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Full text of "Insel-Almanach 1928"

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INSEL- 
ALMANACH 
AUF DAS JAHR 

1928 


IM INSEL-VERLAG 
ZU LEIPZIG 


KALENDARIUM 


UND BANG UND SINNLOS SIND DIE ZEITEN, 
WENN HINTER IHREN EITELKEITEN 
NICHT ETWAS WALTET WELCHES RUHT. 


RAINER MARIA RILKE 


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2. Sonntag n. Ep. 
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Mittwoch 
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Sonnabend 


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4. Sonnt. n. Ep. A 
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Donnerstag 
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Sonnabend 


2 Montag 

3 Dienstag 

4 Mittwoch 

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6 Karfreitag 

7 Sonnabend 


8 Ostersonntag 
9 Ostermontag 
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15 Quasimodogeniti 
16 Montag 

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20 Freitag @ 
21 Sonnabend 


22 Misericord. Dom. 
23 Montag 

24 Dienstag 

25 Mittwoch 

26 Donnerstag 3 
27 Freitag 

28 Sonnabend 


Dienstag 
Mittwoch 
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Sonnabend 


Cantate 
Montag 
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Mittwoch 
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Freitag 
Sonnabend 


Rogate 

Montag 
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Himmelfahrt 
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Exaudi 

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Pfingstsonntag 
Pfingstmontag 
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29 Jubilate 
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16. Sonnt. n. Tr. 
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19. Sonnt. n. Tr. 
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1. Advent 
Montag 
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Mittwoch 
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Freitag 
Sonnabend 


2. Advent 
Montag 
Dienstag 
Mittwoch 
Donnerstag 
Freitag 
Sonnabend 


3. Advent 
Montag 
Dienstag 
Mittwoch 
Donnerstag 
Freitag 
Sonnabend 


4 Advent 

Montag 
1.Weihnachtsfeiert. 
2.Weihnachtsf. oi 
Donnerstag 
Freitag 

Sonnabend 


Sonnt. n, Weihn. 
Silvester 


DORF UND STADT 
VON KARL SCHEFFLER 


Das Dorf, in dem Johann Schüler zur Welt kam, hat 
sich während seines Lebens mehr verändert als vorher 
in Jahrhunderten. In Johanns früher Kindheit war es 
noch ganz ländlich; heute ist es der Vorort einer Groß- 
stadt. Die Straßen und Häuser, Gärten und Plätze, die 
Menschen in ihren Sitten und Gewohnheiten, in ihren 
Erscheinungen und Überzeugungen: alles hat sich von 
Grund auf gewandelt. Die Veränderungen, die über das 
große Vaterland in den Jahrzehnten zwischen den bei- 
den Kriegen dahingegangen sind, spiegeln sich getreu- 
lich auch im Gestaltwandel des kleinen Dorfes. 

Es liegt im Gebiet einer norddeutschen Stadt, die sich 
selbst von alters her „frei“ nennt und ein selbständiger 
kleiner Staat ist. Das Dorf ist eine Wegstunde fast von 
den alten Toren der Stadt entfernt. Ursprünglich be- 
stand es nur aus zwei Reihen von Häusern und Ge- 
höften, die unmittelbar an der Landstraße lagen. Am 
Ausgang jedoch gabelte sich die Straße. Links führte 
sie am Fluß hinauf, ins preußische Gebiet, dessen Grenze 
ein paar hundert Meter hinter dem Dorf durch ein Zoll- 
haus gesperrt war. Rechts führte eine andere Straße zur 


II 


Kirche und weiter zur Brücke über den Fluß. Dort, wo 
die Gabelung war, hatte sich eine Häuserinsel und da- 
neben ein dreieckiger Marktplatz gebildet; und auch in 
der Gegend der Kirche drängten sich Häuser und Gär- 
ten so zusammen, daß das Dorf an dieser Stelle mehr 
Körper hatte. 

Die am meisten in die Augen fallenden Häuser des Dor- 
fes waren die Bauernhöfe. Sie bildeten Gebäudegruppen 
und lagen stattlich und herrenmäßig da. In der Mitte, 
etwas zurück von der Straße, zu beiden Seiten flankiert 
von Wagenschuppen und Vorratshäusern, so daß ein mit 
Kopfsteinen holprig gepflasterter Hof entstand, lag, den 
Giebel der Straße zugekehrt, das Hauptgebäude. Es hatte 
weißgekalkte Fachwerkwände und ein hohes mit Stroh 
gedecktes Dach, das an der Spitze des Giebels mit zwei 
sich kreuzenden Hölzern in der Form der alten sächsi- 
schen Pferdeköpfe verziert war. In der Mitte der Gie- 
belwand befand sich eine große grün gestrichene Tür, 
die aus Ober-, Unter- und Seitenflügeln zusammenge- 
setzt war, die sich stückweis aufklappen ließ wie ein 
Flügelaltar, und durch die hochbeladene Kornwagen 
einfahren konnten, wenn alle Flügel geöffnet wurden. 
Zu beiden Seiten des Haupttores, dort wo das Strohdach 
so tief herabreichte, daß es mit der ausgestreckten Hand 
berührt werden konnte, waren kleinere Türen ange- 
bracht. Sie führten links zu einer langen Reihe von Kuh- 
ställen und rechts in die Pferdeställe. Die Mitte des Ge- 
bäudes nahm die große Diele ein, deren Fußboden aus 
Lehm gestampft war und die oben von einer Balken- 
decke abgeschlossen wurde. In dieser Decke war eine 


12 


viereckige Offnung. Darunter hielten in der Erntezeit 
die Korn- oder Heuwagen, um entladen zu werden. 
Sonst lehnte eine Leiter in der Luke. Stieg man hinauf, 
so übersah man den Korn- und Heuspeicher, der über 
das ganze Gebäude wegging, und über dem das Stroh- 
dach schräg und steil emporstieg. In dieser Boden- und 
Dielenregion herrschte eine heimliche Dämmerung, wenn 
das Tor geschlossen war, denn das Licht fiel nur durch 
ein paar kleine Fenster. Freilich drang das Sonnenlicht 
daneben durch alle Ritzen der schweren Tür. Blendend 
glänzten schräge Strahlen auf, in denen sich der Staub 
tanzend drehte. Die Diele roch nach trockenem Heu, 
nach Pferdegeschirr und nach den Viehställen. Diese 
waren nach der Diele zu offen, so daß das Futter von 
dort in die Krippen getan werden konnte. Beständig 
war dieser Raum voller Geräusche. Man hörte das 
Schroten und Schnaufen der Kühe, das Kettenzerren 
und Stampfen der Pferde und das Gurren der Tauben, 
deren Schlag sich oberhalb der Ställe befand. 

Hinten schlossen sich die Wohnräume unmittelbar an. 
Sie waren von der Diele nur getrennt durch ein gedrech- 
seltes Holzgitter, in dem sich eine Tür befand. Dahinter 
saß die Bäuerin mit ihrer Arbeit. Früher war es der 
Spinnrocken gewesen, jetzt war es eine Küchenbeschäf- 
tigung oder Näherei. Sie konnte von ihrem Platz aus das 
ganze Haus beaufsichtigen, konnte sehen, was die 
Knechte in den Ställen oder auf der Diele beim Dreschen, 
an der Futterkiste oder Häckselmaschine, und was die 
Mägde in der Küche oder auf dem Hof taten. Und sie 


war auch in der Nähe der Wohnräume, in denen der 


13 


ererbte, Jahrhunderte alte Hausrat zu finden war, 
Schränke und Truhen aus schwerem Holz solide gear- 
beitet, mit schönen blanken Messinggriffen und einge- 
schnitzten Jahreszahlen und Initialen, blau bemalte Ka- 
cheln, blankes Küchengeschirr und selbstgefertigte Ge- 
webe. Von hier aus, zur Seite des Langhauses, ging eine 
Tür in den Garten. Dort gab es lange schmale Beete, 
von Buchsbaum eingefaßt, mit bunten Blumen, Küchen- 
kräutern und Arzneipflanzen, es gab hohe alte Obst- 
bäume, Johannisbeer- und Stachelbeerhecken, vor den 
Fenstern eine Reihe regelmäßig gepflanzter, rechteckig 
geschorener, mit den Kronen sich berührender Linden- 
bäume, und Lauben aus lichtem Ulmengezweig. Jede 
Form, auch im Garten, war überliefert. 

Die Ländereien der Bauern lagen nicht unmittelbar bei 
den Höfen, sondern weiter draußen. Sie bildeten auf der 
einen Seite ein großes Felder- und Ackergebiet, das sich 
bis zur preußischen Grenze erstreckte, und auf der an- 
dern Seite Viehweiden, die, fest mit buschbewachsenen 
Wallen umgrenzt, von hölzernen Toren geschlossen und 
durch Wege, sogenannte Twieten, getrennt waren. Diese 
Ländereien gehörten den wenigen Bauernfamilien, die 
von alters her im Dorf und auf den Höfen ansässig 
waren. Darum waren die Bauern die einflußreichsten 
Gemeindeglieder; einer von ihnen hatte stets das Amt 
des Vogtes inne. Solange die Dorfbewohner denken 
konnten, waren die Höfe im Besitz derselben Bauern- 
familien gewesen, es hatten sich kleine Dynastieen ge- 
bildet, die sich, trotz der Vertraulichkeit aller mit allen 
im Dorf, gesellschaftlich abschlossen. Die Bauern zählten 


14 


ihre Ahnen, und das ganze Dorf zahlte mit. Jeder kannte 
ihre Eltern und Großeltern, jeder nahm teil an den Vor- 
_gangen auf den Höfen, jeder wußte die Beinamen, die 
den Bauern angehängt worden waren, wußte, welches 
Unrecht sie verübt hatten, wieviel Land, Vieh und Geld 
sie besaßen und welche Kinder miteinander verheiratet 
werden sollten. Die Alten im Dorf wußten in der Fa- 
miliengeschichte der Bauern Bescheid bis zur Franzosen- 
zeit und weiter zurück. Der älteste Sohn erbte den Hof. 
Die jüngeren Söhne erhielten so viel Geld, daß sie sich 
in der Nachbarschaft ankaufen konnten, und die Téch- 
ter verheirateten sich wieder mit Bauernsöhnen. Da- 
durch waren die Bauern der ganzen Gegend mitein- 
ander verwandt, es waren große Sippen entstanden. Die 
Kinder wurden zur Arbeit der Eltern erzogen. Sie be- 
suchten die Dorfschule, dann arbeiteten die Knaben wie 
Knechte auf dem väterlichen Hof, und die Mädchen 
sahen in ihren kurzen beiderwandenen Röcken genau so 
aus wie die Mägde. Alle sprachen das niederdeutsche 
Platt und waren einander ähnlich, weil sie dieselben 
Interessen, Sitten und Gewohnheiten hatten. Fremde 
Elemente drangen fast nie in die Familien. Wie die Ge- 
höfte inmitten des Dorfes scheinbar offen, in Wahrheit 
aber fest abgegrenzt dalagen, so schlossen sich auch ihre 
Bewohner wie nach einem natürlichen Gesetz von den 
anderen Dorfbewohnern ab. Zu den Familienfesten der 
Bauern kamen die Verwandten in ihren Wagen von weit 
her; aber man sah niemals auf diesen Festen einen Hand- 
werker aus dem Dorf. 

Einen besonderenCharakter gaben dem Dorf dieSommer- 


15 


wohnungen der Städter. Diese Hauser gehörten wohl- 
habenden Kaufherren, die in der guten Jahreszeit das 
Land suchten und sich doch von der Stadt nicht zu weit 
entfernen wollten. Das Dorf lag ihnen gerade recht. In 
der Stadt besaßen sie stattliche Häuser mit Gesellschafts- 
räumen, Kontoren und Lagern. Im Frühling gingen sie 
aufs Land und blieben dort bis zum Ende des Sommers. 

In der Stadt waren sie vornehme und angesehene Herren. — 
Viele trugen den Senatorentitel, einige wurden sogar 
Bürgermeister genannt. Die Familien gaben sich mit ` 
starkem Bewußtsein patrizierhaft, hielten sich ven den 
Bewohnern des Dorfes streng zurück, von den Bauern 
sowohl wie von den Handwerkern, und schlossen sich 
in ihren großen Gärten ganz ab. Morgens fuhr der 
Kaufherr in seiner Equipage zur Stadt, und nachmittags 
kehrte er zum Essen, das nach englischem Vorbild erst 
um fünf oder sechs Uhr eingenommen wurde, zurück. 
Was man vom Leben in diesen Häusern erfuhr, kam 
entweder von den Kutschern und Gärtnern, von den 
Dienstmädchen oder von den Handwerkern, die für die 
„Herrschaften“, wie man im Dorfe sagte, arbeiteten. 
Daß man wenig erfuhr, vermehrte nur die achtungs- 
volle Scheu. Die Lebensgewohnheiten dieser Vornehmen 
waren in jeder Weise verschieden von denen der andern 
Dorfbewohner. Die Kaufherren, ihre Frauen und Kin- 
der wurden auf der Straße mit fast untertäniger Höflich- 
keit gegrüßt; wenn einer von ihnen einmal in einem 
Handwerkerhaus vorsprach, um eine Bestellung zu 
machen, so wurde die Tür der besten Stube aufgetan, 
und es herrschte einige Aufregung. Die Dorfkinder aber 


16 


gingen selten an den Häusern und Gärten vorbei, ohne 
. das Gesicht ans Gitter zu drücken und neugierig die 
fremde Welt zu untersuchen. 

Diese Sommersitze waren nicht eben alt; keiner davon 
gehörte noch dem achtzehnten Jahrhundert an, und auch 
aus der Zeit vom Anfang des neunzehnten Jahrhunderts 
fanden sich nur wenige Gebäude. Das meiste war in den 
vierziger und fünfziger Jahren gebaut worden. Dennoch 
war in den Anlagen eine einfache, stille Vornehmheit. 
Die Häuser waren meistens aus Ziegelsteinen gebaut und 
grau mit Ölfarbe gestrichen. Das Dach war mit Schiefer 
gedeckt. Diese Häuser waren nie mehr als einstöckig 
und so angelegt, daß sie sich mit den Wohnzimmern 
gegen den Garten öffneten. Die Fußböden des Erdge- 
schosses lagen fast auf dem Niveau des Gartens, so daß 
man vom Gartensaal unmittelbar ins Freie gelangen 
konnte. An der Front befand sich eine Vorfahrt für die 
Wagen. Doch gab es auch Sommerhäuser, die tief in 
einem großen parkartigen Garten in Grün versteckt da- 
lagen und zu denen eine schöne Allee alter Bäume hin- 
führte. Im Innern herrschte dieselbe einfache Vornehm- 
heit wie im Äußern. Die Fußböden waren grau ge- 
strichen, die Türen und Fenster weiß, die Wände waren 
mit einfarbigen Tapeten beklebt und mit lebhaften Bor- 
ten eingefaßt; die mit leichten Stuckornamenten, Pal- 
metten und Mäandern verzierten Decken waren schlicht 
geweißt. An den Wänden standen schöne alte Möbel 
aus Mahagoniholz, schwere Sofas mit Roßhaarbezügen, 
Stühle mit geschweiften Lehnen, zierliche Putztische, 
hohe Wanduhren mit metallenen Zifferblättern, fein 


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profilierte Kommoden und Biicherschranke, hinter deren 
Glastüren grüner Stoff gespannt war. An den Wänden 
hingen Familienporträts und Stiche: Goethes beide Ele- 
onoren, eine schweizer Landschaft oder die Wiedergabe 
eines alten Italieners. Die Häuser hatten einen eigenen 
Geruch. Ein leiser Duft vom Kampfer lag in der Luft, 
weil die Polstermöbel im Winter mit Überzügen ver- 
sehen und gegen Motten gesichert wurden; aber auch 
nach Lavendel roch es, nach guter Seife und reiner 
Leinewand. 

Der Garten war so groß, daß man in seiner Mitte vom 
Dorf kaum etwas sah. Vor dem Gartensaal gab es Tep- 
pichbeete mit fremdartigen Zierblumen, durch Gebiisch 
und Rasenflachen schlangelten sich Wege zu leichten 
Lauben und Gartentempeln, weiter hinten war eine An- 
höhe mit einer Sonnenuhr, dann kam ein Teich mit 
einem Schwanenhaus; und wenn man am Ende ange- 
kommen war, blickte man über Hecken und Gebüsch 
hinweg auf die Viehweiden, die Kornäcker oder auf den 
Fluß. Abseits lag der Küchengarten mit seinen Gemiise- 
beeten, Spalierfrüchten, Erdbeerrabatten, Mistbeeten und 
Treibhäusern, und dahinter, den Häusern des Dorfes 
zunächst, befand sich die Gärtnerwohnung, die Kut- 
scherwohnung und der Pferdestall. Das Ganze hatte 
einen eigenen Nimbus, nicht zuletzt, weil man nicht sah, 
durch welche Tätigkeit alles hervorgebracht und er- 
halten wurde. Kein Mann im Dorf war so gut gekleidet, 
wie die Besitzer dieser Landsitze und ihre Söhne es 
waren, und die Frauen gar waren wie aus einer andern 
Lebenssphäre. Man wurde mit seinen Gedanken auf die 


18 


Stadt verwiesen, blickte in eine Welt, die anders war, 
deren Lebensgesetz nicht gleich sichtbar wurde und die 
darum eine eigene Art von Sehnsucht erweckte. 


Aus der Selbstbiographie Karl Schefflers 
„Der junge Tobias“ 


DER RING UND DAS BUCH 
VON ROBERT BROWNING 


Seht ihr den Ring? Die Arbeit stammt aus Rom, 
Wo Meister Castellani sie dem Vorbild 

Aus Alt-Etrurien nachgeformt, das man 

An einem selgen Maienmorgen fand, 

Nach regentropfend warmer Nacht, im Erdreich 
Von wurzellockren Feigenbäumen, wie . 

Sie alte Gräber rings um Chiusi schatten. 

So weich, nicht wahr? doch klar und scharf geschnitten, 
Man meint Juwelenschliff! Fachmänner sagen, 

Es gäb nur eine Art, das Gold zu formen, 

Das jungfräulich eiförmig-rostbraun schwemmt 
Aus Minen wie der Honig aus den Waben, 
Damit es Hammerschlag und Zahn der Feile 
Ertragen kann, die es zum Reifen runden 

Und fein mit Lilienrankwerk überziehn, 

Eh aus dem Stoff ein Ring zum Tragen wird. 
Der Kunstgriff ist, daß man wie Wachs dem Honig 
Dem puren Golde etwas untermischt 

Von Goldersatz, damit sichs kneten läßt. 

Ist das getan, der Ring entstanden, wird 

Die alte Ordnung wiederhergestellt. 


19 


Mit feurig scharfen Säuren überwischt 

Entflieht wie Schaum der lockere Gehilfe, 

Der Goldersatz — und läßt die Form zurück: 
Das feste Rund des Rings, sich selbst genug, 

Die Lieblichkeit des Lilienschmuckes — wieder 
Gold wie es war und ist und überdauert! 
Ursprüngliche Natur — dazu gefügt die Kunst; 
Verloren kein Karat, gewonnen nur ein Ring. 
Und was damit gewonnen ? Ein Symbol, 

Ein Bild, ein Zeichen! Zeichen für ein Ding. 


Und nun zum Ding, das hier bezeichnet wird. 


Seht ihr dies alte gelbe Buch? ich zupfe 

An seinen pergamentnen Ecken, werfe 

Es in die Luft und fang esin der Hand. 

Seht, darin steckt lebendiges Geschehen, 

Von menschlicher Erfahrung ausgelöst, 

` Als Herzen hart gehämmert, blutgeschwellte 
Gehirne vor Jahrhunderten noch pochten. 

Prüft selbst! Ich fand dies Buch für eine Lira 
(Heißt achtzig Pfennig!), als mich einst die Hand, 
Die ich auf meiner Schulter immer spüre, 

An einem grauen zwischen Sonnentagen 

Hinführte zu Florenz auf einen Platz 

Voll Lärm und Buden — Markt und Mittagszeit — 
Zum Marmorpostament, auf dem Giovanni, 

Der „delle Bande nere“, dräuend sitzt. 

Und grade zwischen Kirche und Palast 

— Ricardi, wo die Medicäer lebten, 

Und San Giovanni, wo sie stille ruhn — 


20 


Lag dieses Buch auf Marmorstufen, drauf 

Der Medicäer Pagen trédelten, 

Und ihren Kram heut andre Trédler breiten. 

Da, zwischen Krimskrams und Gerümpel, Rahmen 
Mit arg bestoßnen goldnen Engelsköpfchen, 

Und Truhen, denen einst die großen Damen 
Gewänder aus Brokat und Samt entnahmen, 
Modernsten Zeichnungen in Nackt und Akt, 

Jet, Lava, Porphyr glatt und rauh, und Büsten 
Aus Terrakotta, meist, zum Glück, geborsten — 
Fetzen von Teppichen aus einer Zeit, 

Die sich des kräftgen Rot und Blaus nicht schämte, 
Gebinden braungeätzter Skizzen, jede 

Zwei Kreuzer wert, mit Muscheln festgebunden, 
Daß sie der Wind nicht übern Platz verwehe, — — 
Lag dieses Buch und griff ich es heraus. 

Fünf andre lockten mich zuerst fast mehr: 

Ein Spicilegium voller Eselsohren, 

Die zärtliche Kameliendame Dumas’, 

Horaz für Schulgebrauch zurechtgestutzt, 

Dann eines Heiligen Mirakel — Tod —, 

Dann anderen Sankt Soundso Mirakel — 
Dazwischen dies! Ein Blick auf seine Rückwand 
Und „Händler!“ rief ich, und es wurde mein. 


Hier ists! Ein unscheinbarer kleiner Quartband, 
Halb Manuskript, halb Druck. Geprägte Form 
Von Vorgängen, die Hirne blutgeschwellt, 

Und Herzen hartgehämmert ausgelöst 

Vor zwei Jahrhunderten! Gebt mirs zurück, 


21 


Dem Dinge wohnt ein prickelnd Leben ein 
Für mein Gefühl und Aug! 

An jenem Tage 
Beherrschte ich den Inhalt, hielt die Wahrheit, 
Die dieses Buch umfaßt — drei Fünftel Druck, 
Das Supplement in guter, klarer Schrift. 
„Romana Homicidiorum‘“ — nein, 
Besser auf deutsch: „Ein Mordprozeß zu Rom. 
„Genaue Darlegung des Strafverfahrens, 
„Das gegen Guido Franceschini, Edlen, 
„Und vier von ihm gedungne Spießgesellen 
„Stattfand — die fünf verhört und abgeurteilt 
„Durch Beil und Strang, wie’s ihrem Rang entsprach, 
„Zum Tod befördert hier zu Rom am zwei- 
„Undzwanzigsten des Februar, im Jahr 
„Des Heiles Sechzehnhundertachtundneunzig. 
„Wobei auch disputieret worden, ob 
„Und wann die Ehemänner ihre Weiber, 
„Die solche Ehe brachen, töten dürfen, 
„Und doch gewohnter Strafe sich entziehn.“ 


So, wörtlich, rann das Titelblatt. Es wurde 
Mord oder Strafe für die andre Schuld, 
Für Totschlag und nichts anderes erachtet. 
In schwerverständlichem Latein, wo Recht 
Sich hören ließ, allein zur Muttersprache 
Rückgreifend, wo man überzeugen wollte. 
So sah es aus, mein altes gelbes Buch. 


Nun, wie der Klumpen eh der Ring entstand 
Von Gold war — bitt euch, bleibt mir bei dem Bild! — 


22 


So war in diesem Buch die volle Wahrheit: 
Tatsachen ohne Beiwerk, Dokumente, 

Und nichts von Phantasie hinzugefügt. 

Der Advokaten Schriften für und wider 

Besagte Fünfe, Umstände zugunsten 

Der beiden Seiten angeführt. Dann alles, 

Wie’s Brauch, von Apostolischer Hofkammer 
Zu Rom herausgebracht in Schrift und Druck. 
Und dem Gerichtshof unterbreitet, dem 

Der Gouverneur von Rom Hochwürdigst vorsaß. 


Graf Guido Franceschini aus Arezzo, 

Sproß eines alten, doch verarmten Hauses, 

Mit Adlernase, buschgem Bart und Haar, 
Bleich, hager, ein robuster Fünfzigjährger, 
Nahm die Pompilia Comparini, jung und schön, 
Zur Frau — in Rom, wo sie gebürtig —, lebte 
Unselig vier Jahr mit ihr in Arezzo, 

Welch Fluch auch dem zugrunde liegen mochte. 
Mit vier gedungnen Spießgesellen folgte 

Er ihr nach Rom, wohin sie vor acht Monden 
Ruhebedürftig sich geflüchtet hatte 

In der Begleitung eines jungen Priesters, 
Auch Aretiners, edler noch geboren, 

Giuseppe Caponsacchis; fand sie dort 

Ruhig in einer abgelegnen Villa 

Um Weihnachten — nur mit den beiden: Pietro 
Erschlug die drei, die Alten siebenzig, 

Und Violante, scheinbar ihren Eltern —, 

Die junge Gattin siebzehn Jahre alt ` 


23 


Und seit zwei Wochen Mutter eines Sohnes, 
Erstlings und Erben jenes Grafen Guido, 

Der planmäßig die Tat verübt hatte 

Und dann die Flucht ergriffen. Scharf verfolgt, 
Schon in derselben Nacht mit den Gehilfen 
Gefangen und verhört, erklärte er: 

Er habe seine Mannesehre so 

Verteidgen müssen. Falsch sei seine Gattin, 

Wie ihre Flucht in der Gemeinschaft zeige. 
Auch sei der Tod der falschen Eltern, die 

Ihr Vorschub leisteten, durchaus verdient 

Und könne weder Gott noch Menschen kränken. 
Der Fiskus rief: „Nicht sie und nicht die Eltern 
Sind falsch gewesen. Nur der Mord starrt uns 
Vermummt und schrecklich an. Und seiner Brust, 
Nicht ihrer, wie er sagt, entsprang der Wurm, 
Dens zu entlarven und zertreten gilt.“ 


Vier Wochen ging der Streit schon hin und her, 
Eh man beschloß, den Grafen zu verdammen. 
Dann wandte man sich an den guten Papst, 

Den zwölften Innocenz. Der sprach sein ,,Schuldig 


cc 
! 


Laßt wieder denn dies alte Menschenweh 

An euch vorüberziehn und urteilt selber — 

Nach Augen nicht und Sinnen! Lückenhaft 

Bleibt stets ihr Zeugnis. Nimmt ein Auge wahr, 
Wie Herz auf Hirn und Hirn auf Hände wirkt? 
Begehrt denn soviel Wahrheit, als ihr tragt, 

Milch für die Fleisch noch nicht Gewohnten! Lernt 
Aus schwankenden Gerüchten, die geleugnet 


24 


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Und dennoch flüsternd nachgesprochen werden 
Und schließlich unser ganzes Wissen sind. 
Denn sagt, was wüßten wir, wenn nicht aus Worten? 


Aus dem großen Epos „Der Ring und das Buch“ 
übertragen von Cecile Gräfin Keyserlingk 


ak 


ZWEI BETRACHTUNGEN 
VON FELIX BRAUN 


Die Essblume 
Welch ein sinnbildlicher Trost liegt darin, daß die 
Natur, wenn sie die Pflanzen aus unserer Umwelt zu- 
rückruft und ihnen gebietet, in einer Art Winterschlaf 
ihr Leben zu verhalten, entschädigend eine andere, 
merkwürdigere, vielfach südliche, gar tropische Vege- 
tation an unsere Fensterscheiben zeichnet! Palmen mit 
hohen Wedeln in dichten, tiefen Hainen, nicht unähn- 
lich dem Wald auf Dürers Holzschnitt der Flucht nach 
Ägypten; seltsame Koniferen; breite Agaven; Farne und 
Halme, zierliche Moose und Flechten; Blattpflanzen 
mit den langen, parallelen Linien der Monokotyledonen ; 
Schilfe, Gräser, Algen: das etwa ist die weiße Flora, die 
uns die Kälte vorzaubert, und wir schauen immer noch 
gern, wie einst als Kinder, in die wundersamen Eis- 
gärten. Sehen wir doch da, was unserem Norden sonst 
bloß in Treibhäusern oder Wintergärten sich zeigen 
mag, ja, wohl auch, was überhaupt nicht mehr als grüne 
Pflanze auf Erden lebt. Denn das meiste, was der 
Winter aus Wasserdunst an das Glas vortäuscht, ist 


25 


uraltes Leben, davon bereits, wie die Tiere jener Vor- 
zeit, vieles vergangen oder in andere Gestalten ver- 
wandelt worden ist. 

Aus dem Wasser sei, sagt Thales, alles Leben ent- 
standen, und er berührt sich hier sowohl mit der bi- 
blischen als auch mit der indischen Kosmogonie. Nach 
der heiligen Hildegard von Bingen ist das Wasser der 
Lebensquell, der ,,Feuerbringer jeglichen Griins“; Ja- 
kob Boehme erkennt es für den „Geist des siderischen 
Lebens“, „durch dessen Leib das Leben durchge- 
drungen“ ; Goethe in seinem herrlichen, nur in Schlag- 
worten abgefaßten Entwurf einer physischen Welt- 
beschreibung ergreift im Kampf des Neptunismus mit 
dem Plutonismus nicht ausgesprochen Partei, neigt je- 
doch seiner Natur gemäß eher dem ersteren zu, wie 
denn auch im „Faust“ Thales, dem Anaximander 
nachgebend, seinen lebendigeren Geist bewährt. Über- 
raschend auch stimmt, wenn man nicht allzu wörtlich 
denkt, die neueste Physik damit überein, die als Ur- 
element den Wasserstoff plus Elektron annimmt. Nun 
ist Wasser freilich nicht Wasserstoff allein, was spät 
erst, durch Lavoisier, bewiesen worden ist; immerhin — 
einer seiner beiden Stoffe enthält das Principium vitae, 
das — wer wagte es zu entscheiden? — etwa gar nicht 
in der chemischen Substanz, sondern im Elektron zu 
suchen wäre. Sei dem, wie es mag: es erscheint im 
Dunst des Wassers, mit dem sich die Fensterscheibe be- 
schlägt, ein Abbild von Pflanzen und bezeugt — was 
nun? —: daß dies Leben dem Wesen des Wassers ein- 
geschrieben ist, das, von strenger Kälte bedrängt, sein 


26 


Geheimnis auf die zauberhafteste Weise dem ihm ver- 
wandten Glas preisgibt. 

Also wäre es ausgemacht, daß die Wasser das Leben 
hervorgebracht haben? Wie sehr verlockte nicht das 
stets bewegte, selbst lebendig scheinende, wirkende, 
zeugende Element dazu! Wer aber wollte über das 
bloße Gleichnis hinaus etwas Wirkliches und Fest- 
stehendes aussagen? Denn nicht die Wasser haben die 
Welt geschaffen, sondern der Geist Gottes, der über 
ihnen schwebte. Die Wasser waren nur der Stoff, durch 
den der „Feuerblitz‘“ schlug, sie zur Geburt des Lebens 
zu entzünden. Welches Leben aber? fragen wir und 
schauen zweifelnd auf die sonderbare Eisblume, die, wie 
keine ihrer wirklichen Schwestern, vor unseren Augen 
entsteht und schwindet. 

Haeckels großes Werk „Die Kunstformen in der Na- 
tur“ zeigt auf seiner ersten Tafel ein höchst einpräg- 
sames Gebild. Eine schöne Zier, eine kunstreiche Orna- 
mentik in zarter Blütensternart läßt an einfache Pflan- 
zen oder niedere Tiere denken: es sind aber, wie man 
erstaunt wahrnimmt, nichts weiter als nur Sprünge im 
Lack. Eine Schneeflocke, ungestalt im Niederschweben, 
kaum hat sie sich auf den Ärmel unseres Rockes ge- 
setzt, so ist sie ein Stern oder Kreuz, ein Silberkristall. 
Was bedeuten diese der Kunst unnachahmlichen, diese 
unendlich mannigfachen, jede ästhetische Forderung 
überbietenden, jede dekorative Phantasie weit hinter 
sich lassenden „Kunstformen“ in jedem Blatt, jedem 
Blütenkelch, auf jedem Käferrücken und Schmetter- 
lingsflügel? Sie bedeuten, was uns die bescheidene Eis- 


27 


blume lehrt. Und was sie uns lehrt, ist vielleicht das 
Wichtigste, was der Mensch, dem es um eine Welt- 
anschauung zu tun ist, erfahren kann. Denn das be- 
weist sie, was wir zu glauben not haben, wofern wir 
halbwegs im Einklang mit der Natur und, was weit 
schwerer, auch mit der Gottheit leben wollen. 

Sie lehrt, die kleine, zarte Pflanze, die nicht einmal 
selbst das Leben hat, sie lehrt uns die hohe Weisheit: 
daß die Ideen früher sind als alles Geschaffene. Daß 
die Welt ganz und nur nach Ideen geschaffen ist: was 
in der Natur bewiese das so klar wie die Eisblume ? 
Nirgends sonst als im gefrornen Dunst der Fenster er- 
scheint uns in der Natur ein Bild. Wie als hätte sie 
erst in das dem Leben entzogene Eis einen Entwurf 
ihrer künftigen Schöpfung flüchtig aufgezeichnet, die 
sie dann mit Hilfe des Lichtes und der Wärme aus 
dem wieder bewegten Wasser des Frühlings wirklich 
gestaltet hat. In der Tat, die Eisblume entwaffnet den 
Materialisten der Naturforschung, indem sie zeigt, wie 
schon im Wasserdunst vorgebildet ist, was später in 
lebendiger Figur erscheinen wird. Die Apriorität der 
Ideen, die Vorexistenz des Geistes vor dem Fleisch, die 
Wahrheit des Wortes, daß der Geist Gottes über den 
Wassern geschwebt ist, ehe denn die Welt ward: die- 
ses wahrlich nicht Geringe bestätigt die Eisblume an 
unseren Winterfenstern. 

Wenn die letzte Blüte des Jahres, die Christrose, vorbei 
ist, bleibt als die einzige Blume die des heiligen Geistes 
in der Welt, die nur im Eis offenbar wird. Daß der 
Mensch nicht völlig den Anblick des holden, sanften 


28 


Lebens der Pflanzen entbehre, spiegelt sich an seinen 
Scheiben eine Landschaft vor: seiner Urvergangen- 
heiten. Wie noch in Gesteinen Abdriicke alter Pflanzen 
sichtbar sind, so mag hier eine Erinnerung an eine eis- 
gewordene Vegetation sich dem Gedächtnis der Natur 
bewahren. Tiefer zurück jedoch mahnt uns die Eis- 
blume. An den Vater allen Lebens mahnt sie, dessen 
vielleicht erstes noch nicht gänzlich erschaffenes Ge- 
schöpf sie selber ist. Möchte sie uns doch ein Zeichen 
sein für den Glauben, auf dessen Grund wir alle uns 
vereinen könnten, ohne einander in der Freiheit des 
Meinens und Fühlens zu behindern: den Glauben an 
den Geist. Nicht der scharfe Geist ist es, den man 
mit dem lateinischen ,,Intellectus“, vielmehr der wahre, 
den man unter dem Wort „Spiritus“ begreift: Atem- 
geist, Lebensgeist, schöpferischer, heiliger Geist, der ja 
im Winter zu der Menschheit kam, als Mensch, aber 
erst nach Leiden und Auffahrt ganz ausgegossen wurde 
auf die Häupter seiner Bekenner. 


x 


Gebilde in Wolken 
Heute, da ich, im schon hohen Gras auf dem Rücken 
liegend, die vielen weißen Frühlingswolken, wie sie 
schnell über mir hin durch den Blauhimmel flohen, be- 
trachtete, ist mir — ich weiß, daß ich jetzt ein ver- 
messenes Wort sagen werde, aber ich wage es und 
schreibe es hin — ein Geheimnis göttlichen Schaffens 
aufgegangen. Nicht, daß ich wüßte, wie Gott schafft, 


das wäre von der Art des dreist Überheblichen, die nur 


29 


in Lacherlichkeit umschlagen kann; aber daß ich Got- 
tes Schöpfertum nicht mehr mit dem des Bildhauers 
oder des Ackermanns in eine gleichnishafte Beziehung 
bringen werde, ist der Ertrag dieser Schau. Gottes Er- 
schaffen der unendlichen Geschöpfe — wer faßte es? 
Eine Ahnung davon empfing ich im Anblick der Wol- 
ken heute. 

Ich lag und sah die stattliche weiße Wolke kommen. 
Gegen mich zu erhob sie wie ein großer Flugvogel 
einen langen Hals und alsbald erkannte ich den scharf- 
gekrümmten Schnabel des Greifen. Aber kaum daß, 
ausgespannter Schwingen, der Zauberhafte über mir 
dahin schwebte, verwandelte sich sein Hals in den des 
Kamels, ich sah auch das leicht gebogene Vorhaupt mit 
dem gewölbten Lippenpaar, deutlich war festzustellen, 
wie das Tier auf seinen eingezogenen Beinen ruhte, was 
vorhin Flügel waren, ließ sich als der Höcker erkennen, 
ein Reiter saß darauf, nein, schon verging er, weißer 
Rauch entwehte statt seiner, und ein altertümliches 
Drachenschiff flog durch das Blau. Lange blieb das 
Schiff sichtbar, an seinem rückwärtigen Ende aber 
zeigte sich riesig ein Löwenkopf, ich schloß die Augen, 
sah wieder auf, plötzlich stand der große Löwe drohend 
da, allerdings einen Augenblick nur, und ein fremder 
alter Geist erschien, gehörnt, spitzbärtig, zerfloß, ging 
in den die Sonne und den Mond erschaffenden Gott- 
vater Michelangelos über. Dieser blieb sehr lange. Dann 
wurde die Wolke gestaltlos, dann ein Urwald, dann 
eine Reiterschlacht. 

Ich weiß nicht, wie viele Bilder einander folgten, es 


30 


war angenehm, sich von jedem neuen überraschen zu 
lassen, und so verging im Bienensummen und Grillen- 
schrillen viel milde Zeit. Auf einmal machte ich eine 
Entdeckung. Es schien mir nämlich, als ob ich nicht 
durchaus nur der Erkenner dieser Gestalten gewesen 
wäre, vielmehr bedünkte es mich, wie wenn ich selbst 
nicht ganz ohne ein weniges an Macht wäre, sie auch 
hervorzurufen. Zum Beispiel jetzt wollte ich eine Frau 
sehen, und sogleich gewahrte ich jene Wolke, die eben 
noch einer Berginsel geglichen, zu einer wunderbar 
Schlafenden gewandelt, ähnlich wie uns im Gebirge 
eine „schlummernde Griechin“ oder „Riesin“ gezeigt 
wird. Wenn sie eine Liebesgöttin ist, müssen Tauben 
über ihr schweben, wünschte ich, da flogen sie schon, 
weißschimmernd, herbei; sie möchte doch lächeln, be- 
gehrte ich, und das schönste, adligste Angesicht er- 
glänzte berückend. Sanfte, flügellose Genien erschienen 
auf mein Geheiß, sie zu geleiten. Was immer ich 
wünschte, selbst nur dachte, sogleich vollzog es sich in 
Gestalt. Der Stoff der Wolke gab jedem Willen, 
jeder Ahnung meines Geistes nach und nahm die Form 
an, die ihm angesonnen wurde. Dies war das Wunder- 
bare, das mir geschah, und weil es so geschah, weil 
nichts sich dem Geiste weigerte, weil jeder Gedanke, 
schon die Regung eines Gefühls Figur wurde, — 
war es da ein großer Sprung, wenn ich plötzlich ver- 
meinte, das Geheimnis der Schöpfung selbst gestreift zu 
haben ? 

Daß die Wolke, der Nebel, der Wasserdunst vor der 
Schöpfung war, sagt die Bibel. Daß sie der Urstoff der 


31 


Welt ist, kann geglaubt werden. In diesem Urstoff bil- 
det der Geist Gottes — nicht die Hand Gottes, das sei 
wohlgemerkt. Vermochte schon der Menschengeist, be- 
trachtend, so vieles zu Gestalt zu erbilden — freilich 
wieder zerfließender, nicht festzuhaltender, nicht leben- 
empfangender Gestalt —: sollte nicht Gottes Geist bloß 
aus der Betrachtung des ungestalteten Weltstoffes, aus 
jenem Ruhen, das der Logos und das Tao meinen, Ge- 
stalt des Geschöpfes erschauen und es zu Leben fest- 
bannen können? (Der Mensch allerdings ist nicht von 
Gottes Geist allein erschaffen; ihn haben Gottes Hände 
zu Ende gebildet, und darum ist er anders als alle ande- 
ren Wesen auf Erden.) 

Nicht durch einen Entschluß begonnen, nicht als eine 
Tat gegründet, haben wir die Weltschöpfung aufzu- 
fassen. Das wäre anthropomorph gedacht. Wenn Gottes 
Geist betrachtend schafft, wenn er in der Tiefe seiner 
ewigen Ruhe die Bilder seiner Schaffensmöglichkeiten 
in dem Urstoff der Welt erscheinen läßt, dann mag das 
Unendliche der Geschaffenheiten unserer Vernunft be- 
greiflicher sein. Gottes Betrachtungen sind die Ideen, 
nach denen Gottes Wille das Leben festhält, das sein 
Geist unablässig entwirft. Gottes Wille aber ist der 
Lebenswille der Geschöpfe. Denn was die Gottheit ein- 
mal mit der Möglichkeit des Seins begnadet hat, das 
ruht nicht, ehe es nicht ins Sein getreten ist. Darin liegt 
auch die Wurzel der Freiheit des Willens, die wir dem 


Menschen zuzusprechen uns erkühnen. 


x 


32 


CHINESISCHE ANEKDOTEN 


Der betrunkene Wachter 


Ein rebellischer Bonze sollte von einem Grenzwächter 
zur Aburteilung nach der Hauptstadt gebracht werden. 
Unterwegs trank sich der Wächter einen gehörigen 
Rausch an, bis er umsank wie ein Sack Mehl. Flugs 
streifte der Gefangene seine Fesseln ab und schlang sie 
dem schnarchenden Wächter um den Leib. Hierauf nahm 
er sein Messer und schnitt ihm Bart und Kopfhaar ratze- 
kahl herunter. Dann machte er sich spornstreichs aus 
dem Staub. Am nächsten Tag erwachte der Wächter aus 
seinem Rausch. Von seinem Begleiter konnte er keine 
Spur entdecken, Wohl aber bemerkte er, daß er selbst 
am Leibe Fesseln trug und sein Kopf kahl war wie ein 
Kürbis. Da sprach er verwundert: „Der Bonze ist da, 
wo aber kann ich bloß geblieben sein?“ 
* 


Unterm Sternbild des Ochsen 


Der Kreismandarin Tschang hatte Geburtstag und emp- 
fing die Glückwünsche seiner versammelten Unter- 
beamten. Diese hatten erfahren, daß er unter dem Stern- 
bild der Maus geboren sei, und um ihm eine sinnige Auf- 
merksamkeit zu erweisen, überreichten sie ihm eine gol- 
dene Maus, die sie aus gemeinsamen Mitteln erstanden 
hatten. Hocherfreut dankte der Mandarin für das wert- 
volle Geschenk und setzte leutselig hinzu: „Übrigens 
ist in ein paar Tagen der Geburtstag meiner Frau. Sie 
ist unter dem Sternbild des Ochsen geboren.“ 
ae 


33 


Pekinger Ohrfeigen 
Ein Vater ging an einem schönenMondscheinabend mit 
seinem Sohn spazieren. Der Sohn war einige Zeit in 
Peking gewesen und hatte seitdem die Angewohnheit, 
hei jeder Gelegenheit mit den Vorziigen der Hauptstadt 
zu prahlen. Unterwegs trafen sie einen Bekannten. Der 
sagte: „Schöner Mondschein heute abend.“ — „Ach 
was,“ versetzte geringschätzig der Sohn, „das bißchen 
Mond hier. Da müssen Sie mal nach Peking kommen, 
da würden Sie staunen, was es dort für einen Mond- 
schein gibt!“ — „Dummer Junge,“ fuhr der Vater är- 
gerlich dazwischen, „der Mond scheint überall gleich, 
laß uns mit deinem Peking zufrieden!“ und wütend 
langte er ihm eine schallende Ohrfeige. Aber der Sohn 
war nicht kleinzukriegen, und während ihm die Tränen 
über die schmerzende Backe flossen, heulte er: „Ach, 
Vater, du hast ja keine Ahnung, die Pekinger Ohrfeigen, 


das ist erst eine Sorte!“ 
x 


Ein tüchtiger Schneider 

Ein 1 Kunde brachte seinem Schneider Stoff, der genau 
zu einem Anzug reichte, und wollte gleich auf die An- 
probe warten. Der Schneider maß und maß und konnte 
sich nicht zum Zuschneiden entschließen. 

