Google
Uber dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun Öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books.google.comldurchsuchen.
Digitizect by (3008 le `
l j ; Si: IAK ir
pins popes be tt Lade Sa 212 KM 22 L DEER Er u te qme "E
m nn
Digitized by Google
|
Fe PORE UNIVER SITY
H 1969 _
f
Ú Mmanach
M auf Sas
I Fahr
AMIX d
Ke A ge 3
|
i Ka? d
|
1
erry
+
EY
Ee
«rs
ee
Er
+
e,
(NS: A e
“ Sé
dn AE
‘yes =
R ka € VK?
n € F
. KN P i
eo ai
D A? Get,
' ` a>
SI ai,
Le wh
vi `
Ze >
A i a
~ WK. MÉI UH s
‘ N k ‘
ON
Fr
en
Digitized by Google
INSEL-
ALMANACH
AUF DAS JAHR
1928
IM INSEL-VERLAG
ZU LEIPZIG
KALENDARIUM
UND BANG UND SINNLOS SIND DIE ZEITEN,
WENN HINTER IHREN EITELKEITEN
NICHT ETWAS WALTET WELCHES RUHT.
RAINER MARIA RILKE
Donnerstag
Freitag
Sonnabend €
2. Sonntag n. Ep.
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
3.Sonnt. n. Ep. @
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
4. Sonnt. n. Ep. A
Montag
Dienstag
x
2
3
4
5
6
7
8
9
o
Sexagesimä
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
OO ON Ota A Io Rn
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
Oculi
Montag
Dienstag
Mittwoch €
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
Lätare
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
Judica
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
2 Montag
3 Dienstag
4 Mittwoch
s Gründonnerst. ®
6 Karfreitag
7 Sonnabend
8 Ostersonntag
9 Ostermontag
ıo Dienstag
ır Mittwoch
12 Donnerstag
ı3 Freitag €
ı4 Sonnabend
15 Quasimodogeniti
16 Montag
ı7 Dienstag
ı8 Mittwoch
ı9 Donnerstag
20 Freitag @
21 Sonnabend
22 Misericord. Dom.
23 Montag
24 Dienstag
25 Mittwoch
26 Donnerstag 3
27 Freitag
28 Sonnabend
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
Cantate
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
Rogate
Montag
Dienstag
Mittwoch
Himmelfahrt
Freitag
Sonnabend ©
Exaudi
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend 3
Pfingstsonntag
Pfingstmontag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Trinitatis Gi
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
x.Sonnt. n. Tr.
Montag €
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
2. Sonnt. n. Tr. @
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
a, Sonnt. n. Tr. A
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
29 Jubilate
30 Montag
“AUGUST -SEPTEMB
Es
Mittwoch @
s JULI
4. Sonnt. n. Tr.
DIN AUAUNA”
Montag
Dienstag ®
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
5. Sonnt. n. Tr.
Montag
Dienstag €
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
6. Sonnt. n. Tr.
Montag
Dienstag ©
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
7. Sonnt n. Tr.
Montag
Dienstag >
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
8. Sonnt. n. Tr.
Montag
Dienstag
O O AN au o Mr
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
9. Sonnt. n. Tr.
Montag
Dienstag
Mittwoch €
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
10. Sonnt. n. Tr.
Montag `
Dienstag
Mittwoch &
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
11. Sonnt. n. Tr.
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag 3
Freitag
Sonnabend
12. Sonnt. n. Tr.
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag D
13. Sonnt. n. Tr.
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag €
Freitag
Sonnabend
14. Sonnt. n. Tr.
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag ®
Sonnabend
15. Sonnt. n. Tr.
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend 3
16. Sonnt. n. Tr.
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend ©®
17. Sonnt. n. Tr.
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend €
18. Sonnt. n. Tr.
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
19. Sonnt. n. Tr.
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
20. Sonnt.n.Ir. Ð
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
21. Sonnt.n.Tr. ®
Montag
Dienstag
Mittwoch
Lal
oO AN Oh A Ia N”
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
22.Sonnt.n.Tr. €
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
23. Sonnt.n.Tr.
Montag @
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
24. Sonnt. n. Tr.
Montag
Dienstag >
BuBtag
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
Totenfest
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
®
ooJjoyau Aw M
La
N pn
1. Advent
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
2. Advent
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
3. Advent
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
4 Advent
Montag
1.Weihnachtsfeiert.
2.Weihnachtsf. oi
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
Sonnt. n, Weihn.
Silvester
DORF UND STADT
VON KARL SCHEFFLER
Das Dorf, in dem Johann Schüler zur Welt kam, hat
sich während seines Lebens mehr verändert als vorher
in Jahrhunderten. In Johanns früher Kindheit war es
noch ganz ländlich; heute ist es der Vorort einer Groß-
stadt. Die Straßen und Häuser, Gärten und Plätze, die
Menschen in ihren Sitten und Gewohnheiten, in ihren
Erscheinungen und Überzeugungen: alles hat sich von
Grund auf gewandelt. Die Veränderungen, die über das
große Vaterland in den Jahrzehnten zwischen den bei-
den Kriegen dahingegangen sind, spiegeln sich getreu-
lich auch im Gestaltwandel des kleinen Dorfes.
Es liegt im Gebiet einer norddeutschen Stadt, die sich
selbst von alters her „frei“ nennt und ein selbständiger
kleiner Staat ist. Das Dorf ist eine Wegstunde fast von
den alten Toren der Stadt entfernt. Ursprünglich be-
stand es nur aus zwei Reihen von Häusern und Ge-
höften, die unmittelbar an der Landstraße lagen. Am
Ausgang jedoch gabelte sich die Straße. Links führte
sie am Fluß hinauf, ins preußische Gebiet, dessen Grenze
ein paar hundert Meter hinter dem Dorf durch ein Zoll-
haus gesperrt war. Rechts führte eine andere Straße zur
II
Kirche und weiter zur Brücke über den Fluß. Dort, wo
die Gabelung war, hatte sich eine Häuserinsel und da-
neben ein dreieckiger Marktplatz gebildet; und auch in
der Gegend der Kirche drängten sich Häuser und Gär-
ten so zusammen, daß das Dorf an dieser Stelle mehr
Körper hatte.
Die am meisten in die Augen fallenden Häuser des Dor-
fes waren die Bauernhöfe. Sie bildeten Gebäudegruppen
und lagen stattlich und herrenmäßig da. In der Mitte,
etwas zurück von der Straße, zu beiden Seiten flankiert
von Wagenschuppen und Vorratshäusern, so daß ein mit
Kopfsteinen holprig gepflasterter Hof entstand, lag, den
Giebel der Straße zugekehrt, das Hauptgebäude. Es hatte
weißgekalkte Fachwerkwände und ein hohes mit Stroh
gedecktes Dach, das an der Spitze des Giebels mit zwei
sich kreuzenden Hölzern in der Form der alten sächsi-
schen Pferdeköpfe verziert war. In der Mitte der Gie-
belwand befand sich eine große grün gestrichene Tür,
die aus Ober-, Unter- und Seitenflügeln zusammenge-
setzt war, die sich stückweis aufklappen ließ wie ein
Flügelaltar, und durch die hochbeladene Kornwagen
einfahren konnten, wenn alle Flügel geöffnet wurden.
Zu beiden Seiten des Haupttores, dort wo das Strohdach
so tief herabreichte, daß es mit der ausgestreckten Hand
berührt werden konnte, waren kleinere Türen ange-
bracht. Sie führten links zu einer langen Reihe von Kuh-
ställen und rechts in die Pferdeställe. Die Mitte des Ge-
bäudes nahm die große Diele ein, deren Fußboden aus
Lehm gestampft war und die oben von einer Balken-
decke abgeschlossen wurde. In dieser Decke war eine
12
viereckige Offnung. Darunter hielten in der Erntezeit
die Korn- oder Heuwagen, um entladen zu werden.
Sonst lehnte eine Leiter in der Luke. Stieg man hinauf,
so übersah man den Korn- und Heuspeicher, der über
das ganze Gebäude wegging, und über dem das Stroh-
dach schräg und steil emporstieg. In dieser Boden- und
Dielenregion herrschte eine heimliche Dämmerung, wenn
das Tor geschlossen war, denn das Licht fiel nur durch
ein paar kleine Fenster. Freilich drang das Sonnenlicht
daneben durch alle Ritzen der schweren Tür. Blendend
glänzten schräge Strahlen auf, in denen sich der Staub
tanzend drehte. Die Diele roch nach trockenem Heu,
nach Pferdegeschirr und nach den Viehställen. Diese
waren nach der Diele zu offen, so daß das Futter von
dort in die Krippen getan werden konnte. Beständig
war dieser Raum voller Geräusche. Man hörte das
Schroten und Schnaufen der Kühe, das Kettenzerren
und Stampfen der Pferde und das Gurren der Tauben,
deren Schlag sich oberhalb der Ställe befand.
Hinten schlossen sich die Wohnräume unmittelbar an.
Sie waren von der Diele nur getrennt durch ein gedrech-
seltes Holzgitter, in dem sich eine Tür befand. Dahinter
saß die Bäuerin mit ihrer Arbeit. Früher war es der
Spinnrocken gewesen, jetzt war es eine Küchenbeschäf-
tigung oder Näherei. Sie konnte von ihrem Platz aus das
ganze Haus beaufsichtigen, konnte sehen, was die
Knechte in den Ställen oder auf der Diele beim Dreschen,
an der Futterkiste oder Häckselmaschine, und was die
Mägde in der Küche oder auf dem Hof taten. Und sie
war auch in der Nähe der Wohnräume, in denen der
13
ererbte, Jahrhunderte alte Hausrat zu finden war,
Schränke und Truhen aus schwerem Holz solide gear-
beitet, mit schönen blanken Messinggriffen und einge-
schnitzten Jahreszahlen und Initialen, blau bemalte Ka-
cheln, blankes Küchengeschirr und selbstgefertigte Ge-
webe. Von hier aus, zur Seite des Langhauses, ging eine
Tür in den Garten. Dort gab es lange schmale Beete,
von Buchsbaum eingefaßt, mit bunten Blumen, Küchen-
kräutern und Arzneipflanzen, es gab hohe alte Obst-
bäume, Johannisbeer- und Stachelbeerhecken, vor den
Fenstern eine Reihe regelmäßig gepflanzter, rechteckig
geschorener, mit den Kronen sich berührender Linden-
bäume, und Lauben aus lichtem Ulmengezweig. Jede
Form, auch im Garten, war überliefert.
Die Ländereien der Bauern lagen nicht unmittelbar bei
den Höfen, sondern weiter draußen. Sie bildeten auf der
einen Seite ein großes Felder- und Ackergebiet, das sich
bis zur preußischen Grenze erstreckte, und auf der an-
dern Seite Viehweiden, die, fest mit buschbewachsenen
Wallen umgrenzt, von hölzernen Toren geschlossen und
durch Wege, sogenannte Twieten, getrennt waren. Diese
Ländereien gehörten den wenigen Bauernfamilien, die
von alters her im Dorf und auf den Höfen ansässig
waren. Darum waren die Bauern die einflußreichsten
Gemeindeglieder; einer von ihnen hatte stets das Amt
des Vogtes inne. Solange die Dorfbewohner denken
konnten, waren die Höfe im Besitz derselben Bauern-
familien gewesen, es hatten sich kleine Dynastieen ge-
bildet, die sich, trotz der Vertraulichkeit aller mit allen
im Dorf, gesellschaftlich abschlossen. Die Bauern zählten
14
ihre Ahnen, und das ganze Dorf zahlte mit. Jeder kannte
ihre Eltern und Großeltern, jeder nahm teil an den Vor-
_gangen auf den Höfen, jeder wußte die Beinamen, die
den Bauern angehängt worden waren, wußte, welches
Unrecht sie verübt hatten, wieviel Land, Vieh und Geld
sie besaßen und welche Kinder miteinander verheiratet
werden sollten. Die Alten im Dorf wußten in der Fa-
miliengeschichte der Bauern Bescheid bis zur Franzosen-
zeit und weiter zurück. Der älteste Sohn erbte den Hof.
Die jüngeren Söhne erhielten so viel Geld, daß sie sich
in der Nachbarschaft ankaufen konnten, und die Téch-
ter verheirateten sich wieder mit Bauernsöhnen. Da-
durch waren die Bauern der ganzen Gegend mitein-
ander verwandt, es waren große Sippen entstanden. Die
Kinder wurden zur Arbeit der Eltern erzogen. Sie be-
suchten die Dorfschule, dann arbeiteten die Knaben wie
Knechte auf dem väterlichen Hof, und die Mädchen
sahen in ihren kurzen beiderwandenen Röcken genau so
aus wie die Mägde. Alle sprachen das niederdeutsche
Platt und waren einander ähnlich, weil sie dieselben
Interessen, Sitten und Gewohnheiten hatten. Fremde
Elemente drangen fast nie in die Familien. Wie die Ge-
höfte inmitten des Dorfes scheinbar offen, in Wahrheit
aber fest abgegrenzt dalagen, so schlossen sich auch ihre
Bewohner wie nach einem natürlichen Gesetz von den
anderen Dorfbewohnern ab. Zu den Familienfesten der
Bauern kamen die Verwandten in ihren Wagen von weit
her; aber man sah niemals auf diesen Festen einen Hand-
werker aus dem Dorf.
Einen besonderenCharakter gaben dem Dorf dieSommer-
15
wohnungen der Städter. Diese Hauser gehörten wohl-
habenden Kaufherren, die in der guten Jahreszeit das
Land suchten und sich doch von der Stadt nicht zu weit
entfernen wollten. Das Dorf lag ihnen gerade recht. In
der Stadt besaßen sie stattliche Häuser mit Gesellschafts-
räumen, Kontoren und Lagern. Im Frühling gingen sie
aufs Land und blieben dort bis zum Ende des Sommers.
In der Stadt waren sie vornehme und angesehene Herren. —
Viele trugen den Senatorentitel, einige wurden sogar
Bürgermeister genannt. Die Familien gaben sich mit `
starkem Bewußtsein patrizierhaft, hielten sich ven den
Bewohnern des Dorfes streng zurück, von den Bauern
sowohl wie von den Handwerkern, und schlossen sich
in ihren großen Gärten ganz ab. Morgens fuhr der
Kaufherr in seiner Equipage zur Stadt, und nachmittags
kehrte er zum Essen, das nach englischem Vorbild erst
um fünf oder sechs Uhr eingenommen wurde, zurück.
Was man vom Leben in diesen Häusern erfuhr, kam
entweder von den Kutschern und Gärtnern, von den
Dienstmädchen oder von den Handwerkern, die für die
„Herrschaften“, wie man im Dorfe sagte, arbeiteten.
Daß man wenig erfuhr, vermehrte nur die achtungs-
volle Scheu. Die Lebensgewohnheiten dieser Vornehmen
waren in jeder Weise verschieden von denen der andern
Dorfbewohner. Die Kaufherren, ihre Frauen und Kin-
der wurden auf der Straße mit fast untertäniger Höflich-
keit gegrüßt; wenn einer von ihnen einmal in einem
Handwerkerhaus vorsprach, um eine Bestellung zu
machen, so wurde die Tür der besten Stube aufgetan,
und es herrschte einige Aufregung. Die Dorfkinder aber
16
gingen selten an den Häusern und Gärten vorbei, ohne
. das Gesicht ans Gitter zu drücken und neugierig die
fremde Welt zu untersuchen.
Diese Sommersitze waren nicht eben alt; keiner davon
gehörte noch dem achtzehnten Jahrhundert an, und auch
aus der Zeit vom Anfang des neunzehnten Jahrhunderts
fanden sich nur wenige Gebäude. Das meiste war in den
vierziger und fünfziger Jahren gebaut worden. Dennoch
war in den Anlagen eine einfache, stille Vornehmheit.
Die Häuser waren meistens aus Ziegelsteinen gebaut und
grau mit Ölfarbe gestrichen. Das Dach war mit Schiefer
gedeckt. Diese Häuser waren nie mehr als einstöckig
und so angelegt, daß sie sich mit den Wohnzimmern
gegen den Garten öffneten. Die Fußböden des Erdge-
schosses lagen fast auf dem Niveau des Gartens, so daß
man vom Gartensaal unmittelbar ins Freie gelangen
konnte. An der Front befand sich eine Vorfahrt für die
Wagen. Doch gab es auch Sommerhäuser, die tief in
einem großen parkartigen Garten in Grün versteckt da-
lagen und zu denen eine schöne Allee alter Bäume hin-
führte. Im Innern herrschte dieselbe einfache Vornehm-
heit wie im Äußern. Die Fußböden waren grau ge-
strichen, die Türen und Fenster weiß, die Wände waren
mit einfarbigen Tapeten beklebt und mit lebhaften Bor-
ten eingefaßt; die mit leichten Stuckornamenten, Pal-
metten und Mäandern verzierten Decken waren schlicht
geweißt. An den Wänden standen schöne alte Möbel
aus Mahagoniholz, schwere Sofas mit Roßhaarbezügen,
Stühle mit geschweiften Lehnen, zierliche Putztische,
hohe Wanduhren mit metallenen Zifferblättern, fein
Eé
profilierte Kommoden und Biicherschranke, hinter deren
Glastüren grüner Stoff gespannt war. An den Wänden
hingen Familienporträts und Stiche: Goethes beide Ele-
onoren, eine schweizer Landschaft oder die Wiedergabe
eines alten Italieners. Die Häuser hatten einen eigenen
Geruch. Ein leiser Duft vom Kampfer lag in der Luft,
weil die Polstermöbel im Winter mit Überzügen ver-
sehen und gegen Motten gesichert wurden; aber auch
nach Lavendel roch es, nach guter Seife und reiner
Leinewand.
Der Garten war so groß, daß man in seiner Mitte vom
Dorf kaum etwas sah. Vor dem Gartensaal gab es Tep-
pichbeete mit fremdartigen Zierblumen, durch Gebiisch
und Rasenflachen schlangelten sich Wege zu leichten
Lauben und Gartentempeln, weiter hinten war eine An-
höhe mit einer Sonnenuhr, dann kam ein Teich mit
einem Schwanenhaus; und wenn man am Ende ange-
kommen war, blickte man über Hecken und Gebüsch
hinweg auf die Viehweiden, die Kornäcker oder auf den
Fluß. Abseits lag der Küchengarten mit seinen Gemiise-
beeten, Spalierfrüchten, Erdbeerrabatten, Mistbeeten und
Treibhäusern, und dahinter, den Häusern des Dorfes
zunächst, befand sich die Gärtnerwohnung, die Kut-
scherwohnung und der Pferdestall. Das Ganze hatte
einen eigenen Nimbus, nicht zuletzt, weil man nicht sah,
durch welche Tätigkeit alles hervorgebracht und er-
halten wurde. Kein Mann im Dorf war so gut gekleidet,
wie die Besitzer dieser Landsitze und ihre Söhne es
waren, und die Frauen gar waren wie aus einer andern
Lebenssphäre. Man wurde mit seinen Gedanken auf die
18
Stadt verwiesen, blickte in eine Welt, die anders war,
deren Lebensgesetz nicht gleich sichtbar wurde und die
darum eine eigene Art von Sehnsucht erweckte.
Aus der Selbstbiographie Karl Schefflers
„Der junge Tobias“
DER RING UND DAS BUCH
VON ROBERT BROWNING
Seht ihr den Ring? Die Arbeit stammt aus Rom,
Wo Meister Castellani sie dem Vorbild
Aus Alt-Etrurien nachgeformt, das man
An einem selgen Maienmorgen fand,
Nach regentropfend warmer Nacht, im Erdreich
Von wurzellockren Feigenbäumen, wie .
Sie alte Gräber rings um Chiusi schatten.
So weich, nicht wahr? doch klar und scharf geschnitten,
Man meint Juwelenschliff! Fachmänner sagen,
Es gäb nur eine Art, das Gold zu formen,
Das jungfräulich eiförmig-rostbraun schwemmt
Aus Minen wie der Honig aus den Waben,
Damit es Hammerschlag und Zahn der Feile
Ertragen kann, die es zum Reifen runden
Und fein mit Lilienrankwerk überziehn,
Eh aus dem Stoff ein Ring zum Tragen wird.
Der Kunstgriff ist, daß man wie Wachs dem Honig
Dem puren Golde etwas untermischt
Von Goldersatz, damit sichs kneten läßt.
Ist das getan, der Ring entstanden, wird
Die alte Ordnung wiederhergestellt.
19
Mit feurig scharfen Säuren überwischt
Entflieht wie Schaum der lockere Gehilfe,
Der Goldersatz — und läßt die Form zurück:
Das feste Rund des Rings, sich selbst genug,
Die Lieblichkeit des Lilienschmuckes — wieder
Gold wie es war und ist und überdauert!
Ursprüngliche Natur — dazu gefügt die Kunst;
Verloren kein Karat, gewonnen nur ein Ring.
Und was damit gewonnen ? Ein Symbol,
Ein Bild, ein Zeichen! Zeichen für ein Ding.
Und nun zum Ding, das hier bezeichnet wird.
Seht ihr dies alte gelbe Buch? ich zupfe
An seinen pergamentnen Ecken, werfe
Es in die Luft und fang esin der Hand.
Seht, darin steckt lebendiges Geschehen,
Von menschlicher Erfahrung ausgelöst,
` Als Herzen hart gehämmert, blutgeschwellte
Gehirne vor Jahrhunderten noch pochten.
Prüft selbst! Ich fand dies Buch für eine Lira
(Heißt achtzig Pfennig!), als mich einst die Hand,
Die ich auf meiner Schulter immer spüre,
An einem grauen zwischen Sonnentagen
Hinführte zu Florenz auf einen Platz
Voll Lärm und Buden — Markt und Mittagszeit —
Zum Marmorpostament, auf dem Giovanni,
Der „delle Bande nere“, dräuend sitzt.
Und grade zwischen Kirche und Palast
— Ricardi, wo die Medicäer lebten,
Und San Giovanni, wo sie stille ruhn —
20
Lag dieses Buch auf Marmorstufen, drauf
Der Medicäer Pagen trédelten,
Und ihren Kram heut andre Trédler breiten.
Da, zwischen Krimskrams und Gerümpel, Rahmen
Mit arg bestoßnen goldnen Engelsköpfchen,
Und Truhen, denen einst die großen Damen
Gewänder aus Brokat und Samt entnahmen,
Modernsten Zeichnungen in Nackt und Akt,
Jet, Lava, Porphyr glatt und rauh, und Büsten
Aus Terrakotta, meist, zum Glück, geborsten —
Fetzen von Teppichen aus einer Zeit,
Die sich des kräftgen Rot und Blaus nicht schämte,
Gebinden braungeätzter Skizzen, jede
Zwei Kreuzer wert, mit Muscheln festgebunden,
Daß sie der Wind nicht übern Platz verwehe, — —
Lag dieses Buch und griff ich es heraus.
Fünf andre lockten mich zuerst fast mehr:
Ein Spicilegium voller Eselsohren,
Die zärtliche Kameliendame Dumas’,
Horaz für Schulgebrauch zurechtgestutzt,
Dann eines Heiligen Mirakel — Tod —,
Dann anderen Sankt Soundso Mirakel —
Dazwischen dies! Ein Blick auf seine Rückwand
Und „Händler!“ rief ich, und es wurde mein.
Hier ists! Ein unscheinbarer kleiner Quartband,
Halb Manuskript, halb Druck. Geprägte Form
Von Vorgängen, die Hirne blutgeschwellt,
Und Herzen hartgehämmert ausgelöst
Vor zwei Jahrhunderten! Gebt mirs zurück,
21
Dem Dinge wohnt ein prickelnd Leben ein
Für mein Gefühl und Aug!
An jenem Tage
Beherrschte ich den Inhalt, hielt die Wahrheit,
Die dieses Buch umfaßt — drei Fünftel Druck,
Das Supplement in guter, klarer Schrift.
„Romana Homicidiorum‘“ — nein,
Besser auf deutsch: „Ein Mordprozeß zu Rom.
„Genaue Darlegung des Strafverfahrens,
„Das gegen Guido Franceschini, Edlen,
„Und vier von ihm gedungne Spießgesellen
„Stattfand — die fünf verhört und abgeurteilt
„Durch Beil und Strang, wie’s ihrem Rang entsprach,
„Zum Tod befördert hier zu Rom am zwei-
„Undzwanzigsten des Februar, im Jahr
„Des Heiles Sechzehnhundertachtundneunzig.
„Wobei auch disputieret worden, ob
„Und wann die Ehemänner ihre Weiber,
„Die solche Ehe brachen, töten dürfen,
„Und doch gewohnter Strafe sich entziehn.“
So, wörtlich, rann das Titelblatt. Es wurde
Mord oder Strafe für die andre Schuld,
Für Totschlag und nichts anderes erachtet.
In schwerverständlichem Latein, wo Recht
Sich hören ließ, allein zur Muttersprache
Rückgreifend, wo man überzeugen wollte.
So sah es aus, mein altes gelbes Buch.
Nun, wie der Klumpen eh der Ring entstand
Von Gold war — bitt euch, bleibt mir bei dem Bild! —
22
So war in diesem Buch die volle Wahrheit:
Tatsachen ohne Beiwerk, Dokumente,
Und nichts von Phantasie hinzugefügt.
Der Advokaten Schriften für und wider
Besagte Fünfe, Umstände zugunsten
Der beiden Seiten angeführt. Dann alles,
Wie’s Brauch, von Apostolischer Hofkammer
Zu Rom herausgebracht in Schrift und Druck.
Und dem Gerichtshof unterbreitet, dem
Der Gouverneur von Rom Hochwürdigst vorsaß.
Graf Guido Franceschini aus Arezzo,
Sproß eines alten, doch verarmten Hauses,
Mit Adlernase, buschgem Bart und Haar,
Bleich, hager, ein robuster Fünfzigjährger,
Nahm die Pompilia Comparini, jung und schön,
Zur Frau — in Rom, wo sie gebürtig —, lebte
Unselig vier Jahr mit ihr in Arezzo,
Welch Fluch auch dem zugrunde liegen mochte.
Mit vier gedungnen Spießgesellen folgte
Er ihr nach Rom, wohin sie vor acht Monden
Ruhebedürftig sich geflüchtet hatte
In der Begleitung eines jungen Priesters,
Auch Aretiners, edler noch geboren,
Giuseppe Caponsacchis; fand sie dort
Ruhig in einer abgelegnen Villa
Um Weihnachten — nur mit den beiden: Pietro
Erschlug die drei, die Alten siebenzig,
Und Violante, scheinbar ihren Eltern —,
Die junge Gattin siebzehn Jahre alt `
23
Und seit zwei Wochen Mutter eines Sohnes,
Erstlings und Erben jenes Grafen Guido,
Der planmäßig die Tat verübt hatte
Und dann die Flucht ergriffen. Scharf verfolgt,
Schon in derselben Nacht mit den Gehilfen
Gefangen und verhört, erklärte er:
Er habe seine Mannesehre so
Verteidgen müssen. Falsch sei seine Gattin,
Wie ihre Flucht in der Gemeinschaft zeige.
Auch sei der Tod der falschen Eltern, die
Ihr Vorschub leisteten, durchaus verdient
Und könne weder Gott noch Menschen kränken.
Der Fiskus rief: „Nicht sie und nicht die Eltern
Sind falsch gewesen. Nur der Mord starrt uns
Vermummt und schrecklich an. Und seiner Brust,
Nicht ihrer, wie er sagt, entsprang der Wurm,
Dens zu entlarven und zertreten gilt.“
Vier Wochen ging der Streit schon hin und her,
Eh man beschloß, den Grafen zu verdammen.
Dann wandte man sich an den guten Papst,
Den zwölften Innocenz. Der sprach sein ,,Schuldig
cc
!
Laßt wieder denn dies alte Menschenweh
An euch vorüberziehn und urteilt selber —
Nach Augen nicht und Sinnen! Lückenhaft
Bleibt stets ihr Zeugnis. Nimmt ein Auge wahr,
Wie Herz auf Hirn und Hirn auf Hände wirkt?
Begehrt denn soviel Wahrheit, als ihr tragt,
Milch für die Fleisch noch nicht Gewohnten! Lernt
Aus schwankenden Gerüchten, die geleugnet
24
3p93sy>2o07T SISSOTYUISIAYITISU9APIO sap ayany
Und dennoch flüsternd nachgesprochen werden
Und schließlich unser ganzes Wissen sind.
Denn sagt, was wüßten wir, wenn nicht aus Worten?
Aus dem großen Epos „Der Ring und das Buch“
übertragen von Cecile Gräfin Keyserlingk
ak
ZWEI BETRACHTUNGEN
VON FELIX BRAUN
Die Essblume
Welch ein sinnbildlicher Trost liegt darin, daß die
Natur, wenn sie die Pflanzen aus unserer Umwelt zu-
rückruft und ihnen gebietet, in einer Art Winterschlaf
ihr Leben zu verhalten, entschädigend eine andere,
merkwürdigere, vielfach südliche, gar tropische Vege-
tation an unsere Fensterscheiben zeichnet! Palmen mit
hohen Wedeln in dichten, tiefen Hainen, nicht unähn-
lich dem Wald auf Dürers Holzschnitt der Flucht nach
Ägypten; seltsame Koniferen; breite Agaven; Farne und
Halme, zierliche Moose und Flechten; Blattpflanzen
mit den langen, parallelen Linien der Monokotyledonen ;
Schilfe, Gräser, Algen: das etwa ist die weiße Flora, die
uns die Kälte vorzaubert, und wir schauen immer noch
gern, wie einst als Kinder, in die wundersamen Eis-
gärten. Sehen wir doch da, was unserem Norden sonst
bloß in Treibhäusern oder Wintergärten sich zeigen
mag, ja, wohl auch, was überhaupt nicht mehr als grüne
Pflanze auf Erden lebt. Denn das meiste, was der
Winter aus Wasserdunst an das Glas vortäuscht, ist
25
uraltes Leben, davon bereits, wie die Tiere jener Vor-
zeit, vieles vergangen oder in andere Gestalten ver-
wandelt worden ist.
Aus dem Wasser sei, sagt Thales, alles Leben ent-
standen, und er berührt sich hier sowohl mit der bi-
blischen als auch mit der indischen Kosmogonie. Nach
der heiligen Hildegard von Bingen ist das Wasser der
Lebensquell, der ,,Feuerbringer jeglichen Griins“; Ja-
kob Boehme erkennt es für den „Geist des siderischen
Lebens“, „durch dessen Leib das Leben durchge-
drungen“ ; Goethe in seinem herrlichen, nur in Schlag-
worten abgefaßten Entwurf einer physischen Welt-
beschreibung ergreift im Kampf des Neptunismus mit
dem Plutonismus nicht ausgesprochen Partei, neigt je-
doch seiner Natur gemäß eher dem ersteren zu, wie
denn auch im „Faust“ Thales, dem Anaximander
nachgebend, seinen lebendigeren Geist bewährt. Über-
raschend auch stimmt, wenn man nicht allzu wörtlich
denkt, die neueste Physik damit überein, die als Ur-
element den Wasserstoff plus Elektron annimmt. Nun
ist Wasser freilich nicht Wasserstoff allein, was spät
erst, durch Lavoisier, bewiesen worden ist; immerhin —
einer seiner beiden Stoffe enthält das Principium vitae,
das — wer wagte es zu entscheiden? — etwa gar nicht
in der chemischen Substanz, sondern im Elektron zu
suchen wäre. Sei dem, wie es mag: es erscheint im
Dunst des Wassers, mit dem sich die Fensterscheibe be-
schlägt, ein Abbild von Pflanzen und bezeugt — was
nun? —: daß dies Leben dem Wesen des Wassers ein-
geschrieben ist, das, von strenger Kälte bedrängt, sein
26
Geheimnis auf die zauberhafteste Weise dem ihm ver-
wandten Glas preisgibt.
Also wäre es ausgemacht, daß die Wasser das Leben
hervorgebracht haben? Wie sehr verlockte nicht das
stets bewegte, selbst lebendig scheinende, wirkende,
zeugende Element dazu! Wer aber wollte über das
bloße Gleichnis hinaus etwas Wirkliches und Fest-
stehendes aussagen? Denn nicht die Wasser haben die
Welt geschaffen, sondern der Geist Gottes, der über
ihnen schwebte. Die Wasser waren nur der Stoff, durch
den der „Feuerblitz‘“ schlug, sie zur Geburt des Lebens
zu entzünden. Welches Leben aber? fragen wir und
schauen zweifelnd auf die sonderbare Eisblume, die, wie
keine ihrer wirklichen Schwestern, vor unseren Augen
entsteht und schwindet.
Haeckels großes Werk „Die Kunstformen in der Na-
tur“ zeigt auf seiner ersten Tafel ein höchst einpräg-
sames Gebild. Eine schöne Zier, eine kunstreiche Orna-
mentik in zarter Blütensternart läßt an einfache Pflan-
zen oder niedere Tiere denken: es sind aber, wie man
erstaunt wahrnimmt, nichts weiter als nur Sprünge im
Lack. Eine Schneeflocke, ungestalt im Niederschweben,
kaum hat sie sich auf den Ärmel unseres Rockes ge-
setzt, so ist sie ein Stern oder Kreuz, ein Silberkristall.
Was bedeuten diese der Kunst unnachahmlichen, diese
unendlich mannigfachen, jede ästhetische Forderung
überbietenden, jede dekorative Phantasie weit hinter
sich lassenden „Kunstformen“ in jedem Blatt, jedem
Blütenkelch, auf jedem Käferrücken und Schmetter-
lingsflügel? Sie bedeuten, was uns die bescheidene Eis-
27
blume lehrt. Und was sie uns lehrt, ist vielleicht das
Wichtigste, was der Mensch, dem es um eine Welt-
anschauung zu tun ist, erfahren kann. Denn das be-
weist sie, was wir zu glauben not haben, wofern wir
halbwegs im Einklang mit der Natur und, was weit
schwerer, auch mit der Gottheit leben wollen.
Sie lehrt, die kleine, zarte Pflanze, die nicht einmal
selbst das Leben hat, sie lehrt uns die hohe Weisheit:
daß die Ideen früher sind als alles Geschaffene. Daß
die Welt ganz und nur nach Ideen geschaffen ist: was
in der Natur bewiese das so klar wie die Eisblume ?
Nirgends sonst als im gefrornen Dunst der Fenster er-
scheint uns in der Natur ein Bild. Wie als hätte sie
erst in das dem Leben entzogene Eis einen Entwurf
ihrer künftigen Schöpfung flüchtig aufgezeichnet, die
sie dann mit Hilfe des Lichtes und der Wärme aus
dem wieder bewegten Wasser des Frühlings wirklich
gestaltet hat. In der Tat, die Eisblume entwaffnet den
Materialisten der Naturforschung, indem sie zeigt, wie
schon im Wasserdunst vorgebildet ist, was später in
lebendiger Figur erscheinen wird. Die Apriorität der
Ideen, die Vorexistenz des Geistes vor dem Fleisch, die
Wahrheit des Wortes, daß der Geist Gottes über den
Wassern geschwebt ist, ehe denn die Welt ward: die-
ses wahrlich nicht Geringe bestätigt die Eisblume an
unseren Winterfenstern.
Wenn die letzte Blüte des Jahres, die Christrose, vorbei
ist, bleibt als die einzige Blume die des heiligen Geistes
in der Welt, die nur im Eis offenbar wird. Daß der
Mensch nicht völlig den Anblick des holden, sanften
28
Lebens der Pflanzen entbehre, spiegelt sich an seinen
Scheiben eine Landschaft vor: seiner Urvergangen-
heiten. Wie noch in Gesteinen Abdriicke alter Pflanzen
sichtbar sind, so mag hier eine Erinnerung an eine eis-
gewordene Vegetation sich dem Gedächtnis der Natur
bewahren. Tiefer zurück jedoch mahnt uns die Eis-
blume. An den Vater allen Lebens mahnt sie, dessen
vielleicht erstes noch nicht gänzlich erschaffenes Ge-
schöpf sie selber ist. Möchte sie uns doch ein Zeichen
sein für den Glauben, auf dessen Grund wir alle uns
vereinen könnten, ohne einander in der Freiheit des
Meinens und Fühlens zu behindern: den Glauben an
den Geist. Nicht der scharfe Geist ist es, den man
mit dem lateinischen ,,Intellectus“, vielmehr der wahre,
den man unter dem Wort „Spiritus“ begreift: Atem-
geist, Lebensgeist, schöpferischer, heiliger Geist, der ja
im Winter zu der Menschheit kam, als Mensch, aber
erst nach Leiden und Auffahrt ganz ausgegossen wurde
auf die Häupter seiner Bekenner.
x
Gebilde in Wolken
Heute, da ich, im schon hohen Gras auf dem Rücken
liegend, die vielen weißen Frühlingswolken, wie sie
schnell über mir hin durch den Blauhimmel flohen, be-
trachtete, ist mir — ich weiß, daß ich jetzt ein ver-
messenes Wort sagen werde, aber ich wage es und
schreibe es hin — ein Geheimnis göttlichen Schaffens
aufgegangen. Nicht, daß ich wüßte, wie Gott schafft,
das wäre von der Art des dreist Überheblichen, die nur
29
in Lacherlichkeit umschlagen kann; aber daß ich Got-
tes Schöpfertum nicht mehr mit dem des Bildhauers
oder des Ackermanns in eine gleichnishafte Beziehung
bringen werde, ist der Ertrag dieser Schau. Gottes Er-
schaffen der unendlichen Geschöpfe — wer faßte es?
Eine Ahnung davon empfing ich im Anblick der Wol-
ken heute.
Ich lag und sah die stattliche weiße Wolke kommen.
Gegen mich zu erhob sie wie ein großer Flugvogel
einen langen Hals und alsbald erkannte ich den scharf-
gekrümmten Schnabel des Greifen. Aber kaum daß,
ausgespannter Schwingen, der Zauberhafte über mir
dahin schwebte, verwandelte sich sein Hals in den des
Kamels, ich sah auch das leicht gebogene Vorhaupt mit
dem gewölbten Lippenpaar, deutlich war festzustellen,
wie das Tier auf seinen eingezogenen Beinen ruhte, was
vorhin Flügel waren, ließ sich als der Höcker erkennen,
ein Reiter saß darauf, nein, schon verging er, weißer
Rauch entwehte statt seiner, und ein altertümliches
Drachenschiff flog durch das Blau. Lange blieb das
Schiff sichtbar, an seinem rückwärtigen Ende aber
zeigte sich riesig ein Löwenkopf, ich schloß die Augen,
sah wieder auf, plötzlich stand der große Löwe drohend
da, allerdings einen Augenblick nur, und ein fremder
alter Geist erschien, gehörnt, spitzbärtig, zerfloß, ging
in den die Sonne und den Mond erschaffenden Gott-
vater Michelangelos über. Dieser blieb sehr lange. Dann
wurde die Wolke gestaltlos, dann ein Urwald, dann
eine Reiterschlacht.
Ich weiß nicht, wie viele Bilder einander folgten, es
30
war angenehm, sich von jedem neuen überraschen zu
lassen, und so verging im Bienensummen und Grillen-
schrillen viel milde Zeit. Auf einmal machte ich eine
Entdeckung. Es schien mir nämlich, als ob ich nicht
durchaus nur der Erkenner dieser Gestalten gewesen
wäre, vielmehr bedünkte es mich, wie wenn ich selbst
nicht ganz ohne ein weniges an Macht wäre, sie auch
hervorzurufen. Zum Beispiel jetzt wollte ich eine Frau
sehen, und sogleich gewahrte ich jene Wolke, die eben
noch einer Berginsel geglichen, zu einer wunderbar
Schlafenden gewandelt, ähnlich wie uns im Gebirge
eine „schlummernde Griechin“ oder „Riesin“ gezeigt
wird. Wenn sie eine Liebesgöttin ist, müssen Tauben
über ihr schweben, wünschte ich, da flogen sie schon,
weißschimmernd, herbei; sie möchte doch lächeln, be-
gehrte ich, und das schönste, adligste Angesicht er-
glänzte berückend. Sanfte, flügellose Genien erschienen
auf mein Geheiß, sie zu geleiten. Was immer ich
wünschte, selbst nur dachte, sogleich vollzog es sich in
Gestalt. Der Stoff der Wolke gab jedem Willen,
jeder Ahnung meines Geistes nach und nahm die Form
an, die ihm angesonnen wurde. Dies war das Wunder-
bare, das mir geschah, und weil es so geschah, weil
nichts sich dem Geiste weigerte, weil jeder Gedanke,
schon die Regung eines Gefühls Figur wurde, —
war es da ein großer Sprung, wenn ich plötzlich ver-
meinte, das Geheimnis der Schöpfung selbst gestreift zu
haben ?
Daß die Wolke, der Nebel, der Wasserdunst vor der
Schöpfung war, sagt die Bibel. Daß sie der Urstoff der
31
Welt ist, kann geglaubt werden. In diesem Urstoff bil-
det der Geist Gottes — nicht die Hand Gottes, das sei
wohlgemerkt. Vermochte schon der Menschengeist, be-
trachtend, so vieles zu Gestalt zu erbilden — freilich
wieder zerfließender, nicht festzuhaltender, nicht leben-
empfangender Gestalt —: sollte nicht Gottes Geist bloß
aus der Betrachtung des ungestalteten Weltstoffes, aus
jenem Ruhen, das der Logos und das Tao meinen, Ge-
stalt des Geschöpfes erschauen und es zu Leben fest-
bannen können? (Der Mensch allerdings ist nicht von
Gottes Geist allein erschaffen; ihn haben Gottes Hände
zu Ende gebildet, und darum ist er anders als alle ande-
ren Wesen auf Erden.)
Nicht durch einen Entschluß begonnen, nicht als eine
Tat gegründet, haben wir die Weltschöpfung aufzu-
fassen. Das wäre anthropomorph gedacht. Wenn Gottes
Geist betrachtend schafft, wenn er in der Tiefe seiner
ewigen Ruhe die Bilder seiner Schaffensmöglichkeiten
in dem Urstoff der Welt erscheinen läßt, dann mag das
Unendliche der Geschaffenheiten unserer Vernunft be-
greiflicher sein. Gottes Betrachtungen sind die Ideen,
nach denen Gottes Wille das Leben festhält, das sein
Geist unablässig entwirft. Gottes Wille aber ist der
Lebenswille der Geschöpfe. Denn was die Gottheit ein-
mal mit der Möglichkeit des Seins begnadet hat, das
ruht nicht, ehe es nicht ins Sein getreten ist. Darin liegt
auch die Wurzel der Freiheit des Willens, die wir dem
Menschen zuzusprechen uns erkühnen.
x
32
CHINESISCHE ANEKDOTEN
Der betrunkene Wachter
Ein rebellischer Bonze sollte von einem Grenzwächter
zur Aburteilung nach der Hauptstadt gebracht werden.
