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Inſel⸗Almanach
auf das Jahr
1934
Im Inſel⸗ Verlag zu Leipzig
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Kalendarium
Auf denn, nicht träge denn,
ſtrebend und hoffend hinan!
Weit, hoch, herrlich der Blick
rings ins Leben hinein.
Von Gebirg zu Gebirg
ſchwebet der ewige Geiſt,
ewigen Lebens ahndevoll.
*
Goethe
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Januar
1 Neujahr
2 Dienstag
3 Mittwoch
4 Donnerstag
5 Freitag
6 Epiphanias
7 1. Sonntag n. Ep.
8 Montag
9 Dienstag
10 Mittwoch
11 Donnerstag
12 Freitag
13 Sonnabend
14 2. Sonntag n. Ep.
15 Montag
16 Dienstag
17 Mittwoch
18 Donnerstag
19 Freitag
20 Sonnabend
21 3. Sonntag n. Ep.
22 Montag
23 Dienstag
24 Mittwoch
25 Donnerstag
26 Freitag
27 Sonnabend
28 Septuagefimä
29 Montag
30 Dienstag
31 Mittwoch
Februar
1 Donnerstag
2 Freitag
3 Sonnabend
4 Seragelimä
5 Montag
6 Dienstag
7 Mittwoch
8 Donnerstag
9 Freitag
10 Sonnabend
11 Eſtomihi
12 Montag
13 Dienstag
14 Mittwoch
15 Donnerstag
16 Freitag
17 Sonnabend
18 Invokavit
19 Montag
20 Dienstag
21 Mittwoch
22 Donnerstag
23 Freitag
24 Sonnabend
25 Reminiſzere
26 Montag
27 Dienstag
28 Mittwoch
März
ı Donnerstag
2 Freitag
3 Sonnabend
4 Okuli
5 Montag
6 Dienstag
7 Mittwoch
8 Donnerstag
9 Freitag
10 Sonnabend
11 Laͤtare
12 Montag
13 Dienstag
14 Mittwoch
15 Donnerstag
16 Freitag
17 Sonnabend
18 Judika
19 Montag
20 Dienstag
21 Mittwoch
22 Donnerstag
23 Freitag
24 Sonnabend
25 Palmarum
26 Montag
27 Dienstag
28 Mittwoch
29 Gründonnerstag
30 Karfreitag
31 Sonnabend
S O
April
1 Oſterſonntag
2 Oſtermontag
3 Dienstag
4 Mittwoch
5 Donnerstag
6 Freitag
7 Sonnabend
8 Quaſimodogeniti
9 Montag
10 Dienstag
11 Mittwoch
12 Donnerstag
13 Freitag
14 Sonnabend
15 Miſ. Domini
16 Montag
17 Dienstag
18 Mittwoch
19 Donnerstag
20 Freitag
21 Sonnabend
22 Jubilate
23 Montag
24 Dienstag
25 Mittwoch
26 Donnerstag
27 Freitag
28 Sonnabend
29 Kantate
30 Montag
Mai
1 Dienstag
2 Mittwoch
3 Donnerstag
4 Freitag
5 Sonnabend
6 Rogate
7 Montag
8 Dienstag
9 Mittwoch
10 Himmelfahrt
11 Freitag
12 Sonnabend
13 Exaudi
14 Montag
15 Dienstag
16 Mittwoch
17 Donnerstag
18 Freitag
19 Sonnabend
20 Pfingſtſonntag
21 Pfingſtmontag
22 Dienstag
23 Mittwoch
24 Donnerstag
25 Freitag
26 Sonnabend
27 Trinitatis feſt
28 Montag
29 Dienstag
30 Mittwoch
31 Donnerstag
7
Suni
1 Freitag
2 Sonnabend
3 1. Sonnt. n. Trin.
4 Montag
5 Dienstag
6 Mittwoch
7 Donnerstag
8 Freitag
9 Sonnabend
10 2. Sonnt. n. Trin.
11 Montag
12 Dienstag
13 Mittwoch
14 Donnerstag
15 Freitag
16 Sonnabend
17 3. Sonnt. n. Trin.
18 Montag
19 Dienstag
20 Mittwoch
21 Donnerstag
22 Freitag
23 Sonnabend
24 4. Sonnt. n. Trin.
25 Montag
26 Dienstag
27 Mittwoch
28 Donnerstag
29 Freitag
30 Sonnabend
Yo DB ©
Juli
1 5. Sonnt. n. Trin.
2 Montag
3 Dienstag
4 Mittwoch
5 Donnerstag
6 Freitag
7 Sonnabend
8 6. Sonnt. n. Trin.
9 Montag
10 Dienstag
11 Mittwoch
12 Donnerstag
13 Freitag
14 Sonnabend
15 7. Sonnt. n. Trin.
16 Montag
17 Dienstag
18 Mittwoch
19 Donnerstag
20 Freitag
21 Sonnabend
22 8. Sonnt. n. Trin.
23 Montag
24 Dienstag
25 Mittwoch
26 Donnerstag
27 Freitag
28 Sonnabend
29 9. Sonnt. n. Trin.
30 Montag
31 Dienstag
Auguſt
1 Mittwoch
2 Donnerstag
3 Freitag
4 Sonnabend
5 10. Sonnt. n. Trin.
6 Montag
7 Dienstag
8 Mittwoch
9 Donnerstag
10 Freitag
11 Sonnabend
12 11. Sonnt. n. Trin.
13 Montag
14 Dienstag
15 Mittwoch
16 Donnerstag
17 Freitag
18 Sonnabend
19 12. Sonnt. n. Trin.
20 Montag
21 Dienstag
22 Mittwoch
23 Donnerstag
24 Freitag
25 Sonnabend
26 13. Sonnt. n. Trin.
27 Montag
28 Dienstag
29 Mittwoch
30 Donnerstag
31 Freitag
8
September
1 Sonnabend
2 14. Sonnt. n. Trin.
3 Montag
4 Dienstag
5 Mittwoch
6 Donnerstag
7 Freitag
8 Sonnabend
9 15. Sonnt. n. Trin.
10 Montag
11 Dienstag
12 Mittwoch
13 Donnerstag
14 Freitag
15 Sonnabend
16 16. Sonnt. n. Trin.
17 Montag
18 Dienstag
19 Mittwoch
20 Donnerstag
21 Freitag
22 Sonnabend
23 17. Sonnt. n. Trin.
24 Montag
25 Dienstag
26 Mittwoch
27 Donnerstag
28 Freitag
29 Sonnabend
30 18. Sonnt. n. Trin.
Oktober
1 Montag
2 Dienstag
3 Mittwoch
4 Donnerstag
5 Freitag
6 Sonnabend
7 19. Sonnt. n. Trin.
8 Montag
9 Dienstag
10 Mittwoch
11 Donnerstag
12 Freitag
13 Sonnabend
14 20. Sonnt. n. Trin.
15 Montag
16 Dienstag
17 Mittwoch
18 Donnerstag
19 Freitag
20 Sonnabend
21 21. Sonnt. n. Trin.
22 Montag
23 Dienstag
24 Mittwoch
25 Donnerstag
26 Freitag
27 Sonnabend
28 22. Sonnt. n. Trin.
29 Montag
30 Dienstag
31 Mittwoch
O
November
1 Donnerstag
2 Freitag
3 Sonnabend
A 23. Sonnt. n. Trin.
5 Montag
6 Dienstag
7 Mittwoch
8 Donnerstag
9 Freitag
10 Sonnabend
11 24. Sonnt. n. Trin.
12 Montag
13 Dienstag
14 Mittwoch
15 Donnerstag
16 Freitag
17 Sonnabend
18 25. Sonnt. n. Trin.
19 Montag
20 Dienstag
21 Bußtag
22 Donnerstag
23 Freitag
24 Sonnabend
25 Totenfeſt
26 Montag
27 Dienstag
28 Mittwoch
29 Donnerstag
30 Freitag
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Dezember
ı Sonnabend
2 1. Advent
3 Montag
4 Dienstag
5 Mittwoch
6 Donnerstag
7 Freitag
8 Sonnabend
9 2. Advent
10 Montag
11 Dienstag
12 Mittwoch
13 Donnerstag
14 Freitag
15 Sonnabend
16 3. Advent
17 Montag
18 Dienstag
19 Mittwoch
20 Donnerstag
21 Freitag
22 Sonnabend
23 4. Advent
24 Montag
25 1. Weihnachtstag
26 2. Weihnachtstag
27 Donnerstag
28 Freitag
29 Sonnabend
30 Sonnt. n. Weihn.
31 Silveſter
Friedrich Schnack
Der Falter des Homer
In Griechenland ging vor langer Zeit, in der Homeriſchen Zeit,
das Gerücht um, Homer, der alte Dichter, den man geſtorben
wähnte, lebe noch. Sieben Städte ſtritten ſich damals um die
Ehre feiner Geburt, keine einzige aber um die Würde feines Todes.
Ein griechiſcher Jüngling aus einer der ruhmſüchtigen Städte
hoͤrte von einem Olivenhändler, der blinde Dichter hauſe auf einer
der kleinen Inſeln im Archipel. Welche es ſei, wußte er nicht. Ein
Segelſchiffsverleiher hatte es ihm berichtet, und dieſem war die
ungewiſſe Kunde von einem Seemann zugetragen worden. Auf
und ab ſchaukelte die Welle des Gerüchts, doch Zuverläſſiges
hörte niemand.
Alexander, der Jüngling, getrieben von der Liebe zu Homer, be⸗
ſchloß, den Verſchollenen zu ſuchen oder wenigſtens um die Inſeln
herumzuſtreunen, Land und Leute kennen zu lernen und ſich den
Meerwind um die Ohren wehn zu laſſen. Er mietete bei dem
Schiffsverleiher ein Segelboot, befrachtete es mit Lebensmitteln,
Getränk und allerlei Gut für eine längere Fahrt, nahm einen
Seemann an Bord und fuhr eines Morgens aus dem Hafen von
Athen. Von Inſel zu Inſel trieb er auf den blauen Stroͤmungen
des Meeres, ſuchte, ſpaͤhte — doch vergeblich. Er landete an den
kykladiſchen Eilanden und fegelte in die Einöde des Kretiſchen
Meeres, richtete den Kiel nach Karpathos und Rhodos, drehte die
Segel, der Strömung entgegen, durch das Irrſal der Sporaden
und lenkte ſchon das Steuer in die Richtung nach Nikaria und
dem Geſtade von Chios, da warf in der Morgenfrühe ein von
11
Kleinaſien herbrechender Sturm die Nußſchale an ein winziges
Inſelkorn. Die Geſchicklichkeit des Seemanns wußte das Schei⸗
tern des Fahrzeugs zu verhüten, fie ſauſten in eine gurgelnde
Bucht und blieben.
Mutlos kroch Alexander über das Geröll: nirgendwo weder
Menſch noch Tier. Über die Waſſer ſchleifte der Sturm die
ſchwarzen Floͤre, alle Sicht verhaͤngend, die Wogen grollten und
riſſen, das Inſelchen umbellend, ihre ſchaumgeifernden Rachen
auf. Er beſtieg die Zinnen der Felſen, um auszuſchaun: da ſah
er in der Ferne eine Hütte, Bäume und einen Hügel.
Alexander und ſein Begleiter hielten darauf zu: es war die Hütte
eines Hirten. Der kam aus ſeinem Stall, ſtand unter der Tür
wie ein Herbſtbaum und betrachtete wortlos die Seefahrer. In
ſeinem weißen, ſturmzerrütteten Haar hingen dürre Grashalme
und Laubreſte, ſein Hirtenkleid war aus vielen Flicken zuſammen⸗
geſetzt. Er mochte neunzig Jahre ſein.
„Der Sturm warf unſer Schiff in die Felſen“, ſagte Alexander,
auf den Seemann deutend.
Der Alte antwortete nicht.
„Wir bitten um deine Gaſtfreundſchaft, bis das . ruhig
und unſer Fahrzeug ausgebeſſert iſt.“
Die Augenbrauen des Hirten hoben ſich ein wenig, was vielleicht
heißen konnte: Bleibt!
„Gibt es noch andere Unterkunft hier?“
Er ſchüttelte die Hand. |
„Ich ſuche ...“ fagte Alexander, beklommen von dem alten
Licht der Augen, „ich ſuche den EE Homer, ber auf einer
kleinen, unbekannten Inſel leben foll ..
Der Hirte zeigte ihm eine blöd⸗erſtaunte Miene.
„Der iſt wahrhaftig ſtumm!“ knurrte der Steuermann.
„Er ſcheint mir eher ſchweigſam zu ſein“, antwortete Alexander
und winkte ab.
„Wohnt bei dir ein Greis mit Namen Homer?“ fragte er den Alten.
Der Hirte brummte, ſeine Stimme hatte den dumpfen Klang
12
des Geſteins, das unter dem Sprung der Ziegen hinabſchollert
in die Schlucht. „Homer? ... Ja, iſt hier!“
„Mann!“ rief Alexander, freudig aufgeregt und geſpannt. „Der
Dichter Homer?“
„Der Dichter Homer?“ meinte der Hirte, grinſend und ver⸗
neinend. „Ach wo! Ein alter kleinaſiatiſcher Bettler. Vor Jahren
ſetzte ihn ein Olivenſegler hier ab... den Bettler Homer.“ Sein
Zottelbart wackelte, durchkäammt von den knochigen Gichtfingern.
Mißtrauiſch, verſtändnislos ſchüttelte der Alte den Kopf und
ſtieß, unluſtig weiterer Worte, die Tür ſeiner Hütte auf, aus der
ein ſchwarzer Hund ſeine Schnauze ſteckte.
Aber Alexander faßte den Hirten am Armel und verſprach ihm
einen fehönen Krug mit roten Figuren. |
„Wo ift der Homer?“ fragte er haftig.
Der Alte meckerte bocksgleich und zeigte auf den Stall.
Alexander ſtürzte in das Gelaß. Die Ziegen und Schafe waren
fort, ſie weideten wohl draußen am Hügel auf windgeſchützten
Halden. Hinter dem Fenſter ſah er den alten Hirten langſam
vorbeiwaten durch die Meerböen, die von Rand zu Rand fegten;
er klapperte mit dem Stock und rief ſeinem Hund. Der Seemann
lief um das Haus, den Schuppen nach Holz zu durchſuchen, denn
das Schiff hatte ein paar Löcher davongetragen.
Alexander durchſpähte das dämmerige Halblicht des Stalles, und
als ſeine Augen Pfoſten und Raufen, Ketten und Streu unter⸗
ſchieden, gewahrten ſie auch einen dunkeln Haufen in der Ecke,
und das war der Bettler. Klopfenden Herzens, Zweifel und
Hoffnung im Sinn, näherte er ſich dem Liegenden. Iſt er es, iſt
er es nicht? Die Erregung ließ ihn erzittern, der Augenblick be⸗
täubte ihn faſt. Wenn er es wäre! Ganz leiſe und behutſam tat
er. Ach, er war es wohl nicht, der große, alte Dichter. Vor ihm,
hingeſtreckt in die Streu der Schafe, den Geſtank ihres Unrates
atmend, lag ein hochbejahrter Greis.
Alexander neigte ſich zu ihm und ſtarrte bei dem ſchwachen Schein
des Tageslichts in geöffnete, aber glanzloſe, tote Augen. Der
13
Greis war blind. Der Jüngling forſchte in den alten, ehrwürdigen
Zügen nach einem geiſtigen Zeichen. Mit geſammelter Innigkeit
und Inbrunſt betrachtete er die hohe, verrunzelte Stirn, die weißen,
beſchmutzten Haarſträhnen, den Bart, darin Spinnweben,
Fliegenflügel und vertrocknete Milchtropfen klebten. Braun ge⸗
beizt von der Inſelluft war die Haut, Pergament, von feinen
Aderchen mühſelig durchronnen; blankgeſchliffen blinkten die
Schläfen, gleich den Kieſeln, die durch die Mühle des Meeres
rollen. Seit Menſchengedenken mochte ſich der Bettler nicht ge⸗
ſaͤubert haben, wiewohl ihm das Waſſer ſo nahe wogte: die
Füße ſtarrten von Unſauberkeit, die Fingernägel glichen ſchwar⸗
zen Halbmonden. Alexander fühlte ſich von dieſem Anblick zu⸗
rückgeſtoßen, er richtete ſich ſeufzend auf und atmete ein paar
Züge friſcher Luft am Fenſter. Der Stallgeruch verurſachte
ihm Schwindel und Kopfſchmerz. Doch blickte er wieder in
die düſtere Ecke. Homer heißt er... Olivenſchiffer haben ihn
ausgeſetzt ... Welche Stadt hat ihn abgeſchoben ...? Ein
kleinaſiatiſcher Bettler ... Der Greis war uralt, hilflos, be⸗
jammernswürdig. Ein Hundertjähriger, angewieſen auf die
Mildtätigkeit eines Neunzigjährigen, der nichts hatte als eine
leere Inſel, ein paar Krumen Erde und ſeine wenigen Ziegen und
Schafe. Alexander ſchaute mit halbem Blick in den Spinnen⸗
winkel, mit halbem Blick hinaus auf das Meer, das dunkel
drachenbrüſtig aufbäumte. Der Sturm hatte nachgelaſſen,
Windpauſen traten ein, bald konnte man weiterſegeln, war nur
erſt der Bootsſchaden wieder behoben!
Jetzt regte ſich der Greis. Mauſegleich raſchelten ſeine dürren
Hände im Heu und Laub des Lagers. Seine Lippen murmelten
feierlich Lallendes, ſtöhnten, hauchten ... Nein, er hatte nichts
geſagt! Alexander, ein Bein zum Sprung vorgeſetzt, lauſchte.
Sagte der Alte etwas?
Er ſchwieg. Stille. Fern bäumte dunkel drachenbrüſtig das
Meer: Alexander ſah es hinter dem Stallfenſter ſteigen und ſinken.
Er ſpürte ſich von dem Wogenbild gepreßt mit ungeheurer
14
Wucht... In feinem Herzen keimte ein ſcheuer Mut, eine
ſchamhafte Frage. Er blickte den Alten an.
Plötzlich rief er und erſchrak im Augenblick: „Biſt du der Dichter
Homer?“
Die Worte verhallten. Der Stall, die Pfoſten, die Raufen der
Tiere, Miſt, Unrat, Heu und Laub hatten die Laute vernommen;
die waren in ſie eingegangen und darin verſtummt: Biſt du der
Dichter Homer? Keine Antwort. Der Greis antwortete nicht,
er hatte den Anruf nicht einmal gehört. Er war taub, ſtocktaub.
Seine bärtigen Lippen bewegten ſich von Worten, die nicht Wort
werden konnten. Hatte er auch die Sprache verloren?
Jammervolles Alter!
Alexander erbarmte ſich ſeiner, faßte ihn an und richtete ihn auf,
ein Knochenbündel, mühvoll zuſammengehalten von dem zer⸗
ſchliſſenen, fleckigen Mantel und dem Hirtenſtrick um die Hüfte.
Er druckte ihm den Stock in die zittrige Hand und führte ihn
langſam von ſeinem Fliegenlager hinaus vor die Tür auf eine
rohgezimmerte Bank.
Dann lief Alexander zum Boot, um einen Krug Weines zu holen.
Er füllte den Napf, hob ihn an den Mund des Blinden, aber der
Alte trank nicht, denn auch die Blume des Weins duftete nicht
mehr in das dürre Leben. Er netzte ihm die Lippen, die Tropfen
rollten in den Bart, die Kraft des Weines war ohnmächtig vor
ſo großer Ohnmacht.
Hilflos ſetzte ſich Alexander neben den Greis. Das ſchwarze Ge⸗
wölk des Himmels jagte, weitum brandete die urgraue Wildnis
des Meeres. Jetzt drang das Sonnenlicht durch einen Schatten⸗
ſpalt und beleuchtete den magern Inſelboden, die Hütte, die
Bank, ihn ſelbſt, Alexander, und den Blinden. Sie umglänzte
das ſchickſalfremde, runzelige Geſicht, die breite Stirn, den Kopf,
leer wie ein Gefäß, deſſen Geiſt verdunſtet war.
Die Wärme, die Sonne, fie allein hatte noch Stärke, einzu:
dringen in das verwitterte Pergament der Haut, in den ausge⸗
brannten Lebensſtoff des Bettlers. Er rührte die Hand, den Fuß,
15
bewegte den Kopf, hob das Kinn, öffnete weit die Lider und ließ
das Licht regnen in die öden Augenhöhlen. Schimmerte nicht ein
Lächeln auf ſeinen Zügen? Alexander betrachtete ihn faſſungslos.
Da flüſterte der Alte: „... Odyſſeus! ...“
Und Alexander erſchrak, das Wort lähmte ihn mit ungeheuerm
Zauber. Sein Herz ſchlug, er begriff. Er war es, der Meer⸗ und
Inſelgeſuchte, der Tote und noch Lebende, der alte Dichter Homer.
Und wieder: „... Odyſſeus! ..“
Lauter tönte es jetzt, ſtammelnd und unirdiſch, gedaͤmpft, als läge
Meernebel auf ſeiner Denen
„Meute... begeht man... im Volke.
Schweigen.
Alexander, ſelig geſpannt, horchte. Er hoͤrte das Meer rollen und
fern die Muſchelhoͤrner der Flutgöͤtter.
Das greiſe Haupt neigte ſich ein wenig auf die Seite, als ver⸗
ſuche es, einem innern, weltabgewandten Geſang nachzulauſchen,
der Erinnerung vielleicht oder der Ohnmacht der Erinnerung.
Da!
Homer liſpelte:
das heilige Feſt des Apollon.
Die Strophe zerriß, das Haupt ES mid nach vorn. Und jetzt
ein letztes, ſtammelndes Wort, aufperlend aus der Nacht der
Seele, aus verſchütteten Gründen. Leis ſeufzten die SE? alg
entließen fie Bläschen von Atem:
. feierlich! ...“
Der Greis, ermattet von Wind und Wärme, war eingeſchla⸗
fen. Alexander hielt ihn an ſich gedrückt, damit er nicht nieder⸗
ſinke. |
Am Abend kam der Hirt mit Hund und Schafen vom Hügel.
Schweigend ſetzte er dem Bettler einen Napf friſchgemolkener
Milch vor, auch den Seefahrern, rief ſeinem Hund und ſchlurfte
in die Hütte, zur Ruhe. Die Sonne tauchte ins Meer.
Alexander brachte den alten Dichter durch das Gedräng der
Schafe, führte ihn in den Winkel, ihn auf die Streu hin⸗
16
bettend, bedeckte ihn mit dem Mantel und ging ergriffen ans
Meer. Er hüllte ſich in ein Segel und legte ſein Geſicht in den
Sand.
Anderntags holte er aus dem Boot Segeltuch, Linnen und Polſter
und bereitete daraus dem alten Mann ein bequemeres Bett.
Das Waſſer war längſt wieder glatt, und ſanfte, gute Reiſe⸗
winde wehten. Aber Alexander dachte nicht daran, abzureiſen, er
wußte ja, Homer werde bald ſterben. Er wollte ihn bis zum Ende
nicht allein laſſen in der Inſelverbannung, allein mit dem wort:
kargen, unwiſſenden Hirten. Er fühlte ſich beauftragt, ihn zu
pflegen und den kümmerlichen Reſt der Tage mit ihm zu teilen.
Er bekleidete ihn mit Wäſche, reinigte ſeinen groben, wetter⸗
zerſchliſſenen Mantel, brachte ihm von ſeinen Lebensmitteln
und geleitete ihn jeden Morgen in die Sonne. Als Homer
vor Schwäche nicht mehr gehn konnte, trugen Alexander und
der Seemann den Matten auf einer Reiſigbahre vor die
Hütte. Der alte Dichter verfiel von Tag zu Tag. Nach ein
paar Wochen war er bereits ſo kraftlos, daß er die Hände nicht
mehr heben konnte. Wie ein kleines Kind mußte er gefüttert
werden.
Seit jenem Abend hatte er auch nicht wieder geſtammelt. Völlig
verſunken ſchwieg in ihm die Sprache, verſickert wie die Bäche
des Meeres im Sand.
Da begab es ſich aber eines Abends, als Alexander gerade vom
Boot heraufkam, daß der Greis wieder Stimme und Wort hatte.
Gefüllt mit Wohllaut war ihm die Kehle, gleich wie in ſeiner
Manneszeit, als er an einem Sommertag oben auf dem Parnaß
im Wind ſtand, angeglänzt von der Sonne Apolls.
Sein Antlitz ſchimmerte geiſtige Entzückung; weiß wie gehäm⸗
mertes Silber blinkte die Stirn. Ihr Leuchten bannte Alexander,
und er ſtand ehrerbietig. Dem Mund entdrängte Strophe um
Strophe, verworren, dunkelſinnig; plotzlich ſtiegen, aufgelichtet,
verſtändlich und kriſtallklar: Wellen großen Klangs, dröhnend
aus der Rieſengeſangeswoge von einſt:
17
„Wenn dann... wieder der Sommer erfcheint... und der
Segen des Herbſtes ... Iſt von gefallenem Laub... fein Bett
an der Erde ... geſchichtet ...“
Alexander ſchauderte, den ſchwarzen Grundton des Schmerzes
vernehmend, die Trübſalsweiſe des Greiſes, der hellſichtig ſeinen
Jammer, die Armut und Verlaſſenheit wußte. Scham peinigte
den Jüngling. Stritten ſich nicht ſieben Städte um die Ehre
ſeiner Geburt? Hatte ihn nicht ein Olivenſchiff mit Gelächter
hier abgeſetzt? Erſchüttert lehnte er an dem Stallpfoſten, die
Hände auf die Augen gepreßt, weil er den Anblick des Leuchten⸗
den, Blinden nicht ertragen konnte.
Und Homer ſprach:
„Da nun liegt er... und jammert ... und nährt in der Seele
die Trauer ... Um dein Schickſal Elagend . . A
Alexander ächzte, die Seele tat ihm weh.
Und die Stimme ſcholl, meerhinausjammernd:
„Alſo verzehrt auch wé . . mid... im Leid... und erlag...
dem Verhängnis.
Stille. Der Weltkreis ſchien in Schweigen getaucht, das Meer
gelähmt. Alexander wagte kaum zu atmen. Er hob das Geſicht,
den Verſtummten anſtarrend. Weinte Homer?
Er weinte nicht. Am Ausgang ſeines Lebens hatte er keine Tränen
mehr, nur Worte noch und Trümmerworte. Nur eiſigen Glanz
der Stirn hatte er noch und Gewitterſchein augenloſen Geſichts.
Jetzt öffnete er abermals den Mund, und Alexander vernahm
Singen, einen zerbrochenen Irrſinns⸗ und Heilsklang:
„Zeus ... du Water... und all ihr unfterbliden... feligen
Götter ...“
Was erbat er von den Göttern? Er fang, wie Erz ſingt, wenn
die Klöppel dagegen ſchlagen; ſummend fang er, wie die Schiffer
ſingen hinter Nebeln und Regenwaͤnden, wenn die Sonne die
Dunſtmauern zerſtört. Hochauf ſtieg und ſchnellte ſeine Stimme,
und die Düſterkeit fiel ab von ihr, wie der Staub der Erde fällt
aus dem Fittich des auffliegenden Vogels. Hell und rein ent⸗
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quollen die Töne feinem vaͤterlich⸗ milden Mund. Was erflehte
er von den Goͤttern?
Weder Linderung noch Gabe erflehte er von den Göttern. Nichts
begehrte er. Nur anſingen wollte er ſie, immer feuriger und
inniger, in der Sprache der griechiſchen Dichtungen, in der
Sprache der Odyſſee und der Ilias, in der Sprache der Tempel.
So fang er. Aber plotzlich wandelte ſich feine griechiſche Sprache
in eine ganz andere, in eine unbekannte, nie von Alexander gehoͤrte,
große, mächtige und goldene Sprache. überaus ſchön klang ſie,
weiſe, tief und alt. Ihre Klänge waren gemiſcht aus allen un⸗
irdiſchen Lautmiſchungen. Alexander lauſchte beklommen, hold
und ſchmerzlich verzückt.
Dem zerſprungenen, verwitterten, verachteten, beſchmutzten
Lebenggefäß entrang ſich eine unentweihte, erhabene Flamme.
Sie brannte und klang.
Alexander lauſchte.
Die Tone und Laute und Wortmächte erinnerten ihn geheimnis⸗
voll an Sterne und Räume hinter Sternen; ſie gemahnten ihn
aber auch an das Meer zu allen Tages⸗ und Nachtzeiten, an den
Wind, die Sonne und die Berge: es war eine Sprache, die alle
Erſcheinungen ausdrückte. Vielleicht war es die Wolkenſprache,
die Sprache der Götter, die Weltallſprache.
Aber auch dieſe Sprache hatte Ende und Auflöſung. Die Sätze
und Anrufungen, die unbegreiflichen, hohen Zuſprüche ſtockten;
abgetrennte Worte ſchallten, und bald waren es auch keine Worte
mehr, die dem nun ermattenden Mund entflohn. Nur noch
Wort⸗Ur⸗Teile waren es, mit denen Homer die Welt anſprechen
konnte: Vokale ... helle und dunkle Vokale ... einſame Laut:
formen
Alexander erzitterte: hier, vor ihm, vor ſeinem Ohr und Geiſt,
zerfiel eine ungeheure Welt; Wortſtädte, Wortländer, Wort⸗
meere, Wortvölker und Wortgeſtalten zerſtoben, zermehlten zu
Staub, zu Nichts, und wie ihre Urklage hörten ſich die hin⸗
ſchwingenden Vokale an: „A. a. a. G.. e
19
Sasha e u..., ĩðͤ v
herzzerreißende Töne, eine nachterfüllte, langgezogene, ſchwer⸗
mütige Melodie am Rand der Erde.
Die bartumkrauſten Lippen ſchwiegen, bebten, öffneten und
ſchloſſen ſich, ſangen nicht mehr. Der Wind ſäuſelte durch die
magern Pflanzen — oder waren es die allerletzten Flüſterlaute
Homers, zurückgegeben an Gras, Stein, Sand und Flut?
Alexander näherte ſich, aber ehe er noch die Bank erreichte und die
Reiſigbahre, prallte er zurück, getroffen von einem mächtig⸗un⸗
heimlichen Stoß: Der Mund des alten Dichters tat ſich weit
und hohl auf, wie in einem wilden Schrei, der nicht geſchriee
wurde
Der Jüngling erblaßte und erſchaute ein Geheimnis, das er bei
ſich bewahrte. Er verriet es nicht, nicht dem am Abend heim⸗
ziehenden Hirten; nicht dem vom Schiff kommenden Steuermann,
der ihm half, den Toten auf dem nahen Hügel zu begraben.
Als er das Grab mit Pflanzen und Büſchen geſchmückt hatte,
verließ er die Hirteninſel, und der Seemann ſteuerte ihn heim⸗
wärts. Im Ohr behielt Alexander den Sang, das Klangerbe,
und in ſeinem Geiſt formten ſich Strophen und Geſänge, die ihn
über ganz Griechenland berühmt machten. In allen Städten
wurde er gefeiert, mehr als Homer je in feiner Glanz⸗ und Mit⸗
tagszeit; Münzen wurden nach ſeinem Bild geprägt und Stein⸗
geſtalten gemeißelt. Er wurde ein zweiter Homer. Er brachte
eine neue dichteriſche Sprache auf: die band durch die Kraft ihres
Blutes und der Anſchauung Sterne an die Sternenräume,
Meere an Winde, Sonnen an Berge; es war die Sprache der
Wolken, der Götter und des Weltalls.
Er war eine Leuchte ſeiner Zeit. Die Nachzeit aber hat nichts
von ihm erhalten und aufbewahrt: fein Name iſt heute vergeffen...
In ſeinem Greiſenalter ging Alexander mit ſeinem Enkel über die
Felder ſeiner Heimatſtadt. Es war ein ſchöner, heiterer Sommer⸗
tag, die Sonne blitzte in den Fluren und den Olivenhainen. Greis
und Knabe ſchlenderten über eine blühende Wieſe, erfreut von
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den Flügen der Vögel und dem Lied der Hirtenflöten, die aus den
Schattenwäldern ertönten.
Plötzlich, am Fuß des Berges, wo ein kleiner Tempel unter
Zypreſſen leuchtete, wurde der heute namenloſe Dichter blaß und
war außerſtand weiterzugehn.
Der Enkel ergriff haſtig die Hand ſeines Großvaters, ihn voll
Angſt fragend, was denn mit ihm ſei.
Der Greis zitterte, atmete heftig und ſetzte ſich endlich auf einen
Stein am Weg. Fernhinſchauenden Auges deutete er auf einen
Schwarm von Faltern, die vom Berg ber flügelten und fpielten,
und der erſchreckte Enkel hörte: „Vielleicht dreißig ... dreißig
Schmetterlinge! Oh, ſo viele Homere ſind geſtorben, ſo viele
Seher .. tot!“
Der kleine Enkel verſtand nicht, was die Worte bedeuten ſollten.
Befremdet ſah er ſeinen Großvater an, der dem Gewimmel
ſchmerzlich bewegt nachblickte, bis es ſich über die blühende Wieſe
zerſtreut hatte und entglitten war.
Dann, nach einer Weile der Ruhe und Sammlung, zog der Greis
ſeinen Enkel liebevoll an ſich mit den Worten: „Nicht ängſtlich
fein, es iſt ſchon vorüber..“
„Was iſt vorüber?“ fragte der beſorgte Junge.
Und der heute vergeſſene Dichter ſagte: „In meiner Jugend
habe ich Homer geſehn, und ich ſah, was kein Lebender ſah: ich
ſah ihn ſterben!“
„Du Großvater? Das war er ſicherlich nicht.“
„Doch, er war es. In ſeinem Tode ſprach er die Verſe Homers
homeriſch ...“
Der Knabe lachte: „Das kann jeder herumziehende Sänger!“
Unmutig ſchüttelte der alte Alexander den Kopf und ſagte: „Ich
habe einen Beweis.“
Und er erzählte, wie er den alten Homer geſucht und gefunden
hatte und in welchem Zuſtand. Wie er arm, blind und taub war,
voller Gebrechen und Schmutz, zerlumpt und ſchwach, ange⸗
wieſen auf die Mildtätigkeit eines alten, mürriſchen Hirten. Wie
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er ſchlafen mußte in einem dumpfen Schafſtall im Miſt ber
Schafe und völlig unbewußt war ſeines einſtigen Ruhms, der
vergangenen Größe — eine taube, fruchtentkernte, verbrauchte
Hilfe...
„Ich war dabei, als er ſtarb. Niemand ſonſt war dabei. Vor
ſeinem Ende kamen ihm, in den Sterbensgeſichten, Strophen aus
der Odyſſee in den Mund, die er lang vergeſſen hatte, und eine
ganz ſeltſame, unirdiſche Sprache, die außer ihm kein Sterb⸗
licher ſprechen konnte, die Sprache von den Himmelsbergen, die
Sprache der Götter. Er fang in dieſer gewaltigen Sprache und
verlor ſich endlich in ratfelhaften Lauten, in langen Klageweiſen,
die mir das Herz zerriſſen: A. a. a. ...e
„„ Eli «de, aus
denen die Welt gebaut und gemauert iſt. Apoll ſelbſt ſang aus ihm.
Und es war das furchtbarſte Erlebnis, das ich hatte: in der jäm⸗
merlichſten Geſtalt den ſtrahlendſten Gott zu erkennen. Und weil
er blind war, ſah er nicht, daß ich dabei ſtand, ſonſt hätte ich ſolche
Erfahrung gewiß mit dem Tode bezahlt. Deshalb habe ich auch
nie darüber geſprochen, aber heute, da ich fo alt bin, fühle ich keine
Angſt mehr vor dem Tod und kann ſagen, was ich hörte und was
ich (ob, Ich hörte Homer fingen wie Apoll und ſah ihn fterben...
Nach dem letzten Hauch ſeines Totenſangs ſaß ihm auf der
bärtigen Lippe ein Schmetterling, mit den Flügeln fächelnd, als
ſauge er verzückt einen letzten Tropfen Süße. Das beſchwingte
Weſen war aus dem Abgrund der Kehle geſtiegen und flog auf
und entſchwand; entweder eine Verwandlung Apolls oder ſein
Abgeſandter, nun rückkehrend zu dem ewigen Vater, der alles
ſingt und alles ſieht und bloß kleine verſprengte Teile ſeines All⸗
ſingens und ſeines Allſchauens an die Menſchen verteilt.
Dieſen Schmetterling...
Nun ſah ich ihn heute zum erſtenmal wieder, ſah ſie heute zum
erſtenmal wieder, in großer Anzahl, die Seelen toter Sänger,
toter Seher, toter Götterlieblinge. Hat fie Apoll zurückgeſchickt,
hat er ſeinen Klanghimmel aufgegeben, will er ihn nicht mehr
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tönen hören? Und es irren nun alle die Homere umher, die gelebt
haben: wortlos, klanglos, gottlos, unſtet..“
Der Junge hoͤrte längſt nicht zu, er war aufgeſprungen und eilte
über die gelben Wieſen. Um Bauminſeln ſteuerte er, rauſchte
durch die grüne Flut des Graſes, an Blumeninſeln ſegelte er
dahin mit windgebauſchtem Kleid, und an einem violetten
Wickengeſtade ſtrandete er, einen halberlahmten Schmetterling
erhaſchend, der nicht mehr recht fliegen konnte, weil er ſchon
ſommeralt war.
Solche Falter hatte der Junge noch nie geſehn: weiße Schwingen,
fein geſchnitten, ſchwarze Randflecken auf den Vorderflügeln,
rote, ſchwarzumkreiſte Tropfen auf den Hinterflügeln. Die waren
neu in Griechenland. Er brachte den Schmetterling ſeinem Groß⸗
vater: „Was iſt das für ein Schmetterling?“
Der Alte aber achtete nicht ſeines Enkels. Er ſchaute in ſeine
Erinnerung und ſah wieder: der Mund hatte ſich weit und hohl
aufgetan, als wollte er einen Schrei ausſtoßen, den er nicht ſchrie.
Aber aus der Höhle zwiſchen Lippe und Lippe rüttelte ſich ein
weißer Falter, mit ſchwarzgetuſchten Flecken und blutroten,
dunkelumringten Augen auf den Hinterflügeln: aus dem Munde
des verſcheidenden Homer der Apollofalter ...
Aus dem Werk „Der Lichtbogen“
*
Henning Haslund⸗Chriſtenſen
Die Bändigung des wilden Pferdes
Von Dänemark wurde die Poſt jest an das Kontor der „Großen
Nordiſchen ...“ in Irkutsk gefandt, und die liebenswürdigen
däniſchen Telegraphiſten hatten es übernommen, ſie nach Khathyl
weiterzuſchicken. Es war eine kleine Kolonie mit einem Dutzend
ruſſiſcher Haufer an der Südſpitze des Hubſo⸗gol⸗Sees; Khathyl
lag etwa 132 Kilometer von „Bulgun Tal“ entfernt, alſo be⸗
23
deutend näher als Urga, wohin wir nicht weniger als 600 Kilo:
meter Marſch hatten.
Bisher war nicht viel Zeit übrig geblieben, ſich nach Briefen zu
ſehnen, auch konnten wir keinen Mann für den Ritt zur Poſt
entbehren; als aber die Frühjahrsbeſtellung vorüber und alles
in der Erde war und wuchs, kamen wir überein, jetzt ſei es an der
Zeit, Poſt zu holen und abzuſenden. Die Pferde waren alle durch
die Landarbeit angeſtrengt, alle außer einem, das war „Hau“
(S gut). „Hau“ war ein kleines, wildes Wüſtenpferd, das ſeit
unſerer Ankunft auf der Farm völlige Freiheit genoſſen hatte.
Denn es war ſo ſchwierig einzufangen und an den Wagen zu ge⸗
wöhnen, daß wir es in der arbeitsreichen Zeit nicht hatten dreſ⸗
ſieren können. Wir wußten, daß es ſich irgendwo in „Bulgun Tal“
umhertrieb; wir hatten es öfters in der Steppe geſehen, und es
war häufig auf die Farm gekommen, um mit den anderen Pferden
zu trinken. Es wurde beſchloſſen, daß ich auf „Hau“ zur Poſt
reiten ſollte.
Der Koſake Miſcha, ein geübter Pferdebändiger, wurde aus⸗
geſchickt, das Pferd einzufangen, während ich ſelbſt Sattelzeug
und ⸗taſchen in Ordnung brachte. Die Kameraden machten in⸗
zwiſchen ihre Poſt an Freunde und Verwandte auf Tag und
Datum fertig. Aber die Stunden gingen hin, ohne daß ſich
Miſcha oder das Pferd einfanden, und da ich mit meinen Vor⸗
bereitungen fertig war, ſchickte ich Sava aus, nach dem Verbleib
von Mann und Pferd zu forſchen. Die Zeit verrann, keiner der
Koſaken kam zurück. Spät am Nachmittag galoppierte Sava
voller Staub und Wut auf einem ſchweißtriefenden Pferd
endlich heran.
Er rief nach einem Laſſo und erklärte uns, Miſcha und er hätten
das Pferd ſtundenlang gejagt, aber es wäre jetzt ſo wild, daß es
ihnen beiden allein unmöglich wäre, es einzufangen. Zwei Curo-
päer und fünf Mongolen machten ſich jetzt mit Sava auf, um
Hau einzufangen. Auf Savas Rat nahmen wir Laſſos, „Urgas“
und eine Stute mit, die ein neugebornes Fohlen in der Hürde
24
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Buga, der Begleiter des Totengottes
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hatte. Wir ritten zur nordöftlichen Ecke der Steppe, und da
ſtand er, Hau, und ſah prachtvoll aus, prall und muskulös.
Von einer Anhöhe aus betrachtete er unſer Anrücken. Langſam
bildeten wir um das Pferd einen Halbkreis, der nach der Farm
zu offen war, und ließen zugleich die mitgenommene Stute los.
Von Mutterliebe getrieben, galoppierte ſie gradeswegs auf die
Farm zu. Vorſichtig näherten wir uns Hau, der mittelſte Reiter
pfiff durch die Zähne, während die Flügelleute mit ihren langen
Peitſchen knallten. Hau ſah ſich die geſattelten Pferde an, die
von Menſchen mit tückiſchen Laſſos und Peitſchen bezwungen
waren, und lief der freien, ungeſattelten Stute nach. Mit ge⸗
bogenem Hals, ſpielenden Ohren und fliegender Mähne fegte er
über die wogende Steppe hin. Die Sonne blinkte auf ſeinen
blanken, gelben Flanken. Mißtrauiſch vermied er Büſche und
große Steine, vor einem auffliegenden Raben warf er ſich in
mehrere Meter weitem Sprunge jäh zur Seite und ſchnaubte aus
den geblähten Nüſtern. Er wirkte wie die Verkörperung der Frei⸗
heit ſelbſt, die ſich auf leichten, ſchnellen Hufen über die Flächen
hin ſchwang. Unſere eigenen „Haustiere“ vergaßen alle Müdig⸗
keit und die Dreſſur und Sklaverei des Sommers, ſie ſchlugen
vergnügt aus, und bald begleitete das Galoppieren vieler Hufe
das Wiehern der Pferde, das wie Silberglocken über die Steppe
hinſchallte. „Give me a horse, I can ride, give me a girl,
I can love!. Das war Tot, der damit feiner Stimmung Luft
machte. Der Galopp wurde ſchneller, Hüte wurden durch die
Luft geſchwenkt, und vom Waldſaum her hörten wir das Echo
des Peitſchenknallens. Der Mongole Jetom ſtimmte ein Lied
von Dſchingis Khans tapferen Kriegern an, deren befreite
Geiſter ſich von der Walſtatt erhoben und, in ſtolze Zelter ver⸗
wandelt, mit ſchnellen Hufen über die ewig unberührten Step⸗
pen der Mongolei hin tanzen bis in alle Ewigkeit.
Die Wildheit dieſes ausgelaſſenen Rittes war ſo hinreißend, daß
ſie einen bisher nie geſpürten Zweifel in mir aufkommen ließ,
ob es recht war, hierher zu ziehen und den Pflug in dieſe uralte
25
Grasmark zu ſetzen, die Fülle der wilden Blumen durch aufge:
zwungene, kultivierte Saaten zu verdraͤngen, die Pferde der
Steppe und die Rinder an den Hängen zu bezwingen und ſo der
Natur die Freiheit zu nehmen und dieſes freudige Wiehern zu
erſticken, in dem die Steppe ſelbſt lebendig wurde.
Wir flogen über den Boden hin, die maffive Haſchanda der Farm
glitt auf uns zu. Die großen Tore ſtanden weit geöffnet, und hinter
ihnen Leute, um ſie zuzuſchlagen, ſobald das wilde Pferd drinnen
war. Jetzt ſchoß die Stute hinein, das verfolgte Pferd dicht
hinter ſich. Da blieb Hau jah vor der Falle ſtehen, die Vorder⸗
beine ſteif auf den Boden geſtemmt. Er warf ſich herum; im Nu
überſah er die Gefahr ſeiner Lage. Wir umzingelten ihn, ſchrieen
und lärmten, um ihn zu den letzten entſcheidenden Schritten zu
bringen. Da, mit einem Male machte er einen Satz, als ob er
einem Lockruf aus der Wildnis folgte, und flog wie ein Pfeil an
der Oſtſeite der Haſchanda entlang. Sava galoppierte ihm mit
wirbelndem Laſſo entgegen, aber beider Schnelligkeit war groß,
und keiner wollte dem andern weichen. Ein Krach ertonte aus der
Staubwolke, in der ſie ſich trafen, und mit Pferd und Laſſo und
einem Strom von Scheltworten lag Sava am Boden. Hau flog
weiter, von Staub umwogt, der ſchnell mit dem verklingenden
Schall der deöhnenden Hufe in der Ferne verſchwand. Wir
konnten Hau auf unſeren zahmen Tieren eben nicht fangen, er
hatte die ganze Kraft und Schnelligkeit der Wildnis.
Am nachften Tage aber gelang es uns, Hau in eine Falle zu
locken, indem wir das leckerſte Salz ausſtreuten, und ſchließ-
lich ſtand er in der innerſten Hürde und ſchleckte, während die
anderen Pferde ſich in ehrerbietigem Abſtand von der Übermacht
hielten.
Um ihm den Sattel auflegen zu konnen, mußten wir ihn mit
einem Kran hochziehen, die Beine mit dicken Lederriemen feſt⸗
binden, das Maul knebeln und die Augen verbinden. Mehrmals
ſchüͤttelte er die Feſſeln ab und durchtrat die innerſte Hürde;
aber wir fingen ihn ein, als er beim Verſuch, über das zwei Meter
26
hohe Geländer der äußeren Hürde zu ſpringen, an der oberften
Planke hängen blieb.
Endlich ſtand Hau geſattelt mit den Beinen auf der Erde. Die
Vorderbeine waren zuſammengebunden, er hatte eine Binde
vor den Augen, und die zwei Koſaken hielten ihn zu beiden Seiten
an langen Stricken am Gebiß feſt. Hau zitterte am ganzen
Leibe und ſchlug mit den Hinterbeinen aus, als ich die Sattel⸗
taſchen befeſtigte. Jetzt ſtiegen die beiden Koſaken zu Pferde, ſie
zogen die Halteſeile unter dem Schenkel durch, der Hau zuge⸗
wandt war, und knoteten ſie dann an ihre Koſakenſättel, die hier⸗
für einen beſonderen Vorſprung hatten. Ich ſpazierte ein paar⸗
mal um den zitternden Hau herum. Er ſah müde und mitge⸗
nommen aus von den Strapazen der zwei letzten Tage, da wurde
es vielleicht nicht ſo ſchlimm. Ich zog ein Paar dicke Handſchuhe
an, befeſtigte die Peitſche am Handgelenk, ſtopfte ein Taſchen⸗
tuch zwiſchen die Zähne und ſprang in den Sattel. Hau gab ein
Grunzen von ſich und verſuchte, ſich auf die Erde zu werfen, aber
ich hielt ihn mit Hilfe der Peitſche auf den Beinen. Ein Mann
kroch heran und loͤſte den Strick, der die Vorderbeine zuſammen⸗
hielt, und ich beugte mich vor und riß dem Pferde die Binde von
den Augen. Hau ſtand immer nur da und zitterte. Die Koſaken
waren fertig, und ich gab Hau einen Schlag auf das Hinterteil.
Dann ging es los. Hau ſtieß ein Gewieher aus und machte ein
paar Sprünge, die Beine ſteif von ſich geſtreckt, den Rücken
gekrümmt, den Kopf tief zwiſchen den Vorderbeinen. Jeder Stoß
war für mich wie ein Schlag auf den Kopf; ich begann ſchwindlig
zu werden und verlor den einen Steigbügel. Da verſetzte ein Some
rad dem ſpringenden Pferd beherzt einen mächtigen Hieb über das
Hinterteil, und in wildem Galopp jagte Hau über die Steppe.
Die Koſaken folgten mit ihren Gäulen Haus Bewegungen,
hielten aber die ganze Zeit wider, ſo daß ſich ſeine Wildheit
dämpfte und ſchwächte. Wir raſten im tollſten Galopp über die
Steppe, und als er regelmäßiger wurde, durchſchnitt ich mit
meinem Meſſer die Stricke der beiden Koſaken.
27
Die Uhr iſt halb acht, riefen fie mir nad)...
Die Sonne fank, wir glitten durch die Dämmerung und galop⸗
pierten in die Nacht hinein. Wir ritten unter dem hellen Sternen⸗
himmel, durch Wald und Wieſe und ſchwammen über einen
kleinen Fluß. Ich verſuchte, den Galopp in Trab zu mäßigen, aber
jedesmal, wenn ich die Zügel anzog, ſchnaubte Hau und ſtürmte
mit neuer Kraft davon. Es war im Wald ſo dunkel, daß ich kaum
feſtſtellen konnte, ob ich auf dem Pfad war, der mich zum Ziele
führen ſollte. Ich hätte gern die Nacht über irgendwo gelagert,
aber ich war mir vollſtändig klar darüber, daß ich nie wieder in
den Sattel käme, wenn ich abſtieg. An manchen Stellen ver⸗
zweigte ſich der Weg, und ich konnte nur hoffen, daß wir auf dem
richtigen weitergaloppierten. Der frühe Morgen graute, ohne
daß Hau ſeine Geſchwindigkeit mäßigte. Dann ging die Sonne
auf und warf ihre Strahlen auf das ſchweißgebadete, ftöhnende
Pferd. Auch an mir lief der Schweiß herunter, und als ich den
Hut in den Nacken ſchob, flog er mir vom Kopf, und ich wagte
nicht anzuhalten, um ihn wiederzuholen. Was aber der an⸗
ſtrengende Ritt nicht vermocht hatte, das richtete die Sonne aus,
die am Himmel heraufkam: Haus keuchender Galopp ging mehr⸗
mals in langſameres Tempo über, und ſchließlich gelang es mir,
den Gaul auf einem ſchattigen Fleck zum Stehen zu bringen,
der das ſaftigſte Grün bot. Das ermattete Pferd ſchwelgte in
dieſem Futter, ich aber getraute mich nicht, abzuſitzen. Da kamen
zwei Lamas vorbeigeritten, und ich rief fie an; ich fiel vor Er⸗
mattung beinahe aus dem Sattel, und das weiche Gras ſah ſo
einladend aus. Wir fingen mit der üblichen Begrüßung an, und
ich erfuhr dann, daß ich auf dem richtigen Weg war und bis zur
Oros Poſta (ruſſiſche Poſtſtation) nur noch zwölf Werſt hatte.
Die Uhr war erſt halb acht. Genau zwölf Stunden hatte ich alſo
von der Farm bis hierher gebraucht. Da verging mir der Wunſch,
in das ſaftige Grün zu ſinken, vor der verlockenden Ausſicht,
Khathyl in einer Rekordzeit zu erreichen; eine ſolche Chance
würde ſich wohl nicht ſo leicht wieder bieten. Hau bekam die
Serfen in die Weichen, und wir ritten in einem gleichmäßigen,
leichten Galopp weiter, ber ſich während der letzten Werft beim
Anblick der blauen, weiten Waſſer des Hubſo⸗gol wieder belebte.
Schwitzend und ſtaubig kamen Hau und ich bei dem kleinen
Blockhaus an ber Südfpige des Koſſo⸗gol an, am äußerſten Vor:
poſten der ruſſiſchen Poſt in dieſer Gegend. Ich bat den ruſſiſchen
Poſtmeiſter, mir einen Bogen Papier mit dem Stempel der
Station, mit Datum und Stunde meiner Ankunft zu ſtempeln.
Mit dieſem Beweis, daß ich die 124 Werft in vierzehn Stunden
zurückgelegt hatte, konnte ich mir jetzt Zeit nehmen.
Der Poſtmeiſter Nikolai war ein netter, junger Sibirier mit
flachsblondem Haar und waſſerblauen Augen. Sein Amt er⸗
forderte nicht allzuviel Arbeit, aber man beabſichtigte, Khathyl
in nächſter Zeit zum Zentrum eines ruſſiſchen Vorſtoßes für
Handel und Propaganda zu machen. Khathyl ſollte mit Hanga,
dem Endpunkt des Karawanenweges nach Kultuk, durch Boots⸗
verkehr über den Hubſo⸗gol⸗See verbunden werden. Es war eine
Menge Poſt für uns alle in „Bulgun Tal“ da, und ich ging zum
See hinunter, um meine Briefe zu leſen. Sie waren wunderbar
neu, knapp ſieben Wochen alt, und ich ließ Hau in dem grünen
Gras am Seeufer los, während ich ſie ein zweites Mal durchlas.
Alle Briefe waren durch die Zenſur gegangen, und ich merkte,
daß mehrere fehlten, aber ich war froh über das, was ich bekom⸗
men hatte.
Bevor ich in meinen Schlafſack kroch, nahm ich mit Hau ein
herrliches Bad in den Wogen des Hubfo-gol.
Am nächſten Morgen kaufte ich bei einem ruſſiſchen Koloniſten
eine Henne und brach dann in aller Ruhe nach Hauſe auf.
Ich ritt denſelben Weg, den ich gekommen war, aber alles um
mich her war mir jetzt bei Tageslicht neu.
Am Abend des zweiten Tages machte ich in einem ſchoͤnen Flußtal
nördlich des Paſſes, der nach „Bulgun Tal“ führte, Halt. Die
Felſen ringsum waren nicht hoch, aber von Wind und Wetter
maleriſch zerriſſen. An einer Stelle türmte ſich die ſtolzeſte Spitze
29
aus weißem glänzenden Marmor aus den broͤckelnden Felſen
empor. Das Gras längs des Fluſſes leuchtete im Schein der
ſinkenden Sonne ſmaragdgrün. Am Fuß des Paſſes lag ein
Mongolenlager mit vier ſchneeweißen Filzzelten. Blauer Rauch
ſtieg einladend aus der Rauchoͤffnung des erſten Zeltes auf. Am
Fluß wieherte eine Herde weidender Pferde. Hau wieherte ſehn⸗
füchtig zurück. Hier war es zu einladend, um weiter zu ziehen.
Aus dem Werk „Jabonah“
*
Sven Hedin
Zu Henning Paslund-Chritfenfens Werk „Jabonah“
Jabonah! Aufbruch! iſt der Befehlsruf der Karawanenführer,
wenn alle Kamele beladen daſtehen und die Pferde geſattelt ſind,
wenn die Mongolen ſich auf ihre kleinen mageren Roſſe ſchwingen
und die Karawanenglocken wieder anfangen können, die tauſend⸗
jährige Melodie der aſiatiſchen Wüſten und der endloſen Wege
zu fingen. „Jabonah“ iſt das Wort, das während langer Jahre in
der Mongolei und in den ſtillen, langſam dahinſchleichenden
Nächten des Krankenlagers an das Ohr des jungen Dänen klang.
Für den aſiatiſchen Pionier iſt „Jabonah“ ein Wort, das bis zur
äußerſten Grenze der Aufnahmefähigkeit mit Elektrizität ge⸗
laden iſt. Wenn er es über die ſonnenbeſchienene Steppe hallen
hört, in eiſig kalten Winternächten, von dem Toſen des Schnee⸗
ſturms oder dem Geheul der Wölfe begleitet, auf der Suche nach
Weide und Waſſer, beim Zuſammentreffen mit gefährlichen
Räuberbanden, oder wenn freundliche und gaſtliche Mongolen⸗
zelte in der Ferne warten — ſtets liegt in dieſem Wort „Jabonah“
eine Welt der Begeiſterung, Sehnſucht und Erwartung neuer
ratfelhafter Abenteuer und wunderbarer Erlebniſſe.
