelegentlich durch trotziges Auftreten Widerstreben-
der einschüchtern zu lassen, muss dem so ganz anders ge-
arteten Ignatius Bedenken eingeflösst haben, ein Eindruck,
welchem er jetzt unbefangener, als da er ihn empfing, Aus-
druck geben konnte. Um so natürlicher war es dann, dass er
sich mit der geschäftlichen Sache nicht begnügte.
Nur einige Wochen, höchstens wenige Monate nach diesem
letzten uns erhaltenen Briefe des Ignatius hat Polykarp an die
Philipper geschrieben. Die so dringend empfohlene und nach
Jahresfrist schon sinnlose Sendung nach Antiochien ist noch nicht
ins Werk gesetzt, und kürzlich erst ist Ignatius durch Philippi
gereist, wohin ihn die via Egnatia von Neapolis aus führte 1).
Polykarp beantwortet hiermit ein Schreiben der Philipper an
ihn, welches sofort nach der Durchreise des Ignatius abge-
1) Οἵ, Tafel, de via milit. Rom. Egnatia II, 10 £f.
288
gangen sein muss; denn in der Erwartung, mit dieser Bitte
noch nicht zu spät zu kommen, haben sie dem Polykarp ein
Glückwunschschreiben an die Antiochener mit der Bitte zu-
gehen lassen, es dem smyrnäischen Abgesandten mitzugeben.
Sie werden sich beeilt haben, den durch Ignatius auch bei
ihnen angeregten Gedanken auszuführen. Noch bestimmter
würde dies sich ergeben, wenn der betreffenden Stelle sicher
zu entnehmen wäre 1), dass Ignatius von Philippi aus einen
zweiten Brief an Polykarp gerichtet hätte, worin er ihm den
nach Antiochien bestimmten Brief der Philipper zur Weiter-
beförderung empfahl. Unmöglich ist es jedenfalls, diese Be-
merkung direct auf den uns erhaltenen Brief an Polykarp
(ὁ. 8) zu beziehen ?). Denn mag man jenes dunkle ἔμπροσϑεν
deuten, wie man will, jedenfalls konnte weder Ignatius noch
Polykarp dabei an die Gemeinde zu Philippi denken, welche
Ignatius viel eher zu sehen bekam, als ein Brief von Smyrna
δ dorthin gelangen konnte (cf. Uss., diss., p. 10 sq.). Es
bedarf kaum noch der Beobachtung, dass im Briefe Polykarps
keine Andeutung davon vorhanden ist, dass er jenes früheren
Auftrags sich dieser Gemeinde gegenüber entledigt habe, also
zum zweiten Male dorthin schreibe. Nur zeugmatisch hätte
Polykarp jenen zunächst die Philipper nicht mit umfassenden
Auftrag mit der Bitte der Philipper in diesen Satz zu-
sammenfassen können. Ein Widerspruch mit den uns
erhaltenen Briefen wäre das immerhin nicht; aber es ist
auch nicht abzusehen, warum Ignatius, wenn er in Philippi,
wie aus Polykarps Briefe unzweideutig hervorgeht, einen
Aufenthalt gehabt und mit den dortigen Christen verkehrt
hat, die Gelegenheit nicht benutzt haben sollte, einige Zeilen
an Polykarp zu schreiben, welche der Ueberbringer der beiden
Briefe der Philipper an Polykarp und die Antiochener bald
— - om — 0
1) ὁ. 13 (griechisch bei Eus. ἢ, 6. III, 36, 14): ἐγρώψατέ μοι χαὶ
ὑμεῖς xai Ἰγνίτιος, ἵνα, ἐών τις ἀπέρχηται εἰς Συρίαν, χαὶ Tu παρ᾽
ὑμῶν ἀποχομίσῃ γράμματα.
2) So z. Β. Vedelius, apol. pro Ign., c. 4. Voss., p. 265. Düsterd.,
p. 44sqq. Uhlhorn, ὃ. 12ff. u. A.
289
darauf nach Smyrna mitnahm. Dass dieses βϑιβλίδιον nicht
erhalten ist, wird man doch nicht verwunderlicher finden, als
dass mehr als Ein Brief des Paulus und alle des Polykarp
bis auf diesen einen !) verloren gingen. Jedenfalls der ersten
Sammlung, die zunächst für Philippi bestimmt war, konnte
es nicht einverleibt werden, und warum sollte es mehr ent-
. halten haben als einen Gruss, eine kurze Nachricht über die
Aufnnhme in Philippi und eine nochmalige, diesmal die
Philipper mit einschliessende Bitte, die von Troas aus aus-
führlich erörterte Angelegenheit in die Hand zu nehmen?
Ist also gegen diese literae privatae (Uss., diss., p. 8) kein ge-
schichtliches Bedenken zu erheben, so wird auch der Brief
der Philipper an Polykarp spätestens unmittelbar nach der
Abreise des Ignatius und gleichzeitig mit dessen Billet nach
Smyroa abgegangen sein. Recht bald muss dann Polykarps
Antwort gefolgt sein. Einen unangemessen grossen Zwi-
schenraum würde man gewinnen, wenn man annehmen müsste,
Polykarp habe schon eine Nachricht über den Tod des Igna-
tius 'empfangen ?). Er setzt denselben voraus; aber das konnte
er, da das in Antiochien gefällte Urtheil ein endgültiges und
die letzte Möglichkeit einer Aenderung desselben durch den
Brief an die Römer abgeschnitten war. Vielleicht war auch
der Tag der Festspiele, für welche Ignatius bestimmt war,
und damit der späteste Termin, bis zu welchem ‘die Soldaten
sich in Rom zu stellen hatten, bekannt (cf. m. colb., c. 6).
1) Iren. ep. ad Flor., Eus. h. c. V, 20, 8.
2) Die Länge der via-Egn. von Philippi bis Dyrrhachium betrug
etwas über 70 geographische Meilen, von Brundisiun bis Rom eben-
soviel. Diese etwa 150 Meilen oder, wenn man den weiteren der beiden
in Brundisium sich abzweigenden Wege wählte (Strabo VI, 3, 7), wenig
längere Landreise würde sich nach gewöhnlicher Rechnung (vgl. Stephan
8, 8, Ο., S. 81) auf nicht ganz 40 Tagemärsche vertheilen. Mehr als
zwei Monate brauchten also jedenfalls seit des Ignatius Abreise von
Philippi nicht verstrichen zu sein, als Polykarp so schrieb; aber minde-
stens drei Monate müssten dazwischen liegen, wenn bereits eine Nach-
richt über den Tod des Ignatius in Sınyrna angelangt wäre, ehe
Polykarp schrieb.
Zahn, Ignatius, 19
290
Eine zuverlässige Nachricht über das Schicksal des Ignatius
hat er noch nicht, denn er bittet ὁ. 13: Et de ipso Ignatio
et de his qui cum eo sunt quod certius agnoveritis significate.
Dass aus dem sunt der lateinischen Uebersetzung nicht etwa
im Widerspruch mit c. 9 sich ergebe, dass Ignatius und seine
Gefährten noch am Leben sind, wie noch Schwegler II, 154,
Baur II, 129 und, da Dall. p. 427 sq. es bemerkt hatte,
selbstverständlich auch Bunsen II, 108 fi. behaupten, hatte
schon Pearson 11, 72 durch seine BRückübersetzung ins
Griechische gezeigt: x«i περὶ Ἰγνατίου καὶ περὶ τῶν μετ᾽
αὐτοῦ ἢ. Auch ein Gegensatz zu einer unvollständigen Nach-
richt, die Polykarp bereits empfangen ?), kann hierin nicht
liegen, denn certius heisst eben nicht ausführlicher, sondern
zuverlässiger. Ebenso wenig aber kann auch der Comparativ
zu einer bereits eingetroffenen, aber .unglaubwürdigen Nach-
richt den Gegensatz bilden, denn gerade dann würde Polykarp
nicht so bestimmt vom Tode des Ignatius reden, sondern im
Gegensatz zu unbestimmten Gerüchten, wie sie brieflichen
Nachrichten voranzueilen pflegen (vgl. Stephan a. a. O,,
S.. 61 ff.), in diesem Fall aber werthlos sein würden, bittet
Polykarp nur um Mittheilung jeder einigermassen zuverlässigen
Nachricht, welche die Philipper bekommen könnten.
Nach dieser Stelle allein würde man - unter den Ge-
fährten des Ignatius, von deren Schicksal Polykarp gleichfalls
unterrichtet sein will, nur Philon und Agathopus verstehen
können; und wenn wir aus c. 1 sehen, dass Ignatius nicht
der einzige Christ in Ketten gewesen ist, den die Philipper
kürzlich liebevoll aufgenommen haben, so würden wir, anstatt
einen Widerspruch mit den übrigen Briefen hierin zu finden,
aus welchen wir wissen, dass Burrhus an der Rückkehr von
Troas nicht gehindert war, und dass Philon und Agathopus
wenigstens nicht gleich bei ihrer Ankunft in Troas gefesselt
worden sind, daraus vielmehr erfahren, dass diese beiden, sei
1) Besser: χαὶ περὶ αὐτοῦ τοῦ Ἰγνατίου χαὶ πδρὶ τῶν μετ᾽ αὐτοῦ
.(vgl. Ritschl, S. 586) oder σιὶν αὐτῷ.
2) So Jakobson z. d. St. Aehnlich Ritschl, S. 586.
291
es in Troas oder in Neapolis, aus irgend welchem Grunde
gefesselt worden seien, was Polykarp ebenso wie alles Andere,
was wir durch ihn erfahren, aus dem Briefe der Philipper
erfahren haben konnte. Jedenfalls wäre es unnatürlich ge-
redet, wenn Polykarp unter den „Nachbildern der wahr-
haftigen Liebe“, unter den „mit den Ketten, welche Heiligen
wobl anstehen, Gefesselten“, welche die Philipper aufge-
nommen und weiter geleitet haben, den Einen Ignatius ver-
stünde; und sonderbar wäre der Ausdruck auch, wenn nur
das erste Prädicat auf alle drei, das zweite auf Ignatius
allein passte. Unmöglich ist es ferner, den Satz auf ver-
schiedene zeitlich weit auseinander liegende Fälle zu be-
ziehen !); denn die das ganze Capitel beherrschenden An-
fangsworte συνεχάρην ὑμῖν μεγάλως weisen auf ein kürzlich
stattgehabtes Ereignis hin, ganz so wie das λίαν συνελυπήϑην
περὶ Οὐάλεντος ὁ. 11. Freude und Betrübnis, welche der
Gehalt des Schreibens der Philipper ihm verursacht hat, ist
hier und dort ausgedrückt. Aber auf die uns bisher bekannt
gewordenen Begleiter des Ignatius werden die Worte trotz-
dem nicht bezogen sein sollen; denn wo'einer zuerst nament-
lich gedacht wird, werden neben ihm zwei Andere genannt 3).
Schon die Zusammenfassung von Zosimus und Rufus mit.
Ignatius unter einen einzigen Artikel macht es unzweifelhaft,
dass eben diese mit ihm zusammen durch Philippi gekommen
sind. Als eine Kruppe für sich werden diese drei von
1) So Hilgenf., S. 207 ἢ, besonders Anm. 29.
2) 6. 9: παρακαλῶ οὖν πάντας ὑμᾶς... ἀσκεῖν πᾶσαν ὑπομονὴν,
iv καὶ εἴδετε χατ᾽ ὀφϑαλμοὺς οὐ μόνον ἐν τοῖς μοχαρίοις Ἰγνατίῳ καὶ
Ζωσίμῳ καὶ Ῥούφῳ, ἀλλὰ καὶ ἐν ἄλλοις τοῖς ἐξ ὑμῶν xa ἐν αὐτῷ
Παύλῳ χαὶ τοῖς λοιποῖς ἀποστόλοις, πεπεισμένους ὅτι x. τ. A, 80-
wohl bei Euseb, welchen Dressel ohne weiteres fürs Gegentheil ver-
wendet, als hier ist ὑμῶν überwiegend bezeugt. Bei ἡμῶν könnte nur
an Smyrnäer gedacht werden, denn „die zu uns Christen Gehören-
den“ können nicht von den Vorhergenannten unterschieden werden.
Vollends unmöglich ist es, von diesem ἡμῶν ein kaum bezeugten neneı-
σμένων abhängen zu lassen. Dieser Genitiv ist ehensolche Schreiber-
weisheit als der Dativ in cod. b.
19*
292
anderen Beispielen todesfreudiger Geduld und zwar zunächst
von Angehörigen der philippischen Gemeinde unterschieden.
Schon durch diese Beobachtung hätte man sich abhalten
lassen sollen, aus späten martyrologischen Nachrichten und
‘ vollends aus dem „martyrologium Romanum“ seine Kenntnis
dieser Personen zu bereichern '). Bei Ado ist noch deutlich
genug zu sehn, dass diese Heiligen ihre späte Canonisirung
ebenso dem Briefe Polykarps verdanken, wie Onesimus dem
Epheserbrief des Ignatius?). Sie wurden daher ebenso wie
dieser in nächster Nähe des Ignatius im Kalender unterge-
bracht und zu Märtyrern in Philippi gemacht, weil sie in
einem Brief an die Philipper vorkommen; und weil Rufins
Uebersetzung des Eusebius, welche Ado hier abschrieb, die
im griechischen Text deutliche Unterscheidung von den
Philippern verwischt hat. Wir sind, wie das bei wirklichen
Briefen aus einer uns fremden Zeit so oft der Fall ist, durch-
aus auf Vermuthung angewiesen, während ein künstlich
diehtender Literat oder ein Interpolator, der einen gegebenen
Faden weiter zu spinnen hatte, sich‘ wohl gehütet haben
würde, von Philon und Agathopus zu schweigen und statt
ihrer zwei völlig unbekannte Persönlichkeiten als Leidens-
gefährten des Ignatius einzuführen. Es könnten bithynische
Christen sein ?), welche in Philippi oder Neapolis der Be-
gleitung des Ignatius zum Weitertransport nach Rom über-
geben wurden. Möglich auch, dass der höhere Befehl, welcher
die schleunige Abfahrt von Troas veranlasste, dies Zusammen-
treffen anordnete, oder dass die 10 Soldaten schon in Troas
1) So noch Hilgf., S. 208 zugleich mit dem Irrthum, als ob ein ‚, Phi-
lippis “ in diesen Schriftstücken auf eine zu irgend welcher Zeit in Philippi
übliche Feier der betreffenden Heiligen hinwiese.
2) Ado lib. de festiv. p. XIL,VI zu XV Kal. Jan. cf. das Martyrolog
desselben II, 628. Ueber Onesimus zu XIV Kal. Jan. im lib. de festiv.
p. XLIV.
3) Οὐ Plin. ep. ad Traj. 96 (al. 97), $ 4: fuerunt alii similis amen-
tiae, quos, quia cives Romani erant, adnotavi in urbem remitten-
dos. Er wartet also schickliche Gelegenheit ab, wie sie ihm z. B. der
Transport des Ignatius bot.
298
auf diesen Zuwachs der Reisegesellschaft gewartet hatten.
Die Philipper haben diese drei Christen eine Strecke weit ge-
leitet oder wie vorher die Epheser und Smyrnäer durch Einen
der Ihrigen geleiten lassen (Pol. 1). Schon dieser konnte
dann, wenn er etwa bis Dyrrhachium mitging, zuverlässige
Nachrichten über des Ignatius weiteres Ergehn nach Philippi
zurückzubringen, welche auch für Polykarp von Interesse waren
(vgl. Denz. S. 81). Uns ist keine aufbewahrt, und wir
können nur als selbstverständlich annehmen, dass Ignatius
auf dem schon bezeichneten Weg über Dyrrhachium (Epidam-
nus) oder Apollonia nach Brundisium und Rom gelangte.
Dass er das Ziel seiner Sehnsucht wirklich erreicht hat, be-
zeugt ausreichend die einhellige Ueberlieferung von seinem
Martyrium in Rom (vgl. oben 8. 61ff.). |
Nur noch über das Schicksal seiner Briefe verdanken
wir dem Brief Polykarps eine Nachricht 1), die schon vor-.
läufig benutzt wurde (vgl. oben S. 115 £.).. Die Philipper haben
‘um Mittheilung von Briefen des Ignatius gebeten, und zwar,
wie es scheint, zunächst der nach Smyrna gerichteten. Denn
nur diese führt Polykarp als etwas Bekanntes an und unter-
scheidet davon andere, welche er mitschickt, soweit sie in
Smyrna vorhanden sind. Da Polykarp stets im Singular von
sich redet (c. 1. 3. 9. 11. 12. 13), so umfasst das hier ge-
brauchte „Wir“ und „Uns“ seine Gemeinde mit, und
schwerlich bezeichnet ἐπιστολάς hier einen einzelnen Brief,
sei es den an die Smyrnäer oder den an Polykarp, welcher
ja allenfalls auch als ein an Alle gerichteter Brief bezeichnet
werden konnte, denn dasselbe ἐπιστολάς muss zu ἄλλας im
pluralischen Sinne-gezogen werden, und vom eigenen Briefe
spricht Polykarp gleich darauf singularisch. Also sind die
beiden Briefe zu verstehen, welche Ignatius von Troas aus
kurz nach einander nach Smyrna schickte. Auch andere
1) c. 13 (cf. Eus. h. e III, 36, 15): τὰς ἐπιστολὰς Ἰγνατίου τὰς
πεμφϑείσας juiv Un’ αὐτοῦ, καὶ ἄλλας, ὅσας εἴχομεν παρ᾽ ἡμῖν, ἐπέμ-
ψαμεν ὑμῖν καϑὼς ἐνετείλασϑε, αἵτινες ὑποτεταγμέναι εἰσὶ τῇ ἐπιστολῇ
ταύτῃ x. τ. A,
᾿
294
Briefe fügt Polykarp in Abschrift bei, aber nicht alle, von
denen er weiss. Es wurde schon $. 166 gezeigt, dass der
an die Römer sich nicht darunter befinden konnte, und be-
achtenswerth ist es jedenfalls, dass unter den zahlreichen
Anklängen an die ignatianischen Briefe in denen des Polykarp
keiner auf den Römerbrief hinweist. Es ist möglich, dass
dieser allein die von Polykarp gemeinte Ausnahme bildet;
denn bei ihrem lebhaften Interesse für Ignatius konnten die
. benachbarten Gemeinden zu Smyrna, Ephesus, Magnesia und
Tralles, schon ehe die Bitte der Philipper dorthin kam,
diese Reliquien mit einander ausgetauscht haben, und auch
von Philadelphia könnte Burrhus, wenn anders er den ihm
mitgegebenen Brief bis dorthin gebracht und der ersten Vor-
lesung desselben beigewohnt hat, schon eine Abschrift mit
zurückgebracht haben. Eine Abschrift der sechs Briefe an-
fertigen zu lassen, wird dem Polykarp um so näher gelegen
haben, je lebhafter er fühlte (c. 3), dass er nicht der Mann
sei, der Bitte der Philipper um ein Wort christlicher Lehre
von seiner Seite in der rechten Weise zu genügen. ,Vor-
ausgesetzt“ ist ‚hier keine Sammlung ignatianischer Briefe,
und über „das Vorhandensein “ einer solchen brauchte man
sich aus Anlass dieser Stelle nicht zu verwundern ?). Es wird
uns vielmehr so deutlich und natürlich wie möglich veran-
schaulicht, wie aus vereinzelten Briefen, die man damals in
Smyrna besass, oder vielleicht auch jetzt erst zu diesem Zweck
sich verschaffte, aus genügendem Anlass eine erste noch un-
vollständige Sammlung entstand. Gelegentlich wie die Ent-
1) Abhängigkeit von Ignatius zeigt Polykarp z.B. c. 10 fin. in dem
Citat aus Jes. 52, 5 durch Zusetzung des οὐαί. Vgl. aber auch const.
apost. I, 10; III, 5. Die Ermahnung an die Jünglinge ὑποτασσομένγους
τοῖς πρεσβυτέροις ὡς ϑεῷ καὶ Χριστῷ ὁ. 5 erinnert an Stellen wie
Tr. 2. 8: Eph. 6; die Vergleichung der Diakonen mit Christus c. 5 an
Mgn. 6; die Ermahnung der Presbyter ὁ. 6 μὴ ὠμελοῦντες χήρας an
ad Pol. 4; das di’ ἡμᾶς... . πώντα ὑπέμεινεν c. 8 an ad Pol. 3;
Sm. 2; die Bezeichnung der von Ignatius getragenen Fesseln als Diademe
c. 1 an Eph. 11.
2) So Lipsius II, 12 ff.
295
stehung der Sammlung ist auch die Ueberbringung nach
Philippi; denn der Crescens, welchen Polykarp damit betraut,
siedelte offenbar von Smyrna nach Philippi über; seine
Schwester wird ihm bald nachfolgen; darum stellt ihm Poly-
karp ein Zeugnis über seinen bisherigen Lebenswandel aus
und wünscht ihm das Beste für sein ferneres Leben in Phi-
lippi. Aber damit wiederholt er nur, was er schon bei früherer
Gelegenheit im Hinblick auf die damals beabsichtigte und
jetzt stattfindende Reise des Crescens gethan hat !).
3. Die Kirchenverfassungs- Verhältnisse.
Die Erlebnisse des Ignatius und die Zwecke aller seiner
Briefe, mit Ausnahme desjenigen an die Römer, bringen es
mit sich, dass sie uns ein verhältnismässig deutliches Bild
der Kirchenverfassungsverhältnisse auf dem Schauplatze ihrer
Entstehung geben, während z. B. die Zustände des gottes-
dienstlichen Lebens, in welches Ignatius keinen unmittelbaren
Einblick thun konnte, nur aus wenigen characteristischen
Zügen erkennbar sind. Schwierig wird die Aufgabe dadurch
dass Ignatius fast gar keine bestimmten Rathschläge in Be-
zug auf Aenderung. und Fortbildung der vorhandenen Ein-
1) c. 14. Die Lesart „in praesentem diem“ scheint aller handschrift-
lichen Begründung zu entbehren. Reg. Pal. Laur. Magd. lesen „in prae-
senti“. Ob in. Petav. etwas Anderes gestanden, weiss ich nicht. So
bleibt nur die zweifelhafte Auctorität der edit. prince. des Faber Stapu-
lensis, Wer das Verhältnis - dieser Uebersetzung zum Original kennt,
weiss, dass hier so ziemlich alles möglich ist; aber μέχρε τοῦ παρόντος
(Routh) ergäbe zwar den erforderlichen Gegensatz zu ‚„nunc“, zugleich aber
auch die unmögliche Vorstellung eines bisher. ununterbrochenen Em-
pfehlens. Warum also nicht einfach εἰς τὸ παρόν, ἃ. h. für den gegen-
wärtigen Augenblick, im Hinblick auf denselben?
296
richtungen zu ertheilen hat, sondern meist nur auffordert, das
Bestehende zu pflegen.
In den städtischen Gemeinden Kleinasiens, an welche
Ignatius schreibt, besteht überall das dreifache Amt des
Bischofs, der Presbyter und der Diakonen (vgl. oben 8. 256).
Die Titel ἐπίσκοπος und πρεσβύτερος müssen dort durch
längeren Gebrauch deutlich unterschieden gewesen sein. Ein
handgreiflicher Irrthum war es, wenn Dall. p. 395 unter
Anderem aus der Grussüberschrift 1) des Briefs Polykarps glaubte
schliessen zu dürfen, dass nach dem Zeugnis dieses Briefs im
Widerspruch mit den ignatianischen ein unterschiedsloser Ge-
brauch der beiden Titel damals und dort üblich gewesen sei.
Polykarp, welchen Ignatius Bischof nennt und als solchen von
den Presbytern unterscheidet (ad Pol. inscr. Sm. 12), nennt
sich allerdings nicht selber Bischof, aber ebenso wenig thut
das Ignatius in den Ueberschriften; und Polykarp coordinirt
sich den bei ihm befindlichen Presbytern nur darin, dass er
sie zu Mitverfassern des Briefes macht. Da er trotzdem stets
in der ersten Person sing. redet, so wird das zu Grunde
liegende thatsächliche Verhältnis dies sein, dass er sich mit
dem Presbyterium über den Inhalt seines Schreibens be-
sprochen, es aber selbständig abgefasst hat. Wie in Klein-
asien, ist es auch in Syrien. Ignatius ist Bischof von An-
tiochien, und solange er von seiner Gemeinde abwesend oder
nicht wieder ersetzt ist, hat sie nur Gott oder Christus zum
Hirten und Bischof (Rom. 9). Auch die Gemeinden in der
Nähe. von Antiochien, also die syrischen oder cilieischen, haben
je einen. Bischof im specifischen Sinn; denn es werden Die-
jenigen, welche Bischöfe, von Denjenigen, welche Presbyter
und Diakonen nach Antiochien geschickt haben, unterschieden
(Phil. 10). Hiermit sind aber auch die sicheren Anzeichen
der Verbreitung dieser Verfassungsform erschöpft. Es soll
freilich kein Gewicht darauf gelegt werden, dass Ignatius in
keinem der von Troas aus geschriebenen Briefe des dortigen
1) Πολύκαρπος καὶ οἱ σὺν αὐτῷ πρεσβύτεροι x, τ. A. cf. Ign.
Philad. inser,
297
‚. sondern nur der „Brüder in Troas“ gedenkt
Sm. 12), während von Smyrna aus Polykarp wenig-
Ἢ genannt wird (Eph. 21; Mgn. 15). Auch das
‚ein, oder mit der durchgreifenden Verschieden-
‘ des Römerbriefs zusammenhängen, dass in -
Bischof nur einmal und zwar in Bezug auf
ommt (c. 2). Dass es aber in Philippi
gab, zeigt Polykarps Brief (vgl. bes.
. 1108). Als Auctoritäten, welchen man Ge-
‚uuldig ist, werden nur Presbyter und Diakonen ge-
„ut, und den Presbytern werden die sämmtlichen Amts-
pflichten eingeschärft, welche Ignatius dem Verfasser dieses
Briefs in seiner Eigenschaft als Bischof ans Herz gelegt: hatte
(6. 5. 6). Dass hier (ὁ. 6) die Presbyter und nicht die
älteren Gemeindeglieder mit Einschluss der gleichnamigen
Beamten gemeint seien (Buns. II, 110), zeigt der Zusammen- .
hang mit der vorangehenden Ermahnung zum Gehorsam gegen
Presbyter und Diakonen, wenn diese auch durch ein kurzes
Wort an die .Jungfrauen getrennt ist; mehr noch der Inhalt
von c. 6, welcher in ad Pol. 1—6 die vollständigsten Pa-
rallelen hat. Deutlich scheint mir auch, dass sich Polykarp
in c. 4 mit den dortigen Presbytern als -Träger des gleichen
Berufs zusammenfasst, obwohl er sie nicht ausdrücklich nennt.
Schon-der Uebergang von der in c. 5 in. (cf. 6. 4 in.) wieder
aufgenommenen Selbstaufforderung zur Schilderung der Pflich-
‘ten der Diakonen durch ein ὁμοίως (cf. Tıall. 3) weist darauf
hin, dass alles Voranstebende einem bestimmten Stande, zu
welchem Polykarp sich rechnet, also den Gemeindevorstehern
galt. In der That hängen ja auch die Accusative ἑαυτοὺς
πρῶτον. . . ἔπειτα καὶ τὰς γυναῖχας ὑμῶν. . . . τὰς χήρας
gleichmässig von διδάξωμεν ab.. Dass sie auch andere als
ihre eigenen Frauen zu rechtem Verhalten gegen ihre Ehe-
gatten wie gegen die Männer überhaupt und insbesondere zu
christlicher Kindererziehung anhalten sollen, versteht sich
freilich von selbst. Aber es ist doch deutlich die Erfüllung
der hausväterlichen Pflichten der Gemeindevorsteher (vgl.
1 Tim. 3, 4f.) in die nächste Nähe neben die nöthige Selbst-
ne
— nr
298
unterweisung gestellt. Es handelt sich zunächst um ihren
christlichen Lebenswandel überhaupt (c. 6 in.); erst in c. 7
kommt die Rede auf die eigentlichen Berufspflichten. Die
Veranlassung ist deutlich, sowie man sich durch den Spruch
an der Spitze ἀρχὴ δὲ πάντων χαλεπῶν φιλαργυρία auf c. 11
verweisen lässt und sieht, dass die Frau des Presbyters Valens
sich der Sünden ihres Mannes mitschuldig gemacht hat, und
dass auch dort der Widerspruch mangelnder Selbstzucht und
berufsmässiger Belehrung Anderer betont wird. Aber mag
ich hier richtig auslegen oder nicht, so ist aus dem, was
Polykarp von den Presbytern zu Philippi sagt, ebenso wie aus
seinem Schweigen über einen dortigen Bischof auf alle Fälle
klar, dass es dort einen solchen nicht gab. Dass er einen
Bischof nicht in dem Tone wie die unter ihm stehenden
Presbyter und Diakonen habe ermahnen können (Rothe, S. 410),
erklärt ja keineswegs, warum er an allen Stellen, wo man
den Bischof erwartet, ihn überhaupt nicht nennt, und setzt
die Herrschaft einer niedrigen kirchlichen Convenienz voraus,
welche allein schon der Brief des Ignatius an Polykarp wider-
legt, denn auch die dortigen sehr dringenden Ermahnungen
des Bischofs durch den Bischof waren zur Mittheilung an die
Gemeinde bestimmt und wurden von Polykarp selbst nach
Philippi weiter geschickt. Auch die Ausflucht einer Sedis-
vacanz in Philippi; deren man sich in ähnlichen Fällen be-
dient hat, ist verwerflich; denn wie sollte Polykarp, indem er
seine Ermahnungen auf sämmtliche Stände der Gemeinde
vertheilt (ὁ. 4— 6), die leere Stelle unberührt lassen oder
seinen Rathschlägen eine Form geben, welche in kürzester
Zeit nicht mehr zutraf! Pearsons Vermuthung (11, 168 ff.)
vollends, dass die Philipper ihn wegen augenblicklichen
Mangels an einem Bischof um seinen Rath in der Ange-
legenheit des Valens gebeten haben sollen, beruht erstlich
auf der wunderlichen Vorstellung, als ob die Männer, zwischen
denen man bei der Wahl eines Bischofs schwanken mochte,
nicht jetzt schon den nöthigen Rath hätten ertheilen können,
schwebt aber überhaupt in der: Luft, weil Polykarp in jener
Angelegenheit kaum einen Hath ertheilt und am wenigsten
299
andeutet, däss er darum gebeten sei. Es stand also in Philippi
in dieser Hinsicht noch ebenso, wie zu der Zeit, als Paulus
dorthin schrieb; nur der Unterschied ist bemerkbar, dass
Polykarp, in dessen Kreise nur der eine Bischof jeder Ge-
meinde ἐπίσκοπος hiess, die Gemeindevorsteher zu Philippi
nicht mehr wie Phil. 1, 1 ἐπίσκοποι, sondern immer nur
πρεσβέτεροι nennt, obwohl sie in Philippi diejenigen Be-
fugnisse haben, welche in Smyrna grösstentheils dem Bischofe
zustehen. Dann ist es nicht bloss möglich, sondern auch
wahrscheinlich, dass 2. B. in Korinth, wo im Jahre’ 97 nur
erst das zweifache Amt der Presbyter oder Episkopen und der
Diakonen existirte, auch jetzt noch der gleiche Zustand un-
verändert fortdauert, und es fehlt wenigstens jedes sichere
Zeugnis dafür, dass es in Rom inzwischen wesentlich anders
geworden, als es zur Zeit des Clemens und Hermas war).
Eine von jeder kritischen Meinung über unsere acht Briefe
unabhängige Thatsache ist es, dass zur Zeit ihrer Entstehung
der monarchische Episkopat in Asien völlig feststand, aber
keineswegs über die ganze Kirche verbreitet war. Dann
scheint allerdings eine Hyperbel in den Worten zu liegen:
ὡς καὶ οἱ ἐπίσκοποι οἱ κατὰ τὰ πέρώτα ὑρισϑέντες ἐν Inoor
Χρισιοῦ γνώμῃ εἰσίν (Eph. 3, s. Anh. 1 2. ἃ. St.). Freilich irrt
Pearson (I, 153), wenn er ὁρισϑέντες — εἰσίν als Prädicat zu-
sammenzieht und als einzig möglichen Sinn den Satz ge-
winnt, auf welchen auch Rothe $. 472 hinauskommt: „episco-
patum fuisse ab apostolis ex voluntate Christi institutum “.
Nicht vom Episkopat ?) oder von der Einsetzung von Bischöfen
ist die Rede, sondern von den vorhandenen Bischöfen, soweit
Ignatius von solchen weiss, sagt er, dass sie sich in der
Willensmeinung Christi befinden, d. h. christlich gesinnt
sind. Es galt den Ausdruck der voranstehenden Ermahnüng
zu rechtfertigen, mit der Willensmeinung Gottes sich in Ein-
1) Vgl. m. Schrift über Hermas, 5. 117. 98 ff.
. 2) So auch z. B. Uhlh., S: 34, welcher dann vermöge der Lesart
ohne ἐν den Gedanken gewinnt, dass die Einigkeit der Kirche sich im
Episkopat darstelle, vgl. S. 36. |
800
klang zu setzen oder zu erhalten und in derselben sich zu
vereinigen, während die Ermahnung c. 2 a. E. auf Heiligung
in Unterordnung unter Bischof und Presbyterium lautete.
Der Gedanke ist demnach: Gottes Meinung sage ich, denn
in der That ist ja Christus der persönliche Ausdruck der
Meinung des Vaters, und in dessen Meinung befinden sich
die Bischöfe allerorten. Darum kann die Ermahnung zur
Unterordnung unter den betreffenden Bischof durch die
andere zur Unterordnung unter Gott ersetzt werden. Selbst’
wenı man das sehr bedenkliche πέρατα im Text belässt, folgt
doch aus diesem Satze, der keine statistische Belehrung über
die Ausdehnung des Episkopats geben will, nichts gegen die
. bemerkte Begrenzung desselben. Da Ignatius zu Leuten redet,
welche ebenso wie er selbst nur Gemeinden mit Bischöfen in
ihrer Nähe haben, so wäre die Forderung pedantisch, er solle
an die westwärts gelegenen Gemeinden ausdrücklich erinnern,
bei denen eim Presbyterium ohne monarchische Spitze die
bischöflichen Functionen ausübte, zumal hier, wo οἱ ἐπίσκοποι,
wie der nachgewiesene Zusammenhang zeigt, nur der bündige
Ausdruck für das ist, was vorher „Bischof und Presbyterium“ -
und anderswo „Bischof, Presbyter und Diakonen‘“ heisst.
Noch weniger will es besagen, wenn er einmal nach einer
Ermahnung, nichts ohne den Bischof zu thun, und den
Trägern des kirchlichen Amtes überhaupt die schuldige Ehre
zu erweisen, sagt: χωρὶς τούτων ἐκκλησία οὐ καλεῖται (Trall. 3).
. Des Vedelius (II, 125) unglücklicher Versuch, τούτων auf die
vorher eingeschärften Pflichten zu beziehen, reizt nicht zur
Nachahmung. Der Sinn ist obne Frage der: „was ohne die
Träger des dreifachen Kirchenamtes ist, heisst nicht Kirche“ ;
aber den Gegensatz bildet nicht eine Gemeinde, welche dieser
Institute oder eines derselben entbehrt, sondern ein kirchliches
Handeln, wie Abendmahlsfeier oder sonstige gottesdienstliche
Versammlungen, welches ohne Wissen und Willen, ohne
directe oder indirecte Leitung des an der Spitze stehenden
Bischofs und der ihm untergeordneten Presbyter und Diakonen
vor sich geht (cf. ὁ. 2. 6. 7; Sm. 8; Phil. 3. 4. 7; Eph. 5).
Um zum. Bewusstsein zu bringen, wie sehr dies dem Wesen
901
einer kirchlichen Handlung widerspreche, werden diese Christen
von Tralles daran erinnert, dass sie ohne ihre geistliche
Obrigkeit gar keine Gemeinde, sondern ein Haufe ohne Orga-
nisation sind. Es wird hier so wenig wie irgendwo bei
Ignatius oder Polykarp ein gemeingültiger Kirchenverfassungs-
grundsatz verfochten, sondern unter Voraussetzung der Episko-
palverfassung werden diese Gemeinden, die sie alle längst
haben, vor einem separatistischen Streben gewarnt, welches
damals von den dort eindringenden Häretikern ausging. ΕΒ
geschieht dies selbstverständlich in der Form, welche die dort
allgemein anerkannte Verfassung darbot. Von ‚ Begründung “
oder „Einführung der bischöflichen Gewalt“ in den asiati-
schen Gemeinden durch Ignatius ἢ oder auch nur von einer
„angelegentlichen Empfehlung des Episkopats“, von einer
„durchschimmernden Aengstlichkeit‘‘, welche die verhältnis-
mässige Neuheit des Instituts erkennen lasse, also von einer
Empfehlung dieser Verfassungsform im Gegensatz zu einer
anderen älteren, von einer Einschärfung des Unterschieds
zwischen Bischof und Presbytern u. s. w. hat man zwar viel
geredet ?), aber keinen Beweis geliefert.
Auch ein Seitenblick auf andre Gegenden der Kirche
wäre nur dann veranlasst gewesen, wenn man sich von irgend
einer Seite auf die abweichende Verfassung anderer Kirchen
berufen hätte, oder wenn man überhaupt das bischöfliche Amt
im Unterschied von anderen Gemeindeämtern angefochten
hätte; aber davon verlautet eben nichts. Wie Ignatius etwa
geredet haben würde, wenn in jenen Gemeinden grundsätz-
licher Widerspruch gegen den Episkopat erhoben worden
wäre, zeigt das Verfahren des Clemens von Rom in der Ver-
theidigung des kirchlichen Amtes, dort des Presbyterats,
gegen die korinthischen Empörer 8). Selbst Diejenigen, welche
‚nach dem Urtheile des Ignatius nicht die richtige Stellung
1) So namentlich Kist, 5. 79. 81f. vgl. 68 ff. 72. 76.
2) So z. B. Rothe, 5. 434f.; Baur II, 117, Uhlh., 5. 880 ἢ.
3) Vgl. auch die Vertheidigung ‘des Episkopats als eigenthümlichen
Regierungsamtes in Clem. hom. III, 61—64. |
802
zu ihrem Bischof einnehmen, führen seinen Titel im Munde ').
Auch die Irrlehrer, welche zugleich separatistische Tendenzen
verfolgen, können mit keinem Worte den Episkopat im Unter-
schiede von einem andern Gemeindeamte für minder be-
rechtigt erklärt haben; denn der Vorwurf gegen sie lautet,
wie namentlich der Brief an die Philadelphener von Anfang
bis zu Ende beweist, immer nur auf Losreissung von der
kirchlichen Einheit überhaupt, von der unter Bischof, Pres-
bytern und Diakonen verfassten Gemeinde. Der natürliche
Sitz einer Opposition gegen den Episkopat als eine noch
nicht ausreichend befestigte Institution wären die niederen
geistlichen Grade gewegen.. Aber wie die Gemeinden über-
haupt, so werden insbesondere Presbyter und Diakonen oft
wegen ihrer schönen Eintracht mit dem Bischof und wegen
ehrerbietiger Unterordnung unter ihn belobt (Eph. 4. 6;
Mgn. 2. 3); und man sollte doch nicht das Gegentheil aus
der einzigen Stelle herauslesen, an welcher den Presbytern
insbesondere anempfohlen wird, was sich für alle schickt, dem
Bischof seine Amtsführung leicht zu machen ἢ. Verdächtig
muss daher von vornherein auch die einzige ausdrückliche
Spur der Neuheit des Episkopats erscheinen, welche man in
Mgn. 3 finden wollte®). Nach einem Lob des Diakonus
Zotion wegen seines Gehorsarmıs gegen Bischof und Presbyter
heisst es: καὶ ὑμῖν δὲ πρέπει μὴ συγχρᾶσϑωι τῇ ηλικίᾳ τοῦ
ἐπισκύπου, ἀλλὰ κατὰ δύναμιν ϑεοῦ πατρὸς πᾶσαν ἐντροπὴν
1) Mgn. 4: ὥσπερ καί τινες ἐπίσχοπον μὲν καλοῦσι, χωρὶς δὲ αὐτοῦ
πάντα πράσσουσιν. Ob hier nicht statt χαλοῦσι, das aus ungeschickter
Assimilirung an den vorigen Satz entstand, λαλοῦσι zu lesen ist
(cf. c. 10)? Dass hier nicht, wie Uhlh. S. 289 annimmt, Häretiker
gemeint sind, wird sich später zeigen.
2) Trall. 12. Diese eine Stelle wird die Grundlage der amplificiren-
‚den Bemerkung Rothe’s S. 445 sein. Auch Kist (S. 71), auf den sich
Rothe bezieht, weiss nichts weiter beizubringen. Des Letzteren Ver-
werthung von Phil. 7 S. 72ff. glaube ich nach der ausführlichen Er-
örterung der Stelle (oben S. 267f.) nicht mehr widerlegen zu müssen.
3) So zuerst Salmasius (apparat. ad lihr. de primatu Papae, Lugd.
᾿ Bat. 1645, p. 56 eq.), dann die Schüler des L. Capellus in einer Dispu-
tation, über welche Pears. ad lect. berichtet, u. A.
303
αὐτῷ ἀπονέμειν, κωϑὼς ἔγνων χαὶ τοὺς ἁγίους πρεσβυτέρους
οὐ προσειληφότας τὴν φαινομένην νεωτερικὴν τάξικ, ἀλλ᾽ ὡς
φρονίμους ἐν ϑεῷ συγχωροῦντας αὐτῷ. Obwohl συγχρῆσϑαι ἢ)
auffallend ist, so herrscht doch darüber keine Meinungsver-
schiedenheit, dass die Leser ermahnt werden, nicht um des
noch jugendlichen Alters ihres Bischofs willen 3) ihm die
schuldige Ehrerbietung zu versuchen. Das Gleiche wird den
Presbytern nachgerühmt, und die Meinung, das οὐ προσειλη-
φώτας einen zweiten Vorwand ausser der Jugend des Bischofs
einführen müsse, dessen sich die Presbyter hätten bedienen
können, um ihm sein Vorrecht abzusprechen (Uhlh., 5. 329)
beruht auf dem Irrthum, dass προσλαμβάνειν heisse oder
vielmehr heissen müsse „noch dazu einen Vorwand woher
nehmen“. Aber das Andere, wozu etwas hinzugenommen
wird, ist sehr häufig der Hinzunehmende selbst, so bei dem
häufigen Gebrauch des Wortes „einen als Bundesgenossen sich
attachiren“. Daraus bat sich die ziemlich gewöhnliche Be-
deutung entwickelt „sich etwas zu Nutze machen‘, besonders
im schlimmen Sinne 3). So ist es hier offenbar gemeint, denn
Wenn προσειληφότᾳας τὴν φαινομένην νεωτερικὴν τάξιν nicht
wesentlich synonym mit dem Inhalt der Ermahnung an die
Gemeinde wäre, so müsste man schon in den Worten χαϑὼς
— πρεσβυτέρους einen solchen Gedanken ausgedrückt finden
und ἔγνων seines unentbehrlichen Complementes berauben.
Das Weitere würde zu einer grammatisch entbehrlichen
1) Es heisst, um kirchliche Beispiele zu nennen, entweder über-
haupt „gebrauchen, anwenden“ (Glem. str. VII, p. 897 Pott.), daher
„eitiren“ (str. I, p. 351) oder „mit Anderen zugleich etwas ge
brauchen “ (Tatian. or. 4) und daher dann „in Verkehr, Lebensgemein-
schaft mit jemand stehen “ (Joh. 4, 9).
2) Rothes Einfall S. 438f., dass‘n ἡλικία τοῦ ἐπισχόπαυ das Alter
des Episkopats bedeuten könne, bedarf der Widerlegung nicht.
3) Demosth. 20, 7 sagt von Philipp: τὴν γὰρ ἑχάστων ἄνοιαν asl
τῶν ἀγνοούντων αὐτὸν ἐξαπατῶν καὶ προςλαμβάνων οὕτῳς ηιξήϑη.
S. Schäfer z. ἃ, St. C£. p. 417, 17 vom Misbrauch eines Sprichworts.
In Dio Cass. 60, 2 liegt das Accessorische nicht in προς λαμβάνειν,
sondern in χαί vor τοῦτο.
304
Näherbestimmung herabsinken, welche aber μὴ statt οὐ er-
forderte ').. Ferner soll νεωτερικὴ τάξις Sich auf „die Neuheit
des Episkopats“ beziehen, also „moderne Institution‘ heissen
in Widerspruch mit der Bedeutung beider Worte. Τάξις
bezeichnet doch zunächst wie alle Worte dieser Bildung die
Handlung des τάττειν in activem oder passivem Sinne; und
da τάττειν nicht bloss heisst „eine Menge in Reih’ und Glied
aufstellen‘, sondern auch „dem Einzelnen eine Stelle in der
Reihe, einen Rang anweisen“ und daher dann „zu einem
Amte oder einer Thätigkeit bestellen“, so wäre die aller-
nächste hier in Betracht kommende Bedeutung „Bestellung
zum Bischofsamt‘“ oder „Ordination“; und ich verstehe nicht,
wie man das einen späteren Gebrauch des Wortes nennen
kann 3), da die Bedeutung „Amt, Stellung, Rang“ sich erst
aus dieser nächsten entwickelt hat. Allerdings heisst auch
das Resultat des τάττειν eine τάξις, die aufgestellte Reihe,
der Rang, den einer einnimmt, das Amt, das einer führt, in
Folge dessen, dass er dazu bestellt ist. Aber Amt im Sinne
einer bestehenden Institution oder deutlicher eines Instituts
heisst es gar nicht, sondern immer nur Amt als Stellung des
Einzelnen. Wollte man es aber im abstracten Sinne für
Stiftung nehmen, so wäre ein Genitiv des Objects τῆς ἐπι-
σκοπῆς oder dergleichen unerlässlich. Aber νεωτερικός heisst
auch weder neu noch neuerlich 3), sondern jugendlich oder
1) Es müsste etwa heissen: ὥσπερ ἔγνων χαὶ τοὺς πρεσβυτέρους
ποιοῦντας, un προςειληφότας x. τ. A.
2) So z. B. Uhlh., S. 329. Der Kunstausdruck wäre z&porori«, aber
gerade dieser war es damals noch nicht (Phil. 10; Sm. 11; ad Pol. 7). —
Petavius (theol. dogm., tom. IV, p. 162, ed. Antwerp. 1700) erklärt τάξις
richtig durch ordinatio, misversteht aber vewrspixds = mudern.
3) Pears. ad lect., dem dann Smith schol. p. 78 (tempus nuperae recen-
tisque ordinationis) blindlings folgt, eitirt dafür, ohne jedoch, wie z. B.
Hilgf. S. 194 ihm nachsagt, die darauf gegründete Erklärung sich anzu-
eignen, Epiph. haer. 67, 3. Aber anter ψαλμοιὶς vewrsgixovs wird man
nicht mehr ‚neuere‘ oder „moderne“ Psalmen verstehn, wenn man
Plut. Dion. 7, 4 (ed. Ruald I, 961 B) cf. 8, 1 gelesen hat, dass μέϑαι
xal σχώμματα καὶ ψαλμοὶ καὶ ὀρχήσεις unter die vewrsgixa gezählt
werden. Cf. Eus, ἢ. 6. VII, 30, 10: ψαλμοὺς . .. παύσας ὡς δὴ νεω-
908
eigentlich „Jünglings‘‘ (in Zusammensetzung mit einem Sub-
stantiv). Es kann, wie Pearson und nach ihm Arndt (Hand-
schrift) richtig bemerkte, aber schlecht verwerthete, nach
Analogie der gleichgebildeten Adjectiven geradezu τάξις vew-
τέρου oder νεωτέρων dafür gesetzt-werden. Aber Jugendlich-
keit !) bedeutet dies dann nicht; denn aus der Bedeutung
„Rang, Classe‘“ kann man nimmermehr den ganz anders-
aıtigen Begriff der Beschaffenheit herausbringen. Was aber,
„wenn man den griechischen Sprachgebrauch ins Auge
fasst“, unerklärlich ist, sollte man nicht als „gezierten “
Ausdruck gelten lassen (Bunsen I, 131). Ganz einfach ist
der Ausdruck, wenn man übersetzt „Anstellung“ oder „Ordi-
nation eines jungen Mannes‘, was rein grammatisch betrachtet
im Griechischen wie im Deutschen ebenso wohl eine von
einem jungen Manne, als eine an ihm vollzogene Handlung
bezeichnen kann 2. Hier macht der Zusammenhang Letzteres
unzweifelhaft. Die Presbyter haben den „äusserlichen Um-
stand‘, dass ein jüngerer Mann zum Bischof bestellt worden
ist 3), sich nicht zu Nutze gemacht oder als Vorwand einer
unehrerbietigen Gleichstellung mit ihm gebraucht. Der Aus-
druck ist gewählt, um den Gegensatz des νεώτερος und der
πρεσβύτεροι hörbar zu machen, und durch φαινομένη 4) ist
τέρους καὶ νεωτέρων ἀνδρῶν συγγράμματα. Neben das erste Attribut
(„modern “) tritt das zweite, welches auch durch νεωτερικὰ συγγράμ--
ματα hätte wiedergegeben werden können.
1) So Pearson a. a. O. Hefele z. d. St. („sichtliche Jugendlich-
keit“); Buns. II, 65 vgl. I, 131; Hilgf., S. 119 Anm.
2) Wie die Adjectiven überhaupt die verschiedensten Genitive er-
setzen können (vgl. Kühner, ausf. Gr. Il, 224), so insbesondere die so
gebildeten. Ein Subjectsgenitiv (νεωτέρου oder νεωτέρων») liegt zu Grunde
Polyb. fragm. ex libr. de virt. et vit. ed. Gron. II, 1388: νεωτερικῆς
aywyis‘ — νεωτεριχῶν ζήλων,,. ein Objectsgenitiv Herod. VII, 170:
φόνος Ἑλληνιχός, ein sehr loses Objectsverhältnis in βασιλικὰ ἐγχλήματα
Schweighäuser, lex. Polyb. 8. v. βασιλικός.
3) Cf. Const. app. I, 1 ed. Lag., p. 14, 2. 11ft.
4) Rothe (S. 439) bereitet sich künstliche Schwierigkeiten durch die
falsche Uebersetzung „scheinbar“. Auch ein χατὰ σάρχα hätte stehen
können, vgl. Eph. 1 ἐν σαρχί = „äusserlich betrachtet “.
Zahn, Ignatius. 20
306
noch angedeutet, dass der junge Bischof an Erfährung und
Tüchtigkeit über das »ewrepıxov hinaus sei. Dass irgendwer
den Damas misachtet hätte, wird nicht gesagt, aber auch
ohnedies ist begreiflich, wie Ignatius den eigenthümlichen
Eindruck, welchen es auf ihn machte, einen jungen Bischof
von den alten Presbytern respektvoll behandelt zu sehen,
eben diesen Ausdruck gab. Es wird also durch diese Stelle
nicht im Geringsten verdunkelt, dass der Episkopat als ein
vom Presbyterat deutlich unterschiedenes Amt in den asiati-
schen Gemeinden seit geraumer Zeit bestand und weder von
den Presbytern noch von den Häretikern angefochten wurde.
Dieser Episkopat ist aber Gemeindeamt und in keiner
Weise, was man im Unterschied davon Kirchenamt nennt.
Jede durch gleichen Wohnsitz und gemeinsamen Gottes-
dienst !) abgegrenzte Gemeinde hat einen Bischof und hat
nur Einen, während unter ihm mehrere Presbyter und
Diakonen stehen. Schon die unendlich oft wiederkehrende
Verbindung von Bischof, Presbytern und Diakonen als Vor-
stehern der Gemeinde schliesst die Möglichkeit aus, dass die
Befugnis des Bischofs auf einen weiteren Umkreis sich er-
strecke als die des Presbytercollegiums, dass also etwa kleinere
Gemeinden unter einem oder mehreren Presbytern, welche
nicht zu diesem Collegium gehört hätten, dem Bischofe der
grösseren Nachbargemeinde untergeordnet gewesen wären. Es
werden nur städtische ?) Gemeinden genannt und wie in
apostolischer Zeit (2 Kor. 6, 11) werden sie als Bewohner
der betreffenden Städte benannt (Eph. 8. 11; Sm. 12;
Phil. 11; Rom. 10). Wenn es damals auf dem platten Lande
Christen gegeben hat), müssen sie entweder ohne alle
1) Vgl. besonders Eph. 5; Phil. 4; Sm. 8.
2) Auch das χατὰ πόλιν Rom. 9 gehört dahin, cf. Herm. vis. 2, 4:
αἱ ἔξω πόλεις im Gegensatz zu αὕτη ἡ πόλις, ἃ. ἢ. der römischen Ge-
meinde.
3) Plin. ad Traj. 96 (al. 97), 9: neque eivitates tantum, sed vicos
etiam atque agros superstitionis istius contagio pervagata est. — Just.
apol. I, 67: xar« πόλεις ἢ dypovs.
907
selbständige Organisation der nächstgelegenen städtischen Ge-
meinde angehört oder völlig selbständige Gemeinden mit
eigenen Bischöfen und Presbyterien gebildet haben. Aber
vom Einen wie vom Anden zeigt sich keine Spur. Man
hat aus mehreren Stellen herausglesen wollen, dass Ignatius
selbst ganz Syrien zum Sprengel gehabt habe. Er nennt
allerdings in den vier von Smyrna aus geschriebenen Briefen
fünf Ma] seine Gemeinde „die Gemeinde in Syrien“ 1), aber
es wurde schon oben S. 244 daran erinnert, dass dieselbe in
den drei späteren Briefen „die Gemeinde im syrischen An-
tiochien“ heisst und deutlich als Ortsgemeinde vorgestellt
wird, in deren Nähe andere Gemeinden mit eigenen Bischöfen
sich befinden (Phil. 10). Dass er im einen Fall τῆς Συρίας
zum Stadtnamen hinzusetzt, im anderen nur Syrien nennt,
zeigt, das ersteres nicht eine in diesem Fall überflüssige
geographische Angabe zur Unterscheidung dieses Antiochiens
von einem anderen sein soll; und einem Interpolator hätte
Cureton 8. 275 diese Absicht schon darum nicht zuschreiben
sollen, weil das τῆς “σίας Eph. Trall. Sm. inser. 3), welches
Cureton 5. 277 überflüssig, also gewiss nicht absichtsvoll
findet, auf diese Weise nicht zu erklären ist. Aber über-
flüssig war es auch, wenn Irenäus in seinem gelehrten Werke
(UL, 1, 1) ἐν ᾿Εφέσῳ τῆς Aclag schrieb. Wir sehen daraus
nur, dass es den Christen der alten Zeit, wenn sie sich wie
Ignatius und Irenäus in der Fremde befanden, natürlich war,
den landschaftlichen Unterschied von ihrer Umgebung aus-
zudrücken. Ignatius reist nicht von Antiochia nach Seleucia
u. 8. w., sondern von Syrien nach Rom (Rom. 5; Eph. 1),
oder vollends aus dem Orient in den Oceident (Rom. 2); die,
1) Pears. III, 56: ergo non tantum in urbe sed in provincia Syriae
jurisdietionem habuit Ignatius.
2) Phil. inser. ist auszunehmen, weil es mehrere Städte dieses.
Namens ausserhalb des eigentlicheu Asiens gab. Das Μαγνησίᾳ τῇ
πρὸς Μαιάώνδρῳ war sehr üblich wegen der Nähe des anderen, aber
überflüssig doch auch, da der Bischof dieser Gemeinde den Brief über-
bringt.
20*
808
welche ihm von Antiochia aus vorangeeilt und nachgefolgt
sind, kommen aus Syrien (Rom. 10; Philad. 11), und die Ge-
sandten der asiatischen Gemeinden reisen nach Syrien
(Sm. 12; ad Polyc. 7. 8). So ist es auch zu verstehen, wenn
er den Römern, die er bei seinem Opfertode gegenwärtig
denkt (cf. Rom. 7), einen Altargesang ‘in den Mund legt des
Inhaltes: ὅτε τὸν ἐπίσκοπον Συρίας ὁ ϑεὶς κατηξίωσεν εὑρεϑῆναι
εἰς δύσιν, ἀπὸ ἀνατολῆς μεταπεμψάμενος !). Schon dass der
Artikel vor Συρίας fehlt, hätte den Gedanken fern halten
sollen, als ob Ignatius sich hier bischöfliche Jurisdiction über
Syrien zuspreche 5), und wenn Bunsen (I, 117) in diesem
dem syrischen Text Curetons fehlenden Συρίας einen Anachro-
nismus entdeckt zu haben glaubte, so hätte er bedenken sollen,
dass es einen „Bischof von Syrien‘ im dritten und vierten
Jahrhundert ebenso wenig gegeben hat, als im zweiten und
neunzehnten. Aber für die Römer, sogar für die Heiden im
Amphitheater ist Ignatius „der syrische Bischof“, auf den
man mit dem Finger weist. Ein Beitrag zur kirchlichen
Statistik lässt sich daraus nicht gewinnen. Häufiger und in
sehr mannigfaltiger Weise sind in dieser Richtung die räthsel-
haften Worte der Ueberschrift des Römerbriefs verwendet
worden: ἥτις καὶ προκάϑηται ἐν τόπῳ χωρίου Ρωμαίων. Noch
immer ist die Mahnung des Casaubonus 8) zu beachten: „qui
eo trahere conantur haec tituli verba — quod alicubi facit
Bellarminus — rogandi sunt, ut barbaram lectionem prius
nobis explicent, quam ullum ex eis argumentum ducant, quae
ne ipsi quidem intelligunt‘. Barbarisch ist nämlich vor allem
die Verbindung von τόπῳ χωρίου 4) und doppelt dunkel, weil
schon χωρίον Ῥωμαίων undeutlich ist. Letzteres könnte einen
1) Rom. 2. Die gewöhnliche Interpunction vor statt hinter εἰς
δύσιν beruht auf Verkennung der Construction, vgl. Act. 8, 40.
2) So Pears. III, 54; Smith, schol., p. 195. Ueber deren Misdeutung
von Rom. 9 8. oben 8. 254.
3) de rebus sacr. et eccl. exercc. XVI ed. Genev. 1663, p. 669.
4) Ganz unpassend, wie schon richtige Interpunction zeigen wird,
ist die Vergleichung von Orig. ed. De la Rue IV, 1124: ἐχεὶ τοῦ τόπου,
χωρίου παρακλήσεως κ᾿ τι λ.
809
den Römern gehörigen Platz oder. auch das ganze von ihnen
bewohnte oder beherrschte Gebiet bezeichnen 1), nimmermehr
aber die Stadt Rom selbst ?), die Umgegend derselben °), oder
die Stadt mit Vorstädten und nächster Umgegend ἡ. Was
sollte es auch bedeuten, dass die römische Gemeinde in Rom
und Umgegend, oder gar nur in letzterer ihren Sitz habe,
und in Bezug worauf hiesse ihr dortiges Wohnen ein Präsi-
diren? Richtig erkannte schon Voss ®), dass dies προκάϑηται
einen dasselbe näher bestimmenden Genitiv erfordere, wie
gleich darauf dasselbe Verb τῆς ἀγάπης bei sich hat; denn so
selbstverständlich wie da, wo vom Vorsitz des Bischofs und
der Presbyter die Rede ist δ), ergänzt sich ja hier nicht der
Bereich, worüber die römische Gemeinde den Vorsitz führt;
und gar zu bequem ist es doch, wenn man aus dem ver-
meintlichen Mangel einer Angabe dieses Inhalts folgert, dass
Ignatius hier „die Präsidialwürde der römischen Kirche
schlechthin“ ausspreche ἢ, während man doch nicht anzu-
1) Letzteres wäre frejlich nicht gut griechisch; aber es ist unbe-
denklich (cf. Cur., p. 288), den syrischen Sprachgebrauch bei Ignatius
wirksam zu denken und sich an das gewöhnliche awon5? 132]
(Kirsch - Bernstein, Chrestom., 8. 18, 2; 19, 6) erinnern zu lassen, welches
Seur. 40, 2 und Smoes. 6, 4 (cf. Cur. 224, 26), letzterer ohne Aequi-
valent für ἐν τόπῳ hier anwenden, als ob χώρας Ῥωμαίων dastünde.
2) Die Vergleichung von ἐν τόπῳ Ἰεροσολύμων im Brief Abgars
Eus. h. e. I, 13, 6 (syrisch in Cur., anc. docum., p. >) bei Pears. III, 53
trägt, abgesehn davon, dass die Verbindung von τόπος und χωρίον
fehlt, auch deshalb gar nichts aus, weil Jerusalem Stadt- und nicht
Volksname ist. Das Gleiche gilt für Luc. 9, 10 (text. rec. und Lach-
mann).
3) Luc. 4, 37 (auch von Cur.-p. 288 angeführt) lässt sich durch-
aus nicht vergleichen, denn dort heisst‘ nicht die πέρέχωρος ein τόπος,
sondern alle zur Umgegend gehörigen Orte sind πᾶς τόπος τῆς περιχώρου.
4) So Pears. ΠῚ, 53; Smith, schol., p. 92; Dressel, S. 164.
5) p. 292. Hierin folgte ihm Buns. I, 114; II, 123f.
6) So zweimal Mgn. 6, wo übrigens auch noch andere Näherbe-
stimmungen ein τῆς &xxAnoies unbequem gemacht hätten.
Ἢ So Nirschl, S. 115. Dessen unsichere Vermuthung χωρίων führt _
vermöge der interessanten Kunde, dass Rom” schon „von Papst Cle-
810
geben weiss, was „das Gebiet der Römer‘ sei, und inwiefern
die Stadt Rom der Ort dieses Gebietes heissen könne. In
ersterer Hinsicht war die Conjectur χοροῦ !) keine Abhülfe;
denn selbst wenn die römische Gemeinde vom Chor der
Römer, d. h. der römischen Christen, wie das Ganze von der
Summe der Einzelnen unterschieden werden könnte, bliebe
unverständlich, wie jenes über diese den Vorsitz führe. Der
Dunkelheit des ἐν τόπῳ, welches Voss ganz unerklärt liess,
hat auch Bunsen (I, 123f.) durch seine Uebersetzung des
überlieferten Textes nicht abgeholfen: „welche da in Würde
(oder amtlich) den Vorsitz führt über die Landschaft der
Römer‘ ®), was dann, um mit Smith (schol., p. 93) zu
reden, zu dem „suave insomnium “ einer Oberhoheit Roms über
die sogenannten suburbicarischen Kirchen führt ὃ. Aber ab-
gesehn davon, dass ein Metropolitanrecht des römischen
Bischofs nicht ohne weiteres eine Oberhoheit der römischen
Gemeinde wäre, und dass von einer amtlichen ‘Würde dieser
kein Begriff zu gewinnen ist, so heisst τόπος überhaupt nicht
„amtliche Würde“. Es bezeichnet die Stelle oder Stellung,
die einer einnimmt, gleichviel ob sie amtlich oder nicht, hoch
oder niedrig ist. Der Apostel 4), der Bischof 5), der Pres-
mens I.“ auch in kirchlicher Hinsicht in Regionen (χωρέαι) eingetheilt
worden, zu der Annahme, dass „Ort der römischen Regionen “ oder
„ Regionenstadt“ eine „figürliche Bezeichnung‘ Roms sei!
1) So Voss nach Li. Seine Auffassung bleibt undeutlich, in der
ep. ad Riv., p. 85 gerieth er auf den Einfall, ἥτις von ἀγάπην Ἰησ. X.
abhängen zu lassen.
2) Aehnlich, aber noch unverständlicher Hilgf., 5. 196, Anm. 8:
„führt den Vorsitz in der Würde, dem Rang des römischen Gebiets“.
Ich verstehe auch nicht, wie hieran mit einem ‚‚d. h.‘“ der balb richtige
Gedanke angeschlossen werden kann: „die kirchliche Auszeichnung der
Welthauptstadt entspricht der politischen “.
3) Ueber die gebrechliche Stütze des 6. can. Nicsen. vgl. Hefele
Conciliengesch. I, 880 ff.
4) Act. 1, 25, wenn dort τόπος ächt sein sollte.
. 5) ad Pol. .1; Alex. Hieros. bei Eus. ἢ. e. VI, 11, 3; const. ap.
. 21, 35 (= didasc. ed. Lagarde p. 42, 6). — Orig. (ed. de la Rue
IM, 581 B: ἐπεὶ δὲ οἱ τὸν ἑόπον τῆς ἐπισκοπῆς ἐκδικοῦντες χρῶνται
811
byter 1), aber auch der Anagnost und der Laie (rell. jur. eccl.
gr., p. 78, 15; 79, 9; vgl. 1 Kor. 14, 16) haben je ihren
τόπος. Der Priester hat auch nur seinen ἴδιος τόπος, wie
jeder Andre, er sei Levit oder Laie (Clem. ad Cor. I, 40).
Das aller Näherbestimmung entbehrende τόπος aber gibt nicht
die Vorstellung irgend welcher Qualität oder Rangstufe, und
doch findet es an χωρίου, welches für προχάϑηται unent-
behrlich ist, keine verständliche Näherbestimmung. Einen
erträglichen Sinn gewinnt man meines Erachtens nur, wenn
man sich entschliesst, trotz Mangels handschriftlicher Be-
zeugung τύπῳ zu lesen un mit Voss und Bunsen zu con-
struiren. Der ursprüngliche Text ist hier völlig, aber auch
Tr. 3; Mgn. 6 beinah völlig aus der Ueberlieferung ver-
schwunden (8. Anh. 1, z. d. St.). Wie nach jenen Stellen Bischof
und Presbyter ihrer Gemeinde als Vorbild voranleuchten, so
die römische Gemeinde dem Gebiet der Römer. Ἔν: τύπῳ
heisst es passend anstatt des εἷς τύπον dort, weil nicht die
Bestimmung, zu welcher, sondern die Eigenschaft, in welcher,
und damit der Sinn, in welchem die römische Gemeinde
anderen vorsteht, auszudrücken war ἢ). Sie ist thatsächlich
ein Vorbild für andere Gemeinden; und dass nur ein solcher
idealer Vorsitz gemeint sei, zeigt überdies das gleichfolgende
Attribut προκαϑημένη τῆς ἀγάπης. Vermöge einer etwas
τῷ ῥητῷ Matth. 16, 19) zeigt, dass jener Ausdruck des Ignatius (ad
Pol. 1) zur Phrase geworden war. Anderes liefert Pears. III, 17. 24.
1) Clem. ad Cor. I, 44; Polyc. 11; ep. mart. Lugd. bei Eus. ἢ. e.
V,4, 2. An Presbyterat und Episkopat zugleich wird zu denken sein
bei rell. jur. eccl. gr. ed. Lagarde p. 79, 7 (ef. 7, 16). Noch allge-
gemeiner ist Jgn. Sm. 6 gemeint. Lehrreich ist besonders Eus. h. e.
VII, 15, 2. Die Stellung eines Centurio heisst τιμή oder ἀξία, wo es
sich um den Rang handelt, τόπος aber, wo von der Vacanz die Rede
ist. Es weist aber zunächst nur auf die leere Stelle hin, die Einer mit
seiner Person und Thätigkeit ausfüllt. ._ Was ad Pol. 1 τόπος ist, heisst
Philad. 1 diexovie, Eph. 6 oixovoufe, und dass mit dem τόπος eine den
Inhaber empfehlende Würde verbunden sei, leugnen noch die Zeitgenossen
des Irenäus Eus. h. e. V, 4, 2.
2) Vgl. für solchen Gebrauch von ἐν Hebr. 4, 11, eine allerdings
nur bei richtiger Auslegung brauchbare Parallele.
8312
anderen Wendung des Bildes heisst hier die Liebe und deren
Bethätigung das Gebiet, worin sie obenansteht'!.. Unter
dem „Gebiet der Römer‘ aber, dem die römische Gemeinde
als Vorbild in Liebeswerken vorsteht, sind selbstverständlich
die christlichen Bewohner desselben zu verstehen ?), und es
fragt sich nur, wie weit dasselbe reicht. Es leuchtet aber
nun von selbst ein, dass nicht etwa die nächste Umgebung
der Stadt Rom gemeint sein kann, sondern nur ein grosses
Gebiet, dessen christliche Gemeinden an der römischen ein
leuchtendes Vorbild christlicher Liebe haben. Der Ausdruck
gestattet aber auch nicht, was däs Verhältnis des Redenden
zu den Angeredeten nahelegen könnte, an das Abendland
oder die lateinische Hälfte des . Reichs, deren älteste Ge-
meinde die zu Rom ist, im Gegensatz zum Morgenlande zu
denken ὃ. Es wird vielmehr der römischen Gemeinde in
. Bezug: auf das ganze römische Reich hier eine Bedeutung
zugesprochen, wie sie Paulus der Gemeinde zu Thessalonich
in Bezug auf Macedonien und Griechenland zuspricht *). Enger
ist freilich das Verhältnis zwischen der römischen und den
von dort aus gestifteten Gemeinden des Westens, an welches
Ignatius deutlich genug erinnert an einer anderen Stelle,
welche zugleich die allgemeine kirchliche Bedeutung der
römischen Gemeinde hervorhebt. Wenn er Rom. 3 schreibt:
οὐδέποτε ἐβασκάνατε οὐδένα, ἄλλους ἐδιδάξατε" ἐγὼ δὲ ϑέλω,
1) Mit Recht verweist man man auf das ähnliche Lob der römischen
Gemeinde im Brief des Dionysius von Korinth Eus. h. e. IV, 23, 10.
Wer die Leser des Hebräerbriefsg in Rom sucht, denkt auch an Hebr.
6, 10. — Dass. ἀγάπη hier abstractum pro concreto im Sinn von
„christliche Kirche, Christenheit‘‘ sein könne, hat Nirschl, S. 115 durch
Berufung auf Phil. 11; Sm. 12; Tr. 13; Rom. 1; Mgn. 1 nicht be-
greiflich gemacht.
2) Röm. 15, 26; 16, 5; vgl. Act. 8, 14.
3) Hiefür wäre δύσδως der Ausdruck; cf. Rom. 2fin. Clem. Rom.
ad Corinth. I, 5, ferner die Bezeichnung Antiochiens als προχαϑημένη
τῆς xolAns Συρίας oder auch τῆς αενατολὴς bei Späteren 8. Pears.
1Π, 53.
4) 1 Thess. 1, 7fl.; vgl. aber auch Röm, 1, 8.
918
ἵνα κἀκεῖνα βέβαια 7, & μαϑητεύοντες ἐντέλλεσϑε, so will er
seine Bitte, ihn nicht am Martyrium zu hindern, . verstärken
durch Hinweis zunächst auf das frühere Verhalten der Römer,
auf ihre an Andere gerichtete Belehrungen, womit sie sich
durch jeden Versuch, ihn um seine Hoffnung zu bringen, in
Widerspruch setzen würden. Es’ müssen Aeusserungen der
römischen Gemeinde an auswärtige Christen in irgend welcher
Form vorliegen und dem Ignatius bekannt sein, worin zum
᾿ todesfreudigen Bekenntnis aufgefordert war. Wir brauchen
nicht bei dem Postulat stehen zu bleiben, da wir solche
Aeusserungen noch jetzt besitzen. Der Brief, welchen die
römische Gemeinde um das Jahr 97, also 10-20 Jahre vor
der präsumtiven Entstehungszeit der Ignatiusbriefe durch
Clemens schreiben liess und an die Gemeinde zu Korinth
richtete 1), wurde zur wirklichen Entstehungszeit der Briefe des
Ignatius und des Polykarp, wie der des Letzteren beweist, in
Asien gelesen (8. Anh. II). Aber höchstens zwei oder drei
Jahre nach Abfassung des Clemensbriefs war durch Clemens
der Hirt des Hermas „in die auswärtigen Städte“ geschickt
worden ?), und es wird später nachgewiesen werden, dass
Igmatius dies Buch gelesen hat. Auch dies war, schon wegen
der Art seiner Verbreitung, eine lehrhafte Aeusserung der
römischen Gemeinde zu nennen; und gerade hier finden wir
deutlicher als im Clemensbrief, was die unerlässliche Vor-
aussetzung dieser Stelle des Römerbriefs ist, nämlich ein noto-
risches geschichtliches Zeugnis darüber, wie sich die römische
Gemeinde vor der Zeit des Ignatius anderen Christen gegenüber
in Bezug auf die Pflicht des Martyriums ausgesprochen hatte 8).
Aber von diesem ehemaligen Lehren der Römer unterscheidet
Ignatius ein anderes, welches in der Gegenwart stattfindet.
Es kann nämlich der durch κἀκεῖνα angedeutete Gegensatz
1) Vgl. meine Schrift über Hermas, S. 69.
2) Herm. Pastor vis. II, 4; vgl. meine Schrift über Hermas,
Ss. 411. 151. ᾿ - ᾿
- 8) Vgl. meine Schrift über Hermas, $S. 119 f. 182 ff., aber auch
Clem. ad Cor. 1, ὅ 844.
814
nicht ein Gegensatz zwischen dem Wunsch des Ignatius und
dem Gebet der Römer sein;. ein ὑμεῖς vor μαϑητεύοντες wäre
dann unerlässlich ; andrerseits aber heisst es auch nicht: ἵνα
καὶ βέβαια ἡ ἐκεῖνα, so dass nur ein Gegensatz des Gebietens
und der Befolgung des eigenen Gebots obwaltete, sondern
zu den Lehren, die sie ehemals anderen Christen ertheilt
haben und nun bethätigen sollen, tritt auch das hinzu, was
sie als μαϑητεύοντες gebieten. Die Betonung, welche dem
μαϑητεύοντες seine Stellung gibt, und der nächste Sinn des
Worts „zum Christen machen “ 3) nöthigt, darunter die Missions-
predigt zu verstehn, welche von Rom ausgegangen ist und
noch ausgeht und in andauernder Versorgung der Tochter-
kirchen mit Lehre und Anweisung sich fortsetzt 2). Welchen
sittlichen Gehalts diese Unterweisung im Christenthum war,
wusste Der, welcher die Schriften der römischen Kirche kannte;
und wirksamer konnte Einer diese Gemeinde kaum an ihrer
Ehre fassen als durch die doppelte Anwendung des καλὸν τὸ
διδάσκειν, ἐὰν ὃ λέγων ποιῇ (Eph. 15).
Die römische Gemeinde hat also nach dem Urtheil des
Ignatius ohne Frage eine hervorragende Bedeutung für die
Kirche vermöge ihres Wohnsitzes in der Hauptstadt des
Reichs und ihres mit der geographischen Lage gegebenen
.Missionsberufs, aber auch vermöge der für alle Christen vor-
bildlichen Liebe und der Tüchtigkeit, womit sie sowohl ihren
Missionsberuf erfüllt, als auch älteren Gemeinden aus freiem
Antrieb christliche Lehre hat angedeihen lassen. Aber die
hierauf gegründete Auctoritätsstellung ist nicht kirchenrecht-
licher Art), sie wird auch nicht wie bei Irenäus und Ter-
tullian durch einen geschichtlichen Nachweis apostolischer
Tradition und Succession gestützt, und vom römischen Bischof
1) Οὗ Eph. 10; Matth, 28, 19; Act. 14, 21.
2) Tertull. praeser. 36: Si autem Italiae adjaces, habes Romam,
unde nobis quoque auctoritas praesto est. . . . Videamus, quid didi-
cerit, quid docuerit, quid cum Africanis quoque ecclesiis contesse-
rarit.
3) Dies auch gegen Hilgf., S. 267 vgl. 195 ἢ.
81ὅ
insbesondere hören wir kein Wort, so dass es zweifelhaft
bleiben muss, ob es dort schon, wie in Asien, einen Bischof
im eigentlichen Sinn des Namens gab. Der nächste Eindruck,
den man aus den ignatianischen Briefen gewinnt, dass sämmt-
liche städtische Gemeinden autonom, und dass der Episkopat,
wo er überhaupt existirt, nur das höchste Amt in der Einzel-
gemeinde sei, wird durch nichts corrigirt. Allerdings fehlt
dem Verfasser nicht der Begriff einer Kirche, welche die
Einzelgemeinden unter sich befasst, oder richtiger, in den-
selben als in ihren verkürzten Nachbildern sich darstellt.
Ignatius ist der Erste, bei welchem sich der Name „allge-
meine Kirche“ findet 1), aber von einer Organisation dieser
Kirche, d. h. von irgend welchen Organen oder feststehenden
Formen des Verkehrs und des Zusammenwirkens der Theile
verlautet nichts. Aus jener Idee 'auf diese Thatsache zu
schliessen ?), ist ein Fehler. Daraus, dass er wie Hermas
die Gesammtheit der Christen aller Zeiten und Orte „die
Kirche“ nennt), oder dass er wie Paulus die Kirche als
einen Leib vorstellt, in welchem Juden und Heiden geeinigt
sind (Sm. 1), folgt doch nicht, dass sie eine organisirte mit
Organen ihres Gemeinlebens versehene Corporation ist. Gerade
1) Sm. 8. Die Ideen des Ignatius von Kirche und Kirchenver-
fassung kommen hier nur erst insofern in Betracht, als man sie un-
richtig zur Ermittlung von Thatsächlichem verwendet hat.
2) So z. B. Rothe, 8. 348.
3) Phil. 9 geht, wie später zu zeigen, auf Herm. Past. sim. 9 zu-
rück. Dass hier „die Kirche“ neben Patriarchen, Propheten und
Apostel gestellt wird, liegt freilich auf der Hand; aber es bleibt dunkel,
wiefern das ein Beleg für den Satz sein soll, dass die ignatianischen
Briefe das Bild einer förmlich organisirten Kirche vorführen (Rothe,
S. 349). Kirche ist dort die Gesammtheit derer, welche ausser den
Vorhergenannten durch Christi Vermittelung zur Einheit mit Gott ge-
langen. Die Apostel gehören zur Kirche, können aber doch als hervor-
ragende (lieder derselben ebensogut neben der allgemeinen Kirche ge-
nannt werden, wie Eph. 5 der Bischof neben der Einzelgemeinde. —
Völlig unzutreffend führt Rothe noch Phil. 3 für seine These an; denn
dort ist es die Einheit der unter ihrem Bischof stehenden Einzelgemeinde,
zu welcher die Schismatiker zurückkehren müssen.
316
da, wo er von der katholischen Kirche spricht (Sm. 8), sagt
er, dass sie mit der [unsichtbaren] Gegenwart Christi ge-
geben sei und an Christus ihren Sammelpunct habe, wie die
Einzelgemeinde am Bischof. Gott oder Christus allein ist der
unsichtbare Bischof aller Christen (Mgn. 3), welcher die
ihres Bischofs zeitweilig "beraubte Gemeinde unmittelbar über-
wacht (Rom. 9), welcher den Gemeinden ihre rechtschaffenen
Vorsteher gibt (Phil. inser. und c. 1) und auch die Bischöfe
unter seine bischöfliche Obhut nimmt (ad Pol. inser. und
ὁ. 8 fin.; s. Anh. I, z. 1. St). Wenn etwas aus diesen Stellen
hervorgeht, dann ist es dies, dass die allgemeine Kirche viel
weniger als die Einzelgemeinde eine äusserliche Einheit und
greifbare Gestalt hate. Nur in den aller äusserlichen Ver-
bindung entbehrenden Einzelgemeinden mit ihren der Sicht-
barkeit angehörenden Institutionen kommt die katholische
Kirche zur Erscheinung. Wenn 2. B. Rothe (ὃ. 448 vgl. 463)
- urtheilt, Ignatius betrachte es „als eine Bestimmung des
Episkopats, ein Organ oder vielmehr das Organ der Ver-
bindung der einzelnen Gemeinden unter einander zur kirch-
lichen Einheit zu bilden“, und sein Kritiker Baur (I, 64 ff.)
sich dies vollständig aneignet, so wird das nur durch den
Trugschluss erzwungen, dass, weil die Gemeinschaft des
Einzelnen mit der Kirche durch seine Verbindung mit dem
Bischof vermittelt oder von ihr abhängig erscheine, darum
auch für die Einzelgemeinde der Episkopat das specifische
Medium ihrer Zugehörigkeit zur katholischen Kirche sein
müsse (Rothe, S. 464. 466). Geradezu ausgesprochen soll der
Gedanke in Eph. 3 vorliegen ἢ. Aber Niemand hat bisher
den Versuch gemacht, exegetisch zu erweisen, dass die gute
Zuversicht, welche Ignatius zu den Bischöfen seiner Zeit hat,
irgend ein Urtheil über die Bestimmung des Episkopats, ge-
schweige denn eine Nachricht über seine Stellung in der
damaligen Kirche enthalte. Freilich kann man als Meinung
des Ignatius hieraus folgern, was er nicht ausspricht, dass die
1) So wiederum Rothe, S. 471. Vgl. oben S. 299 und Anh. I,
z. Eph. 3.
317
Epheser, wenn sie mit ihrem Bischof und ihrem Presbyterium
sich in Einklang ‘erhalten, zugleich auch mit den Bischöfen
aller Orten in Einklang sich befinden. Aber anstatt dass
dies auf eine göttliche Bestimmung des Episkopats zur Re-
präsentirung der Gesammtkirche gegründet würde, folgt es
einfach daraus, dass nach seinem Urtheil die Bischöfe überall
in den Schranken des Willens und der Gesinnung Christi sich
bewegen. Dass hier die Bischöfe der einzelnen Gemeinden
unter den Begriff eines einheitlichen Episkopats, einer
„souveränen Gesammtheit‘“ zusammengefasst seien (Rothe,
S. 411 ἢ. 518£.), entbehrt vollends allen Anhalts im Wortlaut.
Es ist die Persönlichkeit, nicht die amtliche Stellung,
welche einen Polykarp zum Rathgeber der philippischen Ge- _
meinde und zum Vermittler des Verkehrs dieser wie der
vorderasiatischen Gemeinden mit der antiochenischen macht,
und es sind ausserordentliche Ereignisse, wie die Reise des
Ignatius und das Aufhören der Verfolgung in Antiochien,
welche einen lebhafteren Verkehr der Gemeinden veranlassen.
Wie angelegentlich Ignatius diese Anlässe benutzte, haben
wir gesehen; aber auch darauf ist noch hinzuweisen, dass er
nicht zufällig den Polykarp, und nicht einen Onesimus oder
Polybius, dazu ausersah, ihm dem brieflichen und persönlichen _
Verkehr der vorderasiatischen Gemeinden mit der antiocheni-
schen in die Hand zu legen. Deutlich spricht sichs in seinem
Brief an Polykarp aus, dass er dieser Persönlichkeit eine über
die Grenzen ihrer Gemeinde hinausgreifende Bedeutung zu-
schreibt; in diesem Sinn muss er auch in Philippi von ibm
gesprochen haben, wenn der Brief dieser Gemeinde an
Polykarp, soweit sich sein Inhalt aus der Antwort er-
schliessen lässt, verständlich sein soll !). Wenn Ignatius seinen
Amtsgenossen zu tapferem Widerstand gegen die Irrlehrer
auffordert, denkt er nicht nur an die Abwehr derartiger Ein-
flüsse. auf die smyrnäische Gemeinde. Der Ton dessen, was
vorangeht und nachfolgt, erscheint nur dann angemessen, wenn
Ignatius den von ihm selbst nur im Vorübergehn geführten
— mn nn -.-- -..
1) Vgl. besonders Pol. 3. 12 und unten Abschnitt V, 1.
318
Kampf von Polykarp stetig fortgesetzt sehn will. „Die Zeit-
lage“ soll er ins Auge fassen. „Die Zeit“ bedarf seiner
und fordert ihn auf; dieser gefahrvollen Epoche, der Kirche
dieser Zeit ist Polykarp ebenso unentbehrlich, wie den Steuer-
leuten, wenn sie aus der Stelle kommen sollen, der Wind und
Dem, der mit dem Sturm kämpft, der Hafen (ad Pol. 2. 3;
s. Anh. I, z. d. St.). Die Geschichte beweist, dass Ignatius den
Polykarp nicht vergeblich zu einer grossartigeren A uffassung
seines persönlichen Berufs aufgerufen hat. Polykarp hat in
die Bewegungen seiner Zeit nachhaltig eingegriffen, durch
Sendschreiben an benachbarte Gemeinden und einzelne Per-
sonen !), durch jene Reise, welche ihn fast ein halbes Jahr-
hundert später als Ignatius nach Rom führte ?), durch Her-
‚anbildung einer jüngeren Generation kirchenleitender Persön-
lichkeiten, welche mit neuen Mitteln, aber in seinem Geist
die kirchlichen und theologischen Aufgaben ihrer Zeit zu er-
füllen versuchten. Wenn man den Einfluss, den er geübt,
benennen will, so ist es viel zu wenig, ihn mit den Heiden
den Lehrer Asiens zu nennen); aber, kirchenrechtlich
betrachtet, ist er Bischof der Gemeinde von Smyrna ge-
blieben. | |
Nicht so leicht wie der ortsgemeindliche Charakter des
Episkopats lässt sich seine Stellung zur Gemeinde und den
übrigen Aemtern erkennen. Ignatius spricht eine sehr hohe
Meinung von der Bedeutung des Bischofs aus, wenn er von
seiner eigenen Gemeinde Rom. 9 sagt: ἥτις ἀντὶ ἐμοῦ ποι--:
ulvı τῷ Θεῷ χρῆται. Movog αὐτὴν ᾿Ιησοῦς Χριστὸς ἐπισκοπήσεε
καὶ ἡ ὑμῶν ἀγάπη. Je stärker er ebendort und anderwärts
gerade seiner eigenen Gemeinde gegenüber seine persönliche
Unwürdigkeit betont, um so mehr fällt der Ton dieser Aus-
sage auf den Bischof als Bischof. Er scheint .von Haus aus
an eine straffere Zusammenfassung der Gemeindeleitung in
1) Iren. ep. ad Flor. bei Eus. ἢ. 6. V, 20, 8.
2) Iren. III, 3, 4 und ep. ad Victor. bei Eus. h. e. V, 24, 16.
3) mart. Polyc. 12: οὗτός ἐστιν ὃ τῆς σίας διϑάσκαλος. ὁ πατὴρ
τῶν Χριστιανῶν x..t. A. Die Lesart ἀσεβείας verdient keine sonderliche
Beachtung. “ ;
319
der Hand des Bischofs gewöhnt zu sein, als er in den asiati-
schen Gemeinden üblich fand; denn so gewiss der monarchische
Episkopat dort festgestanden haben muss, so wenig würde
doch ein grosser Theil seiner Desiderien verständlich sein,
wenn das, was er empfiehlt, dort ebenso sehr in Uebung war,
als es ihm selbstverständlich ist. Als der eine Hirt der Ge-
meinde ist der Bischof anerkannt (Phil. 2), und alle Die,
welche sich nicht gerade unter dem Einflusse der häretischen
Bewegung von der Gemeindeeinheit lossagen (Phil. 3), halten
sich zu dem „einen Bischof sammt Presbytern und Diakonen “
(Phil. 4). Wenn trotzdem so oft ermahnt wird, nichts ohne
den Bischof oder ohne die Träger des dreifachen Amtes zu
thun, wenn auch da, wo eine Versuchung zum Schisma nicht
unmittelbar vorliegt, vor aller Vornahme kirchlicher Hand-
lungen ohne den Bischof oder einen von ihm beauftragten
Vertreter, ohne seine ausdrückliche Billigung oder gar mit
absichtlicher Umgehung desselben gewarnt wird (Sm. 8. 9), so
muss in dieser Hinsicht dort eine laxere Praxis herrschen,
- als Ignatius der Zeitlage. angemessen findet. Er findet es
unter Anderem auch schicklich, dass die Eheschliessung
unter Zustimmung des Bischofs geschehe !), damit die Ehe
eine christliche sei; dann wird das nicht als kirchliche Ord-
nung festgestanden haben. Wir gewinnen aus ad Pol,
c. 1--6 die allgemeine Vorstellung einer patriarchalischen
Regierung der Gemeinde durch den Bischof, deren haupt-
sächliche Form die persönliche Seelsorge ist. Alle Einzelnen
soll Polykarp persönlich aufsuchen, mit den Einzelnen in
christlicher Brüderlichkeit ?) reden, sie zu fleissigem Besuch
en
1) ad Pol. 5. Einsegnung der Ehe durch den Bischof haben
Pears. III, 31; Smith, schol., p. 69 ohne Weiteres daraus gemacht.
2) ad Pol. 1 ὁμοήϑειαν ist durch Lı, der auch Magn. 6 das
selbe Wort durch ‘consuetudo übersetzt, G2 L2 vertreten, während
das βοήϑειαν des ΟἹ an Scur. u. A jedenfalls keine Stütze hat. Das
Wort bedeutet Magn. 6 und Clem. strom. VII, p. 878 Pott. nicht
bloss die den Christen gemeinsame, sondern auch die allen Christen
gleichmässig zugewendete Gesinnung. Polykarp soll weder unter
den Gemeindegliedern noch zwischen sich und ihnen .bösen Unter-
920
des Gottesdienstes anhalten, die einzelnen : Stände auf ihre
besonderen Pflichten hinweisen und die einzelnen Personen
nach ihrer besonderen Individualität behandeln, die Wider-
späustigen wie die Gutartigen. Die Fürsorge für die Wittwen
(ad Pol. 4) insbesondere wird ihm empfohlen. Es ist ein
mühsames Amt (ad Pol. 1 fin.), diese. ἰδία οἰκονομία (Eph. 6)
und διακονία (Phil. 1) des Bischofs, welche Alle und be-
sonders die. Presbyter verpflichtet sind, ihm so leicht wie
möglich zu machen (Tr. 12). Der Bischof leitet selbstver-
ständlich den Gottesdienst; „unter ihm“ geht die Abend-
mahlsfeier vor sich (Sm. 8), und das gemeinsame Gebet ‘der
ganzen Gemeinde ist ein Gebet des Bischofs (Eph. 5); er ist
also der im Namen der Gemeinde handelnde Liturg. Eigent-
liche Lehrthätigkeit tritt im Bilde des Bischofs nach dem
Herzen des Ignatius jedenfalls sehr zurück. Wie er über-
haupt ein Mistrauen gegen das Reden hat, dem die That
etwa nicht entsprechen könnte (vgl. z. B. Eph. 15), so scheint
er ein besonderes Wohlgefallen an dem schweigsamen Bischof
von Philadelphia gehabt zu haben (Phil. 1); und gerade dem
schweigenden Bischof, welcher im Uebrigen seine Amtspflicht
thut, ist man doppelte Ehrfurcht schuldig (Eph. 6; cf. Trall. 3).
Nur an Einer Stelle scheint auf Predigt des Bischofs hin-
gewiesen zu sein. Τὰς xuxoreyrius φεῦγε᾽ μᾶλλον δὲ περὶ
τούτων ὁμιλίαν ποιοῦ 1), heisst es unmittelbar nach einer Er-
mahnung, die Sklaven nicht übermüthig zu behandeln, aber
auch nicht übermüthig werden zu lassen, und vor einer An-
weisung, die Ehegattinnen zur richtigen Führung der Ehe
anzuhalten. Bunsens Aenderung τὰς κακοτέχνους und seine
Deutung auf „gefallsüchtige Weiber“, mit denen sich
schied machen. Das ϑεοῦ ist an beiden Stellen ebenso wie bei ὁμόνοια
Magn. 15; Phil. inser. oder ἐπιείχεια Phil. 1 rein attributiv. Wir
würden sagen „christlich“ in einem Sinne, den Ignatius mit dem
Adjectiv χριστιανός (Trail. 6) noch nicht ausdrücken kann.
1) ad Pol. 5. Das in ΟΣ ἢ a vorfindliche μή hat nicht bloss
ΟἹ Li A Scur., sondern auch alle übrigen Handschriften von ΟΣ gegen
sich. _ Uebrigens könnte auch nur ein μηδέ die erforderliche Steigerung
ausdrücken.
321
Polykarp nicht einlassen soll, hat keinen Beifall gefunden ἢ):
aber eine Warnung vor „falschen Redekünsten‘ 5 zerreisst
nuch viel offenbarer den Zusammenhang der auf die ver-
schiedenen Stände und Verhältnisse, der Reihe nach auf
Sklaven, Ehegatten, Ehelosigkeit, Eheschliessung sich be-
ziehenden Rathschläge an den Bischof; und wenn Uhlhorn,
wie schon Pearson (III, 30) vorschlug und Arndt (Handschrift)
billigte, das τούτων auf die nun folgenden Ermahnungen be-
“ zogen haben will, so gewinnt man einen schiefen Gegensatz
zwischen einem umfassenden, aber doch zunächst formalen
Fehler der Predigt und einer ganz einseitigen Angabe rich-
tiger Predigtmaterien. Als Inhalt der öffentlichen Lehre
hätte ebensogut das vorher über die Sklaven Gesagte genannt
werden können, und mich dünkt, gerade was er den Ehe-
frauen und ihren Ehemännern zu sagen hat, eignet sich viel
weniger dazu. Soll überhaupt ein Zusammenhang bestehen,
so sind unter χαχοτεχνίαι unehrliche Gewerbe zu verstehen 5),
freilich nicht, als ob Polykarp davor gewarnt würde, sich
selbst auf eine des Christen und Bischofs unwürdige Weise
den Lebensunterhalt zu verschaffen. Wie die Philadelphener
nicht ermmahnt werden, die bösen Künste und Ränke des
Teufels selbst nicht zu treiben, sondern den Häretikern aus-
zuweichen, welche der Teufel dazu gebraucht (Phil. 6), so
soll auch Polykarp mit denen, welche schmutzige Geschäfte
treiben, sich gar nicht einlassen. Der Uebergang von den
Sklaven und einem verwerflichen Streben derselben zu den
histriones, saltatores, lenones, mathematici, von denen grosse
Städte, wie Smyrna, wimmelten, erscheint natürlich, und ebenso
—
1) Vgl. Baur 1Π, 10; Uhlh., S. 26; Hilgf., S. 206; Merx, S. 68.
Letzterer, der die aus Bunsen angeführten deutschen Worte nicht ver-
standen hat, thut diesem überhaupt Unrecht, indem er übersieht, dass
Bunsen I, 37; II, 28 ein μη im Text fordert und andernfalls eine andere
Textbesserung bereit hat.
2) So Uhlh.,, S. 26. Die Bedeutung ist unanfechtbar. Clem. strom.
I, 340 Pott. heisst die Sophistik ἡ στώμυλος αὕτη xaxorsyvie.
3) Vgl. die Citate bei Cur., p. 272, dessen eigene Ansicht jedoch
dunkel bleibt.
Zahn, Ignatius, 21
822
der Fortschritt zu dem Satz: „Predige vielmehr darüber“,
d. h. warne die Gemeinde vor Umgang mit zweideutigen
Menschen und vor Theilnahme an heidnischen Lustbarkeiten.
Gerade weil keine bestimmte Classe der Gemeinde genannt
ist, an welche er diese Homilia richten soll, wird öffentliche
Predigt zu verstehen sein, eine jener διαλέξεις, ἃς ἐποιεῖτο
πρὸς τὸ πλῆϑος ἢ. Eine sehr natürliche Ideenassociation führte
von diesem Gegenstand auf die Reinheit des ehelichen Lebens.
Aber die öffentliche Predigt ist nichts dem Bischof Eigen-
thümliches. Gerade an der einzigen Stelle, wo die Lehre als
Berufsziel genannt wird {Magn. 6), sind es die Presbyter ent-
weder allein oder mit Bischof und Diakonen zusammen, denen
sie zugewiesen wird. Das Letztere ist das Wahrscheinlichere,
denn gerade vom Bischof war unmittelbar vorher zunächst
das προκαϑῆσϑαι ausgesagt, was dann weiterhin zu πρεσβυτέ--
ρων und διακόνων supplirt sein will. Es ist also zu über-
setzen: „Seid einig mit dem Bischof und [überhaupt] mit
denen, welche zum Vorbild und zur Lehre [über euch] den
Vorsitz führen.“ Ob von allen drei Classen der Gemeinde-
vorsteher beides in gleichem Masse gilt, was 1 Tim. 4, 12
und 2 Tim. 4, 2 getrennt ist, lässt sich aus den Worten nicht
bestimmen. Die Diakonen jedenfalls haben nicht von Amts-
wegen zu lehren, sondern im engeren Sinn des Wortes zu
dienen 3. Die Geleitung des Ignatius durch Burrhus, die
nicht näher angegebenen Dienste, welche ihm Philon und
Agathopus in Troas leisteten 5), die Botendienste, welche der
Letztere gethan hat und Burrhus thun soll, sind Beispiele
ihrer Obliegenheiten. „Diener der Geheimnisse Jesu Christi‘*
sind sie freilich auch und sollen bedenken, dass sie nicht
„Diener in Bezug auf Speisen und Getränke“, sondern
1) Iren. ep. ad Florin. bei Eus. h. e. V, 20, 6. Vgl. zum Ausdruck
schon Act. 20, 11.
2) Die wiederholte Vergleichung der Diakonen mit Christus Trall. 3;
Magn. 6; Pol. ad Phil. 5 wird nach Joh. 13, 4—17 zu deuten sein,
wenn auch Matth. 20, 28 zunächst zu Grunde liegen mag.
3) Vgl. das ὑπηρετεῖν Phil. 11 mit ὑπηρέται Trall. 2
823
- „ Handlanger der Gemeinde Gottes" sind (Trall. 2; 5. Anh. I,
z. d. St.). Der letztere, scheinbar ganz schiefe Gegensatz zeigt,
dass sie es allerdings mit Speisen und Getränken zu thun
haben und nur nicht bei dieser Aeusserlichkeit stehen bleiben
sollen. Gelegenheit zur Veruntreuung müssen sie aber hier-
bei haben 3), wenn sie auch nur die auf Pflege der Armen
und Wittwen bezügliehen Anordnungen des Bischofs und der
Presbyter ausführen. Nebenbei mag atıch auf ihre Hand-
reichung bei der Abendmahlsfeier Bezug genommen sein, demn
hierauf, vielleicht auch auf ähnliche Dienste bei Taufe und
Schriftvorlesung, bezieht es sich ohne Frage, dass sie διάκονοι
μυστηρίων heissen. Aber der Uebergang vom einen zum
andern Gedanken lag sehr nahe, so lange die bei den Agapen
und in der Abendmahlsfeier selbst verwendeten Elemente mit
den Opfern der Wohlthätigkeit unter den einen Begriff der -
δῶρα oder πρόσφοραί fielen ?), und beides durch die Hand der
Diakonen an die Einzelnen gelangte 3. Viel undeutlicher
bleibt, was den Presbytern im Unterschied vom Bischof zu-
steht. Den Presbytern zu Philippi, welche keinen Bischof
über sich haben, wird von Polykarp ähnlich wie ihm selbst
von Ignatius, Seelsorge besonders an den Verirrten, Be-
schützung aller Kranken, Fürsorge für Wittwen, Waisen und
Arme, besonders ausführlich aber gerechte und milde Hand-
habung einer richterlichen Befugnis *) anempfohlen, ein Zug,
welcher im ignatianischen Bilde sowohl des Bischofs, als der
1) Vgl. die hiesige Warnung der Diakonen vor ἐγχλήματα mit
Herm. past. sim. 9, 26. Ihre Abhängigkeit von den ἐπέσχοποι in diesem
Pancte versteht sich von selbst, . ergibt sich aber auch aus der Ver-
gleichung mit c. 27. Es werden Pol. 5 auch die Diakonen vor Geldgier
gewarnt, obwohl es zunächst ein Presbyter war, der dort Gemeindegelder
unterschlagen hatte.
2) Vgl. Höfling, die Lehre der altkatholischen Kirche vom Opfer,
S. 228. 5if.
3) Justin. apol. I, 65, p. 97e; 1, 67, p. 98 6.
4) Pol. 6: ἀπεχόμενοι πέσης voyüs, προσωποληψίας, χρίσεως ἀδίκου,
peaxpiv ὄντες πάσης φιλαβγυρίας, μὴ ταχέως πιστεύοντες κατιί τινος,
ger “πύτομοι ἐν χρίσει χ. τ. A. ΟἿ, Clem. ad Jacob. 10; homil. III, 67,
21*
824
Presbyter völlig fehlt ἢ. Dass Polykarp sie ausserdem wahr- :
scheinlich als Lehrer der Gemeinde mit sich zusammenfasst,
wurde schon ἃ. 297 gezeigt. Vergeblich sucht man nach
einem eigenthümlichen Berufe der Presbyter. Die beständige
Betonung ihrer Verbindung mit dem Bischof auch da, wo die
Diakonen nicht erwähnt werden ?2), und die gelegentliche
Unterscheidung der Ausdrücke für das richtige Verhalten
gegen Bischof und Presbyter einerseits und gegen die Diakonen
andrerseits (Sm. 8; Trall. 2), lässt nur den Eindruck zurück,
dass sie in Unterordnung unter den Bischof und im Unter-
schied von den Diakonen an den Geschäften des Ersteren
theilnehmen. Ein Presbyter wird es sein, dem der Bischof
gelegentlich aufträgt, statt seiner die Abendmahlsfeier zu leiten
(Sm. 8); aber sie sind nicht bloss gelegentlich Vikare des
Bischofs, wogegen schon ihre anscheinend grosse Zahl spricht.
Die häufige Vergleichung mit dem Apostelcollegium (Trall.
2. 3; Magn. 6; Phil. 5; Sm. 8) oder mit einem „würdig
gewundenen Kranze‘“ (Magn. 13) ist nur dann erträglich, wenn
. der Regel nach an der Zwölfzahl nicht allzuviel fehlte. Als
geschlossenes Collegium sind sie durch das in der älteren
kirchlichen Literatur ziemlich seltene, von Ignatius aber
13mal gebrauchte πρεσβυτέριον gekennzeichnet, deutlicher
noch durch die Vergleichung mit dem συνέδριον ϑεοῖ und
dem σύνδεσμος τῶν ἀποστόλων Trall. 3. Die Apostel selbst
werden dabei als Mitberather Gottes und Berather der Ge-
meinde vorgestellt, denn als irdisches Abbild des συνέδριον
τῶν ἀποστίλων erscheint das Presbyterium 8. Da nun aber
1) Denzinger (8. 35) hat nicht deutlich gesagt, geschweige denn be-
gründet, dass und inwiefern ad Pol. 2 von beichtväterlicher Strafgewalt
des Bischofs die Rede sei. Es handelt sich dem Zusammenhang nach
um die rechte Erkenntnis der Zeitlage, und die nur erst drohenden, noch
zukünftigen Gefahren der Kirche sind es, um deren Offenbarung Polykarp
bitten soll. Vgl. oben 8. 317f.
2) Vgl. z. B. Eph. 4. 20; Trall. 13; Pol. inser.
3) Mgn. 6. Es wird daher nicht sowohl Apok. 4, 4. 10, als viel-
mehr Matth. 19, 28 zu Grunde liegen; oder eine Combination beider
Stellen wie bei Clem. strom. VI, p. 793 Pott. — Vgl. übrigens noch
1 Petr. 5, 1. |
325
an beiden Stellen der Bischof in seinem Verhältnis zur Orts-
gemeinde und ihrem Presbyterium als Abbild Gottes im Ver-
hältnis zur allgemeinen Kirche ') und zum Apostelcollegium
vorgestellt wird, so gewinnen wir vom Presbyterium die Vor-
stellung eines dem Bischof zur Seite stehenden berathenden
Collegiums. Das Presbyterium mit Einschluss des Bischofs
wird dann auch unter dem συνέδριον τοῦ ἐπισκόπου Phil. 8
zu verstehen sein, zu welchem diejenigen, welche sich in
Philadelphia separirt haben, bussfertig zurückkehren müssen.
Eine Versammlung dieses Senates soll Polykarp veranstalten,
um in derselben den Gesandten für Antiochien wählen zu
lassen (ad Pol. 7). Allerdings ist es die smyrnäische Ge-
meinde, welche den Gesandten wählt (Sm. 11), aber der hier
gebrauchte Ausdruck ?) fordert doch zu bestimmt eine Raths-
versammlung, als dass an eine kirchliche Volksversammlung
zu denken wäre, und es besteht ein Widerspruch zwischen
dieser nähern Angabe der Art der Wahl und dem allge-
meinen Ausdruck in Sm. 11 ebenso wenig, als wenn ad
Pol. 8 der Bischof, Sm. 11 dagegen die Gemeinde als Ab-
sender des Boten erscheint. In diesem Rathscollegium führt
selbstverständlich der Bischof den Vorsitz; aber es hiesse doch
einen durchaus fremden Zug in das Bild der Kirchenver-
fassung eintragen, wie es unsere Briefe wiederspiegeln, wollte
man die Bischöfe jener Gegenden wesentlich unter diesem
Gesichtspunet als Präsidenten der Presbyterien betrachten
oder, was damit sofort gegeben wäre, wollte man sich diesen
Episkopat in der Art aus dem Presbyterat erwachsen denken,
dass nur das Bedürfnis grösserer Stetigkeit und Einheit der
Gemeinderegierung allmählig die ständige und die lebens-
längliche Uebertragung des Vorsitzes im Presbyterium und
der Vertretung der Gemeinde bei allen gemeinsamen Arten
auf einen Presbyter veranlasst hätte So etwa mag der
1) Dieser Gedanke ist hier nur mittelbar ausgesprochen, aber ohne
Zweifel Voraussetzung; cf. Phil. 5: τοῖς ἀποστόλοις ὡς πρεσβυτερίῳ
ἐχχλησίας. --- Phil. 9: οἱ ἀπόστολοι καὶ ἡ ἐκκλησία, vgl. auch Sm. 8.
2) Vgl. alle neutestamentlichen Stellen für συμβούλιον.
826
Episkopat überall da sich entwickelt kaben, wo er am Ende
des 1. Jahrhunderts noch nicht existirte, wie in Rom und
Korinth und auch in Philippi, wo der gleiche Zustand noch
für die Zeit Trajans bezeugt ist, mit einem Wort also in den
Kirchen Europe’'s. Es ist kein epochemachendes Ereignis denkbar,
welches dort später eine förmliche Stiftung oder plötzliche Ein-
führung des Episkopats veranlasst haben könnte. Aber daraus
folgt nichts für die Art der Entstehung des Episkopate in
Asien. Schon ein sehr äusserlieher Umstand spricht dagegen,
dass in den kleinasiatischen Gemeinden eine ähnliche Eni-
wickelung des Episkopats aus dem Presbyterat stattgefunden
hat, wie wir sie in den weiter westlichen Gemeinden voraus-
setzen müssen. - Die Presbyter jener Zeit waren durchweg
ältere Männer; es hatte ihr Amtstitel immer eine gewisse
Doppelsinnigkeit ἢ. Die asiatischen Bischöfe aber waren
keine Greise. Damaäs von Magnesia ist ein junger Mann,
und nicht nur zum Titel, auch zum Alter der πρεσβύτεροι
steht dieser νεώτερος in einem Gegensatz (vgl. oben S. 305f.).
Polykarp wird die Höhe seines Lebens kaum schon erreicht
haben, als er mit Ignatius sich berührt. (Gestorben ist er
jedenfalls nach 160 3), nachdem er „86 Jahre lang seinem
Herrn gedient hat‘ (mart. Pol. 9). Wollte man das, wie
schen oft geschehen ist, von seinen Lebensjahren verstehn, so
wäre er um 110 erst 30—40 Jahre alt gewesen. Aber auch
abgesehn davon, dass die ignatianischen Briefe nicht die
geringste Andeutung daräber enthalten, vielmehr durch die
1) Clem. Rom. ’ep. I, 44. Vgl. den nicht technischen Gebrauch
des Worts im Gegensatz zu νέοι ο, 1, 21, wo trotzdem die Stellung der
πρεσβύτεροι neben den ἡγούμενοι oder προηγούμενοι den Sinn gibt:
„die Gemeindevorsteher und überhaupt die älteren Männer“. Die Er-
hebung der Jungen gegen die Alten ist thatsächlich eine Empörung
gegen die Gemeindeältesten ὁ. 3 cf. 47. Vgl. 1 Petr. ὅ, 1. 5.
2) Bestimmtere Ansätze wie das Jahr 169 (bei Uss. Cler. II, 203),
166 (z. Β. bei Ruinart, p. 28 sqg.), 161 (bei Stieren in Zeitschrift
fir historische Theologie 1842, 8. 881.) u. dergl. m. entbehren meines
Erachtens der sicheren Grundlage. Vgl. such Steitz in Studien und
Kritiken 1868, 8. 514. | |
327
Stellung, welche sie dem Polykarp anweisen, dem ent-
schieden widersprechen, dass er erst seit wenigen Jahren sein
Amt geführt babe, was doch der Fall sein müsste, wenn er
die dreissiger Jahre noch nicht überschritten hatte, so ist doch
jene Auslegung des Ausspruchs Polykarps an sich selbst ver-
werfiich.. Selbst wenn man annehmen wollte, dass er als
kleines Kind getauft worden, müsste man es höchst wunder-
lich finden, wenn er von solcher Taufe an seine Dienstjahre
rechnete. Auch reicht die Zahl 86 schwerlich aus, um die
starken Ausdrücke für sein hohes Alter zu erklären, welche '
seine Gemeinde und besonders sein Schüler Irenäus gebrau-
chen ἢ. Schon als Irenäus in seinem Jünglingsalter in seiner
Umgebung lebte, also spätestens um 150, muss Polpkarp seine
Altersgenossen grosgn Theils überlebt haben, denn schon
damals war eg ihm zur Gewohnheit geworden, auszurufen ;
Ὦ καλὲ Bel, εἰς οἷούς μὲ καωροὺς τετήρηκας (Bus. h. e. V, 20, 7).
Er wird wahrscheinlicher vor als nach dem Jahre 70 geboren
sein, war also zur Zeit seiner Begegnung mit Ignatius etwa
40—50 Jahr alt und offenbar längst Bischof ὃ). Dazu stimmt
es, dass er nach Iren. III, 3, 4; οἵ, II, 22, 5 noch von den
Aposteln, deren Umgang er genossen, oder, wie wir nach
Allem, was Irenäus dort und anderwärts sagt, mit grösster
Wahrscheinlichkeit statt dessen sagen dürfen, von dem. letzten
der Apostel, von- Johannes, als Bischof von Smyrna eingesetzt,
worden sein soll (cf. Tertull. praeser. 32; adv. Marc. IV, 5).
Mag man den Irenäus noch so grosser Verwirrung für fähig
halten, sowohl in denjenigen Puncten der Ueberlieferung,
welche vor ihm und neben ihm die ganze kleinasiatische
1) mart. Pol. 7; Iren. III, 8, 4: ἐπιπολὺ γὰρ παρέμεινε, καὶ πάνυ
ynauides . . . ἐξῆλϑε τοῦ βίου, Was man ein ungewöhnlich hohes Alter
nannte, zeigen die naheliegenden Beispiele des 120jährigen Simeon (Hoges.
Eus. III, 33, 3), des, Wjährigen Pothinus (epäst. 9001. Lugd. Eus.
vV, 1, 29; 5, 8), des 1l16jährigen Narkissus (Alex. hieros. Eua.
VI, 11, 3).
2) Seine hervorragende Stellung unter den asiatischen Bischöfen be-
weisen nicht bloss die Aufträge ad Pol. 8; Pol. ad Phil. 13, sondern
viel mehr noch Berafungen auf ibn, wie. die Eph. 21 cf. Mgn. 16.
828
Kirche vertritt. als in denjenigen. wofür er sich auf eigene
treueste Erinnerung beruft, soviel muss man ihm in Bezug
auf seinen Lehrer Polykarp glauben, dass dieser spätestens
seit den letzten Jahren, in welchen nach des Irenäus Meinung
in Ephesus ein Apostel gelebt hat, also seit den Jahren
97—100, an der Spitze der smyrnäischen Gemeinde gestanden
hat. Das unabhängige und selbst im Fall ihrer Unächtheit
höchst werthvolle Zeugnis der igmatianischen Briefe von
Polykarps hervorragender Stellung um r10 bestätigt das.
Polykarp ist dann als Dreissigjähriger Bischof von Smyrna ge-
worden, zum Presbyter zu jung, aber zum Bischof so wenig wie
Damas von Magnesia. Diese Bischöfe sind nicht aus Pres-
bytern dazu geworden, sondern von vornherein als Bischöfe
eingesetzt worden. Eben dies ist die Voraussetzung sowohl
der Ideen des Ignatius vom Episkopat, als auch der that-
sächlichen Verhältnisse, welche uns seine Rathschläge er-
kennen lassen. . Widrigenfalls müsste doch hier und dort
einmal die ursprüngliche Flüssigkeit der Grenze zwischen
Bischof und Presbytern zum Vorschein kommen. Dahingegen
erscheint bei Ignatius der Episkopat stets ebenso scharf unter-
schieden vom Presbyterat, wie dieser vom Diakonat. Freilich
lassen uns die Briefe darüber im Dunkel, wer die dortigen
und damaligen Bischöfe eingesetzt hat (vgl. Pears. I, 167).
Vom Bischof der Philadelphener wird nur ebenso wie von
den Presbytern und Diakonen gesagt, dass er durch eine
Willensmeinung Christi dazu erklärt worden sei, und dass
Christus ihn nach seinem eigenen Willen durch seinen heiligen
Geist in sein Amt eingesetzt habe (Phil. inser.).. Vom Bischof
allein heisst es dann c. 1 noch ausdrücklicher, dass er seinen
Dienst nicht von sich selbst oder durch Menschen und nicht
aus eitlem Ehrgeiz, sondern in Liebe zu Gott und Christus
erlangt habe und besitze. Der weitere Verlauf zeigt aber, dass
Ignatius dies nur durch einen Rückschluss vom Charakter und
‘Verhalten dieses Bischofs erkannt hat. Hätte Ignatius sich
für diesen Fall auf Ernennung des Bischofs durch einen
Apostel oder auch nur auf eine durch die Apostel vor-
geschriebene Form der Einsetzung berufen können, so hätte
329
er es gegenüber der Separation in Philadelphia nicht unter-
lassen; und wüsste er von irgend welchen mit der legi-
timen Einsetzung ins bischöfliche Amt gegebenen Bürg-
schaften dafür, dass die Einsetzung durch Menschen zugleich
eine Einsetzung durch Christus und seinen heiligen Geist sei,
so müssten sie hier erwähnt sein. Nur das sieht man deut-
lich aus dieser wie aus anderen Stellen 1), dass das bischöfliche
Amt als ein vom Presbyterat längst deutlich unterschiedenes
Amt durch einen besondern Act der Einsetzung und Be-
stallung ein- für allemal übertragen wurde.
Dies entspricht aber auch den zuverlässigsten Zeugnissen
über die Ereignisse auf dem Boden der kleinasiatischen Kirche
nach dem Tode des Paulus und des Petrus. Es ist hier nicht
der Ort, die betreffenden Thatsachen gegen die Einfälle, denen
sie in letzter Zeit ausgesetzt waren, sicherzustellen. Nur zur
Erklärung dessen, was die ignatianischen Briefe für die Zeit
um 110 bezeugen, sei hier daran erinnert. Diejenige Gestalt
der Kirchenverfassung, welche nach dem Brief des Clemens
und dem Hirten des Hermas in Rom und Korinth wenigstens
bis zum Ende des 1. Jahrhunderts, und nach dem Brief Poly-
karps in Philippi bis in den Anfang des zweiten hinein be-
stand, ist auch in Kleinasien zur Zeit des ersten Petribriefs
und der Briefe an Timotheus noch unverändert gewesen.
Aber auf dasselbe Gebiet weisen uns die sieben apoka-
Iyptischen Sendschreiben. Die Auslegung ist strittig wie
das Urtheil über die Entstehungszeit. Aber in ersterer
Hinsicht braucht die Hoffnung nicht aufgegeben zu wer-
den, dass die älteste Auslegung schliesslich Recht behalte,
nach welcher die ἄγγελοι der 7 asiatischen Gemeinden eben
nichts Anderes als ihre Bischöfe, die persönlichen Einheits-
punete und vor Gott verantwortlichen Häupter der Ge-
meinden sind. In dem Masse, als dies anerkannt
1) Vgl. mit «ἀποδεδειγμένοις Phil. inser. das ὁρισϑέντες Eph. 3,
mit dem ἐστήριξεν hier die τάξις = ordinatio Mgn. 3, mit dem xe-
κιῆσϑαι τὴν διαχονίαν τὴν sis τὸ xowor ἀνήκουσαν Phil. 1 die (die
οἰκονομέα Eph. 6,
330
wird 1), empfiehlt sich dann auch wieder die alte Ueber-
lieferung, welche die Entstehung der Apokalypse in die letzte
Zeit Domitians verweist. Dadurch gewinnen wir einen
dreissigjährigen Zeitraum für die Umgestaltung der Gemeinde-
verfassung ‘ in Kleinasien nach dem Tode des Paulus. In
diesen Zeitraum fällt der dortige Aufenthalt des Apostels
Jobannes und anderer Apostel und apostolischer Männer, jeden-
falls mehrerer ehemaliger Angehörigen der Kirche Palä-
stina’s 3). Gerade auf den Apostel Johannes führt aber die
achtbarste Ueberlieferung die Einsetzung von Bischöfen in den
asiatischen Gemeinden zurück °), und die erste Einsetzung von
1) Bei Buns. II, 85 wird dies anerkannt; aber die chronologische
Schwierigkeit dieser Ansicht bei Annahme der Abfassung der Apoka-
lypse im Jahre 69 wird nicht gehoben. 8. 88. 129.
2) Vgl. in Bezug auf Johannes und Philippus Studien und Kritiken
1866, S. 658f. 666f. und gegen Keim a. Steitz in Studien und Kritiken
- 1868, 8. 487 ft. Die Voranstellung des Andreas vor Petrus hei Papias
- (Eus. III, 39, 4) mag wie Anderes von einem Einfluss des 4. Evan-
geliums auf Papias zeugen (vgl. Steitz, S. 497). Aber mindestens gleich-
zeitig mit Polykrates von Ephesus, Irenäus und Clemens Alex. ist doch
auch die Ueberlieferung im Can. Mur. lin. 13sqgq., also alt genug, um
such dem Andreas eine Stelle in der grösseren Zahl von πρδσβύτεροι
oder ὠπόστολοι, oder μαϑηταὶ τοῦ κυρίου zu sichern (vgl. Rothe, S. 352),
welche nach Papias und Irenäus (Iren. II, 22, 5; IU, 3, 4; IV, 27,1;
32, 1; V, 5, 1. 36, 2; ep. ad Flor. Eus. V, 20, 6; ep. ad Victor.
Eus. V, 24, 16) im letzten Viertel des 1. Jahrhunderts längere Zeit in
Kleinasien gelebt haben. Dass der Fragmentist die Soene in Asien denkt,
folgt daraus, dass ihm der. Evangelist Johannes auch der Apokalyp-
tiker ist.
3) Vgl. ausser dem S. 327 aus Irenäus und Tertullian Angeführten be-
sonders Clem. quis div., p. 959 Pott.: ἐπειδὴ γὰρ τοῦ τυράννου τελευτή-
σαντος ἀπὸ τῆς Πάτμου τῆς νήσου μετῆλϑεν ἐπὶ τὴν Ἔφεσον, anne παρακα-
Aovusvos καὶ ἐπὶ τὼ πλησιόχωρα τῶν ἐϑνῶν, ὅπου μὲν ἐπισχόπους κα-
ταστήφων, ὅπον δὲ ὅλας ἐκκλησίας ἀρμόσων, ὅπου δὲ χλήρῳ ἕνα γέ τινα
κληρώσων τῶν ὑπὸ τοῦ πνεύματος σημαινομένων. Der Plural ἐπισχό-
ποὺς ist selbstverständlich ebenso wie ἐχχλησίας zu vertheilen (cf. Ign.
Phil, 10). Daher ist es in der Gemeinde, in welcher die bekannte Er-
zählung spielt, der eine „eingesetzte Bischof“, welcher als verant-
wortlicher Hirt „der Gemeinde voreitzt“. In diesem Fall war es ein
alter Mann, welcher vom Erzähler nicht allein ἐπίσχοπος genannt und
821
Bischöfen in Gemeinden, die kurz vorher keine gehabt haben,
ist Einführung des Episkopats in dieselben. Dass es sich dabei
nicht um Stiftung des Episkopats als einer nothwendigen
Kirchenverfassungsforım durch einen Apcstel oder durch mehrere
handelt, folgt schon daraus, dass die Einführung desselben in
die kleinasiatischen Gemeinden ohne alle unmittelbaren Folgen
für die europäischen Gemeinden geblieben ist. Erst nach
Trajan kann das Beispiel der seit geraumer Zeit episkopal
verfassten asiatischen Gemeinden auf die raschere Eintwicke-
lung und schärfere Ausprägung des Episkopate auch im
Westen einigen Einfluss geübt haben, welchen zu ermessen
uns jedoch alle Mittel fehlen. Aber jene Einführung des
Episkopats in Kleinasien bedeutet auch nicht Stiftung des- .
seiben als einer für dies kirchliche Gebiet gebotenen
Einrichtung, sondern Uebertragung einer Einrichtung, welche
sich ebendort bewährt hatte, von wo jene Apostel und apo-
&olischen Männer nach Kleinasien gekommen waren. Wenn
die Bischofsliste irgend einer Kirche Vertrauen verdient, so
ist es die jerusalemische. Das Interesse, welches Hegesipp
für die Diadoche der Bischöfe der wichtigeren Kirchen, die er
bereiste, an den Tag legt, ist heimatliche Mitgift. Der Ein-
druck einer bischofsartigen Stellung des Jakobus in Jerusalem,
welchen schon die Apostelgeschichte (21, 18 fl.; vgl. 12, 17;
15, 13) macht, wird bestätigt durch die ältesten Bestandtheile
der psendackementinischen Literatur 1), durch Hegesipps Er-
zählungen über Jakobus und Simeon (Eus. II, 23, 4 564.
IV, 22, 4 cf. III, 32), und die darüber hinausgehende Ueber-
lieferung bei Clemens Alex. (Eus. II, 1, 3), bei Euseb (III, 11)
und in der jerusalemischen Kirche seiner Zeit ?). Es spricht
nichts dagegen, dass die Palästinenser, welche in den Jahren
vom Apostel so angeredet wird, sondern auch πρεσβύτερος und πρεσβύ-
της heisst in merklichem Gegensatz zu dem ihm befohlenen veaviaxos.
1) Nämlich die Anabathmen des Jakobus racogn. I, 66. Vgl. ferner
epist. Petr. ad Jacob. und diamart. Jacobi.
2) Eus. VII, 19. Dies mag auch schan den Warten Tertullians zu
Grunde liegen: perourse ecclesias spostolicas, apud quas ipsse adhuc
cathedrae apostelorum suis locis praesidentur. Praaser. 96.
332
70—100 nach Kleinasien kamen, den durch Paulus und
seine Schüler gestifteten Gemeinden die monarchische Zu-
spitzung der Gemeinderegierung im Episkopat empfahlen.
Ist es ferner gewiss, dass die syrische Kirche von Anfang an
im innigsten Zusammenhang mit der palästinensischen ge-
standen hat 1), so kann es nicht auffallen, dass Ignatius von
Haus aus an eine stärkere Betonung der im Bischof repräsen-
tirten Gemeindeeinheit: gewöhnt ist, als er in den klein-
asiatischen Gemeinden üblich fand. Nur die oberbischöfliche
Stellung, welche die pseudoclementinische Literatur dem
Jakobus zunächst in Bezug auf die hebräische Kirche, damit
aber für jenen Standpunct zugleich in. Bezug auf die Kirche
. überhaupt, anweist und als Ideal wenigstens festhält 3), findet
nach dem Zeugnis der ignatianischen Briefe weder in der
Heimat des Ignatius, noch in Kleinasien eine Analogie. Sie
war, soweit sie geschichtliche Grundlage hat, mit dem eigen-
thümlichen Verhältnis der palästinensischen Christenheit zu
ihrer Metropolis gegeben.
4. Das Gemeindeleben und der Gottesdienst.
Es lohnt sich sowohl an sich, als zum Zweck kritischer
Verwerthung, die zerstreuten Züge zu sammeln, aus welchen
sich, wenn sie zahlreicher wären, ein Bild des Gemeindelebens
zur Zeit des Ignatius gewinnen liesse. Als Stände innerhalb
der Gemeinde treten hervor die Verehelichten, die grund-
sätzlich Ehelosen, die Wittwen, die Sklaven. Es müssen
Sklaven: heidnischer Herren sein, welche ermahnt werden,
nicht darauf zu dringen, dass sie von Gemeinde wegen los
1) Vgl. Uhlhorn, die Homilien und Recognitionen, S. 407 ff. 424 fl.
2) Ep. Petri ad Jacob. init.; Clem, ad Jacob. init.; recogn. 1, 73;
homil. I, 20; XI, 35,
333
gekauft werden !). In einzelnen Fällen, in welchen das Ver-
hältnis ein in religiöser und sittlicher Hinsicht unerträgliches
geworden war, muss das vorgekommen sein, und es wird auf
solche Fälle wenigstens ebensosehr als auf Schuldhaft und
ähnliche Bedrängnisse zu beziehen sein, was man in der
ältesten Kirchenliteratur von Loskauf gefesselter und be-
drängter Brüder liest 2). Aber für ein Zeichen verwerflicher
Begierde und Aufgeblasenheit hält es Ignatius, wenn die
Sklaven meinten, als Christen für ihren Dienst zu gut zu sein,
und darum ausserordentliche Hülfe der Gemeinde beanspruch-
ten. Aus einzelnen Fällen konnte eine Gewohnheitsregel sich
bilden, deren consequente Durchführung der Gemeinde eine
unerschwingliche Last aufgelegt hätte. Ein wirkliches Anrecht
auf deren Unterstützung haben die Wittwen und Waisen,
welche unter diesem Gesichtspunct der Unterstützungsbedürf-
tigkeit wie von Hermas), so auch von Ignatius (Pol. 4;
Sm. 6) und Polykarp (c. 4. 6) wiederholt genannt werden.
