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Full text of "Im Kampf um die Kunst; die Antwort auf den "Protest deutscher Künstler". [Von Gustav Pauli, et al.] Mit Beiträgen deutscher Künstler, Galerieleiter, Sammler und Schriftsteller"

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IM  KAMPF  UM  DIE  KUNST 


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IM  KAMPF  UM  DIE  KUNST 


DIE  ANTWORT 

AUF  DEN 

»PROTEST  DEUTSCHER 
KÜNSTLER« 


MIT  BEITRÄGEN 

DEUTSCHER  KÜNSTLER   •   GALERIELEITER 

SAMMLER  UND  SCHRIFTSTELLER 


MÜNCHEN  I9II 
R.  PIPER  6v  CO.,  VERLAG 


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VERZEICHNIS  DER  BEITRÄGE 

GALERIELEITER  seue 

Gustav  Pauli,  Bremen i 

Ludwig  Kaemmerer,  Posen 6 

Walter  Riezler,  Stettin lo 

Alfred  Hagelstange,  Köln 13 

Karl  Ernst  Osthaus,  Hagen  i.  W 16 

Georg  Swarzenski,  Frankfurt  a.  M 19 

F.  Fries,  Elberfeld 21 

Theodor  Volbehr,  Magdeburg 24 

Alfred  Lichtwark,  Hamburg 27 

KÜNSTLER 

Max  Liebermann,  Berlin 29 

Max  Slevogt,  Berlin 30 

Lovis  Corinth,  Berlin 33 

August  Gaul,  Berlin 36 

Georg  Kolbe,  Berlin 36 

Max  Beckmann,  Berlin 37 

Walter  Rösler,  Berlin 37 

Leo  von  König,  Berlin 38 

K.  von  Kardorff,  Berlin 39 

Ulrich  Hübner,  Travemünde 40 

Emil  Rudolf  Weiss,  Berlin 40 

Curt  Herrmann,  Berlin 49 

Paul  Baum,  Berlin 50 

Otto  Hettner,  Berlin 51 

Robert  Breyer,  Berlin      56 

Hermann  Struck,  Berlin      56 

Theo  von  Brockhusen,  Berlin 57 


Seite 

M.  Pechstein,  Berlin 60 

Gustav  Klimt,  Wien 61 

Carl  Moll,  Wien 61 

Otto  Modersohn,  Fischerhude 62 

Richard  Winckel,  Magdeburg 63 

Rudolf  Bosselt,  Magdeburg 63 

Wilhelm  Trübner,  Karlsruhe 63 

Walther  Püttner,  München 64 

Hermann  Schlittgen,  München 67 

M.  A.  Stremel,  München 69 

Fritz  Behn,  München 70 

Alfred  Feiks,  Budapest 'JZ 

Eugen  Feiks,  München 73 

Christian  Rohlfs,  München 73 

W.  Kandinsky,  München 73 

Franz  Marc,  München      75 

A.  Deusser,  Monheim  a.  Rh 78 

Max  Clajenbach,  Wittlaer  b.  Kaiserswerth      79 

Heinrich  Nauen,  Krefeld 80 

August  Macke,  Bonn 80 

Walter  Bondy,  Paris 83 

Eugen  Spiro,  Paris 86 

Julius  Pascin,  Paris 87 

Kari  Hofer,  Paris 88 

Wilhelm  Uhde,  Paris 89 

C.  Amiet,  Oschwand  bei  Rietwiel 91 

Ernst  Bischof-Culm,  Berlin 91 

Erich  Hancke,  Berlin 91 

EmU  Orlik,  Berlin 91 

Richard  Goetz,  Paris 91 

Hermann  Haller,  Paris 91 

SCHRIFTSTELLER 

Wilhelm  Worringer,  Bern:  Entwicklungsgeschichtliches 

zur  modernsten  Kunst 92 

Wilhelm  Niemeyer,  Hamburg :  Die  Kunst  und  der  Kunst- 
schriftsteller      99 


Seite 

R.Reiche,  Bannen :  Rheinische  und  französische  Künstler  105 

Wilhelm  Schäfer,  Vallendar 106 

Wilhehn  Hausenstein,  München:  Mittelstandspolitik    .  108 
Harry  Graf  Kessler,  Weimar:  Deutschland  und  die  Aus- 
landskunst    121 

Henry  van  de  Velde,  Weimar 125 

Otto  Grautoff,  Paris 127 

Hans  Tietze,  Wien 129 

Georg  Biermann,  Leipzig 138 

Walter  Cohen,  Bonn 140 

Carl  Gebhardt,  Frankfurt  a.  M 142 

Karl  Voll,  München 144 

Hermann  Esswein,  München 146 

Moeller  van  den  Brück,  Florenz 148 

KUNSTHÄNDLER  UND  SAMMLER 

Paul  Cassirer,  Berhn:  Kunst  und  Kunsthandel    ...  154 

Alfred  Flechtheim,  Düsseldorf 168 

Alfred  Walter  He3niiel,  München :  Satyrspiel  und  Kehraus  169 


Einige  dieser  Beiträge  erschienen  zuerst  in  den  nach- 
stehenden Zeitungen  resp.  Zeitschriften:  Beitrag  Pauli  in  den 
,, Bremer  Nachrichten",  Kaemmerer  im  ,,Tag",  Graf  Kessler 
im  ,, Berliner  Tagblatt",  Lichtwark,  Swarzenski,  Fries,  Geb- 
hardt, Hagelstange,  Osthaus  in  der  ,, Frankfurter  Zeitung", 
Tietze  im  „Wiener  Fremdenblatt",  Corinth,  Slevogt,  Trübner, 
Püttner,  Klimt,  Moll  in  den  ,, Süddeutschen  Monatsheften"  und 
Paul  Cassirer  im  „Pan".  Alle  übrigen  Beiträge  sind  Original- 
beiträge. 

Den  Schriftleitungen  der  genannten  Zeitungen  und  Zeit- 
schriften danken  wir  auch  an  dieser  Stelle  bestens  für  die 
Abdruckerlaubnis. 


TI)ekanntlich  ist  Vinnens  Broschüre  eine  Zusammenstellung 
-*-^  von  zwei  Artikeln,  die  sich  aus  Anlass  der  Erwerbung 
unseres  Van  Gogh  zunächst  gegen  die  Anschaffungspolitik  der 
Bremer  Kunsthalle  und  dann  gegen  die  deutschen  Kunstzustände 
im  allgemeinen  richteten.  Ein  merkwürdiger  Mahnruf,  der  mit 
einem  Lob  des  bisher  Geleisteten  eingeleitet  wurde.  —  Der 
Leiter  der  Kunsthalle  hat  eine  hübsche  Galerie  zusammen- 
gestellt, wirklich  selu-  anregend,  aber Dieses  ,,aber" 

und  was  darauf  folgt,  habe  ich  offen  gestanden  nie  begriffen. 
Der  einfache  Mensch  sollte  doch  meinen,  dass  eine  Galerie 
ebenso  wie  ein  Bild  entweder  gut  oder  schlecht  sein  müsse,  ent- 
weder lobenswert  oder  tadelnswert.  Für  Vinnen  ist  sie  aber 
beides  zugleich.  Einerseits  ist  die  Kunsthalle  vortrefflich, 
andererseits  darf  sie  so  nicht  weiter  verwaltet  werden.  Einer- 
seits gesteht  Vinnen  selbst  die  Suprematie  der  französischen 
Malerei  in  den  letzten  Jahrzehnten  ein,  geht  selbst  nach  Paris, 
um  von  den  Parisern  zu  lernen,  andererseits  warnt  er  vor  der 
Überschätzung  der  Franzosen.  Einerseits  will  er  nichts  von 
den  Deutschtümeleien  des  ,, sentimentalen  Werdanditums"  oder 
von  der  Gefolgschaft  der  Mediokritäten  wissen,  andererseits 
stellt  er  Forderungen  auf  und  äussert  Ansichten,  die  der  freudigen 
Zustimmung  der  Werdandibrüder  und  aller  missvergnügten 
Halbtalente  im  Deutschen  Reiche  gewiss  sein  können.  Einer- 
seits soll  nur  ein  ideales  Interesse  verfochten  werden,  anderer- 
seits wird  aber  auch  vom  Geschäft  und  von  recht  erdenschweren 
Brotkorbinteressen  unter  Angabe  von  Zahlen  geredet.  — 
Einerseits  —  andererseits!  —  Ein  Wagen  wird  bekanntlich 
nicht  rascher  dadurch  fortbewegt,  dass  man  ein  Pferd  vorn 
und  eins  hinten  anspannt. 

Nachdem    bei    der    Zusammenstellung    der    Broschüre    die 
persönlichen  und  lokalen  Beziehungen  zu  Bremen  weggelassen 


GUSTAV  PAULI 


sind,    bleibt   ein   allgemeines   Wehklagen   über   unpatriotische 
Begünstigung  französischer  Meister,  über  einen  zwar  törichten, 
aber    doch    gefährlichen    Snobismus    der    Ästheten,    über    die 
bedrohlichen   Machenschaften    einer   Clique   von   Pariser   und 
Berliner  Kunsthändlern  übrig.   Es  ist  mit  Recht  gefragt  worden,  \ 
wer    in    diesen    verschiedenen    Fällen    eigentlich    gemeint    sei.  1 
Wenn  schon  angegriffen  werden  soll,  so  muss  man  zum  min-  * 
desten   seine    Gegner   unzweideutig   bezeichnen  können,    sonst 
fährt  man,  wie  in  einem  Feuilleton  der  Berliner  Neuesten  Nach- 
richten richtig  bemerkt  wurde,    ,,mit  einer   Stange^ im  Nebel 
herum".     Man  kann  daher  dem  Verfasser  des  Protestes  nicht 
zustimmen,  wenn  er  sich  damit  schmeichelt,  dass  sein  Mahn- 
wort „klar  und  unzweideutig"  sei.    Im  Gegenteil:  Es  ist  unklar 
und  zweideutig. 

Wenn  es  schon  unter  allen  Umständen  schwer  ist,  eine 
Frage  sowohl  vom  idealen  wie  vom  geschäftlichen  Standpunkt 
aus  zu  behandeln,  so  wird  dies  vollends  misslich  für  den,  der 
selber  materiell  interessiert  ist;  denn  er  setzt  sich  der  Gefahr 
aus,  dass  man  seinen  idealen  Motiven  weniger  glaube  als  seinen 
materiellen  Interessen.  Daher  wäre  für  Vinnen  und  seine 
Protestler  ein  Entweder  —  Oder  empfehlenswert  gewesen.  — 
Entweder  sie  hätten  nur  von  den  Idealen  der  bedrohten  deut- 
schen Kunst  reden  sollen,  oder  nur  von  der  Konkurrenz  auf  dem 
Markte.  Im  ersten  Falle  müsste  der  Nachweis  erbracht  werden, 
dass  und  inwiefern  der  Einfluss  der  modernen  französischen 
Malerei  auf  die  Deutschen  vom  Übel  gewesen  sei  oder  noch  sei. 
Doch  Vinnen  betont  ja  selbst:  ,,dass  die  ganze  Be- 
wegung des  letzten  V i e r t e 1 j a h r h  u  n  d  e r t s 
von  Frankreich  ihren  Anfang  nahm".  Ergibt 
,,d  engrossen  Nutzen  der  Befruchtung  durch 
die  hohe  Kultur  der  französischen  Kunst 
auf  die  unsere"  zu.  Er  erinnert  daran,  dass  ,,L  e  i  b  1 , 
Thoma,  Klinger,  Böcklin  und  die  meisten 
anderen  grossen  Namen  (!)"  ihre  Kunst  in  Paris 
befruchten  Hessen.  Er  selbst  geht  nach  Paris, 
„um    zu    lernen".  —  Na  also! 


GUSTAV  PAULI 


Wir  glauben  in  der  Kunsthalle  lediglich  diesen  von  Vinnen 
angezogenen  Tatsachen  Rechnung  getragen  zu  haben,  indem 
wir  eben  jene  französischen  Meister,  welche  die  deutsche  Kunst 
befruchtet  haben,  in  charakteristischen  Werken  sammelten. 
Besieht  man  die  Deduktionen  Vinnens  genauer,  so  bleibt  es 
nur  übrig,  dass  seiner  Ansicht  nach  die  grosse  Zeit  der  fran- 
zösischen Malerei  eben  jetzt  vorübergegangen  sei.  Nun,  darüber 
werden  sich  wohl  die  allermeisten  einigen  können.  Aber  was 
beweist  das?  Wer  hat  denn  behauptet,  dass  die  Suprematie 
der  Franzosen,  weil  sie  ein  Jahrhundert  bestanden  hat,  nun 
in  alle  Ewigkeit  weiter  dauern  müsse  ?  Wenn  Vinnen  aber  meint, 
dass  über  Cezanne,  van  Gogh  und  Gauguin  der  Weg  nicht 
weiter  ginge,  so  ist  das  ganz  gewiss  falsch.  Denn  die  Entwicklung 
hört  nie  auf,  sie  geht  immer  weiter,  so  lange  die  Erde  sich  dreht, 
so  lange  Menschen  auf  ihr  leben,  lieben  und  kämpfen.  Nur 
wissen  wir  noch  nicht,  welchen  Weg  die  Entwicklung  über 
Cezanne  und  van  Gogh  hinaus  nehmen  werde,  da  wir  keine 
Propheten  sind  —  weder  Vinnen  noch  der  Unterzeichnete. 

Imitatorenkünste  sind  niemals  schön,  ob  sie  nun  von  den 
Nachahmern  Böcklins  oder  Cezannes  geübt  werden.  Nur  muss 
man  gleich  hinzufügen,  dass  diese  Allerneuesten  wahrlich  noch 
keine  Gefahr  für  die  deutsche  Kunst  (weder  fürs  Ideal  noch  fürs 
Geschäft)  bedeuten.  Und  im  übrigen:  Ist  es  wirklich  empfehlens- 
wert, ist  es  schön,  wenn  deutsche  Künstler  die  immerhin  ernst- 
gemeinten Bestrebungen  ihrer  Kollegen  vor  dem  Laienpublikum 
kritisieren  und  herabsetzen?  Übernehmen  die  Künstler  nicht 
damit  selber  die  Rolle  der  sonst  perhorreszierten  Kritiker 
und  Ästheten? 

Wenn  aber  nicht  vom  Ideal,  sondern  vom  Geschäft  geredet 
werden  soll,  so  wird  der  Fall  allerdings  vereinfacht,  ohne  darum 
verschönert  zu  werden.  ,,Ganz  recht,  es  ist  wirklich  infam, 
dass  der  Rodin  mehr  Talent  hat  als  ich,"  meinte  ironisch  ein 
junger  Münchner  Bildhauer.  Doch  bleiben  wir  ernst,  wir  be- 
wegen uns  hier  auf  dem  nüchternen  Boden  der  Tatsachen  mid 
Zahlen.  Was  unsere  Kunsthalle  betrifft,  die  uns  zunächst 
interessiert,  so  habe  ich  bereits  an  anderer  Stelle  darauf  hin- 


GUSTAV  PAULI 


gewiesen,  dass  wir  in  den  letzten  elf  Jahren  (1899  bis  1910) 
neben  84  modernen  deutschen  Gemälden  13  moderne  Franzosen 
'  erworben  haben.  Das  sieht  nicht  gerade  nach  einer  bedroh- 
lichen Unterdrückung  der  Deutschen  aus.  Überhaupt  hat  man  in 
Deutschland  erst  seit  etwa  15  Jahren,  seit  Tschudis  Vorgehen 
an  der  Nationalgalerie,  mit  dem  planmässigen  Ankauf  fran- 
zösischer Gemälde  für  öffentliche  Sammlungen  begonnen  und 
zwar  in  sehr  bescheidenem  Masse.  Denn  die 
ganze  grosse  Entwicklung  der  modernen  französischen  Malerei 
bis  auf  Courbet  wird  man  in  unseren  Museen  vergebens  suchen. 
Ingres,  Delacroix,  Corot,  Millet,  die  ganze  Schule  von  Barbizon 
sind  so  gut  wie  gar  nicht,  d.  h.  hie  und  da  in  einzelnen  Pröbchen, 
vertreten.  Warum  nicht?  Weil  damals  die  Sorge  für  den 
Ausbau  der  deutschen  Galerien  den  Herren  Malerdirektoren 
und  Gesinnungsgenossen  unseres  Vinnen  und  seiner  Protestler 
anvertraut  war.  Was  diese  Herren  mit  ihrer  patriotischen 
Sammeltätigkeit  geleistet  haben,  davon  legen  ja  die  vielen 
modernen  Galerien  Deutschlands,  die  Neue  Pinakothek  in 
München  an  erster  Stelle,  ein  recht  lautes,  man  könnte  auch 
sagen  himmelschreiendes  Zeugnis  ab.  Sollen  wir  die  Rückkehr 
dieser  Zustände  herbeiwünschen? 

Man  sollte  nun  meinen,  dass  Vinnen  für  den  bedrohlichen 
Import  französischer  Kunstware  ein  erdrückendes  Tatsachen- 
material anführen  könnte.  Das  ist  aber  so  wenig  der  Fall,  dass 
man  diesen  Teil  seiner  Ausführungen  als  den  allerschwächsten 
bezeichnen  kann.  Die  Behauptung,  dass  das  Posener  Museum 
als  „ersten  Ankauf,  der  das  ganze  zur  Verfügung  stehende  Geld 
verschlang,  eine  Studie  von  Monet  erworben  habe",  ist  aus 
der  Luft  gegriffen.  Direktor  Kämmerer  hat  inzwischen  erklärt, 
dass  dieses  Bild  dem  Museum  keinen  Pfennig  gekostet  hat, 
da  es  geschenkt  worden  ist. 

Angesichts  der  Behauptung,  dass  ,, neuerdings  für  flüchtige 
Studien  van  Goghs  dreissig-  bis  vierzigtausend  Mark  anstandslos 
bezahlt  werden,"  habe  ich  es  Vinnen  vergebens  nahe  gelegt, 
mir  doch  eine  einzige  solche  Studie  zu  nennen.  Unser  Mohn- 
feld, ein  seit  lange  —  nur  den  Protestlern  nicht  —  bekanntes 


GUSTAV  PAULI 


Hauptbild,  kann  er  doch  wohl  nicht  meinen.  —  Nun  heisst  es, 
dass  die  Deutschen  die  französischen  Gemälde  im  allgemeinen 
überzahlten,  dass  sie  ihr  Geld  für  den  Abhub  der  Pariser  Ateliers 
—  „für  alte  französische  Überbleibsel"  —  wegwürfen.  Wenn 
Vinnen  etwas  besser  informiert  wäre,  wenn  er  die  grösseren 
deutschen  Privatsammlungen  französischer  Bilder  aus  eigenem 
Augenschein  kennte,  so  würde  er  dieses  in  den  Ateliers  herum- 
getragene Gerede  nicht  nachgesprochen  haben.  Wer  dem 
Kunsthandel  gefolgt  ist  und  die  Preisforderungen  auf  deutschen, 
enghschen  und  französischen  Ausstellungen  verghchen  hat, 
der  muss  wissen,  dass  im  allgemeinen  französische  und  englische 
Bilder  nicht  teurer,  sondern  billiger  sind  als  die 
deutschen.  Das  gilt  zunächst  für  die  jüngeren  Künstler, 
die  noch  nicht  beanspruchen  können,  dass  man  ihren  Namen 
honoriert.  Es  gilt  aber  auch  für  die  Berühmtheiten.  Die  Preise, 
die  für  Hauptwerke  von  Böcklin,  Feuerbach,  Leibl,  Menzel, 
Klinger  gezahlt  werden,  sind  durchaus  nicht  geringer  als  die 
Preise,  die  bei  vergleichbarer  Qualität  die  Bilder  der  fran- 
zösischen Impressionisten  erzielen.  Dabei  wäre  noch  zu  be- 
denken, dass  die  Mehrzahl  dieser  deutschen  Meister  nur  für  den 
deutschen  Kunstmarkt  in  Betracht  kommt,  während  die 
Preise  der  Franzosen  auf  dem  Weltmarkt 
normiert  werden.  Der  Graf  Kessler  hat  eben  jetzt 
darauf  hingewiesen,  dass  kein  deutsches  Museum  für  irgend 
welche  Franzosen  auch  nur  annähernd  eine  Summe  aufge- 
wendet habe,  die  den  anderthalb  Millionen  nahekommt,  welche 
die  Nationalgalerie  für  den  grossen  Menzelankauf  nach  dem 
Tode  des  Meisters  aufgewendet  hat.  Solche  Tatsachen  rücken 
das  Gerede  von  der  unpatriotischen  Verschwendung  der 
Deutschen  für  französischen  Atelierkehricht  erst  in  das  rechte 
Licht. 

Und  nun  noch  ein  Wort  über  den  Erfolg  des  Vinnenschen 
Protestes !  Hm !  Wenn  ich  mich  auf  den  Markt  stellte  und  mit 
erhobener  Rechten  meine  Mitbürger  apostrophierte:  ,,Ihr  treff- 
lichen, edlen  Männer,  euch  muss  es  besser  gehen!  Ihr  leidet 
unter  der  Verkennung  eurer  Tugenden  und  unter  einer  nichts- 


GUSTAV  PAULI 


würdigen,  unlauteren  Konkurrenz  eurer  Nachbarn!",  so  ist 
zehn  gegen  eins  zu  wetten,  dass  alle  mir  zustimmen  würden  — 
womit  indessen  noch  nicht  bewiesen  wäre,  dass  ich  recht  hätte. 
So  liegt  der  Fall  des  Künstlerprotestes.  Selbstverständlich 
stimmen  viele  Künstler,  die  der  Ansicht  sind,  dass  es  ihnen 
besser  gehen  könnte,  begeistert  zu.  —  Es  muss  schon  bedenklich 
machen,  wenn  nicht  alle  zustimmen.  Und  das 
ist  hier  der  Fall.  Wir  vermissen  unter  der  Liste  der  protestieren- 
den Künstler  geradezu  die  meisten  unserer  ange- 
sehensten Künstler!  Die  Künstler,  die  sich  Vinnen 
nicht  angeschlossen  haben,  verhehlen  sich  keineswegs  einige  der 
in  dem  Protest  beklagten  Übelstände,  namentlich  nicht  den 
offenkundigen  Rückgang  in  der  Bewertung  deutscher  Kunst 
auf  dem  Weltmarkte.  Nur  halten  sie  einen  wortreichen  Protest 
nicht  für  das  geeignete  Mittel  zur  Änderung  einer  Sachlage, 
die  nur  von  innen  heraus  kuriert  werden  kann,  nämlich  durch 
die  Hebung  und  Veredelung  der  künstlerischen  Leistung. 

Welchen  Erfolg  versprechen  sich  denn  die  Protestler?  — 
Glauben  sie  im  Ernst,  dass  sie  einen  einzigen  ihrer  jungen 
Kollegen  von  seiner  Vorliebe  für  französische  Meister  kurieren 
werden?  Glauben  sie,  dass  sie  einen  einzigen  jener  intelligenten 
Grosskaufleute  und  Kunstfreunde,  die  im  Besitze  bedeutender 
Sammlungen  sind,  veranlassen  werden,  seine  Franzosen  abzu- 
stossen  ?  Glauben  sie,  dass  sie  den  internationalen  Kunsthandel 
oder  die  Ästheten  und  Snobs  aus  der  Welt  schaffen  können?  — 
Nein,  ihren  Gegnern  gegenüber  sind  sie  vollkommen  machtlos. 
Der  einzige  mögliche  Erfolg  dieses  Protestes  kann  nur  der  sein, 
dass  gerade  den  besseren  anregenden  öffentlichen  Sammlungen 
moderner  Kunst  in  Deutschland  einige  Unannehmlichkeiten  be- 
reitet werden.  Hoffen  wir,  dass  auch  dieser  Erfolg  ausbleiben  wird. 

Bremen.  Gustav  Pauli 

Direktor  der  Kunsthalle. 

T /on  greifbaren  Einzeltatsachen  bleiben  für  den  Leser,  der 

dieses    Stimmungsbild    aus   der  deutschen   Künstlerwelt 

leidenschaftslos  betrachtet,  eigentlich  nur  zwei  —  genau  gesehen 


LUDWIG  KAEMMERER 


nur  eine  —  übrig,  die  als  Beweis  für  die  immer  bedrohlicher 
vordringende  Invasion  französischer  Kunst  in  Deutschland  an- 
geführt werden.  Zunächst  der  Ankauf  eines  wundervollen 
Claude  Monet  um  50  000  Mark  für  die  Kunsthalle  in  Bremen, 
dem  Karl  Vinnen  selbst  als  Mitglied  der  Ankaufskommission 
zugestimmt  hatte  und  auch  heute  noch  zustimmen  würde, 
wenn  er  mit  zu  entscheiden  hätte  (S.7).  Dieser  Ankauf  kann 
also  unmöglich  ein  Anlass  zu  seinem  Protest  sein. 

Dann  folgen  (S.  8 — 12)  einige  ganz  unkontrollierbare  Ge- 
rüchte über  phantastisch  hohe  Preise,  die  man  in  Deutschland 
für  Studien  des  Holländers  van  Gogh  und  traurig-unzulängliche 
,, Atelierreste  von  Monet,  Sisley  und  Pissarro"  bezahlt.  Ich  weiss 
zwar  nicht,  wo  so  verblendete  Sammler  in  unserem  sonst  so 
nüchternen  und  wirtschaftlich  keineswegs  leichtfertigen  Vater- 
lande zu  suchen  oder  zu  finden  sind,  möchte  aber  meinen,  dass 
solche  Selbstbesteuerung  der  Dummheit  an  sich  noch  keine 
nationale  Gefahr  bedeutet,  selbst  wenn  Leute,  die  das  hier  ver- 
schwendete Geld  besser  brauchen  könnten,  einstweilen  noch 
nicht  davon  profitieren. 

Wie  im  Protest  selber  (S.  7)  zugegeben  wird,  berührt  dies 
Problem  lediglich  den  Käufer  und  den  Nationalökonomen, 
regelt  sich  nach  Angebot  und  Nachfrage  und  beweist  nur,  dass 
das  Kunstwerk  heute  vielfach  zur  gesuchten  kaufmännischen 
Ware  geworden  ist,  was  es  in  Deutschlands  trüben  Zeiten  nie- 
mals war.  Dass  die  Tagespresse  von  dieser  Modelaune  Notiz 
nimmt,  sich  ihr  gelegentlich  auch  anpasst,  berechtigt  aber  keines- 
falls dazu,  alle  Kunstschriftsteller  in  Bausch  und  Bogen  als 
Ignoranten  und  Sklaven  des  Kunsthandels  zu  brandmarken. 
Sie  stehen  dem  Kunsthandel  meist  sehr  viel  kühler  gegenüber 
als  die  Maler  und  haben  sich  als  ehrliche  Mittler  zwischen 
Schaffenden  und  Geniessenden  allezeit  grössere  Verdienste  er- 
worben als  schriftstellerisch  eifernde  Künstler. 

Doch  kehren  wir  zu  den  leider  allzu  spärlichen  Tatsachen 
zurück,  die  die  Flugschrift  als  Menetekel  anführt.  Auf  S.  13 
wird  lebhafte  Anklage  erhoben  wider  das  Kaiser-Friedrich- 
Museum  in  Posen.     Man    wird  mir  als    dem  Direktor  dieser 


LUDWIG  KAEMMERER 


Sammlung  nicht  verübeln,  wenn  ich  darauf  etwas  ausführlicher 
eingehe. 

Der  Protest  leitet  die  Klage  ein  mit  dem  vielversprechenden 
Satz,  rein  zahlenmässig  die  Gefahr  der  französischen  Über- 
schwemmung erläutern  zu  wollen.    Dann  heisst  es  weiter: 

„Nicht  nur  die  ersten  Galerien  der  Kunstzentren,  die  dafür  päd- 
agogische Gründe  geltend  machen  dürfen,  sondern  auch  schon  manche 
Provinzgalerien,  besonders  aber  Privatsammlungen  halten  es  für  ihre 
Pflicht,  so  wenig  einen  Monet  vermissen  zu  lassen,  wie  der  Marken- 
sammler die  Ceylon  6d  mit  X^erdruck  und  Wasserzeichen.  In  Posen 
z.  B.  sind  bekanntlich  eine  wissenschaftliche  Akademie  und  ein  Museum 
gegründet  worden  zur   Hebung  des  Deutschtums  in  den  Ostmarken. 

Als  erster  Ankauf,  der  das  ganze  zur  Verfügung  stehende  Geld  ver- 
schlang, wurde  nun  eine  Studie  von  Monet  erworben.  Wie  soll  das  Publi- 
kum ohne  Bindeglieder  sofort  den  verstehen! 

Aber  es  ist  allerdings  ,echt  deutsch'! 

Ein  erhabenes  Bild  für  das  Ausland!" 

Zunächst  muss  ich  gegen  den  Unterschied  zwischen  ,, ersten 
Galerien  der  Kunstzentren",  die  für  den  Ankauf  ausländischer 
Bilder  ,, pädagogische  Gründe  geltend  machen  dürfen",  und 
,, Provinzgalerien",  denen  man  damit  kunsterzieherische  Ab- 
sichten und  Ziele  von  vornherein  abzusprechen  scheint,  im 
Interesse  der  letztgenannten  Sammlungen  lebhaftesten  Ein- 
spruch erheben.  Es  wäre  allerdings  die  äusserste  und  lächerlichste 
Konsequenz  der  Einschnürung  künstlerischer  Bestrebungen  auf 
den  höchst  fragwürdigen  Begriff  „Heimatkunst",  wenn  in 
Provinzgalerien  nur  ,, Provinzkunst"  gezeigt  würde.  Wer  dadurch 
mehr  geschädigt  würde,  die  Provinz  oder  die  Kunst,  wage  ich 
nicht  zu  entscheiden.  Doch  das  nebenbei;  ich  gönne  jedem  die 
Freude  an  seinem  ,, Dorfmuseum"  mit  der  Devise:  die  Kunst 
für  alle.  :- 

Leider  entsprechen  aber  die  Informationen,  auf  die  der  Vor- 
wurf gegen  das  Posener  Museum  sich  gründet,  so  ganz  und  gar 
nicht  der  Wahrheit,  dass  ich  mich  zur  Richtigstellung  dieser  etwas 
leichtfertig  in  die  breiteste  Öffentlichkeit  getragenen  Angaben 
verpflichtet  fühle. 

In  dem  1904  neu  eröffneten  Kaiser-Friedrich-Museum  be- 
findet sich  allerdings  eine  meisterhaft  gemalte  Landschaftsstudie 


LUDWIG  KAJiMMERER 


von  Claude  Monet  als  —  Leihgabe  des  Posener  Kunstvereins, 
der  sie  auf  einer  sehr  eindrucksvollen  und.  umfassenden  Aus- 
stellung französischer  Impressionisten  im  Jahre  1906  für  einen 
massigen  Preis  erwarb  und  dem  Museum  unter  Wahrung  seiner 
Eigentumsrechte  zur  Verfügung  stellte.  Von  den  Mitteln  des 
Provinzmuseums  ist  in  diesem  Fall  also  nicht  ein  Pfennig  in 
den  gierigen  Rachen  des  bekannten  Vampir-Kunsthändlers  ge- 
flossen, geschweige  denn  bei  seinem  ersten  Ankauf,  der  nach 
jener  emphatischen  Darstellung  ,,das  ganze  zur  Verfügung 
stehende  Geld  verschlang". 

Die  bisher  in  acht  Jahren  für  Ankauf  moderner  Bilder  von 
dem  Posener  Kaiser-Friedrich-Museum  aufgewandten  60  000  M. 
sind  vielmehr  ganz  ausschliesslich  für  Werke  deutscher  lebender 
Künstler  ausgegeben  worden;  ein  Drittel  davon  für  Arbeiten 
von  Künstlern,  die  den  Protest  unterzeichnet  haben!  Damit 
dürfte  wohl  jeder  Grund  zu  Beklemmungen  für  die  selbst  im 
halbmythischen  Osten  des  Reichs  nicht  voll  gewürdigten 
deutschen  Künstler  entfallen. 

Soll  ich  aber  den  Standpunkt  der  Museumsleitung  ver- 
teidigen, die  neben  zahlreichen  deutschen  Meisterleistungen  auch 
einer  französischen  Unterkunft  gewährte?  Und  um  eine  solche 
Meisterleistung  von  höchster  Qualität  handelt  es  sich,  genau 
wie  bei  dem  Bremer  Ankauf,  der  zehnmal  so  viel  Geld  ,, ver- 
schlang". Sie  findet  sogar  Verständnis  bei  dem  in  Kunstdingen 
durchaus  naiven  deutschen  ,, Publikum"  unserer  Provinzhaupt- 
stadt, das  dank  den  Bemühungen  des  Museums  und  seiner  all- 
monatlichen Ausstellungen  vergleichen  und  unterscheiden  lernte, 
soweit  das  ein  ,,Nichtkünstler"  vermag.  Darin  erkenne  ich 
allerdings  eine  Hebung  des  Deutschtums  in  den  Ostmarken  auf 
dem  Gebiet,  das  eine  Kunstbildungsanstalt  angeht. 

„Exht  deutsch"  wird  es  hoffentlich  allezeit  bleiben,  eine 
Kunsttat  aus  sich  selber  zu  werten  und  zu  beurteilen,  nicht  aus 
egoistisch-wirtschaftlichen,  nicht  aus  chauvinistisch-eng- 
herzigen, sondern  aus  künstlerisch-sachlichen  Gründen. 

Das  Lehrgeld,  das  wir  Deutschen  dem  Ausland  auf  fast  allen 
Gebieten  kulturellen  Fortschritts  gezahlt  haben,  vom  Mittel- 


LUDWIG  KAEMMERER  —  W.  RIEZLER 


alter  bis  zu  den  Tagen  der  Französischen  Revolution,  hat  reiche, 
köstliche  Zinsen  getragen  und  wird  auch  weiter  Zinsen  tragen, 
selbst  wenn  darüber  einzelne  schwache  einheimische  Existenzen 
zusammenbrechen.  Schmählich  wäre  es,  wenn  Deutschland 
keine  französische  Malerei  verdauen  könnte,  ohne  an  seiner 
künstlerischen  Eigenständigkeit  Einbusse  zu  leiden.  Darum 
keine  Enggeisterei,  kein  Mordioruf,  wo  es  gilt,  zu  rufen:  Es 
lebe  die  Kunst! 

Posen.  Professor  Dr.  Ludwig    Kaemmerer 

Direktor  des  Kaiser  Friedrich-Museums. 


T-7  s  ist  erfreulich,  dass  so  viele  offen  ausgesprochen  haben, 
^-^  wie  wenig  sie  mit  dem  ,, Protest  deutscher  Künstler"  ein- 
verstanden sind.  Es  scheint  ja  richtig  zu  sein:  Proteste  gegen 
eine  mächtige  Bewegung  sind  an  sich  zwecklos  und  ohnmächtig, 
und  dieser  Protest  Vinnens  und  seines  Gefolges  ist  zudem  noch 
so  wenig  sachlich  klar  und  begründet  (man  lernt  in  der  Tat  aus 
keiner  dieser  Äusserungen,  mit  fast  einziger  Ausnahme  der 
sehr  feinen  Ausführungen  des  Herrn  von  Habermann,  der  sich 
aber  ausdrücklich  dem  Protest  nicht  anschliesst,  irgend  etwas 
für  die  Sache),  dass  man  darüber  ruhig  zur  Tagesordnung  über- 
gehen könnte,  vertrauend  auf  die  feste,  unerschütterliche 
Überzeugung  derer,  denen  die  Kunst  am  Herzen  liegt.  —  Aber 
der  , .Protest"  birgt  doch  eine  grosse  Gefahr  in  sich:  es  haben 
viele  gute  Namen  zugestimmt ;  und  wenn  auch  die  Hälfte  dieser 
Namen  nur  infolge  eines  Missverständnisses,  oder  infolge 
mangelnder  Sachkenntnis  dahineingeraten  ist,  so  ^virken  sie 
doch  auf  Kreise  denen  zwar  die  Sachkenntnis  ebenfalls  mangelt, 
die  aber  in  der  Frage  sehr  viel  mitzureden  haben.  Ich  meine 
alle  diejenigen,  von  denen  die  Leiter  der  Museen  mittelbar  oder 
unmittelbar  abhängen. 

Ich  glaube  nicht,  dass  irgend  einer  der  vorzüglichen 
Ankäufe  französischer  Bilder  für  deutsche  Museen  in  den 
letzten  Jahren  gelungen  ist,  ohne  heftigen  Kampf.     Wohl 


WALTER  RIEZLER 


uns,  dass  wir  so  weit  gekommen  sind,  dass  dieser  Kampf 
wenigstens  manchmal  siegreich  endet;  dass  wir  dafür  Opfer 
bringen  müssen,  daran  sind  nur  diejenigen  schuld,  die  frühere 
Ankäufe  verhindert  haben:  warum  hat  denn  kein  deutsches 
Museum  vor  zehn  Jahren  einen  van  Gogh  gekauft?  Man  hätte 
damals  für  ein  Porträt  von  Lenbach  ein  Dutzend  van  Goghs 
haben  können!  ■ —  Es  ist  tief  bedauerlich,  dass  durch  diesen 
Protest  den  Unverständigen  nunmehr  wieder  eine  moralische 
Waffe  in  die  Hand  gedrückt  wurde. 

Warum  sollen  deutsche  Museen  moderne  französische  Bilder 
kaufen?  —  Nicht  nur,  weil  eben  doch  wahrscheinlich  seit  1850  die 
schönsten  Bilder  —  wenn  man  von  Leibl  und  Marees  absieht  — 
in  Frankreich  gemalt  wurden;  auch  deshalb,  weil  die  moderne 
französische  Malerei  mit  einem  womdervollen  glühenden  Tem- 
perament der  Natur  auf  hundert  neuen  Wegen  naherückt,  weil 
sie  mit  immer  neuem  Mut  die  grossen  Probleme  packt  und  mit 
ihnen  ringt,  verzichtend  auf  Routine  und  Ausbeutung  der 
technischen  Errungenschaften.  Deshalb  ist  die  stete  Berührung 
mit  Frankreich  für  die  deutsche  Malerei,  so  wie  sie  jetzt  ist, 
eine  heilsame  Kur  —  ich  gebe  zu,  auch  eine  gefährliche:  denn 
sie  verleitet,  wie  alles  Starke,  zur  Nachahmung  — ;  deshalb 
lernt  auch  der  Laie,  dem  diese  Kunst  nicht  durch  eine  schein- 
bare Meisterschaft  und  ,,Abrundung"  entgegenkommt,  aus 
diesen  Bildern  sehen.  (Deshalb  habe  ich  mich  sehr  gefreut, 
in  Posen  jenen  Monet  zu  sehen,  über  den  sich  Herr  Vinnen 
so  entrüstet:  er  hängt  dort  zwischen  deutschen  Bildern  und 
gibt  die  stärkste  Anregung.) 

Vinnens  Protest  schlägt  eine  falsche  Richtung  ein.  —  Selbst- 
verständlich ist  die  Erwerbung  französischer  Bilder  nicht  die 
einzige  Aufgabe  deutscher  Museen.  Daran  denkt  auch  niemand; 
im  Gegenteil  werden  auch  für  deutsche  Bilder  enorme  Summen 
bezahlt.  Da  könnte  nun  ein  Protest  einsetzen  und  mit  Wucht 
auf  die  beschämende  Tatsache  hinweisen,  dass  der  grösste 
Teil  dieser  Gelder  für  minderwertige  oder  wenigstens  unbe- 
deutende Kunst  ausgegeben  wird,  während  eine  Reihe  der 
tüchtigsten  Deutschen  noch  in  keinem  Museum  vertreten  ist. 


WALTER  RIEZLER 


Die  Schuld  daran  tragen  wohl  vor  allem  jene  Sachwalter  der> 
Mittelmässigkeit,    die   in   den    Kommissionen   sitzen   und   aus 
Kollegialität    oder    persönlichem    Unverständnis    ihre    Stimme 
für  das  Schlechte  abgeben. 

Noch  eins:  Herr  Vinnen  und  eine  ganze  Reihe  derer,  die 
sich  ihm  anschlössen,  klagen  vor  allem  den  Kunstkritiker,  den 
,, Ästheten"  als  Urheber  des  Übels  an!  Auch  da  ist  nicht  recht 
klar,  was  eigentlich  getroffen  werden  soll.  —  Dass  es  sehr 
schlechte  und  alberne  Kunstschriftsteller  gibt,  weiss  jeder: 
es  gibt  ja  auch  schlechte  Maler,  und  ich  glaube  immer  noch, 
dass  die  letzteren  den  grösseren  Schaden  anrichten.  Um  die 
Propagierung  der  grossen  französischen  Maler  (die  ja  von 
Vinnen  und  seinem  Kreis  ausdrücklich  anerkannt  werden) 
haben  sich  die  besten  der  Kritiker  ein  grosses  Verdienst  er- 
worben ;  sie  haben  eine  Bewegung,  die  sowieso  kommen  musste, 
zu  leichterem  und  breiterem  Sieg  verholfen.  Dass  dabei  Über- 
treibungen mit  unterliefen,  war  in  der  Leidenschaft  des  Kampfes 
nicht  zu  vermeiden:  damit  diese  scheinbar  unfertigen,  unge- 
schickten Bilder  überhaupt  angesehen  wurden,  musste  man 
die  Meisterschaft,  die  dahinter  steckt,  etwas  stark  betonen. 
Und  ist  die  Übertreibung  des  Grafen  Kessler,  der  einmal 
van  Gogh  den  grössten  Maler  des  19.  Jahrhunderts  genannt  hat,, 
schlimmer  als  eine  der  masslosen  Lobpreisungen  deutscher 
Künstler?  Gemeint  ist  natürlich  vor  allem  Meier- Graefe,  dem 
die  moderne  Kunst  am  meisten  verdankt.  Gewiss,  die  Manieren 
dieses  fanatischen  Kämpfers  sind  manchmal  schwer  erträglich. 
Aber  hat  er  sich  jemals  für  eine  Sache  begeistert,  die  nicht  der 
Mühe  wert  gewesen  wäre?  Ist  nicht  auch  sein  Kampf  gegen 
die  Böcklin- Vergötterung,  in  der  die  Deutschen  in  Gefahr  waren 
zu  versimpeln,  eine  heilige  Sache  gewesen?  Und  hat  er  nicht 
den  Deutschen  in  seinem  Werk  über  Marees  das  schönste  Buch 
geschenkt,  das  über  neue  Kunst  geschrieben  wurde? 

Gefährlich  sind  ganz  andere  Literaten.  Das  sind  diejenigen, 
die  dem  Publikum  helfen,  seine  Eindrücke  zu  formulieren, 
mögen  diese  so  flach  wie  immer  sein;  die  der  Mittelmässigkeit 
das  Wort  reden,  indem  sie  technische  Routine  oder  Geschmack 


WALTER  RIEZLER  —   ALFRED  HAGELSTANGE  13 

mit  künstlerischer  Meisterschaft  verwechseln;  die  aus  phili- 
ströser Angst  vor  der  Gefährlichkeit  der  grossen  Neuerer  den 
Teufel  an  die  Wand  malen;  die  vor  neuen  Erscheinungen  rat- 
los dastehen  wie  das  Publikum,  die  das  aber  nicht  eingestehen, 
sondern  lieber  die  Ehrlichkeit  und  den  Ernst  von  Künstlern 
in  Zweifel  zu  ziehen  wagen,  deren  Werke  alle  Zeichen  schwersten 
Ringens  um  Probleme  tragen.  Die  Kritiken,  mit  denen  man 
die  ,,Neue  Künstlervereinigung  München"  beehrte,  erheben  sich 
in  keinem  Satz  über  das  Niveau  des  Bierphilisters,  der  vor 
diesen  Bildern  steht  und  sich  den  Bauch  vor  Lachen  hält; 
und  nach  dem  Herzen  des  gleichen  Publikums  sind  die  Aus- 
führungen, die  ein  Münchener  Kritiker  zu  dem  Vinnenschen 
Proteste  beigesteuert  hat.  Wahrlich,  wie  laut  und  eindringlich 
müssen  da  die  Andersgesinnten  reden,  um  sich  Gehör  und  da- 
mit der  Sache,  die  ihnen  heilig  ist,  Beachtung  zu  verschaffen! 

Stettin.  Dr.  Walter  Riezler 

Direktor   des  städtischen   Museums. 

T^as  Catilinarische  Quousque  tandem  schallt  durch  alle 
-*-- ^  Zeitungen.  Man  muss  es  Herrn  Vinnen  lassen:  er  ist  ein 
geschickter  Regisseur.  Noch  bevor  die  drohende  Broschüre  er- 
schienen ist,  sind  alle  Pressorgane  heiss  und  scharf  gemacht. 
Es  dampft  und  siedet,  kocht  und  zischt.  Dem  Höllenfeuer  der 
französischen  Kunst  rückt  man  mit  dem  Hydranten  eines 
deutschen  Künstlerprotestes  zu  Leibe.  Was  in  aller  Welt  ist  ge- 
schehen? Auf  ein  paar  Ausstellungen  ist  jungfranzösische 
Kunst  gezeigt  worden  und  ein  paar  Museen  haben  einzelne 
Hauptwerke  der  französischen  Klassiker  des  19.  Jahrhunderts 
erworben.  Und  darum  dieser  Spektakel.  O  du  arme  deutsche 
Kunst;  wenn  du  an  so  was  stirbst,  dann  bist  du  wirklich  nicht 
das  Leben  wert! 

Aber  von  den  Jungen  fürchtet  man  ja  auch  im  Grunde 
genommen  nichts,  denn  nach  der  Broschüre  soll  ja  „späte- 
stens seit  Monet  die  französische  Kunst  zur  völligen  Stagnation 
gekommen  sein  und  sich  heute  geradezu  in  einer  Periode  des 


14  ALFRED  HAGELSTANGE 

Tiefstandes  befinden".  Spätestens  seit  Monet!  Es  hat  also 
noch  gute  Weile,  denn  Monet  lebt  ja  noch,  und  Künstler  wie 
Bonnard,  Vuillard,  Flandrin,  Manguin,  Guerin,  Camoin, 
Marquet,  Dufrenoy,  Picasso,  Herbin,  Derain  und  Braque  stellen 
auch  ihren  Mann,  wenngleich  mit  Freuden  zugegeben  werden 
soll,  dass  so  und  so  viele  deutsche  Künstler  ihnen  ebenbürtig, 
ja  überlegen  sind.  Worin  aber  die  jungen  Franzosen  fast  immer 
hinter  den  jungen  Deutschen  zurückbleiben,  das  sind  —  die 
Preise!  Hinc  illae  lacrimae?  Das  deutsche  Publikum  soll 
vielleicht  nicht  erfahren,  dass  gute  Bilder  zur  Hälfte  der  in 
Deutschland  üblichen  Preise  erworben  werden  können.  Woher 
kommt  es  denn,  dass  wir  so  lächerlich  wenig  Privatsammlungen 
moderner  Kunst  haben?  Weil  jeder  Akademieschüler  sich  schon 
die  ersten  Pinselübungen  mit  Hunderten  bezahlen  lässt.  Wenn 
die  jungen  Franzosen  mit  ihren  Pariser  Preisen  hier  Schule 
machten,  dann  wäre  das  auf  das  freudigste  zu  begrüssen;  dass 
sie  ein  deutsches  starkes  Talent  oder  gar  etwa  ein  Genie  aus  der 
Bahn  zu  werfen  die  Kraft  hätten,  glaubt  den  Herren  Protestlern 
kein  vernünftiger  Mensch.  So  sehe  ich  in  diesem  Protest  wirklich 
nur  den  Ausdruck  kleinlichsten  Brotkorbinteresses,  besonders 
auch  insoweit  er  die  Ankäufe  der  Galeriedirektoren  bemäkelt. 
Man  warte  gefälligst  einmal  das  Erscheinen  des  nächsten 
Heftes  der  ,, Museumskunde"  ab.  Darin  wird  eine  statistische 
Tabelle  veröffentlicht,  in  der  gezeigt  wird,  wieviel  deutsche 
und  wieviel  ausländische  Werke  in  den  letzten  zehn  Jahren 
von  unseren  Museen  angekauft  worden  sind.  Man  wird  er- 
staunt sein  über  den  geringen  Prozentsatz  der  zuletzt  genannten 
Bilder.  Aber  das  verschlägt  ja  bei  den  Herren  nicht.  Sie  scheinen 
sich  nach  den  schönen  Zeiten  zurückzusehnen,  wo  die  Leitung 
der  Galerien  noch  in  den  Händen  von  Künstlern  lag,  die  weniger 
nach  historisch  kritischen,  als  kollegialen  Gesichtspunkten  ge- 
sammelt haben. 

Unsere  Galerien  sollen  die  Entwicklungsgeschichte  der 
Malerei  illustrieren,  und  wir  verwahren  uns  auf  das  Alier- 
entschiedenste  gegen  den  Versuch,  sie  wieder  zu  Unterstützungs- 
instituten hilfsbedürftiger  Künstler  herabzuwürdigen.      Wenn 


ALFRED  HAGELSTANGE  15 

die  Herren  Malerdirektoren  seinerzeit  bei  ihren  Ankäufen 
lediglich  Qualitätsrücksichten  hätten  walten  lassen,  dann  stünde 
es  heute  besser  um  unsere  Galerien.  Wenn  diese  Herren  zur 
rechten  Zeit  die  Augen  auf  getan  hätten,  dann  brauchten  wir 
heute  nicht  unsere  Taschen  zu  öffnen.  Ingres  und  Delacroix, 
Corot  und  Courbet,  Manet  und  Renoir  kosteten  weit  weniger 
als  die  Werke  so  manches  deutschen  Akademiegewaltigen. 
Auch  ein  Protest  von  Tausenden  deutscher  Künstler  wird  diese 
Namen  aus  der  Kunstgeschichte  des  19.  Jahrhunderts  nicht 
auszulöschen  vermögen.  In  jeder  modernen  Galerie,  die  es 
ernst  nimmt  mit  ihren  Zielen  und  Aufgaben,  müssen  sie  ver- 
treten sein.  Und  wenn  wir  heute  die  Vertretung  dieser  Meister- 
namen mit  schweren  Geldopfern  erkaufen  müssen,  so  fällt  die 
Schuld  dafür  zurück  auf  die  Kurzsichtigkeit  jener  deutschen 
Maler,  die  in  den  sechziger  und  siebziger  Jahren  die  Geschicke 
unserer  Galerien  geleitet  haben. 

Über  eines  wundere  ich  mich  übrigens :  dass  keiner  von  den 
Protestlern,  die  über  die  materielle  Schädigung  der  deut- 
schen Kunst  jammern,  auf  den  witzig  radikalen  Gedanken 
kam,  den  Vorschlag  zu  machen,  dass  man  meinetwegen  alle 
italienischen  alten  Bilder  der  Berliner,  Münchner  und  Dresdner 
Galerie  verkaufen  möchte.  Damit  wären  doch  ungezählte 
Milhonen  zu  verdienen,  lieber  die  Preise  der  französischen 
Klassiker  des  19.  Jahrhunderts,  deren  hoher  Kulturwert  heute 
ebenso  feststeht  wie  der  der  altitalienischen  Malerei,  braucht 
man  wirklich  nicht  zu  zetern.  Gleichwertige  deutsche  Bilder 
von  Leibl  und  Menzel,  Marees  und  Feuerbach  kosten  genau 
ebensoviel  in  Mark  wie  die  genannten  französischen  in  Francs. 
Auch  über  den  van  Gogh-Preis  der  Bremer  Kunsthalle  — 
der  Ausgangspunkt  des  ganzen  Streites  —  hätte  Herr  Vinnen 
sich  nicht  so  zu.  ereifern  brauchen.  Ich  glaube  nicht,  dass  er 
sein  Künstlerschicksal  gegen  das  des  unglücklichen  Toten 
in  Tausch  geben  würde.  Der  Mann  hat  sein  Leben  lang  nichts 
verkauft,  und  wenn  er  zwanzig  Jahre  nach  seinem  Tode  in 
eine  Galerie  kommt,  so  kann's  Herr  Vinnen  ihm  ruhig  gönnen. 
Ich  wünsche  Herrn  Vinnen  dafür  von  Herzen,  dass  zwanzig 


t6    ALFRED  HAGELSTANGE  —  KARL  ERNST  OSTHAUS 

Jahre  nach  seinem  Tode  alle  noch  verfügbaren  Bilder  seiner 
Hand  von  ausländischen  Galerien  erworben  werden  möchten, 
und  zwar  zu  einem  Preise,  wie  ihn  der  belgische  Staat  jüngst 
für  Stucks  Familienbild  gezahlt  hat,  (NB,  Ich  habe  nicht 
gehört,  dass  man  sich  in  Belgien  über  den  ungewöhnlich  hohen 
Preis  von  60  000  Mark,  der  für  ein  Bild  eines  ausländischen 
lebenden  Malers  gezahlt  wurde,  aufgeregt  hätte.) 

Zum  Schluss  noch  ein  Wort  des  Bedauerns  darüber,  dass 
sich  auch  ein  Galerieleiter  dazu  hergegeben  hat,  den  Protest 
mit  zu  unterzeichnen.  Belustigenderweise  ist  es  einer,  der  im 
vergangenen  Jahre  ein  halb  Dutzend  französischer  Kunstwerke 
für  sein  Museum  gekauft  hat.  Möge  er  in  splendid  Isolation 
bleiben!  Die  übrigen  Kollegen  aber  werden,  wie  zu  hoffen 
steht,  dieser  kunstchauvinistischen  Attacke  einiger  Maler  eine 
eiskalte  Stirn  und  eine  energievolle  Stärke  der  Gesinnung 
bieten,  so  dass  sie  eher  ihr  Amt  lassen  als  ihre  Überzeugung, 
ne  quid  detrimenti  capiat  salus  publica. 

Köln.  Dr.  Alfred  Hagelstange 

Direktor  des  Wallraf-Richartz-Museums. 


|_^  s  ist  eine  alte  Frage,  ob  Museen  dazu  da  sind,  Künstler 
-^^  zu  unterstützen  oder  Kunst  zu  fördern.  Die  Künstler  und 
vielfach  mit  ihnen  die  Kunstvereine  stehen  auf  dem  ersteren 
Standpunkt,  während  denkende  Museumsleiter  längst  die  Ver- 
antwortung erkannt  haben,  die  ihnen  eine  unbedingte  Pflege 
der  Qualität  auferlegt.  Museen  sind  auch  für  den  Künstler  eine 
hohe  Schule,  und  es  wird  von  ihnen  mit  abhängen,  ob  unsere 
Kunst  etwas  taugen  wird  oder  nicht.  Weil  wir  das  beste  Lehr- 
material brauchen,  deshalb  darf  bei  Ankäufen  nur  nach  der  Güte 
des  Werkes,  nicht  aber  nach  der  Nationalität  des  Urhebers  ge- 
fragt werden.  Dass  von  diesem  Standpunkt  aus  die  Erwerbung 
französischer  Bilder  oft  in  Betracht  gezogen  werden  musste,  wird 
jeder  verstehen,  der  weiss,  was  die  französische  Malerei  des  19. 
Jahrhunderts  für  die  Entwicklungsgeschichte  dieser  Kunst  be- 


KARL  ERNST  OSTHAUS  17 

deutet.  Es  sind  nahezu  alle  wichtigen  Probleme  dieser  Jahre 
in  Frankreich  aufgegriffen  und  gelöst  worden,  und  so  ver- 
schiedene deutsche  Künstler  wie  Feuerbach  und  Leibl  haben 
dankbar  anerkannt,  dass  sie  Paris  nicht  weniger  wie  sich  selbst 
verdanken.  Erst  die  Epoche  Hodlers  und  Thorn-Prikkers  scheint 
dieses  Schwergewicht  in  gewissem  Masse  zu  verrücken,  und  man 
darf  sich  heute  fragen,  ob  die  Überlegenheit  der  modernen 
deutschen  Baukunst  nicht  einer  Verselbständigung  der  deutschen 
Malerei  und  Plastik  die  Wege  geebnet  hat.  Aber  heute,  das  ver- 
langt die  Aufrichtigkeit  zu  betonen,  kann  die  deutsche  bildende 
Kunst  nicht  anders  als  im  Zusammenhange  mit  der  französischen 
gezeigt  und  begriffen  werden.  Eine  nicht  von  dieser  Sachkenntnis 
zeugende  Übertreibung  ist  es  aber,  von  einer  Überflutung  un- 
serer Museen  mit  französischen  Bildern  zu  sprechen  und  daran 
finanzpolitische  Erwägungen  zu  knüpfen.  Ich  glaube  diejenige 
von  allen  deutschen  Galerien  zu  leiten,  die  relativ  die  meisten 
französischen  Bilder  besitzt;  aber  ich  habe  für  diese  sämtlichen 
französischen  Bilder,  unter  denen  sich  Meisterwerke  von  Dau- 
mier,  Renoir,  Cezanne,  Gauguin  und  Matisse  befinden,  kaum 
soviel  ausgegeben,  \vie  für  die  zwei  wichtigsten  deutschen  Bil- 
der des  Museums  allein.  In  jeder  anderen  deutschen  Sammlung 
wird  das  Verhältnis  noch  viel  günstiger  für  die  deutschen 
Maler  liegen.  Ich  erwähne  dies  aber,  um  auf  eine  Gewohnheit 
hinzudeuten,  die,  ganz  abgesehen  von  der  Qualitätsfrage,  der 
deutschen  Künstlerschaft  den  Markt  verdirbt.  Freilich  weniger 
den  Museen  wie  Privaten  gegenüber.  Das  ist  die  Gewohnheit, 
es  mit  grossen  Preisen  zu  versuchen,  bevor  man  seine  Bilder 
zu  massigen  hergibt.  In  Frankreich  sind  die  Preise  ernsthaft 
gemeint.  Der  französische  Künstler  beginnt,  wie  bei  uns  der 
Assessor  oder  Assistent,  ideell  mit  einem  kleinen  Einkommen, 
um  dann,  faUs  er  durchdringt,  von  Jahr  zu  Jahr  zu  steigen. 
Kenner  wissen,  dass  sie  schliesslich  recht  hoch  steigen.  Wer 
aufpasst,  kann  unter  solchen  Umständen  als  Sammler  recht 
gute  Arbeiten  für  geringe  Mittel  in  seine  Hand  bringen.  Er 
fühlt  sich  dabei  wohl,  weil  er  den  Künstler  durch  seine  recht- 
zeitigen Ankäufe  nicht  beleidigt.     In  Deutschland  kommt  auf 


KARL  ERNST  OSTHAUS 


zwei  Bilderkäufe  mindestens  einer,  der  peinliche  Situationen 
schafft.  Die  Familie  eines  grossen  deutschen  Malers  verlangte 
von  mir  9000  Mark  für  eine  Skizze,  die  sie  ein  halbes  Jahr 
später  für  1500  Mark  öffentlich  ausbot.  Fast  in  jeder  grösseren 
Ausstellung  erlebe  ich,  dass  Bilder  mit  5000  Mark  und  mehr 
ausgezeichnet  sind,  deren  Urheber  hungern.  In  Frankreich 
verlangt  man  in  solchen  Fällen  500  Franks.  Auch  deutsche 
Maler  nähmen  oft  gern  genug  im  stillen  diesen  Betrag;  wer 
aber  wagt  500  zu  bieten,  wo  5000  verlangt  werden?  Dieser 
Zustand  ist,  wie  schon  betont,  kein  Grund  für  die  nicht  exi- 
stierende Überschwemmung  unserer  Museen  mit  französischer 
Kunst,  wohl  aber  für  den  mangelhaften  Kontakt  zwischen 
Künstlerschaft  und  Käuferschaft  in  Deutschland,  und  Künstler, 
die  hierin  einen  Wandel  ersehnen,  täten  besser,  die  allgemeinen 
Marktgepflogenheiten  zu  kultivieren,  als  mit  patriotischen 
Phrasen  Ankäufe  zu  verdächtigen,  die  im  Interesse  ihrer  eigenen 
Entwicklung  von  den  Museen  getätigt  werden. 

Vor  150  Jahren  hat  der  Streit  übrigens  schon  einmal  in 
Deutschland  getobt,  als  Friedrich  der  Grosse  in  den  Bildern 
Watteaus  die  grössten  Meisterwerke  seiner  Zeit  in  preussischen 
Besitz  brachte  und  durch  die  Anlage  seiner  Potsdamer  Schlösser 
dafür  sorgte,  dass  der  grosse  künstlerische  Sinn  seiner  Tage 
auch  in  Preussen  einen  Niederschlag  fand.  Bei  dem  Gedanken 
daran,  stehen  vor  mir  die  Geschichtsprofessoren  auf,  die  uns 
solche  Taten  auf  den  höheren  Schulen  interpretierten.  Wie 
bemühten  sie  sich,  den  guten  Alten  Fritz  wegen  seiner 
patriotischen  Entgleisungen  zu  entschuldigen!  Sie  betonten, 
dass  Goethe  noch  in  seinen  dichterischen  Windeln  lag,  als 
Friedrich  seine  Schlachten  schlug.  Dass  sich  ein  unbedingter 
Instinkt  für  das  Grosse  und  Wertvolle  in  seinen  Handlungen 
aussprach,  vergass  man  darüber  auch  nur  zu  ahnen.  Es  sind 
die  Zöglinge  solcher  Magister,  die  heute  ins  Vinnensche  Hörn 
tuten.  Leute,  die  denken  und  einen  Massstab  für  künstlerische 
Leistungen  in  sich  tragen,  werden  sich  nicht  irre  machen  lassen, 
so  wenig,  wie  hoffentlich  die  Franzosen  sich  deutsche  Musik 
verleiden  lassen  werden,  der  sie  geschmackvoller  zu  huldigen 


KARL  ERNST  OSTHAUS  —   GEORG  SWARZENSKI  19 

verstehen,  wie  deutsche  Ignoranten  der  französischen  Kunst. 
Wir  wenigen  aber,  die  wir  französischem  Geist  und  französischer 
Schöpferkraft  entscheidende  Werte  unserer  Persönhchkeit 
danken,  werden  nicht  ablassen  im  Hinüber  und  Herüber  künst- 
lerischer Anregungen  ein  verheissungs volles  Symptom  euro- 
päischer Völkerfreundschaft  zu  sehen. 

Hagen  i.  W.  Karl  Ernst  Osthaus 

Direktor  des  Folkwang-Museums. 

^ie  fragen  nach  dem  ,,  Kultur  wert"  einer  bestimmten  Kunst- 
^^  gattung,  und  im  besonderen,  wie  weit  das  Sammeln  dieser 
Werke  ,,für  das  Leben  fruchtbar  sein  könne".  Mit  dieser  Frage 
geben  Sie  einer  Diskussion,  die  zunächst  nur  die  materiellen 
und  ideellen  Interessen  einer  einzelnen  Produktionsklasse 
berührt,  den  denkbar  höchsten  Massstab.  Ich  halte  es  —  um 
dies  zunächst  zu  sagen  —  für  durchaus  berechtigt,  und  gegen- 
über der  öffentlichen  Tätigkeit  der  Museen  sogar  für  geboten, 
diesen  Massstab  anzulegen,  aber  ich  zweifle,  ob  man  sich  in 
dieser  Zeit  der  Spezialisierung  aller  Interessen  in  weiten 
Kreisen  überhaupt  noch  bewusst  ist,  dass  und  warum  ein  solcher 
Massstab  in  künstlerischen  Angelegenheiten  überhaupt  möglich 
ist.  Er  ist  möglich  —  und  in  letzter  Linie  nurdarum  mög- 
lich — ,  weil  in  den  Meisterwerken  der  bildenden  Kunst  der 
schöpferische  Menschengeist  in  immer  neuer  Weise  mit  der 
Menschheit  und  mit  der  Welt  sich  auseinandersetzt.  Als  un- 
mittelbarer Niederschlag  sichtbar  menschlicher  Schöpferkraft 
bieten  die  Werke  der  grossen  Meister  einen  ,, Lebens  wert", 
der  über  das  spezifisch  künstlerische  Erlebnis  (das  als  solches 
schliesslich  doch  nur  einigen  Wenigen  zugänglich  ist)  heraus- 
geht. In  der  Vermittlung  dieser  höchsten  schöpferischen  Werte 
liegt  der  ,, Kulturwert"  der  Museen.  Alles  übrige  ist  nur  eine 
mehr  oder  minder  schätzenswerte  Betätigung  der  Liebhaberei, 
des  Kultus  oder  des  Sports;  es  bezieht  sich  mehr  auf  die  Bildung 
von  Geschmack  und  Wissen  und  fällt  —  um  eine  beliebte 
Terminologie  zu  brauchen  —  mehr  in  das  Bereich  der  Zivilisation, 

2* 


GEORG  SWARZENSKI 


als  der  Kultur.  Was  nun  die  französische  Malerei  des  19.  Jahr- 
hunderts betrifft,  so  ist  es  doch  gar  keine  Frage,  dass  ihre 
Grossmeister  Werke  geschaffen  haben,  die  zu  jener  höchsten 
Kategorie  gehören,  in  der  die  Welt  und  ihre  Erscheinungen  in 
neuer  und  in  sich  vollkommener  Weise  schöpferisch  gestaltet 
sind.  Darüber  herrscht  absolute  Einhelligkeit  —  auch  die 
Broschüre  steht  auf  diesem  Standpunkt  — ,  mag  im  übrigen 
die  Sympathie  des  Publikums  und  die  Empfindlichkeit  der 
Künstler  gegenüber  dieser  Kunst  mehr  oder  minder  gross  sein. 
Es  ist  demnach  nur  selbstverständlich,  dass  jedes  Museum, 
das  sich  seiner  höchsten  kulturellen  Aufgaben  bewusst  ist, 
glücklich  sein  wird,  wenn  es  in  die  Lage  kommt,  derartige  Werke 
zu  erwerben. 

Was  sodann  den  speziellen  Wert  der  französischen  Meister 
für  die  schaffende  deutsche  Kunst  betrifft,  so  liegt  es  damit 
nicht  anders  als  mit  den  Bildern  anderer  Meister  und  Zeiten, 
die  in  den  Museen  ausgestellt  sind.  Niemand  wird  glauben, 
dass  durch  die  bequeme  Gelegenheit  zur  Anschauung  irgend 
welcher  Vorbilder  eine  wertvolle  Kunst  entsteht;  aber  in  jedem 
wirklichen  Meisterwerk  kommen  künstlerische  Gesetze  und 
Probleme  zum  Ausdruck,  deren  Erkenntnis  den  Künstler 
fördert.  Dass  auch  in  dieser  Richtung  die  französische  Kunst 
einen  Anregungswert  erster  Ordnung  darstellt,  ergibt  sich  schon 
aus  der  geschichtlichen  Tatsache,  dass  die  Entwicklung  der 
gesamten  europäischen  Malerei  des  19.  Jahrhunderts  undenk- 
bar ist  ohne  die  französische  Malerei.  Das  Wesentliche  liegt 
dabei  aber  nicht  in  den  Einflüssen  und  Abhängigkeiten,  sondern 
in  der  Macht  der  Probleme,  in  der  Erschliessung  künstlerischer 
Möglichkeiten.  In  diesem  Sinne  ist  es  weniger  wichtig,  dass 
z.  B.  Künstler  wie  Feuerbach,  Leibl,  Thoma  von  den  Franzosen 
gelernt  haben,  sondern  dass  sich  auch  ein  Marees  und  Böcklin 
mit  der  französischen  Malerei  auseinandergesetzt  haben. 

Im  übrigen  kann  von  einer  ,, Sammeltätigkeit"  der  deutschen 
Museen  auf  diesem  Gebiete  überhaupt  nicht  die  Rede  sein. 
Kein  deutsches  Museum  —  und  auch  kein  deutscher  Sammler 
—  hat  sich    dazu  verstiegen,    diese  Kunst  in  der  Weise  zu 


GEORG  SWARZENSKI  —  F.  FRIES 


„sammeln",  wie  etwa  italienische  und  niederländische  Primitive, 
wie  Holländer  des  17,  oder  Deutsche  des  19.  Jahrhunderts 
, .gesammelt"  werden.  Man  hat  sich  gerade  auf  diesem  Gebiete 
so  bewusst  auf  eine  Vertretung  der  wenigen,  wirklich  grossen 
und  entscheidenden  Meister  beschränkt,  wie  es  bei  keinem 
anderen  Sammlungsgebiet  der  Fall  ist.  Wie  man  demgegenüber 
von  einer  ,, Invasion  französischer  Bilder"  sprechen  kann,  ist 
mir  unerfindlich.  Man  bedenke,  dass  z.  B.  Corot,  einer  der 
grössten  Meister  aller  Völker  und  Zeiten,  in  den  deutschen 
Museen  überhaupt  keine  eigentliche  Vertretung  hat! 

Die  ideelle  Konkurrenz  mit  den  grossen  französischen 
Meistern  haben  die  wirklich  grossen  deutschen  Meister  nicht  zu 
fürchten.  Im  Gegenteil:  die  Eigenart  und  Stärke  ihrer  In- 
dividualität tritt  besonders  eindringlich  und  sieghaft  hervor, 
wenn  sie  an  den  französischen  Meistern  gemessen  wird.  Was 
aber  die  materiellen  Interessen  der  breiten  Durchschnittspro- 
duktion unserer  Künstlerschaft  betrifft,  so  werden  sie  dadurch 
gewiss  nicht  berührt,  dass  ein  Museum  oder  ein  reicher  Privat- 
sammler gelegentlich  ein  Werk  eines  Franzosen  kauft.  Hier 
kann  nur  eins  helfen :  dass  für  diese  breite  und  tüchtige  Pro- 
duktion ein  breiter  und  empfänglicher  Markt  innerhalb  des 
grossen  Publikums  entsteht  —  dass  unsere  Künstlerschaft  sich 
ein  Publikimi  schafft,  welches  aus  naiver  Freude  an  ihrem 
Schaffen  ihre  Werke  zu  besitzen  trachtet.  In  dieser  Richtung 
sollten  Künstlerschaft  und  Kritik  in  gemeinsamer  Arbeit  den 
Sinn  für  originalen  Kunstbesitz  beim  breiten  Publikum  zu 
wecken  und  zu  steigern  suchen. 

Frankfurt.  Georg  Swarzenski 

Direktor  des   Städelschen   Instituts. 

I    jie  Frage,  warum  man  französische  Bilder  für  die  Galerien 
ankauft,  lässt  sich  wohl  schwer  generell  beantworten.    Es 
hängt  das,  abgesehen  davon^  dass  der  Museumsleiter  genötigt 
ist,  das  Gute  zu  nehmen,  woher  er  es  bekommt,  von  den  Auf- 
gaben ab,  die  sich  das  Museum  stellt  bzw.  welchen  Sammelplan 


22  F.  FRIES 

es  verfolgt.  Dass  unsere  grossen  Museen,  die  die  Entwicklung 
der  Malerei  im  allgemeinen  geben  wollen  und  sollen,  auch  die 
französische  berücksichtigen  müssen,  ist  so  selbstverständlich, 
dass  eigentlich  darüber  kein  Wort  zu  verlieren  wäre;  denn  noch 
nie  ist  die  Kunst  an  die  Landesgrenzen  gebunden  gewesen  und 
zu  allen  Zeiten  ist  die  künstlerische  Sprache  eines  Volkes 
überall  da  verstanden  worden,  wo  ein  warmes  Gefühl  für  das 
wahrhaft  Künstlerische  existierte.  Wenn  nun  solche  grosse 
Museen  die  ganze  ausländische  Malerei  seit  dem  Jahre  looo 
oder  noch  früher  aufzuweisen  haben,  warum  sie  dann  gerade 
im  19.  Jahrhundert  die  französische  entbehren  sollen,  vermag 
wohl  niemand,  der  nicht  in  Vorurteilen  irgend  welcher  Art 
befangen  ist,  einzusehen.  Es  wäre  dies  um  so  erstaunlicher,  als 
sie  doch  auf  die  deutsche  Malerei  den  grössten  Einfluss  gehabt 
hat,  eine  Tatsache,  die  schon  der  Historienmaler  und  Kunst- 
schriftsteller Becker  im  Jahre  1869  gelegentlich  der  inter- 
nationalen Ausstellung  in  München  in  der  „Kölnischen  Zeitung" 
feststellte,  allerdings  unter  dem  heftigsten  Wehgeschrei  über 
die  beiden  elenden  Schmierer  Courbet  und  Corot,  die  die  deutsche 
Kunst  zu  verderben  drohten.  Dieser  Umstand,  dass  die  deutsche 
Kunst  der  französischen  ausserordentliche  Anregungen  verdankt, 
dürfte  doch  allein  als  Grund  genügen,  sie,  die  die  glänzenden 
Traditionen  der  niederländischen  des  17.  Jahrhunderts,  ihr 
feines  blühendes  Kolorit,  ihre  delikate,  freie  und  leichte  Pinsel- 
führung und  ihr  sicheres  Raumgefühl  übernommen  und  im 
nationalen  Sinne  verarbeitet  hat,  in  den  deutschen  grossen 
Museen  zu  Wort  kommen  zu  lassen. 

Anders  wie  bei  den  grossen  Museen,  liegt  die  Frage  bei  den 
kleinen  Provinz-  und  städtischen  Museen.  Hier  wird  man  sich 
schon  aus  Mangel  an  Mitteln  auf  die  deutsche  Malerei  beschränken 
müssen  und  es  wäre  m.  E.  ein  Fehler,  wenn  man  so  gewaltige 
Summen  für  ein  einziges  französisches  Werk  ausgäbe,  dass 
man  auf  lange  Zeit  hinaus  nicht  in  der  Lage  wäre,  Gemälde 
unserer  besseren  deutschen  Maler  zu  kaufen.  In  dieser  Be- 
schränkung vermag  ich  aber  auch  gar  nichts  Bedauerliches  zu 
finden,   im   Gegenteil,   sie  wird  manchem   Museumsleiter  den 


F.  FRIES  23 

Anstoss  geben,  unsere  deutsche  Kunst,  die  wir,  wie  die  Jahr- 
hundert-Ausstellung gezeigt  hat,  noch  nicht  genügend  kennen, 
einer  genaueren  Forschung  zu  unterziehen;  er  wird  hier  unter 
vielem  wuchernden  Gestrüpp  doch  manche  köstliche  kleine 
Blume  finden,  die  dem  Sucher  seine  Arbeit  lohnt.  Nach  meinen 
Erfahrungen  liessen  sich  hier  mit  sehr  geringen  Mitteln,  wenn 
man  weniger  Wert  auf  bekannte  Namen  und  grosse  Formate 
legen  würde,  ganz  ausgezeichnete  kleine  Museen  anlegen,  deren 
künstlerische  Qualität  sich  auf  einer  recht  beträchtlichen  Höhe 
halten  könnte  und  die  dem  aufmerksamen  Beschauer  eine 
Fülle  neuer  freudiger  Entdeckungen  zu  bringen  vermöchten. 
Aber  auch  für  diese  kleinen  Provinz-  und  städtischen  Museen 
lässt  sich  nicht  immer  ein  bestimmter  Plan  einhalten,  denn  sie 
sind  keine  leblosen  Organismen,  die  man  nach  einem  amtlichen 
Reglement  beliebig  gestalten  kann.  Ein  solches  Museum  wächst 
wie  eine  Pflanze  nach  der  Seite  hin,  von  der  sie  das  Licht  erhält. 
Wenn  sich  in  einer  Stadt  warme  Freunde  und  Verehrer  der 
modernen  französischen  Kirnst  finden,  die  gerne  Bilder  für  das 
Museum  schenken,  warum  soll  sich  der  Leiter  dagegen  wehren, 
namentlich  wenn  diese  Bilder  mit  Verständnis  und  Geschmack 
ausgewählt  werden?  Wir  besitzen  z.  B.  in  Elberfeld  nicht  viele 
ausländische  Werke,  da  das  Ausland  bei  den  sehr  geringen 
Mitteln,  die  die  Stadt  für  Ankaufszwecke  zur  Verfügung  stellt, 
von  vornherein  ausgeschlossen  war.  Aber  was  uns  an  aus- 
ländischen Werken  geschenkt  wurde,  wie  z.  B.  Gemälde  von 
John  Constable,  Gustave  Courbet,  Claude  Monet,  Alfred  Sisley 
und  Paul  Signac,  bedeutet  eine  höchst  erwünschte  Ergänzung 
für  das  Museum,  um  die  Entwicklung  der  Landschaftsmalerei 
im  19.  Jahrhundert  zu  zeigen,  eine  Aufgabe,  der  man  glaubte, 
sich  ursprünglich  nur  für  die  deutsche  Kunst  unterziehen  zu 
sollen.  Denn  gerade  auf  diesem  Gebiete  hat  die  französische 
Malerei  durch  die  rücksichtslose  Energie,  mit  der  sie  üble  alte 
Traditionen  und  wertlose  Rezepte  aus  einer  Zeit  des  künst- 
lerischen Schlendrians  in  die  historische  Rumpelkammer  warf 
und  sich  einer  scharfen  lebendigen  Naturbeobachtung  zuwandte, 
ausserordentlich  schöpferisch  und  erfrischend  gewirkt. 