Henning Haslund macht ſich am 18. Maͤrz 1923 mit feinen drei
Gefaͤhrten auf den Weg, um nach dem fernſten Oſten zu ziehen.
In 54 Tagen durchkreuzen ſie mit Teekarawanen, Ochſenkarren
und Reitern die mongoliſchen Steppen und erreichen Bogdo
Kure, Urga, wo Bogdo Geken Hutuktu, die dritte der großen
Inkarnationen des Lamaismus, in ſeinem prachtvollen Tempel⸗
palaſt. reſidiert.
Und dann fängt dieſe wunderbare moderne Robinſonade an.
Haslund berichtet davon mit einer Begeiſterung, die anſteckt.
Sie bauen folide Haufer aus ſibiriſchem Holz, fie richten Schlaf:
räume ein, Gaſträume, Wohnräume und Vorratskammern. Sie
vergrößern ihre Herden, pflügen, faen und ernten, fangen Pelz
handel an, machen höchft ſpannende Streifzüge bei 54 Grad Kälte,
werden von Wölfen verfolgt und erleben eine ununterbrochene
Reihe von wunderbaren Abenteuern. Sie kommen mit Sojoten
in Berührung, hoͤren die Sprache der Kiäktburjäten, die dem
Torgutiſchen ähnlich iſt, ſie reiten durch das Sajaniſche Gebirge,
das ſich wellenförmig vom Altai abdacht, und am Lagerfeuer
lauſchen ſie den Erzählungen von dem großen Dſchingis Bogdo
Khan, deſſen Rieſengeſtalt noch im Steppenland ſpukt. Das
Ganze iſt die Abenteuerkette einer echt aſiatiſchen Odyſſee, mit
Leben, Farben und Geiſt eines nordiſchen Wikings erzählt.
x
Sort Scheffler
Die karolingiſchen Laien⸗Baumeiſter
Den Anfang beſtimmt nie der einſeitig begabte Fachmann,
ſondern ein allſeitig begabter Laie, der ein Ganzes will und
deſſen umfaſſende Pläne ſelbſt die Gefahren des Dilettantismus
nicht ſcheuen. Erfolgreiche Revolutionen werden nicht von
Berufspolitikern, von diplomatiſch geſchulten Staatsmännern
gemacht, ſondern von Außenſeitern; in dieſem Sinne konnte auch
der Grund zu fortwirkenden Kulturen immer nur gelegt werden,
wenn ſich dem gelehrten Wiſſen und künſtleriſchen Können ſpon⸗
tan vorgehende Laienkraft verband.
81
Am Anfang der deutſchen Baukunſt ſteht nicht ein Baumeiſter
oder eine Bauſchule, ſondern ein fürſtlicher Laie; ein autonom
wollender Bauherr wurde im übertragenen Sinne zum Bau⸗
meiſter: Karl der Große. Er hat einer fälligen Entſcheidung den
Weg gezeigt und ſo mit ſicherer Hand eine tauſendjährige Bau⸗
geſchichte eingeleitet. Wie ein vom Geiſt der Geſchichte recht⸗
zeitig Beauftragter ſteht er da; er trägt mit Recht den Beinamen
des Großen, weil eine ſich ſelbſttätig ſteigernde Kultur ihren
Anfang nahm, als es ihm gelang, aus einem nur ethnographiſch
zu wertenden Stammesgemiſch eine geſchichtlichen Geſetzen ge⸗
horchende Nation zu machen.
Vor der Regierungszeit Karls des Großen haben die Deutſchen
von einer Baukunſt und von anderen untrennbar damit ver⸗
bundenen Kulturgütern nichts gewußt. Bis zum Ende des achten
Jahrhunderts haben ſie nicht architektoniſch empfunden. Ihre
Gottheiten lebten im Walde, es waren Nomadengötter; ihre
Fürſten waren Häuptlinge noch nicht ſeßhaft gewordener
Stämme. Jene brauchten nicht den Tempel und dieſe nicht den
Palaſt. Es gab wenig mehr als eine primitive Verzierungskunſt;
und darin kam ein Hang zur Abſtraktion, eine Abkehr vom Natur⸗
vorbild zum Ausdruck. Das Eigentümlichſte find lineare Orna⸗
mente, in denen Naturmotive bis zum Runenhaften verwandelt
erſcheinen. Über ein Schmücken von Waffen und Gerät gingen die
Verſuche kaum hinaus. Der alte Götterglaube blieb geſtaltlos;
ſkulptural wurde er nicht einmal in primitiven Gößenbildern feſt⸗
gehalten. Die Wohnhäuſer waren aus Flechtwerk und Holz ge⸗
macht; die Fähigkeiten reichten beſten falls bis zur Bearbeitung
des Holzes, der Stein war noch ein fremdes Material. Selbſt
jahrhundertelange Berührungen mit der Römerwelt haben daran
nichts geändert, obwohl die alte lateiniſche Kultur den Deutſchen
Beiſpiele reifer Baukunſt vor Augen ſtellte. Die Bewohner
Germaniens müſſen den antiken Kaſtellen und Bädern, den
fremden Trachten und Gewohnheiten mit einem dumpf ableb⸗
nenden Staunen gegenübergeſtanden haben. Wie Halbwilde
32
Sunugrse uaplyoBuow vuan una ng
289 8 saquaziayg
ihre Eroberer und Unterdrücker anſtarren — ohne Ehrgeiz, ohne
Nachahmungsluſt. Selbſt die, die in Italien Kriegsdienſte geleiſtet
hatten und zurückkehrten, vergaßen eilig und wie erlöft von einer
zu hohen Forderung die Kulturwunder der füdlicheren Welt.
In der Folge iſt die Zeit der Völkerwanderung den um ihr Daſein
kämpfenden Deutſchen zu einer Epoche jungen Heldentums ge⸗
worden. In den Begebenheiten dieſer Zeit wurzeln viele Helden⸗
ſagen und Volksepen. Dennoch hat ſich eine höhere Auffaſſung
der bildenden Kunſt auch jetzt nicht entwickelt. Der ſogenannte
Völkerwanderungsſtil iſt immer noch eine Verzierungskunſt; er
gibt ſich in einem Formendialekt, der aus Fremdartigem gemiſcht
iſt, aus Motiven der Spätantike und des Orients. In den Hän⸗
den ziemlich roher Kunſthandwerker iſt dieſes Kunſtgewerbe zu
Ausfuhrartikeln ſpekulierender Händler geworden. Die Metall:
arbeiten, Kerbſchnitte und Schmuckſachen waren von vornherein
für „Barbaren“ beſtimmt; und ſie wurden nicht beſſer, als ſie
in Deutſchland nachgeahmt wurden. Das Eigentümlichfte der
nordiſchen Kunſt dieſer Zeit wird anſchaulich in den alten ſkan⸗
dinaviſchen Schiffsſchnäbeln. Sie haben eine gewiſſe Verwandt⸗
ſchaft mit dem, was man von Beiſpielen ozeaniſcher Kunſt in den
Muſeen für Völkerkunde findet. Primitive Völker find einander
in ihrem künſtleriſchen Tun ja ähnlich verwandt, wie es die
Kinder aller Zeiten und Länder in ihren Zeichnungen ſind. Im
ganzen muß dieſe Stufe immer noch als vorgeſchichtlich bezeich⸗
net werden.
Ein geſchichtliches Leben und damit auch ein Erwachen zur
Kunſt beginnt erſt mit dem Chriſtentum. Darauf haben die
Deutſchen — wie alle Völker Nordeuropas — gewartet wie auf
ein Stichwort; das Chriſtentum hat ihnen den Segen der Form
gebracht. Eine deutſche Baukunſt konnte erſt entſtehen, als ein
Gott verehrt wurde, der in einem Sakralgebäude wohnte; damit
wurde dann aber auch gleich eine ganze Architekturbewegung ins
Leben gerufen. Als das Chriſtentum nach Deutſchland kam, war
es ſeit Jahrhunderten ſchon in den von Konſtantin dem Großen
chriſtianiſierten Weſt⸗ und Oftrömifchen Reichen feft ber Staats:
idee verbunden. Es kam darum nach Deutſchland ſchon als Staats⸗
gedanke. Dieſer Gedanke aber wirkte mit Gewalt dahin, die
deutſchen Stämme endlich und endgültig ſeßhaft zu machen,
eine Zentralmacht zu gründen und damit die Vorbedingungen
einer Kultur zu ſchaffen. Es waren zwei Seiten derſelben Sache,
wenn hier die Kirche und dort der Kaiſer architektoniſch repräſen⸗
tieren wollten.
Zum zweitenmal kam die Spätantike nun zu den Deutſchen.
Doch kam ſie jetzt als frühchriſtliche Kunſt mit grundfäglich
gewandelten Formen. Das junge Chriſtentum hatte die Antike
ihrer reichen Sinnenfreude entkleidet, das üppige plaſtiſche Gefühl
hatte ſich in ein neu beſeeltes Flaͤchenleben verwandelt, der
Dekorationsdrang war dem Wunſch gewichen, bedeutſam zu er⸗
zählen, das weltlich Repräſentative hatte ſich umgeſtaltet in ein
Geiſtliches. Aus einer Genußkunſt war eine religiofe Geſinnungs⸗
kunſt geworden, die auf Volkstuͤmlichkeit abzielte und auf jenen
merkwürdigen Sozialismus der Seele, der im Gefolge der Evan⸗
gelien einhergeht. Dieſe neue, von der Antike abgeleitete Kunſt
erteilte den Gläubigen Bilderunterricht an den Kirchenwänden.
In das einſt imperialiſtiſch Großartige kam etwas popular Pri⸗
mitives, das ſich an eine Gemeinde von niedrig Geborenen wandte
und wohl geeignet war, nationale Eigenart aufzunehmen und zu
verarbeiten. Der prunkvolle Säulentempel reizte nicht mehr,
die rieſigen Gewoͤlbebauten der Amphitheater und Thermen ent⸗
ſprachen nicht laͤnger dem Bedürfnis, die weltlich ſtolzen Triumph⸗
bögen wurden gar als Teufelswerk verabſcheut. Statt deſſen
entwickelte ſich puriſtiſch ein neuer Sakralbau — zuerſt nur ge:
duldet und darum weit hinaus an die Stadtperipherie „fuori
le mura“ gedrängt —, der wenig Wert auf Faſſadenwirkung
legte, um ſo inbrünſtiger aber das Innere des Heiligtums ausge⸗
ſtaltete. Die frühchriſtliche Kunſt war arm im Vergleich zur an⸗
tiken Kunſt; die mageren neuen Formen aber ſprachen wieder
unmittelbar, ſie waren von Gefühl beſeelt. Und ſie wirkten um
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fo eindringlicher, als ein orientaliſcher Einſchlag hinzukam, der
das antik Abgeleitete in einer ſeltſamen Weiſe romantiſierte.
Dieſes war im weſentlichen das Material fuͤr eine deutſche Bau⸗
kunſt, das Karl der Große vorfand, als er daran ging, einen
mitteleuropäifchen Gottesſtaat zu ſchaffen. Klar muß er die
Notwendigkeit erkannt haben, die Deutſchen kulturell produktiv
zu machen; und ebenſo klar muß es ihm geweſen ſein, daß dieſes
bei der Lage der Dinge nur zu verwirklichen war, wenn den Deut⸗
ſchen auf dieſer Morgenſtufe ihrer Geſchichte Beiſpiele des Moͤg⸗
lichen und Wünſchenswerten vor Augen geſtellt wurden, wenn ſie
gewiſſermaßen zu einem Eklektizismus verführt wurden, der ſie erſt
einmal mit dem Material, mit den Formen und mit dem Sinn der
Kunſt bekannt machen mußte. Es galt vor allem über die Grenze
hinwegzukommen, die den Barbaren vom Kulturmenſchen ſcheidet,
die ſtets und überall Volkskunde von Geſchichte trennt. Karl ſelbſt
hat offenbar ein ihm angeborenes ſtarkes Kunſtgefühl in Italien
erzogen — nicht zuletzt in Ravenna, wo ſich das Frühchriſtliche
im unmittelbaren Kontakt mit dem Orient reich und eigentüm⸗
lich entfaltet hat. Er war ein Cafarengeift, der realiſtiſch dachte
und der das Kaiſertum auf nordiſcher und chriſtlicher Grundlage
neu gründen wollte. Um ihn richtig zu ſehen, muß man ſeine
Geſtalt entidealiſieren, das heißt, man muß ihr das Sagenhafte
nehmen und den lang wallenden Legendenbart, für den die
Deutſchen nun einmal eine Schwäche haben. Er gewinnt dabei.
Ein höchſt lebendiger Menſch kommt zum Vorſchein, ſtark in
ſeinen Begierden und noch wie von barbariſcher Wildheit erfüllt,
aber auch ſchon von feiner Sitte, heiter und geiſtvoll, würdig
des Beinamens „David“, den ſeine Tiſchgenoſſen ihm verliehen
hatten, ein ſtarker, ſchoͤner Mann, der Muſik, Dichtung, Kunſt,
ſchoͤne Form und edle Bildung um ſo mehr liebte, als er ſich alles
autodidaktiſch hatte erwerben müſſen, ein „aufgeklaͤrter Deſpot“,
weil er der freieſte Geiſt ſeines großen Reiches war, ein guter
Freund und ein ſchlimmer Feind, eine Perſoͤnlichkeit, die eine
Syntheſe in ſich trug und darum kühn ſein konnte, ein Menſch
mit der Naivität eines Künſtlers. Als er, dem politiſches und
künſtleriſches Denken eines war, unbekümmert aus Orient und
Okzident nahm, was das neue Reich brauchte, kam er einem
Weſenszug der Deutſchen entgegen, der in der Folge ihrer ganzen
Geſchichte das Gepräge gegeben hat: es iſt ein Dualismus, ein
Kampf zweier Seelen, der darin beſteht, daß gleich heftig das ganz
Eigene und das Fremde und Ferne gewollt wird; es iſt ein inneres
Verlangen, ſich durch einen Anſtoß von außen und durch eine
Sehnſucht in die Ferne in Bewegung ſetzen zu laſſen. Das Talent
des Deutſchen in allem Künſtleriſchen — und darüber hinaus —
hat nicht eigentlich Initiative; es iſt mehr rezeptiv als ſpontan.
Die Deutſchen ſind nicht ſo ſehr Aufſpürer als vielmehr Ver⸗
tiefer; fie Eönnen lichterloh brennen, aber erſt wenn ein fremdes
Streichholz gezündet hat. Dann freilich übertreffen fie nicht
ſelten den Anreger. Die Deutſchen ſind, um ein Wort Schillers
zu brauchen, ein langſames Volk. Darum war das Verfahren
Karls, die Deutſchen zur Kunſt zu erziehen, indem er die nachkon⸗
ſtantiniſche frühchriſtliche Kunſt aus Norditalien an den Rhein
brachte, pſychologiſch richtig. Sein Verfahren iſt eine Renaiſ⸗
ſance genannt worden, doch läßt es ſich beſſer als Eklektizismus
bezeichnen. Eklektizismus iſt keineswegs immer ein Zeichen von
Erſchöpfung, es kann auch ein Anfang ſein. Und hier war es ein
Anfang. Der Kaiſer bildete in ſeinem zu großen Teilen noch
heidniſchen Reich eine Akademie — eine einzige —, deren Leiter
und Inſpirator er war. Es war ein Kloſtergedanke darin, ſie hatte
etwas von einer Tafelrunde, und es waren auch Elemente der
helleniſtiſchen Akademie darin enthalten. Karl verſammelte die
Begabteſten, Gebildetſten und Freieſten ſeiner Zeit und ſeines
Reiches zur gegenſeitigen Befruchtung. Gleiche Urſachen er⸗
zeugen ähnliche Wirkungen; darum läßt dieſe karolingiſche Aka⸗
demie, die zur Keimzelle wurde, an jene deutſchen Akademieen
denken, die nach dem Dreißigjährigen Krieg gegründet wurden,
als Deutſchland leer war an Künſtlern, Handwerkern und Ge⸗
lehrten, als das fremde Vorbild wieder einmal zur Belebung und
Erziehung herbeigezogen werden mußte und der Import auslän⸗
diſcher Beiſpiele zu einer Lebensfrage wurde. Es iſt bezeichnend,
daß damals, in der Barockzeit, unter den Baumeiſtern die Ge⸗
ſtalt des „Kavalierarchitekten“ typiſch geworden iſt; das war eine
Perſoͤnlichkeit, die ein gebildeter und begabter Fachmann, ein
Techniker, Feſtungsingenieur, Hofmann, Politiker und Staats⸗
mann in einem war, ſowohl dienſtlich wie freundſchaftlich ſeinem
Fürſten feſt verbunden. Von dieſen Kavalierarchitekten findet
man einige Züge wieder in den SPerfönlichkeiten der Umgebung
Karls des Großen. Man mag entfernt an die Tafelrunde des
jungen Friedrich in Rheinsberg und Sansſouci denken; was dort
die franzöſiſche Sprache, das war hier die lateiniſche. Das End:
ziel war in beiden Fällen die Aufzucht deutſcher Kultur. Wie
Karl der Große im Kreiſe ſeiner ihm befreundeten Mitarbeiter
über Fragen des Kirchenregiments beriet, wie er dort politiſche
Fragen behandelte, Probleme der Geſchichtsſchreibung und
der Sprache oder der Wirtſchaft, des Handwerks und der Land⸗
wirtſchaft, ſo ſtellte er auch die Fragen der Muſik und der Kunſt
zur Diskuſſion. In ſeiner Akademie war jeder Geiſtliche ein
Staatsmann, und Staatsmänner wurden in vielen Fällen zu
Laiendbten ernannt; wer im kleineren oder größeren Kreis rez
gierte, wurde auch zum Geſchichtsſchreiber der Zeitbegebenheiten,
der Gelehrte blieb nicht in der Stube, ſondern betätigte ſich
praktiſch an Staatsaufgaben. Alle aber wurden zu Bauherren;
und dieſe Bauherren, in Italien gebildet, beherrſchten die Ma⸗
terie ſo gut, daß ſie ihre eigenen Baumeiſter ſein konnten. Von
der Hofakademie aus ging dieſer fruchtbare ſynthetiſche Geiſt
auf die Klöfter über, auf die Biſchofſitze und die Grafen. Alle
dieſe Männer, die Abteien leiteten, den Kaiſer politiſch berieten,
Heldenſagen ſammelten, Muſik trieben, Schulen einrichteten,
das Handwerk zur Leiſtungsfähigkeit erzogen, ein neues Recht
ſchufen und leidenſchaftlich mit dem Bau von Kirchen und
Pfalzen beſchäftigt waren, ſind als Laien anzuſprechen. Es gab
noch nicht den ſpezialiſierten Fachmann. Alle glichen mehr oder
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weniger jenem Einhard, der in einer Kloſterſchule erzogen worden
war, der dann in Fulda Abt wurde, der mit beſonderem techniſchen
Talent viele Bauten leitete, der den Kaiſer in politiſchen Fragen
beriet, eine Lebensgeſchichte des kaiſerlichen Freundes ſchrieb
und Oberaufſeher der Kunſtwerkſtätten in Aachen war. Die
Männer waren ſo, wie der geſchichtliche Augenblick ſie brauchte:
ihre Aufgabe beſtand darin, eine Brücke zu ſchlagen und deutſche
Volkskraft durch die Berührung mit lateiniſcher Kultur zur Ent⸗
wicklung zu bringen. Es gibt Stimmen, die erklaͤren, dieſer ge⸗
ſchichtliche Vorgang ſei fur die Deutſchen ein Unglück geweſen.
Sie haben unrecht: mit innerer Notwendigkeit hat ſich vielmehr
ein Schickſal erfüllt. Karl der Große hat die Deutſchen gezwun⸗
gen, ſich auf ſich ſelbſt zu beſinnen, als er die erſte große Ausein⸗
anderſetzung mit der antiken Kultur erzwang, als er das Chriſten⸗
tum ausbreitete, Kirchen und Palafte zwiſchen Metz und Aachen
baute, das Kloſterweſen entwickelte und die Klöfter zu Schulen
für Religion, Kunſt, Wiſſenſchaft, Handwerk, Gewerbe und
Landwirtſchaft machte. Der Kaiſer hat alles in Bewegung ge⸗
ſetzt, als er das Heilige mit dem Profanen feſt verband und in
ſeinem Reiche der erſte große Laien⸗Baumeiſter wurde.
*
Georg Trakl: Drei Gedichte
Frauenſegen
Schreiteſt unter deinen Fraun,
Und du lachelft oft beklommen:
Sind ſo bange Tage kommen.
Weiß verblüht der Mohn am Zaun.
Wie dein Leib fo fehon geſchwellt
Golden reift der Wein am Hügel.
Ferne glänzt des Weihers Spiegel,
Und die Senſe klirrt im Feld.
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In den Büfchen rollt der Tau,
Rot die Blätter niederfließen.
Seine liebe Frau zu grüßen,
Naht ein Mohr dir braun und rauh.
Geiſtliches Lied
Zeichen, ſeltne Stickerein
Malt ein flatternd Blumenbeet.
Gottes blauer Odem weht
In den Gartenſaal herein,
Heiter ein.
Ragt ein Kreuz im wilden Wein.
Hör im Dorf ſich viele freun,
Gärtner an der Mauer mäht,
Leiſe eine Orgel geht,
Miſchet Klang und goldenen Schein,
Klang und Schein.
Liebe ſegnet Brot und Wein.
Mädchen kommen auch herein,
Und der Hahn zum letzten kräht.
Sacht ein morſches Gitter geht,
Und in Roſen Kranz und Reihn,
Roſenreihn,
Ruht Maria weiß und fein.
Bettler dort am alten Stein
Scheint verſtorben im Gebet,
Sanft ein Hirt vom Hügel geht,
Und ein Engel ſingt im Hain,
Nah im Hain,
Kinder in den Schlaf hinein.
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Im Frühling
Leiſe ſank von dunklen Schritten der Schnee,
Im Schatten des Baums
Heben die roſigen Lider Liebende.
Immer folgt den dunklen Rufen der Schiffer
- Stern und Nacht;
Und die Ruder ſchlagen leiſe im Takt.
Balde an verfallener Mauer blühen
Die Veilchen,
Ergrünt ſo ſtille die Schläfe des Ein ſamen.
x
Rüdiger von Bechelaren
Unterdes ſie ſtritten, kam Herr Rüdiger von Bechelaren zu Hofe
und ſah das große Leid auf beiden Seiten. „O weh mir!“ ſprach
der treue Recke, „daß ich dieſen Jammer erleben mußte. Wie
gern ich Frieden ſchüfe; der König tut es nicht, ſo ſehr quält ihn
das Unglück ſeiner Freunde.“ Rüdiger ſandte zu Dietrich, ob ſie
es noch einmal bei den Ronigen verſuchen ſollten; aber der Berner
ließ ihm antworten: „Wem möchte das gelingen? König Etzel
will ſich nicht verfühnen laſſen.“
Ein Heunenrecke ſah Rüdiger ſtehen und weinen; er ſprach zur
Königin: „Seht Ihr, wie dieſer ſteht, der in Etzels Lande die
groͤßte Macht an Burgen und Mannen hat? Noch ſchlug er in
dieſen Stürmen keinen Schlag. Mich dünkt, daß ihn wenig küm⸗
mert, was hier geſchieht, und doch ſagt man von ihm, er ſei kühner
als ſonſt einer.“ Traurigen Herzens hörte der adelige Rüdiger
des Heunen Rede und dachte: Das ſollſt du mir büßen! Du
ſchiltſt mich feig und haft dein Sprüchlein allzu laut geſagt vor
der Königin. Er ballte die Fauſt und ſchlug den Heunen, daß er
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ihm wie tot zu Füßen fiel. „Fahr hin! du feiger Schuft,“ ſprach
Rüdiger, „mir iſts bitter genug, daß ich nicht mitkämpfen kann.
Wes zeihſt du mich? Alles, was ich konnte, möchte ich ihnen tun,
hatt ich nicht ſelbſt, als ihr Geleiter, fie ins Land geführt.”
Da ſprach König Etzel zu dem Markgrafen: „Wie habt Ihr uns
geholfen, adeliger Rüdiger? Der Toten haben wir genug, Ihr
ſolltet ſie nicht mehren.“ Antwortete der Markgraf: „Er trat
mir aufs Herz und zieh mich alles deſſen, was ich von Euch
empfing; das iſt dem Lügner nun vergolten.“ Auch die Königin
hatte geſehen, was geſchah; mit naſſen Augen klagte ſie: „Wie
verdienten wir, daß Ihr mein und des Könige Leid mehrt? Wohl
gelobtet Ihr uns, alles, Ehr und Leben, für uns zu wagen. Ich
mahne Euch der Dienſte, die Ihr mir geſchworen habt, als Ihr
mir zu Etzel rietet: daß Ihr mir dienen wolltet bis in den Tod.“
„Ich leugne nicht, daß ich Euch ſchwur, adelige Frau,“ ſprach
Rüdiger, „Ehr und Leben für Euch zu wagen. Daß ich die Seele
verlöre, das ſchwur ich Euch nicht. Ich war es doch, der die
Fürſten zu Euerm Hoffeſt führte.”
Sie ſprach: „Nun gedenke der Treue, die du mir geſchworen haſt!
Der feſten Eide, daß du all mein Leid rächen wollteſt!“ Da
ſprach der Markgraf: „Ich hab Euch ſelten etwas verſagt.“ Nun
begann auch König Etzel zu flehen; er und Kriemhild warfen ſich
Rüdiger zu Füßen. Traurig ſprach der Treue: „O weh mir
Gottes Armen! All meiner Ehren, meiner Treu und Ritterſchaft
muß ich entſagen. Wollte mein Tod doch alles wenden! Laß ich
eines und tu das andere, ſo hab ich feig und übel getan. Laß ich
beides, ſo fluchen mir alle.“
Der König und fein Weib ruhten nicht zu bitten; immer noch
hätte Rüdiger ihnen den Kampf gern abgeſchlagen, denn er ſah
wohl, welchen Schaden für die Freunde und ſich ſelbſt er ſtiften
würde. Alſo ſprach er zu dem König: „Herre, nehmt alles wieder,
was ich von Euch habe, Land und Burgen, und laßt mich auf
meinen Füßen ins Elend gehen!“ Da ſprach der König: „Wer
hülfe mir dann? Ich will dir noch mehr Land und Burgen
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geben, du follft ein gewaltiger König werden neben mir; nur
räche mich an meinen Feinden!“ Rüdiger ſprach: „Wie ſoll
ichs enden? Ich lud ſie in mein Haus, ich bot ihnen Trank und
Speiſe, und nun ſoll ich zu ihrem Tod helfen! Mögen die
Heunen mich feige ſchelten, fo hab ich doch dem Konig nie einen
Dienſt verſagt. Wie reut mich nun die Freundſchaft mit ihnen!
Jung Giſelher gab ich meine Tochter; wem hätte ich fie beſſer
geben können, denn an Ritterſchaft und Ehre iſt keiner reicher
als er.“
Da ſprach Kriemhild: „Vieledler Rüdiger, laß dich mein und
des Königs Schmerz erbarmen! Gedenke, daß nie ein Wirt
üblere Säfte empfing!“ Da ſprach der Markgraf: „Heute muß
Rüdiger mit dem Leben zahlen, was Ihr und ſein Herr ihm
Gutes taten. Heute müſſen mein Land und Burgen ihren Herrn
verlieren. Drum befehl ich Weib und Kind und alle, die ich
heimatlos in Bechelaren laſſe, Eurer Gnade.“ „Das lohn dir
Gott! Herr Rüdiger“, ſprach der König; er und Kriemhild
waren beide froh. „Die Deinen ſollen uns befohlen ſein; doch
trau ich meinem Glück, daß du geſund aus dem Streit kehrſt.“
Da ſprach der Markgraf Rüdiger: „Ich muß Euch leiſten, was
ich gelobte. O weh meiner Freunde! wider die ich ungern ſtreite.“
Traurig ging er von dem König und kam zu feinen Recken; er
ſprach: „Ihr ſollt euch waffnen, all meine Mann! Zu meinem
großen Leid muß ich wider die Burgonden ſtreiten.“
Sie riefen nach Helm und Rand. Mit zwölf über fünfhundert
Recken waffneten ſie ſich: bald ſah man ſie unter Helmen, ſie
trugen die lichten Schilde und die ſcharfen Schwerter. Als der
Fiedler das ſah, erſchrak er in großem Leide. Auch der junge
Giſelher ſah ſeinen Schwäher kommen mit gebundenem Helm;
wie mochte er anders denken, als daß es Gutes künde! So
ſprach er froͤhlichen Muts: „Wohl mir der Freunde! die wir
auf der Fahrt gewannen. Nun kommt uns zugute, daß ich
ein Weib gewann!“ „Ich weiß nicht, was Ihr hofft,“ ſprach
der Spielmann, „wo ſahet Ihr jemals Helden mit gebundenen
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Helmen zu einer Sühne fchreiten, das Schwert in der Hand?
Rüdiger will Land und Burgen, die ihm Etzel gab, an uns ver⸗
dienen.“
Rüdiger war derweil vor das Haus gekommen; er ſetzte den
guten Schild vor den Fuß; Gruß und Frieden mußte er ſeinen
Freunden verſagen. Er rief in den Saal: „Ihr kühnen Nibe⸗
lunge, nun wehrt euch, was ihr konnt! Ich ſollte euch ſchirmen,
nun will ich euch ſchaden; bis jetzt waren wir Freunde, nun will
ich meiner Treue ledig ſein.“
Wie erſchraken da die Nothaften! Sie ſollten ſtreiten mit dem,
der ihnen teuer war. Hatten ſie von ihren Feinden nicht genug
Trübſal erduldet? „Nun wolle Gott, daß Ihr Euch gnädig gegen
uns erzeigtet!“ rief der König Gunther. „Gedenkt der großen
Treue, die wir zu Euch tragen!“ „Ich kanns nicht wenden,“
ſprach der Markgraf, „ich muß mit euch ſtreiten, wie ichs ge⸗
ſchworen habe. Drum wehrt euch! ihr kühnen Helden, ſo lieb
euch das Leben iſt. Konig Etzels Weib wollte mirs nicht erlaſſen.“
„Ihr widerſagt uns gar fpat,” ſprach der König; „möge Gott
Euch vergelten, was Ihr uns Gutes erwieſen habt. Gedenkt,
daß Ihr es wart, der uns in Etzels Land führte!“ „Wie wohl
gönnte ich euch die Heimkehr,“ antwortete Rüdiger; „dürfte ich
euch noch länger dienen und euch noch reichere Gabe bieten, wenn
keiner mich darob ſchelten könnte!“ „Laßt ab von uns, adeliger
Rüdiger,“ ſprach Gernot; „niemals geſchah elenden Gäſten
mehr Liebe, als Ihr an uns tatet. Das wollen wir Euch immer
danken, wenn wir am Leben bleiben.“ „Wollte Gott, daß ihr
am Rheine wart, und ich läge hier in Ehren tot!“ ſprach Rüdiger.
„Mich würde Euer Tod gar reuen“, ſprach Gernot. „Hier trag
ich das Schwert, guter Held, das Ihr mir gabt. Nie verſagte es
mir in dieſer Not, und mancher ſtarb von feiner Schärfe; lauter
iſt es und feſt, herrlich und gut. Aber wenn Ihr nicht abſtehen
wollt von uns, und ſchlügt Ihr mir einen der Freunde, die ich
noch habe, ich nahme Euch das Leben mit Eurem eignen Schwert.
Leid wars mir um Euch und um Euer ſchoͤnes Weib.“ „Wollte
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Gott, Herr Gernot, daß alles nach Eurem Willen gefchähe und
Ihr, ſamt Euren Freunden, geſund bliebet! Weib und Tochter
wollte ich Eurer Treue befehlen.“
Da ſprach Herr Giſelher, der ſchönen Ute Kind: „Warum tut
Ihr das? Herr Rüdiger. Alle, die mit uns kamen, ſind Euch gut.
Ihr handelt übel, wolltet Ihr Eure ſchoͤne Tochter fo früh zur
Witwe machen.“ „Gedenkt Eurer Treue! vieledler König, und
wenn Euch Gott geſund von hinnen ſendet, ſo laßt die Jungfrau
mein Tun nicht büßen.“ „Das tät ich gern,“ ſprach Jung Giſel⸗
her, „aber wenn einer von meinen Freunden, die noch leben, von
Euch ſtürbe, ſo müßte die Freundſchaft zu Euch und Eurer
Tochter ein Ende haben.“
Sie hoben die Schilde und drängten hinauf zu Kriemhilds
Saal. Da rief Hagen laut die Stiege hinab: „Wartet eine
Weil! vieledler Rüdiger, wir wollen mehr reden. Mich und
meine Herren zwang die Not. Was kann unſer Tod König Etzel
helfen? Auch ſteh ich in großer Sorge: den Schild, den Frau
Gotelind mir gab, haben die Heunen mir vor der Hand zer⸗
hauen. Dürfte ich den Schild führen, den du vor Händen haft,
vieledler Rüdiger, ich brauchte im Sturme keiner Halsberge.“
„Gern hülf ich dir mit dem Schilde,“ ſprach der Recke, „wagte
ich es vor Kriemhild zu tun. — Doch, nimm ihn hin! Hagen,
und trag ihn an der Hand. Möchteft du ihn heimfuͤhren an den
Rhein!“
Viele Augen wurden naß, als er ihm den Schild ſo willig ließ;
es war Rüdigers letzte Gabe, die er einem Recken bot. Wie
grimmig und hart Hagen auch war: die Gabe rührte ihn, die der
gute Held ihm bot vor ſeiner letzten Stunde. „Den Schild lohn
Euch Gott! adeliger Rudiger. Wie du hat noch kein Degen
elenden Recken gegeben. Daß Ihr mit uns ſtreiten müßt, das
ſei Gott geklagt; doch was immer dieſe hohen Recken an dir tun:
meine Hand wird dich im Streite nicht berühren, und erſchlügſt
du die Burgonden alle.“ Mit Dank neigte der gute Rüdiger ſich
da vor Hagen; alle weinten, daß niemand dieſes große Herzeleid
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abwenden könnte. Da ſprach der Spielmann Volker: „Weil mein
Geſelle Hagen Euch Frieden bot, ſollt Ihr auch von mir feſten
Frieden haben. Das habt Ihr verdient, als wir in dieſes Land
kamen.“
Rüdiger hob den Schild, der Streitzorn ertobte in ſeiner Bruſt,
ritterlich lief er zu den Gaften und ſchlug manchen raſchen Schlag.
Volker und Hagen wichen zurück, aber Rüdiger fand noch ſo
manchen Kühnen vor dem Saal, daß er den Streit mit Sorgen
begann. Aus mordlichem Willen ließen Gunther und Gernot die
Stürmenden in den Saal. Giſelher hielt ſich auch zurück, den
Markgrafen zu meiden.
Hinter ihrem Herrn ſprangen die Mannen kühnlich an die Feinde,
von den ſcharfen Waffen in ihren Händen barſten viel Helme
und mancher gute Schild. Auch die müden Burgonden ſchlugen
manchen harten Schlag durch lichte Ringe und ſtanden herrlich
im Sturme. Als die Mannen von Bechelaren im Saale waren,
ſprangen Hagen und Volker zu, ſie gaben niemand Frieden als
dem einen, von ihren Händen floß das Blut durch die Helme.
Die Schildſpangen brachen von grimmen Schlägen, die edlen
Steine fielen in das Blut: fo grimmig hatten fie noch nicht ges
ſtritten.
Der Vogt von Bechelaren ſchritt im Sturme hin und wider;
wohl wies er an dieſem Tag, daß er ein Recke war, der ſchwerlich
ſeinesgleichen hat. Viel der Burgonden ſtarben von ſeiner Hand.
Das ſah ein Burgonde, und großer Zorn ſprang ihn an: der
ſtarke Gernot wars, der rief den Helden an: „Ihr wollt mir der
Meinen keinen leben laſſen, vieledler Ruͤdiger, das ſchmerzt mich
ſo bitterlich, daß ichs nicht länger ſehen kann. Drum muß Eure
Gabe Euch jetzt zu Schaden kommen. Wendet Euch her! Ich
will ſie an Euch verdienen, wie ich kann.“
Lichte Ringe mußten rot werden, eh die zwei Streitkühnen
zueinander kamen. Jeder ſchirmte ſich mit dem Schilde vor des
andern ſcharfem Schwert. Da ſchlug Rüdiger Gernot durch den
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ſteinharten Helm, aber raſch vergalt der ihm den Schlag: Nü-
digers Gabe ſchwang er hoch in der Hand und gab ihm die Todes⸗
wunde. So fielen Rüdiger und Gernot in einem Sturme, einer
von des andern Hand.
Als Hagen den großen Schaden ſah, ergrimmte er erſt recht;
er rief: „Ihrer beider Tod frommt uns übel, keiner kann uns den
Schaden vergüten; drum müſſen Rüdigers Mannen uns Elen⸗
den zu Pfande werden.“ „O weh meines Bruders!“ ſprach der
Koͤnig Gunther, „das Unglück ſucht uns heim, auch des adeligen
Rüdiger Tod wird mich immer reuen. Wir leiden Schmerz und
Schaden auf beiden Seiten.“ Als Giſelher feinen Schwaͤher tot
ſah, da mußten, die noch drinnen waren, große Not von ihm
leiden: grimmig ſuchte der Tod ſein Geſinde, und keiner von
Bechelaren blieb am Leben.
Gunther und Giſelher, Hagen und Volker gingen zu den zwei
Toten; da hörte man die ſtarken Helden klagen und weinen. „Der
Tod beraubt uns ſchmerzlich“, ſprach Jung Giſelher. „Doch laßt
euer Weinen und tretet hinaus, daß der Wind uns Sturm⸗
müden die Ringe kühle. Noch lange zu leben, iſt uns nicht ver⸗
gönnt.“
Wieder ruhten die Recken: den ſah man ſitzen, den andern lehnen.
Rüdigers Helden lagen alle tot. Das Toſen ſchwieg, die Stille
war ſo groß, daß Etzel zu ſorgen begann. „O weh!“ ſprach die
Königin, „Rüdigers Treue iſt nicht ſo feſt, daß unſere Feinde ſie
mit dem Leben zahlen müßten. Er will ſie wohl heimbringen ins
Burgondenland. Was half uns, König Etzel, daß wir alles mit
ihm geteilt haben? Der Held, der uns rächen follte, hat ung übel
getan; er will Frieden ftiften.”
Der Königin antwortete der kühne Volker: „Es iſt nicht fo, wie
Ihr ſagtet, adelige Königin; dürfte ich Euch Lügen ſchelten,
vieledle Frau, müßt ich ſagen, Ihr hättet auf Rüdiger gelogen:
er und die Seinen alle ſind um die Sühne betrogen. Willig tat
er, was der König Etzel ihm gebot; nun liegt er hier erſchlagen.
Schaut Euch um! Herrin Kriemhild, wem Ihr noch gebieten
wollt! Rüdiger diente Euch bis an ſein Ende; wollt Ihrs nicht
glauben, fo wird mans Euch ſehen laſſen.“
Das geſchah zu ihrem großen Herzeleid: ſie hoben den boten
Helden, daß der König ihn ſah; nie geſchah Etzels Degen ſo
grimmes Leid. Wer möchte ſagen, wie weh ihnen war, als ſie
den Markgrafen tot ſahen! Etzels Jammer war ſo groß, daß
feine Klage erſcholl gleich eines Lowen Stimme; auch fein Weib
jammerte in herztiefem Weh über des guten Rüdiger Tod.
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Das Kind unter den Wölfen
Berchtung wurde heimlich zu dem König gerufen; der ſprach mit
Jammern zu ihm: „Du ſollſt mein junges Kind töten, fo heimlich,
daß niemand es erfährt.” Da ſprach der Getreue: „Davor behüt
mich Gott! Ich will an ſeinem Tod nicht ſchuldig werden.“
Sprach der König: „Gedenk, daß du mein treueſter Diener biſt!
Widerſtehſt du aber meiner Bitte, ſo muß unſere Treue ein Ende
haben. Du haft auf Lilienprote ein ſchoͤnes Weib und ſechzehn
ſchoͤne Söhne, die heiß ich alle an deine Zinnen henken, dich aber
allererſt.“ Da dachte der Getreue: Er iſt böſen Muts. Tu ich
ſeinen Willen nicht, ſo tut er wohl, was er droht. Alſo ſprach er
zu dem König: „Willſt du mirs nicht erlaſſen, ſo muß ich das
Kind wohl töten.“ Wie gern wäre Berchtung da anderswo
geweſen!
Der König ſprach: „Wache in dieſer Nacht und gebiete dem
Torwart, daß er dich hinauslaſſe und ſchweige. Ich will keinen
Kämmerer vor der Kemenate wachen laſſen. Schläft dann die
Königin, ſo geb ich dir das Kind.“
Zur Nacht redete der König mit der Mutter und ſprach im
Zorn: „Weſſen iſt das Kind? Iſt es des Teufels?“ „Nein,“
ſprach ſie, „es iſt dein!“ Er ſprach: „Ich will ihm kein Erbe
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teilen, nicht Land noch Burg.“ Da zürnte fie und ſprach: „Ich
hoff, er wird wohl fo ſtark, daß er ein Königreich und eine Königin
erſtreitet.“ Da ſprach der König: „Getrauſt du ihm ſolches Glück,
fo mag er feinen Brüdern das Erbe laſſen; denn an einem Konig:
reich hat er wohl genug. Darum ſchwoͤr ich dir auf Treue, daß
er meines Erbes kein Haar erhalten ſoll.“ Damit kehrte er ſich
von ihr, und ſie ſchlief ein. Da ſchlich er zu der Tuͤr und raunte
hinaus: „Berchtung, biſt du da? Und ſchlafen alle in der Burg?“
„Herre,“ ſprach der Getreue, „es wacht niemand.“
Der König ging zu dem Bette, er nahm das ſchlafende Kind
verſtohlen aus der Decke, ging leiſe hinaus und gab es Berch⸗
tung. Der ſchlug es in ſeinen Mantel, kam zum Torwart und
ſprach: „Verrätſt du mich, ſo ſchlag ich dir das Haupt ab und
ſtürz dich in den Graben.“ Dann ſaß er auf ſein Roß, nahm das
Kind in den Schoß und ritt hinab.
An der Burgleite erwachte das Kind, es begann zu weinen und
ſagte: „Mutter, decke mich!“ Sprach der Alte in ſeinem Gram:
„Was kümmert mich, daß dich friert!“ Als die lichte Sonne auf⸗
ging, ritt er einſam durch den Wald; denn er mied Steg und
Straße. Im hellen Morgen vergaß das Kind der Kälte, es
ſpielte mit den Ringen ſeiner Brünne und fragte: „Was iſt
das?“ Da griff der Jammer dem Alten ans Herz; er blickte
das lachende Kind an und dachte: Tote ich dich, fo werd ich
nimmer froh. Mein Herz iſt ſo traurig, als ob ich mit dir ſter⸗
ben ſollte.
Er ritt aus der Heide in eine Wildnis, in die nie ein Menſch
kam. Hier zog er ſein Schwert und wollte das Gebot ſeines
Herrn erfüllen. Als er das nackte Schwert ſah, verzagte ihm
das Herz: feine Hand wollte töten, fein Herz erlaubte es nicht.
Er ſprach bei ſich ſelbſt: „Wie geſchieht mir? Hunderte ſah ich
ſterben von meiner Hand; nun bin ich ſchwach und blöd, daß
ich dich nicht töten kann.“ Er war zornig und führte das Kind
an einen Teich, auf dem Seeroſen ſchwammen; er dachte, es
ſolle nach den Blumen greifen und fich ſelbſt ertraͤnken.
48
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D es:
Madonna am Baume, Kupferftich
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Albrecht
Der Teich lag in einer grünen Wieſe: da flieg er vom Roß und
feste das Kind ans Waſſer. Das Kind ſah nicht nach den Roſen,
es lief von dem Waſſer über den Anger, da ſpielte es im Graſe
und wußte nicht, daß es allein war. Berchtung führte ſein Roß
in den Wald und barg ſich hinter dem Laub, da wollte er warten,
was gefchähe. Das Kind ſpielte unverdroſſen bis an den Abend,
als empfände es nicht Hunger noch Durſt.
Als der lichte Mond durch die Wolken brach, kamen des Waldes
Tiere, die des Trunkes nicht entbehren moͤgen, zu dem Waſſer:
wilde Bären und Schweine, unter denen ſaß das Kind. Da kam
eine Schar grimmer Wölfe gelaufen, die jagte der ſcharfe Hunger.
Sie witterten das Kind und ſchnupperten um es her, ſie ſperrten
ihre Rachen weit, aber keiner rührte es an.
Voll Staunen ſchlich Berchtung heran, er ſah das Wunder:
die Augen der Untiere brannten wie Kerzen. Das Kind wußte
von keiner Furcht; es ging zu jedem und griff ihm mit der Hand
nach den lichten Augen. Das vertrugen ſie ihm und ließen es
unter ſich ſpielen, bis der Tag begann; und wenn einer ihm
wehrte, den ſchlug es, daß er lag.
Des Wunders lachte Berchtung fröhlich und ſprach: „Daß
ich dich nicht tötete, das geſchah dir aus des Waltenden Güte!
Wie ſollteſt du des Teufels Kind ſein! Weil die grimmen Wölfe
dir Frieden geben mußten, ſo laß auch ich dich leben.“ Als der
lichte Morgen auf der Heide lag, liefen die Wölfe hin, und
Berchtung ſprach: „Ich will dein Leben retten; Weib und Kind
wag ich für dich.“ Er nahm es von der Erde auf den Arm, küßte
es an den Mund: „Ich weiß wohl,“ ſprach der Getreue, „dieſes
Zeichen kommt von guten Dingen: du magſt wohl ein mächtiger
König werden. Und weil du unter den Wölfen dein Leben be⸗
hielteſt, ſollſt du fortan Wolfdietrich heißen.“
Er trug das Kind zum Roſſe; in Sorgen um ſeines Herrn
Zorn ritt er zu einem Waldhüter, deſſen Häuslein im Walde
lag, darin er oft mit ſeinen Jägern genächtet hatte. Zu dem
ſprach er: „Gutmann, wo ift dein Weib?“ Freundlich grüßte der
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Arme den Herrn, der ſprach: „Nun will ich euer beider Treu
verſuchen: zieht dieſes ſchoͤne Kind, und wenn euch die Leute
fragen, wo ihrs gewonnen hättet, ſo ſagt, es ſei euer eigen Kind.
Teilt das Beſte mit ihm, was ihr habt; das will ich euch lohnen.
Das Haus ſei dein, und was du aus dem Walde brauchſt, dazu.“
Da nahmen ſie das Kind, und Berchtung ritt heim.
Aus den „Deutſchen Heldenſagen“
*
Hans Caroſſa
Dichter und Arzt
Als ich mich, vierundzwanzig Jahre alt, in der herrlich gelegenen
Halbinſelſtadt Paſſau niederließ, um Kranke zu behandeln, da
geſchah es mit Vorbehalten. Ich gedachte, das Heilgeſchäft nur
ſo nebenher zu betreiben, im Hauptamt aber den Beruf des
Dichters zu erfüllen. Wie ſich das durchführen ließe, davon hatte
ich keine deutliche Vorſtellung; nur über eines war ich mir im
klaren: jedermann ſollte das Werk, niemand aber den Urheber
kennen lernen. Wie ſehr hatte ich bei ſolchen Abſichten die eigene
Natur, wie vollkommen die magiſchen Anziehungskräfte des
Leidens verkannt! Zunächſt ereilte mich das Geſchick aller Arzte,
die an einem Ort zu kurieren beginnen; es waren gerade die
ſchweren, die von anderen aufgegebenen Fälle, die mein Warte⸗
zimmer beſetzten. Viele nahmen an, ich käme, mit neuen unfehl⸗
baren Methoden ausgeſtattet, von der Univerfität und erwarteten
das Unmögliche; andere hatten meinen Vater als tüchtigen Arzt
kennen gelernt und hielten den Sohn für den Erben ſeiner Er⸗
fahrung. Dieſe zweite Art Patienten machte mirs am wenigſten
ſchwer; ihr genügte ich ſchon, wenn ich die weißen Pilokarpin⸗
tabletten verſchrieb, deren Verpackung den väterlichen Namens⸗
zug aufwies. |
Es fügte ſich, daß eine meiner erſten Schutzbefohlenen ein fehr
50
ſchoͤnes Mädchen war, eine junge Goldſtickerin, die am Unteren
Sand mit ihrer tauben und faſt blinden Mutter drei Zimmer be⸗
wohnte. Wenn ich ſage „ein ſehr ſchönes Mädchen“, ſo denke ich
dabei nur an das Antlitz, das bis zum letzten Tage dem Verfall
widerſtand, indeſſen der übrige Leib unaufhaltſam verging.
Straße und Haus waren wie aus einem Landſtädtchen Umbriens
herübergenommen; unten, in einem winzigen offenen Laden, ſaß
tagaus, tagein ein alter kleiner Schuſter, um den ſich die Kinder
ſammelten; denn er ſang unaufhörlich „Schnaderhüpfeln“,
während er Holzſtifte in ſeine Lederſohlen hineintrieb. Von dem
feuchten grabelnden Flur führte eine Stiege, die eigentlich eine
Leiter war, zu Marias Krankenſtübchen hinauf. Zuckerhut⸗
ſchnüre, mit Haken an der Mauer befeſtigt, ſtellten das Ge⸗
länder vor. Großartig aber war der Fenſterblick über den ſtark
ſtroͤmenden graugrünen Inn auf die hochgelegene Mariahilfkirche
hinüber, deren tibetaniſch geſchwungene Turmkuppeln jenes ein⸗
zige Stadt⸗ und Landſchaftsbild ſo mächtig ergänzen. Aus Ge⸗
ſicht und Weſen des Mädchens aber ſprachen mich romaniſche
und altbayeriſche Ahnengeiſter mit vollem Einklang an, und die
Schauer des nahen Endes, welche die Geſtalt umwitterten, gaben
ihrer Zutraulichkeit einen unerſetzlichen Wert. Eigentlich war ſie
ſchon aller ärztlichen Behandlung überdrüffig geworden, und ihr
Taufpate handelte gegen ihren Wunſch, als er mich zu ihr brachte;
doch zeigte ſie keinen Unwillen wegen des Überfalls und benahm
ſich durchaus freundlich; immerhin unterzog ſie mich zunächſt
einer kleinen Prüfung. Als ich nämlich ihr Herz unterſuchte,
horte ichs nicht ſchlagen; auch fehlten die rhythmiſchen Erſchüt⸗
terungen der linken Rippenwand. Erſt bei ſchärferem Horchen
kamen aus einiger Entfernung leiſe Toͤne. „Wo haben Sie denn
Ihr Herz hinverſteckt?“ ſagte ich; ſie aber lachte: „Jetzt weiß ich
wenigſtens, daß Sie auch hoͤren, wenn Sie horchen. Ihr Herr
Vorgänger iſt erſt nach und nach daraufgekommen, daß ich das
Herz nicht auf dem rechten Fleck hab.“ — Die Liſtige hatte ver⸗
ſchwiegen, daß ihr ein Situs inversus angeboren war, eine ab⸗
51
norme Lagerung der Organe, wobei die Leber auf der linken, das
Herz auf der rechten Seite liegt. Dieſes bißchen Bei⸗der⸗Sache⸗
Sein genügte ihr, um mir ihr ganzes Vertrauen zu ſchenken;
auch ſchien ſie mirs in der Folge hoch anzurechnen, daß ich mich
nicht vor Anſteckung fürchtete. Gelaſſen und heiter führte mich
dieſe klagenlos Zerfallende in das trübe Reich des Duldens und
Vergehens ein, ſo daß ich es als ſolches lange nicht empfand; un⸗
verſehens war ich eingewurzelt und wirkte mit allen Kräften
darin. Leider kam dies anderen Fällen mehr zugute als dem armen
Mädchen ſelber, bei dem alle Kunſt nur zu lindern vermochte.
Zwar beſſerte ſich ihr Befinden ein wenig; doch wußte ſie genau,
wie es mit ihr ſtand, und wurde verſtimmt, wenn man ihr etwas
vormachen wollte. Für ſie war der Tod eine große feierliche Sache,
die ſie ſich nicht nehmen ließ, und nur aus Höflichkeit redete ſie
zuweilen ſo, als wollte ſie noch eine ziemliche Zeit im Leben ver⸗
bleiben. Längſt hatte ſie ſich Totenhemd und ⸗kleid genäht; auch
beichtete und kommunizierte ſie jeden dritten Tag, und nie fand
ich ſie froher, ausgeglichener, nie einer weltlichen Unterhaltung
zugänglicher, als wenn der Stadtpfarrer bei ihr geweſen war,
um ſie auf ihre Sterbeſtunde vorzubereiten. Unterſuchungen
lehnte fie nach einiger Zeit errötend ab; der Herr Doktor, ſagte
ſie, tue ihr leid, wenn er immer wieder eine ſolche „Boandl⸗
kramerin“! anſchauen müſſe, und ſchon deshalb freue fie ſich
auf das Hinübergehen, weil ſie dann das grauſige Geſtell endlich
los würde.
Während ihrer letzten Tage bat ſie ſehr oft um eine Milderung
ihrer Atembedrängnis. Dabei wurde ſie geſprächig, fragte viel,
wollte mein ganzes früheres Leben kennen lernen. Eine General⸗
beichte wird uns gewiß am leichteſten gegenüber einem Menſchen,
der ſchon an der Eingangspforte zum großen Schweigen ſteht;
dennoch ſchienen meine Bekenntniſſe fie ein wenig zu enttäufchen;
ſie hatte ſich die Geſchichte meiner Jugend wohl etwas abenteuer⸗
„Boandlkramer“ = Knochenkrämer, altbayeriſche Bezeichnung für
einen zum Skelett abgemagerten Menſchen.
52
licher vorgeſtellt. Gleichſam zur Buße gab fie mir den Rat, bald
zu heiraten, damit mich die Weiber nicht verdürben, ſagte auch
genau, welche Art Gattin ſie mir wünſchte. Geſund ſollte ſie
fein, hübfch, aber nicht auffallend ſchön, Spaß verſtehen, gegen
Tiere Barmherzigkeit üben und Klavier oder Geige fpielen konnen;
dies waren Haupteigenſchaften, die ſie verlangte. „Morgen will
ich Ihnen auch von mir etwas erzählen“, raunte ſie beim Abſchied.
Als ich aber am anderen Tage kam, hatte ſie die Sprache verloren
und vermochte ihre Hände nicht mehr zu erheben. Sie bewegte
die Lippen und ſah mit eindringlichem Lächeln bald mich, bald
ihre Mutter an; endlich bemühte ſie ſich zu lächeln. Dabei ſiel
ſie mit halboffenen Augen in einen Schlaf, aus dem ſie nicht mehr
erwachte.
In den Wochen, die nun kamen, fühlte ich mich älter geworden
und auch ſonſt verändert; es war, als hätte mich das zarte Mädchen
für immer dem großen Orden der Verlorenen verpflichtet. So war
der neue Lebensraum bezogen; ob ich aber auch in ihn hinein⸗
gehörte, diefe ſorgenvolle Frage wollte nie ganz verſtummen. So:
lang ich mich meinen ärztlichen Aufgaben gewachſen ſah, beun⸗
ruhigte ſie mich nicht ſehr: bei jedem Verſagen aber mahnte mich
das verborgene Dichtertum, und ich warf mir vor, den falſchen
Weg eingeſchlagen zu haben. Den Künſtler macht ſeine Tätig⸗
keit einſam und frei; ſie gibt ihm das Recht, zu fliehen, ſobald
er ſich in allzu ungemäße Verhältniſſe hineinwachſen fühlt. Mit
dem Arzt ſteht es anders. Ihn ſondert ſeine Kunſt nicht von den
Menſchen ab, und Flucht wäre für ihn Verrat an den Leidenden,
die ihm vertrauen. (Dazu kommt noch, daß er faſt in jedem Be⸗
gegnenden bald einen Leidenden erkennen wird, der ſeiner be⸗
dürfte.) Somit war eine tragiſche Lage gegeben, die ich zum Glück
nicht völlig überblickte; ſonſt hätte ich mir ſagen müſſen, daß
meine Daſeinszeit kaum hinreichen würde, um ſie von Grund
aus zu ändern.
