Skip to main content

Full text of "Insel Almanach 1934"

See other formats


Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 


Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun Öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 


Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 


Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 


+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 


Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 


Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books.google.comldurchsuchen. 


sur 


* 


Mere 


d en, Wien > 

a Digitized by SOD) Q le 

4 : © 

d = 
bi 


Digitized by Google 


aes 
nz 
RE 


* 


det 


. R : 
‘ EN N 1 . 1 
9 AK AL or) < 
: MS d 4 1 ar AN 
. Tree, SEEN 8 
! a ern * D Ke e 
e b 
fe 0 , EIER ` * 
H a Ae 
DN 
2 
* e “ e 
Ca 3 
Yu 
7 
k d Ké e Dr E 
VW > 
* e i 
j 
* 
14 
V 
> 7 1 
* « a A 
r Ne 
Wu 
d ` 
wie Die, 1" ER uf 


Digitized by Google 


Inſel⸗Almanach 
auf das Jahr 
1934 


Im Inſel⸗ Verlag zu Leipzig 


Digitized by Google 


Kalendarium 


Auf denn, nicht träge denn, 
ſtrebend und hoffend hinan! 
Weit, hoch, herrlich der Blick 
rings ins Leben hinein. 
Von Gebirg zu Gebirg 
ſchwebet der ewige Geiſt, 
ewigen Lebens ahndevoll. 

* 


Goethe 


e ® e 


Januar 


1 Neujahr 

2 Dienstag 

3 Mittwoch 

4 Donnerstag 
5 Freitag 

6 Epiphanias 


7 1. Sonntag n. Ep. 


8 Montag 

9 Dienstag 
10 Mittwoch 
11 Donnerstag 
12 Freitag 
13 Sonnabend 


14 2. Sonntag n. Ep. 


15 Montag 

16 Dienstag 
17 Mittwoch 
18 Donnerstag 
19 Freitag 

20 Sonnabend 


21 3. Sonntag n. Ep. 


22 Montag 

23 Dienstag 
24 Mittwoch 
25 Donnerstag 
26 Freitag 

27 Sonnabend 


28 Septuagefimä 


29 Montag 
30 Dienstag 
31 Mittwoch 


Februar 


1 Donnerstag 
2 Freitag 
3 Sonnabend 


4 Seragelimä 
5 Montag 
6 Dienstag 
7 Mittwoch 
8 Donnerstag 
9 Freitag 

10 Sonnabend 


11 Eſtomihi 
12 Montag 

13 Dienstag 
14 Mittwoch 
15 Donnerstag 
16 Freitag 

17 Sonnabend 


18 Invokavit 
19 Montag 

20 Dienstag 
21 Mittwoch 
22 Donnerstag 
23 Freitag 


24 Sonnabend 


25 Reminiſzere 
26 Montag 

27 Dienstag 
28 Mittwoch 


März 


ı Donnerstag 
2 Freitag 
3 Sonnabend 


4 Okuli 
5 Montag 
6 Dienstag 
7 Mittwoch 
8 Donnerstag 
9 Freitag 
10 Sonnabend 


11 Laͤtare 

12 Montag 

13 Dienstag 
14 Mittwoch 
15 Donnerstag 
16 Freitag 

17 Sonnabend 


18 Judika 

19 Montag 

20 Dienstag 
21 Mittwoch 
22 Donnerstag 
23 Freitag 

24 Sonnabend 


25 Palmarum 
26 Montag 
27 Dienstag 
28 Mittwoch 


29 Gründonnerstag 


30 Karfreitag 


31 Sonnabend 


S O 


April 


1 Oſterſonntag 
2 Oſtermontag 
3 Dienstag 

4 Mittwoch 

5 Donnerstag 
6 Freitag 

7 Sonnabend 


8 Quaſimodogeniti 


9 Montag 
10 Dienstag 
11 Mittwoch 
12 Donnerstag 
13 Freitag 
14 Sonnabend 


15 Miſ. Domini 


16 Montag 

17 Dienstag 
18 Mittwoch 
19 Donnerstag 
20 Freitag 

21 Sonnabend 


22 Jubilate 

23 Montag 

24 Dienstag 
25 Mittwoch 
26 Donnerstag 
27 Freitag 

28 Sonnabend 


29 Kantate 
30 Montag 


Mai 


1 Dienstag 

2 Mittwoch 

3 Donnerstag 
4 Freitag 

5 Sonnabend 


6 Rogate 

7 Montag 

8 Dienstag 

9 Mittwoch 
10 Himmelfahrt 
11 Freitag 
12 Sonnabend 


13 Exaudi 

14 Montag 

15 Dienstag 
16 Mittwoch 
17 Donnerstag 
18 Freitag 

19 Sonnabend 


20 Pfingſtſonntag 


21 Pfingſtmontag 
22 Dienstag 

23 Mittwoch 

24 Donnerstag 
25 Freitag 

26 Sonnabend 


27 Trinitatis feſt 


28 Montag 

29 Dienstag 
30 Mittwoch 
31 Donnerstag 


7 


Suni 


1 Freitag 
2 Sonnabend 


3 1. Sonnt. n. Trin. 


4 Montag 

5 Dienstag 

6 Mittwoch 

7 Donnerstag 
8 Freitag 

9 Sonnabend 


10 2. Sonnt. n. Trin. 


11 Montag 

12 Dienstag 
13 Mittwoch 
14 Donnerstag 
15 Freitag 

16 Sonnabend 


17 3. Sonnt. n. Trin. 


18 Montag 

19 Dienstag 
20 Mittwoch 
21 Donnerstag 
22 Freitag 

23 Sonnabend 


24 4. Sonnt. n. Trin. 
25 Montag 

26 Dienstag 

27 Mittwoch 

28 Donnerstag 

29 Freitag 

30 Sonnabend 


Yo DB © 


Juli 


1 5. Sonnt. n. Trin. 
2 Montag 

3 Dienstag 

4 Mittwoch 

5 Donnerstag 

6 Freitag 

7 Sonnabend 


8 6. Sonnt. n. Trin. 
9 Montag 
10 Dienstag 
11 Mittwoch 
12 Donnerstag 
13 Freitag 
14 Sonnabend 


15 7. Sonnt. n. Trin. 
16 Montag 

17 Dienstag 

18 Mittwoch 

19 Donnerstag 

20 Freitag 

21 Sonnabend 


22 8. Sonnt. n. Trin. 
23 Montag 

24 Dienstag 

25 Mittwoch 

26 Donnerstag 

27 Freitag 

28 Sonnabend 


29 9. Sonnt. n. Trin. 
30 Montag 
31 Dienstag 


Auguſt 


1 Mittwoch 

2 Donnerstag 
3 Freitag 

4 Sonnabend 


5 10. Sonnt. n. Trin. 


6 Montag 

7 Dienstag 

8 Mittwoch 

9 Donnerstag 
10 Freitag 
11 Sonnabend 


12 11. Sonnt. n. Trin. 


13 Montag 

14 Dienstag 
15 Mittwoch 
16 Donnerstag 
17 Freitag 

18 Sonnabend 


19 12. Sonnt. n. Trin. 


20 Montag 

21 Dienstag 
22 Mittwoch 
23 Donnerstag 
24 Freitag 

25 Sonnabend 


26 13. Sonnt. n. Trin. 


27 Montag 

28 Dienstag 
29 Mittwoch 
30 Donnerstag 
31 Freitag 


8 


September 


1 Sonnabend 


2 14. Sonnt. n. Trin. 


3 Montag 

4 Dienstag 

5 Mittwoch 

6 Donnerstag 

7 Freitag 

8 Sonnabend 


9 15. Sonnt. n. Trin. 


10 Montag 

11 Dienstag 
12 Mittwoch 
13 Donnerstag 
14 Freitag 

15 Sonnabend 


16 16. Sonnt. n. Trin. 
17 Montag 

18 Dienstag 

19 Mittwoch 

20 Donnerstag 

21 Freitag 

22 Sonnabend 


23 17. Sonnt. n. Trin. 
24 Montag 

25 Dienstag 

26 Mittwoch 
27 Donnerstag 

28 Freitag 

29 Sonnabend 


30 18. Sonnt. n. Trin. 


Oktober 


1 Montag 

2 Dienstag 

3 Mittwoch 

4 Donnerstag 
5 Freitag 

6 Sonnabend 


7 19. Sonnt. n. Trin. 
8 Montag 
9 Dienstag 
10 Mittwoch 
11 Donnerstag 
12 Freitag 
13 Sonnabend 


14 20. Sonnt. n. Trin. 
15 Montag 

16 Dienstag 

17 Mittwoch 

18 Donnerstag 

19 Freitag 

20 Sonnabend 


21 21. Sonnt. n. Trin. 
22 Montag 

23 Dienstag 

24 Mittwoch 

25 Donnerstag 

26 Freitag 

27 Sonnabend 


28 22. Sonnt. n. Trin. 


29 Montag 
30 Dienstag 
31 Mittwoch 


O 


November 


1 Donnerstag 
2 Freitag 
3 Sonnabend 


A 23. Sonnt. n. Trin. 


5 Montag 
6 Dienstag 
7 Mittwoch 
8 Donnerstag 
9 Freitag 
10 Sonnabend 


11 24. Sonnt. n. Trin. 


12 Montag 

13 Dienstag 
14 Mittwoch 
15 Donnerstag 
16 Freitag 

17 Sonnabend 


18 25. Sonnt. n. Trin. 


19 Montag 

20 Dienstag 
21 Bußtag 

22 Donnerstag 
23 Freitag 

24 Sonnabend 


25 Totenfeſt 
26 Montag 

27 Dienstag 
28 Mittwoch 
29 Donnerstag 
30 Freitag 


©) 


Dezember 


ı Sonnabend 


2 1. Advent 
3 Montag 

4 Dienstag 

5 Mittwoch 

6 Donnerstag 
7 Freitag 

8 Sonnabend 


9 2. Advent 
10 Montag 
11 Dienstag 
12 Mittwoch 
13 Donnerstag 
14 Freitag 
15 Sonnabend 


16 3. Advent 
17 Montag 

18 Dienstag 
19 Mittwoch 
20 Donnerstag 
21 Freitag 

22 Sonnabend 


23 4. Advent 

24 Montag 

25 1. Weihnachtstag 
26 2. Weihnachtstag 
27 Donnerstag 

28 Freitag 

29 Sonnabend 


30 Sonnt. n. Weihn. 
31 Silveſter 


Friedrich Schnack 
Der Falter des Homer 


In Griechenland ging vor langer Zeit, in der Homeriſchen Zeit, 
das Gerücht um, Homer, der alte Dichter, den man geſtorben 
wähnte, lebe noch. Sieben Städte ſtritten ſich damals um die 
Ehre feiner Geburt, keine einzige aber um die Würde feines Todes. 
Ein griechiſcher Jüngling aus einer der ruhmſüchtigen Städte 
hoͤrte von einem Olivenhändler, der blinde Dichter hauſe auf einer 
der kleinen Inſeln im Archipel. Welche es ſei, wußte er nicht. Ein 
Segelſchiffsverleiher hatte es ihm berichtet, und dieſem war die 
ungewiſſe Kunde von einem Seemann zugetragen worden. Auf 
und ab ſchaukelte die Welle des Gerüchts, doch Zuverläſſiges 
hörte niemand. 

Alexander, der Jüngling, getrieben von der Liebe zu Homer, be⸗ 
ſchloß, den Verſchollenen zu ſuchen oder wenigſtens um die Inſeln 
herumzuſtreunen, Land und Leute kennen zu lernen und ſich den 
Meerwind um die Ohren wehn zu laſſen. Er mietete bei dem 
Schiffsverleiher ein Segelboot, befrachtete es mit Lebensmitteln, 
Getränk und allerlei Gut für eine längere Fahrt, nahm einen 
Seemann an Bord und fuhr eines Morgens aus dem Hafen von 
Athen. Von Inſel zu Inſel trieb er auf den blauen Stroͤmungen 
des Meeres, ſuchte, ſpaͤhte — doch vergeblich. Er landete an den 
kykladiſchen Eilanden und fegelte in die Einöde des Kretiſchen 
Meeres, richtete den Kiel nach Karpathos und Rhodos, drehte die 
Segel, der Strömung entgegen, durch das Irrſal der Sporaden 
und lenkte ſchon das Steuer in die Richtung nach Nikaria und 
dem Geſtade von Chios, da warf in der Morgenfrühe ein von 


11 


Kleinaſien herbrechender Sturm die Nußſchale an ein winziges 
Inſelkorn. Die Geſchicklichkeit des Seemanns wußte das Schei⸗ 
tern des Fahrzeugs zu verhüten, fie ſauſten in eine gurgelnde 
Bucht und blieben. 

Mutlos kroch Alexander über das Geröll: nirgendwo weder 
Menſch noch Tier. Über die Waſſer ſchleifte der Sturm die 
ſchwarzen Floͤre, alle Sicht verhaͤngend, die Wogen grollten und 
riſſen, das Inſelchen umbellend, ihre ſchaumgeifernden Rachen 
auf. Er beſtieg die Zinnen der Felſen, um auszuſchaun: da ſah 
er in der Ferne eine Hütte, Bäume und einen Hügel. 

Alexander und ſein Begleiter hielten darauf zu: es war die Hütte 
eines Hirten. Der kam aus ſeinem Stall, ſtand unter der Tür 
wie ein Herbſtbaum und betrachtete wortlos die Seefahrer. In 
ſeinem weißen, ſturmzerrütteten Haar hingen dürre Grashalme 
und Laubreſte, ſein Hirtenkleid war aus vielen Flicken zuſammen⸗ 
geſetzt. Er mochte neunzig Jahre ſein. 

„Der Sturm warf unſer Schiff in die Felſen“, ſagte Alexander, 
auf den Seemann deutend. 

Der Alte antwortete nicht. 

„Wir bitten um deine Gaſtfreundſchaft, bis das . ruhig 
und unſer Fahrzeug ausgebeſſert iſt.“ 

Die Augenbrauen des Hirten hoben ſich ein wenig, was vielleicht 
heißen konnte: Bleibt! 

„Gibt es noch andere Unterkunft hier?“ 

Er ſchüttelte die Hand. | 

„Ich ſuche ...“ fagte Alexander, beklommen von dem alten 
Licht der Augen, „ich ſuche den EE Homer, ber auf einer 
kleinen, unbekannten Inſel leben foll .. 

Der Hirte zeigte ihm eine blöd⸗erſtaunte Miene. 

„Der iſt wahrhaftig ſtumm!“ knurrte der Steuermann. 

„Er ſcheint mir eher ſchweigſam zu ſein“, antwortete Alexander 
und winkte ab. 

„Wohnt bei dir ein Greis mit Namen Homer?“ fragte er den Alten. 
Der Hirte brummte, ſeine Stimme hatte den dumpfen Klang 


12 


des Geſteins, das unter dem Sprung der Ziegen hinabſchollert 
in die Schlucht. „Homer? ... Ja, iſt hier!“ 

„Mann!“ rief Alexander, freudig aufgeregt und geſpannt. „Der 
Dichter Homer?“ 

„Der Dichter Homer?“ meinte der Hirte, grinſend und ver⸗ 
neinend. „Ach wo! Ein alter kleinaſiatiſcher Bettler. Vor Jahren 
ſetzte ihn ein Olivenſegler hier ab... den Bettler Homer.“ Sein 
Zottelbart wackelte, durchkäammt von den knochigen Gichtfingern. 
Mißtrauiſch, verſtändnislos ſchüttelte der Alte den Kopf und 
ſtieß, unluſtig weiterer Worte, die Tür ſeiner Hütte auf, aus der 
ein ſchwarzer Hund ſeine Schnauze ſteckte. 

Aber Alexander faßte den Hirten am Armel und verſprach ihm 
einen fehönen Krug mit roten Figuren. | 
„Wo ift der Homer?“ fragte er haftig. 

Der Alte meckerte bocksgleich und zeigte auf den Stall. 
Alexander ſtürzte in das Gelaß. Die Ziegen und Schafe waren 
fort, ſie weideten wohl draußen am Hügel auf windgeſchützten 
Halden. Hinter dem Fenſter ſah er den alten Hirten langſam 
vorbeiwaten durch die Meerböen, die von Rand zu Rand fegten; 
er klapperte mit dem Stock und rief ſeinem Hund. Der Seemann 
lief um das Haus, den Schuppen nach Holz zu durchſuchen, denn 
das Schiff hatte ein paar Löcher davongetragen. 

Alexander durchſpähte das dämmerige Halblicht des Stalles, und 
als ſeine Augen Pfoſten und Raufen, Ketten und Streu unter⸗ 
ſchieden, gewahrten ſie auch einen dunkeln Haufen in der Ecke, 
und das war der Bettler. Klopfenden Herzens, Zweifel und 
Hoffnung im Sinn, näherte er ſich dem Liegenden. Iſt er es, iſt 
er es nicht? Die Erregung ließ ihn erzittern, der Augenblick be⸗ 
täubte ihn faſt. Wenn er es wäre! Ganz leiſe und behutſam tat 
er. Ach, er war es wohl nicht, der große, alte Dichter. Vor ihm, 
hingeſtreckt in die Streu der Schafe, den Geſtank ihres Unrates 
atmend, lag ein hochbejahrter Greis. 

Alexander neigte ſich zu ihm und ſtarrte bei dem ſchwachen Schein 
des Tageslichts in geöffnete, aber glanzloſe, tote Augen. Der 


13 


Greis war blind. Der Jüngling forſchte in den alten, ehrwürdigen 
Zügen nach einem geiſtigen Zeichen. Mit geſammelter Innigkeit 
und Inbrunſt betrachtete er die hohe, verrunzelte Stirn, die weißen, 
beſchmutzten Haarſträhnen, den Bart, darin Spinnweben, 
Fliegenflügel und vertrocknete Milchtropfen klebten. Braun ge⸗ 
beizt von der Inſelluft war die Haut, Pergament, von feinen 
Aderchen mühſelig durchronnen; blankgeſchliffen blinkten die 
Schläfen, gleich den Kieſeln, die durch die Mühle des Meeres 
rollen. Seit Menſchengedenken mochte ſich der Bettler nicht ge⸗ 
ſaͤubert haben, wiewohl ihm das Waſſer ſo nahe wogte: die 
Füße ſtarrten von Unſauberkeit, die Fingernägel glichen ſchwar⸗ 
zen Halbmonden. Alexander fühlte ſich von dieſem Anblick zu⸗ 
rückgeſtoßen, er richtete ſich ſeufzend auf und atmete ein paar 
Züge friſcher Luft am Fenſter. Der Stallgeruch verurſachte 
ihm Schwindel und Kopfſchmerz. Doch blickte er wieder in 
die düſtere Ecke. Homer heißt er... Olivenſchiffer haben ihn 
ausgeſetzt ... Welche Stadt hat ihn abgeſchoben ...? Ein 
kleinaſiatiſcher Bettler ... Der Greis war uralt, hilflos, be⸗ 
jammernswürdig. Ein Hundertjähriger, angewieſen auf die 
Mildtätigkeit eines Neunzigjährigen, der nichts hatte als eine 
leere Inſel, ein paar Krumen Erde und ſeine wenigen Ziegen und 
Schafe. Alexander ſchaute mit halbem Blick in den Spinnen⸗ 
winkel, mit halbem Blick hinaus auf das Meer, das dunkel 
drachenbrüſtig aufbäumte. Der Sturm hatte nachgelaſſen, 
Windpauſen traten ein, bald konnte man weiterſegeln, war nur 
erſt der Bootsſchaden wieder behoben! 

Jetzt regte ſich der Greis. Mauſegleich raſchelten ſeine dürren 
Hände im Heu und Laub des Lagers. Seine Lippen murmelten 
feierlich Lallendes, ſtöhnten, hauchten ... Nein, er hatte nichts 
geſagt! Alexander, ein Bein zum Sprung vorgeſetzt, lauſchte. 
Sagte der Alte etwas? 

Er ſchwieg. Stille. Fern bäumte dunkel drachenbrüſtig das 
Meer: Alexander ſah es hinter dem Stallfenſter ſteigen und ſinken. 
Er ſpürte ſich von dem Wogenbild gepreßt mit ungeheurer 


14 


Wucht... In feinem Herzen keimte ein ſcheuer Mut, eine 
ſchamhafte Frage. Er blickte den Alten an. 

Plötzlich rief er und erſchrak im Augenblick: „Biſt du der Dichter 
Homer?“ 

Die Worte verhallten. Der Stall, die Pfoſten, die Raufen der 
Tiere, Miſt, Unrat, Heu und Laub hatten die Laute vernommen; 
die waren in ſie eingegangen und darin verſtummt: Biſt du der 
Dichter Homer? Keine Antwort. Der Greis antwortete nicht, 
er hatte den Anruf nicht einmal gehört. Er war taub, ſtocktaub. 
Seine bärtigen Lippen bewegten ſich von Worten, die nicht Wort 
werden konnten. Hatte er auch die Sprache verloren? 
Jammervolles Alter! 

Alexander erbarmte ſich ſeiner, faßte ihn an und richtete ihn auf, 
ein Knochenbündel, mühvoll zuſammengehalten von dem zer⸗ 
ſchliſſenen, fleckigen Mantel und dem Hirtenſtrick um die Hüfte. 
Er druckte ihm den Stock in die zittrige Hand und führte ihn 
langſam von ſeinem Fliegenlager hinaus vor die Tür auf eine 
rohgezimmerte Bank. 

Dann lief Alexander zum Boot, um einen Krug Weines zu holen. 
Er füllte den Napf, hob ihn an den Mund des Blinden, aber der 
Alte trank nicht, denn auch die Blume des Weins duftete nicht 
mehr in das dürre Leben. Er netzte ihm die Lippen, die Tropfen 
rollten in den Bart, die Kraft des Weines war ohnmächtig vor 
ſo großer Ohnmacht. 

Hilflos ſetzte ſich Alexander neben den Greis. Das ſchwarze Ge⸗ 
wölk des Himmels jagte, weitum brandete die urgraue Wildnis 
des Meeres. Jetzt drang das Sonnenlicht durch einen Schatten⸗ 
ſpalt und beleuchtete den magern Inſelboden, die Hütte, die 
Bank, ihn ſelbſt, Alexander, und den Blinden. Sie umglänzte 
das ſchickſalfremde, runzelige Geſicht, die breite Stirn, den Kopf, 
leer wie ein Gefäß, deſſen Geiſt verdunſtet war. 

Die Wärme, die Sonne, fie allein hatte noch Stärke, einzu: 
dringen in das verwitterte Pergament der Haut, in den ausge⸗ 
brannten Lebensſtoff des Bettlers. Er rührte die Hand, den Fuß, 


15 


bewegte den Kopf, hob das Kinn, öffnete weit die Lider und ließ 
das Licht regnen in die öden Augenhöhlen. Schimmerte nicht ein 
Lächeln auf ſeinen Zügen? Alexander betrachtete ihn faſſungslos. 
Da flüſterte der Alte: „... Odyſſeus! ...“ 
Und Alexander erſchrak, das Wort lähmte ihn mit ungeheuerm 
Zauber. Sein Herz ſchlug, er begriff. Er war es, der Meer⸗ und 
Inſelgeſuchte, der Tote und noch Lebende, der alte Dichter Homer. 
Und wieder: „... Odyſſeus! ..“ 
Lauter tönte es jetzt, ſtammelnd und unirdiſch, gedaͤmpft, als läge 
Meernebel auf ſeiner Denen 
„Meute... begeht man... im Volke. 
Schweigen. 
Alexander, ſelig geſpannt, horchte. Er hoͤrte das Meer rollen und 
fern die Muſchelhoͤrner der Flutgöͤtter. 
Das greiſe Haupt neigte ſich ein wenig auf die Seite, als ver⸗ 
ſuche es, einem innern, weltabgewandten Geſang nachzulauſchen, 
der Erinnerung vielleicht oder der Ohnmacht der Erinnerung. 
Da! 
Homer liſpelte: 

das heilige Feſt des Apollon. 
Die Strophe zerriß, das Haupt ES mid nach vorn. Und jetzt 
ein letztes, ſtammelndes Wort, aufperlend aus der Nacht der 
Seele, aus verſchütteten Gründen. Leis ſeufzten die SE? alg 
entließen fie Bläschen von Atem: 

. feierlich! ...“ 
Der Greis, ermattet von Wind und Wärme, war eingeſchla⸗ 
fen. Alexander hielt ihn an ſich gedrückt, damit er nicht nieder⸗ 
ſinke. | 
Am Abend kam der Hirt mit Hund und Schafen vom Hügel. 
Schweigend ſetzte er dem Bettler einen Napf friſchgemolkener 
Milch vor, auch den Seefahrern, rief ſeinem Hund und ſchlurfte 
in die Hütte, zur Ruhe. Die Sonne tauchte ins Meer. 
Alexander brachte den alten Dichter durch das Gedräng der 
Schafe, führte ihn in den Winkel, ihn auf die Streu hin⸗ 


16 


bettend, bedeckte ihn mit dem Mantel und ging ergriffen ans 
Meer. Er hüllte ſich in ein Segel und legte ſein Geſicht in den 
Sand. 

Anderntags holte er aus dem Boot Segeltuch, Linnen und Polſter 
und bereitete daraus dem alten Mann ein bequemeres Bett. 
Das Waſſer war längſt wieder glatt, und ſanfte, gute Reiſe⸗ 
winde wehten. Aber Alexander dachte nicht daran, abzureiſen, er 
wußte ja, Homer werde bald ſterben. Er wollte ihn bis zum Ende 
nicht allein laſſen in der Inſelverbannung, allein mit dem wort: 
kargen, unwiſſenden Hirten. Er fühlte ſich beauftragt, ihn zu 
pflegen und den kümmerlichen Reſt der Tage mit ihm zu teilen. 
Er bekleidete ihn mit Wäſche, reinigte ſeinen groben, wetter⸗ 
zerſchliſſenen Mantel, brachte ihm von ſeinen Lebensmitteln 
und geleitete ihn jeden Morgen in die Sonne. Als Homer 
vor Schwäche nicht mehr gehn konnte, trugen Alexander und 
der Seemann den Matten auf einer Reiſigbahre vor die 
Hütte. Der alte Dichter verfiel von Tag zu Tag. Nach ein 
paar Wochen war er bereits ſo kraftlos, daß er die Hände nicht 
mehr heben konnte. Wie ein kleines Kind mußte er gefüttert 
werden. 

Seit jenem Abend hatte er auch nicht wieder geſtammelt. Völlig 
verſunken ſchwieg in ihm die Sprache, verſickert wie die Bäche 
des Meeres im Sand. 

Da begab es ſich aber eines Abends, als Alexander gerade vom 
Boot heraufkam, daß der Greis wieder Stimme und Wort hatte. 
Gefüllt mit Wohllaut war ihm die Kehle, gleich wie in ſeiner 
Manneszeit, als er an einem Sommertag oben auf dem Parnaß 
im Wind ſtand, angeglänzt von der Sonne Apolls. 

Sein Antlitz ſchimmerte geiſtige Entzückung; weiß wie gehäm⸗ 
mertes Silber blinkte die Stirn. Ihr Leuchten bannte Alexander, 
und er ſtand ehrerbietig. Dem Mund entdrängte Strophe um 
Strophe, verworren, dunkelſinnig; plotzlich ſtiegen, aufgelichtet, 
verſtändlich und kriſtallklar: Wellen großen Klangs, dröhnend 
aus der Rieſengeſangeswoge von einſt: 


17 


„Wenn dann... wieder der Sommer erfcheint... und der 
Segen des Herbſtes ... Iſt von gefallenem Laub... fein Bett 
an der Erde ... geſchichtet ...“ 

Alexander ſchauderte, den ſchwarzen Grundton des Schmerzes 
vernehmend, die Trübſalsweiſe des Greiſes, der hellſichtig ſeinen 
Jammer, die Armut und Verlaſſenheit wußte. Scham peinigte 
den Jüngling. Stritten ſich nicht ſieben Städte um die Ehre 
ſeiner Geburt? Hatte ihn nicht ein Olivenſchiff mit Gelächter 
hier abgeſetzt? Erſchüttert lehnte er an dem Stallpfoſten, die 
Hände auf die Augen gepreßt, weil er den Anblick des Leuchten⸗ 
den, Blinden nicht ertragen konnte. 

Und Homer ſprach: 

„Da nun liegt er... und jammert ... und nährt in der Seele 
die Trauer ... Um dein Schickſal Elagend . . A 

Alexander ächzte, die Seele tat ihm weh. 

Und die Stimme ſcholl, meerhinausjammernd: 

„Alſo verzehrt auch wé . . mid... im Leid... und erlag... 
dem Verhängnis. 

Stille. Der Weltkreis ſchien in Schweigen getaucht, das Meer 
gelähmt. Alexander wagte kaum zu atmen. Er hob das Geſicht, 
den Verſtummten anſtarrend. Weinte Homer? 

Er weinte nicht. Am Ausgang ſeines Lebens hatte er keine Tränen 
mehr, nur Worte noch und Trümmerworte. Nur eiſigen Glanz 
der Stirn hatte er noch und Gewitterſchein augenloſen Geſichts. 
Jetzt öffnete er abermals den Mund, und Alexander vernahm 
Singen, einen zerbrochenen Irrſinns⸗ und Heilsklang: 

„Zeus ... du Water... und all ihr unfterbliden... feligen 
Götter ...“ 

Was erbat er von den Göttern? Er fang, wie Erz ſingt, wenn 
die Klöppel dagegen ſchlagen; ſummend fang er, wie die Schiffer 
ſingen hinter Nebeln und Regenwaͤnden, wenn die Sonne die 
Dunſtmauern zerſtört. Hochauf ſtieg und ſchnellte ſeine Stimme, 
und die Düſterkeit fiel ab von ihr, wie der Staub der Erde fällt 
aus dem Fittich des auffliegenden Vogels. Hell und rein ent⸗ 


18 


quollen die Töne feinem vaͤterlich⸗ milden Mund. Was erflehte 
er von den Goͤttern? 

Weder Linderung noch Gabe erflehte er von den Göttern. Nichts 
begehrte er. Nur anſingen wollte er ſie, immer feuriger und 
inniger, in der Sprache der griechiſchen Dichtungen, in der 
Sprache der Odyſſee und der Ilias, in der Sprache der Tempel. 
So fang er. Aber plotzlich wandelte ſich feine griechiſche Sprache 
in eine ganz andere, in eine unbekannte, nie von Alexander gehoͤrte, 
große, mächtige und goldene Sprache. überaus ſchön klang ſie, 
weiſe, tief und alt. Ihre Klänge waren gemiſcht aus allen un⸗ 
irdiſchen Lautmiſchungen. Alexander lauſchte beklommen, hold 
und ſchmerzlich verzückt. 

Dem zerſprungenen, verwitterten, verachteten, beſchmutzten 
Lebenggefäß entrang ſich eine unentweihte, erhabene Flamme. 
Sie brannte und klang. 

Alexander lauſchte. 

Die Tone und Laute und Wortmächte erinnerten ihn geheimnis⸗ 
voll an Sterne und Räume hinter Sternen; ſie gemahnten ihn 
aber auch an das Meer zu allen Tages⸗ und Nachtzeiten, an den 
Wind, die Sonne und die Berge: es war eine Sprache, die alle 
Erſcheinungen ausdrückte. Vielleicht war es die Wolkenſprache, 
die Sprache der Götter, die Weltallſprache. 

Aber auch dieſe Sprache hatte Ende und Auflöſung. Die Sätze 
und Anrufungen, die unbegreiflichen, hohen Zuſprüche ſtockten; 
abgetrennte Worte ſchallten, und bald waren es auch keine Worte 
mehr, die dem nun ermattenden Mund entflohn. Nur noch 
Wort⸗Ur⸗Teile waren es, mit denen Homer die Welt anſprechen 
konnte: Vokale ... helle und dunkle Vokale ... einſame Laut: 
formen 

Alexander erzitterte: hier, vor ihm, vor ſeinem Ohr und Geiſt, 
zerfiel eine ungeheure Welt; Wortſtädte, Wortländer, Wort⸗ 
meere, Wortvölker und Wortgeſtalten zerſtoben, zermehlten zu 
Staub, zu Nichts, und wie ihre Urklage hörten ſich die hin⸗ 
ſchwingenden Vokale an: „A. a. a. G.. e 


19 


Sasha e u..., ĩðͤ v 
herzzerreißende Töne, eine nachterfüllte, langgezogene, ſchwer⸗ 
mütige Melodie am Rand der Erde. 

Die bartumkrauſten Lippen ſchwiegen, bebten, öffneten und 
ſchloſſen ſich, ſangen nicht mehr. Der Wind ſäuſelte durch die 
magern Pflanzen — oder waren es die allerletzten Flüſterlaute 
Homers, zurückgegeben an Gras, Stein, Sand und Flut? 
Alexander näherte ſich, aber ehe er noch die Bank erreichte und die 
Reiſigbahre, prallte er zurück, getroffen von einem mächtig⸗un⸗ 
heimlichen Stoß: Der Mund des alten Dichters tat ſich weit 
und hohl auf, wie in einem wilden Schrei, der nicht geſchriee 
wurde 
Der Jüngling erblaßte und erſchaute ein Geheimnis, das er bei 
ſich bewahrte. Er verriet es nicht, nicht dem am Abend heim⸗ 
ziehenden Hirten; nicht dem vom Schiff kommenden Steuermann, 
der ihm half, den Toten auf dem nahen Hügel zu begraben. 
Als er das Grab mit Pflanzen und Büſchen geſchmückt hatte, 
verließ er die Hirteninſel, und der Seemann ſteuerte ihn heim⸗ 
wärts. Im Ohr behielt Alexander den Sang, das Klangerbe, 
und in ſeinem Geiſt formten ſich Strophen und Geſänge, die ihn 
über ganz Griechenland berühmt machten. In allen Städten 
wurde er gefeiert, mehr als Homer je in feiner Glanz⸗ und Mit⸗ 
tagszeit; Münzen wurden nach ſeinem Bild geprägt und Stein⸗ 
geſtalten gemeißelt. Er wurde ein zweiter Homer. Er brachte 
eine neue dichteriſche Sprache auf: die band durch die Kraft ihres 
Blutes und der Anſchauung Sterne an die Sternenräume, 
Meere an Winde, Sonnen an Berge; es war die Sprache der 
Wolken, der Götter und des Weltalls. 

Er war eine Leuchte ſeiner Zeit. Die Nachzeit aber hat nichts 
von ihm erhalten und aufbewahrt: fein Name iſt heute vergeffen... 
In ſeinem Greiſenalter ging Alexander mit ſeinem Enkel über die 
Felder ſeiner Heimatſtadt. Es war ein ſchöner, heiterer Sommer⸗ 
tag, die Sonne blitzte in den Fluren und den Olivenhainen. Greis 
und Knabe ſchlenderten über eine blühende Wieſe, erfreut von 


20 


den Flügen der Vögel und dem Lied der Hirtenflöten, die aus den 
Schattenwäldern ertönten. 

Plötzlich, am Fuß des Berges, wo ein kleiner Tempel unter 
Zypreſſen leuchtete, wurde der heute namenloſe Dichter blaß und 
war außerſtand weiterzugehn. 

Der Enkel ergriff haſtig die Hand ſeines Großvaters, ihn voll 
Angſt fragend, was denn mit ihm ſei. 

Der Greis zitterte, atmete heftig und ſetzte ſich endlich auf einen 
Stein am Weg. Fernhinſchauenden Auges deutete er auf einen 
Schwarm von Faltern, die vom Berg ber flügelten und fpielten, 
und der erſchreckte Enkel hörte: „Vielleicht dreißig ... dreißig 
Schmetterlinge! Oh, ſo viele Homere ſind geſtorben, ſo viele 
Seher .. tot!“ 
Der kleine Enkel verſtand nicht, was die Worte bedeuten ſollten. 
Befremdet ſah er ſeinen Großvater an, der dem Gewimmel 
ſchmerzlich bewegt nachblickte, bis es ſich über die blühende Wieſe 
zerſtreut hatte und entglitten war. 

Dann, nach einer Weile der Ruhe und Sammlung, zog der Greis 
ſeinen Enkel liebevoll an ſich mit den Worten: „Nicht ängſtlich 
fein, es iſt ſchon vorüber..“ 

„Was iſt vorüber?“ fragte der beſorgte Junge. 

Und der heute vergeſſene Dichter ſagte: „In meiner Jugend 
habe ich Homer geſehn, und ich ſah, was kein Lebender ſah: ich 
ſah ihn ſterben!“ 

„Du Großvater? Das war er ſicherlich nicht.“ 

„Doch, er war es. In ſeinem Tode ſprach er die Verſe Homers 
homeriſch ...“ 

Der Knabe lachte: „Das kann jeder herumziehende Sänger!“ 
Unmutig ſchüttelte der alte Alexander den Kopf und ſagte: „Ich 
habe einen Beweis.“ 

Und er erzählte, wie er den alten Homer geſucht und gefunden 
hatte und in welchem Zuſtand. Wie er arm, blind und taub war, 
voller Gebrechen und Schmutz, zerlumpt und ſchwach, ange⸗ 
wieſen auf die Mildtätigkeit eines alten, mürriſchen Hirten. Wie 


21 


er ſchlafen mußte in einem dumpfen Schafſtall im Miſt ber 
Schafe und völlig unbewußt war ſeines einſtigen Ruhms, der 
vergangenen Größe — eine taube, fruchtentkernte, verbrauchte 
Hilfe... 

„Ich war dabei, als er ſtarb. Niemand ſonſt war dabei. Vor 
ſeinem Ende kamen ihm, in den Sterbensgeſichten, Strophen aus 
der Odyſſee in den Mund, die er lang vergeſſen hatte, und eine 
ganz ſeltſame, unirdiſche Sprache, die außer ihm kein Sterb⸗ 
licher ſprechen konnte, die Sprache von den Himmelsbergen, die 
Sprache der Götter. Er fang in dieſer gewaltigen Sprache und 
verlor ſich endlich in ratfelhaften Lauten, in langen Klageweiſen, 
die mir das Herz zerriſſen: A. a. a. ...e 
„„ Eli «de, aus 
denen die Welt gebaut und gemauert iſt. Apoll ſelbſt ſang aus ihm. 
Und es war das furchtbarſte Erlebnis, das ich hatte: in der jäm⸗ 
merlichſten Geſtalt den ſtrahlendſten Gott zu erkennen. Und weil 
er blind war, ſah er nicht, daß ich dabei ſtand, ſonſt hätte ich ſolche 
Erfahrung gewiß mit dem Tode bezahlt. Deshalb habe ich auch 
nie darüber geſprochen, aber heute, da ich fo alt bin, fühle ich keine 
Angſt mehr vor dem Tod und kann ſagen, was ich hörte und was 
ich (ob, Ich hörte Homer fingen wie Apoll und ſah ihn fterben... 
Nach dem letzten Hauch ſeines Totenſangs ſaß ihm auf der 
bärtigen Lippe ein Schmetterling, mit den Flügeln fächelnd, als 
ſauge er verzückt einen letzten Tropfen Süße. Das beſchwingte 
Weſen war aus dem Abgrund der Kehle geſtiegen und flog auf 
und entſchwand; entweder eine Verwandlung Apolls oder ſein 
Abgeſandter, nun rückkehrend zu dem ewigen Vater, der alles 
ſingt und alles ſieht und bloß kleine verſprengte Teile ſeines All⸗ 
ſingens und ſeines Allſchauens an die Menſchen verteilt. 

Dieſen Schmetterling... 

Nun ſah ich ihn heute zum erſtenmal wieder, ſah ſie heute zum 
erſtenmal wieder, in großer Anzahl, die Seelen toter Sänger, 
toter Seher, toter Götterlieblinge. Hat fie Apoll zurückgeſchickt, 
hat er ſeinen Klanghimmel aufgegeben, will er ihn nicht mehr 


22 


tönen hören? Und es irren nun alle die Homere umher, die gelebt 
haben: wortlos, klanglos, gottlos, unſtet..“ 
Der Junge hoͤrte längſt nicht zu, er war aufgeſprungen und eilte 
über die gelben Wieſen. Um Bauminſeln ſteuerte er, rauſchte 
durch die grüne Flut des Graſes, an Blumeninſeln ſegelte er 
dahin mit windgebauſchtem Kleid, und an einem violetten 
Wickengeſtade ſtrandete er, einen halberlahmten Schmetterling 
erhaſchend, der nicht mehr recht fliegen konnte, weil er ſchon 
ſommeralt war. 
Solche Falter hatte der Junge noch nie geſehn: weiße Schwingen, 
fein geſchnitten, ſchwarze Randflecken auf den Vorderflügeln, 
rote, ſchwarzumkreiſte Tropfen auf den Hinterflügeln. Die waren 
neu in Griechenland. Er brachte den Schmetterling ſeinem Groß⸗ 
vater: „Was iſt das für ein Schmetterling?“ 
Der Alte aber achtete nicht ſeines Enkels. Er ſchaute in ſeine 
Erinnerung und ſah wieder: der Mund hatte ſich weit und hohl 
aufgetan, als wollte er einen Schrei ausſtoßen, den er nicht ſchrie. 
Aber aus der Höhle zwiſchen Lippe und Lippe rüttelte ſich ein 
weißer Falter, mit ſchwarzgetuſchten Flecken und blutroten, 
dunkelumringten Augen auf den Hinterflügeln: aus dem Munde 
des verſcheidenden Homer der Apollofalter ... 

Aus dem Werk „Der Lichtbogen“ 


* 


Henning Haslund⸗Chriſtenſen 
Die Bändigung des wilden Pferdes 


Von Dänemark wurde die Poſt jest an das Kontor der „Großen 
Nordiſchen ...“ in Irkutsk gefandt, und die liebenswürdigen 
däniſchen Telegraphiſten hatten es übernommen, ſie nach Khathyl 
weiterzuſchicken. Es war eine kleine Kolonie mit einem Dutzend 
ruſſiſcher Haufer an der Südſpitze des Hubſo⸗gol⸗Sees; Khathyl 
lag etwa 132 Kilometer von „Bulgun Tal“ entfernt, alſo be⸗ 


23 


deutend näher als Urga, wohin wir nicht weniger als 600 Kilo: 
meter Marſch hatten. 

Bisher war nicht viel Zeit übrig geblieben, ſich nach Briefen zu 
ſehnen, auch konnten wir keinen Mann für den Ritt zur Poſt 
entbehren; als aber die Frühjahrsbeſtellung vorüber und alles 
in der Erde war und wuchs, kamen wir überein, jetzt ſei es an der 
Zeit, Poſt zu holen und abzuſenden. Die Pferde waren alle durch 
die Landarbeit angeſtrengt, alle außer einem, das war „Hau“ 
(S gut). „Hau“ war ein kleines, wildes Wüſtenpferd, das ſeit 
unſerer Ankunft auf der Farm völlige Freiheit genoſſen hatte. 
Denn es war ſo ſchwierig einzufangen und an den Wagen zu ge⸗ 
wöhnen, daß wir es in der arbeitsreichen Zeit nicht hatten dreſ⸗ 
ſieren können. Wir wußten, daß es ſich irgendwo in „Bulgun Tal“ 
umhertrieb; wir hatten es öfters in der Steppe geſehen, und es 
war häufig auf die Farm gekommen, um mit den anderen Pferden 
zu trinken. Es wurde beſchloſſen, daß ich auf „Hau“ zur Poſt 
reiten ſollte. 

Der Koſake Miſcha, ein geübter Pferdebändiger, wurde aus⸗ 
geſchickt, das Pferd einzufangen, während ich ſelbſt Sattelzeug 
und ⸗taſchen in Ordnung brachte. Die Kameraden machten in⸗ 
zwiſchen ihre Poſt an Freunde und Verwandte auf Tag und 
Datum fertig. Aber die Stunden gingen hin, ohne daß ſich 
Miſcha oder das Pferd einfanden, und da ich mit meinen Vor⸗ 
bereitungen fertig war, ſchickte ich Sava aus, nach dem Verbleib 
von Mann und Pferd zu forſchen. Die Zeit verrann, keiner der 
Koſaken kam zurück. Spät am Nachmittag galoppierte Sava 
voller Staub und Wut auf einem ſchweißtriefenden Pferd 
endlich heran. 

Er rief nach einem Laſſo und erklärte uns, Miſcha und er hätten 
das Pferd ſtundenlang gejagt, aber es wäre jetzt ſo wild, daß es 
ihnen beiden allein unmöglich wäre, es einzufangen. Zwei Curo- 
päer und fünf Mongolen machten ſich jetzt mit Sava auf, um 
Hau einzufangen. Auf Savas Rat nahmen wir Laſſos, „Urgas“ 
und eine Stute mit, die ein neugebornes Fohlen in der Hürde 


24 


or 


Buga, der Begleiter des Totengottes 


ie, 
$ ro 


— — ~~ së Zoff, — ve ii 


hatte. Wir ritten zur nordöftlichen Ecke der Steppe, und da 
ſtand er, Hau, und ſah prachtvoll aus, prall und muskulös. 
Von einer Anhöhe aus betrachtete er unſer Anrücken. Langſam 
bildeten wir um das Pferd einen Halbkreis, der nach der Farm 
zu offen war, und ließen zugleich die mitgenommene Stute los. 
Von Mutterliebe getrieben, galoppierte ſie gradeswegs auf die 
Farm zu. Vorſichtig näherten wir uns Hau, der mittelſte Reiter 
pfiff durch die Zähne, während die Flügelleute mit ihren langen 
Peitſchen knallten. Hau ſah ſich die geſattelten Pferde an, die 
von Menſchen mit tückiſchen Laſſos und Peitſchen bezwungen 
waren, und lief der freien, ungeſattelten Stute nach. Mit ge⸗ 
bogenem Hals, ſpielenden Ohren und fliegender Mähne fegte er 
über die wogende Steppe hin. Die Sonne blinkte auf ſeinen 
blanken, gelben Flanken. Mißtrauiſch vermied er Büſche und 
große Steine, vor einem auffliegenden Raben warf er ſich in 
mehrere Meter weitem Sprunge jäh zur Seite und ſchnaubte aus 
den geblähten Nüſtern. Er wirkte wie die Verkörperung der Frei⸗ 
heit ſelbſt, die ſich auf leichten, ſchnellen Hufen über die Flächen 
hin ſchwang. Unſere eigenen „Haustiere“ vergaßen alle Müdig⸗ 
keit und die Dreſſur und Sklaverei des Sommers, ſie ſchlugen 
vergnügt aus, und bald begleitete das Galoppieren vieler Hufe 
das Wiehern der Pferde, das wie Silberglocken über die Steppe 
hinſchallte. „Give me a horse, I can ride, give me a girl, 
I can love!. Das war Tot, der damit feiner Stimmung Luft 
machte. Der Galopp wurde ſchneller, Hüte wurden durch die 
Luft geſchwenkt, und vom Waldſaum her hörten wir das Echo 
des Peitſchenknallens. Der Mongole Jetom ſtimmte ein Lied 
von Dſchingis Khans tapferen Kriegern an, deren befreite 
Geiſter ſich von der Walſtatt erhoben und, in ſtolze Zelter ver⸗ 
wandelt, mit ſchnellen Hufen über die ewig unberührten Step⸗ 
pen der Mongolei hin tanzen bis in alle Ewigkeit. 

Die Wildheit dieſes ausgelaſſenen Rittes war ſo hinreißend, daß 
ſie einen bisher nie geſpürten Zweifel in mir aufkommen ließ, 
ob es recht war, hierher zu ziehen und den Pflug in dieſe uralte 


25 


Grasmark zu ſetzen, die Fülle der wilden Blumen durch aufge: 
zwungene, kultivierte Saaten zu verdraͤngen, die Pferde der 
Steppe und die Rinder an den Hängen zu bezwingen und ſo der 
Natur die Freiheit zu nehmen und dieſes freudige Wiehern zu 
erſticken, in dem die Steppe ſelbſt lebendig wurde. 

Wir flogen über den Boden hin, die maffive Haſchanda der Farm 
glitt auf uns zu. Die großen Tore ſtanden weit geöffnet, und hinter 
ihnen Leute, um ſie zuzuſchlagen, ſobald das wilde Pferd drinnen 
war. Jetzt ſchoß die Stute hinein, das verfolgte Pferd dicht 
hinter ſich. Da blieb Hau jah vor der Falle ſtehen, die Vorder⸗ 
beine ſteif auf den Boden geſtemmt. Er warf ſich herum; im Nu 
überſah er die Gefahr ſeiner Lage. Wir umzingelten ihn, ſchrieen 
und lärmten, um ihn zu den letzten entſcheidenden Schritten zu 
bringen. Da, mit einem Male machte er einen Satz, als ob er 
einem Lockruf aus der Wildnis folgte, und flog wie ein Pfeil an 
der Oſtſeite der Haſchanda entlang. Sava galoppierte ihm mit 
wirbelndem Laſſo entgegen, aber beider Schnelligkeit war groß, 
und keiner wollte dem andern weichen. Ein Krach ertonte aus der 
Staubwolke, in der ſie ſich trafen, und mit Pferd und Laſſo und 
einem Strom von Scheltworten lag Sava am Boden. Hau flog 
weiter, von Staub umwogt, der ſchnell mit dem verklingenden 
Schall der deöhnenden Hufe in der Ferne verſchwand. Wir 
konnten Hau auf unſeren zahmen Tieren eben nicht fangen, er 
hatte die ganze Kraft und Schnelligkeit der Wildnis. 

Am nachften Tage aber gelang es uns, Hau in eine Falle zu 
locken, indem wir das leckerſte Salz ausſtreuten, und ſchließ- 
lich ſtand er in der innerſten Hürde und ſchleckte, während die 
anderen Pferde ſich in ehrerbietigem Abſtand von der Übermacht 
hielten. 

Um ihm den Sattel auflegen zu konnen, mußten wir ihn mit 
einem Kran hochziehen, die Beine mit dicken Lederriemen feſt⸗ 
binden, das Maul knebeln und die Augen verbinden. Mehrmals 
ſchüͤttelte er die Feſſeln ab und durchtrat die innerſte Hürde; 
aber wir fingen ihn ein, als er beim Verſuch, über das zwei Meter 


26 


hohe Geländer der äußeren Hürde zu ſpringen, an der oberften 
Planke hängen blieb. 

Endlich ſtand Hau geſattelt mit den Beinen auf der Erde. Die 
Vorderbeine waren zuſammengebunden, er hatte eine Binde 
vor den Augen, und die zwei Koſaken hielten ihn zu beiden Seiten 
an langen Stricken am Gebiß feſt. Hau zitterte am ganzen 
Leibe und ſchlug mit den Hinterbeinen aus, als ich die Sattel⸗ 
taſchen befeſtigte. Jetzt ſtiegen die beiden Koſaken zu Pferde, ſie 
zogen die Halteſeile unter dem Schenkel durch, der Hau zuge⸗ 
wandt war, und knoteten ſie dann an ihre Koſakenſättel, die hier⸗ 
für einen beſonderen Vorſprung hatten. Ich ſpazierte ein paar⸗ 
mal um den zitternden Hau herum. Er ſah müde und mitge⸗ 
nommen aus von den Strapazen der zwei letzten Tage, da wurde 
es vielleicht nicht ſo ſchlimm. Ich zog ein Paar dicke Handſchuhe 
an, befeſtigte die Peitſche am Handgelenk, ſtopfte ein Taſchen⸗ 
tuch zwiſchen die Zähne und ſprang in den Sattel. Hau gab ein 
Grunzen von ſich und verſuchte, ſich auf die Erde zu werfen, aber 
ich hielt ihn mit Hilfe der Peitſche auf den Beinen. Ein Mann 
kroch heran und loͤſte den Strick, der die Vorderbeine zuſammen⸗ 
hielt, und ich beugte mich vor und riß dem Pferde die Binde von 
den Augen. Hau ſtand immer nur da und zitterte. Die Koſaken 
waren fertig, und ich gab Hau einen Schlag auf das Hinterteil. 
Dann ging es los. Hau ſtieß ein Gewieher aus und machte ein 
paar Sprünge, die Beine ſteif von ſich geſtreckt, den Rücken 
gekrümmt, den Kopf tief zwiſchen den Vorderbeinen. Jeder Stoß 
war für mich wie ein Schlag auf den Kopf; ich begann ſchwindlig 
zu werden und verlor den einen Steigbügel. Da verſetzte ein Some 
rad dem ſpringenden Pferd beherzt einen mächtigen Hieb über das 
Hinterteil, und in wildem Galopp jagte Hau über die Steppe. 
Die Koſaken folgten mit ihren Gäulen Haus Bewegungen, 
hielten aber die ganze Zeit wider, ſo daß ſich ſeine Wildheit 
dämpfte und ſchwächte. Wir raſten im tollſten Galopp über die 
Steppe, und als er regelmäßiger wurde, durchſchnitt ich mit 
meinem Meſſer die Stricke der beiden Koſaken. 


27 


Die Uhr iſt halb acht, riefen fie mir nad)... 

Die Sonne fank, wir glitten durch die Dämmerung und galop⸗ 
pierten in die Nacht hinein. Wir ritten unter dem hellen Sternen⸗ 
himmel, durch Wald und Wieſe und ſchwammen über einen 
kleinen Fluß. Ich verſuchte, den Galopp in Trab zu mäßigen, aber 
jedesmal, wenn ich die Zügel anzog, ſchnaubte Hau und ſtürmte 
mit neuer Kraft davon. Es war im Wald ſo dunkel, daß ich kaum 
feſtſtellen konnte, ob ich auf dem Pfad war, der mich zum Ziele 
führen ſollte. Ich hätte gern die Nacht über irgendwo gelagert, 
aber ich war mir vollſtändig klar darüber, daß ich nie wieder in 
den Sattel käme, wenn ich abſtieg. An manchen Stellen ver⸗ 
zweigte ſich der Weg, und ich konnte nur hoffen, daß wir auf dem 
richtigen weitergaloppierten. Der frühe Morgen graute, ohne 
daß Hau ſeine Geſchwindigkeit mäßigte. Dann ging die Sonne 
auf und warf ihre Strahlen auf das ſchweißgebadete, ftöhnende 
Pferd. Auch an mir lief der Schweiß herunter, und als ich den 
Hut in den Nacken ſchob, flog er mir vom Kopf, und ich wagte 
nicht anzuhalten, um ihn wiederzuholen. Was aber der an⸗ 
ſtrengende Ritt nicht vermocht hatte, das richtete die Sonne aus, 
die am Himmel heraufkam: Haus keuchender Galopp ging mehr⸗ 
mals in langſameres Tempo über, und ſchließlich gelang es mir, 
den Gaul auf einem ſchattigen Fleck zum Stehen zu bringen, 
der das ſaftigſte Grün bot. Das ermattete Pferd ſchwelgte in 
dieſem Futter, ich aber getraute mich nicht, abzuſitzen. Da kamen 
zwei Lamas vorbeigeritten, und ich rief fie an; ich fiel vor Er⸗ 
mattung beinahe aus dem Sattel, und das weiche Gras ſah ſo 
einladend aus. Wir fingen mit der üblichen Begrüßung an, und 
ich erfuhr dann, daß ich auf dem richtigen Weg war und bis zur 
Oros Poſta (ruſſiſche Poſtſtation) nur noch zwölf Werſt hatte. 
Die Uhr war erſt halb acht. Genau zwölf Stunden hatte ich alſo 
von der Farm bis hierher gebraucht. Da verging mir der Wunſch, 
in das ſaftige Grün zu ſinken, vor der verlockenden Ausſicht, 
Khathyl in einer Rekordzeit zu erreichen; eine ſolche Chance 
würde ſich wohl nicht ſo leicht wieder bieten. Hau bekam die 


Serfen in die Weichen, und wir ritten in einem gleichmäßigen, 
leichten Galopp weiter, ber ſich während der letzten Werft beim 
Anblick der blauen, weiten Waſſer des Hubſo⸗gol wieder belebte. 
Schwitzend und ſtaubig kamen Hau und ich bei dem kleinen 
Blockhaus an ber Südfpige des Koſſo⸗gol an, am äußerſten Vor: 
poſten der ruſſiſchen Poſt in dieſer Gegend. Ich bat den ruſſiſchen 
Poſtmeiſter, mir einen Bogen Papier mit dem Stempel der 
Station, mit Datum und Stunde meiner Ankunft zu ſtempeln. 
Mit dieſem Beweis, daß ich die 124 Werft in vierzehn Stunden 
zurückgelegt hatte, konnte ich mir jetzt Zeit nehmen. 

Der Poſtmeiſter Nikolai war ein netter, junger Sibirier mit 
flachsblondem Haar und waſſerblauen Augen. Sein Amt er⸗ 
forderte nicht allzuviel Arbeit, aber man beabſichtigte, Khathyl 
in nächſter Zeit zum Zentrum eines ruſſiſchen Vorſtoßes für 
Handel und Propaganda zu machen. Khathyl ſollte mit Hanga, 
dem Endpunkt des Karawanenweges nach Kultuk, durch Boots⸗ 
verkehr über den Hubſo⸗gol⸗See verbunden werden. Es war eine 
Menge Poſt für uns alle in „Bulgun Tal“ da, und ich ging zum 
See hinunter, um meine Briefe zu leſen. Sie waren wunderbar 
neu, knapp ſieben Wochen alt, und ich ließ Hau in dem grünen 
Gras am Seeufer los, während ich ſie ein zweites Mal durchlas. 
Alle Briefe waren durch die Zenſur gegangen, und ich merkte, 
daß mehrere fehlten, aber ich war froh über das, was ich bekom⸗ 
men hatte. 

Bevor ich in meinen Schlafſack kroch, nahm ich mit Hau ein 
herrliches Bad in den Wogen des Hubfo-gol. 

Am nächſten Morgen kaufte ich bei einem ruſſiſchen Koloniſten 
eine Henne und brach dann in aller Ruhe nach Hauſe auf. 
Ich ritt denſelben Weg, den ich gekommen war, aber alles um 
mich her war mir jetzt bei Tageslicht neu. 