Unterwegs trank sich der Wächter einen gehörigen
Rausch an, bis er umsank wie ein Sack Mehl. Flugs
streifte der Gefangene seine Fesseln ab und schlang sie
dem schnarchenden Wächter um den Leib. Hierauf nahm
er sein Messer und schnitt ihm Bart und Kopfhaar ratze-
kahl herunter. Dann machte er sich spornstreichs aus
dem Staub. Am nächsten Tag erwachte der Wächter aus
seinem Rausch. Von seinem Begleiter konnte er keine
Spur entdecken, Wohl aber bemerkte er, daß er selbst
am Leibe Fesseln trug und sein Kopf kahl war wie ein
Kürbis. Da sprach er verwundert: „Der Bonze ist da,
wo aber kann ich bloß geblieben sein?“
*
Unterm Sternbild des Ochsen
Der Kreismandarin Tschang hatte Geburtstag und emp-
fing die Glückwünsche seiner versammelten Unter-
beamten. Diese hatten erfahren, daß er unter dem Stern-
bild der Maus geboren sei, und um ihm eine sinnige Auf-
merksamkeit zu erweisen, überreichten sie ihm eine gol-
dene Maus, die sie aus gemeinsamen Mitteln erstanden
hatten. Hocherfreut dankte der Mandarin für das wert-
volle Geschenk und setzte leutselig hinzu: „Übrigens
ist in ein paar Tagen der Geburtstag meiner Frau. Sie
ist unter dem Sternbild des Ochsen geboren.“
ae
33
Pekinger Ohrfeigen
Ein Vater ging an einem schönenMondscheinabend mit
seinem Sohn spazieren. Der Sohn war einige Zeit in
Peking gewesen und hatte seitdem die Angewohnheit,
hei jeder Gelegenheit mit den Vorziigen der Hauptstadt
zu prahlen. Unterwegs trafen sie einen Bekannten. Der
sagte: „Schöner Mondschein heute abend.“ — „Ach
was,“ versetzte geringschätzig der Sohn, „das bißchen
Mond hier. Da müssen Sie mal nach Peking kommen,
da würden Sie staunen, was es dort für einen Mond-
schein gibt!“ — „Dummer Junge,“ fuhr der Vater är-
gerlich dazwischen, „der Mond scheint überall gleich,
laß uns mit deinem Peking zufrieden!“ und wütend
langte er ihm eine schallende Ohrfeige. Aber der Sohn
war nicht kleinzukriegen, und während ihm die Tränen
über die schmerzende Backe flossen, heulte er: „Ach,
Vater, du hast ja keine Ahnung, die Pekinger Ohrfeigen,
das ist erst eine Sorte!“
x
Ein tüchtiger Schneider
Ein 1 Kunde brachte seinem Schneider Stoff, der genau
zu einem Anzug reichte, und wollte gleich auf die An-
probe warten. Der Schneider maß und maß und konnte
sich nicht zum Zuschneiden entschließen.
„Warum schneidest du nicht zu?“ fragte der Kunde.
„Ja, wenn ich für dich zuschneide, langts nicht für
mich, und wenn ich für mich zuschneide, langts nicht
für dich.“
*
Aus dem Chinesischen übertragen von Frang Kuhn
34
$F eq...
d
À
S
Gustave Doré: Illustration zu Balzacs Tolldreisten Geschichten
DIE LEHRERIN
VON SHERWOOD ANDERSON
Tief im Schnee lagen die Gassen von Winesburg. Gegen
zehn Uhr morgens hatte es zu schneien begonnen, dann
sprang der Wind auf und trieb den Schnee in Wolken
die Main Street entlang. Die kotigen Landstraßen, die
zur Stadt führten, waren schon hübsch glatt, und hier
und da deckte Eis den schlammigen Schmutz. „Wird
eine gute Schlittenbahn geben“, bemerkte Will Hender-
son, der in Ed Griffiths Saloon am Schanktisch stand;
dann verließ er den Saloon und traf draußen auf Syl-
vester West, den Drogisten, der über die Straße daher-
gestapft kam und mächtige Überschuhe, sogenannte
„Nordpolfahrer“, an den Füßen trug. „Bei dem Schnee-
wetter kommen Samstag viele Leute in die Stadt‘, sagte
der Drogist. Die beiden blieben stehen und vertieften
sich in eine längere Erörterung. Will Henderson, der
nur einen leichten Überzieher und keine Überschuhe
trug, klopfte mit den Zehen seines rechten Fußes gegen
seinen linken Absatz. „Der Schnee ist gut für den Wei-
zen“, ließ sich der Drogist sachkundig vernehmen.
Der junge George Willard hatte nichts zu tun und war
vergnügt darüber, weil er sich an dem Tage nicht zur
Arbeit aufgelegt fühlte. Das Wochenblatt war schon
am Mittwoch gedruckt und zur Post geliefert worden,
und am Donnerstag hatte das Schneetreiben eingesetzt.
Um acht Uhr, als der Morgenzug durch war, steckte
George Willard ein paar Schlittschuhe in die "Tasche
und stieg hinauf zum Waterworks Pond. Aber zum
36
Schlittschuhlaufen kam er nicht. Er ging am Teich vor-
über und folgte am Wine Creek entlang einem Fußpfad,
bis er an ein Buchenwäldchen kam. Dort schichtete er an.
einem Baumstumpf einen Reisighaufen, zündete ihn an,
setzte sich auf den Stumpf und dachte nach. Wenn es
wieder zu schneien begann oder der Wind sich erhob,
suchte er ringsum neuen Brennstoff für sein Feuer zu-
sammen.
Der junge Reporter dachte an Kate Swift, die einst in
der Schulzeit seine Lehrerin gewesen war. Gestern abend
hatte er sie in ihrer Wohnung besucht, um sich ein Buch
zu holen, das sie ihm zu lesen geben wollte; und da war
er etwa eine Stunde lang mit ihr allein gewesen. Zum
vierten oder fünften Male hatte sie mit großem Nach-
druck auf ihn eingeredet, ohne daß er herausbekommen
konnte, was sie mit diesen Reden bezweckte. Er begann
zu glauben, sie möchte am Ende in ihn verliebt sein,
und der Gedanke war lustvoll und beängstigend zu-
gleich.
Auf sprang er von seinem Baumstumpf und begann
Reisig auf das Feuer zu häufen. Er sah sich nach allen
Seiten um, ob auch niemand ihn belauschen konnte, und
redete laut, als stände das Mädchen vor ihm: „Sie las-
sen michs ja deutlich genug merken, das wissen Sie ganz
gut“, sagte er. „Ich werde schon noch herauskriegen,
was mit Ihnen los ist. Warten Sie nur! Sie werden ja
schen"
Er stand abermals auf und ging den Pfad entlang zur
Stadt. Hinter ihm flammte das Feuer im Gehölz. Als er
durch die Gassen schritt, klirrten die Schlittschuhe in
37
seiner Tasche. In seinem Zimmer im New Willard
House ziindete er ein Feuer im Ofen an und warf sich
auf sein Bett. Wollüstige Bilder kamen ihm in den Sinn;
er zog den Rolladen herab, schloß die Augen und kehrte
das Gesicht zur Wand. Seine Arme umschlangen das
Kopfkissen, und in seiner Phantasie wurde es ihm erst
zu Kate Swift, deren Worte ein unnennbares Gefühl in
ihm aufgestört hatten, und dann zu Helen White, der
schlanken Tochter des Winesburger Bankiers, in die er
lange Zeit ein bißchen verliebt gewesen war.
Um neun Uhr abends waren die Gassen tief verschneit,
und es war bitter kalt geworden. Das Ausgehen war
mit Schwierigkeiten verknüpft. Alle Läden lagen im
Dunkel, alle Leute hatten sich in ihren Häusern ver-
krochen. Der Abendzug von Cleveland hatte starke Ver-
spätung; aber niemand kümmerte sich darum, ob er
kam oder ausblieb. Um zehn Uhr lagen alle achtzehn-
hundert Bürger der Stadt in ihren Betten — bis auf
vier.
Hop Higgins, der Nachtwächter, war wach, wenigstens
einigermaßen. Er war lahm und trug einen dicken Stock,
dazu in dunklen Nächten eine Laterne. Zwischen neun
und zehn machte er seine Runde: Main Street auf, Main
Street ab humpelte er durch die Schneehaufen und prüfte
die Ladentüren. Dann begab er sich in die Gartenwege
und prüfte die Hintertüren. Fand er alles in Ordnung,
so stapfte er eilfertig um die Ecke zum New Willard
House und klopfte an die Tür. Den Rest der Nacht ge-
dachte er am Ofen zu verbringen. „Geh zu Bett, ich will
den Ofen schon in Ordnung halten“, sagte er zu dem
38
Jungen, der auf einer Pritsche in der Office des Gast-
hofes schlief.
Hop Higgins setzte sich beim Ofen nieder und zog seine
Stiefel aus. Als der Junge schlafen gegangen war, be-
gann der Nachtwächter sich dem Nachdenken über seine
Lebensangelegenheiten zu widmen. Er wollte im Früh-
jahr sein Haus anstreichen lassen und berechnete, am
Ofen hockend, die Kosten für Farbe und Arbeitslohn.
Der Nachtwächter war sechzig Jahre alt und hegte den
Wunsch, sich zur Ruhe zu setzen. Er hatte als Soldat
den Bürgerkrieg mitgemacht und bezog eine magere
Pension. Nun hoffte er eine neue Art herausgefunden zu
haben, wie er das zum Leben Nötige verdienen könnte:
Durch berufsmäßigen Betrieb der Frettchenzucht. Schon
hatte er vier von diesen seltsamen wilden kleinen Ge-
schöpfen, die von den Jägern zur Karnickeljagd benutzt
werden, im Keller seines Hauses. „Ein Männchen und
drei Weibchen hab ich jetzt“, sinnierte er. „Wenn ich
Glück hab, sinds im Frühjahr zwölf oder fünfzehn.
Nächstes Jahr ist es dann soweit, daß ich meine Frett-
chen in den Sportzeitungen zum Verkauf ausbieten
kann.“
Damit rückte sich der Nachtwächter bequem im Stuhl
zurecht und hörte auf mit dem Denken. Er schlief nicht.
Durch jahrelange Übung hatte er es dahin gebracht, daß
er in den langen Nächten stundenlang in einem Zustand
zwischen Schlafen und Wachen dasitzen konnte. Am
Morgen fühlte er sich dann beinahe s so erfrischt, als hätte
er geschlafen. |
Zählen wir den trefflich in seinem Stuhl ine Ofen
39
verstauten Hop Higgins zu den Wachenden, so waren
außer ihm nur noch drei Leute in Winesburg wach.
George Willard saß in der Redaktion des „Eagle“, um,
wie er sich einredete, am Manuskript einer Erzählung
zu arbeiten; in Wahrheit aber, um den am Morgen beim
Feuer begonnenen Gedankenfaden weiterzuspinnen. Im
Glockenturm der Presbyterianerkirche saß der Reverend
Curtis Hartman im Finstern und bereitete seinen Sinn
für eine Offenbarung von Gott; und Kate Swift, die
Schullehrerin, verließ ihr Haus zu einer Wanderung im
Sturm.
Es war zehn Uhr durch, als Kate Swift ihren keineswegs
vorbedachten Ausgang antrat; so, als hätten die auf sie
gerichteten Gedanken der beiden Männer, des älteren
und des jungen, sie hinausgetrieben in die winterlichen
Gassen. „Tante“ Elizabeth Swift, ihre Mutter, war zur
Kreisstadt gefahren, wo sie irgendwelche mit ihrem
Hypothekenbesitz zusammenhangenden Geschäfte zu er-
ledigen hatte, und konnte erst am nächsten Tage zurück
sein. Im Wohnzimmer bei einem mächtigen Ofen von
der Art, die man Dauerbrenner nennt, saß die Tochter
und las in einem Buche. Plötzlich sprang sie auf, riß
einen Mantel vom Kleiderständer bei der Haustür und
rannte aus dem Hause.
Sie war dreißig Jahre alt, Kate Swift, und wurde in
Winesburg keineswegs zu den hübschen Mädchen ge-
rechnet. Ihr Gesicht hatte eine ungute Farbe und war
mit Pusteln bedeckt, die auf eine schlechte Gesundheit
deuteten. Aber jetzt, bei Nacht und in den winterlichen
Straßen, sah sie lieblich aus. Ihr Rücken war gerade, ihre
40
Schultern waren ebenmäßig geformt, und ihr Antlitz
schimmerte wie das Angesicht einer kleinen Göttinnen-
statue, wenn das zartgraue Licht eines Sommerabends
die Gärten erfüllt.
Am Nachmittag hatte die Lehrerin die Sprechstunde
Dr. Wellings besucht, um ihn wegen ihrer Gesundheit
zu Rate zu ziehen. Der Doktor hatte sie ausgescholten
und ihr erklärt, sie wäre in Gefahr, ihr Gehör zu ver-
lieren. Es war töricht von Kate Swift gehandelt, bei sol-
chem Sturm auszugehen — töricht und vielleicht gefähr-
lich für sie.
Aber sie dachte auf ihrem Wege durch die Gassen nicht
an die Worte des Arztes und würde auch nicht um-
gekehrt sein, wenn sie daran gedacht hätte. Ihr war sehr
kalt; aber als sie fünf Minuten gegangen war, spürte
sie die Kälte nicht mehr. Zunächst folgte sie ihrer Straße
bis ans Ende, dann überquerte sie eine Heuwage, die vor
einem Kornschober in die Erde hineingelassen war, und
bog in die Trunion Pike ein. Durch die Trunion Pike
gelangte sie an Ned Winters Scheune, wandte sich ost-
wärts und kam durch eine Straße mit niedrigen Fach-
werkhäusern, die über Gospel Hill in die Sucker Road
führte; dann, durch die Sucker Road, ging der Weg
durch ein flaches Tal an Ike Smeads Geflügelfarm vor-
über zum Waterworks Pond. Als Kate Swift hier ent-
lang kam, wollte die unrastige, überreizte Stimmung,
durch die sie aus dem Hause getrieben war, von ihr wei-
chen, aber nur für einen Augenblick; gleich darauf war
sie wieder da.
Es lag etwas verletzend Scharfes, Abweisendes in Kate
41
Swifts Art. Jedermann empfand das. Im Schulzimmer
war sie wortkarg, kalt, streng und ihren Schülern gegen-
über auf eine seltsame Art verschlossen. Zuweilen frei-
lich, in seltenen Augenblicken, war es, als sei ein frem-
des Wesen in ihr eingezogen, und sie war glücklich. Alle
Kinder im Schulzimmer fühlten die Ausstrahlung dieser
glücklichen Stimmung. Da arbeiteten sie dann eine Weile
nicht; sie lehnten sich auf ihren Sitzen zurück und blick-
ten auf ihre Lehrerin. Die Hände auf dem Rücken zu-
sammengelegt, ging Kate Swift dann im Schulzimmer
auf und ab und sprach sehr rasch. Dabei schien es nichts
auszumachen, welcher Gegenstand ihr gerade in den
Sinn kam. Einmal erzählte sie den Kindern von Charles
Lamb und formte merkwürdig wesensvertraute kleine
Geschichten aus dem Leben des toten Schriftstellers.
Diese Anekdoten trug sie vor wie jemand, der mit Char-
les Lamb im gleichen Hause gelebt hatte und alle Ge-
heimnisse seines Privatlebens kannte. Den Kindern ver-
wirrten sich dabei ein wenig die Begriffe; sie meinten,
dieser Charles Lamb müsse wohl dereinst ein Bürger der
Stadt Winesburg gewesen sein.
Ein andermal erzählte ihnen die Lehrerin von Benvenuto
Cellini. Und die Kinder lachten. Was für einen groß-
sprecherischen, prahlerischen, derben, liebenswerten Kerl
machte sie da aus dem alten Künstler! Auch um ihn bil-
dete sie Anekdoten. Eine davon handelte von einem
deutschen Musiklehrer, der in der Stadt Mailand ein
Zimmer über Cellinis Wohnung hatte; darüber gab es
bei den Kindern schallendes Gelächter. Sugars McNutts,
ein fetter Bengel mit roten Backen, lachte so sehr, daß
42
er schwindelig wurde und von der Bank fiel. Und Kate
Swift lachte mit ihm. Dann, plötzlich, wurde sie wieder
kalt und streng.
In dieser Winternacht, da sie durch die einsamen, schnee-
bedeckten Straßen ging, war im Leben der Lehrerin eine
Krisis ausgebrochen. Keinem Menschen in Winesburg
wäre eine solche Vermutung in den Sinn gekommen —
aber darum war es doch so: ihr Leben war sehr aben-
teuerlich gewesen. Und es war noch immer abenteuer-
lich. Tag für Tag, bei der Arbeit im Schulzimmer und
auf dem Wege durch die Gassen, lagen in ihrer Seele
Gram, Hoffnung und Begierde im Streit. Unter der
Maske der Kälte verbarg sie hitzige und höchst un-
gewöhnliche Erlebnisse der Seele. In den Augen der
Leute war sie ein gefestigtes altes Mädchen, und weil sie
eine scharfe Sprache führte und ihren eigenen Weg ging,
so meinte man wohl, sie sei frei von jeder Leidenschaft,
die sonst das Leben der Menschen bewegt und zerstört.
In Wahrheit aber hatte sie die wildeste und leidenschaft-
lichste Seele unter allen diesen Leuten; und mehr als
einmal in den fünf Jahren, seit sie von ihren Reisen
zurückgekehrt war, um sich in Winesburg niederzulassen
und Lehrerin zu werden, war sie aus dem Hause ge-
laufen und die halbe Nacht im harten Kampf mit irgend-
einer aufsässigen Wallung umhergerannt. Einmal, in
einer Regennacht, war sie sechs Stunden ausgeblieben,
und als sie heimkam, gab es Streit mit Tante Elizabeth
Swift. „Ich bin froh, daß du kein Mann bist“, sagte die
Mutter scharf. „Mehr als einmal hab ich dasitzen und
auf deinen Vater warten müssen und hab nicht gewußt,
43
in was fiir einen Dreck er wieder mal geraten war. Ich
hab mein Teil an Sorge zu schlucken bekommen. Du
kannst mirs nicht übelnehmen, wenn ich keine Lust
hab, seine schlechten Eigenschaften in dir wiedergegeben
zu sehen.“
Kate Swifts leidenschaftliches Grübeln war George Wil-
lard zugewandt. In irgendeinem Aufsatz, den er als
Schuljunge geschrieben hatte, glaubte sie den Funken
des Genies entdeckt zu haben, und sie wollte den Funken
zur Flamme entfachen. Eines Sommertags war sie in die
Redaktion des „Eagle“ gegangen und hatte den Jungen,
den sie gerade unbeschäftigt fand, mit sich durch die
Main Street zum „Schönen Grund“ genommen; da saßen
sie dann auf einer Rasenbank und sprachen. Die Lehre-
rin wollte dem Jungen die Schwierigkeiten zum Bewußt-
sein bringen, die in seinem Beruf als Schriftsteller auf
ihn warteten. „Du mußt das Leben kennen lernen, du
mußt‘, sagte sie, und ihre Stimme bebte vor Bewegung.
Sie legte ihre Hände auf Georges Willards Schultern
und drehte ihn zu sich her, so daß sie ihm in die Augen
blicken konnte. Ein Vorübergehender hätte meinen mö-
gen, sie wolle George Willard umarmen. „Wenn du
Schriftsteller werden willst, mußt du aufhören, mit
Worten zu tändeln“, sagte sie eindringlich. ‚Es wäre
besser für dich, du gäbest das Schreiben auf, bis du
besser dafür gerüstet bist. Jetzt ist für dich die Zeit des
Erlebens. Ich will dich nicht abschrecken — aber
ich möchte dich lehren, die ganze Bedeutung dessen zu
erfassen, was du auf dich nehmen willst. Du sollst
nicht ein niedriger Trédler werden, der mit Worten
44
handelt. Man muß lernen, zu erfassen, was die Leute
denken, nicht was sie reden; darauf kommt es an.“
An dem Abend, der dieser stürmischen Donnerstagnacht
voranging, saß der Reverend Curtis Hartman im Glok-
kenturm seiner Kirche und wartete auf den Augenblick,
da er Kate Swifts Leib erblicken würde. Zur selben
Zeit war der kleine Willard zu ihr gegangen, um sich
ein Buch zu borgen. Da geschah ihm das Erlebnis, das
seinen Sinn verwirrte und aufstörte. Er stand mit dem
Buche unter dem Arm und wollte sich verabschieden.
Und wieder sprach Kate Swift mit großem Nachdruck
auf ihn ein. Die Nacht brach herein, und im Zimmer
war ein trübes Licht. Als er sich zum Gehen wandte,
sprach sie sanft seinen Namen und ergriff mit einer
triebhaften Bewegung seine Hand. Er reifte in jenen
Tagen rasch zum Manne, und der Gedanke an seine Be-
stimmung als Mann, der Reiz seines dennoch ganz
knabenhaften Wesens überwältigte das Herz der ein-
samen Frau. Ein leidenschaftliches Verlangen erfüllte
sie, ihm das Verständnis für den Sinn des Lebens zu er-
schließen, ihn eine wahrhafte und rechtschaffene Deu-
tung des Lebens zu lehren. Sie neigte sich ihm zu, und
ihre Lippen streiften seine Wange. In diesem Augen-
blick wurde er zum erstenmal gewahr, daß ihr Gesicht
auf eine ungewöhnliche Art schön war. Sie waren beide
verlegen, und um sich von der Verwirrung zu befreien,
zwang sie sich zu einem herben und herrischen Ton.
„Wozu rede ich? Es wird noch zehn Jahre dauern,
bis du zu verstehen anfängst, was ich meine“, rief sie
heftig. j
45
In der Sturmnacht, indessen der Reverend wartend
in der Kirche saß, ging Kate Swift zur Redaktion
des „Winesburg Eagle“, um abermals ein Gespräch mit
George Willard zu suchen. Nach dem langen Wege
durch den Schnee fühlte sie sich kalt, einsam und müde.
Als sie durch die Main Street kam und den Lichtschein
aus dem Druckereifenster auf den Schnee fallen sah, gab
sie einem jähen Antrieb nach, öffnete die Tür und trat
ein. Eine Stunde lang saß sie in der Redaktion beim
Ofen und sprach vom Leben. Sie sprach mit leiden-
schaftlichem Ernst. Die gleiche Wallung, die sie aus
dem Hause in den Schnee hinausgetrieben hatte, trieb
sie nun zum Sprechen. Sie redete unter dem Zwang
einer Eingebung, wie sie es zuweilen in der Schule vor
den Kindern tat. Ein übermächtiges Verlangen ergriff
Besitz von ihr, diesem Jungen, der einst ihr Schüler ge-
wesen war, und in dem sie die Kraft zum Erfassen und
Begreifen des Daseins zu spüren meinte, die Tore des
Lebens aufzustoßen. So stark war das Verlangen, daß
sie es wie etwas Körperliches fühlte. Wieder legte sie
die Hände auf seine Schultern und wandte ihn zu sich
her. Ihre Augen glommen im ungewissen Licht. Sie
stand auf und lachte, aber nicht herb wie sonst, sondern
seltsam unfrei. „Ich muß gehen‘, sagte sie. „Wenn
ich hier noch länger stehe, bekomme ich sonst Lust, dich
zu küssen.“
Es gab ein Schweigen der Verwirrung. Kate Swift
wandte sich ab und ging zur Tür. Sie war Lehrerin, ge-
wif, aber sie war auch Weib. Wenn sie George Willard
anblickte, ergriff das wilde Verlangen nach Mannes-
46
liebe, das schon tausendmal zuvor wie ein rüttelnder
Sturm ihren Leib erbeben machte, Besitz von ihr. Und
in diesem matten Lampenlicht erschien ihr George Wil-
lard nicht mehr wie ein Knabe; er schien ein Mann,
reif, die Bestimmung des Mannes zu erfüllen.
Die Lehrerin litt es, daß George Willard sie in seine
Arme nahm, Die Luft in dem warmen kleinen Raum
schien ihr mit einem Male drückend schwer, und aus
ihren Gliedern wich die Kraft. Sie stand gegen einen
niedrigen Zahltisch bei der Tür gelehnt und wartete.
Als er zu ihr trat und eine Hand auf ihre Schulter
legte, wandte sie sich ihm zu und ließ ihren Körper
schwer gegen den seinen fallen. Nun wuchs George
Willards Verwirrung. Einen Augenblick hielt er den
Leib des Mädchens fest an den seinen gepreßt und
stemmte ihn dann plötzlich steif von sich weg. Zwei
hitzig zuschlagende kleine Fäuste fuhren ihm ins Ge-
sicht. Dann rannte die Lehrerin hinaus und ließ ihn
allein. Er ging heftig im Zimmer auf und ab und
fluchte in heller Wut.
So traf ihn der Reverend Curtis Hartman, der sich zur
Tür hereinbewegte. George Willard hatte bei seinem
Erscheinen den Eindruck, die ganze Stadt müsse irr-
sinnig geworden sein. Der Pfarrer streckte eine blu-
tige Faust in die Luft, schüttelte sie und verkündete: Das
Weib, das George eben in seinen Armen gehalten hatte,
sei ein Werkzeug Gottes und trage eine Heilsbotschaft
in sich.
47
George blies die Lampe am Fenster aus, schloß die Tür
der Druckerei hinter sich ab und ging heim. Er schritt
durch die Office des Hotels, wo Hop Higgins seinem
Traum von der Frettchenzucht hingegeben war, und
kam in sein Zimmer. Das Feuer im Ofen war erloschen,
und er entkleidete sich in der Kälte. Als er sich ins
Bett legte, umfingen ihn die Laken eisig wie Schichten
von trockenem Schnee.
George Willard wälzte sich ruhelos im Bett herum, dem-
selben Bett, in dem er am Nachmittag das Kopfkissen
umschlungen und an Kate Swift gedacht hatte. Ihm
klangen noch immer die Worte des Geistlichen in den
Ohren, von dem er meinte, der Mann sei plötzlich ver-
rückt geworden. Mit weitoffenen Augen starrte er ins
Dunkel. Die begreifliche Empörung des gekränkten
Mannesempfindens wich von ihm, und er versuchte, das
Geschehene zu verstehen. Aber er konnte den Schlüssel
zu dem Geheimnis nicht finden. Hin und her wandte er
das Erlebnis in seinem Sinn. Stunden vergingen, und
er dachte, der neue Tag müsse bald heraufkommen. Um
vier Uhr zog er sich die Bettdecke bis zum Kinn herauf
und versuchte zu schlafen. Als er schläfrig wurde und
die Augen schloß, hob er eine Hand von der Decke und
tat einen Griff ins Dunkel. „Ich hab was verpaßt. Ich
hab was verpaßt, was Kate Swift mir zu sagen ver-
suchte“, murmelte er mit schwerer Zunge. Dann schlief
er ein, und in ganz Winesburg war er in dieser Winter-
nacht die letzte Seele, die ihre Ruhe fand.
Aus dem amerikanischen Original übertragen von Karl Lerbs
ak
48
In
Engel im Chor des Doms zu K
KLAGE
VON ALBRECHT SCHAEFFER
O wer könnte:
Einmal ruhen die Stirne,
Angeneigt an das Ewige!
Uns ist nur Erde.
Gut ist wohl
Eine Felsenwand,
Eines Baumes Gestalt
Und am Hange das weichere Gras,
Die kühl sind alle und ruhevoll —
Wie nicht des Weibes zu glühende Brust,
Wo Flügeln ähnlich
Es drinnen immer
Von großen Höhen, von großen Tiefen rauscht.
O Unruhe immer,
Überall keine Geduld!
Wie ist das niemals berührte
Sanft, das gewichtlose Morgenrot
Und manches Andre, das fern ist,
Aber — vom Herzen berührt —
Süßer und wahrer,
Als die traumlosen Dinge der Nachbarschaft.
Ein Toter — wer weiß —
Der hat es Alles.
Aufgehoben mag Er sein
In lauter Lächeln.
49
Lächeln sein Mund,
Lächeln sein Schlaf,
Lächeln die Hände, die leeren,
Und eine süße Flocke sein stilles Herz.
Ewiger Himmel! Wann gönnst du
Einmal uns die geduldige Brust,
Uns, von Unwissenheit selig,
Uns nur stille zu halten...
Ein Augenblick, die Stirn an dich gelehnt —
Und ein Verwandelter mischt ich
Gern mich wieder, unüberwindlich,
In Nacht und Abgrund,
Verwirrung der Völker
Und tausend Träume
Der niemals entschlafenden
Kinder des Lichts.
*
SZENE, ALS EINLEITUNG
ZU EINER TOTENFEIER FUR
RAINER MARIA RILKE
VON ALEXANDER LERNET-HOLENIA
Fanfaren. Es tritt ein Herold vor den Vorhang. Er trägt, im Schnitt
eines Meßgewandes, über seinen Kleidern einen ärmellosen Rock, auf
dessen Brust- und Rückenteil je drri übereinander nach (heraldisch) rechts
springende, golden behalsbänderte, silberne Jagdwin.thunde aut schwar-
xem Feld eingestickt sind. Das Fahnentuch der langen Fanfare, auf die
er sich im Reden aufstützt, wiederholt das Blaison.
Herold: Herren und Damen, als unser aufs äußerste
bewegtes Herz uns Schauspielern dringlichst anbefohlen
50
hatte, die Trauer um den großen Dichter, in dessen
Namen Sie hierherberufen sind, nicht länger in uns
selbst zu verheimlichen, sondern feierlich und öffent-
lich zu begehen, blieben wir noch unentschieden, in
welcher Maske denn eigentlich der Akteur, der die all-
gemeine Klage zu sprechen haben würde, vor Ihnen
auftreten sollte, um am bezeichnendsten für die ganze
Art des Toten zu sein. Wir verwarfen, als abge-
braucht, die Gestalt eines Genius, der, eine erloschene
Fackel tragend, weint, wir wollten noch viel weniger
den jungen Dichter, der, indem er Verse auf den uns
Voraufgegangenen vorträgt, in heutiger Zeit peinlich
und exaltiert wirkt und eigentlich nur Verlegenheit
hervorruft. Stellen Sie sich vor: moderne Verse! Das
wäre alles zu spielerisch gewesen, die Gegenwart, die
den Tod zu einer rein körperlichen Katastrophe de-
gradiert hat, besitzt kein eindeutiges Zeremoniell mehr
für die Majestät wirklichen Todes.
Wir betrauern vielmehr Rainer Maria Rilke, (um den
erlauchten Namen hier zum erstenmal zu nennen!), auf
seine eigene Weise und in seinem eigenen großen Stil.
Weil die Zeit keine Form dafür hat, ihn als den, der
er wirklich war, zu bestatten, so gedenken auch wir an
seinem Totenfest seiner nicht eigentlich als eines Heu-
tigen und Gegenwärtigen, sondern eines Letzten von
früher her, wozu uns seine Herkunft die Hand gibt.
Das ist einwandfrei, denn wir verzichten damit, von
dem zu reden, was er als Dichter gewesen ist, uns er-
schüttert vielmehr bloß der Hintritt seiner Person. Für
Rilke selbst ist vielleicht überhaupt keine Art zu finden,
51
ihn zu betrauern, groß, wie er gewesen ist; für den
letzten Rilke, der er ja war, ist die Art der Trauer
überliefert und gegeben, eindeutig und herrschaftlich.
Wir haben sie gewählt. Ich bin bestimmt worden, als
ein Herold aufzutreten und die Figuren und Farben des
Geschlechtes zu tragen, dessen letztes Reis der Dich-
ter gewesen ist.
Aber Sie finden das vielleicht nicht entscheidend und
nicht hierhergehörig, Sie sind erstaunt, daß die Gestalt,
die ich angenommen habe, aus so längst abgelebten Zei-
ten sich heraufwagt, Sie halten diese Heraldik für depla-
ciert. Soll denn wirklich, so fragen Sie sich, bloß deshalb,
weil mein Herr zufällig aus uraltem Hause gewesen ist,
die aus ganz vergessenen Rüstkammern geholte, arro-
gante und irritierende Figur seines Herolds sich vor die
klare Vision seines Geistes stellen dürfen, der Sie alle
doch menschlich ergriffen hat wie kaum je etwas ande-
res zuvor? Drängen sich denn die adeligen Maskeraden
selbst bis in die Totenfeier eines Dichters vor, der so
groß gewesen ist, daß man es darüber füglich vernach-
lässigen dürfte, wer er eigentlich war?
Aber Sie vergessen wohl, daß es ja nicht um den
Dichter selbst ist, daß wir trauern. Wie könnten wir
denn überhaupt einen Ausgang von etwas so Geistigem
beklagen? Sind solche Gedichte nicht unzerstörbar ?
Wir erschrecken nur über das jähe Zerbrechen der
vergänglichen Form, die, auf eine Zeitlang, der vor-
übergehende Aufenthalt so hohen Geistes gewesen
war, und, so angesehen, ist unsere Trauer vielleicht
mehr menschliche Schwäche, ein Nachgeben vor der
52
Einsicht einer lebenslangen Trennung, ein Schmerz bei
einem Abschiednehmen auf lange und längste Zeit. Wir
beklagen das Erlöschen der Person, nicht des Geistes.
Wir geben Erde der Erde zurück, auf irdische Art und
mit dem ganzen armen Stolz, den Vergängliches sich
anmaßt, wir geben dem Toten die irdische Ehre, die
neben seinem geistigen Ruhm die seine war, ererbt wie
er sie hatte. Ihm geben wir sie und seinen Vorfahren,
die bescheiden und sparsam gelebt hatten, damit der
Letzte die ganze angesammelte und unverschwendete
Pracht ihres Geistes entfalten könne. |
Man soll ja die Leute in dem Stil begraben, in dem sie
gelebt haben, oder mindestens hätten leben und sterben
wollen. Und überdies hatte mein Herr ja selbst vom
Tode immer irgendwie herrschaftliche Anschauungen;
jetzt wo der Tod bürgerlich ist und auch der seine
bürgerlich sein mußte, mag er gemeint haben, er hätte
dabei etwas vernachlässigt und versäumt, ähnlich wie
er wohl auch viel von seinem Leben versäumt hat, weil
er schlecht zu den Leuten paßte und sich zurückzog.
Wie merkwürdig aber, daß ich, indem ich von seinem
Ende rede, doch wiederum nur von dem sprechen kann,
das in den Gedichten des Lebenden für alles eher als
bloß für ein Ende gegolten hat: nämlich von seinem
Eigensten, dem Tod. Er war der Dichter des Todes.
Tod war für ihn kein Ausgang, es war ein Zustand
von Dauer, in den Ermüdete und solche, die Wich-
tiges vorhaben, sich zurückziehen, gewissermaßen um
entweder ruhiger oder entscheidender weiterzuleben.
Er hatte so viel vom Tode gedichtet, daß man, als er
53
starb, eher behaupten konnte, er habe den Tod erreicht,
als daß er gestorben sei. Tod war für ihn voll
Existenz. Und wenn sonst irgendwelche Verwandte
und Freunde, denen ein Abgeschiedener unwiederbring-
lich dahin ist, sich fiir ihn sozusagen umsonst um eine
leere Stelle versammeln, an der niemand mehr ist, so
sind wir um den Tod dieses Dichters als um etwas ver-
sammelt, in dem er sich nicht anders aufhält als in
einem unbedingten Leben, das er nun bewohnt und in
dem er existiert. Was gilt hier Unsterblichkeit der
Seele? Hier beweist sich Unsterblichkeit des Geistes.
Der Tod hatte bei meinem Herrn das Übergewicht über
das Leben. Mein Herr liebte es ja auch sonst nicht, sich
auf sich selbst zu berufen, auf das Gegenwärtige und auf
das Lebendige. Er berief sich auf alle Arten von
Dingen, die uns heute fremd und unwahrscheinlich ge-
worden sind, auf die Vergangenheit vor allem, auf
Überlieferung, auf Altvordere. Alles war schon längst
durch den Tod gegangen, auf was er sich berief. Er
hatte Beziehungen zu den Toten. Er war immer
irgendwo her, er hätte es nicht gemocht, wenn ihm
jemand gesagt hätte, er sei aus sich selbst. Es heißt
meinem Herrn vielleicht die letzte Größe absprechen,
wenn man ihm das zugibt. Denn es wird heute be-
hauptet, das Genialische sei zu nichts in Bezug als zum
Lebendigen, und das Lebendige sei einfach gegenwärtig.
Aber mein Herr war nicht einmal zeitlos, er war von
früher her. Wir glauben, daß er zu den Letzten von
denjenigen gehört hat, die früher die Großen der Welt
gewesen sind und die ihre Kraft noch ererbt haben,
54
statt sie einfach zu besitzen wie moderne Leute. Aber
so oder so: wir haben nur von einem Gestorbenen ge-
redet, von einem mit ihm erloschenen Geschlecht, — den
Dichter zu preisen, reichen ja die Worte nicht hin. Es
ist da etwas im Spiel, das weder menschlich schlechthin
ist, noch adelig schlechthin, es ist da etwas von einem
großen Geheimnis.
(Hier unterbricht er sich, denn der Gesang einer jugendlichen Stimme
wird von hinter dem Vorhang gehört.)
Was ist das für ein Gesang?
Singende Stimme:
Kein schönrer Tod ist in der Welt,
als wer vorm Feind erschlagen,
auf grüner Heid, im breiten Feld,
darf nicht hörn groß Wehklagen.
Im engen Bett
nur ein’r allein
muß an den Todesreihen.
Hier findet er
Gesellschaft fein,
fallen wie Kräuter im Maien!
(Indem nähern sich Sporenschritte, marschmäßig, ein Kornett kaiser-
licher Kürassiere, die Standarte im Arm tragend, tritt vor den Vorhang.)
Herold: Ich bin erstaunt. Wer ist der Herr?
Kornett: Ich bin Christoph von Rilke, Kornett im
kaiserlich österreichischen Heysterschen Regiment zu
Roß, Kompagnie des Freiherrn von Pirovano, gefallen
in Ungarn in einem Gefecht wider die Türken vor nun-
mehr zweihundertfünfzig Jahren. Ich war noch sehr
jung, als ich starb. Ich war erst achtzehn Jahre. Aber
ich bin gefallen mit dieser Standarte im Arm.
55
Herold: Achtzehn Jahre! Diese Jugend entschuldigt
des Herrn plötzliches und unvorbereitetes Kommen. Darf
ich fragen, was der Herr will?
Kornett: Ich komme von — drüben. Man hat Nach-
richten, daß unser Name erloschen ist in diesen Tagen.
Man hat genaue Nachrichten. Wir erwarten den letzten
Herrn von Rilke.
Herold: Wer wartet?
Kornett: Wir. Die ganzen Herren meines Namens.
Die Linien von Langenau und Gränitz. Die noch in
Kärnten gestorben sind und die aus Sachsen. Wir war-
ten auf den Letzten. Aber es kommt niemand. Wo ist
er hin, dieser Letzte von uns, der gestorben ist? Wir sind
nicht vollzählig ohne ihn.
Herold: Ist es an dem, junger Herr? Dieser Letzte ist
nicht gekommen? Noch nicht gekommen? Dann wird
es wohl auch nicht mehr sein, daß er kommt. Ich be-
ginne zu ahnen, daß ich mit dem Glauben von meinem
Herrn im Unrecht war. Sag der Herr den anderen
Herren, sie warteten vergebens. Dieser Letzte war ein
Dichter. Er gehört nicht mehr zu ihnen. Er gehört zu
mehr als zu einem einzelnen Geschlecht, das drüben auf
ihn warten mag bis zum Jüngsten Tag, gestützt auf
die Degen. Ist denn der Herr ausgesendet, ihn zu
suchen ?
Kornett: Nein, das nicht, ich bin von selbst gegangen.
Es war unangenehm und traurig, die Wartenden zu
sehen.
Herold: Und war der Herr selbst traurig ?
Kornett: Ja, ich wohl auch.
56
Gipsmaske Amenophis’ IV.
Digitized by Google
Herold: Der Herr ist noch sehr jung, er hat es ja selbst
gesagt, er versteht das vielleicht noch nicht, er hat sich
übereilt. Kehr der Herr zurück, auch ohne den Ge-
suchten, verzichte er darauf, ihn zu sehen. (Zr umfangt, im
Abgehen, die Schulter des Kornetts.. Der, den der Herr sucht,
ist nicht tot, wenn er gleich gestorben ist. Er ist leben-
dig. Er war ein sehr großer Dichter. Er gehört nicht
den Geistern an, sondern dem Geist.
(Sie treten durch den Vorhang zurück. Fanfaren.)
x
VERMÄCHTNIS DER ANTIKE
Rede anläßlich eines Festes von Freunden des humanistischen
Gymnasiums gehalten
VON HUGO VON HOFMANNSTHAL
Die Unruhe ist nach wie vor allgemein, der Zweifel
und die Verworrenheit eher im Wachsen als im Abneh-
men. Die materiellen Auswirkungen der Katastrophe,
durch die wir gegangen sind, bleiben ungeheure; aber
wir gewahren, daß die geistigen noch furchtbarer und
noch folgenreicher sind. Wir versuchen uns zur Klarheit
durchzuringen, zu erkennen, was dahingestürzt und was
noch aufrecht ist; aber der ordnende Sinn in uns selber,
der allein zu solchen Urteilen fähig wäre, ist im tiefsten
beschädigt. Niemand ist geistesmächtig, niemand scharf-
sinnig genug, sich über das zu erheben, was alle und
alles umstrickt. Unsere Befürchtungen, die manchmal
die Betonung des Schreckens annehmen, finden immer-
fort und von allen Seiten her neue Nahrung, unsere
57
Hoffnungen sind unsicher und vag; die stärkste von
ihnen, paradoxerweise, ist die, welche wir gerade aus
der Größe der Bedrohung, aus der umfassenden Gewalt
des Ereignisses ziehen.
Es gibt nichts im geistigen Bereich, das nicht versehrt
wäre. „Der Geist selbst ist verwundet“, sagt ein Fran-
zose. „Unsere Welt ist im Untergehen“, schreibt ein
Deutscher auf sein Buch. „Wir sind allein“, ruft ein
Spanier aus. „Der Europäer von heute steht allein ohne
lebende Tote an seiner Seite.“ In der Tat, das was fünf-
zehn Jahre hinter uns liegt, ist so fern von uns, so un-
erreichbar wie Sesostris und Nimrod. Wir sind ganz
allein.
Die Geschichte, wenn wir uns an sie wenden, ist kalt
und vieldeutig in ihren Antworten wie ein Orakel. Schla-
gen wir heute ihre Blätter auf, so scheinen uns die Jahr-
hunderte bis zurück an den Ausgang des Mittelalters
von nichts zu sprechen als von dem Kommen des Kata-
klysmas, das uns heute unter Trümmern erschlägt. Was
immer sich im Geistesleben vollzogen hat, von jener
Anfangstat des 16. Jahrhunderts an, jener Setzung des
Ethos über den Logos, die wir den Protestantismus nen-
nen — mit dem wissenden Auge, das der heutige Tag
uns gibt, sehen wir in der Kette der Geschehnisse nichts
als die Vorbereitung dessen, was heute Wirklichkeit wird.