Es war damals einer meiner Fehler, daß die Geſamterſcheinung
eines Kranken ſtärker auf mich wirkte als die Krankheit; auch war
53
ich noch zu fehüchtern, zu leicht erbittlich, und mehr als einmal
kam es vor, daß ich mir die Führung der Kur entwinden ließ.
Jenſeits des Inns, im Gaſthof zur Sirene, wohnte ein junger
Goldſchmied, der ſchon im Hauptbuch meines Vaters als tuber⸗
Eulofeverdächtig eingetragen war. Gerade an Marias Begraͤbnis⸗
tag ließ er mich rufen, und nicht nur durch ſein Handwerk er⸗
innerte er mich an ſie. Die Krankheit hatte ſich bei ihm weniger
auf die Lunge als in das linke Kniegelenk geworfen. Dieſes war
zur Zeit jenes erſten Beſuches bereits zu einer enormen Spindel
aufgetrieben, und beim dritten oder vierten Male ſah ich ein,
daß hier von einer erhaltenden Behandlung nichts zu erhoffen
war. Heilende Beſtrahlungen gab es noch nicht, und ſo fand ich
mich genötigt, ihm zu ſagen, daß meine Mittel für dieſen Fall
nicht ausreichten, daß ich ihn einem Chirurgen überweiſen müſſe.
Leider tat ich das nicht in der diktatoriſchen Form, die keinen Ein⸗
wand zuläßt, ſondern mit dem verlegenen Zögern des Neulings,
das nach ſchlechtem Gewiſſen ausſieht. Der junge Mann ſpürte
auch fofort, wer ihm gegenüberfaß, und indeffen ich nach troͤſt⸗
lichen Worten ſuchte, fand er Zeit, ſeine Gedanken gegen mich
zu ordnen. Eine Weile ſchrieb er, ohne mich anzuſehen, mit dem
Finger Zeichen auf die Bettdecke; dann fehüttelte er troſtlos den
Kopf, trocknete ſich mit dem Taſchentuch ſeine immer leicht
ſchwitzende Stirn und hielt ſchließlich eine wohlüberlegte kleine
Rede, die mich zwar nicht überzeugte, aber doch verwirrte. Er
müſſe ſoeben an meinen Herrn Vater denken, ſagte er, Gott
gebe ihm die ewige Ruhe, das ſei ein Mann geweſen, der würde,
wenn er noch lebte, nicht ſo ſchnell die Flinte ins Korn geworfen
haben. Dann ſchwieg er abwartend und überließ mich der ſchmerz⸗
lichen Erinnerung an den jüngft Verſtorbenen, um plotzlich mit
der Behauptung hervorzubrechen, dieſer habe mit ſeinen Arzneien
noch ganz andere Übel geheilt als ſolch ein bißchen Knieſchwamm.
Man müſſe nur ſeine Schrift über die Tuberkuloſe aufmerkſam
leſen; dann ginge einem bald ein Licht auf darüber, daß viele
Kranke nur deshalb ſtürben, weil ihre Arzte ſie für unheilbar
54
hielten. Und nun bewies er durch Zitate, die nur leider auf feinen
Fall ganz und gar nicht paßten, daß er die kleine Abhandlung,
die mein Vater über den Einfluß des Pilokarpins auf erkrankte
Gewebe geſchrieben hatte, nahezu auswendig wußte. Auf einmal
legte er feine Hand auf die meine, umfing mich mit feinem
dunklen feuerhaltigen Blick und vertraute mir flüſternd an, die
Tabletten werkelten ſchon jetzt, nach kaum vierzehn Tagen, wie
kleine Teufel in ſeinem Knie herum, er ſpüre deutlich, wie das
ganze giftige Zeug aufgeftört und aufgeſogen werde, genau fo wie
es im Büchlein ſtehe, es müſſe doch für einen jungen Arzt merk⸗
würdig ſein, ſolch einen Vorgang zu verfolgen. „Nur Mut, nur
Vertrauen, Herr Doktor!“ rief er lächelnd. „Wir werden das
Ziel erreichen, wenn auch langſam.“
Derartige Reden und mehr noch ihre frohe ſichere Tonart machten
mich ſtumm; ich fand keine Form, ihm geradeheraus zu ſagen,
daß gegen fo grobe Gewebszerſtörungen das beſte Medikament
nicht aufkommen könne, und verſprach, der Sache noch ein
Weilchen zuzuſehen, das heißt: ich ließ alles gehen, wie es ging.
Bei meinem nächſten Beſuch fand ich ihn ſehr beſchäftigt. Auf
dem Nachttiſchchen lagen Zangen, Blechſcheren und feine Silber⸗
drähte; zwiſchen den Fingern hielt er einen begonnenen Filigran⸗
ſchmuck und baſtelte noch ein wenig weiter, bevor er mich begrüßte.
Er habe nicht mehr anders gekonnt, die Kräfte wüchfen von Tag
zu Tag, alle Finger zuckten nach Arbeit. So wußte er mich immer
aufs neue zu überraſchen. Jedesmal, wenn ich die breite düſtere
Treppe zu ihm hinaufſtieg, faßte ich den Vorſatz, ihn über die
Vergeblichkeit meiner Behandlung aufzuklären; aber er war nun
einmal der Stärkere, und immer wieder ward ich zum Schweigen
gebracht von den Rufen der Dankbarkeit und des Entzückens,
womit er mir, ſchon während ich die Handſchuhe abſtreifte, die
Zeichen feiner fortſchreitenden Geneſung aufzählte. Ob er wirk⸗
lich daran glaubte, ob er vor ſich ſelber Verſtecken ſpielte, hab
ich nie ganz durchſchaut; führte er aber, aus purer Meſſerſcheu,
vor mir und vor ſich ſelber eine Komödie auf, fo muß viel echtes
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mimiſches Talent in ihm geweſen fein. Dies offenbarte fich vor
allem dann, wenn ich das Knie zu unterſuchen verlangte. Manch⸗
mal überhörte er meine Aufforderung; wiederholte ich ſie aber,
ſo tat er hocherfreut, wickelte langſam Tücher und Binden ab
und ſuchte wie ein Fakir mein Bewußtſein zu beſtechen, indem
er den auffallend ſchnellen Rückgang der Geſchwulſt und die
zunehmende Beweglichkeit des Gelenkes mit ergriffenen Worten
bewunderte, während er es mit ſchoͤnen, ſtreichelnden Zauberer⸗
handbewegungen der Beſichtigung halb entzog. Zuweilen ſtand
ſeine alte Mutter dabei, und an dieſer hatte er die dankbarſte
Zeugin; fie ſah das Knie, wie er es wünfchte, und ſtimmte laut in
ſeine Dankſagungen ein. Solche Szenen waren zugleich komiſch
und unheimlich; ſchließlich wohnte ich ihnen bei wie einem Schau⸗
ſpiel und bemühte mich immer weniger, ihnen ein Ende zu machen,
obwohl ich deutlich ſah, daß dieſes formloſe, vor Hautſpannung
bläulichrot glänzende Gelenk unaufhaltſam zu einem wahren
Monſtrum entartete. Gehorſam fuhr ich fort, dem jungen Mann
ſeine gläubig geliebten Paſtillen zu geben, verordnete daneben
Einreibungen mit Ichthyol und Jod oder legte heißen Lehmbrei
auf und erntete für jede dieſer Anwendungen das gleiche be⸗
geiſterte Lob.
So verſtrich die Zeit, wo eine Operation ihn hätte retten können;
er nahm eilig ab, ich ſah es, dämpfte aber mein Gewiſſen, indem
ich mir vorhielt, er ſei immerhin noch am Leben, während er aus
einer Narkoſe vielleicht gar nicht mehr erwacht wäre. Die Praxis
wuchs, und in den meiſten Fällen ging alles gut. Ich merkte
dabei kaum, wieviel ununterbrochene Belehrung der junge Gold⸗
ſchmied mir erteilte, wie viele andere Kranke auf ſeine Koſten
richtiger behandelt wurden. Brauchte ich doch in gewiſſen bedenk⸗
lichen Lagen bloß an ihn zu denken, um ſogleich die entſchiedene
Haltung zu finden, die ich ihm gegenüber vermiſſen ließ. Wie es
aber einen Täter immer wieder zur Stätte ſeines Vergehens
zieht, ſo beſuchte ich den Armen künftig noch öfter als ſonſt und
blieb meiſtens lange bei ihm. Unter die Mittel, die ich für ihn
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bereiten ließ, begann ich die Euphorie erregenden zu mifchen;
bald war er in eine leichte Wolke von Wohlgefühl eingehüllt.
Allmählich wurden die zweckloſen Kniebeſichtigungen ſehr an⸗
ſtrengend für ihn; doch fanden ſich freundliche Vorwände, um fie
von einer Woche zur anderen zu verſchieben, bis wir, wie nach
Übereinkunft, endlich das unfelige Bein in Rube ließen. Bald
ſtanden wir uns nur noch menſchlich gegenüber, und mir war,
als könnte ich nun erſt etwas für ihn tun. Die Unterhaltung
wurde unbefangen, und wie bei Maria beeilte ich mich mit meinen
übrigen Beſuchen, um noch eine gute Stunde bei ihm zu ſein.
Er beſaß einige naturwiſſenſchaftliche Kenntniſſe und war dank⸗
bar, wenn ich dieſe durch Gefpräch und mitgebrachte Bücher ver:
mehrte. Und wie ich mich wohl ſonſt auf einen Pflichtweg vor:
bereitete, indem ich mir noch beim Stiefelzuſchnüren ſchnell
einen Abſatz aus dem „Viermännerbuch“ einzuprägen ſuchte
(einem höchſt beliebten Vademekum, worin vier treffliche Arzte
knapp und klar die wichtigſten Krankheiten abhandeln), ſo konnte
es jetzt vorkommen, daß ich eilig noch ein Kapitelchen Wilhelm
Boͤlſche las, bevor ich in die Sirene ging. Am liebſten hoͤrte mein
Geſelle von Vulkanen, beſonders von der Verfchüttung Herku⸗
lanums und Pompejis, auch von Kometen, Lichtjahren, Raub⸗
tieren, Giftſchlangen und von dem Fortbeſtehen der Seele nach
dem Tode. Dieſe Frage gab ihm viel zu denken; er konnte fic) mit
dem Ausgelöſchtwerden gar nicht abfinden, beharrte verzweifelt
auf ſeinem Recht zum ewigen Leben und zur Wiedervereinigung
mit Eltern und Geſchwiſtern. Oft lenkte er die Rede zu dieſem
Punkt, und ich merkte recht gut, wie herzlich er wünſchte, die
heiligen Verſprechungen der Kirche durch den Arzt beſtätigt zu
boven. Mir kam ein Aufſatz in den Sinn, den ich irgendwo ge:
leſen hatte; ganz verſtändlich war er mir nicht geworden, doch
ſchien mir einiges davon geeignet, meinen einſamen Zweifler ein
wenig zu ermutigen. Der öde Materialismus, erklärte ich, habe,
Gott ſei Dank, endlich abgehauſt, es gebe jetzt eine hohe gediegene
Wiſſenſchaft, die Theoſophie, und dieſe habe unwiderleglich nach⸗
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gewieſen, daß wir außer unferem irdiſchen Leibe noch einen op:
deren beſäßen, den Atherleib. Dieſer hänge mit allen ewigen
Keimkraͤften der Welt zuſammen; er fet unzerſtoͤrbar und werde
nach manchen Läuterungen und Sternenwanderungen wieder
den Weſen begegnen, die zu ihm gehoͤrten. Wie dieſe ſehr will⸗
kürlichen Auslegungen auf den Kranken einwirkten, war nicht
feſtſtellbar; immerhin kam er mir beruhigter vor. Vielleicht
empfand er aber eine ſolche Unterhaltung doch als unerlaubt;
jedenfalls enthielt er ſich aller ferneren Fragen, und als ich wieder⸗
kam, ſah ich die „Nachfolge Chriſti“ des Thomas von Kempen
auf der Bettdecke liegen. Ich aber hütete mich, je wieder an das
Problem zu rühren; ja nachträglich empfand ich erſt, wie wenig
recht man tut, einen Glauben zu lockern, den man durch keinen
ſchoͤneren erſetzen kann.
Seine Arzneien ſchluckte er gewiſſenhaft weiter, und konnten
ſie ihn auch nicht heilen, ſo friſteten ſie ihm doch ſehr lange das
Leben. Es wurde Winter; die Mutter heizte ſein Stübchen gut,
umgab überhaupt feine Auflöſung mit allem Behagen. Oft
flatterten Vögel durch das halboffene Fenſter herein bis zum
Tiſchrand und holten ſich die hingeſtreuten Hanf⸗ und Sonnen⸗
blumenkerne. Die graue ſchwarzköpfige Nonnenmeiſe, deren
Schnabel vom eifrigen Hämmern oft wie ein Meißel quer abge⸗
ſchliffen iſt, die ſaphiren ſchimmernde Blaumeiſe mit ihrem
ſcharfen kleinen Mausgeſicht, der Kleiber, der ſich fünf, ſechs
Körnchen auf einmal nimmt, um ſeine heimliche Vorratskammer
zu bedenken, ſie alle lernte ich durch ihn erſt kennen. Das Haus
lag am Fuße des Mariahilfbergs, hinter dem die Grenze gegen
Ofterreich verläuft; man ſah hier nahe über ſich die weißen gelb:
kantigen Kloftergebäude mit ihren fremdartigen, wie Hut:
krempen aufgebogenen Dächern, die an Bilder in Sven Hedins
Tibetbuch erinnerten, und merkwürdig war es, wie gut der
Kranke zu dieſem Hintergrund paßte; beſonders die Dämmerung
verlieh ihm öfters ein wahres Taſchi⸗Lama⸗Geſicht, und er
börte es auch nicht ungern, daß er jenem hoͤchſten geiftlichen Ges
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bieter des geheimnisreichen Landes ähnlich ſehe. Zwiſchen Granit»
vorſprüngen führt eine Treppe mit Eifengeländern den ſteilen
Hang hinauf; hier gingen junge Prieſter, leſend in ſchwarzen,
goldſchnittglänzenden Büchern, langſam auf und ab, und manch⸗
mal ſchwankten Zechergruppen, des kräftigen öſterreichiſchen
Weines voll, von Ausflügen zur Stadt zurück. Es kam dann vor,
daß auch mein Freund, der Dichter Heinrich Lautenſack, unter
den Heimkehrenden war, von weitem erkennbar an ſeinem langen
ſchwarzen Gehrock und an Handbewegungen, die nicht zweifeln
ließen, daß fie den Vortrag neuer Were begleiteten. Schwer
bebrangte mich dann jedesmal mein Gewiſſen; ich mußte bedenken,
daß jener ungefähr das Leben lebte, das ich mir immer heimlich
wünſchte. Der Glückliche konnte ſich morgens beim Erwachen
ſagen, daß der Tag ihm gehöre; niemand (tortt fein Fur⸗ſich⸗Sein,
wenn ihn die Eingebungen überkamen. Lange Zeit war er in dem
berühmten Münchener Kabarett zu den Elf Scharfrichtern als
„Henkersknecht“ eine populäre Geſtalt geweſen; jetzt aber um⸗
wob ihn der erſte klare Ruhm: der vielvermdgende Franz Blei
nahm ſeine Gedichte in die Zeitſchrift „Inſel“ auf, und Alfred
Richard Meyer, ein junger Berliner Verleger, begann ſie zu
ſammeln, indeſſen ich an traurigen Betten ſaß und mich mit
armen Kranken unterhielt, ſtatt ſie geſund zu machen.
Eines Morgens lag der junge Goldſchmied verſtorben in ſeinem
Bett, und ſeine Mutter geſtand mir ein, er habe in der vorletzten
Nacht ſehr heftige Krämpfe über die ganze linke Seite hin er⸗
litten, ihr aber verboten, mich zu holen. Dieſe Schmerzen, ſo hatte
er verſichert, gehörten zur Heilung, außerdem greife den Herrn
Doktor alles viel zu ſehr an, man müffe ihn ſchonen, und am
Samstag komme er ja ſowieſo. Die Schmerzen hätten dann
nachgelaſſen, er ſei ungewöhnlich friſch, geſprächig und ſogar
etwas mutwillig geweſen, nur habe er immer die Tageszeiten
verwechſelt. Daß aber der Samstag vor der Tür ſtehe, ſei ihm
ſtets gegenwärtig geblieben. „Der Doktor wird ſich freuen, daß
ich über dem Berge bin.“ Mit dieſen Worten habe er am hellen
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Mittag fein Nachtlicht anzünden wollen, doch immer mit dem
Zündholz den Kerzendocht verfehlt. Unheimlich ſei ihr dies vorge⸗
kommen; aber an die unmittelbare Nähe des Todes habe ſie
nicht geglaubt.
Es lag nahe, bei dieſem Bericht an jenen Leibarzt zu denken, der
täglich mit dem Konig Max von Bayern Schach ſpielte, eines
Morgens aber nicht empfangen wurde, weil Seine Majeftät er:
krankt war. Die gute Mutter jedoch merkte nicht, welch hartes
Urteil über meine ärztlichen Eigenſchaften in der zarten Rückſicht
ihres Sohnes enthalt'n war. Weinend rühmte ſie meine Be⸗
mühungen, während fie mich zu ihm hineinführte. Mir aber
drängte ſich noch einmal das Unzulängliche meines ganzen Ver⸗
haltens peinlich auf. Ich hätte mich, fagte ich mir, von Anfang
an auf feine Seite ſteollen, hätte meine zweifleriſche Schulweisheit
vergeſſen und ſeinen kindlich glühenden Glauben an meine Mittel
in mich herübernehmen ſollen; dann hätten dieſe auch das erwar⸗
tete Wunder gewirkt. Er lag aufgebahrt in der dunklen Mönchs⸗
kutte eines Bruders vom Dritten Orden, dem viele Männer und
Frauen der Stadt angehörten, hatte ein ſchwarzes Kreuzchen
mit ſilbernem Chriſtus in den verſchränkten Händen und ähnelte
noch mehr als ſonſt jener Verkörperung einer öftlichen Gottheit,
die mir aus dem Tibetbuch bekannt war. Und wie er ſo da lag,
weiſe laͤchelnd in dem halbgeiſtlichen Gewand, zu dem ihn erſt der
Tod berechtigte, da verging mir jede Anwandlung von Reue;
mein Verhältnis zu ihm ſtand als etwas Reines, Abgeſchloſſenes
vor mir. Er hatte nie verraten, wie er ſich innerlich mit ſeinem
Schickſal auseinanderſetzte, war immer nur ängſtlich darauf be⸗
dacht geweſen, mir betrübende Wahrnehmungen zu erſparen,
hatte manchen Schmerz verhehlt, um mich nicht zu verlieren.
Daß er durch mich nicht geneſen würde, mußte er ſchon lange
wiſſen; das Vertrauen zum Arzt war es alſo nicht, was ihn an
mich gebunden hielt; aber ich war feine einzige Brücke zur Welt
geworden, das fühlte ich in jenen ſtillen Minuten. Ich tat, was
der Gebrauch verlangte, nahm den Thujazweig, der in ein Kriſtall⸗
glas voll Weihwaſſer hineinhing, befprengte dreimal die Leiche
und gab der alten Frau eine kurze Aufklärung über die vermutliche
Urſache des unverhofft raſchen Todes.
Auf dem Heimweg beſtärkte ich mich neuerdings in dem Ent:
ſchluß, der ärztlichen Tätigkeit ſo bald wie möglich den Rücken
zu kehren, und ahnte nicht, wie ſehr gerade dieſer Verblichene
mich ſeinen Leidensgenoſſen empfahl. Auf Markt und Gaſſen
pries die trauernde Mutter meine Kunſt in Tonen, welche die
Vorſtellung erwecken konnten, als wäre der liebe Sohn eigentlich
in geheiltem Zuſtand geſtorben; und in den folgenden Wochen
wuchs die Praxis unaufhaltſam. In den meiſten Fällen wirkten
die väterlichen Mittel vortrefflich, in einigen verſagten ſie; ich ver⸗
ſuchte manches Neue und geriet auf eigene Wege. Daß bei vor⸗
geſchrittenen Lungenleiden viel darauf ankam, durch moͤglichſte
Verminderung der Huſtenſtöße den Bruſtkorb ruhigzuſtellen und
das Herz zu kräftigen, bevor es noch Zeichen des Verſagens
gab, davon überzeugten mich zahlreiche Beobachtungen. Ich
vermengte kleinſte Gaben des purpurblütigen Fingerhuts mit
kräftigen Doſen irgendeines Narkotikums, ließ dieſe Miſchungen
wochenlang nehmen und ſah dadurch öfters die Heilung einge⸗
leitet.
Bald Widerſtand leiſtend, bald zurückweichend, war ich alſo tag:
lich tiefer in die Sphaͤre fremder Leiden hineingekommen; immer
mehr überließ ich mich dem Leben, wie es mich nahm. Dem ge:
ſelligen Treiben der Stadt ging ich aus dem Weg und ſchadete
mir damit nur ſelber; denn bald fand ich mich in meinem Umgang
überhaupt nur noch auf Kranke, ja gewiſſermaßen auch auf Ab⸗
geſchiedene angewieſen. Führte mich der Weg über den Friedhof,
ſo glänzten mir bereits von vielen Grabſteinen die Namen meiner
Pfleglinge entgegen, von denen ich ſo tiefe Wirklichkeiten wußte;
und wenn ich nachher an Haustüren die Namen geſund⸗lebendiger
Bürger las, erinnerten ſie mich an nichts; ſie waren für mich die
eigentlichen Toten. Von außen betrachtet gewiß ein unheimliches
Daſein wie eines Verhexten, der es gar nicht gewahr wird, daß
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er mit Geſpenſtern verkehrt, wovon uns chinefifche und japaniſche
Maͤrchen anmutig und grauſig berichten.
Beſeelte Jugend aber läßt ſich nicht fo leicht aufzehren. Schon
daß ich immer für das Befinden anderer verantwortlich war und
mich ſelber nicht verweichlichen durfte, war heilſam; zudem
ſchien mich etwas Beſonderes vor Vampiren zu ſchützen, und dies
kam eben doch aus eingeborener Phantaſie. Jenes hochgeſpannte,
immer ſzenenwechſelnde, bald in Dienſt und Gedanken, bald in
Rauſch oder Trauer ſich ausgebende Leben erhielt mich nämlich
in einer unbegreiflichen Taͤuſchung: ich glaubte dabei ſtets als
Dichter zu wirken. Meine ärztliche Leiſtung ſchlug ich gering an;
vielmehr, wenn ich von Kranken Dank und Lob empfing, ſo
meinte ich, dies wäre doch eigentlich nur, weil ſie mirs an der
Naſe anſehen mußten, was für feine Verſe ſich mir zu naͤhern
ſuchten, während ich ihren Herzſchlag und ihren Atem behorchte.
Aber kein geiſtiges Licht wird von fremden Strahlungen ſo raſch
abgeſtumpft wie die zarte dichte Flamme, die im lyriſchen Dichter
brennt. Wenn der Dramatiker oder der Erzähler ſeine Figuren
ſehr oft um einen Grad einſichtsloſer oder übertriebener hinſtellen
muß, als er ſelbſt iſt, ſo ſchenkt uns der Lieder⸗ oder der Hymnen⸗
dichter immer nur fein Letztes, Höchftes, Innigſtes, immer nur
die Eſſenz ſeiner Natur. Er iſt eine Pflanze, die, in heißen Lebens⸗
raum verſetzt, ihr ätheriſches Gl aus ſich hinausverdampft und
nicht fragt, ob ſie dabei verdorrt. Bei gelegentlichen Anfragen
treuer Jugend freunde kam es auf, daß in Wochen und Monaten
kaum ein paar Strophen zu Papier gebracht worden waren: ich
mußte Vorwürfe hören, mußte mich ſträflicher Herzensträgheit
bezichtigen laſſen. Traurig nahm ich das hin, hörte aber dennoch
nicht auf, mich für einen Dichter zu halten, wenn auch nur ſo,
wie der Tierkenner gewiſſe Fiſche zu den Goldfifchen zählen muß,
die kein Laie dafür halten würde, weil ſie wie ganz gemeine braune
Karauſchen ausſehen und nur hie und da ein Schüppchen an ihnen
rötlich flimmert. Um ſo beglückender war es, wenn eine große
Dichtererſcheinung mir mit ihrem herrlichen Metall entgegen⸗
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tönte, fo daß id) darüber mein eigenes Gemurmel guten Ge⸗
wiſſens für eine Zeit vergeffen durfte. Den „Abdias“ von Stifter
las ich zum erſten Male faſt gleichzeitig mit Werken des jungen
Hofmannsthal, und in der Einſamkeit, umgeben von lauter
iſolierenden Perſonen, an die ich meine Begeiſterung nicht weiter⸗
leiten konnte, nahm ich dieſe klingenden Viſionen ſo lange hinge⸗
geben in mich auf, bis die Seele mit ihren elektriſchen Energieen
überladen war. — Grenzen der Länder waren mir immer ſehr
fühlbar geweſen, und oft, wenn ich nun über den Mariahilfberg
hinaus zu einem Kranken ging, der im oſterreichiſchen wohnte,
durchzuckte es den Sinn: du biſt jetzt in Mozarts, Grillparzers
und Stifters Heimat, und wenn du dieſe Straße weiter wan⸗
derteſt, ſo ſtündeſt du eines Tages vor dem Hauſe des Zauberers,
der den Abenteurer und die Sängerin, das Kleine Welttheater,
die Reitergeſchichte und manches unverwelkliche Gedicht geſchrie⸗
ben hat. Wolken, Hügel und Häuſer kamen mir dann immer
etwas anders vor als hinter den Grenzpfählen.
Aus dem neuen Buche „Führung und Geleit“
*
Aus den Geſprächen
Friedrichs des Grogen mit Henri de Catt
| Neiße, 25. April 1758
„In Münſterberg hatte ich einen merkwürdigen Traum. Wie
kommt es nur, daß ich ſo oft dasſelbe traͤume? Mein Vater kam
mit ſechs Soldaten in meine Stube und befahl ihnen, mich zu
binden und nach Magdeburg zu bringen. Aber warum?‘ fragte
ich meine Schweſter, die Markgräfin von Bayreuth. — ‚Weil du
deinen Vater nicht lieb genug haft.‘ — Ich wachte ſchweißgebadet
auf, wie aus dem Waſſer gezogen. Was für ſonderbare Gedanken,
was für verrückte Vorſtellungen haben wir doch im Traume!“
Er ſprach lange von ſeinem Vater. „Welch ein ſchrecklicher
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Mann,“ ſagte er, „aber auch wie gerecht, wie klug und geſchäfts⸗
tüchtig! Sie haben keine Vorſtellung von der vortrefflichen Ord⸗
nung, die er in allen Zweigen der Regierung eingeführt hat. Es
gibt keinen Fürſten, der ſo fähig war, in die geringſten Einzel⸗
heiten einzudringen, und das tat er nach ſeinen eignen Worten,
um alle Teile des Staatsweſens moͤglichſt vollkommen zu machen.
Durch ſeine Sorgfalt, ſeine unermüdliche Arbeit, ſeine ſtets von
ſtrengſter Gerechtigkeit geleitete Staatskunſt, ſeine bewunderns⸗
würdige Sparſamkeit und die ſtrenge Mannszucht, die er in das
Heer, feine Schöpfung, einführte, bin ich erſt in den Stand ge⸗
ſetzt worden, all das zu tun, was ich bis jetzt getan habe. Er war
von erſtaunlicher Sittenſtrenge, verlangte ſie aber auch mit faſt
unerhörter Härte von andern. Mit ihm war nicht zu ſpaßen.
Wenn er übler Laune war, teilte er Stockſchläge und Fußtritte
aus. Nie werde ich eine Szene vergeſſen, die mir damals faſt ebenſo
furchtbar war wie die ſchrecklichen Vorgänge in Küſtrin, die ich
Ihnen erzählen werde. Ich war noch ein Kind und deklinierte mit
meinem Lehrer mensa mensae, dominus domini, ardor ar-
doris. Plötzlich tritt der König in das Zimmer., Was machſt du
da? — Papa, ich dekliniere mensa mensae‘, ſagte ich mit meiner
Kinderſtimme, die ihn hätte rühren ſollen. — ‚Schurke, du willſt
meinem Sohne Latein beibringen? Fort mit dir! Damit ſchlug er
mit dem Stock auf meinen Lehrer ein und verfolgte ihn mit Fuß⸗
tritten bis an die Tür des nächſten Zimmers. Von den Schlägen
und der wuͤtenden Miene meines Vaters erſchreckt und halbtot
vor Angſt, krieche ich unter den Tiſch. Mein Vater kommt auf
mich los, faßt mich bei den Haaren und zerrt mich in die Mitte des
Zimmers. Da gibt er mir ein paar Ohrfeigen und fagt: „Komme
mir noch einmal mit mensa, und du ſollſt ſehen, wie ich dich zu⸗
richte!‘
„In der Folgezeit ſah mein Vater nur mit einem Widerwillen,
den ich mir nie zu erklären vermochte, jeden Verſuch von mir an,
meinen Geiſt zu bilden. Bücher, Flöte, Schriftſtücke, deren er
anſichtig wurde, flogen in den Kamin, und jedesmal bekam ich
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Daniel Chodowiecki: Zwei Kupferſtiche
Schläge oder ſehr ſchroffe Tadelsworte. Die einzige Lektüre, die
er geſtattete, war die des Neuen Teſtaments. Er predigte mir
immerfort das Leſen der Bibel und frommer Bücher, als hätte er
mich zum Theologen machen wollen. Seine Härte gegen mich und
meine Geſchwiſter (mit Ausnahme des Prinzen Heinrich, den
er immer lieb hatte), die ſchreckliche, manchmal unerträgliche Be⸗
handlung, das Verbot aller, auch der unſchuldigſten und harm⸗
loſeſten Vergnügungen, der fortwährende Zwang, dem ich unter⸗
worfen war, die unaufhörliche Furcht — das alles ließ mich den
freilich ſehr leichtſinnigen Entſchluß faſſen, das väterliche Haus
zu verlaſſen. Zum Teufel, wenn ich nur gewußt hätte, wohin ich
fliehen wollte! Das beweiſt Ihnen, mein Lieber, daß ich als ſehr
verbitterter und hoͤchſt unüberlegter Junge handelte.
„Ich borgte mir ein paar hundert Dukaten, denn bei der Spar⸗
ſamkeit meines Vaters hatte ich oft keinen Heller in der Taſche,
und teilte meinen Plan Keith und Katte mit, zwei liebenswür⸗
digen, aber ebenſo leichtſinnigen Menſchen wie ich. Der Tag der
Flucht war feſtgeſetzt, doch als wir im Begriff waren auszureißen,
erfuhr mein Vater meinen ſchoͤnen Plan durch einen Brief aus
dem Auslande. Ich wurde verhaftet und mit Schlägen und
Ohrfeigen mißhandelt. Dann wurde ich, wie Sie wiſſen, nach
Küſtrin gebracht.
„Keith entfloh. Katte, den ich von dem Unglück nicht hatte be⸗
nachrichtigen können, war ſo eigenſinnig, zu bleiben, und wurde
gleichfalls auf die Feſtung gebracht. Meine Behandlung in jener
hölliſchen Feſtung war barbariſch. Niemand ſprach mit mir.
Ich war ganz allein mit meinen traurigen Ahnungen in betreff
meines Freundes, deſſen Schickſal mir ſchrecklicher war als mein
eignes. Mein Eſſen bekam ich durch ein kleines Schiebefenſter; es
war abſcheulich und reichte gerade hin, um nicht zu verhungern.
Später bekam ich mehr zu eſſen und glaubte ſchon, die Sache ware
bald zu Ende; da trat eines Morgens ein alter Offizier mit meh⸗
reren Grenadieren in mein Zimmer. ‚Prinz,‘ fagte der Offizier
ſchluchzend, lieber, armer, guter Prinz!‘ Ich glaubte, ich follte
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enthauptet werden. ‚Sprechen Sie, fagte ich,, muß ich fterben?
Ich bin bereit.‘ — ‚Nein, lieber Prinz, nein, Sie follen nicht
fterben, aber geftatten Sie, daß die Grenadiere Sie an das Fenſter
führen und Sie dort feſthalten. Gott, welch entſetzliches Schau⸗
ſpiel! Mein lieber, lieber, treuer Katte ſollte vor meinem Fenſter
hingerichtet werden., Ach, Katte!“ rief ich aus und fiel in Ohn⸗
macht. So wurde die Barbarei, dies furchtbare Schauſpiel an⸗
zuſehen, um ihre Abſicht betrogen.
„Es war grauenhaft, aber meine Philoſophie hat mich nicht ver⸗
laſſen. Wollen Sie einen Beweis dafür? Ich hatte in mein Re⸗
giment einen Soldaten eingeſtellt, der aus dem des Oberſten
Sydow deſertiert war. Dieſer hörte davon und verlangte den Sol⸗
daten zurück. Ich ſchrieb ihm einen ſehr hoͤflichen Brief und bat
ihn, mir den Mann zu laſſen. Ich verſprach, ihm dafür zwei andre
zu geben. Statt zu antworten, wendet er ſich an meinen Vater,
der mir befiehlt, den Soldaten augenblicklich herauszugeben. Ich
fende den armen Teufel ab und bitte Sydow inftandig(t, ihn nicht
zu beſtrafen. Aber trotz meiner Bitten läßt er ihn dreißigmal
Spießruten laufen und teilt mir das noch mit. Trotzdem habe ich
Sydow, als ich den Thron beſtieg, in ſeiner Stellung gelaſſen.
Was ſagen Sie dazu?“
„Daß nur große Männer angetanes Unrecht vergeſſen und
verzeihen können.“
„Als ich Küſtrin verließ, hörte ich, daß meine liebe gute Mutter
meinen Brüdern und Schweſtern befohlen hatte, ſich dem Koͤnig
zu Füßen zu werfen und um Gnade für mich zu bitten. Meine
altefte Schweſter, die Markgräfin von Bayreuth, kniete vor dem
König nieder, als er durch ſein Vorzimmer ging. Er gab ihr ein
paar Ohrfeigen. Meine andern Geſchwiſter krochen vor Furcht
unter einen Tiſch. Mein Vater erhob den Stock, um die armen
Kinder zu prügeln; da kam ihre Gouvernante, Frau von Kameke,
herbei und bat um Schonung für die Kinder., Scheren Sie ſich
zum Teufel!“ ruft der König. Sie antwortet wütend: Der Teufel
wird Sie holen, wenn Sie meine armen Kinder anrühren! Damit
zieht fie die Kinder unter dem Tiſch hervor und ſchiebt fie in das
Nebenzimmer, während fie den König mit einer Miene anſah, die
ihm Achtung einflößte. Am nächſten Tage dankte ihr der König
dafür, daß fie ihn von einer Torheit abgehalten hatte. Ich werde
ſtets Ihr Freund fein‘, ſagte er, und er hat Wort gehalten.
„Sie konnen fic) denken, welchen unauslöfchlichen Eindruck ſolche
Szenen auf mich machen mußten. Sie verfolgen mich ja noch
jetzt in meinen Träumen. Ich ſehe meinen Vater wutentbrannt
und bereit, mich zu ſchlagen.“
Neuſtädtel, 27. April 1758
„Ach,“ ſagte der König, „wenn doch erſt die Rede von unſerm
Marſche nach Potsdam wäre! Ich glaube freilich, er iſt noch in
weiter Ferne. Aber kehren wir einmal dorthin zurück, dann will
ich mich durch Ruhe und geiſtige Arbeit für all die Scherereien
entſchädigen, die jetzt auf mir laſten. Welches Hundeleben! Wer
moͤchte um dieſen Preis wohl König von Preußen ſein!“
„Ich glaube, um des Ruhmes willen würden viele Abenteuer⸗
luſtige noch mehr leiden wollen als Eure Majeſtät!“
„Ein ſchoͤner Ruhm! Verbrannte Dörfer, eingeäfcherte Städte,
Tauſende von Menſchen ins Unglück geſtürzt oder niedergemetzelt,
Greuel überall, ſchließlich das eigne Ende — reden wir nicht mehr
davon, mir ſtehen die Haare zu Berge! Potsdam, Potsdam, das
brauchen wir, um glücklich zu ſein. Es wird Ihnen ſicher gefallen.
Zur Zeit meines Vaters war es ein elendes Neſt; käme er heute
zurück, er würde feine Stadt nicht wiedererkennen, fo ſehr habe
ich fie verſchoͤnert. Ich baue und verſchoͤnere gern, aber alles aus
meinen Erſparniſſen. Der Staat leidet nicht darunter, und ich
gebe den Leuten Arbeit.“
Er entwarf einen Plan von Sansſouci, von der Bildergalerie,
den Gärten, dem Chineſiſchen Pavillon, der ſchoͤnen Kolonnade,
den Treibhäuſern, gab die Plätze der Statuen an und erzählte bis
neun Uhr abends. „Genug“, ſagte er dann. „Morgen brechen wir
ſehr früh auf. Schlafen Sie beſſer als ich, denn ich fühle mich ſehr
erregt und unruhig, ohne zu wiſſen, warum.“
67
Littau, 6. Mat 1758
Der König zeigte mir auf feiner Karte die Stellung bei den
heutigen Kriegshandlungen und die von ihm getroffenen Maß⸗
nahmen. „Daraus können Sie ſich ſchon einen Begriff machen,
wie ſchwierig und mühſelig das Kriegshandwerk iſt. Und doch iſt
dies nur ein ſchwacher Anfang meiner Leiden. Das nennt das
blöde Volk: glücklich fein wie ein König! Schon ſechs Jahre vor
Ausbruch des Krieges war ich unruhig und ſah den Sturm
kommen. Und was für Qualen, Mühen und Schickſalsſchläge
habe ich ſeitdem aushalten müſſen! Ich habe all meine Philoſophie
nötig, um dieſe Laſt zu tragen. Wäre ich ein einfacher Privatmann,
was ich mir oft gewünſcht habe, ſo lebte ich ruhig nach meiner
Neigung. Ich hätte gewiß einige Freunde, und ich würde ihre
Freundſchaft pflegen. Ohne Freundſchaft gibt es kein Leben.
Glauben Sie mir, ich kenne ihren Wert ſehr genau. Ich habe
manche gute Freunde verloren, und ſooft mir dieſes Unglück ge:
ſchah, ſchloß ich mich ein und weinte wie ein Kind. Es iſt freilich
ſehr ſelten, daß ein Fürſt Gefühl für die Freundſchaft empfindet.
Im ganzen ſind die Fürſten ein Pack, und der Umgang mit ihnen
verdirbt. Glauben Sie das nicht auch?“
16. Mai 1758
Als ich das Zimmer betrat, ſah ich den Konig mit Rechnen be⸗
ſchäftigt.
„Guten Tag, mein Lieber. Raten Sie mal, was ich ausrechne.“
„Ihre Schätze.“
„Leider habe ich keine mehr. Das bißchen, was mir noch bleibt,
wird bald zu Ende ſein. Nun, raten Sie weiter!“
„Vielleicht berechnen Sie, was Sie im Laufe des Krieges ſchon
ausgegeben haben.“
„Das weiß ich nur zu gut; ich brauche es nicht erſt zu berechnen.
Nur Mut, raten Sie weiter!“
„Majeſtät haben ſo viel zu berechnen, daß es mir ſehr ſchwer
fallen dürfte, gerade das zu treffen, was Sie berechnen.“
„Nun, Sie raten es nicht. Ich rechnete eben aus, wieviel Minuten
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ich gelebt habe. Welch eine Summe und wieviel verlorene Augen:
blicke! Die Zeit flieht unaufhaltſam dahin, nimmt die Tage,
Stunden und Minuten unſeres Lebens fort, und wir ſind gleich⸗
gültig dagegen, denken oft nicht mal daran. Und doch ruft uns die
Natur in jedem Augenblick zu: Sterbliche, benutzt die Zeit, ver⸗
geßt nicht, daß ſie der Ewigkeit gegenüber nur ein Augenblick iſt,
und beſchleunigt die Flucht der Tage nicht noch durch eitle Nich⸗
tigkeiten!
„Bei meiner Rechnung habe ich mir viele Gedanken gemacht,
freilich weniger freudige als trübe und niederdrückende. Trotzdem
glaube ich, zu den zweibeinigen, ungefiederten Weſen zu gehören,
die die wenigſten koſtbaren Augenblicke ihres Lebens verloren haben.
Schon als halbes Kind hatte ich zu meinem Glück eine ausge⸗
ſprochene Neigung, zu lernen, meinen Geiſt zu bilden und ihn für
meine künftige Rolle vorzubereiten. Früh empfand ich, daß ich
ohne fortwährende uͤbung meiner Fähigkeiten einen traurigen
König abgeben würde. Sie können ſich keinen Begriff machen, wie
fleißig ich in Rheinsberg war. Tag und Nacht las ich; jetzt freilich
weiß ich, daß ich Bücher hätte leſen können, die mir für meinen
Beruf nützlicher geweſen wären. Doch indem ich mich mit Poeſie,
Literatur und Philoſophie befaßte, glaubte ich, mich zu allem
fähig zu machen. Und dabei habe ich mich gar nicht ſo ſehr geirrt.
Trotz aller Studien aber habe ich auch die Übungen nicht vernach⸗
laffigt, die dem Körper Kraft, Gewandtheit und Anmut ver:
leihen. Ich lernte tanzen, und ich tanze für einen Mann meines
Standes ganz gut. Zur Not kann ich ſogar Luftſprünge machen.“
Auf einmal machte der König fünf oder ſechs Luftſprünge, ſo daß
er etwas außer Atem kam. Dann ruhte er ſich aus und machte
noch ein paar. Auch ich mußte ein paar Schritte Menuett mit ihm
tanzen. Er nahm mich bei der Hand, verbeſſerte mich und zeigte
mir, wie ich es machen müſſe.
„Welch ein Schauſpiel wäre das für den Feldmarſchall Daun
und den Prinzen Karl,“ ſagte er, „wenn ſie den Sieger von
Leuthen in einem Bauernhaus Luftſprünge machen und Herrn
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de Catt die Hand reichen fähen, um ihm Tanzunterricht zu geben!“
Er lachte laut auf, und auch ich mußte herzlich lachen.
„Bin ich nicht ein rechter Narr, mein Lieber? Was werden Sie
von mir denken?“
„Daß Sie in Ihrer jetzigen Lage ſehr wohl tun, ſich auf jede
Weiſe zu zerſtreuen.“
„Sie haben recht, non semper tendit arcum Apollo. Sie
ſehen, ich kann noch etwas Lateiniſch. Ohne die verdammte Ge⸗
ſchichte mit mensa mensae wäre es noch mehr. Doch nun ge:
nug! Wir wollen zur Ruhe gehen und vor dem Einſchlafen noch
etwas an die Flüchtigkeit unſerer Stunden denken.“
Aus der Infel-Bücherei
„Geſpräche Friedrichs des Großen“
x
K. H. Waggerl
Du und Angela
Geſtern noch waren die Felder öde und wüſt, Haus und Garten
eine gottverlaſſene Inſel im froſtigen Nebel. Aber ſchon in der
Nacht hörteſt du den Wind auf dem Dache larmen, es wurde
hell in deiner Kammer, und am frühen Morgen ſtieg wahrhaftig
die Sonne jungfräulich aus dem dampfenden Wald. Den ganzen
Tag biſt du umhergelaufen, die Luft iſt ſtark und würzig vom
Geruch der friſchgepflügten Acker, und die Bäume blühen.
Warum ſollteſt du nicht vergnügt ſein und in der Seligkeit
dieſes Tages ein bißchen vor dich hinſummen, das tun ja auch
die Vögel laut genug, die ſind wie närriſch hintereinander her.
Und es fallt dir ein, daß du vor einiger Zeit einen Brief bekommen
haſt. Ein kleiner Schlüffel kam da aus der Ferne zurück, ein
Blatt Papier, damals lag dir nicht viel daran. Aber heute holſt
du deine Schrotbüchſe aus der Kammer, du ſuchſt dir ein wenig
Eſſen zuſammen, Mehl und Fett und Kafe, und auch den Schlüffel
vergißt du nicht.
70
Segen Abend ftehft du vor der Hütte auf den Almen, und hier
willſt du nun eine Woche bleiben, bis das Jungvieh aufgetrieben
wird. Die Schildhähne balzen um dieſe Zeit. Du machſt Feuer
auf dem Herdſtein und fchüttelft den Strohſack auf, man muß
wohl auch ſonſt ein wenig Ordnung machen. Vielleicht blühen
Idien ein paar Anemonen an der Sonnenſeite, und das Fenſter
ſollte einen friſchen Vorhang bekommen, dieſer hier ſchließt nicht
mehr gut. Was ſtand auf dem Zettel? Auf Wiederfehen‘ fan
darauf.
Du kochſt dein Mus am krachenden Herdfeuer, und (pater figeft
du noch eine Weile vor der Hütte. Aber das bringt dein Herz
nicht zur Ruhe, die Einſamkeit, der Glanz des beſternten Him⸗
mels über dem Berg. Das Rauſchen der Luft im alten Gras,
ach, und dein ſchlagendes Blut, das alles miſcht ſich gefährlich
in den Schlaf.
Im Morgengrauen hängſt du dein Schießzeug um und biſt
wieder unterwegs. Die Sonne trifft dich ſchon hoch oben zwiſchen
den Gipfelfelſen, dort hockſt du und warteſt. Die Wahrheit zu
ſagen, Schildhähne gibt es da nicht, auch keine Schneehühner,
du wirſt deine Suppe ungewürzt verdauen müſſen. Aber gleich⸗
viel, du lehnſt die Büchſe an den Fels und ſtreckſt dich aus. Ganz
und gar müßig biſt du ja nicht, du haft ſogar etwas Beſtimmtes
im Auge, das Schutzhaus unten in der Mulde. Und dabei denkſt
du an einen gewiſſen Morgen im vergangenen Frühjahr, und daß
damals ein prächtiges Stück Wild in dieſer Gegend ſtand, ein
Mädchen, kraus und braun und munter auf ſchlanken Beinen.
Aber du verſtehſt dich zu wenig auf dieſe Jagd, ein Jahr verging,
und es ſteckt noch immer kein grüner Bruch auf deinem Hut.
„Was ſuchen Sie denn da?“ fragte das Mädchen, kraus und
braun.
„Spielhähne“, ſagteſt du, der bartige Jäger.
Das verftand die Jungfer nicht, man mußte es ihr erklären,
Jäger ſind artige Leute. Und ſchließlich war es dir auch erlaubt,
neben ihr auf den Steinen zu ſitzen und allerlei zu erzählen, dies
d
und das aus deinem rauhen Leben. Das Mädchen hieß Angela,
ſie wohnte unten im Schutzhaus.
Oh, eine herrliche Zeit! Der Frühling auf dem Berg iſt nicht
wie anderswo, nicht prunkvoll und prahleriſch mit einem Über⸗
maß von Blüten und Blumen. Er liegt in der Luft, der Berg
atmet ihn aus. In der Stille liegt er oder im Orgelton des
Windes über den Klüften, im Schrei der Raubvogel, im Schleifen
und Ziſchen der Hähne, wenn ſie ums Morgengrauen über die
taufeuchten Boden huſchen. Dieſer Frühling iſt nicht ſanft,
Angela, kein zärtliches Getändel, er fällt dich mit Gewalt an,
mit einem Mal ſtürzt er dir rauſchend ins Blut.
Schlaflos liegen in ſternenhellen Nächten. Unter dem Reiſig⸗
ſchirm kauern, wenn im Zwielicht die Birkhähne raufen. Blitzen⸗
des Weiß unter krummen Federn, raſende Liebe, Pulverdampf
und Tod, ſo iſt es in jedem Jahr. Aber damals lief Angela mit
dir auf und ab durch die Almen. Du lagſt an ihrer Seite im
Beerenkraut, Schneehühner flogen auf, der Habicht ſtieß vom
hohen Himmel nieder in das Holz. Eine Unmenge Tiere gab es,
Haſen und Eidechſen, und feuchtſchwarze Molche und ganz fern
das Gemswild im Blickfeld des Glaſes. Spät am Tage, als du
allein und traurig warſt, holteſt du noch Blumen für Angela aus
der Wand.
„Ach,“ fagte fie am andern Morgen, „Himmelſchlüͤſſel?“
Nein, Peterſtamm. Und du zeigteſt ihr die Stellen im Fels, wo
der Peterſtamm wächſt. Kann ein Menſch dort Fuß faſſen?
Ja, ein Mann wie du! Du ſteigſt ſogar vor ihren Augen ein Stück
hinauf, geſtern nahmſt du freilich die leichtere Seite, aber gleich⸗
viel, nach ein paar Griffen hörteſt du Angela rufen, angſtvoll
holte ſie dich zurück.
Gut, wenn es nicht anders ſein konnte. Angela, und was den
Peterſtamm betrifft, ſo hat es damit eine eigene Bewandtnis.
Es gab einmal ein Mädchen in dieſer Gegend, das ſchlief den
ganzen Sommer hindurch allein in ſeiner Kammer, immer allein.
Nachts klopfte es am Fenſter, da ſtand der Jäger im Mond⸗
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Moritz von Schwind: Radierung
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ſchein vor der Hütte. „Mach auf!” fagte er. „Ich habe Blumen
für dich auf dem Hut, ö wenn du den Riegel
aufmachſt.“
Nein, dachte das Mädchen, ich bin mir zu gut. Schweißblumen
wachſen nicht hoch genug für mich.
In der andern Nacht währte es ſchon länger, bis der Jäger
wiederkam, und dann brachte er Edle Raute an das Fenſter,
die wächſt viel hoͤher oben, nicht mehr im Gras.
„Nein,“ ſagte die Jungfer zum zweiten Mal, „laß das Klopfen!“
Raute wächſt hoch, dachte ſie, aber nicht hoch genug für mich.
Und in der dritten Nacht blieb der Jäger am längſten aus. Sein
Hemd war naß von Schweiß und Blut, denn er hatte nach
Peterſtamm geſucht, und ſo abgründig wie dieſer blüht kein
anderes Kraut.
Allein das Mädchen blieb auch dieſes Mal hart in ſeinem Über⸗
mut. „Peterſtamm blüht am höchſten,“ rief es durch das Fenſter,
„aber mein Kranz hängt noch höher!”
Da ſetzte der Jäger alles daran und ſtieg ein letztes Mal in die
Wände, immer weiter hinauf an meſſerſcharfen Graten. Was für
ein Kraut wächſt wohl am höchſten zwiſchen Himmel und Hölle?
Ach, ein bitteres Kraut!
Das Mädchen lag und wachte bis zum Hahnenſchrei, niemand
klopfte an das Fenſter. Da wurde ihr bang, ſie lief hinaus und
ſchrie und ſuchte, vielleicht mußte ſie nun ihr Leben lang allein
in der Kammer ſchlafen, immer allein. Ja, das mußte ſie wohl,
denn der Jäger lag tot auf dem Anger. Und er hatte nichts
Grünes oder Blühendes in der Fauſt, nur einen Stein, der ſo
hart und taub war wie das Herz des Mädchens. Alle ſeine
Tränen halfen nicht mehr. Und ſeither, Angela, ſeit dieſem Tage
muß jedes Mädchen den Riegel offen laſſen, wenn es abends
Peterſtamm auf dem Fenſterbrett findet.
Angela lag neben dir auf der Halde, wahrend du die Geſchichte
vom übermütigen Mädchen erzählteſt. Der Wind zupfte an
ihrem krauſen Haar, die Augen gingen dir über, ſo keck war der
73
Wind. Du mußt etwas wagen, dachteft du. Immer nur im Grafe
hocken und Händchen drücken und weithin ſeufzen, das war ja
lächerlich! Aber dann wollte Angela plotzlich nicht mehr bleiben,
nein, man mußte endlich den Blumen Waſſer geben, behauptete
ſie. Weil es doch ſo koſtbare Blumen waren!
Einen Tag bliebſt du allein, am andern Mittag gingſt du zum
Hüttenwirt, um Tabak einzukaufen. Du nahmſt auch einen
Schnaps und fpäter einen zweiten, Hüttenwirte find nicht ſehr
geſprächig. Wer wohnt da oben, wo der Peterſtamm am Fenſter
ſteht? — Eine junge Dame, morgen reiſt ſie ab.
So? Hüttenwirte ſind auch ſonſt ſchwer von Begriffen. Das
kommt und geht eben, junge Dame, alte Dame, ihnen iſt es
einerlei.
Übrigens war ein Gewitter zu erwarten, es wurde ſchwül, ein
gewiſſer metalliſcher Glanz lag über den Bergen. Auf dem Heim⸗
weg trafſt du unverſehens Angela. Sie ſtand zwar abſeits in den
Stauden und war feuerrot vor Schreck, als du ſie anriefſt, aber
du hatteſt recht gut bemerkt, woher ſie kam. Es wurde ein froͤh⸗
licher Tag, ach Gott, der fröhlichſte von allen, und als die Wetter:
wolke aus dem Weſten herankroch, da wart ihr ſchon weit auf
neuen Wegen. Da blieb keine andere Zuflucht mehr als deine
eigene Hütte, zufällig traf es ſich ſo.
Ja, plötzlich war alles Licht verdämmert, Angela ſchwieg betroffen
und ſah ſich um. Im gleichen Augenblick prallte der Wind an
den Berg, eine fauchende Welle, eiskalt und grob. Es ſang und
kniſterte im Fels, Vögel ſchoſſen ſchreiend über euch weg, und
Angelas Roͤcke flatterten wie bunte Sturmfahnen auf dem Grat.
Unten im Grünen lag die Hütte, ein breites und ſicheres Dach,
und gar nicht weit, Angela, ganz nahe!
„Nein!“ ſagte Angela.
Dann aber griff der Blitz durch die Wolke, ein flammender Arm,
und ſchlug Feuer und Rauch aus dem verſengten Gras der jen⸗
ſeitigen Kuppe. Einen Atemzug lang erſtarb euch das Herz im
Gebrüll des Donners zwiſchen den Wänden. „O Gott“, ſagte
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Angela, ſehr nahe an deiner Schulter, und jetzt gab fie dir willig
die Hand für den Weg durch das Geroͤll. Der Regen jagte euch
unter die Wetterbaume, Angela nahm deinen Hut und auch den
Lodenrock über ihr dünnes Zeug, und zuletzt rannteſt du voraus,
um die Hütte aufzuſchließen. Wenn Angela kam, konnte ſchon
Feuer auf dem Herd brennen, du würdeſt ſogleich einen tüchtigen
Topf zuſetzen, heißen Tee und Branntwein für das frierende
Kind. Draußen ware Sturm und krachender Donner, und wenn
Angela vielleicht noch immer ängſtlich war, dann konntet ihr ja
auch in der Kammer ſitzen, noch nie ſeit Menſchengedenken hat
der Blitz in einen Jaͤgerſtrohſack geſchlagen.
Schon unterwegs grubſt du nach dem Schlüffel in deiner Hofe,
zum Teufel, Pfeife und Feuerzeug und Tabak in allen Taſchen,
du hatteſt doch um Gottes willen kein Loch im Hoſenſack?
„Angela!“ riefſt du zurück, „haſt du den Schlüſſel im Rock?“
Ein ganz winziges Schlüſſelchen, Angela, aber koſtbar. Fünf
Zͤͤhnchen hatte es, man konnte es wie einen Ring an den Finger
ſtecken, fo hübſch und zierlich war das Schlüſſelchen. Und ein fo
prächtiges Unwetter dazu, die Hütte ſchwamm in Sturzbächen,
eine friedliche Arche mitten in der Sintflut, du hatteſt ſogar
Lebkuchen eingekauft, nicht nur Tabak, und nun war der Schlüffel
verloren! Eine Weile tobteſt du wie ein angeſchweißter Bär vor
allen Luken, aber das half nicht, Riegel und Gitter hielten ſtand.
Du wollteſt die Tür eintreten, aber dort ſaß Angela auf der
Schwelle, nein, hier hatte ſie endlich einen trockenen Fleck!