Wenn Polykarp die Wittwen „Altar Gottes“ nennt 4), so sind
—
1) Die Worte un ἐράτωσαν ano τοὺ χοινοῦ ἐλευϑεροῦδϑαι ad
Pol. 4 sind keineswegs mehrdeutig. To χοινόν heisst nicht die Gemeinde-
kasse, sondern das Gemeinwesen (Philad. 1; Luc. de morte Peregr. 18:
τῶν Χριστιανῶν στελλόντων ἀπὸ τοῦ χοινοῦ) und seine officielle Ver-
tretung (vgl. Wieseler, Beiträge zur Würdigung der Evangelien, S. 229,
Anderes bei Jakobson z. u. St.). Aber ein von Gemeinde wegen statt-
findender Loskauf muss freilich aus der Gemeindekasse bestritten werden.
Die von Baur II, 13 gegen Bunsen verfochtene Paraphrase: „sie sollen
sich vom Gemeindeverband nicht frei zu machen suchen “, erscheint keiner
Widerlegung werth, mag man an den Gebrauch von ἀπὸ τοῦ χοινοῦ oder
an den Begriff von ἐλευϑεροῦσϑαι im Gegensatz zu δοῦλοι denken.
2) Herm. sim. I p. 79, 15; mand. VIII p. 58, 15; Ign. Sm. 6, wo
natürlich nicht de podagricis et paralyticis die Rede ist (Smith, schol.,
p. 64). Es wird der Gedanke ungenau ausgedrückt sein: die Häretiker
bekümmern sich nicht darum, ob Einer gebunden oder frei ist. Vgl.
ferner const. ap. IV, 9, wo das ῥύεσθαι δούλους τὰ den ἀγορασμοὶ τῶν
ἁγίων gerechnet wird. |
3) mand. VII, p. 58, 15; sim. I p. 79, 16; V, 3p. 88, 1; IX, 26
Ῥ. 137, 26; c. 27 p. 138, 31. Οὗ Justin. apol. I, 67.
4) Pol. 4. Dies wird die Quelle des Sprachgebrauchs sein.
C£. Tertull. ad ux. 1, 7; const. ap. II, 26; Pseudoign. Tars. 9.
884
darn dem Zusammenhang nach die beiden Vorstellungen ver-
bunden, dass ihnen hauptsächlich die Opfer der Wohl-
thätigkeit zugewendet werden, und dass sie vor Anderen,
wie gleich zu Anfang ihnen anbefohlen wird, zu beständigem
Gebet verpflichtet sind, ein Zug, der sowohl an 1 Tim. 5, 5
abs an die Obliegenheiten der kirchlich angestellten Wittwen
etwas späterer Zeit erinnert ἢ. Auf das Wittweninstitut und
seine dunkle Geschichte weist uns auch der Gruss des Ignatius
an τὰς πιρϑένους τὰς λεγομένας χήρας (Sin. 18. Am Text
ist wichte zu ändern, da G! L! A übereinstimmen, und €:
offenbar vom Standpunct einer späteren Zeit, in welcher ein |
Coetus von Jungfrauen, welche lebenslängliche Ehelosigkeit
gelobt haben, neben den Wittwen bestand, geändert hat: χαὶ
ἀειπαρϑένους καὶ τὰς χήρας ἢ. Wenn Ignatius einem Gruss
an die Häuser der Smyrnäer sammt ihren Weibern und Kindern
einen Gruss an die Jungfrauen folgen lässt, so ist erstlich
klar, dass darunter nicht sämmtliche unverehelichte Frauen-
zimmer zu verstehen sind, sondern nur solche, welche ausser-
halb der Familie stehn 3). Darum war eine Näherbestimmung
des ungenauen, irgendwie zu beschränkenden Ausdrucks nicht
überflüssig, und gegen den Verdacht, ein in den Text ge
rathenes Interpretament zu sein, ist die Apposition τὰς λεγο-
μένας χήρας um 80 sicherer, als ein späterer Sprachgebrauch
nicht nachweisbar ist, nach welchem gewisse Jungfrauen den
Wittwentitel geführt hätten. Das Sonderbare unsrer Stelle
ist, dass statt einer unzweideutigen Näherbestimmung des
1) Vgl. die διαταγαὶ did Κλήμδντος bei Lagarde,. reliqu. jur. ecol.
gr., p. 78, 29: χῆραι παϑισιενέσϑωσαν τρεῖς, al δύο προσμένουσαι τῇ
προσευχῇ περὶ πάντων [τῶν] ἐν πεέρᾳ χαὶ πρὸς τὰς ἐποχαλύψεις περὶ
οὔ ἂν δέῃ, μία δὲ παρεδρεύουσα ταῖς ἐν νόσοις πειραζομέναις εὐἰδιαίπκονος
ἶ κ. τ. λ.
' 2) Die Bevorzugung dieser Lesart 5. B. bei Dressel bedarf wohl
keiner Widerlegung. Auch Petermanns Vorschlag: res παρϑόνους λεγο"
μένως χήρας, hat kemen Anhalt in der Ueberlieferung, denn Li kann
sich gegen die Berufung auf ihn nur eben nicht wehren. Ueberdies
wäre die Wortstellung höchst affeetirt.
3) Vgl. Böttger, Beiträge Zur histor.-krit. Einleitung V, 68 fl.
335
misverständlichen Ausdrucks ein zweiter gleichfalls ungenauer
oder geradezu technischer Ausdruck folgt. Als solcher ist
τὰς χήρας Äurch λεγομένας bezeichnet, mag man übersetzen -
„die Jungfrauen, welche Wittwen heissen “ oder ‚die Jungfrauen,
[nämlich} die sogenannten Wittwen [imter den Jungfrauen]“.
Ein solches λεγόμενος führt immer, wenn nicht einen Namen,
dann eine namenartige, irgendwie uneigentliche Bezeichnung
ein. Eine conventionelle Verengerung oder Erweiterung des
Wortbegriffs liegt immer zu Grunde. Es können diese „Jung-
frauen‘ also jedenfalls nicht die sämmtlichen Wittwen der
smyrnäischen Gemeinde sein. Es wäre aueh nicht abzusehn,
_ warum Ignatius sie zuerst so mysteriös bezeichnet hätte mit
einem Titel, welcher den unverehelichten älteren Frauen-
zimmern mit viel grögserem Hecht gebührt hätte. -Aber es
kann auch nicht ohne weiteres der Stand der Wittwen im
kirchlich-technischen Sinn des Wortes, das γηρικόν, der viduatus
gemeint sein; denn erstlich gibt es kein altes Zeugnis für die
Benennung dieses Standes mit παρϑένοι !), sodann wäre es
erst recht unverständlieh, warım Ignatius zuerst einen mis«
verständlichen Ausdruck gebraucht hätte, den er dann doch
durch den ‚gebräuchlichen ersetzt hätte, und warum er, wenn’s
ihm doch so beliebte, durch λεγομένας auf eine Ineongruenz
zwischen Wortsinn und Meinung hinwies, anstatt einfach zu
sagen: λέγω δὲ τὰς χήρας. Noeh unhaltbarer ist Coteliers
Meinung, dass die Diakonissen von Smyrna zu verstehen
seien, welche Jungfrauen gewesen und Wittwen geheissen
hätten. Sie beruht auf dem Irrthum, dass Diakonissen und
Wittwen im technischen Sinn urspränglich identisch seien,
und auf der Voraussetzung, ‘dass dieses Institut sich schon
1) Man pflegt sich seit Voss, p. 263 auf Clem. strom. VII,
p. 875 Pott. zu berufen, aber nicht den ganzen Satz anzuschn: ὁ γὰρ
ἐπιϑυμήσας καὶ χατασχωὼν ἑαυποῦ, χαϑάπερ ἡ χήρα, διὰ σωφροσύνης
αὖϑις παρϑένος. Cf. stxom. “11, p. 558. Dass man einer Wittwe,
welche ehelos bleibt, das Prädicat παρϑένος geben kann, reicht nicht
aus, um die Benennung der Wittwen mit αὐ παρϑένοι zu recht-
fertigen.
336
zu des Ignatius Zeit so völlig von seinem im Namen ausge-
sprochenen Wesen entfremdet: hätte, wie es selbst für die
spätesten Zeiten nicht nachzuweisen ist. Wir hätten ja an-
zunehmen, dass in Smyrna die sogenannten Wittwen sämmt-
lich nicht wirkliche Wittwen, sondern Jungfrauen gewesen
seien. Voraussetzung des richtigen Verständnisses ist, dass es
ein τάγμα τῶν χηριῶν gab, zu welchem entweder nicht alle
Wittwen der Gemeinde, oder auch Andere als Wittwen ge-
hörten, wenn nicht beides zugleich der Fall war. Das Erste
versteht sich von selbst; denn gleichviel, an welche Be-
dingungen die Aufnahme in diesen kirchlichen Stand geknüpft
war, nicht jede Frau, deren Mann gestorben war, konnte dazu
gehören ; sonst gab es kein besonderes τάγμα τῶν χηρῶν und
keinen technischen Sinn des Wortes row. Das Zweite ist
jedenfalls hier bezeugt; denn gewisse Jungfrauen werden da-
durch von den übrigen unterschieden, dass sie Wittwen
heissen. Dies bezeichnet ein Stadium der Entwickelung des
Wittweninstituts, welches den Pastoralbriefen noch fremd ist;
denn nach 1 Tim. 5, 3—16 wurden damals nur verwittwete
Frauen in den Katalog der Wittwen aufgenommen (s. Anh.
IL, 4). Aber ganz so selten wird im 2. Jahrhundert die
Aufnahme älterer Jungfrauen in den Wittwenstand nicht
stattgefunden haben, wie es nach Tertullians heftiger Polemik
gegen einen katholischen Bischof, der eine überdies erst
20jährige Jungfrau in den viduatus aufgenommen hatte,
scheinen könnte (de virg. vel. 9), Die eigenthümliche Ent-
wickelung, welche das Wittweninstitut im Orient im Gegen-
satz zum zäheren Occident nahm, führt vielmehr darauf, dass
‘dort sehr früh die der Diakonie sich widmenden und zu
bleibender Ehelosigkeit entschlossenen Jungfrauen mit den
„Wittwen“, von welchen beides auch galt, in allernächste
Verbindung traten. Diese Annahme hat an Ignatius und,
wenn man annehmen darf, dass jener von Tertullian getadelte
Bischof eine in Afrika fremde orientalische Sitte befolgte, an
Tertullian zuverlässige Zeugen. Gab es eine Wittwengenossen-
schaft oder vielleicht sogar ein Wittwenhaus (Clem. hom.
XI, 36), so lag nichts näher, als dass die alleinstehenden
337
Jungfrauen, welche ehelog bleiben wollten, und der Gemeinde-
unterstützung um so weniger entbehren konnten, je älter sie
wurden, in das χηρικόν aufgenommen und auch nominell zu
den χῆραι gerechnet wurden, mochten sie ein förmliches Amt
weiblicher Diakonie führen, oder in freierer Weise die Wohl-
that, die sie genossen, erwidern. Irgend welche Erklärung über
den Entschluss fernerer Ehelosigkeit wird bei diesen Jung-
, frauen, wie bei den Wittwen Voraussetzung der Aufnahme
gewesen sein (vgl. 1 Tim. 5, 12). Es fehlt bei Ignatius nicht
an einem ausdrücklichen Zeugnis für die Hochschätzung der
Virginität in den damaligen Gemeinden. Ignatius selbst
theilt sie, wenn er schreibt: ei’ zus δύναται ἐν ἀγνείᾳ μένειν,
εἰς τιμὴν τῆς σαρκὸς τοῦ κυρίου ἐν ἀκαυχησίᾳ μενέτω" ἐὰν
καυχήσηται, ἀπώλετο, καὶ ἐὰν γνωσθῇ πλέον τοῦ ἐπισκόπου,
ἔφϑαρται (ad Pol. 5; Anh. I, 32). Wenn er für mehr an-
gesehen wird und gilt als der Bischof, ist's um den Werth
seiner Keuschheit geschehn; er hat, wie der starke Ausdruck
besagen will, eben das, worauf er sich etwas zu gute that,
innerlich verloreır!). Ein Mehrgelten als der Bischof setzt
in diesem Fall ein Mehrgeltenwollen voraus 3); es erscheint
ja als Folge der Prahlerei mit dem Charisma der Enthalt-
samkeit. Dass gerade in Smyrna Solches vorgekommen sei,
ist nicht gesagt; aber schon aus etwas früherer Zeit wissen
wir von Opposition gegen die Träger des kirchlichen Amts
auf Grund asketischer Leistung und individueller Begabung
gerade in diesem Stück ?). Das setzt voraus, dass Bischöfe
wie Presbyter der Regel nach in der Ehe standen. Wie es
vom Presbyter Valens in Philippi erwähnt wird (Pol. 11),
80 wird es von seinen Amtsgenossen vorausgesetzt, wenn anders
mit Recht angenommen wurde (8. oben ὃ. 297), dass Polykarp
1) Im Gegensatz zur ayvan ist das Wort ἔφϑαρται gewählt.
C£. Justin. apol. I, 15 ἄφϑοροι διαμένουσιν von den lebenslänglich Ehe-
losen. .
2) Cf. Clem. hom. III, 64: εἰ δὲ παντελῶς οὐ ϑέλεις γνωσϑῆναι,
ὅτι BEovalıın διοικήσεως ἔχεις x. τ. A,
3) Clem. Rom. I, 38. 48. Οὗ Lipsius, de Ciem. Rom. ep. priore,
p. 113.
Zahn, Ignatius, 22
338
in c. 5 sich zunächst .mit den Aeltesten von Philippi zu-
sammenfasse.. Um so auffallender ist es dann, dass er in,
hartem Wechsel aus der ersten in die zweite Person übergeht,
wo er auf die Frauen zu reden kommt. Polykarp selbst lebt
eheled. Auch dies wird zu den Charismen gehören, von
welchen er die meisten schon besitzt (ad Pol. 2), und woran
seine Gemeinde überhaupt reich ist (Sm. inser.).
Ein Bild des gottesdienstlichen Lebens aus den igmatia-
nischen Briefen zu gewinnen, ist schon dadurch erschwert,
dass nicht auf der Hand liegt, wie weit die Bildlichkeit des
ignatianischen Ausdrucks reicht, und wie der vielfach bild-
liche und: uneigentliche Ausdruck zu übersetzen ist. Eher
einem heidnischen, als einem christlichen Cultusact entspricht
es, wenn Ignatius den Altar, auf welchem er geopfert werden
soll, schon zugerüstet sieht, und die Opferung von einem
Chorgesang der römischen Christen begleitet sehn möchte
(Rom. 2). An heidnische Festaufzüge und Wallfahrten sollen
die Epheser denken bei der Aufforderung : ἐστὲ οὖν καὶ σύνοδοι
πάντες, ϑεοφόροι καὶ ναοφόροι, χριστοφύροι, ἀἁγιοφόροι, κατὰ
'πάντα κεκοσμημένοι ἐντολαῖς Ιησοῦ Χχριστοῦ (Eph. 9). Das
vorher gebrauchte Bild von der Liebe als einem zu Gott hin-
aufführenden Weg, welches an sich "die folgenden Ausdrücke
noch gar nicht erklärt 1), rief nur die Erinnerung an die
heidnischen Wallfahrten und Umzüge hervor ?), und nur aus
dem Brauch, bei solchen Processionen wie auf. Reisen über-
haupt kleine Bilder von Gottheiten und Tempeln mit sich zu
führen ?), lässt sich das Weitere erklären. Die Tempel,
welche die Christen selber sind, können sie doch nieht wohl
tragen, es ist vielmehr daran zu denken, dass dieser Brief
eben nach Ephesus geht, wo mit den Nachbildungen des
Artemistempels ein grosser Handel getrieben wurde. So wird
1) Gegen Baur II, 29. — Uebrigens fusst das Bild wahrscheinlich
auf 1Cor. 12, 31. ᾿
| 2) Cf. Pears. III, 37; Buns. II, 39. Vgl. auch 1Cor. 12, 2 und
dazu Hofmann, neues Testament II, 1, 274.
3) Vgl. ‘Winer, Realwörterbuch I, 331 und Act. 19, 241.
339
auch das ἀγιοφόῤοι, welches dem γαοψόρσοε ebenso antspricht,
wie das χγρισεοφύροι dem Fengyöscı, nicht unmittelbar auf den
᾿ Heiligen, ἃ. i. Christus, zu beziehen sein, sondern auf die
heiligen Geräthe und Siembilder 1), und ebenso det Schmuck
auf die Kränze tind Zweige, die bei keinen heidnischen Fest-
aufzug fehlten?.. An jüdischen Cultüs, aa die Schaubrote
oder die Pfingstbrote oder die Speisopfer möchte Igmatius
denken, wenz er sich als gottgeweihtes Korn ansieht, welches
durch Me Zähne der Thiete gemahlen und zum reinen Brot
Christi werden 9011] ὴ. Da er nicht durchs Schwert umzu-
kornmen gedenkt, war die Vorstellung des unblutigen Speis-
opfers die natürlichere. Sie wird trotz des Wortes Hola
gleich nachher an dieser Stelle obwalten; auch das unovdı-
σϑῆναι Bew (Rom. 2) fübrt darauf. Aber aus solchen bildlichen
Verwendungen von Cultusausdrücken lässt sich nicht einmal
entnehmen, inwiefern Ignatius deh christlichen Gottesdienst
vom Gesichtspunet seiner antitypischen Congruenz mit vor-
christlichen Culten, insbesondere mit dem alttestumentlichen,
betrachtet, und noch viel weniger, wieweit selche Betrach-
tungsweise anf die Gestaltung des christlichen Gottesdienstes
1) Als Attribut der Gemeinde (Sm. inser.) heisst «yıogyogos wohl
„Heilige hervorbringend “, „fruchtbar an Heiligen “.
2) Auf heidnisches Religionswesen führt auch MNavlov σύυμμύσται
Eph. 12.
8) Rom. 4. Ich lese: oxds sim ϑευῦ zei di’ ὀδόντων ϑηρίων
ἀλήϑομαι, ἵνα παϑαρὸς ἄρτος εὐρεϑῶ τοῦ Χριστοῦ nach ΟἹ Lı
Metaphr. Märt. syr. Der Wechsel zwischen ϑεοόῦ und Χριστοῦ verdient
an sich den Vorzug vor zweimaligem ϑεοῦ in ΟΣ L® βοῦν, Sfr. 201, 9;
296, 7; Al ΑΞ und ist überdies ignatianisch, cf. Rom. 9. Irenäus
(V, 28, 4) muss den Sata ohne τοῦ Χριστοῦ oder ϑεοῦ hinter εὐὑρεϑῶ
angeführt haben; denn Eusöbs Anführung des Citats aus Iretiäus wird
in diesem Panet durch zwei FPlandschriften des lateinischen Irenäus
gesetzt. Zweifelhaft dagegen ist, ob Irenäus an erster Stelle ϑεοῦ
{80 Eus.) oder Χρισεοῦ geschrieben hat. Das dAfsoutus (1 ἐλέϑοριαι)
wird durch βου, A ΟΣ, Metaphr.; Eus. ΠῚ, 86, 12 (und dessen Ueber-
setanngen); Iren. V, 28, 4 (molor) ausreichend geschützt gegen das
molar des Hieronymits und Li! L®, Dies ist aber futur. und nicht conj.
praes., also nicht auf ein αλήϑωμιιν zurückzuführen. _
Ὁ ἃ
340
jener Zeit Einfluss gewonnen hatte. Man scheint nicht über
einzelne Parallelisirung hinausgekommen zu sein. Die wahr-
scheinlich dem Hebräerbrief entlehnte Vorstellung von Christus
als dem Hohenpriester, der mit dem Allerheiligsten betraut
ist (Phil. 9), findet keine weitere Anwendung. Indem dort
an die Stelle des Allerheiligsten sofort Gottes verborgenes
Wesen (τὰ χρυπτὰ τοῦ ϑεοῦ) tritt, zeigt sich, wie wenig fest-
geprägt die symbolische Form des Gedankens ist. Sowie die
Gemeinde als Tempel Gottes vorgestellt. war (Eph. 9; Mgn. 7),
war auch der Altar gegeben, und sofern gerade in der gottes-
dienstlichen Versammlung die Gemeinde sich als heilige Ge-
meinschaft, als Behausung Gottes im Geist darstellte, war
auch der Altar in die Vorstellungen vom christlichen Gottes-
dienst eingetragen (Eph. 5; Mgn. 7; Phil. 4). Die Er-
mahnung, keine gottesdienstlichen Handlungen ohne Bischof
und Presbyter im Privatkreis vorzunehmen, sondern Alles,
was Sache der Gemeinde ist, auch dem gemeinsamen Gottes-
dienst vorzubehalten, lautet daher: „Kommt alle zusammen,
als zu einem Tempel Gottes, als zu einem Altar, [als] zu
einem Christus“ 1); und „im Bereich des Altars sein‘ 2) ist
Bild der Zugehörigkeit zur gottesdienstlichen Gemeinde. Von
Opfern, welche auf diesem Altar dargebracht würden, wird
1) Mgn. 7. Entweder wird man mit L1 A ὡς εἰς ἕνα ναόν, oder
nach ΟΣ us εἷς Eis τὸν ναόν lesen müssen. Das dritte αἷς hat an
ΟἹ ovt L2 keine ausreichende Bezeugung.
2) Eph. 5. Trall. 7: ἐντὸς (τοῦ) ϑυδσιαστηρίου δἶναι, Ich denke die
Präposition richtig übersetzt zu haben, wie in der Verbindung ἐντὸς
βελῶν im Gegensatz zu ἐκ βελῶν. Auch Polyc. 3. heisst ἐντός τενος
eivaı „in der Sphäre von etwas sich befinden“. — Arndt (Handschrift),
welcher zwar anerkennt, dass ϑυσιαστήριον bei Ignatius nie einen wirk-
lichen Altar bezeichne, und an diesen beiden Stellen von der „Gemein-
schaft des Heils oder der christlichen Gemeinde “ zu verstehen sei (nach
Gruner, de unitate ecclesiae, p. 23: esse in communione ecclesiae), meint
doch, dass die übertragene Bedeutung einen eigentlichen Altar im göttes-
dienstlichen Gebäude voraussetze. Das ἐντός weise dann auf ein Gehege
um den Altar, wodurch er vor der Berührung durch Unheilige bewahrt
werde. Diese Vorstellungen passen nicht in die Zeiten, wo die Abend-
maählsfeier ein Brotbrechen, ein Speisenehmen war.
941
nicht unmittelbar geredet, und wine besondere Beziehung
zwischen Altar und Abendmahl ist wenigstens nicht deutlich
ausgedrückt durch die Warnung: μηδεὶς πλανάσϑω" ἐὰν un τις
ἦ ἐντὸς τοῦ ϑυσιαστηρίου, ὑστερεῖται τοῦ ἄρτου τοῦ ϑεοῦ (Eph. 5).
Es kann dies sehr wohl eine von den Opfermahlzeiten (vgl.
1 Kor. 10, 18) oder dem priesterlichen Antheil an den Opfer-
gaben 1) entlehnter bildlicher Ausdruck für die sämmtlichen
mit der Zugehörigkeit zur gottesdienstlichen Gemeinde ge-
gebenen geistlichen Segnungen sein, wie denn gleich darauf
nur des gemeinsamen Gebets des Bischofs und der ganzen
Gemeinde gedacht wird 2). Aber es kann auch an das Abend-
mahl mitgedacht und durch diesen Gedanken der Ausdruck
mitbestimmt sein, ähnlich wie Rom. 7 der Genuss der himm-
lischen Seligkeit als Abendmahlsfeier vorgestellt und mit daher
entlehnten Ausdrücken bezeichnet wird. Bestimmter tritt die
Zusammengehörigkeit des Abendmahls mit dem idealen Altar
Philad. 4 hervor. Aber es bleibt undeutlich, inwiefern das
Abendmahl mit den im jüdischen Cultus an den Altar ge-
knüpften Handlungen, und mit welchen Handlungen es ver-
glichen werden soll. Dürften wir die bildliche Bezeichnung
der Wittwen als Altar bei Polykarp (ad Philipp. 4; vgl. oben
8. 333f.) heranziehen, so würden die mit der Abendmahlsfeier
verbundenen wohlthätigen Spenden und das Dankgebet die
Opfer des christlichen Altars sein.
Die Abendmahlsfeier heisst Phil. 4; Sm. 8 εὐχαριστία, in
Sm. 7 ist der Name sogar schon auf die Materie der Abend-
mahlshandlung übertragen. Aber das Bewusstsein der Wort-
bedeutung „Danksagung“ zeigt sich eben dort noch deutlich,
wenn der εὐχαριστία die προςευχή coordinirt wird, ebenso
Eph. 13 in der Verbindung εἰς εὐχαριστίαν ϑεοῦ καὶ . δόξαν 5).
1) Vgl. 1Kor. 9, 13. An das dortige παρεδρεύοντες erinnert auch
das πάρεδροι ad Pol. 6.
2) Vgl. die Aufzählung vor der Erwähnung des Altars Mgn. 7.
3) Rothe’s (8. 451) Conjectur δοχήν trägt ohne Noth einen sehr
späten Sprachgebrauch — Pseudoign. Sm. 8; const. ap. II, 28 zur Be-
zeichnung der vom Abendmahl längst getrennten Agape — in Igna-
tius ein,
342
Es wäre dies eine höchst wunderliche Bezeichnung der Gottes-
dienste überhaupt, in welchen dia προςενχή (Eph. 5; Mgn. 7;
Tr. 12; Sm. 7), die ὁμιλία (ad Pol. 5; vgl. oben 9. 322) und
gewiss doch auch die Schriftvorlesung (dust. 880]. I, 67)
hedeutende Stellen einnahmen; aber &8 war eine ange-
messene Bezeichnung der besonderen ' Gottesdienste, deren
"Mittelpunct die Abendmahlsfeier, die εὐχαριατέα im technischen
Sinn des Worts, bildete. Dass Ignatius solche Ahendmahlk-
gottesdienste kennt, steht zu erweisen.. Schan die Art, wie
ermahnt wird, das Abendmahl gemeinsam zu feiern, oder nur
ein Abendmahl zu feiern !), weist darauf hin, das sich das
von dieser Handlung nieht in dem Masse wie von anderen
von selbst verstand, oder mit anderen Worten, dass das Abend-
mahl nicht Bestandtheil des Öffentlichen, unter allen Um-
ständen gemeinsamen Gottesdienstes der Gemeinde war. Aller:
dings sind diese Ermahnungen, wenigstens in Phil. 4 durch
die Gefahr des Schisma’a hervorgerufen, aber sie fordern doch
nicht Enthaltung von einer abgesonderten Abendmahlsfeier der
Häretiker und Schismatiker. Einer solchen gegenüber, welche
an jedem einzelnen Ort doch auch nur eine war uud welche
unmöglich neben der kirchlichen von gewissen Individuen mit-
begangen werden konnte, müsste nicht die Einheit, sondern
die Kirchlichkeit der rechten Eucharistie betont sein. Die
Ermahnung, sich um einheitliche Abendmahlsfeier zu be-
mühen, darnach zu streben ®), zeigt: deutlich, dass es sich hier
nicht um Warnung vor dem „Teufelsdienst“* (Sm. 9) einer
‘ wider den Willen des Bischofs abgebaltenen Sonderfeier
handelt, sondern um Empfehlung eines Ideals, das nicht
1) Phil. 4: σπουδάσατε οὖν μιᾷ εὐχαριστίᾳ χρῆσϑαι" ula γὰρ σὼρξ
τοῦ χυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ καὶ ἕν ποτήριον εἰς ἕνωσιν τοῦ αἵματος
αὐταῦ, ἕν ϑυσιασεήριον αἷς εἷς ἐπίσχοπος ἅμα τῷ πρεᾳβιτερέῳ καὶ δια-
χόνοις, τοῖς συνδούλοις μοῦ" ἵνα ὃ ἐὰν πράσσητϑ, κατὰ ϑδεὸν πράσσῃᾷ.
Mittelbar wenigstens gehört auch das ἕνα ἄρτον χλῶντες Eph. 20 hier-
her, wenn man auch ὅτε an der Spitze des Batzes liest, sa dasa dies
nioht eine Ermahnung, sondern ein Lob der Epbeser int. 5. jedoch
Auh. I, 20.
2) Vgl. den Gebrauch von σπουδάζειν Eph. 13; Mgn. 13.
343
immer verwirklicht war. Es muss damals das Abendmahl von
den asiatischen Christen vielfach in kleinerem Kreise gefeiert
worden sein. Darum hütet sich Ignatius sehr wohl davor,
eine solche Abendmahlsfeier geradezu für eine Gottlosigkeit
zu erklären. Er fordert noch erst Zustimmung zu dem Ur-
theil, dass diejenige Abendmahlsfeier, welche unter Leitung
des Bischofs oder eines von ihm Beauftragten stattfindet, allein .
zuverlässig sei '). Die Gotigemässheit und Gottwohlgefällig-
keit der Handlung soll dadurch erzielt und verbürgt werden,
dass sie stets von der gottesdienstlich versammelten Gemeinde
gefeiert wird (Phil. 4). In anderem Ton, als in welchem
er Einheitlichkeit und Gemeinsamkeit der Abendmahlsfeier
fordert, beurtheilt er die ‘Vornahme kirchlicher Handlungen
ohne Rücksicht auf den Bischof ?). Ignatius hält gelegentlich
nicht mit dem Urtheil zurück, dass diejenigen, die so verfahren,
kein gutes Gewissen dabei haben können, weil sie sich nicht
in zuverlässiger Weise und nach dem Gebot, ἃ. i. nach kirch-
licher Ordnung, versammeln 3. Aber Teufelsdienst ist doch
erst kirchliches Handeln mit absichtlicher Verheimlichung
vor dem Bischof (Sm. 9). Der Ton dieses Urtheils ist gründ-
lich verschieden von dem der vorhin angeführten Ermahnungen
und Rathschläge an die Gemeinden, und ist der gleiche hier
wie in den Aussagen über die Häretiker. Diese sind schlimme
1) Sm. 8: μηδεὶς γωρὶς τοῦ ἐπισχόπου τι πρασσέτω τῶν ενηκον-
των Eis τὴν ἐχχλησίαν. ἐχείνη βεβαία εὐχαρισεία ἡγείσϑω ἡ ὑπὸ τὸν
ἐπίσκοπον οἷσα, ἢ ᾧ ἂν αὐτὸς ἐπιτρέψῃ.
9) S. den ersten Satz voriger Anmerkung im Vergleich zum zweiten.
Wo der Bischof nicht ebenso wie Ignatius auf Gemeinsamkeit und Kirch-
lichkeit des Abendmahls hielt, konnte man dem zweiten Satz mit Wort
und That widersprechen, obne sich eines πράσσειν χωρὶς ἐπισχόπου
schuldig zu machen.
3) Mgn. 4. Noch bestimmter Tr. 7: ὃ χωρὶς ἐπισχόπου καὶ πρεσ-
Bursgiov χαὶ διαχόνου πράσαῳν τι, οὗτος οὐ καϑαρός ἐστιν τῇ συνει-
δήσει. Daher kann er auch sagen: οὐκ ἐξὸν ἐστιν χωρὶς τοῦ ἐπι-
σχόπου οὔτε βαπτέζειν οὔτε ἀγάπην ποιδῖν Sm. 8. Aber in dem gleich
folgenden Satz wird dies Urtheil doch erst durch Angabe des Zwecks
(v’ ἀσφαλὲς ἢ καὶ βέβαιον πᾶν ὁ πράσσεται) begründet.
944
Pflanzen, die der Vater nicht gepflanzt hat und Christus
nicht als Gärtner pflegt (Phil. 3), geile Nebenschösslinge,
nicht Zweige des Kreuzes (Tr. 11), wilde Thiere in Menschen-
gestalt (Sm. 4), Wölfe (Phil. 2) und schwer heilbare tolle
Hunde (Eph. 7). Ihre Lehre ist eine übelriechende Teufels-
lehre (Eph. 17); ihre Angriffe auf die Kirche sind Ränke
‘und Listen des Teufels (Phil. 6; Tr. 8); sie selbst sind des
‚Teufels irdische Streitkräfte (Eph. 13). Das ewige Ver-
derben scheint ihr unentrinnbares Schicksal zu sein, und in
dasselbe ziehen sie auch diejenigen, welche ihnen folgen
(Eph. 16; Phil. 3). Die durch sie in Philadelphia Verführten
werden gar nicht mit zu der Gemeinde gerechnet, an welche
der Brief gerichtet ist, sondern auf ihre Busse wird gewartet.
Darnach ist es unmöglich, Urtheile wie die in Mgn. 4; Tr. 7;
Eph. 5 auf die Irrlehrer und deren Anhänger 1), oder War-
nungen und Mahnungen wie die in Phil. 4; Eph. 5. 20;
Sm. 8 auf den Gegensatz kirchlichen und häretisch - schis-
matischen Gottesdienstes zu beziehn. Es wird vielmehr deut-
lich, dass in den Gemeinden selbst, obwohl sie sich noch rein
halten von Häresie und Schisma, die nur in Philadelphia
einen kleinen Erfolg errungen haben, eine laxere Praxis in
Bezug auf die kirchliche Ausprägung des gottesdienstlichen
Lebens herrschte, als Ignatius zumal angesichts der drohenden
Gefahr der Häresie für zulässig hielt. Mit der Abendmahls-
feier aber muss es in dieser Hinsicht noch anders gestanden
haben, als mit dem sonstigen Gottesdienst. Allerdings wird
zu fleissigem Besuch ebensowohl' des gemeinen 3), als des
1) Dies besonders gegen Uhlh., S. 288f. Es sind da zu viele
Unterschiede verwischt, als dass die Zeichnung nicht schief gerathen
sollte. Unrichtig ist z. B. auch, das „Christ heissen und nicht sein“
Mgn. 4 auf dieselben Leute zu beziehn, von denen es gleich nachher
heisst, dass sie den Bischof im Munde führen, aber ohne ihn handeln.
Letzteres sind, .wie gesagt, auch nicht die Häretiker, aber Ersteres steht
in einer Regel, unter welche sich Ignatius selbst ebensogut stellt, als
die sämmtlichen angeredeten Christen Magnesia’s. Vgl. das parallele
πρέπον ἐστίν in Mgn. 3 und Rom. 3.
2) Eph, 5, Nach den oben 8, 341 angeführten Worten heisst es;
345
Abendmahlsgottesdienstes 1), ermahnt; aber den Gegensatz zu
dem Gottesdienst, in welchem „der Bischof und die ganze Ge-
meinde“* betet, bildet nicht wie beim Abendmahl eine Mehrheit
mehr privater Zusammenkünfte, welche Ignatius abgestellt sehn
möchte, sondern das einfache Wegbleiben aus dem Gottesdienst,
welches er als verderblichen Hochmuth verurtheilt. Dasselbe
Ergebnis liefert eine sorgfältige Betrachtung von Mgn. 7.
Nach einer Warnung vor Vornahme kirchlicher Handlungen
ohne die Geistlichen wird ähnlich wie Sm. 8 zunächst auf die
zu Grunde liegende Ansicht eingewirkt in dem etwas schwer-
fälligen Satz: „Versucht nicht, dass irgend etwas vernünftig
erscheine euch privatim, sondern gemeinsam “, d. h. eine
kirchliche Handlung soll ihnen nicht als sachgemäss vollzogen
gelten, wenn sie in privatem Kreise vorgenommen wird, sie
&i γὰρ ἑνὸς καὶ δευτέρου προςευχὴ τοσαύτην ἰσχὺν ἔχει, πόσῳ μᾶλλον
7 τε τοῦ ἐπισχόπου καὶ πάσης τῆς ἐκκλησίας" ὁ οὖν μὴ ἐρχόμενος ἐπὶ
τὸ αὐτὸ, οὗτος ἤδη ὑπερηφανεῖ καὶ ἑαυτὸν χατέχρινεν. Statt διέχρινεν
des ΟἹ oder διαχρένει in parall. Rupef. p. 772D wird nach 11 (condem-
navit oder nach cod. c condemnat) χατέχρινδν zu lesen sein. Jenes
Synonymon von ὑπερηφανεξὲ schlich zu leicht aus 1Cor. 4, 7 ein, und
nur χατέχρινεν passt; denn nicht, dass Versäumnis des Gottesdienstes
Hochmuth sei, sondern dass solcher Hochmuth Verderben bringe, wird
im Folgenden erhärtet. — Aus A G2 1,2 lässt sich nichts gewinnen. —
Dass dieser Hauptgottesdienst ein die ganze Ortsgemeinde umfassender
ist, zeigt auch Phil. 10; s. oben $. 244.
1) Eph. 13. In Bezug auf diese Stelle hat Pears. III, 39 ohne
Frage Recht, wenn er das πυχνότερον συνέρχεσϑαι und das πυχνῶς ἐπὶ
τὸ αὐτὸ γίνεσθαι nicht von häufigeren, sondern von stärker besuchten
Gottesdiensten verstanden haben will; denn nur davon kann sich Ignatius
versprechen, dass dadurch des Teufels Macht an der Einmüthigkeit des
Glaubens kräftigeren Widerstand finden werde (cf. Phil. 2, besonders
aber Herm. mand. XI, p. 70, 2 sqq., wo die Ohnmacht des pseudopro-
phetischen Geistes gegenüber einer συναγωγὴ πλήρης ἀνδρῶν δικαίων .
geschildert wird). Aber ebenso gewiss ist Pears. III, 29 im Unrecht,
wenn er das πυχνότερον ovvaywyai γινέσϑωσαν ad Pol. 4 eben 80 fassen
will. Die sprachlich allein zulässige Uebersetzung ist: „Häufiger sollen Ver-
sammlungen stattfinden“. "Das hier und dort sehr verschieden verbundene
πυχνότερον (πυχνῶς) hat die meisten Ausleger (z. B. auch Harnack
a. ἃ. O., S. 217) dazu verleitet, in beiden Stellen den gleichen Gedanken
zu finden,
346
sollen vielmehr alles Derartige gemeinsam oder, was dasselbe
sagt, in Gemeinschaft mit den Vorstehern thun'). Wenn
nun weiterhin „ein Gebet, eine Bitte, eine Gesinnung,
‚eine Hoffnung in Liebe, in untadeliger Freude, und als das
Beste von’ Allem, ein Christus“ genannt werden, go soll das
selbstverständlich nicht eine Aufzählung der Handlungen sein,
für welche Gemeinsamkeit erforderlich ist, sondern vielmehr
eine Erinnerung an die thatsächlich vorhandenen Einheits-
bande des Gemeindelebens. Nun erst wird zu der praktischen
Folgerung fortgeschritten, in Anbetracht der so mannigfaltig
.verbürgten Einheit des christlichen Lebens aller Gemeinde-
glieder auch alles gotteadienstliche Handeln ein gemeinsames
sein zu lassen (vgl. oben 5. 340). Da die πρφοευχή und
δέησις vorher als ein selbstverständlich Gemeinsames ?) neben
Gesinnung, Hoffnung, Liebe, Freude und Christus genannt
war, so wird damit auf denjenigen Gottesdienst, dessen Cha-
rakteristisches das Bittgebet ist, als einen durchweg gemein-
samen hingawiesen, und die Ermahnung, keine kirchlichen
Handlungen privatim vorzunehmen oder, wie es nun positiv
heisst, „wie zu einem Altar‘ zusammenzukommen, wird sich
vornehmlich auf die Abendmahlsgottesdienste beziehen (vgl.
Phil. 4). Dieselbe. Unterscheidung zwischen Abendmahls-
1) Mgn. 7: und: πειράσητε δὔλογόν τι φαίνεσϑαι ἰδίᾳ ὑμῖν, ἀλλ᾽
ἐπὶ τὸ αὐτό. Μίᾳ προςευχὴ, μία δέησις x. τ. A. Die herkömmliche
starke Ipterpunetion vor ἐλλ᾽ ist zu offenbar falsch, um eine Wider-
. legung veranlassen zu können. Bunsen II, 66 findet hier den Gedanken,
dass die einzelnen Gläubigen und überhaupt die Laienschaft sich nicht
einmal vermessen soll, für sich irgend etwas Vernünftiges zu denken,
und ruft dann aus: „O welche grauenvolle Auslegung der Worte des
Herrn Joh. 6, 45!“ Man darf hinzufügen „und der Worte des Igna-
‚tius“. Φαίνεσϑαι bedarf der Vervollständigung durch εὔλογον, und
vom Denken ist hier gar keine Rede, sondern von einem praktischen
. Urtbeil, aus welchem sich sofort ein entsprechendes kirchliches Handeln
ergibt. Cf. Eph. 11: χωρὶς τούτου μηδὲν ὑμῖν πρεπέτω. Das ἐπὶ τὸ
αὐτά muss nach der alterthümlichen Bezeichnung des Gemeindegottes-
dienstes ἐπὶ τὸ αὐτὸ koysasaı oder γίνεσϑαι Eph. 5. 13. Phil. 10 ver-
standen werden und dernach day gegensätzliche (die.
2) Οἵ, Mgn. 14: τῆς ἡνωμένης ὑμῶν ἐν ϑεῷ προςευχῆς. CA. Tr. 12.
347
gottesdienst (suxgomilg) und Gebetsgoktesdienst (προςευχή)
liegt offenbar auch der Bemerkung über die Irrlehrer zu
Grunde: εὐχαριστίας καὶ προςευχῆς ἀπέχονται (Sm. 7), wenn
auch die folgende Erklärung dieser doppelten Enthaltung (die
τὸ μὴ ὁμολογεῖκ τὴν εὐχαριστίαν αὔάρχα εἶναι τοῦ αωτῆρας
x. τ. A.) das zweite Moment gar nicht berücksichtigt. Der ent-
scheidende Beweis für das Vorhandensein besonderer Abend-
mahlsgottesdieuste liegt aher darin, dass Ignatius die Abend-
mahlsfeier ἀγάπῃ nennt, dass also zur Zeit der Ahfassung
dieser Briefe die Trennung des Abendmahls von den Agapen
und dia Verlegung derselben in den öffentlichen Gottesdienst
noch nicht stattgefunden hat. Nachdem (Sm. 7) die Ent-
haltung der Irrlehrar vom kirchlichen Abendmahl aus ihrer
Abweichung vom kirchlichen Glauben in: Bezug auf das
Abendmahl erklärt ist, heisst es von ihnen; οἱ οὖν ἀντιλέγον-
τες τῇ ἥωρᾷ τοῦ ϑεοῦ συζητοῦντες ἀπηϑνήσκουσιν. Dass
unter der Gabe Gottes, der sie widersprechen, nichts Andere
verstanden werden kann, alg das Fleisch. Christi, wofür sie
„die Eucharistie“ nicht wollen gelten lassen, ist klar. Ueber
ihrem Disputiren (vgl. Eph. 18) in Bezug auf das Abendmahl,
also. durch ihren ebenso theoretischen als praktischen Wider-
spruch gegen die kirchliche Ahendmahlsfeier, herauben sie sich
der Gottesgabe, die darin liegt und üher den Tod hinaus
Leben gibt. Wenn es nun im Gegensatz dazu weiter heisst:
συνέφερεν δὲ αὐτοῖς ἀγαπᾶν, ἵνᾳ καὶ ἀναστῶαιν, 80 kann dies’
picht eine gang unveranlasste Empfehlung der Liehe sein,
sondern nur eine Betonung der Heilsamkeit eben derjenigen
kirchlichen Handlung, deren sich jene Irrlehrer enthalten 1).
Die Correspondenz zwischen dem Leiden und Auferstehen des
Fleisches Christi einergeitg und dem Sterban und Auferstehen
.---΄---....
T
1) Das Richtige gab schon Cotelier z. ἃ. St., auch Peam. Ill, 18
u. A, Die Bemerkung von Smith (schol., p. 66),. dass ἐγαπᾷν dem arıı-
λέγειν gegenübertrete, ist richtig und kommt bei obiger Erklärung zum
Recht; da aber der Widerspruch ein praktischer ist, wird auch sein
Gegentheil ein Handeln sein. Die Uebersetzung von ἀγαπᾶν „cum
amore amplecti hoc donum Dei“ lässt den Mangel eines Objects nur er-
kennen, ohne ihn zu erkläsen.
348
derer, welche das kirchliche Abendmahl verschmähen oder
gebrauchen, anderseits ist zwingend. Ayunav heisst also hier
soviel als ἀγάπην ποιεῖν (Sm. 8), und dies muss dann nach
dem Zusammenhang hier (Sm. 7) die Feier der Eucharistie
bedeuten. Wollte man dem absoluten ἀγαπᾶν die Bedeutung
von ἀγάπην ποιεῖν auch nicht einräumen, so wäre doch die
Anspielung auf den Namen der bestimmten Liebesübung, um
die es sich hier handelt, unverkennbar und damit auch gewiss,
dass ἀγάπη mit εὐχαριστία synonym ist. Dasselbe ergibt sich
aus den schon angeführten Worten: οὐκ ἐξόν ἐστιν χωρὶς τοῦ
ἐπισκόπου οὔτε βαπτίζειν οὔτε ἀγάπην ποιεῖν (Sm. 8). Die Zu-
sammenstellung mit der Taufe wäre mindestens sehr unge-
‚ schickt, wenn hier ἀγάπη das vom Abendmahl getrennte
Liebesmahl bedeutete; und dass der Eucharistie schon vorher
gedacht war, ist kein Grund dagegen, sie hier wieder erwähnt
zu finden. Vorher war noch nicht eine unabhängig vom
Bischof abgehaltene Abendmahlsfeier für anerlaubt erklärt,
wie hier, sondern es war der im Beisein und unter Leitung des
Bischofs oder eines von ihm Beauftragten vollzogenen Feier
der Vorzug gegeben und damit ein Rath ertheilt, welcher
ebensosehr dem Bischof ') als den Gemeindegliedern galt.
Jetzt erst werden zwei Beispiele für den allgemeinen Satz
angeführt, welcher den Laien galt: „Niemand soll unabhängig
vom Bischof irgend eine der die Gemeinde angehenden Hand-
lungen vollziehen.“ Der Wechsel des Ausdrucks für das
Abendmahl, welcher sich schon 6. 7 fand, ist hier besonders
angemessen. Wo es gilt, zu zeigen, wo man sich zuverlässig
den Segen des Sacraments hole, heisst 68 εὐχαριστία; wo 68
sich darum handelt, wer die ganze Feier, in welcher der
sacramentale Act nur ein Moment bildet, veranstalten dürfe,
heisst es ἀγάπη. Das Liebesmahl mit Einschluss des
Abendmahls bezeichnet ἀγάπη auch Rom. 7. Der gereinigte
Text lautet: 4orov ϑεοῦ ϑέλω, ὅς ἐστιν σὰρξ ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ
τοῦ ἐκ σπέρματος Δαβὶδ, καὶ πόμα ϑέλω τὸ αἶμα αὐτοῦ, ὃ ἐστιν
1) Οἔ ad Pol. 4: μηδὲν ἄνευ γνωμῇῃς σου γινέσϑω.
349°
ἰγάπη ἄφϑαρτος !). Gewiss ist zunächst aus dem Zusammen-
hang, dass hier nicht vom Abendmahl, sondern von dem-
jenigen Genuss der Gemeinschaft mit Christus die Rede ist,
zu welchem Ignatius durch den Märtyrertod zu gelangen hofft;
aber ebenso deutlich ist auch, dass die Bilder hiefür vom
Abendmahl entlehnt sind 2). Ferner erkennt man, dass ὃ
ἐστιν ἀγάπη ἄφϑαρτος nur scheinbar dem Relativsatz hinter
ϑέλω entspricht; denn in dem Satz: „als Trank begehre ich
sein Blut‘‘ ist bereits zusammengefasst, was im .Parallelglied
in Haupt- und Relativsatz zerlegt war. Demnach wird der
letzte Relativsatz auch nicht zu αἷμα gehören. Es ist mir
kein ernstlicher Versuch bekannt geworden, dem Satz: „Christi
Blut ist unvergängliche Liebe“ einen wirklichen Gedanken
abzugewinnen, Allerdings ist Ignatius kühn in der Gleich-
setzung sehr verschiedenartiger Begriffe gerade auch in dieser
Form °); aber die Vergleichung der zunächst anklingenden
Stelle 4) ist‘ doch trügerisch. Fleisch und Blut Christi sind
dort die Güter, zu welchen man durch Glauben und Liebe ge-
langt, also die eigentlichen Mittel der durch Glauben und
Liebe sich vollziehenden Erneuerung; an eine ernstliche
1) So nach Li ΑἹ ΑΞ im wesentlichen auch Scur., welcher nur
noch Ἰησοῦ und τοῦ ἐχ σπέρματος 4αβίδ᾽ ausgestossen hat. Auch Mart.
syr. Moes. p. 9, 9 führt auf keinen anderen Text. Es übersetzt nur frei
und falsch in Erinnerung an Rom. 4: ‚‚Brot Gottes will ich werden,
welches der Leib Jesu Christi ist, der aus dem Geschlecht Davids ist,
und trinken will ich “von seinem Blut, welches unvergängliche Liebe
ist.“ Die Zusätze in colb. metaphr. G2 1.3 bedürfen keiner Widerlegung.
Nicht einmal das γενομένου vor &x σπέρματος hat an dem facti e prole
Davidis der beiden A eine sichere Stütze.
2) Οὗ Casaub., exercc., p. 468 Βα.
3) Sm. 5: eis τὸ πάϑος, ὅ ἐστιν ἡμῶν ἀνάστασις, Tr. 11: τοῦ
ϑεοῦ ἕνωσιν ἐπαγγελλομένου, ὅς ἐστιν αὐτός, „und das, nämlich die
Einheit, ist er selbst“, ἃ. h. in und mit Gott ist sie gegeben. Gegen
Smith und Hefele z. d. St. vgl. Dressel. Da übrigens ΟἹ in Tr. 8 ein-
mal ein dort unmögliches ὅς für 6 gibt, so ist möglicherweise auch hier
δ᾽ ursprünglich. Cf. Eph. 17.
4) Tr. 8: ἀναχτίσασϑε ἑαυτοὺς ἐν πίστει, ὃ ἐστιν σὼρξ τοῦ χυρίου,
καὶ ἐν ἀγάπῃ, 6 ἐστιν αἷμα Ἰησοῦ Χριστοῦ,
350
Identifieirung der gleichgesetzten Dinge ist da wicht zu denken.
Nur der Gebrauch des ὅ ἐστιν im Sinn eines τουτέστιν oder
τοῦτο δέ ἐστιν !) findet an beiden Stellen statt; ein solches ὁ
ἐστι» kann sich aber ebensogut Auf einen vorher wrnstähdlich
beschriebenen Vorgang, als auf ein einzelnes Wort beziehn 3}.
Von dem ganzen Vorgang, den er herbeiwünscht, von dem .
Essen des Brotes Gottes oder Fieisches Christt utd dem
Trinken seines Blutes βαρ Ignatius: „das ist eine wnver-
gängliche Agape“ (vgl. Lips. I, 73). Dass wirklich die Vor-
stellung eines heiligen Mahles hier ubwaltet, lehrt der Gögeh-
satz von ἄφϑαρτος und der vorher erwähnten τρυφὴ ῳϑορᾶς.
Der angemessene Ausdruck war dann aber ἀγάπη und nicht
εὐχαριστία, denn es handelt sich nicht zunächst um ein voll-
kotnntenes himmlisches Gegenbild der irdischen: Abendmahls-
feier, sondern um das reine Gegentheil irdischer Tafelfreuden.
Dazu bildet schon das irdische Liebesmahl der Christen eineh
Gegensatz; aber erst durch die in ἄφϑαριος letende Steige-
rung wird der Name desselben zum angemesserren Ausdruck
für die jenseitige Seligkeit. “Aber die Speise und der Trink
der irdischen und der himmlischen Agape sind keine anderen,
als das Abendmahlsbrot und der Abendmahlstrank, als Fleisch
und Blut Christi. Daraus folgt, dass ἀγάπη damals Name des
ganzen das Abendmahl im engeren Sinn einschliesseriden Ge-
meindemahls war, oder mit anderen Worten, dass das Abend-
mahl, die Eucharistie, damals von der Agape noch nicht ge-
trennt war. Dann begreift man, dass das Abendmahl damals
häufig in kleinerem Kreise gefeiert wurde 3), und dass Ignatius
erst noch zu fordern hätte, dass auch die Abendmählsgottes-
1) Recht deutlich ist diese Bedeutung Eph. 17: Seol γνῶσιν, ὁ
ἐστιν Ἰησοῦς Χριστός.
2) CE. Phil, inser., wo ἥτις ἐστὶν χαρὼ αἰώνως καὶ παράμονος anf
das ziemlich weit zurückliegende ἐγαλλιωμένῃ x. τ. A. zürückgreift.
Ebenso geht Eph. 14 das ἥτις ἐστίν nicht auf nyann, sondern auf das
ἔχειν τὴν πίστιν καὶ τὴν εἰγάπην, und nur vermöge der Attraction durch
dern heisst es ἥτις statt ὅτι oder 0.
3) Vgl. Harnack, der christliche Gemeindegvttesdienst, 9. 144
Anm..
8δ1
dienste wo ‚möglich die ganze Gemeinde vereinigen, und dass
sie unter Leitung des Bischofs oder eines von ihm Beauf-
tragten,, jedenfulls aber nie ohne Mitwissen und Billigung des
Bischofs stattfinden. Zugleich aber besitzen wir hieran ein
für die Frage nach der Entstehung der ignatianischen Briefe
sohr bedeutsames Zeichen der Zeit. Die Trennung der Abend-
mahlsfeier von der Agape und die Verlegung jener in den
sonntäglichen Hauptgottesdienst ist gegen die Mitte des
2. Jahrhunderts in der Kirche ziemlich allgemein vollzogen
gewesen; denn Justin 1), welcher diese Entwickelungsstufe be-
zeugt, schildert nicht den gottesdienstlichen Brauch einer
einzelnen Gegend, sondern den m der Kirche seiner Zeit
herrschenden. _ Dagegen erfahren wir aus dem Brief des
Plinius an Trajan (s. Anh. II, 5), dass der Gottesdienst der
Christen Bithymiens um das Jahr 112°) in einen Morgen-
und einen Abendgottesdienst zerfiel, und dass das Eigenthtim-
.Jiche des letzteren in einem gemeinsamen Mahl bestand, näm-
lich in demjenigen, worauf sich die bekannten heidnischen
Verläumdungen bezogen. Es ist das die mit dem Abendmahl
noch verbundene Agape 3). Welche Gründe in der nächsten
Folgezeit die Trennung des Abendmahls von der Agape ver-
anlassten und bald allgemein machten, können wir nür er-
rathen, und auch die Zeit dieser bedeutsamen Aenderung
lässt sich nicht anders bestimmen, als dürch die Termine,
welche die Briefe des Plinius und. des Ignatius einer-
seits und Justins Schriften andrerseits setzen. Zwischen
110 und 150 ist das geschehen, und die Briefe des Igna-
tius bezeichnen in diesem Punct wie in änderen das
gleiche Stadium in der Entwickelung des christlichen Cultus
mit dem Bericht des Plinius, mit dem sie, wenn sie ächt
sind, zeitlich wie örtlich zunächst zusammengehören. War in
den asiatischen Gemeinden, die Ignatius um 110 kennen lernte,
1) Vgl. Harnack a. a. O., 8. 281. 236 ff.
2) Nach Th. Mommsen, zur Lebensgeschichte des jüngeren Plinius,
Flermes III, 55 ff. fällt die Statthalterschaft des Plinius in Bithynien
am 111—113, die Briefe ad Traj. 96. 97 ans Ende dieser Zeit.
3) Vgl. Harnack a. a. O., 5. 230. 234, aber auch Anh. II, 5,
352
die Eucharistie mit der Agape noch verbunden, so versteht es
sich von selbst, dass neben diesem Gottesdienst, welcher oft
nur einzelne Theile der Gemeinde und jedenfalls nur Ge-
taufte vereinigte, wie in der apostolischen Zeit noch ein andrer
bestand von weniger privatem Charakter, welcher in fried-
lichen Zeiten auch lernbegierigen Nichtchristen geöffnet war.
(vgl. Harnack, 8. 96fl. 143 fl... Diese Zweitheilung des
Gottesdienstes, welche wir aus Ignatius zwar sicher, aber
nicht ohne exegetische Mühe erkannten, bezeugt uns Plinius
mit dürren Worten. Das ist aber ein in der Natur der bei-
den Documente begründeter Unterschied. Plinius berichtet
das Resultat seiner Inquisition als eine bis dahin nur wenig
oder gar nicht bekannte Thatsache; Ignatius will selbstver-
ständlich uns spätere Leser ebensowenig wie die Empfänger
seiner Briefe von der bei ihnen herrschenden kirchlichen Sitte
unterrichten; er kann nur nicht von ihrem kirchlichen Leben
reden, ohne uns einige Grundzüge desselben erkennen zu lassen.
Aus Ignatius gewinnen wir die Einsicht, welche der Bericht
des römischen Statthalters nicht geben konnte, dass derjenige
Gottesdienst, welcher die εὐχαριστία zum Mittelpunct hatte,
vorwiegend den Charakter der Danksagung an sich trug,
während in dem anderen Gottesdienst das Bittgebet im Vor-
dergrund stand. Dem entspricht es, wenn auch noch nach
der Vereinigung des zwiefachgn Gottesdienstes zu einem ein-
zigen die Bittgebete und insbesondre die Fürbitten der Ge-
meinde den Schluss des ersten homiletischen Theils des Gottes-
dienstes bildeten, während das Charakteristische der die Abend-
mahlshandlung einleitenden Gebete die Lobpreisung und die
Danksagung war ἢ. Aus Plinius wiederum erfahren wir, was
1) Vgl. die Besprechung der betreffenden Stellen aus Justin bei
Harnack, S. 247—252. 261—268. Auch bei den Agapen der späteren
Zeit nahm der Psalmgesang eine bedeutsame Stellung ein. Tertull.
apol. 39; Cypr. ad Donat. 16 ed. Vindob., p. 16, 11. — Es bedarf
wohl nicht der ausdrücklichen Verwahrung gegen eine undurchführbare
Pressung der angegebenen Unterscheidung. A potiori fit denominatio.
Die Fürbitten für Ignatius und die bedrängten Antiochener (Eph. 21;
908
ἴῃ sagen Ignatius keinen Anlass hatte, dass der stets die
ganze Gemeinde versammelnde Gottesdienst am Morgen, die
Agape aber später am Tage, wir können sofort sagen: am
Abend, stattfand. So war es in der Entstehungsgeschichte
des Abendmahls und in der allmähligen Entwickelung seiner
kirchlichen Feier aus der gewöhnlichen Hauptmahlzeit bei
den ersten Christen begründet !), Dadurch gewinnt dann die
Unterscheidung von προςευχή und εὐχαριστία erst ihre natür-
liche Erklärung. Mit Bitte beginnt, mit Danksagung schliesst
die Gemeinde den Tag. Ich glaube aber auch bei Ignatius
selbst eine Hinweisung auf die Morgen- und Abendzeit dieser
Gottesdienste zu finden, nämlich in den schon von Vedelius
II, 138 anstössig befundenen Worten: συγκοπιᾶτε ἀλλήλοις,
συναϑλεῖτε, συντρέχετε, συμπάσχετε, συγκοιμᾶσϑε, ovveyel-
ρεσϑε, ὡς ϑεοῦ οἰκονόμοι καὶ πάρεδροι καὶ ὑπηρέται (ad Pol. 6).
ÜUnrichtig ist jedenfalls die Beziehung der beiden letzten Im-
perative auf Sterben und Auferstehen, selbst wenn man den
Imperativ nicht pressen und nur den Gedanken darin finden
wollte: „ein gläubiges Sterben; eine herrliche Aufer-
stehung!“ Es wäre die Ungleichartigkeit der bei diesen
Erlebnissen und der bei den vorhergenannten Thätigkeiten
stattfindenden Gemeinschaftlichkeit unerträglich ; und nicht bloss
die Bezeichnung der Christen als Verwalter .und Gehülfen
Gottes, was sie doch auf Erden sind, sondern auch die weiter-
Mgn. 14; Tr. 13; Rom. 9; Phil. 10; Sm. 11; ad Pol. 7), für alle
Menschen, auch die noch unbekehrten oder gar feindseligen, selbst für
die Irrlehrer und besonders für die Obrigkeiten (Eph. 10; Sm. 4; Polyc.
ad Phil. 12; cf. Just. apol. I, 14. 17; dial. 35. 96. 133), sind als Ele-
mente des durchweg gemeinsamen Morgengottesdienstes vorzustellen.
Aber ein solcher wird auch die Versammlung der ganzen antiochenischen
Gemeinde mit Einschluss der fremden Gesandten zum Dank für die
überstandene Gefahr sein (Phil. 10; cf. Sm. 11).
1) Auch die Eucharistie der clementinischen Ebjoniten, das „Salz
und Brot“ oder kurzweg „Salz nehmen “ (Clem. hom. ΧΙ, 36; XIV, 1
ef. diamart. Jacob. 4; hom. IV, 6; VI, 26; XIIL, 11) fand stets Abends
statt (hom. XI, 34). So auch Jdie des Abendmahls beraubten Agapen
späterer Zeit.
Zahn, Ignatins. 23
354
hin vom Kriegsdienst entlehnten Bilder nöthigen uns, im
Diesseits zu bleiben. Der allgemeine Gedanke „omnia facite
concorditer‘“ (Smith, schol., p. 69) nimmt hier die Gestalt an:
Beschliesst den Tag gemeinsam und beginnt ebenso wieder
den neuen! Die Forderung täglichen Früh- und Abend-
gottesdienstes liegt darin natürlich ebensowenig, als durch
die vorangehenden Ermahnungen eine Verschiedenheit der
Thätigkeiten der Einzelnen und eine verschiedene Vertheilung
von Arbeit und Ruhe, Handeln und Leiden verboten sein
sollte. Aber natürlich dünkt mich der Ausdruck doch nur,
wenn gerade am Abend und am Morgen regelmässige gottes-
dienstliche Versammlungen stattfanden. |
Der Sonntag ist als Auferstehungstag Christi Feiertag.
In einer Polemik gegen die Verführung zu jüdischem Leben ἢ
kann sich Ignatius darauf berufen, dass auch Solche, welche
vordem im alten Wesen gewandelt, dann aber zur neuen
christlichen Hoffnung gelangt sind, nicht mehr Sabbath feiern,
sondern dem Herrentag gemäss leben, an welchem das Leben
der Christen aufgegangen ist?). Dass darunter nicht etwa
die Propheten des Alten Bundes zu verstehen seien 8), folgt
doch wohl daraus, dass Ignatius doch nicht, den Barnabasbrief
überbietend, von diesen gemeint haben kann, sie hätten den
Sabbath nicht mehr gefeiert; und nicht weniger, als dies,
.— --...
1) Mgn. 8: εἰ γὰρ μέχρι. νῦν κατὼ Ἰουδαισμὸν ζῶμεν, ὑμολο-
γοῦμεν χάριν μὴ εἰληφέναι. Statt dieser Lesart von 1,1 hat A sowie
G2 1,2 νόμον Ἰουδαιχόν. Eine Mischung beider Texte ist das sinnlose
νόμον Ἰουδαισμόν in Gl. Sehr kühn übersetzt Arndt (Handschrift) den
mediceischen Text: „nach dem Gesetz ein Judenthum leben“ und ver-
gleicht «xirdvvov βίον ζὴν und ähnliche Redensarten.
2) Men. 9: εἰ οἷν οἱ ἐν παλαιοῖς πράγμασιν ἀναστραφέντες εἰς
καινότητα ἐλπίδος ἦλθον, μηκέτι σαββατίζοντες, ἀλλὰ κατὰ κυριακὴν
ζῶντες, ἐν ἢ καὶ ἡ ζωὴ ἡμῶν ἀνέτειλεν δι᾿ αὐτοῦ καὶ τοῦ ϑαγάτου
αἰτοῦ x, τ. A. Der Zusatz des G! ζωήν hinter χυριαχήν, welcher keinen
anderen Zeugen für sich und 1,1 A gegen 'sich hat, beruht auf demselben
Nichtverstehn , welches die Seitensprünge des ΟΣ veranlasst hat.
3) So z. B. noch Hilgenfeld (apostol. Väter, 8. 232), der auch in
ὁ. 8 den feindlichen Gegensatz zwischen dein vorchristlichen Christen-
thum der Propheten und der Gesetzcsreligion hineinliest. j
—
l
355
ist doch von den fraglichen Personen deutlich ausgesagt, wie
sehr man auch geneigt sein mag, das hiezu gegensätzliche
κατὰ χυριακὴν ζῇν symbolisch zu fassen. Schon der An-
klang !) an Gal. 1, 13 zeigt deutlich, dass geborne Juden,
wie die Apostel, und alle anderen Beispiele für den Satz,
dass das Judenthum an das Christenthum gläubig geworden _
(Mgn. 10), gemeint sind. Es folgt zunächst die Folgerung,
dass noch viel weniger Christen aus den Heiden, wie Ignatius
und seine Leser es sind, ohne den auferstandenen Christus
leben können (c. 9); aber das bildet nur den Uebergang zu
der praktischen Forderung, die Güte Christi dankbar zu er-
widern durch ein specifisch christliches, von allem judaisti-
schen Wesen freies Leben (c. 10). Darnach muss unter den
Versuchungen zu judaistischem Wesen, wovor hier gewarnt wird,
vor allem auch die Forderung der Sabbathsfeier gewesen sein.
Dem jüdischen Sabbath, den selbst geborne Juden nach ihrer
Bekehrung zum Christenthum zu feiern aufgehört haben,
wird die χυριακή ?), der Auferstehungstag Christi, als christ-
licher Feiertag gegenübergestelt. Dann ist der Sonntag
selbstverständlich auch Hauptgottesdienst-Tag. Aber auf den
Sonntag sind die Gottesdienste nicht beschränkt; denn sonst
könnte Ignatius nicht 50 bestimmt auf Vermehrung der
gottesdienstlichen Zusammenkünfte dringen (ad Pol. 4; vgl.
oben Κα. 345, Anm. 1), sondern sein Rath müsste die be-
stimmte Form angenommen haben, dass die Gemeinde sich
nicht bloss am Sonntag, sondern auch zuweilen in der Woche
ZUr προςευχή und zur εὐχαριστία versammle. Es setzt diese
Ermahnung, so wie sie lautet, überhaupt eine Flüssigkeit
der kirchlichen Sitte voraus, welche zu dem alterthümlichen
Bild der kirchlichen Zustände, welches die ignatianischen
Briefe uns zeigen, sehr wohl passt (vgl. Anh. II, 6).
1) Auch 1Petr. 1, 3 u. 18 ist vergleichbar, wenn auch geborne
Heiden da angeredet sind.
2) Apokal. 1, 10; vgl. 1Kor. 16, 2; Act. 20, 7; „der achte Tag“
bei Barnabas, c. 15, 8. 9; der „status dies“ des Plinias (vgl. Harnack,
8. 217), der „Sonntag“ des Justin, apol. I, 67.
23°
356
5. Die häretische Bewegung.
Warnung vor Irrlehrern durchzieht alle Briefe des Igna-
tius mit Ausnahme des an die Römer. In diesem findet man
. auch keinerlei Ermahnung zur strengeren Wahrung der Ge-
meindeeinheit und zur Unterordnung unter die Gemeindevor-
“ steher. Der Zusammenhang des Einen mit dem Anden
leuchtet ein, wenn man erkennt, dass es nach den 6 übrigen
Briefen vor allem die Besorgnis vor dem Eindringen der
Häresie ist, was den Verfasser veranlasst, auf die Einheit des
vottesdienstlichen und gemeindlichen Lebens so ausserordent-
lichen Nachdruck zu legen. Die römische Gemeinde scheint
ihm zum Einen ebensowenig Anlass zu bieten als zum Andern.
Dies zu erklären genügt es nicht, wenn man auf die beherr-
schende Hauptabsicht des Römerbriefs verweist; denn sie lässt
dem Verfasser Raum, in der langen Grrussüberschrift und gegen
Ende (c. 9) allerlei zu sagen, was in keinem deutlichen Zu-
sammenhang mit der Hauptabsicht des Briefs steht. Auch
damit ist nicht viel erklärt, dass Ignatius dieser Gemeinde
Reinheit von aller fremden Farbe, d. h. von allem häretischen
Wesen, nachrühmt (vgl. Anh. II, 7); denn wesentlich dasselbe
lobt er an den asiatischen Gemeinden oft genug. Die Gefahr,
_ welche Ignatins im Auge hat, muss eine örtlich begrenzte
sein, und Rom liegt weit ab von dem bedrohten Gebiet.
Das bestätigen auch die 6 übrigen Briefe Jedem, der es der
Mühe werth hält, ihren geschichtlichen Gehalt zu erheben,
und der vor allem die kleinen Einzelheiten, woran derselbe
greifbar wird, sich klar macht, ehe er sich auf allgemeine
Betrachtungen und Vergleichungen einlässt.
Es wurde bereits bewiesen (ὃ. 258f.), dass Ignatius auf
seiner Reise über Philadelphia nach Smyrna mit Iırlehrern
zusammengetroffen ist und Gelegenheit gehabt hat, sie per-
sönlich kennen zu lernen, Von Ephesus herkommend, sind
sie ihm begegnet; also in der -seiner Reise entgegengesetzten
Richtung drangen sie. von der Küste: aus ins Innere des
Landes ein. Sie sind nicht Glieder der ephesischen Ge-
357
meinde, sondern reisonde Lehrer, welche sich vergeblich be-
müht haben, bei den ephesischen Christen mit ihrer Lehre
Eingang zu finden ἢ. Daher konnte der Bischof Onesimus
den geordneten Zustand der Gemeinde zu Ephesus rühmen
und ihr bezeugen, dass alle ihre Glieder der Wahrheit gemäss
leben, und dass keine Häresie bei ihnen ihren Sitz hat, ja
dass sie auf niemand weiter als auf Christus hören (c. 6).
Sie lassen sich nicht betrügen, und es ist in der That.
keinerlei Zwiespalt in sie hineingeschleudert, oder wie ein
Keil in sie hineingetrieben worden (Eph. 8: 5. Anh. I, 18).
Es ist daher von vorneherein als Misverständnis abzuweisen,
wenn man auch in diesem Brief Zeichen einer bereits ein-
getretenen häretischen Separation zu entdecken meint. Das
wäre das reine Gegentheil der gerühmten εὐταξία. Aber die
Ermahnung zu fleissigem Besuch des allgemeinen Gebets-
gottesdienstes (c. 5) und besonders auch zu zahlreicher Be-
theiligung am Abendmahl (c. 13) klingt nicht wie Rüge
separatistischer oder gar häretischer Winkelgottesdienste (vgl.
oben $. 342ff.). Der Zusammenhang der letzteren Stelle zeigt
vielmehr deutlich, dass dem Ignatius eifrige Pflege besonders
des Abendmahlsgottesdienstes als Mittel zur Erhaltung des
Friedens und der Gemeindeeinheit und insofern als Schutz-
mittel gegen alle Angriffe irdischer und überirdischer Feinde
der Kirche, besonders auch der Irrlehrer, gilt, ein häufig bei
ihm wiederkehrender Gedanke ?.. Es mag sein, dass der
1) Eph. 9: ἔγνων δὲ negodevoavras τινας ἐκεῖϑεν, ἔχοντας καχὴν
διδαχὴν, οὖς οὐχ εἰάσατε σπεῖραι εἰς ὑμῶς, βύσαντες τὰ ὦτα, εἰς τὸ
μὴ παραδέξασϑαι τὰ σπειρόμενα ὑπ᾿ αὐτῶν. Vgl. oben S. 259.
2) Tr. 7. Phil. 2: ἐν τῇ ἑνότητι ὑμῶν οὐγ ἕξουσι τόπον. --- Die
Streitheere (ἃ. i. αὖ δυνάμεις Eph. 13), womit der Teufel seine Kriege
gegen die Kirche führt, sind theils ἐπουράνιοι, Geister (vgl. den pau-
linischen Epheserbrief 6, 12), theils ἐπίγειοι, die menschlichen Werkzeuge
des Teufels, besonders die Irrlehrer (vgl. Trall. 8; Eph. 17). Von
Kriegen der Geister und’ der Menschen unter einander kann nicht die
Rede sein, wenn man nicht die Plattheit herausbringen will, dass mit
dem Frieden der Krieg aufhöre. Es ist vielmehr πόλεμος der Angriffs-
krieg; vgl. Tr. 4.
358
Besuch der Gottesdienste in Ephesus und den anderen Ge-
meinden für Ignatius etwas zu wünschen übrig liess, aber es
kann auch Ausdruck einer anderwärts gemachten Erfahrung
sein, wenn er angesichts der häretischen Propaganda besonders
auf Pflege der gottesdienstlichen Gemeinschaft dringt und zur
Verschärfung der bezüglichen Ermahnungen das Fernbleiben
vom Gottesdienst für ein Zeichen verderblichen Hochmuths
erklärt (Eph. 5; vgl. oben S. 344f.). Vom Gegensatz schisma-
tischer Versammlungen schimmert hier nichts durch. Die
Entdeckung des offenbaren Widerspruchs, welche Lipsius
I, 41 zuerst gemacht haben will‘, dass der Verfasser „überall
bestimmte Spaltungen voraussetze‘“ und dennoch „fast in allen
Briefen ‚versichere, dass in der betreffenden Gemeinde noch
keine αἵρεσις aufgetreten sei“, muss jedenfalls in Bezug auf
Ephesus wieder aufgegeben werden; denn dort sind allerdings
Vertreter einer Häresie aufgetreten, haben nur nichts aus-
gerichtet (Eph. 9), nicht einmal einen Streit in die Gemeinde
hineinzuwerfen (Eph. 8) und noch weniger Ephesus zu einem
Sitz ihrer Bestrebungen zu machen vermocht (Eph. 6). Von
Sondergottesdiensten ihrer Anhänger ist daher auch keine
Rede an der Stelle, wo von solchen geredet werden musste
(Eph. 5). Selbst jene noch harmlose Ungebundenheit des
gottesdienstlichen Lebens, besonders in Bezug anf die Feier
der Agape, welche Ignatius abgestellt sehen möchte (s. oben
5. 342 ff.), müsste sich in Ephesus nicht gefunden haben, wenn
man sich bei dem herkömmlichen Text von Eph. 20 beruhigt
(s. Anh. I, 20); denn dann wäre den Ephesern nachgerühnit,
dass sie sich alle in einem Glauben zu versammeln und
ein Brot zu brechen pflegen. Wahrscheinlich liegt hier jedoch
eine Ermahnung vor, nämlich der oft vorkommende Rath,
gerade auch das Abendmahl stets gemeinsam zu feiern. Ein
Schisma gab’s in Ephesus sowenig wie eine Häresie. Warnung
vor den Irrlehrern jener Tage ist darum doch angebracht;
denn die Lehrer, welche in Ephesus aufgetreten und von da
aus ins Innere des Landes vorgedrungen sind, werden es nicht
bei einem ersten Versuch bewenden lassen. Sie haben ja die
Gewohnheit, umherzureisen und in den Gemeinden, zu
359
denen sie kommen, Anhänger für ihre Lehre zu gewinnen.
Das besagt der Satz: εἰώϑασι γάρ τινὲς δόλῳ πονηρῷ τὸ ὄνομα
περιφέρειν (Eph. 7). Die heuchlerische Gesinnung und die
arglistige Absicht, die ihnen hier nachgesagt wird, kann nicht
ihre Gewohnheit sein; das εἰώϑασι weist also auf das
περεφέρειν, und dies weist ebenso bestimmt auf ein Wandern
dieser Prediger der Irrlehre !), wie das δεσμὰ περιφέρειν des
Ignatius.auf dessen Reise (Eph. 11; Mgn. 1; Tr. 12). Als
Vorüberreisende hat sie Ignatius denn auch kennen gelernt
(Eph. 9). Es versteht ‚sich im voraus von selbst, dass alles
das, was Ignatius von falscher Lehre und ihren Vertretern
den Ephesern schreibt, an die jüngst von dieser Gemeinde
und von Ignatius selbst gemachte Erfahrung sich anschliesst;
also auch auf diese bestimmten, eben jetzt in den asiatischen
Gemeinden missionirenden Irrlehrer und auf die Lehrsätze der
von ihnen vertretenen Richtung sich bezieht. Das Gegentheil
müsste erst erwiesen werden; es müsste nachgewiesen werden,
dass Ignatius irgendwo von Lehrverschiedenheiten unter den
Irrlehrern redete und deutlich zwischen diesen bestimmten
Personen, die er auf seiner Reise kennen gelernt hat, nach-
dem sie Ephesus unverrichteter Dinge wieder verlassen hatten,
und anderen Vertretern, sei es derselben, sei es einer anderen
Irrlehre, unterschiede. Aber davon zeigt sich weder im Epheser-
brief, noch in irgend einem anderen eine Spur. Da ferner
für diese Irrlehrer Ephesus nur der Ausgangspunct einer
Mission ins Innere war, so besteht auch das Vorurtheil zu
Recht, Jass eben sie es sind, auf welche sich die Warnungen
auch in den übrigen Briefen beziehen. Jedenfalls ist es eine
einzige häretische Richtung, welche Ignatius überall im Auge
hat 2). Ein Vergleich der Polemik in Phil. 6—9 mit der
1) Polykarp, der nicht diese bestimmten Personen, sondern die Irr-
lehrer der Zeit überhaupt im Sinn hat, sagt daher auch: ἀπεχόμενοι
τῶν σχανδάλων χαὶ τῶν ψευδαδέλφων καὶ τῶν Ev ὑποκρίσει φερόν -
των τὸ ὄνομα τοῦ xuolov, οἵτινες ἀποπλανῶσι κενοιὶς ἀνθρώπους (c. 6;
vgl. Anh. III, 5).
2) Vgl. besonders Uhlh., S. 283 ff, auch Lips. I, 31ff. Arndt (Hand-
360
in Mgn. 8—10 zeigt zunächst, dass hier wie dort eine und
dieselbe judaistische Häresie bestritten wird. Aber durch eine
ganze Reihe von Stellen wird es unzweifelhaft, dass der
Judaismus nur eine Seite derselben Häresie ist. deren christo-
logische Lehren hauptsächlich in den übrigen Briefen bekämpft
werden. Nachdem in Mgn. 8—10 die Warnung vor judai-
stischen Verlockungen ausführlich motivirt ist, wird eben
diese Ausführung als eine Warnung vor derjenigen κενοδοξία
bezeichnet, deren Gegentheil ein fester Glaube an die Realität
von Christi Geburt, Leiden und Auferstehung ist, und es folgt
eine gedrängte regula fidei, wie sie Ignatius sonst dem doke-
tischen Iırthum entgegenstellt (Mgn. 11; cf. Tr. 9sq.;
Sm. 1s8q.).. Aber auch schon mitten in der antijudaistischen
Polemik (Mgn. 9) wird die Heilswirkung des Todes und
der Auferstehung Christi betont und von Leuten geredet,
welche den Tod Christi verleugnen, wie sonst gegenüber
dem Doketismus (cf. Sm. 5; Tr. 9). Bei solcher Ver-
quickung antijudaistischer ünd antidoketischer Sätze ist es
unstatthaft, die an der Spitze der ganzen Darlegung
stehende Warnung: μὴ πλανᾶσϑε ταῖς Erepodoktus,: μηδὲ μυ-
ϑεύμασιν τοῖς παλαιοῖς ἀνωφελέσιν οὖσιν (Mgn. 8), auf die
beiden Abweichungen zu vertheilen 1). - Auch im Brief an
die Philadelphener wird den dort bestrittenen Judaisten Wider-
spruch gegen das Leiden Christi vorgeworfen (c. 3), und
ihnen gegenüber, die nicht ohne weiteres das, was die Kirche
als Evangelium verkündigt, glauben wollen (c. 8), wird auf
die Thatsachen der irdischen Erscheinung, des Leidens und
der Auferstehung Christi als den auszeichnenden Inhalt des
Evangeliums hingewiesen (c. 9). Wenn Mgn. 10 den Judaisten,
schrift) näherte sich dieser Einsicht besonders in später eingetragenen
Zusätzen.
1) So Hilgf., S. 231. Die Anknüipfung der speciellen Angabe an die
allgemeine durch unde hat im negativen Satz ebensowenig Auffälliges,
als die durch χαί im positiven, vgl. z. B. Marc. 13, 15. Ferner könnte
«εἰ ἑτεροδοξίαι doch nur dann Bezeichnung einer einzelnen Art der Irr-
lehre im Unterschied vom Judaismus sein, wenn dieser das Bekenntnis
des Redenden selbst wäre.
861
die nicht bloss Christen, sondern auch Juden heissen wollen,
die Einheit der aus allen Zungen zum Christenglauben vereinigten
Gemeinde entgegengehalten wird, so müssen auch die Doketen
Judaisten sein; denn auch in einem gegen diese gerichteten
Zusammenhang (Sm. 1) wird energisch hervorgehoben, dass
die an Christus Gläubigen, gleichviel ob Juden oder Heiden,
in dem einen Leibe der Gemeinde Christi vereinigt sind.
Sind aber die Judaisten identisch mit den Doketen, und wird
gegen die eine judaistisch -doketische Irrlehre überall pole-
misirt, so. muss eben dies die Lehre der Leute sein, mit
welchen Ignatius persönlich zusammengetroffen war, nachdeın
sie in Ephesus vergeblich Eingang gesucht hatten. In Tralles
und Magnesia können dieselben inzwischen nicht gewesen sein;
denn dann hätten sie dem Ignatius, der beträchtlich nördlicher
reiste, nicht begegnen können. Dem entspricht es, dass
Ignatius in den Briefen an diese Gemeinden sagt, was er den
Ephesern nicht sagen konnte, er warne sie im voraus, in
Voraussicht künftiger listiger Angriffe des Teufels (Tr. 8;
Mgn. 11), Im Smyrnäerbrief (c. 4) finden wir das προφυ-
λάσσω wieder, woraus zu schliessen ist, dass jene Lehrer auch
in Smyrna noch nicht aufgetreten sind. Wenn sich dort
weniger das Streben -fühlbar macht, den Schein eines Tadels
wegen Duldung einer Häresie zu beseitigen, so erklärt sich
das aus der persönlichen Bekanntschaft des Ignatius mit den
Smyrnäern. Argloser als die ihm unbekannten Magnesier und
Trallianer werden diese die Warnung vor einer allen diesen
Gemeinden noch erst drohenden Gefahr hinnehmen, wie sie
Aehnliches auch schon mündlich von Ignatius werden gehört
haben. Eine Separation hat selbstverständlich in Magnesia,
Tralls und Smyrna ebensowenig wie in Ephesus stattge-
funden, weil die Leute, welche mit der Irrlehre zugleich den
Streit säen, gar nicht dorthin gekommen sind. . Will man
den Briefschreiber nicht in einem Athemzug sich selbst wider-
sprechen lassen, so muss man ihm glauben, wenn er nach
scharfem Urtheil über alle Vornahme kirchlicher Handlungen .
mit\Umgehung der Vorsteher versichert, dass er von solchem
Treiben unter den Angeordneten nichts wisse (Tr. 8 cf. 7;
362
Mgn. 11 cf. 4). Welche Zustände des gottesdienstlichen
Lebens den betreffenden Ermahnungen und Warnungen zu
Grunde lagen, wurde oben S. 312 ff, gezeigt. Es leuchtet ein,
wie jener Mangel streng ausgeprägter Kirchlichkeit den Irr-
lehrern Gelegenheiten darbot, sich in kleineren Kreisen mit
ihren Vorträgen hören zu lassen, welche in den von den Vor-
stehern geleiteten Gottesdiensten nicht laut werden konnten.
Dringend werden die Mahnungen zur Einheit und Kirchlich-
keit alles gottesdienstlichen Lebens aber erst, nachdem Ignatius
in Troas erfahren hat, was sich seit seiner Durchreise durch
Philadelphia dort zugetragen, In Philadelphia lagen die Dinge
anders als in allen übrigen Gemeinden. Da galt es noch
weniger als in Ephesus ein προφυλάσσειν, vielmehr eine Be-
stärkung !) der grossen Mehrheit der Gemeinde in ihrem
treuen Festhalten an der Gemeindeeinheit, von welcher Etliche
sich abgesondert hatten, und in ihrem Widerspruch gegen
die Irrlehre, von welcher Etliche sich hatten verführen lassen.
Schon oben (S. 271) wurde wahrscheinlich gefunden, dass
Philadelphia der Ort sei, wo Ignatius mit den von Ephesus
kommenden Irrlehrern zusammentraf. Wäre dem nicht 80,
wären also die Leute, welche dort den Ignatius in irgend
einem Punct hinters Licht zu führen verstanden hatten
(Phil. 7; oben ὅδ. 269), nicht die Reiseprediger in Eph. 9, so
müsste die Begegnung mit Letzteren auf dem Weg von
Philadelphia bis Smyrna stattgefunden haben; denn sehr bald
nach der Durchreise des Ignatius durch Philadelphia haben
sie dort der unbewussten Weissagung desselben zur Erfüllung
verholfen (vgl. S. 269). Es ist nämlich klar, dass die dort
ausgebrochene Separation nicht von einer einheimischen Oppo-
sition gegen das kirchliche Amt, sondern von den fremden
Irrlehrern ausging. Häresie und Schisma sind nicht bloss
verwandte und gleich schädliche Erscheinungen, vor welchen
deshalb in einem Satz gewarnt werden kann ?), sondern so
völlig ist Eins mit dem Anderen gegeben, dass als Gegentheil
1) Phil. 5: ὑπεραγαλλόμενος ἐσφαλίζομαι ὑμᾶς.
2) Phil. 2: φϑύγετε τὸν μερισμὸν zu τὰς χακοθιδακκαλίας.
363
des μεριαμός gelegentlich nicht die Gemeindeeinheit, sondern
die Reinheit von fremdartiger Lehre ἢ) auftritt. Es sind
synonyme Ausdrücke, σχίζυντε ἀκολουϑεῖν und ἐν ἀλλοτρίᾳ
γνώμῃ περιπατεῖν (Phil. 3). Die Art, wie Igmatius (Phil.
5—9) von der Irrlehre auf die Spaltung und von dieser wieder
- auf jene übergeht, macht es unzweideutig, dass Eins mit dem
Anderen gegeben war. Von einer grundsätzlichen Opposition
dieser Irrlehrer gegen das geistliche Amt oder speciell gegen den
Episkopat ist auch im Philadelphenerbrief nichts zu lesen; aber
es lag in der Natur der Sache, dass dieselben erstlich Alles, was
von Sitte freier Vereinigung dort sich vorfand, für ihre Zwecke
benutzten, und dass sie zweitens, wenn ihren Sondermeinungen
von den Gemeindevorstehern und der Mehrheit der Gemeinde-
glieder das Recht in der Kirche abgesprochen wurde, die ge-
wonnenen Anhänger zur Separation drängten. Einen be-
sonderen Antrieb dazu gab ihnen ihre doketische Christologie.
Wenigstens führt Ignatius hierauf ihre Enthaltung vom Abend-
mahls- und Gebetsgottesdienst zurück (Sm. 7). Das granum ἡ
salis, welches die Leser dieser Stelle vor solchen Folgerungen
hätte bewahren müssen, wie sie 2. B. bei Dall., p. 366. 388 zu
lesen sind, ist nicht schwer zu finden. Da auch ein faua-
tischer Polemiker diesen Irrlehrern, welche sich für Christen
ausgaben, nicht wohl vorgeworfen haben kann, dass sie ein
Christenthum ohne Gebet wollten ?), so muss unter der προς-
ευχή, deren sie sich enthalten, der kirchliche Gottesdienst 9)
und ebenso dann unter der εὐχαριστία die kirchliche Abend-
mahlsfejer verstanden werden. Was Ignatius als Grund ihrer
Enthaltung anführt, dass sie nicht mit der Kirche bekennen,
die Eucharistie sei das Fleisch Christi, passt natürlich zu-
nächst nur auf die Enthaltung vom Abendmahl *), wie denn
auch im weiteren Verlauf auf das Gebet keine besondere
Rücksicht genommen wird. Aber die Betonung des Leidens
1) Phil. 3; vgl. oben 8. 270.
2) Vgl. Uhlh., S. 288; Hilgf., 5. 262.
“ 8) Eph. 5; vgl. oben 5. 844,
4) Οὗ Justin. apol. I, 66. Iren. IV, 18, 5.
364
und der Auferstehung des Fleisches Christi weist auf die
Verkennung dieser Thatsachen durch dieselben Irrlehrer als
den tieferen Grund ihrer Heterodoxie in Bezug auf das Abend-
mahl. Dann begreift man, dass sie sich in den kirchlichen
Gottesdiensten überhaupt unbehaglich fühlen mussten, in
welchen diese Heilsthatsachen Mittelpunct aller liturgischen
und homiletischen Aeusserung waren, und dass Ignatius gerade
in diesem Zusammenhang zum Festhalten an den Propheten
“und besonders am Evangelium, ‚als der Verkündigung jener
Heilsthatsachen, ermahnen konnte. Dass die Häretiker in
Ephesus und Philadelphia niemals an einem Öffentlichen
Gottesdienst theilgenommen haben, kann man aus dieser Stelle
ebensowenig schliessen, als etwa aus Sm. 6, dass sie niemals
‚einem Hungrigen etwas gegeben haben. Nur die charakte-
ristische Gewohnheit der Leute galt es χὰ zeichnen. Bei dem
theilweise noch privaten Charakter der Agapen mögen sie es
versucht haben, mit absichtlicher Verheimlichung vor dem
Bischof eine besondere Abendmahlsfeier zu veranstalten !), bei
welcher ihre Auffassung zum Ausdruck kam und auch sonst
bequeme Gelegenheit zur Ausbreitung ihrer Lehre sich bot.
Gelang es ihnen, für solche Conventikel Glieder der Ge-
meinde zu gewinnen, so war die Separation vollzogen. Sie
begannen natürlich nicht mit Stiftung einer Sonderkirche,
aber ihr Auftreten musste sofort zur Separation führen, wenn
sie bei der Mehrheit und den. Leitern einer Gemeinde festen
Widerstand fanden. Noch weniger fanden sie in den Ge-
meinden separatistische Neigungen vor; aber jeder Mangel an
fest geprägter kirchlicher Ordnung bot ihnen Mittel und Wege,
in die Gemeinde einzudringen. Daher die Warnung vor
Spaltungen nicht bloss als Folge der Häresie, sondern auch
als Anfang weiterer Uebel 3); daher die unermüdlich wieder-
ll ἃ
1) Darauf führt Sm. 9: ὁ λάϑρα ἐπισκόπου τι πράσσων, τῷ δια-
βόλῳ λατρειΐει im Vergleich mit c. 8. Vgl. oben S. 342f. Vielleicht
nahmen sie statt des Weins Wasser (Clem. Al. strom. I, p. 375 Pott.)
oder Salz (Clem. homil. XI, 34. 36; XIV, 1).
2) Sm. 7: τοὺς δὲ μερισμοιὶῖς φδύγετε᾽ ὡς doyyv κακῶν. ξἘ,5 ist
365
holten Mahnungen zur Pflege der Einheit des kirchlichen
und besonders auch des gottesdienstlichen Lebens als eines
Schutzmittels gegen das Eindringen der Häresie !).
Hat sich nun gezeigt, dass Alles, was Ignatius in Bezug ᾿
auf Irrlehre und Spaltung sagt, durch Erlebnisse der nächsten
Vergangenheit veranlasst ist, so ist damit nicht gesagt, dass
Ignatius seine Kenntnis der von ihm bestrittenen Irrlehre
ausschliesslich diesen Erlebnissen verdanke. Seine Schilderung
macht vielmehr den Eindruck genauerer Kenntnis, als sie auf
slchem Wege zu gewinnen war. Sein rücksichtslos ver-
dammendes Urtheil (s. oben δ. 344) setzt eine Erfahrung vor-
aus, welche Ignatius sowenig wie die asiatischen Gemeinden
in den wenigen Wochen gemacht haben können, in welche
die dortige Wirksamkeit der Irrlehrer sammt der Durchreise
des Ignatius fällt. Sichtlich belehrt Ignatius die Gemeinden,
in welchen diese Irrlehrer nun zum ersten Mal auftreten,
über deren Theorie und Praxis als Einer, der sie genauer
kennt. Wenn auch die Berufung auf eine Disputation, die
er einst mit Leuten dieser Richtung gehabt (Phil. 8), .nicht
sicher einer früheren Periode seines Lebens zugewiesen werden
kann, so ist doch aus dem ganzen Ton seiner Besprechung
ihrer Erscheinung zu schliessen, dass er schon in Antiochien,
dem Ursitz aller häretischen Gnosis, dieselbe Lehrpartei kennen
gelernt hat, welche nun im vorderen Kleinasien missionirt.
Und nicht bloss diese eine Häresie scheint er zu kennen;
denn obwohl ihm die Lage der kleinasiatischen Gemeinden
immer nur zur Bestreitung dieser bestimmten Häresie Anlass
bietet, so weisen doch seine Ausdrücke vielfach auf eine Viel-
heit ähnlicher, Erscheinungen ?). Die natürlichste Erklärung
der Plural zu beachten statt des Singulars μερισμός (Phil. 2. 3. 8).
Trennungen, Uneinigkeiten, Mangel an bewusster Pflege des Gemein-
schaftslebens bereiten der Häresie und damit dem eigentlichen μερισμός,
den Schisma, den Weg. So hatte Ignatius auch schon in Philadelphia,
als ob er den künftigen μερισμός dprt geahnt hätte, gerufen: τὴν
ἕνωσιν ἐγαπῶτε, τοὺς μερισμοὺς φεύγετε (Phil. 7).
1) Phil. 2. 4. Tr. 7, Eph. 5. 13. 20. Vgl. oben S. 357.
2) Beachtet man das häufige τινές Eph. 7. 9; Tr. 10; Phil. 7;
366
wird die sein, dass damals Antiochien und Syrien ein an
derartigen „Pflanzen“ fruchtbarer Boden war, während eine
einzelne Species erst jetzt auf dem Seeweg nach der jonischen
Küste importirt wurde. Nur mit dieser haben wir es
zu thun.
Die Namen der Irrlehrer oder ihres Parteihauptes zu
nennen, hat Ignatius leider unter seiner Würde gehalten !).
Wie er den Gemeinden anräth, sich gar nicht mit ihnen
einzulassen, sondern ihnen einfach auszuweichen wie tollen
Hunden und wilden Thieren (Eph. 7; Sm. 4), so findet er
es auch angemessen, dass man gar nicht von ihnen rede,
sondern sie namenlos ins Gebet einschliesse und ihre Heilung
dem einen Arzt überlasse, der dazu Macht hat (Sm. 4. 7;
Eph. 7). Dahingegen weist er oft auf ihre äussere Er-
scheinung, ihr Thun und Treiben als Deckmantel, aber auch
Merkmal ihrer Gesinnung hin. Es müssen Leute von Talent
und einer gewissen Würde des Auftretens gewesen sein.
Wenn sie ad Pol. 3 οἱ δοχοῦντες ἀδιόπεστοι εἶναε und Phil. 2
geradezu λύχοι ἀξιόπιστοι heissen, so will beides sagen, dass
ihnen ein ehrbares, Vertrauen erweckendes Aussehen und
Sm. 2. 5 zur Bezeichnung der in Ephesus und Philadelphia aufge-
tretenen Irrlehrer, so folgt Obiges aus Phil. 2: moAAoi γὰρ λύκοι
ἀξιόπιστοι ἡδονῇ καχῇ αἰχμαλωτίζουσι τοὺς ϑεοδρόμους, dasselbe aus
Eph. 6: ὅτι ἐν ὑμῖν οὐδὲ μέα αἵρεσις κατοικεῖ, Dann sind auch die
Plurale χαχοδιδασκαλίαάι Phil. 2, ἑτεροδοξίαι Mgn. 8 zu beachten. Zahl-
reiche Erscheinungen dieser Art hat auch Polykarp im Sinn, so oft er
von Irrlehrern redet, besonders in ὁ. 2 u. 7. Das οὗ πολλοί an beiden
Stellen ist wie bei Papias (Eus. ἢ. e. III, 39, 8) zu verstehn. Vgl.
2Kor. 2, 17 und die Note Tischendorfs z. ἃ. St. ed. VIII und Winer,
Grammatik, S. 100 (6. Aufl.).
1) Sm. 5: τὰ δὲ ὀνόματα αὐτῶν, ὄντα ἄπιστα, οὐχ ἔδοξέν μοι
ἐγγράψαι. ᾿Αλλὰ μηδὲ γένοιτό μοι αὐτῶν μνημονϑούξιν, μέχρις οὗ μετα-
γοήσωσιν x. τ. A. Die wunderliche Uebertragung des Attributs von den
Personen auf deren Namen, kann man nicht mit Pears. III, 16 aus dem
Gebrauch von ὄνομα == Person erklären; denn nicht die Personen,
sondern deren Namen schreibt man. — Deütlich ist hier, dass Ignatius
es mit wenigen bestimmten Menschen zu thun hat, deren Eigennamen
ihm bekannt sind.
387
Auftreten eigen τῶν ἢ). In christlichen Schein wissen sie ihr
Wesen wie ihre Lehre zu hüllen und täuschen. und fangen
darum leicht die Arglosen 3). Darum gilt es sie schärfer ins
Auge zu fassen, um auch an ihrem äusseren Verhalten ihre
gottwidrige Gesinnung zu erkennen (Sm. 6). Wenn nun im
Gegensatz zu ihrer trügerischen Führung des Christennamens
auf gewisse Gottes unwürdige Dinge, die sie thun, hingewiesen
wird (Eph. 7), so zeigt schon der massvolle Ausdruck, dass
nicht an frechen Libertinismus und Antinomismus zu denken
ist 3), sondern an das, was ihnen Sm. 6. 7 deutlich nach-
gesagt wird, ihre Gleichgültigkeit gegen die kirchlichen
Liebeswerke und die gottesdienstliche Gemeinschaft. Je
schärfer das Verdammungsurtheil sonst über sie lautet, um
so zuverlässiger entnehmen wir diesen Andeutungen, dass
diesen Irrlehrern sittliche Vorwürfe im gemeinen Sinn des
Worts nicht zu machen waren. Sie sind keine Pflanzen des
Vaters, keine Zweige des Kreuzes, sondern geile Nebenschöss-
linge; aber die todbringenden Früchte, woran man das er-
1) Buns. I. 149, der es für vergebliche Mühe erklärt, ἀξιόπι-
στος seiner ursprünglichen Bedeutung ‚würdig des Vertrauens“ zu ent-
fremden, hätte schon aus Voss, S. 281; Pears. III, 46 den wirklichen.
Sprachgebrauch kennen lernen können. Luc. Alex. 4: ὅλως γὰρ &r-
γύησον μοε. .. . ποιχιλοτάτην τινὰ ψυχῆς χρᾶῶσιν. .. φιλόπονον ἐξερ-
γάσασϑαι τὰ νοηϑέντα καὶ πιϑανὴν καὶ εξιόπιστον χαὶ ὑποχριτικὴν τοῦ
βελτίονος καὶ τῷ ἐναντιωτάτῳ τῆς βουλήσεως ἐοικυῖαν. Es bedarf also
keines Zusatzes wie τὴν ὄψιν (Lue. de morte Peregr. 40). Vgl. Ep. ad
Diogn. 8; Tatian. or. 2; cf. Tertull. apol. 46 und den Gegensatz von
πιστός und ἀξιόπιστος Clem. Al. paed. III, p. 302 Pott. Anderes bei
Arndt, S. 155. In lex. Seguer. (Bekker, anecd. I, 413) wird bemerkt,
dass die παλαιοί es noch nicht in dem Sinn von χαχόπλαστος und τερα-
Teig χρώμενος gebrauchen, sondern = πιστός u. 8. W.
2) Eph. 7. 17; Phil. 2; Tr. 6 (s. Anh. 1, 27).
3) Mit Unrecht bezieht Uhlh. S. 281 auf die Häretiker Tr. 8:
un ἀφορμὰς δίδοτε τοῖς ἔϑνεσιν, ἵνα un δι᾽ ὀλίγους ἄφρονας τὸ ἐν
ven πλῆϑος βλασφημῆται. Cf. Clem. ad Corinth. I, 47; Polyc. 10.
Die 6Afyoı müssen unter den Angeredeten gesucht werden, unter denen
sich nach dem Anfang von c. 8 keine Häretiker befinden; und schon die
vorangehende Ermahnung zeigt, dass es sich hier um Störungen des
Gemeindelebens handelt, die von aller Häresie unabhängig sind.
368
kennen soll (Tr. 11 cf. 6), scheinen doch vor allem ihre den
Einzelnen wie der kirchlichen Einheit gefährlichen Lehren zu
sein. Ihre Tendenz ist eine vorwiegend theoretische. Schlechte
Lehre !) führen sie, und ihre thatsächlich kirchenzerstörende
Wirksamkeit ist doch zunächst ein Corrumpiren des Glaubens
durch solche Lehre ?); und im Gegensatz zu diesen Leuten
betont es Ignatius, dass Christus der Christen einziger Lehrer
ist (Mgn. 9; Eph. 15 cf. 6 extr.).. „Disputirend sterben
sie“ (Sm. 7), und mit deutlicher Beziehung auf sie wird
nach 1Kor. 1, 20 gefragt: ποῦ 60905 ; ποῦ συζητητής; ποῦ
καύχησις τῶν λεγομένων συνετῶν; (Eph. 18.) Eine Anspielung,
wenn nicht auf den Namen Gnosis, so doch auf den Anspruch
höherer Erkenntnis bei diesen Leuten, liegt auch in der kurz
vorhergehenden Frage: διὰ τί δὲ οὐ πάντες φρόνιμοι γινόμεϑα,
λαβόντες ϑεοῦ γνῶσιν, ὃ ἐστιν ᾿Ιησοῦς Χριστός; τέ μωρῶς
ἀπολλύμεθα, ἀγνοοῦντες τὸ χάρισμα, ὃ πέπομφεν ἀληϑῶς 0
κύριος; (Eph. 17.)
Ihre Lehre bezeichnet Ignatius erstlich als „Judenthum“
(Phil. 6; cf. Mgn. 8—10); denn so und nicht durch blosse
Umschreibung in deutsche Schrift will Ἰουδαϊσμός wieder-
gegeben sein. Es bildet den Gegensatz zu Χριστιανισμύς.
‚Da es Träger des christlichen Namens sind, welche dies
_ Judenthum predigen, so fragt es sich freilich, wieweit ihr
προςέχειν τῷ ἰουδαϊσμῷ ἀπὸ μέῤους (Epiph. haer. 28, 1) sich
erstreckt. Ob sie selbst geborne Juden oder doch Beschnittene
waren, lässt sich vielleicht nicht mehr entscheiden. Ein Be-
weis dagegen liegt nicht in dem Satz: ἐὰν δέ τις Ἰουδαϊσμὸν.
1) Eine Zusammenstellung der Ausdrücke wird bequem sein: ἔχοντας
xexnv διδαχήν Eph. 9; ἐν κακῇ διδασκαλίᾳ Eph. 16; dvawdiev τῆς dıda-
σκαλίας τοῦ ἄρχοντος τοῦ αἰῶνος τοιτου Eph. 17; ταῖς ἑτεροδοξίαις
Mgn. 8; τῆς κενοδοξίας Mgn. 11; ἑτεροδιδασκαλοῦντες ad Pol. 3; τοὺς
ἑτεροδοξοῦντας εἰς τὴν yüpıw 1. X. τὴν εἰς ἡμᾶς ἐλθοῦσαν Sm. 6.
2) Dies wird besonders deutlich Eph. 16, wo die Anwendung des
Begriffs οἰχκοφϑόροι auf die Irrlehrer als Object ihrer verderblichen
Thätigkeit statt des Glaubens vielmehr die Kirche, das Haus Gottes, her-
vorrufen musste, zumal der Erinnerung des Ignatius offenbar 1 Kor.
6, 9£. und 1Kor. 3, 17f. zugleich vorschwebten.
369
ἑρμηνεύῃ ὑμῖν, μὴ ἀκούετε αὐτοῦ" ἄμεινον γάρ ἐστιν παρὰ
ἀνδρὸς περιτομὴν ἔχοντος Χριστιανισμὸν ἀκούειν ἡ παρὰ ἀκρο-
βύστου ᾿Ιουδαϊσμόν. Es scheint hier der sonderbare Gedanke
zu Grunde zu liegen, dass es schon recht lästig sei, einen
Beschnittenen wie Paulus und Petrus Christenthum predigen
zu hören, und nur eben erträglicher, als das noch Schlimmere,
einen Christen Judenthum lehren zu hören. Doppelt sonder-
bar erscheint dies als Begründung der vorangehenden Warnung,
weın man das παρὰ ἀκχροβύστου ᾿Ιουδαϊσμὸν ἀκούειν für,
identisch hält mit dem verbotenen ἀχούεεν τινὸς ᾿Ιουδαϊσμὸν
ἑρμηνεύοντος. Denn wenn auch bei dieser Warnung an die
bestimmten Irrlehrer zu denken ist, so war doch, formell be-
trachtet, nur der Fall gesetzt, dass. irgend Jemand, gleichviel
wer, Judenthum verkündige. Wie kann dann in dem be-
gründenden Satz ohne weiteres vorausgesetzt werden, dass
dieser τίς ein ἀχρύβυστος sei, als ob nicht vor allem auch
Beschnittene Prediger des Judenthums wären? Will man
sich dies daraus erklären, dass die Irrlehrer, die Ignatius dabei
im Sinn hat, unbeschnitten waren, wie die angeredeten Chri-
sten, so bleibt unverständlich, woher überhaupt der Gegensatz
von Beschnittenen und Unbeschnittenen kommt, dem in der
Wirklichkeit gar nichts entsprochen hätte. Allen diesen
Schwierigkeiten entgeht man, wenn man annimmt, Ignatius
denke bei dem begründenden Satz an die Folgen einer er-
folgreichen Verkündigung des Judenthums, daran nämlich,
dass Einer, der darauf gehört, der es gläubig angenommen, -
nun selber auch jüdische Lehre im Munde führt und also
hören lässt. Dann kommt es zu dem gleich nachher gesetzten
Fall, dass beide, sowohl der Beschnittene, der von Haus aus
jüdische Lehre im Munde führt, als der Unbeschnittene, der
es von ihm erst gelernt hat, nicht von Christus reden. Ver-
führer wie Verführte gelten dann dem Igmatius als blosse
Gräber und Grabdenkmäler, auf welchen nur Namen von
Menschen geschrieben stehn !). Besser wäre die umgekehrte
1) Ἐὰν δὲ ἀμφύτεροι περὶ Ἰησοῦ Χριστοῦ un λαλῶσιν, οὗτοι ἐμοὶ
στὴλαί εἰσιν καὶ τώφοι νεκρῶν, ἐφ᾽ οἷς γέγραπται μόνον ὀνόματα dv-
Zahn, Ignatius, 24
370
Folge einer Berührung unbeschnittener Christen mit Juden,
dass diese von jenen wahres Christenthum lernten, so dass
mam fortan von einem Beschnittenen, der ‚sonst Judenthum
lehren würde, Christenthum zu hören bekäme. Somit wäre
der ἀκρόβυστος ein Glied der asiatischen Gemeinden, das sich
von den fremden Lehrern verführen liesse, und diese selbst
wären beschnitten. Nur bei dieser Auffassung kommt auch
der Unterschied von ἀκούειν τινὸς (Eph. 6. 16) und ἀκούειν
τι παρά τινος zu seinem Recht; ünd vor allem erklärt sich nun
die sonst unverständliche Vergleichung; von den zwei wirk-
lich vorhandenen Möglichkeiten wird der einen, in der That
allein erfreulichen, der Vorzug gegeben '. Im Judenthum
aufgewachsen sind diese Irrlehrer jedenfalls auch noch Sm. 5.
Nur von Leuten, welche von jeher unter der Anctorität des
Alten Testaments und erst seit einiger Zeit unter dem Ein-
fluss des Evangeliums stehn, kann gesagt werden: οὖς οὐχ
ἔπεισαν αἱ προφητεῖαι οὐδ᾽ ὃ νόμος ἸΠωσέως, ἀλλ᾽ οὐδὲ μέχρι
νῦν ?) τὸ εὐαγγέλιον. Sie müssen sich auch mit Stolz Juden
genannt haben; denn in dem Zusammenhang von Mgn. 10,
wo die Namen ’/ovöciouös und Χριστιανεσμύς einander gegen-
. überstehn und die Verbindung von Χριστὸν Ἰησοῦν λαλεῖν
καὶ Ἰουδαΐζειν als unverträglicher Widerspruch erscheint, kann
man bei den Worten ὃς γὰρ ἄλλῳ ὀνόματι καλεῖται πλέον
τούτου, οὐχ ἐστιν τοῦ ϑεοῦ unmöglich an den Namen irgend
eines Häresiarchen denken. Da sich τούτου auf das unmittel-
᾿ bar vorangehende Χριστιανισμός bezieht, dieser Name aber
von den Christen in der Form Χριστιανός geführt wird, so
ist der gedachte Gegensatz Ἰουδαῖος. Jene nennen sich Christen,
aber auch Juden, was dann ein recht eigentliches Ἰουδαῖος
ἐπονομάζεσθαι (Rom. 2, 17) ist. Sind nun die Irrlehrer ge-
ϑρώπων. Cf. Lucian. Timon 5. Entfernter ist die Aehnlichkeit mit
Just. dialog. 35, p. 288 Ε.
1) Es vergleicht sich mit diesem ὥμεινον — ἢ das συνέφερε
Sm. 7,
2) Vgl. das μέχρι νῦν Mgn. 8 = auch jetzt noch nach der Er-
scheinung des Christenthums und der Bekehrung zu demselben,
371
borne Juden, oder doch durch Beschneidung und Leben dem
Judenthum angehörige. Christen, so folgt daraus natürlich
nicht, dass sie von den Heidenchristen Kleinasiens Beschnei-
dung forderten; denn bekanntlich hat das in die Heiden-
kirche eindringende Judenchristenthum fast überall auf die
Durchführung dieser Forderung verzichtet. Ist die obige
Erklärung von Phil. 6 richtig, so ist dort geradezu bezeugt,
dass diese Judaisten ihre Anhänger unter den Heidenchristen
unbeschnitten liessen. Aber das völlige Schweigen des Ignatius
über eine so weit gehende Forderung ist allein schen aus-
reichender Beweis dafür. Im DUebrigen jedoch forderten sie
das, was Ignatius ein ζῆν xura Iovdaiouor (oder νόμον
Mga. 8), ein ἐουδαΐζειν AMgn. 10) nennt. Sie drängen den
Heidenehristen „den schlechten, alt und sauer gewordenen
Teig‘ des Judenthums auf (Mgn. 10). Durch die Polemik
gegen sie leuchtet der Gedanke durch, dass das mosaische
Gesetz noch jetzt, auch nach der Erscheinung Christi, ver-
bindlich sei, und dass das Christenthum nur eine zeitgemässe
Fortentwicklung der ewig wahren jüdischen Religion sei, so
dass Bekehrung zum Christentkum auch Bekehrung zum
Judentham wäre ἢ. Nur eine einzige specielle Forderung,
die der Sabbathsfeier (Mgn. 9; vgl oben 5. 354f.), ist geradezu
- angedeutet.
Es versteht sich von selbst, dass diese Judaisten ihre
Lehre hauptsächlich aus dem Alten Testament zu erweisen
suchten. Ignatius sieht sich daher wiederholt veranlasst, den
Sehein zu beseitigen, als ob seine Polemik gegen diese Ju-
daisten mit Geringschätzung des Alten Testaments verbunden
sei. In einem Ton, welcher erst verständlich wird, wenn
man "sieht, dass dadurch eine ausführliche antijudaistische
Polemik eingeleitet wird (Phil. 6—9) spricht er Phil. 5 seine
und seiner Gesinnungsgenossen Verehrung für die Propheten
aus, und ebenso werden am Schluss dieses Absehnitts wieder
die alttestamentlichen Institutionen und Heroen,, insbesondere
-——— I)
1) Mgn. 10 fin. c. 8: εἰ γὰρ uE χοι νῦν κατιὶ lovdaisuov ζώμεν,
ὁμολογοῦμεν χώριν μὴ εἰληφέναι. Vgl. vorige Seite, Ann. 2.
24
372
„die lieben Propheten“ in ihrer vorbereitenden Bedeutung
für die christliche Offenbarung und ihrer Zugehörigkeit zu
den Gnadengütern des neuen Bundes anerkannt (Phil. 9).
Den Judaisten gegenüber werden die Propheten geradezu als
von der Gnade inspirirte (Mgn. 8) Jünger Christi (Mgn. 9),
als Muster eines Lebens nach seiner Norm (Mgn. 8) und
neben Gesetz und Evangelium als Zeugen gegen den Un-
glauben der Irrlehrer (Sm. 5) in Anspruch genommen. Von
den Irrlehrern sich fernhalten, hat zur Kehrseite gerade ein
. Festhalten an den Propheten, freilich ein solches, welches
dem Evangelium seinen überwiegenden Werth und seinen
unterscheidenden Charakter lässt (Sm. 7; cf. Phil. 5. 9). Es
scheint, dass diese Lehrer innerhalb, des Alten Testaments
das Gesetz über die Propheten stellten, oder dass sie diese
in andrer, als der in der Kirche üblichen Weise deuteten.
Darin wird sich ihre höhere Erkenntnis gezeigt, darum ihr
Disputiren (Eph. 17. 18; Sm. 7) 'gedreht haben, und „die
bösen Künste und Listen des Teufels“, durch welche sie die
Christen in die Enge trieben (Phil. 6), werden hauptsächlich
exegetische Künste gewesen sei. Dabei werden dann die
Ueberlieferungen jüdischer Schriftgelehrsamkeit vielfach dazu
gedient haben, zu Tage zu fördern, was kein schlichter Ver-
stand im Text gefunden hätte. Darauf weist der Satz: μὴ
πλανᾶσϑε ταῖς ἑτεροδοξίαις μηδὲ μυϑεύμασιν τοῖς παλαιοῖς, ἀνω-
φελέσιν οὖσιν Mgn. 8. Der Ausdruck erinnert an 1 Tim. 1, 4;
4, 7; Tit. 1, 13 einerseits und Tit. 3, 9 andrerseits; aber
noch viel weniger als an diesen paulinischen Stellen 1) kann
hier an gnostische Aeonenlehren nnd an Travestieen alttesta-
mentlicher Stoffe oder gar heidnischer Mythologeme gedacht
werden, welche Irenäus und Tertullian bei Paulus im voraus
beschrieben fanden 2). Denn, in welchem Sinn sie alt und
für den Christen unnütz seien, zeigt sofort die Begründung
der Warnung: „denn, wenn wir bis jetzt [noch immer] nach
1) Vgl. Wiesinger, Pastoralbriefe, S. 211ff. 354.
2) Iren. I prooem. $ 1; II, 14sq.; Tertull. adv. Val. 3; praeser.
33 cf. 34 fin.
373
dem Judenthum leben, so gestehen wir damit ein, dass wir
[die] Gnade [des neuen Bundes] nicht empfangen haben“.
Die Fabeln gehören zu dem alten, sauer gewordenen Teig des
Judenthums (Mgn. 10) und unterscheiden sich von den ge-
setzlichen Institutionen, in welchen alle jüdisch geborenen
Christen vor ihrer Bekehrung gewandelt sind (Mgn. 9), da-
durch, dass sie nicht πράγματα, sondern μυϑεύματα sind.
Wenn sie auch als solche eines ausreichenden Schriftgrundes
entbehren, so werden sie darum nicht minder an alttestament-
liche Stellen angelehnt und bei deren Auslegung verwendet
worden sein. Eine Andeutung davon, dass diese Lehrer vor-
nehmlich durch Schriftauslegung ihre Ansichten zu erweisen
suchten, liegt wohl auch in der Bezeichnung ihres Lehrver-
trags als eines Ἰουδαϊσμὸν ἑρμηνεύειν !).. Ob sie dabei auch
schon neutestamentliche Schriften benutzten, hängt haupt-
sächlich ab von der Deutung des Berichts über eine Dispu-
tation, welche Ignatius mit Leuten dieser. Richtung gehabt
haben will (Phil. 8). Dass es sich dort um Vertreter der-
selben oder doch einer ganz verwandten Partei handelt, folgt
daraus, dass sich das darauf folgende c. 9 durchaus in dem-
selben Gegensatz gegen die Judaisten bewegt, wie Alles von
c. 6 an. Ignatius will durch die Erinnerung an dies Erlebnis
erklären, was ihn auf die Ermahnung gebracht hat: μηδὲν
κατ᾽ ἐριϑείαν πράσσειν ἀλλὰ κατὰ χριστομαϑίαν. Ein Beispiel
mangelnder χριστομαϑία und verwerflicher ἐριϑεία führt er im
Folgenden an. Versteht man unter letzterer im engen An-
schluss an das Etymon „die Gesinnung des Tagelöhners,
banause Denkweise“, so findet man dafür im Folgenden
bei keinerlei Auslegung ein Beispiel; denn, nur durch äusser-
liche Beweisgründe, sei es alttestamentliche Schriften oder
archivalische. Urkunden, sich überführen lassen zu wollen,
1) Phil. 6. Es könnte an sich auch eine einigermassen orakelhafte
Verkündigung ihrer verborgenen Weisheit durch ἑρμηνεύειν ausgedrückt
sein, cf. Tatian. or. 12; dem Object entsprechender versteht man darunter
einen Vortrag. judaistischer J,ehren, welcher sich in der Form tenden-
ziöser Schriftauslegung vollzog.
974
konnte doch kein Grieche ein πράσσειν κατ᾽ ἐριϑείαν nennen ἢ).
Es bedeutet aber überhaupt selbstsüchtige Gesinnung, mit
welcher sich ein wahres Interesse für die Sache nicht ver-
trägt ?), und bildet einen passenden Gegensatz zu der Bereit-
willigkeit, von Christus zu lernen. Im Wortstreit zeigt sich
solche Gesinnung als Rechthaberei, und eben diese schildert
Ignatius im Folgenden. Ich lese: Ἐπεὶ ἤχουσά τινων λεγόν-
των, ὅτι ,, ἐὰν μὴ ἐν τοῖς ἀρχείοις εὕρω, ἐν τῷ εὐαγγελίῳ, οὐ
πιστεύω“. καὶ λέγοντός μου αὐτοῖς ὅτε, γέγραπται“, üns-
κρίϑησάν μοι, ὅτι ,, πρόκειται". ἐμοὶ δὲ ἀρχεῖά ἐστιν Ἰησοῦς
Χριστὸς, τὰ ἀϑικτα ἀρχεῖα ὁ σταυρὸς αὐτοῦ καὶ 0 ϑάνατος
καὶ ἡ ἀνάστασις αὐτοῦ καὶ 7 πίστις ἢ δι᾿ αὐτοῦ. Verbindet
man, wie allgemein geschieht, ἐν τῷ εὐαγγελίῳ mit dem
Folgenden und liest ἀρχαίοις, so soll das heissen: „wenn ich
es nicht in den Alten (den alttestamentlichen Schriften) finde,
so glaube ich nicht an das Evangelium“ °). Aber abgesehen
davon, dass sich ein so offenkundiger Bruch mit dem Be-
wusstsein von der selbständigen Wahrheit der neutestament-
lichen Offenbarung schwerlich mit der angeblichen ἀξιοπιστία
der Irrlehrer verträgt, so müsste doch erst nachgewiesen wer-
den, dass jemals die alttestamentlichen Schriften τὰ ἀρχαῖα
oder die alttestamentlichen Schriftsteller οἱ ἀρχαῖοι genannt
worden seien. Im Gegensatz nicht zu irgend etwas Moder-
nem ?), sondern zum Evangelium, als der neuen Offenbarung,
würden die-Irrlehrer Moses und die Propheten „die Alten“
nennen; aber für diesen Gegensatz waren längst und für
1) Gegen Credner, Beiträge 1, 15. Anm. 1.
2) Vgl. Hofmann, n. Test. II, 1, 192; III, 55. Nach dessen rich-
tiger Deutung von Röm. 2, 8 ist dies eine passende Parallele z. u. St.
3) So z. B. Clericus z. d. St.; Credner a. a. O. I, 15f.; Buns.
I, 150; IL, 73; Merx, S. 9.
4) Daher ist auch die Anführung von Matth. 5, 21 ff. (Hilgf.,
S. 236) ebenso unzutreffend wie die von Joseph. ant. X, 10, 6, wo sich
Joseph im Gegensatz zu eigener Kritik und Darstellung der Geschichte
auf die nationalen Geschichtsquellen (τὰ ἀρχαῖα βιβλέα) zurückzieht, die
er unverändert wiedergegeben habe.
375
immer παλωιός und xuwos üblich ἢ. Und würde nicht eine
solche Betonung der alten Schriften im Gegensatz zum
Evangelium einen der älteren Zeit und diesen Irrlehrern ge-
wiss fremden Gegensatz eines alttestamentlichen und eines
neutestamentlichen Kanons voraussetzen? Behält man ferner
trotz der sicheren Bezeugung des Gegentheils ?) auch an zweiter
und dritter Stelle ἀρχαῖα, so wird das feierliche Bekenntnis,
in welches Ignatius in Erinnerung an jene Disputation aus-
bricht, geradezu sinnlos und unübersetzbar. Tod und Auf-
erstehung Christi möchten allenfalls „die alten Dinge‘ heissen
im Sinn ehrwärdiger Heiligthümer; aber zu dem Glauben,
der gerade als gegenwärtige, beweisende Kraft in Betracht
kommt, passt das Prädicat ἀρχαῖος nicht, und zu "Inaovs
Χριστός, wozu ἀρχαῖα zunächst ohne Rücksicht auf das Weitere
gehört, passt der Plural nicht ὃ. Liest man aber an zweiter
und dritter Stelle ἀρχεῖα, so muss mans auch an erster Stelle
gelten lassen. Soll Ignatius in diesem wahrlich pathetischen
Zusammenhang nicht einen läppischen Scherz gemacht haben,
so muss seine Meinung die sein, dass er an dem persönlichen
Christus und an den Thatsachen der Erlösung und an dem
dadurch gewirkten Glauben eben das besitze und nur viel
zuverlässiger besitze, wovon jene ihren Glauben abhängig
machen, ohne je mit der Untersuchung fertig zu werden.
Es heisst einen textkritischen Kanon misbrauchen, wenn man
trotzdem denjenigen Zeugen, welche zuerst «., dann εἰ bieten,
den Vorzug vor denjenigen gibt, welche dreimal dasselbe Wort
geben. Bei näherer Betrachtung *) variirt vielleicht doch
1) 2Kor. 3, 14; Hebr. 8, 13. Ign. Mgn. 9. 10. Melito Sard. bei
Eus. ἢ. 6. IV, 26 extr.
2) G! G2 gegen die hier schwer zu reducirenden Uebersetzungen.
3) Credners Uebersetzung: „mir ist das Alte Jesus Christus“, ver-
wischt die Schwierigkeit und bedürfte überdies selbst wieder einer Ueber-
setzung in’s Verständliche.
4) ἀρχαίοις . ἀρχεῖα. . . ἀρχεῖα Gl, ἀρχείοις . . ἀρχεῖα...
ἐρχεῖον G2, so auch wohl 12, denn wenn er an zweiter Stelle jedenfalls
dasselbe Wort ‚gelesen hat, wie an erster (antiquis . .. . antiquitas), so
scheint nur der Wechsel des Numerus an- dritter Stelle die andere
376
nur G!; aber wie leicht konnte hier an erster Stelle das ge-
wöhnlichere Wort ἀρχαῖα sich einschleichen, während an
zweiter und dritter Stelle das richtige ἀρχεῖα durch die
offenbare Sinnlosigkeit des Anderen geschützt wurde. Ent-
scheidet man sich demnach für ἀρχείοις . . ἀρχεῖα... ἀρχεῖα,
go kann das freilich hier nicht Archiv !) bedeuten; denn ein
Schreien nach den authentici codices evangeliorum ?), eine
Verdächtigung der umlaufenden Abschriften der Evangelien,
passt erstlich nicht in diese Urzeit, in welcher Kirche und
Häresien gleich wenig auf die Authentie ihres Buchstabens
gaben, konnte aber auch zu keiner Zeit diese Form annehmen:
„wenn ich es nicht in den Archiven finde, glaube ich nicht
an’s Evangelium“; denn es ist gar kein Archiv denkbar,
welches die Unverfälschtheit der darin aufbewahrten Evan-
gelienschriften gerade diesen Irrlehrern verbürgt hätte. Und
doch muss, wie die Gegenäusserung des Ignatius zeigt, ἀρχεῖα
eben das sein, wovon die Zuversicht des Glaubens abhängig
gemacht wird. Unvorstellbar bleibt auch, wie Ignatius Christum
. selbst und die Heilsthatsachen als Archiv, als Aufbewahrungs-
ort glaubwürdiger Urkunden bezeichnen konnte. Sie sind
vielmehr diese Urkunden selbst; und das ist eine unzweifel-
hafte Bedeutung von ἀρχεῖα ὃ. Ihre angeerbte schriftgelehrte
Uebersetzung: ‚principatus“ hervorgerufen zu haben. Sie entspricht einer
Bedeutung von ἀρχεῖον. A lässt das dritte Wort ganz weg, setzt aber
an erster und zweiter Stelle das gleiche Wort voraus (in libris primis ...
liber primus). Sehr sonderbar ist Li: veteribus . . . prineipium...
principia. Der Wechsel des Numerus erklärt sich aus Rücksicht auf den
Sinn als freie Uebersetzung; dann wahrscheinlich auch der Wechsel des
Worts, denn auf «eyeiov lässt sich prineipium nicht zurückführen.