Am Abend des zweiten Tages machte ich in einem ſchoͤnen Flußtal 
nördlich des Paſſes, der nach „Bulgun Tal“ führte, Halt. Die 
Felſen ringsum waren nicht hoch, aber von Wind und Wetter 
maleriſch zerriſſen. An einer Stelle türmte ſich die ſtolzeſte Spitze 


29 


aus weißem glänzenden Marmor aus den broͤckelnden Felſen 
empor. Das Gras längs des Fluſſes leuchtete im Schein der 
ſinkenden Sonne ſmaragdgrün. Am Fuß des Paſſes lag ein 
Mongolenlager mit vier ſchneeweißen Filzzelten. Blauer Rauch 
ſtieg einladend aus der Rauchoͤffnung des erſten Zeltes auf. Am 
Fluß wieherte eine Herde weidender Pferde. Hau wieherte ſehn⸗ 
füchtig zurück. Hier war es zu einladend, um weiter zu ziehen. 
Aus dem Werk „Jabonah“ 
* 


Sven Hedin 
Zu Henning Paslund-Chritfenfens Werk „Jabonah“ 


Jabonah! Aufbruch! iſt der Befehlsruf der Karawanenführer, 
wenn alle Kamele beladen daſtehen und die Pferde geſattelt ſind, 
wenn die Mongolen ſich auf ihre kleinen mageren Roſſe ſchwingen 
und die Karawanenglocken wieder anfangen können, die tauſend⸗ 
jährige Melodie der aſiatiſchen Wüſten und der endloſen Wege 
zu fingen. „Jabonah“ iſt das Wort, das während langer Jahre in 
der Mongolei und in den ſtillen, langſam dahinſchleichenden 
Nächten des Krankenlagers an das Ohr des jungen Dänen klang. 
Für den aſiatiſchen Pionier iſt „Jabonah“ ein Wort, das bis zur 
äußerſten Grenze der Aufnahmefähigkeit mit Elektrizität ge⸗ 
laden iſt. Wenn er es über die ſonnenbeſchienene Steppe hallen 
hört, in eiſig kalten Winternächten, von dem Toſen des Schnee⸗ 
ſturms oder dem Geheul der Wölfe begleitet, auf der Suche nach 
Weide und Waſſer, beim Zuſammentreffen mit gefährlichen 
Räuberbanden, oder wenn freundliche und gaſtliche Mongolen⸗ 
zelte in der Ferne warten — ſtets liegt in dieſem Wort „Jabonah“ 
eine Welt der Begeiſterung, Sehnſucht und Erwartung neuer 
ratfelhafter Abenteuer und wunderbarer Erlebniſſe. 

Henning Haslund macht ſich am 18. Maͤrz 1923 mit feinen drei 
Gefaͤhrten auf den Weg, um nach dem fernſten Oſten zu ziehen. 
In 54 Tagen durchkreuzen ſie mit Teekarawanen, Ochſenkarren 


und Reitern die mongoliſchen Steppen und erreichen Bogdo 
Kure, Urga, wo Bogdo Geken Hutuktu, die dritte der großen 
Inkarnationen des Lamaismus, in ſeinem prachtvollen Tempel⸗ 
palaſt. reſidiert. 

Und dann fängt dieſe wunderbare moderne Robinſonade an. 
Haslund berichtet davon mit einer Begeiſterung, die anſteckt. 
Sie bauen folide Haufer aus ſibiriſchem Holz, fie richten Schlaf: 
räume ein, Gaſträume, Wohnräume und Vorratskammern. Sie 
vergrößern ihre Herden, pflügen, faen und ernten, fangen Pelz 
handel an, machen höchft ſpannende Streifzüge bei 54 Grad Kälte, 
werden von Wölfen verfolgt und erleben eine ununterbrochene 
Reihe von wunderbaren Abenteuern. Sie kommen mit Sojoten 
in Berührung, hoͤren die Sprache der Kiäktburjäten, die dem 
Torgutiſchen ähnlich iſt, ſie reiten durch das Sajaniſche Gebirge, 
das ſich wellenförmig vom Altai abdacht, und am Lagerfeuer 
lauſchen ſie den Erzählungen von dem großen Dſchingis Bogdo 
Khan, deſſen Rieſengeſtalt noch im Steppenland ſpukt. Das 
Ganze iſt die Abenteuerkette einer echt aſiatiſchen Odyſſee, mit 
Leben, Farben und Geiſt eines nordiſchen Wikings erzählt. 


x 


Sort Scheffler 


Die karolingiſchen Laien⸗Baumeiſter 


Den Anfang beſtimmt nie der einſeitig begabte Fachmann, 
ſondern ein allſeitig begabter Laie, der ein Ganzes will und 
deſſen umfaſſende Pläne ſelbſt die Gefahren des Dilettantismus 
nicht ſcheuen. Erfolgreiche Revolutionen werden nicht von 
Berufspolitikern, von diplomatiſch geſchulten Staatsmännern 
gemacht, ſondern von Außenſeitern; in dieſem Sinne konnte auch 
der Grund zu fortwirkenden Kulturen immer nur gelegt werden, 
wenn ſich dem gelehrten Wiſſen und künſtleriſchen Können ſpon⸗ 
tan vorgehende Laienkraft verband. 


81 


Am Anfang der deutſchen Baukunſt ſteht nicht ein Baumeiſter 
oder eine Bauſchule, ſondern ein fürſtlicher Laie; ein autonom 
wollender Bauherr wurde im übertragenen Sinne zum Bau⸗ 
meiſter: Karl der Große. Er hat einer fälligen Entſcheidung den 
Weg gezeigt und ſo mit ſicherer Hand eine tauſendjährige Bau⸗ 
geſchichte eingeleitet. Wie ein vom Geiſt der Geſchichte recht⸗ 
zeitig Beauftragter ſteht er da; er trägt mit Recht den Beinamen 
des Großen, weil eine ſich ſelbſttätig ſteigernde Kultur ihren 
Anfang nahm, als es ihm gelang, aus einem nur ethnographiſch 
zu wertenden Stammesgemiſch eine geſchichtlichen Geſetzen ge⸗ 
horchende Nation zu machen. 

Vor der Regierungszeit Karls des Großen haben die Deutſchen 
von einer Baukunſt und von anderen untrennbar damit ver⸗ 
bundenen Kulturgütern nichts gewußt. Bis zum Ende des achten 
Jahrhunderts haben ſie nicht architektoniſch empfunden. Ihre 
Gottheiten lebten im Walde, es waren Nomadengötter; ihre 
Fürſten waren Häuptlinge noch nicht ſeßhaft gewordener 
Stämme. Jene brauchten nicht den Tempel und dieſe nicht den 
Palaſt. Es gab wenig mehr als eine primitive Verzierungskunſt; 
und darin kam ein Hang zur Abſtraktion, eine Abkehr vom Natur⸗ 
vorbild zum Ausdruck. Das Eigentümlichſte find lineare Orna⸗ 
mente, in denen Naturmotive bis zum Runenhaften verwandelt 
erſcheinen. Über ein Schmücken von Waffen und Gerät gingen die 
Verſuche kaum hinaus. Der alte Götterglaube blieb geſtaltlos; 
ſkulptural wurde er nicht einmal in primitiven Gößenbildern feſt⸗ 
gehalten. Die Wohnhäuſer waren aus Flechtwerk und Holz ge⸗ 
macht; die Fähigkeiten reichten beſten falls bis zur Bearbeitung 
des Holzes, der Stein war noch ein fremdes Material. Selbſt 
jahrhundertelange Berührungen mit der Römerwelt haben daran 
nichts geändert, obwohl die alte lateiniſche Kultur den Deutſchen 
Beiſpiele reifer Baukunſt vor Augen ſtellte. Die Bewohner 
Germaniens müſſen den antiken Kaſtellen und Bädern, den 
fremden Trachten und Gewohnheiten mit einem dumpf ableb⸗ 
nenden Staunen gegenübergeſtanden haben. Wie Halbwilde 


32 


Sunugrse uaplyoBuow vuan una ng 


289 8 saquaziayg 


ihre Eroberer und Unterdrücker anſtarren — ohne Ehrgeiz, ohne 
Nachahmungsluſt. Selbſt die, die in Italien Kriegsdienſte geleiſtet 
hatten und zurückkehrten, vergaßen eilig und wie erlöft von einer 
zu hohen Forderung die Kulturwunder der füdlicheren Welt. 
In der Folge iſt die Zeit der Völkerwanderung den um ihr Daſein 
kämpfenden Deutſchen zu einer Epoche jungen Heldentums ge⸗ 
worden. In den Begebenheiten dieſer Zeit wurzeln viele Helden⸗ 
ſagen und Volksepen. Dennoch hat ſich eine höhere Auffaſſung 
der bildenden Kunſt auch jetzt nicht entwickelt. Der ſogenannte 
Völkerwanderungsſtil iſt immer noch eine Verzierungskunſt; er 
gibt ſich in einem Formendialekt, der aus Fremdartigem gemiſcht 
iſt, aus Motiven der Spätantike und des Orients. In den Hän⸗ 
den ziemlich roher Kunſthandwerker iſt dieſes Kunſtgewerbe zu 
Ausfuhrartikeln ſpekulierender Händler geworden. Die Metall: 
arbeiten, Kerbſchnitte und Schmuckſachen waren von vornherein 
für „Barbaren“ beſtimmt; und ſie wurden nicht beſſer, als ſie 
in Deutſchland nachgeahmt wurden. Das Eigentümlichfte der 
nordiſchen Kunſt dieſer Zeit wird anſchaulich in den alten ſkan⸗ 
dinaviſchen Schiffsſchnäbeln. Sie haben eine gewiſſe Verwandt⸗ 
ſchaft mit dem, was man von Beiſpielen ozeaniſcher Kunſt in den 
Muſeen für Völkerkunde findet. Primitive Völker find einander 
in ihrem künſtleriſchen Tun ja ähnlich verwandt, wie es die 
Kinder aller Zeiten und Länder in ihren Zeichnungen ſind. Im 
ganzen muß dieſe Stufe immer noch als vorgeſchichtlich bezeich⸗ 
net werden. 

Ein geſchichtliches Leben und damit auch ein Erwachen zur 
Kunſt beginnt erſt mit dem Chriſtentum. Darauf haben die 
Deutſchen — wie alle Völker Nordeuropas — gewartet wie auf 
ein Stichwort; das Chriſtentum hat ihnen den Segen der Form 
gebracht. Eine deutſche Baukunſt konnte erſt entſtehen, als ein 
Gott verehrt wurde, der in einem Sakralgebäude wohnte; damit 
wurde dann aber auch gleich eine ganze Architekturbewegung ins 
Leben gerufen. Als das Chriſtentum nach Deutſchland kam, war 
es ſeit Jahrhunderten ſchon in den von Konſtantin dem Großen 


chriſtianiſierten Weſt⸗ und Oftrömifchen Reichen feft ber Staats: 
idee verbunden. Es kam darum nach Deutſchland ſchon als Staats⸗ 
gedanke. Dieſer Gedanke aber wirkte mit Gewalt dahin, die 
deutſchen Stämme endlich und endgültig ſeßhaft zu machen, 
eine Zentralmacht zu gründen und damit die Vorbedingungen 
einer Kultur zu ſchaffen. Es waren zwei Seiten derſelben Sache, 
wenn hier die Kirche und dort der Kaiſer architektoniſch repräſen⸗ 
tieren wollten. 

Zum zweitenmal kam die Spätantike nun zu den Deutſchen. 
Doch kam ſie jetzt als frühchriſtliche Kunſt mit grundfäglich 
gewandelten Formen. Das junge Chriſtentum hatte die Antike 
ihrer reichen Sinnenfreude entkleidet, das üppige plaſtiſche Gefühl 
hatte ſich in ein neu beſeeltes Flaͤchenleben verwandelt, der 
Dekorationsdrang war dem Wunſch gewichen, bedeutſam zu er⸗ 
zählen, das weltlich Repräſentative hatte ſich umgeſtaltet in ein 
Geiſtliches. Aus einer Genußkunſt war eine religiofe Geſinnungs⸗ 
kunſt geworden, die auf Volkstuͤmlichkeit abzielte und auf jenen 
merkwürdigen Sozialismus der Seele, der im Gefolge der Evan⸗ 
gelien einhergeht. Dieſe neue, von der Antike abgeleitete Kunſt 
erteilte den Gläubigen Bilderunterricht an den Kirchenwänden. 
In das einſt imperialiſtiſch Großartige kam etwas popular Pri⸗ 
mitives, das ſich an eine Gemeinde von niedrig Geborenen wandte 
und wohl geeignet war, nationale Eigenart aufzunehmen und zu 
verarbeiten. Der prunkvolle Säulentempel reizte nicht mehr, 
die rieſigen Gewoͤlbebauten der Amphitheater und Thermen ent⸗ 
ſprachen nicht laͤnger dem Bedürfnis, die weltlich ſtolzen Triumph⸗ 
bögen wurden gar als Teufelswerk verabſcheut. Statt deſſen 
entwickelte ſich puriſtiſch ein neuer Sakralbau — zuerſt nur ge: 
duldet und darum weit hinaus an die Stadtperipherie „fuori 
le mura“ gedrängt —, der wenig Wert auf Faſſadenwirkung 
legte, um ſo inbrünſtiger aber das Innere des Heiligtums ausge⸗ 
ſtaltete. Die frühchriſtliche Kunſt war arm im Vergleich zur an⸗ 
tiken Kunſt; die mageren neuen Formen aber ſprachen wieder 
unmittelbar, ſie waren von Gefühl beſeelt. Und ſie wirkten um 


84 


fo eindringlicher, als ein orientaliſcher Einſchlag hinzukam, der 
das antik Abgeleitete in einer ſeltſamen Weiſe romantiſierte. 

Dieſes war im weſentlichen das Material fuͤr eine deutſche Bau⸗ 
kunſt, das Karl der Große vorfand, als er daran ging, einen 
mitteleuropäifchen Gottesſtaat zu ſchaffen. Klar muß er die 
Notwendigkeit erkannt haben, die Deutſchen kulturell produktiv 
zu machen; und ebenſo klar muß es ihm geweſen ſein, daß dieſes 
bei der Lage der Dinge nur zu verwirklichen war, wenn den Deut⸗ 
ſchen auf dieſer Morgenſtufe ihrer Geſchichte Beiſpiele des Moͤg⸗ 
lichen und Wünſchenswerten vor Augen geſtellt wurden, wenn ſie 
gewiſſermaßen zu einem Eklektizismus verführt wurden, der ſie erſt 
einmal mit dem Material, mit den Formen und mit dem Sinn der 
Kunſt bekannt machen mußte. Es galt vor allem über die Grenze 
hinwegzukommen, die den Barbaren vom Kulturmenſchen ſcheidet, 
die ſtets und überall Volkskunde von Geſchichte trennt. Karl ſelbſt 
hat offenbar ein ihm angeborenes ſtarkes Kunſtgefühl in Italien 
erzogen — nicht zuletzt in Ravenna, wo ſich das Frühchriſtliche 
im unmittelbaren Kontakt mit dem Orient reich und eigentüm⸗ 
lich entfaltet hat. Er war ein Cafarengeift, der realiſtiſch dachte 
und der das Kaiſertum auf nordiſcher und chriſtlicher Grundlage 
neu gründen wollte. Um ihn richtig zu ſehen, muß man ſeine 
Geſtalt entidealiſieren, das heißt, man muß ihr das Sagenhafte 
nehmen und den lang wallenden Legendenbart, für den die 
Deutſchen nun einmal eine Schwäche haben. Er gewinnt dabei. 
Ein höchſt lebendiger Menſch kommt zum Vorſchein, ſtark in 
ſeinen Begierden und noch wie von barbariſcher Wildheit erfüllt, 
aber auch ſchon von feiner Sitte, heiter und geiſtvoll, würdig 
des Beinamens „David“, den ſeine Tiſchgenoſſen ihm verliehen 
hatten, ein ſtarker, ſchoͤner Mann, der Muſik, Dichtung, Kunſt, 
ſchoͤne Form und edle Bildung um ſo mehr liebte, als er ſich alles 
autodidaktiſch hatte erwerben müſſen, ein „aufgeklaͤrter Deſpot“, 
weil er der freieſte Geiſt ſeines großen Reiches war, ein guter 
Freund und ein ſchlimmer Feind, eine Perſoͤnlichkeit, die eine 
Syntheſe in ſich trug und darum kühn ſein konnte, ein Menſch 


mit der Naivität eines Künſtlers. Als er, dem politiſches und 
künſtleriſches Denken eines war, unbekümmert aus Orient und 
Okzident nahm, was das neue Reich brauchte, kam er einem 
Weſenszug der Deutſchen entgegen, der in der Folge ihrer ganzen 
Geſchichte das Gepräge gegeben hat: es iſt ein Dualismus, ein 
Kampf zweier Seelen, der darin beſteht, daß gleich heftig das ganz 
Eigene und das Fremde und Ferne gewollt wird; es iſt ein inneres 
Verlangen, ſich durch einen Anſtoß von außen und durch eine 
Sehnſucht in die Ferne in Bewegung ſetzen zu laſſen. Das Talent 
des Deutſchen in allem Künſtleriſchen — und darüber hinaus — 
hat nicht eigentlich Initiative; es iſt mehr rezeptiv als ſpontan. 
Die Deutſchen ſind nicht ſo ſehr Aufſpürer als vielmehr Ver⸗ 
tiefer; fie Eönnen lichterloh brennen, aber erſt wenn ein fremdes 
Streichholz gezündet hat. Dann freilich übertreffen fie nicht 
ſelten den Anreger. Die Deutſchen ſind, um ein Wort Schillers 
zu brauchen, ein langſames Volk. Darum war das Verfahren 
Karls, die Deutſchen zur Kunſt zu erziehen, indem er die nachkon⸗ 
ſtantiniſche frühchriſtliche Kunſt aus Norditalien an den Rhein 
brachte, pſychologiſch richtig. Sein Verfahren iſt eine Renaiſ⸗ 
ſance genannt worden, doch läßt es ſich beſſer als Eklektizismus 
bezeichnen. Eklektizismus iſt keineswegs immer ein Zeichen von 
Erſchöpfung, es kann auch ein Anfang ſein. Und hier war es ein 
Anfang. Der Kaiſer bildete in ſeinem zu großen Teilen noch 
heidniſchen Reich eine Akademie — eine einzige —, deren Leiter 
und Inſpirator er war. Es war ein Kloſtergedanke darin, ſie hatte 
etwas von einer Tafelrunde, und es waren auch Elemente der 
helleniſtiſchen Akademie darin enthalten. Karl verſammelte die 
Begabteſten, Gebildetſten und Freieſten ſeiner Zeit und ſeines 
Reiches zur gegenſeitigen Befruchtung. Gleiche Urſachen er⸗ 
zeugen ähnliche Wirkungen; darum läßt dieſe karolingiſche Aka⸗ 
demie, die zur Keimzelle wurde, an jene deutſchen Akademieen 
denken, die nach dem Dreißigjährigen Krieg gegründet wurden, 
als Deutſchland leer war an Künſtlern, Handwerkern und Ge⸗ 
lehrten, als das fremde Vorbild wieder einmal zur Belebung und 


Erziehung herbeigezogen werden mußte und der Import auslän⸗ 
diſcher Beiſpiele zu einer Lebensfrage wurde. Es iſt bezeichnend, 
daß damals, in der Barockzeit, unter den Baumeiſtern die Ge⸗ 
ſtalt des „Kavalierarchitekten“ typiſch geworden iſt; das war eine 
Perſoͤnlichkeit, die ein gebildeter und begabter Fachmann, ein 
Techniker, Feſtungsingenieur, Hofmann, Politiker und Staats⸗ 
mann in einem war, ſowohl dienſtlich wie freundſchaftlich ſeinem 
Fürſten feſt verbunden. Von dieſen Kavalierarchitekten findet 
man einige Züge wieder in den SPerfönlichkeiten der Umgebung 
Karls des Großen. Man mag entfernt an die Tafelrunde des 
jungen Friedrich in Rheinsberg und Sansſouci denken; was dort 
die franzöſiſche Sprache, das war hier die lateiniſche. Das End: 
ziel war in beiden Fällen die Aufzucht deutſcher Kultur. Wie 
Karl der Große im Kreiſe ſeiner ihm befreundeten Mitarbeiter 
über Fragen des Kirchenregiments beriet, wie er dort politiſche 
Fragen behandelte, Probleme der Geſchichtsſchreibung und 
der Sprache oder der Wirtſchaft, des Handwerks und der Land⸗ 
wirtſchaft, ſo ſtellte er auch die Fragen der Muſik und der Kunſt 
zur Diskuſſion. In ſeiner Akademie war jeder Geiſtliche ein 
Staatsmann, und Staatsmänner wurden in vielen Fällen zu 
Laiendbten ernannt; wer im kleineren oder größeren Kreis rez 
gierte, wurde auch zum Geſchichtsſchreiber der Zeitbegebenheiten, 
der Gelehrte blieb nicht in der Stube, ſondern betätigte ſich 
praktiſch an Staatsaufgaben. Alle aber wurden zu Bauherren; 
und dieſe Bauherren, in Italien gebildet, beherrſchten die Ma⸗ 
terie ſo gut, daß ſie ihre eigenen Baumeiſter ſein konnten. Von 
der Hofakademie aus ging dieſer fruchtbare ſynthetiſche Geiſt 
auf die Klöfter über, auf die Biſchofſitze und die Grafen. Alle 
dieſe Männer, die Abteien leiteten, den Kaiſer politiſch berieten, 
Heldenſagen ſammelten, Muſik trieben, Schulen einrichteten, 
das Handwerk zur Leiſtungsfähigkeit erzogen, ein neues Recht 
ſchufen und leidenſchaftlich mit dem Bau von Kirchen und 
Pfalzen beſchäftigt waren, ſind als Laien anzuſprechen. Es gab 
noch nicht den ſpezialiſierten Fachmann. Alle glichen mehr oder 


37 


weniger jenem Einhard, der in einer Kloſterſchule erzogen worden 
war, der dann in Fulda Abt wurde, der mit beſonderem techniſchen 
Talent viele Bauten leitete, der den Kaiſer in politiſchen Fragen 
beriet, eine Lebensgeſchichte des kaiſerlichen Freundes ſchrieb 
und Oberaufſeher der Kunſtwerkſtätten in Aachen war. Die 
Männer waren ſo, wie der geſchichtliche Augenblick ſie brauchte: 
ihre Aufgabe beſtand darin, eine Brücke zu ſchlagen und deutſche 
Volkskraft durch die Berührung mit lateiniſcher Kultur zur Ent⸗ 
wicklung zu bringen. Es gibt Stimmen, die erklaͤren, dieſer ge⸗ 
ſchichtliche Vorgang ſei fur die Deutſchen ein Unglück geweſen. 
Sie haben unrecht: mit innerer Notwendigkeit hat ſich vielmehr 
ein Schickſal erfüllt. Karl der Große hat die Deutſchen gezwun⸗ 
gen, ſich auf ſich ſelbſt zu beſinnen, als er die erſte große Ausein⸗ 
anderſetzung mit der antiken Kultur erzwang, als er das Chriſten⸗ 
tum ausbreitete, Kirchen und Palafte zwiſchen Metz und Aachen 
baute, das Kloſterweſen entwickelte und die Klöfter zu Schulen 
für Religion, Kunſt, Wiſſenſchaft, Handwerk, Gewerbe und 
Landwirtſchaft machte. Der Kaiſer hat alles in Bewegung ge⸗ 
ſetzt, als er das Heilige mit dem Profanen feſt verband und in 
ſeinem Reiche der erſte große Laien⸗Baumeiſter wurde. 


* 


Georg Trakl: Drei Gedichte 


Frauenſegen 


Schreiteſt unter deinen Fraun, 

Und du lachelft oft beklommen: 
Sind ſo bange Tage kommen. 

Weiß verblüht der Mohn am Zaun. 


Wie dein Leib fo fehon geſchwellt 
Golden reift der Wein am Hügel. 
Ferne glänzt des Weihers Spiegel, 
Und die Senſe klirrt im Feld. 


88 


In den Büfchen rollt der Tau, 

Rot die Blätter niederfließen. 
Seine liebe Frau zu grüßen, 

Naht ein Mohr dir braun und rauh. 


Geiſtliches Lied 


Zeichen, ſeltne Stickerein 

Malt ein flatternd Blumenbeet. 
Gottes blauer Odem weht 

In den Gartenſaal herein, 
Heiter ein. 

Ragt ein Kreuz im wilden Wein. 


Hör im Dorf ſich viele freun, 
Gärtner an der Mauer mäht, 

Leiſe eine Orgel geht, 

Miſchet Klang und goldenen Schein, 
Klang und Schein. 

Liebe ſegnet Brot und Wein. 


Mädchen kommen auch herein, 
Und der Hahn zum letzten kräht. 
Sacht ein morſches Gitter geht, 
Und in Roſen Kranz und Reihn, 
Roſenreihn, 

Ruht Maria weiß und fein. 


Bettler dort am alten Stein 
Scheint verſtorben im Gebet, 
Sanft ein Hirt vom Hügel geht, 
Und ein Engel ſingt im Hain, 
Nah im Hain, 

Kinder in den Schlaf hinein. 


89 


Im Frühling 


Leiſe ſank von dunklen Schritten der Schnee, 
Im Schatten des Baums 
Heben die roſigen Lider Liebende. 


Immer folgt den dunklen Rufen der Schiffer 
- Stern und Nacht; 
Und die Ruder ſchlagen leiſe im Takt. 


Balde an verfallener Mauer blühen 
Die Veilchen, 
Ergrünt ſo ſtille die Schläfe des Ein ſamen. 


x 


Rüdiger von Bechelaren 


Unterdes ſie ſtritten, kam Herr Rüdiger von Bechelaren zu Hofe 
und ſah das große Leid auf beiden Seiten. „O weh mir!“ ſprach 
der treue Recke, „daß ich dieſen Jammer erleben mußte. Wie 
gern ich Frieden ſchüfe; der König tut es nicht, ſo ſehr quält ihn 
das Unglück ſeiner Freunde.“ Rüdiger ſandte zu Dietrich, ob ſie 
es noch einmal bei den Ronigen verſuchen ſollten; aber der Berner 
ließ ihm antworten: „Wem möchte das gelingen? König Etzel 
will ſich nicht verfühnen laſſen.“ 

Ein Heunenrecke ſah Rüdiger ſtehen und weinen; er ſprach zur 
Königin: „Seht Ihr, wie dieſer ſteht, der in Etzels Lande die 
groͤßte Macht an Burgen und Mannen hat? Noch ſchlug er in 
dieſen Stürmen keinen Schlag. Mich dünkt, daß ihn wenig küm⸗ 
mert, was hier geſchieht, und doch ſagt man von ihm, er ſei kühner 
als ſonſt einer.“ Traurigen Herzens hörte der adelige Rüdiger 
des Heunen Rede und dachte: Das ſollſt du mir büßen! Du 
ſchiltſt mich feig und haft dein Sprüchlein allzu laut geſagt vor 
der Königin. Er ballte die Fauſt und ſchlug den Heunen, daß er 


40 


ihm wie tot zu Füßen fiel. „Fahr hin! du feiger Schuft,“ ſprach 
Rüdiger, „mir iſts bitter genug, daß ich nicht mitkämpfen kann. 
Wes zeihſt du mich? Alles, was ich konnte, möchte ich ihnen tun, 
hatt ich nicht ſelbſt, als ihr Geleiter, fie ins Land geführt.” 
Da ſprach König Etzel zu dem Markgrafen: „Wie habt Ihr uns 
geholfen, adeliger Rüdiger? Der Toten haben wir genug, Ihr 
ſolltet ſie nicht mehren.“ Antwortete der Markgraf: „Er trat 
mir aufs Herz und zieh mich alles deſſen, was ich von Euch 
empfing; das iſt dem Lügner nun vergolten.“ Auch die Königin 
hatte geſehen, was geſchah; mit naſſen Augen klagte ſie: „Wie 
verdienten wir, daß Ihr mein und des Könige Leid mehrt? Wohl 
gelobtet Ihr uns, alles, Ehr und Leben, für uns zu wagen. Ich 
mahne Euch der Dienſte, die Ihr mir geſchworen habt, als Ihr 
mir zu Etzel rietet: daß Ihr mir dienen wolltet bis in den Tod.“ 
„Ich leugne nicht, daß ich Euch ſchwur, adelige Frau,“ ſprach 
Rüdiger, „Ehr und Leben für Euch zu wagen. Daß ich die Seele 
verlöre, das ſchwur ich Euch nicht. Ich war es doch, der die 
Fürſten zu Euerm Hoffeſt führte.” 

Sie ſprach: „Nun gedenke der Treue, die du mir geſchworen haſt! 
Der feſten Eide, daß du all mein Leid rächen wollteſt!“ Da 
ſprach der Markgraf: „Ich hab Euch ſelten etwas verſagt.“ Nun 
begann auch König Etzel zu flehen; er und Kriemhild warfen ſich 
Rüdiger zu Füßen. Traurig ſprach der Treue: „O weh mir 
Gottes Armen! All meiner Ehren, meiner Treu und Ritterſchaft 
muß ich entſagen. Wollte mein Tod doch alles wenden! Laß ich 
eines und tu das andere, ſo hab ich feig und übel getan. Laß ich 
beides, ſo fluchen mir alle.“ 

Der König und fein Weib ruhten nicht zu bitten; immer noch 
hätte Rüdiger ihnen den Kampf gern abgeſchlagen, denn er ſah 
wohl, welchen Schaden für die Freunde und ſich ſelbſt er ſtiften 
würde. Alſo ſprach er zu dem König: „Herre, nehmt alles wieder, 
was ich von Euch habe, Land und Burgen, und laßt mich auf 
meinen Füßen ins Elend gehen!“ Da ſprach der König: „Wer 
hülfe mir dann? Ich will dir noch mehr Land und Burgen 


4 


geben, du follft ein gewaltiger König werden neben mir; nur 
räche mich an meinen Feinden!“ Rüdiger ſprach: „Wie ſoll 
ichs enden? Ich lud ſie in mein Haus, ich bot ihnen Trank und 
Speiſe, und nun ſoll ich zu ihrem Tod helfen! Mögen die 
Heunen mich feige ſchelten, fo hab ich doch dem Konig nie einen 
Dienſt verſagt. Wie reut mich nun die Freundſchaft mit ihnen! 
Jung Giſelher gab ich meine Tochter; wem hätte ich fie beſſer 
geben können, denn an Ritterſchaft und Ehre iſt keiner reicher 
als er.“ 

Da ſprach Kriemhild: „Vieledler Rüdiger, laß dich mein und 
des Königs Schmerz erbarmen! Gedenke, daß nie ein Wirt 
üblere Säfte empfing!“ Da ſprach der Markgraf: „Heute muß 
Rüdiger mit dem Leben zahlen, was Ihr und ſein Herr ihm 
Gutes taten. Heute müſſen mein Land und Burgen ihren Herrn 
verlieren. Drum befehl ich Weib und Kind und alle, die ich 
heimatlos in Bechelaren laſſe, Eurer Gnade.“ „Das lohn dir 
Gott! Herr Rüdiger“, ſprach der König; er und Kriemhild 
waren beide froh. „Die Deinen ſollen uns befohlen ſein; doch 
trau ich meinem Glück, daß du geſund aus dem Streit kehrſt.“ 
Da ſprach der Markgraf Rüdiger: „Ich muß Euch leiſten, was 
ich gelobte. O weh meiner Freunde! wider die ich ungern ſtreite.“ 
Traurig ging er von dem König und kam zu feinen Recken; er 
ſprach: „Ihr ſollt euch waffnen, all meine Mann! Zu meinem 
großen Leid muß ich wider die Burgonden ſtreiten.“ 

Sie riefen nach Helm und Rand. Mit zwölf über fünfhundert 
Recken waffneten ſie ſich: bald ſah man ſie unter Helmen, ſie 
trugen die lichten Schilde und die ſcharfen Schwerter. Als der 
Fiedler das ſah, erſchrak er in großem Leide. Auch der junge 
Giſelher ſah ſeinen Schwäher kommen mit gebundenem Helm; 
wie mochte er anders denken, als daß es Gutes künde! So 
ſprach er froͤhlichen Muts: „Wohl mir der Freunde! die wir 
auf der Fahrt gewannen. Nun kommt uns zugute, daß ich 
ein Weib gewann!“ „Ich weiß nicht, was Ihr hofft,“ ſprach 
der Spielmann, „wo ſahet Ihr jemals Helden mit gebundenen 


42 


Helmen zu einer Sühne fchreiten, das Schwert in der Hand? 
Rüdiger will Land und Burgen, die ihm Etzel gab, an uns ver⸗ 
dienen.“ 

Rüdiger war derweil vor das Haus gekommen; er ſetzte den 
guten Schild vor den Fuß; Gruß und Frieden mußte er ſeinen 
Freunden verſagen. Er rief in den Saal: „Ihr kühnen Nibe⸗ 
lunge, nun wehrt euch, was ihr konnt! Ich ſollte euch ſchirmen, 
nun will ich euch ſchaden; bis jetzt waren wir Freunde, nun will 
ich meiner Treue ledig ſein.“ 

Wie erſchraken da die Nothaften! Sie ſollten ſtreiten mit dem, 
der ihnen teuer war. Hatten ſie von ihren Feinden nicht genug 
Trübſal erduldet? „Nun wolle Gott, daß Ihr Euch gnädig gegen 
uns erzeigtet!“ rief der König Gunther. „Gedenkt der großen 
Treue, die wir zu Euch tragen!“ „Ich kanns nicht wenden,“ 
ſprach der Markgraf, „ich muß mit euch ſtreiten, wie ichs ge⸗ 
ſchworen habe. Drum wehrt euch! ihr kühnen Helden, ſo lieb 
euch das Leben iſt. Konig Etzels Weib wollte mirs nicht erlaſſen.“ 
„Ihr widerſagt uns gar fpat,” ſprach der König; „möge Gott 
Euch vergelten, was Ihr uns Gutes erwieſen habt. Gedenkt, 
daß Ihr es wart, der uns in Etzels Land führte!“ „Wie wohl 
gönnte ich euch die Heimkehr,“ antwortete Rüdiger; „dürfte ich 
euch noch länger dienen und euch noch reichere Gabe bieten, wenn 
keiner mich darob ſchelten könnte!“ „Laßt ab von uns, adeliger 
Rüdiger,“ ſprach Gernot; „niemals geſchah elenden Gäſten 
mehr Liebe, als Ihr an uns tatet. Das wollen wir Euch immer 
danken, wenn wir am Leben bleiben.“ „Wollte Gott, daß ihr 
am Rheine wart, und ich läge hier in Ehren tot!“ ſprach Rüdiger. 
„Mich würde Euer Tod gar reuen“, ſprach Gernot. „Hier trag 
ich das Schwert, guter Held, das Ihr mir gabt. Nie verſagte es 
mir in dieſer Not, und mancher ſtarb von feiner Schärfe; lauter 
iſt es und feſt, herrlich und gut. Aber wenn Ihr nicht abſtehen 
wollt von uns, und ſchlügt Ihr mir einen der Freunde, die ich 
noch habe, ich nahme Euch das Leben mit Eurem eignen Schwert. 
Leid wars mir um Euch und um Euer ſchoͤnes Weib.“ „Wollte 


48 


Gott, Herr Gernot, daß alles nach Eurem Willen gefchähe und 
Ihr, ſamt Euren Freunden, geſund bliebet! Weib und Tochter 
wollte ich Eurer Treue befehlen.“ 

Da ſprach Herr Giſelher, der ſchönen Ute Kind: „Warum tut 
Ihr das? Herr Rüdiger. Alle, die mit uns kamen, ſind Euch gut. 
Ihr handelt übel, wolltet Ihr Eure ſchoͤne Tochter fo früh zur 
Witwe machen.“ „Gedenkt Eurer Treue! vieledler König, und 
wenn Euch Gott geſund von hinnen ſendet, ſo laßt die Jungfrau 
mein Tun nicht büßen.“ „Das tät ich gern,“ ſprach Jung Giſel⸗ 
her, „aber wenn einer von meinen Freunden, die noch leben, von 
Euch ſtürbe, ſo müßte die Freundſchaft zu Euch und Eurer 
Tochter ein Ende haben.“ 

Sie hoben die Schilde und drängten hinauf zu Kriemhilds 
Saal. Da rief Hagen laut die Stiege hinab: „Wartet eine 
Weil! vieledler Rüdiger, wir wollen mehr reden. Mich und 
meine Herren zwang die Not. Was kann unſer Tod König Etzel 
helfen? Auch ſteh ich in großer Sorge: den Schild, den Frau 
Gotelind mir gab, haben die Heunen mir vor der Hand zer⸗ 
hauen. Dürfte ich den Schild führen, den du vor Händen haft, 
vieledler Rüdiger, ich brauchte im Sturme keiner Halsberge.“ 
„Gern hülf ich dir mit dem Schilde,“ ſprach der Recke, „wagte 
ich es vor Kriemhild zu tun. — Doch, nimm ihn hin! Hagen, 
und trag ihn an der Hand. Möchteft du ihn heimfuͤhren an den 
Rhein!“ 

Viele Augen wurden naß, als er ihm den Schild ſo willig ließ; 
es war Rüdigers letzte Gabe, die er einem Recken bot. Wie 
grimmig und hart Hagen auch war: die Gabe rührte ihn, die der 
gute Held ihm bot vor ſeiner letzten Stunde. „Den Schild lohn 
Euch Gott! adeliger Rudiger. Wie du hat noch kein Degen 
elenden Recken gegeben. Daß Ihr mit uns ſtreiten müßt, das 
ſei Gott geklagt; doch was immer dieſe hohen Recken an dir tun: 
meine Hand wird dich im Streite nicht berühren, und erſchlügſt 
du die Burgonden alle.“ Mit Dank neigte der gute Rüdiger ſich 
da vor Hagen; alle weinten, daß niemand dieſes große Herzeleid 


44 


abwenden könnte. Da ſprach der Spielmann Volker: „Weil mein 
Geſelle Hagen Euch Frieden bot, ſollt Ihr auch von mir feſten 
Frieden haben. Das habt Ihr verdient, als wir in dieſes Land 
kamen.“ 


Rüdiger hob den Schild, der Streitzorn ertobte in ſeiner Bruſt, 
ritterlich lief er zu den Gaften und ſchlug manchen raſchen Schlag. 
Volker und Hagen wichen zurück, aber Rüdiger fand noch ſo 
manchen Kühnen vor dem Saal, daß er den Streit mit Sorgen 
begann. Aus mordlichem Willen ließen Gunther und Gernot die 
Stürmenden in den Saal. Giſelher hielt ſich auch zurück, den 
Markgrafen zu meiden. 

Hinter ihrem Herrn ſprangen die Mannen kühnlich an die Feinde, 
von den ſcharfen Waffen in ihren Händen barſten viel Helme 
und mancher gute Schild. Auch die müden Burgonden ſchlugen 
manchen harten Schlag durch lichte Ringe und ſtanden herrlich 
im Sturme. Als die Mannen von Bechelaren im Saale waren, 
ſprangen Hagen und Volker zu, ſie gaben niemand Frieden als 
dem einen, von ihren Händen floß das Blut durch die Helme. 
Die Schildſpangen brachen von grimmen Schlägen, die edlen 
Steine fielen in das Blut: fo grimmig hatten fie noch nicht ges 
ſtritten. 

Der Vogt von Bechelaren ſchritt im Sturme hin und wider; 
wohl wies er an dieſem Tag, daß er ein Recke war, der ſchwerlich 
ſeinesgleichen hat. Viel der Burgonden ſtarben von ſeiner Hand. 
Das ſah ein Burgonde, und großer Zorn ſprang ihn an: der 
ſtarke Gernot wars, der rief den Helden an: „Ihr wollt mir der 
Meinen keinen leben laſſen, vieledler Ruͤdiger, das ſchmerzt mich 
ſo bitterlich, daß ichs nicht länger ſehen kann. Drum muß Eure 
Gabe Euch jetzt zu Schaden kommen. Wendet Euch her! Ich 
will ſie an Euch verdienen, wie ich kann.“ 

Lichte Ringe mußten rot werden, eh die zwei Streitkühnen 
zueinander kamen. Jeder ſchirmte ſich mit dem Schilde vor des 
andern ſcharfem Schwert. Da ſchlug Rüdiger Gernot durch den 


45 


ſteinharten Helm, aber raſch vergalt der ihm den Schlag: Nü- 
digers Gabe ſchwang er hoch in der Hand und gab ihm die Todes⸗ 
wunde. So fielen Rüdiger und Gernot in einem Sturme, einer 
von des andern Hand. 

Als Hagen den großen Schaden ſah, ergrimmte er erſt recht; 
er rief: „Ihrer beider Tod frommt uns übel, keiner kann uns den 
Schaden vergüten; drum müſſen Rüdigers Mannen uns Elen⸗ 
den zu Pfande werden.“ „O weh meines Bruders!“ ſprach der 
Koͤnig Gunther, „das Unglück ſucht uns heim, auch des adeligen 
Rüdiger Tod wird mich immer reuen. Wir leiden Schmerz und 
Schaden auf beiden Seiten.“ Als Giſelher feinen Schwaͤher tot 
ſah, da mußten, die noch drinnen waren, große Not von ihm 
leiden: grimmig ſuchte der Tod ſein Geſinde, und keiner von 
Bechelaren blieb am Leben. 

Gunther und Giſelher, Hagen und Volker gingen zu den zwei 
Toten; da hörte man die ſtarken Helden klagen und weinen. „Der 
Tod beraubt uns ſchmerzlich“, ſprach Jung Giſelher. „Doch laßt 
euer Weinen und tretet hinaus, daß der Wind uns Sturm⸗ 
müden die Ringe kühle. Noch lange zu leben, iſt uns nicht ver⸗ 
gönnt.“ 


Wieder ruhten die Recken: den ſah man ſitzen, den andern lehnen. 
Rüdigers Helden lagen alle tot. Das Toſen ſchwieg, die Stille 
war ſo groß, daß Etzel zu ſorgen begann. „O weh!“ ſprach die 
Königin, „Rüdigers Treue iſt nicht ſo feſt, daß unſere Feinde ſie 
mit dem Leben zahlen müßten. Er will ſie wohl heimbringen ins 
Burgondenland. Was half uns, König Etzel, daß wir alles mit 
ihm geteilt haben? Der Held, der uns rächen follte, hat ung übel 
getan; er will Frieden ftiften.” 

Der Königin antwortete der kühne Volker: „Es iſt nicht fo, wie 
Ihr ſagtet, adelige Königin; dürfte ich Euch Lügen ſchelten, 
vieledle Frau, müßt ich ſagen, Ihr hättet auf Rüdiger gelogen: 
er und die Seinen alle ſind um die Sühne betrogen. Willig tat 
er, was der König Etzel ihm gebot; nun liegt er hier erſchlagen. 


Schaut Euch um! Herrin Kriemhild, wem Ihr noch gebieten 
wollt! Rüdiger diente Euch bis an ſein Ende; wollt Ihrs nicht 
glauben, fo wird mans Euch ſehen laſſen.“ 

Das geſchah zu ihrem großen Herzeleid: ſie hoben den boten 
Helden, daß der König ihn ſah; nie geſchah Etzels Degen ſo 
grimmes Leid. Wer möchte ſagen, wie weh ihnen war, als ſie 
den Markgrafen tot ſahen! Etzels Jammer war ſo groß, daß 
feine Klage erſcholl gleich eines Lowen Stimme; auch fein Weib 
jammerte in herztiefem Weh über des guten Rüdiger Tod. 


* 


Das Kind unter den Wölfen 


Berchtung wurde heimlich zu dem König gerufen; der ſprach mit 
Jammern zu ihm: „Du ſollſt mein junges Kind töten, fo heimlich, 
daß niemand es erfährt.” Da ſprach der Getreue: „Davor behüt 
mich Gott! Ich will an ſeinem Tod nicht ſchuldig werden.“ 
Sprach der König: „Gedenk, daß du mein treueſter Diener biſt! 
Widerſtehſt du aber meiner Bitte, ſo muß unſere Treue ein Ende 
haben. Du haft auf Lilienprote ein ſchoͤnes Weib und ſechzehn 
ſchoͤne Söhne, die heiß ich alle an deine Zinnen henken, dich aber 
allererſt.“ Da dachte der Getreue: Er iſt böſen Muts. Tu ich 
ſeinen Willen nicht, ſo tut er wohl, was er droht. Alſo ſprach er 
zu dem König: „Willſt du mirs nicht erlaſſen, ſo muß ich das 
Kind wohl töten.“ Wie gern wäre Berchtung da anderswo 
geweſen! 

Der König ſprach: „Wache in dieſer Nacht und gebiete dem 
Torwart, daß er dich hinauslaſſe und ſchweige. Ich will keinen 
Kämmerer vor der Kemenate wachen laſſen. Schläft dann die 
Königin, ſo geb ich dir das Kind.“ 

Zur Nacht redete der König mit der Mutter und ſprach im 
Zorn: „Weſſen iſt das Kind? Iſt es des Teufels?“ „Nein,“ 
ſprach ſie, „es iſt dein!“ Er ſprach: „Ich will ihm kein Erbe 


47 


teilen, nicht Land noch Burg.“ Da zürnte fie und ſprach: „Ich 
hoff, er wird wohl fo ſtark, daß er ein Königreich und eine Königin 
erſtreitet.“ Da ſprach der König: „Getrauſt du ihm ſolches Glück, 
fo mag er feinen Brüdern das Erbe laſſen; denn an einem Konig: 
reich hat er wohl genug. Darum ſchwoͤr ich dir auf Treue, daß 
er meines Erbes kein Haar erhalten ſoll.“ Damit kehrte er ſich 
von ihr, und ſie ſchlief ein. Da ſchlich er zu der Tuͤr und raunte 
hinaus: „Berchtung, biſt du da? Und ſchlafen alle in der Burg?“ 
„Herre,“ ſprach der Getreue, „es wacht niemand.“ 

Der König ging zu dem Bette, er nahm das ſchlafende Kind 
verſtohlen aus der Decke, ging leiſe hinaus und gab es Berch⸗ 
tung. Der ſchlug es in ſeinen Mantel, kam zum Torwart und 
ſprach: „Verrätſt du mich, ſo ſchlag ich dir das Haupt ab und 
ſtürz dich in den Graben.“ Dann ſaß er auf ſein Roß, nahm das 
Kind in den Schoß und ritt hinab. 

An der Burgleite erwachte das Kind, es begann zu weinen und 
ſagte: „Mutter, decke mich!“ Sprach der Alte in ſeinem Gram: 
„Was kümmert mich, daß dich friert!“ Als die lichte Sonne auf⸗ 
ging, ritt er einſam durch den Wald; denn er mied Steg und 
Straße. Im hellen Morgen vergaß das Kind der Kälte, es 
ſpielte mit den Ringen ſeiner Brünne und fragte: „Was iſt 
das?“ Da griff der Jammer dem Alten ans Herz; er blickte 
das lachende Kind an und dachte: Tote ich dich, fo werd ich 
nimmer froh. Mein Herz iſt ſo traurig, als ob ich mit dir ſter⸗ 
ben ſollte. 

Er ritt aus der Heide in eine Wildnis, in die nie ein Menſch 
kam. Hier zog er ſein Schwert und wollte das Gebot ſeines 
Herrn erfüllen. Als er das nackte Schwert ſah, verzagte ihm 
das Herz: feine Hand wollte töten, fein Herz erlaubte es nicht. 
Er ſprach bei ſich ſelbſt: „Wie geſchieht mir? Hunderte ſah ich 
ſterben von meiner Hand; nun bin ich ſchwach und blöd, daß 
ich dich nicht töten kann.“ Er war zornig und führte das Kind 
an einen Teich, auf dem Seeroſen ſchwammen; er dachte, es 
ſolle nach den Blumen greifen und fich ſelbſt ertraͤnken. 


48 


ene 


RER E 


"ës "re ee 


D es: 


Madonna am Baume, Kupferftich 


ürer: 


D 


Albrecht 


Der Teich lag in einer grünen Wieſe: da flieg er vom Roß und 
feste das Kind ans Waſſer. Das Kind ſah nicht nach den Roſen, 
es lief von dem Waſſer über den Anger, da ſpielte es im Graſe 
und wußte nicht, daß es allein war. Berchtung führte ſein Roß 
in den Wald und barg ſich hinter dem Laub, da wollte er warten, 
was gefchähe. Das Kind ſpielte unverdroſſen bis an den Abend, 
als empfände es nicht Hunger noch Durſt. 

Als der lichte Mond durch die Wolken brach, kamen des Waldes 
Tiere, die des Trunkes nicht entbehren moͤgen, zu dem Waſſer: 
wilde Bären und Schweine, unter denen ſaß das Kind. Da kam 
eine Schar grimmer Wölfe gelaufen, die jagte der ſcharfe Hunger. 
Sie witterten das Kind und ſchnupperten um es her, ſie ſperrten 
ihre Rachen weit, aber keiner rührte es an. 

Voll Staunen ſchlich Berchtung heran, er ſah das Wunder: 
die Augen der Untiere brannten wie Kerzen. Das Kind wußte 
von keiner Furcht; es ging zu jedem und griff ihm mit der Hand 
nach den lichten Augen. Das vertrugen ſie ihm und ließen es 
unter ſich ſpielen, bis der Tag begann; und wenn einer ihm 
wehrte, den ſchlug es, daß er lag. 

Des Wunders lachte Berchtung fröhlich und ſprach: „Daß 
ich dich nicht tötete, das geſchah dir aus des Waltenden Güte! 
Wie ſollteſt du des Teufels Kind ſein! Weil die grimmen Wölfe 
dir Frieden geben mußten, ſo laß auch ich dich leben.“ Als der 
lichte Morgen auf der Heide lag, liefen die Wölfe hin, und 
Berchtung ſprach: „Ich will dein Leben retten; Weib und Kind 
wag ich für dich.“ Er nahm es von der Erde auf den Arm, küßte 
es an den Mund: „Ich weiß wohl,“ ſprach der Getreue, „dieſes 
Zeichen kommt von guten Dingen: du magſt wohl ein mächtiger 
König werden. Und weil du unter den Wölfen dein Leben be⸗ 
hielteſt, ſollſt du fortan Wolfdietrich heißen.“ 

Er trug das Kind zum Roſſe; in Sorgen um ſeines Herrn 
Zorn ritt er zu einem Waldhüter, deſſen Häuslein im Walde 
lag, darin er oft mit ſeinen Jägern genächtet hatte. Zu dem 
ſprach er: „Gutmann, wo ift dein Weib?“ Freundlich grüßte der 


49 


Arme den Herrn, der ſprach: „Nun will ich euer beider Treu 
verſuchen: zieht dieſes ſchoͤne Kind, und wenn euch die Leute 
fragen, wo ihrs gewonnen hättet, ſo ſagt, es ſei euer eigen Kind. 
Teilt das Beſte mit ihm, was ihr habt; das will ich euch lohnen. 
Das Haus ſei dein, und was du aus dem Walde brauchſt, dazu.“ 
Da nahmen ſie das Kind, und Berchtung ritt heim. 


Aus den „Deutſchen Heldenſagen“ 


* 


Hans Caroſſa 
Dichter und Arzt 


Als ich mich, vierundzwanzig Jahre alt, in der herrlich gelegenen 
Halbinſelſtadt Paſſau niederließ, um Kranke zu behandeln, da 
geſchah es mit Vorbehalten. Ich gedachte, das Heilgeſchäft nur 
ſo nebenher zu betreiben, im Hauptamt aber den Beruf des 
Dichters zu erfüllen. Wie ſich das durchführen ließe, davon hatte 
ich keine deutliche Vorſtellung; nur über eines war ich mir im 
klaren: jedermann ſollte das Werk, niemand aber den Urheber 
kennen lernen. Wie ſehr hatte ich bei ſolchen Abſichten die eigene 
Natur, wie vollkommen die magiſchen Anziehungskräfte des 
Leidens verkannt! Zunächſt ereilte mich das Geſchick aller Arzte, 
die an einem Ort zu kurieren beginnen; es waren gerade die 
ſchweren, die von anderen aufgegebenen Fälle, die mein Warte⸗ 
zimmer beſetzten. Viele nahmen an, ich käme, mit neuen unfehl⸗ 
baren Methoden ausgeſtattet, von der Univerfität und erwarteten 
das Unmögliche; andere hatten meinen Vater als tüchtigen Arzt 
kennen gelernt und hielten den Sohn für den Erben ſeiner Er⸗ 
fahrung. Dieſe zweite Art Patienten machte mirs am wenigſten 
ſchwer; ihr genügte ich ſchon, wenn ich die weißen Pilokarpin⸗ 
tabletten verſchrieb, deren Verpackung den väterlichen Namens⸗ 
zug aufwies. | 

Es fügte ſich, daß eine meiner erſten Schutzbefohlenen ein fehr 


50 


ſchoͤnes Mädchen war, eine junge Goldſtickerin, die am Unteren 
Sand mit ihrer tauben und faſt blinden Mutter drei Zimmer be⸗ 
wohnte. Wenn ich ſage „ein ſehr ſchönes Mädchen“, ſo denke ich 
dabei nur an das Antlitz, das bis zum letzten Tage dem Verfall 
widerſtand, indeſſen der übrige Leib unaufhaltſam verging. 
Straße und Haus waren wie aus einem Landſtädtchen Umbriens 
herübergenommen; unten, in einem winzigen offenen Laden, ſaß 
tagaus, tagein ein alter kleiner Schuſter, um den ſich die Kinder 
ſammelten; denn er ſang unaufhörlich „Schnaderhüpfeln“, 
während er Holzſtifte in ſeine Lederſohlen hineintrieb. Von dem 
feuchten grabelnden Flur führte eine Stiege, die eigentlich eine 
Leiter war, zu Marias Krankenſtübchen hinauf. Zuckerhut⸗ 
ſchnüre, mit Haken an der Mauer befeſtigt, ſtellten das Ge⸗ 
länder vor. Großartig aber war der Fenſterblick über den ſtark 
ſtroͤmenden graugrünen Inn auf die hochgelegene Mariahilfkirche 
hinüber, deren tibetaniſch geſchwungene Turmkuppeln jenes ein⸗ 
zige Stadt⸗ und Landſchaftsbild ſo mächtig ergänzen. Aus Ge⸗ 
ſicht und Weſen des Mädchens aber ſprachen mich romaniſche 
und altbayeriſche Ahnengeiſter mit vollem Einklang an, und die 
Schauer des nahen Endes, welche die Geſtalt umwitterten, gaben 
ihrer Zutraulichkeit einen unerſetzlichen Wert. Eigentlich war ſie 
ſchon aller ärztlichen Behandlung überdrüffig geworden, und ihr 
Taufpate handelte gegen ihren Wunſch, als er mich zu ihr brachte; 
doch zeigte ſie keinen Unwillen wegen des Überfalls und benahm 
ſich durchaus freundlich; immerhin unterzog ſie mich zunächſt 
einer kleinen Prüfung. Als ich nämlich ihr Herz unterſuchte, 
horte ichs nicht ſchlagen; auch fehlten die rhythmiſchen Erſchüt⸗ 
terungen der linken Rippenwand. Erſt bei ſchärferem Horchen 
kamen aus einiger Entfernung leiſe Toͤne. „Wo haben Sie denn 
Ihr Herz hinverſteckt?“ ſagte ich; ſie aber lachte: „Jetzt weiß ich 
wenigſtens, daß Sie auch hoͤren, wenn Sie horchen. Ihr Herr 
Vorgänger iſt erſt nach und nach daraufgekommen, daß ich das 
Herz nicht auf dem rechten Fleck hab.“ — Die Liſtige hatte ver⸗ 
ſchwiegen, daß ihr ein Situs inversus angeboren war, eine ab⸗ 


51 


norme Lagerung der Organe, wobei die Leber auf der linken, das 
Herz auf der rechten Seite liegt. Dieſes bißchen Bei⸗der⸗Sache⸗ 
Sein genügte ihr, um mir ihr ganzes Vertrauen zu ſchenken; 
auch ſchien ſie mirs in der Folge hoch anzurechnen, daß ich mich 
nicht vor Anſteckung fürchtete. Gelaſſen und heiter führte mich 
dieſe klagenlos Zerfallende in das trübe Reich des Duldens und 
Vergehens ein, ſo daß ich es als ſolches lange nicht empfand; un⸗ 
verſehens war ich eingewurzelt und wirkte mit allen Kräften 
darin. Leider kam dies anderen Fällen mehr zugute als dem armen 
Mädchen ſelber, bei dem alle Kunſt nur zu lindern vermochte. 
Zwar beſſerte ſich ihr Befinden ein wenig; doch wußte ſie genau, 
wie es mit ihr ſtand, und wurde verſtimmt, wenn man ihr etwas 
vormachen wollte. Für ſie war der Tod eine große feierliche Sache, 
die ſie ſich nicht nehmen ließ, und nur aus Höflichkeit redete ſie 
zuweilen ſo, als wollte ſie noch eine ziemliche Zeit im Leben ver⸗ 
bleiben. Längſt hatte ſie ſich Totenhemd und ⸗kleid genäht; auch 
beichtete und kommunizierte ſie jeden dritten Tag, und nie fand 
ich ſie froher, ausgeglichener, nie einer weltlichen Unterhaltung 
zugänglicher, als wenn der Stadtpfarrer bei ihr geweſen war, 
um ſie auf ihre Sterbeſtunde vorzubereiten. Unterſuchungen 
lehnte fie nach einiger Zeit errötend ab; der Herr Doktor, ſagte 
ſie, tue ihr leid, wenn er immer wieder eine ſolche „Boandl⸗ 
kramerin“! anſchauen müſſe, und ſchon deshalb freue fie ſich 
auf das Hinübergehen, weil ſie dann das grauſige Geſtell endlich 
los würde. 

Während ihrer letzten Tage bat ſie ſehr oft um eine Milderung 
ihrer Atembedrängnis. Dabei wurde ſie geſprächig, fragte viel, 
wollte mein ganzes früheres Leben kennen lernen. Eine General⸗ 
beichte wird uns gewiß am leichteſten gegenüber einem Menſchen, 
der ſchon an der Eingangspforte zum großen Schweigen ſteht; 
dennoch ſchienen meine Bekenntniſſe fie ein wenig zu enttäufchen; 
ſie hatte ſich die Geſchichte meiner Jugend wohl etwas abenteuer⸗ 
„Boandlkramer“ = Knochenkrämer, altbayeriſche Bezeichnung für 
einen zum Skelett abgemagerten Menſchen. 


52 


licher vorgeſtellt. Gleichſam zur Buße gab fie mir den Rat, bald 
zu heiraten, damit mich die Weiber nicht verdürben, ſagte auch 
genau, welche Art Gattin ſie mir wünſchte. Geſund ſollte ſie 
fein, hübfch, aber nicht auffallend ſchön, Spaß verſtehen, gegen 
Tiere Barmherzigkeit üben und Klavier oder Geige fpielen konnen; 
dies waren Haupteigenſchaften, die ſie verlangte. „Morgen will 
ich Ihnen auch von mir etwas erzählen“, raunte ſie beim Abſchied. 
Als ich aber am anderen Tage kam, hatte ſie die Sprache verloren 
und vermochte ihre Hände nicht mehr zu erheben. Sie bewegte 
die Lippen und ſah mit eindringlichem Lächeln bald mich, bald 
ihre Mutter an; endlich bemühte ſie ſich zu lächeln. Dabei ſiel 
ſie mit halboffenen Augen in einen Schlaf, aus dem ſie nicht mehr 
erwachte. 