24  F.  FRIES  —  THEODOR;  VOLBEHR 

Was  aus  der  französischen  Kunst  werden  wird,  können  wir 
heute  nicht  wissen,  aber  es  wird  die  Aufgabe  der  deutschen 
Museumsleiter  sein,  auf  das  schärfste  ihre  Weiterentwicklung 
zu  beobachten,  damit  die  Museen  nicht  durch  den  glänzend 
organisierten  Pariser  Kunsthandel  genötigt  werden,  mit  grossen 
Mitteln  zu  erwerben,  was  sie  bei  der  nötigen  Aufmerksamkeit 
mit  ganz  kleinen  hätten  erreichen  können.  Die  grössten  Fehler  in 
dem  Betrieb  der  modernen  Galerien  sind  nicht  durch  übereilte, 
sondern  durch  versäumte  Ankäufe  gemacht  worden. 

E  1  b  e  r  f  e  1  d.  Dr.  F.  Fries 

Direktor  des  Städtischen  Museums  für  Kunst 
und  Kunstgewerbe. 


"p  s  wäre  vielleicht  gut,  wenn  die  deutschen  Kunstfreunde 
-*— '  wieder  anfingen,  sich  etwas  mehr  um  die  Geschichte  der 
deutschen  Kunst  zu  bekümmern,  allerdings  nicht,  um  die 
Arbeiten  der  Vergangenheit  als  Vorbilder  für  die  Gegenwart 
zu  empfehlen,  sondern  um  verstehen  zu  lernen,  dass  die  Deutschen 
zu  allen  Zeiten  ein  rezeptives,  ein  aufnahmefreudiges  Volk 
waren;  und  dass  es  gar  nicht  anders  sein  kann. 

Das  Deutsche  Reich  liegt  inmitten  andersgearteter  Kulturen. 
Ein  aufnahmefähiger  Boden,  der  zwischen  blütenreichen  Gärten 
liegt,  nimmt  aber  naturgemäss  den  Samen  auf,  den  ihm  die 
Winde  von  links  und  rechts,  von  Nord  und  Süd  zutragen. 
Ist  er  ein  gesunder,  fruchtbarer  Boden,  dann  wird  er  nicht  nur 
aufnehmen,  sondern  durch  seine  eigenen  Säfte  und  Kräfte  dem 
Samen  besondere  Artung  geben. 

Und  ein  solcher  Boden  war  Deutschland  durch  alle  Jahr- 
hunderte hindurch. 

Frankreich  aber,  dessen  Kultur  sich  dank  der  besonders 
starken  und  lang  andauernden  Befruchtung  durch  die  Kultur 
der  Römer  früher  und  üppiger  entfaltete  als  alle  anderen  Kul- 
turen nördlich  der  Alpen,  hat  seit  dem  Mittelalter  die  Rolle 
des  blütenreichsten  Gartens  gespielt.  Und  die  Deutschen  des 
13.  Jahrhunderts  begnügten  sich  nicht  damit,  den  Samen  auf- 


THEODOR  VOLBEHR  25 

zunehmen,  der  ihnen  ins  Land  flog:  wie  fleissige  Bienen  zogen 
sie  in  Scharen  aus,  sich  den  Honig  aus  französischen  Blüten  zu 
saugen.  Damals  war  Paris  die  Hoheschule  Deutschlands.  Hat 
das  den  Deutschen  geschadet? 

Wir  danken  dieser  Aufnahmefreudigkeit  Wolfram  von 
Eschenbachs  Parzival  und  Gottfried  von  Strassburgs  Tristan 
xmd  Isolde  und  dann  im  weiteren  Verlauf  der  Dinge  die  Musik- 
dramen Richard  Wagners.     Sollen  wir  darüber  traurig  sein? 

Oder  sollen  wir  es  mit  Beschämung  verzeichnen,  dass  deutsche 
Fürsten  des  Mittelalters  sich  in  Paris  den  letzten  und  feinsten 
Schliff  ihrer  Bildung  holten  und  dann,  wenn  ihnen  später  die 
Macht  dazu  ward,  ihre  Baumeister  nach  Paris  und  weiter 
ins  französische  Land  hineinschickten  —  wie  der  Erzbischof 
Albrecht  von  Magdeburg  es  getan  — ,  um  dort  für  die  Meister- 
werke deutscher  Architektur  zu  lernen? 

Es  wäre  den  trefflichen  Männern,  die  vvdder  das  Aufnehmen 
französischer  Kunst  so  harte  Worte  gefunden  haben,  zu 
empfehlen,  einmal  kühl  und  gelassen  die  Seiten  der  deutschen 
Geistesgeschichte  zu  durchblättern.  Sie  werden  erstaunen, 
wie  viel  Anregungen  von  Frankreich,  von  Italien,  von  England, 
von  Skandinavien,  von  Russland,  vom  Orient  und  von  Amerika 
her  dankbar  aufgenommen  worden  sind.  Aber  sie  werden  gleich- 
zeitig sehen,  dass  Deutschland  stark  genug  gewesen  ist,  diesen 
Anregungsstoff  zu  Eigenem  zu  verarbeiten.  Sklaven  des  Aus- 
landes sind  immer  nur  die  kleinen  Geister  geblieben,  Nutzniesser 
des  Auslandes  aber  waren  die  grössten.  Und  ist  es  nun  klug, 
um  der  Unselbständigen,  um  der  Schwächlinge  willen  hohe 
Mauern  um  Deutschland  herum  aufzubauen,  insbesondere  den 
Zugang  von  Frankreich  her  zu  versperren? 

Das  hiesse,  den  starken  Aufnehmern  und  Verarbeitern,  den 
grossen  Vorwärtsschreitern  im  Reiche  der  Kunst  die  geistige 
Nahrungszufuhr  beschränken ! 

Und  wenn  es  sich  nun  in  irgend  einem  Gemeinwesen  darum 
handelt,  von  dem  Leben  der  Kunst  zu  erzählen,  in  einem  Museum 
den  Besuchern  von  dem  zu  berichten,  was  die  Kunst  der  ver- 
schiedenen Zeiten  für  die  Entwicklung  der  Kultur  gewesen  ist, 


26  THEODOR  VOLBEHR 

ist  es  wohlgetan,  wenn  der  Museumsleiter  kein  Wort  von  dem 
Einf luss  fremder  Kunst  auf  die  deutsche  Kunst  verlauten  lässt  ? 
Ist  es  auch  nur  möglich,  von  deutscher  Renaissancekunst  zu 
sprechen,  ohne  die  italienische  zu  erwähnen,  von  der  Kunst 
des  17.  Jahrhunderts  ohne  Hinweis  auf  Holland  und  Flandern, 
von  der  Kunst  des  18.  Jahrhunderts,  ohne  Frankreich  zu  nennen? 
Sicherlich  nicht!  Und  auf  einmal  ist  es  eine  Sünde  wider  den 
heiligen  Geist  der  deutschen  Kunst,  wenn  man  für  die  Kunst 
des  19.  und  20.  Jahrhunderts  die  Kultureinströme  kenntlich 
macht  ? 

Seltsam,  höchst  seltsam! 

Ich  habe  im  Kaiser-Friedrich-Museum  der  Stadt  Magdeburg 
in  den  Räumen,  die  vom  18.  Jahrhundert  das  Wesentliche 
berichten  sollen,  zu  zeigen  gesucht,  wie  die  Anregung  des  ost- 
asiatischen Porzellans  von  Europa  aufgenommen  und  verarbeitet 
wurde,  wie  Delft  und  Meissen  eine  keramische  Kultur  ersten 
Ranges  aus  den  Anregungen  Chinas  und  Japans  heraus  ent- 
wickelten; ich  habe  für  den  Ausgang  des  19.  Jahrhunderts  den 
Beweis  dafür  zu  erbringen  gesucht,  dass  die  deutsche  Keramik 
und  die  deutsche  Textilkunst,  dass  die  gesamte  deutsche 
Wohnungskunst  den  erneuten  Anregungen  alter  japanischer 
Kunst  vieles,  sehr  vieles  zu  danken  hat.  Kein  Mensch  hat 
sich  an  solcher  Deduktion  gestossen. 

Und  nun  soll  es  ein  Fehler  sein,  wenn  man  von  französischen 
Einflüssen  im  19.  und  20.  Jahrhundert  berichtet,  wenn  man 
in  deutschen  Gemäldegalerien  zeigt,  was  Courbet  und  was  ein 
wenig  später  Manet  und  was  heute  einige  andere  französische 
Künstler  der  deutschen  Kunst  bedeuten? 

Das  wäre  doch  eine  seltsame  Logik! 

Sollte  es  allerdings  irgendwo  in  Deutschland  ein  Museum 
geben,  das  seine  bescheidenen  Einkünfte  für  unbedeutende 
französische  Maler  ausgibt,  an  den  hervorragenden  deutschen 
Meistern  aber  nichtachtend  vorbeigeht,  dann  wäre  eine  zornige 
Abwehr  berechtigt. 

Die  Ausländerei,  die  den  Blick  für  die  Heimat  trübt,  die 
den   fremden   Minderwert   dem   einheimischen   Wert   vorzieht. 


ALFRED  LICHTWARK 


die  mit  ausländischem  Zierat  das  eigene  Wesen  verdecken 
möchte,  die  ist  seit  dem  Mittelalter  —  siehe  Wernher  des  Gärt- 
ners „Meier  Helmbrecht"  —  dem  Spotte  der  Volksgenossen 
überliefert  worden.  Und  das  wird  hoffentlich  immer  so  bleiben. 
Aber  es  ist  ein  Unterschied  zwischen  wurzelloser,  würdeloser 
Ausländerei  und  der  gesunden  Freude,  fremde  Anregungen 
aufzunehmen  und  sie  zur  Steigerung  der  eigenen  Kraft  aus- 
zunutzen. 
Magdeburg.  Theodor  Volbehr 

Direktor  des  KaiserFriedrich-Museums. 


Sehr  geehrter  Herr,  eine  Abhandlung  über  das  Thema  der 
Vinnenschen  Broschüre  geht  in  meinen  Tag  nicht  mehr 
hinein.  Doch  ich  will  Ihnen  kurz  meine  Auffassung  über  die 
Sachlage  mitteilen. 

Kunstwerke  gehören  zu  den  höchsten  Gütern,  die  ein  Volk 
erzeugt,  denn  sie  enthalten  die  Lebenskraft  mächtigster  Vertreter 
der  Volksart  in  einem  Brennpunkt  gesammelt  und  strömen  sie 
wieder  aus. 

Wir  haben  Ursache,  zu  trauern  über  jedes  bedeutende 
deutsche  Kunstwerk,  das  ins  Ausland  geht.  Es  ist  verlorene 
Kraft. 

Wir  haben  Ursache,  uns  zu  beglückwünschen  bei  jedem 
bedeutenden  ausländischen  Kunstwerk,  das  in  unsere  Museen 
gelangt.     Es  ist  gewonnene  Kraft. 

Den  deutschen  Museen  erwächst  die  Pflicht,  so  viele  be- 
deutende Werke  deutscher  Meister  den  Fährlichkeiten  des  Pri- 
vatbesitzes zu  entziehen,  wie  sie  vermögen,  und  so  viele  be- 
deutende Werke  ausländischer  Kunst  zu  erwerben,  wie  ihre 
Mittel  es  gestatten. 

Mir  ist  kein  deutsches  Museum  bekannt,  dessen  Leitung 
über  dem  Ankauf  ausländischer  Kunst  die  deutsche  zu  ver- 
nachlässigen beabsichtigt. 

Ausländische  Kunst  heisst  für  unser  Volk,  unsere  Zeit  fast 
ausschliesslich  französische  Kunst. 


28  ALFRED  LICHTWARK 

Der  Wert  eines  Kunstwerks  hohen  Ranges  lässt  sich  in 
Talern  und  Groschen  nicht  ausdrücken.  Sein  Wesen  ist  Gnade 
und  Glück.  Hunderttausend  Menschen  können  in  hundert- 
tausend Jahren  fleissiger  Arbeit  keinen  Rembrandt  oder  Mozart 
hervorbringen. 

Der  Preis  der  Kunstwerke  richtet  sich  nach  der  Ausdehnung, 
der  Kultur  und  den  Mitteln  des  Marktes,  der  sie  begehrt.  So- 
lange sie  nicht  begehrt  werden,  haben  Kunstwerke  auf  dem 
Markt  weder  Wert  noch  Preis.  | 

Wer  den  Kunsthandel  ausschalten  will,  muss  vorher  unsere 
Gesellschaftsordnung  ändern. 

Der  Kunsthandel  hat  das  Recht,  alle  Macht  an  sich  zu 
nehmen,  die  der  Staat,  die  Künstlerschaft  und  die  besitzende 
Klasse  aus  Leichtfertigkeit,  Unkenntnis  oder  Kulturlosigkeit 
aufgeben.  Seine  herrschende  Stellung,  die  unter  Umständen 
zur  Vormacht  werden  kann,  dankt  er  der  kulturellen  oder 
wirtschaftlichen  Unzulänglichkeit  der  anderen  Faktoren. 

Der  Einfluss  der  Kunstschriftstellerei  kann  wohltätig  oder 
vom  Übel  sein.  Das  hängt  vom  Wert  des  Schreibers  und 
—  ebensosehr  —  vom  Wert  des  Lesers  ab. 

Hamburg.  Alfred  Lichtwark 

Direktor  der  Kunsthalle. 


A  uch  ich  betrachte  Vinnens  Broschüre  als  eine  erlösende  Tat ! 
•"^  Er  hat  durch  seine  Schrift  bewirkt,  dass  all  die  Atelier- 
lind  Kaffeehausschimpfereien  über  die  Ausbeutung  der  armen 
Künstler  von  selten  der  bösen  Kunsthändler,  über  die  blöde 
Gallomanie  snobistischer  Galeriedirektoren,  die  für  unser  gutes 
deutsches  Geld  den  französischen  Abhub  kaufen,  über  die 
Schriftsteller,  die  statt  der  Herren  Prof.  Hinz  oder  Kunz  Cezanne 
und  van  Gogh  als  Genies  ausposaunen,  —  dass  alle  diese 
Redereien,  die  wir  hier  Jahr  und  Tag  ruhig  mit  anhörten,  endlich 
vor  aller  Welt  klipp  und  klar  als  völlig  halt-  und 
grundlos    erwiesen   sind. 

Über  den  ästhetischen  Wert  von  Kunstwerken  will  ich  mit 
Herrn  Vinnen  nicht  streiten,  dass  aber  der  Preis  für  Bilder 
sich  nach  Angebot  und  Nachfrage  richtet,  dafür  möchte  ich 
ihm  zum  Belege  folgende  Geschichte  erzählen.  Anfangs  der 
achtziger  Jahre  wurde  der  Maler  Charles  Frederic  Ulrich  von 
München  nach  Amerika  gesandt,  um  nachzuforschen,  welche 
Ursachen  den  rapiden  Rückgang  in  der  Ausfuhr  Mün- 
chener Bilder  verschuldet  hätten.  Zurückgekehrt,  berichtete 
Ulrich,  dass  die  Amerikaner,  die  nicht  selten  ihre  Bilder,  die 
sie  eben  gekauft,  wieder  in  öffentlichen  Versteigerungen  zu 
versilbern  wünschen,  an  deutschen  Bildern  ihr  Geld  verlören, 
während  sie  für  Bilder  der  Ecole  de  Barbizon  oder  der  Im- 
pressionisten das  Doppelte  oder  Dreifache  des  gezahlten  Preises 
zurückerhielten . 

Haben  vor  fast  einem  Menschenalter  schon  die  ästhetischen 
Snobs,  gallomane  Museumsdirektoren  und  gewissenloses,  inter- 
nationales Gesindel  dahintergesteckt? 

Oder  dürfte  man  annehmen,  dass  auch  die  Qualität  des  Kunst- 
werkes auf  seinen  materiellen  Wert  einen  gewissen  Einfluss  hat  ? 

Berlin.  Max  Lieberraann. 


30  MAX  SLEVQGT 


"T^as  Vinnensche  „Quousque  tandem"  liegt  mir  zum  zweiten 
"*— ^  Male  vor.  Das  erstemal,  als  es  mir  vom  Verfasser  zu- 
geschickt wurde,  siegte  bei  mir  die  Höflichkeit,  und  ich  hielt 
es  für  unnötig,  den  Sturm  im  Wasserglase  zu  beschwören. 
Die  Fassung  mit  der  Gefolgschaft  stolzer  und  noch  stolzerer 
Namen  lässt  eine  allgemeine  Verwässerung  und  Überschwem- 
mung befürchten  und  diesmal  muss  ich,  mit  Ausschaltung 
der  Höflichkeit,  und  obgleich  „Freunde  und  Parteigenossen" 
genug  sich  dräuend  angeschlossen  haben  ( —  in  der  ersten 
Schadenfreude  bloss,  hoffe  ich  — ),  diesmal  also  muss  ich  sagen, 
dass  etwas  Rückständigeres  und  Unklareres  selten  zusammen- 
gestellt wurde  als  dieses  ,,quousque  tandem"  nebst  Anhang. 
Protest  deutscher  Künstler  —  ein  stolzes  Wort!  —  das  gleich 
dem  etwaigen  Gegner  seinen  Platz  ausserhalb  der  geistigen 
Grenzen  des  Vaterlandes  anweist  und  ihn  schreckt! 

Das  allarmierende  Wort  „Deutsche  Kunst",  von  so  vielen 
hier  gebraucht,  macht  nachdenklich.  Es  erinnert  an  den  Ruf 
der  Juristen  nach  dem  ^t^ormalmenschen,  den  es,  sagt  man, 
gar  nicht  gibt!  Die  beschworenen  Geister  deutscher  Meister 
sind  in  diesem  Zusammenhange  gleichermassen  verdächtig. 
„Du  gleichst  dem  Geist,  den  du  begreifst,  nicht  mir."  —  Ich 
fürchte,  ,, deutsch  sein"  soll  wieder  einmal  so  viel  heissen,  wie 
im  Leiterwagen  fahren,  wenn  alle  Welt  im  Auto  fährt.  Ich 
fürchte,  es  handelt  sich  um  eine  blasse  Ängstlichkeit  vor  Fort- 
schritt, vor  Freierem.  Angst  der  russischen  Barte  vor  der 
Kulturschere.  Angst  um  Güter,  die  wir  noch  gar  nicht  besitzen! 
Denn  nationale  Eigenart  in  der  Kunst !  ?  Wir  wahren  die  unsere, 
wenn  wir  unsere  Kräfte  verstehen  lernen  wollen,  und  Luft 
und  Befruchtung  daranlassen.  Wenn  unsere  Wurzeln  stark 
und  tief  sind,  werden  sie  nicht  schwinden,  weil  Äste  und  Knospen 
in  der  freien  Luft  (en  plein  air)  stehen.  Wirkliche  Kraft  zittert 
nicht.  Wir  dürfen  eigene  Fehler  und  Schwächen  im  stillen 
lieben,  aber  nicht  grossziehen.  Und  schliesslich,  wir  haben 
einige  Meister,  deutsche  Künstler,  aber  eine  deutsche  Kunst 
haben  wir  nicht.    Die  entsteht  nicht  so  auf  Wunsch.    Das  Ab- 


I^IAX  SLEVOGT 


stempeln  „Deutsche  Kunst"  hätte  auch  nicht  von  uns  zu 
geschehen,  sondern  durch  überragende  Bedeutung  sich  den 
Völkern  aufzuprägen!  Deutsche  Kunst  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts, französische,  spanische,  sind  Schulbegriffe,  historisches 
Arbeitsmaterial.  Aber  die  grossen  Söhne  der  Nationen,  sei's 
Rembrandt,  Velasquez,  Rubens,  Dürer  sind  eben  grosse  Maler 
der  Menschheit,  sind  Söhne  der  Kunst.  Und  das  sind,  in  einer 
ununterbrochenen  Folge,  die  grossen  Maler  Frankreichs.  Vom 
Beginn  des  vorigen  Jahrhunderts  bis  zum  Ende  und  bis  heute 
—  denn  noch  leben  einige  der  Grossen  —  fliesst  ein  solch  freudig 
rauschender,  feuriger  Strom  von  Kraft,  Gesundheit  und  Schön- 
heit aus  Frankreichs  Kultur,  dass  wir  diese  enorme  Fülle  wohl 
anerkennen  müssen  und  anerkennen  sollten,  da  doch  wir 
so  gerne  hören,  dass  Deutschland  im  gleichen  Jahrhundert  eine 
unglaubliche  Fülle  von  Musik  der  Welt  geschenkt  hat. 

Nein,  ich  kann  nicht  annehmen,  dass  man  dies  bei  uns  nicht 
einsieht,  oder  missdeuten  will,  —  und  diesem  Reichtume  gegen- 
über auf  die  paar  harten  Taler  klopfen  will,  die  im  leeren  Beutel 
klirren. 

Es  ist  kein  Wunder,  dass  schlechte  und  gute  Propheten  die 
,, kaufmännische  Gründung"  eines  dieser  Grossen  weissagen. 
Dazu  gehört  nicht  viel  Verstand.  Dass  Frankreich  nicht  ver- 
steht, sich  seine  Schätze  zu  erhalten  (die  es  offiziell,  wie 
überall  auf  der  Welt,  zum  Teil  gar  nicht  würdigt),  bedeutet 
für  die  Frage  hier  nichts.  Allerdings  die  daraus  gezogene  Schluss- 
folgerung :  mit  wenig  Ausnahme  käme  nur  Atelierabhub  zu  uns, 
bedeutet  hier  etwas  —  eine  grobe  Täuschung  nämlich !  An  den 
Plätzen,  wo  die  Öffentlichkeit  daran  ein  Recht  hat,  handelt  es 
sich  um  ernste  Werke.  Begleiterscheinungen  sind  nicht  die  Sache ! 
Auch  dem  disziplinierten  Heere  folgen  Aasvögel  und  Marodeure ! 

Kommen  wir  zum  Kern!  Ich  glaube,  das  ist  alles  gar  nicht 
so  gemeint!  Man  würdigt  ja  —  sehr  überflüssigerweise  —  den 
französischen  Meister  auf  jeder  Seite  der  Broschüre,  wenn 
man  auch  auf  der  anderen  rasch  wieder  etwas  davon  abzwickt, 
nein,  man  hat  etwas  anderes  im  Auge,  und  nur  in  der  Eile  und 
aus  Vorsicht  vergessen,   das   Kind  beim  Namen  zu  nennen! 


32  MAX  SLEVOGT 


Zwar  man  fürchtet  den  materiellen  Erfolg  und  geistigen 
Einfluss  der  französischen  Bilder,  aber  doch  mehr  —  und 
gegen  die  geht  es  —  die  lebendigen  Träger  dieser  Ideen,  die  mit 
diesem  eisernen  Pfluge  in  Deutschland  pflügen,  und  Boden  ge- 
schaffen und  gewonnen  haben:  Man  ärgert  sich  über  die  Ber- 
liner Secession  und  den  Berliner  Kunstsalon  Cassirer;  diese 
beiden  Institute,  eng  verknüpft,  sich  wechselwirkend  ver- 
pflichtet, durch  die  aussergewöhnliche  Persönlichkeit  Paul 
Cassirers,  trotz  des  anfechtbaren  Verhältnisses  fruchtbar  ver- 
bündet, traten  seit  ihrem  Bestehen  für  das  Grosswerden  einer 
neuen  Anschauung  in  Deutschland  ein,  sie  haben  die  Bewegung 
eingeleitet  und  bis  heute  rücksichtslos  geführt.  Dieses  tat- 
sächlich merkwürdige,  im  Grossen  fördernde  und  gesunde  Ver- 
hältnis klarstellen  oder  verteidigen  zu  wollen,  können  wir  einer 
Geschichte  der  Secessionen  in  Deutschland  überlassen. 

Lächerlich  nun  ist  es,  an  einer  Korporation  oder  ihrem  Nach- 
wuchs gleich  die  geistigen  Früchte  sehen  zu  wollen.  Diese 
können  so  wenig  von  den  Akademien,  wie  von  freien  Vereinigungen 
in  Ausstellrmgen  gezüchtet  werden. 

Sichtbar  werden  nur  Auswüchse  sein. 

Im  übrigen:  Jugend  lässt  sich  nicht  erziehen  und  nichts 
vorschreiben,  und  es  ist  töricht,  immer  den  praeceptor  spielen 
oder  diese  Rolle  von  anderen  verlangen  zu  wollen,  wo  die  not- 
wendigen Ziele  ganz  wo  anders  liegen.  —  Michelangelo  wirkt 
so  wenig  erzieherisch  wie  Cezanne.  Nur  Mittelmässigkeit 
wirkt  so  —  auf  die  Mittelmässigkeit. 

In  Deutschland  galt  es,  Luft  und  Licht  zu  schaffen,  und 
Freude  —  die  brauchten  deshalb  nicht  ,, deutsch"  zu  sein. 
Und  freie  Ideen,  ob  gesprochen  ob  gemalt,  sind  unsere  besten 
Eideshelfer.  Die  gemalten  natürlich  erst  recht,  wenn  wir  sie 
an  den  Wänden  haben  können,  ob  in  Museen,  ob  in  Privat- 
wohnungen ist  gleich,  auch  woher! 

Inzwischen:  Hoffen  wir! 

Da  wir  schon  einen  Protest  deutscher  Künstler  haben,  haben 
wir  wohl  auch  eine  deutsche  Kunst. 
Berlin.  Max  Slevogt. 


LOVIS  CORINTH 


Tch  verhalte  mich  bei  derartigen  gedruckten  Meinungsäusse- 
-*-  rungen  am  liebsten  passiv.  Da  ich  aber  durch  das  unver- 
hoffte Interview  der  Nationalzeitung  in  die  Angelegenheit  ver- 
flochten bin,  mag  auch  meine  Meinung  gehört  werden. 

Derartige  weltverbessernwollende  Broschüren  sind  immer 
nur  theoretisch  zu  nehmen.  Bald  handeln  sie  von  denjenigen, 
welche  sich  beklagen,  ungerecht  erweise  in  den  Ausstellungen 
refüsiert  zu  werden,  dann  wieder  tut  sich  die  untere  Masse 
zusammen  und  klagt  über  die  ungerechte  Art  der  Bilder- 
ankäufe, und  jetzt  soll  eine  Invasion  französischer  Schund- 
ware die  deutsche  Kunst  in  ihrer  Entwicklung  arg  ge- 
fährden. Und  immer  ist  der  Refrain:  eine  Ungerechtig- 
keit, und  niemand  oder  wenige  denken  nach  unserm  schönen 
deutschen  Sprichwort  ,,Der  Knüppel  liegt  beim  Hunde" 
an  ,, besser  machen",  das  heisst  durch  die  Tat  selbst  die  Gegner 
beiseite  drücken.  Es  ist  sehr  bequem  und  in  jeder  Hinsicht 
vorteilhaft,  seinen  Namen  unter  diese  Propagandaschrift  „Ein 
Protest  deutscher  Künstler"  zu  setzen.  Mit  treuer  vater- 
ländischer Gesinnung,  die  man  dadurch  schriftlich  bekundet, 
schlägt  man  auf  jeden  Fall  die  Konkurrenz  tot.  Pfui!  höre 
ich  da  sagen,  bei  so  ernsthaften  Dingen  denkt  man  nicht  an 
den  eigenen  Vorteil. 

Aber  wir  müssen  doch  der  Wirklichkeit  nachgehen.  Wo 
ist  denn  nun  diese  Überschwemmung  von  französischen  Schund- 
fabril^aten  zu  finden?  In  Berlin,  Hamburg,  Dresden  sind  sie 
mir  nicht  aufgefallen  und  nach  der  Art  des  Kunsthändler- 
betriebes, der  die  Ware  von  einem  Geschäft  zum  andern  gehen 
lässt,  kann  dieser  grosse  Überfluss  auch  kaum  in  den  kunst- 
freundlichen Städten  Süddeutschlands  gefunden  werden. 

Sehen  wir  uns  daraufhin  die  Nationalgalerie  Berlins  an. 
Dabei  fällt  mir  ein,  dass  über  dieses  Institut  schon  ähnliche 
Stimmen  laut  geworden  waren,  die  Beschwerde  über  zu  grosse 
Begünstigung  der  Franzosen  führten.  In  der  Nationalgalerie 
sind  zwei  Räume  mit  Goya,  den  Fontainebleauern  und  den 
französischen   Impressionisten  gefüllt.      Es  sind   Bilder  aller- 

3 


34 


LOVIS  CORINTH 


erster  Qualität  und  Meinung  gegen  Meinung  behaupte  ich,  diese 
Kunstwerke  zu  besitzen  kann  Deutschland  stolz  sein.  Da- 
gegen sind  die  grossen  deutschen  Meister  —  wie  es  auch  sein 
muss  —  in  überwiegendster  Zahl  ihrer  Werke  vertreten:  von 
Leibl  ist  beinahe  ein  ganzer  Raum  allein  gefüllt;  Trübner, 
Böcklin,  Thoma,  Feuerbach,  Marees,  Lenbach,  Liebermann, 
Schwind  sind  ebenfalls  in  breitester  Art  bedacht,  von  Menzel 
gar  nicht  zu  reden,  der  mit  seinen  Werken  fast  den  ganzen 
ersten  Stock  inne  hat.  Fragt  man  nach  den  Preisen,  so  werden 
die  grossen  Deutschen  ebenso  teuer  bezahlt  wie  die  grossen 
ausländischen  Künstler.  Dass  diese  Werke  oft  in  der  Zeit,  wo 
sie  geschaffen  wurden,  eine  Kleinigkeit  gegenüber  den  späteren 
Simimen  kosteten,  ist  eben  ein  Charakteristikum  jedes  wahren 
Kunstwerkes.  Also  scheint  doch  hier  demnach  alles  in  bester 
Ordnung  zu  sein.  In  den  Privatgalerien  in  Berlin  dominieren 
je  nach  der  Empfindung  der  Besitzer  die  Ausländer  oder  die 
Einheimischen.  Und  auch  hier  sind  die  besten  Werke  durch- 
gängig zu  finden,  denn  auch  im  Kunsthandel  gilt  wie  in  jedem 
Geschäft  strengste  Reellität.  Ich  glaube  nicht,  dass  sich  diese 
reichen  Sammler  nur  durch  Patriotismus  abhalten  lassen 
werden,  ihr  Geld  nach  ihrem  Gutdünken  anzulegen.  Das  einzige 
wirksame  Mittel  ist  hier  wie  überall:  , .besser  machen".  Da- 
durch, dass  deutsche  Werke  ebenbürtig  oder  noch  besser  den 
ausländischen  gegenüber  erschienen,  haben  deutsche  Kunst- 
liebhaber schon  öfters  das  Schwergewicht  ihrer  Sammlungen 
zugunsten  deutscher  Künstler  verlegt.  Ich  kenne  sogar  in 
Berlin  einen  bedeutenden  Sammler,  der  allmählich  seinen 
ganzen  französischen  Besitz  abgestossen  hat  und  jetzt  nur  noch 
deutsche  Kunstwerke  kauft.  Wie  schon  gesagt,  habe  ich  selten 
unter  diesen  Bildern  ,, Schund"  angetroffen.  Und  was  wäre 
denn  für  ein  Unterschied  zwischen  französischem  Schund 
und  deutschem  ?  Nach  meiner  Meinung  ist  der  Käufer  in  beiden 
Fällen  hereingefallen.  Leider  wird  auch  in  Deutschland  wie 
überall  die  Mittelmässigkeit  besser  bedacht  als  das  ernste 
Streben  nach  wahrer  Kunst,  und  nur  für  das  letztere  soll  ge- 
stritten werden.     Gerade  das  bezweckt  ja  auch  die  Broschüre, 


LOVIS  CORINTH 


sagt  Herr  Vinnen.  Man  soll  nicht  Bilder  von  Cezanne  und  van 
Gogh,  die  kraft  persönlicher  Meinung  des  Herrn  Vinnen  weniger 
künstlerisch  und  erzieherisch  angesehen  werden  dürfen  als  die 
der  andern  berühmten  Franzosen,  ins  Land  lassen,  und  vor  allen 
Dingen  nicht  Matisse,  damit  die  junge  Generation  vor  gefähr- 
licher Imitation  bewahrt  wird.  Zugestanden  sei,  dass  in  dieser 
blöden  Nachäfferei  arg  gesündigt  wird,  jedenfalls  mehr  denn 
sonst;  aber  ganz  fehlte  nie  die  törichte  Anbetung  des  Fremden 
bei  uns;  ich  will  nur  die  Münchner  und  die  Schotten  in  Erinne- 
rung bringen.  Aber  ob  gerade  diese  Beschneidung  des  Bilder- 
importes die  Nachahmungssucht  verhindern  würde?  Nach 
meiner  Erfahrung  trifft  man  diese  ,, Deutschfranzosen"  haupt- 
sächlich in  Paris  an,  wo  sie  auch  nur  bei  einem  kurzen  Aufent- 
halt von  einigen  Wochen  oder  Monaten  diese  äusserliche  Art 
erfasst  haben,  um  sie  dann  bei  der  Rückkehr  nach  Deutschland 
beizubehalten.  Aber  wer  auf  diese  Weise  vegetiert  und  sich 
zu  keiner  Eigenart  heraufarbeiten  kann,  ist  wert,  dass  er  zu- 
grunde geht;  das  sage  ich,  trotzdem  Herr  Vinnen  derartige 
Aussprüche  als  ,, gedankenlose  und  recht  billige  Phrasen" 
bezeichnet.  Herr  Vinnen  sagt:  ,, Jeder  Künstler  wird  sich  er- 
innern, wieviel  hochtalentierte  Menschen  er  im  Laufe  der 
Zeit  hat  untergehen  sehen."  Ich  behaupte:  die  Talente  sind 
wie  alles  Edle  seltene  Erscheinungen  und  offenbaren  sich  an- 
fänglich recht  unscheinbar  selbst  für  bessere  Beobachter.  Um 
dieses  zu  beweisen,  rufe  ich  meiner  Generation  die  Zeiten  der 
Loefftzschule  in  München  in  Erinnerung.  Aus  wie  vielen,  die 
damals  Anfang  der  achtziger  Jahre  bei  SchüleraussteUungen 
erste  Preise  erhielten  und  deren  Zukunft  in  hellem  Ruhmes- 
glanz für  jedermann  ersichtlich  erstrahlen  soUte,  ist  denn  etwas 
geworden?  Die  Ernte  wäre  klein,  und  dennoch  wurden  sie  ge- 
hegt und  imitierten  nur  im  besten  Fall  ihre  Lehrer  der  Aka- 
demie. Wer  das  Zeug  in  sich  hat,  wird  etwas,  auch  wenn  sich 
unzählige  Hindernisse  jeglicher  Art  entgegenstellten.  Deutsch- 
land soU  den  Deutschen  gehören,  aber  nicht  durch  Worte, 
sondern  durch  Taten  soll  es  der  deutsche  Künstler  erzwingen. 
Um  Schäden  aufzudecken  oder  Meinungen  zu  erlassen,  dazu 

3* 


36        LOVIS  CORINTH  —  AUG.   GAUL  —  GEORG  KOLBE 

sind  die  Kunstschriftsteller  da  und  meinetwegen  auch  die  Ästhe- 
ten und  die  Snobs.  Die  Wahrheit  wird  sich  stets,  wenn  auch 
manchmal  langsam,  aber  dann  um  so  sicherer  hindurchringen. 

Berlin.  Lovis  Corinth. 

Tn  gewisser  Hinsicht  stimme  ich  eigentlich  dem  Protest  von 
■*"  Vinnen  zu. 

Gerne  möchte  ich  mir  einiges  von  dem  „Atelierkehricht"  eines 
Cezanne  und  van  Gogh  an  meine  eigenen  Wände  hängen.  Durch 
die  hohen  Preise  des  bösen  Kunsthändlers  ist  mir  dies  un- 
möglich,   bei   aller   Freundschaft   mit   demselben. 

Auch  die  Skulptur  wünscht  ein  Kollege  in  dem  Protest  von 
Vinnen  berücksichtigt,  da  dort  ähnliche  Erscheinungen  vor- 
handen. Mir  ist  nichts  bekannt  von  einem  sogenannten  orga- 
nisierten Import  französischer  Plastiken.  (Die  französische  Laden- 
bronze ist  doch  nicht  gemeint?)  Die  wenigen  Rodin,  welche 
nach  Deutschland  kommen,  sind  zum  grossen  Teil  in  Paris 
auch  von  Rodin  selbst  gekauft. 

Soll  gegen  einige  Maillol  in  Deutschland  protestiert  werden  ? 
Es  wäre  dies  nicht  sehr  würdig  von  den  Kollegen  und  der 
Nation,  die  doch  in  den  letzten  Jahren  Millionen  für  ein- 
heimische Plastik  ausgegeben.  Dann  kämen  noch  Belgier  in 
Betracht,  Minne  und  vielleicht  einige  Arbeiten  von  Lagae. 
Man  stelle  aber  dagegen  die  Anregung,  welche  auch  deutsche 
Bildhauer  durch  diese  ausländischen  (noch  lebenden)  Meister 
erhalten  und  sehe  erst,  ob  unser  Konto  dort  draussen  aus- 
geglichen. 

Berlin.  Aug.  Gaul. 

Tjie  Anregung  und  Befruchtung  durch  die  französische  mo- 
"^^^  derne  Kunst  können  wir  nicht  hoch  genug  halten,  deshalb 
scheint  mir  ein  Protest  wegen  Überschätzung  schlechthin 
komisch. 

Berlin.  Georg  Kolbe. 


MAX  BECKMANN  —  W.  RÖSLER  37 

j  jer  Protest  des  Herrn  Vinnen  und  seiner  Freunde  scheint 
mir  verfehlt,  weil  die  Vorzüge  der  angegriffenen  Richtung 
ihre  Nachteile  bei  weitem  überwiegen.  Ich  finde,  dass  die  besten 
Werke  eines  Gericault,  Delacroix,  Courbet,  Daumier,  Renoir, 
van  Gogh  ebenso  gekauft  werden  müssen,  wie  Signorelli,  Grün- 
wald, Cranach  und  Tizian,  Tintoretto,  Greco,  Velasquez,  Goya 
und  die  alten  Holländer.  Dass  eine  gute  Sache  immer  eine 
ähnliche,  aber  schwächere  zur  Folge  hat,  ist  nicht  zu  ver- 
meiden. 

Ich  selbst  bin,  soweit  ich  dazu  Gelegenheit  fand,  stets  gegen 
eine  Überschätzung  intelligenter  Epigonentalente  wie  Matisse, 
Othon  Friesz,  Puy  etc.  aufgetreten,  aber  nie  wäre  es  mir  ein- 
gefallen, feierlich  dagegen  Protest  zu  erheben,  da  ich  es  nicht 
sehr  wichtig  finde,  wenn  eine  Anzahl  talentloser  Leute  Bastien 
Lepage  oder  Böcklin,  die  Schotten  oder  Matisse  nachahmen. 
Irgend  ein  billiges  Schema  zur  Rettung  für  die  Leere  ihrer 
Phantasie  brauchen  sie  ja  doch.  Instruktive  Künstler  wie 
Liebermann  oder  Menzel  oder  Leibl,  die  ihnen  gut  täten,  nach- 
zuahmen, ist  ihnen  unbequem. 

Ich  kann  auch  nicht  finden,  dass  der  Absatz  oder  der  Ein- 
fluss  von  den  ganz  jungen  Franzosen  nun  schon  so  ungeheuer 
wäre,  dass  derartig  tiefe  Brusttöne  der  Entrüstung  notwendig 
wären. 

Einige  bedauernswerte  Snobs  sind  wohl  darauf  hineingefallen, 
aber  ich  glaube,  sie  beweinen  schon  im  stillen  Kämmerlein  ihr 
Unglück  und  suchen  es  eifrig  gegen  eine  nächste  Sensation  zu 
vertauschen. 

Rein  künstlerische  Gründe  motivieren  den  Protest  also  nicht. 

Hermsdorf  b.  Berlin.  Max  Beckmann. 


T  ch  habe  den  Protest  deutscher  Künstler  von  Vinnen  durch- 
gelesen und  finde,  dass  er  mehr  eine  kunsthändlerische  Frage 
ist,  wovon  ich  nicht  genügend  verstehe,  um  mich  darüber  zu 
äussern. 


38  W.  RÖSLER   —  L.  VON  KÖNIG 

Schlechte  Bilder  von  den  grossen  französischen  Meistern 
habe  ich  übrigens  fast  nie  hier  in  Berlin  gesehen. 

Ich  möchte  nur  eingehen  auf  die  „verheerende  Wirkung", 
die  diese  Kunst  auf  die  Jugend  ausgeübt  hat,  und  die  manchem 
der  Herren  Kopfschmerzen  macht.  (Z.  B.  sieht  Herr  L.  Putz 
mit  Besorgnis  in  die  Zukunft  —  natürhch  für  die  nachfolgende 
Jugend,  nicht  für  sich.  Wir  Jungen  sind  wiederum  aber  wegen 
der  künstlerischen  Zukunft  des  Herrn  Putz  besorgt.)  Man  soll 
uns  nicht  für  solch  schwächliche  Existenzen  halten! 

Ebenso  wie  Menzel,  Leibl,  Liebermann  französische  Kunst 
sich  angesehen  haben,  ohne  daran  zugrunde  zu  gehen,  werden 
wir  (falls  wir  Menzels,  Leibls,  Liebermanns  werden)  daran 
nicht  zugrunde  gehen;  und  ich  möchte  bei  dieser  Gelegenheit 
noch  erwähnen,  dass  wir  Jungen  hier  in  Berlin  wie  für  Courbet, 
Monet,  van  Gogh,  Cezanne  etc.,  ebenso  für  Feuerbach,  Leibl, 
Menzel  uns  nach  wie  vor  begeistern  und  glauben  sehr  an  die 
Zukunft  der  deutschen  Kunst. 

Ob  der  mittelmässige  Kitsch  mehr  französisch  oder  mehr 
deutsch  ist,  ist  wohl  nicht  so  wichtig. 

Berlin.  W.  Rösler. 


Tn  der  von  Herrn  Vinnen  aufgeworfenen  Frage  stehe  ich  auf 
-*"  dem  Standpunkt,  dass  wirklich  gute  Bilder  in  gar  nicht  ge- 
nügender Zahl  importiert  werden  können.  Nach  meiner  An- 
sicht haben  die  mir  bekannten  öffentlichen  und  privaten  Galerien 
fast  ausschliesslich  hervorragende  Werke  der  französischen 
Kunst  gekauft.  Die  Sammlung  französischer  Bilder  in  der 
Nationalgalerie  ist  eine  Kulturtat  des  Herrn  von  Tschudi,  für 
die  ihm  die  Künstler  nicht  dankbar  genug  sein  können.  Der 
Protest  hat  daher  den  einen  Fehler,  zwanzig  Jahre  zu  spät  zu 
kommen.  Zur  Zeit,  da  Pradilla,  Gallegos  und  Genossen  den 
deutschen  Markt  überschwemmten,  war  er  angebracht. 

Ästheten,    Snobs    und    geschickte    Händler    sind    Neben- 
erscheinungen.     Man  sollte  sie  nicht  mit  der  grossen  Frage 


K.  VON  KARDORFF  39 


verquicken.    Ausserdem  können  auch  diese  Menschen  auf  ihre 
Weise  nützUch  sein.     Die  Mittel  heiligen  den  Zweck. 
Berlin.  L.  v.  König. 


Tst  es  noch  nötig,  etwas  auf  die  Vinnensche  Broschüre  zu 
-^  erwidern,  nachdem  die  Haltlosigkeit  der  darin  aufgestellten 
Behauptungen  durch  den  Artikel  von  Herrn  Prof.  Kaemmerer 
im  ,,Tag"  und  durch  Paul  Cassirers  Aufsatz  im  „Pan"  zur  Genüge 
erwiesen  ist?  Man  wundert  sich  nur,  mit  welchem  Leichtsinn 
Vinnen  es  gewagt  hat,  diese  planlosen  Beschuldigungen  in  die 
Welt  hinauszutrompeten.  Wenn  man  ihn  nicht  persönlich 
kennen  würde,  es  fiele  einem  schwer,  ihm  den  guten  Glauben 
in  dieser  Angelegenheit  zuzubilligen. 

Es  ist  nun  einmal  eine  durch  keinen  Chauvinismus  weg- 
zuleugnende Tatsache,  dass  im  letzten  Jahrhundert  Frankreich 
auf  dem  Gebiete  der  Malerei  die  führenden  und  befruchtenden 
Genies  hervorgebracht  hat.  Herr  Vinnen  und  seine  Freunde 
geben  dies  ja  auch  zum  Teil  zu.  Sollen  nun  die  Sammler  und 
Galeriedirektoren  dieser  Tatsache  in  ihren  Ankäufen  nicht 
Rechnung  tragen?  Sollen  denn  alle  modernen  Galerien  aus- 
sehen wie  die  Münchner  Neue  Pinakothek  vor  fünf  Jahren,  wo 
nur  die  mittelmässigste  Auslandsware  angekauft  wurde,  damit 
die  Münchner  Grössen  nur  ja  nicht  in  die  gefährüche  Nähe  von 
echten  Meisterwerken  kämen?  Das  wäre  doch  ebenso  ungerecht 
wie  dumm.  Namentlich  von  Privatsammlern  kann  man  das 
beim  besten  Willen  nicht  verlangen. 

Wohl  dieselbe  Stellung,  die  Frankreich  in  der  Malerei,  nimmt 
Deutschland  in  der  Musik  ein.  Wie  würden  wir  über  das  Aus- 
land lachen,  wenn  man  sich  dort  aus  ,, patriotischen"  Gründen 
den  Aufführungen  von  Bach,  Mozart,  Beethoven,  Wagner, 
Strauss  widersetzen  würde. 

Kurzum,  ich  sehe  bei  dem  Faktum,  dass  Sammler  und  Galerie- 
direktoren hervorragende  Meisterwerke  von  Manet,  Monet,  van 
Gogh,  Cezanne,  Renoir  ankaufen,  und  dass  deutsche  Maler  von  die- 
sen Meistern  lernen,  keinen  Grund,  in   so  bewegliche  Klagen 


40  ULRICH  HUBNER  —  EMIL  RUDOLF  WEISS 

ä  la  Putz  auszubrechen:  „Ich  sehe  nicht  ohne  Besorgnis  in  die 
Zukunft  etc." 

Ich   habe   herzHch    über    seine    angsterfüllten    Jeremiaden 
lachen  müssen. 
Berlin.  K.  v.  Kardorff. 

A  uch  ich  bin  der  festen  Überzeugung,  dass  die  Summen, 
■^  ^  welche  für  die  Impressionisten  ausgegeben,  minimal  sind 
im  Vergleich  zu  den  Millionen,  die  für  absolut  wertlose  alte 
und  auch  moderne  Kunst  täglich  gezahlt  werden. 

Dass  unsere  moderne  deutsche  Kunst  im  Ausland  falsch  be- 
wertet und  deshalb  nicht  gekauft  wird,  ist  sicher  wahr.  Die  Gründe 
sind  teils  politischer  Natur  —  ein  Gebiet,  auf  das  näher  ein- 
zugehen nicht  meine  Sache  ist.  Teils  spricht  aber  auch  die  Tat- 
sache mit,  dass  von  deutscher  offizieller  Seite  gerade  die  Werke 
der  führenden  Künstler  absolut  ignoriert  werden.  Wenn  das  im 
eignen  Land  geschieht,  wie  soll  man  sich  da  wundern,  wenn 
das  Ausland  misstrauisch  geworden  ist. 

Und  trotzdem  macht  sich  ein  starkes  Ringen  nach  neuen 
Zielen  bemerkbar.  Der  beste  Beweis  für  den  inneren  Wert  der 
Arbeiten  eines  Cezanne  oder  van  Gogh  ist  die  grosse  Anregung,  die 
sie  sowohl  bei  uns  wie  in  Frankreich  gegeben  haben.  Wohl  ist  vieles 
von  den  Arbeiten  der  Jüngsten  nichts  als  äusserliche  Imitation. 
Aber  es  sind  doch  hier  und  da  schon  Ansätze  vorhanden,  die 
sicherlich  unserer  deutschen  Kunst  zum  Segen  gereichen  werden. 

Und  deshalb  schliesse  ich  mit  den  Worten  unseres  Lieber- 
mann, die  er  seinerzeit  in  einem  ähnlichen  Fall  sprach,  sie  sind 
das  beste,  was  man  Künstlern  zurufen  kann : 

Der  Briefe  sind  genug  gewechselt,  —  auf!  lasst  uns  endlich 
gute  Bilder  sehn! 
Travemünde.  Ulrich  Hübner. 


T /innen  selbst  und  einige  der  intelligenteren  der  mit  ihm 

protestierenden  Künstler  und  Kritiker  haben,  die  einen 

offen,  die  anderen  ein  bisschen  mehr  oder  weniger  verschämt. 


EMIL  RUDOLF  WEISS  41 

zugegeben,  dass  sie  wertvolle,  ja  notwendige  und  entscheidende 
Anregungen  und  Beeinflussungen  ihrer  Tätigkeit  durch  die 
Werke  der  grossen  französischen  Maler  des  19.  Jahrhunderts 
erfahren  haben,  und  dass  diese  Beeinflussungen  der  deutschen 
Malerei  im  ganzen  heilsam  waren.  Wer  will  nun  heute  die 
gültige  Grenzlinie  ziehen,  wo  das  ,, Meisterwerk",  das  das  ,, Ge- 
nehmigt zur  Einfuhr"  erhalten  darf,  aufhört,  und  der  ,, Laden- 
hüter", der  ,, Atelierrest"  anfängt?  Es  werden  bei  genauerem 
Zusehen  sehr  wenige  Fälle  übrig  bleiben,  bei  denen  sich  die 
Ansichten  auf  den  einen  oder  auf  den  anderen  Begriff  werden 
einigen  lassen.  Vergessen  wir  das  Überwältigende  der  Tat- 
sache nicht,  dass  mehr  als  ein  halbes  Jahrhundert  einer  beispiellos 
glanzreichen  Entwicklung  —  von  Fontainebleau  bis  Cezanne  — 
bei  uns  in  wenigen  Jahren  angenommen  und  verstanden  werden 
sollte.  Ist  es  da  zu  verwundern,  wenn  in  unser  undisziplinier- 
tes Kunstdenken  eine  Verwirrung  kam,  schliesslich  Ratlosig- 
keit und  Übersättigung  viele  befiel,  die  nicht  zu  vermeiden 
waren ! 

Als  ein  Symptom  dieser  Ratlosigkeit  und  Übersättigung 
fasse  ich  den  von  Vinnen  inszenierten  Protest  auf,  als  einen  zum 
Teil  nicht  unberechtigten,  denn  irgendwo  in  der  Zeit  liegt  der 
Grund  für  jede  ihrer  Erscheinungen,  aber  als  ein  in  der  Basis 
der  Anschauung  wie  in  den  Mitteln,  zu  denen  der  Protest  greift, 
wie  schliesslich  in  der  Form  verfehlten.  Schweigen  wir  von 
den  ,, durch  keinerlei  Sachkenntnis  getrübten"  Äusserungen 
der  Vielzuvielen,  wundern  wir  uns  über  die  Teilnahme  und  die 
Art  ihrer  Bekundung  mancher  Künstler,  so  hören  wir  selbst  in 
den  lesenswerteren  Äusserungen  die  bald  direkt,  bald  versteckt 
an  die  Adresse  Meier- Graef es  gerichteten  Beschimpfungen  und 
Verdächtigungen  der  Arbeit  dieses  Mannes,  als  eines  Verführers, 
ja  Vergifters  des  Urteils  der  Künstler  und  der  Laien.  Geben 
wir  ruhig  zu,  dass  Meier-Graefe,  der  das  selber  weiss,  sich 
manchmal ,, verhauen"  hat,  so  werden  selbst  die  Gegner  zugeben 
müssen,  dass  er  sich  die  unbestreitbarsten  Verdienste  um  das 
Verstehenlernen  und  die  Würdigung  der  auch  von  den  Leuten 
anerkannten  Meister  erworben  hat,  die  Manets  ,,Erschiessung 


42  EMIL  RUDOLF  WEISS 

Kaiser  Maximilians"  einen  „Atelierrest"  nennen.  Er  ist,  neben 
Heilbut,  der  einzige  der  deutschen  „Kritiker",  der  die  „Ent- 
stehungsweise der  Bemalung  eines  Zentimeters  Leinwand" 
kennen  gelernt  hat,  welches  ,, tiefere  Verständnis"  Hugo  von 
Habermann  den  Theoretikern  generell  abspricht.  Mit  Recht. 
(Oder  kann  wohl  einer  an  die  Aufrichtigkeit  der  heutigen 
Äusserung  eines  Mannes  glauben  oder  ihr  irgend  welchen  Wert 
beilegen,  der,  wie  es  ein  Berliner  Kritiker  —  ich  weiss  nicht 
mehr,  war's  Stahl  oder  war's  Rosenhagen  —  das  bleibt  sich  ja 
gleich  —  getan  hat,  vor  ein  paar  Jahren,  als  er  die  ersten 
Cezanneschen  Bilder  bei  Cassirer  sah,  als  ,, kritische"  Äusserung 
von  sich  zu  geben  den  Mut  hatte,  ,,mit  diesen  wirren  Flecken 
könne  er  nichts  anfangen"?!)  —  Der  zweite  Mann,  gegen  den 
in  der  Hauptsache  die  in  allen  Tonarten  modulierenden  Be- 
schimpfungsphrasen als  eines  ,, Spekulanten",  eines  ,, Kunst- 
börsianers" sich  richten,  ist  Paul  Cassirer.  Ihm  wird  auf  seine 
Weise  nicht  vorenthalten,  was  Meier- Graefe  gegeben  wird.  Er 
war  es  allerdings  jahrelang  allein,  der  zu  eigener  Freude,  und 
weil  er  es  für  nötig  hielt,  sie  den  Deutschen,  den  Berlinern 
speziell  zu  zeigen,  die  grossen  Meister  der  Franzosen  von  De- 
lacroix  bis  Cezanne  ausstellte  —  weil  er  die  Bilder  dieser  Maler 
eben  für  besser  hielt  als  die  der  Deutschen,  und  weil  er  sah,  dass 
bei  diesen  das  Meiste  und  das  Notwendige  zu  lernen  war.  Dass 
er  dann  damit  auch  Geld  verdient  hat,  wird  ihm  höchstens  die 
ahnungsloseste  Werdandiseele  zum  Verbrechen  anrechnen!  — 
Dem  Umfang  und  der  Vielfältigkeit  des  Einflusses  entspricht 
auch  die  Grösse  und  Mannigfaltigkeit  der  Nachahmung,  um 
dieses  Wort  zu  brauchen.  Ist  diese  Erscheinung  aber  von  heute  ? 
Es  gab  sie  immer.  Sie  ist,  als  Wirkung,  in  diesem  Falle  nur 
grösser,  heftiger,  unerbittlicher,  dem  Charakter  der  Ursache 
entsprechend.  —  Es  ist  eine  Wahrheit,  um  die  niemand  herum- 
kann, die  jeder  Maler,  der  das  Gesetz  der  Entwicklung  zu  sehen 
und  zu  verstehen  sich  bemüht,  eines  Tages  schmerzlich  genug 
erlebt:  dass  es  gar  keine  deutsche  Malerei  von  Rang  gibt, 
sondern  nur  ein  paar  grosse  deutsche  Künstler,  deren  jeder  fast 
ausserhalb  der  Entwicklung  steht   (deren  mancher  ihr  sogar 


EMIL  RUDOLF  WEISS  43 

widerspricht  oder  sie  aufhebt),  weder  gebunden  noch  gefördert 
durch  eine  Tradition  des  Sehens,  des  Handwerks,  der  Ge- 
sinnung, des  Geschmacks,  noch  —  erstaunhch  genug  —  ein- 
geghedert  durch  seine  Wirkung.  Das  alles  aber  sahen  die 
Jüngeren  an  den  Bildern  der  Franzosen.  Sie,  die  sich  an  der 
Einzigkeit  der  paar  grossen  deutschen  Künstler  (ich  sage  nicht 
„Maler")  verzweifelt  die  Stirne  angerannt  hatten,  sie  sahen 
in  diesen  Bildern  eine  so  unbeschreiblich  reiche  Einheit  des 
Lernbaren,  die  alle  noch  so  verschiedenen  Anschauungs-  und 
Ausdrucksformen  verband,  sie  sahen  die  Einheit  des  malerischen 
Mittels,  die  Entwicklung  einer  unerhörten  Schönheit  des 
Materials  von  den  flüssigfesten  Schichten  des  Courbetschen 
Farbemails  bis  zu  den  tausend  gegeneinander  gesetzten  Farb- 
strichen, mit  denen  Cezanne  die  rätselhaften  Organismen  seiner 
Bilder  mit  einer  Konsequenz  aufbaut,  die  Vinnen  so  wenig 
versteht,  dass  er  die  Cezanneschen  Bilder  ,,zu  wenig  konstruktiv 
angelegt"  nennt;  sie  empfanden  fast  erschüttert  vor  dieser 
langen  Reihe  alt  gewordener  Männer  einen  Eindruck  des  Glücks, 
das  es  geben  musste,  ein  Einziger  und  doch  kein  Einzelner  zu 
sein,  dem  Schatz  der  Schönheiten  die  eigene  hinzuzutun,  die 
aus  demselben  Material  in  neuer  Form  entstanden  war;  einer 
reich  durch  den  andern,  hatten  sie  sich,  bei  aller  Schärfe  der 
Kritik,  der  Analyse,  gerade  durch  die  Schätzung  des  Hand- 
werks und  durch  die  Freude  an  ihm,  eine  wundervolle  Jugend 
der  Empfindung  bewahren  können,  die  Renoir  als  Siebzig- 
jährigen einfachste  Dinge  aus  dem  alltäglichen  Leben  der 
Mädchen  und  Kinder  mit  einem  Zauber  der  reinsten  Sinn- 
lichkeit malen  lässt,  deren  man  bei  uns  nur  das  Herz  der  Zwanzig- 
jährigen für  fähig  hält.  Die  schärfsten  Gegensätze  der  An- 
schauungen, das  rücksichtsloseste  Verwerfen  des  Hinderlichen 
und  Unbrauchbaren  auf  dem  Weg  zur  Eroberung  der  neuen 
Ausdrucksmittel  haben  nicht  gehindert,  dass  der  Wert  des 
höchst  ausgebildeten  spezifischen  Mittels  der  malerischen 
Tätigkeit  niemals  missachtet  wurde.  Keines  dieser  Genies  war 
ohne  das  Stück  Talent,  das  dem  deutschen  Genie  fast  immer 
fehlte.    Die  Erkenntnis  dieser  Eigenschaften  und  das  Begreifen 


44  EMIL  RUDOLF  WEISS 

ihrer  Ganzheit  machte  den  Erfolg  der  Franzosen  nicht  nur  zu 
einem  künstlerischen  und  im  weitesten  Sinne  zu  einem  Schul- 
erfolg, sondern  auch  zu  einem  allgemein  menschlichen,  idealen, 
moralischen. 

Sprechen  wir  nun  zuerst  von  dem  einen  Punkt  der  Vinnen- 
schen  Anklage,  der  uns  Maler  am  meisten  angeht:  von  der 
Nachahmung  der  französischen  Vorbilder.  —  So  viele  Augen 
und  Hände  es  gibt,  so  viele  Augen  sehen,  so  viele  Hände  arbeiten 
anders.  Es  werden  deshalb  auch  Arbeiten,  die  man  Nach- 
ahmungen nennen  kann,  stets  irgend  etwas  von  ihrem  Urheber 
aussagen.  Aber  dieses  Element  gerade  hat  die  Kritik  stets 
übersehen,  und  seine  Varietät  ist  es,  die  die  Möglichkeiten  der 
Entwicklung  gemeinsamer  Qualitäten,  die  Schaffung  eines 
höheren  malerhandwerklichen  Niveaus,  zeigt.  Die  sogenannte 
deutsche  Kritik,  selbst  deren  heute  geschätzteste  Vertreter,  hat 
niemals  den  Lebenden  und  Strebenden  das  Recht  zugestanden, 
auf  ihre  Weise  da  zu  lernen,  wo  gelernt  werden  kann,  nämlich 
gerade  an  dem  ,,Wie"  eines  Meisters,  an  der  Totalität  seines 
Handwerks.  Das  liegt  daran,  dass  sie  weder  imstande  ist,  die 
Bedeutung  des  Lernbaren  richtig  abzuschätzen,  noch  die  Arbeit 
des  Lernenden  für  sich  zu  sehen.  In  Deutschland  werden  seit 
Jahr  und  Tag  die  jungen  Maler  von  der  Kritik  damit  totge- 
schlagen, dass  jeder  Kritiker  jedes  Bild  mit  dem  Namen  seines 
„Vor-Bildes"  zudeckt,  den  er  selber  vor  einem  halben  Jahr 
zum  erstenmal  in  Paris  oder  sonstwo  gelernt  hat.  Er  sieht 
niemals  das  Eigene,  sondern  immer  nur  das  Vorbild  (noch  nicht 
einmal  die  etwa  vorhandene  Quahtät  der  Schule),  er,  der  bei 
jedem  alten  Meister  sechsten  Ranges  sich  müht,  neben  der 
Schulform  das  Besondere  zu  sehen.  Er  sieht  nie,  wie  ein  Vorbild 
erworben  und  durchdacht  wurde,  sondern  nur,  dass  eines  und 
welches  vorhanden  war.  Er  wird  nie  verstehen,  warum  der 
Maler  mehr  und  jener  weniger  , .nachgeahmt"  wird,  warum 
Cezanne  und  nicht  Manet  als  Vorbild  dient,  weil  er  die  in  der 
Persönlichkeit  bedingte  und  von  ihr  untrennbare  Ausdrucks- 
form des  einen  so  wenig  in  ihren  Beziehungen  zum  Lernenden 
begreifen  wird,  wie  die  von  der  Persönlichkeit  lösbaren,  ob- 


EMIL  RUDOLF  WEISS  45 

jektivierbaren,  vielfältigeren  und  beweglicheren  technischen 
Elemente  des  anderen,  die  gerade  deshalb  deutbar  sind  ihrem 
Wesen  und  ihrer  Wirkung  nach  und  gerade  dadurch  eigentliche 
Schulelemente  sein  können  und  dürfen  und  sollen.  Er  wird 
vollends  nun  nie  begreifen,  wie  ein  Künstler  von  Begabung  und 
Intelligenz  sich  für  lange  Zeiten  seiner  Entwicklung  bewusst 
in  die  Anschauungs-  und  Materialwelt  eines  Vorbildes  versetzen 
und  sich  wenig  daraus  machen  kann,  den  Kern  des  eigenen 
Wesens  in  einer  auch  dem  kritisierenden  Herrn  in  Berlin  oder 
sonstwo  alsbald  unverkennbaren  Art  ,, original",  ,, selbständig", 
als  „ein  echter  X"  zu  offenbaren.  Er  weiss  nicht,  dass  das, 
was  gerade  in  den  Zeiten  der  grossen  Meister  immer  der  Fall 
war,  unter  den  heutigen  Bedingungen  für  Deutschland  um  so 
mehr  der  Fall  sein  musste,  als  wir  niemanden  hatten,  von  dem 
wir  malen  lernen  konnten,  oder,  weil  wir  kritisch  genug  waren, 
nichts  lernen  wollten  da,  wo  wir  sollten,  und  einsichtsvoll 
genug,  um  zu  sehen,  dass  von  den  paar  grossen  Deutschen, 
die  in  Betracht  kamen,  noch  nicht  zu  lernen  war,  weil  uns 
technisch  die  Vorbedingungen  fehlten  (Leibl),  oder  weil  die 
Anschauung,  der  Stil  des  Meisters  noch  ausserhalb  der  als 
notwendig  erkannten  Grenzen  der  Aufgabe  lagen  (Marees). 
Dass  Liebermann,  der  einzige  Maler  in  Deutschland,  von  dem 
heute  in  Anschauung  und  Materialsprache  etwas  gelernt  werden 
kann,  erst  jetzt  anfängt,  einige  ,, Schüler"  in  diesem  Sinn  zu 
haben,  ist  doch  ebensowenig  ein  Zufall  und  erklärt  sich  nur 
aus  dem  Umstand,  dass  er,  der  selber  viel  und  immer  richtig 
gelernt  hat,  heute  eine  nur  ihm  eigene  Grösse  der  malerischen 
Anschauung  besitzt  und  der  Welt  der  Mittel  eine  von  keinem 
besessene  Kraft  und  Freiheit  des  Ausdrucks  als  neues  Gut  hinzu- 
gefügt hat,  das  wahrhaftes  Erziehungselement  sein  kann.  (Ich 
hoffe,  deutlich  genug  gewesen  und  daher  vor  dem  Verdacht 
geschützt  zu  sein,  als  verstünde  ich  unter  ,, Lernen"  das  Schema- 
tisieren und  Vergröbern  der  komplizierten  und  in  jedem  Fall 
anders  geordneten  Mittel  eines  Meisters,  wie  es  eine  Anzahl 
westöstlicher-inskis  und  -inskas  mit  Cezanne  treiben.  —  Re- 
barbarisierung!) 


46  EMIL  RUDOLF  WEISS 

Über  die  andere  Tatsache  nun,  dass  deutsche  Galerieleiter 
zu  viele  französische  Bilder  kauften,  wäre  kurz  zu  sagen,  dass 
ihnen  nicht  dies  Faktum  zum  Vorwurf  gemacht  werden  soll, 
sondern  eher,  dass  sie  sich  nicht  früher  das  notwendige  Ver- 
ständnis für  diese  Bilder  erworben  haben,  die  sie  jetzt  teuer 
bezahlen,  wenn  sie  vom  Privatsammler  oder  vom  Händler 
kaufen.  —  Wo  ist  der  Galeriedirektor,  der  die  Einsicht  und  den 
Mut  hatte,  sich  vor  zehn,  fünfzehn  Jahren  die  van  Goghs  und 
die  Cezannes  um  viel  weniger  Hunderte  zu  kaufen,  als  er  jetzt 
gezwungen  Tausende  bezahlt,  auf  die  Gefahr  hin,  die  Bilder 
zehn  Jahre  im  Depot  zu  lassen,  bis  die  Zeit  ihrer  Durchsetzung 
kam?  Wo  war  er,  als  das  teuerste  Bild  van  Goghs  1500  Frcs., 
der  teuerste  Cezanne  etwa  gerade  so  viel  kostete?  als  man 
Zeichnungen  van  Goghs  zu  100  Frcs.,  Zeichnungen  von  Guys 
zu  20  Frcs.  kaufte? 

Der  Unterschied  in  den  Preisen  von  damals  und  heute  ist  bei 
Manet  oder  Renoir  nicht  viel  geringer,  wenn  sich  die  Preise 
auch  schon  längere  Zeit  auf  einem  höheren  Niveau  bewegen. 
Das  Folkwangmuseum  in  Hagen  i.  W.  —  Eigentimi  eines 
Privatmannes!  —  konnte  noch  vor  wenigen  Jahren  eines  der 
grössten  und  herrlichsten  Werke  Renoirs  —  dem  Leibl  seine 
Bewunderung  nicht  versagt  hätte!  —  für  einen  Preis  erwerben, 
der  heute  um  das  Dreifache  überboten  würde.  Ist  der  Rang 
dieser  Kunst  —  und  das  letzte .  Stückchen  des  letzten  ,, Atelier- 
restes" von  Manet  oder  Renoir  oder  Cezanne  hat  ein  Stück 
der  Qualität  der  Kunst  und  einen  Hauch  des  Geistes  seines 
Meisters  — ,  ist  der  einmal  erkannt,  dann  ist  es  natürlich  vorbei 
mit  dem  billig  kaufen.  Das  war  mit  den  grossen  Deutschen 
nicht  anders,  mit  Leibl,  mit  Menzel.  Wenn  Vinnen  Bilder  von 
van  Gogh  ,, flüchtige  Studien"  nennt  und  sich  empört,  dass 
man  dafür  30 — 40  000  Mark  zahlt,  so  beweist  er  damit,  dass 
er  die  Malerei  van  Goghs  nicht  begriffen  hat.  Van  Gogh  hat 
niemals  eine  ,, Studie"  (was  der  Maler  so  nennt)  gemalt  und 
vor  allem  niemals  eine  ,, flüchtige",  und  hätte  er  das  Bild  in 
zwanzig  Minuten  gemalt.  —  Wenn  Vinnen  anderseits  erzählt, 
dass  das  neue  Museum  in  Posen  die  ganze  für  das  erste  Jahr 


EMIL  RUDOLF  WEISS 


zur  Verfügung  stehende  Ankaufssumme  für  die  Erwerbung 
eines  Bildes  vonMonet  ausgab*),  so  hat  er  recht,  dies  zu  tadehi. 
Man  hätte  in  Posen  zu  dieser  Summe  nach  einem  Jahr  die 
gleiche  hinzufügen  sollen  und  sich  statt  eines  Bildes  von  einem 
in  zweiter  Linie  stehenden  Maler  lieber  einen  Renoir  kaufen 
sollen,  der  auf  zwei  Ouadratzentimetem  Hintergrund  mehr  Kunst 
aufbringt,  als  der  ganze  Monet  jemals  besass.  (Was  nicht  wider- 
legt wird  durch  die  Tatsache,  dass  Monet,  solange  er  im  Bann 
Manets  malte,  wimderschöne  Sachen  gemacht  hat,  Dinge,  die 
man  als  beste  Schulbilder  bezeichnen  kann,  wie  z.  B.  das  eben 
von  der  Galerie  in  Bremen  erworbene  Bildnis  einer  Dame,  für 
das  auch  Vinnen  gestimmt  hat.)  Oder  man  hätte  vielleicht  in 
Posen  mit  leuchtendem  Beispiel  vorangehen  und  als  erste 
deutsche  Galerie  ein  Bild  von  Delacroix  erwerben  sollen,  einem 
Genie,  dessen  Stunde  in  Deutschland  noch  nicht  gekommen 
ist,  die  aber  so  gewiss  kommt,  wie  die  Manets  gekommen  ist. 
Können  doch  bei  ihm  sogar  die  alle,  die  bei  den  Impressionisten 
vergeblich  nach  dem  ganzen  Gefühls-  und  Gedankenbilderbuch 
suchen,  alles  finden  —  und  wenn  sie  ihn  auch  nur  missver- 
stünden! — 

Es  ist  Fälschung  der  öffentlichen  Meinung  und  durch  nichts 
zu  rechtfertigen,  wenn  Vinnen  die  Bezeichnung  ,,Alte  Atelier- 
reste" (und  ähnhche)  allgemein  gesprochen  auf  Dinge  an- 
wendet, für  deren  Ideinsten  Teil  sie  anwenden  zu  dürfen,  er 
den  Beweis  erst  erbringen  müsste.  Wenn  er  die  Bezeichnung 
,,alte  französische  Überbleibsel"  nun  gar  einem  ,, bekannten 
Pariser  Maler  von  Weltruf"  in  den  Mund  legt,  so  wird  die 
Dummheit  dadurch  nicht  klüger,  dass  sie  auch  von  einem 
französischen  Vinnen  ausgesprochen  wird.  Es  ist  bekannt 
genug,  dass  das  offizielle  Frankreich  die  grosse  Kunst  seines 
19.  Jahrhunderts  gar  nicht  würdigt,  ,,so  wenig  wie  das  in  Deutsch- 
land geschah  oder  geschieht".  Die  Academie  des  beaux  Arts 
hat  einen  Protest  an  den  Minister  geschickt,  als  seinerzeit  der 
Maler  Caillebotte  seine  kostbare  Sammlung  impressionistischer 
Bilder  dem  Staat  vermachte,  die,  in  frühen  Jahren  zusammen- 

*)  Cf.  den  Beitrag  Direktor  Kaemraerers  in  diesem  Heft.     D.  Red. 