1) Diese Bedeutung hätte Credner a. a. Ὁ. nicht anzweifeln sollen.
Eus. V, 18, 9 ist τὸ τῆς Aolas δημόσιον ἀρχεῖον das Gebäude, worin die
Processacten aufbewahrt werden. Jos. bell. jud. II, 17, 6 ist τὰ εἰρχεῖα
sichtlich gleichbedeutend mit γραμματοφυλακεῖον — Aufbewahrungsort
der Schuldbriefe u. dergl. Vgl. die Inschriften Hermes IV, 211f.
2) So Smith, schol., p. 84. Cf£. Tertull. praescr. 36.
3) Vgl. Voss, 5. 283. Bei Eus. h. e. I, 13, 5 ist es identisch mit
δημόσιαι χάρται und nicht etwa mit den yoruuaropviexeie zu Edesss,
welche Euseb nie gesehen hat. So wird es auch bei Africanus (Eu.
877
Manier in die Kirche übertragend, fordern diese Irrlehrer für
das, was in der Kirche als Gemeinglaube in Cultus und
Lehre bezeugt wird, Beweis aus schriftlichen Urkunden, und
Ignatius antwortet ihnen auch nicht, wie er antworten müsste,
wenn 'sie Beweis aus den alten Schriften im Gegensatz zu
neuen und zweifelhafteren gefordert hätten: „Gesetz und Pro-
pheten bezeugen es“. Er antwortet vielmehr, wie er es
musste, wenn überhaupt nur Beweis aus Schriften im Gegen-
satz zur Selbstgewissheit des kirchlichen Glaubens gefordert
war:- „es steht geschrieben“. Wenn er aber meinte, damit
ihren Widerspruch überwunden zu haben, so antworteten sie:
πρόκειται 1). Sollte dies, um von ganz unmöglichen Erklärungs-
versuchen abzusehn ?), heissen: „so ist die Sache ausgemacht,
so hat es seine Richtigkeit‘ 8), so hätte sich Ignatius wahr-
lich nicht über die ἐριϑεία seiner Gegner zu beklagen gehabt.
Nur wenn das Wort eine Antithese enthält, in welcher die
Disputation stecken blieb, begreift sich, dass Ignatius dies
überhaupt erzählt und dann ihrem unverbesserlichen BEigensinn
entgegenstellt, was ihm beweiskräftige Urkunde des kirchlichen
Glaubens ist. Die ziemlich gewöhnliche Bedeutung von προ-
κεῖσϑαι, „als Gegenstand der Verhandlung oder Untersuchung
vorliegen “, reicht völlig aus zur Rechtfertigung der Ueber-
setzung: „es ist der Gegenstand des Streits, das ist eben die
Frage“ ἢ). Sie hatten anfänglich das Bedenken erhoben, ob
h. e. I, 7, 13) dasselbe sein, was nachher δημοσία συγγθαφή heisst.
Arndt (Handschrift) vergleicht noch Dion. Halic. ant. II, 26.
1) 65 hat das hier ausgelassen, dagegen nachher dem Ignatius in
den Mund gelegt: οὐ γὰρ πρόκειται (abov oder προχέχριται n 12) ro
ἀρχεῖα τοῦ πνεύματος. |
2) Dahin rechne ich den von Hug (Einl. 3. Aufl. I, 111): „dieses (ἢ)
verdient auch (!) den Vorzug“, und den von Bunsen (I, 150).
8) So Credner a. a. O. Aehnlich Rothe, S. 339: „das liegt frei-
lich am Tage“.
4) So Ruchat: „c’est cela qui est en question “; Arndt, S. 183 f. mit
ausreichendem Beweis. In der Handschrift hatte er die Uebersetzung
„das ist die Frage“ wie mehrere andere durchstrichen und zuletzt
stehen lassen: „es ist .offenbar“. Vgl. auch Delitzsch, neue Unter-
suchungen über die Evangelien, 8. 2.
>
378
die fragliche Lehre in den schriftlichen Urkunden, auf die es
ankommt, sich finde. Da ihnen Ignatius nun Stellen nach-
weist, worin sie sich finde 3), verschärfen sie ihre skeptische
Haltung. Auch dem nachgewiesenen Schriftbuchstaben gegen-
über fragt sieh’s erst, ob sie darin finden, was der Mann der
Kirche herausliest. Nun soll die Disputation erst angehen und
auf exegetischem Boden mit deu Mitteln ihrer Gelehrsamkeit
geführt werden; aber Ignatius bricht ab, weil er kein Ende
absieht, und während jene „disputirend zu Grunde gehn“
(Sm. 7), hält er sich an die Urkunden, an welche kein Zweifel
und keine exegetische Kunst der „sogenannten Einsichtsvollen “
(Eph. 18) heranreicht. Nicht alten Urkunden stellt er neue
gegenüber, sondern dem Buchstaben schriftlicher Zeugnisse,
über die man endlos streiten kann, die für sich selbst zeugen-
den und im Glauben fortlebenden Thatsachen der Offenbarung.
Nun erst lässt sich fragen, welcherlei Schriften die ἀρχεῖα
sind. Die Frage entsteht wirklich, da ein Gegensatz alt-
und neutestamentlicher Schriften nicht ausgedrückt ist. Auf
den alttestamentlichen Kanon will der seltsame Ausdruck am
wenigsten im Munde dieser Judaisten passen, denen ὁ νόμος
(καὶ οἱ πρυφῆται) oder ἡ γραφή einzig natürlich gewesen wäre.
Ferner erscheint die Forderung, das mündliche Zeugnis an
den betreffenden Urkunden zu bewähren, als eine von der
Kirche vernachlässigte, einigermassen neue, während doch Er-
weisung der christlichen Wahrheit am Alten Testament so
alt ist, wie christliche Predigt. Daher werden vielmehr Ur-
kunden der christlichen Offenbarung gemeint sein im Gegen-
satz zu der flüssigen Ueberlieferung und mündlichen Ver-
kündigung des christlichen Glaubens. Sollte dann aber nicht
Lucas Holsten das Richtige gesehn haben, wenn er & zw
1) Es versteht sich von selbst, dass Ignatius nur eine Skizze des
Gesprächs gibt. Im wirklichen Disput wird es sich um eine bestimmte
kirchliche Lehre gehandelt haben, welche das Object zu εὕρω und das
Subject zu γέγραπται war. So muss Ignatius, der hiermit auf ihre
Forderung einging, auch bestimmte Stellen genannt haben, worin das
geschrieben steht, was sie in den Urkunden nachgewiesen haben
wollen.
879
εὐαγγελίω als Apposition zu ἐν τοῖς ἀρχείοις fasst‘). Dafür
spricht erstlich, dass im anderen Fall τὸ εὐαγγέλιον hier das
mündlich verkündigte Evangelium in ausschliessendem Gegen-
satz zu jeder schriftlichen Fixirung bedeuten müsste, was nie
Sprachgebrauch gewesen sein kann und, wie später zu zeigen,
dem Sprachgebrauch des Ignatius widerstrebt. Es ist ferner
zu beachten, dass Ignatius πιστεύω nie mit ἔν τινι COn-
struirt ?2). Es ist endlich allein natürlich, dass πεστεύω ebenso
wie εὕρω vorher objectlos ist, wie ja auch die Subjecte zu
γέγραπται und πρόκειται unausgedrückt bleiben. Worum es
sich in dem einzelnen Fall handelte, soll ganz ausser Betracht
bleiben. „In den Urkunden“ wollen sie die strittige Sache
nachgewiesen haben und erklären den noch undeutlichen Aus-
druck durch den andern, welcher an sich noch gar nicht
auf geschriebene Urkunden hinweist, hier aber deutlich das
Gebiet bezeichnet, auf welchem sich der Streit bewegt, „im
Evangelium“. Einfacher und deutlicher und daher von G? an
die Stelle gesetzt, wäre ἐν τοῖς ἀρχείοις τοῦ εὐωγγελίου, in den
evangelischen Urkunden. Diese Forderung der Irrlehrer ist
nicht befremdlich, wenn man in dem gleichzeitigen Brief des
Polykarp liest, dass die Irrlehrer jener Zeit die Aussprüche
des Herrn nach ihrem Gelüste umdeuten (c. 7), und wenn
man bedenkt, dass die Häresie der Kirche in exegetischer
Bearbeitung der Reden Jesu und „des Evangeliums‘ zuvorge-
kommen ist 3).
1) Bei Dressel, p. 181: nisi in archivis, hoc est in evangelio, inve-
nero, non credo. Diese an manchen Stellen treffliche Uebersetzung ver-
dient überhaupt beachtet zu werden. Ueber die Handschrift s. Dressel,
proll. LX. Wie A hat auch ΟΣ οὐ πιστεύω absolut gefasst und, wenn
mit abov gegen n L? τοῖῖ εὐαγγελίου gelesen wird, ebenso verstanden,
wie Holsten.
2) Sm. 6; Tr. 2. Mgn. 10 mit eis. Tr. 9; Rom. 8; Phil. 8; ad
Pol. 7 mit dem Dativ. Phil. 5 ist ἐν ᾧ = per quem mit ἐσώϑησαν zu
verbinden. Phil. 9 bezeichnet ἐν ὠγάπῃ die Gesinnung, in und mit
welcher ınan glauben soll. Im Neuen Testament findet man nur Marc.
1, 15 (nicht Joh. 3, 15) πιστεύειν ἔν τινι.
3) Schon Papias hat bei den Büchern, aus denen er nichts Zu-
880
Dass die Irrlehrer auch an den Urkunden der evange-
lischen Geschichte ihre Auslegungskünste übten, ergibt sich
unter der Voraussetzung, dass die beliebteste Form ihres
Lehrvertrags ein ἑρμηνεύειν war (9. oben S. 337), von selbst
aus den Hauptstücken ihrer Lehre. Für. ihre Christologie
konnten sie im Alten Testament kaum Stützpuncte zu finden
meinen, wohl aber in den geschichtlichen Berichten über
Christus. Eine einigermassen vollständige Christologie dieser
Leute zu entwerfen, ist freilich unmöglich. Sie denken über-
haupt abweichend in Bezug auf die neutestamentliche Gnaden-
offenbarung Gottes (Sm. 6) oder die „auf den neuen Menschen
Jesus Christus abzielende Heilsveranstaltung‘, die sogenannte
Oekonomie ?), welche Ignatius deshalb in ihren Grundzügen
den Ephesern darzulegen begann. Ein durchgreifender Doke-
tismus ist das Einzige, was ihnen Ignatius deutlich, aber auch
unermüdlich vorwirft. Sie leugnen, dass Christus in mensch-
licher Natur auf Erden gelebt habe ὃ. Ihre eigenen Worte
scheinen es zu sein, ‚dass Christus nur scheinbar gelitten
habe 8). So beseitigen sie den Anstoss, den ihnen das Kreuz,
der Gedanke eines gekreuzigten Heilsmittlers, bereitet (Eph. 18).
Sie glauben nicht an das Leiden (Phil. 3; Sm. 5), leugnen
den Tod Jesu (Mgn. 9). Aber dieselbe doketische Vorstellung
müssen sie consequent auf das ganze irdische Leben Jesu an-
wandt haben; denn ihnen gegenüber wird die Realität sämmt-
licher Hauptereignisse des Lebens Jesu betont ἢ), die leibliche
Abstammung aus Davids Geschlecht, die leibliche Geburt aus
verlässiges glaubte lernen zu können, exegetische Schriften solcher
Leute im Sinn, welche viel reden und fremde Gebete verkündigen (Bus.
h. e. 1II, 39, 3. 4), und älter als dessen Werk sind gewiss die 24 Bücher
des Basilides über ‚, das Evangelium ‘“ (Eus. ἢ. 6. IV, 7, 7; Clem. A.
strom. IV, p. 599 Pott... Zu beachten ist auch Iren. II, 10, 1.
1) Eph. D cf. 18: xar’ οἰχονομίαν ϑεοῦ.
2) Sm. 5: μὴ ὁμολογῶν αὐτὸν σαρκοφόρον.
3) Sm. 2: καὶ ἀληϑῶς ἔπαϑεν ὡς zei ἀληϑῶς ἀνέστησεν ἑαυτὸν,
οὐχ ὥσπερ ἄπιστοί τινες λέγουσιν, τὸ δοχεῖν αὐτὸν πεπονϑέναι, αἰὐτοὶ
τὸ doxsiv ὄντες. Cf. ο. 4; Tr. 10.
4) Eph. 7. 18—20; Tr. 9; Mgn. 11; Sm. 1—3. 7; Phil. 9.
381
der Jungfrau Maria, die Taufe durch Johannes, die offen-
kundige Geschichtlichkeit des Kreuzestodes, die Wirklichkeit
der Auferstehung des Gekreuzigten zu einem neuen gleichfalls
leiblichen Leben. Wie das Essen und Trinken Jesu nach der
Auferstehung und seine Betastung durch die Jünger Letsteres
beweisen muss (Sm. 3), so muss auch sein Essen und Trinken
“vor seinem Tode zum Zeugnis gegen die Häretiker dienen
(Tr. 9). Die übermenschliche Hoheit Christi scheint ihnen.
festzustehn ; aber damit finden sie es unverträglich, dass er
im Fleisch und leidensfähig gewesen (Eph. 7; ad Pol. 3),
wahrhaft menschlich sich offenbart (Eph. 19), kurz ein τέλειος
ἄνθρωπος geworden sei (Sm. 4). Dass diese Bedenken in er-
höhtem Mass den kirchlichen Glauben an die Menschlichkeit
des durch die Auferstehung verklärten Lebens Jesu und an
die Mittheilung dieses Lebens im Abendmahl (Sm. 7; vgl.
oben 8. 363) treffen mussten, ist von selbst klar. Da ferner
die Auferstehung Christi von selbst wegfällt, wo sein Tod als
ein nur scheinbarer gedacht wird, so ist von vorneherein
wahrscheinlich, dass auch .die Auferstehung der Christen ge-
leugnet wurde. Daher wird die wiederholte Begründung der
christlichen Auferstehungshoffnung auf Tod und Auferstehung
Christi eine polemische Beziehung auf die Irrlehrer haben
(Tr. 9; Sm. 5; Mgn. 9); und wenn es ihnen dereinst ergehen
soll, wie sie denken, dass sie ein leibloses, gespenstisches
Leben führen, wie die Dämonen, so ist damit wohl nicht
bloss eine Vergeltung dessen, was sie an Christus thun, ge-
meint, sondern vielmehr angedeutet, dass sie der Auferstehung
zum ewigen Leben, die sie den Christen überhaupt rauben,
selbst allerdings verlustig gehen werden !'). Polykarp wird
auch diesen Zug in seiner Schilderung der Irrlehrer der jüng-
sten Vergangenheit entnommen haben 3).
-—_ —
1) Sm. 2. Ich übersetze: „und wie sie denken, wirds ihnen auch
ergehn, wenn sie [dann] leiblos und dämonisch sind“. Das ihrer
Meinung von Christus Entsprechende war schon vorher ausgedrückt
durch αὐτοὶ τὸ doxsiw ὄντες.
2) ad Phil. 2. Die Zusammenstellung von Christi Auferstehung,
Gericht und der Christen Auferstehung ist nach der Ermahnung und
382
Auch auf ihre Ansichten vom präexistenten Christus fällt
wenigstens ein Streiflicht. Mitten in einer gegen sie ge-
richteten Polemik wird als Inhalt der Heilswahrheit, für
welche schon die Propheten zum Zweck der Ueberzeugung der
Ungläubigen gelitten haben, dies angegeben: orı εἷς ϑεύς ἐστιν,
ὁ φανερώσας ἑαυτὸν διὰ ᾿ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ, ὃς
ἐστιν αὐτοῦ λόγος ἀΐδιος, οὐκ ἀπὸ σιγῆς προελϑών, ὃς κατὰ
πάντα εὐηρέστησεν τῷ πέμψαντι αὐτόν (Mgn. 8). Für Ignatius
ist, wie schon hieraus erhellt, der vom Vater in die Welt
gesandte Jesus Christus der Logos und heisst so, weil er der
Mittler der neutestamentlichen Offenbarung ist; aber derjenige,
welcher inmitten oder vielmehr am Ende der Geschichte !)
als Jesus Christus und Gottes Sohn und Logos erschienen ist,
gilt ihm für ein ewiges Ich. Das Attribut «doc ist keines-
wegs eine selbstverständliche Zugabe zu λύγος, sondern eine
nachdrückliche Verwahrung dieses Namens Christi gegen das
Misverständnis, als ob dem so bemannten Ich damit eine
innerzeitliche Entstehung nachgesagt würde. Der dem Ignatius
dabei vorschwebende Gegensatz wird dann noch ausdrücklich
verneint. Christus ist nicht ein λύγος, der aus einem
Schweigen hervorgegangen oder auf ein Schweigen gefolgt
ist 2), sondern ist ewig. Ganz richtig hat dies Verhältnis des
-- -.- ----- . -
Warnung am Anfang des Kapitels zu verstehn. Auch c. 7 enthält
nichts, was nicht auf die von Ignatius bestrittenen Irrlehrer passte.
1) Cf. Mgn. 6. Der Beweis für Obiges kann erst in der zusammen-
hängenden Darstellung der theologischen Anschauungen des Ignatius ge
liefert werden. Die Gleichzeitigkeit der in φανερώσας und πέμψας
ausgedrückten göttlichen Thätigkeiten (Mgn. 8) leuchtet von selbst ein.
Die hier gemeinte Selbstoffenbarung Gottes, von welcher der Sohn Gottes,
„durch welchen sie sich vermittelt, den Namen Logos führt, ist Eph. 19
durch ϑεοῦ εανϑθϑρωπίνως φανερσυμένου ausgedrückt und ist identisch
mit der am Ende der Geschichte erfolgten Erscheinung (&pavn) dessen,
der vor den Aeonen beim Vater war (Mgn. 6).
2) Pears. Il, 42 wollte das ὠπὸ im Unterschied von ἐκ pressen, um
den letzteren Sinn als den einzig wahrscheinlichen zu erweisen. Aber
auch ἔχ zıvog kann heissen „unmittelbar nach etwas“, und gerade ἐφ΄
ἑνὸς πατρὸς προελθόντα schreibt Ignatius .Mgn. 7 offenbar in anderem
Sinn.
988
negativen Attributs zum positiven schon Pearson !) erkannt;
aber sehr mit Unrecht behauptete er weiter, der so ver-
standene Satz treffe direct die Ebjoniten, d. h. diejenigen,
welche Euseb (III, 27, 3) schildert, Pearson aber mit den von
- Ignatius bestrittenen Judaisten identifieirt. Jene Ebjoniten
lehnen den Logosbegriff überhaupt ab; der Satz des Ignatius
dagegen, wenn man ihn so richtig wie Pearson versteht ?),
setzt Gegner voraus, welche den Logosbegriff in einer Weise
verwertheten, dass die Ewigkeit der Person Christi, auf welche
Ignatius nicht minder grosses Gewicht legt 8), als auf ihre
wahrhaft geschichtliche und menschliche Erscheinung, darüber
verloren ging. Sie nahmen den Logosnamen beim Wort und
schlossen von dieser Bezeichnung Christi als des Wortes
Gottes auf ein seiner Existenz vorangehendes Schweigen Gottes
und auf ein seine Existenz begründendes Hervorgehn aus dem
vordem schweigenden, wortlosen Gott. Ob sie dies Schwei-
gen Gottes in der Weise mehrerer gnostischer Schulen als
weiblichen Aeon und somit als Mutter des Logos vorstellten,
lässt sich aus der flüchtigen Andeutung nicht schliessen. Es
ist möglich, dass die Einheit Gottes hier und so auch Mgn. 7
im Gegensatz zu solcher „gnostischen Auseinanderlegung “
Gottes betont sein soll (vgl. Lips. I, 34), womit sich die
praktische Verwendung des Gedankens Mgn. 7 sehr wohl ver-
trüge. Es ist auch möglich, dass diese Irrlehrer angelologische
Vorstellungen in einer Weise cultivirten, dass dadurch die
Einzigkeit Gottes gefährdet schien (vgl. Uhlh., S. 296). Dass
ihnen ihr Judaismus dazu den Weg nicht versperrte, zeigt
Ceriath. Aber beim Mangel aller Parallelen in unseren Briefen
lässt sich darüber nichts Beweisbares behaupten. Gewiss ist
nur, dass diesen Leuten der Logosname Christi zu Reflexionen
nn men om
1) Π, 8454. Vgl. auch Petav. theol. dogm., tom. IV ed. Antw.
1700, p. 163. Rothe, S. 726 Anm. Denz., 8. 26
2) Pears. II, 35: monet, Christum, cum λόγος dieitur, aeternum
ta men esse. Auch die patristischen Belege von Clemens Al. bis auf
Augustin, die er p. 36sq. gesammelt hat, hätten ihm von da aus zu
besserer Einsicht verhelfen können.
3) Mgn. 6; Eph. 7; ad Pol. 3.
384
über das Wesensverhältnis desselben zu Gott Anstoss gab,
und dass sie unter dem Hervorgehn des Logos-Christus aus
Gott dem Vater nicht wie Ignatius 1) seinen Eintritt in irdisch-
menschliche Existenz verstanden, sondern einen jenseitigen
Act annahmen, durch welchen Gott sein Schweigen gebrochen, -
seine Selbstoffenbarung begonnen und eben damit dem Logos
Existenz gegeben habe. |
‘ Wie wir uns mit einem sehr unbestimmten Bild ihrer
Speculation begnügen müssen, so. bleibt auch über ihrer Vor-
stellung von der geschichtlichen Erscheinung Christi, auf
welche Ignatius soviel öfter sich bezieht, ein gewisses Dunkel.
Fraglich erscheint vor allem, wie sie sich mit dem geschicht-
lichen Gehalt der evangelischen Ueberlieferung auseinander-
setzten, ob sie wirklich die ganze evangelische Geschichte für
eine fortlaufende Vision und. Hallucination der Augen-- und
Ohrenzeugen hielten, oder ob sie von dem Menschen Jesus, der
Alles, was von ihm erzählt wird, wirklich erlebt hat, den über-
irdischen Christus derart unterschieden, dass sie von diesem
sagen konnten, er habe das nicht miterlebt oder nur scheinbar
erlebt. Der Wortlaut der Polemik begünstigt die erstere
Auffassung, und die Spuren der letzteren sind trügerisch.
Wenn es z. B. Eph. 7, nachdem die Irrlehrer als schwer heil-
bare tolle Hunde charakterisirt sind, heisst: εἷς ἰατρός ἔστιν,
σαρκικός τε καὶ πνευματικός κ. τ. λ. (Anh. I, 17), so ist dieses εἷς
gewiss nicht durch die folgenden Antithesen bestimmt und soll
nicht in die Einheit einer Person. zusammenfassen, was die
Häretiker in einen überirdischen Christus und einen mensch-
lichen Jesus zerlegen; Christus kann auch nicht den vielen
Irrlehrern als der eine Arzt gegenübertreten (so Uhlh., S. 35),
denn diese sind vorher nicht als Charlatans, sondern als
Objecte. ärztlicher Thätigkeit vorgestellt. Der Gedanke ist
vielmehr dieser, dass die Christen darauf verzichten müssen,
die gefährliche Krankheit jener Leute zu heilen, wobei sie
nur ihr ‘eigenes Leben aufs Spiel setzen würden, und dass
sie deshalb die Heilung jener dem einen und einzigen Arzt,
1) Als Beweis genüge vorläufig Mgn. 7 und dazu Pears. II, 40sg.
885
der es vermag, überlassen sollen !). Die Paare gegensätzlicher
Attribute, welche dem Namen Jesus Christus vorangeschickt
sind, können also, da das sie beherrschende εἷς (ἰατρός) eine
ganz andere Beziehung hat, nicht dazu dienen, von dem einen
Subject die beiden Reihen von Eigenschaften zu prädiciren,
welche nach gegnerischer Lehre auf zwei Subjecte sich be-
ziehen; sie sind aber auch keineswegs „eine hier ziemlich '
möüssige Doxologie‘“ (Baur II, 27). Der Ton liegt auf dem
jedesmal ersten Glied des Gegensatzes. Dass Christus o«exı-
»ös ebensowohl als πνευματικός, γεννητός ebensowohl als ἀγέν-
vrros, dass er wirklich im Fleisch erschienen unbeschadet
seiner Gottheit, dass er in wirklichem Tode sich als das
wahre Leben erwiesen, wird mit Nachdruck behauptet gegen-
über den Häretikern, welche eben dieses leugnen. Der Einzige,
welcher ihre Krankheit heilen könnte, ist Christus, aber nicht
ihr doketischer Christus, sondern der von der Kirche bekannte,
von ihnen verleugnete Christus, zu dessen Erkenntnis sie sich
bekehren müssen, wenn er ihnen helfen soll. Durchaus ver-
anlasst ist also, was hier von Christus prädicirt wird, durch
den Gegensatz einer doketischen Christologie. Wäre aber die
“solchem Doketismus zu Grunde liegende Theorie die Unter-
scheidung des Menschen Jesus von dem übermenschlichen
Christus, so müsste doch "wohl irgendwo einmal die Antithese
hervortreten: Jesus selbst ist der Christ.
Je unvollständiger das Bild der von Ignatius bestrittenen
Häresie sich aus dieser Bestreitung erkennen lässt, um so
näher scheint es zu liegen, es durch etwa gleichzeitige Nach-
richten zu vervollständigen. Sucht man geschichtliche Parallelen
unter der Voraussetzung, dass Ignatius um 110 geschrieben
hat, so ist man abgesehn von den jüngsten Schriften des
Neuen Testaments auf die Andeutungen im sogenannten Bar-
nabasbrief, die Erzählung Hegesipps und die wenigen An-
gaben der Väter des 2. und 3. Jahrhunderts über die, älte-
sten Gestalten der Häresie vor Basilides und Valentin ange-
- «--- ---.-ὄ--.-..-.-.-.....-.-.
1) Vgl. zur Sache Sm. 4, zum Ausdruck Eph. 15: εἰς οὖν ϑιδιέ-
σχαλος χι τ. A.
Zahn, Ignatius, 25
386
wiesen. Valentin. ist jedenfalls von aller Vergleishung: aus-
geschlossen; denn, wenn man auch viel mehr, als oft geschieht,
bei Verwendung der patristischen Zeitangaben in Bezug auf.
die gnostischen Hauptschulen — und nur auf diese beziehen
sie sich — die offenkundige Absicht in Anschlag bringt,. sae
als jung im Vergleich zur. katholischen Kirche darzustellen:'),
so wird doch daran nicht zu rütteln sein, dass Valentin erst
unter Hadrian als Schulhaupt aufgetreten ist, Es bleibt Zeit
genug, um zu erklären, wie er, ehe er unter Hygin (137
[135] — 141 |139]) nach Rom übersiedelte, im Orient seine
Schule hegründen konnte, deren orientalischer Zweig später in
Antiochien. einen Hauptsitz halte. Er ist allerdings älter
als Marcion (8. Anh. II, 8); er ist in Rom unter demselben
Anicet 8) und demselben Antoninus Pius *) gestorben, zu deren
Zeit Mareion dort seine grösste Wirksamkeit entfaltete. Es
ist auch möglich, dass Valentin, welcher für einen Schüler:
des Paulusschülers Theodas galt, ziemlich lange vor dem
Jahre 100 geboren war, also zur Zeit der Reise des Ignatius
schon selbständige Gedanken hatte 5). Auch dagegen ist nichts
einzuwenden, dass der azmtiochenische Diakonus Agathopus,
1) Clemens Al. 2. Β., welcher nach Quis div. p. 959 Pott. die Zeit
der apostolischen Predigt füglich bis nach Domitians Tod ausdehnen
könnte, lässt sie Strom. VII, p. 818 mit dem Tod des Paulus schliessen,
um einen möglichst grossen Zwischenraum zwischen ihr und dem Auf-
treten des Basilides und des Valentin unter Hadrian zu gewinnen. Die
gleiche Tendenz beherrscht die Angaben Iren. III, 4, 3; Tert. praescr.
30.. 32; Firmilian. Caes. (Cypr. ep. 75, 5).
2) Tertull. adv. Val. 4; Hippol. ref. VI, 35. ἡ
3) Von 156 [154] — 167 [166]. Die vereinzelte Nachricht des Epi-
phanius (haer. 31, 7) von einer späteren Wirksamkeit Valentins in
Cypern (vgl. Lipsius, Quellenkritäk des Epiphanius, 8. 156f.) darf nicht
hindern, das παρέμεινε ἕως ᾿Ανικήτου Iren. III, 4, 3 ebenso zu: verstehn,
wie es von Johannes und Polykarp gebraucht wird (Iren. III, 3, 4) näm-
lich von der Lebensdauer.
4) Vgl. Tert. adv. Marc. I, 19 mit Clem. strom. VII, p. 898.
Ueber die-confuse Angabe in Tert. praescr. 30 vgl. Pears. II, 76 und
Lipsius in der Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie 1867, 8. 77.
5) Cf. Clem. strom. VII, p. 898 und Massuet bei Stieren II, 60.
387
welcher seinem Bischof Ignatius nachreiste, Eine Person ist
mit dem Agathopus, an welchen Valentin ein von Clemens
(strom. III, p. 538) eitirtes theolbgisches Sendschreiben ge-
richtet hat ἢ. Aber eine auch nur gelegentliche Bezugnalime
des Ignatius auf das valeritinianische System würde zur Vor-
aussetzung Haben, dass Valentin um 110 bereits: eine weit
über seinen damaligen Wohnort Alexandrien hinausgreifende
Bedeutung erlangt hätte, was alle Nachrichten und alle ge-
schichtliche Wahrscheinlichkeit gegen sich hat?): Anders
verbält sichs mit Basilides, welcher jedenfalls älter als Valentin
ist 5), schon’ unter Hadrian von Agrippa Kastor literarisch
angefochten worden sein soll (Eus. ἢ. 6. IV, 7) und, ehe er
unter Hadrian in Alexandrien als Haupt einer selbständigen
Schule auftrat *), in Antiochien gelebt hat’). Noch älter ist
Saturnin, der in der traditionellen Diadöche der Gnöstiker von
den Häreseologen regelmässig die Stelle vor Basilides ange-
wiesen erhält®). Hat Ignatius bis um 110 in Antiöchien
gelebt, so kann ihm demnach Saturnin Kaum unbekannt ge-
wesen sein”); und chronologisch unmöglich wäre es durchaus
nicht, dass Schüler oder Gesinnungsverwändte Saturhins um’
1) Das fanden Voss (ὃ. 261), Pearson (TII, 19),.Bunsen (I, 159) wahr-
scheinlich.
2) Dies besonders gegen Peare. II, 74 μα.
3) Das spricht sich auch darin deutlich aus, dass, während die
valentinianische Schule ihrem Meister ebenso wie die basilidianische dem
ihrigen persönlichen Umgang nur mit einem Apostelschüler nachrühmte
(Clem. strom. VII, p. 898), Basilides selbst ebenso wie sein Sohn Isidor
ausserdem noch auf persönliche Mittheilumgen des Apostels Matthias
sich berufen haben sollen (Clem. strom. VII, p. 900; Hippol. ref.
VII, 20). “
4) Vgl. Iren. I, 24, 1 mit Clem. strom. VII, p. 898. Eus. h. 6.
IV, 7,3. _
5) Epiph. haer. 23, 1. 7; 24, 1.
6) Deutlich auch in der umgekehrten Aufzählung Just. dial. 35, ὁ
p-. 253 E und bei Hegesipp (Eus. h. e. IV, 22, 5).
7) Cf. Cotelier, Cler. II, 66, not. 3, Die Chronologie, nach welcher
„früher als Saturnin“ gleichbedeutend ist mit „früher als 130“ (Lips.
I, 37), taugt nichts.
25*
388
jene Zeit in Kleinasien missionirten. Gleichzeitig mit Satur-
nin sind auch diejenigen Gnostiker im engeren Sinn anzu-
setzen, welche Irenäus als Vorfahren der valentinianischen
Schule betrachtet ἢ. Aber schon vor Saturnin scheint gerade
Antiochien ein Hauptheerd der gnostischen Bewegung gewesen
zu sein. Man mag über die Geschichtlichkeit der altkirchlichen
Ansicht von Simon und Menander als den Erzvätern der Gnosis
urtheilen, wie man will; dass es im 2. und 3. Jahrhundert
eine simonianische Secte gab, welche sich auf den Goeten und
Pseudomessias Simon zurückführte und dennoch für christlich
sich ausgab 2), das beweisen die durch den ganzen Zeitraum
hindurchgehenden Nachrichten und die von Hippolytus aufbe-
wahrten Reste ihrer Literatur). Dann ist.aber auch nicht
einzusehn, warum die Nachrichten *) von einem durch Me-
nander vermittelten Zusammenhang zwischen Simon und den
grösseren gnostischen Schulen der hadrianischen Zeit aller
geschichtlichen Grundlage entbehren sollen. Von Justin
(apol. I, 26) an wird Antiochien als der Ort bezeichnet, wo
diese noch sehr wenig christlichen Lehrbildungen eine mehr
christliche Gnosis vorbereiten halfen, und als Zeit dieser Ent-
wicklung bleibt nur die Wende des 1. und des 2. Jahrhunderts
übrig. Auf die nächsten Jahre vor der Abfassung der igna-
1) Iren. IH, 13, 10; cf. 8 8 und I, 11, 1; IV, 33, 3. Hipp. refut.
VII, 36.
2) Just. apol. I, 26: πώντες οἱ ano τούτων ἀρχόμενοι Χριστιανοὶ
χαλοῦνται, nachdem Simonianer, Menandrianer und Marcioniten genannt
waren. Schon an dieser Stelle scheitert man, wenn man, wie seit Baur
(I, 18) noch oft geschehen ist, unter Berufung auf „alle kirchlichen
Schriftsteller“ Cerinth für den ältesten christlichen Häretiker, für den
Anfänger in der Reihe der Gnostiker ausgibt und den nach Simon und
Menander sich nennenden Secten den christlichen Charakter, wenn nicht
gar die geschichtliche Existenz, abspricht.
3) Vgl. die Belege bei Uhlhorn, Homil. u. Recogn., S. 290ff. Aus
. der meines Wissens neuesten Schrift über den Gegenstand: De Simonis
magi vita atque doctrina (Charlottenburg 1868, 4°), ist wenig zu
lernen.
4) Vgl. besonders Iren. I, 23, 2; 24, 1; 27, 1; II, praef.; III, praef.
u. 4, 3; IV, 33, 3.
989
tianischen Briefe bezieht sich auch die bekannte Nachricht
Hegesipps über das Eingreifen der Häresie ins Leben der
Kirche. Zwar schon in die Zeit nach dem Tode des Jakobus
. verlegt er die ersten versteckten Versuche der Häresie, in die
Kirche Palästinas oder Jerusalems einzudringen (Bus. IV,
22, 4 sq.).. Damit steht aber nicht im Widerspruch, was wir
nur durch das Medium einer Umschreibung Eusebs von Hegesipp
erfahren (III, 37, 7 sq.), dass erst nach dem Tode der letzten
Apostel und Ohrenzeugen der Predigt Jesu, deren letzter
Simeon von Jerusalem war, die bis dahin mehr im Finstern
schleichenden und noch schüchternen Angriffe der Irrlehrer
auf die Kirche offen hervorgetreten seien. Ist nun Simeon
wenige Jahre vor Ignatius gestorben (vgl. oben 8. 57f.), so
ist die Bereisung der kleinasiatischen Gemeinden durch die
von Ignatius bestrittenen Irrlehrer ein trefflicher Beleg für
die Richtigkeit der allgemeinen Schilderung Hegesipps. Die-
selbe ist zunächst vom Standpunct der palästinensischen Kirche
an die Nachricht von Simeons Tod angeknüpft. Dadurch ist
aber nicht ausgeschlossen, dass anderwärts, wo die auf Augen-
und Ohrenzeugenschaft gegründete Verkündigung von Christus
schon früher ihren letzten Träger verloren hatte, auch schon
früher die Irrlehrer mit ‚gleicher Kühnheit auftraten. Cerinth
ist sogar noch zu des Johannes Lebzeiten in Kleinasien als
Irrlehrer bekannt gewesen; denn Polykarps Erzählung von '
einer Begegnung des Johannes mit ihm, für welche sich
Irenäus (III, 3, 4) auf mehrere Zeugen berufen kann, ist un-
anfechtbar, und kann am wenigsten dadurch verdächtigt wer-
den, dass man sich in späteren Jahrhunderten ziemlich das
Gleiche von „Ebjon“ erzählte !).
Bei dem Versuch, die Irrlehrer der ignatianischen Briefe
in der Geschichte der Häresie unterzubringen, findet man
leicht, dass eine völlig congruente Erscheinung in der Zeit
1) Wie fest dem Irenäus die der Erzählung zu Gründe liegende
chronologische Vorstellung steht, zeigt seine sonderbare Meinung, dass
Johannes sein Evangelium mit polemischer Beziehung auf Cerinths Lehre
geschrieben habe (Iren. IH, 11, 1).
390
vor Valentin nicht nachzuweisen ist, aber noch viel weniger
in der folgenden Zeit. Zwar haben nach dem Vorgang des
Salmasius !) und des Dalläus (p. 262. 265. 293 sqq.) auch
in neuerer Zeit noch Bunsen (11, 68) und Cureton ἢ) in
Mgn. 8 (vgl. oben S. 382f.) eine direct gegen Valentin ge-
richtete Polemik finden wollen. Hat man aber erst erkannt,
dass Ignatius es überhaupt nur mit der einen häretischen
Partei zu thun hat, die damals in Kleinasien Eingang suchte,
und dass jenes angeblich antivalentinianische Wort mitten in
einer Polemik gegen deren Judaismus steht, so bedarf man
kaum noch der Erinnerung; dass Ignatius oder vielmehr
Pseudoignatius die Lehre Valentins sehr ungenau gekannt
haben müsste, wenn er ihm ein Hervorgehn des Logos aus
der Sige nachgesagt hätte. Nach allen beachtenswerthen
Nachrichten über die Lehre Valentins und seiner Schüler ist
der λύγος durch eine ganze Syzygie von der σιγή getrennt’)
und durch seine Unkenntnis des βυϑός tief unter das männ-
liche Product der ersten Syzygie, den νοῦς oder μονογενής
gestellt. Wenn also wirklich Ignatius hier dem λόγος
genau dieselbe Stelle anwiese, welche im valentinianischen
System der μονογενής einnimmt (so Hilgf., S. 246), so müsste
er von der Lehre, die er bestreitet, nichts wissen. Es ist
ferner mit Unrecht behauptet worden, dass Valentin allein
- oder zuerst einen Aeon σιγή eingeführt habe °). Irenäus er-
innert gerade da an den Zusammenhang der valentinianischen
1) Apparatus ad libr. de papatu (I,ugd. Bat. 1645), p. 59.
2) Introd. LXIsq. und p. 329. Auch Hilgenfeld, S. 246f. Eine
Verbesserung dieses schon im 17. Jahrhundert mit den damaligen Mitteln
gründlich widerlegten Einfalls (Voss, ep. ad Riv., p. 4sq. 18sq.; Pears.
ΤΠ, 33—-73) ist es auch nicht, wenn Merx p. 7sq. an die Stelle der
valentinianischen Schule den yagen Begriff der gnostischen Doketen
setzt.
3) Iren. I, 1, 1. 11, 1 (12, 2). Tert. adv. Valent. 7. Hippol. ref.
VI, 29. Ganz vereinzelt steht die unklare Angabe bei Cyrill. catech.
VL 17, p. 97 8ᾳ. ed. Touttee.
4) Iren. I, 2, 1; II, 17, 8sq. 28, 5.
5) Vgl. dagegen besonders Denzinger, ὃ. 15 ff.
391
Lehre mit ‘den älteren Systemen, wo er Valentins 'eigene
Lehre von der Ogdoas entwickelt!. Wenn er ferner
(I, 1, 1) ἔννοια, χάρις und σιγή für gleichbedeutende Namen
desselben valentinianischen Aeons erklärt, und andrerseits so-
wohl Simon und Menander (I, 23, 2. 5), als auch anderen
nächstverwandten Häretikern (I, 29, 1; 30, 1), welche er
für Vorgänger Valentins hält (I, 30, 15), als erste Emanation
des obersten Prineips eine ἔννοια zuschreibt, so muss Valentin
gerade in diesem Punct nicht original sein?. Es mag
Simons ἀπόφασις μεγάλη jünger als Valentin sein 3); wenn
aber nach dieser Schrift der simonianischen Secte die σιγή
die Wurzel ist, aus welcher die beiden Schösslinge, der γνοὺς
τῶν ὅλων und die ἐπίνοια (= ἔννοια) μεγάλη, hervorgehn ἢ),
so ist die Verwandtschaft mit der ersten valentinianischen
Tetraktys deutlich und zugleich erwiesen, dass in gnostischen
Lehrgebilden, welche jedenfalls nicht von Valeatin’s Schule
abhängen, die σιγή eine hervorragende Stelle einnahm. Von
einer Bekämpfung der simonianischen Lehre durch Ignatius
kann erst recht keine Rede sein; denn judaistisch war diese
keineswegs; auch ist gerade von ihr eine speculative Ver-
wendung des Logosbegrifis, wie sie Ighatius bekämpft, nicht
— -- ——
1) I, 11, 1; of. II, 13, 8. In Bezug auf das Verhältnis des μονο-
γενής zum λύγος III, 11, 1. Vgl. auch Nitzsch, Dogmengeschichte I,
5. 821,
2) Hippol. refut. VI, 20 extr. versucht die meisten Glieder der
valentinianischen Ogdoas auf die entsprechenden ‚Wurzeln “ des Simon
zurückzuführen.
3) Ein ziemlich hohes Alter müsste man annehmen, wenn eine von
Irenäus benutzte Schrift sie schon citirt hätte. Aber diese Annahme
stützt Lipsius (Quellenkritik des Epiphanius, S. 76f.) auf eine unglück-
liche Conjectur. Das „habent quoque et vocabulum a principe “ Iren.
I, 23, 4 ist eine ganz gewöhnliche Uebersetzung von ἔχουσι δὲ καὶ
ὄνομα x. τ. 4. und wird erklärt dureh „vocati Simoniani “. Was letztere
Notiz im anderen Fall bedeuten sollte, und wie ein Uebersetzer darauf
gekommen sein sollte, ἀπόφασις durch vocabulum zu übersetzen, müsste
wenigstens erklärt werden.
4) Hippol. tef. VI, 18; cf. Eus. theol. ecci., p. 114C und meine
Schrift über Marcellus, 8. 138, Anm. 1.
992
bezeugt. Aber wer will sagen, wann zuerst eine häretische
Speculation des Logosnamens sich bemächtigt hat! Schon
dem Cerinth und seinen Zeitgenossen sagt jedenfalls Irenäus
(II, 11, 1) dies nach, und die sozusagen grammatische
Ideenassociation, welche die Gegner des Ignatius von dem
Namen λύγος auf eine vorangehende σιγή schliessen liess, ist
untrügliches Merkmal einer allereinfachsten Reflexion, welche
älter sein wird, als alle diejenigen Systeme, welche dem
Logosbegriff eine Stelle einräumen und von einer σιγή wissen,
aber keinen Zusammenhang mehr zwischen Reden und
Schweigen Gottes erkennen lassen.
Bestimmteren Anhalt zu einer Vergleichung mit anderen
zeitlich nächstliegenden Erscheinungen, als die in einer
einzigen Zeile gegebene Andeutung einer Logosspeculation
der von Ignatius bestrittenen Häretiker, bietet ihre doketische
Christologie. Schon die beiden ersten Briefe des Johannes
warnen vor Irrlehrern, welche leugnen, dass Christus in
menschlicher Natur in der Welt erschienen sei (1Joh. 4, 1f.
2Joh. 7). Die angeführten Worte würden auf unsere Irr-
lehrer passen, und Polykarp dachte, indem: er sie anführte
(c. 7), ohne Zweifel auch an diese Leute. Ist jedoch. oben
(S. 384f.) der Doketismus derselben richtig aufgefasst, so ist
ihnen gerade diejenige Scheidung des überirdischen Christus
von dem geschichtlichen Jesus fremd, welche Johannes be-
kämpft. Sie leugnen die Realität dieser geschichtlichen Er-
scheinung überhaupt, während die johanneischen Irrlehrer
Jesus nur insofern verleugnen, als sie diese Person nicht mit
dem Christ, dem Sohn Gottes, identificiren wollen (1 Joh.
. 4, 3. 15; 5, 1. 5). Es scheint dies eher auf diejenige
Christologie zu führen, welche Irenäus dem Cerinth, aber ganz
ähnlich auch anderen Ungenannten zuschreibt ). Der Ver-
such, die ignatianischen Irrlehrer unmittelbar an Cerinth,
den judaistischen Gnostiker, anzuschliessen, scheitert daran,
1) Iren. I, 26, 1; cf. Hippol. ref. VII, 33. Iren. UI, 11, 1. 3. 7;
10, 4; 16, 1; ähnlich auch von den sogenannten Ophiten I, 30, 12—14.
393
dass Cerinth den Christus oder Christusgeist 1) nur in der
Zeit zwischen Taufe und Tod Jesu mit diesem Menschen ver-
bunden sein lässt und, weit entfernt davon, die Realität der
Erlebnisse Jesu zu leugnen, ihn sogar für einen Josephssohn
erklärt 2. Doketisch im allgemeinen Sinn ist die Christo-
logie aller Gnostiker, mit am wenigsten die der unbedeuten-
den Secte unter dem Namen Doketen, welche Serapion von
Antiochien (Eus. h. 6. VI, 12) und Clemens (strom. VII,
Ρ. 900 Pott.) erwähnen, und von denen Hippolytus (refut.
VII, 11), ohne ibren Namen zu erklären, sagt, dass sie selbst
ihn sich gaben. Ihr Christus hat Alles erlebt, was die
Evangelien von ihm berichten, aber in der Taufe hat er sich
einen zweiten ätherischen Leib geschaffen, damit er nach der
Kreuzigung des früheren Leibes nicht leiblos sei. Doketisch
im Sinn einer Leugnung der Realität des irdischen Lebens
und des Leidens Jesu ist nur die Christologie Saturnins,
Mareions und der Ungenannten, welche Irenäus eben nur
hierdurch charakterisirt. Es. kommen, soviel ich weiss, abge-
sehen von den Nachrichten über Saturnin, bei Irenäus nur
vier Stellen in Betracht. Nach kurzer Beschreibung der
Lehre von Jesus als blossem receptaculum Christi und vor
Anführung der Valentinianer sagt er (III, 16, 1): alii vero
putative eum passum,, naturaliter impassibilem existentem.
Auffallend ist es schon, dass er gerade die Lehre vom Leiden
Christi hervorhebt, während er von Saturnin ganz allgemein
berichtet: salvatorem . . . putative visum hominem (1, 24, 2). .
Nachdem er von denjenigen gesprochen, welche Christum vor
dem Leiden Jesu von diesem davonfliegen lassen, und welche
demgemäss auch die Märtyrer verachten ὃ, fährt er fort
(III, 18, 6): hoc autem idem et illis occurrit, qui dicunt eum
putative passum. Sie nehmen dadurch, wie es weiter
heisst, nicht bloss dem Leiden Christi alle Verdienstlichkeit,
sondern machen auch die Christen, welche sich auf Christi
1) Vgl. Nitzsch, Dogmengeschichte 1, 68.
2) Iren. I, 26, 1; cf. III, 19, 1.
3) III, 18, 5; cf. Ign. Sm. 5; Sm. 4; Tr. 10.
894
Geheiss dem Leiden unterziehen, zu betrogenen Schwärmer.
Wieder .also haben, wir die ignatianische Benennung einer
Irrlebre, über welche Irenäus sonst nichts zu sagen weiss als
dies τὸ δοκεῖν αὐτὸν πεπονϑέναι, diesmal überdies in einer
Gedankenverbindung, welche an zweien von den drei Stellen,
wo Ignatius jenes ro δοκεῖν gebraucht (Tr. 10; Sm. 4), sehr
ähulich zu lesen ist, und ausserdem noch einmal in der Be-
᾿ streitung derselben Irrlehrer von ihm berührt wird (Sm. 5).
An die dritte Stelle, wo Ignatius den Satz τὸ doxeiv" αὐτὸν
πεπονϑέναι geisselt (Sm. 2), erinnert wiederum aufs deut-
lichste die dritte Stelle, wo Irenäus nach einer fast voll-
ständigen Aufzäblung aller Häresien ?) schliesslich auch den-
jenigen, qui putativum indueunt (Christam), das Grericht
Christi andıokt (IV, 33, 5). Nach Aufdeckung des Selbst-
widerspruchs, der darin liegt, von einem solchen Christus .
eine sichere Erkenntnis haben zu wollen und Heil zu er-
warten, schliesst er: Putativum est igitur et non veritas
omne apud eos, et nunc jam quaeretur, ne forte, quam et
ipsi homines non sint, sed muta animalia, hominum umbras
apud plurimos perferant?.. Nimmt man die Anspielung
an andere Worte des Ignatius hinzu 3), so ist die Herkunft
des Gedankens aus Ignatius und besonders aus Sm. 2 offenbar.
Namenlos stehen dieselben Häretiker V, 1, 2 an der Spitze
einer ähnlichen Aufzählung, wie die, deren Schluss sie
IV, 33, 5 bilden. Es ist nämlich von selbst klar, dass hier
($ 2 in.) nicht von den nachher (8 2 fin.) genannten Valen-
tinianern die Rede ist. Irenäus kommt auf die Valentinianer
erst vermittelst des Satzes: ἀπεδείξαμεν δὲ, ὅτε τὸ αὐτό ἐστιν,
1) Es gehen voran die Marcioniten, Valentinianer, Gnostiker über-
haupt und Ebjoniten, es folgen die Pseudopropheten und Schis-
matiker.
2) Der Schluss ist undeutlich. Ist perferre Uebersetzung von negı-
φέρειν Vgl. oben S. 359.
3) Die ϑηρέα͵ ἀνϑρωπόμορφα Bın. 4 liegen sehr nahe, aber auch
die xuves ... .„ λαϑροδῆκται Eph. 7. Sie bellen nicht, ehe sie beissen,
sind also muta animalia.
395
δοχήσει λέγειν΄ πεφηνέναι (was kein Valentinianer lehrte), καὶ
οὐδὲν ἐκ τῆς Παρίας εἰληφέναι (was valentinianische Lehre ist) ’).
Auch Letzteres heisse, Christo wirklichen Besitz von Fleisch
und Blut absprechen. Somit treffe auch die Valentinfaner
das Urtheil, dass sie „eitel“ sind. Die Abfertigung aber
jener Namenlosen ist abermals nichts Anderes als Reproduction ,
eigenthümlicher Gedanken des Ignatius. Das Unterscheidende
der neutestamentlichen Offenbarung Christi von derjenigen,
welche Abralam und die Propheten empfangen haben, sei
gerade die leibhaftige Parusie, auf welche man im anderen
Fall als eine noch zukünftige warten müsste (cf. Phil. 9;
ef, Mgn. 8; Sm. 7). Irenäus hat bekanntlich sehr viele Schrif-
ten früherer christlicher Schriftsteller benutzt, ohne sie zu
nennen, und hat aus dem Römerbrief des Ignatius, ohne ihn
namentlich zu citiren, eine Stelle angeführt ἢ. Dann bedarf
meine Behauptung keiner weiteren Begründung mehr, dass: er
seine sonderbare Kenntnis der Lehre vom putativen Leiden
Christi seiner Lectüre der ignatianischen Briefe, besonders des
Smyrnäerbriefs, verdankt.
So scheint denn von „den Doketen des 2. und 3. Jahr-
hunderts‘“, welche Ignatius bekämpft haben soll (Buns. Il, 75),
kein Andrer übrigzubleiben, als Saturnin, der Zeitgenosse und
Mitbürger des Ignatius, welcher, wenn wir irgend zuverlässig
berichtet sind 8), allerdings einen Doketismus lehrte, der nichts
zu wünschen übrig liess. Auf seine Lehre würde jedes in dieser
Richtung geschriebene Wort des Ignatius passen. Ehen da,
wo wir eine gaschichtliche Continuität der gnostischen Lehr-
entwicklung einigermassen zuverlässig nachweisen können, auf
dem Wege, welchen die Namen Saturnin, Basilides, Valentin,
Ptolemäus und Herakleon bezeichnen, sehen wir die Gmnosis
—- [no
1) Iren. I, 6, 1. 7, 2; ef. IH, 11, 8. Philastr. baer. 38. Epiph.
haer. 31, 7.
2) Nachdem Pears. I, 83sq. des Dalläus (p. 267) Beanstandung
dieses Citats überreichlich gegeisselt hat, ist pichts Ernsthaftes mehr
dagegen bemerkt worden.
3) Iren. I, 24, 2. Hipp. ref. VII, 28. Epiph. haer. 23, 1,
396
in dem Mass, als sie sich von ihrer orientalischen Heimat
entfernt, darauf bedacht, der geschichtlichen Erscheinung
Christi mehr gerecht zu werden. fs ist das eine Con-
cession der auf dem Boden Syriens und Palästina’s erwach-
senen Geheimweishert an den abendländischen Geschmack.
Ihre älteste Christologie ist schroffster Doketismus. Wenn
der alten Tradition, welche die Namen Simon, Menander, Sa-
turnin eine Kette bilden lässt, etwas Geschichtliches zu Grunde
liegt, so wird gerade der allmählig sich ermässigende Doke-
'tismus der Gnosis auf diesem Wege sich eingeführt haben.
Die Einmündung der ursprünglich ausserchristlichen simonia-
nischen Lehre in christliche Gedankenkreise ist damit be-
zeichnet, (ass „Simon“ nicht ınehr, wie anfangs, sich selbst
mit Ausschluss. der Person Jesu für den Christ und zugleich
für die oberste Macht 1) ausgibt, sondern dem geschichtlichen
Christus eine Stelle einräumt, indem er den Juden als Sohn,
den Samaritern als Vater, den Heiden als heiliger Geist er-
schienen sein will?2). Damit ist aber auch sofort der voll-
kommenste Doketismus gegeben 8). Somit wird diese Vor-
stellung von Christus nicht eine Erfindung Saturnins sein,
welche von den ihm folgenden Schulen sofort wieder aufge-
geben wäre, sondern vielmehr ein Gemeingut jener älteren
gnostischen Lehrbildungen. Deren Hauptheerd ‚war Syrien und
Antiochien, und die Zeit ihrer productiven und aggressiven
Kraft muss zwischen 90 und 120 liegen. Anhänger Saturnins
können die ignatianischen Irrlehrer freilich nicht gewesen
sein; denn wiewohl dieser eine noch viel .freundlichere Stellung
zum Judenthum und zum Alten Testament einnahm, als
1) Clem. hom. H, 22 u. XVII, 6. 7. 12; recogn. I, 72 u. 11, 7. 12.
Hippol. ref. VI, 9. .
2) Iren. I, 23, 1. Vgl. Uhlhorn (Homil. u. Recogn., S. 296), dem
ich nur nicht beistimmen könnte, wenn er, wie es scheint (ὃ, 293) den
Uebertritt dieser Lehre auf christlichen Boden erst nach Justin voll-
zogen denkt. Aber zu dessen Zeit hiessen die Simonianer sogut wie die
Marcioniten Christen. S. oben 8. 388, Anın. 2.
3) Hippol. ref, VI, 19. Tertull. de anima 54.
897
seine Nachfolger 1), so ist doch weder bezeugt noch denk-
bar 3), dass seine Schule auch nur partielle Beobachtung des
Ceremonialgesetzes sollte gefordert haben. Andrerseits kennen
wir keine judaistisch-gnostische Partei, welche in dem Mass
und Sinn wie Saturnin und die Irrlehrer des Ignatius doketisch-
gelehrt hätten. Am nächsten läge es, an diejenigen zu
denken, welche um 120 der segenannte Barnabas bestreitet.
Auch dies sind Judaisten, welche in heidenchristlichen Kreisen
die Verbindlichkeit des mosaischen Gesetzes zur Anerkennung
zu bringen suchen (Barn. 3, 6; 4, 6), besonders die Sabbaths-
feier (c. 15) und die Speiseverbote (c. 10), vielleicht auch die
Beschneidung (6. 9) fordern. Neben der Abwehr dieser
Forderungen stehen Warnungen vor gnostisch antinomistischen
und damit gegebenen separatistischen Neigungen (6. 4, 1. 9ff.;
19, 4; 2, 1). Aber diese Warnungen sind in ὁ. 2—4 der
Art mit der antijudaistischen Polemik gemischt oder vielmehr
verwachsen und im ganzen Brief wird der Hochschätzung des
Ceremonialgesetzes nicht bloss der evangelische und weis-
sagende Charakter des Alten Testaments, sondern auch das
darin enthaltene Sittengesetz in einer Weise entgegengesetzt,
das man der Annahme nicht ausweichen kann, dieselben
Leute sind Vertreter sowohl des Judaismus als der Gnosis,
und zwar einer nach dem Urtheil des Barnabas unsittlichen
Gnosis. Wenn schon Letzteres über die Angaben des Ignatius
hinausgeht (s. oben S. 367), so findet sich bei Barnabas keine
sichere Andeutung von christologischer hrlehre, geschweige
von Doketismus. Allerdings wird dort mit Nachdruck von
der Offenbarung des Sohnes Gottes im Fleisch . geredet
(e. 5—7; 12, 10); aber erstlich geschieht dies ohne äusser-
lich erkennbaren Zusammenhang mit der vorhin bestrittenen
Polemik, sodann wird nicht die Thatsächlichkeit, sondern die
1) Mit viel grösserem Recht hätte von Saturnin als von den älteren
Basilidianern gesagt werden können: Et Judaeos quidem jam non esse
dieunt, Christianos autem nondum. Iren. I, 24, 6.
2) Saturnin soll nach Iren. I, 24, 2 gelehrt haben: advenisse
Christum ad destructionem Judaeorum Dei et ad salutem credentium ei.
398
Nothwendigkeit der menschlichen Erscheinung und des Leidens
Christi betont. Seite Erscheinung im Fleisch wird gerecht-
fertigt gegenüber einer Verkennung der darin liegenden Her-
ablassung des Sohnes Gottes; und gegenüber der Meiuung,
dass Christus an sich selbst leidensfähig gewesen, wird der
Glaubenssatz aufgestellt, dass Gottes Sohn nicht hätte leiden
können, wenn er nicht um unsretwillen zu leiden gehabt hätte
(7, 2). Wenn also hier ein häretischer Gegensatz obwaltet,
so ist es gerade nicht, wie noch J. G. Müller (Barnabasbr.,
S. 11) meint, Doketismus, sondern eher eine gemein ebjoni-
tische Meinung, nach welcher Christus als gewöhnlicher
Mensch selbstverständlich leidensfähig war. Also auch bei
Barnabas finden wir keine vollständige Parallele zu der von
Ignatius gezeichneten Partei. Und doch muss sie existirt
haben; sonst würde Ignatius, mag er nun um 110 oder um
140 oder um 170 geschrieben haben, sie doch nicht als eine
ihm in ihren Vertretern persönlich und namentlich bekannte
Partei geschildert und so eifrig bestritten haben. Anstatt die
ignatianischen Briefe um ihrer antihäretischen Polemik
willen anzufechten und gegen ihre Aechtheit Gründe vorzu-
bringen, welche im besten Fall beweisen würden, dass sie
niemals geschrieben seien, sollte man sie als Quellen ersten
Ranges benutzen, wo _es gilt von der Entwickelung der
“ häretischen Lehrbildungen zur Zeit Trajans eine Vorstellung
zu gewinnen. Hier haben wir ein nach dem Leben ge-
zeichnetes Bild im geographischem und chronologischem
Rahmen, hier eine Urkunde aus der dunkeln Epoche, über
welche uns nur wenige undeutliche Worte Hegesipps und
Justins und weiterhin nur sehr verschwommene Nachrichten
vom Ende des 2. Jahrhunderts Kunde: geben.
Neben den Häretikern, welche Ignatius bestreitet,
müssen schon nach seiner eigenen Andeutung (s. oben
S. 365f.), aber auch nach den vorhin durchmusterten späteren
Nachrichten die mannigfaltigsten häretischen Lehrbildungen
existirt ben. Wir haben über die ganze Breite der Ent-
wicklung gnostischer und judaistischer Ideen noch viel weniger
einen Ueberblick als über den Lauf ihres Hauptstroms. Aber
999
zwei geschichtliche Erkenntnisse, welche unabhängig von den
ignatianischen Briefen feststehn, werden durch sie unter Vor-
aussetzung ihrer Aechtheit bedeutsam bestätigt, dass nämlich
die ältesten Gestalten der Gnosis dem Judenchristenthum an-
gehören, und dass die Gnosis, je älter, um so doketischer
über Christus gedacht hat.
-- ._—— — 000
IV.
Die Persönlichkeit und die Denkweise
des Ignatius.
I. Der Mensch und Märtyrer.
Die ignatianischen Briefe sind mehr, als irgend welche‘
Reliquien des kirchlichen Alterthums bis zu Gregor von Nazianz
oder Basilius, Hieronymus oder Augustin hin, der treue Ab-
druck einer eigenthümlich angelegten und entwickelten Persön-
lichkeit, hierin wie keine anderen den paulinischen Briefen und
. nur diesen vergleichbar '.. Das Bild dieses Charakters zu
zeichnen, ist trotzdem schwierig genug. Es fehlt uns jede
deutliche Vorstellung des Hintergrunds, von dem er sich ab-
hebt, wie sie nur gleichlaufende Nachrichten über ihn und
seine Zeit uns geben könnten. Es fehlen uns ferner die
Urtheile der Zeitgenossen über ihn und über die von ihm
ausgegangene Wirkung. Polykarps Brief ist da, wo er ihn
erwähnt (c. 1. 9. 13) nur Ausdruck seiner Bewunderung für
den Märtyrer; und Alles, was wir über sein Verhältnis zu der
1) Wenn er es so gemeint hat, hat Theodor von Studium mit Recht
von Ignatius gesungen: ἐπιστολαὶς σου Παῦλος ἄλλος τις πέλεις (Opp.
Sirmondi V, 766).
| | 401
eigenen Gemeinde wie über sein Auftreten in den klein-
asiatischen aus seinen eigenen Briefen erkennen, lässt nur den
| allgemeinen Eindruck einer bedeutenden und für Gleichge-
sinnte anziehenden Persönlichkeit zurück. Wie ungewöhnlich
der Mann gewesen sein mag, die Lage, aus welcher heraus
er binnen weniger Tage schreibt, was wir von ihm besitzen,
ist zu ausserordentlich, als dass wir ohne weiteres diejenige
Stimmung, welche das Ziel seiner Reise seinen Briefen gleich-
- mässig mittheilt, für die herrschende Stimmung seiner Seele,
und diejenigen Schwankungen, welche die mannigfaltigen und
aufregenden Erlebnisse jener Tage bewirken, für den Puls-
schlag seines Lebens halten dürften. Wir müssten mehr von
ihm wissen und vor allem ihn als Bischof seiner Gemeinde
in friedlichen Zeiten kennen, um so rohe Urtheile in Kürze
widerlegen zu können, wie sie über ihn gerade von Leuten
gefällt worden sind, denen ebensosehr das philologische Ver-
ständnis seiner Briefe als der Sinn für das Grösste in der
Geschichte, für die Persönlichkeit und vollends für die heroische
Persönlichkeit eines christlichen Märtyrers abging.
Dass Ignatius ein lateinischer Name ist (s. oben $. 28),
sagt uns über die Herkunft seines Trägers ebensowenig, als
die Namen Crispus, Justus, Capellus, Marcus bei palästinen-
sischen Juden des 1. Jahrhunderts. Seine Sprache zeigt im
Vergleich zu der des Polykarp, des Clemens und des Barnabas
einen Ueberschuss von ungriechischen, besonders auch semitisch
gefärbten Redewendungen und Ausdrücken, welcher bei einem
so originellen Geist, wie es Ignatius auf alle Fälle ist, am
wenigsten aus stärkerer Beeinflussung durch die biblischen
Schriften erklärt werden kann, sondern vielmehr auf syrische
Abkunft hinweist (s. Anh. II, 12).
Eine für uns verständliche Hinweisung auf sein früheres
Leben findet man bei Ignatius nicht. Es sollte wenigstens
nicht mehr der Widerlegung bedürfen, dass Ignatius vorgebe, den
auferstandenen Christus in leibhaftiger Erscheinung noch ge-
sehn zu haben ἢ). Er sagt an der so misverstandenen Stelle
ἢ
1) Wenn man bei Merx p. 5 liest: „addit Trall. 5. Christum vere
Zahn, Ignatius. 26
402
(Sm. 3) nur, er wisse und glaube, dass Christus auch nach
der Auferstehung im Fleisch lebe. Auch persönliche Be-
kanntschaft mit irgend einem Apostel ist an keiner der
Stellen angedeutet, wo er die Apostel oder Einzelne von
ihnen erwähnt (Eph. 11. 12; Tr. 3.7; Mgn. 7. 13; Rom. 4;
Phil. 5). Ja er bezeichnet es Eph. 11, wenn man der
Mehrzahl der Zeugen folgt, als einen charakteristischen Vor-
zug der Epheser, dessen er entbehrt, dass sie beständig mit
den Aposteln Umgang gehabt haben '). Es fehlt bei Ignatius
auch jede leiseste Andeutung davon, wie man sie bei Polykarp
finden kann ?), dass er noch aus apostolischem Mund die
Predigt gehört habe. Den Johannes, zu dessen Schüler den
Ignatius hauptsächlich die Nachlässigkeit des Hieronymus ge-
macht hat (s. oben S. 46ff.), erwähnt Ignatius gar nicht, und
dass ex nicht, wie das m. colb. dichtet, ein Mitschüler Poly-
karps gewesen ist, beweist der Brief an diesen vom ersten
Satz an. Dahingegen scheint Ignatius erst ziemlich spät
edisse ac bibisse ... . immo ab ipso scriptore post resurrectionem visum
esse ac creditum Sm. 3“, so erinnert das Jeden, der sich um die älteren
Arbeiten bekümmert hat, an die Art des Dalläus, der es fertig brachte, nach-
dem Ussher über die Stelle geschrieben und der mediceische Text längst
bekannt geworden, den Fehler des Li durch die praecellens Hieronymi
eruditio zu schützen (Dall., p. 360 sqq.). Durch die Uebereinstimmung
von ΟἹ G2 1,2 (novi) A, Eus. III, 36, 11 (nach allen Zeugen mit Ein-
fiass Rufins und der syrischen Ucbersetzung Cur. 203, 29), Theodoret (ed.
Schulze) ist der Text unzweifelhaft: ἐγὼ γὰρ χαὶ usra τὴν ἀνάστασιν
ἐν σαρκχὶ αἰτὸν οἶδα καὶ πιστεύω ὄντα. Vielleicht ist das vidi 1,1 nicht
ohne Einfluss des vielgelesenen Hieronymus entstanden, der auch an dieser
Stelle seiner Bearbeitung des eusebianischen Textes (catal. 16) zeigt,
was in Sachen des Ignatius von seiner „eruditio‘“ zu halten sei.
1) Eph. 11 lesen A 62 1,3 οὐ χαὶ τοῖς ἀποστόλοις πάντοτε συνῆ-
σαν (ΟἹ Li συνήνεφαν) ἐν δυνάμει ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ.
2) Beweisen kann man es nicht, dass οὗ εὐαγγελισάώμενοι ἡμᾶς
ἀπόστολοι Pol. 6 dies besagt, aber der Unterschied des Ausdrucks von
den ignatianischen Stellen ist beachtenswerth. Von Paulus redet auch
Polykarp als dem Lehrer einer früheren Generation (c. 3. 4), welcher die
Gründung der Gemeinde von Smyrna und Polykarps Bekehrung nicht
mehr erlebt hat (c. 11).
408
nach einem sehr unchristlichen Leben, Glied der antiochenischen
Gemeinde geworden zu sein und wird schon deshalb kaum
noch Gelegenheit gehabt haben, einen Apostel zu hören.
Fünfmal kehrt der Gedanke wieder, dass er von den antioche-
nischen Christen der Geringste, ja nicht werth sei, zu ihnen
gezählt zu werden (Eph. 21; Mgn. 14; Tr.. 13; Rom. 9;
Sm. 11). Im Wortlaut ist es jedenfalls nicht begründet,
wenn Smith (schol., p. 66) dabei an die bischöfliche Würde
denkt, deren sich Ignatius unwerth gefühlt habe. Es handelt
sich vielmehr um eine Zugehörigkeit zu den „Gläubigen “
in Antiochien (Eph. 21), welche er der von menschlichem
Verdienst unabhängigen Gnade Gottes verdankt, und deren
völlige Auswirkung er jetzt durch das Martyrium zu erlangen
hofft . Die Ausdrücke für diesen Gedanken sind grossen
Theils aus 1 Kor. 15, 8—10; vgl. 7, 25 entlehnt 2). Aber
es ist nicht einzusehn, warum Ignatius nicht auf Grund einer
ähnlichen Vergangenheit so geschrieben haben sollte, wie die
war, welche den Apostel bestimmte, von sich in seinem Ver-
hältnis zu den andern Aposteln so zu reden. Weil die An-
spielung an das bekannte paulinische Wort jedem christlichen
Leser verständlich war, wird auch Jeder, der sonst nichts von
Ignatius wusste, daraus herausgelesen haben, dass Ignatius
1) Vgl. besonders Sm. 11: οὐκ ὧν ἄξιος &xeidev εἶναι, ἔσχατος
αὐτῶν ὦν, χατὰ ϑέλημα δὲ χατηξιώϑην, οὐχ ἐκ συνειδότος, εἐλλ᾽ ἐκ
χάριτος ϑεοῦ, ἣν εὔχομαι τελείαν μοι δοϑῆναι, ἵνα ἐν τῇ προςευχῇ
ὑμῶν ϑεοῦ ἐπιτύχω. Dressels Aenderung von ὧν in ὧν nach cod. Cas,,
während cod. Med. nach Voss ὧν accentuirt hat, und die dadurch ge-
botene Verbindung mit κατηξιώϑην empfiehlt sich in keiner Weise. Viel-
mehr ist ὧν bei ἔσχατος αὐτῶν, was ja nicht pleonastische Apposition
zum Vorigen, sondern Argument dafür ist, gar nicht zu entbehren. Das
richtige Verständnis hat auch G2 bewahrt, wenn man mit ἢ L? das δέ
hinter xare, welches abov weglassen, für ursprüngliche Lesart hält.
Aueh in G?2 ist das erklärende ϑεοῦ (a) oder τοῦ ϑδοῦ (n; Dei L2) erst
nachträgliche Glosse, denn bov bewahren den ursprünglichen Text
von Gi.
2) Rom. 9: ἐγω δὲ αἰσχύνομαι ἐξ αὐτῶν λέγεσϑαι, οὐδὲ γὰρ ἄξιός
εἰμι, ὧν ἔσχατος αὐτῶν καὶ ἔχτρωμα. ᾿4λλ᾽ ἠλέημαί τις εἶναι, ἐὰν ϑεοῦ
ἐπιτύχω.
26*
404
. nach einem” Leben in Feindschaft gegen Christus und die
Kirche zu einem Bekenner des Christenglaubens geworden
war. Eine leidenschaftliche Seele wie die seinige konnte nur
aus dem Hass zur Liebe geführt werden, und wer den Roman
seines Lebens schreiben wollte, müsste die Geschichte einer
jener „gebrochenen Naturen‘ nachdichten, aus. welchen Gott
seine Helden formt. |
Ein persönliches Schicksal ist es, das ihn mit den Chri-
sten Kleinasiens zusammenführt und seinen brieflichen Ver-
kehr mit ihnen veranlasst. Ob bei der Verfolgung in An-
tiochien Blut geflossen ist, wissen wir nicht; aber jedenfalls
ist Ignatius der Einzige, der damals von dort nach Rom
transportirt wird, und als ein durch Stellung und Persönlich-
keit ausgezeichneter Märtyrer erregt er die Theilnahme der
im Frieden lebenden Gemeinden. Daher ist es natürlich, dass
er in allen Briefen von sich und seinem Martyrium redet.
In dem an die Römer redet er fast von nichts Anderem. In
der eigenthümlichen Veranlassung dieses Briefs (8. oben $. 247 ff.)
ist es auch begründet, dass er hier, wie in keinem anderen, die
Freudigkeit bezeugt, mit welcher er seinem Tod entgegengeht.
Obwohl er nicht verschweigt, wie zugänglich er der Ver-
suchung zu andrer Stimmung noch ist; diesen Lesern gegen-
über, welche glauben mochten, ihm eine Liebe zu erweisen,
wenn sie die Vollstreckung seines Urtheils zu hindern suchten,
galt es vor allem zu bezeugen, dass sie damit seine wahre
Meinung gerade verfehlen würden. Sollte aber seine todes-
freudige Gesinnung auf die andersartige Denkweise der Römer
einen bestimmenden Einfluss üben, so genügte es nicht, ruhig
zu sagen: „Willig sterbe ich für Gott“ (c. 4). Auch ohne
alle Reflexion über den Ton, welcher dem Zweck seines
Schreibens entspreche, musste sich sein Entschluss an dem
Widerstand, den er voraussetzt, zur Begeisterung steigern und
in Worten sich Luft machen, welche allen Zweifel an der
Ernstlichkeit seines Willens ausschlossen. Die äussere Frei-
heit, die Römer um ihre Intercession zu bitten, gab ihm ein
Recht, Glauben zu fordern, wenn er alle Lust zu den Freuden
des irdischen Lebens ableugnete und nur eine Sehnsucht nach
40ὅ
vollkommener Vereinigung mit Christus aussprach, welche
ihm alle Schrecken des Todes gering erscheinen liess, und
dann auch Gehorsam zu fordern, wenn er sie beschwört, ihm
nichts in den Weg zu legen (c. 7; Anh. I, 14). Das leiden-
schaftliche Verlangen nach dem Tod — denn so dürfen wir
nach seinen eigenen Worten es nennen — ist nach ge-
nauerem Ausdruck ein Verlangen nach dem Leben, zu welchem
der Tod ihm den Eingang Öffnet. Wie es seine Reise von
Ost nach West nahelegte, vergleicht er seinen Tod mit dem
Untergang der Sonne, welchem ein herrlicherer Wiederaufgang
folgt; nur ist. dieser von jenem nicht durch eine Nacht ge-
trennt, sondern der Untergang von dieser Welt ist selbst
schon, weil Untergang in Gott, auch Aufgang zu einem neuen
nur noch Gott zugewandten Leben (c. 2). Das christliche
Bewusstsein von der mit dem Sein in dieser Welt gegebenen
Unvollkommenheit, Gebundenheit und Unsicherheit des dies-
seitigen Christenstands im Gegensatz zum völligeren und
sicheren Besitz des höchsten Guts im Jenseits kommt bei
Ignatius zu mannigfaltigem Ausdruck. Als ob er Gott und
Christus noch nicht 'besässe, bezeichnet er unendlich oft das
durch den Tod zu erreichende Ziel als ἐπιτυχεῖν τοῦ ϑεοῦ
oder Χριστοῦ. Im Streben nach dem Tod sucht er den für
uns Gestorbenen, begehrt er den für uns Auferstandenen
(Rom. 6). In Ausdrücken, welche an das Abendmahl er-
innern sollen, spricht er sein Verlangen nach .einer Gemein-
schaft mit dem auch jetzt noch leiblichen Leben Jesu aus,
wie sie diesseits nur vorübergehend und annähernd im Abend-
mahl zu finden ist (Rom. 7; 8. oben S. 348f.). Im Anschluss
an das paulinische ἀλλ᾽ οὐκ ἐν τούτῳ δεδικαίωμωι (1 Kor. 4, 4;
vgl. Gal. 5, 5) lehnt Ignatius es ab, dass er um der Unbilden
willen, die er erduldet, schon gerechtfertigt sei (Rom. 5).
Auch diejenige Rechtfertigung, welche auf den im Glauben
aufgenommenen Thatsachen der Erlösung beruht, erscheint
ihm als ein zukünftiges Gut, welches er mit der Seligkeit
zugleich unter der fürbittenden Beihülfe der Christen zu er-
langen hofft (Phil. 8). Allerdings ist er ein gottgeweihtes
Korn; aber nur die Bestimmung ist damit ausgedrückt; das
406.
Korn muss erst gemahlen und dadurch gereinigt werden, da-
mit ein reines, Gottes würdiges Brot daraus werde (Rom. 4;
8. oben ὃ. 339). Die tiefgewurzelte Furcht vor einem Schein
ohne Wesen, vor einem Namen ohne Sache, welche bei Igna-
tius noch viel stärker als bei Hermas hervortritt ἢ), ruft sehr
eigenthümliche Aeusserungen hervor. Selbst ein Christ möchte
er eigentlich dann erst "heissen, wenn durch die That be-
wiesen ist, dass er es ist, und wenn die Gefahr eines ‚Wider-
spruchs zwischen Namen und Person für ewig überwunden
ist. Wie überhaupt in der Welt der Sichtbarkeit nichts
wahrhaft gut ist, wie selbst Christus durch seinen Hingang
zu Gott noch eine Steigerung seiner Herrlichkeit erfahren hat,
so gilt auch von dem Christen, dass er erst dann, wenn er
dieser Welt nicht mehr angehört, wahrhaft ist, was er hier
nur anfängt und lernt zu sein, ein Christ, wie die Nicht-
christen sagen, „ein Gläubiger‘ oder „ein Jünger“, wie die
Christen sagen ἢ. Wenn die Römer schweigend von ihm ab-
'1) Vgl. besonders Rom. 3; Eph. 14. 15; Mgn. 4.
2) Rom. 3; Anh, I, 10. Das hier emphatisch gebrauchte nuoros
wird auch Eph. 21; Mgn. 5; Sm. 1 wenigstens nicht rein technisch im
Sinn eines nominellen Gliedes der christlichen Gemeinde gebraucht (vgl.
Hirt des Hermas, ἃ 186f.), sondern im Sinn des wahren Christen,
wie auch ἄπιστος nicht den Nichtchristen, sondern den Unchristen be-
zeichnet (Eph. 8; Mgn. 5; Tr. 10; Sm. 2. 5). Die Heiden heissen ἄϑεοι
(Tr. 3), ein Wort, welches nur katachrestisch auch auf die falschen
Christen angewandt wird (Tr. 10). — Μαϑητής bedeutet den wahren,
vollkommenen Christen (Eph. 1; Tr. 5; Pol. 7); allerdings sind alle
zum Christentbum Bekehrten eben damit Christi Jünger geworden
(Mgn. 10), wie es die Propheten schon waren (Mgn. 9); man kann
daher „gute Jünger“ von anderen Gemeindegliedern unterscheiden
(Pol. 2); aber diejenigen, welche geschichtlicher Weise den Namen μα-
ϑηταὶ τοῦ Χριστοῦ führen, sind so sehr Ideal der nachgeborenen Christen,
dass diese doch erst, wenn sie der Welt entrissen sind, „wahrhaft Jünger
Christi“ sind (Rom. 4) und im besten Fall „anfangen Jünger zu sein“
(Rom. 5; Eph. 3). Der Begriff schwankt zwischen der Vorstellung eines
μανϑάνων (Rom. 4 extr.; Mgn. 10, μαϑητευόμενος Eph.3.10) und der eines
μαϑών (= 13M5). — Χριστιανός ist der Name, womit die 'Christen
genannt werden (Mgn. 4; Rom. 3), Χρισειανισμός die christliche
Religion und ihre Bekenner als weltgeschichtliche Erscheinung im Gegen-
407
sehn, wird er ein Wort Gottes werden, während er wieder
ein verklingender Schall werden wird, wenn sie in fleisch-
‚licher Liebe zu ihm ein Wort für ihn einlegen (Rom. 2;
Anh: I, 9). Wie Gottes Wort ein wahrer Ausdruck des
Willens Gottes ist und ewig bleibt, so hofft auch Ignatius,
wenn er als Christ stirbt, einerseits zu ewigem Stand und
Wesen zu gelangen, und andrerseits ein wahrer Ausdruck des
göttlichen Willens, eine thatsächliche Verkündigung desselben
an die Menschen zu werden, während im anderen Fall sein
Leben ohne Gehalt und Bestand und bleibende Wirkung da-
hinschwindet. Er hofft überhaupt erst dann durch Gottes
Gnade etwas Wesentliches, der Rede Werthes zu werden,
wenn er sein Ziel erlangt (Rom. 9). Selbst ein Mensch wird
er erst dann wahrhaft sein, wenn er dort zum reinen Licht
gelangt ist (Rom. 6), während er diesseits nur eine, wahren
Lebens unfähige, Fehlgeburt ist. So wird ihm der Tod
zur Geburt, schmerzhaft für den irdischen Menschen, aber Vor-
aussetzung des Lebens des neuen Menschen, der ame Licht
der jenseitigen Welt kommen soll. Daan freilich ist jede
Hinderung seines Todes auch eine Hinderung seines Lebens
(Rom. 6; Anh. I, 13), eine Schädigung seines wahren, ihm
wohlbewussten Interesses (Rom. 5), eine Auflehnung gegen
Gottes Willen (Rom. 7. 8). ὁ
Fragen wir nach den Gründen der Gewissheit des Igna-
tius, dass der Märtyrertod für ihn der einzig mögliche, aber
auch der unbedingt gebotene Weg zur Seligkeit sei, dass
jedes Lebenwollen bei ihm sündliche Weltliebe, jede Ueber-
‘redung dazu eine teuflische Versuchung sei, so scheint er sich
auf einen jeder sittlichen Beurtheilung sich entziehenden
Standort zu erheben, wenn er sich Rom. 7 auf die inwendige
Stimme des Geistes beruft, welche ihm zuruft: „Hierher zum
Vater!“ In der That liegt in solchem inwendigen Zeugnis
die Voraussetzung alles christlichen Heldenthums und jeder
satz zur heidnischen Welt und dem Judenthum (Rom. 3; Mgn. 10;
Phil. 6). Eigenthümlich ist der Gebrauch des Ersteren ad Pol. 7.
1) Rom. 9; vgl. 1Kor. 15, 8 und dazu Hofmann, N. Test. IL|2, 353.
408
sicheren Entscheidung zwischen den Möglichkeiten, welche die
moralische Reflexion übrig lässt. Ignatius ist sich auch be-
wusst, hiermit von sich nichts Anderes auszusagen, als was
von jedem Christen unter gegebenen Verhältnissen gelten würde.
Die Behauptung, dass er sich als Bischof den Besitz des in-
spirirenden Geistes zuschreibe, entbehrt jeden Anhalts in
seinen Briefen. Es ist lediglich der Christ, welcher von einer
gelegentlichen Aeusserung hinterher erkannt hat, dass sie ein
Ausspruch des durch ihn weissagenden Geistes gewesen sei
(Phil. 7; s. oben S. 267 ff.). Selbstverständlich ist solche pro-
pbetische Rede eine Sache individueller Begabung, und
Mehreres weist. darauf hin, dass Ignatius ihrer nicht ganz
entbehrt. Von Gesichten und Offenbarungen, die ihm zu Theil
geworden, scheinen die Trallianer gehört und daher sehr
ausserurdentliche Mittheilungen von ihm erwartet zu haben.
Ignatius leugnet nicht, dass er auf Grund solcher Erlebnisse
von himmlischen -Dingen und Verhältnissen der Geisterwelt
reden könnte, aber er unterlässt es theils aus Rücksicht auf
die unentwickelte geistige Verfassung dieser Christen, theils
weil er den Schein fernhalten möchte, als ob er sich um
dieser Erlebnisse willen für einen sonderlich hochstehenden
Christen halte (Tr. 5; Anh. I, 26). Welcher Art seine Ein-
blicke in die jenseitige Welt gewesen, scheint er Sm. 6 an-
zudeuten, wo er von dem kühnen Satz, dass auch die Geister
und Engelfürsten, wenn sie nicht an das Blut Christi glauben,
dem Gericht verfallen werden, mit einem ὁ χωρῶν χωρείτω
abbiegt. Aber denselben Geist, welcher ihm Solches zu er-
kennen gibt, glaubt er in allen Christen wirksam (Sm. inser.
c. 1; Mgn. 14. 15; Eph. 9). Auch von den Römern er-
wartet er, dass ihnen Christus innerlich die Wahrheit seines
schriftlichen Zeugnisses offenbaren werde (Rom. 8), und hof
von Jedem, der Christus in sich trägt, dass er ihn verstehn
und mit ihm sympathisiren werde (Rom. 6). Aber allerdings
will Ignatius durch den Geist, welcher aller Christen Ge-
meingut ist, seiner besonderen Bestimmung zum Martyrium
gewiss geworden sein. Während andere Christen, die er sonst
über sich zu stellen geneigt ist, noch verschieden darüber
409
urtheilen mögen, „weiss er, was ihm zuträglich ist“
(Rom. 5). Es ist das ihm von Gott zugewiesene Loos
(Rom. 1; Tr. 12), auf diesem Weg zur Seligkeit zu gelangen ;
ja er weiss jetzt, dass es ihm von Anfang seines Christen-
standes an zugewiesen ist (Phil. 5) und wünscht, dass die in
seiner Berufung zum Christenstand wirksame Gnade sich in
seinem Martyrium an ihm vollende (Sm. 11); darum gilt ihm
Märtyrertod und Seligkeit gleich (Rom. 8; Tr. 12). Aber
gleich im Eingang des Römerbriefs ist deutlich, dass diese
seine Ueberzeugung nicht vom Himmel gefallen, sondern aus
seiner Lebensführung von ihm erkannt ist (Rom. 1; s. oben
$. 262). Das in Antiochien über ihn gefällte Urtheil gilt
ihm als Gottesurtheil.. Wie es zu seiner Verhaftung und
Verurtheilung gekommen ist, wissen wir nicht, und eben-
sowenig, wie er sich vor seinem Richter benommen hat. Wir
vermuthen ein tapferes Bekenntnis, aber es fehlt jedes Recht
zu der Annahme, dass er sich zum Martyrium gedrängt, oder
dass er auch nur vor dem Urtheil des Richters jene Gewiss-
heit über sein Schicksal gehabt habe. Wir hören ihn erst
reden, nachdem es längst gefällt war, und er auf einer lang-
wierigen Reise, unter der rauhen Behandlung seiner Wächter
und der bewundernden Theilnahme der Gemeinden sich in den
Gedanken eingelebt hatte, dass er in Rom um Gottes willen
sterben werde. Er hat es über sich vermocht, Gott dafür zu
danken als für eine Gnade, von der er nur nicht weiss, ob
er derselben würdig sei. Seitdem weist er jeden Gedanken |
an eine Aenderung seines Schicksals als menschlichen Eingriff
in die offenbare Regierung Gottes zurück. Aber was er ver-
ehrt und anerkannt haben will, ist die göttliche Leitung eben
nur seines persönlichen Lebens. Eine Regel für Andere
daraus zu abstrahiren 1) oder gar Andern einen Rathschlag
zur Nachfolge zu ertheilen, kommt ihm nicht in den Sinn.
Wir sehen ihn in Bezug auf Andere über irdisches Leiden
1) Das Gegentheil des Richtigen liest man bei Dall., p. 347 sq.:
plane ac si nemo Christi vere discipulus sit, cujus corpus non fuerit vel
bestiarum vel flammarum vi absumptum. Ganz ebenso Baur II, 56.
410
und Wohlsein ganz anders urtheilen. Die Verfolgung der
antiochenischen Gemeinde ist ihm ein Gegenstand ernster
Sorge, und er fordert alle Christen auf, dafür zu beten, das
ihr das Gut des Friedens wieder geschenkt werde, und ihrer
Freude darüber Ausdruck zu geben, dass es ihr wieder ge-
schenkt ist. Er warnt davor, durch kleinliche Zänkereien
den Heiden Anlass zur Verlästerung nicht bloss Gottes, son-
“dern auch der christlichen Gemeinde zu geben (Tr. 8). Alle
Ermahnungen in Bezug auf das Verhalten gegen die Heiden
haben, wenn nicht den Zweck, so doch, wenn sie befolgt wer-
den, den Erfolg, dass die Christen in Frieden mit ihnen leben
(Eph. 10; Anh, I, 19). Eine ungeheuchelte Freude hat er
an der Sanftmuth des Bischofs Polybius von Tralles, der
schon durch seine Haltung eine Predigt und selbst den Hei-
den ehrwürdig ist (Tr. 3; Anh. I, 24). Von Fanatismus ist
da nichts zu merken und auch nichts von dem Aberglauben,
dass das Martyrium eine Ehre sei, nach der man trachten
müsse. Im Gegentheil, es ist dem Ignatius demüthigend, dass
er auf diesem Weg zur Seligkeit geführt werden muss. Nicht
nur im Vergleich zu den Aposteln, da sie die Kirche leiteten,
kommt er sich als ein zum Tode Verurtheilter und Gefesselter
ohnmächtig und unansehnlich vor); auch den Gemeinden
1) Rom. 4: Or'y ὡς Πέτρος καὶ Παῦλος διατάσσομαι ὑμὶν" Exeivoi
πόστολοι, ἐγὼ χατάχριτος " ἐκεῖνοι ἐλεύϑεροι, ἐγω δὲ μέχρι νῦν δοῦλος,
ελλ᾽ ἐὰν πάϑω, ἀπελεύϑερος Ἰησοῦ καὶ ἀναστήσομαι ἐν αὐτῷ ἐλειΐϑε-
eos. Zu Grunde liegt zunächst 1 Kor. 9, 1; aber darum ist gerade nicht
daran zu denken, dass Ignatius hier seine gegenwärtige Lage mit
der gegenwärtigen Lage der seligen Apostel vergleiche (so Bunsen
DH, 210). Er vergleicht sie mit derjenigen, in welcher Paulus an die
Römer schrieb, und Petrus in Rom verweilte. Als Apostel konnten sie
Verordnungen geben; er kann es nicht nur deshalb nicht, weil er kein
Apostel, sondern Bischof einer fremden Gemeinde ist, mehr noch deshalb,
weil es lediglich sein persönliches Schicksal ist, das ihn an die Römer
zu schreiben veranlasst. Er entbehrt auch derjenigen Freiheit und Auc-
torität, welche etwa einem Missionar wie Justin, oder einem Bischof
wie Polykarp eigneten, als sie nach Rom kamen. Diese Lage beschreibt
auch δοῦλος, womit ebensowenig an eiuen früheren Sclavenstand des
Ignatius erinnert sein kann, als an sein Knechtsverhältnis zu Christus;
411]
gegenüber, welche durch Gottes Barmherzigkeit eines fried-
lichen und gedeihlichen Lebens sich erfreuen, erscheint er
sich gering, weil er verurtheilt und über die Gefahren, die
auf dem Weg zu seinem Ziele liegen, noch nicht hinaus ist
(Eph. 12). Während die Gemeinden ihn als todesmuthigen
Bekenner bewundern, lehnt er diese Beurtheilung nicht nur
ab (Mgn. 12; Tr. 5; Eph. 3), sondern sieht gerade darin,
dass er verurtheilt und gebunden ist, einen Gruml, nicht einen
einseitig ermahnenden oder gar gebieterischen Ton anzu-
schlagen (Tr. 3. 4). Er erkennt in seiner Lage einen Beweis
dafür, dass er vor Anderen dieses Erziehungsmittels bedarf.
Unter dem Gesichtspunct der Schule betrachtet er besonders
oft seine gegenwärtige Lage. Auf diesem Wege muss er
lernen, nichts zu begehren ?); unter der rohen Behandlung
der Soldaten wird er immer mehr zum Jünger; jetzt fängt
er eigentlich erst an es zu werden 3): und während die Er-
fahrung der Heilsamkeit dieser Uebung ihn dankbar und
hoffnungsvoll stimmt, empfindet er doch andrerseits jetzt erst
seine sittliche und religiöse Unreife ?), wie viel ihm nämlich
Ersteres hätte für sein Verhältnis zu den Römern nichts zu bedeuten,
in letzterem standen auch die Apostel. Es ist vielmehr dieser uneigent-
liche Ausdruck statt des gewöhnlichen, sofort an die Stelle tretenden
δεδεμένος gewählt, weil der nächstliegende Gegensatz zu ἐλειίϑερος aus-
gedrückt und ein Uebergang zu der Anspielung auf 1Kor. 7, 22 ge-
wonnen werden sollte. Wie lieb ihm sein Loos mit Einschluss der gegen-
wärtigen Unfreiheit ist, so ist es doch an sich ein Uebel, eine Hemmung,
welche ihn ebensosehr treibt, gering von sich zu denken, als nach dem
guten Ausgang sich zu sehnen.
1) Im Anschluss an die in der vorigen Anmerkung eitirten Worte
(Rom. 4): νῦν μανϑάνω δεδεμένος μηδὲν ἐπιϑυμεῖν.
2) Rom. 5: ἐν δὲ τοῖς ἀδικήμασιν αὐτῶν μᾶλλον μαϑητειίομαι. ..
νῦν ἤρχομαι μαϑητής εἶναι. Οἵ, Eph. 8: νῦν γὰρ ἀρχὴν ἔχω τοῦ μα-
ϑητειίεσϑαι. Vgl. oben 83. 406, Anm. 2.
3) Tr. 5; Anh. I, 26. Οἵ, Tr. 4: νῦν γάρ μὲ dei πλέον φοβδῖσϑαι
χαὶ μὴ noaseyew τοῖς φυσιοῦσίν με. — Phil. 5: Ἰησοῦς Χριστὸς, ἐν ᾧ
δεδεμένος φοβοῦμαι μᾶλλον, ὡς ἔτι ὧν ἀναπάρτιστος, αλλ᾽ ἡ προςευχὴ
"uoy εἰς θεόν μὲ ἀπαρτίσει. Das ἀνάρπαστος in ΟἹ (gegen A
Li ( 1,3) verdient nicht die Entschuldigung, die ihm Voss (S. 281),
412
noch fehlt an derjenigen inneren Verfassung, ohne welche der
Tod kein Heil bringt. Weil ihm als Ideal eines Jüngers
Christi ein ausgelernter Schüler dieses Meisters, ein zur Reife
gelangter Christ (vgl. Luc. 6, 40) vorschwebt, darum lehnt
er als der Unfertige den Titel eines Jüngers ab (Tr. 5), der
ihm in Wahrheit erst zukommt, wenn er bei Gott ist?').
Darüber ist Ignatius völlig klar, dass der Märtyrertod an sich
gar keine beseligende Wirkung hat ἢ). Er sagt wohl: ἐγγὺς
μαχαίρας, ἐγγὺς ϑεοῦ, μεταξὺ ϑηρίων, μεταξὺ ϑεοῦ, aber er setzt
auch hinzu: μόνων ἐν τῷ ὀνόματι ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ Sm. 4. Das
ist die unerlässliche, aber nichts. weniger als selbstverständ-
liche Bedingung. Daher denn auch die Bedingtheit, in der
er 80 oft von seinem bevorstehenden Martyrium redet, das
fast ermüdende ἐάν und ἐάνπερ (Rom. 1. 2. 4; Mgn. 12;
ad Pol. 7). Dass es Gottes Wille so ist, steht ihm fest; aber
bedingt ist dessen Verwirklichung insofern, als er nach Gottes
Willen durch den Tod zur Seligkeit gelangen soll, diese aber
sittlich bedingt ist. Wenn er es also als problematisch hin-
stellt, ob er zum Martyrium gelangen werde, so liegt dem
Pearson (111, 47) u. A. angedeihen liessen. Solange ἔτε dasteht, ist es
sinnlos und macht den durch ἔτε im Gegensatz zum folgenden Futur
ausgedrückten Gedankenfortschritt unmöglich.
ΟΠ Δ Eph. 1; Rom. 4: τότε ἔσομαι ἀληϑῶς μαϑητὴς τοῦ Χριστοῦ,
ὅτε οὐδὲ τὸ σώμα μου ὁ κόσμος ὄψεται ad Pol. 7: κάγω εὐϑυμότερος
ἐγενόμην ἐν ἀμεριμνίᾳ ϑεοῦ --- ἐώνπερ διὰ τοὺ παϑεῖν ϑεοῦ ἐπιτύχω —
εἰς τὸ εὑρεϑῆναί με ἐν τῇ αἰτήσει ὑμῶν μαϑητήν. Ganz vereinzelt steht
der Schreibfehler παϑητήν ΟἹ. Aber auch dessen αναστάσει ist sinnlos,
denn es nöthigt zu der Verbindung von ὑμῶν mit μαϑητήν. Es findet
sich in cod. Montac. (s. Anh. I, 2) und cod. b und lag nahe, wenn man
- wider den Sinn des Verfassers den finalen Infinitivsatz von ἐπιτύχω ab-
hängen liess. Der Zusammenhang lehrt vielmehr, dass die Erfüllung der
Fürbitte für die Antiochener den Jgnatius auch in Bezug auf seine
Person das Beste von der Fürbitte der Angeredeten erwarten lässt, dass
also der Infinitivsatz von χογω εὐϑυμότερος ἐγενόμην abhängt. Dann
ist αἰτήσει zu lesen, welches G2 mit Ausnahme von b, ferner A und cod.
Cajensis darbieten. Dasselbe Wort Tr. 13, das Verb ausserdem noch
Rom. 1. 3. 8 und ad Pol. 1. 2 ebenso gebraucht, die Sache Sm. 11.
2) Dies gegen Baur I, 161; II, 54.
418
die Furcht zu Grunde, er möge des Heils, welches gerade
ihm in der Form des Martyriums sich .darbietet, nicht werth
sein, oder vielmehr unwürdig werden ἢ. Wenn er dann wie-
der an anderen Stellen ohne solche ausdrückliche Versicherung
der Bedingtheit des im Martyrium liegenden Heils die Zu-
versicht ausspricht, durch den Tod zur Freiheit, Seligkeit,
Gerechtigkeit zu gelangen, so beruht diese Zuversicht auf
dem Vertrauen zur Treue Gottes, welcher sein und der Mit-
christen Gebet erhören wird (Tr. 13; Phil. 8). Dies Gebet
aber, um welches er so oft die Gemeinden direct und indirect
bittet (Eph. 21; Mgn. 14; Tr. 12. 13; Rom. 4.8; Phil. 5;
ad Pol. 7), bezieht sich nicht auf das äussere Factum seines
Todes, sondern auf die sittliche Zubereitung zum rechten
Sterben, auf die Ueberwindung der inneren Gefahren, welche
ihn der rechten Verfassung und damit eines seligen Todes
berauben könnten. Eine erste Gefahr ist die, dass er in Furcht
vor dem Tod zurückweichen könnte, den er jetzt noch herbei-
sehnt. Gegen dieselbe Versuchung, welche ihm die Liebe
der römischen Christen zu bereiten droht, hat er auch einen
innerlichen Kampf zu bestehn. Es ist der Teufel, der ihn
hin- und herzerren und seinen auf Gott gerichteten Entschluss
zunichte machen will®). Schon jetzt hat er dagegen zu
kämpfen und fühlt einen Mangel an innerer wie an äusserer
Kraft dazu, dem das Gebet und die Aufmunterung der Mit-
christen abhelfen soll (Rom. 3; Eph. 3). Aber auch den
Fall setzt er, dass diese Versuchung, nachdem er sie bis
dahin überwunden, mit neuer Gewalt angesichts des Todes
1) Tr. 4: ἀγαπῶ μὲν γὰρ τὸ παϑεῖν, ἀλλ᾽ οὐκ οἶδα, εἰ ἄξιός εἰμι.
Tr. 12; Mgn. 12; Rom. 1.
2) Rom. 7: ὁ ἄρχων τοῦ αἰῶνος τούτου διαρπάσαι μὲ βούλεται
χαὶ τὴν εἰς ϑεόν μου γνώμην διαφϑεῖραι- μηδεὶς οὖν τῶν παρόντων
ὑμῶν βοηϑεῖτω αὐτῷ, μᾶλλον ἐμοὶ γίνεσϑε, τουτέστιν τοῦ ϑεοῦ. Zwar
ΑἹ Jiest ἐμοῦ γένεσϑε, was (nach Thucyd. V, 84 εἶναί τινος) heissen
könnte „tretet auf meine Seite“. Aber die Incongruenz zwischen ϑεοῦ
und ἐμοί (so metaphr. ΟΣ abfov, nur'n hat ϑεῷ) scheint ursprünglich
zu sein. Nur muss man dann ἐμοί, wie Voss (S. 296) erklärte und
Li wohl verstand, fassen = „die Meinigen, meine Bundesgenossen “.
414
selbst über ihn kommen könnte '., Daher tritt neben die
Versicherung, dass alle Weltlust von ihm verleugnet sei, der
Wunsch, dass ihn nichts-mehr zu leidenschaftlieher Begierde
reizen möge (Rom. 5). Daher die Vorstellung, dass das Schwerste,
nämlich die schmerzhafte Entbindung des neuen Lebens aus
dem alten noch erst bevorstehe (Rom. 6). Aber dies ist nur
eine der Besorgnisse, die es ihm eng ums Herz machen und
den freudigen Ausblick auf das Ziel noch hindern ?2). Er
befindet sich überhaupt noch in Gefahr (Tr. 13; Eph. 12).
Auch die entgegengesetzte innere Anfechtung, die Versuchung
zu leidenschaftlicher Begierde nach dem ersehnten Ziel 5) und
zum Hochmuth führt er auf den Fürsten dieser Welt zurück.
Die Menschen sehen von diesen inneren Kämpfen nicht viel,
weil er sie nämlich ins Innere zurückdrängt; aber nur um
80 heftiger greifen sie ihn an. Als Mittel dagegen gilt ihm
die Sanftmuth, die Gelassenheit. Um seine Todesfreudigkeit
u bezeugen, muss er ja freilich rühmen, und er bekennt es
nicht als eine Sünde, sondern bezeugt es als seine wahre Ge-
müthsverfassung, dass sein Sinn auf Hohes gerichtet 56] 2).
Aber er fühlt die Verpflichtung, sich in der Aeusserung dieser
Stimmung zu mässigen, weil er sonst gerade durch das
Rühmen zu Grunde gehn möchte. Wenn vollends Andere
ihn um seines Heldenmuths willen geradezu rühmen, so er-
kennt er die darin liegende Versuchung zum Hochmuth und
empfindet jedes Wort des Lobs als einen Geisselhieb, weil es
ihn an die wenig entsprechende Wirklichkeit seines inneren
Lebens mahnt und ebensogut, wie die von Menschen aus-
gehende Versuchung zur Schwachheit, eine Unterstützung der
ohnedies vorhandenen inneren Anfechtung ist.
1) Mnd’ ἂν ἐγὼ παρὼν παρακαλῶ ὑμᾶς, πείσϑητέ μοι, τούτοις δὲ
μᾶλλον πείσϑητε, οἷς γράφω ὑμῖν (Rom. 7).
2) Rom. 6 nennt er dies τὰ συνέχοντά με. Vgl. I,uc. 12, 50.
3) Tr. 4 liegt allem Obigen zu Grunde. Vielleicht ist dort τὸ
ζῆλος nicht so, wie oben nach Voss S. 287 u. A., sondern von neidischer
Misgunst des Teufels zu verstehn. S. auch noch Anh. I, 25.
4) So ist πολλὰ φρονὼώ ἐν ϑεῷ zu verstehn, wie sonst μέγα φρονεῖν
(ταπεινοφρονεῖν u. dergl.).
415
Es gehört nicht sonderlich viel Phantasie und guter
Wille dazu, um diese mannigfaltigen Stimmungsäusserungen
und auch die überschwänglichsten Ausdrücke des Ignatius zu
begreifen. Schon. die äusseren Thatsachen, welche ich den
Briefen entnommen habe, zeugen dafür, wie elektrisirend seine
Erscheinung auf die kleinasiatischen . Christen gewirkt hat;
und das geistvolle Pathos aller seiner Briefe stellt Jedem,
der auch geschriebene Rede hört, eine Persönlichkeit dar,
welche auch ausserordentliche Gegenäusserungen der Liebe und
der Bewunderung hervorrufen musste. Geküsst hat Polykarp
seine Ketten !), und kein Mittel, keine Mühe wurde gescheut,
ihm seine Lage zu erleichtern. Die Worte, womit man solche
Behandlung begleitete, müssen in der That überschwänglich .
gewesen sein. Wenn Ignatius es wiederholt ablehnt, wie ein
Apostel gebieten und überhaupt einseitig belehren zu wollen ?),
1) Ohne Frage richtig hat Bunsen (I, 35) so verstanden ad Pol. 2:
τὰ δεσμά μου, ἃ ἠγάπησας. Ich finde Tert. ad uxor. II, 4: ad oscu-
landa vincula martyris.
2) Tr. 3; Rom. 4; cf. Eph. 3. 12. In grellen Widerspruch nicht
mit dem syrischen Ignatius allein, nämlich mit Rom. 4, wie Lips. I, 54
vgl. 56 urtheilt, sondern mit sich selbst würde sich der Verfasser des
Trallianerbriefs setzen, ‚wenn er in der Ueberschrift desselben, kaum
30 Zeilen vor der feierlichen Ablehnung apostolischer Auctorität, sich
eben diese zugeschrieben hätte mit den Worten: ἣν χαὶ ἀσπάζομαι ἐν
τῷ πληρωματι, ἐν εποστολιχῷ χαραχτῆρι. Dieses Bedenken beseitigt
Lipsius (I, 59) nicht, wenn er nachträglich Tr. 3 für eine Nachbildung
von Rom. 4 erklärt; denn was hätte diesen Pseudoignatius, der für sich
apostolische Würde in Anspruch nimmt, veranlasst, eine Stelle des
Römerbriefs nachzuahmen, worin sie abgelehnt wird? Aber auch abge-
sehn davon, bedürfte die Behauptung, dass Ignatius nach Tr. inscr. sein
Ansehn auf das Amt, auf die apostolische Succession und Geistesweihe
gründe (Lips. I, 56), doch wohl einiger Begründung. Die jedenfalls er-
klärungsbedürftigen Worte sagen das wenigstens nicht. Sprachlich un-
möglich ist die Paraphrase: in plenitudine potestatis apostolicae (Buns.
I, 139). Eph. inscr. heisst τῇ εὐλογημένῃ ἐν μεγέϑει ϑεοῦ πληρώματι
„der durch Gottes Grossmacht völlig, reichlich gesegneten Gemeinde “
(vgl. Röm. 15, 29). Darnach wird auch hier ἐν τῷ πληρωματε nicht
des Grüssenden äussere Stellung oder der Gegrüssten innere Verfassung,
sondern die Art des Grusses, wie dort die Art der Segnung bezeichnen;
416
so muss das auf Aeusserungen seiner dermaligen Umgebung
zurückgehn. Einen apostolischen Mann muss man ihn ge-
nannt (cf. mart. Pol. 16) und besonders dem gefesselten Paulus
ihn verglichen haben. Andere Aeusserungen weisen auf
Ehrentitel wie „ein ächter Jünger Christi“, „ein treuer
Zeuge“ (vgl. Apokal. 2, 13). Auf einen derselben, der vor
anderen oft vorgekommen sein muss, weist das objectlose οἱ
λέγοντές μοι Tr. 4. Ignatius will das Wort nicht aussprechen
und hat dadurch verschiedenen Vermuthungen Raum gegeben.
Aber der Satz, wodurch er erläutert, warum ihm dies Reden
eine Qual ist, „denn ich liebe zwar das Leiden, weiss aber
nicht, ob ich [dessen] würdig bin“, hat ja nur dann Sinn,
wenn die betreffende Aussage auf sein Martyrium hinwies.
Also ist jedenfalls nicht ϑεοφόρος gemeint, denn dies ist, wie
schon allein Eph. 9 zeigt, gar nicht Bezeichnung des Märtyrers
als solchen !). Wahrscheinlich hat Ignatius ein μάρτυς ἔσῃ
(vgl. Smith, schol., p. 88; Thlh., p. 23) oder vielmehr ein ὁ
μάρτυς! unterdrückt 3. Es ist überhaupt sehr unwahrschein-
lich, dass man ihn mit Emphase ϑεοφόρος genannt haben
sollte. Es wäre dann nicht zu begreifen, wie dieser angebliche
Ehrentitel aus dem Gedächtnis der Väter bis auf Severus
völlig verschwunden wäre. Schon in Polykarps Brief müsste
man ihn vermissen. Um so mistrauischer werden wir gegen
vermeintliche Anspielungen auf denselben in den ignatianischen
und ebenso wird die hinzutretende Näherbestimmung ἐν ἀποστολιχῷ
χαρακτὴρι Art und Weise des Grusses, nicht der Person angeben. Also,
„mit der Fülle christlicher Segenswünsche. und in der Weise, wie die
Apostel zu grüssen pflegten“, grüsst Ignatius die Gemeinde. Der Fehler
der älteren Ausleger (z. B. Smith, schol., p. 87) war nur der, dass sie zu
sehr an die Wortform der apostolischen Grüsse dachten, während Ignatius
vielmehr mit drei Worten sagen will, welchen Gedankeninhalt die ab-
geschliffene Grussformel πλεῖστα χαίρειν bei ihm habe, anstatt wie in
andern Briefen seinen Gruss ausführlich zu gestalten.
1) S. oben S. 69 ff. und Anh. II, 1.
2) Cf. epist. Lugdun. Eus. V, 2, 2: our’ αὐτοὶ μάρτυρας ἑαυτοὶς
ἀνεχήρυττον, οὐτε μὴν ἡμῖν ἐπέτρεπον τούτῳ τῷ ὀνόματι προςαγορεύει»
᾿ αὐτοὺς, ἀλλ᾽ εἴποτέ τις ἡμῶν δι᾽ ἐπιστολῆς ἢ διὰ λόγου μάρτυρες
αὐτοὺς προςεῖπεν, ἐπέπλησσον πιχρὼς x. τ, A, ᾿
417
Briefen sein dürfen. Man hat eine solche in Sm. 5 gefunden.
Aber über Inhalt und Form der Lobsprüche, welche selbst
die Irrlehrer ihm angedeihen liessen, ist damit gar nichts
gesagt, dass Ignatius in ihrer Verleugnung Christi als Fleisch-
trägers eine Lästerung findet, welche ihm ihr Lob werthlos
macht. Die Bildung σαρκοφόρος hat nichts Auffallendes,
damit war dann der Gegensatz νεκροφύόρος (wandelnde Leiche)
nahe genug gelegt. Die Art, wie Ignatius Eph. 9 9ϑεοφόροι
und χριστοφόροι Mit vuogopo: und ἀγεοφόροι abwechseln und
alles dies auf σύνοδοι folgen lässt, erweckt auch nicht die
Vorstellung, dass die ersten beiden Attribute für ihn eine
besondere Bedeutung haben !). Noch weniger enthält Mgn. 1
eine deutliche Anspielung auf den Namen ϑεοφόρος. Begnügt
man sich mit dem höchst bedenklichen überlieferten Text
(Anh. I, 21), so würde der Umstand, dass er einen gottes-
würdigen Namen empfangen hat, als Anlass oder doch irgend-
wie als Voraussetzung seiner Lobpreisung der Gemeinden be-
zeichnet, in deren Kreis er als Gefangener jetzt verkehrt.
Selbst wenn man der Fabel des m. colb. glauben wollte, ver-
stünde man noch nicht, wie dem Namen ϑεοφύρος 3) diese Bedeu-
tung zukäme. Der Christenname passt auch nicht, denn Ignatius
preist die Gemeinden doch nicht, weil er Christ heisst, oder
nachdem er diesen Namen empfangen hat. Es bliebe wieder
nur der Märtyrername übrig (so z. B. Lips. I, 90), und die
Verurtheilung in Antiochien wäre sonderbar genug als Ueber-
tragung dieses Namens zu deuten. Glaublich ist dieser Ge-
danke, also auch dieser Text auch deshalb gewiss nicht, weil
er mit allen vorhin besprochenen Stellen, an denen Ignatius
viel weniger hohe Namen von sich abweist, in einem sonst
beispiellosen. Widerspruch stünde. Doch, wenn auch diese
Stelle ebenso wie der Name Theophorus in Wegfall kommt,
so bleiben ehrende Worte und Aeusserungen der Bewunderung
1) Welche Gedankenreibe ihn auf die Ausdrücke führte, wurde oben
δ, 338f. nachgewiesen.
2) Daran dachten Pearson (ΗΠ, 41), Smith (schol., p. 77), Hilgenfeld ὁ
(S. 193) u. A. .
Zahn, Ignatius, 27
418 .
genug übrig, deren sich Ignatius erwehren muss. Er thut es,
wie Alles, mit feuriger Energie. Phantasiereich von Natur,
überreizt durch die augenblickliche Lage, drückt er sich über-
haupt lebhafter und stärker aus, als dem Abendländer und
vollends dem gelehrten Leser gefällt. Das gilt auch von den
Aeusserungen seiner Demuth. Ist es aber so, dass er den
gedeihlichen Friedensstand der asiatischen Gemeinden als einen
Beweis göttlichen Wohlgefallens und seine eigene Lebens-
führung als ein Zeichen seiner besonderen Erziehungsbedürf-
tigkeit ansieht, so ist an der Wahrhaftigkeit seiner Selbst-
schätzung nicht zu zweifeln. Wenn er in dieser Hinsicht
einen starken Ausdruck gebraucht, so empfindet er das selbst,
und bedenkt, dass er den Lesern, wenn sie nicht in christ-
licher Selbstzucht stehn, damit eben so schaden könnte, als sie
ihm durch ihre übertriebene Bewunderung (Mgn. 12). Wir
sahen, wie verschieden er auch hierin die Gemeinden be-
handelt (vgl. oben S. 274ff.). Die Trallianer lobt er kaum;
wenn er dagegen die Gemeinde zu Ephesus besonders hoch-
stellt, so ist kein Grund, daran zu zweifeln, dass er damit sein
Urtheil wahr wiedergibt. Wenn man seit den Anfängen der
Kritik bei Ignatius oft unwürdige Schmeichelei und sich
wegwerfende Demuth zu finden meinte, so übersah man nicht
bloss diesen Unterschied, sondern auch dies, dass die stärksten
derartiger Misdeutung ausgesetzten Sätze sich auf sein Ver-
hältnis zur antiochenischen Gemeinde beziehen, an die er nicht
schreibt ἢ. Auf Schmeichelei wirds dabei also gewiss nicht
abgesehn sein, und eine Versuchung dazu musste ihm in seiner
Lage ebenso fern liegen, als einem späteren Schriftsteller, der
sich in seine Rolle hineindachte und keine andere Grundlage
seiner Dichtung hatte, als die Ueberlieferung von dem helden-
müthigen Todesgang des Märtyrers. Viel eher sollte man
erwarten, dass Hochmuth, wie er in solcher Lage leicht ge-
zeitigt wird, oder Eitelkeit, welche bekanntlich auch auf dem
1) S. oben S. 403. — Einzelne Misverständnisse wie das von owr-
θιδασχαλίτης Eph. 3 und in entgegengesetzter Richtung das von
Trall. inser. wurden schon beseitigt S. 275, Anm. 2 und S. 415, Anm. 2.
419
Weg zum Tode nicht Jeden verlässt, hier μα da durchblicke.
Ich finde bei Ignatius nichts davon; und wer etwas davon
findet, sollte seine sittliche Entrüstung darüber durch das
Zeugnis ernsten Kampfes gegen diese Gefahren (Tr. 4) ver-
söhnen lassen. Allerdings denkt er hoch von dem Segen,
welchen zunächst ihm selbst sein Martyrium bringen soll.
Betrachtet man aber die affectvollen Worte ohne Affect, so ist
doch Gegeustand seiner persönlichen Hoffnung nichts Anderes,
als was er für jedes Christen Lebensziel hält. Ein des Namens
werther Chris& und Jünger Christi, ein in reinem Licht und
unverlierbarer Freiheit und ungatrübtem Genusse Gottes und
Christi seliger Mensch hofft er durch den Tod zu werden.
An dem seligen Loos der ephesischen Christen Theil zu haben,
ist sein höchster Ehrgeiz (Eph. 9). Dies- Loos der Seligkeit
zieht er allem Erdenglück vor (Rom. 6; Anh. I, 12). Von
einem besonderen Ehrenlohn der Märtyrer, wovon man frühe
in der Kirche redete ἢ), weiss er nichts, oder er hat solche
Gedanken absichtlich von sich ferngehalten. Allerdings stirbt
der Märtyrer um Gottes und Christi willen, zum Besten der
Sache Gottes ?), ist in besonderem Sinn ein Nachahmer des
leidenden Christus (Rom. 6), betheiligt sich an dessen Leiden
(Sm. 4) noch in anderem Sinn als die Christen, die natür-
lichen Todes sterben, obwohl von allen Gläubigen gilt, dass
sie durch Christi Wirkung im guten Sinne selbstmörderisch
in das Leiden Christi sich versenken und so sterben müssen,
um das Leben Christi in sich zu haben ὃ. Der Märtyrer
stirbt nicht bloss für sich, sondern dient sterbend der Wahr-
heit, deren Bekenntnis ihm den Tod bringt. Gilt überhaupt
sehon: vom Verhalten der Christen, dass es oft mehr als viele
Worte dazu geeignet ist, von der Wahrheit des Christenthums
zu überzeugen (Eph. 11; Tr. 3), so vollends von den Leiden,
—— mn nn
1) Vgl. meine Schrift über Hermas, ὅ. 183. 119.
2) Rom. 4: ὑπὲρ ϑεοῦ ἀποθνήσχω οἵ, Eph. 1.
3) Mgn. 5: Ἰησοῦ Χριστοῦ, δι᾿ οὗ ἐὰν μὴ αὐθαιρέτως ἔχωμεν τὸ
εἰποθανεῖν εἰς τὸ αὐτοῦ πάϑος͵ τὸ ζῆν αὐτοῦ οὐκ ἔστιν ἐν ἡμῖν. Statt
δι᾽ ev (ΟἹ 1.1 63) las IA διό, A Sfr. 197, 21 di’ ὅν.
27*
420
welche die Christen um Gottes willen über sich nehmen
(Sm. 5). Daher ist die Willigkeit, mit welcher sich Ignatius
dem gewissen Tode preisgegeben hat, in seinen eigenen Augen
ein Beweis von der Macht und Wirklichkeit des gekreuzigten
Christus, der solche Gesinnung in den an ihn Glaubenden
wirkt, ein Beweis, ‘den auch die Zweifelnden und anders
Lehrenden gelten lassen müssten (Sm. 4; Tr. 10; Anh. I, 28),
zumal wenn sie mit Worten den Werth des Martyriums an-
erkennen (Sm. 5). So eben wird der, welcher seinen Glauben
durch den Tod besiegelt, ein Wort Gottes, ein mächtiges
Zeugnis Gottes an die Welt (Rom. 2; 8. oben ὅ. 407). Min-
der deutlich ist, ob Ignatius den später nicht seltenen Ge-
danken !) einer auf Andere sich erstreckenden Sühnkraft des Mar-
tyriums theilt. Damit jedenfalls ist er noch nicht ausgesprochen,
dass er sich den Sterbenden nach paulinischem Vorgang als
eine Gotte dargebrachte Opferspende ansieht 3. Es bedeutet
nur die willige Aufopferung um Gottes willen. Ganz dasselbe
besagen, nur mit einer durch 'den Zusammenhang veranlassten
eigenthümlichen Färbung, die Worte: Περίψημα τὸ ἐμὸν
πνεῦμα τοῦ σταυροῦ Eph. 18. Dass hier περέψημα nicht
„Auswurf, Kehricht‘ heisst und nicht gar der Gedanke aus-
gedrückt ist, seine Leiden seien nichts gegen die Leiden Christi ?),
ist klar. Am Kreuz Christi haftet kein Unrath — und
doch müsste dies der πῃ der Genitivverbindung sein ἢ) —,
—
1) Bei Origenes weist ihn Höfling (Lehre der ältesten Kirche vom
Opfer, S. 134. 143) nach.
2) Rom. 2. 4. Vgl. Philipp. 2, 17; 2Tim. 4, 6.
3) So Bunsen (I, 91), der dann aber in seiner Weise noch andere
Gedanken mit diesem verbindet.
4) Auch 1Kor. 4, 13, wo die Apostel als ein der Welt und den
Menschen anhaftender Unrath vorgestellt werden, dessen sich diese mög-
lichst bald zu entledigen suchen. Vgl. Hofmann, neues Testament,
IT, 2, 95. Anderen Sinn hat der Genitiv, wo es Sühnopfer heisst,
Tob. 5, 18; Eus. h. e. VII, 22, 7. Letztere Stelle zeigt den völlig ab-
geschliffenen Gebrauch des Worts. Dionysius von Alexandrien sagt dort,
die fast nichts sagend gewordene Höflichkeitsbezeugung περέψημαά σου
ἐγὼ hätten manche Christen, welche durch treue Pflege der Pestkranken
sich den Tod zugezogen hätten, während ihre Pfleglinge genasen, durch
421
und der Geist des Ignatius könnte denselben am wenigsten
vorstellen. Gerade das betont er, dass sein Geist die be-
zeichnete Stellung zum Kreuz einnehme. Im Gegensatz zu
denen, welche der Heilserkenntnis sich verschliessen (Eph. 17)
und den Heilsglauben, zu dessen Bestem Christus gestorben
ist, verderben (Eph. 16), welchen das Kreuz Christi ein
Aergernis ist (Eph. 18), bezeugt Ignatius seine Bereitwilligkeit,
für diesen Mittelpunct des Glaubens und Grund des Heils
seinen Geist !), d. i. sein Leben hinzugeben, indem er ihn
ein Opfer des Kreuzes d. i. für das Kreuz nennt. Selbst-
verständlich meint er nicht, dass das Kreuz einer Sühne, eines
Reinigungsopfers bedürfe; er will vielmehr seine zu jedem
Opfer um des Gekreuzigten willen bereite Gesinnung aus-
drücken 3). - Ebenso oder ähnlich drückt er sich den Gemein-
den gegenüber aus. Ihr περέψημα, ihr ἀντέψυχον, vielleicht
auch ihr ἅγνισμα ?) nennt er sich wiederholt; „Auswurf‘“ und
„Sehund“ dieser Gemeinden oder einzelner Christen kann
Ignatius freilich nicht sein wollen (Buns. I, 88f.), schon des-
halb nicht, weil er gar nicht zu ihnen gehört. Aber, wenn
die nächstliegende Parallele Eph. 18 massgebend sein soll, so
sagt er auch nicht, dass er zu ihrer Versöhnung oder auch
nur zu ihrem Besten sterben werde. Das vertrüge sich auch
nicht mit der gerade im Epheserbrief stark“ betonten Meinung,
dass er viel mehr als die Angeredeten der Stärkung durch
die Gnade Gottes und ihrer Unterstützung bedürfe, um seligen
die That wahrgemacht, ἐπιόντες αὐτῶν περίψημα, Unklar ist die Aus-
einandersetzung von Heinichen (ed. 2; III, 710sq.), welche schliesslich
auf das Quidproquo „ihre allerergebensten Diener‘ hinausläuft. ° Diony-
sius meint, es sejen jene ein stellvertretendes Sühnopfer für die Anderen
insofern geworden, als sie durch ihr Sterben diesen das Sterben er-
sparten. Uebersetzen kann man .das nicht, da bei uns „dein Sühnopfer “ '
kein Kompliment und unsere Komplimente keines so tiefen Wortsinns
sind.
1) Vgl. Philipp. 1, 29; 2Kor. 12, 10; Act. 5, 41.
2) Die syrische Paraphrase 3. oben S. 194, ist also zwar ungenau,
aber richtiger als eine buchstäbliche Ausdeutung.
3) Eph. 8; Anh. 1, 19. Tr. 13,
422
Todes zu sterben. Auch ein ἀντάψυχον im eigentlichen Sinn,
ein Lösegeld !), kann er nicht sein wollen für die Festge-
gründeten, unter allen Segnungen der göttlichen Barmherzig-
keit Stehenden (Eph. 12) und Freien (Mgn. 12). Vollends
wäre nicht abzusehn, wie seine Ketten auf Polykarp und die
Smyrnäer diese Wirkung üben sollten (ad Pol. 2; Sm. 10).
Stünde Ignatius zu diesen Gemeinden in einem Verhältnis
regelmässigen und ausserordentlichen Dienstes, welcher ihm
Bande und Tod zugezogen hätte, so möchte es allenfalls zu
verstehen sein, wie sich daraus die Vorstellung eines Leidens
für sie entwickeln konnte ?). So aber muss man annehmen.
dass alle diese Ausdrücke nur abgeschliffene Bedeutung haben,
dem Verkehrsleben entlehnte Bezeichnungen hingebender Liebe
sind. Gerade im Zusammenhang von Lobeserhebungen und
Aeusserungen der Verehrung, die er ablehnt, bezeichnet er
sich so, denkt also gewiss nicht daran, sich und seinem
Tode dadürch eine ungewöhnliche Bedeutung für die Ange-
redeten zu geben. Wie wenig er dabei gerade an sein Sterben
denkt, zeigt die Versicherung, dass er nicht bloss jetzt, sondern
auch wenn er Gott erlangt habe, gleichsam zum Lohn für
ihre Beihülfe hiezu, so zu den Trallianern stehen werde
(Tr. 13; Anh. I, 19). Seine Liebe zu den Gemeinden, seine
Freude an ihnen, seine Bereitwilligkeit, ihnen zu dienen, soll
den Tod überdauern ®). Stark ist das Alles gesagt, und nicht
Alles schön. Es zeugt nicht jeder Anklang an biblische,
namentlich paulinische Aussprüche von richtigem Verständnis
derselben *), und es lässt sich auch nicht jedes neugeschaffene
1) Eph. 21. Vgl. über das Wort Pears. II, 206g.
2) Ephes. 3, 1; epist. Lugd. Eus. V, 1, 10.
3) Darauf weist wegen des angehängten Relativsatzes (vgl. Tr. 4)
das ὀναίμην ὑμῶν διαπαντός Eph. 2; ad Pol. 6, ebenso auch das οὗ
ὀναίμην ἐν ϑεῷ ad Pol. 1.