In den Wochen, die nun kamen, fühlte ich mich älter geworden 
und auch ſonſt verändert; es war, als hätte mich das zarte Mädchen 
für immer dem großen Orden der Verlorenen verpflichtet. So war 
der neue Lebensraum bezogen; ob ich aber auch in ihn hinein⸗ 
gehörte, diefe ſorgenvolle Frage wollte nie ganz verſtummen. So: 
lang ich mich meinen ärztlichen Aufgaben gewachſen ſah, beun⸗ 
ruhigte ſie mich nicht ſehr: bei jedem Verſagen aber mahnte mich 
das verborgene Dichtertum, und ich warf mir vor, den falſchen 
Weg eingeſchlagen zu haben. Den Künſtler macht ſeine Tätig⸗ 
keit einſam und frei; ſie gibt ihm das Recht, zu fliehen, ſobald 
er ſich in allzu ungemäße Verhältniſſe hineinwachſen fühlt. Mit 
dem Arzt ſteht es anders. Ihn ſondert ſeine Kunſt nicht von den 
Menſchen ab, und Flucht wäre für ihn Verrat an den Leidenden, 
die ihm vertrauen. (Dazu kommt noch, daß er faſt in jedem Be⸗ 
gegnenden bald einen Leidenden erkennen wird, der ſeiner be⸗ 
dürfte.) Somit war eine tragiſche Lage gegeben, die ich zum Glück 
nicht völlig überblickte; ſonſt hätte ich mir ſagen müſſen, daß 
meine Daſeinszeit kaum hinreichen würde, um ſie von Grund 
aus zu ändern. 

Es war damals einer meiner Fehler, daß die Geſamterſcheinung 
eines Kranken ſtärker auf mich wirkte als die Krankheit; auch war 


53 


ich noch zu fehüchtern, zu leicht erbittlich, und mehr als einmal 
kam es vor, daß ich mir die Führung der Kur entwinden ließ. 
Jenſeits des Inns, im Gaſthof zur Sirene, wohnte ein junger 
Goldſchmied, der ſchon im Hauptbuch meines Vaters als tuber⸗ 
Eulofeverdächtig eingetragen war. Gerade an Marias Begraͤbnis⸗ 
tag ließ er mich rufen, und nicht nur durch ſein Handwerk er⸗ 
innerte er mich an ſie. Die Krankheit hatte ſich bei ihm weniger 
auf die Lunge als in das linke Kniegelenk geworfen. Dieſes war 
zur Zeit jenes erſten Beſuches bereits zu einer enormen Spindel 
aufgetrieben, und beim dritten oder vierten Male ſah ich ein, 
daß hier von einer erhaltenden Behandlung nichts zu erhoffen 
war. Heilende Beſtrahlungen gab es noch nicht, und ſo fand ich 
mich genötigt, ihm zu ſagen, daß meine Mittel für dieſen Fall 
nicht ausreichten, daß ich ihn einem Chirurgen überweiſen müſſe. 
Leider tat ich das nicht in der diktatoriſchen Form, die keinen Ein⸗ 
wand zuläßt, ſondern mit dem verlegenen Zögern des Neulings, 
das nach ſchlechtem Gewiſſen ausſieht. Der junge Mann ſpürte 
auch fofort, wer ihm gegenüberfaß, und indeffen ich nach troͤſt⸗ 
lichen Worten ſuchte, fand er Zeit, ſeine Gedanken gegen mich 
zu ordnen. Eine Weile ſchrieb er, ohne mich anzuſehen, mit dem 
Finger Zeichen auf die Bettdecke; dann fehüttelte er troſtlos den 
Kopf, trocknete ſich mit dem Taſchentuch ſeine immer leicht 
ſchwitzende Stirn und hielt ſchließlich eine wohlüberlegte kleine 
Rede, die mich zwar nicht überzeugte, aber doch verwirrte. Er 
müſſe ſoeben an meinen Herrn Vater denken, ſagte er, Gott 
gebe ihm die ewige Ruhe, das ſei ein Mann geweſen, der würde, 
wenn er noch lebte, nicht ſo ſchnell die Flinte ins Korn geworfen 
haben. Dann ſchwieg er abwartend und überließ mich der ſchmerz⸗ 
lichen Erinnerung an den jüngft Verſtorbenen, um plotzlich mit 
der Behauptung hervorzubrechen, dieſer habe mit ſeinen Arzneien 
noch ganz andere Übel geheilt als ſolch ein bißchen Knieſchwamm. 
Man müſſe nur ſeine Schrift über die Tuberkuloſe aufmerkſam 
leſen; dann ginge einem bald ein Licht auf darüber, daß viele 
Kranke nur deshalb ſtürben, weil ihre Arzte ſie für unheilbar 


54 


hielten. Und nun bewies er durch Zitate, die nur leider auf feinen 
Fall ganz und gar nicht paßten, daß er die kleine Abhandlung, 
die mein Vater über den Einfluß des Pilokarpins auf erkrankte 
Gewebe geſchrieben hatte, nahezu auswendig wußte. Auf einmal 
legte er feine Hand auf die meine, umfing mich mit feinem 
dunklen feuerhaltigen Blick und vertraute mir flüſternd an, die 
Tabletten werkelten ſchon jetzt, nach kaum vierzehn Tagen, wie 
kleine Teufel in ſeinem Knie herum, er ſpüre deutlich, wie das 
ganze giftige Zeug aufgeftört und aufgeſogen werde, genau fo wie 
es im Büchlein ſtehe, es müſſe doch für einen jungen Arzt merk⸗ 
würdig ſein, ſolch einen Vorgang zu verfolgen. „Nur Mut, nur 
Vertrauen, Herr Doktor!“ rief er lächelnd. „Wir werden das 
Ziel erreichen, wenn auch langſam.“ 

Derartige Reden und mehr noch ihre frohe ſichere Tonart machten 
mich ſtumm; ich fand keine Form, ihm geradeheraus zu ſagen, 
daß gegen fo grobe Gewebszerſtörungen das beſte Medikament 
nicht aufkommen könne, und verſprach, der Sache noch ein 
Weilchen zuzuſehen, das heißt: ich ließ alles gehen, wie es ging. 
Bei meinem nächſten Beſuch fand ich ihn ſehr beſchäftigt. Auf 
dem Nachttiſchchen lagen Zangen, Blechſcheren und feine Silber⸗ 
drähte; zwiſchen den Fingern hielt er einen begonnenen Filigran⸗ 
ſchmuck und baſtelte noch ein wenig weiter, bevor er mich begrüßte. 
Er habe nicht mehr anders gekonnt, die Kräfte wüchfen von Tag 
zu Tag, alle Finger zuckten nach Arbeit. So wußte er mich immer 
aufs neue zu überraſchen. Jedesmal, wenn ich die breite düſtere 
Treppe zu ihm hinaufſtieg, faßte ich den Vorſatz, ihn über die 
Vergeblichkeit meiner Behandlung aufzuklären; aber er war nun 
einmal der Stärkere, und immer wieder ward ich zum Schweigen 
gebracht von den Rufen der Dankbarkeit und des Entzückens, 
womit er mir, ſchon während ich die Handſchuhe abſtreifte, die 
Zeichen feiner fortſchreitenden Geneſung aufzählte. Ob er wirk⸗ 
lich daran glaubte, ob er vor ſich ſelber Verſtecken ſpielte, hab 
ich nie ganz durchſchaut; führte er aber, aus purer Meſſerſcheu, 
vor mir und vor ſich ſelber eine Komödie auf, fo muß viel echtes 


55 


mimiſches Talent in ihm geweſen fein. Dies offenbarte fich vor 
allem dann, wenn ich das Knie zu unterſuchen verlangte. Manch⸗ 
mal überhörte er meine Aufforderung; wiederholte ich ſie aber, 
ſo tat er hocherfreut, wickelte langſam Tücher und Binden ab 
und ſuchte wie ein Fakir mein Bewußtſein zu beſtechen, indem 
er den auffallend ſchnellen Rückgang der Geſchwulſt und die 
zunehmende Beweglichkeit des Gelenkes mit ergriffenen Worten 
bewunderte, während er es mit ſchoͤnen, ſtreichelnden Zauberer⸗ 
handbewegungen der Beſichtigung halb entzog. Zuweilen ſtand 
ſeine alte Mutter dabei, und an dieſer hatte er die dankbarſte 
Zeugin; fie ſah das Knie, wie er es wünfchte, und ſtimmte laut in 
ſeine Dankſagungen ein. Solche Szenen waren zugleich komiſch 
und unheimlich; ſchließlich wohnte ich ihnen bei wie einem Schau⸗ 
ſpiel und bemühte mich immer weniger, ihnen ein Ende zu machen, 
obwohl ich deutlich ſah, daß dieſes formloſe, vor Hautſpannung 
bläulichrot glänzende Gelenk unaufhaltſam zu einem wahren 
Monſtrum entartete. Gehorſam fuhr ich fort, dem jungen Mann 
ſeine gläubig geliebten Paſtillen zu geben, verordnete daneben 
Einreibungen mit Ichthyol und Jod oder legte heißen Lehmbrei 
auf und erntete für jede dieſer Anwendungen das gleiche be⸗ 
geiſterte Lob. 

So verſtrich die Zeit, wo eine Operation ihn hätte retten können; 
er nahm eilig ab, ich ſah es, dämpfte aber mein Gewiſſen, indem 
ich mir vorhielt, er ſei immerhin noch am Leben, während er aus 
einer Narkoſe vielleicht gar nicht mehr erwacht wäre. Die Praxis 
wuchs, und in den meiſten Fällen ging alles gut. Ich merkte 
dabei kaum, wieviel ununterbrochene Belehrung der junge Gold⸗ 
ſchmied mir erteilte, wie viele andere Kranke auf ſeine Koſten 
richtiger behandelt wurden. Brauchte ich doch in gewiſſen bedenk⸗ 
lichen Lagen bloß an ihn zu denken, um ſogleich die entſchiedene 
Haltung zu finden, die ich ihm gegenüber vermiſſen ließ. Wie es 
aber einen Täter immer wieder zur Stätte ſeines Vergehens 
zieht, ſo beſuchte ich den Armen künftig noch öfter als ſonſt und 
blieb meiſtens lange bei ihm. Unter die Mittel, die ich für ihn 


56 


bereiten ließ, begann ich die Euphorie erregenden zu mifchen; 
bald war er in eine leichte Wolke von Wohlgefühl eingehüllt. 
Allmählich wurden die zweckloſen Kniebeſichtigungen ſehr an⸗ 
ſtrengend für ihn; doch fanden ſich freundliche Vorwände, um fie 
von einer Woche zur anderen zu verſchieben, bis wir, wie nach 
Übereinkunft, endlich das unfelige Bein in Rube ließen. Bald 
ſtanden wir uns nur noch menſchlich gegenüber, und mir war, 
als könnte ich nun erſt etwas für ihn tun. Die Unterhaltung 
wurde unbefangen, und wie bei Maria beeilte ich mich mit meinen 
übrigen Beſuchen, um noch eine gute Stunde bei ihm zu ſein. 
Er beſaß einige naturwiſſenſchaftliche Kenntniſſe und war dank⸗ 
bar, wenn ich dieſe durch Gefpräch und mitgebrachte Bücher ver: 
mehrte. Und wie ich mich wohl ſonſt auf einen Pflichtweg vor: 
bereitete, indem ich mir noch beim Stiefelzuſchnüren ſchnell 
einen Abſatz aus dem „Viermännerbuch“ einzuprägen ſuchte 
(einem höchſt beliebten Vademekum, worin vier treffliche Arzte 
knapp und klar die wichtigſten Krankheiten abhandeln), ſo konnte 
es jetzt vorkommen, daß ich eilig noch ein Kapitelchen Wilhelm 
Boͤlſche las, bevor ich in die Sirene ging. Am liebſten hoͤrte mein 
Geſelle von Vulkanen, beſonders von der Verfchüttung Herku⸗ 
lanums und Pompejis, auch von Kometen, Lichtjahren, Raub⸗ 
tieren, Giftſchlangen und von dem Fortbeſtehen der Seele nach 
dem Tode. Dieſe Frage gab ihm viel zu denken; er konnte fic) mit 
dem Ausgelöſchtwerden gar nicht abfinden, beharrte verzweifelt 
auf ſeinem Recht zum ewigen Leben und zur Wiedervereinigung 
mit Eltern und Geſchwiſtern. Oft lenkte er die Rede zu dieſem 
Punkt, und ich merkte recht gut, wie herzlich er wünſchte, die 
heiligen Verſprechungen der Kirche durch den Arzt beſtätigt zu 
boven. Mir kam ein Aufſatz in den Sinn, den ich irgendwo ge: 
leſen hatte; ganz verſtändlich war er mir nicht geworden, doch 
ſchien mir einiges davon geeignet, meinen einſamen Zweifler ein 
wenig zu ermutigen. Der öde Materialismus, erklärte ich, habe, 
Gott ſei Dank, endlich abgehauſt, es gebe jetzt eine hohe gediegene 
Wiſſenſchaft, die Theoſophie, und dieſe habe unwiderleglich nach⸗ 


57 


gewieſen, daß wir außer unferem irdiſchen Leibe noch einen op: 
deren beſäßen, den Atherleib. Dieſer hänge mit allen ewigen 
Keimkraͤften der Welt zuſammen; er fet unzerſtoͤrbar und werde 
nach manchen Läuterungen und Sternenwanderungen wieder 
den Weſen begegnen, die zu ihm gehoͤrten. Wie dieſe ſehr will⸗ 
kürlichen Auslegungen auf den Kranken einwirkten, war nicht 
feſtſtellbar; immerhin kam er mir beruhigter vor. Vielleicht 
empfand er aber eine ſolche Unterhaltung doch als unerlaubt; 
jedenfalls enthielt er ſich aller ferneren Fragen, und als ich wieder⸗ 
kam, ſah ich die „Nachfolge Chriſti“ des Thomas von Kempen 
auf der Bettdecke liegen. Ich aber hütete mich, je wieder an das 
Problem zu rühren; ja nachträglich empfand ich erſt, wie wenig 
recht man tut, einen Glauben zu lockern, den man durch keinen 
ſchoͤneren erſetzen kann. 

Seine Arzneien ſchluckte er gewiſſenhaft weiter, und konnten 
ſie ihn auch nicht heilen, ſo friſteten ſie ihm doch ſehr lange das 
Leben. Es wurde Winter; die Mutter heizte ſein Stübchen gut, 
umgab überhaupt feine Auflöſung mit allem Behagen. Oft 
flatterten Vögel durch das halboffene Fenſter herein bis zum 
Tiſchrand und holten ſich die hingeſtreuten Hanf⸗ und Sonnen⸗ 
blumenkerne. Die graue ſchwarzköpfige Nonnenmeiſe, deren 
Schnabel vom eifrigen Hämmern oft wie ein Meißel quer abge⸗ 
ſchliffen iſt, die ſaphiren ſchimmernde Blaumeiſe mit ihrem 
ſcharfen kleinen Mausgeſicht, der Kleiber, der ſich fünf, ſechs 
Körnchen auf einmal nimmt, um ſeine heimliche Vorratskammer 
zu bedenken, ſie alle lernte ich durch ihn erſt kennen. Das Haus 
lag am Fuße des Mariahilfbergs, hinter dem die Grenze gegen 
Ofterreich verläuft; man ſah hier nahe über ſich die weißen gelb: 
kantigen Kloftergebäude mit ihren fremdartigen, wie Hut: 
krempen aufgebogenen Dächern, die an Bilder in Sven Hedins 
Tibetbuch erinnerten, und merkwürdig war es, wie gut der 
Kranke zu dieſem Hintergrund paßte; beſonders die Dämmerung 
verlieh ihm öfters ein wahres Taſchi⸗Lama⸗Geſicht, und er 
börte es auch nicht ungern, daß er jenem hoͤchſten geiftlichen Ges 


58 


bieter des geheimnisreichen Landes ähnlich ſehe. Zwiſchen Granit» 
vorſprüngen führt eine Treppe mit Eifengeländern den ſteilen 
Hang hinauf; hier gingen junge Prieſter, leſend in ſchwarzen, 
goldſchnittglänzenden Büchern, langſam auf und ab, und manch⸗ 
mal ſchwankten Zechergruppen, des kräftigen öſterreichiſchen 
Weines voll, von Ausflügen zur Stadt zurück. Es kam dann vor, 
daß auch mein Freund, der Dichter Heinrich Lautenſack, unter 
den Heimkehrenden war, von weitem erkennbar an ſeinem langen 
ſchwarzen Gehrock und an Handbewegungen, die nicht zweifeln 
ließen, daß fie den Vortrag neuer Were begleiteten. Schwer 
bebrangte mich dann jedesmal mein Gewiſſen; ich mußte bedenken, 
daß jener ungefähr das Leben lebte, das ich mir immer heimlich 
wünſchte. Der Glückliche konnte ſich morgens beim Erwachen 
ſagen, daß der Tag ihm gehöre; niemand (tortt fein Fur⸗ſich⸗Sein, 
wenn ihn die Eingebungen überkamen. Lange Zeit war er in dem 
berühmten Münchener Kabarett zu den Elf Scharfrichtern als 
„Henkersknecht“ eine populäre Geſtalt geweſen; jetzt aber um⸗ 
wob ihn der erſte klare Ruhm: der vielvermdgende Franz Blei 
nahm ſeine Gedichte in die Zeitſchrift „Inſel“ auf, und Alfred 
Richard Meyer, ein junger Berliner Verleger, begann ſie zu 
ſammeln, indeſſen ich an traurigen Betten ſaß und mich mit 
armen Kranken unterhielt, ſtatt ſie geſund zu machen. 

Eines Morgens lag der junge Goldſchmied verſtorben in ſeinem 
Bett, und ſeine Mutter geſtand mir ein, er habe in der vorletzten 
Nacht ſehr heftige Krämpfe über die ganze linke Seite hin er⸗ 
litten, ihr aber verboten, mich zu holen. Dieſe Schmerzen, ſo hatte 
er verſichert, gehörten zur Heilung, außerdem greife den Herrn 
Doktor alles viel zu ſehr an, man müffe ihn ſchonen, und am 
Samstag komme er ja ſowieſo. Die Schmerzen hätten dann 
nachgelaſſen, er ſei ungewöhnlich friſch, geſprächig und ſogar 
etwas mutwillig geweſen, nur habe er immer die Tageszeiten 
verwechſelt. Daß aber der Samstag vor der Tür ſtehe, ſei ihm 
ſtets gegenwärtig geblieben. „Der Doktor wird ſich freuen, daß 
ich über dem Berge bin.“ Mit dieſen Worten habe er am hellen 


59 


Mittag fein Nachtlicht anzünden wollen, doch immer mit dem 
Zündholz den Kerzendocht verfehlt. Unheimlich ſei ihr dies vorge⸗ 
kommen; aber an die unmittelbare Nähe des Todes habe ſie 
nicht geglaubt. 

Es lag nahe, bei dieſem Bericht an jenen Leibarzt zu denken, der 
täglich mit dem Konig Max von Bayern Schach ſpielte, eines 
Morgens aber nicht empfangen wurde, weil Seine Majeftät er: 
krankt war. Die gute Mutter jedoch merkte nicht, welch hartes 
Urteil über meine ärztlichen Eigenſchaften in der zarten Rückſicht 
ihres Sohnes enthalt'n war. Weinend rühmte ſie meine Be⸗ 
mühungen, während fie mich zu ihm hineinführte. Mir aber 
drängte ſich noch einmal das Unzulängliche meines ganzen Ver⸗ 
haltens peinlich auf. Ich hätte mich, fagte ich mir, von Anfang 
an auf feine Seite ſteollen, hätte meine zweifleriſche Schulweisheit 
vergeſſen und ſeinen kindlich glühenden Glauben an meine Mittel 
in mich herübernehmen ſollen; dann hätten dieſe auch das erwar⸗ 
tete Wunder gewirkt. Er lag aufgebahrt in der dunklen Mönchs⸗ 
kutte eines Bruders vom Dritten Orden, dem viele Männer und 
Frauen der Stadt angehörten, hatte ein ſchwarzes Kreuzchen 
mit ſilbernem Chriſtus in den verſchränkten Händen und ähnelte 
noch mehr als ſonſt jener Verkörperung einer öftlichen Gottheit, 
die mir aus dem Tibetbuch bekannt war. Und wie er ſo da lag, 
weiſe laͤchelnd in dem halbgeiſtlichen Gewand, zu dem ihn erſt der 
Tod berechtigte, da verging mir jede Anwandlung von Reue; 
mein Verhältnis zu ihm ſtand als etwas Reines, Abgeſchloſſenes 
vor mir. Er hatte nie verraten, wie er ſich innerlich mit ſeinem 
Schickſal auseinanderſetzte, war immer nur ängſtlich darauf be⸗ 
dacht geweſen, mir betrübende Wahrnehmungen zu erſparen, 
hatte manchen Schmerz verhehlt, um mich nicht zu verlieren. 
Daß er durch mich nicht geneſen würde, mußte er ſchon lange 
wiſſen; das Vertrauen zum Arzt war es alſo nicht, was ihn an 
mich gebunden hielt; aber ich war feine einzige Brücke zur Welt 
geworden, das fühlte ich in jenen ſtillen Minuten. Ich tat, was 
der Gebrauch verlangte, nahm den Thujazweig, der in ein Kriſtall⸗ 


glas voll Weihwaſſer hineinhing, befprengte dreimal die Leiche 
und gab der alten Frau eine kurze Aufklärung über die vermutliche 
Urſache des unverhofft raſchen Todes. 

Auf dem Heimweg beſtärkte ich mich neuerdings in dem Ent: 
ſchluß, der ärztlichen Tätigkeit ſo bald wie möglich den Rücken 
zu kehren, und ahnte nicht, wie ſehr gerade dieſer Verblichene 
mich ſeinen Leidensgenoſſen empfahl. Auf Markt und Gaſſen 
pries die trauernde Mutter meine Kunſt in Tonen, welche die 
Vorſtellung erwecken konnten, als wäre der liebe Sohn eigentlich 
in geheiltem Zuſtand geſtorben; und in den folgenden Wochen 
wuchs die Praxis unaufhaltſam. In den meiſten Fällen wirkten 
die väterlichen Mittel vortrefflich, in einigen verſagten ſie; ich ver⸗ 
ſuchte manches Neue und geriet auf eigene Wege. Daß bei vor⸗ 
geſchrittenen Lungenleiden viel darauf ankam, durch moͤglichſte 
Verminderung der Huſtenſtöße den Bruſtkorb ruhigzuſtellen und 
das Herz zu kräftigen, bevor es noch Zeichen des Verſagens 
gab, davon überzeugten mich zahlreiche Beobachtungen. Ich 
vermengte kleinſte Gaben des purpurblütigen Fingerhuts mit 
kräftigen Doſen irgendeines Narkotikums, ließ dieſe Miſchungen 
wochenlang nehmen und ſah dadurch öfters die Heilung einge⸗ 
leitet. 

Bald Widerſtand leiſtend, bald zurückweichend, war ich alſo tag: 
lich tiefer in die Sphaͤre fremder Leiden hineingekommen; immer 
mehr überließ ich mich dem Leben, wie es mich nahm. Dem ge: 
ſelligen Treiben der Stadt ging ich aus dem Weg und ſchadete 
mir damit nur ſelber; denn bald fand ich mich in meinem Umgang 
überhaupt nur noch auf Kranke, ja gewiſſermaßen auch auf Ab⸗ 
geſchiedene angewieſen. Führte mich der Weg über den Friedhof, 
ſo glänzten mir bereits von vielen Grabſteinen die Namen meiner 
Pfleglinge entgegen, von denen ich ſo tiefe Wirklichkeiten wußte; 
und wenn ich nachher an Haustüren die Namen geſund⸗lebendiger 
Bürger las, erinnerten ſie mich an nichts; ſie waren für mich die 
eigentlichen Toten. Von außen betrachtet gewiß ein unheimliches 
Daſein wie eines Verhexten, der es gar nicht gewahr wird, daß 


61 


er mit Geſpenſtern verkehrt, wovon uns chinefifche und japaniſche 
Maͤrchen anmutig und grauſig berichten. 

Beſeelte Jugend aber läßt ſich nicht fo leicht aufzehren. Schon 
daß ich immer für das Befinden anderer verantwortlich war und 
mich ſelber nicht verweichlichen durfte, war heilſam; zudem 
ſchien mich etwas Beſonderes vor Vampiren zu ſchützen, und dies 
kam eben doch aus eingeborener Phantaſie. Jenes hochgeſpannte, 
immer ſzenenwechſelnde, bald in Dienſt und Gedanken, bald in 
Rauſch oder Trauer ſich ausgebende Leben erhielt mich nämlich 
in einer unbegreiflichen Taͤuſchung: ich glaubte dabei ſtets als 
Dichter zu wirken. Meine ärztliche Leiſtung ſchlug ich gering an; 
vielmehr, wenn ich von Kranken Dank und Lob empfing, ſo 
meinte ich, dies wäre doch eigentlich nur, weil ſie mirs an der 
Naſe anſehen mußten, was für feine Verſe ſich mir zu naͤhern 
ſuchten, während ich ihren Herzſchlag und ihren Atem behorchte. 
Aber kein geiſtiges Licht wird von fremden Strahlungen ſo raſch 
abgeſtumpft wie die zarte dichte Flamme, die im lyriſchen Dichter 
brennt. Wenn der Dramatiker oder der Erzähler ſeine Figuren 
ſehr oft um einen Grad einſichtsloſer oder übertriebener hinſtellen 
muß, als er ſelbſt iſt, ſo ſchenkt uns der Lieder⸗ oder der Hymnen⸗ 
dichter immer nur fein Letztes, Höchftes, Innigſtes, immer nur 
die Eſſenz ſeiner Natur. Er iſt eine Pflanze, die, in heißen Lebens⸗ 
raum verſetzt, ihr ätheriſches Gl aus ſich hinausverdampft und 
nicht fragt, ob ſie dabei verdorrt. Bei gelegentlichen Anfragen 
treuer Jugend freunde kam es auf, daß in Wochen und Monaten 
kaum ein paar Strophen zu Papier gebracht worden waren: ich 
mußte Vorwürfe hören, mußte mich ſträflicher Herzensträgheit 
bezichtigen laſſen. Traurig nahm ich das hin, hörte aber dennoch 
nicht auf, mich für einen Dichter zu halten, wenn auch nur ſo, 
wie der Tierkenner gewiſſe Fiſche zu den Goldfifchen zählen muß, 
die kein Laie dafür halten würde, weil ſie wie ganz gemeine braune 
Karauſchen ausſehen und nur hie und da ein Schüppchen an ihnen 
rötlich flimmert. Um ſo beglückender war es, wenn eine große 
Dichtererſcheinung mir mit ihrem herrlichen Metall entgegen⸗ 


62 


tönte, fo daß id) darüber mein eigenes Gemurmel guten Ge⸗ 
wiſſens für eine Zeit vergeffen durfte. Den „Abdias“ von Stifter 
las ich zum erſten Male faſt gleichzeitig mit Werken des jungen 
Hofmannsthal, und in der Einſamkeit, umgeben von lauter 
iſolierenden Perſonen, an die ich meine Begeiſterung nicht weiter⸗ 
leiten konnte, nahm ich dieſe klingenden Viſionen ſo lange hinge⸗ 
geben in mich auf, bis die Seele mit ihren elektriſchen Energieen 
überladen war. — Grenzen der Länder waren mir immer ſehr 
fühlbar geweſen, und oft, wenn ich nun über den Mariahilfberg 
hinaus zu einem Kranken ging, der im oſterreichiſchen wohnte, 
durchzuckte es den Sinn: du biſt jetzt in Mozarts, Grillparzers 
und Stifters Heimat, und wenn du dieſe Straße weiter wan⸗ 
derteſt, ſo ſtündeſt du eines Tages vor dem Hauſe des Zauberers, 
der den Abenteurer und die Sängerin, das Kleine Welttheater, 
die Reitergeſchichte und manches unverwelkliche Gedicht geſchrie⸗ 
ben hat. Wolken, Hügel und Häuſer kamen mir dann immer 
etwas anders vor als hinter den Grenzpfählen. 


Aus dem neuen Buche „Führung und Geleit“ 


* 


Aus den Geſprächen 
Friedrichs des Grogen mit Henri de Catt 


| Neiße, 25. April 1758 
„In Münſterberg hatte ich einen merkwürdigen Traum. Wie 
kommt es nur, daß ich ſo oft dasſelbe traͤume? Mein Vater kam 
mit ſechs Soldaten in meine Stube und befahl ihnen, mich zu 
binden und nach Magdeburg zu bringen. Aber warum?‘ fragte 
ich meine Schweſter, die Markgräfin von Bayreuth. — ‚Weil du 
deinen Vater nicht lieb genug haft.‘ — Ich wachte ſchweißgebadet 
auf, wie aus dem Waſſer gezogen. Was für ſonderbare Gedanken, 
was für verrückte Vorſtellungen haben wir doch im Traume!“ 
Er ſprach lange von ſeinem Vater. „Welch ein ſchrecklicher 


63 


Mann,“ ſagte er, „aber auch wie gerecht, wie klug und geſchäfts⸗ 
tüchtig! Sie haben keine Vorſtellung von der vortrefflichen Ord⸗ 
nung, die er in allen Zweigen der Regierung eingeführt hat. Es 
gibt keinen Fürſten, der ſo fähig war, in die geringſten Einzel⸗ 
heiten einzudringen, und das tat er nach ſeinen eignen Worten, 
um alle Teile des Staatsweſens moͤglichſt vollkommen zu machen. 
Durch ſeine Sorgfalt, ſeine unermüdliche Arbeit, ſeine ſtets von 
ſtrengſter Gerechtigkeit geleitete Staatskunſt, ſeine bewunderns⸗ 
würdige Sparſamkeit und die ſtrenge Mannszucht, die er in das 
Heer, feine Schöpfung, einführte, bin ich erſt in den Stand ge⸗ 
ſetzt worden, all das zu tun, was ich bis jetzt getan habe. Er war 
von erſtaunlicher Sittenſtrenge, verlangte ſie aber auch mit faſt 
unerhörter Härte von andern. Mit ihm war nicht zu ſpaßen. 
Wenn er übler Laune war, teilte er Stockſchläge und Fußtritte 
aus. Nie werde ich eine Szene vergeſſen, die mir damals faſt ebenſo 
furchtbar war wie die ſchrecklichen Vorgänge in Küſtrin, die ich 
Ihnen erzählen werde. Ich war noch ein Kind und deklinierte mit 
meinem Lehrer mensa mensae, dominus domini, ardor ar- 
doris. Plötzlich tritt der König in das Zimmer., Was machſt du 
da? — Papa, ich dekliniere mensa mensae‘, ſagte ich mit meiner 
Kinderſtimme, die ihn hätte rühren ſollen. — ‚Schurke, du willſt 
meinem Sohne Latein beibringen? Fort mit dir! Damit ſchlug er 
mit dem Stock auf meinen Lehrer ein und verfolgte ihn mit Fuß⸗ 
tritten bis an die Tür des nächſten Zimmers. Von den Schlägen 
und der wuͤtenden Miene meines Vaters erſchreckt und halbtot 
vor Angſt, krieche ich unter den Tiſch. Mein Vater kommt auf 
mich los, faßt mich bei den Haaren und zerrt mich in die Mitte des 
Zimmers. Da gibt er mir ein paar Ohrfeigen und fagt: „Komme 
mir noch einmal mit mensa, und du ſollſt ſehen, wie ich dich zu⸗ 
richte!‘ 

„In der Folgezeit ſah mein Vater nur mit einem Widerwillen, 
den ich mir nie zu erklären vermochte, jeden Verſuch von mir an, 
meinen Geiſt zu bilden. Bücher, Flöte, Schriftſtücke, deren er 
anſichtig wurde, flogen in den Kamin, und jedesmal bekam ich 


64 


m 


l 


Does peas panne Rie 
‘ —— 


mp 


` 
* 


, 


oom 


Sage e (WIRE 
n 


2 


e 


8 


Herr ze 
2782728228 


GH 


Daniel Chodowiecki: Zwei Kupferſtiche 


Schläge oder ſehr ſchroffe Tadelsworte. Die einzige Lektüre, die 
er geſtattete, war die des Neuen Teſtaments. Er predigte mir 
immerfort das Leſen der Bibel und frommer Bücher, als hätte er 
mich zum Theologen machen wollen. Seine Härte gegen mich und 
meine Geſchwiſter (mit Ausnahme des Prinzen Heinrich, den 
er immer lieb hatte), die ſchreckliche, manchmal unerträgliche Be⸗ 
handlung, das Verbot aller, auch der unſchuldigſten und harm⸗ 
loſeſten Vergnügungen, der fortwährende Zwang, dem ich unter⸗ 
worfen war, die unaufhörliche Furcht — das alles ließ mich den 
freilich ſehr leichtſinnigen Entſchluß faſſen, das väterliche Haus 
zu verlaſſen. Zum Teufel, wenn ich nur gewußt hätte, wohin ich 
fliehen wollte! Das beweiſt Ihnen, mein Lieber, daß ich als ſehr 
verbitterter und hoͤchſt unüberlegter Junge handelte. 

„Ich borgte mir ein paar hundert Dukaten, denn bei der Spar⸗ 
ſamkeit meines Vaters hatte ich oft keinen Heller in der Taſche, 
und teilte meinen Plan Keith und Katte mit, zwei liebenswür⸗ 
digen, aber ebenſo leichtſinnigen Menſchen wie ich. Der Tag der 
Flucht war feſtgeſetzt, doch als wir im Begriff waren auszureißen, 
erfuhr mein Vater meinen ſchoͤnen Plan durch einen Brief aus 
dem Auslande. Ich wurde verhaftet und mit Schlägen und 
Ohrfeigen mißhandelt. Dann wurde ich, wie Sie wiſſen, nach 
Küſtrin gebracht. 

„Keith entfloh. Katte, den ich von dem Unglück nicht hatte be⸗ 
nachrichtigen können, war ſo eigenſinnig, zu bleiben, und wurde 
gleichfalls auf die Feſtung gebracht. Meine Behandlung in jener 
hölliſchen Feſtung war barbariſch. Niemand ſprach mit mir. 
Ich war ganz allein mit meinen traurigen Ahnungen in betreff 
meines Freundes, deſſen Schickſal mir ſchrecklicher war als mein 
eignes. Mein Eſſen bekam ich durch ein kleines Schiebefenſter; es 
war abſcheulich und reichte gerade hin, um nicht zu verhungern. 
Später bekam ich mehr zu eſſen und glaubte ſchon, die Sache ware 
bald zu Ende; da trat eines Morgens ein alter Offizier mit meh⸗ 
reren Grenadieren in mein Zimmer. ‚Prinz,‘ fagte der Offizier 
ſchluchzend, lieber, armer, guter Prinz!‘ Ich glaubte, ich follte 


65 


enthauptet werden. ‚Sprechen Sie, fagte ich,, muß ich fterben? 
Ich bin bereit.‘ — ‚Nein, lieber Prinz, nein, Sie follen nicht 
fterben, aber geftatten Sie, daß die Grenadiere Sie an das Fenſter 
führen und Sie dort feſthalten. Gott, welch entſetzliches Schau⸗ 
ſpiel! Mein lieber, lieber, treuer Katte ſollte vor meinem Fenſter 
hingerichtet werden., Ach, Katte!“ rief ich aus und fiel in Ohn⸗ 
macht. So wurde die Barbarei, dies furchtbare Schauſpiel an⸗ 
zuſehen, um ihre Abſicht betrogen. 

„Es war grauenhaft, aber meine Philoſophie hat mich nicht ver⸗ 
laſſen. Wollen Sie einen Beweis dafür? Ich hatte in mein Re⸗ 
giment einen Soldaten eingeſtellt, der aus dem des Oberſten 
Sydow deſertiert war. Dieſer hörte davon und verlangte den Sol⸗ 
daten zurück. Ich ſchrieb ihm einen ſehr hoͤflichen Brief und bat 
ihn, mir den Mann zu laſſen. Ich verſprach, ihm dafür zwei andre 
zu geben. Statt zu antworten, wendet er ſich an meinen Vater, 
der mir befiehlt, den Soldaten augenblicklich herauszugeben. Ich 
fende den armen Teufel ab und bitte Sydow inftandig(t, ihn nicht 
zu beſtrafen. Aber trotz meiner Bitten läßt er ihn dreißigmal 
Spießruten laufen und teilt mir das noch mit. Trotzdem habe ich 
Sydow, als ich den Thron beſtieg, in ſeiner Stellung gelaſſen. 
Was ſagen Sie dazu?“ 

„Daß nur große Männer angetanes Unrecht vergeſſen und 
verzeihen können.“ 

„Als ich Küſtrin verließ, hörte ich, daß meine liebe gute Mutter 
meinen Brüdern und Schweſtern befohlen hatte, ſich dem Koͤnig 
zu Füßen zu werfen und um Gnade für mich zu bitten. Meine 
altefte Schweſter, die Markgräfin von Bayreuth, kniete vor dem 
König nieder, als er durch ſein Vorzimmer ging. Er gab ihr ein 
paar Ohrfeigen. Meine andern Geſchwiſter krochen vor Furcht 
unter einen Tiſch. Mein Vater erhob den Stock, um die armen 
Kinder zu prügeln; da kam ihre Gouvernante, Frau von Kameke, 
herbei und bat um Schonung für die Kinder., Scheren Sie ſich 
zum Teufel!“ ruft der König. Sie antwortet wütend: Der Teufel 
wird Sie holen, wenn Sie meine armen Kinder anrühren! Damit 


zieht fie die Kinder unter dem Tiſch hervor und ſchiebt fie in das 
Nebenzimmer, während fie den König mit einer Miene anſah, die 
ihm Achtung einflößte. Am nächſten Tage dankte ihr der König 
dafür, daß fie ihn von einer Torheit abgehalten hatte. Ich werde 
ſtets Ihr Freund fein‘, ſagte er, und er hat Wort gehalten. 
„Sie konnen fic) denken, welchen unauslöfchlichen Eindruck ſolche 
Szenen auf mich machen mußten. Sie verfolgen mich ja noch 
jetzt in meinen Träumen. Ich ſehe meinen Vater wutentbrannt 
und bereit, mich zu ſchlagen.“ 

Neuſtädtel, 27. April 1758 
„Ach,“ ſagte der König, „wenn doch erſt die Rede von unſerm 
Marſche nach Potsdam wäre! Ich glaube freilich, er iſt noch in 
weiter Ferne. Aber kehren wir einmal dorthin zurück, dann will 
ich mich durch Ruhe und geiſtige Arbeit für all die Scherereien 
entſchädigen, die jetzt auf mir laſten. Welches Hundeleben! Wer 
moͤchte um dieſen Preis wohl König von Preußen ſein!“ 
„Ich glaube, um des Ruhmes willen würden viele Abenteuer⸗ 
luſtige noch mehr leiden wollen als Eure Majeſtät!“ 
„Ein ſchoͤner Ruhm! Verbrannte Dörfer, eingeäfcherte Städte, 
Tauſende von Menſchen ins Unglück geſtürzt oder niedergemetzelt, 
Greuel überall, ſchließlich das eigne Ende — reden wir nicht mehr 
davon, mir ſtehen die Haare zu Berge! Potsdam, Potsdam, das 
brauchen wir, um glücklich zu ſein. Es wird Ihnen ſicher gefallen. 
Zur Zeit meines Vaters war es ein elendes Neſt; käme er heute 
zurück, er würde feine Stadt nicht wiedererkennen, fo ſehr habe 
ich fie verſchoͤnert. Ich baue und verſchoͤnere gern, aber alles aus 
meinen Erſparniſſen. Der Staat leidet nicht darunter, und ich 
gebe den Leuten Arbeit.“ 
Er entwarf einen Plan von Sansſouci, von der Bildergalerie, 
den Gärten, dem Chineſiſchen Pavillon, der ſchoͤnen Kolonnade, 
den Treibhäuſern, gab die Plätze der Statuen an und erzählte bis 
neun Uhr abends. „Genug“, ſagte er dann. „Morgen brechen wir 
ſehr früh auf. Schlafen Sie beſſer als ich, denn ich fühle mich ſehr 
erregt und unruhig, ohne zu wiſſen, warum.“ 


67 


Littau, 6. Mat 1758 


Der König zeigte mir auf feiner Karte die Stellung bei den 
heutigen Kriegshandlungen und die von ihm getroffenen Maß⸗ 
nahmen. „Daraus können Sie ſich ſchon einen Begriff machen, 
wie ſchwierig und mühſelig das Kriegshandwerk iſt. Und doch iſt 
dies nur ein ſchwacher Anfang meiner Leiden. Das nennt das 
blöde Volk: glücklich fein wie ein König! Schon ſechs Jahre vor 
Ausbruch des Krieges war ich unruhig und ſah den Sturm 
kommen. Und was für Qualen, Mühen und Schickſalsſchläge 
habe ich ſeitdem aushalten müſſen! Ich habe all meine Philoſophie 
nötig, um dieſe Laſt zu tragen. Wäre ich ein einfacher Privatmann, 
was ich mir oft gewünſcht habe, ſo lebte ich ruhig nach meiner 
Neigung. Ich hätte gewiß einige Freunde, und ich würde ihre 
Freundſchaft pflegen. Ohne Freundſchaft gibt es kein Leben. 
Glauben Sie mir, ich kenne ihren Wert ſehr genau. Ich habe 
manche gute Freunde verloren, und ſooft mir dieſes Unglück ge: 
ſchah, ſchloß ich mich ein und weinte wie ein Kind. Es iſt freilich 
ſehr ſelten, daß ein Fürſt Gefühl für die Freundſchaft empfindet. 
Im ganzen ſind die Fürſten ein Pack, und der Umgang mit ihnen 
verdirbt. Glauben Sie das nicht auch?“ 

16. Mai 1758 
Als ich das Zimmer betrat, ſah ich den Konig mit Rechnen be⸗ 
ſchäftigt. 
„Guten Tag, mein Lieber. Raten Sie mal, was ich ausrechne.“ 
„Ihre Schätze.“ 
„Leider habe ich keine mehr. Das bißchen, was mir noch bleibt, 
wird bald zu Ende ſein. Nun, raten Sie weiter!“ 
„Vielleicht berechnen Sie, was Sie im Laufe des Krieges ſchon 
ausgegeben haben.“ 
„Das weiß ich nur zu gut; ich brauche es nicht erſt zu berechnen. 
Nur Mut, raten Sie weiter!“ 
„Majeſtät haben ſo viel zu berechnen, daß es mir ſehr ſchwer 
fallen dürfte, gerade das zu treffen, was Sie berechnen.“ 
„Nun, Sie raten es nicht. Ich rechnete eben aus, wieviel Minuten 


68 


ich gelebt habe. Welch eine Summe und wieviel verlorene Augen: 
blicke! Die Zeit flieht unaufhaltſam dahin, nimmt die Tage, 
Stunden und Minuten unſeres Lebens fort, und wir ſind gleich⸗ 
gültig dagegen, denken oft nicht mal daran. Und doch ruft uns die 
Natur in jedem Augenblick zu: Sterbliche, benutzt die Zeit, ver⸗ 
geßt nicht, daß ſie der Ewigkeit gegenüber nur ein Augenblick iſt, 
und beſchleunigt die Flucht der Tage nicht noch durch eitle Nich⸗ 
tigkeiten! 

„Bei meiner Rechnung habe ich mir viele Gedanken gemacht, 
freilich weniger freudige als trübe und niederdrückende. Trotzdem 
glaube ich, zu den zweibeinigen, ungefiederten Weſen zu gehören, 
die die wenigſten koſtbaren Augenblicke ihres Lebens verloren haben. 
Schon als halbes Kind hatte ich zu meinem Glück eine ausge⸗ 
ſprochene Neigung, zu lernen, meinen Geiſt zu bilden und ihn für 
meine künftige Rolle vorzubereiten. Früh empfand ich, daß ich 
ohne fortwährende uͤbung meiner Fähigkeiten einen traurigen 
König abgeben würde. Sie können ſich keinen Begriff machen, wie 
fleißig ich in Rheinsberg war. Tag und Nacht las ich; jetzt freilich 
weiß ich, daß ich Bücher hätte leſen können, die mir für meinen 
Beruf nützlicher geweſen wären. Doch indem ich mich mit Poeſie, 
Literatur und Philoſophie befaßte, glaubte ich, mich zu allem 
fähig zu machen. Und dabei habe ich mich gar nicht ſo ſehr geirrt. 
Trotz aller Studien aber habe ich auch die Übungen nicht vernach⸗ 
laffigt, die dem Körper Kraft, Gewandtheit und Anmut ver: 
leihen. Ich lernte tanzen, und ich tanze für einen Mann meines 
Standes ganz gut. Zur Not kann ich ſogar Luftſprünge machen.“ 
Auf einmal machte der König fünf oder ſechs Luftſprünge, ſo daß 
er etwas außer Atem kam. Dann ruhte er ſich aus und machte 
noch ein paar. Auch ich mußte ein paar Schritte Menuett mit ihm 
tanzen. Er nahm mich bei der Hand, verbeſſerte mich und zeigte 
mir, wie ich es machen müſſe. 

„Welch ein Schauſpiel wäre das für den Feldmarſchall Daun 
und den Prinzen Karl,“ ſagte er, „wenn ſie den Sieger von 
Leuthen in einem Bauernhaus Luftſprünge machen und Herrn 


69 


de Catt die Hand reichen fähen, um ihm Tanzunterricht zu geben!“ 
Er lachte laut auf, und auch ich mußte herzlich lachen. 

„Bin ich nicht ein rechter Narr, mein Lieber? Was werden Sie 
von mir denken?“ 

„Daß Sie in Ihrer jetzigen Lage ſehr wohl tun, ſich auf jede 
Weiſe zu zerſtreuen.“ 

„Sie haben recht, non semper tendit arcum Apollo. Sie 
ſehen, ich kann noch etwas Lateiniſch. Ohne die verdammte Ge⸗ 
ſchichte mit mensa mensae wäre es noch mehr. Doch nun ge: 
nug! Wir wollen zur Ruhe gehen und vor dem Einſchlafen noch 
etwas an die Flüchtigkeit unſerer Stunden denken.“ 


Aus der Infel-Bücherei 
„Geſpräche Friedrichs des Großen“ 


x 


K. H. Waggerl 
Du und Angela 


Geſtern noch waren die Felder öde und wüſt, Haus und Garten 
eine gottverlaſſene Inſel im froſtigen Nebel. Aber ſchon in der 
Nacht hörteſt du den Wind auf dem Dache larmen, es wurde 
hell in deiner Kammer, und am frühen Morgen ſtieg wahrhaftig 
die Sonne jungfräulich aus dem dampfenden Wald. Den ganzen 
Tag biſt du umhergelaufen, die Luft iſt ſtark und würzig vom 
Geruch der friſchgepflügten Acker, und die Bäume blühen. 
Warum ſollteſt du nicht vergnügt ſein und in der Seligkeit 
dieſes Tages ein bißchen vor dich hinſummen, das tun ja auch 
die Vögel laut genug, die ſind wie närriſch hintereinander her. 
Und es fallt dir ein, daß du vor einiger Zeit einen Brief bekommen 
haſt. Ein kleiner Schlüffel kam da aus der Ferne zurück, ein 
Blatt Papier, damals lag dir nicht viel daran. Aber heute holſt 
du deine Schrotbüchſe aus der Kammer, du ſuchſt dir ein wenig 
Eſſen zuſammen, Mehl und Fett und Kafe, und auch den Schlüffel 
vergißt du nicht. 


70 


Segen Abend ftehft du vor der Hütte auf den Almen, und hier 
willſt du nun eine Woche bleiben, bis das Jungvieh aufgetrieben 
wird. Die Schildhähne balzen um dieſe Zeit. Du machſt Feuer 
auf dem Herdſtein und fchüttelft den Strohſack auf, man muß 
wohl auch ſonſt ein wenig Ordnung machen. Vielleicht blühen 
Idien ein paar Anemonen an der Sonnenſeite, und das Fenſter 
ſollte einen friſchen Vorhang bekommen, dieſer hier ſchließt nicht 
mehr gut. Was ſtand auf dem Zettel? Auf Wiederfehen‘ fan 
darauf. 

Du kochſt dein Mus am krachenden Herdfeuer, und (pater figeft 
du noch eine Weile vor der Hütte. Aber das bringt dein Herz 
nicht zur Ruhe, die Einſamkeit, der Glanz des beſternten Him⸗ 
mels über dem Berg. Das Rauſchen der Luft im alten Gras, 
ach, und dein ſchlagendes Blut, das alles miſcht ſich gefährlich 
in den Schlaf. 

Im Morgengrauen hängſt du dein Schießzeug um und biſt 
wieder unterwegs. Die Sonne trifft dich ſchon hoch oben zwiſchen 
den Gipfelfelſen, dort hockſt du und warteſt. Die Wahrheit zu 
ſagen, Schildhähne gibt es da nicht, auch keine Schneehühner, 
du wirſt deine Suppe ungewürzt verdauen müſſen. Aber gleich⸗ 
viel, du lehnſt die Büchſe an den Fels und ſtreckſt dich aus. Ganz 
und gar müßig biſt du ja nicht, du haft ſogar etwas Beſtimmtes 
im Auge, das Schutzhaus unten in der Mulde. Und dabei denkſt 
du an einen gewiſſen Morgen im vergangenen Frühjahr, und daß 
damals ein prächtiges Stück Wild in dieſer Gegend ſtand, ein 
Mädchen, kraus und braun und munter auf ſchlanken Beinen. 
Aber du verſtehſt dich zu wenig auf dieſe Jagd, ein Jahr verging, 
und es ſteckt noch immer kein grüner Bruch auf deinem Hut. 
„Was ſuchen Sie denn da?“ fragte das Mädchen, kraus und 
braun. 

„Spielhähne“, ſagteſt du, der bartige Jäger. 

Das verftand die Jungfer nicht, man mußte es ihr erklären, 
Jäger ſind artige Leute. Und ſchließlich war es dir auch erlaubt, 
neben ihr auf den Steinen zu ſitzen und allerlei zu erzählen, dies 


d 


und das aus deinem rauhen Leben. Das Mädchen hieß Angela, 
ſie wohnte unten im Schutzhaus. 

Oh, eine herrliche Zeit! Der Frühling auf dem Berg iſt nicht 
wie anderswo, nicht prunkvoll und prahleriſch mit einem Über⸗ 
maß von Blüten und Blumen. Er liegt in der Luft, der Berg 
atmet ihn aus. In der Stille liegt er oder im Orgelton des 
Windes über den Klüften, im Schrei der Raubvogel, im Schleifen 
und Ziſchen der Hähne, wenn ſie ums Morgengrauen über die 
taufeuchten Boden huſchen. Dieſer Frühling iſt nicht ſanft, 
Angela, kein zärtliches Getändel, er fällt dich mit Gewalt an, 
mit einem Mal ſtürzt er dir rauſchend ins Blut. 

Schlaflos liegen in ſternenhellen Nächten. Unter dem Reiſig⸗ 
ſchirm kauern, wenn im Zwielicht die Birkhähne raufen. Blitzen⸗ 
des Weiß unter krummen Federn, raſende Liebe, Pulverdampf 
und Tod, ſo iſt es in jedem Jahr. Aber damals lief Angela mit 
dir auf und ab durch die Almen. Du lagſt an ihrer Seite im 
Beerenkraut, Schneehühner flogen auf, der Habicht ſtieß vom 
hohen Himmel nieder in das Holz. Eine Unmenge Tiere gab es, 
Haſen und Eidechſen, und feuchtſchwarze Molche und ganz fern 
das Gemswild im Blickfeld des Glaſes. Spät am Tage, als du 
allein und traurig warſt, holteſt du noch Blumen für Angela aus 
der Wand. 

„Ach,“ fagte fie am andern Morgen, „Himmelſchlüͤſſel?“ 
Nein, Peterſtamm. Und du zeigteſt ihr die Stellen im Fels, wo 
der Peterſtamm wächſt. Kann ein Menſch dort Fuß faſſen? 
Ja, ein Mann wie du! Du ſteigſt ſogar vor ihren Augen ein Stück 
hinauf, geſtern nahmſt du freilich die leichtere Seite, aber gleich⸗ 
viel, nach ein paar Griffen hörteſt du Angela rufen, angſtvoll 
holte ſie dich zurück. 

Gut, wenn es nicht anders ſein konnte. Angela, und was den 
Peterſtamm betrifft, ſo hat es damit eine eigene Bewandtnis. 
Es gab einmal ein Mädchen in dieſer Gegend, das ſchlief den 
ganzen Sommer hindurch allein in ſeiner Kammer, immer allein. 
Nachts klopfte es am Fenſter, da ſtand der Jäger im Mond⸗ 


72 


1 


> 


Er 


NCT 


( Aa = 


Moritz von Schwind: Radierung 


Digitized by Google 


ſchein vor der Hütte. „Mach auf!” fagte er. „Ich habe Blumen 
für dich auf dem Hut, ö wenn du den Riegel 
aufmachſt.“ 

Nein, dachte das Mädchen, ich bin mir zu gut. Schweißblumen 
wachſen nicht hoch genug für mich. 

In der andern Nacht währte es ſchon länger, bis der Jäger 
wiederkam, und dann brachte er Edle Raute an das Fenſter, 
die wächſt viel hoͤher oben, nicht mehr im Gras. 

„Nein,“ ſagte die Jungfer zum zweiten Mal, „laß das Klopfen!“ 
Raute wächſt hoch, dachte ſie, aber nicht hoch genug für mich. 
Und in der dritten Nacht blieb der Jäger am längſten aus. Sein 
Hemd war naß von Schweiß und Blut, denn er hatte nach 
Peterſtamm geſucht, und ſo abgründig wie dieſer blüht kein 
anderes Kraut. 

Allein das Mädchen blieb auch dieſes Mal hart in ſeinem Über⸗ 
mut. „Peterſtamm blüht am höchſten,“ rief es durch das Fenſter, 
„aber mein Kranz hängt noch höher!” 

Da ſetzte der Jäger alles daran und ſtieg ein letztes Mal in die 
Wände, immer weiter hinauf an meſſerſcharfen Graten. Was für 
ein Kraut wächſt wohl am höchſten zwiſchen Himmel und Hölle? 
Ach, ein bitteres Kraut! 

Das Mädchen lag und wachte bis zum Hahnenſchrei, niemand 
klopfte an das Fenſter. Da wurde ihr bang, ſie lief hinaus und 
ſchrie und ſuchte, vielleicht mußte ſie nun ihr Leben lang allein 
in der Kammer ſchlafen, immer allein. Ja, das mußte ſie wohl, 
denn der Jäger lag tot auf dem Anger. Und er hatte nichts 
Grünes oder Blühendes in der Fauſt, nur einen Stein, der ſo 
hart und taub war wie das Herz des Mädchens. Alle ſeine 
Tränen halfen nicht mehr. Und ſeither, Angela, ſeit dieſem Tage 
muß jedes Mädchen den Riegel offen laſſen, wenn es abends 
Peterſtamm auf dem Fenſterbrett findet. 

Angela lag neben dir auf der Halde, wahrend du die Geſchichte 
vom übermütigen Mädchen erzählteſt. Der Wind zupfte an 
ihrem krauſen Haar, die Augen gingen dir über, ſo keck war der 


73 


Wind. Du mußt etwas wagen, dachteft du. Immer nur im Grafe 
hocken und Händchen drücken und weithin ſeufzen, das war ja 
lächerlich! Aber dann wollte Angela plotzlich nicht mehr bleiben, 
nein, man mußte endlich den Blumen Waſſer geben, behauptete 
ſie. Weil es doch ſo koſtbare Blumen waren! 

Einen Tag bliebſt du allein, am andern Mittag gingſt du zum 
Hüttenwirt, um Tabak einzukaufen. Du nahmſt auch einen 
Schnaps und fpäter einen zweiten, Hüttenwirte find nicht ſehr 
geſprächig. Wer wohnt da oben, wo der Peterſtamm am Fenſter 
ſteht? — Eine junge Dame, morgen reiſt ſie ab. 

So? Hüttenwirte ſind auch ſonſt ſchwer von Begriffen. Das 
kommt und geht eben, junge Dame, alte Dame, ihnen iſt es 
einerlei. 

Übrigens war ein Gewitter zu erwarten, es wurde ſchwül, ein 
gewiſſer metalliſcher Glanz lag über den Bergen. Auf dem Heim⸗ 
weg trafſt du unverſehens Angela. Sie ſtand zwar abſeits in den 
Stauden und war feuerrot vor Schreck, als du ſie anriefſt, aber 
du hatteſt recht gut bemerkt, woher ſie kam. Es wurde ein froͤh⸗ 
licher Tag, ach Gott, der fröhlichſte von allen, und als die Wetter: 
wolke aus dem Weſten herankroch, da wart ihr ſchon weit auf 
neuen Wegen. Da blieb keine andere Zuflucht mehr als deine 
eigene Hütte, zufällig traf es ſich ſo. 

Ja, plötzlich war alles Licht verdämmert, Angela ſchwieg betroffen 
und ſah ſich um. Im gleichen Augenblick prallte der Wind an 
den Berg, eine fauchende Welle, eiskalt und grob. Es ſang und 
kniſterte im Fels, Vögel ſchoſſen ſchreiend über euch weg, und 
Angelas Roͤcke flatterten wie bunte Sturmfahnen auf dem Grat. 
Unten im Grünen lag die Hütte, ein breites und ſicheres Dach, 
und gar nicht weit, Angela, ganz nahe! 

„Nein!“ ſagte Angela. 

Dann aber griff der Blitz durch die Wolke, ein flammender Arm, 
und ſchlug Feuer und Rauch aus dem verſengten Gras der jen⸗ 
ſeitigen Kuppe. Einen Atemzug lang erſtarb euch das Herz im 
Gebrüll des Donners zwiſchen den Wänden. „O Gott“, ſagte 


74 


Angela, ſehr nahe an deiner Schulter, und jetzt gab fie dir willig 
die Hand für den Weg durch das Geroͤll. Der Regen jagte euch 
unter die Wetterbaume, Angela nahm deinen Hut und auch den 
Lodenrock über ihr dünnes Zeug, und zuletzt rannteſt du voraus, 
um die Hütte aufzuſchließen. Wenn Angela kam, konnte ſchon 
Feuer auf dem Herd brennen, du würdeſt ſogleich einen tüchtigen 
Topf zuſetzen, heißen Tee und Branntwein für das frierende 
Kind. Draußen ware Sturm und krachender Donner, und wenn 
Angela vielleicht noch immer ängſtlich war, dann konntet ihr ja 
auch in der Kammer ſitzen, noch nie ſeit Menſchengedenken hat 
der Blitz in einen Jaͤgerſtrohſack geſchlagen. 

