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©arbari Colltge librarg
HENRY LILLIE PIERCE,
OF BOSTON.
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INJURIA.
BEITRÄGE
ZUR
GESCHICHTE DER INJURIA
IM
GRIECHISCHEN UND RÖMISCHEN RECHT
VON
HERMANN FERDINAND HITZIG.
MÜNCHEN.
THEODOR ACKERMANN
KÖNIGLICHER HOF-BUCHHÄNDLER
1899.
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Gustav Vogt
dem Lehrer und Collegen
in Verehrung
gewidmet
14. Juli 1899.
Vorwort
An Abhandlungen über die Injuria im griechischen und
römischen Rechte fehlt es nicht. Es genügt, für das grie-
chische Recht an die Arbeiten von Hermann und Mücke,
für das römische Recht an diejenigen von lhering und
Landsberg zu erinnern. Man hat aber bisher nicht ver-
sucht, das Dunkel, in das die Geschichte des römischen
Instituts hier und dort noch gehüllt ist, durch eine Heran-
ziehung des griechischen Instituts zu erhellen. Die folgenden
Blätter sind einem solchen Versuch gewidmet. Ich hoffe,
durch die Vergleichung der beiden Institute die eine und
andere Frage, vorab die Frage nach dem Ursprung der
actio injuriarum aestimatoria gefördert zu haben. Eine er-
schöpfende Behandlung aller einschlägigen Probleme lag
nicht in meiner Absicht.
Zürich, Ostern 1899.
H. F. Hitzig.
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Verzeichnis der Abkürzungen.
Beauchet. L. Beauchet, Histoire du droit priv£ de la republique athe-
nienne, 4 Bände, Paris 1897.
Gilbert. G. Gilbert, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des griechi-
schen Gerichtsverfahrens, Jahrb. f. class. Philologie, Suppl. Bd. XXIII
I1896) p. 446—535-
Gortyn, Tafel von. Zitiert nach Bücheier und Zitelmann. Rhein.
Mus. XL.
Heffter. A. W. Heffter, die athenaeische Gerichtsverfassung 1822.
Hermann. C. Fr. Hermann , symbolae ad doctrinam juris Attici de
injuriarum actionibus. Ind. schol. Gott. aest. 1847.
Lex Seguer. Lexika Segueriana, abgedruckt bei J. Bekker, anecdota
graeca I, Berlin 1814.
Meier- Schömann-Lipsius. Meier und Schömann, der attische Prozess,
neu bearbeitet von J. H. Lipsiüs, zwei Bände, Berlin 1883— 1887.
Mücke. A. R. Mücke, de injuriarum actione ex jure Attico gravissima.
Diss. Götting. 1872.
Pauly-Wissowa. Pauly's Real-Encyclopaedie der classischen Altertums-
wissenschaft, neu bearbeitet von Georg Wissowa.
Platner, Prozess. Platner, Prozess und Klagen bei den Attikern,
2 Bde., 1824. 1825.
Recueil. Recueil des inscriptions juridiques grecques ; texte, traduction,
commentaire, par R. Dareste, B. Haussoullier, Th. Reinach, I. Serie,
3 Bde 1891. 1892. 1894; II. Serie, bis jetzt 1 Bd. 1898. Paris.
Thonissen. J. J. Thonissen, le droit penal de la republique Ath^nienne.
Paris 1875.
Cap. I. Injuria im griechischen Recht.
Die nachfolgenden Erörterungen sollen sich mit der
Frage beschäftigen: welche rechtliche Behandlung erfahren
im griechischen Recht Thatbestände, die im classischen röm-
ischen Recht unter den Begriff der injuria fallen ? Die Frage
wird in den drei folgenden Kapiteln gelöst durch eine Unter-
suchung der allein in Betracht kommenden drei Klagen des
attischen Rechts: ölxrj alxlag, öixtj xaxtjyoQlag^ ygaqyfj vßQeog.
Drei Klagen des attischen Rechts. Damit ist bereits
gesagt, dass für die Rechtsentwicklung ausserhalb Attikas
die Quellen keine oder nur überaus spärliche Ausbeute ge-
währen. Was in Berücksichtigung kommen kann, sei hier
kurz der Untersuchung des attischen Rechts vorausgeschickt.
Auf den sagenhaften Gesetzgeber und unterirdischen
Richter Rhadamanthys wird der allgemeine Gedanke der
Wiedervergeltung zurückgeführt 1 , an den die Philosophie des
Pythagoras anknüpft.
Die Gesetzgebung des Zaleukos 2 (um die Mitte des
siebenten Jhdt. v. Chr.) in Lokroi enthielt eine Bestimmung
über Schmähreden 3 , und ordnete für Körperverletzung Talion
1 Aristot. Nik. Eth. V, 5, 5 (p. 1132 b) tö 'Paöapdv&vog ötxaiov •
et xe ndd-OL %d x' ggel-e, ötxtj x' l&eta yivoixo. Vgl. Günther, Idee der
Wiedervergeltung I p. 84 ff. und die dort Citierten.
2 Ueber seine Gesetzgebung im allgemeinen Leist, graecoital.
Rechtsgesch. p. 576.
8 Erwähnt bei Stob. Serm. XLIV 21, abgedruckt unten p. 23 N. 2.
Hitzig, Injuria. T
— 2 —
an 1 : wer dem anderen ein Auge ausschlägt, soll sein eigenes
Auge zum ausschlagen herhalten (naQao%elv ävTexKÖiffai).
Ein späteres Gesetz bedrohte den, der einen Einäugigen
um das Auge brachte, mit dem Verlust beider Augen 2 . —
Dasselbe Gesetz wird auch dem Charondas 8 aus Katania
zugeschrieben 4 ; ein — anscheinend auf der Insel Kos gelten-
der — vdfiog cdxslfjg dieses Gesetzgebers wird bei Herondas,
Mimiamben II 45 ff. verlesen 5 ; wie weit der Text richtig
wiedergegeben, wieweit er spöttisch entstellt ist, lässt sich
nicht ermitteln.
Das Gesetz sieht für verschiedene Tatbestände Geld-
strafen (keine Spur von Talion!) vor: die doppelte aestimatio
zahlt, wer eine Sklavin schlägt (alxiteiv) oder zu sich nimmt;
eine Mine, wer eine Thüre einschlägt, eine andere, wer mit
der Faust prügelt; tausend Drachmen, wer ein Haus an-
zündet oder die Grenzmarken überschreitet; das doppelte,
wenn er einen Schaden anrichtet. — Hippodamos von
Milet anerkannte nur drei Gegenstände der Gesetzgebung:
fißQiVi ßkdßrjv, Mvarov 6 . — Die Gesetzgebung desLykur-
1 Demosth. g. Timokr. 140 (744).
8 Das Gesetz mit diesem Nachtrag wird von Diogenes Laertios 1 57
sogar für die solonische Gesetzgebung in Anspruch genommen. Mit
der Art, wie Demosthenes über das Gesetz des Zaleukos referiert, ist
dies schlechterdings nicht vereinbar.
8 Ueber seine Gesetzgebung im ailg. s. Lei st a. a. O. p. 577.
* Diodor XII 17. — Auch von Lykurgos wird bei Plutarch
(Lyk. c. XI) ein solcher Blendungsfall erzählt, ohne dass angegeben
wäre, welche Strafe seine Gesetzgebung vorsah. Die Zeugen der That
lieferten den Thäter (Alkandros) dem verletzten Lykurgos aus; dieser
nahm ihn in sein Haus, that ihm aber nichts zu leide (xaxöv otöhv o$i
inottjoey ofö einer), sondern machte ihn nur zu seinem Diener ixilevaev
hnr^exelv. — Mit diesem Vorfall möchte ich in Verbindung bringen
Quint. declam. II 297 : „qui excaecaverit aliquem aut talionem praebeat
aut excaecati dux sit."
* S. dazu den Commentar von O. Crusius p. 34 ff.
6 Arist. Pol. II 5 p. 1267 b.
— 3 -
gos kennen wir nicht; wahrscheinlich war Talion vorge-
sehen 1 . —
A. Die dixr] alxias*
i. Das Gesetz 2 über die cdxia* ist uns im Wortlaut
nicht überliefert; es ist aber sicher, dass es von Schlägen
{iütitmV) natdooeiv) sprach und den mit Strafe bedrohte, der
mit den widerrechtlichen Thätlichkeiten begonnen hatte (äQ%eiv
XeiQcov ddixav).
Hauptquelle bilden die Reden des Demosthenes gegen
Konon (LIV) und des Isokrates gegen Lochites (XX), zwei
Anklagereden in cdxia - Prozessen ; erstere ein dramatisch
bewegtes Plaidoyer mit eindringlicher Schilderung des That-
bestandes ; letztere eine allgemein gehaltene, den Thatbestand
nur andeutende Declamation über die Zweckmässigkeit der
Bestrafung der cdxia. Dazu kommt Demosthenes' Rede gegen
Euergos und Mnesibulos (XL VII), gehalten in einem Nach-
verfahren wegen falschen Zeugnisses zu einem cdxia Prozess 4 .
Das Gesetz scheint schlechthin von Schlägen {nUiyal —
TÜTiTEiv, TiaTäooeiv) gesprochen zu haben 5 , ohne zwischen ver-
schiedenen Arten von Schlägen und Wunden zu unterschei-
den und ohne rücksichtlich der Schwere der Verletzung
1 Es wird ihm als Verdienst angerechnet, dass er dem Alkandros,
der ihm überantwortet wurde, nichts zu leide that, s. o. p. 2 N. 4.
9 Es wird immer nur ein Gesetz erwähnt; Demosth. g. Meid.
35» 525 : ^ T $S alxfag yöpog; Isokr. g. Lochit. : xovtov %bv v6^iov — xbv bnhg
t&v aatf-idziov zaiy iffiezigc^y xel^ievov.
8 Sprachlich ist aixla = ä-eixeia Unbill, Ungehörigkeit. — Die Ety-
mologie weist nicht auf körperliche Misshandlung hin. Aber schon
Homer gebraucht das Wort mit Vorliebe dafür.
* Andere Reden s. Meier-Schömann-Lipsius II p. 646. Ob
Lysias* Rede gegen Tisis, deren Fragmente bei Sauppe, fragm. orat.
Attic. p. 205 ff. zusammengestellt sind, auf eine ötxij a Ix lag oder auf
eine yQcuptj tißgecng zu beziehen ist, lässt sich nicht entscheiden.
5 Lex Seguer. (bei Bekker anecd. graec. I) p. 355. 356: dixri ldta>-
%ixr\ inl TtXriyalg kay/avo/nevt].
I*
— 4 —
Minimalerfordernisse aufzustellen 1 . So stehen leichte nebei
schweren Fällen. In Demosthenes* Rede gegen Euerg-o*
und Mnesibulos wird eine cdxla in einem Faustschlag- au;
den Mund gefunden (38, 1150), die Verletzung war jedenfalls
eine ganz leichte, da Demosthenes sonst gewiss nicht unter-
lassen hätte, sich über diesen Punkt ausführlicher auszu-
sprechen. Viel schlimmer hatten Konon und sein Sohn ihrem
Gegner mitgespielt; sie fielen ihn Abends an, rissen ihm die
Kleider vom Leib, stiessen ihn in den Koth, stampften ihn
mit den Füssen und misshandelten ihn derart, dass ihm die
Lippen zerquetscht wurden und die Augen anschwollen,
heftige Brust- und Unterleibsschmerzen entstanden und der
Arzt das Leben für gefährdet erklärte (8, 1259; 11, 1260;
41, 1270).
Mit dem Thatbestand der cdxla kann zugleich derjenige
der tippe gegeben sein. S. hierüber unten p. 39 — Schläge
können auch unter die gesetzlichen Bestimmungen über das
TQctv/ia ix TtQovolag fallen; letzteres setzt aber voraus, dass
es zu einer wirklichen Verwundung (TQavfia) gekommen ist;
dass der Schlag in tötlicher Absicht erteilt wurde und der
Erfolg hinter der Absicht zurückblieb (Mordversuch) 2 . Im
Falle des TQavjia ix nQovolag gewährt das attische Recht
eine öffentliche Klage; Strafe: Verbannung und Confiscation 8 .
— Plato vereinigt TQavfia ix itQovolag und cdxla unter den
Oberbegriff der ßlaia (Gewalttätigkeiten) 4 .
2. Voraussetzung der Klage ist, dass der An-
1 Damit verträgt sich natürlich die Versicherung des De-
mosthenes (g. Kon. 13, 1261), dass der geschlagene od petotag ziväg xal
yatikag nhrflhg erhalten habe. — Dass eine blosse Ohrfeige genügte, er*
gibt Demosth. g. Meid. 35 (525).
* Lysias g. Sim. (III) 41; 42: 8001 i7iißovketiaavzeg &7ioxzetval zivag
itQcooav, änoxvelvai dh oi>x iöwfi&riaav, vgl. Philippi, der Areopag p. 28.
Pernice, Ztsch. d. Savigny-Stiftung XVII p. 233. Gilbert, Beiträge p. 520.
8 Philippi 1. c. p. 113 ff.
4 Plato, Gesetze IX 879 B, 884.
— 5 -
geklagte zuerst geschlagen hat, fJQl;e xeiQüv ddlxcov 1 .
Die Worte fanden sich zweifellos im Gesetz; die Formel ist
alt; die Ueberlieferung schreibt ihr unvordenkliches Alter
zu, wenn sie sie auf ein Gesetz des Rhadamanthys zurück-
führt 2 .
Der Gesetzgeber denkt an den Fall, wo Schläge so-
fort 8 wieder mit Schlägen erwidert werden; der zuerst ge-
schlagene erhält die dixri alxlag und geht selbst straflos aus.
Es liegt nahe — und es scheint dies die gewöhnliche
Annahme zu sein — die Bestimmung auf die Idee der Not-
wehr zurückzuführen: es liegen zwei Körperverletzungen
vor, von denen die zweite durch Notwehr entschuldigt ist.
Man kann sich für diese Annahme auf Demosthenes* Rede
gegen Aristokrates berufen, wo demjenigen der äQxcov xeiqöv
ddix(ov schlägt {vüntti), der dfivvöfievos {d ye jjpövmo), also
der sich wehrende, gegenübergestellt wird; ersterer wird
bestraft, letzterer begeht kein Unrecht, oüx ddixel (50, 635).
Auch in der Rede gegen Euergos und Mnesibulos fühlt sich
der Sprecher veranlasst, ausdrücklich zu erklären, dass er
zuerst geschlagen worden sei und selbst nur zur Abwehr
geschlagen habe; dabei habe er die Anwesenden als Zeugen
angerufen 1 . Für die Erklärung aus dem Gesichtspunkt der
Notwehr spricht auch, dass im drakontischen Tötungsgesetz
1 Vgl. z. B. Isokr. g. Lochit. 1. Demosth. g. Aristokr. 50 (635);
g. Kon. 28 (1265). g. Euerg. u. Mnesib. 15 (1143); 36 (1150). Arist.
Rh et. II 24, 9.
9 Bei Apollodor II 4, 9 beruft sich Herakles, der den Linos er-
schlagen hat, von diesem aber zuerst geschlagen worden war, auf einen
vöfiog 'Padapdv&vos liyovxog } b$ &v dfiifotjzai xbv xeiq&v ddtxcnv äggavTa,
d&q>ov elvai.
8 Ausdrücklich ist freilich nirgends gefordert, dass die Schläge
sofort erwidert werden; aber es ist wohl überall vorausgesetzt. Vgl.
eöfrbg ä(j.vv6fxevog xTeivfl bei Demosth. g Aristokr. 60, (639).
Demosth. 1. c. 38 (1150): elaiövzog di /uov natet nb% 6 Beöifrifiog
tö azöua xal iy<o impaQTVQdpevos ™i>S naqdvxag fjjuvvdfirjv.
— 6 —
die Worte üq%eiv xeiq&v ddlxcov, soweit sie dort hinlänglich
beglaubigt sind 2 , auf Notwehr bezogen werden müssen.
Anderes spricht aber gegen eine solche Erklärung.
Zunächst tritt gerade bei den Plaidoyers in a/x/a-Prozessen
der Gesichtspunkt der Notwehr durchaus zurück. Die Red-
ner urgieren in keiner Weise die Notwendigkeit der Gegen-
wehr, die Nähe und Grösse der Gefahr, die Erheblichkeit
des Angriffs. Wichtiger und entscheidend ist, dass die
Worte selbst in keiner Weise auf Notwehr hindeuten; nur
auf das Beginnen wird abgestellt. Der Gesetzgeber denkt
sich die beidseitigen Thätlichkeiten als einen Complex von
Schlägen und bestraft nur den, der begonnen hat. Zudem
ist ausdrücklich überliefert (lex. Seguer. p. 217), dass die
Redner dfitiveod-ai auch einfach im Sinn von Wiedervergelten
{dvTMQdTTSiv Tovg xaxöv %i TtQodiad-ivTag) verwenden. Für
1 Das inschriftlich erhaltene Gesetz C. I. A. I 61 (= Recueil II
Ser. 1 p. 1 ff.) enthält an einer lückenhaften Stelle wenigstens einige
Buchstaben, die sich zu diesen Worten ergänzen lassen, in § 8 : [iäv 6i vtg
äQ%avt\a x e \s\°\? äöixoiv xtL Dass das Gesetz wirklich eine solche Bestim-
mung enthalten habe, wird durch das mehrfache Vorkommen der Worte
in Tötungsprozessen wahrscheinlich. Die Bedenken von Thal heim
(p. 127 N. 3.) erledigen sich durch das bei Dittenberger (Hermes
XXXII, 1897, p. 6 N. 1) gesagte. Letzterer hat nachgewiesen, dass die
dem Antiphon zugeschriebenen Tetralogieen nicht als zuverlässige
Quellen des attischen Rechtes gelten können. Da der Verfasser der
Tetralogieen — wie Dittenberger gezeigt hat — den im positiven atti-
schen Recht anerkannten Begriff der gerechten Tötung (ipövog dixaiog)
ignoriert, infolge dessen die Rechtmässigkeit der Tötung in Notwehr
nicht zugeben kann, versucht er (IV /», die Befreiung des Thäters
in einem solchen Falle auf anderem Wege zu begründen. Er leugnet
den Causalzusammenhang : der Thäter ist nicht schuld (afciog, causa
fuit) am eingetretenen Tode, sondern der Getötete selbst (1: dno^av^v
afoQ aXtiog); wenn dieser mit den Thätlichkeiten nicht begonnen hätte,
würde sich der Thäter nicht gewehrt und in dieser Abwehr getötet
haben (6: oi> yäq äv i^wafiriv fity xvnxdpevog i)n a-öxov). Vgl. E. Szanto,
zu den Tetralogieen des Antiphon, i. d. archaeol. epigr. Mitteilg. aus
Oesterreich-Ungarn XIX (1896) p. 71 ff. — Die Ausdrücke dptivea&ai,
ÜQX eiV X €l Q &r dtitew werden trotzdem in IV r ß verwendet.
— 1 —
ganz aussichtslos halte ich daher die Bemühungen Drerups 1 ,
der jetzt in den Worten äQ%ew xeiqüv ddixwv geradezu eine
Definition der Notwehr erblicken will : rechtswidriger (ädixos),
noch nicht vollendeter (äQX<ov) Angriff (xeiQeg). Das äq%eiv
ist aber zweifellos nicht ein blosses Beginnen der Thätlich-
keiten des Angreifers, sondern es bedeutet den Anfang des
ganzen Thätlichkeitencomplexes; dies geht mit Deutlichkeit
hervor aus der Wiedergabe der Worte äQ%eiv %eiQ(ov ddixcov
mit Wendungen wie: tcqötcqos nlriyelg (Demosth. g. Euerg.
u. Mnesib. 40, 1151), TtQcdrog naxd^ag (Demosth. g. Kon. 28,
1265). Das Gesetz will den Anfängen wehren, da die
Schlagenden sich leicht zu schweren Verwundungen und
Tötungen fortreissen lassen (Demosth. g. Kon. 18, 1262) 2 . —
Man hat sich m. E. für die älteste Zeit einen Rechts-
satz zu denken, nach welchem es erlaubt war, Thätlichkeiten
auf der Stelle mit Thätlichkeiten zu erwidern, dvui7ioieiv\
die That des zweiten ist nicht Abwehr, sondern Vergeltung,
mag man dieselbe nun mit Leist 3 Individualtimorie oder
Selbsthülfe oder anders nennen: die Thätlichkeiten werden
gegeneinander wettgeschlagen. Mit dem Aufkommen der
staatlichen Strafrechtspflege und speziell mit dem Aufkommen
der dlxi] aixlag erhält sich das ursprüngliche Prinzip von der
Straflosigkeit der vergeltenden That; es erscheint jetzt als
eine rohe Auffassung und Lösung des Schuldproblems, nach
welcher schlechthin der Anfangende schuldig und straffällig,
der Erwiedernde entschuldigt und straffrei ist. Der Ange-
griffene erhält nicht nur die Straffreiheit seiner eigenen That,
sondern überdies noch die Strafverfolgung gegen den ersten
Angreifer. Man darf sich daher auch nicht darüber ver-
wundern, dass sich gelegentlich die Vorstellung findet, der
1 Engelbert Drerup, über die bei den attischen Rednern
eingelegten Urkunden, Jahrb. f. class. Phil. XXIV Suppl. p. 275.
2 Vgl. Isokr. g. Lochit. 8.
8 Leist, graecoitalische Rechtsgeschichte p. 308.
— 8 —
zuerst geschlagene erhalte zu der Vergeltung noch ein wei-
teres hinzu, oder: es sei durch die Gegenschläge noch keine
Genugthuung geschehen, noch keine Ausgleichung erfolgt 1 .
Die weitere Entwicklung hätte man sich dann so zu
denken, dass diese Grundauffassung allmählich einer ver-
feinerten Auffassung weicht, welche den Notwehrbegriff her-
ausschält 2 . —
Damit beantwortet sich auch eine weitere Frage. Um-
fasst der Begriff der aixia auch die fahrlässige Körperver-
letzung? 3 Das Wort aixia lässt eine solche Deutung zu,
da es zunächst nur auf das „objektiv ungehörige" hinweist.
Aber mit der ganzen Auffassung des dQ%eiv xeiqcjv ddixwv
scheint mir eine solche Ausweitung des a/x/a-Begriffes unver-
einbar; auch nach dem nichtjuristischen Sprachgebrauch ist aixia
durchaus die vorsätzliche Misshandlung. Entscheidend
ist, dass die Gegenüberstellungen von fißQig und aixia nie
auf das Vorhandensein oder Fehlen des Vorsatzes an sich
abstellen. Der Verletzte ist — bei fahrlässiger Körperverletz-
ung — auf die Geltendmachung der dixr\ ßlaßr/g angewiesen. —
3. Als competente Gerichtsbehörde nennt De-
mosthenes g. Pantain. 33 (976) die Vierzigmänner 4 (ot
%Ex%aqdxQvxa) y die ordentliche Gerichtsbehörde für Privatpro-
zesse. Die Vierzigmänner — hervorgegangen aus den von
1 Aristot. magn. moral. I 34, 13; Antiphon, tetral. rß § 2: oi> yäo
vaütä &XXä [leiCova xal TiXeCova dlxaioc ot äoyovxe^ ävtindax^iv eiaiv, —
8 Die Ausführungen von Leist scheinen mir darin fehl zu gehen,
dass hier von Anfang an der Notwehrgedanke verquickt wird mit dem
Timoriegedanken.
3 Eine Frage über deren Beantwortung auch für das älteste
römische Recht gestritten wird. S. Gell. XX 1, 16; 34 und dazu etwa
Ihering, Schuldmoment p. 11. Brunnenmeister, Tötungsver-
brechen p. 126. 131. —
4 Genauer sind wir über diese Behörde erst durch Aristoteles ,
Staat der Athener LIII (vgl. XVI, 5) belehrt worden. Vgl. dazu z. B.
Lipsius, Berichte ü. d. Verhandig. d. sächs. Ges. d. Wiss. phil. hist.
Cl. XLIII p. 54 ff. W i 1 a m o w i t z , Aristot. u. Athen I p. 224.
. — 9 —
Peisistratos eingesetzten dreissig Demenrichtern — amtieren
als Viererkollegien und Phylengerichte (je vier Richter auf
jede der 10 Phylen). Competent ist das Kollegium der Phyle
des Beklagten. Bis zum Betrag von zehn Drachmen (Baga-
tellsachen) entscheidet diese Behörde selbstständig und de-
finitiv (aifrorekelg eloi dixd£eiv); 1 ist der Streitwert höher, so
gibt sie zunächst den Prozess an einen öffentlichen Schieds-
richter (diaiTtiT^s) ab. Dieser sucht eine Verständigung der
Parteien herbeizuführen; gelingt dies nicht, so sammelt er
das Beweismaterial, und entscheidet. Wird sein Spruch
(yvwoig) anerkannt, so ist der Prozess erledigt; beruhigt sich
eine der Parteien dabei nicht, so wenden sie sich neuerdings
an das Phylengericht des Beklagten, dem sie 2 das gesammelte
Beweismaterial und die schriftlich redigierte Entscheidung
des Diaiteten abgeben. Die Phylenrichter 3 bringen den Streit
nunmehr vor ein heliastisches Gericht (eiodyeiv elg dixaaT^Qiov),
das bei einem Streitwert bis zu iooo Drachmen mit 201, bei
höherem Streitwert mit 401 Richtern besetzt sein muss.
Die Institution der Vierzigmänner ist — nach dem Be-
richt des Aristoteles 4 — von Haus aus eine durchaus demo-
kratische Einrichtung; sie ist es wohl auch in der Folge ge-
blieben: eine Gerichtsbehörde, die für den Bürger leicht zu
1 Eine Singularität im attischen Prozess, da der Beamte sonst nicht
selbst entscheidet, sondern nur als Gerichtsvorstand im Geschworenen-
gericht funktioniert.
2 Hudtwalker, öfft. u. Privatschiedsrichter p. 128 hatte die
Frage offen gelassen, ob die Parteien oder derDiaitet die Versiegelung
der Akten usw. vornehmen, jetzt wissen wir aus Arist. LIII 2, dass es
die Parteien sind.
8 Durch Arist. St. d. Ath. LIII, 3 erledigt sich die frühere (z. B.
Platner II p. 205) Annahme, dass die Einführung durch die Thesmo-
theten erfolgte.
4 Arist. St. d. Ath. XVI, 5; sie waren ursprünglich (30) Demen-
richter, die in den Demen Termine abhielten, damit die Landbewohner
nicht gezwungen seien, in die Stadt zu kommen und ihre ländlichen
Arbeiten zu vernachlässigen.
— IO —
erreichen war und — infolge der notwendigen Mitwirkung
des öffentlichen Schiedsrichters 1 — häufig den Streit der
Parteien ohne Urteil zur Erledigung brachte.
Für seine eigene Zeit nennt Aristoteles (St. d. Ath.
LH, 2) als competente Behörde für alxla - Prozesse die
elaayo>yelg. Auch diese „Einführer" sind Phylenrichter, inso-
fern als für je zwei der zehn Phylen ein „Einführer" vor-
gesehen ist. Die Vorverhandlung vor dem Diaiteten fällt,
hier weg 2 , der Beamte sammelt selbst das Beweismaterial.
Die dlxi] cdxlag ist jetzt zu" den dlxcu H/i/irjvoi, den Monats-
klagen, gestellt, deren gerichtliche 8 Entscheidung innert
dreissig Tagen nach Anbringung der Klage erfolgen muss K
Beides, Wegfall des Diaiteten und Beschränkung der Dauer
der Instruction, dient demselben Zweck : Beschleunigung des
Verfahrens. Einer solchen werden nur einzelne Klagen teil-
haftig; neben der dlxtj cdxlag werden u. a. folgende Privat-
klagen in dieser Weise privilegiert: Klagen auf Restitution
der Dos, Klagen gegen Banquiers, Klagen um Sklaven oder
Vieh (Mängelrüge?). —
Ein Vergleich zwischen Demosthenes und Aristoteles
ergibt, dass in der Zwischenzeit eine Aenderung erfolgt sein
muss, welche die dlxri aixlag dem gewöhnlichen Prozessgang
(mit Diaiteten) und der gewöhnlichen Gerichtsbehörde (Vier-
zigmänner) entzog und sie zu den beschleunigten Klagen
stellte. Diese Aenderungen sind wohl alle gleichzeitig ent-
1 Dass dieser verpflichtet war, zunächst einen Sühneversuch zu
machen, ist bereits oben bemerkt.
8 Man muss dies aus der Vergleichung von Arist. St. d. Ath. LH
u. LIII folgern.