„Warum schneidest du nicht zu?“ fragte der Kunde. 
„Ja, wenn ich für dich zuschneide, langts nicht für 
mich, und wenn ich für mich zuschneide, langts nicht 


für dich.“ 
* 


Aus dem Chinesischen übertragen von Frang Kuhn 


34 


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Gustave Doré: Illustration zu Balzacs Tolldreisten Geschichten 


DIE LEHRERIN 
VON SHERWOOD ANDERSON 


Tief im Schnee lagen die Gassen von Winesburg. Gegen 
zehn Uhr morgens hatte es zu schneien begonnen, dann 
sprang der Wind auf und trieb den Schnee in Wolken 
die Main Street entlang. Die kotigen Landstraßen, die 
zur Stadt führten, waren schon hübsch glatt, und hier 
und da deckte Eis den schlammigen Schmutz. „Wird 
eine gute Schlittenbahn geben“, bemerkte Will Hender- 
son, der in Ed Griffiths Saloon am Schanktisch stand; 
dann verließ er den Saloon und traf draußen auf Syl- 
vester West, den Drogisten, der über die Straße daher- 
gestapft kam und mächtige Überschuhe, sogenannte 
„Nordpolfahrer“, an den Füßen trug. „Bei dem Schnee- 
wetter kommen Samstag viele Leute in die Stadt‘, sagte 
der Drogist. Die beiden blieben stehen und vertieften 
sich in eine längere Erörterung. Will Henderson, der 
nur einen leichten Überzieher und keine Überschuhe 
trug, klopfte mit den Zehen seines rechten Fußes gegen 
seinen linken Absatz. „Der Schnee ist gut für den Wei- 
zen“, ließ sich der Drogist sachkundig vernehmen. 

Der junge George Willard hatte nichts zu tun und war 
vergnügt darüber, weil er sich an dem Tage nicht zur 
Arbeit aufgelegt fühlte. Das Wochenblatt war schon 
am Mittwoch gedruckt und zur Post geliefert worden, 
und am Donnerstag hatte das Schneetreiben eingesetzt. 
Um acht Uhr, als der Morgenzug durch war, steckte 
George Willard ein paar Schlittschuhe in die "Tasche 
und stieg hinauf zum Waterworks Pond. Aber zum 


36 


Schlittschuhlaufen kam er nicht. Er ging am Teich vor- 
über und folgte am Wine Creek entlang einem Fußpfad, 
bis er an ein Buchenwäldchen kam. Dort schichtete er an. 
einem Baumstumpf einen Reisighaufen, zündete ihn an, 
setzte sich auf den Stumpf und dachte nach. Wenn es 
wieder zu schneien begann oder der Wind sich erhob, 
suchte er ringsum neuen Brennstoff für sein Feuer zu- 
sammen. 

Der junge Reporter dachte an Kate Swift, die einst in 
der Schulzeit seine Lehrerin gewesen war. Gestern abend 
hatte er sie in ihrer Wohnung besucht, um sich ein Buch 
zu holen, das sie ihm zu lesen geben wollte; und da war 
er etwa eine Stunde lang mit ihr allein gewesen. Zum 
vierten oder fünften Male hatte sie mit großem Nach- 
druck auf ihn eingeredet, ohne daß er herausbekommen 
konnte, was sie mit diesen Reden bezweckte. Er begann 
zu glauben, sie möchte am Ende in ihn verliebt sein, 
und der Gedanke war lustvoll und beängstigend zu- 
gleich. 

Auf sprang er von seinem Baumstumpf und begann 
Reisig auf das Feuer zu häufen. Er sah sich nach allen 
Seiten um, ob auch niemand ihn belauschen konnte, und 
redete laut, als stände das Mädchen vor ihm: „Sie las- 
sen michs ja deutlich genug merken, das wissen Sie ganz 
gut“, sagte er. „Ich werde schon noch herauskriegen, 
was mit Ihnen los ist. Warten Sie nur! Sie werden ja 
schen" 

Er stand abermals auf und ging den Pfad entlang zur 
Stadt. Hinter ihm flammte das Feuer im Gehölz. Als er 
durch die Gassen schritt, klirrten die Schlittschuhe in 


37 


seiner Tasche. In seinem Zimmer im New Willard 
House ziindete er ein Feuer im Ofen an und warf sich 
auf sein Bett. Wollüstige Bilder kamen ihm in den Sinn; 
er zog den Rolladen herab, schloß die Augen und kehrte 
das Gesicht zur Wand. Seine Arme umschlangen das 
Kopfkissen, und in seiner Phantasie wurde es ihm erst 
zu Kate Swift, deren Worte ein unnennbares Gefühl in 
ihm aufgestört hatten, und dann zu Helen White, der 
schlanken Tochter des Winesburger Bankiers, in die er 
lange Zeit ein bißchen verliebt gewesen war. 

Um neun Uhr abends waren die Gassen tief verschneit, 
und es war bitter kalt geworden. Das Ausgehen war 
mit Schwierigkeiten verknüpft. Alle Läden lagen im 
Dunkel, alle Leute hatten sich in ihren Häusern ver- 
krochen. Der Abendzug von Cleveland hatte starke Ver- 
spätung; aber niemand kümmerte sich darum, ob er 
kam oder ausblieb. Um zehn Uhr lagen alle achtzehn- 
hundert Bürger der Stadt in ihren Betten — bis auf 
vier. 

Hop Higgins, der Nachtwächter, war wach, wenigstens 
einigermaßen. Er war lahm und trug einen dicken Stock, 
dazu in dunklen Nächten eine Laterne. Zwischen neun 
und zehn machte er seine Runde: Main Street auf, Main 
Street ab humpelte er durch die Schneehaufen und prüfte 
die Ladentüren. Dann begab er sich in die Gartenwege 
und prüfte die Hintertüren. Fand er alles in Ordnung, 
so stapfte er eilfertig um die Ecke zum New Willard 
House und klopfte an die Tür. Den Rest der Nacht ge- 
dachte er am Ofen zu verbringen. „Geh zu Bett, ich will 
den Ofen schon in Ordnung halten“, sagte er zu dem 


38 


Jungen, der auf einer Pritsche in der Office des Gast- 
hofes schlief. 

Hop Higgins setzte sich beim Ofen nieder und zog seine 
Stiefel aus. Als der Junge schlafen gegangen war, be- 
gann der Nachtwächter sich dem Nachdenken über seine 
Lebensangelegenheiten zu widmen. Er wollte im Früh- 
jahr sein Haus anstreichen lassen und berechnete, am 
Ofen hockend, die Kosten für Farbe und Arbeitslohn. 
Der Nachtwächter war sechzig Jahre alt und hegte den 
Wunsch, sich zur Ruhe zu setzen. Er hatte als Soldat 
den Bürgerkrieg mitgemacht und bezog eine magere 
Pension. Nun hoffte er eine neue Art herausgefunden zu 
haben, wie er das zum Leben Nötige verdienen könnte: 
Durch berufsmäßigen Betrieb der Frettchenzucht. Schon 
hatte er vier von diesen seltsamen wilden kleinen Ge- 
schöpfen, die von den Jägern zur Karnickeljagd benutzt 
werden, im Keller seines Hauses. „Ein Männchen und 
drei Weibchen hab ich jetzt“, sinnierte er. „Wenn ich 
Glück hab, sinds im Frühjahr zwölf oder fünfzehn. 
Nächstes Jahr ist es dann soweit, daß ich meine Frett- 
chen in den Sportzeitungen zum Verkauf ausbieten 
kann.“ 

Damit rückte sich der Nachtwächter bequem im Stuhl 
zurecht und hörte auf mit dem Denken. Er schlief nicht. 
Durch jahrelange Übung hatte er es dahin gebracht, daß 
er in den langen Nächten stundenlang in einem Zustand 
zwischen Schlafen und Wachen dasitzen konnte. Am 
Morgen fühlte er sich dann beinahe s so erfrischt, als hätte 
er geschlafen. | 

Zählen wir den trefflich in seinem Stuhl ine Ofen 


39 


verstauten Hop Higgins zu den Wachenden, so waren 
außer ihm nur noch drei Leute in Winesburg wach. 
George Willard saß in der Redaktion des „Eagle“, um, 
wie er sich einredete, am Manuskript einer Erzählung 
zu arbeiten; in Wahrheit aber, um den am Morgen beim 
Feuer begonnenen Gedankenfaden weiterzuspinnen. Im 
Glockenturm der Presbyterianerkirche saß der Reverend 
Curtis Hartman im Finstern und bereitete seinen Sinn 
für eine Offenbarung von Gott; und Kate Swift, die 
Schullehrerin, verließ ihr Haus zu einer Wanderung im 
Sturm. 

Es war zehn Uhr durch, als Kate Swift ihren keineswegs 
vorbedachten Ausgang antrat; so, als hätten die auf sie 
gerichteten Gedanken der beiden Männer, des älteren 
und des jungen, sie hinausgetrieben in die winterlichen 
Gassen. „Tante“ Elizabeth Swift, ihre Mutter, war zur 
Kreisstadt gefahren, wo sie irgendwelche mit ihrem 
Hypothekenbesitz zusammenhangenden Geschäfte zu er- 
ledigen hatte, und konnte erst am nächsten Tage zurück 
sein. Im Wohnzimmer bei einem mächtigen Ofen von 
der Art, die man Dauerbrenner nennt, saß die Tochter 
und las in einem Buche. Plötzlich sprang sie auf, riß 
einen Mantel vom Kleiderständer bei der Haustür und 
rannte aus dem Hause. 

Sie war dreißig Jahre alt, Kate Swift, und wurde in 
Winesburg keineswegs zu den hübschen Mädchen ge- 
rechnet. Ihr Gesicht hatte eine ungute Farbe und war 
mit Pusteln bedeckt, die auf eine schlechte Gesundheit 
deuteten. Aber jetzt, bei Nacht und in den winterlichen 
Straßen, sah sie lieblich aus. Ihr Rücken war gerade, ihre 


40 


Schultern waren ebenmäßig geformt, und ihr Antlitz 
schimmerte wie das Angesicht einer kleinen Göttinnen- 
statue, wenn das zartgraue Licht eines Sommerabends 
die Gärten erfüllt. 

Am Nachmittag hatte die Lehrerin die Sprechstunde 
Dr. Wellings besucht, um ihn wegen ihrer Gesundheit 
zu Rate zu ziehen. Der Doktor hatte sie ausgescholten 
und ihr erklärt, sie wäre in Gefahr, ihr Gehör zu ver- 
lieren. Es war töricht von Kate Swift gehandelt, bei sol- 
chem Sturm auszugehen — töricht und vielleicht gefähr- 
lich für sie. 

Aber sie dachte auf ihrem Wege durch die Gassen nicht 
an die Worte des Arztes und würde auch nicht um- 
gekehrt sein, wenn sie daran gedacht hätte. Ihr war sehr 
kalt; aber als sie fünf Minuten gegangen war, spürte 
sie die Kälte nicht mehr. Zunächst folgte sie ihrer Straße 
bis ans Ende, dann überquerte sie eine Heuwage, die vor 
einem Kornschober in die Erde hineingelassen war, und 
bog in die Trunion Pike ein. Durch die Trunion Pike 
gelangte sie an Ned Winters Scheune, wandte sich ost- 
wärts und kam durch eine Straße mit niedrigen Fach- 
werkhäusern, die über Gospel Hill in die Sucker Road 
führte; dann, durch die Sucker Road, ging der Weg 
durch ein flaches Tal an Ike Smeads Geflügelfarm vor- 
über zum Waterworks Pond. Als Kate Swift hier ent- 
lang kam, wollte die unrastige, überreizte Stimmung, 
durch die sie aus dem Hause getrieben war, von ihr wei- 
chen, aber nur für einen Augenblick; gleich darauf war 
sie wieder da. 

Es lag etwas verletzend Scharfes, Abweisendes in Kate 


41 


Swifts Art. Jedermann empfand das. Im Schulzimmer 
war sie wortkarg, kalt, streng und ihren Schülern gegen- 
über auf eine seltsame Art verschlossen. Zuweilen frei- 
lich, in seltenen Augenblicken, war es, als sei ein frem- 
des Wesen in ihr eingezogen, und sie war glücklich. Alle 
Kinder im Schulzimmer fühlten die Ausstrahlung dieser 
glücklichen Stimmung. Da arbeiteten sie dann eine Weile 
nicht; sie lehnten sich auf ihren Sitzen zurück und blick- 
ten auf ihre Lehrerin. Die Hände auf dem Rücken zu- 
sammengelegt, ging Kate Swift dann im Schulzimmer 
auf und ab und sprach sehr rasch. Dabei schien es nichts 
auszumachen, welcher Gegenstand ihr gerade in den 
Sinn kam. Einmal erzählte sie den Kindern von Charles 
Lamb und formte merkwürdig wesensvertraute kleine 
Geschichten aus dem Leben des toten Schriftstellers. 
Diese Anekdoten trug sie vor wie jemand, der mit Char- 
les Lamb im gleichen Hause gelebt hatte und alle Ge- 
heimnisse seines Privatlebens kannte. Den Kindern ver- 
wirrten sich dabei ein wenig die Begriffe; sie meinten, 
dieser Charles Lamb müsse wohl dereinst ein Bürger der 
Stadt Winesburg gewesen sein. 

Ein andermal erzählte ihnen die Lehrerin von Benvenuto 
Cellini. Und die Kinder lachten. Was für einen groß- 
sprecherischen, prahlerischen, derben, liebenswerten Kerl 
machte sie da aus dem alten Künstler! Auch um ihn bil- 
dete sie Anekdoten. Eine davon handelte von einem 
deutschen Musiklehrer, der in der Stadt Mailand ein 
Zimmer über Cellinis Wohnung hatte; darüber gab es 
bei den Kindern schallendes Gelächter. Sugars McNutts, 
ein fetter Bengel mit roten Backen, lachte so sehr, daß 


42 


er schwindelig wurde und von der Bank fiel. Und Kate 
Swift lachte mit ihm. Dann, plötzlich, wurde sie wieder 
kalt und streng. 

In dieser Winternacht, da sie durch die einsamen, schnee- 
bedeckten Straßen ging, war im Leben der Lehrerin eine 
Krisis ausgebrochen. Keinem Menschen in Winesburg 
wäre eine solche Vermutung in den Sinn gekommen — 
aber darum war es doch so: ihr Leben war sehr aben- 
teuerlich gewesen. Und es war noch immer abenteuer- 
lich. Tag für Tag, bei der Arbeit im Schulzimmer und 
auf dem Wege durch die Gassen, lagen in ihrer Seele 
Gram, Hoffnung und Begierde im Streit. Unter der 
Maske der Kälte verbarg sie hitzige und höchst un- 
gewöhnliche Erlebnisse der Seele. In den Augen der 
Leute war sie ein gefestigtes altes Mädchen, und weil sie 
eine scharfe Sprache führte und ihren eigenen Weg ging, 
so meinte man wohl, sie sei frei von jeder Leidenschaft, 
die sonst das Leben der Menschen bewegt und zerstört. 
In Wahrheit aber hatte sie die wildeste und leidenschaft- 
lichste Seele unter allen diesen Leuten; und mehr als 
einmal in den fünf Jahren, seit sie von ihren Reisen 
zurückgekehrt war, um sich in Winesburg niederzulassen 
und Lehrerin zu werden, war sie aus dem Hause ge- 
laufen und die halbe Nacht im harten Kampf mit irgend- 
einer aufsässigen Wallung umhergerannt. Einmal, in 
einer Regennacht, war sie sechs Stunden ausgeblieben, 
und als sie heimkam, gab es Streit mit Tante Elizabeth 
Swift. „Ich bin froh, daß du kein Mann bist“, sagte die 
Mutter scharf. „Mehr als einmal hab ich dasitzen und 
auf deinen Vater warten müssen und hab nicht gewußt, 


43 


in was fiir einen Dreck er wieder mal geraten war. Ich 
hab mein Teil an Sorge zu schlucken bekommen. Du 
kannst mirs nicht übelnehmen, wenn ich keine Lust 
hab, seine schlechten Eigenschaften in dir wiedergegeben 
zu sehen.“ 

Kate Swifts leidenschaftliches Grübeln war George Wil- 
lard zugewandt. In irgendeinem Aufsatz, den er als 
Schuljunge geschrieben hatte, glaubte sie den Funken 
des Genies entdeckt zu haben, und sie wollte den Funken 
zur Flamme entfachen. Eines Sommertags war sie in die 
Redaktion des „Eagle“ gegangen und hatte den Jungen, 
den sie gerade unbeschäftigt fand, mit sich durch die 
Main Street zum „Schönen Grund“ genommen; da saßen 
sie dann auf einer Rasenbank und sprachen. Die Lehre- 
rin wollte dem Jungen die Schwierigkeiten zum Bewußt- 
sein bringen, die in seinem Beruf als Schriftsteller auf 
ihn warteten. „Du mußt das Leben kennen lernen, du 
mußt‘, sagte sie, und ihre Stimme bebte vor Bewegung. 
Sie legte ihre Hände auf Georges Willards Schultern 
und drehte ihn zu sich her, so daß sie ihm in die Augen 
blicken konnte. Ein Vorübergehender hätte meinen mö- 
gen, sie wolle George Willard umarmen. „Wenn du 
Schriftsteller werden willst, mußt du aufhören, mit 
Worten zu tändeln“, sagte sie eindringlich. ‚Es wäre 
besser für dich, du gäbest das Schreiben auf, bis du 
besser dafür gerüstet bist. Jetzt ist für dich die Zeit des 
Erlebens. Ich will dich nicht abschrecken — aber 
ich möchte dich lehren, die ganze Bedeutung dessen zu 
erfassen, was du auf dich nehmen willst. Du sollst 
nicht ein niedriger Trédler werden, der mit Worten 


44 


handelt. Man muß lernen, zu erfassen, was die Leute 
denken, nicht was sie reden; darauf kommt es an.“ 
An dem Abend, der dieser stürmischen Donnerstagnacht 
voranging, saß der Reverend Curtis Hartman im Glok- 
kenturm seiner Kirche und wartete auf den Augenblick, 
da er Kate Swifts Leib erblicken würde. Zur selben 
Zeit war der kleine Willard zu ihr gegangen, um sich 
ein Buch zu borgen. Da geschah ihm das Erlebnis, das 
seinen Sinn verwirrte und aufstörte. Er stand mit dem 
Buche unter dem Arm und wollte sich verabschieden. 
Und wieder sprach Kate Swift mit großem Nachdruck 
auf ihn ein. Die Nacht brach herein, und im Zimmer 
war ein trübes Licht. Als er sich zum Gehen wandte, 
sprach sie sanft seinen Namen und ergriff mit einer 
triebhaften Bewegung seine Hand. Er reifte in jenen 
Tagen rasch zum Manne, und der Gedanke an seine Be- 
stimmung als Mann, der Reiz seines dennoch ganz 
knabenhaften Wesens überwältigte das Herz der ein- 
samen Frau. Ein leidenschaftliches Verlangen erfüllte 
sie, ihm das Verständnis für den Sinn des Lebens zu er- 
schließen, ihn eine wahrhafte und rechtschaffene Deu- 
tung des Lebens zu lehren. Sie neigte sich ihm zu, und 
ihre Lippen streiften seine Wange. In diesem Augen- 
blick wurde er zum erstenmal gewahr, daß ihr Gesicht 
auf eine ungewöhnliche Art schön war. Sie waren beide 
verlegen, und um sich von der Verwirrung zu befreien, 
zwang sie sich zu einem herben und herrischen Ton. 
„Wozu rede ich? Es wird noch zehn Jahre dauern, 
bis du zu verstehen anfängst, was ich meine“, rief sie 


heftig. j 


45 


In der Sturmnacht, indessen der Reverend wartend 
in der Kirche saß, ging Kate Swift zur Redaktion 
des „Winesburg Eagle“, um abermals ein Gespräch mit 
George Willard zu suchen. Nach dem langen Wege 
durch den Schnee fühlte sie sich kalt, einsam und müde. 
Als sie durch die Main Street kam und den Lichtschein 
aus dem Druckereifenster auf den Schnee fallen sah, gab 
sie einem jähen Antrieb nach, öffnete die Tür und trat 
ein. Eine Stunde lang saß sie in der Redaktion beim 
Ofen und sprach vom Leben. Sie sprach mit leiden- 
schaftlichem Ernst. Die gleiche Wallung, die sie aus 
dem Hause in den Schnee hinausgetrieben hatte, trieb 
sie nun zum Sprechen. Sie redete unter dem Zwang 
einer Eingebung, wie sie es zuweilen in der Schule vor 
den Kindern tat. Ein übermächtiges Verlangen ergriff 
Besitz von ihr, diesem Jungen, der einst ihr Schüler ge- 
wesen war, und in dem sie die Kraft zum Erfassen und 
Begreifen des Daseins zu spüren meinte, die Tore des 
Lebens aufzustoßen. So stark war das Verlangen, daß 
sie es wie etwas Körperliches fühlte. Wieder legte sie 
die Hände auf seine Schultern und wandte ihn zu sich 
her. Ihre Augen glommen im ungewissen Licht. Sie 
stand auf und lachte, aber nicht herb wie sonst, sondern 
seltsam unfrei. „Ich muß gehen‘, sagte sie. „Wenn 
ich hier noch länger stehe, bekomme ich sonst Lust, dich 
zu küssen.“ 

Es gab ein Schweigen der Verwirrung. Kate Swift 
wandte sich ab und ging zur Tür. Sie war Lehrerin, ge- 
wif, aber sie war auch Weib. Wenn sie George Willard 
anblickte, ergriff das wilde Verlangen nach Mannes- 


46 


liebe, das schon tausendmal zuvor wie ein rüttelnder 
Sturm ihren Leib erbeben machte, Besitz von ihr. Und 
in diesem matten Lampenlicht erschien ihr George Wil- 
lard nicht mehr wie ein Knabe; er schien ein Mann, 
reif, die Bestimmung des Mannes zu erfüllen. 

Die Lehrerin litt es, daß George Willard sie in seine 
Arme nahm, Die Luft in dem warmen kleinen Raum 
schien ihr mit einem Male drückend schwer, und aus 
ihren Gliedern wich die Kraft. Sie stand gegen einen 
niedrigen Zahltisch bei der Tür gelehnt und wartete. 
Als er zu ihr trat und eine Hand auf ihre Schulter 
legte, wandte sie sich ihm zu und ließ ihren Körper 
schwer gegen den seinen fallen. Nun wuchs George 
Willards Verwirrung. Einen Augenblick hielt er den 
Leib des Mädchens fest an den seinen gepreßt und 
stemmte ihn dann plötzlich steif von sich weg. Zwei 
hitzig zuschlagende kleine Fäuste fuhren ihm ins Ge- 
sicht. Dann rannte die Lehrerin hinaus und ließ ihn 
allein. Er ging heftig im Zimmer auf und ab und 
fluchte in heller Wut. 

So traf ihn der Reverend Curtis Hartman, der sich zur 
Tür hereinbewegte. George Willard hatte bei seinem 
Erscheinen den Eindruck, die ganze Stadt müsse irr- 
sinnig geworden sein. Der Pfarrer streckte eine blu- 
tige Faust in die Luft, schüttelte sie und verkündete: Das 
Weib, das George eben in seinen Armen gehalten hatte, 
sei ein Werkzeug Gottes und trage eine Heilsbotschaft 


in sich. 


47 


George blies die Lampe am Fenster aus, schloß die Tür 
der Druckerei hinter sich ab und ging heim. Er schritt 
durch die Office des Hotels, wo Hop Higgins seinem 
Traum von der Frettchenzucht hingegeben war, und 
kam in sein Zimmer. Das Feuer im Ofen war erloschen, 
und er entkleidete sich in der Kälte. Als er sich ins 
Bett legte, umfingen ihn die Laken eisig wie Schichten 
von trockenem Schnee. 
George Willard wälzte sich ruhelos im Bett herum, dem- 
selben Bett, in dem er am Nachmittag das Kopfkissen 
umschlungen und an Kate Swift gedacht hatte. Ihm 
klangen noch immer die Worte des Geistlichen in den 
Ohren, von dem er meinte, der Mann sei plötzlich ver- 
rückt geworden. Mit weitoffenen Augen starrte er ins 
Dunkel. Die begreifliche Empörung des gekränkten 
Mannesempfindens wich von ihm, und er versuchte, das 
Geschehene zu verstehen. Aber er konnte den Schlüssel 
zu dem Geheimnis nicht finden. Hin und her wandte er 
das Erlebnis in seinem Sinn. Stunden vergingen, und 
er dachte, der neue Tag müsse bald heraufkommen. Um 
vier Uhr zog er sich die Bettdecke bis zum Kinn herauf 
und versuchte zu schlafen. Als er schläfrig wurde und 
die Augen schloß, hob er eine Hand von der Decke und 
tat einen Griff ins Dunkel. „Ich hab was verpaßt. Ich 
hab was verpaßt, was Kate Swift mir zu sagen ver- 
suchte“, murmelte er mit schwerer Zunge. Dann schlief 
er ein, und in ganz Winesburg war er in dieser Winter- 
nacht die letzte Seele, die ihre Ruhe fand. 

Aus dem amerikanischen Original übertragen von Karl Lerbs 


ak 


48 


In 


Engel im Chor des Doms zu K 


KLAGE 
VON ALBRECHT SCHAEFFER 


O wer könnte: 

Einmal ruhen die Stirne, 
Angeneigt an das Ewige! 
Uns ist nur Erde. 


Gut ist wohl 

Eine Felsenwand, 

Eines Baumes Gestalt 

Und am Hange das weichere Gras, 

Die kühl sind alle und ruhevoll — 

Wie nicht des Weibes zu glühende Brust, 

Wo Flügeln ähnlich 

Es drinnen immer 

Von großen Höhen, von großen Tiefen rauscht. 


O Unruhe immer, 

Überall keine Geduld! 

Wie ist das niemals berührte 
Sanft, das gewichtlose Morgenrot 
Und manches Andre, das fern ist, 
Aber — vom Herzen berührt — 
Süßer und wahrer, 


Als die traumlosen Dinge der Nachbarschaft. 


Ein Toter — wer weiß — 
Der hat es Alles. 
Aufgehoben mag Er sein 


In lauter Lächeln. 


49 


Lächeln sein Mund, 

Lächeln sein Schlaf, 

Lächeln die Hände, die leeren, 

Und eine süße Flocke sein stilles Herz. 


Ewiger Himmel! Wann gönnst du 
Einmal uns die geduldige Brust, 
Uns, von Unwissenheit selig, 

Uns nur stille zu halten... 


Ein Augenblick, die Stirn an dich gelehnt — 
Und ein Verwandelter mischt ich 
Gern mich wieder, unüberwindlich, 
In Nacht und Abgrund, 
Verwirrung der Völker 
Und tausend Träume 
Der niemals entschlafenden 
Kinder des Lichts. 
* 


SZENE, ALS EINLEITUNG 
ZU EINER TOTENFEIER FUR 
RAINER MARIA RILKE 


VON ALEXANDER LERNET-HOLENIA 


Fanfaren. Es tritt ein Herold vor den Vorhang. Er trägt, im Schnitt 

eines Meßgewandes, über seinen Kleidern einen ärmellosen Rock, auf 

dessen Brust- und Rückenteil je drri übereinander nach (heraldisch) rechts 

springende, golden behalsbänderte, silberne Jagdwin.thunde aut schwar- 

xem Feld eingestickt sind. Das Fahnentuch der langen Fanfare, auf die 
er sich im Reden aufstützt, wiederholt das Blaison. 


Herold: Herren und Damen, als unser aufs äußerste 
bewegtes Herz uns Schauspielern dringlichst anbefohlen 


50 


hatte, die Trauer um den großen Dichter, in dessen 
Namen Sie hierherberufen sind, nicht länger in uns 
selbst zu verheimlichen, sondern feierlich und öffent- 
lich zu begehen, blieben wir noch unentschieden, in 
welcher Maske denn eigentlich der Akteur, der die all- 
gemeine Klage zu sprechen haben würde, vor Ihnen 
auftreten sollte, um am bezeichnendsten für die ganze 
Art des Toten zu sein. Wir verwarfen, als abge- 
braucht, die Gestalt eines Genius, der, eine erloschene 
Fackel tragend, weint, wir wollten noch viel weniger 
den jungen Dichter, der, indem er Verse auf den uns 
Voraufgegangenen vorträgt, in heutiger Zeit peinlich 
und exaltiert wirkt und eigentlich nur Verlegenheit 
hervorruft. Stellen Sie sich vor: moderne Verse! Das 
wäre alles zu spielerisch gewesen, die Gegenwart, die 
den Tod zu einer rein körperlichen Katastrophe de- 
gradiert hat, besitzt kein eindeutiges Zeremoniell mehr 
für die Majestät wirklichen Todes. 

Wir betrauern vielmehr Rainer Maria Rilke, (um den 
erlauchten Namen hier zum erstenmal zu nennen!), auf 
seine eigene Weise und in seinem eigenen großen Stil. 
Weil die Zeit keine Form dafür hat, ihn als den, der 
er wirklich war, zu bestatten, so gedenken auch wir an 
seinem Totenfest seiner nicht eigentlich als eines Heu- 
tigen und Gegenwärtigen, sondern eines Letzten von 
früher her, wozu uns seine Herkunft die Hand gibt. 
Das ist einwandfrei, denn wir verzichten damit, von 
dem zu reden, was er als Dichter gewesen ist, uns er- 
schüttert vielmehr bloß der Hintritt seiner Person. Für 
Rilke selbst ist vielleicht überhaupt keine Art zu finden, 


51 


ihn zu betrauern, groß, wie er gewesen ist; für den 
letzten Rilke, der er ja war, ist die Art der Trauer 
überliefert und gegeben, eindeutig und herrschaftlich. 
Wir haben sie gewählt. Ich bin bestimmt worden, als 
ein Herold aufzutreten und die Figuren und Farben des 
Geschlechtes zu tragen, dessen letztes Reis der Dich- 
ter gewesen ist. 

Aber Sie finden das vielleicht nicht entscheidend und 
nicht hierhergehörig, Sie sind erstaunt, daß die Gestalt, 
die ich angenommen habe, aus so längst abgelebten Zei- 
ten sich heraufwagt, Sie halten diese Heraldik für depla- 
ciert. Soll denn wirklich, so fragen Sie sich, bloß deshalb, 
weil mein Herr zufällig aus uraltem Hause gewesen ist, 
die aus ganz vergessenen Rüstkammern geholte, arro- 
gante und irritierende Figur seines Herolds sich vor die 
klare Vision seines Geistes stellen dürfen, der Sie alle 
doch menschlich ergriffen hat wie kaum je etwas ande- 
res zuvor? Drängen sich denn die adeligen Maskeraden 
selbst bis in die Totenfeier eines Dichters vor, der so 
groß gewesen ist, daß man es darüber füglich vernach- 
lässigen dürfte, wer er eigentlich war? 

Aber Sie vergessen wohl, daß es ja nicht um den 
Dichter selbst ist, daß wir trauern. Wie könnten wir 
denn überhaupt einen Ausgang von etwas so Geistigem 
beklagen? Sind solche Gedichte nicht unzerstörbar ? 
Wir erschrecken nur über das jähe Zerbrechen der 
vergänglichen Form, die, auf eine Zeitlang, der vor- 
übergehende Aufenthalt so hohen Geistes gewesen 
war, und, so angesehen, ist unsere Trauer vielleicht 
mehr menschliche Schwäche, ein Nachgeben vor der 


52 


Einsicht einer lebenslangen Trennung, ein Schmerz bei 
einem Abschiednehmen auf lange und längste Zeit. Wir 
beklagen das Erlöschen der Person, nicht des Geistes. 
Wir geben Erde der Erde zurück, auf irdische Art und 
mit dem ganzen armen Stolz, den Vergängliches sich 
anmaßt, wir geben dem Toten die irdische Ehre, die 
neben seinem geistigen Ruhm die seine war, ererbt wie 
er sie hatte. Ihm geben wir sie und seinen Vorfahren, 
die bescheiden und sparsam gelebt hatten, damit der 
Letzte die ganze angesammelte und unverschwendete 
Pracht ihres Geistes entfalten könne. | 
Man soll ja die Leute in dem Stil begraben, in dem sie 
gelebt haben, oder mindestens hätten leben und sterben 
wollen. Und überdies hatte mein Herr ja selbst vom 
Tode immer irgendwie herrschaftliche Anschauungen; 
jetzt wo der Tod bürgerlich ist und auch der seine 
bürgerlich sein mußte, mag er gemeint haben, er hätte 
dabei etwas vernachlässigt und versäumt, ähnlich wie 
er wohl auch viel von seinem Leben versäumt hat, weil 
er schlecht zu den Leuten paßte und sich zurückzog. 

Wie merkwürdig aber, daß ich, indem ich von seinem 
Ende rede, doch wiederum nur von dem sprechen kann, 
das in den Gedichten des Lebenden für alles eher als 
bloß für ein Ende gegolten hat: nämlich von seinem 
Eigensten, dem Tod. Er war der Dichter des Todes. 
Tod war für ihn kein Ausgang, es war ein Zustand 
von Dauer, in den Ermüdete und solche, die Wich- 
tiges vorhaben, sich zurückziehen, gewissermaßen um 
entweder ruhiger oder entscheidender weiterzuleben. 
Er hatte so viel vom Tode gedichtet, daß man, als er 


53 


starb, eher behaupten konnte, er habe den Tod erreicht, 
als daß er gestorben sei. Tod war für ihn voll 
Existenz. Und wenn sonst irgendwelche Verwandte 
und Freunde, denen ein Abgeschiedener unwiederbring- 
lich dahin ist, sich fiir ihn sozusagen umsonst um eine 
leere Stelle versammeln, an der niemand mehr ist, so 
sind wir um den Tod dieses Dichters als um etwas ver- 
sammelt, in dem er sich nicht anders aufhält als in 
einem unbedingten Leben, das er nun bewohnt und in 
dem er existiert. Was gilt hier Unsterblichkeit der 
Seele? Hier beweist sich Unsterblichkeit des Geistes. 

Der Tod hatte bei meinem Herrn das Übergewicht über 
das Leben. Mein Herr liebte es ja auch sonst nicht, sich 
auf sich selbst zu berufen, auf das Gegenwärtige und auf 
das Lebendige. Er berief sich auf alle Arten von 
Dingen, die uns heute fremd und unwahrscheinlich ge- 
worden sind, auf die Vergangenheit vor allem, auf 
Überlieferung, auf Altvordere. Alles war schon längst 
durch den Tod gegangen, auf was er sich berief. Er 
hatte Beziehungen zu den Toten. Er war immer 
irgendwo her, er hätte es nicht gemocht, wenn ihm 
jemand gesagt hätte, er sei aus sich selbst. Es heißt 
meinem Herrn vielleicht die letzte Größe absprechen, 
wenn man ihm das zugibt. Denn es wird heute be- 
hauptet, das Genialische sei zu nichts in Bezug als zum 
Lebendigen, und das Lebendige sei einfach gegenwärtig. 
Aber mein Herr war nicht einmal zeitlos, er war von 
früher her. Wir glauben, daß er zu den Letzten von 
denjenigen gehört hat, die früher die Großen der Welt 


gewesen sind und die ihre Kraft noch ererbt haben, 


54 


statt sie einfach zu besitzen wie moderne Leute. Aber 
so oder so: wir haben nur von einem Gestorbenen ge- 
redet, von einem mit ihm erloschenen Geschlecht, — den 
Dichter zu preisen, reichen ja die Worte nicht hin. Es 
ist da etwas im Spiel, das weder menschlich schlechthin 
ist, noch adelig schlechthin, es ist da etwas von einem 


großen Geheimnis. 


(Hier unterbricht er sich, denn der Gesang einer jugendlichen Stimme 
wird von hinter dem Vorhang gehört.) 


Was ist das für ein Gesang? 

Singende Stimme: 
Kein schönrer Tod ist in der Welt, 
als wer vorm Feind erschlagen, 
auf grüner Heid, im breiten Feld, 
darf nicht hörn groß Wehklagen. 
Im engen Bett 
nur ein’r allein 
muß an den Todesreihen. 
Hier findet er 
Gesellschaft fein, 
fallen wie Kräuter im Maien! 


(Indem nähern sich Sporenschritte, marschmäßig, ein Kornett kaiser- 
licher Kürassiere, die Standarte im Arm tragend, tritt vor den Vorhang.) 


Herold: Ich bin erstaunt. Wer ist der Herr? 
Kornett: Ich bin Christoph von Rilke, Kornett im 
kaiserlich österreichischen Heysterschen Regiment zu 
Roß, Kompagnie des Freiherrn von Pirovano, gefallen 
in Ungarn in einem Gefecht wider die Türken vor nun- 
mehr zweihundertfünfzig Jahren. Ich war noch sehr 
jung, als ich starb. Ich war erst achtzehn Jahre. Aber 
ich bin gefallen mit dieser Standarte im Arm. 


55 


Herold: Achtzehn Jahre! Diese Jugend entschuldigt 
des Herrn plötzliches und unvorbereitetes Kommen. Darf 
ich fragen, was der Herr will? 

Kornett: Ich komme von — drüben. Man hat Nach- 
richten, daß unser Name erloschen ist in diesen Tagen. 
Man hat genaue Nachrichten. Wir erwarten den letzten 
Herrn von Rilke. 

Herold: Wer wartet? 

Kornett: Wir. Die ganzen Herren meines Namens. 
Die Linien von Langenau und Gränitz. Die noch in 
Kärnten gestorben sind und die aus Sachsen. Wir war- 
ten auf den Letzten. Aber es kommt niemand. Wo ist 
er hin, dieser Letzte von uns, der gestorben ist? Wir sind 
nicht vollzählig ohne ihn. 

Herold: Ist es an dem, junger Herr? Dieser Letzte ist 
nicht gekommen? Noch nicht gekommen? Dann wird 
es wohl auch nicht mehr sein, daß er kommt. Ich be- 
ginne zu ahnen, daß ich mit dem Glauben von meinem 
Herrn im Unrecht war. Sag der Herr den anderen 
Herren, sie warteten vergebens. Dieser Letzte war ein 
Dichter. Er gehört nicht mehr zu ihnen. Er gehört zu 
mehr als zu einem einzelnen Geschlecht, das drüben auf 
ihn warten mag bis zum Jüngsten Tag, gestützt auf 
die Degen. Ist denn der Herr ausgesendet, ihn zu 
suchen ? 

Kornett: Nein, das nicht, ich bin von selbst gegangen. 
Es war unangenehm und traurig, die Wartenden zu 
sehen. 

Herold: Und war der Herr selbst traurig ? 
Kornett: Ja, ich wohl auch. 


56 


Gipsmaske Amenophis’ IV. 


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Herold: Der Herr ist noch sehr jung, er hat es ja selbst 
gesagt, er versteht das vielleicht noch nicht, er hat sich 
übereilt. Kehr der Herr zurück, auch ohne den Ge- 
suchten, verzichte er darauf, ihn zu sehen. (Zr umfangt, im 
Abgehen, die Schulter des Kornetts.. Der, den der Herr sucht, 
ist nicht tot, wenn er gleich gestorben ist. Er ist leben- 
dig. Er war ein sehr großer Dichter. Er gehört nicht 


den Geistern an, sondern dem Geist. 
(Sie treten durch den Vorhang zurück. Fanfaren.) 


x 


VERMÄCHTNIS DER ANTIKE 


Rede anläßlich eines Festes von Freunden des humanistischen 
Gymnasiums gehalten 


VON HUGO VON HOFMANNSTHAL 


Die Unruhe ist nach wie vor allgemein, der Zweifel 
und die Verworrenheit eher im Wachsen als im Abneh- 
men. Die materiellen Auswirkungen der Katastrophe, 
durch die wir gegangen sind, bleiben ungeheure; aber 
wir gewahren, daß die geistigen noch furchtbarer und 
noch folgenreicher sind. Wir versuchen uns zur Klarheit 
durchzuringen, zu erkennen, was dahingestürzt und was 
noch aufrecht ist; aber der ordnende Sinn in uns selber, 
der allein zu solchen Urteilen fähig wäre, ist im tiefsten 
beschädigt. Niemand ist geistesmächtig, niemand scharf- 
sinnig genug, sich über das zu erheben, was alle und 
alles umstrickt. Unsere Befürchtungen, die manchmal 
die Betonung des Schreckens annehmen, finden immer- 
fort und von allen Seiten her neue Nahrung, unsere 


57 


Hoffnungen sind unsicher und vag; die stärkste von 
ihnen, paradoxerweise, ist die, welche wir gerade aus 
der Größe der Bedrohung, aus der umfassenden Gewalt 
des Ereignisses ziehen. 

Es gibt nichts im geistigen Bereich, das nicht versehrt 
wäre. „Der Geist selbst ist verwundet“, sagt ein Fran- 
zose. „Unsere Welt ist im Untergehen“, schreibt ein 
Deutscher auf sein Buch. „Wir sind allein“, ruft ein 
Spanier aus. „Der Europäer von heute steht allein ohne 
lebende Tote an seiner Seite.“ In der Tat, das was fünf- 
zehn Jahre hinter uns liegt, ist so fern von uns, so un- 
erreichbar wie Sesostris und Nimrod. Wir sind ganz 
allein. 

Die Geschichte, wenn wir uns an sie wenden, ist kalt 
und vieldeutig in ihren Antworten wie ein Orakel. Schla- 
gen wir heute ihre Blätter auf, so scheinen uns die Jahr- 
hunderte bis zurück an den Ausgang des Mittelalters 
von nichts zu sprechen als von dem Kommen des Kata- 
klysmas, das uns heute unter Trümmern erschlägt. Was 
immer sich im Geistesleben vollzogen hat, von jener 
Anfangstat des 16. Jahrhunderts an, jener Setzung des 
Ethos über den Logos, die wir den Protestantismus nen- 
nen — mit dem wissenden Auge, das der heutige Tag 
uns gibt, sehen wir in der Kette der Geschehnisse nichts 
als die Vorbereitung dessen, was heute Wirklichkeit wird. 
Der rückwärts gewandte Prophet heftet den gleichen 
eisigen, undurchdringlichen Blick auf uns wie die Gegen- 
wart selber. Und in dieser Welt rüsten Sie sich, ein Fest 
des Geistes zu feiern, und der Gegenstand Ihres Festes 
ist das Bekenntnis zur Überlieferung kat’exochen, zur 


58 


geistigen Ordnung kat’exochen, zum ewigen Band aller 
geistigen Ordnungen. Sie haben das unverwelklicheWort 
Humanismus auf Ihrem Banner, während rings in Eu- 
ropa und in jenem hybriden Neu-Europa jenseits des 
Ozeans der vollständigste, tiefstgreifende Prozeß der 
Deshumanisation, der je geträumt werden konnte, im 
Gange ist. 

Zwischen der Zeit, in der wir jung waren, und heute 
liegt ein Abgrund, und einer, dessen Ränder nicht ein- 
mal fest sind, sondern der stündlich weiter um sich frißt. 
Das Begrenzte, auf dem allein wir geistig zu fußen ver- 
mögen, ist im Begriff, sich zu verflüchtigen wie Rauch; 
das Unmeßbare, die indefinite formlose Materie unse- 
rer Welterfahrung, überflutet den Bezirk unseres Da- 
seins. Das, was sich vollzieht, ist schreckensvoll und 
kaum mehr deutbar. Es gibt diesem Ungeheuren gegen- 
über die Haltungen einzelner: Gebärden der Abwehr, 
des Stoizismus und der Verzweiflung, aber die Grund- 
gebärde des Europäers ist nicht mehr wahrnehmbar, und 
auch jenen einzelnen Gebärden fehlt es an Kraft und 
Größe. Da und dort flammt ein jäher Orientalismus auf 
— auch Rußland ist Orient! —, aber ohne fortreißende 
Kräfte; und an denen, die ihm huldigen, wird nichts so 
deutlich wie der Wunsch, allen Ballast abzuwerfen, und 
wäre es das eigene denkende Selbst. Achtet man dieser 
einen Fluchtgebärde nicht, so geht alles darauf aus, sich 
der „Wirklichkeit“ zu unterwerfen. Diese aber wech- 
selt dämonisch ihre Mienen: denn Wirklichkeit ist gei- 
stige Schöpfung, und jene wechselnden Mienen sind 
nichts als der Reflex des inneren Seelenschwindels einer 


59 


Menschheit, die zur Schöpfung nicht mehr die Seelen- 
kräfte in sich trägt. 