Schon unterwegs grubſt du nach dem Schlüffel in deiner Hofe, 
zum Teufel, Pfeife und Feuerzeug und Tabak in allen Taſchen, 
du hatteſt doch um Gottes willen kein Loch im Hoſenſack? 
„Angela!“ riefſt du zurück, „haſt du den Schlüſſel im Rock?“ 
Ein ganz winziges Schlüſſelchen, Angela, aber koſtbar. Fünf 
Zͤͤhnchen hatte es, man konnte es wie einen Ring an den Finger 
ſtecken, fo hübſch und zierlich war das Schlüſſelchen. Und ein fo 
prächtiges Unwetter dazu, die Hütte ſchwamm in Sturzbächen, 
eine friedliche Arche mitten in der Sintflut, du hatteſt ſogar 
Lebkuchen eingekauft, nicht nur Tabak, und nun war der Schlüffel 
verloren! Eine Weile tobteſt du wie ein angeſchweißter Bär vor 
allen Luken, aber das half nicht, Riegel und Gitter hielten ſtand. 
Du wollteſt die Tür eintreten, aber dort ſaß Angela auf der 
Schwelle, nein, hier hatte ſie endlich einen trockenen Fleck! 
Das breite Vordach ſchützte euch notdürftig, und da hocktet ihr 
nun, ausgeſtoßen und ſogar um den Apfel betrogen. Das Wetter 
verfing ſich in dem engen Keſſel, es zog im Kreis herum mit 
Blitzen und Güſſen, und das mochte in Ewigkeit kein Ende 
nehmen, Wind und ſpritzendes Waſſer. Vor den Füßen gurgelte 
ein Bach, Bäche tropften aus deinem Haar, kleine Rinnſale aus 
den Armeln des Hemdes. Aber jedesmal, wenn es dich ſchüttelte, 
rückte Angela ein wenig näher an deine Seite, und dafür frorſt 
du ja auch aus Leibeskräften. Zuletzt reichte der Rock ſogar für 


75 


beide, es war vielleicht überhaupt am beften, man nahm einander 
um den Hals. 

„Gib mir die Hand, Angela,“ ſagteſt du, — „was haft du da in 
der Fauſt?“ 

„Nichts, laß es. — Frierſt du noch?“ 

„Nein, jetzt gar nicht mehr. Willſt du wirklich bald abreiſen?“ 
„Morgen“, ſagte Angela. „Leider“, fügte ſie hinzu. 

Aber ſie würde wiederkommen? Im Sommer, Angela? 

„Ja, vielleicht!“ 

Ach, und ſo verging eine lange Zeit. Ihre Hand gab dir Angela 
nicht, die vergrub ſie feſt in ihrem Schoß. Aber du warſt nicht 
eigenſinnig, dafür durfteſt du ſonſt allerlei wagen. Wie ſchnell 
ſchlug das Herz deines Mädchens, wie ſanft war ihre Wange, 
du dachteſt an etwas Kühles und Zärtliches, an ein Birkenblatt 
im Tau. „Angela,“ ſagteſt du, „wenn du wiederkommſt, dann 
blühen die Almroſen, denke dir, alles rot und rot auf unſerem 
Berg!“ 

Der Himmel brach auf und war dein Zeuge, ja, mochte der 
Schlüſſel verloren ſein, du haſt dennoch ein treues Herz wie 
Gold. Und du wirſt immer auf Angela warten, ewig. 
„Immer?“ fragte Angela. 

Aber der Sommer verging, auch der Herbſt. Jetzt, im Frühling, 
blühen wieder die Anemonen auf der Halde, Enzian und Peter⸗ 
ſtamm im Fels. Du läufſt umher auf den vertrauten Wegen, 
Unruhe und Kummer im Blut. Streifſt um das Haus und 
ſuchſt die Fenſter mit dem Glaſe ab, — alte Damen, junge Damen, 
keine iſt wie Angela. 

Was ſtand auf dem Zettel? Auf Wiederſehn. Eines Morgens 
wirſt du dein Mädchen finden, kraus und braun, ſei nur geduldig. 
Sie wird irgendwo am Wege ſitzen oder unter den Bäumen und 
wird auf dich warten. 

Bei Gott, das wird ſie tun! 


76 


Rudolf Alexander Schröder 
Der Genfer See 


Sacht am füdlichen Hang lehnt mir die Klauſe nun, 
Drin ich wohne, beſchirmt gegen den Winterwind, 
Wohne, weil mir im Rücken 
Noch dies bunte Gebirg beſteht. 


Drin ich länger des Tags, länger des Sommerlichts 
Und der Wärme genieß. Aber herniederwarts 
Schau, die Länder beſucht ich, 
Schau, die Waſſer befuhr ich einſt. 


Kameſt, lange gehofft, lang mir erbeten du, 
Kaum erwartet annoch, aber willkommener 
Denn die Frühe, des Jahres 
Linder, lächelnder Nachmittag; 


Da die goldene Tracht, Beere bei Beeren mir 
Goldner funkelt und ſchwillt, röter der Apfel reift, 
Da noch ſcheidend die Roſe 
Blüht, doch duftet der Berg wie Wein. 


Einſam? — Aber ich darf freilich fo ſtill nicht ruhn; 
Pfade winken genug, winken hinab, hinauf. 
— Wohl, längſt bin ich dem Mann gleich, 
Der von drüben, ein Fremdling, Fam. 


Bins und bin es auch nicht, lauſche dem Lobgeſang, 
Glocken, wenn ſie das Land drunten vernahm und dankt, 
Wenn im reineren Windhauch 
Berg und Wolke verwandelt glänzt. 


77 


Ah, und atmet mir nicht Jugend im Glanzgewoͤlk, 
Nicht im wehenden Wind Freude? — Du weißt es, Herz, 
Weißt es: hinter den Hügeln 
Steht im Dammer bereits der Stern. 


Abend. — Alſo verſtummt Feier des ſcheidenden 
Tags; die Firnen hinauf ſchwand er ins Leere. Nacht 
Rückt mit raunenden Lichtern 
Nordwärts. Blicke du, Wächter, denn 


Wachſam, blicke getroſt immer der Sonne nach. 
Bald! — Von lohen Gewaͤnds Feldern im Untergang 
Setzt dein kehrender Morgen 
Die demantenen Sohlen auf. 


* 


Friedrich Nietzſche 


Die Umwertung aller Werte 


Es naht ſich, unabweislich, zögernd, furchtbar wie das Schickſal, 
die große Aufgabe und Frage: Wie ſoll die Erde als Ganzes ver⸗ 
waltet werden? Und wozu ſoll „der Menſch“ als Ganzes — und 
nicht mehr ein Volk, eine Raſſe - gezogen und gezüchtet werden? 

Die geſetzgeberiſchen Moralen ſind das Hauptmittel, mit denen 
man aus dem Menſchen geſtalten kann, was einem ſchoͤpferiſchen 
und tiefen Willen beliebt: vorausgeſetzt, daß ein ſolcher Künſtler⸗ 
Wille höchften Ranges die Gewalt in den Händen hat und feinen 
ſchaffenden Willen über lange Zeiträume durchſetzen kann, in Ge⸗ 
ſtalt von Geſetzgebungen, Religionen und Sitten. Solchen Men⸗ 
ſchen des großen Schaffens, den eigentlich großen Menſchen, wie 
ich es verſtehe, wird man heute und wahrſcheinlich für lange noch 
umſonſt nachgehen: ſie fehlen; bis man endlich, nach vieler Ent⸗ 
täufchung, zu begreifen anfangen muß, warum fie fehlen und 


78 


daß ihrer Entſtehung und Entwicklung für jetzt und für lange 
nichts feindſeliger im Wege ſteht als das, was man jetzt in Europa 
geradewegs „die Moral“ nennt: wie als ob es keine andere gäbe 
und geben dürfte, — jene vorhin bezeichnete Herdentier⸗Moral, 
die mit allen Kräften das allgemeine grüne Weide⸗Glück auf Er⸗ 
den erſtrebt, nämlich Sicherheit, Ungefährlichkeit, Behagen, Leich⸗ 
tigkeit des Lebens und zu guter Letzt, „wenn alles gut geht“, ſich 
auch noch aller Art Hirten und Leithammel zu entſchlagen hofft. 
Ihre beiden am reichlichſten gepredigten Lehren heißen: „Gleich⸗ 
heit der Rechte“ und „Mitgefühl für alles Leidende“ — und das 
Leiden ſelber wird von ihnen als etwas genommen, das man 
ſchlechterdings abſchaffen muß. Daß ſolche „Ideen“ immer noch 
modern fein konnen, gibt einen üblen Begriff von dieſer Moderni⸗ 
tät. Wer aber gründlich darüber nachgedacht hat, wo und wie die 
Pflanze Menſch bisher am kräftigſten emporgewachſen iſt, muß 
vermeinen, daß dies unter den umgekehrten Bedingungen ge⸗ 
ſchehen iſt: daß dazu die Gefährlichkeit feiner Lage ins Ungeheure 
wachſen, feine Erfindungs⸗ und Verſtellungs⸗Kraft unter langem 
Druck und Zwang ſich emporkämpfen, ſein Lebens⸗Wille bis zu 
einem unbedingten Willen zur Macht und zur Übermacht geſtei⸗ 
gert werden muß, und daß Gefahr, Härte, Gewaltſamkeit, Ge⸗ 
fahr auf der Gaſſe wie im Herzen, Ungleichheit der Rechte, Ver⸗ 
borgenheit, Stoizismus, Verſucher⸗Kunſt, Teufelei jeder Art, 
kurz der Gegenſatz aller Herden⸗Wünſchbarkeiten zur Erhöhung 
des Typus Menſch notwendig iſt. Eine Moral mit ſolchen umge⸗ 
kehrten Abſichten, welche den Menſchen ins Hohe ſtatt ins Be⸗ 
queme und Mittlere züchten will, eine Moral mit der Abſicht, eine 
regierende Kaſte zu züchten — die zukünftigen Herren der Erde —, 
muß, um gelehrt werden zu können, ſich in Anknüpfung an das 
beſtehende Sittengeſetz und unter deſſen Worten und Anſcheine 
einführen. Daß dazu aber viele Ubergangs⸗ und Täuſchungsmittel 
zu erfinden ſind und daß, weil die Lebensdauer eines Menſchen 
beinahe nichts bedeutet in Hinſicht auf die Durchführung ſo lang⸗ 
wieriger Aufgaben und Abſichten, vor allem erſt eine neue Art 


79 


angezüchtet werden muß, in der dem nämlichen Willen, dem näm⸗ 
lichen Inſtinkte Dauer durch viele Geſchlechter verbürgt wird — 
eine neue Herden⸗Art und ⸗Kaſte —, dies begreift fic) ebenſogut 
als das lange und nicht leicht ausſprechbare Undſoweiter dieſes 
Gedankens. Eine Umkehrung der Werte für eine beſtimmte ſtarke 
Art von Menſchen hoͤchſter Geiſtigkeit und Willenskraft vorzu⸗ 
bereiten und zu dieſem Zwecke bei ihnen eine Menge in Zaum ge⸗ 
haltener und verleumdeter Inſtinkte langſam und mit Vorſicht zu 
entfeſſeln: wer darüber nachdenkt, gehört zu uns, den freien 
Geiſtern — freilich wohl zu einer neueren Art von „freien Geiſtern“ 
als die bisherigen: denn dieſe wünſchten ungefähr das Ent⸗ 
gegengeſetzte. 


Ich habe das Glück, nach ganzen Jahrtauſenden der Verirrung 
und Verwirrung den Weg wiedergefunden zu haben, der zu einem 
Ja und einem Nein führt. 

Ich lehre das Nein zu allem, was ſchwach macht, — was erſchoͤpft. 
Ich lehre das Ja zu allem, was ſtärkt, was Kraft aufſpeichert, 
was das Gefühl der Kraft rechtfertigt. 

Man hat weder das eine noch das andere bisher geglaubt: man hat 
Tugend, Entſelbſtung, Mitleiden, man hat ſelbſt Verneinung des 
Lebens gelehrt. Dies alles find Werte der Erfchöpften. 

Ein langes Nachdenken über die Phyſiologie der Erfchöpfung 
zwang mich zu der Frage, wie weit die Urteile Erſchoͤpfter in die 
Welt der Werte eingedrungen ſeien. 

Mein Ergebnis war fo überrafchend wie möglich, ſelbſt für mich, 
der in mancher fremden Welt ſchon zu Hauſe war: ich fand alle 
oberſten Werturteile, alle, die Herr geworden ſind über die Menſch⸗ 
heit, mindeſtens zahm gewordene Menſchheit, zurückführbar auf 
die Urteile Erſchöpfter. 

Unter den heiligſten Namen zog ich die zerſtöreriſchen Tendenzen 
heraus; man hat Gott genannt, was ſchwächt, Schwäche lehrt, 
Schwäche infiziert .. ich fand, daß der „gute Menſch“ eine 
Selbſtbejahungsform der décadence iſt. 


80 


Jene Tugend, von der noch Schopenhauer gelehrt hat, daß fie die 
oberſte, die einzige und das Fundament aller Tugenden ſei: eben 
jenes Mitleiden erkannte ich als gefährlicher als irgendein Laſter. 
Die Auswahl in der Gattung, ihre Reinigung vom Abfall grund⸗ 
ſätzlich kreuzen — das hieß bisher Tugend par excellence... 
Man ſoll das Verhängnis in Ehren halten; das Verhängnis, 
das zum Schwachen ſagt: „Geh zugrunde!“ .. 

Man hat es Gott genannt, daß man dem Verhängnis wider⸗ 
ſtrebte, daß man die Menſchheit verdarb und verfaulen machte... 
Man ſoll den Namen Gottes nicht unnützlich führen.. 

Die Raſſe iſt verdorben — nicht durch ihre Lafter, ſondern ihre 
Ignoranz: fie iſt verdorben, weil fie die Erſchoͤpfung nicht als Gr: 
ſchöpfung verſtand: die phyſiologiſchen Verwechſlungen ſind die 
Urſache alles Übel... 

Die Tugend ift unfer großes Mißverſtändnis. 

Problem: Wie kamen die Erſchöpften dazu, die Geſetze der Werte 
zu machen? Anders gefragt: Wie kamen die zur Macht, die die 
Letzten find? ... Wie kam der Inſtinkt des Tieres Menſch auf den 
Kopf zu ſtehn .. 


Wir ſind die Erben der Gewiſſens⸗Viviſektion und Selbſtkreuzi⸗ 
gung von zwei Jahrtauſenden: darin iſt unſre längſte Übung, 
unſre Meiſterſchaft vielleicht, unſer Raffinement in jedem Fall; 
wir haben die natürlichen Hänge mit dem böfen Gewiſſen ver: 
ſchwiſtert. 

Ein umgekehrter Verſuch ware möglich: die unnatürlichen Hänge, 
ich meine die Neigungen zum Jenſeitigen, Sinnwidrigen, Denk⸗ 
widrigen, Naturwidrigen, kurz die bisherigen Ideale, die alleſamt 
Welt⸗Verleumdungs⸗Ideale waren, mit dem ſchlechten Gewiſſen 
zu verſchwiſtern. 


Meine Philoſophie iſt auf Rangordnung gerichtet: nicht auf 
eine individualiſtiſche Moral. Der Sinn der Herde ſoll in der 
Herde herrſchen, — aber nicht über fie hinausgreifen: die Führer 


81 


der Herde bedürfen einer grundverſchiedenen Wertung ihrer 
eigenen Handlungen, insgleichen die Unabhängigen oder die 
„Raubtiere“ uſw. 


Jede Lehre iſt überflüffig, für die nicht alles ſchon bereit liegt an 
aufgehäuften Kräften, an Exploſiv⸗Stoffen. Eine Umwertung 
von Werten wird nur erreicht, wenn eine Spannung von neuen 
Bedürfniſſen, von Neu⸗Bedürftigen da iſt, welche an den alten 
Werten leiden, ohne zum Bewußtſein zu kommen. 

Aus dem „Nietzſche⸗Brevier“ in der Inſel⸗Bücherei 


* 


Edzard H. Schaper 
Die Nachfahren Petri 


Neunzehn Jahrhunderte nach dem Tage, da am Galiläiſchen 
Meer der Verheißene Simon und Andreas von ihren Booten, 
Netzen und Angeln und dem ganzen mühſeligen Tagewerk ge⸗ 
rufen hatte, um ſie zu Menſchen⸗Fiſchern zu machen, und wenige 
Tage {pater Jakobus und Johannes, Söhne des Zebedaͤus, die 
mit dem Vater zuſammen gerade dabei waren, die Netze zu 
flicken, — neunzehn Jahrhunderte ſpäter fuhr ein Fiſchdampfer 
durch die Nordſee, rundete Skagen und nahm ſeinen Weg längs 
Norwegens Küſte nordwärts, um die Fanggründe des Eismeeres 
aufzuſuchen und Dorſch, Schellfiſch und was es ſonſt gäbe 
zu fiſchen. 

Es ging gegen Dezember, aber im Golfſtrom war keine Kälte zu 
fürchten; erſt als das Schiff in den Weſtfjord einbog und mit dem 
Lotſen an Bord durch die Fjorde, an Trand, Tromfd und Honnings⸗ 
vaag vorbei, dem Nordkap entgegen fuhr, ſaugte der Froſt den 
ewigen Staubregen des Atlantik auf. Die Maſten des Schiffes 
wurden dick wie Schornſteine, die Pardunen und Wanten wie mit 
weißem Pelz umſchlagen, die Winſchen lagen ſachte ziſchend unter 


82 


weißen Decken, jeder Draht und jedes Tau hatte feinen Reif 
mantel an, die Anker hingen als große Eisklumpen aus den 
Klüſen 

Rein und blitzend weiß ſtampfte der Dampfer nordwärts, ein 
ganz neues Schiff, Morgen für Morgen, — bis am Nordkap der 
Golfſtrom ihm wieder begegnete und ihm in einer Nacht zu 
ſeinem gewohnten ſchmutzigen Ausſehen verhalf. Das Deck 
war oͤlig und die Winſchen verkleiſtert von geronnenem Schmier⸗ 
öl, die Pardunen ſchwarz und der Maſt zerſchunden, alles be⸗ 
gegnete ſich wieder, wie es ſich kannte, und in dieſer Rückkehr lag 
Sinn, denn nun ſollte das Schiff an ſeine Arbeit gehen, in der 
es ſo geworden, wie es nun mal war. 

Qualmend arbeitete es ſich durch die See. Es dunkelte, es nach⸗ 
tete, es wurde am Ende nie wieder hell. Unter dem Polarkreis 
hatte man Abſchied von der Sonne genommen, Finſternis brütete 
jetzt über dem Meer, kaum daß ſie gegen Mittag der Zeitrechnung 
etwas aufgraute, und die Uhr des Schiffes verlor ihren Sinn, 
denn ihre Stunden konnten Morgen oder Abend zugehören, — wer 
wußte das genau? Mit der allmählich ferneren Küfte blieben 
auch Raum und Zeit zurück; die Nacht, die Unendlichkeit, die 
über dem ſkvalpenden Waſſer zu brüten ſchienen, nahmen Beſitz 
von dem raſtlos vordringenden Schiff, und das Licht, das es nach 
allen Seiten hin ausſtrahlte, wurde von Nebel und Dunſt wie 
mit dicken Tüchern aufgefangen und allſogleich erſtickt. 

Wie in einem Sarg ging das Leben der Menſchen vor ſich. 

Vor dem Mafſt lagen fie in ihren Kojen, über ſich niedrig die 
Decke, nach allen Seiten hin Wände, die Habſeligkeiten hinter 
dem „Wellenbrecher“ verſtreut, ſtarrten dofend zur Decke, fpieen 
nach außen, ſtierten ins Skylight, hinter dem das Dunkel ſtand, 
wie überall, und ſpuckten wieder. Das Bugwaſſer flog ziſchend 
über das Schanzdeck, jede Welle ließ den Bug ſich heben, und 
jedes Wellental ließ ihn fallen; mit geſchloſſenen Augen mochte 
man glauben, in einem ſehr ſchnell auf und ab fahrenden Fahrſtuhl 
zu ſein, oder in einer Luftſchaukel, und ebenſo wußte man die 


83 


Heizer ſtehen, in der Finſternis, vor dem doͤrrenden Glutſchein 
der Feuer, den Koch, den Steuermann, den Nudergänger, jeder 
dort, wo ſein Platz war, alleſamt wie krabbelnde oder verweilende 
Würmer in einem Sarg, in dem es nach Fiſch, nach Gl, nach 
Schnaps und nach Menſchen ſtank. 

Mit diefem engen Mantel von Geſtank rollte das Schiff über die 
weite Strecke, die auf den Karten „Skolpenbank“ genannt wird, 
und taſtete ſich in der Finſternis, in der Zeit und Gedanke noch 
unfaßlich gebunden ſcheinen, ſüdwäͤrts, der ſibiriſchen Küſte ent: 
gegen. Und als führe es in einen Sack hinein, gähnte Finſternis 
vor ihm und ſchloß ſich Finſternis hinter ihm mit ſeinem Kiel⸗ 
waſſer; Backbord und Steuerbord waren gleich dunkel; aber der 
Sarg ſchwamm, es lebten Menſchen darin, die ſich niemals 
wuſchen, weil das beim Fiſchen Unglück bringt, und klarten ſich, 
ſo gut ſie konnten. Sie ſtolperten und flogen durcheinander auf 
dem glitſchigen Deck, alles zum Fang vorbereitend, das Rollen 
der Winſchen zerſprengte die Finſternis und das Schweigen, die 
Morſelampe zuckte, die Antenne ſchwirrte wie ein Schwarm blut⸗ 
dürſtiger Mücken, — aber alles wurde gleich wieder eingefangen, 
kaum daß es dem Getriebe entglitten war, und wie mit ſchweren 
Tüchern erſtickt in Lautloſigkeit und Schweigen, das ſich pei⸗ 
nigend über alle Zonen ſpannte, und Nachtſchwärze, die keinen 
Grund kannte und von einem Ende der Welt zum anderen zu 
reichen ſchien. 

Die großen Scheinwerfer an der Brücke, in der Finſternis ein 
Erſatz für die Sonne, und deshalb wohl auch Sonnenbrenner 
genannt, brannten probeweiſe zum erſtenmal. Es hatte wieder 
begonnen kalt zu werden, und dann und wann taſteten ihre 
Strahlen hinaus in die Finſternis und argwoͤhnten, Treibeis zu 
treffen. Dann kam grobe See, und das Schiff hieb mit dem Steven 
in die mächtigen Wellen und hackte ſich recht und ſchlecht ſeinen 
Weg ſüuͤdoſtwärts. Vögel, Futter witternd, kamen lautlos, ohne 
zu ſchreien, wie Eulen ſo ſtill, wie Motten zum Licht und ſchwebten 
eine Weile über dem Kielwaſſer und um die Maſten. 


84 


Einmal klomm das Schiff wie ein wanderndes Haus auf einen 
Wellenberg, und dann wieder ſchien es ein Unterſeeboot zu wer⸗ 
den und fuhr eine gute Weile bis an die Aufbauten unter Waſſer, 
daß die Maſchine geſtoppt werden mußte, um überhaupt wieder 
hoch zu kommen, — bis ein andermal die achtern in der Luft 
raſende Schraube die Verwandlung zum Flugzeug andeuten 
wollte. Aber es ſchwamm, es ſchwamm gut, es klarte ſich in dieſem 
Waſſer beſſer als mancher Vogel. 

Erſt wurde einer, der dicht über dem Waſſer geflogen war und 
blitzſchnell nach irgendeinem Abfall tauchen wollte, von einer 
Querwelle erfaßt, gegen die Aufbauten geſchlagen und trieb nun 
hilflos, betaubt im verſtrudelnden Waſſer herum, und dann war 
es noch ein zweiter, der dem Schiff nicht rechtzeitig entrann und 
mit einem Brecher, der ſich über das Vorſchiff ergoß, Hören und 
Sehen vergaß. Man holte die beiden auf die Brücke; es war 
Geiſtesgegenwart genug nötig, daß es dem Boten nicht wie den 
Vögeln erging, und unter dem Schein der Lampe im Kartenhaus, 
unter den beluſtigten Geſichtern bärtiger Männer erwachten die 
beiden Opfer wieder aus ihrer Ohnmacht. 

„Was iſt das für einer ...?“ fragte der Rudergänger, der fic) in 
den vielen Arten von Vögeln nicht auskannte. 

„Der hier ...? der ſchwarze ...? — Das heißt man einen, Jan 
van Gent‘! 

„Und der graue da, mit dem langen Fiſchfänger⸗Schnabel ...“ 
„Das iſt nur ein, Dummer Auguſt'!“ 

„Merkwürdige Namen!“ ſagte der Rudergaͤnger. Der Wacht: 
habende fal ihn grinſend an, nahm die beiden erwachten Vogel fo, 
daß ſie nicht beißen konnten, und warf ſie in Lee zur Tür hinaus. 
Eine Strecke lang flogen ſie wie Steine, aber dann breiteten ſie 
die großen Flügel aus und ſtürzten, vom Winde erfaßt, mit 
einem heiſeren Schrei davon. 

„Ja, — Namen, — Namen ...“ ſagte der Wachthabende und 
ſchloß die Tür; ſeine Augen bohrten ein wenig in der Wand 
Finſternis, in die das Schiff einen kleinen, ſchwachen Keil ſchlug. 


85 


. . „Hier bekommt dat Kind fin’ Namen und wird lopen laten, 
dſcha, lopen laten ...“ 
Ja, es bekam ſeinen Namen und wurde laufen gelaſſen. Es lief 
dahin, — wohin? — wer konnte das wiſſen! Die Finſternis über⸗ 
ſpannte die ganze Welt. Es flog, und es ſchwamm, das Kind, es 
trug ſeinen Namen, und die ſaugende Leere der nachtſchwarzen 
Welt zehrte daran; es wurde namenlos mit all ſeinen Namen, 
es fiel in feine Anfangsgründe zurück, und wie es einmal in irgend⸗ 
einer Stunde unter den beluſtigten Blicken verwilderter Kerle 
genannt worden war, im Schein einer vergänglichen Licht⸗ 
inſel, umgeben von ewigem Dunkel, war es die Willkür einer 
Handvoll Menſchen in ihrer undurchdringlichen Einſamkeit, 
durch die fie von Geſchlecht zu Geſchlecht über der Meeres vogel 
Namen Kunde gaben. 


Wie alle Schiffe, ſo hatte auch dieſes Leute, die vor dem Maſt, 
in einem „Ruff“, und andere, die achtern, in der „Meſſe“, unter⸗ 
wegs waren. So namenlos wie die Fiſcher des Galiläiſchen 
Meeres, ehe ſie zu Menſchenfiſchern wurden, waren die Leute 
hier vor dem Maſt, im „Ruff“, und dazu noch trugen ein paar 
von ihnen jene Namen, die ſpäter geheiligt und unter deren Zei⸗ 
chen Kirchen und Klöfter gebaut wurden. 

Johannes, oder kurz: Jan genannt, war der eine; er kam aus Oſt⸗ 
friesland. Jakob war der andere und war zwiſchen Nordenhams 
Häuſern aufgewachſen; Andreas, der dritte, ſtammte aus Pom⸗ 
mern; und Simon endlich, zum Spaß manchmal auch Petrus 
genannt, mahnte in ſeinem Kauderwelſch daran, daß er Däne 
dem Vaterland und Deutſcher dem Seemannsbuch nach war. — 
Mar endlich hieß ein Heizer, der das Ruff mit jenen anderen 
und noch einigen teilte, doch eigentlich hieß er Markus und 
fhamte ſich dieſes frommen Namens, weil er ein vor den Feuern 
ausgedörrter, grimmiger Kerl war, der ohne die tägliche Buddel 
Rum nicht auskommen konnte und fein frühzeitig alt gewordenes 
Geier⸗Geſicht endloſen Zechereien, Schlägereien, Ludereien und 


86 


der Berſerker⸗Hitze aller Bunker und Feuerrdume aller Flotten 
der Welt verdankte, denn nirgends hatte er es lange ausgehalten. 
Und gleich den bibliſchen Fiſchern waren auch dieſe hier andauernd 
im Trab, nahmen das ſteinalte Brot und die grünliche Mar⸗ 
garine, den tranigen Eberſpeck, die ſauren Königsberger 
Klopſe aus Corned beef, in Eſſigwaſſer gekocht, und die verdor⸗ 
bene Büchſenwurſt auf ſich, ſchufteten, bis zu den Hüften im 
Waſſer ſtehend, len ſich die Hande blutig an den neuzeitlichen, 
hakigen Stahldraht⸗Troſſen, froren ſich die Finger ab in der ſibi⸗ 
riſchen Kälte, vergifteten ſich den Magen mit Katfiſch⸗Leber, 
daß fie am ganzen Körper blau anliefen und nur das taſſenweiſe 
eingegebene Rizinusöl des Kapitäns ſie vor dem ach! ſo bettlä⸗ 
gerigen Seemannstod bewahrte, ſtanden feſtgebunden bei ſchwerer 
See am Gangſeil, fünfzig, ſechzig und mehr Stunden lang, bei 
Kälte und Sturm, wund, blutig, eiſende Handſchuhe an, Fiſche 
fangend, Fiſche ſchlachtend, und einer von ihnen: der Jüngſte, 
der Dümmſte, ſtand wie in einer Tretmühle im Waſſerſchaff, 
ſtundenlang, tagelang, in vereiſten Gummiſtiefeln, und trat den 
toten Fiſchen auf den aufgeſchnittenen Leib, daß ſie gut ausbluten 
ſollten, - ſtelzte herum wie ein ägyptiſcher Sklave, umſpritzt von 
Friſchwaſſer, das ein lecker Schlauch in das Schaff entließ und 
auf ihn, bis ſein ſchafwollener Islandjanker allmählich zum Eis⸗ 
ſchuppenpanzer wurde und er einem behenden auſtraliſchen Gür⸗ 
teltier glich. Und jeden Fiſch, jeden einzelnen aus den Tauſenden 
von Zentnern, die das Schiff zu fangen ausgeſchickt war, — jeden 
Fiſch, wenn er gut ausgeblutet war, packte er einmal im Leben 
am Schwanz und warf ihn im hohen Bogen in ein anderes der 
Fächer, in die das Vordeck eingeteilt war. 

Tage und Nächte ein einziger ununterbrochener Arbeitstag, ein 
„Törn“, Wochen reihten ſich undurchdringlich aneinander. Die 
Buddel dann und wann an den Mund, im Schlaf, wie die an⸗ 
deren, die nach ſiebzig Stunden Arbeit ununterbrochen einfach 
nicht mehr konnten und ſchlafend im grellen Licht der Sonnen⸗ 
brenner ſtanden, feſtgebunden bei der ſchweren See, wippend und 


87 


knickſend in den Knieen beim Rollen und Schlingern des Schiffes, 
das Meſſer in der blutigen Fauſt, bis an die Hüften in dem mit 
leiſem Schmatzen verendenden Fiſch, der ſich in ſeiner Todes⸗ 
angſt, und um den heraufquellenden Magen noch niederzuhalten, 
gegenſeitig auffraß, — zwiſchen Schellfiſch und Katfiſch, Speck⸗ 
fifd und vielarmigen Rochen, Seehaſen und Seeſternen, Mu: 
ſchelgetier und Krebsgetier, — aber ſchlafend, das Kinn auf der 
Bruſt, Bart und Backen mit einer dünnen Eisſchicht überzogen, 
ſtöhnend, wenn ſie erwachten und das Leben an den feſtgefrorenen 
Mienen riß. 

Tag und Nacht ſtanden Jan, Jakob, Andreas und Simon ſo, 
und Max⸗Markus war feine Zwölf⸗Stunden⸗Schicht vor den 
Feuern und ſprang dann und wann ſchweißverklebt, halbnackt, 
eine Rum⸗Rauch⸗Fahne hinter ſich, an ihnen vorbei. — Halb 
ſchlafend ſetzten ſie ein neues Netz aus, wenn an Deck ein wenig 
aufgearbeitet war, gingen zu Kojs, aber nach einer Weile hieß 
es wieder: „Antörnen! All hands an Deck!“, und bei Hagel und 
Schlackſchnee krochen ſie an Deck und über Deck herum, mal 
hoch über, mal bis an die Hüften im Waſſer. Dann ging einer 
bei Gelegenheit eines Nachts über Bord beim Gang zur Kom⸗ 
büſe, ſie merkten es erſt nach Stunden, als er nirgends zu finden 
war, und da war es zum Suchen zu ſpät. Billig davongekommen 
wollte man es nennen, wenn es nur einer auf dieſer Fahrt blieb, 
keiner wollte der Nächſte ſein, und ſo krochen ſie von nun an bei 
ſchlechtem Wetter, — mußte es ſchon ſein, — über die Brücke, 
durch die Schächte, an mooſig⸗rußigen Leitern in die Bunker, 
von dort in den Feuerraum zu Markus, dann in die Maſchine 
und von da wieder treppauf in die Kombüſe, um Eſſen zu holen, 
und denſelben Weg zurück mit Napf und Schüſſel. 

„For ſören, for hundan, for pokkers, for fanken, for ſyttan, for 
fettan, for fanden, for tyvſan,“ — endlich: „for ſatan!“ fluchte 
Simon; es bedeutete alles ein und dasſelbe: Zum Teufel mit 
dieſem Leben! Sie alle waren damit nicht zufrieden, aber ſie alle 
bekamen ein Viertel Prozent vom Fang⸗Erlös, und dies Viertel⸗ 


88 


prozent brachte fie dazu, wahre Wunderdinge zu vollbringen an 
Kraft und Ausdauer, und den Tran der Leber kochten ſie gar unter 
einer warmen Wolke von Geſtank auf eigene Rechnung aus und 
ſchlabberten ein paar Taſſen gleich, lauwarm wie er war, in ſich 
hinein. Und dennoch maulten und knurrten ſie, es war „aldeles 
ikke det rigtige“, wie Simon meinte. 

Bisweilen aber wurden die Zeiten doch etwas ruhiger. Entweder 
ſie hatten zum Schluß doch ein Einſehen achtern, oder man fuhr 
gerade zu anderen Fanggründen, die der Funker aus dem Klatſch 
der Schiffe rundum erraten hatte. Jedenfalls wurde es ruhiger 
im Ruff, Stunde um Stunde lagen ſie alle unbeweglich in ihren 
Särgen, an den Wänden hingen Mäntel und Jacken zum 
Trocknen und ſchwebten mit dem Krängen des Schiffes ſachte in 
den Raum hinein oder drückten ſich an die Wand. Die Stiefel 
lagen umher: ein Berg, ſchlibbrig und ſilbrig von Fiſchſchleim 
und ⸗ſchuppen, und erfüllten das Ruff mit ſchwerem Dunſt, der 
Kanonenofen war glutrot und ſprühte Hitze, wie für die heißeſte 
Holle geſchaffen, und in der von Geſtank geſättigten, verbrauchten 
Luft konnte die Lampe nur blinzeln, indes ein Rußfaden, wie 
Zwirn ſo ſchwarz, beſtändig zur Höhe ſtieg. 

So lagen ſie nun alle in ihrem Sarg, unbeweglich, wie es ſich 
für Todmitde geziemt. Ab und an lehnte ſich einer zur Koje hinaus 
und ſagte etwas nach unten, nach hinten oder nach oben oder zur 
Seite, und manchmal dauerte es nicht lange, und ſie hatten alle 
die Köpfe hinausgeſtreckt und ſchwatzten wie Dorfleute und 
Nachbarn im Leben und Tode, ein jeder aus feinem Sarg. — Da 
kam es heraus, was ſie wollten, und ſo geſagt, wie es ihnen nun 
mal zumute war. 

Erſt redeten ſie über Häfen und Schiffe, Kapitäne und Kame⸗ 
raden, und zum Schluß ſagte Simon aus Jütland, daß dieſes 
Leben „aldeles ikke det rigtige“ ſei. Wie aber ſollte es denn ſein? 
Sie warteten auf keinen vorbeiwandernden Propheten, der ſie zu 
Menſchenfiſchern berufen ſollte, ſie hatten nichts, worauf ſchon 
ihre Gorvater warteten, fie hatten keine andere Verheißung als 


89 


die aller Unzufriedenen: daß die Reeder einmal fifchen follten 
und ſie — Simon, Andreas, Jan, Jakob und Markus — mal 
in den Direktionsſeſſeln ſitzen und Braſil rauchen müßten, ab 
und zu ein Schreibmafchinenfräulein vornehmen und ein bißchen 
„koſelig“ fein, wie Simons Ausdruck für etwas ſehr Schönes 
war. Noch beſſer, und auf lange Sicht geſehen, war, wie ſie es 
fpäter vorſchlugen. Es war das reinſte Paradies, was da in Sicht 
kam: kleine Bäderdampfer mit verläßlichen Steuerleuten und 
einem Kapitän Jakob, in weißen Flanellhoſen, Zigarre im Mund, 
Kieker um den Hals, vor ſchoͤnen Damen die Hand am Mützen⸗ 
ſchild, Kommodore⸗Spitzbart, — eine kleine Kneipe mit Mittags⸗ 
tiſch, eine hübſche Kuͤſtenfahrt⸗Reederei in Siam, — ſolcher Art 
Sachen kamen da vor, und in jeder ſaß wohlbehaglich irgend⸗ 
einer von ihnen und hatte es ſo, wie es ſich nach Gottes Weisheit 
gehören ſollte. 

Sie ſchwelgten im Vorgeſchmack, — aber dann wurde die Tafel 
jählings unterbrochen. „Antörnen!“ brüllte es von der Brücke. 
Sie krochen aus der Koje, wieder in Stiefel und Mantel, und es 
ging ans „traelle“, wie Simon ſagte, die Schellfifche wollten 
mal ihr Schlachtmeſſer beſichtigen. 

Sie taten es auch, und es waren vielleicht neunzehnhundert und 
mehr Jahre vergangen ſeit dem Tage, da ſie eine Taufe und ihren 
Namen bekommen hatten. Auch das war am Galiläiſchen Meer 
geſchehen und wurde jetzt unter Kap Kanin im Eismeer gefeiert. 
Torn um Torn ſtanden die Nachfahren Petri an Deck und ſchlach⸗ 
teten Schellfifche, und in irgendeiner Stunde kam auch die 
Rede auf den Namen, zwiſchen einem Schluck Rum und dem 
nächſten: 

Wißt ihr auch, woher der Schellfiſch ſeinen Namen hat? 

Nee, dat wiſſen wir nu nich 'n mol. 

Dſcha, dann ſchall ek dat wol mal verzählen! — Dat is nu gut und 
gerne twintichhundert Johr her weſen, da ſteiht der olle Petrus 
am See Genezareth und puſſelt mit ſeinen Netzen und ſeinem 
Garn und kalfatert grade ſein Boot mit Teer und ſolchen ſchoͤnen 


90 


Sachen. Amer, weil he doch nu mal immer en praktiſchen Kirl 
wor, ſo hett he ja ook ne Angel utgelegt und denkt ſo: Wenn da 
ein Fiſch bet iſt und an'nebiſſen hat, dann merk ek dat ja wol! 
Und ſo kalfatert er man zu und hat ſchwer zu tun. 

Mit einemmal ſieht er, daß die Angel zuckt; er läuft hin, holt 
ſie raus, und da hang ja auch ein hübſchen Fiſch an; weiß, wie 
Silber! 

„Du Schelm, du,“ ſeggt der olle Petrus und lacht, „du Schelm!“ 
und davon hat der Schellfifch feinen Namen. Aber von Petrus 
ſeinen ſchmutzigen Teerfingern hat er die ſchwarzen Flecken an 
der ſilbernen Kehle; die blieben ihm bis heute. 


Wochenlang ſchon ſind ſie unterwegs in der Finſternis, — da 
beginnt allmählich der Heimatshafen von ferne zu leuchten. Sie 
erinnern ſich an Kneipen, an Mädchen, an tauſenderlei Sachen, 
und wenn ſie zwiſchen zwei Törn vom Schlaf aufwachen, kommt 
auch ein Geſpräch in Gang, von Sarg zu Sarg. Das Wetter 
iſt grob, die See geht hohl, es kommen ſchwere Stürme, die alle 
Arbeit an Deck unmöglich machen, und dann liegen fie mehr denn 
je in den Kojen und braten, wie ſie es nennen, in Geſtank und 
Ofenhitze, Toddy und Rum. Aber das Wetter iſt ſo ſchlecht, daß 
in der Kombüſe nichts zuſtande kommt. Einmal ſpringt der 
Keſſel vom Herd, dann wieder brennt das Feuer nicht, weil der 
Sturm den Zug des Schornſteines abriegelt, und ſo gibt es jetzt 
morgens, mittags und abends Büchſenwurſt, rohen Speck, 
Margarine und Brot. „Die richtige „Diätet““, ſagt Simon, 
„und die reine Kurpromenade!“ ergänzt Jan, der verdreckt von 
achtern durch die Schächte kommt und ſich ein paar Backpflaumen 
geholt hat. 

Ja, fie denken nicht mehr an ihr Zukunfts paradies; auch die Ver⸗ 
gangenheit war eines, ſie haben es im letzten Hafen verlaſſen. 
Wie es nun bis hierher leuchtet! — Aber dann findet Jan, der 
unverheiratet iſt, daß feine Furunkel wohl ebenſo fchon leuchten, 
ſie werden von Tag zu Tag entzündeter, — und ſtundenlang 


91 


hocken fie in den Kojen beim Blinzeln der Lampe und behandeln 
Wunden und Geſchwüre, die ihnen der Stahldraht und die 
ſalzige Schiffskoſt zuſetzten. 

Kein Friſchfleiſch, kein Gemüſe, nichts, nichts gibt es, und am 
Ende aller Klagen ſagt Simon zu Andreas: „Menſch, jetzt ſo 
eine Apfelſine haben! Eine Apfelſine, richtig ſaftig, es muß nur 
ſo ſpritzen, wenn man die Schale abpellt.“ — „Ja, Menſch, aber 
hör auf damit!“ — Aber Simon hört nicht auf. 

„Blutapfelſinen, — das wäre die feinſte Sorte!“ — „Hör auf, 
fage ich dir!“ — „Wenn man reinbeißt, wie in einen Apfel, dann 
muß es einem ordentlich durch die Stoppeln laufen ..“ — „Hold 
kjaeften!“ verweiſt ihn ein anderer mürriſch. Aber aus einem an⸗ 
deren Sarg kommt es: „Und die ſind jetzt ſo billig! Fiften Pen⸗ 
ning man bloß.“ — „Was würdeſt du jetzt dafür geben?“ fragt 
Simon gefpannt. „Menſch, eine ganze Mark gäbe ich dafür!“ — 
„Eins, fünfzig!“ ſpringt Jan ſchnell ein. — „Zwei!“ Andreas. — 
Aber Simon muß den Preis der Ware wert machen: ... „Und 
denn noch ohne Kerne ...!“ — „Ja,“ beftätigen viele, „das iſt 
feinſte Sorte! Schale dünn, und Fleiſch dick! Ja, ja ...“ 
Lange Zeit iſt es DI, bis plotzlich einer wieder wie traͤumend 
von vorn anfängt: „... Menſch, jetzt (o "ne Apfelſine haben ...!“ 
„Ich geb dir drei Mark dafür!“ ſagt Jakob verzweifelt; „haſt du 
eine ..“ — „Nee, ek ha nich...“ — „Wenn du eine haft, — ek 
gew di en Daler un een ganze Mark dato ...!“ kommt es ganz 
erbittert von Jan. „Ek hew man bar’ keen ...“ ſeufzt Simon 
und ſieht ein gutes Geſchäft entſchwinden; „... wenn ek man 
bar’ een hätt ...!“ Aber da war auch wirklich im ganzen Ruff 
keine Apfelſine, und auch nicht achtern, und vielleicht war es des⸗ 
halb, daß ſie, unter immer neuem Ausmalen, wie ſchoͤn es wäre, 
wenn man eine hätte, den Preis der Apfelſine langſam bis auf 
acht Mark hinaufſteigerten, denn ſie waren ſich ganz ſicher: 
keiner konnte den anderen beim Wort nehmen, die Apfelſine 
hinhalten und das Geld einfordern. 


92 


Ein andermal um diefe Zeit nehmen ihre Reden einen anderen 
Weg. Sie hatten eben im Waſſer ſtehend neue Netze unterge⸗ 
ſchlagen und alles zum Ausſetzen vorbereitet, denn der Fang ſollte 
trotz Wetter und Wind bald beginnen, und kamen müde und naß 
von Deck und gingen gleich zu Kojs. Zum Trocknen der Sachen 
war der Ofen friſch verſehen worden, und nicht lange, ſo ſtand 
er rotglühend, ſchamrot, bei allem, was fie quicklebendig aus den 
Särgen hinausriefen. Sie redeten über Frauen ganz allgemein 
und über Ehefrauen im beſonderen. Simon war verheiratet und 
Andreas auch, ein paar andere im Ruff hatten das vor ein paar 
Jahren ſchon fertig gebracht und waren nach ein paar Schläge⸗ 
reien ſchon längſt wieder geſchieden; Simon und Andreas aber 
hielten zur Stange und freuten ſich jedes Jahr über die zwanzig 
oder dreißig Tage, an denen ſie ihre Frauen ſahen. Und weil ſie 
nun auf Ehefrauen im beſonderen und auf die häusliche Küche zu 
ſprechen kamen, fing ein jeder an, die ſeine zu loben. 

„Ich ſage euch,“ verriet Simon, „eine Leberpaſtete, wie meine 
Frau ſie macht, macht keine andere. Weich wie Butter, ſage ich 
euch, und obenauf eine ganz kleine braune Kruſte!“ — Ob roh 
oder abgekocht gebacken, wollte Andreas wiſſen. — „Roh na⸗ 
türlich, anſtändige Paſtete wird nicht aus gekochter Leber ge: 
macht!“ — „Und Rollwurſt!“ — „Mit viel oder wenig Speck?“ 
fragte Andreas wieder. — „So halb und halb!“ war es Brauch 
in der Küche der beſten Frau der Welt. — Und dann „Apfel im 
Schlafrock“, und Ferkelbraten, die Kruſte recht röſch, mit ge: 
backenen halb⸗ſüßen Kartoffeln ... ! 

Es blieb alles ſtill, keiner wagte es, den Tiſch umzuſtoßen, auf 
dem das alles ganz deutlich ſtand. Der Ofen ſandte moͤrderiſche 
Glut aus, faſt verlöſchte die Lampe, ſo warm war es, und alle 
überkam die Schläfrigkeit. 

„Ich glaube, das Wetter wird ſchlechter ...“ murmelte jemand 
aus dem Dämmern, aber das verging wohl ungehört, denn Schlag 
auf Schlag dröhnte es über das Schanzdeck, ihnen zu Häupten, 
und das Bugwaſſer floß gurgelnd über ihr Skylight. Von achtern 


93 


hörte man die Schraube; fie war wieder in die Rolle des Pro⸗ 
pellers vernarrt und drehte ſich meiſtens in der Luft. 

Da bohrte ſich das Vorſchiff tief in die See, es gurgelte und 
rauſchte, ſie alle in den Kojen merkten auf und wußten, daß ſie 
jetzt unter Waſſer fuhren, alle elf Mann ... „Kommt ſchon op“, 
murmelte einer, indes beim Aufſchießen des Schiffes die Stiefel 
durcheinanderkollerten und die Kleider an den Haken hipften. 
. . . „Kommt ſich ſchon, kommt fic) ſchon ...“ Aber fie ſchliefen 
nicht mehr, es wurde zu unruhig dazu. Das Ofenrohr knarrte und 
Achzte im Schlingern und (chien ſich biegen und wenden zu wollen 
wie eine Schlange, ſo ſtarr es auch war. Andauernd kollerten die 
Stiefel über die Diele. Mal in dieſe, dann in jene Ecke. Toten⸗ 
ſtille herrſchte zwiſchen allen ihren Särgen. 

„Wie iſt das mit Kaffee ...!?“ fragte plotzlich Andreas. 

„Ja, Kaffee“, murmelte irgendeiner, es konnte der Stimme nach 
Simon geweſen ſein. „Guten Kaffee, natürlich durch den Sack 
gefiltert!“ — „Ich bin mehr für Aufkochen, bißchen Fiſchblaſe 
hinein, daß er klar bleibt, ſo machen ſie es in Finnland, und das 
iſt eine vernünftige Art!“ ſetzte ein anderer Simons Rezept ent⸗ 
gegen. — „Nein,“ beharrte der, „Kaffee muß durch den Baum⸗ 
wollſack, wenn er richtig fein will!“ — Eine ganze Weile lang 
ſtritten fie ſich über die beſte Art. 

„Und Sandkuchen dazu!“ ftohnte Andreas, entſetzt, daß es ihm 
einfallen konnte, daß es fo etwas gab, nur nicht hier. — „Ich ſage 
euch, meine Frau bäckt einen Sandkuchen, einen Sandkuchen .. 
ach...“ 

Alles ging unter in einem ohrenbetäubenden Brecher, der mit 
Gurgeln und Plantſchen über dem Skylight verging. 
„Sandkuchen!“ ſtöhnte Andreas unerſchütterlich, „trocken, wie 
Sand, reiner Sand, ſage ich euch, und dabei doch nicht kratzig⸗ 
trocken, denn es iſt ordentlich Butter darin, und manchmal hat 
er Fett an die Kanten geſchwitzt, wenn er ganz extra geraten ift...“ 
Und dazu denn ein Slurk Kaffee, richtigen Kaffee, durch einen 
baumwollenen Sack gefiltert!“ fagte Simon klar und beſtimmt. — 


94 


„Ja, wegen mir auch durch den Baumwollſack. Was ich fagen 
wollte, — Roſinen find in dem Kuchen natürlich nicht, und dann 
iſt es auch beſſer, man nimmt etwas Soda zum Treiben, und 
nicht Backpulver; ſo macht meine Frau das, und ich ſage euch, 
die iſt fir mit dem Kuchenbacken.“ — „Es wird Zeit, daß man 
ſich davon wieder einmal überzeugen kann“, grummelte Simon 
vor ſich hin. 

. . . „Und fo ein Nachmittag an Land! — Erſt richtig etwas 
Fettes untendrunter, und dann eine Taſſe Kaffee und ein runder 
Kuchen voran, Sandkuchen, extra geraten, nicht irgend ſo ein 
Schietkram, ſondern was Richtiges: butterweich, bröcelig wie 
Sand, Vanille oder Zitrone darin, — ja Dunnerwetter ...!“ 
„Ja, Kuchen! Sandkuchen auch meinetwegen!“ ſagte einer 
gehäſſig. 

Es blieb ſtill. Die anderen ſchwiegen. In Gedanken waren ſie 
alle bei der Arbeit mit Meſſer, Löffel und Taſſe und ſchnitten 
ſich ein paar Stücke ab und ließen ſie auf der Zunge mit einem 
Schluck Kaffee zergehen. Das Ruff nahm foͤrmlich ein großer 
Altar ein, und ſie alle waren in Ehrfurcht davor niedergeſunken. 
Ein großer Sandkuchen war das Allerheiligſte, einer, wie Andreas 
ihn von ſeiner Frau bekam, ſobald er wieder zuhaus war. 

Sie beteten dieſes Machwerk ihrer Frauen an, und wer keine 
Frau beſaß, bewunderte und beneidete es doch, denn es war und 
blieb unter ihnen, ein jeder hatte jetzt Teil daran, es war eine Ver⸗ 
heißung, ein Gelübde der Ungunſt auf günſtigere Zeiten. Und 
ſobald man wieder einmal an Land kam, nahm ſich jeder vor, 
dann — haft du nicht gefehn! — in die nächſte Konditorei. 
Das war kein Warten auf die Erfüllung einer Verheißung von 
Gnade und Erlöſung, — da lag ein tieferes Sehnen zugrunde, 
das allererſte des Menſchen: der Anſpruch des Magens. Petrus 
und die Seinen hatten ganz weltliche Nachfolger bekommen. 

. . . „Nein, dieſen Roſinenkuchen meine ich nicht! .. Sand: 
kuchen meine ich, — ja, den da, geben Sie mal ruhig fo acht Stück 
davon, — und Kaffee, — ja, verſtanden? Acht Stück Sandkuchen, 


95 


und eine Taſſe Kaffee, guten Kaffee, am beften durch den 
Filter..“ 

Da brach plotzlich ein Gewitter über ihnen los. 

Es donnerte, es ſchmetterte und krachte, es gurgelte und ſchoß 
ziſchend über die Schanze, die Wände flogen zur Seite, es klirrte 
und ſchepperte und ſchlug über ihnen auf das Schiff wie mit 
einem tauſendzentrigen Vorſchlaghammer, ſie glaubten nichts 
anderes, als daß ihr Magen ihnen in den Mund geflogen käme, 
die Lampe war erloſchen, und aus der Schlaftrunkenheit erwachend, 
fühlten ſie — weiß Gott, wie! — einen Waſſerfall aus dem zer⸗ 
ſchlagenen Skylight ſtürzen, Waſſer, immer mehr Waſſer, an 
den glühroten Ofen. 

Es ziſchte und kochte, es knatterte und ümpelte, ſie ſtürzten 
aus den Kojen, ſchon umſpülte ſie das Waſſer bis an die Hüften, 
von einer Seite her bekamen ſie kochend⸗heiße Duſchen, und es 
legte ſich um ihr Geſicht wie ein heißer, feuchter Umſchlag; dabei 
floß das Waſſer noch immer von oben herunter, gurgelnd, rau⸗ 
ſchend, — „Joöſſes!“ brüllte Simon ganz verbrüht auf, und ohne 
etwas zu ſehen, tappten fie brüllend die Treppe hinauf. Die Holle 
war hinter ihnen los, das Waſſer ſtieg im Ruff, ſie brachen ver⸗ 
zweifelt die ſchwere Eiſentür zum Deck auf und wären beinahe 
wieder hinuntergeſpült worden, denn auch von dort ſtürzte ihnen 
das Waſſer wie eine fallende Mauer entgegen. 

An der Brücke flammten die Sonnenbrenner auf und nagelten 
ſie mit ihrem grellen Schein feſt, wie ſie daſtanden, halb angezogen, 
verftört. Es begann ruhiger zu werden, die Maſchine war geſtoppt 
worden, und das Schiff trieb und tanzte willenlos dahin. 

„Wat iſt loos? Wat iſt denn da vorne loooos ...“ brüllte der 
Wachthabende von der Brücke mit aller Kraft durchs Sprach⸗ 
rohr, und kaum konnte man es auf zehn Meter Entfernung 
verſtehen. 

„Dat hat unſer Skylight kaputt ſlagen, und nu hab'n wir da 
unten Dampfbad haft ...!“ 


Dann ging es ans Verklaren. Das Schiff lag und trieb, alle 
Sonnenbrenner auf das Vorſchiff gerichtet. Die elf halbnackten 
Kerle trotteten herum und ſtellten feſt, was nun eigentlich 
los war. Von Sandkuchen konnte hier gar keine Rede mehr 
ſein. 

Der Brecher hatte ihr Skylight eingeſchlagen, das ganze Schiff 
unter Waſſer gedrückt, die Schanze reingefegt; das Waſſer war 
ins Ruff gekommen, hatte die Lampe abgeriſſen, den rotglühenden 
Ofen abgekühlt, nun ſtand es drei Meter hoch im Raum, und 
die Strohfäcke, die Decken, die Stiefel und Mäntel, alles, was 
nicht niet⸗ und nagelfeſt war, ſchwamm darauf herum. 
Feſtgebunden am Gangſeil gingen ſie jetzt daran, alles zu dichten. 
Das dauerte eine Weile. Dann, als der Raum leergepumpt war, 
gingen ſie daran, ihre Siebenſachen zuſammenzuſuchen, und trot⸗ 
teten alleſamt nach achtern durch die Schächte, breiteten das naſſe 
Zeug in der Maſchine zum Trocknen aus auf dem Gitterroſt, 
der ſich in halber Hobe durch den ganzen Raum fpannte, und 
legten ſich ſelbſt dazu. Hoffentlich hielt nun der Roſt, und ſie 
fielen nicht zwiſchen die unter ihnen arbeitenden Kolben und 
Pleuelſtangen. 

So lagen ſie nun wie ein Rudel zuſammengejagter Hunde. Es 
war hart auf dem Roſt und laut unter ihnen. Die Maſchine 
tobte, man konnte dabei nur dofen und ſtarrte meiſtens in die auf 
und ab, auf und ab gehenden Kolben, ſtundenlang, bis einem ganz 
ſchwindlig wurde. Es ſtank nach Gl, und es ſtank nach Dampf, 
fade und ſchwer zugleich. 

Dann kam ein Törn und das Schlachtefeſt, das Wüten im Eis⸗ 
raum, in dem der Fiſch geſtaut wurde, und endlich wieder der 
Einzug ins Ruff, wo alles dunkel, feucht und modrig war, wie 
in einer Gruft. 

Kälte und Näſſe, Hunger und Durſt, — „aldeles ikke det rigtige!“ 
Apfelſinen? — Ja, gern, =" Mark das Stück; und Sandkuchen 
und Kaffee? — ch Kuchen 


97 


So ging auch diefe Fahrt vorbei, nach Wochen pflügte der Steven 
wieder die nördlichen Breiten, und Norwegens Fjorde brachten 
Ruhe für die Nachfahren Petri. Sie fluchten und knurrten, ſie 
döſten und tranken Rum, anſtatt Kaffee, nach Simons Rezept 
gebraut, ſie warteten auf nichts anderes als auf den Pier, mit 
allem, was ſich hinter ihm erhob. Und wenn ihr Herr und Heiland 
ſelbſt ihnen über die Waſſer wandelnd aus dem Skagerrak ent⸗ 
gegengekommen wäre, — fie hätten nicht an ihn geglaubt, hätten 
nicht geſchrieen: „Ein Geſpenſt ...!“ wie ihre frömmeren Brü⸗ 
der vor Zeiten, nicht an ein Wunder oder die Verheißung des 
Heils gedacht, — ſondern einzig und allein an Sandkuchen und 
Kaffee, Leberpaſtete und Ferkelbraten mit röfcher Kruſte, und 
daß es ſchon wieder einmal eine neue Erfindung gäbe... 


* 


Albrecht Schaeffer 
Parzivalkampf mit Orilus 


Kam ein Tag: da Parzival in einen 
Hohlweg biegen wollte unter Eichen, 

Sah er eine ſeltne Reitrin ziehen 

Vor ſich auf, die mit gebundnen Händen 
Seitlich ſaß auf einem magern Maultier. 
Hielt geſenkt das Haupt als wie in Trauer, 
Ließ die Flechten hängen rauh und glanzlos; 
Ihre Glieder ſchimmerten durch Fetzen, 
Grobe Baſtſchuh ſaßen an den Füßen; 
Und er ſah fie ſchaudern in der Kälte, 
Denn es war die Jahreszeit November. 


Eilig nach der guten Ritter⸗Sitte 
Trabt' er nach und hielt am Zaum das Reittier. 
Sprach zu ihr mit dienender Gebarde: 


98 


„Bitt Euch, Dame, laßt mich gleich erfahren, 
Wer Euch ſolchermaßen hier beleidigt!‘ 


Jene ſprach, ein ſanftes Haupt erhebend, 
Ein Geſicht in Furchen von den Tränen, 
Gottergebnen Blick in ſchwachen Augen, 
Sprach mit einer ganz entfernten Stimme: 


„Sollt es, Ritter, gerne von mir wiſſen. 
Aber bitte nicht verlangt zu kämpfen, 
Denn den Ihr beſtehen wollt, iſt rieſigen 
Leibes und im Lanzenkampf der Erſte. 
Reiten läßt er mich, mein eigner Gatte, 
Orilus, der Herzog von Lalander, 

Und Jeſchute ſo bin ich geheißen, 

Wegen nie begangener Verſchuldung, 
Wegen eingebildeten Verbrechens. 