48  EMIL  RUDOLF  WEISS 

gebracht,  Bilder  enthält,  die  weder  der  deutsche  noch  der 
französisch©  Vinnen  als  ,, Überbleibsel"  wird  ansehen  können, 
es  sei  denn,  er  sei  der  Ansicht,  die  Ateliers  Manets,  Renoirs, 
Degas',  Monets  etc.  hätten  überhaupt  nur  ,, Überbleibsel" 
enthalten.  Dies  Schauspiel  hat  sich  ganz  vor  kurzem  wieder- 
holt, als  die  Sammlung  des  Grafen  Camondo,  die  an  Be- 
deutung die  Sammlung  Caillebotte  eher  noch  überragt,  dem 
Louvre  einverleibt  werden  sollte.  Die  Academie  hat  protestiert. 
Was  soll  sie  schliesslich  auch  anderes  tun?  Man  hat  doch 
seinen  Standpunkt!  —  Wenn  es  nun  einem  Galerieleiter  kaum 
als  besonderes  Verdienst  angerechnet  werden  kann,  dass  er 
schliesslich  auch  einsieht,  dass  ein  Manet  besser  ist  als  ein 
Stück  deutsches  Ölgemäldelinoleum,  ist  es  dann  nicht  immer 
noch  besser,  er  holt  das  Versäumte  in  elfter  Stunde  nach  und 
zahlt  die  hohen  Summen  für  Werke,  deren  Wert  die  Speku- 
lation nicht  schafft  —  wenn  sie  sie  auch  zu  Zeiten  treiben  kann  — , 
sondern  die  Übereinstimmung  des  Urteils  der  besten  Kenner 
—  als  noch  länger  zu  warten,  bis  das  Bedeutendste  in  Privat- 
sammlungen festgelegt  ist,  oder  bis  etwa  eine  Auktion  einer 
solchen  die  Gelegenheit  bietet,  zu  noch  höherem  Preis  zu  kaufen 
oder  den  Bildern  nachzusehen,  wie  sie  nach  Amerika  verschwin- 
den. Ereifert  man  sich  über  die  Anlegung  zu  hoher  Summen 
von  Staatsgeldern  für  diese  Bilder,  was  sagt  man  dann  zu  den 
Kunstgewerbemuseen,  die  irgend  einen  alten  Zinnkrug,  über 
den  irgendein  Jongleur  der  Renaissance  den  ganzen  Inhalt 
der  Rumpelkammer  von  Ornamentmotiven  seiner  Zeit  ausge- 
schüttet hat,  für  viele  Tausende  an  sich  zu  bringen  stolz  sind? 
So  ein  rechtes  ,, Museumsstück"  (zu  deutsch  meist  ein  ,, Mon- 
strum"), das  keinem  lebendigen  Auge  etwas  sagt,  niemand 
nutzt,  niemand  mit  etwas  Lebendigem  belebt,  das  niemand 
ansieht  ausser  dem  gelehrten  Spezialisten?  die  —  aus  irgend 
welchen  historischen  oder  sonst  welchen  Gründen,  die  jedem 
Menschen  ausser  dem  ,, Fachgelehrten"  (o,  über  die  Fachge- 
lehrten!) fremd  und  gleichgültig  sind,  zu  dem  vorhandenen 
Dutzend  maurischer  oder  irgend  anderer  Schüsseln  (mit  und 
ohne  Lüster)  für  schweres  Geld   die    dreizehnte   kaufen?    die 


EMIL  RUDOLF  WEISS  —  CURT  HERRMANN  49 

auf  Auktionen  Tausende  zahlen  für  die  eine  oder  andere 
Nymphenburger  Porzellanfigur  —  um  noch  das  schönste  und 
künstlerischste  zu  nennen !  — ,  die  der  Privatsammler  —  wieder 
er!  —  vor  zehn  Jahren  für  ein  paar  Mark  kaufte,  als  es  für  die 
Museen  Nymphenburg  noch  nicht  gab,  so  wie  es  heute  die 
bürgerliche  Kunst  und  das  Gewerbe  des  19.  Jahrhunderts  für 
sie  noch  nicht  gibt  ?  (Anfänge  in  Hamburg  und,  sehr  viel  besser, 
in  Magdeburg,  ausgenommen.)  —  Ist  es  nicht  gerade  immer 
das  Unglück  gewesen,  dass  für  die  Museen  die  Historie  immer 
nur  bis  vorgestern  geht,  besten  Falles  bis  gestern?  Ist  aber 
nicht  die  Aufwendung  von  Summen,  die  im  Augenblick  über- 
trieben erscheinen,  für  das  lebendige  Gut,  wäre  sein  Wert  noch 
so  umstritten  und  käme  es  in  Wahrheit  auch  nur  einer  Gene- 
ration zugute,  nicht  besser,  als  ihre  Anlegung  in  Dingen,  die 
wohl  mehr  oder  weniger  künstlerisch  sind,  aber  niemals  zum 
Gegenstand  eines  ähnlichen  Kampfes  um  ihren  Besitz  gemacht 
werden  dürfen,  wie  er  um  die  grössten  Werke  der  hohen  Kunst 
geführt  wird! 

Seien  wir  also  dankbar,  dass  die  recht  späte  Einsicht  der 
beschimpften  deutschen  Galerieleiter  gerade  noch  rechtzeitig 
genug  kam,  um  die  augenblickliche  Lage  zur  Erwerbung  so 
vieler  bedeutender  und  charakteristischer  Werke  der  grossen 
Franzosen  auszunützen,  als  irgend  zu  bekommen  waren.  Ach! 
sich  vorzustellen,  die  ,,Arlesienne"  von  van  Gogh  oder  der 
„Mardi  gras"  von  Cezanne,  der  „Sardanapal"  von  Delacroix 
oder  der  ,,Desboutin"  von  Manet  hingen  eines  Tags  in  der 
Nationalgalerie!  —  Und  den  jüngeren  und  jüngsten  deutschen 
Malern  werden  Vinnen  und  die  Kritik,  die  aus  dem  Chaos  der 
Secessionen  noch  kein  Resultat  entstehen  sehen,  allerdings  den 
Wechsel  auf  die  Zukunft  noch  ein  bisschen  prolongieren  müssen. 

Berlin.  Emil  Rudolf  Weiss. 

T~^ie  Zustimmungen,  die  Herr  Vinnen  auf  seinen  Protest  er- 

halten  hat,  zeigen  neben  einigen  Ansichten,  denen  man 

beistimmen  kann,  in  ihrer  grossen  Mehrzahl  eine  bedenkliche 

4 


50  CURT  HERRMANN  —  PAUL  BAUM 

Verständnislosigkeit  für  die  künstlerischen  Fragen  der  Zeit,  die 
ihren  Urhebern  bald  zum  Bewusstsein  kommen  und  ihnen  den 
Seufzer  entlocken  dürfte:  si  tacuisses,  philosophus  fuisses. 

Es  ist  sehr  leicht  und  billig,  diejenigen  deutschen  Künstler, 
welche  die  neuen  Wege  der  Kunst  mitgehen,  Nachahmer  der 
Franzosen  zu  nennen,  ohne  selbst  den  Mut  zu  haben,  die  mo- 
dernen Probleme  und  Erkenntnisse  der  Malerei,  die  allerdings 
nicht  auf  der  Oberfläche  liegen,  sondern  ein  tiefes  Sichver- 
senken in  das  innerste  Wesen  der  Kunst  verlangen,  auf  ihren 
Wert  zu  prüfen.  Für  ernsthafte  Künstler  handelt  es  sich  niemals 
um  Nachahmen,  sondern  um  Mitarbeiten  an  künstlerischen 
Problemen,  die  sie  als  richtig  erkannt  haben,  und  dass  die 
Arbeiten  dieser  Künstler  vieles  Gemeinsame  haben  müssen, 
liegt  auf  der  Hand.  Neidlos  müssen  wir  anerkennen,  dass 
französische  Künstler  diese  Probleme  vor  uns  ernsthaft  ange- 
schnitten haben;  jetzt  müssen  wir  ihre  Weggenossen  sein,  wenn 
wir  auch  vorläufig  noch  ein  gut  Stück  hinter  ihnen  zurück- 
bleiben. Selbst  in  den  extravagantesten  Studien  und  Versuchen 
der  jüngsten  Richtungen  sind  noch  immer  deutlich  erkennbare 
Probleme  bearbeitet,  die  ausreifen  müssen,  wenn  wir  endlich 
zu  einem  reinen  und  grossen  Stü  der  Malerei  kommen  wollen. 
Ganz  überflüssig  scheint  es  mir,  über  gewisse  Auswüchse  sich 
aufzuregen,  die  ganz  von  selbst  verschwinden  werden.  Den 
ernsthaften  Streitern  aber  im  Ringen  um  die  Kunst  gönne  man 
die  Anerkennung  und  Mitarbeit  verständiger  Männer  der  Kunst- 
wissenschaft und  Kritik  —  es  sind  verschwindend  wenige  im 
Verhältnis  zu  dem  Heer  von  verständnislosen  Tadlem,  die  nichts 
als  Hohn  und  Spott  haben  für  ein  schweres  und  tiefes  geistiges 
Ringen,  das  ihrem  eigenen  Begriff svermösen  viel  zu  hoch  ist. 

Berlin.  Gurt  Herrmann. 


13echne  mich  absolut  zu  Ihrer  Protest-Partei. 

St.  Anna  ter   Mulden  by  Sluis.  Paul  Baum. 


OTTO  HETTNER 


51 


T  jas,  was  uns  von  vornherein  von  Herrn  Vinnen  und  den 
^'^  meisten  seiner  Anhänger  scheidet,  ist  eine  andere  Aut- 
fassung der  französischen,  vielleicht  überhaupt  der  Kunst. 
Die  Broschüre  ist  gespickt  mit  Ausdrücken  und  Beteuerungen, 
die  ein  oberflächliches  oder  gar  kein  Verständnis  und  so  trotz 
gegenseitiger  Versicherungen  einen  reaktionären  Standpunkt 
zeigen.  Es  handelt  sich  also  darum,  diesen  zu  widerlegen  und 
festzustellen,  was  uns  die  französische  Kunst  bedeutet  und  dass 
uns  durch  sie  der  Begriff  dessen,  was  Kunst  ist,  geläutert  und 
rein  zurückstrahlt. 

Der  bildende  Künstler  befasst  sich  nur  sekundär  mit  einer 
historischen  Kunstbetrachtung.  Ihm  kommt  es  zunächst  auf 
die  Resultate  und  deren  Zukunftsmöglichkeiten  an.  Nachdem 
wir  im  Louvre  unserer  im  Anfang  etwas  frostigen  Anschauung 
der  italienischen  und  holländischen  Malerei  neue  Dokumente 
hinzugewonnen  hatten,  standen  wir  vorerst  etwas  unvermittelt 
vor  den  älteren  Franzosen.  Es  drängte  uns  nach  der  neuen 
Kunst,  derentwegen  wir  nach  Paris  kamen.  Als  ich  dort  ankam, 
waren  Cezanne,  van  Gogh,  Gauguin  noch  unzugänglich.  Monet 
und  seine  Genossen  waren  die  erste  Begeisterung.  Wir  be- 
trachteten Manet  damals  mit  einer  gewissen  Kälte,  da  wir  ihn 
uns  stärker  farbig,  mehr  als  das,  was  w  i  r  im  Impressionismus 
suchten,  vorgestellt  hatten.  Er  wurde  uns  erst  erschlossen,  als 
wir  ihn  schon  etwas  als  Vorgänger  ansahen:  dann  erkannten 
wir  rasch  seine  prädominierende  Grösse.  Puvis  war  uns  in  der 
Zeit  eine  innige  Verehrung.  Er  stand  uns  nahe  durch  seine 
geistige  Verwandtschaft  mit  den  deutschen  Römern,  erschien 
uns  aber  in  stärkerem  Zusammenhange  mit  der  Naturanschauung, 
die  uns  bewegte  (Marees  war  damals  fast  verborgen).  Er  brachte 
uns  Poussin  ganz  nahe,  wie  Monet  den  Claude  Lorrain.  Von 
diesem  hatten  uns  Kupferstiche  einen  falschen,  verknöcherten 
Begriff  gegeben.  Durch  diese  falsche  Auffassung  war  einst  die 
heroische  Landschaft  der  Deutschen  entstanden.  Als  uns  dann 
später  van  Gogh,  Gauguin,  Cezanne  zugänghch  wurden,  war  die 
Brücke  zu  Delacroix,  Daumier,  Chardin  geschlagen.    Die  Kreise 


52  OTTO  HETTNER 


zogen  sich  weiter  und  weiter.  Die  treibenden  Faktoren  in  den  alten 
Meistern,  die  keimreichen  Zusammenhänge  offenbarten  sich. 
Delacroix  gab  uns  den  Schlüssel  zu  Rubens  und  Tizian,  die 
Spanier  erstanden  durch  Manet,  Veronese  durch  Cezanne  usw. 
Die  deutsche  Malerei  hatte  uns  den  Geist  der  älteren  Kunst 
nicht  lebendig  machen  können,  da  sie  niemals  deren  Weiter- 
bildung versucht  hat,  sondern  ist  stets  an  der  Formel  kleben 
geblieben  und  in  Nachahmung  des  Unwesentlichen  verfallen. 
—  Ich  beanspruche  durchaus  nicht  das  geistige  Privateigentum 
dieser  Ausführung.  Das  persönliche  Erlebnis  soll  ein  Beitrag 
sein,  um  die  Richtigkeit  der  Ausführungen  Meier- Graef es  zu  be- 
stätigen. (,,Der  Wert  der  französischen  Kunst"  in  seinem  Buche 
„Impressionisten".)  —  Wir  sahen  nun,  dass  wir  uns  vor  einem 
Organismus  befanden,  der,  mit  Poussin  beginnend,  in  ununter- 
brochener Kontinuität  bis  zu  den  Zeitgenossen  gebaut  ist  und 
heute  von  den  Jüngsten  weitergebaut  wird,  dass  sich  dieser 
Organismus  in  den  des  Kunstschaffens  aller  Zeiten  auf  das 
Wunderbarste  einfügt  und  so  den  Beweis  seiner  Berechtigung 
und  seiner  Universalität  in  sich  trägt.  Dies  macht  aus  der 
französischen  Kunst  eine  der  grossen  Perioden  der  Geschichte 
und  gibt  ihr  eine  gleiche  Bedeutung,  wie  die  italienische 
Renaissance,  die  Gotik,  die  holländische  Malerei  (auch  diese 
charakterisiert  ein  freies  Verständnis  vergangener  Kunst- 
perioden), eine  gleiche  Bedeutung,  und  wie  diese  eine  Welt- 
anschauung. 

Der  feste  Zusammenhang  der  französischen  mit  anderen 
grossen  Kunstperioden  bringt  es  mit  sich,  dass  deren  Anbauten 
auch  in  ihnen  zu  finden  sind.  Mein  Satz  wird  also  durch  Be- 
ziehungen z.  B.  mit  Rembrandt  und  Grünwald  bestätigt.  — 
Das  Wesentliche  ist,  dass  diese  Weltanschauung  den  Begriff 
vom  Inhalt  des  Kunstwerkes  fest  in  dessen  eigene  Grenzen  legt. 
Dessen  Mittel :  Farbe  und  Form,  sind  in  ihr  die  ausschliesslichen 
Faktoren  geworden,  die  seelische  Erregung  und  den  seelischen 
Kontakt  zu  erwecken.  Um  diese  Anschauung  der  Malerei  dem 
Verständnis  näher  zu  rücken,  wurde  der  Satz  geformt,  jedes 
Bild  habe  wie  ein  Stilleben  gemalt  zu  sein,  das  Stilleben  sei 


OTTO  HETTNER  53 


der  beste  Prüfstein  für  eine  malerische  Leistung,  da  bei  ihm 
Interesse  an  dem  ausserhalb  der  Malerei  stehenden  Inhalte  aus- 
geschlossen sei.  Nur  Missverständnis  oder  kleinliche,  allzu- 
wörtliche Auffassung  kann  sich  dagegen  auflehnen.  Die  in  der 
Phraseologie  unserer  Kunstdebatten  viel  gebrauchten  Begriffe: 
Stimmung,  Phantasie,  Gemüt  kommen  dabei  nicht  zu  kurz. 
Die  sie  erweckenden  Faktoren  sind  nur  nicht  die  Tatsachen, 
dass  z.  B.  in  einem  Boote  ein  Harfner  sitzt,  ein  Zentaur  durch 
ein  Gewässer  schreitet,  eine  junge  Frau  ein  Fenster  geöffnet 
hat  und  sich  an  der  Morgensonne  erfreut,  sondern  sind  die 
Tatsachen,  dass  Färb-  und  Formharmonien  gegeben  werden, 
die  adäquate  Gefühle  erwecken.  Während  im  anderen  Falle 
der  Beschauer  sich  sehr  rasch  an  das  Vorhandensein  der  gegen- 
ständlichen Träger  eines  seelischen  Ausdrucks  gewöhnen  und 
diese  allmählich  als  alltäglich  hinnehmen  wird,  werden  in  dem 
zweiten  stets  die  Gefühle  wieder  neu  in  ihm  lebendig,  denn  sie 
bilden  die  Existenz  selber  des  Kunstwerkes,  sind  der  Inhalt 
seiner  Harmonie,  seiner  konstruktiven  Idee,  jeder  Fleck  des 
Budes  ist  davon  voll  und  ihretwegen  so  vorhanden,  —  Im  An- 
fang wurde  der  Gegenstand  gemalt.  Er  wurde  auf  irgend  welchen 
Hintergrund  gestellt.  Dann  ward  er  in  seine  Zusammengehörig- 
keit mit  der  Umgebung  als  eine  Harmonie  bildend  gerückt. 
Die  weiteren  Bestrebungen  sind,  die  Harmonie  als  solche  zum 
Selbstzweck  zu  machen,  Dass  dann  mehr  und  mehr  die  realen 
Tatsächlichkeiten  verschwinden  müssen,  liegt  im  Sinne  der 
Bestrebung.  Es  ist  innerlich  bedingt,  dass  dann  manches  fällt, 
was  ,,man"  „Können"  nennt,  und  die  malerischen  Mittel  anders 
und  freier  werden. 

Es  scheint,  dass  im  Wechsel  der  Zeiten  die  verschiedenen 
Erkenntnisformen  der  Weltanschauung  von  einer  Rasse,  einer 
Nation  an  andere  überliefert  werden.  Die  Philosophie  ging  über 
Italien  und  Frankreich  nach  Holland,  England  und  schliesslich 
ganz  nach  Deutschland,  die  Musik  nach  vorbereitenden  Perioden 
in  allen  wichtigen  Kulturländern  nach  Italien  und  schliesslich 
sieghaft  nach  Deutschland,  die  bildende  Kunst  wurde  nach  der 
nordischen  Gotik  von   Italien  übernommen,  dort  die  Begriffe, 


54  OTTO  HETTNER 


die  die  Malerei  und  Skulptur  nicht  nur  als  Hilfsmittel  der 
Architektur,  sondern  als  deren  Schwesterkunst  erscheinen 
lassen,  ausgebildet,  von  dort  her  von  neuem  Deutschland, 
Spanien  und  die  Niederlande  befruchtet,  bis  Frankreich  die 
Mission  übernahm.  So  wie  Deutschland  die  der  philo- 
sophischen und  musikalischen  Erkenntnisform  in  unserer  Zeit 
vertritt,  vertritt  Frankreich  die  der  bildenden.  Philosophisches 
Denken  und  musikalische  Vertiefung  wird  nach  der  in  Deutsch- 
land geschaffenen  Erkenntnis  gerichtet  —  im  doppelten  Sinne 
des  Wortes  — ,  die  bildende  Kunst  wird  es  nach  Frankreich. 
Die  Architektur  scheint  allmählich  wieder  in  germanische 
Domäne  überzugehen.  Vielleicht  folgen  ihr  die  Schwesterkünste 
nach,  da  die  Architektur  die  Vorbedingung  zu  deren  monu- 
mentaler Ausgestaltung  ist. 

Die  nationalen  Eigentümlichkeiten  geben  einer  Welt- 
anschauung höchstens  Varianten.  In  dem  Lichte  ist  auch  die 
deutsche  bildende  Kunst,  die  im  XIX.  Jahrhundert,  nach 
dem  gänzlichen  Zusammenbruch  im  XVII.,  entstand,  zu 
betrachten,  wenn  man  deren  Entwicklung  nicht  aus  der  ganz 
rückständigen  Auffassung  beurteilen  mag,  die  ihre  Linie  von 
den  Nazarenern  über  Piloty  zu  der  offiziellen  Berliner  Malerei 
zieht,  sondern  wir  uns  vielmehr  auf  den  Standpunkt  stellen,  den 
die  Jahrhundertausstellung  anzeigt.  Es  ist  wichtig  zu  beachten, 
dass  bei  dieser  Gelegenheit  ein  grosser  Teil  der  älteren  Maler,  die 
wir  heute  als  unseren  festen  Rückhalt  ansehen,  erst  ausgegraben 
und  allgemein  bekanntgeworden  sind :  Runge,  Friedrich,  Blechen, 
Wasmann,  WaldmüUer.  Die  anderen:  Rethel,  Feuerbach, 
Marees,  Menzel,  Leibl  wurden  da  erst  in  den  rechten  Zusammen- 
hang gerückt.  Es  sind  die  Maler,  aus  denen  die  Weltanschauung, 
die  uns  die  französische  Kunst  zu  gewinnen  befähigte,  strahlt. 
Während  sie  dort  aber  als  reines  Kristall  hervortritt,  haben 
wir  sie  mühsam  aus  den  Schlacken  herausbuddeln  müssen. 
Wir  stehen  unter  dem  melancholischen  Eindruck,  dass  der  all- 
gemeine Zug  der  Anschauung  auf  anderen  aussichtslosen  Wegen 
ging  imd  dass  viele,  auch  grosse  Begabungen,  die  schön  ein- 
setzten, sich  auf  diesen  verloren  haben.    Diese  Einsicht  lehrt. 


OTTO  HETTNER  55 


dass  ein  Aufgeben  des  Anschlusses  an  die  französische  Kunst 
uns  zunächst  stets  wieder  in  Sackgassen  führen  würde. 

Es  handelt  sich  um  ein  Einsehen  der  treibenden  Gedanken. 
Die  grossen  Begabungen  entwickeln  sie ;  es  ist  natürlich,  dass  die 
Kleinen,  deren  Befähigung  sie  nicht  über  die  Grenzen  zum  freien 
Schaffen  hinausführt,  in  Nachahmung  der  äusseren  Form  stecken 
bleiben.  Dadurch  aber,  dass  sie  sich  an  die  lebende,  werdende 
Kunst  anschliessen,  beweisen  sie  sicher  eine  freudigere  Gesinnung, 
als  wenn  sie  Pappelalleen  in   einen  Zypressenhain  umdichten. 

Um  den  Anschluss  zu  erhalten,  ist  die  erste  Bedingimg, 
dass  wir  so  viel  wie  möglich  der  grossen  französischen  Werke 
in  unseren  Besitz  bringen.  Es  ist  ein  schönes  Zeichen  einer 
grosszügigen  nationalen  Gesinnung,  dass  ein  zur  Hebung  des 
Deutschtums  gegründetes  Museum  als  ersten  Ankauf  einen 
französischen  Meister  erwirbt. 

Da  jede  grosse  Linie  in  der  verkleinernden  des  Snobismus 
karikiert  wird,  ist  es  kein  Wunder  und  kein  aufregendes  Symp- 
tom, wenn  einige  unwichtige  und  minderwertige  Bilder  aus 
dem  Ausland  zu  uns  kommen.  Gewiss  ärgert  uns  das.  Gesunder 
Konkurrenzneid.  (Auch  dmmne  Ankäufe  deutscher  Bilder 
ärgern  uns.)  Da  sich  sehr  natürlich  mit  dem  ideellen  Werte 
ein  materieller  verbindet,  erscheint  das  Prädikat  „französisches 
Büd"  an  sich  eine  Kapitalsanlage  sicherer  zu  stellen.  Dass 
aber  in  den  meisten  Fällen  „Atelierkehricht"  und  „Über- 
bleibsel" zu  uns  kämen,  ist  eine  unrichtige  Behauptung.  Wir 
besitzen  in  der  Tat  eine  grosse  Zahl  der  bedeutendsten  Werke 
der  grössten  französischen  Meister.  Irgend  ein  französischer 
Kunstkenner,  ich  glaube  Druet,  hat  irgendwo  gesagt,  um 
später  einmal  die  französische  Malerei  des  XIX,  Jahr- 
hunderts studieren  zu  können,  müsse  man,  ebenso  wie  schon 
jetzt  zum  Studium  des  XVIII. ,  neben  dem  französischen 
den  deutschen  Besitz  in  erster  Linie  kennen. 

Der  Bestand  dieser  Meisterwerke  hat  unser  Stolz  zu  sein,  wie 
unser  Bestand  an  griechischen,  italienischen,  niederländischen,  — 
ein  Kulturfaktor,  unserem  Schaffen  ein  Massstab. 
Berlin.  Otto  Hettner. 


56  ROBERT  BREYER  —  HERMANN  STRUCK 

Tch  bin  dafür,  dass,  solange  unsere  staatlichen  Galerien  keine 
-*-  Versorgungsanstalten,  sondern  Stätten  hohen  Genusses  sein 
werden,  darin  nur  das  Beste,  was  als  Vorbild  dienen  kann,  ohne 
Rücksicht  auf  Nation  und  Geldmittel,  aufgestellt  werden  soll. 
Denn  wahre  Kunst  ist  Weltbesitz  und  darum  unbezahlbar. 
Dann,  dass  die  Jugend  sich  am  meisten  auf  das  verlässt,  was 
sie  selbst  in  sich  hat.  Das  Alter,  unter  dem  Vorwande,  ihr  das 
Handwerk  beizubringen,  wärmt  sich  oft  nur  die  starren  Hände 
an  ihren  besten  Säften. 

Und  zum  Schlüsse:  Möchten  doch  die  Deutschen  recht 
bald  zu  einer  solchen  künstlerischen  Höhe  steigen,  dass  eine 
kräftige  Spekulation  und  Organisation  sie  in  alle  Länder  der 
Erde  zu  tragen  für  wert  hält. 

Berlin.  Robert  Breyer. 


/jbgleich  ich  der  Meinung  bin,  dass  bei  papierenen  Protesten 
^-^  und  Gegenprotesten  für  die  Kunst  nicht  viel  heraus- 
kommt und  ich  persönlich  meine  Ansicht  für  ganz  unmassgeb- 
lich halte,  so  scheint  mir  die  Angelegenheit,  da  sie  in  Künstler- 
kreisen etwas  Staub  aufgewirbelt  hat,  doch  eine  Gegenäusserung 
zu  erfordern. 

Die  Ausführungen  des  Herrn  Karl  Vinnen  sind  so  nebel- 
haft und  verschwommen,  dass  es  schwer  ist,  ihn  zu  wider- 
legen. Wenn  er  von  einer  sinnlosen  Nachahmung  Cezannes 
spricht,  so  wird  ein  jeder  Einsichtige  der  Verurteilung  dieses 
Treibens  beistimmen,  wie  ja  auch  verschiedene  hervorragende 
Maler  vor  Herrn  Vinnen  sich  bereits  in  diesem  Sinne  geäussert 
haben.  Klagt  er  aber  über  die  übergrosse  Einfuhr  französischer 
Kunstwerke,  so  hat  er  sich  inzwischen  ja  von  fachmännischer 
Seite  überzeugen  lassen  müssen,  dass  er  in  etwas  oberflächlicher 
Weise  urteilte,  ohne  sich  gründlich  zu  informieren. 

Da  nicht  jeder  Maler  in  der  Lage  ist,  nach  Paris  zu  gehen, 
und  Düsseldorf  nun  einmal  nicht  mehr  an  der  Spitze  der  Kunst 
marschiert,  so  müssen  wir  denjenigen  Männern,   die  uns  im 


HERMANN  STRUCK  —  TH.   VON  BROCKHUSEN  57 

Laufe  des  letzten  Jahrzehnts  mit  einer  grossen  Reihe  hervor- 
ragender ausländischer  Kunstwerke  bekannt  machten,  von 
Herzen  dankbar  sein.  Dass  hierbei  ab  und  zu  auch  minder- 
wertige Werke  mit  unterlaufen,  ist  begreiflich  und  verzeihlich, 
denn  Irren  ist  menschlich,  und  der  Geschmack  wird  eben  so 
lange  verschieden  bleiben,  bis  der  dem  Empfinden  des  Normal- 
menschen entsprechende  ,, Massstab  für  das  Wahre  und  Schöne" 
in  der  Kunst  gefunden  sein  wird. 
Berlin.  Hermann  Struck. 


T  Tnter  dem  Vorwand,  gegen  den  Handel-Ankauf  französischer 
^-^  Bilder  zu  schreiben,  freut  sich  Herr  Vinnen  darüber, 
sich  selber  zu  widersprechen,  um  ganz  unparteiisch  zu  er- 
scheinen! Und  dann  freut  er  sich  über  jede  Gelegenheit,  wie 
ein  begnadeter  Prediger  in  der  Wüste  über  die  Sünden  und 
Missetaten  dieser  ,, Jüngeren"  zu  predigen.  — 

Herr  Vinnen  spricht  in  seinem  ,,Was  wir  wollen"  (das  glaube 
ich,  dass  er  gerne  möchte!)  ,,gegen  die  Offiziellen".  Ervergisst, 
dass  er  noch  älter  geworden  ist  in  den  letzten  zwanzig  Jahren, 
lange  schon  zu  den  Offiziellen  und  zu  ihrem    System  gehört. 

Er  übt  eine  Älenge  anmassender  Kritik  —  und  Bevor- 
mundung. 

Um  nun  zu  beweisen,  wie  gut  und  richtig  diese  seine  Kritik 
ist,  enthüllt  er  plötzlich  dem  schaudernden  Leser,  dass  er  — 
Herr  Karl  Vinnen  —  einen  in  Bremen  angekauften  Monet 
sogar  für  gut  50  000  Mark  Wert  hielte. 

Nachdem  er  nun  dadurch  seine  Kunstkennerschaft  bewiesen 
zu  haben  glaubt,  fängt  er  erst  ordentlich  an  und  spricht 
jetzt  von  ,, flüchtigen  Studien"  van  Goghs.  Von  sich  spricht 
er  als  von  einem  Künstler,  der  dabei  ,,drei  Dimensionen"  ver- 
misst,  spricht  von  „alten  Atelierresten  von  Monet,  Sisley, 
Pissarro  usw."      (Das  „usw."  ist  so  hübsch.) 

Ich  glaube  nicht,  dass  Rembrandt  „schlechte  Atelierreste" 
gemalt  hat.  Wer  etwas  davon  versteht,  wird  seine  Klaue  schon 
erkennen. 


58  TH.  VON  BROCKHUSEN 

Herr  Vinnen  scheint  das  kritische  Schuhneister-Zeugnis 
sehr  zu  lieben,  wie :  gut,  besser,  etwas  besser,  Zeichnung:  2  —  3, 
Aufmerksamkeit :  scheint  bei  der  Arbeit  gefehlt  zu  haben  etc.  etc. 

Nun  kommt  ein  neues  Kapitel,  das  hat  Herrn  Vinnen 
scheinbar  am  meisten  Spass  gemacht;  ist  doch  darin  auch  der 
Hauptzweck  seiner  Broschüre,  das  Beschimpfen  der  heran- 
rückenden Generation,  enthalten.  Mit  breitgedruckten  Lettern 
in  Fragestellung  diese  Überschrift: 

,, Worin  liegt  die  grosse  Gefahr  dieser  Ein- 
führung fremder  Kunst,  sobald  die  Spekulation 
sich  ihrer  bemächtigt?"  Das  erinnert  mich  an  den 
Klempnermeister  Kadereit  von  dem  Ostpreussen  Robert 
Johannes.  (Wie  überhaupt  die  ganze  pädagogische  Form 
der  Broschüre  des  Herrn  Vinnen  stark  an  Klempnermeister 
Kadereit  erinnert.)  Kadereit  fängt  auch  damit  an,  einige 
wichtige  Fragen  aufzurollen,  z.  B:  ,,Wie  kocht  man  einen 
delikaten  Grütz?"  Vinnen  spricht  von  Epidermis.  (Dies  Wort 
hätte  Kadereit  bestimmt  so  imponiert,  dass  er  es  auch 
gebraucht  hätte.)  Vinnen  spricht  mit  Pathos  von  „Eigenart 
unseres  Volkes",  die  in  Gefahr  —  als  ob  Leuten,  in  denen 
sich  die  Eigenart  unseres  Volkes  verkörpert,  fremde  Einflüsse, 
dazu  die  besten   fremden,   von  Schaden  sein  könnten. 

Donnerwetter!  —  „Verschwendung  an  Jugendkraft".  Herr 
Vinnen  kennt  die  Jungen  nicht,  ebenso  wenn  er  ihnen  den 
Mangel  eines  fundamentalen  Könnens  vorwirft!  Wie  gütig, 
dass  der  Herr  Oberlehrer  durch  die  Einführung  französischer 
Meister  „eine  grosse  Frische"  in  Berhn  festgestellt  hat.  Dann 
die  fast  biblische  Geschichte  von  der  Quelle  und  dem  Eichen- 
baum; ich  glaube,  man  findet  in  der  Eichenplantage  der 
Jungen  schon  heute  ent\vicklungsfähigere  und  stärkere  Stämme 
als  in  dem  Gärtchen  des  Herrn  Oberlehrers. 

Und  dann  glaube  ich,  dass  man  in  „zwanzig"  Jahren  von 
der  reaktionär,  bunt  illustrativ  photographischen  ,, Kunst" 
dieser  heutigen  Unter-,  Über-  und  Oberlehrer  überhaupt  nichts 
mehr  wissen  wird.  —  Glaube  auch  nicht,  dass  es  unter  den 
Jüngeren  einen  gibt,  der  die  Lehrtätigkeit,  Begabung,  Urteüs- 


TH.  VON  BROCKHUSEN  59 

fähigkeit  etc.  des  Herrn  Vinnen  als  Geschenk  annähme.  Und 
Herr  Vinnen  will  den  Nachwuchs  lehren,  er  sollte  klüger  sein, 
von  ihnen  zu  lernen.  Was  will  Herr  Vinnen  denn  eigentlich 
mit  seinem  dünkelhaften  Hilfslehrerton?  Bessern?  —  Er 
spricht  von  Untergang,  der  Retter! 

Gerade  zur  rechten  Zeit  erscheint  er,  um  auf  den  richtigen 
Weg  zu  führen.  Wäre  es  da  nicht  doch  vielleicht  besser,  wenn 
etwas    ,,verstandesmässige   Reflexion"  dazu  gekommen  wäre? 

Man  sollte  gegen  die  Verausgabung  staatlicher  Gelder 
auf  Auktionen  für  antike,  seltene  Gegenstände  protestieren, 
und  in  den  einzelnen  Museen,  auch  den  für  Kunstgewerbe, 
nicht  zu  lange  auf  Museumsreife  warten. 

Aber  schade,  dass  man  nicht  noch  viel  mehr  Mittel  hat, 
Bilder,  gegen  die  Herr  Vinnen  protestiert,  jetzt  anzukaufen; 
sonst  werden  sie  nach  Jahren  unerschwinglich  werden  und 
man  wird  dann  oft  gezwungen  sein,  wie  heute  für  einen  Rem- 
brandt,  Seltenheitspreise  zu  zahlen. 

Dass  Herr  Vinnen  den  Ankauf  eines  Monet  in  Posen  an- 
greift, ist  nicht  recht  verständlich  bei  seiner  Versicherung  am 
Schluss  der  Broschüre :  „So  müssen  wir  nach  bester  Überzeugung 
kämpfen,  nicht  im  Sinne  rückschrittlicher  Richtungen" !  Warum 
soll  denn  ein  künstlerisch  noch  unverdorbenes  Publikum  Monet 
nicht  verstehen!?  Herr  Vinnen  scheint  doch  etwas  rück- 
schritthcher  zu  sein,  als  er  glaubt.  Monet  ist  wohl  auch  ohne 
,, Bindeglieder"  das  leichtest  verständliche,  was  wir  in  der 
Kunst  haben.  Ich  halte  ihn  gerade  als  ersten  Ankauf  für 
sehr  geeignet.  Was  stellt  sich  Herr  Vinnen  denn  als  „Binde- 
glieder" (klingt  sehr  hübsch)  zu  Monet  vor?  Ich  glaube  nicht, 
dass  er  sich  etwas  Bestimmtes  darunter  vorgestellt  hat.  Die 
ganze  Schrift  strotzt  von  Behauptungen  und  Aussprüchen, 
hinter  denen  gar  nichts  steckt. 

Ein  leichtfertiges  Schriftstellern  kann,  wenn  es  so  be- 
trieben wird  —  verwirrend  —  gefahrbringend  allen  guten 
Bestrebungen  werden.  Malen,  glaube  ich,  wird  gänzlich  unge- 
fährhch  sein.  Drum:  „Schuster  bleib  bei  deinem  Leisten". 
Aus  der  ganzen  Broschüre  geht  eine  unglaublich  sich  selbst 


6o  TH.  VON  BROCKHUSEN  —  M.  PECHSTEIN 

Überschätzende  Bevormundung  hervor.  Freilich,  „wie  kann 
man  da  erwarten,  dass  uns  die  Fremden  höher  einschätzen, 
als  wir  uns  selbst!" 

Berlin.  Th.  v.  Brockhusen. 


X-^s  kennzeichnet  unsere  Zeit,  dass  nicht  die  junge  Künstler- 
-^^  Schaft,  welche  noch  um  das  Brot  ringen  muss,  einen 
Protest  erlässt.  Nein,  bildende  Künstler  im  mittleren  Lebens- 
alter, man  kann  wohl  sagen,  im  gefährlichen  Alter  stehend, 
schütteln  bedenklich  wackelnd  mit  dem  Kopf,  aber  vorsichtig, 
damit  er  nicht  herabfällt.  Würde  Herr  Vinnen,  wenn  er  es 
zu  einem  schönen  reifen  Alter  gebracht,  dasselbe  noch  einmal 
tun?  Ich  glaube  nicht,  denn  das  vernünftige  Alter  weiss,  dass 
die  Jugend  sich  selbst  helfen  kann  und  will,  sieht  freudig  zu 
imd  wirft  ihr  keine  Wackersteine,  die  ungeniessbar,  in  den 
Mund.  Herr  Vinnen,  Ihr  Protest  bringt  noch  mehr  Unklarheit 
in  das  kauflustige  Pubhkum  und  macht  zaghafte  Käufer  noch 
unsicherer. 

Ganz  recht,  Künstler  sein  verpflichtet.  Nach  meiner  Mei- 
nung aber  vor  allem  verpflichtet  es,  weniger  Pohtik  zu  treiben. 
Um  das  Deutschtum  zu  wahren,  haben  wir  ja  so  viel  schöne 
staatliche  Schulen  und  eine  grosse  deutsche  Kunstgenossen- 
schaft. Eigentlich  müsste  nun  Herr  Vinnen  Ehrenmitglied 
dieser  Vereinigung  werden.  Wichtiger  ist  wohl  doch.  Schlachten 
zu  schlagen.  Schlachten  in  Farbe  und  Stein. 

Es  gibt  nur  eins,  womit  Ihr  Protest  nichts  zu  tun  hat,  Herr 
Vinnen,  und  das  ist  die  Kunst,  —  für  manchen  eine  Frau,  imd 
für  andere  eine  heissumworbene  Geliebte.  Man  kann  aber  auch 
eine  Markthalle  daraus  machen. 

Wie  kann  man  nur  als  Beispiel  Artikel  von  modernen  Kunst- 
schriftsteUern  heranziehen  und  naiverweise  annehmen,  dass 
die  gesamte  Künstler  Jugend  noch  so  an  den  allgemeinen  Schul- 
zwang gewöhnt  ist,  dass  sie  jederzeit  einer  pädagogischen 
Führung  bedarf.     Sie  vergessen  eben  etwas,  das  Wichtigste: 


M.  PECHSTEIN  —  GUSTAV  KLIMT  —  CARL  MOLL        6i 

Den   Generationsunterschied  zwischen  Ihrer  Person  und  uns, 
der  Künstler]  ugend. 

Es  freut  mich,  dass  Sie  die  Künstlerschaft  der  grossen 
Franzosen  nicht  schmälern  möchten.  Letzthin  sah  ich  ein 
Werk  Ihrer  Hand,  in  der  Berliner  Secession.  Auch  ich 
möchte  Ihre  Künstlerschaft  nicht  schmälern,  nein,  ich  freue 
mich  nochmals,  dass  Sie  so  gütig  sind,  die  Franzosen  als  Künstler 
anzuerkennen.  Ihre  Werke  Hessen  mich  eher  das  Gegenteil 
vermuten.  Also  sind  Sie  ein  künstlerisch  so  freidenkender 
Mensch,  als  man  ihn  im  disziplinierten  Deutschland  nur  ver- 
langen kann. 

Sollten  noch  mehr  und  dickere  Proteste  erscheinen,  so  werden 
wir  nur  desto  freudiger  arbeiten. 
Berlin,  M.  Pechstein. 


Tn  einem' Wiener  VoLksstück  schreit  ein  Agitator  fortwährend: 
■*-  „Für  den  kleinen  Mann  muss  was  geschehen."  Daran  hat 
mich  der  ,, deutsche"  Protest  erinnert.  Dass  auch  der  eine 
oder  andere  Künstler  aufgesessen  ist  und  mitprotestiert  hat, 
dürfte  diesen  selbst  recht  leid  tun. 
Wien.  Gustav  Klimt. 


A^/ enn  KoUegen  politisieren  und  etwas  unternehmen,  was, 
sagen  wir,  nicht  sehr  gescheit  ist,  so  ist  es  aus  kol- 
legialem Gefühle  peinlich,  sich  dagegen  auszusprechen.  Die 
Herren  sind  auch  gestraft  genug  durch  die  publizistische  Zu- 
stimmung, welche  sie,  beispielsweise  in  Wien,  gefunden  haben. 
Ärgeres  konnte  ihnen  wohl  nicht  passieren.  Nur  ein  paar 
Worte  will  ich  Ihnen  sagen. 

Ein  deutscher  GaJeriedirektor  kauft  einen  van  Gogh,  trotz- 
dem er  heute  ,, merkwürdigerweise"  mehr  kostet  als  vor  zehn 
Jahren.  Deutsche  Künstler  protestieren  aus  diesem  Anlasse 
dagegen,  dass  deutsches  Geld  für  etwas  anderes  ausgegeben 
wird,  als  wie  für  ihre  Bilder.    Vor  acht  bis  neun  Jahren  waren 


62  CARL  MOLL  —  OTTO  MODERSOHN 

in  Wien  die  ersten  van  Goghs  zu  sehen.  Die  Kritik  höhnte, 
das  Pubhkum  bildete  den  begleitenden  Chor,  nur  ein  paar 
Maler  standen  stumm  und  staunend  vor  der  ihnen  neuen  Er- 
scheinung. Natürlich  dachten  weder  Staat  noch  Private  daran, 
sich  so  ein  verhöhntes  Bild  zu  kaufen.  Da  sammelten  wir 
Maler  unter  uns  den  Betrag  —  es  waren  2000  Francs  — ,  kauften 
eine  schöne  Landschaft  und  schenkten  sie  in  der  Stille  dem 
Staate.  Jahrelang  blieb  das  Bild  in  irgend  einem  Depot,  bis 
ein  intelligenter  Galeriedirektor  kam  und  das  Büd  in  der 
Modernen  Galerie  aufhängte.  In  Wien  protestierten  die  anderen 
Künstler  nicht,  denn  —  einem  geschenkten  Gaul  schaut  man 
nicht  ins  Maul. 

Wien.  Carl  Moll. 


T^/ ie  ich  mich  über  die  Erwerbung  der  van  Goghschen 
^  '  Mohnfelder  für  die  Bremer  Kunsthalle  gefreut  habe, 
als  eines  der  anregendsten  Bilder  moderner  Kunst,  werde  ich 
mich  über  jedes  gute  Büd  fremder  Herkunft  freuen,  das  auf 
deutschem  Boden  seine  Stätte  findet,  weil  es  die  in  guter  Ent- 
wicklung befindliche  deutsche  Kunst  befruchten  wird.  Die 
dafür  aufgewandten  Mittel  sind  unerheblich,  weü  sie  reichlich 
Zinsen  tragen  werden.  Die  Kritik,  die  diese  Werke  dem  Ver- 
ständnis des  Volkes  näher  bringt,  erfüllt  eine  hohe  Mission. 
Die  Nationalität  spielt  bei  der  Kunst  überhaupt  keine  Rolle,  es 
kommt  lediglich  auf  die  Qualität  der  Kunst  an.  Der  fran- 
zösischen Kunst  gebührt  in  vieler  Hinsicht  der  Vorrang  als  der 
eines  besonders  für  die  bildenden  Künste  hochbegabten  Volkes, 
von  der  wir  Deutschen  viel  lernen  können.  Wenn  sich  die 
Kunst  bei  uns  in  den  letzten  Jahren  gehoben  hat,  so  verdanken 
wir  das  in  erster  Linie  der  bei  uns  immer  bekannter  gewordenen 
guten  französischen  Kunst.  Bis  auf  weiteres  können  wir  diese 
noch  nicht  entbehren.  Die  Bodenständigkeit  unserer  Kunst 
wird,  soweit  sie  echt  ist,  dadurch  nicht  leiden. 

Fischerhude.  Otto  Modersohn. 


RICHARD    WINCKEL  —  RUDOLF  BOSSELT  —  W.  TRÜBNER    63 


A  US  der  Kreuzung  deutscher  Zeichenkunst  mit  französischer 
-^"^  Malerei  erwächst  die  bildende  Kunst  unserer  Zukunft. 

Magdeburg.  Richard  Winckel. 


Tch  halte  die  Vinnensche  Broschüre  nicht  für  so  wichtig,  dass 
-*-  man  ihr  die  Beachtung  einer  Gegenbroschüre  schenken 
sollte.  Künstlerische  Entwicklungen,  und  um  solche  handelt 
es  sich,  gehen  ihren  Weg  unbekümmert  um  Proteste,  wie  sie 
Vinnen  organisiert  hat. 

Magdeburg.  Rudolf  Bosselt. 


"\  T'on  vielen  Seiten  ist  mir  bereits  der  Vorwurf  gemacht  worden, 
dass  ich  einen  Protest  blindlings  unterzeichnet  hätte,  den 
ich  seinem  Inhalte  nach  unmöglich  gutheissen  könne.  Da  ich 
bei  näherem  Hinsehen  diesen  von  mir  gemachten  faux  pas 
auch  gleich  erkannt  hatte,  so  beeilte  ich  mich  vor  Druck- 
legung des  unterzeichneten  Protestes,  den  Fehler  wieder  gut 
zu  machen  und  ersuchte  sofort  den  Verfasser  desselben,  mir 
noch  zu  gestatten,  den  in  der  Sache  von  mir  eingenommenen 
Standpunkt  mit  einigen  Worten  näher  präzisieren  zu  dürfen. 
Leider  kam  ich  zu  spät,  die  Schrift  war  bereits  im  Druck  be- 
gonnen, und  so  kann  ich  nur  durch  eine  nachträgliche  Darlegung 
meines  Standpunktes  mich  der  Öffentlichkeit  gegenüber  recht- 
fertigen. 

Ich  war  von  jeher  ein  Gegner  der  auf  allen  deutschen  Kunst- 
ausstellungen von  Seiten  der  deutschen  Künstlerschaft  so  eifrig 
betriebenen  Propaganda  für  ausländische  Kunsterzeugnisse,  so 
lange  das  Ausland  dieses  Entgegenkommen  nicht  in  gleicher 
Münze  zurückzubezahlen  sich  bereit  erklärt  hat.  Dagegen 
anerkenne  ich  aufrichtigst  die  Verdienste  unserer  gegenwärtigen 
deutschen  Galeriedirektoren,  soweit  dieselben  solche  modernen 
französischen   Kimstwerke  erworben    haben,    denen    von    der 


64         W.  TRÜBNER  —  WALTHER  PÜTTNER 

Kunstgeschichte  längst  das  Prädikat  klassisch  zuerkannt  worden 
ist  oder  die  sonst  in  fördernder  Weise  die  Kunstbestrebungen 
unserer  Tage  mächtig  anzuregen  imstande  sind. 

Nun  ist  in  dem  Protest  von  selten  des  Verfassers  diesen 
soeben  bezeichneten  Bestrebungen  gegenüber  auch  in  cheva- 
lereskester  Weise  die  nötige  Verbeugung  gemacht,  aber  gleich- 
zeitig wird  von  selten  der  Künstlerschaft  durch  Unterschrift 
gegen  einen  Unfug  protestiert,  der  den  Künstlern  allein  nur  zur 
Last  fallen  kann.  Die  Ausländerei  wurde  alljährlich  bei  allen 
Kunstausstellungen  von  niemand  eifriger  betrieben  als  von  den 
Künstlern  selbst,  und  wer  von  deutschen  Künstlern  nicht  selbst 
das  Heranziehen  ausländischer  mittelmässiger  Künstler  direkt 
förderte,  der  hat  mindestens  in  Komiteesitzungen  oder  General- 
versammlungen diesem  schädlichen  Treiben  eifrigst  Vorschub 
geleistet.  Es  protestieren  also  in  diesem  Protest  die  eigentlichen 
Missetäter  gegen  das  von  ihnen  selbst  angerührte  Unheil  und 
deshalb  ist  dieser  Protest  so  voller  Widersprüche,  dass  die  von 
ihm  erwartete  Wirkung  mir  ganz  ausgeschlossen  erscheint. 
Im  Gegenteil,  es  werden  sich  nach  dieser  kapitalen  Irrung 
die  Ansichten  erst  recht  in  gegenteiliger  Richtung,  wie  beab- 
sichtigt, zum  guten  klären  und  die  irregeleiteten  und  verhetzten 
Hammel  werden  den  sicheren  Pfad  bald  wieder  von  selbst 
zurückgefunden  haben« 
Karlsruhe.  W.  Trübner. 


1-7  s  ist  eine  uniunstössliche  Tatsache,  dass  die  Entwicklung 
-^-^  der  Kunst  im  neunzehnten  Jahrhundert  sich  zum  grössten 
Teil  in  Frankreich  abspielt.  Denn  die  französischen  Meister 
haben  ihre  ganze  Lebensarbeit  vornehmlich  darauf  gerichtet, 
anschliessend  an  die  Überheferungen  der  alten  Meister  die 
künstlerischen  Mittel,  ohne  welche  keine  Produktion  künst- 
lerischen Wert  haben  kann,  weiterzubilden.  Diese  künstlerische 
Kultur  zeigt,  dass  sie  zum  starken  und  sicheren  persönlichen 
Ausdrucksvermögen,  dem  persönlichen  Stil,  führt;  ihre  grossen 
Talente  sind  auf  dieser  hohen  persönlichen  Stufe,  nicht  weil 


WALTHER  PUTTNER  65 

sie  los  von  aller  Tradition  sind,  sondern  weil  ihnen  aus  ihrem 
Können  für  ihre  neuen  und  weiterbauenden  Anschauungen  die 
künstlerischen  Ausdrucksmöglichkeiten  erwuchsen;  ich  halte 
es  für  den  Maler  von  grossem  Vorteil,  diese  Entwicklung  in 
Frankreich  näher  zu  kennen  und  sich  den  unbestreitbaren 
Fortschritten,  welche  die  Franzosen  den  Künsten  gebracht 
haben,  nicht  zu  verschliessen  und  habe  deshalb  ihr  häufiges 
Erscheinen  in  Deutschland  immer  mit  Interesse  verfolgt.  Es 
lässt  sich  auch  ungezwungen  behaupten,  dass  der  Künstler,  der 
zum  Ausdruck  seiner  Anschauungen  und  Empfindungen  un- 
bedingt der  künstlerischen  Mittel  bedarf,  seinen  Anschluss  dort 
sucht,  wo  das  Handwerk  zuletzt  am  reichsten  und  mannig- 
faltigsten erweitert,  und  nicht  etwa  auf  ein  Milieu  zurückgreifen 
kann,  welches  mit  viel  primitivem  Mitteln  arbeitet;  ich  kann  mir 
natürlich  kein  allgemein-gültiges,  objektives  Urteil  anmassen, 
da  es  auch  mein  Ziel  ist,  am  künstlerischen  Fortschritt  mit- 
arbeiten zu  können,  und  kann  nur  entwickeln,  wie  ich  mich 
für  meine  Person  zu  diesen  Anregungen  stelle,  und  welche 
Schlüsse  ich  daraus  als  die  richtigen  ansehe. 

Die  Malerschaft  bildet  wie  überall  vor  allem  eine  Masse,  der 
auf  Grund  ihres  Niveaus  ein  Urteil  über  Erscheinungen  in  der 
Kunst  eigentlich  nicht  zukommt,  die  sich  aber  nichtsdesto- 
weniger meist  den  Erscheinimgen  gegenüber  sehr  diktatorisch 
verhält,  entweder  absolut  ablehnend  oder  sich  mit  der  ganzen 
Oberflächlichkeit  der  Mittelmässigkeit  auf  die  neue  Richtung 
stürzt  und  diese  sich  mundgerecht  macht,  und  im  Nu  ist  eine 
neue  Mode,  eine  neue  Geschmacksrichtung  fertig.  Diese  Art, 
Anregungen  aufzunehmen,  ist  aber  vollständig  unfruchtbar, 
das  Niveau  wird  dadurch  weder  gehoben  noch  verschlechtert, 
es  bekommt  nur  ein  anderes  Gesicht. 

Der  Künstler,  der  seinen  persönlichen  Standpunkt  der 
Kunst  und  Natur  gegenüber  sich  geschaffen  und  diesen  infolge- 
dessen in  seiner  ganzen  Entwicklung  nie  verlassen  kann,  nimmt 
die  Anregungen  in  sich  auf,  abwartend,  wie  sie  sich  mit  seinem 
eigenen  Schaffen  berühren.  Er  wird,  je  höher  das  Niveau  rings 
irm  ihn  ist,  immer  stärker  auf  sich  konzentriert,  seine  eigene 

5 


66  WALTHER  PÜTTNER 

Produktion  zu  heben,  es  ist  ihm  deshalb  keine  wirkhch  künst- 
lerische Anregung  lästig,  denn  er  versteht  das  gleiche  im  Streben 
andersgearteter  Temperamente  und  Persönlichkeiten  der  Natur 
gegenüber  und  weiss  das  Neuartige  einer  Geschmacksrichtung 
von  dem  rein  Künstlerischen  zu  trennen,  er  besitzt  den  künst- 
lerischen Takt,  die  Persönlichkeiten,  welche  eine  künstlerische 
Kultur  bedeuten,  nicht  einfach  als  gut  oder  schlecht  abzu- 
urteilen. 

Die  Paletten  der  einzelnen  Meister  haben  nicht  nur  Be- 
ziehungen zu  ihrer  Person  und  zur  Natur,  sondern  auch  vor- 
nehmlich zur  Malerei,  jener  Entwicklung  von  den  ersten  An- 
fängen bis  zu  uns.  Die  Impression  hat  uns  wieder  von  dem  in 
der  falschen  akademischen  Anschauung  entstandenen  Schema 
befreit  und  hat  uns  die  ganze  Skala  der  Farbenwerte  wieder 
an  die  Hand  gegeben.  Die  stärkere  Farbenzerlegung  kann  ent- 
schieden als  eine  Bereicherung  gelten,  die  plastische  Erscheinung 
zu  heben.  Cezannes  Stilleben  und  Landschaften  sind  ein  überaus 
reicher  und  liebevoller  Aufbau  aus  Werten  wie  Leibl,  und  ich 
möchte  behaupten,  dass  nur  dem  die  ganze  Schönheit  dieser 
Arbeiten  sich  erschliesst,  der  ein  Verständnis  für  den  rein  ma- 
lerischen Aufbau  besitzt.  Van  Gogh  schreibt  mit  Pinsel  und 
Farbe  eine  aufgeregte,  faszinierende  künstlerische  Handschrift, 
in  rasender  Eile,  ganz  anders  als  Franz  Hals  oder  Trübner  in 
seinen  Reiterbildern,  aber  es  ist  eine  Handschrift,  und  es  ist 
lächerlich,  alle  seine  Bekenntnisse  als  krankhaft  abzuweisen, 
weü  natürlich  gerade  auf  seine  Art  sich  zu  äussern,  sich  viel 
Missglücktes  darunter  befinden  muss.  Wenn  die  neueste  Wen- 
dung in  Frankreich  jetzt  nach  dem  Dekorativen  hinüberspielt, 
so  braucht  das  nicht  die  einzige  Möglichkeit  zu  sein,  welche  den 
Anregungen  des  neunzehnten  Jahrhunderts  folgen  muss.  Es 
scheint  mir  vielmehr  ein  arger  Fehler,  aus  der  modernen  An- 
schauung und  Darstellungsweise  sich  nur  das  farbenfrohe  und 
dekorative  Aussehen,  das  Resultat  der  aufgehellten  Palette, 
allein  herauszunehmen.  Die  alleinige  Steigerung  aller  malerischen 
Kunst  ist  das  Monumentale,  gleichviel  ob  dies  im  Wandbild 
oder  im  sogenannten  Staffeleibild  erreicht  wird,  und  es  wäre 


WALTHER  PÜTTNER  —  HERMANN  SCHLITTGEN  67 

frevelhaft,  wollten  wir  in  Deutschland,  nachdem  wir  die  hohen 
Stufen  dieser  Nachbarkunst  auf  uns  haben  einwirken  lassen, 
und  wir  vielleicht  entwicklungsfähiger  sind,  uns  in  dekorativen 
Spielereien  vertändeln  und  unsern  Gewinn  nicht  zum  Monu- 
mentalen ausbauen,  um  ihn  so  zu  unserm  Eigen  werden  zu 
lassen;  in  der  Gotik  haben  wir  dies  schon  einmal  gekonnt. 
München.  Walther  Püttner. 


L^^ür  die  wirklichen  Schäden,  die  in  unserm  Kunstleben  exi- 
"*-  stieren,  halte  ich  papierene  Proteste,  und  wenn  sie  noch  so 
flammend  sind,  für  gänzlich  nutzlos.  Im  Gegenteil,  es  werden 
dadurch  der  Reaction,  die  sich  gegen  jeden  Fortschritt  und 
auch  gegen  das  Gute  aus  dem  Auslande  wendet,  nur  Waffen 
in  die  Hand  geliefert.  Gewiss,  es  gibt  bei  uns  eitle  Kunst- 
schreiber, lächerliche  Snobs,  junge  Künstler,  die,  anstatt  ernst 
zu  arbeiten,  lieber  billige  Äusserlichkeiten  nachmachen  und 
unfähige  Galeriedirektoren.  Herr  Vinnen  will  das  Gute,  das 
wir  aus  dem  Auslande  erhalten,  nicht  treffen;  aber  glaubt 
er  nicht,  dass  bei  seinen  Unterzeichnern  so  mancher  ist,  der 
auch  die  grossen  Franzosen  aus  unserm  Lande  hinaustreiben 
möchte?  Es  ist  doch  sehr  gefährlich,  in  der  Kunst  , .Nationalis- 
mus" zu  treiben.  Man  müsste  dann  auch  aus  den  alten  Galerien, 
die  doch  auch  international  sind,  die  Ausländer  ausschliessen. 
Unsere  alten  Museen  würden,  bei  allem  gerechten  Stolze  auf 
das  ,, wahrhaft  grosse  Deutsche"  dann  recht  kahl  aussehen. 
Unsere  modernen  Galerien  müssen,  wie  die  alten,  international 
sein  und  dann  gehören  auch  die  grossen  französischen  Im- 
pressionisten hinein.  Nun  werden  ja  jetzt  recht  horrende 
Preise  dafür  gezahlt,  aber  weshalb  hat  man  sie  denn  nicht 
gekauft,  als  sie  noch  billig  waren?  Vor  20  Jahren  hätte  man 
die  schönsten  Manets,  Renoirs,  Monets,  Cezannes  etc.  halb 
geschenkt  haben  können.  Ich  habe  damals  bei  Durand-Ruel 
und  Goupil  nach  den  Preisen  gefragt.  2000  Francs  durch- 
schnittlich. Und  gar  van  Gogh!  Anfang  der  90er  Jahre  sah 
ich  auf  dem  Montmartre  in  einem  Farbenladen  seinen  Nach- 

5* 


68  HERMANN  SCHLITTGEN 

lass;  da  kostete  jedes  Bild  loo  Francs,  darunter  bedeutende 
Werke,  für  die  jetzt  Unsummen  gezahlt  werden. 

Wo  waren  denn  damals  die  Herren  Museumsdirektoren? 
Man  soUte  nicht  ihren  heutigen  Leichtsinn  schelten,  sondern 
ihre  damalige  Kurzsichtigkeit.  Welche  Unsummen  kostet 
dem  Staat  ihr  Unverstand! 

Wie  ging  es  denn  mit  unserm  Leibl?  War  der  so  furchtbar 
„revolutionär"?  Die  schönsten  Bilder  von  ihm  liess  man 
für  ein  Butterbrot  ins  Ausland  und  in  Privatbesitz  gehen; 
er  verlangte  nur  für  seine  Hauptwerke,  an  denen  er  lange 
malte,  grosse  Preise;  Bilder,  die  er  nebenher  schuf  (die  wohl 
manchem  lieber  sind),  verschleuderte  er. 

Solche  Galeriedirektoren  sollte  man  zur  Rechenschaft  ziehen 
oder  entlassen.  Aber  leider  sind  sie  meist  schon  pensioniert, 
wenn  die  Wahrheit  an  den  Tag  kommt. 

Nun  regt  man  sich  darüber  auf,  dass  die  Kunsthändler  die 
„Reste"  in  Deutschland  einführen.  Ja,  warum  haben  denn  unsere 
Künstlergesellschaften  in  ihren  grossen  Ausstellungen  uns 
jahrelang  die  ödesten  Pariser  Salonbilder  als  moderne  fran- 
zösische Kunst  vorgeführt?  Die  Büder  der  wirklich  Grossen 
hätten  ihnen  die  Durand-Ruel  etc.  ebenso  gern  überlassen, 
wie  den  Kunsthändlern  Cassirer  und  Thannhauser.  Wir  haben 
bei  letzterem  doch  kürzlich  sehr  schöne  Werke  von  Manet, 
Pissarro,  Sisley  und  anderen  gesehen. 

Diese  Kunsthändler  profitieren  nun  davon,  was  die  Künst- 
ler selbst  versäumt  haben.  Siebringen  auch  das  ,, Allerneueste", 
worüber  man  oft  den  Kopf  schütteln  muss.  Aber  interessant 
und  amüsant  ist  es  trotzdem.  Ich  verstehe  nichts  von  National- 
ökonomie, aber  ich  glaube  nicht,  dass  von  den  paar  Bildchen, 
die  jährlich  davon  für  recht  bescheidene  Preise  verkauft  werden, 
unser  Nationalwohlstand  ernstlich  erschüttert  wird.  Lasst  doch 
die  Snobs  das  Zeug  kaufen,  sie  verlieren  doch  ihr  eigenes  Geld 
dabei!  Und,  unter  uns  gesagt,  wird  nicht  mancher  sein  Geld 
verlieren,  der  Bilder  von  manchen  deutschen  ,, Grössen"  kauft? 

Und  nun  der  ,,Bhck  in  die  Zukunft".  Es  ist  ja  schlimm, 
dass  so  viele  junge,  talentvolle  Künstler  von  hinten  anfangen. 


69  HERMANN  SCHLITTGEN  —  M.  A.  STREMEL 

anstatt  von  vorn.  Aber  wenn  sie  wirklich  Talent  haben,  werden 
sie  eines  schönen  Tages  ganz  von  selbst  dahinter  kommen,  dass 
es  so  nicht  weiter  geht  und  werden  sich  gefälligst  zur  ernsten 
Arbeit  bequemen  müssen.  Es  wird  sie  nicht  lange  freuen,  aus 
dem  Kopf  zu  malen;  sie  werden  einsehen,  dass  die  Natur 
schönere  Farben  und  Klänge  bietet,  als  sie  sich  im  Atelier 
aushecken  können.  Und  um  die  andern,  die  es  nicht  einsehen, 
ist  es  nicht  schade! 

Ich  finde  wahrhaftig  nicht,  dass  es  für  den  Künstler  irgend 
ein  anderes  Mittel  gibt,  gegen  all  diese  unangenehmen  Sachen 
aufzukommen,  als  das  eine:  Hinsetzen  und  besser  machen! 

München.  Hermann  Schlittgen. 


Thre  Aufforderung,  mich  über  den  ,, Deutschen  Künstler- 
■*-  Protest"  zu  äussern,  möchte  ich  durch  Wiedergabe  des 
Briefes  beantworten,  welchen  ich  an  Herrn  Maler  Vinnen 
richtete,  als  er  mich  seinerzeit  einlud,  mich  diesem  Protest 
durch  Beitrag  und  Unterzeichnen  anzuschliessen. 

Ich  schrieb — dem  Sinne  nach  —  damals,  „dass  ich  in  seinem 
Aufsatz  viel  sehr  Beachtenswertes  fände;  dass  er  viele  Zu- 
stände in  unserm  künstlerischen  Leben  berühre,  über  die  sich 
so  mancher  schon  seine  eigenen  Gedanken  gemacht  habe; 
dass  ich  aber  befürchte,  ein  derartiger  Protest  würde  in  seiner 
Wirkung  weit  über  das  Ziel  hinausgehen  und  einen  möglichen 
Boykott  aller  ausländischen  Bilder  zur  Folge  haben  —  was 
sehr  zu  bedauern  wäre.  Ich  sei  sehr  dankbar  für  das,  was  z.  B. 
speziell  hier  in  München  in  der  Modernen  Galerie,  an  aus- 
ländischen Bildern  jeder  ^Richtung  gezeigt  würde.  Bei  den 
verschiedenen  Kollektionen  Manet,  Pissarro,  Sisley,  Gauguin 
etc.  seien  immer  eine  grosse  Anzahl  Hauptwerke  dieser  Künstler 
gewesen,  die  für  einige  minderwertige  Sachen  darunter  voll- 
kommen entschädigten.  Und  Snob  abhalten  zu  wollen,  sich 
gerade  solche  —  sogenannte  —  Atelierreste  zu  kaufen,  sei 
ein   ganz   vergebliches   Bemühen.       Überhaupt    Snob    ändern 


jo  M.  A.    STREMEL  —  FR.  BEHN 

wollen!    Snob  habe  immer  existiert,   werde  immer  existieren, 
sei  auch  international!" 

Und   aus   diesem    Erwägen    und   der   festen   Überzeugung 
heraus,  dass  ein  solcher  Protest  unbedingt  eine  Reaktion  im 
schädlichen    Sinne    hervorrufen    werde,    habe    ich    ihn 
nicht  unterzeichnet. 
P  a  s  i  n  g  bei  München.  M.  A.  Stremel. 

^"^T^ozu  der  Lärm?  Ich  meine,  dass  Kunst  und  National- 
^  ^  Ökonomie  nichts  miteinander  zu  tun  haben.  Aus  fol- 
genden Gründen.  Wenn  eine  öffentliche  Sammlung  Büder  kauft, 
so  tut  sie  es,  um  das  Beste  dem  Volk — (Laien  und  Künstlern) , 
vorzuführen  als  Vorbilder.  Es  ist  dabei  ganz  gleich,  ob  diese 
Kunst  teuer  oder  bülig  gekauft  ist  (vorausgesetzt,  dass  das 
Geld  da  ist)  —  ob  sie  von  verstorbenen  oder  lebenden,  reichen 
oder  armen  Künstlern  stammt  —  ob  sie  aus  China,  Belutschistan 
oder  aus  Paris  oder  Posemuckel  kommt.  Ganz  gleich  ist  femer, 
ob  das  Geld  Börsianern  zustatten  kommt  —  oder  dem  Künstler 
(so  sehr  es  diesem  aus  menschlichen  Gründen  zu  gönnen  wäre) 
oder  seinen  Erben  —  wenn  nur  der  Kunst  damit  gedient  ist. 
Soll  man  vielleicht  statt  eines  —  durch  irgend  einen  geschäft- 
lich begreiflichen  Umstand  —  sehr  teuren  vorzüglichen  Bildes 
zu  100  000  Mark  zwanzig  Bilder  zu  je  5000  Mark  kaufen,  die 
mittelmässig  sind?  Soll  eine  Galerie  eine  Künstlerversorgungs- 
anstalt sein?  Das  Bessere  ist  der  Feind  des  Guten  —  und 
es  ist  gewöhnlich  teuer.  Man  soll  nicht  Humanität  und  Kultur 
miteinander  verwechseln.  (Es  gab  Zeiten  der  höchsten  Kultur, 
in  denen  nach  unserm  jetzigen  Begriffe  die  grösste  Unmensch- 
lichkeit herrschte  —  wie  Italien  im  Mittelalter  und  China.) 

Wenn  anderseits  ein  Privatmann  sich  Bilder  kaufen  wül, 
so  wird  ihm  doch  wohl  niemand  das  Recht  bestreiten,  zu  kaufen, 
was  ihm  —  aus  irgendwelchen  Gründen  —  gefällt.  Hat  er 
Geschmack,  wird  er  Irrtümer  selbst  bald  bemerken  —  hat  er 
keinen,  so  wird  ihm  auch  der  beste  Berater  nicht  helfen  können. 
Beraten  wollen  die  Herren  des  Aufrufs.    Wer  sagt  denn,  dass 


FR.  BEHN  71 


der  Sammler  besser  beraten  wird  von  ihnen,  als  von  den  andern, 
gegen  die  sich  der  Aufruf  richtet? 

Muss  nun  nach  diesem  der  nicht  gekaufte  Künstler  sclireien: 
Kaufen  Sie  nicht  bei  der  Konkurrenz  —  kaufen  Sie  bei  mir 
sehr  gute  preiswerte  Ware  —  viel  billiger  und  besser? 

Und  dann  vor  allem:  Sind  denn  die  von  den  Aufnifem 
perhorreszierten  französischen  Maler  wirklich  alle  soviel  schlechter 
als  die,  welche  in  den  letzten  Jahren  in  den  deutschen  Secessionen 
ausgestellt  werden?  Es  ist  mindestens  fraglich,  wo  grössere 
Originalität  —  wenn  sie  sich  auch  oft  absurd  gebärdet  — ,  wo 
mehr  malerische  Anregung  zu  suchen  ist. 

Wenn  nun  der  Einwand  gemacht  wird:  Aber,  wir  haben 
doch  auch  in  Deutschland  gute  Künstler  —  man  kümmert  sich 
aber  nicht  um  sie  —  so  kann  man  das  energisch  zurückweisen. 

Denn  erstens  hat  eigentlich  jede  deutsche  grössere  Galerie 
Bilder  ihrer  grössten  modernen  Meister:  Leibl,  Menzel,  Lieber- 
mann, Marees,  Feuerbach  und  so  fort  —  und  auch  für  diese 
sind  enorme  Summen  ausgegeben. 

Dann  gibt  es  ausserdem  Privatsammler,  die  die  deutsche 
Kunst  mindestens  ebenso  pflegen,  kaufen  und  bezahlen,  wie 
die  ausländische.  Es  wird  aber  immer  noch  deutscher  Schund 
reichlicher  gekauft,  als  französischer. 

Ich  glaube,  ein  gutes  Werk  von  Carpeaux,  Barye,  Maillol 
oder  Rodin  würde  der  Kunsterziehung  gar  nicht  so  schlechte 
Dienste  leisten.  Meiner  Ansicht  nach  hätte  man  das  Geld  für 
eine  Büste  von  Rodin  besser  angewandt,  als  für  vier  oder 
sechs  unbedeutende  Büsten  oder  Statuetten  deutschen  Ur- 
sprungs —  (obgleich  Herr  Rodin  sich  pekuniär  sehr  gut  stehen 
soll). 

Sieht  man  die  Sammlung  moderner  Werke  in  der  Berliner 
Nationalgalerie,  so  ist  man  entzückt  und  ergriffen  von  all  dieser 
eminenten  Kunst  und  fragt  nicht,  woher  sie  kommt  und  was 
sie  kostet  —  ob  von  Schadow  oder  Rodin. 

Würde  man  denn  einen  Menschen,  dessen  persönliche  Eigen- 
schaften einen  in  der  Gesellschaft  hinreissen,  als  erstes  fragen: 
—  was  sind  Sie?     wieviel  Einkommen  haben  Sie?  —  woher 


72  FR.  BEHN 


stammen  Sie?  —  und,  wenn  er  nicht  aus  Deutschland  wäre  — 
ihm  den  Rücken  kehren? 

Wollte  Gott,  es  wären  alles  deutsche  Arbeiten,  die  wir  von 
ausländischen  als  die  besten  bewundem  müssen  —  dann  aller- 
dings hätten  wir  keine  Ausländer  nötig  —  und  könnten  unser 
Geld  im  Lande  lassen.  Im  Streben  aber  nach  dem  Besten  soll 
der  Künstler  und  Käufer  seinen  Patriotismus  zeigen  —  nicht 
in  engherzigem  Chauvinismus.  Nur  das  Beste  ist  wichtig  —  das 
hat  mit  Geld  und  Kunstschutzzöllnerei  nicht  das  geringste  zu 
tun,     Kunst    ist    international. 

Wenn  die  Gegner  meinen,  die  Ausländerei  sei  eine  Mode- 
torheit (meiner  Meinung  nach  sind  viel  tiefere  Gründe  dafür 
vorhanden;  sie  sind  einfach  in  unserer  Geschichte  zu  finden 
—  wir  sind  noch  unsicher  —  und  daher  löst  eine  Reaktion  die 
andere  aus),  so  könnte  man  sie  mit  dem  Versichern  beruhigen, 
dass  jede  Mode  von  selbst  vorübergeht  —  um  einer  andern  Platz 
zu  machen.  Vielleicht  kommen  dann  die  deutschen  Künstler 
dran,  die  sich  heute  so  aufregen.  Den  sichern  Gang  aber  des 
Ewigen  kann  eine  Mode  nicht  aufhalten.  — 

Was  kommt  nun  bei  all  dieser  heiligen  und  unheiligen  Ent- 
rüstung praktisch  heraus?  Ein  Kampf  gegen  Windmühlen.  Wer 
ist  der  Gegner?     Wie  will  man  ihn  packen? 

Man  schmäht  den  Sammler,  Kunsthändler,  den  Kunstschrift- 
steller. Will  man  sie  abschaffen  —  kann  man  Büdung,  Erwerbs- 
sinn oder  freies  Wort  aus  der  Welt  bringen?  Seien  wir  ihnen 
vielmehr  dankbar,  dass  sie  sich  der  Kunst  annehmen,  dass  sie 
dem  Künstler  viele  Dienste  leisten,  ihm  das  Geschäftliche 
abnehmen  und  ihm  dadurch  ein  besseres  ungestörteres  Schaffen 
ermöglichen. 

Sie  haben  so  viel  Gutes  für  die  deutsche  Kunst  getan,  dass  wir 
Fehlgriffe  mit  in  Kauf  nehmen  mögen.  (Ist  denn  anderseits 
eine  Geschmacksverirrung  oder  ein  falsches  Urteil  bei  den  sich 
entrüstenden  Künstlern  ausgeschlossen?)  Glauben  die  Herren, 
dass  dieser  Protest,  so  überzeugt  er  sein  mag,  den  Lauf  der  Welt- 
Gesetze  aufhält,  dass  sie  den  Geist  der  Zeit  überwinden 
werden  —  mit  Lamentieren: 


BEHN  —  A.  FEIKS  —  E.  FEIKS  —  ROHLFS  —  KANDINSKY      72, 

Ist  es  nicht  vielmehr  sehr  unerfreulich,  einen  Menschen 
immer  nur  von  sich,  seinen  eigenen  famosen  Eigenschaften  — 
(und  seinem  leeren  Portemonnaie  reden  zu  hören)  —  wo  es  sich 
um  das  grosse  Indefinierbare  handelt?  Kunst  tut  man  —  man 
redet  sie  nicht.  Der  Künstler,  der  seiner  sicher  ist,  der  weiss, 
worum  es  sich  handelt,  wird  aller  Reklame  und  allem  Gelärm 
ausweichen  —  er  wird  suchen,  das  Beste  zu  arbeiten,  er  wird 
als  Aushängeschild  an  die  Umfriedung  seines  Kunstgartens 
nur  das  eine  Wort  schreiben:  Ruhe! 
München.  Fr.  Behn. 


T~^as  Niveau  der  Kunstkritik  in  der  Broschüre  gegen  die 
■*-^   französische  Kunst  ist  der  beste  Beweis,  wie  notwendig 
die  französische  Kunst  in  Deutschland  ist. 
Budapest.  *^  Alfred  Feiks. 

Lj^iner  Kunst,  die  weit  über  unserer  steht,  Barrikaden  zu 
-*-^  stellen,  wäre  lächerhch. 

Eine  Kunst,  die  wir  noch  dazu  ausgenützt  und  ausgesogen, 
vor  diese  Barrikaden  zu  stellen,  wäre  nicht  mehr  lächerlich, 
sondern  traurig  und  unanständig. 
München.  Eugen  Feiks* 

Y-\  s  hat  mich  sehr  gefreut,  zu  hören,  dass  eine  Kundgebung 
-■— ^  gegen  die  Vinnensche  Broschüre  ins  Werk  gesetzt  wird, 
und  ich  hoffe,  dass  sich  zahlreiche  Künstler  anschliessen  werden. 
München.  Chr.  Rohlfs. 


ir^er  Welt,  dem  Kosmos  gleich  besteht  der  Mensch  aus  zwei 
-■-^   Elementen  :aus  dem  inneren  und  aus  dem  äusseren. 