Das breite Vordach ſchützte euch notdürftig, und da hocktet ihr
nun, ausgeſtoßen und ſogar um den Apfel betrogen. Das Wetter
verfing ſich in dem engen Keſſel, es zog im Kreis herum mit
Blitzen und Güſſen, und das mochte in Ewigkeit kein Ende
nehmen, Wind und ſpritzendes Waſſer. Vor den Füßen gurgelte
ein Bach, Bäche tropften aus deinem Haar, kleine Rinnſale aus
den Armeln des Hemdes. Aber jedesmal, wenn es dich ſchüttelte,
rückte Angela ein wenig näher an deine Seite, und dafür frorſt
du ja auch aus Leibeskräften. Zuletzt reichte der Rock ſogar für
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beide, es war vielleicht überhaupt am beften, man nahm einander
um den Hals.
„Gib mir die Hand, Angela,“ ſagteſt du, — „was haft du da in
der Fauſt?“
„Nichts, laß es. — Frierſt du noch?“
„Nein, jetzt gar nicht mehr. Willſt du wirklich bald abreiſen?“
„Morgen“, ſagte Angela. „Leider“, fügte ſie hinzu.
Aber ſie würde wiederkommen? Im Sommer, Angela?
„Ja, vielleicht!“
Ach, und ſo verging eine lange Zeit. Ihre Hand gab dir Angela
nicht, die vergrub ſie feſt in ihrem Schoß. Aber du warſt nicht
eigenſinnig, dafür durfteſt du ſonſt allerlei wagen. Wie ſchnell
ſchlug das Herz deines Mädchens, wie ſanft war ihre Wange,
du dachteſt an etwas Kühles und Zärtliches, an ein Birkenblatt
im Tau. „Angela,“ ſagteſt du, „wenn du wiederkommſt, dann
blühen die Almroſen, denke dir, alles rot und rot auf unſerem
Berg!“
Der Himmel brach auf und war dein Zeuge, ja, mochte der
Schlüſſel verloren ſein, du haſt dennoch ein treues Herz wie
Gold. Und du wirſt immer auf Angela warten, ewig.
„Immer?“ fragte Angela.
Aber der Sommer verging, auch der Herbſt. Jetzt, im Frühling,
blühen wieder die Anemonen auf der Halde, Enzian und Peter⸗
ſtamm im Fels. Du läufſt umher auf den vertrauten Wegen,
Unruhe und Kummer im Blut. Streifſt um das Haus und
ſuchſt die Fenſter mit dem Glaſe ab, — alte Damen, junge Damen,
keine iſt wie Angela.
Was ſtand auf dem Zettel? Auf Wiederſehn. Eines Morgens
wirſt du dein Mädchen finden, kraus und braun, ſei nur geduldig.
Sie wird irgendwo am Wege ſitzen oder unter den Bäumen und
wird auf dich warten.
Bei Gott, das wird ſie tun!
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Rudolf Alexander Schröder
Der Genfer See
Sacht am füdlichen Hang lehnt mir die Klauſe nun,
Drin ich wohne, beſchirmt gegen den Winterwind,
Wohne, weil mir im Rücken
Noch dies bunte Gebirg beſteht.
Drin ich länger des Tags, länger des Sommerlichts
Und der Wärme genieß. Aber herniederwarts
Schau, die Länder beſucht ich,
Schau, die Waſſer befuhr ich einſt.
Kameſt, lange gehofft, lang mir erbeten du,
Kaum erwartet annoch, aber willkommener
Denn die Frühe, des Jahres
Linder, lächelnder Nachmittag;
Da die goldene Tracht, Beere bei Beeren mir
Goldner funkelt und ſchwillt, röter der Apfel reift,
Da noch ſcheidend die Roſe
Blüht, doch duftet der Berg wie Wein.
Einſam? — Aber ich darf freilich fo ſtill nicht ruhn;
Pfade winken genug, winken hinab, hinauf.
— Wohl, längſt bin ich dem Mann gleich,
Der von drüben, ein Fremdling, Fam.
Bins und bin es auch nicht, lauſche dem Lobgeſang,
Glocken, wenn ſie das Land drunten vernahm und dankt,
Wenn im reineren Windhauch
Berg und Wolke verwandelt glänzt.
77
Ah, und atmet mir nicht Jugend im Glanzgewoͤlk,
Nicht im wehenden Wind Freude? — Du weißt es, Herz,
Weißt es: hinter den Hügeln
Steht im Dammer bereits der Stern.
Abend. — Alſo verſtummt Feier des ſcheidenden
Tags; die Firnen hinauf ſchwand er ins Leere. Nacht
Rückt mit raunenden Lichtern
Nordwärts. Blicke du, Wächter, denn
Wachſam, blicke getroſt immer der Sonne nach.
Bald! — Von lohen Gewaͤnds Feldern im Untergang
Setzt dein kehrender Morgen
Die demantenen Sohlen auf.
*
Friedrich Nietzſche
Die Umwertung aller Werte
Es naht ſich, unabweislich, zögernd, furchtbar wie das Schickſal,
die große Aufgabe und Frage: Wie ſoll die Erde als Ganzes ver⸗
waltet werden? Und wozu ſoll „der Menſch“ als Ganzes — und
nicht mehr ein Volk, eine Raſſe - gezogen und gezüchtet werden?
Die geſetzgeberiſchen Moralen ſind das Hauptmittel, mit denen
man aus dem Menſchen geſtalten kann, was einem ſchoͤpferiſchen
und tiefen Willen beliebt: vorausgeſetzt, daß ein ſolcher Künſtler⸗
Wille höchften Ranges die Gewalt in den Händen hat und feinen
ſchaffenden Willen über lange Zeiträume durchſetzen kann, in Ge⸗
ſtalt von Geſetzgebungen, Religionen und Sitten. Solchen Men⸗
ſchen des großen Schaffens, den eigentlich großen Menſchen, wie
ich es verſtehe, wird man heute und wahrſcheinlich für lange noch
umſonſt nachgehen: ſie fehlen; bis man endlich, nach vieler Ent⸗
täufchung, zu begreifen anfangen muß, warum fie fehlen und
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daß ihrer Entſtehung und Entwicklung für jetzt und für lange
nichts feindſeliger im Wege ſteht als das, was man jetzt in Europa
geradewegs „die Moral“ nennt: wie als ob es keine andere gäbe
und geben dürfte, — jene vorhin bezeichnete Herdentier⸗Moral,
die mit allen Kräften das allgemeine grüne Weide⸗Glück auf Er⸗
den erſtrebt, nämlich Sicherheit, Ungefährlichkeit, Behagen, Leich⸗
tigkeit des Lebens und zu guter Letzt, „wenn alles gut geht“, ſich
auch noch aller Art Hirten und Leithammel zu entſchlagen hofft.
Ihre beiden am reichlichſten gepredigten Lehren heißen: „Gleich⸗
heit der Rechte“ und „Mitgefühl für alles Leidende“ — und das
Leiden ſelber wird von ihnen als etwas genommen, das man
ſchlechterdings abſchaffen muß. Daß ſolche „Ideen“ immer noch
modern fein konnen, gibt einen üblen Begriff von dieſer Moderni⸗
tät. Wer aber gründlich darüber nachgedacht hat, wo und wie die
Pflanze Menſch bisher am kräftigſten emporgewachſen iſt, muß
vermeinen, daß dies unter den umgekehrten Bedingungen ge⸗
ſchehen iſt: daß dazu die Gefährlichkeit feiner Lage ins Ungeheure
wachſen, feine Erfindungs⸗ und Verſtellungs⸗Kraft unter langem
Druck und Zwang ſich emporkämpfen, ſein Lebens⸗Wille bis zu
einem unbedingten Willen zur Macht und zur Übermacht geſtei⸗
gert werden muß, und daß Gefahr, Härte, Gewaltſamkeit, Ge⸗
fahr auf der Gaſſe wie im Herzen, Ungleichheit der Rechte, Ver⸗
borgenheit, Stoizismus, Verſucher⸗Kunſt, Teufelei jeder Art,
kurz der Gegenſatz aller Herden⸗Wünſchbarkeiten zur Erhöhung
des Typus Menſch notwendig iſt. Eine Moral mit ſolchen umge⸗
kehrten Abſichten, welche den Menſchen ins Hohe ſtatt ins Be⸗
queme und Mittlere züchten will, eine Moral mit der Abſicht, eine
regierende Kaſte zu züchten — die zukünftigen Herren der Erde —,
muß, um gelehrt werden zu können, ſich in Anknüpfung an das
beſtehende Sittengeſetz und unter deſſen Worten und Anſcheine
einführen. Daß dazu aber viele Ubergangs⸗ und Täuſchungsmittel
zu erfinden ſind und daß, weil die Lebensdauer eines Menſchen
beinahe nichts bedeutet in Hinſicht auf die Durchführung ſo lang⸗
wieriger Aufgaben und Abſichten, vor allem erſt eine neue Art
79
angezüchtet werden muß, in der dem nämlichen Willen, dem näm⸗
lichen Inſtinkte Dauer durch viele Geſchlechter verbürgt wird —
eine neue Herden⸗Art und ⸗Kaſte —, dies begreift fic) ebenſogut
als das lange und nicht leicht ausſprechbare Undſoweiter dieſes
Gedankens. Eine Umkehrung der Werte für eine beſtimmte ſtarke
Art von Menſchen hoͤchſter Geiſtigkeit und Willenskraft vorzu⸗
bereiten und zu dieſem Zwecke bei ihnen eine Menge in Zaum ge⸗
haltener und verleumdeter Inſtinkte langſam und mit Vorſicht zu
entfeſſeln: wer darüber nachdenkt, gehört zu uns, den freien
Geiſtern — freilich wohl zu einer neueren Art von „freien Geiſtern“
als die bisherigen: denn dieſe wünſchten ungefähr das Ent⸗
gegengeſetzte.
Ich habe das Glück, nach ganzen Jahrtauſenden der Verirrung
und Verwirrung den Weg wiedergefunden zu haben, der zu einem
Ja und einem Nein führt.
Ich lehre das Nein zu allem, was ſchwach macht, — was erſchoͤpft.
Ich lehre das Ja zu allem, was ſtärkt, was Kraft aufſpeichert,
was das Gefühl der Kraft rechtfertigt.
Man hat weder das eine noch das andere bisher geglaubt: man hat
Tugend, Entſelbſtung, Mitleiden, man hat ſelbſt Verneinung des
Lebens gelehrt. Dies alles find Werte der Erfchöpften.
Ein langes Nachdenken über die Phyſiologie der Erfchöpfung
zwang mich zu der Frage, wie weit die Urteile Erſchoͤpfter in die
Welt der Werte eingedrungen ſeien.
Mein Ergebnis war fo überrafchend wie möglich, ſelbſt für mich,
der in mancher fremden Welt ſchon zu Hauſe war: ich fand alle
oberſten Werturteile, alle, die Herr geworden ſind über die Menſch⸗
heit, mindeſtens zahm gewordene Menſchheit, zurückführbar auf
die Urteile Erſchöpfter.
Unter den heiligſten Namen zog ich die zerſtöreriſchen Tendenzen
heraus; man hat Gott genannt, was ſchwächt, Schwäche lehrt,
Schwäche infiziert .. ich fand, daß der „gute Menſch“ eine
Selbſtbejahungsform der décadence iſt.
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Jene Tugend, von der noch Schopenhauer gelehrt hat, daß fie die
oberſte, die einzige und das Fundament aller Tugenden ſei: eben
jenes Mitleiden erkannte ich als gefährlicher als irgendein Laſter.
Die Auswahl in der Gattung, ihre Reinigung vom Abfall grund⸗
ſätzlich kreuzen — das hieß bisher Tugend par excellence...
Man ſoll das Verhängnis in Ehren halten; das Verhängnis,
das zum Schwachen ſagt: „Geh zugrunde!“ ..
Man hat es Gott genannt, daß man dem Verhängnis wider⸗
ſtrebte, daß man die Menſchheit verdarb und verfaulen machte...
Man ſoll den Namen Gottes nicht unnützlich führen..
Die Raſſe iſt verdorben — nicht durch ihre Lafter, ſondern ihre
Ignoranz: fie iſt verdorben, weil fie die Erſchoͤpfung nicht als Gr:
ſchöpfung verſtand: die phyſiologiſchen Verwechſlungen ſind die
Urſache alles Übel...
Die Tugend ift unfer großes Mißverſtändnis.
Problem: Wie kamen die Erſchöpften dazu, die Geſetze der Werte
zu machen? Anders gefragt: Wie kamen die zur Macht, die die
Letzten find? ... Wie kam der Inſtinkt des Tieres Menſch auf den
Kopf zu ſtehn ..
Wir ſind die Erben der Gewiſſens⸗Viviſektion und Selbſtkreuzi⸗
gung von zwei Jahrtauſenden: darin iſt unſre längſte Übung,
unſre Meiſterſchaft vielleicht, unſer Raffinement in jedem Fall;
wir haben die natürlichen Hänge mit dem böfen Gewiſſen ver:
ſchwiſtert.
Ein umgekehrter Verſuch ware möglich: die unnatürlichen Hänge,
ich meine die Neigungen zum Jenſeitigen, Sinnwidrigen, Denk⸗
widrigen, Naturwidrigen, kurz die bisherigen Ideale, die alleſamt
Welt⸗Verleumdungs⸗Ideale waren, mit dem ſchlechten Gewiſſen
zu verſchwiſtern.
Meine Philoſophie iſt auf Rangordnung gerichtet: nicht auf
eine individualiſtiſche Moral. Der Sinn der Herde ſoll in der
Herde herrſchen, — aber nicht über fie hinausgreifen: die Führer
81
der Herde bedürfen einer grundverſchiedenen Wertung ihrer
eigenen Handlungen, insgleichen die Unabhängigen oder die
„Raubtiere“ uſw.
Jede Lehre iſt überflüffig, für die nicht alles ſchon bereit liegt an
aufgehäuften Kräften, an Exploſiv⸗Stoffen. Eine Umwertung
von Werten wird nur erreicht, wenn eine Spannung von neuen
Bedürfniſſen, von Neu⸗Bedürftigen da iſt, welche an den alten
Werten leiden, ohne zum Bewußtſein zu kommen.
Aus dem „Nietzſche⸗Brevier“ in der Inſel⸗Bücherei
*
Edzard H. Schaper
Die Nachfahren Petri
Neunzehn Jahrhunderte nach dem Tage, da am Galiläiſchen
Meer der Verheißene Simon und Andreas von ihren Booten,
Netzen und Angeln und dem ganzen mühſeligen Tagewerk ge⸗
rufen hatte, um ſie zu Menſchen⸗Fiſchern zu machen, und wenige
Tage {pater Jakobus und Johannes, Söhne des Zebedaͤus, die
mit dem Vater zuſammen gerade dabei waren, die Netze zu
flicken, — neunzehn Jahrhunderte ſpäter fuhr ein Fiſchdampfer
durch die Nordſee, rundete Skagen und nahm ſeinen Weg längs
Norwegens Küſte nordwärts, um die Fanggründe des Eismeeres
aufzuſuchen und Dorſch, Schellfiſch und was es ſonſt gäbe
zu fiſchen.
Es ging gegen Dezember, aber im Golfſtrom war keine Kälte zu
fürchten; erſt als das Schiff in den Weſtfjord einbog und mit dem
Lotſen an Bord durch die Fjorde, an Trand, Tromfd und Honnings⸗
vaag vorbei, dem Nordkap entgegen fuhr, ſaugte der Froſt den
ewigen Staubregen des Atlantik auf. Die Maſten des Schiffes
wurden dick wie Schornſteine, die Pardunen und Wanten wie mit
weißem Pelz umſchlagen, die Winſchen lagen ſachte ziſchend unter
82
weißen Decken, jeder Draht und jedes Tau hatte feinen Reif
mantel an, die Anker hingen als große Eisklumpen aus den
Klüſen
Rein und blitzend weiß ſtampfte der Dampfer nordwärts, ein
ganz neues Schiff, Morgen für Morgen, — bis am Nordkap der
Golfſtrom ihm wieder begegnete und ihm in einer Nacht zu
ſeinem gewohnten ſchmutzigen Ausſehen verhalf. Das Deck
war oͤlig und die Winſchen verkleiſtert von geronnenem Schmier⸗
öl, die Pardunen ſchwarz und der Maſt zerſchunden, alles be⸗
gegnete ſich wieder, wie es ſich kannte, und in dieſer Rückkehr lag
Sinn, denn nun ſollte das Schiff an ſeine Arbeit gehen, in der
es ſo geworden, wie es nun mal war.
Qualmend arbeitete es ſich durch die See. Es dunkelte, es nach⸗
tete, es wurde am Ende nie wieder hell. Unter dem Polarkreis
hatte man Abſchied von der Sonne genommen, Finſternis brütete
jetzt über dem Meer, kaum daß ſie gegen Mittag der Zeitrechnung
etwas aufgraute, und die Uhr des Schiffes verlor ihren Sinn,
denn ihre Stunden konnten Morgen oder Abend zugehören, — wer
wußte das genau? Mit der allmählich ferneren Küfte blieben
auch Raum und Zeit zurück; die Nacht, die Unendlichkeit, die
über dem ſkvalpenden Waſſer zu brüten ſchienen, nahmen Beſitz
von dem raſtlos vordringenden Schiff, und das Licht, das es nach
allen Seiten hin ausſtrahlte, wurde von Nebel und Dunſt wie
mit dicken Tüchern aufgefangen und allſogleich erſtickt.
Wie in einem Sarg ging das Leben der Menſchen vor ſich.
Vor dem Mafſt lagen fie in ihren Kojen, über ſich niedrig die
Decke, nach allen Seiten hin Wände, die Habſeligkeiten hinter
dem „Wellenbrecher“ verſtreut, ſtarrten dofend zur Decke, fpieen
nach außen, ſtierten ins Skylight, hinter dem das Dunkel ſtand,
wie überall, und ſpuckten wieder. Das Bugwaſſer flog ziſchend
über das Schanzdeck, jede Welle ließ den Bug ſich heben, und
jedes Wellental ließ ihn fallen; mit geſchloſſenen Augen mochte
man glauben, in einem ſehr ſchnell auf und ab fahrenden Fahrſtuhl
zu ſein, oder in einer Luftſchaukel, und ebenſo wußte man die
83
Heizer ſtehen, in der Finſternis, vor dem doͤrrenden Glutſchein
der Feuer, den Koch, den Steuermann, den Nudergänger, jeder
dort, wo ſein Platz war, alleſamt wie krabbelnde oder verweilende
Würmer in einem Sarg, in dem es nach Fiſch, nach Gl, nach
Schnaps und nach Menſchen ſtank.
Mit diefem engen Mantel von Geſtank rollte das Schiff über die
weite Strecke, die auf den Karten „Skolpenbank“ genannt wird,
und taſtete ſich in der Finſternis, in der Zeit und Gedanke noch
unfaßlich gebunden ſcheinen, ſüdwäͤrts, der ſibiriſchen Küſte ent:
gegen. Und als führe es in einen Sack hinein, gähnte Finſternis
vor ihm und ſchloß ſich Finſternis hinter ihm mit ſeinem Kiel⸗
waſſer; Backbord und Steuerbord waren gleich dunkel; aber der
Sarg ſchwamm, es lebten Menſchen darin, die ſich niemals
wuſchen, weil das beim Fiſchen Unglück bringt, und klarten ſich,
ſo gut ſie konnten. Sie ſtolperten und flogen durcheinander auf
dem glitſchigen Deck, alles zum Fang vorbereitend, das Rollen
der Winſchen zerſprengte die Finſternis und das Schweigen, die
Morſelampe zuckte, die Antenne ſchwirrte wie ein Schwarm blut⸗
dürſtiger Mücken, — aber alles wurde gleich wieder eingefangen,
kaum daß es dem Getriebe entglitten war, und wie mit ſchweren
Tüchern erſtickt in Lautloſigkeit und Schweigen, das ſich pei⸗
nigend über alle Zonen ſpannte, und Nachtſchwärze, die keinen
Grund kannte und von einem Ende der Welt zum anderen zu
reichen ſchien.
Die großen Scheinwerfer an der Brücke, in der Finſternis ein
Erſatz für die Sonne, und deshalb wohl auch Sonnenbrenner
genannt, brannten probeweiſe zum erſtenmal. Es hatte wieder
begonnen kalt zu werden, und dann und wann taſteten ihre
Strahlen hinaus in die Finſternis und argwoͤhnten, Treibeis zu
treffen. Dann kam grobe See, und das Schiff hieb mit dem Steven
in die mächtigen Wellen und hackte ſich recht und ſchlecht ſeinen
Weg ſüuͤdoſtwärts. Vögel, Futter witternd, kamen lautlos, ohne
zu ſchreien, wie Eulen ſo ſtill, wie Motten zum Licht und ſchwebten
eine Weile über dem Kielwaſſer und um die Maſten.
84
Einmal klomm das Schiff wie ein wanderndes Haus auf einen
Wellenberg, und dann wieder ſchien es ein Unterſeeboot zu wer⸗
den und fuhr eine gute Weile bis an die Aufbauten unter Waſſer,
daß die Maſchine geſtoppt werden mußte, um überhaupt wieder
hoch zu kommen, — bis ein andermal die achtern in der Luft
raſende Schraube die Verwandlung zum Flugzeug andeuten
wollte. Aber es ſchwamm, es ſchwamm gut, es klarte ſich in dieſem
Waſſer beſſer als mancher Vogel.
Erſt wurde einer, der dicht über dem Waſſer geflogen war und
blitzſchnell nach irgendeinem Abfall tauchen wollte, von einer
Querwelle erfaßt, gegen die Aufbauten geſchlagen und trieb nun
hilflos, betaubt im verſtrudelnden Waſſer herum, und dann war
es noch ein zweiter, der dem Schiff nicht rechtzeitig entrann und
mit einem Brecher, der ſich über das Vorſchiff ergoß, Hören und
Sehen vergaß. Man holte die beiden auf die Brücke; es war
Geiſtesgegenwart genug nötig, daß es dem Boten nicht wie den
Vögeln erging, und unter dem Schein der Lampe im Kartenhaus,
unter den beluſtigten Geſichtern bärtiger Männer erwachten die
beiden Opfer wieder aus ihrer Ohnmacht.
„Was iſt das für einer ...?“ fragte der Rudergänger, der fic) in
den vielen Arten von Vögeln nicht auskannte.
„Der hier ...? der ſchwarze ...? — Das heißt man einen, Jan
van Gent‘!
„Und der graue da, mit dem langen Fiſchfänger⸗Schnabel ...“
„Das iſt nur ein, Dummer Auguſt'!“
„Merkwürdige Namen!“ ſagte der Rudergaͤnger. Der Wacht:
habende fal ihn grinſend an, nahm die beiden erwachten Vogel fo,
daß ſie nicht beißen konnten, und warf ſie in Lee zur Tür hinaus.
Eine Strecke lang flogen ſie wie Steine, aber dann breiteten ſie
die großen Flügel aus und ſtürzten, vom Winde erfaßt, mit
einem heiſeren Schrei davon.
„Ja, — Namen, — Namen ...“ ſagte der Wachthabende und
ſchloß die Tür; ſeine Augen bohrten ein wenig in der Wand
Finſternis, in die das Schiff einen kleinen, ſchwachen Keil ſchlug.
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. . „Hier bekommt dat Kind fin’ Namen und wird lopen laten,
dſcha, lopen laten ...“
Ja, es bekam ſeinen Namen und wurde laufen gelaſſen. Es lief
dahin, — wohin? — wer konnte das wiſſen! Die Finſternis über⸗
ſpannte die ganze Welt. Es flog, und es ſchwamm, das Kind, es
trug ſeinen Namen, und die ſaugende Leere der nachtſchwarzen
Welt zehrte daran; es wurde namenlos mit all ſeinen Namen,
es fiel in feine Anfangsgründe zurück, und wie es einmal in irgend⸗
einer Stunde unter den beluſtigten Blicken verwilderter Kerle
genannt worden war, im Schein einer vergänglichen Licht⸗
inſel, umgeben von ewigem Dunkel, war es die Willkür einer
Handvoll Menſchen in ihrer undurchdringlichen Einſamkeit,
durch die fie von Geſchlecht zu Geſchlecht über der Meeres vogel
Namen Kunde gaben.
Wie alle Schiffe, ſo hatte auch dieſes Leute, die vor dem Maſt,
in einem „Ruff“, und andere, die achtern, in der „Meſſe“, unter⸗
wegs waren. So namenlos wie die Fiſcher des Galiläiſchen
Meeres, ehe ſie zu Menſchenfiſchern wurden, waren die Leute
hier vor dem Maſt, im „Ruff“, und dazu noch trugen ein paar
von ihnen jene Namen, die ſpäter geheiligt und unter deren Zei⸗
chen Kirchen und Klöfter gebaut wurden.
Johannes, oder kurz: Jan genannt, war der eine; er kam aus Oſt⸗
friesland. Jakob war der andere und war zwiſchen Nordenhams
Häuſern aufgewachſen; Andreas, der dritte, ſtammte aus Pom⸗
mern; und Simon endlich, zum Spaß manchmal auch Petrus
genannt, mahnte in ſeinem Kauderwelſch daran, daß er Däne
dem Vaterland und Deutſcher dem Seemannsbuch nach war. —
Mar endlich hieß ein Heizer, der das Ruff mit jenen anderen
und noch einigen teilte, doch eigentlich hieß er Markus und
fhamte ſich dieſes frommen Namens, weil er ein vor den Feuern
ausgedörrter, grimmiger Kerl war, der ohne die tägliche Buddel
Rum nicht auskommen konnte und fein frühzeitig alt gewordenes
Geier⸗Geſicht endloſen Zechereien, Schlägereien, Ludereien und
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der Berſerker⸗Hitze aller Bunker und Feuerrdume aller Flotten
der Welt verdankte, denn nirgends hatte er es lange ausgehalten.
Und gleich den bibliſchen Fiſchern waren auch dieſe hier andauernd
im Trab, nahmen das ſteinalte Brot und die grünliche Mar⸗
garine, den tranigen Eberſpeck, die ſauren Königsberger
Klopſe aus Corned beef, in Eſſigwaſſer gekocht, und die verdor⸗
bene Büchſenwurſt auf ſich, ſchufteten, bis zu den Hüften im
Waſſer ſtehend, len ſich die Hande blutig an den neuzeitlichen,
hakigen Stahldraht⸗Troſſen, froren ſich die Finger ab in der ſibi⸗
riſchen Kälte, vergifteten ſich den Magen mit Katfiſch⸗Leber,
daß fie am ganzen Körper blau anliefen und nur das taſſenweiſe
eingegebene Rizinusöl des Kapitäns ſie vor dem ach! ſo bettlä⸗
gerigen Seemannstod bewahrte, ſtanden feſtgebunden bei ſchwerer
See am Gangſeil, fünfzig, ſechzig und mehr Stunden lang, bei
Kälte und Sturm, wund, blutig, eiſende Handſchuhe an, Fiſche
fangend, Fiſche ſchlachtend, und einer von ihnen: der Jüngſte,
der Dümmſte, ſtand wie in einer Tretmühle im Waſſerſchaff,
ſtundenlang, tagelang, in vereiſten Gummiſtiefeln, und trat den
toten Fiſchen auf den aufgeſchnittenen Leib, daß ſie gut ausbluten
ſollten, - ſtelzte herum wie ein ägyptiſcher Sklave, umſpritzt von
Friſchwaſſer, das ein lecker Schlauch in das Schaff entließ und
auf ihn, bis ſein ſchafwollener Islandjanker allmählich zum Eis⸗
ſchuppenpanzer wurde und er einem behenden auſtraliſchen Gür⸗
teltier glich. Und jeden Fiſch, jeden einzelnen aus den Tauſenden
von Zentnern, die das Schiff zu fangen ausgeſchickt war, — jeden
Fiſch, wenn er gut ausgeblutet war, packte er einmal im Leben
am Schwanz und warf ihn im hohen Bogen in ein anderes der
Fächer, in die das Vordeck eingeteilt war.
Tage und Nächte ein einziger ununterbrochener Arbeitstag, ein
„Törn“, Wochen reihten ſich undurchdringlich aneinander. Die
Buddel dann und wann an den Mund, im Schlaf, wie die an⸗
deren, die nach ſiebzig Stunden Arbeit ununterbrochen einfach
nicht mehr konnten und ſchlafend im grellen Licht der Sonnen⸗
brenner ſtanden, feſtgebunden bei der ſchweren See, wippend und
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knickſend in den Knieen beim Rollen und Schlingern des Schiffes,
das Meſſer in der blutigen Fauſt, bis an die Hüften in dem mit
leiſem Schmatzen verendenden Fiſch, der ſich in ſeiner Todes⸗
angſt, und um den heraufquellenden Magen noch niederzuhalten,
gegenſeitig auffraß, — zwiſchen Schellfiſch und Katfiſch, Speck⸗
fifd und vielarmigen Rochen, Seehaſen und Seeſternen, Mu:
ſchelgetier und Krebsgetier, — aber ſchlafend, das Kinn auf der
Bruſt, Bart und Backen mit einer dünnen Eisſchicht überzogen,
ſtöhnend, wenn ſie erwachten und das Leben an den feſtgefrorenen
Mienen riß.
Tag und Nacht ſtanden Jan, Jakob, Andreas und Simon ſo,
und Max⸗Markus war feine Zwölf⸗Stunden⸗Schicht vor den
Feuern und ſprang dann und wann ſchweißverklebt, halbnackt,
eine Rum⸗Rauch⸗Fahne hinter ſich, an ihnen vorbei. — Halb
ſchlafend ſetzten ſie ein neues Netz aus, wenn an Deck ein wenig
aufgearbeitet war, gingen zu Kojs, aber nach einer Weile hieß
es wieder: „Antörnen! All hands an Deck!“, und bei Hagel und
Schlackſchnee krochen ſie an Deck und über Deck herum, mal
hoch über, mal bis an die Hüften im Waſſer. Dann ging einer
bei Gelegenheit eines Nachts über Bord beim Gang zur Kom⸗
büſe, ſie merkten es erſt nach Stunden, als er nirgends zu finden
war, und da war es zum Suchen zu ſpät. Billig davongekommen
wollte man es nennen, wenn es nur einer auf dieſer Fahrt blieb,
keiner wollte der Nächſte ſein, und ſo krochen ſie von nun an bei
ſchlechtem Wetter, — mußte es ſchon ſein, — über die Brücke,
durch die Schächte, an mooſig⸗rußigen Leitern in die Bunker,
von dort in den Feuerraum zu Markus, dann in die Maſchine
und von da wieder treppauf in die Kombüſe, um Eſſen zu holen,
und denſelben Weg zurück mit Napf und Schüſſel.
„For ſören, for hundan, for pokkers, for fanken, for ſyttan, for
fettan, for fanden, for tyvſan,“ — endlich: „for ſatan!“ fluchte
Simon; es bedeutete alles ein und dasſelbe: Zum Teufel mit
dieſem Leben! Sie alle waren damit nicht zufrieden, aber ſie alle
bekamen ein Viertel Prozent vom Fang⸗Erlös, und dies Viertel⸗
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prozent brachte fie dazu, wahre Wunderdinge zu vollbringen an
Kraft und Ausdauer, und den Tran der Leber kochten ſie gar unter
einer warmen Wolke von Geſtank auf eigene Rechnung aus und
ſchlabberten ein paar Taſſen gleich, lauwarm wie er war, in ſich
hinein. Und dennoch maulten und knurrten ſie, es war „aldeles
ikke det rigtige“, wie Simon meinte.
Bisweilen aber wurden die Zeiten doch etwas ruhiger. Entweder
ſie hatten zum Schluß doch ein Einſehen achtern, oder man fuhr
gerade zu anderen Fanggründen, die der Funker aus dem Klatſch
der Schiffe rundum erraten hatte. Jedenfalls wurde es ruhiger
im Ruff, Stunde um Stunde lagen ſie alle unbeweglich in ihren
Särgen, an den Wänden hingen Mäntel und Jacken zum
Trocknen und ſchwebten mit dem Krängen des Schiffes ſachte in
den Raum hinein oder drückten ſich an die Wand. Die Stiefel
lagen umher: ein Berg, ſchlibbrig und ſilbrig von Fiſchſchleim
und ⸗ſchuppen, und erfüllten das Ruff mit ſchwerem Dunſt, der
Kanonenofen war glutrot und ſprühte Hitze, wie für die heißeſte
Holle geſchaffen, und in der von Geſtank geſättigten, verbrauchten
Luft konnte die Lampe nur blinzeln, indes ein Rußfaden, wie
Zwirn ſo ſchwarz, beſtändig zur Höhe ſtieg.
So lagen ſie nun alle in ihrem Sarg, unbeweglich, wie es ſich
für Todmitde geziemt. Ab und an lehnte ſich einer zur Koje hinaus
und ſagte etwas nach unten, nach hinten oder nach oben oder zur
Seite, und manchmal dauerte es nicht lange, und ſie hatten alle
die Köpfe hinausgeſtreckt und ſchwatzten wie Dorfleute und
Nachbarn im Leben und Tode, ein jeder aus feinem Sarg. — Da
kam es heraus, was ſie wollten, und ſo geſagt, wie es ihnen nun
mal zumute war.
Erſt redeten ſie über Häfen und Schiffe, Kapitäne und Kame⸗
raden, und zum Schluß ſagte Simon aus Jütland, daß dieſes
Leben „aldeles ikke det rigtige“ ſei. Wie aber ſollte es denn ſein?
Sie warteten auf keinen vorbeiwandernden Propheten, der ſie zu
Menſchenfiſchern berufen ſollte, ſie hatten nichts, worauf ſchon
ihre Gorvater warteten, fie hatten keine andere Verheißung als
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die aller Unzufriedenen: daß die Reeder einmal fifchen follten
und ſie — Simon, Andreas, Jan, Jakob und Markus — mal
in den Direktionsſeſſeln ſitzen und Braſil rauchen müßten, ab
und zu ein Schreibmafchinenfräulein vornehmen und ein bißchen
„koſelig“ fein, wie Simons Ausdruck für etwas ſehr Schönes
war. Noch beſſer, und auf lange Sicht geſehen, war, wie ſie es
fpäter vorſchlugen. Es war das reinſte Paradies, was da in Sicht
kam: kleine Bäderdampfer mit verläßlichen Steuerleuten und
einem Kapitän Jakob, in weißen Flanellhoſen, Zigarre im Mund,
Kieker um den Hals, vor ſchoͤnen Damen die Hand am Mützen⸗
ſchild, Kommodore⸗Spitzbart, — eine kleine Kneipe mit Mittags⸗
tiſch, eine hübſche Kuͤſtenfahrt⸗Reederei in Siam, — ſolcher Art
Sachen kamen da vor, und in jeder ſaß wohlbehaglich irgend⸗
einer von ihnen und hatte es ſo, wie es ſich nach Gottes Weisheit
gehören ſollte.
Sie ſchwelgten im Vorgeſchmack, — aber dann wurde die Tafel
jählings unterbrochen. „Antörnen!“ brüllte es von der Brücke.
Sie krochen aus der Koje, wieder in Stiefel und Mantel, und es
ging ans „traelle“, wie Simon ſagte, die Schellfifche wollten
mal ihr Schlachtmeſſer beſichtigen.
Sie taten es auch, und es waren vielleicht neunzehnhundert und
mehr Jahre vergangen ſeit dem Tage, da ſie eine Taufe und ihren
Namen bekommen hatten. Auch das war am Galiläiſchen Meer
geſchehen und wurde jetzt unter Kap Kanin im Eismeer gefeiert.
Torn um Torn ſtanden die Nachfahren Petri an Deck und ſchlach⸗
teten Schellfifche, und in irgendeiner Stunde kam auch die
Rede auf den Namen, zwiſchen einem Schluck Rum und dem
nächſten:
Wißt ihr auch, woher der Schellfiſch ſeinen Namen hat?
Nee, dat wiſſen wir nu nich 'n mol.
Dſcha, dann ſchall ek dat wol mal verzählen! — Dat is nu gut und
gerne twintichhundert Johr her weſen, da ſteiht der olle Petrus
am See Genezareth und puſſelt mit ſeinen Netzen und ſeinem
Garn und kalfatert grade ſein Boot mit Teer und ſolchen ſchoͤnen
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Sachen. Amer, weil he doch nu mal immer en praktiſchen Kirl
wor, ſo hett he ja ook ne Angel utgelegt und denkt ſo: Wenn da
ein Fiſch bet iſt und an'nebiſſen hat, dann merk ek dat ja wol!
Und ſo kalfatert er man zu und hat ſchwer zu tun.
Mit einemmal ſieht er, daß die Angel zuckt; er läuft hin, holt
ſie raus, und da hang ja auch ein hübſchen Fiſch an; weiß, wie
Silber!
„Du Schelm, du,“ ſeggt der olle Petrus und lacht, „du Schelm!“
und davon hat der Schellfifch feinen Namen. Aber von Petrus
ſeinen ſchmutzigen Teerfingern hat er die ſchwarzen Flecken an
der ſilbernen Kehle; die blieben ihm bis heute.
Wochenlang ſchon ſind ſie unterwegs in der Finſternis, — da
beginnt allmählich der Heimatshafen von ferne zu leuchten. Sie
erinnern ſich an Kneipen, an Mädchen, an tauſenderlei Sachen,
und wenn ſie zwiſchen zwei Törn vom Schlaf aufwachen, kommt
auch ein Geſpräch in Gang, von Sarg zu Sarg. Das Wetter
iſt grob, die See geht hohl, es kommen ſchwere Stürme, die alle
Arbeit an Deck unmöglich machen, und dann liegen fie mehr denn
je in den Kojen und braten, wie ſie es nennen, in Geſtank und
Ofenhitze, Toddy und Rum. Aber das Wetter iſt ſo ſchlecht, daß
in der Kombüſe nichts zuſtande kommt. Einmal ſpringt der
Keſſel vom Herd, dann wieder brennt das Feuer nicht, weil der
Sturm den Zug des Schornſteines abriegelt, und ſo gibt es jetzt
morgens, mittags und abends Büchſenwurſt, rohen Speck,
Margarine und Brot. „Die richtige „Diätet““, ſagt Simon,
„und die reine Kurpromenade!“ ergänzt Jan, der verdreckt von
achtern durch die Schächte kommt und ſich ein paar Backpflaumen
geholt hat.
Ja, fie denken nicht mehr an ihr Zukunfts paradies; auch die Ver⸗
gangenheit war eines, ſie haben es im letzten Hafen verlaſſen.
Wie es nun bis hierher leuchtet! — Aber dann findet Jan, der
unverheiratet iſt, daß feine Furunkel wohl ebenſo fchon leuchten,
ſie werden von Tag zu Tag entzündeter, — und ſtundenlang
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hocken fie in den Kojen beim Blinzeln der Lampe und behandeln
Wunden und Geſchwüre, die ihnen der Stahldraht und die
ſalzige Schiffskoſt zuſetzten.
Kein Friſchfleiſch, kein Gemüſe, nichts, nichts gibt es, und am
Ende aller Klagen ſagt Simon zu Andreas: „Menſch, jetzt ſo
eine Apfelſine haben! Eine Apfelſine, richtig ſaftig, es muß nur
ſo ſpritzen, wenn man die Schale abpellt.“ — „Ja, Menſch, aber
hör auf damit!“ — Aber Simon hört nicht auf.
„Blutapfelſinen, — das wäre die feinſte Sorte!“ — „Hör auf,
fage ich dir!“ — „Wenn man reinbeißt, wie in einen Apfel, dann
muß es einem ordentlich durch die Stoppeln laufen ..“ — „Hold
kjaeften!“ verweiſt ihn ein anderer mürriſch. Aber aus einem an⸗
deren Sarg kommt es: „Und die ſind jetzt ſo billig! Fiften Pen⸗
ning man bloß.“ — „Was würdeſt du jetzt dafür geben?“ fragt
Simon gefpannt. „Menſch, eine ganze Mark gäbe ich dafür!“ —
„Eins, fünfzig!“ ſpringt Jan ſchnell ein. — „Zwei!“ Andreas. —
Aber Simon muß den Preis der Ware wert machen: ... „Und
denn noch ohne Kerne ...!“ — „Ja,“ beftätigen viele, „das iſt
feinſte Sorte! Schale dünn, und Fleiſch dick! Ja, ja ...“
Lange Zeit iſt es DI, bis plotzlich einer wieder wie traͤumend
von vorn anfängt: „... Menſch, jetzt (o "ne Apfelſine haben ...!“
„Ich geb dir drei Mark dafür!“ ſagt Jakob verzweifelt; „haſt du
eine ..“ — „Nee, ek ha nich...“ — „Wenn du eine haft, — ek
gew di en Daler un een ganze Mark dato ...!“ kommt es ganz
erbittert von Jan. „Ek hew man bar’ keen ...“ ſeufzt Simon
und ſieht ein gutes Geſchäft entſchwinden; „... wenn ek man
bar’ een hätt ...!“ Aber da war auch wirklich im ganzen Ruff
keine Apfelſine, und auch nicht achtern, und vielleicht war es des⸗
halb, daß ſie, unter immer neuem Ausmalen, wie ſchoͤn es wäre,
wenn man eine hätte, den Preis der Apfelſine langſam bis auf
acht Mark hinaufſteigerten, denn ſie waren ſich ganz ſicher:
keiner konnte den anderen beim Wort nehmen, die Apfelſine
hinhalten und das Geld einfordern.
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Ein andermal um diefe Zeit nehmen ihre Reden einen anderen
Weg. Sie hatten eben im Waſſer ſtehend neue Netze unterge⸗
ſchlagen und alles zum Ausſetzen vorbereitet, denn der Fang ſollte
trotz Wetter und Wind bald beginnen, und kamen müde und naß
von Deck und gingen gleich zu Kojs. Zum Trocknen der Sachen
war der Ofen friſch verſehen worden, und nicht lange, ſo ſtand
er rotglühend, ſchamrot, bei allem, was fie quicklebendig aus den
Särgen hinausriefen. Sie redeten über Frauen ganz allgemein
und über Ehefrauen im beſonderen. Simon war verheiratet und
Andreas auch, ein paar andere im Ruff hatten das vor ein paar
Jahren ſchon fertig gebracht und waren nach ein paar Schläge⸗
reien ſchon längſt wieder geſchieden; Simon und Andreas aber
hielten zur Stange und freuten ſich jedes Jahr über die zwanzig
oder dreißig Tage, an denen ſie ihre Frauen ſahen. Und weil ſie
nun auf Ehefrauen im beſonderen und auf die häusliche Küche zu
ſprechen kamen, fing ein jeder an, die ſeine zu loben.
„Ich ſage euch,“ verriet Simon, „eine Leberpaſtete, wie meine
Frau ſie macht, macht keine andere. Weich wie Butter, ſage ich
euch, und obenauf eine ganz kleine braune Kruſte!“ — Ob roh
oder abgekocht gebacken, wollte Andreas wiſſen. — „Roh na⸗
türlich, anſtändige Paſtete wird nicht aus gekochter Leber ge:
macht!“ — „Und Rollwurſt!“ — „Mit viel oder wenig Speck?“
fragte Andreas wieder. — „So halb und halb!“ war es Brauch
in der Küche der beſten Frau der Welt. — Und dann „Apfel im
Schlafrock“, und Ferkelbraten, die Kruſte recht röſch, mit ge:
backenen halb⸗ſüßen Kartoffeln ... !
Es blieb alles ſtill, keiner wagte es, den Tiſch umzuſtoßen, auf
dem das alles ganz deutlich ſtand. Der Ofen ſandte moͤrderiſche
Glut aus, faſt verlöſchte die Lampe, ſo warm war es, und alle
überkam die Schläfrigkeit.
„Ich glaube, das Wetter wird ſchlechter ...“ murmelte jemand
aus dem Dämmern, aber das verging wohl ungehört, denn Schlag
auf Schlag dröhnte es über das Schanzdeck, ihnen zu Häupten,
und das Bugwaſſer floß gurgelnd über ihr Skylight. Von achtern
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hörte man die Schraube; fie war wieder in die Rolle des Pro⸗
pellers vernarrt und drehte ſich meiſtens in der Luft.
Da bohrte ſich das Vorſchiff tief in die See, es gurgelte und
rauſchte, ſie alle in den Kojen merkten auf und wußten, daß ſie
jetzt unter Waſſer fuhren, alle elf Mann ... „Kommt ſchon op“,
murmelte einer, indes beim Aufſchießen des Schiffes die Stiefel
durcheinanderkollerten und die Kleider an den Haken hipften.
. . . „Kommt ſich ſchon, kommt fic) ſchon ...“ Aber fie ſchliefen
nicht mehr, es wurde zu unruhig dazu. Das Ofenrohr knarrte und
Achzte im Schlingern und (chien ſich biegen und wenden zu wollen
wie eine Schlange, ſo ſtarr es auch war. Andauernd kollerten die
Stiefel über die Diele. Mal in dieſe, dann in jene Ecke. Toten⸗
ſtille herrſchte zwiſchen allen ihren Särgen.
„Wie iſt das mit Kaffee ...!?“ fragte plotzlich Andreas.
„Ja, Kaffee“, murmelte irgendeiner, es konnte der Stimme nach
Simon geweſen ſein. „Guten Kaffee, natürlich durch den Sack
gefiltert!“ — „Ich bin mehr für Aufkochen, bißchen Fiſchblaſe
hinein, daß er klar bleibt, ſo machen ſie es in Finnland, und das
iſt eine vernünftige Art!“ ſetzte ein anderer Simons Rezept ent⸗
gegen. — „Nein,“ beharrte der, „Kaffee muß durch den Baum⸗
wollſack, wenn er richtig fein will!“ — Eine ganze Weile lang
ſtritten fie ſich über die beſte Art.
„Und Sandkuchen dazu!“ ftohnte Andreas, entſetzt, daß es ihm
einfallen konnte, daß es fo etwas gab, nur nicht hier. — „Ich ſage
euch, meine Frau bäckt einen Sandkuchen, einen Sandkuchen ..
ach...“
Alles ging unter in einem ohrenbetäubenden Brecher, der mit
Gurgeln und Plantſchen über dem Skylight verging.
„Sandkuchen!“ ſtöhnte Andreas unerſchütterlich, „trocken, wie
Sand, reiner Sand, ſage ich euch, und dabei doch nicht kratzig⸗
trocken, denn es iſt ordentlich Butter darin, und manchmal hat
er Fett an die Kanten geſchwitzt, wenn er ganz extra geraten ift...“
Und dazu denn ein Slurk Kaffee, richtigen Kaffee, durch einen
baumwollenen Sack gefiltert!“ fagte Simon klar und beſtimmt. —
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„Ja, wegen mir auch durch den Baumwollſack. Was ich fagen
wollte, — Roſinen find in dem Kuchen natürlich nicht, und dann
iſt es auch beſſer, man nimmt etwas Soda zum Treiben, und
nicht Backpulver; ſo macht meine Frau das, und ich ſage euch,
die iſt fir mit dem Kuchenbacken.“ — „Es wird Zeit, daß man
ſich davon wieder einmal überzeugen kann“, grummelte Simon
vor ſich hin.
. . . „Und fo ein Nachmittag an Land! — Erſt richtig etwas
Fettes untendrunter, und dann eine Taſſe Kaffee und ein runder
Kuchen voran, Sandkuchen, extra geraten, nicht irgend ſo ein
Schietkram, ſondern was Richtiges: butterweich, bröcelig wie
Sand, Vanille oder Zitrone darin, — ja Dunnerwetter ...!“
„Ja, Kuchen! Sandkuchen auch meinetwegen!“ ſagte einer
gehäſſig.
Es blieb ſtill. Die anderen ſchwiegen. In Gedanken waren ſie
alle bei der Arbeit mit Meſſer, Löffel und Taſſe und ſchnitten
ſich ein paar Stücke ab und ließen ſie auf der Zunge mit einem
Schluck Kaffee zergehen. Das Ruff nahm foͤrmlich ein großer
Altar ein, und ſie alle waren in Ehrfurcht davor niedergeſunken.
Ein großer Sandkuchen war das Allerheiligſte, einer, wie Andreas
ihn von ſeiner Frau bekam, ſobald er wieder zuhaus war.
Sie beteten dieſes Machwerk ihrer Frauen an, und wer keine
Frau beſaß, bewunderte und beneidete es doch, denn es war und
blieb unter ihnen, ein jeder hatte jetzt Teil daran, es war eine Ver⸗
heißung, ein Gelübde der Ungunſt auf günſtigere Zeiten. Und
ſobald man wieder einmal an Land kam, nahm ſich jeder vor,
dann — haft du nicht gefehn! — in die nächſte Konditorei.
Das war kein Warten auf die Erfüllung einer Verheißung von
Gnade und Erlöſung, — da lag ein tieferes Sehnen zugrunde,
das allererſte des Menſchen: der Anſpruch des Magens. Petrus
und die Seinen hatten ganz weltliche Nachfolger bekommen.
. . . „Nein, dieſen Roſinenkuchen meine ich nicht! .. Sand:
kuchen meine ich, — ja, den da, geben Sie mal ruhig fo acht Stück
davon, — und Kaffee, — ja, verſtanden? Acht Stück Sandkuchen,
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und eine Taſſe Kaffee, guten Kaffee, am beften durch den
Filter..“
Da brach plotzlich ein Gewitter über ihnen los.
Es donnerte, es ſchmetterte und krachte, es gurgelte und ſchoß
ziſchend über die Schanze, die Wände flogen zur Seite, es klirrte
und ſchepperte und ſchlug über ihnen auf das Schiff wie mit
einem tauſendzentrigen Vorſchlaghammer, ſie glaubten nichts
anderes, als daß ihr Magen ihnen in den Mund geflogen käme,
die Lampe war erloſchen, und aus der Schlaftrunkenheit erwachend,
fühlten ſie — weiß Gott, wie! — einen Waſſerfall aus dem zer⸗
ſchlagenen Skylight ſtürzen, Waſſer, immer mehr Waſſer, an
den glühroten Ofen.
Es ziſchte und kochte, es knatterte und ümpelte, ſie ſtürzten
aus den Kojen, ſchon umſpülte ſie das Waſſer bis an die Hüften,
von einer Seite her bekamen ſie kochend⸗heiße Duſchen, und es
legte ſich um ihr Geſicht wie ein heißer, feuchter Umſchlag; dabei
floß das Waſſer noch immer von oben herunter, gurgelnd, rau⸗
ſchend, — „Joöſſes!“ brüllte Simon ganz verbrüht auf, und ohne
etwas zu ſehen, tappten fie brüllend die Treppe hinauf. Die Holle
war hinter ihnen los, das Waſſer ſtieg im Ruff, ſie brachen ver⸗
zweifelt die ſchwere Eiſentür zum Deck auf und wären beinahe
wieder hinuntergeſpült worden, denn auch von dort ſtürzte ihnen
das Waſſer wie eine fallende Mauer entgegen.
An der Brücke flammten die Sonnenbrenner auf und nagelten
ſie mit ihrem grellen Schein feſt, wie ſie daſtanden, halb angezogen,
verftört. Es begann ruhiger zu werden, die Maſchine war geſtoppt
worden, und das Schiff trieb und tanzte willenlos dahin.
„Wat iſt loos? Wat iſt denn da vorne loooos ...“ brüllte der
Wachthabende von der Brücke mit aller Kraft durchs Sprach⸗
rohr, und kaum konnte man es auf zehn Meter Entfernung
verſtehen.
„Dat hat unſer Skylight kaputt ſlagen, und nu hab'n wir da
unten Dampfbad haft ...!“
Dann ging es ans Verklaren. Das Schiff lag und trieb, alle
Sonnenbrenner auf das Vorſchiff gerichtet. Die elf halbnackten
Kerle trotteten herum und ſtellten feſt, was nun eigentlich
los war. Von Sandkuchen konnte hier gar keine Rede mehr
ſein.
Der Brecher hatte ihr Skylight eingeſchlagen, das ganze Schiff
unter Waſſer gedrückt, die Schanze reingefegt; das Waſſer war
ins Ruff gekommen, hatte die Lampe abgeriſſen, den rotglühenden
Ofen abgekühlt, nun ſtand es drei Meter hoch im Raum, und
die Strohfäcke, die Decken, die Stiefel und Mäntel, alles, was
nicht niet⸗ und nagelfeſt war, ſchwamm darauf herum.
Feſtgebunden am Gangſeil gingen ſie jetzt daran, alles zu dichten.
Das dauerte eine Weile. Dann, als der Raum leergepumpt war,
gingen ſie daran, ihre Siebenſachen zuſammenzuſuchen, und trot⸗
teten alleſamt nach achtern durch die Schächte, breiteten das naſſe
Zeug in der Maſchine zum Trocknen aus auf dem Gitterroſt,
der ſich in halber Hobe durch den ganzen Raum fpannte, und
legten ſich ſelbſt dazu. Hoffentlich hielt nun der Roſt, und ſie
fielen nicht zwiſchen die unter ihnen arbeitenden Kolben und
Pleuelſtangen.
So lagen ſie nun wie ein Rudel zuſammengejagter Hunde. Es
war hart auf dem Roſt und laut unter ihnen. Die Maſchine
tobte, man konnte dabei nur dofen und ſtarrte meiſtens in die auf
und ab, auf und ab gehenden Kolben, ſtundenlang, bis einem ganz
ſchwindlig wurde. Es ſtank nach Gl, und es ſtank nach Dampf,
fade und ſchwer zugleich.
Dann kam ein Törn und das Schlachtefeſt, das Wüten im Eis⸗
raum, in dem der Fiſch geſtaut wurde, und endlich wieder der
Einzug ins Ruff, wo alles dunkel, feucht und modrig war, wie
in einer Gruft.
Kälte und Näſſe, Hunger und Durſt, — „aldeles ikke det rigtige!“
Apfelſinen? — Ja, gern, =" Mark das Stück; und Sandkuchen
und Kaffee? — ch Kuchen
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So ging auch diefe Fahrt vorbei, nach Wochen pflügte der Steven
wieder die nördlichen Breiten, und Norwegens Fjorde brachten
Ruhe für die Nachfahren Petri. Sie fluchten und knurrten, ſie
döſten und tranken Rum, anſtatt Kaffee, nach Simons Rezept
gebraut, ſie warteten auf nichts anderes als auf den Pier, mit
allem, was ſich hinter ihm erhob. Und wenn ihr Herr und Heiland
ſelbſt ihnen über die Waſſer wandelnd aus dem Skagerrak ent⸗
gegengekommen wäre, — fie hätten nicht an ihn geglaubt, hätten
nicht geſchrieen: „Ein Geſpenſt ...!“ wie ihre frömmeren Brü⸗
der vor Zeiten, nicht an ein Wunder oder die Verheißung des
Heils gedacht, — ſondern einzig und allein an Sandkuchen und
Kaffee, Leberpaſtete und Ferkelbraten mit röfcher Kruſte, und
daß es ſchon wieder einmal eine neue Erfindung gäbe...
*
Albrecht Schaeffer
Parzivalkampf mit Orilus
Kam ein Tag: da Parzival in einen
Hohlweg biegen wollte unter Eichen,
Sah er eine ſeltne Reitrin ziehen
Vor ſich auf, die mit gebundnen Händen
Seitlich ſaß auf einem magern Maultier.
Hielt geſenkt das Haupt als wie in Trauer,
Ließ die Flechten hängen rauh und glanzlos;
Ihre Glieder ſchimmerten durch Fetzen,
Grobe Baſtſchuh ſaßen an den Füßen;
Und er ſah fie ſchaudern in der Kälte,
Denn es war die Jahreszeit November.
Eilig nach der guten Ritter⸗Sitte
Trabt' er nach und hielt am Zaum das Reittier.
Sprach zu ihr mit dienender Gebarde:
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„Bitt Euch, Dame, laßt mich gleich erfahren,
Wer Euch ſolchermaßen hier beleidigt!‘
Jene ſprach, ein ſanftes Haupt erhebend,
Ein Geſicht in Furchen von den Tränen,
Gottergebnen Blick in ſchwachen Augen,
Sprach mit einer ganz entfernten Stimme:
„Sollt es, Ritter, gerne von mir wiſſen.
Aber bitte nicht verlangt zu kämpfen,
Denn den Ihr beſtehen wollt, iſt rieſigen
Leibes und im Lanzenkampf der Erſte.
Reiten läßt er mich, mein eigner Gatte,
Orilus, der Herzog von Lalander,
Und Jeſchute ſo bin ich geheißen,
Wegen nie begangener Verſchuldung,
Wegen eingebildeten Verbrechens.
Denn es drang vor heute achthalb Jahren,
Da ich ſchlief im Luſtgezelt im Walde,
Ein im Fellgewand ein ſchöner Knabe,
Raubte einen Ring mir, raubt' auch Küſſe,
Und es half ja nichts, wie ſehr ich flehte.