8 Gerichtliche Entscheidung ist auch dann notwendig, wenn der
Streitbetrag geringer ist als 10 Drachmen. Der Schlusssatz des Aristo-
teles LH 3 ist nur auf die Apodekten zu beziehen. Mit dem Recht
eigener Entscheidung würde sich auch die prägnante Bezeichnung „Ein-
führer" nicht vertragen.
4 Ungenau Meier-Schömann-Lipsius II p 903: am dreissigsten
Tage nach Anbringung der Klage.
— II —
standen und auf dieselbe gesetzliche Bestimmung zurück-
zuführen.
4. Das Verfahren in aixla - Prozessen zeigt keine
Besonderheiten. Es gelten die allgemeinen Vorschriften über
Privatklagen. Die Klage steht nur dem Verletzten zu. Denk-
bar ist hier, wie in anderen Fällen, eine Uebertragung der
Entscheidung an private Schiedsrichter (imvQ&neiv) 1 .
Nach einer im Lexicon Seguerianum (p. 360) aufbe-
wahrten Grammatikernotiz 2 bestand für die dlxtj cdxlag die
besondere Vorschrift, dass sie innert vier Tagen, bevor die
Spuren der Schläge verschwunden waren, anhängig gemacht
werden musste. Diese Notiz wird zwar durch keine andere
Nachricht gestützt; sie ist aber auch mit dem anderwärts
überlieferten nicht in Widerspruch. Es wäre sehr wohl
denkbar, dass sich die Tendenz, aixla - Prozesse zu be-
schleunigen, auch darin geäussert hätte, dass dem Kläger
eine solche Frist angesetzt wurde 3 .
Aus Demosthenes' Rede gegen Apaturios 4 ist ausser-
dem zu entnehmen, dass im Prozess über einzelne Vorwürfe
der Eid dem Beklagten zugeschoben werden konnte (dldcoaiv
öqxov — 7i€Qi Tivcov £yxkruidT<ov) ; nimmt ihn der Beklagte an
(di%eo&ai), so muss er Caution dafür leisten, dass er schwören
werde. Im konkreten Falle der demosthenischen Rede
schwört dann der Beklagte den Eid nicht, er belangt viel-
mehr seinerseits den Kläger &s dlxtj Moor xbv öqxov; es
1 Demosth. g. Euerg. u. Mnesib. 45 (1153).
2 AU Ca eWoz dixrjg &7il nkfiyalg. ela^yeto 6h ivxbg fifieq&v veaaaQOiv,
7iqIv tf zä tx V7 l x&v nhriy&v dipaytad^yai. Es ist klar, dass ela^yeto hier
nicht die gewöhnliche Bedeutung „vor den Gerichtshof bringen" haben
kann, sondern im Sinn von „anhängig machen" gebraucht ist.
8 Nimmt man an, dass die Festsetzung dieser Frist in Zusammen-
hang steht mit der oben p. 10 besprochenen Neuerung, so kann auch aus
Demosthenes* Rede gegen Konon kein Bedenken hergeleitet werden.
4 Es ist allerdings zweifelhaft, ob die Worte idixdteto nlriy&v xxl.
auf eine üfay alxlag sich beziehen, s. einerseits Platner II p. 198, andrer
seits Meier-Schömann-Lipsius II p. 650.
— 12 —
scheint also, dass er der übernommenen Schwurpflicht ledig
wird, wenn er seinerseits klagt 1 . Dabei muss natürlich vor-
ausgesetzt sein, dass er in seiner Klage dieselben That-
sachen behauptet, deren Richtigkeit zu beschwören er
sich verpflichtet hatte. Wahrscheinlich drehte sich der Streit
um die Frage, wer von den beiden zuerst geschlagen hatte.
5. Gerichtsgebühren. Poenae temere litigan-
tium.
Gerichtsgebühren werden nach positiver Vorschrift bei
der dixrj alxias nicht erlegt. Sonst mussten in Privatprozessen
bei Beginn des Prozesses beide Parteien die sog. TiQvravela 2
erlegen, beide denselben Betrag: bei Sachen von 100— 1000
Drachmen drei Drachmen, in Sachen über 1000 Drachmen
dreissig Drachmen. Diese 60 Drachmen verblieben dem
Gericht, doch konnte der Obsiegende die von ihm erlegten
dreissig vom Unterliegenden ersetzt verlangen, so dass letz-
terer im Resultat die ganzen Gerichtskosten zahlte. — Für
die 6lxr\ aixiag — sie ist die einzige in dieser Weise privi-
legierte Klage — wird dem Kläger die Notwendigkeit vor-
gängiger Erlegung der TCQwavela erlassen : die Gesetze haben
— führt Isokrates 3 aus — bei diesem Vergehen sowohl
dixai als yQcupai ohne Parakatabole * gewährt, damit niemand
durch ökonomisches Unvermögen gehindert werde, sich Ge-
nugtuung (Ti[ia)Qia) zu verschaffen. Die Tragweite dieser
1 Vgl. hierzu besonders Hudtwalker, Diaeteten p. 53 ff., M e i e r-
Schömann-Lipsius II p. 902 a. 389, p. 863 a. 267.
9 S. Pollux VIII 38; vgl. Meier-Schömann-Lipsiusp. 809 ff.
B o e c k h , Staatshaushaltg. d. Athen. I 8 p. 416 ff. Auf eine Vergleichung
von sacramentum und nQmavela laäse ich mich hier nicht ein; vgl.
einerseits Bern h oft, Zeitschrift für vergl. Rechtswissenschaft I p. 28,
andrerseits Pflüger, legis actio sacramento, p. 22. Die Einwände des
letzteren sind begründet.
8 Isokr. g. Lochit. 2. Ueber den besonderen Fall in der demosthe-
nischen Rede gegen Euergos u. Mnesibulos s. u. p. 18 ff.
* Ueber die Verwendung von naQaxataßoMi für nqvxavBla s. Meier-
Schömann-Lipsius. Die yQaqrf ist die ygacf^ ßßQewg s. u. p. 47.
— 13 -
Bestimmung und ihre durchaus demokratische Tendenz liegt
auf der Hand: es genügt, auf Iherings lebensvolle Ausführ-
ungen über Arm und Reich im römischen Civilprozess zu
verweisen 1 .
Andrerseits trifft den unterliegenden Kläger die Pro-
zessstrafe der iTtcofieXia 2 , wenn sich für Gutheissung der
Klage weniger als ein Fünftel der Richterstimmen aus-
sprechen; die Strafe findet nach den Grammatikern (Etym.
u. iTtcoßelia, Lex. Seg. p. 255) Anwendung bei den dlxcu
XQtifiaTixai ; sie beträgt ein Sechstel der Klagsumme und fällt
dem obsiegenden Beklagten zu. Die Epobelie ist eine poena
temere litigantis, wenn auch ausdrücklich nirgends eine be-
sondere temeritas erfordert wird: die temeritas ist eben da-
durch bewiesen, dass es dem Kläger nicht einmal gelungen
ist, den fünften Teil der Richter von der Richtigkeit der
Klage zu überzeugen. Es ist auch durchaus nicht auffällig 8 ,
dass eine Gesetzgebung einerseits die Klageerhebung durch
Freigebung der Kostenerlegung erleichtert, andrerseits den
calumniösen Kläger nachträglich straft. Im Gegenteil: das
Risico verhindert eine Ausbeutung der vom Gesetz ge-
gebenen Erleichterung. So ist denn das Vorkommen der
Epobelie bei dlxrj aixiag ausdrücklich bezeugt 4 , wie ja diese
auch durchaus als dixrj XQVf^™^ 5 bezeichnet werden kann 6 .
1 Ihering, Scherz und Ernst in der Jurisprudenz 4. Aufl. (1891)
p. 175 ff.
8 Ueber imafieUa im allgemeinen Meier-Schömann-Lipsius
p. 947 ff Boeckh, Staatshaush. d. Athen. I 8 p. 432 ff.
8 Umsoweniger als dieselbe Erscheinung auch bei der yQa<t*i
dßQecog begegnet; s. u. p. 47.
4 Demosth. g Euerg. u. Mnesibul. 64 (1158), 82 (1164); hier war
die Schuldsumme 1100 Drachmen, als intoßelta werden 183, 3 Drachmen
bezahlt.
5 Vgl. p. 14 N. 1.
8 Boeckh, Meier-Schömann-Lipsius u. a. wollen die An-
wendbarkeit der Epobelie auf den Fall beschränken, wo der dixri alxlag
eine Widerklage des Erstbeklagten gegen« hertritt. S. darüber unten p. 21.
— 14 —
— Ueber die besondere, mehrfach abweichende Ansicht von
Lipsius s. u. p. 21.
6. Die dlxri aixlag ist immer gerichtet auf Be-
zahlung einer Geldsumme; der Thäter, der gegen den
Leib (elg oäfia) gefehlt hat, büsst mit dem Vermögen (xQ^jfiaai
dlxtjv i)7i£%ei)\ Die Höhe 2 der Summe ist durch das Gesetz
nicht fixiert 3 , der Richter hat sie für den einzelnen Fall fest-
zusetzen. Die dlxtj aixlag gehört zu den sog. schätzbaren
Prozessen (äyojv rifirjTÖg). Der Kläger hat bei Einreichung
seiner Klage eine Schätzung vorzuschlagen und beizuschreiben
(imyQd<f£<j&ai) ; er schätzt damit das ihm zugefügte Unrecht
(öjröoov Sei ä^iov elvai tö ddlxtj/ia); die definitive Schätzung
nimmt das Gericht vor (ol de dixaaxai tmxQlvovöiv).
Von der Höhe solcher richterlichen Schätzungen kann
man sich aus Demosthenes* Rede gegen Euergos und Mne-
sibulos eine . Vorstellung machen : der • Sprecher war hier
(wegen aixla) zur Zahlung von noo Drachmen verurteilt
worden, welche Summe sich durch Prozesskosten und -Strafen
1 Isokr. g. Loch. 17; Lys. g. Isokr. bei Sauppe fragm. or. Att. p.
191: alxlav xQrmdviüv fiovov Tiprjaai ^eaxiv.
9 S. zum folgenden besonders Lex. Seguer. p. 356.
3 Bedenken erregt Diog. Laert. VI 42, wo Meidias den Cyniker
Diogenes ins Gesicht schlägt mit den Worten: 3000 Drachmen liegen
für dich beim Wechsler. Die Anekdote erinnert, wie Meier-Schömann-
Lipsius II p. 649 bemerken, an die Anekdote des Veratius bei Gell. XX 1.
— Wenn die Nachricht wirklich auf Wahrheit beruht, so nötigt sie noch
nicht zur Annahme, dass die 3000 Drachmen eine vom Gesetz vorge-
sehene Strafsumme waren; die Verweisung auf das Depot kann auch
nur den Zweck haben, den Geschlagenen von der Anstellung der Klage
abzuhalten. Ueberdies stimmt die Summe nicht mit den Beträgen der
im Text erwähnten Rede des Demosthenes und ist schwer vereinbar
mit der gesetzlichen Strafsumme für xaxtjyoQla (500 Drachmen). Die
Entstehung der Anekdote mag damit zusammenhängen, dass die Ab-
findungssumme im Prozess des Meidias gegen Demosthenes dreissig
Minen (= 3000 Drachmen) betrug. Aischin. g. Ktesiph. 52 (441).
— J 5 —
noch erheblich erhöht K Die Grösse der Verletzung kennen
wir nicht.
Die vom Angeklagten zu leistende Geldsumme fällt,
wie bei jeder Privatklage, ganz an den Ankläger.
Ueber die rechtliche Bedeutung der vom Beklagten zu
zahlenden Geldsumme gehen die Ansichten auseinander.
Zunächst: Was erhält der Geschlagene durch diese
Zahlung? Thal heim 2 denkt an „Schmerzensgeld", Mücke
(p. 29) an „Schadenersatz* (ante omnia damnum spectatur);
Heffter (p. 244) spricht von einer „Geldbusse", Meier-
Schömann-Lipsius II p. 467 von „Genugthuung für
angethane Beschimpfung", Platner (II p. 204) lässt den
Kläger „die ihm zugefügte Verletzung in Geld anschlagen."
Die Quellen geben auf die Frage keine ganz bestimmte
Antwort. Der Gedanke eines „Schmerzensgeldes" begegnet,
soweit ich sehe, nirgends; es handelt sich aber auch nicht
einfach und auch nicht in erster Linie um Schadenersatz,
sondern um Reaction gegen „das Unrecht". Isokrates lässt
den Kläger durch die dlxtj cdxiag Rache nehmen an dem
Unrecht thuenden (TifuoQelo&cu ddixotivras) und erklärt aus-
drücklich, dass es sich dabei nicht um den „übrigen Schaden
[äXXt] ßldßrj] handle, der durch die Schläge entstanden sei,
sondern um das Unrecht (ddixla) und die Herabwürdigung
(dTifiia)". Nach dem Lexikon Seguerianum schätzt der
Kläger in seinem Tifirjfia „das Unrecht" (ddlxri/ia). Ueber
das Verhältnis der dixr\ cdxlas zu einer Schadenersatzklage
gibt Demosthenes* Rede gegen Meidias nähere Auskunft:
Meidias hatte dem Demosthenes, da dieser ein öffentliches
Amt bekleidete, eine Ohrfeige versetzt und ihm sein fest-
liches Gewand zerrissen. Demosthenes behauptet nun, zwei
1 Demosth. 1. c. 64, 1158. Die Stelle ist verdorben, im Text ist
die Lesung Boeckhs, St. d. Ath. angenommen. Bedenken gegen die-
selbe äussert Heffter, p. 434.
2 Bei Pauly-Wissowa, u. alxlag dtxij I p. 1007.
— i8 —
schied zwischen dywv ti^tös und dywv ärlfirjTog ist nach
wie vor vorhanden und besteht darin, dass das Gesetz hier
die Strafe fixiert, dort die Fixierung dem Richter überlässt.
Der Willkür des Klägers ist der Beklagte nicht ausgeliefert,
da der Richter an das klägerische Tifirjfuz nicht gebunden
ist. Gar nichts beweist (für die Notwendigkeit eines dvrwt-
firjfia) Demosth. g. Aphob. III 8 (847) 1 : es ergibt sich auch
daraus nur, dass die grundsätzliche Verurteilung des Be-
klagten nicht eine Anerkennung des klägerischen ri/irifia in
sich schloss; man möchte aus der Stelle eher schliessen,
dass selten der Richter die klägerische Schätzung zu der
seinen machte.
7. Besondere Schwierigkeiten ergaben sich,
wenn nach einer Schlägerei jede Partei behaup-
tete und gerichtlich geltend machte, sie sei zu-
erst geschlagen worden. War hier die dlxtj aixiag des
einen begründet, so erschien die des anderen unbegründet.
Hier hätte sich der Weg geboten, die beiden Klagen in der
prozessualischen Behandlung zu verbinden; dadurch wäre
die Sammlung des Beweismaterials vereinfacht und die Mög-
lichkeit widerstreitender Urteile vermieden worden. Das
attische Recht hat diesen Weg nicht eingeschlagen; es er-
gibt sich dies deutlich aus Demosthenes' Rede gegen Euergos
und Mnesibulos.
Der Sprecher der Rede hatte bei Theophemos eine
Pfändung vorgenommen, dabei war es zu einer Prügelei ge-
kommen. Nun erhebt zunächst der Sprecher die 8lxr\ aixlag;
Theophemos antwortet mit einer Gegenladung (ävriTtQooxa-
Xdo&aii 45, 1153), die zu einer zweiten 8ixr\ aixiag führt.
Nun liegen zwei afo/a-Prozesse vor; jeder gelangt zunächst
an einen besonderen öffentlichen Diaiteten 2 .
1 Oi> {tövov a-bxov xatiyvcaaav, äXXä xal tüv i7iiyeyQafjLfiiv(av ivifirjoav.
2 Ausdrücklich heisst es (45, 1153): *<ov övaizriT&v vh$ dlxag (nicht
zty dlxriv) i/öytoir; andrerseits wird für den einzelnen Prozess je nur
— I 9 —.
Die Erledigung der Klage des Sprechers verzögert
sich, da der Beklagte (Theophemos) vor dem Diaiteten
Schwierigkeiten macht 1 . Dagegen gelangt die Klage des
Theophemos zur gerichtlichen Entscheidung 2 . Theophemos
siegt, der Sprecher wird zu einer Geldsumme, wahrschein-
lich von noo Drachmen, verurteilt; dieses Urteil wird nach
Ablauf der gesetzlichen Notfrist durch Pfändung vollstreckt 8 .
Die andere Klage (Sprecher gegen Theophemos) war
allem Anschein nach in der Zwischenzeit liegen geblieben;
sie ist nicht vor den Gerichtshof gebracht worden, wahr-
scheinlich auch vom Diaiteten noch nicht entschieden; viel-
leicht bestand die Opposition des Theophemos, von der in
§ 45 (1153) gesprochen ist, gerade darin, dass er Sistierung
dieser Klage bis nach Erledigung seiner eigenen ver-
langte. In der demosthenischen Rede erklärt der Sprecher
diesen Prozess als einen noch pendenten: Sigjxco alxlag : 8
(1I41); 10 (1142).
Die nächstliegende Erklärung dieses Verfahrens ist doch
wohl die: zunächst werden die beiden Prozesse durchaus
selbständig behandelt; man wird daran keinen Anstoss neh-
men, wenn man bedenkt, dass die Vierzigmänner in Phylen
— Abteilungen functionierten 4 , dass die beiden Parteien ver-
ein Diaitet erwähnt: 5* (1140), 6 (1141), 47 (1153). Platner (II p. 201),
der beide Prozesse vor demselben Diaiteten spielen lässt, nimmt an,
dass in der citierten Stelle „der Pluralis gebraucht wird, um überhaupt
die Instanz zu bezeichnen." Das ist eine überaus gezwungene Erklärung.
1 Demosth. 1. c. 45 (1153): naQeyQdtpeto xai bn&pvvTO. Wie das
Aufschubsgesuch motiviert wurde, ist nicht angegeben.
2 Das Gericht (ol dixaavai) entschied zu gunsten des Theophemos ;
wie in diesem Prozess der Diaitet entschieden hatte, wissen wir nicht;
wahrscheinlich gegen Theophemos, da der Sprecher einerseits darüber
klagt, dass Theophemos die Richter (nicht den Diaiteten) getäuscht
habe (46, 1153), andrerseits bis zur Entscheidung durch die Richter seiner
Sache sicher zu sein glaubte: matevtav ipavtq) elafjew eig i)fiäg 45 (1153).
8 Ueber diese Pfändung vergl. Hitzig, griech. Pfandrecht (1895)
P- 57 ff-
4 S. o. p. 9; competent ist das Gericht der Phyle des Beklagten.
2*
— 20 —
schiedenen Phylen angehören konnten und so die beiden
Prozesse bei verschiedenen Collegien anzubringen waren.
War aber einer der beiden Prozesse bis zum rechtskräftigen
Urteil gediehen, so erblickte man darin eine endgültige
Lösung der ganzen Frage ; man hielt es nicht für angemessen,
das grosse Gericht zum zweiten mal mit demselben Prozess-
stoff zu beschäftigen: war zu gunsten des Theophemos ent-
schieden, dass der Gegner zuerst geschlagen hatte, so war
damit auch die Unbegründetheit der Klage des letzteren festge-
stellt 1 . Die formale Selbständigkeit des Verfahrens und des
Urteils geht zur Evidenz daraus hervor, dass mit keinem Worte
die Ungesetzlichkeit der Pfändung auf Grund des Urteils be-
hauptet wird; nirgend ist angedeutet, dass wegen der Pen-
denz des Prozesses i. S. Sprecher gegen Theophemos das
Urteil i. S. Theophemos gegen Sprecher nicht in Rechts-
kraft erwachsen sei.
Wollte der unterliegende Teil seinen eigenen Prozess
weiter führen, so musste er zunächst das gegen ihn sprechende
Urteil aus der Welt schaffen. Das versucht der Sprecher,
indem er gegen die Zeugen den Prozess wegen falschen
Zeugnisses erhebt. Damit verträgt sich sehr wohl seine
Behauptung, dass er — immer noch — den Theophemos
alxlag verfolge.
Damit erklärt sich auch ein weiterer Punkt. Theophe-
mos belangt den Sprecher nicht nur auf die Urteilssumme
(xaradixt]), sondern noch auf Epobelie und Prytaneia. Nach
den Ergänzungen von Boeckh zu 64 (1158), vgl. 77 (1162),
wäre anzunehmen, dass die Urteilssumme 11 00 betrug, die
Epobelie 183, 3, die Prytaneia 30, im ganzen 1313,3. Das
Vorkommen der Epobelie fällt auf. Sie ist im allgemeinen 2
1 Wurde Theophemos abgewiesen, so war der Prozess noch nicht
definitiv entschieden; es musste im Prozesse des Sprechers gegen
Theophemos noch das Quantitativ festgesetzt werden.
9 S. o. pg. 13.
— 21 —
eine Prozessstrafe, die den Kläger trifft; im entschiedenen
Prozess war aber der Sprecher nicht Kläger, sondern Be-
klagter. Man sah aber die Sache auch hier so an, dass der
Unterliegende damit zugleich den eigenen Prozess, in dem
er Kläger war, verloren hatte. Dabei wurde die Epobelie
möglicherweise 1 nach dem entschiedenen, nicht nach dem
unentschiedenen Prozess berechnet. Jedenfalls trifft die Epo-
belie den Sprecher, weil er (auch) Kläger ist, nicht weil
er Widerbeklagter ist.
Ganz anders fassen Boeckh I 3 p. 428, 433, Plat-
ner II p. 204 und Meier-Schömann-Lipsius II p. 948
den Fall auf: Die dixrj cdxlag sei an sich mit der Gefahr der
Epobelie nicht verbunden; wenn aber eine Widerklage er-
hoben werde, so sei diese „weil dabei boshafte Verfolgung
von einer der beiden Parteien gemutmasst werden konnte,
für beide Teile durch Epobelie besonders verpönt" (Boeckh
I 3 p. 428). Dabei ist aber nicht einzusehen, warum eine dem
Kläger an sich zukommende Vergünstigung (Befreiung von
der Epobelie) nachträglich ihm wieder durch eine Operation
des Gegners geraubt werden kann. Eine solche Gegenklage
kann den zweiten Kläger verdächtig erscheinen lassen, nicht
den ersten. — Dazu kommt, dass gerade für den Fall der
dvriyQaqyfj ausdrücklich wieder bemerkt wird 2 , dass die Epo-
belie den Kläger (Widerkläger) trifft ; es kann also nicht
eine Wirkung der ävxiyQayfi sein, dass hier ausnahmsweise
Kläger und Beklagter der Prozessgefahr unterliegen.
1 Dies muss angenommen werden, wenn die Lesung Boeckhs bei
64, 1158 das Richtige trifft. Diese Schwierigkeit vermeidet die Lesung
Heffters p. 435; er rechnet so:
1. Theophemos hatte als Entschädigung eingeklagt 1200 Dr.
2. Sein Gegner (Sprecher), in der früher angestellten
Gegenklage 500, hievon Epobelie 83 Dr. 2 Ob.
3. Prytaneia an Theophemos zurückerstattet 30 Dr.
1313 Dr. 2 Ob.
8 Poll. VIII 58: 6 — äyriygaipdfievog /u^ xgaz^aa$ tty inoißeUav
7iQooa)(pXiaxav£v.
22 —
Anders verhält es sich freilich mit den Prytaneia. Dass
die dlxri aixlag von solchen an sich befreit war, ist oben be-
merkt; aus unserer Rede folgt, dass, wer die dlxrj cdxlag
Widerklage weise erhob, Prytaneia erlegen und vom Gegner
ersetzt verlangen konnte. Die ratio legis (s. o. p. 12) ergibt,
dass der Kläger nicht nachträglich durch eine Gegenklage
des Beklagten um sein Privileg gebracht werden kann; wo
bliebe sonst der Schutz des wirtschaftlich Schwachen? Da-
gegen ist es sehr wohl begreiflich, dass der Gesetzgeber
den Widerkläger selbst (und nur ihn) zur Erlegung der Pry-
taneia anhält: ihm konnte entgegen gehalten werden, dass
bereits eine Klage gegen ihn vorliege und er konnte dem
Gesetzgeber derartig verdächtig erscheinen, dass ihm Pry-
taneia auferlegt wurden. Ihm konnte man sagen: wenn
deine Sache sauber wäre, so hättest du selbst geklagt und
hättest dich nicht erst verklagen lassen.
B. Die dixiq xaxrjyoQlag.
1. Nach Plutarch (Solon c. 21) enthielt die solonische
Gesetzgebung zwei Bestimmungen über Verbalin-
jurien; sie bedrohte mit Strafe Schmähungen (xaxwg Xeyeiv)
1) gegen Verstorbene, 2) in Heiligtümern, Gerichtshöfen
(dixaoT'fiQia), Amtshäusern (dQxeia) und während festlicher
Spiele (d-ewQiag oflcqg dydyvwv). In letzterem Fall betrug die
Strafe fünf Drachmen, von denen zwei dem Staat, drei dem
verletzten Privaten (idid)Ttjg) zufielen; wahrscheinlich war
auch für den ersteren Fall eine ähnliche Verteilung der Straf-
summe unter den Staat und den Verletzten vorgesehen 1 .
1 Es ergibt sich dies m. E. aus der besonderen Strafbestimmung
über Verbalinjurien gegen Verstorbene im späteren Recht. (S. u. p. 24);
besonders wenn man mit Hermann p. 10 N. 19 im lex. Cantabr. 671
statt vQidxovxa liest : xqvaxoaiovq. Vielleicht ist noch weiter zu emendieren
und zu lesen : nevraxoaiovg xaTadixao&eig änfXe, [tfiaxoatovg [*hv\ zip drj/uootq),
tqiaxoalovg dh r# Idubvy. — Dann passt auch die folgende Gegenüber-
stellung CYnegeldris dh /tUagJ besser.
— 23 —
Eine allgemeine Strafbestimmung über Verbalinjurien fehlt
der solonischen Gesetzgebung; als Begründung wird ange-
geben: nirgend seinen Zorn meistern können, sei ungezogen,
es überall können, schwer, und vielen unmöglich ; das Ge-
setz richte sich nach dem Möglichen und bedrohe mit Strafe
lieber wenige mit Erfolg als viele ohne Erfolg 1 .
Als Grundgedanke der ältesten Gesetzgebung ergibt
sich: i) die Bestrafung ist auf wenige ausgezeichnete Fälle
beschränkt; 2) die Injurie zieht auch das Gemeinwesen in
Mitleidenschaft. — Gerade diese letztere Idee begegnet im
griechischen Recht auch anderwärts. Das Gesetz des Za-
leukos 2 gibt den Gesetzeswächtern aligemein auf, dafür —
durch prophylaktische Massregeln und Strafen — zu sorgen,
dass keine Schmähreden geführt werden. Auch Plato (Ges.
IX 935 C) geht durchaus von der Idee aus, dass allgemeine
Interessen gefährdet sind; er bespricht zunächst den Fall,
wo die Injurie durch den Ort der Begehung qualifiziert ist,
s. u. p. 24 N. 4, und fährt fort : macht aber jemand an einem
anderen Ort mit solchen Schmähreden den Anfang oder
enthält er sich ihrer bei seiner Verteidigung nicht, so soll
jeder, der dabei zugegen ist, falls er älter ist, als die
Zankenden, dem Gesetze zu Hülfe kommen und ein Uebel
durch ein anderes vertreiben, indem er dem Zorne, welchem
sie fröhnen, mit Schlägen Einhalt thut; unterlässt er dies, so
soll er einer festgesetzten Busse verfallen. —
2. Eine allgemeinere 3 Strafandrohung gegen Verbal in-
1 Plut. Sol. 21.
8 Stob. serm. XLIV 21 : fi^elg <f£ Xeyiro) xaxtüg, fifjte xowß tty
n6lw fitfze töfy %bv noXlTfjy, dXX* ot tä>v v6[i<av (pvXaxeg inipekelo&tixsav x&v
Ji^/u/uekovricoy nqmov jukr vovd-etovvxeg, iäv dh [ity jiefövvtai, Zrtfiiovvxes.
3 Würde das im Text im folgenden erwähnte Gesetz bereits der
solonischen Gesetzgebung angehören, so hätte es Plutarch um seiner
Eigenart willen gewiss erwähnt. Auch die Höhe der Strafsumme von
500 Drachmen (verglichen mit den fünf Drachmen Solons) spricht für
späteres Entstehen, s. bes. Boeckh I p. 445.