Das  äussere  Element  des  Menschen,  oder  der  äussere  Mensch 
bleibt   in   ständiger   Verbindung   mit   dem   Äusseren   der  ihn 


74  W.  KANDINSKY 


umgebenden  Welt.  Diese  ständige  Verbindung  kann  durch 
kein  Mittel  aufgehoben  werden.  Die  Umgebung  ist  zur  selben 
Zeit  die  Quelle  des  Lebens  des  äusseren  Menschen. 

Das  innere  Element  des  Menschen,  oder  der  innere  Mensch 
bleibt  in  ständiger  Verbindung  mit  dem  Inneren  der  ihn  um- 
gebenden Welt.  Diese  Verbindung  ist  unvermeidlich.  Sie  ist 
zur  selben  Zeit  die  Quelle  des  Lebens  des  inneren  Menschen. 

Ganz  schematisch  gesagt,  gebraucht  der  heutige  Mensch 
sein  äusseres  Element,  um  mit  dem  Leben  des  Inneren  der  Welt 
im  Kontakt  zu  bleiben  und  daraus  seine  Lebenskräfte  zu  saugen. 

Deshalb  gebraucht  jede  geistige  Kraft  des  Inneren  auch 
ein  äusseres  Element. 

Die  grösste  geistige  Kraft  des  Inneren  ist  die  Kunst. 

So  hat  auch  die  Kunst  zwei  Elemente:  das  innere  und 
das  äussere. 

Diese  zwei  unvermeidlichen  Elemente  spiegeln  sich  auch  in 
jedem  Werke  der  Kunst  ab. 

Die  volle  Harmonie  des  Kunstwerkes  ist  also  das  höchste 
Gleichgewicht  des  Inneren  imd  des  Äusseren,  d.  h.  des  Inhaltes 
und  der  Form. 

Deshalb  sucht  jeder  künstlerische  Inhalt  nach  seiner  Form. 

So  ändert  sich  die  Form,  da  sie  sich  dem  Innern  des  Künst- 
lers anpassen  muss. 

So  ändert  sich  die  Form,  da  sie  sich  dem  Innern  ihrer  Epoche 
anpassen  muss. 

Diese  Verbindung  des  Werkes  mit  dem  Künstler  schafft 
den  Stempel  seiner  Persönhchkeit,  seinen  Stü. 

Diese  Verbindung  mit  der  Epoche  schafft  den  Stempel  der- 
selben und  ihren  Stil. 

So  treffen  sich  in  jedem  Werke  zwei  Stile:  der  der  „In- 
dividualität" und  der  der  „Schule". 

Das  angefangene  XX.  Jahrhundert  im  Gegensatz  zum 
vergangenen  XIX.,  welches  das  des  ,, Äusseren"  war,  ist  das 
Jahrhundert  des  ,, Inneren". 

Das  „verlorene"  und  wieder  ,, gefundene"  innere  Leben 
bringt  die  schon  vorhandene   ,,neue"   Kunst  zum  verlorenen 


W.  KANDINSKY  —  FRANZ  MARC  75 

Gleichgewicht  der  beiden  Elemente:  des  inneren  und  des 
äusseren.  Es  entsteht  eine  „neue"  Harmonie  oder  Schönheit, 
die,  wie  immer,  erst  Disharmonie  (Hässlichkeit)  genannt  wird. 

Diese  Harmonie  wird  das  vollkommene  Anpassen  oder  in 
weiterer  Folge  Unterordnen  des  Äusseren  (der  Form)  dem 
Inneren  (dem  Inhalt)  sein  mit  Verzicht  auf  alle  übrigen  Rück- 
sichten.   Also  auch  auf  die  des  ,, Naturellen". 

Da  das  innere  Leben  (wie  jedes  uns  sichtbare  Leben)  plan- 
und  zweckmässig  ist,  so  verlangt  der  Ausdruck  dieses  Lebens 
eine  plan-  und  zweckmässige  Form. 

So  ist  schon  heute  die  absolute  Notwendigkeit  der  Plan- 
imd  Zweckmässigkeit,  d.  h.  der  Konstruktion,  auch  in  der 
Kunst  vollkommen  klar.  Jeder  zeitgemässe  Künstler  passt 
sein  Schaffen  unvermeidlich  dieser  Notwendigkeit  an. 

Nach  der  Musik  wird  die  Malerei  die  zweite  Kunst  sein, 
die  ohne  Konstruktion  nicht  denkbar  sein  wird  und  schon 
heute  nicht  ist. 

So  erreicht  die  Malerei  die  höhere  Stufe  der  reinen 
Kunst,  auf  welcher  die  Musik  schon  einige  Jahrhunderte 
steht. 

Diesem  grossen  Ziele  werden  aUe  ,, Jungen"  oder  ,, Wilden" 
aller  geistig  grossen  Länder  dienen.  Und  dieses  Fortschreiten 
der  Kunst  kann  keine  Macht  aufhalten. 

Jedes  Hindernis  ist  diesem  hohen  Streben  wie  ein  Flaum 
dem  Stiirm. 
München.  W.  Kandinsky. 


"\"Ä /"enn   ein  guter   Teil  der  deutschen   Künstler  heute  die 
'      Fahne  des  Deutschtums  und  der  Heimatkunst  aufrollt 

und  bedeutungsvoll  vor  seinen  Toren  schwingt,  so  beabsichtigt 

er  zweierlei: 

Einmal  sucht  er  den  Geist  des  Galliertums,  den  sich  die 

jüngsten  deutschen  Künstler  zu  Gast  geladen  haben,  von  dem 

Besuch  in  seinem  Hause  und  bei  seinen  Freunden  fernzuhalten. 

Der  fremde  Gast  ist  diesen  Künstlern  unheimlich.    Sie  scheuen 


76  FRANZ  MARC 


sich  nicht,  ihn  einen  Seelenräuber,  Giftmischer  und  Falsch- 
münzer zu  nennen  und  wollen  nicht,  dass  ihr  jüngerer,  enthu- 
siastischer Bruder  mit  diesem  Fremden  Umgang  pflegt. 

Der  andere  von  ihnen  freimütig  bekannte  Zweck  ist,  das 
seit  kurzem  vor  ihren  Bildern  etwas  kaufscheu  gewordene 
Publikum  mit  ihrem  Gackern  wieder  herbeizulocken.  Auch 
sie  wollen  Eier  gelegt  haben,  schöne,  grosse,  deutsche  Eier, 
keine  Kuckuckseier,  wie  dieser  verdammte  Franzose. 

Zu  einer  Antwort  aufgerufen,  müssen  wir  erklären,  was  es 
für  eine  Bewandtnis  mit  unserer  Freundschaft  für  den  franzö- 
sischen Gast  hat.    Die  Kernfrage  ist: 

Was  veranlasst  uns  jungen  Künstler,  heute  ausländische 
Werte  in  Deutschland  einzuführen? 

Kann  es  etwas  anderes  sein  als  die  Überzeugung,  dass  es 
wirkliche  Werte  sind,  und  zwar  grössere  Werte  als  momentan 
auf  rein  deutschem  Boden  zu  gewinnen  sind? 

Es  ist  unglaublich  kurzsichtig,  uns  vorzuwerfen,  wir  folgten 
damit  einem  unpatriotischen  Instinkte,  der  kindisch  nach  Aus- 
ländischem greift;  als  ob  der  Künstler  Herr  wäre  über  jenen 
rätselhaften  Trieb,  der  seinen  Ideen  die  Richtung  und  seiner 
Kunst  den  Stil  gibt. 

Ein  starker  Wind  weht  heute  die  Keime  einer  neuen  Kunst 
über  ganz  Europa  und  wo  gutes,  unverbrauchtes  Erdreich  ist, 
geht  die  Saat  auf  nach  natürlichem  Gesetz.  Der  Ärger  einiger 
Künstler  der  deutschen  Scholle,  dass  gerade  Westwind  geht, 
wirkt  wirklich  komisch.  Sie  bevorzugen  Windesstille,  Den  Ost- 
wind mögen  sie  nämlich  auch  nicht,  denn  von  Russland  her 
weht  es  denselben  neuen  Samen.  Was  ist  da  zu  machen? 
Nichts.  Der  Wind  fährt,  wohin  er  will.  Der  Same  stammt 
aus  dem  Reichtum  der  Natur;  und  selbst  wenn  Ihr  ein  paar 
Pflänzchen  mit  Füssen  tretet  oder  ausreisst,  so  macht  das  der 
Natur  gar  nichts  aus.  Es  ist  nur  etwas  unkollegial  und  verrät 
auch  eine  traurige  Anschauung  über  Kunst. 

Es  gibt  nur  Einen  Weg  der  Verständigung:  den  ehrlichen 
Vergleich.  Man  denke  sich  in  irgend  einer  Münchner  Ausstellung 
zwischen  die  deutschen  Bilder  entsprechend  französische  ein- 


FRANZ  MARC  77 


geschoben:  C^zanne,  Renoir,  Manet,  van  Gogh,  Gauguin, 
Signac,  Matisse,  Picasso,  Girieud,  Le  Fauconnier,  Friesz  u.  a. 
Die  Wirkung  wird  deprimierend  sein.  Die  Franzosen  sind  so 
ungleich  künstlerischer  und  innerlicher,  dass  die  deutschen 
Bilder  sofort  leer  und  von  äusserlicher  Mache  erscheinen. 
Glaubt  man  das  nicht?  Will  die  „Scholle"  oder  die  Münchner 
Sezession  den  Versuch  wagen?  Die  vorsichtige  Auswahl  von 
französischen  Gästen,  die  heuer  die  Sezession  getroffen,  wirkt 
auf  Eingeweihte  erheiternd.  Die  wundervolle  Cezanne-Kollektion , 
die  vor  einigen  Jahren  die  Herren  am  Königsplatze  beunruhigte, 
wurde  zur  besseren  Hälfte  einfach  im  Sekretariat  (!)  aufgehängt; 
der  gnädig  gezeigte  Rest  genügte  freilich  vollkommen,  um  die 
ganzen  Malbestrebungen  der  Sezession  ad  absurdum  zu  führen ; 
aber  man  sah  nichts  und  tat,  wie  wenn  nichts  geschehen  wäre. 

Dass  es  nicht  der  dekorative  Gehalt  der  französischen  Bilder 
ist,  der  die  deutschen  schlägt,  sondern  lediglich  der  innerliche, 
künstlerische,  können  wir  uns  Deutsche  zu  unserer  Beschämung 
daran  demonstrieren,  dass  wir  an  Stelle  der  gedachten  modernen 
Deutschen  beispielsweise  einmal  Kobell,  Runge,  Bürkel, 
Wagenbauer,  Kaspar  D.  Friedrich,  Blechen,  Rethel,  Joh.  Adam 
Klein  und  Schwind  zwischen  die  Franzosen  hängen  —  unsere 
Deutschen  werden  leise  altmodisch  klingen,  aber  die  Innerlich- 
keit dieser  Meister  wird  mit  erstaunlicher  Gewalt  neben  den 
modernsten  Franzosen  bestehen.  Echte  Kunst  bleibt  immer  gut. 

Aber  man  muss  ein  Auge  dafür  haben  und  eine  dem  Inner- 
lichen zugewandte  Seele,  die  sich  allem  Künstlerischen  eben- 
so weit  öffnet  als  sie  vor  jeder  äusserlichen  Mache  zurückbebt. 

Wie  ein  Wachsfigurenkabinett  durch  raffiniert  geschickte 
Mittel  ein  Leben  vorzutäuschen  sucht,  das  es  nicht  hat,  so 
sucht  heute  die  überwiegende  Mehrzahl  der  deutschen  Maler 
durch  die  Manier  ihres  malerischen  Vortrags  ein  künstlerisches 
Erlebnis  vorzutäuschen,  das  in  den  Bildern  gar  nicht  steckt. 
Dass  dabei  die  Meisten  sich  ehrlich  und  ahnungslos  selbst 
täuschen  und  für  ein  „künstlerisches  Erlebnis"  ansehen,  was 
lediglich  „Manier"  ist,  steht  uns  ganz  ausser  Zweifel.  Aber 
gerade  hierin  liegt  der  Jammer  dieser  Pseudokunst. 


78  FRANZ  MARC  —  A.  DEUSSER 

Dem  von  Lehrern  übernommenen  oder  persönlich  ersonnenen 
Rezept  des  malerischen  Vortrags  wird  heute  in  Deutschland 
eine  ganz  lächerliche  Bedeutung  beigelegt.  Die  Ware  eines 
jeden  Künstlers  wird  nicht  einzeln  auf  ihren  reinkünstlerischen 
Wert  geprüft,  sondern  trägt  je  nach  ihrem  Aussehen  (Technik, 
Farbenklang,  Kompositionsweise)  eine  Reklamemarke,  wie 
z.  B.  in  der  Stoff  brauche :  Glanzseide,  Home  spun,  Taffet, 
Moire,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  die  Bezeichnungen  der 
Stoffe  zuweilen  ihrem  wirklichen  Werte  entsprechen  können, 
in  der  Malerei  jedoch  von  einem  solchen  Verhältnis  nicht  die 
Rede  sein  kann. 

Dieser  Tatsache  gegenüber  bedeutet  unsere,  mit  begreiflichem 
Unverständnis  aufgenommene  Bestrebung  ein  Zurückbesinnen 
auf  den  Urgrund  künstlerischen  Erlebens  und  Schaffens;  wir 
fühlen  uns  hierin  verwandt  mit  einigen  französischen  Kollegen 
und  reichen  ihnen  lediglich  darum  unsere  Hand.  Ebenso  ist 
unsere  Liebe  zu  den  Primitiven  nicht  eine  Laune,  sondern  der 
tief  sehnsüchtige  Traum,  das  längst  vergessene  einfache  Ver- 
hältnis vom  Menschen  zur  Kunst  wiederherzustellen.  Welche 
schwere  Aufgabe  wir  uns  damit  stellen,  sind  wir  uns  ebensowohl 
bewusst  als  der  Wahrscheinlichkeit,  dabei  oft  Fehlschritte  und 
Umwege  zu  gehen  wie  Leute,  die  auf  einen  hohen  Berg  den  ersten 
Pfad  bahnen.  Aber  wir  haben  das  grosse  Ziel  erkannt  und  wir 
oder  unsere  Nachkommen  werden  es  einmal  erreichen.  Alles 
übrige  ist  gleichgültig.  Die  liebe  Kollegenschaft,  die  uns  auf 
unserm  dornenvollen  Pfade  noch  beschimpft  und  verhöhnt, 
könnte  sich  bei  der  Versicherung  beruhigen,  dass  sie  uns  in 
materieller  Beziehung,  für  die  sie  so  heisses  Interesse  zeigt, 
nicht  zu  beneiden  hat. 
Sindelsdorf  b.  München.  Franz  Marc. 

Tj  ie  deutsche  Jugend  will  von  der  Langen  weile  und  Phrasen- 
haftigkeit  der  Herren  Professores  nichts  lernen,  es  beliebt 
ihr,   nach  Paris  zu  gehen  zu  den  Meistern  der  künstlerischen 
Wahrhaftigkeit. 


A.   DEUSSER  —  MAX  CL ARENBACH  79 

Der  Glaube,  dass  der  höchste  Ausdruck  aller  Kunst  von 
Leuten  ihres  Geblütes  geschaffen  werden  kann,  wird  der  deut- 
schen  Jugend  —  bei  Rembrandt!  —  nicht  genommen  sein. 

Die  Kunsthistoriker  seien  bedankt:  sie  hängen  die  Meister 
von  Frankreich  in  ihre  Museen,  die  hängen  da,  gleich  den  alten 
Meistern,  und  die  Protestler  müssen  in  den  Keller.  Die  Kunst- 
händler seien  bedankt:  sie  ermöglichen  es,  zwei  Cezannes  für 
einen  von  Stuck  ä  60  000  M.  zu  erwerben.  Man  denke  —  zwei 
Cezannes  für  einen  von  Stuck. 

Die  Jugend  aber  wird  siegen! 
M  o  n  h  e  i  m  a.  Rh.  A.  Deusser. 

rZ_eva.de  jetzt  ist  es  mir  ein  Bedürfnis,  mehr  wie  vorher  zu 
^-^  sagen,  was  wir  eigentlich  alle  schon  wissen  und  nur  von  ein 
paar  kleinen  Menschlein  ängstlich  bestritten  wird.  —  Alle 
grossen  Eindrücke  in  der  modernen  Malerei  kamen  und  kommen 
von  Paris.  —  Ich  sehe  keinen  Grund  ein,  uns  diese  Freude,  die 
man  immer  wieder  vor  guter  französischer  Kunst  empfindet, 
nehmen  zu  lassen  — ,  Wer  will  uns  jungen  Deutschen  die  Lust 
an  aller  ernsten  und  grossen  Kunst  untersagen?  Kein  Teufel 
wird  mir  je  meine  Begeisterung  vorschreiben  können  —  kein 
Mensch  mich  bestimmen,  die  starken  Empfindungen  unserer 
jungen  französischen  Kollegen  zu  übersehen.  —  Seien  wir  dank- 
bar den  Museumsleitern,  die  es  uns  ermöglichen  —  anstatt 
Bilder,  die  man  schon  seit  30  Jahren  kennt,  und  die  immer  noch 
gemalt  werden,  vorzuführen  —  die  Grossen  und  die  temperament- 
vollen Jungen  unserer  Nachbarnation  zu  bewundern.  —  Nach 
wie  vor  werde  ich  alles  Gute,  und  wenn  es  aus  Kuxhaven  käme, 
anerkennen  und  gelten  lassen;  falls  es  eine  künstlerische  Ab- 
sicht zeigt.  Lassen  wir  uns  nicht  abhalten,  alle,  die  ehrlich 
streben  und  vorwärts  wollen,  die  ringen  und  mit  ihrer  ganzen 
Seele  das  Schöne  und  Freie  in  der  Kunst  lieben,  zu  vertreten 
mit  unserer  ganzen  Kraft  —  und  sollten  es  sogar  —  junge 
Franzosen  sein. 

W  i  1 1 1  a  e  r  b.  Kaiserswerth.  Max  Ciarenbach. 


8o  HEINRICH  NAUEN  —  AUGUST  MACKE 

A/ innens  „Protest  deutscher  Künstler"  ist  lächerlich.  Wenn 
ich  jetzt  in  einen  Gegenprotest  einstimme,  so  geschieht 
es  nur  aus  Höflichkeit  gegen  die  gute  Stadt  Bremen.  Über  Kunst 
und  künstlerische  Anschauungen  kann  man  nicht  diskutieren, 
am  wenigsten  mit  Herrn  Vinnen.  Das  einzig  klare  seines  Pro- 
testes ist  sein  Mangel  an  Verständnis  für  van  Gogh.  Was  er 
und  seine  „Brüder  im  Geiste"  so  pathetisch  als  „Protest  deutscher 
Künstler"  vom  Stapel  liessen,  wird  von  keinem  einsichtsvollen 
Menschen  ernst  genommen,  und  es  war  mir  eine  aufrichtige 
Freude,  dass  Paul  Cassirer  sehr  witzig  und  klug  Vinnens  Be- 
hauptungen in  die  Ecke  schob. 

Vinnens  Protest  misskreditiert  uns  Deutsche  absolut  nicht. 
Ich  verstehe  überhaupt  nicht,  warum  ich  dagegen  protestieren 
soll,  denn  Vinnen  kompromittiert  nicht  unsere  junge  Kunst, 
sondern  Vinnen  kompromittiert  die  Stadt  Bremen.  Bremen 
mit  deinem  Kaffee,  deinen  Zigarren  und  deinem  Reichtum, 
wegen  30  000  M.  bringt  man  dich  in  aller  Leute  Mund.  — 
Armes  altes  Bremen!  Ich  hatte  von  dir  den  Eindruck,  du 
könntest  dir  nicht  nur  einen  van  Gogh  leisten,  sondern 
zum  mindesten  sechs, 

Krefeld.  Heinrich  Hauen. 


Tch  glaube,  es  lohnt  sich,  vom  Standpunkt  der  Jugend  aus, 
-^  die  vor  allem  lernen  will,  einmal  unsere  Kunstzustände  zu 
beleuchten.  Welche  Mittel  hat  der  jimge  Maler  zum  Studium? 
Was  erweitert  und  was  verengert  sein  Gesichtsfeld? 

Sehen  wir  uns  einmal  die  Lehranstalt  an,  die  der  junge 
Künstler  mit  seiner  schönsten  Sehnsucht  betritt.  Ich  nehme 
als  Beispiel  aus  eigner  Erfahrung  die  Düsseldorfer  Akademie. 
Vor  sechs  Jahren  fanden  sich  in  den  Lehrmitteln  dieser  Anstalt 
von  Goya,  den  ich  kennen  lernen  wollte,  zwei  uralte  Photos; 
amerikanische  Sport-  und  Gesellschaftsbilderbücher  von  Gibson 
und  ähnliches  leere  Zeug  lag  in  Massen  herum.  Der  alte  E.  von 
Gebhardt  stürzte  sich  jeden  Montag  morgen  auf  den  Simpli- 


AUGUST  MACKE  8i 


cissimus  und  bog  sich  vor  Lachen  über  die  Zeichnungen  von 
Heine  und  Gulbranson.  Wenn  iJim  aber  der  BibHothekar 
schüchtern  ein  Werk  über  Impressionismus  vorlegte,  so  schrie 
dieser  Tyrann  mit  greller  Stimme:  „Was,  es  ist  schon  eine 
Schweinerei,  dass  solch  ein  Dreck  gemalt  wird ;  darüber  braucht 
man  nichts  zu  lesen."  Langsam  zirkuhert  der  Kohlestaub  durch 
das  grosse,  von  aussen  ganz  manierüch  aussehende  Gebäude 
und  legt  sich  auf  Gipsklamotten  und  auf  die  Rahmen  franzö- 
sischer Historienbildchen,  die  als  Kollegen  von  Knaus  und 
Defregger  die  Korridore  zieren.  Wer  die  Freiheit  liebt  und 
Mittel  hat,  entflieht.  Wer  ein  Stipendium  hat,  wer  schon  zu 
mürbe  ist,  und  wer  einen  Stammtisch  im  Cafe  hat,  bleibt  und 
verliert  unter  der  ewigen  Kritik  seines  Tyrannen  die  Lust  zum 
Kampfe.  Was  soll  aus  einem  Menschen  auch  schliesslich  werden, 
der  mit  konstanter  Bosheit  zehn  Jahre  gesagt  bekommt,  die 
Nase  oder  das  Bein  sei  zu  lang  oder  zu  kurz.  Einmal  kam  einer 
aus  Worpswede.  Er  brachte  von  da  die  Kunst  des  „Seelisch 
Zeichnens"  mit.  Sonst  war  man  sich  aber  einstimmig  darüber 
Idar,  dass  ,,für  ims  Moderne"  Dürer  ein  überwundener  Stand- 
punkt sei.  Zwei  schlechte  Nachahmer  französischer  schlechter 
Malerei  zogen  als  neue  Götter  ein,  ein  Schollemitglied  und  ein 
Zügelschüler.  Der  Kreis  ist  wirklich  recht  klein  da  in  Düsseldorf, 
und  eine  Galerie  fehlt  auch. 

Wem  nun  der  Kreis  noch  nicht  klein  genug  ist,  der  zieht  in 
eine  kleinere  Stadt,  ,,wo  eher  was  zu  machen  ist,"  wo  man 
schneller  dazu  kommt,  die  lange  Siegerpfeife  zu  rauchen.  Man 
fragt  ihn  nun  bei  kleinen,  bürgerhchen  Abendessen :  „Auf  welches 
Gebiet  haben  Sie  sich  denn  nun  geworfen  ? "  Er  ist  am  Ziel,  schmun- 
zelt, wird  ernst,  reibt  sich  die  Hände  und  sagt:  „Biedermeier- 
interieurs." Eine  Pause,  damit  der  Ausspruch  wirkt.  ,,Aber 
hauptsächlich  Porträts."  Das  ist  nun  nicht  immer  gleich. 
Andere  malen  auch  hauptsächlich  Hafenbilder,  oder  Foxterriers, 
Hummer  mit  Äpfeln,  Heidelandschaften  oder  Abschieds- 
stunden. Oder  die  ewige  Dame  vor  dem  Spiegel.  Die  Haupt- 
sache ist,  dass  ,,man  sich  auf  ein  Gebiet  geworfen  hat".  Der 
Sieg  im  kleinen  Kreise  ist  da.     In  einem  gewissen  Alter  wird 

6 


82  AUGUST  MACKE 


versucht,  den  Kreis  zu  erweitern,  oder  Patriotismus  erwacht. 
Proteste  gegen  ausländische  Kunst  machen  behebt  bei  allen 
Stadtverordneten.  Nebenbei  aber  schimpfen  alle  auf  die  langen 
Jahre,  die  sie  auf  der  Akademie  vertrödelt  haben.  Das  sind  die, 
„die  sich  auf  was  geworfen  haben".     Gott  sei  mit  ihnen! 

Wie  anders  geht  es  der  zweiten  Sorte,  diesen  armen  Märtyrern, 
die  von  Sehnsucht  verzehrt  von  Museum  zu  Museum,  von  Stadt 
zu  Stadt  ziehen,  die  zufällig  nach  Paris  kommen  und  nicht  soviel 
Charakterstärke  haben,  um  einzusehen,  dass  Hans  von  Bartels, 
Defregger  und  Artur  Kampf  bedeutend  tüchtiger  sind  als  Manet, 
Renoir  und  Degas.  Die  Araien  geraten  in  den  Strudel  Durand- 
Ruel,  Bernheim,  Vollard,  Cassirer.  Die  kleine  deutsche  Stadt 
mit  ihren  Stadtverordneten  ist  verscherzt. 

Die  Kenntnis  auch  der  fremden  Kunst  weitet  den  Blick  und 
lehrt  strengere  Selbstkritik. 

Wo  sind  die  Leute,  die  uns  die  Mittel  verschaffen,  durch 
Sehen  zu  lernen?  Es  sind  nicht  die  Akademieprofessoren.  Es 
sind  viel  eher  die  Museumsdirektoren,  die  Kunsthändler  und 
die  Kunsthistoriker,  die  uns  ein  weites  Gesichtsfeld  verschaffen 
können.  Die  Arbeit  dieser  drei  Stände  wird  sicher  vom  grössten 
Teil  der  jüngeren  Maler  nicht  so  unverständig  verkannt,  wie 
von  den  Protestlern.  Der  Museumsdirektor,  verantwortlich  für 
die  Anwendung  fremden  Geldes,  kauft  nicht  impulsiv  wie  der 
Sammler  mit  dem  eigenen.  Er  geht  zum  Kunsthändler  der^ Gross- 
stadt, der  einen  Kreis  von  Beratern  um  sich  hat,  die  die  Kunst 
leidenschaftlich  lieben,  Sammler,  Maler  und  Kunsthistoriker, 
die  seine  Speicher  besuchen,  um  zu  sehen  imd  zu  prüfen.  In 
der  Zentrale  des  Kunstmarktes  ist  man  doch  schliesslich  sicherer, 
ein  gutes  Bild  zu  finden,  wie  abends  beim  Bier  in  der  Künstler- 
kneipe. Für  dieses  vorsichtige  Umgehen  mit  staatlichen  und 
städtischen  Geldern  muss  die  Mehrzahl  unserer  Museums- 
direktoren unglaubliche  Bemerkungen  gewisser  immer  schimp- 
fender Maler  und  Zeitungskritiker  hinnehmen.  In  kösthcher 
Naivität  verkündet  der  alte  von  Perfall  in  der  ,, Kölnischen 
Zeitung":  ,,Es  ist  jetzt  bald  genug,  dass  der  deutsche  Bürger 
sein   Geld  für  solches  Zeug  hergibt".      Ebenso  unanfechtbar 


AUGUST  MACKE  —  WALTER  BONDY 


komisch  wirkt  es,  wenn  der  Schleifchen-  und  Modemaler  Erler 
vor  Bildern  von  Greco  sagt,  der  sei  nur  ein  spanischer  Maler 
zweiter  Güte.  Herr  Wilhelm  Michel,  noch  warm  vor  Begeiste- 
rung für  Leo  Putz,  schimpft  Greco  einen  ,, affektierten,  eis- 
kalten, leeren  Neugriechen",  nennt  ihn  ,, leblos,  sentimental, 
zimperlich  und  oberflächlich".  Derselbe  Kenner  behauptet  in 
demselben  führenden  Blatt  der  Kunststadt  München,  dass 
Vermeers  Milchmädchen  und  brieflesende  Frau  einer  „schlecht 
bemalten  Photographie  fatal  gleichsehe".  Da  kann  doch  kein 
Auge  trocken  bleiben. 

Als  hervorragendste  der  Kunsthändler  und  Museumsdirek- 
toren, die,  frei  von  allem  Kleinlichen,  ihre  Persönlichkeit  ein- 
gesetzt haben  für  eine  Förderung  malerischer  Kultur,  sind 
wir  Maler  Paul  Cassirer  und  Hugo  von  Tschudi  zu  grossem 
Dank  verpflichtet.  Und  auch  alle  andern,  die  imerschrocken 
und  wahrhaftig  nicht  zu  ihrem  eigenen  Vorteil  für  die  Durch- 
setzung guter  Kunst  in  Deutschland  gekämpft  haben,  besonders 
die  Leiter  unserer  Museen,  haben  sich  dadurch  den  Dank  einer 
jungen,  aufstrebenden  Generation  verdient.  Ebenso  manche 
Kunsthistoriker  und  Kunstschriftsteller.  Vor  allem  Meier- 
Graefe,  der  Vielgeschmähte,  dessen  Namen  man  in  Gesellschaft 
gebildeter  Deutscher  nur  mit  Vorsicht  nennen  darf.  Die  Namen 
derer,  für  die  er  gearbeitet  hat,  Leibl,  Marees,  Feuerbach, 
Menzel,  Renoir,  Degas,  Manet,  Cezanne,  van  Gogh  und  Greco, 
sprechen  für  seinen  künstlerischen  Instinkt. 

Unsere  Alten  haben  geliebt,  was  sie  wollten,  sind  nach  Rom 
gefahren  oder  nach  Paris,  so  oft  sie  wollten,  und  viele  Akademie- 
professoren finden  sich  wahrhaftig  auch  nicht  unter  den  wahren 
Meistern  deutscher  Malerei.  Wir  brauchen  in  der  Kunst  volle 
Freiheit  und  keine  Bezirksfeldwebel. 
Bonn.  August  Macke. 

A  uf  Ihre  Anfrage  nach  meiner  unmassgeblichen  Meinung 
■*■  ^  über  die  Broschüre  „Ein  Protest  deutscher  Künstler" 
antworte  ich  folgendes: 

6* 


84  WALTER  BONDY 


Sie  haben  ganz  recht,  dass  Sie  gegen  diesen  Herrn  Vinnen 
zu  Felde  ziehen.  Solche  Leute,  so  wenig  sie  selbst  bedeuten, 
so  viel  Schaden  können  sie  anrichten,  wenn  sie,  auf  falsche 
Daten  gestützt  und  mit  vollkommen  mangelnder  Sachkenntnis 
gegen  eine  Bewegung  losgehen,  die  die  Maler  der  ganzen  Welt 
interessiert  hat  und  der  sich  selbst  die  reaktionärsten  nicht  ganz 
verschliessen  konnten.  Solche  Leute,  die  nur  dem  Brusttone 
der  Überzeugung,  mit  der  sie  ihre  Sentimentalitäten  vor- 
bringen, ihren  Erfolg  verdanken  und  nicht  klarer  Erkenntnis 
der  Dinge  und  logischer  Auseinandersetzung. 

Da  wird  der  ganze  Flitterkram  ausgepackt.  Diese  alten 
nie  verrostenden  Waffen  aus  Papiermache,  diese  Schlagwörter 
wie  ,, nationale  Eigenart",  ,, deutsches  Gemüt"  und  ,, deutsche 
Tiefe"  und  die  gute,  alte,  welsche  ,, Oberflächlichkeit". 

Da  wird  geklagt  und  angeklagt,  mitleidig  mit  der  Schulter 
gezuckt,  ironisch  gelächelt  und  tief  traurig  geseufzt.  Eine  welt- 
männische Schmeichelei  hier,  ein  urdeutsches  Kraftwort  dort; 
Honig  und  Wermut. 

Dann  wird  wieder  der  Ausspruch  eines  ,, namenlos"  Un- 
interessanten zum  besten  gegeben. 

Eines  Freundes  Vinnens. 

Da  wird  geweint  und  gelacht,  gestöhnt  und  geschimpft  und 
dabei  immer  im  Kreise  herumgeäugelt  nach  Publikum,  nach 
Gleichgesinnten,  nach  Mitprotestierenden. 

Da  wird  an  alles  in  uns  appelliert,  was  einen  Augenblick 
lang  leicht  zu  betören  ist.     Einen  Augenblick  lang! 

Da  tritt  wieder  der  gute  deutsche  Michel  auf,  der  sich  alles 
gefallen  lässt,  der  sich  wieder  mal  welschen  Mist  für  Gold  hat 
aufschwatzen  lassen  und  der  doch  bei  sich  zu  Hause  nur  das 
Beste  vom  Besten  hat 

Herr  Vinnen  soll  sich  beruhigen.  Der  deutsche  Michel  ist 
viel  gescheiter  wie  er  denkt.  Er  weiss  wohl  sein  Heimatland 
zu  schätzen  und  kennt  seine  Kraft  ganz  genau.  Aber  er  kennt 
auch  seine  Schwächen,  und  wenn's  bei  ihm  zu  Hause  anfängt, 
muffig  zu  werden,  sucht  er  sich  die  frische  Luft  dort,  wo  sie 
wirklich  ist. 


WALTER  BONDY  85 


Wenn  dabei  vielleicht  manchmal  übers  Ziel  geschossen  wird, 
tut  das  nichts,  aber  es  finden  sich  immer  Leute,  die  dieses 
Überszielschiessen  als  das  charakteristische  der  ganzen  Be- 
wegung proklamieren. 

Und  das  meist  nur,  weil  die  eigene  Begeisterung  nicht  die 
erhofften  Früchte  getragen  hat. 

Doch  wie  sie  früher  kleine  Revolutionäre  waren,  werden  sie 
jetzt  kleine  Reaktionäre. 

Wenn  Herr  Vinnen  wenigstens  die  Courage  gehabt  hätte 
zu  sagen:  ,,Die  ganze  französische  Kunst  ist  Mist;  lasst  doch 
den  fremden  Schwindel  und  kehrt  zurück  von  diesen  faulen 
Ragouttöpfen  zu  Eurem  kräftigen  Eisbein  mit  Sauerkohl,  zu 
Euren  gemütvollen  Matjesheringen  mit  Bratkartoffeln,  zu 
Eurer  deutschen  Einigkeitstunke!" 

Aber  diesen  Mut  hatte  er  nicht. 

Er  hatte  Angst  davor,  mit  ganzer  Kraft  gegen  das  Fremde 
zu  Felde  zu  ziehen,  weil  er  fürchtete,  seinen  eigenen  Werdegang 
zu  kompromittieren. 

Er  warnt  bloss. 

Er  warnt  davor,  nicht  zu  viel  von  den  guten  fremden 
Gerichten  zu  essen  und  ja  nur  das,  was  unserm  Magen  bekömm- 
hch  ist.  Und  dabei  setzt  er  natürlich  voraus,  dass  wir  alle  einen 
so  schwachen  Magen  haben  wie  er. 

Er  masst  sich  an,  den  Zeitpunkt  festsetzen  zu  dürfen,  wo 
man  sich  von  Tische  zu  erheben  hat,  und  er  vergisst  ganz, 
dass  dies  die  Bevormundung  einer  starken  Nation 
bedeutet,  die  Hunderte  von  Männern  besitzt,  die  mehr  Talent 
und  mehr  nationale  Eigenart  haben  und  die  hundertmal  kräf- 
tigere geistige  Mägen  besitzen  als  Herr  Vinnen,  dem  schon 
nach  den  Hors-d'oeuvres  schlecht  geworden  ist. 

Wir  sind  stolz  darauf,  dass  wir  die  französischen  Maler 
eher  erkannt  haben  als  die  Franzosen  selbst;  wir  sind  stolz 
darauf,  unsere  eigenen  Schwächen  erkannt  zu  haben.  Wir 
haben  damit  einen  Sieg  über  uns  selbst  erfochten,  der  gleich- 
wertig ist  mit  Siegen  nacli  aussen  und  der  ebenso  unsere 
nationale  Kraft  dokumentiert. 


86  WALTER  BONDY  —  EUGEN  SPIRO 

Wir  hatten  keine  Angst  davor,  unsere  Eigenart  zu  verlieren, 
indem  wir  uns  an  fremde  Lehrer  anschlössen,  denn  wir  glauben 
an  diese  Eigenart. 

Wir  sind  keine  schwächlichen  Herrchen,  die  glauben,  ihre 
Lehrer  verraten  zu  müssen,  weil  sie  wähnen,  genug  von  ihnen 
gelernt  zu  haben. 

Aber  am  allerwenigsten  lassen  wir  uns  von  diesen  schwäch- 
lichen Herrchen  eine  Marschroute  vorschreiben,  von  diesen, 
die  selbst  nie  bewiesen  haben,  dass  sie  eine  Eigenart  haben,  an 
unsere  Eigenart  gemahnen. 

Herr  Vinnen  findet,  dass  wir  die  Franzosen  überschätzen. 
Ich  finde,  dass  Herr  Vinnen  uns  unterschätzt. 
Paris.  Walter  Bondy. 


^"\  T^ir  wollen  keine  chinesische  Mauer,  keine  chauvinistische 
»  ^  ^  Deutschtümelei,  kein  Absperren  gegen  Wertvolles  .  .  ."^ 
beginnt  Herr  Vinnen  seinen  ,, Protest";  und  da  ist  es  ihm  auch 
richtig  gelungen,  im  weiteren  Verlauf  seiner  Abhandlung  gerade 
das  zu  erreichen,  was  er  vorgibt,  nicht  zu  wollen.  Dengrössten 
Teil  der  Leser  in  diesem  Sinne  anzustecken,  ist  bei  der  geschick- 
ten Abfassung  der  Broschüre  ein  leichtes.  Bedenklich  aber 
ist,  dass  man  nach  der  Broschüre  annehmen  darf,  Herr  Vinnen 
möchte  gern  Namen  wie  Cezanne  und  van  Gogh  in  den  Kreis 
des  Abzusperrenden  einschliessen.  Das  wäre  eben  ein  Ab- 
sperren gegen  Wertvollstes,  das  uns  nicht  genug  in  Deutschland 
vor  Augen  gebracht  werden  kann.  Was  geht  es  uns  an, 
welche  Summen  dafür  gezahlt  werden?  Diese  Ziffern  ergeben 
sich  ganz  von  selbst  durch  Angebot  und  Nachfrage.  Regt 
man  sich  doch  nicht  über  die  phantastischen  Preise  auf,  die 
von  Amateuren  für  Teller  und  Töpfe  und  Schnupftabak- 
dosen gezahlt  werden.  Dies  ein  Beispiel  für  jedenfalls  Wert- 
volles. Von  den  Unsummen  für  wertlose,  aber  populäre  Kitsch- 
ware des  In-  und  Auslandes  will  ich  schweigen. 

Dass  es  nun  in  Deutschland  auch  Liebhaber,  oder  sagen 
wir  Snobs  gibt,   die  ihr  Auge  auf  die  allerletzten  Auswüchse 


EUGEN  SPIRO  —  JULIUS  PASCIN  87 

werfen,  schadet  schwerlich  den  deutschen  Künstlern;  denn 
gerade  diesen  Käufern  würde  es  nicht  im  Traume  einfallen, 
um  den  gleichen  billigen  Preis  irgend  ein  braves,  deutsches 
Gemälde  zu  erwerben,  das  ihnen  gar  so  leicht  verständlich  ist 
und  daher  keinen  Spass  mehr  macht.  Je  wüster  das  Zeug  ist, 
um  so  mehr  können  sie  sich  dabei  etwas  einreden  oder  ein- 
reden lassen,  was  übrigens  nicht  hindert,  dass  in  all  dieser 
Farbenmathematik  immer  noch  eine  Portion  Talent  und 
manchmal  sogar  künstlerischer  Wille  steckt.  Und  wenn  hie  und 
da  junge  deutsche  Künstler  sich  in  ähnlichen  Kunststücken 
üben,  was  schadet's!  Dabei  lernen  sie  vielleicht  mehr  ihr 
Gehirn  anstrengen  und  weniger  auf  die  Virtuosität  des  Hand- 
gelenks Wert  legen.  Wer  von  ihnen  es  wirklich  ,,in  sich 
hat",  kommt  eines  Tages  gestählt  wieder  heraus  aus  dieser 
,,Verirrung",  und  um  den,  der  darin  verkommt,  ist's  nicht 
schadei 

Wären  dagegen  die  deutschen  Museen  mit  einer  Auswahl 
der  besten  Werke  der  grossen  Franzosen  belehrend  versehen, 
so  dass  die  Jungen  sich  bereits  in  der  Heimat  ein  Bild  von 
deren  Bedeutung  machen  könnten,  so  würden  diese  Leute  bei- 
zeiten erfassen,  auf  welchem  Wege  sie  sich  in  Paris  zu  be- 
reichern hätten,  und  im  Erkennen  der  von  den  Meistern  inne- 
gehaltenen Tradition  wäre  es  ihnen  unmöglich,  dem  aktuellen 
Unfug  zu  unterliegen. 

Jedenfalls  wird  mit  Streitschriften  ä  la  Vinnen  die  Kon- 
fusion nur  vergrössert,  und  das  Wünschenswerteste  im  Augen- 
blick ist,  dass  dieser  ganze  Rummel  bald  im  Sande  verläuft. 

Paris.  Eugen  Spiro. 


Ija  Sammler,  die  ihren  Geschmack  an  Cezanne  und  Renoir 
-■-^  gebildet  haben,  für  Werke  von  Vinnen,  Erler  etc.  als 
Käufer  wenig  in  Betracht  kommen  dürften,  finde  ich  die  Protest- 
schrift dieser  Herren  ausserordentlich  berechtigt. 

Paris.  Julius  Pascin. 


88  KARL  HOFER 


A  ngesichts  dieser  Broschüre  von  teils  konfusem  und  mit 
-^-^  wenigen  Ausnahmen  äusserst  inferiorem  Inhalt  befindet 
man  sich  in  einiger  Verlegenheit,  denn  es  ist  manches  darin 
enthalten,  dem  jeder  vernünftige  Mensch  beistimmen  muss, 
und  zu  dessen  Feststellung  es  deshalb  keinerlei  Protestes  be- 
durft hätte. 

Ich  meine  die  etwa  vorhandenen  Auswüchse  eines  weiter 
nicht  gefährlichen  Snobismus  und  die  dazu  gehörigen  fröh- 
lichen Resultate  der  allemeuesten  Kunstentwicklung. 

Leider  dienen  nun  aber  diese  Auswüchse  den  Verfassern 
zum  Vorwand,  ernsthafte  Bestrebungen,  junge  Künstler,  ver- 
diente Kritiker  und  Museumsleiter  zu  verdächtigen,  indem 
man  sie  damit  identifiziert. 

Darf  man  annehmen,  aus  Unkenntnis  und  Mangel  an  Unter- 
scheidungsvermögen ? 

Der  Schein  der  Wahrheit,  der  infolgedessen  dieser  Attest- 
sammlung anhaftet,  ist  geeignet,  Leute,  die  mehr  guten  Willen 
wie  Kritik  besitzen,  in  Verwirrung  zu  bringen. 

An  und  für  sich  würde  es  sich  nie  der  Mühe  lohnen,  sich 
mit  diesen  Schreibereien  zu  beschäftigen,  die  in  sich  selbst 
so  voller  Widersprüche  sind,  dass  man  daraus  allein  eine  Ent- 
gegnungsschrift zusammenstellen  könnte. 

Gerührt  hest  man,  wer  da  nicht  alles  selbst  in  Paris  war 
und  damit  sein  Verständnis  dokumentiert.  Geschadet  hat  es 
ja  nichts.  Man  hat  die  Mode  mitgemacht,  ist  ihrer  nun  über- 
drüssig und  will  sie  wieder  abschaffen. 

Obgleich  die  ,, Ästheten"  ja  angeblich  heut  oder  über- 
morgen irgend  eine  neue  Mode  erfinden,  womit  doch  die  Sache 
aus  der  Welt  geschafft  wäre,  weiss  man  ihnen  keinen  Dank. 

Es  wird  dem  jungen  Künstler  erlaubt,  die  Meister  zu 
studieren  und  sich  Anregungen  zu  holen.  Sind  diese  in  seinen 
Werken  mehr  oder  weniger  wahrnehmbar,  so  sind  es  Imitationen, 
natürlich  ,, plumpe". 

Man  will  dem  Publikum  weismachen,  die  Franzosen  küm- 
merten sich  längst  nicht  mehr  um  ihre  eigenen  grossen  Künst- 
ler und  ist  sogleich  empört  darüber,  dass  sie  nicht  uns  ihre 


KARI.  HOFER  —  WILHELM  UHDE  89 

besten  Werke  geben,  sondern  sie  trotz  ihresNichtdarumkümmerns 
selbst  behalten. 

Lebensgefährlich  sind  uns  Cezanne  und  van  Gogh.  Einige 
geben  zu,  dass  es  grosse  Künstler  sind,  andere  deuten  an,  dass 
sie  der  Sache  nicht  trauen,  dass  es  damit  gehen  werde,  wie 
Anno  Toback  mit  dem  Schotten-  und  anderem  Schwindel 
(man  ist  seitdem  gewitzigt  in  München!).  Die  Dritten  wagen 
nicht  offen  auszusprechen,  dass  sie  beide  für  Halunken  halten. 

Paris.  Karl  Hofer. 


A  A  /  enn  französische  Künstler  und  Kollektioneure  mich  be- 
suchen,  blättern  sie  gern  in  den  deutschen  Büchern  und 
Zeitschriften,  die  von  Malerei  handeln.  Dann  ist  es  mir  eine 
Freude,  wenn  einer  dem  andern  die  Reproduktion  des  Daumier 
oder  Cezanne  zeigt,  der  gerade  von  einer  deutschen  öffentlichen 
oder  privaten  Sammlung  angekauft  wurde.  Ich  kann  versichern, 
dass  die  freudige  Stimmung  auf  der  andern  Seite  geringer  ist, 
dass  die  Urteile  über  die  französischen  Galerieleiter,  die  das 
betreffende  Stück  sich  entgehen  Hessen,  wenig  günstig  ausfallen 
und  dass  man  uns  den  Besitz  dieser  Bilder  nicht  sonderlich  gönnt. 
Nun  lassen  einige  der  Herren,  die  den  Protest  ,, begeistert" 
oder  auch  nur  ,, freudig"  unterschrieben,  es  allenfalls  gelten, 
dass  man  gelegentlich  einen  ,, anerkannten"  Franzosen  kauft, 
wehren  sich  aber  dagegen,  dass  man  den  Jungen  die  deutschen 
Sammlungen  öffnet.  Sie  werden  darin  nicht  nur  von  ihresgleichen 
unterstützt,  sondern  auch  von  schätzenswerten  Leuten,  von 
deutschen  Malern,  die  Maurice  Denis  oder  Charles  Guerin  ihre 
Malformel  verdanken,  von  älteren  Herren,  deren  Vitalität  sich 
im  alten  Delacroix  genug  tut,  von  Zeitgenossen  der  Impres- 
sionisten, die  allenfalls  noch  Bonnard  und  Vuillard  schätzen, 
kurz,  von  allen  jenen,  die  inBraque,  Picasso,  Henri-Matisse  u.  a. 
naturgemäss  die  Verneinung  der  Stilideale  ihrer  Generation  und 
ihrer  Gewöhnung  erblicken  müssen.  Wer  heute  Analj^se  ruft, 
kann  nicht  morgen  schon  Synthese  sagen. 


90  WILHELM  UHDE 


In  der  Geschichte  der  französischen  Malerei  gibt  es  keine 
Lücken  und  die  Entwicklung  kann  durch  Wideistand  verzögert, 
aber  nicht  ganz  aufgehalten  werden.  Die  Herren,  die  damals, 
als  Manet  begann,  die  ,, alten  Leute"  bemitleideten,  die  da  nicht 
mitkonnten,  werden  jetzt,  wo  auch  ihre  Zeit  um  ist,  bemit- 
leidet von  den  Initiatoren  einer  neuen  Epoche.  Aus  den  damals 
so  stürmischen  Jünglingen  sind  zänkische  Greise  geworden, 
welche  die  Insel  ihres  Verstehens  und  Liebens  jetzt  ebenso  heftig 
gegen  das  Recht  der  Kommenden  verteidigen,  wie  damals  gegen 
die  Autorität  der  Vergangenen. 

Als  man  vor  fünfzehn  Jahren  Bilder  von  Cezanne  für  hundert 
und  wenige  hundert  Francs  kaufen  konnte,  wollte  man  von 
diesen  „billigen"  Bildern  nichts  wissen,  denn  nur  „teuere" 
Bilder  haben  Wert.  Es  scheint,  als  ob  man  aus  diesem  Beispiele 
gelernt  habe.  Denn  die  junge  Generation,  die  ernsthaft  und  er- 
folgreich den  Stil  und  die  Ausdrucksmittel  ihrer  Epoche  sich 
schafft,  findet  schon  jetzt  ihre  Liebhaber  nicht  nur  bei  den 
,, dummen"  Deutschen,  wie  einer  der  schlecht  unterrichteten 
aber  begeisterten  Zustimmer  meinte,  sondern  in  den  jungen 
Sammlern  von  Frankreich,  Russland,  Amerika  und  vieler 
anderer  Länder;  bei  allen  jenen  freien  und  frischen  Menschen, 
deren  Empfinden  nicht  an  fünf  bis  zehn  anerkannte  Namen  ge- 
knüpft ist,  und  welche  fühlen,  dass  unsere  Zeit  die  Traditionen 
der  französischen  Malerei  ruhmvoll  fortsetzt. 

In  Paris  sind  die  Bilder  und  die  Champagnerweine  gut;  in 
Deutschland  ist  es  vieles  andere.  Nur  Worpswede  steht  ein 
wenig  zurück.  Nachdem  seine  literarische  Tat  nicht  glänzender 
war  als  seine  malerische,  warten  wir  mit  Spannung  auf  den 
grossen  Mann,  der  den  Ruhm  der  sympathischen  Torflandschaft 
rechtfertigen  wird. 

Paris.  Wilhelm  ühde. 


C.  AMIET  gi 

"F^ieser  ganze  Protest  ist  so  kraus  und  so  verworren,  man 
"*— ^  anerkennt  und  man  protestiert,  man  weiss  nicht  was  und 
gegen  was.  Ein  Hilferuf  von  Untergehenden.  Es  wäre  viel 
stolzer  und  viel  deutscher,  wenn  die  Herren  Protestierenden 
versuchen  würden,  Bilder  zu  malen  von  der  Güte  eines  ge- 
schmähten Cezanne  und  eines  verhassten  van  Gogh.  Ich  bin 
überzeugt,  sie  würden  erleben,  dass  die  deutschen  Kunstschrift- 
steller sich  ebenso  für  sie  ins  Zeug  legen,  wie  für  die  Fremden. 
Und  sie  hätten  ihre  Zeit  besser  angewandt,  als  mit  so  ganz 
und  gar  nutzlosen  Schriften.  Und  in  die  Museen  gehängt  und 
gut  bezahlt  würden  ihre  Werke  sicher  auch.  Aber  dieser  weh- 
leidige Protest  deutscher  Künstler  ist  für  die  deutsche  Kunst 
eine  Schmach. 
Oschwand  bei  Rietwil.  C.  Amiet. 


Ihre  Zustimmung  zu  unserer  Gegen-Aktion  erklärten  ausser- 
dem noch: 

Emil  Blschof-Culm,  Berlin. 
Erich  Hancke,  Berlin. 
Emil  Orlik,  Berlin. 
Richard  Goetz,  Paris. 
Hermann  Haller,  Paris. 


Dr.  Wilhelm  Worringer,  Privatdozent,  Bern: 

Entwicklungsgeschichtliches      zur     modernsten 

Kunst. 

Tj  ie  Vinnensche  Broschüre  ist  mir  psychologisch  wohl  ver- 
"^"^  ständlich,  und  ich  zögere  nicht,  sie  als  eine  symptomatische 
Erscheinung  zu  respektieren,  ja  ich  begrüsse  sie  sogar  als  ein 
zu  rechter  Zeit  ausgesprochenes  Stichwort  zur  ernsten  prinzi- 
piellen Auseinandersetzung.  Die  Krise,  in  der  wir  mit  imseren 
Kunst  Vorstellungen  und  Kunsterwartungen  stehen,  kann  nicht 
vertuscht  werden:  sie  muss  zur  offenen  und  entschiedenen 
Aussprache  führen. 

Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  muss  ich  es  allerdings  be- 
dauern, dass  die  prinzipiellen  Fragen  in  jener  Tendenzschrift 
kaum  ernsthaft  behandelt  werden,  sondern  nur  hier  und  da 
flüchtig  gestreift  werden,  um  dann  gleich  allgemeinen  Redens- 
arten und  unbeweisbaren  Gefühlspostulaten  Platz  zu  machen. 
So  ist  das  Hauptargument,  mit  dem  die  angreifende  Partei 
auf  das  Publikum  einzuwirken  sucht,  nicht  irgend  eine  sachlich 
diskutierbare  Widerlegung  der  neuen  Kunstprinzipien,  sondern 
die  in  allen  Tonarten  wiederholte  skrupellose  Verdächtigung 
jener  Persönlichkeiten,  die  auf  der  anderen  Seite  stehen.  Deren 
Überzeugungsehrlichkeit  und  Urteilsfähigkeit  wird  mit  all  den 
billigen  Mitteln  einer  oft  bis  zum  Mitleid  gehenden  überlegenen 
Ironie  blossgestellt.  Man  macht  sich  damit  derselben  Irre- 
fühnmg  des  Publikums  schuldig,  die  man  den  Gegnern  mit 
einer  so  gewaltigen  moralischen  Entrüstung  vorwirft.  Denn 
es  geht  doch  wohl  nicht  an,  dem  breiten  Publikum,  das  in  dieser 
Beziehung  schon  aus  natürlicher  Trägheit  und  aus  Selbst- 
erhaltungstrieb leichtgläubig  ist,  die  willkommene  Überzeugung 
beizubringen,  es  handle  sich  bei  der  angegriffenen  Bewegung 


W.  WORRINGER  93 


nur  um  ein  sinnloses  Spiel  impotenter,  sensationslüsterner 
Künstler,  urteilsloser,  der  Modesuggestion  unterlegener  Kunst- 
sclureiber  und  abgefeimter  Kunsthändler,  die  unter  verhaltenen 
Lachausbrüchen  den  Profit  aus  dieser  Komödie  ziehen. 

Ich  bestreite  übrigens  nicht,  dass  sich  Vertreter  dieser  drei 
Kategorien  auch  in  diese  neue  Entwicklungsbewegung  der 
Kunst  eingeschhchen  haben.  Das  ist  das  unvermeidüche 
Schicksal  jeder  Entwicklungsbewegung,  und  darum  ist  es  kaum 
zu  entschuldigen,  wenn  man  ein  neues  Wollen  nur  mit  der 
einen  Tatsache  zu  diskreditieren  sucht,  dass  belanglose  Mit- 
läufer es  lächerlich  machen. 

Denn  neben  diesen  unverantwortlichen  Mitläufern  stehen 
ernste  suchende  Künstler,  die  bei  allem  sachlichen  Selbst- 
bewusstsein  persönlich  voller  Bescheidenheit  sind,  stehen  ernste 
Theoretiker,  die  bei  aller  produktiven  Parteinahme  doch  das 
historische  Bewusstsein  und  damit  die  kritische  Besonnenheit 
wahren,  stehen  schliesslich  Kunsthändler,  die  bei  aller  selbst- 
verständhchen  geschäftlichen  Rücksichtnahme  doch  mit  innerer 
Überzeugimg  und  innerem  Verständnis  eine  Bewegung  fördern, 
bei  der  das  Risiko  des  Gewinns  ein  viel  grösseres  ist  als  bei  dem 
Vertrieb  der  ganz  unproblematischen  und  anerkannten  Publi- 
kumsware. 

Ich  habe  hier  nur  das  Recht,  für  die  zweite  Kategorie  ein- 
zutreten, deren  Vertreter  man  zu  den  eigentlichen  Prügel- 
knaben der  verfahrenen  Situation  zu  machen  sucht  und  die 
man  dementsprechend  abkanzelt.  Worin  besteht  nun  unser 
Verbrechen  ? 

Wenn  ich  Vinnen  recht  verstehe,  sind  es  nicht  die  grossen 
Klassiker  des  Impressionismus,  wie  Manet,  Monet,  Renoir  etc., 
vor  deren  Einfluss  er  die  deutsche  Kunst  bewahren  will,  sondern 
die  sog.  Jungpariser,  die  von  C6zanne,  van  Gogh  und  Matisse 
ausgehen,  woa.  eine  neue  Form  der  künstlerischen  Gestaltung 
zu  finden. 

Was  man  uns  nun  vorwirft,  ist,  dass  wir  diesen  neuen  Be- 
strebungen, die  naturgemäss  vorläufig  noch  Experimental- 
charakter   tragen,    ein   Verstehenwollen   entgegenbringen,    das 


94  W.  WORRINGER 


auch  vor  dem  unverständlich  und  absurd  Scheinenden  und 
Extremen  nicht  zurückschreckt.  Diesen  Willen  zum  Ver- 
ständnis können  wir  verantworten.  Mag  für  einige  Snobs  das 
Credo  quia  absurdum  da  entscheidend  sein,  wir  andern  haben 
das  Bewusstsein,  dass  es  der  unbeirrbare  entwicklungsgeschicht-l 
liehe  Instinkt  ist,  der  uns  hier  leitet.  Darin  liegt  das  Ent-ji 
scheidende.  Wo  das  unvorbereitete  und  entwicklungsträge 
Publikum  nur  Ausgeburten  subjektiver  Willkür  und  blöder 
Sensationsmache  sieht  und  sehen  muss,  da  empfinden  wir  das 
Entwicklungsgeschichtlich-Notwendige,  da  sehen  wir  vor  allem 
eine  Einheitlichkeit  der  Bewegung,  die  etwas  Elementares  an 
sich  hat  und  vor  der  alles  Subjektiv- Scheinende  verschwindet. 
Ja,  ich  glaube  nicht  fehlzugehen,  wenn  ich  die  tiefste  Wurzel 
dieses  neuen  künstlerischen  Wolfens  gerade  in  der  Über- 
windung des  Subjektiv- Willkürlichen  und  nur  Individuell- 
Bedingten  sehe.  Mit  diesem  unverkennbaren  Drang  zum 
Objektiven,  zur  zwingenden  Vereinfachung  der  Form,  zu  einer 
elementaren  Vorurteilslosigkeit  der  künstlerischen  Wiedergabe, 
hängt  jener  Grundcharakter  der  neuen  Kunst  zusammen,  den 
man  als  sinnlose  Primitivitäts-  und  Kindlichkeitskomödie  vor 
dem  erwachsenen  Europa  lächerlich  machen  zu  können  glaubt. 
Aber  diese  Wirkung  wird  nur  bei  denen  erreicht  werden, 
die  die  primitive  Kunst  noch  nicht  verstehen  gelernt  haben  und 
in  ihr  nur  ein  unentwickeltes  Können  sehen,  über  das  man  mit 
der  Überlegenheit  des  Erwachsenen  lächelt.  Dieser  Er- 
wachsenenhochmut des  europäischen  Kulturmenschen  aber 
beginnt  heute  wankend  zu  werden  und  der  wachsenden  Einsicht 
in  die  elementare  Grossartigkeit  primitiver  Lebens-  imd  Kunst- 
äusserung  zu  weichen.  Aus  derselben  Notwendigkeit  heraus, 
aus  der  wir  den  jungpariser  Synthetisten  und  Expressionisten 
ein  williges  Verstehen  entgegenbringen,  ist  in  uns  ein  neues 
Organ  lebendig  geworden  für  die  primitive  Kunst.  Wie  selbst- 
verständlich erscheint  es  uns  heute,  dass  der  Stilcharakter 
dieser  primitiven  Kunst  nicht  durch  ein  unentwickeltes  Können, 
sondern  durch  ein  andersgerichtetes  Wollen  bedingt  ist,  durch 
ein    Wollen,    das    auf   grossen    elementaren    Voraussetzungen 


W.  WORRINGER  95 


beruht,  wie  wir  mit  unserem  heutigen  wohltemperierten  Lebens- 
gefühl es  uns  kaum  ausdenken  können.  Wir  fühlen  nur  dunkel, 
dass  die  groteske  Unnatürlichkeit  und  die  zwingende  Ein- 
fachheit dieser  primitiven  Kunst  (zwingend  allerdings  nur  für 
die,  die  den  Zwang  einer  Formung  nicht  mit  dem  Zwang  der 
Illusionswirkung  identifizieren)  von  einem  stärkeren  Spannungs- 
gehalt des  künstlerischen  AusdruckswoUens  herrühren,  und  wir 
lernen  erkennen,  dass  es  nicht  nur  ein  gradueller,  sondern  ein 
genereller  Unterschied  ist,  der  zwischen  imserem  und  dem 
primitiven  Kunstschaffen  liegt.  Ein  genereller  Unterschied, 
der  darin  besteht,  dass  man  den  Wirkungsertrag,  den  man 
von  der  Kunst  erwartete,  nicht  wie  heute  in  der  Auslösung 
sinnlicher  oder  seelischer  Luxusgefühle,  sondern  in  der  Aus- 
lösung elementarer  Notwendigkeitsempfindungen  sah.  Eine 
Beschwörung  der  Vieldeutigkeit  der  Erscheinungen:  darin  lag 
der  Sinn,  darin  lag  die  Notwendigkeit,  darin  lag  die  Mystik 
dieser  Kunst.  Ihr  natürliches  Element  war  die  Synthese,  um 
die  wir  heute  wieder  ringen,  nachdem  wir  uns  an  der  ganzen 
Ausschlürf ung  jener  Vieldeutigkeit  ermüdet  haben. 

Wir  können  uns  gewiss  heute  nicht  künstlich  auf  das  Niveau 
des  primitiven  Menschen  zurückschrauben,  aber  was  heute 
unterirdisch  in  uns  drängt,  das  ist  doch  schhesslich  eine  Re- 
aktion nicht  nur  auf  den  Impressionismus,  sondern  auf  die 
ganze  vorhergehende  Entwicklung,  in  der  wir  seit  der  euro- 
päischen Renaissance  stehen  und  deren  Ausgangspunkt  und 
Richtung  durch  Burckhardts  lapidares  Wort  von  der  Ent- 
deckung des  Individuums  umfassend  bezeichnet  wird.  Der 
grosse  äussere  Erkenntnisreichtum  der  vergangenen  Epoche  hat 
uns  arm  zurückgelassen  und  aus  diesem  Armutsgefühl  heraus 
stellen  wir  heute  wieder  bewusst  Forderungen  an  die  Kunst, 
die  sich  mit  denen  in  etwa  decken,  die  der  primitive  Mensch  naiv 
an  sie  stellte.  Wir  wollen  wieder  eine  Suggestionskraft  der 
Kunst,  die  stärker  ist  als  die  Suggestionskraft  jenes  höheren 
und  kultivierten  Illusionismus,  der  seit  der  Renaissance  das 
Schicksal  unserer  Kunst  ist.  Um  das  zu  erreichen,  versuchen 
wir  uns  zu  emanzipieren  von  jenem  Rationalismus  des  Sehens, 


96  W.  WORRINGER 


der  dem  gebildeten  Europa  als  das  natürliche  Sehen  erscheint 
tmd  an  dem  man  sich  nicht  versündigen  darf,  wenn  man  nicht 
als  kompletter  Narr  hingestellt  werden  will.  Um  das  zu  er- 
reichen, zwingen  wir  uns  zu  jener  primitiven  —  durch  kein 
Wissen  und  keine  Erfahrung  gebrochenen  —  Art  des  Sehens, 
die  das  schlichte  Geheimnis  der  mystischen  Wirkung  primitiver 
Kunst  ist.  Den  äusseren  Symboüsmus,  wie  er  als  nationale 
Eigentümlichkeit  gerade  der  deutschen  Kunst  gepriesen  wird, 
ihn  wollen  wir  in  das  innerste  Innere  des  Kunstwerks  zurück- 
drängen, damit  er  von  hier  mit  elementarer  Notwendigkeit 
ausstrahlt,  befreit  von  jedem  Dualismus  von  Form  und  Inhalt. 
Kurz,  die  primitive  Art  des  Sehens,  zu  der  wir  uns  zwingen, 
ist  nur  ein  Mittel,  den  letzten  elementaren  Wirkungsmöglich- 
keiten der  Kunst  nahe  zu  kommen.  So  wie  Faust  zu  den  Müttern, 
so  wagen  wir  es,  in  das  Reich  der  noch  unartikulierten  Formung 
hinabzusteigen,  um  mit  einer  neuen,  mit  elementaren  Wirkungs- 
kräften gesättigten  Form  wieder  an  die  Oberfläche  zu  kommen. 
Das  ist  der  Sinn  des  ,, willkürlichen  snobistischen  Archaismus", 
das  ist  der  Sinn  der  ,,Primitivitäts-  und  Originalitätshascherei" 
die  man  den  neuen  Kunstbestrebungen  vorwirft. 

Dem  Entwicklungsgeschichtlich-Denkenden  ist  solches  Zu- 
rückgehen auf  frühere  elementarere  Entwicklungsstufen,  solches 
Kraftschöpfen  aus  den  konzentrierteren  Kraftreservoirs  der 
Vergangenheit  nichts  Neues.  Es  ist  ihm  nur  die  Wiederholung 
einer  fast  gesetzmässigen  Entwicklungserscheinung.  Nur  die 
Pendelweiten  wechseln.  Und  es  ist  nur  das  beste  Zeichen  für 
die  Stärke  und  die  Sehnsucht  unserer  Zeit,  dass  der  Pendel- 
schlag mm  so  weit  ausholt  und  dass  er  zurückgeht  auf  das  Letzte 
und  Elementarste,  von  dem  uns  bisher  der  Hochmut  unserer 
europäisch-klassischen  Befangenheit  und  die  Kurzsichtigkeit 
unseres  europäischen  Erwachsenenstandpunkts  trennten.  Man 
geht  auf  elementarere  Entwicklungsstufen  zurück,  weil  man 
hofft,  damit  der  Natur  wieder  näher  zu  kommen.  Nun,  die 
vielbelächelte  und  viel  verhöhnte  Unnatur  der  neuen  Bildungen, 
sie  ist  schliesslich  nichts  anderes  als  das  Resultat  eines  solchen 
Zurückgehens  auf  die  Natur,   allerdings  auf  eine  Natur,   die 


W.  WORRINGER 


noch  nicht  durch  die  rationalistische  Optik  europäischer  Bildung 
durchfiltriert  worden  ist  und  von  deren  keuscher  Unberührtheit 
und  symbolischer  Wirkungskraft  der  Durchschnittseuropäer 
dementsprechend  nichts  wissen  kann. 

Aus  solchen  Überlegungen  heraus  erwächst  uns  das  Be- 
wusstsein  der  entwicklungsgeschichtlichen  Notwendigkeit  der 
neuen  Bewegung,  die  uns  zu  so  entschlossener  prinzipieller 
Parteinahme  drängt.  Der  grosse  Sinn  dieser  Bewegung  kann 
auch  durch  kleine  und  irritierende  Erscheinungsformen,  wie 
sie  naturgemäss  mitunterlaufen,  nicht  diskreditiert  werden. 
Und  letzten  Grundes  ist  es  ja  das  Zukünftige,  um  dessent- 
willen  wir  das  Gegenwärtige  pflegen.  Denn  diese  moderne 
Primitivität,  sie  soll  ja  kein  endgültiges  Stadium  sein.  Der 
Pendelschlag  bleibt  nicht  an  dem  äussersten  Punkte  stehen. 
Diese  Primitivität  soll  vielmehr  nur  ein  Übergang,  ein  grosses 
langes  Atemholen  sein,  bevor  das  neue  und  entscheidende 
Wort  der  Zukunft  ausgesprochen  wird.  Was  vorläufig  noch 
Experimente,  unartikulierte  Laute  sind,  aus  ihnen  wird  sich 
das  klare  W^ort  herausringen,  und  wie  stark  kann  diese  Zukunfts- 
kunst werden,  die  nach  der  Verarbeitung  der  elementarsten  und 
mächtigsten  Formensprache  sich  wieder  zur  engeren  Tradition 
und  damit  wieder  zu  sich  selbst  zurückfindet.  Um  dieser 
Zukunftshoffnung  willen  lassen  wir  uns  gerne  als  verstiegene 
urteilsunfähige  Theoretiker  und  als  betrogene  Betrüger  ansehen. 
Von  solchen  entwicklungsgeschichtlichen  Blick  weiten  umfangen, 
entrücken  wir  allerdings  der  engen  Sphäre,  in  der  ein  Herr 
Vinnen  über  deutsche  und  französische  Kunst  streitet  und  uns 
mit  Marktstatistilcen  überzeugen  will. 

Drum  nur  zwei  Worte  zur  nationalen  Seite  der  Frage.  Wer 
um  sein  Deutschtum  wirklich  Bescheid  weiss,  wer  vor  allem 
die  Entwicklungsschicksale  der  deutschen  Kunst  kennt,  der 
weiss,  dass  es  uns  mit  unserer  angeborenen  Problematik  und 
mit  unserer  angeborenen  sinnlichen  Instinktunsicherheit  nicht 
gegeben  ist,  den  direkten  Weg  zu  einer  eignen  Form  zu  finden, 
der  weiss,  dass  wir  das  Stichwort  immer  erst  von  draussen 
empfingen,  der  weiss,  dass  wir  uns  immer  erst  aufgeben  und 

7 


98  W.  WORRINGER 


verlieren  mussten,  um  unser  eigentliches  Selbst  zu  finden.  Das 
ist  von  Dürer  bis  Marees  die  Tragik  und  die  Grösse  der  deutschen 
Kunst,  und  es  heisst  unsere  eigentliche  nationale  Tradition 
verleugnen,  wer  unsere  Kunst  von  der  Auseinandersetzung 
mit  anderen  Kunstwelten  abschneiden  will.  Nur  für  einen  ganz 
kindlichen  und  psychologisch  unreifen  Standpunkt  bedeutet 
diese  Konstatierung  der  Unselbständigkeit  eine  Herabsetzung 
unserer  Kunst.  Mir  ist  das  Schauspiel  dieser  Auseinander- 
setzung und  dieser  sehnsüchtigen  Ausweitung  der  eignen  Enge 
immer  das  Erhebendste  an  der  deutschen  Kunstentwicklung 
gewesen,  und  ich  möchte  diese  Tragik,  diese  Problematik  in  ihr 
nicht  missen,  denn  sie  gab  der  deutschen  Kunst  ihre  eigentliche 
Dynamik. 

EinekurzeBemerkung  noch  zu  dem  äusseren  Anlass  der  ganzen 
Diskussion:  zur  Stellungnahme  unserer  Museumsleiter  zu  der 
neuen  Bewegung.  Das  Problem  für  sie  ist,  kurz  formuliert, 
folgendes:  sollen  sie  nur  gute  Bilder  kaufen,  d.  h.  gute  im  Sinne 
des  herrschenden  Durchschnittsgeschmacks,  oder  sollen  sie 
hier  und  da  diese  relative  Güte  opfern  zugunsten  des  Ent- 
wicklungsgeschichtlich-Bedeutsemen,  aber  noch  nicht  durch 
den  Mehrheitsgeschmack  Sanktionierten?  Die  Frage  wird  für 
unsere  Museen  jetzt  erst  akut,  weil  sie  selbst  vor  eine  Ent- 
wicklungskrise gekommen  sind  und  sich  über  den  Weg  ent- 
scheiden müssen.  Entstanden  sind  sie  ja  als  Luxusinstitute 
fürstlicher  Höfe:  Wagelust  und  Propaganda  lag  ihnen  natur- 
gemäss  fern.  Sollen  sie  diesen  reifen,  kulturgesättigten,  rück- 
wärtsgewandten Luxuscharakter  behalten  oder  wollen  sie  sich 
dem  Rhythmus  der  Zeit  anpassen  und  aus  einem  toten  Ent- 
wicklungsherbarium zu  einem  lebendigen  Entwicklungsinstru- 
j  ment  werden  ?  Sollen  sie  nur  Geschichte  registrieren  oder  sollen 
sie  selbst  Geschichte  machen  ? 

Ich  denke,  die  Generationen  nach  uns  werden  von  unseren 
Museen  nicht  nur  wissen  wollen,  welches  die  Durchschnitts- 
physiognomie unserer  Zeit  war,  sie  werden  vielmehr  die  Ent- 
wicklungsvorgänge kennen  lernen  wollen,  die  sich  jenseits  dieser 
Durchschnittsphysiognomie  abspielten  und  die  vielleicht  gerade 


W.  WORRINGER  —  WILHELM  NIEMEYER  99 

die  feinsten  und  entscheidensten  waren.  Und  die  werden  sie 
nur  kennen  lernen,  wenn  ihnen  jene  Experimente  zur  Gewinnung 
einer  neuen  elementaren  Formensprache  erhalten  werden,  von 
denen  hier  die  Rede  ist.  Mögen  diese  Experimente  zu  einem 
positiven  Ziele  führen  oder  mögen  sie  sich  als  ein  nutzloser 
Kraftaufwand  herausstellen:  in  ihnen  hat  ein  wertvolles  Stück 
des  eigentlichen  inneren  Lebens  unserer  Zeit  gelebt,  und  darum 
gehört  ihnen  auch  ein  Platz  in  unseren  Museen:  ein  Platz  nicht 
vor,  wohl  aber  neben  den  reifen  unproblematischen  Kunst- 
erzeugnissen, die,  wie  gesagt,  nur  die  Durchschnittsphysiognomie 
unserer  Epoche  widerspiegeln  können  und  darum  manches 
Feine  und  Beste  verschweigen  müssen.  Auch  verfehlte  Ex- 
perimente haben  ihren  Lebenswert  und  ihre  entwicklungs- 
geschichtliche Bedeutung. 

Dr.  Wilhelm  Niemeyer,  Hamburg: 

Die   Kunst   und   der    K  u  n  s  t  s  c  h  r  i  f  t  s  t  e  1 1  e  r 

Der  Protest  Karl  Vinnens  nimmt  Einzelstellen  aus  meinem 
Vorwort  des  Katalogs  der  Ausstellung  des  ,, Sonderbundes 
Rheinischer  Künstler"  als  Belegstücke  für  die  Gefährlichkeit 
der  modernen  Kunstästhetik,  die  im  Bunde  mit  dem  Kunst- 
handel die  Freiheit  der  deutschen  Kunst  bedrohe.  Dieser  Vor- 
wurf fordert  Abwehr.  Man  darf  von  den  jüngeren  Kunst- 
schriftstellern, die  ein  persönliches  Verhältnis  zur  Kunst  der 
Gegenwart  haben,  ohne  Einschränkung  sagen,  dass  sie  vor 
dem  künstlerischen  Schaffen  in  unbedingter  Verehrung  stehen. 
Dies  Verhältnis  ist  bedingt  durch  die  Erfahrungen  der  letzten 
Vergangenheit,  Belehrt  durch  den  Anblick  einer  Zeit,  da  ein 
Rosenberg  gegen  Feuerbach  und  Böcklin,  ein  Pecht  gegen 
Liebermann  und  Uhde  stand,  haben  sie  den  früheren  Begriff 
der  „Kritik"  aus  der  Behandlung  künstlerischer  Fragen  völlig 
ausgeschaltet.  Man  prüfe  die  Begleitartikel  durch,  die  in  den 
Zeitschriften  die  Vorführung  künstlerischer  Arbeiten  begleiten: 
sie  sind  stets  Versuche,  die  besondere  Art  und  das  eigene  Gesetz 
dieses   Künstlers  aufzudecken   und   in   literarischer   Form   zu 


loo  WILHELM  NIEMEYER 

reflektieren.  Diese  Verehrung  vor  dem  Schaffen  als  solchem 
hat  zur  notwendigen  Folge,  dass  der  ästhetisch  und  historisch 
Denkende  dort,  wo  er  vor  echter  Kunst  steht,  seine  Über- 
zeugung von  der  Berufenheit  dieses  Schaffens  dadurch  aus- 
spricht, dass  er  auf  heutige  Kunst  die  Formen  der  Betrachtung 
anwendet,  die  er  auf  die  alte  Kunst  und  ihre  geistigen  Gesetz- 
lichkeiten anzuwenden  gewohnt  ist.  Derart  hat  Scheffler  Max 
Liebermann,  Georg  Fuchs  Trübner  behandelt,  so  waren  Essays 
über  Messel  und  Peter  Behrens  gearbeitet. 