Aber kehrend von der Jagd ſoeben,
Sah ihn Orilus von hinnen reiten.
Er, der immer grauſam Eiferſüchtige,
Da er fand von meinem Wein getrunken,
Auch geſpeiſt von einem kleinen Rebhuhn,
Gar den Ring entwandt mit einer Perle,
Endlich gar mein ſeidnes Hemd zerknittert:
Hätt er gerne mich erwürgt mit Händen.
Weil ich keinen Namen ſagen konnte,
Jenen nur beſchreiben, und beſchwören,
Daß ich ihn im Leben nie geſehen,
Daß er auch mir nichts genommen habe
Außer jenem Ring und einigen Küffen:
Schwur er, jenen Fremdling aufzufinden,
Und bekräftigt” es mit ſieben Eiden:
Mich zu führen mit, bis er ihn fände,
Er erführe, was die Wahrheit ware.
Und ſo ſchleppt' er mich, wie Ihr mich ſehet,
Achthalb Jahre ſind wir nun geritten.
Ritten erſt zum Hofe Koͤnig Artus',
Weil der Knabe ſprach, er zoͤge dorthin.
Horten allda, daß er dort geweſen
Und mit Namen Parzival geheißen;
Daß er dann erſtach den roten Ritter,
Fortgeritten fet in deſſen Rüſtung.
Suchten drauf ihn lange in den Ländern,
Horten, daß er fet in Pelrapeire.
Als wir kamen da zum Lande Brobarz,
Ward uns Kunde, daß er nirgend wäre.
Und ſo reiten, ſuchen wir und reiten,
Und fo geht das Leben wohl vorüber.‘
Parzival, da endlich ſtumm ward dieſe
Stimme aus der tiefen Grames⸗Ferne,
Schwieg auch er in einem langen Grauſen.
Eine farbige Erinnerung flammte,
Ebereſchenhain und Zelt und Innres,
Wachgeküßte Träumerin von Liebe.
Sah er hier dieſelbe abgeblichen,
Wie aus einem Wandbild ausgebröckelt
Farben fallen, und es bleibt nur Umriß:
Hohle Form von Leben ohne Leben.
Und ein Fehler hatte wild getrieben,
Süßes Licht und Unſchuld überwuchert;
Aus den Küſſen war ein Gift gekrochen,
War in Krankheit wütend ausgebrochen.
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Zeigte fic) indem ein Speer im Hohlweg,
Um die Ecke bog der ganze Reiter,
Reiter eines rieſenhaften Wuchſes,
Dunkelgrau in einem Kettenhemde,
In dem ſchwarzverſchloßnen Helm geſichtslos;
Saß auf einem rieſigen Eiſenſchimmel,
Welcher nackt ging, deckenlos, doch trug er
Vor der Stirn ein langes Horn von Stahle.
Da er dieſen dunklen Turm von Eiſen
Nahen ſah, in Langſamkeit gewaltig,
Drohend von Gewittern, nachtbewirkend, —
Und noch ſchrie: Da bin ich, und ich heiße
Parzival!“ fo zog ſich ihm im Innern
Was zuſammen, ein Gemeng von Luſt und
Grauſen, ballte ſich, und mundlos ziſchte
Als ein Dampf heraus die leiſe Stimme:
Sieh, da kommt er endlich ganzen Leibes,
Der dir alles dieſes angeſponnen!
Der dich ſetzte in das Netz von Schulden,
Bloͤder Knabe, in die Grals⸗Verkennung,
Des Amfortas Schmerzen unausſchöͤpflich,
Und des Juden blühende Verweſung.
Und es iſt ſein Schwert der Tod der Mutter
Und ſein Speer der Jammer der Verlaßnen,
Und am Ende wird er dich erwürgen
Mit den reinen Händen der Jeſchute.
Zittre jetzt in Wolluſt und in Grauen,
Denn du wirſt ihm in die Augen ſchauen!
Ihm die Hülle reißen vom Geſichte,
Denn es iſt der finſtre, nicht der lichte:
Gott.
Und Parzival ritt zum Gerichte.
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Nun Verbittrung, Gift von fieben Jahren,
Nun die maßenlofe Herz Verhärtung,
Ewige Ode, Einſamkeit und Marter
Allen Leidens, ſeinethalb gelitten;
Blutes alles Dorren, nie geweinte
Tränen und die durchgekeuchten Nächte,
Blindheit, Peſt und letzter Ohnmacht Zittern:
Alle bofen höllenhaften Kräfte
Dieſer Jahre rafft' er jetzt zuſammen:
In die Fäuſte, die des Schildes Spangen
Preßten und geſenkten Schaft der Lanze,
Schenkel, die ſich um die Sattelgurten
Legten ſo wie Zangen, in die Zähne,
Die zuſammgeknirſchten, in die Augen,
Die wie Wölfe heulten durch Gegitter,
Flammen⸗Rachen durch die Stäbe zwängend:
So verzehrt' er den, der da entgegen
Sprengte, finſter aufgetürmten Leibes
Als ein rieſenhafter Stellvertreter,
Den ſich Gott gemacht aus Leib und Eiſen.
Rennend, ſelbſt umrannt von Feuerkreiſen,
Schon im Stoß mit vorgebognem Rumpfe,
Schnaubte, rauchte, jauchzt' er im Triumphe:
Leibhaft! kommſt du? Leibhaft aus dem Sumpfe!
Blutvergifter! Mörder! Augentrüber!
Ich beſtehe dich! Ich bin dir über!
Und er glaubte, wie aus Donnerwettern
Blitz und Feuerſtrom herauszuſchmettern,
Glaubte ſporenpeitſchend durchzubrennen,
Durchzubohren, durchzurennen,
Hinzumalmen Jenen im Geraſſel.
Parzival, o nein! — Ein Krach, Gepraſſel:
Beide Schäfte ſprangen hoch in Splitter,
102
Und vorüberfegend im Gewitter,
Sah er den Koloß im Sattel ſitzen
Wie ein Eiſen⸗Bollwerk; aus den Schlitzen
Der Vinteile ſtach ein ſchräges Blitzen.
Aber ſtracks, den Speerſtumpf von ſich ſchleudernd,
Hengſt herumgeworfen, ſah er Jenen
Aus dem Sattel ſpringen, ſprang zur Erde,
Und die Klinge aus der Scheide reißend,
Rannt' er ihm entgegen, doppelhandig
Dieſen Flamberg ſchwingend überm Haupte,
Der ihm ſchien zu Wolken hochgefahren:
Semel, dieſes Schwert, das dieſem Griffe
Folgt' im Ruck, geſpart in ſieben Jahren:
Und da ſchmetterten ſie ſich zuſammen.
Die Zweihände⸗Schwerter, Eiſenkeulen,
Hochgeſchwungen, wirbelnd, daß ſie hackten,
Pfiffen, ziſchten, klangen, gellten, krachten
Aufeinander, auf die Helmes⸗Decken,
Durch Minuten praſſelndes Gehammer.
In den atemloſen Kampfes⸗Pauſen
Maßen ſie ſich mit den Mörder⸗Augen
Maßlos gierig aus den Eiſen⸗Masken,
Aufgeſtemmt die Schwerter vor ſich mannshoch,
Keuchend, rauchend aus geſperrten Mündern,
Und die Brüſte ſchwollen, daß ſie wogten.
Rannten wiederum danach zuſammen,
Jetzt geblendet von dem erſten Blute,
Blinder hauend jetzt auf ihre Panzer,
Daß es ſpritzte von gehackten Stücken,
Funken, Spangen, Schnallen, Ringe ſprangen,
Und die kleinen hellen roten Quellen
Liefen überall geſchwinde, tropften,
Rannen, rieſelten, und rote Lachen
103
Standen, wo die Eiſen⸗Füße ſtampften.
Dieſes, bis mit hohem Glocken⸗Klange
Semel, dieſes Schwert zerfprang in Stücke.
Da erſtarrte mit dem Stumpf in Fauften
Parzival. Er ſtaunte, weil ſein Gegner
Innehielt, mit einem dumpfen Staunen.
Semel, dieſes Schwert von Gott gegeben?
Gab er das, ſich ſelber zu befehden?
Parzival, du biſt ihm ausgeliefert,
Lieferte dich ſelbſt in ſeine Hände!
Noch, geblendet und in einer üblen
Schwäche trunken, ſonder Kraft und Willen,
Starrt' er auf den blutbeſudelt Schwarzen
Gegenüber, der im ſchwarzen Hohlweg
Sich verzog und bog in ſchwarzen Lüften.
Da erkannt? er erſt den Gegner gänzlich:
Der ein Gott war, doch von allen Satans⸗
Künſten brodelte und ſie gebrauchte.
Aber da jetzt der die eigne Klinge
Wortlos fortwarf und die Panzer⸗Arme
Hob und krümmte wie das Untier Grendel,
Schwarzer Rieſenkrebs mit ſtummen Scheren,
Drohend über ihm um Hauptes Hohe,
Ganz verfinſtert in den finſtern Lüften:
Da begriff er. Und er warf die Arme
Mit dem Hallelujah der Verzweiflung
Um den Gottes⸗Kobold, Turm des Todes,
Leib des Herrn, der einen Zweikampf anbot.
Kämpfte dieſen Kampf. Er zog aus Jahren
Unverſtandner Übung nun die Kräfte.
Nun die Kraft der Ströme und der Quellen,
104
Kraft der Sommer und der Sonnen⸗Tage,
Kraft der Jugend, Kraft der ſüßen Lenze,
Frühſter Spiele, Sprünge, Läufe, Tänze,
Und hinüber noch die Knaben⸗Grenze:
Kraft aus himmliſchen und reinen Dingen,
Als er Voͤgeln glaubte, Schmetterlingen,
Blumen, Bienen und den heiligen Bäumen,
Und die Kraft aus ſeinen Helden⸗Träumen:
Kräfte ſich mit Kräften ſo verſchlangen,
Sie ergrünten, ſchimmerten, fie klangen
Glockenrein und einsgeſtimmt mit allen,
Die im Himmel ſind ein Wohlgefallen.
Antlitz, kühnes, toten fahles,
Unter Engeln ſtolz erſtrahl' es,
Wert der Krone, Wert des Grales.
Sieben Jahre, ſieben Jahre Lebens
Währte dieſer Ringekampf des Helden,
Und es ſtürzten dieſe Lebensjahre
Durch ihn hin, erbrauſend wie ein Regen,
Eine Raſerei der Farben⸗Traume
Und ein Regenbogen⸗Sturz der Bilder,
Wiederholend all, was je geweſen,
Unerfchöpflich, unaufhoͤrlich, während
Er im rieſig durchgerauſchten Ohre
Sonderbare wütende Geraͤuſche
Hort’ aus ſchwarz zuſammgeballter Nahe:
Keuchen eigner Kehle und aus fremder,
Zähne⸗Knirſchen und erſticktes Ziſchen,
Und der Griffe Aufſchlag in den Panzer⸗
Handſchuhn, und das Stampfen von den Sohlen.
Ohne Zeit, unendlich war dies Ringen
Bis zum Augenblicke, wo er, ſtaunend
Aufgewacht, die eignen beiden Hände
105
Sah, hineingezwängt in jenen Halsberg,
Und ſie wuͤrgend kneteten lebendige
Kehle, und der ſchwarze Kobold⸗Rieſe
Ab von ihnen hing, und weißer Dampf ihm
Röhrend aus dem ſchwarzen Munde ziſchte.
Eine ſelige Bewegung macht' ihn
Lächeln, und er würgte, ſah ſich krümmend
Jenen, Arme fallen, kraftlos greifen,
Sah ihn hangen, knien, und würgte, ſpürend,
Wie den Hals ein letzter Anſturm blähte .
Weckt' ihn eine Stimme, flehend nahe:
„Tote nicht!“ Und nicht fogleich begreifend,
Daß es ihm galt, hört? ers dringlich wieder:
rote nicht!“ und fab, nach oben blickend,
Eines Engels Glorien⸗Antlitz liebreich
Über ihn geneigt. Es war Jeſchutens,
Doch er kannt es nicht. Der faſt Erwuͤrgte
Dröhnt' am Boden. Selber taumelnd, fiel er
Drüber, ſtützte ſich, erſchoͤpften Auges
Starrend nach dem Augenpaar darunter;
Sah: aus zugefallnen Lidern mühte
Sich hervor ein Blicken voll Geheimnis,
Dunkel; doch es war da nichts als dieſes:
Blick der Kreatur, vom Tod erwachend.
Parzivaln verließen ſeine Kräfte;
Sah die Halme und das Moos am Boden
Seltſam näher kommen, und ihn ſchwemmte
Jäh ein ungeheures Schluchzen: Sieger!
In barmherziges Dunkel. Am Zerfließen,
Fühlt' er glücklich allen alten Odem,
Alles Blut ſich rück zu Gott ergießen.
Aus dem Versroman „Parzival“
106
Max Mell
Hirtenſpiel in Kärnten
Das Dorf war erreicht, der gute Marſch über den in Schnee
glattgeſtrichenen Talboden hatte uns nicht zu ermüden vermocht,
jedoch mit dem Ziel war die Raſt willkommen. Unſere Augen
waren vom fteten Blick auf Weiß und Gligern empfindlich ge:
macht; alles, was an den Häuſern des Dorfs Farbe war, ſchien
ihnen unrein und als wäre es eben aus naſſem Erdreich empor⸗
getaucht, dabei gab ihnen die Mittagsſonne warme Tinten, es
war aber in den Wirtfchaftshöfen fo ſtill wie draußen auf dem
Wintergefild, alle ländliche Arbeit fehlte; ab und zu gab es hier
die raunende Unterbrechung, daß von niedrigen Dächern Schnee⸗
laſten herabglitten auf den ſchon liegenden Schnee, mit dem fried⸗
lichen Anblicke ſolchen natürlichen Ereigniſſes, hinter dem ſich die
Stille um ſo tiefer wieder ſchließt. Nichts verriet, daß hier irgend⸗
wo ein Sitz bewegteren und eifrigen Lebens ſein könnte, er müßte
denn gänzlich verborgen und vergraben ſein: und wahrhaftig wie
eine Ausgrabung erſchien uns nachher dieſes uralt bäuerliche
Spiel, das zu ſehen wir gekommen waren; nicht anders, als waren
wir durch eine günſtige Fügung in ein ſeit Jahrhunderten un⸗
betretenes, für unſer Kommen aber erleuchtetes und verſchwiegen
aufglänzendes Heiligtum gelangt; — obwohl es doch in ſteter
Übung und nicht erlahmendem Gedächtnis erhalten war und
allenthalben in den deutſchen Alpen in zahlreichen Formen und
Abwandlungen verbreitet iſt, das Hirtenſpiel von Chriſti Geburt,
deſſen Darſtellung hier durch Bauernſoͤhne und Handwerker die
Freunde in Erfahrung gebracht hatten.
Wir ſuchten den Gaſthof, der uns bezeichnet war. Sowie man
die Schwelle überſchritten hatte, war die Bewegung fühlbar,
welche die bevorſtehende Darſtellung ins Haus brachte. In Flur
und Küche und Gaſtzimmer rührte es ſich, das obere Stock⸗
werk ſchien einbezogen, der Zuſpruch war nicht bloß ſonntäglich,
auf jedem Geſicht lag Wiſſen, Einverſtändnis, Vorbereitung.
107
Die Wirtin war eine ftattlide Frau mit roten Wangen und
ſchwarzem, (chon zurückgeſtrichenem Haar; darin hatte fie einen
ſchwarzen Kamm mit rotem Rande ſtecken, was ihr vortrefflich
ſtand. Es war zu ſehen, daß der Tag ſie freute. „Dreißig Jahre
muß es her ſein, denn ich bin bald zweiundvierzig. Seit damals
haben ſie's hier nicht geſpielt, und die alten Spieler ſind alle weg⸗
geſtorben.“ Eine kleine Magd hing an ihren Lippen, glühte vor
Erwartung und lief ſchon wieder in den Oberſtock.
Dort ſah es etwas nüchtern und unwohnlich aus, das Stockwerk
mochte vor nicht langer Zeit friſch aufgeſetzt ſein. Die Türen
waren offen, man ging hin und wider; in dem groͤßten Raum
ſtanden einige Männer. Sollte hier das Spiel vor ſich gehen?
Waren das Zurüſtungen, die ich ſah, ſo ſchienen ſie ſeltſam
geringfügig. Eine Bühne oder ein Podium hatte ich nicht er⸗
wartet. Aber die Stube war leer bis auf ein paar Bänke, die in
der Diagonale des Raums einander gegenübergeftellt waren, und
von früheren Einrichtungsſtücken ſchien ein Nachtkaſtel von
weichem Holz in einem Winkel vergeſſen zu ſein. Nur war es
mit der Vorderſeite zur Wand gedreht, und in den Winkel, wo
es ſtand, deutete die Gaſſe zwiſchen den Bänken. Es waͤre ſchwer
zu entſcheiden geweſen, ob damit wirklich ſchon etwas dem Spiel
Dienliches vorbereitet oder dieſe Aufſtellung nur zufällig war.
Immerhin war man nicht willens, daran etwas zu ändern, da
man davon ſprach, rings an den Wänden ein paar Bierfaffer
mit Brettern zu verbinden und ſo Sitzgelegenheiten zu ſchaffen,
mit den Bänken alſo nicht mehr rechnete. Als ich nachher ein
zweites Mal nachſehen kam, waren die Vorbereitungen für das
Spiel allerdings weiter gediehen. Man verhüllte eben die Fenſter
mit dunklen Decken und ließ die elektriſchen Birnen leuchten;
und oberhalb des Nachtkaſtels ſchlug einer einen Nagel ein und
hängte einen goldenen Stern daran. Hierauf ſpannte man eine
Schnur quer vor den Winkel und ſchloß ihn mit einem roten
kleingeblümten Vorhang ab. Jetzt glaubte ich auch, daß die
Bänke ſchon in rechte Aufſtellung gebracht wären, nur war nicht
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klar, wie es denn nicht ein Hindernis fein ſollte, wenn fie fo den
Raum teilten und durchſchnitten. Mir war es natürlich, abzu⸗
warten, wie ſich alles geſtaltete, und ich hätte keine Luſt gehabt,
ſie auszufragen, wie ſie ihr Spiel ordnen wollten. Doch erfuhr
ich, daß die Spielertruppe aus neun Männern und drei Frauen
beſtand; und man zeigte mir einen unterſetzten ftammigen Mann
mittleren Alters als den Anführer; fein Name wäre Joſeph Wit⸗
tinger, und er wäre ein Sohn des Obernüepele in Ingolfstal,
ſeinem Stand nach Zimmermann; dasſelbe wie ſein Bruder
Silveſter, der fonft der eigentliche Leiter der Aufführungen wäre
und zuletzt vor neun Jahren auf der Pfarrwieſe zu Metnitz das
Chriſtileidenſpiel aufgeführt hatte. Das Hirtenſpiel wäre nicht
geweſen ſeit dem Jahre 1912; jetzt gäben ſie es an den Sonn⸗
und Feiertagen in den Wirtshäuſern des ganzen ſehr gedehnten
Tal⸗Gaus. Sie nannten mir Name und Stand der Spieler; der
Engel und Maria hatten bloß die eine Rolle inne, die meiſten
anderen deren vier. Es waren durchwegs Knechte und Beſitzers⸗
föhne; dazu ein Zimmermann und ein Sägler, eine Zimmer:
mannstochter und eine Näherin.
Das Mittageſſen war aufgetragen, um eins begann die Dar⸗
ſtellung. Die Bänke, die von der Türe bis zu dem verhüllten
Winkel aufgeſtellt waren, hatte man am oberen Ende für uns
freigehalten; kein Zweifel, die Gaſſe zwiſchen ihnen hatte ihre
Verwendung im Spiele, dieſer enge langgezogene Raum war ſein
Schauplatz. Der übrige Raum füllte ſich allgemach ganz dicht
an, wir mußten uns immer etwas vorneigen, der haltſuchenden
gedrängten Armchen und Ellenbogen der Kinder wegen, die
hinter uns ſtanden und uns in die Ohren ſchnaubten, wie Ochs
und Eſel dem Chriſtkind. Und dahinter ſtopfte ſichs zuſammen
und baute ſichs auf, auf Bänken und Seſſeln ſtehend, die Hände
gegen die Decke geſtützt, nicht ein Fleckchen Wand waͤre zu er⸗
ſpähen geweſen. Die in der Mitte ſaßen ſich gegenüber etwa wie
in der Straßenbahn, doch ſchon zu eng aneinander, als daß der
Blick noch ungehindert bis zur Türe hätte finden konnen, und
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immer wieder zeigte ein fpäterer Koͤmmling Luft, auch diefen
geringen freien Raum noch zu feiner Bequemlichkeit einzu:
ſchränken. Einer kam gar mit einem Seſſel daher und ftellte ihn
in dieſer ohnedies ſo ſchmalen Gaſſe auf — aber da merkte man
ſchon, er gehoͤrte mit zum Spiel, er war der Einſager, der, Buech⸗
halter“, und hatte fein feſtes nach Art der Geſchäftsbücher ge:
bundenes Buch vor ſich. Er ſetzte ſich und war bereitwillig, ſeiner
Umgebung die Niederſchrift des Spieles zu zeigen. Da drang eine
unbeſtimmte und doch ſogleich verftändliche Bewegung von der
Türe her und pflanzte ſich durch den ganzen Raum fort. Das
Spiel hob an. Die Gaſſe zwiſchen den Bänken her, durch das
raunende und verſtummende Volk, mit ſtarkem Soldatenſchritt
kam der ‚Ankünder‘, jener Zimmermann, der das Spiel
führte. Er war angetan mit einem alten blauen Waffenrock,
roten Hoſen mit gelbem Streif, der papierene Zweiſpitz war mit
Federſträußchen beſetzt, auf der Bruſt ſaß neben einer anderen
Auszeichnung auch das allgemeine eherne Kreuz aus dem Kriege,
über ſeinen Schnurrbart hatte er noch einen zweiten buſchigeren
geklebt. Vor dem verhängten Winkel, über dem der Stern ſtand,
machte er Kehrt, zog den Säbel und grüßte damit, nach militäri⸗
ſchem Gebrauch, doch mit ungeübten Gelenken, und begann in
ſingendem Ton:
Freundlich gegrüßt ſeid allzumal
Mit Freuden einzuführen.
Hier tat er vier Schritte in die Gaſſe zurück, machte wieder Kehrt
und ſprach:
Ein Ding, zu brauchen überall,
Auch kürzlich zu rezitieren.
Um wieder nach vier Schritten fortzufahren:
Ein Ding, zu brauchen ganz hoch und klar,
Wie's uns die Evangeliſten bewahrt.
So ſprach er die ganze Ankündung, für jedes Verspaar mit vier
Schritten den Platz verändernd, in eintönigem Rezitativ, das
die Quarten hielt, ſeine Mundart zu ihrer altertümlichen Form
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bequemend; und längſt war gebannt, was man etwa an der ge⸗
waltſam ausſtaffierten Erſcheinung hätte belächeln mögen. Zu:
letzt, wie als vertraulichen Anhang zu dieſer zeremoniellen, heilig
einzuhaltenden Begrüßung fügte er noch einige Worte in unge⸗
bundener Rede hinzu, groß und gewichtig und ohne Ziererei ge⸗
ſprochen; ſie forderten zu gefälligem Zuhören auf. Dann grüßte
er wieder in militäriſcher Weiſe wie vorhin und ging ab. In
dieſem Augenblick ertönte von draußen, vor der Türe, das Lied
von Mariä Verkündigung, das man überall in den Alpen kennt:
Gegrüßt ſeiſt Maria, jungfräuliche Zier,
Du biſt voll der Gnaden, der Herr iſt mit dir.
Die ganze Spielergeſellſchaft ſang in der drängenden Art, wie
das Landvolk Kirchenlieder ſingt, in den gepreßten, harrenden
Raum hinein. Dann kam Maria, ein mittelgroßes derbes Bau⸗
ernmädchen mit regelmäßigem, ſtillem Geſicht, und kam der
Engel, ein zwoͤlfjähriges Schulmädchen in einem weißen Ge:
wand, mit Schärpe und goldenen Flügeln von Pappe, und
wovon geſungen war, das wurde auch vorgeſtellt und geſpro⸗
chen mit den Worten der Schrift. Wie ſich nun Auftritt an
Auftritt reihte, ohne Pauſe, nur etwa durch die Lieder aus⸗
einandergehalten, die vor der Tür erſchollen, trat zurück das
Beſondere und das Zufällige; ja jeder einzelne Wille in dieſen
Spielern; und die Einheit trat hervor, in der ſie behalten waren;
es wurde ganz offenbar, wie ihr Tun wenig ihr Belieben war, viel⸗
mehr alles feſtgeſetzt und aufgetragen wie dem Prieſter ſein Tun
am Altare; aber von ihnen dann auch ſtandhaft durchgeführt;
ohne Achtung alſo auf Rechts und Links, ohne Luſt, ſich aus⸗
zudrücken, ohne Vorhaben, dem Zuſchauer nur jemals auffällig
zu ſein; nur in dem Dienſt, dem ſie als Kinder ihres Landes
unterworfen waren, den Brauch der Väter zu erfüllen, da dies
mit ihrem Tag an ſie gekommen war. Überlieferung war nicht
nur das Wort — deſſen Verſtändnis in manchen kleinen Fällen
verdunkelt ſchien — überliefert war die Gebärde ganz und gar,
und keinem Raten und Verſuchen mehr anheimgegeben, was
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fonft not tat, die bibliſchen Ereigniſſe ſinnlich darzuſtellen. So
hielt der Engel ftändig die beiden Hände in Schulterhöhe, die
Handfläche nach außen, und zur Begrüßung verneigte ſich er
auch ſo. Oder die Hofherren, die im nächſten Auftritt zur Be⸗
ratung über den Zins vor Kaiſer Auguſtus geladen wurden,
ſtützten, wenn fie ſich zur Antwort von ihrer kleinen Bank er:
hoben, die linke Hand in die Seite. Später die Hohenprieſter,
die Herodes nach dem Meſſias fragt, zittern unausgeſetzt heftig
mit den Händen, der eine hält ein großes Buch, der andere eine
Kerze, ihm zu leuchten. Alle Monologe werden im Hin⸗ und
Hergehen geſprochen. Den erſten ſprach der heilige Joſeph, ein
langer hagerer Bauernknecht mit wunderbar vertrauenswürdi⸗
gem, verwittertem, von Furchen zerklüftetem Angeſicht. Seine
Verſicherung, daß er an Marias Zuſtand nicht ſchuld wäre, er⸗
weckte die Heiterkeit der Zuhörer. Er hatte an einer ſtrohgefloch⸗
tenen Taſche ſeine Tiſchlergeräte hängen, aber nur in Spielzeug⸗
größe: dies iſt die Art, wie die Gegenſtände der wirklichen Welt
in dieſen Rahmen hineingebracht werden. Dies war auch das
Geheimnis des verhängten Winkels, der Zelle, in der, einem
Tabernakel nicht unähnlich, der eigentliche Kern des Spieles auf⸗
bewahrt iſt. Auf dem Nachtkaſtel ſtand ein ‚Kripperl‘, wie man
es den Kindern zur Weihnachtszeit ſchenkt. Der Stall nichts als
ein Dach auf vier Pfoſten, unter dem in der Krippe ein ſehr
kleines Püppchen lag; dahinter in Holzfiguren Ochs und Cfel.
Für jede Szene, die dort ſpielte, wurden an dem Kripperl zwei
Chriſtbaumkerzchen angezündet, Joſeph und Maria ſaßen auf
Stühlen rechts und links davon; war ihre Szene zu Ende, und
zog man den Vorhang zu, fo wolbte er ſich wohl über fie, und
die Kerzchen ſchienen wunderſchoͤn durch den Stoff durch. Ver⸗
kleinert waren ebenfo die Gaben, die Hirten und Könige bor:
brachten; das Lamm, der kleine Bauſch Wolle, das Säckchen
Mehl; dann das Holzkloͤtzchen Gold und die Gefäße mit Weih⸗
rauch und Myrrhen; Joſeph konnte beim Auszug nach Agypten
alles in ſeine Strohtaſche ſtecken, ſamt Ochs und Eſel, die darin
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Albrecht Dürer: Bildnis des Ulrich Starck. Kreidezeichnung
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in die beiden Ecken kamen. Der Zuſchauer folgt dem Gebrauch
dieſer Dinge mit Behagen und mit einem Lächeln, das ſeine
Zuſtimmung und ſein Verſtändnis kundgibt. Seiner Phantaſie
iſt der Halt geboten, deſſen ſie bedarf; ſeine Augen haben die Luſt,
auf die ſie nicht verzichten koͤnnen, indem ihnen, durch Vor⸗
zeigen dieſer ſpielzeughaften Gegenſtände, die Form in Erinne⸗
rung gebracht wird. Daneben prägt ſich, beſonders auf den Ant:
litzen der Männer, auch die ungewohnte Anſtrengung aus, den
Vorgängen zu folgen, die ſich dann beim Erblicken des derb
Handgreiflichen gern in Lachen entſpannt. In einer der letzten
Szenen iſt eine nackte kleine Puppe das Kind, das Rahel im
Arm hält, als der Soldat zum Kindermord auf fie zutritt: „Was
biſt du?“ „Ein friedliches Weib...“ Wenn er mit dem
Säbel ſo zuſchlägt, daß der Holzkopf der Puppe abſpringt und
davonrollt und unter den Füßen der Zuſchauer geſucht werden
muß, fo wird gelacht. Aber es iſt ein Lachen, das dazu gehört,
weil es die Gegenſätze ganz zu ſich übernimmt und erledigt: ſie
ſind dann nicht mehr, und dahinter ſichtbar wird der Schauder und
die Ahnung, daß dieſem Vorgeſtellten eine gewaltige Wahrheit inne:
wohne. Hier hat man die beiden Grenzen nach oben und nach
unten: ſetzen ſchon die Formen in Gebärde und Vers, Gewan⸗
dung und Geſang die gewöhnlichen Verhältniffe außer Kraft, fo
daß das, was dann Vergrößerung iſt, manchmal wahrhaftig
kaum mehr ausmeßbar iſt und als Erſcheinung deſſen, was in die
Nähe des Heiligen reicht, ſtark an unſer Herz greift, ſo bezeichnen
die Dinge aus der Alltagswelt in ihren kleinen rohen Formen
eine untere Welt, die auch ihre Wahrheit hat: nicht umſonſt ſind
ſie kindiſch, nicht umſonſt mögen ſie einem Fetiſch an Geſtalt
ähnlich ſehen. Das alte Spiel begreift in ſich die höheren wie
die niedrigen Vorſtellungen des Glaubens; in ſeiner jahrhun⸗
dertelangen Entwicklung hat es daran auszuwägen gehabt, bis
das Gleichgewicht hergeſtellt war, in dem ſeine Dauer beruht.
Denn in dieſem Wechſel von Hoch und Nieder, der alſo bis ins
Tiefſte reicht, hat das Volk ſein Gedächtnis. So ſind die heiligen
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Szenen des Spiels gegen die derben ausgewogen; neben dem
ſchimmernden Überwurf von Seide, der Uniform und der Krone
zeigt ſich der Schafpelz, die wilde Peruͤcke und der Spitzhut, und
da ſchon in dieſem Spiel nicht der Teufel neben die heiligen Per⸗
ſonen tritt, ſo muß doch neben den Klang das Gepolter, neben
den Geſang tieriſches Brüllen und Schnaufen treten.
Die „Vor⸗der⸗Tür⸗Lieder“ fang immer die ganze Truppe, fie
klangen geheimnisvoll und erweckten ehrfuͤrchtige Erwartung;
und mit dem Ende eines ſolchen nun ſcholl von der Türe her ein
furchterregendes Pochen und Stampfen, unmäßig hart und von
Klirren begleitet. Die Gaſſe, der Raum für die Spieler, hatte
ſich, wie die Vertraulichkeit im Fortgang des Spieles wuchs, ſehr
verkleinert und verengt, gerade daß man den Spielern noch ein
wenig auswich; jetzt ſcheuchte etwas Wildes, Ungezähmtes dieſes
Vordringen in ſeine Grenzen zurück. Es waren die Hirten in
abgeniigter einheimiſcher Tracht, mit Spitzhuͤten, die mit Bän⸗
dern umwunden waren; in rhythmiſchem Humpeln ſtießen ſie
die mächtigen Ningftöcke vor ſich auf den Boden, wie fie ehe:
mals die Waffe der Hirten gegen die Wölfe waren. Eine Spanne
hoch vom untern Ende tragen ſie einen Ring befeſtigt, in dem
ein Vierteldutzend gleicher Ringe hängt; bei jeder Bewegung
klirren ſie und erwecken den Eindruck erſchrecklicher Wehrhaftig⸗
keit. Die wird hier natürlich auch komiſch ausgenützt. Zunächſt
ſollen die Zuſchauer geängftigt und zum ſchnellen Einziehen ihrer
Füße veranlaßt werden. Und nachher, als die Hirten aus dem
Schlaf erwachen und aufſtehn ſollen und einer von ihnen hart⸗
näckig liegen bleibt, ſetzen die andern zwei die Stöcke als Hebe⸗
bäume an und bringen ihn ſo mit geſpielter Anſtrengung auf die
Beine. Der Humor der Hirtenſzenen, der ganz nahe und zu:
traulich an das wirkliche Leben herankommt, erlaubt der Dar⸗
ſtellung noch ein anderes Mal, den Zuſchauer ihre Überlegenheit
fühlen zu laſſen. Einer der Hirten ſitzt auf der Decke auf dem
Boden und flickt ſeinen Rock: das erfolgt zu dem beſonderen
ſpaßhaften Zweck, daß er zu ſeinem Lied beim Ausziehen der
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Nadel die nahen Waden der Zuhörer aufſucht; und natürlich
macht er mit kurzen Rutſchbewegungen eine kleine Reiſe auf dem
Boden und dreht ſich auch um, damit die andere Seite der Gaſſe
nicht zu kurz käme. Natürlich wurde das weibliche Geſchlecht
bevorzugt, der Geiſtliche aber nicht geſchont. Zum Singen der
anderen Lieder ſtellten ſie ſich zu dritt zuſammen, dabei ſahen ſie
einander mit traumartigem und doch wachem Einverſtändnis
an, ſtemmten die Ringſtöcke vor ſich und nickten und bogen, die
Bruſt herausdrückend, den einen Arm in die Hobe, wie der tut,
der eine große Merkwürdigkeit zu erzählen hat. Und wie ſie ſich
für die nächtliche Engelserſcheinung ſchlafen legten, taten ſie das
gar nicht ſo, wie man es wirklich tut; ſondern ſie legten ſich, ſchief
in der Gaſſe, alle drei auf den Bauch und behielten den Kopf
dabei etwas gehoben; der war da natürlich ganz nahe an den
Füßen der Zuſchauer, während für ihre Füße unter den unfern
Platz geſchafft werden mußte.
Nun tritt aber neben das Nächtliche und Wilde dieſer Geſellen
auch der geheimnisreich heilige Glanz, der von den drei Koͤnigen
ausgeht: da ſteigert ſich nun eine Gruppe an dem Weſen der
anderen, und von jeder wird gefordert, ihren Ernſt und ihre Weihe
an den Tag zu legen: die Hirten haben ſich zu Schützern des
neugeborenen Kindes aufgeworfen und verwehren den fremden
Ankömmlingen den Zutritt zum Stall, ein Wechſelgeſang zeigt
die Koͤnige bittend und beteuernd, die Hirten ſpottluſtig, miß⸗
trauiſch und zuletzt verfühnt. Die Könige hatten, fo gut wie die
Hirten, in jener Gaſſe nur hintereinander Platz; ſie ſchimmerten
mit ihren roten Prunkmänteln, den dicken bemalten Zeptern,
den ausgebauchten abenteuerlichen Kronen, von denen ihnen
koſtbare Seidentüchlein auf die Schultern hingen (der Mohren⸗
könig hatte dazu einen ſchwarzen Schleier vors Geſicht genom⸗
men), vor allem aber mit den redlichen Geſichtern aus einem
Halbdunkel des herangedrängten Landvolks, voll unendlicher
Ruhe und ehrwürdiger Einfalt herüber; der erſte war derſelbe,
der auch den Ankünder geſprochen hatte, das Leben hatte ihm
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einen ſorgenvollen Zug mit ſtarken treuherzigen Falten ins ge:
roͤtete bärtige Geſicht geſchrieben; hier war es, als wäre ihm der
ganz allein von der hoffnungsvollen Bitte, wenn die Strophen mit
der Anrede, Lieber Bauer‘ begannen, zuteil geworden. Ihm gegen:
über war einer von den Hirten merkwürdig, ein jüngerer Menſch
mit ſtark ausgezogenem dunklem Schnurrbart, immer war ſeine
Stimme die erſte im Geſange, in ſeinen munteren Augen ſtand
es immer zu leſen, daß er wußte, wie es weiterginge; und von
ſeinem reſoluten, mit ganz feinem Humor angelegten Weſen ging
eine leiſe ſtarke Führung aus, und es ſahen wohl auch die Partner
erwartungsvoll auf ihn, ehe fie in den Geſang einfielen und die
Hilfe des Buechhalters nicht vernehmlich genug ſchien. Aber es
lag dazu auch die Aufforderung, das Spiel zu ermöglichen, gleich⸗
fam überall in der Luft, und es ging auch immer geraͤuſchlos
etwas hiezu Dienendes vor. Sei es, daß der Buechhalter auf dem
Gange waltete, über die ſchlafenden Hirten ſtieg, denen, die
niederzuknieen hatten, Decken vorlegte, die Kerzchen an der Krippe
auslöſchte oder anzündete, wohl auch von den Umſtehenden ge⸗
fällig unterſtützt , oder fei es das unſichtbar Tragende, mit dem
alle mitwirkten aus ihrem Herzen heraus; wovon wohl der
Mund überging, gar in beſonders merkwürdig erſcheinenden
Bildern, ſo daß der Ankünder einmal, jedoch ohne daß es eine
beſchämende Störung bedeutet hätte, zu der Anſprache genötigt
war: „Oba ich bitt mehr um Ruahe, wia ſollen denn da die Leut
reden und die Rollen hoͤren, wann immer a ſo a Glachter und a
Gredach is, des geaht ja nit!“
Zu einer dritten Gruppe, die wieder unheimlich und gewalttaͤtig
auftrat, vereinigte ſich ſchließlich die Mehrzahl der Spieler. Der
Engel war ausgenommen und die Maria, die jetzt die Buech⸗
halterin zu machen hatte; alles andere war zur Darſtellung der
Rauber aufgeboten. Ihr Auftreten war gegenüber dem der Hirten
ordentlich teufelsmäßig: knurrend, pfauchend, heulend fegten fie
in die Gaſſe herein, verſammelten ſich, acht Räubersknechte,
Räuberhauptmann und Räuberweib, am oberen Ende des
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Weges und ftellten fich, in ihren Schafpelzen und zottigen
Perücken, paarweis einander zugekehrt auf, zogen die Saͤbel und
ſtimmten ihren Raubergefang an. Zu jedem Takt des wilden Liedes
ſchlugen ſie in der Luft die Säbel zuſammen, es klang prachtvoll.
ö Wenn wir auf dem Galgen hangen,
Bis die Beinlein werden weiß,
Tuat der Leib ſo herrlich prangen,
Weil er iſt ein Vogelſpeis.
Iſt viel ſchoͤner in der küehlen Luft
Als in einer Totengruft!
lautete die letzte Strophe, und bei dem Wort ‚Luft‘ fuhren die
Klingen in die Hohe, bei dem Wort ‚Gruft‘ aber gen Boden:
das Ausbleiben des taktierenden Klirrens, woran ſich das Ohr
gewöhnt hatte, ſchloß das Lied mit einer geſpenſtiſchen Wirkung
ab, wie ſie ſtärker nicht zu erſinnen wäre. Der Abgang nach
dieſem Lied erfolgte mit demſelben Pfauchen und Schnauben
wie das Auftreten. Zu den Szenen mit den heiligen Wanderern,
die dann folgten, trat nicht wieder die ganze Bande auf. Es han⸗
delte ſich hier um die apokryphe Legende von dem Schächer
Dismas, der das flüchtende Paar im Agyptenwald beim Raub:
überfall ſchont, geblendet von dem Glanz des Kindes, und dem
dann geweisſagt wird, daß er mit dem Heiland ſterben würde:
dies vorzuſtellen, hatte das ausgeführte und ſzenenreiche Spiel
nicht verſäumt. Sein Schluß war der Kindermord und die Aus⸗
zahlung der beiden Kriegsknechte, die mit geſpießten Puppen
vor Herodes hintreten und ſich in den Helm Gulden zählen
laſſen, zehn, zwanzig, dreißig - erſt mit achtzig ſind ſie zufrieden
und treten mit der Verſicherung ab, daß der Lohn bald ver⸗
trunken fein würde. Ein Marienlied „Doch mein Schäflein lauf
nur hin zu Maria ber Schäferin‘ ſchloß unmittelbar, dem Brauch
gemäß, das ‚Schäferfpiel‘ an, das in ſanftem Rezitativ und
geiſtlichen Dialogen von Schäfer und Räuber und Pilgram zum
Epilog abklang, den der Ankünder in derſelben Weiſe vortrug,
wie er das Spiel eingeleitet hatte.
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An einem Ausgang wurde Geld abgefammelt, wer wollte, Eonnte
fid) auch durch die andere unbefegte Türe entfernen. Draußen
verpackten ſie in eine ſehr große eiſenbeſchlagene Kiſte die Requi⸗
ſiten und Gewänder. Es war längſt finfter geworden, das Spiel
hatte vier Stunden gedauert, ſie ſpielten es um acht Uhr wieder
in einem Wirtshaus, wohin fie dreiviertel Stunden zu fahren
hatten. Wir ſaßen unten in der Wirtsſtube, als ſie mit Hut und
Stock und Wetterfleck durchkamen, alle von mächtigem Wandel,
die Stube füllend, lächelnd aus milden Augen in einer heimlichen
guten Müdigkeit, und uns ihre harten Hände zum Abſchied boten.
*
Meiſter Eckhart
Zefemeifter und Lebemeiſter
Beſſer wäre ein Lebemeiſter, denn tauſend Leſemeiſter; aber leſen
und leben ohne Gott, dazu kann niemand kommen. Müßte ich
einen Meiſter der Schrift ſuchen, den ſuchte ich zu Paris und auf
den Hohen Schulen um hoher Wiſſenſchaft willen. Aber wollte
ich nach vollkommenem Leben fragen, davon konnte er mir nichts
ſagen. Wohin müßte ich dann gehen? Allzumal nirgend anders⸗
hin, denn in eine bloße, ledige Natur: die könnte mir kundmachen,
wonach ich ſie in Angſten fragte. Leute, was ſucht ihr an dem toten
Gebein? Warum ſucht ihr nicht das lebendige Heiligtum, das
euch ewiges Leben geben kann? Denn der Tote hat weder zu
geben noch zu nehmen. Und müßte der Engel Gott ſuchen außer⸗
halb Gottes, ſo ſuchte er ihn nirgend anderswo, denn in einer
ledigen, bloßen, abgeſchiedenen Kreatur. Alle Vollkommenheit
iſt daran gelegen, daß man Armut und Elend, Schmach und
Widerwärtigkeit und alles, was an Drückendem auf uns fallen
mag, willig und fröhlich, ledig und begierig, bereit und unbeweg⸗
lich erleiden könne und bis an den Tod dabei bleibe ohne alles
Warum.
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Das ewige Wort wird nur in der Stille laut
Der himmliſche Vater fpricht ein Wort und ſpricht das ewig,
und in dem Wort verzehrt er alle ſeine Macht und ſpricht in dem
Wort ſeine göttliche Natur allzumal und alle Kreatur. Das
Wort liegt in der Seele verborgen, ſo daß man es nicht weiß
und nicht hört, wenn ihm nicht Raum gemacht wird in dem
Grunde des Hörens, — eher wird es nicht gehört; vielmehr:
alle Stimmen und alle Laute, die müſſen hinweg, und muß da
eine lautere Stille ſein, ein Stilleſchweigen.
Aus Meiſter Eckhart, Deutſche Predigten und Traktate
*
David Herbert Lawrence
Lächeln
Er hatte beſchloſſen, die Nacht ſitzend zu durchwachen; das ſollte
eine Art von Buße ſein. Im Telegramm hatte nur geſtanden:
„Oyhelias Befinden beſorgniserregend.“ Da hatte er nun das
Empfinden, daß es eine unverzeihliche Gefühlloſigkeit ſein würde,
wenn er im Schlafwagen zu Bett ging. So ſaß er denn müde in
ſeinem Abteil erſter Klaſſe, indeſſen die Nacht auf Frankreich
herabſank.
Natürlich, dachte er, müßte ich jetzt eigentlich am Bette Ophelias
ſitzen. Aber Ophelia wollte ihn ja nicht haben. So ſaß er nun
wachend im Zuge.
Tief drinnen in ſeinem Leibe ſaß ein ſchwarzes und ſchweres
Gewicht: wie ein Krebsgeſchwür, das mit lauter Gram gefüllt
war und laſtend auf den Quellen ſeines Lebens lag. Er hatte das
Leben immer ſchwer genommen. Nun drückte die Schwere ihn
übermächtig nieder. Sein dunkles, hübſches, glattraſiertes Ge⸗
ſicht mit den in dumpfer Qual ſchiefgezogenen ſtarken ſchwarzen
Augenbrauen hätte einen Maler zu einem „Chriſtus am Kreuz“
anregen können. |
119
Diefe Nacht im Zuge war wie ein Höllenfpuf: nichts war wirk⸗
lich. Die beiden ältlichen Engländerinnen ihm gegenüber waren
ſchon lange tot, vielleicht länger als er ſelbſt. Denn auch er ſelbſt
war natürlich tot.
In den Bergen an der Grenze kam langſam und grau die Morgen⸗
dämmerung; er ſah hinaus, ohne doch zu ſehen. Immer gingen
ihm die Verſe durch den Sinn:
Es kam die Dämmrung, trüb, voll Trauern,
eiſig durchſprüht von frühen Schauern;
da ſchlief ſie ſtill: denn ihre Nacht
begann, wenn uns der Tag erwacht.
Und in ſeinem zermarterten Geſicht, einem wandelloſen Mönchs⸗
geſicht, war keine Spur davon zu leſen, daß ſein kritiſcher Verſtand
die Wiederholung der Serie voll Verachtung, ja voll Selbſt⸗
verachtung, eine lächerliche Verſtiegenheit nannte.
Er war in Italien: und er betrachtete die Landſchaft mit ſchwa⸗
chem Widerwillen. Er brachte nicht mehr viel Empfindung auf:
nur dieſen ſchwachen Widerwillen, als er die Olivenbäume und
das Meer ſah. Das könnte man poetiſchen anne nennen,
dachte er.
Es war abermals Abend, als er das Heim der Blauen Schweſtern
erreichte, in dem Ophelia Zuflucht geſucht hatte. Man führte
ihn in das Zimmer der Mutter Oberin, im Schloßbau. Sie erhob
ſich und neigte den Kopf, wobei ſie ihn an der Naſe herunter be⸗
trachtete. Dann ſagte fie auf franzöfifch:
„Es ſchmerzt mich, daß ich es Ihnen mitteilen muß. Sie it heute
nachmittag geftorben. 4
Er ſtand wie betäubt; nicht daß er in dieſem Augenblick viel
empfunden hätte: aber ſein ſchoͤnes Mönchsgeſicht mit den ſtark
geprägten Zügen verriet, daß ihm das Nichts entgegenſtarrte.
Die Mutter Oberin legte ſacht ihre weiße, ſchöne Hand auf
ſeinen Arm und blickte zu ihm auf; ſie lehnte ſich an ihn.
„Mut!“ ſagte ſie ſanft. „Mut, nein?“
Er trat einen Schritt zurück. Es war ihm immer peinlich, n wenn
120
eine Frau fid) fo an ihn lehnte. Die Mutter Oberin in ihren
umfänglichen Rocken war ſehr weiblich.
„Gewiß!“ antwortete er auf engliſch. „Kann ich ſie ſehen?“
Die Mutter Oberin läutete, und eine junge Schweſter erſchien.
Sie war ein wenig bleich, aber in ihren haſelnußbraunen Augen
leuchtete etwas wie Kindlichkeit und Mutwille. Die Oberin
murmelte eine Vorſtellung, und die junge Schweſter, ernſthaft,
machte eine leichte Verneigung. Aber Matthew ſtreckte ihr die
Hand hin, mit der Bewegung eines Mannes, der nach dem letzten
Strohhalm greift. Die junge Schweſter lofte ihre gefalteten Han-
de und ließ die Rechte ſcheu in ſeine ſchlüpfen: ſie war reglos wie
ein ſchlafender Vogel.
Und Matthew, verſunken im unermeßlich tiefen Hades ſeines
Grams, dachte: Was für eine ſchoͤne Hand!
Sie gingen durch einen hübſchen, aber kalten Flur, und die junge
Schweſter klopfte an eine Tür. Matthew, dahinſchreitend im
unergründlichen Hades des Grams, nahm dennoch die ſanft und
fein und üppig geſchwungene Linie der beiden ſchwarzen Frauen⸗
röcke wahr, die ſich in leiſer und ſchwingender Eile vor ihm her
bewegten.
Er erſchrak tief, als die Tür aufging und er in dem erhabenen
vornehmen Raum die Kerzen rings um das weiße Lager brennen
ſah. Eine Schweſter ſaß neben den Kerzen; ſie blickte zu ihm auf,
und er ſah in ihr von der weißen Haube umrahmtes dunkles und
einfaches Geſicht. Dann ſtand fie auf und grüßte mit einer leichten
Verneigung; Matthews Bewußtſein verzeichnete die Beobach⸗
tung, daß ſie von ſtämmiger Geſtalt war und bräunlich⸗blaſſe
Hände hatte, die auf der glänzenden blauen Seide ihrer Bruſt
mit einem ſchwarzen Roſenkranz ſpielten.
Die drei Schweſtern ſchritten ſtumm, mit raſchen Schwingungen
ihrer umfänglich gebauſchten ſeidenen ſchwarzen Rocke, ſehr
weiblich, zum Kopfende des Lagers; dort blieben ſie. Die Mutter
Oberin neigte ſich und hob mit zarteſter Behutſamkeit den weißen
Batiſtſchleier vom Antlitz der Toten.
121
Matthew ſah das Antlitz feiner Frau in der ſchoͤnen Gelaſſenheit
des Todes; und ſogleich ſprang tief in ihm etwas wie Gelächter
auf. Er ſtieß einen leiſen grunzenden Laut aus, und ein ſehr wun⸗
derliches Lächeln nahm von ſeinem Geſicht Beſitz.
Die drei Nonnen, im Kerzenglanz, der warm und raſch wie das
Licht eines Chriſtbaums flackerte, ſahen ihn unter ihren Hauben⸗
bändern hervor mit traurigen und mitleidigen Augen an. Sie
waren wie ein Spiegel. In ſechs Augen glomm plotzlich ein wenig
Furcht auf — und wandelte ſich in verwirrtes Staunen. Und von
den drei Nonnengeſichtern, die ihn im Kerzenlicht hilflos an⸗
blickten, begann ein ſeltſames, vom Willen nicht beherrſchtes
Lächeln Beſitz zu ergreifen. Das gleiche Lächeln erblühte in dieſen
drei Geſichtern auf ſo ganz verſchiedene Art: das war, als wenn
drei erleſene Blumen ſich erſchloſſen. Bei der bleichen jungen
Nonne war es ein faſt ſchmerzlicher Ausdruck, in den ſich etwas
wie mutwillige Verzückung miſchte. Das Lächeln um die Lippen
der mit der Totenwache betrauten Schweſter, einer reifen Frau
mit dunklem, liguriſchem Geſicht und waagrechten Brauen, war
ein heidniſches Lächeln: langſam, unendlich überlegen in ſeinem
antiken Humor. Es war das etruskiſche Lächeln: überlegen, voll
ſelbſtverſtändlicher Sicherheit — und unerwiderbar.
Die Mutter Oberin, deren großliniges Geſicht irgendeine unbe⸗
ſtimmte Ahnlichkeit mit Matthews Zügen hatte, wehrte ſich ſehr
gegen das Lächeln. Er aber ließ nicht nach; er ſah ſie an, humor⸗
voll und mit boshaft vorgerecktem Kinn, bis ſie den Kopf ſenkte;
das Lächeln wuchs, wuchs und nahm von ihrem ganzen Geſicht
Beſitz.
Die bleiche junge Schweſter verhüllte plotzlich ihr Geſicht mit
dem Armel; ſie bebte am ganzen Leibe. Die Mutter Oberin legte
den Arm um des Mädchens Schultern und ſagte mit italieniſchem
Gefühlsüberſchwang: „Armes kleines Ding! Komm, wein dich
aus, armes kleines Ding!“ Aber das Kichern zitterte noch immer
durch den uberſchwang des Gefühls. Die dunkelhäutige Schweſter
ſtand da, derb und unbewegt, ihre Hände umklammerten die
122
ſchwarzen Perlen des Roſenkranzes, und unbewegt blieb auch
ihr ſtummes Lächeln.
Matthew wandte ſich plöglich dem Lager zu, als wollte er ſehen,
ob ſeine Frau ihn beobachtet hatte. Es war eine Bewegung, die
Furcht verriet.
Ophelia lag ſo hübſch und ſo rührend da; ihre ſpitze kleine Naſe
ſtieß auch im Tode noch trotzig vor, und ihr eigenſinniges Kinder⸗
geſicht war erſtarrt in letztem Aufbegehren. Das Lächeln ſchwand
aus Matthews Zügen, und ein Ausdruck übermenfchlicher Qual
trat an ſeine Stelle. Er weinte nicht; ſein ſtarrer Blick war ohne
Sinn und Leben. Der Ausdruck ſeines Geſichts aber ſagte immer
deutlicher: Ich wußte ja, daß mir das Schickſal dieſe Qual zu⸗
gedacht hatte.
Sie war ſo hübſch, ſo kindlich, ſo geſcheit, ſo trotzig, ſo müde —
und ſo leblos! Er ſtand ſo verlaſſen vor alledem.
Zehn Jahre hatte ihre Ehe gedauert. Er ſelbſt war keineswegs
ein vollkommener Gatte geweſen — nein, nein, alles andere eher
als das! Aber Ophelia hatte immer nur ihren eigenen Willen
gelten laſſen. Bei ihr wechſelten Liebe und Trotz und Sehnſucht,
Verachtung und Zorn in ſteter Folge; ein dutzendmal hatte ſie
ihn verlaſſen, ein dutzendmal war ſie zu ihm zurückgekehrt.
Kinder hatten ſie nicht. Und er, mit gefühlvoller Sehnſucht, hatte
ſich immer Kinder gewünſcht. Ihm war unendlich traurig zumute.
Nun würde ſie niemals zu ihm zurückkehren. Es war das dreizehnte
Mal, daß ſie ging, und diesmal war ſie für immer gegangen.
Aber war ſie das wirklich? Noch wahrend er es dachte, hatte er
das Gefühl, als ſtieße ſie ihn heimlich in die Rippen, um ihn zum
Lächeln zu bringen. Er krümmte ſich ein wenig, und feine Brauen
zogen ſich ärgerlich zuſammen. Er wollte nicht lächeln! Er ſchob
feinen eckigen, glatten Unterkiefer vor und entblößte feine ſtarken
Zähne, indeſſen er auf die Tote niederblickte, die ſo unendlich
herausfordernd dalag. „Fängſt du ſchon wieder an!“ hätte er
am liebſten zu ihr geſagt, wie jener Mann bei Dickens.
Ich bin ja auch kein vollkommener Gatte geweſen, dachte er.
123
Denn er wollte ſich jetzt einmal feine eigenen Unzulänglichkeiten
vorhalten.
Plötzlich wandte er fic) den drei Frauen zu, die ſich geräuſchlos
hinter die Kerzenreihe zurückgezogen hatten und deren Geſichter
nun, umrahmt von den weißen Hauben, zwiſchen ihm und dem
Nichts ſchwebten. Seine Augen flammten, und er entblößte
die Zähne.
„Mea culpa! Mea culpa!“ ftieß er heftig hervor.
„Macchè!“ rief die Mutter Oberin erſtaunt. Ihre Hände
flogen auf, vereinten ſich wieder und ſaßen im dunklen Schatten
der Armel wie zwei Vögel im Neſt.