— 2 4 —
jurien findet sich erst in der nachsolonischen Ge-
setzgebung, aber wieder mit einer eigentümlichen Ein-
schränkung.
Das Gesetz bestimmt selbst, was als verbotene Schmäh-
ung (dTvÖQQrjTov) zu gelten habe, was nicht. Die Strafe be-
trägt immer fünfhundert Drachmen; dem Beleidigten wird
hierauf die dixtj xaxiqyoQlag gewährt.
Der gesetzlich fixierte Injurienbegriff der xaxyyoQia
wurde dann auch auf die erste der solonischen Straf bestimm-
ungen (xax&s dyoQeöeiv xbv xz&vrixö'va) angewendet 1 ); die Be-
sonderheit des Falles kommt immer noch in der Strafe zum
Ausdruck: sie beträgt (statt 500) hier 1000 Drachmen, von
denen 500 dem Staat, 500 den Erben des Injuriierten zu-
fallen 2 ; dazu kommt Atimie. — Die solonische Bestimmung
über Schmähungen an bestimmten Orten und bei bestimmten
Gelegenheiten bleibt in Kraft; der [enge] gesetzliche Kake-
goriebegriff kommt nicht zur Verwendung, auch Schmäh-
ungen, die keine xaxrjyogla darstellen, blosse koidoQiai*, wer-
den geahndet. Da das Strafmass der solonischen Bestimm-
ung» 5 Drachmen, nicht mehr genügte, half man sich mit
der Verhängung magistratischer Bussen (imßoM}) 1 .
1 Nach dem lex. Cantabr. 671, 7 (s. Meier-Schömann-Lipsius II
p. 630 A. 694) muss dies angenommen werden, da xaxüg elnelv in beiden
Sätzen dasselbe bedeuten muss. Näheres hierüber und über die Atimie
s. Meier-Schömann-Lipsius a. a. O. —
8 So Hypereides im lex. Cantabr. 671, 7; = Saupp. fragm. or. p.
291; nach einer anderen Angabe betrug die (zwischen Staat u. Erben
zu teilende) Summe auch hier 500 Drachmen, vgl. lex. Cantabr. ibdl
und oben p. 22 N. 1.
8 Im minder strengen Sprachgebrauch werden freilich xaxtjyoQia
und XoiöoQia promiscue gebraucht, vgl. z. B. Demosth. g. Boiot. II 49,
1022, Demosth. g. Kon. 18, 1262.
4 Hieher gehört die Rede des Lysias für den Soldaten. Er beruft
sich (§ 9, vgl. § 6) auf ein Gesetz, welches ausdrücklich gebietet, die
iv avre^Qccp (nachher dQ/eloyJ loidoQovvteg zu strafen. Der Befehl ist an
die Magistrate gerichtet. Im concreten Falle handelte es sich um einen
Strategen. Von diesen sagt Aristoteles St. d. Ath. c. LXI, 2 ausdrtick-
— 25 —
Eine besondere Behandlung erfährt zur Zeit der Red-
ner die xaxriyoQla gegenüber einem Beamten, wenn dieser in
seiner amtlichen Eigenschaft angegriffen wird. Der Thäter
wird ehrlos (äTipog) 1 ; es geht gegen ihn eine öffentliche
Klage 2 , denn in dem Beamten ist der Staat beleidigt (tzqoo-
vßQi'Qei xb rrjs Ttölecog övofia). — Lag keine xaxtjyoQla im tech-
nischen Sinn vor, so konnte der Magistrat die Schmähung
durch Auflegung einer imßoltf ahnden 3 .
3. Die folgenden Ausführungen sollen sich nur mit der
gewöhnlichen Verbalinjurie (xaxtjyoQla) beschäftigen,
dh. mit der weder durch Ort und Zeit der Begehung noch
durch die Person des Angegriffenen qualifizierten.
Das Gesetz 4 erklärte bestimmte Reden als verbotene
dTiÖQQrjTa 5 ; es enthält einen Katalog verbotener Worte. Wer
lieh, dass sie das Recht Bussen zu verhängen besitzen, davon aber
regelmässig keinen Gebrauch machen, o-bx elcbfraai dh inißdlleiv. Vgl.
auch Aisch. g. Tim. 60. — Auch bei Plato Ges. IX 935 B soll die
Obrigkeit, die den Vorsitz führt, sofort bestrafen, wenn einer bei öffent-
lichen Opfern, Wettkämpfen, auf dem Markt, vor Gericht, in einei
öffentlichen Versammlung (atiXkoyog xoivög) Schmähreden fuhrt. Für
letztere verwendet Plato den Ausdruck xaxriyoQelv, aber wohl nicht im
technischen Sinn. — Auf die Aeusserungen der Parteien vor Gericht
scheint man die solonische Bestimmung nicht angewendet zu haben, s.
Meier-Schörnann-Lipsius II p. 632, anders freilich die Vorschläge Piatos
Ges. IX 935.
1 Demosth. g. Meid. 32 (524): äv Idi&triv . . xax&g eTay — ötxrjv
xaxtjyogtag löiav (peti&TCU , iäv dh d-ea^od-ivijp, äxvpLog Maxai xaS-dncg. Da
xaxüg etnxi in beiden Sätzen dasselbe bedeuten muss, muss auch im
zweiten Satz der gesetzliche Katalog der xaxyyoQtai zur Anwendung
kommen.
8 Das muss aus der ganzen Redeweise des Demosthenes ge-
schlossen werden; welche öffentliche Klage es war, wissen wir nicht;
dass es nicht die ygcupty SßQeoig war, ergibt sich aus der Gegenüber-
stellung bei Demosth. g. Meid. 32 (524).
* Dass sich dies aus Lysias' Rede für den Soldaten ergibt, ist
bei Meier-Schömann-Lipsius II p. 632 A. 403 nachgewiesen.
4 Es ist immer nur von einem Gesetz die Rede; Isokr. g.
Lochit 3, Demosth. g. Aristokr. 50, 635. —
6 Lys. g. Theomn. 2; Isokr. g. Lochit 3; vgl. Demosth. v. Kranz.
123, 268: xaxibg xdL7i6^r\xa Xiyeiv.
— 26 —
ein solches Wort verwendet, macht sich einer xaxrjyoQta
schuldig; von ihm heisst es technisch: xaxwg kiyei, xax&g
äyoQeöei, xaxrjyoQel; vom Angegriffenen: xaxäg dxotiei.
Aus dem Gesetz sprechen deutlich die Bedenken, die
man gegen eine Bestrafung der Verbalinjurie 1 im allgemeinen
hegte : man fürchtet eine Ueberspannung des Injurienbegriffs,
dass ein empfindlicher Verletzter etwas als Beleidigung em-
pfand und für diese Auffassung ein Gericht gewann, was
nach gemeiner Ansicht eine Beleidigung nicht war. Ein
demokratischer Zug ist nicht zu verkennen, der das Wort frei
lässt, der grossen Empfindlichkeit wehrt und dem Richter
die Meinung der Gesellschaft in scharfen Umrissen zeigt.
Den Katalog der dTiÖQ^ra besitzen wir nicht. Lysias 2
erwähnt folgende: dvÖQocpövogy TiatQakolag^ [irjTQcdolag , &tzo-
߀ßkrjxivai d doTtida*. Die drei letztgenannten Vorwürfe: Vater
und Mutter schlagen, Schild wegwerfen werden im griech-
ischen Recht mehrmals neben einander erwähnt. Beides
gilt als besonders schimpfliche That; beides wird durch öffent-
liche Straf klage (yQcupri yovioyv xaxd)G۟)g, yQacpi] deiUag) 5 ver-
folgt; wer sich des einen oder andern schuldig macht, wird
ohne weiteres infam (äufiog) 6 und verliert das Recht, zum
Volk zu reden 7 . Die sämtlichen dnÖQQriTa, die Lysias er-
wähnt, bringen den Geschmähten in Beziehung zu Hand-
lungen, die wenn sie wirklich von ihm begangen worden
s
8
1 Ueber die von Solon geregelten Fälle hinaus.
Lys. g. Theomn. 6 ff.
Ungenau Meier-Schömann-Lipsius II p. 630, wo als daödfäioy
das Wort (tixpaanis erwähnt ist.
4 Andere erwähnen noch die Ausdrücke Xamodvxris (Kleiderräuber),
dvdQanodiOTtfs (Menschenräuber); beide Ausdrücke sind allerdings bei
Lysias erwähnt, aber nicht mit dem Kakegoriegesetz in Verbindung
gebracht.
5 Vgl. Meier-Schömann-Lipsius I p. 464.
8 Andokid. v. d. Myst. 74: i} äonida änoßdkoiev — JJ T0 ^S yoviag
/.axCog novolev.
7 Aisch. g. Timarch. 54, 27 ff. Poll. VIII 43; 45.
— 2 7 —
wären, öffentliche Strafklage nach sich ziehen würden. Von
einer fünften verbotenen Schmähung, die zur dixt] xaxrjyoQtag
führt, lässt sich dies nicht sagen; nach Demosth. g. Eubul.
30, 1308 macht sich auch derjenige einer xaxrjyoQla schuldig,
der einem Bürger wegen seines Handels auf dem Markt ver-
spottet {öveidi&i). —
Gegen die Annahme, dass es „noch weit mehr äTTÖQQfjxa^
gegeben habe 1 , sprechen die Bemerkungen des Harpokration 2 ,
dass Lysias die ändQ^xa — erschöpfend — aufzähle und des
Aristoteles 3 , dass die Gesetze „einige Schmähungen" Ivia
kovdoQelv untersagen.
Besondere Berücksichtigung verdient Lysias' Rede gegen
Theomnestos (X). Theomnestos war von Lysitheos in Form
einer Eisangelie angeklagt worden, weil er zum Volke rede,
(drifiriyoQelv), wiewohl er im Kampf die Waffen weggeworfen
und dadurch die Fähigkeit, öffentlich aufzutreten, verloren
habe (§ 1). In diesem Prozess hatte Theomnestos gegen den
Sprecher der lysianischen Rede, der als Zeuge aufgetreten
war (§ 30), den Vorwurf erhoben, dieser habe seinen eigenen
Vater getötet (§ 1: ^ ixelvco xq) äyüvi xbv itaxiqa [i icpaoxev
dnexxovevai xbv ifiavxov). Theomnestos wurde freigesprochen 4 .
Nunmehr belangt der Sprecher den Theomnestos mit einer
dixiq xaxrjyoQiag; dieser scheint zuzugeben, dass er die Be-
hauptung (der Sprecher habe seinen Vater getötet) aufge-
stellt habe, will sich aber damit keiner xaxrjyoQla schuldig
gemacht haben, da das Gesetz nur verbiete, jemand ävdqo-
(pövog zu nennen, nicht aber zu behaupten, es habe jemand
seinen Vater getötet (6) 5 .
1 So F. Blass, attische Beredsamkeit 2. Aufl. I p. 601 N. 5.
'S. V. &7lÖQQf]Ta.
8 Nikom. Eth. IV 8, 9.
4 Lysias a. a. O. § 22 vgl. § 3.
6 Lysias kennt die Verteidigungsweise des Beklagten aus dem
Vorprozess vor dem öffentlichen Diaiteten (§ 6).
— 28 —
Meistens wird angenommen 1 , Theomnestos mache sich
einer aussichtslosen Wortklauberei schuldig; das Gesetz ent-
halte allerdings mehr ein „Namen- als ein Sachregister" ;
Lysias weise aber nach, dass es nicht auf den Ausdruck,
sondern auf die Sache ankomme; dass die Klage auch dann
statthaft sei, wenn die Schmähung nicht gerade mit dem im
Gesetz ausdrücklich verpönten Wort, sondern mit einem
gleichbedeutenden Ausdruck verübt war.
Ganz anders hat in neuerer Zeit E. Szanto das Kake-
goriegesetz und den Einwand des Theomnestos aufgefasst.
Nach Szanto kennt bereits das griechische Recht eine Unter-
scheidung zwischen Beschimpfung und falscher Beschuldig-
ung. Das Gesetz über die dnÖQQrjTa habe nur erstere im
Auge; es verstehe „unter strafbarer Beschimpfung die Unter-
grabung des guten Namens durch Ausdrücke, welche einen
verbrecherischen oder verächtlichen Charakter bezeichnen,
ohne dass bestimmte Thatsachen zu gründe gelegt werden
— unter straffreier (falscher) Beschuldigung aber die Nam-
haftmachung bestimmter entehrender Handlungen" (p. 161).
Gegen dieses Gesetz kämpfe Lysias an: „er erwartet von
dem Volksgerichte, dass es diese Erweiterung des Gesetzes
(Bestrafung^ auch der falschen Anschuldigung) durch sein
Urteil sanctionieren werde" (p. 162).
Den Ausführungen Szantos kann ich nicht beitreten;
m. E. ist die Unterscheidung, die er macht, dem griechischen
Recht fremd geblieben. Unter den d7c6Q(>rjTa steht neben
der Schmähung dvdQoyövog (Mörder) und TtaxQalolag die an-
dere: dTioßeßkrjxivai donlda (Schild weggeworfen haben);
Szanto hat das nicht übersehen, glaubt aber in der Bestraf-
ung der zweiten eine Durchbrechung des Prinzips zu er-
1 So z. B. Platner II p. 188, Meier-Schömann-Lipsius II
p. 631, Thonissen p. 281.
2 E. Szanto, die Verbalinjurie im attischen Prozess, Wiener
Studien XIII (1891) p. 159 ff.
— 29 -
kennen. Diese ist aber umsoweniger wahrscheinlich, als ge-
rade die beiden Vorwürfe (Schlag gegen Eltern, Wegwerfen
des Schildes) häufig zusammen erwähnt werden *. — Zudem
macht Lysias selbst die von Szanto vorgeschlagene Unter-
scheidung nirgends; für ihn unterscheiden sich in derselben
Weise dvdQoq)6vog und naxiqa äizemovivai einerseits und
damda dTvoßeßkrjxivcu und iQQMpivcu andrerseits: es ist ledig-
lich nicht das Wort verwendet worden, das der Gesetz-
geber verpönt hat.
Bedenklich sind auch die Consequenzen , zu denen
Szanto gelangt: die Beschimpfung wird bestraft, die falsche
Anschuldigung nicht. Szanto führt freilich aus : die Thatsache,
dass die Strafklage (z. B. wegen Schildwegwerfens) jeder-
mann zustehe, mache dem Beleidigten die Wiederherstellung
seiner Ehre leicht; er könne ja, wenn er fälschlich beschul-
digt werde, einfach darauf hinweisen, dass die Straf klage
nicht angestellt sei und der Beleidiger sie gewiss angestellt
hätte, wenn der Vorwurf wahr wäre. Aber es ist nicht ein-
zusehen, wie und wo eine solche Hinweisung vorzu-
nehmen ist — wenn eben nicht in einer Strafklage wegen
Beleidigung — und inwiefern sie denselben Erfolg für den
Beleidigten hätte, wie die Injurienklage. Uebrigens darf
auch nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass der Be-
leidiger geklagt hätte, wenn der Vorwurf begründet wäre.
Auffallend ist in der lysianischen Rede allerdings die
Ausführlichkeit und Umständlichkeit, die Verschwendung
rhetorischer Mittel, mit der eine scheinbar einfache Sache
vertreten wird. Blass 2 nimmt an, diese Weitläufigkeit sei
der Ausdruck des Behagens, mit dem der Sprecher die Ge-
legenheit ausbeute, seinen Feind lächerlich zu machen und
wie einen dummen Jungen zu behandeln. — Vielleicht war
aber die Sache doch nicht so einfach. Da das Gesetz offen-
1 S. o. p. 26.
8 F. Blass, attische Beredsamkeit I p. 606.
— 3° —
sichtlich eine Bestrafung der Verbalinjurie nur innerhalb
einer festen Grenze wollte 1 , so mochte sich wohl ein Ge-
richt nun auch stricte an den Wortlaut des Gesetzes ge-
bunden erachten. Ueberdies sind wir über die eingeklagte
Aeusserung des Theomnestos und seine Verteidigungsweise
nicht näher unterrichtet. Vielleicht hat Lysias letztere nicht
richtig wiedergegeben oder absichtlich entstellt. Theomne-
stos hatte vielleicht gar nicht allgemein verneint, dass kiyeiv
äitSKTOvivai und ävÖQoepdvov teyeiv gleichbedeutend seien,
sondern nur für den concreten Fall behauptet, dass in
seiner Aussage der Vorwurf des Mordes nicht gefunden
werden könne; man denke etwa daran, dass das Wort xzeiveiv
auch für cpdvog dixaiog verwendet wird.
Die Erhebung einer falschen Anklage wird anscheinend
nicht als xaxiqyoQla behandelt. Unter den poenae temere
litigantium wird die dlxt] xaxrjyoQiag nirgends erwähnt, eben-
sowenig sind Anwendungsfälle bezeugt. Platner II p 191
will allerdings einen solchen bei Lysias g. Theomn. erwähnt
finden 3 : Theomnestos habe eine dlxrj xaxrjyoQiag angestellt,
weil er wegen Schildwegwerfens belangt worden war. Dies
ist aber bei Lysias nicht gesagt. Der Ankläger in der
Eisangelie heisst Lysitheos (§ 1), während die Person, die
von Theomnestos nachher xaxrjyoQiag belangt wird, Theon
heisst (§ 12). — Ueberdies trennt Demosthenes in der Kranz-
rede (123, 268) ausdrücklich Anklage (xarrjyoQia) und Belei-
digung, bei ersterer werfe der Ankläger dem Angeklagten
eine strafbare Handlung vor (ädixt)imT £%£iv, S>v iv zolg
vö/ioig eloiv al tiimoqicu) und unternehme überdies den Versuch
1 S. o. p. 26.
2 S. etwa Philippi, Areopag p. 55 ff. — Zu vergleichen sind
auch die Ausfuhrungen Plato's (Gesetze 943 D) über den Vorwurf des
&7ioßeßXr]y.£vaL ÖTiXa.
8 Er hält es für gleichgültig „ob man jemandem den Vorwurf
einer entwürdigenden Handlung im allgemeinen gemacht oder in eine
Klage eingekleidet hatte"
— 3 1 —
ernsthafter Beweisführung (iv 1 i'§ekiy%a)fi€v, idv ug fjdixtixwg
%i Tvyxdvtj xr\v nöhv) 1 . Der Ankläger übernimmt durch die
Anklageerhebung Pflichten und ein Risico 2 , dies bildet
einen genügenden Schutz für den durch die Anklage be-
drohten.
Eher Hesse sich der Satz vertreten, dass eine Zeugen-
aussage unter den Begriff der xaxrjyoQia gebracht werden
könnte 8 . In Lysias* Rede gegen Theomnestos erfahren wir,
dass dieser gegen Theon xaxyyoQiag geklagt hatte, da dieser
ihm Wegwerfen des Schildes vorgeworfen hatte (§ 12) J
andrerseits wird berichtet, dass eine (unbenannte) Person,
die als Zeuge im Prozess Lysitheos-Theomnestos das Schild-
wegwerfen des letzteren konstatiert hatte, infolge eines von
Theomnestos angestrengten Prozesses in Atimie verfiel (§ 22).
Es würde an sich nahe liegen, diese Zeugenaussage auf die
eben erwähnte Aussage des Theon zu beziehen. Aber
später (§ 30) wird als Zeuge ein Dionysios genannt, so dass
dieser wohl auch in § 22 gemeint ist. Auch hier darf fest-
gestellt werden, dass ein Bedürfnis, Zeugen mit einer dixri
xaxrjyoQiag zu belangen, insofern nicht vorlag, als in solchen
Fällen den Betroffenen bereits hinreichende andere Mittel in
die Hand gegeben waren 4 .
1 S. hiezu auch Szanto, Wiener Studien XIII p. 159.
* Für öffentliche Klagen ist besonders auf die Bestimmung zu ver-
weisen, dass der unterliegende Kläger, der nicht einen Fünftel der
Richterstimmen auf seinen Antrag vereinigt, in eine Busse von tausend
Drachmen verfällt.
8 Die Frage ist noch gar nicht untersucht.
4 Vgl. im allg. Meier-Schömann-Lipsius II p. 486 ff. — Die Klage
in § 22 dürfte also die dlxri xpevöofiaQivQtibv sein; dass der Beklagte
dabei in Atimie verfiel, ist wohl auf ein richterliches Prostimema zu-
rückzuführen, da sonst erst eine dritte Verurteilung wegen falschen
Zeugnisses infamierte. Hier hatte der Zeuge eine Aussage gemacht,
die den Vorwurf einer ehrenrührigen Handlung involvierte, in solchen
Fällen musste es für den Richter besonders nahe liegen, der Strafe die
„Zubusse" der Atimie beizufügen.
— 32 —
Besteht die Schmähung im Vorwerfen einer bestimmten
Thatsache , so wird der Angeklagte zum Wahrheitsbeweise
zugelassen 1 . Das Gesetz über xaxrjyoQla scheint das Wort
xpevdfi enthalten zu haben 2 . In einem Fall wird auch bei
Wahrheit des Vorwurfes doch wegen xaxtjyoQia verurteilt:
wenn jemand einem Bürger (oder einer Bürgerin) vorwirft,
dass er auf dem Markte ein Gewerbe treibe und feil halte
(iQyaola iv xfi dyoQ<p) d . —
Das Vorhandensein eines animus injuriandi wird nirgends
besonders gefordert; es wird nur gelegentlich bemerkt, dass
der Richter auf den Zorn und die momentane Erregung des
Beleidigers keine Rücksicht nehmen dürfe, da das Gesetz
[schlechthin] den bestrafe, der das verbotene Wort ge-
sprochen hat (Lrjftiol top kiyovTa), vorausgesetzt, dass dieser
nicht den Wahrheitsbeweis erbringt. Der Thäter wird be-
straft, weil er „entgegen dem Gesetz" spricht 4 . Die belei-
digenden Aeusserungen werden auch als ßhaocprjfticu be-
zeichnet 5 . Schmähungen — straflos — wieder mit Schmäh-
ungen zu erwiedern, ist nicht gestattet 6 . — Plato (Ges. XI
935 C ff.) unterscheidet zwei Fälle, je nachdem die Belei-
digung im Ernst und Zorn ((lexä dvfiov) oder im Scherz
(fisrä uaidiäg) erfolgt; in beiden Fällen soll der Gegner
1 Lys. g. Theomn. 30: Cw 10 ^ x ^ v Myovta, iäv pi] äTzotpaivfl, &g ioviv
2 Demosth. g. Aristokr. 50, 635: [d vöpog] vä xfjevötf nQoai&tixev.
8 Demosth. g. Eubul. 30, 1308. — Dieser Fall unterscheidet sich
wesentlich von den anderen ; die ötxi] xaxtjyoQlag scheint hier die fehlende
yQa(f}] dßQewg <?*ä Xöywy zu ersetzen.
* Lys. g. Theomn. 30; vgl. 26: Uyei naQä tobg röjjovg.
5 Demosth. Kranzrede 123, 268 u. g. Boiot. II 49, 1023.
6 Eine Bestimmung, analog dem äoyeiv xetoojy ädiy.<av bei der dlxrj
alxiag, fehlt. Plato erklärt die Schmährede ausdrücklich strafbar ohne
Rücksicht darauf, ob sie der Thäter äQ/coy 0( * er äfivyöfievog verübt hat
(Ges. XI 935 C). Auch die solonische Bestimmung über die Schmähung
Verstorbener lässt Strafe eintreten, auch wenn der Beleidiger zuerst
von den Erben des Verstorbenen geschmäht wurde. (Plut. Sol. 21). — .
— 33 —
lächerlich gemacht werden 1 . Im allgemeinen sollten beide
Fälle freilich gleich behandelt, d. h. bestraft werden; dies
gilt auch für die komischen Dichter; nur den Dichtern, die
das fünfzigste Jahr erreicht haben, ist es unter besonderen
Voraussetzungen erlaubt, Spottverse zu machen im Scherze,
nicht im Zorn 2 . In der positiven Gesetzgebung fehlt es an
analogen Unterscheidungen. — Ueber beleidigende Aeusse-
rungen in Gerichtsreden s. o. p. 24 N. 4.
4. Das Verfahren in xaxrjyoQia-Prozessen zeigt keine
Besonderheiten. Die Klage steht als Privatklage nur dem
Verletzten zu. Den Vorprozess vor dem Diaiteten zeigt
Lys. g. Theomn. 6. — Von einer Beschleunigung des Prozesses
und besonderen Bestimmungen über Kosten verlautet nichts.
5. Competente Gerichtsbehörde sind nach Aristo-
teles 3 und Pollux die Thesmotheten in dem besonderen Fall,
wo ein Sklave einen Freien injuriirt. Da Competenz der
Thesmotheten in Privatklagen nur selten eintritt, so darf aus
diesen Berichten geschlossen werden, dass für Injurienpro-
zesse gegen freie Personen einer anderen Gerichtsbehörde,
wahrscheinlich den Vierzigmännern, die Vorstandschaft zukam.
Ueber die besondere Behandlung des Sklaven s. u. N. 3.
6. Die dtxrj xaxtjyoQtag ist gerichtet auf Bezah-
lung einer Geldsummeim festen Betrag von fünf-
hundert Drachmen 4 . Lysias nennt die Strafe eine
2
8
1 Plato Ges. XL 935 A. ff.
Plato Ges. VIII 829 C ff.
Arist. St. d. Ath. LIX, 5: eiadyovai dk xal dlxag 16 lag, i/u7iooixäg
xal fievaXXixäg xal dovlctv, &v xig xbv ikev&eQov xaxög X£yy % Poll. VIII 88.
Hierbei mag der Vorprozess vor dem Diaiteten weggefallen sein. S.
vorläufig Lipsius, Berichte ü. d. Verhdlg. d. sächs. Akad. XLIII (1891)
p. 58 A. 1. — Näheres am Ende dieser Abhandlung.
4 Isokr. g. Lochit. 3; Lys. g. Theomn. 12. — Bezüglich der Höhe
vergleiche man etwa die tausend Drachmen, die bei öffentlichen Klagen
der Ankläger zahlt, wenn er nicht ein Fünftel der Richterstimmen für
seinen Antrag erhält. Die tausend Drachmen bei Demosth. g. Meid. 90
(543) erklären sich daraus, dass hier zwei Personen injuriirt waren.
Hitzig, Injuria. _
— 34 —
unbedeutende, freilich in einem Fall, wo es sich um Ahn-
dung einer schweren Injurie handelte 1 . Die Summe fällt
dem Kläger, also dem Verletzten, zu 2 ; sie bildet gleichsam
eine Belohnung des Beleidigten dafür, dass er sich durch
die Beleidigung nicht zu ThätKchkeiten hat hinreissen lassen 8 .
Wegen Verbalinjurien Klage zu erheben, galt im allgemeinen
als »eines Freien nicht würdig und streitsüchtig" (äveketi&eQov
xal Uav yilödixov*).
C. Die yq>acpfj ßßQecog.
i. Das Gesetz 5 über die tißgig ist uns doppelt
überliefert, es lautet
a. nach Aischin. g. Timarch. 15 (41):
ipdfiog — iv $ diaQQ'fjdriP yiyQumcu) idv ug üß(>i£rj elg
Tzocda — f) ärdga ty ywatxa^ ^ %äyi> £lev&iQ(ov %ivd i) twv
dotiloW) f) iäv TvccQdvofiöv %i izoiß elg r&foow %wa*> yqaqmg
ßßQeoog 8lvai nemofopcev xai viprjpa inidvjxev^ S %i y$\ Tto&elv
fj äitoviocu.
b. nach Demosth. g. Meid. 47 (521):
idv %vg ößglorj elg %iva ^ ncuda 1} ywcuxa % ävdga t&v
iXev&i(Kov ^ %&v daökov f) TtOQCWofiöv %i TtoirjGfj dg xoimov
nwä) yQücpio&ay rvQÖg voüg &eofiOx>6rag d ßovlöfievog *A%h}vctl(ov
61g $§eovw.
1 Lys. g. Theomn. 22 (av^tpogä otidevbs &££a, et xaxtfyoQtag äXdxrezcu).
8 Bestritten. Dafür Platner II p. 192, Meier-Schömann-
Lipsius II p. 629; dagegen Frohberger, Lysias II p. 56; unentschieden
Thalheim p. 41 A. 5. M. E. verbietet es die grundsätzliche Differenz
zwischen solonischer und nachsolonischer Gesetzgebung Ober Verbal-
injurien (s. o. p. 24), den Teilungsmodus der ersteren auch auf letztere
anzuwenden.
3 Demosth. g. Kon. 18 (1262).
4 Lys. g. Theomn. 2.
5 Ueber und gegen die Ansicht, dass es mehrere vöfwt üßgevs
gegeben habe, vgl. Meier-Schömann-Lipsius I p. 397 A- 567.