Wir leben in einem kritischen Weltmoment, der zu 
Festen kaum Raum gibt. Aus Kriegen der Völker und 
Konflikten der Klassen sind neuartige Religionskriege 
geworden, Geisteskriege, um so mörderischer, als sie in 
der Halbnacht wechselseitigen Nichterkennens geführt 
werden; Sekte ringt mit Sekte, und niemand will es 
wahr haben, in welch unheimlicher Weise über Nacht 
von unsichtbaren Händen die furchtbaren Gewichte des 
leiblichen und des geistigen Behauptungswillens der 
Massen lautlos vertauscht werden: bald verkleidet sich 
Ökonomie als Geist, bald Geist als Ökonomie. In der 
verworrensten der Welten treten Sie zusammen und wol- 
len das Fest der Unverworrenheit feiern, der höchsten 
Offenbarung geistiger Klarheit, die je da war. 

Aber Sie dürfen es, und dürften es, wären die Gemüter 
noch gespannter und die Verzagtheit (welche zuweilen 
die Maske des Zynismus vornimmt) noch größer. Denn 
der Gegenstand Ihres Festes ist über dem allen, und 
Ihre Feier zieht eben aus der Dunkelheit, die uns um- 
gibt, jenen einen zwischen nachtschwarzen Wolken 
durchbrechenden Lichtstrahl, der sie adelt. Sie stehen 
hier nicht als die Hüter eines Vorrates von Kenntnis- 
sen oder Sinnbildern; es ist kein System unter Systemen, 
als dessen Parteigänger Sie sich vereinigen; es ist keine 
bestimmte schulmäßige Geisteshaltung — oder ist es eine 
solche, dann im höchsten Sinne, und in der Region 
solcher Synthesen, die der gemeinen Kritik entzogen 
sind. 


60 


Das, wofiir Sie einstehen, ist der Geist der Antike, 
ein so großes numen, daß kein einzelner Tempel, ob- 
wohl viele ihm geweiht sind, es faßt. 

Es ist unser Denken selber; es ist das, was den europä- 
ischen Intellekt geformt hat. 

Es ist die eine Grundfeste der Kirche und aus dem zur 
Weltreligion gewordenen Christentum nicht auszuschei- 
den; ohne Platon und Aristoteles nicht Augustin noch 
Thomas. 

Es ist die Sprache der Politik, ihr geistiges Element, 
vermöge dessen ihre wechselnden und ewig wiederkeh- 
renden Formen in unser geistiges Leben eingehen kön- 
nen. 

Es ist der Mythos unseres europäischen Daseins, die 
Kreation unserer geistigen Welt (ohne welche die reli- 
giöse nicht sein kann), die Setzung von Kosmos gegen 
Chaos, und er umschließt den Helden und das Opfer, 
die Ordnung und die Verwandlung, das Maß und die 
Weihe. 

Es ist kein angehäufter Vorrat, der veralten könnte, son- 
dern eine mit Leben trächtige Geisterwelt in uns selber: 
unser wahrer innerer Orient, offenes unverwesliches Ge- 
heimnis. 

Es ist ein herrliches Ganzes; tragender Strom zugleich 
und jungfräulicher Quell, der immer rein hervorbricht. 
Nichts in seinem Bereich ist so alt, daß es nicht morgen 
als ein Neues, strahlend vor Jugend, hervortreten könnte. 
Homer glänzt in alter Herrlichkeit alterslos wie das 
Meer, aber seinen Helden Achilleus hat Hölderlins See- 


lenblick getroffen, und er steht in neuem, ungeahntem 


61 


Licht. Heraklit, für ein Jahrtausend nichts als ein Name, 
ist an den Tag getreten, und seine dunkle Lehre ist 
heute wieder seelenbildende Gewalt. Die dunkeln älte- 
sten Mythen, eingemauert in die Grundfeste des Werkes 
der Tragiker, haben in dem wunderbaren Schweizer, 
dem lange verkannten, ihren Deuter gefunden; noch ein- 
mal bereitet sich in seinen Werken, wie einst im antiken 
Lebensbereich, das Ganze dieser Geisteswelt, vom or- 
phischen Spruch bis zur mythischen Anekdote, die ein 
byzantinischer Spätling überliefert. 

In der mittelsten Region aber der Naturwissenschaften, 
dort, wo der Begriff der „Wirkung“ den Begriff der 
„Energie“ heute ablöst, wo von den Begriffen Raum, 
Zeit und Schwere her jenes Geheimnis, das wir zu- 
letzt mit dem Wort Materie bedeckten, einer neuen Ent- 
hüllung entgegenharrt, dort, wo das nüchtern-großartige 
Wort laut wird: Was ich messen kann, das existiert — 
dort erhebt sich aus den brauenden Nebeln der Theo- 
reme, wie das Licht des uralten, ewig jungen Tages, 
die Vision Platons von einer Zahlentheorie der Natur 
und mit ihr die Weisheit des Pythagoras. 


ak 


EIN TAGIN LIER 
VON FELIX TIMMERMANS 


Das erste, was aus der schwarzen Nacht aufleuchtet in 
den neuen Tag, ist der kupferne Bauch des Hahnes auf 


dem Turm. Dann tritt der Küster Landieke aus seinem 


62 


Häuschen, das im Wasser steht, und seufzt: „Aber uns 
gehts schlecht!“ Vor dem Kirchenportal warten schon 
die eifrigsten Betschwestern in schwarzen Kapuzenmän- 
teln, wie Spukgeister. Er läutet eine magere Glocke, und 
Pfarrer Rits, die Hände reibend wie alle Pfarrer, eilt in 
der mausgrauen Dämmerung auf diese Glocke zu; ein 
Chorknabe macht dasselbe, aber mit den Händen in den 
Taschen und aus Angst ein Liedchen pfeifend. 

Das Osterlicht wird langsam größer, es fließt über die 
lustige Kappe des Turmes und bückt sich zu den Schall- 
löchern hinunter; die höchsten Seitentürme baden sich 
im Ostergold, und eine Bundeslade funkelt unter der 
Perlmutterschale des Himmels. Der Nachtwächter Suske 
Niks kehrt fröstelnd heim mit seiner langen Lanze. 
Er hat wieder keine Diebe zu Gesicht bekommen, und 
gähnend sagt er: „Ich hätte mich ebensogut zu meiner 
Frau legen und schnarchen können.“ 

Die Häuser und die Straßen schlafen noch, kahl und still 
wie leere Schachteln ohne Deckel. Aber der reiche De 
Pijpelaere ist schon aufgestanden. Er schreitet im Hemd, 
einen Rosenkranz in der Hand, mit nackten Füßen 
durch das tauige Gras seines Gartens. In der heißen 
Jahreszeit, wenn kein Tau vorhanden ist, macht er sich 
welchen mit der Gießkanne. 

Alle Wetterfahnen und die höchsten Spitzen der mit 
Stufen und Schnörkeln verzierten Giebelhäuser glänzen 
in der Sonne. Draußen im Felde, wo der Nebel wie ein 
Schleier über die silberne Nethe hängt, geht ein Duft 
von frischen Blumen. Speckzehe zieht sein Netz mit 
zappelnden Fischen in die Höhe, und Bauern, die auf 


63 


den Ackern arbeiten, sind wie Schattenbilder im Nebel- 
dunst. In den ärmlichen Gassen öffnen sich die Türen, ` 
und Arbeiter mit Blechkrügen gehen Tabak kauend zum 
Zuge. Die Lumpensammler in ihren Hundewägelchen 
streben eilig, wie im Wettkampf, zu den Toren hinaus; 
sie stehen fluchend und peitschend aufrecht in den klei- 
nen Wagen, wie in einem römischen Zirkus. Die Wind- 
mühlen auf dem Wall drehen sich schon, denn es gibt 
viel Korn dieses Jahr, und die ersten Kneipen öffnen 
sich am Viehmarkt, wo in aller Frühe die nüchternen, 
schleimigen Kälber verhandelt werden. Die Saufbrüder 
der Stadt werden vor Durst eine ganze Stunde früher 
wach als sonst und holen sich dort ihren halben Liter. 
Ambiorix, der Bäcker, hat das nicht nötig; der Wirt von 
nebenan reicht ihm sein tägliches Maß über die kleine 
Mauer. 

Ruckweise wacht nun die Stadt allmählich auf, aber der 
größte Ruck ist der erste Kleinbahnzug, der mit viel 
Rauch und Lärm, aber leer, die Straßen der Stadt ver- 
gewaltigt. Das ist die Stunde, in der die Holzschuhe 
nach den Werkstätten klappern, in der die Lehrer 
und die Dienstmädchen aufwachen und dann eine 
Viertelstunde später die Schulkinder. Die Fensterläden 
öffnen sich, Glocken läuten von allen Kapellen, und ein 
froher Eifer kommt über die ganze Stadt; die Pumpen 
sind in voller Tätigkeit für den Morgenkaffee, es ist die 
Zeit der Radieschen mit Quark. Kupferne Kessel glit- 
zern auf den Marktplätzen. Die Hunde der Milchbauern 
bellen, Kohlenwagen dröhnen und klingeln; man hau- 
siert mit weißem Sand, Gemüse und warmen Semmeln; 


64 


Kinder schreien, und Bureaubeamte gehen mit einer Zei- 
tung in der Hand zum Bahnhof oder putzen sich unter- 
wegs die Nagel. 

Die Sonne liegt nun auf allen Dachern und lugt in alle 
Fenster, und der Turm schüttelt seine vielen kleinen 
Glocken zur allgemeinen Freude. Dann möchte es plötz- 
lich stiller werden, aber es glückt nicht ganz, denn heute 
mittag muß gegessen werden, Suppe und Fleisch. Die 
Gewürzkrämer und Fleischer hacken und wiegen, und 
man erzählt sich vieles über Leute, die nicht dabei sind. 
Die langen Bierwagen holpern durch die Straßen und 
rollen Fässer in die Wirtshäuser. Ein Horn tutet, die 
Brücke dreht sich, und ein Muschelschiff treibt herein 
mit seinen rostbraunen Segeln, feierlich an den weißen 
Häusern entlang. Schwarze Kutschen fahren hin und 
her. Es gibt einen Toten; man hört an der schweren 
Stimme des Turmes, daß es ein feierliches Begräbnis ist. 
Gestern hat der hagere Leichenbitter Staf die Nachricht 
in die offenen Türen oder durch den Briefkastenschlitz 
gerufen und die Briefe ausgetragen. Der Tote ist oder 
vielmehr war ein Verwandter von De Pijpelaere; alle 
reichen Leute sind irgendwie mit De Pijpelaere ver- 
wandt. An den Straßenecken stellen sich die Leute auf, 
um den Leichenzug zu sehen. Sie erzählen sich noch ein- 
mal die Geschichte des Toten. Und das Ende jeder Be- 
trachtung lautet: „Wir wollen das Leben nur genießen, 
denn mit einem Menschen ist es bald vorbei.“ Die Frauen 
kaufen deshalb ein Viertel Wurst mehr, und die Män- 
ner trinken ein Doppelmaß. Kurz darauf heiraten auf 
dem Rathaus, fast unbemerkt, denn es werden keine 


65 


Teppiche auf die Stufen gelegt, Jef Paljas und Pauline 
Seufzer. Er ist ein alter Schuster und sie eine Witwe, die 
mit Muscheln hausiert. Er trägt sämtliche Ehrenzeichen 
auf der Brust: ehemaliger Tambour beim Militär, ein 
durchgegangenes Pferd aufgehalten und im Kriege von 
70 aus der Ferne zugeguckt. Sie sind zusammen über 
die Vordertreppe aufs Rathaus gekommen und verlassen 
es über die kleine Hintertreppe, die sozusagen unmittel- 
bar zu ‚Unserer Lieben Frau‘ hineinführt. Dort wird 
die erste Rührung mit ein paar Schnäpsen weggespült; 
dann gehen sie zu Fuß in die Kirche, und wenn sie dort 
fertig sind, in den ‚Bienenkorb‘ hinein. Hier wartet 
schon der unvermeidliche Harmonikaspieler, und nach- 
dem sie mit etlichen Schnäpsen die Stimmung gehoben 
haben, ziehen sie, gefolgt von einem Haufen von Ver- 
wandten, hinter diesem Musikanten her von Kneipe zu 
Kneipe, um dann bei Pauline, wo seine Möbel schon 
untergebracht sind und er nun einziehen wird, einen 
starken Kaffee mit Schinkenbrötchen und Korinthen- 
kuchen zu schmausen. 

In Lier ist die Luft gesund, von Königen gepriesen, und 
so kommt es, daß der Magen keine Ruhe gibt. Um halb 
elf nehmen die Leute etwas zu sich: ein Butterbrot mit 
etwas dazu. Ein baumlanger Holländer, noch in Pluder- 
hosen, verkauft Pökelheringe, worauf die Leute hier ver- 
sessen sind, und der singende Mann hat bald seine sauber 
gemalten Fässer leer. Die Schulen sind nun aus, es 
herrscht ein ausgelassener Kinderlärm, die Suppen duf- 
ten verlockend, und in den Wirtshäusern wird schnell 
noch ein Maß Bier getrunken, um gut essen zu können. 


66 


Dann hängt um alle Giebel, eine kleine halbe Stunde 
lang, die Ruhe wie ein weißes Gewand, bis die Kartof- 
feln verzehrt sind; aber nun werden die Taubenschlage 
geöffnet und kreisende Tauben feiern ein Fest in der 
Luft. 

Sind dann später die Holzschuhe wieder in den Werk- 
stätten und die Kinder in der Schule, dann legt sich 
plötzlich, mit dem letzten Glockenschlag von zwei Uhr, 
eine wunderbare, ungekannte, friedliche Stille über die 
Stadt. Es ist die goldene Stunde, der weiße Kloster- 
friede, der dann in den Straßen herrscht. Alles ist drin- 
nen, man hört das Gras wachsen zwischen den Pflaster- 
steinen und das Wasser fließen unter den Brücken. Über- 
all Stille und Sonne; weiße Wolken wandern vorsichtig 
durch das sonntägliche Blau. Wie ein guter Anisgeruch 
rührt der Liersche Geschmack an unser Herz. Etwas 
Schönes und Teures, das man längst der Vergangenheit 
angehörig glaubte, steht hier noch rein, sich spiegelnd im 
Wasser, etwas außerhalb der Zeit, unberührt und ohne 
ein Echo aufzufangen von der Welt, ein faltenloser 
Teich. Die Häuser auf dem Großen Markt lassen ihr 
Gold glitzern, und auf dem ganzen offenen Platz ist nur 
ein T'aubenpaar, das vornehm in der Sonne spazieren 
geht. Der dicke Verbil guckt seufzend um die Ecke der 
Fleischhalle, ob er nicht den erwischen kann, der. die 
Arbeit erfunden hat, aber er sieht niemand und kehrt 
seufzend zu seinem Schusterschemel zurück. In der 
‚Eiche‘, wo früher die Kammer der Rhetoren ihre lite- 
rarischen Sitzungen abhielt, sitzt die Wirtin Strümpfe 
stopfend am offenen Fenster, und im gotischen ‚Kaiser- 


67 


hof‘ schläft der Wirt hinter seiner Zeitung. Betschwe- 
stern spähen hinter dichten Gardinen nach Menschen 
aus, wie Katzen nach Mäusen. Aber es ist nichts zu 
sehen als ein Hund, der an der Ecke ein Bein hebt. Durch 
die Stille kommt plötzlich die Kleinbahn pomphaft her- 
angefahren, hält am Markt, niemand steigt aus, nie- 
mand steigt ein, und dann fährt sie weiter, prahlend mit 
dicken Rauchfahnen und Horngetute. 

Inzwischen sitzen die Faulenzer auf der hohen Brücke 
und essen frische Muscheln. Sie haben sich in einem 
Kreis um die Schüssel niedergelassen, einer macht sie 
auf, und der Reihe nach dürfen sie eine verzehren. Es 
geht schweigend und schmatzend vor sich, so daß man 
selber Appetit auf Muscheln bekommen könnte. 

Ein zweites Schiff ist auf der Werft angekommen; 
Männer tragen, tanzend über die schaukelnde Lade- 
planke, rote Backsteine aus dem Rumpf des Schiffes an 
Land. 

Auf dem einsamen, schattigen Beginenwall, wo man 
hinter ausgedehnten Feldern, jenseits der Nethe, den 
Turm von Mecheln sehen kann, geht eine alte Begine 
spazieren und hört, wie im stillen Beginenhof eine andere 
Begine die Orgel spielt. Und dort auf dem Wall ist es, 
daß Herr Luppekens und Herr Bollekensberg einander 
begegnen. Welch ein Glück! Sie sprechen doch so gerne 
Französisch. „Ah! Tag! Bonjour Monsieur Luppekens, 
o vous avez un beau baton!“ „Oui!“ sagt stolz Herr 
Luppekens, ,,c’est un mispelier. Mais vous avez aussi un 
beau baton.“ „Oui,“ prunkt nun der andere, „c’est un 
beau baton, et cest un apfelier.““ 


68 


Die Wassermiihle schnarcht in der Stille, aber das zahlt 
nicht mit, da es sich nie ändert. An einem stillen Wasser 
sitzt ein stiller Fischer, und gegenüber in der Schule, 
deren Mauern im Wasser stehen, buchstabieren die Kin- 
der in leierigem Ton. Und über eine steinerne Brücke 
geht, im Wasser sich spiegelnd, Madam Potjeer, mit 
aufgespanntem Regenschirm und dem Affenpinscher an 
der Leine. Diese Madam ist es, auch wieder eine Ver- 
wandte von De Pijpelaere, die die Kinder nachmachen, 
wenn sie ‚reiche Madam‘ spielen. Plötzlich bricht durch 
die Stille ein heftiges, lautes Gerassel! Diesmal ist es 
nicht die Kleinbahn. Es ist eine lange Reihe von Wagen, 
die Männer von Heyst-op-den-Berg, die vom Frühmarkt 
aus Antwerpen zurückkehren. Sämtliche Fuhrleute schla- 
fen ganz beruhigt, denn die Pferde wissen den Weg und 
werden niemanden überfahren, es ist ja niemand da 
außer Madam Potjeer, die sich zurückzieht in eine kleine 
Kirche, wo Kerzen brennen. Dann fällt die Stille wieder 
seufzend über die Stadt, und eine kleine Hammersym- 
phonie klingt durch die sonnigen Straßen: ein Schmiede- 
hammer aus einer schwarzen Höhle, wo eine rote Flamme 
faucht, der summende Hammer eines Steinhauers, kurz 
und eigensinnig der Hammer eines Schusters und der 
helltsnende Hammer eines Kupferschmiedes. 

Mit dieser Musik vermischt sich das Glockenspiel des 
Turmes: „Und auf dem Großen Markt verkauft ein 
Bauer Rüben ...‘“ Pappeln zittern über alten Kloster- 
mauern, hinter denen Mönche im sonnigen Garten das 
Brevier beten. Der starke Geruch der Brauereien dampft 
warm aus engen Gassen und kündigt wieder frisches 


69 


Bier an. Ein Wagen mit Speise-Eis, mit Schnitzwerk ver- 
sehen wie eine Orgel, in winterlichen Farben gemalt und 
sogar mit Spiegeln ausgestattet, verkauft süße Magen- 
kühle. Zwischen zwei Heftfäden kommt der Schneider- 
Barbier Opdewip eine Waffel ablecken und nimmt noch 
eine zweite mit. Der Eismann schiebt seinen Wagen in 
die engen Gassen des Arbeiterviertels. Während die an- 
deren Straßen still und verlassen daliegen, wimmelt es 
hier von Menschen. Die Frauen klöppeln vor der Tir; 
vor jedem Hause stehen Kissen, die ganze Straße ent- 
lang, und schleppende Lieder begleiten das träge Wach- 
sen der Spitzenblumen. Zwischen lauter Lumpen, im 
Geruch von Heringen und Zwiebeln, entfalten sich die 
weißen Spitzenherrlichkeiten, voll von wunderbaren Blu- 
men, Ranken und Schnörkeln, wie Märchen von Schnee, 
die später von Prinzessinnen und Königinnen bewundert 
und getragen werden. In einer Gasse herrscht Streit. 
Eine Spitzenklöpplerin wütet mit schäumendem Munde 
gegen einen Kaninchenfellhändler. Er sagt fortwährend 
einfach und trocken: „Fein Theres, blöde Gans; fein 
Theres, blöde Gans.“ Die Zuschauer biegen sich vor 
Lachen, und die Frau platzt bald vor Wut. Ei! die vielen 
Leute dort, und der Eiswagen rollt lockend darauf zu. 
Acht Soldaten schieben einen leeren Wagen zur rosig 
gekalkten Kaserne hin. Man muß unwillkürlich an das 
Gebet denken: ‚Abends wenn wir schlafen gehn.‘ Aber 
hier sind es zwei die schieben, zwei die ziehen, zwei die 
gähnen, zwei die sich recken. Und so ist es allmählich 
vier Uhr geworden und Zeit für die dicken Butterbrote 
und den Kaffee, der bereits seinen Duft in Wolken aus 


19 


den Türen treibt. Das Städtchen reibt sich den Mittag- 
schlaf aus den Augen. Die Schulen speien lärmende Kin- 
der aus, es gibt ein Rennen und Rufen, und Leute gehen 
spazieren auf dem Wall. Züge fahren ein, die Lumpen- 
Sammler kehren zurück, und während auf Markt und 
Wall die Kinder ihre Spiele treiben, sich ein Weilchen 
mäßigend, wenn ein Polizist heransilbert, werden die 
Vorbereitungen getroffen für das nächste Essen um sie- 
ben Uhr. Oh, diese gesunde Luft! Die Wirtinnen wa- 
schen ihr Gesicht und binden eine saubere Schürze um, 
denn jetzt wird die Bierkundschaft gleich erscheinen. 
Mit dem Ave-Läuten und der Dämmerung legt sich eine 
wehmütige Stimmung über die alten Giebelhäuser, wäh- 
rend die Kirche dort oben über den Dächern noch einmal 
triumphiert im letzten Sonnengold und ihre bronzene 
Glocke zur Abendandacht ruft. Die Fledermäuse kom- 
men zum Vorschein, und die Windmühlen hören auf zu 
gehen. Überall setzen sich die Leute vor der Tür auf 
Bänke und Stühle; kleine Gruppen wandern über die 
Hauptstraße dem gelben Bahnhof oder der kühlen Nethe 
zu. Die Lampen werden angezündet, und auch die La- 
ternen vor den Heiligen über den Läden und vor den 
Madonnen. Dann tritt der heilige Franz, ein Einfalts- 
pinsel, seine tägliche Runde an. Vor jedem Madonnen- 
bild kniet er nieder und betet für die Sünden der Men- 
schen. Inzwischen ziehen sich die Liebespaare auf den 
dunklen Wall oder in die einsamen Alleen vor der Stadt 
zurück, und die Wirtshäuser werden besucht. Die Wir- 
tinnen haben sich nicht umsonst gewaschen. Karten-, 
Schach- und Billardspieler, Taubenziichter, Sänger, Po- 


7} 


litiker, Musik- und Theaterfreunde, Sparvereinsmitglie- 
der, Rekordraucher, Angler, Kegelbriider, Zweizentner- 
leute und was weiß ich noch, halten Versammlungen 
oder Übungen ab. Wenn drei Männer zusammen sind, 
wird ein Verein gegründet, und alles muß geschehen, ist 
gar nicht anders denkbar als bei einem kräftigen Glas 
Malzbier und einer guten Pfeife und mit der Aussicht 
auf zwei Festessen. Bei dem guten Bier werden dann 
Witze erzählt und gelacht auf Kosten derer, die nicht 
dabei sind, und Versammlungen und Übungen werden 
auf den nächsten Tag verschoben. Die Männer erzählen 
diese Dinge ihren Frauen im Bett, und die erzählen sie 
dann am frühen Morgen anderen Frauen in den Läden, 
bei der Pumpe oder am Sandkarren. 

In den engen Gassen, am Rande der Stadt, sitzen die 
Mannsleute unter den Madonnen und dem Kruzifix und 
unterhalten sich in saftigen Kraftausdrücken über Tau- 
ben, prunken mit ihrer Kraft und ersinnen Späße, um 
sich gegenseitig zu foppen. Die Kinder spielen Ringel- 
Reihe, Blindekuh und Dritten-Mann-Abschlagen, wäh- 
rend die Frauen auf den Türschwellen hocken und über 
Wöchnerinnen und verkrachte Ehen klatschen. 

Bei diesem guten Wetter ist alles draußen. Die Luft 
fließt wie ein Getränk in den Mund, und der Himmel, 
der gestern noch verschlossen war, ist weit offen und 
zeigt seine tausend Kerzen. Aber ist da nicht irgendwo 
Musik ? Hört! Wahrhaftig! Und aus Häusern und Stra- 
Ben läuft das Volk den Musikanten entgegen. Auf dem 
Fischmarkt sind sie, wo es nur Freitags nach Fisch 
riecht. Es sind ein paar junge Leute, die sich zufällig zu- 


72 


Stammhaus der Familie Rothschildin Frankfurt 


a mn am —— 


sammengefunden haben: eine Klarinette, eine Trom- 
mel, ein Klapphorn und ein Bombardon. Spielend be- 
gleiten sie den mit Ehrenzeichen geschmiickten Jef Pal- 
jas, der einen leeren Wagen schiebt. „Was gibts?“ fra- 
gen die Leute, und die prompte Antwort lautet: ,,Jef 
darf nicht bei seiner Frau schlafen, sie will ihre Zimmer- 
tür nicht aufmachen, und nun holt er seine Möbel wieder 
ab, und ich gehe mit!“ „Ich auch!“ „Ich auch!“ Der Zug 
wächst zusehends an unter dem Spielen und Singen eines 
lustigen Volksliedes. Das ganze Storchhalsgäßchen steht 
auf dem Kopf; man hilft Jef Paljas beim Aufladen sei- 
ner Möbel, während die Frau sich, man weiß nicht war- 
um, hinter der dichtgeschlossenen Türe auf ihrem Zim- 
mer hält. Als alles aufgeladen ist, will er mit seinem 
Zeug davonfahren, aber einige Männer ergreifen ihn, 
heben ihn ganz oben auf einen kleinen Küchenschrank, 
und nun sitzt er dort wie ein Affe mit glitzernden 
Ehrenzeichen. Die Musik spielt, die Leute singen und 
tanzen hinter dem Wagen her, die Kinder voran, und 
so gehts nach der Wohnung von Jef Paljas, der nach- 
her ein Faß Bier spendiert in den ‚Drei Maul- 
affen‘. 

Hinter den zarten Tiirmchen der Kirche erhebt sich der 
Mond wie eine geheimnisvolle Blume, und Speckzehe 
begibt sich wieder an die Nethe, um zu fischen. Türen 
und Fensterläden werden geschlossen, und wenn der 
Kleinbahnzug um neun Uhr noch einmal leer durch die 
Straßen keucht, dann schläft die Stadt ruckweise wieder 
ein. Um zehn Uhr ist alles still und verschlossen. Hier 
und da sieht man auf einem herabgelassenen Vorhang 


73 


den Schattenriß einer Frau, die sich die Haare kämmt, 
und in den Wirtshäusern herrscht noch gedämpftes Ru- 
moren. Der Mond wirft die Schatten der verschnörkel- 
ten Giebel auf die Giebel der gegenüberliegenden Häu- 
ser und versilbert den Schaum der immer brausenden 
Wassermühle. Der letzte, der die Kneipe verläßt, so 
gegen zwölf, ist Gommarus Nollekens, Böttcher, Drechs- 
ler und Schnitzer von Spekulatiusformen. Er spricht mit 
seiner Kundschaft in Reimen und macht "Theaterstücke 
in Versen, wie: ‚Der Fall Babylons‘; jetzt arbeitet er 
an einer Geschichte der Stadt in Reimen. 

Als er seine Tür geschlossen hat, ist alles zu. Damit ist 
der Tag völlig zu Ende. Auf dem singenden, mond- 
hellen Turm bläst der Wächter sein eintöniges: ,,Schla- 
fet wohl!“ und der Straßennachtwächter Suske Niks 
sitzt, seine Lanze im Arm, in einem Bedürfnishäuschen 
und schläft. Er wird wieder keine Diebe zu Gesicht be- 
kommen. 

Aber zur Jahreswende bringt er seinen gedruckten, ge- 
reimten Neujahrsbrief, auf dem Jahr für Jahr dasselbe 


zu lesen ist, unter anderem: 


„Ihr Bürger, fürchtet nicht die Nacht, 
Wir naiten euch getreu die Wacht!“ 


Übertragen von Peter Mertens 


74 


ZWEI GEDICHTE 
VON RICARDA HUCH 


Mondnacht 


Eine gelbe Eule uralt 

Durch den Tannenwald streicht 
Lautlosen Flugs bei Nacht, 

Auf Beute paßt. 

Der Mond ists; klettert von Ast zu Ast, 
Behend und leicht, 

Kein Zweiglein kracht. 

Nun ist sie droben, die Mörderin, 

Hält das Mäuslein umkrallt, 


Fliegt lautlos über die blauen Wipfel hin. 


ak 


Wie du von Schénheit schaumst, 
Herrlicher Becher Welt! 
Noch den Rand, der die Fülle kaum hält, 


Golden umsäumst! 


Meine Lippen trinken beglückt, 

Was der feurige Tag mir mischt; 
Wenn die Sonne erlischt | 

Von Sternen die Nacht noch durchzückt. 


Rausche fort, rausche fort, edle Flut, 
Schenk mir voll ein, schaffendes Licht! 
Bis der Becher zerbricht, 

Und gesättigt die Seele ruht. . 


* 


75 


DIE SEELE UND DER TANZ 
VON PAUL VALERY 


Sokrates: Hast du nicht den Eindruck, Eryximachos, 
und auch du, mein lieber Phaidros, daß das Geschöpf, 
das dorten ausschwingt und sich anbetenswürdig in un- 
seren Blicken bewegt, daß diese glühende Athikte, die 
sich verteilt und wieder zusammennimmt, die sich auf- 
hebt und einsinkt in sich selbst, die sich mit solcher Ge- 
schwindigkeit öffnet und schließt, und die anderen 
Raumbeziehungen anzugehören scheint als den unsrigen, 
— den Anschein erweckt, als fühle sie sich wohl und 
lebe ganz und gar in einem dem Feuer vergleichbaren 
Element —, in einer sehr besonderen Durchdringung 
von Bewegung und Musik, darin sie eine unerschöpfliche 
Kraft einatmet, während sie selbst mit ihrem ganzen 
Wesen den reinen und unmittelbaren Andrang der 
äußersten Seligkeit genießt? — Wenn es uns einfiele, 
unsere gewichtige und ernsthafte Lage mit dem Zustand 
dieses funkelnden Salamanders zu vergleichen, würde 
sich dann nicht herausstellen, daß unsere gewöhnlichen 
Handlungen, wie sie nach und nach aus unseren Be- 
dürfnissen hervorgehen, daß unsere Gebärden und un- 
sere gelegentlichen Bewegungen wie ein grober Roh- 
stoff seien, wie eine aus Unreinem gemachte Dauer, — 
während diese Entzückung und Schwingung des Lebens, 
während diese unübertreffliche Spannung, dieses Hin- 
gerissensein in die höchste Beweglichkeit, deren man 
fähig ist, die Eigenschaften und Kräfte der Flamme be- 
sitzt, und daß alles, was Schande ist, Überdruß, Nich- 


76 


tigkeit, und der ganze einténige Unterhalt des Daseins 
sich darin aufzehrt, so daß in unseren Augen der Glanz 
des Göttlichen sich spiegelt, das in einer Sterblichen 
Platz hat? 

Phaidros: Bewunderungswürdiger Sokrates, schnell, 
sieh, bis zu welchem Grade du recht hast! ... Sieh die 
Bebende! Als ob der Tanz wie eine Flamme aus ihr 
schlüge! 

Sokrates: O Flamme! ... 

— Dieses Mädchen ist vielleicht die Dummheit selbst? ... 
O Flamme! ... 

— Wer weiß, aus was für abergläubischen Narrheiten 
und Possen ihre tägliche Seele besteht’? 

O Flamme, immerhin! ... Wacher und göttlicher Ge- 
genstand! ... 

Aber was ist eine Flamme, o meine Freunde, wenn niċht 
der Augenblick selbst? — Das Tolle, das Aus- 
gelassene, das Furchtbare, das Augenblicke enthält! ... 
Wenn dieser Augenblick zwischen der Erde und dem 
Himmel zu handeln beginnt, so ist das Flamme. Alles, 
o meine Freunde, was aus dem Zustand der Schwere in 
den Zustand der Schwebe übergeht, muß durch diesen 
Augenblick aus Feuer und Licht ... 

Und Flamme, ist sie nicht auch die unfaßliche und stolze 
Gestalt der edelsten Zerstörung? — Das, was nie wie- 
der geschehen wird, geschieht prunkvoll vor unseren 
Augen! — Das, was nie wieder geschehen wird, muß 
notwendig mit dem größten Prunk geschehen, der sich 
denken läßt! — Wie die Stimme blindlings singt, wie 
die Flamme singt, ganz außer sich zwischen Stoff und 


77 


Ather, und vom Stoff zum Ather grollend und wiitend 
sich hinüberstürzt, — ist der große Tanz, o meine 
Freunde, nicht eigentlich die Befreiung unseres Körpers, 
der ganz besessen ist vom Geist der Lüge und von der 
Musik, die Lüge ist, und der sich trunken fühlt in der 
Verneinung der nichtigen Wirklichkeit? — Seht mir 
diesen Körper, der aus sich springt wie eine Folge sich 
gegenseitig verdrängender Flammen, seht, wie er nieder- 
stampft und mit Füßen tritt, was wahr ist! Wie er die 
Stelle selbst, auf der er steht, in freudiger Wut vernich- 
tet, wie er sich berauscht an der Übertreibung seiner 
Verwandlungen! Wie er gegen den Geist kämpft! Seht 
ihr nicht, wie er mit der Seele wetteifern will an Schnel- 
ligkeit und Wechsel? — Er ist eigentümlich eifersüch- 
tig auf diese Freiheit, auf diese Allgegenwärtigkeit, die 
der Geist zu besitzen scheint! ... 

Ohne Zweifel, der einzige und ständige Gegenstand der 
Seele ist das, was es nicht gibt: das, was war, und nicht 
mehr ist; — das, was sein wird, und noch nicht ist; — 
das Mögliche, das Unmögliche, — das alles ist Sache 
der Seele, aber niemals, niemals das, was ist! 

Und der Körper, der das ist, was ist, auf einmal kann 
er sich nicht mehr halten im Raum! — Wohin sich wer- 
fen? — Was werden ? — Dieses eine versucht das Spiel, 
alles zu sein. Er will es spielend der Allgegenwärtig- 
keit der Seele gleichtun! Er sucht eine Abhilfe gegen 
sein Sich-selbst-gleich-sein durch die Zahl seiner Akte! 
Das Ding, das er ist, bricht auf in Ereignisse! — Er 
gerät außer sich! — Und wie der erregte Gedanke an 
alle Dinge rührt, zittert zwischen Zeit und Augenblick 


78 


und alle Unterschiede überspringt; und wie in unserem 
Geist sich symmetrisch die Vermutungen ausbilden, wie 
die verschiedenen Grade des Möglichen sich in Reihen 
aufstellen und gezählt werden, — so beutet dieser Kör- 
per sich aus in allen seinen Teilen, findet neue Zusam- 
menstellungen mit sich selbst, gibt sich Gestalt um Ge- 
stalt und geht unaufhörlich aus sich hinaus! ... Nun 
hat er endlich den Zustand erreicht, da er der Flamme 
vergleichbar wird, mitten in einem Wechsel, der ganz 
Handlung ist ... Unmöglich, noch von „Bewegung“ zu 
sprechen ... Die Glieder sind nicht mehr von den Akten 
zu unterscheiden ... 

Diese Frau, die da war, ist verschlungen von unzähligen 
Gestalten ... Dieser Körper in den Ausbrüchen seiner 
Kraft bringt mir einen äußersten Gedanken in Vor- 
schlag: ähnlich wie wir von unserer Seele Dinge verlan- 
gen, für die sie nicht gemacht ist, wie wir von ihr for- 
dern, daß sie uns erleuchte, daß sie wahrsage, daß sie 
die Zukunft errate, ja, sie sogar beschwören, Gott zu 
entdecken, — so macht dieser Körper da Anspruch auf 
eine vollkommene Besitzergreifung seiner selbst, auf 
einen Grad von Ruhm, der über das Natürliche hinaus- 
geht ... Aber es verhält sich mit ihm wie mit der Seele, 
für die Gott, die Weisheit und die Tiefe, die man von 
ihr verlangt, nichts als Augenblicke sind und sein kön- 
nen, Blitze, Bruchstücke einer fremden Zeit, verzwei- 
felte Sprünge aus den Grenzen der Gestalt ... 
Phaidros: Sieh doch, sieh! ... Dort tanzt sie und 
schenkt den Augen, was du hier zu sagen versuchst ... 
Sie macht den Augenblick sichtbar ... Und durch was 


79 


fir Edelsteine geht sie hindurch! ... Sie wirft ihre Ge- 
barden aus wie Glanz um Glanz! ... Sie entwendet 
der Natur unmögliche Haltungen vor den eigenen 
Augen der Zeit! ... Und die Zeit läßt sich täuschen ... 
Ungestraft schreitet sie durch das Undenkbare ... Sie 
ist göttlich im Unaufhaltsamen und bringt es unseren 
Augen zum Geschenk! ... 

Eryximachos: Der Augenblick gebiert die Form, und 
die Form macht den Augenblick sichtbar. 

Phaidros: Sie flieht von ihrem Schatten in die 
Lüfte! 

Sokrates: Wir sehen sie immer nur wie im Sturz ... 
Eryximachos: Sie hat aus ihrem Körper etwas ge- 
macht, was so gelöst ist und so gebunden wie eine ge- 
schickte Hand... Meine Hand allein kann dieses Sich- 
besitzen und die Festigkeit ihres ganzen Körpers nach- 
ahmen... 

Sokrates: O meine Freunde, fühlt ihr euch nicht ruck- 
weis geschiittelt vom Rausch und wie durch wiederholte, 
immer stärkere Stöße den übrigen Genossen ähnlich wer- 
den, die es kaum auf ihren Plätzen aushalten und nicht 
mehr fähig sind, ihre Dämonen in Stille und Versteck 
zu halten? Ich selbst, ich fühle mich von außerordent- 
lichen Kräften ergriffen ... oder vielmehr, ich fühle sie 
aus mir ausbrechen, aus mir, der ich nicht wußte, daß 
ich sie besitze. In einer Welt, die ganz Ton ist, Wider- 
hall und Absprung, bietet dieses eindringliche Fest des 
Körpers unseren Seelen ein Schauspiel von Licht und 
Freude ... Alles ist feierlicher, alles ist leichter, leb- 
hafter und stärker; alles ist möglich auf eine andere 


80 


Weise; alles kann, ohne Ende, wieder anfangen ... 
Nichts widersteht dieser Abwechslung des Betonten und 
Unbetonten ... Schlagt zu, schlagt zu! ... Der Stoff, 
geklopft, geschlagen, gestoßen im Takt; Schlag um 
Schlag wider die Erde; die Felle und die Saiten wohl- 
gespannt und geschlagen; Handflächen und Fersen 
schlagen und klopfen die Zeit, schmieden Freude und 
Übermut; und alle Dinge herrschen in einem schön- 
geordneten Wahnsinn. 

Aber die wachsende und aufspringende Freude droht 
alle Maße zu überfluten, erschüttert wie ein Sturmbock 
die Mauern, die zwischen den Wesen sind. Männer und 
Frauen, im Takt, reißen den Gesang mit sich fort in 
den Tumult. Alle schlagen und singen zugleich, und 
etwas nimmt zu und überhand ... Ich höre das Getös 
aller der glänzenden Waffen des Lebens! ... Die Zim- 
beln zerdrücken an unseren Ohren jede Stimme der 
heimlichen Gedanken. Sie sind lärmend wie Küsse von 
ehernen Lippen .. 

Eryximachos: toen zeigt Athikte eine letzte Fi- 
gur. Ihr ganzer Körper verschiebt sich, aufruhend auf 
der Kraft der großen Zehe. 

Phaidros: Diese Zehe, die sie ganz allein trägt, be- 
arbeitet das ‘Trommelfell des Bodens, wie der Daumen 
die Trommel. Welche Aufmerksamkeit ist in dieser 
Zehe, welcher Wille strammt sie und hält sie auf ihrer 
Spitze! ... Aber jetzt dreht sie um sich selbst ... 
Sokrates: Ja, sie dreht um sich selbst, — und die von 
ewig her verbundenen Dinge beginnen sich zu trennen. 


Sie dreht und dreht ... 


81 


Eryximachos: Das heißt wirklich vordringen in eine 
andere Welt... 

Sokrates: Darüber hinaus bleibt nichts zu versuchen 
... Sie dreht, und alles Sichtbare fällt ab von ihrer Seele; 
der Schlamm ihrer Seele scheidet sich endlich vom Rein- 
sten; Menschen und Dinge sind im Begriff, um sie her- 
unı im Kreis einen formlosen Niederschlag zu bilden... 
Seht ihr ... Sie dreht ... Ein Körper, durch seine bloße 
Kraft, durch seine Handlung, ist mächtig genug, das 
Wesen der Dinge gründlicher zu verändern, als es je- 
mals dem Geist in seinen Untersuchungen und Trau- 
men gelingt! 

Phaidros: Es sieht aus, als könne das ewig dauern. 
Sokrates: Sie könnte sterben in diesem Zustand... 
Eryximachos: Schlafen, vielleicht, einschlafen in 
einen magnetischen Schlaf... 

Sokrates: Unbeweglich würde sie ruhn in der Mitte 
ihrer Bewegung. Ganz für sich, ganz für sich, gleich 
der Weltachse ... 

Phaidros: Sie dreht, sie dreht ... Sie fällt! 
Sokrates: Sie ist gefallen! 

Phaidros: Sie ist tot... 

Sokrates: Sie hat ihre Hilfskräfte erschöpft und den 
heimlichsten Schatz in ihrem Gewebe! 

Phaidros: Götter! Sie kann sterben ... Eryximachos, 
schnell! ... | 
Eryximachos: Ich pflege nicht mich zu eilen unter 
dergleichen Umständen! Wenn die Dinge sich einrich- 
ten sollen, so schickt es sich, daß der Arzt sie nicht 
störe, sondern eben eintreffe einen winzig kleinen Mo- 


82 


ment vor der Wiederherstellung, im gleichen Schritt mit 
den Göttern. 

Sokrates: Man sollte immerhin zusehen. 
Phaidros: Wie weiß sie ist! 

Eryximachos: Lassen wir die Ruhe wirken, die sie 
heilen soll von der Bewegung. 

Phaidros: Du glaubst, sie ist nicht tot? 
Eryximachos: Sieh diese kleine Brust, die nichts ver- 
langt, als zu leben. Sieh, wie sie leicht zittert und hängt 
an der Zeit... 

Phaidros: Ich seh es nur zu sehr. 

Eryximachos: Sie hat gesagt: „Wie wohl mir ist!“ 
Flügel, bevor er wieder auffliegt. 

Sokrates: Sie scheint ziemlich glücklich. 

Phaidros: Was hat sie gesagt? 

Sokrates: Etwas für sich allein. 

Eryximachos: Sie hat gesagt: „Wie wohl mir ist!“ 
Phaidros: Der kleine Haufen von Gliedern und Tü- 
chern rührt sich . 

Eryximachos: Nur, Kleine, mein Kind, machen wir 
mal die Augen auf. Wie fühlst du dich jetzt? 
Athikte: Ich fühle nichts. Ich bin nicht tot. Und doch, 
ich bin nicht lebendig! 

Sokrates: Von wo kommst du zurück? 

Athikte: Zuflucht, Zuflucht, o meine Zuflucht, o Wir- 
bel! — Ich war in dir, o Bewegung, en außer- 


halb aller Dinge .. 