Matthew duckte den Kopf und ſpähte in die Runde, fluchtbereit.
Die Mutter Oberin, im Hintergrunde, begann leiſe ein Pater⸗
noſter zu beten, und die Perlen ihres Roſenkranzes pendelten.
Die blaſſe junge Schweſter wich noch weiter zurück. Aber die
ſchwarzen Augen der ſtämmigen, dunkelhäutigen Schweſter
funkelten wie Sterne voll ewigen Humors zu ihm herüber, und
er fühlte, wie ihn das Lächeln ſchon wieder in die Rippen ſtieß.
„Verſtehen Sie mich recht“, ſagte er zu den Frauen im Tone
der Selbſtverteidigung. „Ich bin ſchrecklich aufgeregt. Es iſt
wohl beſſer, ich gehe.“
Sie zögerten ratlos, in bannender Verwirrung. Er ging geduckt
zur Tür. Aber noch indeſſen er ging, bemächtigte ſich das Lächeln
wieder ſeines Geſichts, noch erhaſcht von den ſchwarzen, unab⸗
läſſig zwinkernden Augen der ſtämmigen Schweſter. Könnte ich
doch, dachte er heimlich, dieſe beiden bräunlich blaſſen Hände
faſſen und halten, die wie hochzeitende Vögel verbunden ſind,
luſtvoll.
Aber er beſtand darauf, ſich jetzt ſeine eigenen Unzulänglichkeiten
vorzuhalten. „Mea culpa!“ heulte er ſich ſelbſt ins Antlitz. Aber
noch indeſſen er es ſchrie, fühlte er, daß etwas ihn in die Rippen
ſtieß, hörte er eine Stimme: „Lächle!“
Die drei Frauen, die er in dem feierlichen Raum zurückließ,
blickten einander an, und ihre Hände flatterten einen Augenblick
124
auf, ſechs Vögeln gleich, die plotzlich aus dem Laub auffliegen und
ſich dann wieder niederlaſſen.
„Armer Menſch!“ ſagte die Mutter Oberin mitleidig.
„Ja, ja! Armer Menſch!“ rief die junge Schweſter, ſchrill, mit
kindlich leidenſchaftlicher Aufwallung.
„Gia!“ fagte die dunkelhäutige Schweſter.
Die Mutter Oberin glitt geräuſchlos zum Lager und neigte ſich
über das Antlitz der Toten.
„Es iſt, als hätte ſie's gehört, die arme Seele!“ ſagte ſie leiſe.
„Findet ihr nicht auch?“
Die drei Hauben neigten ſich über das Lager. Und nun ſahen die
Nonnen zum erſtenmal das kleine fpöttifche Lächeln, das Ophelias
Mundwinkel herabbog. Sie ſahen es in ratloſem Staunen.
„Sie hat ihn geſehen!“ flüſterte die junge Schweſter zitternd.
Die Mutter Oberin legte behutſam den feingewebten Schleier
über das kalte Antlitz. Dann murmelten ſie ein Gebet für Ophe⸗
lias Seele und ließen die Roſenkranzperlen durch die Finger
gleiten. Dann rückte die Mutter Oberin zwei von den Kerzen
auf ihren Haltern zurecht: mit ſachtem, feſtem Griff faßte ſie
den dicken Kerzenſtiel und drückte ihn nieder.
Die dunkelhäutige, ſtämmige Schweſter ſetzte fi) mit ihrem
kleinen Gebetbuch wieder ans Lager. Die beiden anderen gingen
mit leiſem Raſcheln zur Tür und auf den langen weißen Flur
hinaus. Wie ſchwarze Schwäne ſahen ſie aus in ihren wallenden
dunklen Gewändern, als fie lautlos dahinglitten. Plöglich aber
verhielten ſie den Schritt. Beide hatten ſie die Geſtalt eines
Mannes geſehen, der zaudernd, einſam und wie verloren, angetan
mit einem melancholiſchen Überzieher, in der kalten Ferne am
Ende des Flures ſtand. Die Mutter Oberin beſchleunigte mit
einem Ruck ihren Schritt zu einem Anſchein von Eile.
Matthew ſah, wie ſie auf ihn zugeſegelt kamen, die beiden um⸗
fänglichen Geſtalten mit den von den Hauben umrahmten Ge⸗
ſichtern und den in all dem dunklen Stoff gleichſam verlorenen
Händen. Die junge Schweſter folgte ein wenig langſamer.
125
„Pardon, ma Mere!“ fagte er, wie bei einer Begegnung auf
der Straße. „Ich habe meinen Hut hier irgendwo...“
Er machte eine verzweifelte, rührend unbeſtimmte Bewegung
mit dem Arm, und nie war ein Menſch dem Lächeln fo welten fern.
übertragen von Karl Lerbs
Aus den Geſchichten von Karl dem Großen
Aufgezeichnet durch Notker den Stammler
Wahrend den Kaiſer fo das Kriegshandwerk befdhaftigte, unterließ
er es jedoch keineswegs, hochherzig zu den Königen der fernſten
Reiche Geſandte zu ſchicken mit Briefen und Geſchenken, einen
um den anderen. Denn es wurden ihm aller Länder Ehren
gebracht.
Als er nun vom Schauplatz des Sachſenkrieges an den Koͤnig
in Konſtantinopel Geſandte ſchickte, fragte der, ob das Reich
feines Sohnes Karl auch in Frieden fet oder ob es von benach⸗
barten Völkern angelaufen werde. Der Führer der Geſandt⸗
ſchaft erzählte, alles ſonſt ſei in Frieden, nur ein Volk, die Sachſen
genannt, beläſtige durch häufige Raubzüge die Grenzen der
Franken. Da ſagte dieſer im Müßiggang erſchlaffte und im
Kriegshandwerk ganz unbrauchbare Menſch: „Oh, warum plagt
ſich mein Sohn im Kampf mit dieſen paar Feinden ohne Na⸗
men und ohne Heldenmut? Da, ich ſchenke dir dies Volk mit
allem, was dazu gehört.”
Wieder daheim, erzählte der Geſandte das dem großen Krieger
Karl. Der lachte dazu und meinte: „Dieſer König da hinten
hätte viel beffer für dich geſorgt, hätte er dir auch nur eine leinene
Hoſe für deine weite Reiſe geſchenkt.“
Nicht darf ich die Klugheit verſchweigen, die derſelbe Geſandte
gegen einen Weiſen Griechenlands bekundete. Als er im Herbſt
126
einft mit feinen Begleitern zu irgendeiner Eöniglichen Stadt kam,
wurden ſie, die einen hier, die andern dort, untergebracht und er
ſelbſt der Fürſorge eines Biſchofs anvertraut. Dieſer war un⸗
abläſſig bedacht auf Faſten und Beten und brachte den Ge
ſandten durch ſtändiges Faſten faſt dem Tode nahe. Als nun im
Frühling das Wetter ſchon ein wenig milder geworden war,
ſtellte er ihn bei Gelegenheit dem Könige vor. Der fragte ihn, was
er von dem Biſchof halte. Aus innerſter Seele ſchwer ſeufzend,
ſagte der Geſandte: „Gar heilig iſt dieſer Euer Biſchof, ſoweit
das ohne Gott möglich ift.” Verwundert fragte der König: „Wie
kann denn jemand ohne Gott heilig ſein?“ Darauf jener: „Es
Debt geſchrieben: Gott iſt die Liebe — und die hat der Biſchof
nicht.“
Darauf lud ihn der König an ſeine Tafel und ſetzte ihn mitten
unter die vornehmen Herren. Dieſe aber hatten ein Geſetz ein⸗
geführt: niemand am Tiſch des Königs, einheimiſch oder fremd,
dürfe ein Tier oder einen Teil davon auf die andere Seite wenden,
ſondern nur ſo davon eſſen, wie es auf der Schüſſel läge. Man
brachte in einer Schüffel einen Flußſiſch mit gewürzter Brühe
übergoſſen. Und als der Gaſt, unbekannt mit jener Sitte, den
Fiſch auf die andere Seite legte, ſprangen ſie alle auf und ſprachen
zum König: „Herr, man hat Euch entehrt, wie Eure Vorfahren
noch nie.“ Und der König ſprach ſeufzend zu thm: „Ich kann ihnen
nicht wehren, daß ſie dich unverzüglich zu Tode bringen. Bitte
dir etwas anderes aus, was du willſt, und ich will es dir er⸗
füllen.“
Der Geſandte beſann ſich ein Weilchen, dann rief er vor aller
Ohren: „Ich beſchwöre Euch, Herr Kaiſer, daß Ihr mir nach
Eurem Verſprechen eine kleine Bitte gewährt.“ Der Koͤnig ver⸗
ſprach es ihm: „Fordere, was du auch willſt, und du ſollſt es
erhalten: nur kann ich dir gegen das Geſetz der Griechen nicht
dein Leben ſchenken.“ Darauf jener: „Soll ich ſterben, ſo fordere
ich dies eine, daß, wer mich jenen Fiſch wenden ſah, das Augen⸗
licht verliere!“
127
Beſtürzt ob folder Bedingung, ſchwur der Konig bei Chriſtus,
er ſelbſt habe es nicht geſehen, ſondern glaube es nur denen, die
es ihm erzählt hätten. Dann begann die Königin fich fo zu ent⸗
ſchuldigen: „Bei der freudeſpendenden Mutter Gottes, der hei⸗
ligen Maria, ich habe es nicht bemerkt.“ Danach ſuchten ſich die
übrigen Vornehmen einer vor dem andern eiligſt aus ſolcher
Gefahr zu ziehen: diefer beim Schlüffelträger des Himmels, der
bei dem Lehrer der Heiden, die übrigen bei der Tugend der Engel
und der Schar aller Heiligen: ſo ſuchten ſie ſich von der Schuld
mit ſchrecklichen Eiden zu loͤſen.
So überwand der ſchlaue Franke das eitle Hellas am eignen
Herde und kam als Sieger wohlbehalten in fein Vaterland zurück,
Als Pippin, Karls Sohn, ihm von einer Kebſin geboren, mit den
Großen in der Peterskirche Rates pflog, den Kaiſer zu ermorden,
ließ er, als ſie die Beratung geendet hatten, nachſehen, ob nicht
jemand in den Winkeln oder unter den Altären verſteckt ſei. Denn
nichts dtinkte ihn ſicher. Und ſiehe: wie fie gedacht hatten, fanden
ſie einen Geiſtlichen unter einem Altar verborgen. Sie griffen ihn
und brachten ihn dazu, zu ſchwöͤren, ihren Plan nicht zu verraten;
und um ſein Leben nicht zu verlieren, weigerte er ſich nicht, wie
fie ihm vorſprachen, zu ſchwoͤren. Aber als fie wieder fort waren,
achtete er jenes gottloſen Eides nicht mehr und lief eilends in die
Pfalz. Dort drang er mit größter Schwierigkeit durch ſieben
Riegel und Türen endlich bis ans Schlafgemach des Kaiſers,
ſchlug an die Tür und brachte den immerwachen Karl in die
größte Verwunderung, daß einer ſich vermaß, zu ſolcher Stunde
ihn zu ftören.
Trotzdem befahl er den Frauen, die immer zum Dienſte der Koͤ⸗
nigin und feiner Töchter bei ihm waren, hinauszugehen und zu
ſchauen, wer an der Tür ſei und was er wolle. Sie gingen und
gewahrten einen Mann von ganz geringem Stande, verriegelten
drum die Tür und ſuchten ſich unter viel Lachen und Ausgelaſſenheit
in den Ecken zu verſtecken, das Geſicht in ihren Kleidern bergend.
128
Deutſche Kaiſerkrone Kaiſer Konrads II., des Saliers
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Aber der ſcharfſichtige Kaiſer, dem nichts unter dem Himmel
entgehen konnte, fragte aufmerkſam die Frauen, was ſie hätten
und wer an die Tür pochte. Er bekam zur Antwort, ein Schelm,
kahl geſchoren und lächerlich anzuſehen und von Sinnen, nur in
Hemd und Hoſe, verlangte ihn unverzüglich zu ſprechen. Da befahl
er, ihn einzulaſſen. Der Geiſtliche nun fiel ihm gleich zu Füßen
und verriet ihm alles nach der Reihe.
Die Verſchworenen aber, die nichts weniger ahnten, hatten alle
ſchon vor der dritten Tagesſtunde ihre wohlverdiente Strafe
und wurden in die Verbannung geſchickt. Auch der bucklige
Zwerg Pippin wurde unbarmherzig gegeißelt und geſchoren und
ins Kloſter des heiligen Gallus auf einige Zeit zur Strafe ge⸗
ſchickt, das von allen Orten des weiten Reiches am aͤrmſten und
kleinſten zu ſein ſchien.
Nicht viel ſpäter wollten einige von den fränkiſchen Großen
Hand an den König legen. Das blieb ihm keineswegs verborgen,
aber er wollte ſie doch auch nicht gern verderben; denn wenn ſie
nur wollten, hätten ſie den Chriſten ein guter Schutz ſein können.
Daher ſchickte Karl ſeine Boten an Pippin und ließ ihn fragen,
was er mit den Böſewichtern tun ſolle. |
Den Pippin fanden fie im Garten mit den älteren Kloſter⸗
brüdern — die jüngeren waren in wichtigeren Gefchäften ver:
hindert — wie er Neſſeln und allerlei Unkraut mit einer Hacke
ausjätete, damit die nützlichen Kräuter um ſo beſſer wachſen
könnten, und ſo ſagten ſie ihm die Urſache ihres Kommens an.
Aber er ſeufzte tief, wie ja alle Schwächeren immer leichter auf⸗
geregt ſind als die Geſunden, und antwortete nur: „Wenn Karl
meinen Rat wollte, ſo würde er mich nicht ſo hart erniedrigen.
Ich habe ihm nichts weiter zu ſagen. Sagt ihm, wobei ihr mich
befchäftigt fandet.“
Aber ſie fürchteten ſich, ohne eine beſtimmte Antwort zu dem
ſchrecklichen Kaiſer zurückzukehren, und fragten ihn noch einmal
und zweimal, was ſie ihrem Herrn vermelden ſollten. Da ſagte
er ärgerlich: „Nichts anderes laſſe ich ihm melden, als was ich
129
tue. Das unnütze Gewächs reiße ich aus, auf daß das nützliche
Küchenkraut beſſer wachſen kann.“
Und ſo nahmen die Boten traurig den Abſchied und dachten, ſie
hätten nichts Vernünftiges zurückzubringen.
Als ſie nun vor den Kaiſer kamen und gefragt wurden, was ſie
mitbrächten, klagten ſie, ſie ſeien trotz der Mühen und des weiten
Weges nicht um ein Wort klüger geworden. Und als der kluge
König fie der Reihe nach fragte, wo oder bei welcher Beſchäf⸗
tigung ſie Pippin gefunden hätten und was er ihnen zur Ant⸗
wort gegeben hätte, ſprachen fie: „Auf einem Bauernſchemel
fanden wir ihn ſitzen, wie er mit einer Hacke ein kleines Gemüſe⸗
beet bearbeitete. Als wir ihm die Urſache unſerer Reiſe vortrugen,
konnten wir nur dies eine ihm mit viel Mahnen und Bitten
abnötigen: Nichts anderes laſſe ich ihm melden, als was ich tue.
Das unnütze Gewächs reiße ich aus, auf daß das nützliche Küchen⸗
kraut beſſer wachſen kann.“
Bei dieſen Worten rieb ſich der Kaiſer, dem es nicht an Schlau⸗
heit fehlte und der reich an Weisheit war, die Ohren, blies durch
die Naſe und meinte: „Das iſt eine verſtändige Antwort, die ihr
guten Leute mir mitgebracht habt!“
Und während ſo die Boten immer noch für ihr Leben fürchteten,
brachte Karl die Worte zur Ausführung, nahm alle ſeine Ver⸗
ſchwörer aus der Mitte der Lebenden hinweg und gab das er⸗
ledigte Gut dieſer Unnügen feinen Getreuen, auf daß fie wüchfen
und ſich ausbreiteten. Einen ſeiner Feinde aber, der ſich den
höchſten Berg in Frankenland und alles, was er von da aus er:
blicken konnte, zu ſeinem Beſitztum erkoren hatte, ließ er un⸗
ſchädlich machen, indem er ihn auf dieſem Berg am hohen Galgen
aufknüpfen ließ.
Seinem Baftard Pippin ſtellte er frei, ſich zu wählen, wie er fein
Leben verbringen wollte. Der nahm das Anerbieten an und wählte
ſich einen Platz in dem damals noch hochberühmten Kloſter Prüm,
das jetzt ich weiß nicht warum — verwüſtet und zerfallen daliegt.
Aus Inſel⸗Bücherei Nr. 440 „Geſchichten von Karl dem Großen“
130
Nainer Maria Rilke
Zwei Gedichte aus dem Nachlaß
Weißt du, Gewölk von jenem offnen Grau,
durch das ſich endlos Räume offenbaren,
drin höher, über jeder Vogelſchau,
Stern⸗Blicke gehn ſeit Myriaden Jahren,
die uns zuweilen treffen durch ein Grau,
aus dem wir tauchen: wunderlich erreicht
von weitem Einfluß. Manchmal angezogen
vom Eigenſinn der Erde, manchmal leicht
(plotzlich) von allen Welten überwogen.
*
O wenn ein Herz, längſt wohnend im Entwöhnen,
von aller Kunſt und Zuverſicht getrennt,
erwacht und ploͤtzlich hört, wie man es nennt:
Du Überfluß, du Fülle alles Schönen!
Was ſoll es tun? Wie ſich dem Glück verföhnen,
das kommt und feine Hand und Wange kennt?
Schmerz zu verſchweigen, war ſein Element.
Nun zwingt das Liebes⸗Staunen es, zu tönen.
x
Martin Luther
An feine Tiſchgeſellen
Veſte Coburg, 28. April 1530
Gnade und Friede in Chriſto, meine Herrn und Freunde! Ich
hab Euer aller Schreiben empfangen und, wie es allenthalben
zuſtehet, vernommen. Auf daß Ihr nun wiederum vernehmet, wie
es hier zuſtehet, füge ich Euch zu wiſſen, daß wir, nämlich ich,
131
M. Veit und Cyriakus, nicht auf den Reichstag gen Augsburg
ziehen; wir ſind aber ſonſt wohl auf einen andern Reichstag ge⸗
kommen.
Es iſt ein Rubet JGehoͤlz] gleich vor unſerm Fenſter hinunter wie
ein kleiner Wald, da haben die Dohlen und Krähen einen Reichs⸗
tag hingelegt, da iſt ein ſolch Zu⸗ und Abreiten, ein ſolch Geſchrei
Tag und Nacht ohne Aufhören, als wären fie alle trunken, voll
und toll; da keckt jung und alt durcheinander, daß mich wundert,
wie Stimm und Odem fo lang währen möge. Und möchte gerne
wiſſen, ob ſolches Adels und reiſigen Zeugs auch etliche noch bei
Euch wären; mich dünkt, ſie ſeien aus aller Welt hierher ver⸗
ſammelt. b
Ich hab ihren Kaiſer noch nicht geſehen, aber ſonſt ſchweben und
ſchwͤͤnzen der Adel und großen Hanſen immer vor unfern Augen;
nicht faſt Eöftlich gekleidet, ſondern einfältig in einerlei Farbe,
alle gleich ſchwarz und alle gleich grauäugig; ſingen alle gleich
einen Geſang, doch mit lieblichem Unterſchied der Jungen und
der Alten, Großen und Kleinen. Sie achten auch nicht der großen
Paläſte und Säle, denn ihr Saal iſt gewolbet mit dem ſchönen,
weiten Himmel, ihr Boden iſt eitel Feld, getäfelt mit hübſchen,
grünen Zweigen; ſo ſind die Wände ſo weit als der Welt Ende.
Sie fragen auch nichts nach Roſſen und Harniſchen, ſie haben
gefiederte Räder, damit ſie auch den Büchſen entfliehen und einem
Zorn ausweichen können. Es ſind große mächtige Herren; was
ſie aber beſchließen, weiß ich noch nicht. Soviel ich aber von einem
Dolmetſcher vernommen habe, haben ſie vor, einen gewaltigen
Zug und Streit wider Weizen, Gerſte, Hafer, Malz und allerlei
Korn und Getreide, und wird mancher Ritter hie werden und
große Taten tun.
Alſo ſitzen wir hie im Reichstag, hören und ſehen zu mit großer
Luſt und Liebe, wie die Fürſten und Herren ſamt andern Stän⸗
den des Reichs fo fröhlich fingen und wohlleben. Aber ſonderliche
Freude haben wir, wenn wir ſehen, wie ritterlich fie ſchwaͤnzen,
den Schnabel wiſchen und die Wehr ſtürzen Schwerter den),
132
daß fie fiegen und Ehre einlegen wider Korn und Malz. Wir wün-
ſchen ihnen Glück und Heil, daß fie allzumal an einen Zaunſtecken
geſpießet wären.
Ich halt aber, es ſei nichts anders denn die Sophiſten und Pa⸗
piſten mit ihrem Predigen und Schreiben, die muß ich alle auf
einen Haufen alſo vor mir haben, daß ich höre ihre liebliche Stimme
und Predigten und ſehe, wie ſehr nützlich Volk es iſt, alles zu
verzehren, was auf Erden iſt, und dafür kecken für die lange Weil.
Heute haben wir die erſte Nachtigall gehört; denn fie hat dem
April nicht wollen trauen. Es iſt bisher eitel Eöftlich Wetter ge⸗
weſen, hat noch nie geregnet, ohne geſtern ein wenig. Bei Euch
wirds vielleicht anders ſein. Hiermit Gott befohlen, und haltet
wohl haus! Aus dem Reichstag der Malztürken. 28. Aprilis.
Anno 1530. Martinus Luther D.
An Marcus Cordel in Torgau
Treuen und redlichen Jugendbildner
Wittenberg, 26. Dezember 1542
Gnade und Friede! Ich kanns mir recht wohl denken, daß die
Worte der Mutter meinen Sohn gerührt haben, wo die Trauer
um die verſtorbene Schweſter hinzukommt. Aber Du trofte ihn
kräftig! Denn dies ift gewiß, daß er hier Dich und Deine Gattin
gerühmt hat: er ſei ebenſo gut, ja beſſer bei Euch aufgehoben als
hier bei uns. Heiß ihn jenen weibiſchen Sinn bezähmen und ſich
gewöhnen an die Ertragung von uͤbeln und nicht jener kindiſchen
Weichheit nachgeben! Denn dazu iſt er aus dem Hauſe getan
worden, daß er lerne und hart werde. Ich will nicht, daß er zurück:
kehrt, ſolange kein anderer Grund vorliegt. Wenn eine andere
Krankheit hinzukommt, wirft Du es mir anzeigen. Indes möge
er ſorgen und tun, weswegen er zu Euch geſchickt iſt, und nicht
den Gehorſam gegen den Vater verletzen. Wir hier ſind, Gott
ſei Dank, friſch und geſund. Leb wohl! Am Stephanstage 1542.
Dein Martin Luther.
133
Seinem lieben Sohn Johannes Luther in Torgau
Wittenberg, 27. Dezember 1542
Gnade und Friede im Herrn! Mein Sohn Johannes! Ich und
Deine Mutter mit dem ganzen Hauſe ſind geſund. Du ſieh zu,
daß Du jene Tränen männlich überwindeſt, damit Du nicht der
Mutter Schmerz und Verdruß zufügſt, die ohnedies zu Schmerz
und Sorgen geneigt iſt. Gehorche Du Gott, der Dir durch uns
geboten hat, Dich dort ausbilden zu laſſen! Dann wirſt Du leicht
die Weichheit vergeſſen. Mutter konnte nicht ſchreiben, hat es
auch nicht für nötig gehalten. Sie ſagt, fie hätte alles, was fie Dir
geſagt hat (daß Du zurückkehren ſollteſt, wenn Du Dich übel
befändeſt), von Deiner Krankheit verſtanden, daß Du ſie, wenn
ſie Dich befallen ſollte, ungeſäumt anzeigteſt. Im übrigen will
ſie, daß Du jene Trauer ablegſt, um froh und ruhig zu ſtudieren.
Damit leb wohl im Herrn! Am Tage des Evangeliſten Johan⸗
nes 1542. N .
Dein Vater Martin Luther.
Eine Fabel
Ein Löwe, Fuchs und Eſel jagten miteinander und fingen einen
Hirſch; da hieß der Löwe den Eſel das Wildbret teilen. Der Eſel
macht drei Teil; des ward der Lowe zornig und riß dem Eſel die
Haut über den Kopf, daß er blutrüſtig daſtund, und ließ den
Fuchs das Wildbret teilen; der Fuchs ſtieß die drei Teil zuſammen
und gab fie dem Löwen gar. Des lachet der Lowe und ſprach: Wer
hat dich ſo lehren teilen? Der Fuchs zeiget auf den Eſel und
ſprach: Der Doktor da im roten Barett.
Dieſe Fabel lehret zwei Stücke:
Das erſte: Herrn wollen Vorteil haben, und man ſoll mit Herrn
nicht Kirſchen eſſen, ſie werfen einen mit den Stielen. Das
ander: Der iſt ein weiſer Mann, der ſich an eines andern Unfall
beſſern kann.
134
Sprichwörter
Art gehet über Kunft Wer flieht, den jagt man « Wer
den andern jagt, wird auch müde Ein Meſſer behält das
ander in der Scheide Ein arm Mann ſoll nicht reich fein «
Nachtfriſt, Jahrfriſt « Cin willig Pferd ſoll man nicht zu ſehr
reiten « Im Winter hat ein arm Mann eben ſowohl ein
friſchen Trunk oder kalten Keller als der reiche Dir iſt gut
gram fein, haft nichts - Wo Tauben find, da fliegen Tauben
zu „Ein freundlich Angeſicht deckt alles Wers erharren
könnte, es würde alles gut « Cin weiſer Mann tut keine kleine
Torheit Was dich nicht brennet, das loͤſche nicht!
Aus den Tiſchreden
Man muß ſo ſtrafen, daß der Apfel bei der Ruten ſei. Es iſt übel,
wenn Kinder und Schüler zu Eltern und Lehrern den Mut
verlieren.
Man ſoll die Kinder nicht zu hart ſtäupen, denn mein Vater
ſtäupte mich einmal ſo ſehr, daß ich ihn floh und daß ihm bange
war, bis er mich wieder zu fic) gewöhnet. Ich wollt auch nit gern
mein Hanſen ſehr ſchlagen, ſonſt würde er verſchüchtert und mir
feind, fo wüßt ich kein größer Leid. Unſer Herrgott wollt auch
nicht gern, daß wir ihm feind würden.
Junge Herrn müſſen gute Tage haben bis zum 20. Jahr, daß
ſie nicht kleinmütig werden. Wenn ſie ins Amt kommen, da
verſalzt man ihnen die guten Tage.
Aus Inſel⸗Bücherei Nr. 227 „Luther im Kreiſe der Seinen“
185
Felix Timmermans
Die Eule
Den Kindern erzählt
Sanft und gut, rund und weiß
ſtieg der Mond am Himmel hoch.
Alles, was am Tage gearbeitet
und das Leben genoſſen hatte,
ſchlief ruhig und zufrieden in ſei⸗
nem Licht: die Fiſche im Waſſer,
die Schmetterlinge auf den Blu⸗
f men, die Vogel in ihrem Neſt.
Dann erſt wachte die Eule auf und ſprach: „Wenn alle ſchlafen
gehen, dann fange ich mit der Arbeit an“, und ſie begann zu
denken. Die Welt war eben erſt geſchaffen, der Frühling ſtand
in voller Blüte. Und was für einer Blüte! Die Tiere waren noch
friſch wie Brot, das eben aus dem Ofen kommt. Sie dufteten
noch nach den Händen Gottes. In jenen Tagen war der Löwe
zum König der Tiere ausgerufen worden. Er war ſo ſtolz darüber,
daß er ſich die Haare wachſen ließ wie fpäter die Künſtler. Am
nächſten Tag wollten auch die Vogel ihren König haben; und
dem Adler mit feiner Federhoſe, der am hoͤchſten geflogen war, —
denn man mußte fie fich verdienen — wurde die Ehre zuteil. So
wurde auch der Walfiſch, der ſowohl in wie auf dem Waſſer
ſchwimmen konnte, König der Fiſche. Bald gab es vielerlei Könige,
ja ſogar einen Koͤnig der Klettertiere: den Affen. Die Eule blin⸗
zelte mit ihren runden Augen nach dem Mond und ziſchte mit ihrem
verächtlichen Schnabel: „Worüber koͤnnte ich wohl Königin wer:
den? Sie dachte noch einmal nach und ſagte: ‚Über die Nacht.“
Sie ließ den Gedanken nicht erſt kalt werden, rief die Fledermaus,
die im Mondſchein vorbeiſegelte, den Maulwurf, der gerade
aus ſeinem Erdloch lugte, den kahlen Froſch, die ſummenden
Käfer, den vorüberziehenden Mückengeſangverein, die Glüh⸗
würmchen, die einen Fackelzug abhielten. den Haſen aus dem
136
Kohlfeld und noch viele andere. Sie rief auch die Schnecke, aber
dieſe konnte nicht kommen, denn fie löfte ſich ſchon ſeit ihrer
Geburt in Schleim auf. Die Fledermaus faltete ihren Schirm
zuſammen und hängte ſich mit dem Zeigefinger an einen Zweig
der Kopfweide. Der Maulwurf legte ſich hin wie ein koſtbares
Kiſſen, der Froſch lehnte ſich an einen Baum, die Arme über
ſeinen weißen Bauch gekreuzt. Alle Tiere, die die Nacht beleben,
waren hier verſammelt und bereit, der Eule zuzuhoͤren. Sie ſprach
mit weitgeöffneten, geheimnisvollen Augen. Sie bewies, daß ein
König der Nacht dringend erforderlich ſei. Aber es müſſe ein
König mit Verſtand fein. Am Tage fei das nicht nötig, dann
fahe man ja alles, aber im Dunkeln ginge es nicht ohne Verſtand.
„Die ſich dazu berufen fühlen, mögen vortreten!“ ſagte ſie.
Das Wort Verſtand hatte alle eingeſchüchtert, und ſie ſchwiegen.
Nur der Froſch ſchob ein Bein nach vorn, öffnete fein Beutelmaul
und ſagte „quak“, aber da ſah ihn die Eule ſo furchtbar unheimlich
an, daß der Froſch das Bein zurückzog und häßlich lächelte. Die
Eule ſtellte feſt, daß niemand ſich meldete, und ſprach: „Ich kann
es begreifen, ich habe den groͤßten Kopf, alſo auch die meiſten Ge⸗
danken. Ich bin bereit, die ſchwere Bürde auf mich zu nehmen und
als eure Königin zu gelten. Hat jemand etwas dagegen einzuwen⸗
den?“ Sie ließ ihre grünleuchtenden Augen über die Verſammlung
ſchweifen, und alle ſenkten eingeſchüchtert den Blick. „Da möchte
ich euch allen danken mit einer kurzen Rede, hort zu: Wenn ...“
Aber ſiehe! Alle drehten den Kopf nach einer etwas abgelegenen
Baumgruppe. Niemand kümmerte ſich mehr um die Eule. Sie
lauſchten auf irgend etwas in der Ferne. Der Mückenverein
ſummte davon, der Maulwurf machte ſich mit ſeinen kurzen
Beinchen auf den Weg. Der Froſch ſprang ins Waſſer, um den
Weg abzukürzen. Die Fledermaus öffnete ihren Schirm wieder
und ſpazierte durch die Luft. Alle entfernten ſich eilig in der⸗
ſelben Richtung.
„Was iſt denn los?“ fragte die Eule, aber niemand antwortete,
denn alle waren fort. Da blieb ihr nichts weiter übrig, als ihnen
137
nachzufliegen. Drüben an einer Baumreihe fand ſie die ganze
Geſellſchaft im Halbkreis unter einer Silberbirke verſammelt.
Alle lauſchten der Nachtigall, die im dünnen zarten Laub als
ſchwarzes Schattenbild vor der roten Mondſcheibe ſaß und ihr
erſtes Lied ſang. Wie herrlich war das Lied dieſer Nachtigall!
Die ſüße Muſik ſtroͤmte in überwältigender Fülle aus ihrer Kehle
wie ſingendes Silber in die Nacht hinaus. Eine liebliche helle
Stimme drang aus ihrer reinen Kehle, rundete ſich zu vollen
Tönen, die lang angehalten zum Himmel ſtiegen, bis ſie ſo dünn
und zart geworden waren, daß ſie endlich zerſprangen und wie
Tropfen eines Springbrunnens niedergingen. Und jede Blume,
die einen ſolchen ſchönen Klangtropfen auf ihre weichen Blätter
fallen fühlte, richtete ſich vor Seligkeit auf und faltete duftend
und bewundernd ihre Krone auseinander. Wie fehon war das,
wie herrlich! Das Lied kam ſo tief aus dem Herzen der Nachtigall,
und alle Tiere, die ihm lauſchten, fühlten ſich rein und glücklich.
Als das Lied zu Ende war, blieben ſie noch eine Weile ſprachlos
ſitzen. Dann hörte man hier und da einen Seufzer, und es war
der Froſch, der begeiſtert ausrief: „Wir hatten ja die Nachtigall
vergeſſen! Wer fo ſchoͤn fingen kann, muß Konig der Nacht
ſein“, und er ſchielte verächtlich zur Eule hinüber, deren Augen
blitzten. Mit geſträubtem Gefieder ging ſie auf den Froſch los:
„Ziehe du dich erſt an, du Nacktfroſch! Du haſt weder Federn
noch Haare bekommen und reißt das Maul auf, als wärft du
wie ein Fürſt gekleidet.“
Darüber mußten nun alle lachen. Da ſprach die Eule ſchnell:
„Was ſollen wir mit einem König, der fortwährend ſingt und
uns dadurch unſere Pflichten und Aufgaben vergeſſen läßt?“
„Was iſt denn los?“ fragte die Nachtigall von oben. Der ge⸗
kränkte Froſch quakte ihr kurz zu, worum es ſich handele, und
fügte hinzu: „Du ſollſt unſere Königin ſein!“
Die, Eule ſchnaubte vor Wut.
Die Nachtigall lachte: „Nein, ich will nicht; was liegt mir daran,
Königin zu ſein. Ich will nur ſingen zur Ehre Gottes! Hört ihr
138
zu, fo ſoll es mir recht fein, und hört ihr nicht zu, fo laßt es mich
kalt. Auf Wiederſehen!“ Sie flog davon und fuchte fich einen
ruhigeren Ort im duftenden Wald.
„Aber wir geben dir trotzdem den Titel!“ riefen ihr die Tiere, außer
der Eule, nach. Und ſo wurde die Nachtigall Königin der Nacht.
Die Eule war zu klug, um ſich dagegen aufzulehnen, und ſprach:
„Die Nachtigall ſoll alſo Königin der Nacht ſein, aber nur der
Sommernacht.“
„Wie? Was?“ fragten die Tiere erſtaunt, „gibt es denn noch
eine andere Nacht?“
„Jawohl,“ ſagte die Eule, „die Winternacht.“
„Was iſt das?“ fragte die Grille, die noch nie fo lange geſchwiegen
hatte. „Das iſt ſo“, ſagte die Eule. „Ich habe in den Sternen
geleſen, daß nach dem Sommer der Winter kommt; dann fällt
das Laub von den Bäumen, dann welken und faulen die Blumen,
dann kommen Regen, Schnee und Eis, und der große Schatten
ſenkt ſich auf die Erde. Dann werden die Nachtigall und viele
andere in das Land der Sonne ziehen, bis wieder ein neuer Früh⸗
ling kommt. Wer wird in dieſer böſen Zeit, wo es nichts mehr
zu freſſen gibt, unſer König ſein? Wer?“
„Du!“ rief das Karnickel ſchnell, aus Angſt, noch ſchlimmere
Dinge hören zu müſſen. Alle bekamen es mit der Angſt zu tun
und riefen: „Du! Du!“ Sogar der Froſch, aber der tat es nur
aus Angſt, wieder verſpottet zu werden.
Die Eule ſpreizte ihre Flügel, dankte und lobte die kluge Einſicht
der Tiere. Sie lud ſie alle ein, ſie im Winter in ihrem Nalaſt zu
beſuchen, wo ſie miteinander luſtig ſein wollten. Alle jubelten und
geleiteten die Eule im feierlichen Zug zur Kopfweide unter der
Führung des Froſches. Die Eule beſchloß den Zug, ſtolz und auf⸗
recht, mit weit aufgeriffenen Augen ...
Tief im Walde ſang die Nachtigall ihre goldenen Lieder.
Sie ſang jede Nacht, und immer lauſchten viele Tiere ihrem
Geſang und waren von dieſer Himmelsmuſik entzückt.
139
Aber die Eule dachte an den nahenden Winter und fah mit Freude,
wie die Jahreszeiten wechſelten und die Tage kürzer wurden.
Endlich fing das Laub an zu fallen, und zum erſtenmal welkten
die Blumen. Der dunkle Schatten ſchob ſich unheilverkuͤndend
über die Erde, begleitet von böſen Winden, Nebel und Regen.
Alle, die aus Notdurft oder Angſt den Winter fürchteten, flüchte⸗
ten vor der Gefahr: einige flogen über das Meer, der Sonne
nach, andere verkrochen ſich tief ins Waſſer oder in die Erde. Als
alle Gräben voll Waſſer ſtanden, kam der Froſt, und der Schnee
breitete eine eintönige Decke über das Land.
Die Eule lachte und ſprach: „Jetzt iſt die Zeit gekommen, in der
ich Königin bin!“ |
Sie wartete lange, aber niemand Fam.
‚Sie find zu ſchüchtern und wagen ſich nicht zu mir, ich werde
fie ſelbſt holen“, dachte fie.
Sie flog mit breiten Flügelſchlägen in die Nacht hinaus. Die
Winternacht war ſchoͤn mit dem aufſteigenden weißen Mond. Ein
Palaſt aus Kriſtall und Silber, und die Eule als Königin darin,
welch ein Ruhm! Stolz und froh klopfte ſie an die Kopfweide,
in der die Fledermaus hauſte: „Ich bin die Königin Eule!“ Keine
Antwort. Sie trat ein. Mit ihren leuchtenden Augen erkannte ſie
die Fledermaus, die wie eine ausgezogene Jacke ſchlafend oben in
einer Ecke hing. Alles Rufen, Schütteln und Kitzeln nützte nichts.
Sie hing ſchlafend an der Decke in ihrem zuſammengefalteten
Schirm und ruͤhrte ſich nicht.
Verſtimmt flog die Eule davon zum großen Waſſer, das zuge⸗
froren war: „He! Froſch! alter guter Freund! Ich bin die Eule,
warum beſuchſt du mich nicht einmal? Ich bin die Winter⸗
Königin!” „Viel Spaß dabei”, quakte der Froſch unter dem
Eiſe. „Warum rufſt du mich, du weißt doch, daß ich nicht kommen
kann. Ich bin dir ja auch viel zu nackt, du haſt es ſelbſt geſagt!
Gute Nacht!“ Die Eule verwünſchte den Froſch und rief: „Das
wird dir ſchlecht bekommen! Ich werde dich und dein Geſchlecht
bis ins letzte Glied verfolgen, zerfleiſchen und verſchlingen. Du
140
Nacktfroſch, du Waſſerblaſe, du Großmaul! Du but ſchuld daran,
daß ich nicht Sommer⸗Koͤnigin geworden bin, und nun verhoͤhnſt
du mich noch in meiner Einſamkeit. Warte nur!“
Die Eule klopfte noch an viele Türen, aber niemand hatte Luſt
mitzugehen.
Wütend flog ſie zurück zu ihrem Baum und wartete rachedurſtig
auf den ſchoͤnen Frühling.
Als dieſer endlich gekommen war und die jungen Froͤſche mit
ihrer heiſeren Stimme die ſtille Welt der Buchen belebten, zer⸗
ſtoͤrte die Eule ihre Freude, ſchleppte die nackten Geſellen weg
und verſchlang ſie ohne Mitleid.
Aus dem neuen Buche „Die bunte Schüſſel“
Aus dem Flämiſchen übertragen von Peter Mertens
x
Egon Caeſar Conte Corti
Kaiſerin Charlotte bei Napoleon und Eugenie
Das mexikaniſche Kaiſerpaar iſt über den gründlichen Wechſel
der Szenerie in Europa nicht genügend unterrichtet. Solange
Napoleon III. in der auswärtigen Politik nur Erfolge aufzu⸗
weiſen hatte, iſt es im Innern ſeines Reiches verhältnismäßig
ruhig geblieben. Nun, da ſich durch das Auftreten Preußens am
Napoleoniſchen Himmel dunkle Wolken zuſammenballen, geht es
auch mit dem Frieden im Innern bergab. Die Partei Thiers und
die Oppoſition erſtarken, und ſogar im Schoß der kaiſerlichen Fa⸗
milie herrſchen Meinungsverſchiedenheiten über den einzuſchlagen⸗
den politiſchen Kurs. Während fich allerorts Schwierigkeiten
türmen, hat der Kaiſer perfönlich an Widerſtandskraft ſtark ein⸗
gebüßt. Er beſitzt nicht entfernt jene Spannkraft, die ſeinem
großen Oheim eigen war und dieſen befähigte, gerade in Zeiten
höchſter Anforderungen Unbegrenztes zu leiſten. Napoleon III.
fühlt fi) müde, er klagt, daß „die unaufbörliche Arbeitslaſt“ ihn
141
tote. Das Leiden, dem er einft erliegen ſoll, kündet fich (chon an. Die
ununterbrochenen Liebesaffären des Kaiſers zehren an ſeiner Kraft.
Nervöſe Erregbarkeit, Müdigkeit und körperliches Unbehagen er⸗
ſchweren ihm ein klares Urteil über den Verlauf der Dinge.
„Mit meinem Gemahl“, klagt die Kaiſerin dem Botſchafter
Metternich, „geht es ſeit faſt zwei Jahren bergab. Er kümmert
ſich kaum mehr um Regierungsdinge und widmet ſeine ganzen
Kräfte der Arbeit an ſeinem, Julius Cäſar'. Er iſt nicht einmal
imſtande, die Sitzungen des Miniſterrates zu leiten und kann
kaum gehen, nur wenig eſſen und gar nicht ſchlafen.“ Kein Wunder
alſo, daß Napoleon in den Schatten tritt, als ein großer Staats⸗
mann wie Bismarck einzugreifen beginnt und ihn unter unklaren
Verſprechungen zu der gewünſchten Neutralität in dem Ent⸗
ſcheidungskampfe zwiſchen Preußen und Oſterreich um die Vor⸗
herrſchaft in Deutſchland zu bewegen vermag. Nun will Napoleon
nur noch möglichft ſchnell aus dem mexikaniſchen Sumpfe heraus.
Gutierrez und Genoſſen haben ausgeſpielt.
Auch die Kaiſerin Eugenie ſieht ein, daß ſie in ihrer einſtigen Be⸗
geiſterung für Mexiko eine Lage geſchaffen hat, die bei dem in
Europa heraufziehenden Gewitter ſehr bedenklich iſt. Hat ſie ſich
über die Dinge in dem fernen Mexiko kein Urteil bilden können
und ſich auf irreführende fremde Darſtellungen verlaſſen müſſen,
ſo überſieht ſie hier in Europa die Lage richtig. Gefühlsmäßig
weiß ſie, daß in Preußen eine Meiſterhand waltet und dort ein
Feind drohend emporwächſt, dem man nicht bald genug entgegen⸗
treten kann. Während der Kaiſer mit dem gewiſſen Siege Ofter:
reichs rechnet, zweifelt ſie daran und will zur Sicherheit mit
dieſem Staate gegen Preußen gehen, um zu verhindern, daß ſich
dieſes ſpäter mit Lorbeer umwunden und neugeſtärkt gegen das
franzoͤſiſche Kaiſerreich wende. Napoleon glaubt noch die Rolle
des Schiedsrichters ſpielen zu können. Da kommt es zum Kriege
und zum Niederbruch der tapferen öfterreichifchen Armee bei
Königgrätz. Auf dieſe Nachricht ruft der franzoͤſiſche Kriegs⸗
miniſter erregt aus: „Wir ſind es, die da geſchlagen wurden.“
142
Mit einem Schlage macht Napoleons Zuverficht vollem
phyſiſchen und moraliſchen Zuſammenbruch Platz. Was iſt die
Folge? Nach langem Schwanken entſchließt er ſich für die Politik
der Tatenloſigkeit. Er hört nicht auf Eugenie, die zum Kriege,
zum Handeln rät. Einmal ſchon iſt er ihren Ratſchlägen be⸗
dingungslos gefolgt und damit in Mexiko in ein dornenreiches
Abenteuer, in ſchwere Verlegenheiten, in vollig vergebliche Geld⸗
und Blutopfer geſtürzt worden. Dieſer Fehlſchlag hat Napoleons
Vertrauen in den politiſchen Weitblick ſeiner Gemahlin ſchwer
erſchüttert. Wieder rät ſie zur Tat, ein zweites Mal aber will
Napoleon ſich von Eugenie nicht mehr raten laſſen.
Diesmal aber iſt der Rat der Kaiſerin für Frankreich der einzig
richtige. Erſchüttert ſieht Eugenie, daß ihr Gatte nicht mehr auf
fie hort: „Mein Wort hat kein Gewicht mehr,“ ſagt fie, „ich
bin faſt allein mit meiner Anſicht, man übertreibt die Gefahr von
heute, um ſich beſſer die von morgen zu verbergen .. Wir gehen
unſerem Verderben entgegen, und es ware das beſte, wenn der
Kaiſer auf einige Zeit wenigſtens verſchwände.“
Während ſich dieſer Kampf am Napoleoniſchen Hofe abſpielt,
machen die Preußen ganze Arbeit. Trotz des öͤſterreichiſchen Er⸗
folges von Cuſtozza und des Seeſieges von Liſſa an der Front
gegen Italien kommt ein ſchneller, Oſterreich höchſt ungünſtiger
Friede zuſtande, bei dem Napoleon mehr oder weniger zur
Seite geſchoben wird. Der Kaiſer der Franzoſen hofft aber immer
noch ſeine Anſprüche auch ohne einen Krieg geltend machen zu
können. Angſtvoll ſieht er der weiteren Entwicklung der Ver⸗
handlungen entgegen.
In bieten forgenvollen Tagen trifft plotzlich die Nachricht von
der Ankunft der Kaiſerin Charlotte in Europa ein. Sie iſt nach
glücklich zurückgelegter Fahrt, auf der ſie ſich meiſt ernſt und in
ſich gekehrt, zeitweilig auch finfter und nervös zeigte, im franzö⸗
ſiſchen Hafen St. Nazaire angekommen. Erſt dort hat ſie die
erſte Kunde von dem Ausbruch und auch ſchon dem Ausgang des
Krieges zwiſchen Preußen und Gſterreich erhalten. Die Nach
143
richt von Königgräg erregt die 26 jährige, anmutig zarte Frau,
die vor einer fo ſchweren Aufgabe fteht, im hoͤchſten Maße; fie
fühlt, daß dieſe Erniedrigung Ofterveidhs bei Kaiſer Napoleon
die Rückſichtnahme auf dieſen Staat ſtark herabſtimmen muß
und daß ihm nun Sorgen erwachſen, die ihn doppelt bedenklich
machen müſſen, zugunſten Mexikos neue Laſten auf ſich zu
nehmen. Doch was hilft es, die tapfere junge Frau iſt nun einmal
da und feſt entſchloſſen, ihre Wünſche durchzuſetzen.
Blitzſchnell verbreitet ſich die Nachricht von dem Eintreffen
Charlottens. Eine große Menſchenmenge verſammelt ſich am
Kai, und der Bürgermeiſter erſcheint erſchrocken, um die Kaiſerin
zu begrüßen. Er hat gar keine Nachricht bekommen, daß die
Kaiſerin erwartet wird, und hat ihr daher auch keinen würdigen
Empfang bereiten konnen. Nicht einmal eine mexikaniſche Fahne
gibt es, im ganzen Ort iſt keine ſolche aufzutreiben. Kaiſerin
Charlotte iſt entrüſtet:
„Ich danke, Herr Bürgermeiſter,“ ſagt ſie ſpitz, „aber wieſo
iſt der Präfekt nicht da, um uns ein Willkommen zu bieten?
Keine Truppe hat uns eine Ehrenbezeugung geleiſtet. Ich will nur
telegraphieren, und dann führen Sie mich ſofort zum Bahnhof,
denn ich muß den Kaiſer ſchon morgen ſehen.“
Drei Telegramme gehen ab. Je eines nach Brüſſel und Wien
mit der Mitteilung, Charlotte könne in Gſterreich und Belgien
wegen der Haltung der dortigen Regierungen keinen Beſuch ab⸗
ſtatten. Es iſt dies eine offene Beleidigung der beiden Höfe.
Napoleon telegraphiert ſie kurz: „Ich bin heute in St. Nazaire
angekommen, mit dem Auftrage des Kaiſers, Euer Majeſtät über
verſchiedene, Mexiko betreffende Angelegenheiten zu ſprechen.
Ich bitte Sie, Ihre Majeſtät meiner Freundſchaft zu verfichern
und an das Vergnügen zu glauben, das mir das Wiederſehen
bereiten wird. Charlotte.“
Erſchrocken und peinlich berührt, hält der Kaiſer der Franzoſen
kurz darauf die unerwartete Nachricht in Händen. Auch das
noch! Zu all den Sorgen und Aufregungen, zwiſchen Kriegs⸗
144
freunden und Kriegsgegnern vor ſchwerwiegende Entſcheidungen
geſtellt und von körperlichen Schmerzen gepeinigt, kommt noch
dieſe Verlegenheit. Doch die Kaiſerin iſt nun einmal da, was
tun? In dem Beſtreben, das Peinliche und Unangenehme
möglichft lange hinauszuſchieben, legt Napoleon ihr nahe, zunächſt
zu ihrem Bruder nach Brüſſel zu gehen.
Bald überfliegt Charlotte aufgeregt die kaiſerliche Antwort:
„Ich erhalte eben die Depeſche Eurer Majeſtät. Leidend von
Vichy zurückgekehrt, gezwungen, das Bett zu hüten, bin ich außer:
ſtande, Ihnen entgegenzufahren. Wenn, wie ich vermute, Euer
Majeftat zuerſt nach Belgien gehen, werden Sie mir Zeit zu meiner
Wiederherſtellung geben. Napoleon.“
Dieſe Art und Weiſe, zu ſagen, man ſei nicht zu Hauſe, und der
plumpe Verſuch, ſie abzulenken, zeigt der Kaiſerin deutlich,
welch unangenehme Überraſchung ihre Ankunft für Napoleon
bildet. Aber feſt entſchloſſen, den Kaiſer um jeden Preis, und zwar
möglichft bald, zu ſehen, ſetzt fie ihre Reiſe nach Paris fort.
Um vier Uhr nachmittags kommt ſie in der Hauptſtadt an.
Dort erwarten fie der Adjutant und die Ordonnanzofſiziere des
Kaiſers Napoleon ſowie die bereitgeſtellten Hofwagen durch
Zufall an einem falſchen Bahnhof. Nur die von Almonte avi⸗
ſierten Mexikaner finden ſich am richtigen Platz ein, darunter
Gutierrez mit feinen Söhnen. Hidalgo iſt natürlich nicht ans
weſend, er hält ſich fern von Paris und macht eine Rheinreiſe.
Die Kaiſerin begibt ſich in geheimer Sorge, daß dieſes Miß⸗
verftändnig vielleicht eine abſichtliche Umgehung des Empfanges
am Bahnhof vorſtellen ſolle, in einem Mietwagen ins Grand
Hotel. Kaum iſt ſie dort angekommen, als die inzwiſchen ver⸗
ſtändigten Sendlinge Napoleons in Aufregung und Beſtürzung
herbeieilen und ſich in tauſend Entſchuldigungen ergehen. Ein
Generaladjutant fragt auf Eugeniens Befehl an, zu welcher
Stunde es Charlotte am folgenden Tage genehm ſein würde,
ſie zu empfangen.
Sie will ihrem Gemahl das Peinliche des Beſuches abnehmen,
145
kann ſich jedoch nicht enthalten, gleich auch mit ſchlecht verhehlter
Neugierde fragen zu laſſen, wie lange die Kaiſerin bleiben werde.
Charlotte erwidert, ſie würde Eugenie zu jeder Stunde, die ihr
gelegen wäre, mit Vergnügen empfangen; im übrigen gedenke
ſie in Paris zu bleiben, da ſie keine Familien⸗ noch andere Inter⸗
eſſen in Europa habe. Die Offiziere verbeugen ſich und kehren
in das Schloß zurück, um dort die Antwort zu melden.
Am Io. Auguſt früh laßt Charlotte eifrigſt alles vorbereiten, um
die Kaiſerin gebührend zu empfangen und, wie ſie ſagt, „gleich⸗
zeitig die gute Erziehung des Hofes in Mexiko ins rechte
Licht zu ſetzen“. Sie hort, daß Kaiſerin Eugenie um zwei Uhr
nachmittags aus St. Cloud kommen werde.
Um die Zeit bis dahin möglichft auszunügen, läßt Kaiſerin Char:
lotte den General Froſſard kommen, der einer der erſten war, die
ſich in den aufgelegten Beſuchsbogen eintragen ließen. Sie er⸗
innert ihn an die Abmachungen von Miramar und laßt ihm keinen
Zweifel darüber, daß Frankreich das mexikaniſche Kaiſerreich
nicht verlaſſen könne, ohne ſeine Fahnen zu beflecken und ſeine
Untertanen in Mexiko der Vernichtung zu weihen. Dann gibt
fie ihm ein Memoire zu leſen und zeigt ihm die Karte Mexikos,
auf der die militaͤriſchen Fortſchritte der Juariſten mit erſchrecken⸗
der Deutlichkeit eingezeichnet ſind.
Das ganze Memoire iſt eine flammende Anklage gegen Bazaine
und alles, was er getan; da er aber meiſt nur als gehorſamer
Soldat die Befehle ſeines Kaiſers durchgeführt hat, was natürlich
Napoleon ſelbſt am beſten weiß, während Maximilian von des
Franzoſenkaiſers Schriftwechſel mit Bazaine keine genaue
Kenntnis hat, ſo muß Napoleon folgerichtig alle Anklagen dieſes
Memoires auf ſich beziehen. Der Inhalt dieſes Schriftftückes, das
ihm Froſſard übermittelt, iſt nicht geeignet, Charlottens Aufgabe
beim franzöſiſchen Kaiſerpaar zu erleichtern.
Am Io. Auguſt um zwei Uhr nachmittags fährt Kaiſerin Eugenie
mit ernſtem Ausdruck, aber anmutig und trotz aller Sorgen in
voller Geſundheit vor dem Grand Hotel vor. Sie hat ſchon vor
146
einem Jahre über die mexikaniſche Expedition das Kreuz gemacht.
Nun gilt es, der Frau jenes Mannes, den ſie damit fallen läßt,
Auge in Auge gegenüberzutreten und Farbe zu bekennen. Der
Gang wird ihr ſchwer genug. Wie ein Schleier liegt ein beklem⸗
mender Zug über ihrer jugendfriſchen, blühenden Erſcheinung.
Die Kaiſerin kommt mit großem Gefolge. Unten an der Stiege
erwarten ſie Charlottens Oberſtkämmerer del Valle, Graf
Bombelles und die Hofdame Donna del Barrio, eine kleine
häßliche Mexikanerin, der man Maximilians Prädikat ,,deli-
cios“ nach europäifchen Begriffen gewiß nicht zubilligen kann.
Miniſter Caſtillo verbleibt als Mitglied der mexikaniſchen Re⸗
gierung, um ſeine Würde zu betonen, oben bei der Kaiſerin Char⸗
lotte. Dieſe geht ihrem erlauchten Gaſt entgegen und begrüßt ſie
auf den erſten Stufen der Treppe mit Umarmung und Kuß.