Die Wendung ivoxog talg *tfS ^figetog yQacpalg bei Demosth. g. Kon. 1
(1256) kann sich daraus erklären, dass nach Auffassung des Sprechers
der Thatbestand der Hybris mehrmals vorlag.
— 35 —
Die VeFgleichung ergibt,, d«6s sich der erste Satz des
demosthenischen Textes im wesentlichen mit dem Referat
des Aischines deckt Die übrigen Sätze — wesentlich
prozessuale Bestimmungen enthaltend — fehlen bei Aischines 1 ,
die Aechtheit ist bestritten; s. u. Abschnitt 6,
Das Gesetz bedroht mit Strafe das tifälfow fj na^dvo^dv
tl noitlv. Damit soll gewiss nicht gesagt sein, dass Wegen
jeder Gesetzesverletzung die yQcupi] üßgeaig angestellt werden
konnte ; erfordert wird ein rechtswidriger Angriff gegen eine
Person (v. dg t&&v&v iwtf) 2 ; sodann: das nagäveftöv ti notäv
muss Ausfluss der $ß$*g sein 8 .
2. Der Begriff der fißgig im Rechtssinn ist in den
Quellen nirgends genau definiert.
Aristoteles erblickt iß der Hybris eine Art der
ikiya>Qla 4 , der Thäter behandelt den Gegner, wie wenn dieser
„nichts wert" (oidspdg ägtog) wäre; er will sich „tiberheben"
(imBQi%8wft h und freut sich darüber, dass dies dem Gegner
Schmach (aloxtivTJ) und Schimpf (foeidog)* einträgt. In der
Hybris liegt ein Entehren oder Nichtehren (drifiaCsiv) , denn
die Ehre des Menschen besteht nach Aristoteles mehr in
dem der ehrt, als in dem der geehrt wird 7 ; Ehre ist die
Meinung anderer über uns. Der Beleidiger will keinen Vor-
1 Das „Gesetz* bei Aiachin. g. Timarch. 16 (42) wird heute allge-
mein als unecht angesehen ; s. Meier-Schömann-Lipsius I p. 396 A. 566.
8 Vgl. Demosth. g. Nausim. u. Xenopeith. 21 (990) tißgeig el S &
8 Dies folgt m. E. aus der Bezeichnung fygatp^ tißqwg) und auch
daraus, dass überall das Vorhandensein dieser Absicht betont wird. —
Die Wortverbindung i>/9Q%eiy q naqd^ofiöv zi noufr steht auch in dem
Gesetz Ober die xdxüxjig bei Demosth. g. Makart. 75 (1076).
4 Rhet. II 2, -3 ff. Neben der 4ß$ig werden als Arten der öliyajQut
erwähnt xa^a^öpfjotg und irnjoecufftög. In der Politik stellt er die in der
tißQig enthaltene dtifxla der ökiyo^ia et$ rck x($naxa gegenüber.
6 Rhet. II, 2, 6.
* Ps. Arist. v. d. Tug. 7, 4: ßflQP§, xafr' f)p tag ij&ö^&g aifroig naQa~
cxevd£ovaiv elg övetdog dyayövteg h6(*ovg.
7 Nikom. Eth. I, 5, 4 ff.
3*
- 36 -
teil für sich, er handelt nur, weil es ihm Freude macht 1 ,
seine Ueberhebung andere fühlen zu lassen. So machen
sich besonders junge und reiche Leute der Hybris schuldig 2 ,
Aristoteles unterscheidet geradezu die ddix^fiara xaxovqyixd
und üßQiOTixdK
Plato 4 unterscheidet im Eingang des zehnten Buches
fünf Arten der Hybris: i) gegen Heiligtümer des Volkes
oder der einzelnen Phylen oder anderer Vereinigungen dieser
Art, 2) gegen Privatheiligtümer und Gräber, 3) gegen
Eltern, 4) gegen die Obrigkeit, wenn jemand unter Miss-
achtung der Obrigkeit, dcpQovTtovöv vwv dQ%6vt(ov^ ohne Er-
laubnis derselben etwas, was jenen gehört, wegnimmt, fort-
trägt, oder benützt, 5) gegen tö nolixix6v des ein-
zelnen Bürgers, so dass dieser durch die Kränkung
veranlasst wird, Klage zu erheben. Im folgenden bespricht
Plato dann nur den ersten Fall der fißgig sig üeoig. Der
hier zunächst interessierende fünfte Fall bleibt gänzlich un-
erörtert.
Demosthenes bringt mehrmals die Hybris in Zu-
sammenhang mit der Unterscheidung von Freiheit und Un-
freiheit. Nicht das Geschlagenwerden ist dem Freien
schrecklich, wiewohl es schrecklich ist, sondern das ig?
vfiQei TVTZTEGÜai*. Für den freien Mann ist das Schlimmste
die alöycövri, für den Sklaven Schläge und überhaupt körper-
liche Züchtigung (nhr\yai %<b tov o&fictTog aixiafiög) 6 . Hybris
liegt vor> wenn jemand einen Freien wie einen Sklaven
behandelt (<bg dotiXotg %Q(b[i£vog rolg ikevMqoig). 1
1 Rhet. I 13, 10; II 2, 6. Vgl. Anm. 3.
fl Rhet. II 12, 15 ; 16, 4. .
8 Rhet II 16, 4. — Die Schrift von den Tugenden und Lastern
(Cap. VII) unterscheidet drei Arten der ädixla: äoi/ieia, nkeoveZta, üßQig.
4 X, 885 A: nipmov 6h tö nolvtwbv üv ety ixdatov rtav noliz&v
i)ßQ(,ad'kv dlxiji' imxalovfjievov.
5 Demosth. g. Meid. 72 (538).
e Demosth. g. Phil. IV 27 (138).
7 Demosth. g. Meid. 180 (573). Damit kann Arist. Nik. Eth. IV,
5, 6 verglichen werden: tö nQOTirikaxi^dfievov dväx e<r & al ävdQa7io6&^€£.
— 37 —
Der Zusammenhang zwischen Hybris und dem griechi-
schen Ehrbegriff kommt auch zum Ausdruck, wenn Diodor
im Referat über die Gesetzgebung des Charondas die ent-
ehrenden Strafen mehrmals als ßßQig r xölaoig öiä fißQeaig
bezeichnet. 1 Die Strafe besteht darin, dass der Angeklagte
sich eine Behandlung gefallen lassen muss f die sonst eine
(strafbare) Hybris gegen ihn darstellen würde.
Hienach ist es vor allem die Absicht, auf die es an-
kommt; nicht die äussere Erscheinung der That, sondern die
Gesinnung, aus der die That entspringt. Das wird allge-
mein gesagt und bei der Vergleichung der Hybris mit
anderen Delikten betont. Darin liegt auch die besondere
Schwierigkeit des Beweises in Hybris-Prozessen begründet.
Demosthenes 2 führt aus: Wenn einer in beleidigender Ab-
sicht schlägt, so kann sich diese Absicht kundgeben in den
begleitenden Geberden, in Blick und Stimme ; dem Verletzten
kann es schwer fallen, anderen — den Richtern — den
Vorgang ganz deutlich zu machen, das Entehrende in der
Klarheit vorzuführen, in der es ihm [dem Verletzten] und
den unmittelbaren Zeugen der That entgegen trat.
Mehrmals wird die Frage erörtert, ob Hybris durch
Zorn und Anreizung ausgeschlossen werde. Demosthenes
vergleicht die That des Meidias mit der eines Polyzelos,
der ÖQyfj xai tqötvov nQ07i€rel<f geschlagen hatte, und scheint
die Anwendbarkeit der ygcupi] tißQewg auszuschliessen. 8 Es
handelt sich aber hier nicht um die Begriffsbestimmung der
Hybris, sondern um die Frage, unter welchen Umständen
es schicklich sei, auf die an sich zuständige Strafverfolgung
zu verzichten. Dass ÖQytf und tißqig sich nicht schlechthin
ausschliessen, sagt Demosthenes an anderer Stelle ausdrück-
' XII, 12, 2; 16, 2.
9 Demosth. g. Meid. 72 (537).
8 A. a. O. 38 (526): o&F iqf tißqei inolyoev.
4 Demosth. g. Meid. 41 (527); g. Nikostr. 10 (1251). — Anderer
Ansicht anscheinend Meier-Schömann-Lipsius II p. 647 N. 451.
- 38 -
lieh. Ebenso ist tipys vereinbar mit jagendhebem Uebermut,
Radaulust, die ganze ¥erteidig«og des Kcnaom und seiner
Söhne erscheint in dieser Beziehung als aussichtslos, —
Auch Trunkenheit schliesst die Hybiris nicht aus-
Die Ueberhebung kann in mannigfacher Gestalt in die
äussere Erscheinung treten. Besonders häufig handelt es
sich um Anwendung überlegener physischer Ge-
walt, Vergewaltigung. Dies seheint auch der
Ausgangspunkt für die Entwicklung des Hybris-
begriffs gewesen zu s<ein*
In seiner allgemeinen Auseinandersetzung über <Ke
y$ay>i] #/?ßea>s ist Demosthenes 1 durchaus von der Idee be-
herrscht, da§s Hybris Gewaltttasserung sei : der Gesetzgeber
betrachte alles, was mit Gewalt geschehe,: (8aa %i& ßic^öptevog
nQäftei) als eine gemeinschaftliche Beeinträchtigung aller;
nur wenige verfügen über Kraft und Gewak, die Gesetze
,$eien aber filr alle bestimmt: deswegen werde die y^upii
fißQewg jedem gewährt Auch die Etymologie des Wortes
führt auf denselben Ausgangspunkt. Die Zusammenstellung
von tißQis mit i>ntQ, i>7Z€Q(kwkz 2 , superbia, ist von der neueren
Forschung aufgegeben.
Bezzenberger 8 führt tifipg zurück auf die Sanskrit-
wurzel ugra (gewaltig), die im lateinischen augeo (griech.
&i>gdp(o) wiederkehrt Bugge* teilt tißQig in v-(t$i-g, ft sei
i - ■
1 Demosth. g. Meid. 45 (528). — Ein weiteres Argument für diese
ursprüngliche Bedeutung von tißgig bildet die Bestrafung der tißQts an
Sklaven, <iie sich aus dem Gesichtspunkt der Herabwürdigung schwer
erklären lässt. S. u. p. 43» — Die Bedeutung von Gewaltthat hat ßßQi$
wohl auch im Munde des Hippodamos Arist Pol. II 5 p. 1267.
2 S. E. Curtius, griech. Grammatik; es ist einleuchtend, dass diese
Etymologie des Wortes zu den Erörterungen des Aristoteles sehr wohl
passen würde.
8 In seinen Beiträgen II p. 155 f. beistimmend, G. Meyer,
griech. Grammatik 3. Aufl. (1896) p. 267. (ßfäts = Vergewaltigung).
4 Bezzenberger's Beiträge XIV p. 62 ff.; beistimmend B rügmann,
griechische Grammatik 2. Aufl. p. aao. — Zwischen Bugge und Bez-
zenberger schwankend Osthoff, indogerman. Forschg. IV {1S04)
p. 280. — Ich verdanke diese Nachweise meinem Collegen Adolf Kägi.
— 39 —
das Sanskritpraefix ud (hinauf), in ß$i sei der Stamm von
ßpaQfe stark, zu erkennen; daher Grundbedeutung von &ß$ig:
jemand stürzt sich mit dem Uebergpewicht seiner Kraft auf
etwas.
Den Hauptfall bildet daher die Oßfig dtä itXtjf&p*,
Schläge. Dadurch berühren sich ßß$cg und t&xtia. Versuche
einer Abgrenzung zwischen beiden finden sich in den
Quellen mehrfach.
Im Lexikon Seguerianum S. 355 wird unterschieden:
cdxla ist fiß(»g gpmkriyog. Die alxta erfordert notwendig
Schläge; üßgig gibt es auch ohne Sehläge; notwendig ist
aber nQonTjlaxiofiög (Beschimpfung) 8 und imßwMj* (Nach-
stellung). Deswegen sind die Strafen bei cdxla geringer
und die Gerichtshöfe (in beiden Fällen) verschieden.
Nach dem Etymologicum nlagnum p. 774 ist tißgtg tf
fierä TCQOTcrjkccxiOfiov xal kixrfäeUig* (Schmähung) ctlxkt, cdxia
dk Tiktjyai fiövov.
Aristoteles, Rhet. I 13, 70 p. 1374 a vgl. II, 2, 6 p.
1378 b: wenn einer schlägt (indta^) , ist das noch nicht
ohne weiteres Hybris, sondern nur dann, wenn er in einer
bestimmten Absicht geschlagen hat, [nämlich] um jenem
Schmach anzuthun (drifidocu) oder lediglich, um sich selbst
ein Vergnügen zu bereiten (txtobg fio&fjvai). — -
Hieraus ergibt sich, dass ein Unterschied zwischen
beiden Begriffen gemacht und empfunden wurde. Besonders
wird hervorgehoben , dass für die y^a^ fißQea>g — eben
weil diese Absicht des äri/ud£eiv bewiesen werden musste*
— der Beweis erschwert sei. In praxi freilich wird die
1 Das Arg. zu Demosth. g. Meid, unterscheidet: QßQis dibnlrff&v,
* Eigentliche Bedeutung: mit Koth bewerfen oder in den Kofch
treten.
* Ueber dieses Wort Gilbert p. 524 (53a); vgl. Isai. Erbsch. d.
Kiron 41: imßovkevaa$ JjTtfiaxre xal yQaqtyv dßQewg ygayelg xzL
4 Demosth. g. Meid. 82 (533); g. Kon. 1 (1256).
— 4° -
Unterscheidung, — namentlich bei der Ausdehnung, die dem
Hy brisbegriff gegeben wird 1 — eine erhebliche Rolle nicht
gespielt haben; regelmässig standen für denselben Thatbe-
stand beide Klagen zur Verfügung. Nur so erklärt es sich,
dass die beiden Bezeichnungen promiscue verwendet wer-
den, dass ein und dasselbe Ereignis bald als cdxla bald als
tißqig bezeichnet wird 2 > dass der Kläger im crfx/a-Prozess
versichert, er hätte auch fißgecog klagen können. 3 Die Unter-
scheidung wäre nur dann von erheblicher praktischer Be-
deutung, wenn wirklich für die cdxla auch fahrlässige Be-
gehung genügte: aber gerade in dieser Richtung wird
nirgends zwischen aixia und Vßqig unterschieden 4 .
Neben der fißQig diä nhrftüv erwähnen die Grammatiker
eine ßßgig dt aiaxQovQyiag , Schändung; vgl. die Gesetzes-
worte: etg Ttäida fj yvvalxa ij ävdQa. Auch hier ist - jeden-
falls zunächst — nur an Vergewaltigung (ßid&o&cu) zu
denken 6 , nicht an jedes stuprum, wie denn überhaupt das
griechische Recht in der Behandlung der Sittlichkeitsver-
gehen durchaus Vergewaltigung und Verführung trennt 6 .
Aischines will freilich auch die Miete eines Knaben zur
Ausübung widernatürlicher Unzucht als tißgig behandelt
wissen ; es ist dies aber wohl mit Meier 7 einzuschränken auf
den besonderen Fall, wo die Einwilligung von einem Minder-
jährigen gegeben wird und rechtlich nicht als Einwilligung
1 S. u. p. 41.
fl Demosth. g. Meid. 35 (525). Isokr. g. Loch. 5.
8 Demosth. g. Kon. 1 (1256). 24 (1264).
4 S. o. p. 8.
5 Plato lässt i>ßQ%eiv mit ßiä£eo&<u elg tä &<pQodtaia abwechseln.
(874 c); bßQ%ew (im engeren Sinn von alaxQovgyta) dem xtintew gegen-
übergestellt bei Arist. Nik. Eth. V, 1, 14 p. 1129.
6 S. Thal heim, p. 42. und die dort citierten. — Zweifelhaft ist
die Behandlung der einschlägigen Fragen im Recht von Gortyn: die
dunkle Stelle II 16 (§ 10 im Recueil) ist wohl eher auf Versuch der
Vergewaltigung (Thalheim, Recueil) als auf Verfuhrung (Zitelmann)
zu beziehen.
' S. Meier-Schömann-Lipsius I p. 397.
- 4i -
gilt. Auch hier steht neben der yqaq^i üßgeag eine Privat-
klage, die dlxri ßialav 1 .
Als Hybris werden weiter erwähnt Fälle von Frei-
heitsberaubung a .
Handelt es sich hier überall offensichtlich um Gewalt-
anwendung, so scheint doch der Hybrisbegriff auch auf dem
Rechtsgebiet eine Ausweitung und Verfeinerung erfahren zu
haben in dem Sinne, dass jeder — über die blosse Verbal-
injurie (s. u.) hinausgehende — Angriff gegen die Person,
der eine Beschimpfung (drifid&iv) einer anderen Person in
sich schloss, die yQaqrf tifäewg begründete. Nur so lässt sich
verstehen, wenn Grammatiker und Lexikographen nicht auf
das Moment der Gewaltanwendung, sondern auf das dxi^aCeiv,
£nt]Qed£eiVi dhytoQelv abstellen. Nach Pollux 8 hat Hypereides
(wohl in der Rede gegen Dorotheos) neben dem xovdvU&iv *
(Schlag mit der geballten Handj auch das itqbg tö TtQÖoiuTtov
TZQüömteiv (ins Gesicht spucken) als dßQig angesehen. Die
Unterredung zwischen Solon und dem Skythen Anacharsis
bei Lukian. Anach. n (890) macht wahrscheinlich, dass auch
in dem Zerreissen von Kleidern eine fißgig gefunden wurde.
Dass auch für das Bewerfen mit Koth dasselbe galt, wird
durch die häufige Verwendung von TrQonrjktxiofiög (s. o.)
für fißQig wahrscheinlich. Auch in der Behauptung des
Aischines, dass ö /uo&otifievog — üßQÜ^ei — ist vielleicht eine
Weiterentwicklung des Hybrisbegriffes zu erkennen 5 . —
1 S. über diese Thalheim Art. ßiatov dlxt] in Pauly-Wissowa's
Realencyclopaedie. Nach Lys. v. Erm. d. Erat. (I) 32 sprach das Gesetz
von aloxfoeiv ßtp. — Aristoteles Polit. V, 9, 17 (1315) nennt als zwei
Arten der Hybris xökaaig elg o^uava, (ßßQig) etg ijfoxtav.
* Demosth. g. Nikostr. 16 (1251) V. d^cou^; Isai. Erbsch. des Ki-
ron 41, und dazu Meier-Schömann-Lipsius I p. 393 N. 557.
* VIII 76; vgl. Sauppe fragm. or. p. 291.
4 Vgl. Demosth. g. Meid. 72 (537): fcav d>g i)ßQ%a>v — fcav xovdti-
Xoig, fcav inl xöqqtjs (Ohrfeige); vgl. Harpokration s. v. inl xöqqtjs. — .
* Hier lag die Anwendung der Hybris-idee deswegen besonders
nahe,, weil der muliebria passus von Gesetzes wegen äz^uog wird, Aisch.
g. Tim. 14, 40 und dazu Platner II p. 220, 221.
— 42 —
Auch bei Plato 1 geht der Begriff der ßßQig über den
Kreis der Gewalttätigkeiten hinaus. Der zweifelhafteste
Fall ist derjenige des Phormio 2 . Pasion hatte seine Frau
Archippe seinem Freigelassenen Phormio durch Testament
zugewiesen. Apollodor, Sohn des Pasion und der Archippe,
steht gegen Phormio die yqcupi] tißQeag an. Wie die Klage
begründet wurde, ist nicht gesagt, man muss aber aus der
Rede für den Phormio 8 schliessen, dass die Hybris gerade
in der Verbindung mit Archippe gefunden wurde. Die
Klage blieb ohne Erfolg, so dass „ihre gesetzliche Berech-
tigung fraglich ist" (Lipsius). Immerhin erwähnt auch Plato
XI 919 E eine y$cupij cäo%6vrig yivovg für den Fall, wo einer
durch Betreibung eines „unfreien Gewerbes" sein Geschlecht
beschimpft —
Dagegen ist nicht nachweisbar *, dass eine fißqig 8m Uyoyp
die yQcupi] fißQ€<og begründete; geradezu gegen die Annahme
einer solchen sprechen die Ausführungen des Demosth. g.
Meid. 32 (524} mit ihrer Gegenüberstellung vßQiCeiv (später
TtmrdaiJBiv) — Y^xq^i ßßQ£ü>g ; xax&g liyeiv — äixtj xwttjyoQlag*.
Der durch Worte verletzte ist auf die Geltendmachung der
Simi xaxtiyoQtag angewiesen.
Das Gesagte zeigt bereits, was sich in den beiden
folgenden Abschnitten noch deutlicher ergeben wird: dass
für die Bestrafung der Hybris massgebend ist nicht sowohl,
dass der Thäter die Interessen eines anderen verletzt und
in eine fretfide Rechtssphäre eingegriffen hat, als dass der
1 Ges. X 885 A V. : eis yovia$ vglza, x w Q^S % & v fyngoo&ev elQrftiivtov,
özav bßQtCfl zig. Unter den ifirtgoad'ev eiyrmiva sind die Ausführungen
über die aixla 880 E ff. zu verstehen.
2 Demosth. g. Steph. I 3 (1102), f. Phorm. 30 (954); 47 (958).
8 3°> 954 : °üä y otbzdy bßgL^iav oüd* b/näg zobg vteig — id <oxev
zty iavzov ywaixa, fx^xiga cF b peziQav zotizy. — Andere denken an
eine Verfuhrung, s. darüber und dagegen Lipsius I p. 398 n. 569.
4 So auch Thalheim p. 400, und Meier-Schömann-Lipsius I p. 394.
5 Man müsste, um zu anderen Resultaten zu gelangen, das xal
yQ. b. xal dtx. xax. urgiren.
— 43 -
Thäter über seine eigene Äeditssphäre hinausgegriffen, seine
Freiheit missbraucht und so die Interessen des Gemein-
wesens gefährdet hat.
3. Hybris kanmauch gegenüber einem Sklaven
begangen werden, der überlieferte Gesetzestext 1 sagt
es ausdrücklich und ohne zwischen verschiedenen Arten
der Hybris zu unterscheiden 2 . Bezüglich der Schläge ist
übrigens auch sonst nachgewiesen, dass es allgemein Ver-
boten war, [fremde] Sklaven zu schlagen 3 . Die yQacpij
fißQ€<og wird verschieden begründet. Demosthenes 4 führt sie
auf eine besondere (pilav&Q<D7ila der Hellenen zurück, die
bei den Barbaren die höchste Bewunderung wecken müsse.
Aischines 5 dagegen lehnt den Gedanken, dass das Interesse
des Sklaven selbst eine Rolle gespielt habe, gänzlich ab;
der Gesetzgeber habe dem Verbot der Hybris gegen Freie
durch Ausdehnung auch auf die Sklaven besonderes Gewicht
verschaffen wollen. Der Verfasser der Schrift vom Staat
der Athener I 10 verweist auf die Schwierigkeit, den Freien
vom Sklaven zu unterscheiden 6 : der Freie wäre gefährdet,
wenn der Sklave straflos injuriiert werden dürfte. Nirgends
wird die Bestrafung damit begründet, dass die Verletzung
des Sklaven eine Beleidigung des Eigentümers sei, einen
Eingriff in seine Herrenrechte darstelle.
Ob der Verletzte frei oder Sklave war, wurde natür-
1 S. o. p. 34 ; vgl Hyper. bei Athen. (Saupp. frg. p. 295) : i&mtuv
od [a6vov 7ibqX x&v iXev&iotov dXXä xal idv vt$ elg dovkov aä/ua i)ß^(a%
yQCHpäg elvai seava toü iißQtoavtog.
f p. 39 N. 1.
• [Xenoph.] v. Staat d. Ath. I, 10.
4 G. Meid. 48 (529) ff. — .
* G. Timarch. 17 (43).
ö Damit vergleiche man die Erzählung bei Demosth. g. Nikostr.
16 (1251), wo die Gegner gerade mit einer solchen Verwechslung rechnen ;
sie erwarten,, der Sprecher werde den freien Knaben für einen Sklaven
halten und sich (deswegen) an ihm vergreifen.
— 44 —
lieh bei Ausmessung der Strafe berücksichtigt 1 und konnte
auch in prozessualischer Beziehung von Bedeutung werden;
s - u - P- 53- Kläger ist der Herr des Sklaven, er klagt
dann in eigenem Namen , aber ,,{>7zkQ doilov" 2 ; regelmässig
wird er es wohl vorgezogen haben, an Stelle der y^aqyf/
tißQ€<og eine für ihn vorteilhaftere Privatklage 8 anzustellen.
Eine yQcupt] tißQswg des Sklaven gegen den eigenen
Herrn ist ausgeschlossen*; ihre Zulässigkeit wird weder
durch den allgemeinen Gesetzestext, noch durch das Lob
des Demosthenes bewiesen.
Der Sklave ist darauf angewiesen, durch Geltend-
machung des Asylrechts Befreiung von dem Herren herbei-
zuführen [jiQäoiv erfrag] 5 . — Eine besondere Klage des
Sklaven gegen den eigenen Herrn bei fißgig df cdoxQovQyiag
gewährt das Recht von Gortyn 6 , das aber überhaupt dem
1 Ich halte dies für selbstverständlich, wiewohl es Drerup p
299 zu bestreiten scheint. Man vergleiche etwa die verschiedene Be-
handlung der Notwehrhandlung bei Plato Ges. IX 869 und die Be-
tonung der Freiheit der injuriierten Person bei Demosth. v. d. Trugge-
sandtsch. 196 (402). —
2 Athen. VI 92 p. 266.
8 Die dtxri ßtäßns, wenn ein Schaden entstanden war. Auch die
tf/x*? alxlag war wohl zuständig; die Bedenken dagegen (Beauchet II p.
431 N. 2) scheinen mir nicht begründet.
4 So auch Thal heim, Rechtsaltertümer p. 38 (v.: insofern es
nicht die eigenen waren). — Vgl. auch Arist. Nik. Eth. V, 6, 8. Das
Gegenteil soll nach Beauchet II p. 430 bei Athen. VI 19 stehen; wahr-
scheinlich ist VI 91 (92) gemeint, wo aber vom Sklaven schlechthin,
nicht vom eigenen Sklaven die Rede ist.
s S. Meier-Schömann-Lipsius II p. 627. Beauchet II p. 437 fF.
• [= § 9 Rec.]: der Fall, wo jemand ivdo&idlay 6<bXav xagru
öafidacuTo. Zitelmann p. 102 versteht unter ivdo&itila eine Haussklavin,
die Herausgeber des Recueil eine eigene Sklavin des Vergewaltigers.
Für letzteres spricht, dass hier ausnahmsweise die Sklavin selbst
schwört, während sonst der Herr für sie zu schwören hat (Rec. p. 425);
ein solcher Eid des Herrn hätte hier keinen ßinn, da der Herr selbst
der Thäter ist. — - Die Strafe wird verschieden bemessen, je nachdem
die Sklavin jungfräulich ist oder nicht, je nachdem die That bei Tage
oder bei Nacht begangen wird.
- 45 -
Sklaven eine wesentlich andere Stellung einräumt als das
attische Recht.
4. Die Hybris wird durch eine öffentliche
Klage verfolgt, ygapfj fißQewg: die Klage steht nicht
nur dem Beleidigten, sondern jedermann, t$ ßovlofiivq), zu 1 .
Nach griechischer Auffassung ist die Dßqig ein öffent-
liches Delikt, an dessen Ahndung der Staat ein Interesse
bat 2 ; das Delikt wird als ein schweres bezeichnet 8 . Die
Majestät des Volkes ist in dem einzelnen Bürger mitverletzt.
Demosthenes 4 führt aus: wer sich . Gewalttätigkeiten
erlaubt, verletzt dadurch nicht nur den direkt Betroffenen,
sondern auch die ferner Stehenden (ot #-o> zov nqäyimxog).
Kraft haben nur wenige, die Gesetze aber sind für alle be-
stimmt. So hat derjenige, dem Gewalt angethan wird,
Anspruch auf den Schutz des Gemeinwesens. Deshalb hat
der Gesetzgeber für den Fall der Hybris eine öffentliche
Klage jedermann verheissen, die Strafsumme aber dem
Staate zugewiesen. Er geht von der Ansicht aus, dass der
Beleidiger nicht nur dem direkt Betroffenen, sondern auch
dem Gemeinwesen Unrecht thue (ddixel). Dem Verletzten
werde sein Recht dadurch, dass der Thäter bestraft werde,
das Geld (Strafsumme) soll er dabei nicht lukrieren.