Dies  Zusammendenken  und  Ineinandersehen  von  alter 
und  heutiger  Kunst  hat  allerdings  zur  Folge,  dass  der  Blick 
für  schwache  Kunst,  für  Anwendung  der  Kunstmittel  ohne 
Formgesetze,  sich  schärft  und  klärt.  Freilich  werden  diese 
Einsichten  wiederum  nicht  als  Kritik,  durch  Negation,  sondern 
als  Auswahl  des  Gültigen,  durch  Position,  ausgesprochen.  Der 
Schriftsteller  betont  um  so  lebhafter  die  Kunst,  die  er,  wenn 
vielleicht  nicht  als  so  gross  und  sieghaft,  so  doch  als  so  echt, 
so  spezifisch  erkennt,  wie  alte,  zeitgeprüfte  Kunst.  Und  nun 
wirkt  auf  die  Dauer  diese  Form  der  Beurteilung  auf  die  Mehr- 
heit der  Künstler  ebenso,  wie  eine  sie  direkt  treffende  aggressive 
Kritik:  sie  protestieren  und  rebellieren,  und  bekanntlich  ge- 
schieht dies  seit  Murners  Kampf  gegen  Luther  stets  unter  dem 
Banner  des  Patriotismus  und  Deutschtums. 

Das  Spezifische  der  Kunst  sind  die  rein  formalen  Probleme. 
Dagegen  zeigt  das  Gesamtschaffen  jeder  Zeit  in  seiner  Breite 
als  Mehrzahl  solche  Werke,  die  nur  den  Schein  der  zeitge- 
nössischen formalen  Gedanken  übernehmen,  in  Wahrheit  aber 
unter  dem  Vorwand  der  Kunst  das  reale  Anschauungsbedürfnis 
des  Alltags  befriedigen,  Sie  spiegeln  die  an  sich  bedeutsamen 
und  wichtigen  Szenerien  der  Wirklichkeit,  die  Tatsachen  des 
Lebens,  des  grossstädtisch-kulturellen  wie  des  landschaftüch- 
sentimentalen  in  optischen  Formen  ab,  dienen  dem  Schau- 
bedürfnis, in  der  modernen  Malerei  vor  allem  dem  Natur- 
genuss.  Fünf  Sechstel  der  Zeitproduktion  gehört  hierher  und 
hat  hierin  seine  Begründung,  vielleicht  sogar  seine  Berech- 
tigung.   Nur  mit  Kunst  hat  das  eigentlich  nichts  zu  tun.    Ob 


WILHELM  NIEMEYER 


diese  Malerei  die  Farbmethode  des  französischen  Impressionis- 
mus oder  eine  ältere  verwertet,  ist  ästhetisch  gleichgültig.  Die 
letzte  Malergeneration  hat  im  allgemeinen  die  zerlegende  Farb- 
behandlung, die  Darstellungsmethode  der  grossen  Franzosen  über- 
nommen, so  dass  für  das  Publikum  der  Schein  neuer  und  kühner 
Sehkunst  entsteht.  Aber  was  bei  den  Schöpfern  der  Methode 
Produkt  einer  freien  ästhetischen  Imagination,  Funktion  des 
Bildorganismus'  war,  das  wird  von  den  meisten  ganz  äusser- 
lich  auf  eine  Sehwirklichkeit  angewandt.  Die  Malerei  Karl 
Vinnens  ist  hierfür  ein  typisches,  dabei  sympathisches  Beispiel. 
Er  ist  im  Besitz  impressionistischer  Farbanschauung  und 
spricht  in  diesem  Mittel  formlose  Natureindrücke  aus.  Sein  Bild 
ist  ohne  Form,  das  heisst  ohne  Zusammenhang  der  Farbmethode 
mit  dem  Aufbau.  Ob  seine  Kuh  rechts  vom  Baum  oder  links 
vom  Baum  steht,  hat  keine  ästhetische  Funktion.  Das  nennt 
man  dann  „naives  Schaffen",  das  durch  die  formalen  Probleme 
wahrhafter  Kunst  allerdings  unheb  gestört  werden  würde. 
Nur  führe  er  nicht  als  Schwurzeugen  dieses  Rechtes  auf  naives 
Schaffen  unsere  grössten  deutschen  Komponisten  und  For- 
malisten an,  wie  Rethel,  Menzel,  Leibl,  Feuerbach  u.  a. 

Mit  diesen  Namen  rühren  wir  an  die  nationale  Sorge  des 
Protestes.  Dass  solche  Künstler  wahrhaft  deutsch  sind,  das 
lässt  der  Klang  jedes  dieser  Namen  fühlen.  Nur  mache  man 
niemanden  glauben,  die  Formen,  durch  deren  Umlagerung  zu 
persönlicher  Harmonie  sie  ihr  Wesen  und  damit  das  deutsche 
objektiviert  haben,  seien  rein  aus  ihnen  und  der  deutschen 
Natur  gekommen.  Sie  danken  sie  alle  der  romanischen 
Befruchtung. 

In  Rethel  ist  vermittelt  durch  Steinle  und  Cornelius  Raffael. 
In  Menzel  ist  Constable,  in  Leibl  nicht  Courbet,  aber  das  Prinzip 
der  Tonkontinuität  des  französischen  Realismus.  Der  Böcklin 
der  6oer  Jahre  ist  farbig  vaporiert,  wie  der  Zeitstil  es  auf- 
drängte, und  Marees  hat  Delacroix,  Giorgione  und  die  Antike 
zur  Form  zu  einen  versucht,  wie  es  Manet  mit  Hals,  Velasquez 
und  Goya  unternahm. 

„Form  aber  ist  ein  Geheimnis  den  meisten." 


WILHELM  NIEMEYER 


Der  naiven  Empirie  der  Wirklichkeitsschilderer,  die  die 
Kunst  von  ihren  Quellen  abdrängen  wollen,  steht  die  geschicht- 
liche Erkenntnis  entgegen,  dass  Form  nur  als  Tradition  der 
Form  lebendig  ist.  Man  muss  ,,Form"  empfangen,  um  sie  per- 
sönlich fortbilden  zu  können.  Und  nur  der  schöpferische  bildende 
Sinn  vermag  sie  der  Vergangenheit  und  der  Gegenwart  zu  ent- 
nehmen. Das  ist  der  Sinn  des  Goetheschen  Wortes,  Erst  wenn 
kraft  irgend  einer  Tradition  die  Entzündung  des  Formsinnes 
geschehen  ist,  können  Natur  und  Erlebnis  dazu  dienen,  die 
formale  Idee  neu  und  lebendig  zu  realisieren.  Ars  ex  arte  gilt 
wie  cellula  e  cellula.  Form  ist  die  Kontinuität  des  Formbildens. 
Ein  grosses  geschlossenes  Geist-Leben  der  Form  geht  von  der 
Antike  bis  zu  uns.  Und  seit  die  Wikinger-Ornamentik  die  spät- 
römischen  Schmuckformen  zum  Ausdruck  germanischer  Seelen- 
art umbildete,  ist  jede  deutsche  Kunst  Ausnützung  dieses 
Formerbes,  und  ist  es  das  besondere  Wesen,  die  eigenste  Idee 
deutscher  Kunst  gewesen,  die  übernommenen  Stilgebote  mit 
einem  den  letzten  Tiefen  des  sinnlich-äusseren  und  des  seelisch- 
innern  Seins  entnommenen  Gehalt  zu  erfüllen.  Die  Naumburger 
Domskulpturen,  die  Zeichnung  Dürers,  die  Kunst  Holbeins,  das 
Lebenswerk  Leibls  sind  die  grossen  Zeugnisse  dieser  Ver- 
pflichtung deutscher  Kunst,  Stilformen  zu  intensivieren.  Ge- 
lingt das,  wie  in  diesen  grandiosen  Produkten,  so  spricht  deutsche 
Kunst  das  höchste  Wort  des  Stils. 

Aber  freilich  muss  sie  im  strengsten  Sinne  wach  und  lebendig 
sein,  um  dies  Schwere  zu  leisten.  Nur  wenn  sie  die  reifsten  und 
letztentwickelten  Formprobleme  der  Zeit  unmittelbar  mitlebt, 
ist  diese  Steigerung  des  Gehaltes  möglich.  Sobald  der  Geist 
der  Schwere,  der  das  deutsche  Wesen  bedroht,  Herr  wird, 
wenn  dem  Behagen  Handwerk  und  Anschauung  sicherer  Be- 
sitz scheinen,  dann  kommen  Zeiten  wie  die  der  Malerei  zwischen 
Schongauer  und  Dürer,  wo  man  mit  den  burgundisch-flä- 
mischen  Formen  philisterhaft,  wolgemutisch  fortwurstelte, 
Zeiten,  die  so  empörenden  und  unorientierten  Urteilen  über 
deutsche  Kunst,  wie  Salomon  Reinachs  Vorträge  sie  jüngst 
ausgesprochen  haben,  einen  Schein  von  Recht  geben. 


WILHELM  NIEMEYER  103 

Ein  solches  wolgemutisches  Ausruhen  im  Impressionismus 
will  der  „Protest  deutscher  Künstler"  unserer  heutigen  Malerei 
wiedergewinnen.  Im  Bunde  mit  Schriftstellern,  die  einmal 
den  Sinn  der  Zeit  wussten,  aber  nun  müde  und  stumpf  wurden 
und  schelten  statt  zu  schweigen,  wie  Rosenhagen,  soll  die 
papierene  Barriere  aufgerichtet  werden.  Nachdem  die  vorige 
Generation  ihren  Anteil  am  Formgut  der  Zeit  erschöpft  hat, 
sollen  die  Jüngern  brav  deutsch  bleiben  und  von  Kampf  und 
Habermann  ihre  Stilform  entnehmen  oder  dem  Simplizissimus. 
Es  ist  wahrlich  keines  Einzelkünstlers  Aufgabe,  sich  dauernd 
mit  der  Zeit  zu  wandeln. 

Jedes  Leben  hat  das  bestimmte  Mass  seines  Ausschwungs, 
und  lebendige  Werke  Trübners  oder  Liebermanns  sind  uns 
heute  so  willkommen  wie  1890.  Aber  niemand  hat  ein  Recht, 
der  neuen  Zeit  ihre  neuen  Bedürfnisse  zu  bestreiten.  Sind  sie 
ihm  nicht  Bedürfnisse,  so  mag  er  schweigen.  Wirkungslose 
Verwahrungen,  nachträglich  dem  Protest  als  falsche  Etiketten 
aufgeklebt,  bedeuten  gar  nichts.  Die  Entscheidung  über  dcis 
Werk  der  Jüngsten  hat  die  Zeit.  Aber  wer  darf  wagen,  Künstler 
und  Kunstfreunde  vom  jüngsten  imd  daher  einzig  ganz  leben- 
digen Stil  der  Malerei  abzuwehren. 

Nach  welcher  Logik  will  man  beweisen,  die  Einwirkung 
Monets  und  Sisleys  auf  die  deutsche  Malerei  sei  gut  und  frucht- 
bar, aber  das  Beispiel  der  Cezanne  und  van  Gogh  sei  das  Ende 
der  Kunst? 

Es  ist  einfach  eine  geschichtliche  Tatsache,  dass  die  fran- 
zösische Malerei  nach  Cezanne  und  van  Gogh  und  aus  ihnen 
eine  neue  malerische  Form  entwickelt  hat,  die  man  nicht  zu 
kennen  braucht,  die  man  aber  nicht  ableugnen  darf.  Von  diesen 
Franzosen  heute  zu  nehmen  ist  so  wenig  Schande,  wie  von  ihnen 
in  der  Epoche  des  Impressionismus  zu  nehmen.  Denn  Frank- 
reich ist  mit  Massilia,  Lugdunum,  Paris  nach  geographischen 
und  rassenmässigen  Bedingungen  mehr  als  wir  der  Erbe  der 
universalen  Form.  Die  französischen  Künstler  haben  mehr 
Antike,  mehr  Rom  in  sich  als  wir;  damit  wurde  es  ihr  Recht, 
dies  Erbe  der  modernen  Kultur  zu  übermitteln,  wurde  es  ihre 


I04  WILHELM  NIEMEYER 

Funktion,  die  Form  als  solche  als  die  ersten  fortzubilden  und 
zu  entwickeln.  Unsere  Aufgabe  hingegen  ist  stets  die  der 
Naumburger  Skulpturen,  Holbeins  und  Leibls,  die  ästhetischen 
Abstraktionen  mit  dem  Individuahsmus  der  Naturwahrheit 
zusammenzuschliessen. 

Nun  wäre  es  angesichts  solcher  Forderungen  und  Hoffnungen 
der  Zeit  an  die  Kunst  für  den  Schriftsteller  ein  lockender 
Gedanke,  und  es  wäre  Pflicht,  auf  die  jüngeren  Künstler  ein- 
zuwirken und  ,,um  die  Seele  des  Volkes  zu  ringen".  Aber  leider, 
es  muss  ausgesprochen  werden,  gibt  sich  kein  Schriftsteller 
solchem  schmeichelhaften  Wahne  hin.  Herr  Vinnen  überschätzt 
uns,  so  schmerzlich  es  sein  mag,  das  zu  gestehen.  Niemals  ist 
in  Stilfragen  der  Ästhetiker  führend,  niemals  hat  er  Einfluss 
auf  die  jüngere  Künstlergeneration.  Diese  Fragen  sind  stets 
entschieden,  wenn  er  dazu  tritt,  ja  er  tritt  nur  hinzu,  weü  sie 
bereits  entschieden  sind.  Denn  das  Element  des  Historikers 
und  das  Material  des  Ästhetikers  ist  lediglich  die  schon  offen- 
kundige Kunsttatsache.  Wir  stehen  stets  vor  einer  Vergangen- 
heit, im  Glücksfalle  einmal  vor  einer  Vergangenheit  von  drei 
Jahren.  Neue  formale  Geheimnisse  und  Taten  durchzucken 
viel  früher  die  AteHers,  ehe  sie  zu  einem  Schreibtisch  abstrahlen. 
Dass  aus  Cezanne  und  van  Gogh  die  jüngsten  französischen 
Künstler,  die  Derain  und  Bracque,  Vlaminck  und  van  Dongen, 
Matisse  und  Othon  Friesz  eine  neue  malerische  Stilform  ausge- 
bildet haben,  das  wussten  die  jüngsten  deutschen  Künstler  viel 
früher  als  die  eiligsten  Kunstschreiber.  Denn  sie  brauchten 
darum  nicht  nach  Paris  zu  gehen.  Ihnen  genügten  flüchtigste 
Andeutungen,  denn  sie  trugen  die  Ahnung  und  Vorbedingung 
dieses  Neuen  im  eignen  Innern  Formgefühl,  als  Kinder  der 
Gegenwart,  in  denen  die  gleiche  Kraft  der  Formlogik  wirkt, 
die  in  den  französischen  Künstlern  lebendig  ist.  Längst  ehe  die 
neue  Malform  in  die  Hterarische  Diskussion  trat,  ist  in  Deutsch- 
land eine  Malerei  heraufgekommen,  der  französischen  verwandt 
und  doch  wieder  verschieden  und  national. 

Spricht  der  Schriftsteller  von  neuer  Form,  so  geschieht  es 
stets  nur,  um  auf  das  Laientum  zu  wirken.    Das  freilich  wäre 


WILHELM  NIEMEYER  —  R.  REICHE  105 

ein  voller  Lohn  solcher  Vermittlung,  dass  nicht  wieder  der 
Abstand  zwischen  der  Kunst  und  dem  Volk  so  gross  werde  wie 
im  Beginne  der  impressionistischen  Stilform  der  Malerei. 

Alles  andere,  die  Fragen  der  Form,  Aneignung  und  Vertiefung 
des  Stils  zum  Ausdruck  deutscher  Art.  das  steht  ganz  bei  den 
Künstlern,  ihrem  Willen  und  Ernst,  steht  beim  Talent.  Das 
aber  ist  Schicksal,  und  angesichts  dieser  einzig  wichtigen  Frage 
und  Hoffnung  ist  alles  Hin-  und  Herreden,  Protest  und  Gegen- 
protest dieser  Tage,  belanglos. 

Dr.  R.  Reiche,  Barmenr 

Rheinische    und    französische    Künstler*). 

\7|[  T'enn  in  unserer  dritten  Ausstellung  rheinische  Künstler 
^  '  mit  ihren  eigenen  Werken  wiederum  Arbeiten  von 
Künstlern  unserer  grossen  Nachbarnation  vereinen,  erneuern 
sie  das  Bekenntnis,  das  für  Ziel  und  Art  des  Sonderbundes 
Westdeutscher  Kunstfreunde  und  Künstler  die  beiden  ersten 
Ausstellungen  ablegten.  In  den  gegenwärtigen  Zeitläuften,  da 
enge  Geister  deutsche  Kunst  in  enge  Grenzen  bannen  möchten, 
ist  es  uns  Bedürfnis  und  Freude,  Frankreichs  Künstler  be- 
sonders herzlich  willkommen  zu  heissen.  Wir  begrüssen  in  ihnen 
die  Erben  der  tiefsten  malerischen  Sehnsucht  des  vergangenen 
Jahrhunderts,  aus  der  das  Bild  der  Welt  sich  neu  erschloss, 
wir  ehren  in  ihnen  die  Hüter  alten  Kunstbesitzes  und  Pfad- 
finder auf  dem  Wege  zu  neuen  Schönheiten.  Dass  für  die  Besten 
unter  unseren  Malern  des  letzten  Geschlechts  und  für  Führende 
imter  den  Lebenden  die  schöpferische  stilbildende  Kunst 
Frankreichs  eine  erste  Befruchtung  war,  kann  es  uns  schwer 
werden,  dies  dankbar  zu  bekennen,  wo  mit  eigener  deutscher 
Schönheit  unsere  Meister  der  malerischen  Kultur  ihrer  Zeit 
jene  erste  Schenkung  hundertfach  vergolten  haben?  Sollten 
ängstlich  unsere  Jungen  die  künstlerische  Auseinandersetzung 
mit  den  Nachkommen  jener  grossen  Franzosen  meiden,  denen 


*)  Vorwort    zum    Ausstellungskatalog    des    „Sonderbundes    West- 
deutscher Kunstfreunde  und  Künstler"  in  Düsseldorf. 


ic6  R.  REICHE  —  WILHELM  SCHÄFER 

unsere  Alten  den  Anstoss  zu  ihrem  besten  Schaffen  danken? 
Auch  für  unsere  junge  Generation  hegen  wir  nicht  die  Be- 
fürchtung, dass  sie  französischer  Art  erhegen  werde,  wir  sehen 
vielmehr  durch  die  innigen  Beziehungen  zu  ihren  Freunden 
in  Paris  unseren  Künstlern  eine  Fülle  der  Anregungen  aus 
gallischer  Leichtigkeit,  geistvoller  Erfindung,  feinster  Empfind- 
samkeit erstehen,  welche  die  Schwere  deutschen  Geblüts,  das 
den  bildenden  Künstler  oft  zu  unfruchtbaren  Tiefen  der  Spe- 
kulation zu  ziehen  droht,  in  erfrischende  Wallung  versetzen. 
Wenn  wir  Vertrauen  zu  der  sieghaften  Kraft  germanischer 
Kunstbegabung  haben  und  neue  Möglichkeiten  tiefster  künst- 
lerischer Beseligung  durch  unsere  Rasse  erhoffen,  dann  müssen 
wir  aus  allen  Gründen  der  Vergangenheit  für  die  Gegenwart 
der  deutschen  Kunst  eine  Auseinandersetzung  mit  dem  fran- 
zösischen Schaffen  suchen,  welches  ein  integrierender  Bestandteil 
europäischen  Kunst  willens  ist,  damit  die  nationale  Kunst,  nach 
der  wir  uns  sehnen,  gross  und  frei  und  weit  werde.  Um  von 
neuem  mit  den  Zielen  und  Deutungen  moderner  französischer 
Malerei,  deren  schillernder  Reichtum  auch  auf  dieser  kleineren 
Ausstellung  wohl  zu  erkennen  sein  wird,  ihre  eigene  Arbeit  zu 
messen,  haben  unsere  rheinischen  Künstler  ihren  Gemälden 
in  bunter  Reihenfolge  die  französischen  zugesellt.  Sie  unter- 
stellen dem  Urteil  über  die  Wirkung  der  seit  drei  Jahren  ge- 
pflogenen freundnachbarlichen  Beziehungen  ihre  Werke,  die 
jetzt  in  ihrer  eigenen  sinnenfälligeren  Sprache  zu  uns  reden 
mögen. 


Tn  diesem  Protest  deutscher  Künstler  erlebten  wir  das 
-^  traurige  Schauspiel,  dass  Männer  von  achtbarer  Haltung 
für  eine  Mode  erklärten,  was  eine  erfreuliche  Wendung  der 
modernen  Entwicklung  in  der  Malerei  ist.  Nachdem  durch 
die  konsequente  Arbeit  der  sogenannten  Impressionisten  das 
Auge  für  die  im  Licht  veränderten  Farbwerte  geschult  war, 
musste  die  Entwicklung  mit  Notwendigkeit  zur  selbständigen 
Verarbeitung  dieser  Farbwerte  übergehen,   d.   h.   es  durften. 


WILHELM   SCHÄFER  107 

nachdem  durch  einige  Jahrhunderte  der  Raummalerei  der 
Gegensatz  von  Licht-  zu  Schattenmassen  die  Grundlage  der 
Komposition  gegeben  hatte,  die  Versuche  unternommen  werden, 
statt  mit  Hell  gegen  Dunkel  mit  Farbwerten  direkt  zu  kom- 
ponieren, wie  es  —  freilich  in  naiver  Weise  an  die  Schalfarben 
der  Gegenstände  gebunden  —  die  Alten  auch  getan  hatten. 
Wenn  die  Kölner  Galerie  gewissermassen  als  Abschluss  der 
altkölnischen  Säle  mit  einem  Bildnis  von  van  Gogh  als  Augen- 
punkt direkt  in  die  moderne  Abteilung  überführen  kann,  so 
spricht  sich  darin  ein  innerlicher  Zusammenhang  aus.  Weder 
ein  Leibl,  noch  ein  Menzel  oder  Manet  wäre  dafür  zu  verwerten. 
Wir  Modernen  sind  aus  den  im  malerischen  Helldunkel  be- 
leuchteten Stuben  unserer  Väter  und  Ahnen  in  helle  Räume 
gekommen,  darin  die  Schattenmassen  der  helldunklen  Bilder 
als  Schmuck  der  Wände  unmöglich  wirken,  während  ein  alt- 
kölnischer, altniederländischer  oder  oberdeutscher  Meister  vor- 
trefflich darin  eingeht.  Sollte  das  der  modernen  Malerei  kein 
Anreiz  sein,  es  auch  einmal  mit  dem  Gegeneinander  von  Farben 
zu  versuchen,  um  die  verloren  geglaubte  Farbenschönheit  der 
alten  Meister  zu  erreichen?  Um  dies  und  nicht  um  eine  ,,Mode" 
hat  es  sich  bei  dem  genialen  Instinkt  van  Goghs,  wie  bei  der 
,, Verbohrtheit"  Cezannes  gehandelt;  wenn  den  genialen  Tem- 
peramenten nun  nicht  gleich  mit  fertigen  Werken,  sondern 
mit  Versuchen  gefolgt  werden  kann,  die  manchmal  stümperhaft 
aussehen  und  auch  von  absichtlichen  Gesuchtheiten  nicht  frei 
sind,  so  gibt  das  noch  lange  kein  Recht,  von  nachgeahmten 
persönhchen  Eigentümlichkeiten  zu  sprechen,  wo  es  sich  um 
Erfüllimg  eines  neu  erkannten  Gesetzes  handelt. 

Wer  erst  diese  grundsätzliche  Berechtigung  erkannt  hat,  wird 
natürlich  den  Führern  einen  hohen  Wert  beimessen,  und  — 
sei  er  Spekulant,  Sammler  oder  Galeriedirektor  —  den  gegen- 
wärtigen Marktwert  nicht  scheuen,  sich  etwas  von  diesen  lange 
genug  verkannten  Gütern  zu  sichern.  Dass  man  dem  Kunst- 
handel und  auch  der  Kunstschreiberei  immer  dann  mit  Protesten 
zu  Leibe  will,  wenn  sie  dem  Geschmack  von  morgen  nachgehen, 
ist  menschlich,  aber  dumm.     Wie  wäre  es  Böckhn,  Leibl  und 


io8       WILHELM  SCHÄFER  —  WILHELM  HAUSENSTEIN 

Maxees  ergangen,  wenn  sie  allein  auf  den  Geschmack  ihrer 
HeiTen  Kollegen  angewiesen  gewesen  wären?  Dass,  nachdem 
sich  der  grösste  Teil  der  deutschen  Künstler  allmählich  auf 
den  Impressionismus  eingerichtet  hat,  nun  schon  wieder  ein 
Umschwung  kommt,  ist  ebenso  unbequem  wie  jene  Gnadenwahl 
in  der  Kunst,  von  der  Hans  Thoma  einmal  das  Wort  prägte, 
dass  darin  kein  Fleiss  und  keine  Bravheit  hülfen,  dass  die 
Sünder  erhoben  werden  und  die  Gerechten  zur  Hölle  fahren 
könnten.  Es  ist  die  Grausamkeit  aller  natürlichen  Entwicklung, 
wo  zugunsten  einiger  Früchte  ein  Blust  von  Blüten  und  Keimen 
verschwendet  wird.  Dass  man  den  sozialen  Aufschrei  der 
Minderbemittelten  in  der  Vinnenschen  Broschüre  spürte,  war 
das  Wirksame,  aber  auch  Traurige  daran. 

V  a  1 1  e  n  d  a  r.  Wilhelm  Schäfer. 


Dr.  Wilhelm  Hausenstein," München: 

Mittelstandspolitik. 

L^"  s  gibt  in  den  sozialpolitischen  Kämpfen  unserer  Zeit  eine 
-^-^  besonders  unerquickliche  Spezies  von  Teilnehmern.  Das 
sind  die  Leute,  die  nicht  Grossbetriebe  beherrschen  und  auch 
nicht  proletarisiert  sind.  Es  sind  die  Leute,  die  für  den  Be- 
fähigungsnachweis schwärmen,  Kaufhäuser  und  Konsumvereine 
mit  Ausnahmesteuem  bedenken  möchten,  die  Arbeiterbewegung 
für  die  Konsequenzen  des  kapitalistischen  Systems  verantwort- 
lich machen,  die  Welt  mit  der  Logik  des  Antisemitismus  ver- 
bessern, zu  Zeiten  Kommissionsräte  werden  und  unfehlbar 
eines  Tages  einen  kleinen  Orden  kriegen;  die  Leute,  die  nur  mit 
l^euegefühlen  an  die  Freizügigkeit  denken  und  der  dissoluten 
Kultur  der  Gewerbefreiheit  nur  mit  zünftlerischen  Erinnerungen 
beikommen  können.  Es  sind  die  Leute,  die  sich  von  dem  Tisch- 
lermeister Pauli  aus  Potsdam  und  seinen  Geistesverwandten 
und,  sofern  es  hoch  kommt,  von  den  Diadochen  des  Bürger- 
meisters Lueger  vertreten  lassen  müssen. 


WILHELM  HAUSENSTEIN  loo 

Ich  fürchte:  wenn  Karl  Vinnen  und  seine  Freunde  in  der 
Welt  der  wirtschaftlichen  Erwerbsstände  lebten,  so  würden 
sie  nicht  sehr  erheblich  über  den  Gesichtskreis  der  mittel- 
ständlerischen  Wirtschaftsvereinigungen  hinausschauen. 

Da  Vinnen  und  die  Seinen  aber  Maler  und  Kritiker  sind, 
blicken  sie  natürlich  weiter.  Die  Beschäftigung  mit  ästhetischen 
Dingen  bringt  es  mit  sich. 

Schliesslich  sehe  ich  allerdings  —  ich  will  es  gestehen  — 
auch  so  nicht  einen  prinzipiellen  Gesinnungsunterschied, 
sondern  beinahe  nur  Graddifferenzen.  Ein  so  bodenloses 
Gewerbe,  wie  die  Malerei  es  ist,  hat  sogar  schon  Philistern 
AUüre  gegeben.  Aber  es  ist,  wenn  man  Naturgeschichte  treibt, 
zuweilen  erlaubt,  den  beau  geste  des  Löwen  zu  subtrahieren 
und  den  Kater  übrig  zu  lassen. 

Ich  habe  in  den  Bekenntnissen  der  Protestsolidarität  manche 
schöne  Gebärde  gefunden,  vor  der  ich  reine  Hochachtung 
empfand.  Aber  dann  fiel  mir  ein,  dass  da  auch  die  erhabensten 
Gesinnungen  entschlossen  sind,  sich  zu  den  Gunsten  eines  ge- 
meinsamen Nenners  umdividieren  zu  lassen.  So  wurde  ein 
Ganzes  gleich  vier  Vierteln,  fünf  Fünfteln,  sieben  Siebteln. 
Ich  weiss  es  nicht  so  genau.    Jedenfalls  kamen  Brüche  heraus. 

Das  ist  bedauerlich.    Denn  ganze  Zahlen  sind  viel  schöner. 

Ich  wage  es  mm  nicht,  zu  entscheiden,  wer  unter  den  Protest- 
sodalen  verpflichtet  wäre,  den  Bruch  wieder  in  eine  ganze  Zahl 
zurückzurechnen.  Einige  haben  es  schon  selber  herausgebracht. 
Und  einige  standen  —  das  will  ich  wahrlich  nicht  vergessen  — 
schon  im  Reigen  der  wunderlichen  Herzbruderschaft  so  unge- 
knickt, dass  man  über  den  Führer  staunt,  der  er  es  nicht  merkte 
und  die  Loyalität  so  weit  trieb,  pro  domo  Gegner  zu  zitieren. 
Aber  wie  schon  gesagt:  Wir  wollen  die  Scheidung  den  Betei^ 
ligten  überlassen.  Die  vom  Protest  wieder  auferstanden  sind, 
verdienen  es  am  Ende,  dass  man  sie  ein  wenig  mit  den  Unent- 
wegten verwechsele. 

Was  verkündet  man? 

Man  beurteilt  französische  Maler. 

Man  beurteilt  deutsche  Kunstscliriftsteller. 


HO  WILHELM  HAUSEN  STEIN 

Man  wird  statistisch. 

Man  organisiert  Proteste. 

Und  man  ist  in  allen  Registern  deutsch. 

Der  Maler  Fritz  Erler  in  München  behandelt  von  der  Höhe 
seiner  Scholle  den  Mannheimer  Manet  —  die  Erschiessung 
des  Kaisers  Maximilian  von  Mexiko  —  als  einen  „flauen  und 
für  den  Meister  ganz  uncharakteristischen  Manet". 

Der  Freiherr  von  Ostini  erhebt  die  Stimme  zu  rustikanen 
Akzenten.  Und  weil  sich  selten  die  erquickliche  Gelegenheit 
bietet,  zuzusehen,  wenn  eitel  Kraft  und  Gesundheit  die  Deca- 
dence  zerquetscht  —  wie  ehedem  August  der  Starke  mit  einem 
Druck  der  Hand  die  Silbergefässe  des  Rokoko  flachpresste  — , 
fühle  ich  mich  verpflichtet,  den  besten  unter  jenen  deutschen 
Kernworten  eine  zweite  Auflage  zu  garantieren.      Silentium! 

„Wir  wollen  uns  doch  nicht  als  höchste  Offenbarung  aufhängen 
lassen,  was  auch  für  Franzosen  selbst  in  ihrer  Kunst  nur  zu  den  lirank- 
haften  Erscheinungen,  den  Erzeugnissen  der  Erschöpfung  und  Ueber- 
kultur  —  oder  ganz  einfach  der  Reklametollheit  gehört  t  Noch  einmal : 
die  Franzosen  verachten  und  verhöhnen  uns  nur  darum  —  die  Besten 
am  meisten!  Sie  verachten  uns  so  sehr,  dass  man  da  drüben  den 
Uebermut  sehr  bald  schon  zur  Frechheit  treiben  wird.  Die  pathologisch- 
sten Bilder  aus  van  Goghs  Irrenhauszeit,  die  weggestellten  Experimente 
und  Untermalungen  aus  dem  Nachlasse  von  Cezanne  hat  der  gute  Michel 
mit  Behagen  verspeist.  Heute  preist  man  ihm  den  Ulk,  den  der  reklame- 
wütige, drüben  längst  nicht  mehr  ernst  genommene  Henri  Matisse  verübt, 
als  die  höchste  Kunst  an  und  morgen  —  morgen  kommt  Picasso,  der 
Kubist!  Der  Antiimpressionist  nach  dem  Uberimpressionisten !  Heute 
ist  noch  Farbe  und  Temperament  Trumpf.  Morgen  kommt  der  Mann, 
der  Form,  Farbe,  Sinn  und  Verstand  überwunden  hat  und  die  Dinge 
aus  farblosen,  stereometrischen  Figuren  aufbaut,  philisterhaft,  pe- 
dantisch, tüftelnd,  öde  und  verlogen!  Aber  der  deutsche  Snob  wird 
auch  das  schlucken!  Und  ein  gewisser  Teil  der  jungen  Malerschaft 
wird's  nachmachen !  Nicht  bloss  deutsches  Geld  wird  der  Pariser  Kunst- 
gaunerei in  den  Rachen  geworfen.  Auch  deutsches  Talent  geht  an  ihr 
zugrunde.  Und  zu  der  Überschätzung  der  einen,  die  schmunzelnde 
Schacher  im  Leben  haben  darben  lassen,  um  sie  nach  dem  Tode  zu 
grossen  Meistern  zu  machen,  kommt  die  Unterschätzung  der  anderen, 
der  Einheimischen.  Unsere  Grossen  werden  nicht  nachgemacht.  ...  Es 
ist  eben  verdammt  leichter,  van  Goghsche  Farbenwirbel,  Signacsche 
Tüpfeleien,  Cezannes  gelbe  Aepfel  auf  blauem  Grunde  oder  Picassosche 


WILHELM  HAUSENSTEIN 


Prismen  nachzumachen,  als  mit  Böcklinscher  Tiefe  in  die  Natur  zu 
sehen,  zu  malen  wie  LeibI,  Feuerbachsche  Formengrösse  sich  anzueignen. 
Schule  macht  ja  immer  nur  der,  der  den  Nichtkönnern  ein  billiges  Gliche 
zur  Verfügung  stellt." 

Dixit  et  animam  salvavit. 

Der  Manager  selber  hält  mit  der  Erkenntnis  nicht  zurück. 
Karl  Vinnen,  schreibt  —  er  schreibt  mit  einem  syntaktischen 
Geschmack,  der  zum  Glück  noch  problematischer  ist  als  seine 
Malerei : 

„Wenn  wir  nun  aber  sehen,  wie  zum  Beispiel  neuerdings  in  Deutsch- 
land für  flüchtige  Studien  van  Goghs,  selbst  für  solche,  in  denen  ein 
Künstler  die  drei  Dimensionen  vermisst,  Zeichnung,  Farbe  und  Stimmung, 
30  000  bis  40  000  Mark  anstandslos  bezahlt  werden,  wie  nicht  genug 
alte  Atelierreste  vonMonet,  Sisley,  Pissarro  usw."  —  lies:  und  so  weiter 
—  „auf  den  deutschen  Markt  gebracht  werden  können,  um  die  Nach- 
frage zu  befriedigen,  so  muss  man  sagen,  dass  im  allgemeinen  eine  der- 
artige Preistreiberei  französischer  Bilder  stattgefunden  hat  —  aller- 
dings bezahlt  Frankreich  selber  diese  Preise  nicht  — ,  dass  hier  eine 
Überwertung  vorzuliegen  scheint,  die  das  deutsche  Volk  nicht  atff  die 
Dauer  mitmachen  sollte."  %■. 

Das  Persönliche  an  allen  diesen  Seelenstössen  soll  —  da  das 
Persönliche  bekanntermassen  unwiderleglich  ist  —  nicht  de- 
battiert werden.     Es  mag  sich  selber  auf  seine  Reize  berufen. 

Aber  das  Sachliche  ist  sozusagen  diskutabel. 

Ein  trefflicher  Aufsatz  von  Paul  Cassirer  im  „Pan"  hat  die 
Ammengeschichte  von  den  Atelierresten  allerdings  schon  recht 
gründlich  erledigt.  Von  München  aus  ist  nur  hinzuzufügen, 
dass  die  Neue  Pinakothek  den  Expektorationen  Vinnens  recht 
wenig  Motive  leihen  würde.  Sie  ist  so  franzosenfrei  wie  möglich. 
Sie  hat  das  herrliche  nationale  System,  das  keinen  Besucher 
zu  Horizonten  verpflichtet.  Sie  ist  wahrhaft  diesseits  des 
Rheins  imd  beinahe  diesseits  des  Mains  zu  Hause.  Und  der 
moderne  Teil  der  Glyptothek  —  difficile  est  satiram  non 
scribere. 

Aber  wie  ist  es  mit  den  berufenen  ,,drei  Dimensionen"?  Ich 
bin  geneigt,  von  den  Leuten  immer  das  Beste  anzunehmen. 
Und  so  glaubte  ich  in  der  Tat,  Karl  Vinnen  hätte  mit  seinen 
drei  Dimensionen  etwas  Ernstliches  gemeint.     Mir  schien,  er 


WILHELM  HAUSENSTEIN 


polemisiere  gegen  den  Flächendekorateur  van  Gogh,  gegen  den 
Omamentiker,  gegen  den  Japaner.  Und  ich  wollte  es  ihm  gerne 
gönnen,  so  dreidimensional  zu  malen  als  er  nur  irgend  kann. 
Er  liebt  ja  die  Tiefe.  Allein  nun  sehe  ich  mich  blamiert.  Cassirer 
hat  den  Bekenner  und  Schriftsteller  Vinnen  viel  einfacher 
interpretiert*,  die  drei  »Dimensionen'  sind:  die  Farbe,  die 
Zeichnung  und  die  Stimmung.  Ich  fürchte  jetzt,  dass  Cassirer 
richtig  interpretiert. 

Ich  blättere  in  der  Broschüre  und  suche  nach  künstlerischen 
Gesichtspunkten.  Ich  finde  sie  nicht.  Ich  finde  allenfalls,  dass 
Püttner,  Benno  Becker  und  Andere  sehr  temperamentvoll 
vom  Wert  der  französischen  Invasion  sprechen.  Ich  finde 
schliesslich  ein  paar  Sätze  von  Rosenhagen.  Er  glaubt,  dass 
Gogh  der  Schöpfer  eines  absolut  subjektiven  Stils  gewesen  sei. 
Er  leugnet,  dass  aus  diesem  Subjektivismus  je  eine  allgemein- 
gültige ästhetische  Konvention  hervorwachsen  wird.  Was 
bedeutet  diese  Anschauung?  Für  den  deutschen  Mittelstand 
bedeutet  sie  eine  erfreuliche  Legitimation.  Oder  kann  sie  am 
Ende  bloss  die  Desavouierung  der  Leute  bedeuten,  die  hinter 
Gogh  und  Cezanne  einhergehen  wie  weiland  der  Wachtmeister 
hinter  WaUenstein?  Es  ist  nicht  meine  Kompetenz,  zu  beur- 
teilen, was  Rosenhagen  gemeint  hat.  Ich  weiss  aber  etwas 
anderes.  Es  gibt  Jünglinge,  die  neben  grossen  deutschen 
Meistern  klein  geblieben  sind;  es  gibt  Kunstmaler,  die  Leibl 
und  Feuerbach  und  Marees  pervertierten  —  von  den  Kor- 
rumpierungen BöckHns,  die  sich  leichter  machen  lassen,  nicht 
zu  reden.  Und  es  gibt  Pasticheurs,  die  van  Gogh  und  Cezanne 
diskreditieren.  Und  es  gibt  Künstler,  die  citra  et  ultra  montes 
an  denf,  Grossen  lernen. 

Es  ging  zum  andern  gegen  die  KunstschriftsteUer,  die  der 
französischen  Malerei  dienen  woUen. 

Thomas  Theodor  Heine  behauptet,  dass  die  Kritiker  —  die 
Kritiker  im  allgemeinen  —  dünkelhaft  vom  grünen  Tisch  aus 
dekretieren,  welchen  Weg  die  Künstler  einzuschlagen  hätten. 
Es  ist  nicht  zu  bestreiten,  dass  diese  Aufstellung  für  die  Aesthe- 
tiicer   der   Zeit  Winckelmanns,    Christian    Ludwig   Hagedorns, 


WILHELM  HAUSENSTEIN  113 

Webbs,  das  heisst  für  die  Geschmacksdiktatoren  der  zweiten 
Hälfte  des  achtzehnten  Jahrhunderts,  giltig  ist. 

Fritz  Erler,  der  Mann  mit  der  Kurve,  und  Karl  Vinnen,  der 
Niedersachse,  finden  es  insbesondere  smart,  Meier-Graefe  und 
den  franzosenfreundlichen  Kunsthandd  in  einem  Atem  zu 
nennen, 

Meier-Graefe  hat  es  den  siebeneinhalb  Aufrechten  überhaupt 
angetan.  Er  ist  zumal  der  Liebüng  einer  Polemik,  der  sich 
Fräulein  Anna  Goetze  in  der  Bremer  Weserzeitung  und  in  der 
Protestbroschüre  mit  dokumentarischem  Aplomb  und  wenig 
Witz  auszusetzen  wagte. 

Ich  habe  mit  der  Dame  im  persönlichen  Verkehr  mit  Ver- 
gnügen sehr  konziliant  debattiert  und  erlaube  mir,  aus  der  Ent- 
fernung unbedenklicher  zu  sein.  Das  ist  der  Vorzug  des  lite- 
rarischen Umgangs,  dass  sich  die  Gegner  gegenseitig  mehr  als 
Typen  nehmen  können  und  —  da  sie  einander  nun  nicht  mehr 
persönlich  meinen  —  das  Recht  erwerben,  gelinde  insolent  zu 
sein.     Ich  mache  von  dem  Recht  Gebrauch. 

Meier-Graefe,  der  literarische  Führer  der  franzosenfreund- 
lichen Stilkritik,  ist  der  Dame  zu  „oberflächlich".  Man  muss 
nachweisen,  dass  seine  Seichtigkeit  krass  ist  und  niederdeutscher 
Tiefe  nicht  entspricht.  Sein  Skalp  wird  den  Triumph  der 
Eigenart  des  Deutschtums  bedeuten.  Man  spezifiziert:  Meier- 
Graefe  hat  zum  Beispiel  die  Frechheit  besessen,  Courbet  dumm 
zu  nennen.  Man  beruft  sich  auf  politische  Tendenzblätter,  die 
Courbet  in  den  vierziger  Jahren  schul  Bei  diesen  Blättern 
muss  er  doch  etwas  gedacht  haben?  Wer  Tendenz  hat,  der  hat 
doch  auch  gedacht  —  verstehe  ich  richtig?  Sicherlich:  als 
Courbet  Blätter  lithographierte  wie  das  Bild  des  Fourier- 
Schülers  Jean  Journet,  da  dachte  er.  Er  dachte  an  den  Sozialis- 
mus, an  die  Armut,  an  den  Reichtum  und  an  manche  andere 
wichtige  Dinge.  Es  ist  nun  die  Frage,  ob  dies  Denken  so  originell, 
so  bedeutend  war,  dass  gerade  Fräulein  Anna  Goetze  aufstehen 
musste,  um  es  vor  der  Vergessenheit  zu  retten.  Ich  bin  anderer 
Meinung.  Ich  glaube,  dass  Courbets  sozialästhetische  Re- 
flexionen wie  die  seines  Freundes  Proudhon  unheimlich  banal 

8 


114  WILHELM  HAUSENSTEIN 

waren.  Fräulein  Anna  Goetze  wird  mir  dies  Bekenntnis  hoch 
anrechnen,  da  sie  weiss,  dass  ich  selber  Sozialist  bin.  Mir  scheint: 
Courbet  hat  seine  Persönlichkeit  in  seinem  darstellenden  Ani- 
malismus  entladen.  Und  wenn  in  seinen  Büdern  etwas  ist,  das 
imsere  sozialen  Instinkte  emporreisst,  dann  liegt  das  nicht  an 
den  dürftigen  sozialästhetischen  Denkversuchen,  die  Courbet 
gläubig  bei  Proudhon  lernte,  sondern  an  der  elementaren  Trieb- 
haftigkeit des  Künstlers,  der  die  Rasse  des  Proletariats  mit 
inbrünstigen  Augen  erblickte.  Ich  glaube,  mich  nicht  zu 
täuschen,  wenn  ich  Meier-Graefe  so  verstehe. 

Fräulein  Anna  Goetze  wächst  mit  ihren  höheren  Pflichten: 

„Mit  derselben  ungenierten  Oberflächlichkeit,  mit  der  diese  Dinge 
verschwiegen  werden"  —  scilicet:  mit  der  Meier-Graefe  die  Intelligenz- 
proben Courbets  unterschlägt  — ,  „wird  dann  andererseits  die  Be- 
hauptung aufgestellt,  dass  der  durchaus  deutsche  Meister  Leibl  seine 
Kunst  Courbet  verdanke." 

Die  Dame  verzeiht:  wo  hat  sie  das  gelesen?  Ich  fasse  mich 
kurz  und  zitiere  einige  Stellen  aus  der  ,, Entwicklungsgeschichte 
der  modernen  Kunst"*) : 

„Es  ist  wichtig,  einzusehen,  dass  Courbet,  den  Leibl  in  der 
ersten  Entwicklung  traf  —  nicht  bevor  Leibl  schon  prachtvolle  Dinge 
geschaffen  hatte — ,  an  seinem  (nämlich  Leibls)  eigentlichen 
Wesen  nichts  Wesentliches  geändert  hat.  Das  We- 
nige, das  uns  allein  gehört,  wollen  wir  behalten.  Die 
Begegnung  mit  Courbet  war  ein  gegenseitiges  Zutrinken,  wie  Böcklin  so 
hübsch  zu  erzählen  pflegte,  kaum  mehr.  Was  für  Courbet  la  natura 
war,  war  für  Leibl  die  Natur.  Wenn  schon  das  Wort  der  eigenen  Sprache 
nur  die  FüUe  des  Begriffs  umtastet  und  in  dieser  Allgemeinheit  nichts 
von  dem  meldet,  was  die  Kunst  und  erst,  was  ein  Künstler  darunter 
versteht,  in  der  Übersetzung  wird  es  zu  einem  kaum  artikulierten  Laut 
sonoren  Klangs.  Es  war  ebenso,  wie  wenn  sie  sich  Prosit  zuriefen  .  .  . 
Courbet  selbst  ist  der  Jüngste  der  Generation  von  Fontainebleau.  Nichts 
von  alledem  in  Leibl.  Keine  Familiengeschichte  gab  ihm  das  Recht  zur 
Tat.  Wo  ist  bei  uns  die  Generation  von  1830,  auf  die  er  sich  hätte  stützen 
können  ?  Wo  Daumier  und  Delacroix,  die  grossen  Entflammer  des 
Pinsels  und  der  Farbe?  ...  Es  ist  fraglich,  ob  Leibl  den  Meister  der 
Olympia  überhaupt  gekannt  hat.    Courbet  lebte  in  Paris  in  dem  Kreise 


*)  II.  Band,  S.  487  ff. 


WILHELM  HAUSENSTEIN  115 

Courbets  und  Alfred  Stevens',  der  mit  der  6cole  de  Batignoiles  keinerlei 
Beziehungen  unterhielt  .  .  .  Und  wie  Leibl  die  natürliche  Fortsetzung 
des  französischen  Führers  nicht  sah,  so  entging  ihm  das  Fort- 
setzbare, das  Spanische  Courbets.  Es  lag  nicht 
in  seiner  Rasse,  und  er  war  viel  zu  einfach,  um  es 
erobern  zu  wollen.  Wir  haben  keinen  Grund,  uns 
darüber  zu  betrüben.  Er  konnte  das  Seine  immer 
nur  mit  dem  Altmeisterlichen  der  Deutschen 
geben...  Die  Oljrmpia  ist  die  Wiedererweckung  des  Tizian,  der  die 
fraulichste  Nacktheit  der  Königin  der  Tribuna  malte,  die  Kokotte  ist 
die  relative  Weiblichkeit  der  Rasse,  die  Holbeins  Männer  er- 
fand. Der  Unterschied  ist  die  Altersdifferenz 
der  Kulturen,  eine  Begünstigung  der  Lateiner,  die  noch  die 
Griechengötter  erblickten,  und  ein  Nachteil  für  uns,  die  wir  als  Christen 
in  die  Geschichte  kamen.  Überall,  wo  wir  uns  auf  dem 
eigensten  Feld  der  anderen  versuchen,  wird  uns 
das  Letzte  entgehen,  weil  die  Leute,  die  alle  Eigentümlich- 
keiten unserer  Rasse  in  der  Stärke,  die  zu  grossen  Werken  treibt,  be- 
sitzen, sich  nie  entschliessen  werden,  entschliessen  dürfen,  ihre  Kokotten 
nackt  zu  malen  ..." 

Last  not  least:  Fräulein  Anna  Goetze  wird  sehr  prinzipiell. 
Sie  bedauert  —  ich  vermute  zu  ihrem  Vorteil :  ohne  den  Gegen- 
satz zu  kennen  —  just  das,  was  an  Meier- Graef es  Auffassung, 
an  der  Geschichte  der  französischen  Malerei  den  allgemeinsten 
Vorzug  bedeutet.  Meier- Graef e  schreibt  in  der  „Entwicklungs- 
geschichte": 

,,Von  allen  Katalogbezeichnungen,  Historie,  Porträt,  Religiöse 
Malerei  usw.  ist  nur  eine  einzige  nicht  ganz  unvernünftig:  das  Stilleben. 
Erst  wenn  es  gelingt,  jedes  Bild,  auch  die  tief- 
sinnigste Historie,  als  Stilleben  zu  betrachten, 
gelangt  man  in  die  Gefilde,  die  Seligkeiten 
bergen...  Wem  fällt  es  ein,  zwischen  den  göttlichen  Frauenporträts 
des  Rubens  und  seinen  jüngsten  Gerichten  zu  unterscheiden !  Die  Leute, 
die  ein  Bild  auf  das  Gegenständliche  hin  untersuchen,  sind  wirklich 
nicht  besser  als  die  üblen  Quartaner,  die  in  der  Religionsstunde  im  Alten 
Testamente  nach  obszönen  Dingen  suchen.  Wer  im  „HöUensturz"  eine 
Historie  sieht,  nicht  das  geniale  Zucken  einer  Hand,  aus  der  mit  jeder 
Bewegung  Menschenleiber  hervorwachsen,  dem  geht  das  Höchste  in 
der  Kunst  verloren*)". 

*)  1.  c.  S.  501 — 502. 


ii6  WILHELM  HAUSENSTEIN 

Fräulein  Anna  Goetze  hat  einen  anderen  Begriff  vom 
Höchsten  in  der  Kunst,  einen  anderen  Begriff  von  Seligkeit. 
Fräulein  Anna  Goetze  ist  nicht  der  Ansicht, 

„dass  man  die  ganze  Welt  der  Erscheinungen  auf  ein  Stilleben- 
niveau herabziehen  muss." 

Das  Denken  hat  es  der  Dame  angetan  und  darum  fordert 
sie  „Gedankenkimst".  Und  damit  ist  sie  national.  Und  damit 
ist  sie  würdig,  an  die  Seite  Karl  Vinnens  zu  treten,  der  uns 
in  einem  unbewachten  Augenblick  aus  jener  Ecke  zwischen 
Elbe  und  Weser  verkündet,  dass  die  ,, Eigenart"  unseres  Volkes 
„letzten  Endes"  in  der  ,, Vertiefung",  in  der  ,, Phantasie", 
in  der  „Empfindung  des  Gemüts"  bestehe.  Diese  Eigenart 
soll  sich  letzten  Endes  nun  einmal  selber  fressen  statt  andere 
Leute.     Wir  wollen  diese  Eigenart  dabei  nicht  stören. 

Wir  wollen  dafür  zum  Problem  Meier- Graefe  zurück.  Es 
ist  das  übelste  an  der  Broschüre  Vinnens,  dass  sie  Meier- Graefe 
mit  halben  Andeutungen  zu  erledigen  versucht.  Die  Atmosphäre 
der  Broschüre  ist  von  latenten  Anschuldigungen  voll,  und 
alle  diese  Anschuldigungen  heissen  so:  Meier- Graefe  ist  ein 
höherer  Snob,  ein  Sans-Patrie,  ein  Französling  aus  Prinzip, 
ein  Verführer  der  Nation  und  ihrer  Jugend  und  hat  die  ganze 
Invasion,  den  ganzen  Imitatorenkitsch  auf  dem  Gewissen. 

Meier- Graefe  ist  aber  der  Schriftsteller,  der  eindringlich 
wie  kein  zweiter  in  die  Genealogie  der  modernen  Malerei  hinein- 
gesehen hat.  Er  kam  zu  dem  Resultat,  dass  die  französische 
Malerei  seit  dem  Verfall  der  italienischen  und  der  spanischen 
Renaissance  in  der  europäischen  Malerei  die  Führung  hat. 
Das  war  eine  wissenschaftliche  und  eine  Geschmackseinsicht, 
die  sich  jenseits  aller  nationalen  Grenzen  vollzog  und  aus- 
schliesslich stilkritische  Orientierung  suchte.  Meier- Graefe  hat 
freilich  das  Unglück,  glänzend  zu  schreiben.  Wäre  seine 
Sprache  akademisch,  so  wäre  er  vermutlich  einwandfrei. 
Aber  mm  ist  er  anders.  Und  daher  vermöbelt  man  ihn.  Man 
nimmt  sich  die  Mühe  nicht,  das  zu  erwerben,  was  er  bietet. 
Er    ist    zu    anstrengend    —    sogar    für    die    metaphysischen 


WILHELM  HAUSENSTEIN  117 

Gemüter  des  Nordens.  Meier-Graefes  Epigramme,  die 
für  einen  Moment  gelten,  werden  für  die  Ewigkeit  fest- 
genagelt. Spitzen  werden  plattgeschlagen.  Worte,  die  nur 
durch  einen  hochnuancierten  Timbre,  vielleicht  nur  in  der 
Vibration  des  Gedankens  Geltung  haben,  werden  buchstäblich 
verstanden,  Parabeln  werden  als  Realitäten  aufgefasst.  San- 
guinische Plötzlichkeiten  machen  den  Bedächtigen,  der  immer 
das  sauber  ausgewogene  Relative  will,  höchst  misszufrieden. 
Überschwang,  der  einer  höchst  sensiblen,  nervösen  Kapazität 
unvermeidHch  ist  und  sich  aus  der  überwältigenden  Stärke, 
ja  Ausschliesslichkeit  der  Impressionen  des  Augenblicks  er- 
gibt, ist  den  Besänftigten,  Gleichmässigen,  ist  dem  tüchtigen 
Mittelstand  verhasst.  Dieser  Schriftsteller,  dem  Deutschland 
und  die  kunstgeschichtliche  WeltUteratur  Ungeheures  danken, 
ist  den  anderen  —  die  von  ihm  lernen  könnten  —  so  zuwider, 
dass  sie  die  Dinge  umgehen,  die  auch  in  ihren  Augen 
für  ihn  sprechen  müssten.  Wer  liest  Meier-Graefes  ,, Jungen 
Menzel"?  Wer  wagt  es  denn,  an  seine  monumentale 
M  a  r  e  e  s  -  Monographie  heranzugehen,  in  der  Meier- Graefe  die 
Kraft  seiner  besten  Jahre  verbraucht  und  die  extremste  philo- 
logische Akribie  leistet? 

O  nein  — •  die  nationale  Mittelstandspolitik  weiss  auch 
nichts  davon,  dass  Meier-Graefe  seinen  Cezanne  in  den  ,, Im- 
pressionisten" von  1907  mit  den  Worten  schloss: 

,,Das  Zeichen  könnte  trügen.  Sind  wirklich  alle  diese 
jungenLeute,diesichkaninchenhaftvermehren, 
seine  Jünger?  Ich  zweifle  nicht  an  ihrer  Ehrlichkeit,  denn  es 
fehlt  jede  Möglichkeit  des  Gegenbeweises.  Sie  teilen  mindestens  dies 
mit  seinem  Geschicke,  blutwenig  zu  verkaufen.  Aber  handelt  es  sich 
hier  nicht  etwa  um  eine  mehr  oder  minder  generöse  Massensuggestion  ? 
Gewiss  gibt  es  in  Cezanne  einen  objektiven  Be- 
standteil, der  bestimmt  ist,  zur  Tradition  zu 
werden.  Ihn  sah  er  vor  sich,  wenn  er  sich  über  die  konstante  Ab- 
lehnung seiner  ,, Methode"  den  Kopf  zerbrach.  Es  ist  die  Lösung  der 
Form,  die  Kultur  des  Auges,  das  sich  auf  Differenzen  einübt,  die  Emp- 
fänglichkeit für  verborgene  Reize  der  Atmosphäre.  Zweifellos  stehen 
die  gegenwärtigen  Nachfolger  diesen  Dingen  nicht  fremd  gegenüber. 
Cezanne  hat  die  Sinne  vieler  Menschen  verbessert,  so  wie  Signac  oder 


ii8  WILHELM  HAUSEN  STEIN 

vorher  Manet.  Was  einem  bange  machen  kann,  ist 
das  Stereotype  dieses  Resultats.  Man  sieht  die- 
selben Farben,  dieselben  Flecken  immer  wieder 
und  stösst  auf  Wiederholungen  von  Zufällig- 
keiten des  Meisters  —  wie  z.  B.  seine  bekannten  freigebhebenen 
Stellen  der  Leinwand  — ,  die  man  sich  ohne  Annahme  allzuenger  Nach- 
ahmung nicht  deuten  kann.  Ich  habe  den  Eindruck,  däss  viele  dieser 
Jünger  dem  Meister  nicht  ganz  gerecht  werden.  Gewiss  hat  Cezanne 
ein  paar  Harmonien  erfunden  und  oft  wiederholt.  Aber  wäre  das  sein 
ganzes  Verdienst,  so  stände  er  wenig  höher,  als  der  geschickte  Damen- 
schneider oder  Hutmacher,  der  neue  Farbenkombinationen  —  und 
zwar  sogar  jedes  Jahr  mindestens  eine  —  erfindet.  Gewiss  hat  er  die 
Form  aufgelöst.  Aber  man  irrt  sich,  wenn  diese  Tat- 
sache zu  der  Vermutung  führt,  es  genüge,  unaus- 
gegorene  Formen  auf  die  Leinwand  zu  bringen. 
Unter  dem  Erfolg  Cezannes  und  aller  Impres- 
sionisten verbirgt  sich  eine  unübersehbare  Ge- 
fahr. Sie  stürzten  Traditionen,  um  neue  aufzurichten,  konnten  nicht 
anders,  wenn  sie  siegen  wollten,  und  jeder  erwies  an  seinem  Werke  die 
näheren  Gründe  seiner  besonderen  Tat.  Solche  Revolutionen  lassen 
Erschütterungen  zurück,  die  sich  erst  langsam  verlieren  müssen,  um 
das  Resultat  zu  festigen  .  .  .  Fände  Frankreich  nach  den  grossen  Er- 
schütterungen nicht  einen  Moment  der  Ruhe,  um  das  Eroberte  zu 
sichten  und  zu  nutzen,  so  ginge  es  trotz  allen  Heldenmutes  seiner  grossen 
Führer  rettungslos  zugrunde  .  .  .  Der  Bourgeois  Cezanne  ist  für  den 
gesinnungstüchtigen  Bohemien  die  gefährlichste  Suggestion.  Man 
nimmt  einen  deduzierten  Geschmackswert  für  das  Wesen  und  seine  kalte 
Konsequenz  für  feurige  Zerstörungswut.  Vergessen  war  nicht,  dass  er 
Mystiker  war.  Solche  Leute  pflegen,  wenn  sie  zünden,  ganze  Massen 
in  Brand  zu  stecken,  aber  was  sie  mitteilen,  ist  nicht  der  Glaube  ihrer 
grossen  Seele,  sondern  Fanatismus.  Die  Keuschheit  ihrer  Visionen 
wird  von  der  Propaganda  in  groben  Nutzen  umgemünzt.  Vergessen 
wir  nicht,  dass  die  Seele  dieses  Künstlers  mit  ihren  unentwirrbaren 
Widersprüchen  einzig  war.  Man  denke  sich  Greco  in  hundert  Exemplaren. 
Auf  was  wir  hoffen  müssen,  ist  nicht  die  Aktualität,  nicht  die  vorschnell 
formulierte  Manier  des  grossen  Meisters,  sondern  —  der  nicht  geborene 
Velasquez,  der  diesem  Greco  unserer  Tage  winzige  Teile  nimmt,  um  sie 
mit  eigenem  Wesen  zu  neuen  Werten  umzuschmelzen.  Dann  mag  nach 
einem  neuen  Umlauf  wieder  ein  Visionär  dem  Spiel  der  Enkel  von  weitem 
zuschauen  und  daraus  in  der  Einsamkeit  eine  neue  Mystik  dichten." 
Was  verschlägt's?  Die  Mittelstandspolitik  geht  lieber  zu 
Wirtschaftsziffern,  wenn  sie  auch  nichts  damit  anzufangen 
weiss. 


WILHELM  HAUSENSTEIN  119 


Vinnen,  der  Statistiker,  ist  ein  Schauspiel.  Vinnen  erwähnt, 
dass  Deutschland  1909  etwa  für  20  Millionen  Mark  Zeich- 
nungen und  Gemälde  importiert,  aber  nur  für  12  exportiert 
habe.  Und  er  ist  nationalökonomisch  ausser  sich.  War  nicht 
vor  300  Jahren  der  Colbertismus  modern,  der  alles  Heil  von 
der  günstigen  Handelsbilanz  erwartete  und  den  Staat  ruiniert 
sah,  in  dem  die  Einfuhrziffer  die  Ausfuhrziffer  überstieg? 
Was  kümmert  den  Maler  Vinnen  der  heutige  Stand  der  National- 
ökonomie? Was  kümmert  ihn  die  nationalökonomische  Kinder- 
lehre, die  da  sagt,  dass  es  der  kompletteste  Unsinn  ist,  die 
Vergleichung  von  Ausfuhr  und  Einfuhr  auf  einen  Sonder- 
gegenstand wie  die  Kunst  zu  beschränken? 

Vinnen,  der  statistische  Bönhase,  fährt  fort.  Und  merket, 
Völker!  Der  ganze  Spektakel  mündet  bei  der  erschütternden 
Notiz:  Oesterreich  exportierte  für  9  Millionen  nach  Deutsch- 
land, die  belgischen  und  holländischen  Niederlande  expor- 
tierten für  2,8,  Frankreich  exportierte  für  2,7.  Tant  de 
bruit  pour  une  omelette.  Cassirer  fügt  hinzu,  dass  an  der 
französischen  Ausfuhr,  die  nach  Deutschland  geht,  die  Im- 
pressionisten jährlich  etwa  mit  einer  halben  Million  beteiligt  sind. 

Es  kommt  schöner. 

Vinnen  teilt  mit,  dass  auf  zwölf  internationalen  Kunst- 
ausstellungen, die  auf  deutschem  Boden  stattfanden,  durch- 
schnittlich je  230  000  Mark  fremden  Werken  zuflössen  imd 
dass  auf  zwei  internationalen  Ausstellungen,  die  in  Chicago 
und  Melbourne  stattfanden,  deutsche  Künstler  jeweils  nur 
etwa  die  Hälfte  jener  Bruttosumme  herausbrachten.  Das 
ist  schlagend.  Wir  müssen  künftig  doch  ebensoviel  heraus- 
bringen wie  alle  anderen  Nationen  zusammen!  Ja  —  die 
nationalökonomischen  Talente  des  Mittelstandes! 

Es  ist  genug.  Die  Organisation  des  Protestes  richtet  sich 
durch  sich  selber.  Vinnen,  der  keine  ,, Massenbewegung" 
wollte,  bekam  weder  Liebermann,  noch  Corinth,  weder  Sle- 
vogt,  noch  Gaul,  weder  Kardorff,  noch  Klimt. 

Ich  muss  nun  doch  ein  bisschen  unterscheiden.  Es  stehen 
immerhin   Namen   wie   Weisgerber,   Lamm,    Kuehl,    Kollwitz, 


I20  WILHELM  HAUSEN  STEIN 

Feldbauer,  Zügel  in  der  Broschüre.  Das  ist  der  Vorteil  der 
Präzisionslosigkeit  dieses  Protestes.  So  konnten  viele  eine  im 
Grund  vielleicht  individuelle  Verstimmung  aussprechen,  die  sich 
bei  einer  zielklaren  Aktion  wahrhaft  nutzbar  gemacht  hätte  und 
nun  in  einer  allgemeinen  Trübheit  versinkt. 

Ein  Aktionsprogramm  müsste  sich  auf  zwei  grosse  Gesichts- 
punkte gründen:  auf  einen  ästhetischen  und  einen  ökonomischen. 

Der  ästhetische  würde  besagen,  dass  kunstgeschichtUche  Ent- 
wicklungen ihre  immanente  Logik  haben  und  dass  die  an  den 
jüngsten  Franzosen  inspirierte  Malerei  jenseits  der  individuellen 
Missgriffe  ihre  starke  überpersönliche  Linie  hat  —  eine  Linie, 
die  zu  einem  neuen  Stil  führen  wird.  Auch  in  dem  Frankreich 
Watteaus,  Chardins,  Fragonards,  Pigalles,  Houdons  gab  es 
zahllose  Nieten.  Und  doch  war  jene  Entwicklung  im  ganzen 
so  glänzend,  dass  ein  Mann,  den  unsere  Nationalen  nach  Bedarf  zum 
Deutschen  Heros  machen,  Friedrich  der  Zweite,  offen  zugestand: 

,,Wir  sind  nicht  einmal  Böotier:  wir  sind 
noch  schlimmer  als  eine  hölzerne  Rampe 
in  einem  nördlichen  Kreuzgang  Deutsch- 
lands an  den  Ufern  der  Ostsee...  Die  Fran- 
zosen übertreffen  alle  anderen  Nationen 
an  Geschmack,  und  ich  stelle  mich  gern 
unter  ihre  Fahne,  sobald  es  auf  Feinheit 
der  Unterscheidung  und  auf  eine  scharf- 
sinnige und  kritische  Wahl  zwischen  dem 
wirklich  Schönen  und  seinem  blossen 
Scheine    ankommt." 

So  sprach  der  alte  Fritz.  Und  er  schlug  die  Franzosen  bei 
Rossbach  —  und  sammelte  Watteau. 

Aber  deutsche  Zeitgenossen  halten  es  —  wiewohl  mit  starken 
Verwahrungen  —  für  dringlich  und  für  delikat,  einen  Franzosen- 
schwindel zu  befehden,  der  uns  nichts  bedeutet.  Gerade  einen 
Franzosenschwindel  —  als  ob  uns  weder  englischer  noch  ita- 
lienischer Kitsch  verfolgte. 

Der  ökonomische  Gesichtspunkt  würde  besagen,  dass  es 
darauf  ankommt,  durch  wirtschaftliche  Künstlerorganisationen, 


WILHELM  HAUSENSTEIN  —  HARRY  GRAF  KESSLER    121 

die  den  Arbeitergewerkschaften  nachzubilden  wären,  und  durch 
Organisationen  der  Galerieverwaltungen  den  unverdienten  Wert- 
zuwachs, den  Bilder  den  Händlern  vermitteln,  in  sachlichem 
Mass  der  Allgemeinheit  zuzuführen.  Diese  Forderung  bestreitet 
nicht  im  mindesten,  dass  innerhalb  des  privatkapitalistischen 
Kunsthandels  persönlich  noble  Erscheinungen  existieren.  Es 
handelt  sich  aber  lun  Systeme,  nicht  um  Personen. 

Van  Gogh  hat  einmal  —  wie  seine  Kunst  eines  Tages  sicher 
als  ein  höchst  sozietärer  Stil  begriffen  werden  wird  —  die  Idee 
einer  ökonomischen  Künstlerphalanx  formuliert.  Man  findet 
den  primitiv  gefassten  Gedanken  in  Goghs  Briefen*). 

Wenn  unsere  Künstler  begreifen  wollten,  dass  auch  ihr 
Schaffen  in  der  sozialökonomischen  Gesamtkultur  unserer 
Zeit  wurzelt !  Dass  selbst  der  Stil  einer  Kunst  mit  der  sozial- 
ökonomischen Struktur  der  Zeiten  korrespondiert! 

Dann  würde  der  Protest,  der  jetzt  nur  ein  Durcheinander 
vager  Empfindungen  bedeutet,  sich  zu  einer  positiven  Waffe, 
zu  einer  Zukunft  bereitenden  Handlung  verdichten. 

Wir  leben  nicht  mehr  in  den  relativ  verkehrsarmen  Zeiten, 
in  denen  sich  örtliche  Stile  zu  schroffer  Eigenart  entwickelten 
—  in  denen  aber  immerhin  Rogier  nach  Italien,  Jan  van  Eyck 
nach  Spanien  gelangen  konnte.  Wir  leben  nicht  mehr  in  der 
Zeit  des  alten  Brueghel,  der  ein  geschichtliches  Recht  besass, 
sich  abzuschliessen. 

Die  Stilunterscheidungen  sind  heute  nuancierter.  Der 
kosmopolitische  Gehalt  künstlerischer  Problematik  ist  grösser. 

Und  der  Mittelstand  wird  in  diese  Problematik  hinauf- 
wachsen müssen  oder  untergehen. 

Harry  Graf  Kessler,  Weimar: 
Deutschland   und    die    Auslandskunst. 

I  |ie  ganze  Broschüre  des  Herrn  Vinnen  steht  auf  zwei 
*-^  Behauptungen:  erstens,  die  dummen  deutschen  Sammler 
bezahlten  für  französische  Bilder  höhere  Preise  als  die  offen- 


*)  In  der  Ausgabe  bei  Bruno  Cassirer  S.  58,  66,  79,  100. 


HARRY  GRAF  KESSLER 


bar,  nach  Herrn  Vinnen,  kunstverständigeren  Franzosen; 
zweitens,  diese  Preise  für  französische  impressionistische  und 
nachimpressionistische  Bilder  stünden  in  keinem  Verhältnis 
zu  denen,  die  deutschen  Künstlern  bezahlt  würden.  Beide  Be- 
hauptungen sind  falsch;  und  da  sie  sowohl  den  Ruf  der  deut- 
schen Sammler  wie  die  Wertung  der  deutschen  Künstler  zu 
schädigen  geeignet  sind,  muss  ihnen  widersprochen  werden. 

Für  R  e  n  o  i  r  s  ,,Mme.  Charpentier"  hat  das  Metropolitan- 
Museum  in  New  York  in  öffentHcher  Auktion  in  Paris  über 
80  000  Francs  bezahlt;  kein  Renoir  ist  je  für  einen  gleich  hohen 
Preis  nach  Deutschland  verkauft  worden.  Für  ein  Frühbild 
von  M  o  n  e  t  hat  ein  Moskauer  Sammler  50  000  Mark  bezahlt ; 
weit  mehr,  als  je  irgendein  deutscher  Privatmann  oder  ein 
deutsches  Museum  für  einen  Monet.  Für  Cezannes  ,,  Küsten- 
landschaft bei  Marseüle"  hat  der  bekannte  Rembrandtsammler 
Havemeyer  in  New  York,  wohl  ehe  noch  der  erste  Cezanne 
nach  Deutschland  kam,  bereits  20000  Francs  gegeben;  und 
Monsieur  Pellerin  in  Paris  hat  vor  kurzem  erst  einen  Cezanne  für 
50  000  Francs  erworben,  während  Cezannes  „Kartenspieler" 
in  derselben  Sammlung  vor  Jahren  45  000  Francs  gekostet 
haben.  Nach  Deutschland  ist  wohl  nie  ein  Cezanne  für  mehr 
als  30  000  Mark  verkauft  worden.  Ebenso  ist  wohl  der  höchste 
Preis  für  einen  van  Gogh  von  dem  Moskauer  Sammler 
Szukin  gegeben  worden.  Schliesslich,  für  D  e  g  a  s  sind  die 
Preise  in  Paris  so  hoch,  dass  sie  gegen  deutsche  Sammler  offenbar 
prohibitiv  gewirkt  haben.  Soviel  ich  weiss,  ist  nur  ein  Werk 
ersten  Ranges  von  Degas  in  Deutschland,  während  in  Paris 
für  solche  erstklassigen  Degas  Preise,  die  um  100  000  Francs 
schwanken,  gegeben  werden.  Die  Behauptung,  dass  deutsche 
Sammler  in  Paris  als  die  Dimimen  Sonderpreise  zahlten,  ist 
also  aus  der  Luft  gegriffen. 

Und  ebenso  steht  es  mit  der  anderen  Entdeckung  des  Herrn 
Vinnen,  dass  französische  Büder  in  Deutschland  im  allgemeinen 
teurer  bezahlt  würden  als  deutsche.  Genau  das  Gegenteil  ist 
nämlich  der  Fall.  Wenn  Renoir  einmal  80  000,  und  verschiedene 
Degas  Preise  gebracht  haben,    die    sich    in    der  Nähe    von 


HARRY  GRAF  KESSLER  123 

100  000  Francs  halten,  so  hat  dafür,  wie  man  sagt,  Herr 
V.  Kaulbach  in  München  für  seine  Porträts  der  Familie  Rocke- 
feiler 800  000  Mark,  also  etwa  i  Million  Francs,  erhalten.  Aber 
um  von  diesen  Höhen  herabzusteigen.  Klinger,  Liebermann, 
Trübner,  Leibl,  Stuck  sind  Maler,  deren  Preise  sich  im  Durch- 
schnitt mindestens  auf  der  gleichen  Höhe  halten  wie  die  von 
Monet,  Renoir,  Cezanne,  van  Gogh;  und  gewiss  sind  für  Bilder 
von  Menzel  und  Böcklin  in  den  letzten  Jahren  Summen  gezahlt 
worden,  die  die  der  höchstbezahlten  Impressionisten  über- 
treffen: ich  erinnere  nur  an  den  Preis,  um  den  Menzels 
,,Theätre  Gymnase"  von  der  Nationalgalerie  erworben  werden 
musste. 

Es  handelt  sich  eben  gar  nicht  um  Natio- 
nalität, sondern  um  Qualität.  Herr  Vinnen  soll 
die  Preise,  die  er  für  seine  Bilder  erhält,  nicht  bloss  mit  denen 
von  Cezanne  oder  van  Gogh,  sondern  auch  mit  denen  von 
Liebermann  und  Trübner  vergleichen;  dann  würde  er  vielleicht 
zu  einer  etwas  richtigeren  Auffassung  der  Gründe  und  Ursachen 
für  die  von  ihm  so  peinlich  empfundene  Marktlage  gelangen. 