Aus dr Einleitung zu „Eupalinos“ von Paul Valéry 
übertragen von Rainer Maria Rilke 


ak 


83 


EINE PREDIGT MEISTER ECKHARTS 


Warum wir sogar Gottes ledig werden sollen 


Man heißt einen „geistlich Armen“ denjenigen, wel- 
cher nichts will. Diesen Sinn verstehen etliche Leute 
falsch, — jene Leute nämlich, die mit Pönitenz und 
äußerlicher Übung doch nur ihr Eigenwesen beibehalten. 
Daß die Leute für groß geachtet werden, des erbarme 
Gott! Wie erkennen sie doch so wenig von der gött- 
lichen Wahrheit! Diese Menschen heißen heilig wegen 
der Figur, die sie nach außen machen, aber von innen 
sind sie Esel, denn sie erfassen gar nicht den eigentlichen 
Sinn der göttlichen Wahrheit. Diese Leute sagen wohl, 
wer nichts wolle, sei ein geistlich Armer; sie fassen das 
aber so auf, als müsse der Mensch derart beschaffen sein, 
daß er nimmer und in gar nichts mehr seinen eigenen 
Willen erfülle, sondern danach trachte, G ottes liebsten 
Willen zu erfüllen. Diese Menschen sind nicht übel 
dran, denn sie meinen es gut; wir wollen sie darum lo- 
ben, — Gott in seiner Barmherzigkeit wird ihnen wohl 
das Himmelreich gewähren. 

Ich aber sage in vollem Ernst, daß diese Leute keine 
im wahren Sinne geistlich armen Menschen sind und 
ihnen auch nicht gleichen. Sie gelten nur für groß in 
der Leute Augen, die sich auf nichts Besseres verstehen. 
Doch ich behaupte, daß sie Esel sind, welche die gött- 
liche Wahrheit gar nicht erfaßt haben. Mit ihren guten 
Absichten mögen sie vielleicht das Himmelreich bekom- 
men; aber die Armut, über die ich jetzt sprechen will, 
von der wissen sie nichts. 


84 


Wenn man mich nun fragte, was denn das eigentlich 
sei: „ein armer Mensch, der nichts will“, darauf ant- 
worte ich und spreche also: Solange der Mensch noch 
in der Verfassung steht, daß er den Willen hat, Gottes 
allerliebsten Willen erfüllen zu wollen, solange hat er 
nicht die Armut, von der wir sprechen wollen; denn 
dieser Mensch hat ja noch einen Willen, mit dem er dem 
Willen Gottes Genüge tun will, und das ist das Rechte 
nicht. Denn soll der Mensch wahrhaft arm sein, so muß 
er seines geschöpflichen Willens so ledig sein, wie ers 
war, als er noch nicht war. Und ich sage euch bei der 
ewigen Wahrheit, solange ihr den Willen habt, den 
Willen Gottes zu erfüllen, und solange ihr noch irgend- 
ein Begehren habt nach der Ewigkeit und nach Gott, 
solange seid ihr noch gar nicht geistlich arm. Denn das 
nur ist ein armer Mensch, der nichts will und nichts 
begehrt. 

Da ich noch stund in meiner ersten Ursache, da hatte 
ich keinen Gott, — da gehörte ich mir selber. Ich wollte 
nichts, ich begehrte nichts, denn ich war da ein lediges 
Sein und ein Erkenner meiner selbst nach göttlicher 
Wahrheit. Da wollte ich mich selbst und wollte nichts 
anderes; was ich wollte, das war ich, was ich war, das 
wollte ich, — hier stand ich Gottes und aller Dinge ledig. 
Als ich aber aus meinem freien Willen herausging und 
mein geschaffenes Wesen empfing, da hatte ich einen 
Gott; denn ehe die Kreaturen waren, war Gott nicht 
Gott: erwar,was er war. Als die Kreaturen wurden und 
ihr geschöpfliches Wesen empfingen, da war Gott nicht in 


sich selber Gott, sondern in den Kreaturen war er Gott. 


85 


Und nun behaupten wir: Gott, soweit er nur Gott ist, 
ist nicht das höchste Ziel der Schöpfung und hat nicht 
einmal so große Wesensfülle, wie die geringste Kreatur 
in Gott sie besitzt! Und wäre es, daß eine Fliege Ver- 
nunft hätte und mit Vernunft zu suchen vermöchte den 
ewigen Abgrund göttlichen Wesens, aus dem sie ge- 
kommen ist, so sagen wir: Gott mit alledem, was er als 
Gott ist, könnte Erfüllung und Genügen nicht einmal 
dieser Fliege geben! Darum bitten wir, daß wir Gottes 
ledig werden und nehmen die Wahrheit und genießen 
die Ewigkeit, in der die obersten Engel und die Fliegen 
und die Seelen gleich sind und wo auch ich stand, als 
ich noch wollte, was ich war, und war, was ich wollte. 
In diesem Sinne soll der Mensch arm sein an Willen 
und so wenig wollen und begehren, wie er wollte und 
begehrte, als er noch nicht war. In dieser Weise ist der 
Mensch arm, der „nichts will“ . 

Nun gebt scharf acht! Ich hab es sok gesagt, und große 
Meister sagen es auch: Der Mensch solle aller Dinge 
und Werke, innerlicher wie äußerlicher, so ledig sein, 
daß er eine eigene Stätte Gottes sein könnte, darin Gott 
wirken könnte. Jetzt aber sagen wir anders. Ist das der 
Fall, daß der Mensch aller Dinge ledig steht, aller Krea- 
turen und seiner selbst und Gottes, und steht es so mit 
ihm, daß Gott in ihm eine Stätte zum Wirken findet, so 
sagen wir: Solange es noch so etwas gibt im Menschen, 
ist der Mensch nicht arm in der innerlichsten Armut. 
Denn Gott zielt mit seinem Wirken nicht darauf, daß 
der Mensch in sich eine Stätte habe, darin Gott wirken 
könnte; sondern das nur ist Armut des Geistes, wenn 


86 


der Mensch so ledig steht Gottes und aller seiner Werke, 
daß, wollte Gott in der Seele wirken, er dann selber die 
Stätte sein müßte, darin er wirken möchte, — und das 
Gre er gewiß gerne. Denn fände Gott. den Menschen in 
solcher Weise arm, so müßte Gott sein eigenes Wirken 
über sich ergehen lassen und wäre selber die Stätte seines 
Wirkens, eben darum, weil er ja ein Wirken in sich 
selber ist. Allhier, in dieser Armut, erlangt der Mensch 
das ewige Sein wieder, das er gewesen ist, das er nun- 
mehr ist und als das er ewiglich leben wird. 

Wir sagen also, der Mensch muß so arm stehen, daß er 
nicht sei noch in sich habe eine Stätte, darin Gott wirken 
könnte. Solange der Mensch noch irgendeine Stätte in 
sich behält, behält er auch noch Unterschied. Darum 
bitte ich Gott, daß er mich Gottes quitt mache;. denn 
mein wesenhaffes Sein ist über Gott und über allem 
Unterschied: da war ich ich selber, da wollte ich mich 
selber und erkannte mich selber, um diesen Menschen 
hier zu machen. Und darum bin ich meine eigene 
Ursache meinem Wesen nach, das ewig ist, — nicht 
aber meinem Werden nach, das zeitlich ist. Darum 
bin ich geboren, und nach meiner ewigen Geburt 
Weise vermag ich nimmermehr zu sterben. Nach mei- 
ner ewigen Geburt Weise bin ich ewiglich gewesen, 
bin ich jetzt und werde ich ewiglich bleiben. Was ich als 
zeitliches Geschöpf bin, das wird sterben und zunichte 
werden, denn es ist der Zeit verfallen; darum muß es 
mit der Zeit verderben. In meiner ewigen Geburt aber 
wurden alle Dinge geboren, — hier war ich Ursache 
meiner selbst und aller Dinge. Wenn ichs hier gewollt 


87 


hätte, so ware weder ich noch die ganze Welt, und wenn 
ich nicht wäre und die ganze Welt nicht wäre, dann 
wäre auch Gott nicht; daß Gott Gott ist, dessen bin ich 
eine Ursache, — wäre ich nicht, so wäre Gott nicht 
Gott. 

Ein großer Meister sagt: Sein Durchbrechen sei edler 
denn sein Entquellen. Das ist wahr. Als ich aus Gott 
floß, da sprachen alle Dinge: Gott ist. Nun kann mich 
das nicht selig machen; denn hierbei erkenne ich mich 
nur als Kreatur. Aber in dem Durchbrechen, da ich ledig 
stehen will im Willen Gottes, da ich ledig stehe sogar 
des Gotteswillens und aller seiner Werke, ja Gottes 
selber, da bin ich über allen Kreaturen, bin weder Gott 
noch Kreatur, sondern bin, was ich war und was ich blei- 
ben werde nun und immerdar. Da empfange ich einen 
Ruck, der mich bringen soll über alle Engel. In diesem 
Ruck empfange ich so großen Reichtum, daß Gott mir 
nicht genug sein kann mit allem, was er als Gott ist, nach 
allen seinen göttlichen Werken; denn ich empfange in 
diesem Durchbrechen, daß ich und Gott eins sind. Da 
bin ich, was ich war, da nehme ich weder ab noch zu, 
denn ich bin da eine unbewegliche Ursache, die alle 
Dinge bewegt. Allhier findet Gott keine ,,Statte mehr 
im Menschen, denn der Mensch erringt mit seiner Armut, 
was er ewiglich gewesen ist und immer bleiben wird. 
Allhier ist Gott mit dem Geiste eins, und das ist die 
innerlichste Armut, die man finden kann. 

Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz 
nicht damit. Solange nämlich der Mensch nicht selber 
dieser Wahrheit gleicht, solange wird er diese Rede nicht 


88 


Rottweil 


Madonna vom Kapellenturm in 


Digitized by Google 


verstehen. Denn es ist eine unbedachte Wahrheit, die da 
kommen ist aus dem Herzen Gottes, unmittelbar. 
So leben zu dürfen, daß wir es ewiglich erfahren, dazu 


helfe uns Gott! Amen. 


Aus dem neuesten und letzten Band des „Domes“: 
Meister Eckhart 


ak 


DREI NACHGELASSENE GEDICHTE 
VON RAINER MARIA RILKE 


Wendung 


Lange errang ers im Anschaun. 
Sterne brachen ins Knie 

unter dem ringenden Aufblick. 
Oder er anschaute knieend, 
und seines Instands Duft 
machte ein Göttliches müd, 

daß es ihm lächelte, schlafend. 


Türme schaute er so, 

daß sie erschraken: 

wieder sie bauend hinan, plötzlich, in Einem. 
Aber wie oft die vom Tag 

überladene Landschaft 

ruhete hin in sein stilles Gewahren, abends. 


Tiere traten getrost 

in den offenen Blick, weidende, 

und die gefangenen Löwen 

starrten hinein wie in unbegreifliche Freiheit; 


89 


Vögel durchflogen ihn grad, 
den gemiitigen. Blumen 
wiederschauten in ihn 

groß wie in Kinder. 


Und das Gerücht, daß ein Schauender sei, 
rührte die minder 

fraglicher Sichtbaren, 

rührte die Frauen. 


Schauend wie lang? 
Seit wie lange schon innig entbehrend, 


flehend im Grunde des Blicks ? 


Wenner, ein Wartender, saß in der Fremde; des Gasthofs 
zerstreutes abgewendetes Zimmer 

mürrisch um sich, und im vermiedenen Spiegel 

wieder das Zimmer 

und später vom quälenden Bett aus 

wieder: 

da beriets in der Luft, 

unfaßbar beriet es 

über sein fühlbares Herz, 

über sein durch den schmerzhaft verschütteten Körper 
dennoch fühlbares Herz 

beriet es und richtete: 

daß er der Liebe nicht habe. 

(Und verwehrte ihm weitere Weihen.) 

Denn des Anschauns, siehe, ist eine Grenze, _ 

und die geschautere Welt 

will in der Liebe gedeihn. 


90 


Werk des Gesichts ist getan, 

tue nun Herzwerk . | 

an den Bildern in dir, jenen gefangenen. Denn du 
überwältigtest sie; aber nun kennst du sie nicht. 
Siehe, innerer Mann, dein inneres Mädchen, 
dieses errungene aus 

tausend Naturen, dieses 

erst nur errungene, nie 

noch geliebte Geschöpf. 


Lé 


Zu der Zeichnung, John Keats im Tode darstellend 


. Nun reicht ans Antlitz dem gestillten Rühmer 
die Ferne aus den offenen Horizonten: 

so fällt der Schmerz, den wir nicht fassen konnten, 
zurück an seinen dunkeln Eigentümer. 


Und dies verharrt, so wie es, leidbetrachtend, 
sich bildete zum freiesten Gebilde, 
noch einen Augenblick, — in neuer Milde 


das Werden selbst und den Verfall verachtend. 


Gesicht: o wessen ? Nicht mehr dieser eben 
noch einverstandenen Zusammenhänge. 

O Aug, das nicht das schönste mehr erzwänge 
der Dinge aus dem abgelehnten Leben. 

O Schwelle der Gesänge, 


o Jugendmund, für immer aufgegeben. 


Und nur die Stirne baut sich etwas dauernd 
hinüber aus verflüchtigten Bezügen, 


QI 


als strafte sie die miiden Locken Ligen, 
die sich an ihr ergeben, zartlich trauernd. 


ak 


W ie der Abendwind durch geschulterte Sensen der 
Schnitter, 
geht der Engel lind durch die schuldlose Schneide der 
Leiden. 
Halt sich stundenlang zur Seite dem finsteren Reiter, 
hat denselben Gang wie die namenlosen Gefühle. 
Steht als Turm am Meer, zu dauern unendlich gesonnen; 
was du fühlst, ist er, im Innern der Härte geschmeidig, 
daß im Notgestein die gedrängte Druse der Tranen, 
lange wasserrein, sich entschlösse zu Amethysten. 


ak 


DIE NACHTIGALL 
VON D. H. LAWRENCE 


Toskana ist das Land der Nachtigallen, und im Frih- 
ling und Sommer singen sie ohne Unterlaß, nur um die 
Mitte der Nacht und um die Mitte das Tages schweigen 
sie. In den vielblättrigen kleinen Hainen, die vom Hügel- 
hang sich über das Bett des Baches neigen, wie wenn 
Venushaar vom Felsen herabhängt, hörst du schon im 
bleichen Dämmerlicht, etwa um vier Uhr in der Frühe, 
wieder ihren hellen Aufschrei: „Hello! Hello! Hello!“ 
Es ist der lichteste Laut, den die Welt kennt. Immer, 
wenn du ihn vernimmst, fühlst du ein Verwundern und 


92 


— auch dies muß gesagt sein — ein Erschauern, weil der 
Klang so licht, so glitzernd ist, und weil so viel Kraft 
in ihm lebt. 

„Das ist die Nachtigall!“ sagst du dann zu dir selbst. 
Es klingt in der Halbhelle, als sprühten aus dem kleinen 
Dickicht die Sterne empor und schössen hinauf in die 
ungeheure Grenzenlosigkeit des Himmelsraumes, um, 
von ihr geborgen, zu entschwinden. Aber der Gesang 
dauert auch nach Sonnenaufgang fort, und immer wie- 
der vernimmst du es mit neuem Erstaunen und fragst 
dich verwundert: Wie um alles in der Welt kann man 
die Nachtigall einen schwermütigen Vogel nennen? 
Sie ist das lauteste, leichtsinnigste, lärmlustigste und 
vergnügteste Geschöpf im ganzen Königreich der Vögel. 
Wie John Keats es fertigbekommen hat, seine „Ode an 
eine Nachtigall“ mit den Worten zu beginnen: „Mein 
Herz wird weh, und schmerzliches Erschlaffen betäubt 
die Sinne mir“ — — das ist ein Geheimnis für jeden, 
der den wahren Klang des Sanges kennt. Und nun deu- 
test du ihren silberhellen Ruf: „Was, was, was, John? 
‚Dein Herz wird weh, und schmerzliches Erschlaffen — ?‘ 
Tra-la-la! Tri-li-lilülilülilülilü !“ 

Und warum die Griechen sagten, die Nachtigall rufe 
im Gebüsch schluchzend nach ihrem (oder ihrer) ver- 
lorenen Geliebten, das weiß ich gleichfalls nicht. „Dschög- 
dschög-dschög !“; schreiben die Schriftsteller des Mittel- 
alters, um das Geriesel der blitzenden Tonperlen in der 
Nachtigallenkehle darzustellen. Es ist ein wilder, prun- 
kender Ton, prunkhafter als die Augen auf dem Pfauen- 
schweif. 


93 


„— — die braune Nachtigall, die lieberfüllte, 
ist halb getröstet schon um Itylos — —“ 

Dieses „Dschög-dschög-dschög!“ so sagen sie, sei das 
Schluchzen der Nachtigall. Wie man es so deuten kann, 
bleibt ein Geheimnis. Wie irgendein Mensch, der die 
Ohren nicht etwa geradezu verkehrt am Kopfe sitzen 
hatte, die Nachtigall ,,schluchzen“ hören konnte, weiß 
ich nicht. 
Jedenfalls: es ist ein männlicher Laut, ein höchst nach- 
drücklich und urkräftig männlicher Laut. Ganz einfach 
ein Sichgeltendmachen. Es ist keine Spur noch ein 
Schatten von Echo und schwächlichem Widerhall darin, 
nichts, was einer dumpfen leisen Glocke gliche. Nichts 
auf der Welt ist so fern vom Gefühl des Verlassenseins. 
Um es in klarer Tatsächlichkeit zu sagen: Die Nachti- 
gall singt mit klingender, scharf» vorstoßender Lebhaf- 
tigkeit und ursprünglicher Selbstbewußtheit, mit einer 
Art von strahlendem Jubel und funkelnder Verflechtung 
des Tongewebes; so muß es im Himmel geklungen haben 
am ersten Schöpfungstage, als die Engel sich plötzlich 
erschaffen fanden und laut jauchzten, bevor sie dessen 
inne wurden. Welch ein Lärmen der Engelstimmen muß 
das gewesen sein in den Hainen des Himmels! 
„Joho, hört! Ich bin da!“ singt die Nachtigall. Schon 
um des Glanzes willen, der in diesem sieghaft selbst- 
bewußten Klanggebilde strahlt, mußt du ihr lauschen. 
Um in der sichtbaren Welt eine gleich vollendete Selbst- 
verkündigung zu finden, mußt du vielleicht einen Pfau 
betrachten, der mit allen bunten Augen seines Schweifes 
prunkt. Von allen zu höchster Glanzentfaltung geschaf- 


94 


fenen Geschöpfen sind diese beiden wohl die allervoll- 
kommensten: das eine im unsichtbaren trrumphierenden 
Klange, das andere in stummer Sichtbarkeit. Die Nach- 
tigall ist, wenn du sie erblickst, ein ganz unscheinbarer, 
graubrauner Vogel, und doch webt um sie der zarte ge- 
heimnisvolle Tanz aus innerer Lebensfülle. So auch der 
Pfau: er wird abscheulich, wenn er sich vernehmbar 
macht, aber du fühlst dich dennoch davon getroffen; es 
ist ein furchtbarer Schrei, der aus der Tiefe des drohen- 
den Dschungels stammt. Und in der Tat siehst du ihn 
auf Ceylon, wie er von hohem Aste herab seinen Schrei 
gellen läßt und dann an den Affen vorüber in das un- 
durchdringliche Dschungel flattert, das finster und voll 
siedender Hitze ist. 

Und vielleicht ist dies — ich meine: diese unverstellte 
selbstbewußte Offenbarung des wahren Wesens, mag 
man ihr Ungestüm engelhaft nennen oder dämonisch —, 
vielleicht ist dies der Grund, weshalb die Nachtigall den 
männlichen Lauscher traurig stimmt; freilich ist diese 
Trauer zur Hälfte Neid. Der Vogel ist voll einer so sieg- 
haften Bejahung in seinem lebendigen Wesen, das ewig 
neu und vollkommen aus der Hand des reichen heiteren 
Schöpfers kommt. Und der Pfau wölbt den Kreis der 
bronzenen und purpurfarbenen Augen seines Schweifes 
mit stolzem Selbstgefühl. 

Die Nachtigall ist, laßt es mich wiederholen, das am 
wenigsten traurige Geschöpf auf dieser Erde. Es gibt 
für sie keinen Grund zur Traurigkeit. Sie fühlt sich völ- 
lig im Einklang mit dem Leben. Und das ist kein Wahn. 
Sie fühlt sich ganz einfach als ein vollkommenes Stück 


95 


Leben, und sie trillert ihr Gefühl in die Welt hinaus: 
jauchzt, formt ihr „Dschög-dschög‘“, gurgelt, trillert, 
läßt lange Rufe voll spöttisch erheuchelter Klage er- 
tönen, singt Liebeserklärungen, brüstet sich mit ihrem 
Wohllaut, schmettert Triumph; niemals aber grübelt 
sie. Ihr Gesang ist reine Musik — in dem Sinne, daß 
man niemals Worte zu ihm würde ersinnen können. 
Aber es gibt Worte für die Empfindungen, die der Ge- 
sang in uns erweckt. Nein! nicht einmal das ist wahr. 
Es gibt keine Worte für das, was man in Wahrheit 
fühlt, wenn man der Nachtigall lauscht. Es ist etwas um 
so viel Reineres als Worte; denn alle Worte sind unrein 
geworden. Dies immerhin kann man sagen: es ist eine 
Art von 'Triumphgefühl im Bewußtwerden der eigenen 
höchsten Lebenskraft. 
„Nicht weil ich Neid auf dein Beglücktsein fühle, 
nein, weil dein Glück mich allzusehr beglückt, 
leichtschwingige Dryade du im Hain, 
die du in holder Schattenkühle 
des Buchengrüns hell jubelnd und entzückt 
vom Sommer singst und seinem Seligsein.“ 
Armer Keats! Er mußte sich wohl durch das Glück der 
Nachtigall „allzusehr beglückt“ fühlen, da er im eigenen 
Innern wahrhaftig nicht allzu gliicklich war. So hat er 
den Wunsch, aus Hippokrene, dem „rosenfarbenen 
Quell“, zu trinken und mit der Nachtigall zu verschwin- 
den im Dämmer des Waldes: 
»— — mich aufzulösen und nicht mehr zu kennen, 
was du im Blättergrün niemals gekannt: 
den Zorn, den Ekel und des Fiebers Brennen — —“ 


96 


Aber es gelingt ihm nicht. Die unsichtbaren Schwingen 
seines Dichtertums tragen ihn nur ins Gebiisch, aber 
nicht in die Nachtigallenwelt. Von ihr ist er noch immer 
ausgeschlossen : 


„Ich lausche schwermutvoll, und lange Stunden 


lieb ich dich fast, du Ruhespender Tod — —“ 


Die Nachtigall hat niemals einem Manne Liebe zum 
„Ruhespender Tod“ eingeflößt, es sei denn durch die 
Wirkung des Gegensatzes. Des Gegensatzes zwischen 
der licht lohenden Flamme reiner, weltbejahender, in 
sich selbst ruhender Lebenskraft, die in dem Vogel 
brennt, und dem schmerzlichen Geflacker eines nicht 
aus dem eigenen Selbst genährten Verlangens, das den 
Dichter John Keats mit ewig ungestillter und gestalt- 
loser Sehnsucht erfüllt: 


„— — still zu erlöschen um die Mitternacht, 
indessen du, in Leidenschaft verzückt, 
im Lied dich selig willst verschwenden — — 
Ich aber, taub für deines Sanges Pracht, 
bin schon dem hohen Requiem entrückt — — 


66 


Wie würde sich die Nachtigall wundern, wenn man ihr 
die Wirkung ihres Liedes auf den Dichter klarmachen 
könnte! Sie würde vor Staunen von ihrem Zweige fallen. 
Denn mit der Nachtigall steht es so, daß sie, wenn du 
ihr antwortest, nur um so lauter ruft und singt. Stell 
dir vor, es würden in den Nachbarbüschen ein paar 
andere Nachtigallen zu schlagen beginnen (wie sie es 
immer tun) — dann sprühen die blauweißen Tonfunken 


97 


mit blendendem Glanze zum Himmel empor. Und stell 
dir vor, du, armseliger Sterblicher, safest gerade auf 
der schattigen Bank und hättest eine Auseinandersetzung 
mit der Herrin deines Herzens — Schwerenot, dann legt 
der Vorsänger des Nachtigallenchores los und läßt seinen 
Gesang anschwellen wie Caruso im dritten Akt; das ist 
ganz einfach eine strahlend hervorstrudelnde Tonrase- 
rei, und du wirst niedergesungen, bis du dein eigenes 
Wort nicht mehr hörst und den Streit aufgibst. 

Es war in der Tat im Wesen Carusos etwas, das sehr 
an die Nachtigall gemahnte — die vogelgleiche aufflam- 
mende wunderbare Kraft des Gesanges, das Erfülltsein 
vom eigenen Wesen, das Schwelgen im Selbst: 


„Unsterbliche, dein Los ist nicht der Tod, 
kein Bruderelend macht dein Herz erstarren — “ 


— wenigstens nicht in Toskana. Da gehen zwanzig aufs 
Dutzend. Sogar der Kuckuck erscheint dort leise und 
gleichsam entfernt, wenn er im Vorüberfliegen seinen 
gedämpften, halb verdeckten Ruf ertönen läßt. Viel- 
leicht aber steht es in England wirklich anders: 


„Das Lied, das mich in dieser Nacht umloht, 
vernahmen einst die Kaiser wie die Narren: 
Vielleicht erschloß sich diesem selben Sange 
Ruths heimwehkrankes Herz, als sie voll Gram 
in Tränen auf dem fremden Felde stand — — 


ce 


Aber warum in Tränen? Immer Tränen! Nehmen wir 
zunächst die Kaiser: Ich möchte doch wohl wissen, ob 
etwa Diocletian in Tränen ausbrach, als er die Nachti- 


98 


gall hörte? — oder, wenn wir zu den Narren kommen: 
Asop? Ja, und Ruth? Ich persönlich habe sie in starkem 
Verdacht, daß sie unter dem Gesang der Nachtigall 
dasselbe verstand wie das hübsche kleine Mädchen in 
der Geschichte von Boccaccio, das mit dem lieblichen 
Vogel in der Hand einschlief: „— tua figliuola & stata 
si vaga dell’ usignuolo, che ella l’ha preso e tienlosi in 
mano!“ 

Und wie denkt die Nachtigallengattin über alles dies, 
indessen sie milden Sinnes auf den Eiern sitzt und den 
Darbietungen ihres Eheherrn lauscht? Wahrscheinlich 
hat sie es gern, denn sie brütet dabei für ihn so fröhlich 
wie nur je. Wahrscheinlich ist ihr sein herrliches Ge- 
kakel lieber als des Dichters demütiges Geseufze: 


„Nun scheint es süßer mir denn je zu enden, 
still zu erlöschen um die Mitternacht — —“ 


Damit wäre dem Nachtigallenweibchen freilich nicht 
viel gedient. Und wir haben Mitgefühl mit der Fanny 
des Dichters John Keats und begreifen, weshalb sie gar 
nichts damit anzufangen wußte. Wozu hätte ihr wohl 
solch eine Mitternachtsstunde gut sein sollen ? 

Wenn wir nach alledem zum Schlusse kommen, dann 
liegt es vielleicht so, daß der weibliche Partner mehr 
Freude am Leben hat, wenn der männliche Partner 
nicht den Wunsch hegt, „um die Mitternacht zu er- 
löschen“, ob mit oder ohne Schmerz. Es gibt bessere 
Verwendungsmöglichkeiten für Mitternachtsstunden. 
Und ein Vogel, der da singt, weil er sich voll lichten 
Lebens fühlt, und der es ihr überläßt, die Eier sorglich 


99 


zu hüten, verdient vielleicht den Vorzug vor einem 
Vogel, der da wehklagt, und sei es auch aus lauter Liebe 
zu ihr. 

Natürlich denkt das Nachtigallenmännchen, wenn es 
singt, ganz und gar nicht an sein unscheinbares Weib- 
chen. Und es erwähnt nicht ein einziges Mal ihren 
Namen. Sie aber weiß recht wohl, daß der Gesang zur 
Hälfte ihr gehört, gerade wie die Eier zur Hälfte ihm 
gehören. Und geradeso, wie sie nicht will, daß er zu ihr 
kommt und mit seinem schweren Fuß auf ihr Bündel- 
chen Eier tritt, genau so will er nicht, daß sie sich in 
seine Gesangstätigkeit mischt und ihn stört und aus dem 
Text bringt. Jeder Mann soll bei seinen Angelegenheiten 
bleiben und jede Frau bei ihren! 

„Leb wohl! Dein klagender Gesang will schwinden —“ 
Es war niemals ein klagender Gesang; es war Caruso in 
seinem glanzvollsten Jubel. Aber versucht es lieber gar 
nicht erst, euch mit einem Dichter zu streiten. 


Übertragen von Karl Lerbs 
ak 


MARCELINE DESBORDES-VALMORE 
VON CHARLES BAUDELAIRE 


Ist es uns nicht mehr als einmal begegnet, daß, wenn 
wir einem Freunde unsere Neigung, unsere Begeisterung 
für irgend etwas anvertrauten, zur Antwort bekamen: 
„Nun, das ist doch sonderbar! Das steht ja in völligem 
Widerspruch mit Ihren sonstigen Leidenschaften und 
Anschauungen.“ ? Und wir entgegnen dann: „Möglich, 


100 


aber es ist so. Es gefallt mir; es entziickt mich, wahr- 
scheinlich wegen eben dieses auffalligen Gegensatzes mit 
meinem eigentlichen Ich.“ 

So ergeht es mir mit Madame Desbordes-Valmore. Wenn 
der Aufschrei, der unverfälschte Seufzer einer erlesenen 
Seele, wenn die Hingabe und Verzweiflung des Herzens, 
wenn urspriingliche Anlagen und Gaben — alles, was 
Gott als unverdiente Gnade schenkt —, wenn das ge- 
nügt, um einen großen Dichter zu machen, so ist Ma- 
dame Valmore ein großer Dichter und wird es immer 
sein. Es ist wahr, wenn man sich die Zeit nimmt, dem 
nachzuspüren, was ihr fehlt, was durch Fleiß und Mühe 
erworben werden kann, so wird ihre Größe wesentlich 
beeinträchtigt. Doch selbst dort, wo ein Mangel an Sorg- 
falt, ein Holpern uns überlegte Menschen, die wir durch- 
aus verantwortlich sind für unsere Nachlässigkeiten, är- 
gert und betrübt — selbst dann werden wir von einer 
plötzlichen, unerwarteten, unvergleichlichen Schönheit 
des Ausdrucks hingerissen und in den Himmel der Poesie 
erhoben. Nie war ein Dichter einfacher und aufrichtiger, 
nie ungekünstelter! Keiner hat diesen Reiz, diese Anmut 
erreicht, eben weil sie persönlich und eingeboren ist. 
Wenn je ein Mann seine Gattin oder seine Tochter von 
den Gaben der Muse beglückt und geehrt sehen möchte, 
er könnte sich diese Gaben nicht anders und schöner 
träumen, als sie Madame Valmore beschieden waren. 
Unter der beträchtlichen Anzahl von Frauen, die sich 
heutzutage auf die Literatur geworfen haben, gibt es 
recht wenige, deren Tätigkeit nicht entweder der Kum- 
mer ihrer Angehörigen, ja selbst ihres Geliebten gewesen 


IOI 


wäre (denn der zügelloseste Mann verlangt vom Gegen- 
stand seiner Liebe eine keusche Zurückhaltung), oder 
aber eine Nachahmung männlicher Schwächen und Al- 
bernheiten, die bei der Frau abgeschmackt wirken. Wir 
kennen die schriftstellernde Frau als Philanthropin, als 
doktrinäre Priesterin der Liebe; sie verherrlicht republi- 
kanische Ideen oder andere Zukunftsträume, sie ist An- 
hängerin Fouriers oder Saint-Simons, und unsere schön- 
heitsuchenden Augen konnten sich nie an dieses un- 
schöne Systematisieren und Abzirkeln, an all diese läster- 
lichen und ruchlosen Dinge (es gibt sogar Dichterinnen 
des Lasters), an diese entwürdigende Nachahmung 
männlichen Geistes gewöhnen. 

Madame Desbordes-Valmore war Weib, war immer 
Weib und nichts als Weib; aber sie war die vollendete, 
höchste Personifizierung der natürlichen schönen Weib- 
lichkeit. Ob sie vom sehnenden Verlangen des jungen 
Mädchens, von der traurigen Klage der verlassenen Ari- 
adne oder der glühenden Inbrunst mütterlicher Barm- 
herzigkeit singt — ihr Lied bewahrt stets diese köstliche 
Weiblichkeit. Da ist nichts Künstliches, nichts Ange- 
lehntes, nichts als das „ewig Weibliche‘, wie jener deut- 
sche Dichter sagt. So hat Madame Valmore in ihrer 
Wahrhaftigkeit, in ihrer Echtheit ihren Lohn gefunden, 
das heißt einen Ruhm, der dem des vollendeten Künst- 
lers nicht nachsteht. An den tiefen Gluten des eigenen 
Herzens entzündet sie die Fackel, mit der sie in die ge- 
heimnisvolle Wirrnis der Empfindungen hineinleuchtet 
und unsere dunkelsten Erinnerungen der Liebe, auch 


der Kindesliebe, ans Licht hebt. Victor Hugo hat dem 


102 


süßen Zauber der Häuslichkeit — wie allem, was er be- 
singt — wundervollen Ausdruck gegeben; doch nur in 
den Dichtungen der glühenden Marceline findet ihr die. 
mütterliche Innigkeit, die einige wenige unter uns Weib- 
geborenen in köstlichem Andenken bewahren. Wenn ich 
nicht besorgen müßte, man könne den Vergleich als eine 
Herabsetzung dieser verehrungswürdigen Frau ansehen, 
so würde ich sagen, ich finde in ihr die Anmut und un- 
ruhige Wachsamkeit, die Schmiegsamkeit und das Un- 
gestüm einer Katze oder Löwin, die Mutter ist. 
Es heißt, Madame Valmore, deren erste Poesieen schon 
weit zurückliegen (1818), sei von unserer Zeit sehr 
schnell vergessen worden. Vergessen worden, von wem, 
ich bitte? Von denen, die nichts fühlen und daher nichts 
bewahren. Sie hat die großen und gewaltigen Eigen- 
schaften, die sich dem Gedächtnis eingraben, die explo- 
sive Kraft der Leidenschaft, die in unsere Herzen ein- 
schlägt und sie mit fortreißt. Kein Dichter findet unge- 
zwungener den einzig ersten Gefühlsausdruck, das un- 
bewußt Erhabene. Wie einerseits das einfachste und 
selbstverständlichste Erarbeiten dieser feurigen Feder 
fremd und unmöglich ist, so ist anderseits das, wonach 
alle anderen mühsam ringen, ihr natürliches Teil; es ist 
ein immerwährendes neues Finden. So sicher und sorg- 
los, wie wir eine Adresse schreiben, wirft sie die Kost- 
barkeiten aufs Papier. Eine mitfühlende und inbrünstige 
Seele, die sich — selbstredend ganz unbewußt — in 
jenem Vers erkennt und zu erkennen gibt: 

„solange man noch geben kann, kann man nicht 

sterben.“ 


103 


Empfindsame Seele, der das rauhe Leben unheilbare 
Narben eingrub, war es ihr vor allem, die sich ein Lethe 
.ersehnte, gestattet auszurufen: | 


„Doch kann uns der Erinnerung nichts entheben — 
Wozu, mein Herz, wozu das Sterben dann?“ 


Gewiß, niemand war berechtigter als sie, einem neuen 
Gedichtbande den Satz voranzuschicken: 


„Gefangen lebt in diesem Buche eine Seele.“ 


Selbst als der Tod erschien, um sie von dieser Welt, 
deren Leiden sie so tapfer getragen hatte, abzurufen und 
dem Himmel zuzuführen, nach dessen friedvollen Freu- 
den sie so glühend verlangte, selbst da noch konnte Ma- 
dame Desbordes-Valmore, die unermüdliche Priesterin 
der Muse, nicht verstummen, so immervoll von Schmer- 
zensrufen und Liedern war sie, die sich ergießen wollten; 
sie bereitete einen weiteren Band Gedichte vor, dessen 
Inhalt Stück um Stück auf ihrem Schmerzenslager reifte, 
das sie seit zwei Jahren nicht mehr verließ. Sie, die ihr 
andächtig bei der Zusammenstellung dieser Abschieds- 
blätter halfen, haben mir gesagt, daß darin das ganze 
Feuer einer Lebensenergie zu finden sei, die nirgends 
so lebendig war wie im Leid. Ach! dies Buch wird nun 
als letzter, nachgelassener Kranz all den strahlenden 
anderen hinzuzufügen sein, mit denen eines unserer blü- 
hendsten Gräber geschmückt sein sollte. 

Ich habe immer gern in der großen und sichtbaren Natur 
nach Beispielen und Gestaltungen gesucht, die mir zur 
Charakterisierung geistiger Erscheinungen und Ein- 


104 


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Marceline Desbordes-Valemore 


Bleistiftzeichnung von Constant Desbordes 


Digitized by Google 


drücke dienen könnten. Ich stelle mir vor, wie die Kunst 
der Madame Desbordes-Valmore auf mich wirkte, da- 
mals, als ich sie mit den Augen des Jünglings durch- 
blätterte, die bei empfänglichen Menschen so voll Glut 
und Scharfsichtigkeit sind. Diese Dichtung erschien mir 
wie ein Garten. Doch das ist nicht die großartige Würde 
des Versailler Parks, das ist auch nicht die mächtige 
Pose des selbstbewußten Italiens, das es so vortrefflich 
versteht, „Gärten zu errichten“ (aedificat hortas); das 
ist auch nicht „das Tal der Flöten“ oder das „Tänaron“ 
unseres alten Jean-Paul. Es ist ein schlichter englischer 
Garten, wundersam romantisch. Uppige Blumenstauden 
repräsentieren den überströmenden Gefühlsausdruck. 
- Volle, reglose Weiher, die, auf dem umgestürzten Him- 
melsbogen ruhend, alle Dinge spiegeln, versinnbildlichen 
die tiefe Resignation, die dort tausend Erinnerungen 
spiegelt. Nichts fehlt diesem entzückenden Garten einer 
vergangenen Zeit, weder vereinzelte Ruinen, die sich 
in grüner Wildnis bergen, noch das fremdartige Grab- 
mal, das uns an einer Wegbiegung überrascht, die Seele 
ergreift und an die Ewigkeit mahnt. Gewundene und 
düstere Alleen führen zu überraschenden Ausblicken, 
gleichwie der Gedanke der Dichterin nach allerlei wun- 
derlichen Kurven die offene Fernsicht in Vergangenheit 
oder Zukunft eröffnet. Doch diese Himmel sind zu weit, 
um dauernd klar zu sein, und der Wärmegrad zu groß, 
um nicht Stürme zu entfesseln. Der Wanderer, der die 
gramverhüllten Fernen betrachtet, fühlt sein Auge feucht 
werden von hysterischen Tränen. Die Blumen neigen 
sich und erliegen, die Vögel reden nur noch flüsternd. 


105 


Ein erster Blitz flammt auf, ihm folgt ein Donnerschlag: 
es ist die lyrische Explosion, und schließlich verleiht eine 
unvermeidliche Tranenflut all den niedergeworfenen, 
leidenden und entmutigten Dingen von neuem Frische 


und Jugendkraft. 


106 


Aus dem neuen Buche von Stefan Zweig 


„Marceline Desbordes-Valmore, das Lebensbild einer Dichterin“ 


x 


ZWEI GEDICHTE 
VON ERNST BERTRAM 


Straßburg. Der Orgelbauer 


Allem tönenden Wild 

Ward ich Jäger und Netz, 

Aller singenden Brunst 

Magisch Meister und Herr. 

Alle der überfurchtbaren 

Welt Gewalten 

Riegelt ich in die Verließe 

Meiner Bässe hinab, 

An meinen klingenden Gittern 

Rüttelt das Heulen der Hölle, 

Lecken die Mäuler des Mords. 

Mir gehorcht der Verzweiflung 

Eulengelächter, des Hohns 

Grell auftrillernde Natter, 

Mir das Gewitter der Fuge, 

Wann der Hagel von jagendem Glas, 
der fegende Regen, 

Elementischer prallt, 


Mir ins Jauchzen gebändigt 
Zorniger Hornstoß 
Und des Blutgerichts 
Hohe Oboé, Verkiindung 
Seliger Siihne. 

Doch wie verfang ich, 
Flöte der Einsamkeit, verzaubernder Vogel, 
Dich scheuen im Gestäbe meines Klangs, 
Wie du die Nächte sangst ins hold vergehnde 
Ohr mir äolisch, flüchtiges Silberwild ? 
Wie lock ich, blaue Genesung, 
Mit Harfenaufdank 
Meiner Orgel dich ein, daß ich verwandelt 
Durch die versausenden Chöre 
Dich, den Verwandeler, höre, 
Daß auf den nachtenden Stufen, 
Vogel der Liebe, mir er- 


Glänze dein Rufen ? 


Hardt. Die Waldfrevler 
I 
Ich höre Hörner 
Gesanglos frecher Klarheit: sie 
Abermal sind es, die ewigen Feinde des Walds. 
Altes Schweigen, hab Dank. O liebe 
Fern ersausende Halle: du 


Fällst. Die Beile sind da. 


107 


II 
Denn ihr haßt das Geheimnis des Walds, blankäugige 
Rotten, 
Das auf unersteiglichem euch, verachtendem Felsen 
Unsre Kunde verschweigt. | 
Nur giftige Klarheit 
Dünstet ihr über die Erde, 
All die tausendwäldrige Heimat uns, die vogel- 
Weidende wollt ihr zu kreidigen Hügeln, 
Wo die Schlange sich sonnt, 
Und euch rosten die lüsternen nicht, die Beile des 
Südens, 


Eh nicht entwaldet die Welt. 
Aus dem Gedichtband „Der Rhein“ 


x 


DIE WELTMINUTE VON WATERLOO 
VON STEFAN ZWEIG 


Das Schicksal drängt zu den Gewaltigen und Gewalt- 
tätigen. Jahrelang macht es sich knechtisch gehorsam 
einem Einzelnen hörig: Cäsar, Alexander, Napoleon, 
denn es liebt den elementaren Menschen, der ihm selber 
ähnlich ist, dem unfaßbaren Element. 

Manchmal aber, ganz selten in allen Zeiten, wirft es in 
sonderbarer Laune irgendeinem Gleichgültigen sich hin. 
Manchmal — und dies sind die erstaunlichsten Augen- 
blicke der Weltgeschichte — fällt der Faden des Fa- 


tums für eine zuckende Minute in eines ganz Nichtigen 


108 


Hand. Immer sind solche Menschen mehr erschreckt 
als begliickt dann von dem Sturm der Verantwortung, 
der sie in heroisches Weltspiel mengt, und fast immer 
lassen sie das zugeworfene Schicksal zitternd aus den 
Händen. Selten nur reißt einer die Gelegenheit mächtig 
empor und sich selber mit ihr. Denn bloß eine Sekunde 
lang gibt sich das Große hin an den Geringen; wer sie 
versäumt, den begnadet sie niemals ein zweites Mal. 