Der rückwärts gewandte Prophet heftet den gleichen
eisigen, undurchdringlichen Blick auf uns wie die Gegen-
wart selber. Und in dieser Welt rüsten Sie sich, ein Fest
des Geistes zu feiern, und der Gegenstand Ihres Festes
ist das Bekenntnis zur Überlieferung kat’exochen, zur
58
geistigen Ordnung kat’exochen, zum ewigen Band aller
geistigen Ordnungen. Sie haben das unverwelklicheWort
Humanismus auf Ihrem Banner, während rings in Eu-
ropa und in jenem hybriden Neu-Europa jenseits des
Ozeans der vollständigste, tiefstgreifende Prozeß der
Deshumanisation, der je geträumt werden konnte, im
Gange ist.
Zwischen der Zeit, in der wir jung waren, und heute
liegt ein Abgrund, und einer, dessen Ränder nicht ein-
mal fest sind, sondern der stündlich weiter um sich frißt.
Das Begrenzte, auf dem allein wir geistig zu fußen ver-
mögen, ist im Begriff, sich zu verflüchtigen wie Rauch;
das Unmeßbare, die indefinite formlose Materie unse-
rer Welterfahrung, überflutet den Bezirk unseres Da-
seins. Das, was sich vollzieht, ist schreckensvoll und
kaum mehr deutbar. Es gibt diesem Ungeheuren gegen-
über die Haltungen einzelner: Gebärden der Abwehr,
des Stoizismus und der Verzweiflung, aber die Grund-
gebärde des Europäers ist nicht mehr wahrnehmbar, und
auch jenen einzelnen Gebärden fehlt es an Kraft und
Größe. Da und dort flammt ein jäher Orientalismus auf
— auch Rußland ist Orient! —, aber ohne fortreißende
Kräfte; und an denen, die ihm huldigen, wird nichts so
deutlich wie der Wunsch, allen Ballast abzuwerfen, und
wäre es das eigene denkende Selbst. Achtet man dieser
einen Fluchtgebärde nicht, so geht alles darauf aus, sich
der „Wirklichkeit“ zu unterwerfen. Diese aber wech-
selt dämonisch ihre Mienen: denn Wirklichkeit ist gei-
stige Schöpfung, und jene wechselnden Mienen sind
nichts als der Reflex des inneren Seelenschwindels einer
59
Menschheit, die zur Schöpfung nicht mehr die Seelen-
kräfte in sich trägt.
Wir leben in einem kritischen Weltmoment, der zu
Festen kaum Raum gibt. Aus Kriegen der Völker und
Konflikten der Klassen sind neuartige Religionskriege
geworden, Geisteskriege, um so mörderischer, als sie in
der Halbnacht wechselseitigen Nichterkennens geführt
werden; Sekte ringt mit Sekte, und niemand will es
wahr haben, in welch unheimlicher Weise über Nacht
von unsichtbaren Händen die furchtbaren Gewichte des
leiblichen und des geistigen Behauptungswillens der
Massen lautlos vertauscht werden: bald verkleidet sich
Ökonomie als Geist, bald Geist als Ökonomie. In der
verworrensten der Welten treten Sie zusammen und wol-
len das Fest der Unverworrenheit feiern, der höchsten
Offenbarung geistiger Klarheit, die je da war.
Aber Sie dürfen es, und dürften es, wären die Gemüter
noch gespannter und die Verzagtheit (welche zuweilen
die Maske des Zynismus vornimmt) noch größer. Denn
der Gegenstand Ihres Festes ist über dem allen, und
Ihre Feier zieht eben aus der Dunkelheit, die uns um-
gibt, jenen einen zwischen nachtschwarzen Wolken
durchbrechenden Lichtstrahl, der sie adelt. Sie stehen
hier nicht als die Hüter eines Vorrates von Kenntnis-
sen oder Sinnbildern; es ist kein System unter Systemen,
als dessen Parteigänger Sie sich vereinigen; es ist keine
bestimmte schulmäßige Geisteshaltung — oder ist es eine
solche, dann im höchsten Sinne, und in der Region
solcher Synthesen, die der gemeinen Kritik entzogen
sind.
60
Das, wofiir Sie einstehen, ist der Geist der Antike,
ein so großes numen, daß kein einzelner Tempel, ob-
wohl viele ihm geweiht sind, es faßt.
Es ist unser Denken selber; es ist das, was den europä-
ischen Intellekt geformt hat.
Es ist die eine Grundfeste der Kirche und aus dem zur
Weltreligion gewordenen Christentum nicht auszuschei-
den; ohne Platon und Aristoteles nicht Augustin noch
Thomas.
Es ist die Sprache der Politik, ihr geistiges Element,
vermöge dessen ihre wechselnden und ewig wiederkeh-
renden Formen in unser geistiges Leben eingehen kön-
nen.
Es ist der Mythos unseres europäischen Daseins, die
Kreation unserer geistigen Welt (ohne welche die reli-
giöse nicht sein kann), die Setzung von Kosmos gegen
Chaos, und er umschließt den Helden und das Opfer,
die Ordnung und die Verwandlung, das Maß und die
Weihe.
Es ist kein angehäufter Vorrat, der veralten könnte, son-
dern eine mit Leben trächtige Geisterwelt in uns selber:
unser wahrer innerer Orient, offenes unverwesliches Ge-
heimnis.
Es ist ein herrliches Ganzes; tragender Strom zugleich
und jungfräulicher Quell, der immer rein hervorbricht.
Nichts in seinem Bereich ist so alt, daß es nicht morgen
als ein Neues, strahlend vor Jugend, hervortreten könnte.
Homer glänzt in alter Herrlichkeit alterslos wie das
Meer, aber seinen Helden Achilleus hat Hölderlins See-
lenblick getroffen, und er steht in neuem, ungeahntem
61
Licht. Heraklit, für ein Jahrtausend nichts als ein Name,
ist an den Tag getreten, und seine dunkle Lehre ist
heute wieder seelenbildende Gewalt. Die dunkeln älte-
sten Mythen, eingemauert in die Grundfeste des Werkes
der Tragiker, haben in dem wunderbaren Schweizer,
dem lange verkannten, ihren Deuter gefunden; noch ein-
mal bereitet sich in seinen Werken, wie einst im antiken
Lebensbereich, das Ganze dieser Geisteswelt, vom or-
phischen Spruch bis zur mythischen Anekdote, die ein
byzantinischer Spätling überliefert.
In der mittelsten Region aber der Naturwissenschaften,
dort, wo der Begriff der „Wirkung“ den Begriff der
„Energie“ heute ablöst, wo von den Begriffen Raum,
Zeit und Schwere her jenes Geheimnis, das wir zu-
letzt mit dem Wort Materie bedeckten, einer neuen Ent-
hüllung entgegenharrt, dort, wo das nüchtern-großartige
Wort laut wird: Was ich messen kann, das existiert —
dort erhebt sich aus den brauenden Nebeln der Theo-
reme, wie das Licht des uralten, ewig jungen Tages,
die Vision Platons von einer Zahlentheorie der Natur
und mit ihr die Weisheit des Pythagoras.
ak
EIN TAGIN LIER
VON FELIX TIMMERMANS
Das erste, was aus der schwarzen Nacht aufleuchtet in
den neuen Tag, ist der kupferne Bauch des Hahnes auf
dem Turm. Dann tritt der Küster Landieke aus seinem
62
Häuschen, das im Wasser steht, und seufzt: „Aber uns
gehts schlecht!“ Vor dem Kirchenportal warten schon
die eifrigsten Betschwestern in schwarzen Kapuzenmän-
teln, wie Spukgeister. Er läutet eine magere Glocke, und
Pfarrer Rits, die Hände reibend wie alle Pfarrer, eilt in
der mausgrauen Dämmerung auf diese Glocke zu; ein
Chorknabe macht dasselbe, aber mit den Händen in den
Taschen und aus Angst ein Liedchen pfeifend.
Das Osterlicht wird langsam größer, es fließt über die
lustige Kappe des Turmes und bückt sich zu den Schall-
löchern hinunter; die höchsten Seitentürme baden sich
im Ostergold, und eine Bundeslade funkelt unter der
Perlmutterschale des Himmels. Der Nachtwächter Suske
Niks kehrt fröstelnd heim mit seiner langen Lanze.
Er hat wieder keine Diebe zu Gesicht bekommen, und
gähnend sagt er: „Ich hätte mich ebensogut zu meiner
Frau legen und schnarchen können.“
Die Häuser und die Straßen schlafen noch, kahl und still
wie leere Schachteln ohne Deckel. Aber der reiche De
Pijpelaere ist schon aufgestanden. Er schreitet im Hemd,
einen Rosenkranz in der Hand, mit nackten Füßen
durch das tauige Gras seines Gartens. In der heißen
Jahreszeit, wenn kein Tau vorhanden ist, macht er sich
welchen mit der Gießkanne.
Alle Wetterfahnen und die höchsten Spitzen der mit
Stufen und Schnörkeln verzierten Giebelhäuser glänzen
in der Sonne. Draußen im Felde, wo der Nebel wie ein
Schleier über die silberne Nethe hängt, geht ein Duft
von frischen Blumen. Speckzehe zieht sein Netz mit
zappelnden Fischen in die Höhe, und Bauern, die auf
63
den Ackern arbeiten, sind wie Schattenbilder im Nebel-
dunst. In den ärmlichen Gassen öffnen sich die Türen, `
und Arbeiter mit Blechkrügen gehen Tabak kauend zum
Zuge. Die Lumpensammler in ihren Hundewägelchen
streben eilig, wie im Wettkampf, zu den Toren hinaus;
sie stehen fluchend und peitschend aufrecht in den klei-
nen Wagen, wie in einem römischen Zirkus. Die Wind-
mühlen auf dem Wall drehen sich schon, denn es gibt
viel Korn dieses Jahr, und die ersten Kneipen öffnen
sich am Viehmarkt, wo in aller Frühe die nüchternen,
schleimigen Kälber verhandelt werden. Die Saufbrüder
der Stadt werden vor Durst eine ganze Stunde früher
wach als sonst und holen sich dort ihren halben Liter.
Ambiorix, der Bäcker, hat das nicht nötig; der Wirt von
nebenan reicht ihm sein tägliches Maß über die kleine
Mauer.
Ruckweise wacht nun die Stadt allmählich auf, aber der
größte Ruck ist der erste Kleinbahnzug, der mit viel
Rauch und Lärm, aber leer, die Straßen der Stadt ver-
gewaltigt. Das ist die Stunde, in der die Holzschuhe
nach den Werkstätten klappern, in der die Lehrer
und die Dienstmädchen aufwachen und dann eine
Viertelstunde später die Schulkinder. Die Fensterläden
öffnen sich, Glocken läuten von allen Kapellen, und ein
froher Eifer kommt über die ganze Stadt; die Pumpen
sind in voller Tätigkeit für den Morgenkaffee, es ist die
Zeit der Radieschen mit Quark. Kupferne Kessel glit-
zern auf den Marktplätzen. Die Hunde der Milchbauern
bellen, Kohlenwagen dröhnen und klingeln; man hau-
siert mit weißem Sand, Gemüse und warmen Semmeln;
64
Kinder schreien, und Bureaubeamte gehen mit einer Zei-
tung in der Hand zum Bahnhof oder putzen sich unter-
wegs die Nagel.
Die Sonne liegt nun auf allen Dachern und lugt in alle
Fenster, und der Turm schüttelt seine vielen kleinen
Glocken zur allgemeinen Freude. Dann möchte es plötz-
lich stiller werden, aber es glückt nicht ganz, denn heute
mittag muß gegessen werden, Suppe und Fleisch. Die
Gewürzkrämer und Fleischer hacken und wiegen, und
man erzählt sich vieles über Leute, die nicht dabei sind.
Die langen Bierwagen holpern durch die Straßen und
rollen Fässer in die Wirtshäuser. Ein Horn tutet, die
Brücke dreht sich, und ein Muschelschiff treibt herein
mit seinen rostbraunen Segeln, feierlich an den weißen
Häusern entlang. Schwarze Kutschen fahren hin und
her. Es gibt einen Toten; man hört an der schweren
Stimme des Turmes, daß es ein feierliches Begräbnis ist.
Gestern hat der hagere Leichenbitter Staf die Nachricht
in die offenen Türen oder durch den Briefkastenschlitz
gerufen und die Briefe ausgetragen. Der Tote ist oder
vielmehr war ein Verwandter von De Pijpelaere; alle
reichen Leute sind irgendwie mit De Pijpelaere ver-
wandt. An den Straßenecken stellen sich die Leute auf,
um den Leichenzug zu sehen. Sie erzählen sich noch ein-
mal die Geschichte des Toten. Und das Ende jeder Be-
trachtung lautet: „Wir wollen das Leben nur genießen,
denn mit einem Menschen ist es bald vorbei.“ Die Frauen
kaufen deshalb ein Viertel Wurst mehr, und die Män-
ner trinken ein Doppelmaß. Kurz darauf heiraten auf
dem Rathaus, fast unbemerkt, denn es werden keine
65
Teppiche auf die Stufen gelegt, Jef Paljas und Pauline
Seufzer. Er ist ein alter Schuster und sie eine Witwe, die
mit Muscheln hausiert. Er trägt sämtliche Ehrenzeichen
auf der Brust: ehemaliger Tambour beim Militär, ein
durchgegangenes Pferd aufgehalten und im Kriege von
70 aus der Ferne zugeguckt. Sie sind zusammen über
die Vordertreppe aufs Rathaus gekommen und verlassen
es über die kleine Hintertreppe, die sozusagen unmittel-
bar zu ‚Unserer Lieben Frau‘ hineinführt. Dort wird
die erste Rührung mit ein paar Schnäpsen weggespült;
dann gehen sie zu Fuß in die Kirche, und wenn sie dort
fertig sind, in den ‚Bienenkorb‘ hinein. Hier wartet
schon der unvermeidliche Harmonikaspieler, und nach-
dem sie mit etlichen Schnäpsen die Stimmung gehoben
haben, ziehen sie, gefolgt von einem Haufen von Ver-
wandten, hinter diesem Musikanten her von Kneipe zu
Kneipe, um dann bei Pauline, wo seine Möbel schon
untergebracht sind und er nun einziehen wird, einen
starken Kaffee mit Schinkenbrötchen und Korinthen-
kuchen zu schmausen.
In Lier ist die Luft gesund, von Königen gepriesen, und
so kommt es, daß der Magen keine Ruhe gibt. Um halb
elf nehmen die Leute etwas zu sich: ein Butterbrot mit
etwas dazu. Ein baumlanger Holländer, noch in Pluder-
hosen, verkauft Pökelheringe, worauf die Leute hier ver-
sessen sind, und der singende Mann hat bald seine sauber
gemalten Fässer leer. Die Schulen sind nun aus, es
herrscht ein ausgelassener Kinderlärm, die Suppen duf-
ten verlockend, und in den Wirtshäusern wird schnell
noch ein Maß Bier getrunken, um gut essen zu können.
66
Dann hängt um alle Giebel, eine kleine halbe Stunde
lang, die Ruhe wie ein weißes Gewand, bis die Kartof-
feln verzehrt sind; aber nun werden die Taubenschlage
geöffnet und kreisende Tauben feiern ein Fest in der
Luft.
Sind dann später die Holzschuhe wieder in den Werk-
stätten und die Kinder in der Schule, dann legt sich
plötzlich, mit dem letzten Glockenschlag von zwei Uhr,
eine wunderbare, ungekannte, friedliche Stille über die
Stadt. Es ist die goldene Stunde, der weiße Kloster-
friede, der dann in den Straßen herrscht. Alles ist drin-
nen, man hört das Gras wachsen zwischen den Pflaster-
steinen und das Wasser fließen unter den Brücken. Über-
all Stille und Sonne; weiße Wolken wandern vorsichtig
durch das sonntägliche Blau. Wie ein guter Anisgeruch
rührt der Liersche Geschmack an unser Herz. Etwas
Schönes und Teures, das man längst der Vergangenheit
angehörig glaubte, steht hier noch rein, sich spiegelnd im
Wasser, etwas außerhalb der Zeit, unberührt und ohne
ein Echo aufzufangen von der Welt, ein faltenloser
Teich. Die Häuser auf dem Großen Markt lassen ihr
Gold glitzern, und auf dem ganzen offenen Platz ist nur
ein T'aubenpaar, das vornehm in der Sonne spazieren
geht. Der dicke Verbil guckt seufzend um die Ecke der
Fleischhalle, ob er nicht den erwischen kann, der. die
Arbeit erfunden hat, aber er sieht niemand und kehrt
seufzend zu seinem Schusterschemel zurück. In der
‚Eiche‘, wo früher die Kammer der Rhetoren ihre lite-
rarischen Sitzungen abhielt, sitzt die Wirtin Strümpfe
stopfend am offenen Fenster, und im gotischen ‚Kaiser-
67
hof‘ schläft der Wirt hinter seiner Zeitung. Betschwe-
stern spähen hinter dichten Gardinen nach Menschen
aus, wie Katzen nach Mäusen. Aber es ist nichts zu
sehen als ein Hund, der an der Ecke ein Bein hebt. Durch
die Stille kommt plötzlich die Kleinbahn pomphaft her-
angefahren, hält am Markt, niemand steigt aus, nie-
mand steigt ein, und dann fährt sie weiter, prahlend mit
dicken Rauchfahnen und Horngetute.
Inzwischen sitzen die Faulenzer auf der hohen Brücke
und essen frische Muscheln. Sie haben sich in einem
Kreis um die Schüssel niedergelassen, einer macht sie
auf, und der Reihe nach dürfen sie eine verzehren. Es
geht schweigend und schmatzend vor sich, so daß man
selber Appetit auf Muscheln bekommen könnte.
Ein zweites Schiff ist auf der Werft angekommen;
Männer tragen, tanzend über die schaukelnde Lade-
planke, rote Backsteine aus dem Rumpf des Schiffes an
Land.
Auf dem einsamen, schattigen Beginenwall, wo man
hinter ausgedehnten Feldern, jenseits der Nethe, den
Turm von Mecheln sehen kann, geht eine alte Begine
spazieren und hört, wie im stillen Beginenhof eine andere
Begine die Orgel spielt. Und dort auf dem Wall ist es,
daß Herr Luppekens und Herr Bollekensberg einander
begegnen. Welch ein Glück! Sie sprechen doch so gerne
Französisch. „Ah! Tag! Bonjour Monsieur Luppekens,
o vous avez un beau baton!“ „Oui!“ sagt stolz Herr
Luppekens, ,,c’est un mispelier. Mais vous avez aussi un
beau baton.“ „Oui,“ prunkt nun der andere, „c’est un
beau baton, et cest un apfelier.““
68
Die Wassermiihle schnarcht in der Stille, aber das zahlt
nicht mit, da es sich nie ändert. An einem stillen Wasser
sitzt ein stiller Fischer, und gegenüber in der Schule,
deren Mauern im Wasser stehen, buchstabieren die Kin-
der in leierigem Ton. Und über eine steinerne Brücke
geht, im Wasser sich spiegelnd, Madam Potjeer, mit
aufgespanntem Regenschirm und dem Affenpinscher an
der Leine. Diese Madam ist es, auch wieder eine Ver-
wandte von De Pijpelaere, die die Kinder nachmachen,
wenn sie ‚reiche Madam‘ spielen. Plötzlich bricht durch
die Stille ein heftiges, lautes Gerassel! Diesmal ist es
nicht die Kleinbahn. Es ist eine lange Reihe von Wagen,
die Männer von Heyst-op-den-Berg, die vom Frühmarkt
aus Antwerpen zurückkehren. Sämtliche Fuhrleute schla-
fen ganz beruhigt, denn die Pferde wissen den Weg und
werden niemanden überfahren, es ist ja niemand da
außer Madam Potjeer, die sich zurückzieht in eine kleine
Kirche, wo Kerzen brennen. Dann fällt die Stille wieder
seufzend über die Stadt, und eine kleine Hammersym-
phonie klingt durch die sonnigen Straßen: ein Schmiede-
hammer aus einer schwarzen Höhle, wo eine rote Flamme
faucht, der summende Hammer eines Steinhauers, kurz
und eigensinnig der Hammer eines Schusters und der
helltsnende Hammer eines Kupferschmiedes.
Mit dieser Musik vermischt sich das Glockenspiel des
Turmes: „Und auf dem Großen Markt verkauft ein
Bauer Rüben ...‘“ Pappeln zittern über alten Kloster-
mauern, hinter denen Mönche im sonnigen Garten das
Brevier beten. Der starke Geruch der Brauereien dampft
warm aus engen Gassen und kündigt wieder frisches
69
Bier an. Ein Wagen mit Speise-Eis, mit Schnitzwerk ver-
sehen wie eine Orgel, in winterlichen Farben gemalt und
sogar mit Spiegeln ausgestattet, verkauft süße Magen-
kühle. Zwischen zwei Heftfäden kommt der Schneider-
Barbier Opdewip eine Waffel ablecken und nimmt noch
eine zweite mit. Der Eismann schiebt seinen Wagen in
die engen Gassen des Arbeiterviertels. Während die an-
deren Straßen still und verlassen daliegen, wimmelt es
hier von Menschen. Die Frauen klöppeln vor der Tir;
vor jedem Hause stehen Kissen, die ganze Straße ent-
lang, und schleppende Lieder begleiten das träge Wach-
sen der Spitzenblumen. Zwischen lauter Lumpen, im
Geruch von Heringen und Zwiebeln, entfalten sich die
weißen Spitzenherrlichkeiten, voll von wunderbaren Blu-
men, Ranken und Schnörkeln, wie Märchen von Schnee,
die später von Prinzessinnen und Königinnen bewundert
und getragen werden. In einer Gasse herrscht Streit.
Eine Spitzenklöpplerin wütet mit schäumendem Munde
gegen einen Kaninchenfellhändler. Er sagt fortwährend
einfach und trocken: „Fein Theres, blöde Gans; fein
Theres, blöde Gans.“ Die Zuschauer biegen sich vor
Lachen, und die Frau platzt bald vor Wut. Ei! die vielen
Leute dort, und der Eiswagen rollt lockend darauf zu.
Acht Soldaten schieben einen leeren Wagen zur rosig
gekalkten Kaserne hin. Man muß unwillkürlich an das
Gebet denken: ‚Abends wenn wir schlafen gehn.‘ Aber
hier sind es zwei die schieben, zwei die ziehen, zwei die
gähnen, zwei die sich recken. Und so ist es allmählich
vier Uhr geworden und Zeit für die dicken Butterbrote
und den Kaffee, der bereits seinen Duft in Wolken aus
19
den Türen treibt. Das Städtchen reibt sich den Mittag-
schlaf aus den Augen. Die Schulen speien lärmende Kin-
der aus, es gibt ein Rennen und Rufen, und Leute gehen
spazieren auf dem Wall. Züge fahren ein, die Lumpen-
Sammler kehren zurück, und während auf Markt und
Wall die Kinder ihre Spiele treiben, sich ein Weilchen
mäßigend, wenn ein Polizist heransilbert, werden die
Vorbereitungen getroffen für das nächste Essen um sie-
ben Uhr. Oh, diese gesunde Luft! Die Wirtinnen wa-
schen ihr Gesicht und binden eine saubere Schürze um,
denn jetzt wird die Bierkundschaft gleich erscheinen.
Mit dem Ave-Läuten und der Dämmerung legt sich eine
wehmütige Stimmung über die alten Giebelhäuser, wäh-
rend die Kirche dort oben über den Dächern noch einmal
triumphiert im letzten Sonnengold und ihre bronzene
Glocke zur Abendandacht ruft. Die Fledermäuse kom-
men zum Vorschein, und die Windmühlen hören auf zu
gehen. Überall setzen sich die Leute vor der Tür auf
Bänke und Stühle; kleine Gruppen wandern über die
Hauptstraße dem gelben Bahnhof oder der kühlen Nethe
zu. Die Lampen werden angezündet, und auch die La-
ternen vor den Heiligen über den Läden und vor den
Madonnen. Dann tritt der heilige Franz, ein Einfalts-
pinsel, seine tägliche Runde an. Vor jedem Madonnen-
bild kniet er nieder und betet für die Sünden der Men-
schen. Inzwischen ziehen sich die Liebespaare auf den
dunklen Wall oder in die einsamen Alleen vor der Stadt
zurück, und die Wirtshäuser werden besucht. Die Wir-
tinnen haben sich nicht umsonst gewaschen. Karten-,
Schach- und Billardspieler, Taubenziichter, Sänger, Po-
7}
litiker, Musik- und Theaterfreunde, Sparvereinsmitglie-
der, Rekordraucher, Angler, Kegelbriider, Zweizentner-
leute und was weiß ich noch, halten Versammlungen
oder Übungen ab. Wenn drei Männer zusammen sind,
wird ein Verein gegründet, und alles muß geschehen, ist
gar nicht anders denkbar als bei einem kräftigen Glas
Malzbier und einer guten Pfeife und mit der Aussicht
auf zwei Festessen. Bei dem guten Bier werden dann
Witze erzählt und gelacht auf Kosten derer, die nicht
dabei sind, und Versammlungen und Übungen werden
auf den nächsten Tag verschoben. Die Männer erzählen
diese Dinge ihren Frauen im Bett, und die erzählen sie
dann am frühen Morgen anderen Frauen in den Läden,
bei der Pumpe oder am Sandkarren.
In den engen Gassen, am Rande der Stadt, sitzen die
Mannsleute unter den Madonnen und dem Kruzifix und
unterhalten sich in saftigen Kraftausdrücken über Tau-
ben, prunken mit ihrer Kraft und ersinnen Späße, um
sich gegenseitig zu foppen. Die Kinder spielen Ringel-
Reihe, Blindekuh und Dritten-Mann-Abschlagen, wäh-
rend die Frauen auf den Türschwellen hocken und über
Wöchnerinnen und verkrachte Ehen klatschen.
Bei diesem guten Wetter ist alles draußen. Die Luft
fließt wie ein Getränk in den Mund, und der Himmel,
der gestern noch verschlossen war, ist weit offen und
zeigt seine tausend Kerzen. Aber ist da nicht irgendwo
Musik ? Hört! Wahrhaftig! Und aus Häusern und Stra-
Ben läuft das Volk den Musikanten entgegen. Auf dem
Fischmarkt sind sie, wo es nur Freitags nach Fisch
riecht. Es sind ein paar junge Leute, die sich zufällig zu-
72
Stammhaus der Familie Rothschildin Frankfurt
a mn am ——
sammengefunden haben: eine Klarinette, eine Trom-
mel, ein Klapphorn und ein Bombardon. Spielend be-
gleiten sie den mit Ehrenzeichen geschmiickten Jef Pal-
jas, der einen leeren Wagen schiebt. „Was gibts?“ fra-
gen die Leute, und die prompte Antwort lautet: ,,Jef
darf nicht bei seiner Frau schlafen, sie will ihre Zimmer-
tür nicht aufmachen, und nun holt er seine Möbel wieder
ab, und ich gehe mit!“ „Ich auch!“ „Ich auch!“ Der Zug
wächst zusehends an unter dem Spielen und Singen eines
lustigen Volksliedes. Das ganze Storchhalsgäßchen steht
auf dem Kopf; man hilft Jef Paljas beim Aufladen sei-
ner Möbel, während die Frau sich, man weiß nicht war-
um, hinter der dichtgeschlossenen Türe auf ihrem Zim-
mer hält. Als alles aufgeladen ist, will er mit seinem
Zeug davonfahren, aber einige Männer ergreifen ihn,
heben ihn ganz oben auf einen kleinen Küchenschrank,
und nun sitzt er dort wie ein Affe mit glitzernden
Ehrenzeichen. Die Musik spielt, die Leute singen und
tanzen hinter dem Wagen her, die Kinder voran, und
so gehts nach der Wohnung von Jef Paljas, der nach-
her ein Faß Bier spendiert in den ‚Drei Maul-
affen‘.
Hinter den zarten Tiirmchen der Kirche erhebt sich der
Mond wie eine geheimnisvolle Blume, und Speckzehe
begibt sich wieder an die Nethe, um zu fischen. Türen
und Fensterläden werden geschlossen, und wenn der
Kleinbahnzug um neun Uhr noch einmal leer durch die
Straßen keucht, dann schläft die Stadt ruckweise wieder
ein. Um zehn Uhr ist alles still und verschlossen. Hier
und da sieht man auf einem herabgelassenen Vorhang
73
den Schattenriß einer Frau, die sich die Haare kämmt,
und in den Wirtshäusern herrscht noch gedämpftes Ru-
moren. Der Mond wirft die Schatten der verschnörkel-
ten Giebel auf die Giebel der gegenüberliegenden Häu-
ser und versilbert den Schaum der immer brausenden
Wassermühle. Der letzte, der die Kneipe verläßt, so
gegen zwölf, ist Gommarus Nollekens, Böttcher, Drechs-
ler und Schnitzer von Spekulatiusformen. Er spricht mit
seiner Kundschaft in Reimen und macht "Theaterstücke
in Versen, wie: ‚Der Fall Babylons‘; jetzt arbeitet er
an einer Geschichte der Stadt in Reimen.
Als er seine Tür geschlossen hat, ist alles zu. Damit ist
der Tag völlig zu Ende. Auf dem singenden, mond-
hellen Turm bläst der Wächter sein eintöniges: ,,Schla-
fet wohl!“ und der Straßennachtwächter Suske Niks
sitzt, seine Lanze im Arm, in einem Bedürfnishäuschen
und schläft. Er wird wieder keine Diebe zu Gesicht be-
kommen.
Aber zur Jahreswende bringt er seinen gedruckten, ge-
reimten Neujahrsbrief, auf dem Jahr für Jahr dasselbe
zu lesen ist, unter anderem:
„Ihr Bürger, fürchtet nicht die Nacht,
Wir naiten euch getreu die Wacht!“
Übertragen von Peter Mertens
74
ZWEI GEDICHTE
VON RICARDA HUCH
Mondnacht
Eine gelbe Eule uralt
Durch den Tannenwald streicht
Lautlosen Flugs bei Nacht,
Auf Beute paßt.
Der Mond ists; klettert von Ast zu Ast,
Behend und leicht,
Kein Zweiglein kracht.
Nun ist sie droben, die Mörderin,
Hält das Mäuslein umkrallt,
Fliegt lautlos über die blauen Wipfel hin.
ak
Wie du von Schénheit schaumst,
Herrlicher Becher Welt!
Noch den Rand, der die Fülle kaum hält,
Golden umsäumst!
Meine Lippen trinken beglückt,
Was der feurige Tag mir mischt;
Wenn die Sonne erlischt |
Von Sternen die Nacht noch durchzückt.
Rausche fort, rausche fort, edle Flut,
Schenk mir voll ein, schaffendes Licht!
Bis der Becher zerbricht,
Und gesättigt die Seele ruht. .
*
75
DIE SEELE UND DER TANZ
VON PAUL VALERY
Sokrates: Hast du nicht den Eindruck, Eryximachos,
und auch du, mein lieber Phaidros, daß das Geschöpf,
das dorten ausschwingt und sich anbetenswürdig in un-
seren Blicken bewegt, daß diese glühende Athikte, die
sich verteilt und wieder zusammennimmt, die sich auf-
hebt und einsinkt in sich selbst, die sich mit solcher Ge-
schwindigkeit öffnet und schließt, und die anderen
Raumbeziehungen anzugehören scheint als den unsrigen,
— den Anschein erweckt, als fühle sie sich wohl und
lebe ganz und gar in einem dem Feuer vergleichbaren
Element —, in einer sehr besonderen Durchdringung
von Bewegung und Musik, darin sie eine unerschöpfliche
Kraft einatmet, während sie selbst mit ihrem ganzen
Wesen den reinen und unmittelbaren Andrang der
äußersten Seligkeit genießt? — Wenn es uns einfiele,
unsere gewichtige und ernsthafte Lage mit dem Zustand
dieses funkelnden Salamanders zu vergleichen, würde
sich dann nicht herausstellen, daß unsere gewöhnlichen
Handlungen, wie sie nach und nach aus unseren Be-
dürfnissen hervorgehen, daß unsere Gebärden und un-
sere gelegentlichen Bewegungen wie ein grober Roh-
stoff seien, wie eine aus Unreinem gemachte Dauer, —
während diese Entzückung und Schwingung des Lebens,
während diese unübertreffliche Spannung, dieses Hin-
gerissensein in die höchste Beweglichkeit, deren man
fähig ist, die Eigenschaften und Kräfte der Flamme be-
sitzt, und daß alles, was Schande ist, Überdruß, Nich-
76
tigkeit, und der ganze einténige Unterhalt des Daseins
sich darin aufzehrt, so daß in unseren Augen der Glanz
des Göttlichen sich spiegelt, das in einer Sterblichen
Platz hat?
Phaidros: Bewunderungswürdiger Sokrates, schnell,
sieh, bis zu welchem Grade du recht hast! ... Sieh die
Bebende! Als ob der Tanz wie eine Flamme aus ihr
schlüge!
Sokrates: O Flamme! ...
— Dieses Mädchen ist vielleicht die Dummheit selbst? ...
O Flamme! ...
— Wer weiß, aus was für abergläubischen Narrheiten
und Possen ihre tägliche Seele besteht’?
O Flamme, immerhin! ... Wacher und göttlicher Ge-
genstand! ...
Aber was ist eine Flamme, o meine Freunde, wenn niċht
der Augenblick selbst? — Das Tolle, das Aus-
gelassene, das Furchtbare, das Augenblicke enthält! ...
Wenn dieser Augenblick zwischen der Erde und dem
Himmel zu handeln beginnt, so ist das Flamme. Alles,
o meine Freunde, was aus dem Zustand der Schwere in
den Zustand der Schwebe übergeht, muß durch diesen
Augenblick aus Feuer und Licht ...
Und Flamme, ist sie nicht auch die unfaßliche und stolze
Gestalt der edelsten Zerstörung? — Das, was nie wie-
der geschehen wird, geschieht prunkvoll vor unseren
Augen! — Das, was nie wieder geschehen wird, muß
notwendig mit dem größten Prunk geschehen, der sich
denken läßt! — Wie die Stimme blindlings singt, wie
die Flamme singt, ganz außer sich zwischen Stoff und
77
Ather, und vom Stoff zum Ather grollend und wiitend
sich hinüberstürzt, — ist der große Tanz, o meine
Freunde, nicht eigentlich die Befreiung unseres Körpers,
der ganz besessen ist vom Geist der Lüge und von der
Musik, die Lüge ist, und der sich trunken fühlt in der
Verneinung der nichtigen Wirklichkeit? — Seht mir
diesen Körper, der aus sich springt wie eine Folge sich
gegenseitig verdrängender Flammen, seht, wie er nieder-
stampft und mit Füßen tritt, was wahr ist! Wie er die
Stelle selbst, auf der er steht, in freudiger Wut vernich-
tet, wie er sich berauscht an der Übertreibung seiner
Verwandlungen! Wie er gegen den Geist kämpft! Seht
ihr nicht, wie er mit der Seele wetteifern will an Schnel-
ligkeit und Wechsel? — Er ist eigentümlich eifersüch-
tig auf diese Freiheit, auf diese Allgegenwärtigkeit, die
der Geist zu besitzen scheint! ...
Ohne Zweifel, der einzige und ständige Gegenstand der
Seele ist das, was es nicht gibt: das, was war, und nicht
mehr ist; — das, was sein wird, und noch nicht ist; —
das Mögliche, das Unmögliche, — das alles ist Sache
der Seele, aber niemals, niemals das, was ist!
Und der Körper, der das ist, was ist, auf einmal kann
er sich nicht mehr halten im Raum! — Wohin sich wer-
fen? — Was werden ? — Dieses eine versucht das Spiel,
alles zu sein. Er will es spielend der Allgegenwärtig-
keit der Seele gleichtun! Er sucht eine Abhilfe gegen
sein Sich-selbst-gleich-sein durch die Zahl seiner Akte!
Das Ding, das er ist, bricht auf in Ereignisse! — Er
gerät außer sich! — Und wie der erregte Gedanke an
alle Dinge rührt, zittert zwischen Zeit und Augenblick
78
und alle Unterschiede überspringt; und wie in unserem
Geist sich symmetrisch die Vermutungen ausbilden, wie
die verschiedenen Grade des Möglichen sich in Reihen
aufstellen und gezählt werden, — so beutet dieser Kör-
per sich aus in allen seinen Teilen, findet neue Zusam-
menstellungen mit sich selbst, gibt sich Gestalt um Ge-
stalt und geht unaufhörlich aus sich hinaus! ... Nun
hat er endlich den Zustand erreicht, da er der Flamme
vergleichbar wird, mitten in einem Wechsel, der ganz
Handlung ist ... Unmöglich, noch von „Bewegung“ zu
sprechen ... Die Glieder sind nicht mehr von den Akten
zu unterscheiden ...
Diese Frau, die da war, ist verschlungen von unzähligen
Gestalten ... Dieser Körper in den Ausbrüchen seiner
Kraft bringt mir einen äußersten Gedanken in Vor-
schlag: ähnlich wie wir von unserer Seele Dinge verlan-
gen, für die sie nicht gemacht ist, wie wir von ihr for-
dern, daß sie uns erleuchte, daß sie wahrsage, daß sie
die Zukunft errate, ja, sie sogar beschwören, Gott zu
entdecken, — so macht dieser Körper da Anspruch auf
eine vollkommene Besitzergreifung seiner selbst, auf
einen Grad von Ruhm, der über das Natürliche hinaus-
geht ... Aber es verhält sich mit ihm wie mit der Seele,
für die Gott, die Weisheit und die Tiefe, die man von
ihr verlangt, nichts als Augenblicke sind und sein kön-
nen, Blitze, Bruchstücke einer fremden Zeit, verzwei-
felte Sprünge aus den Grenzen der Gestalt ...
Phaidros: Sieh doch, sieh! ... Dort tanzt sie und
schenkt den Augen, was du hier zu sagen versuchst ...
Sie macht den Augenblick sichtbar ... Und durch was
79
fir Edelsteine geht sie hindurch! ... Sie wirft ihre Ge-
barden aus wie Glanz um Glanz! ... Sie entwendet
der Natur unmögliche Haltungen vor den eigenen
Augen der Zeit! ... Und die Zeit läßt sich täuschen ...
Ungestraft schreitet sie durch das Undenkbare ... Sie
ist göttlich im Unaufhaltsamen und bringt es unseren
Augen zum Geschenk! ...
Eryximachos: Der Augenblick gebiert die Form, und
die Form macht den Augenblick sichtbar.
Phaidros: Sie flieht von ihrem Schatten in die
Lüfte!
Sokrates: Wir sehen sie immer nur wie im Sturz ...
Eryximachos: Sie hat aus ihrem Körper etwas ge-
macht, was so gelöst ist und so gebunden wie eine ge-
schickte Hand... Meine Hand allein kann dieses Sich-
besitzen und die Festigkeit ihres ganzen Körpers nach-
ahmen...
Sokrates: O meine Freunde, fühlt ihr euch nicht ruck-
weis geschiittelt vom Rausch und wie durch wiederholte,
immer stärkere Stöße den übrigen Genossen ähnlich wer-
den, die es kaum auf ihren Plätzen aushalten und nicht
mehr fähig sind, ihre Dämonen in Stille und Versteck
zu halten? Ich selbst, ich fühle mich von außerordent-
lichen Kräften ergriffen ... oder vielmehr, ich fühle sie
aus mir ausbrechen, aus mir, der ich nicht wußte, daß
ich sie besitze. In einer Welt, die ganz Ton ist, Wider-
hall und Absprung, bietet dieses eindringliche Fest des
Körpers unseren Seelen ein Schauspiel von Licht und
Freude ... Alles ist feierlicher, alles ist leichter, leb-
hafter und stärker; alles ist möglich auf eine andere
80
Weise; alles kann, ohne Ende, wieder anfangen ...
Nichts widersteht dieser Abwechslung des Betonten und
Unbetonten ... Schlagt zu, schlagt zu! ... Der Stoff,
geklopft, geschlagen, gestoßen im Takt; Schlag um
Schlag wider die Erde; die Felle und die Saiten wohl-
gespannt und geschlagen; Handflächen und Fersen
schlagen und klopfen die Zeit, schmieden Freude und
Übermut; und alle Dinge herrschen in einem schön-
geordneten Wahnsinn.
Aber die wachsende und aufspringende Freude droht
alle Maße zu überfluten, erschüttert wie ein Sturmbock
die Mauern, die zwischen den Wesen sind. Männer und
Frauen, im Takt, reißen den Gesang mit sich fort in
den Tumult. Alle schlagen und singen zugleich, und
etwas nimmt zu und überhand ... Ich höre das Getös
aller der glänzenden Waffen des Lebens! ... Die Zim-
beln zerdrücken an unseren Ohren jede Stimme der
heimlichen Gedanken. Sie sind lärmend wie Küsse von
ehernen Lippen ..
Eryximachos: toen zeigt Athikte eine letzte Fi-
gur. Ihr ganzer Körper verschiebt sich, aufruhend auf
der Kraft der großen Zehe.
Phaidros: Diese Zehe, die sie ganz allein trägt, be-
arbeitet das ‘Trommelfell des Bodens, wie der Daumen
die Trommel. Welche Aufmerksamkeit ist in dieser
Zehe, welcher Wille strammt sie und hält sie auf ihrer
Spitze! ... Aber jetzt dreht sie um sich selbst ...
Sokrates: Ja, sie dreht um sich selbst, — und die von
ewig her verbundenen Dinge beginnen sich zu trennen.
Sie dreht und dreht ...
81
Eryximachos: Das heißt wirklich vordringen in eine
andere Welt...
Sokrates: Darüber hinaus bleibt nichts zu versuchen
... Sie dreht, und alles Sichtbare fällt ab von ihrer Seele;
der Schlamm ihrer Seele scheidet sich endlich vom Rein-
sten; Menschen und Dinge sind im Begriff, um sie her-
unı im Kreis einen formlosen Niederschlag zu bilden...
Seht ihr ... Sie dreht ... Ein Körper, durch seine bloße
Kraft, durch seine Handlung, ist mächtig genug, das
Wesen der Dinge gründlicher zu verändern, als es je-
mals dem Geist in seinen Untersuchungen und Trau-
men gelingt!
Phaidros: Es sieht aus, als könne das ewig dauern.
Sokrates: Sie könnte sterben in diesem Zustand...
Eryximachos: Schlafen, vielleicht, einschlafen in
einen magnetischen Schlaf...
Sokrates: Unbeweglich würde sie ruhn in der Mitte
ihrer Bewegung. Ganz für sich, ganz für sich, gleich
der Weltachse ...
Phaidros: Sie dreht, sie dreht ... Sie fällt!
Sokrates: Sie ist gefallen!
Phaidros: Sie ist tot...
Sokrates: Sie hat ihre Hilfskräfte erschöpft und den
heimlichsten Schatz in ihrem Gewebe!
Phaidros: Götter! Sie kann sterben ... Eryximachos,
schnell! ... |
Eryximachos: Ich pflege nicht mich zu eilen unter
dergleichen Umständen! Wenn die Dinge sich einrich-
ten sollen, so schickt es sich, daß der Arzt sie nicht
störe, sondern eben eintreffe einen winzig kleinen Mo-
82
ment vor der Wiederherstellung, im gleichen Schritt mit
den Göttern.