Auf  diesen  Aufsatz,  der  im  ,,Berl.  Tageblatt"  erschien, 
erwiderte  Professor  Meyerheim,  dem  dann  Graf  Kessler  an  der- 
selben Stelle  antwortete: 

T-Xerrn  Professor  Meyerheims  Erwiderung  (siehe  Nr.  234 
des  ,, Berliner  Tageblatt")  zwingt  mich  zu  einer  Antwort,  da 
sie  die  von  mir  als  falsch  erwiesene  Behauptung  wiederholt, 
dass  wir  Deutsche  die  fremden,  insbesondere  die  französischen 
Kunstwerke  teurer  bezahlten  als  unsere  eigenen  deutschen. 
Herr  Professor  Meyerheim  sagt:  ,,Die  höchsten  für  Menzels 
Werke  bezahlten  Preise  reichen  noch  lange  nicht  an  die  Un- 
summe heran,  die  in  Deutschland  für  die  roh  skizzierten" 
(usw.  usw.:  ich  erlasse  dem  Leser  die  Beiwörter)  ,, Schöpfungen 
eines  Manet  ausgegeben  wurden",  und:  ,,Es  hat  etwas  Be- 
schämendes für  uns  Deutsche,  dass  unsere  Grossen  so  wenig 
geschätzt  werden". 


124  HARRY  GRAF  KESSLER 

Nun  hat  der  preussische  Staat  gleich  nach  Menzels  Tod  für 
den  Ankauf  Menzelscher  Werke  der  Nationalgalerie  i  400  000  M. 
zur  Verfügung  gestellt,  und  soweit  unsere  Kenntnisse  in  der 
Kunstgeschichte  zurückreichen,  ist  noch  nie  und  nirgends  eine 
ähnlich  hohe  Summe  beim  Tode  eines  Meisters  für  sein  nach- 
gelassenes Werk  bezahlt  worden.  Aber  der  preussische  Staat, 
der  auch  sonst  nicht  für  einen  Verschwender  gilt,  musste  diesen 
Preis  bezahlen,  wenn  er  sich  die  Werke  sichern  wollte.  Warum  ? 
Weil  die  Sammler,  nämlich  die  von  Herrn  Professor  Meyerheim 
viel  geschmähten  deutschen  Sammler,  bereit  waren,  diese 
Summe  zu  bezahlen,  um  dem  Staate  diese  Werke  zu  entreissen. 
Weit  entfernt,  dass  unsere  Grossen,  wie  Professor  Meyerheim 
sagt,  von  uns  ,,so  wenig  geschätzt  würden",  liegt  die  Sache 
umgekehrt:  es  lässt  sich  zahlenmässig  nachweisen,  dass  wir 
für  die  Bilder  unserer  Maler,  und  insbesondere  Menzels,  Preise 
bezahlen,  wie  sie  in  keinem  anderen  Lande  und  zu  keiner  anderen 
Zeit  für  Werke  von  lebenden  oder  jüngst  verstorbenen  Malern 
je  bezahlt  worden  sind. 

Damit  erledigt  sich  auch  Professor  Meyerheims  Vergleich 
zwischen  den  Preisen  von  Menzel  und  Manet.  Denn  ganz  gewiss 
sind  in  Deutschland  alles  in  allem  für  sämtliche  hierher  ver- 
kauften Bilder  von  Manet  nicht  anderthalb  Millionen  bezahlt 
worden;  das  ganze  für  Manet  in  Deutschland  ausgegebene  Geld 
reicht  ,,noch  lange  nicht"  an  die  Summe  jenes  grossen  Menzel- 
kaufs heran. 

Ich  wiederhole:  wenn  Bilder  von  Manet  oder  Cezanne  heute 
in  Deutschland  gern  gekauft  und  hoch  bezahlt  werden,  so  liegt 
das  nicht  an  einer  Überschätzung  der  französischen  Kunst, 
sondern  an  einer  wachsenden  Schätzung  der  malerischen 
Qualität  überhaupt;  und  diese  Tendenz  kommt  nicht 
bloss  jenen  Fremden  zugute,  sondern  ebenso,  und  sogar  noch 
mehr,  deutschen  Meistern  des  rein  Malerischen,  wie  Menzel, 
Leibl,  Trübner,  Liebermann.  Anekdotenmaler  und  allerlei 
Halbtalente  leiden  unter  dieser  Marktgestaltung;  aber  es  ist 
schwer  zu  sehen,  wie  ein  öffentliches  Interesse  an  ihrer  höheren 
Honorierung  sich  konstruieren  liesse. 


HENRY  VAN  DE  VELDE  12^ 


T  Tnter  all  denen,  die  Sie  in  der  Streitfrage,  die  bei  deutschen 
^-^  Malern  und  Bildhauern  angesichts  der  Konsequenzen  der 
Einführung  französischer  Malerei  in  Deutschland,  die  wir 
einfachheitshalber  ,,impressionisti;sch"  oder  ,,neo  impressio- 
nistisch'- benannt  haben,  aufgeworfen  wurde,  zur  Äusserung 
ihrer  Meinung  aufgefordert  haben,  bin  wohl  ich  der  wenigst 
unparteiische  Richter.  Einesteils  habe  ich  selbst  zu  viel  zu 
dieser  Einführung  beigetragen,  um  unparteiisch  zu  sein,  andem- 
teils  bin  ich  zu  leidenschaftlich  eingenommen  für  diese  fran- 
zösische Malerei  und  Bildhauerei,  deren  gefährliche  Einflüsse 
Herr  Vinnen  verkündet,  um  in  dieser  Sache  irgend  etwas  auch 
nur  halbwegs  Vernünftiges  anzuhören.  Wenn  jemand  so  leiden- 
schaftlich überzeugt  ist  wie  ich  von  den  Werken  von  Degas, 
Cezanne,  Monet,  Renoir,  urteilt  er  nicht  mehr  oder  nur  sehr 
schlecht,  denn  er  endet  immer  mit  Beweisen,  die  seiner  Leiden- 
schaft recht  geben. 

Und  das,  des  Teufels,  kommt  für  meine  Leidenschaft  in 
Betracht.  Die  Generation  unserer  jungen  Maler,  kann,  ohne 
den  ihnen  eigenen  individuellen  oder  nationalen  Eigenschaften 
etwas  zu  vergeben,  nur  profitieren  von  den  Ausdrucks- 
mitteln und  dem  Wesen  der  Empfindung,  die  nach  meiner 
Überzeugung  unübertroffen  dastehen.  Oder  wollen  Sie,  dass 
ich  mich  über  die  Lage  aufrege,  in  die  der  Protest  Vinnens  die 
Bilderhändler  gebracht  hat.  Wenn  auch  einige  von  ihnen 
zufälligerweise  ihren  Vorteil  beim  Verkauf  von  Kunstwerken 
von  wirklichem  Kunstwert  gefunden  haben,  so  bedeutet  dies 
nur,  dass  unsere  Propaganda  nicht  umsonst  war  und  es  steht 
zu  verzeichnen,  dass  das  Geschmacksniveau  des  Publikums 
gestiegen  ist.  Aber  glauben  Sie  nur  nicht,  dass,  wenn  die  Dinge 
sich  änderten,  der  Händler  nicht  sich  dahin  wendete,  wohin 
ihn  sein  Vorteil  zieht,  denn  es  liegt  in  der  Natur  des  Geschäfts- 
mannes, dass  er  seinen  Vorteil  wahrnimmt,  wo  er  ihn  findet. 
Oder  werden  Sie  mir  einwenden:  ,,Ihre  Leidenschaft  sollte 
sich  der  Schwierigkeiten  annehmen,  die  der  Protest  der  Ge- 
meinde Vinnens  den   Galeriedirektoren  geschaffen  hat,  deren 


126  HENRY  VAN  DE  VELDE 

Ankäufe  französischer  Kunstwerke  nun  abnehmen  oder  gänzUch 
unterbleiben  werden?"  Meine  Auffassung  geht  dahin,  dass 
Gemälde  meist  zu  früh  in  Museen  enden.  Ich  bin  überzeugt, 
dass  ein  modernes  Bild,  aufgehängt  in  einem  Museum,  bevor  es 
anderswo  seinen  höchsten  Grad  an  Kraft  und  Intensität  des 
Ausdrucks  erreicht  hat,  diesen  dort  niemals  mehr  finden  wird. 
Kein  Werk  alter  Kunst  hat  seine  Patina  im  Museum  erlangt, 
wo  nur  eine  Restaurierung  es  unfehlbar  bedroht.  Diese  früheren 
Kunstwerke  erwarben  ihre  Patina  zu  der  Zeit,  als  ihre  Wirkung 
ihren  höchsten  Grad  erreichte,  in  der  Umgebung  und  durch  die 
Menschen,  die  sie  ihrer  Zeit  einverleibten,  die  sie  widerspiegelte, 
alles,  was  diese  Menschen  aus  der  Gegenwart  zogen,  die  Art,  sie 
zu  verstehen,  sie  zu  lieben  und  sie  wiederzugeben.  Angesichts 
unseres  Lebens,  nahe  bei  uns,  als  Zeuge  unserer  Existenz,  ihren 
Sitten  und  Ereignissen,  in  den  Räumen  selbst,  wo  wir  leben 
und  deren  Stil  und  Atmosphäre  wir  bestimmen,  erlangt  ein 
Kunstwerk  seine  endgültige  Ausdrucksfähigkeit.  Aber  dies  ist 
ein  Punkt,  der,  scheint  mir,  nicht  entwickelt  werden  sollte  in 
einer  Rundfrage  betreffs  die  Meinungen  des  kunstliebenden 
deutschen  Publikums  zugunsten  oder  zuungunsten  der  Werke 
französischer  Malerei  und  Bildhauerei. 

Sie  sehen,  wohin  meine  Leidenschaft  mich  treibt,  weitab 
von  der  Streitfrage,  welche  so  unnötigerweise  von  Herrn  Vinnen 
heraufbeschworen  wurde. 

Ich  für  meinen  Teil  bestehe  nur  darauf,  dass  meine  Leiden- 
schaft mir  bleibt,  und  ich  möchte  sie  von  allen  Erwägungen 
fernhalten.  Und  was  den  Protest  selbst  betrifft,  wäre  er  auch 
noch  so  umfassend,  so  wird  er  niemals  verhindern  können,  dass 
ein  Kunstwerk  den  Platz  einnimmt,  der  ihm  in  der  Wertschätzung 
derjenigen  zukommt,  die  das  Kunstwerk  vmi  seiner  selbst  willen 
und  als  Kunst  an  sich  lieben. 

Soviel  ich  weiss,  hat  es  noch  nie  an  Mut  und  Begeisterung 
gefehlt,  um  den  verkannten  Künstler  und  ungerecht  beurteilte 
Kunstwerke  zu  verteidigen,  hat  es  auch  noch  nie  an  Geld  gefehlt, 
um  für  Museen  den  Ankauf  dieser  Kunstwerke  zu  ermöghchen, 
über  die  inzwischen  die  Zeit  ein  feststehendes  UrteU  bilden  konnte. 


HENRY  VAN  DE  VELDE  —  OTTO  GRAUTOFF  127 

Im  Grunde,  was  sind  es  für  Vorwürfe,  die  uns  die  Protestler 
machen,  was  werfen  sie  den  Händlern  und  Museumsdirektoren 
vor?  Uns  —  unsere  Leidenschaft,  den  Händlern  —  die  hohen 
Preise,  die  sie  fordern,  den  Galeriedirektoren  —  ihren  Eifer,  zu 
hohen  Preisen  zu  kaufen. 

Wenn  diese  selben  Protestler  öffentlich  protestiert  hätten 
gegen  das  Publikum,  welches  besonders  Mittelmässiges  be- 
sonders liebt  und  es  zu  grossen  Preisen  kauft,  wenn  sie  sich 
gegen  jene  Händler  gewendet  hätten,  die  mit  dieser  Ware  eben 
dies  Publikum  versorgen  und  gegen  die  Direktoren  moderner 
Museen,  die  um  die  Säle  anzufüllen,  mit  Gold  aufwiegen,  was 
unsere  Zeit  an  hervorragend  minderer  und  anspruchsvoller 
Unbedeutung  hervorbringt,  wenn  sich  die  Protestler  wenigstens 
gegen  die  schlechte  Malerei  und  Bildhauerei  irgendwelcher 
Herkunft  gewendet  hätten,  so  könnte  ich  ihre  Reden  ernst 
nehmen.  Warum  verbinden  sie  sich  nicht  erst  gegen  schlechte 
Kirnst,  bevor  sie  einmütig  versuchen,  das  Gute  und  Beste 
auszuschliessen. 

Weimar.  Prof.  Henry  van  de  Velde. 

IV  yT  ein  erster  Eindruck  der  Vinnenschen  Broschüre  war  das 
Bedauernder  neuenVerstimmung  zwischen  Deutschland  und 
Frankreich,  die  dieser  zwecklose  und  teilweise  masslose  Protest 
hervorrufen  würde  und  inzwischen  hervorgerufen  hat.  Der 
Vorstand  des  Salon  des  Independants  und  des  Salon  d'Automne 
fühlen  die  Kränkung;  letzterer  um  so  mehr,  da  unter  den  Prote- 
stierenden sich  etwa  20  Münchner  Künstler  finden,  die  der 
Herbstsalon,  der  die  junge,  werdende  Kunst  Frankreichs  ver- 
tritt, im  vorigen  Jahre  so  gastfrei  und  liebenswürdig  wie  nur 
denkbar  bei  sich  aufgenommen  hat.  Eine  undankbarere  Ant- 
wort für  eine  genossene  Gastfreundschaft  lässt  sich  kaum  finden. 
Die  meisten  Einzelheiten  des  Protestes,  die  Vinnen  imd 
seine  Freunde  ins  Feld  führen,  sind  hinfällig.  Aus  oberfläch- 
lichen Statistiken  werden  naive  Trugschlüsse  gezogen.  Dass 
nur  minderwertige  französische  Bilder  nach  Deutschland  ver- 


128  OTTO  GRAUTOFF 


kauft  werden,  entspricht  nicht  den  Tatsachen;  denn  die  Bilder, 
die  sich  ehedem  in  den  Sammlungen  von  Blot,  Cheramy,  Acker- 
mann, Viau,  Bernstein,  Fayet,  Pellerin  u.  a.  befanden,  sind 
nach  dem  massgebenden  Urteil  der  führenden  Künstler  und 
Kunstfreunde  in  Frankreich  und  Deutschland  klassische  Meister- 
werke. Wenn  sie  aber  zum  Teil  von  unseren  Landsleuten  mit 
hohen  Preisen  bezahlt  worden  sind,  so  ist  das  nur  ein  Beweis 
dafür,  dass  die  Propaganda  für  französische  Kunst  in  Deutsch- 
land nicht  früh  und  energisch  genug  einsetzte  und  dass  das 
Verständnis  für  französische  Kunst  zu  spät  bei  uns  geweckt 
wurde,  zu  einer  Zeit,  wo  auch  in  Frankreich  der  Wert  jener 
Bilder  schon  erkannt  und  festgelegt  worden  war.  Darum 
haben  wir  allen  Grund  die  Propaganda  für  die  französische 
Kunst  der  Gegenwart  um  so  eifriger  zu  betreiben,  damit 
eine  solche  Konstellation  nicht  noch  einmal  eintritt,  damit 
die  Deutschen  moderne  französische  Bilder  kaufen,  solange  sie 
zehn- bis  zwanzigmal  biUiger  sind  als  Bilder  von  Stuck,  Keller, 
Kaulbach,  Samberger  und  Vinnen. 

Die  schärfsten  Proteste  erheben  sich  gerade  gegen  die 
Propaganda,  die  die  deutsche  Kritik  in  den  letzten  Jahren 
für  die  jüngste  französische  Kunst,  die  sich  im  Herbstsalon 
gruppiert,  eingeleitet  hat.  Wir  können  Herrn  Vinnen  aufrichtig 
dankbar  sein,  dass  er  uns  in  dieser  Propaganda  unterstützt. 
Der  gute  Erfolg  seiner  Broschüre  ist  darin  zu  sehen,  dass  sein 
heftiger  und  vielfältiger  Protest  unmittelbar  die  Augen  aller 
Deutschen  auf  die  jungfranzösische  Kunst  gelenkt  hat.  Hun- 
derte, Tausende,  die  bisher  indifferent  erschienen,  beginnen 
plötzhch  sich  für  die  verpönte  Kunst  Jungfrankreichs  zu 
interessieren.  Und  wir  haben  Gelegenheit,  ein  Wort  über  diese 
Kunst  zu  sagen.  (Wenn  ich  ein  Münchner  Kritiker  wäre,  würde 
ich  behaupten,  Herr  Vinnen  wäre  von  allen  welschen  und  Ber- 
liner Kunsthändlern  bestochen  worden,  um  diese  Schrift 
herauszugeben.) 

Warum  wir  die  französische  Kirnst  Heben?  Weil  sie  naiv 
und  direkt  ist,  weil  sie  Augenkunst  ist,  weü  sie  sich  unmittel- 
bar in  Farben  und  Linien  ausspricht  im  Gegensatz  zur  deut- 


OTTO  GRAUTOFF  —  HANS  TIETZE  129 

sehen,  die  so  häufig  ins  Romantische,  Symbohsche,  Literarische 
und  Illustrative  gleitet.  Ich  sehe  nur  graduelle  Unterschiede 
zwischen  Defregger  und  der  jungen  Münchner  dekorativen 
Schule,  aber  keinen  Unterschied  im  Kunstwollen,  d.  h.  in  den 
Malereien  des  Jüngeren  nicht  die  Manifestation  eines  neuen 
Weltgefühls.  Wenn  es  von  Schwabing  nach  Paris  herüber- 
schallt, dass  die  Kunst  eines  Cezanne  zu  wenig  konstruktiv 
wäre,  um  Nachfolger  haben  zu  können,  so  berührt  uns  das 
hier  wie  ein  Windhauch  unschuldigster  Ahnungslosigkeit. 
Gerade  weil  diese  Kunst  auf  der  rein  konstruktiven,  typisieren- 
den, abstrahierenden  Linie  der  französischen  Tradition  liegt, 
hat  sie  Entwicklungsmöglichkeiten,  die  sich  hoch  über  Karl 
Vinnens  Haupt  ebenso  weit  dehnen  wie  von  Poussin  zu  Cezanne. 
Und  was  ims  diejenigen,  die  sich  von  dieser  Tradition  losringen 
wollen,  teuer  macht,  ist  ihr  inbrünstiger  Suchergeist,  ist  ihr 
Mut,  die  edle  lateinische  Form  zu  sprengen,  sich  im  Chaos 
zu  verlieren,  um  aus  ihm  eine  neue  Formenwelt  zu  schöpfen. 
Wir  Deutschen  zeugen  besonders  gerne  von  dem  grossen  und 
ergreifenden  Schauspiel,  das  uns  Malerei,  Plastik  und  Dicht- 
kunst im  heutigen  Frankreich  bieten,  weil  wir  darin  ein  meta- 
physisches Wollen  erkennen,  das  durch  die  Befruchtung  besten 
germanischen  Empfindens  gewachsen  ist.  Wir  zwingen  nie- 
mand, mit  uns  diesem  Schauspiel  beizuwohnen.  Aber  die 
Freiwilligen  melden  sich  täglich  in  grösseren  Scharen.  Aus  der 
Gruppe  wird  eine  Gemeinde.  Und  die  Vinnenschen  Proteste 
verhallen  im  Leeren. 
Paris.  Otto  Grautcff. 


T^arl  Vinnen,  ein' Maler  der  jüngeren  Worpsweder  Gruppe, 
hat  einen  soeben  bei  Diederichs  in  Jena  erschienenen  Protest 
verfasst,  dem  sich  etwa  120  deutsche  Künstler  und  Kunst- 
schriftsteller —  erfreulicherweise  sind  fast  keine  Kunsthistoriker 
darunter  —  mit  mehr  oder  weniger  ausführlichen  Zustimmungen 
angeschlossen  haben.  Der  ohnedies  mehr  temperamentvolle 
als  logische  Protest  Virmens  wird  durch  die  Zutaten  dieser 

9 


I30  HANS  TIETZE 


vielen  Köche  nicht  klarer  und  der  erste  Eindruck  der  kleinen 
Schrift  ist  mehr  der  eines  lange  zurückgehaltenen  Stossseufzers, 
einer  allgemeinen  Verdrossenheit  und  Unzufriedenheit.  Und 
weil  man  sich  immer  freuen  muss,  wenn  deutsche  Künstler  in 
etwas  einig  sind  und  ein  Solidaritätsgefühl  bekunden,  hat  man 
anfangs  nicht  übel  Lust,  mitzuprotestieren,  nur  möchte  man 
etwas  genauer  wissen,  worum  es  sich  handelt.  Zergliedert 
man  sich  die  Jeremiade,  so  kann  man,  glaube  ich,  drei  haupt- 
sächliche Klagepunkte  feststellen:  i.  Eine  mächtige  Organi- 
sation Pariser  und  Berliner  Kunsthändler  zwingt  mit  Hilfe 
der  ihnen  verbündeten  Kunstschriftsteller  dem  deutschen 
Volke  Bilder  französischer  Meister  des  neunzehnten  Jahrhunderts 
zu  ungeheuren  Preisen  auf,  so  dass  diese  enormen  Summen  der 
deutschen  Kunst  verloren  gehen.  2.  Diese  Bewegung  wird  da- 
durch gefördert,  dass  die  Leiter  sämtlicher  deutscher  Galerien 
gleichfalls  an  dieser  Überschätzung  französischer  Kunst  leiden 
und  dass  zahlreiche  Kunstschriftsteller  die  jüngsten  Franzosen 
und  die  ihnen  nacheifernden  jungen  deutschen  Künstler  über 
Gebühr  preisen.  Diese  aber  —  damit  sind  wir  beim  dritten 
Punkt  angelangt  —  begnügen  sich  damit,  blosse  Nachahmer 
der  Franzosen  zu  sein;  ja,  sie  sprechen  überhaupt  aller  guten 
Tradition  Hohn,  sie  wollen  nichts  lernen;  die  Jugend  ist  de- 
generiert und  unfähig. 

Das  sind  harte  Vorwürfe,  die  wohl  wert  sind,  dass  man 
sich  mit  ihnen  beschäftigt,  wenn  eine  so  stattliche  Gruppe 
angesehener  Künstler  sie  erhebt;  noch  dazu  Künstler,  die  den 
verschiedenen  Secessionen  angehören,  die  sich  über  den  Vor- 
wurf reaktionärer  Kunstrichtungen  erhaben  fühlen  und  die 
mit  ehrlicher  Einmütigkeit  bekennen,  dass  sie  alle  viel  von 
den  französischen  Meistern  des  neunzehnten  Jahrhunderts  ge- 
lernt haben.  Dass  die  französische  Malerei  von  der  Schule 
von  Barbizon  bis  etwa  Monet  von  der  grössten  Bedeutung 
für  ganz  Europa  war,  darüber  ist  ganz  Europa  einig,  nur  unter 
den  Zulukaffem  mag  es  diesbezüglich  noch  abweichende  An- 
sichten geben.  Dass  also  öffentliche  Galerien,  die  ein  Bild  von 
der   gesamten    Kunstentwicklung    zu   geben    trachten,    solche 


HANS  TIETZE 


Bilder  erwerben  wollen,  ist  selbstverständlich  und  tatsächlich 
wetteifern  darinnen  alle  Sammlungen  nicht  nur  Deutschlands, 
sondern  auch  Englands,  Amerikas,  Ungarns,  Rumäniens,  wahr- 
scheinlich auch  Bulgariens  und  Montenegros,  nur  Österreich 
ist  von  dieser  Infektion  ziemlich  frei  geblieben.  Auch  Vinnen 
hat  für  den  schönen  Monet  gestimmt,  den  die  Bremer  Kunst- 
halle erworben  hat  und  würde  es  gegebenenfalls  wieder  tun; 
woran  er  und  seine  Anhänger  eigentlich  Anstoss  nehmen,  sind 
die  Preise,  die  wesentlich  höher  sind  als  die  deutscher  Bilder 
ersten  Ranges  und  daran  sei  eben  jener  Trust  der  Kunsthändler 
und  Kunstschriftsteller  schuld. 

Die  Preise  von  Kunstwerken  bestimmt  der  Weltmarkt; 
wenn  man  jene  Bilder  besitzen  will,  muss  man  sie  so  bezahlen, 
wie  sie  gelten.  Denn  in  der  Tat  wurde  die  umgekehrte  Methode 
lange  genug  befolgt;  die  europäischen  Sammlungen  haben 
jahrzehntelang  die  massig  hohen  Preise  für  Corot  oder  Millet 
nicht  bezahlen  wollen,  die  Folge  davon  ist,  dass  neun  Zehntel 
ihrer  Bilder  nach  Amerika  kamen  und  die  wenigen  noch  übrigen 
jetzt  um  so  höhere  Preise  erzielen.  Auch  der  Kunsthandel 
hat  ja  moderne  Formen  angenommen;  aber  dass  die  Preise  durch 
Börsenmanöver  in  die  Höhe  getrieben  werden,  beweist  doch 
nichts  gegen  die  Bilder,  beweist  doch  nur,  dass  sie  in  ähnlicher 
Weise  tatsächliche  Werte  darstellen  wie  Weizen  oder  Skoda- 
Aktien,  mit  denen  ähnliche  Operationen  möglich  sein  sollen. 

Dass  auf  diese  Art  der  Gewinn  dem  Kunsthändler  zufällt 
und  er  Zehntausende,  vielleicht  Hunderttausende  für  Bilder 
erhält,  deren  Schöpfer  sich  vor  Jahrzehnten  mit  ein  paar  hundert 
Frank  begnügen  musste,  mag  bedauerlich  sein,  aber  daran  ist 
nichts  zu  ändern.  Und  so  mag  dem  Kunsthändler  das  grosse 
Risiko,  das  er  jedesmal  läuft,  wenn  er  mit  Zukunftswerten 
operiert,  angerechnet  werden.  Durand-Ruel,  der  bekannte 
Entrepreneur  der  modernen  Pariser  Malerei,  hat  zweimal  Kon- 
kurs gemacht,  weil  er  die  Schnelligkeit  der  Entwicklung  über- 
schätzt hatte  und  die  vielen  Manets  und  Monets,  deren  späteren 
Wert  er  mit  seltenem  Scharfblick  erkannte,  noch  unverkäuflich 
waren.    ,, Unter  den  grössten  Aufregungen  und  Anstrengungen 

9* 


132  HANS  TIETZE 


hielt  er  sein  Geschäft  aufrecht,  ein  einziger  Missgriff  hätte  üim 
oft  verhängnisvoll  werden  können.  Es  war  keine  Kleinigkeit, 
tägüch  die  Vorwürfe  des  gebildeten  Berlin  anzuhören,  dass  er 
mit  diesem  Zeuge  dem  niedrigsten  Sensationsbedürfnis  diene; 
dass  er  solchen  Unsinn  ausstelle  und  ernsten  Menschen  zumute, 
sie  für  echte  Kunst  zu  nehmen.  Wohlwollende  nahmen  ihn 
wohl  vertraulich  beiseite  und  erklärten  gönnerhaft,  sie  könnten 
es  ja  dem  Familienvater  nicht  übelnehmen,  wenn  er  Geld  ver- 
dienen wolle;  nur  solle  er  doch  so  ehrlich  sein,  wenigstens  im 
Freundesloreise  zuzugeben,  dass  er  selbst  nichts  von  dem 
Schwindel  halte."  Nicht  von  Durand-Ruel  ist  hier  die  Rede, 
der  in  lasterhaften  französischen  Impressionisten  spekuliert, 
sondern  Cornelius  Gurlitt  erzählt  es  von  seinem  Bruder,  dem 
Berliner  Kunsthändler  Fritz  Gurlitt,  der  sein  Geld  in  braven 
Böcklinschen  BUdern  anlegte  und  zwischen  den  unverkäufhchen 
Büdern  schlief,  die  heute  den  Stolz  der  deutschen  Museen 
bilden.  Denn  schliesslich  sind  die  Böcklins  zu  recht  stattHchen 
Preisen  bezahlt  worden,  zu  Preisen,  die  sie  heute  nicht  mehr 
erzielen  würden,  denn  die  Preise  für  Böcklinsche  Bilder  sind 
zuletzt  auffallend  zurückgegangen. 

Hier  ist  eine  Hauptfrage  dieser  finanziellen  Erwägungen 
gelegen.  Werden  die  französischen  Bilder  ihren  jetzigen  hohen 
Marktwert  behalten;  laufen  die  Galeriedirektoren  und  Sammler, 
die  solche  Bilder  kaufen,  nicht  Gefahr,  dass  diese  Schätze  ihren 
Wert  verlieren?  Wir  können  das  mit  einem  Rückblick  auf  die 
Entwicklung  der  letzten  Jahrzehnte  beantworten;  er  lehrt  uns, 
dass  die  Preise  von  Jahr  zu  Jahr  gestiegen  sind,  dass  niemals 
ein  Rückschlag,  ein  Kurssturz  eingetreten  ist,  und  es  lässt 
sich  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  vermuten,  dass  diese 
Bewegung  noch  weiter  anhalten  wird,  weil  die  Nachfrage  nach 
solchen  Bildern  immer  mehr  steigt  und  mit  wachsendem  Reich- 
timi  immer  weiter  steigen  dürfte.  Und  BöckHn?  Für  ihn  gilt 
das  nicht,  weil  er  für  den  Weltmarkt  nie  existierte,  weil  er  aus 
ähnlichen  Stimmungen,  wie  sie  jetzt  diesen  Protest  deutscher 
Künstler  zeitigen,  eine  Zeitlang  überschätzt  worden  ist;  nicht 
weil  er  ein  Deutscher  war,  sondern  weil  er  nur  ein  Deutscher 


HANS  TIETZE  133 


war.  Wir  dürfen  nicht  verkennen,  dass  nationale  Vorzüge 
genauer  betrachtet  oft  internationaJe  Mängel  sind,  dass  das  an 
einem  Künstler  das  Deutsche  ist,  was  nicht  die  ganze  Welt 
zu  würdigen  vermag.  Ob  man  es  nationale  Tugend  oder 
Nationalfehler  nennen  mag,  immer  ist  es  eine  Eigenschaft, 
die  nicht  der  ganzen  Menschheit  eignet;  nur  was  dieser  gehört, 
kann  von  ihr  gewürdigt  werden  und  nur  jene  Kunstwerke 
kommen  für  die  Allgemeinheit  in  Betracht,  die  über  die  national 
beschränkenden  Züge  hinaus  wertvolle  Qualitäten  besitzen; 
Heimatkunst  aber  liegt  schon  auf  dem  Wege  zum  bloss  volks- 
kundlichen Interesse.  Deshalb  sehen  wir  Leibl,  der  nicht 
weniger  deutsch  ist  als  irgend  jemand,  fortwährend  im  Werte 
steigen  und  Böcklin  fallen  und  deshalb  ist  auch  der  materielle 
Siegeslauf  der  grossen  französischen  Meister  des  19.  Jahr- 
hunderts noch  lange  nicht  zu  Ende ;  sie  haben  so  mächtig  auf 
die  ganze  Entwicklung  der  europäischen  Kunst  eingewirkt, 
dass  jedes  Volk  sie  zu  seinen  künstlerischen  Ahnherren  zählen 
darf.  Da  dies  so  ist,  haben  die  Leiter  der  öffentlichen  Samm- 
lungen nicht  nur  das  Recht,  diese  Bilder  zu  den  gegenwärtigen 
hohen  Preisen  zu  kaufen,  sondern  sie  handeln  gegen  Pflicht 
und  Schuldigkeit,  wenn  sie  es  unterlassen.  Derselbe  Durand- 
Ruel,  von  dem  ich  früher  sprach,  stellte  1873  bei  der  Welt- 
ausstellung in  Wien  eine  grosse  Kollektion  von  Bildern  franzö- 
sischer Meister  von  Corot  bis  Monet  und  Pissarro  aus,  von 
denen  er  nicht  eines  verkaufte;  die  Bilder,  die  damals  ein  paar 
hunderttausend  Frank  gekostet  hätten,  sind  heute  viele  Mil- 
lionen wert  und  würden  eine  Galerie  ohnegleichen  bilden.  Die 
Nutzanwendung  daraus  mag  sich  jeder  selbst  ziehen. 

Was  von  den  öffentlichen  Sammlungen  gilt,  hat  auch  für 
die  privaten  Bedeutung;  denn  auch  dem  privaten  Sammler  • 
—  besonders  dem  grossen  Stils  —  wird  man  es  nicht  verdenken 
können,  dass  er  von  nationalen  Gesichtspunkten  absieht  und 
das  sammelt,  was  gerade  als  das  Beste  gilt.  Gewiss  haben  solche 
Sammelmoden  etwas  Bedenkliches;  aber  dass  jeder  Leinwand- 
fetzen zu  hohen  Preisen  gekauft  wird,  der  aus  dem  Atelier 
Monets  oder  Cezannes  stammt,  dass  auch  die  talentlosen  Nach- 


134  HANS  TIETZE 


ahmer  und  Nachbeter  kUngende  Anerkennung  finden,  sind 
schhessHch  unvermeidHche  Begleiterscheinungen;  denn  jede 
Richtung  führt  neben  Echtem  und  Starkem  auch  Falsches  und 
Schwindelhaftes  mit,  das  eine  Zeitlang  mit  jenem  verwechselt 
werden  kann.  Viel  schlimmer  ist  es,  wenn  sich  die  Bewunderung 
für  die  grossen  französischen  Meister  wahllos  auf  alles  Fran- 
zösische überträgt  und  jeder  Kitsch,  wovon  die  Franzosen  eine 
recht  erkleckliche  Quantität  erzeugen,  geschätzt  wird,  weil  er 
französisch,  am  Ende  gar  pariserisch  ist.  Gegen  diese  gar  nicht 
so  seltene  Art  von  Franzosenverehrung,  auf  deren  Konto  ein 
ziemlich  stattlicher  Prozentsatz  der  für  Kunstwerke  nach 
Frankreich  gehenden  Summen  entfallen  dürfte,  möchte  auch 
ich  mich  dem  Protest  Vinnens  anschliessen. 

Im  übrigen  aber  bin  ich  dazu  nicht  imstande,  denn  ich  muss 
mich  zu  jenen  Kunsthistorikern  zählen,  die  man  jetzt  so  kurz 
und  prägnant  als  Snobs  zu  bezeichnen  pflegt ;  ich  habe  daher  ein 
persönliches  Interesse  daran,  einen  Begriff  näher  zu  unter- 
suchen, der  mich  weit  über  mein  Verdienst  mit  den  Direktoren 
fast  aller  deutschen  Galerien  und  den  ersten  Kunsthistorikern 
Deutschlands  in  eine  Gruppe  bringt.  Wer  sich  irgendwelche 
leichte  kunstgeschichtliche  Kenntnisse  zugezogen  hat,  der  weiss, 
dass  zu  allen  Zeiten  eine  Entwicklung  existierte,  die  von  einzelnen 
Künstlern  getragen  worden  ist ;  gewiss  haben  nicht  alle  Künstler 
neue  Probleme  in  Angriff  genommen,  gewiss  haben  viele  aus- 
gebaut, was  andere  begonnen,  haben  viele  nur  nachgeahmt, 
was  andere  gefunden.  Aber  die  zur  letzten  Gruppe  gehören, 
sind  verschollen  imd  vergessen;  die  Namen  der  Maler,  die 
dreissig  Jahre  nach  Raffael  noch  so  malten  wie  er,  die  wie 
Michelangelo  arbeiteten,  als  er  längst  im  Grabe  lag,  sind  nur 
den  Spezialisten  bekannt  und  ihre  Werke  lehren  auch  den 
gewissenhaftesten  Galeriebesuchern  das  Gruseln  und  das  Gähnen. 
Was  von  allen  Zeiten  gilt,  gilt  auch  von  heute;  diejenigen,  die 
heute  Probleme  verfolgen,  die  vor  dreissig  Jahren  auf  der  Tages- 
ordnung standen,  werden  verschollen  und  vergessen  sein;  ihre 
Namen  wird  man  in  den  Lexicis  vielleicht  finden,  für  die  Kunst- 
entwicklung haben  sie  nie  gelebt.     Wer  also,  mit  historischen 


HANS  TIKTZE  135 


Kenntnissen  behaftet,  sich  der  Betrachtung  der  modernen 
Kunst  zuwendet,  kann  nur  für  diejenigen  Interesse  haben,  die 
die  Entwicklung  weiterführen,  die  neue  Probleme  angreifen 
und  lösen  und  infolgedessen  der  grossen  Menge  noch  nicht 
gefallen.  Er  erhält  dafür  den  Titel  Snob.  Der  Name  ist  neu, 
der  Begiiff  ist  alt ;  denn  zu  allen  Zeiten  gab  es  Leute,  die  infolge 
intensiver  Beschäftigung  mit  der  Kunst  oder  aus  Instinkt  einen 
feineren  Sinn  für  die  kommende  Entwicklung  besassen.  Sie 
wurden,  wie  \vir  aus  dem  Urteil  über  die  ersten  Vorkämpfer 
Böcklins  sahen,  immer  sehr  verachtet  und  es  wurde  ihnen  der 
Geschmack  der  kompakten  Majorität  als  der  allein  richtige 
entgegengehalten;  dieser  ist  in  der  Regel  der  der  Snobs  von 
vorgestern,  wofür  uns  wieder  das  Beispiel  Böcklins  lehrreich  ist. 
Nun  gibt  es  selbstverständlich  neben  den  Trägern  der  Ent- 
wicklung eine  grosse  Anzahl  von  Künstlern,  die  in  durchaus 
achtenswerter  Weise  an  den  Problemen  ihrer  Jugend  weiter- 
feilen; ich  glaube  oft  genug  betont  zu  haben,  wie  hoch  ich  ihre 
Bedeutung  einschätze.  Aber  der  Kunstschriftsteller  hat  nichts 
über  sie  zu  sagen;  ihre  Probleme  sind  dem  Publikum  geläufig, 
das  an  dem  einzelnen  Werke  selbst  Gefallen  oder  Missfallen 
finden  soll.  Hier  kann  die  Kunstschriftstellerei,  über  deren 
Überhandnehmen  der  Protest  mit  Recht  klagt,  den  Mund  halten; 
denn  ein  solcher  Zwang,  über  Dinge  zu  reden,  über  die  nichts 
zu  sagen  ist,  muss  zu  einer  unleidlichen  Bevormundung  des 
Publikums  und  zu  einem  anmassenden  Zensurenverteilen  an 
die  Künstler  führen.  Welche  Anmassung  der  Kritik,  über 
Künstler,  deren  Probleme,  Ziele  und  Entwicklungslinien  klar 
liegen,  den  Bakel  zu  schwingen,  fertigen  Künstlern  gegenüber 
den  Schulmeister  zu  spielen;  welche  groteske  Komik  liegt 
darin,  wenn  ein  Herr  Meier,  Müller  oder  Tietze  Lob  und  Tadel 
verteilt,  ein  Kunsthistoriker,  der  nicht  malen  kann,  oder  ein 
Maler,  der  auch  nicht  malen  kann  oder  in  den  meisten  Fällen 
ein  Herr,  der  sich  selbst  zum  Kunstkenner  ernannt  hat,  eine 
Kunstausstellung  etwa  so  beurteilt :  Herr  Adams  ist  heuer  besser 
oder  schlechter  als  im  vorigen  Jahr,  Graf  Kalckreuth  kann  nicht 
zeichnen,  aber  bei  seinem  Fleiss  kann  er  es  noch  zu  etwas  bringen, 


1-^6  HANS  TIETZE 


sehr  brav  ist  heuer  der  Wollek,  aber  wie  dieser  Max  Klinger 
zurückgeht!  Kann  man  solche  Dinge  lesen,  ohne  schamrot  zu 
werden,  empfinden  Künstler  in  solcher  Form  gespendetes  Lob 
oder  Tadel  nicht  gleichermassen  als  Schimpf?  Und  doch  ist 
der  t;  Brauch  so  mächtig,  dass  er  auch  den  Widerstrebenden 
umwirft. 

Schriftstellerei  über  moderne  Kunst  hat  wohl  nur  da  einen 
Sinn,  wo  sie  sich  bemüht,  dem  Publikum  eine  neue  Richtung 
zu  erklären,  sie  ihm  intellektuell  näher  zu  bringen,  damit  es 
leichter  ein  künstlerisches  Verhältnis  zu  ihr  gewinne.  Hier  hat 
sie  ihr  Bestes  geleistet  imd  auch  der  Protest  weiss  davon  zu 
erzählen,  wie  die  Kunstschriftsteller  vor  zehn  oder  zwanzig 
Jahren  Schulter  an  Schulter  mit  den  Künstlern  die  Schlacht 
um  die  neue  Kunst  schlugen,  wie  grosse,  freimütig  anerkannte 
Verdienste  sie  sich  damals  erwarben;  jetzt  sind  sie  leider  nur 
mehr  Snobs,  die  nur  für  den  untalentierten  Nachwuchs  ein- 
treten? Ist  es  möglich,  hier  ernst  zu  bleiben?  Kunstschrift- 
stellerei  ist  gut  und  löblich,  solange  sie  uns  lobt;  sie  ist  lästig 
und  snobisch,  sobald  eine  junge  Generation  der  Gegenstand 
dieses  Lobes  wird. 

Denn  —  das  ist  der  Kern  des  ganzen  Protestes  —  es  ist  eine 
neue  Generation  von  Künstlern  herangewachsen,  die  den 
künstlerischen  Besitzstand  der  mittleren  Generation  gefährdet; 
auf  diese  Eindringlinge  prasseln  nun  all  die  Vorwürfe  des 
Mangels  an  Nationalgefühl,  der  Unfähigkeit,  des  Nichtlemen- 
wollens,  der  Sensationssucht  nieder,  die  einem  guten  Teil  der 
Protestierenden  noch  im  Ohr  klingen  müssen,  so  oft  wurden 
sie  ihnen  von  denen  zugerufen,  mit  denen  sie  jetzt  zur  Be- 
kämpfung des  gemeinsamen  Feindes  eine  Art  Wahlkartell 
schliessen.  Dass  sklavische  und  unselbständige  Nachahmung 
der  Franzosen,  die  man  einem  Teil  der  jüngsten  Künstler 
vorwirft,  ebenso  schlecht  und  verdammenswert  ist,  wie  die 
knechtische  Nachäffung  Thomas  oder  eines  anderen  noch  so 
deutschen  Vorbildes  es  wäre,  ist  selbstverständlich;  ebenso 
sicher  ist  aber  auch,  dass  die  Begabteren  des  Nachwuchses 
Anregungen  der  französischen  Malerei  nach  Cezanne  und   van 


HANS  TIETZE  137 


Gogh  in  ebenso  selbständiger  Weise  zu  einem  eigenen  Stil  um- 
zuarbeiten streben,  wie  es  etwa  Liebermann  und  sein  Kreis 
beim  Studium  der  Impressionisten  getan  haben.  Die  Gedächtnis- 
schwäche, die  aus  alledem  spricht,  ist  sehr  komisch  und  man 
muss  über  das  Pathos  lachen,  mit  dem  uns  versichert  wird, 
dass  bis  Fritz  Erler  und  Habermann  die  wahre  deutsche  Kunst 
blühte,  die  dann  hoffnungslos  und  jammervoll  zusammenbrach. 
Aber  die  Sache  hat  auch  eine  sehr  ernste  Seite.  Die  pro- 
testierenden Künstler,  die  zumeist  dem  Geschlecht  von  1860 
bis  1880  angehören,  also  in  der  Blüte  ihrer  Kraft  stehen,  haben 
sich  durch  ihren  Schritt  auf  die  Altmännerbank  begeben,  auf 
der  man  die  gute  alte  Zeit  lobt  und  alles,  was  jimg  ist,  tadelt. 
Wer  mit  solchen  Mitteln  kämpft,  der  ist  schon  besiegt,  denn 
wer  die  Gegenwart  beschimpft,  der  gehört  schon  der  Ver- 
gangenheit an.  Bei  manchem  Künstler  tut  es  einem  leid,  dass 
er  sich  freiwillig  zu  den  Alten  gesellt  hat,  bei  keinem  wohl 
mehr  als  bei  dem  Senior  des  Protestes,  bei  Wilhelm  Trübner, 
den  wir  Jungen  viel  lieber  den  Unsem  nennen  möchten.  Denn 
auch  darin  tut  man  den  Snobs  unrecht,  dass  man  sie  des  Mangels 
an  Nationalgefühl  beschuldigt;  auch  sie  glauben,  dass  es  heute 
deutsche  Maler  gibt,  denen  das  Ausland  keinen  gleichwertigen 
oder  sicher  keinen  besseren  Namen  an  die  Seite  setzen  kann: 
Kodier  und  Klimt,  Klinger  und  Kalckreuth  und  —  trotz  alle- 
dem —  immer  noch  Max  Liebermann.  Es  ist  bezeichnend, 
dass  alle  diese  Namen  im  Proteste  fehlen. 

Eine  solche  Streitschrift,  die  mancher  vorhandenen  und 
leicht  begreiflichen  Verstimmimg  eine  höchst  unglückliche  und 
verfehlte  Fassung  gibt,  ist  im  raschen  Enthusiasmus  des 
Künstlers  bald  imterschrieben ;  aber  mancher  von  denen,  die 
sich  dazu  fortreissen  Hessen,  mag  heute  schon  stutzig  geworden 
sein,  wenn  er  den  Jubel  merkt,  mit  dem  der  Protest  von  allen 
Vorkämpfern  der  schlimmsten  künstlerischen  Reaktion  begrüsst 
wird.  Da  hilft  die  papierene  Ablehnung  des  Vorwortes  nichts, 
die  sich  gegen  unwillkommene  Verbündete  im  eigenen  Lager 
richtet,  „gegen  künstlerische  Minderwertigkeit,  die  eine  Recht- 
fertigung ihrer  Schwäche  herauslesen  möchte,  gegen  die  Offi- 


138  HANS  TIETZE  —  GEORG  BIER^IANN 

ziellen,  die  glauben  könnten,  ihr  reaktionäres  System  gebilligt 
zu  sehen".  Vergebliches  Bemühen;  heute  frohlocken  alle,  die 
in  Kunstbetrachtung  und  Kunstschriftstellerei  den  Standpunkt 
des  Krämergeistes,  der  Impotenz  und  der  gröbsten  Unkultur 
vertreten,  über  die  Halbjungen,  die  sich  selbst  alt  gemacht 
haben  und  jauchzen:  Sie  sind  die  Unsern! 
Wien.  Privatdozent  Dr.   Hans  Tietze. 


Tch  danke  Ihnen,  dass  Sie  mir  im  letzten  Moment  noch  die 
-■'  Möglichkeit  gewähren,  auch  meinerseits  kurz  zu  dem 
Protest  deutscher  Künstler  Stellung  zu  nehmen.  Ich  tue  es 
um  so  lieber,  als  mich  meine  dort  mit  wenigen  Worten  wieder- 
gegebene Zustimmungserklärung,  die  wie  die  so  mancher  meiner 
Kollegen  bona  fide  erfolgt  ist,  mehrfach  in  den  Verdacht  ge- 
bracht hat,  als  hätte  ich  persönlich  von  dem  ganzen  Inhalt 
dieser  Broschüre  Kenntnis  gehabt.  Diese  Broschüre  mit  ihren 
vielfach  unklaren,  weit  über  das  Ziel  hinausschiessenden  Ten- 
denzen ist  mir  erst  in  ihrer  fertigen  Form  zu  Gesicht  gekommen, 
und  ich  bedauere  es  heute  aufrichtig,  dass  ich  mich  durch  eine 
aus  optimistischem  Wohlwollen  herausgegebene  Unterschrift 
zu  meinem  eigenen  Wirken  und  meiner  innersten  Überzeugung 
in  starken  Widerspruch  gesetzt  habe.  Denn  das,  was  diese 
Broschüre  letzten  Endes  erstrebt,  steht  in  diametralem  Gegen- 
satz zu  dem,  was  ich  Jahre  hindurch  als  Kritiker  und  praktisch 
durch  meine  eigenen  Zeitschriften  zu  fördern  bemüht  ge- 
wesen bin.  Dafür  brauche  ich  nicht  erst  Belege  zu  erbringen. 
Und  ich  weiss  vor  allem  auch,  dass  ich  nicht  der  Einzige 
bin,  der  heute  bedauert,  im  Hinblick  auf  gewisse  Namen,  die 
in  der  Tat  eine  nicht  geringe  Garantie  für  die  Solidität  dieses 
Aufrufes  bieten  konnten,  einer  vermeintlich  guten  Sache  zu- 
gestimmt zu  haben.  Denn  ich  war  der  Meinung,  zumal  dies 
ja  das  Virmensche  Vorwort  geflissentlich  betont,  dass  dieser 
Protest  lediglich  gegen  die  vielfach  vorhandene  Überschätzung 
des  künstlerisch  Minderwertigen  überhaupt  —  ganz  besonders 
auch  im  Rahmen  unserer  deutschen  Kunst  —  gerichtet  sein 


GEORG  BIERMA'NN  139 


sollte.  Ich  dachte  an  die  sich  höherer  Protektion  überall  er- 
freuenden Elemente,  unter  deren  Vormachtstellung  die  freie 
Entwicklung  unserer  jungen  Kunst  noch  immer  schwer  zu 
leiden  hat.  Dachte  an  das  gefährliche  Cliquenwesen  einiger 
alteingesessener  und  über  alle  Massen  von  den  Banausen  be- 
werteter Künstler,  die  ich  mit  nicht  geringem  Entsetzen  später 
zum  Teil  als  Bundesgenossen  des  Herrn  Vinnen  entdeckte. 
Aber  ich  glaubte  nicht,  dass  diese  Aktion  dazu  eingeleitet  sei, 
die  schwer  errungene  Überzeugung,  nach  der  sich  die  neue 
museale  Evolution  gottlob  allenthalben  vollzieht,  zu  be- 
kämpfen und  mehr  noch  dem  allein  gültigen  Prinzip  des  histo- 
risch Wertvollen  und  des  absolut  Guten  in  der 
Kunst  ein  missverstandenes  nationales  Gegengewicht  zu  schaffen. 
Irre  ich  nicht,  so  war  dies  wohl  auch  die  ursprüngliche  Absicht 
nicht.  Sie  hat  sich  erst  in  der  Folge  durch  die  Beiträge  ein- 
zelner schärfer  präzisiert,  als  es  vielleicht  Herrn  Vinnen  selbst 
lieb  gewesen  ist. 

Hätte  diese  Broschüre,  was  eine  vornehme  Aufgabe  gewesen 
wäre,  gegen  Cliquenwesen  und  künstlerische  Minderwertigkeit 
Front  gemacht,  hätte  sie  im  besonderen  darauf  hingewiesen, 
wie  ungeheuer  hoch  gewisse  Modemaler  in  Deutschland  sehr 
im  Gegensatz  zu  ihrem  wirklichen  Können  bezahlt  werden, 
und  hätte  sie  endlich  ihre  Aufgabe  in  der  Absicht  erkannt,  dem 
Jungen,  persönlich  Starken,  das  überall  in  Deutschland  ebenso 
wie  in  Frankreich  am  Werke  ist,  freie  Bahn  zu  schaffen,  so 
würden  wir  alle  ausnahmslos  gern  zugestimmt  haben.  In 
der  Form  aber,  wie  sie  an  die  Öffentlichkeit  getreten,  erscheint 
sie  last  not  least  als  ein  verzweifelter  Versuch,  Tendenzen 
zum  Siege  zu  verhelfen,  die  in  ihrer  ausgesprochen  egoistischen 
Betonung  in  Verbindung  mit  dem  einseitig  Sozialen,  mit  dem 
Wesen  und  dem  Werdegang  künstlerischer  und  musealer  Dinge 
niemals    verquickt    werden    dürfen. 

Leipzig.  Dr.  Georg  Biermann 

Herausgeber   der   ,. Monatshefte    für    Kunstwissenschaft." 


I40  WALTER  COHEN 


A  A  /  enn  Sie  mit  der  Bitte  um  Mitarbeit  an  einen  Gelehrten 
^  ^  herantreten,  der  an  einem  Museum  alter  Kunst  tätig 
ist,  werden  Sie  keinen  anderen  Beitrag  als  einen  kimstgeschicht- 
lichen  erwarten  dürfen.  Also  in  München  hat  man  tatsächlich 
noch  Vertrauen  zu  den  ,, Kunstgelehrten"?  Werfen  Sie  einmal 
einen  Blick  in  unsere  rheinischen  Blätter.  Dass  die 
Kunstschriftsteller  und  wir  Museumsbeamten  insbesondere 
Snobs  und  Ästheten  seien,  wollen  wir  uns  nach  der  artigen 
Auslegung,  die  Dr.  Hans  Tietze  in  Wien  dem  Worte  ,,Snob" 
gegeben  hat,  sehr  gerne,  sogar  mit  Vergnügen  gefallen  lassen. 
Aber  wir  sind  ja  auch  Sklaven  des  Kunsthandels,  kopflose 
Werkzeuge  im  Dienste  kommerzieller  Mächte. 

I-Ich  möchte  nur  erfahren,  warum  die  angegriffenen  Männer 
immer  nur  dann  sich  blamieren,  wenn  es  sich  um  neue  Kunst 
handelt.  Was  Tschudi  in  München  über  die  Altniederländer, 
Swarzenski  in  Frankfurt  über  frühmittelalterliche  Kunst,  Pauli 
in  Bremen  über  die  deutschen  Kleinmeister  veröffentlicht  haben, 
war  alles  so  vortrefflich,  durchdacht  und  einleuchtend,  dass  ich 
Männern  von  solcher  Geistesklarheit,  solchen  Verdiensten  um 
die  Forschung  wahrlich  mehr  Widerstandskraft  gegen  diese 
infamen  Kunsthändler,  von  denen  man  jetzt  so  viel  spricht, 
zugetraut  hätte.  Aber  vielleicht  ist  ihnen  diese  Kenntnis  längst 
vergangener  und  doch  so  lebendiger  Kunstperioden  auch  nur 
,, suggeriert"  worden. 

Dr.  Tietze  hat  bereits  bemerkt,  wie  wenig  Kunsthistoriker 
unter  den  Mitunterzeichnern  des  Vinnenschen  Künstlerprotestes 
sich  befinden.  In  der  Tat  wird  kein  Kenner  alter  Kunst  die 
Schwächen  von  Vinnens  Beweisführimg  übersehen  können.  Ich 
gehe  hier  nur  auf  den  Punkt  ein,  da  er  von  dem  Einflüsse  der 
französischen  Malerei  auf  die  Jüngstdeutschen  spricht.  Dass 
hier  sehr  viel  gesündigt  wird,  dass  mancher  mitläuft,  der  nur 
die  Äusserlichkeiten  von  Cezannes,  van  Goghs  oder  Gauguins 
Malweise  kopiert,  ist  zweifellos.  Die  französischen  Nachäffer 
dieser  Meister  hat  ja  übrigens  Meier- Graefe  selbst  in  den  grossen 
Bann  getan.    Trotzdem  tritt  eine  immer  noch  wachsende  An- 


WALTER  COHEN  141 


zahl  von  Kunsthistorikern  offen  für  die  von  der  zünftigen 
Kunstkritik  mit  den  allerherbsten  Worten,  ja  mit  Beschimp- 
fungen überschütteten  Maler  der  Neuen  Künstlervereinigung 
München,  der  Brücke,  der  Neuen  Secession  und  für  abseits 
stehende  verwandte  Talente  ein.  Sie  nehmen  hier  ein  An- 
knüpfen an  grosse,  verlorengegangene  Traditionen  wahr,  ein 
oft  fast  erbittertes  Ringen  um  Gesetzmässigkeit  der  Form  und 
um  den  nun  schon  so  lange  vergessenen  Reiz  der  Lokalfarbe. 
Und  es  sind  wahrhch  nicht  rein-theoretische  Erwägungen,  die 
für  diese  Haltung  bestimmend  sind. 

Seit  langer  Zeit  zeigt  sich  hier  wieder  ein  Wollen,  das  nicht 
an  der  Naturabschrift  oder  an  altmeisterlichem  Eklektizismus 
Genüge  findet,  das  wie  die  Kunst  der  grossen  Meister  des 
fünfzehnten  und  sechzehnten  Jahrhunderts  einen  strengen 
Linienrhythmus  oder  die  Leitung  glühender  Farbenlavaströme 
in  das  Bett  ruhevoller  Farbenkomposition  anstrebt.  Den 
besten  dieser  jungen  Maler  fehlt,  um  Erfolge  auch  bei  einem 
kimstfreundlichen  und  gutwilligen  Publikum  zu  erzielen,  nichts, 
als  dass  sie  die  Bedingungen  des  Staffeleibildes,  das  sie  unter- 
schätzen und  an  das  sie  doch  gebunden  sind,  besser  zu  ver- 
stehen lernen.  Oft  scheint  mir,  dass  in  diesen  Kreisen  —  trotz 
Greco  —  die  Errungenschaften  des  siebzehnten  Jahrhunderts, 
des  Jahrhunderts  von  Rembrandt,  Frans  Hals  und  Velazquez, 
den  Urvätern  fast  aller  grossen  Meister  des  modernen  NaturaUs- 
mus,  zu  gering  eingeschätzt  werden. 

Mit  dem  Einflüsse  Frankreichs  auf  diese  noch  in  Gärung 
befindliche,  aber  doch  zukunftsstarke  Gruppe  deutscher  Künstler 
verhält  es  sich  nicht  anders  als  mit  dem  französischen  Einflüsse 
auf  die  Maler  des  Leibl-  oder  Liebermann- Kreises.  Die  glänzende 
Ausstellung,  die  jetzt  in  Wiesbaden  um  den  Meister  von  Aibling 
seine  Schüler  und  Gefährten  gruppiert,  hätte  annähernd  auch 
„Courbet  und  sein  Kreis"  genannt  werden  können.  Wem  ist 
es  je  eingefallen.  Trübner,  Schuch,  Thoma,  die  alle  von  Courbets 
Kunst  starke  Anregungen  empfangen,  sie  aber  auch  selb- 
ständig verarbeitet  haben,  ,, undeutsch"  zu  schelten?  Das 
gilt  heute  so  wenig  wie  ehemals.    Sehe  ich  etwa  die  Tierbilder 


142  WALTER  COHEN  —  CARL  GEBHARDT 

des  Bayern  Franz  Marc,  die  jetzt  im  kunstfrohen  Barmen  einen 
so  starken  Eindruck  auf  die  rheinischen  Kunstfreunde  machen, 
oder  Heinrich  Nauens  wagemutige  Landschaftsgemälde,  so  habe 
ich  das  lebhafte  und  starke  Gefühl,  dass  sich  hier  ohne  viel 
Lärm  und  Aufheben  eine  Kunst  vorbereitet,  der  mit  ,, Pro- 
testen" ebensowenig  beizukommen  sein  wird,  wie  —  den  Galerie- 
direktoren. 

Bonn.  Dr.  Walter  Cohen. 


^7\  7 er  über  die  blossen  Tatsächlichkeiten  der  Kunstgeschichte 
*  ^  hinaus  jemals  den  Blick  auf  das  Gesetzmässige  künst- 
lerischer Entwicklung  gerichtet  hat,  der  weiss,  dass  zu  allen 
Zeiten  lebendigen  Kunstschaffens  ein  Ausgleich  zwischen  den 
einzelnen  Völkern  je  nach  der  Höhe  ihrer  künstlerischen  Kultur 
stattgefunden  hat,  derart,  dass  die  Fortschritte  der  Kunst  eines 
Landes  alsbald  auch  für  die  übrigen  Länder  nutzbar  gemacht 
wurden.  So  hat  das  italienische  Trecento  auf  die  Anfänge  der 
burgundisch-niederländischen  Malerei  grossen  Einfluss  geübt,  so 
hat  dann  wieder  die  Kunst  des  niederländischen  Quattrocento 
das  italienische  Quattrocento  befruchtet,  und  schliesslich  sind 
die  Niederländer  im  Cinquecento  wieder  Schüler  der  Itahener 
geworden;  so  hat  die  oberdeutsche  Malerei  in  der  ersten  Hälfte 
des  Quattrocento  manches  von  den  Italienern,  in  der  zweiten 
Hälfte  des  Jahrhunderts  vieles  von  den  Niederländern  gelernt. 
Dieser  Ausgleich,  dieses  Lehr-  und  Lernverhältnis  hat  sich  zu 
allen  Zeiten  nach  Massgabe  der  Verkehrs-  und  Handelsmöglich- 
keiten in  Reisen  der  Künstler  und  im  Import  von  Kunstwerken 
ausgedrückt.  Die  französische  Malerei  hat  im  19.  Jahrhundert 
durch  die  schöpferische  Tat  einiger  genialer  Männer  der  Kunst 
entscheidende  Fortschritte  in  den  Ausdrucksmöglichkeiten 
gebracht.  Man  muss  das  konstatieren,  so  gut  wie  man  kon- 
statieren darf,  dass  die  deutsche  Philosophie  durch  Kant  und 
Hegel,  die  deutsche  Poesie  durch  Goethe  und  Kleist,  die  deutsche 
Musik  durch  Beethoven  und  Wagner  der  Philosophie,  Poesie, 
Musik  der  anderen  Völker  vorangeschritten  sind.     Und  wie  in 


CARL  GEBHARDT  143 


allen  Zeiten,  so  vollzieht  sich  jetzt  wieder  der  Ausgleich:  die 
deutschen  Maler,  angefangen  mit  Feuerbach,  Leibl  und  Thoma, 
lernen  von  den  Franzosen,  so  wie  einst  Antonello  da  Messina 
und  Barent  van  Orley  und  Dürer  an  der  höheren  malerischen 
Kultur  der  Fremden  gelernt  haben,  und  die  deutschen  Sammler 
lassen  französische  Bilder  importieren,  so  wie  die  Niederländer 
italienische  und  die  Engländer  niederländische  importiert  haben, 
zu  den  Preisen,  wie  sie  eben  zu  jeder  Zeit  das  Verhältnis  von 
Angebot  und  Nachfrage  bestimmt.  Diese  gleichsam  natur- 
gesetzliche Notwendigkeit  schafft  kein  Künstlerprotest  aus  der 
Welt,  indem  er  sie  ignoriert. 

Mit  einer  Ehrlichkeit,  die  mir  übrigens  anerkennenswert 
scheint,  gibt  Vinnen  das  Ressentiment,  das  seinem  Proteste 
zugrunde  liegt,  zu,  indem  er  beklagt,  dass  der  deutschen  Kunst 
jälu"lich  grosse  Summen  Geldes  verloren  gehen  und  ins  Ausland 
wandern.  Vinnens  Argumentation  ist,  wenn  man  sie  auf  das 
Schema  des  logischen  Schlusses  reduziert,  so :  es  werden  viele 
französische  Bilder  gekauft;  wenn  weniger  französische  gekauft 
würden,  würden  mehr  deutsche  Bilder  gekauft,  ergo.  In  diesem 
Schlüsse  steckt  aber  der  Fehler,  den  man  in  der  Terminologie 
der  Logik  die  quaternio  terminorum  nennt.  Der  Begriff  Bild 
bedeutet  im  Obersatz  ein  Werk  grosser  persönlicher  Kunst,  eine 
Tat  Monets,  Renoirs,  van  Goghs;im  Untersatz 
bedeutet  er  jenes  anständige,  wandschmückende  Kunstgewerbe, 
die  Arbeiten,  die  die  Maler  X,  Y  und  Z  auf  den  Markt  bringen. 
Denn  die  grosse  persönliche  Kunst  deutscher  Meister  hat  auch 
in  Deutschland  Ruhm  und  Markt,  und  Leibl,  Trübner, 
Thoma  werden  nicht  geringer  bezahlt  als  die  Grossmeister 
der  französischen  Malerei.  Glaubt  man  aber  im  Ernst,  die 
Leute,  die  heute  Monets  und  Renoirs  und  van  Goghs  kaufen, 
würden,  wenn  man  sie  von  dieser  Vorliebe  abbrächte,  die  Bilder 
von  X,  Y  und  Z  kaufen? 

Wenn  Vinnen  dann  behauptet,  dass  die  von  Berlin  her  be- 
einflusste  und  in  französisierendem  Geschmacke  befangene 
Kunstkritik  die  jungen  Künstler  auf  Abwege  führe  und  sie 
verleite,  Nachahmer  der  Franzosen  zu  werden,  anstatt  ihrer 


144  CARL  GEBHARDT  —  KARL  VOLL 

eigenen  Art  treu  zu  bleiben,  so  überschätzt  er  damit  doch  wohl 
wie  den  Einfluss  Berhns  auf  die  Kunstkritik,  so  auch  den  Ein- 
fluss  der  Kunstkritik  auf  die  Kunstentwicklung.  Eine  Kunst, 
die  wirklich  eigene  Art  hat,  kommt  nicht  in  Gefahr,  sich  von 
der  Kunstkritik  ins  Schlepptau  nehmen  zu  lassen,  und  Leibl 
und  Thoma  und  Trübner  haben  durch  die  Berührung  mit  der 
französischen  Kunst  keinen  Schaden  an  ihrem  Wesen  genommen. 
Ob  man  aber  in  Schwabing  Bilder  im  Cezanne-Stil  oder  im 
Thoma- Stil  malt,  ist  für  die  deutsche  Kunst  gleichgültig. 

Frankfurt  a.  M.  Dr.  phiL  Carl  Gebhardt 

Kunstieferent  der   „Frankfurter   Zeitung". 

|!Lenug  Künstler  und  Kunstfreunde  haben  vom  Standpunkt 
^-^  der  heutigen  Verhältnisse  aus  gegen  den  bekannten 
„Künstlerprotest"  Stellung  genommen.  So  möge  auch  der 
Historiker  sich  zu  diesen  Fragen  äussern  dürfen. 

Die  grossen  Epochen  der  neueren  Kunstgeschichte  sind 
seit  reichlich  tausend  Jahren  immer  rein  international  gewesen. 
Trotz  aller  lokalen  Traditionen,  die  die  einzelnen  Stadt-  und 
Landschulen  bedingt  haben,  sind  die  Beeinflussungen  von 
auswärts,  in  Deutschland  besonders  von  Frankreich,  während 
des  ganzen  Mittelalters  ein  Hauptfaktor  der  Ent\\dcklung  ge- 
wesen. Wie  international  dann  die  Renaissance,  das  Barock 
und  gar  das  Rokoko  gewesen  sind,  braucht  nicht  erst  gesagt 
werden.  Und  nun  gar  das  19.  Jahrhundert!  Seine  Grösse,  die 
unleugbar  sehr  bedeutend  ist,  beruht  auf  dem  innigen  Zu- 
sammenarbeiten der  drei  Hauptvölker:  der  Deutschen,  der 
Engländer  und  der  Franzosen.  Was  jedes  unter  ihnen  dem 
anderen  gegeben  hat,  kann  heute  noch  nicht  abgeschätzt  werden : 
sicher  ist,  dass,  wenn  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts 
Deutschland  in  technischer  Hinsicht  manches  von  den  Eng- 
ländern und  vieles  von  den  Franzosen  gelernt  hat,  es  in  der 
ersten  Hälfte  durch  die  Künstler  der  Feder  wie  Goethe,  aber 
auch  durch  büdende  Künstler  wie  Comehus  den  Franzosen 
viel  Anregung  gegeben  hat. 


KARL  VOLL  U: 


Man  muss  es  als  ein  Hauptgesetz  der  Kunstgeschichte  be- 
zeichnen, dass  die  Kunst  sich  heutzutage  geradeso  wie  früher 
nur  in  internationaler  Tätigkeit  entwickelt.  Gegen  dieses  Gesetz 
mögen  sich  Einzelne  auflehnen,  weil  es  sich,  wie  jedes  andere 
Gesetz  auch,  mitunter  nicht  mit  dem  Wunsch  des  Einzelnen 
\'erträgt,  aber  der  Widerspruch  wird  ebenso  machtlos  bleiben, 
wie  er  ja  auch  grundlos  ist. 

In  der  Tat  haben  die  Autoren  des  ,, Künstlerprotestes"  es 
nicht  ableugnen  wollen,  dass  solche  freundnachbarliche  Be- 
ziehungen zwischen  den  verschiedenen  Kulturnationen  nützlich 
sind:  sie  sind  nur  dagegen,  dass  man  von  den  Nachbarn  Bilder 
kauft.  Unter  den  mannigfachen  Gründen,  die  sie  dagegen 
anführen,  braucht  der  Historiker  nur  den  einen  herauszugreifen, 
dass  die  Franzosen  von  den  Deutschen  nichts  kaufen  und  dass 
sie  also  in  unseren  Museen  auch  nicht  vertreten  sein  sollten. 
Es  ist  fraglos  eine  Torheit,  dass  die  französischen  Museen  keinen 
Spitzweg  kaufen,  wenn  er  nicht  in  einen  Diaz  umgefälscht  ist, 
dass  sie  keinen  Leibl  und  mit  wenigen  Ausnahmen  überhaupt 
keinen  Deutschen  kaufen:  so  wie  sie  dem  Fremden  ohnehin 
die  Tore  der  offiziellen  Sammlungen  schliessen.  Sie  werden 
späterhin  das  Versäumte  um  teuren  Preis  nachholen  müssen, 
und  gewiss  wird  es  ihnen  mit  den  Deutschen  des  19.  Jahr- 
hunderts ebenso  gehen,  wie  mit  Dürer,  von  dem  sie  jetzt  gern 
um  jede  noch  so  grosse  Summe  ein  Bild  kaufen  würden,  wenn 
das  nur  noch  zu  haben  wäre.  Umgekehrt  ist  es  kein  Fehler, 
dass  wir  Deutschen  heute,  wenn  auch  mitimter  zu  hohen  Preisen, 
einzelne  Werke  der  französischen  Klassiker  des  ig.  Jahrhunderts 
erwerben:  aber  es  war  ein  grosser  Fehler,  dass  man  sie  nicht 
erwarb,  als  sie  billiger  und  sogar  billig  zu  haben  waren. 

Ein  anderes  Gesetz  der  Kunstgeschichte  ist  die  Schäd- 
lichkeit der  Inzucht.  Die  antike  Kunst  ging  nicht  durch  die 
Barbarei  der  Germanen  unter,  sondern  an  geistiger  Inzucht, 
weil  sie  nicht  von  neuen,  grossen,  ausserhalb  des  Bereichs  der 
antiken  Kultur  liegenden  Faktoren  frisches  Leben  gewinnen 
konnte.  So  ging  die  italienische  Kunst  an  Inzucht  zugrunde, 
weil  es  ihr  versagt  war,   sich  mit  den  Elementen  der  nordischen, 


KARL  VOLL  —  HERMANN  ESSWEIN  [46 

im  besonderen  der  niederländischen  Kunst  zu  mischen:  so 
steht  die  engUsche  Kunst  heute  bei  aller  technischen  Gewandt- 
heit auf  keinem  hohen  Niveau,  weil  sie  der  splendid  iso- 
1  a  t  i  o  n  huldigt.  Sollen  wir  wegen  des  pekuniären  Nutzens 
einiger  weniger  Künstler  den  gleichen  Fehler  machen!  Sollen 
wir  heute  künstlerische  Inzucht  treiben,  obschon  wir  seit 
Schleich,  Liebermann  und  Uhde  bis  zu  den  auch  in  der  Fremde 
so  sehr  geschätzten  Illustratoren  unserer  Künstlerblätter  immer 
wieder  den  Beweis  geliefert  bekommen,  dass  unsere  jeweilige 
Jugend  genug  Selbständigkeit  besitzt,  um  das  Fremde  organisch 
zu  verarbeiten.  Sollen  wir  endlich  Inzucht  treiben,  obschon 
der  stets  unwiderstehhche  Wille  der  jungen  Generationen  sich 
schon  seit  langer  Zeit  immer  gegen  sie  ausgesprochen  hat! 
München.  Prof.  Dr.   Karl   Voll. 


Tch  halte  prinzipielle  Streitereien  über  nationale  oder  inter- 
-^  nationale  Kunst  für  gänzlich  unfruchtbar.  Als  Kunstkritiker 
beurteile  ich  jedes  einzelne  Werk  ausschliesslich  nach  den  ästhe- 
tischen Elementen,  aus  denen  es  erwachsen  ist  und  frage 
nicht  das  geringste  danach,  welcher  Nationalität,  Konfession 
oder  Partei  sein  Urheber  angehört.  Alle  diese  Tendenzen  haben 
mit  Kunst  nichts  zu  tun  und  sind  reine  Privatangelegenheiten, 
denen  nur  dann  und  zwar  verurteilend  nahezutreten  ist,  wenn 
sie  sich  störend  in  das  Kunstschaffen  eindrängen.  Ist  dies  der 
Fall,  so  lehne  ich  internationalistische  Schablonen,  Rezepte 
und  Programme  genau  so  rücksichtslos  ab  wie  nationalistische. 
Was  nun  im  besonderen  das  Verhältnis  unseres  modernen 
deutschen  Kunstlebens  zu  Frankreich  anlangt,  so  meine  ich, 
dass  gebüdete  und  unvoreingenommene  Künstler  die  Ver- 
mittlung der  reichen  Schätze  an  künstlerischer  Kultur,  die 
uns  das  Land  und  die  Zeit  der  grossen  Impressionisten  zu 
bieten  hatten,  nur  mit  Dank  und  Freude  aufnehmen  könnten. 
Was  geniale  Organisatoren  wie  Herr  von  Tschudi  und  hervor- 
ragende Publizisten  wie  Herr  Meier-Graefe,  um  nur  zwei  Haupt- 
namen zu  nennen,  geleistet  haben,  was  feinsinnige   Sammler 


HERMANN  ESSWEIN  147 


aus  solchen  Anregungen  machten,  das  ist  und  bleibt  Kultur- 
arbeit von  der  bedeutendsten  Art,  die  auch  dann  nicht  ent- 
wertet wird,  wenn  sich  den  ernsten  Bestrebungen  Berufener 
das  fratzenhafte  Treiben  der  ewigen  Missversteher,  der  sno- 
bistischen und  beschränkten  Programmanbeter  anhängt. 