Denn es drang vor heute achthalb Jahren, 
Da ich ſchlief im Luſtgezelt im Walde, 

Ein im Fellgewand ein ſchöner Knabe, 
Raubte einen Ring mir, raubt' auch Küſſe, 
Und es half ja nichts, wie ſehr ich flehte. 
Aber kehrend von der Jagd ſoeben, 

Sah ihn Orilus von hinnen reiten. 

Er, der immer grauſam Eiferſüchtige, 

Da er fand von meinem Wein getrunken, 
Auch geſpeiſt von einem kleinen Rebhuhn, 
Gar den Ring entwandt mit einer Perle, 
Endlich gar mein ſeidnes Hemd zerknittert: 
Hätt er gerne mich erwürgt mit Händen. 
Weil ich keinen Namen ſagen konnte, 
Jenen nur beſchreiben, und beſchwören, 
Daß ich ihn im Leben nie geſehen, 

Daß er auch mir nichts genommen habe 


Außer jenem Ring und einigen Küffen: 
Schwur er, jenen Fremdling aufzufinden, 
Und bekräftigt” es mit ſieben Eiden: 
Mich zu führen mit, bis er ihn fände, 

Er erführe, was die Wahrheit ware. 

Und ſo ſchleppt' er mich, wie Ihr mich ſehet, 
Achthalb Jahre ſind wir nun geritten. 
Ritten erſt zum Hofe Koͤnig Artus', 
Weil der Knabe ſprach, er zoͤge dorthin. 
Horten allda, daß er dort geweſen 

Und mit Namen Parzival geheißen; 
Daß er dann erſtach den roten Ritter, 
Fortgeritten fet in deſſen Rüſtung. 
Suchten drauf ihn lange in den Ländern, 
Horten, daß er fet in Pelrapeire. 

Als wir kamen da zum Lande Brobarz, 
Ward uns Kunde, daß er nirgend wäre. 
Und ſo reiten, ſuchen wir und reiten, 

Und fo geht das Leben wohl vorüber.‘ 


Parzival, da endlich ſtumm ward dieſe 
Stimme aus der tiefen Grames⸗Ferne, 
Schwieg auch er in einem langen Grauſen. 
Eine farbige Erinnerung flammte, 
Ebereſchenhain und Zelt und Innres, 
Wachgeküßte Träumerin von Liebe. 
Sah er hier dieſelbe abgeblichen, 

Wie aus einem Wandbild ausgebröckelt 
Farben fallen, und es bleibt nur Umriß: 
Hohle Form von Leben ohne Leben. 

Und ein Fehler hatte wild getrieben, 
Süßes Licht und Unſchuld überwuchert; 
Aus den Küſſen war ein Gift gekrochen, 
War in Krankheit wütend ausgebrochen. 


100 


Zeigte fic) indem ein Speer im Hohlweg, 
Um die Ecke bog der ganze Reiter, 

Reiter eines rieſenhaften Wuchſes, 
Dunkelgrau in einem Kettenhemde, 

In dem ſchwarzverſchloßnen Helm geſichtslos; 
Saß auf einem rieſigen Eiſenſchimmel, 
Welcher nackt ging, deckenlos, doch trug er 
Vor der Stirn ein langes Horn von Stahle. 
Da er dieſen dunklen Turm von Eiſen 
Nahen ſah, in Langſamkeit gewaltig, 
Drohend von Gewittern, nachtbewirkend, — 
Und noch ſchrie: Da bin ich, und ich heiße 
Parzival!“ fo zog ſich ihm im Innern 

Was zuſammen, ein Gemeng von Luſt und 
Grauſen, ballte ſich, und mundlos ziſchte 
Als ein Dampf heraus die leiſe Stimme: 


Sieh, da kommt er endlich ganzen Leibes, 
Der dir alles dieſes angeſponnen! 
Der dich ſetzte in das Netz von Schulden, 
Bloͤder Knabe, in die Grals⸗Verkennung, 
Des Amfortas Schmerzen unausſchöͤpflich, 
Und des Juden blühende Verweſung. 
Und es iſt ſein Schwert der Tod der Mutter 
Und ſein Speer der Jammer der Verlaßnen, 
Und am Ende wird er dich erwürgen 
Mit den reinen Händen der Jeſchute. 
Zittre jetzt in Wolluſt und in Grauen, 
Denn du wirſt ihm in die Augen ſchauen! 
Ihm die Hülle reißen vom Geſichte, 
Denn es iſt der finſtre, nicht der lichte: 
Gott. 

Und Parzival ritt zum Gerichte. 


101 


Nun Verbittrung, Gift von fieben Jahren, 
Nun die maßenlofe Herz Verhärtung, 

Ewige Ode, Einſamkeit und Marter 

Allen Leidens, ſeinethalb gelitten; 

Blutes alles Dorren, nie geweinte 

Tränen und die durchgekeuchten Nächte, 
Blindheit, Peſt und letzter Ohnmacht Zittern: 
Alle bofen höllenhaften Kräfte 

Dieſer Jahre rafft' er jetzt zuſammen: 

In die Fäuſte, die des Schildes Spangen 
Preßten und geſenkten Schaft der Lanze, 
Schenkel, die ſich um die Sattelgurten 
Legten ſo wie Zangen, in die Zähne, 

Die zuſammgeknirſchten, in die Augen, 

Die wie Wölfe heulten durch Gegitter, 
Flammen⸗Rachen durch die Stäbe zwängend: 
So verzehrt' er den, der da entgegen 
Sprengte, finſter aufgetürmten Leibes 

Als ein rieſenhafter Stellvertreter, 

Den ſich Gott gemacht aus Leib und Eiſen. 
Rennend, ſelbſt umrannt von Feuerkreiſen, 
Schon im Stoß mit vorgebognem Rumpfe, 
Schnaubte, rauchte, jauchzt' er im Triumphe: 
Leibhaft! kommſt du? Leibhaft aus dem Sumpfe! 
Blutvergifter! Mörder! Augentrüber! 

Ich beſtehe dich! Ich bin dir über! 


Und er glaubte, wie aus Donnerwettern 
Blitz und Feuerſtrom herauszuſchmettern, 
Glaubte ſporenpeitſchend durchzubrennen, 
Durchzubohren, durchzurennen, 
Hinzumalmen Jenen im Geraſſel. 
Parzival, o nein! — Ein Krach, Gepraſſel: 
Beide Schäfte ſprangen hoch in Splitter, 


102 


Und vorüberfegend im Gewitter, 

Sah er den Koloß im Sattel ſitzen 

Wie ein Eiſen⸗Bollwerk; aus den Schlitzen 
Der Vinteile ſtach ein ſchräges Blitzen. 


Aber ſtracks, den Speerſtumpf von ſich ſchleudernd, 
Hengſt herumgeworfen, ſah er Jenen 

Aus dem Sattel ſpringen, ſprang zur Erde, 
Und die Klinge aus der Scheide reißend, 
Rannt' er ihm entgegen, doppelhandig 

Dieſen Flamberg ſchwingend überm Haupte, 
Der ihm ſchien zu Wolken hochgefahren: 
Semel, dieſes Schwert, das dieſem Griffe 
Folgt' im Ruck, geſpart in ſieben Jahren: 

Und da ſchmetterten ſie ſich zuſammen. 

Die Zweihände⸗Schwerter, Eiſenkeulen, 
Hochgeſchwungen, wirbelnd, daß ſie hackten, 
Pfiffen, ziſchten, klangen, gellten, krachten 
Aufeinander, auf die Helmes⸗Decken, 

Durch Minuten praſſelndes Gehammer. 

In den atemloſen Kampfes⸗Pauſen 

Maßen ſie ſich mit den Mörder⸗Augen 
Maßlos gierig aus den Eiſen⸗Masken, 
Aufgeſtemmt die Schwerter vor ſich mannshoch, 
Keuchend, rauchend aus geſperrten Mündern, 
Und die Brüſte ſchwollen, daß ſie wogten. 
Rannten wiederum danach zuſammen, 

Jetzt geblendet von dem erſten Blute, 

Blinder hauend jetzt auf ihre Panzer, 

Daß es ſpritzte von gehackten Stücken, 
Funken, Spangen, Schnallen, Ringe ſprangen, 
Und die kleinen hellen roten Quellen 

Liefen überall geſchwinde, tropften, 

Rannen, rieſelten, und rote Lachen 


103 


Standen, wo die Eiſen⸗Füße ſtampften. 
Dieſes, bis mit hohem Glocken⸗Klange 
Semel, dieſes Schwert zerfprang in Stücke. 


Da erſtarrte mit dem Stumpf in Fauften 
Parzival. Er ſtaunte, weil ſein Gegner 
Innehielt, mit einem dumpfen Staunen. 
Semel, dieſes Schwert von Gott gegeben? 
Gab er das, ſich ſelber zu befehden? 
Parzival, du biſt ihm ausgeliefert, 

Lieferte dich ſelbſt in ſeine Hände! 


Noch, geblendet und in einer üblen 
Schwäche trunken, ſonder Kraft und Willen, 
Starrt' er auf den blutbeſudelt Schwarzen 
Gegenüber, der im ſchwarzen Hohlweg 

Sich verzog und bog in ſchwarzen Lüften. 
Da erkannt? er erſt den Gegner gänzlich: 
Der ein Gott war, doch von allen Satans⸗ 
Künſten brodelte und ſie gebrauchte. 

Aber da jetzt der die eigne Klinge 

Wortlos fortwarf und die Panzer⸗Arme 

Hob und krümmte wie das Untier Grendel, 
Schwarzer Rieſenkrebs mit ſtummen Scheren, 
Drohend über ihm um Hauptes Hohe, 

Ganz verfinſtert in den finſtern Lüften: 

Da begriff er. Und er warf die Arme 

Mit dem Hallelujah der Verzweiflung 

Um den Gottes⸗Kobold, Turm des Todes, 
Leib des Herrn, der einen Zweikampf anbot. 


Kämpfte dieſen Kampf. Er zog aus Jahren 
Unverſtandner Übung nun die Kräfte. 
Nun die Kraft der Ströme und der Quellen, 


104 


Kraft der Sommer und der Sonnen⸗Tage, 
Kraft der Jugend, Kraft der ſüßen Lenze, 
Frühſter Spiele, Sprünge, Läufe, Tänze, 
Und hinüber noch die Knaben⸗Grenze: 
Kraft aus himmliſchen und reinen Dingen, 
Als er Voͤgeln glaubte, Schmetterlingen, 
Blumen, Bienen und den heiligen Bäumen, 
Und die Kraft aus ſeinen Helden⸗Träumen: 
Kräfte ſich mit Kräften ſo verſchlangen, 
Sie ergrünten, ſchimmerten, fie klangen 
Glockenrein und einsgeſtimmt mit allen, 
Die im Himmel ſind ein Wohlgefallen. 
Antlitz, kühnes, toten fahles, 

Unter Engeln ſtolz erſtrahl' es, 

Wert der Krone, Wert des Grales. 


Sieben Jahre, ſieben Jahre Lebens 
Währte dieſer Ringekampf des Helden, 
Und es ſtürzten dieſe Lebensjahre 

Durch ihn hin, erbrauſend wie ein Regen, 
Eine Raſerei der Farben⸗Traume 

Und ein Regenbogen⸗Sturz der Bilder, 
Wiederholend all, was je geweſen, 
Unerfchöpflich, unaufhoͤrlich, während 

Er im rieſig durchgerauſchten Ohre 
Sonderbare wütende Geraͤuſche 

Hort’ aus ſchwarz zuſammgeballter Nahe: 
Keuchen eigner Kehle und aus fremder, 
Zähne⸗Knirſchen und erſticktes Ziſchen, 
Und der Griffe Aufſchlag in den Panzer⸗ 
Handſchuhn, und das Stampfen von den Sohlen. 
Ohne Zeit, unendlich war dies Ringen 
Bis zum Augenblicke, wo er, ſtaunend 
Aufgewacht, die eignen beiden Hände 


105 


Sah, hineingezwängt in jenen Halsberg, 
Und ſie wuͤrgend kneteten lebendige 

Kehle, und der ſchwarze Kobold⸗Rieſe 

Ab von ihnen hing, und weißer Dampf ihm 
Röhrend aus dem ſchwarzen Munde ziſchte. 
Eine ſelige Bewegung macht' ihn 

Lächeln, und er würgte, ſah ſich krümmend 
Jenen, Arme fallen, kraftlos greifen, 

Sah ihn hangen, knien, und würgte, ſpürend, 
Wie den Hals ein letzter Anſturm blähte . 


Weckt' ihn eine Stimme, flehend nahe: 
„Tote nicht!“ Und nicht fogleich begreifend, 
Daß es ihm galt, hört? ers dringlich wieder: 
rote nicht!“ und fab, nach oben blickend, 
Eines Engels Glorien⸗Antlitz liebreich 
Über ihn geneigt. Es war Jeſchutens, 
Doch er kannt es nicht. Der faſt Erwuͤrgte 
Dröhnt' am Boden. Selber taumelnd, fiel er 
Drüber, ſtützte ſich, erſchoͤpften Auges 
Starrend nach dem Augenpaar darunter; 
Sah: aus zugefallnen Lidern mühte 

Sich hervor ein Blicken voll Geheimnis, 
Dunkel; doch es war da nichts als dieſes: 
Blick der Kreatur, vom Tod erwachend. 


Parzivaln verließen ſeine Kräfte; 

Sah die Halme und das Moos am Boden 
Seltſam näher kommen, und ihn ſchwemmte 
Jäh ein ungeheures Schluchzen: Sieger! 

In barmherziges Dunkel. Am Zerfließen, 
Fühlt' er glücklich allen alten Odem, 

Alles Blut ſich rück zu Gott ergießen. 


Aus dem Versroman „Parzival“ 


106 


Max Mell 
Hirtenſpiel in Kärnten 


Das Dorf war erreicht, der gute Marſch über den in Schnee 
glattgeſtrichenen Talboden hatte uns nicht zu ermüden vermocht, 
jedoch mit dem Ziel war die Raſt willkommen. Unſere Augen 
waren vom fteten Blick auf Weiß und Gligern empfindlich ge: 
macht; alles, was an den Häuſern des Dorfs Farbe war, ſchien 
ihnen unrein und als wäre es eben aus naſſem Erdreich empor⸗ 
getaucht, dabei gab ihnen die Mittagsſonne warme Tinten, es 
war aber in den Wirtfchaftshöfen fo ſtill wie draußen auf dem 
Wintergefild, alle ländliche Arbeit fehlte; ab und zu gab es hier 
die raunende Unterbrechung, daß von niedrigen Dächern Schnee⸗ 
laſten herabglitten auf den ſchon liegenden Schnee, mit dem fried⸗ 
lichen Anblicke ſolchen natürlichen Ereigniſſes, hinter dem ſich die 
Stille um ſo tiefer wieder ſchließt. Nichts verriet, daß hier irgend⸗ 
wo ein Sitz bewegteren und eifrigen Lebens ſein könnte, er müßte 
denn gänzlich verborgen und vergraben ſein: und wahrhaftig wie 
eine Ausgrabung erſchien uns nachher dieſes uralt bäuerliche 
Spiel, das zu ſehen wir gekommen waren; nicht anders, als waren 
wir durch eine günſtige Fügung in ein ſeit Jahrhunderten un⸗ 
betretenes, für unſer Kommen aber erleuchtetes und verſchwiegen 
aufglänzendes Heiligtum gelangt; — obwohl es doch in ſteter 
Übung und nicht erlahmendem Gedächtnis erhalten war und 
allenthalben in den deutſchen Alpen in zahlreichen Formen und 
Abwandlungen verbreitet iſt, das Hirtenſpiel von Chriſti Geburt, 
deſſen Darſtellung hier durch Bauernſoͤhne und Handwerker die 
Freunde in Erfahrung gebracht hatten. 

Wir ſuchten den Gaſthof, der uns bezeichnet war. Sowie man 
die Schwelle überſchritten hatte, war die Bewegung fühlbar, 
welche die bevorſtehende Darſtellung ins Haus brachte. In Flur 
und Küche und Gaſtzimmer rührte es ſich, das obere Stock⸗ 
werk ſchien einbezogen, der Zuſpruch war nicht bloß ſonntäglich, 
auf jedem Geſicht lag Wiſſen, Einverſtändnis, Vorbereitung. 


107 


Die Wirtin war eine ftattlide Frau mit roten Wangen und 
ſchwarzem, (chon zurückgeſtrichenem Haar; darin hatte fie einen 
ſchwarzen Kamm mit rotem Rande ſtecken, was ihr vortrefflich 
ſtand. Es war zu ſehen, daß der Tag ſie freute. „Dreißig Jahre 
muß es her ſein, denn ich bin bald zweiundvierzig. Seit damals 
haben ſie's hier nicht geſpielt, und die alten Spieler ſind alle weg⸗ 
geſtorben.“ Eine kleine Magd hing an ihren Lippen, glühte vor 
Erwartung und lief ſchon wieder in den Oberſtock. 

Dort ſah es etwas nüchtern und unwohnlich aus, das Stockwerk 
mochte vor nicht langer Zeit friſch aufgeſetzt ſein. Die Türen 
waren offen, man ging hin und wider; in dem groͤßten Raum 
ſtanden einige Männer. Sollte hier das Spiel vor ſich gehen? 
Waren das Zurüſtungen, die ich ſah, ſo ſchienen ſie ſeltſam 
geringfügig. Eine Bühne oder ein Podium hatte ich nicht er⸗ 
wartet. Aber die Stube war leer bis auf ein paar Bänke, die in 
der Diagonale des Raums einander gegenübergeftellt waren, und 
von früheren Einrichtungsſtücken ſchien ein Nachtkaſtel von 
weichem Holz in einem Winkel vergeſſen zu ſein. Nur war es 
mit der Vorderſeite zur Wand gedreht, und in den Winkel, wo 
es ſtand, deutete die Gaſſe zwiſchen den Bänken. Es waͤre ſchwer 
zu entſcheiden geweſen, ob damit wirklich ſchon etwas dem Spiel 
Dienliches vorbereitet oder dieſe Aufſtellung nur zufällig war. 
Immerhin war man nicht willens, daran etwas zu ändern, da 
man davon ſprach, rings an den Wänden ein paar Bierfaffer 
mit Brettern zu verbinden und ſo Sitzgelegenheiten zu ſchaffen, 
mit den Bänken alſo nicht mehr rechnete. Als ich nachher ein 
zweites Mal nachſehen kam, waren die Vorbereitungen für das 
Spiel allerdings weiter gediehen. Man verhüllte eben die Fenſter 
mit dunklen Decken und ließ die elektriſchen Birnen leuchten; 
und oberhalb des Nachtkaſtels ſchlug einer einen Nagel ein und 
hängte einen goldenen Stern daran. Hierauf ſpannte man eine 
Schnur quer vor den Winkel und ſchloß ihn mit einem roten 
kleingeblümten Vorhang ab. Jetzt glaubte ich auch, daß die 
Bänke ſchon in rechte Aufſtellung gebracht wären, nur war nicht 


108 


klar, wie es denn nicht ein Hindernis fein ſollte, wenn fie fo den 
Raum teilten und durchſchnitten. Mir war es natürlich, abzu⸗ 
warten, wie ſich alles geſtaltete, und ich hätte keine Luſt gehabt, 
ſie auszufragen, wie ſie ihr Spiel ordnen wollten. Doch erfuhr 
ich, daß die Spielertruppe aus neun Männern und drei Frauen 
beſtand; und man zeigte mir einen unterſetzten ftammigen Mann 
mittleren Alters als den Anführer; fein Name wäre Joſeph Wit⸗ 
tinger, und er wäre ein Sohn des Obernüepele in Ingolfstal, 
ſeinem Stand nach Zimmermann; dasſelbe wie ſein Bruder 
Silveſter, der fonft der eigentliche Leiter der Aufführungen wäre 
und zuletzt vor neun Jahren auf der Pfarrwieſe zu Metnitz das 
Chriſtileidenſpiel aufgeführt hatte. Das Hirtenſpiel wäre nicht 
geweſen ſeit dem Jahre 1912; jetzt gäben ſie es an den Sonn⸗ 
und Feiertagen in den Wirtshäuſern des ganzen ſehr gedehnten 
Tal⸗Gaus. Sie nannten mir Name und Stand der Spieler; der 
Engel und Maria hatten bloß die eine Rolle inne, die meiſten 
anderen deren vier. Es waren durchwegs Knechte und Beſitzers⸗ 
föhne; dazu ein Zimmermann und ein Sägler, eine Zimmer: 
mannstochter und eine Näherin. 

Das Mittageſſen war aufgetragen, um eins begann die Dar⸗ 
ſtellung. Die Bänke, die von der Türe bis zu dem verhüllten 
Winkel aufgeſtellt waren, hatte man am oberen Ende für uns 
freigehalten; kein Zweifel, die Gaſſe zwiſchen ihnen hatte ihre 
Verwendung im Spiele, dieſer enge langgezogene Raum war ſein 
Schauplatz. Der übrige Raum füllte ſich allgemach ganz dicht 
an, wir mußten uns immer etwas vorneigen, der haltſuchenden 
gedrängten Armchen und Ellenbogen der Kinder wegen, die 
hinter uns ſtanden und uns in die Ohren ſchnaubten, wie Ochs 
und Eſel dem Chriſtkind. Und dahinter ſtopfte ſichs zuſammen 
und baute ſichs auf, auf Bänken und Seſſeln ſtehend, die Hände 
gegen die Decke geſtützt, nicht ein Fleckchen Wand waͤre zu er⸗ 
ſpähen geweſen. Die in der Mitte ſaßen ſich gegenüber etwa wie 
in der Straßenbahn, doch ſchon zu eng aneinander, als daß der 
Blick noch ungehindert bis zur Türe hätte finden konnen, und 


109 


immer wieder zeigte ein fpäterer Koͤmmling Luft, auch diefen 
geringen freien Raum noch zu feiner Bequemlichkeit einzu: 
ſchränken. Einer kam gar mit einem Seſſel daher und ftellte ihn 
in dieſer ohnedies ſo ſchmalen Gaſſe auf — aber da merkte man 
ſchon, er gehoͤrte mit zum Spiel, er war der Einſager, der, Buech⸗ 
halter“, und hatte fein feſtes nach Art der Geſchäftsbücher ge: 
bundenes Buch vor ſich. Er ſetzte ſich und war bereitwillig, ſeiner 
Umgebung die Niederſchrift des Spieles zu zeigen. Da drang eine 
unbeſtimmte und doch ſogleich verftändliche Bewegung von der 
Türe her und pflanzte ſich durch den ganzen Raum fort. Das 
Spiel hob an. Die Gaſſe zwiſchen den Bänken her, durch das 
raunende und verſtummende Volk, mit ſtarkem Soldatenſchritt 
kam der ‚Ankünder‘, jener Zimmermann, der das Spiel 
führte. Er war angetan mit einem alten blauen Waffenrock, 
roten Hoſen mit gelbem Streif, der papierene Zweiſpitz war mit 
Federſträußchen beſetzt, auf der Bruſt ſaß neben einer anderen 
Auszeichnung auch das allgemeine eherne Kreuz aus dem Kriege, 
über ſeinen Schnurrbart hatte er noch einen zweiten buſchigeren 
geklebt. Vor dem verhängten Winkel, über dem der Stern ſtand, 
machte er Kehrt, zog den Säbel und grüßte damit, nach militäri⸗ 
ſchem Gebrauch, doch mit ungeübten Gelenken, und begann in 
ſingendem Ton: 

Freundlich gegrüßt ſeid allzumal 

Mit Freuden einzuführen. 
Hier tat er vier Schritte in die Gaſſe zurück, machte wieder Kehrt 
und ſprach: 

Ein Ding, zu brauchen überall, 

Auch kürzlich zu rezitieren. 
Um wieder nach vier Schritten fortzufahren: 

Ein Ding, zu brauchen ganz hoch und klar, 

Wie's uns die Evangeliſten bewahrt. 
So ſprach er die ganze Ankündung, für jedes Verspaar mit vier 
Schritten den Platz verändernd, in eintönigem Rezitativ, das 
die Quarten hielt, ſeine Mundart zu ihrer altertümlichen Form 


110 


bequemend; und längſt war gebannt, was man etwa an der ge⸗ 
waltſam ausſtaffierten Erſcheinung hätte belächeln mögen. Zu: 
letzt, wie als vertraulichen Anhang zu dieſer zeremoniellen, heilig 
einzuhaltenden Begrüßung fügte er noch einige Worte in unge⸗ 
bundener Rede hinzu, groß und gewichtig und ohne Ziererei ge⸗ 
ſprochen; ſie forderten zu gefälligem Zuhören auf. Dann grüßte 
er wieder in militäriſcher Weiſe wie vorhin und ging ab. In 
dieſem Augenblick ertönte von draußen, vor der Türe, das Lied 
von Mariä Verkündigung, das man überall in den Alpen kennt: 
Gegrüßt ſeiſt Maria, jungfräuliche Zier, 
Du biſt voll der Gnaden, der Herr iſt mit dir. 
Die ganze Spielergeſellſchaft ſang in der drängenden Art, wie 
das Landvolk Kirchenlieder ſingt, in den gepreßten, harrenden 
Raum hinein. Dann kam Maria, ein mittelgroßes derbes Bau⸗ 
ernmädchen mit regelmäßigem, ſtillem Geſicht, und kam der 
Engel, ein zwoͤlfjähriges Schulmädchen in einem weißen Ge: 
wand, mit Schärpe und goldenen Flügeln von Pappe, und 
wovon geſungen war, das wurde auch vorgeſtellt und geſpro⸗ 
chen mit den Worten der Schrift. Wie ſich nun Auftritt an 
Auftritt reihte, ohne Pauſe, nur etwa durch die Lieder aus⸗ 
einandergehalten, die vor der Tür erſchollen, trat zurück das 
Beſondere und das Zufällige; ja jeder einzelne Wille in dieſen 
Spielern; und die Einheit trat hervor, in der ſie behalten waren; 
es wurde ganz offenbar, wie ihr Tun wenig ihr Belieben war, viel⸗ 
mehr alles feſtgeſetzt und aufgetragen wie dem Prieſter ſein Tun 
am Altare; aber von ihnen dann auch ſtandhaft durchgeführt; 
ohne Achtung alſo auf Rechts und Links, ohne Luſt, ſich aus⸗ 
zudrücken, ohne Vorhaben, dem Zuſchauer nur jemals auffällig 
zu ſein; nur in dem Dienſt, dem ſie als Kinder ihres Landes 
unterworfen waren, den Brauch der Väter zu erfüllen, da dies 
mit ihrem Tag an ſie gekommen war. Überlieferung war nicht 
nur das Wort — deſſen Verſtändnis in manchen kleinen Fällen 
verdunkelt ſchien — überliefert war die Gebärde ganz und gar, 
und keinem Raten und Verſuchen mehr anheimgegeben, was 


111 


fonft not tat, die bibliſchen Ereigniſſe ſinnlich darzuſtellen. So 
hielt der Engel ftändig die beiden Hände in Schulterhöhe, die 
Handfläche nach außen, und zur Begrüßung verneigte ſich er 
auch ſo. Oder die Hofherren, die im nächſten Auftritt zur Be⸗ 
ratung über den Zins vor Kaiſer Auguſtus geladen wurden, 
ſtützten, wenn fie ſich zur Antwort von ihrer kleinen Bank er: 
hoben, die linke Hand in die Seite. Später die Hohenprieſter, 
die Herodes nach dem Meſſias fragt, zittern unausgeſetzt heftig 
mit den Händen, der eine hält ein großes Buch, der andere eine 
Kerze, ihm zu leuchten. Alle Monologe werden im Hin⸗ und 
Hergehen geſprochen. Den erſten ſprach der heilige Joſeph, ein 
langer hagerer Bauernknecht mit wunderbar vertrauenswürdi⸗ 
gem, verwittertem, von Furchen zerklüftetem Angeſicht. Seine 
Verſicherung, daß er an Marias Zuſtand nicht ſchuld wäre, er⸗ 
weckte die Heiterkeit der Zuhörer. Er hatte an einer ſtrohgefloch⸗ 
tenen Taſche ſeine Tiſchlergeräte hängen, aber nur in Spielzeug⸗ 
größe: dies iſt die Art, wie die Gegenſtände der wirklichen Welt 
in dieſen Rahmen hineingebracht werden. Dies war auch das 
Geheimnis des verhängten Winkels, der Zelle, in der, einem 
Tabernakel nicht unähnlich, der eigentliche Kern des Spieles auf⸗ 
bewahrt iſt. Auf dem Nachtkaſtel ſtand ein ‚Kripperl‘, wie man 
es den Kindern zur Weihnachtszeit ſchenkt. Der Stall nichts als 
ein Dach auf vier Pfoſten, unter dem in der Krippe ein ſehr 
kleines Püppchen lag; dahinter in Holzfiguren Ochs und Cfel. 
Für jede Szene, die dort ſpielte, wurden an dem Kripperl zwei 
Chriſtbaumkerzchen angezündet, Joſeph und Maria ſaßen auf 
Stühlen rechts und links davon; war ihre Szene zu Ende, und 
zog man den Vorhang zu, fo wolbte er ſich wohl über fie, und 
die Kerzchen ſchienen wunderſchoͤn durch den Stoff durch. Ver⸗ 
kleinert waren ebenfo die Gaben, die Hirten und Könige bor: 
brachten; das Lamm, der kleine Bauſch Wolle, das Säckchen 
Mehl; dann das Holzkloͤtzchen Gold und die Gefäße mit Weih⸗ 
rauch und Myrrhen; Joſeph konnte beim Auszug nach Agypten 
alles in ſeine Strohtaſche ſtecken, ſamt Ochs und Eſel, die darin 


112 


Albrecht Dürer: Bildnis des Ulrich Starck. Kreidezeichnung 


Digitized by Google 


in die beiden Ecken kamen. Der Zuſchauer folgt dem Gebrauch 
dieſer Dinge mit Behagen und mit einem Lächeln, das ſeine 
Zuſtimmung und ſein Verſtändnis kundgibt. Seiner Phantaſie 
iſt der Halt geboten, deſſen ſie bedarf; ſeine Augen haben die Luſt, 
auf die ſie nicht verzichten koͤnnen, indem ihnen, durch Vor⸗ 
zeigen dieſer ſpielzeughaften Gegenſtände, die Form in Erinne⸗ 
rung gebracht wird. Daneben prägt ſich, beſonders auf den Ant: 
litzen der Männer, auch die ungewohnte Anſtrengung aus, den 
Vorgängen zu folgen, die ſich dann beim Erblicken des derb 
Handgreiflichen gern in Lachen entſpannt. In einer der letzten 
Szenen iſt eine nackte kleine Puppe das Kind, das Rahel im 
Arm hält, als der Soldat zum Kindermord auf fie zutritt: „Was 
biſt du?“ „Ein friedliches Weib...“ Wenn er mit dem 
Säbel ſo zuſchlägt, daß der Holzkopf der Puppe abſpringt und 
davonrollt und unter den Füßen der Zuſchauer geſucht werden 
muß, fo wird gelacht. Aber es iſt ein Lachen, das dazu gehört, 
weil es die Gegenſätze ganz zu ſich übernimmt und erledigt: ſie 
ſind dann nicht mehr, und dahinter ſichtbar wird der Schauder und 
die Ahnung, daß dieſem Vorgeſtellten eine gewaltige Wahrheit inne: 
wohne. Hier hat man die beiden Grenzen nach oben und nach 
unten: ſetzen ſchon die Formen in Gebärde und Vers, Gewan⸗ 
dung und Geſang die gewöhnlichen Verhältniffe außer Kraft, fo 
daß das, was dann Vergrößerung iſt, manchmal wahrhaftig 
kaum mehr ausmeßbar iſt und als Erſcheinung deſſen, was in die 
Nähe des Heiligen reicht, ſtark an unſer Herz greift, ſo bezeichnen 
die Dinge aus der Alltagswelt in ihren kleinen rohen Formen 
eine untere Welt, die auch ihre Wahrheit hat: nicht umſonſt ſind 
ſie kindiſch, nicht umſonſt mögen ſie einem Fetiſch an Geſtalt 
ähnlich ſehen. Das alte Spiel begreift in ſich die höheren wie 
die niedrigen Vorſtellungen des Glaubens; in ſeiner jahrhun⸗ 
dertelangen Entwicklung hat es daran auszuwägen gehabt, bis 
das Gleichgewicht hergeſtellt war, in dem ſeine Dauer beruht. 
Denn in dieſem Wechſel von Hoch und Nieder, der alſo bis ins 
Tiefſte reicht, hat das Volk ſein Gedächtnis. So ſind die heiligen 


113 


Szenen des Spiels gegen die derben ausgewogen; neben dem 
ſchimmernden Überwurf von Seide, der Uniform und der Krone 
zeigt ſich der Schafpelz, die wilde Peruͤcke und der Spitzhut, und 
da ſchon in dieſem Spiel nicht der Teufel neben die heiligen Per⸗ 
ſonen tritt, ſo muß doch neben den Klang das Gepolter, neben 
den Geſang tieriſches Brüllen und Schnaufen treten. 

Die „Vor⸗der⸗Tür⸗Lieder“ fang immer die ganze Truppe, fie 
klangen geheimnisvoll und erweckten ehrfuͤrchtige Erwartung; 
und mit dem Ende eines ſolchen nun ſcholl von der Türe her ein 
furchterregendes Pochen und Stampfen, unmäßig hart und von 
Klirren begleitet. Die Gaſſe, der Raum für die Spieler, hatte 
ſich, wie die Vertraulichkeit im Fortgang des Spieles wuchs, ſehr 
verkleinert und verengt, gerade daß man den Spielern noch ein 
wenig auswich; jetzt ſcheuchte etwas Wildes, Ungezähmtes dieſes 
Vordringen in ſeine Grenzen zurück. Es waren die Hirten in 
abgeniigter einheimiſcher Tracht, mit Spitzhuͤten, die mit Bän⸗ 
dern umwunden waren; in rhythmiſchem Humpeln ſtießen ſie 
die mächtigen Ningftöcke vor ſich auf den Boden, wie fie ehe: 
mals die Waffe der Hirten gegen die Wölfe waren. Eine Spanne 
hoch vom untern Ende tragen ſie einen Ring befeſtigt, in dem 
ein Vierteldutzend gleicher Ringe hängt; bei jeder Bewegung 
klirren ſie und erwecken den Eindruck erſchrecklicher Wehrhaftig⸗ 
keit. Die wird hier natürlich auch komiſch ausgenützt. Zunächſt 
ſollen die Zuſchauer geängftigt und zum ſchnellen Einziehen ihrer 
Füße veranlaßt werden. Und nachher, als die Hirten aus dem 
Schlaf erwachen und aufſtehn ſollen und einer von ihnen hart⸗ 
näckig liegen bleibt, ſetzen die andern zwei die Stöcke als Hebe⸗ 
bäume an und bringen ihn ſo mit geſpielter Anſtrengung auf die 
Beine. Der Humor der Hirtenſzenen, der ganz nahe und zu: 
traulich an das wirkliche Leben herankommt, erlaubt der Dar⸗ 
ſtellung noch ein anderes Mal, den Zuſchauer ihre Überlegenheit 
fühlen zu laſſen. Einer der Hirten ſitzt auf der Decke auf dem 
Boden und flickt ſeinen Rock: das erfolgt zu dem beſonderen 
ſpaßhaften Zweck, daß er zu ſeinem Lied beim Ausziehen der 


114 


Nadel die nahen Waden der Zuhörer aufſucht; und natürlich 
macht er mit kurzen Rutſchbewegungen eine kleine Reiſe auf dem 
Boden und dreht ſich auch um, damit die andere Seite der Gaſſe 
nicht zu kurz käme. Natürlich wurde das weibliche Geſchlecht 
bevorzugt, der Geiſtliche aber nicht geſchont. Zum Singen der 
anderen Lieder ſtellten ſie ſich zu dritt zuſammen, dabei ſahen ſie 
einander mit traumartigem und doch wachem Einverſtändnis 
an, ſtemmten die Ringſtöcke vor ſich und nickten und bogen, die 
Bruſt herausdrückend, den einen Arm in die Hobe, wie der tut, 
der eine große Merkwürdigkeit zu erzählen hat. Und wie ſie ſich 
für die nächtliche Engelserſcheinung ſchlafen legten, taten ſie das 
gar nicht ſo, wie man es wirklich tut; ſondern ſie legten ſich, ſchief 
in der Gaſſe, alle drei auf den Bauch und behielten den Kopf 
dabei etwas gehoben; der war da natürlich ganz nahe an den 
Füßen der Zuſchauer, während für ihre Füße unter den unfern 
Platz geſchafft werden mußte. 

Nun tritt aber neben das Nächtliche und Wilde dieſer Geſellen 
auch der geheimnisreich heilige Glanz, der von den drei Koͤnigen 
ausgeht: da ſteigert ſich nun eine Gruppe an dem Weſen der 
anderen, und von jeder wird gefordert, ihren Ernſt und ihre Weihe 
an den Tag zu legen: die Hirten haben ſich zu Schützern des 
neugeborenen Kindes aufgeworfen und verwehren den fremden 
Ankömmlingen den Zutritt zum Stall, ein Wechſelgeſang zeigt 
die Koͤnige bittend und beteuernd, die Hirten ſpottluſtig, miß⸗ 
trauiſch und zuletzt verfühnt. Die Könige hatten, fo gut wie die 
Hirten, in jener Gaſſe nur hintereinander Platz; ſie ſchimmerten 
mit ihren roten Prunkmänteln, den dicken bemalten Zeptern, 
den ausgebauchten abenteuerlichen Kronen, von denen ihnen 
koſtbare Seidentüchlein auf die Schultern hingen (der Mohren⸗ 
könig hatte dazu einen ſchwarzen Schleier vors Geſicht genom⸗ 
men), vor allem aber mit den redlichen Geſichtern aus einem 
Halbdunkel des herangedrängten Landvolks, voll unendlicher 
Ruhe und ehrwürdiger Einfalt herüber; der erſte war derſelbe, 
der auch den Ankünder geſprochen hatte, das Leben hatte ihm 


115 


einen ſorgenvollen Zug mit ſtarken treuherzigen Falten ins ge: 
roͤtete bärtige Geſicht geſchrieben; hier war es, als wäre ihm der 
ganz allein von der hoffnungsvollen Bitte, wenn die Strophen mit 
der Anrede, Lieber Bauer‘ begannen, zuteil geworden. Ihm gegen: 
über war einer von den Hirten merkwürdig, ein jüngerer Menſch 
mit ſtark ausgezogenem dunklem Schnurrbart, immer war ſeine 
Stimme die erſte im Geſange, in ſeinen munteren Augen ſtand 
es immer zu leſen, daß er wußte, wie es weiterginge; und von 
ſeinem reſoluten, mit ganz feinem Humor angelegten Weſen ging 
eine leiſe ſtarke Führung aus, und es ſahen wohl auch die Partner 
erwartungsvoll auf ihn, ehe fie in den Geſang einfielen und die 
Hilfe des Buechhalters nicht vernehmlich genug ſchien. Aber es 
lag dazu auch die Aufforderung, das Spiel zu ermöglichen, gleich⸗ 
fam überall in der Luft, und es ging auch immer geraͤuſchlos 
etwas hiezu Dienendes vor. Sei es, daß der Buechhalter auf dem 
Gange waltete, über die ſchlafenden Hirten ſtieg, denen, die 
niederzuknieen hatten, Decken vorlegte, die Kerzchen an der Krippe 
auslöſchte oder anzündete, wohl auch von den Umſtehenden ge⸗ 
fällig unterſtützt , oder fei es das unſichtbar Tragende, mit dem 
alle mitwirkten aus ihrem Herzen heraus; wovon wohl der 
Mund überging, gar in beſonders merkwürdig erſcheinenden 
Bildern, ſo daß der Ankünder einmal, jedoch ohne daß es eine 
beſchämende Störung bedeutet hätte, zu der Anſprache genötigt 
war: „Oba ich bitt mehr um Ruahe, wia ſollen denn da die Leut 
reden und die Rollen hoͤren, wann immer a ſo a Glachter und a 
Gredach is, des geaht ja nit!“ 

Zu einer dritten Gruppe, die wieder unheimlich und gewalttaͤtig 
auftrat, vereinigte ſich ſchließlich die Mehrzahl der Spieler. Der 
Engel war ausgenommen und die Maria, die jetzt die Buech⸗ 
halterin zu machen hatte; alles andere war zur Darſtellung der 
Rauber aufgeboten. Ihr Auftreten war gegenüber dem der Hirten 
ordentlich teufelsmäßig: knurrend, pfauchend, heulend fegten fie 
in die Gaſſe herein, verſammelten ſich, acht Räubersknechte, 
Räuberhauptmann und Räuberweib, am oberen Ende des 


116 


Weges und ftellten fich, in ihren Schafpelzen und zottigen 
Perücken, paarweis einander zugekehrt auf, zogen die Saͤbel und 
ſtimmten ihren Raubergefang an. Zu jedem Takt des wilden Liedes 
ſchlugen ſie in der Luft die Säbel zuſammen, es klang prachtvoll. 
ö Wenn wir auf dem Galgen hangen, 

Bis die Beinlein werden weiß, 

Tuat der Leib ſo herrlich prangen, 

Weil er iſt ein Vogelſpeis. 

Iſt viel ſchoͤner in der küehlen Luft 

Als in einer Totengruft! 
lautete die letzte Strophe, und bei dem Wort ‚Luft‘ fuhren die 
Klingen in die Hohe, bei dem Wort ‚Gruft‘ aber gen Boden: 
das Ausbleiben des taktierenden Klirrens, woran ſich das Ohr 
gewöhnt hatte, ſchloß das Lied mit einer geſpenſtiſchen Wirkung 
ab, wie ſie ſtärker nicht zu erſinnen wäre. Der Abgang nach 
dieſem Lied erfolgte mit demſelben Pfauchen und Schnauben 
wie das Auftreten. Zu den Szenen mit den heiligen Wanderern, 
die dann folgten, trat nicht wieder die ganze Bande auf. Es han⸗ 
delte ſich hier um die apokryphe Legende von dem Schächer 
Dismas, der das flüchtende Paar im Agyptenwald beim Raub: 
überfall ſchont, geblendet von dem Glanz des Kindes, und dem 
dann geweisſagt wird, daß er mit dem Heiland ſterben würde: 
dies vorzuſtellen, hatte das ausgeführte und ſzenenreiche Spiel 
nicht verſäumt. Sein Schluß war der Kindermord und die Aus⸗ 
zahlung der beiden Kriegsknechte, die mit geſpießten Puppen 
vor Herodes hintreten und ſich in den Helm Gulden zählen 
laſſen, zehn, zwanzig, dreißig - erſt mit achtzig ſind ſie zufrieden 
und treten mit der Verſicherung ab, daß der Lohn bald ver⸗ 
trunken fein würde. Ein Marienlied „Doch mein Schäflein lauf 
nur hin zu Maria ber Schäferin‘ ſchloß unmittelbar, dem Brauch 
gemäß, das ‚Schäferfpiel‘ an, das in ſanftem Rezitativ und 
geiſtlichen Dialogen von Schäfer und Räuber und Pilgram zum 
Epilog abklang, den der Ankünder in derſelben Weiſe vortrug, 
wie er das Spiel eingeleitet hatte. 


117 


An einem Ausgang wurde Geld abgefammelt, wer wollte, Eonnte 
fid) auch durch die andere unbefegte Türe entfernen. Draußen 
verpackten ſie in eine ſehr große eiſenbeſchlagene Kiſte die Requi⸗ 
ſiten und Gewänder. Es war längſt finfter geworden, das Spiel 
hatte vier Stunden gedauert, ſie ſpielten es um acht Uhr wieder 
in einem Wirtshaus, wohin fie dreiviertel Stunden zu fahren 
hatten. Wir ſaßen unten in der Wirtsſtube, als ſie mit Hut und 
Stock und Wetterfleck durchkamen, alle von mächtigem Wandel, 
die Stube füllend, lächelnd aus milden Augen in einer heimlichen 
guten Müdigkeit, und uns ihre harten Hände zum Abſchied boten. 


* 


Meiſter Eckhart 


Zefemeifter und Lebemeiſter 


Beſſer wäre ein Lebemeiſter, denn tauſend Leſemeiſter; aber leſen 
und leben ohne Gott, dazu kann niemand kommen. Müßte ich 
einen Meiſter der Schrift ſuchen, den ſuchte ich zu Paris und auf 
den Hohen Schulen um hoher Wiſſenſchaft willen. Aber wollte 
ich nach vollkommenem Leben fragen, davon konnte er mir nichts 
ſagen. Wohin müßte ich dann gehen? Allzumal nirgend anders⸗ 
hin, denn in eine bloße, ledige Natur: die könnte mir kundmachen, 
wonach ich ſie in Angſten fragte. Leute, was ſucht ihr an dem toten 
Gebein? Warum ſucht ihr nicht das lebendige Heiligtum, das 
euch ewiges Leben geben kann? Denn der Tote hat weder zu 
geben noch zu nehmen. Und müßte der Engel Gott ſuchen außer⸗ 
halb Gottes, ſo ſuchte er ihn nirgend anderswo, denn in einer 
ledigen, bloßen, abgeſchiedenen Kreatur. Alle Vollkommenheit 
iſt daran gelegen, daß man Armut und Elend, Schmach und 
Widerwärtigkeit und alles, was an Drückendem auf uns fallen 
mag, willig und fröhlich, ledig und begierig, bereit und unbeweg⸗ 
lich erleiden könne und bis an den Tod dabei bleibe ohne alles 
Warum. 


118 


Das ewige Wort wird nur in der Stille laut 


Der himmliſche Vater fpricht ein Wort und ſpricht das ewig, 
und in dem Wort verzehrt er alle ſeine Macht und ſpricht in dem 
Wort ſeine göttliche Natur allzumal und alle Kreatur. Das 
Wort liegt in der Seele verborgen, ſo daß man es nicht weiß 
und nicht hört, wenn ihm nicht Raum gemacht wird in dem 
Grunde des Hörens, — eher wird es nicht gehört; vielmehr: 
alle Stimmen und alle Laute, die müſſen hinweg, und muß da 
eine lautere Stille ſein, ein Stilleſchweigen. 

Aus Meiſter Eckhart, Deutſche Predigten und Traktate 


* 


David Herbert Lawrence 
Lächeln 


Er hatte beſchloſſen, die Nacht ſitzend zu durchwachen; das ſollte 
eine Art von Buße ſein. Im Telegramm hatte nur geſtanden: 
„Oyhelias Befinden beſorgniserregend.“ Da hatte er nun das 
Empfinden, daß es eine unverzeihliche Gefühlloſigkeit ſein würde, 
wenn er im Schlafwagen zu Bett ging. So ſaß er denn müde in 
ſeinem Abteil erſter Klaſſe, indeſſen die Nacht auf Frankreich 
herabſank. 

Natürlich, dachte er, müßte ich jetzt eigentlich am Bette Ophelias 
ſitzen. Aber Ophelia wollte ihn ja nicht haben. So ſaß er nun 
wachend im Zuge. 

Tief drinnen in ſeinem Leibe ſaß ein ſchwarzes und ſchweres 
Gewicht: wie ein Krebsgeſchwür, das mit lauter Gram gefüllt 
war und laſtend auf den Quellen ſeines Lebens lag. Er hatte das 
Leben immer ſchwer genommen. Nun drückte die Schwere ihn 
übermächtig nieder. Sein dunkles, hübſches, glattraſiertes Ge⸗ 
ſicht mit den in dumpfer Qual ſchiefgezogenen ſtarken ſchwarzen 
Augenbrauen hätte einen Maler zu einem „Chriſtus am Kreuz“ 
anregen können. | 


119 


Diefe Nacht im Zuge war wie ein Höllenfpuf: nichts war wirk⸗ 
lich. Die beiden ältlichen Engländerinnen ihm gegenüber waren 
ſchon lange tot, vielleicht länger als er ſelbſt. Denn auch er ſelbſt 
war natürlich tot. 
In den Bergen an der Grenze kam langſam und grau die Morgen⸗ 
dämmerung; er ſah hinaus, ohne doch zu ſehen. Immer gingen 
ihm die Verſe durch den Sinn: 

Es kam die Dämmrung, trüb, voll Trauern, 

eiſig durchſprüht von frühen Schauern; 

da ſchlief ſie ſtill: denn ihre Nacht 

begann, wenn uns der Tag erwacht. 
Und in ſeinem zermarterten Geſicht, einem wandelloſen Mönchs⸗ 
geſicht, war keine Spur davon zu leſen, daß ſein kritiſcher Verſtand 
die Wiederholung der Serie voll Verachtung, ja voll Selbſt⸗ 
verachtung, eine lächerliche Verſtiegenheit nannte. 
Er war in Italien: und er betrachtete die Landſchaft mit ſchwa⸗ 
chem Widerwillen. Er brachte nicht mehr viel Empfindung auf: 
nur dieſen ſchwachen Widerwillen, als er die Olivenbäume und 
das Meer ſah. Das könnte man poetiſchen anne nennen, 
dachte er. 
Es war abermals Abend, als er das Heim der Blauen Schweſtern 
erreichte, in dem Ophelia Zuflucht geſucht hatte. Man führte 
ihn in das Zimmer der Mutter Oberin, im Schloßbau. Sie erhob 
ſich und neigte den Kopf, wobei ſie ihn an der Naſe herunter be⸗ 
trachtete. Dann ſagte fie auf franzöfifch: 
„Es ſchmerzt mich, daß ich es Ihnen mitteilen muß. Sie it heute 
nachmittag geftorben. 4 
Er ſtand wie betäubt; nicht daß er in dieſem Augenblick viel 
empfunden hätte: aber ſein ſchoͤnes Mönchsgeſicht mit den ſtark 
geprägten Zügen verriet, daß ihm das Nichts entgegenſtarrte. 
Die Mutter Oberin legte ſacht ihre weiße, ſchöne Hand auf 
ſeinen Arm und blickte zu ihm auf; ſie lehnte ſich an ihn. 

„Mut!“ ſagte ſie ſanft. „Mut, nein?“ 

Er trat einen Schritt zurück. Es war ihm immer peinlich, n wenn 


120 


eine Frau fid) fo an ihn lehnte. Die Mutter Oberin in ihren 
umfänglichen Rocken war ſehr weiblich. 

„Gewiß!“ antwortete er auf engliſch. „Kann ich ſie ſehen?“ 
Die Mutter Oberin läutete, und eine junge Schweſter erſchien. 
Sie war ein wenig bleich, aber in ihren haſelnußbraunen Augen 
leuchtete etwas wie Kindlichkeit und Mutwille. Die Oberin 
murmelte eine Vorſtellung, und die junge Schweſter, ernſthaft, 
machte eine leichte Verneigung. Aber Matthew ſtreckte ihr die 
Hand hin, mit der Bewegung eines Mannes, der nach dem letzten 
Strohhalm greift. Die junge Schweſter lofte ihre gefalteten Han- 
de und ließ die Rechte ſcheu in ſeine ſchlüpfen: ſie war reglos wie 
ein ſchlafender Vogel. 

Und Matthew, verſunken im unermeßlich tiefen Hades ſeines 
Grams, dachte: Was für eine ſchoͤne Hand! 

Sie gingen durch einen hübſchen, aber kalten Flur, und die junge 
Schweſter klopfte an eine Tür. Matthew, dahinſchreitend im 
unergründlichen Hades des Grams, nahm dennoch die ſanft und 
fein und üppig geſchwungene Linie der beiden ſchwarzen Frauen⸗ 
röcke wahr, die ſich in leiſer und ſchwingender Eile vor ihm her 
bewegten. 

Er erſchrak tief, als die Tür aufging und er in dem erhabenen 
vornehmen Raum die Kerzen rings um das weiße Lager brennen 
ſah. Eine Schweſter ſaß neben den Kerzen; ſie blickte zu ihm auf, 
und er ſah in ihr von der weißen Haube umrahmtes dunkles und 
einfaches Geſicht. Dann ſtand fie auf und grüßte mit einer leichten 
Verneigung; Matthews Bewußtſein verzeichnete die Beobach⸗ 
tung, daß ſie von ſtämmiger Geſtalt war und bräunlich⸗blaſſe 
Hände hatte, die auf der glänzenden blauen Seide ihrer Bruſt 
mit einem ſchwarzen Roſenkranz ſpielten. 

Die drei Schweſtern ſchritten ſtumm, mit raſchen Schwingungen 
ihrer umfänglich gebauſchten ſeidenen ſchwarzen Rocke, ſehr 
weiblich, zum Kopfende des Lagers; dort blieben ſie. Die Mutter 
Oberin neigte ſich und hob mit zarteſter Behutſamkeit den weißen 
Batiſtſchleier vom Antlitz der Toten. 


121 


Matthew ſah das Antlitz feiner Frau in der ſchoͤnen Gelaſſenheit 
des Todes; und ſogleich ſprang tief in ihm etwas wie Gelächter 
auf. Er ſtieß einen leiſen grunzenden Laut aus, und ein ſehr wun⸗ 
derliches Lächeln nahm von ſeinem Geſicht Beſitz. 

Die drei Nonnen, im Kerzenglanz, der warm und raſch wie das 
Licht eines Chriſtbaums flackerte, ſahen ihn unter ihren Hauben⸗ 
bändern hervor mit traurigen und mitleidigen Augen an. Sie 
waren wie ein Spiegel. In ſechs Augen glomm plotzlich ein wenig 
Furcht auf — und wandelte ſich in verwirrtes Staunen. Und von 
den drei Nonnengeſichtern, die ihn im Kerzenlicht hilflos an⸗ 
blickten, begann ein ſeltſames, vom Willen nicht beherrſchtes 
Lächeln Beſitz zu ergreifen. Das gleiche Lächeln erblühte in dieſen 
drei Geſichtern auf ſo ganz verſchiedene Art: das war, als wenn 
drei erleſene Blumen ſich erſchloſſen. Bei der bleichen jungen 
Nonne war es ein faſt ſchmerzlicher Ausdruck, in den ſich etwas 
wie mutwillige Verzückung miſchte. Das Lächeln um die Lippen 
der mit der Totenwache betrauten Schweſter, einer reifen Frau 
mit dunklem, liguriſchem Geſicht und waagrechten Brauen, war 
ein heidniſches Lächeln: langſam, unendlich überlegen in ſeinem 
antiken Humor. Es war das etruskiſche Lächeln: überlegen, voll 
ſelbſtverſtändlicher Sicherheit — und unerwiderbar. 

Die Mutter Oberin, deren großliniges Geſicht irgendeine unbe⸗ 
ſtimmte Ahnlichkeit mit Matthews Zügen hatte, wehrte ſich ſehr 
gegen das Lächeln. Er aber ließ nicht nach; er ſah ſie an, humor⸗ 
voll und mit boshaft vorgerecktem Kinn, bis ſie den Kopf ſenkte; 
das Lächeln wuchs, wuchs und nahm von ihrem ganzen Geſicht 
Beſitz. 

Die bleiche junge Schweſter verhüllte plotzlich ihr Geſicht mit 
dem Armel; ſie bebte am ganzen Leibe. Die Mutter Oberin legte 
den Arm um des Mädchens Schultern und ſagte mit italieniſchem 
Gefühlsüberſchwang: „Armes kleines Ding! Komm, wein dich 
aus, armes kleines Ding!“ Aber das Kichern zitterte noch immer 
durch den uberſchwang des Gefühls. Die dunkelhäutige Schweſter 
ſtand da, derb und unbewegt, ihre Hände umklammerten die 


122 


ſchwarzen Perlen des Roſenkranzes, und unbewegt blieb auch 
ihr ſtummes Lächeln. 

Matthew wandte ſich plöglich dem Lager zu, als wollte er ſehen, 
ob ſeine Frau ihn beobachtet hatte. Es war eine Bewegung, die 
Furcht verriet. 

Ophelia lag ſo hübſch und ſo rührend da; ihre ſpitze kleine Naſe 
ſtieß auch im Tode noch trotzig vor, und ihr eigenſinniges Kinder⸗ 
geſicht war erſtarrt in letztem Aufbegehren. Das Lächeln ſchwand 
aus Matthews Zügen, und ein Ausdruck übermenfchlicher Qual 
trat an ſeine Stelle. Er weinte nicht; ſein ſtarrer Blick war ohne 
Sinn und Leben. Der Ausdruck ſeines Geſichts aber ſagte immer 
deutlicher: Ich wußte ja, daß mir das Schickſal dieſe Qual zu⸗ 
gedacht hatte. 

Sie war ſo hübſch, ſo kindlich, ſo geſcheit, ſo trotzig, ſo müde — 
und ſo leblos! Er ſtand ſo verlaſſen vor alledem. 

Zehn Jahre hatte ihre Ehe gedauert. Er ſelbſt war keineswegs 
ein vollkommener Gatte geweſen — nein, nein, alles andere eher 
als das! Aber Ophelia hatte immer nur ihren eigenen Willen 
gelten laſſen. Bei ihr wechſelten Liebe und Trotz und Sehnſucht, 
Verachtung und Zorn in ſteter Folge; ein dutzendmal hatte ſie 
ihn verlaſſen, ein dutzendmal war ſie zu ihm zurückgekehrt. 
Kinder hatten ſie nicht. Und er, mit gefühlvoller Sehnſucht, hatte 
ſich immer Kinder gewünſcht. Ihm war unendlich traurig zumute. 
Nun würde ſie niemals zu ihm zurückkehren. Es war das dreizehnte 
Mal, daß ſie ging, und diesmal war ſie für immer gegangen. 
Aber war ſie das wirklich? Noch wahrend er es dachte, hatte er 
das Gefühl, als ſtieße ſie ihn heimlich in die Rippen, um ihn zum 
Lächeln zu bringen. Er krümmte ſich ein wenig, und feine Brauen 
zogen ſich ärgerlich zuſammen. Er wollte nicht lächeln! Er ſchob 
feinen eckigen, glatten Unterkiefer vor und entblößte feine ſtarken 
Zähne, indeſſen er auf die Tote niederblickte, die ſo unendlich 
herausfordernd dalag. „Fängſt du ſchon wieder an!“ hätte er 
am liebſten zu ihr geſagt, wie jener Mann bei Dickens. 

Ich bin ja auch kein vollkommener Gatte geweſen, dachte er. 


123 


Denn er wollte ſich jetzt einmal feine eigenen Unzulänglichkeiten 
vorhalten. 