Die Möglichkeit öffentlicher Verfolgung , Freigebung
der Anklage an jedermann (tcJ) ßovXoptvq), wird auf Solon
zurückgeführt und als durchaus demokratische Neuerung,
als eine der drei Hauptreformen des Gesetzgebers, ge-
1 Ueber die Begrenzung der Anklagefähigkeit bei öffentlichen
Klagen s. Meier-Schömann-Lipsius I p. 199.
2 6rifi6avog äy&v : Bekk. anecd. p, 312; xoivbv ngäyfia: Isokr. g.
Lochit. 2.
8 Demosth. g. Nausim. u. Xenopeith. 21 (990).
4 Demosth. g. Meid. 45 (528); ähnl. Aischin. g. Timarch. 17 (43):
ÜAa>g dh iv xfi drjfioxQctTlp xbv elg toiovv bßQiatty, tovtov oäx imT^deiov
elvcu tyyrjoaTO av^inoltzevead-ai.
— 46 —
priesen 1 . Berücksichtigt man, dass nach Plutarch Solon
[s. u.] die öffentliche Klage zuliess Txkrjyivrog £t£qqv xal
ß)jxßewog xal ßiao&ivrog* so wird man die Solonische Neue-
rung, zwar nicht ausschliesslich, aber doch, zunächst auf die
yQagyq. üßgeag beziehen dürfen 2 . Sie hängt aufs engste zu-
sammen mit der ganzen Staatsauffassung des Solon, nach
welcher der Mensch nur ein unvollständiges Glied der
bürgerlichen Gemeinschaft ist und das Interesse des einzelnen
im Interesse des Gesamtwesens aufgehen soll 8 .
Daraus erklärt sich auch, dass Hybrisprozesse vor die
Thesmotheten 4 verwiesen werden, ursprünglich zur Ent-
scheidung, später — seit der Einführung der tyeoig eig
öixaox^Qiov (Solon) — zur Einleitung und Ueberweisung an
den Volksgerichtshof: ygatpia^co TVQÖg tovg &eofio&iTag, — ol
de d-eofiod-irai eloayövvayv dg rijv fjfaalav.
Die Thesmotheten sollen von Hause aus %ä &£ofiia q>vkk%'
zeiv^ an sie werden daher öffentliche Delikte gewiesen, durch
welche der Einzelne über seine Rechtssphäre hinausgreift
und so den vom Staat garantierten Frieden stört. Da neben
der yQacpi] fißQ£<og an die Thesmotheten die yqacpri ftoixetas
(Ehebruch), yqacpi] Ttqoayoyyelag (Kuppelei), tvaiQ^ae(og (Paede-
rastie) verwiesen werden, so ergibt die strafrechtliche Compe-
tenz der Thesmotheten eine eigenartige cura morum: jeder
1 Plut. Sol. 18, jetzt bestätigt durch Arist. St. d. Ath. c. IX. Die
beiden anderen demokratischen Neuerungen sind die Seisachtheia und
die ?(pecti$ ei$ dixaaxi\qiov , Pflicht des Magistrats, Geschworene zu be-
rufen und auf Grund ihres Spruchee Strafe aufzulegen.
2 Der allgemeine Satz , dass Solon bei jedem Unrecht jedermann
die Verfolgung gestattet habe $£elvai t(p ßovko[i4v<j> (navti Plut.) dUry
kaßelv i)nhQ t&v ädixov^iivoiv ist in dieser Allgemeinheit mit den positiven
Vorschriften des attischen Rechts nicht vereinbar, vgl. v. Wilamowitz,
Aristoteles und Athen I p. 6o.
1 Plut. Solon. 19. Aristot Pol. VIII 1, 2.
4 Demosth. g. Meid. 47 (529); g. Steph. I 4 (1102); g. Pantain. 33
(976); Isokr. g. Lochit. 2. Arist. St. d. Ath. erwähnt im Capitel von den
Thesmotheten (LIX) diese Klage nicht.
6 Arist. St. d. Ath. III 4.
"^1
— 47 —
Bürger mag den anderen, der sich nicht gehörig, eines
Bürgers würdig, führt, vor die Thesmotheten holen 1 .
4. Das Verfahren bei yQaqij tip^ee^; regeln die
allgemeinen Sätze über die öffentlichen Klagen, yQatpai.
Nur gilt das Besondere, dass bei ihr keine Parastasis erlegt
wird 2 . Parastasis ist die — wahrscheinlich geringe — Ge-
bühr, die. der Ankläger bei Einreichung der Klage an den
Staat entrichtet. Der Verzicht auf die Parastasis bei der
YQcupii fißQea>g erklärt sich aus denselben Gründen, wie der
Verzicht auf die Prytaneia bei der dixr/ alxiag 3 . — Weitere
Besonderheiten sieht das Gesetz bei Demosth. g. Meid. 47
(529) vor; die Aechtheit des Gesetzes ist bestritten. S. unten
Abschnitt 6.
5. Die yqaqtri fißgeag ist eine schätzbare Klage,
dyüv TifMTtög 4 . Das Gesetz hat die Strafe nicht
fixiert.
Der Ankläger schätzt, was der Angeklagte leiden
oder zahlen soll, %l %($ na^ew fj dnumocu. Das zlf^fia
muss auf ein Leiden oder Zahlen gehen. Es wird aus-
drücklich erklärt, dass auch Todesstrafe beantragt werden
1 Vgl. Wilamowitz, Aristoteles u. Athen I p. 244 ff.
9 So erklärt sich, dass Arist. St. d. Ath. LIX die yQcuffy üßgeois
nicht erwähnt; er spricht nur von ygcupal, &v naQdozqais tl&etcu. VgL
Wilamowitz, Arist. u. Ath. I p. 244 Lipsius, Ber. d. sächs. Ges.
d. Wiss. 1891 p. 47. 48.
9 Isokr. g. Lochit. 2. Prytaneia werden bei öffentlichen Klagen
nicht erlegt. Bei Isokrates umfasst der Ausdruck Parakatabole die
Prytaneia der Privatklagen und die Parastasis der öffentlichen Klagen.
4 Aristot. Problem. 29, 16; Demosth. g. Meid. 45 (528); Aisch. g.
Timarch. 15 (41); vgl. dazu dasScholion tlfirifM ijUd^xev^v^ zi$ tißQeo>$
yQCKpjj 6 vöfiog inid^xe tlfxi^/ua o-ty d^iG^iivov xi, dXX' du äv tb ötxaarfQiov J} el$
6 Demosth. g. Meid. 49 (530); g. Kon. 2 (1256); 23 (1264). Lys. frg.
Scheib. 44. (= Saupp. fragm. p. 190): %l$ aöx oldev, Ott, %%v alxfav XQT
pdtav Satt juöpqv viprjdcu, joiig ök i)ßQ%sw d6£avta$ igeGTLV hplv öavdvty
tyfHQvv; vgl. auch im lex. Seguer. (Bekk. anecd.) p. 355 u. ablag die
Worte: ildtJov*$ efövvou.
-.- 4 8 -
konnte und Todesurteile keine Seltenheit waren. Andere denk-
bare Strafen: Verbannung, Atimie, Vermögensconfiscation, Ge-
fängnis; Leibesstrafen sind dem attischen Recht hier, wie
überall, fremd 1 ; von Talion findet sich keine Spur.
Die Strafe wird dem Staat entrichtet , der Ankläger
überlässt sie ihm 2 . Die Geldstrafe fällt im vollen Betrag in
die Staatskasse, der Verletzte erhält nichts davon 3 .
A. R. Mücke* will unterscheiden : die Klage ist unschätz-
bar, wenn der Verletzte selbst klagt (yQacpij flßQews idia) ; sie
ist schätzbar, wenn ein Dritter klagt {yqacpij fißQewg df]fioald);
für den ersteren Fall hat das Gesetz die Strafe bestimmt.
Eine solche Unterscheidung wird in den Quellen — bezüg-
lieh der Strafe 6 — nicht gemacht 6 ; sie entbehrt jeder irinern
Begründung und Wahrscheinlichkeit. Sie nötigt zu einer
gezwungenen Deutung der Worte Tl/irjfia iTtdyew (solle heissen:
die vom Gesetz bestimmte Strafe herbeiführen). Die von
Mücke angerufenen Stellen beweisen nicht, was sie beweisen
sollen: Ueber die Anekdote des Diogenes s. o. p. 14 N. 3; aus
Demosth. g. Pantain. 33 (976) ist schon deswegen nichts zu
entnehmen, weil die ygagrii fißQecog dort neben der dixrj aixtag ge-
nannt wird, für welche die Schätzbarkeit ausser Zweifel steht.
1 Sie sind nur gegenüber Sklaven (und Fremden) zulässig; vgl.
Thal he im p. 144 n. 4, Beauchet II p. 425. 426. Zu den dort er-
wähnten Beispielen (für den Freien Geldstrafe, für den Sklaven körper-
liche Züchtigung bei demselben Delikt) vgl. jetzt noch die Beispiele bei
A. Wilhelm, archaeol. epigr. Mitteilg. aus Oest.-Ung. XX (1897) p. 68
und Demosth. g. Timokr. 167 (752).
fl Demosth. g. Meid 28 (523).
8 Demosth. g. Meid. 45 (529) Poll. VIII 42.
4 P. 22 fF. ; Resultat zusammengefasst p. 34.
5 S. aber u. Abschnitt 6.
e Ueberall wird schlechthin erklärt, dass das Gesetz die Strafe
nicht fixiert habe, s. o. p. 47 A. 4. Das lässt sich nicht wegschaffen mit
der Behauptung, es sei eben nur an den gewöhnlichen Fall gedacht,
wo die Klage nicht vom Verletzten angestellt wird. Aber wer sagt,
dass dies der gewöhnliche Fall (maxime in usu p. 32) war? Es ist doch
viel wahrscheinlicher, dass regelmässig der Verletzte selbst klagte.
..
— 49 —
Ueberdies lässt sich, wenn die gesetzliche Strafe Geld-
strafe war 1 , nicht verstehen, warum immer betont wird, die
Strafe sei bei ßßgig schwerer als bei aixia 2 .
Ueber die Bedeutung der Schätzung sind wir bei öffent-
lichen Klagen 3 besser unterrichtet, als bei Privatklagen*.
Das Vorkommen einer Gegenschätzung des Angeklagten
(dvriTlfirjoig) ist hier erwiesen. Nachdem der Angeklagte
schuldig erklärt ist, erfolgen neue Verhandlungen über das
Strafmass: der Ankläger wiederholt seine bereits in der
Klageschrift beigeschriebene 5 Schätzung, der Angeklagte
stellt eine Gegenschätzung gegenüber. Nun erfolgt eine
zweite Abstimmung (devriga ip^cpog) 6 ; ob dabei die Richter
sich für den einen oder den anderen Antrag entscheiden
mussten, oder auch auf eine zwischen beiden liegende Schätz-
ung erkennen durften, bleibt zweifelhaft.
6. Einige Besonderheiten des Verfahrens
statuiert das bei Demosth. g. Meid. 47 (529) ein-
gelegte Hybris - Gesetz. Die Aechtheit dieses
Teiles des Gesetzes ist überaus bestritten 7 .
1 Das scheint Mücke anzunehmen, wenn er (p. 31) die Anekdote
des Diogenes auf eine gesetzlich bestimmte Strafe bezieht.
9 S. o. p. 47 N. 5.
* S. im allg. Meier-Schömann-Lipsius 1 p. 208 ff.
4 Hauptbeispiel der Prozess gegen Sokrates; s. dazu Heffter,
athen. Ger. Vf. p. 333. Vgl. auch Cicero de orat I 54 (232).
6 tlfirifm imyQÜyeiv; vgl. Aisch. na^anqeaß. 14, 199; s. auch
C I. Gr. 2556 1. 48 ff. (Kreta) : vlf.ia/ua i7iiyQaxpd/u€vog zag dtxag. xazh zö
äölxrjfta.
e Deutlich werden diese beiden Thätigkeiten der Richter in der
Inschrift: von Eresos gegeh die Tyrannen unterschieden (C. I. Gr. Add.
2166 b = Rec. II, 1 p. 160 ff.). Hier werden im Richtereid (§6) dixdCew
dtxriv und vifiäp auseinandergehalten. Im Prozess ergeht zuerst Ab-
stimmung über die Frage, ob der Angeklagte zu Tode zu verurteilen
sei; nach dieser: Schuldigerklärung (xazadixdfriv § 5), ävtitl^iriais des An-
geklagten betr. Art der Todesstrafe (vlva tqötiov änod-avelv) und zweite
Abstimmung.
7 F ü r die Aechtheit : Platner II p. 197, Thal heim p. 39, Her-
mann p. 18 fF. Gegen die Aechtheit: Westermann de lit. instr.
H i t t i g , Injuria. 4
- 5° ~
Es kann nicht Sache des Juristen sein, die Argumente
pro et contra, die aus der Art der Ueberlieferung, aus dem
Sprachgebrauch und dem Satzgefüge entnommen werden,
endgültig zu würdigen. Ich beschränke mich darauf, fest-
zustellen, dass der Inhalt der Bestimmungen Bedenken nicht
erweckt, sich vielmehr aus der besonderen Beschaffenheit
des Hybris-Deliktes leicht erklärt.
Es ergeben sich damit folgende Sonderbestimmungen:
i. wenn der Angegriffene selbst die yQaqri] fißQeag an-
stellt, so unterliegt er, wie jeder Ankläger, der Prozess-
gefahr der öffentlichen Klagen: er zahlt an den Staat tausend
Drachmen, wenn er die Klage fallen lässt, (iäv fii] iTtegil&ji)
oder zwar durchführt, aber für seinen Antrag nicht einmal
den fünften Teil der Richterstimmen erhält.
Der Gesetzestext legt diese Prozessgefahr denjenigen
auf: 8aoi cT äv yqäqxövrai yqcupäg Idlag. Dieser Ausdruck
wird allgemein und mit Recht auf den Fall bezogen, wo der
Verletzte selbst klagt 1 . Die Behauptungen, der Ausdruck
finde sich bei anderen Klagen nicht, er enthalte eine con-
tradictio in adjecto, es werde sonst bei öffentlichen Klagen
nie unterschieden, ob der Verletzte oder ein Dritter klage,
erledigen sich, wenn sich aus der besonderen Natur der
ygaqy}] flßQsag eine solche Unterscheidung erklären lässt.
Dies trifft aber zu. Es liegt hier in höherem Masse als bei
anderen Delikten eine Verquickung von privatem und
öffentlichem Interesse, ein Hervortreten des ersteren, vor.
Es wird besonders betont, dass die Strafsumme ganz an
den Staat falle 2 ; die yQacpi] fißgeag wird mit Privatklagen zu-
quae extant in Dem. or. in Mid. p. 22 ff., Mücke p. 5 ff, Drerup.
Jahrb. f. class. Phil. Suppl. XXIV p. 298 ff. Unentschieden Meier-
Schömann-Lipsius I. p. 395 N. 565.
1 S. bes. Hermann p. 10 ff u. Mücke p. 14 ff und die dort
Citierten.
* Demosth. g. Meid. 45 (529).
— 5? -
sammen- und anderen öffentlichen Klagen gegenübergestellt * ;
Reden, die in Hybris-Prozessen gehalten wurden, werden
unter den civilprozessualischen Reden registriert 2 . Zudem
hat der Verletzte es in der Hand, die Strafverfolgung durch
Dritte dadurch zu verhindern, dass er sich mit dem Thäter
vergleicht 8 .
Gerade das Vorhandensein der dlxri cdxlag neben der
yQaqri] üßgecog legte die Gefahr nahe, dass Sätze, die für
Privatklagen galten, auch auf die yqacpi] üßgecog bezogen
wurden. Der Gesetzgeber erklärt deswegen ausdrücklich,
die yQcuprj ßßQeayg solle auch dann, wenn sie vom Verletzten
angestellt werde, als öffentliche, nicht als Privatklage, behandelt
werden. Die Bestimmungen über die Prozessgefahr finden
Anwendung, auch wenn der Verletzte selbst klagt. —
Die Erklärung, nach welcher nur der Verletzte diese
Gefahr trägt, nicht ein Dritter, halte ich für ausgeschlossen;
sie entbehrt der inneren Begründung 4 und steht in Wider-
spruch mit dem allgemeinen 5 Satz, dass bei den ygaqxxt der
Ankläger diese Gefahr trägt, Angesichts dieses bekannten
Satzes konnte sich das Hybris-Gesetz mit der Erklärung
begnügen: es bleibt bei den allgemeinen Vorschriften auch
dann, wenn der Verletzte selbst klagt 6 .
1 Demosth. g. Meid, 25 (522); 28 (523).
8 Dionys. Hai. u. Deinarchos 12. (Rede gegen Proxenos).
8 Demosth. g. Nausim. u. Xenopeith. 21 (990): es gebe auch ab-
gesehen von den Verbrechen gegen das Vermögen Fälle, wo ein Ver-
gleich mit dem Verletzten den Thäter endgültig freimache, z. B. <pdvog
äxovoiog, tißQig; ändvxojv 8gog xal hbaig xolg Tta&ovai zfraxrai xb Tteiad-ivxag
d<peircu. Dieselbe Erörterung mit denselben Worten: Demosth. g. Pan-
tain. 58 (983). Vgl. Hudtwalcker p. 166 N. 11.
4 Wenn eine Erleichterung der Klage bezweckt ist, so sollte sie
doch in erster Linie dem Verletzten zu gute kommen, gerade so wie
etwa im römischen Strafprozess dem Ankläger Erfordernisse der An-
klagefähigkeit nachgelassen werden, wenn er suam injuriam perse-
quitur s. u. p. 73 N. 2*
6 Demosth, g. Theokr. 6 (1323).
6 Für unmöglich halte ich den Satz, dass die Gefahr nur ein-
4*
- 52 —
2. Die Thesmothetea sollen innert 30 Tagen — vom
Moment der Anbringung der Klage gerechnet — den Prozess
an die Hdiaia bringen (äadyeiv eis tty» ^hcdav).
Diese Bestimmung erinnert an die Monatsfrist bei der
öi7&i aixiag 1 die Verwandtschaft der Klagen äussert sich auch
hier. Drerup nimmt an, dass gerade der Vergleich mit der
dito] cdxlag die Bestimmung über die ygetcpi] ßßQ£G>s verdächtig
mache 1 : die strengere Klage könne nicht in demselben
kurzen Zeitraum erledigt werden. Dabei ist übersehen, dass
cme rasche Erledigung in beiden , Fällen im Interesse des
Anklägers selbst liegt.
Dass bei anderen öffentlichen Klagen solche Fristen
nicht vorgesehen. sind, beweist nichts; richtig ist aber, dass
der einzige Fall 2 , wo die Monatsfrist erscheint, auch in an-
derer Beziehung Verwandtschaft mit dem Hybrisgesetz auf-
weist 3 . — Wahrscheinlich ist die Fristbestimmung der yQapij
$ßQ£tog übertragen worden auf die dlxri aixiag*.
3. Der Beschleunigung des Verfahrens dient jedenfalls
auch die weitere Bestimmung, dass die Schätzung sofort
nach der Schuldigerklärung erfolgen soll : örov <F &v xmayvty
% fjhaia, ripäto) negl afatov jzaQaxQfjptcc Wir wissen freilich
über das ganze Scbätzungsverfahren so wenig, dass sich
trete, wenn der Verletzte selbst klagt: so Hermann p. 16 ff. Meier-
Schömann-Lipsius I p; 402 N. 587. Wie man übrigens in einer
solchen Behandlung des Verletzten ein „Vorzugsrecht bei Anstellung
der Hybrisklagen" erblicken kann (so Drerup p. 299), ist mir uner-
findlich. — Die im Text vertretene Ansicht scheint angenommen zu sein
bei Piatrier II p. 197, Mücke p, 21. 22, Thalheim p. 42 N. 3.
1 Mücke p. 6 hatte umgekehrt gerade an "dem Fehlen einer
analogen Bestimmung für die Mxt} aixiag Anstoss genommen (quum
dcdisset, cur non in privatis quoque proposuit?). Jetzt wissen wir,
dass auch die &txti alx£a$ Monatsklage geworden ist S. o. p. 10.
2 Demosth. g Tiraokr. 63, 720.
8 S. u. p. 53.
* Das darf aus einer Vergleichung folgender Stellen erschlossen
werden: Demosth. g. Meid. 47 (529); g. Pantain. 33 (976), Arist. St. d.
Afeh. LH, 2.
- 53 -
nicht feststellen lässt, worin hier — dem normalen Verfahren
gegenüber — die Beschleunigung lag.
4. Wenn die Hybris gegen einen Freien gerichtet war
und das Urteil auf Geldstrafe lautet, wird der Verurteilte
bis zur Zahlung in Haft genommen.
Verschärfung einer Geldstrafe durch Haft bis zur Zah-
lung ist — mit denselben Worten -r*: auch sonst in der aü>
sehen Gesetzgebung vorgesehen, vgl. das Gesetz bei De-
mosth. g. Timokr. 63 (720) und Aristot. St. d. Ath. LXIII 3.
— Die Anordnung der einzelnen Sätze ist allerdings auf-
fallend, kann aber — mit Hermann p. ia 2 ~- dadurch erklärt
werden, d^ss dem ursprünglichen Gesetz ein Nachtragsge-
setz hinzugefügt wurde.
1 Hermann p. 21 denkt an ein Verbot der löyoi ßozegoi, zweite
Plaidoyers: ut iteratas orationes, quales in äliis causis inter condem-
nationem et poenae aestimationem intercessisse novimus/ab häc atiena
ftusse intellegamus.
* Hermann a. a. O. denkt siel} gerade die Bestimmung unter 4
als Zusatzbestimmung. Es. wäre aber auch denkbar, dass ursprünglich
der Satz iäy 6h dgyvQtov xtX. unmittelbar an den Satz ttfidtaydnozUrcu
anschioss, und der Satz &*>* <T Ar später eingeschoben wurde» .
1 ' 1 ■ i ■ 1 <
Cap. IL Vergleichung mit dem römischen
Recht.
A* Im Allgemeinen.
Eine Vergleichung der drei Klagen des attischen
Rechts mit der Entwicklung der injuria im römischen Recht
ist in mehrfacher Beziehung lehrreich: Die Entwicklung be-
wegt sich hier und dort in derselben Richtung, auch in den
Einzelheiten lässt sich mannigfache Uebereinstimmung nach-
weisen; manches lässt sich hier und dort in gleicher Deut-
lichkeit erkennen, manches aber erweckt hier und dort die-
selben Bedenken und Zweifel.
i; Dass griechisches und römisches Recht in dieser
Materie sich nicht allzu fremd gegenüberstehen, wird schon dar-
aus ersichtlich, dass Labeo 1 bei der Begriffsbestimmung der
injuria auf die fißQig der Griechen und damit auf die yQcupti
fißQscog des attischen Prozesses verweist 2 . Die späteren,
namentlich Gaius 3 , Paulus 4 und Ulpian 5 erkennen das Wesen
der injuria (im Sinne des generale edictum) bekanntlich in
einer contumelia (contumelia dicta a contemnendo). Da nun
auch dieses Wort auf Labeo 6 zurückzugehen scheint und
die Späteren gerade in dieser Materie besonders häufig sich
1 Collat. II 5, i; auch Justinian pr. J. de inj. IV 4.
* Pernice, Labeo II* p. 27 N. 7.
8 Gai I 141, III 222.
4 Coli. II 5, 1; 1 17 § 2 D. de pact. II 14.
5 Coli. VII 3, 4; 1 1 pr, 1 7 § 7, 1 13 § 3, 1 15 § 24, 1 15 § 48,
1 33 D. h. t; 1 5 § 1 D. ad leg. Aq. IX 2.
6 L. 13 § 4 h. t.
— 55 —
auf Labeo's Autorität berufen, so liegt es überaus nahe, die
ganze Contumelia-Idee auf griechischen Einfluss (yQaqyf]
ßßQecog) zurückzuführen. Die Versuchung ist um so grösser
als noch ein weiteres hinzukommt. Der allgemeine Satz:
injuria = contumelia, und die Zusammenschliessung der ein-
zelnen Ediktsbestimmungen unter diesem Gesichtspunkt ist
m. E. erst denkbar nach dem Aufkommen des Edikts ne
quid infamandi causa fiat 1 . Aber gerade dieses Edikt er-
innert wiederum an die griechische Hybris : „infamare" selbst
an das häufig zur Erklärung verwendete dTtfidCeiv, die De-
monstratio der Formel (Paul. V 4, 13: quod N 8 N 8 fimum 2
immisit A° A° infamandi causa) an das griechische tcqotii]-
Gegen die Annahme einer Entlehnung aus griechischem
Recht erheben sich aber doch Bedenken. Unsere Unter-
suchungen haben ergeben, dass der ursprüngliche Begriff
von Hybris nur auf Gewaltthätigkeiten hinweist und die er-
haltenen Gerichtsreden immer solche im Auge haben. So-
dann sind die prozessualen Besonderheiten der yqaq^ fißQecog
nicht in das römische Recht eingegangen. Nur so viel lässt
sich mit Sicherheit sagen: der Injuriabegriff und der
Hybrisbegriff haben dieselbe Entwicklung durch-
gemacht
Von den einzelnen Fällen Hessen sich am ehesten mit
der yQcupii fißgeog diejenigen vergleichen, welche Ulpian in
1. 1 1 § 9 — 1. 13 h. t. bespricht. Hier handelt es sich um
„persönliche Angriffe, die eine Verletzung der Bürgerstellung
enthalten; dahin gehören die Bedrohung der Bürgereigen-
schaft, die Beeinträchtigung bestimmter Bürgerrechte und
die Antastung der Bürgerehre 4 / Die römischen Juristen
1 S. Lenel Ed. perp. § 193 (p. 323).
* So L e n e 1 a. a. O. ; dort auch andere Conjecturen. Die Hand-
schriften haben: illum.
8 S. o. p. 39 N. 2.
4 Pernice, Labeo II 9 p. 33.
- 5ß -
haben diese Fälle nicht — wie man erwarten sollte 4r nach
d§m Infamationsedikt , sondern nach dem generale edictum
(d$s allein das Wort injuria enthält) behandelt 1 ; das «erklärt
sich am einfachsten durch die Annahme, dass sie als lujuria-
FäJle schon vor Einführung des Infamatiohsedikts anerkannt
w$ren. Man darf gerade in diesen Fällen eine erste Aus-
weitung des Injuriabegriffs im Sinne der contumelia-Idee 2
erblicken. Hier wird man aber unwillkürlich erinnert an
Plato's Ausführungen über die Hybris, an die ßßQig eig tö
TiobziKÖv des einzelnen Bürgers 3 und an die Verweisung
der Hybrisklagen vor die Thesmotheten 4 .
2. Ein prima facie-Ueberblick über das ganze Gebiet
ergibt sofort zwei wichtige Unterschiede zwischen griechi-
schem und römischem Recht: die frühzeitige Ueberwindung
der Talion und das frühzeitige Auftreten der öffentlichen
Strafverfolgung im attischen Recht.
Schon mehrmals, zuletzt wieder von Ludovic Beauchet 5 ,
ist ausgeführt worden, dass in einzelnen Materien dem
griechischen Recht ein modernerer Charakter eigne als dem
römischen Recht, dass es Entwicklungsstadien rascher durch-
laufen habe als dieses. Das trifft auch für die Injuria zu.
Während die zwölf Tafeln für membrum ruptum Talion
vorsehen, scheint das attische Recht, wo es in das helle
Licht der Geschichte einrückt , eine solche gar nicht zu
kennen 6 . Nur in dem äqyßiv %eiq(bv ddlxcov des alxla-Ge-
setzes , in dem straflosen ävxiTioietv 7 , erscheint zwar nicht
die eigentliche Talions- aber doch die Wiedervergeltungs-
1 Perniee, a. a. O.
% Laheo in 1 J3 § 4 h. t.
3 Plato, Ges. X 885 A.
4 S. o. p. 46; damit Hesse sich wohl auch dieyea^ HßQßwg gegen
Phofmio zusammenstellen; s. o. p, 42.
6 Beauchet I p. XXI.
6 Ueber den Bericht des Diogenes Laertios s. o. p. 2 N. 2.
7 S. o. p. 5 ff.
V
— 57 —
idee*. Die Strafe der diny «Was ist immer Geldstrafe; aber
auch für die y$&g>i] tißQmg -*~ wo andere Strafmittel zur
Verfügung' stehen — ist die Idee einer der Verletzung ad-
aequaten Züchtigung durchaus auszuschliessen a . Sehr
charakteristisch ist DemoSthenes' Bemerkung in der. Rede
gegen Timokrates 8 ; er erwähnt die lokrische Gesetzgebung
mit dem Satz „Auge um Auge' 4 und fügt erstaunt hinzu: nal
oi X(fflf*dT(t>p Tijtir]0€o)g ovdepidg (die Schätzung kann nicht auf
Geld gehen).