In  der  unleugbaren  Beeinflussung  unserer  neueren  deutschen 
Malerei  von  Frankreich  her  vermag  ich  durchaus  kein  Unheil 
zu  erblicken.  Noch  nie  hat  sich  ein  gesundes,  in  aufsteigender 
Entwicklung  begriffenes  Volk  gegen  positive  Fortschritte  abge- 
sperrt und  auf  keinen  Fall  darf  man  enge  Geister,  die  aus  was 
immer  für  Gründen  einer  solchen  Absperrung  das  Wort  reden, 
für  wahre  Freunde  ihres  Volkes  halten.  Die  Auseinandersetzung 
mit  der  malerischen  Kultur  Frankreichs  lag  auf  dem  Wege 
unserer  Entwicklung,  und  es  müsste  denn  doch  wahrlich  schlecht 
bestellt  sein  um  uns  selbst,  wenn  sie  gleichbedeutend  wäre  mit 
dem  Verkümmern  und  Hinschwinden  unserer  eigenen  Werte, 
wenn  der  deutschen  Kunst  für  die  Zukunft  nur  noch  eine 
reproduzierende,  nachahmende  Rolle  aufgespart  bliebe.  Mag 
immerhin  eine  gute  Anzahl  kleiner  unselbständiger  Begabungen 
zum  Opfer  des  Entwicklungsprozesses  werden,  der  jetzt  in 
vollem  Gange  ist,  diese  Opfer  fielen  der  Kunst  wahrscheinlich 
nicht  minder  in  einer  Zeit  rein  nationaler  Entwicklung,  und  im 
ganzen  werden  wir  durch  die  von  Frankreich  überkommenen 
Anregungen  schliesslich  niu:  gewonnen  haben.  Sehen  wir 
doch  schon  heute  die  deutsche  Eigenart  nirgends  zu  kurz  kommen, 
auch  dort  nicht,  wo  sie  sich  mit  einem  vollgerüttelten  Masse 
fremden  Einflusses  abzufinden  hat.  Niemand  wird,  um  ein 
besonders  drastisches  Beispiel  zu  geben,  Lovis  Corinth  für  einen 
Pariser  halten.  Aber  auch  diejenigen  Künstler,  die  zur  Welt 
des  Impressionismus  nicht  die  geringste  Fühlung  fanden,  die 
bewusst  an  weiter  zurückliegende  Punkte  unserer  nationalen 
Kunstentwicklung  anknüpften,  werden  über  den  jetzt  neu- 
aufgeflackerten törichten  Prinzipienstreit  lächeln,  sofern  nur 
ihr  Streben  wesenhaft,  künstlerisch  und  nicht  bloss  leere  Tendenz 
ist.  Man  sollte  doch  wirklich  meinen,  dass  eine  Erscheinung 
wie  Ferdinand  Kodier   die  Freunde   germanischer  Rasseeigen- 


148     HERMANN  ESSWEIN  —  MOELLER  VAN  DEN  BRÜCK 

tümlichkeiten  über  ihre  französischen  Schmerzen  hinweg- 
trösten könnte,  aber  ich  fürchte  fast,  diesen  Deutschen  ist 
auch  das  Deutschtum  nicht  genehm,  sobald  es  frei  ist  und  gross. 
FreiHch,  wie  unter  allen  Übertreibungen,  birgt  sich  auch 
unter  dem  deutschen  Künstlerproteste  ein  Kern  von  Be- 
rechtigung. Kein  Zweifel,  dass  wir  neben  fruchtbarsten  An- 
regungen von  Frankreich  auch  den  allerärgsten  Unfug  bezogen 
haben,  der  lauten  Protest  und  energische  Abwehr  dringend 
erfordert.  Eine  recht  böse  Begleiterscheinung  war  die 
Art,  in  der  ganze  Scharen  plattester  Durchschnittstalente  mit 
diesem  oder  jenem  Franzosen  nachgeahmten  Äusserlichkeiten 
herumwirtschafteten,  aber  übertroffen  wird  dies  traurige  Schau- 
spiel noch  durch  die  neuerdings  in  Massen  auftretenden,  fast 
immer  völlig  talent-  und  persönlichkeitslosen  Imitationen  in 
der  Art  van  Goghs,  Cezannes  und  Gauguins.  Dieses  vollkommen 
absurde  Treiben  zwingt  uns  allen  Völkern  von  künstlerischer 
Kultur  gegenüber  eine  demütigende  Stellung  auf,  aber  seine 
Anhänger  wagen  gleichwohl,  sich  auf  die  besten  Namen  unseres 
Kunstlebens  zu  berufen. 
Schieissheim  b.  München.         Hermann  Esswein 

Kunstreferent  der  ,, Münchener  Post". 

T^ultur  ist  Selbsterkenntnis.  Wir  kommen,  wie  es  scheint, 
in  den  nun  schon  ein  Jahrzehnt  sich  hinziehenden 
Meinungsverschiedenheiten  über  die  Bedeutung  französischer 
Kunst  für  Deutschland  nicht  eher  weiter,  bis  wir  uns  darüber 
klar  geworden  sind,  dass  es  die  deutsche  Malerei,  um  derentwillen 
der  Streit  geführt  wird,  überhaupt  nicht  gibt.  Ein  Volk  erfüllt 
immer  das  Karma  einer  besonderen  Begabung,  in  der  es  fest 
verwurzelt  ist,  in  der  es  sich  mit  jeder  seiner  Äusserungen  ver- 
vollkommnet, und  die  schliesslich  durch  das  Übergewicht  der 
mit  ihr  verbundenen  grossen  Männer  und  Werke  als  seine 
Nationalgenialität  allgemein  anerkannt  wird.  In  dieser  Weise 
können  wir  von  einer  deutschen  Musik  und  deutschen  Philosophie 
und  heute  schon  wieder  von  einer  deutschen  Architektur  reden. 


MOELLEK  VAN  DEN  BRÜCK  149 

Aber  eine  deutsche  Malerei  ist  eigentlich  ein  Widerspruch  in 
sich  selbst,  durch  den  die  zwei  vorläufig  auseinanderstrebenden 
Kräfte  „deutsch"  und  „malerisch"  gewaltsam  zusammen- 
gebracht werden,  und  im  besten  Falle  ein  voreiliger  Wunsch, 
dessen  Erfüllung  weniger  von  uns  als  von  der  Zukunft  abhängt. 
Sich  hierüber  keinerlei  Täuschung  hinzugeben,  vielmehr  mit 
ganzer  Härte,  Geradheit,  wenn  es  sein  muss  Grausamkeit  gegen 
uns  selbst  die  Wahrheit  einzugestehen,  wird  im  besten  Geiste 
deutsch  sein. 

Die  deutsche  Malerei  ist  vorläufig  abgeschlossen  mit  Dürer, 
Cranach  und  Holbein.  Schon  das  Barock  haben  wir  kaum  noch 
in  Grünewald  mitgemacht,  im  übrigen  aber  in  niederdeutscher 
Rasseverwandtschaft  mit  uns  den  Holländern  überlassen  müssen. 
Auch  der  Klassizismus  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  ist  bei  uns 
nicht  fruchtbar  geworden,  so  wenig  wie  der  kleine  Poelenburg 
Poussin  ersetzen  kann.  Im  romantischen  19.  Jahrhundert  aber 
waren  unsere  Maler  Poeten,  von  Rethel  bis  Böcklin.  Die  male- 
rische Form  blieb  zugunsten  des  balladesken  Inhalts  bis  zu  einem 
Grade  völlig  ausgeschlossen.  Kaum  dass  man  sie  in  Spuren  dort 
entdeckt,  wo  die  lyrische  Innigkeit  des  Stoffes  besonders  nahe 
an  die  Natur  heranbrachte,  bei  Schwind,  bei  Thoma.  Marees 
ist  dann  die  Tragödie  dieser  Entwicklung.  Gewiss  stehen  in 
ihrem  Verlauf  auch  ein  paar  feste  Männer,  die  weder  Unter- 
schätzung noch  Überschätzung  ausgesetzt  sind,  ihre  Stellung 
vielmehr  gegen  alles  behaupten,  was  das  Verhängnis,  ein  deutscher 
Maler  zu  sein,  auch  ihnen  in  den  Weg  warf.  Philipp  Otto  Runge 
war  fast  ein  Genie,  und  Leibl  sicher  ein  grosser  Meister,  der, 
indem  er  ganz  dem  Sachlichen  diente,  ganz  dem  Malerischen 
diente,  wie  Menzel  dem  Zeichnerischen.  Doch  sie  und  iVndere 
blieben  Einzelne,  und  um  sie  her  siedelten  sich  die  Tätigkeiten 
der  Vielzuvielen  an,  wurden  gewisse  Städte  und  Stätten  in 
Deutschland  zu  berüchtigten  Kunstmittelpunkten,  die  Kunst- 
handel wie  Kunstgeschichte  des  19.  Jahrhunderts  bestimmten 
und  die  Nation  mit  einer  faden  und  unwürdigen  Ware  über- 
schütteten, unterstützt  von  den  öffentlichen  Anstalten  zur 
Erlernung  von  Kunst,  deren  Unterhaltung  der  Staat  seinem 


I50  MOELLER  VAN  DEN  BRÜCK 

Kulturberuf  schuldig  zu  sein  glaubte,  und  die  wie  diese  Kläg- 
lichkeiten alle  in  der  Summe  nur  wieder  das  Eine  offenbarten: 
unsere  malerische  Unkultur. 

Von  solchen  Verhängnissen  ist  nun  auch  Frankreich  nicht 
durchaus  verschont  geblieben:  die  öffentliche  Kunstpflege  ist 
sogar  liederlicher,  das  Proletariat  grösser,  das  Publikum  teil- 
nahmloser als  bei  uns.  Aber  dafür  sind  jenseits  von  diesen 
mehr  sozialen  imd  politischen  Erscheinungen  die  schöpferischen 
Kräfte  des  französischen  Volkes  im  vorigen  Jahrhundert  in 
einer  Bewegung  lebendig  geworden,  der  es  während  dieses  Zeit- 
raumes gelang,  von  Frankreich  aus  die  Probleme  des  modernen 
Lebens  malerisch  zu  lösen.  Eine  Gruppe  von  Künstlern,  sahen 
wir,  wuchs  durch  alle  Wechsel  und  Wandlungen  des  äusseren 
Geschicks  der  Nation  und  erfasste  mit  innerem  Griffe  das  Zeit- 
alter. Der  ersten  Generation  folgte  die  zweite,  der  zweiten  die 
dritte,  und  heute  ist  die  vierte  an  einem  Werk,  das  kein  anderes 
Volk  dem  französischen  Volke  abnehmen  konnte.  Jeder  Maler, 
der  zu  dieser  Gruppe  gehörte,  war  ein  malerisches  Element, 
jeder  übernahm  ein  besonderes  Problem,  ging  ihm  nach,  führte 
es  durch  und  hinterliess  es  schliesslich  in  einem  Lebenswerk,  das 
nunmehr  als  festes  Besitztum  der  Kunst  wie  den  Menschen 
gehörte.  Alles,  was  das  alternde  Volk  noch  an  Jugend  und  Ge- 
sundheit besass,  schien  es  in  seine  Malerei  zu  geben,  und  ihre 
Bedeutung  mag  nun  die  einer  der  grossen  italienischen  Schulen 
sein,  oder  der  vlämisch-holländischen  —  obwohl  sie  keinen 
Rembrandt  besitzt,  aber  dafür  die  Pieter  de  Hoochs  in  Fülle 
und  Köstlichkeit,  und  ausserdem  ein  paar  gespenstischere 
Geister  der  Grossstadt  als  sie  in  dem  gemütlichen  Volke  der 
Brouwer  und  Breughel  je  gelegen  hätten. 

Mit  diesen  Tatsachen  haben  wir  Deutsche  uns  zunächst  ein- 
mal abzufinden,  als  geschichtlich  Denkende  und  als  moderne 
Menschen.  Wir  haben  Frankreich  vieles  genommen,  Macht, 
Einfluss,  Selbstvertrauen,  noch  zuletzt  den  führenden  Anschluss 
an  die  Weiterentwicklung  des  modernen  Lebens:  und  das 
natürliche  Missverhältnis  zwischen  einer  entvölkernden  und 
einer  übervölkernden  Nation  wird,  von  inneren  Gründen  ganz 


MOELLER  VAN  DEN  BRÜCK  151 

abgesehen,  von  selbst  mit  sich  bringen,  dass  wir  ihm  noch  mehr 
nehmen  müssen  — auch  in  der  Kunst,  die  sich  schhesshch  immer 
aus  dem  Leben  ergibt.  Aber  Eines  können  wir  Frankreich  nicht 
nehmen :  dass  die  Franzosen  in  derselben  Zeit,  in  der  wir  Deutsche 
unter  den  romantischen  und  akademischen  Auswirkungen  der 
letzten  klassischen  Periode  standen,  in  der  Malerei  vorange- 
gangen sind,  um  als  die  Ersten  der  Sinnlichkeit  des  sich  rings 
um  uns  verändernden  Lebens  und,  soweit  eine  solche  in  Er- 
scheinung trat,  auch  seiner  Geistigkeit,  seinen  veränderten  Aus- 
druck zu  finden.  Ohne  die  französische  Malerei  stünde  heute 
die  Kunst  auf  der  ganzen  Erde  da,  wo  die  deutsche  Malerei 
noch  immer  steht:  in  Abhängigkeit,  Ohnmacht  und  Unkraft, 
gebrochen  und  unselbständig.  Durch  die  französische  Malerei 
dagegen  ist  eine  grosse  Sache  mehr  in  die  Welt  gekoncunen. 
Ihre  Grösse  ist  ihre  Notwendigkeit.  Ihr  Wert  ist  ihre  Echt- 
heit. Sie  gab  uns  wieder,  was  uns  immer  wieder  gegeben  werden 
muss,  wenn  die  Kunst  an  einem  Ende  angekommen  ist:  eine 
neue  Voraussetzungslosigkeit,  auf  deren  Grunde  wir  nun  alle, 
Völker  wie  Persönlichkeiten,  weiter  schaffen  können. 

Die  Frage  der  Überschätzung  oder  Unterschätzung  der 
französischen  Malerei  ist  eine  Frage  der  Kunst,  nicht  der  Nation. 
Wir  suchen  das  Malerische,  das  uns  fehlt,  nicht  das  Französische, 
das  uns,  da  wir  Deutsche  sind,  nur  wenig  angeht.  Es  ist  sogar 
wahrscheinlich,  dass  uns  auf  die  Dauer  nicht  die  französischen 
Künstler  selbst,  oder  doch  nur  die  phantastischeren,  wie  Dau- 
mier,  am  nächsten  stehen  werden,  sondern  die  mit  der  Be- 
wegung zusammenhängenden  germanischen,  wie  van  Gogh, 
der  Holländer,  Munch,  der  Norwege.  Aber  künstlerisch  wich- 
tiger als  diese  seelischen  Naturen,  die  den  Gehalt  haben,  den 
wir  Deutsche  nun  einmal  von  dem  Genie  verlangen,  sind  vor- 
läufig die  stillen  emsigen,  fast  pedantischen  Franzosen,  und 
am  wichtigsten  vielleicht  der  Südgallier  Cezanne,  in  seiner  un- 
beirrbaren Folgerichtigkeit,  mit  der  er  die  Form  aufgelöst  hat, 
um  wieder  zur  Form  zu  gelangen.  Wir  können  von  ihnen  lernen, 
wie  von  der  Natur.  Und  wir  müssen  von  ihnen  lernen,  wofern 
"wir  überhaupt  den  Umweg  um  eine  Kunst  nehmen,  weil  die 


152  MOELLER  VAN  DEN  BRÜCK 

ihre  die  einzige  natürliche,  die  einzige  naive  und  ursprüngliche 
der  Zeit  ist,  die  uns  befreien  kann,  indes  die  andere,  die  längst 
ausgeschöpfte  der  Allerweltsmuster,  die  wir  unserem  Schaffen 
statt  der  Natur  zugrunde  zu  legen  uns  gewöhnt  haben  und  zu 
der  auch,  um  darüber  keinen  Zweifel  zu  lassen,  missverstandene 
französische  Kunst  selbst  gehört,   uns  nur  tief  verdorben  hat. 

Damit  ist  die  Unterfrage  eigentlich  von  selbst  beantwortet, 
die  man  praktisch  an  die  theoretische  gehangen  hat:  ob  man 
französische  Bilder  kaufen  soll?  Selbstverständlich  soll  man 
sie  kaufen,  man  soll  so  viele  kaufen,  wie  man  nur  bekommen 
kann.  Ihr  Erwerb  bedeutet,  bei  der  Zukunftschätzung,  deren 
die  französische  Kunst  sicher  ist,  nicht  nur  eine  Vermehrung 
des  Nationalbesitzes:  ihr  Erwerb  bedeutet  vor  allem  ein  heil- 
sames Abwehrmittel  gegen  die  Hunderte  von  unglücklichen 
Malern,  die  bei  uns  mit  ein  bisschen  Begabung  und  ein 
bisschen  Geschmack  schon  Kunst  zu  machen  glauben  und  deren 
Erzeugnisse,  mit  denen  sie  immer  wieder,  erst  Andere,  dann 
sich  selbst  kopieren,  in  ihrer  unernsten,  gestern  mehr  senti- 
mental, heute  mehr  modern  verkitschten  Gefälligkeit,  die  Nation 
nur  immer  weiter  von  der  Kunst  entfernen.  Unserer  Kultur 
wäre  gedient,  wenn  sie,  die  keine  Schöpfer  sind,  sich  von  allem 
Schöpferischen  fernhalten  und  ihren  Sinn  für  Form  und  die 
Fertigkeit  ihrer  Hand  lieber  gewerblichen  oder  handwerklichen 
Aufgaben  zuwenden  wollten,  durch  die  sie  heute  in  Deutschland 
sicherlich  ihren  Platz  finden  werden.  Im  anderen  Falle  ver- 
sperren sie  durch  ihre  Überzahl  und  durch  die  Mittel-  und 
Minderwertigkeit  ihrer  Leistungen  nur  denjenigen  Deutschen 
die  Bahn,  die  vielleicht  heute  schon,  durch  das  Überzeugende 
ihrer  Persönlichkeit,  die  Verbildung  der  Nation  zu  überwinden 
suchen. 

Doch  wird  die  deutsche  Kunst,  auf  die  wir  hoffen,  nicht 
denselben  Ring  noch  einmal  durchlaufen,  den  die  französische 
bereits  durchlaufen  hat:  sie  wird  viehnehr  da  einsetzen,  wo 
diese  aufhört.  Alle  Entwicklung  entsteht  durch  Weitergabe, 
und  meist  ist  es  so,  dass  ein  Volk  seine  Probleme  einem  anderen 
übergibt,  sobald  an  das  neue  Volk  aus  Gründen  der  allgemeinen 


MOELLER  VAN  DEN  BRÜCK  15,:; 

Kulturentwicklung  die  Berechtigung  dazu  übergeht.  Nicht  nur 
das  einzelne  Kunstwerk,  auch  die  Entwicklung  der  Künste  ist 
auf  diese  Weise  ein  Gefüge.  Kein  Volk,  das  an  dem  Gefüge 
Anteil  hat,  wird  sich  mit  den  Problemlösungen  zufrieden  geben, 
die  für  das  vorhergehende  Volk  und  seine  Zeit  Geltung  besassen. 
Jedes  schöpferische  Volk  wird  vielmehr  der  Entwicklung  die 
Lösung  Seiner  Nationalität  und  Seiner  Epoche  hinzuzufügen 
suchen.  Es  ist  der  Grund,  warum  die  Entwicklung  der  Kunst, 
trotzdem  es  sich  bei  ihr  immer  nur  um  Künstlerisches  handelt, 
sich  immer  wieder  nach  dem  Nationalen  gliedert.  Nicht  von 
der  französischen  Kunst  beherrscht  zu  werden,  sondern  gerade 
umgekehrt,  ihre  Mittel  zu  den  neuen  und  eigenen  Zwecken  zu 
beherrschen,  muss  deshalb  das  Ziel  für  uns  sein,  das  freilich 
voraussetzt,  dass  wir  ganz  durch  sie  hindurchgegangen  sind  und 
besitzen,  was  sie,  und  nur  sie,  uns  verleihen  kann. 

Im  übrigen  ist  die  Entwicklung  der  Künste  von  ganz  be- 
stimmten Gesetzmässigkeiten  abhängig,  die  zunächst  Lebens- 
gesetzmässigkeiten  sind.  Eine  Kunst  wird  immer  nur  unter 
den  grossen  und  ewigen  Bedingungen  der  betreffenden  Gattung 
möglich  sein.  Hier  liegt  heute  unsere  Aussicht  und  Zuversicht 
in  Deutschland,  die  einzige,  die  wir  haben.  Wir  arbeiten  jetzt 
an  einer  neuen  Architektur,  zu  der  sich  alle  südlichen  und  west- 
lichen Völker  unfähig  gezeigt  haben,  und  keines  unfähiger  als 
das  französische  Volk.  Erst  im  Rahmen  dieser  Architektur 
wird  eine  neue  deutsche  Malerei  ihre  grösseren  Entwicklungs- 
bedingungen finden  und  die  Kunst  in  Deutschland  da  auf- 
nehmen und  weiterführen,  wo  in  Frankreich  das  Leben  ver- 
sagt :  in  einer  Monumentalmalerei,  in  der  die  malerische  Locke- 
rung, durch  die  der  Franzose  erneuernd  gewirkt  hat,  durch 
die  zeichnerische  Bändigung  ersetzt  wird,  für  die  der  Deutsche 
besonders  begabt  erscheint,  und  für  die  Kodier,  der  nicht 
grundlos  zwischen  beiden  Völkern  steht,  die  vorbildende  Kraft 
zu  sein  scheint. 

z.  Z.  Florenz.  Moeller  van  den  Brück. 


I. 

Paul  Cassirer,  Berlin. 
Vom    Unwissenden   Künstler 

Tjie  romantische  Vorstellung  vom  Künstler,  der  doch  ein 
^-^^  Mensch  ist  wie  wir  anderen  alle,  mit  dem  Bedürfnis  nach 
Luxus  und  Wohlleben,  nach  Sorgenfreiheit  und  all  dem  Schönen, 
was  der  Besitz  des  Geldes  gewährt,  hat  es  wohl  verschuldet, 
dass  Künstler  über  alles  Mögliche  nachdenken  und  über  alles 
Mögliche  sprechen,  nie  aber  über  ihre  ökonomische  imd  soziale 
Lage.  Es  sind  einige  Anzeichen  vorhanden,  dass  jetzt  eine 
Änderung  eintritt.  Die  Schriftsteller  und  Tonkünstler  gründen 
ökonomische  Vereinigungen ;  die  Schauspieler  streben  nach  einer 
Festigung  ihrer  sozialen  Lage,  aber  bei  den  bildenden  Künstlern 
rührt  sich  noch  nichts.  Dann  und  wann  ein  Seufzer  über  die 
Überproduktion,  über  die  Unsicherheit  des  Einkommens,  über 
die  Entfremdung  zwischen  Käufer  und  Künstler.  Nirgends  ein 
Vorschlag  zur  Besserung.  Ja,  nirgends  der  Versuch,  die  materielle 
Lage  zu  untersuchen.  Die  bildenden  Künstler  leben  in  einer 
ganz  seltsamen  Unkenntnis  ihrer  eigenen  Lage.  Sie  wissen  nicht, 
auf  welche  Weise  sie  ihre  Produkte  verkaufen  sollen,  sie  haben 
mit  einem  Wort  keine  Kenntnis  von  dem  Handel  mit  Kunst- 
werken. In  den  Köpfen  der  Meisten  spuken  ganz  seltsame  Ideen. 
Sie  begeistern  sich  für  Einrichtungen,  die  ihnen  schädhch  sind, 
und  bekämpfen  andere,  die  geeignet  sind,  ihnen  zu  helfen. 

Ich  glaube,  es  gibt  keinen  Stand,  der  sich  so  wenig  um  seine 
Lage  kümmert,  wie  die  Maler.  Sie  begnügen  sich  mit  Schimpfen, 
statt  nach  dem  Übel  zu  suchen,  wenn  ein  Übel  vorhanden  ist. 
Es  dürfte  von  dem  grössten  Interesse  auch  für  die  Kunst  sein, 
eine  genaue  Vorstellung  von  den  materiellen  Bedingungen  der 
Künstler  zu  gewinnen.  Kunst  kann  man  nicht  durch  Phrasen 
füttern,  und    Genies  werden  nicht  von  Zeitungsartikeln  satt. 


PAUL  CAS  SIRER  155 


Wo  keine  Mäzene  sind,  oder  kein  Ersatz  für  Mäzene,  da  kann 
keine  Kunst  wachsen.  Und  das  Los  des  verkannten  Künstlers 
macht  wohl  dem  Kimstschriftsteller  Spass,  weil  sich  traurige 
Sachen  leichter  stilisieren  lassen  als  fröhliche,  aber  selbst  dem 
hingehendsten  und  aufopferungsfähigsten  Künstler  hat  das 
Hungern  noch  niemals  Vergnügen  gemacht. 

Es  wäre  für  den  Künstler  deshalb  von  dem  grössten  Interesse 
—  man  schämt  sich,  es  niederzuschreiben,  so  selbstverständhch 
ist  es,  —  wenn  er  wüsste,  welchen  Weg  der  Handel  mit  Bildern 
nimmt,  wie  er  organisiert  ist,  wie  er  nützt  und  wie  er  schadet. 
Ich  will  versuchen,  das,  was  ich  davon  weiss,  zu  erzählen.  Aber 
es  sind  so  wenig  Untersuchungen  gemacht  worden,  es  gibt  so 
gar  kein  Material  und  keine  Statistik,  dass  ich  vielfach  auf 
Schätzungen  angewiesen  bin.  Der  Anfang  muss  einmal  gemacht 
werden.  Eine  wirkliche  Klarheit  könnte  man  nur  durch  eine 
offizielle  Statistik  erreichen,  die  aber  auf  ausserordentliche 
Schwierigkeiten  stiesse. 

Es  gibt  eine  Statistik  über  Kunstexport  und  -Import.  Diese 
Statistik  ist  leider  vollständig  wertlos,  weil  sie  i.  ganz  ungenau 
und  ganz  oberflächlich  gemacht  ist  und  2.  weil  sie  sich  auf  die 
ausgestellten  Bilder  und  nicht  auf  die  verkauften  Bilder  bezieht. 
Ferner  trennt  sie  nicht  alte  und  neue  Bilder.  Sie  gibt  auch  keine 
Klarheit  darüber,  ob  ein  aus  Russland  importiertes  Bild  ein  in 
Russland  entstandenes  oder  ein  früher  nach  Russland  verkauftes 
ist.  Zudem  bezieht  sich  diese  Statistik  nur  auf  den  Export  und 
Import.  Der  Export  und  der  Import  von  Bildern  sind  bei  weitem 
nicht  das  Wichtigste.  Viel  wichtiger  ist  die  Frage,  wodurch  die 
ungeheure  Überproduktion  entsteht,  oder  vielmehr,  ob  eine 
Überproduktion  existiert,  die  Frage  nach  der  Organisation  des 
inländischen  Kunsthandels,  die  Frage,  welchen  Einfluss  die 
staatlichen  und  kommunalen  Einrichtungen  haben,  und  schliess- 
lich wohl  die  wichtigste  aller  Fragen:  Wie  trifft  das  Publikum 
seine  Auswahl  unter  der  angebotenen  Ware? 

Der  Export  und  der  Import  der  Bilder  gehört  zu  den 
schwierigsten  Fragen,  weil  es  durchaus  nicht  klar  ist,  ob  es  im 
Interesse  der  Allgemeinheit  liegt,  dass  Kunst  exportiert  wird. 


156  PAUL  CASSIRER 


Verbietet  doch  die   lex   Pacca   die   Ausführung   alter   Kunst- 
werke aus  Italien. 

Die  Bedingungen  des  Kunsthandels  sind  eben  ganz  andere 
als  die  Bedingungen  des  Handels  mit  anderer  Ware.  So  ist  es 
selbstverständlich  —  dass,  wenn  wir  Getreide  nach  Deutschland 
einführen  —  der  Preis  des  deutschen  Getreides  fällt.  Bei  Bildern 
ist  dies  aber  durchaus  nicht  selbstverständlich,  sondern  der 
Import  von  Bildern  kann  das  umgekehrte  Resultat  haben. 

II. 

Ouousque   Tandem 

Mit  Begierde  griff  ich  nach  dem  Bändchen  von  Karl  Vinnen 
,,  Quousque  tandem".  Nach  dem,  was  man  vor  seinem  Erscheinen 
gehört  hatte,  musste  man  annehmen,  dass  Karl  Vinnen  versucht, 
Material  für  all  diese  Fragen  herbeizuschaffen.  Ich  war  ihm,'als 
ich  seinen  Protest  deutscher  Künstler  in  die  Hand  nahm,  aller- 
dings dankbarer,  als  nach  dem  Lesen.  Ich  habe  kein  Material 
und  keine  Gedanken  gefunden.  Statt  Überlegung,  Kenntnis, 
Untersuchung  wieder  die  alten  unfruchtbaren  Klagen  und  das 
alte  unüberlegte  Schimpfen. 

Die  naive  Auffassung,  durch  einen  Protest  eine  geistige 
Bewegung  zu  erdrosseln,  und  der  oberlehrerhafte  Dünkel,  die 
Jugend  zu  kommandieren !  Jeder  Verständige  wird  dieses  Buch 
mit  Bedauern  fortlegen,  weil  in  ihm  interessante  Fragen  kom- 
promittiert sind.  Aber  das  Bedauern  wird  nicht  gross  sein, 
denn  dieses  Buch  ist  nicht  gefährlich,  es  wird  keinen  Eindruck 
hinterlassen. 

Immerhin  scheint  es  mir  notwendig,  die  Behauptungen,  die 
Vinnen  aufstellt,  zu  widerlegen,  weil  sie  geeignet  sind,  Ver- 
wirrungen anzurichten  und  die  Aufmerksamkeit  von  den  wich- 
tigen Interessen  der  Künstler  abzulenken. 

Es  ist  nicht  leicht,  Vinnen  zu  widerlegen,  denn  seine  Be- 
hauptungen sind  nicht  klar,  sind  unscharf.  Er  spricht  von  dem 
Schaden  des  Imports  französischer  Kunst,  sagt  aber  im  Neben- 
satz, dass  er  den  Nutzen  anerkennt.    Er  sagt:  Die  künstlerische 


PAUL  CAS  SIRER  157 


Frage,  die  Einwirkung  der  französischen  Kunst  auf  den  deutschen 
Geist  halte  er  für  schädlich,  und  spricht  im  Nebensatz  vom 
Preise  der  französischen  Kunstwerke.  Er  tut  so,  als  ob  die 
französische  Kunst  nicht  hervorragend  sei,  und  erzählt  gleich 
darauf,  dass  die  Deutschen  nur  das  bekämen,  was  die  anderen 
Nationen  übrig  gelassen  hätten.  Er  spricht  gegen  die  Preise 
Monets;  sagt,  die  Spekulation  wäre  schuld  daran;  wirft  den 
Kunsthändlern  alle  möglichen  ehrenrührigen  Sachen  vor  wegen 
dieser  hohen  Preise  und  erzählt  plötzlich,  dass  er  dafür  gestimmt 
habe,  dass  die  Bremer  Kunsthalle  für  einen  Monet  50  000  M. 
zahlte  (der  höchste  überhaupt  für  einen  Monet  gezahlte  Preis). 

(,,Und  doch  habe  ich  seinerzeit,  als  der  um  die  Entwickelung 
unseres  Bremischen  Kunstlebens  und  die  sehr  vornehme  Aus- 
gestaltung unserer  Galerie  ausserordentlich  verdiente  Direktor 
Pauli  das  Bild  vorschlug,  auch  dafür  gestimmt  und  würde  es, 
angesichts  des  hohen  Kunstwertes,  noch  heute  tun.  Es  gibt 
eben  Ausnahmen,  bei  denen  man  nicht  aufs  Geld  sehen  darf.") 

Ich  frage  mich,  was  bekämpft  Herr  Vinnen?  Dass  schlechte 
Werke  berühmter  Meister  nach  Deutschland  importiert  werden  ? 

Ja,  wenn  einmal  festgestellt  ist,  dass  die  importierten  Werke 
schlecht  sind,  dann  wird  doch  niemand  mehr  so  irrsinnig  sein, 
dies  zu  billigen.  Oben  lobt  er  Herrn  Direktor  Pauli  und  im 
nächsten  Augenblick  greift  er  ihn  an,  weil  er  eine  flüchtige 
Studie  von  van  Gogh,  in  der  ein  Künstler  die  drei  Dimensionen 
vermisst  —  Zeichnung,  Farbe  und  Stimmung  —  mit  30  000  bis 
40  000  M.  anstandslos  bezahlt. 

Ist  nun  Herr  Vinnen  wirklich  der  Meinung,  dass  Herr 
Direktor  Pauli  das  Bild,  das  er  so  teuer  bezahlt,  für  eine  flüchtige 
Studie  hält,  der  diese  drei  seltsamen  Dimensionen  —  Zeichnung, 
Farbe  und  Stimmung  —  fehlen.  Das  ist  doch  nicht  ganz  glaub- 
haft. Festzustehen  scheint  nur,  dass  Vinnen  dieses  Bild  für 
schlecht  und  Dr.  Pauli  es  für  gut  hält.  Also  richtet  sich  der 
Protest  Vinnens  in  diesem  Falle  augenscheinlich  dagegen,  dass 
Dr.  Pauli  eine  andere  Meinung  von  einem  Bilde  hat,  als  er,  und 
er  wendet  sich  an  die  deutschen  Künstler  mit  der  Bitte,  sie 
möchten  gegen  das  Bild,  das  sie  nicht  kennen,  protestieren. 


i«;8  PAUL  CASSIRER 


Es  ist  das  ein  Beispiel  für  viele,  wie  vage  und  persönlich  alles 
ist,  was  Vinnen  vorbringt.  Und  deshalb  ist  es  wirklich  nicht 
leicht,  ohne  selbst  zu  persönlich  zu  werden,  auf  seine  Aus- 
führungen einzugehen. 

Begeben  wir  uns  auf  den  mühsamen  Weg. 

III. 

Wer    Protestiert? 

Vinnen  hat  sich  mit  der  Frage,  ob  die  deutschen  Künstler 
nicht  gegen  den  Import  und  die  Überschätzung  französischer 
Kunst  protestieren  wollen,  an  die  Künstler  gewandt.  Er  schreibt : 
,,Das  Echo,  das  meine  Worte  fanden,  übertrifft  meine  Erwar- 
tungen. Ich  wollte  warnen  und  sehe,  dass  ich  nur  ausgesprochen 
habe,  was  von  weitesten  Kreisen  der  Künstlerschaft  in  Nord  und 
Süd  seit  langem  mit  Unwillen  empfunden  wird." 

Es  haben  wirklich  eine  grosse  Anzahl  von  Künstlern  unter- 
schrieben; merkwürdigerweise  von  den  Berlinern  im  ganzen  ii. 
Von  diesen  ii  sind  einer  ein  Graphiker,  drei  sind  Bildhauer, 
für  die  die  Bewegung  nicht  von  grossem  Interesse  sein  kann.  Und 
die  anderen,  die  unterschrieben  haben,  sind  von  der  Berliner 
Secession:  Jacob  Alberts,  Josef  Block,  Martin  Brandenburg, 
Ernst  Oppler  und  Heinrich  Linde- Walther;  von  der  Akademie: 
Otto  H.  Engel  und  Arthur  Kampf. 

In  keiner  Stadt  Deutschlands  hat  die  Seuche  des  französischen 
Imports  so  gewütet  wie  in  Berlin,  und  nirgends  sind  so  viel  franzö- 
sische Bilder  verkauft  worden  wie  in  Berlin,  nirgends  muss  dem- 
nach dem  deutschen  Künstler  das  Leben  so  schwer  geworden  sein 
wie  hier  in  Berlin,  imd  nirgends  kann  er  unter  den  ,, Machen- 
schaften der  bösen  Kunsthändler"  (soll  wohl heissen  des  bösen 
Kunsthändlers,  denn  leider  habe  ich  lo  Jahre  allein  diese  Arbeit 
leisten  müssen  — )  mehr  gelitten  haben  als  hier.  Warum  nun 
in  aller  Welt  haben  die  Berliner  Künstler  gezögert,  den  Protest 
zu  untersclireiben  ?  Das  Geld  der  Berliner  Amateure  wurde 
doch  für  französische  Impressionisten  ausgegeben,  und  wer 
hätte  mehr  Anspruch  auf  dieses  Geld  als  die  Berliner  Künstler? 


PAUL  CASSIRER  159 


Wo  sind  die  Meister  der  Secession?  Warum  haben  sie  nicht 
unterschrieben?  Ihre  Werke  hängen  in  denselben  Räumen, 
in  denen  die  französischen  Impressionisten  hängen.  Dieselben 
Kunstfreunde,  die  ihre  Mäzene  waren,  haben  französische 
Bilder  gekauft.  Das  Geld,  das  für  französische  Bilder  aus- 
gegeben ist,  ist  ihnen  entzogen  worden.  Gerade  ihnen,  denn  ein 
grosser  Teil  der  „Kunstfreunde"  kauft  nur  Bilder  der  ,, alten 
Richtung".  Und  das  Geld  der  Wenigen,  die  sich  für  die  moderne 
Kunst  interessieren,  wurde  zwischen  dem  französischen  Künstler 
imd  dem  deutschen  Künstler  geteilt.  Und  dennoch:  Weder 
Liebermann,  noch  Corinth,  noch  Slevogt,  noch  Tuaillon,  noch 
Gaul,  noch  Ulrich  Hübner,  noch  Karl  Walser,  noch  Beckmann, 
noch  Kardorff  —  ich  kann  sie  nicht  alle  nennen,  keiner  von 
ihnen  hat  unterschrieben.  Keiner  ist  in  entrüstete  Worte  aus- 
gebrochen, und  keiner  hat  unmutvoU  seine  Künstlerfaust  gegen 
den  „Kunst  Wucher  er"  erhoben.  Übrig  blieb  das  kleine  Häuf- 
lein: Alberts,  Block,  Brandenburg,  Ernst  Oppler,  Linde- 
Walther,  Engel,  Kampf. 

„In  Nord  und  Süd  wurden  die  Missstände  seit  langem  mit 
Unwillen  empfunden",  schreibt  Vinnen.  Gehört  Berlin  nicht 
zum  Norden?  Und  wo  sind  die  anderen  norddeutschen  Künstler? 
Hat  Kalckreuth  unterschrieben?     Klinger? 

Da,  wo  das  Übel  am  meisten  gewütet  hat,  da  scheint  kein 
Unwille  zu  herrschen. 

Seltsam.  Und  dann :  Liest  man  das,  was  die  anderen  Künst- 
ler geschrieben  haben,  so  wird  man  staunen.  Statt  des  Protestes 
bei  einem  grossen  Teil  eine  Anerkennung  der  Bestrebungen,  die 
grosse  französische  Kunst  in  Deutschland  einzuführen.  Was 
Benno  Becker  geschrieben  hat,  was  Habermann  geschrieben  hat, 
das  will  ich  gern  Wort  für  Wort  unterschreiben.  Aber  auch  viele 
andere  sagen  nur  das,  was  jeder  Verständige  auch  denkt. 
Natürlich  kommt  dann  und  wann  die  Wut  gegen  die  ,, schlauen 
Händler",  die  das  Geld  in  ihre  Taschen  leiten,  aber  was  sagt  das? 
Das  ist  eine  alte,  liebe  Angewohnheit  der  Künstler,  auf  den  Kunst- 
händler zu  schimpfen.  Freilich  immer  auf  den  anderen,  nicht  auf 
den,  den  sie  kennen  und  dem  sie  oft  zu  Dank  verpflichtet  sind. 


]6o  PAUL  CASSIRER 


Die  richtigen  Bundesgenossen  entstehen  Vinnen  erst  bei  den 
Kunstschriftstellern.  Was  da  Herr  Fritz  von  Ostini  begeistert 
predigt  gegen  den  gewissenlosen  Geschäftsbetrieb  französischer 
Kunstimporteure  und  ihrer  deutschen  Helfer,  ist  so  klug  und  so 
geistreich,  ist  so  treffend  und  zeugt  von  so  hoher  Kennerschaft 
wie  die  Kunstkritiken,  die  er  zur  Freude  aller  Münchner  Maler 
in  den  Münchner  Neuesten  Nachrichten  zum  besten  gibt.  Es 
ist  schon  20  Jahre  her,  dass  wir  als  junge  Studenten  und  junge 
Maler  im  Cafe  Luitpold  die  Kritiken  Ostinis  zur  Karnevalszeit 
mit  verteilten  Rollen  vorlasen.  Ganz  gewiss  sitzen  jetzt  an 
denselben  Tischen  des  Cafe  Luitpold  und  des  Cafe  Heck 
Menschen,  die  gerade  so  jung  sind,  wie  wir  damals  waren, 
und  treiben  dasselbe  Spiel.  Es  wäre  schade,  dieses  Vergnügen 
zu  stören. 

IV. 

Die    Statistik 

Vinnen  glaubt,  dass  die  materielle  Lage  der  deutschen 
Künstler  und  die  deutsche  Kunst  in  Gefahr  seien,  weil  einige 
moderne  französische  Bilder  nach  Deutschland  gebracht  werden. 
Welche  Summen  dabei  in  Betracht  kommen,  davon  hat  er 
augenscheinlich  keine  Vorstellung.  Er  nennt  sie  nicht.  Aber 
bei  der  Aufstellung  der  Statistik  am  Schluss  wird  der  Anschein 
erweckt,  als  ob  es  sich  um  riesige  Summen  handelte.  Er  beruft 
sich  auf  das  Statistische  Jahrbuch:  ,,Die  Statistik  redet  da  die 
eindringhchste  Sprache." 

Ja,  man  muss  nur  die  Statistik  zu  lesen  verstehen.  Oder 
man  muss  wenigstens,  wenn  man  auch  keine  Kenntnisse  hat, 
sich  die  Mühe  nehmen,  einiges  zu  fragen,  und  —  wenn  einem 
das  auch  noch  zu  unbequem  ist  — ,  so  muss  man  wenigstens  — 
es  ist  schwer,  ein  Wort  zu  finden  —  sagen  wir:  fragwürdige 
Behauptungen  unterlassen. 

Auf  der  Seite  175  des  Statistischen  Jahrbuches  für  das 
Deutsche  Reich  vom  Jahre  1910  steht,  dass  aus  Österreich 
für  9  321  000  M.  Gemälde  und  Zeichnungen  im  Jahre  1909 
pingeführt  seien.     Herr  Vinnen  macht  dazu  die  Bemerkung: 


PAUL  CASSIRER 


„Allerdings  dürfte  in  dieser  Ziffer  ein  hoher  Prozentsatz  über 
Wien  eingeführter  französischer  Bilder  enthalten  sein."  Wie 
kommt  er  zu  dieser  Behauptung? 

Schwer  kontrollierbar  ist,  was  aus  Österreich  an  Bildern  des 
i8.  Jahrhunderts  oder  an  französischen  Primitiven  eingeführt 
worden  ist.  Unter  den  französischen  Bildern  meint  er  doch 
aber  augenblicklich  französische  Bilder  des  19.  Jahrhunderts. 
Wer  hat  ihm  nun  bloss  gesagt,  dass  ein  hoher  Prozentsatz  fran- 
zösischer Bilder  in  der  Einfuhr  Österreichs  enthalten  sei?  Herr 
Vinnen  nenne  seinen  Gewährsmann!  Oder  er  gestehe,  was  ein- 
facher ist,  dass  er  in  leichtfertigster  Weise  eine  unwahre  Be- 
hauptung aufgestellt  hat! 

Die  Wahrheit  ist,  dass  von  modernen  französischen  Bildern 
aus  Österreich  nach  Deutschland  wohl  nicht  für  20  000  Frank 
im  Jahre  1909  eingeführt  worden  ist.  Es  existiert  überhaupt 
keine  Einfuhr  französischer  Bilder  über  Österreich.  Es  kann 
natürlich  vorkommen,  dass  ein  österreichischer  Amateur  mal  ein 
Bild  abstösst,  und  das  nach  Deutschland  gelangt.  Es  hat  viel- 
leicht auch  Miethke  in  Wien  dann  und  wann  mal  ein  franzö- 
sisches Bild  nach  Deutschland  verkauft.  Da  aber  die  Galerie 
Miethke  sich  hauptsächlich  mit  alten  Bildern  beschäftigt,  ist 
diese  Einfuhr  nach  Deutschland  so  minimal,  dass  man  sie 
überhaupt  nicht  in  Betracht  ziehen  kann.  Ausser  Miethke  in 
Wien  gibt  es  keinen  österreichischen  Kunsthändler,  der  sich 
bisher  mit  französischer  Kunst  beschäftigte. 

Die  ganze  Statistik,  die  Herr  Vinnen  vorlegt,  ist  vollständig 
belanglos.  Glaubt  Herr  Vinnen  wirklich,  dass  wir  aus  der  Schweiz 
für  I  200  000  M.  Schweizer  Bilder  nach  Deutschland  impor- 
tieren? Diese  Statistik  bezieht  sich  nicht  allein  auf  verkaufte 
Bilder.  Ausserdem  aber  enthält  sie  den  Handel  mit  alten 
Bildern.  Und  die  Export-  und  Importsummen  des  Handels  mit 
alten  Bildern  übersteigen  die  Summen  des  Handels  mit  neuen 
Bildern  etwa  um  das  Fünffache, 

Selbst  wenn  Karl  Vinnen  die  Statistik  hätte  lesen  können, 
selbst  wenn  er  sich  die  Mühe  gegeben  hätte,  Nachforschungen 
anzustellen:  aus  dieser  Statistik  ist  nicht  das  Geringste  zu  er- 

II 


.62  PAUL  CASSIRER 


sehen,  mit  dieser  Statistik,  musste  er  wissen,  konnte  er  nichts 
beweisen.  Ich  nehme  an,  Vinnen  führt  diese  Statistik  in  gutem 
Glauben  an.  Man  muss  ihm  seine  Naivität  und  seine  Unge- 
schickhchkeit  im  Denken  zugute  halten;  immerhin,  es  muss 
kein  angenehmes  Gefühl  für  einen  erwachsenen  Mann  sein, 
diese  Zahlen  zu  Beweisen  benutzt  zu  haben.  Ein  wenig  sehr 
leichtsinnig,  nicht  gerade  sehr  ernsthaft  .  .  . 

Nach  meiner  Schätzung  beträgt  die  Einfuhr  französischer 
Impressionisten  nach  Deutschland  im  Durchschnitt  noch  keine 
halbe  Million  Mark.  Im  vorigen  Jahre  1910  wurde  diese  Summe 
überschritten,  weil  bei  der  Auflösung  der  Sammlung  Pellerin 
eine  Anzahl  Manets  in  deutschen  Besitz  übergingen.  Wohl 
alles  Bilder,  für  die  Herr  Vinnen  selbst  gestimmt  hätte,  wenn 
man  nach  seiner  Handlungsweise  beim  Ankauf  der  „Camille" 
von  Monet  geht. 

Meine  Schätzung  ist  ziemlich  genau.  Nach  allem,  was  Herr 
Vinnen  schreibt,  wird  der  Eindruck  erweckt,  dass  es  sich  um 
viele  Millionen  handelt.  Glaubt  Herr  Vinnen,  dass  die  wirkliche 
Summe  überhaupt  von  Belang  ist  für  den  deutschen  Kunst- 
handel? Es  wäre  traurig  um  den  deutschen  Künstler  bestellt, 
wenn  diese  minimale  Summe  irgend  einen  Einfluss  auf  die 
materielle  Lage  der  deutschen  Künstler  hätte. 

Weiss  Herr  Vinnen  nicht,  dass  an  einem  einzigen  Tage  in  der 
Auktion  Lanna  mehr  für  Antiquitäten  ausgegeben  worden  ist? 
Ist  ihm  nicht  bekannt,  welche  Summen  für  englische  Büder  des 
18.  Jahrhunderts  ausgegeben  werden? 

Warum  macht  er  so  viel  Aufhebens  von  dieser  kleinen 
Summe,  da  ihm  doch  bekannt  sein  muss,  dass  im  vorigen  Jahre 
die  Sammlung  Königswarter  in  Berlin  in  i^  Tagen  mehr  als 
das  Doppelte  dieser  Smnme  brachte,  und  dass  von  dieser  Million 
auch  nicht  ein  Pfennig  in  die  Hände  eines  Künstlers  gelangt  ist  ? 

Aber  wenn  auch  für  Millionen  französische  Bilder  nach 
Deutschland  importiert  würden,  das  Büchlein  Vinnens  würde 
diese  Bewegung  nicht  aufhalten  können.  Die  Vorliebe  für  die 
grossen  Meister  der  französischen  Renaissance  des  19.  Jahr- 
hunderts wird  sich  bei  den  Kunstfreunden  nicht  abschwächen. 


PAUL  CASSIRER  163 


Kein  Protest  kann  eine  geistige  Bewegung  hindern,  die  über  die 
ganze  Welt  geht.  Das,  was  man  unter  dem  Namen  des  fran- 
zösischen Impressionismus  (im  weitesten  Sinne)  meint,  ist  eine 
geistige  Bewegung,  und  keine  technische,  keine  kommerzielle. 
Ein  Protest  gegen  eine  solche  Bewegung  hat  kein  anderes  Re- 
sultat, als  die  Aufmerksamkeit  der  Kreise,  die  sich  mit  ihr  noch 
nicht  beschäftigt  haben,  auf  sie  zu  lenken  und  sie  dadurch  zu 
stärken. 

Ich  kann  aber  auch  nicht  glauben,  dass  Vinnen  den  Im- 
pressionismus bekämpfen  will,  denn  er  und  seine  Freunde  wieder- 
holen immer  wieder,  dass  sie  sich  an  französischer  Kunst  selbst 
gebildet  haben.  Ich  glaube,  Vinnen  will  etwas  ganz  anderes,  als 
er  ausspricht.  Unter  seinen  dunklen  imd  unverständlichen 
Worten  ruht  die  berechtigte  Frage  nach  den  materiellen  Daseins- 
bedingungen der  deutschen  Künstler,  nach  der  Möglichkeit  des 
deutschen  Bilderexportes,  nach  dem  Zusammenhang  zwischen 
Angebot  und  Nachfrage  im  Bilderhandel,  und  endlich  nach  der 
Art,  wie  Büder  vertrieben  werden  müssen,  so  dass  der  Künstler 
nicht  leidet  und  die  Kunst  auch  nicht  leidet. 

Ich  wiederhole:  seine  Anregung,  die  für  die  deutschen  Künstler 
sehr  wichtigen  Fragen  aufzurollen,  verdient  Dank,  und  man  muss 
ihm  verzeihen,  wenn  er  diese  Fragen,  statt  durch  Nachdenken 
und  Forschen,  nur  mit  dumpfer  Wut  zu  beantworten  sucht. 

Man  fühlt  aus  seinen  Worten  heraus,  dass  er  die  dunkle 
Empfindung  hat,  die  hässlichen  und  inferioren  Instinkte  des 
Neides  bei  seinen  Kollegen  zu  erregen.  Er  fürchtet  sich  vor  sich 
selbst  und  rettet  sich  dann,  wenn  ihm  sein  Gewissen  schlägt,  in 
unerwiesene  Behauptimgen,  um  vor  sich  selbst  Recht  zu  behalten. 

Aber  was  will  es  nun  sagen,  wenn  Herr  Vinnen,  der  weder 
den  Kunstmarkt  noch  die  Galerien  der  Amateure  kennt,  sagt, 
nach  Deutschland  kämen  alte  AteHerreste  von  Manet,  Sisley  und 
Pissarro,  und  wenn  er  dann  hinzufügt,  Frankreich  bezahle  die 
Preise  nicht,  die  Deutschland  bezahlt. 

Herr  Vinnen  müsste  sich  schon  meiner  Führung  anvertrauen, 
dann  will  ich  ihm  zeigen,  wie  in  den  deutschen  Galerien  nicht  die 
Atelierreste  von  Manet,  Sisley  und  Pissarro  hängen,  sondern  dass 

n* 


i64  PAUL  CASSIRER 


bei  den  grossen  deutschen  Amateuren  die  besten  Meisterwerke 
dieser  Schule  sind.  Ich  will  ihn  durch  die  Galerien  führen,  und 
er  soll  mir  angesichts  der  Werke  in  den  Galerien  Arnhold, 
Mendelssohn,  Gerstenberger,  Rothermundt,  Schmitz,  Behrens, 
Stern,  Osthaus  und  vielen  anderen  seine  Behauptung  wieder- 
holen, dass  meistenteils  minderwertige  französische  Büder  in 
Deutschland  sind.  Er  muss  mit  mir  nach  Paris  kommen.  Ich 
will  ihn  in  die  Sammlungen  französischer  Amateure  einführen, 
und  ich  will  die  Amateure  vor  ihm  nach  den  Preisen,  die  sie  für 
die  Bilder  gezahlt  haben,  fragen.  Er  kann  aber  auch  nach  Moskau 
fahren,  nach  Budapest,  nach  New  York,  Chicago,  nach  Dublin, 
Philadelphia,  und  er  soll  da  Nachforschungen  anstellen.  Ich 
werde  ihm  Empfehlungsbriefe  geben. 

Hat  er  das  getan?  Kennt  er  die  deutschen  Sammlungen? 
Ist  die  ,,Lisa"  von  Renoir  ein  Atelierabfall?  Sind  der  „Bon 
Bock",  der  ,,Desboutin",  die  ,,Dame  in  Rosa",  der  ,, Hafen 
von  Bordeaux"  von  Manet  Atelierreste?  Er  hat  sich  nicht  die 
Mühe  genommen,  die  Sammlimgen  durchzusehen,  eine  Mühe, 
die  für  einen  Künstler  ein  Vergnügen  sein  sollte.  Er  hat  nicht 
mit  Pellerin  gesprochen,  kennt  keinen  grossen  französischen 
Sammler,  weiss  nichts  von  ihren  Bildern,  noch  weniger  von 
den  Preisen,  die  sie  gezahlt  haben. 

Aber  er  behauptet  und  protestiert.  So  lange  er  nicht  sorg- 
fältiger seine  Behauptungen  stützt,  wird  wohl  selbst  der  Fern- 
stehende sich  der  Überlegung  nicht  verschliessen,  dass  doch 
die  meisten  Amateure  grosse  Kaufleute  sind,  Leute,  die  sich  nicht 
so  leicht  beschwindeln  lassen.  Leute,  die  nicht  in  Berlin  und 
nicht  in  Schrimschroda  angenagelt  sind,  deren  Gesichtskreis 
wohl  bis  Paris  reicht  und  die  sich  da  wohl  erkundigt  haben 
werden,  ob  sie  wirklich  von  „Kunst] obbern"  bestohlen  werden. 
Herr  Vinnen  als  Vormund  dieser  grossen  Kaufleute !  Ich  glaube, 
die  Herren  werden  lachen,  und  ich  glaube,  es  wäre  besser,  Herr 
Vinnen  Hesse  sich  von  ihnen  Vorlesungen  halten,  wie  man  kauft, 
als  dass  er  sie  ihnen  unbefugterweise  gibt. 

Und  welche  RoUe  schreibt  man  mir  denn  zu?  Warum  habe 
ich  mich  ,,in  den  Dienst  französischer  Kunsthändler  gestellt"? 


PAUL  CASSIRER  i6<; 


Warum  habe  ich  denn  statt  mit  französischen  Bildern  nicht 
mit  den  Bildern  von  Herrn  Vinnen  und  seinen  Freunden  Ge- 
schäfte gemacht? 

Als  ich  mit  meinem  Vetter  zusammen  vor  12  Jahren  den 
Versuch  machte,  französische  Kunst  nach  Deutschland  zu  im- 
portieren, da  hat  uns  niemand  viel  Dank  gewusst,  da  war  es 
schwer,  auch  nur  das  Wenige  zu  verdienen,  um  das  Unternehmen 
aufrecht  zu  erhalten.  Aber  hätte  ich  damals  mit  Achenbach 
Geschäfte  gemacht  oder  mit  Friedrich  August  von  Kaulbach, 
mit  Grützner  oder  mit  Kiesel,  dann  hätte  ich  leicht  Geld  ver- 
dient. Warum  musste  ich  denn  gerade  mit  französischen  Bildern 
spekulieren?  Antworten  Sie  mir,  Herr  Vinnen.  Warum  ging 
es  nicht  gerade  so  gut  mit  deutschen?  Es  wäre  doch  angenehmer 
für  mich  gewesen.  Die  Antwort  will  ich  Ihnen  geben:  Weil  ich 
diese  Einführung  der  französischen  Kunst  in  Deutschland  für 
eine  kulturelle  Tat  gehalten  habe.  Und  auch  das  ist  nicht  der 
wahre  Grund.  Sondern  einfach,  weil  ich  Manet  —  liebte,  weil 
ich  in  Monet,  Sisley  und  Pissarro  starke  Künstler  sah,  weil  ich 
in  Daumier  und  Renoir  Genies,  in  Degas  einen  der  grössten 
Meister,  in  Cezanne  den  Träger  einer  Weltanschauung  er- 
blickte. 

Das  Märchen  von  dem  Stock  Büder,  den  man  billig  aufgekauft 
hat,  ist  ein  Märchen.  Ich  habe  leider  keinen  Stock  französischer 
Impressionisten.  Es  ist  freilich  wahr,  Durand-Ruel  in  Paris  hat 
eine  grosse  Anzahl  impressionistischer  Bilder.  Wie  er  sie  er- 
worben hat,  wie  Dummheit  des  Publikums  und  der  Hass  der 
französischen  Vinnen  ihn  gezwungen  hat,  diesen  Stock  zu  be- 
halten, das  ist  eine  Geschichte  für  sich.  Niemals  hat  er  die 
Absicht  gehabt,  die  Bilder  aufzusammeln.  Er  hat  sie  nicht 
verkaufen  können.  Die  Bilder  blieben  an  ihm  hängen,  und  hätte 
dieser  „Kunstjobber"  nicht  so  viel  Charakter  gehabt,  sein  ganzes 
Vermögen  lieber  zu  verlieren,  als  mit  den  französischen  Achen- 
bachs,  Kiesels  und  Kaulbachs  zu  handeln,  so  wäre  niemals  dieser 
Stock  bei  ihm  aufgesammelt  worden,  und  dann  wären  ausserdem 
noch  einige  dieser  grossen  französischen  Meister  in  Hunger  und 
Elend  gestorben. 


i66  PAUL  CASSIRER 


Wer  aber  machte  mich  denn  zum  „Untertanen"  Durand- 
Ruels?  Warum  half  ich  ihm  denn,  diese  „Spekulationen"  durch- 
zusetzen? Warum  spekulierte  ich  denn  nicht  lieber  hier?  Herr 
Vinnen  hat  sich  diese  Fragen  alle  nie  vorgelegt.  Er  sieht,  dass 
einige  französische  Bilder  teuer  bezahlt  werden,  und  er  sieht, 
dass  dabei  Kunsthändler  Geld  verdienen,  er  sieht,  dass  einige 
deutsche  Künstler  schlecht  bezahlt  werden,  daraus  zieht  er  den 
scharfsinnigen  Schluss:  Der  Kunsthändler  —  in  diesem  Falle 
wohl  immer  ich  —  bestiehlt  den  deutschen  Künstler  um  den 
Lohn  seiner  Arbeit. 

Und  was  führt  er  für  Gründe  an:  ,,Den  Ausruf  eines  mir 
bekannten  Pariser  Malers  von  Weltruf."  Wer  war  der  Pariser 
Maler?  War  es  Renoir?  Oder  Degas?  War  es  Monet?  Oder 
wer  war  es  denn?  Es  gibt  schliesslich  doch  nicht  Dutzende 
von  Pariser  Malern  von  Weltruf.  Sollte  es  vielleicht  einer 
dieser  Fagerolles  gewesen  sein,  die  die  grossen  Meister  be- 
stehlen, und  dann  hinterher  die  grossen  Meister  gern  tot  machen 
möchten  ? 

Es  gab  wohl  eine  Zeit,  da  man  in  Deutschland  Renoir  noch 
nicht  kannte  und  Besnard  für  den  grossen  Meister  hielt.  Es 
gab  eine  Zeit,  dass  die  Münchner  Secession  Aublet,  Dinet,  Binet, 
L'Hermitte,  Menard  für  vorbildliche  Maler  hielt.  Es  wird  wohl 
einer  von  ihnen  gewesen  sein,  dieser  , Pariser  Maler  von  Weltruf'- 
Einer  von  diesen,  deren  Weltruf  zugrunde  gegangen  ist  durch 
die  Kenntnis  der  wirklichen  Führer  der  französischen  Kunst. 

Und  wenn  man  diese  Behauptungen  widerlegt  hat,  so  kommt 
wieder  die  Frage,  was  wollte  Vinnen  eigentlich  beweisen?  Dass 
das  Bild,  von  dem  er  eben  gesprochen  hat,  die  Studie  von  Monet 
im  Posener  Museum,  ein  französisches  Überbleibsel  ist?  Oder 
was  sonst?  Hat  Vinnen  das  Bild  gesehen?  Oder  hat  der  fran- 
zösische Freund  es  gesehen? 

Vom  Anfang  bis  zum  Ende  der  Schrift  Vinnens  ist  immer 
wieder  dasselbe  Spiel.  Er  sagt  nicht,  was  er  meint.  Er  pro- 
testiert. Wogegen,  konnte  ich  nicht  erfahren.  Er  wirft  mit 
Behauptungen  um  sich,  die  nichts  beweisen  und  die  nicht  einmal 
richtig  sind. 


PAUL  CASSIRKii  lö; 


Das  einzige,  was  mir  schliesslich  im  Gedächtnis  haften  blieb, 
ist  seine  Sorge  um  die  Zukunft  der  Jugend.  Das  ist  nicht  meine 
Sache.  Ich  will  ihm  nicht  auf  das  ästhetische  Gebiet  folgen. 
Aber  ich  glaube  nicht,  dass  man  die  Jugend  durch  Proteste  lenkt. 
Ich  denke,  diese  Jungen,  die  längst  die  Kinderschuhe  aus- 
getreten haben,  werden  sich  ihren  Weg  selbst  suchen,  und  als 
Führer  werden  sie  wohl  niemanden  nehmen  wollen  als  die,  die 
sie  lieben.  Und  sie  lieben  eben  weder  Vinnen,  noch  die  Künstler, 
die  mit  unterschrieben  haben,  lieben  vielleicht  nicht  einmal 
Menzel,  und  lieben  vielleicht  nicht  die,  die  zu  Heben,  gerecht 
wäre.  Aber  mit  der  Jugend  ist  es  halt  eine  eigene  Sache.  Wer 
die  Jungen  gängeln  will,  der  scheint  mir  kein  weiser  Mann  zu 
sein.  Ich  habe  es  noch  nicht  gesehen,  dass  sich  ein  Junger 
seinen  Lehrer  hat  aufdrängen  lassen.  Die  Jungen  wollen  lieber 
in  ihr  Unglück  rennen  auf  ihre  Art,  als  an  der  Hand  Vinnens 
in  ihr  Glück. 


t68  ALFRED  FLECHTHEIM 


Tch  habe  im  letzten  Jahre  in  Paris  bei  Kunsthändlern  Bilder 
-"-  junger  Franzosen  erworben,  Werke  von  Bracque,  Derain, 
Girieud,  Friesz,  Picasso  und  anderen.  Keines  dieser  Bilder 
kostete  400  Franken.  Für  Arbeiten  hiesiger  Akademieschüler 
wird  mindestens  ebensoviel  verlangt.  Bilder  bekannterer  hiesiger 
Landschafter  kosten  das  drei-  und  vierfache.  —  Von  meinen 
drei  Bildern  van  Goghs,  die  ich  gleichfalls  1910  kaufte  und  die 
alle  drei  die  von  Herrn  Maler  Vinnen  verlangten  drei  „Dimen- 
sionen" besitzen,  hat  keines  8000  Mark  gekostet.  Ebensoviel 
soll  ein  hiesiger  Amateur  Herrn  Gerhard  Janssen  für  sein  Bild 
,,Der  letzte  Gast",  das  augenblicklich  die  hiesige  grosse  Kunst- 
ausstellung ziert,  erfolglos  geboten  haben;  der  Maler  verlangt 
15000  Mark,  Düsseldorfs  ,, Altmeister"  Gebhardt  verlangt  für 
sein  Bild  in  der  Ausstellung  30  000  Mark  und  für  Studienköpfe 
bekommt  er  mehrere  tausend  Mark  direkt  und  im  Handel. 

Es  ist  erfreuhch,  dass  das  deutsche  Publikum,  dass  deutsche 
Kunstvereine  und  Museen  die  deutschen  Maler  so  gut  bezahlen; 
schon  aus  diesem  Grunde  sollte  ein  deutscher  Künstler  einem 
Kimstfreunde,  der  Freude  auch  an  französischen  Bildern  hat 
(es  gibt  deren  gar  nicht  so  viele),  es  nicht  verübeln,  wenn  er  sich 
in  Paris  Bilder  kauft.  Tut  er  es  aus  Snobismus,  so  ist  das  auch 
nicht  schlimm.  Ein  Snob  würde  sonst  sein  Geld  vielleicht  nicht 
in  Kunst  anlegen,  sondern  in  Pferden,  Jeu  etc. 

Ich  habe  noch  nie  gehört,  dass  sich  deutsche  staatliche  oder 
städtische  Galerien  Büder  von  Bonnard  oder  Derain,  Herbin 
oder  Seurat  angeschafft  hätten.  Die  bleiben  bei  van  Gogh 
stehen,  wenn  sie  überhaupt  so  weit  kommen.  Vielleicht  tut  es 
ihnen  später  mal  leid,  Gelegenheiten  verpasst  zu  haben. 

Düsseldorf.  Alfred  Flechtheim. 


Alfred  Walther  Heymel. 


Satyrspiel 

|_7  s  geht  uns,  die  wir  zuletzt  zu  Worte  kommen  sollen,  bei 
-^^  aller  Bescheidenheit  ein  wenig  wie  Alexander  dem  Grossen, 
der  als  Knabe  darüber  trauerte,  dass  ihm  sein  Vater  Philipp 
nichts  zu  erobern  übrig  lassen  würde,  oder  besser  wie  dem 
Sohne  Goethes,  der  das  Gefühl  hatte,  alle  Lieder  seien  ihm 
bereits  vorweg  gesungen.  Als  die  Broschüre  des  Herrn 
Vinnen  erschien,  da  schwoll  das  Herz  uns  über  und  der  Geist 
wurde  wach  und  der  Mund  wollte  überlaufen,  um  abzuwehren 
imd  zu  widerlegen;  nun  aber  dieser  Band  in  Korrekturbogen 
vor  uns  liegt,  sehen  wir,  dass  die  ganze  Arbeit  getan,  ja,  es  will 
uns  scheinen,  endgültig  getan  ist,  denn  etwa  sechzig  der  be- 
kanntesten und  erprobtesten  deutschen  Galerieleiter,  Maler, 
Bildhauer,  Kunsthistoriker,  Publizisten,  Kunsthändler  und 
Privatsammler  haben  sich  zur  Sache  geäussert;  wobei  nicht 
einmal  ganz  Deutschland  systematisch  nach  Namen  abge- 
grast, sondern  von  der  grossen  Reihe  der  massgebenden  Per- 
sönlichkeiten nur  ein  kleiner  Teil  überhaupt  aufgefordert  werden 
konnte,  so  dass  sich  die  Liste  der  Mitarbeiter,  die  die  Tendenz 
unserer  Broschüre  teilen,  leicht  hätte  verlängern  lassen,  wenn 
wir  statt  einer  Broschüre  einen  Folianten  hätten  machen  wollen. 
Wir  bedauern  aufrichtig,  dass  der  Beitrag  des  Leiters  der  Mann- 
heimer Kunsthalle,  Fritz  Wiehert,  fehlt  und  zwar  nur  aus  dem 
Grunde,  weil  er  ihn  infolge  von  Überarbeitung  nicht  Mefern 
konnte.  Da  Wiehert  einer  der  indirekt  Hauptangegriffenen  ist 
—  in  dem  Protest  deutscher  Künstler  ist  überhaupt  fast  jeder 
indirekt  angegriffen  — ,  so  wäre  seine  Meinungsabgabe  besonders 
wertvoll  gewesen.  Er  hat  es  aber  nicht  nötig,  sich  selber  zu 
verteidigen,  denn  manch  kräftiges  Wort  fällt  zu  seinen 
Gunsten,  und  seine  Taten  in  der  Mannheimer  Kunsthalle 
sprechen  ein  lautes,  beredtes  Zeugnis  für  den  Berufenen. 


I70  ALFRED  WALTHER  HEYMEL 

Fritz  Erler  hat  uns,  wie  mit  dem  zweiten  Gesicht  begabt, 
darauf  hingewiesen,  dass  bald  die  Zeit  gekommen  sein  dürfte, 
die  Augen  von  Frankreichs  Kunst  abzuwenden,  um  uns  den 
Einflüssen  Ostasiens  und  der  antiken  Primitiven  hinzugeben. 
Warum  Ostasien  deutschnationaler  sein  soll,  als  das  verwandte 
Frankreich,  sehen  wir  noch  nicht  ganz  deutlich;  aber  wir 
lassen  uns  gern  belehren  und  folgen  dem  Beispiel  der  Alten 
und  lassen  dem  ernsten  Bühnenspiel  ein  Satyrspiel  folgen, 
wobei  wir  der  Weisheit  des  alten  Sprichworts  huldigen :  Doppelt 
genäht  hält  besser!  Denn  ist  der  Protest  Vinnens  der  erste 
Akt  oder  das  Vorspiel  dieses  Kunsttheaters  nicht  selber  schon 
so  etwas  wie  ein  Satyrspiel?  Er  hat  uns  an  eine  Revolutions- 
geschichte, die  1848  in  einer  freien  Stadt  passiert  sein  soll, 
erinnert.  Wen  hat  er  nicht  an  alles  mögliche  erinnert!  Gustav 
Klimt,  wie  man  vorne  nachlesen  kann,  an  einen  Agitator  in  einem 
Wiener  Volksstück,  und  uns  an  folgende  Geschichte.  Also 
die  Revolution  der  Intellektuellen  war  48  überall  im  Deutschen 
Reich  im  Gang  und  forderte  ihre  Opfer.  Auch  die  kleinen 
Bürger  und  der  Mob  einer  freien  Stadt  entzündeten  sich  an  der 
lodernden  Flamme  und  rotteten  sich  um  das  Rathaus  zu- 
sammen. Oben  Sassen  die  wohlbeleibten  Ratsherren  der  Stadt, 
fühlten  sich  nicht  wohl  in  ihrer  wohlgepolsterten  Haut,  die 
Rotweinröte  ihrer  Gesichter  wechselte  mit  jäher  Angstblässe. 
Die  Menge  schrie  und  tobte  draussen  weiter.  Da  erhob  sich 
ein  alter  Senator,  der  für  seinen  Witz  und  seine  Klugheit  be- 
kanntwar, und  sagte:  ,,Ick  will  mol  mit  sever hannein,"  trat  auf 
die  Balustrade  und  gebot  Ruhe.  Der  Sprecher  tritt  vor.  Der 
Alte  sieht  ihn  durchbohrend  an  und  fragt  ihn:  „Lüde,  wat  willt 
j  i  denn  egenthch  ? ' '  Darauf  entwickelt  sich  folgendes  Zwiegespräch : 

,,Herr  Snater,  so  kann  dat  nich  wider  gähn!" 

„Wat  kann  nich  so  wider  gähn?"  -j 

„Herr  Snater,  de  annern  hebt  dat  ok!" 

„Wat  hebt  de  annern  ok?" 

„Wi  willt'n  Repeblik  hebben."  •      ■ 

,,Ji  hebt  jo  all'n  Republik." 

„Denn  willt  wi  noch'n  Repeblik  hebben!"  , 


ALFRED  WALTHER  HEYMEL  171 

,, So  kann  dat  nich  wider  gähn!"  Nämlich,  dass  die  Bremer 
Galerie  so  verwaltet  wird.  Darauf  weiss  ihr  Leiter,  Gustav 
Pauli,  Antwort  genug,  und  eigentlich  Herr  Vinnen  auch, 
denn  er  stellt  fest,  dass  die  Bremer  Kunsthalle  einerseits  vor- 
trefflich sei,  andererseits  nicht  so  weiter  verwaltet  werden  darf. 
Herr  Vinnen  stellt  überhaupt  alles  doppelt  fest.  Er  geht  nach 
Paris  und  warnt  vor  den  Franzosen,  er  ist  gegen  das  sentimentale 
Werdanditum  und  wäre  doch  nach  Franz  Blei,  der  ihn  witzig 
genug  den  Protestmaler  taufte,  ein  berufenes  EhrenmitgUed 
des  tüchtigen  Bundes.  Er  behauptet  einerseits,  dass  sein  Mahn- 
wort klar  und  unzweideutig  sei,  Pauli  und  wir  aber  glauben 
andererseits  ihm  nachgewiesen  zu  haben,  dass  es  unklar  und 
zweideutig  ist. 

,,So  kann  dat  nich  wider  gähn!"  Nämlich,  dass  Posen 
sein  ganzes  Geld  für  einen  minderwertigen  Monet  ausgibt. 
Der  Leiter  aber  der  Sammlung,  Ludwig  Kämmerer,  erklärt, 
dass  überhaupt  kein  Geld  ausgegeben  wurde,  sondern  dass  das 
schöne  Büd  als  Leihgabe  von  Kunstfreunden  zu  Ausstellungs- 
zwecken hergeliehen  wurde.     Satyrspiel! 

„So  kann  dat  nich  wider  gähn!"  Nämhch,  dass  Unsummen 
deutscher  Taler  für  französischen  Atelierkehricht  ausgegeben 
werden  und  dass  Millionen  und  Millionen  deutschen  Geldes 
ins  Ausland  wandern,  während  nur  wenige  nach  Deutschland 
zurückkommen.  Dass  dies  so  sein  soll,  soll  Schuld  der  Kunst- 
händler sein ;  aber  es  ist  nicht  so  imd  die  gegen  den  Willen  der 
unterschreibenden  Protestler  heimlich  eingeschmuggelte  Sta- 
tistik ist  falsch.  Paul  Cassirer,  der  überragende  deutsche  Kiinst- 
händler,  der  zugleich  Amateur  ist,  führt  sie  unwiderleglich  ad 
absurdum.  Nicht  mal  das  hätte  es  gebraucht,  es  hätte  genügt 
zu  konstatieren,  dass  eine  Statistik  über  einen  Artikel,  der  nicht 
zollpflichtig  ist,  von  vornherein  als  null  und  nichtig  angesehen 
werden  muss.      Satyrspiel! 

,,So  kann  dat  nich  wider  gähn!"  Nämlich,  dass  die  Kunst- 
snobs, aufgehetzt  von  gefährlichen  Kunstschriftstellem,  minder- 
wertige Franzosen  kaufen.  Hans  Tietze  in  Wien  weiss  darauf 
eine  Antwort ;  denn  so  wie  Sie,  meine  Herren  Protestler,  das  Wort 


ALFRED  WALTHER  HEYMEL 


Snob  gebrauchen,  ist  es  ein  Ehrentitel,  und  wer  ihn  sich  verleihen 
lässt,  befindet  sich  in  guter  Gesellschaft.  Wir  bekennen  uns 
auch  in  diesem  Zusammenhange  offen  zu  dieser  verfemten 
Gemeinde,  denn  —  horribile  dictu  —  wir  besitzen  einen  Puy, 
einen  Picasso  und  drei  Tewes. 

,,So  kann  dat  nich  wider  gähn!"  Nämlich,  dass  die  deutsche 
Jugend,  die  der  Malerei  beflissen  ist,  durch  schlechte  fran- 
zösische Bilder  zugrunde  gerichtet  wird.  Alle  Halbtalente 
werden  durch  irgend  einen  Einfluss  zugrunde  gerichtet,  wenn 
sie  auf  Kosten  anderer  eine  der  drei  bis  tausend  Dimensionen 
in  ihrer  unfähigen  Nachäfferei  übertreiben  —  ob  französischen 
oder  deutschen  Schunds  ist  einerlei  — ,  die  Linie,  die  Fläche, 
die  Farbe,  die  Tiefe,  den  Inhalt,  das  Historische,  die  Gemüts- 
tiefe, die  Komposition,  die  Stilisierung,  das  Detail,  und  was 
weiss  ich  weiter,  Derdebbelholmer !  Drei  Dimensionen?  Sat^T- 
spiel ! 