4) Das gilt von der Anspielung an 1Kor. 9, 1 in Rom. 4 (s. oben
S. 410), weniger von der an 1Kor. 15, ΒΓ. in Rom. 9, wenn auch Paulus
sich den erst zu Bekehrenden, Ignatius sich den Bekehrten ein ἔχτρωμα
nennt (vgl. oben 8. 407). Möglich ist es auch, dass Ignatius sich mit
seinem περέψημα Eph. 8 an das falsch verstandene Wort 1Kor. 4, 13
428
Bild lange festhalten, ohne zum Zerrbild zu werden ').. Aber
Veberschätzung seines Martyriums oder seiner Person lässt
sich dem Ignatius nicht nachweisen, und ebensowenig ein
Selbstwiderspruch anderer Art, als die scheinbaren, lediglich
auf der Oberfläche der Rede spielenden, welche jedem Men--
schen von lebhafter Phantasie und reizbarem Gemüth in
ausserordentlichen Lebenslagen natürlich sind. Seine Grund-
gesinnung ist eine mit ernster Selbstzucht und ungeheuchelter
Demuth verbundene sehnsüchtige Liebe zu Christus.
Den Eindruck haben seine Zeitgenossen empfangen und
die nachfolgenden Geschlechter der Kirche bewahrt. Mit
denen, die es vorziehn, den ἔρως τοῦ ἀποϑανεῖν, in welchem
die Liebe zu Christus hier sich darstellt, mit Lucian als
einen ἔρως τῆς δόξης zu verunglimpfen, sollte man nicht
streiten. Wer der altkatholischen Kirche mehr Urtheil über
den sittlichen Werth ihrer Heiligen zutraut, als ihren Ver-
ächtern unter den Heiden, wird es auch bewundernswerth finden,
dass derselbe Mann, der nur von dem einen Gedanken seines
Hingangs zu Gott erfüllt scheint, gleichzeitig mit dem regsten
Interesse die irdische Entwicklung des kirchlichen Lebens
verfolgt und die ganze Kraft seiner Persönlichkeit einsetzt,
um den Gefahren, welche damals besonders den asiatischen
Gemeinden drohten, vorzubeugen. Wie die Kleinasiaten ihn
nicht als einen vorübereilenden Fremdling aufgenommen haben,
mn nn
anschliesst, wie Barnabas (4, 9; 6, 5) wieder an Ignatius. Aber bei
der Häufigkeit des Ausdrucks anch in ausserchristlichen Kreisen (ro
ϑημῶδες ῥῆμα Eus. h. 6. VII, 22, 7) lässt sich das ebensowenig be-
weisen, als dass das häufige ὀναίμην des Ignatius (Eph. 2; Mgn. 2. 12,
Rom. 5; ad Pol. 1. 6) aus Philemon 20 stamme, wie man seit Uss.,
adn., p. 20. 35 zu bemerken pflegt. Es war im gewöhnlichen Leben
zum Werth eines freundlichen Grusses herabgesunken. Auf den häufigen
Gebrauch bei Lucian machte schon Vedelius II, 126sq. aufmerksam.
Vgl. ausserdem die Stellen bei Pears. II, 203sq.; UI, 23 und Lagarde,
tel. jur. 606], gr., p. 81. Vedel sagt nicht übel: Germani dicunt ‚Gott
geb, dass ich freud an euch erleben möge“.
1) z. B. Eph. 11: τὰ δεσμὰ περιφέρω, τοὺς πνευματιχοὶς μαργα-
olras,”Ev οἷς γένοιτό μοι ἀναστῆναι τῇ προςευχῇ ὑμῶν.
424
so hat auch er sich nicht als ein Fremder zu ihnen gestellt,
den ihre Angelegenheiten nichts angingen, und der mit sich
selbst genug zu thun habe. Er beobachtet genau und ver-
kehrt mit den einzelnen ‘Gemeinden je nach ihrer besonderen
Art und Lage. Auch für die Pflege persönlicher Beziehungen
untergeordneter Art ist sein Gemüth noch frei: Für seine
eigene Gemeinde beweist er die vorsorglichste Liebe, soweit wir
ihn verfolgen können. Nur der Gedauke kommt ihm nicht,
den wir nach dem Vorbild des Apostels Paulus bei ilım ver-
missen möchten, dass ein längeres Leben im Fleisch noth-
wendiger, weil nützlicher sei, als die ersehnte Vereinigung mit
Christus. Aber mit der Gewissheit, dass dies und nicht jenes
der Wille Gottes sei, lässt sich nicht rechten, und wirksamer
für die Kirche, als er je hätte werden können, ist er durch
sein Martyrium, seine Reise nach Rom und seine hierdurch
veranlassten Briefe geworden.
2. Der Kirchenmann:
Sind die Reiseerlebnisse des Ignatius und- die kirchlichen
Zustände der asiatischen Gemeinden von mir im wesentlichen
richtig gezeichnet worden, so ergibt sich fast von selbst, in
welcher Richtung und in welchem Ton ein Mann von der
Eigenthümlichkeit des Ignatius über die dermaligen Aufgaben
der dortigen Kirche reden musste. Die meisten hierher ge-
hörigen Aussagen mussten schon oben herangezogen werden
und, Misverständnisse abwehrend und unvollständige Beob-
achtungen berichtigend, habe ich mehr als eins seiner pia
desideria berühren müssen. Aber es lohnt sich, sie zum
Gegenstand besonderer Untersuchung zu machen.
Ueber die richtige Verfassungsform der Gemeinden und
der Kirche zu reden, hatte Ignatius keinen Anlass; denn die-
selben drei Aemter des Bischofs, der Presbyter und der Dia-
425
konen, welche seine heimathliche Kirche besass, fand er in
den kleinasiatischen Gemeinden festbegründet. Eine Opposition
gegen eins derselben im Gegensatz zu dem anderen, ernst-
liche Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Abgrenzung
der Befugnisse des einen Amts gegen die der anderen scheint es
damals dort nicht gegeben zu haben, und ebensowenig eine
principielle Auflehnung gegen die amtliche Ordnung des kirch-
lichen -Lebens überhaupt. Daher war auch kein Anlass, von
der Nothwendigkeit oder dem göttlichen Recht oder den unter-
scheidenden Rechten und Pflichten irgend eines kirchlichen
Amtes ausdrücklich zu handeln. Nur praktisch kam die in
den Gemeindebesmten und besonders im Bischof sich dar-
stellende Einheit der Ortsgemeinde nicht in dem Mase zur
Geltung, als Ignatius der Idee entsprechend und besonders -
durch die dermalige Lage geboten achtete. Die besondere
Lage des Augenblicks und die durchgängige Abhängigkeit der
auf die Kirchenregierung bezüglichen Auslassungen vom Zweck
der Abwehr der augenblicklich drohenden Häresie muss man
stets gegenwärtig haben, wenn man die Urtheile und Rath-
schläge in Bezug auf’s kirchliche Leben richtig würdigen will.
Ausserdem muss mehr, als meist geschehen, bedacht werden,
dass Ignatius nicht ein der Briefform sich bedienender Schrift-
steller ist und auch nicht an einen aus mehreren Gemeinden
bestehenden Leserkreis sich wendet, sondern aus bestimmten
Anlässen an einzelne Gemeinden schreibt, und dass sich daher
auch die unmittelbar ausgesprochenen Ermahnungen und Rath-
schläge durchweg im Kreis der Ortsgemeinde bewegen.
.Die beherrschende Idee ist die der Einheit!) des ge-
meindlichen Lebens. Sie zu betonen, treibt ihn vor allem die
Ueberzeugung, dass die festgeschlossene Einheit der Gemeinde
der auf dem Wege der Disputation mit Einzelnen und des
Lehrvortrags im kleineren Conventikel eindringenden Häresie
1) Als werdende, stets neu zu erstrebende heisst sie ἕνωσις (Mgn.
1. 13; Tr. 11; Phil. 4. 7. 8; ad Pol. 6), als erreichter Zustand und _
Thatbestand &vorns (Eph. 4. 5; Phil, 2. 3. 8. 9; Sm. 12; ad Pol. 8).
426
den Zugang versperrt δ. Etwas Besseres gibt es überhaupt
nicht als Friede oder Einheit (Eph. 13); es ist das der nor-
male Zustand, welchen Ignatius, der sich selbst einen für die
Einheit geschickten Menschen nennt (Phil. 8; Anh. II, 9),
allen Gemeinden wünscht (Mgn. 1; Anh. I, 21). Jede
Störung der Einheit hindert das wirksame Wohnen Gottes in
der Gemeinde (Phil. 8) und ist daher Anfang aller weiteren
Uebelstände (Sm. 7). Daher soll sie sich der Bischof ange-
legen sein lassen (ad Pol. 1) wie die Gemeinden (Phil. 7;
Eph. 4). Sie soll eine innere und äussere zugleich sein
(Mgn. 13), d. h. nieht allein in gleicher christlicher Ge-
sinnung bestehn ?), sondern auch in einem entsprechenden
Handeln sich darstellen 8). Vor allem soll sie ihren Ausdruck
in der Gemeinsamkeit aller gottesdienstlichen Handlungen
finden (vgl. oben S. 344 ff.). Da der Brauch der kleinasiatischen
Gemeinden in dieser Hinsicht nicht den Idealen des Ignatius
entspricht, so sucht er die Heilsamkeit, ja Nothwendigkeit
durchweg einheitlichen Gottesdienstes der Ortsgemeinde zu
begründen. Durch einen Schluss von der Wirksamkeit des
Gebets eines Einzelnen oder Zweier, die sich dazu vereinigt
haben, auf die viel grössere Wirkung des im Namen der
ganzen versammelten Gemeinde vom Bischof gesprochenen
Grebets wird die Theilnahme am gemeinsamen Gottesdienst
als christliche Pflicht erwiesen (Eph. 5; vgl. oben 9. 344).
Ebenso ergibt sich diese Pflicht aus der defensiven Kraft der
in dichtgedrängter Versammlung sich darstellenden Gemeinde-
einheit gegen alle verderblichen Einflüsse (Eph. 13; vgl.
Phil. 2; Tr. 7). Die besonders scharf betonte Forderting ge-
meinsamer Abendmahlsfeier (vgl. oben S. 342ff.) begründet,
Ignatius Phil. 4 wenig geschickt durch Hinweisung darauf,
1) Phil. 2; Eph. 13; Tr. 7; Mgn. 1. Vgl. oben S. 357.
2) Das ist die oft erwähnte ὁμόνοια (ohne Zusatz Eph. 4; Tr. 12;
Phil. 11, mit τῆς πίστεως Eph. 13, mit $soö Mgn. 6. 15; Phil. inser.).
Auf ihre Bethätigung weist schon ὁμοήϑεια (Mgn. 6; ad Pol. 1; vgl.
oben S. 319, Anm. 2).
3) Οἵ, Phil. 4; Mgn. 4 und die Aufzählung ad Pol. 6.
427
dass es ja nur ein Fleisch Christi gebe und einen Kelch,
welcher den Zweck habe, mit dem Blute Christi zu einigen.
Ist die Einzigkeit des Kelchs nicht anders gemeint, als die
Einzigkeit des Fleisches Christi, so scheint daraus entweder
nichts oder die Absurdität zu folgen, dass nur die zu gemein-
samem Handeln versammelte Christenheit des Erdkreises das
Abendmahl recht feiern könne. Man hilft dem auch nicht ab,
wenn man μέα σάρξ für einen aus der dogmatischen Ansicht des
Ignatius vom Abendmahl (vgl. Sm. 7) zu rechtfertigenden
Ausdruck für εἷς ἄρτος (Eph. 20; vgl. 1Kor. 10, 17) nimmt;
denn die Einzigkeit des Brotes und des Kelches, an dem die
Communicanten Theil nehmen, wäre ja nicht Voraussetzung
der Forderung einheitlicher Abendmahlsfeier, sondern nur ein
anderer Ausdruck für diese Forderung selbst. Es ist also vielmehr
umgekehrt das ἐν ποτήριον nach dem vorangehenden μία σάρξ
zu verstehen. Aus der Einzigkeit der leiblichen Natur Christi,
welche aller Orten Object des Abendmahlsgenusses ist, wird
die Forderung :der Einheitlichkeit der Abendmahlsfeier der
Ortsgemeinde abgeleitet. Die Voraussetzung, welche ausge-
sprochen sein müsste, wenn die Folgerung logisch richtig er-
scheinen sollte, ist die, dass die Einzelgemeinde je an ihrem
Theil und Ort die Christenheit, die Kirche, der Tempel,
der Leib Christi ist, und dass in ihr das an sich selbst un-
sichtbare Wesen, die sonst nicht darzustellende Einheit der
Kirche zur Darstellung kommen soll. Ganz ähnlich wird
Mgn. 7 (vgl. oben S. 340 und Κ΄. 345f.) das gleichfalls an eine
einzelne Gemeinde gerichtete Gebot der Einheitlichkeit und
Kirchlichkeit des Lebens durch Berufung auf die der Kirche
gemeinsamen Güter begründet. Dass die Einzelgemeinde als
gottesdienstliche ein einheitliches Ganze sein müsse, erscheint
Phil. 4 dadurch begründet, dass sie eine einheitlich verfasste
und regierte ist. Dem äusseren Thatbestand, dass es in diesen
Gemeinden nur je „einen Bischof sammt Presbyterium und
Diakonen gibt“, entspricht die Forderung, dass es nur „einen
Altar‘ geben dürfe, oder, wie es vorher eigentlich ausgedrückt
war, dass die Gesammtgemeinde des Orts nach gemeinsamer
Feier der Eucharistie streben müsse. Aber, wie gesagt, im
428
Hintergrund solcher Ermahnungen steht die Idee einer noth-
wendigen Congruenz zwischen Ortsgemeinde und Gesammt-
kirche.
Die Ortsgemeinde ist das verkürzte Abbild der Kirche,
und nur in den Ortsgemeinden hat die Kirche ihre irdisch
sichtbare Erscheinung. Im Gegensatz zu.der unter dem Bischof
verfassten Ortsgemeinde spricht Ignatius — und seine Briefe
sind das älteste Document dieses Sprachgebrauchs — von der
allgemeinen Kirche!), welche auch schlechtweg_ die
Kirche 3) heisst. Diese allgemeine Kirche ist überall da, wo
Christus ist (Sm. 8); Christus oder Gott ist ihr Bischof’);
a EEE
1) Sm. 8: Ὅπου ἂν φανῇ 6 ἐπίσχοπος, &xei τὸ πλῆϑος ἔστω, ὥσπερ,
ὅπου ὧν 1 Χριστὸς Ἰησοὺς, ἐκεῖ ἡ καϑολικὴ ἐχκλησία. Schon anders,
nämlich im Gegensatz zu häretischen Sondergemeinden ist der Begriff
der katholischen Kirche ınart. Polyc. 16 gerade auf die Einzelgemeinde
von Smyrna angewandt. Wenn daher auch im Munde Polykarps selber
ἁπάσης τῆς χατὰ τὴν οἰχουμένην χαϑολικὴς ἐκχλησίας (]. 1. 8 cf. 19)
noch ganz gleichbedeutend sein mag mit τῶν xara τὴν οἰκουμένην €x-
κλησιῶν (1. 1. 5), so wird doch in der Ueberschrift dieses Schreibens der
Sınyrnäer „die heilige und katholische Kirche“, an deren „‚sämmtliche
Parochien “ es gerichtet ist, zuverlässig auch im Gegensatz zu den
Secten so genannt sein. Nur so erklärt sich auch die Ordnung der
Attribute πάσαις, ἁγίας, καϑολικῆς. Ignatius dagegen spricht, wie viel-
leicht auch noch Polykarp, von der katholischen Kirche im Sinn von
Gesammtkirche im Gegensatz zur Einzelgemeinde.
2) ad Pol. 5; Sm. 1; Phil. 5. 9; Eph. 17. Besonders deutlich ist
Eph. 5: ὑμᾶς μακαρίζω τοὺς ἐνχεχραμένους αὐτῷ (sc. τῷ ἐπισκόπῳ) ὡς
ἡ ἐκκλησία Ἰησοῦ Χριστῷ. Vielleicht ist statt ἐνχεχραμένους, welches
durch ἀναχεχραμένους (f, mit doppeltem u in orvt) indireet, und wahr-
scheinlich durch A L1 bestätigt wird, ἐνχρεμαμένους zu lesen, oder
geradezu (nach an) ἐναχρεμαμένους (1,2 pendentes ad eum). Jedoch lässt
. sich die Lesart des ΟἹ rechtfertigen durch Sm. 3, wo an seiner Iesart
χραϑέντες nicht zu ändern ist. Das οὕτως ΟἹ L! muss dem αὐτῷ
G2 L2 A weichen.
3) Rom. 9: τῆς ἐν Συρίᾳ ἐκχλησίας, ἥτις ἀντὶ ἐμοῦ ποιμένι τῷ
ϑεῷ χρῆται. Μόνος αὐτὴν Ἰησοῦς Χριστὸς ἐπισχοπήσει χαὶ ἡ ὑμῶν
ἀγάπη. Dasselbe sagt die Vergleichung Eph. 5 (8. vorige Anmerkung)
und das Wortspiel ad Pol. inser. cf. ad Pol. 8, wo an ἐπισχοπῇ (nach
@1 Li und den meisten codd. G2) statt ἐπισκόπου (Aabl) festzuhalten
ist. 8, ferner Mgn. 8: οὐκ αὐτῷ (dem Bischof) δὲ, ἀλλὰ τῷ πατρὶ
429
Christus selbst ist der untrennbare oder untheilbare Geist 1),
welcher in dem einen aus Juden. und Heiden gesammelten
Leibe seiner Kirche wohnt ?). Glieder dieser einen allge-
meinen Kirche sind alle Christen als Glieder Christi (Tr. 11;
Eph. 4); was sie aber dazu macht, ist nichts Aeusserliches,
irgend wie örtlich Gebundenes und Individualisirtes, sondern
ein Unsichtbares. Das Einheitsband der allgemeinen Kirche
ist mit einem Wort das Christenthum, nämlich der gleiche
von allen Zungen der Gläubigen in der Welt bekannte Glaube 3),
die über alle räumlichen Grenzen übergreifende Liebe der
Christen untereinander (Rom. 9), der gemeinsame Christenname
und die gemeinsame Christenhoffnung *), der eine Gott, der
.
—
Ἰησοῦ Χριστοῦ, τῷ πάντων ἐπισχόπῳ .... ἐπεὶ οὐχὶ (so nach Parall.
rupef., p. 779, nequaquam 1,1 A, οὐχ ὅτι (1) τὸν ἐπίσχοπον τοῦτον τὸν
βλεπόμενον πλανᾷ τις, αλλὰ τὸν ἀόρατον παραλογίζεται. ΟἿ, 1Petr.
2, 20, Hebr. 18, 20; mart. Polye. 19.
1) Mgn. 15: ἔρρωσϑε ἐν ὁμονοίᾳ ϑεοῦ, κεχτημένοι ἀδιάχριτων
πνεῦμα, ὥς ἐστιν Ἰησοῦς Χριστός. In Tr. 1 bedeutet ἀδιώχριτος unge-
schieden, einig, Eph. 3 entweder in sich untrennbar, d. 1. unauflöslich,
oder untrennbar von Anderem, womit etwas verbunden ist; dagegen
ἀδιακρέτως Phil. inser. zweifellos (cf. Clem. paed. II, p. 190 Pott. = μὴ
ϑιαχρινόμενος Jacob. 1, 6), wieder anders ἀδιάχριτος Jacob. 3, 17 = or
διαχρένων (cf. Clem., strom. II p. 474 extr.).
2) Sm. 1 wird als Zweck der Annagelung Christi ans Kreuz oder
seines gottseligen Leidens angegeben: iva don σύσσημον εἰς τοιὶς αἰῶνας
διὰ τῆς ἀναστάσεως Eis τοὺς ἁγίους καὶ πιστοὺς αὐτοὺ εἴτε ἐν Ἰουδαίοις
εἴτε ἐν ἔϑνεσιν ἐν Evi σώματι τὴς ἐχκλησίας αὐτοῦ. Vgl. Anh. I, 80.
3) Mgn. 10: ὁ γὼρ Χριστιανισμός οὐχ εἰς Ἰουδαϊσμὸν ἐπίστευσεν,
ἀλλ᾽ Ἰουδαϊσμοὸς εἰς Χριστιανισμόν, εἰς ὃν πᾶσα γλῶσσα πιστεύσασα εἰς
ϑεὸν συνήχϑη. Da das letzte Verb durch alle Zeugen bestätigt wird,
darf man dem sinnlosen @s — συνήχϑη (ΟἹ, Li congregaretur, oder
nach caj. congregetur) nicht durch Aenderung in συνηχηϑῇ aufhelfen
(so Dressel). Sfr. 202, 3 und dessen freie Wiedergabe in A führt auf
eis ὃν πῶς ὁ πιστεύσας εἰς ϑεὸν συνήχϑη. Dadurch ist des G2 εἰς or
als ursprüngliche Lesart bestätigt. Die gläubige Zuwendung zum
Christenthum war die Form, in welcher alle Völker zu Gott. versammelt
wurden.
4) Eph. 1:... δεδεμένον ... ὑπὲρ τοῦ κοινοῦ ὀνόματος καὶ ἐλπίδος.
Auch absolut wird τὸ ὄνομα Eph. 8. 7 gebraucht für den Christen-
namen oder den Namen Christi, welchen die Christen tragen (cf. Rom. 9;
480
sich durch Christus offenbart hat, und der eine Christus
(Mgn. 8. 7), das Kreuz Christi als das Feldzeichen, um wel-
ches sich die Heiligen und Gläubigen aus Juden und Heiden
zu einem Leibe sammeln (Sm. 1), und als dessen Zweige oder
Früchte sich die Christen, die es wahrhaft sind, durch ihr
Leben beweisen '), und überhaupt die in ihren Wirkungen
fortlebenden geschichtlichen Erlösungsthatsachen, ferner das
Evangelium, welches diese Heilsthatsachen verkündigt, und
die Apostel, welche es nicht nur ehedem verkündigt haben,
sondern noch immer eine darauf gegründete Auctoritätsstellung
in der Kirche einnehmen als das Presbyterium der allge-
meinen Kirche (Phil. 5; Anh. I, 29). Nur die zuletzt ge-
nannten Stücke bedürfen einer näheren Betrachtung, da nicht
unzweifelhaft ist, was dem Ignatius das Evangelium ist, und
nicht sofort deutlich, inwiefern die verstorbenen Apostel neben
dem lebendigen Gott oder Christus als Bischof der Kirche
das Presbyterium desselben bilden sollen.
An der zunächst angezogenen Stelle kann τὸ εὐαγγέλιον
nicht das geschriebene Buch, sei es eine einzelne evange-
lische Schrift, oder „das viergestaltige Evangelium‘, be-
deuten, sondern nur ebenso, wie gleich nachher, wo es als
Ziel schon der prophetischen Verkündigung erscheint ?), die
Rom. inser.;, Sm. 12; Mgn. 10), aber auch für den Namen Gottes
(Pbil. 10, wo gleich nachher ὑπὲρ τοῦ ὀνόματος ϑεοῦ). — Besonders
häufig wird Christus selbst ἡ κοινὴ ἐλπὶς ἡμῶν genannt: Eph. 21;
Phil. 11; cf Mgn. 11; Tr. inser. und 2. In Phil. 5 wird wahrschein-
lich ἐν τῷ εὐαγγελίῳ, τῆς καιψῆς (statt des überlieferten ποινῆς) ἐλπίδος
zu lesen sein (cf. Mgn. 9).
1) Tr. 11 heisst es von den schleehten Nebenschösslingen, den
Häretikern: „Diese sind nicht eine Pflanzung des Vaters; denn, weun
sie es wären, würden sie als Zweige des Kreuzes erscheinen, und würde
ihre Frucht unvergänglich sein — durch welches [Kreuz] er (d. i. Chri-
stus) euch zu sich ruft, die ihr seine Glieder seid. Daher kann das
Haupt nicht ohne Glieder sein, da Gott Einigung verheisst, welche er
selbst ist.“ Vgl. oben 8. 349, Anm. 3. Ueber Sm. 1 9. Anh. 1, 30
2) Phil. 5: καὶ τοὺς προφήτας δὲ ἀγαπῶμεν, διὰ τὸ καὶ αὐτοὺς
εἰς τὸ εὐαγγέλιον χατηγγελκέναι καὶ εἰς αὐτὰν ἐλπίζειν x. τ. Δ. Ch. c.9:
Οἱ γὰρ ἀγαπητοὶ προφῆται κατήγγειλαν εἰς αὐτόν (ἃ, i. Christus), τὸ
δὲ εὐαγγέλιον ἐπάρτισμά ἐστιν ἀφϑαρσίας.
431
neutestamentliche Heilsbotschaft, ganz abgesehn davon, in
welcher Form sie an die Einzelnen gelangt. An dieser Ver-
kündigung hat die geschichtliche Erscheinung Jesu, die durch
ihn geschehene Erlösung eine dauernde Vergegenwärtigung.
Indem der Mensch zum Evangelium seine Zuflucht nimmt,
kommt er zu dem im Fleisch erschienenen Christus. In der
Gestalt des Evangeliums tritt der geschichtliche Christus den
Heilsbedürftigen entgegen, und in Gestalt des Glaubens an
das Evangelium gewinnen diese Christum. Das will die Ver-
gleichung des Evangeliums mit dem Fleisch Jesu besagen !).
Die Apostel aber sind die vornehmsten Verkündiger desselben.
Unmittelbar hat das Ignatius weder hier noch sonst auszu-
sprechen Gelegenheit gehabt ?); aber mittelbar ist es doch
deutlich genug damit ausgesprochen, dass auch die Propheten
auf das Evangelium hin gepredigt haben sollen. Die Apostel
also zunächst haben es gepredigt. Da sie aber ebensowenig
wie die Propheten und die Geschichte Christi an sich selbst
eine irdische Gegenwart haben, so setzt das, was Ignatius von
ihnen sagt, nothwendig voraus, dass sie ebenso wie das Fleisch
Christi und die Propheten an etwas Anderem, als sie selbst
sind, ein Mittel zur Vergegenwärtigung und dauernden Wir-
kung haben. Zu den Aposteln seine Zuflucht nehmen kann
man nur dann, und das, was das Presbyterium für die Einzel-
gemeinde ist, können sie nur dann sein, wenn ihr Wort
ebenso wie das der Propheten in einer der dermaligen Kirche
gegenständlichen Gestalt, also in apostolischen Schriften, vor-
liegt. Da die Apostel hier nicht in ausschliessendem Gegen-
satz zu dem Evangelium stehn, sondern vielmehr vor und
neben den Propheten als Verkündiger des Evangeliums in
Betracht kommen, so ist von vornherein ausgeschlossen, dass
hier die apostolischen Briefe im Gegensatz zu den angeblich
vorher genannten Evangelien gemeint sein sollen ?). Es treten
1) Ein Vergleich ists allerdings; cf. Pears. II, 197.
2) Vgl. dagegen Clem. ad Corinth, I, 42; Herm. sim. IX, 16. 17;
Pol. 6.
3) Gegen dies alte Misverständnis vgl. schon Lessing, Ausg. von
452
vielmehr neben die stets neu entstehende Heilsverkündigung,
welche ihren Lauf fortsetzen würde, gleichviel, wer sie ver-
kündigt, und ob sie auch schriftlich vorhanden ist, die mas-
gebenden ersten Verkündiger derselben, die Apostel, diese aber
nicht als geschichtliche Erscheinung der Vergangenheit, sondern
als gegenwärtige Auctorität, an die man sich anlehnt, und
bei der man Rath holt. Hat nun dies zur :unerlässlichen
᾿ Voraussetzung, dass die Apostel Denkmäler hinterlassen
haben, durch welche sie zu der Kirche auch der Folgezeit
reden, so folgt weiter auch, dass diese Denkmäler, dies
apostolischen Schriften, nicht einen ausschliessenden Gegen-
satz zum Evangelium bilden sollen, sondern gerade als die
massgebende schriftliche Verkündigung desselben gedacht wer-
den. Es ist im Anhang III nachgewiesen, in welchem Mass
und Umfang apostolische Schriften für Ignatius und die Kirche
seiner Zeit bereits Auctorität geworden sind. Hier gilt es
zunächst nur festzuhalten, dass ihm die Apostel und zwar
nicht die verstorbenen, sondern die in ihren Schriften ver-
ewigten Apostel zu dem bleibenden Bestand der Kirche ge-
hören, zu welchem jeder zum christlichen Glauben sich be-
kehrende Mensch ein Verhältnis gewinnt. Ferner ist deutlich,
dass hier [mündliches] Evangelium und [Schriften der] Apostel
zur alttestamentlichen Offenbarung einen Gegensatz bilden,
welcher sonst kürzer durch „Evangelium“ und ‚ Propheten“
ausgedrückt wird !). Das blosse Wort τὸ εὐαγγέλιον weist,
wie gesagt, nicht auf schriftliche Urkunden der neutestament-
Maltzahn XI, B, 237 vgl. 188. — Es würden hierdurch die Apostel in
einer schwer denkbaren Weise von jeder Autorschaft in Bezug auf die
Evangelien ausgeschlossen. Dies auch gegen Jo. Delitzsch (de inspir.
script. sacrae quid statuerint patres apostolici οἷο, 1872, p. 64sgq.).
welcher selbst ähnlich gegen die Meinung argumentirt, dass hier münd-
liche Heilsverkündigung und apostolische Lehre unterschieden würden.
1) So Phil. 9; Sm. 7: προςέχειν δὲ τοῖς προφήταις, ἐξαιρέτως δὲ
τῷ εὐαγγελίῳ, ἐν ᾧ τὸ πάϑος ἡμῖν δεδήλωται xal ἡ ἀνάστασις TEIE-
λείωται. Sm. 5: οὗς οικ ἔπεισαν αἱ προφητεῖαι οὐδ᾽ ὁ νόμος Μωσέως,
daR” οὐδὲ μέχοι νῦν τὸ εὐαγγέλιον οὐδὲ τὰ ἡμέτερα τῶν χατ᾽ ἄνδρα
παϑήματα, --- Vgl. die Aufzählung bei Clem. Al. quis div., p. 961 Pott,
433
lichen Offenbarung. Es kann z. B. auch Sm. 5 die flüssige
mündliche Verkündigung bedeuten, obwohl es den „Prophe-
tieen“ und dem „Gesetz Mosis“ coordinirt ist, also den schrift-
lichen Urkunden der alttestamentlichen Offenbarung, welche
überhaupt gar nicht anders als in ihren schriftlichen Ur-
kunden den Christen zugänglich sind und auf die Gegen-
‘wart wirken. Denn den gleichen Rang «eines Zeugnisses gegen ἢ
die Irrlehrer erhalten dort die je und dann sich ereignenden
Martyrien. Wieviel mehr kann die stetige Predigt des Evan-
geliums dazu dienen! Anders steht’s mit Sm. 7; denn schon
die Tempusform 3), in welcher dort der das Evangelium vor den
Propheten auszeichnende Offenbarungsinhalt angegeben wird,
zeigt, dass es dem Ignatius geläufig ist, das Evangelium auch
als die ein- für allemal vollbrachte und seitdem objectiv vor-
liegende, als Auctorität der Gemeinde gegenüberstehende neu-
testamentliche Heilsverkündigung vorzustellen. Das heisst mit
anderen Worten, die neutestamentliche Offenbarung, das Evan-
gelium im weitesten Sinn des Worts, ist für ihn bereits schrift-
geworden, wie die alttestamentliche. Das bezeugt auch sein
Bericht über die Disputation mit den Irrlehrern (Phil. 8;
8. oben 8. 373ff.). Es gibt bereits ἀρχεῖα, welche die neu-
testamentlichen Heilsthatsachen beurkunden, und auch diese
Schriften können τὸ εὐαγγέλιον genannt werden, und deshalb
kann dies Wort als näherbestimmende Apposition zu τὰ
ἀρχεῖα hinzutreten. Ignatius selbst weist mit einem γέγραπ-
ται ?) auf-diese anerkannten Urkunden der christlichen Offen-
1) Den Aorist oder das Präsens hätte Ignatius wählen müssen, wenn er
an das geschichtliche Factum der grundlegenden Predigt der Apostel
oder an die fortlaufende kirchliche Verkündigung gedacht hätte.
2) Nur noch zweimal gebraucht es Ignatius und zwar zur Ein-
führung alttestamentlicher Aussprüche: Eph. 5 wird Prov. 3, 34;
Mgn. 12 Prov. 18, 17 so eitirt. Ausserdem scheint nur noch Tr. 8,
wie schon der Uebergang in Rede Gottes zeigt, eine wörtliche Anführung .
beabsichtigt. Genau ist sie nicht, denn das einleitende ovai di’ οὐ
findet sich weder Jes. 52, 5, noch Röm. 2, 24 (vgl. 1Tim. 6, 1), noch
auch Clem. ad Cor. I, 1. 47 (vgl. meine Schrift über Hermas, S. 407f.),
sondern nur bei Schriftstellern, die sonst von Igmatius sich abhängig
zeigen (8. oben 5. 294, Anm. 1). Wichtiger für die vorliegende Frage.
Zahn, Ignatius. 28
434
barung hin; der Streit dreht sich nur darum, ob diese Ur-
kunden eben das bezeugen, was Ignatius mit der Kirche
darin findet, was er aber auch als unverrückbare Grundlage
des Christenthums festhalten würde, wenn es kein schrift-
liches Zeugnis dafür gäbe. Dass aber Ignatius, anstatt einen
ziellosen exegetischen Streit mit Leuten fortzusetzen, welche
nicht von Christus lernen, sondern Recht behalten wollen,
sich auf die Selbstgewissheit des kirchlichen und seines per-
sönlichen Glaubens zurückzieht, beweist nichts gegen die Be-
deutung des schriftgewordenen Evangeliums für die Kirche
seiner Zeit. Die Coordinirung von ‚Evangelium und Aposteln
in Phil. 5 beweist vielmehr, dass ihm gewisse Schriften, in
welchen das Evangelium concret geworden ist, als apostolische
Verkündigung des Evangeliums und Halt der Kirche gelten.
Die neutestamentliche Offenbarung, deren Verkündigung
das schriftliche wie das mündliche Evangelium ist, besteht in
Thaten und Leiden, aber auch in Worten Christi. Wenn in
der Bezeichnung Christi als λόγος ϑεοῦ (Mgn. 8), als γνώμη
τοῦ πατρός (Eph. 3), als γνῶσις ϑεοὺῦ (Eph. 17) zunächst auch
nur der allgemeinere Gedanke ausgesprochen ist, dass Christus
in seiner ganzen geschichtlichen Erscheinung die vollkommene
Offenbarung Gottes, der zur Person gewordene Heilsgedanke
und Heilswille Gottes ist, so ist doch, wenn man verstehen
will, was „das Evangelium‘ des Ignatius ist, nicht zu über-
sehn, welches Gewicht er gerade auch 'auf die Worte Jesu,
sowohl auf die Gebote 1) als auf die Lehre, legt. Christus ist
der untrügliche Mund, durch welchen der Vater wahrhaft ge-
ist, dass bei Ignatius altttestamentliche Anklänge unvergleichlich seltener
sind als neutestamentliche. Unverkennbare Bezugnahmen finden sich
Sin. 1 auf Jes. (5,.26;) 49, 22: 62, 10 und Mgn. 13 auf Ps. 1, 21.
An letzterer Stelle ist unbedingt mit Li (prosperentur cf. Ps. 1, 3 nıl-
gata) χατευοδωθῇ zu lesen (cf. G2). Die Bevorzugung von χατευοδωϑῆτε
Gi würde dem Ignatius einen ihm völlig fremden griechischen Accusativ
πάντα aufbürden, er entstand aus der unrichtigen Verbindung dieses
Verbs mit σαρκὶ καὶ πνεύματι. |
1) Eph. 9; Rom. inser.; Mgn. 2. Vgl. hiezu und zu allem Folgen-
den die Charakteristik der pseudoclementinischen Ansichten in meiner
Schrift über Hermas, ὃ. 145f.
435
redet hat ). Seine Worte waren Thaten, wie seine stummen
Thaten ein würdiger Ausdruck des göttlichen Willens waren ?).
Wie die köstliche Salbe, die er sich übers Haupt giessen liess,
das Haus mit Duft erfüllte, so hat sich von ihm aus die be-
lebende Heilslehre in der Kirche verbreitet 8), ἃ. 1. der Gottes-
glaube, um dessentwillen er sich hat kreuzigen lassen (Eph. 16;
Mg. 9). Wer das Wort Jesu wahrhaft besitzt, kann ihn
auch jetzt vernehmen, wo er äusserlich betrachtet schweigt
(Eph. 15). In der That redet er auch jetzt noch zu
den Christen und ist ihr einziger Lehrer, ausser dem sie
keinen anderen hören (vgl. auch Eph. 6; Mgn. 9). So konnte
man von den Worten Jesu nicht reden und hat es, wie die
neutestamentlichen Briefe zeigen, nicht gethan, ehe die münd-
liche Predigt Jesu selber in anerkannt glaubwürdigen Schriften
der Kirche vorlag, ehe auch diese Seite seiner geschichtlichen
Erscheinung, um mit Phil. 5 zu reden, an einem [geschrie-
benen] Evangelium eine zweite, nun aber bleibende sarkische
Existenz gewonnen hatte. Nur dann ist es auch zu verstehn,
wie neben das Zeugnis, welches Jesus den Propheten ertheilt
hat, die Erwähnung derselben im Evangelium der neuen
Hoffnung treten kann‘), Da das mündliche Zeugnis Jesu
Bestandtheil des Evangeliums geworden ist, so haben die
1) Rom. 8; of. Clem. ep. ad Jacob. 1.
2) Eph. 15. Das von A G2 L2 (autem) nicht bestätigte οὖν zwi-
schen εἰς und διδάσχαλος (GI 1,1. Antioch. mon. hom. 22, p. 50E) ist
festzuhalten. Da es nur dann etwas Schönes ist, zu lehren, wenn dem
Wort die That entspricht, so sei Christus unser Meister, d. h. so lasst
uns ihm nachfolgen, bei dem beides in schönstem Einklang stand.
Δδιδάσχαλος ist er zunächst als der Redende; aber auch in seinem Thun
ohne Worte will er als Lehrmeister erkannt und gleichsam gehört werden
von denen, welche durch Aneignung seines Worts seine Schüler geworden
sind. Durch Nachahmung Jesu sollen und. können sie nach der Voll-
kommenheit streben, dass auch sie durch ihre Worte Thaten thun und
dureh ihr schweigsames Handeln als das, was sie sind, erkannt werden.
3) Eph. 17. Das ἀφϑαρσίαν ist nach Phil. 9fin. zu erklären. Vgl.
auch 2Kor. 2, 16.
4) Phil. 5 heisst es von den Propheten: ὄντες «dieyannrol καὶ
εἐξιοϑαιΐμαστοι üyıo, ὑπὸ Ἰησοῦ Χριστοῦ μεμαρτυρημένοι χαὶ συνηριϑαη-
μένοι ἐν τῷ εὐαγγελίῳ τῆς καὶν ἧς (8. oben S. 429, Anm. 4) ἐλπίδος.
28}
486
Propheten, denen jenes gilt, ebem damit eine Stelle in diesem
gefunden ; sie finden sich in diesem mitaufgezählt als Genossen
der neutestamentlichen Hoffnung. Es heisst nicht, dass man
sie, wo man das Evangelium predigt, mitaufzählt; somit kann
auch τὸ εὐαγγέλιον nur das schriftlich fixirte Evangelium sein,
die in Schriften objectivirte apostolische Verkündigung der
neutestamentlichen Offenbarung. Dass Ignatius darum die
Verfasser dieser Schriften durchweg für Apostel gehalten habe,
oder dass er nur diejenigen apostolischen Schriften, welche
Evangelium im engeren Sinn des Wortes enthalten, als Auc-
torität betrachtet habe, folgt natürlich nicht aus Phil. 5.
Schon, dass er die Apostel als das Presbyterium der Kirche
betrachtet 1), verwehrt diese Einschränkung. Der eigenthüm-
liche Beruf der Presbyter ist nicht die Predigt .des Evange-
liums, sondern die Regierung der Gemeinde unter der oberen
Leitung des Bischofs, und die damit ihnen obliegende Lehre
ist zunächst Anweisung zum richtigen Verhalten. Und gerade
unter diesem (Gesichtspunct betrachtet Ignatius vornehmlich
die Lehre der Apostel. Das διατάσσεσθϑαι ist die den Aposteln
zustehende Form schriftlicher Belehrung der (Gemeinden,
welche Ignatius sich nicht anmassen will (Tr. 3; Rom. 4).
Die διατάγματα. τῶν ἀποστόλων (Tr. 7) sind Normen, von
welchen sich das Gemeindeleben nicht entfernen darf. Da
aber die Apostel „sich Christo und dem Vater und dem
heiligen Geiste unterordneten‘‘ (Mgn. 13), da ferner Christus
ebenso durch sie, als vorher unmittelbar durch sich selbst
handelte (Mgn. 7), und da endlich das Evangelium, welches
auch die Worte Jesu enthält, durch die mündliche und schrift-
liche Verkündigung der Apostel der Kirche vermittelt ist, so
liegt nur ein ampflificirender Ausdruck desselben Gedankens
vor in der Ermahnung: σπουδάζετε οὖν βεβαιωθϑῆναι ἐν τοῖς͵
δόγμασιν Tor κυρίου καὶ τῶν ἀποστόλων (Mgn. 18). Darum
eben, weil die Apostel die Gebote und Anordnungen des
obersten Bischofs, Christi oder Gottes, der Kirche nicht bloss
einmal verkündigt haben, sondern noch immer durch ihre
1) Vgl. ausser Phil. 5 noch Tr. 2. 3; Sm. 8; Mgn. 6. 7.
437
Schriften verkündigen, vergleicht sich ihre Stellung zur Ge-
sammtkirche mit der des Presbyteriums zur Einzelgemeinde.
Sie bilden ein einheitliches Collegium wie die Presbyter jeder
Gemeinde. Ignatius weiss nichts von einem trennenden Unter-
sehied unter ihnen. Er nennt neben Paulus den Petrus
(Rom. 4), spricht von einem συνέδριον τῶν ἀποστόλων Men. 6,
einem σύνδεσμος ἀποστόλων (Tr. 3) und sieht „die Apostel“
ohne Unterschied als Organ der regierenden und gesetz-
geberischen Thätigkeit Christi (Mgn. 7. 13), und als mass-
gebende Verkündiger des Evangeliums an (Phil. 5). Er theilt
also die Ueberzeugung der altkatholischen Kirche, dass es eine
einheitliche apostolische Lehre gibt, an welche die nach-
folgenden Generationen der Kirche gebunden sind 1).
Es ist nicht die Gewohnheit des Ignatius, sich auf einzelne
evangelische Mittheilungen, Lehraussagen und Anordnungen
der Apostel und damit auf die ἀρχεῖα des Christenthums zu
berufen; sondern dieses selbst, die geschehenen Heilsthat-
sachen, welche im Glauben der Kirche und in ihren beseligen-
den F'olgen fortleben, die Stiftungen Christi und der Apostel,
welche überall in der Kirche gehalten werden, und vor allem
die dermalen unsichtbare Einwohnung Christi ?), diese Gemein-
güter aller Christen sind die Einheitsbande, welche sie zur
Kirche vereinigen. Diese allgemeine Kirche, zu welcher die
auf einander folgenden Geüerationen der Christenheit, und
selbst die alttestamentlichen Frommen, die Jesus auferweckt
hat 3), gehören, ist ihrem Wesen und ihren wesentlichen
— --.Ῥ.Ὕ -᾿ --
1) Vgl. z. B. Clem. Al. strom. VII, p. 900: μέα γὰρ ἡ πάντων γέγονε
ἀποστόλων ὥσπερ διδασκαλία οὕτως δὲ καὶ ἡ παράδοσις.
2) Vgl. besonders Eph. 15fin. mit Mgn. 15fin.; Rom. 6 fin.
3) Phil. 9 heisst es nach Aufzählung aller derer, welche durch
Christus als die Thür zu Gott eingehn, nämlich der Patriarchen, Pro-
pheten, Apostel und der Kirche: πάντα ταῦτα eis ἑνότητα ϑεοῦ, Dies
ist aber nur ein Ausdruck für die „communio sanctorum “ (cf. Phil. 5 in
ähnlichem Zusammenhang ἐν ἑνότητι Ἰησοῦ Χριστοῦ: cf. Phil. 8. 8),
während ἡ ἐκχλησία vorher die gläubigen Christen im Unterschied von
den vorchristlichen Frommen bezeichnet. S. oben S. 315, Anm. 3. Die
Sache versteht sich nach den sonstigen Aussagen über die Propheten
Phil. 5; Mgn. 8. 9 von selbst.
438
Elementen nach unsichtbar. Aber trotz des Mangels äusserer
Darstellung ihrer Ganzbeit und Einheit ist Einheit ihr wesent-
lich. Haupt und Glieder, Christus und Gemeinde, aber auch
die Glieder der Gemeinde unter einander sind untrennbar.
Gott selbst, mit dessen Gegenwart Einheit gegeben ist, ver-
heisst der Kirche die Erreichung des in ihrer Idee als Leib
Christi ausgesprochenen Zieles (Tr. 11; cf. Eph. 5). Vor-
läufig kommt die Einheit der Kirche und die allgemeine
Kirche selbst nur in der Einzelgemeinde zur Erscheinung.
Die Glieder der Einzelgemeinde aber theilen nicht nur das
miteinander, was aller Christen Gemeingut ist, sondern unter
ihnen kommt auch die innere Zusammengehörigkeit und geist-
liche Einheit der Christen zu einer stetigen Darstellung in
örtlicher Begrenzung und sichtbarer Aeusserlichkeit. Es gibt
für die Vorstellung des Ignatius wie in der damaligen Wirk-
lichkeit nur Einzelgemeinden ohne äusserliche Verbindung
‚unter einander, aber auch eine ihrem Wesen nach unsichtbare
allgemeine Kirche, welche mehr ist als die Summe der Ein-
zelgemeinden, weil sie über die irdische Sichtbarkeit über-
greift. In jeder Einzelgemeinde, also in jedem ihrer sicht-
baren Theile, stellt sich diese allgemeine Kirche abbildlich
dar !). Was aber die Einzelgemeinde zu einem besonderen
Theile der Kirche macht, worin sich das Ganze nach ver-
jüngtem Massstab darstellt, ist zunächst der Ort, an dem sie
wolnt, der Raum, der sie von anderen Christen trennt, also
nach der Ausdrucksweise des Ignatius etwas Fleischliches
(Rom. 9). Daher scheut er sich auch nicht, das besondere
Verhältnis zwischen der Einzelgemeinde und ihrem Bischof
als ein sarkisches zu bezeichnen 3. Wie heilsam und heilig
1) Dieselbe Anschauung liegt übrigens der Ausdrucksweise des
Paulus (vgl. 1Kor. 3, 9—17 wit Eph. 2, 20—22) zu Grunde, und ebenso
den Visionen des Hermas, dem die römische Gemeinde mit der Kirche
aller Orte und Zeiten in Eins zusammenfliesst.
2) Eph. 1; 8. oben S. 254, Anm. 1. Vgl. den Gegensatz des sicht-
baren und des unsichtbaren Bischofs, an dessen Stelle nachher der von
σέρξ und ϑεός tritt, Mgn. 3.
459
es sein mag, es gehört der Welt der Erscheinung an. Gerade
im Gegensatz zu der aller sichtbaren Organisation ermangeln-
den Gesammtkirche ist die Ortsgemeinde für die nächste Be-
trachtung eine irdisch menschliche Genossenschaft. Aber sie.
ist Kirche, in ihr wohnt Gott und Christus. Ist überall da,
wo Christus ist, die katholische Kirche, so ist diese in jeder
Einzelgemeinde, das Unsichtbare im Sichtbaren, das Allge-
meinen im Besonderen. Dass die Gemeinde einen Menschen
zum Bischof hat, hebt ihre Beziehung zu dem ‚unsichtbären
Bischof“ (Mgn. 3) natürlich nicht auf und. macht sie nicht
überflüssig. Man kann von einer augenblicklich ihres Bischofs
beraubten Gemeinde sagen, Gott oder Christus allein sei ihr
Hirt und Bischof (Rom. 9); aber eben damit ist gesagt, dass
er es auch da ist, wo es einen sichtbaren Bischof gibt (ad
Pol. inser. u. 8; Mgn. 3). Von da aus wollen die Ver-
gleichungen zwischen den Gemeindevorstehern und den un-
sichtbaren Regierungsgewalten der Kirche verstanden werden.
Ist die Ortsgemeinde Typus der Kirche, so ist der Bischof,
welcher einzig in seiner Art die Gemeinde regiert, selbst-
verständlich Typus Gottes oder Christi (Tr. 2. 3; Mgn. 6;
Anh. I, 22), Typus aber mit der zwiefachen Bestimmtheit,
dass er sichtbarer oder sarkischer Weise ist, was Gott oder
Christus unsichtbarer oder geistlicher Weise ist, und dass er
es in dem engeren Kreis der Ortsgemeinde ist, während Gott
oder Christus es für die Kirche des Erdkreises und aller
Zeiten ist, nämlich Aufseher, Hirt ἢ), Regent. Sehr nahe lag
es dann weiterhin, das Presbytercollegium dem Apostelcolle-
gium zu vergleichen, zumal wenn ihm bekannt war, dass ein
Apostel die Gemeindeältesten als ihr συμπρεσβύτερος ange-
redet hatte (1 Petr. 5, 1) und ein anderer freilich in anderem
Sinn den Namen ὁ πρεσβύτερος ständig geführt hatte ?).
Wie Christus die Apostel von seinen Rathschlüssen in Kennt-
nis gesetzt und zur Ausführung seiner Entschliessungen in
-..............-..-
1) Vgl. ausser Roın. 9 noch Phil. 2.
2) 2Joh. 1; 3Joh. 1. Vgl. Stud. u. Krit. 1866, 5. 664f. und Vor-
rede zum Hermas, ὃ. VIff.
440
Bezug auf die Kirche berufen hat, so ähnlich wird sich
innerhalb der Einzelgemeinde das Verhältnis des Bischofs zu
den Presbytern ganz abgesehn von den Wünschen des Ignatius
gestaltet haben, wo der monarchische Episkopat bestand. Für
die Diakonen blieb keine Stelle in dieser Vergleichung; es
findet sich keine ebenso stetige Parallelisirung derselben mit
einem Element der unsichtbaren allgemeinen Kirche. Wo
Gott und nicht Christus als Urbild des Bischofs vorgestellt
wird (Mgn. 6; Tr. 3), werden die Diakonen mit Christus,
dem διάχονος πάντων, um mit Polykarp zu reden (ad Philipp. 6),
verglichen. Wo dagegen Christus statt Gottes als oberster
Bischof und Urbild des Bischofs vorgestellt wird, wird die
Ehrerbietung gegen die Diakonen der Achtung vor den Ge-
boten Gottes gleichgestellt 1).
Sind die Christen eines Ortes erst dadurch, dass sie ein
unter Bischof, Presbytern und Diakonen verfasstes Gremein-
wesen sind, eine Kirche, ein die Idee der Kirche darstellen-
des Ganze (Tr. 3; 8. oben S. 300), so ergibt sich die Forde-
rung der Unterordnung unter die Gemeindevorsteher von selbst
aus dem Wesen der Kirche, welche in der Einzelgemeinde
zur Darstellung kommen soll. Aber auch ohne Rücksicht auf
die Idee der allgemeinen Kirche gilt die Einheit des ge-
‘meindlichen Lebens als der normale, dem religiösen Leben-
förderlichste Zustand und Kirchlichkeit aller Cultushandlungen
als die dem Wesen dieser Handlungen entsprechende Ausübung.
Nun aber hat die Gemeinde an ihrer Obrigkeit, und be-
sonders an dem-einen Bischof ihre in die Erscheinung tretende
Einheit, und alles, materiell betrachtet, kirchliche Handeln ?)
nen
1) Sm. 8: τοὺς δὲ διαχόνους ἐντρέπεσϑε ὡς ϑεοῦ ἐντολήν. Dasselbe
wird Tr. 13 vom Bischof gesagt; Mgn. 2 wird der Diakonus Zotion gelobt,
ὅτι ὑποτάσσεται ἐπισχόπῳ ὡς χάριτι ϑεοῦ καὶ τῷ πρεσβυτερίῳ ὡς νόμῳ
Ἰησοῦ Χριστοῦ. Dass damit nicht etwa die einzelnen Aemter als gött-
liche Gebote, als von Gott und Christus gebotene Institutionen bezeichnet
werden sollen, sondern nur rücksichtlich ihrer Ehrwürdigkeit damit ver-
glichen werden, sieht man deutlich in Tr. 13: τῷ ἐπισχόπῳ ὡς τῇ
ἐντολῇ. Der Bischof kann doch nicht das eine Gebot Gottes sein.
2) Sm. 8: τὰ ενήχοντα εἰς τὴν ἐκκλησίαν.
441
wird formell kirchlich erst dadurch, dass es dürch die die
Gemeinde vertretenden Vorsteher und unter deren Leitung
geschieht, während es im anderen Fall ein privates Handeln
ist ἢ). Daher gehen bei Ignatius die Ermahnungen zur Pflege
der Gemeindeeinheit und zu kirchlicher Ausgestaltung des
religiösen Lebens stets Hand in Hand mit der Ermahnung
zur Unterordnung unter die Vorsteher. Enger Zusammen-
schluss aller Gemeindeglieder in einmüthigem Gehorsam und
fester Anschluss Aller an Bischof und: Presbyter ist allseitige
Heiligung des Gemeindelebens 3. Weil in Ephesus die Pres-
byter mit dem Bischof zusammenstimmen, und die Gemeinde-
glieder sich der Uebereinstimmung mit dem Bischof befleissigen,
so bilden sie insgesammt einen Christus preisenden Sänger-
chor 5. In göttlicher Eintracht Alles thun, heisst, es unter
der Leitung der Vorsitzenden thun (Mgn. 6). Absonderung
von dem gemeinsamen Gottesdienst ist geradezu Auflehnung
gegen den ihn leitenden Bischof, und ein von den Vorstehern
unabhängiges kirchliches Handeln ist Selbstausschluss aus der
in gemeinsamem Gottesdienst sich darstellenden kirchlichen Ge-
meinschaft (Eph. 5; Tr. 7; oben 8. 340 f.).
Der gewöhnliche Ausdruck für das richtige Verhalten
1) Vgl. besonders Mgn. 7, wo ἄνευ τοῦ ἐπισκόπου καὶ τῶν πρεσβυ-
τέρων soviel heisst wie ἐδίᾳ und den Gegensatz bildet zu ἐπὶ τὸ ao
(8. oben S. 345£.). Nach Eph. 5 ist das Gebet der ganzen Gemeinde das
(tebet des in ihrem Namen betenden Bischofs. Es ist das keine Theorie,
sondern einfachste Wiederspiegelung der Wirklichkeit.
2) Eph. 2. Der von ΟΣ beeinflusste mediceische Text ist nach
Li A zu purificiren und so zu lesen: ἕνα, ἐν μιᾷ ὑποταγῇ κατηρτισ-
μένοι, ἐπιτασσόμενοι τῷ ἐπισκόπῳ καὶ τῷ πρεσβυτερίῳ, κατὰ πάντα
ἦτε ἡγιασμένοι. Dass sich statt des seltenen ἐπιτασσόμενοι ein ὑπο-
τασσόμενοι einschlich, bedarf keiner Erklärung; eine Spur des Ursprüng-
lichen zeigt 1,3, nur an verkehrter Stelle, wenn man mit mrgpl „in una
praeceptione “ (ἐπιταγῇ statt ὑποταγῇ) liest statt „,perfectione“ der Uebrigen.
Hinter dem Bischof und den Presbytern drein sollen sich Alle in Reih
und Glied aufstellen. Bei κατηρτισμένοι fiel dem Iıtterpolator die richtige
Parallele 1Kor. 1, 10 ein.
3) Eph. 4. Die Cither (Bischof) mit ihrem Saitenspiel (Presbyter)
leitet den Gesang des Chors (Gemeinde).
442
gegen die Vorsteher ist ὑποτάσσεσϑαι !), daneben ἐντρέπε-
σϑαι ἢ. Aber es ist wohl zu beaclıten, dass Ignatius mit
beiden Worten auch das gegenseitige Verhalten aller Ge-
meindeglieder beschreibt, welche sich gegenseitig nicht fleisch-
lich, sondern als Glieder der Gemeinde ansehn und darauf
bedacht sein sollen, Einheit und Frieden zu wahren 8). Im ge-
gliederten Gemeinwesen ist überhaupt, wie schon Clemens im
Brief an die Korinther eifrig gepredigt hatte, Einheit und
Einigkeit nicht möglich: ohne eine mannigfach abgestufte und
auch wechselseitige Unterordnung. Im Verhältnis zu den
von Amts wegen Leitenden ist selbstverständlich die Einheit
mit ihnen *) wesentlich nur in Form der Unterordnung unter
sie zu pflegen. Aber es ist wiederum nicht zu übersehn;
dass die stärksten Vergleiche, wodurch die erforderliche
Unterordnung unter die Oberen veranschaulicht wird, auch
für das gegenseitige Verhältnis der Christen zu einander ge-
braucht werden (vgl. Mgn. 13 mit Mgn. 7). Es ist ferner
nur eine Mannigfaltigkeit. des Ausdrucks für den gleichen
Gedanken, wenn Ignatius bald die Träger aller drei Ge-
meindeämter 5), bald Bischof und Presbyter ©), bald den
1) Men. 2. 13; Tr. 2. 13; ad Pol. 6. Das Substantiv Eph. 2; in
einer Erınahnung an den Bischof (ad Pol. 2): τοὺς λοιμοτέρους ἐν
πραύτητι ὑπότασσε. Sehr häufig gebraucht ὑποτάσσεσϑαι Clemens (ad
Corinth. I, 1. 2. 38. 57). Weitere Synonyma sind ἐπιτέσσεσϑαι Eph. 2
(s. 5. 441, Anın. 2), ὑπακούειν Eph. 20, ἐπακοιίειν Mgn. 3, συντρέχειν
τῇ τοῦ ἐπισχόπου γνώμῃ Eph. 4, προσέχειν τῷ ἐπισχόπῳ Phil. 7; ad
Pol. 6 (cf. Tr. 4; Sm. 7 dasselbe Verb).
2) Tr. 3; Sm. 8; Mgn. 3: πᾶσαν ἐντροπὴν ἀπονέμειν.
3) Mgn. 6: πώντες οὖν, ὁμοήϑειαν ϑεοῦ λαβόντες, ἐντρέπεσϑε πλ-
λήλοις, καὶ μηδεὶς κατὰ σιίρκα βλεπέτω τῷ πλησίον, ἀλλ᾽ ἐν Ἰησοῦ
Χριστῳ ἀλλήλους διαπαντὸς ἀγαπᾶτε. Mgn. 8: ὑποτώγητε τῷ ἐπισχόπῳ
χαὶ ἀλλήλοις. Cf. Clem. ad Cor. I, 38; Pol. ad Philipp. 10. Die
Grundstelle ist Eph. 5, 21. |
4) Gerade auch für das Verhältnis zu den Oberen dieser Ausdruck
Phil. inscer.; Mgn. 6fin.; cf. 7 init. Vgl. die Bilder Eph. 4. 5.
- δ) Mgn. 6. 13; Tr. 2. 3. 7; Phil. inser. 4. 7; Sm. 8. 12; ad
Pol. 6.
6) Eph. 2; Tr. 13; Mgn. 7, nachdem kurz vorher alle drei Aemter
448
Bischof allein 1) als Auctoritätspersonen nennt. Wenn dabei
besonders die Diakonen zurücktreten, so entspricht es ihrer
Stellung und Befugnis; aber charakteristisch ist es jedenfalls
für die Denkweise des Ignatius, dass er gerade von den Dia-
konen stets mit besonderer Auszeichnung redet. Schon die
vorhin (S. 440) besprochenen Vergleichungen zeigen das, wie
die regelmässig wiederkehrenden Beiwörter ?2) und die Ange-
legentlichkeit, mit welcher gerade für sie von Allen Respect
gefordert wird (Tr. 3), und endlich die starke Betonung der
Heiligkeit gerade ihres verhältnismässig untergeordneten
Dienstes (Tr. 2; Sm. 10). Tritt hierin das Streben zu Tage,
gerade demjenigen Ehre zuzuwenden, dessen saurer Dienst sie
nicht unmittelbar mit sich bringt, so war andrerseits eine
besonders dringende Empfehlung der Unterordnung Aller unter
den Bischof in dem Grundgedanken der ignatianischen Er-
malınungen begründet.: Denn worin hätte sich die Einheit
der Ortsgemeinde greiibarer dargestellt als in dem einen
Bischof (Phil. 4), der als Hirte der ganzen Heerde vorangeht
(Phil. 2), durch welchen die ganze Gemeinde ihr gemein-
sanres Gebet vor Gott bringt (Eph. 5) und durch den alles
wirklich gemeindliche Handeln 8) sich vollzieht. Bei einem
Presbytercollegium war es möglich, dass Jemand im Einklang
mit einem Glied dieses Collegiums und doch sammt diesem
unabhängig von der Gesammtheit, also unkirchlich handelte.
Nur der Bischof repräsentirt die ganze Gemeinde und reprä-
sentirt sie ganz; an ihm hat auch das Presbyterium seine
genannt waren. Auch Tr. 2. 3 ist die Abstufung und namentlich eine
Unterscheidung zwischen den beiden oberen und dem dritten Amte er-
kennbar. |
1) Eph. 3—6; Mgn. 3. 4; Phil. 3. 7 (nachdem im selben Kapitel
alle drei genannt waren, ebenso Sm. 8); ad Pol. 5. 6 (aber unmittelbar
darauf die drei, ebenso Tr. 7); Sm. 9.
2) Er nennt sie seine σύνδουλοι Phil. 4; Sm. 12; Eph. 2; Mgn. 2
oder οὐ κατὰ ϑεὸν διάχονοι Mgn. 13; cf. Eph. 2 (τῶν διαπύνων τῶν
ἐμοὶ γλυκυτάτων Mgn. 6).
3) Vgl. oben S. 325 in Bezug auf die Gesandtschaften.
444
Einheit !). Daher ist es natürlich, dass die Ermahnung zur
Unterordnung unter die Gemeindeobrigkeit zum Zweck der
Wahrung der Gemeindeeinheit, sehr häufig die kurze Form
einer Ermahnung zum Anschluss an den Bischof, der Unter-
ordnung unter ihn annimmt. „Wo der Bischof ist, da er-
scheine die Menge“ (Sm. 8); wohin der Hirte führt, dahin folge
ihm die Heerde (Phil. 2)!
Aus dieser Darlegung wird erhellen, wie unrichtig man
den Ignatius verstanden hat, wenn man ihm die Absicht zu-
geschrieben hat, den Episkopat zu empfehlen oder diesem
Amt im Unterschied von den übrigen zu mehrerer Herrlich-
keit zu verhelfen. Wie er überhaupt starken Ausdruck liebt,
so redet er auch vom Beruf des Bischofs in Ausdrücken, die
man in einer kirchenrechtlichen Abhandlung nicht ertragen
könnte. Aber z. B. die Vorstellung vom Bischof als Typus
Gottes oder Christi hat doch keinerlei Aehnlichkeit mit der
Phrase, dass „der Bischof wesentlich der Repräsentant und
das Organ Gottes und Christi“ sei (Baur I, 65), und besagt
bei näherer Betrachtung ziemlich wenig, wenn gleichzeitig
auch die Diakonen, die als Küster, Boten und Briefträger
dienen, als Typus Christi betrachtet und das Presbyterium
mit einer Rathsversammlung Gottes verglichen wird. Diese
Typologie erklärte sich uns aüs der nachgewiesenen Idee einer
Congruenz zwischen der allgemeinen Kirche und der Einzel-
gemeinde. Selbstverständlicher Weise meint Ignatius, dass
diese Idee nicht nur wahr, sondern auch fruchtbar sei; er
würde sie nicht so oft aussprechen, wenn er nicht der Mei-
nung wäre, dass das Verhalten der Gemeindeglieder gegen
ihren Bischof sich darnach bemessen sollte, dass der Bischof
in seinem kleinen Kreise und in sarkischer, Weise ein Abbild
des allgemeinen unsichtbaren Bischofs ist. Es gilt ihm als
Merkmal wahrhaft christlicher Gesinnung, wenn die Trallianer
1) Das liegt in der Vergleichung Eph. 4. Die übrigen Gremeinde-
vorsteher werden auch Phil. inser. und c. 3 im Ausdruck so mit den
Bischof zusaınmengeschlossen, dass der Bischof als Eimheitspunct der
Träger kirchlichen Amtes innerhalb der Ortsgemeinde erscheint.
445
ihrem Bischof, wie Jesu Christo, sich unterordnen (Tr. 2). Die
Presbyter von Magnesia, welche ihrem jungen Bischof Ehre
erweisen, erweisen sie eigentlich nicht ihm, sondern dem
Vater Christi, dem allgemeinen Bischof (Mgn. 3). Aber
solche Aeusserungen verlieren den Schein einer Vergötterung
der Bischöfe sofort, wenn man die Erläuterungen beachtet.
Nur die volle Aufrichtigkeit und die religiöse Wurzel des
Respects vor dem Bischof soll ausgedrückt sein; denn es wird
die allgemeine Regel daraus gefolgert, dass die Christen zur
Ehre dessen, der sie gewollt, d. h. zum Heil bestimmt hat,
und ohne alle Heuchelei [dem Bischof] Gehorsam leisten
sollen, weil ein heuchlerischer, auf Täuschung des Bischofs
berechneter Gehorsam noch etwas Anderes als Täuschung
des Bischofs, nämlich der Tendenz nach eine TUeber-
listung des unsichtbaren Bischofs, Gottes, ist. Darüber
aber hat man nicht menschlichem Fleisch, nicht dem der
Täuschung ausgesetzten irdischen Bischof, sondern dem Gott,
der das Verborgene sieht, Rechenschaft zu geben (Mgn. 3).
Auch die geradezu ausgesprochene Forderung, dass man den
Bischof wie den Herrn selbst ansehn müsse (Eph. 6), verliert
. ihr Befremdliches, sowie man die voraufgeschickte Begründung
beachtet. S® ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz,
dass Jeder, welchen Gott, der Herr des Hauses, mit einem
besonderen Verwalteramte betraut hat, wie sein Auftraggeber
aufgenommen werden soll. Aber einen „das Gemeinwesen be-
treffenden Dienst“, wie das bischöfliche Amt Phil. 1 genannt
wird, haben die Presbyter und die Diakonen, „die Diener der
Geheimnisse Gottes“ und „der Kirche Gottes“ (Tr. 2) nicht
minder, als der Bischof. Nur in dem Masse, als das Amt
des Bischofs einflussreicher ist, wird auf diesen die allge-
meine Regel mit grösserem Nachdruck und häufiger ange-
wandt. Es muss hier ferner wieder daran erinnert werden,
dass nach der Ansicht des Ignatius, wie in der Wirklichkeit,
der Episkopat lediglich Gemeindeamt war (oben $. 306 ff.), und
dass Ignatius nie auf den Gedanken geräth, dadurch für den
Bischof eine auszeichnende Stellung zu gewinnen, dass er
ihm im Unterschied von den übrigen Gemeindevorstehern eine
446
über die Grenzen der Ortsgemeinde übergreifende Bedeutung
zuschriebe. Die Bischöfe sind ihm nicht Nachfolger der '
Apostel 1), denn der Apostolat ist nach Ignatius das Presby-
terium der allgemeinen Kirche und ebensowenig wie der
Episkopat Christi oder Gottes in eine besondere Beziehung
zu irgend einer einzelnen Gemeinde :oder mehreren gesetzt,
der Episkopat dagegen durchaus local beschränkt. Wäre
Ignatius des Gedankens der späteren Kirche fähig, dass die
Bischöfe die Nachfolger der Apostel, Erben ihres Amtes seien,
so würde er nicht beharrlich die Presbyter der Gemeinde mit:
ihnen vergleichen können. Noch weniger sind die Presbyter
Nachfolger der Apostel; es gab deren ja schon, als noch die
Apostel die Kirche regierten, und die Beziehung der Apostel
zu Christus und zur allgemeinen Kirche, deren Abbild das
Verhältnis des Presbyteriums zum Bischof und zur .Ortsge-
meinde ist, besteht noch in Kraft (Phil. 5; s. oben S. 430 ff.),
ebenso wie der allgemeine unsichtbare Episkopat Christi und
Gottes über dem sichtbaren menschlichen Episkopat der Orts-
gemeinde. Eine speeifische Würde des Episkopats im Unter-
schied von den übrigen Gemeindeämtern ist in dieser Typo-
logie gerade nicht ausgesprochen 3. Alle drei Aemter haben
in den unsichtbaren Elementen der Gesammtkirdhe ihre Ur-
bilder, haben darum zwar nicht gleiche, aber gleichartige
Würde und Auctorität als Leiter des Gemeindelebens und
EEE SEES
1) Dass ihnen insbesondere die Verordnungen der Apostel überliefert
seien, hat Lipsius I, 56f. zwisehen den Zeilen von Tr. 7 gelesen. Ueber
das Misverständnis von Tr. inser. s. oben 8. 415.
2) Wenn Baur I, 72 schon darin einen Grundanterschied zwischen
dem Bild der Kirchenverfassung bei Clemens von Rom und dem (65
Ignatius gefunden haben wollte, dass bei jenem dem alttestamentlichen
Hohepriester nicht etwa der Bischof, sondern Christus entspreche (c. 40
cf. 58), so übersah or, dass auch Ignatius nie den Bischof, sondern nor.
einmal Christus als Hohepriester bezeichnet (Phil. 9). Es fehlt bei Igna-
tius jede Andeutung priesterlichen Charakters der Gemeindevorsteher,
wie sie bei Cleinens zu finden ist (vgl. meinen Hermas, S. 117), obwohl
Ignatius vom alttestamentlichen Cultus Bezeichnungen des christlichen
entlehnt (s. oben S. 339 ff.).
447
Organe der Gemeindeeinheit Ὁ). Die hervorragende Würde des
Bischofs besteht einzig darin, dass er thatsächlich an der
Spitze der von ihm geleiteten Gemeinde und der ihm
untergeordneten anderen Vorsteher steht. Dass es in Rom
damals noch keinen Bischof nach der Art der Bischöfe Asiens
gab, hindert den Ignatius ebensowenig, auch diese Gemeinde
als eine ächt christliche „mit jedem Grebot Christi geeinigte “
Gemeinde von hervorragender Bedeutung für die Kirche zu
betrachten, als Polykarp sich veranlasst sah, den Philippern
zu rathen, dass sie für einen Bischof sorgen sollten. Es
fehlte diesen Gemeinden eben nur eine der Formen, in wel-
chen sich die Gemeindeeinheit ausprägte, aber darum nicht
diese selbst und auch nicht die Möglichkeit und Pflicht, sie
sich angelegen sein zu lassen.
Die Pflicht, die Einheit des Gemeindelebens zu pflegen
durch Unterordnung unter die Vorsteher und besonders unter
den Bischof, wird ebenso wie die allgemeiner ausgedrückten
christlichen und kirchlichen Pflichten auf Gott bezogen,
religiös motivirt. Die Versäumnis derselben wird je nach
dem Grad ihrer Bewusstheit und Absichtlichkeit als Mangel
an Gewissenhaftigkeit, als Auflehnung gegen Gott, als
Teufelsdienst charakterisirt (vgl. oben 8. 542 1), und die
Pflege der Gemeindeeinheit, das Streben nach kirchlicher
Gestaltung alles seiner Natur nach gemeinsamen religiösen
Handelns und die davon unzertrennliche Unterordnung
unter die (Gemeindeobrigkeit erscheint als Bedingung der
Theilnahme an den Heilsgütern (Eph. 2. 4. 5. 20;
Tr. 2. 7; Phil. inser.; Sm. 9; ad Pol. 6), weil es christliche
Pflicht, weil es das gottgemässe Verhalten (Phil. 4; cf.
Eph. 8) und das Christo entsprechende Leben (Phil. 3;
Tr. 2) ist. Aber diese Urtheile, welche in den gewöhnlichen
Darstellungen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt sind ?), gründet
1) Vgl. die beredte Darstellung bei Pearson 11, 6.
2) Dahin gehört es z. B., wenn Bunsen II, 7U dem Ignatius der
7 Briefe die Idee unterschicbt, ‚dass die Christen sich nur an die Geist-
lichkeit als die Bürgen ibrer Seligkeit halten sollen“, oder wenn Baur
448
Ignatius weder auf einen historischen Beweis, noch auf ein
positives Gebot, sondern erstlich auf die ideale Auffassung
der Ortsgemeinde als der concreten Erscheinung und des genau
entsprechenden Gegenbilds der allgemeinen Kirche, und sodann
auf die einleuchtende Zweckmässigkeit einer Einrichtung des
Gemeindelebens nach jener Idee. Allerdings wird den inde-
pendentistisch Verfahrenden das gute Gewissen darum abge-
sprochen, weil sie nicht „zuverlässig nach dem Gebot sich
. versammeln“ (Mgn. 4) und in ähnlichem Zusammenhang an
die Verordnungen der Apostel erinnert ἢ. Aber auf einzelne
Gebote Gottes und Christi oder einzelne Verordnungen der
Apostel beruft sich Ignatius nie. Kein kirchliches Amt wird
auf unmittelbare oder mittelbare göttliche Stiftung gegründet ?),
keine kirchliche Sitte auf apostolische Verordnung zurückge-
führt. „Das Gebot“, welchem gemäss das kirchliche Leben
sich gestalten soll 3), ist nicht ein einzelnes Gebot, sondern
die Summe der Gebote, mit welchen geschmückt (Eph. 9),
geeinigt (Rom. inscr.) und einstimmig (Phil. 1) rechte Chri-
sten leben. Es liegt also die Vorstellung zu Grunde, dass in
dem allgemeinen durch Christus und die Apostel verkündigten
göttlichen Willen, obwohl sein Wortausdruck nicht zur Be-
stätigung der einzelnen Forderungen der Gegenwart ange-
rufen werden soll oder kann, diese Forderungen eingeschlossen
sind, und dass aus der frommen Gesinnung von selbst der
I, 64 urtheilt, dass hier „die Gemeinschaft des einzelnen Christen mit
der Kirche einzig nur von seiner Verbindung mit dem Bischof abhängig
gemacht wird“ (vgl. Hilgenfeld, S. 268), auch was Baur II, 99 von
„unbedingter Auctorität‘ des Bischofs sagt.
1) Tr. 7. Vgl. auch Mgn.' 13 init. mit dem Ende des Kapitels.
2) In Bezug auf Eph. 3 vgl. oben S. 299, über Phil. inser. und
ὁ. 1 8. 328f., über die Vergleichungen Sm. 8; Mgn. 2; Tr. 13 S. 440,
Anm. 1.
3) Mgn. 4. Vgl. zu dem absoluten xaz’ ἐντολήν auch Tr. 13
(τῇ ἐντολῇ) und Mgn. 2 (νόμῳ Ἰησοῦ Χριστοῦ) und hiermit wieder das
Attribut der römischen Gemeinde γριστονόμος (so ist mit 1,1 Scur.
Mart. Syr. Al A2 gegen ΟἹ ΟΣ zu lesen). Die Mehrheit der Gebote auch
Rom. inser.; Eph. 9; Phil. 1; Polye. ad Phil. 2, aber auch bei Polykarp
der Singular c. 3. 4.
449
rechte kirchliche Sinn sich ergebe ). Darum fühlt Ignatius
das Bedürfnis der Anlehnung seiner einzelnen Ermahnungen
und Forderungen an die Auctorität einzelner Aussprüche
Christi und der Apostel ebenso wenig, wie ihm sein christ-
“ licher Glaube von der Schrift abhängt. Noch weniger bean-
sprucht er für sich selbst eine Auctorität, kraft deren man
ihm folgen müsse, sondern wehrt auch den Schein, als ob er
sich apostolische Auctorität anmasse, ausdrücklich ab (Tr. 3;
Rom. 4. Er ist nur ein Christ, den „die Liebe nicht -
schweigen lässt‘ (Eph.. 3).
Viel auffälliger als dieser Mangel der Begründung seiner
Rathschläge durch Berufung auf äussere Auctoritäten, und in
der That misverständlich für Jeden, welcher die Briefe des
Ignatius nicht als Briefe von bestimmter Veranlassung und
mit bestimmtem Leserkreis betrachtet, ist dies, dass Ignatius
auch das andere Bedürfnis kaum zu fühlen scheint, auf die
Bedingtheit seiner Forderung kirchlichen Gehorsams durch die
entsprechenden Eigenschaften und Leistungen der Gemeinde-
obrigkeiten hinzuweisen. Allerdings ermahnt er einmal die
Diakonen zu untadeligem Wandel (Tr. 2), ehe er für sie Ehr-
erbietung von Allen fordert (Tr. 3), und dem Bischof von
Smyrna legt er seine mannigfaltigen Pflichten dringend ans
Herz (ad Pol. 1—5), darunter auch die der liebevollen Ge-:
duld mit Schwachheiten und Verkehrtheiten und der Unpartei-
lichkeit gegen Alle und auch des brüderlichen Tons im Ver-
kehr mit dem Einzelnen 2). Die Forderung der Abhängigkeit
alles gemeindlichen Lebens vom Bischof erscheint hier, wenn
nicht bedingt, so doch unmittelbar ergänzt durch die For-
derung ebenso durchgängiger Abhängigkeit des Bischofs von
Gott (c. 4). Es kann auch nur natürlich erscheinen, dass
Ignatius in dem einzigen an einen Bischof gerichteten Briefe
den Bischof an seine Pflichten erinnert, dahingegen in den
an Gemeinden gerichteten Briefen die Pflichten der Laien
1) Im einzelnen Fall wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass
die Frommen sich ausnahmslos von der Separation fernhalten (Phil. 3).
2) Vgl. über ὁμοήϑεια ad Pol. 1 oben S. 319, Anm. 2.
Zebn, Ignatius, 29
450
gegen die’Geistlichen betont. Trotz alle dem bleibt es wahr,
was der Katholik sagt ἢ: „Er führt eine Sprache, die man
nie von einem Protestanten hören wird‘, und es ist unwahr,
was der Protestant von seiner syrischen Blumenlese aus Igna-
tius sagt, dass hier das Urtheil darüber, ob ein Bischof in
rechtem Glauben und christlicher Lehre stehe, „ausdrücklich
auf das Gebiet des Gewissens, also des auf das Wort von
Christus gestützten Glaubens‘ gesetzt werde (Buns. II, 94).
Eher das Gegentheil könnte man daraus folgen, dass er „das
Verhältnis zum Bischof unmittelbar mit dem Verhältnis zu
Gott in Verbindung setzt‘, oder dass er schreibt: τῷ ἐπισκόπῳ
προσέχετε, ἵνα καὶ ὁ ϑεὸς ὑμῖν (ad Pol. 6).
Ignatius setzt den Fall gar nicht, dass ein Bischof oder
Presbyter auch unchristlich lehren und leben könnte, und
gibt den Gemeinden weder Anweisung zur Bildung eines
Urtheils darüber, noch zu einem dem entsprechenden Handeln
im gegebenen Fall; und zwar aus dem einfachen Grunde thut
er das. nicht, weil er nicht Schriftsteller über kirchliches
Leben ist, sondern an fünf Gemeinden Kleinasiens schreibt,
von denen er zwei bei Gelegenheit seines Aufenthalts in
Philadelphia und Smyrna aus eigener Anschauung kennen ge-
lernt bat, und deren Bischöfe er ausnahmslos genauer zu
kennen glaubt. In dem persönlichen Charakter dieser Bischöfe
ist die unerlässliche Voraussetzung seiner Ermahnungen zum
Gehorsam gegen sie bereits erfüllt, und eben deshalb wird
“ auf deren persönlichen Charakter so oft hingewiesen. Als
was für ein Mann Polykarp über die Grenze seiner Gemeinde
hinaus bekannt war, sieht man schon daraus, dass Ignatius
seine den Ephesern noch ziemlich unbekannte Gesinnung mit
den Worten charakterisirt: γράφω ὑμῶν εὐχαριστῶν τῷ κυρίῳ,
ἀγαπῶν Πολύκαρπον (Eph. 21); und aus dem Brief Polykarps
an die Philipper, wie aus dem des Ignatius an ihn gewinnt
Jeder den Eindruck, dass eine Gemeinde wohl berathen war,
wenn man sie anwies, diesem Bischof zu folgen. Onesimus
von Ephesus ist nach des Ignatius Urtheil ein Mann von un-
1) So Denzinger, S. 82 mit Bezug auf den syrischen Ignatius.
451
beschreiblicher Liebe, ein Bischof, zu dessen Besitz man seiner
Gemeinde Glück wünschen muss (Eph. 1). Von der Befriedigung,
welche Ignatius in dem Verkehr mit ihm gefunden, schliesst
er auf das Glück der beständig mit ihm verbundenen Ge-
meinde (Eph. 5). Was kann er dann Besseres wünschen, als
dass alle Epheser diesen Bischof „christlich lieben und ihm
ähnlieh werden“ (Eph. 1)! Die Liebe, Würde und Sanftmuth Ὁ
des Polybius von Tralles, welcher selbst den Heiden ehrwürdig
ist (Tr. 1. 3), berechtigt zu den von solcher Charakteristik
eingerahmten . Ermahnungen in Bezug auf ihn. Die Jugend-
lichkeit des Damas von Magnesia ist ein besonderer Anlass,
ihn als einen Gottes würdigen Bischof zu bezeichnen und das
schöne Verhältnis zwischen ihm und seinen Presbytern der
Gemeinde als Muster vorzustellen (Mgn. 2. 3. 6). Am
stärksten wird der treffliche christliche Charakter des unge-
nannten Bischofs von Philadelphia betont, weil eben damit
für jedes Glied der dortigen Gemeinde jeder Vorwand zum
Anschluss an das dort ausgebrochene Schisma wegfiel, und die
Pflicht treuen Festhaltens an der Gemeinschaft mit dem
Bischof und den mit ihm einigen Presbytern und Diakonen
ausser Zweifel gesetzt wurde. Dies ist der Gesichtspunct,
unter welchem Phil. 1 der schöne Einklang des Bischofg mit
den göttlichen Geboten, seine treffliche, ganz auf Gott ge- '
richtete Gesinnung, seine unerschütterliche Festigkeit, aber
auch seine Reinheit von aller selbstwilligen Leidenschaftlich-
keit geprissen wird. In Form einer Folgerung aus dieser
Charakteristik des Bischofs tritt die Ermahnung auf, alle
Spaltung und Irrlehre zu fliehen und dem Bischof als Hirten
zu folgen (Phil. 2). Weil es sich um Anerkennung des
durch das eingetretene Schisma thatsächlich in Frage ge-
stellten Rechts von Bischof und Geistlichkeit zu Philadelphia
handelt, wird auf ihre unwiderrufliche Einsetzung durch Chri-
stus und seinen heiligen Geist hingewiesen (Phil. inser.), nicht
in dem Sinn, als ob sich dies beim Bischof und den Geist-
lichen überhaupt von selbst verstünde. Es wird vielmehr aus
dem Charakter und der Amtsführung dieses Bischofs auf die
Art, wie er es geworden, und auf sein Recht, das Amt zu
298
452
führen, geschlossen (Phil. 1; vgl. oben $. 328f.). Die Er--
mahnung zum engen Anschluss-an ihn gründet sich also auf
ein aus persönlicher ‚Erfahrung geschöpftes Urtheil über ihn,
Damit ist die Möglichkeit gesetzt, dass der Bischof allerdings
auch „von sich selbst oder durch Menschen“ und ‚aus eitlem
Ehrgeiz‘ sein Amt erlangt habe und ohne „Liebe zu Gott
und Christus“ und alle zu seinem Amt erforderlichen Tugen-
den es führe, dann aber auch nicht den Gehorsam’ verdiene,
welcher dem Bischof von Philadelphia deshalb gebührt, weil
von ihm das Gegentheil gilt. Aber diese Möglichkeit als
wirklich zu setzen, war Ignatius durch nichts veranlasst, sie
liegt ausserhalb seiner nächsten Erfahrung und seines Ge-
sichtskreises. Soweit er von Bischöfen auf Erden weiss, stehen
sie in rechter christlicher Gesinnung (Eph. 3; vgl. oben
5. 299). Daher redet er, unbedenklich von der Auctoritäts-
stellung des Bischofs, ohne seine Urtheile und Ermahnungen
ängstlich auf diese Bischöfe der kleinasiatischen Gemeinden
zu beschränken, und ohne sie ausdrücklich von den bei diesen
Bischöfen erfüllten Bedingungen abhängig zu machen. Das
widerspräche seiner. Natur und seiner 'dermaligen Stimmung.
Rücksichtslos und arglos ergreift er die vorliegende Aufgabe
mit ganzer Seele, und mit derselben Begeisterung, womit er
seinem persönlichen Lebensziel entgegeneilt, tritt er ein für
die Einheit der Kirche und der Gemeinden und für ihre
Reinerhaltung von häretischen und schismatischen Einflüssen.
Ignatius redet nicht wie ein Protestant, weil er und die
Kirche seiner Zeit die traurige Erfahrung: noch nicht gemacht
hat, welche zum Protest gegen eine hierarchisch und über-
haupt gesetzlich entartete Kirche und vom Protest zur Neu-
gestaltung der Kirche auf Grund des wiederentdeckten Evan-
geliums geführt hat. Aber hierarchische Bestrebungen be-
kunden diese Briefe ebensowenig, als eine Ahnung von der
Gefahr zukünftiger Hierarchie. Ignatius ist kein Prophet,
obwohl er im Recht war, wenn er meinte, unter dem leiten-
den Einfluss des heiligen Geistes zu stehn, wenn er gegen
Irrlehre und Spaltung zeugte. Dem Augenblick entsprungen
und dem Augenblick dienend, haben seine Briefe es nicht
453
hindern können, dass man ihre arglosen Mahnungen später
misbrauchte. Die nächste Gefahr der Kirche im nachaposto-
lischen Zeitalter war nicht eine ungeistliche Herrschaft der
Geistlichen, sondern die Untergrabung der kirchlichen und
gemeindlichen Einheit durch die eindringende Häresie. Da-
gegen hat Ignatius nicht vergeblich gestritten. Wie tonan-
gebend sein Zeugnis auch auf sehr anders angelegte Männer
wirkte, ersieht man aus Polykarps Brief. Polykarp ist sein
Schüler und der vornehmste Vollstrecker seines Vermächt-
nisses geworden. Die Gesinnungen, welche er noch unter
dem unmittelbaren Eindruck der Persönlichkeit des Ignatius
in seinem Brief kundgibt, hat er in seinem langen Leben
bewährt. Intoleranz gegen jede den christlichen Gemein-
glauben verleugnende Irrlehre, ein Dringen auf Bethätigung
des christlichen Bokenntnisses, ein über die Grenzen der
Einzelgemeinde übergreifendes Wirken für die Einheit der
Kirche, frei von dem Aberglauben an die Nothwendigkeit
äusserlicher Einförmigkeit, aber eifrig in der Benutzung aller
Gelegenheiten und Mittel, wodurch in den zerstreuten Ge-
meinden das Bewusstsein, die Kirche zu sein, wach erhalten
‘ werden mochte: das wollte Ignatius, und das charakterisirt
die kirchliche Haltung Polykarps bis zu seiner römischen
Reise und seinen letzten Gebeten.
3. Der T heologe.
Obwohl die βιβλίδια, welche Ignatius hinterlassen hat,
‚noch weniger als irgend eine andere Schrift der nachaposto-
lischen Periode den Charakter theologischer Abhandlungen an
sich tragen, so sind sie doch reicher als alle übrigen zu-
sammen an theologischem Gedankeninhalt. Der Versuch, die
mehr geistreich hingeworfenen als bedachtsam ausgeführten
Gedanken auf einige beherrschende Grundgedanken zurückzu-
454
führen, ist unerlässlich, wenn man aus der ganz unsicheren
Verwerthung flüchtiger Beobachtungen herauskommen will,
welche die neueren Auslassungen über die theologische Stellung
des Ignatius charakterisirt. Während Baur (II, 108) seine
Christologie mit einem Wort als Patripassianismus glaubte
bezeichnen zu können, fand Lipsius (I, 21. 28 £.), dass derselbe
Ignatius, der Ueberarbeiter der drei angeblich: ächten, syrisch
erhaltenen Briefe, den Patripassianismus seiner Vorlage bereits
überwunden, das Theologumenon vom Logos acceptirt und den
Schwerpunct seiner christologischen Betrachtung in die Be-
hauptung der wahren Menschheit verlegt habe. Bunsen
(II, 154f.) fand auch in seinem gereinigten Ignatius „ein in
speoulative Gegensätze auslaufendes Bewusstsein der Logos-
lehre des johanneischen' Evangeliums und ersten Sendschrei-
bens“, und zwar an einer Stelle (ad Pol. 3), welche nach
Baur (II, 110) und Lipsius (I, 21) gar nicht vom Sohn, sondern
vom Vater handeln soll; und obwohl Ignatius nur an einer
einzigen Stelle, welche Baur (11, 111) durch die Vermuthang
einer Interpolation verdächtigt hatte, Christus den Logos
Gottes nennt, so sollen sich nach Merx (p. 5) diese Briefe fast
ausschliesslich um die beiden. Lehren vom Kirchenregiment '
und von Christus als Logos bewegen.
Die bedeutsameren theologischen Aeusserungen des Igna-
tius sind durch den Gegensatz der damals in Kleinasien Ein-
gang suchenden Häresie hervorgerufen. Der schlechten,
schliesslich vom Teufel stammenden Lehre, durch welche jene
Irrlehrer den wahren Glauben und damit die Kirche ver-
derben (Eph. 9. 16. 17), stellt er die wahre Gotteserkenntnis
gegenüber, welche für ihn in der Person des geschichtlichen
Christus selbst gegeben ist, die lebenathmende Lehre, welche
von ihm aus der Kirche zugeströmt ist (Eplı. 17), den durch
ihn ermöglichten (Phil. 8) und insbesondere durch seinen
Kreuzestod begründeten und verbreiteten Glauben ?). Aber
1) Eph. 16: ... . ἐάν τις πίστιν ϑεοῦ ἐν χαχῇ διδασκαλίᾳ φϑείρῃ,
ὑπὲρ ἧς Ἰησοῦς Χριστὸς ἐσταυρώϑη (nur in GH ist τὶς vor πίστιν 808-
gefallen). Der Gegensatz zeigt, dass πίστις hier mit dem gliubigen
455
er will dies nicht als Lehrer seiner Leser thun, sondern als
ihr Mitjünger (Eph. 3), welcher gleich ihnen auf keinen
andern Lehrer hört als Christus (Eph. 6. 15; Tr. 9; Mgn. 9).
In der That verfällt er nie in den Ton einer polemischen Ab-
handlung, als ob er sich unter seinen Lesern Anhänger der
Irrlehre dächte, sondern nur soweit beleuchtet er die Puncte,
an welchen die Irrlehre vom Gemeinglauben abweicht, als
nothwendig ist, dies ersichtlich zu machen.
Verhältnismässig unerheblich ist, was er dem von den
- Irrlehrern gepredigten Judaismus, der, wenn auch beschränkten,
Forderung gesetzlichen Lebens entgegenstelli. Der Ton, in
welchem diese abgewiesen wird, zeigt schon bei oberflächlicher
Vergleichung mit dem, in welchem früher Paulus und etwas
später „Barnabas“ davon ‚handeln, dass es nicht eine innere
Lebensfrage der kleinasiatischen Kirche war, deren Verhand-
lung die judaistischen Sendlinge mit dieser Forderung in
Gang gebracht oder verschärft hatten. Anknüpfungspuncte
für eine religiöse Begründung dieser Forderung müssen sie im
Bewusstsein der dortigen Gemeinden entweder kaum gefunden
Verhalten zugleich den Lehrgehalt des Glaubens als geglaubten zu-
sammenfasst. Auch ἡ πίστις ἡ di’ αὐτοῦ Phil. 8 erhält durch die vor-
angehende Aufzählung der Heilsthatsachen seinen Inhalt, Dass der
Kreuzestod als ein die Lehre Jesu bestätigendes Zeugnis das Glauben
erst möglich macht, spricht besonders deutlich aus Mgn. 9... ἢ ζωὴ
ἡμῶν ἀνέτειλεν δι᾽ αὐτοῦ καὶ τοῦ ϑανάτου αὐτοῦ — ὅ τινες ἀρνοῦν-
ται — δι᾿ οὗ μυστηρίου ἐλάβομεν τὸ πιστεύειν. Der Schreibfehler oi
τινες Οἱ ist nach Li (quod quidam negant) wohl in ὅ᾽ τινὲς und nicht,
wie seit Voss üblich ist, in ὅν τινὲς zu ändern, was an A und dem in
ganz anderem Zusammenhang verlorenen ὃν τὰ τέχνα τῆς ἀπωλείας
ἀρνοῦνται GR keine sichere Stütze hat. — L1 hat, wenn man die Rand-
bernerkung Usshers nach Jakobson gegen Smith deuten darf, im mont.
per quod mysterium (ds’ οὐ μυσεηρίον wie GI), im caj. per quem
misterium acoepimus etc. (dı’ ol μυστήριον ἐλάβομεν). Vgl. zur Sache
Tr. 2 und Clem. ad Corinth. I, 7: ὅτε (sc. τὸ αἷμα) διὰ τὴν ἡμετέραν
σωτηρίαν ἐχχυϑὲν παντὶ τῷ κόσμῳ μετανοίας yapıy ὑπήνεγχεν. Fast
wie eine Erinnerung an Mgn. 9 lautet der Satz Justins: χερατισϑέντες
γῶρ, τουτέστι χατανυγέντες, οἱ ἐχ πάντων τῶν ἐϑνὼν διὰ τούτου τοῦ
μυστηρίου (sc. τοῦ σταυροῦ) εἰς τὴν ϑεοσέβειαν ἐτράπησαν, dial. 91,
p._318 E;£cf. 131, p-A360 Ο.
456
oder nicht wirksam benutzt haben. Ignatius lässt sich nicht
darauf ein, die mit dem christlicher Bekenntnis verbundene
Behauptung fortdauernder Geltung des mosaischen (iesetzes
durch eindringende religionsgeschichtliche Betrachtung von
Verheissung und Gesetz, von Glauben und Werken, oder durch
Erörterung des Verhältnisses der menschlichen Natur zum
fordernden Willen Gottes dialektisch zu überwinden. Er lässt
sich aber auch nicht verleiten, wie Barnabas Jie alttestament-
liche Anbahnung des in Christus erschienenen Heils zu einer
Geschichte der Misverständnisse zu machen. Die dem Glau-
ben feststehende Thatsache, dass in der geschichtlichen Er-
scheinung Christi der göttliche Rathschluss verwirklicht und
diejenige Offenbarung Gottes erfolgt ist, im Vergleich zu
welcher alle vorangehende Kundmachung kaum noch Offen-
barung zu sein scheint 1), setzt einen Gegensatz zwischen
Judenthum und Christenthum, vermöge dessen jenes als eine
schlechthin überwundene Religionsstufe zu betrachten ist. Die
Neuheit der in Christus geschehenen Offenbarung wird in
mannigfacher Weise betont, auch wo der Gegensatz zum Alten
Testament und den Judaisten nicht unmittelbar fühlbar ist.
Der Anfang der Heilsverwirklichung, welcher in der Geburt
Christi liegt, ist von Erscheinungen begleitet, deren befremd-
liche Neuheit Sinnbild der durchaus neuen Thatsache ist, wo-
durch die Vernichtung „des alten Königreichs“, vor allem
der Herrschaft des Todes, ihren Anfang nahm. Im Gegensatz
1) Eph. 19: ... . ἄγνοια καϑῃρεῖτο, παλαιὰ βασιλεία διεφϑείρετο
ϑεοῦ ἀνθρωπίνως φανερουμένου Eis καινότητα ἀϊδίου ζωῆς, ἀρχὴν δὲ
ἐλάμβανεν τὸ παρὰ ϑεῷ ἀπηρτισμένον (nämlich mit der Geburt Chrieti).
Während hier die „menschliche Offenbarung Gottes“ als Gegensatz
zu einer früheren gefasst werden kann, in welcher er sich nicht als
Mensch offenbarte, welche dann aber auch noch nicht Verwirklichung
des bei Gott Bereiteten gewesen ist, wird Mgn. 8 der geschichtliche
Christus als Mittler der Selbstoffenbarung Gottes schlechtweg bezeichnet.
Aehnlich. wird die Gnade Jesu Christi (Sm. 6), deren Wirksamkeit die
gegenwärtige Weltperiode auszeichnet (Eph. 11) auch schlechtweg als
Gnade bezeichnet, welche empfangen zu haben das die Christen von
den Frommen der Vorzeit Unterscheidende ist (Mgn. 8).
407
zu den bisherigen Bedingungen menschlichen Lebens ist es
neues, ewiges Leben, zu dessen Stiftung Gott sich in Christus
menschlich offenbart hat (Eph. 19), und Christus selbst ist
der neue Mensch, auf welchen die in seinem ganzen mensch-
lichen Leben sich vollziehende Heilsveranstaltung Gottes ab-
zielte 1). Die Hoffnung, zu welcher Christi Tod und Auf-
erstebung ermächtigt, und nach welcher als seinem wesent-
lichen Inhalt das Evangelium genannt werden kann, ist neu
auch im Gegensatz zu den durch die alttestamentliche Offen-
barung begründeten Verhältnissen (Mgn. 9; Phil. 5; s. oben
S. 435). Seitdem das Neue da ist, ist das Alte auch ver-
altet; seitdem mit der Person Jesu der neue Teig gegeben
ist, welcher sich die Menschheit assimiliren, oder in welchen
sich die Menschheit verwandeln soll, ist das Judenthum ein
schlechter, alt und sauer gewordener Teig, den Christen sich
nicht aufdrängen lassen dürfen, wenn nicht der üble Geruch
desselben sie verrathen soll ?). Unvernünftig ist es, den Christ,
1) Eph. 20: .. . προςδηλώσω ὑμῖν, ἧς ἠρξάμην οἰχονομίας εἰς τὸν
χαινὸν ἀνϑρωπον Ἰησοῦν Χριστὸν ἐν τῇ αὐτοῦ πίστει χαὶ ἐν τῇ αὐτοῦ
ἀγώπῃ, ἐν πάϑει αὐτοῦ καὶ ἀναστάσει. Das manifestabo L! darf nicht
dazu verleiten, mit Nolte und Hefele προδηλωσω zu schreiben. Ignatius
will in einem zweiten Brief fortfahren, den Ephesern die göttliche Heils-
veranstaltung klar zu machen. Ihre Realisirung beginnt mit der Em-
pfängnis, Geburt und Taufe Jesu (c. 18), setzt sich fort in. seinem
irdischen Leben als eines gläubigen und liebenden Menschen, und voll-
endet sich in Tod und Auferstehung. Durch die Stellung von πέστις
und ἀγάπη als Momenten in der οἰκονομία ϑεοῦ (cf. ὁ. 18) ist klar, dass
hier von Glaube und Liebe als Verhalten des Menschen Jesus die Rede
ist. Daher auch die zweimalige betonte Voranstellung des αὐτοῦ, sein
eigener Glaube im Gegensatz zum Glauben an ihn, seine eigene Liebe
im Gegensatz zur Liebe zu ihm. Die vollkommene Treue, die Personi-
fication der Treue heisst Christus auch Sm. 10.
2) Mgn. 10: ὑπέρϑεσϑε οὖν τὴν xaxıv ζύμην, τὴν παλαιωϑεῖσαν
καὶ ἐνοξίσασαν͵ καὶ μεταβάλλεσϑε εἰς νέαν ζύμην, ὅ ἐστιν Ἰησοῦς Χριστός.
Ἡλέσϑητε ἐν αὐτῷ, ἵνα μὴ διαφϑαρῇ τις ἐν ὑμῖν, ἐπεὶ ἀπὸ τῆς ὀσμῆς
ἐλεγχϑήσεσϑε. Das ὑπέρϑεσϑε ΟἹ ΟΣ wird durch die ungenauen Ueber-
setzungen deponite L1, abjieite 1,3. A, und auch durch ἐπόϑεσϑε des
einen n, der hier wie oft eine bedenkliche Aehnlichkeit mit L? zeigt
nicht ernstlich angefochten und durch die Sache erfordert. Nicht abthun
458
der in Jesus erschienen ist, im Munde zu führen, und jüdisch
zu leben; denn es wäre die gerade Umkehr des Weges, den
die Religionsgeschichte genommen hat, vom Judenthum zur
Universalreligion des Christenthums, wenn sich das Christen-
thum nun nachträglich wieder zum Judenthum als seiner
selbst Vollendung wenden wollte. Ich meine hiermit nichts
Fremdes in die Worte gelegt zu haben: asonor ἐστιν, Χριστὸν
᾿Ιησοῖν λαλεῖν καὶ ἰουδαΐζειν.. Ὁ γὰρ Χριστιανισμὸς οὐχ εἰς
᾿Ιουδαϊσμὸν ἐπίστευσεν, ἀλλ᾽ ᾿Ιουδαϊσμὸς εἰς Χριστιανισμὸν, εἰς
ὃν πᾶσα γλῶσσα πιστεύσασα εἰς ϑεὸν συνήχϑη (Mgn. 10;
8. oben 8. 429). Es ist hier die Zunge als Subject des Glau-
bens gesetzt nicht bloss vermöge einer prägnanten Ineins-
setzung des Glaubens und Bekennens 1), sondern auch mit der
Absicht, im Gegensatz zur nationalen Beschränktheit des
Judenthums an die Mannigfaltigkeit der vielsprachigen Völker
zu erinnern, welche im Glauben an das Christenthum den
Weg zu Gott und zugleich ihre Vereinigung unter einander
gefunden haben. „In dem einen Leibe der Kirche“ sind ja
Juden und Heiden, soweit sie „Heilige und Gläubige“ ge-
worden sind, vereinigt (Sm. 1). Noch fremdartiger sind hier
Ἰουδαϊσμός und Χριστιανισμός, was ja nicht Judenschaft und
Christenheit, sondern deren religiöse Denkweise und Lebensart
bedeutet, als Subjecte des Gläubigwerdens eingeführt; aber es
sollte in kühner Kürze gesagt werden, dass jüdische Religion,
Denkweise und Lebensart durch gläubige Aufnahme der christ-
lichen Offenbarung zum Christentbum sich fortentwickelt habe,
im Christenthum untergegangen sei. Damit ist denn ein- für
sollen sie den judaistischen Sauerteig, als ob sie schon damit behaftet
wären, sondern ablehnen und von sich weisen. Wenn hier Christus
selbst der neue Teig heisst, in welchen die Christen sich verwandeln,
gleichsam einkneten lassen müssen, so liegt offenbar eine jener kühnen
Gleichsetzungen vor, über welche schon oben S. 899 das Nöthige gesagt
ist. Der neue Teig ist die von Christus durchdrungene Menschheit, aber
diese neue Menschheit ist er selbst dem Princip nach. Vgl. Gal. 3, 16.
1) 65 hat in richtiger Erinnerung an Philipp. 2, 11 die Prägnanz
wieder aufgelöst, und auch die in γλώσσα liegende Hinweisung auf die
vielen Völker verdeutlicht.
489
allemal die Regel aufgestellt, dass innerhalb des Gegensatzes
von Judenthum und Christenthum eine Fortbewegung nur
von dem früheren und niedrigeren Judenthum zum späteren
und erhabeneren Christenthum vernünftiger Weise stattfinden
. kann, während die judaistische Forderung, dass Christen
jüdische Lebensweise annehmen, das umgekehrte Verhältnis
voraussetzen würde. Die Irrlehrer. werden selbstverständlicher
Weise nicht in geschiehtlichem Sinn behauptet haben, dass
das Judenthum die Vollendung des Christenthums sei, aber
sie werden das Christenthum als eine die ewig gleiche Reli-
gion der Offenbarung nicht wesentlich alterirende Entwick-
lungsstufe des Judenthums aufgefasst und darum von den
Christen Zugehörigkeit zum Judenthum gefordert haben. Dem
gegenüber betont Ignatius unermüdlich die Neuheit der durch
Christus geschehenen Offenbarung. Für geborene Heiden, wie
er selbst und seine Leser es sind !), dünkt ihn die Versuchung
zur Annahme jüdischer Lebensweise nicht gross. Sie brauchen
nur auf das Vorbild derjenigen zu sehn, welche, im Juden-
thum aufgewachsen, zu christlichem Glauben gelangt, damit
aber auch, wie ihre Feier des Sonntags statt des Sabbaths
beweist, vom Judenthum losgekommen sind (Mgn. 9). Auch
- jetzt noch gesetzlich jüdische Lebensweise festhalten zu
wollen, hiesse den Empfang der Gnade verleugnen (Mgn. 8).
Es scheint hiernach so, als ob Ignatius, den Standpunct des
Apostels Paulus überschreitend, ein Leben in den Formen
des Judenthums überhaupt für mit dem Christenthum unver-
einbar hielte und damit einer judenchristlichen Kirche das
"Existenzreoht abspräche. Möglich ist aber auch, dass er, wie
auch Paulus gelegentlich (vgl. Gal. 5, 2ff.), ohne Räcksicht
—
1) Das zeigt sich Mgn. 9 in der Gegenüberstellung von οὗ ἐν πα-
Amis πράγμασιν εἰναστραφέντες und ἡμεῖς, auch Phil. 6 (s. oben
S. 369 ἢ) in dem. Gegensatz des Beschnittenen und des Unbeschnittenen.
Nur von Heidenchristen gilt ja eigentlich auch, dass erst der Tod Jesu
ihnen das Glauben gebracht habe (Mgn. 9; Tr. 2; Eph. 16; οἵ, Sm. 1
und die oben 8. 455 Anm. angeführten Stellen aus Clemens von Rom
und Justin). Alle diese Sätze mögen auf Joh. 12, 32, wenn man’s dem
Zusammenhang gemäss verstand (vgl, Joh. 3, 14 ff), zurückgehn,
460
auf das Vorhandensein einer solchen nur vom Standpunct der
heidenchristlichen Gemeinde aus, welcher jüdisch gesetzliches
Leben als Vervollkommnung des Christenstandes zugemuthet
wird, das Leben nach dem Gesetz als Verleugnung der Gnade
brandmarkt. Nur dies erfordert des Ignatius Ueberzeugung
von der Genugsamkeit der über die Christen gekommenen Gnade
Christi und des ihr entsprechenden Verhaltens, des Glaubens
und der Liebe '); und nur dies verträgt sich mit seiner durch-
aus affırmativen Stellung zur alttestamentlichen Offenbarung.
Nicht nur die Propheten sind Gegenstand liebevoller Ver-
ehrung für die Christen, der Liebe und der Bewunderung
werthe Heilige (Phil. 5), Märtyrer der göttlichen Offen-
barungswahrheit (Mgn. 8), Vorausverkündiger des Evangeliums
(Phil. 5. 9) und eine Auctorität, an welche sich die Christen
nächst dem Evangelium zu halten haben (Sm. 7); auch das
Gesetz Mosis enthält wie die Weissagungen und das Evan-
gelium Zeugnis der Wahrheit gegen die Verleugner des Heils-
werthes des Todes und der wahrhaftigen Menschheit Jesu
(Sm. 5). Auch das Institut des alttestamentlichen Priester-
thums verdient Lob, wenn nur zugleich der überragende
Werth des Hohepriesterthums Christi anerkannt wird; über-
haupt „Alles zusammen ist schön für den mit Liebe ver-
bundenen Glauben“ 3), ἃ. ἢ. für Christen, welche die Aner-
kennung der alttestamentlichen Offenbarung und ihrer Träger
nicht als Anlass zur Herabsetzung der unvergleichlich höheren
neutestamentlichen benutzen, besteht ein schöner Zusammen-
hang und Fortschritt zwischen beiden. Der Unterschied ist
der, dass die Propheten, welche gewöhnlich allein als Ver-
treter der alttestamentlichen Offenbarung genannt werden, auf
Christus gewartet und gehofft (Mgn. 9; Phil. 5) und nur auf
1) Sm. 6: τὸ γὰρ ὅλον ἐστὶν πίστις καὶ ἀγάπη, ὧν οὐδὲν προχέ-
χριται x. τ. A. Falsch deutet der Scholiast des cod. Casan. dies 80,
dass Glaube und Liebe von unterschiedslosem Werth seien. Es heisst
vielmehr: Glaube und Liebe sind von Allem das Beste, sind das Ganze,
worauf es ankommt. Vgl. Eph. 14; Phil. 9 extr.; Sm. 13; Eph. 1.
2) Phil. 9: navra ὁμοῦ καλά ἐστιν, ἐὰν ἐν ἀγάπῃ πιστεύητε.
461
Christus hin gepredigt haben, während das Evangelium die
geschichtliche Erscheinung Christi, die vollbrachten That-
sachen seines Todes und seiner Auferstehung zum Inhalt hat
(Ph. 9; Sm. 7). Wenn so das Evangelium als Wort von der
“ geschehenen Erlösung den Propheten und ihrer Verkündigung’
gegenübertritt, so kann auch das Evangelium mit Einschluss
seines thatsächlichen Inhalts als das Ziel betrachtet werden, dem
die prophetische Verkündigung zustrebte (Phil. 5), und in
diesem Sinn eines seinen Inhalt mit sich führenden Worts
heisst das Evangelium „die unvergängliche Vollendung“ oder
„die hergestellte Unvergänglichkeit“ 1), und kann von ihm
gesagt werden, dass Leiden und Auferstehung Christi in ihm
vollendet sei ἢ. Also wie Weissagung und Erfüllung ver-
halten sich alt- und neutestamentliche Offenbarung. Aber
darum ist das Ergebnis der ersteren doch nicht werthlos für
diejenigen, die im Besitz der letzteren sind. Denn erstlich
legen die schriftlichen Denkmäler der alttestamentlichen Offen-
barung, „die Prophetien und das Gesetz Mosis“ ein zum
Glauben an die neutestamentlichen Heilsthatsachen bewe-
gendes Zeugnis ab, welches neben dem Evangelium und
den Thatbeweisen wahren Christenglaubens gehört sein
will°). Daher die Auctoritätstellung, welche den Propheten
1) Phil. 9: τὸ δὲ εὐαγγέλιον ἀπάρτισμά ἐστιν ἀφϑαρσίας. Es be-
deutet ἀπάρτισμα, verschieden von ὠπαρτισμός Luc. 14, 28 oder ἀπάρ-
τισις, nicht Herstellung, Feertigmachung, sondern das Resultat dieser
Thätigkeit, kann daher auch nicht einen Objectsgenitiv bei sich haben.
Entweder ist «psagotas attributiv = ἄφϑαρτον (cf. Mgn. 6) oder
Genitiv der Apposition, was den Vorzug verdienen möchte. Im Gegen-
satz zur Unfertigkeit der alttestamentlichen Religionsstufe ist mit dem
Evangelium ein fertiges, vollkommenes Wesen gegeben, welches in Un-
vergänglichkeit oder ewigem Leben besteht (cf. ad Pol. 2; Eph. 17).
2) Sm. 7. Die Vertheilung der beiden Subjecte πάϑος, ἀνάστασις
auf die beiden Prädicate δεδήλωται, τετελείωται ist nur rhetorisch.
3) Sm. 5. Hierhin ist es auch zu ziehen, wenn Mgn. 8 als Zweck
der Inspiration der Propheten angegeben wird, dass die -Ungläubigen
überzeugt werden, dass ein Gott sei, der sich durch Christus offenbart
hat, Da hier in historischer Form von Jesus Christus geredet ist, so
462
oder, wie wir statt dessen sofort sagen können, dem Alten
Testament aüch in der Kirche gebührt (Sm. 7; Phil. 5. 9).
Sodann aber ist es nicht bei dem nur idealen Zusammen-
hang zwischen den Frommen des alten Bundes und Chri-
stus geblieben, den ihr Hoffen und Warten und Weis-
sagen auf ihn darstellt. Schon dieser ideale Zusammenhang
ist real begründet gewesen. Sie waren durch die Gnade
Christi inspirirt, und Christo gemäss haben sie gelebt (Mg. 8).
Die Gnade Christi, deren Empfang unmittelbar vor dieser
Aussage als das Auszeichnende der Christen erscheint (vgl.
auch Sm. 6), hat auch im voraus schon eine gewisse Wirkung
geübt, und zwar nicht bloss als ein die Zukunft offenbarender
prophetischer Geist, sondern auch als eine Gesinnung und
Leben bestimmende Kraft!). Daher können die Propheten
auch „Jünger Jesu im Geist“ genannt werden, die auf ihren
zukünftigen Meister warteten ἢ). Im gewöhnlichen Sinn des
Worts, im Sinn eines persönlichen Verkehrs mit dem leib-
haftigen Christus, oder auch nur einer solchen Gemeinschaft
mit dem Fleisch Christi, wie sie selbst dem spät geborenen
Christen nicht fehlt, welcher ans Evangelium glaubt (Phil. 5)
und das Abendmahl feiert (Sm. 6; Phil. 4), waren sie noch
nicht seine Jünger, sie waren es nicht τῇ σαρχί, wohl aber
τῷ πνεύματι, weil der sie inspirirende Geist Christi sie zu
Christus in ein dem Verhältnis des Jüngers zum Meister ana-
loges Verhältnis gesetzt hat. Dies Verhältnis aber hat Chri-
stus bestätigt, indem er ihnen Zeugnis gegeben hat, und noch
mehr, indem er sie zum Besitz des Heils, auf welches sie
-- --ψ---- -------. —-
können auch nicht die ungläubigen Zeitgenossen der Propheten gemeint
sein, sondern nur die Ungläubigen der christlichen Gegenwart, besonders
die aus dem Judenthum hervorgegangenen Irriehrer, deren Lehre hier
bestritten wird.
1) Es sind hier die Gedanken des Petrus (1Petr. 1, 10. 11; vgl.
Barnabas, c. 5) und des Hermas (sim. IX, 15. 16) verbunden.
2) Mgn. 9: πῶς ἡμεῖς δυνησόμεθα ζῆσαι χωρὶς αὐτοῦ, οὗ καὶ ol
προφῆται μαϑηταὶ ὄντες τῷ πνεύματι, ὡς διδϑάσχαλον προςεδόχων. Dass
βἰπηΐοβα προςεδόκουν (sie schienen ausserdem noch) des ΟἹ festzuhalten,
besteht kein Grund. Das Richtige haben Sever. Ant. (Wolf, anecdota
468
warteten, wirklich hat gelangen lassen !). Wie ernstlich auch
das Letztere gemeint sei, sehen wir aus den dem letzten Citat..
aus Mgn. 9 unmittelbar folgenden Worten: χαὶ διὰ τοῦτο, ὃν
δικαίως ἀνέμενον, παρὼν ἤγειρεν αὐτούς. Also Lohn ihres
treuen Wartens (vgl. Eph. 15 'extr.) ist es, dass Christus, da
er nun erschien, sie vom Tode auferweckte. Die Frage,
welche Propheten gemeint seien (Cureton, p. 330), beant-
wortet sich von selbst durch den Artikel bei προφῆται
(Men. 8. 9; Phil. 5. 9) und aus dem ganzen Zusammenhang:
die alttestamentlichen Propheten überhaupt, und aus Phil. 9
erfahren wir dazu, dass auch von den Patriarchen, also wohl
von den alttestamentlichen Frommen überhaupt, dasselbe gilt.
Denn, wenn dort auch präsentisch ausgesagt wird, dass die
Patriarchen und Propheten sogut wie die Apostel und die
Glieder der christlichen Gemeinde durch Christus als die zum
Vater führende Thür zu Gott eingehn, so zeigen doch die
deutlicheren Aussagen (Mgn. 9; Phil. 5), dass sie nach
Ignatius in den Besitz des durch Christus erworbenen Heils
bereits eingetreten sind. In welchem Moment seines geschicht-
lichen Lebens Christus sie auferweckt und beseligt hat, wird
nicht gesagt, und erst die Untersuchung der literarischen Her-
kunft dieser Meinung kann darüber Aufschluss geben. An
dieser Stelle genügt es, zu bemerken, wie Ignatius die An-
IV, 72) G2 und die Uebersetzungen. Eine Interpunction vor τῷ nvev-
ματι zeugt von Misverständnis.
1) Phil. 5:. ... . ἐν ᾧ (sc. Χριστῷ) καὶ πιστεύσαντες ἐσώϑησαν, ἐν
ἑνότητι Ἰησοῦ Χριστοῦ. Das zweite ἐν exponirt das erste. In ihm .oder
durch ihn, d. h. vermöge ihrer Gemeinschaft mit Christus wurden sie
errettet. Oder ist hier an das εἰς ἑνότητα ϑεοῦ Phil. 9 zu denken und
das folgende ὄντες hierzu zu ziehen? „In der Gemeinschaft mit Christus, in
der Gemeinde der Erlösten seiend “ bezeichnete das Resultat ihrer Errettung
in Folge ihres Gläubigwerdens an ihn. Jedenfalls kann πιστεύσαντες
schon des Tempus wegen (s. vorher das perfeet. und zweimal praes.) nicht
ein in ihr irdisches Leben fallendes Glauben bezeichnen; es wäre eine
ungeschickt gestellte und durch den Wechsel des Ausdrucks ungeschickte
Wiederaufnahme der vorhergehenden Angabe des in ihrem irdischen Leben
liegenden Grundes ihrer Errettung. Es bildet vielmehr zu ihrem Weis-
sagen, Hoffen und Warten auf den Zukünftigen das, Gläubigwerden an
den Erschienenen einen Gegensatz.
464
erkennung der alttestamentlichen Offenbarung und Religiosität
mit der Ueberzeugung von der Neuheit und dem unersetz-
lichen Werth der neutestamentlichen zu vereinigen weiss.
Zom Heil gelangen die, welche auf jener Stufe gestanden
haben, weil es eine von Gott gewollte Vorstufe der in Chri-
stus erfolgten Heilsoffenbarung ist, auf der sie treu ausgeharrt
haben; aber sie gelangen dazu doch erst, indem sie nach-
träglich an der ihrem irdischen Leben erst folgenden Heils-
offenbarung betheiligt werden. Aus Hoffenden müssen sie
Glaubende, aus Jüngern im Geist und im uneigentlichen Sinn
müssen sie Jünger des im Fleisch erschienenen Christus wer-
den; ein Gedanke, welchem die alte Kirche mannigfache Ge-
stalt zu geben gewagt hat (vgl. meinen Hermas, $. 425fl.
449 ff). Der Nachdruck, mit welchem Ignatius ihn geltend
macht, stimmt zu dem Satz, dass auch die Engel, wenn sie
nicht an das Blut Christi glauben, dem Gericht verfallen
(Sm. 6). : In beiden spricht sich das starke Bewusstsein von
der Heilsnothwendigkeit der in dem geschichtlichen Christus
erfolgten Offenbarung Gottes aus, welche die Polemik des
Ignatius gegen die Irrlehrer und besonders auch gegen ihren
Doketismus auszeichnet.
Während die Verkennung der Gnadenoffenbarung Gottes
in Christus, worauf die Lehre dieser Häretiker zurückgeht .
(Sm. 6; ef. Eph. 17), darin ihren Ausdruck findet, dass sie
an die Stelle der wesenhaften und durch den ganzen Bereich
der Schöpfung hin wirksamen Verwirklichung des Heilsrath-
schlusses Gottes in den Thatsachen der evangelischen Ge-
schichte eine schattenhafte Darstellung religiöser Ideen in dem
nur scheinbaren Verlauf der Geschichte Jesu setzen, legt
Ignatius allen Nachdruck auf die Wirklichkeit dieser Ge-
schichte, womit für ihn ihre Wirkung steht und fällt. Die
häretische These, ὅτε τὸ δοκεῖν ταῦτα ἐπράχϑη ὑπὸ τοῦ κυρίου
ἡμῶν (Sm. 4. 2; Tr. 10), veranlasst das beharrlich. wieder-
kehrende ἀληθῶς als Bestimmtheit aller. einzelnen Acte der
Geschichte Jesu !) wie der durch ihn vermittelten Wort- und
1) Tr. 9; Sm. 1—3; Mgn. 11. Οὗ, Eph. inser. ἐν nase ἀληϑινῷ.
465
Thatoffenbarung Gottes (Rom. 8; Eph. 17). Wie sehr die
so gemeinte, durch ihren Gegensatz deutlich bestimmte Wahr-
heit, d. i. Wirklichkeit der evangelischen Geschichte die
Voraussetzung ihrer Heilswirkung ist, zeigt sich, so oft jene
behauptet wird. Weil die Jünger Jesu in sinnenfälliger Weise
von der Wirklichkeit seiner Auferstehung überzeugt wurden,
bewiesen sie im Leben Todesverachtung und erwiesen sich
sterbend als Ueberwinder des Todes (Sm. 3). Die opfer-
freudige Gesinnung der Märtyrer wäre Wahnsinn ohne die
Realität des Todes Jesu (Sm. 4; Tr. 10). Daher sind die
Leiden der Christen ein beweiskräftiges Zeugnis für diese ihre
Voraussetzung (Sm. 5); und, wie sich auf die Wirklichkeit
der Auferstehung Chrsiti die Möglichkeit und Gewissheit der
Auferstehung des Christen gründet (Tr. 9), so straft sich
der Unglaube an diese Grundthatsachen der Erlösung durch
schliessliche Verdammung zu einem leiblosen und gespensti-
schen Dasein, wie das der höllischen. Geister ist (Sm. 2;
s. oben 5. 381). Kurz, Christus ist „das wahrhaftige
Leben‘ !) der Menschen nur dann, wenn er wahrhaft der ist,
welchen das Evangelium predigt und die Kirche in der bereits
sich bildenden Glaubensregel bekennt (s. Anh. II, 10). Es
ist durchaus das Leben eines leibhaftigen, im Fleisch leben-
den Menschen, worauf die Christen ihr Heil gründen. Hier
lässt sich Form und Inhalt nicht scheiden, und es bleibt von
den Grundthatsachen des Heils, der Geburt, dem Leiden, der ἡ
Auferstehung nichts übrig, wenn man leugnet, dass Christus
Fleisch an sich getragen habe. Somit liegt in der Leugnung
der Realität der Leiblichkeit Jesu eine Leugnung der evan-
gelischen Geschichte und der wahrhaft epochemachenden Heils-
offenbarung selbst 3. Daher kann Ignatius auch umgekehrt
1) Eph. 7 (Anh. I, 17); Sm. 4; Eph. 3: τὸ ὠδιάχριτον ἡμῶν ζῆν,
„unser unauflösliches oder - unentreissbares Leben‘; vgl. oben S. 429,
Anm. 1. Ueber Mgn. 1; 5. Anh. 1, 21.
2) Sm. 5: τί γάρ μὲ ὠφελεῖ τις, εἰ ἐμὲ ἐπαινεῖ, τὸν δὲ κύριόν
μου βλασφημεῖ, μὴ ὁμολογῶν αὐτὸν σαρχοφόρον; Ὁ δὲ τοῦτο μὴ λέγων
τελείως «αὐτὸν ἀπήρψηται͵ ὧν νεκροφόρος. Auch das bald Folgende
Zahn, Ignatius. 30
468
ihrer Leugnımg der Realität der Geschichte Jesu die leib-
lichkeit oder Fleischlichkeit der geschichtlichen Person Jesu
entgegensetzen. Es sind ἀληϑῶς und ἐν σαρκί durchaus
synonyme Bezeichnungen der Art des Lebens Jesu!) So
sehr bezeugt das Evangelium den im Fleisch Erschienenen,
dass es als ein Ersatz für die der unmittelbaren Wahmehmung
entzogene σάρξ Christi zu betrachten ist (Phil. 5; vgl. 5. 431),
und der Glaube hat es so sehr mit der σάρξ Christi zu thun,
dass auch er mit der σάρξ identificirt werden kanı (Tr. 8).
Neben dem Fleisch (Tr. 8; Sm. 12; Phil. 4; Rom. 7) oder
statt des Fleisches (Eph. 1; Sm. 1. 6; Phil. inser.) wird
gelegentlich auch das Blut genannt, um durch diese andere
oder jene erweiterte Bezeichnung der Leiblichkeit Jesu
daran 2u erinnern, das er dieselbe Leiblichkeit, in welcher
er sein Erdenleben geführt, welche er aus dem Tode wieder
empfangen hat, und welche den Gläubigen im Abendmahl
wie den Seligen im ‚enseits Gegenstand des Genusses wird,
in den Tod gegeben habe ?). Zugleich wird durch die voll-
ständigere Angabe „Fleisch und Blut“ noch nachdrücklicher
die Gleichheit der leiblichen Natur Jesu mit der anderer
Menschen ausgesagt (vgl. Hebr. 2, 14). In diesem Sinn wird
auch die Betastung des Auferstandenen dureh die Jünger, sein
. μέχρις οὗ μεοτανοήσωσιν εἰς τὸ πάϑος (cf. c. ὁ ἐὰν μὴ πιστεύσωσιν εἰς
τὸ αἷμα Χριστοῦ) zeigt, dass Ignatius ihnen wegen ihrer doketischen
Auffassung der Geschichte den Glauben an üie Geschichte selber ab-
spricht. Sie sind Ungläubige (Sm. 2. 5; Tr. 10).
1) Vgl. Sm. 2: ὠληϑῶς ὠνέστηφεν ἑαυτόν, Tr. 9: ἀλῃϑῶς ἡγέρϑη
mit Sm. 3 init.; Sm. 7 init, oder Sm. 2: ἀληϑῶς ἔπαϑεν mit Sm. 1:
ἀληϑῶς . . . καϑηλωμένον ὑπὲρ ἡμῶν ἐν σαρχί.