Grouchy 

Zwischen Tanz, Liebschaften, Intrigen und Streit des 
Wiener Kongresses fährt als schmetternde Kanonen- 
kugel sausend die Nachricht, Napoleon, der gefesselte 
Löwe, sei ausgebrochen aus seinem Käfig in Elba, und 
schon jagen andere Stafetten nach: er hat Lyon erobert, 
er hat den König verjagt, die Truppen gehen mit fa- 
natischen Fahnen zu ihm über, er ist in Paris, in den 
Tuilerien, vergeblich waren Leipzig und zwanzig Jahre 
menschenmördischen Kriegs. Wie von einer Kralle ge- 
packt, fahren die eben noch quengelnden und streitenden 
Minister zusammen, ein englisches, ein preußisches, ein 
österreichisches, ein russisches Heer wird eilig aufge- 
boten, noch einmal, und nun endgültig, den Usurpator der 
Macht niederzuschmettern: nie war das legitime Europa 
der Kaiser und Könige einiger als in dieser Stunde ersten 
Entsetzens. Von Norden rückt Wellington gegen Frank- 
reich, an seiner Seite schiebt sich eine preußische Armee 
unter Blücher heran, am Rhein rüstet Schwarzenberg, 
und als Reserve marschieren durch Deutschland lang- 
sam und schwer die russischen Regimenter. + 


109 


Napoleon übersieht mit einem Ruck die tödliche Ge- 
fahr. Er weiß, keine Zeit bleibt, zu warten, bis die Meute 
sich sammelt. Er muß sie zerteilen, muß einzeln sie an- 
fallen, die Preußen, die Engländer, die Österreicher, ehe 
sie zur europäischen Armee werden und der Unter- 
gang seines Kaiserreichs. Er muß eilen, weil sonst die 
Mißvergnügten im eigenen Lande erwachen, er muß 
schon Sieger sein, ehe die Republikaner erstarken und 
sich mit den Royalisten verbünden, bevor Fouché, der 
Zweizüngige und Unfaßbare im Bunde mit Talleyrand, 
seinem Gegenspieler und Spiegelbild, ihm hinterrücks 
die Sehnen zerschneidet. In einem einzigen Elan muß 
er, den rauschenden Enthusiasmus der Armee nützend, 
gegen seine Feinde los: jeder Tag ist Verlust, jede 
Stunde Gefahr. So wirft er hastig den klirrenden 
Würfel auf das blutigste Schlachtfeld Europas, nach 
Belgien. Am 15. Juni um drei Uhr morgens überschrei- 
ten die Spitzen der großen — und nun auch einzigen — 
Armee Napoleons die Grenze. Am 16. schon rennen sie 
bei Ligny gegen die preußische Armee an und schlagen 
sie zurück. Es ist der erste Prankenschlag des ausge- 
brochenen Löwen, ein furchtbarer, jedoch kein tödlicher. 
Geschlagen, aber nicht vernichtet, zieht sich die preu- 
Bische Armee gegen Brüssel zurück. 

Nun holt Napoleon aus zum zweiten Schlage, gegen 
Wellington. Er darf nicht Atem holen, nicht Atem 
lassen, denn jeder Tag bringt dem Gegner Verstärkung, 
und das Land hinter ihm, das ausgeblutete, unruhige 
französische Volk muß berauscht werden mit dem feu- 
rigen Fusel der Siegesbulletins. Noch am 17. marschiert 


IIO 


er mit seiner ganzen Armee bis an die Höhen von Qua- 
tre-Bras, wo Wellington, der kalte, stahlnervige Gegner, 
sich verschanzt hat. Nie waren Napoleons Dispositionen 
umsichtiger, seine militärischen Befehle klarer, als an 
diesem Tage: er erwägt nicht nur den Angriff, sondern 
auch seine Gefahren, nämlich, daß die geschlagene, aber 
nicht vernichtete Armee Blüchers sich mit jener Wel- 
lingtons vereinigen könnte. Dies zu verhindern, spaltet 
er einen Teil seiner Armee ab, damit sie Schritt für 
Schritt die preußische Armee vor sich herjage und die 
Vereinigung mit den Engländern verhindere. 

Den Befehl dieser Verfolgungsarmee übergibt er dem Mar- 
schallGrouchy. Grouchy, ein mittlerer Mann, brav, auf- 
recht, wacker, verläßlich, ein Reiterführer, oftmals be- 
währt, aber ein Reiterführer und nichts mehr. Kein heißer, © 
mitreißender Kavallerieberserker wie Murat, kein Stra- 
tege wie Saint-Cyr und Berthier, kein Held wie Ney. 
Kein kriegerischer Küraß schmückt seine Brust, kein 
Mythos umrankt seine Gestalt, keine sichtbare Eigen- 
heit gibt ihm Ruhm und Stellung in der heroischen Welt 
der Napoleonischen Legende: nur sein Unglück, nur 
sein Mißgeschick hat ihn berühmt gemacht. Zwanzig 
Jahre hat er gekämpft in allen Schlachten, von Spanien 
bis Rußland, von Niederland bis Italien, langsam ist er 
die Staffel bis zur Marschallswürde aufgestiegen, nicht 
unverdient, aber ohne sonderliche Tat. Die Kugeln der 
Österreicher, die Sonne Ägyptens, die Dolche der Araber, 
der Frost Rußlands haben ihm die Vorgänger wegge- 
räumt, Desaix bei Marengo, Kleber in Kairo, Lannes ` 


bei Wagram: den Weg zur obersten Würde, er hat ihn 


III 


nicht erstiirmt, sondern er ist ihm freigeschossen wor- 
den durch zwanzig Jahre Krieg. 

Daß er in Grouchy keinen Heros hat und keinen Stra- 
tegen, nur einen verläßlichen, treuen, braven, nüchternen 
Mann, weiß Napoleon wohl. Aber die Hälfte seiner 
Marschälle liegt unter der Erde, die andern sind ver- 
drossen auf ihren Gütern geblieben, müde des unab- 
lässigen Biwaks. So ist er genötigt, einem mittleren 
Mann entscheidende Tat zu vertrauen. 

Am 17. Juni um elf Uhr vormittags, einen Tag nach 
dem Siege bei Ligny, einen Tag vor Waterloo, übergibt 
Napoleon dem MarschallGrouchy zum erstenmal ein selb- 
ständiges Kommando. Für einen Augenblick, für einen 
Tag tritt der bescheidene Grouchy aus der militärischen 
Hierarchie in die Weltgeschichte. Für einen Augenblick 
nur, aber für welch einen Augenblick! Napoleons Be- 
fehle sind klar. Während er selbst auf die Engländer 
losgeht, soll Grouchy mit einem Drittel der Armee die 
preußische Armee verfolgen. Ein einfacher Auftrag 
anscheinend dies, gerade und unverkennbar, aber doch 
auch biegsam und zweischneidig wie ein Schwert. Denn 
gleichzeitig mit jener Verfolgung ist Grouchy geboten, 
ständig in Verbindung mit der Hauptarmee zu bleiben. 
Zögernd übernimmt der Marschall den Befehl. Er ist 
nicht gewohnt, selbständig zu wirken, seine Besonnen- 
heit ohne Initiative fühlt sich nur sicher, wenn der ge- 
niale Blick des Kaisers ihr die Tat zuweist. Außerdem 
spürt er im Rücken die Unzufriedenheit seiner Generale, 
vielleicht auch, vielleicht, den dunklen Flügelschlag des 
Schicksals. Nur die Nähe des Hauptquartiers beruhigt 


112 


ihn: denn bloß drei Stunden Eilmarsch trennen seine 
Armee von der kaiserlichen. | 

Im strömenden Regen nimmt Grouchy Abschied. Lang- 
sam rücken im schwammigen, lehmigen Grund seine 
Soldaten den Preußen nach, oder in die Richtung zu- 
mindest, in der sie Blücher und die Seinen vermuten. 


* 


Die Nacht in Caillou 
Der nordische Regen strémt ohne Ende. Wie eine 
nasse Herde trotten im Dunkel die Regimenter Na- 
poleons heran, jeder Mann zwei Pfund Schmutz an 
seinen Sohlen; nirgends Unterkunft, kein Haus und kein 
Dach. Das Stroh zu naß, um sich darauf hinlegen zu 
können — so drücken sich immer zehn oder zwölf Sol- 
daten zusammen und schlafen, aufrecht sitzend, Rücken 
an Rücken im strömenden Regen. Auch der Kaiser 
selbst hält keine Rast. Eine fiebrige Nervosität jagt 
ihn auf und nieder, denn die Rekognoszierungen ver- 
sagen an der Undurchdringlichkeit des Wetters, Kund- 
schafter melden höchst verworrenen Bericht. Noch weiß 
er nicht, ob Wellington die Schlacht annimmt, und von 
Grouchy fehlt Nachricht über die Preußen. So schrei- 
tet er selbst um ein Uhr nachts — gleichgültig gegen 
den sausenden Wolkenbruch — die Vorposten entlang, 
bis auf Kanonenschußweite an die englischen Biwaks 
heran, die ab und zu ein dünnes, rauchiges Licht im 
Nebel zeigen, und entwirft den Angriff. Erst mit Tages- 
grauen kehrt er in die kleine Hütte Caillou, in sein 
ärmliches Hauptquartier, zurück, wo er die ersten De- 


113 


peschen Grouchys findet: unklare Nachrichten über den 
Rückzug der Preußen, immerhin aber das beruhigende 
Versprechen, ihnen zu folgen. Allmählich hört der Re- 
gen auf. Ungeduldig geht der Kaiser im Zimmer auf 
und ab und starrt gegen den falben Horizont, ob nicht 
endlich sich die Ferne enthüllen wolle und damit die 
Entscheidung. 

Um fünf Uhr morgens — der Regen hat aufgehört —. 
klärt sich auch das innere Gewölk des Entschließens. 
Der Befehl wird gegeben, um neun Uhr habe sturm- 
bereit die ganze Armee anzutreten. Die Ordonnanzen 
sprengen in alle Richtungen. Bald knattern die Trom- 
meln zur Sammlung. Nun erst wirft sich Napoleon auf 
sein Feldbett, zwei Stunden zu schlafen. 


* 


Der Morgen von Waterloo 
Neun Uhr morgens. Aber die Truppen sind noch 
nicht vollzählig beisammen. Der von dreitägigem Regen 
durchweichte Grund erschwert jede Bewegung und 
hemmt das Nachrücken der Artillerie. Erst allmählich 
erscheint die Sonne und leuchtet unter scharfem Wind: 
aber es ist nicht die Sonne von Austerlitz, blankstrahlend 
und glückverheißend, sondern nur schiefen Scheins glit- 
zert mißmutig dieses nordische Licht. Endlich sind die 
Truppen bereit, und nun, ehe die Schlacht beginnt, reitet 
noch einmal Napoleon auf seiner weißen Stute die ganze 
Front entlang. Die Adler auf den Fahnen senken sich 
nieder wie unter brausendem Wind, die Reiter schüt- 


teln martialisch ihre Säbel, das Fußvolk hebt zum Gruß 


114 


seine Bärenmützen auf die Spitzen der Bajonette. Alle 
Trommeln rollen frenetischen Wirbel, die Trompeten 
stoßen ihre scharfe Lust dem Feldherrn entgegen, aber 
alle diese funkelnden Töne überwogt donnernd der 
über die Regimenter hinrollende, aus siebzigtausend Sol- 
datenkehlen sonor brausende Jubelschrei: „Vive Em- 
pereur!“ 

Keine Parade der zwanzig Napoleonsjahre war groß- 
artiger und enthusiastischer als diese seine letzte. Kaum 
sind die Rufe verhallt, um elf Uhr — zwei Stunden 
später, als vorausgesehen, um zwei verhängnisvolle Stun- 
den zu spät! — ergeht an die Kanoniere der Befehl, die 
Rotröcke am Hügel niederzukartätschen. Dann rückt 
Ney, „le brave des braves“ mit dem Fußvolk vor; die 
entscheidende Stunde Napoleons beginnt. Unzählige 
Male ist diese Schlacht geschildert worden, aber man 
wird nicht müde, ihre aufregenden Wechselfälle zu le- 
sen, bald in der großartigen Darstellung Walter Scotts, 
bald in der episodischen Darstellung Stendhals. Sie ist 
groß und vielfältig von nah und fern gesehen, ebenso 
vom Hügel des Feldherrn, wie vom Sattel des Kürassiers. 
Sie ist ein Kunstwerk der Spannung und Dramatik mit 
ihrem unablässigen Wechsel von Angst und Hoffnung, 
der plötzlich sich löst in einem äußersten Katastrophen- 
moment, Vorbild einer echten Tragödie, weil in diesem 
Einzelschicksal das Schicksal Europas bestimmt war 
und das phantastische Feuerwerk der Napoleonischen 
Existenz prachtvoll wie eine Rakete noch einmal auf- 
schießt in alle Himmel, ehe es in zuckendem Sturz für 
immer erlischt. 


LI 


Von elf bis ein Uhr stürmen die französischen Regi- 
menter die Höhen, nehmen Dörfer und Stellungen, wer- 
den wieder verjagt, stürmen wieder empor. Schon be- 
decken zehntausend Tote die lehmigen, nassen Hügel 
des leeren Landes, und noch nichts ist erreicht, als Er- 
schöpfung hüben und drüben. Beide Heere sind er- 
müdet, beide Feldherren beunruhigt. Beide wissen, daß 
dem der Sieg gehört, der zuerst Verstärkung empfängt, 
Wellington von Blücher, Napoleon von Grouchy. Immer 
wieder greift Napoleon nervös zum Teleskop, immer 
neue Ordonnanzen jagt er hinüber; kommt sein Mar- 
schall rechtzeitig heran, so leuchtet über Frankreich 
noch einmal die Sonne von Austerlitz. 


a 


Der Fehlgang Grouchys 

Grouchy, der unbewußt Napoleons Schicksal in Hän- 
den hält, ist indessen befehlsgemäß am 17. Juni abends 
aufgebrochen und folgt in der vorgeschriebenen Rich- 
tung den Preußen. Der Regen hat aufgehört. Sorglos 
wie in Friedensland schlendern die jungen Kompagnien 
dalıin, die gestern zum erstenmal Pulver geschmeckt 
haben: noch immer zeigt sich nicht der Feind, noch 
immer ist keine Spur zu finden von der geschlagenen 
preußischen Armee. 

Da plötzlich, gerade wie der Marschall in einem Bauern- 
haus ein rasches Frühstück nimmt, schüttert leise der 
Boden unter ihren Füßen. Sie horchen auf. Wieder und 
wieder rollt dumpf und schon verlöschend der Ton 
heran. Kanonen sind das, feuernde Batterien von ferne, 


116 


doch nicht gar zu ferne, höchstens drei Stunden weit. 
Ein paar Offiziere werfen sich nach Indianerart auf die 
Erde, um deutlich die Richtung zu erlauschen. Stetig 
und dumpf dréhnt dieser ferne Schall. Es ist die Ka- 
nonade von Saint-Jean, der Beginn von Waterloo. 
Grouchy hält Rat. Heiß und feurig verlangt Gerard, 
sein Unterbefehlshaber: „Il faut marcher au canon“, 
rasch hin in die Richtung des Geschützfeuers! Ein zwei- 
ter Offizier stimmt zu: hin, nur rasch hinüber! Es ist 
für sie alle zweifellos, daß der Kaiser auf die Engländer 
gestoßen ist und eine schwere Schlacht begonnen hat. 
Grouchy wird unsicher. An Gehorchen gewöhnt, hält 
er sich ängstlich an das geschriebene Blatt, an den Be- 
fehl des Kaisers, die Preußen auf ihrem Rückzug zu 
verfolgen. Gerard wird heftiger, als er sein Zögern sieht. 
„Marchez au canon.“ — Wie ein Befehl klingt die For- 
derung des Unterkommandanten vor zwanzig Offizieren 
und Zivilisten, nicht wie eine Bitte. Das verstimmt 
Grouchy. Er erklärt härter und strenger, nicht ab- 
weichen zu dürfen von seiner Pflicht, solange keine 
Gegenorder vom Kaiser eintreffe. Die Offiziere sind 
enttäuscht, und die Kanonen poltern in ein böses 
Schweigen. 

Da versucht Gerard sein Letztes: er bittet flehentlich, 
wenigstens mit seiner Division und etwas Kavallerie 
hinüber auf das Schlachtfeld zu dürfen, und verpflich- 
tet sich, rechtzeitig zur Stelle zu sein. Grouchy überlegt. 
Er überlegt eine Sekunde lang. 


x 


117 


Weltgeschichte in einem Augenblick 

Fine Sekunde überlegt Grouchy, und diese eine Se- 
kunde formt sein eigenes Schicksal, das Napoleons und 
das der Welt. Sie entscheidet, diese Sekunde im Bauern- 
haus von Walhaim über das ganze neunzehnte Jahr- 
hundert, und sie hängt an den Lippen — Unsterblichkeit! 
— eines recht braven, recht banalen Menschen, sie liegt 
flach und offen in den Händen, die nervös die verhäng- 
nisvolle Order des Kaisers zwischen den Fingern knit- 
tern. Könnte Grouchy jetzt Mut fassen, kühn sein, un- 
gehorsam der Order aus Glauben an sich und das sicht- 
liche Zeichen, so wäre Frankreich gerettet. Aber der sub- 
alterne Mensch gehorcht immer dem Vorgeschriebenen 
und nie dem Anruf des Schicksals. 

So winkt Grouchy energisch ab. Nein, das wäre unver- 
antwortlich, ein so kleines Korps noch einmal zu teilen. 
Seine Aufgabe gebietet, die Preußen zu verfolgen, nichts 
als dies. Und er weigert sich, gegen den Befehl des 
Kaisers zu handeln. Die Offiziere schweigen verdrossen. 
Es entsteht eine Stille um ihn. Und in ihr entschwebt 
unwiderruflich, was Worte und Taten dann nie mehr 
fassen können — die entscheidende Sekunde. Welling- 
ton hat gesiegt. 

So marschieren sie weiter, Gerard, Vandamme, mit zor- 
nigen Fäusten, Grouchy bald beunuhigt und von Stunde 
zu Stunde unsicherer: denn sonderbar, noch immer zei- 
gen sich die Preußen nicht, offenbar haben sie die Richtung 
auf Brüssel verlassen. Bald melden Botschafter verdäch- 
tige Anzeichen, daß ihr Rückzug sich in einen Flanken- 
marsch zum Schlachtfeld verwandelt habe. Noch wäre 


118 


es Zeit, mit letzter Eile dem Kaiser zu Hilfe zu kommen, 
und immer ungeduldiger wartet Grouchy auf die Bot- 
schaft, auf den Befehl, zuriickzukehren. Aber keine 
Nachricht kommt. Nur dumpf rollen immer ferner von 
drüben die Kanonen über die schauernde Erde: die eiser- 
nen Würfel von Waterloo. 


ak 


Der Nachmittag von Waterloo 

Unterdessen ist es ein Uhr geworden. Vier Attacken 
sind zwar zurückgeworfen, aber sie haben das Zentrum 
Wellingtons empfindlich aufgelockert: schon rüstet Na- 
poleon zum entscheidenden Sturm. Er läßt die Batterien 
vor Belle-Alliance verstärken, und ehe der Dampf der 
Kanonade seinen wolkigen Vorhang zwischen die Hügel 
zieht, wirft Napoleon noch einen letzten Blick über das 
Schlachtfeld. 

Da bemerkt er nordöstlich einen dunkel vorrückenden 
Schatten, der aus den Wäldern zu fließen scheint: neue 
Truppen! Sofort wendet sich jedes Fernglas hin: ist es 
schon Grouchy, der kühn den Befehl überschritten hat 
und nun wunderbar zur rechten Stunde kommt? Nein, 
ein eingebrachter Gefangener meldet, es sei die Vorhut 
der Armee des Generals von Blücher, preußische Trup- 
pen. Zum erstenmal ahnt der Kaiser, jene geschlagene 
preußische Armee müsse sich der Verfolgung entzogen 
haben, um sich vorzeitig mit den Engländern zu ver- 
einigen, indes ein Drittel seiner eigenen Truppen nutz- 
los im Leeren herummanövriere. Sofort schreibt er einen 


Brief an Grouchy mit dem Auftrag, um jeden Preis die 


119 


Verbindung aufrechtzuerhalten und die Einmengung der 
Preußen in die Schlacht zu verhindern. 

Zugleich erhält der Marschall Ney die Order zum CH 
griff. Wellington muß geworfen werden, ehe die Preu- 
Ben eintreffen: kein Einsatz scheint mehr zu verwegen 
bei so plötzlich verringerten Chancen. Nun folgen den 
ganzen Nachmittag jene furchtbaren AttackenaufdasPla- 
teau mit immer frisch vorgeworfener Infanterie. Immer 
erstürmen sie die zerschossenen Dörfer, immer werden 
sie wieder herabgeschmettert, immer wieder erhebt sich 
mit flatternden Fahnen die Welle gegen die schon zer- 
hämmerten Karrees. Aber noch immer hält Wellington 
stand, und noch immer kommt keine Nachricht von 
Grouchy. „Wo ist Grouchy? Wo bleibt Grouchy ?“ 
murmelt der Kaiser nervös, wie er den Vortrab der Preu- 
ßen allmählich eingreifen sieht. Auch die Befehlshaber 
unter ihm werden ungeduldig. Und entschlossen, ge- 
waltsam ein Ende zu machen, schleudert Marschall Ney 
— ebenso tollkühn, wie Grouchy allzu bedächtig (drei 
Pferde sind ihm schon unter dem Leibe erschossen) — 
mit einem Wurf die ganze französische Kavallerie in 
einer einzigen Attacke heran. Zehntausend Kürassiere 
und Dragoner versuchen diesen fürchterlichen Todes- 
ritt, zerschmettern die Karrees, hauen die Kanoniere 
nieder und sprengen die ersten Reihen. Zwar werden 
sie selbst wieder herabgedrängt, aber die Kraft der eng- 
lischen Armee ist im Erlöschen, die Faust, die jene 
Hügel umkrallt, beginnt sich zu lockern. Und wie nun 
die dezimierte französische Kavallerie vor den Ge- 
schützen zurückweicht, rückt die letzte Reserve Na- 


I20 


poleons, die Alte Garde, schwer und langsamen Schrittes 
heran, um den Hügel zu stürmen, dessen Besitz das 


Schicksal Europas verbürgt. 
* 


Die Entscheidung 

Vierhundert Kanonen donnern ununterbrochen seit 
Morgen auf beiden Seiten. An der Front klirren die Ka- 
valkaden der Reiterei gegen die feuernden Karrees, 
Trommelschlage prasseln auf das dröhnende Fell, die 
ganze Ebene bebt vom vielfältigen Schall. Aber oben 
auf den beiden Hügeln horchen die beiden Feldherren 
über das Menschengewitter hinweg. Sie horchen beide 
auf leiseren Laut. 

Zwei Uhren ticken leise wie Vogelherzen in ihrer Hand 
über die gewitternden Massen. Napoleon und Welling- 
ton, beide greifen sie ununterbrochen nach dem Chrono- 
meter und zählen die Stunden, die Minuten, die ihnen 
jene letzte entscheidende Hilfe bringen muß. Welling- 
ton weiß Blücher nah, und Napoleon hofft aufGrouchy. 
Beide haben sie keine Reserven mehr, und wer zuerst 
eintrifft, hat die Schlacht entschieden. Beide spähen sie 
mit dem Teleskop nach dem Waldrand, wo jetzt wie ein 
leichtes Gewölk der preußische Vortrab zu erscheinen 
beginnt. Aber sind es nur Plänkler oder die Armee 
selbst, auf ihrer Flucht vor Grouchy ? Schon leisten die 
Engländer nur mehr letzten Widerstand, aber auch die 
französischen Truppen ermatten. Wie zwei Ringer keu- 
chend, stehen sie mit schon gelähmten. Armen einander 
gegenüber, atemholend, ehe sie einander zum letzten 


I2I 


Male fassen: die unwiderrufliche Runde der Entschei- 
dung ist gekommen. 

Da endlich donnern Kanonen an der Flanke der Preu- 
ßen: Geplänkel, Füsilierfeuer! „Enfin Grouchy!“ End- 
lich Grouchy! atmet Napoleon auf. Im Vertrauen auf 
die nun gesicherte Flanke, sammelt er seine letzte Mann- 
schaft und wirft sie noch einmal gegen Wellingtons 
Zentrum, den englischen Riegel vor Brüssel zu zer- 
brechen, das Tor Europas aufzusprengen. 

Aber jenes Gewehrfeuer war bloß ein irrtümliches Ge- 
plänkel, das die anrückenden Preußen, durch die andere 
Uniform verwirrt, gegen die Hannoveraner begonnen: 
bald stellen sie das Fehlfeuer ein, und ungehemmt, breit 
und mächtig quellen jetzt ihre Massen aus der Wal- 
dung hervor. Nein, es ist nicht Grouchy, der mit seinen 
Truppen anrückt, sondern Blücher, und damit das Ver- 
hängnis. Die Botschaft verbreitet sich rasch unter den 
kaiserlichen Truppen, sie beginnen zurückzuweichen, in 
leidlicher Ordnung noch. Aber Wellington erfaßt den 
kritischen Augenblick. Er reitet bis an den Rand des 
siegreich verteidigten Hügels, liiftet den Hut und 
schwenkt ihn über dem Haupt gegen den weichenden 
Feind. Sofort verstehen die Seinen die triumphierende 
Geste. Mit einem Ruck erhebt sich, was von englischen 
Truppen noch übrig ist, und wirft sich auf die gelockerte 
Masse. Von der Seite stürzt gleichzeitig preußische Ka- 
vallerie in die ermattete, zertrümmerte Armee: der 
Schrei gellt auf, der tödliche: „Sauve qui peut!“ Ein 
paar Minuten nur,und dieGrande Armee ist nichts mehr 
als ein zügellos jagender Angststrom, der alles, auch 


122 


Napoleon selbst, mitreißt. Wie in wehrloses, fühlloses 
Wasser schlägt die nachspornende Kavallerie in diesen 
rasch und flüssig rückrennenden Strom, mit lockerem 
Zug fischen sie die Karosse Napoleons, den Heerschatz, 
die ganze Artillerie aus dem schreienden Schaum von 
Angst und Entsetzen, und nur die einbrechende Nacht 
rettet dem Kaiser Leben und Freiheit. Aber der mitter- 
nachts dann, verschmutzt und betäubt, in einem niedern 
Dorfwirtshaus müde in den Sessel fällt, ist kein Kaiser 
mehr. Sein Reich, seine Dynastie, sein Schicksal sind 
zu Ende: die Mutlosigkeit eines kleinen, unbedeutenden 
Menschen hat zerschlagen, was der Kühnste und Weit- 
blickendste in zwanzig heroischen Jahren erbaut. 


* 


Rücksturz ins Tägliche 

Kaum schmettert der englische Angriff Napoleon nie- 
der, so jagt ein damals fast Namenloser auf einer Extra- 
kalesche die Straße nach Brüssel und von Brüssel an das 
Meer, wo ein Schiff seiner wartet. Er segelt hinüber 
nach London, um dort vor den Stafetten der Regierung 
einzutreffen, und es gelingt ihm, dank der noch unbe- 
kannten Nachricht, die Börse zu sprengen: es ist Roth- 
schild, der mit diesem genialen Zug ein anderes Kaiser- 
reich begründet, die Dynastie des Geldes. Am nächsten 
Tage weiß England um den Sieg und weiß in Paris 
Fouché, der ewige Verräter, um die Niederlage: schon 
dröhnen in Brüssel und Deutschland die Siegesglocken. 

Nur einer weiß am nächsten Morgen noch nichts von 
Waterloo, obzwar nur vier Stunden weit von dem 


123 


Schicksalsort: der ungliickselige Grouchy; beharrlich 
und planmäßig ist er, genau nach dem Befehl, den Preu- 
ßen nachgerückt. Aber sonderbar, er findet sie nirgends, 
das wirft Unsicherheit in sein Gefühl. Und immer noch 
poltern von nahe her die Kanonen lauter und lauter, als 
schrien sie um Hilfe. Sie spüren die Erde beben und 
spüren jeden Schuß bis ins Herz. Alle wissen nun, das 
gilt keinem Geplänkel, sondern eine gigantische Schlacht 
ist entbrannt, die Schlacht der Entscheidung. 

Nervös reitet Grouchy zwischen seinen Offizieren. Sie 
vermeiden, mit ihm zu diskutieren: ihr Ratschlag ist ja 
verworfen. 

Erlösung darum, wie sie bei Wawre endlich auf ein ein- 
zelnes preußisches Korps stoßen, auf Blüchers Nachhut. 
Gleich Rasenden stürmen sie gegen die Verschanzungen, 
Gerard allen voran, als suche er, von düsterer Ahnung 
getrieben, den Tod. Eine Kugel schlägt ihn nieder: der 
lauteste der Mahner ist nun stumm. Mit Nachteinbruch 
stürmen sie das Dorf, aber sie fühlens, dieser kleine 
Nachhutsieg hat keinen Sinn mehr, denn mit einmal ist 
es von drüben, vom Schlachtfeld her, vollkommen still 
geworden. Beängstigend stumm, grauenhaft friedlich, 
ein gräßlich totes Schweigen. Und alle spüren sie, daß 
das Rollen der Geschütze noch besser war als diese 
nervenzerfressende Ungewißheit. Die Schlacht muß ent- 
schieden sein, die Schlacht bei Waterloo, von der endlich 
Grouchy (zu spät!) jenes hilfedrängende Billett Napo- 
Jeons erhalten hat. Sie muß entschieden sein, die gigan- 
tische Schlacht, doch für wen? 

Und sie warten die ganze Nacht. Vergeblich! Keine 


124 


Botschaft kommt von drüben. Es ist, als hätte sie die 
Große Armee vergessen, und sie ständen leer und sinnlos 
im undurchsichtigen Raum. Am Morgen brechen sie die 
Biwaks ab und nehmen den Marsch wieder auf, todmüde 
und längst bewußt, daß all ihr Marschieren und Manö- 
vrieren längst zwecklos geworden ist. Da, endlich, um 
zehn Uhr vormittags, sprengt ein Offizier des General- 
stabs heran. Sie helfen ihm vom Pferde und überschütten 
ihn mit Fragen. Aber er, das Antlitz verwüstet von 
Grauen, die Haare naß an den Schläfen und zitternd von 
übermenschlicher Anstrengung, stammelt nur unver- 
ständliche Worte, Worte, die sie nicht verstehen, nicht 
verstehen können und wollen. Für einen Wahnsinnigen, 
für einen Trunkenen halten sie ihn, wie er sagt, es gäbe 
keinen Kaiser mehr, keine kaiserliche Armee, Frankreich 
sei verloren. Aber nach und nach entreißen sie ihm die 
ganze Wahrheit, den niederschmetternden, tödlich läh- 
menden Bericht. 

Grouchy steht bleich und stützt sich zitternd auf seinen 
Säbel: er weiß, daß jetzt das Martyrium seines Lebens 
beginnt. Aber er nimmt entschlossen die undankbare 
Aufgabe der vollen Schuld auf sich. Der subalterne, zag- 
hafte Untergebene, der in der großen Sekunde der un- 
sichtbaren Entscheidung versagte, wird jetzt, Blick in 
Blick mit einer nahen Gefahr, wieder Mann und beinahe 
Held. Er versammelt sofort alle Offiziere und hält — 
Tränen des Zorns und der Trauer in den Augen — eine 
kurze Ansprache, in der er sein Zögern rechtfertigt und 
gleichzeitig beklagt. Schweigend hören ihn seine Offi- 


ziere an, die ihm gestern noch grollten. Jeder könnte ihn 


125 


anklagen und sich rühmen, besserer Meinung gewesen 
zu sein. Aber keiner wagt und will es. Sie schweigen und 
schweigen. Die rasende Trauer macht sie alle stumm. 

Und gerade in jener Stunde nach seiner versäumten 
Sekunde, zeigt Grouchy — nun zu spät — seine ganze 
militärische Kraft. Alle seine großen Tugenden, Beson- 
nenheit, Tüchtigkeit, Umsicht und Gewissenhaftigkeit, 
werden klar, seit er wieder sich selbst vertraut und nicht 
mehr geschriebenem Befehl. Von fünffacher Übermacht 
umstellt, führt er — eine meisterhafte taktische Lei- 
stung — mitten durch die Feinde seine Truppen zurück, 
ohne eine Kanone, ohne einen Mann zu verlieren, und 
rettet Frankreich, rettet dem Kaiserreich sein letztes 
Heer. Aber kein-Kaiser ist, wie er heimkehrt, mehr da, 
ihm zu danken, kein Feind, dem er die Truppen ent- 
gegenstellen kann. Er ist zu spät gekommen, zu spät für 
immer, und wenn nach außen sein Leben noch aufsteigt 
und man ihn zum Oberkommandanten ernennt, zum Pair 
von Frankreich, und er in jedem Amt sich mannhaft- 


tüchtig bewährt, nichts kann ihm mehr diesen einen i 
g ) 


Augenblick zurückkaufen, der ihn zum Herrn des 
Schicksals gemacht und dem er nicht gewachsen war. 

So furchtbar rächt sich die große Sekunde, sie, die selten 
in das Leben der Irdischen niedersteigt, an dem zu un- 
recht Gerufenen, der sie nicht zu nützen weiß. Alle 
bürgerlichen Tugenden, wohl wappnend gegen die An- 
sprüche stillrollenden Tags, Vorsicht, Gehorsam, Eifer 
und Bedächtigkeit, sie alle schmelzen ohnmächtig in der 
Glut des großen Schicksalsaugenblicks, der immer nur 
den Genius fordert und zum dauernden Bildnis formt. 


126 


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Verächtlich stößt er den Zaghaften zurück — einzig den 
Kühnen hebt er, ein anderer Gott der Erde, mit feurigen 
Armen in den Himmel der Helden empor. 
Aus den fünf historischen Miniaturen ,,Sternenstunde 
der Menschheit“ (Insel-Bücherei Nr. 165) 


* 


GESCHICHTEN AUS DEM HERODOT 


Kandaules und Gyges 


| Kandaules war sehr verliebt in seine Frau, und ver- 
_ liebt, wie er war, glaubte er das schönste Weib von der 
Welt zu besitzen. Nun befand sich in seiner Leibwache 
ein gewisser Gyges, Daskylos’ Sohn, den er besonders 
schätzte. Dem vertraute er die wichtigsten Dinge an, 
und so pries er ihm gelegentlich auch die unvergleich- 
liche Schönheit seiner Frau. Bald nachher, denn es sollte 
 Kandaules übel ergehen, sagte er zu ihm: „Gyges, du 


scheinst mir noch immer nicht zu glauben, was ich dir 
über die Schönheit meiner Frau gesagt habe (aber da 
man den Augen mehr als den Ohren traut), darum sollst 
du sie einmal nackt sehen.“ Da entsetzte sich Gyges 
und sagte: „Herr, wie kannst du mir so etwas ansinnen ? 
Ich soll meine Herrin nackt sehen? Mit dem Kleide 
zieht das Weib auch die Scham aus. Die Menschen 
sind längst dahintergekommen, was sich schickt, und das 
soll man sich zur Lehre nehmen. Und dazu gehört auch, 
daß keiner sieht, was ihm zu sehen nicht gebührt. Ich 
glaube dir ja gern, daß sie das schönste Weib ist, bitte 
dich aber, nichts Ungebührliches von mir zu verlangen.“ 


127 


Mit diesen Worten schlug er es ab aus Furcht, es könnte 
ihm übel bekommen. Kandaules aber erwiderte: „Nur 
Mut, Gyges, fürchte dich nicht; ich werde dich nicht 
in Versuchung führen, und auch meine Frau wird dir 
nichts zuleide tun. Denn ich werde es schon so ein- 
richten, daß sie nicht merkt, daß du sie gesehen hast. 
Ich will dich nämlich in unserm Schlafgemach hinter 
die offene Tür stellen. Gleich nach mir wird dann 
auch meine Frau hereinkommen, um zu Bette zu gehen. 
Dicht am Eingange steht ein Stuhl, auf den legt sie, 
wenn sie sich auszieht, ihre Kleider, eins nach dem 
andern, und dann kannst du sie dir in aller Ruhe an- 
sehen. Wenn sie aber von dem Stuhle nach dem Bette 
geht und dir den Rücken zukehrt, mußt du machen, 
daß du aus der Tür kommst, damit sie dich nicht 
sieht.“ | 
So erklärte er sich, da ihm nichts anderes übrig blieb, 
denn auch dazu bereit. Als Kandaules glaubte, es sei 
Zeit, zu Bette zu gehen, nahm er ihn mit in die Schlaf- 
kammer, und gleich darauf kam auch die Frau. Gyges 
aber sah sie sich an, als sie hereinkam und ihre Kleider 
ablegte. Wie sie sich dann nach dem Bette wandte und 
ihm den Rücken zukehrte, schlich er ganz leise hinaus. 
Die Frau aber sah ihn hinausgehen. Obwohl sie über- 
zeugt war, daß ihr Mann ihr das getan, schrie sie nicht, 
weil sie sich schämte, und ließ sich überhaupt nichts 
merken, nahm sich aber vor, sich dafür an Kandaules 
zu rächen. Denn bei den Lydern und fast bei allen Bar- 
baren ist es selbst für einen Mann sehr unanständig, 
nackt gesehen zu werden. 


128 


Die Sphinx von Gise 


Digitized by Google 


Damals also schwieg sie und lief sich nichts merken. 
Aber sobald es Tag geworden, ließ sie die Diener, die 
ihr am treuesten ergeben waren, kommen und Gyges 
rufen, der aber ahnte nicht, daß sie um die Sache wußte, 
und fand sich unverzüglich bei ihr ein; denn er war von 
jeher gewohnt, der Königin aufzuwarten, wenn sie ihn 
zu sich entbieten ließ. Als Gyges erschienen war, redete 
sie ihn also an: „Jetzt stehen dir zwei Wege offen, 
Gyges, und ich lasse dir zwischen beiden die Wahl. 
Entweder mußt du Kandaules töten und mein Mann 
und König der Lyder werden oder auf der Stelle des 
Todes sterben, damit du dich nicht immer wieder von 
Kandaules verführen läßt und siehst, was du nicht sehen 
sollst. Einer von euch beiden muß sterben, entweder er, 
weil er dich dazu verführt, oder du, weil du mich nackt 
gesehen und unerhört gegen die gute Sitte verstoßen 
hast.“ Anfangs war er wie auf den Mund geschlagen 
und wußte nicht, was er sagen sollte, dann aber bat er 
sie flehentlich, ihn nicht zu einer solchen Wahl zu zwin- 
gen. Da sie jedoch darauf bestand, und er einsah, daß 
ihm in der Tat nichts übrig. blieb, als entweder seinen 
Herrn zu töten oder selbst von Henkers Hand zu ster- 
ben, wollte er doch lieber selbst leben bleiben und rich- 
tete an sie folgende Frage: „Da du mich zwingst, so 
schwer es mir wird, meinen Herrn zu töten, so sag mir 
auch, auf welche Weise wir Hand an ihn legen sollen.“ 
Sie aber erwiderte: „An derselben Stelle, wo er mich 
nackt hat sehen lassen, wollen wir ihn überfallen und 
im Schlafe ermorden.“ 

Nachdem sie ihren Plan gefaßt und es Nacht geworden 


129 


war, ging Gyges mit der Frau in das Schlafgemach 
(denn sie ließ ihn nicht los, und er hatte keine Wahl, 
eatweder mußte er oder Kandaules sterben), sie aber 
gab ihm einen Dolch und versteckte ihn wieder hinter 
der Tür. Darauf, als Kandaules im Schlafe lag, kam 
Gyges hervor und erstach ihn und gewann damit sein 


Weib und sein Reich. 
ak 


Agypten 
Bei Agypten aber werde ich noch langer verweilen, weil 
es ein gar zu wunderbares Land ist und mehr Merk- 
würdigkeiten enthält als irgendein anderes Land. Des- 
halb will ich noch weiter davon reden. Wie der Himmel 
in Ägypten anders aussieht als anderswo und der Fluß 
dort anders beschaffen ist als andere Flüsse, so haben 
die Ägypter auch ganz andere Sitten und Gewohnheiten 
als andere Menschen. So gehen bei ihnen die Weiber 
auf den Markt und treiben Kramhandel, während die 
Männer zu Hause bleiben und weben. Anderswo webt 
man den Einschlag von oben ein, in Ägypten von unten. 
Lasten tragen die Männer auf dem Kopfe, die Weiber 
auf den Schultern. Die Weiber schlagen das Wasser im 
Stehen ab, die Männer im Sitzen. Die Notdurft ver- 
richten sie im Hause und essen auf der Straße, denn 
nach ihrer Meinung muß man das Unanständige, wenn 
man es nötig hat, im Verborgenen tun, das Anständige 
aber vor aller Augen. Weiber versehen niemals Priester- 
dienste, weder bei Göttern noch bei Göttinnen, Männer 
dagegen bei allen beiden. Söhne brauchen ihre Eltern 


130 


nicht zu ernähren, wenn sie es nicht wollen, Töchter 
aber müssen es, auch wenn sie es nicht wollen. 
Anderswo tragen die Priester der Götter langes Haar, 
in Ägypten schneiden sie es ab. In anderen Ländern ist 
es Sitte, daß sich die Leidtragenden bei einem Trauer- 
fall das Haar abschneiden, in Ägypten aber lassen sie es 
bei einem Todesfall auf dem Kopfe und am Kinn wach- 
sen, wenn sie es bis dahin geschoren hatten. Andere 
Leute leben nicht mit ihrem Vieh zusammen, die Ägyp- 
ter leben mit ihnen unter einem Dache. Anderswo ißt 
man Weizen- und Gerstenbrot, einem Ägypter würde 
es übel anstehen, wenn er das täte, sondern man bereitet 
das Brot aus Einkorn, das sonst auch Dinkel genannt 
wird. Sie kneten den Teig mit den Füßen und den 
Lehm mit den Händen (und fassen damit auch den Mist 
an). Die Geschlechtsteile lassen andere so, wie sie von 
Natur beschaffen sind, die Ägypter aber und solche, die 
es ihnen nachmachen, beschneiden sie. Jeder Mann hat 
zwei Kleider, die Frau aber nur eins. Die Segelringe 
und die Segeltaue bindet man sonst inwendig, in Ägyp- 
ten aber von außen an. Die Griechen schreiben und 
rechnen von links nach rechts, die Ägypter dagegen von 
rechts nach links, und trotzdem sagen sie, sie schrieben 
nach rechts und die Griechen nach links. Es gibt bei 
ihnen zweierlei Schrift, von denen die eine die hiera- 
tische, die andere die demotische heißt. 

Die Ägypter sind das religiöseste unter allen Völkern 
und haben folgende Sitten. Sie trinken aus ehernen 
Bechern, die sie täglich aufwaschen, und zwar alle und 
nicht nur dieser oder jener. Sie tragen leinene, immer 


131 


frisch gewaschene Kleider, womit sie es sehr genau 
nehmen. Die Geschlechtsteile beschneiden sie der Rein- 
lichkeit wegen, indem sie mehr Wert auf Reinlichkeit 
als auf Schicklichkeit legen. Die Priester scheren sich 
alle drei Tage den ganzen Leib, damit sie beim Gottes- 
dienst nicht von Läusen und anderem Ungeziefer be- 
fallen werden. Die Priester tragen auch nur ein einziges 
leinenes Kleid und Schuhe von Byblos. Andere Kleider 
und andere Schuhe dürfen sie nicht anziehen. Sie waschen 
sich zweimal am Tage und zweimal des Nachts mit 
kaltem Wasser und haben außerdem, ich möchte sagen, 
noch tausend andere religiöse Bräuche, die sie befolgen 
müssen. Dafür haben sie dann auch wieder große Vor- 
teile. Denn ihr Haushalt kostet ihnen nichts, da ihnen 
Brot auf Tempelkosten gebacken und jedem täglich 
Rind- und Gänsefleisch in Menge geliefert wird und 
Wein dazu. Fisch aber dürfen sie nicht essen. Bohnen 
werden in Ägypten überhaupt nicht gebaut, und auch 
wo sie wild wachsen, werden sie weder roh gekaut noch 
gekocht gegessen. Die Priester aber dürfen sie gar nicht 
sehen; denn sie gelten für eine unreine Frucht. Jeder 
Gott hat nicht nur einen, sondern viele Priester, von 
denen einer der Oberpriester ist, und wenn er stirbt, 
wird sein Sohn sein Nachfolger. 