Eins  vergass  Herr  Vinnen  wohl,  als  er  den  Protest  unter 
grossem  Beifall  seiner  Bremer  und  Münchener  Freunde  zweifellos 
nach  bestem  Wissen  und  Gewissen  anfertigte,  er  vergass,  dass 
er  in  dem  Augenblick  ebenso  wie  seine  Mitprotestier,  da  sie 
alle  die  Feder  in  die  Hand  nahmen,  selber  zu  den  vielgeschmähten 
Kunstschriftstellern  wurden,  und  in  dem  Augenblick,  da  sie 
den  Galeriedirektoren  Vorhalte  wegen  ihrer  Ankäufe  machten, 
nicht  anders  handelten,  als  etwa  Fabrikanten  einer  Ware,  die 
nicht  nur  über  die  gleiche  Ware  der  Konkurrenz  abfällig  ur- 
teilen, sondern  auch  den  Konsumenten  Vorschriften  machen, 
von  welchen  Firmen  sie  in  Zukunft  zu  beziehen  haben  würden: 
Satyrspiel. 

,,So  kann  dat  nich  wider  gähn \"  Nämlich:  Dies  Unwesen  mit 
den  Ästheten  und  mit  den  Kunstschriftstellern.  Die  Ästheten 
aber  oder  die  Liebhaber  der  Kunst  werden  immer  das  kaufen, 
was  ihnen  zusagt.  Scheltet  sie  ruhig  Dilettanten;  wahrhaftig,  sie 
sind  Dilettanten,  denn  sie  lieben  und  verehren  und  beten  die 
künstlerischen  Dinge  an,  mit  denen  sie  sich  umgeben  und  können 
sich  ein  Leben  ohne  diesen  Liebesdienst  nicht  denken,  wie  ein 
frommer  Katholik  nicht  ohne  Messe  und  Hochamt  auskommt. 


ALFRED  WALTHER  HEYMEL  173 

Und  die  Kunstschriftsteller,  die  das  deutsche  Gemüt  der  Bilder- 
käufer vergiften  sollen!  Wer  sind  sie?  Wo  sind  sie?  Wieviel 
sind  ihrer  ?  Wir  glauben,  sie  meinen  nur  einen  und  der  heisst : 
Meier-Graefe.  Wir  sind  nicht  allein,  die  dies  glauben.  Walter 
Riezler,  der  Stettiner  Galerieleiter,  und  der  Publizist  Wilhelm 
Hausenstein  aus  München  glauben  dasselbe  —  nun,  man  lese 
was  sie  sagen !  Wir  aber  benutzen  die  Gelegenheit,  zum  ersten- 
mal öffentlich  ein  Bekenntnis  abzulegen.  Wir  können  uns 
unser  heutiges  Verhältnis  zur  Kunst  nicht  ohne  Meier-Graefe 
denken.  Er  hat  viele  unserer  Generation  gezwungen,  sich  vor 
den  Bildern  der  Meister  so  lange  Mühe  zu  geben,  bis  wir  sie  ver- 
stehen. Meier-Graefe  hat  einmal  im  Leben  ein  enormes  Pech 
gehabt,  das  war  der  Moment,  als  er  sich  von  einem  Verleger 
überreden  Hess,  seine  prachtvollen  Essays,  die  ursprünglich 
„Beiträge  zu  einer  modernen  Ästhetik"  hiessen,  unter  dem 
Titel  ,, Entwicklungsgeschichte  der  modernen  Kunst"  heraus- 
zugeben. Denn  das  sind  sie,  weiss  der  Himmel,  nicht.  Alle 
Bücher  über  Kunst,  die  Meier-Graefe  vorher  und  nachher  ge- 
schrieben hat  und  schreiben  wird,  gehören  zusammen  und  werden 
eines  Tages  ein  Material  positiver  Urteile  und  Aufschlüsse  hinter- 
lassen, ohne  deren  Benutzung  in  späteren  Jahrhunderten  kein 
Kunsthistoriker  auskommen  wird  und  kann.  Dieses  ganze 
Material,  ihr  Herren  Protestler,  die  ihr  vielleicht  hier  nicht 
so  ganz  mitreden  könnt,  wird  eine  Entwicklungsgeschichte  sein 
im  mehrfachen  Sinn,  eine  Entwicklungsgeschichte  der  Kunst 
unserer  Zeit,  eine  Entwicklungsgeschichte  unserer  Kunst- 
kritik und  zuletzt  und  vor  allem  die  kritische  Entwicklungs- 
geschichte eines  Menschen,  der  ohne  Bilder  so  wenig  leben 
konnte,  als  wir,  ohne  Atem  zu  ziehen,  oder  ein  Fisch,  den  man 
aus  dem  Wasser  nimmt.  Man  wirft  ihm  —  wir  gehören  zu  seinen 
nächsten  Freunden  und  wissen  es  daher  besser  —  Eigennützig- 
keit vor.  Sagen  Sie  uns  doch,  wo  steht  sein  Schloss,  wo  findet 
man  seine  Marmorställe  voll  kostbarer  bunter  Pferde,  die  seine 
gefederten  Wagen  ziehen?  Auf  welcher  Bank  hat  er  seine 
goldenen  Wilhelms  liegen,  mit  denen  er  Kaviar,  Austern, 
Hummer  und  Fettammern  bezahlt,  um  sie  seinen  nur  in  Ihrer 


174  ALFRED  WALTHER  HEYMEL 

Phantasie  existierenden  Helfershelfern,  den  Liebermann,  Cas- 
sirer,  Durand-Ruel,  Kessler  etc.  vorzusetzen.  Glauben  Sie  eigent- 
lich selber  an  das  Märchen?    Satyrspiel!    Risum  teneatis,  Ihr 
Freunde  und  Feinde!   Nennen  Sie  uns  in  der  gesamten  Kunst- 
schriftstellerei  unserer  Zeit  eine  ebenso  ernsthafte  Arbeit,  als 
die  Analyse  des  Theater  Gymnase  im  „Jungen  Menzel"  von 
Meier-Graefe.     Über  das   Böcklin-Buch   wollen  wir  schweigen. 
Wir  sind  der  Meinung  Meier- Graef es,  können  aber  Ihre  Ent- 
rüstung über  gewisse  Übertreibungen  verstehen.     So  wie  wir 
überhaupt  den  lobenden  Meier-Graefe  hoch  über  den  tadelnden 
stellen  müssen.      Wir  ärgern  uns  sogar  mit  Ihnen  über  den 
leichtsinnigen  und  burschikosen  Ton  der  spanischen  Reise,  und 
doch  sind  die  eingehenden  Auseinandersetzungen  mit  Velasquez 
und  Greco  kunstkritisch  und  menschlich  so  ethisch,  wie  sie 
nur  sein  können.     Gewiss,  Velasquez  kann  nichts  dafür,  dass 
ihn  Meier-Graefe  früher  als  Fundament  unserer  Malerei  allzu 
enthusiastisch  überschätzte ;  aber  bewundern  wir  doch  die  Ent- 
wicklungsfähigkeit und  Ehrlichkeit  eines  um  das  Richtige  be- 
mühten Kopfes  und  eine  Largesse,  die   unrecht  gehabt  haben 
und  Jugendsünden  unumwunden  eingestehen  und  gut  machen 
kann.    Greco  ist    kunsthistorisch    vielleicht   das   grösste    neue 
Erlebnis  unserer  Zeit;  er  war  vernachlässigt  und  unterschätzt 
und  ist  jetzt  erst  richtig  eingereiht  worden,  trotz    Fritz  Erler. 
Seine  Grösse  ist  unleugbar,    das   beweist   die   augenblickliche 
Ausstellung  von  einigen  Hauptwerken  in  der  alten  Pinakothek 
in  München.    Einer  unserer  Freunde,  ein  Kunstgelehrter,  der 
kürzlich  in  Spanien  war,   beklagte  sich  uns  gegenüber  brieflich 
über  die  sogenannten   Schimpfereien  Meier- Graef  es  auf  Velas- 
quez, ohne  dass  man  ihm  direkt  hätte  widersprechen  können. 
Der  Brief  aber  schloss  mit  dem  Satz,  dass,  verglichen  mit  Greco, 
Velasquez  ein  genialer  Improvisator    genannt    werden  könne. 
Demgegenüber  konnten  wir  noch  weniger  widersprechen.     Im 
übrigen,  ist  Velasquez  im  Ansehen  und  Preise  etwa  gesunken? 
Er  ist  viel  zu  verehrt   und   geschätzt,    als  dass  ihm  so  etwas 
noch  passieren  könnte,    nur  Greco  hat  in  den  letzten  Jahren 
Boden  gut  gemacht,    wie  es    beim  Rennen   heisst,    und   wird 
höher    und   richtiger   gewertet. 


ALFRED  WALTHER  HEYMEL  175 

Mittlerweile  hat  uns  Meier- Graefe  sein  Marees-Werk  ge- 
schenkt. Als  wir  neulich  in  einer  Münchener  Gesellschaft  auf 
diese  grosse  deutsche  Tat  hinwiesen,  bekamen  wir  zur  Antwort : 
,.Das  haben  wir  schon  lange  gewusst,  da  brauchts  keinen  Meier- 
Graefe,  um  uns  die  Augen  zu  öffnen,  der  braucht  uns  nicht  erst  zu 
zeigen  was  schön  ist.  Ausserdem  ist  Hildebrands  Anteil  an  dem 
Maries- Werk  nicht  zu  unterschätzen."  Gut,  sei  es  so,  wir  wissen 
das  nicht,  ist  Meier-Graefes  Tat  darum  geringer?  Ist  Tschudis 
Tat,  die  deutsche  Jahrhundert-Ausstellung  in  Berlin  zusammen- 
gebracht zu  haben,  darum  geringer,  weil  sie  ohne  Meier-Graefe 
undenkbar  ist?  Im  Marees-Werk  stehen  ein  erstes  und  letztes 
Kapitel,  das  man  zusammen  mit  den  Briefen  Marees'  gratis 
oder  zu  minimaJem  Preise  unter  der  deutschen  akademischen 
Jugend  verteilen  soUte,  unter  derselben  Jugend,  der  es  einmal 
eine  würdige  Aufgabe  gewesen  wäre,  für  Tschudi,  dessen  auf- 
rechtes, sittliches  Beispiel  in  unserer  zu  Kompromissen  allzu 
geneigten  Zeit  heroisch  genannt  werden  muss,  in  Protestver- 
sammlungen zusammen  zu  treten. 

„So  kann  dat  nich  wider  gähn!"  Und  dann:  ,,De  annern 
hebt  dat  ok!"  Was  denn?  Grosse  Summen  soU  der  fran- 
zösische Staat  zur  Anschaffung  wertvoller  Bilder  den  Museen 
und  der  Künstlerschaft  zur  Verfügung  gestellt  haben.  ,,Das 
tat  er  nicht!  Das  tat  er  nicht!  Das  tat  er  absolutse  nich!" 
Privatsammler,  Snobs,  Ästheten,  Einzelgänger,  Mäzene,  Maniacs, 
wie  sie  wollen,  die  haben  es  getan.  Caillebotte,  Moreau- 
Nellaton,  Cammondo  und  andere  taten  und  tun  das  genau  so, 
wie  die  französische  Abteilung  der  Berliner  Nationalgalerie 
aus  privaten  und  nicht  staatlichen  Mitteln  zusammengekommen 
ist.  Aber  wir  glauben,  wir  verfallen  in  den  Fehler,  alles  zu 
wiederholen,  was  die  Stimmen  der  Berufenen  vorne  im  Buch 
laut  und  eindrücklich  genug  verkündeten.  „Wi  wiUt  ne  Republik 
hebben!  Wi  willt  noch  ene  un  noch  ene  un  noch  ene  hebben!" 
Satyrspiel ! 

Wir  glauben,  dass  unsere  Vorredner  alles  klar  und  deutlich 
gesagt  haben!  Hat  das  auch  Herr  Vinnen?  Man  soUte  doch 
meinen,  dass  jemand,  der  genau  weiss,  was  er  sagen  will  und 


176  ALFRED  WALTHER  HEYMEL 

sich  über  seine  Meinung  klar  ist,  sich  auch  auf  Deutsch  klar 
ausdrücken  müsste.  Hat  das  Herr  Vinnen?  Vielleicht  schlage 
man  die  Äusserung  Th.  von  Brockhusens  darüber  auf. 

Herr  Vinnen  mahnt,  gleich  Meier- Graefe,  in  seinem  Aufsatz 
über  Cezanne  vor  Nachahmung  minderwertiger  Franzosen. 
Vielleicht  hat  jemand  Zeit  genug,  zu  lesen,  was  Spiro  darüber 
zu  sagen  hat,  während  Meier-Graefe  selbst  die  verirrten  Nach- 
äffer unerbittlich  totschweigt. 

Herr  Vinnen  warnt  vor  fremdländischen  Einflüssen;  Otto 
Grautoff  weiss  darauf  eine  Antwort.  Auch  weist  er  darauf  hin, 
wie  unritterlich  und  unpolitisch  die  Aktion  deutscher  Gemüts- 
künstler gegen  das  künstlerisch  befreundete  Frankreich  in  einer 
politischen  Periode,  wo  es  mehr  darauf  ankommt,  auszugleichen 
als  zu  verhetzen,  ist. 

Karl  Voll  warnt  in  beredten  Worten  vor  einer  künstlerischen 
Inzucht,  die  die  Schollen-  und  Heimatskünstler  (trotz  der 
schon  erwähnten  Ausbhcke,  die  Fritz  Erler  nach  Ostasien  und 
zur  Antike  hin  eröffnet,  wobei  er  ganz  vergisst,  dass  gerade 
diese  Anregungen  und  Einflüsse  von  Frankreich  seit  Jahrzehnten 
bereits  verarbeitet  sind)  anzustreben  scheinen,  die  für  die  ge- 
deihliche Weiterentwicklung  eine  grosse  Gefahr  bedeuten 
würde. 

Wenn  nun  aber  ein  äusserlich  behinderter  oder  innerlich 
zurückgedämmter  Tätigkeitstrieb  wackere  deutsche  Männer  zum 
Protestieren  drängt,  dann  mögen  die  Herren  Protestler  von 
Beruf  den  Ratschlägen  von  Alfred  Hagelstange,  Karl  Ernst 
Osthaus  u.  a.  gefälligst  folgen,  die  eine  Regulierung  der  Markt- 
preise für  deutsche  Bilder  verlangen,  oder  sie  mögen  gegen 
die  Rezensenten  der  Tagespresse  ihre  Stimme  erheben,  die  uns 
dreimal  wöchentlich  einreden  wollen,  dass  es  in  Düsseldorf, 
München  und  anderen  vStädten  von  grossen  malerischen  Ta- 
lenten wimmelt,  die  ihr  Handwerk  nach  drei  Dimensionen  hin 
meisterlich  beherrschen  und  mit  Böcklinscher  Gemütstiefe  in 
die  Natur  sehen  und  dann  alles  Geschaute  und  der  Natur  Ab- 
gelauschte meisterlich  sicher  pastos  hinsetzen.  Oder  sie  sollen 
sich  protestierend  gegen  die  bisherige  Verwaltung  der  neuen 


ALFRED  WALTHER  HEYMEL  177 

Pinakothek  wenden,  der  es  gelungen  ist,  die  meisten  repräsen- 
tativen Bilder  gerade  Münchener  Maler  nach  Berlin,  Hamburg, 
Bremen  und  überallhin  ins  Deutsche  Reich  gehen  zu  lassen.  Ja, 
die  neue  Pinakothek  —  Satyrspiel! 

Um  weiter  einen  Begriff  davon  zu  geben,  wie  reichhaltig 
die  Antwort  auf  den  deutschen  Künstlerprotest  ist  und 
wie  sehr  sie  zum  Nachdenken  anregen  könnte,  wollen  wir 
kurz  den  vorliegenden  Band  auf  gut  Glück  durchblättern  und 
feststellen,  dass  Theodor  Volbehr  beherzigenswerte  Worte 
über  die  Sklaven  des  Auslands,  die  Unselbständige  und  Schwäch- 
linge sind,  findet,  dass  Alfred  Lichtwark  jedes  bedeutende 
deutsche  Kunstwerk,  das  ins  Ausland  geht,  eine  verlorene, 
jedes  bedeutende  ausländische  Kunstwerk,  das  in  unsere  Museen 
gelangt,  eine  gewonnene  Kraft  nennt.  Damit  trifft  er  einen 
wichtigen  Punkt  der  ganzen  Frage.  Wenn  beinahe  alle  guten 
deutschen  Bilder  im  Lande  bleiben  und  daneben  noch  gute 
ausländische  gekauft  werden  können,  so  spricht  das  nur  für  das 
Kunstverständnis  und  die  Aufnahmefähigkeit  des  deutschen 
bilderkaufenden  Publikums.  Freuen  wir  uns  dieser  Leistungs- 
fähigkeit und  schmälen  wir  sie  nicht!  Ferner  erzählt  Max 
Liebermann  in  seiner  knappen  Art,  dass  der  Grund  für  die  zurück- 
gehende Ausfuhr  deutscher  Bilder  nach  Amerika  darin  liege, 
dass  die  Käufer  in  den  Staaten  an  vielen  deutschen  Bildern 
ihr  Geld  beim  Weiterverkauf  verlören,  und  Max  Slevogt  hofft 
aus  der  Existenz  eines  Protestes  deutscher  Künstler  die  Tat- 
sache folgern  zu  können,  dass  wir  auch  schon  wieder  eine  deutsche 
Kunst  haben.  Der  jüngere  Max  Beckmann  weist  mit  vielen 
anderen  die  Bevormundung  der  jungen  Malergeneiation  zurück, 
die  selbst  stark  genug  sei,  ihren  richtigen  Meister  zu  finden.  Man 
soll  doch  der  Jugend  das  Pflücken  selbst  unreifen  Obstes  mit  Ge- 
fahr des  Hosenzerreissens  und  vom  Hofhundgebissenwerdens 
nicht  verbieten.  Es  nutzt  nichts ;  sie  nimmt  doch  nicht  die  reifen, 
überreifen,  vielleicht  schon  faulen  Äpfel  aus  dem  Erfahrungs- 
korb der  Alten,  die  bittend  und  warnend  am  Wege  stehen 
und  ihre  Weisheit  gerne  los  werden  möchten.  Die  Jüngsten, 
Kandinsky,  Marc  u.   a.,   sprechen  über  ihre  malerischen  Ab- 

12 


178  ALFRED  WALTHER  HEYMEL 

sichten,  und  Fritz  Erler  wird  sich  hier  ganz  besonders  über  die 
Pflege  des  Primitiven  freuen  können. 

W.  Rösler  sieht  mit  Besorgnis  wegen  der  künstlerischen 
Zukunft  Leo  Putz'  in  die  Zukunft,  der  seinerseits  mit  Besorgnis 
in  die  Zukunft  für  die  nachfolgende  Jugend  sieht!    Satyrspiel! 

Die  Maler  Leo  von  König  und  K.  von  Kardorff,  Ulrich 
Hübner  und  E.  R.  Weiss  u.  a.,  alle  sind  sich  einig  darüber,  was 
sie  der  französischen  Malerei  danken,  und  die  fortschrittlichen 
Museumsleiter,  wie  Georg  Swarzenski  und  F.  Fries,  äussern  sich 
im  gleichen  Sinne. 

M.  Pechstein  wird  ein  wenig  ausfällig  und  meint,  dass  der 
Protest  des  Herrn  Vinnen  mit  allem  andern  etwas  zu  tun  hätte, 
nur  nicht  mit  der  Kunst,  die  er  zur  Markthalle  mache.  So 
kann  man  mit  den  reinsten  Intentionen  nur  durch  eine  ein- 
gemogelte  Statistik,  die  nicht  stimmt,  ungerechterweise  in  den 
Geruch  der  Brotkorbpolitik  kommen.  Satyrspiel ! 

Harry  Graf  Kessler  klärt  über  die  Phantasiepreise,  die  für 
schlechte  Franzosen  bezahlt  werden  sollen  und  andere  Ammen- 
märchen auf. 

Wir  danken  Otto  Modersohn  aufrichtig,  dass  er  die  Ehre 
Worpswedens  rettet  und  freuen  uns  vor  allem,  dass  Wilhelm 
Trübner  die  Unterschrift  unter  einen  Blankowechsel,  von  dem 
er  nie  wissen  konnte,  an  welchem  Tage  und  in  welcher  Höhe 
er  ihm  präsentiert  werden  würde,  zurückgezogen  hat.  Ihm 
scheint  es  wie  Georg  Biermann  gegangen  zu  sein,  der  auch  nicht 
gewusst  hat,  was  er  eigentlich  unterschrieb.  Die  beiden  stehen 
nicht  vereinzelt  da,  denn  im  mündlichen  Gespräch  ergab  es 
sich  zuweilen,  dass  die  beigetriebenen  Unterschriftgeber  er- 
klärten, wenn  sie  genau  gewusst  hätten,  worum  es  sich  handele, 
würden  sie  ihre  Namen  nicht  hergegeben  haben.  Aber  worum 
handelte  es  sich  denn  eigentlich  genau?  Ja,  die  Redaktionskunst 
des  Herrn  Vinnen  —  Satyrspiel! 

Walter  Püttner  lässt  uns  einen  Blick  in  die  Werkstatt  des 
Künstlers  tun,  und  Alfred  und  Eugen  Feiks  und  Julius  Pascin 
finden  direkt  erlösende  Worte.  SoUte  sich  bei  ihrer  Lektüre  ein 
homerisches  Gelächter  erheben,  so  bitte  ich  Fritz  Behns  Auf- 


ALFRED  WALTHER  HEYMEL  179 

forderung  Folge  zu  leisten,  der  als  Motto  eines  Aushängeschildes 
an  der  Umfriedung  eines  Kunstgartens  das  Wort  Ruhe  verlangt. 

Die  nun  folgenden  grösseren  Abhandlungen  der  Kunst- 
historiker und  Publizisten  bedürfen  keines  Geleitwortes.  Einige 
von  ihnen  allein  würden  genügt  haben,  den  ganzen  deutschen 
Künstlerprotest  zu  beantworten,  z.  B.  Wilhelm  Hausensteins 
vortreffhcher  Aufsatz  ,, Mittelstandspolitik". 

Henry  van  de  Velde  fasst  das  Problem  wieder  von  einer 
anderen  Seite  an.  Er,  der  vielleicht  mehr  als  jeder  von  uns 
mitten  im  aktiven  Kampfe  um  den  neuen  Stil  steht,  möchte 
am  liebsten  alle  guten  Bilder  solange  wie  möglich  vor  den 
Leichenkammern,  den  Museen,  bewahren. 

Es  war  unmöglich  alle  wertvollen  Äusserungen,  z.  B,  über  das 
zu  späte  Kaufen  der  Museumsleiter  und  den  Hexensabbat  der 
Bilderpreise,  hier  zu  erwähnen. 

Wir  bedauern,  dass  es  imseren  Bemühungen  nicht  ge- 
lungen ist,  die  beiden  Meinungsäusserungen  von  Benno 
Becker  und  Hugo  von  Habermann,  die  in  dem  Protest  des  Herrn 
Vinnen  stehen,  auch  für  diese  Sammlung  zu  gewinnen.  Beide 
Herren  gaben  ihre  Zustimmung  nicht,  weil  sie  nicht  gern  den 
Anschein  erwecken  mochten,  als  hätten  sie  ihre  Meinung  ge- 
ändert. Wir  verstehen  das  nicht  ganz,  denn  ihre  Ansichten 
passen  viel  besser  zu  den  unsrigen,  wie  zu  denen  der  Herren 
Protestler,  denn  sie  sind  klar,  gemässigt  und  beinahe  neutral, 
wie  Paul  Cassirer  schon  feststellte. 

Aber,  wi  willt  ne  Repeblik  hebben! 


11. 

Kehraus 

Ernst  ist  das  Leben,  heiter  ist  die  Kunst.  Das  ist  für  uns 
nicht  wahr,  uns  ist  das  Leben  vielleicht  heiter,  jedenfalls  aber 
die  Kunst  ernst,  und  darum  begrüssen  wir  den  Vinnenschen 
Protest  allen  Ernstes,  denn  er  hat  uns  Gelegenheit  gegeben, 
einmal   zu   sagen,   wo   jeder   von   uns   steht,    er   hat   uns   zu 

12* 


i8o  ALFRED  WALTHER  HEYMEL 

neuem  Nachdenken  aufgerufen  und  uns  gezwungen,  Farbe  zu 
bekennen,  das  ist  ein  Verdienst.  Am  lautesten  wird  ihm  die 
Kunsthistorie  später  zu  danken  haben,  denn  die  Situation 
um  1910  herum  ist  für  sie,  was  die  Intentionen  der  Künstler 
betrifft,  geklärt  wie  nie  zuvor.  Wir  haben  der  Welt  einmal 
zeigen  können,  dass  die  deutsche  Künstlerschaft  und  die  um 
Kunst  Beflissenen  nicht  engherzig,  nicht  chauvinistisch,  nicht 
profitlich  in  der  Mehrzahl  sind,  wie  es  nach  dem  Erscheinen  der 
Vinnenschen  Broschüre  den  Anschein  hatte.  Wir  haben  frei- 
mütig und  allgemeinverständlich  anerkannt,  was  wir  der  fran- 
zösischen Kunst  danken,  genau  so  wie  es  uns  bewusst  ist,  was 
wir  früher  der  italienischen  Kunst  zu  danken  gehabt  haben. 
Die  deutsche  Malerei  ist  selten  so  selbständig  gewesen,  wie  es 
etwa  die  deutsche  Musik  und  die  deutsche  Dichtkunst  gewesen  ist. 
Ich  glaube,  Franz  Blei  hat  nicht  ganz  unrecht,  wenn  er  sagt, 
dass  die  Deutschen  mehr  eine  Natur  empfindende,  als  eine  Natur 
sehende  Nation  sind.  Und  doch,  wie  eng  ist  auch  hier  der  Begriff 
des  Deutschen  umgrenzt.  Waren  die  drei  grossen  einsamen 
irsi  onciren  niederlaender,  Breughel  und  Rembrandt  und 
neuerdings  van  Gogh,  etwa  keine  Deutschen?  Gibt  es  in  der 
Malerei  und  in  der  Kunst  überhaupt  Landkartengrenzen? 
Ist  nicht  das  Ausschlaggebende  das  Rassen-Empfinden  ?  Dar- 
über mag  jeder,  der  besser  unterrichtet  ist,  wie  wir,  für  sich 
allein  nachdenken.  Wer  von  Talent  kann  heute  noch  in  Europa 
von  sich  sagen,  ich  bin  ein  Germane,  ich  ein  Romane,  ich  dies, 
ich  das.  Wenn  man  bei  den  Künstlern,  deren  Lebensgeschichte 
genauer  bekannt  ist,  um  einige  Generationen  zurückgeht, 
kommt  man  zu  seltsamen  Rassenresultaten. 

Wenn  unsere  heute  lebende,  malerisch  bemühte  Jugend 
sich  an  den  französischen  Meistern  des  neunzehnten  Jahr- 
hunderts krank  oder  gesund  sieht,  so  ist  beides  als  ein  Ge- 
sundungsprozess  anzusehen.  Nichts  ist  dümmer,  als  die  grossen 
Meister  des  neunzehnten  Jahrhunderts  Naturalisten  im  banalen 
Sinne  des  Wortes  zu  nennen.  Sie  waren  keine  Abmaler  der 
Natur  und  wollten  keine  Natur  vortäuschen.  Ihr  Haupt- 
bemühen ging  auf  den  Stil  und  auf  das  Typische,  mehr  aber 


ALFRED  WALTHER  HEYMEL  i8i 

kann  man  nicht  von  der  Kunst  verlangen,  als  wenn  sie  das 
Typische  gegenüber  dem  Spezifischen  betont  und  wenn  die 
Synthese  an  Stelle  der  Analyse  tritt,  das  ist  die  ganze  Aufgabe. 
Auf  dieses  Typische  aber  geht  erfreulicherweise  mit  mehr  oder 
weniger  Geschick  unsere  und  die  französische  Jugend  nach  der 
Öde  der  ,, modernen"  Abmalerei  aus  —  das  ist  ihr  ganzes  Ver- 
brechen und  ein  Resultat  einer  natürlichen  Reaktion. 

Wenn  wir  diesem  Buch  etwas  wünschen  möchten,  so  ist  es, 
dass  es  bald  ins  Französische  übersetzt  werden  möchte,  damit 
unsere  benachbarte  grosse  Kulturnation  einsehen  möge,  dass 
wir  nicht  so  beschränkt  und  undankbar  sind,  wie  es  manchmal 
nach  den  Äusserungen  der  Tagespresse  und  einiger  Protestler, 
die  mit  ihrer  Initiative  nicht  wohin  wissen,  den  Anschein 
haben  könnte. 

Wir  schliessen  mit  den  Worten  eines  Dichters  unserer  Zeit, 
die  im  Oktoberheft  der  ,, Süddeutschen  Monatshefte  1910" 
erschienen. 

Es  ist  die  fünfte  der  deutschen  Oden  Rudolf  Alexander 
Schröders : 

Wohl  weiset  Welschlands  sonniger  Mittag  stolz 
An  Platz  und  Strassen  breiter  Paläste  Stirn; 
Und  manch  ein  heilig  Bildnis  lächelt. 
Heimischem  Boden  getreu  wie  ehmals. 
Da  Erdenwerk  den  seligen  Göttern  noch 
Kein  Vorwurf  war,  die  gerne  zur  Meisterschaft 
Den  ungefügen  Griff  des  Erstlings 

Leise  gebildet.    Und  Frankreichs  Garten 
Blüht  heut  wie  eh.    Doch  wäre  die  Nadel  nur. 
Die  steil  ob  Strassburgs  drängendem  Dächerkranz 
Den  Zierat  aufreckt,  da  mit  Wolken 
Sich  der  gefügige  Stein  verschwistert. 
Und  bHeben  nur  die  wackeren  Bildner  dein 
Im  obern  Land,  so  hättest  du  Kunst  genug; 
Doch  ward  auch  Rembrandt  dir  im  Blachfeld 
Zwischen  den  Armen  des  Rheins  geboren. 


i82  ALFRED  WALTHER  HEYMEL 

Und  Wortverkünder  wuchsen  von  Urzeit  an 
Bis  nun  dir  auf,  o  Musen-Begünstigte, 

Dass,  wer  nach  Weisheit  ausgeht,  müsse 
Deiner  Begeisterten  Mund  anrufen.  — 
Wen  sie  bezeichnen,  wissen  die  Helfer  wohl: 
Nicht  rasche  Hand,  nicht  hurtigen  Witz.    Es  sind 
Bescheidner  Sinn  und  innig  Schämen 
GöttHcher  Gabe  Gefäss  und  Mittler. 


BÜCHER  ÜBER  KUNST 


JULIUS  MEIER-GRAEFE 


T-TanS   von    ]VIa.reeS      "^^^^    Bände.     Band    I:    Biographie; 

'.    Band  II:    Katalog  mit    500   Abbild, 

in  Autotypie,  Lichtdruck,  Gravüre  und  Farbendruck;  Band  III: 
Briefe  und  Dokumente.     Preis  75  Mark.    Luxusausgabe  200  Mark. 


.  .  .  Die  Anlage  des  Werkes  ist  allerdings  so  umfassend 
und  grossartig,  wie  sie  nur  einem  Inhalt  von  kaum  hoch  genug  zu 
schätzender  Bedeutung  zukommt.  Die  äussere  Ausstattung  darf 
schlechthin  musterhaft  genannt  werden.  Aber  mehr  als.  diese 
bei  unsern  ersten  Verlagsanstalten  nachgerade  selbstverständlichen 
Qualitäten  imponiert  die  beispiellose  Gewissenhaftigkeit,  mit  der 
der  Verfasser  gearbeitet  hat.  —  Die  Anordnung  dieses  ungeheuren 
Stoffes  ist  mit  wenigen  Ausnahmen  streng  chronologisch;  und 
da  in  den  Illustrationen  der  weitaus  grösste  Teil  der  Werke,  dem 
Text  meist  ganz  bequem  gegenübergestellt,  dem  Auge  mit  allen 
Merkmalen  ihrer  Technik  vorgeführt  wird,  so  können  wir,  im 
Bande  ruhig  fortblätternd,  die  ganze  Entwicldung  des  Künstlers 
sich  vollziehen  sehen. 

„DEUTSCHE  LITERATURZEITUNG". 

Julius  Meier-Graefe  hat  es  sich  zu  einem  Stück  Lebensauf- 
gabe gemacht,  das  Werk  von  Marees  der  Geschichte  und  der 
Nachwelt  ungeschmälert  zu  übergeben,  nachdem  jene  es  ver- 
achtet und  diese  es  dadurch  beinahe  verloren  hätte.  Er  hat  ge- 
sammelt, was  zu  finden  war,  die  Probe  auf  der  Jahrhundert- 
ausstellung gemacht,  dann  die  grosse  Mareesschau  in  München, 
in  der  Berliner  Sezession,  im  Pariser  Herbstsalon  inszeniert,  und 
durch  Schrift  und  Vortrag  seine  hohe  Meinung  über  den  Künstler 
bewiesen.  In  jedem  Falle  hat  er  ihn  so  monumentalisiert,  dass  er 
aus  dem  Gedächtnis  und  der  Erkenntnis  nicht  mehr  verschwinden 
darf.  .  .  .  „NEUE  RUNDSCHAU". 

Nun  hat  aber  J.  Meier-Graefe,  nachdem  er  in  vielen  Werken 
das  Hohelied  von  der  französischen  Kunst  gesungen,  einem  durch- 
aus unfranzösischen  Künstler  ein  literarisches  Denkmal  gesetzt, 
das  an  Umfang  und  Charakter  seinesgleichen  in  der  zeitgenössischen 
Kunstliteratur  nicht   hat.        „KUNST  FÜR  ALLE",  München. 


JULIUS   MEIER-GRAEFE 


Vincent    van    Goeh.    ^^^.^"^  Abbildungen  und  dem  Fak- 

o         simile  eines  Briefes.      In  elegantem 

Pappband  mit  Zeichnung  3  Mark. 

PROPYLÄEN,  München:  Zu  welch  klaren  Resultaten 
kommt  Julius  Meier-Graefe !  Bei  ihm  sind  positive  Werte,  bei 
ihm  ist  absolute  Sicherheit  der  kritischen  Instinkte,  verbunden 
mit  Klarheit  und  geistvoller  Darstellung! 

WESTERMANNS  MONATSHEFTE:  JuUus  Meier-Graefe, 
der  beste  Kenner  französischer  Malerei,  weiss  in  seiner  Mono- 
graphie van  Goghs  mit  der  eigentümlichen  Werbekraft  seines 
Stils  mancherlei  Schwierigkeiten  des  Verständnisses  hinwegzu- 
räumen, denen  dieser  Künstler  bisher  auch  bei  sonst  kunstver- 
ständigem Laienpublikum  begegnete. 


Pa.ul    Cezanne      ^^^^  "^^  Abbildungen.    In    elegantem  Papp- 
'_     band  mit  Zeichnung  3  Mark. 

Der  besondere  Wert  Meier-Graefes  liegt  in  seiner  persön- 
lichen Leidenschaft;  nur  eine  leidenschaftliche,  grosse  Seele 
kann  die  Kunstwerke  der  vom  Grossen  ergriffenen  Menschen 
aufgreifen,  begreifen  und  in  anderer  Form  produzieren.  In  seinen 
Büchern  steht  die  Person  Meier-Graefes  so  wenig  im  Vordergrund 
wie  ein  Dichter  in  seinen  Heldenliedern.  Er  verschwindet  fast 
vollkommen,  wie  in  seiner  Cezanne-Monographie.  Die  Meditation 
über  den  ., Mystiker"  Cezanne  gehört  zu  den  besten  Arbeiten 
Meier-Graefes. 

„HANNOVERSCHER  COURIER". 

Meier-Graefe  ist  ein  brillanter  Führer  in  ihre  (van  Goghs 
und  Cezannes)  Kunst:  kenntnisreich  und  einsichtsvoll  weiss  er 
die  beiden  in  ihrer  Eigenart  zu  charakterisieren  und  das  Wesent- 
liche und  Bestimmende  ihres  WoUens  und  Schaffens  in  fein  und 
reich  nuancierten  Worten  fühlbar  und  anschaulich  zu  machen. 

„NEUE  ZÜRICHER  ZEITUNG". 


Anmicf    TJpTirkir     Mit  100  Abbildungen.  Eleganter  Pappband 
i-\.UgUbl    IVCIIUII.    ^j^.^  Zeichnung.     5  Mark. 

Die  erste  Monographie  über  Renoir  voll  neuer  Aufschlüsse 
aus  erster  Hand.  Mit  reichem,  grossenteils  unbekanntem  Bilder- 
material. 


JULIUS  MEIER-GRAEFE 


Tmnressioni'^ten  Guys  —  Manet  —  van  Gogh  —  Pissarro  — 
— Cezanne.  IVIit  60,  meist  ganzseitigen  Ab- 
bildungen.    2.  Auflage.     Geheftet   8  Mark,   gebunden    10  Mark. 

Das  Buch  (die  „Impressionisten"),  das  sechzig  schöne  Ab- 
bildungen zieren,  ist  brillant  geschrieben,  ist  die  ernste  Arbeit 
eines  kenntnisreichen  Kulturpioniers. 

H  a  r  d  e  n  in  der  „ZUKUNFT". 

Mehr  noch  als  seine  früheren  Schriften  zeigt  dieses  neueste 
Werk  des  ausserordentlichen  Schriftstellers  seine  Stärken  im 
glänzendsten  Licht:  Einen  erstaunlichen  Reichtum  von  An- 
schauungen, der  ihm  jeden  Augenblick  sicher  zur  Verfügung  zu 
sein  scheint  —  man  kommt  wirklich  aus  dem  Erstaunen  darüber 
nicht  heraus  —  und  eine  suggestive  Gewalt  der  Sprache,  die  etwas 
Berauschendes,  im  besten  Sinne  des  Wortes,  hat. 

Benno  Rüttenauer  in  den  „PROPYLÄEN". 


Die    grossen    Engländer.     Gainsborough  -  Reynolds  - 

2 2 Wilson   —   Turner   —    Con- 

stable  —  Wliistler.     Mit  66  Abbildungen.     Geheftet  8  Mark,  ge- 
bunden IG  Mark. 

Das  Buch  gehört  in  seiner  knappen,  das  Wesentliche  bis  ins 
letzte  erschöpfenden  Konzisität  der  Darstellung  zu  dem  Wert- 
vollsten, was  wir  Meier- Graefe  verdanken.  Mit  seiner  glänzenden 
Eindringlichkeit  reisst  er  aus  dem  Wust  historisch  gewordener 
Gewohnheitsmeinungen  das  Ursprüngliche  des  Phänomens  heraus 
—  mit  der  Intensität  des  Erlebenkönnens  künstlerischer  Dinge, 
die  der  stärkste  Zug  im  Bilde  des  Vielbefehdeten  sind= 

„DRESDENER  NEUESTE  NACHRICHTEN". 

Wie  die  meisten  Bücher  Meier-Graefes  ist  auch  dieses  ein 
ununterbrochenes  Ringen  um  die  Gültigkeit  der  dargebotenen 
Beweise  und  um  die  wahrhaft  entscheidende  Begründung  eines 
mit  sichersten  Empfindungen  gewonnenen  Urteils,  wobei  eine 
Menge  sehr  schöner  Dinge  über  das  Wesen  der  Kunst  gesagt 
werden.  „FRANKFURTER  ZEITUNG". 


JULIUS  MEIER-GRAEEE 


T^f^r    innrr/^    A/T^n^^l      Ein     Problem     der     Kunstökonomie 
UCI   junge    iVlCIlZCl.    Deutschlands.       Geheftet     6    Mark, 

gebunden  7,50  Mark. 

Der  stattliche  Band  ist  eine  höchst  energische  und  scharfe 
kritische  Analyse  des  Men?elschen  Werkes,  die  notgedrungen  dem 
jungen  Menzel  den  Lorbeer  ums  Haupt  flicht,  während  sie  der 
Entwicklung  des  späteren  Menzel  ziemlich  skeptisch  gegenüber- 
steht. Was  bei  Meier- Graefe  immer  so  erfreulich  berührt,  ist  die 
absolute  Aufrichtigkeit,  die  rücksichtslose 
Anatomie    seines    Verfahrens.  „HILFE". 

Die  Ehrlichkeit  seiner  Überzeugung  und  die  lebendige,  freie 
Art  seiner  Kunstbetrachtung  wird  jedem  Leser  das  Buch  wert 
machen.  „DEUTSCHE  WACHT". 


Cnmf  nnH  rmirhpt  ^^^  Beitrag  zur  Entwicklungsge- 
\>^Qrüt  UHU  V^UUruCL.  schichte  der  modernen  Malerei. 
Mit  vielen  Abbildungen.      Gebunden  8  Mark. 

Der  einzige  Kunstschriftsteller,  der  über  die  französische 
Malerei  des  19.  Jahrhunderts  so  schreiben  kann,  dass  wirklich 
die  künstlerischen  Fragen  zu  ihrem  Rechte  kommen,  ist  Meier- 
Graefe.  Schon  allein  deshalb,  weil  er  das  Material  so  kennt,  wie 
sonst  niemand,    auch  in  Frankreich  nicht. 

„BREMER  NACHRICHTEN". 

Meier-Graefes  Arbeit  schärft  die  Organe  für  künstlerische 
QuaHtät.  „BRESLAUER  ZEITUNG". 


T^r\\rrtrr\  '\/[^^r\r^h  Acht  Radierungen.  Herausgegeben  von 
J^UVarU     iVlUIlCIl.      j^ii^g    Meier-Graefe.      Inhalt: 

Morgenstimmung/  Portrait  /Die  Einsamen  /  Tete-ä-tete  / 
Monddämmerung  /  Bohemeszene  /  Das  Mädchen  am 
Fenster  /  Die  Kranke.  Die  Drucke  auf  enghsches  Kupfer- 
druckpapier (bis  auf  wenige  vergriffen)  in  Mappe  80  Mark. 


ISIarl-i     "Mr>rrl^n       Eine  Episode.   2.  Auflage.   Geheftet 4 Mark, 
INauu     INUIUCII.     gebunden  6  Mark. 

Die  örtlichen  Schilderungen,  die  Beschreibungen  der  Land- 
schaft, des  Meeres  sind  vielfach  geradezu  meisterhaft  und  werden 
mit  höchster  Befriedigung  gelesen  werden.  Der  Verfasser  hat 
die  nordischen  Gegenden  mit  dem  Auge  des  Dichters  gesehen,  und 
sein  Wort  malt  sie  uns  lebendig  und  deutlich,  wie  es  keines 
Künstlers  Pinsel  vermöchte.  „BERLINER  BÖRSEN-COURIER". 


KONRAD  FIEDLER 


Konrad  Fiedlers  Schriften  über  Kunst. 

Herausgegeben  von  Hans  Marbach.  Geheftet  6  Mark,  in 
Halbleder  gebunden  8  Mark.  Inhalt:  Über  die  Beurteilung  von 
Werken  der  bildenden  Kunst.  Über  Kunstinteressen  und  deren 
Förderung.  Moderner  Naturalismus  und  künstlerische  Wahrheit. 
Über  den  Ursprung  der  künstlerischen  Tätigkeit.  Hans  von 
Marees. 

Fiedlers  Schriften  über  Kunst,  bisher  nur  einer  kleinen 
Gemeinde  bekannt,  haben  an  Bedeutung  gewonnen,  seitdem  durch 
Meier-Graefes  „Hans  von  Marees"  die  Beziehungen^  Fiedlers  zu 
Marees  allgemein  bekannt  geworden  sind.  So  wie  Fiedler  als 
Freund  und  Mäzen  Marees'  sicher  eine  der  vornehmsten  Er- 
scheinungen der  neuen  Kunstgeschichte  ist,  so  war  er  auch  einer 
der  wenigen,  die  sich  bemühten,  sich  reine  Begriffen  über  die 
Kunst  zu  schaffen.  Heute,  da  die  Bedeutung  Marees'  in  ihrem 
ganzen  Umfange  erkannt  worden  ist,  ist  auch  für  Fiedlers  Schrif- 
ten, von  denen  ein  zweiter  Band  in  Vorbereitung  ist,  die  Zeit 
gekommen. 


Die  Kunsttheorie  Konrad  Fiedlers.   Eine  Darlegung 

der  Gesetzlich- 
keit der  bildenden  Kunst  von  Hermann  Konnerth.  Mit 
einem  Anhange  aus  dem  Nachlasse  Konrad  Fiedlers.  Geheftet 
3  Mark,  gebunden  4  Mark. 

Konnerth,  zweifellos  einer  der  besten  Schüler  Riehls,  be- 
reichert durch  seine  Schrift  die  wissenschaftliche  Forschung  um 
einen  trefflichen  Beitrag  zur  Grundlegung  einer  exakten  Kunst- 
wissenschaft. „KANTSTUDIEN". 

Konnerths  Buch  ist  eine  Leistung  von  ungewöhnlicher  Selb- 
ständigkeit. 

Heinrich   Wölfflin    im 
„REPERTORIUM  FÜR  KUNSTWISSENSCHAFT". 

Diese  Schrift  wird  ihren  Wert  behalten,  solange  über  Kunst 
philosopliiert  und  theoretisiert  wird. 

„HANNOVERSCHER  COURIER"- 


ERICH  KLOSSOWSKI  -  MEIER -GRAEFE 


Klossowski:  Honore  Daumier.   Mit  i so  Seiten  Text 

nebst        kritischem 

Katalog  der  Gemälde,  90  Tafeln  in  Lichtdruck  und  Autotypie 
mit  150  Abbildungen  nach  Gemälden,  Zeichnungen  und  Skulp- 
turen.    Gebunden  30  Mark. 

Ein  ganz  prächtiges^,  Buch,  die  schönste  Huldigung,  die  zum 
Daumier- Jubiläum  dargebracht  werden  konnte.  Klossowski  hat 
die  Aufgabe  so  meisterhaft  gelöst,  wie  es  nur  einem  sehr  feinen 
Geiste,  der  mit  dem  Gelehrten  auch  selbst  den  Künstler  ver- 
bindet, gelingen  konnte.  Sein  Buch  ist  eine  Oase  in  der  Wüste 
der  teils  philologischen,  teils  belletristischen  Kunstschriftstellerei 
von  heute.  Richard  Muther  in  der  ,,ZEIT". 

Über  einen  Grossen  nicht  weitschweifig  werden,  seinen 
ganzen  Inhalt  am  Umriss  und  an  ein  paar  kräftigen  Farben  er- 
kennen lassen  und  dennoch  das  Plakat  vermeiden  —  das  ist 
keine  leichte  Sache.  Gelingt  sie  aber  wie  hier,  so  hat  einer  allen 
Anforderungen  der  modernen  Lebensbeschreibung  genügt.  Dies 
Daumier-Buch  ist  kurz,  klar  und  eindringend.  Ein  unterhaltendes 
Buch,  das  mit  nie  versagender  Anschaulichkeit  in  der  Diktion 
gleichzeitig  jene  wohlüberlegte  Gedrängtheit  verrät,  die  nur 
durch  gewaltige  Arbeit  oder  aber  durch  grössten  Reichtum  des 
Künstlerlebens  erklärt  werden  kann. 

„FRANKFURTER  ZEITUNG". 


Die   Sammlung   Cheramy. 

Einhundertzwanzig  Tafeln  in  Lichtdruck  und  zwei  Helio- 
gravüren mit  kritischem  Katalog  und  eingehenden  Studien 
über  die  Hauptmeister  der  Sammlung  von  J.  Meier -Graefe 
und  E.  Klossowski.  Die  Publikation  enthält  ausser  alten 
Meistern  85  der  schönsten  und  interessantesten  Werke  von 
Constable  und  Delacroix.  Dazu  gesellen  sich  Goya. 
Gainsborough,  Reynolds,  Turner,  Corot, 
Millet,  Manet,  Renoi  r,  Degas  und  viele  andere.  Die 
Publikation  bildet  126  Werke  in  Lichtdruck  und  Gravüre  ab. 
60  Mark,  ausserdem:  30  Exempl.  auf  van  Geldern  je  120  Mark, 
IG   Exemplare   auf    Japan    (bis   auf   eins   vergriffen)    240   Mark. 


KARL  SCHEFFLER 


Max    Liebermann.      ^"*     *°    Abbildungen.        Gebunden 

loMark.    40  nummencite  Exemplare 

auf  echt  Bütten  in  Glanzleder  gebunden  1.40  Mark. 

Hier  sehen  wir  ein  wirkliches  Beherrschen  und  Überschauen. 
—  Das  empfindet  man  gleich  am  Anfang  in  der  sicheren  Art,  wie 
Scheffler  Liebermann  die  Stellung  im  Kunstganzen  anweist  und 
dessen  Künstlertypus  mit  unübertrefflicher  Klarheit  zeichnet. 

„ILLUSTRIERTE  ZEITUNG". 

Das  Buch  ist  nichts  weniger,  als  eine  ungemein  sympathisch 
entwickelte  Psychologie  der  modernen  Kunst  überhaupt.  Mit 
selten  klarer  Erkenntnis  und  in  prächtiger,  epigrammatischer 
Fassung  wird  die  geistige  Anregung  und  die  seehschc  Färbung 
aller  Kunstbewegungen  gekennzeiclanct,  die  Europa  im  Laufe 
des  verflossenen  Jahrhunderts  gezeitigt  hat. 

H  a  n  s  W.  S  i  n  g  e  r  in  den  „MONATSHEFTEN  DER  KUNST- 
WISSENSCHAFTLICHEN LITERATUR". 

Scheffler  ist  einer  der  Einsichtigsten,  Gehaltvollsten  und 
schriftstellerisch  Begabtesten  unter  den  jüngeren  Kunstschrift- 
steUern.  Er  gehört  zu  jenen  Wenigen,  die  ein  wahrhaft  persönliches 
Verhältnis  zur  Kunst  und  zum  Kunstschaffen  haben. 

Franz    Servaesinder  „NEUEN  FREIEN  PRESSE". 

Nirgends  findet  man  eine  so  starke,  vor  allem  aber  auch  so 
klare  und  ideenreiche  Bereitwilligkeit  zum  Begriff  des  Modernen 
in  den  sichtbaren  Künsten  wie  bei  Scheffler.  ...  Es  war  nahe- 
liegend für  ihn,  eine  Erscheinung  wie  Max  Liebermann  zum 
Gegenstand  einer  ausführlichen  Monographie  zu  machen.  Es  ist 
ein  klassisches  Werk  geworden. 

„HANNOVERSCHER  COURIER". 


Der  Deutsche  und  seine  Kunst.   Geheftet  i  Mark. 

Diese  Schefflersche  Schrift  sollte  jeder  lesen,  dem  es  mit 
sich  selber  ernst  ist.  „MODERNE  BAUFORMEN". 

Es  ist  eine  Lust,  zu  sehen,  wie  energisch  Scheffler  mit  den 
Phraseuren  und  Lebenslügnern  ins  Gericht  geht  und  den  diurch 
alle  Lande  sich  verbreitenden  Irrtum  abweist,  die  Romantik 
wäre  an  sich  schon  Kunst,  Ideal  und  Kultur  zugleich. 

„DER  TAG". 


JULIUS  KURTH 


Der  japanische  Holzschnitt.  ^  "s^gSture^"  Ge*^ 

bunden  3  Mark. 

Ein  reich  illustriertes,  billiges  Handbuch,  welches  alle  irgend- 
wie in  Betracht  kommenden  Meister  charakterisiert,  die  Fach- 
ausdrücke erläutert,  von  möglichst  vielen  Meistern  charakte- 
ristische Werke  abbildet  und  durch  übersichtliche  Zusammen- 
stellung ihrer  Signaturen  dem  Sammler  ermöglicht,  seine  Blätter 
zu  bestimmen.  Das  Buch  gibt  jedem  Freunde  japanischer  Kunst 
einen  guten  Überblick  und  auf  alle  seine  Fragen  eine  ausreichende, 
brauchbare  Auskunft. 

"HnriiTirkKn     Mit  60  Abbildungen  und   einer  Farbentafel.     Ge- 
naruilOUU.    ^^^nden  4  Mark. 

Die  Kunst  des  Harunobu  ist  eine  echt  japanische  Blume. 
Man  müsste  bei  ihrer  Betrachtung  das  Klimpern  japanischer 
Gitarren  oder  den  Ruf  des  Blütenvogels  Hototogisu  hören  .  .  , 
Kurths  Verdienst  ist  die  Präzisierung  aller  der  verirrenden 
Probleme  des  Harunobufrageknäuels,  wobei  man  eine  unge- 
wöhnliche Bereicherung  seiner  Kenntnisse  durch  die  reichen 
Erfahrungen  dieses  Japankenners  erfährt. 

„HANNOVERSCHER  COURIER". 

Die  Art  und  Weise,  wie  Kurth  den  Leser  zu  seinen  Resultaten 
führt  —  die  Mitteilung  japanischer  Volksliteratur,  das  Eingehen 
auf  die  scheinbar  unbedeutendsten  Details  der  Darstellungen  —  er- 
öffnet die  interessantesten  Einblicke  nicht  nur  in  das  private 
Leben  und  die  soziale  Stellung  des  Harunobu  selbst,  sondern  in 
das  ganze  kulturelle  Milieu  der  japanischen  Holzschnittproduktion, 
und  am  Ende  in  das  allgemeine  Volksleben  und  die  Psychologie 
jener  merkwürdigen  Inselbewohner  selbst. 

Dr.  Otto  Fischer  in  der  „ALLGEM.  ZEITUNG". 


Shprakll  ^^^  ^^"^  wissenschaftlichen  Katalog  aller  bekannten 
Oild.iaK.U.  Arbeiten  des  Künstlers  und  mit  90  meist  ganz- 
seitigen Abbildungen,  darunter  drei  Farbentafeln.  Format:  Gross- 
Lexikon-Oktav.  Preis  geheftet  15  Mark,  gebunden  in  japanisches 
Material  18  Mark.  Luxusausgabe,  50  Exemplare,  in  japanisches 
Hirschfell  gebunden,  45  Mark. 

Das  Gefühl,  eine  gründliche,  ernste  Arbeit  vor  sich  zu  haben, 
lässt  kein  Bedenken  aufkommen,  sich  der  Führung  des  Autors 
anzuvertrauen.  Der  künstlerische  Werdegang  dieses  verkannten 
Schauspieler-Malers  ist  klar  entwickelt,  und  die  Erläuterungen 
über  das  japanische  Schauspiel  sind  kulturhistorisch  sehr  be- 
merkenswert. „ALLGEMEINE  ZEITUNG",  München. 


WILHELM  WORRINGER 


Abstraktion  und  Einfühlung.   l'-^ZyniTlXe!'' 

Geheftet  3  Mark,  gebunden  4  Mark. 

Worringcrs  Werk  enthält  kühne,  ja  oft  geradezu  umwälzende, 
überdies  mit  persönlicher  Stärke  und  Feinheit  formulierte  Ge- 
danken. Mensch  und  Schrift  decken  sich.  Die  Originalität  und 
Tiefe  des  einen  war  die  Voraussetzung  für  die  der  anderen.  — 
Man  steht  zunächst  einigermassen  verblüfft  vor  den  fast  grellen 
Beleuchtungen  imd  Erleuchtungen  dieser  Gedanken.  Mit  einem 
kühnen  Ruck  sind  wir  der  Einseitigkeit  europäisch  begrenzten 
und  hochmütigen  Kunstgefühls  enthoben,  und  ganz  ungewohnte 
Ausblicke  tun  sich  auf. 

Kurt  Walter  Goldschmidt  im  „TAG". 

Worringers  geistvolle  Durchführung  der  beiden  Prinzipien 
Abstraktion  und  Einfühlung  durch  die  Geschichte  der  Kunst 
hindurch  zu  folgen,  empfehlen  wir  jedem,  der  diese  kleine,  aber 
inhaltsreiche  und  sowohl  gewandt  wie  temperamentvoll  ge- 
schriebene Schrift  in  die  Hand  bekommt. 
RichardHamanninder  „ZEITSCHR.  FÜR  ÄSTHETIK". 

Das  Buch  verdient  sehr  beachtet  zu  werden.  Es  enthält 
nichts  weniger,  als  ein  Programm  neuer  Ästhetik.  —  Wir  haben 
in  den  bildenden  Künsten  sowohl,  wie  in  der  Dichtung  den 
äussersten  Punkt  des  Naturalismus  erreicht;  der  Pendel  wird  jetzt 
nach  der  andern  Seite  schlagen,  und  es  ist  das  Verdienst  der 
Arbeit  Worringers,  diesen  Vorgang  historisch-philosophisch  er- 
klärt zu  haben. 

Paul  Ernst  in  „KUNST  UND  KUNSTLER". 

Das  Buch,  von  dessem  reichen  Gehalt  auf  engem  Raum  wir 
hier  nur  Andeutungen  geben  konnten,  ist  überaus  gehaltvoll; 
ohne  jede  Phantasterei  bei  voller  wissenschaftlicher  Strenge  er- 
öffnet es  uns  doch  überraschend  weite  Ausblicke  auf  die  Menschheits- 
geschichte und  ist,  ohne  dass  der  Verfasser  es  will,  von  einem 
starken  Stücke  Poesie  durchtränkt. 

„KÖLNISCHE  ZEITUNG". 


WILHELM  WORRINGER 


Formprobleme  der  Gotik.  ^'^  ^5  Tafein.    Geheftet 

5  Mark,  gebunden  7  Mark. 

Die  Arbeit  ist  ein  weiterer  Versuch,  die  Werke  der  nicht- 
klassischen Stilerscheinungen  unseftem  Verständnis  näher  zu 
bringen. 

Nachdem  die  innere  Wesensverwandtschaft  der  nordischen 
Ornamentik  und  der  gotischen  Architektur,  dieser  beiden  zeit- 
lich so  weit  getrennten  nordischen  Kunsterscheinungen,  erkannt 
ist,  wird  daraus  die  Berechtigung  abgeleitet,  für  beide  dasselbe 
Kunstwollen  in  Anspruch  zu  nehmen  und  also  das  gotische  Kunst- 
wollen mit  dem  nordischen  Kunstwollen  zu  identifizieren.  Die 
latente  Gotik  der  Zwischenperioden  erkenntlich  zu  machen,  wird 
zur  eigentlichen  Aufgabe  der  Untersuchung.  Dabei  stellt  sich  der 
Verfasser  auf  den  Standpunkt,  dass  dieses  die  ganze  mittelalter- 
liche Entwicklung  beherrschende  gotische  KunstwoUen  doch  in 
erster  Linie  ein  Rassenprodukt  ist. 

Nachdem  so  das  einheitliche  gotische  Kunstwollen  der  ganzen 
mittelalterlichen  Entwicklung  festgestellt  ist,  wird  dieses  Kunst- 
wollen nun  zum  eigentlichen  Problem  der  psychologischen 
Analyse  und  Interpretation.  Durch  Vergleich  mit  dem 
Kunst  wollen  der  primitiven,  der  klassischen 
und  der  orientalischen  Menschheit,  dieser  drei  grossen 
Musterbeispiele  für  die  Menschheitsentwicklung  überhaupt,  wird 
der  kompliziertere  Sondercharakter  des  gotischen  Kunstwollens 
herausgearbeitet  und  von  ihm  aus  nun  auf  die  seelisch- 
geistigcKonstitution  der  nordischenMensch- 
h  e  i  t  geschlossen,  aus  der  heraus  allein  uns  die  innere  Notwendig- 
keit dieser  künstlerischen  Ausdruckswelt  begreiflich  werden  kann. 
Auf  diese  Weise  erreicht  die  stilpsychologische  Untersuchung  ihr 
letztes  Ziel,  nämlich  über  die  Kunstanalyse  hinaus  zu  einem 
allgemeinen  Beitrag  zur  Psychologie  der  nor- 
dischen Menschheit  überhaupt  zu  werden. 


KUNSTBÜCHER  FÜR  1  mark  80 


Das    Tier     in     der     Kunst    von    Reinhard    Piper. 

8.  Tausend.   Mit  130  Abbild., 

darunter    65    ganzseitigen.       Geh.    Mark    1.50,    geb.   Mark  2.80. 

„PROMETHEUS".  Der  Gedanke  der  Zusammenstellung  eines 
solchen  Werkes  ist  sicherlich  ein  glücklicher.  Glänzend  aber  ist 
die  Art  und  Weise,  wie  derselbe  verwirklicht  worden  ist.  Mit  Hilfe 
unserer  heute  so  hochstehenden  graphischen  Technik  sind  wahr- 
haft musterhafte  Illustrationen  geschaffen  worden.  Man  kann  nur 
hoffen  und  wünschen,  dass  das  Buch  ein  Volksbuch  werden  möge. 
T  h  e  o  d  o  r  H  e  u  s  s  in  der  „DEUTSCHEN  VOLKSKULTUR": 

Der  Schwerpunkt  an  Pipers  Arbeit  liegt  in  der  glücklichen, 
übersichtlichen  Auswahl  der  Bilderproben,  die  ausgezeichnet 
reproduziert  sind ;  der  Text,  sachlich  unterstützend  und  im 
Räsonnement  zurückhaltend,  orientiert  rasch  und  gut  über  die 
geschichtlichen  Voraussetzungen,  und  ist,  ohne  je  trivial  zu  werden, 
im  besten  Sinn  schlicht.  Es  ist  ein  Werk,  recht  dazu  angetan, 
ein  Haus-   und  Erziehungsbuch   zu  werden. 

Das  Teuflische   und    Groteske    in   der   Kunst 

von  W  i  1  h  e  1  m  M  i  c  h  e  1.  15.  Tausend,  Mit  100  Abbildungen, 
darunter  60  ganzseitigen.  Geh.  Mark  1.80,  geb.  Mark  2.80. 
Man  kann  heute  wirklich  zufrieden  sein  mit  der  Findigkeit 
der  Verleger,  die  reiche  Bilderschätze  uns  in  spottbilligen  Heften 
zusammendrucken  und  geistreich  zu  fesseln  und  zu  reizen  wissen. 
Dieses  Heft  mit  fast  hundert  Bildern  aus  dem  Reich  des  Grotesken 
und  Teuflischen  nun  häuft  Nervenreize  mit  einer  Rücksichts- 
losigkeit, ja  Skrupellosigkeit  wie  ein  ganz  raffinierter  Kolpor- 
tageroman; es  stellt  aber  zunächst  noch  mindere  Ansprüche  als 
ein  solcher:  man  blättert  bloss  und  fühlt  sich  schon  angerührt, 
fühlt  sich  gepackt,  geschüttelt,  zum  Grausen  oder  Lachen  ge- 
zwungen. Und  doch  stellt  es  auch  wieder  viel  höhere  Ansprüche 
als  eine  Geschichte,  die  mit  billigen  Mitteln  spannen  will.  Denn 
es  enthält  Kunst,  tiefsinnig  und  wahr  dem  Urgrund  des  Mensch- 
Hchen  entsprossen.  „DIE  GRENZBOTEN". 

Sittliche  oder  unsittliche  Kunst?   von   Dr.  e.  w. 

Bredt.     15.  bis 

25.  Tausend.    Mit  76  Abbild.     Geh.  Mark  1.80,  geb.  Mark  2.80. 

Die  „ZEITSCHRIFT  FÜR  BÜCHERFREUNDE"  schrieb: 
Das  Buch  stellt  einen  Beitrag  zur  Kimsterziehung  dar  ,  .  . 
Die  gut  gewählten  Abbildungen  und  die  eindringende,  dabei 
leicht  verständliche  Darstellung  unterstützen  die  Absicht  des 
Verfassers  aufs  wirksamste. 

„KONIGSBERGER  ALLGEMEINE  ZEITUNG":  Dieses 
recht  verdienstliche  Schriftchen  ist  nicht  nur  allen  Muckern,  Phi- 
listern, Sittlichkeitsschnüfflern  nachdrücklich  zu  empfehlen,  sondern 
auch  denen,  die  genug  künstlerische  Kultur  haben,  um  nicht  Nudi- 
tätenschund   und  edle  Nacktheit  in   der  Kunst   zu  verv/echseln. 


MODERNE  ILLUSTRATOREN 


Eine  SammlungvonMonographien  unserer  bedeutendsten  modernen 
Zeichner.  Herausgegeben  von  HermannEsswein.  Format 
der  Bände  8".  Kartoniert  mit  Segeltuchrücken.  Mit  Porträts  und 
Faksimiles,  zum  Teil  farbigen  Beilagen  und  vielen  Textabbildungen. 
Einzelpreis    3    Mark,    bei    gleichzeitiger    Abnahme    aller    Bände 

Mark  2.50. 

Band         I:    Th.    Th.    HcinC.   ^^^  satirische  Hauptzeichner 
des  ,,Simphc:ssimus  . 

Band       H:     HanS     Baluschck.  ^f^      herbe     und    witzige 

.  Illustrator      des      Berlmer 

Vorstadtlebens. 

Band     HI:    TouloUSe-LaUtrCC.    Der  Liebhaber  des  Zirkus 

und      der     exzentrischen 

Damen.  Zweite,  um  20  Abbildungen  vermehrte  Auflage.  Mit 
einem  Anhang  A.  W.  von  Heymels:  Zur  Würdigung  des 
lithographischen  Werkes  von  Toulouse-Lautrec. 

Band      IV:    EugCIl    KirchnCr.    ^''       übermütige,       kern- 
2 gesunde  Humorist. 

Band     V:  Adolf  Oberländer.  °"de?  bISS'- "  Ä 

Wilhelm  Busch  unser  genialster  Humorist  des  Griffels. 

Band     VI:    Emst    Ncumann.    Einer  der  elf  Scharfrichter. 


Band    VII:     Edvard    Munch.    Der  schwermütige,  aUe  Dinge 

geisterhaft  anschauende 

Skandinavier. 

Band  VIII:  Aubrcv  Bcardslev.   ^^^   .?'^f^''Tr'^^' 

1 1—    Oskar  Wildes.  2.  Auflage. 

Sind  die  charakteristischen  Leistungen  dieser  Künstler  als 
echte  Zeitdokumente  aufzufassen,  so  stellt  ihre  Publikation 
durch  Esswein  selbst  ein  Zeitdokument  dar.  Bedeutungsvoll  für 
das  Erfassen  unserer  Zeit  in  ihren  Eigentümlichkeiten,  ist  sie  im- 
stande, die  wertvollsten  Anregungen  zu  geben.  Eine  künstlerische 
Tat  hat  hier  eine  literarische  Tat  geboren. 

„STRASSBURGER  POST". 


KLASSISCHE  ILLUSTRATOREN 


Francisco     Goya     von  Dr.  Kurt  Bert  eis.    Mit  53  Ab- 

—    bildungen  nach   Gemälden,  Zeichnungen 

und  Kupferstichen.     Gebunden  4  Mark. 

Die  neue  Biographie  von  Berteis  ist  heissblütig,  temperament- 
voll und  von  echtem  künstlerischen  Geist  erfüllt. 

„KUNSTMARKT". 

Mit  Logas  wissenschaftlicher  Gründlichkeit  vereinigt  Berteis 
die  glänzende  Darstellung,  den  fliessenden,  farbigen  Stil  Muthers. 
Doch  hat  er  sowohl  nach  der  einen  wie  der  anderen  Seite  hin  seine 
eigene  Note,  seine  selbständige  Auffassung  und  die  nur  ihm 
eigentümliche  Darstellung.  ,, PROPYLÄEN". 

William     Hog-arth    ^°"      Julius       Meier-Graef  e. 

^2 Mit  47  Abbildungen    nach   Gemälden, 

Zeichnungen  und  Kupferstichen.     Gebunden  4  Mark. 

In  einem  schönen,  vom  Verleger  fürsorglich  ausgestatteten 
Buch  hat  Meier-Graefe,  wieder  einmal  als  erster  in  Deutschland, 
Hogarths  künstlerische  Bedeutsanakeit  durch  alle  Vorurteile  hin- 
durch erkannt  und  mit  unfehlbarem  Griff  herausgestellt. 

K.  M  ü  1 1  e  r  -  K  a  b  o  t  h. 

Das  Beste,  was  bisher  über  den  Meister  gesagt  wurde,  ja, 
das  Feinste,  Reifste,  was  Meier-Graefe  bis  jetzt  überhaupt  gesagt 
hat.  „DER  TAG". 

Lukas     Cranach     ^°"     ^^-     Wilhelm     Worringer. 

Mit    63    Abbildungen     nach    Gemälden, 

Zeichnungen,  Kupferstichen  und  Holzschnitten.  Gebunden  4  Mark. 

Man  gewinnt  durch  Worringers  Werk  ein  allgemeines  und 
umfangreiches  Bild  von  dem  Leben  und  Schaffen  Lukas  Cranachs. 
Der  vornehme,  tiefgründige  Stil  hebt  das  Buch  weit  über  die 
gewöhnliche  Unterhaltungsform  und  wird  deshalb  öfter  zur 
Hand  genommen  werden  müssen ;  dafür  wächst  aber  um  so 
eindrucksvoller  die  Person  des  Künstlers  und  ganz  besonders 
die  des  Freundes  und  Förderers  der  Refoi-mation.  Gerade  in 
dieser  Beziehung  ist  das  Vorführen  der  graphischen  Kunst  Cranachs 
von  ausserordentlichem  Werte.      „TÄGLICHE  RUNDSCHAU". 

Ein  überaus  geistvolles  und  feinsinniges  Buch,  von  verblüffen- 
der Plastik  und  Schlichtheit  der  Diktion,  ungemein  klar  im  Auf- 
bau und  von  bezwingender  Sicherheit  in  der  Durchführung. 

„MONATSHEFTE  FÜR  KUNSTWISSENSCHAFT". 


KLASSISCHE  ILLUSTRATOREN 


Honore    Daumier     von     Dr.     Kurt     Bert  eis        Mit 

und  Skulpturen.     Gebunden"  4  Mä""^"^    ^^^^    Lithographien 

L>as  Bertelssche  Buch  bietet  an  dpr  Mo r,^  ••   ,-  , 

duktionen  und  eines  klaren    pLasen]oS^ir''^"^J^^^^^  ^^P^«" 

ein  S^:^:&^Jt^',s^j^'f7^  ^^^^S^^s 

dringlichkeit  die  historSen  w ' l'^S'  '^\'^^  ^^''^^^'  lin- 
dem Schaffen  des  genTalen  Lrik.f^rS  T'^'"  Elemente  aus 
Die  Verlagshandlunf  hat  d?e  pÄnHo.  .^"^^u"."""^^^^^  ^^'^^^s- 
Blätter  aSs  allen  Ich'ffeSpeÄn  und"  Stoftt'- '^^  ^1^^°^^.^^^ 
^^"^""-^^' ^^rSTllER?r?EIT^^^^^ 

Griechische  Vasen    Ta?""-  ^""^^^  Hoeber.    Mit 

u-reissfHT^^^  Getn^ttk" 

wird^v^^r  luetTucnS;  l^T'^T'  ?-^  ^^itT  ^o^.t 
Betrachtung  aus 'einer Tufgä'e  gSf"'^'"  r '^""P".^^^  ^^^ 
der  zahh-eichen  und  dänzenden  ^T?.^  ;,  "i  l-'  ^s  spricht,  dank 
ohne  eine  Zeitbestimmut^zrulfs^  „M^E^ärRS'  zTÄu'S??^' 

und^SeSsct^  '^LSttftr^S  ^^-,-^--  Betrachtung 
geschaffen,  und  iederser?r  t      klassischen    Vasenillustratoren 

gewerbler,^^ärdmif Nutzen  da^Bn^hf^"^"''.^^^"  °^^^  K^^^^^- 
dadurch  empfaneen  r^  ^  ^  ""^  ^'^^^'^  ^"^  reiche  Anregung 
g  e  w  e  r  b  1  e  r  wfrden  di?  Abh?l  l'^'''  reflektierenden  K  u  n%  t^ 
Keramik  vorhande^Tst^^;.tn'c^S"L^^d;^„t^\Tben°  ^'''  '^^"  ''' 
_  »ZEITSCHRIFT  FÜR  BÜCHERFREUxNDE". 

Der  Bauern-Bruegel   ^'«^  i^^-  wiiheim  Hausen- 

Gemälden,  Zeichnungen   ^,vc^  Tf!,^/ "V- ^^'^  65  Abbildungen  nach 

HausenstSns    MonograDh?^  f.f  h'^'""-   .^^^unden  4  Mark. 

geistvolle    Werk     das    ^^V.?w    ^      "^^^    •^'"'^^    ernsthafte    und 

besitzen.    Wir  folgen  iC  n^L      nT^""^   ^7    deutscher    Sprache 

menale  Klarheit  gegoberhlr    ' '.HANK  SoSRI^y.." 
nung  ^ebuhrt.  „PESTER  LLOYD". 


KLASSISCHE  ILLUSTRATOREN 


T-Tririinobll    ^'^'-^^  ^^'  Julius  Kurth.     Mit  60  Abbildungen 
und  einer  Farbentafel.     Gebunden  4  Mark. 

Dr.  Kurth  hat  dem  Thema  neue  Beleuchtung  und  neue 
Richtlinien  gegeben,  die  ein  Weiterstudium  des  Meisters  fördern 
können,  und  er  hat  das  Dunkel  etwas  aufgehellt,  das  bisher  um 
Harunobu  lagerte.  Stilitisch  vorzüglich  sind  seine  Beschreibungen 
der  Holzschnitte.  Was  sonst  bei  Bilderbeschreibungen  langweilig 
zu  sein  pflegt,  ist,  dank  seiner  treffenden  und  poesievollen  Sprache, 
ungewöhnlich  reizend  und  genussreich  zu  lesen. 

„HANNOVERSCHER  COURIER" 

Kurth  spricht  nicht  nur  als  Kunstkenner,  sondern  vor  allem, 
auch  als  gründlicher  Kenner  des  japanischen  Lebens,  dessen 
Spiegelungen  in  Kunst  und  Dichtung  uns  noch  nie  zuvor  mit  so 
tiefgründlicher  Wissenschaft  gezeigt  wurden  wie  hier.  Zumal 
aus  den  dichterischen  Texten  der  Holzschnittblätter  und  der 
illustrierten  Bücher  löst  uns  Kurth  mit  scharfsinniger  Methodik 
die  zahlreichen  und  schwierigen  Probleme,  die  gerade  beim  Studium 
vieler  dem  Harunobu  zugeschriebenen  Blätter  auftauchen. 

„MÜNCHENER  POST". 


In    Vorbereitung: 

RoCOCO     Französische  und  deutsche  Illustratoren  des  18.  Jahr- 

'-  hunderts.     Von  Dr.  Wilhelm  Hausenstein. 

Mit  etwa  70  Abbildungen.     Gebunden  4  Mark. 

Das  Buch  will  den  Geist  der  Rococo- Graphik  vor  Augen 
führen.  Es  beschränkt  sich  nicht  nur  auf  die  Buchillustration, 
sondern  behandelt  auch  die  Einblattgraphik  von  Ludwig  XIV. 
an  bis  zur  französischen  Revolution. 


Die  Buchillustration  der  Gotik  vonDr.  wiiheim 

W  o  r  r  1  n  g  e  r.    Mit 

etwa  70  Abbildungen.     Gebunden  4  Mark. 

In  weiten  Kreisen  interessiert  man  sich  heut  wieder  am 
illustrierten  Buch.  So  vdrd  auch  diese  Monograpliie,  die  ausführlich 
auch  aiif  die  einzelnen  grossen  Meister  der  alten  deutschen  Buch- 
illustration eingeht,  \iele  Freunde  finden.  Die  unbekannten 
Meister  der  Lübecker  Bibel,  des  Narrenschiffs,  der  äsopischen 
Fabeln,  Dürer,  Holbein,  Baidung,  Schäufelen,  Urs  Graf  und 
viele  andere  werden  mit  charakteristischen  Proben  vertreten  sein. 


bind:: 


JUN24W0 


N 

79 

V52I5 


Im  Kampf  -um  die  Kunst 


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