Eugenie wird ſodann in den Salon geleitet, wo die beiden Kai⸗
ſerinnen allein bleiben. Charlotte entwickelt nun in bewegten
Worten ihre und ihres Gatten ſchwierige Lage in Mexiko, ver⸗
ſucht Eugenie bei ihrer ſchwachen Seite, der Vorliebe für ein⸗
zelne in Paris lebende Mexikaner, zu packen, und läßt ſie den
ſchwungvollen Appell leſen, den Gutierrez neuerdings an Kaiſer
Napoleon gerichtet hat. Die Kaiſerin der Franzoſen weint zwar
nicht, aber ſie zeigt ſich doch ſo bewegt, daß Charlotte, wie ſie
ihrem Gemahl berichtet, den Eindruck hat, daß ihr „die Tränen
übers Herz rollen“. Eugenie ſpricht wenig und hört ihre un⸗
glückliche Schweſter mit größter Teilnahme an. Als die ſchwerſten
Sorgen vorgebracht ſind und ſie auf die ganz neue politiſche Lage
Europas hingewieſen hat, geht Eugenie mit großer Lebhaftigkeit
auf mehr gleichgültige Dinge ein und gibt ihr „nach wie vor reges
Intereſſe für Mexiko“ kund. Insbeſondere will fie wiſſen, wie
es dem Kaiſer gehe und intereſſiert ſich für alle Einzelheiten der
Hofhaltung in Mexiko, ſo für Soireen und Feſtlichkeiten, endlich
auch für die Villa in Cuernavaca. Kaiſerin Charlotte bemüht
ſich in ihren Antworten, ihrer Partnerin über alles in Mexiko
nur die „großartigſten Begriffe“ zu vermitteln. Schließlich aber
147
kommt Charlotte doch wieder auf das Hauptthema zurück. Gut,
ja, das europäiſche Gleichgewicht ut geſtört, aber das Werk
Frankreichs drüben in der Neuen Welt iſt noch laͤngſt nicht voll⸗
endet. Man ſteigt die Stufen zum Ruhm leichter und ſchneller
herab, als man ſie erklimmt.
„Wie war das Wetter auf der Überfahrt?“ weicht Eugenie aus.
„Gut. Wann darf ich den Beſuch erwidern?“
„Übermorgen, wenn es Euer Majeftät beliebt.“
„Werde ich nicht auch den Kaiſer ſehen konnen?“
„Oh, dem Kaiſer geht es noch immer ſchlecht.“
„Ich bitte, den Beſuch ſchon für morgen feſtzuſetzen und Seine
Majeſtaͤt unbedingt zu verftändigen. Ich muß ihn beſtimmt ſehen,
denn wenn nicht, würde ich einfach zu ihm eindringen.“ Damit
wendet ſich Charlotte ab.
Betroffen und verlegen verläßt Eugenie die Kaiſerin von Mexiko,
die ſie noch bis an die Treppe begleitet. Nachdenklich, mit vor
Aufregung geröteten Wangen kehrt Charlotte in ihre Gemächer
zurück. Der Leichtſinn, mit dem ſeinerzeit jene Frau, die ſie ſoeben
verlaſſen, den Anſtoß zum mexikaniſchen Abenteuer gegeben hat, iſt
ihr erſt in dieſer Unterredung ſo recht zum Bewußtſein gekommen.
„Es fallt mir auf,“ ſchreibt Charlotte unmittelbar nachher an
ihren Gemahl, „daß ich mehr von China weiß, als dieſe da von
Mexiko wiſſen, wo fie eine der größten Unternehmungen wagten,
in die ſich die franzoͤſiſche Fahne jemals eingelaſſen. Ich glaube
zu erkennen, daß die Kaiſerin viel von ihrer Jugend und ihrer
Kraft verloren hat, ſeit ich ſie zuletzt geſehen, und daß irgendein
eingebildeter oder wirklicher Druck inmitten all ihrer Größe auf
Napoleon und ſeiner Gemahlin laſtet. Der Thron Frankreichs
läßt die, die auf ihm ſitzen, raſch altern, die Geſchichte lehrt je⸗
doch, daß dieſe kriegeriſche Nation ebenſo Gs die Glücksgöttin
niemandem mehr zulächelt als der Jugend .
Kaiſerin Eugenie iſt ſorgenvoll nach St. Cloud zurückgekehrt.
Den Verzicht Charlottens auf eine perſönliche Ausſprache mit
Napoleon hat ſie nicht erreicht. Sie muß es nun auf ſich nehmen,
148
ihrem Gemahl zu fagen, daß fie ihm den drohenden Befuch der
Kaiſerin von Mexiko nicht erſparen kann. Das fällt ihr um ſo
ſchwerer, als Benedetti, der Geſandte Frankreichs am preu⸗
ßiſchen Hof, eben am Io. Auguſt in Paris angekommen iſt. Er
meldet feinem Souverän Bismarcks ernſten Kriegswillen für
den Fall, daß Napoleon auf ſeinen territorialen Forderungen
beſtehe, und ſtellt den Kaiſer vor den ſchweren Entſchluß, unvor⸗
bereitet einer ſiegreichen Armee gegenüber das Schwert zu ziehen
oder aber nachzugeben. Eugenie, die auf aktive Politik hinarbeitet,
iſt es hoͤchſt unlieb, daß die Ankunft Charlottens Napoleon an die
mexikaniſche Unternehmung erinnert, durch die ſie ſich ſo kompro⸗
mittiert fühlt. Aber was ſoll ſie tun? Die Kaiſerin Charlotte hat
ihren Entſchluß, Napoleon auf jeden Fall zu ſprechen, ja in ſein Ge⸗
mach einzudringen, unzweideutig und höchft energiſch kundgegeben.
So vergeht denn der Io. Auguſt im Schloß von St. Cloud in unbe:
ſchreiblicher Aufregung und Nervofität unter Kommen und Gehen
der Diplomaten und Generale, unter Hin⸗ und Herſchwanken,
ohne daß man zu einer endgültigen Entſcheidung gelangt waͤre.
Am folgenden Tage, dem II. Auguſt 1866, mittag, holt ein a la
Daumont beſpannter Eaiferliher Wagen Charlotte aus dem
Grand Hotel zur Fahrt nach St. Cloud ab.
Als die Kaiſerin, in langem, ſchwarzem, noch von der Reiſe
etwas zerknittertem Seidenkleid und großem, weißem Hut an der
Schwelle des Hotels erſcheint, um den Wagen zu beſteigen,
wird fie von einer dichten Menſchenmenge begrüßt. Auf der
ganzen Fahrt wiederholen ſich die Zurufe. Charlotte, die immer
nur von der Abneigung der franzöſiſchen Bevoͤlkerung gegen
Mexiko gehort hat, iſt davon ſehr ſympathiſch berührt. Sie
hat den Eindruck, man wünſche, es möge ihr in dieſer für fie
und ihren Gemahl ſo entſcheidenden Stunde wohl ergehen. Trotz
der Hitze, die an dieſem Tage herrſcht, hat die Kaiſerin eine
ſchwarze Spitzenmantille übergeworfen, an der ſie nervös hin und
her neſtelt. Angſt und Aufregung vor der Schickſalsſtunde erfaſſen
ſie, das Blut dringt ihr zu Kopf, über und über rot im Geſicht,
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zitternd und nervös ergreift fie den Arm Frau Almontes und
preßt ihn wie hilfeſuchend an ſich. Mitleidsvoll bewegt ſucht ihre
Begleiterin ſie zu beruhigen. Als der Wagen in den Park ein⸗
fahrt und die unter Trommelwirbel ins Gewehr tretende Schloß⸗
wache paſſiert, hat ſie ihre Faſſung wiedergewonnen. Mit an⸗
mutiger Verneigung grüßt ſie die vom Turm herabwallende
Nationalflagge.
Am Fuße der zu den Privatgemächern führenden Treppe hält der
Wagen. Eine Abteilung der kaiſerlichen Garde, ragende Geſtalten
mit hiſtoriſchen Bärenmützen, iſt als Ehrenkompanie aufge⸗
ſtellt. Der ganze Hofſtaat iſt unten an der Treppe verſammelt.
Der kleine, damals zehnjährige Kronprinz eilt mit der Kette des
mexikaniſchen Adlerordens um den Hals an den Wagenſchlag
und nimmt die Kaiſerin an der Hand, um ſie die Treppe hinauf⸗
zuführen, die beiderſeits von einem Spalier martialiſcher „Cent
gardes“, der Leibwache Napoleons, eingefaumt iſt. Oben an der
Treppe erwartet ſie Kaiſerin Eugenie und geleitet ſie nach dem
Privatkabinett des Kaiſers.
Sofort beginnt Charlotte:
„Sire, ich bin gekommen, um eine Sache zu retten, die die Ihrige
iſt. Hier ein Brief meines Gemahls, hier ein genaues Memoire
über die Lage, da alle Dokumente, die die Finanzen betreffen.
Ich bitte Eure Majeftat inftändig, rufen Sie den Marſchall
Bazaine ab, bezahlen Sie den Sold der Hilfstruppen weiter,
belaſſen Sie das Expeditionskorps bis zur vollftändigen Pazi⸗
fizierung des Landes. Ich beſchwoͤre Sie, verlaſſen Sie eine
Sache nicht, die ſo innig mit Ihrem dynaſtiſchen Intereſſe ver⸗
woben iſt. Denken Sie auch an die furchtbare Lage meines Man⸗
nes. Sie haben ihm doch verſprochen, ihn niemals zu verlaſſen,
Sie haben doch eine Ehre, ein Gerechtigkeitsgefühl, Sie können
uns doch nicht beide mitleidslos in den Abgrund ſtoßen.“
Herzbewegend vertritt Charlotte ihre Sache, durchdrungen von
deren Gerechtigkeit und Größe, mit fo heißer Seele, daß das
franzöſiſche Kaiſerpaar, obwohl feſt entſchloſſen, mit Mexiko ein
150
Ende zu machen, tief erſchüttert verſtummt. Kaiſer Napoleon,
kränklich und abgeſpannt, wie er iſt, macht einen traurigen Ein⸗
druck. Gänzlich hilflos, wie jemand, der ſieht, daß er zugrunde
geht, blickt er zu ſeiner Gemahlin hinüber. Tränen rinnen ihm
über die Wangen. Endlich ermannt er ſich und ſtottert: „Es
hängt nicht von mir allein ab, ich kann einfach nichts tun.“
Kaiſerin Charlotte muſtert den Mann von oben bis unten; ſo
alfo, denkt fie, erklärt ſich die große Macht der Miniſter in Frank⸗
reich. „Aber Majeſtät, vergeſſen Sie denn ganz die ungeheuere
Macht Ihres Vierzig⸗Millionen⸗Volkes, das die Vorherrſchaft
in Europa beſitzt? Genießt Ihr Land nicht den hoͤchſten Kredit
der Welt, und hat es nicht immer nur ſiegreiche Heere zur Ver⸗
fügung? Unter ſolchen Verhältniſſen haben Sie doch kein Recht
zu behaupten, Sie konnten bei den gewichtigen Intereſſen Frank⸗
reichs in Mexiko nichts mehr für das dortige Kaiſertum tun.“
Leidenſchaftlich und erregt klingt die Stimme der verzweifelt
kämpfenden Frau durch den Raum. Da geht zur Unzeit die Tür
auf, und ein Diener erſcheint, der auf einer ſilbernen Tablette eine
Orangeade in geſchliffener Glaskaraffe hereinträgt. Eine Hof⸗
dame, der das anderthalbſtündige Geſpräch ſchon zu lange dauert,
hat der großen Hitze wegen dieſe Verfügung getroffen. Charlotte
iſt von der unerwarteten Störung überraſcht, doch Kaiſerin
Eugenie bietet ihr mit verlegener Bewegung ein Glas zum
Trunke. Mißtrauiſch ſieht Charlotte dies mit an. Sie weigert
ſich zuerſt und ſcheint dergleichen mitten in einer ſo ernſten Unter⸗
redung unpaſſend zu finden. Als aber Eugenie ihr eifrig zuredet,
nimmt ſie langſam und zögernd einen Schluck. Dann aber kehrt
ſie gleich wieder zur Sache zurück:
„Nun ſehe ich, wo die Schwierigkeiten liegen. Aber ich ER
die Miniſter auf mich, ich werde fie perfünlich ſprechen und fie
bekehren.“
„Verſuchen Sie es, Majeſtät! Auch ich werde noch einmal mit
meinen Miniſtern beraten, bevor ich endgültigen und unwider⸗
ruflichen Beſcheid gebe.“
151
Nach zweiſtündigem, leidenfchaftlich geführtem Geſpräch verläßt
Charlotte das Kaiſerpaar. Ihre hochgeſpannten Erwartungen
find zwar getäufcht, aber fie hegt noch einen leiſen Hoffnungs⸗
ſchimmer, denn ſie baut auf die Wirkung ihrer Ausſprache mit
den Miniſtern. Wie immer aber alles ausgeht, ſie will weiter
„arbeiten und arbeiten“, um wenigſtens ein ruhiges Gewiſſen
zu haben, daß fie ihre Pflicht, ſoweit möglich, voll erfüllt hat.
Dem franzöſiſchen Kaiſerpaar aber will fie zeigen, wer ſie iſt.
Man hat in St. Cloud alles bereitet, um die Kaiſerin glänzend
zu bewirten, Charlotte lehnt jedoch die dringende Einladung der
Kaiſerin Eugenie ab und verlangt ihren Wagen. Die Kutſcher,
denen man geſagt, die Kaiſerin bleibe zum Diner, haben aus⸗
geſpannt und ſind ſpazieren gegangen. Man muß ſie erſt ſuchen.
Ungeduldig tritt Charlotte von einem Fuß auf den anderen.
Endlich iſt es ſoweit, und ſie kann fahren. Aufgeregt denkt ſie an
ihren Gemahl, der auf ihren Vorwurf der Feigheit hin in Mexiko
in tauſend Gefahren zurückgeblieben iſt. Erſchoͤpft, bleich und er:
mattet ſinkt ſie bei der Heimfahrt in die Kiſſen des Wagens
zurück. Mühſam verhält ſie die Traͤnen. Der Sturz aus tauſend
Hoffnungen iſt zu jah.
Aus dem Werk: Corti „Die Tragödie eines Kaiſers“
x
Frans Eemil Sillanpää
Schneegeſtöber
Das Kind, ein Mädchen von ſechs Jahren, das da eben allein
in ſeinem Neſt, der väterlichen Hütte, ſitzt, hat das Gefühl,
in dieſem Herrgottsunwetter inmitten von etwas viel, viel
Stärkerem zu ſein als es ſelber, von dem es ſchließlich ganz zer⸗
malmt werden wird. Da ſitzt es wie in der Schule und bekommt
vom Lehrer eine Lektion für zeit ſeines Lebens.
Einen recht paſſenden Augenblick hat ſich die Natur erwaͤhlt, um
152
fid) ihrem willigen Schüler fo zu zeigen, wie fie ift: ein Wefen,
fo hod) wie der Himmel, dabei ein bißchen einfaltig und taub,
das nicht reden kann, fondern bloß donnert und ſchnaubt, toft und
raſt, dazwiſchen mal ſtill iſt und ein wenig lächelt. Nicht, daß man
dies Weſen richtig mit Augen ſehen kann, aber im Innern nimmt
man es wahr, ohne zu ſehen — überall — über einem — hinter
einem! Obgleich es nicht ſpricht, ſo geht doch allerhand in ihm
vor, wie bei einem Taubſtummen, was dann in unvermuteten
Handlungen zum Ausbruch kommt. Man weiß nicht, warum
und wann es wütend und erboſt iſt, aber man hat das Gefühl,
es hat ſich alles, was die Menſchen je Vofes getan, gemerkt, und
da hilft auch das ſchlauſte Parlamentieren nichts. Selbſt der
Vater kann dabei nichts machen, obgleich er doch ſo viel beſſer
und älter als viele böfe Menſchen iſt. Die verſtorbene Mutter
war freilich, wenn in des Vaters Abweſenheit ein Gewitter über
der Hütte lospraſſelte, bange geweſen und hatte das Geſangbuch
zur Hand genommen, — dasſelbe Geſangbuch, aus dem fpäter
geleſen und geſungen wurde, als die tote Mutter ſelber weggeholt
wurde zum Grab bei der Kirche.
Nun ſitzt das Kind allein in der Hütte am Seitenfenſter und
ſchaut hinaus in das überwältigende Schneegeftöber. Die Hütte
liegt in dem äußerſten Winkel von dem Ackergelände des großen
Dorfes, wo ſich dieſer in den Wald vorſchiebt. Hier kommen auch
nicht alle Winde her, die allerſchlimmſten auch jetzt nicht; aber
gewaltige Schneewirbel gelangen dennoch von dem offenen Flur⸗
gebiet bis hierher, wo ſie, vor Wald und Hüttenecken ſich auf⸗
ſtauend, ſeltſame Figuren formen, wie ſie die geſchickteſte Men⸗
ſchenhand nicht nachzubilden vermochte. Es muß ſchon Mittags⸗
zeit ſein, aber dem Kind kommt es vor, als waͤre es dieſelbe Stunde,
da es erwachte. Schon da hatte über der Stube das gleiche
weiße Licht, etwas Kühl⸗Schattenloſes gelegen, unter deſſen
Einwirkung man gar nicht recht zum Aufwachen kam.
Draußen tobt das Schneewetter wie irrſinnig immer weiter. Es
iſt, als fanne es auf eine ganz unausdenkbar bofe Tat, als kaͤme
158
jener betrunkene Kerl des Wegs daher, der einmal mit dem Vater
Händel hatte. Und der Vater iſt fort. Jeden Morgen, wenn das
Kind aufwacht, iſt er fort. Daraus erwächſt wenigſtens ſo eine
kleine unbewußte Spannung, die den ganzen Tag anhält. An
einem Tag wie heute aber haben die vertrauten Gegenſtaͤnde, die
zum Vater gehören, etwas ganz Beſonderes an ſich; ein wenig
hilflos wirken ſie alle, als gehörten ſie einem Toten an: die ge⸗
teerten Stiefel auf dem Balken, die Mütze, die Jacke am Nagel
neben der Stubentür. Als hätte das tobende Stürmen ſchon
längft irgendwie den Vater vernichtet, und nur die paar Kleinig⸗
keiten wären von ihm übrig geblieben. All die Dinge wiſſen das
bereits, und daher iſt eben alles, wie es iſt. Gibt es denn auch keine
Ainu mehr? Ainu iſt heute früh ins Kirchdorf gegangen, unfaßbar
lange iſt das ſchon her. Ganz ſicher iſt auch ſie nicht mehr da!
Und dem Kind iſt zumute, als erwache es aus irgendwelchem
langen Wahn zum Bewußtſein: es iſt ja immer ſchon allein
geweſen; der Vater und Ainu waren irgendein Traum, vor dem
einem nun beim Erwachen grauſt. Ainu iſt ihre Halbſchweſter;
fo hat fie oft ſagen hören, ohne zu verftehen, was das heißt. Jetzt
begreift fie es: das iſt eben dies Gewiſſe .. Nicht der Sturm
hat Ainu geholt, — nein, heute früh hat fie hier noch in der Hütte
hantiert, und dann iſt ſie fortgegangen. Geflohen iſt ſie vor
dieſem Unwetter und irgendwohin entkommen; dort iſt ſie nun,
vielleicht irgendwo, wo Sommer iſt ... Aber den Vater hatte
da ſchon der Sturm weggeholt, und mich haben ſie hier einge⸗
ſperrt! — Ainu hat das alles gewußt, als ſie fortging dort den
Weg
Im ſelben Augenblick ballt der Sturm an ebendieſem Weg den
ſtiebenden Schnee zu einer hohen Säule zuſammen, als wäre er
des Kindes Gedanken gefolgt und beftätigte fie wild tobend: ‚Sa,
ja, fo ifts! Glaubteſt du etwa, es konne anders fein?‘ — Groß,
ohne zu zucken, folgen die Kinderaugen dem Vorgang; die Schnee⸗
wolke bewegt ſich auf die Hütte zu und bildet vorm Kuhſtall
einen raſenden Wirbel. Es ſieht aus, als verſchwaͤnde ſie im
154
Schlund eines Schneeungetüms, das die Kleine jetzt erſt bemerkt.
Vorhin war da nur Schnee, jetzt iſt da der Rachen eines Untiers.
Das iſt dahin gekommen, um zu lauern, derweil ſie da in ihren
Gedanken ſaß. Es gleicht dem Kopf eines großen Fiſches mit
geöffnetem Maul, deſſen Grund fie nicht ſieht; nur dunkel
unterſcheidet ſie eine breite Spalte. Das Kind ſtarrt und ſtarrt.
Jetzt handelt es ſich weder um den Vater noch um Ainu mehr —
die gehören irgendwohin, ganz weit weg, wo es ſtill und fchon
ift —, fondern darum, wie lange ſie es fertig bringt, hier auf der
Bank zu ſitzen und unverwandt dorthinaus zu blicken. Hinter
fi) in die Hütte wagt fie nicht ſich umzuſehen —, darauf lauert
ja gerade dieſer immer weiter klaffende Schneerachen, der ſchlim⸗
mer noch als der Sturm iſt, weil er fo wild den allergrößten
Schneewirbel hinunterſchlang. Dieſer Rachen iſt das einzig
wirklich Schlimme; ſelbſt der Sturm ſtellt ſich ja ſozuſagen auf
ſeiten des Kindes, indem er verſucht, mit immer neuen Wirbeln
das Ungetüm zu bedecken. Wenn es bloß nicht anfangen wollte,
dämmerig zu werden! Die Kleine ſpürt: die Dämmerung wird
kommen, und zu dem Hinausſtarren kommt noch das Warten
auf den Vater, dies Warten, von dem ſie weiß, es iſt hoffnungs⸗
los. Bei dieſer Vorahnung verziehen ſich ihre Züge zu einem
tränenlofen Weinen. Sie lauſcht auf: die Katze, die fie ganz ver:
geſſen hat, erhebt ſich von ihrem Ruheplatz auf dem Ofenſims,
ſpringt herab und fängt an zu miauen, um hinausgelaſſen zu
werden. Aber wieder wird ein großer Wirbel in den Schlund
„bineingedreht, und das kleine Mädchen wagt nicht, ſich zu rühren.
Ihr iſt, als zeigten ſich gerade die erſten Anzeichen der Tages⸗
neige. — Und iſt nicht der Schneerachen ſchon näher gerückt,
während ſie auf die Bewegungen der Katze lauſchte? Das Herz
kämpft gegen das Grauſen an, und der Blick klammert ſich
immer feſter an das vorm Kuhſtall aufwachſende Schneegebilde,
deſſen ſcharfkuppiger Schwanz ſchon weit über den Acker hinaus⸗
ragt. Selten nur blinzelt das Auge, und dann benutzt die Dämme⸗
rung jedesmal die Gelegenheit und nimmt zu.
155
Und der Dämmerung ift man ausgeliefert. Sie ift fo mächtig,
daß man auch nicht im Außerften Winkel des Herzens ſich ein⸗
redet, es gabe eine Rettung vor ihr, wenn fie groß und alles in
Dunkel hüllend ſich herabſenkt und eben erſt Geſchehenes ganz
raſch in Vergangenheit verwandelt. Und doch iſt die Damme:
rung nicht etwas ſo Feindſeliges und Strenges wie das Schnee⸗
geftöber, fie kommt näher und näher, lind und weich, und ehe das
Kind ſichs verſieht, weiſt fie bereits raunend den mid blickenden
Augen die liebſten Erinnerungsbilder vor: um dieſe Stunde
pflegte die verſtorbene Mutter im Stall zu tun zu haben, und
das Kind ſaß geborgen drinnen in der Hütte und wartete auf
ſeine Milch. Zuſammen mit der Katze, die auf dem Ofenrand
(chief.
Auch jetzt miaut die Katze, und das kleine Mädchen fährt zuſam⸗
men; allzu nahe waren die Bilder aus der Vergangenheit an ſie
herangetreten. Aber ſie wagt doch nicht hinzugehen und das Tier
hinauszulaſſen. Nachdem es eine Weile gewinſelt, hört es auf
und legt ſich teilnahmlos auf den Fußboden. Es entgleitet all⸗
mählich der Aufmerkſamkeit des Kindes, bleibt nur als ſchwache
Vorſtellung in deſſen Bewußtſein, waͤhrend das Auge wieder
Schutz bei der Dämmerung ſucht, bei der Daͤmmerung dieſes
Abends. Sie wächſt mehr und mehr, und ſchließlich läßt die
Spannung des Hinausſtarrens nach, ohne daß das Kind ſelber
es merkt, und loͤſt ſich. Die Züge des Schneeungetümg ver⸗
wiſchen ſich, das grauenerregende Weſen verſchwimmt, es iſt nur
noch wie ein vor der Arbeit heimkehrender Tagelöhner, willenlos
und ſchlapp.
Noch iſt etwas von Spannung in der Daͤmmerung, wie ſie da ihre
eigenen Gedankenfäden ſpinnt, denen das Kind nur wie einem
einlullenden Murmeln zu lauſchen braucht, ohne nachzugrübeln,
noch ſich zu bangen. Die Katze iſt auf die Bank geſprungen und
hat ſich neben das Kind geſetzt. Sie gibt ſchon einen guten
Kameraden ab: mollig, heimelig und vertraut.
So in die Dämmerung hineinlauſchend, verharrt die Kleine auf
156
ihrem Platz. Sie fieht Ainus Geſtalt im Hof auftauchen, aber
das rüttelt fie nicht weiter auf, obgleich es ein behagliches Gefühl
iſt. Die Katze lauft zur Tür, als Ainu kommt. Und ſchon erſcheint
im Hof eine zweite Geſtalt: der Vater kehrt von der Arbeit
heim. Die Lampe wird angezündet, und nun fängt der richtige
Abend an, zu dem auch der Vater gehört. Er ſagt, dort draußen
finge der Schnee an, ſchon Waſſer zu werden, aber er haͤtte ja
allerdings heute ein tolles Unweſen getrieben. So plaudert der
Vater mit ſeinen Kindern ſogar übers Wetter, da er ja niemand
Beſſeres zur Unterhaltung hat.
Die Sechsjährige geht auch noch mal auf den Hof hinaus, als
es ſchon ſtockfinſter iſt. Nun läßt ſie die Schrecken des Tages als
angenehme Nachwehen ins Bewußtſein dringen. Um fo vergnüg-
licher iſt es dann, in die Hütte zurückzuſpringen, dort den Schnee
von den Schuhen zu kratzen und dicke kleine Schneebälle draus
zu ballen.
Am nächſten Morgen ſcheint die Sonne. Der Schnee iſt nach
Mitternacht etwas gefroren. Zu dem Ungetüm vorm Kuhſtall
mit dem Rachen kann man jetzt, wo ein neuer Tag iſt und die
Verhältniſſe ganz anders find, hingehen und es auch aus der Nähe
betrachten. Man kann auch irgendein Spielzeug von drinnen
holen, es in eine paſſende Spalte unter das Schneedach ſtecken
und dann in die Hütte zurücklaufen und vom Fenſter aus nach⸗
ſehen, wie es ſich da macht ... Die Natur iſt heute nichts weiter
Abſonderliches. Sie iſt wieder dasſelbe wie das Leben.
Aus dem Finniſchen von Rita Ohaquiſt
x
Ich kam an die Stätten meiner Geburt, und ich fragte: die
Freunde meiner Jugend, wo find fie? — —
Und ein Echo antwortete: wo find fie? — —
Inſchrift an einem Denkſtein in Dinkelsbühl
*
157
Otto Nebelthau
Die Gräfin Mathilde von Toscana
Uber die Gipfel der Apenninen geflogen, gab Föhn der Juninacht
ſummenden Schauer, ſchroff fielen und wild die Matten ringsum
im Gewog des Vorgebirgs in die Täler hinab, lagen gelb und
verbrannt von ſengender Hitze ums Schloß Canoſſa. Satt⸗gelbes
Mondlicht quälte die Landſchaft.
Anſelm von Lucca, Beichtvater der Gräfin Mathilde, erhob ſich
vom Lager, es war erſt gegen den Morgen, doch ihn verließ der
Schlaf in der Kammer, weil ihm die Beichte der Herrin be⸗
vorſtand. Wie er das Wecken im Kloſter vernahm, kam ihm der
Weckruf ins Ohr, den er als Knabe in Rom auf der Pritſche
vernommen, wo er verſtoͤrt dann von ftrohüberfchütteten Brettern
die Arme zur Kutte gereckt. Oft hatte die dornige Rute die Füße
des Schläferd getroffen, der nicht fofort ſich erhob. Mit bloßen
Füßen mußten ſie dann im Kloſter Santa Maria in Rom,
Hildebrand und der verderbte Freund Hugo Candidus, über die
Steine, ſo kalt, durch den Kreuzgang, in deſſen Mitte der Raſen
lag, in die Kirche zum Frühamt, wo ſie der Wunſch nach dem
Morgentrank aufrecht erhielt, die noch unverftändigen Herzen.
Anſelm von Lucca trat auf den Hof. Da kamen die Mönche,
gleich Schatten und nebeneinander zu zweit, aus der Tiefe des
Kloſters. Denn das lag ins Geſtein eingehaun, es fand nicht
mehr Platz auf dem Riff des Felſenſchloſſes Canoſſa, ein Turm
nur zeigte es an, ſchmal unter den andern ragenden Türmen, die
in die zerklüftete Landſchaft warnten, die Türme des Schloſſes,
die Türme der Wächter.
Eng war der Hof und füllte ſich bald. Es kamen auch aus den
Quartieren, den leeren Zellen des Kloſters, den Kellern der Burg,
aus allen Winkeln des ſteilen Felſens, wo jeder Klafter bewohnt
und benutzt war, die Ritter der Gräfin Mathilde, Gebieterin
von Toscana, wohl hundert Mann, die Leibgarde, ausgeſucht
aus den Ländern wie des Heiligen Vaters Legaten. Auch kamen
158
viel Gäſte, die Fremden von auswärts, und waren die frühe Meſſe
lang nicht gewohnt. Bollwerk zwiſchen Rom und dem Reich
war die Herrſchaft der Gräfin. Wer ſich Vorteil verſprach und
wer der rollenden Wucht der Ereigniſſe nah ſein wollte, damit
er dran teilnahm und am Verteilen, der kam hierher und fügte
ſich ſtarr der Regel der mächtigen Freundin des Heiligen Vaters.
Sie drängten ſich dicht vor der Kirche. Die ſchien hinabzugleiten
vom Fels, ſo nah an den Rand geſetzt; am Turm das Wappen⸗
tier Petri, als Wetterfahne ein Fiſch.
Leichter Morgen tat ſich ſchon auf, der Mond verlor ſeine Herr⸗
ſchaft, als die Gräfin erſchien und das erſte Licht auf ihr braunes
hartes Geſicht fiel.
Eine Bank nur ſtand in dem Kirchlein vor dem goldnen Altar
und den heiligen Geräten aus Gold und den Bändern und
Decken aus Seide, mit leuchtenden Steinen beſtickt. Funkelnder
Prunk war allein auf den Altar gehäuft. Karg war der Raum
fonft. Die Ritter und Mönche konnten nur ſtehn.
Der Abt des Kloſters vollzog den Dienſt, Novizen und Kinder
halfen, die Schellen zu läuten und die Geräte aus ihren Hüllen
zu nehmen, das Buch aufzuſchlagen. Schwer war die Luft von
dem Kerzenrauch und den atmenden Menſchen. Mancher der
Säfte war wohl erſtaunt ob der Strenge der Ordnung, erhob ſich
nur ſchwer, um niederzuknieen, ein um das andere Mal.
Doch allmählich wurden die Fremden bezwungen. Denn ſie ge⸗
wahrten die Tiefe der Demut, mit der die Gräfin der Meſſe Bei⸗
ſpiel ergriff, daß es nicht Beiſpiel mehr war, ſondern Wahr⸗
haftigkeit; daß in Wahrheit der Leib des Herrn verwandelt tief
in ſie einging. Ihr Glaube ſchlug alle in Bann, die Fremden, die
Ritter und Mönche; er machte fie alle beſchämt.
Es dachte wohl einer:
„Lebt noch ein Fürſt, der mächtiger iſt? Iſt ſie von Gott nicht
mit Kraft und Geſundheit bedacht? Iſt fie nicht jung? Iſt fie
nicht reich wie niemand ſonſt auf der Welt? Iſt ihr Verſtand
nicht geſchärft, lieſt fie nicht Bücher und ſitzt zu Gericht wie
159
ein Mann? — Dennoch liegt fie vor Gott auf den Knieen, als
ob ſie verarmt ſei!“
Endlich wich die Bedrückung. Der Abt verhüllte den heiligen Leib.
Flutendes Licht ſchwoll durchs offene Tor. Die Ritter und Mönche
drängten zum Hof, die Fremden ſuchten ihr Lager noch einmal auf.
Anſelm von Lucca blieb, und Gräfin Mathilde blieb in der
Kirche zurück!
Den Beichtvater ſchreckte die Stunde! Das war es, was immer
ihn ſchreckte, wenn eben der Schlaf ihn verließ, die Beichte der
Gräfin am Morgen. Wie ſah er in dieſe todtraurig⸗glückſtarke,
herrſchſüchtig⸗demütige Seele, wenn fie die Wünſche der Nacht
von ſich warf! Sie trug ein Bildnis in ſich, das wollte ſie zeigen
und doch bedecken, das wollte ſie tilgen, und das war doch die
Rettung. Noch war ihr Glaube nicht rein, ſie vermiſchte ihn
noch mit den Brünſten; es verlangte ſie noch, ſie war noch
nicht ſtill.
Das beichtete fie mit ſchluchzender Stimme, und fie löfte das
Kleid, um zu leiden, wie auch die frühen Chriſtinnen litten unter
der Peitſche der Römer, daß ihre Inbrunſt rein aus der Qual
und geläutert hervorſtieg ... löſte das Kleid, daß es den Nacken
entblößte, die Schultern, den Rücken und bis zu den Hüften
binabfiel, lehnte ſich über die Bank und ſchloß die Augen und hielt
die Hände ineinandergepreßt — inbrünſtig bat ſie um Strafe.
Anſelm von Lucca ſchlug zu. Ihm wuchs im Schlagen die Kraft,
ſchwer ſchlug er zu mit der Geißel.
Mittag und der Empfang nicht vorüber! Ihr drohte die Kraft
zu zerfallen. Bis auf den ſchmalen Hof ſtand die Menge vom
Morgen an vor dem Saal des Gerichtes: Meldereiter von ihren
Städten, neue Gäſte, die Zeitung brachten aus allen Ländern
der Erde, Unterführer und Baumeiſter, dunkelhäutige Edelſtein⸗
händler und Elfenbeinſchnitzer, arabiſche Geldverleiher. Sie hielt
ſich noch aufrecht, empfing Legaten aus Rom, entließ die letzten
160
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Ablaßbrief um 1430
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Beſucher, unverwirrt den Schwarm auseinanderhaltend, mit un⸗
geſchwächtem Befehl.
Doch als auch die Mahlzeit vorüber war, fpät ſchon am Nach⸗
mittag, ſtürzte in ihrem Schlafraum ſie hin, das Geſicht in die
Kiſſen gedrückt. Dienerinnen zogen die ſchweren Schuh von den
Füßen, ſtreiften das Kleid ab, die Haut des Rückens lag bloß,
von Geißelhieben zerſchunden, mit Schorfen und friſchen Wun⸗
den bedeckt.
Salbe kam auf die feuchtenden Stellen, es raſte der Schmerz.
Sie griff an die Pfoſten der Bettſtatt, es perlte das Blut zu den
Wunden; langſam ſchlich ſich ein Zittern ganz durch den Leib. —
Schwer von Genuß ſchlief ſie ein.
Durch die offenen Türen kam Kühle des Abends. Hammerſchläge
auf hangende Balken im Turm des Schloſſes hallten die Stunde.
Dumpfe Gelénge entſtrömten dem Kloſter. Wind fuhr die Hänge
hinab, graublaue Kornfelder ſtreichend, die er zu Wellen trieb,
als wollten die Ahren zu Tal.
Wunderbar nach dem Schlaf gekräftigt, zog ſich die Gräfin abend⸗
lich an, ſchlang Ketten aus ſchwarzen Perlen um ihre Arme, um
ihren Hals Ketten geflochtenen Golds.
Sie ging durch ſchmalen Gang in den Raum der Geſchäfte.
Briefe bedeckten den Tiſch, Regale trugen die Bücher: die Bi⸗
bel, Dichter der heidniſchen Zeit, Rechtsſprüche, kirchliche
Schriften. Zu ihr wurde der Pfarrer geführt der Stadt, die
nah bei dem Schloß lag, der Pfarrer der Baſilika des heiligen
Proſperus in der Stadt Reggio. Der war gekommen mit ſeinem
Weib.
Die Gräfin ließ die Beſucher ſich ſetzen, einen ſtaͤmmigen Mann,
nicht mehr jung, und feine bauerifde Frau, deren Geſicht über:
haucht war von milchiger Bläſſe. Außerhalb des Empfanges war
er beſtellt für eine letzte Ermahnung.
Denn dem Befehl aus Rom widerſetzte er ſich. Das war ein
Befehl, ſchon ſeit langem erlaſſen, doch niemals befolgt: daß die
Pfarrer durch keine Heirat, von keinem Gedanken an eine Frau
161
in ihrem Amt gefehwächt werden dürften, daß fie der Erbſuͤnde
Zorn nicht erreiche. — Jetzt hatte der Papſt den Befehl aus ber
Tiefe feiner Geſichte und feines Willens zum Weltreich erneuert,
um die Wächter zu ſchaffen über die Menſchheit, die unbeſtech⸗
lichen Wächter, die nicht der Bedrückung des Tages und feind⸗
licher Luft erlägen.
Zögernd fiel die Stimme der Gräfin, gebrochenen Klangs, in die
Stage:
„Pfarrer, gehorchſt du immer noch nicht? Läßt nicht vom Un⸗
recht, bringſt mit dir die Frau als Beweis deines Widerſtands?
Rührſt deine ganze Gemeinde auf!“
Der Pfarrer hatte den Mut, die Entſcheidung nicht zu ver⸗
ſchleppen. Die Herrin, ſie konnte ihn ſtürzen. Es half nur die
Wahrheit, es half kein Ausweichen mehr, die Wahrheit nur
konnte ihn retten.
„Mit einem Weibe zu leben, Gräfin Mathilde, das ſoll ein Ver:
bot fein für die Armen im Geiſt; für die ſoll es gelten, die unferer
Kirche ein Greuel find, die in den Kneipen figen mit ihren Dirnen
und das Gewand zum Entfegen der Gläubigen tragen, die mit
dem Geld ihrer Vater das Amt ſich erkauften! — Lang lag es
verſchüttet, das ſchwere Verbot, nun hebt es ſich wieder empor,
trifft die, die längſt Idien gewandelt find zu Kämpfern für den
erwachenden Glauben. Nun trifft es alle und nicht nur die, für
die es entſtand. Unermeßliches Leid kommt über die Menſch⸗
heit!“ |
Die Gräfin ſaß aufrecht, lehnte den Rücken nicht an. Ihr Ge⸗
ſicht bekam Flecken:
„Halbheit loͤſcht doch die Sünde nicht aus! Halbheit kennt immer
wieder den Ausweg. Es foll doch den Frieden dir bringen, wenn du
gehorchſt. uͤber der Qual der Natur ſollſt du ſtehn, daß du ſie
ſtillen kannſt alle den andern. Ahnſt du denn, Pfarrer, die Kraft,
die in dir wohnen ſoll? Laß die Armen im Geiſt nur verſinken,
Gottes Strafe tilgt fie ſchon aus, aber die Reinen müſſen erhöht
fein. Wunſchlos müffen fie fein, untadelig die Hände, die fie zur
162
Andacht falten. Sind fie voll Tadel, packt fie die Kleinheit
des Kampfes, der um die Frau geht, dann zerrt ſie der Wunſch
zu Boden, ihr zu gefallen, ihr Genüge zu tun.“
Die Frau erſchrak, ſie wollte die Antwort geben. Aber der Mann
kam ihr zuvor:
„Wunſchlos, untadelig? Gräfin Mathilde, wie lebe: ich denn?
Wo ſteht es geſchrieben, daß ich nicht zeugen ſoll? Gott - ift denn
Gott für den Tod, nicht für das Leben? Iſt denn nicht das Ge⸗
fühl, das den Menſchen zum Menſchen drängt, ebenfalls heilig,
ſchließt ſich auch da nicht die Seele auf, ſo daß ſie weit wird
zum Preiſe des Schöpfers? Dunkel wird unſer Trieb, knechtet
man ihn.“
Das war die Antwort, fo zum Ermüden gehört, fo fern allem
Gluck, fo mit Stumpfheit behaftet! Wenig half die Ermahnung,
das freundliche Wort: niemand bekehrt ſich in Freiheit zur Auf⸗
ſchau. Leidet ſein Leib, ſo bietet die nackte Natur er zum Zeugnis
an, daß er wie jene wächſt, daß Gott auch jene ſchuf mit ihrer
Brunſt.
„Pfarrer, Heirat, das iſt doch Sorge, das iſt doch Güte für einen
Menſchen, das iſt doch Teilung der Kraft und des Willens, das
iſt doch Raub an der Andacht. Andacht raubſt du allen den Seelen
deiner Gemeinde. Kommſt du von deiner Frau aus gemeinſamer
Kammer, löſchſt du die Weihe des Altars aus.“
Trauer und Bitterkeit packten den Pfarrer:
„Jung biſt du, Gräfin Mathilde, biſt noch nicht dreißig Jahr,
verhärteſt dich ſo! Stöhnt doch ſeit jenem Verbot vor Kummer
die Welt! Rotten ſich Zweifler zuſammen, die Nächte ſind
ſchlaflos, krümmt die Natur ſich vor dem Befehl, zuckt voller
Schmerzen, ſchlägt aus, erhebt ſich zu raſendem Aufſtand! Freude
fällt von den Menſchen, Angſt treibt ſie zur Haſt, die Speiſe
ſchmeckt ihnen nicht, der Trank nicht, die Ruhe des häuslichen
Herds iſt zerſtört. Ruft doch Paulus dir zu: „Iſt die Enthalt⸗
ſamkeit über die Kraft, fo laß fie freien; Freien iſt beſſer als Qualen
der Brunft!‘ — Dunklen Wolken gleich liegen die Hände des
163
Papſtes auf uns. Gräfin Mathilde, du, feine Dienerin, die du
die Burgen für feinen Schutz bauſt, fuche den Ausweg für uns!“
Schwer waren die Augen der Gräfin:
„Wer ſoll dir denn glauben, daß du erbebt biſt, daß du die Ruhe
erflehſt, daß Gottes Sohn für uns litt, wenn deine Kleinheit
gegen dich zeugt, die immer um dich iſt, dein mangelnder Wille
zur Überwindung? Größere Seelen als deine verlangt der Heilige
Vater, nicht mehr gehemmte, nicht vom Alltag beſchmutzte!“
Der Pfarrer rief:
„Bedenkſt du denn, Gräfin Mathilde, daß ich nicht allein bin,
nicht mein Gewiſſen allein, das ſich wehrt in Verzweiflung?!
Tauſende trifft wie mich das Verbot, Tauſende Frauen und
Kinder und frohe Gemeinden weit in den Ländern des Glaubens!
Aufſtand des Blutes wird furchtbar genährt, es verkümmert die
Andacht! Sehnſucht treibt uns zum Koͤnig, ſei er auch noch ſo
verderbt; er tötet das Leben nicht, tötet nicht Gottes Natur! —
Das Reichskonzil trat nicht zuſammen, weil die Pfarrer
nicht glaubten, daß das Verbot ein Gottesbefehl ſei! Mag doch
die Kraft des Heiligen Vaters an uns zerſchellen!“
Tränen netzten die Augen ſeiner gequälten Frau:
„Was will denn Papſt Gregor? Was will der furchtbare Mann?
Erntet er nichts doch als Kummer mit ſeinen Verboten! Stehn
wir Fraun nicht am Herd und füllen den leeren Topf dem, der
vorüberkommt, jedem der Armen? Pflegen wir nicht die Kranken
und Siechen? Hängen dem Manne nicht an, dem Einen, wie
es geſchrieben ſteht? — Es ut nicht von Gott, was der Heilige
Vater befiehlt!“
Faſſungslos, vollig verwirrt brach fie aus:
„Papſt Gregor ſelbſt — lebt er nicht ſelbſt in Schuld? — Lebt er
nicht ſelbſt mit einer Frau?“
Hart griff ſie der Pfarrer am Arm, ſie wimmerte leiſe:
„Es iſt doch wahr!“
Die Augen brannten im blaſſen Geſicht ihres Mannes, als er
ſein Urteil empfing:
164
„Pfarrer, fo wirft du bald ſelbſt ſchrein, unbelehrbar, verloren!“
Die Gräfin ftügte (id, als fie aufſtand:
„Der Zutritt zur Kirche wird dir verwehrt! Dein Amt wird
vergeben!“ |
Wie ein Schrei war ihr Brief an den Heiligen Vater.
„Ich bin gerüftet, was immer auch kommen mag! Nie ift
ein Auftrag zu groß! Schande wär es für mich, konnte man
ſagen, ein Weib gäb mit Dingen ſich ab, für die es nicht
tauge, wolle den Fürſten nur ſpielen!“
Sie ſchrieb im Lichte der Kerzen:
„Selber ſchreibſt du, du müßteſt täglich die Angſte und Nöte
eines kreißenden Weibes erdulden? Du bäteft Jeſum darum,
Er möge dich auslöſchen oder ein Zeichen dir ſetzen, daß dein
Leben nutzbringend ſei? — Der Tag wird kommen, da du die
Könige alle bekehrſt und alle das Kreuzbanner tragen. Daß ſie
dir folgen zum Grab des Erlofers, damit die Fahne über Jeruſa⸗
lem weht. Vorher bricht vieles zuſammen! — Bitte Jeſum
um Stärke!“
Und ſie dachte, was bisher geſchehn, ſei nur unendlich gering. Sie
ſchloß den Bericht: „Mathilde, iſt ſie von Rang, ſo von Gottes
Gnaden. Canoſſa, im Juni.“
Aus dem Roman „Der Ritt nach Canoſſa“
*
Ick lew wat fin is
Wenn t ock nich min is,
Wenn ti ock min nich warden kann,
Hew ick doch min Freude dran.
Plattdeutſcher Spruch
165
Friedrich Hölderlin
An den Ather
Treu und freundlich, wie du, erzog der Götter und Menſchen
Keiner, o Vater Ather! mich auf; noch ehe die Mutter
In die Arme mich nahm und ihre Brüſte mich tränkten,
Faßteſt du zärtlich mich an und goſſeſt himmliſchen Trank mir,
Mir den heiligen Othem zuerſt in den keimenden Buſen.
Nicht von irdiſcher Koſt gedeihen einzig die Weſen,
Aber du nährſt ſie all mit deinem Nektar, o Vater!
Und es drängt ſich und rinnt aus deiner ewigen Fülle
Die beſeelende Luft durch alle Rohren des Lebens.
Darum lieben die Weſen dich auch und ringen und ſtreben
Unaufhoͤrlich hinauf nach dir in freudigem Wachstum.
Himmlliſcher! ſucht nicht dich mit ihren Augen die Pflanze,
Streckt nach dir die ſchüchternen Arme der niedrige Strauch nicht?
Daß er dich finde, zerbricht der gefangene Same die Hülſe,
Daß er belebt von dir in deiner Welle ſich bade,
Schüttelt der Wald den Schnee wie ein überlaſtig Gewand ab.
Auch die Fiſche kommen herauf und hüpfen verlangend
uͤber die glänzende Fläche des Stroms, als begehrten auch dieſe
Aus der Wiege zu dir; auch den edeln Tieren der Erde
Wird zum Fluge der Schritt, wenn oft das gewaltige Sehnen,
Die geheime Liebe zu dir ſie ergreift, ſie hinaufzieht.
Stolz verachtet den Boden das Roß, wie gebogener Stahl ſtrebt
In die Höhe fein Hals, mit der Hufe berührt es den Sand kaum.
Wie zum Scherze, berührt der Fuß der Hirſche den Grashalm,
Hüpft, wie ein Zephir, über den Bach, der re ßend hinabſchäumt,
Hin und wieder und ſchweift kaum ſichtbar durch die Gebüſche.
Aber des Athers Lieblinge, ſie, die glücklichen Vögel
Wohnen und ſpielen vergnügt in der ewigen Halle des Vaters!
Raums genug iſt für alle. Der Pfad iſt keinem bezeichnet,
166
Und es regen ſich frei im Haufe die Großen und Kleinen.
Über dem Haupte frohlocken fie mir, und es ſehnt ſich auch
mein Herz
Wunderbar zu ihnen hinauf; wie die freundliche Heimat,
Winkt es von oben herab, und auf die Gipfel der Alpen
Moͤcht ich wandern und rufen von da dem eilenden Adler,
Daß er, wie einſt in die Arme des Zeus den ſeligen Knaben,
Aus der Gefangenſchaft in des Athers Halle mich trage.
‚Zöricht treiben wir uns umher; wie die irrende Rebe,
Wenn ihr der Stab gebricht, woran zum Himmel fie aufwächſt,
Breiten wir über dem Boden uns aus, und ſuchen und wandern
Durch die Zonen der Erd, o Vater Ather! vergebens,
Denn es treibt uns die Luſt, in deinen Gärten zu wohnen.
In die Meeresflut werfen wir uns, in den freieren Ebnen
Uns zu ſättigen, und es umſpielt die unendliche Woge
Unſern Kiel, es freut ſich das Herz an den Kräften des Meergotts.
Dennoch genügt ihm nicht; denn der tiefere Ozean reizt uns,
Wo die leichtere Welle ſich regt - o wer dort an jene
Goldnen Küften das wandernde Schiff zu treiben vermochte!
Aber indes ich hinauf in die dämmernde Ferne mich ſehne,
Wo du fremde Geſtad' umfängſt mit der bläulichen Woge,
Koͤmmſt du faufelnd herab von des Fruchtbaums blühenden
Wipfeln,
Vater Ather! und ſänftigeſt ſelbſt das ſtrebende Herz mir,
Und ich lebe nun gern, wie zuvor, mit den Blumen der Erde!
167
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Bücher aus dem Inſel⸗Verlag
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Die Hier aufgeführten Bücher find Durch jede gute Buchhandlung
zu beziehen; wo folche nicht vorhanden tft, wende man fich an den
Verlag in Leipzig C1, Kurze Straße 7
*
Über alle Neuerſcheinungen
und Pläne des Inſel⸗Verlages unterrichtet fortlaufend
| Das Inſelſchiff
Eine Zeitſchrift für die Freunde des Inſel⸗ Verlages.
Im Dezember beginnt der fünfzehnte Jahrgang.
Vier Hefte zum Preis von M 3.—; Einzelheft M 1.—
*
Die Inſel⸗ Bücherei
- jeder Band gebunden 80 Pfennig —
iſt ein Spiegelbild des deutſchen Weſens. Wie ſie den ewigen Be⸗
ſtand deutſchen Sprach⸗ und Kulturgutes zu vereinigen bemüht bleibt,
ſo nimmt ſie aus der Weite der Welt die Erſcheinungen in ſich auf,
die zur Bildung des deutſchen Menſchen beigetragen haben. Die
Inſel⸗ Bücherei hat ſich ſeit ihrem Beſtehen auch der Pflege des
illuſtrierten Buches gewidmet, und ſie vollendet dieſe Aufgabe mit
der Einbeziehung vielfarbiger Bände, von denen bisher drei er⸗
ſchienen ſind. Auch weiterhin wird die glückliche Verbindung wert⸗
vollſten Inhaltes mit einer anſprechenden äußeren Geſtalt bei wohl⸗
feilem Preis der Inſel⸗Bücherei die Liebe einer ſchon nach vielen
Millionen zählenden Gefolgſchaft erhalten und zu den alten immer
neue Freunde gewinnen.
Neue vollſtändige Verzeichniſſe der Inſel⸗Bücherei
ſtehen koſtenlos zur Verfügung.
Neuerſcheinungen 1933
Bertram, Ernst: Die Wartburg. Spruchgebichte. In Pappband M 4.—.
Die große Vergangenheit ber Wartburg wird in den vifionären
Verſen dieſes Buches wieder lebendig. Geſchichte und Sage faſt
eines Jahrtauſends find mit dieſer Burg verknüpft; vom legendären
Sängerkrieg an bis zu Wagners „Tannhäuſer“ iſt ſie ein Sinnbild
deutſcher Art und Kunſt.
Bühler, Johannes: Das erste Reich der Deutschen. Von der Völker:
wanderung bis zur Reformation. Mit 80 Bildtafeln. Volksaus⸗
gabe in Leinen M 4.50
Im Zeitpunkt einer ungeheuren Staatsumwälzung, aus der ſich
das Reich in neuer Geſtalt und Ordnung erhebt, bietet ſich dem
zurückgewandten Blick dieſes Buch dar, das ſich in erſter Linie
an den jungen deutſchen Menſchen wendet, der das Leben ſeiner
Vorfahren kennen lernen will. Es zeigt in einem weiten, aus gründ⸗
lichſten Kenntniſſen erworbenen Überblick die erſte große Lebens form
des Reichs der Deutſchen und die ſtaatlichen, wirtſchaftlichen, ſo⸗
zialen und kulturellen Wurzeln unſeres völkiſchen Daſeins.
Carossa, Hans: Führung und Geleit. In Leinen M 5.—; kart. M 4.—.
Verwandlung eines von tiefſten Einſichten durchdrungenen Lebens
in das verantwortungsbewußte, von lauterſter Geſinnung geadelte
Wort: in dieſem Zeichen ſind die Bücher von Hans Caroſſa ge⸗
ſchrieben. Zweier Jahrzehnte hat es bedurft, bis dieſer große deutſche
Dichter wirkender Beſitz einer wachſenden Gemeinde geworden iſt.
Mit beſonderer Freude wird ſie dieſes Buch in Empfang nehmen,
in dem die Beziehungen des Dichters zu vielen Menſchen, die ihm
auf ſeinem Wege hilfreich waren, ſinnfällig zur Anſchauung ge⸗
bracht ſind.
Coolen, Anton: Brabanter Volk. Roman. Aus dem Niederländiſchen
übertragen von Eliſabeth und Felix Auguſtin. In Leinen M 5.—.
Dieſe Erzählung von dem Pfarrer Vogels und ſeiner Gemeinde
lebt unmittelbar aus den ſtarken Kräften des Bodens, fie iſt beleeft
von der Liebe des Dichters zur heimatlichen Landſchaft. Anton
Coolen hat den liebenden Blick für die Menſchen des Alltags, er
zeigt, wie auch in ihnen das Verhängnis bis zur Vernichtung über⸗
mächtig werden kann. Mit rührender Innigkeit läßt er ſeine Ge⸗
ſtalten an der Gnade teilhaben, die ſein Glaube aus der Fülle ſeines
Herzens verſchenkt.
Corti, Egon Caesar Conte: Die Tragödie eines Kaisers. Mit 4 Bild⸗
tafeln. In Leinen M 7.50
Kaiſer Maximilian von Mexiko iſt das tragiſchſte Opfer des Ränke⸗
ſpiels der hohen Politik im 19. Jahrhundert geworden. Jung und
171
tatenfroh, romantiſch und von hohen Idealen erfüllt, ſehnt ſich der
habsburgiſche Prinz und Bruder des Kaiſers Franz Joſeph von Öfter:
reich nach Herrſchaft und Verantwortung; fo vorbereitet, läßt er
ſich von ehrgeizigen Politikern, die im Verein mit Napoleon III.
und der Kaiſerin Eugenie ein Kaiſerreich in Mexiko zu errichten
trachten, in ein Abenteuer hineinlocken, wie es gefährlicher nicht
gedacht werden kann.
Es iſt dem Grafen Corti, der Zugang zu ſonſt ſtreng verſchloſſenen
Archiven fand, gelungen, unter Einbeziehung zahlreicher bisher un⸗
bekannter Zeugniſſe ein packendes Bild der amerikaniſchen Tragödie
zu zeichnen.
Deutsche Erzähler. Ausgewählt und eingeleitet von Hugo von Hof:
mannsthal. Die früher vierbändige Ausgabe jetzt in einem Bande.
(1005 Seiten.) In Leinen M 4.50.