Die frühzeitige Verdrängung der Talion hängt zusammen
mit dem frühzeitigen Eindringen der öffentlichen Strafverfolg-
ung, Während im römischen Recht die öffentliche Verfolgung
erst seit Sulja'sl ex: Cornelia de injuriis datirt, scheint die yqcupii
$ßQ€o)g bis auf Solon zurückzugehen. Das öffentliche Straf-
recht hat für die dorn Rachezweck dienende materielle Ta-
lion * keinen Raum; hier pflegt nur noch die sog. analoge
oder symbolische Talion eine Rolle zu spielen: Bestrafung
an dem Gliede, welches als Werkzeug des Verbrechens ge-
dient (z, B. Castration des Ehebrechers), Bestrafung durch
das Mittel, welches der Thäter bei seinem Verbrechen an-
gewandt hat (z. B. Feuertod des Brandstifters), Materielle
Talion als richterlich zuerkannte Strafe ist schon dadurch
ausgeschlossen, dass das attische Strafrecht prinzipiell Körper-
strafen (Züchtigung und Verstümmelung) gegen Freie nicht
zulässt 5 . Auch für das TQav/ua ix ngorofag findet sich keine
1 Diese Bestimmung ist Günther (Idee der Wiedervergeltung)
in seiner Darstellung des griechischen Rechts (I p. 76 ff.) entgangen,
* S. o. p. 48.
* Demosth. g. Timokr. 140 (744).
4 Ueber die verschiedenen Arten der Talion s. Günther, Idee
der Wiedervergeltung I p. 17 ff.
5 S. o. p. 48. Vgl. auch K. F. Hermann, Grundsätze u. Anwen-
dung des Strafrechts im griech. Altert, i. d. Abhdg. der Ges. d. Wiss. z.
Gottingen 1855 p. 40 ff. — : Charakteristisch für die Abneigung gegen
körperliche Züchtigung ist auch die Anordnung der Freiheitsstrafe bei
Demosth. g. Meid. 47 (599). .
- 5 8 -
Spur von Talion oder Körperstrafe überhaupt 1 ; auch die
strenge Strafgesetzgebung des Drakon kannte als Strafmittel
nur die Todesstrafe 2 , neben derselben höchstens Atimie und
Geldstrafe 8 *
3. Eine weitere grundsätzliche Unterscheidung scheint
darin zu liegen, dass im attischen Recht die Verbalinjurie (xaxt]-
yoQla) durchaus ihre eigenen Wege geht, gesondert von
ahtia und fißQig, während der römisch-rechtliche Begriff der
injuria die Verbalinjurie von Anfang an einzubegreifen
scheint
Die Vergleichung mit dem griechischen Recht ist hier
geeignet, die auch sonst wohl gegründete Ansicht* zu stützen,
dass die injuria des ältesten Rechts auf Einwirkungen auf den
Leib zu beschränken sei. Der einzige Fall, von dem wir
mit Sicherheit wissen, dass er als „injuria* im Sinn der all-
gemein lautenden Bestimmung der zwölf Tafeln (si injuriam
faxsit, viginti quinque poenae sunto) behandelt wurde, be-
trifft das Austeilen von Ohrfeigen. Gegen diese Lehre darf
man sich nicht auf die Bestimmung über das carmei^famosum
berufen ö : das Carmen famosum wird nicht als injuria bezeichnet
und nicht mit den andern Bestimmungen (membrum ruptum,
os fractum, „injuria") zusammengestellt. Dagegen zeigt die
XII. Tafelbestimmung über das carmen famosum, dass im
römischen Recht, gerade so wie im griechischen, die Be-
strafung der Verbalinjurie einsetzt mit der Bestrafung eines
durch die Publizität der Begehung qualifizirten Falles. Dieser
Fall wird an beiden Orten nicht als reines Privatdelikt be-
handelt.
Allem Anschein nach ist die I n j u r i a d e r z w ö 1 f T a f e 1 n
1 S. o. p. 4.
9 Plut. Sol. 17.
* Poll. VIII 42; IX, 61.
4 So Landsberg, Injuria und Beleidigung p. 29 ff. (hier auch
Referat über die Ansichten anderer), Pernice, Labeo II* p. 22. 23.
5 Dies thut Kar Iowa, römische Rechtsgeschichte II p. 793.
— 59 —
im wesentlichen 1 nichts anderes und nicht mehr als die
alxla des griechischen Rechts. Darauf weisen ja auch
die Bezeichnungen hin ; alxla = d-elxeta ist Von hause aus
nichts anderes als Unbill, Unrecht ; alxla und in-juria betonen
nur das objective Moment der Rechtswidrigkeit, ohne das
subjektive Moment der Hybris zu fordern.
4. Das spätere römische Recht kennt wie das griech-
ische ein Nebeneinanderstehen von Privatklage und öffent-
licher Anklage. Neben der actio injuriarum steht die accusatio
ex lege Cornelia, wie neben der dlxt] aixlag die yQaq>i] üßQecog.
Während aber für das römische Recht die öffentliche Ver-
folgung die Privatklage zurückzudrängen bestrebt ist 2 , scheint
im griechischen Recht umgekehrt die yQCcqy^ fißQewg der dlxtf
aixlag zu erliegen 8 : Die Anschauung, die der yqaqyir\ fißgeog
zu gründe lag und der sie ihre Entstehung verdankte, geht
der späteren Zeit verloren. Man braucht nur Demosthenes*
Rede gegen Konon zu lesen, wo in aller Breite auseinander-
gesetzt ist, dass eine yqaq^ fißQeayg begründet wäre, auch die
entsprechenden Gesetze verlesen werden und doch nur eine
dlxt] aixlag angestellt wird — wohl weil der Kläger die
Sträfsumme für sich behalten will* Dabei darf man auch an
Demosthenes* eigene Haltung im Prozess gegen Meidias
erinnern; auch hier wären alle Erfordernisse einer yqaq^
1 Der injuria-Begriff der zwölf Tafeln ist weiter, wenn er neben
der Körperverletzung auch die Notzucht umfasst. Dies wird vielfach
angenommen, z. B. von Ihering, Reich und Arm in den Strafsätzen des
alten Rechts in n Scherz und Ernst*;, 4. Aufl. p. 403.fr., Landsberg
p. 29 („der Potenz nach*); wohl auch von Kariowa, röm. Rechtsgescfn
II p. 792. Landsberg nimmt aber auch an, dass man „actuell" zur
Zeit der zwölf Tafeln nur an Körperverletzung gedacht habe. Für
Beschränkung auf letztere ausdrücklich: Liszt, Strafrecht, 8. Aufl.
p. 350 (die privatrechtliche actio injuriarum ging von der Körperver-
letzung aus).
* Wenigstens seit dem Eindringen der Cognition; Hermog. 1. 45 h. t.
8 Zum folgenden s. Wilamowitz, Aristoteles und Athen I
p. 248.
— 60 -
tißf>e<t)g gegeben, Demosthenes klagt auch 1 , lässt sich dann
aber mit Geld abfinden und zum Rückzug der Klage be-
wegen 2 . * — Vielleicht hat die hohe Prozessstrafe, die den
unterliegenden Ankläger bedroht (iooo Drachmen), das aü-
mälige Zurücktreten der yqacpi} fipQsws gefördert.
B> Jlxr] alxlctg und actio injuriarum aestimatoria.
i. Auffallend ist die nahe Verwandtschaft
der dixtj alxlag und der praetorischen actio in-
juriarum aestimatoria.
Hier wie dort eine reine Privatklage, die nur
dem Verletzten zusteht. Die Strafe eine Geldstrafe;
der Betrag derselben nicht durch Gesetz bestimmt,
sondern von Fall zu Fall durch den Richter festzu-
setzen. Grundlage dieser Festsetzung eine vom Kläger
ausgehende Schätzung (taxatio, xifir]ais\ durch welche
dieser das „Unrecht schätzt", xlfirjfia imyQÜcpexai, örtdoov
Sovel ä^iov tlvai xb ddixrificfi, injuriam aestimat*. Diese Schätz-
ung hier bereits in der Klageschrift enthalten, dort auf den
klägerischen Antrag in die Formel eingesetzt. Der (die)
Richter an die Schätzung insofern nicht gebunden,
als er auch auf weniger verurteilen kann (dcpaiQelv xov xi*
jiijfiaxog*, condemnationem minuere 6 ) 7 .
1 Allerdings nicht tißQe<o$, sondern weil er als Chorege bei einem
öffentlichen Feste geohrfeigt worden war, mit einer ngoßoX^.
* Darauf bezieht sich der beissende Spott des Aischines (g. Ktesiph.
212, 608), Demosthenes habe seinen Kopf nicht als Kopf, sondern als
Kapital benützt.
* Lex. Seguer. p. 356.
* Gai. III 224.
6 Isokr. g. Lochit. 19.
6 Gäi. III 224.
1 So weit das charakteristische Element der actio injuriarum aesti-
matoria lediglich in der aestimatio und taxatio gefunden wird, kann sie
natürlich auch mit der ;'PW$ $ßQm§ zusammengestellt werden, aber
diese ist keine Privatklage und muss nicht auf Geld gehen.
— 6i —
2. Dazu kommt die Begünstigung der Klage
durch die Beschleunigung des Verfahrens*
Attisches Recht zur Zeit des Aristoteles: die dlny
aixtag zu den Monatsklagert , dlxai l'fifiijvoi, gehörend; Ver-
weisung der Klage an [die Vierzigmänner, später] an die
eloayayyelg und Wegfall der Vorverhandlung vor dem öffent-
lichen Schiedsrichter ; Verzicht des Staates auf die Erlegung
der Gerichtsgebühren (rcgyraveta) 1 .
Römisches Recht: Verweisung der actio injuriarum
an Recuperatorengerichte. Provisorische Schätzung bei An-
ordnung des vadimonium. — Beides bedarf näherer Unter-
suchung. 2
Recuperatoren. Durch Gellius XX 1/13 ist sicher
bezeugt, dass das praetorische Edikt die actio injuriarum
aestimatoria einführte und gleichzeitig diese Prozesse an Re-
cuperatoren zur Entscheidung 3 verwies. Einen concreten
Fall erwähnt Cicero de invent. II 20, 59, 60 4 .
1 Auch für diesen Verzicht ergäbe sich im römischen Civilprozess
ein Analogem, wenn hinlänglich festgestellt wäre, dass im Legisactioneö»
prozess Iujuriensachen durch legis actio per judicis postulationera (ohne
Sacramentszwang) erledigt wurden: dafür Ihering, Reich und Arm
im röm. Civilprozess, in Scherz und Ernst, 4. Aufl. p. 204. A. Schmidt,
kg. act. per jüd. post., denkt zwar auch an diese legis actio (p. 11),
lässt sie aber mit bedeutenden, vom Geistlichen ms Weltliche Über-
setzten Prozessgefahren verbunden sein (p. 21). Aus der legis actio mag
auch das vom Prätor aufgestellte Gebot des „certum dicat, quid injuriae
factum sit" stammen.
2 Man könnte versucht sein, auch das singulare, nur den Kläger
treffende Judicium contrarium (Gai. IV 177) mit der inaßeUa in Ver-
bindung zu bringen; aber wir wissen von diesem Judicium contrarium
doch zu wenig und die Beträge stimmen nicht ('/« griechisches Recht,
V10 römisches Recht).
8 Die Ansicht von Husch ke (Gaius p. 139), dass die Recupe-
ratoren nur „Aestimationsrichter", nicht „zur Prozessaburteütmg be-
stimmte Richter" gewesen seien, darf heute wohl als erledigt ange-
sehen werden. Dagegen z. B. schon Rudorff, röm. Rechtsgeschichte
II p. 356 n. 9.
* Cuidam equiti Romano quidam — gladio manum praeeidit. Agit
— 62 —
Dass Fälle nachweisbar sind, wo — • nach Einführung der
actio injuriarum aestimatoria — ein judex unus entschied, soll
nicht geleugnet werden. Auct. ad Her. II 13, 19 erwähnt
einen solchen Fall und Gaius spricht immer ganz allgemein
nur vom judex. Es ist ein misslicher Ausweg, dieses Zeug-
nis unschädlich machen zu wollen durch die Annahme, judex
sei nur eine „generische Bezeichnung". — Die richtige
Lösung des Problems ist wohl folgende : Der Rechtsfali des
Auct. ad Her. betrifft eine Verbalinjurie. Dies weist da-
rauf hin, dass die Ediktsbestimmung, welche Recuperatoren
injuriis aestimandis eingeführt hat, diese Injuria nicht mit
umfasste, sondern lediglich den Injuriabegriff der zwölf Tafeln
voraussetzte. Die Neuerung, von der Gellius berichtet, hat
den Injurienbegriff nicht getroffen \ nur Strafe und Verfahren
abgeändert. Als dann — wohl erst im letzten Jahrhundert
der Republik — der Injuriabegriff sich infolge der neu hinzu-
tretenden Ediktsbestimmungeri ausweitete, beliess man die
Recuperatoren nur für die ältesten Fälle, für die sie das
Edikt allein ausdrücklich anordnete und für die allein auch
eine Beschleunigung des Verfahrens wegen des Beweisnot-
stands (s. u. p. 68) erforderlich war; die neu hinzutretenden Fälle
dagegen würden an den ordentlichen Richter, den judex
unus, gewiesen. Vielleicht ist eine Spur dieser Aenderung
im Wortlaut der jüngsten Ediktsbestimmung, des Infamations-
edikts, zu erkennen. Während bei den andern Edikten der
Praetor schlechthin erklärt: Judicium dabo (und dabei wohl
an das aus der ältesten Bestimmung bekannte Recuperatoren-
edikt denkt) heisst es hier vorsichtig: prout quaqua re erit,
animadvertam ä . Durch diese Wendung mag sich der Praetor
die Möglichkeit vorbehalten haben 3 , nach seinem Gutfinden
is, cui manus praecisa est, injuriarum. Postulat is, quicum agitur, a
praetore exceptionem — non oportet in recuperatorio judicio etc.
1 Dafür kann hier auf P e r n i c e , Labeo II a p. 25 verwiesen werden.
2 L. 15 § 28 h. t.
8 Vgl. dazu Eisele, Beiträge z. röm, Rechtsgesch. p, 52.
- 63 -
im Einzelfall judex unus oder recuperatores zu geben. In
classischer Zeit (Gaius !) hat dann auch wohl bei den älteren
Fällen der judex unus sich neben den Recuperatoren Ein-
gang verschafft. 1
Das Auftreten der Recuperatoren kann verschieden er-
klärt werden. Es liegt nahe, die Mehrzahl der Richter (an
Stelle des judex unus) mit der besonderen Aufgabe des
Richters im Injurienprozess, mit dem Schätzen, in Verbindung
zu bringen : 2 gemeinsame Beratung Mehrerer wird eher das
richtige Mass finden. Man trug wohl auch Bedenken, an
Stelle der gesetzlichen Strafmasse der zwölf Tafeln auf ein-
mal den arbiträren Spruch des einzelnen zu setzen und den
Angeklagten der Willkür eines ihm vielleicht besonders ver-
feindeten Richters preiszugeben ; minder bedenklich erschien
es, einem Gericht von mehreren Personen die Entscheidung
zuzuweisen und dem Angeklagten auf die Zusammensetzung
dieses Gerichts einen Einfluss einzuräumen. — Eine andere
Ueberlegung mag hinzugekommen sein; die Entscheidung
des Richters wird freier und richtiger, wenn er die Verant-
wortung für die Entscheidung und das Odium derselben
mit anderen teilt; man denke sich den einzelnen aus dem
Volke, der als judex im Prozess gegen ein gemeingefähr-
liches Individuum functioniren sollte, das bei ungünstiger
Entscheidung sich an dem Richter rächen konnte.
Entscheidend für die Verwendung und namentlich für
die Beibehaltung der Recuperatoren ist aber gewiss gewesen,
dass das Verfahren mit Recuperatoren ein beschleunigtes
1 Aehnlich Eisele, Beiträge zur röm. Rechtsgeschichte p. 52,
der aber (n. 12) das erste Edikt und die Recuperatoren nur auf in-
juria atrox bezieht. Es erscheint aber doch zweifelhaft, ob die
Unterscheidung zwischen injuria atrox und levis so alt ist und ob die
That des L. Veratius als injuria atrox zu taxieren ist. Huschke
Gaius p. 138 taxiert sie als injuria levis.
* So z. B. Huschke, Gaius p. 139 ü.
- 6 4 -
Verfahren * darstellt: die Beschleunigung äussert sich nament-
lich im Nichlgebundensein an den actus rerum und in der
Beschränkung der Zeugenzahl. Dies darf heute als fest-
gestellt gelten und soll hier nicht weiter erörtert werden.?
An einer raschen Erledigung ist nicht nur der Staat inter-
essirt, der in der Injurie einen Friedensbruch, . eine Störung*
der öffentlichen Ruhe sieht, sondern vor allem der Kläger;
dieser wiederum nicht nur, weil er rjskiren muss, vor der
litis contestaüa zu sterben (man denke an schwere Verletz-
ungen), sondern namentlich weil er Gefahr läuft, bei Ver-
zögerung des Prozesses nicht mehr oder doch nicht mehr
mit derselben Leichtigkeit seine Beweise zu erbringen.
Vadimonium. Mit der Beschleunigung des Verfahrens
hängt, — so paradox dies auch klingen mag — auch das
vadimonium bei injuria atrox zusammen.
Das praetorische Edikt lautete nach dem Referat Ul-
ptans (s. Lenel, Ed. perp. p. 320):
qui injuriarum agit, certum dicat, quid injuriae factum
sk r et taxationem ponat, non maiorem, quam quanti vadi-
monium fuerit
Man fasst dieses Vadimonium mit Recht auf als ein
vadimonium im Sinn von Gai. IV 184, als „Dilations vadi-
monium" (Voigt.) 3 Wir sind sonst gewohnt, letzteres als
etwas nur ausnahmsweise eintretendes anzusehen*; regel-
1 Cic. pro Tüll. 10 (vgl. 41): recuperatores dare ut quam primum
res judicaretur.
9 Wlassak, röm. Prozessgesetze H p. 310. Eisele, Beiträge
zur röm. Rechtsgeschichte p. 48 ff. P. F. Girard manuel. elem. d.
droit romain 2. Aufl. p. 980 n. 4.
* Voigt, Über das Vadimonium, Abhdlg. d. sächs. Ges. d.
Wissenschaften phil. hist. Cl. VHI (1881) p. 320 ff.; Husch ke, Gaius
4 S. z. B. Kell er- Wach p. 234; anders, soweit ich sehe, nur
Voigt 1. c. p. 321, nach welchem „im Prozesse jüngerer Zeiten 1 *
ordentlicher Weise das Verfahren in jure auf zwei verschiedene
Termine sich vertheilt, deren erster zum edere actionem dient.
1
1
- 65 -
massig kommt es dazu nicht, weil sich die Verhandlung in
jure in einem Termin zu Ende führen lässt (uno die finiri
potest negotium). Wozu nun hier, an entscheidender Stelle
des Edikts eine Bestimmung, die ein vadimonium, und damit
also einen doppelten Termin in jure, zum mindesten als et-
was häufiges, wenn nicht als etwas regelmässiges oder not-
wendiges voraussetzt? 1
Zur Erklärung der Erscheinung sind folgende Stellen
heranzuziehen.
Gai. III 224 : permittitur nobis a praetore ipsis injuriam
aestimare, et judex vel tanti condemnat, quanti nos aestima-
verimus vel minoris, prout ei visum fuerit Sed cum atrocem
injuriam praetor soleat aestimare, si simul constituerit quantae
pecuniae fieri debeat vadimonium, hac ipsa quantitate taxa-
mus formulam, et judex quamvis possit vel minoris damnare,
plerumque tarnen propter ipsius praetoris auctoritatem non
audet minuere condemnationem.
Ulp. Coli. II 2, 1 : injuria, si quidem atrox, id est gravis,
non est, sine judicis arbitrio aestimatur. atrocem autem aesti-
mare solere praetorem, idque colligi ex facto, utputa si ver-
beratus vel vulneratus quis fuerit.
Ulp. 1. 2 D. de fer. II 12 . . . oratione divus Marcus
in senatu recitata effecit, de aliis speciebus praetorem adiri
etiam diebus feriaticis . . . utputa . . . ut adspectu injuria
atrox aestimetur.
Die Ediktsbestimmung setzt das vadimonium mit der
dient. Dies bezieht sich wohl auf das Edictum de edendo bei Ulp. 1 1
pr. D. de ed. II 13: es handelt sich aber hier nicht um einen ersten
Termin in jure, sondern um eine dem Verfahren in jure und wohl
auch der in jus vocatio vorausgehende aussergerichtliche Edition, s.
Lenel, Ztsch. d. Sav. Stiftg. XV p. 385 flf.
1 Die Bestimmung des Edikts heisst natürlich zunächst nur: die
taxatio darf die summa vadimonii nicht übersteigen, wenn, insofern,
überhaupt ein vadimonium abgeschlossen wurde. Aber die Art, wie
sich Gaius über das vadimonium bei injuria atrox äussert, weist darauf
hin, dass hier das vadimonium regelmässig vorkam.
Hitzig, Injuria. r
— 66 -
injuria im allgemeinen in Beziehung, Ulpian und Gafus nur
mit der injuria atrox. Bei letzterer kam also dem Vadimo-
nium besondere Bedeutung zu; hur hier scheint es regel-
mässig angeordnet zu werdend ^
Wie alt die Unterscheidung von injuria atrox' und in-
juria levis ist, wissen wir nicht. Wir können daher auch
nicht feststellen, ob die besondere Behandlung des vadimo-
nium ursprünglich für jede Injurie im (Sinn des älteren
Rechtes) galt und erst mit dem Aufkommen der Unterschei-
dung injuria atrox — injuria levis auf erstere beschränkt
wurde, oder ob sie eine spätere Neuerung darstellt, die jene
Unterscheidung bereits voraussetzt. Hier genügt die
Feststellung, i) dass es sich um Thatbestände
handelt, für welche Recuperatoren competent
sind, 2) dass die besondere Behandlung des vä-
dimonium bei injuria ätrox den Bedürfnissen
entspricht und in eigenartiger Weise der Be-
schleunigung des Verfahrens dient.
Ulpian erwähnt als Beispiele der injuria atrox: verbe-
rare, vulnerare; er setzt auch bei „aspectu aestiniare inju-
riam" zweifellos schwere Realinjurien voraus. Es ergibt sich
auch sonst, dass die Einteilung der injuriae in atroces und
leves in erster Linie eine Einteilung nach der Schwere der
Verletzung (injuria atrox re) ist. 1 Die in Frage kommen-
den Injuriae sind also solche, die schon nach den zwölf
Tafeln und dem ältesten Injurienedikt strafbar waren und
durch letzteres an Recuperatoren gewiesen wurden.
Das vom Praetor bei injuria atrox angeordnete vadi-
monium enthielt eine Besonderheit. Während sonst die
summa vadimonii durch den Eid des Klägers fixiert wird
und — nach Gai. IV 186 — in doppelter Beziehung maxi-
1 Man darf dies schliessen aus 1. 9 pr. D. h. t: eine ältere, von
Pomponius angegriffene Theorie fordert für die injuria atrox ein pulsare,
corpori injuriam inferre; Pomponius und Ulpian erklären: etiam sine
pulsatione posse dici atrocem injuriam, persona atrocitatem faciente.
- 6 7 -
■ , . . , , , . . ■ ^
mal begrenzt ist (nicht über 100,000 Sestertien, nicht über
die Hälfte des Streitwertes) wird die Summe hier vom
Praetor bestimmt (constituit) und deckt sich mit der prae-
torischen Schätzung. Nur so erklärt es sich, dass die
Thätigkeit des Praetor in gleicher Weise als Feststellung der
summa vadimonii und als aestimatio injuriae bezeichnet wird ;
nur so auch die Bestimmung, dass die klägerische taxatio
nicht höher sein dürfe als die summa vadimonii 1 . Es ist
nun überaus wahrscheinlich, dass das vadimonium ein sog.
vadimonium recuperatoribus suppositis (Gai. IV 185) war,
wie dies bereits Huschke und Lenel angenommen haben: 2
wenn der Beklagte zum zweiten Termin nicht erscheint, wird
er sofort von Recuperatof en in summam vadimonii verurteilt.
Dass das vadimonium in anderer Art bestellt wurde, lässt
sich nicht nachweisen ; für unsere Annahme gibt - neben
den allgemeinen Erwägungen Lenels — einen Anhaltspunkt
die Bemerkung des Paulus (1. 10 §2 D. si quis caut. II 11),
dass bei Injuria : tales stipulationes propter rem ipsam dantur.
Damit ergibt sich für injuria atrox folgendes Verfahren :
Der erste Termin in jure endigt mit einem vadimo-
nium, der Praetor bestimmt die summa vadimonii ; diese stellt
seine ex aspectu vorgenommene Schätzung der Injurie dar.
Im zweiten Termin hat der Kläger die definitive, in die
Formel aufzunehmende, taxatio anzugeben 8 ; erscheint der
1 Anders Voigt a. a. O. p. 3^2, der die Maximalgrenzen des
Gaius in Anwendung bringen will. Die im Text vertretene Ansicht
liegt wohl auch dem Vorbehalt bei Keller-Wach p. 235 N. 54T zu
gründe. — Ich glaube nicht, dass man die Worte quantae pecuniae
nomine bei Gai. III 224 dahin deuten darf, dass der Prätor nicht die
summa vadimonii fixiere, sondern nur den Betrag, von dem dieselbe
gemäss Gai. IV 186 zu berechnen sei. Dies wäre gezwungen und
wiederum unvereinbar mit der Bestimmung des Edikts.
" Huschke, Gaius p. 137; Lenel, Ed. perp. p. 69; die Injuria
gehört zu den „in betreff des vadimonium privilegirten Sachen."
* Kann der Kläger jetzt im IL Termin eine andere Summe be-
nennen, als die vom Praetor fixierte summa vadimonii? Die Ausfüh-
rungen des Gaius III 224 setzen voraus, dass regelmässig dieselbe
5*
— 68 —
Beklagte nicht, so wird er sofort von Recuperatoren in sum-
mam vadimonii verurteilt *. Also : zwei Termine in jure : pro-
visorische Schätzung (des Magistrats) — definitive Schätzung
(des Klägers).
Vermutlich ist der Grundgedanke dieses complizirten
Verfahrens folgender: Zunächst hat der Kläger ein Inter-
esse daran, sich möglichst rasch — - durch in jus vocatio
— der Person des Angeklagten zu versichern und eine Fest-
stellung des Thatbestandes zu erlangen : er selbst kann an den
Verletzungen vor der litis contestatio sterben; die Wunden
können heilen und vernarben; Beulen und leichte Schürf-
ungen können in kurzer Zeit spurlos verschwinden;
auch andere Zeugen der That müssen vielleicht vernichtet,
zerrissene und beschmutzte Kleider müssen geflickt und ge-
reinigt werden. Darum will der Kläger sofortige Demon-
stration, der Praetor soll ex aspectu die Wunde sehen und
den Kläger nicht mit seiner Demonstration bis nach den
Ferien zurückstellen. Aber auch der Beklagte kann ein
Interesse an einer solchen Vorweisung sofort nach der That
haben, damit ihm nicht später Schläge auf sein Konto gesetzt
werden, die der Kläger erst nach seiner That von einem
Dritten erhalten hat oder Complicationen, die auf kurwidriges
Verhalten des Klägers zurückgehen. Andrerseits kann es
schwer, ja unmöglich sein, jetzt schon, bei einer ersten Be-
sichtigung, die Grösse des Schadens zu überblicken und zu
schätzen; vielleicht ist der Kläger selbst nicht in der Lage,
sich über seinen Zustand Rechenschaft abzulegen. Er hat
auch selbst ein Interesse daran, dass keine allzu hohe Summe
Summe angegeben wurde (hac ipsa quantitate — taxamus). Nach dem
Wortlaut des Edikts durfte aber der Kläger auch eine niedrigere
Summe benennen, nur keine höhere s. Huschke, Gaius p. 137, Ru-
dorff, röm. Rechtsgesch. II p. 357 n. 12. Unklar Rudorff ibd. p. 356
n. 9 : die Schätzung besorgt der Praetor, um ein doppeltes Judicium (?)
zu vermeiden.