Plötzlich wandte er fic) den drei Frauen zu, die ſich geräuſchlos 
hinter die Kerzenreihe zurückgezogen hatten und deren Geſichter 
nun, umrahmt von den weißen Hauben, zwiſchen ihm und dem 
Nichts ſchwebten. Seine Augen flammten, und er entblößte 
die Zähne. 

„Mea culpa! Mea culpa!“ ftieß er heftig hervor. 
„Macchè!“ rief die Mutter Oberin erſtaunt. Ihre Hände 
flogen auf, vereinten ſich wieder und ſaßen im dunklen Schatten 
der Armel wie zwei Vögel im Neſt. 

Matthew duckte den Kopf und ſpähte in die Runde, fluchtbereit. 
Die Mutter Oberin, im Hintergrunde, begann leiſe ein Pater⸗ 
noſter zu beten, und die Perlen ihres Roſenkranzes pendelten. 
Die blaſſe junge Schweſter wich noch weiter zurück. Aber die 
ſchwarzen Augen der ſtämmigen, dunkelhäutigen Schweſter 
funkelten wie Sterne voll ewigen Humors zu ihm herüber, und 
er fühlte, wie ihn das Lächeln ſchon wieder in die Rippen ſtieß. 
„Verſtehen Sie mich recht“, ſagte er zu den Frauen im Tone 
der Selbſtverteidigung. „Ich bin ſchrecklich aufgeregt. Es iſt 
wohl beſſer, ich gehe.“ 

Sie zögerten ratlos, in bannender Verwirrung. Er ging geduckt 
zur Tür. Aber noch indeſſen er ging, bemächtigte ſich das Lächeln 
wieder ſeines Geſichts, noch erhaſcht von den ſchwarzen, unab⸗ 
läſſig zwinkernden Augen der ſtämmigen Schweſter. Könnte ich 
doch, dachte er heimlich, dieſe beiden bräunlich blaſſen Hände 
faſſen und halten, die wie hochzeitende Vögel verbunden ſind, 
luſtvoll. 

Aber er beſtand darauf, ſich jetzt ſeine eigenen Unzulänglichkeiten 
vorzuhalten. „Mea culpa!“ heulte er ſich ſelbſt ins Antlitz. Aber 
noch indeſſen er es ſchrie, fühlte er, daß etwas ihn in die Rippen 
ſtieß, hörte er eine Stimme: „Lächle!“ 

Die drei Frauen, die er in dem feierlichen Raum zurückließ, 
blickten einander an, und ihre Hände flatterten einen Augenblick 


124 


auf, ſechs Vögeln gleich, die plotzlich aus dem Laub auffliegen und 
ſich dann wieder niederlaſſen. 

„Armer Menſch!“ ſagte die Mutter Oberin mitleidig. 

„Ja, ja! Armer Menſch!“ rief die junge Schweſter, ſchrill, mit 
kindlich leidenſchaftlicher Aufwallung. 

„Gia!“ fagte die dunkelhäutige Schweſter. 

Die Mutter Oberin glitt geräuſchlos zum Lager und neigte ſich 
über das Antlitz der Toten. 

„Es iſt, als hätte ſie's gehört, die arme Seele!“ ſagte ſie leiſe. 
„Findet ihr nicht auch?“ 

Die drei Hauben neigten ſich über das Lager. Und nun ſahen die 
Nonnen zum erſtenmal das kleine fpöttifche Lächeln, das Ophelias 
Mundwinkel herabbog. Sie ſahen es in ratloſem Staunen. 
„Sie hat ihn geſehen!“ flüſterte die junge Schweſter zitternd. 
Die Mutter Oberin legte behutſam den feingewebten Schleier 
über das kalte Antlitz. Dann murmelten ſie ein Gebet für Ophe⸗ 
lias Seele und ließen die Roſenkranzperlen durch die Finger 
gleiten. Dann rückte die Mutter Oberin zwei von den Kerzen 
auf ihren Haltern zurecht: mit ſachtem, feſtem Griff faßte ſie 
den dicken Kerzenſtiel und drückte ihn nieder. 

Die dunkelhäutige, ſtämmige Schweſter ſetzte fi) mit ihrem 
kleinen Gebetbuch wieder ans Lager. Die beiden anderen gingen 
mit leiſem Raſcheln zur Tür und auf den langen weißen Flur 
hinaus. Wie ſchwarze Schwäne ſahen ſie aus in ihren wallenden 
dunklen Gewändern, als fie lautlos dahinglitten. Plöglich aber 
verhielten ſie den Schritt. Beide hatten ſie die Geſtalt eines 
Mannes geſehen, der zaudernd, einſam und wie verloren, angetan 
mit einem melancholiſchen Überzieher, in der kalten Ferne am 
Ende des Flures ſtand. Die Mutter Oberin beſchleunigte mit 
einem Ruck ihren Schritt zu einem Anſchein von Eile. 

Matthew ſah, wie ſie auf ihn zugeſegelt kamen, die beiden um⸗ 
fänglichen Geſtalten mit den von den Hauben umrahmten Ge⸗ 
ſichtern und den in all dem dunklen Stoff gleichſam verlorenen 
Händen. Die junge Schweſter folgte ein wenig langſamer. 


125 


„Pardon, ma Mere!“ fagte er, wie bei einer Begegnung auf 
der Straße. „Ich habe meinen Hut hier irgendwo...“ 

Er machte eine verzweifelte, rührend unbeſtimmte Bewegung 
mit dem Arm, und nie war ein Menſch dem Lächeln fo welten fern. 


übertragen von Karl Lerbs 


Aus den Geſchichten von Karl dem Großen 
Aufgezeichnet durch Notker den Stammler 


Wahrend den Kaiſer fo das Kriegshandwerk befdhaftigte, unterließ 
er es jedoch keineswegs, hochherzig zu den Königen der fernſten 
Reiche Geſandte zu ſchicken mit Briefen und Geſchenken, einen 
um den anderen. Denn es wurden ihm aller Länder Ehren 
gebracht. 

Als er nun vom Schauplatz des Sachſenkrieges an den Koͤnig 
in Konſtantinopel Geſandte ſchickte, fragte der, ob das Reich 
feines Sohnes Karl auch in Frieden fet oder ob es von benach⸗ 
barten Völkern angelaufen werde. Der Führer der Geſandt⸗ 
ſchaft erzählte, alles ſonſt ſei in Frieden, nur ein Volk, die Sachſen 
genannt, beläſtige durch häufige Raubzüge die Grenzen der 
Franken. Da ſagte dieſer im Müßiggang erſchlaffte und im 
Kriegshandwerk ganz unbrauchbare Menſch: „Oh, warum plagt 
ſich mein Sohn im Kampf mit dieſen paar Feinden ohne Na⸗ 
men und ohne Heldenmut? Da, ich ſchenke dir dies Volk mit 
allem, was dazu gehört.” 

Wieder daheim, erzählte der Geſandte das dem großen Krieger 
Karl. Der lachte dazu und meinte: „Dieſer König da hinten 
hätte viel beffer für dich geſorgt, hätte er dir auch nur eine leinene 
Hoſe für deine weite Reiſe geſchenkt.“ 


Nicht darf ich die Klugheit verſchweigen, die derſelbe Geſandte 
gegen einen Weiſen Griechenlands bekundete. Als er im Herbſt 


126 


einft mit feinen Begleitern zu irgendeiner Eöniglichen Stadt kam, 
wurden ſie, die einen hier, die andern dort, untergebracht und er 
ſelbſt der Fürſorge eines Biſchofs anvertraut. Dieſer war un⸗ 
abläſſig bedacht auf Faſten und Beten und brachte den Ge 
ſandten durch ſtändiges Faſten faſt dem Tode nahe. Als nun im 
Frühling das Wetter ſchon ein wenig milder geworden war, 
ſtellte er ihn bei Gelegenheit dem Könige vor. Der fragte ihn, was 
er von dem Biſchof halte. Aus innerſter Seele ſchwer ſeufzend, 
ſagte der Geſandte: „Gar heilig iſt dieſer Euer Biſchof, ſoweit 
das ohne Gott möglich ift.” Verwundert fragte der König: „Wie 
kann denn jemand ohne Gott heilig ſein?“ Darauf jener: „Es 
Debt geſchrieben: Gott iſt die Liebe — und die hat der Biſchof 
nicht.“ 

Darauf lud ihn der König an ſeine Tafel und ſetzte ihn mitten 
unter die vornehmen Herren. Dieſe aber hatten ein Geſetz ein⸗ 
geführt: niemand am Tiſch des Königs, einheimiſch oder fremd, 
dürfe ein Tier oder einen Teil davon auf die andere Seite wenden, 
ſondern nur ſo davon eſſen, wie es auf der Schüſſel läge. Man 
brachte in einer Schüffel einen Flußſiſch mit gewürzter Brühe 
übergoſſen. Und als der Gaſt, unbekannt mit jener Sitte, den 
Fiſch auf die andere Seite legte, ſprangen ſie alle auf und ſprachen 
zum König: „Herr, man hat Euch entehrt, wie Eure Vorfahren 
noch nie.“ Und der König ſprach ſeufzend zu thm: „Ich kann ihnen 
nicht wehren, daß ſie dich unverzüglich zu Tode bringen. Bitte 
dir etwas anderes aus, was du willſt, und ich will es dir er⸗ 
füllen.“ 

Der Geſandte beſann ſich ein Weilchen, dann rief er vor aller 
Ohren: „Ich beſchwöre Euch, Herr Kaiſer, daß Ihr mir nach 
Eurem Verſprechen eine kleine Bitte gewährt.“ Der Koͤnig ver⸗ 
ſprach es ihm: „Fordere, was du auch willſt, und du ſollſt es 
erhalten: nur kann ich dir gegen das Geſetz der Griechen nicht 
dein Leben ſchenken.“ Darauf jener: „Soll ich ſterben, ſo fordere 
ich dies eine, daß, wer mich jenen Fiſch wenden ſah, das Augen⸗ 
licht verliere!“ 


127 


Beſtürzt ob folder Bedingung, ſchwur der Konig bei Chriſtus, 
er ſelbſt habe es nicht geſehen, ſondern glaube es nur denen, die 
es ihm erzählt hätten. Dann begann die Königin fich fo zu ent⸗ 
ſchuldigen: „Bei der freudeſpendenden Mutter Gottes, der hei⸗ 
ligen Maria, ich habe es nicht bemerkt.“ Danach ſuchten ſich die 
übrigen Vornehmen einer vor dem andern eiligſt aus ſolcher 
Gefahr zu ziehen: diefer beim Schlüffelträger des Himmels, der 
bei dem Lehrer der Heiden, die übrigen bei der Tugend der Engel 
und der Schar aller Heiligen: ſo ſuchten ſie ſich von der Schuld 
mit ſchrecklichen Eiden zu loͤſen. 

So überwand der ſchlaue Franke das eitle Hellas am eignen 
Herde und kam als Sieger wohlbehalten in fein Vaterland zurück, 


Als Pippin, Karls Sohn, ihm von einer Kebſin geboren, mit den 
Großen in der Peterskirche Rates pflog, den Kaiſer zu ermorden, 
ließ er, als ſie die Beratung geendet hatten, nachſehen, ob nicht 
jemand in den Winkeln oder unter den Altären verſteckt ſei. Denn 
nichts dtinkte ihn ſicher. Und ſiehe: wie fie gedacht hatten, fanden 
ſie einen Geiſtlichen unter einem Altar verborgen. Sie griffen ihn 
und brachten ihn dazu, zu ſchwöͤren, ihren Plan nicht zu verraten; 
und um ſein Leben nicht zu verlieren, weigerte er ſich nicht, wie 
fie ihm vorſprachen, zu ſchwoͤren. Aber als fie wieder fort waren, 
achtete er jenes gottloſen Eides nicht mehr und lief eilends in die 
Pfalz. Dort drang er mit größter Schwierigkeit durch ſieben 
Riegel und Türen endlich bis ans Schlafgemach des Kaiſers, 
ſchlug an die Tür und brachte den immerwachen Karl in die 
größte Verwunderung, daß einer ſich vermaß, zu ſolcher Stunde 
ihn zu ftören. 

Trotzdem befahl er den Frauen, die immer zum Dienſte der Koͤ⸗ 
nigin und feiner Töchter bei ihm waren, hinauszugehen und zu 
ſchauen, wer an der Tür ſei und was er wolle. Sie gingen und 
gewahrten einen Mann von ganz geringem Stande, verriegelten 
drum die Tür und ſuchten ſich unter viel Lachen und Ausgelaſſenheit 
in den Ecken zu verſtecken, das Geſicht in ihren Kleidern bergend. 


128 


Deutſche Kaiſerkrone Kaiſer Konrads II., des Saliers 


Digitized by Google 


Aber der ſcharfſichtige Kaiſer, dem nichts unter dem Himmel 
entgehen konnte, fragte aufmerkſam die Frauen, was ſie hätten 
und wer an die Tür pochte. Er bekam zur Antwort, ein Schelm, 
kahl geſchoren und lächerlich anzuſehen und von Sinnen, nur in 
Hemd und Hoſe, verlangte ihn unverzüglich zu ſprechen. Da befahl 
er, ihn einzulaſſen. Der Geiſtliche nun fiel ihm gleich zu Füßen 
und verriet ihm alles nach der Reihe. 

Die Verſchworenen aber, die nichts weniger ahnten, hatten alle 
ſchon vor der dritten Tagesſtunde ihre wohlverdiente Strafe 
und wurden in die Verbannung geſchickt. Auch der bucklige 
Zwerg Pippin wurde unbarmherzig gegeißelt und geſchoren und 
ins Kloſter des heiligen Gallus auf einige Zeit zur Strafe ge⸗ 
ſchickt, das von allen Orten des weiten Reiches am aͤrmſten und 
kleinſten zu ſein ſchien. 

Nicht viel ſpäter wollten einige von den fränkiſchen Großen 
Hand an den König legen. Das blieb ihm keineswegs verborgen, 
aber er wollte ſie doch auch nicht gern verderben; denn wenn ſie 
nur wollten, hätten ſie den Chriſten ein guter Schutz ſein können. 
Daher ſchickte Karl ſeine Boten an Pippin und ließ ihn fragen, 
was er mit den Böſewichtern tun ſolle. | 

Den Pippin fanden fie im Garten mit den älteren Kloſter⸗ 
brüdern — die jüngeren waren in wichtigeren Gefchäften ver: 
hindert — wie er Neſſeln und allerlei Unkraut mit einer Hacke 
ausjätete, damit die nützlichen Kräuter um ſo beſſer wachſen 
könnten, und ſo ſagten ſie ihm die Urſache ihres Kommens an. 
Aber er ſeufzte tief, wie ja alle Schwächeren immer leichter auf⸗ 
geregt ſind als die Geſunden, und antwortete nur: „Wenn Karl 
meinen Rat wollte, ſo würde er mich nicht ſo hart erniedrigen. 
Ich habe ihm nichts weiter zu ſagen. Sagt ihm, wobei ihr mich 
befchäftigt fandet.“ 

Aber ſie fürchteten ſich, ohne eine beſtimmte Antwort zu dem 
ſchrecklichen Kaiſer zurückzukehren, und fragten ihn noch einmal 
und zweimal, was ſie ihrem Herrn vermelden ſollten. Da ſagte 
er ärgerlich: „Nichts anderes laſſe ich ihm melden, als was ich 


129 


tue. Das unnütze Gewächs reiße ich aus, auf daß das nützliche 
Küchenkraut beſſer wachſen kann.“ 

Und ſo nahmen die Boten traurig den Abſchied und dachten, ſie 
hätten nichts Vernünftiges zurückzubringen. 

Als ſie nun vor den Kaiſer kamen und gefragt wurden, was ſie 
mitbrächten, klagten ſie, ſie ſeien trotz der Mühen und des weiten 
Weges nicht um ein Wort klüger geworden. Und als der kluge 
König fie der Reihe nach fragte, wo oder bei welcher Beſchäf⸗ 
tigung ſie Pippin gefunden hätten und was er ihnen zur Ant⸗ 
wort gegeben hätte, ſprachen fie: „Auf einem Bauernſchemel 
fanden wir ihn ſitzen, wie er mit einer Hacke ein kleines Gemüſe⸗ 
beet bearbeitete. Als wir ihm die Urſache unſerer Reiſe vortrugen, 
konnten wir nur dies eine ihm mit viel Mahnen und Bitten 
abnötigen: Nichts anderes laſſe ich ihm melden, als was ich tue. 
Das unnütze Gewächs reiße ich aus, auf daß das nützliche Küchen⸗ 
kraut beſſer wachſen kann.“ 

Bei dieſen Worten rieb ſich der Kaiſer, dem es nicht an Schlau⸗ 
heit fehlte und der reich an Weisheit war, die Ohren, blies durch 
die Naſe und meinte: „Das iſt eine verſtändige Antwort, die ihr 
guten Leute mir mitgebracht habt!“ 

Und während ſo die Boten immer noch für ihr Leben fürchteten, 
brachte Karl die Worte zur Ausführung, nahm alle ſeine Ver⸗ 
ſchwörer aus der Mitte der Lebenden hinweg und gab das er⸗ 
ledigte Gut dieſer Unnügen feinen Getreuen, auf daß fie wüchfen 
und ſich ausbreiteten. Einen ſeiner Feinde aber, der ſich den 
höchſten Berg in Frankenland und alles, was er von da aus er: 
blicken konnte, zu ſeinem Beſitztum erkoren hatte, ließ er un⸗ 
ſchädlich machen, indem er ihn auf dieſem Berg am hohen Galgen 
aufknüpfen ließ. 

Seinem Baftard Pippin ſtellte er frei, ſich zu wählen, wie er fein 
Leben verbringen wollte. Der nahm das Anerbieten an und wählte 
ſich einen Platz in dem damals noch hochberühmten Kloſter Prüm, 
das jetzt ich weiß nicht warum — verwüſtet und zerfallen daliegt. 
Aus Inſel⸗Bücherei Nr. 440 „Geſchichten von Karl dem Großen“ 


130 


Nainer Maria Rilke 
Zwei Gedichte aus dem Nachlaß 


Weißt du, Gewölk von jenem offnen Grau, 
durch das ſich endlos Räume offenbaren, 
drin höher, über jeder Vogelſchau, 
Stern⸗Blicke gehn ſeit Myriaden Jahren, 
die uns zuweilen treffen durch ein Grau, 


aus dem wir tauchen: wunderlich erreicht 
von weitem Einfluß. Manchmal angezogen 
vom Eigenſinn der Erde, manchmal leicht 
(plotzlich) von allen Welten überwogen. 


* 


O wenn ein Herz, längſt wohnend im Entwöhnen, 
von aller Kunſt und Zuverſicht getrennt, 

erwacht und ploͤtzlich hört, wie man es nennt: 

Du Überfluß, du Fülle alles Schönen! 


Was ſoll es tun? Wie ſich dem Glück verföhnen, 
das kommt und feine Hand und Wange kennt? 
Schmerz zu verſchweigen, war ſein Element. 
Nun zwingt das Liebes⸗Staunen es, zu tönen. 


x 


Martin Luther 
An feine Tiſchgeſellen 


Veſte Coburg, 28. April 1530 


Gnade und Friede in Chriſto, meine Herrn und Freunde! Ich 
hab Euer aller Schreiben empfangen und, wie es allenthalben 
zuſtehet, vernommen. Auf daß Ihr nun wiederum vernehmet, wie 
es hier zuſtehet, füge ich Euch zu wiſſen, daß wir, nämlich ich, 


131 


M. Veit und Cyriakus, nicht auf den Reichstag gen Augsburg 
ziehen; wir ſind aber ſonſt wohl auf einen andern Reichstag ge⸗ 
kommen. 

Es iſt ein Rubet JGehoͤlz] gleich vor unſerm Fenſter hinunter wie 
ein kleiner Wald, da haben die Dohlen und Krähen einen Reichs⸗ 
tag hingelegt, da iſt ein ſolch Zu⸗ und Abreiten, ein ſolch Geſchrei 
Tag und Nacht ohne Aufhören, als wären fie alle trunken, voll 
und toll; da keckt jung und alt durcheinander, daß mich wundert, 
wie Stimm und Odem fo lang währen möge. Und möchte gerne 
wiſſen, ob ſolches Adels und reiſigen Zeugs auch etliche noch bei 
Euch wären; mich dünkt, ſie ſeien aus aller Welt hierher ver⸗ 
ſammelt. b 

Ich hab ihren Kaiſer noch nicht geſehen, aber ſonſt ſchweben und 
ſchwͤͤnzen der Adel und großen Hanſen immer vor unfern Augen; 
nicht faſt Eöftlich gekleidet, ſondern einfältig in einerlei Farbe, 
alle gleich ſchwarz und alle gleich grauäugig; ſingen alle gleich 
einen Geſang, doch mit lieblichem Unterſchied der Jungen und 
der Alten, Großen und Kleinen. Sie achten auch nicht der großen 
Paläſte und Säle, denn ihr Saal iſt gewolbet mit dem ſchönen, 
weiten Himmel, ihr Boden iſt eitel Feld, getäfelt mit hübſchen, 
grünen Zweigen; ſo ſind die Wände ſo weit als der Welt Ende. 
Sie fragen auch nichts nach Roſſen und Harniſchen, ſie haben 
gefiederte Räder, damit ſie auch den Büchſen entfliehen und einem 
Zorn ausweichen können. Es ſind große mächtige Herren; was 
ſie aber beſchließen, weiß ich noch nicht. Soviel ich aber von einem 
Dolmetſcher vernommen habe, haben ſie vor, einen gewaltigen 
Zug und Streit wider Weizen, Gerſte, Hafer, Malz und allerlei 
Korn und Getreide, und wird mancher Ritter hie werden und 
große Taten tun. 

Alſo ſitzen wir hie im Reichstag, hören und ſehen zu mit großer 
Luſt und Liebe, wie die Fürſten und Herren ſamt andern Stän⸗ 
den des Reichs fo fröhlich fingen und wohlleben. Aber ſonderliche 
Freude haben wir, wenn wir ſehen, wie ritterlich fie ſchwaͤnzen, 
den Schnabel wiſchen und die Wehr ſtürzen Schwerter den), 


132 


daß fie fiegen und Ehre einlegen wider Korn und Malz. Wir wün- 
ſchen ihnen Glück und Heil, daß fie allzumal an einen Zaunſtecken 
geſpießet wären. 

Ich halt aber, es ſei nichts anders denn die Sophiſten und Pa⸗ 
piſten mit ihrem Predigen und Schreiben, die muß ich alle auf 
einen Haufen alſo vor mir haben, daß ich höre ihre liebliche Stimme 
und Predigten und ſehe, wie ſehr nützlich Volk es iſt, alles zu 
verzehren, was auf Erden iſt, und dafür kecken für die lange Weil. 
Heute haben wir die erſte Nachtigall gehört; denn fie hat dem 
April nicht wollen trauen. Es iſt bisher eitel Eöftlich Wetter ge⸗ 
weſen, hat noch nie geregnet, ohne geſtern ein wenig. Bei Euch 
wirds vielleicht anders ſein. Hiermit Gott befohlen, und haltet 
wohl haus! Aus dem Reichstag der Malztürken. 28. Aprilis. 
Anno 1530. Martinus Luther D. 


An Marcus Cordel in Torgau 
Treuen und redlichen Jugendbildner 


Wittenberg, 26. Dezember 1542 

Gnade und Friede! Ich kanns mir recht wohl denken, daß die 
Worte der Mutter meinen Sohn gerührt haben, wo die Trauer 
um die verſtorbene Schweſter hinzukommt. Aber Du trofte ihn 
kräftig! Denn dies ift gewiß, daß er hier Dich und Deine Gattin 
gerühmt hat: er ſei ebenſo gut, ja beſſer bei Euch aufgehoben als 
hier bei uns. Heiß ihn jenen weibiſchen Sinn bezähmen und ſich 
gewöhnen an die Ertragung von uͤbeln und nicht jener kindiſchen 
Weichheit nachgeben! Denn dazu iſt er aus dem Hauſe getan 
worden, daß er lerne und hart werde. Ich will nicht, daß er zurück: 
kehrt, ſolange kein anderer Grund vorliegt. Wenn eine andere 
Krankheit hinzukommt, wirft Du es mir anzeigen. Indes möge 
er ſorgen und tun, weswegen er zu Euch geſchickt iſt, und nicht 
den Gehorſam gegen den Vater verletzen. Wir hier ſind, Gott 
ſei Dank, friſch und geſund. Leb wohl! Am Stephanstage 1542. 
Dein Martin Luther. 


133 


Seinem lieben Sohn Johannes Luther in Torgau 


Wittenberg, 27. Dezember 1542 
Gnade und Friede im Herrn! Mein Sohn Johannes! Ich und 
Deine Mutter mit dem ganzen Hauſe ſind geſund. Du ſieh zu, 
daß Du jene Tränen männlich überwindeſt, damit Du nicht der 
Mutter Schmerz und Verdruß zufügſt, die ohnedies zu Schmerz 
und Sorgen geneigt iſt. Gehorche Du Gott, der Dir durch uns 
geboten hat, Dich dort ausbilden zu laſſen! Dann wirſt Du leicht 
die Weichheit vergeſſen. Mutter konnte nicht ſchreiben, hat es 
auch nicht für nötig gehalten. Sie ſagt, fie hätte alles, was fie Dir 
geſagt hat (daß Du zurückkehren ſollteſt, wenn Du Dich übel 
befändeſt), von Deiner Krankheit verſtanden, daß Du ſie, wenn 
ſie Dich befallen ſollte, ungeſäumt anzeigteſt. Im übrigen will 
ſie, daß Du jene Trauer ablegſt, um froh und ruhig zu ſtudieren. 
Damit leb wohl im Herrn! Am Tage des Evangeliſten Johan⸗ 


nes 1542. N . 
Dein Vater Martin Luther. 


Eine Fabel 


Ein Löwe, Fuchs und Eſel jagten miteinander und fingen einen 
Hirſch; da hieß der Löwe den Eſel das Wildbret teilen. Der Eſel 
macht drei Teil; des ward der Lowe zornig und riß dem Eſel die 
Haut über den Kopf, daß er blutrüſtig daſtund, und ließ den 
Fuchs das Wildbret teilen; der Fuchs ſtieß die drei Teil zuſammen 
und gab fie dem Löwen gar. Des lachet der Lowe und ſprach: Wer 
hat dich ſo lehren teilen? Der Fuchs zeiget auf den Eſel und 
ſprach: Der Doktor da im roten Barett. 


Dieſe Fabel lehret zwei Stücke: 


Das erſte: Herrn wollen Vorteil haben, und man ſoll mit Herrn 
nicht Kirſchen eſſen, ſie werfen einen mit den Stielen. Das 
ander: Der iſt ein weiſer Mann, der ſich an eines andern Unfall 
beſſern kann. 


134 


Sprichwörter 


Art gehet über Kunft Wer flieht, den jagt man « Wer 
den andern jagt, wird auch müde Ein Meſſer behält das 
ander in der Scheide Ein arm Mann ſoll nicht reich fein « 
Nachtfriſt, Jahrfriſt « Cin willig Pferd ſoll man nicht zu ſehr 
reiten « Im Winter hat ein arm Mann eben ſowohl ein 
friſchen Trunk oder kalten Keller als der reiche Dir iſt gut 
gram fein, haft nichts - Wo Tauben find, da fliegen Tauben 
zu „Ein freundlich Angeſicht deckt alles Wers erharren 
könnte, es würde alles gut « Cin weiſer Mann tut keine kleine 
Torheit Was dich nicht brennet, das loͤſche nicht! 


Aus den Tiſchreden 


Man muß ſo ſtrafen, daß der Apfel bei der Ruten ſei. Es iſt übel, 
wenn Kinder und Schüler zu Eltern und Lehrern den Mut 
verlieren. 

Man ſoll die Kinder nicht zu hart ſtäupen, denn mein Vater 
ſtäupte mich einmal ſo ſehr, daß ich ihn floh und daß ihm bange 
war, bis er mich wieder zu fic) gewöhnet. Ich wollt auch nit gern 
mein Hanſen ſehr ſchlagen, ſonſt würde er verſchüchtert und mir 
feind, fo wüßt ich kein größer Leid. Unſer Herrgott wollt auch 
nicht gern, daß wir ihm feind würden. 

Junge Herrn müſſen gute Tage haben bis zum 20. Jahr, daß 
ſie nicht kleinmütig werden. Wenn ſie ins Amt kommen, da 
verſalzt man ihnen die guten Tage. 


Aus Inſel⸗Bücherei Nr. 227 „Luther im Kreiſe der Seinen“ 


185 


Felix Timmermans 
Die Eule 
Den Kindern erzählt 


Sanft und gut, rund und weiß 
ſtieg der Mond am Himmel hoch. 
Alles, was am Tage gearbeitet 
und das Leben genoſſen hatte, 
ſchlief ruhig und zufrieden in ſei⸗ 
nem Licht: die Fiſche im Waſſer, 
die Schmetterlinge auf den Blu⸗ 

f men, die Vogel in ihrem Neſt. 
Dann erſt wachte die Eule auf und ſprach: „Wenn alle ſchlafen 
gehen, dann fange ich mit der Arbeit an“, und ſie begann zu 
denken. Die Welt war eben erſt geſchaffen, der Frühling ſtand 
in voller Blüte. Und was für einer Blüte! Die Tiere waren noch 
friſch wie Brot, das eben aus dem Ofen kommt. Sie dufteten 
noch nach den Händen Gottes. In jenen Tagen war der Löwe 
zum König der Tiere ausgerufen worden. Er war ſo ſtolz darüber, 
daß er ſich die Haare wachſen ließ wie fpäter die Künſtler. Am 
nächſten Tag wollten auch die Vogel ihren König haben; und 
dem Adler mit feiner Federhoſe, der am hoͤchſten geflogen war, — 
denn man mußte fie fich verdienen — wurde die Ehre zuteil. So 
wurde auch der Walfiſch, der ſowohl in wie auf dem Waſſer 
ſchwimmen konnte, König der Fiſche. Bald gab es vielerlei Könige, 
ja ſogar einen Koͤnig der Klettertiere: den Affen. Die Eule blin⸗ 
zelte mit ihren runden Augen nach dem Mond und ziſchte mit ihrem 
verächtlichen Schnabel: „Worüber koͤnnte ich wohl Königin wer: 
den? Sie dachte noch einmal nach und ſagte: ‚Über die Nacht.“ 
Sie ließ den Gedanken nicht erſt kalt werden, rief die Fledermaus, 
die im Mondſchein vorbeiſegelte, den Maulwurf, der gerade 
aus ſeinem Erdloch lugte, den kahlen Froſch, die ſummenden 
Käfer, den vorüberziehenden Mückengeſangverein, die Glüh⸗ 
würmchen, die einen Fackelzug abhielten. den Haſen aus dem 


136 


Kohlfeld und noch viele andere. Sie rief auch die Schnecke, aber 
dieſe konnte nicht kommen, denn fie löfte ſich ſchon ſeit ihrer 
Geburt in Schleim auf. Die Fledermaus faltete ihren Schirm 
zuſammen und hängte ſich mit dem Zeigefinger an einen Zweig 
der Kopfweide. Der Maulwurf legte ſich hin wie ein koſtbares 
Kiſſen, der Froſch lehnte ſich an einen Baum, die Arme über 
ſeinen weißen Bauch gekreuzt. Alle Tiere, die die Nacht beleben, 
waren hier verſammelt und bereit, der Eule zuzuhoͤren. Sie ſprach 
mit weitgeöffneten, geheimnisvollen Augen. Sie bewies, daß ein 
König der Nacht dringend erforderlich ſei. Aber es müſſe ein 
König mit Verſtand fein. Am Tage fei das nicht nötig, dann 
fahe man ja alles, aber im Dunkeln ginge es nicht ohne Verſtand. 
„Die ſich dazu berufen fühlen, mögen vortreten!“ ſagte ſie. 

Das Wort Verſtand hatte alle eingeſchüchtert, und ſie ſchwiegen. 
Nur der Froſch ſchob ein Bein nach vorn, öffnete fein Beutelmaul 
und ſagte „quak“, aber da ſah ihn die Eule ſo furchtbar unheimlich 
an, daß der Froſch das Bein zurückzog und häßlich lächelte. Die 
Eule ſtellte feſt, daß niemand ſich meldete, und ſprach: „Ich kann 
es begreifen, ich habe den groͤßten Kopf, alſo auch die meiſten Ge⸗ 
danken. Ich bin bereit, die ſchwere Bürde auf mich zu nehmen und 
als eure Königin zu gelten. Hat jemand etwas dagegen einzuwen⸗ 
den?“ Sie ließ ihre grünleuchtenden Augen über die Verſammlung 
ſchweifen, und alle ſenkten eingeſchüchtert den Blick. „Da möchte 
ich euch allen danken mit einer kurzen Rede, hort zu: Wenn ...“ 
Aber ſiehe! Alle drehten den Kopf nach einer etwas abgelegenen 
Baumgruppe. Niemand kümmerte ſich mehr um die Eule. Sie 
lauſchten auf irgend etwas in der Ferne. Der Mückenverein 
ſummte davon, der Maulwurf machte ſich mit ſeinen kurzen 
Beinchen auf den Weg. Der Froſch ſprang ins Waſſer, um den 
Weg abzukürzen. Die Fledermaus öffnete ihren Schirm wieder 
und ſpazierte durch die Luft. Alle entfernten ſich eilig in der⸗ 
ſelben Richtung. 

„Was iſt denn los?“ fragte die Eule, aber niemand antwortete, 
denn alle waren fort. Da blieb ihr nichts weiter übrig, als ihnen 


137 


nachzufliegen. Drüben an einer Baumreihe fand ſie die ganze 
Geſellſchaft im Halbkreis unter einer Silberbirke verſammelt. 
Alle lauſchten der Nachtigall, die im dünnen zarten Laub als 
ſchwarzes Schattenbild vor der roten Mondſcheibe ſaß und ihr 
erſtes Lied ſang. Wie herrlich war das Lied dieſer Nachtigall! 
Die ſüße Muſik ſtroͤmte in überwältigender Fülle aus ihrer Kehle 
wie ſingendes Silber in die Nacht hinaus. Eine liebliche helle 
Stimme drang aus ihrer reinen Kehle, rundete ſich zu vollen 
Tönen, die lang angehalten zum Himmel ſtiegen, bis ſie ſo dünn 
und zart geworden waren, daß ſie endlich zerſprangen und wie 
Tropfen eines Springbrunnens niedergingen. Und jede Blume, 
die einen ſolchen ſchönen Klangtropfen auf ihre weichen Blätter 
fallen fühlte, richtete ſich vor Seligkeit auf und faltete duftend 
und bewundernd ihre Krone auseinander. Wie fehon war das, 
wie herrlich! Das Lied kam ſo tief aus dem Herzen der Nachtigall, 
und alle Tiere, die ihm lauſchten, fühlten ſich rein und glücklich. 
Als das Lied zu Ende war, blieben ſie noch eine Weile ſprachlos 
ſitzen. Dann hörte man hier und da einen Seufzer, und es war 
der Froſch, der begeiſtert ausrief: „Wir hatten ja die Nachtigall 
vergeſſen! Wer fo ſchoͤn fingen kann, muß Konig der Nacht 
ſein“, und er ſchielte verächtlich zur Eule hinüber, deren Augen 
blitzten. Mit geſträubtem Gefieder ging ſie auf den Froſch los: 
„Ziehe du dich erſt an, du Nacktfroſch! Du haſt weder Federn 
noch Haare bekommen und reißt das Maul auf, als wärft du 
wie ein Fürſt gekleidet.“ 

Darüber mußten nun alle lachen. Da ſprach die Eule ſchnell: 
„Was ſollen wir mit einem König, der fortwährend ſingt und 
uns dadurch unſere Pflichten und Aufgaben vergeſſen läßt?“ 
„Was iſt denn los?“ fragte die Nachtigall von oben. Der ge⸗ 
kränkte Froſch quakte ihr kurz zu, worum es ſich handele, und 
fügte hinzu: „Du ſollſt unſere Königin ſein!“ 

Die, Eule ſchnaubte vor Wut. 

Die Nachtigall lachte: „Nein, ich will nicht; was liegt mir daran, 
Königin zu ſein. Ich will nur ſingen zur Ehre Gottes! Hört ihr 


138 


zu, fo ſoll es mir recht fein, und hört ihr nicht zu, fo laßt es mich 
kalt. Auf Wiederſehen!“ Sie flog davon und fuchte fich einen 
ruhigeren Ort im duftenden Wald. 

„Aber wir geben dir trotzdem den Titel!“ riefen ihr die Tiere, außer 
der Eule, nach. Und ſo wurde die Nachtigall Königin der Nacht. 
Die Eule war zu klug, um ſich dagegen aufzulehnen, und ſprach: 
„Die Nachtigall ſoll alſo Königin der Nacht ſein, aber nur der 
Sommernacht.“ 

„Wie? Was?“ fragten die Tiere erſtaunt, „gibt es denn noch 
eine andere Nacht?“ 

„Jawohl,“ ſagte die Eule, „die Winternacht.“ 

„Was iſt das?“ fragte die Grille, die noch nie fo lange geſchwiegen 
hatte. „Das iſt ſo“, ſagte die Eule. „Ich habe in den Sternen 
geleſen, daß nach dem Sommer der Winter kommt; dann fällt 
das Laub von den Bäumen, dann welken und faulen die Blumen, 
dann kommen Regen, Schnee und Eis, und der große Schatten 
ſenkt ſich auf die Erde. Dann werden die Nachtigall und viele 
andere in das Land der Sonne ziehen, bis wieder ein neuer Früh⸗ 
ling kommt. Wer wird in dieſer böſen Zeit, wo es nichts mehr 
zu freſſen gibt, unſer König ſein? Wer?“ 

„Du!“ rief das Karnickel ſchnell, aus Angſt, noch ſchlimmere 
Dinge hören zu müſſen. Alle bekamen es mit der Angſt zu tun 
und riefen: „Du! Du!“ Sogar der Froſch, aber der tat es nur 
aus Angſt, wieder verſpottet zu werden. 

Die Eule ſpreizte ihre Flügel, dankte und lobte die kluge Einſicht 
der Tiere. Sie lud ſie alle ein, ſie im Winter in ihrem Nalaſt zu 
beſuchen, wo ſie miteinander luſtig ſein wollten. Alle jubelten und 
geleiteten die Eule im feierlichen Zug zur Kopfweide unter der 
Führung des Froſches. Die Eule beſchloß den Zug, ſtolz und auf⸗ 
recht, mit weit aufgeriffenen Augen ... 

Tief im Walde ſang die Nachtigall ihre goldenen Lieder. 

Sie ſang jede Nacht, und immer lauſchten viele Tiere ihrem 
Geſang und waren von dieſer Himmelsmuſik entzückt. 


139 


Aber die Eule dachte an den nahenden Winter und fah mit Freude, 
wie die Jahreszeiten wechſelten und die Tage kürzer wurden. 
Endlich fing das Laub an zu fallen, und zum erſtenmal welkten 
die Blumen. Der dunkle Schatten ſchob ſich unheilverkuͤndend 
über die Erde, begleitet von böſen Winden, Nebel und Regen. 
Alle, die aus Notdurft oder Angſt den Winter fürchteten, flüchte⸗ 
ten vor der Gefahr: einige flogen über das Meer, der Sonne 
nach, andere verkrochen ſich tief ins Waſſer oder in die Erde. Als 
alle Gräben voll Waſſer ſtanden, kam der Froſt, und der Schnee 
breitete eine eintönige Decke über das Land. 

Die Eule lachte und ſprach: „Jetzt iſt die Zeit gekommen, in der 
ich Königin bin!“ | 

Sie wartete lange, aber niemand Fam. 

‚Sie find zu ſchüchtern und wagen ſich nicht zu mir, ich werde 
fie ſelbſt holen“, dachte fie. 

Sie flog mit breiten Flügelſchlägen in die Nacht hinaus. Die 
Winternacht war ſchoͤn mit dem aufſteigenden weißen Mond. Ein 
Palaſt aus Kriſtall und Silber, und die Eule als Königin darin, 
welch ein Ruhm! Stolz und froh klopfte ſie an die Kopfweide, 
in der die Fledermaus hauſte: „Ich bin die Königin Eule!“ Keine 
Antwort. Sie trat ein. Mit ihren leuchtenden Augen erkannte ſie 
die Fledermaus, die wie eine ausgezogene Jacke ſchlafend oben in 
einer Ecke hing. Alles Rufen, Schütteln und Kitzeln nützte nichts. 
Sie hing ſchlafend an der Decke in ihrem zuſammengefalteten 
Schirm und ruͤhrte ſich nicht. 

Verſtimmt flog die Eule davon zum großen Waſſer, das zuge⸗ 
froren war: „He! Froſch! alter guter Freund! Ich bin die Eule, 
warum beſuchſt du mich nicht einmal? Ich bin die Winter⸗ 
Königin!” „Viel Spaß dabei”, quakte der Froſch unter dem 
Eiſe. „Warum rufſt du mich, du weißt doch, daß ich nicht kommen 
kann. Ich bin dir ja auch viel zu nackt, du haſt es ſelbſt geſagt! 
Gute Nacht!“ Die Eule verwünſchte den Froſch und rief: „Das 
wird dir ſchlecht bekommen! Ich werde dich und dein Geſchlecht 
bis ins letzte Glied verfolgen, zerfleiſchen und verſchlingen. Du 


140 


Nacktfroſch, du Waſſerblaſe, du Großmaul! Du but ſchuld daran, 
daß ich nicht Sommer⸗Koͤnigin geworden bin, und nun verhoͤhnſt 
du mich noch in meiner Einſamkeit. Warte nur!“ 

Die Eule klopfte noch an viele Türen, aber niemand hatte Luſt 
mitzugehen. 

Wütend flog ſie zurück zu ihrem Baum und wartete rachedurſtig 
auf den ſchoͤnen Frühling. 

Als dieſer endlich gekommen war und die jungen Froͤſche mit 
ihrer heiſeren Stimme die ſtille Welt der Buchen belebten, zer⸗ 
ſtoͤrte die Eule ihre Freude, ſchleppte die nackten Geſellen weg 
und verſchlang ſie ohne Mitleid. 


Aus dem neuen Buche „Die bunte Schüſſel“ 
Aus dem Flämiſchen übertragen von Peter Mertens 


x 


Egon Caeſar Conte Corti 
Kaiſerin Charlotte bei Napoleon und Eugenie 


Das mexikaniſche Kaiſerpaar iſt über den gründlichen Wechſel 
der Szenerie in Europa nicht genügend unterrichtet. Solange 
Napoleon III. in der auswärtigen Politik nur Erfolge aufzu⸗ 
weiſen hatte, iſt es im Innern ſeines Reiches verhältnismäßig 
ruhig geblieben. Nun, da ſich durch das Auftreten Preußens am 
Napoleoniſchen Himmel dunkle Wolken zuſammenballen, geht es 
auch mit dem Frieden im Innern bergab. Die Partei Thiers und 
die Oppoſition erſtarken, und ſogar im Schoß der kaiſerlichen Fa⸗ 
milie herrſchen Meinungsverſchiedenheiten über den einzuſchlagen⸗ 
den politiſchen Kurs. Während fich allerorts Schwierigkeiten 
türmen, hat der Kaiſer perfönlich an Widerſtandskraft ſtark ein⸗ 
gebüßt. Er beſitzt nicht entfernt jene Spannkraft, die ſeinem 
großen Oheim eigen war und dieſen befähigte, gerade in Zeiten 
höchſter Anforderungen Unbegrenztes zu leiſten. Napoleon III. 
fühlt fi) müde, er klagt, daß „die unaufbörliche Arbeitslaſt“ ihn 


141 


tote. Das Leiden, dem er einft erliegen ſoll, kündet fich (chon an. Die 
ununterbrochenen Liebesaffären des Kaiſers zehren an ſeiner Kraft. 
Nervöſe Erregbarkeit, Müdigkeit und körperliches Unbehagen er⸗ 
ſchweren ihm ein klares Urteil über den Verlauf der Dinge. 
„Mit meinem Gemahl“, klagt die Kaiſerin dem Botſchafter 
Metternich, „geht es ſeit faſt zwei Jahren bergab. Er kümmert 
ſich kaum mehr um Regierungsdinge und widmet ſeine ganzen 
Kräfte der Arbeit an ſeinem, Julius Cäſar'. Er iſt nicht einmal 
imſtande, die Sitzungen des Miniſterrates zu leiten und kann 
kaum gehen, nur wenig eſſen und gar nicht ſchlafen.“ Kein Wunder 
alſo, daß Napoleon in den Schatten tritt, als ein großer Staats⸗ 
mann wie Bismarck einzugreifen beginnt und ihn unter unklaren 
Verſprechungen zu der gewünſchten Neutralität in dem Ent⸗ 
ſcheidungskampfe zwiſchen Preußen und Oſterreich um die Vor⸗ 
herrſchaft in Deutſchland zu bewegen vermag. Nun will Napoleon 
nur noch möglichft ſchnell aus dem mexikaniſchen Sumpfe heraus. 
Gutierrez und Genoſſen haben ausgeſpielt. 

Auch die Kaiſerin Eugenie ſieht ein, daß ſie in ihrer einſtigen Be⸗ 
geiſterung für Mexiko eine Lage geſchaffen hat, die bei dem in 
Europa heraufziehenden Gewitter ſehr bedenklich iſt. Hat ſie ſich 
über die Dinge in dem fernen Mexiko kein Urteil bilden können 
und ſich auf irreführende fremde Darſtellungen verlaſſen müſſen, 
ſo überſieht ſie hier in Europa die Lage richtig. Gefühlsmäßig 
weiß ſie, daß in Preußen eine Meiſterhand waltet und dort ein 
Feind drohend emporwächſt, dem man nicht bald genug entgegen⸗ 
treten kann. Während der Kaiſer mit dem gewiſſen Siege Ofter: 
reichs rechnet, zweifelt ſie daran und will zur Sicherheit mit 
dieſem Staate gegen Preußen gehen, um zu verhindern, daß ſich 
dieſes ſpäter mit Lorbeer umwunden und neugeſtärkt gegen das 
franzoͤſiſche Kaiſerreich wende. Napoleon glaubt noch die Rolle 
des Schiedsrichters ſpielen zu können. Da kommt es zum Kriege 
und zum Niederbruch der tapferen öfterreichifchen Armee bei 
Königgrätz. Auf dieſe Nachricht ruft der franzoͤſiſche Kriegs⸗ 
miniſter erregt aus: „Wir ſind es, die da geſchlagen wurden.“ 


142 


Mit einem Schlage macht Napoleons Zuverficht vollem 
phyſiſchen und moraliſchen Zuſammenbruch Platz. Was iſt die 
Folge? Nach langem Schwanken entſchließt er ſich für die Politik 
der Tatenloſigkeit. Er hört nicht auf Eugenie, die zum Kriege, 
zum Handeln rät. Einmal ſchon iſt er ihren Ratſchlägen be⸗ 
dingungslos gefolgt und damit in Mexiko in ein dornenreiches 
Abenteuer, in ſchwere Verlegenheiten, in vollig vergebliche Geld⸗ 
und Blutopfer geſtürzt worden. Dieſer Fehlſchlag hat Napoleons 
Vertrauen in den politiſchen Weitblick ſeiner Gemahlin ſchwer 
erſchüttert. Wieder rät ſie zur Tat, ein zweites Mal aber will 
Napoleon ſich von Eugenie nicht mehr raten laſſen. 

Diesmal aber iſt der Rat der Kaiſerin für Frankreich der einzig 
richtige. Erſchüttert ſieht Eugenie, daß ihr Gatte nicht mehr auf 
fie hort: „Mein Wort hat kein Gewicht mehr,“ ſagt fie, „ich 
bin faſt allein mit meiner Anſicht, man übertreibt die Gefahr von 
heute, um ſich beſſer die von morgen zu verbergen .. Wir gehen 
unſerem Verderben entgegen, und es ware das beſte, wenn der 
Kaiſer auf einige Zeit wenigſtens verſchwände.“ 

Während ſich dieſer Kampf am Napoleoniſchen Hofe abſpielt, 
machen die Preußen ganze Arbeit. Trotz des öͤſterreichiſchen Er⸗ 
folges von Cuſtozza und des Seeſieges von Liſſa an der Front 
gegen Italien kommt ein ſchneller, Oſterreich höchſt ungünſtiger 
Friede zuſtande, bei dem Napoleon mehr oder weniger zur 
Seite geſchoben wird. Der Kaiſer der Franzoſen hofft aber immer 
noch ſeine Anſprüche auch ohne einen Krieg geltend machen zu 
können. Angſtvoll ſieht er der weiteren Entwicklung der Ver⸗ 
handlungen entgegen. 

In bieten forgenvollen Tagen trifft plotzlich die Nachricht von 
der Ankunft der Kaiſerin Charlotte in Europa ein. Sie iſt nach 
glücklich zurückgelegter Fahrt, auf der ſie ſich meiſt ernſt und in 
ſich gekehrt, zeitweilig auch finfter und nervös zeigte, im franzö⸗ 
ſiſchen Hafen St. Nazaire angekommen. Erſt dort hat ſie die 
erſte Kunde von dem Ausbruch und auch ſchon dem Ausgang des 
Krieges zwiſchen Preußen und Gſterreich erhalten. Die Nach 


143 


richt von Königgräg erregt die 26 jährige, anmutig zarte Frau, 
die vor einer fo ſchweren Aufgabe fteht, im hoͤchſten Maße; fie 
fühlt, daß dieſe Erniedrigung Ofterveidhs bei Kaiſer Napoleon 
die Rückſichtnahme auf dieſen Staat ſtark herabſtimmen muß 
und daß ihm nun Sorgen erwachſen, die ihn doppelt bedenklich 
machen müſſen, zugunſten Mexikos neue Laſten auf ſich zu 
nehmen. Doch was hilft es, die tapfere junge Frau iſt nun einmal 
da und feſt entſchloſſen, ihre Wünſche durchzuſetzen. 

Blitzſchnell verbreitet ſich die Nachricht von dem Eintreffen 
Charlottens. Eine große Menſchenmenge verſammelt ſich am 
Kai, und der Bürgermeiſter erſcheint erſchrocken, um die Kaiſerin 
zu begrüßen. Er hat gar keine Nachricht bekommen, daß die 
Kaiſerin erwartet wird, und hat ihr daher auch keinen würdigen 
Empfang bereiten konnen. Nicht einmal eine mexikaniſche Fahne 
gibt es, im ganzen Ort iſt keine ſolche aufzutreiben. Kaiſerin 
Charlotte iſt entrüſtet: 

„Ich danke, Herr Bürgermeiſter,“ ſagt ſie ſpitz, „aber wieſo 
iſt der Präfekt nicht da, um uns ein Willkommen zu bieten? 
Keine Truppe hat uns eine Ehrenbezeugung geleiſtet. Ich will nur 
telegraphieren, und dann führen Sie mich ſofort zum Bahnhof, 
denn ich muß den Kaiſer ſchon morgen ſehen.“ 

Drei Telegramme gehen ab. Je eines nach Brüſſel und Wien 
mit der Mitteilung, Charlotte könne in Gſterreich und Belgien 
wegen der Haltung der dortigen Regierungen keinen Beſuch ab⸗ 
ſtatten. Es iſt dies eine offene Beleidigung der beiden Höfe. 
Napoleon telegraphiert ſie kurz: „Ich bin heute in St. Nazaire 
angekommen, mit dem Auftrage des Kaiſers, Euer Majeſtät über 
verſchiedene, Mexiko betreffende Angelegenheiten zu ſprechen. 
Ich bitte Sie, Ihre Majeſtät meiner Freundſchaft zu verfichern 
und an das Vergnügen zu glauben, das mir das Wiederſehen 
bereiten wird. Charlotte.“ 

Erſchrocken und peinlich berührt, hält der Kaiſer der Franzoſen 
kurz darauf die unerwartete Nachricht in Händen. Auch das 
noch! Zu all den Sorgen und Aufregungen, zwiſchen Kriegs⸗ 


144 


freunden und Kriegsgegnern vor ſchwerwiegende Entſcheidungen 
geſtellt und von körperlichen Schmerzen gepeinigt, kommt noch 
dieſe Verlegenheit. Doch die Kaiſerin iſt nun einmal da, was 
tun? In dem Beſtreben, das Peinliche und Unangenehme 
möglichft lange hinauszuſchieben, legt Napoleon ihr nahe, zunächſt 
zu ihrem Bruder nach Brüſſel zu gehen. 

Bald überfliegt Charlotte aufgeregt die kaiſerliche Antwort: 
„Ich erhalte eben die Depeſche Eurer Majeſtät. Leidend von 
Vichy zurückgekehrt, gezwungen, das Bett zu hüten, bin ich außer: 
ſtande, Ihnen entgegenzufahren. Wenn, wie ich vermute, Euer 
Majeftat zuerſt nach Belgien gehen, werden Sie mir Zeit zu meiner 
Wiederherſtellung geben. Napoleon.“ 

Dieſe Art und Weiſe, zu ſagen, man ſei nicht zu Hauſe, und der 
plumpe Verſuch, ſie abzulenken, zeigt der Kaiſerin deutlich, 
welch unangenehme Überraſchung ihre Ankunft für Napoleon 
bildet. Aber feſt entſchloſſen, den Kaiſer um jeden Preis, und zwar 
möglichft bald, zu ſehen, ſetzt fie ihre Reiſe nach Paris fort. 
Um vier Uhr nachmittags kommt ſie in der Hauptſtadt an. 
Dort erwarten fie der Adjutant und die Ordonnanzofſiziere des 
Kaiſers Napoleon ſowie die bereitgeſtellten Hofwagen durch 
Zufall an einem falſchen Bahnhof. Nur die von Almonte avi⸗ 
ſierten Mexikaner finden ſich am richtigen Platz ein, darunter 
Gutierrez mit feinen Söhnen. Hidalgo iſt natürlich nicht ans 
weſend, er hält ſich fern von Paris und macht eine Rheinreiſe. 
Die Kaiſerin begibt ſich in geheimer Sorge, daß dieſes Miß⸗ 
verftändnig vielleicht eine abſichtliche Umgehung des Empfanges 
am Bahnhof vorſtellen ſolle, in einem Mietwagen ins Grand 
Hotel. Kaum iſt ſie dort angekommen, als die inzwiſchen ver⸗ 
ſtändigten Sendlinge Napoleons in Aufregung und Beſtürzung 
herbeieilen und ſich in tauſend Entſchuldigungen ergehen. Ein 
Generaladjutant fragt auf Eugeniens Befehl an, zu welcher 
Stunde es Charlotte am folgenden Tage genehm ſein würde, 
ſie zu empfangen. 

Sie will ihrem Gemahl das Peinliche des Beſuches abnehmen, 


145 


kann ſich jedoch nicht enthalten, gleich auch mit ſchlecht verhehlter 
Neugierde fragen zu laſſen, wie lange die Kaiſerin bleiben werde. 
Charlotte erwidert, ſie würde Eugenie zu jeder Stunde, die ihr 
gelegen wäre, mit Vergnügen empfangen; im übrigen gedenke 
ſie in Paris zu bleiben, da ſie keine Familien⸗ noch andere Inter⸗ 
eſſen in Europa habe. Die Offiziere verbeugen ſich und kehren 
in das Schloß zurück, um dort die Antwort zu melden. 

Am Io. Auguſt früh laßt Charlotte eifrigſt alles vorbereiten, um 
die Kaiſerin gebührend zu empfangen und, wie ſie ſagt, „gleich⸗ 
zeitig die gute Erziehung des Hofes in Mexiko ins rechte 
Licht zu ſetzen“. Sie hort, daß Kaiſerin Eugenie um zwei Uhr 
nachmittags aus St. Cloud kommen werde. 

Um die Zeit bis dahin möglichft auszunügen, läßt Kaiſerin Char: 
lotte den General Froſſard kommen, der einer der erſten war, die 
ſich in den aufgelegten Beſuchsbogen eintragen ließen. Sie er⸗ 
innert ihn an die Abmachungen von Miramar und laßt ihm keinen 
Zweifel darüber, daß Frankreich das mexikaniſche Kaiſerreich 
nicht verlaſſen könne, ohne ſeine Fahnen zu beflecken und ſeine 
Untertanen in Mexiko der Vernichtung zu weihen. Dann gibt 
fie ihm ein Memoire zu leſen und zeigt ihm die Karte Mexikos, 
auf der die militaͤriſchen Fortſchritte der Juariſten mit erſchrecken⸗ 
der Deutlichkeit eingezeichnet ſind. 

Das ganze Memoire iſt eine flammende Anklage gegen Bazaine 
und alles, was er getan; da er aber meiſt nur als gehorſamer 
Soldat die Befehle ſeines Kaiſers durchgeführt hat, was natürlich 
Napoleon ſelbſt am beſten weiß, während Maximilian von des 
Franzoſenkaiſers Schriftwechſel mit Bazaine keine genaue 
Kenntnis hat, ſo muß Napoleon folgerichtig alle Anklagen dieſes 
Memoires auf ſich beziehen. Der Inhalt dieſes Schriftftückes, das 
ihm Froſſard übermittelt, iſt nicht geeignet, Charlottens Aufgabe 
beim franzöſiſchen Kaiſerpaar zu erleichtern. 

Am Io. Auguſt um zwei Uhr nachmittags fährt Kaiſerin Eugenie 
mit ernſtem Ausdruck, aber anmutig und trotz aller Sorgen in 
voller Geſundheit vor dem Grand Hotel vor. Sie hat ſchon vor 


146 


einem Jahre über die mexikaniſche Expedition das Kreuz gemacht. 
Nun gilt es, der Frau jenes Mannes, den ſie damit fallen läßt, 
Auge in Auge gegenüberzutreten und Farbe zu bekennen. Der 
Gang wird ihr ſchwer genug. Wie ein Schleier liegt ein beklem⸗ 
mender Zug über ihrer jugendfriſchen, blühenden Erſcheinung. 

Die Kaiſerin kommt mit großem Gefolge. Unten an der Stiege 
erwarten ſie Charlottens Oberſtkämmerer del Valle, Graf 
Bombelles und die Hofdame Donna del Barrio, eine kleine 
häßliche Mexikanerin, der man Maximilians Prädikat ,,deli- 
cios“ nach europäifchen Begriffen gewiß nicht zubilligen kann. 
Miniſter Caſtillo verbleibt als Mitglied der mexikaniſchen Re⸗ 
gierung, um ſeine Würde zu betonen, oben bei der Kaiſerin Char⸗ 
lotte. Dieſe geht ihrem erlauchten Gaſt entgegen und begrüßt ſie 
auf den erſten Stufen der Treppe mit Umarmung und Kuß. 