Nun komme ich zum Krokodil. In den vier Haupt- 
wintermonaten frißt es nichts, und obwohl es ein Vier- 
füßler ist, lebt es doch nicht nur auf dem Lande, son- 
dern auch im Wasser. Denn es legt und brütet seine 
Eier auf dem Lande und hält sich den größten Teil des 


Tages auf dem Trockenen, die ganze Nacht aber im 


132 


Flusse auf; denn dann ist das Wasser warmer als die 
Luft und der Tau. Von allen uns bekannten Tieren 
wird dieses aus dem kleinsten das größte; denn seine 
Eier sind nicht viel größer als ein Gänseei, und das 
Junge ist nicht größer als das Ei; dann aber wächst es 
und wird gegen siebzehn Ellen lang, ja noch größer. 
Es hat Schweinsaugen und große (der Größe seines 
Körpers entsprechende), spitzige Zähne. Es ist das ein- 
zige Tier, das keine Zunge hat und den Unterkiefer 
nicht bewegt, auch das einzige, welches den Oberkiefer 
gegen den unteren bewegt. Es hat scharfe Krallen und 
am Rücken einen undurchdringlichen Schuppenpanzer. 
Im Wasser ist es blind, auf dem Lande aber sieht es 
sehr scharf. Da es im Wasser lebt, ist sein Rachen in- 
wendig voller Blutegel. Alle anderen Vögel und Tiere 
fürchten sich vor ihm, der ägyptische Regenpfeifer aber 
lebt mit ihm im Frieden, weil er ihm gute Dienste leistet. 
Denn wenn das Krokodil aus dem Wasser ans Land 
kommt und den Rachen aufsperrt (was es gegen den 
Westwind in der Regel zu tun pflegt), so schlüpft ihm 
der Regenpfeifer in den Rachen und verschluckt die 
Blutegel. Solchen Dienst läßt es sich gern gefallen, und 
es tut dem Vogel nichts zuleide. 

In einigen Gegenden von Ägypten gelten die Krokodile 
für heilig, in anderen aber nicht, und man verfolgt sie 
als gefährliche Tiere. Bei Theben und am Moiris-See 
gelten sie für besonders heilig. Hier wie dort aber hält 
man sich ein Krokodil, welches so weit gezähmt ist, 
daß es sich anfassen läßt. Man hängt ihm Ohrringe an 
von Schmelz und Gold, und Spangen um die Vorder- 


133 


füße, füttert es aus den Vorräten des "Tempels mit 
Leckerbissen und pflegt es sein Leben lang aufs beste. 
Stirbt es, so wird es einbalsamiert und in einem heiligen 
Sarge begraben. Bei Elephantine aber ißt man die Kro- 
kodile und hält sie nicht für heilig. Sie heißen auch (in 
Ägypten) nicht Krokodile, sondern Champsai. Krokodile 
(= Eidechsen) aber nennen die Ionier sie wegen der 
Ähnlichkeit mit den Eidechsen im Dorngestrüpp. 

Man fängt es auf mancherlei Weise; ich beschreibe nur 
eine, die mir besonders erwähnenswert scheint. Man 
steckt einen Schweinsrücken auf einen Angelhaken und 
läßt ihn in den Fluß hinunter, stellt sich dann selbst 
mit einem lebendigen Schweine ans Ufer und schlägt es. 
Wenn das Krokodil es quieken hört, geht es dem Klange 
nach, gerät dabei an den Schweinsrücken und ver- 
schlingt ihn. Nun zieht man es heraus, und wenn es ans 
Land gezogen ist, muß ihm der Jäger zuerst die Augen 
mit Schlamm verkleben; dann hat er leichtes Spiel, sonst 
aber noch seine liebe Not mit ihm. 

Es gibt auch noch einen heiligen Vogel, den Phönix. 
Ihn selbst habe ich freilich nicht gesehen, sondern nur 
sein Bild. Denn wie die Leute in Heliupolis sagen, 
kommt er sehr selten, alle fünfhundert Jahre einmal, 
zu ihnen, und zwar nur, wenn sein Vater gestorben ist. 
Sieht er wirklich so aus wie sein Bild, so sind seine 
Federn teils goldfarbig, teils rot. An Gestalt und Größe 
aber hat er die meiste Ähnlichkeit mit einem Adler. 
Nun sagen sie, was ich aber nicht glaube, er käme aus 
Arabien und brächte seinen Vater, den er mit Myrrhen 


verklebt, in den ‘Tempel des Helios und begrübe ihn 


134 


dort. Dabei aber verfiihre er auf folgende Weise. Zuerst 
mache er sich ein Ei aus Myrrhen so groß, wie er es 
tragen könnte, und wenn er sich davon überzeugt, daß 
er es tragen könnte, höhle er das Ei aus und lege seinen 
Vater hinein, dann aber verklebe er es da, wo er es 
ausgehöhlt und seinen Vater hineingelegt, wieder mit 
Myrrhen. Nun wäre das Ei mit dem Vater darin ebenso 
schwer wie vorher, und so verklebt brächte er ihn nach 
Ägypten in den Tempel des Helios. So, sagen sie, mache 


es dieser Vogel. 
Aus dem Buch „Das Geschichtswerk des Herodot von 
Halikarnass“ neu übertragen von Theodor Braun. 


x 


DEMETER-SONETTE 
VON RICHARD FRIEDENTHAL 


Die feuchten Pappeln glänzen hoch und steil, 
Wie Honig bleibt das Licht an ihnen kleben, 

Es keimt die Luft und schwillt in weichem Beben, 
Die Büsche wiegen sich, gewittergeil. 


Die Wiese wälzt sich, eine Metze, feil 

Und schamlos allen Winden preisgegeben. 
Auf alle Blüten lagert sich das Leben 

Und auch der offne Teich bekommt sein Teil. 


Und Bienen kommen, braun mit goldnen Haaren, 
Ihr wühlend Summen schwängert rings den Duft. 
Es lehnt der Fels sich trunken in die Luft 


135 


Und neigt sich im Gefühl des nahen Falls. 
Du hebst die Hände, deine Brust zu wahren, 
Und plötzlich liegen sie um meinen Hals. 


x 


Dies gibt es, daß sich eine Frau dir läßt, 
In jeder Fiber deinem Wunsch gewillt, 
Und: daß man dennoch völlig ungestillt 
Und hungrig sie in seine Arme preßt. 


Verzweifelt halten sich die Leiber fest 
Und liegen beieinander wie zerkniillt, 
Von Angst und Trauer ratlos angefüllt 
Und trinken ohne Mut den bittren Rest. 


O Einsamkeit. Uns hält das gleiche Leinen, 
Und doch sind wir uns weiter fern als je. 
Wie reiben sich die Herzen träge weh. 


Wir sind uns fremd, wenn wir uns ganz vereinen. 
Schrittweis entwandern uns der Herzen Schläge, 


Und jedes Blut geht seine eignen Wege. 


a 


Die Hand ist warm und voll und fest im Schlusse 
Und wie gemacht, um üppig zu verschwenden: 
Im Ansatz breit, abschwellend zu den Enden, 
Rist, Finger und Gelenk aus einem Gusse. 


136 


Ich folge mit dem Munde ihrem Flusse 
Und muß sie oft so hin und wieder wenden, 
Der Glanz der Haut will mir die Lippen blenden; 


Leis tönen die Gelenke unterm Kusse. 


Still ruht sie auf der Schläfe. Das Gewirre 
Der Linien dringt ins Hirn, ein kühler Garten, 
In dem ich wandernd mich getrost verirre. 


Wie auch die Wege durcheinandertrachten, 
Doch treffen sie sich alle. Tiefer lehn ich 
Mich in sie ein. Laß sie mir noch ein wenig. 


x 


W ie laue Milch sind unterm Strauch die Flecke 

Des Lichtes, und der Schatten schmeckt nach Nuf. 
Stark auf uns nieder strömt in vollem Fluß 

Der würzige Minzgeruch der Haselhecke. 


Wir liegen in dem luftigen Verstecke 
Und tauschen ruhig atmend Kuß um Kuß, 
Und horchen in den Pausen auf den Guß 


Der Sonne, stürzend auf die Blätterdecke. 


Nun bist du satt und dehnst die Schultern selig 
Ganz auseinander, senkst den Kopf zur Seite, 
Und liegst sehr bald in leichtem Schlummerschweiße. 


Der Boden ruft. Das schöne, fleischig heiße 
Gesicht schmilzt ein. Die Glieder gehn ins Breite. 
Zu Erde wird der ganze Leib allmählich. 


x 


137 


Kein Zug von Geiz in deinem weiten Blick, 
Du liebst es, dich unendlich zu verschwenden. 
Du gibst dich lächelnd aus mit vollen Händen, 
Und tausendfältig kehrst du dir zurück. 


Wie viele zälılen zögernd Stück um Stück 
Und rechnen nach, was sie an andre wenden, 
Und nickten hämisch, wenn sie Undank fänden. 


Doch nur die Grenzenlosigkeit ist Glück. 


Sie halten an sich, um ihr Herz zu schonen, 
Wie einen Stoff, den man zu kostbar hält, 
Und der doch dann, wenn man ihn braucht, zerfällt 


Vom Mottenfraß zerhöhlt wie mürber Zunder. 
Du aber strömst, ein unerschöpflich Wunder, 
Dich aus. — Gott wird dich irgendwie belohnen. 


x 


AUS EINEM KÜNFTIGEN BUCH 
VON HANS CAROSSA 


ERZIEHUNGEN 
Endlich kehrt der Sommer zuriick, und viel freier und 
einfacher wird nun das Leben; es dreht sich außerhalb 
des Unterrichts nur noch um Turnen, Springen und 
Schwimmen. Evas früh gestellte Forderung, man müsse 
die Muskeln bis zur Beinhärte üben, wird auf einmal 
die allgemeine; dazu kommt spartanische Verpönung 
der Wehleidigkeit; was einem Schmerzhaftes zustößt, 
hat man ohne Schreien und Gesichterschneiden zu ver- 


138 


winden. Mißerfolge in der Schule verlieren an Bedeu- 
tung; dagegen kann einem die Frage, ob man berufen 
sel, dereinst am hohen Reck den Riesenschwung aus- 
zuführen, tief in den Schlaf hinein verfolgen. Ehre aber 
dem Andenken der Lehrer! Die Freude an der Körper- 
bemeisterung teilt sich mehreren von ihnen mit; und 
wenn am Jahresende solch ein ruhmreicher Wettläufer 
oder Turnmeister über Latein oder Griechisch zu strau- 
cheln droht, wird ihm nicht ungern einige Nachsicht 
gewährt. Einem lustigen Irrtum verfällt mancher ver- 
sonnene Unerfahrene, da er die leiblichen Veränderun- 
gen an sich bemerkt, welche seinen Jahren zukommen; 
wie Verunstaltungen werden sie zunächst empfunden, 
dann erfolgt Aufklärung, und nun nimmt man sie als 
etwas ausnahmsweise Vorzeitiges, als eine Extrabeloh- 
nung der Natur für unvergleichlichen turnerischen Fleiß, 
man verdoppelt seinen Eifer, um die Symptome begin- 
nender Männlichkeit noch schneller zu entwickeln, muß 
jedoch zu seinem Ärger erfahren, daß auch Nichtturnern 
und Nichtschwimmern gleichen Alters die nämlichen 
Auszeichnungen zuteil werden. 

Hugos Kränklichkeit hatte im Winter zugenommen; er 
mußte sein Studium auf lange Zeit unterbrechen und 
Kuren durchmachen, wodurch ihm ein zweites Jahr 
verloren ging; als er wieder eintraf, gehörten wir der 
gleichen Klasse an, und nun stand uns nichts mehr im 
Wege, Duzfreunde zu werden. Dieser Neidlose, dem 
seines schwachen Herzens wegen das Turnen verboten 
war, bestärkte mein Streben, er sah im nächsten Som- 
mer meinen Übungen aufmerksam zu und besprach bald 


139 


lobend, bald bemängelnd jede neue Leistung. Dabei 
wob sich unmerklich ein anderes Band zwischen uns, 
ein feines und weit festeres, als ich mirs damals zu- 
gestanden hätte. Während er nämlich arglos von seinem 
zu Hause verbrachten Jahre erzählte, wurden mir nach 
und nach seine Angehörigen vertraute halbklare Ge- 
stalten, und eines Tages war es ein unausgesprochenes 
Geheimnis zwischen uns, daß eine Leidenschaft für 
seine Schwester Irma mich im Innersten beherrschte. 
Nicht als ob mir das Mädchen je zu Gesicht gekommen 
wäre — Hugo besaß nicht einmal eine Photographie von 
ihr —; aber die Seele brauchte wenig Stoff, um sich ein 
Bild zu machen. Eine gewisse blasse Grundvorstellung 
trug sie eingeboren in sich; Wesenszüge, die der Freund 
überlieferte, setzten sich leicht in sinnliche um, und was 
etwa fehlte, gab die eine oder andere schöne Lands- 
huterin her, die dem Zug der Zöglinge auf dem gemein- 
samen Spaziergang begegnete. Im Sommer blieb alles 
noch scherzhaft; als aber die träumerischen Zwielichts- 
monate wiederkamen, wurde Irma zum einzigen Sinn 
des Daseins, und listig tüftelte ich mir schon untertags 
die Reden aus, durch welche ich das himmlische Wesen 
in die Unterhaltung des Abends einzuführen gedachte. 
Hugo nämlich wollte zunächst abwehren, ging aber spä- 
ter doch, mitgerissen von meiner Glut, auf mein Ge- 
dankenspiel ein, das ihm große Macht über mich ver- 
lieh, und machte mich nun je nach Laune glücklich oder 
unglücklich. War eine Obstsendung aus Kading gekom- 
men, so gab ich ihm vor dem Schlafengehen immer noch 
einen besonders prächtigen Apfel für Irma mit, und nie 


140 


vergaß er, mir nach einigen Tagen ihren Dank zu über- 
mitteln. Dann und wann beglückte er mich durch eine 
Gegengabe grenzenlos, stieß mich aber auch einmal in 
Höllen der Verzweiflung, indem er mir traurigen Ge- 
sichts letzte Grüße von Irma entrichtete; sie habe in 
Würzburg einen wohlhabenden jungen Kaufmann ken- 
nen gelernt und werde wohl bald heiraten, ich solle mirs 
nicht allzusehr zu Herzen nehmen. So einfach ließ ich 
mich aber nicht abschütteln, und nun vermischten sich 
wirkliche und gespielte Leidenschaft mit ausgelassener 
Redelust; es entstanden stürmische Szenen, die schließ- 
lich den Freund erschreckten, so daß er die Verlobung 
zurückgehen ließ. Damit aber war leider die Höhe der 
Liebe überschritten; wir fanden Geschmack an solchen 
Aufführungen, die um so schlagfertiger wurden, je mehr 
sich die ursprünglich echte Empfindung dabei verlor. 
Dennoch wuchs Irma noch eine Zeitlang an Reiz und 
Huld, und Hugo, der sich als Älterer ein wenig zur 
Überwachung meiner Schulfortschritte berufen fühlte, 
bewirkte manches Gute, indem er durch die Vorstellung 
einer immer anteilnehmenden Schwester meinen Fleiß 
zu stärken wußte. Jeden Erfolg und jeden Mißerfolg 
verriet er ihr, und ebenso pünktlich brachte er mir ihr 
Lob oder ihre Betrübnis zum Ausdruck. So tat ich mein 
Bestes, um bei der nie gesehenen Geliebten in Geltung 
zu bleiben, und etwa bis zu der Zeit, wo der priester- 
liche Lenker uns verließ, dauerte das geistig zarte Ver- 
hältnis, das vielleicht nur in der von ihm geschaffenen 
Atmosphäre möglich war. 


141 


KARNEVAL 

Immer deutlicher zeigte der neue Herr, daß er mit uns 
in Frieden zu leben wünschte; er ließ die hergekommenen 
Faschingsbräuche bestehen und sah mit wohlwollendem 
Staunen zu, wie wir lange bunte Bänder, von denen 
freundlich grinsende Goldmonde herabhingen, über die 
Speisesaalwände spannten und uns in Masken tummelten. 
Daß wir durch Stadtschüler Wein hereingeschmuggelt 
hatten, entging ihm nicht, und es erfüllte ihn mit Sorge; 
aber auch das Weintrinken an den drei Karnevalsaben- 
den gehörte zu den uralten Gerechtsamen der oberen und 
mittleren Jahrgänge, und so ließ er es denn bei einer 
Mahnung zur Mäßigkeit bewenden. Mein Kostüm lobte 
er; nur, meinte er, sei es fast unheimlich, mich so wohl- 
erzogen zu sehen. Es war nicht zum erstenmal, daß ein 
Gewand mich verwandelte, und gewiß hat es immer zum 
Sinn der Trachten gehört, daß sie dem Menschen eine 
Haltung aufzwangen. 

Aber der Wein ging um, und bald verriet er die inner- 
sten Richtungen. Mancher, der sonst ein Schreier war, 
wurde jetzt besinnlich still; dagegen führte mancher als 
nüchtern und schüchtern Bekannte plötzlich eine uner- 
hörte Sprache, man glaubte sich in die wildesten Auf- 
ruhrzeiten zurückversetzt. Ein zarter Zögling, der uns 
durch übertriebenes Frommtun gelegentlich zu ärgern 
pflegte, begann als weißer, gelbgetupfter Clown zu wei- 
nen und zu fluchen, und als man teilnehmend fragte, was 
ihm fehle, erging er sich in verworrenen Reden von einer 
bleichsüchtigen, brandrot gelockten Kusine; die Bedau- 
ernswerte sei, wenige Straßen entfernt, im Ursuliner- 


142 


kloster eingesperrt, alle die armen Madchen miften 
ohne Zweifel die Faschingsnächte im Gebet verbringen 
und Milch trinken, wenn wir nicht samt und sonders 
elende Schufte und Feiglinge wären, zögen wir hinüber 
mit unserem Wein, verjagten die bösen Nonnen und 
feierten mit den schönen Kindern einen herrlichen Kar- 
_neval. So frevelmütigen Reden folgte die gerechte Strafe 
auf dem Fuß. Entkräftende Übelkeit befiel den Un- 
seligen; er mußte Hals über Kopf, umstürmt von Ge- 
lächter, das Weite suchen und fand sich erst spät, in 
ganz gebrochener, bußfertiger Stimmung wieder ein. 

Ein kleiner Streit entstand im Laufe des Abends über 
Herrn Buchkatz, den neuen Kandidaten; ein vielumher- 
horchender Schüler wollte wissen, es habe mit diesem 
Vorgesetzten eine eigene Bewandtnis, die Gabe der 
Dichtkunst sei ihm verliehen, in freien Stunden schließe 
er sich ein und schreibe Verse zu Ehren heiliger Männer 
und Frauen, herrliche, die bereits in Zeitschriften durch 
die Welt klängen. Diese Kunde, die mir so starkes Herz- 
klopfen erregte, als ginge sie mich persönlich an, wurde 
von mehreren als unglaubhaft zurückgewiesen, es gab ein 
hitziges Für- und Widerreden, das auszuarten drohte, 
bis Hugo, der als Türke verkleidet war, durch List und 
Scherz den Wortwechsel in Heiterkeit zerstreute. Die 
Arme über der Brust gekreuzt, mit einer tiefen Ver- 
neigung, näherte er sich dem Rätselvollen und fragte be- 
scheiden, ob er sich eine Auskunft erbitten dürfte. Voll 
Neugier kam jetzt einer um den anderen herbei; der 
Freund aber, schon leicht betrunken, gab uns alle der 
Enttäuschung preis. Als nämlich jener Gewährung 


143 


nickte, brachte er mit kindlicher Stimme nur die Frage 
hervor, ob es denn auf Ehre wahr sei, daß wir uns heute 
alles, aber auch wirklich alles erlauben diirften, was 
Buchkatz mit einiger Angstlichkeit verneinte, worauf 
Hugo, rückwärts schreitend und seine Haltung immer 
mehr verdemütigend, sich langsam entfernte. 

Rasch kehrte sich die Neugier der Zöglinge von Buch- 
katzens Dichterschaft zu anderem; vermutlich war ich 
der einzige, der sich über die Möglichkeit, einen wirk- 
lichen Poeten leibhaftig vor sich zu sehen, nicht so bald 
zu fassen wußte und das Geheimnis zu ergründen be- 
schloß. Indessen aber nahte mir bereits ein wundersames, 
nie ganz aufgeklärtes Verhängnis. An unserem Tische 
war der Wein ausgegangen, und eben befand ich mich 
auf dem Wege zum Studiersaal, wo am unvermutbar- 
sten Orte, nämlich im inneren Winkel des Katheders, 
noch zwei Flaschen verborgen standen, da begegnete mir 
auf der Stiege ein Knabe von ungewöhnlicher Schönheit. 
Er mußte erst vor kurzem in die Anstalt eingetreten 
sein; ich entsann mich nicht, ihn vorher gesehen zu 
haben. Hugo meinte später, die Verzauberung sei größ- 
tenteils vom Kostüm ausgegangen, und vielleicht hatte 
er nicht ganz unrecht. Es ähnelte der Form nach dem 
meinigen, bestand aber fast ganz aus tiefschwarzem Samt, 
auch das Mützchen, das er über die lichtblonden Locken 
gestülpt hatte, war schwarz, und einige silberne Tressen, 
die daran glänzten, erhöhten noch die dunkle Vornehm- 
heit. Zu unverhüllt war wohl meine Bewunderung, als 
daß er sie hätte übersehen können; mit einem grauen 
Mädchenblick lächelte er mich zweifelnd an, hob eine 


144 


weiße Narrenpritsche, die zu seiner Tracht eigentlich 
nicht paßte, versetzte mir einen kräftigen Schlag auf 
die Schulter und sprang lachend über die Stufen hinab. 
Es war die Maskenfreiheit jener Tage, die er damit in 
Anspruch nahm, nichts weiter; denn da gabs keinen 
Rangunterschied der Klassen, und begreiflicherweise 
machten die Kleinen von dem seltenen Recht, einen 
Größeren zu schlagen, den allerfröhlichsten Gebrauch. 
Mir aber war schon der Sinn verstellt, wie von scharfer 
Waffe getroffen, in unwillkürlicher Abwehr, griff ich 
an die Stelle meines goldenen Gürtelbandes, wohin der 
Degen gehört hätte, zugleich fühlte ich mich unerhört 
begünstigt und ausgezeichnet wie durch Ritterschlag. 

Im Saale fand ich den Wunderbaren unter den Schülern 
der dritten Klasse wieder. Sie hatten ihre Stühle um den 
grauen Brunnen gestellt und unterhielten sich. Ein klei- 
ner des Zitherspiels Kundiger in der Tracht des Loisach- 
tales schlug unermüdlich Walzer und Ländler; andere 
stampften, klatschten und pfiffen den Takt. Der Knabe 
hatte keinen Wein; ich bot ihm mein Glas, er dankte, 
nippte und wollte es zurückgeben; ich ließ es aber bei 
seinen Genossen in die Runde gehen und füllte es noch 
einmal. Ein wenig hatte ich die Helligkeit des großen 
Raumes gefürchtet, als könnte die Erscheinung hier 
weniger bedeuten wie droben im Zwielicht, war aber 
schon aufs innigste beruhigt; denn wie von Tag zu Tag 
der Mond sich füllt, so wuchsen Reiz und Adel dieses 
Antlitzes mit den Sekunden. Sogar ein leiser Zug von 
Verschlagenheit, der unter den Augen nistete, vermehrte 
nur mein Entzücken. Ich durchforschte die Gesichter 


145 


seiner Freunde nach Zeichen verwandter Ergriffenheit, 
bemerkte aber nichts; keinem schien er mehr zu gelten 
als irgendein anderer, einer schien mir wie der andere 
seelenblind. Einsam sah ich mich auf einer magischen 
Glücksleiter nach oben steigen, und, geistig aufgefaßt, 
rechtfertigte die Zukunft diesen Traum; denn wenn 
auch auf der Stelle, Schlag um Schlag, ein Ende herein- 
brach, so konnte doch das Wichtige nicht mehr verloren 
gehen. Nur eines Augenblicks bedarf der Regenbogen, 
um sich aufzubauen, und jede Entscheidung der Seele 
geschieht in Sekunden. Geahnt fiir immer war die Még- 
lichkeit einer neuen Gestalt, die eher vergehen wiirde, 
als Ziige der Furcht oder der Niedrigkeit annehmen, und 
was dann kam, Verkennung und Enttauschung, Beschul- 
digung und heimliche Verweisung, dies alles änderte 
daran nichts mehr. 

Kaindl, Schüler der Oberklasse, hochangesehener Leiter 
des Aufstands, kam, als Ritter verkleidet, finster, wein- 
glühend und tippte dem Schönen an den Arm: „Wo 
bleibt mein lässiger Knappe?“ Unschlüssig, stark er- 
rötend, sah der Junge zu mir herüber, erhob sich aber 
doch und leistete dem Gewaltigen Folge, der mich im 
Weitergehen zugekniffenen Auges maß. Darin fand ich 
zunächst nichts Feindliches, dachte vielmehr, dies sei 
der echte Ritterblick, so letz und fehdekündend, nicht 
unwürdig des Jünglings, den Eingeweihte als den Ur- 
heber der katonischen Sentenz gegen das grüne Tisch- 
chen verehrten. Dennoch begann es mich zu nagen, daß 
ich seinetwegen verlassen war, und als die beiden später, 
vertraulich redend, sich zum Ausgang hinbewegten, da 


146 


kam es mir vor, als lachten sie beide geringschatzig nach 
mir zurück. Dies konnte Tauschung sein; aber im Nu 
schwoll das Leiden zur Verzweiflung, hastig trank ich 
allen noch erreichbaren Wein zusammen und merkte so- 
eben mit böser Genugtuung, daß mein Benehmen durch- 
aus nicht mehr mit meinem edlen Kostüm in Einklang 
stand, als mir unvermutet Hugo begegnete, dem auch 
sein Turban schon recht schief auf dem Köpfchen saß. 
Von meiner bedeutsamen Bekanntschaft ihm gegenüber 
zu schweigen, war mir unmöglich, doch fand ich wenig 
Gehör. Ein hübscher Junge sei Trimming, das leugne 
niemand, freilich etwas backfischhaft, auch ein kleiner 
Ränkeschmied, wie man höre, keinesfalls ein Verkehr 
für mich, wenn er auch bei den obersten Klassen hoch in 
Gunst stehe, man könne sich wahrlich über Wichtigeres 
unterhalten. 

Diese Ausfälle brachten mich um jede Mäßigung; mit 
Genuß warf ich dem Freund verletzende Worte hin und 
sprach ihm schließlich alle Fähigkeiten ab, das herr- 
lichste der Wesen zu beurteilen. a 
Die Art, wie Hugo sich nunmehr veränderte, hätte mich 
ernüchtern müssen; sein Atem ging noch schneller als 
gewöhnlich, die Röte der Wangen wich einem bläulichen 
Weiß, lange sah er mich schweigend an. „Was wird 
Irma dazu sagen?‘ — Dies war alles, was er endlich 
hervorbrachte. Aber diese Berufung auf meine verflüch- 
tigte Liebe zu einem halberfundenen Idol war jetzt am 
wenigsten geeignet, mich zu beschwichtigen; ich emp- 
fand sie als nicht ernst gemeint, und dennoch traf sie 
mich empfindlich, ja viel würde ich gegeben haben, wenn 


147 


er nur gerade dies nicht gesagt hatte. Zum erstenmal emp- 
fing ich den Vorwurf der Untreue, die fiir den Augen- 
blick dem Leben allen Wert benimmt, und die Seelen- 
öde, die nun entstand, übertäubte ich durch vermehrte 
Wut, Ich rief es laut hinaus, daß ich diese Irma doch 
niemals mit Augen gesehen habe, daß niemand wissen 
könne, ob sie wirklich auf der Welt sei, ob er sie nicht 
etwa nur erdichtet habe, um mich zu seinem Sklaven zu 
machen. Da wärs denn doch wahrlich zuviel verlangt, 
immer nur sie allein anzubeten; gleichgültig, offenge- 
standen, ja verhaßt geradezu sei sie mir ein für alle- 
mal. Über diesen schmählichen Abfall entsetzt, brach 
der Freund in Tränen aus, ein nie für möglich gehaltenes 
Ereignis, das nun auch mich völlig auflöste; fassungslos 
weinend, umarmten wir uns schließlich zur unendlichen 
Erheiterung großer wie kleiner Mitzöglinge, die nur 
Betrunkenheit und Posse zu sehen glaubten, während 
wir beide, durch allen Weintaumel hindurch, etwas 
traumhaft Unersetzliches verloren gehen fühlten, ohne 
es hindern zu können. 

Des heulenden Elends endlich überdrüssig, verließ ich 
den Saal und ging in den um diese Zeit verbotenen Gar- 
ten hinaus, den ein mondgrauer Nebel verhing. Groß im 
Dunst standen die eingebauten Turngeräte, und von den 
Kastanienbäumen, wie schlafende Fledermäuse herabge- 
faltet, hing da und dort noch das herbstliche Laub. In 
Hirn und Augenlidern brauste der Wein; bald vernahm 
ich Schritte, bald Stimmen, bald glaubte ich Trimming 
mit Kaindl zwischen den Stämmen schleichen zu sehen. 
Frierend in dem leichten Maskenkleide begann ich zu 


148 


laufen und umkreiste das Feld, wo der gelbe Schliissel 
im Schnee vergraben lag; ich fragte mich, wer ihn wohl 
im Frühjahr finden werde. Auf einmal spürte ich über 
dem Nebel die Sterne und kehrte, halb getröstet, in den 
Saal zurück, wo man sich schon zum Schlafengehen 
rüstete. 

Am anderen Tag dämpften Unterricht und Hausordnung 
das Blut, und zwischen Hugo und mir war bald alles 
wieder wie sonst. Er war keiner, der böse Worte nach- 
trug, und wenn er mich nun auch murrend mit einem 
Eisklotz verglich, der voll Rührung zu Wasser zer- 
fließe, nachdem er einem ein Loch in den Schädel ge- 
schlagen, was leider dem Schädel nichts helfe, so gab mir 
dies doch nur Gelegenheit, ihn wegen des feinen Ver- 
gleichs zu bewundern. Auch aus mir war aller Zorn ver- 
weht, die Liebe leider nicht mit ihm. Unaufhaltsam zur 
Wesensmitte strebt ja die Schönheit; sie ruht nicht, bis 
wir ganz von ihr durchdrungen sind. 

Seltsam war Trimmings Verhalten; ich konnte mich 
nicht lange darüber täuschen, daß er mir aus dem Wege 
ging. Bei Tische sah ich ihn von weitem in einem grauen 
Röckchen sitzen; aber diesen Alltagsanzug empfand ich 
als nicht ganz würdige Verkleidung, auch erschien mir 
das immer halbabgewendete Gesicht wie vertauscht, 
kaum erkennbar. Erst der Abend erneuerte die gültige 
Gestalt, mit ihr aber auch mein Unglück. Der Knabe 
lächelte mir wohl einmal verstohlen zu, hob auch dann 
und wann die weiße Narrenpritsche gegen mich, besann 
sich aber jedesmal und enthielt sich des Schlags. Dies 
kränkte mich um so mehr, als er an andere wahllos frei- 


149 


gebig Hieb um Hieb austeilte, und doch hätte ich ihm 
danken sollen. Jener erste Schlag war heilige Verwun- 
dung gewesen, ein neues Organ der Seele war unter ihm 
aufgesprungen, — wie durfte ich wünschen, daß er sich 
sogleich wiederhole? Nach und nach stellte sich eine Art 
Gleichgewicht her, zumal der Weinbestand aufgebraucht 
war; ich bemühte mich nicht mehr soviel um Trimmings 
Nähe und hielt mich lieber zu Hugo, durchblätterte auch 
mitten im dazwischen schwirrenden Karneval wieder 
den geliebten poetischen Hausschatz, der fast jederzeit 
erreichbar war, da selten ein anderer Zögling auf ihn 
Anspruch machte. Dabei ging der Blick über die Stro- 
phen der toten Dichter hinaus immer wieder zum Tisch- 
chen der Vorgesetzten hin, wo, tief sich verschweigend, 
der lebendige saß, der erste, der mir begegnete. Heim- 
lich forschte ich in seinem Gesicht nach Geniuszügen, 
und sooft er mich ansah, ordnete ich unwillkürlich mein 
Betragen. Er jedoch verstand sein Geheimnis zu wahren, 
indem er aufs täuschendste das Gebaren eines ganz ge- 
wöhnlichen jungen Mannes nachahmte. Aber das beirrte 
mich nicht, und wie mir einstmals der Zauberstab gerade 
durch sein simples Aussehen Vertrauen eingeflößt hatte, 
so war es auch jetzt vor allem die Unscheinbarkeit, die 
mich im Glauben bestärkte. Schließlich beschrieb ich 
selbst einen Zettel mit Versen „An Trimming“, die ich 
ihm gelegentlich zuzustecken gedachte. Sie waren irgend- 
einem Dichter kindlich nachgetönt; ich aber hielt sie für 
namenlos großartig, und jedesmal, wenn ich mir die 
letzten Zeilen vorsagte: „Masken, Liebe, Wein! Unver- 
geßliches Beisammensein! Keine Kraft vergeht, kein 


150 


Herzensklang zerbricht. Unser Bund besteht, ob du es 
willst oder nicht“, — weinte ich vor Bewunderung und 
Rührung. Schon aber legten sich die Geschicke zurecht, 
die jedem seinen Opfertag bereiteten. 

Mitten in der Nacht erwachend, besann ich mich auf 
mein Gereime und suchte den Zettel, doch fand er sich 
in keiner meiner Taschen, und gleich war aller Schlaf 
dahin. Zum Suchen entschlossen, verließ ich das Bett. 
Werktagsanzug und Maskenkleid lagen auf dem Stuhl; 
ich wählte das letztere. Etwas warnte mich; auch fiel 
mir ein, daß nächtliches Hausdurchwandeln bei Strafe 
der Entlassung untersagt war; aber das aufgejagte Blut 
gehorchte weder innerem noch äußerem Verbot, und so 
glitt ich vollends in die Sphäre hinüber, wo wir dem Zu- 
fall ausgeliefert sind. Hinschleichend an der Bettenreihe 
blieb ich manchmal stehen, auf die vielen Atemzüge hor- 
chend; niemand wachte. Noch fesselte ein Wunderbares: 
man hatte vergessen, die Vorhänge zu schließen; die 
mondlichten Scheiben schimmerten von herrlichsten Eis- 
pflanzen, und jedes Fenster hatte sich eigene Formen 
erfunden. Über so viel Glanz vergaß ich fast mein Vor- 
haben; aber von Fenster zu Fenster weiter bewundernd 
geriet ich doch dem Ausgang zu. Vor Hugos Bett blieb 
ich stehen, als müßte mir ein Zuruf oder Zeichen von 
ihm kommen; aber er schlief, die Hände unter der 
Wange gefaltet, leisen, schnellen Atems wie immer. 
Das Zettelchen war an der Speisesaalschwelle bald ent- 
deckt, und nun wollte ich gleich den Rückzug antreten, 
fand es aber in dem langen mondgestreiften Gange gar 
nicht kalt und setzte mich, nahe dem einzigen Gas- 


151 


flämmchen, auf ein Fensterbrett. Wedelnd und niesend 
kam Barry herbei; ihm fiel nicht ein, mich etwa bellend 
zu verraten, vielmehr bohrte er die Schnauze in meinen 
flachsroten Samt und legte sich dann gemütlich nie- 
der, so daß ich mich seines Rückens als Teppich be- 
dienen konnte. Während ich mich so, mein Zettelchen 
in den Händen, einer wortlosen Gefühlswelt überließ, 
leuchteten im Augengrunde die bereiften Schlafsaalfen- 
ster nach. Der geistige Silberflor der Eisgewächse, her- 
übergepflanzt in die Seele, zweigte nach allen Seiten 
weiter, und wie von selber löste sich die Frage, warum 
das eine Glas nur solche, das andere nur solche Formen 
ernährte. An Dickelhubers Fenster war es ein krauses 
Gewirr von flimmernden Moosen und Korallen gewesen, 
bei Hugo dagegen glänzten schräge Distelstauden, mit 
muschelhaften silbernen Wirbeln durchstreut. Es waren 
die Schlafenden selber, die mit ihrem Atem diese zarten 
Meisterwerke bestimmten, das wurde mir in jener stillen 
Minute so sehr begreiflich. Gern hätte ich nur gewußt, 
wie es im Schlafraum der kleinen Zöglinge aussah und 
was für Figuren wohl an Trimmings Fenster wüchsen. 
Jetzt aber erhob sich Barry mit gedämpftem Knurren, 
und wie aus mir selbst hervorgetreten, stand unter dem 
Gasflammchen der Herr Kandidat Buchkatz. Sein fast 
gezischter Anruf erschreckte mich ungeheuer, erreichte 
aber doch nicht ganz mein inneres Ohr; ja ich vergaß, 
was ich als Mindestes dem Vorgesetzten schuldete, und 
ließ mich zum Aufstehen erst ermahnen. Dann freilich 
wünschte ich dies eilig gutzumachen und verlegte mich 
auf größte Artigkeit, zuvorkommend verriet ich sogar, 


152 


daß ich etwas Wichtiges verloren, gesucht und zum 
Glück auch wiedergefunden habe. 

„Was gesucht?“ Der Kandidat sah bleich und erregt 
aus; ich vergegenwärtigte mir seinen geheimen Dämon, 
— „auch ich bin ein Dichter und ein Verehrer von 
Ihnen“, wollte ich sehr zart und taktvoll sagen; aber 
kein Ton drang aus der Kehle. Dafür erwachte unend- 
liche Zuversicht, und als gäbe ich nun alles in seine 
Hand, Eisblumen und Mondlicht, Liebe und Kunst, 
einem begonnenen Bilde gleich, auf daß er es vollenden 
und mit einem goldenen Rahmen schmücken möge, so 
überreichte ich ihm schweigend, mit möglichst vielsagen- 
der Gebärde den Zettel. 

Er schraubte die Gasflamme höher und las. — „Es ist 
nicht anders“, murmelte er trübe vor sich hin. „Geh 
hinauf in den Schlafsaal und bete! Du hast es nötig. 
Und morgen erscheinst du zur Vernehmung!“ Das letzte 
rief er auf einmal so laut, daß Barry, der kluge Hund, 
dem der neue Mann noch nicht als vollwertiger Haus- 
bewohner galt, ihn zürnend anbellte. Dieses Verhalten 
des braven Tieres und noch mehr ein gewisses leichtes 
Zurückweichen des Herrn Kandidaten vor ihm ergriffen 
mich plötzlich mit unabwendbarer Lachlust; fast regte 
sich ein Zweifel, ob dieser der Dichter sein könne, der 
feurig furchtlose, der alles zum Hohen wendet; aber das 
war nur eine schnöde Anwandlung, von der sich meine 
bessere Natur sogleich befreite. — „Er beißt nicht“, er- 
laubte ich mir noch zurückzurufen, und während ich 
eine Verurteilung zu Karenz oder Silentium schon im 
voraus als gerecht anerkannte, mich aber zugleich er- 


153 


innerte, daß im Jahre vorher der alte geistliche Gebieter 
eine allgemeine Faschingsbegnadigung hochherzig er- 
lassen habe, kehrte ich langsam zurück in die kühle Be- 
hausung des Schlafs. 


* 


GEDANKEN VON PAUL LAGARDE 


Führer 
Möge Deutschland nie glauben, daß man in eine neue 
Periode des Lebens treten könne ohne ein neues Ideal. 
Möge es bedenken, daß wirkliches Leben von unten 
auf, nicht von oben her wächst, daß es erworben, nicht 
gegeben wird. 
* 


Das deutsche Volk 
Wo Germanen hingekommen sind, haben sie die Ari- 
stokratie mit sich gebracht. Nicht weil sie als Eroberer 
kamen und als solche Herren über Eroberte wurden: sie 
haben ja Eroberte in ihre Mitte aufgenommen, wie in 
Frankreich die keltischen Vendômes, sie haben ja ari- 
stokratisch regiert, auch wo sie nicht in dem Sinne wie 
in Francien, Longobardien, Gothalanien Eroberer waren, 
zwischen Rhein und Saale und Böhmer Wald. Sie haben 
aristokratisches Regiment geführt, weil sie königlich ge- 
sinnt waren und es das Königtum leugnen heißt, es 
nicht als höchsten Berg neben vielen hohen Bergen den- 
ken, die gemach zur Ebene sinken. 


* 


154 


Der deutsche Geist 

Von der schwarzen, der roten, der goldenen Inter- 
nationale redet alle Welt: die graue Internationale läuft 
noch immer unter dem Namen Liberalismus um. Mir 
scheint es an der Zeit, sie in ihre Rechte einzusetzen. 
Sie ist vaterlandslos wie alle ihre Schwestern und darum 
für jede Nation von äußerstem Unsegen. Sie herrscht 
allerdings ebenso gerne wie die drei anderen Glieder 
der Familie, aber die Macht ist nicht eigentlich das, was 
sie erstrebt: von der Bequemlichkeit und dem Wunsche 
zu scheinen nährt sie sich, sie mordet, wenn auch ohne 
es zu beabsichtigen, die Gewissen und die Fähigkeit, 
das Leben als Ganzes zu fassen, und dadurch tötet sie 
die Persönlichkeit. 

Auch Männer, welche nicht orthodox, aber eifrige 
Freunde der Religion, und welche sogar der Meinung 
sind, daß die Nationen nur durch die Religion leben, 
auch sie sind dem Banne des allgemein herrschenden 
Liberalismus und seiner die Natur und die Geschichte 
leugnenden Grundanschauung verfallen. 


Die geistige Verarmung unserer Nation ist so weit 
fortgeschritten, daß Deutschland, so reich es an Maß- 
regeln ist, an Männern den allerempfindlichsten Man- 
gel leidet. 

Charaktere können sich im Deutschen Reiche nicht bil- 
den: kaum daß bereits gebildete Charaktere in ihm sich 
zu erhalten imstande sind. 

Man bedenke, welch ein Druck dem Vaterlande durch 
die liberaler "Theorie wider das Leben und wider die 


155 


Geschichte gelungene Gesetzgebung aufgelegt ist, und 
erwäge, wie schwer es sein muß, unter diesem Drucke 
sich nach eingeborenen Werdenormen zu bewegen. Was 
ist aber Charakter anders als Selbstsinn, wenn man 
das Selbst als ein Gottgewolltes ansehen darf und an- 
sieht? 

Meine Aufsatze sollen Einzelleben gegen den von einem 
einzigen Koche gequirlten, nach Belieben zum Feuer 
und vom Feuer geschobenen Brei loben, zu dem man 
unser edles Volk verschmoren will. 


Als im Frühjahr 1813 die Freiwilligen aus Berlin, dem 
Quellpunkte der Erhebung, ausziehen sollten, baten sie 
Schleiermacher, sie einzusegnen. Schleiermacher hielt sich 
an das Evangelium des Sonntags, Matthäus 11. Die ein- 
zig sicheren Kennzeichen einer herannahenden neuen 
Zeit, so predigte er — und noch ein Vierteljahrhundert 
nachher redete Berlin von dieser Predigt —, die einzig 
sicheren Kennzeichen einer neuen Zeit sind, daß die 
Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen rein 
werden, die Tauben hören, die Toten auferstehen, den 
Armen das Evangelium gepredigt wird. 

Und 1813 war eine neue Zeit angebrochen, wider den 
Willen des Königs freilich, aber sie war da. Sie war 
auch noch unbefangen, denn sie wußte noch nicht, daß 
sie schon 1819, mit dem Willen des Königs, ausgelebt 
haben werde. 

Als Deutschland 1872 seine Heere aus Frankreich zu- 
rückgenommen hatte, da war keine neue Zeit ange- 
brochen, sondern nur eine neue Ordnung weltlicher 


156 


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Illustration zu Balzacs Tolldreisten Geschichten von Gustave Doré 


Dinge. Freilich redete man aller Orten von einem neuen 
Reiche, man trank auf dies neue Reich, man weissagte 
dem neuen Reiche eine Dauer ohne Ende. Aber die 
Blinden sahen nicht: vielmehr band man denen, welche 
noch sehen konnten, von Amts wegen Binde tiber Binde 
über die Augen. Die Lahmen gingen nicht: man er- 
laubte nach wie vor niemandem, seine wichtigsten Ge- 
schäfte, die Erziehung seiner Kinder und die eigene 
Vorbereitung für die Ewigkeit, allein zu besorgen. Die 
Aussätzigen wurden nicht rein, sondern die Gründer- 
zeit wälzte sich über das Land, so schmutzig, wie seit 
Law nichts dagewesen war, und eine Gesetzgebung, mit 
dem Lineale gemacht, teures Recht, undeutsches Recht, 
gegen Beamtenwillkür kein Recht. Die Tauben hörten 
nicht: denn das Gewissen durfte nicht sprechen, da es 
Patriotismus hieß, von Überzeugung zu Überzeugung, 
wie es befohlen wurde, den Polonius zu spielen. Die 
Toten standen nicht auf: aber die Märtyrer alter Fröm- 
migkeit bekamen Brüder, allerdings schwächliche Brü- 
der, wie greise Eltern sie zeugen können, und durch 
den Kulturkampf wurde in den beiden Kirchen, was 
an evangelischer Frömmigkeit noch da war, erschlagen, 
und das zur Herrschaft gebracht, dessen nie hätte ge- 
dacht werden dürfen, der Unglaube bei den Nicht- 
katholiken, der Aberglaube bei den Katholiken. Den 
Armen wurde das Evangelium nicht gepredigt: denn 
das Evangelium ist ein Evangelium vom Kreuze, ist 
eine Verheißung ewigen Lebens, und was man predigte 
— Sozialdemokraten wie naturwissenschaftlich gebildete 
Professoren —, war die Forderung, daß auf Erden alle 


158 


das gleiche sollen genießen dürfen, und die Lehre, daß 
nach dem Tode alles aus sei... 