2) Wenn Tr. 8 der Glaube mit dem Fleisch, die Liebe mit dem
Blut Christi identificirt scheint, oder wenn Sm. 1 der Glaube auf das
Kreuz, die Liebe auf das Blut bezogen wird, so ist die Vertheilung mehr
rhetorisch als logisch (cf. Sm. 7 extr.), und nur insofern sachlich be-
gründet, als die durch das vergossene Blut symbolisirte Hingabe des
Lebens Jesu vor allem Anderen die Gegenliebe und die gegenseitige
Liebe der Christen herausfordert (Eph. 1. Aber auch ans Blut glaubt
man (Sm. 6) und Fleisch und Blut, Auferstehung und Tod zusammen
sind Grund liebevoller Begrüssung (Sm. 12; cf. Phil. inser.).
ἀθῖ
Mitessen und Mittrinken mit ihnen (Sm. 3). die dayidische
Abstammung '), die Geburt ans Maris (Eph, 7. 18, 19; Tr. 9)
betong, Alles dien heweist, dass Christen euosogeang gewenen
ist und noeh ist, dans Gnkt sieh in ihm in menschlicher Weise
offenbart hat (Epb. 19), und dass der au sieh selbst über
ale Bediagangen menschlichen Lebens Eirhabeue „eim voll
kommener Mensch geworden ist“ (Sm. 4), Dieser Satz steht
im Zusammenhang antidoketischer Polemik, Schen deshalb
ib eg ein Misverstand, wenn Lips, I, 23, 99 in einem Zur
sammenhang, wo ea sich um den Gagemsatg dar Gettheit und
Menschheit Christi handelt, unnerem Ignatiws »achsegt, der
Schwerpnnet seiner Christelogie liege in der Behauptung der
völligen, nioht auf die menschliche aae5 allein beschränkten
Menschheit Christi. Die Erwägung des Zusammenhangs nad
der Veranlassung jenes Satzeg zeigt, dass damit Chrisko night
ausser der φάρξ noeh eine apdene Seite der Menseheynatar,
sondern statt einer nar scheinbaren Menschheit; per geistigen
Menschenähnlichkeit, die wirkliche, garkische Mensehennatur
zugesprochen werden gollte, Ein τῴλμιος ἀἄκμβοωπρς ist Ahen
ein σφρκηφόρος (Sm. 5) oder awoxımc (Eph. 7), und als solaker
erweist; sieh auch nach der Anfersigadene (Sm. 3 artr.). Ink
die Behaupfung des wirklichen und wölligen Menschseins
Christ} synonym mik der Rehanpiaug seinar sarkischen Beine
weise, po steht ie wie diene im Dienst des gegen die [τς
lehrer zu führenden Beweises, des die dam indischen Lehen
Christi angekörigen ’Thaisachen der Erlösung wirkliche Thatr
sachen sind, ohne welche Voraussetzung sie nicht eine wahre
und wirkliche Offenbarung Gottes sein können.
Die religiöse Bedeutung dieser Thatsachen, von weicher
freilich keine Rede sein kann, wenn es keine Thatsachen sind,
ist mit der Behauptung ihrer Wirklichkeit oder deg wahren
Menschseins noch gar nicht ausgesprochen. Sie beryht viel-
mehr darin, dass Jesus der aeue Mensch isk (Eph. 20), ader
mit anderen Worten, dass Gott es ist, der sich zum Zweck
30 Ἐ
468
der Verwirklichung seines Rathschlusses in ihm menschlich
offenbart hat !). Der letztere an sich verschiedener Deutung
fähige Ausdruck erhält seine Bestimmtheit, wenn man be-
achtet, worin Ignatius „die auf den neuen Menschen ab-
zielende Heilsveranstaltung “ Gottes sich verwirklichen und die
menschliche Offenbarung Gottes bestehen lässt. Christus .ist ihm
die menschliche Offenbarung Gottes und der 'neue Mensch,
weil er nach Gottes Veranstaltung vermöge eines doppelten
Ursprungs aus Davids Geschlecht und aus heiligem Geist von
der Jungfrau empfangen und geboren wurde ?). Ein und der-
selbe geschichtliche Christus wird auf Grund dieses seines zwei-
seitigen Lebensanfangs bald darnach Eph. 20 Menschen- und
Gottessohn genannt. Das also ist das Neue an diesem Men-
schen, dass er nicht bloss Menschensohn, sondern auch Gottes-
sohn ist; und beides zugleich ist er, weil seine durch Maria
vermittelte Herkunft aus Davids Geschlecht zugleich eine
durch den heiligen Geist vermittelte Herkunft aus Gott war.
Diesen doppelten simultanen Ursprung bezeichnet Ignatius
noch schärfer durch καὶ ἐκ Mopius καὶ ἐκ ϑεοῦ (Eph. 7;
Anh, I, 17). Dass hier nicht etwa auf eine der Geburt aus
Maria vorangehende, vorweltliche Erzeugung des Sohns aus
Gott Rücksicht genommen ist, zeigt ausser der Vergleichung
voh Eph. 18. 19 die Verbindung durch xai . . . καί und der
Zusammenhang des Satzes, in welchem durchaus von der ge-
schichtlichen Person, von Jesus dem (Christ die Rede ist,
welcher zuerst leidensfähig war und dann erst über das
—
1) Eph. 19. Mit Rücksicht auf die Geburt Jesu heisst es ϑεοῦ
ἀἐνϑρωπίνως pavsgovusvov Eis καινότητα ἀϊδίου ζωῆς. Dass des Scur.
υἱοῦ statt ϑεοῦ (Gl Li G2 L? Sev. syr. 218, 4) nicht auf Bechnung de
syrischen Uebersetzers, oder gar seines griechischen Originals zu setzen
ist, zeigt A. Es ist aber auch nicht gerathen, als Subject der Selbst-
offenbarung den vom Vater unterschiedenen Sohn zu verstehen, da das
artikellose ϑεός vorher und: nachher beharrlich Gott schlechtweg oder
Gott den Vater bezeichnet. Vgl. Mgn. 8: ὅτε εἷς ϑεός ἐστιν, ὁ φανε-
θώσας ἑαυτὸν du: Ἰησοῦ Χριστοῦ.
2) Eph. 18: ὁ γὼρ eos ἡμῶν Ἰησοῦς ὁ Χριστὸς ἐχυοφορήϑη ὑπὸ
Μαρίας κατ᾽ οἰκονομίαν ϑεοῦ, ἐκ σπέρματος μὲν Δαβὶδ, πνεύματος δὲ
, ἁγίου, ὃς ἐγεννήϑη καὶ ἐβαπτίσϑη x. τ. A.
469
Leiden erhoben wurde. Allerdings setzen die Prädicate ἀγέν-
γητος, ϑεύς, vielleicht auch 'rveuuwiınog, eine dem mensch-
lichen Sein Jesu vorangehende Existenz dieses Subjects voraus,
wie das τότε ἀπαϑής in den dem geschichtlichen Leben Jesu
folgenden. Stand seiner Erhöhung weist. Aber die Voran-
stellung von σαρκικός VOL πνευματικύς, VON γεννητός ΥΟΥ ἀγέν-
νητος, VOR ἐν σαρκί Vor ϑεύς, von ἐν ϑανάτῳ vor ζωΐ ἀληϑινή,
von ἐκ Μαρίας vor ἐκ ϑεαῦ, und die ausdrückliche Erklärung,
dass der Stand der Leidensfähigkeit und des Leidens dem ent-
gegengesetzten zeitlich vorangegangen sei, lehrt uns, dass der
Standpunct, von welchem aus einem und ‚demselben Subject
diese gegensätzlichen Attribute ertheilt werden, diesseits des
irdischen Lebensanfangs Christi liegt. Vom Sohn der Maria
und Gottes, von dem Jesus Christus, welchen die Christen als
ihren Herrn kennen, gelten beide Reihen von Aussagen.
Weil das Leben, in welches er eingetreten, ein Leben in
leiblicher Menschennatur war und ist, heisst er σαρκικός und
der Eintritt in dasselbe ἐν σαρκὶ γενέσϑαι; weil er überhaupt
einen Lebensanfang hat, heisst er yevvnros; aber nach einer
anderen Seite, nämlich abgesehn von seinem Eintritt in
irdisches Leben, seiner γέννησις oder γένεσις, ist er ἀγέννητος.
Wenn ihm in solchem Zusammenhang Herkunft sowohl aus-
Maria als aus Gott zugeschrieben wird, so kann das natärlich
von ihm nur gelten, sofern er überhaupt eine Herkunft, eine
γέννησις oder γένεσις hat oder γεννητός ist, und die spätere
kirchliche Theorie von einer vorgeschichtlichen Erzeugung des
Sohnes aus dem Vater und jeder, wenn auch noch so sehr
sublimirte Gedanke einer Entstehung dieses Subjects ist durch
ἀγέννητος geradezu ausgeschlossen. Also ist Christus für
Ignatius zwar ewiges Ich, aber Gottes Sohn doch erst als der .
„ins Fleisch Gekommene“, als der „aus Maria und Gott“
oder „aus Davids Geschlecht und heiligem Geist“ zugleich
Entsprossene, und es beschreibt der Name Sohn Gottes den
gleichen Umfang wie der Name Menschensohn, und zu beiden
bildet die Ewigkeit, Unerzeugtheit, Gottheit des Ichs, welches
Gottes- und Menschensohn: geworden ist, einen (Gegensatz.
Das zeigen auch die Worte τὸν κύριον ὑμῶν, ἀληθῶς ὄντα ἐκ
478
γέρους Hapıd “κατὰ σάδκα, ἦὸν ϑεοῦ κατὰ Bee μοὶ δύναμιν
ϑεοῦ, μεγεμημένυν ἀχηϑῶς ir παρϑένου (Seh. 1). Wie sebief
και (die Gidktessohndchufs hier Ywischen davidischer Alketft
uni Gebart aus üdr Iimgfran u wtöhen, wurm damit dus Dr»
'gehmis einer Ahherg@llichen Löbemibawerrung Wehlaımt ΣΙΝ,
welshe der mienschläöhen '&eburt ‘oder, 'wie es ker Keisss, der
Entstehung ἢ aus der Jungfrau vordagitige. Vielmelrt, sofern
er uk ἀδί, δα ναὶ ur ἀπο Veermitlung seiner Mitber aus
Davids Geschleckk ; ass dieser Fleisch 'Giewordenb ‘aber Bilekch-
wohl Gottes Som ibt, verdankt ’er dam μον γα "Willen wird
er Kraft Gottes, wodurch Ale weunderbire Gelsurt ven Wiktr
Aringften möglich werd ἢ. Von du Ads veistukt ‘us sich voh
seibät, ünss Intatius, wo er von ὅσ Hervonsehn Christi
αὶ Gott ıoller dem Vater redet, dnmit τὰν Beim Üeber-
trikt es der Unsiehtkarkeit wöltdichun Lebens in die Sicht-
barkeit Imanschläcken Jebens, seite Monschwerdumg, »e-
zeichnet ἢ. Nicht voh tindın Sohn 'Gbttes, weldher in der '
—
1) Es ist hier an der Schreibung mit einem » nicht zu rütteln trotz
des ἐγεννήϑη Eph. 18; Tr. 9 und des γεννητὸς καὶ ἀγέννητος Eph. 7;
γέ. At. I, 17. Es 4δ Ὁ absichtlich gewählt, weil nicht die Thiatsache,
äklts dr ‘Y6n Εἰπὸν -Jungfiku Yebdren "Wöhden (de δ ϑένοιν, Wunklehn Hei
Biritvikt in menschliches Lebm als ein Herkemmen veh οὐδὸς ‚Fungkel,
wie Eph. 7 als ein Eintreten in menschliche Natur (ἐν σαρχὶ yerkada)
bezeichnet sein sollte. — Die Aenderung von ϑέλημα in ϑεότητα (Theo-
doret ed. Sirm. IV, 38) oder φύσιν A, wo dann folgerichtig ϑεοὺ hinter
δόναμειν 'susgestössen ist, zeigt beide, Wie die Aechdertiig des Miter-
polntors, wie wenig 'sich 'Hie spättrim Theslogen Yait το Vorfilhren
verständigen konnten. Der obige Weit fist durch (01 δὲ Swen. dir.
214, 15 gesichert.
2) Der Anklang an Rom. 1, 3f. ist unverkennbar. (cf. Eph. 20).
Wer einsieht, dass oh, 1, 188. die Erzeugung der Gotteskinder mit der
übernätürtichen Kg Christi parallelisitt θὲ, Wird in des Tgnatiın
ϑέλημν (ϑεοῦ Ak podiiieh Mtisdkuek für die Hoftigen Mebkalkveih Erkerisehn.
Vgl. Ic. 1,:35. Zar duslagung vgl. Poison IH, 10.
3) Mgn. 7: .. Ἰησοῦν Χριστὸν, τὸν up’ Evös πατρὸς προελϑόντα
καὶ εἰς ἕνα ὄντα Pr χωρήσαντα. Zu Bunsens Aenderung δὲς ὅνα dva-
ζώρήδαντα Tiegt kein Grund vor, obwöhl A Ähnlich gekürzt hat. Das
gerenwäläige Sein Christi in Gott, welches dttrch die Consttuctiön init
δὲς (vgl. Joh. 1, 18 oder ipedipen εἰς dh Tl, 3) als ῬΥ ΟΜΝ
471
Person Jesu Mensch geworden wäre, sondern von Jesus dem
Christ wird das ausgesagt. Dem Hervorgehn desselken aus
Gott entspricht gegensätzlich dasjenige Eingehn in Golf,
womit sein gegenwärtiges Sein in Gott angehoben hat, Dies
εἶναι εἰς σὺν πωτέρᾳ oder ἐν τῷ πατρί (Bom. 8) bezeishnet, -
wie besonders dentlich ἀφ. 3 zeigt, das gegenwärtige Sein
Christi und hildet den Gegensatz zu seinem vormaligen εὗναι
iv τῷ κόσμῳ. Es drückt die Deberweltlichkeit und Unsicht-
barkeit des erhöhten Ohristus aus. Ist aber das dieses erw.
ἐν τῷ πατρί einleitende χωρεῖν εἰς τὸν παεέρω seine Rückkehr
aus irdischem Leben in die Ueberweltlichkeit, 859 mus auch
das ihm gegensätzlich entsprechende προελθεῖν ix τοῦ παξφός
den. Eintritt ins irdische Leben benennen, welchem nur ein
ewiges Sein in Golk vormmmging. Hs bezeichnet denselben
Act als That Christi, welcher kurz vorher Mgn. 6 als die am
Ende der Zeit geschehene Erscheinung dessen, der vor. den
Aconen beim Vater war, bezeishnet war, und gleich nachher
6. 8 als That des Vaters Sendung des Sohnes heisst, Eben
der, welcher in allen Stücken wohlgefisl dem, der ihn ge
sandt hat, ist ihm der Sohn Gottes, durch welchen sich Gott
geoffenbart hat (Mgn. 8); und wie Hph. 7 durch ἀγέννητος
der Gedanke förmlich ausgeschlossen ist, dass die Erzeugung
und Entstehung des Sohnes 6tottes aus Gott und Maria die
Existenz dieser Person in jeder Hinsicht gesetzt habe, und
ausdrücklich gesagt ist, dass jene Erzeugung. nur ein ing Fleisch
Kommen dessen, der Gott ist, bedeutet, so wird auch Mgn. 8
von dem Bubject der evangelischen Geschichte und dem ge-
schichtlichen Mistler der Offenbarung Gottes Ewigkeit aus-
gesagt. Die Verbindung dieses Attributs (ἀΐδιος) mit dem
Ingesnamen darf nicht zu dem Irrtum verführen, als ob
Christus darum, weil er Gottes Logos ist, ewig wäre. Es
wurde 5. 382ff. schon soviel bewiesen, dass in der hier ob-
einer Bewegung dorthin bezeichnet ist, konmte Ignatius füglich dem
durch das Hervorkommen von Gett %egründeten Sein in dar Welt sofort
gegenübertreten lassen und dann erst nachträgliob die rückgängige Be-
wegung ausdrücklich nemuen.
472
waltenden Polemik gegen gewisse auf dem Logosnamen fussende
christologische Reflexionen, nicht der Logosbegriff selbst, son-
dern die trotz der Berechtigung desselben festzuhaltende Ewig-
keit der Person, welche Logos Gottes heisst, betont sein
wollte. Weit entfernt, dass der Logosname das ewige, an-
fangslose Sein des so Benannten verbürgte ἢ), nöthigt der Zu-
sammenhang vielmehr dazu, diese Benennung. ebenso auf den
Menschgewordenen zu beziehen, wie die vorangehenden Jesus
Christus und Gottes Sohn. Sie sind alle eingerahmt von den
beiden geschichtlichen Aussagen, dass Gott sich durch ihn
offenbart, und dass er das ungetheilte Wohlgefallen seines
Auftraggebers sich erworben habe. Tıogos heisst Christus um
des Ersteren willen als Mittler der Selbstoffenbarung Gottes.
Unter dieser aber ist nur die neutestamentliche zu verstehen.
Wenn Jesus als Mittler. der neutestamentlichen Selbstoffen-
barung Gottes dessen Logos heisst, so ist damit wesentlich
dasselbe gesagt, als wenn derselbe Jesus Christus „der un-
trügliche Mund, durch welchen der Vater wahrhaft geredet
hat“ (Rom. 8), oder „die Willensmeinung des Vaters“
(Eph. 3), oder „die Erkenntnis Gottes“ (Eph. 17) heisst.
Während es für Menschen schon höchstes Lob ist, dass sie
sich in der Willensmeinung Gottes und Christi befinden
(Eph. 3), und das einzige Heil für sie darin besteht, dass
sie das von Gott gesandte Gnadengut sich aneignen und die
in Christus zu findende Erkenntnis Gottes gewinnen (Eph. 17),
ist Christus alles dies selbst; er als Person ist der voll-
kommene Ausdruck des göttlichen Willens und Rathschlusses,
er ist die Person gewordene Gnade und Erkenntnis Gottes.
So ist er auch nicht in dem Sinne ÖOffenbarungsmittler,, dass
er wie Andere Empfänger und Verkündiger eines an ihn ge-
1) Obwohl Ignatius Rom. 2 gewiss nicht, wie Johannes Monachus
meinte, eine Erinnerung an Joh. 1, 1ff. und Joh. 1, 23 und den Gegen-
satz von Christus als dem Wort und Johannes als einer Stimme Gottes
beabsichtigt hat, so beweist doch die Stelle, dass für Ignatius die Be
zeichnung einer Person als Wort Gottes keineswegs die Behauptung
ihrer anfangslosen Ewigkeit einschliesst. S. Anh. I, 9.
.478
langten, Gotteswortes wäre, sondern diese aus der Ueberwelt-
lichkeit Gottes herausgetretene, in die Welt eingetretene
Person ist selbst Gottes Wort, Gottes vollkommene Offen-
barung. Er beweist sich als dies natürlich auch dadurch, dass
er redet und lehrt (Mgn. 9; Eph. 6. 15), oder Gott durch
ihn als sein Organ redet (Rom. 8); aber das ist nur eine der
Formen, wodurch er Gottes Willen an die Menschen bringt;
auch seine Thaten sind Worte (Eph. 15), und schon in seiner
Empfängnis und Geburt „oflenbart sich Gott menschlich“
(Eph. 19). Der so gesetzte „neue Mensch“ (Eph. 20) selbst
ist also Gottes Wort. Diese von aller Speculstion über das
Verhältnis des präexistenten Christus zu Gott fernliegende
Gedankenreihe eine Logoslehre zu nennen, wäre abgeschmackt.
Nicht einmal vom Logomamen macht Ignatius weiter Ge-
brauch '); es ist ihm nur einer der mannigfaltigen bildlichen
Ausdrücke für den Charakter Christi als Offenbarung und
Offenbarers Gottes. In dem Masse aber, als für ihn der
Gegensatz von Leben und Tod den Gegensatz von Erkenntnis
und Unwissenheit überwiegt, sind auch die auf den letzteren
bezüglichen Begriffe seltener angewandt, als die .auf den
ersteren bezüglichen. Die einzige Stelle, an welcher er Chri-
stus Logos Gottes nennt und in welcher man eine Logoslehre
zu finden meint, enthält nur Bestreitung einer Logoslehre,
und zwar eine solche, welche erkennen lässt, dass Ignatius
den Logosnamen lediglich als Bezeichnung der heilsamtlichen
Stellung Christi verwendet haben will, und dass er jedem
Gedanken an eine aus diesem Namen zu gewinnende Be-
stimmung dss Wesens der ewigen Person Christi und ihres
Verhältnisses zu Gott abhold ist. Auch an dieser Stelle zeigt
sich, dass Ignatius von einer anderen Erzeugung oder Ent-
stehung Christi aus Gott als der Menschwerdung ebenso-
1) Bei den Worten ἐν ἀμώμῳ πνεύματι καὶ λόγῳ ϑεοῦ πλεῖστα
χαέρειν Sm. inscr. ist es mindestens sehr fraglich, vb an den heiligen Geist
und Christus zu denken ist. Das Attribut ἄμωμος scheint nur auf die
mnere Verfassung der Begrüssten zu passen, wie sonst in der Verbindung
mit χαρά Mgn. 7; cf. Rom. inser.
474
wenig etwas weiss, als er von der häretischen’ Benutzung des
Logomamens zum Behuf einer Herleitung des Wesens Christi
aus Gott etwas wissen will. Wüsste er von. einem die
Existenz des, Logos genannten, Subjects begrändenden προ-
ελϑεῖν, BO müsste er dieses der häretischen Lehre vom προ-
ἐλϑεῖν ἀπὸ σιγῆς gegenüberstellen, und nicht die Verneinung
des Gewordenseins, die αϊδοότης, das voräonische Sein beim
Vater. Richtig dagegen ist sein Verfahren, wenn er von
demselben Subject, welches am Ende der Zeiten aus Maria und
Gott, aus Davids Geschlecht und aus heiligem Geist geboren
worden, also geworden ist, zugleioh Ungewordenheit und Un-
erzeugtheit nussagt. Letzteres könnte er selbstverstämdlich
nicht sagen, wenn er den simultanen Ursprung Christi aus
Gott und Maria als Entstehung des Ichs fasste, welches als
geschichtliche Erscheinung Jesus Christus, Gottes Sohn, Logos
u. 5. w. heisst. Aber jener Ursprung ist ihm ein Gesendet-
werden dessen, der nie einen Anfang gehabt hat (Mpn. 6;
εἴ. Eph. 17), ein Hervorsreten vom Vater her, welches
: ebenso notkwendig ein vorheriges distinctes Bein bei Goit vor-
wussetrt, wie das entsprechende - Zurücktreien in Gott ein
solches zur Folge hat (Men. 7). Es ist ihm eine Er-
scheinung dessen, der vor den Asonen beine ‚Vater war
(Mgn. 6); es ist ihm Menschwerduag; also eine Ver-
änderung oder Umgestaltuug eines Solchen, der vorher nicht
Mensch war, zu einem völligen Menschen (Sm. 4); es ist ein
Eintreten dessen, der wesentlich Gott ist, ins Fleisch.
So nämlich, als Attribut des einen Arztes Christi, ist das
ἂν σαραὶ γενόμιενος ϑεός Eph. 7 zu fassen. Während in den
beiden ersten Paaren von Attribaten je zwei gegensätzliche
Seiten der Person Christi, dass er fleischlich oder erzeugt
(«= Mensch), und dass er geistig oder unerzaugt (== Koll)
ist, coordinirt sind, wird im fünften und sechsten Attribut
die menschliche Seite zu einer Bestimmtheit der göttlichen
gemacht. Der πνευματικός und ἀγέννητος ist als solcher Jeos,
aber er ist es in der durch ougxıxös, γεννητός und ἐν σαρκὶ
γενόμενος angegebenen geschichtlichen Form. Hierdurch ist
dann der Sinn der Ausdrücke wi ἐκ :Mapias καὶ ἐκ ϑεοῦ
478
(Eyh. Τὴ, du wrloneree μὲν Sad, πνεύματος δὲ ἁγίου
(Biph. 18), υἱὸς ἀνθριόκου καὶ υἱὸς Heu (Eph. 90) völlig be-
stimmt. Während mäarhlich diese Ausdräcke die Möglichkeit
offen liessen, dam durch eine ausserordentliche Veranstaltung
(EPh. 18) und wunderbare Wirkung Cioites (Sm. 1) auf die
Jünpfrau Marla „der neue Mensch“ (Bph. 20) producirt wor-
den sei, wolcher um dieses seines Lebensanfangs willen der
Sohn Gottes in einem Andere ausschliessenden Sinne hiesse '),
is6 wus den zaletzt besprochenen Btellen deutlich, dass dem
Hetvorgehn aus Gott ein Sein in und bei Gstt, dem ins
Fleisch Kommen ein Geist Sein, dem Mensch Werden ein
Gott Sera vorangeht, zugleich aber auch, dass dieses Geist
and Gott Sein durch das Mensch Werden und ins Fleisch
Kommen nicht aufgehoben ist, sondern als das ewige Wesen
dieser Poison ihrem geschichtlichen Sein innewohnt, und dass
umgekehrt das Ergebnis les ins Fleisch Kommens von diesem
Breignie un der Person für immer anhaftet. Er ist „Aeisch-
lich“, Menschensohn und Gottessohn, Jesus und Chrisies ge-
bHuben, wwitdlern er 886 geworden ist. Die mit diesen Namen
beseichnete geschichtliche Persönlichkeit ist nicht ein einem
bestimnien Mement der Offenbarungsgeschiohte angehöriger
Mölus des inmerweitlichen Seins und Wirkens Gottes, sonderh
is Für #nmer, sowohl das, was sie von Ewigkeit her, nis
des, was wie sbit ihrer Menschwerdang ist. Auch der Auf-
arstandene und Wrhöhte hat Fieisch an sich, welches neben
dem Gieist us constitutives Element seiner Person für den
GHauben von allergrömter Bedantung ἰδὲ . Nur diejenige
1) Darüber binaus geht auch nicht das πατρὸς ὑψέσεου καὶ Ἰησοῦ
Χρεδτοῦ τοῦ μόνου υἱοῦ αὐτοῦ Rom. inscr. Vgl. den artikellosen Ge-
bauch beider Wolke υἱοῦ πατρός ebendott und Mgn. 13.
ὃ) Sm. 8 gehört ganz hierber. Mit LA (convieti) κρατηϑένεες statt
πραϑέντος zu lesen, empfehlt sich am «0 weniger, da auch die Um-
schreibung des A, welcher dies aufs Abendmahl bezieht und αἵματι
statt πνεύματι voraussetzt, die Lesart χραϑέντες voraussetzt. ‚ Gemischt,
d. h. innig verbunden mit Fleisch wie Geist Christi, kamen sie zum
Axtden“. Wi. noch Man. 1.
410
Beschaffenheit der σάρξ, vermöge deren sie dem Leiden uuter-
worfen war (Eph. 7; ad Pol. 3), hat aufgehört, seit Gott sie
vom Tode aufgeweckt hat (Sm. 7). Diese Umgestaltung der
σάρξ ist mit dem Zweck der Erscheinung Christi im Fleisch
gegeben, welcher in der Auflösung der Todesherrschaft und der
Stiftung eines neuen ewigen Menschenlebens durch den neuen
Menschen besteht (Eph. 19). Gerade durch das Erleiden des
Todes, welches die Sünden der Menschen veranlasst haben
(Sm. 7), wird der Grund dieses neuen Lebens gelegt; gerade
im Tode erweist sich Christus als das wahrhaftige Leben
(Epb. 7), welches man sich durch freiwillige Versenkung in
seinen Tod aneignet (Mgn. 5; cf. Tr. 2). Daher kann Christi
Leiden selbst die Auferstehung der Christen heissen (Sm. 5;
οἵ. Mgn. 9). Aber dieser Wendepunct ist der Tod Jesu nur,
weil die σάρξ, in welcher er und welche selbst gelitten hat,
wiederauferweckt worden ist (Sm. 7; cf. 1), nun aber in
einer ihrem nunmelrigen Zweck entsprechenden Beschaffenheit
fortlebt. |
Aehnlich wie Eph. 7 werden auch ad Pol. 3 gegensätz-
liche Attribute auf Christus gehäuft. Aber, weil es sich um
den wiederkehrenden Christus handelt, auf welchen die Chri-
sten zu warten haben, werden neben seine ewigen, in der
Zwischenzeit zwischen erster und zweiter Parusie actuellen
Eigenschaften die entgegengesetzten, sein irdisches Leben
charakterisirenden gestellt, welche. seine Wiedererscheinung
glaubhaft machen. An sich selbst ist er überzeitlich und
zeitlos, unsichtbar, unbetastbar und dem Leiden nicht unter-
worfen; aber um der Menschen willen war er sichtbar und
leidensfähig und duldete er in jeder Beziehung. Um der
letzten rein historischen Aussage willen muss man auch die
beiden parallelen Attribute ὁρατὸς und παϑητός durch einen
Satz im Imperfect auflösen, obwohl mit dem ersten gesagt
sein soll, dass er im Stande ist, um des Heilszweckes willen
sich wieder sichtbar zu machen, wie das zweite und dritte
an die in der ersten Parusie bewiesene Gesinnung erinnert,
vermöge deren er auch die Heilsvollendung herbeiführen wird.
Baur (II, 110) hat in dieser Stelle, ohne nach dem Zusammen-
477
hang derselben auch nur zu fragen, den gröbsten Patripas-
sianismus entdeckt und geradezu behauptet, alle jene negativen
Attribute bezeichneten Gott den Vater, und Lipsius (I, 21),
welcher hier einen stehen gebliebenen Rest seines Urignatius
findet, stimmt dem zu, während er gleichzeitig in milderer
Form bemerkt, dass keins jener Prädicate dazu nöthige, an
den von Gott geschiedenen Logos zu denken. Vom Logos- ist
hier freilich nicht die Rede und vollends nicht von dem,
was man sich unter Logos vorzustellen pflegt, wohl aber, wie
τὸν ὑπομείναντα zeigt, vom geschichtlichen Christus. Es
müsste also, da nicht von zwei Wesen die Rede ist, dach erst
nachgewiesen werden, dass die Prädicate der Ueberzeitlichkeit,
Unsichtbarkeit, Unkörperlichkeit, Leidenslosigkeit nicht auf
den Christus des Ignatius passen. Aber wie sollten sie nicht,
da Jesus vor den Aeonen beim Vater gewesen sein soll, ehe
er am Ende der Zeiten erschien (Mgn. 6)! Sodann hätte
man sich, wenn auch keine so ausdrücklichen Aussagen vor-
lägen, wie die in Mgn. 6. 8; Eph. 7, welche dem deutlich
vom Vater unterschiedenen Sohn Ewigkeit beilegen, die Mühe
nicht sparen sollen, eine einzige Stelle nachzuweisen, wo
Ignatius „Gott den Vater“ als das Subject der Erlöserthaten
Jesu einführte. Aber er unterscheidet den historischen Chri-
stus eben da, wo er ihn Gottes ewigen Logos nennt, als den
von Gott gesandten Sohn von dem ihn sendenden Gott, dem
er wohlgefallen hat (Mgn. 8), an einer Stelle, welche Baur
vermöge der naivsten Art von Kritik als ein späteres Ein-
schiebsel verdächtigt hat (TI, 111), nachdem er (Il, 109) über
„Willkür philologischer Kritik‘ geklagt hatte. Ignatius
unterscheidet den historischen Christus von Gott überall da,
wo er. ihn Gottes Sohn nennt, und der staunenswerthen Be-
hauptung, dass in den ignatianischen Briefen mit Ausnahme
der verdächtigten Stelle Mgn. 8 „nie von einem υἱός (soll
heissen von Christus als Sohn Gottes) die Rede sei“ (Baur
I, 111), lässt sich nur antworten, dass Christus Sm. 1;
Eph. 20; Mgn. 13; Rom. inser. (zweimal) ausdrücklich Sohn
Gottes oder Sohn genannt wird, und dass er ausserdem überall
da als Sohn Gottes vorgestellt ist, wo Gott neben ihm als
418
Vater (Rom. 2. 3. 8; Mon. 1. 6. 7. 13 orte; Tr. 18. 13;
Pel. inser.; Eph. 3. 4. 5. 15; Sm. 3) oder als Gott Vater
(Eph. 9; Mgn. inser. und c. 5; Phil. inser. und c. 1}, oder
als Vater Jesu Christi (Eph. 2; Mgn. 3; cf. Tr. 9; Phil, 7)
benannt ist. Diess 29 Stellen hat Baur übersehn, Die Au
flucht, welche er für dem Fall, dass irgendwo der Sohn vom
Vater unterschieden werde, bereit, hielt, dem der Sohn dann
nicht das zur memschlichen Erscheinung sich hestimmende
Subjeot, sondern nur das Menschliche dieser Eirseheinusg
selbst sein solle !), widerlegt. sich durch die ausführlich be-
sprochene Thatssche, dass Ignakins das Menschliche an der
geschichtlichen Erscheinung Christi als σώρΣ bezeichnet und
von dieser einen Seite der geschichtlichen Eimscheinnag Christi
eine andere unterseheidet, nach welcher demelbe Christus
geistig, unerzeugt, ewig, Gott ist. Christus keisst hei ihm
räcksichtlich seiner menschliohen Natur gerade nicht Sohn
Gottes, sondern „völliger Mensch, neuer Mensch, Menschex-
sohn“, „Gottessohn‘“ aber nach seiner Herkunft aus Gott.
Ignatius vermeidet ferner das der Misdeutwag zugängliche mei
ἐγένετο und betrachtet die σάφξ stets als ain der Pezsen Jesu
Anhaftendes, von ihr Unterscheidbares. Er trikk in die «wei
ein (Eph. 7), trägt sie (Sm. 5), hat eine hierdureh hedingte
Beschaffenheit (σαρκικός Eph. 7; Bm. 8), aber er ist diese
σύρξ ehensowenig, als er der Vater ist, der ikm gerandt hat.
Wollte man Letzteres daraus folgern, dass einmal er selbst
(Sm. 2), sonst aber der Vater (Tr. 9; Sm. 7) als Subjeot der
1) Dies eignet sich Lipsins I, 26 für seinen Urignatius an. Dezsalbe
erkennt ad Pol. 3 auch darin einen stehen gebliebenen urignatjanischen
Gedanken, dass dem αἀψηλάφητον kein Gegensatz entspreche, weil die
modalistische Auffassung des Urignatias im Unterschied von der weiter-
fortgeschrittenen Ohristologie unseres Igmatins (8a. 3) dem Gedanke
eimer menschlichen Betsstung Mokteg χάρι zugelasenn habe, als ab
ὑπέρχαμρον und Aygovor hier einen entsprechenden Gegenastz hätten, der
wie ὁρατόν und παϑητόν von der menschlichen Erscheinung hergenommen
‚wäre, und als ob das xard πάντα τρόπον ὑπομείναντα nicht an noeh
ganz andere Dinge, als an Betastung durch menschliebe Hände denken
liesse, an Geisselung, Bespeiumg und Annsgelung.
479
Auferweckung Jesa auftritt, so könnte man ebensogut die
Identität Christi mit seiner oug& daraus folgern, dass einmal
die σάρξ (Sm. 7), sonst aber Christus selbst (Sm. 2; Tr. 9).
als Object der Auferweckung genannt ist. Beides aber wäre
Misverstand.. Wo es darauf ankommt, die Identität der im
Abendmahl sich mittheilenden menschlichen Natur mit der-
jenigen, welche am Kreuz gelitten hat, zu behaupten, wird
von eben dieser leiblichen Natur gesagt, dass der Vater sie
vermöge seiner Güte auferweckt habe, während die unge-
nauere Bezeichnung Christi selbst als des Auferweckten und
Auferstandenen auch bei Ignatius die gewöhnliche ist, statthaft
neben der anderen, weil die σάρξ, welche ins Grab gelegt und
wieder belebt wurde, die σάρξ dieser Person ist, welche in
und mit ihrer σάρξ lebt, stirbt und aufersteht. Der gleich-
falls seltenere Ausdruck ἀληϑῶς ἀνέστησεν ἑαυτόν (Sm. 2),
welcher übrigeus an Joh. 2, 19ff.; 10, 17 seine Analogieen
hat, scheint sich absichtslos als Fortsetzung des ἀληθῶς ἔπα-
ϑὲν darzubieten. Aehnlich ist es, wenn Sm. 4 in Bezug auf
alle Thatsachen der evangelischen Geschichte mit Einschluss
der Auferstehung, als deren leidendes Object Christus ge-
wöhnlich bezeichnet wird, und mit Einschluss des Leidens,
welches doch zunächst kein Thun ist, gesagt wird ταῦτα
ἐπράχϑη ὑπὸ τοῦ κυρίον ἡμῶν (cl. Mgn. 11). Immer ist es
ein und dasselbe persönliche Suhject und nicht die demselben
anhaftende leiblioehe Menschemnatur, was Ignatius deutlich
von Gott als seinem Vater unterscheidet. Gerade da, wo er
Christus nicht als Natur, sondern als sittliche Persönlichkeit
betrachtet, ist die Unterscheidung ani allerdeutlichsten. Jesus
Christus ist Nachahmer seines Vaters (Phil. 7), folgt seinem
Vater (Sm. 8), gefiel wohl seinem Auftraggeber (Mgn. 8),
handelte würdig des Vaters (Eph. 15), that nichts ohne den
Vater {Mgn. 7), führte ein Leben des Glaubens und der Liebe
(Eph. 20; vgl. oben S. 457) und war dem Vater unterthänig
(Mgan. 13). Wenn letztere Aussage durch ein κατὰ σάρχα
eingeschränkt wird, so gilt das nicht minder von allen
anderen, welche das geschichtliche Leben Christi als ein ächt
menschliches erkennen lassen. Es ist damit selbstverständlich
480
nicht gesagt, dass nur die σάρξ Christi jene, eine deutliche
persönliche Unterscheidung von Gott voraussetzende, Stellung
zu Gott eingenommen habe, dass die σάρξ geglaubt und ge-
liebt und Gehorsam bewiesen habe; sondern das Ich, welches
in menschliche Natur eingetreten ist, hat, sofern es ein Fleisch
an sich tragendes, gewordenes Subject, sofern es Gottes- und
Menschensohn ist, in einem Verhältnis der Unterordnung zu
Gott als seinem Vater gestanden, während es an sich selbst
als zvevumtızog und ἀγέννητος und ϑεύς Gott gleich steht.
Da nun aber überall beiderlei Prädicate mit polemischem Nach-
druck auf eine und dieselbe Person Jesus Christus bezogen
werden, und da von dieser Person gesagt wird, dass sie vor
den Aeonen bei und neben und in dem Vater existirt habe,
dann aber in die Welt gesandt und erschienen sei (Mgn. 6-8),
so folgt, dass dieses Ich, welches als Mensch Gottes-- und
Menschensohn und Logos und Jesus Christus heisst, „das zur
menschlichen Erscheinung sich bestimmende Subject“ ist und
von dem Vater sowohl als das ewig Existirende, wie als das
menschlich Erschienene persönlich unterschieden wird. Der
Menschgewordene ist freilich aufs engste mit dem Vater ge-
einigt (Mgn. 7), und namentlich auch nach der Auferstehung
trotz seiner fortdauernden leiblichen Existenz geistig mit dem
Vater geeinigt zu denken (Sm. 3). Aber wie wenig damit
Identität ausgesagt werden soll, zeigt die Verwendung de
Gedankens. Während Mgn. 7 dadurch die für das Verhältnis
der Gemeindeglieder zu den Gemeindevorstehern vorbildliche
Abhängigkeit des Handelns Jesu von Gott motivirt wird, wird
Eph. 5 die innige Gemeinschaft zwischen Christus und Gott,
ebenso wie die zwischen Christus und der Kirche, mit der-
jenigen verglichen, welche zwischen Bischof und Gemeinde
besteht. Während diese Aussagen sogar einer arianischen
Theologie Raum lassen würden, ergibt sich aus den vorher
erörterten Gedanken über das ewige Wesen der Person Christi,
dass Ignatius mit ganz anderer Energie, als die späteren
Lehrer, welche auf den Abweg einer unbiblischen Lehre vom
Logos und vom Sohne Gottes gerathen waren, die Gleichheit
und die Einheit des in Jesus menschlich erschienenen Subjects
481
mit dem, welcher des Menschgewordenen Vater ist, geltend
machen konnte. Er hatte in seinen theologischen Grund-
anschauungen auch die stärksten Antriebe, eben dies zu be-
tonen.
. Wir sahen, dass für Ignatius die Heilsbedeutung der in
Christus geschehenen Offenbarung zwar einerseits durchaus
abhängig erscheint von der Wirklichkeit der Thatsachen,
in welchen sie sich vollzieht, von der Wirklichkeit der evan-
gelischen Geschichte, dass aber andrerseits die Heilsbedeutung
dieser in geschichtlichen Thatsachen sich vollziehenden Offen-
barung darin besteht, dass mit Christus ein neues Prineip
ewigen Lebens in die der Todesherrschaft unterworfene Mensch-
heit eingetreten ist. Dieses neue Princip, „der neue Mensch“,
aber ist er, weil er im Fleisch erschienener Gott ist. Aller- -
dings fällt auch auf diejenigen Prädicate, welche die Gestalt
seines irdischen Lebens beschreiben, ein Ton, aber doch nur
deshalb, weil die Irrlehrer mit der leibhaftigen Wirklichkeit
des Lebens Jesu zugleich alle Wirklichkeit der darin ge-
schehenen Offenbarung leugneten. Für die‘ Reflexion des
Offenbarungsgläubigen ist das Menschsein, das menschliche
Geboren- und Gestorbensein Christi das zunächst sich Dar-
bietende, das Selbstverständliche; religiös werthvoll aber ist
dies nur darum, weil es ein seinem Wesen nach über mensch-
liches Leben und Leiden erhabenes, ewiges Ich ist, welches
um der Menschen willen, zum Zweck ihrer Erlösung unter
der Bedingung des Glaubens sich unter alle Bedingungen - .
menschlichen Lebens stellte (ad Pol. 3; Sm. 2; Tr. 2). Nur
dieses ewige Ich kann diese Bedingungen erfüllen und damit
aufheben, ohne ihnen zu erliegen. Weil es ein seiner Natur
nach ewiges, unauflösliches Leben ist, welches Christus in
den Tod gibt, ist sein Sterben die Auferstehung der Christen,
und nur, weil seine Geburt ein Eintritt dessen, der wesent-
lich Gott ist, in menschliches Leben ist, ist ihr Ergebnis der
Gottessohn und der neue Mensch. Darum liebt es Ignatius,
die Gottheit des Sohnes Gottes, worauf die Erlösung beruht,
zu betonen. Er hat an der Gottessohnschaft Christi nicht
wie spätere Theologen ein Hindernis, sondern gerade einen
Zahn, Ignatius, al
482
Antrieb, Christus Gott zu nennen. Zweimal folgt Rom. inser.
auf die Bezeichnung Christi als „einzigen Sohnes“ Gottes
oder „Sohnes des Vaters“ die andere als „unser Gott“. An
eine gröbliche Identificirung der daneben deutlich unter-
schiedenen Subjecte Vater und Sohn ist hier nicht zu denken;
das ist an der ersten Stelle durch den Inhalt des Satzes selbst
verwehrt, in welchem Christus der Christen Gott genannt wird;
denn in demselben wird der Wille dessen, der Alles, was da
ist, gewollt hat, als durch die Liebe Jesu Christi unsres Gottes
normirt vorgestellt, also ebenso persönlich unterschieden von
_ dem Willen Christi, wie in dem vorangehenden Partieipialsatz .
der höchste Vater von seinem einzigen Sohn (vgl. Anh. ], 7).
Ganz ähnlich wird Eph. inser. die Erwählung der ephesischen
Gemeinde auf den Willen des Vaters und unsres Gottes Jesus
Christus zurückgeführt (vgl. Rom. 3). An der Spitze des-
selben Kapitels (Sm. 1), in welchem so nachdrücklich von
der Davids- und Gottessohnschaft Christi geredet ist, liest
man doch auch δοξάζων Ἰησοῦν Χριστὸν τὸν ϑεὸν τὸν οὕτως
ὑμᾶς σοφίσαντα. Auf den Artikel ist hier kein Gewicht zu
legen 1), er ist lediglich durch die Absicht dietirt, einen von
ϑεός abhängigen Participialsatz anzuhängen. Ignatius preist
Christum als den Gott, welcher die Smyrnäer mit Weisheit
ausgestattet hat.: Den Schein, als ob er damit aus der Classe
der Götter diesen einzelnen Gott heraushöbe, brauchte er
nicht ängstlich zu meiden, und der Schein, als ob er Chri-
stus mit dem, welcher sonst ὁ ϑεός heisst, identificire, entsteht
gar nicht. Christus heisst bei Ignatius unbedenklich ϑεύός,
aber darum gilt er ihm nicht als ὁ ϑεός und wird auch
nicht etwa nur so von ὁ ϑεύς unterschieden, dass er Gott in
der näheren Bestimmtheit seiner menschlichen Selbstoffen-
barung wäre. Es hat sich vielmehr gezeigt, dass Christus
auch neben dem, welcher zunächst [Ὁ] 9söc oder auch [0]
πατήρ heisst, als Gott gedacht wird. Am häufigsten geschieht
1) Er fehlt Sm. 10. (ws διακόνους Χριστοῦ ϑεοῦ); Tr. 7 (ϑεοῦ Ἰησοῦ
Xgi6rod), aber auch sehr oft, wo Gott selbst, Gott der Vater ge
meint ist.
488
es in der Form [Ὁ] ϑεός ἡμῶν ἢ. Er ist es für die Christen,
aber nicht bloss in dem Sıun, dass er es nach dem Glauben
der Christen ist, er steht vielmehr zu den Christen in einem
objectiven Verhältnis, vermöge dessen er als ihr Gott ihnen
einwohnt und sich bezeugt ?). Objectiv ist dasselbe, obwohl
es sowobl in seiner gegenwärtigen, mannigfacher Steigerung
fähigen Bethätigung als in seiner schliesslichen Offenbarung
vom sittlichen Verhalten der Christen abhängt. Die schliess-
liche Erscheinung Christi als Gottes vor dem Angesicht derer,
die ihn geliebt haben, bildet einen Gegensatz zu der jetzigen
. Verborgenheit Christi, welche aber insbesondere als Verbor-
genheit seines Gottseins und seiner Einwohnung in der Ge-
meinde gedacht ist. Im Gegensatz zu seinem irdisch-mensch-
lichen Dasein bezeichnet das jetzige verborgene Sein des Er- '
höhten allerdings schon eine Steigerung der Offenbarung und
Bethätigung seines Gottseins (Rom. 3). Das Oxymoron, dass
unser Gott Jesus Christus jetzt, da er im Vater, also ver-
borgen ist, nur um so mehr erscheine oder offenbar sei, klärt
sich auf, wenn man aus Eph. 15 die Beziehung ergänzt, in
welcher er jetzt mehr als während seines irdischen Wandels
offenbar ist. Als das, was er wesentlich ist, als Gott, war er
gerade in den Tagen seines sichtbaren Erdenlebens am meisten
verhüllt auch für die Glaubenden; sein wahres göttliches
Wesen ist ihnen offenbarer, seit er durch Tod und Aufer-
stehung zum Vater gegangen ist. Aber Gott war er auch
1) Eph. inser., c. 15. 18; Rom. inser. (zweimal), 6. 3; ad Pol. 8.
2) Eph. 15: πάντα οὖν ποιῶμεν ὡς αὐτοῦ ἐν ἡμῖν κατοικοῦντος
ἵνα ὦμεν αἰὐτοῖ ναοὶ καὶ αὐτὸς ἢ ἐν ἡμῖν ϑεὸς ἡμῶν, ὅπερ καὶ ἔστιν
καὶ φανήσεται πρὸ προςώπου ἡμῶν, ἐξ ὧν δικαίως ἀγαπῶμεν αὐτόν.
Der, wie man an διό und διότι sehen kann, in solehen Dingen eigen-
sinnige Sprachgebrauch erlaubt es schwerlich, ἐξ ὧν als ein demonstra-
tives „daher, darum‘ und, was damit gegeben ist, den Satz cohortativ
zu fassen (so Uhlh., S. 44). Vielmehr „in Gemässheit dessen, in Folge
davon, dass wir ihn rechtschaften lieben “ wird er sich als das, was er
ist, als Gott der Christen, der in ihnen und unter ihnen wohnt, auch
äusserlich offenbaren. Vgl. Mgn. 9 extr. in formeller Hinsicht, ausserdem
‚auch Joh. 14, 21.
81"
484
damals, als er „völliger Mensch“ war; er ist „ins Fleisch
gekommener Gott“ und hat nie angefangen noch aufgehört,
Gott zu sein. Daher kann Ignatius ohne alles Bedenken
vom „Blut Gottes“ (Eph. 1) und vom „Leiden seines
Gottes“ (Rom. 6) reden. Von seinem christologischen Stand-
punct aus erscheint solche Ausdrucksweise jedenfalls natür-
licher, als von dem der Logoslehrer späterer Zeit !). So hätte
Ignatius auch vor dem Misverständnis sicher sein sollen, als
ob er sich dadurch in groben Widerspruch mit seiner Ueber-
zeugung von der ewigen Subsistenz Christi setzte. Lag für
ihn die Heilskraft der Person und Geschichte Christi darin,
dass er „ins Fleisch gekommener Gott“ war, und gipfelte
für ihn die Heilsoffenbarung im Kreuzestod Christi, so musste
es ihm naheliegen, den Gegensatz des Wesens dieser Person
und der Seinsweise, in welche sie sich- zum Zweck der Er-
lösung begeben hat, eben da aufzusuchen und ins Wort zu
fassen, wo dieser Gegensatz am schärfsten gespannt ist: im
Leiden und Blutvergiessen dessen, der wesentlich Gott ist.
Es entspricht seinem natürlichen Charakter und seiner reli-
giösen Stimmung, gerade zu dem, was den Ungläubigen ein
Aergernis, und was zur Beschämung der weltlichen Weisheit
von Gott geordnet ist, sich mit aller Energie zu bekennen
(Eph. 18), zum Mysterium des Todes Christi (Mgn. 9).
So wird nächst der wunderbaren Empfängnis und Geburt
auch der Tod aufgefasst (Eph. 19), und aus dieser Stelle ist
ersichtlich, dass der Tod Jesu ebenso wie seine Menschwer-
dung wegen der darin gebundenen Gegensätze göttlichen
Wesens und menschlichen Erlebnisses ein Mysterium ist.
Vom Bekenntnis opferfreudiger Liebe zum Kreuz, welches den
Irrlehrern ein Aergernis ist (c. 18), geht die ganze Darlegung
aus. Dass dies jenen ein Aergernis sei, bestätigen die pau-
linischen Fragen: ποῦ σοφός; ποῦ συζητητής; ποῦ καύχησις
τῶν λεγομένων συνετῶν; und dass es nicht anders sein könne,
dass dieser Gegensatz zwischen den selbstgemachten Gedanken
—— mn. --
1) Vgl. z. Β. Clem. protr., p. 84 Pott. oder Matian., 6. 13, wo der
heilige Geist διάκονος τοῦ nenovdöros ϑεοῦ heisst.
485
menschlicher Scheinweisheit und der Heilsoffenbarung, -be-
sonders des Kreuzestodes in der Natur der Heilsoffenbarung
selbst begründet sei, soll alles Weitere darthun. Obwohl
Ignatius, wie er c. 20 sagt, die begonnene Darlegung nicht
zu Ende geführt hat, so ist seine Meinung doch im wesent-
lichen deutlich. Schon der erste Satz, welcher von der Em-
pfängnis Christi bis zu der auf seinen Tod hinweisenden Taufe
fortschreitet, verbindet das menschlichem Denken Unverein-
bare. Der Gott der Christen, mit dem ein Weib schwanger
ging, ein Ursprung aus Davids Geschlecht und aus heiligem
- Geist zugleich, ein Geborenwerden und ein Getauftwerden,
welches zwar auf sein Leiden hinwies, zugleich aber auch
darauf, dass das Wasser, womit er sich taufen liess, durch
sein Leiden zu einem Heilsmittel geweiht werden solle! Auf
das dem natürlichen Denken unzugängliche Geheimnis des
Todes Christi ist es aber vor allem abgesehn. Daher wird
auch in c. 19 sofort neben der jungfräulichen Empfängnis
und Geburt der Tod als eins der drei μυστήρια κραυγῆς ge-
nannt, welche in der Stille Gottes vollbracht wurden und dem
Fürsten dieser Welt verborgen blieben und daher auch den
Weisen dieser Welt verschlossene Geheimnisse bleiben. Schon
der hiermit nachgewiesene Zusammenhang zwischen c. 19
und dem Vorigen stellt den Sinn des Einzelnen im wesent-
lichen fest. Die Verborgenheit dieser Thatsachen vor dem
Teufel muss analog sein der Verkennung desselben seitens der -
Ungläubigen (vgl. c. 17. 18 mit 1Kor. 2, 8). Die äusseren
Tbatsachen sind ihm so wenig als den Ungläubigen unbe-
kannt geblieben. Zumal der Tod Jesu ist ein Schauspiel
aller Geister der oberen und unteren Welt gewesen (Tr. 9);
aber es handelt sich hier nicht um historische Kenntnis,
sondern um Heilserkenntnis, nicht um die auch den Un-
gläubigen wie ihrem Lehrmeister bekannten Ereignisse, sondern
um das darin beschlossene, Glauben fordernde Geheimnis.
Beim Tode Jesu besteht dies darin, dass hier das wahrhaftige
Leben sich in den Tod gegeben hat (Eph. 7), dass der, wel-
cher Gott ist, gelitten (Rom. 6) und geblutet hat (Eph. 1),
oder dass der an sich selbst über das Leiden Erhabene zum
486
Behuf der Erlösung der Menschheit alles Leiden hat über
sich ergehen lassen (ad Pol. 3). Ebenso ist die Geburt Jesu
eine notorische Thatsache;, aber dass sie eine Geburt dessen
ist, der Gott war und ist, ist ein nur dem Glauben sich er-
schliessendes Geheimnis. Nur scheinbar verhält es sich mit
dem ersten Mysterium, der παρϑενία Μαρίας, anders. Lässt
man sich durch den offenbaren Parallelismus von c. 18 exir.
und ὁ. 19 init. leiten, so entspricht παρϑενία ebenso dem
ἐχυοφορήϑη, Wie 'τοχετός dem ἐγεννήϑη und ϑάνατος dem
ἐβωττίσϑη, {va τῷ πάϑει τὸ ὕδωρ καϑαρίσῃς. Ignatius hätte
genauer σύλληψις sagen können; denn statt des äusseren-
Factums, wie in den beiden anderen Fällen, ist diesmal das
der Welt und dem Teufel verborgene Geheimnis selbst ge-
nannt, welches darin bestand, dass Maria, als sie schwanger
ging, noch eine Jungfrau war. Verkorgen war diese Moda-
hität ihrer Empfängnis und Schwangerschaft deshalb, weil
Maria, als die Sache offenbar wurde, rechtlich und förmlich
Josephs Eheweib war. Diese’drei Thatsachen heissen aber
μυστήρια κραυγῆς Ὁ) schwerlich deshalb, weil sie jetzt laut
gepredigt werden; denn nicht um den Gegensatz ehemaliger
Verborgenheit und nunmehriger Weltkundigkeit handelt es
sich nach dem Zusammenhang, sondern um den Gegensatz
der Verborgenheit vor der ungläubigen Welt und der uner-
messlichen Bedeutung für den zu Gottes Heilsveranstaltung
sich bekennenden Glauben. Wie man von himmelschreienden
Sünden, vom Racheruf vergossenen Bluts redet, wie Ignatius
selbst ὁ. 15 von stummem Handeln spricht, welches-der Ein-
verstandene wie Rede hört, so wird hier von diesen geheim-
nisvollen Ereignissen gesagt, dass sie für den, welcher sie
versteht, eine laute Predigt von dem im Fleisch erschienenen
Gott sind, obwohl sie geschehen sind, ohne dass Gott sie mit
τ einem Allen vernehmlichen Wort begleitet hätte. Es sollte
sich von selbst verstehen, dass ἐπράχϑη als Aussage von diesen
| ——
1) So nach allen Zeugen ausser Andreas Cretensis (Cur., p. 180),
welcher unter anderen Abweichungen auch μυστήρια φρικτα bietet.
Bunsen (1, 91) conjieirt ohne Noth ἐναργῆ.
487
Geheimnissen, welche Thatsachen sind, nur ihren Vollzug
(ef. Mgn. 11; Sm. 4), und nicht etwa den göttlichen Ent-
schluss ihres zukünftigen Vollzugs bedeuten kann. Mit Un-
recht beruft sich Uhlhorn S. 48 für diese Auffassung auf den
Schluss des Kapitels, wo dieselben Thatsachen τὸ παρὰ ϑεῷ
ἀπηρτισμένον heissen. Bereitet, fertiggestellt bei Gott waren
sie, ehe sie anfingen, ins Werk gesetzt zu werden; aber nur
Letzteres, nicht Ersteres kann ein Vollzug der drei That-
sachen heissen. Die Forderung, dass die im Folgenden er-
wähnte Kundmachung der drei Geheimnisse dem ἐπράχϑη,
also auch dem Vollzug des Todes zeitlich folgen müsse, und
dass eben deshalb nur der Vollzug im Rathschluss Gottes ge-
meint sein könne, ist im Text nicht begründet. Nachdem
vom Vollzug der drei, sehr verschiedenen Zeiten angehörigen
Thatsachen gesagt: ist, wird ‘die Frage aufgeworfen, wie sie
nun trotz ihrer Verborgenheit aller Welt!) kundgeworden
seien. ‘Aber nur erst in Bezug auf die beiden zusammenge-
hörigen Thatsachen der Empfängnis und Geburt wird die
Frage zunächst beantwortet. Dass diese beiden Thatsachen
nur der Anfang der Verwirklichung des göttlichen Rath-
schlusses sind, dass die Vernichtung des Todes, welche im
Tode Jesu geschieht (Sm. 5; Eph. 7), dadurch nur erst an-
gebahnt war, sagt Ignatius ausdrücklich und verschiebt die
. Fortsetzung des begonnenen Gedankengangs auf gelegenere
Zeit. Es liegt ja auch auf der Hand, dass der Stern der -
Magier das dritte Geheimnis, den Tod des Herrn, der Welt
noch nicht verkündigt hat. Wir können aus Sm. 1 ergänzen, -
dass Christus erst durch seine Auferstehung das Feldzeichen
seines Kreuzes in der Richtung auf die Welten erhoben hat.
Nur bei dieser Auffassung kommt man auch mit ἐν ἡσυχίᾳ.
ϑεοῦ ?) zurecht. Dies kann im Gegensatz dazu, dass diese
1) Vgl. zu diesem τοῖς αἰῶσιν Sm. 1.
2) Eph. 15 heisst τῆς ἡσυχίας αὐτοῦ nichts Anderes als σιγώντος
αὐτοῦ. Schon Pearson sagt von diesem Gebrauch: Philo Judaeus saepe,
und Arndt (Handschrift) citirt Philo in Flace., p. 753 ed. Colon., wo
ἡσυχάζειν ganz gleich σιωπῶν ist.
488
Thatsachen den Empfänglichen und Gläubigen laut predigen,
nur ein Schweigen Gottes bedeuten, in Begleitung wovon
sie geschehen sind, und damit dann eine stille Verborgenheit,
wie sie den Thatsachen der Heilsoffenbarung Gottes überhaupt
eigen ist. In der Stille eines Frauengemachs zu Nazareth, in
der Verborgenheit des Stalles zu Bethlehem sind die beiden
ersten μυστήρια geschehen, ehe eine Kundmachung derselben
an die Welt erfolgte. Auch der Kreuzestod ist ein an sich
selbst stummes Ereignis, und was dabei geredet wurde, ist
nichts weniger als eine Verkündigung seiner Bedeutung für
die Welt an die Welt. So ist auch dieser ein zwar laut
predigendes, aber ohne begleitende göttliche Verkündigung
vollzogenes thatsächliches Geheimnis.
Gerade das Mysterium des Lebens und Sterbens Jesu,
das den Ungläubigen anstössige Ineinsein des Göttlichen und
Menschlichen in dieser geschichtlichen Erscheinung, ergreift der
Glaube und die Liebe der Christen mit um so grösserer Energie,
je mehr diese geschichtliche Erscheinung durch Leugnung ver-
nichtet oder durch Umdeutung entleert zu ‚werden droht. Der
Gedanke, dass der Glaube auch ‘den Trieb erzeugt, die in
seinem Inhalt liegenden Gegensätze zu vermitteln und dem
Denken erträglich zu machen, tritt bei Ignatius wenigstens
noch nicht hervor. Der Gegensatz gegen die Häretiker, wie
er ihn auffasst, bietet ihm gar keinen Anlass dazu; Wenn
diese leugnen das Object des Glaubens und damit auch das
Object jeder die Denkbarkeit des Mysteriums nachweisenden
- Lehrdarstellung, und es wäre vergebliche Mühe, sie durch
eine solche Darstellung zur gläubigen Annahme desselben be-
wegen zu wollen. Was zum Glauben bewegt, ist vielmehr
die Offenbarung Gottes als Mysterium (Mgn. .9), ist der von
den Irrlehrern geleugnete Christus des Gemeinglaubens selbst
(Phil. 8 extr.).. Der Glaube ist nicht begriffliche Aneignung
der Heilsthatsachen oder Zustimmung zu einer widerspruchs-
los erfundenen Wahrheit, sondern ein προςφυγεῖν τῷ. εὐαγγελίῳ
(Phil. 5), ein ἐκφυγεῖν τὸ ἀποθανεῖν (Tr. 2). Das ist der
Fehler der Irrlehrer, dass sie sich aufs Disputiren legen
(Sm. 7), statt sich einfach zur Heilswahrheit zu bekehren
489
(Sm. 5), und es würde nur dazu dienen, sie in ihrem for-
malen Irrthum zu bestärken, wenn man es versuchen wollte,
‘ihren Widerspruch gegen den Gemeinglauben durch gelehrten
Beweis und dialektische Vermittlung von Gegensätzen, die
für sie gar nicht existiren, zum Schweigen zu bringen. Sie
stehen ausserhalb der Kirche, und da ihre Bekehrung durchaus
Gott zu überlassen ist (Sm. 4; Eph. 7), so gibt ihr Auftreten
der Kirche auch keinen Anlass, um ihretwillen über die Position
des Evangeliums hinauszugehn, welches bestimmt ist, die mit
der Heilswahrheit Unbekannten zum Glauben zu führen. Die
fast durchweg durch den Gegensatz zur Häresie veranlassten
theologischen Aussagen des Ignatius lassen nicht erkennen, in
wie weit er von berechtigten Versuchen weiss und selbst
solche zu machen geneigt ist, über die im Gemeinglauben
beschlossenen Sätze, welche bereits eine gewisse stereotype
Form angenommen haben (Anh. II, 10), und deren polemische
Zuspitzung hinaus zu theologisiren. Die gleich starke Be-
tonung des Göttlichen und Menschlichen in Christus hätte
nach einer doppelten Richtung hin dazu veranlassen können.
Es hätte erstlich die Aufgabe vorgelegen, irgendwie zwar
nicht anschaulich, aber doch denkbar zu machen, kraft welcher
Macht über sich selbst und über die Natur der, welcher
wesentlich und ewig Gott ist, ein wirklicher Mensch wer-
den konnte, ohne aufzuhören, jenes zu sein. Von einem
derartigen Versuch findet man bei Ignatius nichts. Er be-
gnügt sich, den Grund und den Zweck dieser menschlichen
Offenbarung Gottes zu nennen. Es wäre ferner theologische
‚ Aufgabe gewesen, die Behauptung der Einheit Gottes (Mgn. 8)
irgendwie auszugleichen mit der ernstlich gemeinten Behaup-
‘tung der Gottheit dessen, der als der Menschgewordene im
Verhältnis zu Gott Sohu Gottes des Vaters ist. Wir fanden
nur dies, dass weder der Sohnesname noch der Logosname
von Ignatius dazu verwendet wurde, das wesentliche und ewige
Verhältnis des in Jesus menschlich erschienenen göttlichen
Subjects, zu dem, welcher sein Vater ist, auszudrücken. Er
begnügt sich mit der Behauptung sowohl der Einzigkeit Gottes
als der anfangslosen ewigen Gottheit des Ichs, welches als
490
Menschgewordenes Gott seinen Vater nennt. Auf irgend
welche theologische Erklärung führen uns auch nicht die ziem-
lich spärlichen trinitarischen Aussagen 1). Sie sind nur insofern
beachtenswertb, als die zweimalige Voranstellung des Sohnes
vor Vater und Geist beweist, dass nicht eine mechanische Ein-
wirkung der Taufformel oder des Taufbekenntnisses, sondern
ein Antrieb der eigenen religiösen Anschauung die Zusammen-
stellung der drei Subjecte veranlasst. Aber bei alle dem will
bedacht sein, dass auch der Theologe in der Lage des Ignatius
nicht theologisirt.
1) Mgn. 13: ἐν οἱῷ καὶ πατρὶ καὶ ἐν πνεύματι, und am Schluss:
καὶ τῷ Χριστῷ καὶ τῷ πατρὶ χαὶ τῷ πνεύματι. Nur Anklänge an die
Gewohnheit, die Drei zusammenzudenken, liegen vor in Eph. 9 (ὡς ὄντες
λέϑοι ναοῦ πατρὸς, ἡτοιμασμένοι εἰς οἰκοδομὴν ϑεοῦ πατρὸς, ἀναφερό-
μενοι εἰς τὰ ὕψη διὰ τῆς μηχανῆς Ἰησοῦ Χριστοῦ, ὅς ἐστιν σταυρός,
σχοινίῳ χρώμενοι τῷ πνεύματι τῷ ἁγίῳ) und Mgn. 15: ἔρρωσϑε ἐν
ὁμονοίᾳ ϑεοῦ, χεχτημένοι ἰδιμίχριτον πνεῦμα, ὅς ἐστιν Ἰησοῦς Χριστος.
Das adıazoırov des ΟΣ wird durch Li L®2 A bestätigt, während διάχριτον
des ΑἹ sinnlos ist. Die Uebersetzung inseparabilis ist richtig (vgl.
Epb. 3 und oben S. 429, Anm. 1). Charakteristisch ist auch hier der
Anstoss, welchen ΟΣ an der kühnen Wendung nahm, dass Christus selbst
der unentreissbare heilige Geist der Gemeinde sein soll, welche sich aus
dem Gebrauch von © (ὅς) ἐστιν bei Ignatius (vgl. oben S. 349f.) völlig
erklärt und au 2Kor. 3, 17 seine Analogie hat. — Vgl. noch Rom. 7.
Der heilige Geist ruft in der Seele des Christen: Komm zum Vater!
und was dieser bei Gott findet, ist völlige Gemeinschaft mit Christus.
nn
V
Die Aechtheit der Briefe des Ignatius
und des Polykarp.
Dass die acht Briefe, deren geschichtlicher Gehalt im
dritten Abschnitt vollständig dargelegt worden ist, ein. un-
trenubares Ganze bilden, wird, denke ich., durch diese Dar-
legung selbst und, was die sieben Briefe des Ignatius anlangt,
durch die Darstellung der aus ihnen erkennbaren Persönlichkeit
und Denkweise ihres Verfassers noch deutlicher geworden sein,
als es schon beim ersten Ueberblick erscheint. Am Faden
einer unzerreissbaren Kette von Ereignissen oder richtiger
eines in sich widerspruchslosen 'Hergangs reihen sich die
innerhalb weniger Wochen geschriebenen Briefe des Ignatius
und des Polykarp an einander. Der letzte enthält aber zu-
gleich ein Zeugnis für alle übrigen, welches fast jeden anderen
Beweis für die Aechtheit der ignatianischen Briefe überflüssig
macht, wenn es nur zuverlässig ist. Wir sahen aus Pol. 13
(oben S. 293f.), dass Polykarp ausser den beiden nach Smyrna
gerichteten Briefen des Ignatius, um deren Mittheilung die
Gemeinde von Philippi ihn gebeten hatte, noch mehrere
andere Briefe desselben nach Philippi geschickt hat. Da nun
ausser denjenigen, welche Euseb allein kannte, bis über die
492
Mitte des 4. Jahrhunderts hinaus keine anderen Briefe unter
Ignatius’ Namen existirt haben, so versteht sich von selbst,
dass die Briefe, welche Polykarp oder Pseudopolykarp nach
Philippi gesandt haben will, unter den von Euseb aufgezählten
und uns als kürzere Recension aufbewahrten Briefen zu
suchen sind. Dass der Römerbrief nicht . darunter gewesen,
wurde sehr wahrscheinlich gemacht (S. 116). Es bleiben
also für die nicht ganz unerhebliche Zahl ignatianischer
Briefe, welche Polykarp ausser den beiden an ihn und die
smyrnäische Gemeinde gerichteten nach Philippi schickte,
noch die Briefe an die Epheser, Trallianer, Magnesier und
Philadelphener übrig. Sollte ausser dem Römerbrief noch
einer oder der andere der Sammlung Polykarps gefehlt haben,
so würde doch die ausdrückliche Beschränkung seiner Aussage
auf diejenigen Briefe, die er bei sich habe, ein unanfecht-
bares Zeugnis für die übrigen sein, von deren Existenz er
weiss, die er aber nicht mitschickt, weil er ihrer noch nicht
habhaft geworden ist. Ueber den Sinn des Zeugnisses Poly-
karps ist man auch meist einverstanden und hat sich der
Einsicht nicht verschlossen, dass Polykarps Brief in der über-
lieferten Gestalt die eusebianische Sammlung von 7 igna-
tianischen Briefe voraussetze. Mit Recht haben daher die-
jenigen, welche diese 7 Briefe für die künstliche, aber ein-
heitliche Schöpfung eines Schriftstellers aus der zweiten
Hälfte des 2. Jahrhunderts erklärten, dieses Urthreil auf den
Brief Polykarps ausgedehnt 1); und ebenso haben diejenigen,
welche die 7 Briefe für eine auf Grund der drei ächten Briefe
entstandene Fiction erklärten, eine nachträgliche Interpolation
des Polykarpbriefs angenommen, welche im Interesse der
7 ignatianischen Briefe vom Interpolator dieser vorgenommen
sein soll 2). Beiderlei kritische Urtheile gehen von der
%
1) So z. B. Schwegler, nachapostol. Zeitalter II, 155; Hilgenfeld,
apostol. Väter, S. 274.
2) So Buns. II, 107ff. 198; Ritschl, Entstehung der altkatholischen
Kirche (2. Aufl.), 5. 584 ff. — Schon Dallaeus, welcher die ignatianischen
. Briefe für durchaus unächt erklärte, hielt den Verfertiger derselben für
498
richtigen Einsicht aus, dass: Polykarps Brief, wenn er ächt
ist, die Aechtheit der ignatianischen beweist. Nur Lipsius,
welchem sich übrigens „die Rätschl’sche Kritik in allen
Puncten bestätigt hat‘ (II, 14), spricht unter anderem den
Verdacht aus, dass der Verfasser von Pol. 13 „eine noch
mehr als 7 Briefe des Ignatius enthaltende Sammlung vor
sich hatte“, und urtheilt, dass in diesem Falle Polykarps
Brief nicht mehr als Zeugnis für die Aechtheit der 7 Briefe
angeführt werden dürfe, weil es zuviel beweise. Das sieht
aus wie ein Gemeinplatz aus der Logik, während es doch in
der That ein grober Verstoss gegen die Regeln gesunden
Denkens ist. Oder ist denn etwa, um ein naheliegendes
Beispiel zu nennen, das Zeugnis des Irenäus von einem Brief
seines Lehrers an die Philipper deshalb werthlos für uns, weil
Irenäus noch andere Briefe desselben kennt, die wir nicht
mehr besitzen? Einen Sinn hätte das Bedenken doch nur
dann, und ein unzulässiges nimium würde Polykarps Zeug-
nis nur dann enthalten, wenn es sich auf einen der nach-
eusebianischen Briefe mit bezöge.e Dann müsste hier ein
Pseudopolykarp aus der Zeit nach 370 hierdurch dem Pseudo-
ignatius des 4. Jahrhunderts einen Dienst haben leisten wollen.
Aber, weit entfernt, dieses kritische Abenteuer zu wagen,
glaubt Lipsius vielmehr, wenn anders er der Ritschl’schen
Kritik in allen Puncten beistimmt, dass ein und derselbe
Mann die Briefe des Ignatius und den Polykarps interpolirt
habe. Der Interpolator der ignatianischen Briefe aber soll
um 130—140 gearbeitet haben !.. Wie sollte denn aber
dieser Pseudoignatius eine andere, als die von ihm selbst an-
gefertigte Sammlung durch seine Interpolation des Polykarp-
briefs empfohlen haben? Oder, wenn er wirklich einen zwei-
——— (en α
den Interpolator des ursprünglich ächten Polykarpbriefs (p. 425 sqq.).
Dalläus brachte es fertig, hinterdrein dann noch die Beziehung des
Zeugnisses Polykarps auf die 7 ignatianischen Briefe zu bestreiten
(p. 430 8qq.).
1) Lips. I, 47; vgl. S. 37f. 56. 62. Eine direct auf die Interpo-
"Jation des Polykarpbriefs bezügliche Zeitangabe vermisse ich bei Lipsius,
494
ten Brief des Ignatius an Polykarp verfertigt hatte (8. oben
S. 288f.), welcher später wieder abhanden kam, so ist wieder
nicht einzusehn, warum durch diesen Umstand sein Zeugnis
für die uns erhaltenen ‘Briefe seiner eigenen Feder an Werth
verlieren sollte. Es steht also allerdings so, dass, wie ziem-
lich allgemein erkannt worden ist, Polykarps Brief in seiner
überlieferten Gestalt aus der Feder eines Mannes geflossen
ist, welcher die kürzere Recension der ignatianischen Briefe,
wenn nicht vollständig, 90 doch beinah vollständig vor sich
hatte !). Ist also der Polykarpbrief ächt, ist er wenige
Wochen nach der Entstehung der ignatianischen Briefe von
dem Bischof von Smyrna geschrieben, unter dessen Augen
vier von den Briefen des Ignatius geschrieben sein wollen,
und in dessen Hände zwei andere von Troas aus geschriebene
gelangten, so sind auch die ignatianischen Briefe Documente
von unzweifelhafter Aechtheit. Es fragt sich also vor allem,
ob ein ‚sicheres Urtheil über den Brief Polykarps zu gewinnen
ist, abgesehen von denjenigen Bedenken, welche seine Ver-
bindung mit denen des Ignatius gegen ihn hervorgerufen hat.
I. Die Aechtheit und Einheit des Polykarphriefs.
Polykarps Schüler Irenäus, welcher versichert, dass er
sich der äusseren Umstände seines ehemaligen Verkehrs mit
seinem Lehrer und der aus seinem Munde gehörten Lehr-
vorträge genauer erinnere, als späterer Erlebnisse, sagt im
demjenigen Theil seines grossen Werks, welchen er zur Zeit
des römischen Bischofs Eleutherus, also 174/5—189, geschrie-
ben hat: ἔστε δὲ καὶ ἐπιστολὴ Πολυκάρπου πρὸς (ιλιππησίους
-1) Vgl. das oben 8. 294, Anm. 1 und bei Peara. I, 7984., auch bei
Ritschl, S. 594f. 598 über Nachklänge aus Ignatius bei Polykarp Be-
merkte.
495
γεγραμμένη ἱκανωτάτη, ἐξ ἧς καὶ τὸν χαρακτῆρα τῆς πίστεως
αὐτοῦ καὶ τὸ χήύρυγμα τῆς ἀληϑείας οἱ βουλόμενοι καὶ φροντί-
ζοντες τῆς ἑαυτῶν σωτηρίας δύνανται μαϑεῖν !). Irenäus er-
wähnt, wie gesagt, im Brief an Florin (Eus. V, 20, 8)
mehrere Briefe Polykarps sowohl an benachbarte Gemeinden,
als an einzelne Personen, aus welchen seine Gesinnung in
Bezug auf Häresie erkennbar sein soll; aber den an die Phi-
lipper hält er für allgemein bekannt und Jedem zugänglich,
sogut wie den kurz vorher (III, 3, 3) erwähnten Brief des
Clemens, und er selbst erkennt darin dieselbe Denkweise wieder, :
deren mündlicher Ausdruck ilım unvergesslich ist. Eine
Steigerung des Gewichts dieses Zeugnisses wäre höchstens
das, wenn Irenäus erzählen könnte, er habe zugesehn, als
Polykarp den Brief schrieb; und der kritische Standpunet
bedarf keiner weiteren Beleuchtung, auf welchem man’ trotz
Irenäus bestreitet, dass Polykarp einen Brief an die Philipper
geschrieben. habe, und behauptet, dass der uns vorliegende
und von Irenäus gelesene Brief entweder nuch zu Lebzeiten
Polykarps, oder kurz nach dessen Tod. von einem Anderen
als nachträgliches Vorwort zu den gleichfalls fingirten igna-
tianischen Briefen geschrieben sei. Ein, wenn man mit
Hilgenfeld (apost. Väter, S. 274) Polykarps Tod auf 167
ansetzt, kaum zwanzig Jahr altes Machwerk soll um 180 nicht
nur in der Kirche als Brief Polykarps verbreitet gewesen,
sondern auch von Irenäus als treuer Spiegel der Denkweise
seines Lehrers erkannt worden sein. Abgesehn von denjenigen
Gründen, welche zugleich die ignatianischen Briefe treffen,
sind es nur zwei Beobachtungen, auf welche sich diese kühne
Annahme gründet. Es soll bedenklich sein 2), dass Polykarp
schon zur Zeit des Martyriums’ des Ignatius ein Urtheil über
die Häretiker gefällt bat 5), welches wesentlich ebenso in der
1) Iren. III, 3, 4; cf. Eus. ἢ. 6. IV, 14, 8. Bei Stieren, p. 436
ist gegen den Text Eusebs und des lateinischen Irenäus das xe/ vor
ἐπιστολή weggelassen.
2) Schwegler Il, 156; Hilgenfeld, 8. 272.
3) c. 7: ὃς ὧν μεϑοδεύῃ τὰ λόγια τοῦ κυρίου πρὸς τὰς ἐδίας ἐπι-
4906
Erzählung des Irenäus von seiner Begegnung mit Marcion
- wiederkehrt ἢ. Für Irenäus selbst, der den Polykarpbrief mit
Einschluss jener Stelle gelesen und für ächt gehalten haben
soll, ist diese Congruenz zwischen einem um 110 geschrie-
benen und einem jedenfalls erheblich später ?) gethanen münd-
lichen. Ausspruch seines Lehrers nicht anstössig gewesen,
zumal er sich erinnerte, dass Polykarp es liebte, gewisse
Wahrheiten wiederholt auszusprechen 5. Nicht einmal eine
unbewusste Assimilirung des mündlich überlieferten Worts an
das geschriebene hat man anzunehmen Grund, und einen
Sinn hätte das aus dieser Stelle genommene Bedenken nur
dann, wenn man annähme, Irenäus habe in seinem Polykarp-
brief sie noch nicht gelesen, und später sei sie entweder aus
mündlicher Ueberlieferung oder aus dem Werk des Irenäus
eingetragen worden. Das zweite Bedenken gründet sich auf den
ersten Plural in der Ermahnung: orate etiam pro regibus
et potestatibus. et principibus atque pro persequentibus et
odientibus vos et pro inimicis crucis (c. 12). Das weise in
die Zeit nach 161, weil es vorher stets nur einen Kaiser und
Augustus gegeben habe (Hilgf., S. 273). Dies Argument
hätte auch die Form annehmen können, dass der Polykarp-
brief, welcher in diesem Punct mit 1Tim. 2, 2 überein-
stimmt, auch sonst unzweifelhafte Zeichen seiner Abhängigkeit
von diesem paulinischen Brief an sich trägt. Ein Plural der
ϑυμίας. καὶ λέγῃ μήτε ἀνάστασιν μήτε κρίσιν εἶναι, οὗτος πρωτότοκός
ἐστι τοῦ Σατανᾶ. ΝΕ
1) Iren. III, 3, 4 (Eus. h. 6. IV, 14, 7): καὶ αὐτὸς δὲ ὁ Πολύχαρ--
πος, Μαρχίωνί ποτε Eis ὄψιν αὐτῷ EAdovrı καὶ φήσαντι", ἐπιγινώσκεις
ἡμᾶς“; ἀπεχκρίϑη",, ἐπιγινώσχω τὸν πρωτότοχον τοῦ Σατανᾶ“.
2y Die gewöhnliche Annahme, dass dies in Rom bei Gelegenheit
von Polykarps Reise dorthin geschehen sei, hat im Text des Irenäus
nicht den mindesten Halt. Im Gegentheil weist das ποτέ auf einen
anderen Zeitpunct, als den kurz vorher erwähnten römischen Aufenthalt
Polykarps.
3) Epist. ad Flor. Eus. ἢ. 6. V, 20, 7: τὸ συνηϑὲς αὐτῷ εἰπών
κι τ. Δ. .
497
Kategorie 3) wird hier freilich nicht vorliegen, da die folgen-
den Plurale nicht so verstanden werden können. Aber warum
soll Polykarp nicht an alle Fürsten der Erde auch ausserhalb
des Römerreichs denken, unter denen Christen leben, nachdem
er eben noch an alle Menschen unter dem Himmel, auch an
die, welche erst in Zukunft‘ zum Glauben gelängen werden,
erinnert hat! In einer allgemeinen Ermahnung, die nicht
auf den Moment der Abfassung des Briefs beschränkt ist,
welche doch jedenfalls auch auf die, welche in der Folgezeit
als Feinde und Verfolger der Gemeinde sich herausstellen,
bezogen sein will, kann Polykarp, der seit Vespasian, unter
dem er geboren war, schon viermal einen BRegierungswechsel
erlebt hatte, füglich auch an die einander folgenden römischen
Kaiser denken. Undenkbar dagegen ist es, dass ein Pseudo-
polykarp höchstens 5—7 Jahre, nachdem man mehr als einen
βασιλεύς hatte und im Gemeindegebet erwähnen konnte, in
ein Schriftstück, welches aus Trajans Zeit herrühren sollte,
einen Ausdruck allerneusten Gepräges ohne alle Noth sollte
haben einfliessen lassen.
Eine erfolgreiche Auseinandersetzung ist nur mit den-
jenigen Gelehrten möglich, welche auf Grund des Zeugnisses
des Irenäus anerkennen, dass Polykarp einen Brief an die
Philipper geschrieben hat, welchen Irenäus so, wie er ur-
sprünglich geschrieben war, gelesen hat. Von diesem Stand-
punct aus hat Ritschl, dem dann Andere ohne neue Prüfung
sich angeschlossen haben, in viel gründlicherer und scharf-
sinnigerer Weise als seiner Zeit Dalläus 3) eine Interpolation
des Briefs nachzuweisen gesucht. Die Schwierigkeit, welcher
Bunsen (11, 111) die ältere Interpolationshypothese aussetzt,
indem er die Interpolation um die Mitte des 2. Jahrhunderts,
also noch zu Lebzeiten Polykarps geschehen sein lässt, be-
1) So zuletzt noch Jo. Delitzsch, de inspiratione, p. 66. An der
sprachlichen Zulässigkeit ist freilich nicht zu zweifeln. Vgl. Act. 19, 38;
8. jedoch oben 8. 293.
2) Dieser erklärte c. 13. 14 für späteren Zusatz, p. 427 sqq., ebenso
Bunsen II, 107 ff.
Zahn, Ignatiu, © 32
498
seitigt Ritschl (5. 594. 599) ‘dadurch, dass er den Pseudo-
ignatius seine Interpolation auch des Polykarphriefes erst um
170 nach Polykarps Tode unternehmen lässt. Dadurch wird
es erklärlicher, wie der Betrug gewagt werden konnte, und
wie Irenäus wenige Jahre nachher, ohne von der Interpolation
zu wissen, den ächten Brief lesen und als allgemein bekannt
ansehn konnte. Aber eine andere erst recht bedenkliche
Schwierigkeit ergibt sich daraus. Aus Irenäus wissen wir,
dass der ihm bekannte ächte Brief Polykarps um 180 ver-
breitet und Jedem, dem es darum zu thun war, zugänglich
war. leicht war es schon deshalb nicht, den ächten Brief
durch einen völlig umgestalteten so völlig zu verdrängen, dass
man schon zu Eusebs Zeit von einer doppelten Recension
nichts wusste. Ferner muss spätestens um die Mitte des
2. Jahrhunderts die Sitte der kleinasiatischen Kirche aufge-
kommen sein, diesen Brief zuweilen in Öffentlicher, jedenfalls
gottesdienstlicher Versammlung vorzulesen, welche nach Hie-
ronymus noch zu seiner Zeit bestand 1). Schon am Ende des
- 2. Jahrhunderts sehen wir den Kreis der kirchlichen Vor-
lesebücher oder den Kanon sich verengern, und nachaposto-
lische Schriften, welche aus früherer Zeit her eine annähernd
kanonische Geltung besawen, haben schon Noth, sich darin
zu behaupten (vgl. meinen Hermas, 8. 9 ἢ. 31 1). Die kirch-
liche Vorlesung des Polykarpbriefs kann spätestens gleich
nach dem Tode Polykarps, also spätestens gleichzeitig mit der
angeblichen Interpolation eingeführt worden sein Denkbar
ist es dann doch wohl nicht, dass man in Smyraa oder Ephesus,
wo man den Polykarp genau kannte, um :170 statt des ächten
Briefes, dessen Verbreitung für dieselbe Zeit Irenäus bezeugt,
——
1) Hieron. catal. 17: scripsit ad Philippenses valde utilem epistolam,
quae usque hodie in Asiae conventü legitur. Der Ausdruck ist höchst
sonderbar, conventibus wäre erwünscht. Aber jedenfalls ist eine kirch-
liche σύναξες zu verstehen, und nicht etwa, wie noch Arndt (Hand-
schrift) meint, das κοινὸν τῆς Aoles, welches zu Hieronymus’ Zeiten wohl
schon hauptsächlich aus Christen bestanden habe. Hieronymus spricht
von einer alten bis zu seiner Zeit bewahrten Sitte.
499
die eben damals geschriebene neues Auflage zur öffentlichen
Vorlesung zugelassen haben sollte. War aber einmal der
‘ächte Brief gu dieser Ehre gelangt, so war er eben dadurch
gagen Fälschung so gut wie versichert (vgl. Deazinger, δ, 82)
Sonderbarer Zufall auch, dass Euseb nicht den Polykarpbrief,
welcher vor 170 allein existirt haben soll, weleber um 180 dem
Irenäus allein bekannt war und in der kleinasiatischem Kirche
seit etwas frühener Zeit und bis ins 4. Jahrhundert hinein in
öffentlichem Gebrauch war, sondern den interpolirten Brief in
die Hände bekam.
Ritschl gründet seine Hypothese auf innere Kritik. Es
ist vor allem „‚die Klarheit im Verbältnis von Veranlassung,
Zweck und Inhalt“ des überlieferfkan Briefe, was er vermisst
(8. 587) und dadurch herzustellen sucht, dass er etwa ein
Drittel des Textes und darunter alle Beziehungen auf
Ignatius ala spätere Zuthat ausscheidet 1); der Rast soll wirk-
lich von Polykarp in der Zeit von 140-168 geschrieben
worden sein (9. 600). Aber es fragt sioh noch erst, was
Veranlassung und Zweck des Brief gewesen ist, und 65 er-
scheint: mir als eine Vorwegnahme des erstrebten Ziels der
kritischen Bemüähung, wenn diese von der Voraussetzung aus-
geht, dass die Disciplinarsache ds Presbyters Valens die Ver-
aulassung des Briefs sei (8. 587. 599). Es wurde sohon oben
(S. 297 ff.) gezeigt, wie mannigfaltig veranlasst der Brief erscheint,
wie er:uns vorlieg. Ein Brief der Philipper an Polykarp
ging ihm voraus mit Nachrichten über des Igmatius Durch-
reise durch Philippi und mit verschiedenen Bitten. Ihrem
Brief an die Antiochener soll Polykarp befördern und ihnen
Briefe des Ignatius mittheilen, und er soll diese Gelegenheit -
benutzen zu einem eigenen Wort christlichen Zuspruchs.
Ausserdem haben sie ihm — wir wissen nicht, in welchem
Zusammenhang — von dem Fall der Valens und seiner Fran
-}) Ea werden ausgeschieden aus 6. 1 ἐὠποδεξαμένοις . . . . ἐκλε-
λεγμέμων" καί, 6. 3 ganz, ebenso c. 9 mit dem ersten Satz won a. 10, aus
c. 10 auch der letzte Satz, aus c. 11 „qui antem ignorant ..... . nondum
noveramus‘, c. 12 von Anfang bis „oxedo esse im vobis“, ὁ. 13 ganz,
32* |
500
Mittheilung gemacht. Nimmt man Alles, was sich auf jene
dreifache Bitte der Philipper und auf Igmatius bezieht, weg,
so bleibt freilich als Inhalt des Briefs der Philipper und als
Anlass der Antwort Polykarps nur die Mittheilung über
Valens übrig. Aber damit fällt auch jeder wirkliche Anlass
zu dem brieflichen Verkehr zwischen den Philippern und
Polykarp weg. Polykarp weiss ihnen in Bezug auf Valens
nichts weiter zu sagen, als dass er an der Betrübnis der Ge-
meinde über diesen Skandal theilgenommen habe, als er ihren
Brief las '), und noch theilnehme, während er schreibt, und
dass sie den Gefallenen die bussfertige Umkehr nicht durch
unzeitige Schroffheit erschweren sollen.- Wiefern diese wenig
eigenthümlichen Aeusserungen einer so umständlichen Vor-
bereitung bedurften, wie sie alles Vorangehende, was Ritschl
stehen lässt, bildet; und wie der Bischof von Smyrna mit
seinen Presbytern sich zum Zweck dieser Mittheilung zu einem,
feierlichen Sendschreiben an die Gemeinde zu Philippi ent-
schlossen haben sollte, ist mir nicht verständlich, und es
scheint mir, Denzingers Urtheil, das, was die Kritik vom
Briefe übriglasse, sei „ein Schreiben ohne alle Specialitäten,
ohne Angabe der Veranlassung, mit einem Wort ohne Alles,
was einen Brief zum Briefe macht“ 3), wäre nicht bloss ernst-
licher Erwägung, sondern auch unbedingter Zustimmung werth
gewesen. Wie völlig ungezwungen der Brief; den wir be-
sitzen, den in ihm selbst nach einander hervortretenden An-
lässen sich anschmiegt und den damit gegebenen Zwecken
entspricht, wäre nur dann durch eine ausführliche Reproduction
seines Gedankengangs zu beweisen, wenn eben dies bean-
standet worden wäre, was nicht geschehen ist. Es bleibt
also nur übrig, einzelne Puncte kurz zu beleuchten, an wel-
chen der Verdacht gegen die Einheit des Briefs eine Stütze
gesucht hat.
.------ -.-... m nn
1) Darauf muss sich das contristatus sum ce. 11 init. im Unter-
schied von dem contristor gegen Ende des Kapitels beziehn. Vgl. das
συνεχάρην c. 1 und oben 8. 291.
2) Theolog. Quartalschrift 1851, S. 40i.
501
Die Verdachtsgründe beruhen hauptsächlich auf dem
„Grundsatz“, dass „logische und ästhetische Klarheit‘,
welche „seit dem Mittelalter nicht immer ein Element christ-
licher Schriftstellerei“ gewesen, „die formale Bildung in der
griechisch redenden alten Kirche auszeichne“ (ὃ. 587). Ich
will nicht untersuchen, ob die Briefe des Clemens und des
Barnabas und die Schriften der philosophirenden Kirchenväter
von Justin bis Clemens von Alexandrien den angegebenen
Massstab ertragen. Auch die Frage möge unerörtert bleiben,
ob man im Namen des Interpolators vom Jahr 170, welcher
doch auch der griechisch redenden Kirche alter Zeit ange-
hörte und, wie die Art seiner Arbeit voraussetzt, jedenfalls
mehr Literat war, als Polykarp, auf den Anspruch geordneter
Rede verzichten darf. Aber ist nicht die Verwandlung mis-
fälliger Beobachtungen über Stil und Gedankengang in Ver-
dachtsgründe gegen die Aechtheit einer Schrift an sich schon
höchst bedenklich, wenn es sich um einen Schriftsteller han-
delt, von dem man ausser dem Object der Kritik nichts be-
sitzt? Unstatthaft erscheint dies Verfahren vollends bei dieser
Schrift, deren Text uns durchweg sehr unzuverlässig, zum
Theil nur durch das Medium einer ungewöhnlich nachlässigen
lateinischen Uebersetzung überliefert ist. Oder sollte es Zu-
fall sein, dass der Verdacht besonders oft gegen Stellen ge-
richtet ist, deren Wortlaut in Ermangelung des griechischen
Textes sehr schwer herzustellen ist? Das mittlere Haupt-
stück von c. 11 soll wegen verschiedener Unklarheiten beseitigt
werden. Unverständlich sollen die beiden Fragen sein: „qui
autem ignorant judicium domini?“ „an nescimus, quia sancti
mundum judicabunt? sicut Paulus docet?* (ὃ. 590) Aber
unverständlich ist der erste Satz doch nicht, wenn man mit
der editio princeps !) und den Handschriften rg pl autem
streicht. Das Misverständnis des Uebersetzers oder vielmehr
seiner Abschreiber und Herausgeber, denen wir die unbrauch-
1) S. bei Cler. II, 191 und Jakobson am Rand. Wenn Faber Sta-
pulensis ausserdem ‚„quis ignorat‘“ bietet, so ist das offenbar eine seiner
Willkürlichkeiten.
02
bare Interpunction verdanken, ist dann sofort durchsichtig:
Aus Anlass des Vergehens des Valens wird vor Habsucht ge-
warnt. In Erinnerung daran, dass Valens als Presbyter die
VUebrigen zu rechtem Wandel anzuhalten habe (cf. c. 4),
schliesst sich hieran sehr natürlich der Satz: Ὁ δὲ ἐν τούτοις
μὴ δυνώμενος ἑαυτὸν κυβερνῶν 1), πῶς ἑτέρῳ τοῦτο nagayyer-
au’); ἐάν τις μὴ ἀπέχητωι τῆς πλεονεδίας, ὑπὸ εἰδωλολαξρείωας
μιανϑήσειαιε καὶ ὥσπερ μετὰ τῶν ἐθνῶν λογισϑήσεται, οἵτινες
ἀγνοοῦσι τὴν χρίσιν τοῦ κυρίου" ἢ οὐχ οἴδαμεν, ὅτε ol ἅγισι
τὸν χύσμον κρινοῦσιν, καϑῶς Παῦλος διδάσκει; (Vgl. 1 Kor.
6, 8) Die Abschreiber der lateinischen Uebersetzung, wen
nicht gar der Uebersetzer selbst, nahmen Anstoss an dem
Genuswechsel zwischen gentes und qui, ἔϑνη und οἵτινές, und
machten daher aus dem Relativsatz eine allerdings unpassende
Frage. Die Erinnerung daran, dass die Heiden, welchen sich
der habsüchtige Christ beinah gleichstellt, von Gottes Gericht
nichts wissen, ist von trefflicher rhetorischer Wirkung in einer
Anrede an Solche, welche als Christen nicht nur von Gottes
Gericht wissen, und es bedenken sollten (cf. ὁ. 6), sondern
auch das wissen sollten, dass sie selbst einst als Mitrichter
der Welt fungiren sollen. Statt sich heidnischer Unreinheit
schuldig zu machen, welche dann von ihnen gerichtet werden
soll, müssten sie gottgleicher Gerechtigkeit und Reinheit sich
befleisigen. Bitschl nimmt Anstoss an dem iamquam vor
„inter gentes judicabitur“, wenn man Letzteres so, wie oben
geschehen, ins Ciriechische übersetze, und schlägt deshalb an-
statt der biblischen Reminiscenz den jedenfalls harten Aus-
druck vor: ὡς dv ἔϑνεσι κριϑήσεται, was dann heissen soll: er
wird Gottes Gericht an sich erfahren, als ob er zu den Hei-
den gehörte. Aber, abgesehu davon, dass Polykarp diesen
Gedanken gewiss einfacher durch ws τὰ ἔϑνη oder μετὰ τῶν
ἐϑνῶν κριϑήσετοαιε ausgedrückt haben würde, so bedurfte der
Gedanke der künftigen, im Gericht sich vollziehenden Gleich-
Ὁ) Vielleicht ist nach ο, 5 χαμιναγωγεῖν zu schreiben.
2) Vielleicht geht pronuncias auf ἐντόλλεται zurück. Arndt (Haad-
schrift) weicht zu weit vom lateinischen Text ab mit ἐπεσέλλαι.
503
stellung des sündigen Christen mit den Heiden nicht der in
- ὡς (ὥσπερ) liegenden Milderung. Sie ist sogar sachlich un-
zulässig; denn das Gericht über den unwürdigen Christen muss
eher schärfer als gelinder ausfallen, als das Gericht über die
unwissenden Heiden. Sehr nothwendig dagegen war in dem
Satz, wie er oben lautet, ein ὥσπερ oder ὡσπερεί, denn es
musste der Misverstand abgewehrt werden, als ob die Ge-
meinde einen Sünder wie Valens nach Matth. 18, 17 für
einen Heiden achten und darnach behandeln solle, während
Polykarp im Gegentheil gleich nachher nach 2Thess. 3, 15
ermahnt: et non sicut inimicos tales existimetis. Polykarp
will nur den Habsüchtigen selbst das Gewissen schärfen, in--
dem er ihnen sagt, dass die Habsucht eine dem Götzendienst
vergleichbare Sünde sei (vgl. Kol. 3, 5), und dass der Hab-
‚süchtige in diesem uneigentlichen Sinn sich unter die Heiden
stelle und zwar nicht in irgend welcher Zukunft, sondern wie
der Parallelismus der durch καί verbundenen Prädicate wur-
ϑήσεται und λογισθήσεται zeigt, eben damit, dass er den
Götzendienst der Habsucht treibe. Allerdings ist damit in-
direct die Besorgnis ausgesprochen, dass habsüchtige Christen
dem Gerichte Gottes verfallen werden. Aber die theil-
nehmende Betrübnis Polykarpe über Valens braucht doch
nicht, wie Ritschl S. 591 meint, durch Reflexion auf dies
sein mögliches Endgeschick hervorgerufen zu sein. Poly-
karps Betrübnis ist zunächst Theilnahme an der Betrüb-
nis der philippischen Gemeinde. Darauf führt das doppelte
συλλυπεῖσϑαι wie daB συγχαρῆναι am Anfang des Briefs, und
wenn: Ritschl meint, in dem pro Valente und pro illo et
conjuge ejus anstatt eines de ἐϊΐο sei vielmehr Theilnahme
für Valens ausgesprochen, so scheint er übersehn zu haben,
dass der Uebersetzer ὁ. 4 περὶ πάντων durch pro omnibus,
6. 13 περὶ ὑμῶν durch pro vobis, ὁ. 3 περὶ τῆς δικαιοσύνης
durch de justitia, c. 8 διὰ τὸ ὄνομα durch pro nomine, ὁ. 9
ὑπὲρ ἡμῶν durch pro nobis übersetzt, dass also aus der latei-
nischen Präposition keineswegs auf diese und nicht jene
griechische .geschlossen werden kann. Aber auch ein ὑπέρ
würde den Valens als Gegenstand und Anlass seiner Betrübnis
δ04
bezeichnen 1); seine Theilnahme aber bezeugt Polykarp den
Philippern, welche zu ihrer eigenen Betrübnis dies haben er-
leben müssen. Nun soll es aber ganz widersinnig sein
(S. 590), dass Polykarp seine Warnung der Philipper durch
die Bemerkung mildert, er habe bisher Derartiges nicht bei
ihnen gefunden, und dass er hierdurch und durch das damit
übereinstimmende Lob, welches Paulus dieser Gemeinde ge-
spendet habe, seine Theilnahme an ihrer Betrübnis motivirt.
Was das Letztere anlangt, so liegt doch gewiss in dem alten
Ruhm der philippischen Gemeinde. (cf. ce. 1) sowohl für sie
selbst als für Polykarp ein Grund gesteigerter Betrübnis über
das Skandal der Gegenwart. Ganz ähnlich sehen wir bei
ähnlichem Anlass den römischen Clemens auf die Vergangen-
heit und gerade auch auf das hohe Alter der korinthischen
Gemeinde hinweisen (ad Corinth. I, 1—3. 47). Andrerseits
finde ich es sehr angemessen, dass Polykarp einer fremden
Gemeinde gegenüber, welche in einem Schreiben an ihn ohne
alle pflichtmässige Nöthigung den traurigen Fall erwähnt und,
wir wir aus der Erwiderung schliessen müssen, nicht nur mit
Betrübnis, sondern auch mit Entrüstung erwähnt hatte, den
Ton einseitiger Ermahnung nicht lange festhalten mag und
auch den Schein beseitigt haben will, als ob er in dem
traurigen Fall ein Symptom der dortigen Gemeindezustände
erblicke. Es ist eben nur ein Fall, eine Ausnahme, welche
das Bild, das Polykarp von dieser Gemeinde hat, nicht wesent-
lich trübt, aber darum nicht weniger ihn betrübt und auch
den Besten zur Warnung dienen muss. Obwohl die Menschen,
welchen Paulus gepredigt hat, nicht mehr leben (c. 3), sieht
Polykarp doch hier wie c. 1 die philippische Gemeinde als
ein die wechselnden Glieder und die aufeinanderfolgenden
Generationen umfassendes Ganze an, ebenso wie Clemens an
den vorhingenannten Stellen und auch Ignatius Eph. 8. 13,
und wie er selbst ὁ. 11 die smyrnäische Gemeinde, welche
zur Zeit des Apostels Paulus noch nicht gestiftet war, mit
‚einem nos bezeichnet. Aber eine Uebertreibung soll es sein,
1) Vgl. Hofmann, neues Testament Il, 3, 306.
505
dass Paulus die Philipper in allen damals gestifteten Ge-
meinden rühme (8. 590). Ich würde lieber sagen, es sei eine
Erfindung, die ich dann aber am wenigsten einem Interpolator
zutrauen würde; denn aus dem Neuen Testament erfährt man
nicht, dass Paulus die philippische Gemeinde auch nur in
einer einzigen anderen gerühmt hat, man müsste denn etwa
ein Lob der macedonischen Gemeinden überhaupt (2 Kor.
8, 1—6) willkürlich auf die Philipper beschränken !). Es
wird also wohl, wenn nicht der lateinische Uebersetzer, wie
sonst öfter, arge Verwirrung angerichtet hat, ein etwas präg-
nanter Ausdruck vorliegen : Περὶ ὑμῶν γὰρ ἐν πάσαις ταῖς ἐκ--
κλησίαις, αὖ μόναι τότε τὸν ϑεὸν ἐγνώκεσαν καυχᾶται. Die
Meinung ist, dass unter allen und vor allen damals gestifteten
Gemeinden ‘die philippische ein Gegenstand stolzer Freude
für Paulus ist, was dann nur eine Anwendung von Phil.
4, 1. 15 ist. Nur bei dieser Fassung kann ich mir das
_ Präsens gloriatur neben laboravit und cognoverant erklären.
Es ist die Gegenwart des schriftstellerischen Zeugnisses des
Apostels, aber dies geschriebene Zeugnis bezieht sich auf die
Zeit, als Paulus unter den Philippern wirkte und in Smyrna
noch keine Gemeinde existirte Auf den Philipperbrief des
Paulus hat sich Polykarp auch schon c. 3 berufen, und gerade
auf Phil. 4, 15 wird sich, wie Anh. III zu zeigen ist, die
dunkle Stelle unmittelbar vor den incriminirten Worten
zurückbeziehn. Darauf aber ist schon hier aufmerksam zu
machen, wie angemessen Polykarp gerade angesichts der dies-
mal vorliegenden besonderen Versündigung an das apostolische
1) Aus den an die Philipper selbst gerichteten Aeusserungen seiner-
Freunde über sie (Phil. 1, 3f.; 2, 17£.; 4, 1. 15ff.) konnte auch weder
Polykarp noch Pseudopolykarp geschlossen haben, was er zu sagen
scheint. Denzingers Deutung (Theol. Quartalschrift 1851, S. 405),
Paulus rühme sie in allen Gemeinden, sofern sein Brief an die Philipper'
überall gelesen werde, scheitert an der Beschränkung der ‚‚omnes ecclesiae “
durch ‚„quae Deum solae tunc cognoverant “ und durch den Gegensatz ‚nos
autem nondum noveramus “. Den Philipperbrief aber besassen jetzt auch
die inzwischen gestifteten Gemeinden und, wie Polykarps Brief beweist,
gerade auch die von Smyrna,
806
Lob erinnert, welches die Philipper in Bezug "auf freiwillige
Dahingabe ihres Vermögens zum Besten seiner Missionswirk-
samkeit über alle anderen Gemeinden stellt.
Ein ferneres Bedenken Ritschls (5. 592 f.) richtet sich
wieder gegen eine Stelle (c. 12), deren Text mit den vor-
handenen Häülfsmitteln nicht mehr herzustellen sein möchte ἢ).
Nur soviel ist klar, dass Polykarp, zum Schluss eilend, im
Vertrauen auf die Schriftkenntnis der Leser, darauf verzichtet,
ihnen ausfüährlichere Ermahnungen zu ertheilen.. Nachdem
er die kurzen Worte aus Eph. 4, 26 angeführt hat, fährt er
fort: beatus qui meminerit, was an das μνημονεύοντες δὲ ὧν
εἶπεν ὃ χύριος διδάσκων in dem nicht beanstandeten c. 2 er-
innert. Ob Polykarp das Citat aus Eph. 4, 26 wirklich als
Schriftwort eingeführt hat ?), und ob er vielleicht dazu be-
1} S. Jakobsens und Dressels Noten. Nach ood. Laurent. und pl:
confido enim vus bene exercitatos esse in sacris litteris, et nichil vos
latet; michi autem non est concessum modo uti his scripturis, dietum
est enim „irascimini et nolite peccare“ et „sol non occidat super ira-
cundiam vestram“. Arndt (Handschrift) beginnt wie Andere mit modo
einen neuen Satz und übersetzt den gewöhnlichen Text (ut statt μέΐ,
und ohne enim): Μόνον, χαϑοὶς ἐν ταύταις ταῖς γραφαῖς εἴρηται, 580
dass die Imperative irascımini, nolite und occidat die Fortsetzung von
μόνον bilden.
2) Da der lateinische Uebersetzer c. 2 sich erlaubt hat, ein „et
quod dictum est‘ aus eigenen Mitteln einzuschieben, so ist man be-
rechtigt, mit Credner (Beiträge I, 20f.) auch hier eine Interpolation oder
vielmehr eine Amplification anzunehmen. Jo. Delitzsch (1. L, p. 67 sq.)
hat nicht klar gemacht, warum die Worte: uti his scripturis dietum est,
hier durch den Zusammenhang erfordert sein sollen. Warum soll nicht
-Pölykarp, nachdem er im Vertrauen auf die Schriftkenntnis und über-
haupt die christliche Erkenntnis seiner Leser weitere Belehrungen abge-
schnitten hat (cf. Clem. ad Corinth. I, 53), mit einem blossen μόνον
die beiden Gebote anführen (vgl. das μόνον bei Ignatius Rom. 3. 5;
Eph. 11; Sm. 4). Als Schriftworte sind dieselben dann gar nicht cha-
rakterisirt; er hätte ebensogut eigene Worte so einführen können. Er
bricht seine Ermahnung zu milder Behandlung des gefallenen Valens,
anstatt sie noch ausführlicher zu begründen, mit einem kurzen senten-
tiösen Wort ab, — Bedenklich ist an den verdächtigen Worten vor
allem, dass das ταύταις ταῖς γραφαῖς auf die beiden biblischen Sätze
507
stimmt wurde, weil die erste Hälfte, die er durch ein ei von
der zweiten tremmt, aus Ps. 4, 4 stammt, will ich nicht un-
bedingt verneinen. Jedenfalls kann auf dıe Art, wie hier
paulinische Worte angeführt werden (vgl. 2Petr. 3, 16) ein
kritischer Verdacht nicht gegründet werden, ehe der sehr
zweifelhafte Text durch neue Hülfsmittel hergestellt ist. Aber
es soll auch ein wirksamer Gegensatz zwischen der Selbster-
baunng, von welcher ὁ. 11 die Rede ist, und der Erbauung
durch Gott, deren machher c. 12 gedacht wird, durch den
Interpolator vernichtet sein. Mir erscheint der Gegensatz
zwischen der thatsächlichen Selbsterbauung der Gemeinde,
welche die Philipper durch das richtige - Verhalten gegen die
Gefallenen vollbringen, und der Erbauung durchs Wort,
die sie von Polykerp erwarten, aber auch in der Schrift
finden können, nicht minder wirksam, dagegen aber, um mit
Ritschl selbst zu reden, die lexicalische Gemeinschaft zwischen
dem zweimaligeu aedificare verdächtig. Mit einem autem
jedenfalls wüsste ich den Uebergang vom ersten zum zweiten
nicht zu vermitteln, ein ἀλλὰ καί würde ich fordern; trefflich
hingegen schreitet der Gedanke fort von dem Verzicht auf
eigene erbauliche Belehrung der Leser zu der Hoffnung, dass
Gott und Christus selbst sie in Allem, was christlich ist, er-
bauen werden.
Aehnlich wie in diesem Fall sucht Ritschl (8. 588f.)
zu beweisen, dass c. 3 den noch deutlich erkennbaren Zu-
sammenhang zerreisse. Es soll kein richtiger Gedankenfort-
schritt sein von dem Satz: 0 ἔχων ἀγάπην μακράν ἐστι πάσης
ἁμαρτίας ὁ. 3 zu der Reminiscenz aus 1 Tim. 6, 10: ἀρχὴ
δὲ πάντων χαλεπῶν φιλαργυρία c. 4. Die Forderung, dass
der Liebe als Schutzmittel gegen alle Sünde eine Sünde als
Quelle aller übrigen Sünden gegenübertrete, ist nicht ein-
als einzelne γραφαί hinweisen würde, und dass statt eines καϑὼς γέ-
γραπται, geradeso wie c. 2 von dem glossirenden Uebersetzer, χαϑὼς
εἴρηται gesagt ist. Sind die Worte nur Glosse, so soll das Demonstrativ
ταύταις wahrscheinlich auf die heiligen Schriften schlechtweg als vorher
erwähnte hinweisen.
508
leuchtend, und eine arge Uebertreibung wäre es gewesen,
wenn die Geldgier als solche wäre bezeichnet worden. Es
kann auch χαλεπά gar nicht Wechselbegriff mit ἁμαρτίαι sein,
es bezeichnet die Uebel, welche Folgen der Sünde und so
auch der Habgier sind. Es ist ferner nicht einzusehn, warum
der Uebergang von der Ermahnung zu christlichem Lebens-
wandel zur Warnung vor dem Gegentheil nicht in der Form
gemacht werden könnte, dass sofort auf die verderblichen
Folgen der besonderen Sünde hingewiesen würde, vor welcher
die Philipper zu warnen besonderer Anlass vorlag. Der Zu-
sammenhang, welchen Ritschl durch Ausscheidung von c. 3
herstellt, hätte etwas Verlockendes nur dann, wenn wirklich
am Schluss von c. 2 die Armen als Erben des Himmelreichs
selig gepriesen würden. Aber Polykarp hat dort mit diesem
ersten Makarismus der Bergpredigt den letzten verbunden, er
hätte also, wenn er den Armen die Geizigen hätte gegenüber-
stellen wollen, den Gegensatz durch fremdartige Beimischung
selber getrübt (vgl. Denzingers theologische Quartalschrift 1851,
S. 402). Das c. 3 soll aber auch in sich selbst bedenklich
sein, vor allem deshalb, weil nicht vorstellbar sei, wie die
Philipper den Polykarp um einen Lehrbrief sollten gebeten
haben (ὃ. 589; vgl. S. 587). Habe ich S. 499 die Bitte
der Philipper richtiger wiedergegeben, so wird nicht allein
dies Bedenken gehoben, sondern auch begreiflich gemacht sein,
wie Polykarp gerade hierdurch zu einer Vergleichung seiner
selbst mit Paulus sich veranlasst fühlte. Die Einsicht, dass
weder er, noch einer seinesgleichen dem Apostel gleich schrei-
ben könne, hält ihn keineswegs ab, den Philippern seine Er-
mahnungen angedeihen zu lassen, würde ihn aber abgehalten
haben, es ohne ihre förmliche Bitte zu thun, und gegenüber
dem allzu schmeichelhaften Ton, in welchem sie ihre Bitte
ihm ausgesprochen haben werden, hält er es für nützlich,
ihre Erwartungen in dieser Form herabzustimmen. Wenn
ferner die Klarheit vermisst wird in dem Gedanken, dass die
Hoffnung dem Glauben folge, die Liebe zu Gott und Christus
und dem Nächsten demselben vorangehe (S. 589), so hat
wenigstens Clemens von Alexandrien, dem doch die formale
509
Bildung der griechisch redenden alten Kirche zu Gebote stand,
keinen Anstoss daran genommen, wenn er vielleicht unter
Anregung dieser Stelle in Polykarps Brief wiederholt dieselbe
Reihenfolge der drei Cardinaltugenden innehält (Quis div.,
Ρ. 937. 952 Pott... Polykarp selbst wollte vielleicht vom
wohlwollenden Leser so verstanden werden, dass die Liebe,
welche er ursprünglich nicht zu nennen beabsichtigte, nur der
zuletzt genannten Hoffnung vorangehe. Ohne Bedeutung und
den Zusammenhang störend soll auch der Satz „sobrietatem
ergo docete omnes, in ‘qua et vos conversamini“ (c. 10) sein.
Nach sehr mannigfaltigen Ermahnungen, und nachdem schliess-
lich allerdings schon im Gedanken an den nachher zu be-
sprechenden Einzelfall ein Wehe über den Einzelnen ausge-
sprochen ist, ‚welcher durch sein Vergeben dem Namen Gottes
Lästerung zuzieht, scheint mir die zwiefache Ermahnung !)
an die Gemeinde, von der sich Polykarp eines Besseren ver-
sieht, durchaus angemessen, erstlich alle Anderen zum Guten
anzuweisen, sodann aber auch selbst demgemäss zu wandeln.
Und gerade von da aus war der, übrigens syntaktisch nicht
ausgedrückte Uebergang zu dem Fall des Valens besonders
natürlich; denn dieser Presbyter hatte es versäumt, wie sofort
von ihm gesagt wird, sich selbst im Zaum zu halten,
während er von Amts wegen Anderen sittliche Anweisungen
ertheilte. | |
In denjenigen Theilen des Briefs, welche, abgesehn von
den Berührungen mit der Geschichte und den Briefen des
Ignatius, von Ritschl beanstandet worden sind, finde ich also
ausnahmslos integrirende Bestandtheile eines natürlichen, brief-
artigen Gedankengangs. Die den Ignatius betreffenden Stellen
aber, welche Ritschl erst in Angriff nimmt, nachdem er den
Mangel der Einheit an harmloseren Stoff glaubt erwiesen zu
haben, entdecken uns erst die Hauptanlässe des Briefs. Sie
1) Das ἐν ἢ καὶ. ὑμεῖς ἰγασερέφεσϑε ist selbstverständlich impera-
tivisch zu fassen. Die Vergleichung von c. 4 legt es nahe, auch hier
wieder den Polykarp zunächst an die Geineindevorsteher denken zu lassen.
Vgl. oben S. 2971ff., aber auch Ign. Rom. 8; Eph. 15.
610
sind das Aechtesie des Aschten. Hier sind es wesentlich
sachliche Bedenken, welchen die kritische Arbeit “überlassen
wird; aber gerade diese meine ich durch die positive Dar-
legung des von den 8 Briefen bezeugten geschichtlichen Her-
gangs beseitigt zu haben, so z. B, gleich dasjenige, wadurch
Ritachl (8. 598) sich bewogen fühlt, aus ὁ. 1 die Worte axs-
δεξαμένοις — ἐκλελογμένωμ" καί Buszumersen, nämlich die
Hinweisung auf andere christliche Gefangene, welche ausser
Ignatius durch Philippi gekommen sein sellen (vgl. oben
8. 290 ἢ). Gegen die Aunabme einer Interpolation gerade an
diesar Stelle spricht ferner, dass. nicht zu sagen ist, wie der
Anfang des Briefs ursprünglich gelautet haben sollte. Das
erste Wort συνεχάρην weist ebenso wie das συνελυπήϑην 6. 11
{vgl. Phil. 4, 10 und oben S. 291) auf einen einzelnen ge-
schichtlichen Anlass seiner theilnehmenden Freude an den
Philippera; dieser feklt: aher durchaus, wenn als Anlass dieser
Freude aur der gute Stand des religiösen Lebens zu Philippi
genannt wäre. Es müsste also der Interpalator dem ganzen
Eingang umgestaltet, das ganze ὁ. 1 geschrieben haben, eine
unthunliche Annahme schon deshalb, weil das Altertkum die
Schriften, und zwar auch solche, welche Ueherschrift oder
Titel hatten, sach den Aufangsworten auzuführen pälegte ').
Wer auf Fälschung ausging, beachtete das, wie uns der Pseudo-
ignatius des 4. Jahrhunderts zeigt. Enthielt also der Brief
doch wohl ursprünglich gleich an der Spitze eine dentliche
Beziehung auf die jüngst erfolgte Durchreise des Ignatius
durch Philippi, und fällt somit der Verdacht gegem die gleich-
1) Vgl. Augustins Retractationen von Anfaug bis zu Ende. Aber
schon Cicero ad Attic. XVI, 3, 1 gebraucht die Anfangsworte seines
Cato major (αἵ. ad Att. XIV, 21, 3) „o Tite si quid ego“ oder auch nur
„o Tite“ (ad Attie. XVI, 11, 3) als indeclinabelen Titel des Buchs. Dar-
nach ist auch das „o Theophile“ im muratorischen Kanon als Titel der
Apostelgeschichte zu verstehen. Vgl. Schatt zum 1. Petrusbrief, S. 353;
andere Beispiele bei Bentley zu Horat. serm. I, 8, 7. — Dass auch
Briefe so awgeführt werden, s. Spicileg. Rom. X, 2, 141; Curet. car.
Ign., p. 865.
811
artigen Stellen c. 9. 18 dahin, so wird es auch geboten sein,
entweder die Stellen, welche eine Bekämpfung der Gnosis
enthalten sollen, wie sie erst nach dem Tode des Ignatius
möglich gewesen sein soll (Ritschl, S. 585. 595. 597), anders
zu deuten oder, wie mir nothwendig scheint, die Vorstellung
von der Entwicklung der häretischen Lehrmeinungen nach
denjenigen Quellen zu berichtigen, welche wie die Briefe
des Ignatius und des Polykarp selbst im Fall ihrer Unächtheit
älter sind als die ältesten ausdrücklichen und ausführlichen
häreseologischen Nachrichten, als die Werke des Irenäus ‚und
des Clemens von Alexandrien (vgl. oben $. 398). .
Es scheint mir hiernach überflüssig, die Unwahrsehein-
lichkeit, von welcher die Hypothese einer Interpolation der
ignatianischen Briefe gedrückt wird, auch noch in Bezug auf
den Brief Polykarps im Einzelnen nachzuweisen. Vielleicht
genügt die Frage, wie der für den Episkapat schwärmende
Interpolator es über sich gewonnen haben sollte, der philippi-
schen Gemeinde den fehlenden Bischof nicht zu geben. Es
fehlt dem Briefe Polykarps das Gepräge eimer originalen Per-
sönliehkeit, welches Igmatius jedem seiner Worte aufzuprägen
verstand, aber er enthält auch nichts, was von dem Bild
des ehrwürdigen Mannes, wie es Irenäus nach den Erinne-
rungen seiner Jugend und die Gemeinde von Sınyrna im Jahr
seines Todes gezeichnet, Lügen gestraft würde.
3. Andere Zeugnisse für die ignatianischen Briefe.
Diejenigen, welche in dem Seur. den ächten Ignatins
wiedergefunden za haben meinten, haben Gewicht darauf ge-
legt, dass die wenigen Anführungen aus Ignatius aus der Zeit
vor Euseb auch im Scur. zu finden sind, und daraufhin be-
hauptet, sie könnten füglich nur als Zeugnisse für den Scur.
verwendet werden. Lipsius ging so weit, zw versichern, dass
512
vor Euseb niemand und nach Euseb erst wieder Theodoret
Kenntnis der 4 Briefe und derjenigen Theile der drei übrigen,
welche dem Scur. fehlen, zeige (II, 24 vgl. 15). Nun hat
es zwar für die Frage von der Aechtheit der 7 Briefe kürzerer
Recension kaum ein Interesse, das Mass ihrer. Verbreitung in
der Zeit nach Euseb genauer zu bestimmen, da man weiss,
dass der bücherkundige Euseb von der Existenz einer anderen
an Zahl und Inhalt verschiedenen Sammlung ignatianischer
Briefe nichts wusste. Aber der Zuversicht des Irrthums gegen-
über muss doch in Kürze an den wirklichen Thatbestand er-
innert werden.
Aelter als Theorets Schriften ist das ursprüngliche mart.
colb. (8. oben S. 51 f. 54f.), welches den ganzen Römerbrief, wie
ihn Euseb las, ohne die Auslassungen und Zusätze des Scur. in
sich aufnahm und ausserdem die Dankschreiben erwähnt, welche
Ignatius an die asiatischen Gemeinden richtete, die ihn in
Smyrna begrüsst hatten. Der Verfasser kennt also ausser dem
Epheserbrief jedenfalls noch einen an eine asiatische Gemeinde
gerichteten, von Smyrna geschriebenen Brief. Er zeugt also,
was Zahl und Inhalt der Briefe anlangt, gegen Scur. und für
die 7 Briefe kürzerer Recension. Gleiche Kenntnis zeigt, um
von Ephräm und Cyrillanos zu schweigen (s. 5. 187. 213),
jedenfalls Johannes Monachus im letzten Viertel des 4. Jahr-
hunderts (8. oben ὃ. 222f.). Etwas älter als dieser ist Pseudo-
ignatius, welcher die dem Euseb bekannten Briefe mit Aus-
nahme des Römerbriefs zur Vorlage seiner Umarbeitung machte,
wozu er selbstverständlich das wählte, was zu seiner Zeit als
Werk des Ignatius in Ansehn stand und in den damaligen
Streitigkeiten in einer seinen theologischen Absichten hinder-
lichen Weise benutzt wurde. Derartige Verwendung bezeugt
für ziemlich die gleiche, wahrscheinlich noch etwas frühere
Zeit, nämlich für das Jahr 359, die Schrift „de synodis Arım.
et Seleue.‘, selbst wenn man sie ohne rechtmässige Gründe
ganz oder theilweise dem Athanasius absprechen wollte (s. oben
S. 135 und Anh. II, 2). Wir sehen daraus nicht etwa nur,
dass irgend ein Gelehrter den Epheserbrief im vollständigen
Text kannte, sondern dass eben dieser . Text als dogmatische
513
Auctorität galt. Das sind lauter Zeugnisse aus der Zeit
zwischen Euseb und Theodoret 3), und zwar solche Zeugnisse,
welche ihrer Natur wegen die sechsfache Zahl vereinzelter
Citate bei einzelnen Schriftstellern aufwiegen würden. Aber
nicht ein einziges Citat aus dieser wie aus irgend einer anderen
Periode christlicher Schriftstellerei haben die Freunde des
Seur. anführen können, welches ein höheres Alter dieses Ex-
cerptes bezeugte. Man sollte meinen, selbst vom Standpunct jener
kritischen Ansicht, nach welcher unsere Briefe um 140 aus
dem syrisch erhaltenen Urignatius entstanden sein sollen, hätte
man sich nach Bürgschaften dafür umsehn sollen, dass nicht
eben diese zur Zeit des Irenäus und vollends des Origenes
ziemlich alte Recension, welche alles Erforderliche enthält,
von Irenäus (V, 28, 4) und ÖOrigenes ?) citirt worden sei.
Wer kein Zeugnis für sich aufzuweisen hat, das nicht wenig-
stens ebensogüt ein Anderer ihm absprechen und für sich in
Anspruch nehmen kann, hat eben keins aufzuweisen. Ist nun
aber, wie mich dünkt, vollständig bewiesen worden, dass Scur.
nur ein ziemlich junges Excerpt aus der syrischen Ueber-
setzung der 7 Briefe ist, und dass diese überhaupt der älteste
Kern ignatianischer Literatur sind, so ist die Verbreitung dieser
7 Briefe durch Irenäus und ÖOrigenes bezeugt. Ich habe
darauf verzichtet, die Werke des Origenes, in denen ich
weniger bewandert bin, auf weitere Spuren seiner Kenntnis
des Ignatius zu untersuchen. Dagegen scheint es mir ein-
leuchtend, dass Clemens von Alexandrien den Ignatius kennt.
Will man bei diesem belesenen . Schriftsteller Spuren älterer
Literatur auffinden, so muss man erstlich wissen, dass er bei
allem Prunken mit seiner Kenntnis ausserchristlicher Literatur,
ältere christliche Schriftsteller kaum nennt, weder Polykarp,
1) Um nicht die Streitfrage zu verwickeln, verzichte ich gerne 'auf
den Nachweis, dass schon die ältere Gestalt der apostolischen Consti-
tutionen, welche in der syrischen Didaskalia erhalten ist, aus den Briefen
des Ignatius wie aus dem des Polykarp geschöpft hat.