Eugenie wird ſodann in den Salon geleitet, wo die beiden Kai⸗ 
ſerinnen allein bleiben. Charlotte entwickelt nun in bewegten 
Worten ihre und ihres Gatten ſchwierige Lage in Mexiko, ver⸗ 
ſucht Eugenie bei ihrer ſchwachen Seite, der Vorliebe für ein⸗ 
zelne in Paris lebende Mexikaner, zu packen, und läßt ſie den 
ſchwungvollen Appell leſen, den Gutierrez neuerdings an Kaiſer 
Napoleon gerichtet hat. Die Kaiſerin der Franzoſen weint zwar 
nicht, aber ſie zeigt ſich doch ſo bewegt, daß Charlotte, wie ſie 
ihrem Gemahl berichtet, den Eindruck hat, daß ihr „die Tränen 
übers Herz rollen“. Eugenie ſpricht wenig und hört ihre un⸗ 
glückliche Schweſter mit größter Teilnahme an. Als die ſchwerſten 
Sorgen vorgebracht ſind und ſie auf die ganz neue politiſche Lage 
Europas hingewieſen hat, geht Eugenie mit großer Lebhaftigkeit 
auf mehr gleichgültige Dinge ein und gibt ihr „nach wie vor reges 
Intereſſe für Mexiko“ kund. Insbeſondere will fie wiſſen, wie 
es dem Kaiſer gehe und intereſſiert ſich für alle Einzelheiten der 
Hofhaltung in Mexiko, ſo für Soireen und Feſtlichkeiten, endlich 
auch für die Villa in Cuernavaca. Kaiſerin Charlotte bemüht 
ſich in ihren Antworten, ihrer Partnerin über alles in Mexiko 
nur die „großartigſten Begriffe“ zu vermitteln. Schließlich aber 


147 


kommt Charlotte doch wieder auf das Hauptthema zurück. Gut, 
ja, das europäiſche Gleichgewicht ut geſtört, aber das Werk 
Frankreichs drüben in der Neuen Welt iſt noch laͤngſt nicht voll⸗ 
endet. Man ſteigt die Stufen zum Ruhm leichter und ſchneller 
herab, als man ſie erklimmt. 

„Wie war das Wetter auf der Überfahrt?“ weicht Eugenie aus. 
„Gut. Wann darf ich den Beſuch erwidern?“ 

„Übermorgen, wenn es Euer Majeftät beliebt.“ 

„Werde ich nicht auch den Kaiſer ſehen konnen?“ 

„Oh, dem Kaiſer geht es noch immer ſchlecht.“ 

„Ich bitte, den Beſuch ſchon für morgen feſtzuſetzen und Seine 
Majeſtaͤt unbedingt zu verftändigen. Ich muß ihn beſtimmt ſehen, 
denn wenn nicht, würde ich einfach zu ihm eindringen.“ Damit 
wendet ſich Charlotte ab. 

Betroffen und verlegen verläßt Eugenie die Kaiſerin von Mexiko, 
die ſie noch bis an die Treppe begleitet. Nachdenklich, mit vor 
Aufregung geröteten Wangen kehrt Charlotte in ihre Gemächer 
zurück. Der Leichtſinn, mit dem ſeinerzeit jene Frau, die ſie ſoeben 
verlaſſen, den Anſtoß zum mexikaniſchen Abenteuer gegeben hat, iſt 
ihr erſt in dieſer Unterredung ſo recht zum Bewußtſein gekommen. 
„Es fallt mir auf,“ ſchreibt Charlotte unmittelbar nachher an 
ihren Gemahl, „daß ich mehr von China weiß, als dieſe da von 
Mexiko wiſſen, wo fie eine der größten Unternehmungen wagten, 
in die ſich die franzoͤſiſche Fahne jemals eingelaſſen. Ich glaube 
zu erkennen, daß die Kaiſerin viel von ihrer Jugend und ihrer 
Kraft verloren hat, ſeit ich ſie zuletzt geſehen, und daß irgendein 
eingebildeter oder wirklicher Druck inmitten all ihrer Größe auf 
Napoleon und ſeiner Gemahlin laſtet. Der Thron Frankreichs 
läßt die, die auf ihm ſitzen, raſch altern, die Geſchichte lehrt je⸗ 
doch, daß dieſe kriegeriſche Nation ebenſo Gs die Glücksgöttin 
niemandem mehr zulächelt als der Jugend . 

Kaiſerin Eugenie iſt ſorgenvoll nach St. Cloud zurückgekehrt. 
Den Verzicht Charlottens auf eine perſönliche Ausſprache mit 
Napoleon hat ſie nicht erreicht. Sie muß es nun auf ſich nehmen, 


148 


ihrem Gemahl zu fagen, daß fie ihm den drohenden Befuch der 
Kaiſerin von Mexiko nicht erſparen kann. Das fällt ihr um ſo 
ſchwerer, als Benedetti, der Geſandte Frankreichs am preu⸗ 
ßiſchen Hof, eben am Io. Auguſt in Paris angekommen iſt. Er 
meldet feinem Souverän Bismarcks ernſten Kriegswillen für 
den Fall, daß Napoleon auf ſeinen territorialen Forderungen 
beſtehe, und ſtellt den Kaiſer vor den ſchweren Entſchluß, unvor⸗ 
bereitet einer ſiegreichen Armee gegenüber das Schwert zu ziehen 
oder aber nachzugeben. Eugenie, die auf aktive Politik hinarbeitet, 
iſt es hoͤchſt unlieb, daß die Ankunft Charlottens Napoleon an die 
mexikaniſche Unternehmung erinnert, durch die ſie ſich ſo kompro⸗ 
mittiert fühlt. Aber was ſoll ſie tun? Die Kaiſerin Charlotte hat 
ihren Entſchluß, Napoleon auf jeden Fall zu ſprechen, ja in ſein Ge⸗ 
mach einzudringen, unzweideutig und höchft energiſch kundgegeben. 
So vergeht denn der Io. Auguſt im Schloß von St. Cloud in unbe: 
ſchreiblicher Aufregung und Nervofität unter Kommen und Gehen 
der Diplomaten und Generale, unter Hin⸗ und Herſchwanken, 
ohne daß man zu einer endgültigen Entſcheidung gelangt waͤre. 
Am folgenden Tage, dem II. Auguſt 1866, mittag, holt ein a la 
Daumont beſpannter Eaiferliher Wagen Charlotte aus dem 
Grand Hotel zur Fahrt nach St. Cloud ab. 

Als die Kaiſerin, in langem, ſchwarzem, noch von der Reiſe 
etwas zerknittertem Seidenkleid und großem, weißem Hut an der 
Schwelle des Hotels erſcheint, um den Wagen zu beſteigen, 
wird fie von einer dichten Menſchenmenge begrüßt. Auf der 
ganzen Fahrt wiederholen ſich die Zurufe. Charlotte, die immer 
nur von der Abneigung der franzöſiſchen Bevoͤlkerung gegen 
Mexiko gehort hat, iſt davon ſehr ſympathiſch berührt. Sie 
hat den Eindruck, man wünſche, es möge ihr in dieſer für fie 
und ihren Gemahl ſo entſcheidenden Stunde wohl ergehen. Trotz 
der Hitze, die an dieſem Tage herrſcht, hat die Kaiſerin eine 
ſchwarze Spitzenmantille übergeworfen, an der ſie nervös hin und 
her neſtelt. Angſt und Aufregung vor der Schickſalsſtunde erfaſſen 
ſie, das Blut dringt ihr zu Kopf, über und über rot im Geſicht, 


149 


zitternd und nervös ergreift fie den Arm Frau Almontes und 
preßt ihn wie hilfeſuchend an ſich. Mitleidsvoll bewegt ſucht ihre 
Begleiterin ſie zu beruhigen. Als der Wagen in den Park ein⸗ 
fahrt und die unter Trommelwirbel ins Gewehr tretende Schloß⸗ 
wache paſſiert, hat ſie ihre Faſſung wiedergewonnen. Mit an⸗ 
mutiger Verneigung grüßt ſie die vom Turm herabwallende 
Nationalflagge. 

Am Fuße der zu den Privatgemächern führenden Treppe hält der 
Wagen. Eine Abteilung der kaiſerlichen Garde, ragende Geſtalten 
mit hiſtoriſchen Bärenmützen, iſt als Ehrenkompanie aufge⸗ 
ſtellt. Der ganze Hofſtaat iſt unten an der Treppe verſammelt. 
Der kleine, damals zehnjährige Kronprinz eilt mit der Kette des 
mexikaniſchen Adlerordens um den Hals an den Wagenſchlag 
und nimmt die Kaiſerin an der Hand, um ſie die Treppe hinauf⸗ 
zuführen, die beiderſeits von einem Spalier martialiſcher „Cent 
gardes“, der Leibwache Napoleons, eingefaumt iſt. Oben an der 
Treppe erwartet ſie Kaiſerin Eugenie und geleitet ſie nach dem 
Privatkabinett des Kaiſers. 

Sofort beginnt Charlotte: 

„Sire, ich bin gekommen, um eine Sache zu retten, die die Ihrige 
iſt. Hier ein Brief meines Gemahls, hier ein genaues Memoire 
über die Lage, da alle Dokumente, die die Finanzen betreffen. 
Ich bitte Eure Majeftat inftändig, rufen Sie den Marſchall 
Bazaine ab, bezahlen Sie den Sold der Hilfstruppen weiter, 
belaſſen Sie das Expeditionskorps bis zur vollftändigen Pazi⸗ 
fizierung des Landes. Ich beſchwoͤre Sie, verlaſſen Sie eine 
Sache nicht, die ſo innig mit Ihrem dynaſtiſchen Intereſſe ver⸗ 
woben iſt. Denken Sie auch an die furchtbare Lage meines Man⸗ 
nes. Sie haben ihm doch verſprochen, ihn niemals zu verlaſſen, 
Sie haben doch eine Ehre, ein Gerechtigkeitsgefühl, Sie können 
uns doch nicht beide mitleidslos in den Abgrund ſtoßen.“ 
Herzbewegend vertritt Charlotte ihre Sache, durchdrungen von 
deren Gerechtigkeit und Größe, mit fo heißer Seele, daß das 
franzöſiſche Kaiſerpaar, obwohl feſt entſchloſſen, mit Mexiko ein 


150 


Ende zu machen, tief erſchüttert verſtummt. Kaiſer Napoleon, 
kränklich und abgeſpannt, wie er iſt, macht einen traurigen Ein⸗ 
druck. Gänzlich hilflos, wie jemand, der ſieht, daß er zugrunde 
geht, blickt er zu ſeiner Gemahlin hinüber. Tränen rinnen ihm 
über die Wangen. Endlich ermannt er ſich und ſtottert: „Es 
hängt nicht von mir allein ab, ich kann einfach nichts tun.“ 
Kaiſerin Charlotte muſtert den Mann von oben bis unten; ſo 
alfo, denkt fie, erklärt ſich die große Macht der Miniſter in Frank⸗ 
reich. „Aber Majeſtät, vergeſſen Sie denn ganz die ungeheuere 
Macht Ihres Vierzig⸗Millionen⸗Volkes, das die Vorherrſchaft 
in Europa beſitzt? Genießt Ihr Land nicht den hoͤchſten Kredit 
der Welt, und hat es nicht immer nur ſiegreiche Heere zur Ver⸗ 
fügung? Unter ſolchen Verhältniſſen haben Sie doch kein Recht 
zu behaupten, Sie konnten bei den gewichtigen Intereſſen Frank⸗ 
reichs in Mexiko nichts mehr für das dortige Kaiſertum tun.“ 
Leidenſchaftlich und erregt klingt die Stimme der verzweifelt 
kämpfenden Frau durch den Raum. Da geht zur Unzeit die Tür 
auf, und ein Diener erſcheint, der auf einer ſilbernen Tablette eine 
Orangeade in geſchliffener Glaskaraffe hereinträgt. Eine Hof⸗ 
dame, der das anderthalbſtündige Geſpräch ſchon zu lange dauert, 
hat der großen Hitze wegen dieſe Verfügung getroffen. Charlotte 
iſt von der unerwarteten Störung überraſcht, doch Kaiſerin 
Eugenie bietet ihr mit verlegener Bewegung ein Glas zum 
Trunke. Mißtrauiſch ſieht Charlotte dies mit an. Sie weigert 
ſich zuerſt und ſcheint dergleichen mitten in einer ſo ernſten Unter⸗ 
redung unpaſſend zu finden. Als aber Eugenie ihr eifrig zuredet, 
nimmt ſie langſam und zögernd einen Schluck. Dann aber kehrt 
ſie gleich wieder zur Sache zurück: 

„Nun ſehe ich, wo die Schwierigkeiten liegen. Aber ich ER 
die Miniſter auf mich, ich werde fie perfünlich ſprechen und fie 
bekehren.“ 

„Verſuchen Sie es, Majeſtät! Auch ich werde noch einmal mit 
meinen Miniſtern beraten, bevor ich endgültigen und unwider⸗ 
ruflichen Beſcheid gebe.“ 


151 


Nach zweiſtündigem, leidenfchaftlich geführtem Geſpräch verläßt 
Charlotte das Kaiſerpaar. Ihre hochgeſpannten Erwartungen 
find zwar getäufcht, aber fie hegt noch einen leiſen Hoffnungs⸗ 
ſchimmer, denn ſie baut auf die Wirkung ihrer Ausſprache mit 
den Miniſtern. Wie immer aber alles ausgeht, ſie will weiter 
„arbeiten und arbeiten“, um wenigſtens ein ruhiges Gewiſſen 
zu haben, daß fie ihre Pflicht, ſoweit möglich, voll erfüllt hat. 
Dem franzöſiſchen Kaiſerpaar aber will fie zeigen, wer ſie iſt. 
Man hat in St. Cloud alles bereitet, um die Kaiſerin glänzend 
zu bewirten, Charlotte lehnt jedoch die dringende Einladung der 
Kaiſerin Eugenie ab und verlangt ihren Wagen. Die Kutſcher, 
denen man geſagt, die Kaiſerin bleibe zum Diner, haben aus⸗ 
geſpannt und ſind ſpazieren gegangen. Man muß ſie erſt ſuchen. 
Ungeduldig tritt Charlotte von einem Fuß auf den anderen. 
Endlich iſt es ſoweit, und ſie kann fahren. Aufgeregt denkt ſie an 
ihren Gemahl, der auf ihren Vorwurf der Feigheit hin in Mexiko 
in tauſend Gefahren zurückgeblieben iſt. Erſchoͤpft, bleich und er: 
mattet ſinkt ſie bei der Heimfahrt in die Kiſſen des Wagens 
zurück. Mühſam verhält ſie die Traͤnen. Der Sturz aus tauſend 
Hoffnungen iſt zu jah. 


Aus dem Werk: Corti „Die Tragödie eines Kaiſers“ 


x 


Frans Eemil Sillanpää 
Schneegeſtöber 


Das Kind, ein Mädchen von ſechs Jahren, das da eben allein 
in ſeinem Neſt, der väterlichen Hütte, ſitzt, hat das Gefühl, 
in dieſem Herrgottsunwetter inmitten von etwas viel, viel 
Stärkerem zu ſein als es ſelber, von dem es ſchließlich ganz zer⸗ 
malmt werden wird. Da ſitzt es wie in der Schule und bekommt 
vom Lehrer eine Lektion für zeit ſeines Lebens. 

Einen recht paſſenden Augenblick hat ſich die Natur erwaͤhlt, um 


152 


fid) ihrem willigen Schüler fo zu zeigen, wie fie ift: ein Wefen, 
fo hod) wie der Himmel, dabei ein bißchen einfaltig und taub, 
das nicht reden kann, fondern bloß donnert und ſchnaubt, toft und 
raſt, dazwiſchen mal ſtill iſt und ein wenig lächelt. Nicht, daß man 
dies Weſen richtig mit Augen ſehen kann, aber im Innern nimmt 
man es wahr, ohne zu ſehen — überall — über einem — hinter 
einem! Obgleich es nicht ſpricht, ſo geht doch allerhand in ihm 
vor, wie bei einem Taubſtummen, was dann in unvermuteten 
Handlungen zum Ausbruch kommt. Man weiß nicht, warum 
und wann es wütend und erboſt iſt, aber man hat das Gefühl, 
es hat ſich alles, was die Menſchen je Vofes getan, gemerkt, und 
da hilft auch das ſchlauſte Parlamentieren nichts. Selbſt der 
Vater kann dabei nichts machen, obgleich er doch ſo viel beſſer 
und älter als viele böfe Menſchen iſt. Die verſtorbene Mutter 
war freilich, wenn in des Vaters Abweſenheit ein Gewitter über 
der Hütte lospraſſelte, bange geweſen und hatte das Geſangbuch 
zur Hand genommen, — dasſelbe Geſangbuch, aus dem fpäter 
geleſen und geſungen wurde, als die tote Mutter ſelber weggeholt 
wurde zum Grab bei der Kirche. 

Nun ſitzt das Kind allein in der Hütte am Seitenfenſter und 
ſchaut hinaus in das überwältigende Schneegeftöber. Die Hütte 
liegt in dem äußerſten Winkel von dem Ackergelände des großen 
Dorfes, wo ſich dieſer in den Wald vorſchiebt. Hier kommen auch 
nicht alle Winde her, die allerſchlimmſten auch jetzt nicht; aber 
gewaltige Schneewirbel gelangen dennoch von dem offenen Flur⸗ 
gebiet bis hierher, wo ſie, vor Wald und Hüttenecken ſich auf⸗ 
ſtauend, ſeltſame Figuren formen, wie ſie die geſchickteſte Men⸗ 
ſchenhand nicht nachzubilden vermochte. Es muß ſchon Mittags⸗ 
zeit ſein, aber dem Kind kommt es vor, als waͤre es dieſelbe Stunde, 
da es erwachte. Schon da hatte über der Stube das gleiche 
weiße Licht, etwas Kühl⸗Schattenloſes gelegen, unter deſſen 
Einwirkung man gar nicht recht zum Aufwachen kam. 
Draußen tobt das Schneewetter wie irrſinnig immer weiter. Es 
iſt, als fanne es auf eine ganz unausdenkbar bofe Tat, als kaͤme 


158 


jener betrunkene Kerl des Wegs daher, der einmal mit dem Vater 
Händel hatte. Und der Vater iſt fort. Jeden Morgen, wenn das 
Kind aufwacht, iſt er fort. Daraus erwächſt wenigſtens ſo eine 
kleine unbewußte Spannung, die den ganzen Tag anhält. An 
einem Tag wie heute aber haben die vertrauten Gegenſtaͤnde, die 
zum Vater gehören, etwas ganz Beſonderes an ſich; ein wenig 
hilflos wirken ſie alle, als gehörten ſie einem Toten an: die ge⸗ 
teerten Stiefel auf dem Balken, die Mütze, die Jacke am Nagel 
neben der Stubentür. Als hätte das tobende Stürmen ſchon 
längft irgendwie den Vater vernichtet, und nur die paar Kleinig⸗ 
keiten wären von ihm übrig geblieben. All die Dinge wiſſen das 
bereits, und daher iſt eben alles, wie es iſt. Gibt es denn auch keine 
Ainu mehr? Ainu iſt heute früh ins Kirchdorf gegangen, unfaßbar 
lange iſt das ſchon her. Ganz ſicher iſt auch ſie nicht mehr da! 

Und dem Kind iſt zumute, als erwache es aus irgendwelchem 
langen Wahn zum Bewußtſein: es iſt ja immer ſchon allein 
geweſen; der Vater und Ainu waren irgendein Traum, vor dem 
einem nun beim Erwachen grauſt. Ainu iſt ihre Halbſchweſter; 
fo hat fie oft ſagen hören, ohne zu verftehen, was das heißt. Jetzt 
begreift fie es: das iſt eben dies Gewiſſe .. Nicht der Sturm 
hat Ainu geholt, — nein, heute früh hat fie hier noch in der Hütte 
hantiert, und dann iſt ſie fortgegangen. Geflohen iſt ſie vor 
dieſem Unwetter und irgendwohin entkommen; dort iſt ſie nun, 
vielleicht irgendwo, wo Sommer iſt ... Aber den Vater hatte 
da ſchon der Sturm weggeholt, und mich haben ſie hier einge⸗ 
ſperrt! — Ainu hat das alles gewußt, als ſie fortging dort den 
Weg 

Im ſelben Augenblick ballt der Sturm an ebendieſem Weg den 
ſtiebenden Schnee zu einer hohen Säule zuſammen, als wäre er 
des Kindes Gedanken gefolgt und beftätigte fie wild tobend: ‚Sa, 
ja, fo ifts! Glaubteſt du etwa, es konne anders fein?‘ — Groß, 
ohne zu zucken, folgen die Kinderaugen dem Vorgang; die Schnee⸗ 
wolke bewegt ſich auf die Hütte zu und bildet vorm Kuhſtall 
einen raſenden Wirbel. Es ſieht aus, als verſchwaͤnde ſie im 


154 


Schlund eines Schneeungetüms, das die Kleine jetzt erſt bemerkt. 
Vorhin war da nur Schnee, jetzt iſt da der Rachen eines Untiers. 
Das iſt dahin gekommen, um zu lauern, derweil ſie da in ihren 
Gedanken ſaß. Es gleicht dem Kopf eines großen Fiſches mit 
geöffnetem Maul, deſſen Grund fie nicht ſieht; nur dunkel 
unterſcheidet ſie eine breite Spalte. Das Kind ſtarrt und ſtarrt. 
Jetzt handelt es ſich weder um den Vater noch um Ainu mehr — 
die gehören irgendwohin, ganz weit weg, wo es ſtill und fchon 
ift —, fondern darum, wie lange ſie es fertig bringt, hier auf der 
Bank zu ſitzen und unverwandt dorthinaus zu blicken. Hinter 
fi) in die Hütte wagt fie nicht ſich umzuſehen —, darauf lauert 
ja gerade dieſer immer weiter klaffende Schneerachen, der ſchlim⸗ 
mer noch als der Sturm iſt, weil er fo wild den allergrößten 
Schneewirbel hinunterſchlang. Dieſer Rachen iſt das einzig 
wirklich Schlimme; ſelbſt der Sturm ſtellt ſich ja ſozuſagen auf 
ſeiten des Kindes, indem er verſucht, mit immer neuen Wirbeln 
das Ungetüm zu bedecken. Wenn es bloß nicht anfangen wollte, 
dämmerig zu werden! Die Kleine ſpürt: die Dämmerung wird 
kommen, und zu dem Hinausſtarren kommt noch das Warten 
auf den Vater, dies Warten, von dem ſie weiß, es iſt hoffnungs⸗ 
los. Bei dieſer Vorahnung verziehen ſich ihre Züge zu einem 
tränenlofen Weinen. Sie lauſcht auf: die Katze, die fie ganz ver: 
geſſen hat, erhebt ſich von ihrem Ruheplatz auf dem Ofenſims, 
ſpringt herab und fängt an zu miauen, um hinausgelaſſen zu 
werden. Aber wieder wird ein großer Wirbel in den Schlund 
„bineingedreht, und das kleine Mädchen wagt nicht, ſich zu rühren. 
Ihr iſt, als zeigten ſich gerade die erſten Anzeichen der Tages⸗ 
neige. — Und iſt nicht der Schneerachen ſchon näher gerückt, 
während ſie auf die Bewegungen der Katze lauſchte? Das Herz 
kämpft gegen das Grauſen an, und der Blick klammert ſich 
immer feſter an das vorm Kuhſtall aufwachſende Schneegebilde, 
deſſen ſcharfkuppiger Schwanz ſchon weit über den Acker hinaus⸗ 
ragt. Selten nur blinzelt das Auge, und dann benutzt die Dämme⸗ 
rung jedesmal die Gelegenheit und nimmt zu. 


155 


Und der Dämmerung ift man ausgeliefert. Sie ift fo mächtig, 
daß man auch nicht im Außerften Winkel des Herzens ſich ein⸗ 
redet, es gabe eine Rettung vor ihr, wenn fie groß und alles in 
Dunkel hüllend ſich herabſenkt und eben erſt Geſchehenes ganz 
raſch in Vergangenheit verwandelt. Und doch iſt die Damme: 
rung nicht etwas ſo Feindſeliges und Strenges wie das Schnee⸗ 
geftöber, fie kommt näher und näher, lind und weich, und ehe das 
Kind ſichs verſieht, weiſt fie bereits raunend den mid blickenden 
Augen die liebſten Erinnerungsbilder vor: um dieſe Stunde 
pflegte die verſtorbene Mutter im Stall zu tun zu haben, und 
das Kind ſaß geborgen drinnen in der Hütte und wartete auf 
ſeine Milch. Zuſammen mit der Katze, die auf dem Ofenrand 
(chief. 

Auch jetzt miaut die Katze, und das kleine Mädchen fährt zuſam⸗ 
men; allzu nahe waren die Bilder aus der Vergangenheit an ſie 
herangetreten. Aber ſie wagt doch nicht hinzugehen und das Tier 
hinauszulaſſen. Nachdem es eine Weile gewinſelt, hört es auf 
und legt ſich teilnahmlos auf den Fußboden. Es entgleitet all⸗ 
mählich der Aufmerkſamkeit des Kindes, bleibt nur als ſchwache 
Vorſtellung in deſſen Bewußtſein, waͤhrend das Auge wieder 
Schutz bei der Dämmerung ſucht, bei der Daͤmmerung dieſes 
Abends. Sie wächſt mehr und mehr, und ſchließlich läßt die 
Spannung des Hinausſtarrens nach, ohne daß das Kind ſelber 
es merkt, und loͤſt ſich. Die Züge des Schneeungetümg ver⸗ 
wiſchen ſich, das grauenerregende Weſen verſchwimmt, es iſt nur 
noch wie ein vor der Arbeit heimkehrender Tagelöhner, willenlos 
und ſchlapp. 

Noch iſt etwas von Spannung in der Daͤmmerung, wie ſie da ihre 
eigenen Gedankenfäden ſpinnt, denen das Kind nur wie einem 
einlullenden Murmeln zu lauſchen braucht, ohne nachzugrübeln, 
noch ſich zu bangen. Die Katze iſt auf die Bank geſprungen und 
hat ſich neben das Kind geſetzt. Sie gibt ſchon einen guten 
Kameraden ab: mollig, heimelig und vertraut. 

So in die Dämmerung hineinlauſchend, verharrt die Kleine auf 


156 


ihrem Platz. Sie fieht Ainus Geſtalt im Hof auftauchen, aber 
das rüttelt fie nicht weiter auf, obgleich es ein behagliches Gefühl 
iſt. Die Katze lauft zur Tür, als Ainu kommt. Und ſchon erſcheint 
im Hof eine zweite Geſtalt: der Vater kehrt von der Arbeit 
heim. Die Lampe wird angezündet, und nun fängt der richtige 
Abend an, zu dem auch der Vater gehört. Er ſagt, dort draußen 
finge der Schnee an, ſchon Waſſer zu werden, aber er haͤtte ja 
allerdings heute ein tolles Unweſen getrieben. So plaudert der 
Vater mit ſeinen Kindern ſogar übers Wetter, da er ja niemand 
Beſſeres zur Unterhaltung hat. 

Die Sechsjährige geht auch noch mal auf den Hof hinaus, als 
es ſchon ſtockfinſter iſt. Nun läßt ſie die Schrecken des Tages als 
angenehme Nachwehen ins Bewußtſein dringen. Um fo vergnüg- 
licher iſt es dann, in die Hütte zurückzuſpringen, dort den Schnee 
von den Schuhen zu kratzen und dicke kleine Schneebälle draus 
zu ballen. 

Am nächſten Morgen ſcheint die Sonne. Der Schnee iſt nach 
Mitternacht etwas gefroren. Zu dem Ungetüm vorm Kuhſtall 
mit dem Rachen kann man jetzt, wo ein neuer Tag iſt und die 
Verhältniſſe ganz anders find, hingehen und es auch aus der Nähe 
betrachten. Man kann auch irgendein Spielzeug von drinnen 
holen, es in eine paſſende Spalte unter das Schneedach ſtecken 
und dann in die Hütte zurücklaufen und vom Fenſter aus nach⸗ 
ſehen, wie es ſich da macht ... Die Natur iſt heute nichts weiter 
Abſonderliches. Sie iſt wieder dasſelbe wie das Leben. 


Aus dem Finniſchen von Rita Ohaquiſt 


x 


Ich kam an die Stätten meiner Geburt, und ich fragte: die 
Freunde meiner Jugend, wo find fie? — — 
Und ein Echo antwortete: wo find fie? — — 
Inſchrift an einem Denkſtein in Dinkelsbühl 
* 


157 


Otto Nebelthau 
Die Gräfin Mathilde von Toscana 


Uber die Gipfel der Apenninen geflogen, gab Föhn der Juninacht 
ſummenden Schauer, ſchroff fielen und wild die Matten ringsum 
im Gewog des Vorgebirgs in die Täler hinab, lagen gelb und 
verbrannt von ſengender Hitze ums Schloß Canoſſa. Satt⸗gelbes 
Mondlicht quälte die Landſchaft. 

Anſelm von Lucca, Beichtvater der Gräfin Mathilde, erhob ſich 
vom Lager, es war erſt gegen den Morgen, doch ihn verließ der 
Schlaf in der Kammer, weil ihm die Beichte der Herrin be⸗ 
vorſtand. Wie er das Wecken im Kloſter vernahm, kam ihm der 
Weckruf ins Ohr, den er als Knabe in Rom auf der Pritſche 
vernommen, wo er verſtoͤrt dann von ftrohüberfchütteten Brettern 
die Arme zur Kutte gereckt. Oft hatte die dornige Rute die Füße 
des Schläferd getroffen, der nicht fofort ſich erhob. Mit bloßen 
Füßen mußten ſie dann im Kloſter Santa Maria in Rom, 
Hildebrand und der verderbte Freund Hugo Candidus, über die 
Steine, ſo kalt, durch den Kreuzgang, in deſſen Mitte der Raſen 
lag, in die Kirche zum Frühamt, wo ſie der Wunſch nach dem 
Morgentrank aufrecht erhielt, die noch unverftändigen Herzen. 
Anſelm von Lucca trat auf den Hof. Da kamen die Mönche, 
gleich Schatten und nebeneinander zu zweit, aus der Tiefe des 
Kloſters. Denn das lag ins Geſtein eingehaun, es fand nicht 
mehr Platz auf dem Riff des Felſenſchloſſes Canoſſa, ein Turm 
nur zeigte es an, ſchmal unter den andern ragenden Türmen, die 
in die zerklüftete Landſchaft warnten, die Türme des Schloſſes, 
die Türme der Wächter. 

Eng war der Hof und füllte ſich bald. Es kamen auch aus den 
Quartieren, den leeren Zellen des Kloſters, den Kellern der Burg, 
aus allen Winkeln des ſteilen Felſens, wo jeder Klafter bewohnt 
und benutzt war, die Ritter der Gräfin Mathilde, Gebieterin 
von Toscana, wohl hundert Mann, die Leibgarde, ausgeſucht 
aus den Ländern wie des Heiligen Vaters Legaten. Auch kamen 


158 


viel Gäſte, die Fremden von auswärts, und waren die frühe Meſſe 
lang nicht gewohnt. Bollwerk zwiſchen Rom und dem Reich 
war die Herrſchaft der Gräfin. Wer ſich Vorteil verſprach und 
wer der rollenden Wucht der Ereigniſſe nah ſein wollte, damit 
er dran teilnahm und am Verteilen, der kam hierher und fügte 
ſich ſtarr der Regel der mächtigen Freundin des Heiligen Vaters. 
Sie drängten ſich dicht vor der Kirche. Die ſchien hinabzugleiten 
vom Fels, ſo nah an den Rand geſetzt; am Turm das Wappen⸗ 
tier Petri, als Wetterfahne ein Fiſch. 

Leichter Morgen tat ſich ſchon auf, der Mond verlor ſeine Herr⸗ 
ſchaft, als die Gräfin erſchien und das erſte Licht auf ihr braunes 
hartes Geſicht fiel. 

Eine Bank nur ſtand in dem Kirchlein vor dem goldnen Altar 
und den heiligen Geräten aus Gold und den Bändern und 
Decken aus Seide, mit leuchtenden Steinen beſtickt. Funkelnder 
Prunk war allein auf den Altar gehäuft. Karg war der Raum 
fonft. Die Ritter und Mönche konnten nur ſtehn. 

Der Abt des Kloſters vollzog den Dienſt, Novizen und Kinder 
halfen, die Schellen zu läuten und die Geräte aus ihren Hüllen 
zu nehmen, das Buch aufzuſchlagen. Schwer war die Luft von 
dem Kerzenrauch und den atmenden Menſchen. Mancher der 
Säfte war wohl erſtaunt ob der Strenge der Ordnung, erhob ſich 
nur ſchwer, um niederzuknieen, ein um das andere Mal. 

Doch allmählich wurden die Fremden bezwungen. Denn ſie ge⸗ 
wahrten die Tiefe der Demut, mit der die Gräfin der Meſſe Bei⸗ 
ſpiel ergriff, daß es nicht Beiſpiel mehr war, ſondern Wahr⸗ 
haftigkeit; daß in Wahrheit der Leib des Herrn verwandelt tief 
in ſie einging. Ihr Glaube ſchlug alle in Bann, die Fremden, die 
Ritter und Mönche; er machte fie alle beſchämt. 

Es dachte wohl einer: 

„Lebt noch ein Fürſt, der mächtiger iſt? Iſt ſie von Gott nicht 
mit Kraft und Geſundheit bedacht? Iſt fie nicht jung? Iſt fie 
nicht reich wie niemand ſonſt auf der Welt? Iſt ihr Verſtand 
nicht geſchärft, lieſt fie nicht Bücher und ſitzt zu Gericht wie 


159 


ein Mann? — Dennoch liegt fie vor Gott auf den Knieen, als 
ob ſie verarmt ſei!“ 

Endlich wich die Bedrückung. Der Abt verhüllte den heiligen Leib. 
Flutendes Licht ſchwoll durchs offene Tor. Die Ritter und Mönche 
drängten zum Hof, die Fremden ſuchten ihr Lager noch einmal auf. 
Anſelm von Lucca blieb, und Gräfin Mathilde blieb in der 
Kirche zurück! 

Den Beichtvater ſchreckte die Stunde! Das war es, was immer 
ihn ſchreckte, wenn eben der Schlaf ihn verließ, die Beichte der 
Gräfin am Morgen. Wie ſah er in dieſe todtraurig⸗glückſtarke, 
herrſchſüchtig⸗demütige Seele, wenn fie die Wünſche der Nacht 
von ſich warf! Sie trug ein Bildnis in ſich, das wollte ſie zeigen 
und doch bedecken, das wollte ſie tilgen, und das war doch die 
Rettung. Noch war ihr Glaube nicht rein, ſie vermiſchte ihn 
noch mit den Brünſten; es verlangte ſie noch, ſie war noch 
nicht ſtill. 

Das beichtete fie mit ſchluchzender Stimme, und fie löfte das 
Kleid, um zu leiden, wie auch die frühen Chriſtinnen litten unter 
der Peitſche der Römer, daß ihre Inbrunſt rein aus der Qual 
und geläutert hervorſtieg ... löſte das Kleid, daß es den Nacken 
entblößte, die Schultern, den Rücken und bis zu den Hüften 
binabfiel, lehnte ſich über die Bank und ſchloß die Augen und hielt 
die Hände ineinandergepreßt — inbrünſtig bat ſie um Strafe. 

Anſelm von Lucca ſchlug zu. Ihm wuchs im Schlagen die Kraft, 

ſchwer ſchlug er zu mit der Geißel. 


Mittag und der Empfang nicht vorüber! Ihr drohte die Kraft 
zu zerfallen. Bis auf den ſchmalen Hof ſtand die Menge vom 
Morgen an vor dem Saal des Gerichtes: Meldereiter von ihren 
Städten, neue Gäſte, die Zeitung brachten aus allen Ländern 
der Erde, Unterführer und Baumeiſter, dunkelhäutige Edelſtein⸗ 
händler und Elfenbeinſchnitzer, arabiſche Geldverleiher. Sie hielt 
ſich noch aufrecht, empfing Legaten aus Rom, entließ die letzten 


160 


— = 
— b 
— 


— 


za 


Al 
ih 
i BES 


CO 
OË 


, 


— 


— 2 
— hae 
— ES 


UM 


— 
een zen 
— 


Le 
EN 
Géi 


UI 


N $ N N 
} 7 . 4 — 
g a u Fi \ — 


— — 
— 


Sen 


N 
x 


cht um ausacho ter het alo meugen tag 
durch vnleru unilen: E tee in 0 


Ablaßbrief um 1430 


Digitized by Google 


Digitized by Google 


Beſucher, unverwirrt den Schwarm auseinanderhaltend, mit un⸗ 
geſchwächtem Befehl. 

Doch als auch die Mahlzeit vorüber war, fpät ſchon am Nach⸗ 
mittag, ſtürzte in ihrem Schlafraum ſie hin, das Geſicht in die 
Kiſſen gedrückt. Dienerinnen zogen die ſchweren Schuh von den 
Füßen, ſtreiften das Kleid ab, die Haut des Rückens lag bloß, 
von Geißelhieben zerſchunden, mit Schorfen und friſchen Wun⸗ 
den bedeckt. 

Salbe kam auf die feuchtenden Stellen, es raſte der Schmerz. 
Sie griff an die Pfoſten der Bettſtatt, es perlte das Blut zu den 
Wunden; langſam ſchlich ſich ein Zittern ganz durch den Leib. — 
Schwer von Genuß ſchlief ſie ein. 

Durch die offenen Türen kam Kühle des Abends. Hammerſchläge 
auf hangende Balken im Turm des Schloſſes hallten die Stunde. 
Dumpfe Gelénge entſtrömten dem Kloſter. Wind fuhr die Hänge 
hinab, graublaue Kornfelder ſtreichend, die er zu Wellen trieb, 
als wollten die Ahren zu Tal. 

Wunderbar nach dem Schlaf gekräftigt, zog ſich die Gräfin abend⸗ 
lich an, ſchlang Ketten aus ſchwarzen Perlen um ihre Arme, um 
ihren Hals Ketten geflochtenen Golds. 

Sie ging durch ſchmalen Gang in den Raum der Geſchäfte. 
Briefe bedeckten den Tiſch, Regale trugen die Bücher: die Bi⸗ 
bel, Dichter der heidniſchen Zeit, Rechtsſprüche, kirchliche 
Schriften. Zu ihr wurde der Pfarrer geführt der Stadt, die 
nah bei dem Schloß lag, der Pfarrer der Baſilika des heiligen 
Proſperus in der Stadt Reggio. Der war gekommen mit ſeinem 
Weib. 

Die Gräfin ließ die Beſucher ſich ſetzen, einen ſtaͤmmigen Mann, 
nicht mehr jung, und feine bauerifde Frau, deren Geſicht über: 
haucht war von milchiger Bläſſe. Außerhalb des Empfanges war 
er beſtellt für eine letzte Ermahnung. 

Denn dem Befehl aus Rom widerſetzte er ſich. Das war ein 
Befehl, ſchon ſeit langem erlaſſen, doch niemals befolgt: daß die 
Pfarrer durch keine Heirat, von keinem Gedanken an eine Frau 


161 


in ihrem Amt gefehwächt werden dürften, daß fie der Erbſuͤnde 
Zorn nicht erreiche. — Jetzt hatte der Papſt den Befehl aus ber 
Tiefe feiner Geſichte und feines Willens zum Weltreich erneuert, 
um die Wächter zu ſchaffen über die Menſchheit, die unbeſtech⸗ 
lichen Wächter, die nicht der Bedrückung des Tages und feind⸗ 
licher Luft erlägen. 

Zögernd fiel die Stimme der Gräfin, gebrochenen Klangs, in die 
Stage: 

„Pfarrer, gehorchſt du immer noch nicht? Läßt nicht vom Un⸗ 
recht, bringſt mit dir die Frau als Beweis deines Widerſtands? 
Rührſt deine ganze Gemeinde auf!“ 

Der Pfarrer hatte den Mut, die Entſcheidung nicht zu ver⸗ 
ſchleppen. Die Herrin, ſie konnte ihn ſtürzen. Es half nur die 
Wahrheit, es half kein Ausweichen mehr, die Wahrheit nur 
konnte ihn retten. 

„Mit einem Weibe zu leben, Gräfin Mathilde, das ſoll ein Ver: 
bot fein für die Armen im Geiſt; für die ſoll es gelten, die unferer 
Kirche ein Greuel find, die in den Kneipen figen mit ihren Dirnen 
und das Gewand zum Entfegen der Gläubigen tragen, die mit 
dem Geld ihrer Vater das Amt ſich erkauften! — Lang lag es 
verſchüttet, das ſchwere Verbot, nun hebt es ſich wieder empor, 
trifft die, die längſt Idien gewandelt find zu Kämpfern für den 
erwachenden Glauben. Nun trifft es alle und nicht nur die, für 
die es entſtand. Unermeßliches Leid kommt über die Menſch⸗ 
heit!“ | 

Die Gräfin ſaß aufrecht, lehnte den Rücken nicht an. Ihr Ge⸗ 
ſicht bekam Flecken: 

„Halbheit loͤſcht doch die Sünde nicht aus! Halbheit kennt immer 
wieder den Ausweg. Es foll doch den Frieden dir bringen, wenn du 
gehorchſt. uͤber der Qual der Natur ſollſt du ſtehn, daß du ſie 
ſtillen kannſt alle den andern. Ahnſt du denn, Pfarrer, die Kraft, 
die in dir wohnen ſoll? Laß die Armen im Geiſt nur verſinken, 
Gottes Strafe tilgt fie ſchon aus, aber die Reinen müſſen erhöht 
fein. Wunſchlos müffen fie fein, untadelig die Hände, die fie zur 


162 


Andacht falten. Sind fie voll Tadel, packt fie die Kleinheit 
des Kampfes, der um die Frau geht, dann zerrt ſie der Wunſch 
zu Boden, ihr zu gefallen, ihr Genüge zu tun.“ 

Die Frau erſchrak, ſie wollte die Antwort geben. Aber der Mann 
kam ihr zuvor: 

„Wunſchlos, untadelig? Gräfin Mathilde, wie lebe: ich denn? 
Wo ſteht es geſchrieben, daß ich nicht zeugen ſoll? Gott - ift denn 
Gott für den Tod, nicht für das Leben? Iſt denn nicht das Ge⸗ 
fühl, das den Menſchen zum Menſchen drängt, ebenfalls heilig, 
ſchließt ſich auch da nicht die Seele auf, ſo daß ſie weit wird 
zum Preiſe des Schöpfers? Dunkel wird unſer Trieb, knechtet 
man ihn.“ 

Das war die Antwort, fo zum Ermüden gehört, fo fern allem 
Gluck, fo mit Stumpfheit behaftet! Wenig half die Ermahnung, 
das freundliche Wort: niemand bekehrt ſich in Freiheit zur Auf⸗ 
ſchau. Leidet ſein Leib, ſo bietet die nackte Natur er zum Zeugnis 
an, daß er wie jene wächſt, daß Gott auch jene ſchuf mit ihrer 
Brunſt. 

„Pfarrer, Heirat, das iſt doch Sorge, das iſt doch Güte für einen 
Menſchen, das iſt doch Teilung der Kraft und des Willens, das 
iſt doch Raub an der Andacht. Andacht raubſt du allen den Seelen 
deiner Gemeinde. Kommſt du von deiner Frau aus gemeinſamer 
Kammer, löſchſt du die Weihe des Altars aus.“ 

Trauer und Bitterkeit packten den Pfarrer: 

„Jung biſt du, Gräfin Mathilde, biſt noch nicht dreißig Jahr, 
verhärteſt dich ſo! Stöhnt doch ſeit jenem Verbot vor Kummer 
die Welt! Rotten ſich Zweifler zuſammen, die Nächte ſind 
ſchlaflos, krümmt die Natur ſich vor dem Befehl, zuckt voller 
Schmerzen, ſchlägt aus, erhebt ſich zu raſendem Aufſtand! Freude 
fällt von den Menſchen, Angſt treibt ſie zur Haſt, die Speiſe 
ſchmeckt ihnen nicht, der Trank nicht, die Ruhe des häuslichen 
Herds iſt zerſtört. Ruft doch Paulus dir zu: „Iſt die Enthalt⸗ 
ſamkeit über die Kraft, fo laß fie freien; Freien iſt beſſer als Qualen 
der Brunft!‘ — Dunklen Wolken gleich liegen die Hände des 


163 


Papſtes auf uns. Gräfin Mathilde, du, feine Dienerin, die du 
die Burgen für feinen Schutz bauſt, fuche den Ausweg für uns!“ 
Schwer waren die Augen der Gräfin: 

„Wer ſoll dir denn glauben, daß du erbebt biſt, daß du die Ruhe 
erflehſt, daß Gottes Sohn für uns litt, wenn deine Kleinheit 
gegen dich zeugt, die immer um dich iſt, dein mangelnder Wille 
zur Überwindung? Größere Seelen als deine verlangt der Heilige 
Vater, nicht mehr gehemmte, nicht vom Alltag beſchmutzte!“ 
Der Pfarrer rief: 

„Bedenkſt du denn, Gräfin Mathilde, daß ich nicht allein bin, 
nicht mein Gewiſſen allein, das ſich wehrt in Verzweiflung?! 
Tauſende trifft wie mich das Verbot, Tauſende Frauen und 
Kinder und frohe Gemeinden weit in den Ländern des Glaubens! 
Aufſtand des Blutes wird furchtbar genährt, es verkümmert die 
Andacht! Sehnſucht treibt uns zum Koͤnig, ſei er auch noch ſo 
verderbt; er tötet das Leben nicht, tötet nicht Gottes Natur! — 
Das Reichskonzil trat nicht zuſammen, weil die Pfarrer 
nicht glaubten, daß das Verbot ein Gottesbefehl ſei! Mag doch 
die Kraft des Heiligen Vaters an uns zerſchellen!“ 

Tränen netzten die Augen ſeiner gequälten Frau: 

„Was will denn Papſt Gregor? Was will der furchtbare Mann? 
Erntet er nichts doch als Kummer mit ſeinen Verboten! Stehn 
wir Fraun nicht am Herd und füllen den leeren Topf dem, der 
vorüberkommt, jedem der Armen? Pflegen wir nicht die Kranken 
und Siechen? Hängen dem Manne nicht an, dem Einen, wie 
es geſchrieben ſteht? — Es ut nicht von Gott, was der Heilige 
Vater befiehlt!“ 

Faſſungslos, vollig verwirrt brach fie aus: 

„Papſt Gregor ſelbſt — lebt er nicht ſelbſt in Schuld? — Lebt er 
nicht ſelbſt mit einer Frau?“ 

Hart griff ſie der Pfarrer am Arm, ſie wimmerte leiſe: 

„Es iſt doch wahr!“ 

Die Augen brannten im blaſſen Geſicht ihres Mannes, als er 
ſein Urteil empfing: 


164 


„Pfarrer, fo wirft du bald ſelbſt ſchrein, unbelehrbar, verloren!“ 
Die Gräfin ftügte (id, als fie aufſtand: 
„Der Zutritt zur Kirche wird dir verwehrt! Dein Amt wird 
vergeben!“ | 


Wie ein Schrei war ihr Brief an den Heiligen Vater. 

„Ich bin gerüftet, was immer auch kommen mag! Nie ift 
ein Auftrag zu groß! Schande wär es für mich, konnte man 
ſagen, ein Weib gäb mit Dingen ſich ab, für die es nicht 
tauge, wolle den Fürſten nur ſpielen!“ 

Sie ſchrieb im Lichte der Kerzen: 

„Selber ſchreibſt du, du müßteſt täglich die Angſte und Nöte 
eines kreißenden Weibes erdulden? Du bäteft Jeſum darum, 
Er möge dich auslöſchen oder ein Zeichen dir ſetzen, daß dein 
Leben nutzbringend ſei? — Der Tag wird kommen, da du die 
Könige alle bekehrſt und alle das Kreuzbanner tragen. Daß ſie 
dir folgen zum Grab des Erlofers, damit die Fahne über Jeruſa⸗ 
lem weht. Vorher bricht vieles zuſammen! — Bitte Jeſum 
um Stärke!“ 

Und ſie dachte, was bisher geſchehn, ſei nur unendlich gering. Sie 
ſchloß den Bericht: „Mathilde, iſt ſie von Rang, ſo von Gottes 
Gnaden. Canoſſa, im Juni.“ 


Aus dem Roman „Der Ritt nach Canoſſa“ 


* 


Ick lew wat fin is 

Wenn t ock nich min is, 

Wenn ti ock min nich warden kann, 
Hew ick doch min Freude dran. 


Plattdeutſcher Spruch 


165 


Friedrich Hölderlin 
An den Ather 


Treu und freundlich, wie du, erzog der Götter und Menſchen 
Keiner, o Vater Ather! mich auf; noch ehe die Mutter 

In die Arme mich nahm und ihre Brüſte mich tränkten, 
Faßteſt du zärtlich mich an und goſſeſt himmliſchen Trank mir, 
Mir den heiligen Othem zuerſt in den keimenden Buſen. 
Nicht von irdiſcher Koſt gedeihen einzig die Weſen, 

Aber du nährſt ſie all mit deinem Nektar, o Vater! 

Und es drängt ſich und rinnt aus deiner ewigen Fülle 

Die beſeelende Luft durch alle Rohren des Lebens. 

Darum lieben die Weſen dich auch und ringen und ſtreben 
Unaufhoͤrlich hinauf nach dir in freudigem Wachstum. 


Himmlliſcher! ſucht nicht dich mit ihren Augen die Pflanze, 
Streckt nach dir die ſchüchternen Arme der niedrige Strauch nicht? 
Daß er dich finde, zerbricht der gefangene Same die Hülſe, 
Daß er belebt von dir in deiner Welle ſich bade, 

Schüttelt der Wald den Schnee wie ein überlaſtig Gewand ab. 
Auch die Fiſche kommen herauf und hüpfen verlangend 

uͤber die glänzende Fläche des Stroms, als begehrten auch dieſe 
Aus der Wiege zu dir; auch den edeln Tieren der Erde 

Wird zum Fluge der Schritt, wenn oft das gewaltige Sehnen, 
Die geheime Liebe zu dir ſie ergreift, ſie hinaufzieht. 


Stolz verachtet den Boden das Roß, wie gebogener Stahl ſtrebt 
In die Höhe fein Hals, mit der Hufe berührt es den Sand kaum. 
Wie zum Scherze, berührt der Fuß der Hirſche den Grashalm, 
Hüpft, wie ein Zephir, über den Bach, der re ßend hinabſchäumt, 
Hin und wieder und ſchweift kaum ſichtbar durch die Gebüſche. 
Aber des Athers Lieblinge, ſie, die glücklichen Vögel 

Wohnen und ſpielen vergnügt in der ewigen Halle des Vaters! 
Raums genug iſt für alle. Der Pfad iſt keinem bezeichnet, 


166 


Und es regen ſich frei im Haufe die Großen und Kleinen. 
Über dem Haupte frohlocken fie mir, und es ſehnt ſich auch 
mein Herz 
Wunderbar zu ihnen hinauf; wie die freundliche Heimat, 
Winkt es von oben herab, und auf die Gipfel der Alpen 
Moͤcht ich wandern und rufen von da dem eilenden Adler, 
Daß er, wie einſt in die Arme des Zeus den ſeligen Knaben, 
Aus der Gefangenſchaft in des Athers Halle mich trage. 
‚Zöricht treiben wir uns umher; wie die irrende Rebe, 
Wenn ihr der Stab gebricht, woran zum Himmel fie aufwächſt, 
Breiten wir über dem Boden uns aus, und ſuchen und wandern 
Durch die Zonen der Erd, o Vater Ather! vergebens, 
Denn es treibt uns die Luſt, in deinen Gärten zu wohnen. 
In die Meeresflut werfen wir uns, in den freieren Ebnen 
Uns zu ſättigen, und es umſpielt die unendliche Woge 
Unſern Kiel, es freut ſich das Herz an den Kräften des Meergotts. 
Dennoch genügt ihm nicht; denn der tiefere Ozean reizt uns, 
Wo die leichtere Welle ſich regt - o wer dort an jene 
Goldnen Küften das wandernde Schiff zu treiben vermochte! 


Aber indes ich hinauf in die dämmernde Ferne mich ſehne, 
Wo du fremde Geſtad' umfängſt mit der bläulichen Woge, 
Koͤmmſt du faufelnd herab von des Fruchtbaums blühenden 
Wipfeln, 
Vater Ather! und ſänftigeſt ſelbſt das ſtrebende Herz mir, 
Und ich lebe nun gern, wie zuvor, mit den Blumen der Erde! 


167 


Digitized by Google 


Bücher aus dem Inſel⸗Verlag 


NR AVA 
ei P 
‘gt og 2 


Die Hier aufgeführten Bücher find Durch jede gute Buchhandlung 
zu beziehen; wo folche nicht vorhanden tft, wende man fich an den 
Verlag in Leipzig C1, Kurze Straße 7 


* 


Über alle Neuerſcheinungen 
und Pläne des Inſel⸗Verlages unterrichtet fortlaufend 
| Das Inſelſchiff 
Eine Zeitſchrift für die Freunde des Inſel⸗ Verlages. 
Im Dezember beginnt der fünfzehnte Jahrgang. 
Vier Hefte zum Preis von M 3.—; Einzelheft M 1.— 


* 


Die Inſel⸗ Bücherei 
- jeder Band gebunden 80 Pfennig — 

iſt ein Spiegelbild des deutſchen Weſens. Wie ſie den ewigen Be⸗ 
ſtand deutſchen Sprach⸗ und Kulturgutes zu vereinigen bemüht bleibt, 
ſo nimmt ſie aus der Weite der Welt die Erſcheinungen in ſich auf, 
die zur Bildung des deutſchen Menſchen beigetragen haben. Die 
Inſel⸗ Bücherei hat ſich ſeit ihrem Beſtehen auch der Pflege des 
illuſtrierten Buches gewidmet, und ſie vollendet dieſe Aufgabe mit 
der Einbeziehung vielfarbiger Bände, von denen bisher drei er⸗ 
ſchienen ſind. Auch weiterhin wird die glückliche Verbindung wert⸗ 
vollſten Inhaltes mit einer anſprechenden äußeren Geſtalt bei wohl⸗ 
feilem Preis der Inſel⸗Bücherei die Liebe einer ſchon nach vielen 
Millionen zählenden Gefolgſchaft erhalten und zu den alten immer 

neue Freunde gewinnen. 


Neue vollſtändige Verzeichniſſe der Inſel⸗Bücherei 
ſtehen koſtenlos zur Verfügung. 


Neuerſcheinungen 1933 


Bertram, Ernst: Die Wartburg. Spruchgebichte. In Pappband M 4.—. 

Die große Vergangenheit ber Wartburg wird in den vifionären 
Verſen dieſes Buches wieder lebendig. Geſchichte und Sage faſt 
eines Jahrtauſends find mit dieſer Burg verknüpft; vom legendären 
Sängerkrieg an bis zu Wagners „Tannhäuſer“ iſt ſie ein Sinnbild 
deutſcher Art und Kunſt. 


Bühler, Johannes: Das erste Reich der Deutschen. Von der Völker: 
wanderung bis zur Reformation. Mit 80 Bildtafeln. Volksaus⸗ 
gabe in Leinen M 4.50 


Im Zeitpunkt einer ungeheuren Staatsumwälzung, aus der ſich 
das Reich in neuer Geſtalt und Ordnung erhebt, bietet ſich dem 
zurückgewandten Blick dieſes Buch dar, das ſich in erſter Linie 
an den jungen deutſchen Menſchen wendet, der das Leben ſeiner 
Vorfahren kennen lernen will. Es zeigt in einem weiten, aus gründ⸗ 
lichſten Kenntniſſen erworbenen Überblick die erſte große Lebens form 
des Reichs der Deutſchen und die ſtaatlichen, wirtſchaftlichen, ſo⸗ 
zialen und kulturellen Wurzeln unſeres völkiſchen Daſeins. 


Carossa, Hans: Führung und Geleit. In Leinen M 5.—; kart. M 4.—. 


Verwandlung eines von tiefſten Einſichten durchdrungenen Lebens 
in das verantwortungsbewußte, von lauterſter Geſinnung geadelte 
Wort: in dieſem Zeichen ſind die Bücher von Hans Caroſſa ge⸗ 
ſchrieben. Zweier Jahrzehnte hat es bedurft, bis dieſer große deutſche 
Dichter wirkender Beſitz einer wachſenden Gemeinde geworden iſt. 
Mit beſonderer Freude wird ſie dieſes Buch in Empfang nehmen, 
in dem die Beziehungen des Dichters zu vielen Menſchen, die ihm 
auf ſeinem Wege hilfreich waren, ſinnfällig zur Anſchauung ge⸗ 

bracht ſind. 


Coolen, Anton: Brabanter Volk. Roman. Aus dem Niederländiſchen 
übertragen von Eliſabeth und Felix Auguſtin. In Leinen M 5.—. 

Dieſe Erzählung von dem Pfarrer Vogels und ſeiner Gemeinde 
lebt unmittelbar aus den ſtarken Kräften des Bodens, fie iſt beleeft 
von der Liebe des Dichters zur heimatlichen Landſchaft. Anton 
Coolen hat den liebenden Blick für die Menſchen des Alltags, er 
zeigt, wie auch in ihnen das Verhängnis bis zur Vernichtung über⸗ 
mächtig werden kann. Mit rührender Innigkeit läßt er ſeine Ge⸗ 
ſtalten an der Gnade teilhaben, die ſein Glaube aus der Fülle ſeines 
Herzens verſchenkt. 


Corti, Egon Caesar Conte: Die Tragödie eines Kaisers. Mit 4 Bild⸗ 
tafeln. In Leinen M 7.50 

Kaiſer Maximilian von Mexiko iſt das tragiſchſte Opfer des Ränke⸗ 
ſpiels der hohen Politik im 19. Jahrhundert geworden. Jung und 


171 


tatenfroh, romantiſch und von hohen Idealen erfüllt, ſehnt ſich der 
habsburgiſche Prinz und Bruder des Kaiſers Franz Joſeph von Öfter: 
reich nach Herrſchaft und Verantwortung; fo vorbereitet, läßt er 
ſich von ehrgeizigen Politikern, die im Verein mit Napoleon III. 
und der Kaiſerin Eugenie ein Kaiſerreich in Mexiko zu errichten 
trachten, in ein Abenteuer hineinlocken, wie es gefährlicher nicht 
gedacht werden kann. 

Es iſt dem Grafen Corti, der Zugang zu ſonſt ſtreng verſchloſſenen 
Archiven fand, gelungen, unter Einbeziehung zahlreicher bisher un⸗ 
bekannter Zeugniſſe ein packendes Bild der amerikaniſchen Tragödie 
zu zeichnen. 


Deutsche Erzähler. Ausgewählt und eingeleitet von Hugo von Hof: 
mannsthal. Die früher vierbändige Ausgabe jetzt in einem Bande. 
(1005 Seiten.) In Leinen M 4.50. 