1 Gai. IV 185 und dazu die überzeugenden Ausführungen von
Lenel, Ed. perp. p. 69,
j
- 69 -
in der Formel erscheine, da seine eigene Haftung mit dem
Judicium contrarium sich auch nach derselben richtet. Dem
Kläger gentigt es, wenn die endgiltige Taxatio verschoben
wird und jetzt gleichsam eine provisorische Schätzung
vorgenommen wird, welche vom Beklagten
im raschen Prozessgang eingetrieben wird,
wenn er zum zweiten Termin für die definitive
klägerische Schätzung nicht erscheint. Dies
Verfahren erleichtert zudem den Abschluss eines
Vergleiches: den Parteien, die bisher vielleicht
nur über die Höhe der Abfindungsumme stritten,
ist durch die praetorische Schätzung der Weg
gewiesen. 1
3. Ist nun — angesichts der verschiedenen Berührungs-
punkte der beiden Klagen — die dtxt] aixlag geradezu als
das Vorbild der actio injuriarum aestimatoria anzusehen?
Die Zeit der Einführung der actio injuriarum aestima-
toria lässt sich nicht ermitteln. Man scheint darin einig zu
sein, dass das Edikt älter ist, als die lex Cornelia de injuriis;
diese habe die Lücken, die das Edikt gelassen hatte, aus-
gefüllt. 2 Die frühesten Spuren glaubt man bei Plaut. Asin.
II, 104 8 zu entdecken 4 . Uebrigens sind allem Anschein nach
1 Der Gedanke einer solchen Warte- oder Krisenfrist ist in der ver-
gleichenden Rechtswissenschaft nicht ohne Parallele s. Kohler, chines.
Strafrecht p. 41, und Ztsch. f. vgl. R. W. X p. 384 (japanesisches
Strafrecht). Wenn die weiter unten (3) ausgeführte Ansicht richtig
und ein Zusammenhang zwischen dlxri aixlag und actio injuriarum nach-
zuweisen ist, darf hier auch an die Bemerkung im Lexikon Seguerianum
erinnert werden, nach welcher die dlny aixlag vier Tage
nach der That, bevor die Spuren der Schläge verwischt
waren, eingeleitet werden musste.
8 Huschke, Gaius p. 128. Pernice, Labeo II 9 p. 24, 35,
Landsberg, Injuria und Beleidigung p. 36.
8 Die Worte: pugno malam si tibi percussero, „Worte, die ganz
wie ein scherzhaftes Citat klingen" (Lenel). Vgl. Gai. IV 60; Ulp. 1. 11
pr. h. t. und Coli. II, 6, 4.
* Lenel, Ed. perp. p. 321 N. 4. Voigt, röm. Rechtsgesch. I
p. 704 N. 19; a. A. Girard, nouv. rev. hist. XXI p. 264.
— 7? —
die einzelnen Ediktsbestimmungen nicht gleichzeitig entstan-
den; es ist bereits oben die Ansicht angenommen, dass sich
■ » . • .. * ■ • . - ' •■ ......
das ursprüngliche (später General-) Edikt auf die Injuria im
Sinn der zwölf Tafeln beschränkt, dass die Specialedikte erst
allmälig hinzutraten und dass erst mit dem Aufkommen der
letzteren und im Anschluss an diese sich die Ausweitung
des Injuriabegriffes vollzog 1 .
Die älteste Ediktsbestimmung würde sich danach auf
Realinjurien beschränken und einen Begriff der injuria vor*
aussetzen, der sich im wesentlichen mit der cdxla des atti-
sehen Rechtes decken würde.
Die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs beider
Klagen ist um so grösser, als die Eigentümlichkeiten
des griechischen Vorbildes nicht für d^s römische Recht
überhaupt, sondern nur für die Injurienklage übernommen
wurden, so dass die Ausgestaltung der actio injuriarum inner-
halb des römischen Rechtes eine Singularität darstellt.- Man
darf annehmen, dass Schlägereien auch in Rom nicht zu den
Seltenheiten gehörten, dass es auch an Schlägereien zwischen
Römern und Fremden nie gefehlt hat, ja mehr: dass solche
zu allen Zeiten und von Anfang an im Fremdenprozess eine
beträchtliche Rolle gespielt haben. Es ist gewiss auch kein
Zufall, wenn Plato in seinen allgemeinen Erörterungen über
die cdxla noch besonders den Fall hervorhebt und erörtert,
wo an der Schlägerei ein Fremder beteiligt ist.
Die Entwicklung wäre dann in dieser Weise zu denken :
die actio injuriarum aestimatoria wird im Anschluss an die
Stxri aixlag des griechischen Rechts im Edikt des Fremden-
1 Man beachte, dass die Ediktbestimmung über das convicium
nicht von injuria sprach ; erst Labeo scheint das convicium als injuria
bezeichnet zu haben (1 15 § 3 h. t); er unterscheidet; injuria re, quotiens
manus inferuntur; injuria verbis, quotiens non manus inferuntur, sed con-
vicium fit (1 x § 1 h. t.)» Ungenau Landsberg (a. a. O. p. 35): der
Praetor erkläre bei den Specialedikten, er werde „die actio injuriarum"
geben. ,
4
— 7* —
praetors ausgebildet und von da in das Edikt des Stadt-
praetors übernommen.
Für diese Erklärung spricht vor allem, dass die älteste
Spur der actio injuriarum aestimatoria auf das Edikt des
Fremdenpraetors führt; bei Plautus s. o. droht ein Peregrine
mit Anstellung der Klage. 1 — Weiter spricht für die Her-
kunft der Klage aus dem Edikt des Fremdenpraetors das
. Vorkommen der Recuperatören, auch im Bürgerprozess. Es
erklärt sich am einfachsten durch die Annahme, dass Honorar-
formel und Recuperatoren zusammen aus dem Edikt des
Fremdenpraetors in das des Stadtpraetors übernommen
wurden. 2 Wlassak, 3 der im allgemeinen diesen Gedanken
ausführt, glaubt gerade für die actio injuriarum etwas anderes
annehmen zu müssen : die actio injuriarum aestimatoria sei eine
Erfindung des Stadtpraetors, für die man die aus dem Fremden-
edikt übernommenen Recuperatoren „zugelassen" habe. Der
Bericht des Labeo bei Gellius XX i, 13 nötigt aber durch-
aus nicht zu dieser Annahme; Labeo spricht nicht vom
Stadtpraetor, sondern von den Praetoren:
praetores postea — — . injuriis aestimandis recupe-
ratores se daturos edixerunt — -
nichts hindert, diese Worte auf beide Praetoren zu be-
ziehen.
Resultat: es ist in hohem Grade wahrschein-
lich, dass die actio injuriarum aestimatoria aus dem
griechischen Recht (dtxt] aixlas) in das römische
übernommen worden ist.
Die Annahme einer Abhängigkeit wird dadurch bestärkt,
dass auch eine andere Injurienklage des griechischen Rechts,
die yqcupTi ijßqeo)^ Züge aufweist, die sich in gleicherweise
1 S. Voigt, römische Rechtsgeschichte I p. 704 N, 19. P. F.
Girard, nouv. rev. histor. XXI p. 264 N. 1.
9 S. Wlassak, Prqzessgesetze II p. 310. Voigt, röm. Rechts-»
geschichte I p. 160 N. 31, p. 704 N. 19.
8 A. a. O. n. 29.
— 72 —
bei der actio injuriarum und dlxt] alxlag constatiren Hessen:
die Schätzung und die Beschleunigung des Verfahrens (?).
Angesichts der Erwähnung der Hybris bei Labeo (s. o. p. 54)
mag es nahe liegen, die römische Klage unmittelbar mit der
y<H*<jP^ tißqeois in Verbindung zu bringen. 1 Die Anlehnung
an die dixtj alxlag liegt aber doch näher: die y^aq^ fißgecog
ist keine Privatklage; sie geht nicht notwendig auf Geld-
strafe; die Beschleunigung des Verfahrens erwähnt nur ein
Gesetz, dessen Aechtheit bestritten ist.
C. Tqaq)^ tißQews und accusatio ex lege Cornelia.
1. Es liegt nahe, nunmehr auch die ygacpi] dßQ€o>s mit
der öffentlichen Injurienklage des römischen Rechts, der
accusatio ex lege Cornelia de injuriis zu vergleichen 2 .
Ueber letztere ist den Quellen nur folgendes mit
Sicherheit zu entnehmen:
Das Gesetz hat für drei Fälle: pulsare, verberare,
vi domum introire eine quaestio perpetua einge-
richtet; es ist von Judicium publicum (1. 6) quaestio publica
(1. 6), reus (1. 5 § 8) accusatus (1. 5 § 11), nominis receptio
(1. 12 § 4 de accus. XL VIII 2) die Rede. Ulpian erwähnt
0- 5 P r Bestimmungen über die Zusammensetzung des
Schwurgerichtshofs, die sich mit denen der lex Acilia
repetundarum decken. Der verletzte Haussohn kann selbst
klagen, die Klage ist nicht dem Vater erworben (1. 5 § 6);
1 Dafür mag auch geltend gemacht werden, dass im materiell-
rechtlichen Begriff die fißgig (im Sinne der Ausführungen o. p. 41) der
injuria näher kommt als die auf Schläge beschränkte aixla. Man denke
an den Thatbestand der ßßQtg M ala/QovQylag.
9 S. besonders Huschke, Gaius p. 143 ff., Rein, Criminalrecht
p. 370 ff. Rudorff, röm. Rechtsgesch. I § 42 p. 100 ff. Keller, In-
stitutionen p. 148. Zumpt, Criminalrecht der röm. Rep. II, 2, p. 39 ff.
Fr it sehe, sullan. Gesetzgebung, Essener Gym. Progr. 1882 p. 22 ff.
Voigt, römische Rechtsgeschichte I p. 705 ff. Pernice, Labeo II"
p. 14 N.
— 73 —
er braucht keine cautio ratam rem patrem habiturum zu
steilem (1. 5 § 7.) Der Kläger kann sich durch einen pro-
curator vertreten lassen (1. 42 § 1 de proc. III 3). Der Kläger
kann dem Beklagten den Eid zuschieben, ut juret reus, in-
juriam se non fecisse; der Eid kann anscheinend nicht zu-
rückgeschoben werden (1. 5 § 8) 2 . 3 .
Alles übrige ist unsicher, vorab die Antwort auf die
Fragen: wer ist zur Anstellung der Klage berechtigt? welche
Strafe hat das Gesetz angedroht?
2. Klageberechtigt ist anscheinend nur der
Verletzte selbst 4 . Man hat sich für diese Annahme na-
mentlich auf die Möglichkeit der Bestellung eines procura-
tor berufen; weiter darauf, dass die Klage regelmässig
actio 6 genannt wird und geradezu als privata actio 6 be-
zeichnet wird. — Man kann weitere Argumente hinzufügen.
Das Gesetz lässt als Kläger auftreten den, qui dicit se pul-
satum esse, domum suam introitam esse. (1. 5 pr.) Die
Klage wird als eine besondere Art von „injuriarum agere*'
dem „communi jure injuriarum agere" gegenübergestellt;
sie führt ein publicum Judicium herbei, welches „privatam
causam continet", nicht „publicam exsecutionem habet" (1. 6,
1 In nachclassischer Zeit wird diese Befugnis auf den Fall be-
schränkt, wo der Ankläger zur Rangklasse der Illustres gehört, Zeno
in 1. 11 C. de inj. IV 35.
9 Hierzu De melius, Beweiseid und Schiedseid p . . .
* Eine weitere Bestimmung des Gesetzes wollen Fritsche p. 23
und Z u m p t p. 47 in 1 12 § 2 D. de accus. XLVIII 2 v. nisi suarum inju-
riarum causa erblicken. Gewiss mit Unrecht: injuria hat hier nicht die
technische Bedeutung des injuria- Vergehens; gemeint ist nur: wenn
einer klagt, weil er selbst der Verletzte ist; vgl. 1. 11 D. de accus.
XLVIII 2, 1. 1 § 10 D. ad Sc. Turp. XLVIII 16, 1. 16 § 6 D. ad leg. Jul.
de adult. XLVIII 5, Collat. IV 5.
4 So Rein, Huschke, Keller, Rudorff, Fritsche, Voigt,
Pernice a. a. O.; ausserdem Salkowski, Instit. f p. 421. Girard,
manuel 2 p. 393 und wohl auch S o h m , Instit. e p. 320.
3 S. bes. 1. 5 § 6: praetoria actio — [actio] legis Corneliae.
8 L. 42 § 1 D. proc. III 3; 1. 11 C. de inj. IX 35.
— 74 —
vgl. rnit 1. 7 § 'i); 1 ?' ? n <der Aufzählung der leges judicioruia
pubHcoruiti bei Marcian 1. i D. de jud. publ. XL VIII ij
fehlt die ]ex Cornelia de injuriia 2 . Die, classisch^n . Juristen
schliesaent ihre Erörterungen über dieses, - Gesetz an die
Ediktsbestimmung an,, ^ .-,, , \ -
Bedenken könnte der Eingang der L 6 erregen: Die
„publica quaestio" scheint hier wirklich die Anklagebefugnis
nicht ^auf den Verletzten. zu beschränken; es geschieht aber
wohl nur ausnahmsweise, weil gerade in diesem Fall — - bei
einer Schmähschrift ist der. Name, des Geschmähten v nicht
genannt— bei der Erhebung noch: gar nicht feststeht, wer
der Verletzte ist 3 . •-
Die Beschränkung des Anklagerechts auf den Verletzten
verträgt sich freilich schlecht mit den Prinzipien des crimen
publicum 4 ; Modificationen der völligen Anklagefreiheit finden
sich aber immerhin auch bei anderen crimina publica, im
besonderen bei adulterium (lex, Julia de adulteriis) , wo
Drittpersonen erst zur Anklage zugelassen werden, wenn
der Verletzte binnen sechzig Tagen von seinem Anklage-
recht keinen. Gebrauch macht 5 .
3. Die Frage, welche Strafe die lex Cornelia
vorgesehen habe, wird von den Meisten umgangen; an-
dere beschränken sich darauf, zu erklären, dass eine öffent-
liche Strafe vorgesehen sei. Besonders häufig wird ver-
wiesen auf den Anspruch Marcians in 1. 37 § 1 h. t.
etiam ex lege Cornelia injuriarum actio civiliter mo-
veri potest condemnatione aestimatione judicis facienda.
1 Die lex Cornelia in 1. 7 § 1 a. E. ist die lex Cornelia 4e, sicariis.
8 Die Behauptung von Zumpt und Fritsche, dass die lex
Julia judiciorum publicorum einen besonderen Vorbehalt für, , die lex
Cornelia de injuriis gemacht habe, erledigt sich durch das oben p, 73
N. 3 gesagte.
8 Vgl. die Worte: „quia difficilis, probatio est", die nur auf das
vorausgehende „nomen non adjectum" bezogen werden können.
4 S. meinen Artikel crimen bei Pauly-Wissowa.
6 Vgl. dazu Bennecke, strafrechtl. Lehre vom Ehebruch p. 8.
*
— 75 —
, Dieses ^Fragment gibt Aber , Strafe; der lex
Cornelia selbst gar keine Auskunft. 1 Es besagt
vielmehr: wenn ein Thatbestand vorliegt, der die; Erhebung
der accusatio ex lege Cornelia rechtfertigen würde, sq. kann
auf Grund desselben Thatbestandes - auch die civile JKJage,
actio injuriarum aestimatoria, angestellt werden; dasXJrtejl
geht dann auf eine durch richterliche Schätzung bestimmte
Geldstrafe. Den Gegensatz zu „civiliter actionem movere':
bildet das „criminaliter agere" 2 . Der Ausspruch ist nicht über-
flüssig. Für pulsare und verberare war allerdings schon durch
das Edikt gesorgt; aber das Edikt; sah das vi dornum jn-
troire nicht vor, noch viel weniger die Tatbestände der
Senatusconsulta, die als Ergänzungen und Nachträge zur lex
Cornelia erscheinen. — Die lex Cornelia selbst hat diese Be-
stimmung nicht getroffen 3 ,, sie ist jüngeren Datums, vgl. Ulp.
in 1. 7 §6 und unten p. Aus 1. 37 § 1 lässt sich nur negativ
entnehmen, dass die Strafe der lex Cornelia selbst
nicht eine condemnatio aestirriatione judicis fa-
cienda war 4 .
1 Damit erledigen sich die Theorieen, nach denen die accusatio
ex lege Cornelia selbst — neben der Intestabiliität — auf „volle Geld-
eritschädigung", auf „richterliche Aestimation" ging! So besonders
Huschke p. 146, 147 und Rudorff I. p. 402. — Davon zu scheiden, aber
nicht immer genügend geschieden, sind die Theorieen, nach denen die
lex Cornelia lediglich für ihre Thatbestände die actio injuriarum an-
wendbar erklärte oder vorbehielt, s. Anm. 3. — - Unklar Voigt: die lex
Cornelia habe für nicht qualifizierte Injurien die praetorisehe Klage
„einfach beibehalten." Eigenartig Leonhard, Instit. p. 452, der den
Unterschied zwischen der praetorischen Klage und der Klage aus dem
cornelischen Gesetz nur darin findet, dass bei letzterer „der Praetor auf
die Höhe der Strafe keinen Einfluss ausübte."
8 S. auch die Gegenüberstellung von delicta privata und crimi-
naliter movere in 1. 11 C. de inj. IV 35.
* Dafür dass die lex Cornelia dem Beleidigten die actio injuriarum
aestimatoria gewährte Baron 249, Salkowski' p* 421. Girard
393- — Wohl auch Per nie« p. 23.
4 So auch Rein p. 373.
- 7 6 -
Eine Wirkung der Verurteilung war die Intestabilität.
Ein Senatsbeschluss über Bestrafung eines carmen famosum
bestimmt (1. 5 § 9): — uti agere liceret et si con-
demnatus sit, qui id fecit, intestabilis ex lege esse jubetur 1 .
Dass mit „lex" nicht der Senatsbeschluss selbst gemeint ist,
liegt auf der Hand. Lex ist diejenige lex publici judicii, als
deren Ausweitung sich der Senatsbeschluss darstellt; diese
lex kann nur die lex Cornelia de injuriis sein, von der Ulpian
unmittelbar vorher spricht. Ueber ergänzende Senatusconsulta
vgl. meinen Artikel crimen bei Pauly-Wissowa 2 . — Die In-
testabilität war in der lex Cornelia selbst vorgesehen 8 .
Die Intestabilität war aber kaum die einzige Strafe
des Gesetzes, sondern eine blosse Zusatzstrafe, wie sie
denn auch in der lex Julia de adulteriis zu anderen Strafen
als Nebenfolge hinzutritt 4 . Darauf führt schon der Wortlaut
1- 5 § 9 : s i condemnatus sit, qui id fecit, intestabilis-esse jubetur.
Die condemnatio kann nicht wohl auf die einfache Schuldig-
erklärung bezogen werden; man braucht sich nur an die
Wendung „qui condemnatus fuerit" in den Infamiekatalogen
zu erinnern.
Die Hauptstrafe des Gesetzes war m. E. eine durch
das Gesetz fixierte Geldstrafe. Diese Lösung wird
nahe gelegt durch die Gegenüberstellung der richterlichen
aestimatio in 1. 37 § 1 und verträgt sich sehr wohl mit allen
übrigen Berichten der Quellen. Dass die Strafe fest be-
stimmt war und den Richter band, ergibt sich aus den Straf-
bestimmungen der übrigen cornelischen Gesetze und aus
1 Vgl. auch 1. 18 § 1 qui test. fac. XXVIII 1.
2 Zur Formulierung von 1. 5 § 9 vergleiche etwa 1. 1 § 7 D. ad
leg. Com. de fals. XLVIII 10: senatus consultum — quo lege Cornelia
tenentur.
8 Dies wird auch angenommen von Rudorff, röm. Rechtsgesch.
I p. 101, II p. 358, Huschke p. 147, Voigt p. 707, zweifelnd Keller
p. 150, Geib, Lehrb. I p. 55; Beschränkung der Intestabilität auf
carmen famosum : Baron p. 249.
4 L. 20 § 6 D. qui test. fac. poss. XXVIII 1; 1. 14 D. de test. XXII 5.
— 77 —
dem Geist der ganzen sullanischen Gesetzgebung. Die feste
Strafe gehört zu den Kriterien des crimen publicum. Feste
Geldstrafen finden sich auch sonst im öffentlichen Strafrecht
dieser Periode: es genügt an die lex Fabia de plagiariis zu
erinnern 1 . Vielleicht hängt es mit der gleichartigen Behand-
lung der lex Fabia und der lex Cornelia de injuriis und mit
einer Verwechslung der beiden Gesetze zusammen, wenn
bei Apuleius 2 der Verkäufer eines freien Mannes (si
civem Romanum pro servo vendidero) sich gegen die „lex
Cornelia" vergeht 3 . Auch Ulpian scheint in 1 5. D. si ex
nox. caus. II 9 vorauszusetzen, dass die den Freien treffende
Strafe bei injuria immer condemnatio pecuniaria ist 4 .
Man darf noch einen Schritt weiter gehen und annehmen,
dass die Strafe auch insofern eine öffentliche war, als der
Strafbetrag dem Staate zufiel, wie dies für die lex Fabia 6
feststeht — für die öffentliche Klage der lex Plaetoria 6 wahr-
scheinlich ist. Der Verletzte konnte sich hierüber nicht beklagen,
da ihm ja freistand, an Stelle der öffentlichen Klage die Privat-
1 L. 7. D. ad leg. Fab. de plag. XLVIII 15. Vielleicht gehört auch
die lex Plaetoria hieher, vgl. Kariowa, röm. Rechtsgesch. II p. 307,
Girard,'manuel p. 222. — - Geldstrafen, die auf einen Bruchteil des Ver-
mögens des Angeklagten gehen, finden sich in der julischen Gesetz-
gebung, vgl. z. B. 1. 1 pr. de leg. Jul. de vi priv. XLVIII 7 (Verlust
eines Drittels und Infamie), 1. 2 § 2 de leg. Jul. de annon. XLVIII 12,
1. 1 § 1 de leg. Jul. ambit. XLVIII 14.
9 Metam. VIII 24.
8 Man vergleiche in 1 1 D. de leg. Fab. de plag, die Worte: quo
venditor quoque fit obnoxius, si sciens liberum esse vendiderit.
4 M. E. unterscheidet die Stelle capitales actiones und injuriae und
sieht für letztere als Strafen vor: verberatio für den Sklaven und con-
demnatio pecuniaria für den Freien; für erstere: supplicium für den
Sklaven und vindicta (?) für den Freien.
6 Ulp. in Coli. XIV 3, 5; vgl. Voigt, über die lex Fabia de
plagiariis, Sitzb. d. Leipz. Akad. 1885 p. 330, Bruns, Ztsch. f.
Rechtsgesch. III p. 344 flf.
6 Kariowa II p. 307 spricht schlechthin von einer Geldstrafe,
G i r a r d p. 222 von einer amende.
- 7 6 =
klage iw wähleri. Ein Judicium 1 publicum i)ei dem die ge-
setzlich fixirte Sträfsumme dem Verletzten zufiele , ist nicht
nachweisbar 1 ^ der Ausdruck actio pirivata erklärt sich hin-
länglich daraus, däss die Klage nur deni Verletzten zustand.
Die Bemerkung^ däss der Verletzte pro u t i 1 i t a t e p üb 1 i c a
klage, erlangt prkgftaWte Bedeutung, wenn die er$trittehe
Geldstrafe ah den Staat fällt! " r
Man wird dieser Lösung des Problems m. E. nicht
entgegenhalten dürfen, dass eiqe Gesetzgebung,, die ;! ey\mal
— durch die Einführung der actio injuriarum äestiüiaio.ri^ —
das System der festen Geldstrafen verlassen habe* zu dem-
selben schwerlich mehr zurückkehren werde. Aber Sulla's
Gesetzgebung ist bekanntlich in mehr als einer Beziehung
reaktionär gewesen und — das ist die Hauptsache — e$
handelt sich hier nicht um Privat- sondern um Öffentliche
Strafen.- ''-'•*'- "' ' /i: \ - ••'---•--"• "> '• : -*' "; 'y"' K y :
Man hat an ändere Strafen gedacht 2 . Rein 3 ' denkt an
die in der sullanischen Gesetzgebung mehrmals verweridete
aquae et ignis interdictio. Die Strafe erscheint aber zu
hart, wenn man bedenkt, dass auch verhältnissmäSsig- leichte
Injurien unter das Gesetz fällen 4 und dass anderseits für
schwere. Fälle, Verwundung in tötlicher Absicht, Verwendung
von Waffen, die Verfolgung nach der lex Cornelia de sica-
riis offen stand. — Voigt 5 will zwischen qualifizierter und
nicht qualifizierter Injurie unterscheiden, die accusatio be-
schränkt er auf die erstere, Strafe: manus praecidere. Das
Gesetz macht die von Voigt getroffene Unterscheidung nir-
1 Anders liegt die Sache bei dem crimen repetundarum.
2 Liszt, Strafrecht 8 p-323 spricht von ^peinlicher Strafe", ohne
sich über die Art derselben auszusprechen.
8 Rein, Criminalrecht p. 373.
4 So bereits Keller, Inst. p. 148; man erinnere sich der Defini-
tion des Ofilius (1. 5 § 1) : verberare = cum dolore caedere; pulsare =
sine dolore caedere.
6 Voigt, röm. Rechtsgesch. I p. 706.
— 79 —
» - : ..." " , f
gends; ah die Strafe d£s manüs präecidere Wird nteftiahd
glauben, wenn nicht bessere Gewährsmänner als ' Seneca
(Contröveräiae) und Quintilian ' (declämationes) abgeführt
werdend * ■ V-" *" •' : ; ' '' 1,: "' ■'— '■-■- : -
4. Eine Vergleichung mit der y oäwh ^ ß oeiog
ergibt: .
Der accusatio ex lege Cornelia fehlt ein charakterist-
isches Moment der yQagyfy tißQe&s* di$ Freigebung der An-
klage an jedermann. ' > Die accusatio nimmt zwischen dem
reinen öffentlichen Strafy erfahren (crimina publica) und der
civilprozessuajen Verfolgung (delicta privata) ei$e Mittel-
stellung ein; sie erinnert darin an yQWpr] idia fißQewg, die im
attischen Recht, von den gewöhnlichen ygacpai getrennt. und
n^ben die dlxai gestellt wird. . Und wenn auch unsere Be-
trachtungerj oben ? ergeben habep, dass die überlieferten
positiven Bestimmungen nicht unterscheiden, ob die yQayij
'OßQscog vom Verletzten oder vom Dritten angestellt wird, so
bleibt , doch die Frage . offen, ob nicht bezüglich anderer
Punkte Sonderbestimmungen über, die : ygacpri idla Hßgeatg
existirten, mit denen die prozessualischen Besonderheiten dqr
accusatio ex lege Cornelia zusammenhängen könnten 3 . —
Darin stimmen, wenn die Ausführungen oben p. 37 das richtige
•-*- • / I •: 1 ... - ,
1 Die Strafe findet sich allerdings, aber soweit ich sehe, immer
nur als militärische: Cato bei Front. Strat. IV 1, 16, Caes. bell. Gall.
VIII 44, Val. Max. 7, 11. Sie passt in keiner Weise zu dem Strafsystem
der Cornelischen Gesetze und hätte wegen ihrer Eigenart gewiss deut-
liche Spuren hinterlassen; — Wäre die Strafe wirklich nachweisbar, so
wäre sie, wie anderwärts, eine 1 Anwendung des Talionsgedankens, nach
welchem die Strafe an dem Glied, mit dem gesündigt wurde, vollzogen
wird. Vgl. I.5 pr: omnem injuriam, quae manu fit, lege Cornelia con-
tineri. Zur Talionsidee: Günther, Wiedervergeltung I p. 129.
2 S. o. p. 50.
9 Man könnte versucht sein, die Besonderheit der Eidesbestimmung
(!• 5 § 7)» ^ e von der l ex Cornelia dann auch in das praetorische Edikt
übernommen wurde, auf einen solchen Einfluss zurückzuführen. Der
Eid findet sich allerdings, bei der dtxri alxfa$.
■
I
— 8o —
treffen, die öffentlichen Injurienklagen hier und dort überein,
dass die erkannte Geldstrafe ganz an den Staat fällt.
Die Ausgestaltung der öffentlichen Klage im römischen
Recht entspricht wohl der Erscheinung, die die ygayrij fißgeog
regelmässig bot: Der Verletzte klagt. Verfahren und
Gerichtsverfassung nach den Grundsätzen des Strafprozesses.