Sokrates: Man sollte immerhin zusehen.
Phaidros: Wie weiß sie ist!
Eryximachos: Lassen wir die Ruhe wirken, die sie
heilen soll von der Bewegung.
Phaidros: Du glaubst, sie ist nicht tot?
Eryximachos: Sieh diese kleine Brust, die nichts ver-
langt, als zu leben. Sieh, wie sie leicht zittert und hängt
an der Zeit...
Phaidros: Ich seh es nur zu sehr.
Eryximachos: Sie hat gesagt: „Wie wohl mir ist!“
Flügel, bevor er wieder auffliegt.
Sokrates: Sie scheint ziemlich glücklich.
Phaidros: Was hat sie gesagt?
Sokrates: Etwas für sich allein.
Eryximachos: Sie hat gesagt: „Wie wohl mir ist!“
Phaidros: Der kleine Haufen von Gliedern und Tü-
chern rührt sich .
Eryximachos: Nur, Kleine, mein Kind, machen wir
mal die Augen auf. Wie fühlst du dich jetzt?
Athikte: Ich fühle nichts. Ich bin nicht tot. Und doch,
ich bin nicht lebendig!
Sokrates: Von wo kommst du zurück?
Athikte: Zuflucht, Zuflucht, o meine Zuflucht, o Wir-
bel! — Ich war in dir, o Bewegung, en außer-
halb aller Dinge ..
Aus dr Einleitung zu „Eupalinos“ von Paul Valéry
übertragen von Rainer Maria Rilke
ak
83
EINE PREDIGT MEISTER ECKHARTS
Warum wir sogar Gottes ledig werden sollen
Man heißt einen „geistlich Armen“ denjenigen, wel-
cher nichts will. Diesen Sinn verstehen etliche Leute
falsch, — jene Leute nämlich, die mit Pönitenz und
äußerlicher Übung doch nur ihr Eigenwesen beibehalten.
Daß die Leute für groß geachtet werden, des erbarme
Gott! Wie erkennen sie doch so wenig von der gött-
lichen Wahrheit! Diese Menschen heißen heilig wegen
der Figur, die sie nach außen machen, aber von innen
sind sie Esel, denn sie erfassen gar nicht den eigentlichen
Sinn der göttlichen Wahrheit. Diese Leute sagen wohl,
wer nichts wolle, sei ein geistlich Armer; sie fassen das
aber so auf, als müsse der Mensch derart beschaffen sein,
daß er nimmer und in gar nichts mehr seinen eigenen
Willen erfülle, sondern danach trachte, G ottes liebsten
Willen zu erfüllen. Diese Menschen sind nicht übel
dran, denn sie meinen es gut; wir wollen sie darum lo-
ben, — Gott in seiner Barmherzigkeit wird ihnen wohl
das Himmelreich gewähren.
Ich aber sage in vollem Ernst, daß diese Leute keine
im wahren Sinne geistlich armen Menschen sind und
ihnen auch nicht gleichen. Sie gelten nur für groß in
der Leute Augen, die sich auf nichts Besseres verstehen.
Doch ich behaupte, daß sie Esel sind, welche die gött-
liche Wahrheit gar nicht erfaßt haben. Mit ihren guten
Absichten mögen sie vielleicht das Himmelreich bekom-
men; aber die Armut, über die ich jetzt sprechen will,
von der wissen sie nichts.
84
Wenn man mich nun fragte, was denn das eigentlich
sei: „ein armer Mensch, der nichts will“, darauf ant-
worte ich und spreche also: Solange der Mensch noch
in der Verfassung steht, daß er den Willen hat, Gottes
allerliebsten Willen erfüllen zu wollen, solange hat er
nicht die Armut, von der wir sprechen wollen; denn
dieser Mensch hat ja noch einen Willen, mit dem er dem
Willen Gottes Genüge tun will, und das ist das Rechte
nicht. Denn soll der Mensch wahrhaft arm sein, so muß
er seines geschöpflichen Willens so ledig sein, wie ers
war, als er noch nicht war. Und ich sage euch bei der
ewigen Wahrheit, solange ihr den Willen habt, den
Willen Gottes zu erfüllen, und solange ihr noch irgend-
ein Begehren habt nach der Ewigkeit und nach Gott,
solange seid ihr noch gar nicht geistlich arm. Denn das
nur ist ein armer Mensch, der nichts will und nichts
begehrt.
Da ich noch stund in meiner ersten Ursache, da hatte
ich keinen Gott, — da gehörte ich mir selber. Ich wollte
nichts, ich begehrte nichts, denn ich war da ein lediges
Sein und ein Erkenner meiner selbst nach göttlicher
Wahrheit. Da wollte ich mich selbst und wollte nichts
anderes; was ich wollte, das war ich, was ich war, das
wollte ich, — hier stand ich Gottes und aller Dinge ledig.
Als ich aber aus meinem freien Willen herausging und
mein geschaffenes Wesen empfing, da hatte ich einen
Gott; denn ehe die Kreaturen waren, war Gott nicht
Gott: erwar,was er war. Als die Kreaturen wurden und
ihr geschöpfliches Wesen empfingen, da war Gott nicht in
sich selber Gott, sondern in den Kreaturen war er Gott.
85
Und nun behaupten wir: Gott, soweit er nur Gott ist,
ist nicht das höchste Ziel der Schöpfung und hat nicht
einmal so große Wesensfülle, wie die geringste Kreatur
in Gott sie besitzt! Und wäre es, daß eine Fliege Ver-
nunft hätte und mit Vernunft zu suchen vermöchte den
ewigen Abgrund göttlichen Wesens, aus dem sie ge-
kommen ist, so sagen wir: Gott mit alledem, was er als
Gott ist, könnte Erfüllung und Genügen nicht einmal
dieser Fliege geben! Darum bitten wir, daß wir Gottes
ledig werden und nehmen die Wahrheit und genießen
die Ewigkeit, in der die obersten Engel und die Fliegen
und die Seelen gleich sind und wo auch ich stand, als
ich noch wollte, was ich war, und war, was ich wollte.
In diesem Sinne soll der Mensch arm sein an Willen
und so wenig wollen und begehren, wie er wollte und
begehrte, als er noch nicht war. In dieser Weise ist der
Mensch arm, der „nichts will“ .
Nun gebt scharf acht! Ich hab es sok gesagt, und große
Meister sagen es auch: Der Mensch solle aller Dinge
und Werke, innerlicher wie äußerlicher, so ledig sein,
daß er eine eigene Stätte Gottes sein könnte, darin Gott
wirken könnte. Jetzt aber sagen wir anders. Ist das der
Fall, daß der Mensch aller Dinge ledig steht, aller Krea-
turen und seiner selbst und Gottes, und steht es so mit
ihm, daß Gott in ihm eine Stätte zum Wirken findet, so
sagen wir: Solange es noch so etwas gibt im Menschen,
ist der Mensch nicht arm in der innerlichsten Armut.
Denn Gott zielt mit seinem Wirken nicht darauf, daß
der Mensch in sich eine Stätte habe, darin Gott wirken
könnte; sondern das nur ist Armut des Geistes, wenn
86
der Mensch so ledig steht Gottes und aller seiner Werke,
daß, wollte Gott in der Seele wirken, er dann selber die
Stätte sein müßte, darin er wirken möchte, — und das
Gre er gewiß gerne. Denn fände Gott. den Menschen in
solcher Weise arm, so müßte Gott sein eigenes Wirken
über sich ergehen lassen und wäre selber die Stätte seines
Wirkens, eben darum, weil er ja ein Wirken in sich
selber ist. Allhier, in dieser Armut, erlangt der Mensch
das ewige Sein wieder, das er gewesen ist, das er nun-
mehr ist und als das er ewiglich leben wird.
Wir sagen also, der Mensch muß so arm stehen, daß er
nicht sei noch in sich habe eine Stätte, darin Gott wirken
könnte. Solange der Mensch noch irgendeine Stätte in
sich behält, behält er auch noch Unterschied. Darum
bitte ich Gott, daß er mich Gottes quitt mache;. denn
mein wesenhaffes Sein ist über Gott und über allem
Unterschied: da war ich ich selber, da wollte ich mich
selber und erkannte mich selber, um diesen Menschen
hier zu machen. Und darum bin ich meine eigene
Ursache meinem Wesen nach, das ewig ist, — nicht
aber meinem Werden nach, das zeitlich ist. Darum
bin ich geboren, und nach meiner ewigen Geburt
Weise vermag ich nimmermehr zu sterben. Nach mei-
ner ewigen Geburt Weise bin ich ewiglich gewesen,
bin ich jetzt und werde ich ewiglich bleiben. Was ich als
zeitliches Geschöpf bin, das wird sterben und zunichte
werden, denn es ist der Zeit verfallen; darum muß es
mit der Zeit verderben. In meiner ewigen Geburt aber
wurden alle Dinge geboren, — hier war ich Ursache
meiner selbst und aller Dinge. Wenn ichs hier gewollt
87
hätte, so ware weder ich noch die ganze Welt, und wenn
ich nicht wäre und die ganze Welt nicht wäre, dann
wäre auch Gott nicht; daß Gott Gott ist, dessen bin ich
eine Ursache, — wäre ich nicht, so wäre Gott nicht
Gott.
Ein großer Meister sagt: Sein Durchbrechen sei edler
denn sein Entquellen. Das ist wahr. Als ich aus Gott
floß, da sprachen alle Dinge: Gott ist. Nun kann mich
das nicht selig machen; denn hierbei erkenne ich mich
nur als Kreatur. Aber in dem Durchbrechen, da ich ledig
stehen will im Willen Gottes, da ich ledig stehe sogar
des Gotteswillens und aller seiner Werke, ja Gottes
selber, da bin ich über allen Kreaturen, bin weder Gott
noch Kreatur, sondern bin, was ich war und was ich blei-
ben werde nun und immerdar. Da empfange ich einen
Ruck, der mich bringen soll über alle Engel. In diesem
Ruck empfange ich so großen Reichtum, daß Gott mir
nicht genug sein kann mit allem, was er als Gott ist, nach
allen seinen göttlichen Werken; denn ich empfange in
diesem Durchbrechen, daß ich und Gott eins sind. Da
bin ich, was ich war, da nehme ich weder ab noch zu,
denn ich bin da eine unbewegliche Ursache, die alle
Dinge bewegt. Allhier findet Gott keine ,,Statte mehr
im Menschen, denn der Mensch erringt mit seiner Armut,
was er ewiglich gewesen ist und immer bleiben wird.
Allhier ist Gott mit dem Geiste eins, und das ist die
innerlichste Armut, die man finden kann.
Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz
nicht damit. Solange nämlich der Mensch nicht selber
dieser Wahrheit gleicht, solange wird er diese Rede nicht
88
Rottweil
Madonna vom Kapellenturm in
Digitized by Google
verstehen. Denn es ist eine unbedachte Wahrheit, die da
kommen ist aus dem Herzen Gottes, unmittelbar.
So leben zu dürfen, daß wir es ewiglich erfahren, dazu
helfe uns Gott! Amen.
Aus dem neuesten und letzten Band des „Domes“:
Meister Eckhart
ak
DREI NACHGELASSENE GEDICHTE
VON RAINER MARIA RILKE
Wendung
Lange errang ers im Anschaun.
Sterne brachen ins Knie
unter dem ringenden Aufblick.
Oder er anschaute knieend,
und seines Instands Duft
machte ein Göttliches müd,
daß es ihm lächelte, schlafend.
Türme schaute er so,
daß sie erschraken:
wieder sie bauend hinan, plötzlich, in Einem.
Aber wie oft die vom Tag
überladene Landschaft
ruhete hin in sein stilles Gewahren, abends.
Tiere traten getrost
in den offenen Blick, weidende,
und die gefangenen Löwen
starrten hinein wie in unbegreifliche Freiheit;
89
Vögel durchflogen ihn grad,
den gemiitigen. Blumen
wiederschauten in ihn
groß wie in Kinder.
Und das Gerücht, daß ein Schauender sei,
rührte die minder
fraglicher Sichtbaren,
rührte die Frauen.
Schauend wie lang?
Seit wie lange schon innig entbehrend,
flehend im Grunde des Blicks ?
Wenner, ein Wartender, saß in der Fremde; des Gasthofs
zerstreutes abgewendetes Zimmer
mürrisch um sich, und im vermiedenen Spiegel
wieder das Zimmer
und später vom quälenden Bett aus
wieder:
da beriets in der Luft,
unfaßbar beriet es
über sein fühlbares Herz,
über sein durch den schmerzhaft verschütteten Körper
dennoch fühlbares Herz
beriet es und richtete:
daß er der Liebe nicht habe.
(Und verwehrte ihm weitere Weihen.)
Denn des Anschauns, siehe, ist eine Grenze, _
und die geschautere Welt
will in der Liebe gedeihn.
90
Werk des Gesichts ist getan,
tue nun Herzwerk . |
an den Bildern in dir, jenen gefangenen. Denn du
überwältigtest sie; aber nun kennst du sie nicht.
Siehe, innerer Mann, dein inneres Mädchen,
dieses errungene aus
tausend Naturen, dieses
erst nur errungene, nie
noch geliebte Geschöpf.
Lé
Zu der Zeichnung, John Keats im Tode darstellend
. Nun reicht ans Antlitz dem gestillten Rühmer
die Ferne aus den offenen Horizonten:
so fällt der Schmerz, den wir nicht fassen konnten,
zurück an seinen dunkeln Eigentümer.
Und dies verharrt, so wie es, leidbetrachtend,
sich bildete zum freiesten Gebilde,
noch einen Augenblick, — in neuer Milde
das Werden selbst und den Verfall verachtend.
Gesicht: o wessen ? Nicht mehr dieser eben
noch einverstandenen Zusammenhänge.
O Aug, das nicht das schönste mehr erzwänge
der Dinge aus dem abgelehnten Leben.
O Schwelle der Gesänge,
o Jugendmund, für immer aufgegeben.
Und nur die Stirne baut sich etwas dauernd
hinüber aus verflüchtigten Bezügen,
QI
als strafte sie die miiden Locken Ligen,
die sich an ihr ergeben, zartlich trauernd.
ak
W ie der Abendwind durch geschulterte Sensen der
Schnitter,
geht der Engel lind durch die schuldlose Schneide der
Leiden.
Halt sich stundenlang zur Seite dem finsteren Reiter,
hat denselben Gang wie die namenlosen Gefühle.
Steht als Turm am Meer, zu dauern unendlich gesonnen;
was du fühlst, ist er, im Innern der Härte geschmeidig,
daß im Notgestein die gedrängte Druse der Tranen,
lange wasserrein, sich entschlösse zu Amethysten.
ak
DIE NACHTIGALL
VON D. H. LAWRENCE
Toskana ist das Land der Nachtigallen, und im Frih-
ling und Sommer singen sie ohne Unterlaß, nur um die
Mitte der Nacht und um die Mitte das Tages schweigen
sie. In den vielblättrigen kleinen Hainen, die vom Hügel-
hang sich über das Bett des Baches neigen, wie wenn
Venushaar vom Felsen herabhängt, hörst du schon im
bleichen Dämmerlicht, etwa um vier Uhr in der Frühe,
wieder ihren hellen Aufschrei: „Hello! Hello! Hello!“
Es ist der lichteste Laut, den die Welt kennt. Immer,
wenn du ihn vernimmst, fühlst du ein Verwundern und
92
— auch dies muß gesagt sein — ein Erschauern, weil der
Klang so licht, so glitzernd ist, und weil so viel Kraft
in ihm lebt.
„Das ist die Nachtigall!“ sagst du dann zu dir selbst.
Es klingt in der Halbhelle, als sprühten aus dem kleinen
Dickicht die Sterne empor und schössen hinauf in die
ungeheure Grenzenlosigkeit des Himmelsraumes, um,
von ihr geborgen, zu entschwinden. Aber der Gesang
dauert auch nach Sonnenaufgang fort, und immer wie-
der vernimmst du es mit neuem Erstaunen und fragst
dich verwundert: Wie um alles in der Welt kann man
die Nachtigall einen schwermütigen Vogel nennen?
Sie ist das lauteste, leichtsinnigste, lärmlustigste und
vergnügteste Geschöpf im ganzen Königreich der Vögel.
Wie John Keats es fertigbekommen hat, seine „Ode an
eine Nachtigall“ mit den Worten zu beginnen: „Mein
Herz wird weh, und schmerzliches Erschlaffen betäubt
die Sinne mir“ — — das ist ein Geheimnis für jeden,
der den wahren Klang des Sanges kennt. Und nun deu-
test du ihren silberhellen Ruf: „Was, was, was, John?
‚Dein Herz wird weh, und schmerzliches Erschlaffen — ?‘
Tra-la-la! Tri-li-lilülilülilülilü !“
Und warum die Griechen sagten, die Nachtigall rufe
im Gebüsch schluchzend nach ihrem (oder ihrer) ver-
lorenen Geliebten, das weiß ich gleichfalls nicht. „Dschög-
dschög-dschög !“; schreiben die Schriftsteller des Mittel-
alters, um das Geriesel der blitzenden Tonperlen in der
Nachtigallenkehle darzustellen. Es ist ein wilder, prun-
kender Ton, prunkhafter als die Augen auf dem Pfauen-
schweif.
93
„— — die braune Nachtigall, die lieberfüllte,
ist halb getröstet schon um Itylos — —“
Dieses „Dschög-dschög-dschög!“ so sagen sie, sei das
Schluchzen der Nachtigall. Wie man es so deuten kann,
bleibt ein Geheimnis. Wie irgendein Mensch, der die
Ohren nicht etwa geradezu verkehrt am Kopfe sitzen
hatte, die Nachtigall ,,schluchzen“ hören konnte, weiß
ich nicht.
Jedenfalls: es ist ein männlicher Laut, ein höchst nach-
drücklich und urkräftig männlicher Laut. Ganz einfach
ein Sichgeltendmachen. Es ist keine Spur noch ein
Schatten von Echo und schwächlichem Widerhall darin,
nichts, was einer dumpfen leisen Glocke gliche. Nichts
auf der Welt ist so fern vom Gefühl des Verlassenseins.
Um es in klarer Tatsächlichkeit zu sagen: Die Nachti-
gall singt mit klingender, scharf» vorstoßender Lebhaf-
tigkeit und ursprünglicher Selbstbewußtheit, mit einer
Art von strahlendem Jubel und funkelnder Verflechtung
des Tongewebes; so muß es im Himmel geklungen haben
am ersten Schöpfungstage, als die Engel sich plötzlich
erschaffen fanden und laut jauchzten, bevor sie dessen
inne wurden. Welch ein Lärmen der Engelstimmen muß
das gewesen sein in den Hainen des Himmels!
„Joho, hört! Ich bin da!“ singt die Nachtigall. Schon
um des Glanzes willen, der in diesem sieghaft selbst-
bewußten Klanggebilde strahlt, mußt du ihr lauschen.
Um in der sichtbaren Welt eine gleich vollendete Selbst-
verkündigung zu finden, mußt du vielleicht einen Pfau
betrachten, der mit allen bunten Augen seines Schweifes
prunkt. Von allen zu höchster Glanzentfaltung geschaf-
94
fenen Geschöpfen sind diese beiden wohl die allervoll-
kommensten: das eine im unsichtbaren trrumphierenden
Klange, das andere in stummer Sichtbarkeit. Die Nach-
tigall ist, wenn du sie erblickst, ein ganz unscheinbarer,
graubrauner Vogel, und doch webt um sie der zarte ge-
heimnisvolle Tanz aus innerer Lebensfülle. So auch der
Pfau: er wird abscheulich, wenn er sich vernehmbar
macht, aber du fühlst dich dennoch davon getroffen; es
ist ein furchtbarer Schrei, der aus der Tiefe des drohen-
den Dschungels stammt. Und in der Tat siehst du ihn
auf Ceylon, wie er von hohem Aste herab seinen Schrei
gellen läßt und dann an den Affen vorüber in das un-
durchdringliche Dschungel flattert, das finster und voll
siedender Hitze ist.
Und vielleicht ist dies — ich meine: diese unverstellte
selbstbewußte Offenbarung des wahren Wesens, mag
man ihr Ungestüm engelhaft nennen oder dämonisch —,
vielleicht ist dies der Grund, weshalb die Nachtigall den
männlichen Lauscher traurig stimmt; freilich ist diese
Trauer zur Hälfte Neid. Der Vogel ist voll einer so sieg-
haften Bejahung in seinem lebendigen Wesen, das ewig
neu und vollkommen aus der Hand des reichen heiteren
Schöpfers kommt. Und der Pfau wölbt den Kreis der
bronzenen und purpurfarbenen Augen seines Schweifes
mit stolzem Selbstgefühl.
Die Nachtigall ist, laßt es mich wiederholen, das am
wenigsten traurige Geschöpf auf dieser Erde. Es gibt
für sie keinen Grund zur Traurigkeit. Sie fühlt sich völ-
lig im Einklang mit dem Leben. Und das ist kein Wahn.
Sie fühlt sich ganz einfach als ein vollkommenes Stück
95
Leben, und sie trillert ihr Gefühl in die Welt hinaus:
jauchzt, formt ihr „Dschög-dschög‘“, gurgelt, trillert,
läßt lange Rufe voll spöttisch erheuchelter Klage er-
tönen, singt Liebeserklärungen, brüstet sich mit ihrem
Wohllaut, schmettert Triumph; niemals aber grübelt
sie. Ihr Gesang ist reine Musik — in dem Sinne, daß
man niemals Worte zu ihm würde ersinnen können.
Aber es gibt Worte für die Empfindungen, die der Ge-
sang in uns erweckt. Nein! nicht einmal das ist wahr.
Es gibt keine Worte für das, was man in Wahrheit
fühlt, wenn man der Nachtigall lauscht. Es ist etwas um
so viel Reineres als Worte; denn alle Worte sind unrein
geworden. Dies immerhin kann man sagen: es ist eine
Art von 'Triumphgefühl im Bewußtwerden der eigenen
höchsten Lebenskraft.
„Nicht weil ich Neid auf dein Beglücktsein fühle,
nein, weil dein Glück mich allzusehr beglückt,
leichtschwingige Dryade du im Hain,
die du in holder Schattenkühle
des Buchengrüns hell jubelnd und entzückt
vom Sommer singst und seinem Seligsein.“
Armer Keats! Er mußte sich wohl durch das Glück der
Nachtigall „allzusehr beglückt“ fühlen, da er im eigenen
Innern wahrhaftig nicht allzu gliicklich war. So hat er
den Wunsch, aus Hippokrene, dem „rosenfarbenen
Quell“, zu trinken und mit der Nachtigall zu verschwin-
den im Dämmer des Waldes:
»— — mich aufzulösen und nicht mehr zu kennen,
was du im Blättergrün niemals gekannt:
den Zorn, den Ekel und des Fiebers Brennen — —“
96
Aber es gelingt ihm nicht. Die unsichtbaren Schwingen
seines Dichtertums tragen ihn nur ins Gebiisch, aber
nicht in die Nachtigallenwelt. Von ihr ist er noch immer
ausgeschlossen :
„Ich lausche schwermutvoll, und lange Stunden
lieb ich dich fast, du Ruhespender Tod — —“
Die Nachtigall hat niemals einem Manne Liebe zum
„Ruhespender Tod“ eingeflößt, es sei denn durch die
Wirkung des Gegensatzes. Des Gegensatzes zwischen
der licht lohenden Flamme reiner, weltbejahender, in
sich selbst ruhender Lebenskraft, die in dem Vogel
brennt, und dem schmerzlichen Geflacker eines nicht
aus dem eigenen Selbst genährten Verlangens, das den
Dichter John Keats mit ewig ungestillter und gestalt-
loser Sehnsucht erfüllt:
„— — still zu erlöschen um die Mitternacht,
indessen du, in Leidenschaft verzückt,
im Lied dich selig willst verschwenden — —
Ich aber, taub für deines Sanges Pracht,
bin schon dem hohen Requiem entrückt — —
66
Wie würde sich die Nachtigall wundern, wenn man ihr
die Wirkung ihres Liedes auf den Dichter klarmachen
könnte! Sie würde vor Staunen von ihrem Zweige fallen.
Denn mit der Nachtigall steht es so, daß sie, wenn du
ihr antwortest, nur um so lauter ruft und singt. Stell
dir vor, es würden in den Nachbarbüschen ein paar
andere Nachtigallen zu schlagen beginnen (wie sie es
immer tun) — dann sprühen die blauweißen Tonfunken
97
mit blendendem Glanze zum Himmel empor. Und stell
dir vor, du, armseliger Sterblicher, safest gerade auf
der schattigen Bank und hättest eine Auseinandersetzung
mit der Herrin deines Herzens — Schwerenot, dann legt
der Vorsänger des Nachtigallenchores los und läßt seinen
Gesang anschwellen wie Caruso im dritten Akt; das ist
ganz einfach eine strahlend hervorstrudelnde Tonrase-
rei, und du wirst niedergesungen, bis du dein eigenes
Wort nicht mehr hörst und den Streit aufgibst.
Es war in der Tat im Wesen Carusos etwas, das sehr
an die Nachtigall gemahnte — die vogelgleiche aufflam-
mende wunderbare Kraft des Gesanges, das Erfülltsein
vom eigenen Wesen, das Schwelgen im Selbst:
„Unsterbliche, dein Los ist nicht der Tod,
kein Bruderelend macht dein Herz erstarren — “
— wenigstens nicht in Toskana. Da gehen zwanzig aufs
Dutzend. Sogar der Kuckuck erscheint dort leise und
gleichsam entfernt, wenn er im Vorüberfliegen seinen
gedämpften, halb verdeckten Ruf ertönen läßt. Viel-
leicht aber steht es in England wirklich anders:
„Das Lied, das mich in dieser Nacht umloht,
vernahmen einst die Kaiser wie die Narren:
Vielleicht erschloß sich diesem selben Sange
Ruths heimwehkrankes Herz, als sie voll Gram
in Tränen auf dem fremden Felde stand — —
ce
Aber warum in Tränen? Immer Tränen! Nehmen wir
zunächst die Kaiser: Ich möchte doch wohl wissen, ob
etwa Diocletian in Tränen ausbrach, als er die Nachti-
98
gall hörte? — oder, wenn wir zu den Narren kommen:
Asop? Ja, und Ruth? Ich persönlich habe sie in starkem
Verdacht, daß sie unter dem Gesang der Nachtigall
dasselbe verstand wie das hübsche kleine Mädchen in
der Geschichte von Boccaccio, das mit dem lieblichen
Vogel in der Hand einschlief: „— tua figliuola & stata
si vaga dell’ usignuolo, che ella l’ha preso e tienlosi in
mano!“
Und wie denkt die Nachtigallengattin über alles dies,
indessen sie milden Sinnes auf den Eiern sitzt und den
Darbietungen ihres Eheherrn lauscht? Wahrscheinlich
hat sie es gern, denn sie brütet dabei für ihn so fröhlich
wie nur je. Wahrscheinlich ist ihr sein herrliches Ge-
kakel lieber als des Dichters demütiges Geseufze:
„Nun scheint es süßer mir denn je zu enden,
still zu erlöschen um die Mitternacht — —“
Damit wäre dem Nachtigallenweibchen freilich nicht
viel gedient. Und wir haben Mitgefühl mit der Fanny
des Dichters John Keats und begreifen, weshalb sie gar
nichts damit anzufangen wußte. Wozu hätte ihr wohl
solch eine Mitternachtsstunde gut sein sollen ?
Wenn wir nach alledem zum Schlusse kommen, dann
liegt es vielleicht so, daß der weibliche Partner mehr
Freude am Leben hat, wenn der männliche Partner
nicht den Wunsch hegt, „um die Mitternacht zu er-
löschen“, ob mit oder ohne Schmerz. Es gibt bessere
Verwendungsmöglichkeiten für Mitternachtsstunden.
Und ein Vogel, der da singt, weil er sich voll lichten
Lebens fühlt, und der es ihr überläßt, die Eier sorglich
99
zu hüten, verdient vielleicht den Vorzug vor einem
Vogel, der da wehklagt, und sei es auch aus lauter Liebe
zu ihr.
Natürlich denkt das Nachtigallenmännchen, wenn es
singt, ganz und gar nicht an sein unscheinbares Weib-
chen. Und es erwähnt nicht ein einziges Mal ihren
Namen. Sie aber weiß recht wohl, daß der Gesang zur
Hälfte ihr gehört, gerade wie die Eier zur Hälfte ihm
gehören. Und geradeso, wie sie nicht will, daß er zu ihr
kommt und mit seinem schweren Fuß auf ihr Bündel-
chen Eier tritt, genau so will er nicht, daß sie sich in
seine Gesangstätigkeit mischt und ihn stört und aus dem
Text bringt. Jeder Mann soll bei seinen Angelegenheiten
bleiben und jede Frau bei ihren!
„Leb wohl! Dein klagender Gesang will schwinden —“
Es war niemals ein klagender Gesang; es war Caruso in
seinem glanzvollsten Jubel. Aber versucht es lieber gar
nicht erst, euch mit einem Dichter zu streiten.
Übertragen von Karl Lerbs
ak
MARCELINE DESBORDES-VALMORE
VON CHARLES BAUDELAIRE
Ist es uns nicht mehr als einmal begegnet, daß, wenn
wir einem Freunde unsere Neigung, unsere Begeisterung
für irgend etwas anvertrauten, zur Antwort bekamen:
„Nun, das ist doch sonderbar! Das steht ja in völligem
Widerspruch mit Ihren sonstigen Leidenschaften und
Anschauungen.“ ? Und wir entgegnen dann: „Möglich,
100
aber es ist so. Es gefallt mir; es entziickt mich, wahr-
scheinlich wegen eben dieses auffalligen Gegensatzes mit
meinem eigentlichen Ich.“
So ergeht es mir mit Madame Desbordes-Valmore. Wenn
der Aufschrei, der unverfälschte Seufzer einer erlesenen
Seele, wenn die Hingabe und Verzweiflung des Herzens,
wenn urspriingliche Anlagen und Gaben — alles, was
Gott als unverdiente Gnade schenkt —, wenn das ge-
nügt, um einen großen Dichter zu machen, so ist Ma-
dame Valmore ein großer Dichter und wird es immer
sein. Es ist wahr, wenn man sich die Zeit nimmt, dem
nachzuspüren, was ihr fehlt, was durch Fleiß und Mühe
erworben werden kann, so wird ihre Größe wesentlich
beeinträchtigt. Doch selbst dort, wo ein Mangel an Sorg-
falt, ein Holpern uns überlegte Menschen, die wir durch-
aus verantwortlich sind für unsere Nachlässigkeiten, är-
gert und betrübt — selbst dann werden wir von einer
plötzlichen, unerwarteten, unvergleichlichen Schönheit
des Ausdrucks hingerissen und in den Himmel der Poesie
erhoben. Nie war ein Dichter einfacher und aufrichtiger,
nie ungekünstelter! Keiner hat diesen Reiz, diese Anmut
erreicht, eben weil sie persönlich und eingeboren ist.
Wenn je ein Mann seine Gattin oder seine Tochter von
den Gaben der Muse beglückt und geehrt sehen möchte,
er könnte sich diese Gaben nicht anders und schöner
träumen, als sie Madame Valmore beschieden waren.
Unter der beträchtlichen Anzahl von Frauen, die sich
heutzutage auf die Literatur geworfen haben, gibt es
recht wenige, deren Tätigkeit nicht entweder der Kum-
mer ihrer Angehörigen, ja selbst ihres Geliebten gewesen
IOI
wäre (denn der zügelloseste Mann verlangt vom Gegen-
stand seiner Liebe eine keusche Zurückhaltung), oder
aber eine Nachahmung männlicher Schwächen und Al-
bernheiten, die bei der Frau abgeschmackt wirken. Wir
kennen die schriftstellernde Frau als Philanthropin, als
doktrinäre Priesterin der Liebe; sie verherrlicht republi-
kanische Ideen oder andere Zukunftsträume, sie ist An-
hängerin Fouriers oder Saint-Simons, und unsere schön-
heitsuchenden Augen konnten sich nie an dieses un-
schöne Systematisieren und Abzirkeln, an all diese läster-
lichen und ruchlosen Dinge (es gibt sogar Dichterinnen
des Lasters), an diese entwürdigende Nachahmung
männlichen Geistes gewöhnen.
Madame Desbordes-Valmore war Weib, war immer
Weib und nichts als Weib; aber sie war die vollendete,
höchste Personifizierung der natürlichen schönen Weib-
lichkeit. Ob sie vom sehnenden Verlangen des jungen
Mädchens, von der traurigen Klage der verlassenen Ari-
adne oder der glühenden Inbrunst mütterlicher Barm-
herzigkeit singt — ihr Lied bewahrt stets diese köstliche
Weiblichkeit. Da ist nichts Künstliches, nichts Ange-
lehntes, nichts als das „ewig Weibliche‘, wie jener deut-
sche Dichter sagt. So hat Madame Valmore in ihrer
Wahrhaftigkeit, in ihrer Echtheit ihren Lohn gefunden,
das heißt einen Ruhm, der dem des vollendeten Künst-
lers nicht nachsteht. An den tiefen Gluten des eigenen
Herzens entzündet sie die Fackel, mit der sie in die ge-
heimnisvolle Wirrnis der Empfindungen hineinleuchtet
und unsere dunkelsten Erinnerungen der Liebe, auch
der Kindesliebe, ans Licht hebt. Victor Hugo hat dem
102
süßen Zauber der Häuslichkeit — wie allem, was er be-
singt — wundervollen Ausdruck gegeben; doch nur in
den Dichtungen der glühenden Marceline findet ihr die.
mütterliche Innigkeit, die einige wenige unter uns Weib-
geborenen in köstlichem Andenken bewahren. Wenn ich
nicht besorgen müßte, man könne den Vergleich als eine
Herabsetzung dieser verehrungswürdigen Frau ansehen,
so würde ich sagen, ich finde in ihr die Anmut und un-
ruhige Wachsamkeit, die Schmiegsamkeit und das Un-
gestüm einer Katze oder Löwin, die Mutter ist.
Es heißt, Madame Valmore, deren erste Poesieen schon
weit zurückliegen (1818), sei von unserer Zeit sehr
schnell vergessen worden. Vergessen worden, von wem,
ich bitte? Von denen, die nichts fühlen und daher nichts
bewahren. Sie hat die großen und gewaltigen Eigen-
schaften, die sich dem Gedächtnis eingraben, die explo-
sive Kraft der Leidenschaft, die in unsere Herzen ein-
schlägt und sie mit fortreißt. Kein Dichter findet unge-
zwungener den einzig ersten Gefühlsausdruck, das un-
bewußt Erhabene. Wie einerseits das einfachste und
selbstverständlichste Erarbeiten dieser feurigen Feder
fremd und unmöglich ist, so ist anderseits das, wonach
alle anderen mühsam ringen, ihr natürliches Teil; es ist
ein immerwährendes neues Finden. So sicher und sorg-
los, wie wir eine Adresse schreiben, wirft sie die Kost-
barkeiten aufs Papier. Eine mitfühlende und inbrünstige
Seele, die sich — selbstredend ganz unbewußt — in
jenem Vers erkennt und zu erkennen gibt:
„solange man noch geben kann, kann man nicht
sterben.“
103
Empfindsame Seele, der das rauhe Leben unheilbare
Narben eingrub, war es ihr vor allem, die sich ein Lethe
.ersehnte, gestattet auszurufen: |
„Doch kann uns der Erinnerung nichts entheben —
Wozu, mein Herz, wozu das Sterben dann?“
Gewiß, niemand war berechtigter als sie, einem neuen
Gedichtbande den Satz voranzuschicken:
„Gefangen lebt in diesem Buche eine Seele.“
Selbst als der Tod erschien, um sie von dieser Welt,
deren Leiden sie so tapfer getragen hatte, abzurufen und
dem Himmel zuzuführen, nach dessen friedvollen Freu-
den sie so glühend verlangte, selbst da noch konnte Ma-
dame Desbordes-Valmore, die unermüdliche Priesterin
der Muse, nicht verstummen, so immervoll von Schmer-
zensrufen und Liedern war sie, die sich ergießen wollten;
sie bereitete einen weiteren Band Gedichte vor, dessen
Inhalt Stück um Stück auf ihrem Schmerzenslager reifte,
das sie seit zwei Jahren nicht mehr verließ. Sie, die ihr
andächtig bei der Zusammenstellung dieser Abschieds-
blätter halfen, haben mir gesagt, daß darin das ganze
Feuer einer Lebensenergie zu finden sei, die nirgends
so lebendig war wie im Leid. Ach! dies Buch wird nun
als letzter, nachgelassener Kranz all den strahlenden
anderen hinzuzufügen sein, mit denen eines unserer blü-
hendsten Gräber geschmückt sein sollte.
Ich habe immer gern in der großen und sichtbaren Natur
nach Beispielen und Gestaltungen gesucht, die mir zur
Charakterisierung geistiger Erscheinungen und Ein-
104
$
K
i
"e
KS
Lee
Í >
f e
Marceline Desbordes-Valemore
Bleistiftzeichnung von Constant Desbordes
Digitized by Google
drücke dienen könnten. Ich stelle mir vor, wie die Kunst
der Madame Desbordes-Valmore auf mich wirkte, da-
mals, als ich sie mit den Augen des Jünglings durch-
blätterte, die bei empfänglichen Menschen so voll Glut
und Scharfsichtigkeit sind. Diese Dichtung erschien mir
wie ein Garten. Doch das ist nicht die großartige Würde
des Versailler Parks, das ist auch nicht die mächtige
Pose des selbstbewußten Italiens, das es so vortrefflich
versteht, „Gärten zu errichten“ (aedificat hortas); das
ist auch nicht „das Tal der Flöten“ oder das „Tänaron“
unseres alten Jean-Paul. Es ist ein schlichter englischer
Garten, wundersam romantisch. Uppige Blumenstauden
repräsentieren den überströmenden Gefühlsausdruck.
- Volle, reglose Weiher, die, auf dem umgestürzten Him-
melsbogen ruhend, alle Dinge spiegeln, versinnbildlichen
die tiefe Resignation, die dort tausend Erinnerungen
spiegelt. Nichts fehlt diesem entzückenden Garten einer
vergangenen Zeit, weder vereinzelte Ruinen, die sich
in grüner Wildnis bergen, noch das fremdartige Grab-
mal, das uns an einer Wegbiegung überrascht, die Seele
ergreift und an die Ewigkeit mahnt. Gewundene und
düstere Alleen führen zu überraschenden Ausblicken,
gleichwie der Gedanke der Dichterin nach allerlei wun-
derlichen Kurven die offene Fernsicht in Vergangenheit
oder Zukunft eröffnet. Doch diese Himmel sind zu weit,
um dauernd klar zu sein, und der Wärmegrad zu groß,
um nicht Stürme zu entfesseln. Der Wanderer, der die
gramverhüllten Fernen betrachtet, fühlt sein Auge feucht
werden von hysterischen Tränen. Die Blumen neigen
sich und erliegen, die Vögel reden nur noch flüsternd.
105
Ein erster Blitz flammt auf, ihm folgt ein Donnerschlag:
es ist die lyrische Explosion, und schließlich verleiht eine
unvermeidliche Tranenflut all den niedergeworfenen,
leidenden und entmutigten Dingen von neuem Frische
und Jugendkraft.
106
Aus dem neuen Buche von Stefan Zweig
„Marceline Desbordes-Valmore, das Lebensbild einer Dichterin“
x
ZWEI GEDICHTE
VON ERNST BERTRAM
Straßburg. Der Orgelbauer
Allem tönenden Wild
Ward ich Jäger und Netz,
Aller singenden Brunst
Magisch Meister und Herr.
Alle der überfurchtbaren
Welt Gewalten
Riegelt ich in die Verließe
Meiner Bässe hinab,
An meinen klingenden Gittern
Rüttelt das Heulen der Hölle,
Lecken die Mäuler des Mords.
Mir gehorcht der Verzweiflung
Eulengelächter, des Hohns
Grell auftrillernde Natter,
Mir das Gewitter der Fuge,
Wann der Hagel von jagendem Glas,
der fegende Regen,
Elementischer prallt,
Mir ins Jauchzen gebändigt
Zorniger Hornstoß
Und des Blutgerichts
Hohe Oboé, Verkiindung
Seliger Siihne.
Doch wie verfang ich,
Flöte der Einsamkeit, verzaubernder Vogel,
Dich scheuen im Gestäbe meines Klangs,
Wie du die Nächte sangst ins hold vergehnde
Ohr mir äolisch, flüchtiges Silberwild ?
Wie lock ich, blaue Genesung,
Mit Harfenaufdank
Meiner Orgel dich ein, daß ich verwandelt
Durch die versausenden Chöre
Dich, den Verwandeler, höre,
Daß auf den nachtenden Stufen,
Vogel der Liebe, mir er-
Glänze dein Rufen ?
Hardt. Die Waldfrevler
I
Ich höre Hörner
Gesanglos frecher Klarheit: sie
Abermal sind es, die ewigen Feinde des Walds.
Altes Schweigen, hab Dank. O liebe
Fern ersausende Halle: du
Fällst. Die Beile sind da.
107
II
Denn ihr haßt das Geheimnis des Walds, blankäugige
Rotten,
Das auf unersteiglichem euch, verachtendem Felsen
Unsre Kunde verschweigt. |
Nur giftige Klarheit
Dünstet ihr über die Erde,
All die tausendwäldrige Heimat uns, die vogel-
Weidende wollt ihr zu kreidigen Hügeln,
Wo die Schlange sich sonnt,
Und euch rosten die lüsternen nicht, die Beile des
Südens,
Eh nicht entwaldet die Welt.
Aus dem Gedichtband „Der Rhein“
x
DIE WELTMINUTE VON WATERLOO
VON STEFAN ZWEIG
Das Schicksal drängt zu den Gewaltigen und Gewalt-
tätigen. Jahrelang macht es sich knechtisch gehorsam
einem Einzelnen hörig: Cäsar, Alexander, Napoleon,
denn es liebt den elementaren Menschen, der ihm selber
ähnlich ist, dem unfaßbaren Element.
Manchmal aber, ganz selten in allen Zeiten, wirft es in
sonderbarer Laune irgendeinem Gleichgültigen sich hin.
Manchmal — und dies sind die erstaunlichsten Augen-
blicke der Weltgeschichte — fällt der Faden des Fa-
tums für eine zuckende Minute in eines ganz Nichtigen
108
Hand. Immer sind solche Menschen mehr erschreckt
als begliickt dann von dem Sturm der Verantwortung,
der sie in heroisches Weltspiel mengt, und fast immer
lassen sie das zugeworfene Schicksal zitternd aus den
Händen. Selten nur reißt einer die Gelegenheit mächtig
empor und sich selber mit ihr. Denn bloß eine Sekunde
lang gibt sich das Große hin an den Geringen; wer sie
versäumt, den begnadet sie niemals ein zweites Mal.