2) Er citirt Rom. 7 im prolog. in cant. vol. ΠῚ, 30D ed. Delarue
und Eph. 19 in hom. 6 in Luc. vol. III, 938A.
Zahn, Ignatius. | 33
514
noch Papias, weder Justin, noch Hegesipp, sodann aber, das
er auf diejenigen Schriftsteller, welche er anderswo ausdrück-
lich eitirt, gelegentlich auch ohne Citationsformel, unzwei-
deutig anspielt. So 2. B. auf Hermas unaufhörlich in Quis
div., p. 957 sqq., besonders p. 961. Ein Einfluss von Herm.
sim. VID, 3 ist Paed. II, p. 205 wahrnehmbar, aber viel un-
zweifelhafter ist in Ign. Eph. 17 die Quelle zu suchen für
die unmittelbar vorangehende allegorische Deutung der Salbung
in Bethanien: δύναται δὲ ταῦτα σύμβολον εἶναι τῆς διδασκαλίας
τοῦ κυρίου x. τ. A. Nicht nur. die Person des Ignatius,
sondern auch der Wortlaut und ganze Zusammenhang von
Tr. 4. 5, vielleicht unter gleichzeitiger Berücksichtigung von
Rom. 5, liegt der Schilderung der ἐχλεκεῶν ἐκλεκτόεεροι Quis
div., p. 955 zu Grunde, und dieser Nachwirkung ignatia-
nischer Sätze liegen schon örtlich die auch rücksichtlich des
theologischen Charakters an Ignatius erinnernden Worte δυνά-
us, ϑεοῦ πατρὸς καὶ αἵματι ϑεοῦ παιδὸς καὶ ὃ 000W πνεύματος
ἁγίου p. 944 viel zu nahe, um nicht an das ignatianische
δροσισϑῆναι Mgn. 14 als Bild für die geistliche Segnung zu
erinnern !). Aehnliche Einflüsse zeigen sich in dem προς-
1) Vgl. jedoch auch im Hymnus des Clemens, Ὁ. 313 Pott. nvev-
unte doossew. Ohne Grund citirt Auch Pearson III, 54 als eine
Nachabmung des ἀδιαχρίτως Rom. inscr. Clem. paed. I, p. 115 Pott.
Vielleicht mit grösserem Recht behauptet Pearson I, 127 (vgl.
auch Denzinger, S. 60), dass Eph. 19 in einem der Excerpte aus valen-
tinianischen Schriften bei Clemens, Ὁ. 986 machklinge. Aber bei der
Unsicherheit in Bezug auf Herkunft und Alter gerade Jieses Theils der
Excerpte (vgl. Heinrici, valentin. Gnosis, S. 90£.) lässt sich hierauf am
wenigsten etwas gründen. Aus ähnlichem Grunde verzichte ich darauf,
den Eindruck geltend zu machen, welchen mir die Vergleichung des
Barnabasbriefs mit den ignatianischen immer wieder macht. Es müsste
erst-noch etwas deutlicher bewiesen werden, dass der Barnabasbrief um
120—130 geschrieben ist; sodann wäre zu zeigen, in wie auffälligem
Masse er von theilweise wenig älterer christlicher Literatur abhängig ist,
und am Ende müsste ich es doch noeh dem Geschmacksurtheil über
lassen, ob man einsehen will, dass Stimmungsäusserungen, die mir bei
Ignatius sehr verständlich sind, von diesem Lehrer von Profession und
selbstgefälligen Gelehrten (cf. Barn. 9, 9; 21, 1 nach der Abtheilung
von. Müller) nicht original gebildet, sondern dem Ignatius nachgekflt
515
ηλωθϑῶμεν Paed. III, 303; ef. Sm. 1 und Paed. Il, 247 (ἐπὶ
δὲ τῶν ποδῶν x. τ. A.) cf. ad Pol. 7. Die in Anti. I, 14
angezogenen Worte sind, wenn man den Zusammenhang, den
Uebergang auf τὴν βρῶσιν τὴν ἐπουράνεον und ἀγάπην (Paed.
II, 165) erwägt, zuverlässig auf Rom. 7 als Quelle zurück-
zuführen. Directer als Clemens zeugt Irenäus für unsere
Briefe. Dieser „omnium doctrinarum ouriosissiraus explorator “,
wie ihn Tertullian .nennt, hat ausser dem Römerbrief, den er
eitirt, auch den an die Smyrnäer oder den an die Trallianer
oder beide gekannt und aus ihnen jene häretische Lehrform
kennen gelernt, welche er, so oft er auf sie zu reden kommt,
nur mit den von Ignatius dargebotenen Mitteln darstellt und
bestreitet (6. oben S. 893ff.). Darnach ist man berechtigt,
gerade bei Irenäus, der so überaus wenige kirchliche Schrift-
steller namentlich anführt 1), jeden deutlichen Anklang an
Ignatius als weiteren. Beweis seiner Kenntnis der ienatianischen
Briefe anzuführen. Dahin rechne ich manche Züge der Be-
schreibung des arglistigen Verfahrens der Häretiker. Schon
das ziemlich fernliegende Bild αἰχμαλωτέζουσιν ἀπὸ rc ἀλη-
ϑείας (Iren. I; 3, 6 cf. prooem. 1) könnte ignatianischen Ur-
sprungs sein ?). Uebersetzt man Iren. III, 4, 1 devitare mit
ἐκκλίνειν 3), so erinnert das Wort διὸ δεῖ ἐκκλίνειν μὲν ἐκείνους
sind. Ich finde in Eph. 3. 8 und anderen Stellen das Original für Sätze
wie Barn. 1, 8; 4, 9; 6, 5. Wäre ferner der Text von Barn. 1, 6
zuverlässiger überliefert, so würden wir den Zusammenhang mit Eph. 14
wahrscheinlich deutlicher erkennen.
1) Er citirt namentlich nur je einmal den Brief des Clemens an
die Korinther (III, 3, 3), den des Polykarp an die Philipper (III, 3, 4),
das Werk des Papias (V, 33, 4), zweimal Justin (IV, 6, 2; V, 26, 2).
Sonst werden Aussprüche älterer Kirchenlehrer, z. B. auch des Hermas
(IV, 20, 2), ohne Namen angefäßrt.
2) Phil. 2; Eph. 17. Aber es kann auch 2 Tim. 8, 6 die gemeih-
same Grundstelle sein. Sehr anders ist der Ausdruck Justins (Dial. 39,
p. 258 B): αἐχμαλωτεῦσαι αὐτὸν (sc. τὸν Χριστόν) ἡμᾶς ἀπὸ τῆς
πλάνης.
3) Dies dünkt mich auf alle Fälle beuser, als παραιγεῖσϑιέ, wie
Thiersch übersetzt hat (s. bei Stieten).. Auch das ‚paulinische ἐχκλένατε
ἐπ᾿ αὐτῶν Rom. 16, 17 ist nicht zu übersehn.
888
δ16
sehr deutlich an Eph. 7: οὖς δεῖ ὑμᾶς ὡς ϑηρία ἐχκλένειν.
Das unmittelbar vorangehende ἀλλά τινα πράσσοντες ἀνάξια.
klingt nach bei Iren. I, 6, 4. Aus Eph. 8 hat man θύσαντες
τὰ ὦτα als Uebersetzung von „concludentes aures‘* Iren.
III, 4, 2 zu nehmen, zumal das „ne audire quidem sustinentes“
an Eph. 6 extr. erinnert. Deutlich scheint mir ferner die
Nachwirkung von Tr. 6 (cf. c. 11), einer freilich textkritisch
unsicheren Stelle (8. Anh. I, 27), in Iren. I, 27, 4'); denn
dass Ignatius Christus selbst, Irenäus den Namen Christi als
das Mittel bezeichnet, durch dessen Beimischung die Irrlehrer
das tödtliche Gift ihrer Lehre den Gläubigen annehmbar zu
machen suchen, hebt die Aehnlichkeit nicht auf, zumal da
Iguatius ihnen Eph. 7 ein doAw πονηρῷ τὸ ὄνομα περιφέρειν
nachsagt, ein Ausdruck, welcher wahrscheinlich hier bei Ire-
näus wörtlich wiederkehrt: Christi quidem Jesu nomen tam-
quam irritamentum proferentes, wenn man nämlich annimmt,
dass hier proferre ebenso wie IV, 33, 5 perferre (s. oben
5. 394) ungeschickte Uebersetzung von περιφέρειν ist. Die
Verknüpfung der Wirkung des Abendmahls mit der Aufer-
stehung des Fleisches (Iren. IV, 18, 5 cf. $ 4) wurzelt nach
ihrer thetischen und antithetischen Seite in Sm. 7. Die Be-
tonung der Identität des in den Propheten und des in der
Kirche waltenden Geistes in einem Zusammenhang, in welchem
die Propheten als Märtyrer vorgestellt sind (Iren. IV, 33, 9),
weist auf Mgn. 8 zurück. Auch was Irenäus III, 11, 8 von
den Evangelien als Säulen der Kirche sagt: πανταχόϑεν πνέον-
τες τὴν ἀφϑαρσίαν, erinnert an Eph. 17.
1) Ferner liegen die bildlichen Ausdrücke des gleichen Gedankens
Iren. I, 17, 4; prooem. 2, welcher dort auf ältere Kirchenlehrer zurück-
geführt wird. — Eine ziemlich grosse Anzahl eigenthümlicher Ausdrücke
theilt Irenäus mit dem zugestandener Massen älteren Ignatius, die ich
nicht alle aufzählen mag. Als Beispiel diene noch ἡ ὁμόνοια τῆς ni-
orews Eph. 13 und ep. ad Victor. Ens. h. e. V, 24, 13. Wie es mit
den Anklängen an.Ignatius bei Tertullian bestellt ist, möge auch auf
sich beruhen. Sachparallelen zu Eph. 7 sind jedenfalls contra Valent.
27 extr.; de carne Christi, c. 5. Vgl. ferner zu ad Pol. 5 Anh. I, 32,
auch S. 333, Anm. 4.
517
Etwa zwanzig Jahre älter als das Werk des Irenäus ist
das Schreiben der smyrnäischen Gemeinde über Polykarps
Ende. Darin wird die That des Germanicus mit Worten be-
schrieben 3), welche von jeher an Rom. 5 erinnert haben.
Lässt man dies -- wie 2. B. Bunsen I, 119 — als Zeugnis für
den Römerbrief gelten, so ist es Parteilichkeit, wenn man den
viel deutlicheren Anklang an eine von Scur. ausgestossene
Stelle des Epheserbriefs 3) ignorirt, welchen Pearson II, 202
ebensogut wie den andern nachgewiesen hat. Wer von den
Anfängen kirchlicher Literatur einige Vorstellung hat, wird
es ebenso natürlich finden, dass dem Smyrnäer, welcher unseres
Wissens zuerst ein Martyrium beschrieb, bei der Abfassung
seiner Schrift das Bild des grossen Märtyrers, der 50 Jahre
vorher in Smyrna bewundert worden war, und die Briefe, die
er dort geschrieben, vor der Seele standen, als dass dem
Polykarp, als er an die Philipper schrieb, der Brief des
Clemens an die Korinther sich als Muster eines derartigen
Schreibens darbot.
Ziemlich gleichzeitig mit dem Bericht von Polykarps
Ende ist Lucians Schrift über den Tod des Peregrinus. Wie
jener wenige Monate nach dem berichteten Ereignis geschrie-
ben wurde (mart. Pol. 18. 20), so hat auch Lucian, wie die
ganze Einrahmung zeigt, ein Tagesereignis geschildert, und
ziemlich gleichzeitig sind Peregrinus in Olympia, Polykarp in
Smyrna auf dem Scheiterhaufen gestorben ὃ). Es handelt sich
1) Mart. Pol. ὃ: ὁ γὰρ γενναιότατος Γερμανικὸς ἐπερρώνυεν αὐτῶν
τὴν δειλίαν διὰ τῆς ἐν αὐτῷ ὑπομονῆς, ὃς καὶ ἐπισήμως ἐϑηριο-
μάχησεν. Βουλομένου yap τοῦ ἀνθυπάτου πείϑειν αὐτὸν καὶ λέγοντος,
τὴν ἡλικίαν αὐτοῦ χατοικτεῖραι, ἑαυτῷ ἐπδσπαΐσατο τὸ ϑηρίον
προςβιασάμενος. .
2) Mart. Pol. 22: οὐ γένοιτο ἐν τῇ βασιλείᾳ Ἰησοῦ Χριστοῦ πρὸς
τεὶ ἴχνη εὐροϑῆναι ἡμᾶς, ΟἿ, Eph. 12: οὗ γένοιτο μοι ὑπὸ τὰ ἴχνη εὐὑρε-
ϑίναι, ὅταν ϑεοῦ ἐπιτύχω.
3) Die einzige chronologische Angabe ist die in Eusebs Chronik
(zu Olymp. 326, 2; Abrah. 2181; Marc. Aurel. 5 d. i. 165 u. Z.): Pisis
ignem accendit Peregrinus philosophus in festo publico et se ipsum
intus jecit. Erst nach den 4 Jahren dieser Olympiade wird die Ver-
ὅ18
also hei der alten, vom den Neuern meist leichtfertig genug
ignorirten Streitfrage, ob Lucian die Briefe des Ignätius bei
seiner Darstellung benutzt habe, schon chronologisch betrachtet,
um ein Zeugnis ersten Rangs')., Um urtheilen zu können,
muss man erstlich eine richtige Vorstellung von Lucians
Stellung zum Christenthum und zur christlichen Literatur und
zweitens Einsicht in die Composition dieser Schrift haben.
Lucians Kenntnis der christlichen Denkweise und Lebensein-
richtung bezeugt ebensowenig religiöses Interesse, als seine
Polemik gegen dieselben aus besonderem Hass gerade gegen
das Christenthym hervorging. Aber so oberflächlich, wie es
der oberflächlichen Betrachtung erscheint, ist seine Kenntnis-
nahme nicht gewesen. „Die wunderbare Weisheit der Chri-
sten“, diese „neue Mysterienlehre“, welche „der grosse in
Palästina gepfählte Mensch“ und „Sophist“, den die Christen
„noch immer verehren‘“, „in dia Welt eingeführt“ hat (de
morte Peregr. 11. 13), ist eine Erscheinung, an welcher man
nicht mehr vorüberkann. Man achtete mehr darauf und wusste
mehr davon, als man zu sagen liebte (vgl. Thiersch a. a. O.,
5. 19). Wer, wie Lucian, nach der Mitte des 2. Jahrhunderts
offenen Auges für alle Lebensgestalten vom Euphrat bis zur
Rhone die Welt kennen lernte, in Antiaghien und Smyrna,
in Athen und Rom sich dauernd aufhielt, musste gieh über
die schwer zu definirende Menschenelasse, die man Christen
nannte, Gedanken machen; und dass diejenigen Lucians auf
eigener Beobachtung beruhen, liegt auf der Hand. Er ent-
hält sich völlig der im Volksmund umlaufenden Verläum-
dungen, welche sein älterer Zeitgenasse Fronto nicht ver-
schmäht hatte (Min. Fel. 31, 2; cf. 9, 6). Auch lächerlieh
folgung erwähnt, in welcher Polykarp stirbt. Lucians Schrift wird daher
nicht mit Unrecht um 165 angesetzt. Vgl. Preller in Pauly's Real-
encyklopädie IV, 1169 vgl. S. 1166.
1) Vgl. Pears. I, 5 sqg.; Düsterd., p. 47 sqq.; Denz., p. 8öff, be-
sonders aber. die ohne Rücksicht auf Aeltere geschriebenen Andeutungen
bei Thiersch, Politik und, Philosophie im Verhältnis zur Religion unter
‚Trajan, Hadrian und den heiden Antoninen, 1853, ἃ. 19, 31 δ,
519
sind sie ihm viel weniger als die alten und neuen Narrheiten,
die er sonst nicht müde wird zu geisseln. Es sind die Chri-
sten ihm sichtlich eine unheimliche, unverständliche Gesell-
schaft, welche er lächerlich zu machen sucht, weil gie ihm
verhasst ist, ohne es dooh zu eigentlich komischer Wirkung
zu bringen. Die Brüderlichkeit, die Geschäftigkeit, die Auf-
᾿ opferungsfähigkeit in Sachen des Giemeinwesens, die Kritik-
losigkeit gegenüber den Betrügern, die sich zu Lehram und
Gesetzgebern unter ihnen aufwerfen, die Unsterblichkeits-
hofinung und die Todesverachtung: das alles berichtet er im
Ton mehr eines ärgerliohen Befremdens als vergnüglichen
Spottes. Schon ihr Widerspruch gegen den Götterglauben,
und das Ganklerwesen, welcher ihnen ebenso wie dem Eipiku-
räern und dem Lucian selbst den Hass Alexanders von Ahonutei-
chos zuzog (Luc. Alex. 25. 38), musste sie ihm interessant
machen; und wenn sie wegen ihrer Leiohtgläubigkeit den
Schwärmern des Aberglaubens verwandt schienen, so unter-
schied sie von allen derartigen Erscheinungen dach auch
wieder ihre Abschliessung gegen die Aussenwelt Ὁ und ihre
über das ganze Reich verbreitete Organisation, von welcher
Lueian einan lehhaften Eindruck empfangen hat. Er weiss
von ihrer Literatur, und zwar sowohl von älterer, welche die
Gremeindevorsteber und Lehrer auslegen, als von neuerer, welche
eben diese produciren (de morte Peregr. 11). Darnach ist
es von vornherein unwahrscheinlich, dass Lucign, welcher sich
um die eljendeste zeitgenössische Literatur bekümmert hat,
nicht versucht haben sollte, auf diesem bequemsten Wege sich
vam Ohristenthum zu unterrichten, wenn ihm nicht wie seinem
Landsmann und Zeitgenossen Tatian (orat. 29) ehristliche
Schriften ungesucht in die Hände’ fielen. Ein sonderbares
Misverständnis ist es, wenn Keim schon deshalb dem Lucian
Kenntnis christlicher Literatur absprechen zu müssen meint, weil
Lucian christliche Dinge nicht mit christlichen Namen nennt ?).
1) de morta Peregr.. 18: xaragygonolla air. ἑπάντων ἐξ ians za)
χριμὰ ἡγοῦνται.
2) Herzogs Realencycl. VIII, 501 vgl. 500.
520
Sein ἀνασκολοπισϑείς statt oruvewdels (Peregr. 11. 13) ver-
räth nicht Unkenntnis, sondern Absicht; ünd wenn er das
Christenthum τελετή (ὁ. 11) und Christus σοφιστής und vouo-
ϑέτης (c. 13) nennt, so will er nicht Kunstausdrücke wieder-
holen, sondern macht einen Versuch, die sonderbare Er-
scheinung hellenisch zu benennen, wie Josephus so oft auf
seinem Gebiet. Der Thatbestand zeugt für ziemlich eingehende
Beschäftigung Lucians mit neutestamentlichen und anderen
christlichen Schriften (s. Anh. II, 11). Was nun die Novelle
vom Ende des Peregrinus anlangt, so wird man sie im Ganzen
wie im Einzelnen nicht verstehn, solange man entweder mit
den Aelteren die ganze Erzählung für historisch hält 1), oder
mit manchen Neueren ?) gerade das Hauptfactum, die Selbst-
verbrennung Peregrins in Olympia, für blosse Fiction erklärt.
Naiv ist namentlich der erste Grund, welchen Baur hiefür
anführt, dass nämlich vor Lucian Niemand davon wisse, vor
dem Lucian nämlich, welcher das kürzlich geschehene Ereig-
nis erzählt. Vorher hätte es höchstens geweissagt werden
können. Die abenteuerliche Meinung aber, dass sämmtliche
christliche 3) und heidnische *) Schriftsteller, welche unab-
hängig von einander das Ereignis als berühmte Merkwürdig-
keit erwähnen, es aus Lucians Schrift geschöpft haben sollten,
scheitert schon daran, dass heidnische Schriftsteller nicht mehr
1) So z. B. Pears. I, 5sqq.; Wieland, Lucians Werke übersetzt,
Leipzig 1788, ΤῊ]. 3, 5. 93 ff.; Gregorovius, Hadrian, 8. 254f. Auch
Keim (a. a. O., S. 503) scheint sich dafür zu entscheiden. j
2) So Baur, Christenthum und Kirche der drei ersten Jahrhunderte
(2. Aufl.), S. 412, während er früher (Tübinger Zeitschrift für Theologie
1832, 4. Heft, S. 136) richtiger geurtheilt hatte; ferner Plank in Studien
und Kritiken 1851, S. 833 ff. 850.
3) Athenag. leg. 26; Tertull. ad mart. 4; Eus. Chron. s. vorhin.
Keim (a. a. O., 83. 504) macht es sich bei der Widerlegung Baurs zu
bequem, wenn er auch Tatian unter denjenigen anführt, welche ‚sehr
specielle besondere Nachrichten über Peregrin und seinen Tod geben“;
denn or. 25 sagt Tatian vom Tode Peregrins nichts. Es muss sogar
fraglich bleiben, ob er dies nach dem Tode desselben geschrieben hat.
ı 4) Philostr. vit. Sophist. II, 1, 13 ed. Kayser, 1844, p. 243; Amımn.
Marcell.._ XXIX, 1,_39.
ν.». -
521
mit Bewunderung davon reden konnten !), wenn Lucians unbarm-
herige Verspottung ihre einzige Quelle war. Deutlich zeigt
auch die Anführung bei Tertullian, dass damals der Heroismus
Peregrins mit Stolz von den Heiden gerühmt wurde, und
aus Athenagoras, welcher vielleicht kaum 10 Jahre nach
Peregrins Tod und Lucians Schrift geschrieben hat und eine
von Lucian unabhängige Kenntnis der Geschichte Peregrins
zeigt 3), sieht ınan, dass die Selbstverbrennung Peregrins um
170—180 ein weltkundiges Ereignis war, das man Keinem
zu erzählen nöthig hatte. Endlich sagt Lucian, welcher auch
sonst die Thatsache als bekannt voraussetzt °), mit einer
Nachdräcklichkeit *), welche durch den humoristischen Cha-
rakter der Darstellung nothwendig gemacht, aber ernstlich
gemeint ist, dass er das Drama seinem Freunde treu wieder-
erzähle, während er Anderen, wie sie es verdient, noch Allerlei
aufgebunden (c. 39) und an der sofort eintretenden sagen-
haften Ausschmückung der Sache sich betheiligt habe (c. 40).
Das Drama aber ist die Selbstverbrennung Peregrins in Olym-
pia, deren Augenzeuge Lucian gewesen. ‚Im Uebrigen com-
ponirt Lucian hier ebenso frei wie in allen seinen satirischen
Schriften, zu welchen diese doch ohne Frage gehört. Fein ist
das hier dadurch angedeutet, dass er die Erzählung der Lebens-
geschichte Peregrins einem Fremden in den Mund legt, wel-
cher mit „demokritischem Lachen“, statt mit „ heraklitischem
Weinen‘ seinen Bericht beginnt (c. 7), aber auch ehrlich
‘gesteht, dass er Manches nur aus zweiter Hand habe (c. 8).
Dass dieser „Proteus“ wie er sich selbst zu nennen liebte
1) Das gilt namentlich von: Ammianus Marcellinus; aber auch
Aulus Gellius, welcher den Peregrinus persönlich gekannt und vor
seinem Tode geschrieben hat und auch vorher um 161—164 gestorben
ist (Pauly’s Realencyel. III, 665), redet nur mit höchster Achtung von
ihm (Noect. Att. XD, 11; cf. VIII, 3).
2) Durch seine Erzählung von der Bildsäule, welche die Parier ihreın
Mitbürger gesetzt, und von welcher die Sage ging, dass sie Orakel er-
theile.
3) Fugit. 4; Indoct. 14; cf. Demonax 21.
4) Man vgl. etwa Quomodo histor. conscr. 14.
b22
und von seinen Verehrern genannt wurde (de morte Peregr.
1. 4; Gell. XII, 11; Amm. Marc. XXIX, 1, 39), vorüber-
gehend einmal der christlichen Gemeinde angehört habe, wäre
möglich !), obwohl ausser Lucian weder heidnische noch christ-
liche Schriftsteller etwas davon wissen. Unmöglich aber ist
es, dass er, wie Lucian. von ihm berichtet, als ein um des
christlichen Glaubens willen gefesselter Gemeindevorsteher die
Bewunderung der kleinasiatischen Christengemeinden auf sich
gezogen habe, während er in Syrien gefangen sass, und dass
er als christlicher Lehrer und Schriftsteller eine Berühmtheit
der Kirche des 2. Jahrhunderts gewesen sei. Welcher Grund
hätte jede Spur von diesem goefeierten Bischof und Schrift-
steller aus den christlichen Schriften seiner eigenen und der
nächstfolgenden Zeit fernhalten und überhaupt aus dem Gre-
dächtnis der Kirche verwischen können! Sie hal: ja die Ab-
trünnigen sonst nicht vergessen, auch wenn sie weniger welt-
berühmt waren. Unverständlich wäre es-auch, warum Lucian
so ausführlich hei der christlichen Periode seines Lebens ver-
weilt hätte, wenn sie mit dem eigentlichen Gegenstand seiner
Darstellung in keinem inneren Zusammenhang stünde. Der
eine Titel ἄϑεος, welcher auf den Cyniker Peregrin viel weniger
passte, als auf den ehemaligen Christen und auf den aus
gesprochenen Epikurärer 8) Lucian selbst, beweist schon, dass
ihm Peregrin auch als Märtyrer noch eine Carrikatur der
Christen ist). Der Tod den Cynikers hätte als vereinzeltes
Factum eine Satire wie diese nimmermehr herausgefordert.
Man sieht aus den Reflexionen üher die moralische Wir-
kung solcher Handlungen (c. 28 844. cf. 33), dass die nächste
Empfindung Lucians bei Abfassung seiner Schrift keineswegs
1) Vgl. Tzsobirner, Fall des Heidenthums, 8. 308.
2) de morte Peregr. 11: xzai τῶν βίβλων τὰς μὲν ἐξηγεῖτο καὶ διε-
σάφει, πολλὰς δὲ αὐτὸς καὶ συνέγραψϑ, καὶ ὡς 809 arrow ἐκχεῖνοι
ἡγοῦντο καὶ νομοθέτῃ ἐχρῶντο χαὶ προστάτην ἐπέγραφομκμ.
3) Luc. Alexander 17. 21. 25. 47.
4) de morte Peregr. 21. Dass der Christenname ἄϑεος (Just. apol.
I, 6. 13; mart. Polyc. 3. 9) dem Lucian bekannt war, beweist zum
Veberfluss Alex. 25. 38,
523
Hohn über die Narrheit. eines Einzelnen, sondern die Be-
sorgnis einer epidemischen Verbreitung solcher Gesinnung
ist. Die Verspottung ist nur ein Mittel, welches dem
wehren soll. Nun war aber dieselbe theatralische Selbst-
aufopferung und ehrsüchtige Todesverachtung, welche Lucian
an Peregrin meisterhaft veranschaulicht, ihm!) und seinen
heidnischen Zeitgenossen gerade an den Christen besonders
anstössig, und nur hier trat diese gefährliche Gesinnung als
ansteckender Wahnsinn auf. Unter Marc Aurel, welcher an
der einzigen Stelle seiner Selbstbetrachtungen, wo er von den
Christen redet, ebendies ihnen vorwirft?), folgte ein durch
die Persönlichkeit und den Schauplatz ausgezeichnetes Mar-
᾿ tyrium auf das andere. Fast gleichzeitig ‘mit Peregrin war
Polykarp äusserlich des gleichen Todes wie jener gestorben,
und in weiteren Kreisen wurde dies Factum sofort auch von
Heiden besprochen (mart. Polyc. 19). Kurz vorber war ein
christlicher Philosoph in einem Aufzug, welcher den des Pere-.
grin an Eleganz nicht übertroffen haben mag, missionirend
wie Peregrin in der Welt umhergezogen von Palästina bis
Rom, war an letzterem Ort mit nicht geringerer Freimüthigkeit
als Peregrin aufgetreten ?) und als christlicher Märtyrer hin-
gerichtet worden. Es ist kaum denkbar, dass Lucian von
Justin nicht sollte gehört haben. Der Eine war ein christ-
licher Schriftsteller und Philosoph, der Andere ein hochver-
ehrter Bischof, wie Lucians Peregrin beides ist. Ein dritter
Märtyrer war Bischof und Schriftsteller zugleich, nämlich Igna-
tius. Aehnlich wie nicht lange nachher die clementinischen
1) c. 13: nenelxacı γὰρ αὑτοὺς ol xaxodaiuoves τὸ μὲν ὅλον ἀϑά-
varoı ἔαδσϑαι καὶ βιώσεσθαι τὸν dei χρόνον, παρ᾽ ὃ καὶ καταφρονοῦσι
τοῦ Iavarov χαὶ ἕχόντες αὐτοὺς ἐπιδιϑόασιν οἱ πολλοί. Of. Ign.
Sm. 3. 4.
2) Magx. Aytwy. eis ἑαυτόν 11, 3: τὸ δὲ ἕτοιμον τοῦτο (die Todes-
bereitschaft) ἕνα ἀπὸ ἰδικῆς χρίσεως ἔρχηται, μὴ κατὰ ψιλὴν παράταξιν,
ὡς οἱ Χριστιανοί, ἀλλὰ λελογισμένως καὶ σεμνώς, καὶ ὥστε καὶ ἄλλον
πεῖσαι ἀτραγῴϑως.
3) Vgl. Thiersch, S. 31, wo de morte Peregr. 18 richtig ge-
würdigt. ist.
524
“
Homilieen unter der einen Maske des Simon Magus diesen
selbst und den Apostel Paulus und spätere Gnostiker zugleich
an den Pranger stellten, hat Lucian den christlichen Märtyrer-
hervisınus zugleich ‘mit der cynischen Rohheit in der Person
Peregrins dem Spott preisgegeben und zu diesem Ende gerade
dieser Schrift und der Lebensgeschichte Peregrins seine Schil-
derung der Christen einverleibt. Der ominöse Name Proteus,
an dessen Bedeutung gleich im Eingang erinnert wird, und
die ungefähre Gleichzeitigkeit von Justins, Polykarps und
Peregrins Tode luden zu dieser Combination ein. Aber die
meisten individuellen Züge hat Lucian der älteren Gestalt
des Ignatius und zwar unmittelbar aus seinen Briefen ent-
lehnt. Man hat Kenntnis der Martyrien des Ignatius und des
Polykarp bei Lucian vermuthen wollen. Aber wenn man für
eine Benutzung des Ersteren keine besseren Beweise beibringt,
als die Anwendung des überaus gewöhnlichen Schimpfnamens
κακοδαίμων auf Peregrin bei Lucian, auf Ignatius im m. colb.
(Düsterd., p. 48), oder die Erscheinungen des Verstorbenen,
welche Peregrins. Freunde bei Lucian, wie die des Ignatius
im m. colb. gehabt haben (Thiersch, S. 32; auch Plank,
S. 854), so wird es doch wohl bei dem Ergebnis der oben
5. 41—56 geführten Untersuchung dieses späten Mach-
werks sein Bewenden haben. Aber auch das m. Polyc.,
welches wahrscheinlich ziemlich gleichzeitig mit Lucians
Schrift, vielleicht etwas später als diese, abgefasst wurde, kann
schon deshalb nicht zu seinen Quellen gehört haben. Der
Geier, welcher von Peregrins Scheiterhaufen auffliegt, er-
innert mehr an den Brauch, bei der Apotheose der Kaiser-
einen Adler auffliegen zu lassen (vgl. Smith, schol., p. 116f.;
Maranus zu Justin. apol. I, 21), als an die höchst zweifel-
hafte Taube beim Tode Polykarps (Anh. I, 5). Anderes, was
wirklich an die Erzählung von Polykarps Tode erinnert, mag
Lucian als Gerücht zu Ohren gekommen sein (vgl. mart.
Polyc., c. 19). Der Wohlgeruch, welchen die Christen vom
Scheiterhaufen Polykarps her wahrgenommen haben wollen,
wird von Peregrin mechanisch durch Räucherwerk erzeugt.
Vielleicht ist auch die sehr natürliche 09097 gunwou ἀχριβῶς,
525 *
in welcher Peregrin zuletzt dasteht, eine Verspottung der
09097; πλοίου ὑπὸ ἀνέμου πληρουμένη, deren Gestalt die Flamme
in Smyrna annahm '(mart. Pol. 15; Peregr. 36). Die Rede
Peregrins -(c. 33) erinnert an Polykarps berühmten Ausspruch
vor dem Proconsul (mart., c. 9). Aber eben dies waren Dinge,
ohne deren Erwähnung man von Polykarps Tode nieht er-
zähler konnte, und "diese auch in heidnischen Kreisen um-
laufenden Erzählungen waren .es, welche Lucian zu seiner Com-
. position den Anstoss gaben. Eine literarische Abhängigkeit
von dem christlichen Bericht anzunehmen, ist daher ebenso
unnöthig als chronologisch unwahrscheinlich.
Anders stand es mit Ignatius. In christlichen Kreisen
brauchte er auch damals, nach mehr als 50 Jahren, noch nicht
vergessen zu sein, selbst wenn er nichts Schriftliches hinter-
lassen hätte. Aber ein heidnischer Literat konnte damals
nur auf literarischom Wege, ἃ. ἢ. aus seinen Briefen, Näheres
von ihm wissen. Will man die Spuren davon erkennen, so
darf man natürlich nicht ein Portrait des Ignatius suchen,
und wer die Unähnlichkeit an den Aehnlichkeiten gegen die
Behauptung einer Carrikirung des Ignatius geltend macht,
beweist damit nur, dass er die Anlage der Schrift nicht be-
griffen hat, welche eben das ausschliesst, was man fordert.
Gleich zu Anfang wird als Grund der Berühmtheit Peregrins
bei seinen Freunden seine Fesselung in Syrien genannt !). Es
liegt auf der Hand, dass die Freunde des historischen Pere-
grin, die cynischen Philosophen, vor dem heidnischen Publi-
cum mit dem christlichen Martyrium Peregrins von ehedem
nicht grossgethan haben können. Es ist eben der δεδεμένος
ἀπὸ Συρίας (Ign. Eph. 1), welchen erst Lucian mit Peregrin
combinirt. Nachdem Peregrin in Palästina Christ und sehr
bald hochangesehener Lehrer und Bischof bei den Christen
geworden ist (c. 11), wird er als Christ ins Gefängnis ge-
worfen (6. 12). Erst. nachträglich sehen wir, dass es in
Antiochien geschehen ist; denn der syrische Statthalter ist
1) ὁ. 4: Πρωτέα τὸν ἐν Συρίᾳ δεϑέντα. CA. c. 12. 13: ἐπὶ προ-
φάσει τῶν δεσμῶν.
- 528
sein Richter, der ihn &us philosophischer Laune und Ver-
achtung freispricht !. Wie sonderbar nun, dass nicht etwa
syrische oder palästinensische, sondern die kleinasiatischen Ge-
meinden ihm im seiner Gefangenschaft Gesandtschaften zu-
schicken, um ihn in jeder Hinsicht, auch mit Geldmitteln, zu
unterstützen ?)! Es sind dies die Gemeinden, welche Lucian
aus den Briefen des Ignatius kannte. Aus diesen gewann er
leicht die Vorstellung von der reichlichen Verpflegung und
der überschwänglichen Verehrung, welche dem gefesselten
Märtyrer von allen Seiten zu Theil wurde, und wahrscheinlich
aus dem Römerbrief (vgl. besonders c. 5 und oben S. 281),
was er von Befreiungsversuchen und von Bestechung der
Wärter ru sagen weiss (6. 12). Nach einem schimpflichen
Intermezzo in seiner Vaterstadt Parium findet Peregrin nur
auf kurze Zeit noch bei den betrogenen Christen seinen Vor-
theil, wird dann wegen eines Vergehens gegen deren Ge-
setze — der Erzähler vermuthet Speiseverbote — aus der
christlichen. Gemeinde ausgestossen und entwickelt sich in
Egypten zum Cyniker, als welcher er fortan die Welt. durch-
wandert. Sehr sonderbar wird c. 43 noch eine Seefahrt von
Troas aus berichtet, welche Lucian mit Peregrin zusammen
gemacht haben will, und zwar auf einer Reise von Syrien
aus. Sie ist im Leben Peregrins gar nicht unterzubringen.
Die dritte und letzte grosse Reise (c. 17) von der mysischen
Stadt Parium über Egypten nach Italien kann Peregrin nicht
mit dem von Syrien über Troas reisenden Lucian gemacht
haben. Noch weniger ist an die beiden vorher genannten
.1ὴ c. 14: Antiochien ist hiermit ebenso deutlich bezeichnet, als
c. 18 ἐπὶ Ἰταλίαν ἔπλευσε eine Reise nach Rom bedeutet.
2) c. 18: Καὶ μὴν καχ τῶν ἐν ᾿Ασίᾳ πόλεων doriv ὧν ἦχόν τινες
τῶν Χριστεανὼῶν στελλόνίων ἀπὸ τοῦ χοινοῦ βοηθήσοντες καὶ ξυναγο-
ρεύσοντες κοὶ παραμυϑησόμενοι τὸν ἄνδρα. ᾿μάῴχζανον δέ τι τὸ τιζχος
ἐπιδείκνυνται, ἐπειδάν τι τοιοῦτον γένηται δημόσιον" ἐν βραχεῖ γὰρ
ἀφειδοῦσι πάντων. Καὶ δὴ καὶ τῷ Περεγρίνῳ πολλὰ τότε ἧχε χρήματα
nap’ αὐτῶν ἐπὶ προφαύει τῶν δεσμῶν χκὶ πρόςοδον οὐ μιοερὼν ταύτην
ἐποιήσατο, λ
527
Reisen (6. 9. 11—14) zu denken. Die an sich gleichgültige
Localität stammt aus Ign. ad Pol. 8, und die üppige Pflege,
deren Peregrin auf der Fahrt sich zu erfreuen hat, soll an
die Zeit seines Christseins erinnern (cf. c. 12. 13. 16). Hat
man erst eingesehn, dass die scheinbar historische Eintheilung
in eine christliche und eine cynische Periode des Lebens
Peregrins vom Schriftsteller gar nicht als baare Münze aus-
gegeben wird, dass auch der cynische Selbstmörder noch der
christliche Märtyrer ist, so ist auch klar, dass nichts Anderes
als die ignatianischen Briefe mit den Worten gemeint sind:
Φασὶ δὲ πάσαις σχεδὸν ταῖς ἐνδόξοις πόλεσιν ἐπιστολὰς δια-
πέμψαι αὐτὸν, διαϑήχας τινὰς καὶ παραινέσεις καὶ νύμους" καί
τενας ἐπὶ τούτῳ πρεσβευτὰς τῶν ἑταίρων ἐχειρυτόνησε νεκραγγέ-
λους οἰαὶ νερτεροδρόμους προςαγορεύσας. Dass Peregrin diese
Briefe ebenso wie Ignatius die seinigen kurz vor seinem Tode
geschrieben haben soll, zeigt schon das dıasrxus und die
Verbindung des Folgenden durch ἐπὶ τούτῳ Mag Lucian die
Worte des Ignatius misverstanden oder absichtlich aus den
Gesandtschaften etwas Anderes gemacht haben, die Grundlage -
seiner Worte ist ad Pol. 7: χειροτονῆσαί τινα, ὃν ἀγαπητὸν
λέαν ἔχετε καὶ ἄοχνον, ὃς δυνήσεται ϑεοδρόμος καλεῖσϑαι !)
und ad Pol. 8: ἐπεὶ πάσαις ταῖς ἐκκλησίαις οὐκ ἠδυνήϑην
γράψαε. . . γράψεις ταῖς ἔμπροσϑεν ἐκκλησίαις . . . εἰς τὸ
καὶ αὐτοὺς τὸ αὐτὸ ποιῖσαι, οἱ μὲν δυνάμενοι πεζοὺς neuen,
οἱ δὲ ἐπιστολὰς διὰ τῶν ὑπό σου πεμπομένων. Wie sollte der
historische Peregrin, welcher dem Herakles gleich in den
Aether sich aufschwingen will (c. 33), diese Boten mit dem
unerhörten Namen „Höllenläufer “ bezeichnet haben. Es ist
also offenbar Lueians Witz, welcher die „Gottesiäufer“ des
Ignatius dazu gemacht hat.
Somit steht fest, dass Lucian : unter den christlichen
Schriften, die er sich zu verschaffen gewusst hat, die ignatia-
nischen Bfiefe hatte, darunter den an Polykarp vollständig,
1) Οὗ .Sm. 11: χειροτονῆσαι τὴν ἐχχλησίαν ὑμῶν ϑεοπρεσβύτην.
Phil. 10: χειροτονῆσαι διώχονον εἰς τὸ πρεσβεῦσαι ἐχεῖ ϑεοῦ πρεσ-
βεέαν. ' :
528
nicht das Excerpt des Scur., welches gerade die von Lucian
besonders beachteten Stellen "nicht enthält. Es ist sehr be
greiflich, dass Lucian gerade den Brief an Polykarp besonders
ins Auge fasste; denn Polykarps Märtyrertod hatte ihm zu-
nächst den Anstoss zur Combination des christlichen Märtyrer-
tbums mit dem widerlichen Schauspiel zu Olympia gegeben.
Aber auch in den übrigen Briefen hat Lucian geblättert; denn
nur aus den Briefen an die Epheser, Magnesier und Trallianer
konnte er den Inhalt von c. 3 schöpfen; aber auch den
Römerbrief scheint er gekannt zu haben, in welchem vor allen
er in einer ihm unverständlichen Sprache die Gesinnung aus
gesprochen fand, welche ihm als ein &ows, τῆς δόξης erschien ἢ.
Jedenfalls hat Lucian um 165 eine Sammlung vor sich ge-
habt, welche nicht mit Scur., sondern mit der durch Polykarp
veranstalteten und der von Euseb allein gekannten Samınlung
wesentlich identisch war. Dann versteht es sich vollends von
selbst, dass Irenäus eben diese gelesen hat, und dass schon
um die Mitte des 2. Jahrhunderts, noch zu Polykarps Leb-
zeiten, eben diese Briefe verbreitet waren und von den Chri-
sten als ein Werk des Ignatius verehrt wurden. Ist hiermit
die Annahme einer Entstehung derselben um 160—170 aus-
geschlosgen, so nicht minder die andere, dass sie durch Inter-
polation und Vermehrung aus den ursprünglichen 3 Briefen
um 140 erwachsen, aber erst von Theodoret an allgemein
bekannt geworden seien. Oder wird man neben dem einen
Euseb auch noch Athanasius und den Psendoignatius des
4. Jahrhunderts und die Verfasser der Urmartyrien, Irenäus
und Clemens von Alexandrien, Lucian und am Ende auch
Polykarp als Opfer desselben ironischen Schicksals aufzählen,
welches ihnen das Werk ‚eines Pseudoignatius statt der ächten
Briefe des Ignatius in die Hände spielte? |
1) c. 1 cf. 33. Auch c. 44 ist mit Rom. 5. 7 zu vergleichen.
529
- 3. Die innere Kritik.
Die Kritik, unter welcher bis heute die Briefe des Igna-
tius wie viele andere Documente des kirchlichen Alterthums
zu leiden haben, muss jedem Unbefangenen, der zur Kritik
auch des kritischen Verfahrens Neigung spürt, in einem
höchst ungünstigen Licht erscheinen, wenn er diejenigen Ar-
beiten, an deren Spitze das Werk des Dalläus steht, mit den
kritischen Bemühungen vergleicht, zu deren Gegenstand die
längere Recension vor Entdeckung der kürzeren und zum
Zweck der Einführung der letzteren gemacht wurde, mit dem
also, was die Magdeburger Centuriatoren, Abraham Scultetus,
lsaak Casaubonus angedeutet und Ussher durchgeführt hat.
Hätte Casaubonus seine Absicht, die ignatianischen Briefe zu
bearbeiten, ausgeführt '), so würde es an einem Muster der-
jenigen Kritik, welche das Aechte erst aus dem Haufen des
Unächten herauszusuchen hat, nicht fehlen; nach den Ent-
deckungen von Ussher und Voss fühlten sich die Entdecker
selbst zu sicher in ihrem Besitz, und den sofort laut ge-
wordenen kritischen Bedenken auch gegen den ächten Ignatius
zu sehr überlegen, um die Unwissenschaftlichkeit dieses Ver-
fahrens gründlich nachzuweisen 3). Vielleicht wäre des Dalläus
Werk dann ungeschrieben geblieben und statt der geharnisch-
ten Gegenschrift Pearsons ein- positives Werk von bleibendem
Werth entstanden, wozu die Dunkelheit und Wichtigkeit des
Gegenstands Anlass genug gab, und der gelehrte Scharfsinn
Pearsons die Mittel darbot. Jene ältere Kritik vor 1644—1647
fusste auf der Thatsache, dass die alte Kirche, bis Hieronymus
wenigstens, nur einen Theil der überlieferten Briefe und auch
diesen Theil in wesentlich anderer Gestalt gekannt habe. Der
auch gegen die wiederentdeckte ursprüngliche Gestalt der
1) Is. Casaub. exercitt. ad Baronii annales ed. Gen. 1663, p. 468 Βα.
610 5ᾳ. 669; cf. Uss. dissert., p. 136.
2) Voss sagte: certus sum paucos omnino fore, qui cum ipsis
faciant, qui vero id cum ratione faciat, neminem.
Zahn, Ignatius, 34
520
Igpatiusbriefe sich fortsetzenden Kritik fehlte dieser äussere
Halt. Der Versuch des Dalläus, Euseb zur Hebamme des
Ignatius zu erklären (p. 226), und in Bezug auf die voran-
gegangenen Jahrhunderte ein argumentum e silentio gegen die
ignatianischen Briefe zu führen, konnte seit Pearsons Wider-
legung nicht mehr erneuert werden, bis der syrische Ignatius
zu Aehnlichem wieder ermuthigte.e Um so mehr hätte die
Kritik darauf bedacht sein sollen, ihrem auf den Inhalt der
Briefe beschränkten Verfahren wissenschaftliche Haltung zu
geben. .
Zu dem Ende hätte man sich vor allem der Unart ent-
ledigen müssen, jedes Misbehagen, das irgend eine auffällige
Thatsache oder eine sonderbare Ausdruckweise erregte, in ein
kritisches Bedenken gegen die Aechtheit zu verwandeln. Man
hat z. B. an der auffälligen Bemerkung, dass Paulus der
Epheser in jedem Brief gedacht haben soll (Eph. 12;s. Anh. ΠῚ
Anstoss genommen, und noch Bunsen (II, 40) stellt sich an,
als ob die darin liegende Tebertreibung einem Literaten späterer
Zeit, welcher mit kühler Reflexion seine künstliche Arbeit
thut, eher zuzutrauen wäre, als dem Märtyrer, der in sicht-
lich erregter Stimmung des altbegründeten Adels der ephe-
sischen Gemeinde gedenkt. Schon Pearson (II, 118) hatte
mehr als genug darüber gesagt. Man hat sich von jeher
über die lateinischen Worte bei Ignatius gewundert, und be-
sonders den Brief an Polykarp, in welchem die meisten vor-
kommen, deshalb verdächtigt). Man legte sich die Frage
nicht einmal vor, ob es denn wahrscheinlicher sei, dass ein
Interpolator oder ein Verfertiger unächter Briefe dem Bischof
von Antiochien lateinische Worte in den Mund gelegt habe,
als dass der wirkliche Ignatius, der Wochen lang in der Be-
gleitung römischer Soldaten zu reisen hatte, zumal, wenn er
vom Kriegsdienst Bilder entlehnen wollte, ein paar lateinische
Worte brauchte. Was δεσέρτωρ, δεπόσιτα, üxxenta (ad Pol. 6)
und ἐξεμπλάριον (Sm. 12; Tr. 3; Eph. 2) bedeute, wussten
die Smyrnäer ebensogut, als was κουστωδία (Matth. 27, 66),
1) So schon Scultetus, p. 453 und nach ihm Vedeliug II, 13899.
691
κεντυρίων (Mare. 15, 39), πραιτώριον (Joh. 18, 38), κομφέκτῳρ
(mart. Pol. 16), στατέων (Herm. sim. V, 1), δουκενάριος, σή-
κρητον (Ems. ἢ. 6. VII, 80, 8. 9), μίλιον (Matth. 5, 41),
τίτλος (Joh. 19, 19), σουδάριον (Joh. 20, 7), χρδράντης (Matth,
5, 26), δηνάριος (Matth. 20, 2) und andere lateinische Wörter
bedeuteten, und man wusste das um 170 nicht besser, als um
110. Jene militärischen Ausdrücke sind gerade ein Beweis
dafür, dass wir hier ein aus der angeblichen Situation wirk-
lich entsprungenes Schriftstück vor uns haben ἢ. Dasselbe
gilt von der römischen Datirung des Römerbriefs (vgl. oben
S. 252), Jeder kritische Leser hätte sich vor allem fragen
müssen, warum dieser Brief überhaupt ein Datum trage, die
übrigen nicht, Bei einem Literaten von dogmatischen und
kirchenpolitischen Absichten ist das eine ganz unverständliche
Anomalie. Der wirkliche Ignatius folgte einem sehr natär-
lichen und verständigen Gefühl. Für die nahegelegenen
asiatischen Gemeinden, welche die an sie gerichteten Briefe
wenige Tage nach ihrer Aufzeichnung durch ihre Bischöfe
und durch Burrhus empfingen, war es kein Bedürfnis, auf
diesem Wege zu erfahren, an welchem Tage Ignatius die
Briefe geschrieben habe. Dahingegen war es für die römi-
schen Christen und die dort befindlichen Antiochener, die auf
seine Ankunft in Rom warteten, und denen der Brief des
Ignatius auf dem weiten und unsicheren Seeweg gebracht
wurde, von Interesse, zu wissen, wann er in Smyrna gewesen
sei. Dass Ignatius die im ganzen Reich bekannte römische
Datirung anwandte, da er nach Rom schrieb, muss Jeder
natürlich finden. Aus dem Munde der begleitenden Soldaten
wird Ignatius wahrscheinlich nicht selten eine drohende Hin-
weisung auf den Thierkampf und dabei auch das Wort λεό-
παρδος gehört haben 3), welches man bis in die neuere Zeit
1) Vgl. Voss, p. 269sq, epistola ad Rivet,, p. 2; Pears. II, 189;
Jakobson z. ἃ, 8t., auch Cureton introd., p. LIXXIL.
2).Das erscheint um ao natürlicher, da er es zur Besshreibung der
wilden Art seiner Begleiter gebraucht.
24%
582
als kritisches Mittel gebraucht hat. Samuel Bochart 1) hatte
behauptet, das Wort komme in der vorconstantinischen Zeit
weder bei römischen noch bei griechischen Schriftstellern vor
und seit Constantin nur bei römischen; daher könnten: die
ignatianischen Briefe nicht vor Constantin geschrieben sein.
Die kindische Art dieses kritischen Verfahrens hatte schon
Cotelier gerügt 3) und, ebenso wie gleichzeitig mit ihm und
unabhängig von ihm Pearson (Il, 91ff.), beide Behauptungen
urkundlich widerlegt, auf welche das Urtheil Bocharts sich
. gründete. Baur hat es gut gefunden, dies einfach zu leugnen
(1, 156). Aber es bleibt dabei, dass griechische Schriftsteller
das Wort gebraucht haben 5), und dass es lange vor Con-
stantin üblich war t). Aber gesetzt, es hätte Bochart Recht
-gehabt, so hätte dies Argument doch Baur unbrauchbar finden
müssen, nach dessen Meinung die ignatianischen Briefe bald
nach der Mitte des 2. Jahrhunderts geschrieben sind. Aber
willkommen war ihm und seinen Schülern das Wort als ein
1) 8. Bochart, Hierozoikon ed. III (Leusden. Lugd. Bat. 1692), tom. I,
p. 19186αᾳ.
2) Zu Rom.’ 5 fragt er: Quis docuit Bochartum, omnia vocabula eo
demum aevo nata esse, quo in libris posita cernuntur? _
3) Schon Cotelier und Pearson führten die Vita Antonii an. Athan.
opp. ed. Montfaucon I, 2, 803C liest man λεόντων, ἄρχτων, λεοπάρϑων,
ταύρων x. τ, Δ. Eine Handschrift und die älteren Ausgaben bieten
λεοπαρδάλων. Das ohne Frage ursprünglich lateinisch gebildete Wort
— es würde griechisch λεοντόπαρδος heissen — ist so wenig selten,
dass ein späterer Grammatiker es als Beispiel griechischer Wortbildung
anführen konnte (Bekker, anecdota, p. 1394). In noch späterer Zeit sagte
man λεόμπαρδος (Ducange, glossar. med. et infim. Graecit. 8. v.), Vgl.
Timoth. Gaz. ed. Haupt (Hermes III, 11) zeoi λεοπάρδου.
4) Mehr als 100 Jahre vor Constantins Regierung sind die Acta
Perpetuae et Felicitatis geschrieben, worin mehr als einmal leopardi er-
wähnt werden (c. 19. 21), und aus Spartians Anton. Geta, c. 5 erfährt
man, dass dieser Sohn des Septimius Severus, welcher als „tenax veterum
scriptorum “ gerühmt wird, sich ein Vergnügen daraus gemacht habe, von
den Grammatikern für die verschiedenen Thierlaute, unter deren Be
zeichnungen auch ‚‚leopardi rictant“ vorkam, Belege aus alten Schrift
stellern zu fordern. Darnach muss schon damals der Name leopardı
wenigstens für alt gegolten haben. -
533
ursprünglich lateinische. Wenigstens Schwegler (Nach-
apostolisches Zeitalter II, 179) und Hilgenfeld (S. 271) haben
aus den lateinischen Worten’ bei Ignatius einen Beweis für
den römischen Ursprung seiner Briefe machen wollen, welchen
Baur ohne Beweis behauptet hatte!), Zu dem Ende hat
man aus lateinischen Wörtern, die ein Grieche gebraucht,
„Latinismen “ gemacht und von „latinisirender Dietion‘“ ge-
redet. Wenn die dabei zu Tage tretende Verwechselung
nicht allzu offenbar wäre ®), möchte es sich lohnen, einmal
genauer nachzuforschen, wie weit sich in der Kaiserzeit Der-
artiges in griechische Literatur eingeschlichen hat. Nun aber
ist die Schreibweise des Ignatius viel eher semitisch als
lateinisch gefärbt. Es handelt sich nur um einige Substantiva
und überdies fast um lauter Kunstausdrücke 8), welche der
Verkehr im ganzen Reich verbreiten musste. Will man
darauf, dass — abgesehn von ad Pol. 6, wo die Häufung der
lateinischen Soldatenausdrücke durch den Anlass dicetirt war —
das Wort ἐξεμπλάριον dreimal vorkommt, die Behauptung
gründen, die ignatianischen Briefe seien in Rom geschrieben,
so wird man consequenter Weise auch die Evangelien des
Matthäus und Johannes und das Schreiben der in Sachen des
Paulus von Samosata in Antiochien versammelten Bischöfe ἢ)
nach Rom verweisen müssen und umgekehrt die Acten der
Perpetua und der Felicitas nach einer griechischen Stadt ὅ).
Die Annahme römischen Ursprungs der ignatianischen Briefe
rührt aber her von der ungeschichtlichen Vorstellung, dass die
Wiege des Papstthums von jeher in monarchischer Gestaltung
1) I, 184. So auch Volkmar, Handbuch zu den Apokryphen
I, 122. ΝΣ ᾿
2) Nur beispielsweise verweise ich auf meinen Hermias, S. 487,
Anm. 2.
3) Ein nach attischer Eleganz strebender Schriftsteller musste sie
vermeiden. Lucian. quomodo hist. conscrib., c. 15.
4) Vgl. die Zusammenstellung ὃ. 530f.
5) Hierin kommen vor zöxvov c. 4, ὅραμα c. 7, ἁφή c. 10, ἅγιος
c. 12,
634
der Kirchenverfassung den übrigen Kirchen vorangegangen
sein müsse. Die geschichtlichen Zeugnisse beweisen gerade
das. Gogentheil (s. oben $. 299). Dies führt uns auf das
Hauptargument gegen die Aschtheit unserer Briefe und das
Hauptmotiv ihrer Bestreitung seit dem 17. Jahrhundert,
nämlich auf das in denselben enthaltene Zeugnis für die früh-
zeitife Hntwicklung des monarchischen Episkopats in den
asiatischen Gemeinden. Aber ein Beweis gegen die Aechtheit
unserer Briefe wäre es doch nur, wenn man wissensehaftliche
Gründe hätte, eben diesen Thatbestäand zu beanstanden. Baur
gidubte kritisch zu verfahren, wenn er argumentirte, da die
Briefe, wenn ächt, dann auch dem Clemensbrief ziemlich gleich-
zeitig seieh, 80 sei aus der Verschiedenheit des Bildes der
kirchlichen Verfassung hier und dort „der sichere Schluss zu
riehen, dass die sogenannten Briefe des Ignatias späteren Ur-
sprungts seien“ ἢ). Das versichert derselbe Baur, welcher sich
durch den angeblichen Fortschritt von der Idee der Bischöfe
als Nachfolger der Apostel, welche sich bei Irenäus findet, zu
der ignatianischen Idee des Bischofs als Repräsentanten Gottes
(1, 88f.) doch nicht etwa veranlasst sah, die ignatianischen
Briefe lange nach Irenäus geschrieben sein ru lassen. Zeit-
geschichtlich charakteristisch fand es derselbe Gelehrte (I, 76),
ses οὐ bei Iguatius schon heisse τῇ ἐκκλησίᾳ τῇ 'ovon ἐν
’Eipeotw, ἐν Mayvnoig x. τ. %., wälirend Clemens von Rom
noch schreibe τῇ παροικούσῃ Κύρινϑον. Nun findet sich
freilich lötateres auch noch im Schreiben der Smyrnäer nach
Polykarps Tode und ersteres schon bei Paulus (1 Kor. 1, 2),
was alles Baur selbst bemerkt; und dennoch ist es für Igna-
tius charakteristisch, dass er es schon wagt, zu sagen, dass
die christlichen Gemeinden je an ihrem Ort sich befinden,
was dann nach einer unverständlichen Rhetorik auf einen be-
trächtäicheren Umfang derselben hinweisen soll, als wenn
Clemens und die mit dem angeblichen Pseudoignatius gleich-
zeitigen Sıhyrnäer von einer Geineinde sagen, sie wohne da
oder dort in der ihr fremden Welt. Aber Paulus, heisst 68.
1) Baur I, 63£. vgl. 66; Merx, p. 9.
535
sieht in der einzelnen Ortsgemeinde die Gemeinde Gottes im
Ganzen, als ob dieser Gedanke nicht gerade von Ignatius mit
besonderem Nachdruck geltend gemacht würde, und als ob er
in jener Uebersehrift des Paulus und des Ignatius zu Tage
träte! Was will man vom Standpunet einer derartigen Kritik
gegen eine Argumentation einwenden, wie diese: „Da der in
Bezug auf die Abfassungszeit zweifelhafte Brief des Clemens
schon einen Ausdruck gebraucht, welchen ausserdem zuerst
der gegen 170 geschriebene Bericht der Smyrnäer gebraucht,
und da Ignatius noch ganz iu der alterthämlichen Weise des
Paulus adressirt, so ist der Clemensbrief in der zweitsn Halfte
des zweiten und die Briefe des Ignatius noch im ersten Jahr-
hundert geschrieben.“ Aber auch abgesehn von soldhei Ver-
irrangen einzelner Kritiker, bedütfte die allen auf die Kir-
chenverfassungsverhältnisse bezüglichen kritischen Bedenken zu
Grunde liegende Hypothese einer in alle Theilen der Kirdhe
gleichmässigen und gleichzeitiger Entwicklung der äusseren
Organisation doch erst des Beweises. Die Briefe selbst, die
man um dieser unerwiesenen Arnahme willen beanstandet,
widerlegen sie. Sie bezeigen uns, werih man ahders mit
Recht, wie es die Tübinger Schule thut, den Polykarpbrief
mit den ignatianischen zusarimenfasst, dass um 110 so wenig
als zur Zeit des Clemensbriefes in den europäischen Gemein-
den der monarchische Episkopat vorhanden war, während er
in den asiatischen längst bestand (s. oben 9. 3971). Un»
begreiflich müsste das freilich bleiben, wenn es dem Verfasser
derselben um Durchführung der einen Idee des Episkopats
als nothwendiger Form des kirchliehen Lebens wäre zu thtın
gewesen. Ein Verfechter dieser Idee ist überhaupt um 170
gar hicht mehr denkbar, weil es damals keine Gemeinden
ohne wmonarchischen Episkopat mehr gab, dehen er erst hätte
empfohlen werden niüssen. Damals wäre eine solche Em-
pfehlung auch nicht mehr denkbar olıne einen geschichtlichen
Beweis, ohne den Versuch, das, was man wünselit, auf aposte-
lische Stiftung zurückzufülren. Dies Postalat würde für
einen Schriftsteller vom Jahre 170 auch dann gelten, wenn
es ihm nur darım zu thun gewesen wäre, das Amsehn dep
536
überall bestehenden Episkopats zu heben oder den Umfang
seiner Befugnisse zu erweitern. Der eine Umstand, auf wel-.
chen schon Pearson in wirksamster Weise aufmerksam machte,
dass Ignatius nichts von dem, was ihm heilsam und wünschens-
werth scheint, auf apostolische Stiftung zurückzuführen ver-
sucht, ist ein Beweis für die Aechtheit seiner Briefe.
Wie wenig gerechtfertigt die seit den Magdeburger Cen-
turiatoren gegen die äusseren Thatsachen, welche die Briefe
zur Voraussetzung haben, vorgebrachten Bedenken seien, hat
die Darlegung dieser Thatsachen selbst bewiesen. Aber es
bleibt für die Kritik, mit der man es bei Ignatius zu thun
hat, charakteristisch, dass sie es nicht für nöthig hielt, mit
exegetischer Sorgfalt aus den Briefen die fraglichen Thatsachen
reinlich darzustellen. Zur Kritik gehört Gerechtigkeit sogut
wie zu der Thätigkeit, von der sie den Namen hat. Was
soll man aber von Urtheilen über die Zulässigkeit von That-
sachen halten, welche gefällt wurden, ehe die quaestio facti,
ich sage nicht erledigt, sondern nur ernstlich in Angriff ge-
nommen war. Baur bezeichnet den Tiefpunct in dem fort-
schreitenden Verfall historischer Kritik. Er erklärte es für
eine nothwendige Vorfrage der Kritik, wie es sich mit dem
Factum verhalte, welches diese Briefe zur Voraussetzung haben
(I, 149; vgl. II, 53. 57), hielt es aber dabei für kritisch, den
geschichtlichen Gehalt der Briefe mit der Fabel des m. colb.
zusammenzuwerfen und 2. B. als eine erste unwahrscheinliche
Seite an dem zu kritisirenden Factum das hinzustellen,
dass Ignatius auf einen ausdrücklich vom Kaiser Trajan
selbst gegebenen Befehl nach Rom transportirt worden sei
(I, 149f.; vgl. II, 58), und dies nicht etwa versehentlich,
sondern mit der ausdrücklichen Versicherung, dass das Marty-
rium ganz in Uebereinstimmung mit den Briefen das Factische
der Sache nur .näher angebe (I, 152). Und damit noch nicht
zufrieden, wird schliesslich die Gestalt der Sage beim Meta-
phrasten zu Grunde gelegt (I, 153f.). Es ist in dieser Hin-
sicht seit Uhlhorns Abhandlung besser geworden. Aber um
auf den Namen eines wissenschaftlichen Verfahrens Anspruch
machen zu können, müsste die literarhistorische Kritik nach
637
Regeln verfahren, welche von den zahlreichen Beispielen un-
zweifelhaft pseudepigrapher Literatur - alter Zeit abstrahirt
sind. Wir haben, um bei Briefen dieser "Gattung stehen
zu bleiben, die Correspondenz Abgars und Jesu, die der
pseudoclementinischen Literatur angehörigen Briefe des Petrus
und Clemens an Jakobus, die Anaphora des Pilatus mit den
verwandten Schriftstücken, die nacheusebianischen Ignatius-
briefe und Anderes mehr
Ein erster Charakterzug dieser Sorte von Literatur ist
die Unempfindlichkeit ihrer Verfasser gegen Anachronismen,
besonders in Bezug anf kirchliche Zustände. Um vom Pseudo-
ignatius des 4. Jahrhunderts zu schweigen, der den angeb-
lichen Pseudoignatius des 2. Jahrhunderts jedenfalls an Ge-
lehrsamkeit und literarischer Bildung 1) überragt und dennoch
die kirchlichen Aemter allerneuesten Datums in die nach-
apostolische Zeit versetzt, so nehme man den der vermeint-
lichen Entstehungszeit. der ignatianischen Briefe sehr nahe-
stehenden und talentvollen Verfasser der Clementinen. Die
haarsträubende Chronologie desselben ist bekannt. Aber auch
kirchliche Einrichtungen wie die ausgebildete Episkopalver-
fassung, Wittwenhäuser, Katecheten verlegt er in die aller-
ersten Jahre apostolischer Mission. Wie zäh das Gedächtnis
der Alten im Bezug auf Facta ist, so nachgiebig in Bezug
auf Zustände. Das zeigt uns auch die unbewusste Trübung
des geschichtlichen Rückblicks bei den altkatholischen Kirchen-
lehrern. Was seit einem Menschenalter ist, war von jeher
so, und die wirklich vorhandene Continuität der Entwicklung
wird zur Identität der Zustände. Vergleicht man die Briefe
des Ignatius in dieser Hinsicht mit jenen künstlichen Pro-
ducten, so sieht man leicht, dass sie nicht zu ihnen gehören.
Ueber das Abendmahl und überhaupt über den Gottesdienst
redet Ignatius in Ausdrücken, welche schon um 150 nicht
mehr zutrafen und bald für die Mehrheit der christlichen
1) Man beachte z. B. den Schluss des Briets der Maria von Kasta-
bala und den Anfang des Briefs an sie. In Bezug auf Büchergelehr-
samkeit vgl. oben S. 121 ff.
᾿ὅ88
Leser geradezu unverständlich waren (vgl. oben Κα. 351 ff.).
Ignatius und Polykarp lassen die Verschiedenheit der Kirchen-
verfassungsverhältnisse in den asistischen und den europäi-
schen Gemeinden, welche um die Mitte des 2. Jahrhunderts
ausgeglichen war, deutlich erkennen (vgl. oben 8. 296). Wie
erklärt sich das bei einem Pseudoignatius von 170?
Ein zweites Merkmal ist die sclavische Anlehnung der
Fiction an die Celebritäten der apostolischen Zeit und die
Worte der neutestamentlichen Schriften. Die Briefe Abgars
und Jesu würde jeder Schüler, der in den Evangelien gelesen
hat, ähnlich schreiben. Pseudoignatius erinnert seine An-
tiochener an Paulus und Petrus in Antiochien und deren
Nachfolger im Amt Euodius (Antioch. 7); er kann an Tarsus
nicht denken, ohne zugleich an Paulus erinnert zu werden
und in dessen Worten den Umfang seiner von Tarsus aus-
gegangenen Wirksamkeit zu beschreiben (Tars. 2), und was
er an Persönlichkeiten nicht dem alten Ignatius entlehnt, ist
fast ausnahmslos dem Neuen Testament entnommen: Jakobus
und Clemens und Linus und Timotheus und die Maria
aus Röm. 16, 6. Pseudoclemens hat wohl keinen einzigen
Namen völlig erdichtet und eine beträchtliche Menge dem
Neuen Testament entlehnt: Petrus, Jakobus, Zakchäus, Bar-
nabas, Simon Magus, Hauptmann Comelius u. 8. w. Bei
Ignatius nichts der Art. Von den Aposteln nennt er
Paulus und Petrus zweimal, aber sonst keine berühmte Per-
sönlichkeit des apostolischen Zeitalters und aus dem nach-
apostolischen nar Polykarp. Es mag sein, dass jene Alke in
Smyrma (8. oben ὃ. 278) und der Antiochener Agathopus
(8. 268.. 387) um 170 noch nicht vergessen waren. Aber alle
jene anderen zum Theil seltenen Namen !): Damas, Polybius,
Onesimus, Philon, Burrhus, Crocus, Euplus, Fronto, Dapknus,
Euteknus, Gavia, Epitropus, Attalıs haben keine Spur sonstiger
Berühmtheit hinterlassen. Für einen Sehriftsteller, sei es in
Rom, sei es in Kleinasien, welcher um 170 seinen Helden
1) Vgl. Voss, p. 262 sq.; auch Merx, p. 71, der nur nicht die notk
wendige Consequenz seiner richtigen Beobachtung zieht.
539
den ‚kleinasiatischen Boden berühren und mit Polykarp zu-
sammentreffen liess, war es nahezu unmöglich, nicht von der
Apostelschülerschaft Polykarps zu reden und, wenn er den
Ignatius an mehr als eine der sieben apokalyptischen Gemeinden
schreiben liess, diese und andere Beziehungen zum apostolischen
Zeitalter 1) nicht zu benutzen. In einem künstlichen Product
jener Zeit musste der Bischof Onesimus von Ephesus der im
Philemonbrief Erwähnte werden, und statt der unberäühmten
Namen wären bekannte gewählt worden. Auch Ignatius wäre
kaum ausser aller persönlichen Beziehung zu den Aposteln
geblieben.
Drittens ist alle pseudonyme Briefstellerei und geschicht-
liche Fiction des kirchlichen Alterthums deutlich zu erkennen
an dem Verhältnis der vorausgesetzten Thatsachen zur Form
ihres Ausdrucks. Platt und handgreiflich werden die Anlässe
aller Aeusserungen und Handlungen dargeboten, doppelt und
dreifach erfährt man Alles, was man wissen muss, um die
Worte zu verstehen. Wo einmal, wie im clementinischen
Roman öfter, Dunkelheiten sich einstellen, rührt das her von
ungeschickter Verarbeitung verschiedener Quellen, und auch
dann wird so nachgeholfen, dass man versteht, was mah ver-
stehen soll. Wer auch nur diese einzige Regel an die igna-
tianischen Briefe anlegt, muss sich von ihrer Aechtheit über-
zeugen. Die Schwierigkeit, aus dem Wortlaut die damit ge-
meinten umd dabei vorausgesetzten Thatsachen, den Reiseweg,
die HBeiseerlebnise, die mannigfaltigen persönlichen Berüh-
rungen,. die verschiedenen Anlässe der Briefe zu erkennen, ist
allein sehon &usreichender Beweis dafür, dass hier Urkunden
eines wirklichen Hergangs vorliegen 3. Der Verfasser wirk-
licher Briefe denkt nicht an Leser, die Alles erst von ihm
erfahren müssen, weil sie ihm zeitlich und örtlich fernstehen ;
wenn ımır die, an welche er schreibt, die mit seiner Lage
bekannt und noch anders als brieflich von ihm unterrichtet
sind, ihn verstehen. Der Anfertiger von. Briefen, die vor
1) C£. Eus. h. 6. IH, 81. 39; V, 24.
2) Vgl. meinen Hermas, 8. 761, vgl. 73f.
540
einem halben Jahrhundert geschrieben sein sollen, will von
seinen Zeitgenossen, denen die fingirten Voraussetzungen der
Briefe fremd sind, verstanden werden. Fast das Meiste von
dem, was man in dieser Hinsicht wunderlich, unverständlich
und darum für die Annahme der Aechtheit bedenklich ge-
funden hat, enthält für eine kritische Betrachtung ebensoviele
Merkmale der Aechtheit, als Anstösse für die sogenannte Kritik.
Die pseudonyme Schriftstellerei des kirchlichen Alter-
thums hat es endlich nie zu individueller Charakteristik
auch nur der Situation gebracht. Ich erlaube mir auf die
oben geschilderten Erlebnisse in Philadelphia und auf die
Charakteristik der Irrlehrer zu verweisen (5. 258 ff. 266ff. u.
356 ff.), auf letztere besonders deshalb, weil Bunsen (II, 70)
den Muth gehabt hat, zu sagen, alles die Irrlehre Betreffende
sei so allgemein gehalten, dass der .beste Beweis der Un-
ächtheit dieser Briefe eben in dieser Unbestimmtheit liege.
Man führe doch einen Beweis der Analogie für die Mög-
lichkeit der Erfindung von Scenen, wie die in Phil. 7 und
die in Phil. 8 angedeuteten sind, und man zeige bei
einem einzigen Schriftsteller der Gattung, zu welcher man
den Ignatius rechnen will, eine fingirte Persönlichkeit,
die mit derjenigen, die in jedem Worte dieser Briefe ihre
Eigenthümlichkeit erkennen lässt, sich an Eigenthümlichkeit
auch nur entfernt vergleichen liesse! Wenn es einigermassen
gelungen ist, diese Persönlichkeit zu schildern, so wird man
zugestehen müssen, dass sie unerfindlich ist selbst für den
Dichter, geschweige denn für den kirchenpolitischen Literaten
von 170. Ein solcher hätte nur ein Heiligenbild zeichnen
können, welches sich dann der Kritik vielleicht eher als das
treue Bild eines „Solchen, der das Angesicht der Apostel ge-
schaut‘ (Buns. II, 209) oder eines „apostolischen Mannes‘
und „Apostelschülers‘‘ (Baur I, 156. 166) documentirt hätte,
als dies Bild des wirklichen Ignatius, der keinen Anspruch
darauf erhebt, einen Apostel gesehen zu haben, oder gar einem
Apostel ähnlich zu sein. Gelernt hat er freilich von ihnen,
vor allem das, was er ihnen nachrühmt, den Tod verachten
und den Tod überwinden (Sm. 3); aber „die höchst anziehende
641
Originalität“ (Baur I, 176), in welcher diese Gesinnung uns
hier entgegentritt, das ergreifende Pathos der Rede, die Kühn-
heit des phantasiereichen Denkens konnte er von niemand
lernen; dies wird angeboren und durch Charakterbildung ge-
wonnen; dies konnte auch der feingebildete Literat späterer
Zeit dem Todten schon deshalb nicht geben, weil er es selbst
nicht besitzen und zugleich sein künstliches Werk vollbringen
konnte. Es wird daher wohl für immer bei dem Urtheil
Rothe’s verbleiben (S. 715), dass demjenigen, der den ignatiani-
schen Briefen, sofern er vorurtheilsfrei an sie herantrete, die
für ihre Aechtheit bürgende Eigenthümlichkeit nicht abfühle,
die Fähigkeit einer sicheren Auffassung schriftstellerischer
Individualitäten nicht zuzutrauen sei. Es hat bei denen,
welche sich in die ignatianischen Briefe nicht zu finden
wussten, nicht immer an dieser Fähigkeit, aber um so mehr
an der Neigung gefehlt, alte oder neue Vorurtheile den
unanfechtbaren Zeugnissen der Geschichte zu opfern.
a 5...“ .
-----....--ὦὄ-ὦ-ὦ-Ἕ-Ὀ. 11
Anhänge.
Ι. Textkritisches.
1. Zu S, 83. Um Anderen eine lästige Mühe zu ersparen
und Irrungen zu verhüten, wie sie Dressels unklare Mittheilungen
und vollends die Angaben eines Vertreters der „rein diplomatischen
Kritik “ zur Folge haben könnten, so sei über die Handschriften
der Sammlung B Folgendes bemerkt. Ausser den codd. Augu-
stanus (a) und Nydpruccianus (n), welche der dillinger und der
züricher Ausgabe zu Grunde lagen, sind folgende griechische
Handschriften näher bekannt geworden: 1) cod. Florentinus (f),
zuerst von Ussher nach Mittheilungen eines Anderen sporadisch
verglichen, wie die Anmerkungen in der appendix darthun. Die
Vergleichung der bei Ussher verzeichneten Varianten mit dem,
was Dressel ohne Rücksicht auf die älteren Herausgeber mittheilt,
beweist, dass Usshers Florentinus identisch ist mit Dressels F
d. i. cod. Med. plut. VII n. 21, welcher nach Bandini, catol. codd.
Gr., Flor. 1764, p. 269 sq. mit dem vorne unvollständigen Brief
an die Trallianer beginnt und hinter der im übrigen vollständigen
Reihe dieser Sammlung noch ein Stück von Polykarps Brief an
die Philipper, nach Dressel, proll. LXII aber auch den halben Bar-
nabasbrief in der oben S. 91f. besprochenen Verbindung mit jenem
enthält. Dem saec. XV wird er von Bandini p. 270 zugewiesen.
Wie es bei der Zusammenhangslosigkeit der textkritischen Arbei--
ten nicht zu verwundern ist, bleiben zahlreiche Angaben Usshers
ohne Bestätigung, aber auch ohne Widerlegung durch Dressel
und seine Freunde (Proll. LXID). Man weiss nur durch Ussher,
dass f ebenso wie G! ad Pol. 2 αἴτει hat; dass auch in f wie
643
in bov die Worte ἡ εὐχὴ πρός im selben Kapitel fehlen, und
dass er mit ov ad Pol. 4 πλείονα schreibt. Selbst bei so inter-
essanten Puncten wie dem Schluss desselben Briefs bleibt man
ohne Belehrung durch Dressel (Uss. Cler. II, 94. not. 5). Wo
Ussher und Dressel beide über f berichten, stimmen die Angaben
überein. Nach beiden hat f ad Pol. inser. κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ,
ad Pol. 5 mit G' und δον kein μή, Tars. 6 mit αἱ sowie nbov
den Artikel δ vor δι᾿ οὗ, Ant. 6 allein von allen Handschriften
ὡς τοῦ Χριστοῦ νεολέᾳ, Herm. 4 mit ov γεγέννηκαν. Es irrt
also Lips. I, 4Bf., wenn er Dressels cod. F nach Usshers cod.
Florentinus besonders aufführt. Es ist ein und derselbe. Für
den Brief Polykarps an die Philipper hat ihn Jakobson (Patr.
app. proll. V) verglichen. — 2) cod. Thuaneus (t), so von Cotelier
z. B. zu Mgn. 8 (ed. alt. Cleric. II, 56. not. 6) nach geinem
ehemaligen Besitzer de Thou genannt und von Whiston in seiner
Ausgabe von 10 Briefen als T am Rand aufgeführt; vgl. dessen
Advertissement to the reader, p. 2 vor Primitive Christianity
reviv’d, vol. I. Eben diese Handschrift hat aber Cotelier gewöhn-
lich ohne nähere Bezeichnung als „ms.“ am Rand aufgeführt, und
mit Recht hat Whiston, welcher den cod. Thuaneus nie gesehen _
hat, die von Cotelier mit ms. notirten Varianten als Lesarten
seines T angegeben. Es ist blosse Unachtsamkeit, wenn neuere
Ausgaben und 80 denn auch Lips. II, 48 den cod. Thuanus (soll
heissen Thuaneus) von dem ungenannten Manuscript unterscheiden.
Whiston hat keine einzige Lesart aus t mitgetheilt, welche er
nicht von Cotelier als Lesart seines Manuscripts angegeben fand.
Die Varianten des Magnesierbriefs werden als Beweis genügen.
c. 3 Cler. 54, Whist. 162 ᾿Ηλί; Cler. 54, W. 164 μοχϑηρὸν
x πεπαλαεωμέμον; Cl. 54, W. 166 ἡμᾶς; c. 7.01. 56, W. 174
mg; 6. 8 Cl. 56, W. 176 ἐν πᾶσιν εὐάρεστος τῷ ὑποστήσαντι;
c.9 6. 56, W. 178 ἐν; Cl. 57, W. 180 περί; c. 10 Cl. 58,
W. 182 ᾧ; c. 11 C1. 58, W. 186 πεπληροφορεῖσϑαι und gleich
nachher ὑμῶν; c. 18 Cl. 59, W. 190 ngsoßvregiov. Es ist
also cod. Thuaneus jener cod, ms. Coteleri. — 3) cod. Leicest-
rensis (]l) ist die von Pearson im Vorwort zu den Vindic.,
p. 27 sq. charakterisirte und gelegentlich angeführte Handschrift.
Er nennt sie auch wohl z. B. III, 33. 44 cod. Anglicanus.
Selten eitirt sie Smith, z. B. Sehol., p. 70. Näch Whiston (Ad-
vertiss., p. 2; Dissertat. upon the epistles of Jgnatius, p. 2) befand
sie sich später in der bodlejanischen Bibliothek, daher er sie als
Ὁ eitirt. Ob daher die mir unverständliche Angabe Bunsens (I,
p. XIX) entstanden ist, weiss ich nicht. Offenbar aber ist der
Irrthum von Lipsius, welcher auch hier wieder aus Einer Hand-
schrift zwei macht, indem er die von Pearson benutzte Handschrift
544
mit 7 Briefen in eigenthümlicher Ordnung als anonyme Hand-
schrift"neben den namentlich aufgeführten, worunter der Leicest-
rensis steht, aufführt. Es ist jene Handschrift der Leic.; sie
gehört daher genau genommen nicht hieher, da sie nur einen
Auszug aus der Sammlung enthält, von deren Handschriften hier
die Rede ist (vgl. oben 8.°90). — Es kommen nun noch die
von Dressel benutzten Handschriften in Betracht mit Ausnahme
des schon als f unter Nr. 1 besprochenen, also 4) cod. Vati-
canus 859 saec. XI nach Dressel, proll. LV; saec. XIII nach Mai
.bei Jakobson im Monitum, p. V. Er beginnt die Reihe der Briefe
mit dem vorne unvollständigen Brief ad Trall. und lässt auf die
Ignatiusbriefe die schon erwähnte Verschlingung von Polykarp
und Barnabas folgen (v). Von Jakobson wurde er für den Poly-
karpbrief benutzt. 5) cod. Ottobonianus 348 (o) nach
Dressel, proll. LVI in. saec. XIV mit genau .dem gleichen hieher
gehörigen Inhalt wie v. 6) cod. Regius 30 (r), nach Dressel,
proll. LVII in. saec. XI, enthält nur ein Fragment des Epheser-
briefe.. 7) eod. Barberinus 68 (Ὁ), eine von Leo Albatius
angefertigte Abschrift eines jetzt verlorenen -cod. vaticanus, ent-
“hält die 12 Briefe dieser Sammlung. Obwohl Dressel in den
Proll. LX verheisst, diese Handschrift C nennen zu wollen, nennt
er sie beharrlich B, denn die von p. 223 an stets so bezeichnete
Handschrift kann ja nicht die in den Proll., p. LX als B be-
zeichnete gleichfalls barberinische Handschrift sein, welche von
Ignatius gar nichts enthält. Dahingegen wird als C in der Aus-
gabe selbst wie in den Proll., p. LXII der cod. Casanatensis der
kürzeren Recension angeführt. Unzweifelhaft wird das sofort im
Brief der Maria von Kastabala, p. 218 sqgq., welcher in dem cod.
Barberinus 68 gar nicht existirt, wohl aber im Casanat. — Da
ich einmal die heillose Verwirrung in Dressels Collationen be-
rühren musste, sei auch das noch bemerkt, dass das in der Aus-
gabe der interpolirten Briefe häufig vorkommende „Med.“ nicht
etwa den cod. Medic. plut. VII, no. 21 (bei Dressel F, bei mir
f) bedeutet und auch nicht den berühmten cod. Medic. plut.
LVD, no. 7, sondern die Collation des Letzteren, welche Leo
Allatins an den Rand seiner Abschrift der längeren Becension
geschrieben hat (Proll. LX). Klarheit in dieser Verwirrung geben
p. 223, not. 3. p. 236, not. 6. p. 242, not. 10. p. 248, not. 6; aber
unklar bleibt, was diese sporadische Vergleichung der anderen
Sammlung, und zwar nicht ihrer dem Herausgeber zugänglichen
Originalhandschrift, des berühmten cod. Med., sondern einer, wie
man theilweise erkennen kann, nicht gerade sorgfältigen Collation
bedeuten 501. Dazu kommt nun in diesem Theil der Ausgabe
noch ein D, ἃ. i. aber naeh Proll., p. LX wieder mur eine Ab-
545
schrift der Ignatiusbriefe aus dem berühmten Medic., welcher
für die nacheusebianischen Briefe einer neuen Vergleichung nicht
werthgehalten wurde. Aber warum beruhigt man sich dann nicht
bei dem Zeugnis des Is. Voss oder confrontirt ilın wenigstens
mit dem Schreiber des D, Lucas Holsten, wo dieser ihm wider-
spricht. Es scheint, dass man theologischen Lesern glaubt Alles
bieten zu dürfen. — An lateinischen Handschriften dieser
Sammlung benutzte Ussher (1644) zwei in England vorhandene,
Magdalenensis und Baliolensis, und eine, deren Collation
ihm von Paris aus geschickt wurde, Petavianus. Dressel ver-
glich einen cod. Regius 81 „indole atque aetate nobilis, cum
accedat ad saeculum IX“ und einen cod. Palatinus 150
„saeculi XIV“ (Proll. 011. Sie werden im Folgenden mit
den Buchstaben m, Ὁ, p, rg, pl bezeichnet werden. Dressel hat
auch in Bezug auf diesen lateinischen Text (L?) ohne Kenntnis
der älteren Arbeiten geschrieben und durchweg als vulg. geboten,
was vielmehr das Ergebnis sehr ernsthafter und fruchtbarer kri-
tischer Arbeit war.
2. Zu S. 93. Die beiden einzigen Handschriften des L!,
welche bis jetzt bekannt wurden, sind die beiden von Ussher ge-
fundenen, cod. Montacutii (bei mir m) und cod. Cajensis. Der
letztere befand sich damals wie noch heute in der Bibliothek des
collegium Gunwelli (s. Gonvilli) et Caji zu Cambridge (bei mir c)
und ist nach Ussher noch von Pearson und Th. Smith stellen-
weise, von Jakobson durchgängig verglichen worden (Smith, praef.,
fol. b; Jacobson. proll. V, XXXII), so dass über seinen Inhalt
ziemliche Sicherheit vorhanden ist. Um so mehr ist zu bedauern,
d#Ss der andere, welcher der Privatbibliothek des Bischofs von
Norwich, Richard Montagu gehörte, seit Ussher, wie es scheint,
niemand mehr zu Gesicht gekommen ist. Schon Smith musste
klagen: „ubi jam reperiendus sit, ne investigando quidem expi-
scari possum“ (Praef., fol. b!), und Jakobson kann das nur ab-
drucken lassen (Proll., p. 34; vgl. Bunsen I, Vorrede, 5. 24).
Was Pearson besonders in den Adnotationes postumae aus m,
mittheilt, beruht entweder auf Usshers ausdrücklichen Angaben,
oder ist aus Vergleichung von c mit dem ussherschen Text von
1644 und den gelegentlichen unbestimmten Angaben über Diffe-
renzen der beiden Handschriften erschlossen, 8. z. B. über oratione
oder resurrectione ad Pol. 7; Pears. IH, 32 cf. Uss. Cler. 93,
. not. 24, über qui oder guoniam im selben Kapitel Pears. III, 33;
cf. Uss., p. 141. Gelegentlich hat er auf diesem Weg auch
Fehler gemacht (Poars. IH, 43; cf. Uss., p. 204, cf. Adnot., p. 16,
not. 42). Des Fehlers aber hat sich Pearson nicht schuldig ge-
Zahn, Ignatius. 35
546
macht, welcher die Collationen des cod. c von Smith und Jakobson
zum grossen Theil ihres Werthes beraubt, dass er irgend einen
secundären Abdruck anstatt der edit. princ. vom Jahre 1644
seinen Vergleichungen zu Grunde gelegt hätte. Dadurch ist eine
gründliche Einsicht in das Verhältnis der beiden Handschriften
und das Verhältnis des ussherschen Textes zu ihnen sehr er-
schwert. Hätten Smith und Jakobson den Text Usshers ihren
Collationen zu Grunde gelegt, so würden sie doch wenigstens dessen
kritische Bemerkungen am Rand und in den Noten von 1644 und
1647, auch im Druckfehlerverzeichnis von 1644 verificart oder
aber widerlegt haben. Man kann z. B. nur aus dem Schwei-
gen von Smith und Jakobson zu Eph. 8 schliessen, dass die
Handschrift, in welcher nach Uss., p. 198 die Worte „haec
spiritualia — operata sunt“ fehlen, wahrscheinlich m ist. Still-
schweigend gibt Smitlı Eph. 21 „quem misistis“ statt „quos misistis“,
wie Uss., p. 201 mit einem „al. quem“ am Rande und mit der
nachträglichen Bemerkung, das dieser alter cod. der cod. Montac.
sei (Adnot., p. 13, n. 96), angegeben hatte. Jakobson behauptet
in geradem Widerspruch gegen Ussher, guem stehe in 6. —- Wenn
Usshers Angaben so unzuverlässig sind, dass man sie glaubt
ohne ausdrückliche Verneinung ignoriren zu dürfen, so bedurften
sie da, wo sie richtig sind, auch der Bestätigung. Man wird
durch Jakobson nicht darüber belehrt, ob Ussher (Aduot., p. 39, n. 5)
mit Recht die Lesart „saneti spiritus ipsius“ auf ὁ zurückgeführt
hatte, und ob die andre „sancto ipsius spiritu“ in m steht; denn
Jakobson, welcher doch sonst die Eigenthümlichkeiten von c am
Rande notirt, gibt Letzteres ebenso wie Ussher und seine Nach-
folger mit einem al. am Rand. Zu Eph. 8 notirt Jakobson als
Druckfehler der Ausgabe von Aldrich (?) formosa in saeculis, ἃ
ebenso stehts bei Uss., p. 197, und hat, so lange nicht der Gegen-
beweis geleistet werden kann, da in c statt dessen famosa steht,
als Lesart von m zu gelten. Ebenso wirds mit „carni ipsius et
spiritui“ in Sm. ὃ (ef. Uss., p. 219 ‘mit Jacobs., p. 405) stehen.
Bei solcher Vernachlässigung der grundlegenden, allein auf eigener
Anschauung beider Handschriften beruhenden Arbeit Usshers
konnte es geschehn, dass Jakobson wiederholt als Text gibt, was
aller handschriftlichen Beglaubigung entbehrt, z. B. „ut in unum
Jesum‘“, während nach Uss., p. 204; cf. Adnot. p. 16, n. 42
das μέ ım m gefehlt haben muss, ὁ aber ei unum bietet; quem-
admodam vos Mgn. 15, was nach Uss. 241 nur ein Druckfehler
seines Textes auf p. 206 ist, oder magia Eph. 19, während doch
nicht bloss ὦ, sondern auch Uss., p. 201, also auch m, magica
bietet. Das gleich folgende ommis. (hinter ignorantia) steht zwar
in Ussher, aber nach Smith, p. 19 nicht in c, und doch gibt es
541
Jakobson stillschweigend als einzigen Text, während er es nütz-
lich gefunden hat, jedes c statt ch, jedes ὁ statt y als besondere
Lesart von c aufzuführen. Man sieht daraus, dass er Smith
ebensowenig wie die editio princeps, sondern nur secundäre Drucke
durchgängig vor sich gehabt hat. Daher herrscht nach wie vor
an mehr als einer Stelle aim arges Dunkel über dem Sinn der
vor allem wichtigen Glossen Usshers und den Werth der späteren
Collationen von c. Nach Uss., p. 204 (cf. Adnot., p. 18, not. 61)
hat eine Handschrift wenigstens Mgn. 9 „quod quidam negant,
per quod mysterium“, während al. nach der Randbemerkung „quem
mysterium“ haben soll. Smith (p. 23) machte zu dem ersten guod
die Bemerkung, dass qguem statt dessen in c stehe, obwohl Pear-
son in den von Smith selbst herausgegebenen Annot. post., p. A3sg.
der Ausgabe von Voss den Vorwurf gemacht hatte, dass sie Usshers
Bemerkung zum ersten statt zum zweiten quod gestellt habe.
Jakobson hat Ussher wieder Recht gegeben in Bezug auf den
Ort der Variante und gibt als Lesart von ὁ an: „quem misterium“.
Der al. Usshers ist also c. In anderen Fällen aber ist nielrt aus-
zumachen, was dessen al. bedeutet, und was: in c, also auch nicht,
was in m steht; ausser den vorher erwähnten Fällen ist &
z. B. ad Pol. 8 höchstens aus dem Schweigen von Smith und
Jakobson zu errathen, dass in c ein blosses „idem et ipsos facgre“
steht, und dass der al. bei Uss, p. 142, welcher in davorsetat,
m ist. Aber Smith und Jakobson schweigen auch manchmal,
wo sie reden sollten. Es wäre also eine nochmalige Collation
des cod. Caj. geboten, welche nur mit gründlicher Berücksichti-
gung alles dessen, was Ussher mitgetheilt hat, aufzustellen wärg,
um ein befriedigendes Resultat zu erzielen.
Ussher hat seine Ausgahe allerdings laut Titel „ex duobus
manuscriptis in Anglia repertis“ geschöpft und laut Vorrede
„mutua duorum mss. oodicum collatione“ den Text thunlichst rein
herstellen wollen (cf. Diss., p. 141); aber zu Grunde liegt durch-
aus der verlorene m, welchen er bei seiner Arbeit auch 1647
wieder beständig zur Hand gehabt haben muss, während er von ὁ
wahrscheinlich nur eine Collation, höchstens eine Abschrift gehabt hat
(cf. Smith, praef., wo von „illius, cujus opera usus est D. Usserius,
&
aberrationtbus“ die Rede ist. Dass dem ussherschen Text durch-
weg m zu Grunde liegt, erkennt man nicht aus seinen wenigen
ausdrücklichen Angaben am Rand und in den Noten über Ab-
weichungen .beider Handschriften. Es sind deren in Bezug auf
die voreusebianischen Briefe, wenn ich richtig zähle, nicht mehr
als 13. In 6 Fällen .hat er ὁ zum Text gemacht, und die Les-
art von m am Rand durch ein al. oder in den Noten durch: ein
vet oder auch mit ausdrücklicher Nennung kenntlich gemacht, in
35 *
δ48
6 Fällen umgekehrt m in den Text aufgenommen, in einem Fall
eine eigenthümliche Mischung vorgenommen. Die 6 Fälle erster
Art sind: 1) ad Pol. 7, p. 142 (cf. Smith, Jacobson) das in
vor „idem et ipsos“ hat m; 2) Eph. 8, p. 198 hat er nur am
Rand bemerkt, dass die in den Text aufgenommenen Worte spiri-
tualia etc. in einer Handschrift fehlen, d. i. aber m; 3) Eph. 21,
p. 201 quem misistis am Rand nach m, cf. Adnot., p. 13, n. 96;
4) Phil. inser., p. 214, cf. Adn., p. 39, n. 2 hat er die Lesart
aus m nicht einmal an den Rand gesetzt; wohl aber 5) am Ende
der Grussüberschrift, cf. Adn., p. 39, n. 5; 6) Phil. 8, p. 216
consilium muss m haben, da die Collatoren von ὁ stillschweigend
concilium geben. Die Fälle der zweiten Art sind: 1) Mgn. 9,
p. 204 ist quod mysterium Text nach m, quem Variante von c,
s. meine Bemerkungen auf S. 547; 2) ad Phil. 9, p. 217 per-
fectio Text nach m, perfectae Variante von 6, s. Jakobson;
3) Sm. 5, p. 220 passionem Text nach m, panem Variante von
c; 4) Rom. 5, p. 212 im Text et, si geschrieben, nach Adn,,
p. 35 in ὁ eisi, jenes also nach m; 5) Trall. 3, p. 207, cf. Adn., p. 22,
n. 11 conjunctionem Text nach m, communionem Variante von c;
6) Mgn. 1, p. 202, cf. Adn., p. 14, n. 6 nos Text nach m, vos
in c. — Eine eigenthümliche Textmischung gibt er ad Pol. 7,
p. 141: „in inveniri me in oratione vestri discipulum“, während
nach seinem eigenen Zeugnis eine Handschrift i” resurrectione
hat, d. i. aber m, denn ὁ hat in oratione (Jacobs., p. 445;
Pears. III, 32), im übrigen aber (ohne in) „inveniri in me in
oratione vestrum discipullum“. — Nun sind aber im Bereich der
7 Briefe im ganzen etwa 180 Abweichungen des cod. c vom
ussherschen Text constatirt und darunter die aHerbedeutendsten ;
in wenigen Fällen hat c sogar unfraglich die richtige Lesart.
Bei einem Mann von Usshers Geist und Charakter, welcher es
nicht unter seiner Würde hielt, sein Druckfehlerverzeichnis bis
aufs Titelblatt und auf jedes verschobene Komma wie jeden ab-
gesprungenen Accent auszudehnen, welcher jede Conjectur als
solche an den Rand verwies (p. 200. 209. 211. 215. 220) und
welcher so unbedeutende Abweichungen von seiner Hauptquelle
m, wie concilium statt consilium p. 216, nicht stillschweigend
auf die Auctorität der anderen Händschriften hin in den Text auf-
nahm, sollte es sich von selbst verstehn, dass er an den etwa 170
Stellen, wo er stillschweigend von c abweicht, nicht eigene Weis-
heit gibt, sondern den Text von m treu abdrucken lässt. Einige
Opfer menschlicher Schwachheit abgerechnet, kann und muss der
usshersche Text an allen diesen Stellen die verlorene Handschrift
ersetzen. Damit ist aber auch bewiesen, dass er c nur sporadisch
verglichen und in wenigen ganz unumgänglichen Fällen der Be-
549
achtung werth gehalten hat. Im Martyrium berücksichtigt er ihn
gar nicht, in den nacheusebianischen Briefen fast gar nicht. Sein
interpres, sein Anglicanus ist immer, wenn nichts Näheres be-
merkt ist, m. So z. B. gibt er Eph. 1, p. 195 nicht bloss im Text
„cum bestiis pugnare, videre festinastis “, sondern versichert Adn.,
p. 5, n. 7 ausdrücklich, dass der Anglicanus an Stelle der Er-
weiterungen in G? nur die Worte videre festinatis (sic!) habe.
Allerdings ist das nicht ganz deutlich geredet, weil man nicht
weiss, ob der in c ebenso wie im cod. Med. und wesentlich so
auch in G? sich findende Zusatz hinter pugnare, nämlich „ut
potiri possim discipulus esse“ wirklich auch in Usshers Anglica-
nus, d. h. in m fehlt, oder ob er vielleicht durch Versehn auf
p. 195 ausgefallen ist. Pearsons blosse Behauptung, dass die
Lesart von ὁ Lesart der Handschriften sei (III, 84 sq.), gilt
nichts, da er nicht behauptet und bewiesen hat, je den cod. m
gesehn zu haben. . Auch sonst gibt Ussher oft als Lesart des
Anglicanus, was nur m.sein kann, Eph. 20, p. 201, cf. Adn,,
p. 13, n. 92: in ipsius dilectione, Mgn. 10, p. 204, cf. Adn.,
p. 18, n. 64 perseguatur, cf. Pears. II, 44.
Diese Bevorzugung von m vor c gründete sich erstlich auf
die richtige Erkenntnis, dass c einen durchweg secundären Text
biete, sodann auf die Vermuthung, dass der Scholiast am Rande
von m, dessen Identität mit dem Schreiber der Handschrift deut-
lich gewesen sein muss, auch der Verfasser der Uebersetzung sei.
Dann wäre also m die Urschrift von L!. Das ist aber unmög-
lich, da ὁ an manchen Stellen Worte, welche dem griechischen
Text angehört haben oder doch ihm genau entsprechen sollen, in
m aber fehlen, bewahrt hat. Eph. 8 fin. (Uss., p. 198); Phil. 5
(Uss., p. 215) fehlt existens = ὧν in m; Phil. 6 (Uss., p. 216)
fehlt et zwischen sed und ommibus; Sm. 9 (Uss., p. 221) fehlt
der ganze Satz: „Bene habet et Deum et episcopum cognoscere“;
Eph. 6 (Uss., p. 197) entspricht das einfache ordinationem weniger
als das superordinationem in ὁ dem Compos. εὐταξίαν ; Eph. 1 (Uss,.,
p. 195) ist, wie vorhin gezeigt wurde, nicht ganz sicher. Damit
sind die Fälle dieser Art erschöpft. Ferner fehlen in c offenbar
amplificirende Zusätze (amen Eph. 21 [Uss., p. 201]; sancto
Mgn. 13 [Uss., p. 205]; omnis Eph. 19 [Uss., p. 201], wenn nämlich
Smith gegen Jakobson, der nichts sagt, zu glauben ist) und
Schreibfehler von m (sic statt πὲς Eph. 5 [Uss., p. 197]; formosa
statt fumosa Eph. 8 [Uss., p. 1977}. Kann demnach ὁ nicht Kopie
von m sein, und trägt andrerseits m doch durchweg einen ursprüng-
licheren Charakter als c, was eines besonderen Nachweises nicht bedarf,
so sind beide Handschriften nur Abschriften, und zwar steht m der
Urschrift näher. Der Schreiber und Scholiast von m konnte da-
,
δῦ0
- durch den Schein der Identität mit dem Verfasser der Ueber-
setzung erregen, weil er nicht bloss ein des Griechischen kundiger
Mann, sondern. auch ia Besitz einer griechischen Handschrift ist.
Was bei der Seltenheit der Handschriften dieser Recension von
vorneherein wahrscheinlich ist, bestätigt sich durch den Mangel
jeder Andeutung des Gegentheils, dass nämlich der Glossator die-
selbe Handschrift zur Hand gehabt hat, aus welcher die Ueber-
setzung geflossen ist. Ist er zugleich der Schreiber des cod. m,
so könnte man aus dessen wesurrectione statt oratione des ὁ zu
schliessen geneigt sein, dass er eine griechische Handschrift vor sich
gehabt habe, in welcher wie in Med. ἀναστάσει statt αἰτήσει ge-
standen habe, was der Uebersetzer vorfand.. Denn unrichtig ist
es doch jedenfalls, wenn Pears. IH, 32 oratione für Misverständ-
nis einer Abkürzung von resurrectione ausgab. Viel ähnlicher
sind sich die entsprechenden griechischen Wörter, und in Bezug
auf diese variiren nicht bloss G! und Gs, sondern auch die Zeugen
der kürzeren und der längeren Recension je unter sich. A hat
αἰκήσει zur Voraussetzung, und von den Handschriften des G® hat
wenigstens Ὁ ἀγαστάσει. Bei der grossen Aehnlichkeit der Worte
wird 8 nicht erforderlich sein, anzunehmen, dass gegenseitige
Benutzung der versehiedenen Zeugen beider Recensionen stattge-
funden habe. Vielmehr wird das überall ursprüngliche αἰτήσει
von Verschiedenen unabhängig ven einander als ἀνάστέσει ge-
lesen und abgeschrieben worden sein. Dann ist auch nicht sicher,
dass der Schreiber und Scheliast von “m eine andere Handschrift
gehabt hat, als das Original der Webersetzung. Vielleicht stand
in diesem als Correctur zweiter Hand ἀναστάσει. und erschien
dem ziemlich nachdenklichen Scholiasten angemessener als das
vom Uebersetzer festgehaltene οἰτήσεε. Wie aufmerksam er auf
seinen griechischen Text war, beweisen seine Scholien. Zu Eph. 1
bemerkt er zur Erklärung von τὸ πολναγάπητον ὄνομα ganz
richtig: ἔφεσις graece, desiderium latine, Ephesii desidarabiles
dicuntur (Uss., adaot., p. 4); zu σοφέσαντα Sm. 1: unum est
verbum in Graeco, latine „sapientificavit“ (Adnot.,, p. 46); zu
: Sm. 5: Graeei dicunt „secundum virum“ pro „singulum “ vel
„singillatim “ (Adn., p. 49). Aohnliches Adn., p. 50; Cler. II, 93,
n. 36. 37. p. 89, n. 5. Er ist ein tüchtig gebildeter Gelehrter,
wie seine sachlichen Bemerkungen zeigen (Uss., adnot., p. 4. 12.
39. 40. 48; diss., p. 128), und er ist Engländer; denn zu
ad Pol. 3 bemerkt er: incus est instrumentum fabri, dieitur
anglico „Anfeld“, ἃ. 1. anvel (Uss., diss., p. 142): Daher war
Usshers Vermuthung, dieser Scholiast, welchen er zugleich für
den Uebersetzer hielt, sei Robert Grosseteste, Bischof von Linceln
® (ᾧ 1253), gewesen, nicht so fernliegend. Robert Grosseteste ist
δ51
der Erste, welcher nachweislich diese lateinische Uebersetzung
benutzt hat (Uss., diss,, p. 15), wie sie denn auch in der Folge-
zeit nur von Engländern gebraucht wurde und nur in ‚England
Handschriften derselben gefunden worden sind. Grosseteste war
nicht bloss, „quod rarum illo saeculo“, um mit Ussher zu reden,
ein tüchtiger Kenner -des Griechischen, sondern auch Uebersetzer
mancher griechischen Werke, welche bis dahin im Abendland un-
bekannt gewesen waren. Ein geborener Grieche, aber englischer
Geistlicher, Nikolaus, war ihm dabei behülflich. Aufmerksam ge-
macht durch John Badingstokes (} 1252), welcher seiner Zeit in
Athen Studien gemacht, aber mehr physikalische, mathematische
und grammatische als theologische Interessen verfolgte, liess sich
Grosseteste aus Griechenland griechische Handschriften kommen,
darunter 2. B. eine Handschrift der Testamente der 12 Patriar-
chen, welche er um 1242 selr gut ins Lateinische übersetzte
(cf. Matthaeus Paris, hister. maj. ed. W. Wats, Lond. 1640,
p. 597. 835). Bedenkt man, dass der griechische Text, welcher
dem L! zu Grunde liegt, bisher nur in dem berühmten Med. und
einer jüngeren Abschrift desselben entdeckt worden ist, und jeden-
falls im.Vergleich mit dem oft abgeschriebenen Text des G? im
Mittelalter sehr selten war, so liegt es nahe, zu vermuthen, dass
die verlorene Handschrift, welche der englische Glossator des
cod. m benutzte und welche, wie bemerkt, wahrscheinlich iden-
tisch ist mit der, aus welcher die Uebersetzung gefertigt wurde,
sich unter den in Grossetestes Hände gelangten Handschriften
hefand. Er selbst könnte füglich der Uebersetzer sein. Wenn
auch im Verzeichnis seiner Werke eine Uebersetzung des Ignatius
fehlt (Baleus, illustr. M. Brittanniae scriptorum summarium 1568,
fol. 106), so könnte sie doch unter den „yuaedam alia“ stecken,
welche er nach Matthäus Paris übersetzt hat und unter den
„alia adhuc plura“ des Baleus. Gleiche Treue und Gründlichkeit
zeichnen die Uebersetzungen der Testamente (bei Grabe I, 145 qq.
cf. p. 336) und des Ignatius aus, und auch im Einzelnen sind
der Aehnlichkeiten nicht wenige. Beide übersetzen ἐών stets
durch "si ὁ. conj., ἄν meist durch uZique, va “μή auch bei streng
finaler Bedeutung durch «2 non. Ignatius ist noch wörtlicher
übersetzt; das könnte aber in der grösseren. Schwierigkeit und
Prägnanz des Originals seinen Grund haben. — Es kann natür-
lich nicht bewiesen werden, dass Grosseteste der Uebersetzer
war; aber soviel scheint mir gewiss, dass die Uebersetzung,
welche ver seinem Tode existirte, nicht lange vorber in England
"entstanden ist! Ist der Schreiber und Glossator von m im Besitz
derselben griechischen Handschrift gewesen, woraus die Ueber-
setzung geflossen ist, so muss er auch derselben Gegend und
552
Zeit angehört haben. Ist nun der Glossator ein Engländer, und
zwar, wie man aus Worten, wie per comsequentiam , partibilia
sieht, des vorgerückten Mittelalters, so kommen wir auch auf
diesem Umweg zu gleichem Resultat. Um 1200—1250 ist L!
in England entstanden und m geschrieben. Jünger wird c sein,
ist aber auch schon im Jahre 1444 von einem Magister -Walter
Brome der communis libraria sociorum Collegii annunciationis
B. Mariae in Cantabrigia geschenkt worden (Uss., diss., p. 141).
Schliesslich ist noch eine räthselhafte Angabe Curetons zu
erwähnen, der vom cod. Montacutii, wie es scheint, nie etwas ge-
hört hat, und dagegen spricht von „two copies of the correspond-
ing (d. i. mit dem mediceischen Text) Latin version belonging
to Cajus College, Cambridge, and Corpus Christi College, Oxford
(Corp. Ign., p. 338)“. Darnach sollte man meinen, letzteres wäre
die schmerzlich vermisste Handschrift m, welche sich in den
Jahren nach Jakobsons erster Edition (1838) in Oxford wieder-
gefunden hätte. Aber nach Cur., p. 308 sollen es die Varianten
dieser oxforder Handschrift sein, welche Jakobson an den Rand
gesetzt hat. Aber das ist ja nach dessen Angaben Proll. V;
XXXIII sq. vielmehr cod. Cajensis. Hat sich Cureton vielleicht
irreführen lassen durch dessen Bezeichnung mit C. C. und durch
Usshers Notiz (Diss., p. 15), dass die Handschrift von Grossetestes
Commentar zu Pseudodionys, worin das älteste Citat unsrer Ueber-
setzung sich findet, in der Bibliothek des collegium corporis
Christi zu Oxford liege? Man muss es glauben.
3. Zu δ. 95. Der cod. Medic. (Plut. LVII, n. 7) kam
schlechtweg G'! heissen; denn Dressels Versuch, dem von ihm
zuerst benutzten cod. Casanatensis G. V. 14 saec. XV selbstän-
digen, ja sogar im Vergleich zu Med. hervorragenden Werth zu-
zuschreiben, ist als mislungen zu bezeichnen. Beide Handschriften
schliessen mit dem gleichen abgerissenen Wort in Tars. 7, nur
dass in Cas. die folgenden 44 Blätter leer geblieben sind. Es
kann sein, dass dies auf Kenntnis der Unvollständigkeit des Mit-
getheilten beruht; aber weiter ist auch nichts zu folgern, und
nichts stelit im Wege der allernächstliegenden Annahme, dass der
nach Dressels eigener Schätzung um 3 Jahrhunderte jüngere Cas.
aus Med. abgeschrieben se. Die „notabilior lectionum discre-
pentia“ (Dress., proll., p. LXI) beschränkt sich auf Kleinigkeiten,
wie sie zwischen Original und unmittelbarer Abschrift immer
varliiren. Sonst gäbe es überhaupt keine Textgeschichte. Cas.
unterscheidet sich von Med. z. B. unzählig oft durch Weglassung,
zuweilen auch Zusetzung des » ephelcyst. Das erstreckt sich
aber auch auf manches andere », welches für den Sinn sehr
553
wesentlich ist. Z. B. schreibt C, «οἷς hier erst durch zweite
Hand corrigirt ist, Sm. 7 προσέχει, etwa deshalb, weil das fol-
gende Wort mit einem Consonanten beginnt und Med. sehr oft
durch Festhaltung des » vor Consonanten seinem Abschreiber C zu
bessern gegeben hat? Jedenfalls ist bemerkenswerth, dass Sm. 9
ein μέ vor einem Vokal von C blindlings in μέν geändert wird.
Er theilt sinnlose Schreibfehler mit M wie ὁρμῆς statt ὀσμῆς
Mgn. 10, und vermehrt sie wie Phil. 5 ἐστε statt ἔτι, oder wenn
er, wie sein Original] so oft, ὦ und o verwechselt und ein εὕρε-
ϑησώμεθα schafft Tr. 2, eine allerdings mögliche Form (vgl.
Winer, Gr., $ 13, 2), welche vielleicht auch dem inveniamur
des L! zu Grunde liegt. Die einzige Variante, die wie Ausfluss
eines besseren Textes aussieht, ist die Aenderung von παϑητήν
(M) in μαϑητήν (C) ad Pol. 7. Aber auf diese durch alle
übrigen Zeugen bestätigte Besserung. lässt sich nichts gründen,
da jeder Abschreiber einen so sinnlosen Schreibfehler seines
Originals bemerken und durch die ähnlichen Worte in Mgn. 9;
Eph. 1; Rom. 4. 5 auf das richtige Wort sich konnte führen
lassen. Er konnte auch wie Lucas Holsten (s. bei Dressel,
S. 205, n. 3) und Voss und, soviel ich weiss, Alle, welche vor
A. M. Salvini den cod. Med. gelesen und abgeschrieben haben,
durch blossen Tesefehler das Richtige wiedergefunden haben. Die
einzigen Stellen, durch welche der Schein der Unabhängigkeit des
cod. C von M entstehen könnte, glaube ich damit genannt und
bewiesen zu haben, dass es nur ein Schein ist.
Ein selbständiges Mittel zur Herstellung des ursprünglichen
Textes der Sammlung U neben dem Med. ist, um von dem un-
hedeutenden Fragment aus Eph. 18. 19 zu schweigen, welches
Jakobson in einem pariser cod. gefunden hat, nur noch L!. Sehr
nah verwandt dem Med. ist das Original dieser lateinischen Ueber-
setzung allerdings. Die sonderbare Anführung des Briefs an Poly-
karp in dem Index des cod. Cajensis „Smyrnaeis a Troade Polycarpo“
weist auf eine griechische Handschrift, in welcher ebenso wie
nach dem Zeugnis Ledgard’s (bei Smith, praef.) und des Antonio
Maria Salvini (bei Aldrich, Ignat. epistolae, Oxon. 1708, p. 32)
im Med. über den Brief an Polykarp zu lesen war: B. Zuvg-
ναίοις ἀπὸ Τρωάδος πρὸς Πολύκαρπον 'Iyvarıos. Entstanden ist
diese verkehrte Ueberschrift dadurch, dass die Unterschrift des
voranstehenden Smyrnäerbriefs (cf. Aldrich, p. 38. 68. 112 die
Unterschriften, besonders die letzte) mit der Ueberschrift des
folgenden Briefs an Polykarp zusammenfloss, was dann durch das
vorgesetzte B im Med., ebenso aber auch im Original von L! ver-
ewigt wurde. Die sonderbare Randglosse zu δεσέρτωρ im Med.
(8. Jakobson zu Pol. 6) und seiner Abschrift dem Casanat. (8.
554
Dress., p. 204), ἀργόν er von L! als Text vurausgesetzt, wenn
er otiosus übersetzt. Auch sonst ist die Uebereinstimmung von
Med. und L! gross. Aber eine Abschrift aus Med. oder gar
dieser selbst kann gleichwohl das Original des L! nicht sein.
Zwar die Unvollständigkeit des Med. spräche nicht dagegen, denn
dieser ist am Ende verstümmelt und hat nicht von jeher mitten im
Worte xwovvıog Tars. 7 seinen Schluss gehabt (Bandini, catal.
codd. Graec. bibl. Laurent., tom. II, p. 347). Auch die Ent-
stehungsgeschichte des L! und der Randglossen m m spräche nicht
dagegen, dass wenigstens eine Abschrift des Med. der lateinischen
Uebersetzung und den Scholien des m zu Grunde gelegen. Aber
das Gegentheil folgt‘ aus zahlreichen Varianten. Obwohl, wie
oben 5. 549 gezeigt wurde, nicht völlig sicher anzugeben ist,
was m in Eph. 1 enthielt, so ist doch jedenfalls die Lesart des
c: „sperantem oratione vestra potiri, in Roma cum bestiis pugnare,
ut potiri possim discipulus esse, videre festinastis“, ursprünglicher
Text der Uehersetzung. Deren Original hat also die unerläss-
lichen Worte ἰδεῖν ἐσπουδάσατε, welche im Med. ausgefallen sind,
enthalten und ist von dem biblischen Zusatz des Med. τοῦ ὑπὲρ
ἡμῶν x. τ. A. noch rein gewesen. Ebenso fehlte ihm die Re-
miniscenz von 1 Kor. 1, 10, welche Med. Eph. 2 eingeflickt hat.
Diese beiden Beispiele genügen allein schon, zu beweisen, dass
das Original des L! nicht in allernächstem Verwandtschaftsver-
hältnis zum Med. stand, und Jass es einen viel besseren Text
darbot. Darnach hat die Herstellung des ignatianischen Textes
mit der Herstellung des griechischen Originals des L! zu be-
ginnen. Bei dem Resultat der kritischen Vergleichung desselben
mit Med. kann man aber nicht stehen bleiben; denn,. wenn auch
der von manchem Verderbnis noch freie Text, aus welchem
L! geflossen ist, erheblich älter als Med. sein mag, so führen
uns doch, wie die vorhin angeführten Uebereinstimmungen zwi-
schen Med. und L! beweisen, diese beiden Zeugen auf einen
Archetypus zurück, welcher sich vom Original der Sammlung U
schon ziemlich weit entfernt haben muss. Aelter aber als diese
Sammlung selbst, sind die Anführungen der Schriftsteller bis auf
Antiochus Monachus herab, welche nur die voreusebianischen
Briefe in nichtinterpoelirtem Text benutzen; und älter als die
Sammlung B, aus welcher der Veranstalter der Sammlung U die
nacheusebianischen Briefe entlehnte, ist die syrische Uebersetzung
der voreusebianischen, welche sich bald nachher, noch ehe die
armenische Uebersetzung: entstand, durch Uebersetzung der nach-
eusebianischen erweiterte. Dem Alter nach wären demnach die
Zeugen für den ursprünglichen Text der 7 (oder, wenn man vom
Römerbrief absieht, der sechs) voreusebianischen Briefe so zu
555
ordnen: 1) die patristischen Citate bis auf Athanasius; 2) die
syrische Uebersetzung (erkennbar aus Scur., Sfragm., A); 3) der
vom Interpolator vorausgesetzte Text; 4) die Citate bei denjenigen
Schriftstellern des 5., 6., 7. Jahrhunderts, welche nur die vor-
eusebianischen Briefe in unverfälschtem Text kennen; 5) der Text
der Sammlung U (erkennbar aus L! G! und einigen Citaten, z. B.
in den parall. Rupefalc.). Dieser jüngste Zeuge ist zwar der
deutlichste und bequemste, aber doch nur einer von vielen und
eben der jüngste.
4. Zu S. 73. Der Text der Predigt des Severus bei Cur.,
p. 216 scheint mannigfach verderhbt zu sein. Die überlieferten
Worte alt] la... . fans λα» ooulo
können allerdings nicht anders übersetzt werden, als „von den
Thaten ... . wurde er passender Weise Ignatius genannt“. Aber
unmöglich kann der Sinn der zwischenliegenden Worte sein:
„davon, dass er, was zukünftig war, vorauswusste“. Denn dieses
sein Vorauswissen kann doch nicht appositionelle Erklärung von
„den Thaten“ sein, hat auch nichts zu schaffen mit der angeb-
lichen Wortbedeutung des Namens Ignatius, ‚‚der Feurige“. Es
würde ferner diese Erklärung voraussetzen, dass Ignatius sich
selbst diesen Namen ‚gegeben habe. Dass der Scholiast die
Worte so las und verstand und durch die wunderliche Bemerkung
rechtfertigte, ignis bedeute nicht einfach Feuer, sondern ein fern-
hin leuchtendes Feuersignal, kann uns nicht hindern, den Severus
richtiger zu verstehen: „davon, dass man das Zukünftige (seine
zukünftigen Gesinnungen und Thaten) vorauswusste, nannte man
ihn Ignatius“. Es bedarf dazu auch nicht der leisesten Text-
änderung (vgl. Uhlemann, Grammatik, $ 66, 3). Wohl aber bedarfs
einer solchen, um dem ganz sonderbar vorgeschobenen und von
seinem Verb getrennten Aufksauu zum Sinn und dem unbe-
stimmten T1ySan zur nöthigen Bestimmtheit zu helfen. Es ist
also statt des erstern Yasau zu lesen und zu übersetzen „von
den glühenden Thaten“.
5..Zu 8. 524. Im mart. Polyc. 16 ist schon deshalb das
überlieferte περιστερά mit Recht von jeher anstössig befunden
worden, weil sich aus Eusebs theologischem Charakter die Be-
seitigung dieses Wunders nicht erklären lässt. Hat das Wort
nun im mart. Polyc. schon zur Zeit der Entstehung der lateini-
schen Uebersetzung, also vor Gregor: von Tours gestanden, so ist
es entweder eine in der Zeit nach Euseb eingeschlichene Inter-
polation, oder es hat ursprünglich etwas Gleichgültiges dage-
556
standen, was Euseb bei seinem abkürzenden Verfahren arglos fort-
liess, spätere Abschreiber aber in περιστερά verwandelten. Von
den auf letzterer Annahme fussenden Conjecturen, die mir bekannt
sind, scheint die ansprechendste die von Wordsworth, welche ich
nur aus Lagarde, rel. jur. eccl. gr., p. 84 kenne: ἐξῆλϑε περὶ
στύρακα᾽ πλῆϑος αἵματος.
6. Zu 8. 155. Für den Brief Mar. ad Ign. kommen bekannt-
lich, obwohl er zur Sammlung B ursprünglich gehörte, als vollstän-
dige Textzeugen nur G! L! A in Betracht (s. oben $. 83f.). Deren
Uebereinstimmung genügt aber, um das Alter jener adresseförmi-
gen Ueberschrift zu sichern, wie denn auch der Brief des Igna-
tius an sie eine wegen ihrer Eigenthümlichkeit nur auf den Ver-
fasser zurückführende Ueberschrift, in G! wenigstens zuverlässig
an sich trägt. L? hat dort in den drei von Ussher benutzten
Handschriften bmp und ebenso, wie es scheint, in rg gar keinen
derartigen Titel, wohl aber in pl „ad Mariam Cassobolitam“, in
dem Verzeichnis vor pl (s. Dressel, proll., p. -LVII) ad M. Casso-
bolitanam. So auch im Verzeichnis von Ὁ (Dress., p. LX) πρὸς
Muotuv Κασσοβολίτην und auch wohl an gleicher Stelle in
anderen Handschriften von ΟΣ (cf. Uss. Cler. II, 95), während
G! in der Adresse an sie ihre Herkunft unerwähnt lässt, wie
auch A. Ueber ihrem Brief an Ignatius steht in αἱ ἐκ Κασσο-
βήλων, in A e Capsalon oder Cabsalon urbe, in L! wahrschein-
lich — denn Ussher berichtet nicht, inwieweit seine Ueberschrift.
p. 127 cf. 223, dem Context seiner beiden Handschriften oder
dem Index vor cod. ἃ (8. oben $. 93) entnommen ist — Mariae
proselytae Chassaoholorum. Wir hätten also die vier gleich un-
brauchbaren Formen des Stadtnamens Κασσόβολον, Κάπσαλον,
Xuoouoßola, Κασσύόβηλα. Die Beibehaltung der letzteren Form
auch in neueren Ausgaben beruht auf einer sonderbaren Ver-
elırung des cod. Med., welcher in Bezug auf die nacheusebiani-
schen Briefe ebenso wie A eine secundäre, weil erst aus der
-.Sammlung B geflossene Quelle ist (s. oben 5. 114). Das Kun-
σύβολον oder Κασσόβολη, welches die der Sammlung selbst an-
gehörigen Zeugen bieten, muss von vörneherein dem mediceischen
Text vorgezogen worden, welcher hier nicht einmal L! zur Stütze
hat. Eine nur scheinbare Stütze hat Κασσόβηλα auch in der
Zusammenziehung der Worte καὶ Σύβηλον c. 1 (so αἱ, wenig-
stens nach Voss und der Abschrift des Med., dem cod. Cass.,
und L!) in Κασσόβηλον, welche sich Lucas Holsten in seiner
Abschrift des Med. (bei Dress., p. 219 „D“) erlaubt hat. Wenig-
stens musste man, wie A, ein Κασσοβήλων daraus machen, um
es mit dem Folgenden verbinden und die Worte „Presbyter von
557
Kassobela“ als Apposition zu Eulogius ziehn zu können. Aber
es ist unbegreiflich,. wie aus einer solchen Lesart ein zweiter
Personname hätte entstehen können, während das nach allen
Zeugen feststehende singularische πρεςβύτερον davon abhalten
musste. Sehr erklärlich ist dagegen, dass die alte Titelüberschrift
auf die Schreibung unsrer Stelle den in A ganz offenbaren Ein-
fluss übte und den „Sobelus“ entfernte, oder auch umgekehrt der
unsichere Stadtname in der Titelüberschrift nach dem Person-
namen in 6. 1 geformt wurde. Zu lesen ist also hier χαὶ Σό-
βηλον und für den Titel ein an KucooßoAov (oder —Au) an-
klingender Stadtname zu suchen. Vorzüglicher scheint des Ca-
saubonus Vermuthung ἐκ Κασταβάλων als die von Is. Voss
danebengestellte ἐκ Kurußolwv. Schon wegen der Erwähnung
von Anazarbus ist die erstere gemeint, eine viel häufiger erwähnte
eilicische Stadt (Strabo XI, 1, 4; 2, 7; Ptolem. geogr. V ed.
Basil. 1533, p. 322; Plin. ἢ. n. V, 27, sect. 22 ed. Sillig;
Chrysost., ep. 204 opp. ed. Montfaucon II, 714 A; Socrat. h. 6.
II, 25; IV, 12, vielleicht auch Plin. h.n. VI, 3, 3; Curt. Ruf.
II, 17, 5; Itin. Anton. ed. Wesseling, p. 146 [vgl. des Heraus-
gebers Bemerkungen z. d. St. und p. 580 gegen Voss]). Also ist
Maria eine Κασταβαλῖτις.
“. Rom. inser. ist doch wohl nach 6! Lt martyr. Byr.
metaphr. A? ἡγαπημένῃ statt des gewöhnlicheren ἡγιασμένῃ
ΟΣ L? A! festzuhalten, obwohl der Umstand, dass vt die Les-
art von G! als Randglosse bieten, bedenklich scheint. Jeden-
falls aber ist gleich nachher κατὰ ἀγάπην 'Imooü Χριστοῦ
zu lesen nach denselben Zeugen mit Ausnahme .des hier nach
A! corrigirten, A®?. Die bei Ignatius so gewöhnliche Verbindung
πίστις καὶ ἀγάπη schlich sich wie Mgn. 6 auch hier ein. Nach
dem richtigen Text ist hier nicht zu denken an eine Liebe der
Römer zu Christus, sondern nur an die Liebe, welche Christus
hat, und es fragt sich nur, wozu diese adverbielle Verbindung
gehört, ob zu ἡγαπημένῃ καὶ nepwrioufvn oder zu ϑελήσαντος.