Strafe eine Geldstrafe, die an jden Staat fällt.
D. Die dUt] xaxr/yoQiag und die
rechtliche Behandlung der Verbalinjurie im
römischen und deutschen Recht.
i. Die xaxrjyoQla des griechischen Rechts
zeigt in der rechtlichen Behandlung wenig Ver-
wandtschaft mit der Verbalinjurie des römischen
Rechts. Auf zwei Berührungspunkte ist bereits verwiesen
worden; darauf, dass i) im attischen, wie im älteren röm-
ischen Recht die Verbalinjurie abseits von der Realinjurie
steht; 2) dass die geschichtliche Entwicklung einsetzt mit
der Bestrafung eines — durch die besondere Publizität der
Begehung — qualifizierten Falles (carmen famosum der
zwölf Tafeln — Bestimmungen Solons).
2. Im übrigen erinnert die xaxrjyoQla weit
mehr an germanisches als an römisches Recht.
Aus dem germanischen Recht 1 kennen wir Verzeich-
nisse von Schimpfwörtern (Schelte) mit ihren Straftarifen.
1 Vgl. über dieses im allgemeinen Wilda, Strafrecht der Germanen
p. 785 ff. K ö s 1 1 i n , Ehrverletzung nach deutschem Recht, Ztsch. f. deutsch.
Recht XV 151, 364 ff Brunner, deutsche Rechtsgeschichte II p. 671 ff.
8 Auch die besondere Behandlung der durch die Publizität der
Begehung qualifizierten Injurie findet sich wieder. Das südermannlän-
dische Recht scheint eine Bestrafung der Verbalinjurie nur dann zu
kennen, wenn diese in einer öffentlichen Zusammenkunft begangen
worden war, Wilda p. 791. — In anderen Rechten tritt bei öffentlicher
Begehung Erhöhung der Busse ein, so nach Gutälagh von drei Unzen
auf drei Mark (vor Kirchspiel, Volksversammlung, Gericht). Wilda p.
790, Köstlin p. 170.
^ $f -^
Der Gesetzgeber kommt dei" subjektive^* Etfipfindüchkeit zu-
vcfrf fcr bestimmt selbst* wdche 7 Äüsdrücke überhaupt als
ehrverkt'zerid anzusehen ^sefeft. ; Er Setzt ^ die Strafe ftlr die
einzelnen ; Scheltworfe fest, so däss ein ^Vergleich elieser
Strafarisätze eine? Skala der nationalen Empfindlichkeit ergibt.
' _- Am -nächsten kommen dabei dem griechischen Recht
die nordischen Rechte ; hier wie doi;t , eine kleine Zahl der
reprobierter} Worte und Einheit, der Strafe. So erwähnt das
Gutalagh im 51. Kapitel „von unduZdbaren Worten" (die
d^d^t^a 1 des attischen Rechts) 4 bezw> 5 Vonyürfe vor und
droht für alle 4 (5) Fälle dieselbe Strafe 3 Unzen f)ezw. 3 Mark
an. Wie im griechischen Recht spielt dabei der Vorwurf der
Feigheit eine besondere Rolle ; 2 die lex Salica erwähnt aus-
drücklich das Schildwegwerfen: si quis alteri reputaverit,
quod scutum suum jactasset. 8 (
Dem römischen Recht fehlt, soweit wir sehen, etwas
analoges durchaus. Dagegen findet sich die germanische
Behandlung der Verbalinjurie in den italienischen Statuten des
Mittelalters. 4
Auch darin decken sich griechisches Recht und deut-
sches Recht, dass jeder Versuch einer Abgrenzung zwischen
Schimpfwort und Verleumdung fehlt. Es galt gleich, ob die
Beleidigung „durch Beilegung einzelner schimpflicher Be-
nennungen geschah, welche ein solches Urteil einschlössen,
und Thatsachen voraussetzen Hessen, welche es begründeten
— oder durch direkter und ausführlicher ausgedrückte Vor-
würfe und Behauptungen." (Wilda p. 786). Wie im griechischen
1 S. o. p, 24.
9 Köstlin p. 171: „als der schimpflichste Vorwurf scheint überall
der eines Feiglings gegolten zu haben." Brunn er p. 672. Wilda
p. 791. Nach isländischem Recht hat der Gescholtene hier sogar das
Recht sofortiger Tötung, Brunner p. 674.
8 Cap. XXX, 6 (ed. Geffcken). Auffallenderweise ist dafür nur
eine Busse von 3 solidi angeordnet, nicht mehr, als wenn man einen
vulpecula oder homo concacatus nennt. Köstlin p. 173, Wilda p. 789.
4 S. Kohl er, Stud. a. d. Strafrecht, Heft IV p. 383 ff.
Hitzig, Injuria. f.
=. & .=,
Fjächt%h< gkjßh .^^4^ w^^ /^i^.d^. V^iwM #af 4?q (?^
al§ Jrle^j: £<$#t ^dier.d^jva Jbehaypt^^rsM -ich ; mh.y$4b
£fe*jB Qe^aji4 : ^ «& ^a^fe?^
£. 'HÄtimr 1 ^^ ^ eWn für Thj uri^ri ^es ^klävferi. ü
r. ^öesöüäerer tr^etitrig 1 bedarf ftie dtrrdh eirieÖ
Sklaven ^Übt^ Kquf ie.' - :/ - : r , r ' ; • -^
Ulpiah tötimientiert'in h Ü7§ 4 B. 'h. t eine Bä&ifn^
mttng^des j>r^bri$cheti E3ikts^, -Welche l für die Injuria eine
actio ttox&iis vorsieht; ,;sicüt ex ceteris delictis äatui"*. Er
bemerkt j (fa&ei - : ° : -; :: •• .-'/."
■'- „sed in arbitrio domini est, an velit 6um verberan-
dum exhibere, ut ita satisfiat f e\ qui injuriäm passusest;
neque erit necesse domirio ütique eum -ver be^andurii praes-
tare, sed dabitur fei facultas, rpraestare ei servum verbe^
randum, aut si de eo verberibus satis non fiat, noxae de-
dendum, vel litis aestimationem sufferendam."
Dem Herrn deä Sklaven wird somit ein dreifaches
Wahlrecht eingeräumt 1) servum verberandum exhibere, 2)
servum rioxae dare, 3) litis aestimationem sufferre. Die
gewöhnlichen' 'Fakultäten des- Beklagten (2 u. 3) sind akö
um eine ^ weitere (i) vermehrt 3 : er kann die üblichen Folgen
1 W i 1 d a p, 786, G r i mm , Rechtsaltertümer p. 646,
2 Die Erscheinung, dass das griechische Recht hier dem germani-
schen Recht näher steht als dem römischen Recht, fälit nicht zu sehr
auf. Dieselbe Erscheinung ist auch auf anderen Gebieten schon bemerkt
worden, s. Hitzig, griech. Pfandrecht (1895) P- 80 N. i, p. 89 N. 1,
p. 94 N. 2, p. 104 N. 1, Bücher, Entstehung der Volkswirtschaft,
2. Aufl. (1898) p. 104 („das griechische Pfandrecht stimmt. in allen
wichtigeren Punkten mit dem älteren deutschen überein. 1 '), Pernice,
Ztsch. d. Sav. Stiftg. XVII p. 222 ff.
8 Vgl. Lenel, Ed. pelrp. p. 323, 324.
4 Dass es sich um eine Besonderheit der actio injuriarum noxalis
handelt, ergibt 1. 17 § 4 D. h. t. (sicut ex ceteris delictis — sed in arbitrio
est) und 1. 5 D. si ex nox. caus. II 9 (injuria — ceterae noxales causae).
— «§ - •
der Nbxalklage abwenden», dadjutci^ dtt$s>ei- den Sklaven ver-
beranduni praesta*^ r ; ■.r-V'^AJ,' '.^a :«:ov v nA.. r?!.»'
4 < $a,^ea musfc "gerade dieser IHfcgllöhkeit Jeitte^ besondere
Becfeutühg .2uk#mrden, da Utpjjto gege» eineAMGhf pole*
niisiept* nachf weleherdieses v^beratiduifr ; e#hibfc£e et^Wüngen
«tefedera : kotintei <(v; necjue erit* i&kmsätidbittfatö utiquek piW-
Stire 3fctey. a ^ajv :":L: •?'. v"aa> oll- — r-A-w'^1 a-.A.A* : >•«!', <•>.?
- ^Wahrscheinlich hae man iih"iidSeseii % eigenartigen Ver*
pffictotraag; die Haftung des: Heren ^wv£iiiflihruög dter actio
i8jui^\«i/iwDÄälis zui erkennet^ (Ms. letisfere ^nJjda* J>röe-
tori^di^ Edikt Eingang fattcp veitstattetö man debfilerm die :
WaM r iÄihi nächnd^Ri« ahew&dm>i&erk höüim-fte^bi behan-
d^h'2Ü lassen. -'Proiesfeaalbcb 1 gestaltete* Sich die 'Sache
\fpföl ! nach AjPtL-einer actio alrbitraria; A so r däss die fiofmale
Cohdemnatio i der actio noxalis> unterblieb, f wenn ! vor v dem
IJrtal- deirl\Bekla^te arblträjiü: judicisi <kn. Sklave» üur Prüge-
hing ausliefertet r i a i! :• v A., r j -- ;r. : ; ; A;;;Aaa; -> r -t- -,. •:"
Die actio injuriarum noxalis ist anscheinend jungen
Datums^ voö den; einzelnen* Bestigkmiftgen de& Edikts de
mjüriis ist siej wie sie aupfo an<tetiter Stelle steht, die' jüngste.
Bass Labeo^sieigekannktoat, ^ird durch' 1. i^:§ 5 7 wahtfschein-
lich gemacht, nicht bewiesen. Dagegen ist die Beptimpiung
^ng^ftls das ; spg. frjtg^nent^m ^§$wum,/ d^§ liqjuiiia und
feirtum neben einander : er währet, die Noxalklaige aber nur für
das letitereztr Kehrfeji scheint: 8 . 1 b r ' / ' : l f ' ' ' ' '.'
„ : f .; ^ndrerseif£ . wjqs^/d^ y^rh^iclupi ^xhi^re df.e Züge
eines alben; Institutes auL In deit: fcörperlicbefl Züchtigung
ctes Beleidigers -bricht deutlich riobK Aar Geefai&e de^'Rache,
■ <^v! ." j v IV!: ;.'; */ r ■;.-'..- . .' r*> ..•..'•>{' i ?. "
^ Verg} ti Ii,eiv.elV.:IJ^; , perp>;p. i .3PH>; föi* Ansi$h£ ypix' Rudorff
Ed. p^rp» §>-X0äw'.><ta.'j$lta 4r^ii F^kjüjli^en '^uf. tfeselbcLirUe, stallt, er-
^digil sieb, dwrqh <Jag im T^nt ;ge^gt<a. -r Pass 4ie normale actio
noxalis ^ sichr feaifle; actio ^arbitrftri^ isli, \be^ont föirar4, :no»v. r^v.
hisjU XKJ883) ip, 4& '"
2 Vgl. cte9ji : %f<ymm&ea f i^vn\ßsXyi^^ j\f>. : Girard, nouv.
pev* liis*, XW ;Ge999). p. 709 N» 1, uad inanwei *. Aufl- p?- 663, l^J. 1.
6'
- a* —
der persöriticheh Genugthusing» idraxh, wie denn auch au&
drticklich als Zweck der verberatio angegeben wird : üt verr
beribus sätisfiat m qm injuriam passus est (Ulp> 1., 1,7 § 4
D.h. t), iut Verberibu^ de injuria, säti^fiat (Ulp, i 5 D./si ex
nox. ll;g)i i&o/L.lrastrr.dierACtia. aoxalis irijurianim ; auf ■ die
Anfänge; der Noxalhaft «örflck, f von denen sich : anderwärts
— bei anderen Delikten -— die actio noxalis freigemacht hat, 1 :
Dass gerade bei der- injuria, rein solcher Üebetrest sich er-
hielt, ist begreiflich, wird doch gerade bei diesem Delikt be-
sonders betont,, dass ' aiich die t ordentliche : Strafverfolgung
(gegen i den; Freien) Rache und Genüglhuung bezwecke.? h:i
- Nach ; der Ediktsbestimihung erfolgt die Exhibition vor
dem Richter r der Eichtei; : bestimmt das Mass der Schläge
(modum vefcberufti imporiit). Die Schläge werden Ursprung'
lieh wohl n- der, Idee der Rache entsprechend ^ vom Ver-
letzten, selbst erteilt.: Ulpian ; bringt die in diefeer Züchtigung
liegende satisfactio unter den Gesichtspunkt einer remissio
injuriae. _),;:, •.•■■}/■ jö:: ^Xv.oj: ;•"-;.. r;.: : j:l «„!':..■ .' : 'Ä
Qb diese eigenartige? Haftung durch Gesetz, etwa
durch die zwölf . Tafeln .selbst, vorgesehen : war; lässt sich
nicht entscheiden. .Dagegen ist ,wdhl auf sie verwiesen in
y '•*
1 ,S. Gjrar.d, a. a. Ö. p. 699.
1 Paufl 1. 6 h: t. 1 ' {vindicari) ; Dipl I. 7 §'. 1 h. t (nt vmdicetur), 1 15
§ 35 h. t. ^nölta jnjwia), L 17 &I22 hv ij i. 8 pr^ Di de proc. III 3<(uMsci
injuriam) Paul. 1. 2 § 4 D. de collat. X^XXVII.6 (yindiqtae. persecutip)^
Vgl. auch Cic. proCaec. 12, 35 und dazu Keller, Sem. p. 464 /ff.
8 Man^kahh hier verweisen auf die Durchführung der Talion im
Falle des membrümrüp1;um",' die vom l Richter nut angeordnet und eön«
trolüert (GqlJ. X£ !,,£&; jj$e^ talionem imgerat)) dagegen vom Ver-^
letzten vollzogen zu werden scheint; vgl. Voigt, XII 'Tafeln I p. 534
N. 7. Günther, Idee der Wiedervergeltung I p. 126.
* In 1. 17 § 6 ist statt [aflblträtu] „älicuius^ wohl -mit Mommsen
zu lesen: „illius/ 4 — ,,Älicuiüs fc ergeben' freilich auch die: Basiliken LX,
21, 16; sie beziehen aber die ganze Stelle auf 'den Fall, wo der Sklave
zum Zweck der Folterung (inl t$ ^äöavt&d^väi) ausgeliefert wird.
5 Ein ähnliches Wahlrecht zwischen servum noxae dare und
castigare erwähnt Paulus in 1.24 § 3 D> de min. IV 4: wenn ein Sklave
einen minor hintergangen hat (circumscripserit), wird gegen den Herrn
- 8 5 -
dem Vorbehalt^ (^en die lex Cornelia d§ jnjuriis für ; Skl^en 1
macht Dass £i$ sich so lange erhielt, «hangt dajpit : .zu$am«:
mep, <Jass in der Kaiserzeit die eindringende Cpgratjon die
byuri^i d^s Sklaven in ähnlicher Weise behandelt : £eryi . fla-i
geUj^icagsi . djominis restitqyntur (Herjpaog, J. 45 h, t)f); hier
wird > natürlich die Exeeution von staatlichen Or ; gai>en be-
sorgt 8 , ,.,.),.- < ,..;•*-,- • •-■.,
2. Spuren dieser eigenartigen Behandlung der Injijrj^
des Sklaven finden sich auch im griechischen Recht.
ehre von den Noxaiklajjen vgl. Meier-
Schömann-Lipsius II p. 653, Beauchet IV p. 390 und meine
Besprechung des letzteren Ztsch. d. Sav. Stiftung XVIII p. ,192.
Plato, dessen Ausführungen über Noxalhaftung sich —
wo wir sie cöhirollfren können — an das positive Recht an-
lehnen, spricht im neunter! Buch d6r Gesetze zweimal vori
Delikten von Sklaven; Ö79 A: ein Sklave verwundet im
ZöMi einen Freien (dovlog idv xig iteti&eqov TQ<boy) ; 882 A :
ein Sklave schlägt 1 einen Freien (idv zig dovkqg ikevd-eQov
itititriji Im ersten Fall (Verwundung) muss d^r Eigentümer
den Sklaven dem Verwundeten herausgeben, damit dieser
mit ihm mache, was er wolle (xQijo&ai Sti &v i&iky), gibt er
ihn nicht heraus! so müss er den Schaden selbst ersetzend
» J
eine Klage gegeben: quod a<l eum perveneriti restituiere jubendns, qupd
non pexyenerit, ex peculio eorum praestare; si ex neutro satis fiet, et
dolus' serVi intervenerit, aut verberibus castigandus aut hoxae dedendus'
Es liegt ;nahe, ' dies mit den im fragmehtum de formula Fabiäna
stehenden Worten [PJlaetoriae noxales zusammenzustellen, wie #es
Girard p. 699 N- 1 thut. Aber es bleiben doch so viele Zweifel übrig,
dass eine Verwertung für das im Text gesagte nicht ohne weiteres zu-
lässig ist. - • *• '•••■' *
; ' Venul. 1. za J? D. de accus. XL VIII 2; item Cornelia injü*
riarum servum non debere recipi reum, Cornelius Sulla auctor mit; sed
durior ei poena extra ordinem imminebit.
9 Vgl. Paul. Sent. V 4, 22.
8 Ulp. 1.9 §3 D.h. t: praesidi offerendus est, qui eum flagris
rumpat vgl. Ulp. 1. 15 § 39 h. t.
4 Man vergleiche dazu die Mysterieninschrift von Andania, Ditten-
berger, Syll. inscr. Graec. 388 Z. 75—78.
— - qQ>
^ Iift^derefr Fäli (^M^e^^ageg^VW dfer Skteve efem
Belöid%teÄ voft: <fön Beikornttienden' ü1ferg<&eny 4 er ffesselt
ihn, öpt^fttiteir ^rvfel* ^Sclhlägr^ Wife e^ wil], 7 öfert^ aber dfeto
EigeWttiiö6r^dkdüPcJ? S&teäeiT ' zül^^ Ö 'flirr
ge&ssfclt ! ari< (fön kig^fciter zurück, de* aitt gei^dt-lsösei
soll, biä-de^ : Ge^Gli%feÄi5' sich* mit äfr ßärefhlhg^ aiiVe^staikfön
erklärt („bis der Sklave den Geschlagenen überzeugt 3 fikfr,
däss. er 'Würdig' s&|''<i&ne Fesseln zte lefcen») *' '*"•'■?- •-
Wählend Aorist der Sklaye schlechthin ' 6$er wenigstens
zum Äbtferdi&reri (etgSreQyaotav) dem verletzten ^üsgeliefpr^
wird, ef ftält er ihn", lii'erj nur ganz- vöirober^ehen'd,' pur züiji
Zweck %r ^Ertäiiiüfr i'^^liäc^Ä^^m|; ' ^ : i; : ; :-
. Im ; p osid v.e.n . )g ,r i ec h js^n^Re^ finden. ..s^
wenigstens Spuren, splcher.,. Behandlung» JRass, <Üe Prügel-,
strafe recht . eigentlich Sk&ve^strafe w#r^ r st£ht fest\— ;B#-i
rl^ts r obei| wurde^ bemerkt, , dass das - kt^ißc^: R^c^it $£,n J^-
zess gegen den s'kraven v der einen Jmen r wörtUch. ielpid^
haf, a^.^f Thespiothe^ri wsi£U r /^/^
zurückzuführen. Die (J/x^ xaxriyoQiag gegen den Freien ist
auf Zäfilüäg eteer" ©eldsttäfe VGA 3öd> Dra^rteff : gerichtet;
Wtirde hüit b&- Käiegöne ' ^ines ^lcl^ver( . geg^ t ^U ffi$§,
$ine ^o^iik^ge , in 4§ifl§eJ^ Swi>£ wjßr • t>£j: ? dep, $;#7 ßMßySi
(^Zahlung ; difesfer Strarfsumme »öder aoxae- f : däre)^ gegeben, -sä
wäre dir Weqh'se.1'; dfer G^chtsvbPständÄft £aiilft ''effiläi>
lieh. Aber man nahm hier wohl Änstoss, den He^rn^wf
difr Sütame vo» : 500 Drachmen zu. veturt^ilen inJeinisfm Fall,
1 Das letztere erinnert ah Paul. sent. V, 4, 22. (ip" Co^nif rorisvef-
fahren): servus — flagellis caesu& t sub poena y'inculorum f temporalium
ciomiho restituitur." " J
1
2
S. obea p. 48, N. : i. . .
^'Ärist. St. d" Äth. LIX 5^ ujid oben. p. 33^ Poll, VHI98.
- &} -
Wo^hn^seflbst ikeiüe* Sfchuld? traf' und nter fijelddigtfe Jceiöeti
Schkdea--«rI^tt€Ä faatfe. JQieHGemigttoiiig ; rftuflste ^hier ^tif
andörem .Wcgfe erfolgen* ^Sie .'tairii 6hhfe Sc&äHigfl&r^f döö
B%enftin?cra ^ßrfeicht^ darikarch däss^iteiti Skiax*efl> die'PrügeP
strafe Üppluaeiri rwirid. *Dies;:^chiörii ; ntfft/>ab& nüber *tefif
Rahmen i einer ge wöhnlkihfen i Pr Jvätkiage fr inäussugehetfi • urtd
blifeb:yjtohl deswegen, als :die Mehttsahl idiar ^ri^ttübgeii
den Xhesmothete^n, genommen wardte^ i Jwsi 4hnfen kniete ». DA
Verwandtschaft :mit 1 der :^Qtüpij töfäBMg rund :die ldö6 döf cü^ä
morum 8 mag dazu; • beigit^gen ha&en* ; — J2ine ^«spjre<tft£nde
Vteirriiufitmg '.mm- Wilamowftz' 4 britigt die ,Be^timrwuftg nv <Zu-,
sfamtnendaang stodfr^dbiri Verbot des töt&ew top itfötiow -(s. o:
p. 43) ; die vdri den -ätaafliehen Organa aijg^cM*e iPtüf^eh
stifafe iiifet >ian Stella > der. früfeer aulaflsig&h, jetäft Vöt&ötefoefo
SelbsthüifeP. •• Obucfe Rrügefetitafe tvon der» Ob^igköit ^Ibst
oder unter. Cpribolle derselben vom Verletzten vollzdgöri
wurde, oder abüer dein:Eigenttii»ör des Sklaven äufgegebeÄ
wurde, selbst die Strafe zu vollziehen?, wöge ich nicht -zu
eötischeirierL; die beiden -erstehen Lösungen sind zum min-
destetfl nddht un^ahfsctoeinlicheaf als die letzte.
; Ausdrücklich ; ^erwähnt . wirti die : Verpflichtung dete Herrn,'
den, Sklaven :zü ikörperlicher sZüchtigbng (efe köfotaw) ;herat*s-
zugeben in ejjrer leider *m vollständigem Inschrift i * ausSyro&
Die Inschrift 1 ist im ?idd$vmov .Bd. III p. 643 abgedruckt. Es
handelt, sich: um^Wöttläufe <zu Ehren «einer Göttin und Ueber-
trßtung der ;daf[ir. geltenden Vorschriften ; duvch solche U6ber->
1 Man vergleiche die Betonung dieses Punktes bei Plato oben p. 86.
* Ate. „ein Rudiment Ältester Zeit" betrachtet diese Competenz
der Thesmotheten auch Wilamowitz, Aristot. u. Atk'p* £45 N. «so.
8 <S, x*bcn:p. 46* ; '
4 S. <N. ai
8 Plato (dben.p. 86) hat Seibethilfe, aber eine solemnisierte Selbst-
hülfe: der Sklave- ward von den Beikommenden -dem Verletzten aus*
geliefert.
6 So WiLamowttz a. a. 0.
7 Diese . üheraus interessante Inschrift ist noch gar nicht verwertet.
- w -
tretüngeo; werden Pbylen; verletzt: (ä&xa&ptiu)+ Strafandroh-
ungen*:: wenn, der;Thätier ein Sklkve (2, 2 ff-^7J| ist, soll er
am Tagmaäh der That öffentlich auf dexft Markt, ausgepeitscht
(lia,G'viyovv)> wercteii;' daheim sollen : ihni * zwei Männer, die $&
beleidigten Phjden aus ihrer Mitte auswählen, hundert; Schläge
erteilen x , der Herr aber soll hundert Drachmai zahlen, die
der Göttin 'geweiht' seiri- sollen ; wenn der Herr: aber den
Sklaven nicht herausgibt zur Züchtigung (nökamg), soll er
zweihundert Drachmen zahlen; ist, der Thäter aber ein Freier
(Z. 7 ff.), so zahlt er hundertfünfzig Drachmen, die der Göttin
geweiht sein sollen; er Soll als ItQÖovXog .(Tempelräuber) und
ivay^g (Frevler) gelten und . .. (das Folgende ist unsicher).
— Hier begegnet geradezu das Wahlrecht des Herrn zwisqhen
Herausgabe und Haftung auf eine Geldsumme; daneben das
besondere, dass in redu^irtem Betrag (100) der Herr unbe-
dingt, auch wenn er den Sklaven herausgibt, haftet 2 . Die
Züchtigung wird vom letzteren selbst bzw. dessen Mandatar
vorgenommen, aber coram publico.
3. Im Ansehluss hieran mag auch eine weitere Be-
sonderheit des griechischen Rechts im Gebiete der Noxal-
klagen Erwähnung finden. P. F. Girard hat in seiner tief
eindringenden Untersuchung über die Noxalklagen 8 auf eine
eigentümliche Verwendung des Instituts hingewiesen, die
sich bei afrikanischen Völkerschaften gefunden hat: der Sklave
beschädigt einen Dritten, im Einverständnis mit diesem;
gegen den Eigentümer wird die Noxalklage angestellt; dieser
1 Vergleiche die Worte: ei /ukv dovlog etij tv7tt6vuay <f«5o, odg äv
i£ afa&v iXfavvai, al ädixq&etoai cpvXal. Da weiter unten (11) zwei Phylen
erwähnt sind, wird jede einen auswählen.
2 Auch diese Erscheinung lässt sich anderwärts nachweisen, s. für
Delikte von Sklaven lex Sal. 35, 5 (der Herr zahlt die Hälfte der com-
positio aus, an Stelle der anderen wird der Sklave ausgeliefert); häufiger
finden sich solche Combinationen bei Schädigungen durch Tiere s.
Girard, nouv. rev. hist. XII {1888) p. 53, Brunner, deutsche Rechts-
gesch. II p. 555, Isay, Jahrb. f. Dogm. XXXIX p. 267.
8 Nouv. rev. hist. XI (1887) p. 409 ff. XII (1888) p. 31 ff.
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wird, wenn ihm die zu zahlende Geldentschädigung zu er-
heblich erscheint, den Sklaven noxae dare; der Sklave kommt
dadurch in die Gewalt des Verletzten, in die er kommen
wollte 1 . Dass ein solches Vorgehen auch in Rom möglich
war, ist sicher, aber die römischen Juristen beschäftigen sich
mit dem Fall nicht. Umso interessanter ist, dass Plato 2 in
unmittelbarem Anschluss an die Darstellung der Noxalklagen
nicht nur das Manöver, sondern auch eine gegen dasselbe
gerichtete Strafbestimmung erwähnt. Im Falle der Verwun-
dung eines Freien durch einen Sklaven gewährt er die
Noxalklage (s. o. p. 85); dann fährt er fort: wenn aber der be-
klagte Eigentümer behauptet, es liege ein Manöver {jwi%avi\\
eine Abmachung (owxHjjcrj)* zwischen dem Sklaven und
dem Verwundeten vor, so soll dieser Vorwurf durch
Prozess erledigt werden; unterliegt der Eigentümer, so hat
er den (vom Sklaven angerichteten) Schaden dreifach zu er-
setzen; siegt er, so haftet ihm der Gegner, der mit dem
Sklaven colludirte (T£%vd^a)v fierä tov dovlov) wegen Sklaven-
raubes (dvdQcmodiopög). 1 — Da Plato sich in der Erörterung
der Noxalklagen an das geltende Recht zu halten scheint,
mag auch diese Bestimmung dem positiven Rechte angehören.
1 XII p. 55 ff., vgl. manuel * p. 662 N. 1.
* Plato Gesetze IX 879 A.
8 'JvdQanodiOTtjs ist sowohl derjenige, der freie Menschen raubt
und in Sklaverei bringt, als auch derjenige, welcher Sklaven ihren
Herren raubt (änö deonot&v änoantav el$ kavxov). Lex. Seguer. 219;
Meier-Schömann-Lipsius I p. 275 N. 209.
- . •» »
»* I.
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