Grouchy
Zwischen Tanz, Liebschaften, Intrigen und Streit des
Wiener Kongresses fährt als schmetternde Kanonen-
kugel sausend die Nachricht, Napoleon, der gefesselte
Löwe, sei ausgebrochen aus seinem Käfig in Elba, und
schon jagen andere Stafetten nach: er hat Lyon erobert,
er hat den König verjagt, die Truppen gehen mit fa-
natischen Fahnen zu ihm über, er ist in Paris, in den
Tuilerien, vergeblich waren Leipzig und zwanzig Jahre
menschenmördischen Kriegs. Wie von einer Kralle ge-
packt, fahren die eben noch quengelnden und streitenden
Minister zusammen, ein englisches, ein preußisches, ein
österreichisches, ein russisches Heer wird eilig aufge-
boten, noch einmal, und nun endgültig, den Usurpator der
Macht niederzuschmettern: nie war das legitime Europa
der Kaiser und Könige einiger als in dieser Stunde ersten
Entsetzens. Von Norden rückt Wellington gegen Frank-
reich, an seiner Seite schiebt sich eine preußische Armee
unter Blücher heran, am Rhein rüstet Schwarzenberg,
und als Reserve marschieren durch Deutschland lang-
sam und schwer die russischen Regimenter. +
109
Napoleon übersieht mit einem Ruck die tödliche Ge-
fahr. Er weiß, keine Zeit bleibt, zu warten, bis die Meute
sich sammelt. Er muß sie zerteilen, muß einzeln sie an-
fallen, die Preußen, die Engländer, die Österreicher, ehe
sie zur europäischen Armee werden und der Unter-
gang seines Kaiserreichs. Er muß eilen, weil sonst die
Mißvergnügten im eigenen Lande erwachen, er muß
schon Sieger sein, ehe die Republikaner erstarken und
sich mit den Royalisten verbünden, bevor Fouché, der
Zweizüngige und Unfaßbare im Bunde mit Talleyrand,
seinem Gegenspieler und Spiegelbild, ihm hinterrücks
die Sehnen zerschneidet. In einem einzigen Elan muß
er, den rauschenden Enthusiasmus der Armee nützend,
gegen seine Feinde los: jeder Tag ist Verlust, jede
Stunde Gefahr. So wirft er hastig den klirrenden
Würfel auf das blutigste Schlachtfeld Europas, nach
Belgien. Am 15. Juni um drei Uhr morgens überschrei-
ten die Spitzen der großen — und nun auch einzigen —
Armee Napoleons die Grenze. Am 16. schon rennen sie
bei Ligny gegen die preußische Armee an und schlagen
sie zurück. Es ist der erste Prankenschlag des ausge-
brochenen Löwen, ein furchtbarer, jedoch kein tödlicher.
Geschlagen, aber nicht vernichtet, zieht sich die preu-
Bische Armee gegen Brüssel zurück.
Nun holt Napoleon aus zum zweiten Schlage, gegen
Wellington. Er darf nicht Atem holen, nicht Atem
lassen, denn jeder Tag bringt dem Gegner Verstärkung,
und das Land hinter ihm, das ausgeblutete, unruhige
französische Volk muß berauscht werden mit dem feu-
rigen Fusel der Siegesbulletins. Noch am 17. marschiert
IIO
er mit seiner ganzen Armee bis an die Höhen von Qua-
tre-Bras, wo Wellington, der kalte, stahlnervige Gegner,
sich verschanzt hat. Nie waren Napoleons Dispositionen
umsichtiger, seine militärischen Befehle klarer, als an
diesem Tage: er erwägt nicht nur den Angriff, sondern
auch seine Gefahren, nämlich, daß die geschlagene, aber
nicht vernichtete Armee Blüchers sich mit jener Wel-
lingtons vereinigen könnte. Dies zu verhindern, spaltet
er einen Teil seiner Armee ab, damit sie Schritt für
Schritt die preußische Armee vor sich herjage und die
Vereinigung mit den Engländern verhindere.
Den Befehl dieser Verfolgungsarmee übergibt er dem Mar-
schallGrouchy. Grouchy, ein mittlerer Mann, brav, auf-
recht, wacker, verläßlich, ein Reiterführer, oftmals be-
währt, aber ein Reiterführer und nichts mehr. Kein heißer, ©
mitreißender Kavallerieberserker wie Murat, kein Stra-
tege wie Saint-Cyr und Berthier, kein Held wie Ney.
Kein kriegerischer Küraß schmückt seine Brust, kein
Mythos umrankt seine Gestalt, keine sichtbare Eigen-
heit gibt ihm Ruhm und Stellung in der heroischen Welt
der Napoleonischen Legende: nur sein Unglück, nur
sein Mißgeschick hat ihn berühmt gemacht. Zwanzig
Jahre hat er gekämpft in allen Schlachten, von Spanien
bis Rußland, von Niederland bis Italien, langsam ist er
die Staffel bis zur Marschallswürde aufgestiegen, nicht
unverdient, aber ohne sonderliche Tat. Die Kugeln der
Österreicher, die Sonne Ägyptens, die Dolche der Araber,
der Frost Rußlands haben ihm die Vorgänger wegge-
räumt, Desaix bei Marengo, Kleber in Kairo, Lannes `
bei Wagram: den Weg zur obersten Würde, er hat ihn
III
nicht erstiirmt, sondern er ist ihm freigeschossen wor-
den durch zwanzig Jahre Krieg.
Daß er in Grouchy keinen Heros hat und keinen Stra-
tegen, nur einen verläßlichen, treuen, braven, nüchternen
Mann, weiß Napoleon wohl. Aber die Hälfte seiner
Marschälle liegt unter der Erde, die andern sind ver-
drossen auf ihren Gütern geblieben, müde des unab-
lässigen Biwaks. So ist er genötigt, einem mittleren
Mann entscheidende Tat zu vertrauen.
Am 17. Juni um elf Uhr vormittags, einen Tag nach
dem Siege bei Ligny, einen Tag vor Waterloo, übergibt
Napoleon dem MarschallGrouchy zum erstenmal ein selb-
ständiges Kommando. Für einen Augenblick, für einen
Tag tritt der bescheidene Grouchy aus der militärischen
Hierarchie in die Weltgeschichte. Für einen Augenblick
nur, aber für welch einen Augenblick! Napoleons Be-
fehle sind klar. Während er selbst auf die Engländer
losgeht, soll Grouchy mit einem Drittel der Armee die
preußische Armee verfolgen. Ein einfacher Auftrag
anscheinend dies, gerade und unverkennbar, aber doch
auch biegsam und zweischneidig wie ein Schwert. Denn
gleichzeitig mit jener Verfolgung ist Grouchy geboten,
ständig in Verbindung mit der Hauptarmee zu bleiben.
Zögernd übernimmt der Marschall den Befehl. Er ist
nicht gewohnt, selbständig zu wirken, seine Besonnen-
heit ohne Initiative fühlt sich nur sicher, wenn der ge-
niale Blick des Kaisers ihr die Tat zuweist. Außerdem
spürt er im Rücken die Unzufriedenheit seiner Generale,
vielleicht auch, vielleicht, den dunklen Flügelschlag des
Schicksals. Nur die Nähe des Hauptquartiers beruhigt
112
ihn: denn bloß drei Stunden Eilmarsch trennen seine
Armee von der kaiserlichen. |
Im strömenden Regen nimmt Grouchy Abschied. Lang-
sam rücken im schwammigen, lehmigen Grund seine
Soldaten den Preußen nach, oder in die Richtung zu-
mindest, in der sie Blücher und die Seinen vermuten.
*
Die Nacht in Caillou
Der nordische Regen strémt ohne Ende. Wie eine
nasse Herde trotten im Dunkel die Regimenter Na-
poleons heran, jeder Mann zwei Pfund Schmutz an
seinen Sohlen; nirgends Unterkunft, kein Haus und kein
Dach. Das Stroh zu naß, um sich darauf hinlegen zu
können — so drücken sich immer zehn oder zwölf Sol-
daten zusammen und schlafen, aufrecht sitzend, Rücken
an Rücken im strömenden Regen. Auch der Kaiser
selbst hält keine Rast. Eine fiebrige Nervosität jagt
ihn auf und nieder, denn die Rekognoszierungen ver-
sagen an der Undurchdringlichkeit des Wetters, Kund-
schafter melden höchst verworrenen Bericht. Noch weiß
er nicht, ob Wellington die Schlacht annimmt, und von
Grouchy fehlt Nachricht über die Preußen. So schrei-
tet er selbst um ein Uhr nachts — gleichgültig gegen
den sausenden Wolkenbruch — die Vorposten entlang,
bis auf Kanonenschußweite an die englischen Biwaks
heran, die ab und zu ein dünnes, rauchiges Licht im
Nebel zeigen, und entwirft den Angriff. Erst mit Tages-
grauen kehrt er in die kleine Hütte Caillou, in sein
ärmliches Hauptquartier, zurück, wo er die ersten De-
113
peschen Grouchys findet: unklare Nachrichten über den
Rückzug der Preußen, immerhin aber das beruhigende
Versprechen, ihnen zu folgen. Allmählich hört der Re-
gen auf. Ungeduldig geht der Kaiser im Zimmer auf
und ab und starrt gegen den falben Horizont, ob nicht
endlich sich die Ferne enthüllen wolle und damit die
Entscheidung.
Um fünf Uhr morgens — der Regen hat aufgehört —.
klärt sich auch das innere Gewölk des Entschließens.
Der Befehl wird gegeben, um neun Uhr habe sturm-
bereit die ganze Armee anzutreten. Die Ordonnanzen
sprengen in alle Richtungen. Bald knattern die Trom-
meln zur Sammlung. Nun erst wirft sich Napoleon auf
sein Feldbett, zwei Stunden zu schlafen.
*
Der Morgen von Waterloo
Neun Uhr morgens. Aber die Truppen sind noch
nicht vollzählig beisammen. Der von dreitägigem Regen
durchweichte Grund erschwert jede Bewegung und
hemmt das Nachrücken der Artillerie. Erst allmählich
erscheint die Sonne und leuchtet unter scharfem Wind:
aber es ist nicht die Sonne von Austerlitz, blankstrahlend
und glückverheißend, sondern nur schiefen Scheins glit-
zert mißmutig dieses nordische Licht. Endlich sind die
Truppen bereit, und nun, ehe die Schlacht beginnt, reitet
noch einmal Napoleon auf seiner weißen Stute die ganze
Front entlang. Die Adler auf den Fahnen senken sich
nieder wie unter brausendem Wind, die Reiter schüt-
teln martialisch ihre Säbel, das Fußvolk hebt zum Gruß
114
seine Bärenmützen auf die Spitzen der Bajonette. Alle
Trommeln rollen frenetischen Wirbel, die Trompeten
stoßen ihre scharfe Lust dem Feldherrn entgegen, aber
alle diese funkelnden Töne überwogt donnernd der
über die Regimenter hinrollende, aus siebzigtausend Sol-
datenkehlen sonor brausende Jubelschrei: „Vive Em-
pereur!“
Keine Parade der zwanzig Napoleonsjahre war groß-
artiger und enthusiastischer als diese seine letzte. Kaum
sind die Rufe verhallt, um elf Uhr — zwei Stunden
später, als vorausgesehen, um zwei verhängnisvolle Stun-
den zu spät! — ergeht an die Kanoniere der Befehl, die
Rotröcke am Hügel niederzukartätschen. Dann rückt
Ney, „le brave des braves“ mit dem Fußvolk vor; die
entscheidende Stunde Napoleons beginnt. Unzählige
Male ist diese Schlacht geschildert worden, aber man
wird nicht müde, ihre aufregenden Wechselfälle zu le-
sen, bald in der großartigen Darstellung Walter Scotts,
bald in der episodischen Darstellung Stendhals. Sie ist
groß und vielfältig von nah und fern gesehen, ebenso
vom Hügel des Feldherrn, wie vom Sattel des Kürassiers.
Sie ist ein Kunstwerk der Spannung und Dramatik mit
ihrem unablässigen Wechsel von Angst und Hoffnung,
der plötzlich sich löst in einem äußersten Katastrophen-
moment, Vorbild einer echten Tragödie, weil in diesem
Einzelschicksal das Schicksal Europas bestimmt war
und das phantastische Feuerwerk der Napoleonischen
Existenz prachtvoll wie eine Rakete noch einmal auf-
schießt in alle Himmel, ehe es in zuckendem Sturz für
immer erlischt.
LI
Von elf bis ein Uhr stürmen die französischen Regi-
menter die Höhen, nehmen Dörfer und Stellungen, wer-
den wieder verjagt, stürmen wieder empor. Schon be-
decken zehntausend Tote die lehmigen, nassen Hügel
des leeren Landes, und noch nichts ist erreicht, als Er-
schöpfung hüben und drüben. Beide Heere sind er-
müdet, beide Feldherren beunruhigt. Beide wissen, daß
dem der Sieg gehört, der zuerst Verstärkung empfängt,
Wellington von Blücher, Napoleon von Grouchy. Immer
wieder greift Napoleon nervös zum Teleskop, immer
neue Ordonnanzen jagt er hinüber; kommt sein Mar-
schall rechtzeitig heran, so leuchtet über Frankreich
noch einmal die Sonne von Austerlitz.
a
Der Fehlgang Grouchys
Grouchy, der unbewußt Napoleons Schicksal in Hän-
den hält, ist indessen befehlsgemäß am 17. Juni abends
aufgebrochen und folgt in der vorgeschriebenen Rich-
tung den Preußen. Der Regen hat aufgehört. Sorglos
wie in Friedensland schlendern die jungen Kompagnien
dalıin, die gestern zum erstenmal Pulver geschmeckt
haben: noch immer zeigt sich nicht der Feind, noch
immer ist keine Spur zu finden von der geschlagenen
preußischen Armee.
Da plötzlich, gerade wie der Marschall in einem Bauern-
haus ein rasches Frühstück nimmt, schüttert leise der
Boden unter ihren Füßen. Sie horchen auf. Wieder und
wieder rollt dumpf und schon verlöschend der Ton
heran. Kanonen sind das, feuernde Batterien von ferne,
116
doch nicht gar zu ferne, höchstens drei Stunden weit.
Ein paar Offiziere werfen sich nach Indianerart auf die
Erde, um deutlich die Richtung zu erlauschen. Stetig
und dumpf dréhnt dieser ferne Schall. Es ist die Ka-
nonade von Saint-Jean, der Beginn von Waterloo.
Grouchy hält Rat. Heiß und feurig verlangt Gerard,
sein Unterbefehlshaber: „Il faut marcher au canon“,
rasch hin in die Richtung des Geschützfeuers! Ein zwei-
ter Offizier stimmt zu: hin, nur rasch hinüber! Es ist
für sie alle zweifellos, daß der Kaiser auf die Engländer
gestoßen ist und eine schwere Schlacht begonnen hat.
Grouchy wird unsicher. An Gehorchen gewöhnt, hält
er sich ängstlich an das geschriebene Blatt, an den Be-
fehl des Kaisers, die Preußen auf ihrem Rückzug zu
verfolgen. Gerard wird heftiger, als er sein Zögern sieht.
„Marchez au canon.“ — Wie ein Befehl klingt die For-
derung des Unterkommandanten vor zwanzig Offizieren
und Zivilisten, nicht wie eine Bitte. Das verstimmt
Grouchy. Er erklärt härter und strenger, nicht ab-
weichen zu dürfen von seiner Pflicht, solange keine
Gegenorder vom Kaiser eintreffe. Die Offiziere sind
enttäuscht, und die Kanonen poltern in ein böses
Schweigen.
Da versucht Gerard sein Letztes: er bittet flehentlich,
wenigstens mit seiner Division und etwas Kavallerie
hinüber auf das Schlachtfeld zu dürfen, und verpflich-
tet sich, rechtzeitig zur Stelle zu sein. Grouchy überlegt.
Er überlegt eine Sekunde lang.
x
117
Weltgeschichte in einem Augenblick
Fine Sekunde überlegt Grouchy, und diese eine Se-
kunde formt sein eigenes Schicksal, das Napoleons und
das der Welt. Sie entscheidet, diese Sekunde im Bauern-
haus von Walhaim über das ganze neunzehnte Jahr-
hundert, und sie hängt an den Lippen — Unsterblichkeit!
— eines recht braven, recht banalen Menschen, sie liegt
flach und offen in den Händen, die nervös die verhäng-
nisvolle Order des Kaisers zwischen den Fingern knit-
tern. Könnte Grouchy jetzt Mut fassen, kühn sein, un-
gehorsam der Order aus Glauben an sich und das sicht-
liche Zeichen, so wäre Frankreich gerettet. Aber der sub-
alterne Mensch gehorcht immer dem Vorgeschriebenen
und nie dem Anruf des Schicksals.
So winkt Grouchy energisch ab. Nein, das wäre unver-
antwortlich, ein so kleines Korps noch einmal zu teilen.
Seine Aufgabe gebietet, die Preußen zu verfolgen, nichts
als dies. Und er weigert sich, gegen den Befehl des
Kaisers zu handeln. Die Offiziere schweigen verdrossen.
Es entsteht eine Stille um ihn. Und in ihr entschwebt
unwiderruflich, was Worte und Taten dann nie mehr
fassen können — die entscheidende Sekunde. Welling-
ton hat gesiegt.
So marschieren sie weiter, Gerard, Vandamme, mit zor-
nigen Fäusten, Grouchy bald beunuhigt und von Stunde
zu Stunde unsicherer: denn sonderbar, noch immer zei-
gen sich die Preußen nicht, offenbar haben sie die Richtung
auf Brüssel verlassen. Bald melden Botschafter verdäch-
tige Anzeichen, daß ihr Rückzug sich in einen Flanken-
marsch zum Schlachtfeld verwandelt habe. Noch wäre
118
es Zeit, mit letzter Eile dem Kaiser zu Hilfe zu kommen,
und immer ungeduldiger wartet Grouchy auf die Bot-
schaft, auf den Befehl, zuriickzukehren. Aber keine
Nachricht kommt. Nur dumpf rollen immer ferner von
drüben die Kanonen über die schauernde Erde: die eiser-
nen Würfel von Waterloo.
ak
Der Nachmittag von Waterloo
Unterdessen ist es ein Uhr geworden. Vier Attacken
sind zwar zurückgeworfen, aber sie haben das Zentrum
Wellingtons empfindlich aufgelockert: schon rüstet Na-
poleon zum entscheidenden Sturm. Er läßt die Batterien
vor Belle-Alliance verstärken, und ehe der Dampf der
Kanonade seinen wolkigen Vorhang zwischen die Hügel
zieht, wirft Napoleon noch einen letzten Blick über das
Schlachtfeld.
Da bemerkt er nordöstlich einen dunkel vorrückenden
Schatten, der aus den Wäldern zu fließen scheint: neue
Truppen! Sofort wendet sich jedes Fernglas hin: ist es
schon Grouchy, der kühn den Befehl überschritten hat
und nun wunderbar zur rechten Stunde kommt? Nein,
ein eingebrachter Gefangener meldet, es sei die Vorhut
der Armee des Generals von Blücher, preußische Trup-
pen. Zum erstenmal ahnt der Kaiser, jene geschlagene
preußische Armee müsse sich der Verfolgung entzogen
haben, um sich vorzeitig mit den Engländern zu ver-
einigen, indes ein Drittel seiner eigenen Truppen nutz-
los im Leeren herummanövriere. Sofort schreibt er einen
Brief an Grouchy mit dem Auftrag, um jeden Preis die
119
Verbindung aufrechtzuerhalten und die Einmengung der
Preußen in die Schlacht zu verhindern.
Zugleich erhält der Marschall Ney die Order zum CH
griff. Wellington muß geworfen werden, ehe die Preu-
Ben eintreffen: kein Einsatz scheint mehr zu verwegen
bei so plötzlich verringerten Chancen. Nun folgen den
ganzen Nachmittag jene furchtbaren AttackenaufdasPla-
teau mit immer frisch vorgeworfener Infanterie. Immer
erstürmen sie die zerschossenen Dörfer, immer werden
sie wieder herabgeschmettert, immer wieder erhebt sich
mit flatternden Fahnen die Welle gegen die schon zer-
hämmerten Karrees. Aber noch immer hält Wellington
stand, und noch immer kommt keine Nachricht von
Grouchy. „Wo ist Grouchy? Wo bleibt Grouchy ?“
murmelt der Kaiser nervös, wie er den Vortrab der Preu-
ßen allmählich eingreifen sieht. Auch die Befehlshaber
unter ihm werden ungeduldig. Und entschlossen, ge-
waltsam ein Ende zu machen, schleudert Marschall Ney
— ebenso tollkühn, wie Grouchy allzu bedächtig (drei
Pferde sind ihm schon unter dem Leibe erschossen) —
mit einem Wurf die ganze französische Kavallerie in
einer einzigen Attacke heran. Zehntausend Kürassiere
und Dragoner versuchen diesen fürchterlichen Todes-
ritt, zerschmettern die Karrees, hauen die Kanoniere
nieder und sprengen die ersten Reihen. Zwar werden
sie selbst wieder herabgedrängt, aber die Kraft der eng-
lischen Armee ist im Erlöschen, die Faust, die jene
Hügel umkrallt, beginnt sich zu lockern. Und wie nun
die dezimierte französische Kavallerie vor den Ge-
schützen zurückweicht, rückt die letzte Reserve Na-
I20
poleons, die Alte Garde, schwer und langsamen Schrittes
heran, um den Hügel zu stürmen, dessen Besitz das
Schicksal Europas verbürgt.
*
Die Entscheidung
Vierhundert Kanonen donnern ununterbrochen seit
Morgen auf beiden Seiten. An der Front klirren die Ka-
valkaden der Reiterei gegen die feuernden Karrees,
Trommelschlage prasseln auf das dröhnende Fell, die
ganze Ebene bebt vom vielfältigen Schall. Aber oben
auf den beiden Hügeln horchen die beiden Feldherren
über das Menschengewitter hinweg. Sie horchen beide
auf leiseren Laut.
Zwei Uhren ticken leise wie Vogelherzen in ihrer Hand
über die gewitternden Massen. Napoleon und Welling-
ton, beide greifen sie ununterbrochen nach dem Chrono-
meter und zählen die Stunden, die Minuten, die ihnen
jene letzte entscheidende Hilfe bringen muß. Welling-
ton weiß Blücher nah, und Napoleon hofft aufGrouchy.
Beide haben sie keine Reserven mehr, und wer zuerst
eintrifft, hat die Schlacht entschieden. Beide spähen sie
mit dem Teleskop nach dem Waldrand, wo jetzt wie ein
leichtes Gewölk der preußische Vortrab zu erscheinen
beginnt. Aber sind es nur Plänkler oder die Armee
selbst, auf ihrer Flucht vor Grouchy ? Schon leisten die
Engländer nur mehr letzten Widerstand, aber auch die
französischen Truppen ermatten. Wie zwei Ringer keu-
chend, stehen sie mit schon gelähmten. Armen einander
gegenüber, atemholend, ehe sie einander zum letzten
I2I
Male fassen: die unwiderrufliche Runde der Entschei-
dung ist gekommen.
Da endlich donnern Kanonen an der Flanke der Preu-
ßen: Geplänkel, Füsilierfeuer! „Enfin Grouchy!“ End-
lich Grouchy! atmet Napoleon auf. Im Vertrauen auf
die nun gesicherte Flanke, sammelt er seine letzte Mann-
schaft und wirft sie noch einmal gegen Wellingtons
Zentrum, den englischen Riegel vor Brüssel zu zer-
brechen, das Tor Europas aufzusprengen.
Aber jenes Gewehrfeuer war bloß ein irrtümliches Ge-
plänkel, das die anrückenden Preußen, durch die andere
Uniform verwirrt, gegen die Hannoveraner begonnen:
bald stellen sie das Fehlfeuer ein, und ungehemmt, breit
und mächtig quellen jetzt ihre Massen aus der Wal-
dung hervor. Nein, es ist nicht Grouchy, der mit seinen
Truppen anrückt, sondern Blücher, und damit das Ver-
hängnis. Die Botschaft verbreitet sich rasch unter den
kaiserlichen Truppen, sie beginnen zurückzuweichen, in
leidlicher Ordnung noch. Aber Wellington erfaßt den
kritischen Augenblick. Er reitet bis an den Rand des
siegreich verteidigten Hügels, liiftet den Hut und
schwenkt ihn über dem Haupt gegen den weichenden
Feind. Sofort verstehen die Seinen die triumphierende
Geste. Mit einem Ruck erhebt sich, was von englischen
Truppen noch übrig ist, und wirft sich auf die gelockerte
Masse. Von der Seite stürzt gleichzeitig preußische Ka-
vallerie in die ermattete, zertrümmerte Armee: der
Schrei gellt auf, der tödliche: „Sauve qui peut!“ Ein
paar Minuten nur,und dieGrande Armee ist nichts mehr
als ein zügellos jagender Angststrom, der alles, auch
122
Napoleon selbst, mitreißt. Wie in wehrloses, fühlloses
Wasser schlägt die nachspornende Kavallerie in diesen
rasch und flüssig rückrennenden Strom, mit lockerem
Zug fischen sie die Karosse Napoleons, den Heerschatz,
die ganze Artillerie aus dem schreienden Schaum von
Angst und Entsetzen, und nur die einbrechende Nacht
rettet dem Kaiser Leben und Freiheit. Aber der mitter-
nachts dann, verschmutzt und betäubt, in einem niedern
Dorfwirtshaus müde in den Sessel fällt, ist kein Kaiser
mehr. Sein Reich, seine Dynastie, sein Schicksal sind
zu Ende: die Mutlosigkeit eines kleinen, unbedeutenden
Menschen hat zerschlagen, was der Kühnste und Weit-
blickendste in zwanzig heroischen Jahren erbaut.
*
Rücksturz ins Tägliche
Kaum schmettert der englische Angriff Napoleon nie-
der, so jagt ein damals fast Namenloser auf einer Extra-
kalesche die Straße nach Brüssel und von Brüssel an das
Meer, wo ein Schiff seiner wartet. Er segelt hinüber
nach London, um dort vor den Stafetten der Regierung
einzutreffen, und es gelingt ihm, dank der noch unbe-
kannten Nachricht, die Börse zu sprengen: es ist Roth-
schild, der mit diesem genialen Zug ein anderes Kaiser-
reich begründet, die Dynastie des Geldes. Am nächsten
Tage weiß England um den Sieg und weiß in Paris
Fouché, der ewige Verräter, um die Niederlage: schon
dröhnen in Brüssel und Deutschland die Siegesglocken.
Nur einer weiß am nächsten Morgen noch nichts von
Waterloo, obzwar nur vier Stunden weit von dem
123
Schicksalsort: der ungliickselige Grouchy; beharrlich
und planmäßig ist er, genau nach dem Befehl, den Preu-
ßen nachgerückt. Aber sonderbar, er findet sie nirgends,
das wirft Unsicherheit in sein Gefühl. Und immer noch
poltern von nahe her die Kanonen lauter und lauter, als
schrien sie um Hilfe. Sie spüren die Erde beben und
spüren jeden Schuß bis ins Herz. Alle wissen nun, das
gilt keinem Geplänkel, sondern eine gigantische Schlacht
ist entbrannt, die Schlacht der Entscheidung.
Nervös reitet Grouchy zwischen seinen Offizieren. Sie
vermeiden, mit ihm zu diskutieren: ihr Ratschlag ist ja
verworfen.
Erlösung darum, wie sie bei Wawre endlich auf ein ein-
zelnes preußisches Korps stoßen, auf Blüchers Nachhut.
Gleich Rasenden stürmen sie gegen die Verschanzungen,
Gerard allen voran, als suche er, von düsterer Ahnung
getrieben, den Tod. Eine Kugel schlägt ihn nieder: der
lauteste der Mahner ist nun stumm. Mit Nachteinbruch
stürmen sie das Dorf, aber sie fühlens, dieser kleine
Nachhutsieg hat keinen Sinn mehr, denn mit einmal ist
es von drüben, vom Schlachtfeld her, vollkommen still
geworden. Beängstigend stumm, grauenhaft friedlich,
ein gräßlich totes Schweigen. Und alle spüren sie, daß
das Rollen der Geschütze noch besser war als diese
nervenzerfressende Ungewißheit. Die Schlacht muß ent-
schieden sein, die Schlacht bei Waterloo, von der endlich
Grouchy (zu spät!) jenes hilfedrängende Billett Napo-
Jeons erhalten hat. Sie muß entschieden sein, die gigan-
tische Schlacht, doch für wen?
Und sie warten die ganze Nacht. Vergeblich! Keine
124
Botschaft kommt von drüben. Es ist, als hätte sie die
Große Armee vergessen, und sie ständen leer und sinnlos
im undurchsichtigen Raum. Am Morgen brechen sie die
Biwaks ab und nehmen den Marsch wieder auf, todmüde
und längst bewußt, daß all ihr Marschieren und Manö-
vrieren längst zwecklos geworden ist. Da, endlich, um
zehn Uhr vormittags, sprengt ein Offizier des General-
stabs heran. Sie helfen ihm vom Pferde und überschütten
ihn mit Fragen. Aber er, das Antlitz verwüstet von
Grauen, die Haare naß an den Schläfen und zitternd von
übermenschlicher Anstrengung, stammelt nur unver-
ständliche Worte, Worte, die sie nicht verstehen, nicht
verstehen können und wollen. Für einen Wahnsinnigen,
für einen Trunkenen halten sie ihn, wie er sagt, es gäbe
keinen Kaiser mehr, keine kaiserliche Armee, Frankreich
sei verloren. Aber nach und nach entreißen sie ihm die
ganze Wahrheit, den niederschmetternden, tödlich läh-
menden Bericht.
Grouchy steht bleich und stützt sich zitternd auf seinen
Säbel: er weiß, daß jetzt das Martyrium seines Lebens
beginnt. Aber er nimmt entschlossen die undankbare
Aufgabe der vollen Schuld auf sich. Der subalterne, zag-
hafte Untergebene, der in der großen Sekunde der un-
sichtbaren Entscheidung versagte, wird jetzt, Blick in
Blick mit einer nahen Gefahr, wieder Mann und beinahe
Held. Er versammelt sofort alle Offiziere und hält —
Tränen des Zorns und der Trauer in den Augen — eine
kurze Ansprache, in der er sein Zögern rechtfertigt und
gleichzeitig beklagt. Schweigend hören ihn seine Offi-
ziere an, die ihm gestern noch grollten. Jeder könnte ihn
125
anklagen und sich rühmen, besserer Meinung gewesen
zu sein. Aber keiner wagt und will es. Sie schweigen und
schweigen. Die rasende Trauer macht sie alle stumm.
Und gerade in jener Stunde nach seiner versäumten
Sekunde, zeigt Grouchy — nun zu spät — seine ganze
militärische Kraft. Alle seine großen Tugenden, Beson-
nenheit, Tüchtigkeit, Umsicht und Gewissenhaftigkeit,
werden klar, seit er wieder sich selbst vertraut und nicht
mehr geschriebenem Befehl. Von fünffacher Übermacht
umstellt, führt er — eine meisterhafte taktische Lei-
stung — mitten durch die Feinde seine Truppen zurück,
ohne eine Kanone, ohne einen Mann zu verlieren, und
rettet Frankreich, rettet dem Kaiserreich sein letztes
Heer. Aber kein-Kaiser ist, wie er heimkehrt, mehr da,
ihm zu danken, kein Feind, dem er die Truppen ent-
gegenstellen kann. Er ist zu spät gekommen, zu spät für
immer, und wenn nach außen sein Leben noch aufsteigt
und man ihn zum Oberkommandanten ernennt, zum Pair
von Frankreich, und er in jedem Amt sich mannhaft-
tüchtig bewährt, nichts kann ihm mehr diesen einen i
g )
Augenblick zurückkaufen, der ihn zum Herrn des
Schicksals gemacht und dem er nicht gewachsen war.
So furchtbar rächt sich die große Sekunde, sie, die selten
in das Leben der Irdischen niedersteigt, an dem zu un-
recht Gerufenen, der sie nicht zu nützen weiß. Alle
bürgerlichen Tugenden, wohl wappnend gegen die An-
sprüche stillrollenden Tags, Vorsicht, Gehorsam, Eifer
und Bedächtigkeit, sie alle schmelzen ohnmächtig in der
Glut des großen Schicksalsaugenblicks, der immer nur
den Genius fordert und zum dauernden Bildnis formt.
126
ys Ei ei
glau
dich
H
í
'
Verächtlich stößt er den Zaghaften zurück — einzig den
Kühnen hebt er, ein anderer Gott der Erde, mit feurigen
Armen in den Himmel der Helden empor.
Aus den fünf historischen Miniaturen ,,Sternenstunde
der Menschheit“ (Insel-Bücherei Nr. 165)
*
GESCHICHTEN AUS DEM HERODOT
Kandaules und Gyges
| Kandaules war sehr verliebt in seine Frau, und ver-
_ liebt, wie er war, glaubte er das schönste Weib von der
Welt zu besitzen. Nun befand sich in seiner Leibwache
ein gewisser Gyges, Daskylos’ Sohn, den er besonders
schätzte. Dem vertraute er die wichtigsten Dinge an,
und so pries er ihm gelegentlich auch die unvergleich-
liche Schönheit seiner Frau. Bald nachher, denn es sollte
Kandaules übel ergehen, sagte er zu ihm: „Gyges, du
scheinst mir noch immer nicht zu glauben, was ich dir
über die Schönheit meiner Frau gesagt habe (aber da
man den Augen mehr als den Ohren traut), darum sollst
du sie einmal nackt sehen.“ Da entsetzte sich Gyges
und sagte: „Herr, wie kannst du mir so etwas ansinnen ?
Ich soll meine Herrin nackt sehen? Mit dem Kleide
zieht das Weib auch die Scham aus. Die Menschen
sind längst dahintergekommen, was sich schickt, und das
soll man sich zur Lehre nehmen. Und dazu gehört auch,
daß keiner sieht, was ihm zu sehen nicht gebührt. Ich
glaube dir ja gern, daß sie das schönste Weib ist, bitte
dich aber, nichts Ungebührliches von mir zu verlangen.“
127
Mit diesen Worten schlug er es ab aus Furcht, es könnte
ihm übel bekommen. Kandaules aber erwiderte: „Nur
Mut, Gyges, fürchte dich nicht; ich werde dich nicht
in Versuchung führen, und auch meine Frau wird dir
nichts zuleide tun. Denn ich werde es schon so ein-
richten, daß sie nicht merkt, daß du sie gesehen hast.
Ich will dich nämlich in unserm Schlafgemach hinter
die offene Tür stellen. Gleich nach mir wird dann
auch meine Frau hereinkommen, um zu Bette zu gehen.
Dicht am Eingange steht ein Stuhl, auf den legt sie,
wenn sie sich auszieht, ihre Kleider, eins nach dem
andern, und dann kannst du sie dir in aller Ruhe an-
sehen. Wenn sie aber von dem Stuhle nach dem Bette
geht und dir den Rücken zukehrt, mußt du machen,
daß du aus der Tür kommst, damit sie dich nicht
sieht.“ |
So erklärte er sich, da ihm nichts anderes übrig blieb,
denn auch dazu bereit. Als Kandaules glaubte, es sei
Zeit, zu Bette zu gehen, nahm er ihn mit in die Schlaf-
kammer, und gleich darauf kam auch die Frau. Gyges
aber sah sie sich an, als sie hereinkam und ihre Kleider
ablegte. Wie sie sich dann nach dem Bette wandte und
ihm den Rücken zukehrte, schlich er ganz leise hinaus.
Die Frau aber sah ihn hinausgehen. Obwohl sie über-
zeugt war, daß ihr Mann ihr das getan, schrie sie nicht,
weil sie sich schämte, und ließ sich überhaupt nichts
merken, nahm sich aber vor, sich dafür an Kandaules
zu rächen. Denn bei den Lydern und fast bei allen Bar-
baren ist es selbst für einen Mann sehr unanständig,
nackt gesehen zu werden.
128
Die Sphinx von Gise
Digitized by Google
Damals also schwieg sie und lief sich nichts merken.
Aber sobald es Tag geworden, ließ sie die Diener, die
ihr am treuesten ergeben waren, kommen und Gyges
rufen, der aber ahnte nicht, daß sie um die Sache wußte,
und fand sich unverzüglich bei ihr ein; denn er war von
jeher gewohnt, der Königin aufzuwarten, wenn sie ihn
zu sich entbieten ließ. Als Gyges erschienen war, redete
sie ihn also an: „Jetzt stehen dir zwei Wege offen,
Gyges, und ich lasse dir zwischen beiden die Wahl.
Entweder mußt du Kandaules töten und mein Mann
und König der Lyder werden oder auf der Stelle des
Todes sterben, damit du dich nicht immer wieder von
Kandaules verführen läßt und siehst, was du nicht sehen
sollst. Einer von euch beiden muß sterben, entweder er,
weil er dich dazu verführt, oder du, weil du mich nackt
gesehen und unerhört gegen die gute Sitte verstoßen
hast.“ Anfangs war er wie auf den Mund geschlagen
und wußte nicht, was er sagen sollte, dann aber bat er
sie flehentlich, ihn nicht zu einer solchen Wahl zu zwin-
gen. Da sie jedoch darauf bestand, und er einsah, daß
ihm in der Tat nichts übrig. blieb, als entweder seinen
Herrn zu töten oder selbst von Henkers Hand zu ster-
ben, wollte er doch lieber selbst leben bleiben und rich-
tete an sie folgende Frage: „Da du mich zwingst, so
schwer es mir wird, meinen Herrn zu töten, so sag mir
auch, auf welche Weise wir Hand an ihn legen sollen.“
Sie aber erwiderte: „An derselben Stelle, wo er mich
nackt hat sehen lassen, wollen wir ihn überfallen und
im Schlafe ermorden.“
Nachdem sie ihren Plan gefaßt und es Nacht geworden
129
war, ging Gyges mit der Frau in das Schlafgemach
(denn sie ließ ihn nicht los, und er hatte keine Wahl,
eatweder mußte er oder Kandaules sterben), sie aber
gab ihm einen Dolch und versteckte ihn wieder hinter
der Tür. Darauf, als Kandaules im Schlafe lag, kam
Gyges hervor und erstach ihn und gewann damit sein
Weib und sein Reich.
ak
Agypten
Bei Agypten aber werde ich noch langer verweilen, weil
es ein gar zu wunderbares Land ist und mehr Merk-
würdigkeiten enthält als irgendein anderes Land. Des-
halb will ich noch weiter davon reden. Wie der Himmel
in Ägypten anders aussieht als anderswo und der Fluß
dort anders beschaffen ist als andere Flüsse, so haben
die Ägypter auch ganz andere Sitten und Gewohnheiten
als andere Menschen. So gehen bei ihnen die Weiber
auf den Markt und treiben Kramhandel, während die
Männer zu Hause bleiben und weben. Anderswo webt
man den Einschlag von oben ein, in Ägypten von unten.
Lasten tragen die Männer auf dem Kopfe, die Weiber
auf den Schultern. Die Weiber schlagen das Wasser im
Stehen ab, die Männer im Sitzen. Die Notdurft ver-
richten sie im Hause und essen auf der Straße, denn
nach ihrer Meinung muß man das Unanständige, wenn
man es nötig hat, im Verborgenen tun, das Anständige
aber vor aller Augen. Weiber versehen niemals Priester-
dienste, weder bei Göttern noch bei Göttinnen, Männer
dagegen bei allen beiden. Söhne brauchen ihre Eltern
130
nicht zu ernähren, wenn sie es nicht wollen, Töchter
aber müssen es, auch wenn sie es nicht wollen.
Anderswo tragen die Priester der Götter langes Haar,
in Ägypten schneiden sie es ab. In anderen Ländern ist
es Sitte, daß sich die Leidtragenden bei einem Trauer-
fall das Haar abschneiden, in Ägypten aber lassen sie es
bei einem Todesfall auf dem Kopfe und am Kinn wach-
sen, wenn sie es bis dahin geschoren hatten. Andere
Leute leben nicht mit ihrem Vieh zusammen, die Ägyp-
ter leben mit ihnen unter einem Dache. Anderswo ißt
man Weizen- und Gerstenbrot, einem Ägypter würde
es übel anstehen, wenn er das täte, sondern man bereitet
das Brot aus Einkorn, das sonst auch Dinkel genannt
wird. Sie kneten den Teig mit den Füßen und den
Lehm mit den Händen (und fassen damit auch den Mist
an). Die Geschlechtsteile lassen andere so, wie sie von
Natur beschaffen sind, die Ägypter aber und solche, die
es ihnen nachmachen, beschneiden sie. Jeder Mann hat
zwei Kleider, die Frau aber nur eins. Die Segelringe
und die Segeltaue bindet man sonst inwendig, in Ägyp-
ten aber von außen an. Die Griechen schreiben und
rechnen von links nach rechts, die Ägypter dagegen von
rechts nach links, und trotzdem sagen sie, sie schrieben
nach rechts und die Griechen nach links. Es gibt bei
ihnen zweierlei Schrift, von denen die eine die hiera-
tische, die andere die demotische heißt.
Die Ägypter sind das religiöseste unter allen Völkern
und haben folgende Sitten. Sie trinken aus ehernen
Bechern, die sie täglich aufwaschen, und zwar alle und
nicht nur dieser oder jener. Sie tragen leinene, immer
131
frisch gewaschene Kleider, womit sie es sehr genau
nehmen. Die Geschlechtsteile beschneiden sie der Rein-
lichkeit wegen, indem sie mehr Wert auf Reinlichkeit
als auf Schicklichkeit legen. Die Priester scheren sich
alle drei Tage den ganzen Leib, damit sie beim Gottes-
dienst nicht von Läusen und anderem Ungeziefer be-
fallen werden. Die Priester tragen auch nur ein einziges
leinenes Kleid und Schuhe von Byblos. Andere Kleider
und andere Schuhe dürfen sie nicht anziehen. Sie waschen
sich zweimal am Tage und zweimal des Nachts mit
kaltem Wasser und haben außerdem, ich möchte sagen,
noch tausend andere religiöse Bräuche, die sie befolgen
müssen. Dafür haben sie dann auch wieder große Vor-
teile. Denn ihr Haushalt kostet ihnen nichts, da ihnen
Brot auf Tempelkosten gebacken und jedem täglich
Rind- und Gänsefleisch in Menge geliefert wird und
Wein dazu. Fisch aber dürfen sie nicht essen. Bohnen
werden in Ägypten überhaupt nicht gebaut, und auch
wo sie wild wachsen, werden sie weder roh gekaut noch
gekocht gegessen. Die Priester aber dürfen sie gar nicht
sehen; denn sie gelten für eine unreine Frucht. Jeder
Gott hat nicht nur einen, sondern viele Priester, von
denen einer der Oberpriester ist, und wenn er stirbt,
wird sein Sohn sein Nachfolger.
Nun komme ich zum Krokodil. In den vier Haupt-
wintermonaten frißt es nichts, und obwohl es ein Vier-
füßler ist, lebt es doch nicht nur auf dem Lande, son-
dern auch im Wasser. Denn es legt und brütet seine
Eier auf dem Lande und hält sich den größten Teil des
Tages auf dem Trockenen, die ganze Nacht aber im
132
Flusse auf; denn dann ist das Wasser warmer als die
Luft und der Tau. Von allen uns bekannten Tieren
wird dieses aus dem kleinsten das größte; denn seine
Eier sind nicht viel größer als ein Gänseei, und das
Junge ist nicht größer als das Ei; dann aber wächst es
und wird gegen siebzehn Ellen lang, ja noch größer.