Das Letztere verdient den Vorzug, weil so erst zwischen dem
allgemeinen Schöpferwillen Gottes und seiner heiligenden Thätig-
keit in Bezug auf die christliche Gemeinde eine Verbindung her-
gestellt ist, welche die Erwähnung des Ersteren an dieser Stelle
zweckmässig erscheinen lässt. Ignatius schreibt „der Gemeinde,
welche geliebt und erleuchtet ist kraft des Willens dessen, der
Alles, was da ist, gemäss der in Christus offenbarten Liebe ge-
wollt hat“.
8. Rom. 1. Ἐπεὶ εὐξάμενος 4) ϑεῷ ἐπέτυχον ἰδεῖν. ὑμῶν
τὰ ἀξιόϑεα Ὁ) πρύόσωπα, ὡς καὶ πλέον °) ἡτούμην λαβεῖν, δεδεμέ-
Öden ΄ D
een πος :
τ γοϊ " ML sr yn-
L, sel «48 νϑ Is" τ zuch w0d ScuT- und
nu χα “ »» ze „näert® gungen 8 en
er. 7 Ye ' = ἃ gen® ig
ΟΝ αὐτο τὸ τὸν ὦ meisten
" »:- es «σοῦ (ἀξιοϑεντα ειοϑέστα
„it nn gr. . SYT-
“ re a Ξ schr® bet, dies
u σ΄ --“Ὁ σεν Ὁ sm vo ἀξιοϑέατα zu
_ „—— = jerlerch® auch inne an
a 05 - «τ τῷ „sy, leicht auch
os _ | ἄοβ ΘΟῊΝ Satz88 ver
᾿ F - * a ὡ τ 32. π΄ Gegen τ. 5᾽
-» BP % N domım® geoV eing®-
pe
"Ὁ" a “Ὁ arme ὑπαὶ μοῦ» Los ”)
- En JRR ı 22; re χαφκύς , “λιν ἔσομαι
- tt Er ἢ 2 Me Aber „obald mat
- . 95 οὐ bat» das colb- (6Ἷ
- ε Ὁ τὶ Su wi ρα. den Text
- apnuett DO» rs6 gyın t jeder Grund,
- τσ nt us Ü 206 » 26 866: 207,
- -τἹ merk τ τ pur ei; vgl. aber Pete!“
win un de zu mähet- enn 65
-ὧν ‚er τοι τοῦ ontat- de usshel“
RE En u u je Yiegt: ι doch
= oh γε ιν Der es Ca}- den ϑρτῦ δ΄
- BREI ne yesgautlit gerettet αἱ, ven!
- u re Dei zagestande" pat. DE
Ξ «ΝΣ οὐ 8. nechiscb n Exem Jar ol”
m N x „art „ung mit den orio® Jische?
- > DEE way ΟΣ Entstehund 571΄
- .. aehmtb® a b) Dieselbe"
“ ee ET „ur hat MD der deren
- τΞ er > nu einet griechisch“
> > und Klo (d Qrjontalen) hab
— . ων πα ἃ 68 gerdiont
u BE 3.5 ‚aut. den » wenn Ber
> we aus er Conje® ἐμαυτον
"Ὁ ὧν πο ΩΝ ἰιῷ en und de! θυ
a er ὠὰ geiner Congo
BE ΒΝ .-
559
κλῆρος worher ein λύγος. Das ἐμαυτοῦ scheint sich auf das
pleonastische a gründen zu sollen; aber ich sollte meinen, ein
syrischer Grammatiker hätte in der sclavischen Rückübersetzung
dieses Worts am wenigsten Bunsen folgen sollen, welcher ἔσομαι
ἐμαυτοῦ ryw las (vgl. die doppelte Wiedergabe des ersten Satzes
bei Johannes Mon. 206, 27; 207, 14), was dann auch Baur
U, 55 seiner falschen Uebersetzung zu Grunde legte. ‚Ebenso
unglücklich war Curetons späterer Gedanke (p. 292), ἡχώ durch
φωνή zu ersetzen und hier nach dem Vorgang des Johannes
Monachus eine Anspielung an die Bezeichnung Christi als λόγος
und des Täufers als φωνή (Joh. 1, 1. 23) zu finden. Der alte
Syrer, der den Ignatius in syrischer Uebersetzung las, konnte sich
durch Kolo an Joh. 1, 23 erinnern lassen. Dass aber Origenes
(s. die Stellen bei Cur., p. 292) und schon vor ihm Herakleon
(Grabe II, 88) jenen Gegensatz in Joh. 1, 1. 23 gefunden hat,
kann doch unmöglich den Gedanken empfehlen, dass Ignatius im
Jenseits Christus , im Diesseits den Täufer darstellee Und wie
soll aus φωνή: ein τρέχων entstanden sein. Ist aber schon aus
graphischen Gründen ἠχώ als Wurzel der Varianten zu erkennen,
so ist vollends an der Ursprünglichkeit von λόγος (statt ἐγὼ)
nicht zu zweifeln. Es bedarf kaum der Erinnerung, 'wie un-
passend hier ein betontes Ich wäre, und wie offenbar Ignatius
einen Contrast zwischen Mittel und Wirkung beabsichtigt. Das
Schweigen der Römer dient dazu, dass er ein Wort Gottes
wird, ihre redselige Liebe aber macht ihn zu einem ver-
hallenden Schall. Auch wenn man nxw statt ἦχος festhält,
ist schwerlich mit Bunsen an den Wiederhall zu denken. Der
blosse’ Schall ist gemeint, gleichsam als Stoff, welcher erst durch
Gestaltung zum Wort wird und, wenn Gott seinen Willen hin-
einlegt, ewigen Bestand gewinnt.
10. Rom, 3. Οὐδὲν φαινόμενον ἀγαϑύν 5). Ὁ γὰρ ϑεὸς
ἡμῶν ᾿Ιησοῦς Χριστὸς ἐν πατρὶ ὧν μᾶλλον φαίνεται ). Οὐ
πεισμονῆς τὸ ἔργον, ἀλλὰ μεγέϑους ἐστὶν ὁ Χριστιανισμὸς, ὅταν.
μισήται ὑπὸ xoouov ©). — a) So die älteren und von einander
meist unabhängigen Zeugen L! Timoth. Alex. Cur., p. 210, 10.
sı S® A! ΑΞ, wohingegen αἱ ΟΣ L? Metaphr. aus 2Kor. 4, 18,
was sie an dieser Stelle dann auch förmlich eitiren, αἰώνιον ent-
lehnten. — Ὁ) Da Auslassungen bei S! und Metaphr. kritisch
gleichgültig sind, so ist dieser originelle Satz nur durch ΟΣ 1,3,
also gar nicht angefochten. Es ist nicht geschickt, dass Ignatius
hier φαίνεσθαι, anders wie vorher, die dem Wesen ent-
sprechende Erscheinung bedeuten lässt, ohne ausdrücklich das
560
Oxymoron fühlbar zu machen, etwa durch μὴ φαινόμενος μᾶλλον
φαίνεται. — 0) Ueber alles Weitere 5. oben S. 245, Anm. 2.
11. Rom. 5. Ob wirklich der syrische Uebersetzer mit
— das Peal gemeint und den Sinn hat ausdrücken wollen,
den ich nach Cur., Ὁ. 231; Peterm., p. 160 oben S. 207 aus-
gedrückt habe, ist mir zweifelhaft. Man muss nur „DS statt
„2 lesen und das Verb als Aphel auffassen, so gewinnt man den
viel angemesseneren Sinn: „nichts mache mich eifrig, d. i. reize
mich zur Begierde“. Vgl. für diesen Gebrauch Peschittho Rom:
11, 14; Deut. 32, 21 cf. Num. 21, 29; Ps. 106, 29. Der
Syrer hat das einzig richtige ζηλώσωι gelesen, welches Heinichen
zu Eus. h. e. IH, 36, 9 nicht beanstandet haben würde, wenn
er es richtig nach 2 Kor. 11, 2; Gal. 4, 17 (vgl. dazu Hofmanı,
die heilige Schrift Neuen Testaments II, 1, 137 f.) verstanden hätte.
12. Rom. 6 init. Οὐδέν μοι ὠφελήσει τὰ τερπνὰ ") τοῦ
κύσμου, οὐδὲ αἱ βασιλεῖαι τοῦ αἰῶνος τούτου. Καλόν Ὁ) μοι
ἀποϑανεῖν εἰς Χριστὸν ᾿Ιησοῖν, ἢ βασιλεύειν τῶν περάτων τῆς
γῆς. —a) Die Mehrzahl der Zeugen hat πέρατα L! αΣ 85 A? Sfr.
201, 17, aber τερπνά (G! Metaphr., vielleicht auch A!, dessen
„thesaurus terrae“ jedenfalls auf ein anderes Wort führt, als
das gleich folgende „terminos terrae“) verdient den Vorzug. _
b) So nach allen Zeugen incl. Timoth., 211, 3 gegen αἱ μαλ-
λον. — c) So, wenn man den Unterschied von εἰς und ἐν auf
sich beruhen lässt, mit 6 Metaphr. A! A? Sfr. 201, 17 1,2, διά
L! G2 Timoth. 211, 2, σύν 85.
13. Rom. 6. Ὁ δὲ τοκετός ®) μοι ἐπίκειται. “Σέγγνωτέ
μοι, ἀδελφοί; un ἐμποδίσητέ μοι ζῆσαι, rn ϑελήσητέ με ὃ) ἀπο-
ϑανεῖν. Τὸν τοῦ ϑεοῖ ϑέλοντα εἶναι, κύσμῳ un χαρίσησϑε .),
μηδὲ ὕλῃ ἐξαπατήσητε d), “Ἄφετε μὲ καϑαρόν φῶς λαβεῖν" ἐκεῖ
παραγενόμενος ἄνϑρωπος 5) ἔσομαι. — ἃ) So 6: Timoth. 211, 6.
51 S2, indirect auch Sfr. 201, 19 Αἱ 8. oben 5. 212. Des
L! lucrum setzt vielleicht kein anderes Wort voraus; denn leicht
konnte der Uebersetzer dem Wort τοχετός, das nur Geburt bedeutet
(gegen Smith, schol., p. 99; Denzinger, S. 62 u. A.; vgl. Buns.
I, 120), diejenige Bedeutung von τόχος geben, welche es dem
Sprachgebrauch nach gerade nicht mit diesem Wort theilt. Nur
„Geburt“ passt zu Znixeıra. Denn dies wird nicht von einem
in Aussicht stehenden Vortheil gebraucht, sondern von einer auf-
liegenden Last, einer hemmenden Schwierigkeit, einer anhaftenden
Eigenschaft, vgl. Mgn. 5, wenn es da ächt ist. In der Ueber-
561
tragung des Bildes musste das Gebären und das Geborenwerden
von demselben Subject gelten. Auf dem noch diesseits stehenden
Ignatius lastet noch die schwierige Aufgabe, den neuen Menschen
aus sich, dem alten, herauszugebären. Daher kann dieser Satz,
welchen Metaphr. ΟΣ L? der Geistreichigkeit halber ausstiessen,
gegensätzlich an die vorangehende Bezeugung seiner Sehnsucht
nach Christus angefügt werden. Andrerseits ist doch wieder er
selbst: das Ich, welches durch den Vorgang des Sterbens ans
Licht einer besseren Welt gelangt. Somit ist er auch Object
und Product der Geburt und freut sich auf das Geborenwerden.
In diesem Gegensatz der activen und der passiven Geburt be-
wegt sich der ganze Abschnitt. — Ὁ) Das ganz isulirte wo. des
G! ist Assimilirung ans vorige μοι. — 6) So nach G? A? Timoth.
211, 7, wo ass nothwendig zu lesen ist; das χαρύσησϑε
G! ist gewöhnlicher Schreibfehler. Dunkel sind L? Sfr. 201, 21
A!. Vereinzelt steht „per mundum non separetis me“ L! ἃ. ἢ.
κύσμῳ μὴ χωρίσητέ μὲ ohne passenden Sinn. Gott und Welt
ringen mit einander um Ignatius. Die Römer sollen nicht in
Weltliebe ihn der Welt überlassen. — d) Dieser von αἱ @ 1,3
Metaphr. ausgestossene Satz ist gesichert durch L! (neque per
materiam seducatis) Timoth. 211, 8; Sfr. 201, 21 A! A?, im
wesentlichen auch durch S? (neque seducatis).. — 6) So 1.1 S?
Timoth. 211, 9; auch A! Sfr. 201, 22; 296, 8 (vgl. oben
S. 212) wollen durch ihr komo perfectus nur die Emphase aus-
drücken; A? angelus; αἱ G? Metaphr. L? setzen ϑεοῦ zu. Jetzt
ist Ignatius ein ἔχσρωμα, eine nicht lebensfähige Frühgeburt
(Rom. 9; vgl. Hofmann, Neues Testament II, 2, 353); ein Mensch
im vollen Sinn des Worts wird er erst durch die bevorstehende
Neugeburt.
14. Rom. ἡ. Mnd’ ἂν ἐγὼ παρὼν παρακαλῶ ὑμᾶς, ‚nel-
σϑητέ μοι" τούτοις δὲ μᾶλλον πείσϑητε "), οἷς ‚Yoapw ὑμῖν.
Ζῶν γὰρ ®) γράφω ὑμῖν, ἐρῶν τοῦ ἀποϑανεῖν. Ὁ ἐμὸς ἔρως
ἐσταύρωται 5), καὶ οὐκ ἔστιν ἐν ἐμοὶ πῦρ φιλόῦλον ὦ), ὕδωρ δὲ
ζῶν καὶ λαλοῦν ἐν ἐμοὶ ὃ, ἔσωθϑέν μοι λέγει ἢ" δεῦρο, πρὸς
τὸν πατέρας, Οὐχ ἥδομαι τροφῇ φϑορᾶς οὐδὲ ἡδοναῖς τοῦ βίου
τούτου x. τ. λ.; vgl. oben S. 348f. — a) Allerdings haben
55. A! A? ΟΣ an dieser Stelle πιστεύσατε, vielleicht genügen aber
G! L! Metaphr. L? zur Rechtfertigung der Wiederholung des-
selben Wortes. Ein Verblick auf Rom. 8 konnte zur Variation
veranlassen. — b) So mit L! ΟΣ 1? (nur rg autem) Metaphr.,
weggelassen von αἱ A! 52. Den ganzen Satz strich A®. Freilich
ist es selbstverständlich, dass er noch am Leben ist, während er
schreibt, und andrerseits lebt er auch noch in dem vorhin ge-
Zahn, Ignatius, 36
562
setzten Fall. Um so gewisser ist ζῶν emphatisch gemeint. Im
Gegensatz zu einem schwachen Augenblick, in welchem er ange-
sichts des unmittelbar bevorstehenden Todes ihre Hülfe sich er-
bitten möchte, betont er es und begründet dadurch die Forderung
des Gehorsams gegen sein briefliches Wort, dass er im Vollbesitz
des Lebens und bei klarem Bewusstsein dies schreibe und das
Gegentheil des Lebens herbeisehne. —: c) Der berühmte Aus-
spruch ist von Origenes (opp. ed. Delarue III, 30 D), Pseudo-
dionysius (opp. ed. Lansselius et Corderius, Venet. 1755,
I, 363 Ὁ), Theodorus Studita (Grabe II, 299), von den orienta-
lischer Uebersetzern (s. oben S. 173) und unter der Herrschaft
der doppelsinnigen lateinischen Uebersetzung „meus amor cruci-
fixus est‘ (L? und Rufins Uebersetzung des Origenes) auch im Abend-
land vielfach (Pears. III, 56; Smith, schol., p. 101; Baur II, 47)
fälschlich dahin verstanden worden, dass Ignatius hier vom
Gegenstand seiner Liebe, nämlich von Christus, rede oder ge-
radezu Christus als Gegenstand seiner Liebe angebe. Aber, wenn
Ignatius mit ὁ ἐμὸς &owg- den Gegenstand seiner Liebe meinte
und Christus darunter verstanden haben wollte, so würde er von
diesem aussagen, dass er gekreuzigt worden ist, eine Bemerkung,
welche hier völlig unveranlasst wäre. Deutlich zeigt aber auch
der Fortschritt, dass Ignatius vielmehr vön seiner natürlichen
Liebe, seiner Lust zu den Dingen und dem Leben auf Erden,
und zwar mit Nachdruck von der seinigen im Gegensatz zu
der vorausgesetzten anderen Stimmung der Römer (c. 2) sagt,
dass sie gekreuzigt, in Christi Kreuzestod versenkt sei (vgl. Gal.
6, 14). Er hat die sittliche That vollzogen, welche er Mgn. 5
als Bedingung des Besitzes des Lebens Christi bezeichnet; er
hat sich freiwillig in den Tod gegeben, welcher ein Versenken in
Christi Tod ist. Diese richtige Auffassung des Spruchs liegt dem
Lied Philipps von Zesen zu Grunde: „Welt tobe, wie du willst“,
dessen Verse mit dem Refrain schliessen: „Denn ob mich Welt
und Lust schon triebe, bleibt doch gekreuzigt meine
Liebe“, während das alte Misverständnis in dem bekannteren
Liede: „Der am Kreuz ist meine Liebe, meine Lieb’ ist Jesus
Christ“, und in dem ähnlichen von Greding: „Der am Kreuz
ist meine Liebe und sonst nichts‘ poetischen Ausdruck gefunden.
Auch Theremins schönes Sonett mit dem Motto aus Ignatius be-
ruht darauf, gibt ihm aber eine eigene Wendung, indem Christus
als die personificirte active Liebe der Liebe der Weltkinder
gegenübergestellt wird (Abendstunden III, 64). Der Versuch,
jene beiden älteren sich gegenseitig ausschliessenden Erklärungen
za combiniren, schickte sich mehr für das Fräulein von Ende,
wovon Koch (Geschichte des Kirchenlieds, 2. Aufl, IV, 183) be-
962.
richtet, als für. Bunsen. (I, 121). — ἃ) Man kann schwanken, ob
diese Lesart von αἱ Metaphr. Menaea (Uss., adnot., p. 79) oder
das φμλοῦν τί von ΟΣ L! (dieser zog nur τι fälschlich zu ὕδωρ,
amans aliquam. aquam) den Vorzug verdient. Letzteres könnte
bestätigt scheinen durch S! (ignis in amore alio, cod. y amoris
alius) 85 (ignis alienus) A! (alius aestus amoris) A? (ignis amandi
alienam quidquam; s. jedoch Petermann, ὃ. 173). Das können
lauter „Umsehreibungen von G? sein, sie können aber auch auf
ein πῦρ, φιλοῦν [τι] ἄλλο (oder φιλίας ἀλλης) zurückgehn, was
dann aus φιλαῦλαν entstanden sein würde. L? hat, zwischen ἐν
ἐμοί und ὕδωρ nichts. Angemessener als alles Andere: ist φι-
λόῦλον. Von. der begehrlichen Liebe kommt Ignatius leicht auf
das lechzende, brennbaren Stoff suchende Feuer (ef. Clem. paed.
I, 164 Pott.:- οἱ πάμφαγηι, καϑάπερ τὸ πῦρ τῆς ὕλης ἐξεχόμενοὺ),
und von diesem auf das Feuer löschende Wasser, das Bild des
heiligen Geistes, der alle Begierde auslöscht. — e) So G! Metaphr.,
Δ, S? (den. Mösinger falsch übersetzt), im’ wesentlichen auch
‚ der nur durch die verkehrte Verbindung von ὕδωρ mit dem
Vorigen zur Aenderung genöthigt war: ἀλλὰ ζῶν καὶ λαλῶν
ἔστιν ἐν ἐμοί, ἔσωϑεν μοι λέγει, Aehnlich macht S? den. Herrn
zum redenden Subject. G? liess sich durch den offenbaren An-
klang an Joh. 4, 14 (vgl. 7, 88 ἢ; Pears. III, 56) veranlassen,
den biblischen Wortlaut deutlicher hervortreten zu lassen. Daher
ἁλλύμενον statt des ziemlich pleonastischen λαλοῦν, und aus
jenem wieder das ἄλλο μένει des 1,3. — f) Das λέγον G! Metaphr.
L? kann. nicht festgehalten werden gegen G? (λέγει L! (dieit ohne
et) cf. A! A® Sever. Ant. Cur., p. 216, 12. Es entstand aus
mechanischer Assimilirung an die vorigen Participien.
15. Eph. 1. “Ἵκούσαντες γὰρ δεδεμένον ἀπὸ Συρίας ὑπὲρ
τοῦ κοινοῦ ὀνόματος καὶ. ἐλπέδος, ἐλπίζοντα τῇ προςευχῇ ὑμῶν
ἐσιτυχεῖν ἐν “Ριύμῃ ϑηριομαχῆσαι, Ἷ ἵνα ἐπιτυχεῖν δυμηϑῶ μᾳϑη-
τὴς εἶναι, - ἰδεῖν &orovöuoure. So nach L!, wenn anders
Uss., p. 195 nur versehentlich die Werte „ub potiri possim dis-
eipulus esse“ ausfallen liess, welche cod. Caj. enthält (s. oben
S. 549. 554). Wesentlich bestätigt wird dieser Text durch
S A, welche den Partieipialsatz &Anilorza . . . ϑηριομαχῆσαι
frei wiedergegeben haben; das in Οἱ 65 L? ausgefallene, ἰδεῖν
ἐσπουϑάσατε haben sie auch und niehts von. denen Zusätzen: διὰ
τοῦ μαρτυρίου “20. τοῦ ὑπὲρ ἡμῶν ἑαυτὸν ἀνενεγκύντος ϑεώ
προσφορὰν καὶ ϑυσίαν (L? setzt vollends noch hinzu: in odorem
bonae suavitatis), wodurch der Satz um seinen Schluss kam.
16. Eph. ὃ, Καὶ γὰρ "Ἰησοῦς Χριστὸς, τὸ ἀδιάχριτον
ἡμῶν 5) ζῇν, τοῦ πατρὸς γ γνώμη, ὡς καὶ οἱ ἐπίσκοποι, οἱ κατὰ
36 *
564
τὰ ποίμνια ®) δρισϑέντες, ἐν ᾿ησοῖ Χριστοῦ γνώμῃ εἰσίν. —
a) So L! A, ὑμῶν G! nach Jakobson und Dressel. — b) Diese
Conjectur schlage ich statt πέρατα (G! L! A) vor, vgl. 1 Petr.
5, 2; Clem. ad Corinth. I, 16. 44. 54. 57 und bei Ignatius
selbst die Vorstellung von Hirt und Heerde (Rom. 9; Phil. 2).
Der Mangel einer Näherbestimmung zu τὰ πέρατα (cf. Rom. 6;
Herm. sim. VII, 3; Matth. 12, 42; Luc. 11, 31; Röm. 10, 18
und LXX überall) ist empfindlich. Sodann heisst πέρατα nicht
„Länder “, so dass κατά weder distributiv gemeint sein, noch
„drüber hin“ bedeuten kann. Markland wollte ein unbiblisches
und unkirchliches τῇ» χάριτα gelesen haben. Uebersetzungen wie
die von Baur II, 68: „wie auch die Bischöfe der nach ver-
schiedenen Gebieten abgegrenzte Wille Jesu Christi sind “, cha-
rakterisiren den Grad philologischer Bildung des Urhebers. Es
besteht auch kein Grund, das ἐν vor Ἰησοῦ (G! A; aus ΟΣ L?
ist nichts zu entnehmen) mit L! zu streichen. Freilich ist bei
diesem nicht, wie Ussher that, sententid zu schreiben, was dann
möglicherweise auf ἐν γνώμῃ zurückginge, sondern sententia —
γνώμη. Aber der Verdacht der Assimilirung zweier bei αἱ A
variirender Sätze ist zu stark, und die Variation des Ausdrucks
ist sachgemäss.
17. Eph. ἡ. Εἷς Ἰατρός ἐστιν σαρκικός τε καὶ πνευματε-
χὸς, γεννητὸς καὶ ἀγέννητος 8), ἐν σαρκὶ γενόμενος ϑεὸς ὃ, ἐν
ϑανάτῳ ζωῇ ddr, καὶ ἐκ Magias καὶ ἐκ ϑεοῦ, πρῶτον πα-
ϑητὸς καὶ τότε ἀπαϑὲς, Ἰησοῦς Χριστὸς, ὁ κύριος ἡμῶν. — a) Die
Schreibung beider Worte mit »» wird zunächst vertreten durch
G!.@2 (d. i durch sämmtliche Handschriften ausser Ὁ, der
Gegensatz γεννητός beweist die Richtigkeit von ἀγέννητος) L!
L? (ingenitus), ferner durch Theodoret, dessen Aenderung yerrr-
τὸς ἐξ ἀγεννήτου (ed. Sirmond IV, 34, während Schulze IV, 51
ohne Grund Theodorets Text nach Ignatius ändert) jedanfalls den
durch doppeltes » ausgedrückten Gedanken erfordert, denn zur
Zeit Theodorets weist ἐκ ϑεοῦ auf den vorweltlichen Ursprung
aus dem Vater, vermöge dessen der Sohn nicht „geworden“
(γενητός), wohl aber „erzeugt“ (γεννητός) heisst im Gegensatz
zum unerzeugten Vater. Bei Athanasius, dessen Handschriften
im Citat aus Ignatius wie in der Besprechung desselben in
Bezug auf » oder »» schwanken (ed. Montfaucon I, 1.
p. 761 A), erfordert die gegebene Erklärung des ignatiani-
schen Worts die Streichung eines » in beiden Worten, denn
er meint, Ignatius nenne Christus als Menschen ein Geschöpf,
während er ihn als den aus dem Vater stammenden Sohn
δθὅ
von den Geschöpfen unterscheide.e Aber die richtige Lesart
bei Athanasius lässt sich darnach ebensowenig als der dem
Gelasius (Magn. bibl. ed. Paris 1654, tom. IV, 1,423 E: factus
et non factus) und dem armenischen wie mehreren syrischen
Uebersetzern (Cur. 218, 11. 17; 219, 5: (“ai Po {“ai) zu
Grunde liegende ignatianische Text sicher erkennen. Denn be-
kanntlich beruhen die Schwankungen in der Schreibung dieser
Worte bei den Vätern (s. z. B. Otto zu Justin. dial., c. 2, not. 5;
c. 25, not. 8; c. 43, not. 17) nicht bloss auf Nachlässigkeit der
Schreiber, sondern auf dem Mangel scharfer Unterscheidung bei
den Schriftstellern selbst. Justin z. B. gebraucht ἀγέννητος
immer im Sinn von οὐ γεγονώς Dial. 5, p. 223 A; Wechselbe-
griffe sind ihm γεννητός und φϑαῤτός, p. 223 D, und Tatian.
or. 5 braucht als Gegensatz zu γεννητός ein ἄναρχος. Lehrreich
ist auch Clem. hom. XIX, 4. 9. 10. Dass man auch im 4. Jahr-
hundert die ableitungsmässig völlig begründete Unterscheidung
nicht durchgeführt hatte, bezeugt die Verlegenheit, welche Arianer
und Semiarianer den Nicänern durch die Frage bereiteten: ἕν τὸ
ἀγέϊνἼνητον ἡ δύο (vgl. meine Schrift über Marcellus, 3. 40
Anm. S. 104. 222f., besonders auch Epiph. haer. 73, 19 54.).
Obwohl dem Athanasius das yevvnI'nvaı des Sohnes nichts weniger
als ein gemeines γενόσϑαι ist, er vielmehr ebenso wie Eustathius
von Antiochien (Mai, script. vet. nov. coll. VII, 15) Christus
γεννητός nennen und von den χειστά unterscheiden kann, so
fällt es ihm doch nicht ein, jenes quälende Dilemma durch Hin-
weisung auf den Unterschied von γεννητός und γενητός aufzu-
heben. Er kennt den Unterschied gar nicht; sonst wären seine
Auseinandersetzungen darüber und auch seine Besprechung der
ignatianischen Stelle sinnlos. Erst bei Johannes Damascenus
(de fide orthod. I, 8 ed. Lequien I, 135 C) findet man die völlige
Klärung der Terminologie. Auch die grundgelehrte Darstellung
bei Petav. theol. dogm. ed. Antwerp. 1700, tom. U, p. 270 sqgq.
lässt dies nicht deutlich genug erkennen. Wenn daher in
christologischen Aussagen älterer Väter ein gut bezeugtes ἀγέννη-
τος bei späteren Schriftstellern und Uebersetzern um ein » ver-
kürzt ist, so ist das Aenderung späterer Orthodoxie, für welche
Christus nach seiner göttlichen Seite zwar ἀγένητος, aber keines-
-wegs ἀγέννητος war. Auf Gelasius braucht dieser Kanon aber
noch nicht angewendet zu werden, denn er kann ebenso wie
Athanasius ἀγέννητος gelesen und das, was die Späteren im
Unterschied hiervon durch ἀγένητος ausdrückten, verstanden
und deshalb auch in der Uebersetzung ausgedrückt haben. —
b) Man kann ernstlich schwanken, ob diese Lesart von Οἱ L!
gegen die von Athanasius, Theodoret, Gelasius und wenigstens
566
einem syrischen Fragment (Cur. 219, 5) vettretene Lesart ἐν
ἀνθρώπῳ ϑεύς aufrecht zu erhalten sei. Die syrischen "Ueber-
setzuagen Cur. 218, 12. 17 mit ihrem ἰσι δὶ 2] Aus führen
wohl ‚auf-2v ἀνθρώποις «ϑεός (vgl. Petermann, 5. 25) und stützen
jene Lesart einigermassen; während aus A G? L? nichts zu
schliessen ist. "Wahrscheinlicher ist, dass 'man an dom scheinbar
vorliegenden 'Gedanken eines γενόμενος ϑεός Anstoss nahm und
'ein einfäches „im ‘Menschen Gott“ an die 'Stelle setzte, als um-
gekehrt. Die Lesart von Αἱ etc. passt "besser zu 'dem gleich-
folgenden Gegensätz, wenn man dort gerade nieht mit αἱ D! ἐν
᾿αϑανάτῳ, sondern 'mit allen übrigen Zeugen ἐν ϑανάτῳ liest.
Zu ‘den drei Kirchenvätern kommen 'hier jene syrischen 'Frag-
‘mente (p. 218, 12. 18; 219,6 „im Tode wahres Leben“) und
‘A (in morte vivus) bestätigend hinzu; und "es fragt sich ‘sogar
noch sehr, öb nicht 'L! durch blosse Verdoppelung eines in sein
immortali erhalten hät (vgl. 'Uss., adn., p. 6, n. 22). Die ver-
worfene 'Lesart findet auch gar keine Stelle unter ‘diesen Paaren
scheinbar sich 'ausschliessemder Gegensätze. ’Die gegentheilige
"Behauptung 'Dressels ist &benso schwer zu begreifen, als dass
“er sich dutch die föhlerhafte Accentuation ‘des ‘cod. Med. und
seiner Abschrift'Casan. zu der‘Conjectur ἀϑάνατος dv ζωῇ ἀλη-
ϑινῇ verführen lässt. Die ‘Architektonik ‘des Satzes ist diese:
εἷς ἰατρὸς
σαρκικὸς πνευματικὸς
᾿γεννητὸς "ἀγέννητος
ἐν σαρκὶ γενόμενος ϑεὸς
ἐν ϑανάτῳ ζωὴ ἅληϑινὴ
καὶ ἐκ Magiag ᾿κἀὶ ἐκ ϑεοῦ
πρῶτον παϑητὸς καὶ τότε ἀπαϑῆς
Ἰησοῦς “Χριστὸς ὁ κύριος ἡμῶν.
18. Eph. "8. Einen wirklich zutreffenden “ΕΔ]]. nennt der
"Satz, 'dessen 'Wortstellung Dressel ohne Reöhtfertigung geändert
Bat: ὅταν γὰρ “μηδεμία ἔρις ἐνήρεισται ἐν ὑμῖν, ἡ δυμαμένη
᾿ὁμᾶς βασανίσαι, ἄρα ara ϑεὸν ζῆτε. Daher auch der Indicativ
θπαδῃ" ὅταν. Das ἐνεέρισται' 61 heisst ‘garnichts. ‘Eine Ableitung
"von ἐνερίζω schafft dies’ Compositum neu, gibt ihm ein unmög-
"liches perf. pass. (vgl.''Kühner, ausführliche Grammatik, 2. Aufl,
‘I,’ 821) und ’'argibt' den: Ungedanken, .dass'sin in der Gemeinde
[zu 'Ende] geführter Streit. sie betreffenden :Falls noch :quälen
Ikötnte. "Näher 'als ἐμεργῆται '(Buns. I, 88) und ' ἐρρίζωται
"oder ἐνερρίξζωται' (Merx,-p. '41) hegt "die .Umschreibung des in
den 'Vooalen 'stets unsicheren :mediceischen ‘Textes in. ἐνήρείσααι
"von: ἐμεσείδω! (Kühner’I,-819). :Es. heisst..,, Hineinstessen , fest
567
hineinstecken“, auch vom Pfeil ihn „hineinschleudern “, so dass er
festsitzt. Gemeint ist demnach, dass es niemand gelungen ist,
in Ephesus eine Zwistigkeit (vgl. 1 Kor. 1, 11) zu erregen,
welche dann fortgedauert hätte. S übersetzt gar nicht so un-
richtig „gepflanzt“, und auch das „complexa est“ L! ist wohl nichts
Anderes als Uebersetzung von ἐνήρεισται.
19. Eph. 8. Περίψημα ὑμῶν καὶ ἅγνισμα ὑμῶν ἐγώ,
᾿Εφεσίων ἐχκλησίας, τῆς διαβοήτου τοῖς αἰῶσιν. Das ἁγνίζομαι
ὑμῶν G! ist ebenso sinnlos wie das ayrilere ὑμῶν τὸ ἐμὸν
πνεῦμα Tr. 13 und wird meines Erachtens gar nicht gebessert
durch den seit Coteliers Randbemerkung üblichen Conjunctiv nach
dem castificer des cod. Caj. (nach Jakobson; Smith fand castoficet ;
der cod. Montac. oder doch Uss., p. 197 castificetur). Aber L!
wagt es Tr. 13 mit den Worten „castificate vestrum meum .spiri-
tum“. Dort hat also ein ὑφ᾽ vor ὑμῶν jedenfalls am L! keine
Stütze und auch nicht am L? „castificet vos spiritus meus“. Ein
ὑπό ist aber an beiden Stellen auch deshalb unbrauchbar, weil
nicht vorzustellen ist, wie Ignatius von den Ephesern und Tral-
lianern als Opfer dargebracht oder durch ein Opfer gereinigt wer-
den soll — denn beides könnte so ausgedrückt werden —, zu-
mal wenn dies ἀγνίζεσθαι nach Tr. 13 auch bei und nach
seinem Hingang zu Gott statthaben soll. Es wird daher Eph. 8
᾿ mit Voss, p. 27 3 ἅγνισμα zu lesen und das schon für περέψημα
erforderliche ἐγώ zu ergänzen sein. Letzteres aber konnte schwer-
lich hinter dem ersten, sehr leicht dagegen hinter dem zweiten
ὑμῶν, unmittelbar vor ἐφεσίων ausfallen. Mit ἐγώ war der Satz
eigentlich zu Ende, nachträglich erst wurde die Apposition ange-
fügt. Unzeitige Vergleichung von Tr. 13 verdarb dann den
. Text. Dort ist wahrscheinlich ἃ γίζεται ὑπὲρ ὑμῶν τὸ ἐμὸν
πνεῦμα zu lesen, ὑπὲρ fiel vor zum» leicht aus und ἁγνίζετε
ist nichts anderes als ἁγνίζετα. Das ἀσπάζεται ὑμᾶς ΟΣ ist
eine vielleicht ‚nicht sehr alte Aenderung, die L? noch nicht
vorfand. Aus den ungenauen Uebersetzungen S A ist für beide
Stellen ‚nichts zu gewinnen.
19°. Eph. 10. ᾿Επιτρέψατε οὖν αὑτοῖς χἂν κ᾿ τῶν ἔογων
ὑμῖν μαϑητευϑῆναι. Πρὸς τὰς ὀργὰς αὐτῶν ὑμεῖς πραεῖς.
ur σπουδάζοντες ἄντιμιμήσασϑαι αὐτούς. “Ἵδελφοὶ αὐτῶν εὗρε:
ϑώμεν τῇ ἐπιξικείᾳ » μιμηταὶ δὲ τοῦ κυρίου σπουδάζωμεν εἶναι
— τίς πλέον ἠδικήϑη καὶ ἀπεστηρήϑηή καὶ γϑετήϑη --- ἵνα
μὴ τοῦ διαβόλου βοτάνη τις εὑρεϑῇ ἐν vuiv. — So interpungire
ich im wesentlichen mit den älteren Herausgebern und halte die
abspreehenden Urtheile Neuerer über den dadurch entstehenden
568
Sinn für grundlos. Ein ἀντι μιμεῖσϑαι findet nicht statt zwi-
schen Brüdern sondern zwischen Rivalen. Daher muss mit ἀδελ-
gol ein neuer Satz beginnen. Die Christen sollen sich nicht
bemühen, in feindlichen Wetteifer mit den Heiden einzutreten,
indem sie Böses mit Bösem vergelten (vgl. Mgn. 10). Als Brü-
der sollen sie sich ihnen allerdings erweisen, aber durch Nach-
giebigkeit. Dies ist einerseits eine formelle Einräumung an das
Streben nach Gleichstelluug mit den Heiden, aber andrerseits ein
Gegensatz zu der falschen Gleichstellung mit ihnen im Böses-
thun. Sie sollen sie als Solche behandeln, „in welchen Hoffnung
auf Bekehrung ist“, als zukünftige Christen. Nachahmer aber,
nicht der Heiden, sondern Christi, sollen sie sich bemühen zu
sein. Uhlhorns Verbindung von τῇ ἐπιεικείᾳ mit dem Folgenden
hat eine schlechte Stütze an S, denn dieser stösst das Voran-
gehende aus, und A beweist, dass auch in der syrischen Ueber-
setzung ursprünglich wie in Οἱ L! G? L? die Ermahnung zur
ἐπιείκεια von der zur Nachahmung Christi getrennt war. —
Weiterhin ist es unthunlich, nach αἱ (ἀδικηϑεῖ ἃ. 1.) ἀδικηϑῇ,
(ἀποστερηϑεῖ ἃ. 1.) ἀποστερηϑῇ, (ἀϑετηϑεῖ ἃ. 1). ἀϑετηϑῇ fest-
zuhalten und den Satz dennoch als fragenden .Ausruf zu fassen
(Smith, schol., p. 73). Obige Aenderung Marklands ist am ein-
fachsten; von den sonstigen Vorschlägen besonders unglücklich _
der von Dressel x&» τις πλέον ἀδικηϑῇ. Den Fall eines noch
grösseren Leidens als das Leiden Christi zu setzen, liegt jedem
christlichen Schriftsteller fern. Es liegt vielmehr in der über-
wiegenden Grösse des Leidens Christi ein starkes Motiv, ihm
in der Erduldung kleinerer Leiden nachzufolgen.
20. Eph. 20. Das die zweite Hälfte des Kapitels be-
herrschende ὅτε bereitet unüberwindliche Schwierigkeiten. Ueber-
setzt man, wie z. B. auch Uhlh., p. 52, „dass“, so ist man ge-
nöthigt, gegen allen biblischen und kirchlichen Sprachgebrauch |
die Worte ἐὰν ὁ κύριος μοι ἀποκαλύψῃ von einer durch Men-
schen oder Briefe vermittelten Nachricht zu verstehen. Durch-
aus nicht vergleichbar sind ad Pol. 7; Phil. 10. Sodann könnte
die Fortsetzung seiner schriftlichen Belehrungen doch kaum von
einer sonderbareren Bedingung abhängig gemacht werden, als von
der Meldung, dass es mit dem kirchlichen Leben zu Ephesus
gut stehe. Es wäre der Ton des Schulmeisters, der seinen
Schülern eine schöne Geschichte verspricht, wenn sie artig sind.
Ignatius nimmt eine sehr andere Stellung zu diesen Lesern ein
(Eph. 3. 12). Uebersetzt man „weil“, so wird die Verbindung
des langen davon beherrschten Satzes mit dem Anfang von c. 21
als Nachsatz nothwendig. Aber auch das geübte Ohr hat das ὅτε
ὅ69
dann längst vergessen, und nach Analogie aller Sätze, wo περί-
ψημα, ἀντίψυχον, ὀναίμην u. dgl. bei Ignatius vorkommt, muss
ἀντίψυχον ὑμῶν ἐγώ 6. 21 einen neuen Satz anfangen. Der
Zusammenhang erfordert statt des dureir ὅτε eröffneten Satzes
eine Ermahnung, wie sie G? L? und Gelasius bieten. Eine alte Text-
unsicherheit an dieser Stelle hezeugt das εἴ τι Theodorets. (Was
bedeutet inguit bei Gelasius, dicam A?) Man könnte daher ἔτη
lesen, was dann natürlich zu ἀποκαλύψῃ gehört. _ Ich ziehe es
vor, durch ein blosses rı dem ἀποκαλύψῃ zum fehlenden Object
zu verhelfen. Ignatius hat die Absicht, den Ephesern einen
zweiten Brief zu schreiben; zumal dann wird er es thun, wenn
der Herr ihm etwas offenbart, ihm eine neue Erkenntnis gibt.
Damit schliesst dieser Theil des Briefs.. Mit οἱ κατ᾽ ἀνδρα be-
ginnt eine umfassende Ermahnung, welche zum ursprünglich an-
gegebenen Thema des Briefs zurückkehrt (c. 3 cf. 2 fin.).
21. Mgn. 1. Ich lese stark abweichend von der Ueber-
lieferung: Καταξιωϑεὶς γὰρ de ὀνομάτων ϑεοπρεπεστάτων, ἐν
οἷς περιφέρω δεσμοῖς, ἰδεῖν τὰς ἐκκλησίας 5), ἐν αἷς ἕνωσιν εὔχο-
μαι σαρκὸς καὶ πνεύματος Ἰησοῦ Χριστοῦ, τοῦ διαπαντὸς ἡ ημᾶς ®)
ζῆν, πίστεως ὃ καὶ ἀγάπης, ἧς οὐδὲν προκέκριται, τὸ δὲ κυ-
ριώτερον ᾿Ιησοῦ καὶ πατρός. .. — a) Ich nehme ernstlich An-
stoss an dem adw τὰς ἐκκλησίας αἱ G? L! 12 A. Ein Lobge-
sang, dessen Gegenstand die Gemeinden wären, ist keiner der
ignatianischen Briefe, und doch soll die Abfassung des Briefs an
die Magnesier, deren im vorhergehenden Satz gedacht ist, eben
hierdurch motivirt oder doch erklärt werlen. Es lenkt ferner
die Angabe dessen, was er gleichzeitig den Gemeinden zu wün-
schen hat, entschieden von der” sonderbaren Vorstellung ab.
Endlich beginnt c. 2 ganz im Ton einer Wiederaufnahme des
καταξιωϑείς c. 1 mit ἐπεὶ οὖν ἠξιι ϑην ἰδεῖν ὑμᾶς διὰ “΄άμα
τοῦ ἀξιοϑέου ὑμῶν ἐπισκόπου x. τ. λ.; und nachdem die hier-
mit begonnene Periode anakoluthisch im "Sande verlaufen ist, wird
sie endlich c. 6 wieder aufgenommen mit ἐπεὶ οὖν ἐν τοῖς
προγεγραμμένοις προσώποις τὸ πᾶν πλῆϑος ἐϑεώρησα
ἐν πίστει. καὶ ἠγάπησα, παραινῶ x. τ. A. Es folgt kein Loblied,
sondern eine Ermahnung. In jeder Hinsicht ist also ad ὦ bedenk-
lich und ἴδω oder vielmehr, da es von χαταξιωϑείς abhängen
ınuss, ἰδεῖν geboten. Hatte man einmal daraus ein Complement
des in c. 1 unvollendet bleibenden Satzes gemacht (20), so
musste dem χαταξιωϑείς durch Tilgung des διά vor ὀνόματος
die nöthige Näherbestimmung gegeben werden. Das ὄνομα Yen-
πρεπέστατον (cf. ad Pol. 8; Sm. 13 = πρύσωπον ad Pol. 1;
Mgn. 6) durch dessen Vermittlung Ignatius die Gemeinde von
570
Magnesia gesehn hat, ist zunächst der „gotteswärdigste“ (Sm. 12;
ad Pol. 7) Damas (cf. Eph. 1), neben ihm die Presbyter Bassus
und Apollenius, der Diakonus Zotion. Kurasıovv.construirt Igna-
tius auch Rom. 2 mit dem blossen Infinitiv, wie ἐπιτυχεῖν
Eph. 1. — b) So L! („ad nos semper vivere“ Uss., p. 202;
Adnot., p. 14, also Montac., während Caj. vos hat). Mit ad c.
inf. übersetzt L! oft das finale τοῦ c. infin., z. B. Mgn. 8; ad
Pol. 8. Er verstand also: „damit wir immer leben“. Die Les-
art ἡμῶν α' A setzt voraus, dass τὸ ζῆν völlig = ἡ ζωή und
Apposition zu I. Xo. sei (ef. Eph. 3. 11. 17; Tr. 9; Sm. 4).
Aber die Parallelen zeigen, dass dann ein adjectivisches Attribut,
nicht ein adverbielles wie διαπαντός wenigstens ignatianisch wäre.
Anstatt sich durch jene scheinbaren Parallelen irre leiten zu
lassen, hätten die Abschreiber Eph. 20 vergleichen sollen: ὃς
ἐστι φάρμακον ἀϑανασίας, ἀντίδοτος τοῦ μὴ ἀποθανεῖν ἀλλὰ
ζῆν ἐν Ἰησοῦ Χριστῷ δι απαντός. Schönes Griechisch ist
das auch nicht. Der Gedanke unserer Stelle ist: Damit wir
ewig leben, bedürfen wir der. Einigung mit Fleisch und Geist
Christi. . Genau ist er damit nicht wiedergegeben; denn offen-
bar hat ἕνωσις eine doppelte Beziehung, Einigung der Christen
untereinander und Einigung mit Fleisch und Geist. Erstere
ist mit der letzteren gegeben (Phil. 4. 8 9). Die zu
einigenden Gegensätze sind natürlich in diesem ersten Paar
„Fleisch und Geist“ nicht verbunden, so dann auch nicht in
dem zweiten „Glauben und’ Liebe“, sondern diejenigen Stücke,
in Bezug auf welche und in welchen die Christen einig sein
sollen. — c) So L!, während A es weglässt, αἱ re ‚dafür setzt.
Einigung im Glauben ist Einigung in der Liebe. Der Ausdruck
dafür ist durchaus ignatianisch (vgl. oben S. 349, Anm. 3ff.); und
nur so schliesst sich der auf ἀγάπη allein bezügliche Relativsatz
natürlich an.
22. Mgn. 6. Im Widerspruch mit den lateinischen und
griechischen Zeugen — zu letzteren gehört natürlich auch Sev.
‘Antioch., p. 213, 13 — ist nach Sfr. 197, 2dsq. und
A zweimal εἷς τύπον statt εἰς τόπον zu schreiben. Curetons
Einfall, dass in jenem Fragment {asal nicht, wie in der Peschittho
immer (1 Kor. 10, 6. 11; 2 Thess. 3, 9; 1 Petr. 2, 21 u. 3, 21;
Joh. 13, 15) Vorbild oder Abbild bedeute, sondern ein τόπος
ersetze, bedarf wohl keiner Widerlegung. Dass dasselbe Frag-
ment p. 200, 3 am Schluss des Kapitels ein drittes εἰς τύπον
nicht - wieder ebenso, sondern durch (aui# übersetzt, ist bei
diesem Uebersetzer nicht äuffällig (s. oben 8. 194f.), da τύπος
Ὅ71
hier etwas andere Bedeutung hat, und die 'Erinnerung an 2 ‘Im.
1, 13 nahe lag. Gerade der Vorblick auf das dritte εἷς τύπον
liess die beiden ersten unpassend erscheinen. Dort heisst es
„zam Vorbild [für ‘die Gemeinde]“ vgl. 1Petr. 5, 3; an den
beiden ersten Stellen hat es die ebenso zulässige Bedeutung des
Abdrucks, Abbilds (vgl. Barnabas ὁ. 19: ὑποταγήσῃ κυρίοις ὡς
τύπῳ ϑεοῦ). Nicht an der Stelle Gottes, des allgemeinen un-
sichtbaren "Bischofs (Mgn. 3; Rom. 9; Sm. 8; 'Eph. 3), der ja
nieht abgesetzt ist, sondern -als irdisches Abbild Gottes führt der
Bischof den ‘Vorsitz in der Gemeinde, wie das Presbyterium als
Abbild des Apostelcollegiums. — So ist auch Tr. 3 zu ‚lesen
ὡς καὶ τὸν ἐπίσκοπον, ὄντα τύπον τοῦ πατρύς. So conjicirte
schon Cotelier nach 63 1,3 statt des υἱόν 6΄. Völlig bestätigt
wird dies durch ‘Sfr. 198, :10, indireet auch durch 'A "(ms Her
πατέρω und \Antioch. ‘Monachus, 'homil. 124 (ὡς 'τὸν πατέρα).
-Der künstlich zurechtgelegte Text des L! ist überdies sinnlos;
denn eine Wergleichung erst der Diakonen mit dem Gebote
‘Christi, dann :des Bischofs mit Christus selbst ist ebenso un-
gehörig, als die Bezeichnung des Bischofs als Sohnes des
"Vaters.
'23. “Frall. 2. «Δεῖ δὲ καὶ τοὺς διακόνους ὄντας μυστη-
οίων ᾿Ιησοῦ Χριστὸῦ χατὰ πάντα τρύπον πᾶσιν ἀρέσκειν. Die
mediceische ‘Handschrift verwechselt oft ὦ und o, ‘daher kein
-Grund, gegen 'L! G? (L? hat in ministerium) an μυστήριον fest-
zuhalten, was -keinen Sinn gibt, wenn man nicht wie Arndt
(Handschrift) ihm den Sinn „Bild, Gleichnis“ zu geben wagt.
‘Die orientalische’ Umschreibung: „die Diakonen, welche‘ Söhne des
- Geheimnisses Ohristi sind“ (Sfr..198, 8 A), setzt auch einen Genitiv,
vielleicht den des Singulars, voraus. Zu übersetzen ist (vgl.
-Bons. Π, 71): „Es müssen aber auch diejenigen, welche Diener
der Geheimnisse Jesu Christi sind“ u. s. w. So ist also ὄντας
-nicht überflüssig, und ein zweites διακόνους nicht erforderlich.
'Eiher- möchte die Frage entstehen, ob nicht mit Antioch. Mon.,
hom. .124, der'hier wie oft zusammenzieht, dies noch auf die
-Presbyter [und den Bischof] zu beziehen ist, so dass mit de. . καί
‘der UVebergang von der Pflicht der Gemeindeglieder gegen die
‘Vorsteher zu den Pflichten dieser gemacht würde -Mit dem
ὁμοίως ὁ. 3 würde dann wieder zur Pflicht des Respects gegen
die“Vorsteher zurückgekehrt. Unmöglich ist diese Fassung, zu
welcher die Satzverbindung verlocken möchte, und über die man
sich seit- Voss, S. 286 sehr mit Unrecht gewundert hat; un-
"möglioh ist sie dennoch zumal bei richtiger Textgestaltung in
c. 3:init. (8. vorigen Anhang). Es wird der Respect zunächst nur
572
gegen die Diakonen in Parallele gestellt mit der untadeligen
Amtsführung derselben, welche also auch c. 2 fin. gemeint sind.
24. Trall. 3. Ueber den Anfang 8. vorhin Nr. 22. Der .
Schluss ist seit Salmasius Gegenstand fleissiger Conjecturalkritik. Ich
bemerke nur, dass Arndt (Handschrift) nur ἑαυτοῦ statt ἑαυτόν αἱ
änderte und so übersetzte: „... welchen, achte ich, auch die Un-
göttlichen scheuen, welche es gerne sehen, dass ich meiner nicht
schone (d. h. dass ich zum Martyrium hingehe). Sollte ich, da ich
hierüber schreiben konnte, es so gemeint haben, dass ich, ob-
schon ein Verurtheilter, als ein Apostel euch vorschreibe?“
Die Vergleichung der übrigen Zeugen gestattet, kühner zu bessern:
ὃν (Πολύβιον) λογίζομαι καὶ τοὺς ἀϑέους ἐντρέπεσϑαι. Ayanav
ὑμᾶς 5") φείδομαι συντονώτερον Ὁ) γράφειν καίπερ δυνάμενος 5).
Οὐκ εἰς τοῦτο φήϑην, ἵνα ὧν κατάκριτος ὡς ἀπόστολος ὑμῖν
διατάσσωμαι. — a) So A 65 L? Pears. II, 141 u. A., ayanwr-
τας ws G! L! Pears. II, 51 u. A. — b) So 65 L? (frequentius)
A (vehementer) Pears. II, 141; III, 51, ἑαυτὸν πότερον Οἱ (L!
ipsum aliqualem). — c) γράφειν (oder ἐπιστεῖλαε G?) gleich
hinter συντονώτερον A G? 1,2, während G! L! δυνάμενος vorge-
schoben haben, wodurch dann das aller Näherbestimmung er-
mangelnde γράφειν einer Ergänzung vollends bedürftig erschien.
Man machte aus χαίπερ οὐκ ein ὑπὲρ τούτου. Die Negation
war überdies unbrauchbar, nachdem man durch πότερον eine Frage
geschaffen hatte. Fraglich wäre vielleicht auch, ob das δεδεμένος
ΟΣ nicht statt δυνάμενος zu schreiben wäre. Ein Vorblick auf
ὁ. 5 init. konnte Letzteres einschwärzen. — Wie in dem ganzen
mit ἀγαπῶν ὑμᾶς eröffneten Stück bis στραγγαλωϑῆτε c. 5
folgen sich lauter kurze Sätze. G! hat sie hier zu einer unver-
ständlichen Periode zusammengeschüttelt. Ich übersetze so: „In
Liebe zu euch (vgl. Phil. 5) erspare ich’s mir, in meinem Schrei-
ben einen höheren (schärferen) Ton anzuschlagen, obwohl ichs ver-
möchte (oder gebunden bin). Nicht soweit habe ich mich ver-
stiegen, dass ich, der ich ein Verurtheilter bin, wie ein Apostel
euch Verordnungen gebe.“ Das συντονώτερον verstand G? selbst
unrichtig, wie seine Erweiterung zeigt, als ob es „kürzer“ (ovr-
τομώτερον) hiesse. „Bascher“ könnte es heissen, aber das passt
nicht in den Gedankengang des Interpolators. Der wirkliche
Sinn „energischer, strenger‘ ergibt sich aus der Stimmung, in
welcher er gerade an diese Gemeinde schreibt. Die Deutung des
Worts geben c. 4. 5.
25. Trall. 4. Οἱ γὰρ λέγοντες μοι μαστιγοῦσίν με. Die
Conjectur μὲ statt wor (Voss, p. 287) ist ebenso überflüssig, als
573
die Ergänzung eines anderen Accusativs (Nolte bei Hefele καλά
statt γάρ, während letzteres doch durch alle Zeugen verbürgt
ist αἴ L!S @ L? Maxim. Conf., Parall. Vat. p. 522 C) oder
einer directen Rede wie μάρτυς (Buns. I, 121). Die Aenderungen
“von αΣ (οἱ γάρ μὲ ἐπαινοῦντες) und Scur. (τοιαῦτα) richten sich
selbst. Ignatius liebt es sehr, seinen Lesern etwas zu denken
zu gebeu. Vgl. die Menge ergänzungsbedürftiger Verba Rom. 8,
besonders aber das λέγω Rom. 3, das nicht aus dem Vorigen
oder Folgenden, sondern aus der Lage der Dinge erklärt
sein will.
26. Trall. ὅ. Καὶ γὰρ ἐγὼ οὐ καϑύτι δέδεμαι καὶ δύ-
γαμαι νοεῖν "), τὰ ἐπουράνια καὶ τὰς τοποϑεσίας, τὰς ἀγγελικάς
καὶ τὰς συστάσεις τὰς ἀρχοντικὰς, ὁρατά τε καὶ ἀόρατα Ὁ), παρὰ
τοῦτο ἤδη καὶ μαϑητής εἶμι" πολλὰ γὰρ ἡμῖν λείπει, ἵνα ϑεοῦ
un λειπώμεθϑα. — a) So 65 L? Scur. Sfr. 198, 14 A Sever.
Antioch. Cur. 217, 7 (cf. Land, anecd. I, 32), δυνάμενος αἱ,
δυνάμενος νοεῖν L!. — Ὁ) Vor παρὰ τοῦτο stark zu interpungi-
ren, wie jetzt fast allgemein geschieht (auch Baur Π, 581 ἔ;
Uhlh., 8. 60), und καὶ δύναμαι als Nachsatz zu χκαϑότι zu
fassen, ist in jeder Hinsicht unmöglich. Erstlich würde Ignatius
hiermit leugnen, dass er τὰ ἐπουράνια erkenne, während er un-
mittelbar vorher behauptet hatte, er könnte wohl von solchen
Dingen schreiben, unterlasse es aber, um seinen Lesern nicht zu
schaden. Sodann würde er als Folge seines vermeintlichen Un-
vermögens zu solcher Erkenntnis das hinstellen, dass er auch
bereits Jünger sei, und dies sollte dann, als ob es hiesse, er
sei noch ein Schüler, dadurch begründet werden, dass ihm noch
viel fehle! Dass in einem positiven Satz ἤδη nicht „noch“
heissen kann, und παρὰ τοῦτο nicht „in diesem Stück“ (Uhlh,,
S. 60), versteht sich. Die Bedeutung des Letzteren ersieht man
aus Rom. 5. Es braucht daher kaum erinnert zu werden, dass
“ Ignatius sich eben nicht als μαϑητῆς fühlt, sondern erst anfängt
es zu sein und durch den Tod es wahrhaft zu werden hofft
(vgl. oben S. 406). Es ist also mit allen alten Uebersetzungen,
wenn man sie nur richtig versteht (s. über den Uebersetzer des
Severus oben $. 204f.), auch mit dem Interpolator, welcher den
allzu lang gerathenen Vordersatz durch ταῦτα γινώσκων wieder
aufnimmt, der Nachsatz erst mit παρὰ τοῦτο zu beginnen. Weder
dass er als Märtyrer gefesselt ist, noch dass er von himmlischen
Geheimnissen zu reden weiss, macht ihn schon zu einem Jünger
in seinem Sinn des Wort. Durch x«i γὰρ ἐγώ wird dieser
Satz passend angeschlossen an die Erwähnung des unentwickelten
Zustands der Trallianer. So kann er, ohne sie zu beleidigen
574 ‚
reden, denn auch er selbst ist sich seiner grossen Unvellkommen-
heit bewusst. Passend fasst er sich darum auch schliesslich mit
den Lesern zusammen: „denn Vieles fehlt uns, damit wir [der
Hülfe] Gottes nicht entrathen‘“. So und nicht, als- ob. es hiesse
ὑπὸ ϑεοῦ μὴ καταλιπώμεϑα, ist nach bekanntem Gebrauch von
λείπεσϑαί τινος zu übersetzen. Arndt (Handschrift), mit dem
ich mich wesentlicher Tebereinstimmung erfreue, übersetzt:
„Gottes nicht verfehlen“. Es ist ällerdings das Gegentheil. des
ϑεοῦ ἐπιτυχεῖν.
27. Trall. 6. Es ist da schwer zu rathen; aber zur
Verhütung unbrauchbarer Besserungen.mögen die wirklichen Zeugen,
zu welchen hier ΟΣ nicht gehört, dastehn. G!: αἵρεσις " οἱ καιροὶ
παρεμπλέκουσιν Ἰησοῦν Χριστὸμ κατ΄ ἀξίαν πιστευάμενοι. --
Li: αἵρεσις, 7 καὶ μιαροῖς παρεμπλέκει Ἰησοῦν Χριστό». Das
UVebrige fehlt. — Sfr. 193, 18 (cf. A): αἵρεσις. οἱ ἑαυτοὺς
παρεμπλέκουσιν Ἰησοῦ Χριατῷ, ἃ iva πιστεύωνται (Ὁ). — Parall.
Rupef., pn. 772: αἵρεσις᾽ καὶ παρεμπλέκουσιμ Ἰησηωῦν Χριστὸν
καταξιοπιστευάμενοι. Das dem. L! anstössige Particip wird bei
Parall. Rupef. richtig bewahrt sein, vielleicht lag es doch auch
in futurischer Form den ÖOrientalen vor. „In feindlicher Weise
seinen. moralischen Credit misbrauchen “ heisst χαταξιοπαστεώεσϑιμ
auch wohl Polyb. ΧΙ], 17, 1. Im Uebrigen haben S A durch
Umdrehung der Objeote den Satz wohl nur mechanisch der fol-
genden Vergleichung asccommodirt, in welcher das den Irrlehrern
entsprechende ϑαγάσιμον φάρμακον im Accus. steht. Sachlich
angemessener ist es als das Beigemischte Christus, christliche
Wahrheit und Rede, zu verstehen. Cf. Clem. strom. I, p. 325
Pott.
28. Trall. 10 fin. “ωρεὼν οὖν ἀποϑνήσχω᾽ ἄρα οὖν
καταψεύδομαι τοῦ κυρίοῳ: Ein ἄρα οὐ (G! 1,1) ist jedenfalls
unleidlich, mag man es fragand. oder behauptend fassen. In
ersterem Fall wäre ebenso wie bei der Schreibung ἄρα ou eine
bejahende Antwort: vorbereitet, und zwar eine exnstliche Bejahung,
während Ignatius nur in ironischem Sinn sagen kann: „Ich lüge
gegen den Herm.“ Dem wird nicht abgeholfen, wenn man anch
die. voranstehende Folgerung fragend fasst Fasst man beide
behanptend und liest doch οὐ, 80 ergibt sich der unleidliche
Widerspruch zwisehen der Ironie des ersten und der ernstlichen
Meinung des zweiten Satzes. Der oben angenommene Vorschlag
von Voss, S. 289 wird bestätigt durch A und, was besonders
wichtig ist, durch Severus Antioch., p. 214, 7, welche keine
Negation anerkennen. Der Uebersetzer des Severus sucht nur
575
den Unterschied von ἄρα und’ ἄρα οὖν irgendwie wiederzugeben.
Die Verwirrung in Sfr. 200, 19 für den gleichen Text zu ver-
wenden, wäre zu umständlich.
29. Philad. ὅ. M'n προσευχὴ ὑμῶν εἷς ϑεύν μὲ
ἀπαρτίσει, | ἵνα ἐν ᾧ κλήρῳ ἡλεήϑην ἐπιτύχω, προσφυγὼν τῷ Evay-
γελίῳ ὡς σαρχὶ ᾿ησοῦ καὶ τοῖς ἀποστύλοις ὡς πρεσβυτερίῳ
ἐκκλησίας. Ein προσφύγωμεν, welches Pears. III, 48 vorschlug,
würde den Zusammenhang zerstören. Zu ἐπιτύχω kann προσφυγών
freilich nicht gehören; denn nicht erst in der Zukunft hofft
Ignatinus bei Evangelium und Aposteln Zuflucht zu: finden, son-
dern er hat sich dahin geflüchtet, indem er sich glaubend dem
Evangelium und den Aposteln zuwandte, damals als ihm Er-
barmung widerfuhr, und ihm zugleich sein besonderes Loos zu
Theil wurde. Es gehört in diesem ziemlich verschränkten Satze
προσφυγών τὰ ἠλεήϑην. In dem προσφυγεῖν vollzog sich das
ἐλεηϑῆναι. — Auch Lessing hätte besser gethan, bei seiner
Frage stehn zu bleiben (WW., Ausg. v. Maltzahn XI, B, 190),
als eine radıcale Textänderung vorzuschlagen, für welche er ver-
geblich auf den Beifall aller Unbefangenen gerechnet hat (XI,
B, 197 £.).
80. Sm. 1... . χαϑηλωμένον ὑπὲρ ἡμῶν. ἐν σαρκὶ — ἀφ᾽
οὗ καρποῦ ἡμεῖς ἀπὸ τοῦ ϑεομακαρίτου αὐτοῦ πάϑους --- ἵνα
ἄρῃ σύσσημον εἷς τοὺς αἰῶνας x. τ. λ.; 8. oben 8. 429, Anm. 2.
An dem etwas dunkel stilisirten, namentlich‘ durch Sever. Antioch.,
p. 214 bestätigten mediceischen Text ist nichte zu ändern. Der
von τὸν χύριον ἡμῶν... καϑηλωμέναν abhängige parenthetische
᾿ Relativsatz bezeichnet die Christen nicht eben als Frucht des
Kreuzes (Pears. II, 11). Ein ἐν σταυρῷ hat nur A para-
phrastisch zugesetzt. Richtig übersetzt der Uebersetzer des
Severus: „von dessen Früchten wir sind“ Wir gehören zur
Frucht Christi, zum Ertrag seiner Arbeit, und zwar von seinem
gottseligen Leiden her, in Folge desselben. Einfacher wäre der
Gedanke auszudrücken gewesen: die Christen sind die Frucht des
Leidens und Sterbens Christi. Statt ϑεομακαρίτου bieten L! αΣ
ϑεομακαρίστου; aber 88 auf μακαρίζω zurückgehende μακαριστός
passt nicht zu 9ε0-, sondern etwas zu ἀξιο- Eph. 12;
Rom. 10. Auch am Schluss des $atzes ist nichts zu ändern.
Das Feldzeichen, welches Christus in der Richtung auf die Welten
(vgl. Eph. 19) oder, wie es appositionsweise nachher heisst, in
der Richtung auf seine Heiligen und Gläubigen, seine Gemeinde
aus allen Völkern erhoben hat, ist das Kreuz. Vgl. Jes. 5, 26;
49, 22; 62, 10. Justin. dial. 26, zum Ausdruck auch Lucian.
576
ver. hist. I, 17. Um dies Feldzeichen, welches Christus durch sein
Aüferstehung zu einem Sammelpunct der. Völker gemacht hat,
sammeln sich Juden und Heiden, sofern sie gläubig werden, und
bilden eben dadurch den einen Leib seiner Gemeinde.
31. ad Pol. 2. Ὁ xugos ἀπαιτεῖ σε, ὡς κυβερνῆται
ἀνέμους καὶ ὡς χειμαζόμενος λιμένα, εἰς τὸ ϑεοῦ ἐπιτυχεῖν.
Dieser Text des αἱ wird durch L! bestätigt, wenn man nur das
gubernares in Usshers Druckfehlerverzeichnis, p. 241 wieder für
einen Druckfehler statt gubernatores nehmen Jdarf, wie schon Voss,
5. 267 forderte. Aus Smiths und Jakobsons Schweigen darf
man wohl schliessen, dass Caj. wirklich so geschrieben hat. Ohne
Frage ist auch nach Pears. III, 26 „ad (statt @) Deo potiendum“
zu lesen, was dann wörtliche Uebersetzung des αἱ ist. ΟἿ ὁ. 8
„ad eundum in Syriam“. Die Aenderung κυβερνήτης, zuletzt von
Merx (p. 67) gebilligt, kann nicht durch S empfohlen werden, der
sich wie viele Andere nicht in die Stelle zu finden wusste. Die
an sich verdächtige Assimilirung an den folgenden Singular kann
sogar erst im syrischen Text durch Entfernung eines Ribbui be-
werkstelligt sein. Sachlich angemessener ist der Plural; denn
der einzelne Steuermann begnügt sich bekanntlich mit einem
Winde. An dem Plural ἀνέμους hat der Plural κυβερνῆται seine
Stütze. Natürlich ist es nicht Polykarp, welcher seiner selbst
bedarf (so S), um sein Ziel bei Gott zu erreichen, sondern die
personificirte Zeit. Dieser Gebrauch von καιρός gerade in solcher
Verbindung ist bei den Griechen aller Zeiten so geläufig, dass
mir Bunsens Anstoss (I, 35) nicht verständlich ist. Vgl. sogar
jüdischen Sprachgebrauch bei Levy, Lex. chald. II, 51. Weg-
lassung des Artikels, den Bunsen verdächtig findet, wäre mehr
poetisch. Cf. Sophoel. Philoct. 466: καιρὸς γὰρ καλεῖ, dagegen
Lucian. πλοῖον 11: ὅταν ὃ καιρὸς καλῇ oder Ζεῦς τραγ.-. 15:
ὁ μὲν οὖν παρὼν καιρὸς ὦ ϑεοὶ μονονούχε, λέγει φωνὴν ἀφιείς,
oder Hippol. refut. V, 6: προκαλεῖται ἡμᾶς ὁ χρόνος. Auch
ἀπαιτεῖν mit einfachem Accus. ist in diesem Sinn gebräuchlich
(cf. Clem. strom. II, 429). Eigenthümlich ist hier nur, aber auch
völlig unanstössig, dass ὁ χαιρός, ähnlich wie aetas, saeculum
oft, die Menschen dieser Zeit bedeutet.
32. ad Pol. >. Ei τις δύναται ἐν ἁγνείᾳ μένειν εἷς τι-
μὴν τῆς σαρκὸς τοῦ κυρίου, ἐν ἀκαυχησίᾳ μένέέω. Nur G!
bietet τοῦ κυρίου τῆς σαρκύς gegen L! G? L? S A. Dass deren
Lesart keinen Sinn gebe, hätte Voss S. 269 wahrscheinlich nicht
gesagt, wenn er Tert. de monog. 11 gelesen hätte: „verebantur,
ne non liceret eis matrimonio suo exinde uti, quia in carnem
577
sanctam Christi credidissent‘‘ Bunsen (I, 38) findet den Ge-
danken falsch nystisch und erfindet ohne Noth: ἐν ἁγνείᾳ μένειν
τῆς σαρκὸς εἷς τιμὴν τοῦ κυρίου Der Begriff der ἅγνεια bedarf
dieser Vervollständigung nicht (Clem. ad Corinth. I, 21; Herm.
mand. IV, 1. p. 40, 5), wenn er sie auch erträgt (Clem. ad
Corinth. I, 38). Der Gedanke, dem Fleisch und dem irdischen
Wandel Christi zu Ehren gerade ehelos zu bleiben, ergibt sich
meines Erachtens ebenso natürlich aus der Vorbildlichkeit des
ehelosen Christus, als der Gedanke einer Nachahmung der frei-
willigen Armuth Christi. — Im folgenden Satz haben ΟΣ S A
πλήν statt πλέον τοῦ Enıoxonov, was natürlich nicht wie noch
Merx p. 11 thut, übersetzt werden darf wie ein ὑφ᾽ ἑτέρου
πλὴν Tor ἐπισχύπου. Es gibt aber überhaupt keinen Sinn; denn
der einzig denkbare: „unabhängig vom Bischof, ohne dessen
Wissen und Zustimmung“ erfordert χωρίς oder allenfalls ἄνευ
statt πλήν. Und auch dann wäre noch erst zu zeigen, was denn
ein Ehelosbleiben „ohne Rücksicht auf den Bischof“ eigentlich
bedeute.
33. ad Pol. Sextr. ... ἐν ᾧ διαμείνητε ἐν ἐνότητι
Feov καὶ ἐπισκοπῇ. So G! (ἐπισκοπὴ) L! und wie es scheint
alle Handschriften von ΟΣ ausser 1 und h (hier aber corrigirt),
welche mit A ἐπισχύπου bieten. Wenn Uss. Cler. II, 94 und
Smith, schol., p. 70 auch a für ἐπισχόπου anführen, so ist das
ein durch nichts begründetes Versehen. Die ed. dilling. bietet
ἐπισχοπῆ. Dass aber διαμένειν ἐν &nıoxonn nicht heisst „in der
Abhängigkeit vom Bischof“ verharren (Rothe, S. 463), versteht
sich von selbst. Es ist ϑεοῦ von vorher zu ergänzen.
ll. Sachliches.
1. Zu S. %2. Eine Abhängigkeit von Geschichte und
Briefen des Ignatius ist nirgendwo angedeutet, wo vor Abfassung
des m. colb. der später in seinen Namen ϑεοφόρος gelegte Ge-
danke ausgedrückt wird. Nach gnostischen Anregungen (excerpt.
Zahn, Ignatius, 37
578
Theod., 8 27 bei Clem. Al. ed. Pott., p. 976) nennt Clemens
Alex. (strom. VII, p. 882; cf. VT, p. 792) den wahren Gnostiker
ϑεοφορῶν καὶ ϑεοφορούμενος, was als Uebersetzung von 9ε0-
φόρος einerseits und ϑεόφορος andrerseits gelten kann. Das
Erstere ist aber das Gewöhnlichere (cf. Iren. II, 16, 3: por-
tante homine et capiente et complectente fillum Dei; V, 8, 1:
paullatim assuescentes capere et portare Deum). Bei den
Lateinern wurde die Vorstellung begünstigt durch die Lesart von
1Kor. 6, 20: clarificate et portate Denm in corpore vestro
Cypr. test. IH, 11; sehr gebräuchlich war sie aber auch bei den
Griechen (cf. Pears. II, 144 sq.; Suicer. thes. I, 1391 sq.;
Il, 1560), aber ohne irgend welche Einschränkung auch nur auf
die Märtyrer, welche man ja daraus nicht erschliessen darf,
dass der Bischof Phileas von Thmuis unter Diocletian von
χριστοφύροι μάρτυρες redet Eus. ἢ. 6. ΥἼΠ, 10, 3. Weder der
alte Ignatius (Eph. 9), noch Pseudoignatius (Mgn. 3; Sm. 12;
ad Mar. inscr.) lassen irgend welche nicht in den Worten χριστο-
φύρος oder ϑεοφόρος selbst liegende Einschränkung ihres Ge-
brauchs erkennen.
2, Zu ΚΝ 135. Die Schrift de synod. Arim. et Seleuc.
unter den Werken des Athanasius (ed. Montfaucon I, 2, 716 844.)
haben die Freunde des syrischen Ignatius aus der Reihe der älteren
Zeugnisse für den Text der Sammlung U zu streichen versucht, und
zwar Cureton (introd., p. 68 sq.) so, dass er das ganze’ Werk dem
Athanasius absprach, Lipsius (II, 21) so, dass er nur den Abschnitt,
in welchem das ignatianische Citat sich findet, für ein späteres
Einschiebsel erklärte, gestützt auf die von Mentfaucon und vor
diesem von Anderen gemachte Beobachtung, dass die beiden
Kapitel 30 und 31 dieser Schrift, von p. 746 E an, Thatsachen
erwähnen, welche der Abfassungszeit der Schrift (359) erst folgen.
Schade nur, dass das Citat aus Ignatius sich gar nicht in diesem
fraglichen Abschnitt, sondern erst in c. 47, p. 761 A befindet.
Der „diplomatischen Kritik“ konnte dies nur entgehn, wenn sie
die Urkunden gar nicht ansah. Was aber die durchgreifendere
Kritik Curetons anlangt, so ist nicht abzusehn, wie die chrono-
logische Incongruenz jenes Abschnitts die Aechtheit des Werks
im übrigen anfechten helfen soll. Dass die Schrift, wenn nicht
von Athanasius, dann von einem Zeitgenossen desselben und der
in der Schrift besprochenen Ereignisse herrührt, kann ja kein
Vernünftiger bezweifeln. Bei jedem anderen Verfasser aus jener
Zeit aber wäre jenes Stück ebenso auffällig als bei Athanasius.
Es könnte sich also nur fragen, von wem das mindestens zwei
Jahre jüngere Stück eingeschoben sei, oh vom Verfasser selbst,
679
nem Anderen. Für uns ist das völlig gleichgültig; aber
ons Vermuthung, dass der Verfasser selbst die Ein-
‘orgenommen, ist die einzig natürliche, da ein Späterer
:ler besonderen Tendenz freien Nachtrag einfach an-
te, wie der Verfasser selbst es ausgesprochener
ı Actenstücken in c. 55, p. 767 F saqq. gemacht
mag dem sein, wie ihm wolle, die Schrift im übrigen
.anasıus abzusprechen, besteht nicht der mindeste Grund.
. Cave’s von Cureton wieder geltend gemachtes Bedenken,
„ss hier ὁ. 17 dem Eusebius eine Lehre nachgesagt werde, die
dieser nicht geführt habe, scheitert ja einfach daran, dass hier
ein Sendschreiben Eusebs citirt wird, worin sie ausgesprochen
war. Und gerade die Lehre, dass Gott der Vater der μόνος ἀλη-
ϑινὸς ϑεύς auch im Gegensatz zum Sohne sei, ist Grunddogma
der Partei, welcher Euseb anheimgefallen war, und wurde von
Euseb bekannt (vgl. meine Schrift über Marcellus, δ. 37f. vgl.
17). Curetons Bedenken endlich gegen die Art der Ausein-
andersetzung in c. 47 aus Anlass des ignatianischen Worts be-
ruhen auf so völliger Unkenntnis der damaligen Parteistellungen
und ebensolchem Misverständnis des Sinns, in welchem Aths-
nasius nach seiner bekannten Weise die Aeusserung eines ehr- ᾿ς
würdigen Schriftstellers ältester Zeit zurechtlegt, ohne sich dessen
Ausdrucksweise anzueignen, als dass mir eine Widerlegung schick-
lich schiene. Gesetzt aber, Athanasius hätte die Schrift nicht
geschrieben, so verliert das in derselben enthaltene Zeugnis für
Ignatius kaum etwas an Gewicht; denn auf einen bedeutenderen
Nicäner aus der Zeit des Athanasius geht es auf alle Fälle
zurück, und Lipsius müsste wenigstens erst begreiflich machen,
aus welchen Anlässen dies historische Sendschreiben zu Theodorets
Zeit oder noch”später hätte entstehen können, ehe er behauptete,
dass in der Zeit zwischen Euseb und Theodoret niemand den
Text der dem Husebius vorliegenden Recension citirt habe
(s. I, 15). Vgl. oben 85. 512.
3. Zu S. 245. Ein eigenthümlicher Zug zur Charakteristik
der damaligen Verfolgung darf vielleicht den Worten entnommen
werden: ὅτε εἰρηνεύουσιν χαὶ ἀπέλαβον τὸ ἴδιον μέγεθος καὶ
ἀπεχατεστάϑη -αὐτοῖς τὸ ἴδιον σωματεῖον Sm. 11. Dressel fragt:
an intelligendum sit corpusculum seu collegium presbyterorum,
an ipsa Christianorum grex persecutionis procella dissipata. Für
lsetzteres entscheidet sich die gewöhnliche Auslegung, und den
Vorzug vor Ersterem verdient es jedenfalls. Aber Jeder muss
die Unangemessenheit des Ausdrucks empfinden, welche Nirschls
Uebersetzung nackt hervortreten lässt: „dass sie Frieden xe-
37*
580
niessen, auch ihre eigene Grösse wieder erlangt haben, und
dass ihnen ihr eigenes Körperchen wieder hergestellt
worden ist“ An sich wäre es ja möglich, dass Ignatius die
Einzelgemeinde als das verkleinerte Abbild des σώμα der Ge-
sammtkirche (Sm. 1) einmal so deminutiv bezeichnete; aber dieser
Gegensatz waltet hier nicht ob. Ebenso unnatürlich erscheint
der Ausdruck, wenn an den Gegensatz der grossen heidnischen
Bevölkerung Antiochiens gedacht wird. Ignatius stellt die jünge-
ren und wahrscheinlich kleineren Gemeinden der asiatischen
Grossstädte als πλῆϑος vor (Sm. 8; cf. Eph. 1; Tr. 1. 8). Aller-
dings hat σωμάτιον — 80 schreibt hier ΟΣ — sowohl, wo es
vom menschlichen Körper gebraucht wird (Eus. h. e. V, 1, 23;
Tertull. ad uxor. II, 5: corpusculum tuum; σαρκίον mart.
Polyc. 17; Tatian. or. 6. 15. 25; Clem. quis div., p. 954), als wo es
„Collegium“ bedeutet (vgl. Jakobson zu Sm. 11) seine deminutive
Bedeutung so ziemlich eingebüsst; aber ein Beleg für diese Be-
zeichnung einer ganzen Gemeinde wäre doch sehr erwünscht,
jedenfalls. erscheint sie neben μέγεϑος unerträglich. Es möchte
daher σωμάτιον die sehr gewöhnliche Bedeutung haben, ohne die
man auch die wichtige Stelle Iren. I, 9, 4 schwerlich richtig und
contextgemäss erklären kann: „das eng anschliessende und den
Körper nachbildende Gewand“. Dem bilderreichen Ignatius, der
vom Hafen und vom Stadium, von der Musik und vom heidni-
schen Gottesdienst, aus dem Soldatenleben und von’ tollen Hunden
seine Bilder hernimmt, mochte dies kein unpassendes Bild für
das gottesdienstliche Gebäude, das Versammlungshaus der Ge-
meinde zu sein scheinen, zumal ihm die Gemeinde ein σώμα ist
(Sm. 1; ef. Pol. ad Philipp. 11) und er es liebt, die Gemeinde
als gottesdienstliche Versammlung vorzustellen. Der Zutritt zum
Bethaus war den Christen in Antiochien eine Zeit lang verwehrt;
jetzt ist es ihnen wieder eingeräumt worden (cf. Herm. sim. VI,
p. 99, 31 und dazu meine Schrift über Hermas, S. 81). Auch
τὸ ἴδιον μέγεθος wird schwerlich auf die Zahl der Gemeinde-
glieder sich beziehn, denn keine der beiden Möglichkeiten em-
pfiehlt sich, weder dass antiochenische Christen in beträchtlicher
Zahl aus der Stadt geflüchtet und nun zurückgekehrt waren,
noch, dass die durch Abfall und Martyrium entstandenen Lücken
durch neue Bekehrungen ausgefüllt waren. Es wird vielmehr die
der antiochenischen Gemeinde vordem eigene Herrlichkeit, ihr
blühender Zustand, gemeint sein. Me&ys$og bei Ignatius (Eph.
inser. cf. Rom. 3) ist (da3.
4. Zu 8. 336. Wenn an der Auslegung von 1 Tim.
5, 3—16 etwas gewiss ist, so ist es dies, dass damals nur ver-
- 581
wittwete Frauen in den Katalog der Wittwen eingetragen wurden
(vgl. besonders Wiesinger, Pastoralbriefe, S. 520, gegen Baur).
Andrerseits sehen wir auch, dass die verwittweten Frauen nicht
ohne weiteres als „Wittwen“ eingetragen wurden, sondern erst
dann, wenn sie keine Angehörigen mehr hatten, die für sie sorgen
konnten, wenn sie 60 Jahre alt waren, und wenn eine Wieder-
verheirathung nicht mehr zu fürchten war. Ich glaube, dass
sowohl der Wortlaut als auch die Vergleichung der geschicht-
lichen Entwicklung des Instituts es verbietet, zwischen V. 3—8
und V. 9—16 in der Art zu scheiden, dass dort von den
Wittwen die Rede wäre, welche auf Gemeindeunterstützung an-
gewiesen waren, hier von den Wittwen, welche eine Art von
Gemeindeamt und eine öffentlich anerkannte Ehrenstellung ein-
nahmen. Exegetisch unthunlich erscheint diese Auffassung immer
wieder deshalb, weil die eigentlich charakteristischen Züge sich
in beiden Reihen finden. Der Gegensatz zwischen den ὄντως
χῆραι und solchen, welche noch nicht völlig der zu ihrer Ver-
sorgung verpflichteten Angehörigen beraubt sind, begegnet in
V. 16 wie in V. 3 ff.; es muss also auch in V. 9—15 von Wittwen
die Rede sein, deren Unterhalt der Gemeinde zur Last fällt.
Andrerseits handelt es sich in V. 3—8 nicht nur um Unter-
stützungsbedürftigkeit; denn Timotheus wird vor allem angewiesen,
sie zu ehren, was doch nur dann eine ehrenvolle Versorgung
und Unterstützung bedeuten könnte, wenn schon vorher von der
Versorgungsbedürftigkeit dieser Wittwen etwas gesagt wäre. Gab
es damals ausser den von der Gemeinde verpflegten ὄντως χῆραι
oder innerhalb dieses weiteren Kreises einen engeren Kreis von
amtlich bestellten Wittwen, so musste Timotheus V. 3 misver-
stehn. Ferner ist bei allem Unterschied die Aehnlichkeit zwischen
5, 4 und 3, 4 so unverkennbar, dass hier ebenso, wie dort für
den Bischof, ein tadelloses häusliches Leben als Vorbedingung
einer über das Haus hinausgreifonden Stellung und Wirksamkeit
aufgestellt sein muss. Eine gewisse Undeutlichkeit entsteht nur
dadurch, dass Paulus die Pflicht der Wittwe in Bezug auf ihr
noch bestehendes Hauswesen und die Pflicht ihrer Angehörigen
gegen sie unter ein einziges μανϑανέτωσαν zusammenfasst. Das
τὸν ἴδιον οἶκον εὐσεβεῖν bezieht sich auf die Wittwen, das ἀμοιβὰς
ἀποδιδόναι τοῖς προγόνοις auf deren Angehörige. Hätte er
Letztere allein als Subject von μανϑανέτωσαν im Sinn, so würde er
entweder den Vordersatz wie in V. 16 gebildet, oder wenigstens
durch ein οὗτοι (ταῦτα) im Nachsatz angedeutet haben, dass das
Object des Vordersatzes nun Subject sein solle. Endlich aber
musste Paulus, je irreführender er in V. 3 geredet hatte, um so
deutlicher den Uebergang zu einem ganz anderen Kreis von
582
Personen markiren, wenn er den Schein vermeiden wollte, als
kehre er V. 9, nachdem er von den Pflichten der Angehörigen
gegen die Wittwen gehandelt, wieder zu denselben Wittwen
zurück, von welchen er V. 3. 5 geredet hatte. — Es gab also
damals eine einzige Classe von ‚Wittwen“, welche einerseits von
der Gemeinde ernährt wurden, andrerseits aber eine nicht näher
angegebene Verwendung im Dienst der Gemeinde fanden und
eine dem entsprechende Ehrenstellung einnahmen. In ersterer
Hinsicht war eine förmliche Immatriculation ebenso nothwendig
als in letzterer; und wenn es in dieser Hinsicht wünschenswerth
war, dass die Wittwen ohne häusliche Pflichten und Neigungen
seien, und wenn deshalb ausser einem Gelübde fernerer Ehelosig-
keit (V. 12) auch noch das Alter von 60 Jahren als Bürgschaft
dafür und die völlige Verlassenheit von Angehörigen gefordert
wurde, so war damit zugleich dafür gesorgt, dass gerade die Be-
dürftigsten die Wohlthat des Instituts genossen. Vereinzelte
Unterstützung jüngerer oder weniger verlassener oder weniger
sittlich tüchtiger Wittwen, welche vielleicht nicht weniger be-
dürftig waren, war dadurch ebensowenig ausgeschlossen, als dass
eine wohlhabende Wittwe trotz aller sonst erforderlichen Eigen-
schaften auf Eintragung in den Wittwenkatalog verzichtete. Sie
‘ gehörten dann zu den ὑστερούμενοι, deren in aller altkirchlichen
Literatur häufig neben Wittwen und Waisen gedacht wird. —
Die von den Auslegern der Pastoralbriefe so oft versuchte Unter-
scheidung hält auch nicht Stich gegenüber den Nachrichten aus
nachapostolischer und altkatholischer Zeit. Polykarp drückt
Pflicht und Vortheil des Wittwenstandes durch ein einziges Wort
aus (8. oben S. 333 f.), und lange Zeit gingen Ehrenstellung oder
Amt und Versorgung durch die Gemeinde Hand in Hand. Wenn
man bei erster Organisirung von Gemeinden neben den Geist-
lichen die Wittwen nur im Sinn eines weiblichen Gemeindeamts
erwähnt zu finden erwartet, erscheinen sie doch mit den Waisen
verbunden, also als Object kirchlicher Wohlthätigkeit (Clem. hom.
III, 71); in gleichem Zusammenhang hört man sogar von Ein-
richtung mehrerer Wittwenhäuser in einer einzelnen Gemeinde
mit einem Bischof (Clem., hom. XI, 36). Der Name für diese
Institute (τὸ χηρικόν) begegnet noch in späterer Zeit gerade da,
wo die Bedingungen längerer Wittwenschaft und dauernder Ehbe-
losigkeit eingeschärft werden (reliqu. jur. 660]. gr. 8, 27 864.)
welche nur auf das Wittwenamt und nicht auf die Wittwenver-
sorgung passen sollen. Ebenso ist noch bei Basil., ep. 199
(ed. Bened. III, 293 Ὁ) als das Charakteristische des τάγμα τῶν
χηρῶν die Versorgung durch die Kirche und die Bedingung
dauernder Ehelosigkeit angegeben. In der abendländischen
583
Kirche, welche einen viduatus oder ordo viduarum ἢ) länger bewahrt
hat, war zu Tertullians Zeit die Aufnahme in denselben, eben-
sosehr eine materielle Wohlthat als eine kirchliche Ehre in Ver-
bindung mit der Verpflichtung zu kirchlicher Thätigkeit, d. h.
der von 1 Tim. 5 vorausgesetzte Zustand scheint dort im wesent-
lichen unverändert fortbestanden zu haben. Im Orient dagegen hat
sich wohl noch im 2. Jahrhundert eine Veränderung vollzogen.
Schon die oben S. 334 angeführte Stelle aus den δεαταγαὶ διὰ
Κλήμεντος zeigt, dass »einer ganz kleinen Zahl von Wittwen
— dort heisst es dreien — diejenige Stellung zugewiesen wurde,
welche nach 1 Tim. 5 allen in den Katalog eingetragenen Witt-
wen ohne Unterschied zukam. Die Freude freilich, mit welcher
Lagarde (rel. jur. gr., p. 76; cf. adnot. p. XIX) fand, dass eine
Stelle dieser Schrift von Clemens Al. (strom. I, p. 377 Pott.) als
γραφή citirt werde, vermag ich nicht zu theilen; denn wer bürgt
uns dafür, dass diese pseudoclementinische Schrift hier nicht eine
verlorene ältere Schrift ebensd wörtlich ausgebeutet hat, wie
anderwärts den Barnabashrief? Aber alt genug, gleichzeitig mit
Origenes mögen diese διαταγαί sein. Auch bei ÖOrigenes ge-
hören „die Wittwen‘“ neben Bischof, Presbytern und Diakonen
zu den „kirchlichen Würden“ (hom. 17 in Luc. opp. III, 953 D);
es können also nur wenige, mit einem förmlichen Amt bekleidete
Wittwen sein. Sie heissen auch πρεσβύτιδες, und daher werden
auf diese „in den Kirchen eingesetzten Wittwen‘“ ohne weiteres
die Ermahnungen aus Tit. 2, 3—5 angewandt (Orig. hom. in
Jes. 6, 3; opp. IH, 117 D). Dunkel ist das Verhältnis derselben
zu den Diakonissen. Liest man die merkwürdig fraglich ge-
haltenen Andeutungen über eine διακονία der Frauen in den ge-
nannten διαταγαὶ διὰ Κλήμεντος p. 79, 14 sqq. 25 sqg. oder
die Auseinandersetzung des Origenes über die Diakonisse Phöbe
Röm. 16, 1 (opp. IV, 681), so scheint es um jene Zeit ein Amt
der Diakonissen neben dem jener beamteten Wittwen gar nicht
gegeben zu haben; und doch 'ist für die ältesten Zeiten die
Existenz eines solchen, um von ungewissen Andeutungen zu
schweigen, nicht nur durch Röm. 16, 1, sondern auch durch den
Brief des Plinius ?) verbürgt; und wiederum im 4. Jahrhundert
1) Schon Herm. vis. II, 4 ist irgend welche Organisirung der von der Kirche
versorgten „Wittwen und Waisen “, ein 1704x%0», vorausgesetzt. — Aus Tertull.
de virg. vel. 9 sieht man, dass die Aufnahme in den viduatus eine äusserliche
Unterstützung (refrigersum) war, aber nicht weniger eine amtliche Ehrenstellung.
Gleich hinter den diaconus steht die vidua (de praeser. 3). Die nach den
Regeln von 1 Tim. 5 immatriculirten Wittwen (ad uxor. I, 1 cf. 4) haben nach
de monog. 11 bei Fheschliessungen mitzureden.
2) Plin. ad Traj. 97, 8: quo magis necessarium credidi ex duabas anvillis,
quae ministrae dicebantur, quid esset veri, et per tormenta quaerere.
584
hören wir überall von -Diakonissen (Const. ap. II, 26. 58; διατ.
διὰ "InnoAvrov Rel. jur. 7, 20; 9, 29; Pseudoign. Antioch. 12;
Basil., ep. 199, opp. III, 296 B; Epiph. expos. fil. 21; haer.
79, 3), aber nicht mehr von Wittwen in dem vorhinbezeichneten
Sinn. Wenn neben den Diakonissen ein τάγμᾳ τῶν χηρῶν und
ein χηρικόν erwähnt wird, verlautet nichts mehr von kirchlicher
Beschäftigung, sondern nur noch von Verpflegung durch die
Kirche (Const. ap. II, 26; dıar. Ἵππολ. p. 8, 27 844.; Basil. 1. 1,
p. 293 D). Dagegen erscheinen Wittwen neben Jungfrauen dem
τάγμα τῶν διακονισσῶν eingeordnet (Const. apost. VI, 17;
Epiph. expos. fid. 21), und auf die Diakonissen überhaupt, gleich-
viel ob sie Wittwen oder Jungfrauen sind, fängt man an, die
paulinischen Verordnungen zu beziehen !). Es ist also im Orient,
obwohl man nicht aufgehört hat, die armen Wittwen von Ge-
meinde wegen zu unterstützen, der Wittwenstand als Träger eines
kirchlichen Amts im weiblichen Diakonat untergegangen. Ver-
gleicht man den Gebrauch von πρεσβύτιδες bei Orig. IH, 117;
Epiph. haer. 79, 4, so darf can. Laodic. 11 als Abschaffung des
Wittwenamts neben dem weiblichen Diakonat bezeichnet werden.
Umgekehrt ist im Abendland der weibliche Diakonat, wenn er
je dort bestanden hat, sehr bald völlig im Viduat untergegangen.
. Dieselben Functionen, welche nach den späteren Nachrichten im
Orient den Diakonissen oblagen, stehen im Occident ebenso, wie
nach den älteren morgenländischen Nachrichten ursprünglich auch
im Orient, den Wittwen zu, nur dass diese Functionen in den
occidentalischen und den älteren orientalischen Nachrichten weniger
veräusserlicht erscheinen, als bei den morgenländischen Diako-
nissen vom 4. Jahrhundert an. Aus Gründen des Anstands
dienen die Diakonissen bei der Taufe von Frauen uud zur Pflege
kranker Frauen (Const. apost. III, 15 sq.; διαταγαὶ διὰ Innoiv-
του p. 9, 31; Epiph. expos. fid. 21; haer. 79, 3), so aber auch
die Wittwen (διαταγαὶ διὰ Κλήμεντος, p. 78, 31 84ᾳ.; Tertull.
de virg. rel. 9; Concil. IV Carthag., can. 12). Aber nur letztere
Stellen lassen eine seelsorgerische Aufgabe erkennen (vgl. auch
Origen. opp. ΠΙ, 117). Sogar eine geistliche Vorbereitung der
weiblichen Täuflinge durch die Wittwen, welche sich an deren
äusserliche Hülfsleistung bei der Taufe natürlich anschloss, be-
1) Das Gesetz des Theodosius, welches die 60 Jahre einschärfte, bei Sozonr
» VII, 16, während can. Chalced. 15 nur 40 Jahre erfordert werden. Auch Ba-
silius a. a. Ὁ. setzt offenbar jüngeres Alter der Diakonissen voraus. Epiphaı.
haer. 79, 4 ‚berichtet nur in gelehrtem Interesse, dass die Schrift die Diakonissen
ange τ ὠνόμασϑ (1 Tim. 5) χαὶ τούτων τὰς ἔτι γραοτέρας πρεσβύτιδιις
(Tit. 2
585
zeugt der genannte africanische Kanon. Es ist das ein Rest der
ursprünglichen Stellung der Wittwen, wie sie der 1. Brief an
Timotheus voraussetzt. Auch die Unterweisung der Wittwen
und Waisen der römischen Gemeinde, welche Herm. vis. II, 4
. der Grapte aufgetragen wird, weist auf eine Verwendung der
„Wittwen“, wie Grapte eine gewesen sein wird, zu höheren,
eigentlich geistlichen Zwecken. Dahingegen weist alles das, was
von den Diakonissen des Orients in späterer Zeit berichtet wird,
auf eine Veräusserlichung des Berufs, so z. B. wenn sie als Thür-
hüterinnen oder, was wohl dasselbe bedeutet, als Vermittlerinnen
des Verkehrs der Weiber mit den Geistlichen erscheinen (Pseudoign.
Antioch. 12; διατ. Ἱἱππολ. p. 7,29; 9, 30; Const. apost. II, 26).
Trotzdem wird es im allgemeinen der Wirklichkeit entsprochen
haben, wenn später die Abendländer ihre „ Wittwen “ für identisch
mit den „Diakonissen“ der Morgenländer hielten (can. Epaun. 21).
Der Entwicklungsgang scheint demnach dieser zu sein. Auf
einer ersten Stufe gibt es eine Genossenschaft von alten
Wittwen, welche von der Gemeinde unterhalten werden, gewisse
seelsorgerische Aufgaben in Bezug auf-das weibliche Geschlecht
haben und eine dem entsprechende Ehrenstellung einnehmen, und
ausserdem jüngere Diakonissen. Auf einer zweiten Stufe ver-.
schwindet der weibliche Diakonat so gut wie ganz, und aus der
Wittwengenossenschaft, welche als Gemeinschaft der kirchlich
unterstützten Wittwen fortbesteht, werden einige wenige Wittwen
oder Presbytiden ausgesondert zu den Dienstleistungen, welche
vorher sämmtlichen kirchlich immatriculirten Wittwen und den
Diakonissen obgelegen hatten. Auf einer dritten Stufe, welche
dem Occident völlig fremd blieb, wurde der weibliche Diakonat
erneuert, es wurden zu demselben auch Wittwen zugezogen oder,
wo die kirchlich beamteten Wittwen der vorigen Stufe nicht ab-
geschafft werden sollten, wurden sie dem τάγμα τῶν διακονισσῶν
eingeordnet. Zur Erklärung des Uebergangs von der ersten
Stufe zur zweiten ist erstlich die Annahme erforderlich, dass die
Stellung der Diakonissen in der apostolischen und nachaposto-
lischen Zeit eine sehr wenig amtlich ausgeprägte war. Zweitens
müssen die Jungfrauen, welche, sei es mit, sei es ohne den Namen
„Diakonissen “ ihre Dienste der Gemeinde widmeten, sehr frülı
der Genossenschaft der Wittwen zugewiesen worden sein, mit
welchen sie ähnlicher Dienst, ähnliche Vereinsamung und Be-
dürftigkeit verband. Eben dies bezeugt Ignatius, wenn er ge-
wisse Jungfrauen, welche den Wittwentitel führten, grüssen lässt,
als anerkannte Einrichtung der Gemeinde zu Smyrna und Ter-
tullian als eine in seiner Zeit und Gegend auffällige. Aus-
nahme,
΄
586
5. Zu S. 351. Nach älterem Vorgang glaubte auch Har-
nack (Der christl. Gemeindegottesdienst im apostol. und alt
katholischen Zeitalter, S. 25. 231) den gerichtlichen Geständ-
nissen, über welche Plinins dem Kaiser berichtet, entnehmen zu
dürfen, dass eben damals die Christen, um dem erneuten Verbot
der Hetärien soviel als möglich nachzukommen, die Abendmahls-
feier von den Agapen getrennt und in den Hauptgottesdienst
verlegt hätten. Man gelangt zu dieser Meinung erstlich nur
vermöge des methodischen Fehlers, dem man nun einmal auf
jedem Schritt scheint begegnen zu müssen, dass man einen für
irgend eine Provinz bezeugten Thatbestand sofort für die ganze
Kirche jener Zeit gelten lässt. Die ignatianischen Briefe wider-
sprechen dem überall. Während in Antiochien die Verfolgung
wüthet, haben die kleinasiatischen Gemeinden völlige Ruhe;
während in Asien die Episcopalverfassung feststeht, ist in Philippi
nicht ein Anfang davon zu finden. Selbst wenn bei Plinius zu
lesen wäre, dass die Christen Bithyniens damals aus dem ge-
nannten Grunde die Scheidung von Abendmahl und Agape
vollzogen hätten, wäre es willkürlich, diese sonst zuerst durch
Justin bezeugte Veränderung der Gottesdienstordnung der Kirche
überhaupt in die Zeit des Plinius zu legen und auf das dort
genannte Motiv zurückzuführen. Aber der Wortlaut des Berichts
des Plinius verbietet auch durchaus die genannte Deutung. Nach-
dem von denen gehandelt war, von welchen sich Plinius über-
zeugte, dass sie Christen weder seien, noch gewesen seien, fährt
der Bericht fort ($ 6 ed. H. Keil, p. 307, 25): Alii ab indice
nominati esse se Christianos dixerunt et mox negaverunt; fuisse
quidem, sed desisse, quidam ante trieninum, quidam ante
plures annos, non nemo etiam ante viginti ... . . Adfirmabant
autem hanc fuisse summam” vel culpae suae vel erroris, quud
essent soliti stato die ante lucem convenire carmenque Christo
quasi deo dicere secum invicem .. . . quibus peractis morem
sibi discedendi fuisse, rursusque coeundi ad capiendum cibum,
promiscuum tamen et innoxium; quod ipsum facere desisse
post edicetum meum, quo secundum mandata tua hetaerias
esse vetueram. Wollte man das „quod ipsum“ auf den zu-
letzt genannten Abendgottesdient allein beziehen, so müsste man
erstlich erklären, wie die Christen glauben konnten, ihre vor
Sonnenaufgang gehaltenen Gottesdienste würden nicht vom Ver-
bot der Hetärien und vom ärgsten Verdacht betroffen (vgl.
Harnacks eigene Bemerkungen $S. 219), ferner wie sie die
Trennung der Eucharistie von der Agape und die Verlegung der
ersteren in den Hauptgottesdienst eine Abschaffung jener Abend-
mahlzeiten nennen konnten, während doch diese fortbestanden
587
haben und auch später noch für verbrecherisch gehalten wurden
(ef. Tertull., apol. 39: haec coitio christiana merito illicita, si
illicitis par, merito damnanda, si quis de ea queritur eo titulo,
quo de factionibus querela est), und endlich, wie Plinius meinen
“konnte, so verstanden zu werden. Er berichtet ja hier nicht
Geständnisse von Christen, die es noch sind — davon ist gleich
nachher die Rede —, sondern Mittheilungen Selcher, welche
aufgehört haben wollen, Christen zu sein. Als das Wesentliche
ihrer früheren Schuld oder Verirrung nennen sie den doppelten
Gottesdienst; sie seien gewohnt gewesen, am Morgen zu-
sammenzukommen, und hätten die Sitte gehabt, am Abend
wieder zusammenzukommen. Ein hierauf folgendes desisse kann
ja nichts Anderes bedeuten als das Aufhören der genannten
Gewohnheit dieser bestimmten Menschen. Die Identität der durcli
das erste und das zweite desisse ausgesagten Veränderung ist
offenbar. Indem sie aufhörten, Christen zu sein, hörten sie auch
auf, an den gottesdienstlichen Bräuchen der Christen theilzu-
nehmen, und zwar die Meisten in den letzten Jahren angeblich
aus Gehorsam gegen das Edict des Plinius in Bezug auf die
Hetärien. Die gottesdienstliche Sitte derer, die Christen blieben,
wurda durch den Abfall dieser Leute gar nicht berührt.
Sie war zur Zeit dieses Briefs um 112 in Bithynien dieselbe,
wie zur Zeit der igmatianischen Briefe in den Gemeinden von
Asia proconsularis.
6. Zu S. 355. Die Benennungen der Cultusacte in den
ignatianischen Briefen sind so alterthümlich wie nur in Schriften
aus dem ersten und aus dem Anfang des 2. Jahrhunderts. Σὺν-
ayıoyn ad Pol. 4, wofür später σύναξις gebräuchlich ist, findet
sich ebenso gebraucht Jacob. 2, 2 (Hein. 10, 25); Herm. mand.
XI, p. 69, 4. 6. 23; 70, 2. Zu ἐπὶ τὸ αὐτὸ ἔρχεσϑαι Eph. 5
oder γίνεσϑαι Eph. 13; Phil. 6. 10 (auch abgekürzt ἐπὶ τὸ
αὐτό —= in versammelter Gemeinde Mgn. 7) vgl. Actor. 1, 15;
2, 1. 44; 1 Cor. 14, 2. 3; Barn. 4, 10. Der Gebrauch von
συνέρχεσϑαι gerade in Bezug aufs Abendmahl Eph. 13. 20 er-
innert an 1Kor. 11, 17. 20; ἄρτον κλᾶν Eph. 20 an Actor.
2, 46. Der Name des Liebesmahls ἀγάπη (Sm. 8; οἵ. Rom. 7;
Sm. 7; s. oben S. 347ff.) findet sich vor Ignatius nur Jud.,
v. 12; und εὐχαριστία im Sinn von Abendmahlsmaterie und Abend-
mahlshandlung hat keine biblische Parallele, sondern nur eineu
Anknüpfungspunct in Matth. 26, 27; 1Kor. 11, 24. Cf. Just.
apol. I, 66: καὶ ἡ), τροφὴ αὕτη καλεῖται παρ᾽ ἡμῖν εὐχαριστία.
ἡ. Zu Κ΄ 356. Der Sinn des Attributs der römischen
Christen ἀποδιυλισμένοις ἀπὸ παντὸς ἀλλοτρίου χρώματος (Bom,
588
inser.) ist im allgemeinen durch den. vorangehenden (κατὰ σάρκα
καὶ πνεῦμα ἡνωμένοις πάσῃ ἐντολῇ αὐτοῦ, πεπληρωμένοις χάρι-
τὸς ϑεοῦ ἀδιακρίτως) sicher gestellt. Die Bildlichkeit des ἀπο-
διυλισμένοις wahrt hier dem Wort χρῶμα die Bedeutung „Farb-
stoff“ oder noch bestimmter die Bedeutung eines unreinen, Wein
oder Wasser trübe färbenden Stoffs- ‘ Zu vergleichen ist Eph. 4:
σύμφωνοι ὄντες ἐν ὁμονοίᾳ, χρῶμα ϑεοῦ λαβόντες, denn offenbar
unrichtig fasst hier μὶ (vgl. auch Pears. III, 36) χρῶμα wegen
des vorangehenden σύμφωνοι und der folgenden musikalischen
Bilder in musikalischem Sinn. Dazu passt schwerlich λαβόντες.
Die Grundstelle ist, vielmehr Herm. sim. IX, 17: οὕτω ποικίλα
ὄντα τὰ ὄρη, eis τὴν οἰκοδομὴν ὅταν ἐτέϑησαν οἱ λίϑοι αὑτῶν,
μία χρόα ἐγένοντο, ferner die Deutung: λαβόντες τὴν
σφραγῖδα μέαν φρόνησιν ἔσχον καὶ ἕνα νοῦν, καὶ μία πίστις
αὐτῶν ἐγένετο καὶ μία ἀγάπη x. τ. λ. (ef. sim. IX, 4. p. 116, 17;
‚117, 5; c. 13, p. 127, 4). Im Gegensatz zu dieser einen der
Kirche von Gott verliehenen Färbung ist χρῶμα ἀλλότριον eben
das, was unter anderem Bilde ἀλλοτρία βοτάνη Tr. 6 und ohne
Bild ἀλλοτρία γνώμη Phil. 3 heisst, die Häresie. Fraglich könnte
nur sein, ob das Particip streng zu nehmen, und somit, ob auf
ehemaliges Vorhandensein der Häresie in der römischen Ge-
meinde hingewiesen wäre. Natürlicher erscheint, hier den ab-
geschliffenen Gebrauch anzunehmen, .der z. B. in "dem Spruch des
Archytas sich vorfindet: ϑεὸς εἰλικρινὴ καὶ διυλισμέναν ἔχει τὴν
ἀρετάν (Steph. thes. s. v. διυλίζειν. Darmach ist oben S. 270
ἀποδιυλισμός Phil. 3 durch „Reinheit“ übersetzt, wie es der Zu-
sammenhang und die Sachlage erfordert. Die Bedeutung des
Worts ist nicht zweifelhaft, obwohl nur διυλίζειν, διυλισμώς
häufiger vorkommen. Vgl. Matth. 23, 24, und -den gnostischen
Gebrauch bei Clem. eclog. prophet. 8 7, p. 991; Iren. I, 14, 8,
von daher angeeignet von Clemens selbst Paed. I, p. 117, vgl.
Heinrici, die valentinianische Gnosis, S. 113, Anm. 3. Von der
Reinigung des zur Töpferarbeit geeigneten Thons von den geringeren
Erdbestandtheilen gebraucht ἀποδιυλίζειν Cyr. hier. catech. XIII, 6
ed. Touttee, p. 189 B.
8. Zu S. 386. Das chronologische Verhältnis ist Clem.,
strom. VII, p. 898 deütlich angegeben, wenn man mit Voss (ad
Rivet, 28 sq.; οἵ. Pears. II, 85) liest: Magxiwv γὰρ κατὰ τὴν
αὐτὴν αὐτοῖς (Basilides und Valentin) ἡλικίαν γενόμενος ὡς
πρεσβύταις νεώτερος συνεγένετο, ue$’ ὧν Σίμων, ὃς ἐπ᾿
ὀλίγον κηρύσσονιος τοῦ Πέτρου ὑπήκουσεν. Vgl. Lewald, Zeit-
schrift für historische Theologie 1841, 3. Heft, S. 78f. Der
überlieferte Text liesse nur die Annahme einer plumpen Ironie
589 N
übrig, für die ich ebensowenig als für die attische Feinheit,
welche Lipsius (Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie 1867,
S. 79) darin findet, bei dem allezeit ernsthaften, meist pathetischen
Clemens ein Beispiel kenne. In der trockensten Weise setzt er
gleich nachher seine chronologische Argumentation fort.
9. Zu δ. 426. Wenn Ignatius in Bezug auf sein Auf-
treten in Philadelphia sagt: ἐγὼ μὲν οὖν τὸ ἴδιον ἐποίουν ac
ἄνϑρωπος εἷς ἕνωσιν κατηρτισμένος (Phil. 8), so beruft er sich
nicht auf eine angeborne Charaktereigenthümlichkeit oder auf
eine in der angeborenen Natur ausgedrückte Bestimmung; das
lässt die Bedeutung von χατηρτισμένος nicht zu-(vgl. Röm. 9, 22
und dazu Hofmann). Andrerseits ist doch mehr gesagt, als dass
er die Einheit liebe. Er ist für sie zubereitet; in Folge der
Bildung, die er empfangen hat, hat er eine Richtung auf die
Einheit; es ist ihm zur anderen Natur geworden, überall auf
Einigung des Zusammengehörigen zu dringen. Aehnlich rühmt
er an den Trallianern, dass sie eine tadellose und in der Ge-
duld niemals gchwankende Gesinnung besitzen οὐ κατὰ χρῆσιν
ἀλλὰ κατὰ φύσιν (Tr. 1). Es ist nicht ein angelerntes und
daher verlierbares, sondern zur Natur, zum unverlierbaren Eigen-
thum gewordenes Gut. Smith (Schol., p. 87) vergleicht passend
Barnab. 9: ὁ τὴν ἔμφυτον δωρεὰν τῆς διδαχῆς αὐτοῦ ϑέμενος
ἐν ἡμῖν, wo ja auch nicht an ein angeborenes Talent zu denken
ist. Vergleichbar ist auch Iren. I, 6, 4, wo ἐν χρήσει zum
Gegensatz hat ἰδιόκτητος, vgl. Bunsen I, 139. Die schiefe Auf-
fassung von Voss (S. 284), welche Dressel (S. 153) abgeschrieben
hat, und die-argen Gedanken, welche sich Baur (II, 43f.) und
Andere nach ihm gemacht haben, mögen auf sich beruhen. Es
handelt sich hier und Mgn. 5 um einen sittlichen Habitus, den man
durch Bekehrung, Wiedergeburt und Heiligung gewinnt und bewahrt.
Schwierig sind die scheinbar hierher ‚gehörigen Worte Eph. 1: Ano-
δεξάμενος ἐ ἐν ϑεῷ τὸ πολυα ἀπητόν σου ὄνομα, ὃ κέκτησϑε φύσει
δικαίᾳ κατὰ πίστιν καὶ ἀγάπην ἐν Ἰησοῦ Χριστῷ, τῷ σωτῆρι
ἡμῶν. Die Umschreibung des Scur. hilft zu keinem anderen
Text. Den Namen, um den es sich handelt, besitzen die Ephoser
von Natur, von selbst, nämlich abgesehn davon, dass 816. Christen
sind, und dass sie so treflliche Christen sind; aber diese
Epheser besitzen ihren schönen Namen mit Recht, es entspricht
ihm ihr religiöser und sittlicher Charakter. Ignatius hat in
Smyrna allerdings die Epheser in den die Gemeinde repräsen-
tirenden Vorstehern empfangen; aber kein „hellenistischer Sprach-
gebrauch“ rechtfertigt Bunsens Travestie von ὄνομά σου durch
„euren Bischof“ Ebensowenig können die Epheser selbst ge-
590
meint sein (80 Voss, 8. 272); denn wie sollten sie als Be-
sitzer der Collectivperson, die sie selbst bilden, vorgestellt
werden! Als die ephesischen Gesandten kamen, hörte Ignatius:
„das sind die Epheser“. Indem er jene Vorsteher empfing,
empfing er den Namen. dieser Gemeinde, was daun natürlich
nicht der Christenname, sondern der Name dieser Christen,
Ἐφέσιοι, ist. Schon der Scholiast des cod. Montzc. erkannte
richtig, dass Ignatius hier auf die Wortbedeutung dieses Namens
anspiele (8. oben S. 550). „Die Reizenden, Begehrenswerthen“
heissen sie mit Recht. Wenn man diese jejuna paronomasia als
des Märtyrers unwürdig verschmäht (Voss, S. 272; Pears. II, 196),
so streiche man -auch des Apostels Spiel mit dem Namen One-
simus (Philem. 10. 11. 20). So fernliegend kann der Gedanke
doch nicht sein, da Vairlenius, ohne von jenem mittelalterlichen
Scholiasten zu wissen, den Ignatius ebenso verstand, und Vitringa
ohne sonderliche Veranlassung im Commentar zur Apokalypse
den Namen ebenso etmylogisch zu deuten für passend hielt.
10. Zu S. 489. Es ist fraglich, ob Ignatius ein formu-
lirtes christliches Bekenntnis kennt. Er gebraucht πέστις im
Sinn von Glaubenslehre und Glaubenserkenntnis, wenn er sie als
Object einer Verfälschung durch die Irrlehrer vorstellt (Eph. 16
vgl. 17 und oben S. 4841). Um so mehr gewinnt es den An-
schein, als ob πέστεν ἐπαγγέλλεσθαι, welches mit ἐπαγγέλλεσϑαι
Χριστιανὰς εἶναι synonym gebraucht wird (Eph. 14), die Ab-
legung des Taurbekenntnisses bedeute. Ohnedies versetzt der
zweite Ausdruck in den Moment des Uebertritts zum Christen-
thum (cf. Justin., apol. I, 61), von wo aus betrachtet die Be-
währung durch ein christliches Leben zukünftig erscheint und
daber auch futurisch ausgedrückt wird. Ist aber mit dem Ge-
lübde, durch welches sich Einer zum Christenthum bekennt, zu-
gleich ein Gelübde des Glaubens gegeben, so wird Letzteres Ab-
legung eines Glaubensbekenntnisses bei Gelegenheit des Eintritts
in die Gemeinde d. i. der Taufe sein. Nun findet sich bei
Ignatius dreimal eine Aufzählung einiger Hauptstücke des kirch-
lichen Glaubens, welche bei aller Versehiedenbeit der drei Stellen
eine solenne Formel vorauszusetzen scheint (Sm. 1; Tr. 9;
Mgn. 11), ähnlich wie.die mannigfaltigen Gestalten der regal
fidei bei den altkatholischen Kirchenlehrern Expositionen des da-
maligen Taufbekenntnisses sind. Entsprechend dem polemischen
Anlass gehören Jdie von Ignatius variirten Sätze dem zweiten
Artikel an. Einer reyula fidei gleicht am meisten Sm. 1, am
wenigsten Mgn. 11. Aber je kürzer gerade diese Aufzählung ist,
um so auffälliger ist hier die gewichtige Erwähnung des Pontius
ὅ91
Pilatus, welcher diesen vollständigen Namen im Neuen Testament
nur selten (Matth. 27, 2; Luc. 3, 1; Act. 4, 27; 1Tim. 6, 13),
regelmässig dagegen in den Glaubensregeln und Symbolen führt.
So auch bei Ignatius an den drei Stellen, die wie eine regula
fidei ausssebn. Aber auch abgesehn von der Vollständigkeit der
Benennung ist die Erwähnung des Pilatus gerade an diesen drei
Stellen ein ziemlich sicherer Beweis dafür, dass Ignatius sich, so
oft er die der Häresie gegenüber zu betonenden Hauptstücke des
Gemeinglaubens aufzählt, an eine solenne Formel anschloss, in
welcher Pontius Pilatus genannt wurde. Das ἐπὶ Ποντίου IIı-
λάτου, welches in. fast allen Gestalten des apostolischen Sym-
bolums (vgl. Hahn, Bibliothek der Symbole und Glaubensregeln,
5, 3—59) und auch in manchen Reproductionen der Glaubens-
regel (Iren. III, 4, 2; Tert. virg. vel. 1) wiederkehrt, mag
schliesslich auf 1 Tim. 6, 13 zurückgehn; aber nicht unmittelbar
dorther hat es Ignatius genommen, da er es ohne jeden sonstigen
Anklang an die paulinische Stelle zweimal wörtlich (Sm. 1;
Tr. 9) und einmal sachlich (Mgn. 11) gerade in dem Zusammen-
hang vorbringt, in welchem es schon vor der Mitte des 2. Jahr-
hunderts seine feste Stelle hatte. Das sieht man aus Justin.,
apol. I, 61. p. 94 E, wo das zweite Stück der Ρ. 94 A kürzer
angeführten Taufformel so gefasst ist: χαὶ ἐπ᾿ ὀνόματος δὲ
᾿Ιησοῦ Χριστοῦ τοῦ σταυρωϑέντος ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου. Vgl
die Verwendung derselben Formel im Exorcismus dial., 0. 30,
ferner den Uebergang ‘von γεννηϑέντα ᾿Ιησοῦν Χριστόν zu τὸν
σταυρωθέντα ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου 800]. I, 13, an einer Stelle,
wo schon die Aneinanderreihung von Christus an zweiter und
heiligem Geist an dritter Stelle auf apol. I, 61 und damit_ aufs
Taufbekenntnis hinweist. Somit wird auch Ignatius an jenen drei
Stellen vom damaligen Taufbekenntnis abhängig sein, da ein po-
lemischer Zweck der Erwähnung des Pilatus nicht ersichtlich ist,
und die Annahme einer Abhängigkeit des Taufbekenntnisses zu
Justins Zeit von diesen ignatianischen Stellen absurd wäre. Dass
Ignatius einmal den Herodes neben Pilatus nennt (Sm. 1), wird
eine ebenso auf Lucas zurückgehende Amplification sein, wie ‚das
va πληρωθῇ πᾶσα δικιωμιοσύνη vn αὐτοῦ ebendort aus Matthäus
stammt. — Es ist natürlicher Weise unmöglich, den Wortlaut
des zu Grunde liegenden Taufbekenntnisses im übrigen genau
festzustellen. Aber eine Vermuthung drängt sich doch auf. Zu
den nieht variirenden Bestandtheilen seiner Glaubensregel gehört,
wenn wir von der ganz kurzen Auführung Mgn. 11 absehn, ein
ἐκ γένους Jupiö Tr. 9; Sm. 1. Dies erscheint um so bedeut-
samer, da Eph. 18 dies m ‚ verbindung mit einem Bestandtlıeil
des Symhols ἐκ πνεύματος ἁγίου vorkommt, und da es anch sonst
592
sich findet, wo es weder durch den Zusammenhang erfordert,
noch durch eine biblische Reminiscenz hervorgerufen zu sein
scheint (Rom. 7; 8. oben S. 349; Eph. 20). Es scheint daher
in dem kirchlichen Kreis und der Zeit des Ignatius zum Tauf-
bekenntnis gehört zu haben. — Ein Stück des Symbols ist auch
ὃς ἔρχεται κριτὴς ζώντων καὶ νεκρῶν Pol. ad Phil. 2.
11. Zu δ. 520. Ohne Rücksicht auf die umfangreiche
Literatur des Gegenstands hat de Lagarde wiederholt auf das
Verhältnis Lucians zur biblischen Literatur hingewiesen (de novo
test. ad vers. orient. fidem edendo 1857, p 20; rel. j. 6. graec,,
p. XVI: Lucianum scripta christiana legisse mihi quidem_ cer-
tissimum est et quum neminem videam exposuisse de re ad
quaestiones isagogicas recte judicandas gravissima, nisi quem
peritiorem negotium suscepturum intellexero, ipse quae inveni
editurus sum). Da er seinen Plan noch nicht ausgeführt, muss
ich aus meiner sehr unvollständigen Sammlung einige be-
weisende Beispiele anführen. Soloec. 6 wird als einer der So-
löcismen, welche gewiss zum grössten Theil der Literatur ent-
nommen sind, angeführt: βασανίζεσϑαι τὸν παῖδα αὐτῷ νοσοῦντα.
Also hat Lucian unseren Matthäus gelesen, wo (8, 6) ὁ παῖς
μου βέβληται ἐν τῇ οἰκίᾳ παραλυτικὸς δεινῶς βασανιζόμενος
zu lesen war. Jene Erzählung in Philopseud. 34—36, in welcher,
wie heute schon in Nationalbibliotheken zu lesen ist, Goethe das
Motiv zu seinem „Zauberlehrling gefunden hat, enthält An-
spielungen an Exod. 7, 9ff.; 8, 14f. Lucian könnte Jos. ant.
II, 13, 3 oder Philo, vit. Mos. I, 16 (Mang. II, 95) gelesen
haben; aber weder Josephus, noch Philo, noch der Pentateuch
boten ihm die Charakteristik des grossen Zauberers in Egypten:
ϑαυμάσιος τὴν σοφίαν καὶ τὴν παιδείων πᾶσαν εἰδὼς τὴν
Αἰγυπτίων (ὁ. 34). Er wird ebenso wie Justin (cohort., c. 10:
πάσης τῆς Alyuariov παιδεύσεως μετασχεῖν ἠξιώθη) in der
Apostelgeschichte (7, 22) gelesen haben: καὶ ἐπαιδεύϑη
Mwvoyg ἐν πάσῃ σοφίᾳ Altyuntiog. Die entsprechende Dar-
stellung bei Philo (ἃ. a. 0. $5, p. 84) lässt nicht bloss
den Ausdruck vermissen, sondern auch das Charakteristische
der Sache. — Wer in dem „allen bekannten Syrer aus Pa-
lästina“, der sich auf die Heilung Dämonischer versteht (τὸν
ἐπὶ τούτων σοφιστήν Philope. 16, cf. Peregr. 13) des-
halb Christus nicht wiedererkennen will, weil Lucian von
ihm als einem Lebenden rede und darum lieber eine unbe-
rühmte „palästinensische Berühmtheit“ gezeichnet glaubt, wie
Keim (a. a. O., S. 499), wird freilich bei so völliger Ver-
kennung der Schreibweise Lucians in jenem Pagkrates noch viel
593
weniger Moses wiederkennen. Die ganze Schilderung c. 16 ist
aus den Evangelien abgeschrieben: ὅσους παραλαβὼν καταπσίπ--
τοντας πρὸς τὴν σελήνην καὶ τῶ ὀφϑαλμῶ διαστρέφοντας καὶ
ἀφροῦ πιμπλαμένους τὸ στύμα ὅμως ἀνίστησιν x. τ. A. (cf. Matth.
-17, 15; Marc. 9, 19f. 26f.; Luc. 9, 39). Das Reden des
Dämons, während der Kranke schweigt, stammt aus Marc. 5, 9ff.;
Matth. 8, 29. 31, das ἀπειλῶν ἐξελαύνει τὸν δαίμονα aus Matth.
17, 18; Marc. 9, 25ff. Demselben Platoniker Jon, welcher er-
lebt hat, was Keiner sonst, legt Lucian (Ὁ. 11) eine Heilungs-
geschichte in den Mund, welche schliesst: καίτοι ö Μίδας αὑτὸς
ἀράμενος τὸν σκίμποδα, ἐφ᾽ οὗ ἐκεκόμιατο, ᾧχετο ἐς τὸν ἀγρὸν
ἀπιών. Jeder erkennt Marc. 2, 11; Matth. 9, 6f£.; Luc.
5, 24f. wieder, und ebenso auch Joh. 14, 18 in dem, was von
Peregrin c. 6 gesagt wird: ἀλλὰ νῦν ἐξ ἀνθρώπων εἰς ϑεοὺς τὸ
ἄγαλμα τοῦτο οἴχήσεται. . . . ὀρφανοὺς ἡμᾶς καταλιπόν. Vgl.
selbst Tzschirner, Fall des Heidenthums, S. 320. Solche Sätze
konnte Lucian nicht aus Gesprächen mit Christen, sondern nur
aus deren Schriften selbst schöpfen. Boshaft sind die meisten
Anspielungen dieser Art, aber nicht alle. Es ist z. B. die offen-
kundige Parodie der Kreuzigungsgeschichte im Prometheus 8.