Inhalt: Arnim: Der tolle Invalide — Brentano: Geſchichte vom 
braven Kaſperl und dem ſchönen Annerl — Büchner: Lenz — Droſte⸗ 
Hülshoff: Die Judenbuche — Eichendorff: Taugenichts — Fouqué: 
Undine — Goethe: Novelle — Gotthelf: Barthli, der Korber — Grill: 
parzer: Der arme Spielmann — Hauff: Das kalte Herz — Fr. Hebbel: 
Aus meiner Jugend — E. T. A. Hoffmann: Der Elementargeift — 
Gottfried Keller: Spiegel, das Kätzchen — Heinrich von Kleiſt: Das 
Erdbeben in Chili — Eduard Mörike: Mozart auf der Reife nach 
Prag — Jean Paul: Leben des vergnügten Schulmeiſterlein Maria 
Wuz in Auenthal — Schiller: Der Geiſterſeher — Sealsfielb: Gr: 
zählung des Oberſten Morſe — Stifter: Der Hageſtolz — Tieck: Der 
blonde Eckbert. 

Man vernimmt hier ein Konzert aus einem bewußt begrenzten 
Zeitraum höchſter deutſcher Dichtung, ein Konzert, in dem ſich die 
verſchiedenſten Stimmen ausgeſprochener Charaktere, die verſchie⸗ 
denſten Landſchaften und Stämme, der Norden wie der Süden, 
der Oſten wie der Weſten vermählen. Gerade in unſern Tagen 
ſollte man ſolchem Schauen und Denken, Sinnen und Trachten, 
Klingen und Tönen ſein Ohr öffnen, damit die höchſten Werte 
dieſes Volkes, feine Maßſtäbe und fein eigentliches Weſen klarer 
und plaſtiſcher ſich abheben, und damit ſie der dunklen Ahnung 
unfrer Gegenwart wirklich die Prägung eines deutſchen Geſichts 
geben. Deutſche Allgemeine Zeitung. 


Deutsche Heldensagen. Herausgegeben von Severin Rüttgers. Mit 
einem erklärenden Anhang (616 Seiten). In Leinen M 4.50. 
Inhalt: Das Hildebrandslied — Beowulf — Walther und Hilde: 
gund — Sigfrid und die Nibelunge — Wieland der Schmied — 
König Rother — Der getreue Wolfdietrich — König Dietrich von Bern 
— Kudrun — Der Nibelunge Not. 


172 


Die Wiedererzählung älterer Dichtung ift eine Aufgabe, die jedes 
Geſchlecht von neuem löſen muß. In dieſer neuen Ausgabe werden 
die weſentlichſten Stücke deutſcher Heldendichtung in ſchlichter Er⸗ 
zählung nach den Quellen dargeboten. Ihre Herbheit wurde nicht 
geglättet, ihr Ungeſtüm nicht gebändigt: ſo ragen ſie in eine Zeit, 
die nach großen Maßſtäben verlangt. In dieſen Geſtalten ſpiegelt 
ſich das Weſen der Deutſchen, um deſſen Wiedergeburt es von 
neuem geht. 


Goethes Werke in ſechs Bänden (Der Volksgoethe). (3900 Seiten.) Im 
Auftrage der Goethe⸗Geſellſchaft herausgegeben von Erich Schmidt. 
Neu bearbeitet von Guſtav Roethe. 86.100. Tauſend. In Leinen 
M 18.—. 


Inhalt: Band I: Geleitwort von Guſtav Roethe — Einleitung 
von Erich Schmidt — Gedichte — Fauſt. Band II: Dramen: Götz 
von Berlichingen mit der eiſernen Hand — Clavigo — Stella — Die 
Geſchwiſter — Egmont — Iphigenie auf Tauris — Torquato Taſſo — 
Die natürliche Tochter — Pandora — Des Epimenides Erwachen — 
Aus dem „Maskenzug 1818“. Band III: Romane — Novellen — 
Epiſche Dichtungen. Band IV: Wilhelm Meiſters Lehrjahre. Band V: 
Dichtung und Wahrheit. Band VI: Vermiſchte Schriften: Biogra⸗ 
phiſches — Zur Literatur — Zur Kunſt — Zur Naturwiſſenſchaft — 
Sprüche. 

Der Volksgoethe, die vorbildliche Bewältigung der großen Auf⸗ 
gabe, aus den in ihrer Fülle unüberſehbar erſcheinenden Werken 
Goethes, diejenigen ganz oder in weſentlichen Teilen auszuwählen, 
deren Summe den Dichter und Gelehrten am erfchöpfendften dar⸗ 
ſtellt, iſt die volkstümlichſte Tat der Goethewiſſenſchaft. 


Haslund- Christensen, Henning: Jabonah. Abenteuer in der Mongo⸗ 
lei. Geleitwort von Sven Hedin. Aus dem Dänifchen übertragen 
von Helmut de Boor. Mit 118 Abbildungen und einer Karte. In 
Leinen M 8.50. 


Jabonah: das ift der Ruf, mit dem die mongolifchen Kamel: und 
Pferdetreiber ihre Tiere ermuntern, wenn die Karawane zum Marſch 
aufbricht. Jabonah: dieſes Wort öffnet ein neues Tor in die lockende 
Welt der großen Abenteuer. Mit einer beglückenden Friſche berichtet 
Haslund, „der geborene Schilderer aſiatiſchen Lebens“, wie Sven 
Hedin ihn nennt, von der Gründung einer Farm durch eine Gruppe 
junger Menſchen tief in der Mongolei. Er erzählt, wie fie den Boden 
urbar machen, in gefahrvollen Streifzügen einen Pelzhandel be⸗ 
ginnen, er erzählt von feinen Erlebniſſen mit Räubern und Scha⸗ 
manen, von der Gefangenſchaft im Sowjetgefängnis, von der Über: 
liſtung chineſiſcher Händler und vom Weihnachtsidyll mitten in der 
Einöde des mongoliſchen Berglandes. 


173 


Der Heliand in Simrocks Übertragung und die Bruchſtücke der 
Altſächſiſchen Geneſis. Eingeleitet von Andreas Heusler. In Leinen 
M 3.50. 

„Die maͤnnlichſte der Meſſiaden“, — „ein großes, eindrucksvolles 
Denkmal deutſchen Chriſtentums vor 1100 Jahren“, nennt Andreas 
Heusler in feiner Einführung den „Heliand“, den ein fächfifcher 
Geiſtlicher im Auftrage König Ludwigs des Frommen nach der 
endgültigen Unterwerfung und Bekehrung der Sachſen ſchrieb. 
Nicht den leidenden Chriſtus feiert der Dichter, ſondern den hel⸗ 
diſchen. — Die neue Ausgabe dieſes zuerſt vor zwölf Jahren bei 
uns erſchienenen Buches wird beſonders in einer Zeit kirchlicher Er⸗ 
neuerung vielen willkommen ſein. 


Huch, Ricarda: Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri. Roman. 
Volksausgabe. 23. Tauſend. In Leinen M 3.75. 

Aus dem Riſorgimento, der Zeit, da Italien um ſeine Unab⸗ 
hängigkeit und Einheit kämpfte, hat Ricarda Huch die Figur des 
lombardiſchen Empörers herausgehoben. Ohne Überfchwang und 
Sentimentalität erzählt ſie ſein Leben als Sinnbild eines großen 
Opfers, in einer Sprache, die oft ganz Seele geworden ſcheint. 


Lawrence, D. H.: Der Zigeuner und die Jungfrau. Novellen. Über: 
tragen von Karl Lerbs. In Leinen M 6.—. 


David Herbert Lawrence, gleich groß als Seelenerkunder wie als 
Seelenverkünder, zeigt ſich auch in dieſem Bande als Meiſter der 
Novelle, die auf engem Raum ein ganzes Lebensſchickſal formt. Fünf 
Novellen bilden den Inhalt dieſes Bandes, es ſind außer der Novelle, 
die ihm den Titel gegeben hat, die folgenden: „Die Tochter des 
Pferdehändlers“, „Lächeln“, „Die Grenzlinie“, „Die Hauptmanns⸗ 
Puppe“. 

Luthers Briefe. In Auswahl herausgegeben von Reinhard Buch⸗ 
wald. Mit einem Titelbild. 13. Tauſend. In Leinen M 3.50. 


Im Jahre der 450. Wiederkehr des Tages von Luthers Geburt, 
die die geſamte evangeliſche Welt am 10. November feiern wird, 
legen wir dieſes Buch in einer neuen Ausgabe vor. Es gibt ein Bild 
von Luthers geiſtiger Eigenart und innerer Entwicklung, es zeigt 
uns den echten Luther mit den „Löwenaugen, Falkenaugen, Baſi⸗ 
lis kenaugen“, den Mann, der die Geiſter und Gewiſſen frei gemacht 
hat. — Worte Fichtes über Luther leiten das Buch ein. 


Nebelthau, Otto: Der Ritt nach Canossa. In Leinen M 6.—. 


Immer wieder reizt die düſtere Problematik des Lebens Hein⸗ 
richs IV. die Dichter zur Darſtellung. In ſeinem in einer gehobenen 
Proſa geſchriebenen Roman „Der Ritt nach Canoſſa“ hat Otto 
Nebelthau den Stoff mit ſicherem Griff gepackt. Kaiſertum und 


174 


Papfttum befinden ſich auf der Höhe ihres Kampfes um die Macht, 
den Heinrich durch Unterwerfung als Sieger zu beenden hofft. 
Dieſes Buch darf nicht mit dem landläufigen Maßſtab des hiſto⸗ 
riſchen Romans gemeſſen werden. Es wechſelt in ihm die leiden⸗ 
ſchaftliche Bewegung eines Dramas mit der Ruhe eines Fresko⸗ 
gemäldes großen Stils. 


Rilke, Rainer Maria: Über Gott. Zwei Briefe. 4. Tauſend. Ge⸗ 
bunden M 2.— 


Die Gottesidee ift die Mitte von Rainer Maria Rilkes Denken. 
In der Auffaſſung des Stunden⸗Buches iſt Gott ein Werdender, 
einer, deſſen „kommende Konturen“ dämmern. Dieſe beiden Briefe 
ſind Zeugnis für die Wandlung, die ſich unter dem Einfluß des 
Krieges i in Rainer Maria Rilke vollzogen hat. Gott iſt kein Zukünf⸗ 
tiger mehr, er iſt ein Hieſiger, wir „bauen“ nicht mehr an ihm, er 
iſt in ſeiner Geſamtheit um uns. 


— Briefe aus den Jahren 1907 bis 1914. In Leinen M 7.— 
Halbleder M9.—. 

Diefe fieben Jahre umfaſſen im Schaffen Rilkes eine Epoche, in 
der aus höchſter Entflammung und ſtärkſter Überwindung die aus⸗ 
gereifteſten, erkenntnisvollſten und bekenntnisreichſten Werke ſeiner 
Vorkriegszeit entſtehen und erſcheinen: die beiden Teile der „Neuen 
Gedichte“ und die „Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“. 
Um ſie treibt des Dichters bald von Einſamkeit, bald von der Un⸗ 
ruhe weiter Reiſen erfülltes Leben. Immer mehr erſchließt ſich uns, 
beſonders in den Briefen an einige Frauen von hohem geiſtigen 
Rang, das tragiſche Geheimnis dieſes dem ſchon früh erfühlten 
Tod heroiſch Widerſtand leiſtenden Dichters. 


Schaper, Edzard H.: Die Insel Tütarsaar. Roman. In Leinen M5. — 
Ungewöhnlich wie das Leben iſt auch das Buch dieſes jungen 
Dichters, den wir als neuen Autor unſeres Verlags mit großen 
Hoffnungen einführen. Die grüne Inſel Tütarſaar, die er im duftig 
blauen Meer erſtehen läßt, iſt hoch im Norden verſteckt in einer Bucht 
gelegen und von einem ſeltſamen Menſchen, einem Schafhirten, 
bewohnt, der für geiftesgeftört gilt. Ein Fremder, der auf die Inſel 
gerät, erlebt dort, halb gezwungen, viele Abenteuer und erfährt zu 
ſeiner unendlichen Bereicherung die hohe Weisheit des von einem 
geheimnisvollen Glauben Beſeſſenen. 


Schnack, Friedrich: Klick aus dem Spielzeugladen. Roman für das 
kleine und große Volk. In Leinen M 4.—. 
Was für ein Zauberer iſt dieſer Friedrich Schnack! Ein armer 
Junge, Nikolaus Bodenweber, genannt Klick, ſein Vater, Buch⸗ 
halter auf Abbau im Spielzeugladen der Frau Trockenhut, Klicks 


175 


Freundin Ali, die elternloſe Nichte der Zeitungsfrau Mittwoch, 
der Huſtenonkel, der Kapitän Saſſafraß, der Affe Pong, um ſie 
herum eine Menge Volk, ein verlorenes Lotterielos und fein Ober: 
raſchendes Schickſal: aus dieſen wunderlichen Geſtalten und Er⸗ 
eigniſſen hat der Zauberblick des Dichters eine Erzählung geſchaffen, 
die alle Eigenſchaften beſitzt, um ein wahres Volksbuch zu werden. 


Ka Sillanpää, Frans Eemil: Eines Mannes Weg. Roman. Übertragen 
von Rita Ohquiſt. In Leinen M 5.—. 

Im Mittelpunkt dieſes Romans des berühmten finniſchen Dich⸗ 
ters ſteht der Hofbauer Paavo Ahrola, der nach vielen Irrungen 
den Weg zu dem feſten, klaren und gütigen Mädchen, das ſeine 
Jugendgeliebte war, zurückfindet. Die geſunde, erdverbundene Welt 
eines finniſchen Bauern umgibt uns, der Zauber des Landes der 
tauſend Seen hält uns gefangen. 


+ Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Ungekürzte Volksausgabe 
(784 Seiten). In Leinen M 3.75. 

„Der Nachſommer“ iſt das Werk, in dem Stifter, auf der Höhe 
ſeines Lebens, ſein ganzes Weſen geſammelt auszuſprechen ge⸗ 
dachte. Er iſt der wunderbare Spätling Goethiſcher Ausſaat. Ab⸗ 
kunft, Beſitz, Natur, Liebe, Reinheit des Herzens, Ernſt des Geiſtes, 
Adel, Schönheit, Ergebung, Weisheit: das iſt die Welt dieſes Bu⸗ 
ches, des makelloſeſten, das ſeit den Romanen Goethes in unſerer 
Sprache entſtanden iſt. Wer den ganzen Stifter in einem einzigen 
Werke beſitzen will, greife zum „Nachſommer“. 


+ Timmermans, Felix: Die bunte Schüssel. Erzählungen. Mit Zeich⸗ 
nungen des Dichters. In Leinen M 4.50; kart. M 3.50. 

Ein heiteres Selbſtbildnis leitet dieſen Band ein. Dann erzählt 
der Dichter die zarte Legende von der heiligen Eliſabeth von Thü⸗ 
ringen, die den Mantel des heiligen Franziskus erhielt und bis zu 
ihrem Tode in Ehren trug. Man erfährt von den Freuden und Leiden 
des Meiſterrauchers Gommarus, von Guſtav aus der „Roten Katze“, 
und wie er die Liebe erfuhr, von dem Geheimnis der hundertund⸗ 
zwölf Kopfweiden, der wehmütigen Geſchichte der Orangebliiten 
und von vielem anderen. Auch für die Kinder gibt es zwei aller⸗ 
liebſte Erzählungen. 


— Das Jesuskind in Flandern. Mit Zeichnungen des Dichters. 34. Tau⸗ 
ſend. Volksausgabe in Leinen M 3.75. 

Mit kindlich gläubigem Auge hat der flaͤmiſche Dichter die heiligen 
Geſchichten von der Verkündigung an bis zur Rückkehr nach Naza⸗ 
reth ſich auf dem Boden und unter den Menſchen ſeiner Heimat 
abſpielen ſehen und aus dieſen Viſionen ein wunderbares Buch ge⸗ 
ſchaffen, das viele Herzen ſchon erhoben und entzückt hat. Dieſes 


176 


Buch erſchien uns neben dem „Pallieter“ beſonders geeignet, um, zum 
erſtenmal mit Zeichnungen des Dichters geſchmückt, als Volksaus⸗ 
gabe den Weg zu Tauſenden neuer Leſer anzutreten. 


Waggerl, Karl Heinrich: Das Jahr des Herrn. Roman. In Leinen 
M 5.50; kart. M 4.50. 
Den Rahmen dieſes ſchönen, unpathetiſchen und reifen Buches 
bildet der Ablauf der religiöfen Feſte innerhalb einer Dorfgemein⸗ 
ſchaft. Einfache Geſchehniſſe find in ihn eingefügt, ins beſond ere das 
Leben des Knaben David, auf den der Dichter autobiographiſche 
Züge übertragen hat. 


Waldmann, Emil: Albrecht Dürer, Sein Leben und seine Kunst. 
Mit 192 Bildtafeln. Volksausgabe in Leinen Mt 4.50. 

Albrecht Dürer: das iſt der deutſche Menſch in feinem Ringen um 
die Form, der ewig grüblerifche, problematiſche und doch auch wieder 
gläubige, fromme, deutſche Menſch, eine ſeltſame Vereinigung von 
nüchterner Sachlichkeit und glühender Erregung. Er ſteht mitten 
im Anbruch einer neuen Zeit, die ſich mit einer großartigen An⸗ 
ſtrengung den Feſſeln der Vergangenheit entwindet. Das drei⸗ 
bändige Dürerwerk Emil Waldmanns erſcheint nun — nachdem es 
lange vergriffen geweſen — in neuer Bearbeitung in einem ſtatt⸗ 
lichen Bande. Die Abſicht des Verfaſſers war, ein einfaches und 
ſchlichtes Buch über Dürer für die Menſchen unſerer Zeit zu ſchreiben. 


Dichter unſerer Zeit 
Beheim-Schwarzbach, Martin: Die Herren der Erde. Roman. In 
Leinen M 5.50. 
— Die Michaelskinder. Roman. In Leinen M 6.25. 


Bertram, Ernst: Gedichte. Vierte, vermehrte Auflage. In Papp⸗ 
band M 4.— 


— Das Nornenbuch. Gedichte. In Pappband M 4.—. 


— Der Rhein. Ein an Gedichte. Dritte, vermehrte ar 
In Pappband M 4.— 


— Straßburg. Ein N Dritte, vermehrte Auflage. In 
Pappband M 4.—. 


Billinger, Richard: Sichel am Himmel. Der Gedichte dritte, ver: 
mehrte Auflage. In Leinen M 4.50. 


Carossa, Hans: Der Arzt Gion. Eine Erzählung. 50. Tauſend. In 
Leinen M6.—. 


177 


+h 


+ 


+ 


Carossa, Hans: Rumänisches Tagebuch (aus dem Weltkriege). 
15. Tauſend. In Leinen M 4.50. 


Eine Kindheit. 20. Tauſend. In Leinen M 5.—. 
Verwandlungen einer Jugend. 15. Tauſend. In Leinen M. 5.—. 
— Gedichte. 10. Tauſend. In Leinen M 4.—. 


Claes, Ernest: Flachskopf. Mit einem Vorwort und Bildern von 
Felix Timmermans. Aus dem Flämifchen übertragen von Peter 
Mertens. 10. Tauſend. In Leinen M 4.75. 


Frank, Leonhard: Das Ochsenfurter Männerquartett. Roman. 
20. Tauſend. In Leinen M 5.—. 


— Die Räuberbande. Roman. 60. Tauſend. Volksausgabe in Leis 
nen M 2.50. 


Hardt, Ernst: Gudrun. Ein Trauerſpiel in fünf Akten. 23. Tau⸗ 
fend. In Leinen M 4.—. 


— Tantris der Narr. Drama in fünf Akten. 54. Tauſend. In Lei⸗ 
nen M 4.—. 

Hofmannsthal, Hugo von: Die Gedichte und kleinen Dramen. 
53. Zaufend. In Leinen M 5.—. 


Huch, Ricarda: Der große Krieg in Deutschland. Vollſtändige 
Ausgabe in zwei Bänden. 20. Tauſend. (1400 Seiten.) In Leinen 
M 15.—. 

Der Roman des Dreißigjährigen Krieges. 


— Von den Königen und der Krone. Roman. 8. Auflage. In kei: 
nen M 5.75. 


Luthers Glaube. Briefe an einen Freund. 19. Tauſend. In Halb⸗ 
leinen M 4.50. 

— Menschen und Schicksale aus dem Risorgimento. 11. Tauſend. In 
Leinen M 5.—. 


— Die Verteidigung Roms. Der Geſchichten von Garibaldi erſter Teil. 
12. Tauſend. In Leinen M 6.—. 


— Der Kampf um Rom. Der Geſchichten von Garibaldi zweiter 
Teil. 10. Tauſend. In Leinen M 6.—. 


— Michael Unger. Roman. 31. Tauſend. In Leinen M 6.50. 


— Der große Krieg in Deutschland. Gekürzte Volksausgabe. 
40. Tauſend. In Leinen M 2.50. 


178 


Lauesen, Marcus: Und nun warten wir auf das Schiff. Roman. 
Aus dem Dänifchen übertragen von Mathilde Stilling. 15. Tauſend. 
In Leinen M 6.50. f 

Der Roman berichtet von den letzten Lebenstagen und dem Ster⸗ 
ben der Frau Juliane Hagemeyer, einer unwirklichen Rieſin, die 
nicht wie ein Menſch wirkt, ſondern eher wie ein Haus, wie ein 
ganzes Geſchlecht, ein paar Zeitalter. Sie ſtammt aus der Familie 
Jeſſen in einem kleinen Hafenſtädtchen Schleswig⸗Holſteins, fie hat 
die Glanzzeit dieſer Reeder⸗Familie erlebt und ihren Niedergang, 
aber ſie ſelbſt iſt ſtolz und ungebeugt, bis der Tod ihr die große 
Angſt und die Erkenntnis menſchlicher Armut bringt. 

Man muß ſich in der Literatur lange umſehen, ehe man eine 
Geſtalt von ſolcher Größe findet. Friedrich Michael. 


Mell, Max: Die Sieben gegen Theben. Dramatiſche Dichtung. Ge: 
heftet M 2.50; in Pappband M 3.50. 


Mumelter, Hubert: Zwei ohne Gnade. Roman. In Leinen M 6.—. 


Zwei Geſtalten treten aus dem Dunkel des Mittelalters in das 
Licht des Tages, Oswalt von Wolkenſtein und Sabina Jäger, 
zwei ſelig⸗unſelig Liebende, die einander ebenſo anziehen wie ab: 
ſtoßen und einander zum Verhängnis werden müſſen. Das hiſto⸗ 
riſche Drama, das den Sabina⸗Oswalt⸗Roman umgibt, iſt jener 
Aufruhr des Tiroler Adels gegen den „Herzog Friedrich mit der 
leeren Taſche“, der zu den bewegteſten und bedeutendſten Zeiten 
der Tiroler Geſchichte gehört. 


Rendl, Georg: Der Bienenroman. In Leinen M 5.—. 


Rilke, Rainer Maria: Gesammelte Werke in ſechs Bänden. 9. Tau⸗ 
fend. In Leinen M 35.—; in Halbleder M 45. —. 

Inhalt: I. Band: Erfte Gedichte — Frühe Gedichte. II. Band: 
Das Buch der Bilder — Das Stunden⸗Buch — Das Marienleben — 
Requiem. III. Band: Neue Gedichte — Duineſer Elegien — Die So⸗ 
nette an Orpheus — Letzte Gedichte und Fragmentariſches. IV. Band: 
Cornet Chriſtoph Rilke — Geſchichten vom lieben Gott — Proſafrag⸗ 
mente — Auguſte Rodin. V. Band: Die Aufzeichnungen des Malte 
Laurids Brigge. VI. Band: Übertragungen. 


Ergänzungsbände in der Ausſtattung der Geſamtausgabe: 


— Erzählungen und Skizzen aus der Frühzeit. 10. Tauſend. In 
Leinen M7.—; in Halbleder OU o, — 


Briefe und Tagebücher aus der Frühzeit. 1899 bis 1902. 8. Tau⸗ 
fend. In Leinen M7.—; in Halbleder M 9.—. 


— Briefe aus den Jahren 1902 bis 1906. 15. Tauſend. In Leinen 
M 7.—; in Halbleder M 9.—. f 


179 


Rilke, Rainer Maria: Briefe aus den Jahren 1906 bis 1907. In 
Leinen M 7.—3; in Halbleder M9.—. 


— Erste Gedichte. 21. Tauſend. In Leinen M 6.—. 
— Frühe Gedichte. 26. Tauſend. In Leinen M 5.—. 


— Neue Gedichte. Beide Teile in einem Bande. 26. Tauſend. In 


— Das Buch der Bilder. 34. Tauſend. In Leinen M 5. 25. 
— Duineser Elegien. 15. Tauſend. In Leinen M 3.50. 


— Das Stunden- Buck. (Enthaltend die drei Bücher: Vom mön⸗ 
chiſchen Leben — Von der Pilgerſchaft — Von der Armut und vom 
Tode.) 85. Tauſend. In Halbleinen M 4.25. 


— Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. 31. Tauſend. In 
Leinen M 6.50. 


— Geschichten vom lieben Gott. 50. Tauſend. In Leinen M 4.50. 


Andreas-Salomé, Lou: Rainer Maria Rilke. Mit 8 Bildtafeln. 
7. Tauſend. In Leinen M 5.—. 


Sieber, Carl: René Rilke. Die Jugend Rainer Maria Rilkes. Mit 
5 Bildtafeln und einem Fakſimile. In Leinen M 5.—. 


Schaeffer, Albrecht: Helianth. Bilder aus dem Leben zweier Men⸗ 
ſchen aus der norddeutſchen Tiefebene in neun Büchern. Neue Aus⸗ 
gabe in zwei Bänden (1400 Seiten). In Leinen M 15.—. 


— Griechische Heldensagen. Nach den alten Quellen neu erzählt. 
Zwei Bände. In Leinen M 10.—. 


— Josef Montfort. Roman. 14. Tauſend. In Leinen M 6.50. 


— Das Prisma. Novellen und Erzählungen. Auf Dünndruckpapier. 
10. Tauſend. In Leinen M 6.50, ) 


— Parzival. Cin Versroman in drei Kreiſen. 6. Tauſend. In Leinen 
M 7.50. 


Scheffler, Karl: Der junge Tobias. Eine Jugend und ihre Ume 
welt. 7. Zaufend. In Leinen M 6.—. 


Schnack, Friedrich: Beatus und Sabine. Roman. In Leinen M 4.50. 
— Goldgräber in Franken. Roman. In Leinen M 4.50. 


— Das Leben der Schmetterlinge. Roman. 7. Taufend. In Leinen 
M 6.—. 


Der Lichtbogen. Falterlegenden. In Leinen M 4.50. 
— Die Orgel des Himmels. Roman. In Leinen M 4.50. 


180 


Schnack, Friedrich: Sebastian im Wald. Gin Waldroman. 12. Tau: 
fend. In Leinen M 4.50. 

— Der Sternenbaum. Ein Weihnachtsroman. In Leinen M 4.50. 

— Das Zauberauto. Roman. In Leinen M 4.50. 

— Das blaue Geisterhaus. Gedichte. In Leinen M 4.50. 

— Vogel Zeitvorbei. Gedichte. Gebunden M 4.— 

Es ut beglückend, ſich in die Werke dieſes wahrhaft deutſchen 
Dichters hineinzuleſen und hineinzuleben, in dem ſich die Liebe zur 
Heimat und ihren Bewohnern zu Dichtungen von hoher Schönheit 
entfaltet hat. Keinem wie ihm iſt die Gabe verliehen, Wirklichkeit und 
Sehnſuchtsreich, Welt⸗ und Heimatgefühl zu einer faſt magiſchen 
Einheit zu verbinden. Seine Werke ſind erfüllt von Zuverſicht und 
Vertrauen zu den Menſchen und ihrem Tun, ſie ſind ein franzis⸗ 
kaniſcher Lobgeſang auf die Natur in ihrer herrlichen Vielfaltigkeit. 

Im Frühjahr 1933 iſt dieſer Dichter mit feinem Werk zu uns über: 
gegangen. 

Ein Sonderverzeichnis aller Werke des Dichters ſteht unberechnet 
zur Verfügung. 

Schröder, Rudolf Alexander: Der Wanderer und die Heimat. In 
Leinen M 4.75. 
— Mitte des Lebens. Geiftliche Gedichte. In Leinen M 5.—. 


Sillanpää, F. E.: Silja, die Magd. Roman. Übertragen von Rita 
Ohquiſt. 6. Tauſend. In Leinen M 6.—. ve 


Taube, Otto Freiherr von: Der verborgene Herbst. Roman. In 
Halbleinen M 4.75. 
Die Léwenprankes, Roman. In Halbleinen M 4.50. 


Timmermans, Felix: Pieter Bruegel. Roman. Mit Zeichnungen 
des Dichters. Übertragen von Peter Mertens. 20. Tauſend. In Leinen 
M 6.—. 

— Die Delphine. Eine Geſchichte aus der guten alten Zeit. Mit 
Zeichnungen des Dichters. Übertragen von Peter Mertens. 15. Tau⸗ 
fend. In Leinen M 5.—. 

— Franziskus. Mit Zeichnungen des Dichters. Übertragen von Peter 
Mertens. 20. Tauſend. In Leinen M 6.—. 

Das Licht in der Laterne. Erzählungen. Mit Zeichnungen des 
Dichters. Übertragen von Anna Valeton⸗Hoos. 15. Tauſend. In 
Leinen M 5.—. 

— Der Pfarrer vom blühenden Weinberg. Roman. Übertragen von 
Peter Mertens. 20. Tauſend. In Leinen M 5.—. 

— Das Spiel von den heiligen drei Königen. Nach der Weihnachts⸗ 
legende von Felix Timmermans für die Bühne bearbeitet von 


181 


Eduard Veterman und Felix Timmermans. Übertragen von Anton 
Kippenberg. 5. Tauſend. Geheftet M2.—; in Pappband M 2.50. 


Timmermans, Felix: Pallieter. Übertragen von Anna Valeton⸗Hoos. 
100. Tauſend. Volksausgabe. In Leinen M 2.50. 


Waggerl, Karl Heinrich: Brot. Roman. 17. Tauſend. In Leinen 
M 6.—. 
— Schweres Blut. Roman. 10. Tauſend. In Leinen M 6.—. 


Klaſſiker und Geſamtausgaben 


Büchner, Georg: Werke und Briefe. Herausgegeben von Fritz 
Bergemann. Taſchenausgabe auf Dünndruckpapier in einem Bande. 
(513 Seiten.) 9. Tauſend. In Leinen M7.—. 


Dickens, Charles: Ausgewählte Werke in ſechs Bänden. Mit über 
300 Federzeichnungen aus den engliſchen Originalausgaben von 
Cruikſhank, Cattermole, H. K. Browne und anderen. Auf Dünn⸗ 
druckpapier. (6100 Seiten.) In Leinen M 45.—. 

Inhalt: David Copperfield — Der Raritätenladen — Die Pickwik⸗ 
fier — Martin Chuzzlewit — Nikolaus Nickelby — Oliver Twiſt und 
Weihnachtserzählungen. 


Eichendorff, Joseph von: Werke. Ausgewählt und herausgegeben 
von Franz Schultz. Zwei Bände. (1080 Seiten.) 30. Tauſend. In 
Leinen M 6.—. 


Goethe: Sämtliche Werke in ſiebzehn Bänden. Herausgegeben von Fritz 
Bergemann, Hans Gerhard Graf, Max Hecker, Gunther Ipfen, 
Kurt Jahn und Carl Schüddekopf. Taſchenausgabe auf Dünndruck⸗ 
papier in dunkelbraunem Leinen M 135.—; in Leder M 235.—. 


Die vollſtändigſte aller heutigen Goethe⸗Ausgaben. Der Text um⸗ 
faßt 15 000 Seiten. 
Ergänzungsbände in der Ausſtattung der Geſamtausgabe: 


— Goethes Briefe und Tagebücher. Herausgegeben von Hans Ger⸗ 
hard Gräf. Taſchenausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. 
(1750 Seiten.) In Leinen M 18.—; in Leder M 30.—. 


— Gespräche mit Eckermann. Herausgegeben und eingeleitet von 
Franz Deibel. Vollſtändige Taſchenausgabe in einem Bande auf 
Dünndruckpapier. (797 Seiten.) 33. Tauſend. In Leinen M 7.50; 
in Leder M 13.—. : 

— Goethes Gespräche ohne die Geſpraͤche mit Eckermann. Ausge⸗ 
wählt von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Taſchenausgabe 
auf Dünndruckpapier in einem Bande. (791 Seiten.) In Leinen 
M 9.503 in Leder M 16.—. 


182 


Goethe: Farbenlehre. Eingeleitet von Gunther Ipſen. Mit 32 zum 
großen Teil vielfarbigen Tafeln. Vollſtändige Taſchenausgabe auf 
Dünndruckpapier in einem Bande. 6. Tauſend. In Leinen M 10.— 


— Faust. Geſamtausgabe. Enthaltend Urfauſt, Fragment (1790), 
Tragödie I. und II. Teil, Paralipomena. Taſchenausgabe auf 
Dünndruckpapier in einem Bande. (577 Seiten.) 140. Tauſend. In 
Leinen M 3.50; in Leder M 6,50. 


— Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Hans 
Gerhard Graf. Taſchenausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bän⸗ 
den. (1300 Seiten.) 29. Tauſend. In Leinen M 12.—; in Leder 
M 20.—. 


— Gedichte. Auswahl in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Hans 
Gerhard Graf. 18. Tauſend. In Leinen M 3.75. 


— Italienische Reise. Taſchenausgabe auf Dünndruckpapier in einem 
Bande. 23. Tauſend. (1019 Seiten.) In Leinen M 6.— 


— Italienische Reise. Mit den Zeichnungen Goethes, feiner Freunde 
und Kunſtgenoſſen in 124 zum Teil farbigen Lichtdrucktafeln. Neu 
herausgegeben vom Goethe⸗Nationalmuſeum (Folio). In Halb⸗ 
leder M 50.—; in Leder M 80.— 


— Die Leiden des jungen Werther. Mit den elf Kupfern und einer 
Rötelſtudie von Chodowiecki. Siebente Auflage. In Pappband 
M 6.—. 

— Liebesgedichte. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. 26. Tau⸗ 
fend. In Pappband M 3.—. 

— Naturwissenschaftliche Schriften. Herausgegeben von Gunther 
Ipſen. Mit 45 zum großen Teil farbigen Tafeln. Taſchenausgabe 
auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1583 Seiten.) In Leinen 
M 20.—; in Leder M 34.— 

— Die Briefe des jungen Goethe. Herausgegeben und eingeleitet 
von Guſtav Roethe. 29. Tauſend. In Leinen M 3.50. | 

— Briefe an Frau von Stein. Ausgewählt und herausgegeben von 
Julius Peterſen. Mit 6 Silhouetten. 30. Tauſend. In Leinen M 3.50. 

Kühnemann, Eugen: Goethe. Zwei Bände. (1118 Seiten.) In 
Leinen M 15.—. 

Grimmelshausen, H. J. Chr. von: Der abenteuerliche Simplizissi- 
mus. Vollftändige Ausgabe auf Dünndruckpapier in einem Bande. 
(897 Seiten.) 28. Tauſend. In Leinen M 7.50. 

Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke. Taſchenausgabe auf Dünn: 


druckpapier in einem Bande. (1043 S.) 21. Tauſend. In a 
M 9.— ; in Leber M 15.— 


188 


Hölderlin, Friedrich: Hyperion oder der Eremit in Griechenland. 
Tafchgrausgabe. 14. Tauſend. In Leinen M 3.—; in Leder M 6.—. 


Jacobsen, Jens Peter: Sämtliche Werke in einem Bande. Über: 
tragen von Mathilde Mann, Anka Matthieſen und Erich von Mendels⸗ 
ſohn. Mit dem von A. Helſted 1885 radierten Porträt, Auf Dünn⸗ 
druckpapier. (877 Seiten.) 33. Tauſend. In Leinen M 9.—3; in Leder 
M 15.—. 


Kant: Sämtliche Werke in ſechs Bänden. Herausgegeben von Felix 
Groß. Taſchenausgabe in Dünndruckpapier. (4400 Seiten.) In Lei⸗ 
nen M 45.— 


Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke. Herausgegeben von Friedrich 
Michael. Taſchenausgabe auf Dünndruckpapier in einem Band. 
(1187 Seiten.) In Leinen M9. —; in Leder M15. — 


— Briefe. Herausgegeben von Friedrich Michael. In Leinen M 3.50 


Sachs, Hans: Ausgewählte Werke. (Gedichte und Dramen.) Mit 
52 Holzſchnitten nach Dürer, Beham u. a. Herausgegeben von Paul 
Merker und R. Buchwald. Zwei Bände. 10. Tauſend. In Halb⸗ 
leinen M 10.—. Kolorierte Ausgabe, in der f ämtliche Holzſchnitte 
mehrfarbig mit der Hand koloriert . in Halbpergament 
M 16.—3 in Schweins leder M 30.— 


Schiller: Sämtliche Werke in ſieben Bänden. Taſchenausgabe auf 
Dünndruckpapier. (4900 Seiten.) In Leinen M 45.—; in Leder 
M 70.—. 


Stendhal, Friedrich von (Henri Beyle): Gesammelte Werke. Über: 
tragen von Arthur Schurig und Otto Freiherrn von Taube, Taſchen⸗ 
ausgabe auf Dünndruckpapier in acht Bänden. (5200 Seiten.) In 
Leinen M 55. —; in Leder M 90.— 

Inhalt: Band I: Das Leben eines Sonderlings. — Band II: Von 
der Liebe. — Band III: Armance. — Band IV: Rot und Schwarz. — 
Band V: Lucien Leuwen. — Band VI: Die Kartauſe von Parma. — 
Band VII: Zwölf Novellen. — Band VIII: Gedanken, Meinungen, 
Geſchichten. 


Stifter, Adalbert: Witiko. Roman. Vollſtändige Ausgabe. 12. Tau⸗ 
fend. In Leinen M7.—. 


Storm, Theodor: Sämtliche Werke in acht Bänden. Herausgegeben 
und eingeleitet von Albert Köſter. 21. Tauſend. In Leinen 
M 30.—; in Halbpergament M 40.— 


184 


Deutſche Vergangenheit 


Nach zeitgenöſſiſchen Quellen herausgegeben von Johannes Bühler. 
Das Werk umfaßt 9 Bände mit je 16 Bildtafeln. Es beſteht aus 
zwei Abteilungen, der politiſchen und der kulturhiſtoriſchen Reihe. 
Vorzugspreis des geſamten Werkes in Leinen M 60.—; die ein⸗ 
zelnen Bände in Leinen je M 7.50. 


Die Bände der politiſchen Reihe: 


Die Germanen in der Völkerwanderung — Das Frankenreich - 
Die Sächsischen und Salischen Kaiser — Die Hohenstaufen. 


Die Bände der kulturhiſtoriſchen Reihe: 

Klosterleben im deutschen Mittelalter — Deutsches Geistesleben 
im Mittelalter - Ordensritter und Kirchenfürsten — Fürsten und 
Ritter — Bauern, Bürger und Hansa. 

In dieſem Werk fließt aus den zeitgenöſſiſchen Quellen die poli⸗ 
tiſche, ſoziale und Geiſtes⸗Geſchichte des deutſchen Volkes von ſeinen 
Anfängen bis an die Schwelle der neuen Zeit: Chroniken, Lebens⸗ 
beſchreibungen, Briefe, Urkunden, Geſetze, Streitſchriften, wiſſen⸗ 
ſchaftliche Abhandlungen, Sagen, Lieder und Gedichte: alle Lebens⸗ 
gebiete, alle Meinungen und Richtungen kommen zur Geltung. In 
den umfangreichen Einleitungen werden Sinn und Ziel der treiben⸗ 
den Kräfte jeder Epoche und der ſich wandelnden Formen ihrer 
Kultur gedeutet. 


Große deutſche Männer und Frauen 


Bach, Johann Sebastian. Eine Biographie von Ch. S. Terry. Mit 
einem Geleitwort von Karl Straube. Mit 55 Bildtafeln. In 
Leinen M 13.50. 

Beethovens Briefe. In Auswahl herausgegeben von Albert Leitz⸗ 
mann. Mit 16 Bildtafeln. 40. Tauſend. In Leinen M 5.—. 


Carolinens Leben in ihren Briefen. Auf Grund der von Erich 
Schmidt beſorgten Geſamtausgabe in Auswahl herausgegeben von 
Reinhard Buchwald, eingeleitet von Ricarda Huch. Mit 16 Bild⸗ 
tafeln. 10. Tauſend. In Leinen M 6.50. 


Meister Eckhart: Deutsche Predigten und Traktate. Ausgewählt und 
eingeleitet von Friedrich Schulze⸗Maizier. In Halbpergament M 6,50. 


Elisabeth Charlotte (Liselotte): Briefe der Herzogin Elisabeth Char: 
lotte von Orleans. Ausgewählt und eingeleitet von Hans F. Hel⸗ 
molt, Mit 16 Bildtafeln. Dritte Auflage. In Leinen M 6.50. 


Fichte: Reden an die deutsche Nation. Revidierte Ausgabe mit 
einer Einleitung von Rudolf Eucken. 29. Tauſend. In Leinen M 3.50. 


185 


Goethes Mutter: Briefe. Ausgewählt und eingeleitet von Albert 
Köſter. Mit 16 Bildtafeln. 68. Tauſend. In Leinen M 4.50. 


Goethe: Bettinas Leben und Briefwechsel mit Goethe. Auf Grund 
des von Reinhold Steig bearbeiteten handſchriftlichen Nachlaſſes 
neu herausgegeben von Fritz Bergemann. Mit 17 Bildtafeln und 
2 Fakſimiles. In Leinen M 7.50. 


Hölderlin: Die Briefe der Diotima an Hölderlin. Herausgegeben 
von Carl Vistor. Mit der Abbildung einer Büſte und dem Fakſimile 
eines Briefes. 20. Tauſend. In Leinen M 3.50. 


Humboldt, Wilhelm von: Die Brautbriefe Wilhelms und Karolinens 
von Humboldt. Herausgegeben und eingeleitet von Albert Leitz⸗ 
mann. 12. Tauſend. In Leinen M 6.50. | 


— Briefe an eine Freundin. (Charlotte Diebe.) In Auswahl eg 
ausgegeben von Albert Leitzmann. 32. Tauſend. In Leinen M 3.50. 


Mozart: Wolfgang Amadeus Mozarts Leben in feinen Briefen und 
Berichten der Zeitgenoſſen. Herausgegeben von Albert Leitzmann. 
Mit 16 Bildtafeln und 2 Fakſimiles. In Leinen M7.—. 


Nietzsche, Friedrick: Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von 
Richard Oehler. 25. Tauſend. In Leinen M 4.75. 


Villers, Alexander von: Briefe eines Unbekannten. Ausgewählt 
und eingeleitet von Wilhelm Weigand. Mit 2 Bildniſſen. In Leinen 
M 6.50. 


Wilhelmine Markgräfin von Bayreuth: Memoiren. Herausgegeben 
und mit einem Nachwort verfehen von Annette Kolb. Mit 10 
Bildtafeln. 13. Tauſend. In Leinen M 6.50. 


Yorck-Droysen, Joh. Gust.: Das Leben des Feldmarschalls Grafen 
Lorck von Wartenburg. Zwei Bände. Elfte Auflage. Mit 8 Bild⸗ 
niſſen und 8 Karten. In Leinen M 10.— 


Märchen, Sagen, Legenden und Lieder 


Als der Großvater die Großmutter nahm. Ein Liederbuch für alt⸗ 
modiſche Leute. Fünfte Auflage. In Papp¾hand M 4.50; in Halb: 
leder M 6.—. 


Alte und neue Lieder mit Bildern und Weisen. Herausgegeben 

im Auftrage des Verbandes Deutfcher Vereine für Volkskunde und 
der Preußiſchen Volkslied⸗Kommiſſion. Mit 190 Bildern und Zeich⸗ 
nungen von Ludwig Richter, Otto Ubbelohde, Graf Kalckreuth, Max 
Slevogt, Hans Meid, Schwind, Menzel u. a. Zweiſtimmig geſetzt 
mit Lauten begleitung. In Leinen M 4.50. 


186 


Andersen, Hans Christian: Märchen. Vollſtändige Ausgabe. Unter 
Benutzung der von Anderſen felbft beſorgten deutſchen Ausgabe 
übertragen von Mathilde Mann. Zeichnung der farbig gedruckten 
Initialen und des Titels von Carl Weidemeyer⸗Worpswede. 
16. Tauſend. Zwei Bände. In Leinen M 10.—. 


Die Blümlein des heiligen Franziskus von Assisi. Übertragen von 
Rudolf G. Binding. Mit 84 Initialen und Einbandzeichnung von 
Carl Weidemeyer⸗Worpswede. 22. Tauſend. In Leinen M 6.—. 


Deutsche Heldensagen. Herausgegeben von Severin Rüttgers. Mit 
einem erklaͤrenden Anhang. (616 Seiten.) In Leinen M 4.50. 


Brüder Grimm: Märchen. Vollſtändige Ausgabe in zwei Bänden. 
Zeichnung der farbig gedruckten Initialen und des Titels von Carl 
Weidemeyer⸗Worpswede. 10. Tauſend. In Leinen M 9.—. 


Hauff, Wilhelm: Märchen. Vollſtändige Ausgabe. Zeichnung der 
farbig gedruckten Initialen und des Titels von Carl Weidemeyer⸗ 
Worpswede. 8. Tauſend. In Leinen M 5.—. 


Hey - Speckter: Hundert Fabeln für Kinder. Von Wilhelm Hey. 
Mit den Bildern von Otto Specter. In Leinen M 2.50. 


Schwab, Gustav: Sagen des klassischen Altertums. Vollſtändige 
Volksausgabe in einem Bande mit 96 Zeichnungen von J. Flar⸗ 
man. (1020 Seiten.) In Leinen M 4.50. 


Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Vollſtändige 
deutſche Ausgabe in ſechs Bänden. Zum erſten Male aus dem 
arabiſchen Urtext der Calcuttaer Ausgabe vom Jahre 1839 übertragen 
von Enno Littmann. Eingeleitet von Hugo von Hofmannsthal. Auf 
Dünndruckpapier. (5120 Seiten.) In Leinen My y.; in Leder Moo.—. 


Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Volksaus⸗ 
gabe in einem Bande. 17. Tauſend. In Leinen M 4.50. 


Welt. und Kulturgeſchichte 


Cortes, Ferdinand: Die Eroberung von Mexiko. Mit den eigen⸗ 
händigen Berichten Cortes’ an Kaiſer Karl V. von 1520 und 1522. 
Herausgegeben und eingeleitet von Arthur Schurig. Mit zwei Bild⸗ 
niſſen und einer Karte. 10. Tauſend. In Leinen M 6.50. 


Corti, Egon Caesar Conte: Der Zauberer von Homburg und Monte 
Carlo. Mit 16 Bildtafeln. In Leinen M 8.—. 


Gandhi, Mahatma: Mein Leben. Im Einverſtändnis mit dem Ver⸗ 
faſſer bearbeitet von C. F. Andrews. Aus dem Engliſchen übertragen 
von Hans Reiſiger. In Leinen M 7.50. 


187 


Gandhis Lehre und Tat. Von C. F. Andrews. Aus dem Engli⸗ 
ſchen übertragen von Karl Lerbs. In Leinen M 7.50. 


Katharina II. von Rußland: Memoiren. Herausgegeben von Erich 
Boehme. Mit 16 Bildtafeln. 19. Tauſend. In Leinen M 6.50. 


Zweig, Stefan: Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charak⸗ 
ters. Mit 10 Bildtafeln. 50. Tauſend. In Leinen M 8.50. 

— Joseph Fouché. Bildnis eines politiſchen Menſchen. Mit 6 Bild⸗ 
tafeln. 53. Tauſend. In Leinen M 7.50. 

— Drei Meister (Balzac — Dickens — Dostojewski). 30. Zaufend. In 
Leinen M7.—. | 

— Der Kampf mit dem Dämon (Hölderlin — Kleist — Nietzsche). 
34. Tauſend. In Leinen M7.—. 

— Drei Dichter ihres Lebens (Casanova - Stendhal - Tolstoi). 
20. Tauſend. In Leinen M7.—. 


Weltliteratur 


Bédier, Joseph: Der Roman von Tristan und Isolde. Übertragen 
von Rudolf G. Binding. 18. Tauſend. In Leinen M 4.50. 


Cervantes: Don Quixote. Vollſtändige deutſche Ausgabe, beforgt 
von Konrad Thorer. Auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1550 Seis 
ten.) 15. Tauſend. In Leinen M 12.—; in Leder M 20.—. 


De Coster, Charles: Uilenspiegel und Lamme Goedzak. Übertragen 
von Albert Weſſelſki. 50. Tauſend. In Leinen M 4.—. 

Eisherz und Edeljaspis oder die Geschichte einer glücklichen Gatten- 
wahl. Chineſiſcher Roman aus der Ming⸗Zeit. Aus dem Urtext 
übertragen von Franz Kuhn. 12. Tauſend. In Leinen M 5.75. 

Gobineau, Arthur Graf: Die Renaissance. Hiſtoriſche Szenen. Über: 
tragen von Bernhard Jolles. Mit 20 Bildtafeln. 82. Tauſend. In 
Leinen M 4.50. 

Homers Odyssee. Neu übertragen von Rudolf Alexander Schröder. 
25. Tauſend. In Leinen M 4.50. 

Lawrence, David Herbert: Liebende Frauen. Roman. 9. Tauſend. 
In Leinen M 8.—. 

— Der Regenbogen. Roman. In Leinen M 6.—. 

— Die gefiederte Schlange. Roman. In Leinen M 8.—. 

— Söhne und Liebhaber. Roman. 6. Tauſend. In Leinen M 8.—. 

Die Rache des jungen Meh oder Das Wunder der zweiten Pflaumen- 
blüte. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. In 
der Art chineſiſcher Blockbücher gedruckt. In Leinen M 6.25. 


188 


Mottram, Ralph H.: Der „Spanische Pachthof**. Eine Roman⸗Trilogie 
1914 bis 1918. Mit einem Vorwort von John Galsworthy. Über: 
tragen von T. Francke. (720 Seiten.) 12. Tauſend. In Leinen M 8.50. 


Der Nibelungen Not und Kudrun. Herausgegeben von Eduard 
Sievers. Taſchenausgabe auf . (624 Seiten.) 
10. Tauſend. In Leinen M6.—. 


Pontoppidan, Henrik: Hans im Glück. Roman. Aus dem Daͤni⸗ 
ſchen übertragen von Mathilde Mann. Zwei Bände, (880 Seiten.) 
10. Tauſend. In Leinen M 10.— 


Der Traum der Roten Kammer. Aus dem Chinefifchen übertragen 
von Franz Kuhn. (789 Seiten.) In Leinen M 12.— 


Kunſt 


Allesch, Johannes von: Michael Pacher. Mit 113 Abbildungen. In 
Leinen M 12.50. 


Beenken, Hermann: Bildhauer des vierzehnten Jahrhunderts am 
Rhein und in Schwaben. Mit 150 Abbildungen. In Leinen 
M 10,50, 


Gerstenberg, Curt: Hans Multscher. Mit 175 Abbildungen. In Leinen 
M 10.50. 


Glaser, Curt: Lukas Cranach. Mit 121 Abbildungen. In Leinen M. — 


Jantzen, Hans: Deutsche Bildhauer des dreizehnten Jahrhunderts. 
Mit 136 Abbildungen. In Leinen M 10.50, 


Meller, Simon: Peter Vischer. Mit 145 Abbildungen. In Leinen 
M 10.50, 


Rilke, Rainer Maria: Auguste Rodin. Mit 96 Bildtafeln. 53. Tau: 
Scheffler, Karl: Der Geist der Gotik. Mit 100 Bildtafeln. 44. Tau⸗ 
fend. In Leinen M7. — 


— Deutsche Maler und Zeichner im neunzehnten Jahrhundert. Mit 
77 Bildtafeln. 12. Tauſend. In Leinen M 11.— 


— Holland. Mit 100 Bildtafeln. In Leinen M 12.50. 


— Italien. Tagebuch einer Reiſe. Mit 118 Bildtafeln. 17. Tauſend. 
In Leinen M 12.50. 


— Paris. Notizen. Mit 87 Bildtafeln. 9. Tauſend. In Leinen M 12.50. 
Schmidt, Paul Ferdinand: Philipp Otto Runge. Sein Leben und 
fein Werk. Mit 80 Bildtafeln. In Leinen M o, — 


189 


Steindorff, Georg: Die Kunst der Ägypter. Mit 200 Bildtafeln und 
zahlreichen Abbildungen im Text. In Leinen M 12.50. 


Tsudzumi, Tsuneyoshi: Die Kunst Japans. Herausgegeben vom 
Japan⸗Inſtitut, Berlin. Mit 8 farbigen Tafeln und 127 Abbildun⸗ 
gen. In Leinen M 20.—. 

Dieſes Werk hat der japaniſche Kunſthiſtoriker in deutſcher Sprache 
geſchrieben. 

Weinberger, Martin: Wolfgang Huber. Mit 135 Abbildungen. In 
Leinen M 10,50. 


Die 4.50 Bücher 


Bühler, Johannes: Das erste Reich der Deutschen. Von der Vöolker⸗ 
wanderung bis zur Reformation. Mit 80 Bildtafeln. In Leinen 
M 4.50. 

Inhalt: Die Germanen — Das Frankenreich — Die Sächfifchen 
und Saliſchen Kaiſer — Die Hohenſtaufen — Fürſten und Ritter — 
Die Deutſchordensritter und der Ordensſtaat Preußen — Der deut⸗ 
ſche Bauer — Bürger und Hanſe — Das deutſche Geiſtesleben im 
Mittelalter — Kloſterleben im deutſchen Mittelalter. 


Deutsche Erzähler. Ausgewählt und eingeleitet von Hugo von Hof⸗ 
mannsthal. Die früher vierbändige Ausgabe jetzt in einem Bande. 
(1005 Seiten.) In Leinen M 4.50. 


Deutsche Heldensagen. Herausgegeben von Severin Rüttgers. Mit 

einem erklärenden Anhang. (616 Seiten.) In Leinen M 4.50. 

Goethe und seine Welt in 580 Bildern. Herausgegeben von Hans 
Wahl und Anton Kippenberg. In Leinen M 4.50. 


Schwab, Gustav: Sagen des klassischen Altertums. Vollſtändige 
Volksausgabe in einem Bande mit 96 Zeichnungen von J. Flax⸗ 
man. (1020 Seiten.) In Leinen M 4.50. 


Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Volksaus⸗ 
gabe in einem Bande. 17. Tauſend. In Leinen M 4.50. 


Waldmann, Emil: Albrecht Dürer, Sein Leben und seine Kunst. 
Mit 192 Bildtafeln. In Leinen M 4.50. 


Die 3.75: Bücher 


Huch, Ricarda: Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri. 
Roman. Volksausgabe. In Leinen M 3.75. 


Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Ungekürzte Volksausgabe. In 
Leinen M 3.75. 


Timmermans, Felix: Das Jesuskind in Flandern. Mit Zeichnun⸗ 
gen des Dichters. In Leinen M 3.75. 


190 


Inhalt 


Kalendarium auf das Jahr 191uuõ; · ˙UVk eee 5 
Friedrich Schnack: Der Falter des Homer .............. 11 
Henning Haslund⸗Chriſtenſen: Die Bändigung des wilden 
EE 23 
Sven Hedin: Zu Henning Haslund⸗Chriſtenſens Werk „Ja⸗ 
bon a)) 8 30 
Karl Scheffler: Die karolingiſchen Laien⸗Baumeiſter 31 
Georg Trakl: Drei Gebigte «e ꝗ 38 
Rüdiger von Bechelare· nnn. P . 40 
Das Kind unter den Wölfe˖e n EECH 47 
Hans Caroſſa: Dichter und Arzt 50 
Aus den Geſprächen Friedrichs des Großen mit Henri de Catt 63 
K. H. Waggerl: Du und Angela... nan 70 
Rudolf Alexander Schröder: Der Genfer Se 77 
Friedrich Nietzſche: Die Umwertung aller Werte 78 
Edzard H. Schaper: Die Nachfahren Petrt.............. 82 
Albrecht Schaeffer: Parzivalkampf mit Orilu ee 98 
Max Mell: Hirtenſpiel in Kärnten 107 
Meiſter Eckhart: Leſemeiſter und Lebemeiſter - Das ewige Wort 118 
David Herbert Lawrence: Lächeliliiiñ 119 
Aus den Geſchichten von Karl dem Großn 126 


Rainer Maria Rilke: Zwei Gedichte aus dem Nachlaß... 131 
Martin Luther: Briefe Fabel Sprichwörter Aus Tiſchreden 131 


Felix Timmermans: Die Eullãüumuuoeüeéꝓ ... eee 136 
Egon Caeſar Conte Corti: Kaiſerin Charlotte bei Napoleon 

und Eugenie Ic eee eee 141 
Frans Eemil Sillanpdd: Schneegeftiber............... 152 
Inſchrift an einem Denkſtein in Din kelsbühhl ll 157 
Otto Nebelthau: Die Gräfin Mathilde von Toscana 158 
Plattdeutſcher Spruunln 88 165 
Friedrich Hölderlin: An den Ather eee 166 
Bücher aus dem Infel-Verlag ........ cece ͥ 169 


Bilder 


Buga, der Begleiter des Totengottes. Hauptfigur aus dem 
Neufelsſ ans teaeeseseekanas 
Reitender Jäger. Nach einer alten mongoliſchen Zeichnung 
Aus Henning Haslund⸗Chriſtenſen: Jabonah, Abenteuer in 
der Mongolei 
Albrecht Dürer: Madonna am Baume. Kupferſtich. Aus Emil 
Waldmann: Albrecht Dürer, Sein Leben und feine Kunſt. 
Daniel Chodowiecki: Zwei Kupferſtiche. Aus M. Lanckoronska 
und R. Oehler: Die Buchilluſtration des 18. Jahrhunderts in 
Deutſchland, Oſterreich und der Schweiz.. 
Moritz von Schwind: Radierung. Aus Inſelbücherei Nr. 437: 
Mörike, Die Hiſtorie von der ſchönen Laua;⁸tr 
Albrecht Dürer: Bildnis des Ulrich Starck. Kreidezeichnung. 
Deutſche Kaiſerkrone Kaiſer Konrads II., des Saliers. Aus 
Johannes Bühler: Das erſte Reich der Deutſchen 
Felix Timmermans: Zeichnung aus: Das Jeſuskind in Flandern 
Ablaß brief um lll; ee 
Waldvergißmeinnicht aus: Das kleine Blumenbuch (Inſel⸗ 
Bücherei N ; 


D 


Den Umſchlag zeichnete Rudolf Kod 


25 
33 


49 


113 


129 
136 
161 


Seeing ges Sfr Poeſchel & Trepte in Leipzig 


CC 
B/T 


Digitized by Google 


Y36.5 
1.97 


DE 


Stanford University Libraries 
Stanford, California 


Return this book on or before date due.