Es hat Schweinsaugen und große (der Größe seines
Körpers entsprechende), spitzige Zähne. Es ist das ein-
zige Tier, das keine Zunge hat und den Unterkiefer
nicht bewegt, auch das einzige, welches den Oberkiefer
gegen den unteren bewegt. Es hat scharfe Krallen und
am Rücken einen undurchdringlichen Schuppenpanzer.
Im Wasser ist es blind, auf dem Lande aber sieht es
sehr scharf. Da es im Wasser lebt, ist sein Rachen in-
wendig voller Blutegel. Alle anderen Vögel und Tiere
fürchten sich vor ihm, der ägyptische Regenpfeifer aber
lebt mit ihm im Frieden, weil er ihm gute Dienste leistet.
Denn wenn das Krokodil aus dem Wasser ans Land
kommt und den Rachen aufsperrt (was es gegen den
Westwind in der Regel zu tun pflegt), so schlüpft ihm
der Regenpfeifer in den Rachen und verschluckt die
Blutegel. Solchen Dienst läßt es sich gern gefallen, und
es tut dem Vogel nichts zuleide.
In einigen Gegenden von Ägypten gelten die Krokodile
für heilig, in anderen aber nicht, und man verfolgt sie
als gefährliche Tiere. Bei Theben und am Moiris-See
gelten sie für besonders heilig. Hier wie dort aber hält
man sich ein Krokodil, welches so weit gezähmt ist,
daß es sich anfassen läßt. Man hängt ihm Ohrringe an
von Schmelz und Gold, und Spangen um die Vorder-
133
füße, füttert es aus den Vorräten des "Tempels mit
Leckerbissen und pflegt es sein Leben lang aufs beste.
Stirbt es, so wird es einbalsamiert und in einem heiligen
Sarge begraben. Bei Elephantine aber ißt man die Kro-
kodile und hält sie nicht für heilig. Sie heißen auch (in
Ägypten) nicht Krokodile, sondern Champsai. Krokodile
(= Eidechsen) aber nennen die Ionier sie wegen der
Ähnlichkeit mit den Eidechsen im Dorngestrüpp.
Man fängt es auf mancherlei Weise; ich beschreibe nur
eine, die mir besonders erwähnenswert scheint. Man
steckt einen Schweinsrücken auf einen Angelhaken und
läßt ihn in den Fluß hinunter, stellt sich dann selbst
mit einem lebendigen Schweine ans Ufer und schlägt es.
Wenn das Krokodil es quieken hört, geht es dem Klange
nach, gerät dabei an den Schweinsrücken und ver-
schlingt ihn. Nun zieht man es heraus, und wenn es ans
Land gezogen ist, muß ihm der Jäger zuerst die Augen
mit Schlamm verkleben; dann hat er leichtes Spiel, sonst
aber noch seine liebe Not mit ihm.
Es gibt auch noch einen heiligen Vogel, den Phönix.
Ihn selbst habe ich freilich nicht gesehen, sondern nur
sein Bild. Denn wie die Leute in Heliupolis sagen,
kommt er sehr selten, alle fünfhundert Jahre einmal,
zu ihnen, und zwar nur, wenn sein Vater gestorben ist.
Sieht er wirklich so aus wie sein Bild, so sind seine
Federn teils goldfarbig, teils rot. An Gestalt und Größe
aber hat er die meiste Ähnlichkeit mit einem Adler.
Nun sagen sie, was ich aber nicht glaube, er käme aus
Arabien und brächte seinen Vater, den er mit Myrrhen
verklebt, in den ‘Tempel des Helios und begrübe ihn
134
dort. Dabei aber verfiihre er auf folgende Weise. Zuerst
mache er sich ein Ei aus Myrrhen so groß, wie er es
tragen könnte, und wenn er sich davon überzeugt, daß
er es tragen könnte, höhle er das Ei aus und lege seinen
Vater hinein, dann aber verklebe er es da, wo er es
ausgehöhlt und seinen Vater hineingelegt, wieder mit
Myrrhen. Nun wäre das Ei mit dem Vater darin ebenso
schwer wie vorher, und so verklebt brächte er ihn nach
Ägypten in den Tempel des Helios. So, sagen sie, mache
es dieser Vogel.
Aus dem Buch „Das Geschichtswerk des Herodot von
Halikarnass“ neu übertragen von Theodor Braun.
x
DEMETER-SONETTE
VON RICHARD FRIEDENTHAL
Die feuchten Pappeln glänzen hoch und steil,
Wie Honig bleibt das Licht an ihnen kleben,
Es keimt die Luft und schwillt in weichem Beben,
Die Büsche wiegen sich, gewittergeil.
Die Wiese wälzt sich, eine Metze, feil
Und schamlos allen Winden preisgegeben.
Auf alle Blüten lagert sich das Leben
Und auch der offne Teich bekommt sein Teil.
Und Bienen kommen, braun mit goldnen Haaren,
Ihr wühlend Summen schwängert rings den Duft.
Es lehnt der Fels sich trunken in die Luft
135
Und neigt sich im Gefühl des nahen Falls.
Du hebst die Hände, deine Brust zu wahren,
Und plötzlich liegen sie um meinen Hals.
x
Dies gibt es, daß sich eine Frau dir läßt,
In jeder Fiber deinem Wunsch gewillt,
Und: daß man dennoch völlig ungestillt
Und hungrig sie in seine Arme preßt.
Verzweifelt halten sich die Leiber fest
Und liegen beieinander wie zerkniillt,
Von Angst und Trauer ratlos angefüllt
Und trinken ohne Mut den bittren Rest.
O Einsamkeit. Uns hält das gleiche Leinen,
Und doch sind wir uns weiter fern als je.
Wie reiben sich die Herzen träge weh.
Wir sind uns fremd, wenn wir uns ganz vereinen.
Schrittweis entwandern uns der Herzen Schläge,
Und jedes Blut geht seine eignen Wege.
a
Die Hand ist warm und voll und fest im Schlusse
Und wie gemacht, um üppig zu verschwenden:
Im Ansatz breit, abschwellend zu den Enden,
Rist, Finger und Gelenk aus einem Gusse.
136
Ich folge mit dem Munde ihrem Flusse
Und muß sie oft so hin und wieder wenden,
Der Glanz der Haut will mir die Lippen blenden;
Leis tönen die Gelenke unterm Kusse.
Still ruht sie auf der Schläfe. Das Gewirre
Der Linien dringt ins Hirn, ein kühler Garten,
In dem ich wandernd mich getrost verirre.
Wie auch die Wege durcheinandertrachten,
Doch treffen sie sich alle. Tiefer lehn ich
Mich in sie ein. Laß sie mir noch ein wenig.
x
W ie laue Milch sind unterm Strauch die Flecke
Des Lichtes, und der Schatten schmeckt nach Nuf.
Stark auf uns nieder strömt in vollem Fluß
Der würzige Minzgeruch der Haselhecke.
Wir liegen in dem luftigen Verstecke
Und tauschen ruhig atmend Kuß um Kuß,
Und horchen in den Pausen auf den Guß
Der Sonne, stürzend auf die Blätterdecke.
Nun bist du satt und dehnst die Schultern selig
Ganz auseinander, senkst den Kopf zur Seite,
Und liegst sehr bald in leichtem Schlummerschweiße.
Der Boden ruft. Das schöne, fleischig heiße
Gesicht schmilzt ein. Die Glieder gehn ins Breite.
Zu Erde wird der ganze Leib allmählich.
x
137
Kein Zug von Geiz in deinem weiten Blick,
Du liebst es, dich unendlich zu verschwenden.
Du gibst dich lächelnd aus mit vollen Händen,
Und tausendfältig kehrst du dir zurück.
Wie viele zälılen zögernd Stück um Stück
Und rechnen nach, was sie an andre wenden,
Und nickten hämisch, wenn sie Undank fänden.
Doch nur die Grenzenlosigkeit ist Glück.
Sie halten an sich, um ihr Herz zu schonen,
Wie einen Stoff, den man zu kostbar hält,
Und der doch dann, wenn man ihn braucht, zerfällt
Vom Mottenfraß zerhöhlt wie mürber Zunder.
Du aber strömst, ein unerschöpflich Wunder,
Dich aus. — Gott wird dich irgendwie belohnen.
x
AUS EINEM KÜNFTIGEN BUCH
VON HANS CAROSSA
ERZIEHUNGEN
Endlich kehrt der Sommer zuriick, und viel freier und
einfacher wird nun das Leben; es dreht sich außerhalb
des Unterrichts nur noch um Turnen, Springen und
Schwimmen. Evas früh gestellte Forderung, man müsse
die Muskeln bis zur Beinhärte üben, wird auf einmal
die allgemeine; dazu kommt spartanische Verpönung
der Wehleidigkeit; was einem Schmerzhaftes zustößt,
hat man ohne Schreien und Gesichterschneiden zu ver-
138
winden. Mißerfolge in der Schule verlieren an Bedeu-
tung; dagegen kann einem die Frage, ob man berufen
sel, dereinst am hohen Reck den Riesenschwung aus-
zuführen, tief in den Schlaf hinein verfolgen. Ehre aber
dem Andenken der Lehrer! Die Freude an der Körper-
bemeisterung teilt sich mehreren von ihnen mit; und
wenn am Jahresende solch ein ruhmreicher Wettläufer
oder Turnmeister über Latein oder Griechisch zu strau-
cheln droht, wird ihm nicht ungern einige Nachsicht
gewährt. Einem lustigen Irrtum verfällt mancher ver-
sonnene Unerfahrene, da er die leiblichen Veränderun-
gen an sich bemerkt, welche seinen Jahren zukommen;
wie Verunstaltungen werden sie zunächst empfunden,
dann erfolgt Aufklärung, und nun nimmt man sie als
etwas ausnahmsweise Vorzeitiges, als eine Extrabeloh-
nung der Natur für unvergleichlichen turnerischen Fleiß,
man verdoppelt seinen Eifer, um die Symptome begin-
nender Männlichkeit noch schneller zu entwickeln, muß
jedoch zu seinem Ärger erfahren, daß auch Nichtturnern
und Nichtschwimmern gleichen Alters die nämlichen
Auszeichnungen zuteil werden.
Hugos Kränklichkeit hatte im Winter zugenommen; er
mußte sein Studium auf lange Zeit unterbrechen und
Kuren durchmachen, wodurch ihm ein zweites Jahr
verloren ging; als er wieder eintraf, gehörten wir der
gleichen Klasse an, und nun stand uns nichts mehr im
Wege, Duzfreunde zu werden. Dieser Neidlose, dem
seines schwachen Herzens wegen das Turnen verboten
war, bestärkte mein Streben, er sah im nächsten Som-
mer meinen Übungen aufmerksam zu und besprach bald
139
lobend, bald bemängelnd jede neue Leistung. Dabei
wob sich unmerklich ein anderes Band zwischen uns,
ein feines und weit festeres, als ich mirs damals zu-
gestanden hätte. Während er nämlich arglos von seinem
zu Hause verbrachten Jahre erzählte, wurden mir nach
und nach seine Angehörigen vertraute halbklare Ge-
stalten, und eines Tages war es ein unausgesprochenes
Geheimnis zwischen uns, daß eine Leidenschaft für
seine Schwester Irma mich im Innersten beherrschte.
Nicht als ob mir das Mädchen je zu Gesicht gekommen
wäre — Hugo besaß nicht einmal eine Photographie von
ihr —; aber die Seele brauchte wenig Stoff, um sich ein
Bild zu machen. Eine gewisse blasse Grundvorstellung
trug sie eingeboren in sich; Wesenszüge, die der Freund
überlieferte, setzten sich leicht in sinnliche um, und was
etwa fehlte, gab die eine oder andere schöne Lands-
huterin her, die dem Zug der Zöglinge auf dem gemein-
samen Spaziergang begegnete. Im Sommer blieb alles
noch scherzhaft; als aber die träumerischen Zwielichts-
monate wiederkamen, wurde Irma zum einzigen Sinn
des Daseins, und listig tüftelte ich mir schon untertags
die Reden aus, durch welche ich das himmlische Wesen
in die Unterhaltung des Abends einzuführen gedachte.
Hugo nämlich wollte zunächst abwehren, ging aber spä-
ter doch, mitgerissen von meiner Glut, auf mein Ge-
dankenspiel ein, das ihm große Macht über mich ver-
lieh, und machte mich nun je nach Laune glücklich oder
unglücklich. War eine Obstsendung aus Kading gekom-
men, so gab ich ihm vor dem Schlafengehen immer noch
einen besonders prächtigen Apfel für Irma mit, und nie
140
vergaß er, mir nach einigen Tagen ihren Dank zu über-
mitteln. Dann und wann beglückte er mich durch eine
Gegengabe grenzenlos, stieß mich aber auch einmal in
Höllen der Verzweiflung, indem er mir traurigen Ge-
sichts letzte Grüße von Irma entrichtete; sie habe in
Würzburg einen wohlhabenden jungen Kaufmann ken-
nen gelernt und werde wohl bald heiraten, ich solle mirs
nicht allzusehr zu Herzen nehmen. So einfach ließ ich
mich aber nicht abschütteln, und nun vermischten sich
wirkliche und gespielte Leidenschaft mit ausgelassener
Redelust; es entstanden stürmische Szenen, die schließ-
lich den Freund erschreckten, so daß er die Verlobung
zurückgehen ließ. Damit aber war leider die Höhe der
Liebe überschritten; wir fanden Geschmack an solchen
Aufführungen, die um so schlagfertiger wurden, je mehr
sich die ursprünglich echte Empfindung dabei verlor.
Dennoch wuchs Irma noch eine Zeitlang an Reiz und
Huld, und Hugo, der sich als Älterer ein wenig zur
Überwachung meiner Schulfortschritte berufen fühlte,
bewirkte manches Gute, indem er durch die Vorstellung
einer immer anteilnehmenden Schwester meinen Fleiß
zu stärken wußte. Jeden Erfolg und jeden Mißerfolg
verriet er ihr, und ebenso pünktlich brachte er mir ihr
Lob oder ihre Betrübnis zum Ausdruck. So tat ich mein
Bestes, um bei der nie gesehenen Geliebten in Geltung
zu bleiben, und etwa bis zu der Zeit, wo der priester-
liche Lenker uns verließ, dauerte das geistig zarte Ver-
hältnis, das vielleicht nur in der von ihm geschaffenen
Atmosphäre möglich war.
141
KARNEVAL
Immer deutlicher zeigte der neue Herr, daß er mit uns
in Frieden zu leben wünschte; er ließ die hergekommenen
Faschingsbräuche bestehen und sah mit wohlwollendem
Staunen zu, wie wir lange bunte Bänder, von denen
freundlich grinsende Goldmonde herabhingen, über die
Speisesaalwände spannten und uns in Masken tummelten.
Daß wir durch Stadtschüler Wein hereingeschmuggelt
hatten, entging ihm nicht, und es erfüllte ihn mit Sorge;
aber auch das Weintrinken an den drei Karnevalsaben-
den gehörte zu den uralten Gerechtsamen der oberen und
mittleren Jahrgänge, und so ließ er es denn bei einer
Mahnung zur Mäßigkeit bewenden. Mein Kostüm lobte
er; nur, meinte er, sei es fast unheimlich, mich so wohl-
erzogen zu sehen. Es war nicht zum erstenmal, daß ein
Gewand mich verwandelte, und gewiß hat es immer zum
Sinn der Trachten gehört, daß sie dem Menschen eine
Haltung aufzwangen.
Aber der Wein ging um, und bald verriet er die inner-
sten Richtungen. Mancher, der sonst ein Schreier war,
wurde jetzt besinnlich still; dagegen führte mancher als
nüchtern und schüchtern Bekannte plötzlich eine uner-
hörte Sprache, man glaubte sich in die wildesten Auf-
ruhrzeiten zurückversetzt. Ein zarter Zögling, der uns
durch übertriebenes Frommtun gelegentlich zu ärgern
pflegte, begann als weißer, gelbgetupfter Clown zu wei-
nen und zu fluchen, und als man teilnehmend fragte, was
ihm fehle, erging er sich in verworrenen Reden von einer
bleichsüchtigen, brandrot gelockten Kusine; die Bedau-
ernswerte sei, wenige Straßen entfernt, im Ursuliner-
142
kloster eingesperrt, alle die armen Madchen miften
ohne Zweifel die Faschingsnächte im Gebet verbringen
und Milch trinken, wenn wir nicht samt und sonders
elende Schufte und Feiglinge wären, zögen wir hinüber
mit unserem Wein, verjagten die bösen Nonnen und
feierten mit den schönen Kindern einen herrlichen Kar-
_neval. So frevelmütigen Reden folgte die gerechte Strafe
auf dem Fuß. Entkräftende Übelkeit befiel den Un-
seligen; er mußte Hals über Kopf, umstürmt von Ge-
lächter, das Weite suchen und fand sich erst spät, in
ganz gebrochener, bußfertiger Stimmung wieder ein.
Ein kleiner Streit entstand im Laufe des Abends über
Herrn Buchkatz, den neuen Kandidaten; ein vielumher-
horchender Schüler wollte wissen, es habe mit diesem
Vorgesetzten eine eigene Bewandtnis, die Gabe der
Dichtkunst sei ihm verliehen, in freien Stunden schließe
er sich ein und schreibe Verse zu Ehren heiliger Männer
und Frauen, herrliche, die bereits in Zeitschriften durch
die Welt klängen. Diese Kunde, die mir so starkes Herz-
klopfen erregte, als ginge sie mich persönlich an, wurde
von mehreren als unglaubhaft zurückgewiesen, es gab ein
hitziges Für- und Widerreden, das auszuarten drohte,
bis Hugo, der als Türke verkleidet war, durch List und
Scherz den Wortwechsel in Heiterkeit zerstreute. Die
Arme über der Brust gekreuzt, mit einer tiefen Ver-
neigung, näherte er sich dem Rätselvollen und fragte be-
scheiden, ob er sich eine Auskunft erbitten dürfte. Voll
Neugier kam jetzt einer um den anderen herbei; der
Freund aber, schon leicht betrunken, gab uns alle der
Enttäuschung preis. Als nämlich jener Gewährung
143
nickte, brachte er mit kindlicher Stimme nur die Frage
hervor, ob es denn auf Ehre wahr sei, daß wir uns heute
alles, aber auch wirklich alles erlauben diirften, was
Buchkatz mit einiger Angstlichkeit verneinte, worauf
Hugo, rückwärts schreitend und seine Haltung immer
mehr verdemütigend, sich langsam entfernte.
Rasch kehrte sich die Neugier der Zöglinge von Buch-
katzens Dichterschaft zu anderem; vermutlich war ich
der einzige, der sich über die Möglichkeit, einen wirk-
lichen Poeten leibhaftig vor sich zu sehen, nicht so bald
zu fassen wußte und das Geheimnis zu ergründen be-
schloß. Indessen aber nahte mir bereits ein wundersames,
nie ganz aufgeklärtes Verhängnis. An unserem Tische
war der Wein ausgegangen, und eben befand ich mich
auf dem Wege zum Studiersaal, wo am unvermutbar-
sten Orte, nämlich im inneren Winkel des Katheders,
noch zwei Flaschen verborgen standen, da begegnete mir
auf der Stiege ein Knabe von ungewöhnlicher Schönheit.
Er mußte erst vor kurzem in die Anstalt eingetreten
sein; ich entsann mich nicht, ihn vorher gesehen zu
haben. Hugo meinte später, die Verzauberung sei größ-
tenteils vom Kostüm ausgegangen, und vielleicht hatte
er nicht ganz unrecht. Es ähnelte der Form nach dem
meinigen, bestand aber fast ganz aus tiefschwarzem Samt,
auch das Mützchen, das er über die lichtblonden Locken
gestülpt hatte, war schwarz, und einige silberne Tressen,
die daran glänzten, erhöhten noch die dunkle Vornehm-
heit. Zu unverhüllt war wohl meine Bewunderung, als
daß er sie hätte übersehen können; mit einem grauen
Mädchenblick lächelte er mich zweifelnd an, hob eine
144
weiße Narrenpritsche, die zu seiner Tracht eigentlich
nicht paßte, versetzte mir einen kräftigen Schlag auf
die Schulter und sprang lachend über die Stufen hinab.
Es war die Maskenfreiheit jener Tage, die er damit in
Anspruch nahm, nichts weiter; denn da gabs keinen
Rangunterschied der Klassen, und begreiflicherweise
machten die Kleinen von dem seltenen Recht, einen
Größeren zu schlagen, den allerfröhlichsten Gebrauch.
Mir aber war schon der Sinn verstellt, wie von scharfer
Waffe getroffen, in unwillkürlicher Abwehr, griff ich
an die Stelle meines goldenen Gürtelbandes, wohin der
Degen gehört hätte, zugleich fühlte ich mich unerhört
begünstigt und ausgezeichnet wie durch Ritterschlag.
Im Saale fand ich den Wunderbaren unter den Schülern
der dritten Klasse wieder. Sie hatten ihre Stühle um den
grauen Brunnen gestellt und unterhielten sich. Ein klei-
ner des Zitherspiels Kundiger in der Tracht des Loisach-
tales schlug unermüdlich Walzer und Ländler; andere
stampften, klatschten und pfiffen den Takt. Der Knabe
hatte keinen Wein; ich bot ihm mein Glas, er dankte,
nippte und wollte es zurückgeben; ich ließ es aber bei
seinen Genossen in die Runde gehen und füllte es noch
einmal. Ein wenig hatte ich die Helligkeit des großen
Raumes gefürchtet, als könnte die Erscheinung hier
weniger bedeuten wie droben im Zwielicht, war aber
schon aufs innigste beruhigt; denn wie von Tag zu Tag
der Mond sich füllt, so wuchsen Reiz und Adel dieses
Antlitzes mit den Sekunden. Sogar ein leiser Zug von
Verschlagenheit, der unter den Augen nistete, vermehrte
nur mein Entzücken. Ich durchforschte die Gesichter
145
seiner Freunde nach Zeichen verwandter Ergriffenheit,
bemerkte aber nichts; keinem schien er mehr zu gelten
als irgendein anderer, einer schien mir wie der andere
seelenblind. Einsam sah ich mich auf einer magischen
Glücksleiter nach oben steigen, und, geistig aufgefaßt,
rechtfertigte die Zukunft diesen Traum; denn wenn
auch auf der Stelle, Schlag um Schlag, ein Ende herein-
brach, so konnte doch das Wichtige nicht mehr verloren
gehen. Nur eines Augenblicks bedarf der Regenbogen,
um sich aufzubauen, und jede Entscheidung der Seele
geschieht in Sekunden. Geahnt fiir immer war die Még-
lichkeit einer neuen Gestalt, die eher vergehen wiirde,
als Ziige der Furcht oder der Niedrigkeit annehmen, und
was dann kam, Verkennung und Enttauschung, Beschul-
digung und heimliche Verweisung, dies alles änderte
daran nichts mehr.
Kaindl, Schüler der Oberklasse, hochangesehener Leiter
des Aufstands, kam, als Ritter verkleidet, finster, wein-
glühend und tippte dem Schönen an den Arm: „Wo
bleibt mein lässiger Knappe?“ Unschlüssig, stark er-
rötend, sah der Junge zu mir herüber, erhob sich aber
doch und leistete dem Gewaltigen Folge, der mich im
Weitergehen zugekniffenen Auges maß. Darin fand ich
zunächst nichts Feindliches, dachte vielmehr, dies sei
der echte Ritterblick, so letz und fehdekündend, nicht
unwürdig des Jünglings, den Eingeweihte als den Ur-
heber der katonischen Sentenz gegen das grüne Tisch-
chen verehrten. Dennoch begann es mich zu nagen, daß
ich seinetwegen verlassen war, und als die beiden später,
vertraulich redend, sich zum Ausgang hinbewegten, da
146
kam es mir vor, als lachten sie beide geringschatzig nach
mir zurück. Dies konnte Tauschung sein; aber im Nu
schwoll das Leiden zur Verzweiflung, hastig trank ich
allen noch erreichbaren Wein zusammen und merkte so-
eben mit böser Genugtuung, daß mein Benehmen durch-
aus nicht mehr mit meinem edlen Kostüm in Einklang
stand, als mir unvermutet Hugo begegnete, dem auch
sein Turban schon recht schief auf dem Köpfchen saß.
Von meiner bedeutsamen Bekanntschaft ihm gegenüber
zu schweigen, war mir unmöglich, doch fand ich wenig
Gehör. Ein hübscher Junge sei Trimming, das leugne
niemand, freilich etwas backfischhaft, auch ein kleiner
Ränkeschmied, wie man höre, keinesfalls ein Verkehr
für mich, wenn er auch bei den obersten Klassen hoch in
Gunst stehe, man könne sich wahrlich über Wichtigeres
unterhalten.
Diese Ausfälle brachten mich um jede Mäßigung; mit
Genuß warf ich dem Freund verletzende Worte hin und
sprach ihm schließlich alle Fähigkeiten ab, das herr-
lichste der Wesen zu beurteilen. a
Die Art, wie Hugo sich nunmehr veränderte, hätte mich
ernüchtern müssen; sein Atem ging noch schneller als
gewöhnlich, die Röte der Wangen wich einem bläulichen
Weiß, lange sah er mich schweigend an. „Was wird
Irma dazu sagen?‘ — Dies war alles, was er endlich
hervorbrachte. Aber diese Berufung auf meine verflüch-
tigte Liebe zu einem halberfundenen Idol war jetzt am
wenigsten geeignet, mich zu beschwichtigen; ich emp-
fand sie als nicht ernst gemeint, und dennoch traf sie
mich empfindlich, ja viel würde ich gegeben haben, wenn
147
er nur gerade dies nicht gesagt hatte. Zum erstenmal emp-
fing ich den Vorwurf der Untreue, die fiir den Augen-
blick dem Leben allen Wert benimmt, und die Seelen-
öde, die nun entstand, übertäubte ich durch vermehrte
Wut, Ich rief es laut hinaus, daß ich diese Irma doch
niemals mit Augen gesehen habe, daß niemand wissen
könne, ob sie wirklich auf der Welt sei, ob er sie nicht
etwa nur erdichtet habe, um mich zu seinem Sklaven zu
machen. Da wärs denn doch wahrlich zuviel verlangt,
immer nur sie allein anzubeten; gleichgültig, offenge-
standen, ja verhaßt geradezu sei sie mir ein für alle-
mal. Über diesen schmählichen Abfall entsetzt, brach
der Freund in Tränen aus, ein nie für möglich gehaltenes
Ereignis, das nun auch mich völlig auflöste; fassungslos
weinend, umarmten wir uns schließlich zur unendlichen
Erheiterung großer wie kleiner Mitzöglinge, die nur
Betrunkenheit und Posse zu sehen glaubten, während
wir beide, durch allen Weintaumel hindurch, etwas
traumhaft Unersetzliches verloren gehen fühlten, ohne
es hindern zu können.
Des heulenden Elends endlich überdrüssig, verließ ich
den Saal und ging in den um diese Zeit verbotenen Gar-
ten hinaus, den ein mondgrauer Nebel verhing. Groß im
Dunst standen die eingebauten Turngeräte, und von den
Kastanienbäumen, wie schlafende Fledermäuse herabge-
faltet, hing da und dort noch das herbstliche Laub. In
Hirn und Augenlidern brauste der Wein; bald vernahm
ich Schritte, bald Stimmen, bald glaubte ich Trimming
mit Kaindl zwischen den Stämmen schleichen zu sehen.
Frierend in dem leichten Maskenkleide begann ich zu
148
laufen und umkreiste das Feld, wo der gelbe Schliissel
im Schnee vergraben lag; ich fragte mich, wer ihn wohl
im Frühjahr finden werde. Auf einmal spürte ich über
dem Nebel die Sterne und kehrte, halb getröstet, in den
Saal zurück, wo man sich schon zum Schlafengehen
rüstete.
Am anderen Tag dämpften Unterricht und Hausordnung
das Blut, und zwischen Hugo und mir war bald alles
wieder wie sonst. Er war keiner, der böse Worte nach-
trug, und wenn er mich nun auch murrend mit einem
Eisklotz verglich, der voll Rührung zu Wasser zer-
fließe, nachdem er einem ein Loch in den Schädel ge-
schlagen, was leider dem Schädel nichts helfe, so gab mir
dies doch nur Gelegenheit, ihn wegen des feinen Ver-
gleichs zu bewundern. Auch aus mir war aller Zorn ver-
weht, die Liebe leider nicht mit ihm. Unaufhaltsam zur
Wesensmitte strebt ja die Schönheit; sie ruht nicht, bis
wir ganz von ihr durchdrungen sind.
Seltsam war Trimmings Verhalten; ich konnte mich
nicht lange darüber täuschen, daß er mir aus dem Wege
ging. Bei Tische sah ich ihn von weitem in einem grauen
Röckchen sitzen; aber diesen Alltagsanzug empfand ich
als nicht ganz würdige Verkleidung, auch erschien mir
das immer halbabgewendete Gesicht wie vertauscht,
kaum erkennbar. Erst der Abend erneuerte die gültige
Gestalt, mit ihr aber auch mein Unglück. Der Knabe
lächelte mir wohl einmal verstohlen zu, hob auch dann
und wann die weiße Narrenpritsche gegen mich, besann
sich aber jedesmal und enthielt sich des Schlags. Dies
kränkte mich um so mehr, als er an andere wahllos frei-
149
gebig Hieb um Hieb austeilte, und doch hätte ich ihm
danken sollen. Jener erste Schlag war heilige Verwun-
dung gewesen, ein neues Organ der Seele war unter ihm
aufgesprungen, — wie durfte ich wünschen, daß er sich
sogleich wiederhole? Nach und nach stellte sich eine Art
Gleichgewicht her, zumal der Weinbestand aufgebraucht
war; ich bemühte mich nicht mehr soviel um Trimmings
Nähe und hielt mich lieber zu Hugo, durchblätterte auch
mitten im dazwischen schwirrenden Karneval wieder
den geliebten poetischen Hausschatz, der fast jederzeit
erreichbar war, da selten ein anderer Zögling auf ihn
Anspruch machte. Dabei ging der Blick über die Stro-
phen der toten Dichter hinaus immer wieder zum Tisch-
chen der Vorgesetzten hin, wo, tief sich verschweigend,
der lebendige saß, der erste, der mir begegnete. Heim-
lich forschte ich in seinem Gesicht nach Geniuszügen,
und sooft er mich ansah, ordnete ich unwillkürlich mein
Betragen. Er jedoch verstand sein Geheimnis zu wahren,
indem er aufs täuschendste das Gebaren eines ganz ge-
wöhnlichen jungen Mannes nachahmte. Aber das beirrte
mich nicht, und wie mir einstmals der Zauberstab gerade
durch sein simples Aussehen Vertrauen eingeflößt hatte,
so war es auch jetzt vor allem die Unscheinbarkeit, die
mich im Glauben bestärkte. Schließlich beschrieb ich
selbst einen Zettel mit Versen „An Trimming“, die ich
ihm gelegentlich zuzustecken gedachte. Sie waren irgend-
einem Dichter kindlich nachgetönt; ich aber hielt sie für
namenlos großartig, und jedesmal, wenn ich mir die
letzten Zeilen vorsagte: „Masken, Liebe, Wein! Unver-
geßliches Beisammensein! Keine Kraft vergeht, kein
150
Herzensklang zerbricht. Unser Bund besteht, ob du es
willst oder nicht“, — weinte ich vor Bewunderung und
Rührung. Schon aber legten sich die Geschicke zurecht,
die jedem seinen Opfertag bereiteten.
Mitten in der Nacht erwachend, besann ich mich auf
mein Gereime und suchte den Zettel, doch fand er sich
in keiner meiner Taschen, und gleich war aller Schlaf
dahin. Zum Suchen entschlossen, verließ ich das Bett.
Werktagsanzug und Maskenkleid lagen auf dem Stuhl;
ich wählte das letztere. Etwas warnte mich; auch fiel
mir ein, daß nächtliches Hausdurchwandeln bei Strafe
der Entlassung untersagt war; aber das aufgejagte Blut
gehorchte weder innerem noch äußerem Verbot, und so
glitt ich vollends in die Sphäre hinüber, wo wir dem Zu-
fall ausgeliefert sind. Hinschleichend an der Bettenreihe
blieb ich manchmal stehen, auf die vielen Atemzüge hor-
chend; niemand wachte. Noch fesselte ein Wunderbares:
man hatte vergessen, die Vorhänge zu schließen; die
mondlichten Scheiben schimmerten von herrlichsten Eis-
pflanzen, und jedes Fenster hatte sich eigene Formen
erfunden. Über so viel Glanz vergaß ich fast mein Vor-
haben; aber von Fenster zu Fenster weiter bewundernd
geriet ich doch dem Ausgang zu. Vor Hugos Bett blieb
ich stehen, als müßte mir ein Zuruf oder Zeichen von
ihm kommen; aber er schlief, die Hände unter der
Wange gefaltet, leisen, schnellen Atems wie immer.
Das Zettelchen war an der Speisesaalschwelle bald ent-
deckt, und nun wollte ich gleich den Rückzug antreten,
fand es aber in dem langen mondgestreiften Gange gar
nicht kalt und setzte mich, nahe dem einzigen Gas-
151
flämmchen, auf ein Fensterbrett. Wedelnd und niesend
kam Barry herbei; ihm fiel nicht ein, mich etwa bellend
zu verraten, vielmehr bohrte er die Schnauze in meinen
flachsroten Samt und legte sich dann gemütlich nie-
der, so daß ich mich seines Rückens als Teppich be-
dienen konnte. Während ich mich so, mein Zettelchen
in den Händen, einer wortlosen Gefühlswelt überließ,
leuchteten im Augengrunde die bereiften Schlafsaalfen-
ster nach. Der geistige Silberflor der Eisgewächse, her-
übergepflanzt in die Seele, zweigte nach allen Seiten
weiter, und wie von selber löste sich die Frage, warum
das eine Glas nur solche, das andere nur solche Formen
ernährte. An Dickelhubers Fenster war es ein krauses
Gewirr von flimmernden Moosen und Korallen gewesen,
bei Hugo dagegen glänzten schräge Distelstauden, mit
muschelhaften silbernen Wirbeln durchstreut. Es waren
die Schlafenden selber, die mit ihrem Atem diese zarten
Meisterwerke bestimmten, das wurde mir in jener stillen
Minute so sehr begreiflich. Gern hätte ich nur gewußt,
wie es im Schlafraum der kleinen Zöglinge aussah und
was für Figuren wohl an Trimmings Fenster wüchsen.
Jetzt aber erhob sich Barry mit gedämpftem Knurren,
und wie aus mir selbst hervorgetreten, stand unter dem
Gasflammchen der Herr Kandidat Buchkatz. Sein fast
gezischter Anruf erschreckte mich ungeheuer, erreichte
aber doch nicht ganz mein inneres Ohr; ja ich vergaß,
was ich als Mindestes dem Vorgesetzten schuldete, und
ließ mich zum Aufstehen erst ermahnen. Dann freilich
wünschte ich dies eilig gutzumachen und verlegte mich
auf größte Artigkeit, zuvorkommend verriet ich sogar,
152
daß ich etwas Wichtiges verloren, gesucht und zum
Glück auch wiedergefunden habe.
„Was gesucht?“ Der Kandidat sah bleich und erregt
aus; ich vergegenwärtigte mir seinen geheimen Dämon,
— „auch ich bin ein Dichter und ein Verehrer von
Ihnen“, wollte ich sehr zart und taktvoll sagen; aber
kein Ton drang aus der Kehle. Dafür erwachte unend-
liche Zuversicht, und als gäbe ich nun alles in seine
Hand, Eisblumen und Mondlicht, Liebe und Kunst,
einem begonnenen Bilde gleich, auf daß er es vollenden
und mit einem goldenen Rahmen schmücken möge, so
überreichte ich ihm schweigend, mit möglichst vielsagen-
der Gebärde den Zettel.
Er schraubte die Gasflamme höher und las. — „Es ist
nicht anders“, murmelte er trübe vor sich hin. „Geh
hinauf in den Schlafsaal und bete! Du hast es nötig.
Und morgen erscheinst du zur Vernehmung!“ Das letzte
rief er auf einmal so laut, daß Barry, der kluge Hund,
dem der neue Mann noch nicht als vollwertiger Haus-
bewohner galt, ihn zürnend anbellte. Dieses Verhalten
des braven Tieres und noch mehr ein gewisses leichtes
Zurückweichen des Herrn Kandidaten vor ihm ergriffen
mich plötzlich mit unabwendbarer Lachlust; fast regte
sich ein Zweifel, ob dieser der Dichter sein könne, der
feurig furchtlose, der alles zum Hohen wendet; aber das
war nur eine schnöde Anwandlung, von der sich meine
bessere Natur sogleich befreite. — „Er beißt nicht“, er-
laubte ich mir noch zurückzurufen, und während ich
eine Verurteilung zu Karenz oder Silentium schon im
voraus als gerecht anerkannte, mich aber zugleich er-
153
innerte, daß im Jahre vorher der alte geistliche Gebieter
eine allgemeine Faschingsbegnadigung hochherzig er-
lassen habe, kehrte ich langsam zurück in die kühle Be-
hausung des Schlafs.
*
GEDANKEN VON PAUL LAGARDE
Führer
Möge Deutschland nie glauben, daß man in eine neue
Periode des Lebens treten könne ohne ein neues Ideal.
Möge es bedenken, daß wirkliches Leben von unten
auf, nicht von oben her wächst, daß es erworben, nicht
gegeben wird.
*
Das deutsche Volk
Wo Germanen hingekommen sind, haben sie die Ari-
stokratie mit sich gebracht. Nicht weil sie als Eroberer
kamen und als solche Herren über Eroberte wurden: sie
haben ja Eroberte in ihre Mitte aufgenommen, wie in
Frankreich die keltischen Vendômes, sie haben ja ari-
stokratisch regiert, auch wo sie nicht in dem Sinne wie
in Francien, Longobardien, Gothalanien Eroberer waren,
zwischen Rhein und Saale und Böhmer Wald. Sie haben
aristokratisches Regiment geführt, weil sie königlich ge-
sinnt waren und es das Königtum leugnen heißt, es
nicht als höchsten Berg neben vielen hohen Bergen den-
ken, die gemach zur Ebene sinken.
*
154
Der deutsche Geist
Von der schwarzen, der roten, der goldenen Inter-
nationale redet alle Welt: die graue Internationale läuft
noch immer unter dem Namen Liberalismus um. Mir
scheint es an der Zeit, sie in ihre Rechte einzusetzen.
Sie ist vaterlandslos wie alle ihre Schwestern und darum
für jede Nation von äußerstem Unsegen. Sie herrscht
allerdings ebenso gerne wie die drei anderen Glieder
der Familie, aber die Macht ist nicht eigentlich das, was
sie erstrebt: von der Bequemlichkeit und dem Wunsche
zu scheinen nährt sie sich, sie mordet, wenn auch ohne
es zu beabsichtigen, die Gewissen und die Fähigkeit,
das Leben als Ganzes zu fassen, und dadurch tötet sie
die Persönlichkeit.
Auch Männer, welche nicht orthodox, aber eifrige
Freunde der Religion, und welche sogar der Meinung
sind, daß die Nationen nur durch die Religion leben,
auch sie sind dem Banne des allgemein herrschenden
Liberalismus und seiner die Natur und die Geschichte
leugnenden Grundanschauung verfallen.
Die geistige Verarmung unserer Nation ist so weit
fortgeschritten, daß Deutschland, so reich es an Maß-
regeln ist, an Männern den allerempfindlichsten Man-
gel leidet.
Charaktere können sich im Deutschen Reiche nicht bil-
den: kaum daß bereits gebildete Charaktere in ihm sich
zu erhalten imstande sind.
Man bedenke, welch ein Druck dem Vaterlande durch
die liberaler "Theorie wider das Leben und wider die
155
Geschichte gelungene Gesetzgebung aufgelegt ist, und
erwäge, wie schwer es sein muß, unter diesem Drucke
sich nach eingeborenen Werdenormen zu bewegen. Was
ist aber Charakter anders als Selbstsinn, wenn man
das Selbst als ein Gottgewolltes ansehen darf und an-
sieht?
Meine Aufsatze sollen Einzelleben gegen den von einem
einzigen Koche gequirlten, nach Belieben zum Feuer
und vom Feuer geschobenen Brei loben, zu dem man
unser edles Volk verschmoren will.
Als im Frühjahr 1813 die Freiwilligen aus Berlin, dem
Quellpunkte der Erhebung, ausziehen sollten, baten sie
Schleiermacher, sie einzusegnen. Schleiermacher hielt sich
an das Evangelium des Sonntags, Matthäus 11. Die ein-
zig sicheren Kennzeichen einer herannahenden neuen
Zeit, so predigte er — und noch ein Vierteljahrhundert
nachher redete Berlin von dieser Predigt —, die einzig
sicheren Kennzeichen einer neuen Zeit sind, daß die
Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen rein
werden, die Tauben hören, die Toten auferstehen, den
Armen das Evangelium gepredigt wird.
Und 1813 war eine neue Zeit angebrochen, wider den
Willen des Königs freilich, aber sie war da. Sie war
auch noch unbefangen, denn sie wußte noch nicht, daß
sie schon 1819, mit dem Willen des Königs, ausgelebt
haben werde.
Als Deutschland 1872 seine Heere aus Frankreich zu-
rückgenommen hatte, da war keine neue Zeit ange-
brochen, sondern nur eine neue Ordnung weltlicher
156
=
—$<=_
= —
| | CH D D, S
l i i Sy En ,
7 en, Së SC
- <- A E te CES
= mn
= ===
" (éi wgl
dear ny i Hi
H ep
Ei: E 3.
SES SE =
er A
SC i N
Ges iy
la NE A E
We er
A i
=.
| A
Tee Sr
CA? ———
EE
lee oo
Illustration zu Balzacs Tolldreisten Geschichten von Gustave Doré
Dinge. Freilich redete man aller Orten von einem neuen
Reiche, man trank auf dies neue Reich, man weissagte
dem neuen Reiche eine Dauer ohne Ende. Aber die
Blinden sahen nicht: vielmehr band man denen, welche
noch sehen konnten, von Amts wegen Binde tiber Binde
über die Augen. Die Lahmen gingen nicht: man er-
laubte nach wie vor niemandem, seine wichtigsten Ge-
schäfte, die Erziehung seiner Kinder und die eigene
Vorbereitung für die Ewigkeit, allein zu besorgen. Die
Aussätzigen wurden nicht rein, sondern die Gründer-
zeit wälzte sich über das Land, so schmutzig, wie seit
Law nichts dagewesen war, und eine Gesetzgebung, mit
dem Lineale gemacht, teures Recht, undeutsches Recht,
gegen Beamtenwillkür kein Recht. Die Tauben hörten
nicht: denn das Gewissen durfte nicht sprechen, da es
Patriotismus hieß, von Überzeugung zu Überzeugung,
wie es befohlen wurde, den Polonius zu spielen. Die
Toten standen nicht auf: aber die Märtyrer alter Fröm-
migkeit bekamen Brüder, allerdings schwächliche Brü-
der, wie greise Eltern sie zeugen können, und durch
den Kulturkampf wurde in den beiden Kirchen, was
an evangelischer Frömmigkeit noch da war, erschlagen,
und das zur Herrschaft gebracht, dessen nie hätte ge-
dacht werden dürfen, der Unglaube bei den Nicht-
katholiken, der Aberglaube bei den Katholiken. Den
Armen wurde das Evangelium nicht gepredigt: denn
das Evangelium ist ein Evangelium vom Kreuze, ist
eine Verheißung ewigen Lebens, und was man predigte
— Sozialdemokraten wie naturwissenschaftlich gebildete
Professoren —, war die Forderung, daß auf Erden alle
158
das gleiche sollen genießen dürfen, und die Lehre, daß
nach dem Tode alles aus sei...