Caucasus weniger Satire, als ein Versuch, die Idee eines leiden-
den Wohlthäters der Menschen in mythologischer Form darzu-
stellen und damit als Fabel darzustellen. Jeder nachdenkliche
lıeser jener Zeit, der von Christus auch nur etwas gehört hatte,
musste den Dichter verstehen. Denn, wie sollte ein Solcher es
sich erklären, dass Lucian der abweichenden Situation zum Trotz
die Fesselung des Prometheus beharrlich als eine Kreuzigung
mit ausgebreiteten Armen vorstellt. - Οὐτε γὰρ ταπεινὸν καὶ
προςγαιον ἀνεσταυρῶσϑαι χρή νων οὔτε μὴν κατὰ τὸ
ἄχρον . .. ἀλλ᾽ εἰ δοκεῖ κατὰ μέσον ἐνταῦϑά που ὑπὲρ τῆς
φάραγγος ἀνεσταυριύσϑω ἐχπετασϑεὶς τὼ χεῖρε x. τ. λ. (6. 1
cf. 4. 15. 17). Den Kaukasus nennt er „das Kreuz“ (0. 1
cf. 9. 10). Wo er geradezu von der Kreuzigung Jesu redet,
gebraucht er ἀνασχολοπίζειν (de morte Peregr. 11. 13; cf. jud.
vocal. 12), aber auch dies Wort kommt dreimal in dieser Parodie
vor c. 2, 7, 10. Aus diesem Grund ist auch zu beachten
Philops. 29: τὰς τῶν βιαίως ἀποθανόντων “μόνας ψυχὰς περινο---
στεῖν, οἷον εἴ τις ἀπήγξατο ἢ ἀπετμήϑη τὴν κεφαλὴν ἢ ἀνεσχο-
λοπίσϑη. Wer einmal von der Kreuzigung Jesu zwischen zwei
Uebelthätern gehört hatte, verstand auch sofort, was Hermes in
seinem ung des Hephästos Namen auf die Bitte um Gnade ant-
wortet: ἢ οὐχ ἱκανὸς εἶναί σοι δοχεῖ ὁ Καύκασος καὶ ἄλλους
ἂν χωρήῆσων δύο προςπατταλευϑέντας; (6. 2.) Sehr verständ-
lich war auch, was dieser γενναῖος σοφιστής auf die Frage
Zahn, Ignatius. 38
δ94
des Hermes antwortet, wie er als Prophet dies sein Schicksal
nicht vorauserkannt habe. Er hats vorausgesehn, aber ebenso -
auch seine nachfolgende Erlösung und seine Versetzung unter
die schmausenden Götter (c. 20). Ich darf mir die Anführumg
der Parallelen sparen, wennschon Lucian so schrieb, um ver-
standen zu werden. — Ob er, wie Tzschirner S. 321 für fast
selbstverständlich hielt, „die Schriften des Justin, des Athena-
goras und insbesondre seines Landsmanns Tatian gekannt“ hat,
will ich nieht entschieden haben; aber es ist möglich, dass er
de fugit., c. 6sq. Angriffe christlicher Apologeten im Auge hat.
Ueber sein Verhältnis zu Ignatius 8. oben S. 524 ff.
12. Zu S. 533. Eine Charakteristik der Sprache des
Ignatius gedenke ich nicht zu geben, begnüge mich vielmehr, auf
die Bemerkungen über χωρίον “Ρωμαίων (8. 809), ἀλείφειν
(ὃ. 275), εὑρεϑῆναι εἰς δύσιν (8. 808)" zu verweisen. Dahin
“ gehört auch: καλύν μοι --- ἡ Rom. 6 (s. oben S. 560; vgl.
Marc. 9, 48 ἢ; Winer, 6. Aufl., S. 215 ἢ); σιωπῶν ἀπό τινὸς
Rom. 2; w πρὸς σάδκα 0 λόγος, ἀλλὰ πρὸς ϑεόν Mgn. 3; der
Gebrauch von ἐν λόγῳ Phil. 11 im Sinn von eig λύγον
Phil. 11 u. Sm. 10, überhaupt der Gebrauch von ἐν, z. Β. &Asei-
σϑαι ἐν μεγαλειότητι πατρύς, φωτίξεσϑαι ἐν ϑελήματι Feov
Rom. inser., ἐν τῇ προςευχῇ τινος δικαιωϑῆναι Phil. 8, ἐν τῇ
προςευχῇ τινος ϑεοῦ ἐπιτυχεῖν Sm. 11 (cf. ad Pol. 7) bei rich-
tiger Schreibung. Die häufige Vertauschung der Dativ- und
Accusativconstruction weist aufs Syrische zurück, wenn auch die
einzelnen Fälle anderweitig belegt werden können: ὠφελεῖν
ὁ. dat. Rom. 6, c. acc. Sm. 6; φυλάττεσθαι ὁ. dat. Tr. 7, 6. acc.
Eph. 7 u. Tr. 2; ἐντρέπεσϑαι ὁ. dat. Mgn. 6, ὁ. acc. Tr. 3 u.
Sm. 8, absolut Men. 12; ἐμποδίζειν τινὶ ξῆσαι Rom. 6. Noch
sei bemerkt, dass kein Dual und nur sehr wenige Optative vor-
kommen: λυτρωϑείησαν Phil. 11; γένοιτο Sm. 5; Eph. 11. 12;
ad Pol. 6; εὑρεϑείητε Tr. 12; ὀναίμην Eph. 2; Mgn. 2. 12;
Rom. 5; ad Pol. 1. 6.
Ill. Literarische Abhängigkeiten..
Es hat sich oben 5. 430ff. herausgestellt, dass Ignatins
Schriften kennt und in der Kirche verbreitet weiss, an welchen
595
„das Evangelium“ und zwar die apostolische Verkündigung des-
selben glaubwürdige Urkunden besitzt. Man fing bereits an,
diese Urkunden der neutestamentlichen Offenbarung mit dem
„Gesetz Mosis und den Prophetien “ in Parallele zu stellen, und
was die Voraussetzung mehrerer anderer Stellen ist, bestätigte
förmlich das γέγραπται Phil. 8, welches selbst, wenn die oben
S. 379 angenommene Beziehung von ἐν τῷ εὐαγγελίῳ auf das
geschriebene Evangelium, auf die ἀρχεῖα des Christenthums, un-
richtig sein sollte, nur auf neutestamentliche Schriften sich be-
ziehen kann und deshalb mit dem etwa 10—15 Jahre jüngeren
ἧς γέγραπται Barnab. 4 zusammenzustellen ist (vgl. über Pol. 12
oben 8. 506). Damit ist keineswegs gesagt, dass eine festbe-
grenzte Sammlung mittelbar oder unmittelbar apostolischen Ur-
sprungs gleichmässig in der Kirche verbreitet und als γραφή
anerkannt war; aber der Begriff einer heiligen Schrift Neuen
Testaments muss damals in der Bildung begriffen gewesen sein.
Nun lässt sich freiich aus der mehr oder weniger deutlichen
Abhängigkeit des Ignatius von kanonischen Schriften nicht sofort
schliessen, dass eben diese der noch in der Bildung begriffenen
Sammlung kirchlicher Vorlesebücher damals angehörten. Er kann
durch Schriften unseres Kanons beeinflusst gewesen sein, ohne
dass sie damals wie später allgemein verbreitet und in weiteren
Kreisen neben den alttestamentlichen Schriften im Gottesdienst
gebraucht wurden. Andrerseits kann Ignatius, da es sich für
ihn nie um einen Schriftbeweis handelt, füglich eine Schrift ge-
lesen, sich aus derselben Historisches wie Dogmatisches angeeignet
haben, ohne durch Bezugnahme darauf ein persönliches oder
kirchliches Urtheil über das Verhältnis der betreffenden Schrift
zum werdenden Kanon auszusprechen. Immerhin aber ist es
wichtig, die in den Briefen des Ignatius und des Polykarp vor-
liegenden Bezüge auf Inhalt und Wortlaut der neutestamentlichen
Schriften, sowie der älteren christlichen Literatur überhaupt voll-
ständig nachzuweisen. Es wird dazu dienen, den 8 Briefen ihre
Stellung im Entwicklungsgang der christlichen Literatur zu
sichern und den von ihnen vorausgesetzten Schriften das be-
deutsame Zeugnis ihres Vorhandenseins und ihrer Einwirkung
auf das kirchliche Bewusstsein zu wahren, welches sie an den
Briefen der beiden Bischöfe aus Trajans Zeit besitzen.
1. Die Synoptiker und die Apostelgeschichte.
Eine einzelne Schrift, worin Thaten und Worte Jesu aufgezeichnet
sind, eitirt Ignatius sowenig wie Polykarp. Bei Ignatius wird
nur ein einziges Wort Jesu ausdrücklich angeführt und zwar ein
nicht sicher nachweisbares (Sm. 3). Das ist um so auffälliger,
38 *
696
da Ignatius gerade auch auf die Worte, Lehren und Gebote Jesu
Gewicht legt (vel. oben S. 434 f.). Wenn er es trotzdem nicht
nöthig findet, an einzelne Worte des Herrn zu erinnern, so er-
hellt, dass.er bei allen Gemeinden von Philadelphia bis Rom eine
zuverlässige, wesentlich gleichmässige Kenntnis der Worte wie
der Geschichte Jesu voraussetzt. Das allein schon würde die Frage
nach den Quellen dieser gemeinkirchlichen Kenntnis der evan-
gelischen Geschichte rechtfertigen.
Die sichersten Zeichen führen zunächst zu der Einsicht, dass
damals vor anderen Evangelien unser Matthäus verbreitet war,
denn nur zu diesem und zwar zu sehr eigenthümlichen Bestand-
theilen desselben findet sich eine ganze Reihe unverkennbarer
Parallelen. Dies wird z. B. auch von Scholten (Die ältesten
Zeugnisse, S. 52) anerkannt und durch eine in jeder Hinsicht
kritiklose Zusammenstellung belegt. Während die starke Be-
tonung der Herkunft Jesu aus Davids Geschlecht und von der
Jungfrau Maria nur überhaupt auf Evangelien wie unser ᾿ erstes
und drittes hinweist (Eph. 18. 20; Tr. 9; Rom. 7; Sm. 1),
liegt in Eph. 19 eine rednerische Verwendung von Matth.
2, 1—12 vor, wie sie sich nur der erlauben kann, welcher bei
seinen Lesern Kenntnis jener Geschichte voraussetzen darf. Sie
dient zur Beantwortung der Frage, wie die drei geheimnisvollen
Thatsachen der Empfängnis, der Geburt und des Todes Christi
der Welt trotz ihrer Verborgenheit kund geworden seien (s. oben
5. 485ff.).. Nur der Kenner des Evangeliums nach Matthäus
oder eines hierin mit demselben identischen Buchs, konnte wissen,
dass jene Frage durch die Erinnerung an den wunderbaren Stern
zunächst nur in Bezug auf Empfängnis url Geburt beantwortet
sein sollte; und selbst in dieser Beschränkung war es eine Ant-
wort nur für den, welcher anderswoher wusste, wem der . Stern
erschienen sei. Erst aus den Worten am Schluss des
Kapitels sieht man bei Ignatius, dass es sich um Erscheinung
eines Sterns im Anfang der evangelischen Geschichte handelt.
Nur, wenn man die Erzählung des Matthäus kennt, wird man
durch das ὅϑεν ἐλύετο πᾶσα μαγεία x. τ. A. daran erinnert,
dass es Magier waren, welchen durch den Stern die Geburt
Christi verkündigt wurde. Zu der Meinung, dass der Stern ab-
gesehn von dieser seiner nächsten Wirkung, der Verkündigung
der Geburt Christi an heidnische Magier, eine vernichtende Wir-
kung auf den heidnischen Aberglauben geübt habe, gibt Ignatius
keinen Anlass, und nur wer die Frage übersieht, zu deren Be-
antwortung das vom Stern Gesagte dient, kann wie Baur (II, 38)
behaupten, Ignatius habe, selbst wenn er an die ‚Erzählung des
Matthäus gedacht haben sollte, dem Stern doch eine ganz andere
597
Bedeutung gegeben. Er hat, wie es der erbaulichen Verwendung
naheliegt, die Wirkung der Erscheinung des Sterns auf die
Magier mit der ganzen geschichtlichen Entwicklung zusammenge-
fasst, an deren Spitze diese ersten gläubigen Verehrer „des im
Fleisch sich offenbarenden Gottes“ aus der Heidenwelt stehen.
Von jener ersten Verkündigung des erschienenen Heilands an
Heiden und der gläubigen Annahme derselben seitens dieser
datirt er den allmählig sich vollziehenden (man beachte die
Imperfecta) Sturz des heidnischen Aberglaubens (vgl. die Excerpta
Theod. bei Clem. Al., p: 986 Pott... In den Schlusssatz: „in
Folge davon ward Alles zusammen in Bewegung versetzt“, fasst
er die wunderbare Wirkung auf die Natur und auf die Menschenwelt
zusammen. Auf letztere ‚hatte auch der Satz sich bezogen: ταραχῇ
TE ἥν, πόϑεν N καινότης N ἀνόμοιος αὑτοῖς, aber in Worten, welche
nur der verstehen konnte, der aus Matth. 2, 3 wusste, wer sich
durch den Stern in Unruhe hatte versetzen lassen. Sonderbar
ist bei Ignatius nur die Beschreibung des Sterns selbst. Zwar
dass er eine fremdartige Himmelserscheinung gewesen sein müsse,
ergab sich durch einfachen Rückschluss von der Wirkung, welche
er auf die sternkundigen Magier ausgeübt hatte. Aber ohne
Anhalt im Matthäus ist das, dass die übrigen Sterne sammt Sonne
und Mond im Reigentanz den Stern umkreist haben. Aber zu
dieser Ausschmückung bedurfte Ignatius noch weniger als das
Protevangelium des Jakobus (c. 21) zu seiner viel reicheren einer
schriftlichen Quelle ausser Matthäus.
Die Worte ‚Beßantıouevov ὑπὸ Ἰωάννου, ἵνα πληρωϑῇ
πᾶσα δικαιοσύνη vn αὐτοῦ Sm. 1 stammen aus unserem Matthäus,
während dessen Worte im Ebjonitenevangelium des Epiphanius
gründlich umgestaltet und umgestellt sind, im Hebräerevange-
lium des Hieronymus aber wahrscheinlich ganz gefehlt haben
(vgl. Anger, SYnops. „8. 21£. ): — Zumal wenn man ad Pol. 1
gelesen hat: πάντας βάσταξε, ὡς καί σὲ ὃ κύριος, muss man in
dem folgenden πάντων τὰς νόσους βάσταζε eine bewusste An-
spielung auf Matth. 8, 17 erkennen. An die Grundstelle Jes.
53, 4 ist nicht zu denken, denn Ignatius theilt mit Matthäus
nicht nur den von LXX abweichenden Wortlaut, sondern auch
die von der gewöhnlichen Deutung des jesajanischen Kapitels
abweichende Beziehung des Worts auf mühsame Berufserfüllung
an Kranken, dort an leiblich, hier an geistlich Kranken. So
etwas könnte doch auch in einem „alttestamentlichen Urevange-
lium “ nicht gestanden haben. — Aus Matth. 10, 16 stammt
φρόνιμος γίνου ὡς ὄφις ἐν ἅπασιν, καὶ ἀκέραιος εἰς ἀεὶ ὡς ἡ
περιστερά ad Pol. 2. (Kein Artikel vor ὄφις nach G! und abfov;
Petermann hat durch Misverständnis an dieser Stelle ὡσεί. Das
598
εἷς ἀεί ist aus Θ᾽ herüberzunehmen, wird durch ein dem S und
A zu Grunde liegendes eis & δεῖ gestützt (vgl. Buns. I, 34) und
empfiehlt sich als ursprüngliche Lesart, weil es vor ὡς ἡ leicht
ausfiel, stilistisch aber sehr angemessen dem ἐν ἅπασιν entspricht.
An ὡς ἡ περιστερά G! G2 ist nichts zur ändern (vgl. Dressel
z. ἃ. St. und Anger, Synops., 8. 88). — Wenn man in Eph. 6
im allgemeinen eine Erinnerung an Worte Jesu wie Matth.
10, 40—42; Marc. 9, 37. 41; Luc. 9, 48; Joh. 13, 20 er-
kennt, so weisen die Worte τῶν δεξαμένων us εἷς ὄνομα ᾿Ιησοῦ
Χριστοῦ Rom. 9 speciell auf Matth. 10, 41f. — Auf den nur
bei Matthäus (15, 13) aufbewahrten Ausspruch über die Pha-
risäer spielt .Ignatius in seinen Warnungen vor den Häretikern
sowohl Tr. 11, als Phil. 3 an. — Die Worte ed γὰρ ἑνὸς καὶ
δευτέρου προςευχὴ τοσαύτην ἰσχὺν ἔχει x. τ. A. Eph. 5 scheinen
auf eine allgemein anerkannte Aussage über die Macht des Ge-
bets auch nur zweier Christen und somit auf Matth. 18, 191.
hinzuweisen. — Das ὁ χωρῶν χωρείτω Sm. 6 verwandelte schon
der armenische Uebersetzer oder dessen syrischer Vorgänger in
den Spruch Matth. 19, 12. — Der Erinnerung an die Salbung
in Bethanien (Eph. 17) liegt nicht Joh. 12, 3ff., sondern
Matth. 26, 6 ff. oder Marc. 14, 3 ff. zu Grunde wegen des ἐπὶ
τῆς κεφαλῆς αὑτοῦ. — Schon Ussher verwies zu Mgn. 9 mit
Recht auf Matth. 27, 52f. als Quelle der .Vorstellung, dass
Christus die Propheten und die alttestamentlichen Frommen über-
haupt von den Todten auferweckt habe (Mgn. 9; Phil. 5. 9;
oben 5. 462ff.). Dies geht über die allgemeine Vorstellung der
alten Kirche hinaus, nach welcher Christus oder die Apostel,
oder Christus und die Apostel, gelegentlich auch Johannes der
Täufer, jenen im Hades das Evangelium gepredigt und sie zum
Genuss der durch ihn erworbenen Seligkeit erhoben habe (vgl.
meinen Hermas, ὃ. 425ff. 449). Bei Irenäus (IV, 22, 2),
welcher diese Meinung theilt, wird die Auferweckung der alt
testamentlichen Frommen ausdrücklich auf den zweiten Advent
verlegt. Auch die Lebendigmachung derselben, wie sie Hermas
beschreibt (Sim. IX, 16), beschränkt sich auf innere Beseligung.
Sie werden dadurch nur zu derjenigen Lebendigkeit gebracht,
welche den Christen die Taufe gibt und welche die Apustel im
Tode bewahrt haben. Und doch tritt der Gedanke einer leib-
lichen Auferweckung der Prophöten durch Christus bei Ignatius
mit einer Unbefangenheit und Selbstverständlichkeit auf, die nur
möglich ist bei einer überlieferten Jehrmeinung. In der That
ist eine solche vertreten durch die doctrina Addaei, aus welcher
durch Vermittlung Eusebs Pseudoignatius geschöpft hat (s. oben
5. 122f.), und durch die Schrift von der Höllenfahrt, welche den
599
zweiten Theil des Evangeliums Nicodemi bildet (c. 17—27). An
beiden Stellen verräth sich aber auch die Benutzung des Matthäus.
Mögen die Worte der doctrina Addaei, welche bei Euseb lauten
διέσχισε φραγμὸν τὸν ἐξ αἰῶνος μὴ σχισϑέντα, an Eph. 2, 14
anklingen, so ist doch darum nicht undeutlich, dass dadurch der
Matth. 27, 51 unmittelbar vorangehende Bericht vom Riss des
Tempelvorhangs in eine symbolische Beziehung zum Bericht von
der Auferstehung vieler Leiber der Heiligen gesetzt ist. Es ver-
dient bemerkt zu werden, dass das Hebräerevangelium statt des
zerrissenen Vorhangs den Einsturz der Oberschwelle eines Tem-
pelthors erwähnt (vgl. Anger, Synopsis, S. 246 f.),. So kann also
nicht dies Evangelium, sondern nur unser Matthäus zu Grunde
liegen. Im Verlauf der doctrina Addaei liest man (p. 10 der
englischen Uebersetzung von Cur. ancient docum.): nor was it
by a man, that the vail of the temple of the Jews was
rent from the top to the bottom, but by him, who said to
them: „Lo, your house is left desolate“. Im Evang. Nicod.,
c. 17 wird der ausführliche Bericht geradezu an die Erzählung
des Matthäus angeknüpft (1110, cod. apocr., p. 666). Dazu kommt,
dass der älteste Schriftsteller, der meines Wissens nach Ignatius
von leiblicher Auferweckung vorchristlicher &erechter zur Zeit Christi
redet, diese Meinung nur in Form einer Berufung auf Matth.
27, 52 vorträgt (Clem., strom. VI, p. 764 Pott.; der Ton liegt
hier uf καὶ σώματα im Gegensatz zu der vorher besprochenen
gewöhnlichen Meinung von der Predigt im Hades). Auch in so
jungen Apokryphen wie die “ναφορὰ Πιλάτου wird Matth.
27, 52 so gedeutet. Einen Nachklang des Wortlauts dieser
Stelle wird man dann auch bei Ignatius an einer der Stellen,
wo er den Gegenstand berührt, wiedererkennen, nämlich in dar
auffälligen Beschreibung ὄντες ἀξιαγάπητοι καὶ ἀξιοϑαύμαστοι
ἅγιοι Phil. 5. Jedenfalls aber ist unser Matthäus in einem
seiner sonderbarsten Stücke der Text einer Deutung und die
Quelle einer Lehrmeinung, welche bei Ignatius bereits als be-
kannte Wahrheit gelegentlich ohne allen Beweis angezogen wird.
Dann muss das Matthäusevangelium damals schon ein Buch von
hohem kirchlichem Ansehn gewesen sein.
Der Beweis hiefür würde nicht verstärkt, wenn man sich
für das φανερὸν τὸ δένδρον ἀπὸ τοῦ καρποῦ αὑτοῦ Eph. 14,
welches wörtlich bei keinem Evangelisten zu finden ist, auf
Matth. 12, 33 und nicht auf Luc. 6, 44 berufen wollte, oder
wenn man Rom. 6 mit G! Metaphr. (G? weicht einigermassen ab)
gegen das überwiegende Zeugnis von L! A! A? Sfr. 201, 18;
Timoth. Alex. 211, 5 ein ziemlich wörtliches Citat aus Matth.
16, 26 liest. Matthäus ist jedenfalls von den Synoptikern der,
600
an welchen Ignatius sich hauptsächlich anlehnt. Eine Spur von
Marcus finde ich nirgends, das ἀλίσϑητε ἐν αὐτῷ Mgn. 10 liegt
von Marc. 9, 49f. noch weit ab, und ob das zweitheilige Werk
des Lucas auf Ignatius erheblich eingewirkt hat, wird vielleicht
zweifelhaft bleiben müssen. Auf Luc. 23, 7—12; vgl. 3, 1;
Actor. 4, 27 scheint allerdings das ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου καὶ
ἩΗρώδου τετράρχου (Sm. 1; cf. Justin, dial., c. 108) zurückzu-
gehn, denn in keinem anderen Evangelium wird Hoerodes im
Zusammenhang der Leidensgeschichte genannt. Durch ἕχαστος
εἰς τὸν ἴδιον τύπον μέλλει χωρεῖν Mgn. 5 lässt man sich aller-
dings, da es sich um die Bösen wie um die Guten handelt,
passender .an Act. 1, 25 als an Clem. ad Corinth. I, 5 und
Pol. ad Phil. 9 erinnern. Es mag nicht zufällig sein, dass
Ignatius das in der Apostelgeschichte häufige καταγγέλλειν zwei-
mal Phil. 5. 9 gerade auch von der Weissagung der Propheten
gebraucht wie Act. 3, 24, und dass er in einem Zusammen-
hang, in welchem er sein Martyrium als Betheiligung am Leiden
Christi bezeichnet, an Act. 2, 23 erinnert mit den Worten:
τί δὲ καὶ ἑαυτὸν ἔκδοτον δέδωκα τῷ ϑανάτῳ. — Am bedeut-
samsten erscheint mir Sm. 3. Es geht voran eine aus nicht-
kanonischer Quelle geflossene Erzählung aus dem Kreis der Auf-
erstehungsgeschichten. Durch ein höchst auffälliges xaf (ὅτε
πρὸς τοὺς περὶ Πέτρον ἦλϑεν) ist dieselbe als Citat charakterisirt,
und durch die Bemerkung, dass die Apostel in Folge %olcher
Ueberführung von der Wirklichkeit der Auferstehung Christi über
den Tod erhaben gewesen seien, ist sie abgeschlossen. Darnach
wird, als ob das Bisherige sich nicht auch auf die Zeit nach
der Auferstehung bezogen hätte, fortgefahren: μετὰ δὲ τὴν ἀνά-
στάσιν συνέφαγεν αὐτοῖς καὶ͵ συνέπιεν ὡς σαρκικὸς καίπερ πνεῦ-
ματικῶς ἡνώμενος τῷ πατρί. Diese im Zusammenhang durchaus
nicht motivirte -und daher von G? gänzlich umgestaltete Form
der Einführung weist auf Benutzung eines fremden Textes, dies-
mal auf die einzige biblische Stelle, wo nicht allein von einem
Essen (Luc. 24, 41—43), sondern auch von einem Mittrinken
des Auferstandenen mit den Jüngern berichtet ist, nämlich auf
Act, 10, 41: οἵτινες συνεφάγομεν καὶ συνεπίομεν ἀὐτῷ μετὰ τὸ
ἀναστῆναι αὐτὸν ἐκ νεκρῶν. — An Luc. 24, 36 ff. erinnert aller-
dings auch die vorangehende Erzählung, welche Euseb (III, 36, 11)
als Merkwürdigkeit aus Ignatius abschrieb mit der Bemerkung, dass
er ihre Herkunft nicht kenne. Die Uebereinstimmung mit Lucas
ist doch nur sachlich; hier wie dort ist es ein um Petrus ver-
sammelter und bei Lucas durch das Hinzutreten zweier anderer
Jünger von der Gesammtheit unterschiedener Jüngerkreis, welchem
der Auferstandene durch die Aufforderung, seinen Körper zu
601
besichtigen und zu betasten, den Beweis liefert, dass er nicht
ein Geist, sondern ein körperlich Lebender sei. Bei Lucas ist
nicht, wie bei Ignatius, ausdrücklich gesagt, dass die Jünger der
Aufforderung gefolgt seien, und bei Ignatius scheint ausge-
schlossen, was Lucas berichtet, dass die Jünger sofort noch eines
zweiten Beweises durch das Essen des Herrn bedürftig gewesen
seien. Es könnte sehr wohl eine und dieselbe Thatsache in der
Ueberlieferung diese doppelte Gestalt angenommen haben. Dass
aber bei Ignatius nicht etwa eine gedächtnismässige Reproduction
des lucanischen Textes, sondern ein Citat vorliegt, zeigt, wie
schon bemerkt, die Einführung durch καί; und der Umstand,
dass Ignatius hier gegen seine sonstige Gewohnheit einen Aus-
spruch Jesu in directer Rede anführt und ihn in erzählender
Form einleitet, deutet darauf hin, dass er etwas nicht in gleichem
Masse, wie die sonst berührten Thatsachen der Geschichte Jesu,
allgemein Bekauntes vorträgt. Eusebs Bemerkung war wohl ver-
anlasst, und unvorsichtig war es, wenn Hieronymus in seine
nachlässige Uebersetzung von Eusebs Mittheilungen über Ignatius
die Bemerkung einflocht, Ignatius habe dies aus dem kürzlich
von ihm übersetzten Hebräerevangelium genommen, woraufhin
Schmidt (Bibliothek für Kritik und Exegese III, 390£f.) es für
möglich erklärte, dass Ignatius alles Evangelische aus diesem
Evangelium geschöpft habe. Es wurde vorhin schon auf zwei
Uebereinstimmungen mit Matthäus hingewiesen, welche Ab-
weichungen vom Hoebräerevangelium sind, und bei der Stellung
des Ignatius zu jüdischem Christenthum (s. oben. S. 459ff.) ist
es kaum denkbar, dass er das Evangelium der Nazaräer auch
nur gelegentlich einmal wie etwa Hegesipp (Eus. h. e. IV, 22, 8)
benutzt haben sollte. Dass im Hebräerevangelium etwas Aehn-
liches gestanden hat, ist natürlich nicht zu bezweifeln. Ohne
alle Beziehung auf Ignatius sagt Hieronymus (in Jes. lib. XVII
ed. Bened., vol. III, p. 478): Quum enim apostoli eum putarent
spiritum, vel juxta evangelium, quod Hebraeorum lectitant Na-
zaraei, incorporale daemonium, dicit eis etc. Es folgen
die Worte aus Luc. 24, 38 ff. Dass Jesus selbst gesagt habe
οὔκ εἶμι δαιμόνιον ἀσώματον (Sm. 3), ist damit nicht gesagt.
Es verdient daher jedenfalls grössere Beachtung, was ÖOrigenes
im Vorwort seiner Schrift περὶ ,ἀρχῶν schreibt (ed. Delarue
I, 47 A): Appellatio autem ἀσωμάτου i. 6. incorporei non solum
apud multos alios verum etiam apud nostras scripturas est inu-
sitata et incognita. Si vero quis velit nobis proferre ex 1110
libello, qui Petri doctrina appellatur, ubi Salvator videtur ad
discipulos dicere: „non sum daemonium incorporeum“, primo
respondendum est ei, quoniam 1110 liber inter libros ecclesiasticos
6002
non habetur, et ostendendum, yuia neque Petri est ipsa (l. ista)
scriptura, neque alterius cujusquam, qui spiritu Dei fuerit in-
spiratus. Wäre es sicher, dass die hier von Origenes angezogene
doctrina Petri identisch ist mit derjenigen, welche er selbst
einmal (IV, 226 C) und Clemens sehr häufig (s. die Zusammen-
stellung bei Hilgenfeld, Nov. Test. extra canon. IV, 66) als
Πέτρου κήρυγμα citirt, so hätten wir es mit einer wenigstens seit
der Mitte des 2. Jahrhunderts hochangesehenen Schrift zu thun,
welche zwar gewiss nicht, wie Grabe (I, 62) annahm, bald nach
dem Tode des Petrus, so doch vor Ignatius geschrieben sein
mag und ihres dogmatischen Charakters. wegen von diesem
ebensogut als von Clemens Al. und von Herakleon gebraucht
sein könnte. Die Benutzung der Petruslebre (oder Petraspredigt;
wollte Cureton (p. 335) dadurch wahrscheinlich machen, dass Igna-
tius gleich nachher .mit den Worten ἐγγὺς μαχαίρας, ἐγγὺς ϑεοῦ
Sm. 4 an eine andere Stelle derselben Schrift anspiele, welche
wir aus Greg. Naz. (opp. od. Colon. 1690, tom. I, p. 778C) er-
kennen: κάμνουσα γὰρ ψυχὴ ἐγγύς ἐστι ϑεοῦ, φησί που Yuv-
μασιώτατα λέγων ὁ Πέτρος (vgl. I, 269 B nach Erwähnung
der Geschichte aus Matth. 14, 28 ἢ. ἐπειδὴ κάμνουσα ψυχὴ
ἐγγὺς ἐστι ϑεοῦ). Die Aehnlichkeit mit dem Satz des Ignatius
ist gering, und überdies wissen wir nicht, aus welchem 'pe-
trinischen oder auch nur den Petrus redend einführenden Apo-
kryphum Gregor dies genommen hat. — Es fehlen uns alle
Mittel, um anzugeben, wie die Erzählung bei Ignatius (Sm. 3)
und in der Petrusiehre zu dem Hebräerevangelium sich verhält.
Es können Petruslehre und Hebräerevangelium unabhängig von
einander aus mündlicher Ueberlieferung dies geschöpft haben,
und es kann Ignatius, welcher hier aus einem Buch zu citiren
scheint, ebensogut in einer dritten Schrift, als in einer der beiden
genannten die Geschichte gelesen haben. Selbst die Möglichkeit
ist nicht ausgeschlossen, dass der Verfasser der Petruslehre,
selbst wenn diese mit der Petruspredigt identisch, also von
Herakleon und Clemens schon benutzt ist, die Sache aus Ignatius
geschöpft habe. Abhängigkeit des Ignatius von der Petruslehre
ist mir nur deshalb wahrscheinlich, weil der auffallende Schluss
seiner Mittheilung : διὰ τοῦτο καὶ ϑανάτου χατεφρύνησαν, ηὑρέ-
ϑησαν δὲ ὑπὲρ ϑάνατον besonders natürlich erscheinen würde,
wenn er das Vorhergehende aus einer Schrift geschöpft hätte,
welche die letzten Lebensschicksale des Petrus und des Paulus
erzählte. Das gilt aber von der Petruslehre, wenn sie mit der
Petruspredigt und mit dem, was Pseudocyprian „ praedicatio Pauli“
nennt, identisch ist (cf. Hilgenf., Nov. Test. IV, 57. 61). Auf
diese Quelle braucht es nicht zurückgeführt zu werden, stimmt
603
aber mit derselben überein, was Ignatius deutlich genug bezeugt,
dass Petrus sogut wie Paulus zur römischen Gemeinde ein
näheres Verhältnis gehabt habe (vgl. Buns. II, 123; Hilfenf.,
Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie 1872, S. 358). Denn
was sollte es sonst bedeuten, dass er den Römern (c. 4)
schreibt: Οὐχ ws Πέτρος καὶ Παῦλος ὑμῖν διατάσσομαι, während
er denselben Gedanken den Trallianern gegenüber c. ὃ allge-
meiner fasst: ἵνα ὧν κατάκριτος ὡς ἀπόστολος ὑμῖν διατάσσωμαι.
Auch wo er sonst gegen seine Gewohnheit einen einzelnen Apostel
_ nennt, ist es das Verhältnis desselben zu der angeredeten Ge-
meinde, was ihn dazu veranlasst (Eph. 12). Dass Petrus eine
Zeit lang in Rom gewirkt, konnte Ignatius allerdings auch ohne
schriftlichen Bericht wissen, und es wird zweifelhaft bleiben
müssen, ob er seine Kenntnis der neutestamentlichen Geschichte
aus der Petruspredigt oder Petruslehre bereichert hat.
Es entspricht dem Mangel an Ursprünglichkeit in Gedanken
und Ausdruck, welcher den Brief Polykarps von denen des
Ignatius sehr auffällig unterscheidet, dass sich dort viel mehr
ausdrückliche Bezugnahmen und deutliche Anklänge an neu-
testamentliche und besonders auch evangelische Stellen finden.
Dreimal führt er Worte J esu, als solche an. Vergleicht man
das erste (μνημονεύοντες δὲ ὧν εἶπεν ὃ κύριος διδάσκων" μὴ
χρίνετε, ἕνα μὴ κριϑῆτε, ἀφίετε καὶ ἀφεϑήσεται ὑμῖν, ἐλεεῖτε,
ἵνα ἐλεηϑῆτε, ᾧ μέτρῳ μετρεῖτε, ἀντιμετρηϑήσεται ὑμῖν, ο. 2)
mit Matth. 7, 1 u. Ine. 6, 37, so stimmt der erste Satz mit
Matthäus gegen Lucas; auch im letzten Satz ist die Satzform
die des Matthäus, mag man bei Polykarp nach dem Uebergewicht
der Zeugen ἐν vor ᾧ μέτρῳ streichen oder nicht; aber ἄντι-
μετρηϑήσεται stammt aus Lucas ‚ bei Matthäus hat es keine
nennenswerthe Beglaubigung. Aber weder bei Matthäus noch bei
Lucas finden sich die beiden mittleren Sätze einigermassen wört-
lich wieder — Matth. 6, 14f. oder Marc. 11, 25f. liegen noch
weit ab —, wohl aber in einem ähnlichen Convolut bei Clem. ad
Corinth. I, 13. Auch die Form der Einführung des Citats und
die Streichung des ἐν vor ᾧ μέτρῳ erinnert an Clemens. Die
Sache liegt also so, dass Polykarp und nach ihm noch Ulem.
strom. I, p. 476 Pott. unter dem mitbestimmenden Einfluss des
Clemensbriefes seinen Text aus Matthäus und Lucas gemischt hat,
was natürlich nur bei freier gedächtnismässiger Anführung denk-
bar ist. — Wenigstens ein Uebergewicht des Matthäus (5, 3. 10)
über hucas (6, 20. 22) zeigt das gleich folgende Citat:
μακάριοι οἱ πτωχοὶ καὶ οἱ διωκόμενοι ἕνεκεν δικαιοσύνης, ὅτι
αὐτῶν ἐστὶν ἡ βασιλεία τοῦ ϑεοῦ,, wenn 'man auch nicht mit
dem lateinischen Uebörsetzer ein spiritu oder im spiritu (rg
604
pl) zu pauperes zusetzt. Es fragt sich sogar, ob der Text des
Lucas hierbei irgendwie mit berücksichtigt ist; denn das ge-
wöhnlichere τοῦ ϑεοῦ konnte Jeder mit τῶν οὐρανῶν ver-
tauschen. — Die Anspielungen ans Vaterunser (e. 6: εἰ οὖν
δεόμεϑα τοῦ κυρίου, \ ἵνα ἡμῶν ἀφῇ, ὀφείλομεν καὶ ἡμεῖς ἄφι-
ἕται; 6. 7: δεήσεσιν αἰτούμενοι τὸν παντεπόπτην ϑεὸν, μὴ
εἰςενεγκεῖν ἡμᾶς εἷς πειρασμόν) erinnern nicht an eins der
kanonischen Evangelien vor dem andern. Dagegen zeigt die Er-
mahnung zum Gebet für die Feinde eine entschiedene Erinnerung
an den dem Matthäus eigenthümlichen Schluss des betreffenden
Abschnitts (Matth. 5, 48; cf. Pol. 12: orate . . pro persequen-
tibus et odientibus vos... . ut sitis in illo perfecti). So ist
auch der dritte förmlich eitirte Ausspruch (c. 7: καϑὼς einer
0 κύριος" τὸ μὲν πνεῦμα πρύόύϑυμον, ἡ δὲ σὰρξ ἀσϑενής) nicht
bei Lucas, sondern nur Matth. 26, 41 und Marc. 14, 38 zu
finden, bei beiden so wie bei Polykarp an das Gebet um Be-
wahrung vor der Versuchung angeknüpfl. — An die Apostel-
geschichte (2, 24; vgl. Tischendorfs Note in der ed. VIII) er-
innert nur der Satz : ὃν ἤγειρεν ὁ ϑεὸς λύσας τὰς ὠδῖνας τοῦ
ἅδου ὁ. 1.
Es bezeugen also Polykarp und lIgnatius überwiegende
Popularität unseres Matthäus, zeigen Kenntnis beider Bücher des
Lucas, aber keine sichere Spur des Marcus (vgl. meinen Hermas,
5. 463f. 479).
2. Die johanneischen Schriften. Dass die ignatiani-_
schen Briefe das Evangelium des Johannes voraussetzen, muss
sehr offenbar sein, wenn es von Solchen, welche die Aechtheit
des Zeugen wie des bezeugten Evangeliums beanstanden, . aner-
kannt wird, z. B. von Lipsius I, 73. Die Behauptung desselben,
dass die offenbare Benutzung des Johannesevangeliums seitens
des Verfassers der sieben ignatianischen Briefe die spätere Ab-
fassung und die Unächtheit der letzteren beweise, muss man
ihrem Schicksal überlassen, wenn man nicht dem fehlerhaften
Kreislauf der sogenannten Kritik anheimfallen will. Die Briefe
des Ignatins können aus inneren und äusseren Gründen nicht
später als um 110 geschrieben sein; also ist das Johannes-
evangelium, welches sie voraussetzen, damals in der Kirche ver-
breitet gewesen. Ein unabweisbares Zeugnis für das Johannes-
evangelium nennt Lipsius (I, 73) mit Recht die Worte: τὸ
πνεῦμα οὐ πλανᾶται, ἀπὸ ϑεοῦ ὃν. Οἷδεν γὰρ, πόϑεν ἔρχεται,
καὶ ποῦ ὑπάγει. (Phil. 7; vgl. Joh. 3, 8 [8, 14].) Wenn Schwegler
(Nachapostolisches Zeitalter II, 169) urtheilte, das johanneische
Wort müsse später geschrieben sein, weil os widerspreche, 50
006
übersah er nur, was denn bei Ignatius behauptet und bei Johannes
verneint sei. Es ist ein ähnlich über den kanonischen Text ἡ
hinausgehender, aber nur um so sicherer ihn voraussetzender
Satz, wie der bei Herm. sim. IX, 25 im Verhältnis zu Joh.
3, 3. 5; vgl. meinen Hermas, S. 474. — Auch der gereinigte
Text von Rom. 7 (8. oben 8. 348 1) fordert Joh. 6, 33. 51fl.
Ohne die Voraussetzung, dass in einer Schrift von anerkannter
Auctorität das Fleisch Christi als Brot Gottes zum Genuss der
Gläubigen und sein Blut als Trank für sie bezeichnet war, konnte
nicht so kurz der kühne Gedanke ausgesprochen werden.
Allerdings liegt hier eine Vergleichung des Genusses Christi in
der künftigen Seligkeit mit der kirchlichen Abendmahlsfeier vor;
aber nicht die Einsetzungsworte nach Paulus oder den Synoptikern,
. sondern nur die Worte Jesu nach Joh. 6 haben den Sprach-
gebrauch schaffen können, nach welchem die σάρξ Christi das
Object des Abendmahlsgenusses ist (vgl. Sm. 7; Phil. 4; Justin.
apol. I, 66). Johanneisch ist aber auch der ganze Zusammen-.
hang in Rom. 7. Schon der Gegensatz des unaufhörlichen Ge-
nusses von Gottes Brot und Trank zu vergänglicher Speise und
irdischer Lust muss an den Ausgangspunct der johanneischen Rede
erinnern. Die τροφή φϑορῶς des Ignatius ist die βρῶσις ἀπολ--
λυμένη bei Johannes 6, 27. Der vorhergehende Vergleich des
im Christen wohnenden, redenden und zum ewigen Leben rufen-
den Geistes mit einer im Innern des Menschen befindlichen
Wasserquelle (s. oben S. 561) stammt aus Joh. 4, 14, wohin
.sich schon der Interpolator des 4. Jahrhunderts weisen liess,
indem er ἁλλόμενον statt λαλοῦν schrieb. Die Dunkelheit der
Schlusssätze des ignatianischen Kapitels, die Kürze, in der hier
die bedeutsamsten Gedanken nur gestreift werden, die kühne
Mischung von bildlichem und eigentlichem Ausdruck setzt Leser
voraus,-für welche alles dies Reminiscenzen waren und welche
ebenso wie der Leser des 4. Jahrhunderts die Absicht des Ver-
fassers, an klassische Stellen des Johannesevangeliums zu er-
innern, verstanden. — Wenn Ignatius nicht in einer Schrift von ,
massgebender Auctorität Christus als Logos bezeichnet und zu-
gleich seine Ewigkeit bezeichnet gefunden hätte (Joh. 1, 1ff.),
so würde nach aller Analogie antihäretischer Polemik seine Be-
streitung der häretischen Logoslehre nicht so affırmativ lauten
wie Mgn. 8 (s. oben 5. 382f. und Κ΄. 471f.). — Ausserdem ist
es noch eine Menge von Berührungen mit dem Sprachgebrauch
des Johannesevangeliums, welchö sich am bequemsten aus Ab-
hängigkeit von demselben erklären. Das beharrliche 6 ἄρχων
τοῦ χύσμου τούτου (Rom. 7; Eph. 17. 19; Mgn. 1; Tr. 4)
hat im Neuen Testament nur an ὦ ἄρχων τοῦ αἰῶνος τούτου
606
Joh. 12, 31; 14, 80; 16, 11 seine zutreffende Parallele. Nicht
allein die Energie, mit welcher Ignatius die Gottheit Christi
hervorhebt, auch die bestimmte Form des Bekenntnisses zu ihr
Ὁ ϑεός μου Rom. 6 klingt johanneisch Joh. 20, 28; und gewiss
ist das τοῦ μόνου υἱοῦ αὐτοῦ Rom. inser. ganz „im Sinn des
johanneischen μονογενής“ (Lips. I, 29) zu verstehen. Die auf-
fällige Verbindung υἱοῦ nuroöc Rom. inser. findet man 2 Joh. 3
wieder. Das ἐν σαρκὶ γενόμενος Eph. 7 (vgl. das ἐν σαρκί
Sm. 1. 3) berührt sich nahe mit 1 10}. 4, 2f. (vgl. 2 Joh. 7)
mit einer Stelle, welche Polykarp unverkennbar wiedergibt c. 7,
πᾶς γὰρ, ὃς ἂν μὴ ὁμολογῇ Ἰησοῦν Χριστὸν ἐν σαρκὶ ἐληλυϑέναι,
ἀντίχριστύς-ἐστιν. Der Gedanke, dass gerade der Kreuzestod
Jesu den Heiden das Heil zugewandt habe (s. oben S. 459),
erinnert an Joh. 12, 32 (vgl. 3, 14f.; 11, 52). Der johanneische
Gedanke, dass Christus zu der Höhe, zu welcher er durch .die
Kreuzigung erhoben werde, die Menschen emporziehe, hat wohl die
hildliche Redeweise erzeigt: ἀναφερόμενοι εἷς τὰ ὕψη διὰ τῆς μηχανῆς
’Inoov Χριστοῦ ὃς ἐστιν σταυρὸς, Eph. 9, und bei Eph. 15 fin.
muss man an Joh. 14, 21 denken. Ignatius hat es richtig auf
die Parusie bezogen. — Die Zeugnisse des Ignatius und des
Polykarp ergänzen sich gegenseitig. Polykarps Brief, in welchem
eine deutliche Spur des Johannesevangeliums nicht zu finden ist,
bestätigt, was man aus den ignatianischen Briefen nicht sicher
schliessen kann, dass damals wenigstens der erste Brief des
Johannes in Asien bekannt war, wie schen früher in Rom. Nach-
klänge der Apokalypse dagegen sucht man bei beiden vergeblich
(vgl. meinen Hermas, ὃ. 476).
3. Geschichte und Briefe des Paulus. Es mag
durch die Lage des Ignatius einerseits und durch die Adresse
des Polykarpbriefs andrerseits veranlasst sein, dass bei beiden
von Paulus ziemlich häufig namentlich die Rede ist, während
Petrus nur einmal neben Paulus (Rom. 4; gar nicht in Betracht
kommt Sm. 3), Johannes aber gar nicht erwähnt wird. Nur
mitgemeint kann der Letztere sein, wenn Ignatius den Ephesen
nachrühmt, dass sie stets mit den Aposteln verkehrt oder mit
innen im Einklang gewesen seien (Eph. 11, wo die Lesart zwi-
schen συνῆσαν A ΟΣ 1? und συνήνεσαν G! LI schwankt).
Paulus wird von Polykarp als leuchtendes Beispiel einer auch
im Martyrium bewährten Geduld unter den Aposteln besonders
genannt c. 9. Seine eigene Reise erinnert den Ignatius an die
Reise des Paulus an kphesus vorüber nach Rom. Bei den
Worten: πάροδός ἐστε τῶν εἰς ϑεὸν ἀναιρουμένων ‚Eph. 12 muss
er, wie das Weitere zeigt (Παύλον συμμύσται, τοῦ " ἡγιασμένου,
δ07
τοῦ μεμαρτυρημένου, ἀξιομακαρίστου, οὗ γένοιτο μοι ὑπὸ τὰ
ἔχνη εὑρεϑῆναι), an Paulus wenigstens mitgedacht haben. Wahr-
scheinlich denkt er nur an Paulus und an sich selbst, wenn er
die Epheser als den Punct bezeichnet, an welchem der Weg der-
jenigen, welche um Gottes willen getödtet werden, vorbeiführt.
Ephesus selbst hat Ignatius nicht berührt; aber nahe daran vorbei
ist er gekommen, ebenso wie Paulus nach Act. 20, 16—38.
Für Paulus war Milet, was Smyrna für Ignatius. Dass Paulus
zunächst nach Jerusalem und von da erst nach Rom kam,
hinderte die vergleichende Zusammenstellung nicht; beide kamen
auf dem Weg zum Martyrium in Rom an Ephesus vorüber. Nur
der Misverstand des Wunsches des Ignatius, als ob er noch
weitere Berührungspuncte mit der Reiseroute des Paulus sich
wünsche (s. oben 5. 42f.), hätte dadurch ferngehalten sein
müssen. Darf man annehmen (s. vorher S. 600), dass Ignatius
die Kunde von der Reise des Apostels aus der Apostelgeschichte
seschöpft hat, so liegt es auch sehr nahe, durch das Παύλου
συμμύσται an des Apostels dortige Beschreibung seiner rück-
haltlosen Verkündigung des ganzen Heilsrathschlusses -Gottes
(V. 20. 27) sich erinnern zu lassen, was jedenfalls angemessener
ist, als die Berufung auf den Epheserbrief, in welchem Paulus
dieser Gemeinde das Mysterium Christi veranschaulicht habe
(Eph. 3, 3sq.; Pears. ΠῚ, 38). Es hängt diese Erklärung mit
der Meinung zusammen, dass Ignatius in den gleich folgenden
Worten sieh ausdrücklich auf den paulinischen Epheserbrief be-
rufe. Aber ἐν πάσῃ ἐπιστολῇ kann erstlich nicht heissen „im
ganzen Brief“ (so nach Pears. II, 118sq.; II, 38 noch Den-
zinger, ὃ. 5df.).. Die z. B. bei Kühner, ausf. Gramm. II, 546,
Anm. 8 genannten Beispiele sind nicht vergleichbar, und in
Eph. 5, würde πάσης &xximolas, auch wenn der Artikel nicht
durch ein blosses Versehen von Voss ausgefallen wäre, immer
nur heissen „einer ganzen Gemeinde“. Ferner müsste unter
den paulinischen Briefen derjenige, in welchem Paulus von An-
fang bis zu Ende der Epheser gedacht habe, doch erst genannt
sein. Aber auch wenn der Brief, welcher im Kanon πρὸς
᾿Εφεσίους überschrieben ist, angegeben wäre, könnte man mit
dem, was von ihm gesagt wäre, nicht zurechtkommen. Denn
μνημονεύεε ὑμῶν kann doch nicht heissen: er lobe sie (80
Pears. II, 119; ähnlich Kirchhofer, Quellenkunde, S. 212), was
dann zum Gegensatz haben soll, dass er in Briefen an andere
(Gemeinden Lob und Tadel mische, oder er bete für sie (so
nach ΟΣ Denzinger, welcher mit Unrecht ausser 3, 13—21 in
1, 16—23 ein langes Gebet für die Epheser findet), oder gar:
er schreibe an sie, und rede zu ihnen (so Voss ad Rivet.,
—
608
p. 4 cf. p. 16), als ob Paulus anderer Gemeinden nur in halben
Briefen in diesem Sinne gedacht hätte, und als ob er an die
Thessalonicher und die Korinther nicht mehr als je einen Brief
gerichtet hätte. Ignatius sagt nicht mehr und nicht weniger,
als dass Paulus in jedem Briefe der Epheser in Christo ge-
- denke, ἃ. h. die Epheser als Christen oder die ephesischen
Christen erwähne. Der Zweck dieser Bemerkung ist kein andrer
als der der übrigen Aussagen über die ephesische Gemeinde,
ihre Berühmtheit in der Geschichte der christlichen Kirche her-
vorzuheben. Sie ist „weltberühmt‘“ Eph. 8. Mit den Aposteln,
die dort,- wie Jeder weiss, verkehrt haben, haben die Epheser stets
im Einklang. gestanden Eph. 11; Paulus insbesondere hat Jahr
und Tag unter ihnen gewirkt und kein Geheimnis christlicher
Erkenntnis für sich behalten; und Jeder weiss von der Reise,
die ihn voller Ahnung seines Endes an Ephesus vorüber nach
Jerusalem und Rom führte. Wüsste Ignatius, dass Paulus einen
Brief gerade an diese Gemeinde gerichtet habe, so würde man
allerdings erwarten, dies in diesem Zusammenhang erwähnt zu
"finden,. wie es der Interpolator gelegentlich nicht unbemerkt lässt
(s. oben S. 121). Ignatius wird also nichts davon wissen und
erinnert statt dessen daran, dass die Leser der paulinischen
Briefe darin oft genug Ephesus und ephesische Christen erwähnj
finden. Der Ausdruck ist hyperbolisch, wie Vieles bei Ignatius.
aber doch ziemlich unanstössig, wenn man bedenkt, dass es sich
hier gar nicht um Lob oder Tadel, sondern um die .geschicht-
liche Berühmtheit der ephesischen Gemeinde als einer uralten
paulinischen Stiftung handelt. Sie stand in dieser Hinsicht einzig
da unter den fünf asiatischen Gemeinden, an welche Ignatius
schrieb. Von Ephesus aus schrieb Paulus an die Galater und
die Korinther (1 Kor. 16, 8); von den ephesischen Christen be-
stellt er Grüsse Gal. 1, 2; 1Kor. 16, 19f.; als Ort eines ge-
fährlichen Kampfes in der Ausübung seines Berufes nennt er
Ephesus 1 Kor. 15, 32; dem Timotheus hat er diese Gemeinde
befohlen 1 Tim. 1, 3; Verdienste des Ephesers Onesiphorus um
die dortige Gemeinde wie um den Apostel selbst erwähnt er
2Tim. 1, 16—18 und lässt seine Familie grüssen 4, 19; den
Epheser Trophimus (Act. 21, 29) erwähnt er 2Tim. 4, 20,
und von den Reisen des wahrscheinlich auch der ephesischen
Gemeinde angehörigen Tychicus nach Ephesus und anderen Orten
im Dienst des Apostels las man mehrfach Kol. 4, 7; Eph. 6, 21f.;
Tit. 3, 12; 2Tim. 4, 12. Demnach wurde jeder Leser der
paulinischen Briefe oft genug daran erinnert, dass Ephesus
eine der ältesten Christengemeinden sei.
Aehnlichen Anstoss haben mehrere den Paulns betreffende
609 -
Bemerkungen Polykarps gegeben. Auch bei diesem zeigt sich
ein lebhafter Sinn für die geschichtliche Ehrwürdigkeit derjenigen
Gemeinden, deren Geschichte in die Anfänge der apostolischen
Mission hinaufreicht. Man vgl. 6. 1: ὅτε ἡ βεβαία τῆς πίστεως
ὑμῶν ῥίζα, ἐξ ἀρχαίων καταγγελλομένη χρύνων, μέχρι νῦν δια-
μένει mit Clem. ad Corinth. I, 47: τὴν βεβαιοτάτην καὶ ἀρχαίαν
Κουρινϑίων ἐκκλησίαν. Indem er wie Clemens und Ignatius die
durch verschiedene Generationen hindurchgehende Gemeinde eines
Orts als eine moralische Person betrachtet, sieht er einen sonder-
lichen Beweggrund zu würdigem Verhalten und einen sonder-
lichen Grund zur Betrübnis über das Gegentheil in der Be-
rühmtheit einer Gemeinde, wie die zu Philippi, an welcher Paulus
gearbeitet, mit welcher Paulus in brieflichem Verkehr gestanden,
und welche er vor allen anderen Gemeinden gerühmt habe, und
dies zu einer Zeit, in welcher andere Gemeinden, wie die zu
Smyrna, noch gar nicht existirten (ὁ. 11; vgl. oben S. 504 f.).
Nach dem unzweifelhaften Sinn des bisher Wiedergegebenen muss
der dunkle Satz: „qui estis in principio epistolae (rg ecclesiae)
ejus“ erklärt oder corrigirt werden. Ersteres scheint mir nicht
möglich. Höchst fremdartig würde es doch jedenfalls sein, wenn
Polykarp, der nirgendwo geistreich wird, seinen Lesern zumuthete,
sie sollten sich sofort an 2Kor. 3, 2f. erinnern und aus dem
Umstand, dass Paulus aus sehr eigenthümlichem Anlass die
korinthische Gemeinde seinen Brief nennt, schliessen, dass Poly-
karp unter der epistola Pauli die Gesammtheit der von ihm ge-
stifteten Gemeinde verstanden haben wolle, und daraufhin sein
räthselhaftes Wort dalıin verstehen, dass die Philipper in diesem
sogenannten Brief des Paulus voranstünden (so Hofmann, Neues
Testament IV, 3, 101; vgl. schon Nolte bei Hefele z. ἃ. St... Es ist
nicht einmal denkbar, dass das’ ecclesiae, welches rg bietet, eine
Interpretation des so verstandenen episiolae sein sollte; das
würde eine Denkarbeit des Schreibers voraussetzen, bei der es
ihm auch nicht hätte verborgen bleiben können,. dass eben nur
der bildliche Ausdruck und nicht der eigentliche die Redensart
zulasse: ‚im Anfang desselben sein“. Es wird also vielmehr
ein unbequemer Ausdruck zu Grunde liegen, der von einem Schrei-
ber so, vom anderen anders ersetzt wurde. Bedenkt man den
Charakter dieser lateinischen Uebersetzung, welche z. B.c. 1 ἐξ ἀρχαίων
καταγγελλομένη χρύνων durch a principio wiedergibt (s. auch
oben S. 502f.), und vergleicht man, was die viel tüchtigeren
Uebersetzer beider Recensionen des Ignatius aus ἀρχεῖα Phil. 8
gemacht haben, so gewinnt man die Freiheit, nach Zusammenhang
und sonstiger Wahrscheinlichkeit den unverständlichen Text be-
Zahn, Ignatine. 39
610
liebig zu ändern. Mir ist am wahrscheinlichsten, dass urspräng-
lich geschrieben war οἵτινές ἔστε ἐν ἀρχῇ Tor εὐαγγελίου αὐτοῦ.
Das war ein wenig sonderbar geredet und wurde daher nicht
unangetastet gelassen. Bezieht sich aber Polykarp in dem gleich
folgenden Satz auf das im Philipperbrief selbst niedergelegte
Lob des Paulus, so wird ihm auch hier schon Phil. 4, 15 vor-
geschwebt haben: οἴδατε δὲ καὶ ὑμεῖς, (διλιππήσιοι, ὅτι ἐν ἀρχῇ
τοῦ εὐαγγελίου, ὅτε ἐξγλϑὸον ἀπὸ Μακεδονίας, οὐδεμία μοι ἐκ-
κλησία ἐκοινώνησεν εἰς λόγον δύσεως καὶ λήψεως εἶ μὴ ὑμεῖς
μόνοι (vgl. zum Ausdruck auch Clem. ad Corinth. I, 47 init.).
Wir haben hieran wie an Ign. Eph. 12 Beispiele von Ver-
werthung der paulinischen Briefe zu geschichtlichen Zwecken.
Der Vorstellung des Ignatins und des Polykarp drängt sich bei
dem Gedanken an Gemeinden wie die zu Ephesus und Philippi
sofort auf, was sie laut dem Zeugnis der paulinischen Briefe
schon in frühester apostolischer Zeit gewesen waren. Aber nicht
alle geschichtliche Kenntnis von Paulus und seiner Zeit brauchte
damals auf diesem Wege gewonnen zu werden. Dass Petrus in
Rom gewesen (Rom. 4; s. S. 603), dass die Gemeinde zu Smyrna
erst nach der Zeit des Paulus gestiftet worden (Pol. ad Phil. 11),
konnte man aus mündlicher Uebtrlieferung wissen. So ist 98
mir auch nicht wahrscheinlich, dass Polykarp nur aus Pinil.
3, 1. 18 erschlossen haben sollte, dass Paulus mehrere Briefe
an die Philipper geschrieben habe (so Hofmann, Neues Testament,
IV, 3, 102). Er spricht es zu sehr als notorische Thatsache
aus, als dass man es für ein Ergebnis exegetischer Forschung
gelten lassen könnte. Ueber den Sinn der Worte (ὃς καὶ ἀπιὼν
ὑμῖν ἔγραψεν ἐπιστολάς, εἷς ἃς ἐὰν ἐγκύπτητε, δυνηϑήσεσϑε οἶχο-
δομεῖσϑαι εἰς τὴν δοθεῖσαν ὑμῖν πίστιν, Pol. 8) kann man
nicht zweifelhaft sein. Es widerspricht nicht bloss dem über-
wiegenden Sprachgebrauch, sondern auch der Ausdrucksweise
Polykarps selbst (c. 13 s. oben 5. 293), wenn man unter dem
pluralischen ἐπιστολάς nur den einen uns erhaltenen Brief des
Paulus an die Philipper versteht. Aber es ist nicht bloss die
Thatsache wiederholter Correspondenz zwischen Paulus und den
Philippern wahrscheinlich (vgl. Hofmann, Neues Testament,
I, 360), sonderh auch das ist unbedenklich, dass um 110 in
Philippi andere Philipperbriefe des Paulus ausser dem einen, den wir
besitzen, vorhanden waren. Polykarp schrieb seinen Brief zu
einer Zeit, in welcher Briefe des Paulus noch verloren gehen
konnten, weil man von der später aufgekommenen Meinung frei
war, dass Alles, was ein Apostel geschrieben, in die Sammlung
kirchlicher Vorlesebücher gehöre und in der Kirche verbreitet
werden müsse. Polykarp konnte die Philipper auffordern, in
611
die Briefe hineinzublicken, welche Paulus an sie gerichtet,
wenn er selbst auch nur den einen kannte, der in der Kirche
verbreitet war. Dass er diesen gelesen, zeigte sich schon. Er
hat aus Phil. 3, 18 seine inimici erucis ὁ. 12. An Phil. 2, 18
erinnert auch mehr als an Gal. 2, 2 oder 1Kor. 9, 26 das
οὗτοι πάντες οὐκ εἷς κενὸν ἔδραμον, ἀλλ᾽ ἐν πίστει καὶ δικαιο--
σίνῃ ὁ. 9. Bei Ignatius erinnert das μηδὲν κατὰ ἐριϑείαν
πράσσοντες Phil. 8 an Philipp. 2, 3, und an Philipp. 2, 17
viel mehr als an 2Tim. 4, 6 der Satz πλέον μοι un παρά-
σχησϑε τοῦ σπονδισϑῆναι ϑεῷ, ὡς ἔτι ϑυσιαστήριον ἕτοιμόν
ἐστιν x. τ. A. Rom. 2. .
Von allen paulinischen Briefen hat der erste Korintherbrief
die stärksten Zeugnisse der Popularität im nachapostolischen Zeit-
alter für sich. Es ist bekannt, wie ihn Clemens von Rom ver-
werthet, und gerade aus ihm nimmt Polykarp den einzigen Satz,
den er mit einem „sicut Paulus docet“ ausdrücklich auf seinen:
Urheber zurückführt (c. 11 aus 1Kor. 6, 2; 8. oben S. 502).
Aus 1Kor. 6, 9. 10 stammt οὔτε πόρνοι οὔτε μαλακοὶ οὔτε
«οσενοκοῖται βασιλείων ϑεοῦ κληρονομήσουσιν 6. ὅ. Ignatius
hat diesen Brief mit Vorliebe — wenn man den Ausdruck nicht
misverstehen will — nachgeahmt. Die Folge der Sätze exeivos
ἀπόστολοι. . . ἐκεῖνοι ἐλεύϑεροι Bom. 4 weist ebenso bestimmt
auf 1Kor. 9, 1, wie das gleich folgende ἀπελεύϑερος Ἰησοῦ auf
1Kor. 7, 22. Aus 1Kor. 4, 4 ist Rom. 5 ἀλλ᾽ οὐ παρὰ τοῦτο
δεδικαίωμαιε genommen. Die Selbstbezeichnung als περίψημα im
Verhältnis zu den Ephesern Eph. 8 und zum Kreuz Eph. 18
ist Nachbildung des misverstandenen paulinischen Ausspruchs
1Kor. 4, 13; ähnlich verhält sichs mit Rom. 9 im Verhältnis
zu 1Kor. 15, 8f. (s. obeu 5. 403), nur dass hier die Ab-
hängigkeit von Paulus über allem Zweifel stebtt. Was Mgn. 10
von Sauerteig und neuem Teig gesagt ist, geht trotz der Ab-
weichung auf 1Kor. 5, 7f. zurück. Die Aussagen über das
Abendmahl Eph. 20; Phil. 4 erinnern besonders an. 1Kor.
10, 16f.; und wenn 1Kor. 9, 16 χάρις statt καύχημα gelesen
wird, ist aine paulinische Redensart in χάρις σοι οὐκ ἔστιν ad Pol. 2
wiederholt, wie auch der uneigentliche Gebrauch von ϑηριομαχῶ
Rom. 5 aus 1Kor. 15, 32 um so wahrscheinlicher entlehnt ist,
als die dortige Argumentation des Apostels V. 30 ff. wiederholt
bei Ignatius nachklingt (Tr. 10; Sm. 4). Der von der Thorheit
der .Kreuzespredigt handelnde Abschnitt 1 Kor. 1, 17ff., besonders
V. 18. 23. 26 liegt dem Anfang von Eph. 18 zu Grunde und
noelı der Anfang des 19. Kapitels bewegt sich in demselben
paulinischen Gedankenkreis 1 Kor. 2, 8 (vgl. Baur II, 36).
Dahingegen ist das Citat aus 1Kor. 1, 10 in Eph. 2 eine
39*
-
-
612
spätere Glosse (s. oben S. 441). — Viel undeutlicher sind jeden-
falls die Spuren des 2. Korintherbriefs. Die Beziehung Polykarps
auf 2 Kor. 3, 2 erschien sehr zweifelhaft S. 609. Zu Pol. 6:
προνοοῦντες ἀεὶ τοῦ καλοῦ ἐνώπιον ϑεοῦ καὶ ἀνθρώπων pflegt
man neben Röm. 12, 17 auch 2Kor. 8, 21 anzuführen. Im
selben Kapitel mag auf die Worte πάντας δεῖ παραστῆναι τῷ
βήματι τοῦ Χριστοῦ καὶ ἕκαστον ὑπὲρ ἑαυτοῦ λόγον δοῦναι
2Kor. 5, 10 einen untergeordneten Einfluss geübt haben wegen
τοῦ Χρισεοῦ statt τοῦ ϑεοῦ, die eigentliche Grundstelle ist
aber Rom. 14, 10. 12; ef. Tert. adv. Marc. V, 14 extr. Bei
Ignatius findet sich nur eine später -eingeschobene Anführung von
2Kor. 4, 18 in Rom. 3 (s. oben 5. 559).
Der Epheserbrief, welcher schon am Ende des 1. Jahr-
hunderts in Rom auch wenig gebildeten Christen genau bekannt
war (vgl. meinen Hermas, S. 412ff. 478), ist auch dem Polykarp
bekannt gewesen. Aus Eph. 2, 8f. stammt χάριτί ἐστε σεσωσ-
μένοι, οὐκ ἐξ ἔργων 6. 1, was an Clem. ad Corinth. I, 32 wohl
nur deshalb erinnert, weil auch dort der paulinische Epheserbrief
zu Grunde liegt. Mag man ferner den dunkeln Anfang von
c. 12 (8. oben δ. 506) emendiren, wie man will, die Thatsache,
dass die beiden Sätze: „irascimini et nolite peccare“ und „sol
non vccidat super iracundiam vestram“ wörtlich mit Eph. 4, 26
(Vuigata) übereinstimmen, lässt nicht daran zweifeln, dass Polykarp
aus dieser Stelle schöpft, obgleich er den ersten Satz auch aus
Ps. 4, 5 gewinnen konnte. Auch Ignatius kennt den Epheser-
brief, aber nicht als einen an die ephesische Gemeinde ge-
richteten Brief. Das zeigte sich gerade an der Stelle (Eph. 12),
an welcher man eine ausdrückliche Bezugnahme auf den ganzen
Epheserbrief hat finden wollen (s. S. 607). Das muss auch
mistrauisch machen gegen die Beobachtung von Bunsen (1, 85),
dass der Eingang ‘des paulinischen Epheserbriefs im Eingang des
ignatianischen Eplıeserbriefs nachgeahmt sei. Daraus scheint
dann unweigerlich zu folgen, dass schon Ignatius jenen Brief mit
der Ueberschrift oder Unterschrift πρὸς ᾿Εφεσίους gekannt habe.
Aber wenn man das τῇ εὐλογημένῃ ἐν μεγέϑει ϑεοῦ Eph. inser.
auf Eplı. 1, 3 glaubt zurückführen zu müssen, so sollte man
auch nicht unbemerkt lassen, dass das τῇ εὐλογημένη ἐν χάριτι
ϑεοῦ πατρὺς Mgn. inser. wenigstens den gleichen Anspruch er-
heben.könnte. Die Zurückführung des Christenstandes der Epheser
auf das ϑέλημα τοῖ πατρὸς καὶ Ιησοῦ Χριστοῦ Eph. inser. er-
innert nicht stärker an Eph. 1, 5, als das Aehnliche, was Rom.
inscr. zu lesen ist; ja der dortige Zusammenhang weist noch
entschiedener auf die paulinischen Sätze, wenn man sich durch
das ἡγαπημένῃ καὶ πεφωτισμένῃ κι τ. Δ. (8. oben 8. 557) an
"
613
das paulinische ἐν ἀγάπῃ προορίσας erinnern lässt. Es bleibt
an: Beziehungen zwischen den Eingängen der beiden Epheser-
briefe nur dies, dass in beiden von Prädestination (προορίζειν)
und Erwählung (&xA&yeo$u.) die Rede ist. Aber gerade die
eigenthümlichsten Gedanken des Ignatius, dass die Erwählung
durch das Leiden Christi vermittelt sei, und dass die „Einzel-
gemeinde als solche Object der Prädestination sei, haben im
paulinischen Epheserbrief keine Grundlage. Es lässt sich also
nur sagen, dass auch in Eph. inser. einige nicht sehr deutliche
Anklänge an den paulinischen Epheserbrief sich finden. Solcher
halbdeutlichen Anklänge finden sich noch manche. Auf Eph. 1, 6-
mag zurückgehn das τοῦ ἠγαπημένου ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ Sm.
inscr. vgl. meinen Hermas, S. 414. An Eph. 4, 4—6 erinnert
Mgı. 7, an Eph. 6, 11—17 wegen der Worte πανοπλία und
περικεφάλαιαι ad Pol. 6. Die Ermahnung an die Ehemänner
ἀγαπᾶν τὰς συμβίους ὡς ὃ κύριος τὴν ἐκκλησίαν ad Pol. 5 wird
mit Recht ziemlich allgemein auf Eph. 5, 25 zurückgeführt, wo-
hingegen das sehr wörtliche Citat aus Eph. 5, 2 in Eph. 1 eine
‘Glosse des Interpolators und Anderer, die ihm folgten, ist
(8. oben S. 563). Wir sehen aus Polykarp ohnedies deutlich
genug, dass der paulinische Epheserbrief um 110 zu den fleissig
gelesenen gehörte.
Was bei einem Fälscher um 140 oder 170 kaum vermeid-
lich gewesen wäre, welcher Briefe an Gemeinden verfertigte, an
welche auch Paulus geschrieben hatte, das vermisst man auch
im Verhältnis des ignatianischen Römerbriefs zum paulinischen.
Eine Anspielung an diesen ist gerade im Römerbrief des Ignatius
nicht zu finden, geschweige denn eine Nachahmung. Es konnte
sogar belıauptet werden, Ignatius und Polykarp hätten den
paulinischen Römerbrief gar nicht - gekannt (Schmidt, Bibliothek
für Kritik und Exegese II, 16); und in der That finde ich bei
Polykarp nichts ausser den δ. 612 genannten Anklängen und
bei Ignatius nur Sm. 1 (τὸν κύριον ἡμῶν; ἀληϑῶς ὄντα ἐχ
γένους Jaßid κατὰ σάρκα, υἱὸν ϑεοῦ κατὰ ϑέλημα καὶ δύναμιν
ϑεοῦ, cf. Eph. 20) eine wahrscheinliche Anspielung an Röm.
1, 3f. Nicht viel besser stehts mit dem Galaterbrief. Das in
ganz anderem Zusammenhang vorkommende ὡς ἔτι καιρὸν ἔγομεν
Sm. 9 ist zu wenig Charakteristisch, um ernstlich an Gal. 6, 10
zu erinnern. Eher möchte Gal. 1, 1 dem zu Grunde liegen,
was Ignatius Phil. 1 vom Bischof der Philadelphener sagt:
οὐκ ἀφ᾽ ἑαυτοῦ οὐδὲ δι᾿ ἀνθρώπων κεκι ἦσϑαι τὴν διακονίαν.
Polykarp hat aus Gal. 6, 7 dem paulinischen Zusammenhang
entsprechend εἰδύεες ὅτε ϑεὸς οὐ μυκτηρίζεται entlehnt ὁ. 5,
und Gal. 4, 26 könnte, zumal wenn man da schon damals das
614
zweifelhafte πάντων las, einigen Einfluss geübt haben auf das,
was Pol. 3 von der πίστις gesagt ist: ἥτις ἐστὶ μήτης πάντων
ἡμῶν. — An die Thessalonicherbriefe erinnert eigentlich nur
das „et non sicut inimicos tales existimetis“ Pol. 11 vgl. 2 Thess.
3, 15; denn das προσευχαῖς σχόλαζε ἀδιαλείπτοις ad Pol. 1 ist
selbst „dann, wenn das Attribut ursprünglich im Text stand
(8. oben S. 196), kaum als Anspielung an 1Thess. 5, 17 zu be-
zeichnen.
Dass Polykarp den ersten. Timotheusbrief gelesen hat, liegt
auf der Hand. Vgl. Pol. 4: ἀρχὴ δὲ πάντων χαλεπῶν φιλαρ-
" yvola εἰδότες οὖν ὅτι οὐδὲν εἰρηνέγκαμεν εἷς τὸν κόσμον, ἀλλ᾽
οὐδὲ ἐξενεγκεῖν τι ἔχομεν x. τ. A, mit 1Tim. 6, 10 u. 7. Daher
mag auch die Ermahnung: orate etiam pro regibus οὐ potestati-
bus et principibus c. 12 aus 1Tim. 2, 2 geflossen sein, s. oben
S. 496. Unpassend dagegen scheint es mir, sich für das eine
Wort συμιβασιλεύσομεν ὁ. 5 auf 2Tim. 2, 12 zu berufen. Auch
die Anklänge an Stellen der Pastoralbriefe in c. 2. 7 sind nicht
deutlich. Dahingegen fusst Ignatius mit seinem un πλανᾶσϑε
ταῖς ἑτεροδοξίαις μηδὲ μυϑεύμασιν τοῖς παλαιοῖς, ἀνωφελέσιν
οὖσιν Mgn. 8 ganz und gar auf 1Tim. 1, 4 (vgl. 4, 7; Tit.
1, 14) und Tit. 3, 9. Auch das Wort ἑτεροδιδασχαλεῖν ad Pol. 3
theilt er mit 1 Tim. 1, 3; 6, 3 und die Bezeichnung der ver-
führerischen Thätigkeit der Irrlehrer «lyuulwriew Eph. 17;
Phil. 2 mit 2Tim. 3, 6. Die Einräumung, welche man kirch-
licher Seits der häretischen Ueberschätzung des Alten Testaments
zu machen hat, erinnert durch die Form, in welcher sie Phil. 9
auftritt: καλοὶ καὶ οἱ ἱερεῖς und πάντα ὁμοῦ καλά ἐστιν, an
1 Tim. 1, 8. Es ist ferner kaum denkbar, dass zwischen der
Bezeichnung der Geistlichen als προκαϑύμενοι εἰς τύπον χαὶ
διδαχήν ἀφϑαρσίας Men. 6 und Tit. 2, 7: σεαυτὸν παρεχόμενος
τύπον καλῶν ἔργων, ἐν τῇ διδασκαλίᾳ ἀφϑορίαν kein Zusammen-
hang bestehen sollte. Der Ausdruck ἐπαγγέλλεσθαι ϑεοσέβειαν
1 Tim. 2, 10 kehrt wieder Eph. 14 in πίστιν ἐπαγγέλλεσθαι und
ἐπαγγέλλεσθαι Χριστιανὸς εἶναι. Die oben 5. 608 ausgesprochene
Vermuthung, dass die Hyperbel in Eph. 12 auch auf Stellen
der Pastoralbriefe fusse, war demnach berechtigt.
4. Andere neutestamentliche Briefe. Die Art, wie
Ignatins (Phil. 9: κρείσσων δὲ ὁ ἀρχιερεὺς, ὃ πεπιστευμένος τὰ
ἁγια τῶν ἁγίων, ὃς μόνος πεπίστευται τὰ κρυπτὰ τοῦ ϑεοῦ)
und Polykarp (6. 12: ipse sempiternus pontifex, Dei filius, Jesus
Christus) von Christus als Hohempriester wie von einer allbe-
kannten Sache reden, erklärt sich am bequemsten durch die An-
nahme, dass sie den Hebräerbrief kannten, der schon erheblich
615
früher in Rom eifrig gelesen wurde (s. meinen Hermas,
S. 439 ff.). — Besonders deutlich ist die Benutzung des ersten
Petrusbriefes bei Polykarp. Schon Euseb sagte h. e. IV, 14, 9:
ὃ γέ τοι Πολύκαρπος ἐν τῇ δηλωϑείσῃ πρὸς Φιλιππησίους αὑτοῦ
γραφῇ, φερομένῃ εἷς δεῦρο, κέχρηταί τισι μαρτυρίαις ἀπὸ τῆς
Πέτρου προτέρας ἐπιστολῆς. Von der Grussüberschrift mag es
zweifelhaft bleiben, ob sie nur Nachbildung der Grussüberschrift
des Clemensbriefes ist, oder ob sich Polykarp gleichzeitig einer
Abhängigkeit von 1 Petr. 1,.2 bewusst war. Aber unmittelbar
an eine Reminiscenz aus der Pfingstpredigt des Petrus (c. 1,
8. S. 604) schliesst sich an: eis ὅν οὐκ ἰδόντες πιστεύετε, πι-
στεύοντες δὲ ἀγαλλιᾶσϑε χαρᾷ ἀνεκλαλήτῳ καὶ δεδοξασμένῃ.
Sollten auch die Worte πιστεύοντες δὲ ἀγαλλιᾶσϑε ebenso wie
die Zusätze des lateinischen Uebersetzers als Glosse zu streichen
sein (s. Dressels Note), so bleibt doch die Abhängigkeit von
1 Petr. 1, 8 deutlich. An 1Petr. 1, 12 erinnern die gleich
folgenden Worte εἰς ἥν πολλοὶ ἐπιϑυμοῦσιν εἰςελϑεῖν, und ὁ. 2
beginnt mit den Worten aus 1Petr. 1, 18: διὸ ἀναζωσάμενοι
τὰς ὀσφύας ὑμῶν δουλεύσατε x. τ. λ. Nach kurzer Unter-
brechung folgt πιστεύσαντες εἰς τὸν ἐγείρᾳντα τὸν κύριον ἡμῶν
’Inoovv Χριστὸν ἐκ νεκρῶν καὶ δόντα αὐτῷ δόξαν aus 1 Petr.
1, 21. Es besteht also bis dahin ein förmlicher Parallelismus
beider Briefe. Aber auch weiterhin stammt aus 1Petr. 3, 9
μὴ ἀποδιδύντες κακὸν ἀντὶ κακοῦ, ἢ λοιδορίαν ἀντὶ λοιδορίας
Pol. 2, aus 1Petr. 2, 11 πᾶσα ἐπιϑυμία κατὰ τοῦ πνεύματος
στρατεύεται Pol. ὅ, aus 1 Petr. 2, 21f. 24 in umgekehrter
Ordnung ὃς ἀνήνεγκεν ἡμῶν τὰς ἁμαρτίας τῷ ἰδίῳ σώματι ἐπὶ
τὸ ξυλόν, ὃς ἁμαρτίαν οὐχ ἐποίησεν οὐδὲ ευρέϑη δόλος ἐν τῷ
στόματι αὐτοῦ UNd τοῦτον γὰρ ἡμῖν τὸν ὑπογραμμὸν ἔϑηκε
Pol. 8, aus 1Petr. 2, 12 conversationem vestram irreprehen-
sibilem ‚habentes in gentibus Pol. 10, aus 1Petr. 4, 7 νήφοντες
πρὸς τὰς προςευχάς 6. 7. — Bei Ignatius sind die Beziehungen
auf den ersten Petrusbrief wieder versteckter. Das δε ὀλίγων
γραμμάτων αἰταῦμαι ὑμᾶς Rom. 8 und de’ ὀλίγων ὑμᾶς γραμ-
μάτων παρεχάλεσα ad Pol. 7 erinnert allerdings an 1 Petr. 5, 12,
und ich verstehe nicht, warum z. B. Dressel statt dessen Gal.
6, 11 eitirt, und warum Bunsen I, 40 hierin eine ungeschickte
Compilation aus beiden Stellen fand. Es wird Eph. 5 Prov.
3, 34 mit dem aus Jakob. 4, 6 und 1Petr. 5, 5 (vgl. Clem.
ad Corinth. I, 30 und ‘meinen Hermas, S. 447) bekannten ὁ ϑεός
statt κύριος der LXX angeführt; die Quelle für Ignatius ist aber
der Brief des Petrus, denn nur hier dient das Citat wie bei
Ignatius zur Begründung einer Ermahnung, sich den Vorstehern
unterzuordnen und die Gemeindeeinheit zu bewahren. Die Vor-
616
stellung von Gott oder Christus als Bischof und Hirte der Kirche
(Sm. 8; Rom. 9) berührt sich zunächst mit 1Petr. 2, 25;
5, 4. =
Von den Briefen des Jakobus und Judas und dem zweiten
_ Petrusbrief finde ich weder bei Polykarp noch bei Ignatius eine
Spur. Nur sachliche Uebereinstimmungen mit Jak. 2, 14ff.;
3, 1 liegen in Eph. 14. 15. Ebenso verhält sichs mit der Er-
innerung an ‘die μακροϑυμία τοῦ ϑεοῦ Eph. 11 und 2Petr.
3, 15 und mit dem Lob des Paulus bei Pol. 3 und in 2 Petr.
3, 15. -
Das Ergebnis ist dieses. An den Briefen des Ignatius und
Polykarps haben folgende Schriften des Neuen Testaments ein
zuverlässiges Zeugnis ihres Einflusses auf das kirchliche Denken
und Reden, von den Evangelien: 1) Matthäus, 2) Johannes; .
vom Werk des Lukas nur die Apostelgeschichte; von den pauli-
nischen Briefen: 1) der erste Korintherbrief, 2) Philipper,
3) Epheser, 4) erster Brief an Timotheus, 5) Galaterbrief; von
den katholischen Briefen: 1) der erste des Petrus, 2) der erste
dos Johannes. Zweifelhaft bleibt die Bezeugung des Römerbriefs,
des zweiten an die Korinther, desjenigen an Titus und des
Hebräerbriefs.
5. Der Korintherbrief des Clemens und der Hirte
des Hermas. Schon oben 5. 313 zeigte sich, dass dem Igna-
tius Schriften bekannt waren, in welchen die römische Gemeinde
auswärtigen Christen lehrend gegenübergetreten war. Die
Aeusserungen, welche nach Ignatius Rom. 3 darin enthalten ge-
wesen sein müssen, finden wir in dem Briefe, welchen die rö-
mische Gemeinde durch Clemens an die Korinther richtete, und
in dem Hirten des Hermas, welcher durch Vermittlung desselben
Vorstehers der römischen Gemeinde. an die auswärtigen Ge-
meinden gelangte. Dadurch allein schon ist erwiesen, dass
Ignatius eine der beiden Schriften oder beide gekannt hat. Das
muss auch denjenigen für wahrscheinlich gelten, welche die
Briefe des Ignatius kürz vor oder nach der Mitte des 2. Jahr-
hunderts geschrieben denken. Jünger sind sie dann jedenfalls
als der Brief des Clemens und der Hirte des Hermas. Sie
sind aber auch etwa 12 Jahre jünger als diese, wie ich be-
wiesen zu haben meine, um 96—100 verfassten römischen Schrif-
ten, wenn sie ein ächtes Werk des Ignatius und um 110 ge-
schrieben sind. Steht Letzteres nunmehr so fest, wie es mir
scheint, so haben jene römischen Schriften an den Briefen des
Ignatius und Polykarp ein Zeugnis, welches vollends unzweifel-
haft macht, dass geraume Zeit vor 110 die Verbreitung des
617
Clemensbriefs von Korinth aus und des Hirten des Hermas von
Rom aus begonnen hat.
Zuerst meines Wissens hat Uss. adnot. p. 1 darauf hinge-
wiesen, dass Polykarp sich in Gedanke und Ausdruck vielfach
an den Brief des Clemens auschliesse. Da Polykarp mit seinem
Presbyterium, also im Namen seiner Gemeinde an die Philipper
schrieb, musste es ihm naheliegen, dieses, soviel wir wissen,
erste in weiteren Kreisen bekannt gewordene Schreiben einer
Gemeinde an die andere sich zum Muster zu nehmen. Schon
in der Grussüberschrift hat Polykarp, auch wenn er das älteste
Vorbild aller ähnlichen Formen (vgl. 2Petr. 1, 2; ep. Smyrn.
inscr.; constit. apost. init.), nämlich 1 Petr. 1, 2 im Gedächtnis
gehabt lıaben sollte, sichtlich den Clemensbrief nachgeahmt. Es
können nicht zufällig bei beiden die Worte entstanden sein: τῇ
ἐχκλησίᾳ τοῦ ϑεοῦ τῇ παροικούσῃ «ν΄. ἔλεος (bei Clemens
Läcke) ὑμῖν καὶ εἰρήνη παρὰ (Cl. ἀπὸ) ϑεοῦ παντοχράτόρος
(Cl. πανε. 8.) καὶ (Cl. διὰ) Ἰησοῦ Χριστοῦ (Pol. add. τοῦ
σωτῆρος ἡμῶν) πληϑυνϑείη. In dem evangelischen Citat c. 2
verrieth Polykarp deutlich Abhängigkeit von Clemens, und die
Art, wie er die philippische Gemeinde an ilıre Urgeschichte er-
innert, ist geradezu Nachahmung des gleichen Verfahrens im
Brief des Clemens (s. oben S. 504 und S. 609). Es verdient
ferner zusammengestellt zu werden:
Polycarp.
ὁ. 4. ἔπειτα καὶ τὰς γυναῖς-
κας ὑμῶν ἐν τῇ δοϑείσῃ αὐταῖς
πίστει xui ἀγάπῃ καὶ- ἁγνείᾳ,
στεργοῦσας τοὺς ἑαυτῶν ἄνδρας
ἐν πάσῃ ἀληϑείᾳ καὶ ,ἀγαπώσας
πάντας ἐξ inor ἐν πάσῃ ἐγκ
zei, zu τὰ τέκνα παιδεῖειν
τὴν παιδείαν τοῦ φόβου τοῦ
ϑεοῦ.
ὁ. 7: ἐπὶ τὸν ἐξ ἀρχῆς ἡμῖν
παραδοϑέντα λόγον ἐπιστρέψω-
μεν.
ο, 2: ἀπολιπόντες τὴν
χενὴν ματαιολογίαν καὶ τὴν
τῶν πολλῶν πλανήν cf. c. T:
ἀπολιπόντες τὴν ματαιότητα
τῶν τιυλλῶν καὶ τὰς ψευδοδι-
᾿δασκαλίας.
Clemens.
c. 1. γυναιξίν τε ἐν ἀμώμῳ
καὶ σεμνῇ καὶ ἀγνῇ συνειδύσει
πάντα ἐπιτελεῖν παρηγγέλλετε,
στεργούσας καϑηχόντως τοὺς
ἀνόρας ἑαυτῶν. 6. 21: τὴν
ἀγάπην αὐτῶν un κατὰ προς-
κλίσεις, ἀλλὰ πᾶσι τοῖς goßor-
μένοις τὸν ϑεὸν ἐξ ἴσης παρε-
χέτωσαν. Vorher τοὺς νέους
παιδεύσωμεν τὴν παιδείαν τοῦ
φόβου τοῦ ϑεοῦ.
ὁ. 19: ᾿ἐπαναδράμωμεν ἐπὶ
τὸν ἐξ ἀρχῆς παραδεδομένον
ἡμῖν τῆς εἰρήνης σκοπόν.
6. 9: ἐπιστρέψωμεν ἐπὶ τοὺς
οἰκτιρμοὺς αὐτοῦ, ἀπολιπόντες
τὴν ματαιοπονέαν.
618
c. 12: confido enim vos bene ' ὁ. ὅδ: ἐπίστασϑε ‚rap καὶ
exercitatos esse in sacris literis καλῶς ἐπίστασϑε τὰς ἱερὰς
et nichil vos latet. Cf. Tertull. γραφὰς καὶ ἐγκεκύφατε εἰς τὰ
praeser. 17. 14. λόγια τοῦ ϑεοῦ.
‚Dasselbe ἐγκύπτειν (vgl. noch Clem. I, 45) findet sich
Pol. 3 in Bezug auf die Briefe des Paulus, das unbiblische ὁ
παντεπύπτης ϑεύός Clem. 55. 58 in Pol. 7, μωμοσχοπεῖσϑαι in
Bezug auf das, was auf den Altar kommt Clem. 41 in Pol. 4,
ὑπογραμμός Clem. 5. 16. 18 in Pol. 8. Das ὑπέμεινεν. ..
ἕως ϑανατοῖ' καταντῆσαι Pol. 1 erinnert an Clem. 6, und was
Polykarp von Paulus und den übrigen Aposteln sagt: εἷς τὸν
ὀφειλύμενον αὐτοῖς τύπον εἶσι παρὰ τῷ κυρίῳ c. 9, an das über
Petrus und Paulus Gresagte: ἐπορεύϑη ᾿εἰς τὸν ὀφειλόμενον τόπον
τῆς δύξης . .. εἷς τὸν ἅγιον τόπον ἐπορεύϑη bei Clem. 5. --
Auch bei Jgnatius fehlt es nicht an Anklängen an den Clemens-
brief. Sie verhalten sich zu den förmlichen Nachbildungen
Polykarps ebenso wie seine biblischen Reminiscenzen zu Polykarps
Citaten. Schon Jakobsons Index 8. vv. ὁμόνοια, ὑποτάσσεσϑαι
bietet Beachtenswerthes. Wenn Ignatius durch seine Reise von
Syrien bis Rom an die des Paulus erinnert wurde (s. oben
S. 607), so dünkt es mich wahrscheinlich, dass er bei Rom. 2 fiu.
an das berühmte Wort des Clemens über Paulus (6. 5 κήρυξ
γενόμενος x. r. λ.) dachte. Der Satz μὴ ἀφορμὰς δίδοτε τοῖς
ἔϑνεσιν, ἵνα μὴ δι᾿ ὀλίγους ἄφρονας τὸ ἐν Fe πλῆϑος βλασ-
φημῆται Tr. 8 wird zurückgehn auf Ulem. 1: τῆς ἀλλοτρίας καὶ
ξενῆς. ον στάσεως, ἤν ὀλίγα πρόσωπα προπετῆ καὶ αὐθάδη
ὑπάρχονια εἷς τοσοῦτον ἀπονοίας ἐξέκαυσαν, ὥστε τὸ σεμνὸν καὶ
περιβόητον καὶ ἀξιαγάπητον ὄνομα ὑμῶν μεγάλως βλασφη-
μηϑῆναι, und c. 47: WOTE καὶ βλασφημίας ἐπιφέρεσθαι
τῷ ὀνόματι κυρίου διὰ τὴν ὑμετέραν ἀφροσύνη v. Das stehende
Epitheton der korinthischen Ruhoestörer ist ἄφρων ὁ. 3. 21. 39.
Das τὸ ὕψος, εἰς ὃ ἀνάγει ἡ ἀγάπη x. τ. A. Clem. 49 möchte
auf Eph. 9 eingewirkt haben.
Viel sicherer erkennt man, dass achtungsvolle Lectüre das
Ποιμήν auf die theologischen Anschauungen und Ausdrucks-
weisen des Ignatius erheblichen Einfluss geübt hat. Wenn es
Phil. 9 von Christus heisst: αὐτὸς ὧν ϑύρα τοῦ πατρὸς, δι᾿
ἧς εἰσέρχονται “Ἵβραὰμ καὶ ᾿Ισαὰκ καὶ Ἰακὼβ καὶ οἱ προφῆται
καὶ οἱ ἀπόστολοι καὶ ἡ ἐκκλησία" πώστα ταῦτα εἰς ἑνότητα ϑεοῦ,
so vergleicht man ohne sonderlichen Nutzen Job. 10, 7. 9;
denn die zu Gott oder zum Vater führende Thür ist Christus
dort nicht, wohl aber bei Hermas sim. IX, 12, p. 125, 33 sqg.;
126, 9syq. Der Gedanke, dass durch Ühristus, als die Thür,
die alttestamentlichen Frommen ebenso wie die \ Apostel und die
619
durch sie gesammelte Gemeinde zu Gott eingehn, welcher bei
Ignatius als bekannte Wahrheit auftritt und daher ebenso wie
der von der Auferweckung jener Frommen und Propheten durch
Christus eine Ueberlieferung, eine vorangegangene Auctorität
voraussetzt (s. oben S. 598), ist der Hauptgedanke des neunten
Gleichnisses (vgl. meinen Hermas, S. 153 ff. 164f. 1981. 475£.).
Dort werden von der grossen Menge von Christen aus allen
Völkern, welche durch Christus als das Thor zu Gott eingehn
(sim. IX, 17 sqq.), als besondere ihnen vorangehende Classen
unterschieden 10-25 gerechte Männer, 35 Propheten und
Diener Gottes, 40 Apostel und Lehrer des Sohnes Gottes (sim.
IX, 15). Genau diese Reihenfolge hält Ignatius inne, und schon
das Präsens εἰςέρχονται zeigt, dass ihm diese zum Theil der
Vergangenheit angelörigen Vorgänge als einheitliche Handlung
vorschweben, wie sie nur im visionären Bild des Hermas sich
darbot. Selbst die auffällige Bezeichnung der übrigen Christen
ausser den Aposteln durch ἡ ἐκκλησία (s. oben 8. 315) stammt
aus Hermas sim. IX, 18. — Auf Hermas gehen ferner die Sätze
Eph. 14 zurück: . . . ἐὰν “τελείως εἰς Ἰησοῦν Χριστὸν ἔχητε
τὴν πίστιν καὶ τὴν ἀγάπην, ἥτις ἐστὶν ὦ ἀρχὴ ζωῆς καὶ τέλος, ἀρχὴ
μὲν πίστις, τέλος δὲ ἀγάπη" τὰ δὲ δύο ἐν ἑνότητι γενόμενα
ϑεοῦ ἐστιν" τὰ δὲ ἄλλα πάντα εἰς καλοχαγαϑίαν ἀκύόλουϑά ἐστιν.
Schon die Bezeichnung des Glaubens als Anfangs und der Liebe
als Endes in einem Zusammenhang, in welchem doch eine Reihe
christlicher Tugenden nicht vorgeführt wird, weist uns auf eine
solche Reihe mit diesen beiden Endpuncten (s. vis. III, 8;
sim. IX, 15; vgl. meinen Hermas, S. 434). Auffällig ist ferner,
dass, nachdem die Liebe als τέλος bezeichnet ist, dennoch alle
anderen zur Tugendhaftigkeit gehörigen Dinge der mit dem
Glauben verbundenen Liebe erst nachfolgen sollen. Aus dem
Weiteren sieht man, dass die Bethätigung der Gesinnung nach
aussen gemeint ist. Der Ausdruck aber stammt aus mand. ΠῚ:
πρῶτον navy πίστις, φόβος κυρίου, ἀγάπη «νον εἶτα
τούτων τὰ ἀκόλουϑα ἄκουσον, χήραις ὑπηρετεῖν κι τ. λ.
Die dazwischen stehenden Worte τούτων ἀγαϑώτερον οὐδέν
ἐστιν ἐν τῇ ζωῇ τῶν. ἀνϑρώπων „klingen wenigstens an Sm. 6:
τὸ γὰρ ὅλον ἐστὶν πίστις καὶ ἀγάπη, ὧν οὐδὲν προκέκριται.
An Hermas erinnern, wenn erst sein Einfluss auf Ignatius an-
orkannt ist, Sätze wie Sm. 9: εὔλογόν ἐστιν λοιπὸν ἀνανῆψαι
καὶ, ὡς ἔτι καιρὸν ἔχομεν, εἷς ϑεὸν μετανοεῖν (οἵ. vis. II, 2;
eine Modernisirung desselben, auch bei Ignatius noch durch die
Nähe der Parusie bestimmten Gedankens Eph. 11. 15; Mgn. 5,
findet sich Clem. ad Corinth. II, 7). Demselben Gedankenkreis
gehört an und erinnert besonders an sim. VIII, 11 der Satz:
620
ἔσχατοι καιροί" λοιπὸν αἰσχυνϑῶμεν, φοβηϑῶμεν τὴν
μακροθυμίαν τοῦ ϑεοῦ Eph. 11, vgl. jedoch auch meinen
Hermas, S. 432. Aber auch unzweifelhafte Reminisconzen finden
sich in diesem Gedankenkreis. Was Eph. 10 von den Heiden
gesagt ist: ἔστιν γὰρ ἐν αὐτοῖς ἐλπὶς μετανοίας, berührt sich
sachlich mit vis. II, 2. p. 10, 8, der Ausdruck stammt aus
sim. VIII, 7: ἔτι, φησὶν, ἔστιν αὐτοῖς ἐλπὶς μετανοίας, oder
sim. Im, 10: ἐν τούτοις οὖν ἔνεστιν μετανοίας ἐλπίς. Das
τέλος τὰ πράγματα ἔχει Mgn. 5 vergleicht sich dem absoluten
ἔχει τέλος vis. III, 8. Wenn Ignatius -im Gegensatz zu der
Schwierigkeit, die es hat, gewisse Menschen „zu bekehren, Sm. 4
yagt τούτου δὲ ἔχει ἐξουσίαν ᾿Ιησοῦς Χριστός, und in ähnlichem
Zusammenhang Eph. 7 den Zustand derselben Menschen als
schwer heilbare Krankheit, Christus aber als den einzigen dazu
befähigten Arzt ansieht, so muss man ‚an mand. IV, 1 denken: περὶ
δὲ τῆς προτέρας ἁμαρτίας ἔστιν ὃ δυνάμενος ἴασιν δοῦναι"
αὐτὸς γάρ ἐστιν ὁ ἔχων πάντων τὴν ἐξουσίαν cf. sim. V, 1.
Auch Polykarp kennt den Hirten des Hermas. Der Ge-
danke, dass Gott die μετάνοιά schenkt, ist zwar an sich nicht so
auffällig (vgl. 2Tim. 2, 25), dass schon darum die Worte:
„quibus det dominus veram poenitentiam“ Pol. 11 an den Hirten
erinnern müssten. Aber dieser gebraucht die ihm auch sonst ge-
läufige Redensart διδόναι μετάνοιαν (vis. IV, 1. p. 30, 5;
sim. VIII, 11. p. 111, 28) gerade auch in einem Zusammen-
hang, wo es sich um den Gegensatz wahrer und heuchlerischer
Bekehrung solcher Christen handelt, welche durch ihre Sünden
den Namen Gottes entweiht haben (sim. VID, 6 p. 107, 18 ---18).
Man muss nur den Ausgangspunct der Auseinandersetzung
(Pol. 10fin.), an dessen Schluss Polykarp dies sagt, im Auge
haben, um seine Abhängigkeit vom Hirten mit Händen zu grei-
fon. Das ἐν ὑποκρίσει (μετανοεῖν sim. VII, 6, πιστεύειν „vie.
III, 6) des Hirten ist um 80 gewisser in Pol. 6 (τῶν ἐν ὑπο-
κρίσει φερόντων τὸ ὄνομα τοῦ κυρίου) wiederzuerkennen, als die
gleichfolgenden Worte (οἵτινες ἀποπλανῶσι κενοὺς ἀνθρώπους)
der Schilderung des falschen Propheten ‚bei Hermas entlehnt ist
(mand. XI, p. 68, 2: αὐτὸς γὰρ κενὸς ὧν κενῶς καὶ ἀποκρίνεται
κενοῖς, οἵ, p. 69, 3484ᾳ.. Zudem ist φέρειν τὸ ὄνομα τοῦ
κυρίου bei Hormas stehende Bezeichnung der äusserlichen Zu-
hörigkeit zur Gemeinde, und gerade von den ὑποχριταὶ καὶ διδά-
σχαλοι τῆς πονηρίας wird es sim. IX, 19 wie von Polykarp ge-
braucht. An sim. IX, 28 (μεῖς δὲ οἱ πάσχοντες ἕνεχεν τοῦ
ὀνόματος δοξάζειν ὀφείλετε, τὸν eo») scheint sich Polykarp
(6. 8: ἐὰν πάσχωμεν διὰ τὸ ὄνομα αὐτοῦ, δοξάζωμεν αὐτὸν)
enger anzuschliessen, als an 1Petr. 4, 16. So ist es auch
621
möglich, dass Polykarp, der fast alle nicht ganz gewöhnlichen
Ausdrücke seiner Lectüre älterer christlicher Literatur verdankt,
sein χαλιναγωγεῖν ἑαυτόν 6. 5 (vgl. se gubernare ὁ. 11) in Er-
innerung an mand. XI, 1 gebraucht. .
Das Ergebnis dieser letzten Untersuchung ist dies: Die
durch die Worte des Ignatius Rom. ὃ begründete Erwartung,
dass der Brief des Clemens und der Hirte des Hermas in den
östlichen Kirchen. damals verbreitet waren, hat sich bestätigt,
und zwar so, dass Polykarp vorwiegend für Clemens, Ignatius
vorwiegend für Hermas, beide aber auch fiir beide zeugen.
‘
Register.
—e
I. Die nicht selbstverständlichen Abkürzungen. *)
\ = armenische Uebersetzung der | ächten und die vier unächten Briefe
ignatianischen Briefe nach Peter- | des Ignatius von Antiochien.
mann, iin Römerhrief als ΑἹ 1847.
unterschieden von A2, der Ueber- | Buns. II = Derselbe, Ignatius
setzung des mit dein Martyrium von Antiochien und seine Zeit.
zugleich übersetzten Römer- Sieben Sendschreiben an Neander.
briefs. 1847.
Arndt = Beitrag zur Entscheidung | Cler. oder Cler. Il = der zweite
des Streits über die Echtheit der Band von Coteliers Patres apo-
Briefe des Ignatius von Antio- stolici in der zweiten Ausgabe
chien in den Theol. Stud. u. Krit. des Joh. Clericus von 1724.
1839, S. 136 ff. Cur. = Corpus Ignatianum by
Arndt (Handschrift) = das in der W. Cureton. Berlin 1849. —
Vorrede erwähnte handschriftliche Cur. introd. weist auf die Ein-
Werk desselben. leitung desselben Werks mit be-
Baur I = Ueber den Ursprung sonderer Paginirung.
ıles Episkopats 1838. Dall. = 7. Dallaeus, de scriptis,
Baur 1 = Die ignatianischen quae sub Dionysii Areop. et
Briefe und ihr neuster Kritiker. Ignatii Ant. nominibus circum-
1848. feruntur. 1666.
Buns. 1 = DBunsen, die drei ! Denz. — Denzinger, über die
*) Die ahgekürzten Bezeichnun:en der Handschriften sind im Anhang I, die
der Sammlungen S. 97f. erklärt. — Der Barnabasbrief ist nach den Paragraphen
der Ausgabe von Müller, der Pastor Hermae nach Hilgenfelds Nov. Testam.
eitirt. - .
628
Aechtheit des bisherigen Tex-
tes der ignatianischen Briefe.
1849.
Düsterd. — Düsterdieck, quae de
Tgnatianarum epistolarum au-
thentia etc. prolatae sunt senten-
tiae enarrantur et dijudicantur.
1843.
61 — die kürzere Recension der
sieben griechischen Briefe, im
Römerbrief gelegentlich als colb.,
in den übrigen als med. be-
zeichnet. .
6? —= die längere Recension.
(rabe I, II = die beiden Theile
des Spicilegium von Grabe in
der 2. Auflage 1714.
Hilgf. = Hilgenfeld, die aposto-
lischen Väter. 1853.
Kist = Ueber den Ursprung der
bischöflichen Gewalt, in Zeitschr.
für histor. Theol. 1832, 2. Heft.
S. 4171.
Li = die lateinische Uebersetzung
von Gl,
L?2 = die lateinische Uebersetzung
von ΟΞ.
Lips. 1 = Lipsius in der Zeitschr.
für histor. Theol. 1856, 1. Heft.
Lips. I = Lipsius in den Ab-
handlungen der deutschen mor-
„genländischen Gesellschaft 1859,
1. Band, Nr. 8.
Merx — Meletemata Ignatiana 1861.
Nirsehl = Die Briefe des heiligen
Ignatius und sein Martyrium
übersetzt u. 8. w. 1870.
Pears. 1. 11 — die beiden Theile
der Vindiciae Ignatianae. Canta-
brig. 1672. Die Einleitung mit
besonderer Paginirung ist als
Pears. prooem. citirt.
Pears. IH = die nachgelassenen
Anmerkungen zu den Briefen,
von Th. Smith hinter seiner
Ausgabe veröffentlicht.
Rothe = Die Anfänge der christ-
‚lichen Kirche und ihrer Ver-
fassung. 1837.
Seult. — Abr. Scultetus, medulla
theologiae patrum. Amberg. 1598.
Seur, = das von Cureton heraus-
gegebene Excerpt aus der syri-
schen Uebersetzung der igna-
tianischen Briefe, manchmal auch
nur als S bezeichnet und im
Römerbrief als Si von dem
Römerbrief im Martyrium, S2,
unterschieden.
Sfr. —= die zu derselben Uebersetzung
gehörigen Fragmente, nach Seite
und Zeile von Curetons Corpus
Ign. eitirt.
Sever. = die syrischen Fragmente
des Severus von Antiochien nach
Curetons Corpus Ign.
Smith = S. Ignatii epistolae ed.
Th. Smith. Oxon. 1709.
Smith, sehol. = die der Ausgabe
angehängten Anmerkungen mit
besonderer Paginirung.
Timoth., = Die syrischen Frag-
mente des Timotheus Aelurus
nach Curetons Corpus Ign.
Uhlh. = Uhlhorn in der Zeitschrift
für historische Theologie 1851.
Uss, = der mittlere Haupttheil des
oben S. 93 beschriebenen Werks.
Uss. diss. = die voraufgeschickte
dissertatio mit besonderer Pagi-
nirung.
Uss, adn. = die angehängten Ad-
notationes.
Uss. Cler, — Usshers appendix
Ignatiana, nach Cler. IT (r. vor-
her) von mir eitirt.
Vedel,. = 8. Ignatii . quae
exstant omnia, in duos Jibros
distincta . .
Vedelio,
. &uctore
Genevae 1623.
624
Nicol.
Die
voraufgeschickte apologia pro
Ignatio ist nicht paginirt.
Voss = Epistolae genuinae 8. |
Ignatii.
Adduntur 8. Ign. ep.
quales vulgo eireumferuntur. Ad-
haec 8. Barnabae epist. ed. Is,
Vossius. Amstelod. 1646.
Voss ad Riv. —
die beiden Send-
schreiben an Rivet hinter Pear-
son» Vindiciae.
Whisten — Christianity reviv’d.
Vol. I. London 1711. .
2. Exegetisch oder kritisch erörterte Stellen aus Ignatius
und Polykarp.
"Ad Rom.
inser.:
1:
2:
8. 245. 312ff. 406. 471.
8. 308 fl. 475.
S. 252f. 5571.
S. 308. 405. 407. 472.
559.
: 8. 229f. 339. 410.
: 8. 253. 274. 281. 405.
: 8. 109. 177. 212. 414.
: 8. 98. 164. 173. 177. 848 HE.
413. 561 fl.
: 8. 254. 403. 407.
10: S. 243. 251. 252.
Ad Ephes.
1:
(0 0)
INS m
S. 133. 254. 256. 549.
563. 589.
: 8. 441.
482.
558.
483.
560.
560.
554.
3. 275. 299. 316. 563 f.
S. 340f. 344f. 428.
8. 958.
135. 359. 384. 468.
S.
564 ff.
: 8. 357. 421. 566.
9;
8. 258f. 338. 357.
10: δ. 567.
11: S. 101. 402.
414.
557. |
— --- -, -.. -.Ὀ .............-΄ὃὔὉὃὟΡ"-Ὁὦ.
12:
18:
15:
16:
11:
18:
19:
. 606 fl.
. 341. 345. 357.
. 435. 483. 487.
368. 454.
435.
. 135. 213. 420 f. 484.
117. 187. 233 ff. 456.
468. 484 ff. 596.
20:8.
21:8.
Ad Ma
..
Οὐ «2 δὴ δ᾽ mn κα Mr
: Κὶὶ
: Κ.
: δ.
:S,
: Κ΄.
: 5,
Ss.
: Κ,
88
8.
: 5,
358. 457. 568.
88.
273, 417. 569.
440. .
302 ff. 429.
302.
419.
322. 471. 570.
340. 345f. 4106.
136. 178. 354. 360. 372.
2f. 390. 461. 471 ἢ.
109. 354. 455. 462. 463.
370. 429. 457f.
Ad Trall.
inser.: S. 244. 415.
: Ν᾿
: δ.
Ss.
323. 571.
300 f. 571. 572.
102f. 105. 192. 414: 416.
572.
: Ν᾿
: ΒΚ.
Ss.
180. 192. 204 f. 408. 573,
574.
213. 466.
10: S. 574.
11: S. 349. 480.
13: 8. ‚421f.
Ad Philad.
inser.:
. 261. 328. 451.
. 262. 270.
. 342. 4266,
. 411. 430f. 485. 463. 575.
. 266 f. 8696,
. 266 ff.
. 269. 373 ff. 589.
. 315. 437. 461. 618f.
on 1m Om μὰ
ζΏ ζῶ ζῶ Ὁ Ὁ Ὁ MU
5. 828. 350.
Ad Smyrn.
inser.:
8. 473.
1: 8. 429. 470. 482. 575.
2: 8. 381. 394.
3: S. 402, 475. 600.
4: 8.246. 412. 467.
625
11: 8, 408. 57IL.
13: S. 8841.
Ad Polye.
inser.: S. 70.
. 597.
. 415. 576. 597£.
. 4101
84. 104. 333. 345.
. 820, 337. 576.
858 ἢ,
MUND μὰ
Ὁ ὍΣ ὯΩ ζΩ ζῶ Ὁ mM Un
Pol. ad Philipp.
ως 8. 296. 617.
δ. 290f. 510. 609.
S. 507f.
S. 297f. 333.
: 8. 402.
S. 496.
: 8. 291f.
11: S. 5601 δ΄. 609 ἢ.
12: S. 506 f.
13: 5. 288. 290. 2931.
14: S. 295.
3. Wörter.
eyanav 348. 415.
ἀγάπη 213. 347 ff. 587.
ἀγένητος (ἀγέννητος) 135. 175.
470. 564.
dyıopooos 3839.
ἅγνισμα 567.
Zahn, Ignatius.
ἀδιάχριτος, -«τως 429. 465.
ἄϑεος 406.
ἀχολουϑεῖν 964.
ἀλείφειν 275.
ἀντέψυχον 196. 422.
ἀξιόπιστος 867.
40
. 265. 286. 412. 548. 560.
. 283f. 286. 292. 428. 577.
626
anodwällew, εποδιυλισμιός 270. | λεόπαρδος 531.
588.
ἀρχεῖον 816.
βιβλίδιον 277.
᾿γενητός (γεννητός) 8. ἐγένητος.
γινώσχειν 259.
γινώσκεσϑαι 337.
γράφειν dui τινος 242. 262.
ἔχερωμα 407.
ἔμπροσϑεν 284.
ἐνερείδω 566.
ἐντὸς 840.
ἐπίχειταε ὅθ0. .
ἕνωσις 118. 425.
εὐχαριστία 341. 587.
ϑεοδρόμος 286. 527.
ϑεομακαρίτης 575.
ϑεοφόρος 21. 25. 69 ff. 4161. 577.
κακοδαίμων 11. 524.
χαϑολική ἐχχλησία 428.
καιρὸς 576.
χαχοιτεχνέα 821.
τὸ χοιγὸν 888.
κοπιατής 129.
μαϑητής 406. 573.
μαϑητεύειν 314.
| νεωτεριχός 804 ἢ,
ὁμοήϑειε 819.
ὀναίμην 126. 492.
πάπας 154.
παροδεύειν 254. 259.
πάροδος 606
περιφέρειν 359. 894. 516.
περίψημα 198. 420 ἢ.
προάγειν 258.
πρόχειται 377.
προςλαμβάψειν 808.
σάρξ 254.
συνδιδασχαλέίτης 275.
σωμάτιον 580.
τάξις 804.
τοχξτος 500.
τόπος 127. 808. 810
τύπος 311. 570.
χειροτονεῖν 228. 304.
χοιστιανός 320 Anm. 406.
χωρίον 308 ff.
4. Sachen und Namen.
Abendmahl 323. 341 ff, 363. 516. 605.
Acacius von Cäsarea 141f.
Agathopus 42. 260. 263f. 387.
538.
Alke 278. 538.
Altar 840 ἢ.
Altes Testament, Citate daraus
4331.
455 ff.; vgl. 431—437.
Stellung zu demselben '
Anaclet von Rom 125. 154.
Anastasius von Antiochien 88t.;
vom Sinai 89.
Anazarbus 155f. 159.
Antiochien, Bischofsliste von An-
tiochien 56ff. 124. Brief an die
Gemeinde von Antiochien 160.
227f. Syrische Sprache bei A.
175 Anm.
627
Antivchus Monachus 108f.
Antonius, Verfasser der Melissa
84. 108 1. '
Apokryphische Ignatinscitate 84,
103f. 106. 120.
Apostel 324f. 480 ff. 439; in Klein-
asien 8807.
Apostelgeschichte 42f. 161. 592.
600. 604.
- Apostolische Constitutionen 60.
125. 144-153. 513.
Arianismus 133ff.
Armenische Uebersetzung des Ign.
70. 968.
Athanasius 135. 512. 564. 578.
Attieus 17f.; vgl. die Berichtigung
δ. 630.
Barnabas 76. Yif. 397f. 455. 456.
514.
Basilides 387.
Bischof, Alter dess. 150f. 157.
326f. Amt und Würde dess.
130f. 296 - 332. 439-452.
Cerinth 388 f. 392f.
Clemens von Rom 79. 125f. 313.
412. 616ff.
Clemens von Alexandrien 513ff.
588. 608.
Christologie des Ignatius 464— 489
vgl. 434 f£,. des Pseudoignatius
132ff. 163; der ignatianischen
Irrlehrer 380 ff. 392 ff.
Chrysostomus 33ff. 38. 49. 53. 60.
Cyprian 28. 85.
Cyrill von Jerusalem 123.
Cyrillonas 187.
Diakonen 256. 822, 440. 445.
Diakonissen 148. 325.
Doketen 393.
Egnatia via 254. 260.
| Egnatius oder Ignatius 28. 401.
Ehelosigkeit 334 ff.
Eheschliessung 319.
Ephesus. Gemeinde zu Ephesus
258f. 274f. 357f. 530. 589f.
606f.; Brief des Paulus an die-
selbe 121, 607. 612; Brief des
Ignatius an dieselbe 127. 274.
612.
Ephraem Syr. 218f. 221f.
Ephraim von Antiochien 71. 89.
Euagrius, Kirchenhistoriker 52f.;
Freund des Hieronymus 183.
Eusebius, Nachrichten über Ignatius
und seine Briefe 51f. 75ff. 111.
113. 117. 251; Benutzung seiner
Chronik 47ff. 57; seiner Kirchen-
geschichte 15f. 17f. 26. 80. 82.
40. 121 ff. 141.
Eustathius von Sebaste 142.
Evangelium 373ff. 430ff.; des
Matthäus 591. 592f. 596ff.
603f. Marcus 600... .; Lucas
591. 600. 603; der Hebräer 597. .
599. 601. S. u. Johannes.
Gedächtnistag des Ignatius 5.
7. 9. 12. 19. 27f. 43. 53. 68.
Gelasius von Rom 87. 175. 565.
Gregor der Grosse 88.
Häretiker, die von Ignatius be-
kämpften 258-272. 343£.
356—399. 4548,
Hermas 313. 315. 514. 585. 616 ff.
Hero 16, Brief an ihn 126f. 158.
165; laus Heronis 38.
Hieronymus 30. 82, 38f. 47. 51.
10, 92. 218.
Jacob von Sarug 184.
Johannes der Apostel, ub Lehrer
des Ignatius 46ff. 402; Wirk-
samkeit in Kleinasien 327. 330.
628
Apokalypee 329f. 539. 606.
Evangelium 470. 593. GAR;
erster Brief 606.
Johannes von Antiochien 71, ein
anderer 35.
Johannes Damascenus 67. 100 ff.
Johannes Malalas 66 ff. 245.
Johannes Monachus 221 fi.
Johannes Rhetor 52.
Johannes I. von Rom 185.
Irenäus 61. 79. 327f. 389. 393.
495. 513. 515“.
Judaismus 368 ff. 397.
Korintherbriefe des Paulus 611 ἢ
Lateinische Uebersetzung der kürze-
ren Recension 93ff. 545ff., der
längeren 84. 86f. 545.
Lateinische Wörter 530 £.
Logoslehre 382 ff. 390ff. 454. 471.
477.
Lucian 279£. 51Tff. 592.
Marcellus von Ancyra 136ff. 144.
Maria von Kastabala 81. 83f. 112.
153 ff. 556.
Maximus Confessor 60. 102 ἢ,
Neutestamentliche Schriften 373,
520. 592£. 595—616.
Nurono 18 ἴ, 555.
Origenes 59. 61. 122. 513.
Paschachronik 47f. 58. 89.
Paschastreitigkeiten 148.
Paulus 60. 125. 410. 459. 606 ff.
Peregrinus 517 ft.
Petrus 59. 125. 410. 603; Predigt
des Petrus 602f.; erster Brief
615.
Philadelphia, Brief des Ignatius
an die dortige Gemeinde 261 ff.
266 ff. 362.
Philipperbrief des Paulus 505. 610;
des Ignatius 89. 95. 114. 127.
160.
Photin 138 ff. 144.
Plinius 15f. 63. 351f. 586.
Polykarp 317f. 326ff. 453; Brief
an die Philipper 79. 911. 115.
287. 295. 4024: 609f.; ver-
lorene Briefe 77. 289. 295;
Martyrium 37. 51f. 517. 524 ἢ;
Brief des Ignatius an ihn 77£.
165. 282 ff, 288.
Predigt 320. 322.
Presbyter 297 ff. 302 ff. 323 ff. 326.
439 f. 446.
Pseudoignatius 37. 91.
116—167.
114f.
Beiseweg des Ignatius 40. 45. 48.
250 ff. 287. 289. 293.
Römische Gemeinde 249. 308ff.
8356; Brief des Paulus an sie
410. 612. 613; Brief des Igna-
tins an sie 12. 13. 15. 17. 32.
36. 40. 54f. 89. 94f. 101.
110 —116. 12%. 128. 161f.
247 ff. 404 f.;, Datum des letzteren
5. 252. 531.
Saturnin 387. 393. 395 ff
Sclaven 882 ἢ,
Severus von Antiochien τι ff. 109.
118. 114, 177f£. 216. 555.
Simon Magus und die simonianische
Secte 388. 391. 396.
Smyrna, Gemeinde daselbst und
Brief des Ignatius an sie 282.
395. 402. 504.
Tarsus, Brief des Ignatius an die
dortige Gremeinde 160.
Taufbekenntnis 590 ft.
Tertullian 516 Anm. 576. 583.
618.
629
Thaddäus (oder Addäus), syrischer | Trajan, seine orientalischen Feld-
Bericht über ihn 122 f. 598f. züge 46; Christenverfolgnng
Thierkampf 61ff. 246f. unter ihm 45. 49. 57. 61.
Timotheus Aelurus von Alexandrien 242 ff.
71. 109. 174. Tralles, Brief des Ignatius an die
Timotheusbriefe des Paulus 158. dortige Gemeinde 276.
580 ff. 591. 614.
Titusbrief des Paulus 614.
Todesjahr des Ignatius 4. 5. 16.
58f.
Valentin 386 f. 8907.
Wittwen 333 ff. 581f.
Berichtigungen und Zusätze.
nn
Zu 8. 17f. Durch das Datum einer bei Ephesus gefundenen Inschrift,
welches Th. Mommsen im Hermes IlI, 132 zuerst bekannt gemacht
hat, stehen die Namen der ordentlichen Consuln des Jahres 104 fest.
Es lautet: Σέξτῳ Arrlo Σουβουρανῷ τὸ β΄, Μάρχῳ ᾿Ἡσινίῳ Μαρχέλλῳ
ὑπάτοις πρὸ η΄ (Ὁ) χκαλανδῶν Μαρτίέων. Den richtigen Namen des
Ersteren (Plin. ep. VII, 6, 1054.) hatte Idatius bewahrt (Mommsen
a. ἃ. Ο., 8. 129). Das martyr. vatic. hat also ausser und vor den
Namen der Consuln von 104 — denn Σουρβανοῦ oder Σουρβινοῦ
sind Schreibfehler —- den Arrıxzos aus Euseb. Diese Herkunft ist
nun erst recht gewiss; denn nach obiger Inschrift wird Hegesipps
᾿Αττιχοῦ Eus. h. 6. III, 32, 3. 6 unbedingt in 4rriov zu ändern
sein. Abschreiber schufen das Homöoteleuton mit ὑπατιχοῦ, was
an beiden Stellen sein Titel ist. Martyrologen, welche von einem
Consul Atticus reden, hängen also von emem alten Schreibfehler der
Kirchengeschichte Eusebs ab. — Wann Sextus Attius Suburanus
Syrien als Proconsul verwaltete, wann also Simeon von Jerusalem
starb, wissen wir noch nicht.
Zu S. 46, Anm. 1. Sura und Senecio sind nur einmal Collegen gewesen,
in Jahre 107; denn des Ersteren zweites Consulat fällt ins Jahr
102, in welchem Senecio nicht Consul war. In seinem ersten
Consulat im Jahre 99 aber hatte Senecio nicht den Sura, sondern
den A. Cornelius Palma zum Collegen. S. Mommsen im Hermes
ΠῚ, 137£. vgl. 129, Anm. 8.
S. 65, Anm. 1 lies permissu statt: permissione.
S. 76, 2. 14 lies ἀναγκαῖον statt: ἀναγκαῖαν.
S. 84, Anm. 1. Von den verschiedenen Katalogen der ehemals in der
augsburger, jetzt in der münchener Bibliothek befindlichen Hand-
ζ. ὍΣ Ὁ ζΏ ὍΩ ὍΣ ζῶ . Ὁ Ὁ Ὁ; ὍὨ
Ὁ ὍΔ Ὁ ζῶ
ζῶ
681
schriften ist der zweitälteste, der des David Höschel, ceitirt, weil nur
dieser über den ignatianischen Inhalt des cod. a genau berichtet.
M. A. Reiser in dem weitläufigeren Index mss. bibl. August. 1675,
p. 13 erwähnt nur flüchtig die 12 ignatianischen Briefe hinter Cyrills
Katechesen; Ign. Hardt im catal. codd. mss. bibl. reg. Bavar.,
vol. I, tom. 4, p. 221sqg. beschreibt zwar die Handschrift (cod.
CCCXCIV, saec. X, membran.) äusserlich genau genug, hat aber
die genaue Angabe Höschels über Cyrills letzte Katechese so wenig
beachtet, dass er p. 222 schreiben kann: ultima desinit: προςεύχου
μαχώριε ποιμήν. Das ist aber, wie schon Höschel vermuthete und
längst offenbar ist, der Schluss des Briefs der Maria von Kastabala
'an Ignatius. Hardt weiss in Folge dieses Versehns auch nur von
12 ignatianischen Briefen in dieser Handschrift, p. 224. 226.
. 89, 2.2 νι αὶ. ls ἄρϑρφ.
. 106, Ζ. 19 ν. ο. lies ἀλήϑειαν.
. 107, 2. 6 v. u. lies seien statt: sei. |
. 179, Anm. 1 ist egartho mit Thau statt mit Teth zu lesen; im
folgenden Wort Vau statt Koph; derselbe Fehler S. 193, 2. 3 v. u.
. 183, 2.2 v. u. sowie ὃ. 186, Z. 14 und 15 v. o. lies Lomad statt Ee.
. 216, letzte Zeile lies Paulus Callinicensis statt: Paulus Collin,
. 249, 2. 8 v. u. lies Peregr. statt: Petegr.
. 250, Z. 12 lies Cler. II, 175 statt: 775. -
. 803, 2. 7 lies versagen statt: versuchen.
350, 2.7 v. u. les eiwreos.
. 879, 2. 2 v. u. ist hinter „Marc. 1, 15“ hinzuzufügen: vielleicht
noch Eph. 1, 13.
402, Z. 14 v. u. hinter „ed. Schulze‘ hinzuzufügen: IV, 127sq.
. 458, 2.6 v. u. lies 5. 849, statt: S. 399.
. 543, 2. 9 lies Heron statt: Herm.
. 556, Ζ. 28 lies Κάψαλον statt Κάπσαλον; Z. 29 Κασσόβηλα
statt Κασσόβῆλα. Z. 10 v. u. Κασσόβολα statt Κασσόβολη.
. 565, 2. 5 lies zweimal Beth statt Coph.
u
EEE er” ER SEES GER Le u See
ὦ