Inhalt: Arnim: Der tolle Invalide — Brentano: Geſchichte vom
braven Kaſperl und dem ſchönen Annerl — Büchner: Lenz — Droſte⸗
Hülshoff: Die Judenbuche — Eichendorff: Taugenichts — Fouqué:
Undine — Goethe: Novelle — Gotthelf: Barthli, der Korber — Grill:
parzer: Der arme Spielmann — Hauff: Das kalte Herz — Fr. Hebbel:
Aus meiner Jugend — E. T. A. Hoffmann: Der Elementargeift —
Gottfried Keller: Spiegel, das Kätzchen — Heinrich von Kleiſt: Das
Erdbeben in Chili — Eduard Mörike: Mozart auf der Reife nach
Prag — Jean Paul: Leben des vergnügten Schulmeiſterlein Maria
Wuz in Auenthal — Schiller: Der Geiſterſeher — Sealsfielb: Gr:
zählung des Oberſten Morſe — Stifter: Der Hageſtolz — Tieck: Der
blonde Eckbert.
Man vernimmt hier ein Konzert aus einem bewußt begrenzten
Zeitraum höchſter deutſcher Dichtung, ein Konzert, in dem ſich die
verſchiedenſten Stimmen ausgeſprochener Charaktere, die verſchie⸗
denſten Landſchaften und Stämme, der Norden wie der Süden,
der Oſten wie der Weſten vermählen. Gerade in unſern Tagen
ſollte man ſolchem Schauen und Denken, Sinnen und Trachten,
Klingen und Tönen ſein Ohr öffnen, damit die höchſten Werte
dieſes Volkes, feine Maßſtäbe und fein eigentliches Weſen klarer
und plaſtiſcher ſich abheben, und damit ſie der dunklen Ahnung
unfrer Gegenwart wirklich die Prägung eines deutſchen Geſichts
geben. Deutſche Allgemeine Zeitung.
Deutsche Heldensagen. Herausgegeben von Severin Rüttgers. Mit
einem erklärenden Anhang (616 Seiten). In Leinen M 4.50.
Inhalt: Das Hildebrandslied — Beowulf — Walther und Hilde:
gund — Sigfrid und die Nibelunge — Wieland der Schmied —
König Rother — Der getreue Wolfdietrich — König Dietrich von Bern
— Kudrun — Der Nibelunge Not.
172
Die Wiedererzählung älterer Dichtung ift eine Aufgabe, die jedes
Geſchlecht von neuem löſen muß. In dieſer neuen Ausgabe werden
die weſentlichſten Stücke deutſcher Heldendichtung in ſchlichter Er⸗
zählung nach den Quellen dargeboten. Ihre Herbheit wurde nicht
geglättet, ihr Ungeſtüm nicht gebändigt: ſo ragen ſie in eine Zeit,
die nach großen Maßſtäben verlangt. In dieſen Geſtalten ſpiegelt
ſich das Weſen der Deutſchen, um deſſen Wiedergeburt es von
neuem geht.
Goethes Werke in ſechs Bänden (Der Volksgoethe). (3900 Seiten.) Im
Auftrage der Goethe⸗Geſellſchaft herausgegeben von Erich Schmidt.
Neu bearbeitet von Guſtav Roethe. 86.100. Tauſend. In Leinen
M 18.—.
Inhalt: Band I: Geleitwort von Guſtav Roethe — Einleitung
von Erich Schmidt — Gedichte — Fauſt. Band II: Dramen: Götz
von Berlichingen mit der eiſernen Hand — Clavigo — Stella — Die
Geſchwiſter — Egmont — Iphigenie auf Tauris — Torquato Taſſo —
Die natürliche Tochter — Pandora — Des Epimenides Erwachen —
Aus dem „Maskenzug 1818“. Band III: Romane — Novellen —
Epiſche Dichtungen. Band IV: Wilhelm Meiſters Lehrjahre. Band V:
Dichtung und Wahrheit. Band VI: Vermiſchte Schriften: Biogra⸗
phiſches — Zur Literatur — Zur Kunſt — Zur Naturwiſſenſchaft —
Sprüche.
Der Volksgoethe, die vorbildliche Bewältigung der großen Auf⸗
gabe, aus den in ihrer Fülle unüberſehbar erſcheinenden Werken
Goethes, diejenigen ganz oder in weſentlichen Teilen auszuwählen,
deren Summe den Dichter und Gelehrten am erfchöpfendften dar⸗
ſtellt, iſt die volkstümlichſte Tat der Goethewiſſenſchaft.
Haslund- Christensen, Henning: Jabonah. Abenteuer in der Mongo⸗
lei. Geleitwort von Sven Hedin. Aus dem Dänifchen übertragen
von Helmut de Boor. Mit 118 Abbildungen und einer Karte. In
Leinen M 8.50.
Jabonah: das ift der Ruf, mit dem die mongolifchen Kamel: und
Pferdetreiber ihre Tiere ermuntern, wenn die Karawane zum Marſch
aufbricht. Jabonah: dieſes Wort öffnet ein neues Tor in die lockende
Welt der großen Abenteuer. Mit einer beglückenden Friſche berichtet
Haslund, „der geborene Schilderer aſiatiſchen Lebens“, wie Sven
Hedin ihn nennt, von der Gründung einer Farm durch eine Gruppe
junger Menſchen tief in der Mongolei. Er erzählt, wie fie den Boden
urbar machen, in gefahrvollen Streifzügen einen Pelzhandel be⸗
ginnen, er erzählt von feinen Erlebniſſen mit Räubern und Scha⸗
manen, von der Gefangenſchaft im Sowjetgefängnis, von der Über:
liſtung chineſiſcher Händler und vom Weihnachtsidyll mitten in der
Einöde des mongoliſchen Berglandes.
173
Der Heliand in Simrocks Übertragung und die Bruchſtücke der
Altſächſiſchen Geneſis. Eingeleitet von Andreas Heusler. In Leinen
M 3.50.
„Die maͤnnlichſte der Meſſiaden“, — „ein großes, eindrucksvolles
Denkmal deutſchen Chriſtentums vor 1100 Jahren“, nennt Andreas
Heusler in feiner Einführung den „Heliand“, den ein fächfifcher
Geiſtlicher im Auftrage König Ludwigs des Frommen nach der
endgültigen Unterwerfung und Bekehrung der Sachſen ſchrieb.
Nicht den leidenden Chriſtus feiert der Dichter, ſondern den hel⸗
diſchen. — Die neue Ausgabe dieſes zuerſt vor zwölf Jahren bei
uns erſchienenen Buches wird beſonders in einer Zeit kirchlicher Er⸗
neuerung vielen willkommen ſein.
Huch, Ricarda: Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri. Roman.
Volksausgabe. 23. Tauſend. In Leinen M 3.75.
Aus dem Riſorgimento, der Zeit, da Italien um ſeine Unab⸗
hängigkeit und Einheit kämpfte, hat Ricarda Huch die Figur des
lombardiſchen Empörers herausgehoben. Ohne Überfchwang und
Sentimentalität erzählt ſie ſein Leben als Sinnbild eines großen
Opfers, in einer Sprache, die oft ganz Seele geworden ſcheint.
Lawrence, D. H.: Der Zigeuner und die Jungfrau. Novellen. Über:
tragen von Karl Lerbs. In Leinen M 6.—.
David Herbert Lawrence, gleich groß als Seelenerkunder wie als
Seelenverkünder, zeigt ſich auch in dieſem Bande als Meiſter der
Novelle, die auf engem Raum ein ganzes Lebensſchickſal formt. Fünf
Novellen bilden den Inhalt dieſes Bandes, es ſind außer der Novelle,
die ihm den Titel gegeben hat, die folgenden: „Die Tochter des
Pferdehändlers“, „Lächeln“, „Die Grenzlinie“, „Die Hauptmanns⸗
Puppe“.
Luthers Briefe. In Auswahl herausgegeben von Reinhard Buch⸗
wald. Mit einem Titelbild. 13. Tauſend. In Leinen M 3.50.
Im Jahre der 450. Wiederkehr des Tages von Luthers Geburt,
die die geſamte evangeliſche Welt am 10. November feiern wird,
legen wir dieſes Buch in einer neuen Ausgabe vor. Es gibt ein Bild
von Luthers geiſtiger Eigenart und innerer Entwicklung, es zeigt
uns den echten Luther mit den „Löwenaugen, Falkenaugen, Baſi⸗
lis kenaugen“, den Mann, der die Geiſter und Gewiſſen frei gemacht
hat. — Worte Fichtes über Luther leiten das Buch ein.
Nebelthau, Otto: Der Ritt nach Canossa. In Leinen M 6.—.
Immer wieder reizt die düſtere Problematik des Lebens Hein⸗
richs IV. die Dichter zur Darſtellung. In ſeinem in einer gehobenen
Proſa geſchriebenen Roman „Der Ritt nach Canoſſa“ hat Otto
Nebelthau den Stoff mit ſicherem Griff gepackt. Kaiſertum und
174
Papfttum befinden ſich auf der Höhe ihres Kampfes um die Macht,
den Heinrich durch Unterwerfung als Sieger zu beenden hofft.
Dieſes Buch darf nicht mit dem landläufigen Maßſtab des hiſto⸗
riſchen Romans gemeſſen werden. Es wechſelt in ihm die leiden⸗
ſchaftliche Bewegung eines Dramas mit der Ruhe eines Fresko⸗
gemäldes großen Stils.
Rilke, Rainer Maria: Über Gott. Zwei Briefe. 4. Tauſend. Ge⸗
bunden M 2.—
Die Gottesidee ift die Mitte von Rainer Maria Rilkes Denken.
In der Auffaſſung des Stunden⸗Buches iſt Gott ein Werdender,
einer, deſſen „kommende Konturen“ dämmern. Dieſe beiden Briefe
ſind Zeugnis für die Wandlung, die ſich unter dem Einfluß des
Krieges i in Rainer Maria Rilke vollzogen hat. Gott iſt kein Zukünf⸗
tiger mehr, er iſt ein Hieſiger, wir „bauen“ nicht mehr an ihm, er
iſt in ſeiner Geſamtheit um uns.
— Briefe aus den Jahren 1907 bis 1914. In Leinen M 7.—
Halbleder M9.—.
Diefe fieben Jahre umfaſſen im Schaffen Rilkes eine Epoche, in
der aus höchſter Entflammung und ſtärkſter Überwindung die aus⸗
gereifteſten, erkenntnisvollſten und bekenntnisreichſten Werke ſeiner
Vorkriegszeit entſtehen und erſcheinen: die beiden Teile der „Neuen
Gedichte“ und die „Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“.
Um ſie treibt des Dichters bald von Einſamkeit, bald von der Un⸗
ruhe weiter Reiſen erfülltes Leben. Immer mehr erſchließt ſich uns,
beſonders in den Briefen an einige Frauen von hohem geiſtigen
Rang, das tragiſche Geheimnis dieſes dem ſchon früh erfühlten
Tod heroiſch Widerſtand leiſtenden Dichters.
Schaper, Edzard H.: Die Insel Tütarsaar. Roman. In Leinen M5. —
Ungewöhnlich wie das Leben iſt auch das Buch dieſes jungen
Dichters, den wir als neuen Autor unſeres Verlags mit großen
Hoffnungen einführen. Die grüne Inſel Tütarſaar, die er im duftig
blauen Meer erſtehen läßt, iſt hoch im Norden verſteckt in einer Bucht
gelegen und von einem ſeltſamen Menſchen, einem Schafhirten,
bewohnt, der für geiftesgeftört gilt. Ein Fremder, der auf die Inſel
gerät, erlebt dort, halb gezwungen, viele Abenteuer und erfährt zu
ſeiner unendlichen Bereicherung die hohe Weisheit des von einem
geheimnisvollen Glauben Beſeſſenen.
Schnack, Friedrich: Klick aus dem Spielzeugladen. Roman für das
kleine und große Volk. In Leinen M 4.—.
Was für ein Zauberer iſt dieſer Friedrich Schnack! Ein armer
Junge, Nikolaus Bodenweber, genannt Klick, ſein Vater, Buch⸗
halter auf Abbau im Spielzeugladen der Frau Trockenhut, Klicks
175
Freundin Ali, die elternloſe Nichte der Zeitungsfrau Mittwoch,
der Huſtenonkel, der Kapitän Saſſafraß, der Affe Pong, um ſie
herum eine Menge Volk, ein verlorenes Lotterielos und fein Ober:
raſchendes Schickſal: aus dieſen wunderlichen Geſtalten und Er⸗
eigniſſen hat der Zauberblick des Dichters eine Erzählung geſchaffen,
die alle Eigenſchaften beſitzt, um ein wahres Volksbuch zu werden.
Ka Sillanpää, Frans Eemil: Eines Mannes Weg. Roman. Übertragen
von Rita Ohquiſt. In Leinen M 5.—.
Im Mittelpunkt dieſes Romans des berühmten finniſchen Dich⸗
ters ſteht der Hofbauer Paavo Ahrola, der nach vielen Irrungen
den Weg zu dem feſten, klaren und gütigen Mädchen, das ſeine
Jugendgeliebte war, zurückfindet. Die geſunde, erdverbundene Welt
eines finniſchen Bauern umgibt uns, der Zauber des Landes der
tauſend Seen hält uns gefangen.
+ Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Ungekürzte Volksausgabe
(784 Seiten). In Leinen M 3.75.
„Der Nachſommer“ iſt das Werk, in dem Stifter, auf der Höhe
ſeines Lebens, ſein ganzes Weſen geſammelt auszuſprechen ge⸗
dachte. Er iſt der wunderbare Spätling Goethiſcher Ausſaat. Ab⸗
kunft, Beſitz, Natur, Liebe, Reinheit des Herzens, Ernſt des Geiſtes,
Adel, Schönheit, Ergebung, Weisheit: das iſt die Welt dieſes Bu⸗
ches, des makelloſeſten, das ſeit den Romanen Goethes in unſerer
Sprache entſtanden iſt. Wer den ganzen Stifter in einem einzigen
Werke beſitzen will, greife zum „Nachſommer“.
+ Timmermans, Felix: Die bunte Schüssel. Erzählungen. Mit Zeich⸗
nungen des Dichters. In Leinen M 4.50; kart. M 3.50.
Ein heiteres Selbſtbildnis leitet dieſen Band ein. Dann erzählt
der Dichter die zarte Legende von der heiligen Eliſabeth von Thü⸗
ringen, die den Mantel des heiligen Franziskus erhielt und bis zu
ihrem Tode in Ehren trug. Man erfährt von den Freuden und Leiden
des Meiſterrauchers Gommarus, von Guſtav aus der „Roten Katze“,
und wie er die Liebe erfuhr, von dem Geheimnis der hundertund⸗
zwölf Kopfweiden, der wehmütigen Geſchichte der Orangebliiten
und von vielem anderen. Auch für die Kinder gibt es zwei aller⸗
liebſte Erzählungen.
— Das Jesuskind in Flandern. Mit Zeichnungen des Dichters. 34. Tau⸗
ſend. Volksausgabe in Leinen M 3.75.
Mit kindlich gläubigem Auge hat der flaͤmiſche Dichter die heiligen
Geſchichten von der Verkündigung an bis zur Rückkehr nach Naza⸗
reth ſich auf dem Boden und unter den Menſchen ſeiner Heimat
abſpielen ſehen und aus dieſen Viſionen ein wunderbares Buch ge⸗
ſchaffen, das viele Herzen ſchon erhoben und entzückt hat. Dieſes
176
Buch erſchien uns neben dem „Pallieter“ beſonders geeignet, um, zum
erſtenmal mit Zeichnungen des Dichters geſchmückt, als Volksaus⸗
gabe den Weg zu Tauſenden neuer Leſer anzutreten.
Waggerl, Karl Heinrich: Das Jahr des Herrn. Roman. In Leinen
M 5.50; kart. M 4.50.
Den Rahmen dieſes ſchönen, unpathetiſchen und reifen Buches
bildet der Ablauf der religiöfen Feſte innerhalb einer Dorfgemein⸗
ſchaft. Einfache Geſchehniſſe find in ihn eingefügt, ins beſond ere das
Leben des Knaben David, auf den der Dichter autobiographiſche
Züge übertragen hat.
Waldmann, Emil: Albrecht Dürer, Sein Leben und seine Kunst.
Mit 192 Bildtafeln. Volksausgabe in Leinen Mt 4.50.
Albrecht Dürer: das iſt der deutſche Menſch in feinem Ringen um
die Form, der ewig grüblerifche, problematiſche und doch auch wieder
gläubige, fromme, deutſche Menſch, eine ſeltſame Vereinigung von
nüchterner Sachlichkeit und glühender Erregung. Er ſteht mitten
im Anbruch einer neuen Zeit, die ſich mit einer großartigen An⸗
ſtrengung den Feſſeln der Vergangenheit entwindet. Das drei⸗
bändige Dürerwerk Emil Waldmanns erſcheint nun — nachdem es
lange vergriffen geweſen — in neuer Bearbeitung in einem ſtatt⸗
lichen Bande. Die Abſicht des Verfaſſers war, ein einfaches und
ſchlichtes Buch über Dürer für die Menſchen unſerer Zeit zu ſchreiben.
Dichter unſerer Zeit
Beheim-Schwarzbach, Martin: Die Herren der Erde. Roman. In
Leinen M 5.50.
— Die Michaelskinder. Roman. In Leinen M 6.25.
Bertram, Ernst: Gedichte. Vierte, vermehrte Auflage. In Papp⸗
band M 4.—
— Das Nornenbuch. Gedichte. In Pappband M 4.—.
— Der Rhein. Ein an Gedichte. Dritte, vermehrte ar
In Pappband M 4.—
— Straßburg. Ein N Dritte, vermehrte Auflage. In
Pappband M 4.—.
Billinger, Richard: Sichel am Himmel. Der Gedichte dritte, ver:
mehrte Auflage. In Leinen M 4.50.
Carossa, Hans: Der Arzt Gion. Eine Erzählung. 50. Tauſend. In
Leinen M6.—.
177
+h
+
+
Carossa, Hans: Rumänisches Tagebuch (aus dem Weltkriege).
15. Tauſend. In Leinen M 4.50.
Eine Kindheit. 20. Tauſend. In Leinen M 5.—.
Verwandlungen einer Jugend. 15. Tauſend. In Leinen M. 5.—.
— Gedichte. 10. Tauſend. In Leinen M 4.—.
Claes, Ernest: Flachskopf. Mit einem Vorwort und Bildern von
Felix Timmermans. Aus dem Flämifchen übertragen von Peter
Mertens. 10. Tauſend. In Leinen M 4.75.
Frank, Leonhard: Das Ochsenfurter Männerquartett. Roman.
20. Tauſend. In Leinen M 5.—.
— Die Räuberbande. Roman. 60. Tauſend. Volksausgabe in Leis
nen M 2.50.
Hardt, Ernst: Gudrun. Ein Trauerſpiel in fünf Akten. 23. Tau⸗
fend. In Leinen M 4.—.
— Tantris der Narr. Drama in fünf Akten. 54. Tauſend. In Lei⸗
nen M 4.—.
Hofmannsthal, Hugo von: Die Gedichte und kleinen Dramen.
53. Zaufend. In Leinen M 5.—.
Huch, Ricarda: Der große Krieg in Deutschland. Vollſtändige
Ausgabe in zwei Bänden. 20. Tauſend. (1400 Seiten.) In Leinen
M 15.—.
Der Roman des Dreißigjährigen Krieges.
— Von den Königen und der Krone. Roman. 8. Auflage. In kei:
nen M 5.75.
Luthers Glaube. Briefe an einen Freund. 19. Tauſend. In Halb⸗
leinen M 4.50.
— Menschen und Schicksale aus dem Risorgimento. 11. Tauſend. In
Leinen M 5.—.
— Die Verteidigung Roms. Der Geſchichten von Garibaldi erſter Teil.
12. Tauſend. In Leinen M 6.—.
— Der Kampf um Rom. Der Geſchichten von Garibaldi zweiter
Teil. 10. Tauſend. In Leinen M 6.—.
— Michael Unger. Roman. 31. Tauſend. In Leinen M 6.50.
— Der große Krieg in Deutschland. Gekürzte Volksausgabe.
40. Tauſend. In Leinen M 2.50.
178
Lauesen, Marcus: Und nun warten wir auf das Schiff. Roman.
Aus dem Dänifchen übertragen von Mathilde Stilling. 15. Tauſend.
In Leinen M 6.50. f
Der Roman berichtet von den letzten Lebenstagen und dem Ster⸗
ben der Frau Juliane Hagemeyer, einer unwirklichen Rieſin, die
nicht wie ein Menſch wirkt, ſondern eher wie ein Haus, wie ein
ganzes Geſchlecht, ein paar Zeitalter. Sie ſtammt aus der Familie
Jeſſen in einem kleinen Hafenſtädtchen Schleswig⸗Holſteins, fie hat
die Glanzzeit dieſer Reeder⸗Familie erlebt und ihren Niedergang,
aber ſie ſelbſt iſt ſtolz und ungebeugt, bis der Tod ihr die große
Angſt und die Erkenntnis menſchlicher Armut bringt.
Man muß ſich in der Literatur lange umſehen, ehe man eine
Geſtalt von ſolcher Größe findet. Friedrich Michael.
Mell, Max: Die Sieben gegen Theben. Dramatiſche Dichtung. Ge:
heftet M 2.50; in Pappband M 3.50.
Mumelter, Hubert: Zwei ohne Gnade. Roman. In Leinen M 6.—.
Zwei Geſtalten treten aus dem Dunkel des Mittelalters in das
Licht des Tages, Oswalt von Wolkenſtein und Sabina Jäger,
zwei ſelig⸗unſelig Liebende, die einander ebenſo anziehen wie ab:
ſtoßen und einander zum Verhängnis werden müſſen. Das hiſto⸗
riſche Drama, das den Sabina⸗Oswalt⸗Roman umgibt, iſt jener
Aufruhr des Tiroler Adels gegen den „Herzog Friedrich mit der
leeren Taſche“, der zu den bewegteſten und bedeutendſten Zeiten
der Tiroler Geſchichte gehört.
Rendl, Georg: Der Bienenroman. In Leinen M 5.—.
Rilke, Rainer Maria: Gesammelte Werke in ſechs Bänden. 9. Tau⸗
fend. In Leinen M 35.—; in Halbleder M 45. —.
Inhalt: I. Band: Erfte Gedichte — Frühe Gedichte. II. Band:
Das Buch der Bilder — Das Stunden⸗Buch — Das Marienleben —
Requiem. III. Band: Neue Gedichte — Duineſer Elegien — Die So⸗
nette an Orpheus — Letzte Gedichte und Fragmentariſches. IV. Band:
Cornet Chriſtoph Rilke — Geſchichten vom lieben Gott — Proſafrag⸗
mente — Auguſte Rodin. V. Band: Die Aufzeichnungen des Malte
Laurids Brigge. VI. Band: Übertragungen.
Ergänzungsbände in der Ausſtattung der Geſamtausgabe:
— Erzählungen und Skizzen aus der Frühzeit. 10. Tauſend. In
Leinen M7.—; in Halbleder OU o, —
Briefe und Tagebücher aus der Frühzeit. 1899 bis 1902. 8. Tau⸗
fend. In Leinen M7.—; in Halbleder M 9.—.
— Briefe aus den Jahren 1902 bis 1906. 15. Tauſend. In Leinen
M 7.—; in Halbleder M 9.—. f
179
Rilke, Rainer Maria: Briefe aus den Jahren 1906 bis 1907. In
Leinen M 7.—3; in Halbleder M9.—.
— Erste Gedichte. 21. Tauſend. In Leinen M 6.—.
— Frühe Gedichte. 26. Tauſend. In Leinen M 5.—.
— Neue Gedichte. Beide Teile in einem Bande. 26. Tauſend. In
— Das Buch der Bilder. 34. Tauſend. In Leinen M 5. 25.
— Duineser Elegien. 15. Tauſend. In Leinen M 3.50.
— Das Stunden- Buck. (Enthaltend die drei Bücher: Vom mön⸗
chiſchen Leben — Von der Pilgerſchaft — Von der Armut und vom
Tode.) 85. Tauſend. In Halbleinen M 4.25.
— Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. 31. Tauſend. In
Leinen M 6.50.
— Geschichten vom lieben Gott. 50. Tauſend. In Leinen M 4.50.
Andreas-Salomé, Lou: Rainer Maria Rilke. Mit 8 Bildtafeln.
7. Tauſend. In Leinen M 5.—.
Sieber, Carl: René Rilke. Die Jugend Rainer Maria Rilkes. Mit
5 Bildtafeln und einem Fakſimile. In Leinen M 5.—.
Schaeffer, Albrecht: Helianth. Bilder aus dem Leben zweier Men⸗
ſchen aus der norddeutſchen Tiefebene in neun Büchern. Neue Aus⸗
gabe in zwei Bänden (1400 Seiten). In Leinen M 15.—.
— Griechische Heldensagen. Nach den alten Quellen neu erzählt.
Zwei Bände. In Leinen M 10.—.
— Josef Montfort. Roman. 14. Tauſend. In Leinen M 6.50.
— Das Prisma. Novellen und Erzählungen. Auf Dünndruckpapier.
10. Tauſend. In Leinen M 6.50, )
— Parzival. Cin Versroman in drei Kreiſen. 6. Tauſend. In Leinen
M 7.50.
Scheffler, Karl: Der junge Tobias. Eine Jugend und ihre Ume
welt. 7. Zaufend. In Leinen M 6.—.
Schnack, Friedrich: Beatus und Sabine. Roman. In Leinen M 4.50.
— Goldgräber in Franken. Roman. In Leinen M 4.50.
— Das Leben der Schmetterlinge. Roman. 7. Taufend. In Leinen
M 6.—.
Der Lichtbogen. Falterlegenden. In Leinen M 4.50.
— Die Orgel des Himmels. Roman. In Leinen M 4.50.
180
Schnack, Friedrich: Sebastian im Wald. Gin Waldroman. 12. Tau:
fend. In Leinen M 4.50.
— Der Sternenbaum. Ein Weihnachtsroman. In Leinen M 4.50.
— Das Zauberauto. Roman. In Leinen M 4.50.
— Das blaue Geisterhaus. Gedichte. In Leinen M 4.50.
— Vogel Zeitvorbei. Gedichte. Gebunden M 4.—
Es ut beglückend, ſich in die Werke dieſes wahrhaft deutſchen
Dichters hineinzuleſen und hineinzuleben, in dem ſich die Liebe zur
Heimat und ihren Bewohnern zu Dichtungen von hoher Schönheit
entfaltet hat. Keinem wie ihm iſt die Gabe verliehen, Wirklichkeit und
Sehnſuchtsreich, Welt⸗ und Heimatgefühl zu einer faſt magiſchen
Einheit zu verbinden. Seine Werke ſind erfüllt von Zuverſicht und
Vertrauen zu den Menſchen und ihrem Tun, ſie ſind ein franzis⸗
kaniſcher Lobgeſang auf die Natur in ihrer herrlichen Vielfaltigkeit.
Im Frühjahr 1933 iſt dieſer Dichter mit feinem Werk zu uns über:
gegangen.
Ein Sonderverzeichnis aller Werke des Dichters ſteht unberechnet
zur Verfügung.
Schröder, Rudolf Alexander: Der Wanderer und die Heimat. In
Leinen M 4.75.
— Mitte des Lebens. Geiftliche Gedichte. In Leinen M 5.—.
Sillanpää, F. E.: Silja, die Magd. Roman. Übertragen von Rita
Ohquiſt. 6. Tauſend. In Leinen M 6.—. ve
Taube, Otto Freiherr von: Der verborgene Herbst. Roman. In
Halbleinen M 4.75.
Die Léwenprankes, Roman. In Halbleinen M 4.50.
Timmermans, Felix: Pieter Bruegel. Roman. Mit Zeichnungen
des Dichters. Übertragen von Peter Mertens. 20. Tauſend. In Leinen
M 6.—.
— Die Delphine. Eine Geſchichte aus der guten alten Zeit. Mit
Zeichnungen des Dichters. Übertragen von Peter Mertens. 15. Tau⸗
fend. In Leinen M 5.—.
— Franziskus. Mit Zeichnungen des Dichters. Übertragen von Peter
Mertens. 20. Tauſend. In Leinen M 6.—.
Das Licht in der Laterne. Erzählungen. Mit Zeichnungen des
Dichters. Übertragen von Anna Valeton⸗Hoos. 15. Tauſend. In
Leinen M 5.—.
— Der Pfarrer vom blühenden Weinberg. Roman. Übertragen von
Peter Mertens. 20. Tauſend. In Leinen M 5.—.
— Das Spiel von den heiligen drei Königen. Nach der Weihnachts⸗
legende von Felix Timmermans für die Bühne bearbeitet von
181
Eduard Veterman und Felix Timmermans. Übertragen von Anton
Kippenberg. 5. Tauſend. Geheftet M2.—; in Pappband M 2.50.
Timmermans, Felix: Pallieter. Übertragen von Anna Valeton⸗Hoos.
100. Tauſend. Volksausgabe. In Leinen M 2.50.
Waggerl, Karl Heinrich: Brot. Roman. 17. Tauſend. In Leinen
M 6.—.
— Schweres Blut. Roman. 10. Tauſend. In Leinen M 6.—.
Klaſſiker und Geſamtausgaben
Büchner, Georg: Werke und Briefe. Herausgegeben von Fritz
Bergemann. Taſchenausgabe auf Dünndruckpapier in einem Bande.
(513 Seiten.) 9. Tauſend. In Leinen M7.—.
Dickens, Charles: Ausgewählte Werke in ſechs Bänden. Mit über
300 Federzeichnungen aus den engliſchen Originalausgaben von
Cruikſhank, Cattermole, H. K. Browne und anderen. Auf Dünn⸗
druckpapier. (6100 Seiten.) In Leinen M 45.—.
Inhalt: David Copperfield — Der Raritätenladen — Die Pickwik⸗
fier — Martin Chuzzlewit — Nikolaus Nickelby — Oliver Twiſt und
Weihnachtserzählungen.
Eichendorff, Joseph von: Werke. Ausgewählt und herausgegeben
von Franz Schultz. Zwei Bände. (1080 Seiten.) 30. Tauſend. In
Leinen M 6.—.
Goethe: Sämtliche Werke in ſiebzehn Bänden. Herausgegeben von Fritz
Bergemann, Hans Gerhard Graf, Max Hecker, Gunther Ipfen,
Kurt Jahn und Carl Schüddekopf. Taſchenausgabe auf Dünndruck⸗
papier in dunkelbraunem Leinen M 135.—; in Leder M 235.—.
Die vollſtändigſte aller heutigen Goethe⸗Ausgaben. Der Text um⸗
faßt 15 000 Seiten.
Ergänzungsbände in der Ausſtattung der Geſamtausgabe:
— Goethes Briefe und Tagebücher. Herausgegeben von Hans Ger⸗
hard Gräf. Taſchenausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bänden.
(1750 Seiten.) In Leinen M 18.—; in Leder M 30.—.
— Gespräche mit Eckermann. Herausgegeben und eingeleitet von
Franz Deibel. Vollſtändige Taſchenausgabe in einem Bande auf
Dünndruckpapier. (797 Seiten.) 33. Tauſend. In Leinen M 7.50;
in Leder M 13.—. :
— Goethes Gespräche ohne die Geſpraͤche mit Eckermann. Ausge⸗
wählt von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Taſchenausgabe
auf Dünndruckpapier in einem Bande. (791 Seiten.) In Leinen
M 9.503 in Leder M 16.—.
182
Goethe: Farbenlehre. Eingeleitet von Gunther Ipſen. Mit 32 zum
großen Teil vielfarbigen Tafeln. Vollſtändige Taſchenausgabe auf
Dünndruckpapier in einem Bande. 6. Tauſend. In Leinen M 10.—
— Faust. Geſamtausgabe. Enthaltend Urfauſt, Fragment (1790),
Tragödie I. und II. Teil, Paralipomena. Taſchenausgabe auf
Dünndruckpapier in einem Bande. (577 Seiten.) 140. Tauſend. In
Leinen M 3.50; in Leder M 6,50.
— Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Hans
Gerhard Graf. Taſchenausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bän⸗
den. (1300 Seiten.) 29. Tauſend. In Leinen M 12.—; in Leder
M 20.—.
— Gedichte. Auswahl in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Hans
Gerhard Graf. 18. Tauſend. In Leinen M 3.75.
— Italienische Reise. Taſchenausgabe auf Dünndruckpapier in einem
Bande. 23. Tauſend. (1019 Seiten.) In Leinen M 6.—
— Italienische Reise. Mit den Zeichnungen Goethes, feiner Freunde
und Kunſtgenoſſen in 124 zum Teil farbigen Lichtdrucktafeln. Neu
herausgegeben vom Goethe⸗Nationalmuſeum (Folio). In Halb⸗
leder M 50.—; in Leder M 80.—
— Die Leiden des jungen Werther. Mit den elf Kupfern und einer
Rötelſtudie von Chodowiecki. Siebente Auflage. In Pappband
M 6.—.
— Liebesgedichte. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. 26. Tau⸗
fend. In Pappband M 3.—.
— Naturwissenschaftliche Schriften. Herausgegeben von Gunther
Ipſen. Mit 45 zum großen Teil farbigen Tafeln. Taſchenausgabe
auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1583 Seiten.) In Leinen
M 20.—; in Leder M 34.—
— Die Briefe des jungen Goethe. Herausgegeben und eingeleitet
von Guſtav Roethe. 29. Tauſend. In Leinen M 3.50. |
— Briefe an Frau von Stein. Ausgewählt und herausgegeben von
Julius Peterſen. Mit 6 Silhouetten. 30. Tauſend. In Leinen M 3.50.
Kühnemann, Eugen: Goethe. Zwei Bände. (1118 Seiten.) In
Leinen M 15.—.
Grimmelshausen, H. J. Chr. von: Der abenteuerliche Simplizissi-
mus. Vollftändige Ausgabe auf Dünndruckpapier in einem Bande.
(897 Seiten.) 28. Tauſend. In Leinen M 7.50.
Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke. Taſchenausgabe auf Dünn:
druckpapier in einem Bande. (1043 S.) 21. Tauſend. In a
M 9.— ; in Leber M 15.—
188
Hölderlin, Friedrich: Hyperion oder der Eremit in Griechenland.
Tafchgrausgabe. 14. Tauſend. In Leinen M 3.—; in Leder M 6.—.
Jacobsen, Jens Peter: Sämtliche Werke in einem Bande. Über:
tragen von Mathilde Mann, Anka Matthieſen und Erich von Mendels⸗
ſohn. Mit dem von A. Helſted 1885 radierten Porträt, Auf Dünn⸗
druckpapier. (877 Seiten.) 33. Tauſend. In Leinen M 9.—3; in Leder
M 15.—.
Kant: Sämtliche Werke in ſechs Bänden. Herausgegeben von Felix
Groß. Taſchenausgabe in Dünndruckpapier. (4400 Seiten.) In Lei⸗
nen M 45.—
Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke. Herausgegeben von Friedrich
Michael. Taſchenausgabe auf Dünndruckpapier in einem Band.
(1187 Seiten.) In Leinen M9. —; in Leder M15. —
— Briefe. Herausgegeben von Friedrich Michael. In Leinen M 3.50
Sachs, Hans: Ausgewählte Werke. (Gedichte und Dramen.) Mit
52 Holzſchnitten nach Dürer, Beham u. a. Herausgegeben von Paul
Merker und R. Buchwald. Zwei Bände. 10. Tauſend. In Halb⸗
leinen M 10.—. Kolorierte Ausgabe, in der f ämtliche Holzſchnitte
mehrfarbig mit der Hand koloriert . in Halbpergament
M 16.—3 in Schweins leder M 30.—
Schiller: Sämtliche Werke in ſieben Bänden. Taſchenausgabe auf
Dünndruckpapier. (4900 Seiten.) In Leinen M 45.—; in Leder
M 70.—.
Stendhal, Friedrich von (Henri Beyle): Gesammelte Werke. Über:
tragen von Arthur Schurig und Otto Freiherrn von Taube, Taſchen⸗
ausgabe auf Dünndruckpapier in acht Bänden. (5200 Seiten.) In
Leinen M 55. —; in Leder M 90.—
Inhalt: Band I: Das Leben eines Sonderlings. — Band II: Von
der Liebe. — Band III: Armance. — Band IV: Rot und Schwarz. —
Band V: Lucien Leuwen. — Band VI: Die Kartauſe von Parma. —
Band VII: Zwölf Novellen. — Band VIII: Gedanken, Meinungen,
Geſchichten.
Stifter, Adalbert: Witiko. Roman. Vollſtändige Ausgabe. 12. Tau⸗
fend. In Leinen M7.—.
Storm, Theodor: Sämtliche Werke in acht Bänden. Herausgegeben
und eingeleitet von Albert Köſter. 21. Tauſend. In Leinen
M 30.—; in Halbpergament M 40.—
184
Deutſche Vergangenheit
Nach zeitgenöſſiſchen Quellen herausgegeben von Johannes Bühler.
Das Werk umfaßt 9 Bände mit je 16 Bildtafeln. Es beſteht aus
zwei Abteilungen, der politiſchen und der kulturhiſtoriſchen Reihe.
Vorzugspreis des geſamten Werkes in Leinen M 60.—; die ein⸗
zelnen Bände in Leinen je M 7.50.
Die Bände der politiſchen Reihe:
Die Germanen in der Völkerwanderung — Das Frankenreich -
Die Sächsischen und Salischen Kaiser — Die Hohenstaufen.
Die Bände der kulturhiſtoriſchen Reihe:
Klosterleben im deutschen Mittelalter — Deutsches Geistesleben
im Mittelalter - Ordensritter und Kirchenfürsten — Fürsten und
Ritter — Bauern, Bürger und Hansa.
In dieſem Werk fließt aus den zeitgenöſſiſchen Quellen die poli⸗
tiſche, ſoziale und Geiſtes⸗Geſchichte des deutſchen Volkes von ſeinen
Anfängen bis an die Schwelle der neuen Zeit: Chroniken, Lebens⸗
beſchreibungen, Briefe, Urkunden, Geſetze, Streitſchriften, wiſſen⸗
ſchaftliche Abhandlungen, Sagen, Lieder und Gedichte: alle Lebens⸗
gebiete, alle Meinungen und Richtungen kommen zur Geltung. In
den umfangreichen Einleitungen werden Sinn und Ziel der treiben⸗
den Kräfte jeder Epoche und der ſich wandelnden Formen ihrer
Kultur gedeutet.
Große deutſche Männer und Frauen
Bach, Johann Sebastian. Eine Biographie von Ch. S. Terry. Mit
einem Geleitwort von Karl Straube. Mit 55 Bildtafeln. In
Leinen M 13.50.
Beethovens Briefe. In Auswahl herausgegeben von Albert Leitz⸗
mann. Mit 16 Bildtafeln. 40. Tauſend. In Leinen M 5.—.
Carolinens Leben in ihren Briefen. Auf Grund der von Erich
Schmidt beſorgten Geſamtausgabe in Auswahl herausgegeben von
Reinhard Buchwald, eingeleitet von Ricarda Huch. Mit 16 Bild⸗
tafeln. 10. Tauſend. In Leinen M 6.50.
Meister Eckhart: Deutsche Predigten und Traktate. Ausgewählt und
eingeleitet von Friedrich Schulze⸗Maizier. In Halbpergament M 6,50.
Elisabeth Charlotte (Liselotte): Briefe der Herzogin Elisabeth Char:
lotte von Orleans. Ausgewählt und eingeleitet von Hans F. Hel⸗
molt, Mit 16 Bildtafeln. Dritte Auflage. In Leinen M 6.50.
Fichte: Reden an die deutsche Nation. Revidierte Ausgabe mit
einer Einleitung von Rudolf Eucken. 29. Tauſend. In Leinen M 3.50.
185
Goethes Mutter: Briefe. Ausgewählt und eingeleitet von Albert
Köſter. Mit 16 Bildtafeln. 68. Tauſend. In Leinen M 4.50.
Goethe: Bettinas Leben und Briefwechsel mit Goethe. Auf Grund
des von Reinhold Steig bearbeiteten handſchriftlichen Nachlaſſes
neu herausgegeben von Fritz Bergemann. Mit 17 Bildtafeln und
2 Fakſimiles. In Leinen M 7.50.
Hölderlin: Die Briefe der Diotima an Hölderlin. Herausgegeben
von Carl Vistor. Mit der Abbildung einer Büſte und dem Fakſimile
eines Briefes. 20. Tauſend. In Leinen M 3.50.
Humboldt, Wilhelm von: Die Brautbriefe Wilhelms und Karolinens
von Humboldt. Herausgegeben und eingeleitet von Albert Leitz⸗
mann. 12. Tauſend. In Leinen M 6.50. |
— Briefe an eine Freundin. (Charlotte Diebe.) In Auswahl eg
ausgegeben von Albert Leitzmann. 32. Tauſend. In Leinen M 3.50.
Mozart: Wolfgang Amadeus Mozarts Leben in feinen Briefen und
Berichten der Zeitgenoſſen. Herausgegeben von Albert Leitzmann.
Mit 16 Bildtafeln und 2 Fakſimiles. In Leinen M7.—.
Nietzsche, Friedrick: Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von
Richard Oehler. 25. Tauſend. In Leinen M 4.75.
Villers, Alexander von: Briefe eines Unbekannten. Ausgewählt
und eingeleitet von Wilhelm Weigand. Mit 2 Bildniſſen. In Leinen
M 6.50.
Wilhelmine Markgräfin von Bayreuth: Memoiren. Herausgegeben
und mit einem Nachwort verfehen von Annette Kolb. Mit 10
Bildtafeln. 13. Tauſend. In Leinen M 6.50.
Yorck-Droysen, Joh. Gust.: Das Leben des Feldmarschalls Grafen
Lorck von Wartenburg. Zwei Bände. Elfte Auflage. Mit 8 Bild⸗
niſſen und 8 Karten. In Leinen M 10.—
Märchen, Sagen, Legenden und Lieder
Als der Großvater die Großmutter nahm. Ein Liederbuch für alt⸗
modiſche Leute. Fünfte Auflage. In Papp¾hand M 4.50; in Halb:
leder M 6.—.
Alte und neue Lieder mit Bildern und Weisen. Herausgegeben
im Auftrage des Verbandes Deutfcher Vereine für Volkskunde und
der Preußiſchen Volkslied⸗Kommiſſion. Mit 190 Bildern und Zeich⸗
nungen von Ludwig Richter, Otto Ubbelohde, Graf Kalckreuth, Max
Slevogt, Hans Meid, Schwind, Menzel u. a. Zweiſtimmig geſetzt
mit Lauten begleitung. In Leinen M 4.50.
186
Andersen, Hans Christian: Märchen. Vollſtändige Ausgabe. Unter
Benutzung der von Anderſen felbft beſorgten deutſchen Ausgabe
übertragen von Mathilde Mann. Zeichnung der farbig gedruckten
Initialen und des Titels von Carl Weidemeyer⸗Worpswede.
16. Tauſend. Zwei Bände. In Leinen M 10.—.
Die Blümlein des heiligen Franziskus von Assisi. Übertragen von
Rudolf G. Binding. Mit 84 Initialen und Einbandzeichnung von
Carl Weidemeyer⸗Worpswede. 22. Tauſend. In Leinen M 6.—.
Deutsche Heldensagen. Herausgegeben von Severin Rüttgers. Mit
einem erklaͤrenden Anhang. (616 Seiten.) In Leinen M 4.50.
Brüder Grimm: Märchen. Vollſtändige Ausgabe in zwei Bänden.
Zeichnung der farbig gedruckten Initialen und des Titels von Carl
Weidemeyer⸗Worpswede. 10. Tauſend. In Leinen M 9.—.
Hauff, Wilhelm: Märchen. Vollſtändige Ausgabe. Zeichnung der
farbig gedruckten Initialen und des Titels von Carl Weidemeyer⸗
Worpswede. 8. Tauſend. In Leinen M 5.—.
Hey - Speckter: Hundert Fabeln für Kinder. Von Wilhelm Hey.
Mit den Bildern von Otto Specter. In Leinen M 2.50.
Schwab, Gustav: Sagen des klassischen Altertums. Vollſtändige
Volksausgabe in einem Bande mit 96 Zeichnungen von J. Flar⸗
man. (1020 Seiten.) In Leinen M 4.50.
Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Vollſtändige
deutſche Ausgabe in ſechs Bänden. Zum erſten Male aus dem
arabiſchen Urtext der Calcuttaer Ausgabe vom Jahre 1839 übertragen
von Enno Littmann. Eingeleitet von Hugo von Hofmannsthal. Auf
Dünndruckpapier. (5120 Seiten.) In Leinen My y.; in Leder Moo.—.
Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Volksaus⸗
gabe in einem Bande. 17. Tauſend. In Leinen M 4.50.
Welt. und Kulturgeſchichte
Cortes, Ferdinand: Die Eroberung von Mexiko. Mit den eigen⸗
händigen Berichten Cortes’ an Kaiſer Karl V. von 1520 und 1522.
Herausgegeben und eingeleitet von Arthur Schurig. Mit zwei Bild⸗
niſſen und einer Karte. 10. Tauſend. In Leinen M 6.50.
Corti, Egon Caesar Conte: Der Zauberer von Homburg und Monte
Carlo. Mit 16 Bildtafeln. In Leinen M 8.—.
Gandhi, Mahatma: Mein Leben. Im Einverſtändnis mit dem Ver⸗
faſſer bearbeitet von C. F. Andrews. Aus dem Engliſchen übertragen
von Hans Reiſiger. In Leinen M 7.50.
187
Gandhis Lehre und Tat. Von C. F. Andrews. Aus dem Engli⸗
ſchen übertragen von Karl Lerbs. In Leinen M 7.50.
Katharina II. von Rußland: Memoiren. Herausgegeben von Erich
Boehme. Mit 16 Bildtafeln. 19. Tauſend. In Leinen M 6.50.
Zweig, Stefan: Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charak⸗
ters. Mit 10 Bildtafeln. 50. Tauſend. In Leinen M 8.50.
— Joseph Fouché. Bildnis eines politiſchen Menſchen. Mit 6 Bild⸗
tafeln. 53. Tauſend. In Leinen M 7.50.
— Drei Meister (Balzac — Dickens — Dostojewski). 30. Zaufend. In
Leinen M7.—. |
— Der Kampf mit dem Dämon (Hölderlin — Kleist — Nietzsche).
34. Tauſend. In Leinen M7.—.
— Drei Dichter ihres Lebens (Casanova - Stendhal - Tolstoi).
20. Tauſend. In Leinen M7.—.
Weltliteratur
Bédier, Joseph: Der Roman von Tristan und Isolde. Übertragen
von Rudolf G. Binding. 18. Tauſend. In Leinen M 4.50.
Cervantes: Don Quixote. Vollſtändige deutſche Ausgabe, beforgt
von Konrad Thorer. Auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1550 Seis
ten.) 15. Tauſend. In Leinen M 12.—; in Leder M 20.—.
De Coster, Charles: Uilenspiegel und Lamme Goedzak. Übertragen
von Albert Weſſelſki. 50. Tauſend. In Leinen M 4.—.
Eisherz und Edeljaspis oder die Geschichte einer glücklichen Gatten-
wahl. Chineſiſcher Roman aus der Ming⸗Zeit. Aus dem Urtext
übertragen von Franz Kuhn. 12. Tauſend. In Leinen M 5.75.
Gobineau, Arthur Graf: Die Renaissance. Hiſtoriſche Szenen. Über:
tragen von Bernhard Jolles. Mit 20 Bildtafeln. 82. Tauſend. In
Leinen M 4.50.
Homers Odyssee. Neu übertragen von Rudolf Alexander Schröder.
25. Tauſend. In Leinen M 4.50.
Lawrence, David Herbert: Liebende Frauen. Roman. 9. Tauſend.
In Leinen M 8.—.
— Der Regenbogen. Roman. In Leinen M 6.—.
— Die gefiederte Schlange. Roman. In Leinen M 8.—.
— Söhne und Liebhaber. Roman. 6. Tauſend. In Leinen M 8.—.
Die Rache des jungen Meh oder Das Wunder der zweiten Pflaumen-
blüte. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. In
der Art chineſiſcher Blockbücher gedruckt. In Leinen M 6.25.
188
Mottram, Ralph H.: Der „Spanische Pachthof**. Eine Roman⸗Trilogie
1914 bis 1918. Mit einem Vorwort von John Galsworthy. Über:
tragen von T. Francke. (720 Seiten.) 12. Tauſend. In Leinen M 8.50.
Der Nibelungen Not und Kudrun. Herausgegeben von Eduard
Sievers. Taſchenausgabe auf . (624 Seiten.)
10. Tauſend. In Leinen M6.—.
Pontoppidan, Henrik: Hans im Glück. Roman. Aus dem Daͤni⸗
ſchen übertragen von Mathilde Mann. Zwei Bände, (880 Seiten.)
10. Tauſend. In Leinen M 10.—
Der Traum der Roten Kammer. Aus dem Chinefifchen übertragen
von Franz Kuhn. (789 Seiten.) In Leinen M 12.—
Kunſt
Allesch, Johannes von: Michael Pacher. Mit 113 Abbildungen. In
Leinen M 12.50.
Beenken, Hermann: Bildhauer des vierzehnten Jahrhunderts am
Rhein und in Schwaben. Mit 150 Abbildungen. In Leinen
M 10,50,
Gerstenberg, Curt: Hans Multscher. Mit 175 Abbildungen. In Leinen
M 10.50.
Glaser, Curt: Lukas Cranach. Mit 121 Abbildungen. In Leinen M. —
Jantzen, Hans: Deutsche Bildhauer des dreizehnten Jahrhunderts.
Mit 136 Abbildungen. In Leinen M 10.50,
Meller, Simon: Peter Vischer. Mit 145 Abbildungen. In Leinen
M 10.50,
Rilke, Rainer Maria: Auguste Rodin. Mit 96 Bildtafeln. 53. Tau:
Scheffler, Karl: Der Geist der Gotik. Mit 100 Bildtafeln. 44. Tau⸗
fend. In Leinen M7. —
— Deutsche Maler und Zeichner im neunzehnten Jahrhundert. Mit
77 Bildtafeln. 12. Tauſend. In Leinen M 11.—
— Holland. Mit 100 Bildtafeln. In Leinen M 12.50.
— Italien. Tagebuch einer Reiſe. Mit 118 Bildtafeln. 17. Tauſend.
In Leinen M 12.50.
— Paris. Notizen. Mit 87 Bildtafeln. 9. Tauſend. In Leinen M 12.50.
Schmidt, Paul Ferdinand: Philipp Otto Runge. Sein Leben und
fein Werk. Mit 80 Bildtafeln. In Leinen M o, —
189
Steindorff, Georg: Die Kunst der Ägypter. Mit 200 Bildtafeln und
zahlreichen Abbildungen im Text. In Leinen M 12.50.
Tsudzumi, Tsuneyoshi: Die Kunst Japans. Herausgegeben vom
Japan⸗Inſtitut, Berlin. Mit 8 farbigen Tafeln und 127 Abbildun⸗
gen. In Leinen M 20.—.
Dieſes Werk hat der japaniſche Kunſthiſtoriker in deutſcher Sprache
geſchrieben.
Weinberger, Martin: Wolfgang Huber. Mit 135 Abbildungen. In
Leinen M 10,50.
Die 4.50 Bücher
Bühler, Johannes: Das erste Reich der Deutschen. Von der Vöolker⸗
wanderung bis zur Reformation. Mit 80 Bildtafeln. In Leinen
M 4.50.
Inhalt: Die Germanen — Das Frankenreich — Die Sächfifchen
und Saliſchen Kaiſer — Die Hohenſtaufen — Fürſten und Ritter —
Die Deutſchordensritter und der Ordensſtaat Preußen — Der deut⸗
ſche Bauer — Bürger und Hanſe — Das deutſche Geiſtesleben im
Mittelalter — Kloſterleben im deutſchen Mittelalter.
Deutsche Erzähler. Ausgewählt und eingeleitet von Hugo von Hof⸗
mannsthal. Die früher vierbändige Ausgabe jetzt in einem Bande.
(1005 Seiten.) In Leinen M 4.50.
Deutsche Heldensagen. Herausgegeben von Severin Rüttgers. Mit
einem erklärenden Anhang. (616 Seiten.) In Leinen M 4.50.
Goethe und seine Welt in 580 Bildern. Herausgegeben von Hans
Wahl und Anton Kippenberg. In Leinen M 4.50.
Schwab, Gustav: Sagen des klassischen Altertums. Vollſtändige
Volksausgabe in einem Bande mit 96 Zeichnungen von J. Flax⸗
man. (1020 Seiten.) In Leinen M 4.50.
Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Volksaus⸗
gabe in einem Bande. 17. Tauſend. In Leinen M 4.50.
Waldmann, Emil: Albrecht Dürer, Sein Leben und seine Kunst.
Mit 192 Bildtafeln. In Leinen M 4.50.
Die 3.75: Bücher
Huch, Ricarda: Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri.
Roman. Volksausgabe. In Leinen M 3.75.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Ungekürzte Volksausgabe. In
Leinen M 3.75.
Timmermans, Felix: Das Jesuskind in Flandern. Mit Zeichnun⸗
gen des Dichters. In Leinen M 3.75.
190
Inhalt
Kalendarium auf das Jahr 191uuõ; · ˙UVk eee 5
Friedrich Schnack: Der Falter des Homer .............. 11
Henning Haslund⸗Chriſtenſen: Die Bändigung des wilden
EE 23
Sven Hedin: Zu Henning Haslund⸗Chriſtenſens Werk „Ja⸗
bon a)) 8 30
Karl Scheffler: Die karolingiſchen Laien⸗Baumeiſter 31
Georg Trakl: Drei Gebigte «e ꝗ 38
Rüdiger von Bechelare· nnn. P . 40
Das Kind unter den Wölfe˖e n EECH 47
Hans Caroſſa: Dichter und Arzt 50
Aus den Geſprächen Friedrichs des Großen mit Henri de Catt 63
K. H. Waggerl: Du und Angela... nan 70
Rudolf Alexander Schröder: Der Genfer Se 77
Friedrich Nietzſche: Die Umwertung aller Werte 78
Edzard H. Schaper: Die Nachfahren Petrt.............. 82
Albrecht Schaeffer: Parzivalkampf mit Orilu ee 98
Max Mell: Hirtenſpiel in Kärnten 107
Meiſter Eckhart: Leſemeiſter und Lebemeiſter - Das ewige Wort 118
David Herbert Lawrence: Lächeliliiiñ 119
Aus den Geſchichten von Karl dem Großn 126
Rainer Maria Rilke: Zwei Gedichte aus dem Nachlaß... 131
Martin Luther: Briefe Fabel Sprichwörter Aus Tiſchreden 131
Felix Timmermans: Die Eullãüumuuoeüeéꝓ ... eee 136
Egon Caeſar Conte Corti: Kaiſerin Charlotte bei Napoleon
und Eugenie Ic eee eee 141
Frans Eemil Sillanpdd: Schneegeftiber............... 152
Inſchrift an einem Denkſtein in Din kelsbühhl ll 157
Otto Nebelthau: Die Gräfin Mathilde von Toscana 158
Plattdeutſcher Spruunln 88 165
Friedrich Hölderlin: An den Ather eee 166
Bücher aus dem Infel-Verlag ........ cece ͥ 169
Bilder
Buga, der Begleiter des Totengottes. Hauptfigur aus dem
Neufelsſ ans teaeeseseekanas
Reitender Jäger. Nach einer alten mongoliſchen Zeichnung
Aus Henning Haslund⸗Chriſtenſen: Jabonah, Abenteuer in
der Mongolei
Albrecht Dürer: Madonna am Baume. Kupferſtich. Aus Emil
Waldmann: Albrecht Dürer, Sein Leben und feine Kunſt.
Daniel Chodowiecki: Zwei Kupferſtiche. Aus M. Lanckoronska
und R. Oehler: Die Buchilluſtration des 18. Jahrhunderts in
Deutſchland, Oſterreich und der Schweiz..
Moritz von Schwind: Radierung. Aus Inſelbücherei Nr. 437:
Mörike, Die Hiſtorie von der ſchönen Laua;⁸tr
Albrecht Dürer: Bildnis des Ulrich Starck. Kreidezeichnung.
Deutſche Kaiſerkrone Kaiſer Konrads II., des Saliers. Aus
Johannes Bühler: Das erſte Reich der Deutſchen
Felix Timmermans: Zeichnung aus: Das Jeſuskind in Flandern
Ablaß brief um lll; ee
Waldvergißmeinnicht aus: Das kleine Blumenbuch (Inſel⸗
Bücherei N ;
D
Den Umſchlag zeichnete Rudolf Kod
25
33
49
113
129
136
161
Seeing ges Sfr Poeſchel & Trepte in Leipzig
CC
B/T
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Y36.5
1.97
DE
Stanford University Libraries
Stanford, California
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