Als der Adel nicht mehr war, was er sein sollte, die
stets fließende, aber nach oben und nach unten immer
wehrende Grenze zwischen dem treibenden Gedanken
und dem befriedigten Besitze, zwischen den starken
Freien und den schwachen Freien, da verkam der Adel.
Denn nur die Aufgabe erhält am Leben. Es blieben die
Schranzen und die Fronvögte.
Als die Kirche nicht mehr war, was sie sein sollte, die
Schule der Ewigkeit, die Gemeinschaft der Vorlebenden
und der um ihre Sünde trauernden Heiligen, da verkam
die Kirche. Denn nur die Aufgabe erhält am Leben.
Es blieben die Pfaffen und die Dogmatiker.
Aus „Deutsche Politik und Religion, eine Auswahl
aus den Schriften von Paul Lagarde“. (Insel-
Bücherei Nr. 396.)
*
DER TOD DER JUNGEN FRAU
VON FRANCOIS MAURIAC
„Sie schläft.‘
„Sie tut nur so. Komm.“
Am Kopfende von Mathilde Cazenaves Bett flüsterten
ihr Mann und ihre Schwiegermutter miteinander, deren
riesige, ineinander fließende Schatten an der Wand sie
unter den gesenkten Wimpern beobachtete. Auf knar-
renden Fußspitzen erreichten die beiden die Tür. Ma-
thilde lauschte dem Widerhall ihrer Schritte auf der
Treppe; die schrille und die rauhe Stimme erfüllten den
159
langen Gang des Erdgeschosses. Jetzt beeilten sie sich,
die eisige Ode des Hausflurs zu überschreiten, der den
Flügel, in dem Mathilde wohnte,von dem anderen trennte,
wo Mutter und Sohn zwei aneinanderstoßende Zimmer
innehatten. Von fernher hörte man, daß eine Tür sich
schloß. Die junge Frau seufzte erleichtert, sie schlug
die Augen auf. Über ihrem Haupt raffte ein hölzerner
Pfeil den weißen Kattunvorhang zusammen, der das
Mahagonibett umgab. Die Nachtlampe beleuchtete ein
paar blaue Blumensträuße auf der Tapete und auf dem
Nachttisch ein grünes, goldgerändertes Wasserglas, das
leise klirrte, weil auf dem nahen Bahnhof eine Loko-
motive rangierte. Als das Rangieren beendet war, horchte
Mathilde in die flüsternde Nacht des zur Neige gehenden
Frühlings hinaus (wie wenn der Zug auf freier Strecke
hält und der Reisende die Grillen auf dem unbekann-
ten Felde draußen hört). Der 22-Uhr-Expreß raste vor-
bei, und das ganze alte Haus erbebte: die Fußböden
zitterten, auf dem Speicher oder in einem unbewohnten
Zimmer sprang, wie es schien, eine Tür auf. Dann don-
nerte der Zug über die Eisenbrücke, die über die Ga-
ronne führte. Die lauschende Mathilde beschäftigte sich
eine Weile damit, dem Rollen des Zuges zu folgen, bis
das Rauschen der Blätter es übertönte.
Sie schlummerte ein und wachte plötzlich auf. Wieder
zitterte ihr Bett; das übrige Haus nicht, nur ihr Bett.
Und doch fuhr kein Zug durch den schlafenden Bahn-
hof. Einige Augenblicke verstrichen noch, ehe Mathilde
begriff, daß ein Fieberschauer ihren Körper und das
Bett schüttelte. Ihre Zähne schlugen aufeinander, ob-
160
gleich ihr schon heiß war. Sie konnte das Fieberthermo-
meter am Kopfende ihres Bettes nicht erreichen.
Dann hérte das Frésteln auf, aber ein inneres Feuer stieg
wie ein Lavastrom in ihr empor, sie gliihte. Der Nacht-
wind blähte die Gardinen auf, füllte das Zimmer mit
dem Geruch von Flieder und Kohlenrauch. Mathilde
erinnerte sich, wie sie vorgestern abend, als sie im Blut
ihrer Fehlgeburt schwamm, sich vor den flinken, frag-
würdigen Händen der Hebamme auf ihrem Leib ge-
fürchtet hatte. |
„Ich muß mehr als 40 Grad haben... Sie haben mir
keine Nachtwache erlaubt...“
Ihre aufgerissenen Augen verfolgten den flackernden
Lichtkreis auf der Decke. Ihre beiden Hände umklam-
merten die jungen Brüste. Sie rief mit starker Stimme:
„Maria! Maria von Lados! Maria!“
Aber wie hätte die Dienstmagd Maria (man nannte sie `
von Lados, weil sie in dem Marktflecken Lados geboren
war), die in einer Dachkammer schlief, sie hören kön-
nen? Was bedeutete diese schwarze Masse dort am Fen-
ster, das geduckte satte Tier — lauerte es ihr auf?
Mathilde erkannte den erhöhten Fenstertritt, den ihre
Schwiegermutter vorzeiten in jedem Zimmer hatte an-
bringen lassen, um bequemer dem Kommen und Gehen
ihres Sohnes folgen zu können, sei es, daß er im Norden
den „Rundgang“ machte oder mit großen Schritten die
Allee im Süden auf und ab ging, oder daß sie seine
Rückkehr durch das Portal im Osten erwartete. Auf
einem dieser Fenstertritte drüben im kleinen Salon hatte
sich an Mathildens Verlobungstag das riesige wütende
161
Weib aufgebäumt, mit den Füßen gestampft und ge-
schrien: |
„Sie sollen meinen Sohn nicht haben! Es wird Ihnen
nie gelingen, ihn mir zu rauben!“
Unterdessen hatte sich die Lava ihres Körpers abgekühlt.
Die grenzenlose Müdigkeit, die Zerschlagenheit ihrer
Glieder gestatteten ihr nicht, einen Finger zu rühren —
wäre es auch nur, um das nasse Hemd von ihrem Kör-
per zu ziehen. Sie hörte die Glastür der Veranda krei-
schen. Und wieder fröstelte sie. Ihre Zähne klapperten.
Das Bett zitterte. Ihre Hand suchte nach dem Klingel-
zug veralteten Systems, der nicht mehr zu gebrauchen
war. Sie riß daran, sie hörte das Reiben der Schnur
gegen das Gesims. Aber keine Glocke erklang in dem
finsteren Hause. Mathilde begann wieder zu brennen.
Unter der Freitreppe knurrte der Hund und brach dann
in wütendes Bellen aus, weil sich jemand auf dem schma-
len Weg zwischen Garten und Bahnhof bewegte. Sie
sagte sich: Gestern noch hätte ich mich gefürchtet! In
diesem ungeheuren Hause, das immer von leisem Beben
erfüllt war, dessen Glastüren nicht einmal durch Fenster-
läden gesichert waren, hatte Mathilde Nächte der un-
sinnigsten Furcht gekannt. Wie oft war sie vom Bett
aufgesprungen, schreiend: „Wer ist da?“ Nun aber
fürchtete sie sich nicht mehr, als könne niemand sie
mehr durch den Flammenherd ihres Fiebers erreichen.
Der Hund knurrte noch immer, obgleich jedes Geräusch
von Tritten verstummt war. Mathilde hörte Maria von
Lados’ Stimme: „Was ist los, Peliou ?“ und sie hörte
auch, wie Peliou fröhlich mit dem Schweif auf die Steine
162
der Freitreppe schlug, während Maria ihn leise besänf-
tigte: „So, so, nur ruhig!“ Wieder verließ die Flamme
den ausgebrannten Körper. Eine unaussprechliche Mü-
digkeit gab ihr Frieden. Sie glaubte ihre zerschlagenen
Glieder auf dem Sand am Meere auszustrecken. Sie
dachte nicht daran, zu beten.
In ihrem Herzen entdeckte die Fiebernde ein kindliches
Gesicht, das keinem glich, die sie bisher gekannt hatte —
ein Gesichtchen, nicht sehr schön und vielleicht ein wenig
kränklich, mit einem kleinen Mal links an der Lippe,
wie es Mathilde auch hatte. „Ich hätte im Dunkeln an
ihrem Bettchen gesessen, bis der Expreß vorübergefahren,
vor dem sie sich geängstigt hätte.“ Das Reich, in das sie
mit ihrem Kindchen geflüchtet, wäre nicht von dieser
Welt gewesen. Jene, die sie haßten, hätten sie dorthin
nicht verfolgen können. Und nun konnte ihr kranker
Kopf, in den das Blut stieg, eine quälende, unlösbare
Frage, die zur Folter wurde, nicht mehr loswerden:
Wußte Gott, welcher junge Baum aus diesem toten
Keim entsprossen wäre? Wußte Gott, wie die Augen
gewesen wären, die niemals geleuchtet hatten? Fin-
det man nach dem Tode die Milliarden Geschöpfe
wieder, die nicht gelebt haben? Was wäre aus dem
formlosen Fleisch geworden, das Gott in seiner Macht
hielt — — — Aber hier versagten Mathildens Gedanken.
Es war der Augenblick, da die Feuerwoge zurückebbte,
da das Fieber scheinbar den frostbebenden, in klebrigem
Schweiß gebadeten Körper verließ und ihn der Erschöp-
fung preisgab, die eine Vorläuferin des Todes ist. Es
163
schien ihr, als habe ein Raubtier sie beiseite geschoben,
das, ach! vielleicht von einem Augenblick zum andern
zurtickkommen konnte. Flach im Bett auf dem Riicken
ausgestreckt, erwartete sie das Nahen des Frostschauers
und beobachtete die Anzeichen. Er kam nicht wieder.
Sie tauchte in die Tiefen ihres Wesens wie in einen
Himmel, an dem das Gewitter sich verzogen hat, und
man wagt noch nicht, es zu glauben! Leben! Vielleicht
leben! Heiße, schwere Tränen netzten ihre Wangen.
Sie faltete, sie rang die feuchten Hände: ,,Gedenke, o
gütigste Jungfrau Maria, daß es nie erhört worden ist,
daß jemand, der zu dir seine Zuflucht genommen, deine
Hilfe angerufen, um deine Fürsprache gefleht, von dir
sei verlassen worden!“ Sie war auf den Strand des Lebens
zurückgespült; wieder hörte sie das nächtliche Lied der
Welt. In den Blättern atmete die Nacht. Die großen
Bäume flüsterten unter dem Mond, aber kein Vogel er-
wachte. Ein reiner, kühler Windhauch war, vom Ozean
kommend, über die Wipfel der unzähligen Pinien, über
die niederen Reben gelaufen, hatte sich mit den letzten
Düften der wohlriechenden Linde des Gartens beladen
und erlosch endlich auf dem schmalen, todmüden Ge-
sichtchen.
Eine Stunde später rieb die Mutter Cazenave ein Streich-
holz an und blickte auf die Uhr — dann lauschte sie
einen Augenblick aufmerksam, nicht in die stille, sin-
kende Nacht, sondern auf den Atem des angebeteten
Sohnes hinter der Wand. Nach kurzem inneren Wider-
streben verließ sie ihr Lager, steckte die geschwollenen
164
Füße in ausgetretene Pantoffeln, und in einen kastanien-
braunen Schlafrock gehiillt, die Kerze in der Faust, ver-
ließ sie das Zimmer. Sie geht die Treppe hinunter, den
‚Gang entlang, und überschreitet den verödeten Haus-
flur. Nun befindet sie sich im feindlichen Lager: trotz
aller Vorsicht knarren die Stufen unter ihrer Last. Da
bleibt sie stehen, horcht, geht weiter. Vor der Tür löscht
sie die unnötige Kerze aus und lauscht angestrengt. Die
graue Morgendämmerung liegt auf der Treppe. Kein
Klagen, kein Stöhnen, nur ein seltsames Geräusch wie
gedämpfte Kastagnetten. Die Zähne klappern, klappern,
und endlich steigt ein Klagelaut auf. Gott allein sah den
Ausdruck des lauernden Medusenhauptes, dessen Ri-
valin hinter der Tür dort verröchelte. Die Versuchung,
nicht einzutreten, das, was geschehen muß, geschehen
zu lassen... Die Alte zögert, entfernt sich, besinnt sich
eines andern, drückt die Klinke nieder.
„Wer ist da?“
„Ich bins, meine Tochter.“‘
Das Nachtlicht beleuchtet nicht mehr das Zimmer, aber
hinter den Jalousien ist eine eisige Klarheit. Mathilde
sieht, wie ihr Schreckgespenst näher kommt. Da schreit
sie zähneklappernd :
„Laß mich! Ich brauche nichts. Ich habe nur ein wenig
Fieber.“
Die Alte fragt, ob sie Chinin haben wolle.
„Nein, nein, nur Ruhe. Nur gegen die Wand drehen
möchte ich mich. Geh! Geh!“
„Wie du willst, meine Tochter.“
Es ist alles gesagt. Sie hat ihre Pflicht getan. Sie braucht
165
sich keine Vorwürfe zu machen. Schicksal, nimm deinen
Lauf.
Mathilde, die in verzweifelter Abwehr beide Hande er-
hoben hatte, halt sie nach der Flucht der Feindin noch
einen Augenblick vor die Augen und erschrickt, weil sie
blau angelaufen sind. Todesangst erfaßt ihr Herz, das
wie die Flügel eines Vogels, den man in der Hand er-
drückt, immer schneller und immer schwächer schlägt.
Sie wollte näher hinsehen und sah die Nägel, die bereits
ganz blau waren, nicht mehr... Aber selbst in dieser
maßlosen Todesangst glaubte sie noch nicht an die Ewig-
keit der Nacht, die für sie angebrochen war: weil sie so
ganz allein war auf der Welt, wußte Mathilde nicht,
daß sie sich an der äußersten Grenze des Lebens befand.
Wäre sie geliebt worden, so hätten Umarmungen sie ge-
zwungen, sich der Umklammerung der Welt zu ent-
reißen. Sie brauchte sich nicht zu lösen, da nichts sie
band. Keine feierliche Stimme zu Häupten ihres Bettes
sprach den Namen eines vielleicht zornigen Vaters aus,
bedrohte sie mit einer vielleicht unerbittlichen Barm-
herzigkeit. Kein tränenüberströmtes zurückbleibendes
Gesicht ließ sie ihr Abgleiten zu den Schatten emp-
finden. Sie starb den sanften Tod jener, die nicht ge-
liebt werden.
Aus dem 1938 erscheinenden Roman ,,Genitrix“ von François Mauriac.
Übertragen von G. Cramer.
166
VERMACHTNIS
VON GOETHE
Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!
Das Ewge regt sich fort in allen,
Am Sein erhalte dich beglückt!
Das Sein ist ewig: denn Gesetze
Bewahren die lebendgen Schätze,
Aus welchen sich das All geschmückt.
Das Wahre war schon längst gefunden,
Hat edle Geisterschaft verbunden;
Das alte Wahre, faß es an!
Verdank es, Erdensohn, dem Weisen,
Der ihr, die Sonne zu umkreisen,
Und dem Geschwister wies die Bahn.
Sofort nun wende dich nach innen,
Das Zentrum findest du da drinnen,
Woran kein Edler zweifeln mag.
Wirst keine Regel da vermissen:
Denn das selbständige Gewissen
Ist Sonne deinem Sittentag.
Den Sinnen hast du dann zu trauen,
Kein Falsches lassen sie dich schauen,
Wenn dein Verstand dich wach erhält.
Mit frischem Blick bemerke freudig,
Und wandle sicher wie geschmeidig
Durch Auen reichbegabter Welt.
167
Genieße mäßig Fill und Segen,
Vernunft sei überall zugegen,
Wo Leben sich des Lebens freut.
Dann ist Vergangenheit beständig,
Das Künftige voraus lebendig,
Der Augenblick ist Ewigkeit.
Und war es endlich dir gelungen
Und bist du vom Gefühl durchdrungen:
Was fruchtbar ist, allein ist wahr —
Du prüfst das allgemeine Walten,
Es wird nach seiner Weise schalten,
Geselle dich zur kleinsten Schar.
Und wie von alters her im stillen
Ein Liebewerk nach eignem Willen
Der Philosoph, der Dichter schuf,
So wirst du schönste Gunst erzielen:
Denn edlen Seelen vorzufühlen
Ist wünschenswertester Beruf.
BUCHER
AUS DEM
INSEL-VERLAG
Dieses Verzeichnis enthält nur eine Auswahl der wichtigsten
Bücher. Vollständige Verlagsverzeichnisse, insbesondere auch
Verzeichnisse der Sammlungen Insel-Bücherei und Bibliothek
derRomane sowie der Liebhaberausgaben sind durch jede gute
Buchhandlung oder unmittelbar vom Verlag zu beziehen.
IM JAHRE 1927 SIND NEU ERSCHIENEN:
ANDERSON, SHERWOOD: DER ERZAHLER ERZAHLT SEIN
LEBEN. Übertragung von Karl Lerbs. In Leinen M 8.50.
Dieses Buch bedeutet für den europäischen Leser die Entdeckung
der amerikanischen Seele. Anderson sieht mit unerbittlicher Schärfe
den Bruch in der amerikanischen Entwicklung und die Hohlheit
des smarten Zivilisationsbetriebs, er zersetzt die anerkannten Be-
griffe und legt die Seelen bloß. Mit grausamer Ehrlichkeit verwirft
er die typisierten Anschauungen und erarbeitet sich ein eigenes
Weltbild, einen Ausdruck seiner Kunst.
BALZAC, HONORE DE: DIE DREISSIG TOLLDREISTEN.
GESCHICHTEN, genannt CONTES DROLATIQUES. Mit den
425 Holzschnitten von Gustave Doré, gedruckt mit Galvanos, die
von den Originalholzstöcken zur ersten französischen Ausgabe
genommen wurden. Zwei Bände. In Leinen M 24.—; in Halb-
leder M 30.—.
In diesen tolldreisten Geschichten zeigt sich Balzac als lachender
Erzähler von unerschopflicher Erfindungsgabe. Kein Geringerer
als Gustave Doré hat zu diesen Geschichten eine Reihe von mehr als
400 Zeichnungen geschaffen. Es ist gelungen, die echten Holzstöcke,
die seinerzeit nach Dorés Vorlagen geschnitten wurden, in Paris
wieder aufzufinden. Nach davon genommenen Galvanos wurgen
die Bilder unserer Ausgabe gedruckt.
BEENKEN, HERMANN: BILDHAUER DES VIERZEHNTEN
JAHRHUNDERTS AM RHEIN UND IN SCHWABEN. Mit
150 Abbildungen. In Leinen M 15.—.
BERTRAM, ERNST: DER RHEIN. Ein Gedenkbuch. Gedichte.
In Pappband M 6.—. Vorzugsausgabe: 30 numerierte Exemplare
auf Büttenpapier, in Halbpergament (Handband) M 30.—.
BRAUN, FELIX: AGNES ALTKIRCHNER. Roman in sieben
Büchern (995 Seiten). In Leinen M 12.—.
„Der Roman hat den Untergang des alten Österreich zum Inhalt;
jedoch ist nicht der Krieg im Feld, sondern die Zeit im Hinter-
land Gegenstand des großen Werkes; und es ist auch ein Buch
der Liebe, das das ganze Leben des Menschen zu berühren sucht.“
Aus einer Selbstanzeige des Dichters.
CORTI, EGON CONTE: DER AUFSTIEG DES HAUSES ROTH-
SCHILD. Mit 24 Bildtafeln und einem Brieffaksimile. In Leinen
M 14.—.
Inhalt: I. Der Ursprung der Rothschild in Frankfurt und ihre
erste Tätigkeit. — II. Die Rothschild in der Zeit Napoleonischer
Machtfille. — III. Die große Napoleonische Krise und deren
Nutzung durch das Haus Rothschild. — IV. Die Rothschild im
170
Zeitalter der Kongresse. — V. Rothschilds Geschäfte in aller Welt,
1820—25. — VI. Der großen Krise entgegen.
Sonderankündigungen über dies Werk unberechnet.
MEISTER ECKHART: DEUTSCHE PREDIGTEN UNDTRAK-
TATE. Ausgewählt, übertragen und eingeleitet von Friedrich
Schulze-Maiszier.In Halbleinen M 7.50 ;in HalbpergamentM 10.—.
Das furchtbare Verkanntwerden des prophetischen Menschen, sein
schier hoffnungsloser Kampf um die Befreiung des Zartesten in einer
Welt derVerhärtung blickt uns aus dem Schicksal Meister Eckharts,
dieses sodurchunddurch gotischen Menschen, eindringlich entgegen.
FRANK, LEONHARD: DAS OCHSENFURTER MÄNNER-
QUARTETT. Roman. In Leinen M 6.—.
Der Schauplatz der Handlung ist Würzburg, und es sind vier
nun zu Männern herangewachsene Mitglieder der ehemaligen
„Räuberbande‘“, deren Schicksale hier wunderlich miteinander
verflochten werden; neben ihnen der Untersuchungsrichter, der
dekadente Gelehrte, sein glücklicherer Gegenspieler, das erwachende
junge Mädchen: alles unvergeßliche, mit dem Auge eines Dichters
gesehene Charaktere. Tragik und Humor des Lebens sind aufs
köstlichste zu einer Einheit verbunden.
FRIEDENTHAL, RICHARD: MARIE REBSCHEIDER. Vier
Novellen, In Leinen M 6.—.
„Jede dieser Novellen erhebt ein Leben zum Schicksal, und jede
zwingt uns, dies fremde und erfabelte wie ein eigenes mit erschült-
tertem Anteil mitzuerleben.“‘ Stefan Zweig.
GERSTENBERG, KURT: HANS MULTSCHER. Mit 150 Ab-
bildungen. In Leinen M 18.—.
GIRAUDOUX, JEAN: BELLA. Roman. Aus dem Französischen
übertragen von Efraim Frisch. In Leinen M 5.50.
Bella ist eine wundervoll einfache Liebesgeschichte zeitloser Art,
dabei vollgesogen mit der politischen Wirklichkeit des letzten Jahr-
zehnts. Es war in Frankreich vom Tage des Erscheinens des Ro-
mans an kein Geheimnis, wer hinter den beiden feindlichen Familien
Rebendart und Dubardeau zu suchen set; sogleich nannte man
die Namen Poincaré und Berthelot.
GOETHES BRIEFE UND TAGEBÜCHER. Herausgegeben von
Hans Gerhard Gräf. Taschenausgabe auf Dünndruckpapier in zwei
Bänden. In Leinen M 24.—; in Leder M 36.—.
Über 1000 Briefe an die wichtigsten der Persönlichkeiten, die mit
Goethe im Briefwechsel gestanden haben, und über 800 Tagebuch-
Eintragungen sind hier zusammengestellt; sie bringen daraus alle
dichterisch und alle menschlich bedeutsamen Außerungen Goethes
sowie alles, was bezeichnend ist für seine Anschauungen über
Kunst und Leben, Gott und Weit.
171
BETTINAS LEBEN UND BRIEFWECHSEL MIT GOETHE.
Auf Grund des von Reinhold Steig bearbeiteten handschriftlichen
Nachlasses neu herausgegeben von Fritz Bergemann. Mit 17 Bild-
tafeln und 2 Faksimiles. In Leinen M 9.50.
Dadurch, daß der Herausgeber auf fast 200 Seiten eine seelische
Biographie Bettinas voranstellt, ist es ihm gelungen, den Brief-
wechsel rein und schlackenfrei wie einen künstlerischen Dialog
auf den Leser wirken zu lassen.
(HERODOT:) DAS GESCHICHTSWERK DES HERODOTOS
VON HALIKARNASSOS. Neue Übertragung von Theodor Braun.
Dünndruckausgabe in einem Bande. In Leinen M 12.—; in Leder
M 18.—.
„Auf 810 Seiten der ganze so überaus köstliche Herodot metster-
haft verdeutscht. Man hat, sagt Schopenhauer, alles gelesen und
wird von nichts mehr überrascht, wenn man den ‚Vater der Ge-
schichte‘, den großen Meister aus Halikarnaß gelesen hat.“
HOFMANNSTHAL, HUGO VON: DREI ERZÄHLUNGEN.
Mit 25 Zeichnungen von Alfred Kubin. Einmalige Auflage in
640 Exemplaren. In Leinen M 24.—. |
HUCH, RICARDA: DER LETZTE SOMMER. Eine Erzählung
in Briefen. Neue wohlfeile Ausgabe. In Leinen M 3.50.
Die Geschichte eines russischen Revolutionärs, der einen hohen
Beamten durch ein Bombenattentat töten muß, trotz aller Achtung
und Liebe, die er für ihn und seine Familie empfindet. Ein großes
Kunstwerk in seiner meisterhaften Handhabung der Briefform.
KASSNER, RUDOLF: DIE MYTHEN DER SEELE. In Leinen
M 5.—.
KLEIST, HEINRICH VON: SÄMTLICHE WERKE in einem
Bande auf Dünndruckpapier. Herausgegeben von FriedrichMichael.
In Leinen M 10.—; in Fi, M 16.—.
LAWRENCE, D.H.: LIEBENDE FRAUEN. Roman. Übertragen
von Th. Mutzenbecher. In Leinen M 8.50.
„Ein Frauenbuch zu bleiben, ist jetzt bei uns wie in Amerika und
England das Schicksal einer großen Dichtung. Und es ist gut so.
Die Frauen werden ihre Männer bitten, dies Buch zu lesen. Sie
werden sie inständig bitten, sie werden sie zwingen, es zu lesen.
Damit die Größe dieses Dichters auch zu den Männern vordringt,
damit viele Europäer sich erkennen lernen.“ |
MAURIAC, FRANCOIS: DIE EINÖDE DER LIEBE. Roman. Aus
dem Französischen übertrag. von G.Cramer. In Leinen M 5.50. Aus-
gezeichnet mit dem Großen Preis der Französischen Akademie 1926.
„Vater und Sohn lieben, ohne voneinander zu wissen, die gleiche
Frau. Keiner von beiden erreicht sie. — Das Ganze ist in seiner
psychologischen Fügung unerhört zwanghaft, in der weiteren und
engeren Umwelt fabelhaft geschlossen.“
172
DIE RACHE DES JUNGEN MEH ODER DAS WUNDER DER
ZWEITEN PFLAUMENBLÜTE. Aus dem Chinesischen über-
tragen von Franz Kuhn. Nach Art der chinesischen Blockbücher
gedruckt. In Leinen M 7.50.
Ein chinesischer Studenten- und Revolutionsroman, aus dem uns
das mysteriöse Antlitz des wirklichen China entgegenblitzt, anmutig
durchwebt von der Geschichte einer zwiefachen Doppelltebe.
MUNK, GEORG: DIE GÄSTE. Sieben Geschichten. In Leinen
M 6.—.
RILKE, RAINER MARIA: GESAMMELTE WERKE in sechs
Bänden. In Leinen M 40.—; in Halbleder M 58.—.
INHALT: I. Band: Erste Gedichte — Frühe Gedichte. II. Band:
Das Buch der Bilder — Das Stundenbuch — Das Marienleben —
Requiem. III. Band: Neue Gedichte — Duineser Elegien — Die
Sonette an Orpheus — Letzte Gedichte und Fragmentarisches.
IV. Band: Cornet Christoph Rilke — Geschichten vom lieben Gott —
Prosafragmente — Auguste Rodin. V. Band: Die Aufzeichnungen
des Malte Laurids Brigge. VI. Band: Übertragungen.
— BRIEFE AN AUGUSTE RODIN: Die in französischer Sprache
an Rodin gerichteten Briefe. Einmalige Auflage von 320 nume-
rierten Exemplaren auf Büttenpapier. In Interimsband M 20.—.
SACHS, HANS: AUSGEWÄHLTE WERKE. (Gedichte und Dra-
men.) Mit60Holzschnitten nach Dürer, Beham u.a. 7.—10.Tausend.
Zwei Bände, In Halbleinen M ı2.—. Kolorierte Ausgabe mit
farbigen Holzschnitten: in Halbpergament M 20.—; in Schweins-
leder M 34.—.
SCHAEFFER, ALBRECHT: DERGOLDENEWAGEN. Legenden
und Mythen. In Leinen M 6.50.
Inhalt: Hölderlins Heimgang — DieWand — Jakobs Opferballade
vom Gerechten — Bruderlegende — Chrysoforus — Abrahams Opfer.
— HELIANTH. Bilder aus dem Leben zweier Menschen und aus
der norddeutschen Tiefebene in neun Büchern. Neue Ausgabe in
zwei Bänden /9.—12. Tausend]. In Leinen M 18.—.
Schaeffer hat den Umfang seines großen Romans, den man einen
„Querschnitt durch das deutsche Leben um die Wende dieses Jahr-
zehnts‘‘ genannt hat, um etwa ein Drittel vermindert, hat ihn einer
ähnlichen Bearbeitung unterzogen wie seinerzeit Goethe den Wilhelm
Meister und Keller seinen Grünen Heinrich, wodurch der Vergleich
mit diesen epischen Werken noch an Bedeutung gewinnt. Die straf-
fere Konzentration wird manche neuen Leser dem Buche zuführen.
— DIE GESCHICHTE DER BRÜDER CHAMADE. Roman.
In Leinen M 6.—.
In diesem neuen Roman, der angeblich auf einer verschollenen
französischen Vorlage von 1867 beruht, offenbart sich die düster
173
glühende Weli des Teufels in einem grauenvollen Verbrechen, um
Gottes Herrlichkeit zur Lebensbejahung desto wunderbarer erstrahlen
zu lassen. Aus der Hölle des Seins brennt hier der Himmel der
Seele auf.
SCHEFFLER, KARL: DER JUNGE TOBIAS. Eine Jugend und
ihre Umwelt. In Leinen M 8.50.
Unter dem biblischen Sinnbild des Tobias berichtet Karl Scheffler
von seinem Werdegang: Schritt für Schritt wiederholt er den Gang
der Kindheit, der unsicheren Jünglingszeit, schichtet er sein inneres
Wachstum vor sich auf, die Klärung zur Mannheit, die Wendung
zum Geistigen. Es ist ein menschliches Dokument, das durch den
zeitgeschichtlichen Rahmen, durch die innerlich erlebte Entwicklung
der menschlichen, geistigen, künstlerischen und sozialen Lebens-
formen um die Jahrhundertwende zu einem allgemein deutschen
Buch von tiefer Gültigkeit geworden ist.
SCHENDEL, ARTHUR VAN: DER BERG DER TRÄUME.
Aus dem Niederländischen übertragen von Hilde Stenersen. In
Leinen M 6.—.
(SCHLEGEL:) AUGUST WILHELM UND FRIEDRICH SCHLE-
GEL IM BRIEFWECHSEL MIT SCHILLER UND GOETHE.
Herausgegeben von Josef Körneru.ErnstWieneke. In Leinen M 8.—.
SHAKESPEARES MEISTERDRAMEN in sechs Banden. Ausge-
wählt und mit einem Vorwort versehen von Max J. Wolff. In
Leinen M 28.—; in Halbleder M 38.—.
INHALT: Tragödien: Othello, Macbeth, Troilus und Cressida,
Romeo und Julia, Hamlet, König Lear.
Historien: König Heinrich IV., König Richard II., Coriola-
nus, Julius Cäsar, Antonius und Cleopatra.
Komödien: Der Kaufmann von Venedig, Das Wintermärchen,
Viel Lärm um Nichts, Ein Sommernachtstraum, Was ihr wollt, Sturm.
STEINDORFF, GEORG: DIE KUNST DER AGYPTER. Bauten,
Plastik, Kunstgewerbe, Mit 200 ganzseitigen Bildtafeln und
zahlreichen Abbildungen im Text. In Leinen M 14.—.
Das langersehnte klassische Agypten-Buch. Die Tafeln bringen in
meist neuen Aufnahmen die großen Schöpfungen der Architektur,
die hervorragenden Werke der Plastik — Statuen und Reliefs — und
die Kostbarkeiten des Kunstgewerbes, auch die besten Stücke aus
dem Grabschatz des Tutanchamun. Der Text des berühmten Agyp-
tologen will die.historische Entwicklung kurz schildern.
STRAUSS, DAVID FRIEDRICH: ULRICH VON HUTTEN. Neu
. herausgegeben von Otto Clemen. Mit 35 Lichtdrucktafeln. In
Halbleder M 22.—; in weißem Schweinsleder M 40.—.
174
In dem Buche weht der Sturmhauch einer großen Kampfeszeit,
einer Zeit, in der zum ersten Male in deutscher Sprache geschrie-
ben wurde. Da Männer wie Luther, Sickingen, Zwingli, Eras-
mus gegen die Welt ihrer Feinde auftraten und Hutien immer
wieder seinen Wahlspruch ausrufen konnte: ‚Ich habs gewagt!‘
TEIRLINCK, HERMAN: DAS ELFENBEINÄFFCHEN. Ein
Roman aus dem Brüsseler Leben. In Leinen M 7.50.
Im Mittelpunkt des glänzend geschriebenen Romans ein ,, Diplomat
mit einem Elfenbeinäffchen in der Tasche und einer Hochstapler-
seele im Leibe. Das Affchen ist der Fetisch seiner Erotik, die sich
selbst genießen will, wie seine Seele, wenn er die Menschen ruiniert,
denen er begegnet. Entlarvt, verschwindet der Mörder, der er war,
und läßt eine Gesellschaft zurück, geprüft und gereift.
TIMMERMANS, FELIX: DER PFARRER VOM BLÜHENDEN
WEINBERG. Roman. Übertragen von Peter Mertens. In Leinen
M 6.50.
VALERY, PAUL: EUPALINOS ODER UBER DIE ARCHITEK-
TUR. Eingeleitet durch DIE SEELE UND DER TANZ. Uber-
tragen von Rainer Maria Rilke. In Halbleinen M 6.—.
Die Übertragung ist das letzte Werk Rainer Maria Rilkes.
— HERR TESTE. Übertragen von Max Rychner. In Halb-
leinen M 5.—.
Fragen von Erkenninis und Seele, von Geist und Sinnen, sind
Hintergründe und Untergründe dieser „bedeutenden“ Prosa.
— REDE bei der Aufnahme in die Académie Française. Über-
tragen von Erhard Schaeffer. Gebunden M 3.—.
VERGIL: ECLOGEN. In der Ursprache und Deutsch. Übertragen
von Rudolf Alexander Schröder. Mit 43 Holzschnitten von Aristide
Maillol. Einmalige Auflage,gedruckt auf derCranach-Presse zu
Weimar: 250 Exemplare auf Hanfpapier, in Halbpergamentmappe
M 220.—, in Maroquin M 280 —; 36 Exemplare auf besonderem,
aus reiner Chinaseide hergestellten Papier, in Halbpergament-
mappe M 800.—, in Maroquin M 875.—; acht Exemplare auf
Pergament in Ganzpergamentmappe M 2000.—.
Sonderankündigungen für diese Liebhaberausgabe,die auf der Inter-
nationalen Buchkunstausstellung Leipzig 1927 berechtigtes Auf-
sehen erregte, stehen unberechnet zur Verfügung.
ZWEIG, STEFAN: MARCELINE DESBORDES-VALMORE.
Das Lebensbild einer Dichterin. Mit 4 Lichtdrucktafeln. In
Leinen M 6.—.
Das erschütternde Leben einer Dichterin, der die Liebe tiefstes Er-
lebnis war und an deren Grabe die Träger bedeutendster Namen
wie Baudelaire, Victor Hugo, Anatole France, Verlaine Bekennt
nisse ablegten und kündeten, wer sie war.
175
FROHER ERSCHIENENE BÜCHER
DES INSEL-VERLAGES
ALS DER GROSSVATER DIE GROSSMUTTER NAHM. Ein
Liederbuch für altmodische Leute. Fünfte Auflage. Auf Grund der
Ausgabe von Gustav Wustmann neu herausgegeben. In Pappband
M s.—; in Halbleder M 7.50.
Die Sammlung ist nicht nur eine Fundgrube verschollener Gedichte
und Lieder vom Biedermeier bis zur Zopfzeit, sondern ein leben-
diges Buch für den Liebhaber alter Zeiten, der sich beim beschau-
lichen Blättern der reichen Großväterschätze freuen wird.
ALTE UND NEUE LIEDER MIT BILDERN UND WEISEN.
Herausgegeben im Auftrage des Verbandes deutscher Vereine für
Volkskunde und der Preußischen Volkslied - Kommission. Mit
190 Bildern und Zeichnungen alter und neuer Künstler. Zwei-
stimmig gesetzt mit Lautenbegleitung. In Leinen M 6.80.
Von alten und neuen Künstlern mit fast 200 Bildern geschmückt,
bietet dieser Band den unvergänglichen Schatz deutscher Lieder,
ein echtes Volksbuch fürs Haus und zum Wandern. Auch lieferbar
in einzelnen Heften zum Preise von je 80 Pf., die mit Bildern
folgender Künstler geschmückt sind: Heft 1 Ludwig Richter, Heft 2
Otto Ubbelohde, Heft 3 Leopold Graf von Kalckreuth, Heft 4
Max Slevogt, Heft 5 Cecilie Leo, Heft6 Hans Meid, Heft 7
Ludwig Richter, Heft 8 Schwind, Menzel u. a.
ÄLTESTE DEUTSCHE DICHTUNGEN. In gegenübergestellter
Urgestalt und Übertragung. Herausgegeben von Karl Wolfskehl
und Friedrich von der Leyen. Dritte Auflage. In Leinen M 7.50.
ANDERSEN, HANS CHRISTIAN: MÄRCHEN. Unter Benutzung
der von Andersen selbst besorgten deutschen Ausgabe übertragen
von Mathilde Mann. Zeichnung der farbig gedruckten Initialen,
des Titels und des Einbandes von Carl Weydenieyer-Worpswede.
Zwei Bande. 14.—16. Tausend. In Leinen M 16.—; in Halb-
leder M 20.—.
ANDERSEN -NEXÖ, MARTIN: PELLE DER EROBERER.
Roman. Aus dem Dänischen von Mathilde Mann. 14.—20.Tausend.
Vollständige Ausgabe in einem Bande auf Dünndruckpapier
(1250 Seiten). Geheftet M 8.—; in Leinen M 12.—.
ANDERSON, SHERWOOD: DER ARME WEISSE. Amerika-
nischer Roman. Übertragung von Karl Lerbs. In Leinen M 7.50.
— DAS EI TRIUMPHIERT. Amerikanische Novellen. Über-
tragung von Karl Lerbs. In Leinen M 6.50.
BALZAC, HONORE DE: DIE MENSCHLICHE KOMÖDIE.
Neue Ausgabe in zehn Bänden auf Dünndruckpapier. Eingeleitet
176
von Hugo von Hofmannsthal. Jeder Band in Leinen M 9.—; in
Halbleder M 12.—; in Leder M 16.—.
X.
INHALT (jeder Band ist einzeln, mit und
ohne Bandzahl, lieferbar):
. Einleitung von Hugo von Hofmannsthal — Balzac, ein Essay
von Wilhelm Weigand — Vorrede — Das Haus „Zur Ball-
spielenden Katze“ — Die verlassene Frau — Gobseck — Die
Frau von dreißig Jahren — Der Ehevertrag.
. Ursula Mirouet — Eugenie Grandet — Der Pfarrer von
Tours — Die alte Jungfer — Frauenstudie.
. Ein Junggesellenheim — Das Antiquitäten-Kabinett — Die
Lilie im Tal.
. Verlorene Illusionen.
. Glanz und Elend der Kurtisanen — Die Geheimnisse der
Fürstin von Cadignan — Das Haus Nucingen.
. Die Geschichte der Dreizehn — Vater Goriot — Oberst
Chabert. |
. Cäsar Birotteau — Kleine Erzählungen — Das Chagrinleder.
. Die Chouans — Eine dunkle Begebenheit — Der Landarzt.
. Mystische Erzählungen — Die Suche nach dem Urelement —
Kleine Novellen.
Tante Lisbeth — Vetter Pons.
BALZAC: DIE TOLLDREISTEN GESCHICHTEN, genannt
CONTES DROLATIQUES. Ubertragen von Benno Riittenauer.
In einem Bande auf Dünndruckpapier, als Ergänzungsband zur
„Menschlichen Komödie“. 29.—31. Tausend. In Leinen M 9.—;
in Halbleder M 12.—; in Leder M 16.—.
— PHYSIOLOGIE DER EHE. Eklektisch-philosophische Betrach-
tungen über Glück und Unglück in der Ehe Übertragung von
Heinrich Conrad. 11.—14. Tausend. Taschenausgabe auf Dünn-
druckpapier. In Leinen M 6.—; in Leder M 12.—.
(BEDIER:) DER ROMAN VON TRISTAN UND ISOLDE. Er-
neut von Josef Bédier. Autorisierte Übertragung von Rudolf
CG Binding. 15.—ı8. Tausend. In Leinen M 5.—.
BERTRAM, ERNST: STRASSBURG. Ein Kreis Gedichte. In
Pappband M 2.—.
= — GEDICHTE. Vierte, vermehrte Auflage. In Pappband M 5.—.
— DAS NORNENBUCH. Gedichte. In Pappband M 5.—.
.DIE BLUMLEIN DES HEILIGEN FRANZISKUS VON ASSISI.
Übertragen von Rudolf G. Binding. Mit 84 Initialen und Einband-
zeichnungen von Carl Weidemeyer-Worpswede. 20.—22. Tausend.
In Leinen M 6.50; in Schweinsleder M 16.—.
177
BOCCACCIO, GIOVANNI DI: DAS DEKAMERON. Ubertragung
von Albert Wesselski, unter Neugestaltung der Gedichte von
Theodor Däubler. Eingeleitet von André Jolles. Dünndruck-
ausgabe in einem Bande (1100 Seiten). 31.—35. Tausend. In Leinen
M 10.—; in Leder M ı7.—.
BRILLAT-SAVARIN: PHYSIOLOGIE DES GESCHMACKS,
In gekürzter Form übertragen von Emil Ludwig. Mit den Holz-
schnitten der französischen Ausgabe von 1864. Zweite Auflage.
In Halbleinen M 5.—; in Halbleder M 8.—. |
BÜCHNER, GEORG: WERKE UND BRIEFE. Herausgegeben
von Fritz Bergemann. Taschenausgabe auf Dünndruckpapier.