Als der Adel nicht mehr war, was er sein sollte, die 
stets fließende, aber nach oben und nach unten immer 
wehrende Grenze zwischen dem treibenden Gedanken 
und dem befriedigten Besitze, zwischen den starken 
Freien und den schwachen Freien, da verkam der Adel. 
Denn nur die Aufgabe erhält am Leben. Es blieben die 
Schranzen und die Fronvögte. 

Als die Kirche nicht mehr war, was sie sein sollte, die 
Schule der Ewigkeit, die Gemeinschaft der Vorlebenden 
und der um ihre Sünde trauernden Heiligen, da verkam 
die Kirche. Denn nur die Aufgabe erhält am Leben. 
Es blieben die Pfaffen und die Dogmatiker. 


Aus „Deutsche Politik und Religion, eine Auswahl 
aus den Schriften von Paul Lagarde“. (Insel- 
Bücherei Nr. 396.) 


* 


DER TOD DER JUNGEN FRAU 
VON FRANCOIS MAURIAC 


„Sie schläft.‘ 

„Sie tut nur so. Komm.“ 

Am Kopfende von Mathilde Cazenaves Bett flüsterten 
ihr Mann und ihre Schwiegermutter miteinander, deren 
riesige, ineinander fließende Schatten an der Wand sie 
unter den gesenkten Wimpern beobachtete. Auf knar- 
renden Fußspitzen erreichten die beiden die Tür. Ma- 
thilde lauschte dem Widerhall ihrer Schritte auf der 
Treppe; die schrille und die rauhe Stimme erfüllten den 


159 


langen Gang des Erdgeschosses. Jetzt beeilten sie sich, 
die eisige Ode des Hausflurs zu überschreiten, der den 
Flügel, in dem Mathilde wohnte,von dem anderen trennte, 
wo Mutter und Sohn zwei aneinanderstoßende Zimmer 
innehatten. Von fernher hörte man, daß eine Tür sich 
schloß. Die junge Frau seufzte erleichtert, sie schlug 
die Augen auf. Über ihrem Haupt raffte ein hölzerner 
Pfeil den weißen Kattunvorhang zusammen, der das 
Mahagonibett umgab. Die Nachtlampe beleuchtete ein 
paar blaue Blumensträuße auf der Tapete und auf dem 
Nachttisch ein grünes, goldgerändertes Wasserglas, das 
leise klirrte, weil auf dem nahen Bahnhof eine Loko- 
motive rangierte. Als das Rangieren beendet war, horchte 
Mathilde in die flüsternde Nacht des zur Neige gehenden 
Frühlings hinaus (wie wenn der Zug auf freier Strecke 
hält und der Reisende die Grillen auf dem unbekann- 
ten Felde draußen hört). Der 22-Uhr-Expreß raste vor- 
bei, und das ganze alte Haus erbebte: die Fußböden 
zitterten, auf dem Speicher oder in einem unbewohnten 
Zimmer sprang, wie es schien, eine Tür auf. Dann don- 
nerte der Zug über die Eisenbrücke, die über die Ga- 
ronne führte. Die lauschende Mathilde beschäftigte sich 
eine Weile damit, dem Rollen des Zuges zu folgen, bis 
das Rauschen der Blätter es übertönte. 

Sie schlummerte ein und wachte plötzlich auf. Wieder 
zitterte ihr Bett; das übrige Haus nicht, nur ihr Bett. 
Und doch fuhr kein Zug durch den schlafenden Bahn- 
hof. Einige Augenblicke verstrichen noch, ehe Mathilde 
begriff, daß ein Fieberschauer ihren Körper und das 
Bett schüttelte. Ihre Zähne schlugen aufeinander, ob- 


160 


gleich ihr schon heiß war. Sie konnte das Fieberthermo- 
meter am Kopfende ihres Bettes nicht erreichen. 

Dann hérte das Frésteln auf, aber ein inneres Feuer stieg 
wie ein Lavastrom in ihr empor, sie gliihte. Der Nacht- 
wind blähte die Gardinen auf, füllte das Zimmer mit 
dem Geruch von Flieder und Kohlenrauch. Mathilde 
erinnerte sich, wie sie vorgestern abend, als sie im Blut 
ihrer Fehlgeburt schwamm, sich vor den flinken, frag- 
würdigen Händen der Hebamme auf ihrem Leib ge- 
fürchtet hatte. | 
„Ich muß mehr als 40 Grad haben... Sie haben mir 
keine Nachtwache erlaubt...“ 

Ihre aufgerissenen Augen verfolgten den flackernden 
Lichtkreis auf der Decke. Ihre beiden Hände umklam- 
merten die jungen Brüste. Sie rief mit starker Stimme: 
„Maria! Maria von Lados! Maria!“ 

Aber wie hätte die Dienstmagd Maria (man nannte sie ` 
von Lados, weil sie in dem Marktflecken Lados geboren 
war), die in einer Dachkammer schlief, sie hören kön- 
nen? Was bedeutete diese schwarze Masse dort am Fen- 
ster, das geduckte satte Tier — lauerte es ihr auf? 
Mathilde erkannte den erhöhten Fenstertritt, den ihre 
Schwiegermutter vorzeiten in jedem Zimmer hatte an- 
bringen lassen, um bequemer dem Kommen und Gehen 
ihres Sohnes folgen zu können, sei es, daß er im Norden 
den „Rundgang“ machte oder mit großen Schritten die 
Allee im Süden auf und ab ging, oder daß sie seine 
Rückkehr durch das Portal im Osten erwartete. Auf 
einem dieser Fenstertritte drüben im kleinen Salon hatte 
sich an Mathildens Verlobungstag das riesige wütende 


161 


Weib aufgebäumt, mit den Füßen gestampft und ge- 
schrien: | 

„Sie sollen meinen Sohn nicht haben! Es wird Ihnen 
nie gelingen, ihn mir zu rauben!“ 

Unterdessen hatte sich die Lava ihres Körpers abgekühlt. 
Die grenzenlose Müdigkeit, die Zerschlagenheit ihrer 
Glieder gestatteten ihr nicht, einen Finger zu rühren — 
wäre es auch nur, um das nasse Hemd von ihrem Kör- 
per zu ziehen. Sie hörte die Glastür der Veranda krei- 
schen. Und wieder fröstelte sie. Ihre Zähne klapperten. 
Das Bett zitterte. Ihre Hand suchte nach dem Klingel- 
zug veralteten Systems, der nicht mehr zu gebrauchen 
war. Sie riß daran, sie hörte das Reiben der Schnur 
gegen das Gesims. Aber keine Glocke erklang in dem 
finsteren Hause. Mathilde begann wieder zu brennen. 
Unter der Freitreppe knurrte der Hund und brach dann 
in wütendes Bellen aus, weil sich jemand auf dem schma- 
len Weg zwischen Garten und Bahnhof bewegte. Sie 
sagte sich: Gestern noch hätte ich mich gefürchtet! In 
diesem ungeheuren Hause, das immer von leisem Beben 
erfüllt war, dessen Glastüren nicht einmal durch Fenster- 
läden gesichert waren, hatte Mathilde Nächte der un- 
sinnigsten Furcht gekannt. Wie oft war sie vom Bett 
aufgesprungen, schreiend: „Wer ist da?“ Nun aber 
fürchtete sie sich nicht mehr, als könne niemand sie 
mehr durch den Flammenherd ihres Fiebers erreichen. 
Der Hund knurrte noch immer, obgleich jedes Geräusch 
von Tritten verstummt war. Mathilde hörte Maria von 
Lados’ Stimme: „Was ist los, Peliou ?“ und sie hörte 
auch, wie Peliou fröhlich mit dem Schweif auf die Steine 


162 


der Freitreppe schlug, während Maria ihn leise besänf- 
tigte: „So, so, nur ruhig!“ Wieder verließ die Flamme 
den ausgebrannten Körper. Eine unaussprechliche Mü- 
digkeit gab ihr Frieden. Sie glaubte ihre zerschlagenen 
Glieder auf dem Sand am Meere auszustrecken. Sie 
dachte nicht daran, zu beten. 


In ihrem Herzen entdeckte die Fiebernde ein kindliches 
Gesicht, das keinem glich, die sie bisher gekannt hatte — 
ein Gesichtchen, nicht sehr schön und vielleicht ein wenig 
kränklich, mit einem kleinen Mal links an der Lippe, 
wie es Mathilde auch hatte. „Ich hätte im Dunkeln an 
ihrem Bettchen gesessen, bis der Expreß vorübergefahren, 
vor dem sie sich geängstigt hätte.“ Das Reich, in das sie 
mit ihrem Kindchen geflüchtet, wäre nicht von dieser 
Welt gewesen. Jene, die sie haßten, hätten sie dorthin 
nicht verfolgen können. Und nun konnte ihr kranker 
Kopf, in den das Blut stieg, eine quälende, unlösbare 
Frage, die zur Folter wurde, nicht mehr loswerden: 
Wußte Gott, welcher junge Baum aus diesem toten 
Keim entsprossen wäre? Wußte Gott, wie die Augen 
gewesen wären, die niemals geleuchtet hatten? Fin- 
det man nach dem Tode die Milliarden Geschöpfe 
wieder, die nicht gelebt haben? Was wäre aus dem 
formlosen Fleisch geworden, das Gott in seiner Macht 
hielt — — — Aber hier versagten Mathildens Gedanken. 
Es war der Augenblick, da die Feuerwoge zurückebbte, 
da das Fieber scheinbar den frostbebenden, in klebrigem 
Schweiß gebadeten Körper verließ und ihn der Erschöp- 
fung preisgab, die eine Vorläuferin des Todes ist. Es 


163 


schien ihr, als habe ein Raubtier sie beiseite geschoben, 
das, ach! vielleicht von einem Augenblick zum andern 
zurtickkommen konnte. Flach im Bett auf dem Riicken 
ausgestreckt, erwartete sie das Nahen des Frostschauers 
und beobachtete die Anzeichen. Er kam nicht wieder. 
Sie tauchte in die Tiefen ihres Wesens wie in einen 
Himmel, an dem das Gewitter sich verzogen hat, und 
man wagt noch nicht, es zu glauben! Leben! Vielleicht 
leben! Heiße, schwere Tränen netzten ihre Wangen. 
Sie faltete, sie rang die feuchten Hände: ,,Gedenke, o 
gütigste Jungfrau Maria, daß es nie erhört worden ist, 
daß jemand, der zu dir seine Zuflucht genommen, deine 
Hilfe angerufen, um deine Fürsprache gefleht, von dir 
sei verlassen worden!“ Sie war auf den Strand des Lebens 
zurückgespült; wieder hörte sie das nächtliche Lied der 
Welt. In den Blättern atmete die Nacht. Die großen 
Bäume flüsterten unter dem Mond, aber kein Vogel er- 
wachte. Ein reiner, kühler Windhauch war, vom Ozean 
kommend, über die Wipfel der unzähligen Pinien, über 
die niederen Reben gelaufen, hatte sich mit den letzten 
Düften der wohlriechenden Linde des Gartens beladen 
und erlosch endlich auf dem schmalen, todmüden Ge- 
sichtchen. 


Eine Stunde später rieb die Mutter Cazenave ein Streich- 
holz an und blickte auf die Uhr — dann lauschte sie 
einen Augenblick aufmerksam, nicht in die stille, sin- 
kende Nacht, sondern auf den Atem des angebeteten 
Sohnes hinter der Wand. Nach kurzem inneren Wider- 
streben verließ sie ihr Lager, steckte die geschwollenen 


164 


Füße in ausgetretene Pantoffeln, und in einen kastanien- 
braunen Schlafrock gehiillt, die Kerze in der Faust, ver- 
ließ sie das Zimmer. Sie geht die Treppe hinunter, den 
‚Gang entlang, und überschreitet den verödeten Haus- 
flur. Nun befindet sie sich im feindlichen Lager: trotz 
aller Vorsicht knarren die Stufen unter ihrer Last. Da 
bleibt sie stehen, horcht, geht weiter. Vor der Tür löscht 
sie die unnötige Kerze aus und lauscht angestrengt. Die 
graue Morgendämmerung liegt auf der Treppe. Kein 
Klagen, kein Stöhnen, nur ein seltsames Geräusch wie 
gedämpfte Kastagnetten. Die Zähne klappern, klappern, 
und endlich steigt ein Klagelaut auf. Gott allein sah den 
Ausdruck des lauernden Medusenhauptes, dessen Ri- 
valin hinter der Tür dort verröchelte. Die Versuchung, 
nicht einzutreten, das, was geschehen muß, geschehen 
zu lassen... Die Alte zögert, entfernt sich, besinnt sich 
eines andern, drückt die Klinke nieder. 

„Wer ist da?“ 

„Ich bins, meine Tochter.“‘ 

Das Nachtlicht beleuchtet nicht mehr das Zimmer, aber 
hinter den Jalousien ist eine eisige Klarheit. Mathilde 
sieht, wie ihr Schreckgespenst näher kommt. Da schreit 
sie zähneklappernd : 

„Laß mich! Ich brauche nichts. Ich habe nur ein wenig 
Fieber.“ 

Die Alte fragt, ob sie Chinin haben wolle. 

„Nein, nein, nur Ruhe. Nur gegen die Wand drehen 
möchte ich mich. Geh! Geh!“ 

„Wie du willst, meine Tochter.“ 

Es ist alles gesagt. Sie hat ihre Pflicht getan. Sie braucht 


165 


sich keine Vorwürfe zu machen. Schicksal, nimm deinen 
Lauf. 

Mathilde, die in verzweifelter Abwehr beide Hande er- 
hoben hatte, halt sie nach der Flucht der Feindin noch 
einen Augenblick vor die Augen und erschrickt, weil sie 
blau angelaufen sind. Todesangst erfaßt ihr Herz, das 
wie die Flügel eines Vogels, den man in der Hand er- 
drückt, immer schneller und immer schwächer schlägt. 
Sie wollte näher hinsehen und sah die Nägel, die bereits 
ganz blau waren, nicht mehr... Aber selbst in dieser 
maßlosen Todesangst glaubte sie noch nicht an die Ewig- 
keit der Nacht, die für sie angebrochen war: weil sie so 
ganz allein war auf der Welt, wußte Mathilde nicht, 
daß sie sich an der äußersten Grenze des Lebens befand. 
Wäre sie geliebt worden, so hätten Umarmungen sie ge- 
zwungen, sich der Umklammerung der Welt zu ent- 
reißen. Sie brauchte sich nicht zu lösen, da nichts sie 
band. Keine feierliche Stimme zu Häupten ihres Bettes 
sprach den Namen eines vielleicht zornigen Vaters aus, 
bedrohte sie mit einer vielleicht unerbittlichen Barm- 
herzigkeit. Kein tränenüberströmtes zurückbleibendes 
Gesicht ließ sie ihr Abgleiten zu den Schatten emp- 
finden. Sie starb den sanften Tod jener, die nicht ge- 


liebt werden. 


Aus dem 1938 erscheinenden Roman ,,Genitrix“ von François Mauriac. 
Übertragen von G. Cramer. 


166 


VERMACHTNIS 
VON GOETHE 


Kein Wesen kann zu nichts zerfallen! 
Das Ewge regt sich fort in allen, 
Am Sein erhalte dich beglückt! 

Das Sein ist ewig: denn Gesetze 
Bewahren die lebendgen Schätze, 

Aus welchen sich das All geschmückt. 


Das Wahre war schon längst gefunden, 
Hat edle Geisterschaft verbunden; 
Das alte Wahre, faß es an! 

Verdank es, Erdensohn, dem Weisen, 
Der ihr, die Sonne zu umkreisen, 


Und dem Geschwister wies die Bahn. 


Sofort nun wende dich nach innen, 
Das Zentrum findest du da drinnen, 
Woran kein Edler zweifeln mag. 
Wirst keine Regel da vermissen: 
Denn das selbständige Gewissen 

Ist Sonne deinem Sittentag. 


Den Sinnen hast du dann zu trauen, 
Kein Falsches lassen sie dich schauen, 
Wenn dein Verstand dich wach erhält. 
Mit frischem Blick bemerke freudig, 
Und wandle sicher wie geschmeidig 
Durch Auen reichbegabter Welt. 


167 


Genieße mäßig Fill und Segen, 
Vernunft sei überall zugegen, 
Wo Leben sich des Lebens freut. 
Dann ist Vergangenheit beständig, 
Das Künftige voraus lebendig, 
Der Augenblick ist Ewigkeit. 


Und war es endlich dir gelungen 
Und bist du vom Gefühl durchdrungen: 
Was fruchtbar ist, allein ist wahr — 
Du prüfst das allgemeine Walten, 
Es wird nach seiner Weise schalten, 
Geselle dich zur kleinsten Schar. 


Und wie von alters her im stillen 

Ein Liebewerk nach eignem Willen 
Der Philosoph, der Dichter schuf, 
So wirst du schönste Gunst erzielen: 
Denn edlen Seelen vorzufühlen 

Ist wünschenswertester Beruf. 


BUCHER 
AUS DEM 


INSEL-VERLAG 


Dieses Verzeichnis enthält nur eine Auswahl der wichtigsten 
Bücher. Vollständige Verlagsverzeichnisse, insbesondere auch 
Verzeichnisse der Sammlungen Insel-Bücherei und Bibliothek 
derRomane sowie der Liebhaberausgaben sind durch jede gute 
Buchhandlung oder unmittelbar vom Verlag zu beziehen. 


IM JAHRE 1927 SIND NEU ERSCHIENEN: 


ANDERSON, SHERWOOD: DER ERZAHLER ERZAHLT SEIN 
LEBEN. Übertragung von Karl Lerbs. In Leinen M 8.50. 
Dieses Buch bedeutet für den europäischen Leser die Entdeckung 
der amerikanischen Seele. Anderson sieht mit unerbittlicher Schärfe 
den Bruch in der amerikanischen Entwicklung und die Hohlheit 
des smarten Zivilisationsbetriebs, er zersetzt die anerkannten Be- 
griffe und legt die Seelen bloß. Mit grausamer Ehrlichkeit verwirft 
er die typisierten Anschauungen und erarbeitet sich ein eigenes 
Weltbild, einen Ausdruck seiner Kunst. 


BALZAC, HONORE DE: DIE DREISSIG TOLLDREISTEN. 

GESCHICHTEN, genannt CONTES DROLATIQUES. Mit den 
425 Holzschnitten von Gustave Doré, gedruckt mit Galvanos, die 
von den Originalholzstöcken zur ersten französischen Ausgabe 
genommen wurden. Zwei Bände. In Leinen M 24.—; in Halb- 
leder M 30.—. 
In diesen tolldreisten Geschichten zeigt sich Balzac als lachender 
Erzähler von unerschopflicher Erfindungsgabe. Kein Geringerer 
als Gustave Doré hat zu diesen Geschichten eine Reihe von mehr als 
400 Zeichnungen geschaffen. Es ist gelungen, die echten Holzstöcke, 
die seinerzeit nach Dorés Vorlagen geschnitten wurden, in Paris 
wieder aufzufinden. Nach davon genommenen Galvanos wurgen 
die Bilder unserer Ausgabe gedruckt. 


BEENKEN, HERMANN: BILDHAUER DES VIERZEHNTEN 
JAHRHUNDERTS AM RHEIN UND IN SCHWABEN. Mit 
150 Abbildungen. In Leinen M 15.—. 

BERTRAM, ERNST: DER RHEIN. Ein Gedenkbuch. Gedichte. 
In Pappband M 6.—. Vorzugsausgabe: 30 numerierte Exemplare 
auf Büttenpapier, in Halbpergament (Handband) M 30.—. 


BRAUN, FELIX: AGNES ALTKIRCHNER. Roman in sieben 

Büchern (995 Seiten). In Leinen M 12.—. 
„Der Roman hat den Untergang des alten Österreich zum Inhalt; 
jedoch ist nicht der Krieg im Feld, sondern die Zeit im Hinter- 
land Gegenstand des großen Werkes; und es ist auch ein Buch 
der Liebe, das das ganze Leben des Menschen zu berühren sucht.“ 
Aus einer Selbstanzeige des Dichters. 


CORTI, EGON CONTE: DER AUFSTIEG DES HAUSES ROTH- 
SCHILD. Mit 24 Bildtafeln und einem Brieffaksimile. In Leinen 
M 14.—. 

Inhalt: I. Der Ursprung der Rothschild in Frankfurt und ihre 
erste Tätigkeit. — II. Die Rothschild in der Zeit Napoleonischer 
Machtfille. — III. Die große Napoleonische Krise und deren 
Nutzung durch das Haus Rothschild. — IV. Die Rothschild im 


170 


Zeitalter der Kongresse. — V. Rothschilds Geschäfte in aller Welt, 
1820—25. — VI. Der großen Krise entgegen. 
Sonderankündigungen über dies Werk unberechnet. 


MEISTER ECKHART: DEUTSCHE PREDIGTEN UNDTRAK- 
TATE. Ausgewählt, übertragen und eingeleitet von Friedrich 
Schulze-Maiszier.In Halbleinen M 7.50 ;in HalbpergamentM 10.—. 
Das furchtbare Verkanntwerden des prophetischen Menschen, sein 
schier hoffnungsloser Kampf um die Befreiung des Zartesten in einer 
Welt derVerhärtung blickt uns aus dem Schicksal Meister Eckharts, 
dieses sodurchunddurch gotischen Menschen, eindringlich entgegen. 


FRANK, LEONHARD: DAS OCHSENFURTER MÄNNER- 
QUARTETT. Roman. In Leinen M 6.—. 
Der Schauplatz der Handlung ist Würzburg, und es sind vier 
nun zu Männern herangewachsene Mitglieder der ehemaligen 
„Räuberbande‘“, deren Schicksale hier wunderlich miteinander 
verflochten werden; neben ihnen der Untersuchungsrichter, der 
dekadente Gelehrte, sein glücklicherer Gegenspieler, das erwachende 
junge Mädchen: alles unvergeßliche, mit dem Auge eines Dichters 
gesehene Charaktere. Tragik und Humor des Lebens sind aufs 
köstlichste zu einer Einheit verbunden. 


FRIEDENTHAL, RICHARD: MARIE REBSCHEIDER. Vier 
Novellen, In Leinen M 6.—. 
„Jede dieser Novellen erhebt ein Leben zum Schicksal, und jede 
zwingt uns, dies fremde und erfabelte wie ein eigenes mit erschült- 
tertem Anteil mitzuerleben.“‘ Stefan Zweig. 


GERSTENBERG, KURT: HANS MULTSCHER. Mit 150 Ab- 
bildungen. In Leinen M 18.—. 


GIRAUDOUX, JEAN: BELLA. Roman. Aus dem Französischen 
übertragen von Efraim Frisch. In Leinen M 5.50. 
Bella ist eine wundervoll einfache Liebesgeschichte zeitloser Art, 
dabei vollgesogen mit der politischen Wirklichkeit des letzten Jahr- 
zehnts. Es war in Frankreich vom Tage des Erscheinens des Ro- 
mans an kein Geheimnis, wer hinter den beiden feindlichen Familien 
Rebendart und Dubardeau zu suchen set; sogleich nannte man 
die Namen Poincaré und Berthelot. 


GOETHES BRIEFE UND TAGEBÜCHER. Herausgegeben von 

Hans Gerhard Gräf. Taschenausgabe auf Dünndruckpapier in zwei 
Bänden. In Leinen M 24.—; in Leder M 36.—. 
Über 1000 Briefe an die wichtigsten der Persönlichkeiten, die mit 
Goethe im Briefwechsel gestanden haben, und über 800 Tagebuch- 
Eintragungen sind hier zusammengestellt; sie bringen daraus alle 
dichterisch und alle menschlich bedeutsamen Außerungen Goethes 
sowie alles, was bezeichnend ist für seine Anschauungen über 
Kunst und Leben, Gott und Weit. 


171 


BETTINAS LEBEN UND BRIEFWECHSEL MIT GOETHE. 

Auf Grund des von Reinhold Steig bearbeiteten handschriftlichen 
Nachlasses neu herausgegeben von Fritz Bergemann. Mit 17 Bild- 
tafeln und 2 Faksimiles. In Leinen M 9.50. 
Dadurch, daß der Herausgeber auf fast 200 Seiten eine seelische 
Biographie Bettinas voranstellt, ist es ihm gelungen, den Brief- 
wechsel rein und schlackenfrei wie einen künstlerischen Dialog 
auf den Leser wirken zu lassen. 

(HERODOT:) DAS GESCHICHTSWERK DES HERODOTOS 

VON HALIKARNASSOS. Neue Übertragung von Theodor Braun. 
Dünndruckausgabe in einem Bande. In Leinen M 12.—; in Leder 
M 18.—. 
„Auf 810 Seiten der ganze so überaus köstliche Herodot metster- 
haft verdeutscht. Man hat, sagt Schopenhauer, alles gelesen und 
wird von nichts mehr überrascht, wenn man den ‚Vater der Ge- 
schichte‘, den großen Meister aus Halikarnaß gelesen hat.“ 

HOFMANNSTHAL, HUGO VON: DREI ERZÄHLUNGEN. 
Mit 25 Zeichnungen von Alfred Kubin. Einmalige Auflage in 
640 Exemplaren. In Leinen M 24.—. | 

HUCH, RICARDA: DER LETZTE SOMMER. Eine Erzählung 
in Briefen. Neue wohlfeile Ausgabe. In Leinen M 3.50. 

Die Geschichte eines russischen Revolutionärs, der einen hohen 
Beamten durch ein Bombenattentat töten muß, trotz aller Achtung 
und Liebe, die er für ihn und seine Familie empfindet. Ein großes 
Kunstwerk in seiner meisterhaften Handhabung der Briefform. 


KASSNER, RUDOLF: DIE MYTHEN DER SEELE. In Leinen 
M 5.—. 

KLEIST, HEINRICH VON: SÄMTLICHE WERKE in einem 
Bande auf Dünndruckpapier. Herausgegeben von FriedrichMichael. 
In Leinen M 10.—; in Fi, M 16.—. 

LAWRENCE, D.H.: LIEBENDE FRAUEN. Roman. Übertragen 

von Th. Mutzenbecher. In Leinen M 8.50. 
„Ein Frauenbuch zu bleiben, ist jetzt bei uns wie in Amerika und 
England das Schicksal einer großen Dichtung. Und es ist gut so. 
Die Frauen werden ihre Männer bitten, dies Buch zu lesen. Sie 
werden sie inständig bitten, sie werden sie zwingen, es zu lesen. 
Damit die Größe dieses Dichters auch zu den Männern vordringt, 
damit viele Europäer sich erkennen lernen.“ | 

MAURIAC, FRANCOIS: DIE EINÖDE DER LIEBE. Roman. Aus 
dem Französischen übertrag. von G.Cramer. In Leinen M 5.50. Aus- 
gezeichnet mit dem Großen Preis der Französischen Akademie 1926. 
„Vater und Sohn lieben, ohne voneinander zu wissen, die gleiche 
Frau. Keiner von beiden erreicht sie. — Das Ganze ist in seiner 
psychologischen Fügung unerhört zwanghaft, in der weiteren und 
engeren Umwelt fabelhaft geschlossen.“ 


172 


DIE RACHE DES JUNGEN MEH ODER DAS WUNDER DER 
ZWEITEN PFLAUMENBLÜTE. Aus dem Chinesischen über- 
tragen von Franz Kuhn. Nach Art der chinesischen Blockbücher 
gedruckt. In Leinen M 7.50. 

Ein chinesischer Studenten- und Revolutionsroman, aus dem uns 
das mysteriöse Antlitz des wirklichen China entgegenblitzt, anmutig 
durchwebt von der Geschichte einer zwiefachen Doppelltebe. 


MUNK, GEORG: DIE GÄSTE. Sieben Geschichten. In Leinen 
M 6.—. 

RILKE, RAINER MARIA: GESAMMELTE WERKE in sechs 
Bänden. In Leinen M 40.—; in Halbleder M 58.—. 
INHALT: I. Band: Erste Gedichte — Frühe Gedichte. II. Band: 
Das Buch der Bilder — Das Stundenbuch — Das Marienleben — 
Requiem. III. Band: Neue Gedichte — Duineser Elegien — Die 
Sonette an Orpheus — Letzte Gedichte und Fragmentarisches. 
IV. Band: Cornet Christoph Rilke — Geschichten vom lieben Gott — 
Prosafragmente — Auguste Rodin. V. Band: Die Aufzeichnungen 
des Malte Laurids Brigge. VI. Band: Übertragungen. 


— BRIEFE AN AUGUSTE RODIN: Die in französischer Sprache 
an Rodin gerichteten Briefe. Einmalige Auflage von 320 nume- 
rierten Exemplaren auf Büttenpapier. In Interimsband M 20.—. 


SACHS, HANS: AUSGEWÄHLTE WERKE. (Gedichte und Dra- 
men.) Mit60Holzschnitten nach Dürer, Beham u.a. 7.—10.Tausend. 
Zwei Bände, In Halbleinen M ı2.—. Kolorierte Ausgabe mit 
farbigen Holzschnitten: in Halbpergament M 20.—; in Schweins- 
leder M 34.—. 


SCHAEFFER, ALBRECHT: DERGOLDENEWAGEN. Legenden 
und Mythen. In Leinen M 6.50. 
Inhalt: Hölderlins Heimgang — DieWand — Jakobs Opferballade 
vom Gerechten — Bruderlegende — Chrysoforus — Abrahams Opfer. 


— HELIANTH. Bilder aus dem Leben zweier Menschen und aus 
der norddeutschen Tiefebene in neun Büchern. Neue Ausgabe in 
zwei Bänden /9.—12. Tausend]. In Leinen M 18.—. 

Schaeffer hat den Umfang seines großen Romans, den man einen 
„Querschnitt durch das deutsche Leben um die Wende dieses Jahr- 
zehnts‘‘ genannt hat, um etwa ein Drittel vermindert, hat ihn einer 
ähnlichen Bearbeitung unterzogen wie seinerzeit Goethe den Wilhelm 
Meister und Keller seinen Grünen Heinrich, wodurch der Vergleich 
mit diesen epischen Werken noch an Bedeutung gewinnt. Die straf- 
fere Konzentration wird manche neuen Leser dem Buche zuführen. 
— DIE GESCHICHTE DER BRÜDER CHAMADE. Roman. 
In Leinen M 6.—. 

In diesem neuen Roman, der angeblich auf einer verschollenen 
französischen Vorlage von 1867 beruht, offenbart sich die düster 


173 


glühende Weli des Teufels in einem grauenvollen Verbrechen, um 
Gottes Herrlichkeit zur Lebensbejahung desto wunderbarer erstrahlen 
zu lassen. Aus der Hölle des Seins brennt hier der Himmel der 
Seele auf. 


SCHEFFLER, KARL: DER JUNGE TOBIAS. Eine Jugend und 
ihre Umwelt. In Leinen M 8.50. 
Unter dem biblischen Sinnbild des Tobias berichtet Karl Scheffler 
von seinem Werdegang: Schritt für Schritt wiederholt er den Gang 
der Kindheit, der unsicheren Jünglingszeit, schichtet er sein inneres 
Wachstum vor sich auf, die Klärung zur Mannheit, die Wendung 
zum Geistigen. Es ist ein menschliches Dokument, das durch den 
zeitgeschichtlichen Rahmen, durch die innerlich erlebte Entwicklung 
der menschlichen, geistigen, künstlerischen und sozialen Lebens- 
formen um die Jahrhundertwende zu einem allgemein deutschen 
Buch von tiefer Gültigkeit geworden ist. 


SCHENDEL, ARTHUR VAN: DER BERG DER TRÄUME. 
Aus dem Niederländischen übertragen von Hilde Stenersen. In 
Leinen M 6.—. 


(SCHLEGEL:) AUGUST WILHELM UND FRIEDRICH SCHLE- 
GEL IM BRIEFWECHSEL MIT SCHILLER UND GOETHE. 
Herausgegeben von Josef Körneru.ErnstWieneke. In Leinen M 8.—. 


SHAKESPEARES MEISTERDRAMEN in sechs Banden. Ausge- 
wählt und mit einem Vorwort versehen von Max J. Wolff. In 
Leinen M 28.—; in Halbleder M 38.—. 

INHALT: Tragödien: Othello, Macbeth, Troilus und Cressida, 
Romeo und Julia, Hamlet, König Lear. 

Historien: König Heinrich IV., König Richard II., Coriola- 
nus, Julius Cäsar, Antonius und Cleopatra. 

Komödien: Der Kaufmann von Venedig, Das Wintermärchen, 
Viel Lärm um Nichts, Ein Sommernachtstraum, Was ihr wollt, Sturm. 


STEINDORFF, GEORG: DIE KUNST DER AGYPTER. Bauten, 
Plastik, Kunstgewerbe, Mit 200 ganzseitigen Bildtafeln und 
zahlreichen Abbildungen im Text. In Leinen M 14.—. 


Das langersehnte klassische Agypten-Buch. Die Tafeln bringen in 
meist neuen Aufnahmen die großen Schöpfungen der Architektur, 
die hervorragenden Werke der Plastik — Statuen und Reliefs — und 
die Kostbarkeiten des Kunstgewerbes, auch die besten Stücke aus 
dem Grabschatz des Tutanchamun. Der Text des berühmten Agyp- 
tologen will die.historische Entwicklung kurz schildern. 


STRAUSS, DAVID FRIEDRICH: ULRICH VON HUTTEN. Neu 
. herausgegeben von Otto Clemen. Mit 35 Lichtdrucktafeln. In 
Halbleder M 22.—; in weißem Schweinsleder M 40.—. 


174 


In dem Buche weht der Sturmhauch einer großen Kampfeszeit, 
einer Zeit, in der zum ersten Male in deutscher Sprache geschrie- 
ben wurde. Da Männer wie Luther, Sickingen, Zwingli, Eras- 
mus gegen die Welt ihrer Feinde auftraten und Hutien immer 
wieder seinen Wahlspruch ausrufen konnte: ‚Ich habs gewagt!‘ 


TEIRLINCK, HERMAN: DAS ELFENBEINÄFFCHEN. Ein 
Roman aus dem Brüsseler Leben. In Leinen M 7.50. 
Im Mittelpunkt des glänzend geschriebenen Romans ein ,, Diplomat 
mit einem Elfenbeinäffchen in der Tasche und einer Hochstapler- 
seele im Leibe. Das Affchen ist der Fetisch seiner Erotik, die sich 
selbst genießen will, wie seine Seele, wenn er die Menschen ruiniert, 
denen er begegnet. Entlarvt, verschwindet der Mörder, der er war, 
und läßt eine Gesellschaft zurück, geprüft und gereift. 


TIMMERMANS, FELIX: DER PFARRER VOM BLÜHENDEN 
WEINBERG. Roman. Übertragen von Peter Mertens. In Leinen 
M 6.50. 


VALERY, PAUL: EUPALINOS ODER UBER DIE ARCHITEK- 
TUR. Eingeleitet durch DIE SEELE UND DER TANZ. Uber- 
tragen von Rainer Maria Rilke. In Halbleinen M 6.—. 

Die Übertragung ist das letzte Werk Rainer Maria Rilkes. 

— HERR TESTE. Übertragen von Max Rychner. In Halb- 
leinen M 5.—. 

Fragen von Erkenninis und Seele, von Geist und Sinnen, sind 
Hintergründe und Untergründe dieser „bedeutenden“ Prosa. 


— REDE bei der Aufnahme in die Académie Française. Über- 
tragen von Erhard Schaeffer. Gebunden M 3.—. 


VERGIL: ECLOGEN. In der Ursprache und Deutsch. Übertragen 
von Rudolf Alexander Schröder. Mit 43 Holzschnitten von Aristide 
Maillol. Einmalige Auflage,gedruckt auf derCranach-Presse zu 
Weimar: 250 Exemplare auf Hanfpapier, in Halbpergamentmappe 
M 220.—, in Maroquin M 280 —; 36 Exemplare auf besonderem, 
aus reiner Chinaseide hergestellten Papier, in Halbpergament- 
mappe M 800.—, in Maroquin M 875.—; acht Exemplare auf 
Pergament in Ganzpergamentmappe M 2000.—. 
Sonderankündigungen für diese Liebhaberausgabe,die auf der Inter- 
nationalen Buchkunstausstellung Leipzig 1927 berechtigtes Auf- 
sehen erregte, stehen unberechnet zur Verfügung. 

ZWEIG, STEFAN: MARCELINE DESBORDES-VALMORE. 

Das Lebensbild einer Dichterin. Mit 4 Lichtdrucktafeln. In 
Leinen M 6.—. 
Das erschütternde Leben einer Dichterin, der die Liebe tiefstes Er- 
lebnis war und an deren Grabe die Träger bedeutendster Namen 
wie Baudelaire, Victor Hugo, Anatole France, Verlaine Bekennt 
nisse ablegten und kündeten, wer sie war. 


175 


FROHER ERSCHIENENE BÜCHER 
DES INSEL-VERLAGES 


ALS DER GROSSVATER DIE GROSSMUTTER NAHM. Ein 

Liederbuch für altmodische Leute. Fünfte Auflage. Auf Grund der 
Ausgabe von Gustav Wustmann neu herausgegeben. In Pappband 
M s.—; in Halbleder M 7.50. 
Die Sammlung ist nicht nur eine Fundgrube verschollener Gedichte 
und Lieder vom Biedermeier bis zur Zopfzeit, sondern ein leben- 
diges Buch für den Liebhaber alter Zeiten, der sich beim beschau- 
lichen Blättern der reichen Großväterschätze freuen wird. 


ALTE UND NEUE LIEDER MIT BILDERN UND WEISEN. 

Herausgegeben im Auftrage des Verbandes deutscher Vereine für 
Volkskunde und der Preußischen Volkslied - Kommission. Mit 
190 Bildern und Zeichnungen alter und neuer Künstler. Zwei- 
stimmig gesetzt mit Lautenbegleitung. In Leinen M 6.80. 
Von alten und neuen Künstlern mit fast 200 Bildern geschmückt, 
bietet dieser Band den unvergänglichen Schatz deutscher Lieder, 
ein echtes Volksbuch fürs Haus und zum Wandern. Auch lieferbar 
in einzelnen Heften zum Preise von je 80 Pf., die mit Bildern 
folgender Künstler geschmückt sind: Heft 1 Ludwig Richter, Heft 2 
Otto Ubbelohde, Heft 3 Leopold Graf von Kalckreuth, Heft 4 
Max Slevogt, Heft 5 Cecilie Leo, Heft6 Hans Meid, Heft 7 
Ludwig Richter, Heft 8 Schwind, Menzel u. a. 


ÄLTESTE DEUTSCHE DICHTUNGEN. In gegenübergestellter 
Urgestalt und Übertragung. Herausgegeben von Karl Wolfskehl 
und Friedrich von der Leyen. Dritte Auflage. In Leinen M 7.50. 


ANDERSEN, HANS CHRISTIAN: MÄRCHEN. Unter Benutzung 
der von Andersen selbst besorgten deutschen Ausgabe übertragen 
von Mathilde Mann. Zeichnung der farbig gedruckten Initialen, 
des Titels und des Einbandes von Carl Weydenieyer-Worpswede. 
Zwei Bande. 14.—16. Tausend. In Leinen M 16.—; in Halb- 
leder M 20.—. 

ANDERSEN -NEXÖ, MARTIN: PELLE DER EROBERER. 
Roman. Aus dem Dänischen von Mathilde Mann. 14.—20.Tausend. 
Vollständige Ausgabe in einem Bande auf Dünndruckpapier 
(1250 Seiten). Geheftet M 8.—; in Leinen M 12.—. 

ANDERSON, SHERWOOD: DER ARME WEISSE. Amerika- 
nischer Roman. Übertragung von Karl Lerbs. In Leinen M 7.50. 
— DAS EI TRIUMPHIERT. Amerikanische Novellen. Über- 
tragung von Karl Lerbs. In Leinen M 6.50. 

BALZAC, HONORE DE: DIE MENSCHLICHE KOMÖDIE. 
Neue Ausgabe in zehn Bänden auf Dünndruckpapier. Eingeleitet 


176 


von Hugo von Hofmannsthal. Jeder Band in Leinen M 9.—; in 
Halbleder M 12.—; in Leder M 16.—. 


X. 


INHALT (jeder Band ist einzeln, mit und 
ohne Bandzahl, lieferbar): 


. Einleitung von Hugo von Hofmannsthal — Balzac, ein Essay 


von Wilhelm Weigand — Vorrede — Das Haus „Zur Ball- 
spielenden Katze“ — Die verlassene Frau — Gobseck — Die 
Frau von dreißig Jahren — Der Ehevertrag. 


. Ursula Mirouet — Eugenie Grandet — Der Pfarrer von 


Tours — Die alte Jungfer — Frauenstudie. 


. Ein Junggesellenheim — Das Antiquitäten-Kabinett — Die 


Lilie im Tal. 


. Verlorene Illusionen. 
. Glanz und Elend der Kurtisanen — Die Geheimnisse der 


Fürstin von Cadignan — Das Haus Nucingen. 


. Die Geschichte der Dreizehn — Vater Goriot — Oberst 
Chabert. | 
. Cäsar Birotteau — Kleine Erzählungen — Das Chagrinleder. 


. Die Chouans — Eine dunkle Begebenheit — Der Landarzt. 
. Mystische Erzählungen — Die Suche nach dem Urelement — 


Kleine Novellen. 
Tante Lisbeth — Vetter Pons. 


BALZAC: DIE TOLLDREISTEN GESCHICHTEN, genannt 
CONTES DROLATIQUES. Ubertragen von Benno Riittenauer. 
In einem Bande auf Dünndruckpapier, als Ergänzungsband zur 
„Menschlichen Komödie“. 29.—31. Tausend. In Leinen M 9.—; 
in Halbleder M 12.—; in Leder M 16.—. 


— PHYSIOLOGIE DER EHE. Eklektisch-philosophische Betrach- 
tungen über Glück und Unglück in der Ehe Übertragung von 
Heinrich Conrad. 11.—14. Tausend. Taschenausgabe auf Dünn- 
druckpapier. In Leinen M 6.—; in Leder M 12.—. 
(BEDIER:) DER ROMAN VON TRISTAN UND ISOLDE. Er- 
neut von Josef Bédier. Autorisierte Übertragung von Rudolf 
CG Binding. 15.—ı8. Tausend. In Leinen M 5.—. 


BERTRAM, ERNST: STRASSBURG. Ein Kreis Gedichte. In 
Pappband M 2.—. 


= — GEDICHTE. Vierte, vermehrte Auflage. In Pappband M 5.—. 
— DAS NORNENBUCH. Gedichte. In Pappband M 5.—. 


.DIE BLUMLEIN DES HEILIGEN FRANZISKUS VON ASSISI. 
Übertragen von Rudolf G. Binding. Mit 84 Initialen und Einband- 
zeichnungen von Carl Weidemeyer-Worpswede. 20.—22. Tausend. 
In Leinen M 6.50; in Schweinsleder M 16.—. 


177 


BOCCACCIO, GIOVANNI DI: DAS DEKAMERON. Ubertragung 
von Albert Wesselski, unter Neugestaltung der Gedichte von 
Theodor Däubler. Eingeleitet von André Jolles. Dünndruck- 
ausgabe in einem Bande (1100 Seiten). 31.—35. Tausend. In Leinen 
M 10.—; in Leder M ı7.—. 

BRILLAT-SAVARIN: PHYSIOLOGIE DES GESCHMACKS, 
In gekürzter Form übertragen von Emil Ludwig. Mit den Holz- 
schnitten der französischen Ausgabe von 1864. Zweite Auflage. 
In Halbleinen M 5.—; in Halbleder M 8.—. | 


BÜCHNER, GEORG: WERKE UND BRIEFE. Herausgegeben 
von Fritz Bergemann. Taschenausgabe auf Dünndruckpapier. 
6.—9. Tausend. In Leinen M 7.—; in Leder M 14.—. 