6.—9. Tausend. In Leinen M 7.—; in Leder M 14.—.
BÜRGER, GOTTFRIED AUGUST: WUNDERBARE REISEN
ZU WASSER UND ZU LANDE. Feldzüge und lustige Abenteuer
des Freiherrn von Münchhausen, wie er dieselben bei der Flasche
im Zirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt. Mit den Holz-
schnitten von Gustave Doré. Io. und II. Tausend. In Halbleinen
M ı10.—; in Halbpergament M 14.—..
CAROLINENS LEBEN IN IHREN BRIEFEN. Herausgegeben
von Reinhard Buchwald, eingeleitet von Ricarda Huch. Mit
16 Bildtafeln. 6.—ro. Tausend. In Leinen M 7.—.
CAROSSA, HANS: EINE KINDHEIT. Zweite Auflage. In Leinen
M 6.—.
„Ein Deutscher spiegelt hier das erste Lebensjahrzehnt ; und siehe,
es entstand etwas dichterisch so Schönes, psychologisch so Unauf-
dringliches dabei, wenngleich nicht Drängendes, nicht drohend
Überrumpeindes, doch so Klares, daß man, hingegeben wie etwa
an den ,Nachsommer' von Stifter, einzurdumen bereit ist: dies hier
ist mehr denn Individualerlebnis.“ Berliner Tageblatt.
— RUMÄNISCHES TAGEBUCH. Zweite Aufl. In Lein. M 6.—.
„Dies kleine Buch ist wie ein mitten aus Krieg und Schicksal
herausgehobenes Stück. Hier ist kein Zerschwatzen des Erlebten,
kein Räsonieren, ein großer, reinigender, tiefnachwirkender Hauch
geht von diesem Buche aus. Uns erscheint es unter vielen erzäh-
lenden Büchern des Jahres das wertvollste.“ Alphons Paquet.
CERVANTES: DER SCHARFSINNIGE RITTER DON QUI-
XOTE VON DER MANCHA. Vollständige deutsche Ausgabe
in zwei Bänden auf Dünndruckpapier, unter Benutzung der
anonymen Ausgabe von 1837 besorgt von Konrad Thorer. Mit
einem Essay von Turgenjef und einem Nachwort von Andre
Jolles. 12.—15. Tausend. In Leinen M ı2.—; in Leder M 24.—. |
DIE CHINESISCHE FLÖTE. Nachdichtungen chinesischer Lyrik
von Hans Bethge. 37.—39.Tausend. Nach Art chinesischer Block-
bücher gebunden, in Halbleinen M 4.—; in Seide M 7.50.
178
CORTES, FERDINAND: DIE EROBERUNG VON MEXIKO.
Mit den eigenhändigen Berichten Cortes’ an Kaiser Karl V.
Mit zwei Bildnissen und einer Karte. Herausgegeben von Arthur
Schurig. 6.—Io. Tausend. In Leinen M 7.—.
Die Eroberung eines volkreichen Landes durch eine Kriegerschar
von kaum fünfhundert Mann, die mit wenigen Feuerbüchsen und
nur zwei ungefügen Geschiitzen ausgerüstet sind, zwingt trotz aller
Grausamkeiten, die vorkamen, zur Bewunderung.
DÄUBLER, THEODOR: DAS NORDLICHT. Ein Epos in drei
Teilen. Neue, durchaus veränderte Genfer Ausgabe. Zwei Bände
auf Dünndruckpapier. In Leinen M ı2.—.
DICKENS: WERKE. Eingeleitet von Stefan Zweig. Mit über 300
Federzeichnungen aus den englischen Originalausgaben von Catter-
mole, Hablot K. Browne und anderen. Taschenausgabe in sechs
Bänden auf Dünndruckpapier. In Leinen M 54.—;in Leder M 108.—.
Hiervon erschienen als Einzelausgaben:
— DAVID COPPERFIELD. Mit 40 Federzeichnungen. 19. bis
22. Tausend. In Leinen M 9.—; in Leder M 18.—.
— DIE PICKWICKIER. Mit 43 Federzeichnungen. 15.—19.Taus.
In Leinen M 9.—; in Leder M 18.—.
. —DERRARITÄTENLADEN. Mit 73 Federzeichnungen. 15. und
16. Tausend. In Leinen M 9.—; in Leder M 18.—.
— MARTIN CHUZZLEWIT. Mit 40 Federzeichnungen. ro, bis
12. Tausend. In Leinen M 9.—; in Leder M 18.—.
— NIKOLAUS NICKLEBY. Mit 38 Federzeichnungen. ro. bis
I2. Tausend. In Leinen M 9.—; in Leder M 18.—.
© (DIOTIMA:) DIE BRIEFE DER DIOTIMA AN HOLDERLIN.
Herausgegeben von Carl Viëtor. Mit der Abbildung einer Büste und
dem Faksimile eines Briefes. 16.—20. Tausend. Gebunden M 4.50.
EICHENDORFF, JOSEPH VON: WERKE. Ausgewählt und
herausgegeben von Franz Schulz. Zwei Bande. 21.—25. Tausend.
In Leinen M 9.—; in Halbleder M 14. —.
EISHERZ UND EDELJASPIS ODER DIE GESCHICHTE EINER
GLÜCKLICHEN GATTENWAHL. Chinesischer Roman aus der
‚Ming-Zeit, aus dem Urtext übertragen von Franz Kuhn. 8. bis
I2. Tausend. In Leinen M 6.50.
BRIEFE DER HERZOGIN ELISABETH CHARLOTTE VON
ORLEANS (LISELOTTE). Herausgegeben von Hans F. Helmolt.
Mit 16 Bildtafeln. In Leinen M 7.50.
FRANK, LEONHARD: DIE RÄUBERBANDE. Roman. 27. bis
25. Tausend. In Leinen M 6.—.
— DIE URSACHE. Roman. 11.—20. Taus. In Halbleinen M 3.50.
179
FREYTAG, GUSTAV: BILDER AUS DER DEUTSCHEN VER-
GANGENHEIT. Vollständige Ausgabe, mit Einführung, Anmer-
kungen und ausführlichem Personen-, Orts- und Sachverzeichnis
herausgegeben von Johannes Bühler. Zwei Bände auf Dünndruck-
papier (2400 Seiten). In Leinen M 20.—; in Leder M 32.—.
GESTA ROMANORUM. Das älteste Märchen- und Legendenbuch
des christlichen Mittelalters. Ausgewählt von Hermann Hesse.
8.—Io. Tausend. In Leinen M 7.—.
GOBINEAU: DIE RENAISSANCE. Mit 20 Porträts und Szenen-
bildern in Autotypie. 77.—82. Tausend. In Leinen M 7.—; in
Halbleder M 9.50.
— DIE RENAISSANCE. Historische Szenen. Übertragen von
Bernhard Jolles.GroßeLiebhaber-Ausgabe.Mit24 Tafeln
. inLichtdruck. 15.—17.Tausend. In Halbleder M 22.—; in Schweins-
leder M 30.—.
GOETHES SÄMTLICHE WERKE in siebzehn Bänden. Heraus-
gegeben von Fritz Bergemann, Hans Gerhard Gräf, Max Hecker,
Gunther Ipsen, Kurt Jahn und Carl Schüddekopf. Neue Ausgabe
auf Dünndruckpapier. In Leinen M 150.—; in Leder M 260.—.
Diese neue Ausgabe kann nunmehr als die vollständigste aller
heutigen Goethe- Ausgaben bezeichnet werden. Der Text umfaßt
I5000 Seiten.
GOETHES WERKE in sechs Bänden (Volksgoethe). Im Auftrage
der Goethe-Gesellschaft herausgegeben von Erich Schmidt. 71. bis
85. Tausend. In Leinen M 24.—; in Halbleder M 38.—.
GOETHE: ITALIENISCHE REISE. Mit den Zeichnungen Goethes
und seiner Freunde und Kunstgenossen in 124 zum Teil farbigen
Lichtdrucktafeln. Neu herausgegeben vom Goethe- National-
museum. [Folio.] In Halbleder M 60.—; in Leder M 80.—.
— GESPRÄCHE MIT ECKERMANN. Vollständige Ausgabe
in einem Bande auf Dünndruckpapier. 24.—28. Tausend. In Leinen
M 9.—; in Leder M 15.—.
— FAUST. Gesamtausgabe auf Dünndruckpapier. Enthaltend
Urfaust, Fragment (1790), Tragödie I. und II. Teil, Paralipomena.
I10.—119. Tausend. In Leinen M 4.—; in Leder M 9.—.
— SÄMTLICHE GEDICHTE IN ZEITLICHER FOLGE.
Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Taschenausgabe auf Dünn-
druckpapier. 22.26. Tausend. Zwei Bände. In Leinen M 12.—;
in Leder M 24.—.
— GEDICHTE. Auswahl in zeitlicher Folge. Herausgegeben von
Hans Gerhard Graf. 11.—15. Tausend. In Leinen M 4.50; in
Halbleder M 7.—. .
180
GOETHE: LIEBESGEDICHTE. Herausgegeben von Hans Gerhard
Graf. 22.—26. Tausend. In Pappband M 4.50; in Leder M 15.—.
— WESTOSTLICHER DIVAN. Vollständige Taschenausgabe.
II.—I 5. Tausend. In Leinen M 4.50; in Leder M ı0.—.
— DICHTUNG UND WAHRHEIT. Taschenausgabe auf Dünn-
druckpapier. 18.—22. Tausend. In Leinen M 8.—; in Leder M 14.—.
— ITALIENISCHE REISE. Taschenausgabe auf Dünndruck-
papier. 17.—19. Tausend. In Leinen M 7.—; in Leder M ı2.—.
— WILHELM MEISTER. Taschenausgabe auf Dünndruck-
papier. In Leinen M 9.—; in Leder M 15.—.
— FARBENLEHRE. Vollständige Ausgabe in einem Bande auf
Dünndruckpapier. Mit 32 farbigen Tafeln. Eingeleitet von Gunther
Ipsen. In Leinen M 12.—; in Leder M 18.—.
— NATURWISSENSCHAFTLICHE SCHRIFTEN. Taschen-
ausgabe in zwei Bänden auf Dünndruckpapier. Mit 48 zum größten
Teil farbigen Tafeln. In Leinen M 24.—; in Leder M 36.—.
— DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER. Mit den elf Kup-
fern und einer Rötelstudie von Chodowiecki. Siebente Auflage. In
Pappband M 9.—; in Halbleder M 12.—; in Leder M 20.—.
— BRIEFE AN CHARLOTTE VON STEIN. Nach den Hand-
schriften neu herausgegeben von Julius Petersen. Vier Bände. In
Halbleinen M 18.—; in Halbleder M 25.—.
— BRIEFWECHSEL MIT MARIANNE VON WILLEMER.
Neu herausgegeben von Max Hecker. Vierte Auflage. Mit 3 Bildern
und einem Faksimile. In Halbleder M 6.50.
DIE BRIEFE DER FRAU RATH GOETHE. Gesammelt und her-
ausgegeben von Albert Koster. Zwei Bande. Sechste Auflage.
In Halbleinen M 10.—; in Halbleder M 15.—.
DIE MÄRCHEN DER BRÜDER GRIMM. Vollständige Ausgabe
in zwei Bänden. Zeichnung der farbig gedruckten Initialen von
Carl Weidemeyer-Worpswede. 7.—10. Tausend. In Leinen M 12.—;
in Halbleder M 16.—.
HAUFF, WILHELM : MÄRCHEN. Vollständige Ausgabe. Zeich-
nung der farbig gedruckten Initialen, des Titels und des Einbandes
von Carl Weidemeyer-Worpswede. 5.—8.Tausend. In Leinen M 6.—;
in Halbleder M 8.—.
DER HEILIGEN LEBEN UND LEIDEN, das sind die schénsten
Legenden aus den deutschen Passionalen des 15. Jahrhunderts.
Ausgewählt und übertragen von Severin Rüttgers. Mit zahlreichen
Holzschnitten. In Halbleinen M 9.—; in Halbpergament M 12.—.
181
HEINES SAMTLICHE GEDICHTE. Herausgegeben von Jonas
Frankel. Dünndruckausgabe. In Leinen M8.—; in Leder M 14.—.
_ Auf 1000 Seiten vereinigt dieser Band das gesamte lyrische Werk
Heines.
— BUCH DER LIEDER. Taschenausgabe. 51.—54. Tausend.
In Leinen M 3.50; in Leder M 7.50.
HENSEL, SEBASTIAN: DIE FAMILIE MENDELSSOHN, 1729
bis 1847. Nach Briefen und Tagebfichern herausgegeben. Achtzehnte
Auflage. Mit 20 Bildtafeln. Zwei Bände, In Leinen M 16.—; in
Halbleder M 22.—.
HOFMANNSTHAL, HUGO VON: GEDICHTE. In Pappband
M 4.—; 500 Exemplare, mit einer Titelradierung von Walter Tie-
mann, in Halbleder M 8.—.
— DIE GEDICHTE UND KLEINEN DRAMEN, 46.—50.Tau-
send. In Leinen M 4.—; in Halbleder M 7.—.
— DAS SALZBURGER GROSSE WELT THEATER. Geheftet
M 2.—; in Pappband M 3.—.
HÖLDERLIN, FRIEDRICH: SÄMTLICHE WERKE. Taschen-
ausgabe auf Dünndruckpapier in einem Bande. 14.—17. Tausend.
In Leinen M 10.—; in Leder M 16.—.
— HYPERION ODER DER EREMIT IN GRIECHENLAND.
Taschenausgabe. ro. und 11.Tausd. In Lein. M 3.50; inLed.M 8.50.
HOMERS ODYSSEE. Neu übertragen von Rudolf Alex. Schréder.
21.—25. Tausend. In Halbleinen M 4.—.
OMHPOY EIH (IAIAZ. OAYSSZEIA). Der griechische Text,
herausgegeben v. Paul Cauer. Dünndruckausgabe. In Leinen M 7.—.
HUCH, RICARDA: DAS LEBEN DES GRAFEN FEDERIGO
CONFALONIERI. 16.—ı18. Tausend. In Leinen M 8.50.
— DER GROSSE KRIEG IN DEUTSCHLAND. Drei Bände.
14.—I6. Tausend. In Leinen M 24.—.
— DER WIEDERKEHRENDE CHRISTUS. Eine groteske Er-
zählung. 5.—7. Tausend. In Leinen M 7.—.
— VON DEN KÖNIGEN UND DER KRONE. Achte Auflage.
In Leinen M 7.—.
— LUTHERS GLAUBE. Briefe an einen Freund. 16.—19. Tausend.
In Halbleinen M 6.—. | |
— MENSCHEN UND SCHICKSALE AUS DEM RISORGI-
MENTO. 9.—ır. Tausend. In Leinen M 6.50.
— MICHAEL UNGER. Des Romans „Vita somnium breve“
26.—28. Tausend. In Leinen M 8.50,
— MICHAEL BAKUNIN UND DIE ANARCHIE. 6. bis
8. Tausend. In Leinen M 7.—.
182
HUCH, RICARDA: DIE VERTEIDIGUNG ROMS. Der Geschich-
ten von Garibaldi erster Teil. 70.—ı2. Tausend. In Leinen M 8.—.
— DER KAMPF UM ROM. Der Geschichten von Garibaldi
zweiter Teil. 8.—ro. Tausend. In Leinen M 8.—.
DIE BRAUTBRIEFE WILHELMS UND CAROLINENS VON
HUMBOLDT. Herausgegeben von Albert Lettemann. 10.—12.Tau-
send. In Leinen M 7.—.
JACOBSEN, JENS PETER: SÄMTLICHE WERKE in einem
Bande, aufD ünndruckpapier. BerechtigteÜbertragung von Mathilde
Mann, Anna Matthiesen und Erich Mendelssohn. Mit dem von
A. Helststed 1885 radierten Porträt. 26.—29. Tausend. In Leinen
M 8.—; in Leder M ı5.—.
KANT: SÄMTLICHE WERKE in sechs Bänden. Herausgegeben
von Felix Groß. Taschenausgabe auf Dünndruckpapier. In Leinen
M 45.—; in Leder M 80.—.
— KRITIK DER REINEN VERNUNFT. Taschenausgabe auf
Dünndruckpapier. r1—15. Tausend. In Leinen M 9.—.
MEMOIREN DER KAISERIN KATHARINA I. VON RUSS-
LAND. Aus dem Französischen und Russischen übersetzt und her-
ausgegeben von Erich Boehme. Mit 16 Bildnissen. 16.—19. Tau-
send. In Leinen M 8.—.
KELLER, GOTTFRIED: GESAMMELTE WERKE. Eingeleitet
von Ricarda Huch. 11.—14. Tausend. Vier Bande auf Dünndruck-
papier. In Leinen M 32.—; in Halbleder M 42.—; in Leder M 60.—.
— DER GRÜNE HEINRICH. Vollständige Ausgabe in einem
Bande, auf Dünndruckpapier. 79.—21. Tausend. In Leinen M 7.50;
in Leder M 15.—.
LACLOS, CHODERLOS DE: SCHLIMME LIEBSCHAFTEN
(LIAISONS DANGEREUSES). Übertragen und eingeleitet von
Heinrich Mann. 6.—9. Tausend. Auf Pepe In Leinen
M 8.—; in Leder M 14. —.
LAWRENCE, D. H.: DER REGENBOGEN. Roman Berechtigte
Übertragung aus dem Englischen von F. Franzius. In Halbleinen
M 7.—.
— SÖHNE UND LIEBHABER. Berechtigte Übertragung aus
dem Englischen von F. Fransius. In Halbleinen M 7.—.
(MOZART:) WOLFGANG AMADEUS MOZARTS LEBEN in
seinen Briefen und Berichten der Zeitgenossen. Herausgegeben von
Alb. Leitzmann. Mit 16 Bildtaf. und 2 Faksimiles. In Lein. M 12.—.
„Viele gute Stunden habe ich in diesem Buche gelesen, dessen
- Berichte wie holdes Märchen klingen, da sie das Höchste und
Liebenswerteste zum Gegenstand haben, was Deutschland hervor-
gebracht hat: Mozart.‘ Hermann Hesse.
. 183
NAPOLEONS BRIEFE. In Auswahl herausgegeben von Friedrich
~ Schulze, übertragen von Hedwig Lachmann. Mit ı9 Bildern. In
Leinen M 7.50.
DER NIBELUNGE NOT und KUDRUN. Herausgegeben von
Eduard Sievers. Auf Dünndruckpapier. In Leinen M 7.—.
Der mittelhochdeutsche Text in musterhafter Ausgabe.
NIETZSCHES BRIEFE. Ausgewählt und herausgegeben von Richard
Oehler. 21.—25. Tausend. In Leinen M 5.50.
— BRIEFE AN PETER GAST. Herausgegeben von Peter Gast.
Dritte Auflage. In Leinen M 9.—.
— BRIEFE AN MUTTER UND SCHWESTER. Herausgegeben
von Elisabeth Förster-Nietzsche. Neue Ausgabe. Mit 3 Bildnissen
in Lichtdruck. In Leinen M ı2.—.
NOSTITZ, HELENE: AUS DEM ALTEN EUROPA. Menschen
und Städte. Dritie Auflage. In Leinen M 7.—.
PONTOPPIDAN, HENRIK: HANS IM GLÜCK. Ein Roman in
zwei Bänden. Aus dem Dänischen von Mathilde Mann. Fünfte
Auflage. In Leinen M ı2.—.
„Das Buch, der erste große dänische Roman seit dem ‚Niels
Lyhne‘, hat die Eigenschaften der bleibenden Erzählungen: Stoff,
Spannung und Vortrag. Aus den fast 1000 Seiten quillt die Lust
am Erlebnis, die Freude am Wirklichen, das Behagen am Er-
zählen. Es ist ein veifes, vollkommenesWerk. JosefHofmiller.
PREVOST D’EXILES, ABBE: GESCHICHTE DER MANON
LESCAUT UND DES CHEVALIER DES GRIEUX. Über-
tragung von Rudolf G. Binding. Fünfte Auflage. In Leinen M 5.50.
Illustrierte Ausgabe mit den 8 Kupfern von J. J. Gomy aus der
Ausgabe von 1797, in Halbleder M 14.—.
REISINGER, ERNST: GRIECHENLAND. rr re Tausend. Mit
go Vollbildern, davon 62 nach Aufnahmen der Preußischen Meg-
bildanstalt. In Halbleinen M 8.—.
RILKE, RAINER MARIA: DIE FRÜHEN GEDICHTE. 18. bis
20. Tausend. In Halbleinen M 5.—.
— DAS BUCH DER BILDER. 27. und 28. Tausend. In Leinen
M 5.—.
— NEUE GEDICHTE. 18.—z20. Tausend. In Halbleinen M 5.—.
— DER NEUEN GEDICHTE ANDERER TEIL. 14.—16. Tau-
send. In Halbleinen M 5.—.
— DAS STUNDENBUCH. (Enthaltend die drei Bücher: Vom
mönchischen Leben — Von der Pilgerschaft — Von der Armut
und vom Tode.) 60.—64. Tausend. In Halbleinen M 5.—.
184
RILKE, RAINER MARIA: DIE SONETTE AN ORPHEUS. Ge-
schrieben als ein Grabmal für Wera Ouckama Knoop. In Papp-
band M 3.50.
— DUINESER ELEGIEN. In Leinen M 4.—.
— GESCHICHTEN VOM LIEBEN GOTT. 37.—39. Tausend.
In Leinen M 5.—.
— DIE AUFZEICHNUNGEN DES MALTE LAURIDS
BRIGGE. 23.—25. Tausend. In Leinen M 7.50.
— AUGUSTE RODIN. Mit 96 Bildtafeln. 41.—45. Tausend.
In Halbleinen M 7.50.
RIMBAUD, ARTHUR: LEBEN UND DICHTUNG. Übertragen
von K. L. Ammer, eingeleitet von Stefan Zweig. Mit einem Bildnis
Rimbauds. Zweite Auflage. In Leinen M 6.50.
ROUSSEAU: BEKENNTNISSE. Unverkürzt aus dem Französischen
übertragen von Ernst Hardt. Zweite Auflage. In Leinen M ı0.—;
in Leder M 16.—.
Die Größe der Persönlichkeit, die sich in diesem Buche mit rück-
haltloser Offenheit dargestellt hat, und die Kühnheit ihres Bekennt-
nisses erheben dieses für alle Zeiten zu einem Dokument, das
erkenntnishungrige Seelen mit geheimnisvoller Magie anzieht.
SAINT-SIMON: DER HOF LUDWIGS XIV. Nach den Denk-
würdigkeiten des Herzogs von Saint-Simon herausgegeben von
Wilhelm Weigand. Übertragen von Arthur Schurig. Mit 34 zeit-
genössischen Bildern. 8.—ır. Tausend. In Leinen M 20.—; in
Halbleder M 24.—; in Leder M 32.—.
SCHAEFFER, ALBRECHT: DER GÖTTLICHE DULDER.
Dichtung. In Pappband M 6.50; in Halbleder M ı0.—.
.— ELLI ODER SIEBEN TREPPEN. Beschreibung eines weib-
lichen Lebens. 9.—ı2. Tausend. In Leinen M 6.50.
— GUDULA ODER DIE DAUER DES LEBENS. Eine Erzäh-
lung. 11.—ı13. Tausend. In Leinen M eco
— JOSEF MONTFORT. Roman. 12.—14. Tausend. In Leinen
M 7.50.
— PARZIVAL. Ein Versroman in drei Kreisen. 4.—6. Tausend.
In Halbleinen M 10.—; in Halbleder M 14.—.
— DES APULEJUS sogenannter GOLDENER ESEL (Meta-
morphosen). In Leinen M 8.—.
„Merk auf, Leser, du wirst dein Vergnügen haben“, heißts in
der Einleitung. Und dann beginnt die Geschichte von Lucius, der
in einen Esel verwandelt wird und vielerlei Schmerzen und Leiden
durchmachen muß. Ein Buch der Abenteuer und Verwandlungen,
Verwicklungen und Verwechslungen, eine Satire auf die Zeit, ihren
Aberglauben, ihre Menschen.
185
SCHEFFLER, KARL: DEUTSCHE MALER UND ZEICHNER
IM NEUNZEHNTEN JAHRHUNDERT. Mit 78 Bildtafeln.
Io.—12.Tausend. In Halbleinen M 12.—;in Halbpergament M15.—.
— ITALIEN. Mit 118 Bildtafeln. 13.—15. Tausend. In Halbleinen
M 16.—; in Halbpergament M 20.—.
— DER GEIST DER GOTIK. Mit 103 Vollbildern. 36.—40.Tau-
send. In Halbleinen M 7.50.
— PARIS. Notizen. Mit 87 Bildtafeln. Zweite Auflage. In Halb-
leinen M 16.—; in Halbpergament M 20.—.
— ZEIT UND STUNDE. Neue Essays. In Leinen M 7.—.
SCHILLERS SÄMTLICHE WERKE insieben Bänden. Taschenaus-
gabe auf Dünndruckpapier. In Leinen M 50.—; in Leder M 90.—.
SCHNEIDER, EDUARD: ELEONORA DUSE. Erinnerungen, Be-
trachtungen und Briefe. Übertragen von Th. Mutzenbecher. Mit
7 Bildern und einem Faksimile. 5.—8.Tausend. In Leinen M 8.50.
Dies Ehrenmal, das thr ein Dichter und ein Mensch gesetzt,
wird die Erinnerung an die große Künstlerin über ihre Zeit tragen.
SCHOPENHAUERS WERKE in fünf Bänden. Herausgegeben von
Ed.Grisebach, Max Brahn und Hans Henning. Taschenausgabe auf
Dünndruckpapier. In Leinen M 40.—; in Leder M 70.—.
— APHORISMEN ZUR LEBENSWEISHEIT. Taschenausgabe.
35.—39. Tausend. In Leinen M 4.—; in Leder M 9.—.
SCHULZE-MAIZIER, FRIEDRICH: DIE OSTERINSEL. Mit
231 afeln, 3 Karten und 3 Abbildungen im Text. In Leinen M 12.—
Das Geheimnis der kleinen in ungeheure Einsamkeit versprengten
Insel im östlichen Pazifik, auf der einst ein überraschend hohes
Kulturleben geherrscht haben muß, auf der man Hunderte unwahr-
scheinlich großer Figuren errichtete, eine eigene Literatur in bis-
her noch nicht entzifferter Schrift besaß, wird hier nach den Er-
gebnissen der jüngsten Expedition so weit, wie es überhaupt
möglich ist, entschletert.
SCHURIG, ARTHUR: WOLFGANG AMADE MOZART. Sein
Leben, seine Persönlichkeit, sein Werk. Mit 4ı Bildtafeln und
3 Faksimiles. Zwei Bande. 5.—9. Tausend. In Leinen M 18.—.
STENDHAL, FRIEDR. VON (HENRY BEYLE): DAS LEBEN
EINES SONDERLINGS. Übertragen von Arthur Schurig. Auf
Dünndruckpapier. 6.—8.Taus. In Leinen M 9.—; in Leder M 15.—.
— VON DER LIEBE. Übertragen von Arthur Schurig. Auf Dünn-
druckpapier. 11.—13.Tausend. In Leinen M 8.—; in Leder M 14.—.
— ROT UND SCHWARZ. Roman. Übertragen von Arthur
Schurig. Auf Dünndruckpapier. zo re Tausend. In Leinen
M 8.—; in Leder M 14.—.
186
STENDHAL, FRIEDR. VON (HENRY BEYLE): DIE KAR.
TAUSE VON PARMA. Roman. Ubertragen von Otto Fretherrn
von Taube. In Leinen M 9.—; in Leder M. 15.—.
— ZWOLF NOVELLEN. Ubertragen von Arthur Schurig. In
. Leinen M 8.—; in Leder M 14.-.
STIFTER, ADALBERT: GESAMMELTE WERKE in finf Ban-
den auf Dünndruckpapier. Eingeleitet von Felix Braun. In Leinen
M 36.—; in Leder M 70.—.
Als Einzelausgaben erschienen:
— STUDIEN. (Erzählungen.) Vollständige Ausgabe in zwei Bän-
den. 21.—23. Tausend. In Leinen M 15.—; in Leder M 28.—.
— DER NACHSOMMER. Roman. Vollständige Ausgabe in einem
Bande. 13.—15. Tausend. In Leinen M 7.50; in Leder M 14.—.
— WITIKO. Roman. Vollständige Ausgabe. 5.—8. Tausend. In
Leinen M 7.50; in Leder M 14.—.
— BUNTE STEINE. NACHLESE. In Leinen M 7.50; in Leder
M 14.—.
Als Ergänzungsband in gleicher Ausstattung:
— AUSDEM ALTEN WIEN. Mit 28 Bildtafeln. Zweite Auflage.
In Leinen M 7.—; in Leder M 14.—.
STORM, THEODOR: SÄMTLICHE WERKE in acht Bänden.
Herausgegeben und eingeleitet von Albert Köster. 19.—21. Tau-
send. In Leinen M 30.—; in Halbpergament M 45.—.
TAUBE, OTTO FREIHERR VON: DAS OPFERFEST. Roman.
In Leinen M 8.—.
(1001 NACHT:) DIE SCHÖNSTEN GESCHICHTEN AUS TAU-
SEND UND EINER NACHT. Wohlfeile Ausgabe in einem
Bande. 15.—17. Tausend. In Halbleinen M 6. 50; in HalblederM 9.—.
Diese schöne Auswahl eignet sich besonders auch als Geschenk für
die reifere Jugend. |
TAUSEND UND EIN TAG. Orientalische Erzählungen. Ausgewählt
und eingeleitet von Paul Ernst. Übertragen von Felix P. Greve und
Paul Hausmann. 4.—7. Tausend. Zwei Bände. In Leinen M 20.—;
in Leder M 36.—.
TIMMERMANS, FELIX: DAS JESUSKIND IN FLANDERN.
Aus dem Flämischen übertragen von Anton Kippenberg. 14. bis
17. Tausend. In Leinen M 6.50.
— PALLIETER. Aus dem Flämischen übertragen von Anna
Valeton-Hoos. 21.—25. Tausend. In Leinen M 6.50.
— DAS LICHT IN DER LATERNE. Erzählungen. Übertragen
von Anna Valeton-Hoos. Mit Zeichnungen des Verfassers. rr. bis
14. Tausend. In Leinen M 6.50.
187
TOLSTOI, LEO N.: SAMTLICHE ROMANE UND ERZAH-
LUNGEN in zwölf Banden. Eingeleitet von Arthur Luther. In
Leinen M 54.—; in Halbpergament M 75.—.
— ERZÄHLUNGEN. Übertragen von Heinrich Röhl und Arthur
Luther. Vier Bände. In Halbleinen M 16.—; in Halbpergament
M 20.—.
TSCHUANG-TSE: REDEN UND GLEICHNISSE. In deutscher
Auswahl von Martin Buber. 9.—11. Tausend. In Leinen M 4.—.
UHDE-BERNAYS, HERMANN: ANSELM FEUERBACH. Mit
80 Vollbildern nach Gemälden und Handzeichnungen Feuerbachs.
II.—I5. Tausend. In Halbleinen M 4.—.
VILLERS, ALEXANDER VON: BRIEFE EINES UNBEKANN-
TEN. Ausgewählt und eingeleitet von Wilhelm Weigand. Zweite
Auflage. Mit 2 Bildnissen. In Leinen M 9.—.
VOLTAIRES ERZÄHLUNGEN. Übertragen von Ernst Hardt.
Zweite Auflage. In Leinen M 7.50; in Halbleder M ı0.—.
Inhalt: Der Schwarze und der Weiße — Hans und Klaas — Die
Prinzessin von Babylon — Candid — Scarmentado — Zadig —
Mikromegas — Der Harmlose.
WALDMANN, EMIL: ALBRECHT DÜRERS LEBEN UND
KUNST. Drei Teile in einem Bande. Mit 240 Vollbildern nach
Gemälden, Stichen, Holzschnitten und Handzeichnungen des Mei-
sters. In Halbleder M 14.—.
Einzeln erschienen:
— ALBRECHT DÜRER. Mit 80 Vollbildern nach Gemälden des
Meisters. 21.—24. Tausend. In Halbleinen M 4.—.
— ALBRECHT DÜRERS STICHE UND HOLZSCHNITTE.
Mit 80 Vollbildern. 17.—20. Tausend. In Halbleinen M 4.—.
— ALBRECHT DURERS HANDZEICHNUNGEN. Mit 8oVoll-
bildern. rz.—20. Tausend. In Halbleinen M 4.—.
WILDE, OSCAR: DIE ERZÄHLUNGEN UND MÄRCHEN.
Übertragen von Franz Blei und Felix Paul Greve. Mit 10 Voll-
bildern sowie Initialen, Titel- und Einbandzeichnung von Heinrich
Vogeler-Worpswede. 133.—140. Tausend. In Halbleinen M 5.50;
in Halbpergament M 8.—; in Leder M 15.—.
WILHELMINE MARKGRÄFIN VON BAYREUTH: MEMO-
IREN. Deutsch von Annette Kolb. Mit 10 Bildtafeln. 9.13. Tau-
send. In Leinen M 8.—.
Erinnerungen der geistvollen Schwester Friedrichs des Großen.
WINCKELMANN, JOACHIM: KLEINE SCHRIFTEN UND
BRIEFE. Herausgegeben von Hermann Uhde-Bernays. Zwei
Bände. Mit 22 Bildtafeln. In Halbpergament M 18.—.
188
ZOLA, EMILE: ROM. Roman. Taschenausgabe auf Dünndruck-
papier in einem Bande (1000 Seiten). In Leinen M 8.—.
ZWEIG,STEFAN: ERSTES ERLEBNIS. Vier Geschichten aus Kin-
derland. 28.—32.Tausend. In Leinen M 7.—; in Halbleder M 10.—.
— AMOK. Novellen einer Leidenschaft. 46.—50. Tausend. In
Leinen M 7.—; in Halbleder M 10.—.
— VERWIRRUNG DER GEFÜHLE. Drei Novellen. gr. bis
60.Tausend. In Leinen M 7.—; in Halbleder M 10.—.
Die drei Bände sind auch zusammen in einer Kassette unter dem
Titel „DIE KETTE“ lieferbar zum Preise von in Leinen M 20.—;
in Halbleder M 28.—.
— DREI MEISTER (Balzac — Dickens — Dostojewski). 27. bis
25. Tausend. In Leinen M 7.—.
— DER KAMPF MIT DEM DÄMON (Hölderlin — Kleist —
Nietzsche). rz.—22. Tausend. In Leinen M 7.50.
— ERINNERUNGEN AN EMILE VERHAEREN. Gedruckt in
400 numerierten Exemplaren auf Büttenpapier. In Halbpergament
M ı12.—. :
— JEREMIAS. Eine dramatische Dichtung in neun Bildern. 22. bis
25. Tausend. In Leinen M 6.—.
DEUTSCHE VERGANGENHEIT
Nach zeitgenössischen Quellen herausgegeben von Johannes Bühler.
Jeder Band mit 16 Bildtafeln, in Halbleinen M 9.—;
in Halbleder M ı2.—.
DIE GERMANEN IN DER VOLKERWANDERUNG. 6. bis
8. Tausend.
DAS FRANKENREICH.
DIE SÄCHSISCHEN UND SALISCHEN KAISER.
DIE HOHENSTAUFEN.
KLOSTERLEBEN IM DEUTSCHEN MITTELALTER. 7. bis
II. Tausend.
DEUTSCHES GEISTESLEBEN IM MITTELALTER.
ORDENSRITTER UND KIRCHENFÜRSTEN.
Ausführliche Sonderankündigungen für diese Sammlung stehen
unberechnet zur Verfügung.
189
VIER-MARK-BUCHER
Jeder Band in Leinen mit reicher Rückenvergoldung M 4.—.
BEETHOVENS BRIEFE. In Auswahl
herausgegeben von Albert Leitzmann.
34. Tausend.
FICHTES REDEN AN DIE DEUT-
SCHE NATION. Revidierte Ausgabe
von Rudolf Eucken. 29. Tausend.
GOETHES BRIEFE AN FRAU VON
STEIN. In Auswahl herausgegeben
von Julius Petersen. Mit 6 Silhouetten.
30. Tausend.
DIE BRIEFE DES JUNGEN GOE-
THE. Herausgegeben und eingeleitet
von Gustav Roethe.
BRIEFE VON GOETHES MUTTER.
Ausgewählt und eingeleitet von Al-
bert Köster. Mit einer Silhouette der
Frau Rath. 63. Tausend,
DER
WILHELM VON HUMBOLDT: BRIE-
FE AN EINE FREUNDIN (Charlotte
Diede). In Auswahl herausgegeben von
Albert Leitsmann. 31. Tausend.
KANT-AUSSPRÜCHE. Herausgegeben
von Raoul Richter. 14. Tausend.
BRIEFE HEINRICH VON KLEISTS.
Herausgegeben von Friedrich Michael.
DES KNABEN WUNDERHORN. Aus-
gewählt und eingeleitet von Friedrich
Ranke. 20. Tausend.
ADALBERT STIFTER: ERZÄHLUN-
GEN. Ausgewählt und eingeleitet von
Felix Braun.
DOM
Bücher deutscher Mystik
MEISTER ECKHART: DEUTSCHE
PREDIGTEN UND TRAKTATE.
Ausgewählt, übertragen und einge-
leitet von Friedrich Schulse-Maisier.
(Siehe Seite 171). :
FRANZ VON BAADER: SCHRIFTEN.
Ausgewählt und herausgegeben von
Max Pulver.
JAKOB BÖHME: AUSGEWÄHLTE
SCHRIFTEN. Herausgegeben von
Hans Kayser. 7. Tausend.
GUSTAV TH. FECHNER: ZEND-
AVESTA. Gedanken über die Dinge
des Himmels und des Jenseits vom
Standpunkte der Naturbetrachtung.
Herausgegeben von Max Fischer.
7. Tausend.
J.G. HAMANN: SCHRIFTEN. Aus-
gewählt und herausgegeben von Karl
Widmaier.
HILDEGARD VON BINGEN:
SCHRIFTEN. Ausgewählt und ber-
ausgegeben von Johannes Bühler.
JOHANNES KEPLER: KOSMISCHE
HARMONIE. Auszugsweise über-
tragen von W. Harburger.
MYSTISCHE DICHTUNG AUS SIE-
BEN JAHRHUNDERTEN. Heraus-
gegeben v. Friedrich Schulse-M aisier.
THEOPHRASTUS PARACELSUS:
SCHRIFTEN, Herausgegeben von
Hans Kayser. 7. Tausend.
JAN V.RUISBROECK: DIE ZIERDE
DER GEISTLICHEN HOCHZEIT -
U. DIE KLEINEREN SCHRIFTEN.
Herausgegeben von Friedrich M.
Huebner.
HEINRICH SEUSE: DEUTSCHE
SCHRIFTEN, Ausgewählt und über-
tragen von Anton Gabele.
JOHANN TAULER: PREDIGTEN.
In Auswahl übertragen und eingeleitet
von Leopold Naumann.
THEOLOGIA DEUTSCH. Heraus-
gegeben von Josef Bernhart. 6. Taus.
Preis jedes Bandes: in Halbleinen M 6.—; in Halbpergament M 8.— (die Bände
Böhme, Eckhart, Kepler, Mystische Dichtung, Paracelsus: M 7.50 bzw. M 10.—)
Mit dem soeben erschienenen Eckhart-Bande ist die Sammlung, die es sich zur
Aufgabe stellt, eine Auswahl der besten und wichtigsten Bücher echter Mystik
zu bringen, nunmehr zum Abschluß gelangt.
190
INHALT
Kalendarium auf das Jahr 1928 e 5
Karl Scheffler: Dorf und Stadt ............ 00. cece ee evens 11
Robert Browning: Der Ring und das Buch................ 19
Felix Braun: Zwei Betrachtungen .............0. essence 25
Chinesische Anekdoten e 33
Sherwood Anderson: Die Lehrerin ......... 2222222220222. 36
Albrecht Schaeffer: Klage ....... 0. ccc cece cece renee eeee 49
Alexander Lernet-Holenia: Szene als Einleitung einer Toten-
feier für Rainer Maria Bike... 50
Hugo von Hofmannsthal: Vermächtnis der Antike ......... 57
Felix Timmermans: Ein Tag in Lier ...........2.0e0 ee 62
Ricarda Huch: Zwei Gedichte `... 75
Paul Valéry: Die Seele und der Tanz ................000 76
Eine Predigt Meister Eckharts `... 84
Rainer Maria Rilke: Drei Gedichte... 89
D. H. Lawrence: Die Nachtigall e 92
Charles Baudelaire: Marceline Desbordes-Valmore ......... 100
Ernst Bertram: Zwei Gedichte .............+-- es 106
Stefan Zweig: Die Weltminute von Waterloo ............. 108
Geschichten aus dem Herodot ........-. ses cesceeeceeece 127
Richard Friedenthal: Demeter-Sonette ...............-0008: 135
Hans Carossa: Aus einem künftigen Buche ............... 139
Gedanken von Paul Lagarde ....... cece cece cee e erence 154
Frangois Mauriac: Der Tod der jungen Frau ............. 159
Goethe: Vermächtnis `... 167
Bücher aus dem Insel-Verlag `... 169
DIE BILDER
Küche im Ordensritterschloß Lochstedt. Aus Johannes Bühler :
Ordensritter und Kirchenfürsten (Deutsche Vergangenheit)
Gustave Doré: Illustration zu Balzacs Tolldreisten Geschichten
Engel im Chor des Doms zu Köln. Aus Hermann Beenken:
Bildhauer des 14. Jahrhunderts am Rhein und in Schwaben
Gipsmaske Amenophis’ IV. Aus Georg Steindorff : Die Kunst
DEVAL DIEM: ed rennt
Stammhaus der Familie Rothschild in Frankfurt am Main. Aus
Egon Cäsar Conte Corti: Der Aufstieg des Hauses Roth-
Schild 2770-01528 70 voce dea ee a
Aristide Maillol: Holzschnitt. Aus den Eclogen Vergils in der
Ursprache und Deutsch, übertragen von Rudolf Alexander
Schröder. (Druck der Cranach-Presse in Weimar) ......
Madonna vom Kapellenturm in Rottweil. Aus Hermann Been-
ken: Bildhauer des 14. Jahrhunderts am Rhein und in
Schwaben aa, ie
Marceline Desbordes-Valmore. Zeichnung von Constant Des-
bordes. Aus Stefan Zweig : Marceline Desbordes-Valmore,
das Lebensbild einer Dichterin ........ EE eee
Die Sphinx von Gise. Aus Georg Steindorff: Die Kunst EN
E EE
Gustave Doré: Illustration zu Balzacs Tolldreisten Geschichten
Aristide Maillol: Holzschnitt. Aus den Eclogen Vergils .....
Kalendarium und Umschlag zeichnete Marcus Behmer
Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig |
«PPR 37039-SB
83-15
CQ
SC
o
| ee ene EE
Stanford University Libraries
Stanford, California
Return this book on or before date due.