BÜRGER, GOTTFRIED AUGUST: WUNDERBARE REISEN 
ZU WASSER UND ZU LANDE. Feldzüge und lustige Abenteuer 
des Freiherrn von Münchhausen, wie er dieselben bei der Flasche 
im Zirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt. Mit den Holz- 
schnitten von Gustave Doré. Io. und II. Tausend. In Halbleinen 
M ı10.—; in Halbpergament M 14.—.. 


CAROLINENS LEBEN IN IHREN BRIEFEN. Herausgegeben 
von Reinhard Buchwald, eingeleitet von Ricarda Huch. Mit 
16 Bildtafeln. 6.—ro. Tausend. In Leinen M 7.—. 


CAROSSA, HANS: EINE KINDHEIT. Zweite Auflage. In Leinen 
M 6.—. 
„Ein Deutscher spiegelt hier das erste Lebensjahrzehnt ; und siehe, 
es entstand etwas dichterisch so Schönes, psychologisch so Unauf- 
dringliches dabei, wenngleich nicht Drängendes, nicht drohend 
Überrumpeindes, doch so Klares, daß man, hingegeben wie etwa 
an den ,Nachsommer' von Stifter, einzurdumen bereit ist: dies hier 
ist mehr denn Individualerlebnis.“ Berliner Tageblatt. 


— RUMÄNISCHES TAGEBUCH. Zweite Aufl. In Lein. M 6.—. 


„Dies kleine Buch ist wie ein mitten aus Krieg und Schicksal 
herausgehobenes Stück. Hier ist kein Zerschwatzen des Erlebten, 
kein Räsonieren, ein großer, reinigender, tiefnachwirkender Hauch 
geht von diesem Buche aus. Uns erscheint es unter vielen erzäh- 
lenden Büchern des Jahres das wertvollste.“ Alphons Paquet. 


CERVANTES: DER SCHARFSINNIGE RITTER DON QUI- 
XOTE VON DER MANCHA. Vollständige deutsche Ausgabe 
in zwei Bänden auf Dünndruckpapier, unter Benutzung der 
anonymen Ausgabe von 1837 besorgt von Konrad Thorer. Mit 
einem Essay von Turgenjef und einem Nachwort von Andre 
Jolles. 12.—15. Tausend. In Leinen M ı2.—; in Leder M 24.—. | 


DIE CHINESISCHE FLÖTE. Nachdichtungen chinesischer Lyrik 
von Hans Bethge. 37.—39.Tausend. Nach Art chinesischer Block- 
bücher gebunden, in Halbleinen M 4.—; in Seide M 7.50. 


178 


CORTES, FERDINAND: DIE EROBERUNG VON MEXIKO. 

Mit den eigenhändigen Berichten Cortes’ an Kaiser Karl V. 
Mit zwei Bildnissen und einer Karte. Herausgegeben von Arthur 
Schurig. 6.—Io. Tausend. In Leinen M 7.—. 
Die Eroberung eines volkreichen Landes durch eine Kriegerschar 
von kaum fünfhundert Mann, die mit wenigen Feuerbüchsen und 
nur zwei ungefügen Geschiitzen ausgerüstet sind, zwingt trotz aller 
Grausamkeiten, die vorkamen, zur Bewunderung. 

DÄUBLER, THEODOR: DAS NORDLICHT. Ein Epos in drei 
Teilen. Neue, durchaus veränderte Genfer Ausgabe. Zwei Bände 
auf Dünndruckpapier. In Leinen M ı2.—. 

DICKENS: WERKE. Eingeleitet von Stefan Zweig. Mit über 300 
Federzeichnungen aus den englischen Originalausgaben von Catter- 
mole, Hablot K. Browne und anderen. Taschenausgabe in sechs 
Bänden auf Dünndruckpapier. In Leinen M 54.—;in Leder M 108.—. 

Hiervon erschienen als Einzelausgaben: 
— DAVID COPPERFIELD. Mit 40 Federzeichnungen. 19. bis 
22. Tausend. In Leinen M 9.—; in Leder M 18.—. 
— DIE PICKWICKIER. Mit 43 Federzeichnungen. 15.—19.Taus. 
In Leinen M 9.—; in Leder M 18.—. 

. —DERRARITÄTENLADEN. Mit 73 Federzeichnungen. 15. und 
16. Tausend. In Leinen M 9.—; in Leder M 18.—. 

— MARTIN CHUZZLEWIT. Mit 40 Federzeichnungen. ro, bis 
12. Tausend. In Leinen M 9.—; in Leder M 18.—. 

— NIKOLAUS NICKLEBY. Mit 38 Federzeichnungen. ro. bis 
I2. Tausend. In Leinen M 9.—; in Leder M 18.—. 

© (DIOTIMA:) DIE BRIEFE DER DIOTIMA AN HOLDERLIN. 
Herausgegeben von Carl Viëtor. Mit der Abbildung einer Büste und 
dem Faksimile eines Briefes. 16.—20. Tausend. Gebunden M 4.50. 

EICHENDORFF, JOSEPH VON: WERKE. Ausgewählt und 
herausgegeben von Franz Schulz. Zwei Bande. 21.—25. Tausend. 
In Leinen M 9.—; in Halbleder M 14. —. 

EISHERZ UND EDELJASPIS ODER DIE GESCHICHTE EINER 
GLÜCKLICHEN GATTENWAHL. Chinesischer Roman aus der 
‚Ming-Zeit, aus dem Urtext übertragen von Franz Kuhn. 8. bis 
I2. Tausend. In Leinen M 6.50. 

BRIEFE DER HERZOGIN ELISABETH CHARLOTTE VON 
ORLEANS (LISELOTTE). Herausgegeben von Hans F. Helmolt. 
Mit 16 Bildtafeln. In Leinen M 7.50. 

FRANK, LEONHARD: DIE RÄUBERBANDE. Roman. 27. bis 
25. Tausend. In Leinen M 6.—. 

— DIE URSACHE. Roman. 11.—20. Taus. In Halbleinen M 3.50. 


179 


FREYTAG, GUSTAV: BILDER AUS DER DEUTSCHEN VER- 
GANGENHEIT. Vollständige Ausgabe, mit Einführung, Anmer- 
kungen und ausführlichem Personen-, Orts- und Sachverzeichnis 
herausgegeben von Johannes Bühler. Zwei Bände auf Dünndruck- 
papier (2400 Seiten). In Leinen M 20.—; in Leder M 32.—. 


GESTA ROMANORUM. Das älteste Märchen- und Legendenbuch 
des christlichen Mittelalters. Ausgewählt von Hermann Hesse. 
8.—Io. Tausend. In Leinen M 7.—. 


GOBINEAU: DIE RENAISSANCE. Mit 20 Porträts und Szenen- 
bildern in Autotypie. 77.—82. Tausend. In Leinen M 7.—; in 
Halbleder M 9.50. 


— DIE RENAISSANCE. Historische Szenen. Übertragen von 
Bernhard Jolles.GroßeLiebhaber-Ausgabe.Mit24 Tafeln 

. inLichtdruck. 15.—17.Tausend. In Halbleder M 22.—; in Schweins- 
leder M 30.—. 

GOETHES SÄMTLICHE WERKE in siebzehn Bänden. Heraus- 
gegeben von Fritz Bergemann, Hans Gerhard Gräf, Max Hecker, 
Gunther Ipsen, Kurt Jahn und Carl Schüddekopf. Neue Ausgabe 
auf Dünndruckpapier. In Leinen M 150.—; in Leder M 260.—. 
Diese neue Ausgabe kann nunmehr als die vollständigste aller 
heutigen Goethe- Ausgaben bezeichnet werden. Der Text umfaßt 
I5000 Seiten. 


GOETHES WERKE in sechs Bänden (Volksgoethe). Im Auftrage 
der Goethe-Gesellschaft herausgegeben von Erich Schmidt. 71. bis 
85. Tausend. In Leinen M 24.—; in Halbleder M 38.—. 


GOETHE: ITALIENISCHE REISE. Mit den Zeichnungen Goethes 
und seiner Freunde und Kunstgenossen in 124 zum Teil farbigen 
Lichtdrucktafeln. Neu herausgegeben vom Goethe- National- 
museum. [Folio.] In Halbleder M 60.—; in Leder M 80.—. 


— GESPRÄCHE MIT ECKERMANN. Vollständige Ausgabe 
in einem Bande auf Dünndruckpapier. 24.—28. Tausend. In Leinen 
M 9.—; in Leder M 15.—. 

— FAUST. Gesamtausgabe auf Dünndruckpapier. Enthaltend 
Urfaust, Fragment (1790), Tragödie I. und II. Teil, Paralipomena. 
I10.—119. Tausend. In Leinen M 4.—; in Leder M 9.—. 


— SÄMTLICHE GEDICHTE IN ZEITLICHER FOLGE. 
Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Taschenausgabe auf Dünn- 
druckpapier. 22.26. Tausend. Zwei Bände. In Leinen M 12.—; 
in Leder M 24.—. 

— GEDICHTE. Auswahl in zeitlicher Folge. Herausgegeben von 
Hans Gerhard Graf. 11.—15. Tausend. In Leinen M 4.50; in 
Halbleder M 7.—. . 


180 


GOETHE: LIEBESGEDICHTE. Herausgegeben von Hans Gerhard 
Graf. 22.—26. Tausend. In Pappband M 4.50; in Leder M 15.—. 


— WESTOSTLICHER DIVAN. Vollständige Taschenausgabe. 
II.—I 5. Tausend. In Leinen M 4.50; in Leder M ı0.—. 


— DICHTUNG UND WAHRHEIT. Taschenausgabe auf Dünn- 
druckpapier. 18.—22. Tausend. In Leinen M 8.—; in Leder M 14.—. 


— ITALIENISCHE REISE. Taschenausgabe auf Dünndruck- 
papier. 17.—19. Tausend. In Leinen M 7.—; in Leder M ı2.—. 


— WILHELM MEISTER. Taschenausgabe auf Dünndruck- 
papier. In Leinen M 9.—; in Leder M 15.—. 


— FARBENLEHRE. Vollständige Ausgabe in einem Bande auf 
Dünndruckpapier. Mit 32 farbigen Tafeln. Eingeleitet von Gunther 
Ipsen. In Leinen M 12.—; in Leder M 18.—. 


— NATURWISSENSCHAFTLICHE SCHRIFTEN. Taschen- 
ausgabe in zwei Bänden auf Dünndruckpapier. Mit 48 zum größten 
Teil farbigen Tafeln. In Leinen M 24.—; in Leder M 36.—. 


— DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER. Mit den elf Kup- 
fern und einer Rötelstudie von Chodowiecki. Siebente Auflage. In 
Pappband M 9.—; in Halbleder M 12.—; in Leder M 20.—. 


— BRIEFE AN CHARLOTTE VON STEIN. Nach den Hand- 
schriften neu herausgegeben von Julius Petersen. Vier Bände. In 
Halbleinen M 18.—; in Halbleder M 25.—. 


— BRIEFWECHSEL MIT MARIANNE VON WILLEMER. 
Neu herausgegeben von Max Hecker. Vierte Auflage. Mit 3 Bildern 
und einem Faksimile. In Halbleder M 6.50. 


DIE BRIEFE DER FRAU RATH GOETHE. Gesammelt und her- 
ausgegeben von Albert Koster. Zwei Bande. Sechste Auflage. 
In Halbleinen M 10.—; in Halbleder M 15.—. 


DIE MÄRCHEN DER BRÜDER GRIMM. Vollständige Ausgabe 
in zwei Bänden. Zeichnung der farbig gedruckten Initialen von 
Carl Weidemeyer-Worpswede. 7.—10. Tausend. In Leinen M 12.—; 
in Halbleder M 16.—. 


HAUFF, WILHELM : MÄRCHEN. Vollständige Ausgabe. Zeich- 
nung der farbig gedruckten Initialen, des Titels und des Einbandes 
von Carl Weidemeyer-Worpswede. 5.—8.Tausend. In Leinen M 6.—; 
in Halbleder M 8.—. 


DER HEILIGEN LEBEN UND LEIDEN, das sind die schénsten 
Legenden aus den deutschen Passionalen des 15. Jahrhunderts. 
Ausgewählt und übertragen von Severin Rüttgers. Mit zahlreichen 
Holzschnitten. In Halbleinen M 9.—; in Halbpergament M 12.—. 


181 


HEINES SAMTLICHE GEDICHTE. Herausgegeben von Jonas 
Frankel. Dünndruckausgabe. In Leinen M8.—; in Leder M 14.—. 

_ Auf 1000 Seiten vereinigt dieser Band das gesamte lyrische Werk 
Heines. 

— BUCH DER LIEDER. Taschenausgabe. 51.—54. Tausend. 
In Leinen M 3.50; in Leder M 7.50. 

HENSEL, SEBASTIAN: DIE FAMILIE MENDELSSOHN, 1729 
bis 1847. Nach Briefen und Tagebfichern herausgegeben. Achtzehnte 
Auflage. Mit 20 Bildtafeln. Zwei Bände, In Leinen M 16.—; in 
Halbleder M 22.—. 

HOFMANNSTHAL, HUGO VON: GEDICHTE. In Pappband 
M 4.—; 500 Exemplare, mit einer Titelradierung von Walter Tie- 
mann, in Halbleder M 8.—. 

— DIE GEDICHTE UND KLEINEN DRAMEN, 46.—50.Tau- 
send. In Leinen M 4.—; in Halbleder M 7.—. 

— DAS SALZBURGER GROSSE WELT THEATER. Geheftet 
M 2.—; in Pappband M 3.—. 

HÖLDERLIN, FRIEDRICH: SÄMTLICHE WERKE. Taschen- 
ausgabe auf Dünndruckpapier in einem Bande. 14.—17. Tausend. 
In Leinen M 10.—; in Leder M 16.—. 

— HYPERION ODER DER EREMIT IN GRIECHENLAND. 
Taschenausgabe. ro. und 11.Tausd. In Lein. M 3.50; inLed.M 8.50. 

HOMERS ODYSSEE. Neu übertragen von Rudolf Alex. Schréder. 
21.—25. Tausend. In Halbleinen M 4.—. 

OMHPOY EIH (IAIAZ. OAYSSZEIA). Der griechische Text, 
herausgegeben v. Paul Cauer. Dünndruckausgabe. In Leinen M 7.—. 


HUCH, RICARDA: DAS LEBEN DES GRAFEN FEDERIGO 
CONFALONIERI. 16.—ı18. Tausend. In Leinen M 8.50. 
— DER GROSSE KRIEG IN DEUTSCHLAND. Drei Bände. 
14.—I6. Tausend. In Leinen M 24.—. 
— DER WIEDERKEHRENDE CHRISTUS. Eine groteske Er- 
zählung. 5.—7. Tausend. In Leinen M 7.—. 
— VON DEN KÖNIGEN UND DER KRONE. Achte Auflage. 
In Leinen M 7.—. 
— LUTHERS GLAUBE. Briefe an einen Freund. 16.—19. Tausend. 
In Halbleinen M 6.—. | | 
— MENSCHEN UND SCHICKSALE AUS DEM RISORGI- 
MENTO. 9.—ır. Tausend. In Leinen M 6.50. 
— MICHAEL UNGER. Des Romans „Vita somnium breve“ 
26.—28. Tausend. In Leinen M 8.50, 


— MICHAEL BAKUNIN UND DIE ANARCHIE. 6. bis 
8. Tausend. In Leinen M 7.—. 


182 


HUCH, RICARDA: DIE VERTEIDIGUNG ROMS. Der Geschich- 
ten von Garibaldi erster Teil. 70.—ı2. Tausend. In Leinen M 8.—. 


— DER KAMPF UM ROM. Der Geschichten von Garibaldi 
zweiter Teil. 8.—ro. Tausend. In Leinen M 8.—. 


DIE BRAUTBRIEFE WILHELMS UND CAROLINENS VON 
HUMBOLDT. Herausgegeben von Albert Lettemann. 10.—12.Tau- 
send. In Leinen M 7.—. 


JACOBSEN, JENS PETER: SÄMTLICHE WERKE in einem 
Bande, aufD ünndruckpapier. BerechtigteÜbertragung von Mathilde 
Mann, Anna Matthiesen und Erich Mendelssohn. Mit dem von 
A. Helststed 1885 radierten Porträt. 26.—29. Tausend. In Leinen 
M 8.—; in Leder M ı5.—. 

KANT: SÄMTLICHE WERKE in sechs Bänden. Herausgegeben 
von Felix Groß. Taschenausgabe auf Dünndruckpapier. In Leinen 
M 45.—; in Leder M 80.—. 

— KRITIK DER REINEN VERNUNFT. Taschenausgabe auf 
Dünndruckpapier. r1—15. Tausend. In Leinen M 9.—. 


MEMOIREN DER KAISERIN KATHARINA I. VON RUSS- 
LAND. Aus dem Französischen und Russischen übersetzt und her- 
ausgegeben von Erich Boehme. Mit 16 Bildnissen. 16.—19. Tau- 
send. In Leinen M 8.—. 

KELLER, GOTTFRIED: GESAMMELTE WERKE. Eingeleitet 
von Ricarda Huch. 11.—14. Tausend. Vier Bande auf Dünndruck- 
papier. In Leinen M 32.—; in Halbleder M 42.—; in Leder M 60.—. 


— DER GRÜNE HEINRICH. Vollständige Ausgabe in einem 
Bande, auf Dünndruckpapier. 79.—21. Tausend. In Leinen M 7.50; 
in Leder M 15.—. 

LACLOS, CHODERLOS DE: SCHLIMME LIEBSCHAFTEN 
(LIAISONS DANGEREUSES). Übertragen und eingeleitet von 
Heinrich Mann. 6.—9. Tausend. Auf Pepe In Leinen 
M 8.—; in Leder M 14. —. 

LAWRENCE, D. H.: DER REGENBOGEN. Roman Berechtigte 
Übertragung aus dem Englischen von F. Franzius. In Halbleinen 
M 7.—. 

— SÖHNE UND LIEBHABER. Berechtigte Übertragung aus 
dem Englischen von F. Fransius. In Halbleinen M 7.—. 

(MOZART:) WOLFGANG AMADEUS MOZARTS LEBEN in 
seinen Briefen und Berichten der Zeitgenossen. Herausgegeben von 
Alb. Leitzmann. Mit 16 Bildtaf. und 2 Faksimiles. In Lein. M 12.—. 
„Viele gute Stunden habe ich in diesem Buche gelesen, dessen 

- Berichte wie holdes Märchen klingen, da sie das Höchste und 
Liebenswerteste zum Gegenstand haben, was Deutschland hervor- 
gebracht hat: Mozart.‘ Hermann Hesse. 


. 183 


NAPOLEONS BRIEFE. In Auswahl herausgegeben von Friedrich 

~ Schulze, übertragen von Hedwig Lachmann. Mit ı9 Bildern. In 
Leinen M 7.50. 

DER NIBELUNGE NOT und KUDRUN. Herausgegeben von 
Eduard Sievers. Auf Dünndruckpapier. In Leinen M 7.—. 
Der mittelhochdeutsche Text in musterhafter Ausgabe. 


NIETZSCHES BRIEFE. Ausgewählt und herausgegeben von Richard 
Oehler. 21.—25. Tausend. In Leinen M 5.50. 


— BRIEFE AN PETER GAST. Herausgegeben von Peter Gast. 
Dritte Auflage. In Leinen M 9.—. 


— BRIEFE AN MUTTER UND SCHWESTER. Herausgegeben 
von Elisabeth Förster-Nietzsche. Neue Ausgabe. Mit 3 Bildnissen 
in Lichtdruck. In Leinen M ı2.—. 


NOSTITZ, HELENE: AUS DEM ALTEN EUROPA. Menschen 
und Städte. Dritie Auflage. In Leinen M 7.—. 


PONTOPPIDAN, HENRIK: HANS IM GLÜCK. Ein Roman in 
zwei Bänden. Aus dem Dänischen von Mathilde Mann. Fünfte 
Auflage. In Leinen M ı2.—. 

„Das Buch, der erste große dänische Roman seit dem ‚Niels 
Lyhne‘, hat die Eigenschaften der bleibenden Erzählungen: Stoff, 
Spannung und Vortrag. Aus den fast 1000 Seiten quillt die Lust 
am Erlebnis, die Freude am Wirklichen, das Behagen am Er- 
zählen. Es ist ein veifes, vollkommenesWerk. JosefHofmiller. 


PREVOST D’EXILES, ABBE: GESCHICHTE DER MANON 
LESCAUT UND DES CHEVALIER DES GRIEUX. Über- 
tragung von Rudolf G. Binding. Fünfte Auflage. In Leinen M 5.50. 
Illustrierte Ausgabe mit den 8 Kupfern von J. J. Gomy aus der 
Ausgabe von 1797, in Halbleder M 14.—. 


REISINGER, ERNST: GRIECHENLAND. rr re Tausend. Mit 
go Vollbildern, davon 62 nach Aufnahmen der Preußischen Meg- 
bildanstalt. In Halbleinen M 8.—. 


RILKE, RAINER MARIA: DIE FRÜHEN GEDICHTE. 18. bis 
20. Tausend. In Halbleinen M 5.—. 


— DAS BUCH DER BILDER. 27. und 28. Tausend. In Leinen 
M 5.—. 
— NEUE GEDICHTE. 18.—z20. Tausend. In Halbleinen M 5.—. 


— DER NEUEN GEDICHTE ANDERER TEIL. 14.—16. Tau- 
send. In Halbleinen M 5.—. 


— DAS STUNDENBUCH. (Enthaltend die drei Bücher: Vom 
mönchischen Leben — Von der Pilgerschaft — Von der Armut 
und vom Tode.) 60.—64. Tausend. In Halbleinen M 5.—. 


184 


RILKE, RAINER MARIA: DIE SONETTE AN ORPHEUS. Ge- 
schrieben als ein Grabmal für Wera Ouckama Knoop. In Papp- 
band M 3.50. 


— DUINESER ELEGIEN. In Leinen M 4.—. 


— GESCHICHTEN VOM LIEBEN GOTT. 37.—39. Tausend. 
In Leinen M 5.—. 


— DIE AUFZEICHNUNGEN DES MALTE LAURIDS 
BRIGGE. 23.—25. Tausend. In Leinen M 7.50. 


— AUGUSTE RODIN. Mit 96 Bildtafeln. 41.—45. Tausend. 
In Halbleinen M 7.50. 


RIMBAUD, ARTHUR: LEBEN UND DICHTUNG. Übertragen 
von K. L. Ammer, eingeleitet von Stefan Zweig. Mit einem Bildnis 
Rimbauds. Zweite Auflage. In Leinen M 6.50. 


ROUSSEAU: BEKENNTNISSE. Unverkürzt aus dem Französischen 
übertragen von Ernst Hardt. Zweite Auflage. In Leinen M ı0.—; 
in Leder M 16.—. 

Die Größe der Persönlichkeit, die sich in diesem Buche mit rück- 
haltloser Offenheit dargestellt hat, und die Kühnheit ihres Bekennt- 
nisses erheben dieses für alle Zeiten zu einem Dokument, das 
erkenntnishungrige Seelen mit geheimnisvoller Magie anzieht. 


SAINT-SIMON: DER HOF LUDWIGS XIV. Nach den Denk- 
würdigkeiten des Herzogs von Saint-Simon herausgegeben von 
Wilhelm Weigand. Übertragen von Arthur Schurig. Mit 34 zeit- 
genössischen Bildern. 8.—ır. Tausend. In Leinen M 20.—; in 
Halbleder M 24.—; in Leder M 32.—. 


SCHAEFFER, ALBRECHT: DER GÖTTLICHE DULDER. 
Dichtung. In Pappband M 6.50; in Halbleder M ı0.—. 


.— ELLI ODER SIEBEN TREPPEN. Beschreibung eines weib- 
lichen Lebens. 9.—ı2. Tausend. In Leinen M 6.50. 


— GUDULA ODER DIE DAUER DES LEBENS. Eine Erzäh- 
lung. 11.—ı13. Tausend. In Leinen M eco 


— JOSEF MONTFORT. Roman. 12.—14. Tausend. In Leinen 
M 7.50. 

— PARZIVAL. Ein Versroman in drei Kreisen. 4.—6. Tausend. 
In Halbleinen M 10.—; in Halbleder M 14.—. 


— DES APULEJUS sogenannter GOLDENER ESEL (Meta- 
morphosen). In Leinen M 8.—. 

„Merk auf, Leser, du wirst dein Vergnügen haben“, heißts in 
der Einleitung. Und dann beginnt die Geschichte von Lucius, der 
in einen Esel verwandelt wird und vielerlei Schmerzen und Leiden 
durchmachen muß. Ein Buch der Abenteuer und Verwandlungen, 
Verwicklungen und Verwechslungen, eine Satire auf die Zeit, ihren 
Aberglauben, ihre Menschen. 


185 


SCHEFFLER, KARL: DEUTSCHE MALER UND ZEICHNER 
IM NEUNZEHNTEN JAHRHUNDERT. Mit 78 Bildtafeln. 
Io.—12.Tausend. In Halbleinen M 12.—;in Halbpergament M15.—. 
— ITALIEN. Mit 118 Bildtafeln. 13.—15. Tausend. In Halbleinen 
M 16.—; in Halbpergament M 20.—. 

— DER GEIST DER GOTIK. Mit 103 Vollbildern. 36.—40.Tau- 
send. In Halbleinen M 7.50. 

— PARIS. Notizen. Mit 87 Bildtafeln. Zweite Auflage. In Halb- 
leinen M 16.—; in Halbpergament M 20.—. 

— ZEIT UND STUNDE. Neue Essays. In Leinen M 7.—. 


SCHILLERS SÄMTLICHE WERKE insieben Bänden. Taschenaus- 
gabe auf Dünndruckpapier. In Leinen M 50.—; in Leder M 90.—. 
SCHNEIDER, EDUARD: ELEONORA DUSE. Erinnerungen, Be- 
trachtungen und Briefe. Übertragen von Th. Mutzenbecher. Mit 
7 Bildern und einem Faksimile. 5.—8.Tausend. In Leinen M 8.50. 
Dies Ehrenmal, das thr ein Dichter und ein Mensch gesetzt, 
wird die Erinnerung an die große Künstlerin über ihre Zeit tragen. 


SCHOPENHAUERS WERKE in fünf Bänden. Herausgegeben von 
Ed.Grisebach, Max Brahn und Hans Henning. Taschenausgabe auf 
Dünndruckpapier. In Leinen M 40.—; in Leder M 70.—. 

— APHORISMEN ZUR LEBENSWEISHEIT. Taschenausgabe. 
35.—39. Tausend. In Leinen M 4.—; in Leder M 9.—. 


SCHULZE-MAIZIER, FRIEDRICH: DIE OSTERINSEL. Mit 
231 afeln, 3 Karten und 3 Abbildungen im Text. In Leinen M 12.— 
Das Geheimnis der kleinen in ungeheure Einsamkeit versprengten 
Insel im östlichen Pazifik, auf der einst ein überraschend hohes 
Kulturleben geherrscht haben muß, auf der man Hunderte unwahr- 
scheinlich großer Figuren errichtete, eine eigene Literatur in bis- 
her noch nicht entzifferter Schrift besaß, wird hier nach den Er- 
gebnissen der jüngsten Expedition so weit, wie es überhaupt 
möglich ist, entschletert. 

SCHURIG, ARTHUR: WOLFGANG AMADE MOZART. Sein 
Leben, seine Persönlichkeit, sein Werk. Mit 4ı Bildtafeln und 
3 Faksimiles. Zwei Bande. 5.—9. Tausend. In Leinen M 18.—. 


STENDHAL, FRIEDR. VON (HENRY BEYLE): DAS LEBEN 
EINES SONDERLINGS. Übertragen von Arthur Schurig. Auf 
Dünndruckpapier. 6.—8.Taus. In Leinen M 9.—; in Leder M 15.—. 
— VON DER LIEBE. Übertragen von Arthur Schurig. Auf Dünn- 
druckpapier. 11.—13.Tausend. In Leinen M 8.—; in Leder M 14.—. 
— ROT UND SCHWARZ. Roman. Übertragen von Arthur 


Schurig. Auf Dünndruckpapier. zo re Tausend. In Leinen 
M 8.—; in Leder M 14.—. 


186 


STENDHAL, FRIEDR. VON (HENRY BEYLE): DIE KAR. 
TAUSE VON PARMA. Roman. Ubertragen von Otto Fretherrn 
von Taube. In Leinen M 9.—; in Leder M. 15.—. 

— ZWOLF NOVELLEN. Ubertragen von Arthur Schurig. In 

. Leinen M 8.—; in Leder M 14.-. 

STIFTER, ADALBERT: GESAMMELTE WERKE in finf Ban- 
den auf Dünndruckpapier. Eingeleitet von Felix Braun. In Leinen 
M 36.—; in Leder M 70.—. 

Als Einzelausgaben erschienen: 

— STUDIEN. (Erzählungen.) Vollständige Ausgabe in zwei Bän- 
den. 21.—23. Tausend. In Leinen M 15.—; in Leder M 28.—. 

— DER NACHSOMMER. Roman. Vollständige Ausgabe in einem 
Bande. 13.—15. Tausend. In Leinen M 7.50; in Leder M 14.—. 


— WITIKO. Roman. Vollständige Ausgabe. 5.—8. Tausend. In 
Leinen M 7.50; in Leder M 14.—. 

— BUNTE STEINE. NACHLESE. In Leinen M 7.50; in Leder 
M 14.—. 

Als Ergänzungsband in gleicher Ausstattung: 

— AUSDEM ALTEN WIEN. Mit 28 Bildtafeln. Zweite Auflage. 
In Leinen M 7.—; in Leder M 14.—. 

STORM, THEODOR: SÄMTLICHE WERKE in acht Bänden. 
Herausgegeben und eingeleitet von Albert Köster. 19.—21. Tau- 
send. In Leinen M 30.—; in Halbpergament M 45.—. 

TAUBE, OTTO FREIHERR VON: DAS OPFERFEST. Roman. 
In Leinen M 8.—. 


(1001 NACHT:) DIE SCHÖNSTEN GESCHICHTEN AUS TAU- 
SEND UND EINER NACHT. Wohlfeile Ausgabe in einem 
Bande. 15.—17. Tausend. In Halbleinen M 6. 50; in HalblederM 9.—. 
Diese schöne Auswahl eignet sich besonders auch als Geschenk für 
die reifere Jugend. | 

TAUSEND UND EIN TAG. Orientalische Erzählungen. Ausgewählt 
und eingeleitet von Paul Ernst. Übertragen von Felix P. Greve und 
Paul Hausmann. 4.—7. Tausend. Zwei Bände. In Leinen M 20.—; 
in Leder M 36.—. 

TIMMERMANS, FELIX: DAS JESUSKIND IN FLANDERN. 
Aus dem Flämischen übertragen von Anton Kippenberg. 14. bis 
17. Tausend. In Leinen M 6.50. 

— PALLIETER. Aus dem Flämischen übertragen von Anna 
Valeton-Hoos. 21.—25. Tausend. In Leinen M 6.50. 


— DAS LICHT IN DER LATERNE. Erzählungen. Übertragen 
von Anna Valeton-Hoos. Mit Zeichnungen des Verfassers. rr. bis 
14. Tausend. In Leinen M 6.50. 


187 


TOLSTOI, LEO N.: SAMTLICHE ROMANE UND ERZAH- 
LUNGEN in zwölf Banden. Eingeleitet von Arthur Luther. In 
Leinen M 54.—; in Halbpergament M 75.—. 


— ERZÄHLUNGEN. Übertragen von Heinrich Röhl und Arthur 
Luther. Vier Bände. In Halbleinen M 16.—; in Halbpergament 
M 20.—. 

TSCHUANG-TSE: REDEN UND GLEICHNISSE. In deutscher 
Auswahl von Martin Buber. 9.—11. Tausend. In Leinen M 4.—. 


UHDE-BERNAYS, HERMANN: ANSELM FEUERBACH. Mit 
80 Vollbildern nach Gemälden und Handzeichnungen Feuerbachs. 
II.—I5. Tausend. In Halbleinen M 4.—. 


VILLERS, ALEXANDER VON: BRIEFE EINES UNBEKANN- 
TEN. Ausgewählt und eingeleitet von Wilhelm Weigand. Zweite 
Auflage. Mit 2 Bildnissen. In Leinen M 9.—. 

VOLTAIRES ERZÄHLUNGEN. Übertragen von Ernst Hardt. 
Zweite Auflage. In Leinen M 7.50; in Halbleder M ı0.—. 
Inhalt: Der Schwarze und der Weiße — Hans und Klaas — Die 
Prinzessin von Babylon — Candid — Scarmentado — Zadig — 
Mikromegas — Der Harmlose. 

WALDMANN, EMIL: ALBRECHT DÜRERS LEBEN UND 
KUNST. Drei Teile in einem Bande. Mit 240 Vollbildern nach 
Gemälden, Stichen, Holzschnitten und Handzeichnungen des Mei- 
sters. In Halbleder M 14.—. 


Einzeln erschienen: 

— ALBRECHT DÜRER. Mit 80 Vollbildern nach Gemälden des 
Meisters. 21.—24. Tausend. In Halbleinen M 4.—. 

— ALBRECHT DÜRERS STICHE UND HOLZSCHNITTE. 
Mit 80 Vollbildern. 17.—20. Tausend. In Halbleinen M 4.—. 


— ALBRECHT DURERS HANDZEICHNUNGEN. Mit 8oVoll- 
bildern. rz.—20. Tausend. In Halbleinen M 4.—. 


WILDE, OSCAR: DIE ERZÄHLUNGEN UND MÄRCHEN. 
Übertragen von Franz Blei und Felix Paul Greve. Mit 10 Voll- 
bildern sowie Initialen, Titel- und Einbandzeichnung von Heinrich 
Vogeler-Worpswede. 133.—140. Tausend. In Halbleinen M 5.50; 
in Halbpergament M 8.—; in Leder M 15.—. 

WILHELMINE MARKGRÄFIN VON BAYREUTH: MEMO- 
IREN. Deutsch von Annette Kolb. Mit 10 Bildtafeln. 9.13. Tau- 
send. In Leinen M 8.—. 

Erinnerungen der geistvollen Schwester Friedrichs des Großen. 

WINCKELMANN, JOACHIM: KLEINE SCHRIFTEN UND 
BRIEFE. Herausgegeben von Hermann Uhde-Bernays. Zwei 
Bände. Mit 22 Bildtafeln. In Halbpergament M 18.—. 


188 


ZOLA, EMILE: ROM. Roman. Taschenausgabe auf Dünndruck- 
papier in einem Bande (1000 Seiten). In Leinen M 8.—. 


ZWEIG,STEFAN: ERSTES ERLEBNIS. Vier Geschichten aus Kin- 
derland. 28.—32.Tausend. In Leinen M 7.—; in Halbleder M 10.—. 


— AMOK. Novellen einer Leidenschaft. 46.—50. Tausend. In 
Leinen M 7.—; in Halbleder M 10.—. 


— VERWIRRUNG DER GEFÜHLE. Drei Novellen. gr. bis 
60.Tausend. In Leinen M 7.—; in Halbleder M 10.—. 


Die drei Bände sind auch zusammen in einer Kassette unter dem 
Titel „DIE KETTE“ lieferbar zum Preise von in Leinen M 20.—; 
in Halbleder M 28.—. 


— DREI MEISTER (Balzac — Dickens — Dostojewski). 27. bis 
25. Tausend. In Leinen M 7.—. 


— DER KAMPF MIT DEM DÄMON (Hölderlin — Kleist — 
Nietzsche). rz.—22. Tausend. In Leinen M 7.50. 


— ERINNERUNGEN AN EMILE VERHAEREN. Gedruckt in 
400 numerierten Exemplaren auf Büttenpapier. In Halbpergament 
M ı12.—. : 


— JEREMIAS. Eine dramatische Dichtung in neun Bildern. 22. bis 
25. Tausend. In Leinen M 6.—. 


DEUTSCHE VERGANGENHEIT 


Nach zeitgenössischen Quellen herausgegeben von Johannes Bühler. 
Jeder Band mit 16 Bildtafeln, in Halbleinen M 9.—; 
in Halbleder M ı2.—. 


DIE GERMANEN IN DER VOLKERWANDERUNG. 6. bis 
8. Tausend. 


DAS FRANKENREICH. 
DIE SÄCHSISCHEN UND SALISCHEN KAISER. 
DIE HOHENSTAUFEN. 


KLOSTERLEBEN IM DEUTSCHEN MITTELALTER. 7. bis 
II. Tausend. 


DEUTSCHES GEISTESLEBEN IM MITTELALTER. 
ORDENSRITTER UND KIRCHENFÜRSTEN. 


Ausführliche Sonderankündigungen für diese Sammlung stehen 
unberechnet zur Verfügung. 


189 


 VIER-MARK-BUCHER 


Jeder Band in Leinen mit reicher Rückenvergoldung M 4.—. 


BEETHOVENS BRIEFE. In Auswahl 
herausgegeben von Albert Leitzmann. 
34. Tausend. 


FICHTES REDEN AN DIE DEUT- 
SCHE NATION. Revidierte Ausgabe 
von Rudolf Eucken. 29. Tausend. 


GOETHES BRIEFE AN FRAU VON 
STEIN. In Auswahl herausgegeben 
von Julius Petersen. Mit 6 Silhouetten. 
30. Tausend. 

DIE BRIEFE DES JUNGEN GOE- 


THE. Herausgegeben und eingeleitet 
von Gustav Roethe. 


BRIEFE VON GOETHES MUTTER. 
Ausgewählt und eingeleitet von Al- 
bert Köster. Mit einer Silhouette der 
Frau Rath. 63. Tausend, 


DER 


WILHELM VON HUMBOLDT: BRIE- 
FE AN EINE FREUNDIN (Charlotte 
Diede). In Auswahl herausgegeben von 
Albert Leitsmann. 31. Tausend. 


KANT-AUSSPRÜCHE. Herausgegeben 
von Raoul Richter. 14. Tausend. 


BRIEFE HEINRICH VON KLEISTS. 
Herausgegeben von Friedrich Michael. 


DES KNABEN WUNDERHORN. Aus- 
gewählt und eingeleitet von Friedrich 
Ranke. 20. Tausend. 


ADALBERT STIFTER: ERZÄHLUN- 
GEN. Ausgewählt und eingeleitet von 
Felix Braun. 


DOM 


Bücher deutscher Mystik 


MEISTER ECKHART: DEUTSCHE 
PREDIGTEN UND TRAKTATE. 
Ausgewählt, übertragen und einge- 
leitet von Friedrich Schulse-Maisier. 
(Siehe Seite 171). : 

FRANZ VON BAADER: SCHRIFTEN. 
Ausgewählt und herausgegeben von 
Max Pulver. 


JAKOB BÖHME: AUSGEWÄHLTE 
SCHRIFTEN. Herausgegeben von 
Hans Kayser. 7. Tausend. 


GUSTAV TH. FECHNER: ZEND- 
AVESTA. Gedanken über die Dinge 
des Himmels und des Jenseits vom 
Standpunkte der Naturbetrachtung. 
Herausgegeben von Max Fischer. 
7. Tausend. 


J.G. HAMANN: SCHRIFTEN. Aus- 


gewählt und herausgegeben von Karl 
Widmaier. 

HILDEGARD VON BINGEN: 
SCHRIFTEN. Ausgewählt und ber- 
ausgegeben von Johannes Bühler. 


JOHANNES KEPLER: KOSMISCHE 
HARMONIE. Auszugsweise über- 
tragen von W. Harburger. 


MYSTISCHE DICHTUNG AUS SIE- 
BEN JAHRHUNDERTEN. Heraus- 
gegeben v. Friedrich Schulse-M aisier. 

THEOPHRASTUS PARACELSUS: 


SCHRIFTEN, Herausgegeben von 
Hans Kayser. 7. Tausend. 


JAN V.RUISBROECK: DIE ZIERDE 
DER GEISTLICHEN HOCHZEIT - 
U. DIE KLEINEREN SCHRIFTEN. 
Herausgegeben von Friedrich M. 
Huebner. 

HEINRICH SEUSE: DEUTSCHE 
SCHRIFTEN, Ausgewählt und über- 
tragen von Anton Gabele. 

JOHANN TAULER: PREDIGTEN. 
In Auswahl übertragen und eingeleitet 
von Leopold Naumann. 

THEOLOGIA DEUTSCH. Heraus- 
gegeben von Josef Bernhart. 6. Taus. 


Preis jedes Bandes: in Halbleinen M 6.—; in Halbpergament M 8.— (die Bände 
Böhme, Eckhart, Kepler, Mystische Dichtung, Paracelsus: M 7.50 bzw. M 10.—) 


Mit dem soeben erschienenen Eckhart-Bande ist die Sammlung, die es sich zur 
Aufgabe stellt, eine Auswahl der besten und wichtigsten Bücher echter Mystik 
zu bringen, nunmehr zum Abschluß gelangt. 


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INHALT 


Kalendarium auf das Jahr 1928 e 5 
Karl Scheffler: Dorf und Stadt ............ 00. cece ee evens 11 
Robert Browning: Der Ring und das Buch................ 19 
Felix Braun: Zwei Betrachtungen .............0. essence 25 
Chinesische Anekdoten e 33 
Sherwood Anderson: Die Lehrerin ......... 2222222220222. 36 
Albrecht Schaeffer: Klage ....... 0. ccc cece cece renee eeee 49 
Alexander Lernet-Holenia: Szene als Einleitung einer Toten- 
feier für Rainer Maria Bike... 50 
Hugo von Hofmannsthal: Vermächtnis der Antike ......... 57 
Felix Timmermans: Ein Tag in Lier ...........2.0e0 ee 62 
Ricarda Huch: Zwei Gedichte `... 75 
Paul Valéry: Die Seele und der Tanz ................000 76 
Eine Predigt Meister Eckharts `... 84 
Rainer Maria Rilke: Drei Gedichte... 89 
D. H. Lawrence: Die Nachtigall e 92 
Charles Baudelaire: Marceline Desbordes-Valmore ......... 100 
Ernst Bertram: Zwei Gedichte .............+-- es 106 
Stefan Zweig: Die Weltminute von Waterloo ............. 108 
Geschichten aus dem Herodot ........-. ses cesceeeceeece 127 
Richard Friedenthal: Demeter-Sonette ...............-0008: 135 
Hans Carossa: Aus einem künftigen Buche ............... 139 
Gedanken von Paul Lagarde ....... cece cece cee e erence 154 
Frangois Mauriac: Der Tod der jungen Frau ............. 159 
Goethe: Vermächtnis `... 167 
Bücher aus dem Insel-Verlag `... 169 


DIE BILDER 


Küche im Ordensritterschloß Lochstedt. Aus Johannes Bühler : 
Ordensritter und Kirchenfürsten (Deutsche Vergangenheit) 
Gustave Doré: Illustration zu Balzacs Tolldreisten Geschichten 
Engel im Chor des Doms zu Köln. Aus Hermann Beenken: 
Bildhauer des 14. Jahrhunderts am Rhein und in Schwaben 
Gipsmaske Amenophis’ IV. Aus Georg Steindorff : Die Kunst 
DEVAL DIEM: ed rennt 
Stammhaus der Familie Rothschild in Frankfurt am Main. Aus 
Egon Cäsar Conte Corti: Der Aufstieg des Hauses Roth- 
Schild 2770-01528 70 voce dea ee a 
Aristide Maillol: Holzschnitt. Aus den Eclogen Vergils in der 
Ursprache und Deutsch, übertragen von Rudolf Alexander 
Schröder. (Druck der Cranach-Presse in Weimar) ...... 
Madonna vom Kapellenturm in Rottweil. Aus Hermann Been- 
ken: Bildhauer des 14. Jahrhunderts am Rhein und in 
Schwaben aa, ie 
Marceline Desbordes-Valmore. Zeichnung von Constant Des- 
bordes. Aus Stefan Zweig : Marceline Desbordes-Valmore, 
das Lebensbild einer Dichterin ........ EE eee 
Die Sphinx von Gise. Aus Georg Steindorff: Die Kunst EN 
E EE 
Gustave Doré: Illustration zu Balzacs Tolldreisten Geschichten 
Aristide Maillol: Holzschnitt. Aus den Eclogen Vergils ..... 


Kalendarium und Umschlag zeichnete Marcus Behmer 


Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig | 


«PPR 37039-SB 
83-15 
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Stanford, California 


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